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Full text of "Weltgeschichte Vom westfälischen Frieden bis zum Ausbruch der französischen Revolution"

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Weltgeschic. 
Vom 

westfälischen 
Frieden  bis 
zum ... 


Franz  Joseph 

Hr»l7\A/arth 


IR  K  E  l  E  Y 

RARY 


I 


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Dr.  f.  $♦  idporty* 


Stifter  Öonb. 


£vei!e,  vtrbtfftztt  ^ufUge. 


1886. 


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• 


SÄcdjt  ber  Ueberfefctmg  in  frcmbe  (Spraken  wirb  Dprbefjalten. 


Xrud  bon  Sofj.  ^alf  III.  in  SNatnj. 


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»ZG 

H  IL 


fratt|ofird)en  Uenoluttoit. 


387 

*»Ij»tttt|,  ®eltgefefji($tt.  vi. 


1 


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(  i  n  l  e  i  t  n  n  9. 

3>ie  Signatur  be3  SeitraumeS  äroifdjen  bcm  tocftfäHfc^cn  ^rieben 
unb  bcr  großen  franjöfifchen  SReüolution  ift  eine  ftetä  machfenbe, 
faß  alle  Seichten  unb  klaffen  bcr  (BefeUfchaft  burchbringenbe  föe* 
ItgionSgleichgilttgf  eit ,  bie  fich  mebr  unb  mehr  jum  üoCU 
ftänbigen  Unglauben  unb  $ur  auSfchließlichen  Pflege  ber  materiellen 
Jntereffen  entnncfelte.  8u  biefem  troftlofen  ,8uftanbe  hatte  bie  9te* 
formation  ben  ®runb  gelegt,  tnbem  fie,  baä  unfehlbare  fiefyramt 
ber  ^ircr)c  oerroerfenb ,  an  bie  Stelle  be3  ÖHauben$lichte3  bie 
fajmanfenben  2lu3fprüche  ber  tnbirnbuellen  Vernunft  fteflte;  benn 
bie  SBertoerfung  ber  Autorität  ging  Dom  religtöfen  (Gebiete  auf  baS 
ber  Sitte,  ber  ^olitif,  ber  2Biffenfct)aft  über  unb  umfaßte  alle  Greife 
beä  $afeinä.  5>te  ©Reibung  be$  religiöfen  unb  beä  ^>olitifc^en  Sie* 
ben&,  bie  juerft  in  bem  meftfälifchen  grieben  ju  Xage  getreten,  griff 
immer  roeiter  um  fich ;  bie  Slflianjen  unb  Xraftate ,  bie  (SntfdjeU 
bung  über  Mrieg  unb  ^rieben,  bie  ©efefcgebung  unb  SBerroaltung 
nahmen  feine  SRücfficht  mehr  auf  ®irdje  unb  ÖJlauben:  irbtfe^e  3n- 
tcreffen  leiteten  allein  bie  Sßolitif  ber  Kabinette. 

2icic  unheilvolle  ^atüriunung ,  bie  (ich  auch  über  bie  faüjo-- 
lifchen  ßänber  öerbreitete,  brachte  eine  anticr)riftticr)c  Söerfchroörung 
Sur  9ieife,  bie,  öon  Staatsmännern  unb  ^luloiopljeu  begünftigt  unb 
burch  bie  oerblenbete  ^olitif  ber  £>öfe  geförbert ,  in  ber  Literatur 
tote  im  Seben  ihre  Triumphe  feierte,  ber  $irdje  ein  SBollroerf  nad) 
bcm  anbem  entriß,  ben  einflußreichen  Qefuitenorben  vernichtete  unb 
ben  apoftolifchen  Stuhl  in  jeber  SBeife  emiebrigte  unb  oergeroal* 
ttgte,  um  bann  auch  bic  oon  ihr  als  £anblanger  benufcten  Surften 
herabjuujürbigen  unb  $u  ftürjen.  Jpatte  ber  oorhergehenbe  3cit= 
räum  im  proteftantifchen  ©nglanb  mit  ©mpörung  unb  $önigSmorb 
geenbet,  fo  fdjließt  ber  neue  mit  ber  Xrohung  ber  (Empörung  unb 
beä  #önig$morb$  im  fatholifchen  3ranfreich. 

SBahrenb  bie  roeltlichen  gürften  fid)  in  ihren  abfolutiftifchen 
Scftrebungen  nicht  nur  öon  ber  hemmenben  ® ontrole  ber  Stänbe, 
ionbern  auch  öon  l&tx  ©inmirfung  ber  Kirche  freizumachen  mußten 
unb  mit  ber  ©e|"e&gebung  unb  SBerttmltung  auch  °^  @r$iehung  unb 
ben  Unterricht,  bie  Söohlthätigfeiteanftalten  unb  bie  tirchengüter  ju 

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Einleitung. 


t>ermettüdjen ,  ja  fclbft  bic  innerftcn  2htge(cgenf)eiten  bcr  ftirdje  in 
ben  Söereid^  ifjrer  Üttac^tfpfyäre  ju  jiefjen  fudjten,  gerieten  fie  in 
immer  größere  Slbfjängigfeit  t>on  ben  Saunen  ber  Spenge,  bie,  be= 
tfjört  öon  einer  burdj  unb  burd)  reöofationären  Siteratur  unb  burd) 
SBolfäaufroiegler  irre  geleitet,  gorberungen  $u  fteflen  begann,  rocla}e 
roeit  hinaufgingen  über  bie  SBieber^erftettung  ber  alten  $o(färea)tc 
unb  gegen  meiere  ilmen  bie  bura)  fie  gefned)tete  unb  bem  öffent= 
ticken  Sieben  entfrembete  ®ird?e  feinen  ©c^ufe  me^r  gemäljren  fonntc. 
w©o  erntete  bie  mcltüdje  9ftaa)t\  fagt  $>ergenrötfjer,  „ba§,  maä  fie 
gefät:  bie  föeöolution  gegen  ben  ©taat  mar  bie  grudjt  ber  9*eoo= 
lution  gegen  bie  ®ird)e;  bie  „eöangelifche  greifjeit"  in  i^rem  Wifc 
bxand)  führte  jutn  3#if$braud)  ber  poütiiajen  greifet.  Die  Zeiget 
ber  gürften  mürben  if)re  Golfer;  bie  sJtäd)erin  ber  mit  gü&en  ge- 
tretenen ®ird)e  marb,  if)r  fetbft  unbemufet,  bie  SReüotution.  £ie 
gürften  Ratten  ben  ^ßapft  alt  ben  ©djmädjeren  miftyanbclt :  bie  nodj 
ftf)roäd)eren  gürften  vertrat  ber  $öbel." 

Die  ®ird)e  fclbft  aber,  beren  Aufgabe  burd)  bie  öeränberte  ®e* 
ftalt  bcr  $inge  nid)t  minber  alä  burd)  bie  tfjcilä  gleidjgiltige,  tfyeila 
offenbar  feinbfelige  Spaltung  ber  meltlidjen  äJtäd)te  unenblid)  erfdjmert 
mar,  beroafnrte,  mie  in  allen  2)rangfatcn,  fo  aud)  im  Kampfe  gegen 
bie  ungläubige  ^f)i(ofopf)ie,  bie  falfcfye  unb  feierte  2lufflärung*fud)t 
unb  bie  fyeudjlerifd)  ba£  ädjte  ^ira^ent^um  öorfd)üfcenbe  3rrlef)re, 
bie  einanber  bie  £)errfd)aft  über  bie  ©eifter  ftreitig  matten ,  bie 
öofle  ®raft  be$  ©laubenä  unb  bei*  Siebe,  unb  giän^enb  bcroäfjrtc 
fid)  an  ü)r  bie  göttUdje  S3er^ei§ung,  baß  bie  Pforten  ber  JpöHe  fie 
nid)t  überwältigen  roerben.  SBät)renb  ©ott  bie  9Äärf)tigen  entthronte 
unb  itjre  fronen  jerbrad),  führte  er  feine  ®ird)e  einer  neuen  SBer* 
t)cvrltd)uitg  ju. 


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I. 


<$aife*  £eopotb  I. 

(1658-1705.) 

Seopolbä  2Baf>l  unb  erfte  WegienmgSjeit. 

3ferbinanb  III.  überlebte  ben  Slbfchlujj  beS  roeftfälifchen  griebenS 
nur  um  neun  3a^r^»  roährenb  welcher  er,  ben  toeränberten  SScrr)ält= 
raffen  beS  Bleiches  ^Rechnung  tragenb,  mit  ben  beutfdjen  ©tänben 
ein  möglichft  gutes  Verhältnis  aufregt  ju  galten  fuctjte,  in  feinen 
Ghrblänbern  bagegen  ben  SRegierungSgrunbfäfeen  feines  SSaterS  treu 
blieb.  @r  ftarb  am  am  2.  Hpril  1657,  nach  mehrjährigem  Stänfeln, 
in  feinem  neununbm'erjigften  SebenSjahre  unb  hinterließ  ben  SRuf 
eines  reichgebübeten,  gerechten,  menfehenfreunblichen  unb  frieblieben- 
ben  Surften.  5)a  fein  ältefter  ©ohn,  ber  fapn  $u  feinen  ßebjeiten 
bie  fronen  üon  ^Böhmen  unb  Ungarn  empfangen  hatte  unb  im  3af)re 
1653  als  gerbinanb  IV.  jum  römifchen  ftönig  gemäht  unb  ge* 
frönt  roorben  war,  am  9.  3uni  1654  an  ben  SBlattem,  bie  ju  jener 
3cit  furchtbare  Verheerungen  anrichteten,  ftarb,  ging  baS  9iec^t  ber 
Thronfolge  in  ben  öfterreidjifdjen  ©rblanben  an  feinen  jroeiten  ©ot)n 
ßeopolb  über,  ber,  nachbem  er  am  24.  Januar  1655  bie  §uU 
bigung  ber  öfterreidufdjen  ©täube  empfangen  r>atte,  am  27.  3uni  beS 
gleichen  3ahreS  als  flönig  üon  Ungarn  unb  am  14.  ©eptember  als 
ftönig  öon  ©öhmen  gefrönt  rourbe. 

©eboren  am  9.  3uni  1640,  mar  ßeopolb  noch  ö0^c 
ftebjehn  3al)re  als,  als  ber  Xob  feines  SBaterS  ihn  jur  Regierung 
über  bie  öfterreidufchen  ©rblänber  berief  unb  mit  ber  Uebernahme 
berfelben  ber  öolle  (Srnft  beS  fiebenS  an  ihn  h«antrat,  baS  fid)  für 
ihn  in  einer  nahezu  fünfzigjährigen  Regierung  ju  einem  äufjerft 
ftürmifa^en  geftalten  foHte.  Obgleich  er  anfangs  jum  geiftlichen 
©tanbe  befrimmt  unb  feine  ©rjiehung  eine  biefem  Berufe  ent* 
fprechenbe  gett-efen,  waren  ihm  bie  leitenben  ©runbfäfce  ber  öfter* 
reichifchen  Sßolitif  nicht  jremb  geblieben,  unb  ba  er  ftch  überbieS  in 
ber  öerhältai&mä&ig  furzen  Seit  feit  bem  Xobe  feines  älteren  *8rn* 


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flatfcr  fieopolb  I 


berS  eine  große  unb  öielfeitige  ®enntniß  ber  ®efdjofte  angeeignet  hatte, 
fonnte  er  fein  fürftlidjeS  2lmt  mit  einer,  menn  auch  nicht  glänjen* 
ben,  fo  bodt)  überaus  rüstigen  unb  grünbltchen  SBorbeveitung  an* 
treten. 

ßeopolbS  rotffcnfc^aftlic^c  SBilbung,  bie  er  bem  trefflichen  Untere 
richte  jmeier  SBäter  ber  ©efettfehaft  Qefu  oerbanfte,  mar  eine  fo 
öielfeitige  unb  grünbliche,  baß  ilm  fein  gürft  feines  3ahrt)unbertS  an 
©elehrfamfeit  übertraf.  ?(ußer  feiner  flJcutterfprache  hotte  er  fdjon 
frühe  Satcinifcr)  unb  Qtatienifdt)  forreft  unb  fließenb  fprechen  unb 
fdjreiben  gelernt;  eine  grünbliche  ®enntniß  ber  fpanifchen  unb 
franjöfifchen  Sprache  ermarb  er  fich  fpäter,  bodj  fonnte  er  fich  mit 
ber  lejjteren  bei  feiner  entfdjieben  beutfehen  (JJefinnung  nie  recht  be- 
freunben.  Sieben  biefen  oerfa^tebenen  Spraken  Ratten  ©efdjidjtc 
unb  ^P^tlofop^ie  bie  ^auptgegenftänbe  feiner  ©tubien  gebilbet. 
Slud)  bie  fdjönen  fünfte  maren  nicht  oernachläffigt  geblieben ;  inSbe- 
fonbere  mar  fein  fjeröorragenbeä  Xalcnt  für  bie  SDhtfif,  für  meiere 
er  eine  große  Vorliebe  ^atte,  auf  baS  ©länjenbfte  ausgebübet  mor* 
ben.  SBott  tiefer  SReligiofität  nnb  treuer  s2lnhänglichfeit  an  feine 
$ird)e,  mar  er  jugleich,  nach  bem  übereinftimmenben  Urtheile  ber 
geitgenoffen,  ein  3üngliug  °on  ber  muftert)afteften  Stttenrcinheit, 
ber  Arbeit  mit  unermüblichem  gleiße  Eingegeben  unb  babei  bon 
großer  £erjenSgüte  unb  iöefcheibenheit,  aber  befangen  unb  unfia^er 
in  feinem  öffentlichen  Auftreten. 

28är)renb  ber  Regierungsantritt  SeopolbS  in  feinen  (Srblftn-- 
bem  trog  feiner  3ugenb  auf  feine  ©djmicrigfeiten  geftoßen  mar, 
traten  ü)m  bei  feiner  ©emerbung  um  bie  ^aiferfrone  große  ^tnber= 
niffe  in  ben  Söeg.  55er  Urheber  berfelben  mar  Sftajarin,  ber  bie 
ftaiferfronc  feinem  ®ömg,  ßubmig  XIV.  ju  oerfchaffen  münfa)te 
unb  §it  biefem  3mecfe  bei  ben  beutfehen  ®urfürften  fein  Sftittel  ber 
Ueberrebung  unb  SBeftedjung  unöerfudjt  ließ.  9tadjbem  er  erfannt 
hatte,  baß  er  fich  ein  unerreichbares  Qk\  gefteeft,  machte  er  alle  nur 
erbenflidjen  2lnftrengungen ,  um  menigftenS  burd)  bie  ?(uffteöung 
eines  unter  franjöfifchem  ©influffe  fte^enben  beutfehen  $anbibaten 
baS  habSburgtfche  $muS  öon  bem  beutfehen  ftaiferttjrone  auSju^ 
fernliegen.  (Sr  burfte  babei  auf  bie  TOtmirfung  ber  brei  geiftüchen 
Shirfürften  unb  beS  fhirfürften  öon  ber  <ßfal$  säf)len,  bie  theilS 
burch  ihre  fRätt)e  in  bie  Wefce  ber  franjöfifchen  ^olitif  oerftrieft  ober 
burch  bebeutenbe  (Mbfummen  für  baS  Sntereffe  SubroigS  XIV.  ge= 
monnen  morben  maren,  theilS  aus  gurcf)t  oor  bem  mächtigen  9iaehs 
bar  fich  ir)m  mittfahrig  jeigten. 

3uerft  mürbe  ber  turfürft  gerbinanb  Maria  öon  SBaiern, 
9tta£imtlianS  @ofm  unb  Nachfolger,  in  SBorfcfjlag  gebracht;  ba  biefer 
jeboch,  theilS  feiner  eigenen  beutfehen  ©cfinnung  folgenb,  theilS  bem 
Einfluß  feiner  9ttutter,  einer  Softer  gerbinanbs  II.,  nachgebend 


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Secpolb*  2Baf>l  unb  erfte  9flcgienmg*jeit. 


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bie  ifjm  angetragene  ßaiferfrone  au*fdjlug,  obgleich  granfreich  fich 
erboten  fjatte,  ihm  für  bie  Unterhaltung  be*  ftaiferftaate*  ein  be* 
beutenbe*  Qafjrgelb  §u  jaulen,  fud>te  man  ben  ©rjfjeraog  ßeopotb 
SBilhelm,  gerbinanb*  III.  ©ruber  unb  $oa>  unb  $)eutfchmeifter, 
ber  nicht  nur  al*  SKitglieb  be*  geiftlichen  Stanbe*,  fonbern  auch 
roegen  feiner  fehttmehen  ®efunbheit  unb  perfönlichen  2Had)tlofigfeit 
bent  ßarbinal  SKajarin  al*  ein  bie  Sntereffen  granfreich  nicht  ge= 
fäf)rbenbe*  9Reid)*oberhaupt  erfduen,  jur  Uebemahme  ber  9ieich** 
frone  gu  betoegen.  Slflein  audj  biefer  ttrie*  ben  (SJebanfen  eine* 
feinbttdjen  Auftreten*  gegen  feinen  Neffen  Seopolb  mit  @ntfc^ieben= 
fjeit  jurücf. 

$en  hänfen  granfreich*  gegenüber  oertrat  ber  gürft  £obfo- 
ro  i  $ ,  ben  ßeopolb  an  bie  Spifce  ber  ju  bem  SBahltag  nach  granf= 
furt  abgeorbneten  SBafylbotfäaft  gefteflt,  ba*  Qntcreffe  feine*  sperren 
mit  ebenfoöiel  ©cfdt)icf  al*  Ergebenheit,  unb  nachbem  e*  ihm  ge= 
hingen,  ju  ben  Stimmen  oon  Sachfen  unb  ©ranbenburg,  auf  toeldje 
Defterreich  ftcr)er  jählen  bürfte,  auch  °ie  oon  ©aiern  unb  Xrier  ju 
gewinnen,  ergaben  fich  auch  bie  $urfürften  Oon  SJtoinj  unb  ®öln, 
unb  fo  föurbe  ßeopolb  I.  am  13.  Quli  1658,  nach  einem  3nter= 
regnum  öon  fünfjehn  Sftonaten,  jum  ftaifer  gewählt  unb  am  1.  Auguft 
ju  granffurt  feierlich  gefrönt. 

©an$  erfolglos  waren  jeboct)  bie  9tänfe  üftajarin*  nicht  geblie* 
ben ;  benn  ßeopolb  mujgte  fich  $ur  Unterzeichnung  einer  2Bat)lfapitu- 
fation  oerftehen,  in  welcher  er  fich  oerpflichtete,  Spanien  in  beffen 
Ärieg  gegen  granfreid)  feinen  ©eiftanb  $u  leiften,  in  bie  italie- 
nifchen  Angelegenheiten  fich  nid)*  einjumifchen  unb  bem  mit  granf= 
reich  oerbünbeten  Jperjog  üon  Saüoöen  ba*  9tetch*tufariat  in  Ita- 
lien ju  übertragen.  9tur  mit  2ttüf)e  gelang  e*  ihm,  bie  4>inju= 
fügung  ber  gleichfall*  oon  ben  Äurfürften  auf  ben  ©errieb  granf= 
reich*  in  ©orfdjlag  gebrachten  ©ebingung  ju  öerhinbern,  baß  bic 
Uebertretung  eine*  ober  be*  anbem  fünfte*  biefer  2Bar)IfapituIation 
ober  ber  Stipulationen  be*  weftfältfchen  grieben*  feine  Abfe&ung  jur 
golge  haoen  folle. 

2öie  weit  bie  innere  Auflöfung  be*  beutfehen  deiche*  bereit* 
fortgefchritten  unb  rote  fehr  in  ben  beutfehen  gürften  jebe*  5latto- 
nalgefühl  erftorben  mar,  beweift  ber  ©unb,  ben  bie  brei  geiftlichen 
turfürften,  ber  ©ifchof  oon  fünfter,  ber  ^faljgraf  oon  9ceuburg,  bie 
^er^öge  oon  ©raunfehweig  unb  ber  ßanbgraf  oon  $effen=$affel, 
gleich  nach  Abreife  be*  ftaifer*  (24.  Auguft  1658)  auf  ben  ©etrieb 
Schweben*,  angeblich  sur  Aufrechthaltung  be*  weftfätifchen  grieben*, 
thatfächlich  aber  jur  Schwächung  unb  3folirung  Defterreich*  unb 
fomit  jur  görberung  ber  ;gntereffen  granfreich*  unb  Schweben* 
fchloffen  unb  bem  biefe  beiben  dächte  beitraten.  $er  Stifter  biefe* 
„rheinifchen  ©unbe*",  eine*  toürbigen  ©orläufer*  be*  fchmachoollen 


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äaifer  ßeopolb  L 


Dt^cinbunbeS  au3  bcr  Utapoleonifchen  Qtit,  mar  bcr  ®urfürft  öon 
9flainj,  ber  talentüofle  Qohann  s^^ilipp  öon  ©chönborn, 
ber  fich  burd)  feine  ganje  |>attung  bereite  als  ben  äftann  einer 
neuen  Qtit  anfünbigte.  SBelchc  ©orthetfe  inäbefonbere  granfretch 
öon  biefem  iöunbe  erhoffen  burfte,  erfeunen  mir  au£  bem  Urtheil,  ba3 
ber  franftöfifdje  (MefanMc  beim  beutfdjen  9teich$tag  über  benfelben 
fallt.  „$iefe  2tflian$\  f  abrieb  berfelbe  einige  3a^re  fpäter  an  feinen 
$onig,  „gibt  bem  ®önig  Gelegenheit,  feine  greunbe  unb  feinen 
großen  ®rebit  im  ^Reiche  ju  erhalten;  fie  macht  i(m  jum  9#ttgliebe 
beä  föathe*  ber  beutfdjen  Surften,  olme  il)n  öon  bemfelben  abhängig 
$u  macben." 

©chon  ju  öebjeiten  gerbtnanbfc  HL  mar  ein  Ärteg  amifcfjen 
$art  X.  (Guftaö)  öon  ©chmeben,  bem  Nachfolger  (£fjriftinen3f  unb 
bem  ®önig  3otmnn  Äaftmir  öon  <ßolen,  bem  ©ruber  unb  $lafyoU 
gcr  SBIabiSlamä  IV.  (feit  1648),  ausgebrochen,  ben  hauütfächlich 
$arl  Guftaöä  letbenfchaftliche  SRu^mbegierbe  unb  (SroberungSfudjt 
heraufbcfchmoren.  3n  biefcn  $rieg,  in  meinem  bie  ©chmeben  tfn= 
fangä  glanjenbe  Erfolge  errangen,  fyattt  fich  auch  ber  gürft  Georg 
föagocjü  II.  öon  (Siebenbürgen  aU  ©unbeägenoffe  ®ari  GuftaöS 
eingemifcht,  maS  ßaifer  gerbinanb  III.  ©eranlaffung  gegeben,  in 
einem  auf  feinem  Sterbebette  unterzeichneten  ©ertrag,  ben  ^olen 
£>üfe  jujufagen.  $er  ^olitif  feine«  ©aterS  treu  bleibenb,  lieg  ßeo* 
polb  im  ©ommer  1657  ein  Jpeer  öon  fed)$el)ntaufenb  Sflann  in  ^ßolen 
einrüefen,  unb  ju  bcr  gleiten  Seit  ergriffen  auch  ocr  ®önig  öon 
$)änemarf  unb  ber  fturfürft  öon  ©ranbenburg,  ber  fein  ^erjogthum 
^reufjen  burch  bie  ©rfolge  ber  fdjnjcbifcfjcn  SSaffen  bebroht  fah,  für 
Sßolen  Partei.  S)en  öereinten  Söaffen  ber  ©erbünbeten  mar  bie 
Stacht  ftarl  Guftaö«  nicht  gemachten:  feine  Xruöpen  mürben  auf 
allen  fünften  gefchlagen.  Schon  öorher  mar  föagocjö  $um  sJtücfjug 
nach  Siebenbürgen  gejmungen  morben,  mo  er  balb  barauf  im  ftamöfe 
gegen  bie  Xürfen  ben  Xob  fanb. 

®arl  ©uftaö  ftarb,  nad)bem  er  oergebenS  ben  ®aifer  ßeopolb 
öon  feinen  ©unbefcgenoffen  ju  trennen  gefucht,  am  20.  gebruar  1660 
öoQ  Unmuth  über  fein  finfenbeä  ÖHücf,  unb  fein  Xob  beschleunigte 
bie  grtebenäöerhaublungen,  bie  fdjon  im  SDejember  1659  im  SHofter 
D I  i  t?  a  bei  2)anjig  eröffnet  morben  maren.  SDa  fomohl  ber  $aifer, 
als  auch  oer  ^urfürft  öon  ©ranbenburg  au$  gurdjt  öor  einer 
©inmifchung  granfreichä  ju  (fünften  Sd)mebenä  eine  möglichft 
rafche  Jöcenbigung  beä  Kriege*  münfehten,  erlangte  Schmeben  in 
bem  am  3.  Üftai  1660  abgesoffenen  grieben  öon  Dliöa,  bem  am 
27.  2ttai  auch  $änemarf  beitrat,  öortheühaftere  ©ebingungen,  als 
e«  hfltte  ermarten  bürfen.  (£d  blieb  nicht  nur  im  ungefchmälerten 
SBefi^  ieiner  Ü^achtfteHung  an  ber  Dftfee,  fonbern  ber  $önig  oon  ^ßolen 
entfagte  auch  aUen  sÜnfpruchen  auf  bie  f chmebifche  Ätone  unb  auf  ^iölanb. 


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Seupolbä  Xüvfcnfrtcfle. 


9 


£eo)io(b§  2firfentriefie. 

(1663—1699.) 

Seopolbä  I.  ganje  föegierung^eit  war  burd>  Kriege  ausgefüllt, 
t>ie  er  tfjeite  im  SBeften  unb  Süben  gegen  Sranfreidj,  tljeiU  im 
Dften  gegen  bie  Xürfen  ju  führen  t»atte.  Söaren  bie  elfteren  faft 
nur  eine  lange  fteuje  oon  Ütfi&erfolgen,  fo  Imben  bie  teueren  ba* 
gegen  bie  faiferltc^e  Sfrone  mit  einem  unöertoelflidjen  ^u^meöfranje 
umrooben. 

s2ln  biefen  Kriegen  nafjm  aÜerbingS  ßeopolb  perfonlidj  feinen 
2lntf)eil,  hrie  er  überhaupt,  im  ©egenfafce  jii  feinem  Sater,  ber  fid) 
in  feiner  3ugenb  als  tapferer  unb  tüchtiger  Selbfjerr  bemäfjrt  Ijatte, 
toeber  friegerifdjeS  Xalent  nod)  friegerifdjen  ©um  beja&;  aber  ibm 
gebührt  ba£  boppelte  93erbienft,  mit  unerfäütterlidjer  $u$bauer  baä 
panier  be3  ^reu^eS  fjodjgefjalten  unb  bie  rechten  Selbfyerren  für  bie 
rechten  ^läfce  auägemäfjlt  $u  fyaben,  unb  bie  Sorfefjung  fjarte  tfym, 
sunt  Soljne  für  bie  Ijoljen  Xugenben,  bie  er  auf  bem  Xfjrone  nrie 
in  feinem  ^rioatleben  entfaltete,  eine  große  Qafyl  ber  au$ge$eidjnetften 
£>eerfüf)rer  jur  Seite  gefteflt. 

s2ll$  Seopolb  I.  bie  Regierung  antrat,  mar  ganj  SRieberungarn 
in  ben  £>änben  ber  Surfen,  Cfen  ber  ^>crrfct)erfi^  eines  rürfijdjen 
5Be$iera,  Siebenbürgen  ber  Pforte  tributpflichtig  unb  bie  SBafjl  ber 
fiebenbürgifdjen  dürften  oon  ber  SBeftätigung  beä  Sultans  abhängig. 
<3)aS  iöeftreben,  fid)  foroofjl  ber  türfifcfjen  als  ber  öfterreidnfd)en  säb~ 
fjängigfeit  51t  entjie^en  unb  jtoifdjen  ben  Karpathen  unb  ben  $onau= 
gegenben  ein  felbftftänbigeS  SReidj  ju  grünben,  fjatte  ben  Surften 
üttagoqn  üeranlafjt,  fid}  gegen  ben  Söhlen  beS  Sultans  3ftol)am= 
meb  IV.  bem  Sdimebenfönig  ®arl  ($uftao  in  beffen  $rieg  gegen 
"ißolen  an$ufd)lie&en,  in  ber  Hoffnung,  mit  Jpilfe  biefeS  93unbeSge= 
noffen  feine  Sßläne  üernnrflidjen  511  tonnen;  allein  ber  Öerfudj  mar 
fefclgefdjlageu,  unb  föagoqö  faf)  fid)  buref)  benfelben  in  einen  blu* 
tigen  ®rieg  mit  ben  Xürfen  oermirfelt,  in  meinem  er,  nadjbem  ber 
(Sultan  feine  s2(bfe$ung  auSgefprodjen,  am  22.  2ftai  1660  in  ber 
©c^laa^t  bei  ®tyalu  töbtlidj  oertounbet  mürbe. 

$a  bie  Xürfen  -IRiene  matten,  gan$  Siebenbürgen  mit  ityrem 
Sftetdje  ju  oereinigen,  beeilten  fid}  bie  fiebenbür giften  Stänbe,  ben 
erlebigten  gürftenftuljl  neu  ju  befefcen,  unb  ir)rc  SBab,l  fiel  auf 
SRagocäU'3  gelbljerrn,  Sodann  ®remenü.  Um  fid)  gegen  bie  Xürfen 
behaupten  ju  fönnen,  roarf  fid)  berfelbe  ben  Defterreidjern  in  bie 
Hrme,  unb  ßeopolb,  ber  bie  9totf>toenbigfeit  erfanute,  bem  metteren 
Umfidjgreifen  ber  £ürfenmad)t  entgegenzutreten,  fanbte  ben  General 
SRontecuculi  nac$  Ungarn  unb  Siebenbürgen,  um  ^ernenn  gegen 
ben  oon  bem  Sultan  $um  Surften  oon  Siebenbürgen  beftimmten 


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10 


fatfer  ßeopoib  L 


3ftichael  s2lpafi  ju  unterftüfcen.  Xrofc  feiner  ungenügenben  ©trete 
fräfte  brang  9ttontecuculi  erfolgreich  oor;  allein  Dementi  fanb  fcfjon 
ju  Anfang  beä  Qafireä  1662  im  $ ampfe  gegen  bie  Anhänger  2lpafi'S 
ben  Xob. 

Seopolb  jögerte,  ben  ®ampf  gegen  bie  Xürfen  fortjufefcen, 
nicht  nur  meil  er  ju  einem  ernfteren  Kriege  nicht  genügenb  öorbe= 
reitet  mar,  fonbern  auch  unb  ^attptfäc^Uc^  wegen  ber  bebenf üct)en 
Gattung  ber  Ungarn,  bie  nur  ©inn  fjatten  für  ihre  partifulariftifchen 
tl)eil$  begrünbeten,  tfyeite  unbegrünbeten  SBefchtoerben,  ober  feinerlei 
SBerftänbnifj  für  ba8  ^ö^ere  allgemeine  gntereffe  be3  iRcic^cS  roie 
für  bie  bringenbe  (Gefahr  ber  djriftlidjen  SBilbung  Europa'  ä,  unb 
oon  ben  fanatifchen,  £>a6  unb  Verfolgung  gegen  Deftcrrcicr)  pre= 
bigenben  proteftantifchen  ^ßräbifanten  ju  offenem  Aufruhr  gebrängt 
mürben,  ©o  fcr)r  jeboct)  auch  ber  $aifer  ben  Sieben  aufrecht  ju 
erhalten  toünfchte,  far)  er  fidj  bocfj  burch  bie  maßlofen  Sforberungen 
unb  fortgelegten  Uebergriffe  ber  Xürfen  gejttningen,  im  Qa^re  1663 
bie  SSaffen  gegen  fie  ju  ergreifen. 

$er  Anfang  be3  Krieges  mar  für  Defterreich  ein  unglücflidjer. 
$>ie  oon  bem  türfifchen  ©ro|oe^ier  Mehmet  (Stjrili  feit  bem  17.  Sluguft 
1663  mit  einem  |>eere  oon  ^unbertjroanjigtaufenb  3flann  belagerte 
unb  oon  bem  (trafen  Sorgacj  mit  Umficht  unb  Xapf erfeit  oert^et^ 
bigte  Scftung  9ieul)äufel,  ba3  ^auptbolltoerf  beä  meftlichen  Un* 
garo3  fiel  am  24.  September,  in  Solge  einer  9fteuterei  ber  un= 
garifct)en  SBefa^ungStruppen,  oon  welchen  ein  Xtyil  fogleidj  nach  ber 
ilebergabe  ber  ©tabt  in  türftfehe  Dienfte  trat.  Unter  gräueloollen 
Sermüftungen  fcfjtoeiften  oSmannifc^e  föeiterfchaaren,  gegen  meiere 
toeber  SRontecuculi  mit  feinem  nur  fedjätaufenb  Wlann  ftarfen 
®orp3,  noc^  oer  tapfere  unb  friegSerfatjrene  s8a\\  oon  Kroatien, 
©raf  Piflas  3  *  i  n  u  ,  ber  (Snfel  beä  berühmten  s-8ert()eibiger3 
oon  ©aigeth,  mit  bem  ungarifdj-froatifd)en  Heerbann  (Etroad  au3$u= 
richten  üermochten,  bi3  gegen  ^rünn  unb  Dlmüfc  unb  festen  SBten 
in  ©Breden. 

©anj  anberä  oerlief  bagegen  ber  3elbjug  beä  gafyreä  1664. 
SRachbem  e3  bem  ®aifer  burch  perfonfic^c*  ©rfchetnen  auf  bem 
föeichstag  in  9legcn£burg  gelungen,  bie  ©tänbe  ju  rafcherer  <pilfe-- 
leiftung  §ti  bemegen,  unb  bemgemä&  bie  jugefagten  9teich3truppen 
unter  bem  2flarfgrafen  Öeopolb  oon  SBaben  unb  bem  (trafen  oon 
SBalbecf  im  grühfommer  1664  in  Ungarn  erf Lienen  maren,  auch 
ber  ftönig  ßubtuig  XIV.  oon  granfreich  bem  ßaifer  ein  .frilfafjeer 
oon  fechataufenb  9flann  unter  bem  (trafen  Qohann  oon  (Soligno, 
einem  Ururenfel  be3  in  ber  ^Bartholomäusnacht  ermorbeten  9lbmiral$, 
ju  £ilfe  gefanbt,  nahm  ber  faiferliche  Oberbefehlshaber  äflontecueuli 
mit  ftebenunbbrei&igtaufenb  9ttann  feine  ©teHung  hinter  ber  föaab, 
um  bie  ©renjen  DberungarnS  ju  beefen.    $ier  fam  eS  am  1 .  ^luguft 


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ßeopolt»«*  Türfcnfricflc. 


1t 


1664  bei  berr  Ijart  an  ber  ©renje  ton  ©teiermarf  gelegenen 
Siftercieuferabtet  ©t.  ©ottfjarbt  $ur  blutigen  (£ntfd)eibung«- 
fcf)fadu\ 

9?adjbem  ein  X^eil  be$  türfifd&en  $eere*,  ba3  in  ber  ©tärfc 
öon  fmnbertbreißigtaufenb  9Rann  unter  ber  jjüfjrung  bei  ©roß; 
t>e$ier3  bi§  an  bie  ftaab  oorgerütft  mar,  ben  Uebergang  äber  ben 
Stuß  errungen  r)atter  griffen  bie  juerft  übergefefoten  ganttfdjaren  unb 
Soatnä  bie  ba$  (Jentrum  beä  faifertidjen  $eere3  bilbeten  SReidjä* 
truppen  mit  fotdjer  Uebermadjt  an,  baß  fie  öoüftänbig  jerfprengt 
tourben.  ©djon  gelten  bie  Xürfen  il)ren  ©ieg  für  gefiebert,  ate 
Sftontecuculi  unb  ©otigntj,  jener  mit  bem  regten,  biefer  mit  bem 
ttnfen  Stügel  be$  djriftlidjen  £eere8,  fict)  ilmen  in  bie  Sfanfen 
roarfen,  roäljrenb  ber  $rin$  oon  SBalbecf  audj  bie  jerfprengten  Xrup= 
pen  be$  (Zentrums  mit  bem  $egen  in  ber  £>anb  gegen  ben  5einb 
jurütf  trieb.  Qtefct  gerieten  bie  dürfen  ib,rerfeit$  in  SBerroirrung,  unt> 
ganje  ©paaren  fprengten  in  oermorrener  fjlucbt  babon.  9lodj  ein- 
mal  roanbte  ftcr)  ba3  ©lud  ber  ©djladjt,  al8  neue  Abteilungen  tür* 
fifdjer  Reiterei,  bie,  oon  bem  ©roßöejier  entfanbt,  oberhalb  unb 
unterhalb  be3  ©djladjtfelbeä  über  ben  3tuß  gegangen,  ba$  cririftli^e 
#eer  auf  beiben  ©eiten  unb  im  SRürfen  angriffen.  3n  biefem  ent- 
fefteibenben  Wugenblid,  roo  OTe3  auf  bem  ©piete  ftanb  unb  ber  Jeinb 
ftd)  bereits  beä  ©epätfS  ber  9letd)äOölfer  unb  Sranjofen  bemädjtigt 
fjatte,  lieg  SKontecucuft  mit  rafa^er  @ntfcr)toffcn^cit  ben  Äern  be* 
$>eere3  in  ber  ganjen  gronte  oorgeljen,  roäfjrenb  er  (Solignn  linte  gegen 
bie  anftürmenben  türftfcr)en  Leiter  entfanbte  unb  fict)  felbft  mit  feinem 
eigenen  Regiment  unb  bem  be3  ®enera(3  ©porf  rea)t3  bem  geinbe 
entgegemoarf.  *Bor  bem  Angriff  fiel  ©porf  auf  bie  ®niee  nieber 
unb  betete  entblößten  Raupte*  mit  lauter  ©timme:  „sMmäd)tigfter 
<£eneralijftmuä  bort  oben,  mittft  bu  un$,  beinen  cr)riftgCäubigeu  $in^ 
bern,  Ijeute  nidjt  Reifen,  fo  f)Uf  bodj  audj  roenigftenä  ben  Xürfenljunben 
nia}t,  unb  bu  fottft  beine  Suft  Gaben!"  $iefe  SBorte  riffen  feine 
©paaren  jur  begetftcrtftcn  ftampftuft  fun,  bie  fidj  rafd)  über  ba£ 
ganje  ct)riftUcr)e  #cer  oerbreitete,  unb  balb  mieten  bie  Xürfen  auf 
allen  fünften  jurüd.  3mmer  größer  mürbe  bie  Verwirrung  in  ityren 
SReüjen,  bis  enbttdj  Reiterei  unb  gußootf  in  oermorrener  glutf)t  fidj 
in  bie  föaab  ftürjten,  in  beren  Stützen  über  ^ntaufcnb  SKann  ben 
Xob  fanben.  Aua?  bie  breißigtaujenb  3Rann  ftarfe  föeferbe  ber  Di* 
manen,  bie  nodj  gar  ntd&t  ins  (Sefeajt  gefommen,  fitste,  oon  einem 
panijdjen  ©ajreden  ergriffen,  ba$  SBeite. 

$)ie  ^ieberlage  ber  Xürfen  mar  eine  ooßftänbige,  unb  ber 
©ieg  beä  faiferliajen  Speeres  —  ber  größte  unb  glänjenbfte,  ben 
bie  d)riftlid)en  ©äffen  feit  brei  Qatjrfjunberten  über  bie  Domänen 
erfochten  Ratten  —  ber  SSenbepunft  bc?  türüfe^en  ^rieg^gtürfe^. 
3nbeffen  magte  9flontecuculi  nia)t,  ben  errungenen  ©ieg  weiter  ju 


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12 


Äatfcr  Seopolb  I. 


üerfolgen,  ba  fein  |>eer  burd)  bic  erlittenen  Söerlufte  aH$u  fc^r  ge* 
fd)roäd(>t  unb  ber  d&roßücjier  nodj  immer  im  SBefifte  n?ett  überlegener 
«Streitkräfte  mar,  unb  ba  ftd)  audj  ber  Sultan  jum  grieben  geneigt 
geigte,  entfdjloß  ftdj  Seopolb,  ber  überbie«  uidt)t  ftdjer  auf  bie  fernere 
£>ilfe  be«  SReidje«  unb  nodj  meniger  auf  bie  be«  Königs  üon  granf* 
reicfj  redjnen  fonnte,  auf  bie  üon  bem  ®ro&t>ejier  üorgefd)lagenen 
grieben«unterfmnblungen  einzugehen,  ©o  fam  frf)on  am  10.  2luguft 
1664  ju  23a«üar  unter  ber  gorm  eine«  jttjanjigia^rigen  2Baffen* 
ftillftanbe«  ein  griebe  ju  ©taube,  melier  bie  Xürfen  im  SBefifce  ber 
beiben  mistigen  <piäfce  ^etermarbein  unb  fteuf)äufel  liefe  unb  bem 
tnjmifchen  tum  ben  Xürfen  jum  Surften  üon  Siebenbürgen  einge* 
fefcten  ÜKi^aet  SIpaft  bie  SInerfennung  Defterreidj«  üerf djaffte, 
toogegen  ber  ©ultan  üerfpredjen  mußte,  feine  Xruppen  au«  ©ieben* 
bürgen  jurürfjujie^en  unb  ben  ©tänben  biefe«  Sanbe«  bie  freie  28al)l 
ihrer  gürften  ju  bclaffen. 

Obgleich  man  hätte  crmarten  foöen,  baß  bie  Ungarn  ben  9(6= 
fd)luß  be«  grieben«  üon  $a«üar,  melier  ber  Verheerung  ihre« 
Öanbe«  ein  Siel  fefcte,  mit  greuben  begrüßen  mürben,  erhöhte  ber= 
felbe  nur  ihre  (Erbitterung  gegen  ben  $aifer,  meil  er,  ben  ©efefcen 
ihre«  £anbe«  unb  bem  früheren  brauche  entgegen,  ofme  ihren  Vei* 
rath  gefdjloffen  roorben.  sKuä)  märe  ben  ungarifdjen  (Großen  bie  alle 
yjlafy  im  Sanbe  in  ftänben  Ratten  unb  bie  5)eutfchen  mit  glühcn= 
bem  £>affe  üerfolgten,  bie  gortfefcung  be«  Krieges  ermünfcht  geroefcn, 
um  in  bemjelben  größere  Vortheile  gegen  Defterreid)  erringen  $u 
tonnen,  ©ie  flagten  über  Verlegung  ihrer  Verfaffung  unb  über 
<&eroalttljätigfeiten  ber  im  ßanbe  flurüdgebliebenen  öfterreidufchen 
©olbaten  unb  verlangten  bie  ßurücfführung  ber  ungarifc^en  Jerone, 
bie  mährenb  be«  Kriege«  nach  Söien  gebracht  morben  mar,  fomie  bie  (£nt* 
fernung  aller  beutfchen  Xruppen  au«  Ungarn.  5)ie  erftere  gorberung 
mürbe  ilmen  ohne  ßögerung  bemiHigt,  bie  jmeite  jeboch,  meil  unüer- 
€inbar  mit  ber  Sicherheit  be«  üanbe«,  ba«  fich  nidjt  felbft  ju  fchüfcen 
üermochte,  entfdnebcn  jurürfgcmiefen. 

3nbeffen  fanb  ber  uugartfcfje  Slbel  balb  in  ben  fortbauernben 
klagen  über  bie  äuchtlofigfeit  ber  beutfchen  ©olbaten,  fomie  in  einer 
angeblichen  Verfolgung  ber  sßroteftanten  üon  ©eiten  ber  üftcrreidjifdjen 
Regierung  einen  ermünfdjten  Vormanb  ju  ^oc^ücrrät^ertfc^cn  Um* 
trieben,  unb  e«  entftanb  eine  geheime  Verbinbung,  bie  mit  $ilfe 
granfreid)«  unb  ber  Pforte  bie  2o«reißung  Ungarn«  üon  Defterreid) 
in«  2öert  ju  fefcen  gebaute.  $od)  nod)  ehe  bie  Verfdjroorenen  ifjre 
*ßläne  jur  $lu«führung  bringen  fonnten,  erhielt  ber  Äaifer  Äunbe 
üon  ber  beabfidjtigten  (Empörung,  unb  bie  (trafen  <ßeter  3rinn,  ber 
Vruber  unb  Nachfolger  be«  oben  ermähnten  Van'«  üon  Kroatien, 
sJcifla«  $iint),  ber  im  3a^re  1664  burd)  einen  Unfall  auf  ber  Qagb 
ben  Xob  gefunben  —  granj  sJ^aba«bi,  granj  grangipani,  3nnü'« 


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lüeopolbS  $ürfenfriege. 


©cr)u>ager,  unb  Era«mu«  üon  Gettenbach  büßten  im  3af)re  1671 
bic  t)erüorragenbe  dtoUt ,  bie  ftc  bei  ber  Jöerfäwörung  gefpielt,  mit 
bem  Xobe  auf  bem  ©lutgerüfte ,  toährenb  ber  bei  berfelben  gleia> 
faEte  beteiligte  Sranj  SRagocso,  ber  Sof)u  be«  Surften  ©eorg  II. 
öon  Siebenbürgen,  ber  bereit«  Xruppen  511m  offenen  Kampfe  ge= 
fammelt ,  aber  oon  bem  öfterreidnfehen  ©eneral  (Sporf  gefdjlagen 
tüorbcn,  burd)  Unterwerfung  unb  bie  Uebergabe  aller  nod)  oon  il)tn 
befefcten  <ßläjje  Seben  unb  5reif)eit  erfanfte. 

Um  ber  Söieberfe^r  ähnlicher  ©cfatjrcn  üorjubeugen  unb  bie 
fömaUdje  ßteroalt  in  Ungarn  bauernb  ju  fidjem,  hob  Seopolb,  naa> 
bem  eine  oon  ihm  eingefefote  Äommiffion  oon  Xtjeologen  oon  beu 
beiben  ihr  vorgelegten  Sragen :  ob  ber  ftaifer  noch  an  bie  ungarifd)c 
söerfaffung  gebunben  fei ,  ober  ob  bie  Ungarn  a  I  «  Nation  fid) 
empört  unb  baburdj  ihre  9ted)te  unb  greifjeiten  üerroirft  t)ättenr 
bie  (entere  nach  genauer  Prüfung  ber  (Bachlage  cinftimmig  bejaht 
unb  eine  politifdje  $ommiffion  fid)  aud)  00m  juriftijdjen  ©tanbpuufte  au« 
in  bem  gleiten  ©inne  au«ge}prod)en  hatte,  im  Qatjre  1673  bie  mefent- 
licf)ften  SBeftimmungen  ber  ungari)d)en  SBerfaffung  auf  unb  fegte  ben 
$ocf)-  unb  $eutfdnneifter  $>°hann  üon  s#mpringen,  einen  efyr= 
haften,  thatfräftigen ,  in  politifdjcn  fingen  erfahrenen  Sttann  unb 
tapferen  gelbherrn,  jum  ©eneral:©ouoerueur  oon  Ungarn  ein.  Qu- 
gleich  mürbe  gegen  biejenigen  proteftantijtfjen  ^räbifanten ,  bie  be- 
fonber«  bie  Un^ufrieben^eit  $u  fdjüren  gefugt  unb  ba«  iöolf  §ur  Empö^ 
rung  aufgcftaa^elt  Ratten,  eine  gerichtliche  Verfolgung  eingeleitet,  nicht, 
tuie  ber  Unterfudmng«fommiifion  auf  ba«  Nachbrudlichfte  eingefcr)ärft 
rourbe,  megen  ihre«  ÖJ  lau  ben«,  fonbern  nur  megen  &anbe«oer= 
rath«.    Mehrere  berfelben  mürben  jum  Xobe  üerurtl)eilt,  jebod) 
unter  ber  *Bebingung  ber  Dlieberlegung  ihre«  v2lmte«  unb  ber  Ent- 
haltung oon  allem  Unterrichte  oon  bem  ftaifer  begnabigt. 

Qnbeffen  gelang  e«  bem  oon  23ien  au«  nicht  nur  mangelhaft 
unterftüfcten ,  fonbern  felbft  burch  jmeefmibrige  SJcagregeln  in  feiner 
SBirfiamfctt  oielfach  gehemmten  4>oct)=  unb  Seutfchmeifter  nicht,  in 
Ungarn  bie  Drbnung  aufrecht  ju  halten ,  unb  noch  weniger ,  bie 
Seoülferung  mit  ben  Neuerungen  be«  $aifer«  auäjuföhnen.  'Sie 
Unjufriebenen  fnüpften  hochoerrätherifche  ißerbinbungen  mit  granf* 
reich  an,  unb  im  3ahre  1678  brach  ein  offener  Mufftanb  aus,  ber 
oon  3ranfreich,  $olen  unb  ber  Xürfei  unterftüfct  mürbe. 

$er  Urheber  unb  Seiter  ber  Empörung  mar  ber  ©raf  Em- 
merichiXöfö In,  ein  2ftann,  ber  mit  reidjer  geiftiger  Begabung 
#elbenfinn,  X^atfraft  unb  Kühnheit,  aber  auch  *ww  ör°6e  Reiben* 
fchaftlichfeit  unb  einen  ma&lofen  Ehrgcij  oerbanb.  9catf)bem  ber= 
felbe  an  ber  ©pifce  eine«  Speere«  oon  jtoanjigtaufenb  si)cann  mehrere 
gegen  ihn  au«gefanbte  faiferliche  $>eerhaufeu  $urüdgeja)lagen  unb 
hierauf  ba«  ganje  £arpatf)eugebiet  erobert  hatte,  fat)  fich  Seopolb, 


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14 


tfaifer  Üeopolb  I. 


bem  roegen  feine*  gleichzeitigen  Kriege*  mit  granfreich  nur  geringe 
©treitfräfte  $ur  Befämpfung  ber  ungartfehen  SRebellen  ju  (Gebote 
ftanben,  jum  2lbfchlufj  eine*  förmlichen  SBaffenftiüftanbe*  mit  %o* 
föln  genött)igt ,  mäfjrenb  beffen  er  nicht  nur  bie  alte  Berfaffung 
Ungarn*  öoüftänbig  r)crftcllter  fonbern  auch  burd)  bie  meitgehenbften 
^ugeftänbniffe  ber  herrfchenben  Unjufriebenheit  ein  (£nbe  ju  machen 
fuc^te.  SRachbem  Mmöringen  im  3at)re  1679  fein  2(mt  nieberge* 
legt,  mürbe  ber  ©raf  $aul  ©fterha$ü  jum  ^alatin  gemäht  unb 
feine  28af)l  öon  bem  tfaifer  beftätigt. 

Cbgleic^  ßeopolb  allen  gerechten  unb  oernünfrigen  Befchrocrben 
Ungarn*  Rechnung  getragen  unb  inäbefonbere  ben  s.ßroteftanten  bie 
meiften  ihrer  gorberungen  gemährt,  auch  a^en  Gebellen  eine  öoll* 
ftänbtge  SImnefrte  bemiüigt  hatte,  legte  Xöfölb  bie  SBaffen  nicht 
nieber;  benn  ben  Bemühungen  ßubroig*  XIV.,  bem  ftatfer,  bem 
feit  ber  Beenbigung  be*  Kriege*  mit  granfreich  burch  ben  9h)m* 
meger  grieben  mieber  bebeuteubere  ©treitfräfte  $u  Gebote  ftanben, 
burch  Mufrcijung  ber  Xürfen  im  Often  neue  Verlegenheiten  ju  bc* 
reiten ,  ftellten  einen  abermaligen  Xürfenfrieg  in  Sluäficht ,  au* 
welchem  ber  ®raf  Bortheile  fliehen  ju  fonnen  hoffte,  9lachbem  er 
eine  3<ntlang  ^en  $aifcr  jU  täufchen  gettm&t,  liefe  er  fich  öon  bem 
©ultan  9ftohammeb  IV.,  bei  meinem  bie  ränfeöollen  ©inflüfterungen 
ber  franflbfijchen  (iJefanbten  nicht  erfolglos  geblieben,  am  10.  Muguft 
1682  jum  ^ünig  öon  9ttittelungarn  unter  ber  Oberhoheit  ber 
Pforte  ernennen,  mogegen  er  feinem  Dberlehen*hcrrn  einen  jähr» 
liehen  Xribut  öon  öierjigtaufenb  sßiaftern,  fomie  bie  nachbrücflichfte 
Betheiligung  an  allen  Kriegen  ber  Pforte  jufagte. 

$)ie  umfaffenben  Lüftungen,  bie  in  $onftantinopel  jur  Unter» 
ftüftung  be*  neuen  Bajaflen  angeftellt  mürben,  oerfünbigten  bem 
$aiferf)ofe  bie  brohenbe  ©efahr ;  boch  trug  man  fich  n0(h  immer 
mit  ber  Jpoffnung,  bajj  e*  bem  trafen  Saprara,  ben  ßeopolb  fchon 
im  grühjahr  1682  al*  aujjerorbentlichen  Botfehafter  nach  Stonftanti- 
nopel  gefanbt,  um  öon  ber  Pforte  eine  Verlängerung  be*  SBaffen* 
ftiüftanbe*  öon  BaSöar  $u  ermirfen ,  gelingen  merbe ,  ben  ^ttan- 
fliehenben  Sturm ,  $u  beffen  erfolgreicher  2lbtoehr  e*  bem  $aifer 
ebenfomohl  an  einem  mohlgerüfteten  £>eere,  al*  an  ben  nöttjigen 
(Selbmitteln  fehlte,  burch  Borftellungen  unb  ©efdjenfe  511  befchtooren. 
silHein  je  mehr  (£aprara  fich  um  bie  Mufredjthaltung  be*  grieben* 
bemühte,  befto  leichter  mürbe  e*  bem  fran^öfifchen  ©efanbten,  bem 
©ultan  bie  Ueber^eugung  beizubringen ,  bafj  ber  &aifer  fich  öor 
ber  türfifchen  Uebermacht  fürchte  unb  berfelben  bei  feiner  öoUftän- 
bigen  Söehrloftgfeit  in  einem  neuen  Kriege  unjmcifelhaft  erliegen 
müffe. 

s2ll*  man  am  faiferlichen  Jpofe  bie  (SJemiBfnut  erlangt  §atter 
bajj  ber  ®rieg  unöermeiblich  fei,  orbnete  öeopolb  fchleunigft  bic 


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fieopolbS  Xürfenfriege. 


15 


nötfngen  Lüftungen  an ,  bic  nur  aHju  lange  öcrjögert  worben 
waren.  $)a£  in  Ungarn  ftehenbe  $eer  würbe  auf  breifjigtaufenb 
Sttann  erhöht  unb  ber  Oberbefehl  über  baäfelbe  bem  Herzog  ®arl  V. 
oon  Lothringen,  bem  Neffen  ®axU  IV.  unb  ®d>wager  Seooolbd, 
übertragen.  2lu3  bem  Steide,  baä  ber  ßatfer  um  fdjleuuige  §tlfe* 
leiftung  angegangen,  jagten,  au&er  bem  fdjtoäbifdjen  unb  fränfifchen 
Greife ,  bic  fturfürften  ©eorg  III.  üon  ©achfen  unb  9)ca$tmilian 
Immanuel  oon  ©aiern ,  welcher  ßefctere  im  Qafjre  1679  feinem 
Vater  gerbinanb  2)kria  in  ber  Regierung  gefolgt  war,  bem  &aifer 
Unterftüfcung  ju. 

2)cn  wichtigften  $ienft  leiftete  bem  ferner  bebrängten  faifer 
$apft  3nnocen$  XI.,  inbem  ihm  berfelbe  in  bem  Äönig  3  o  h  a  n  n 
©  o  b  t  e  S  f  i  üon  *ßolen,  bem  Nachfolger  3oc)ann  ßafimirä  (f.  ©.  8), 
einen  ebenfo  ^oc^^erjigen  als  tapferen  SBunbeSgenoffen  üerfdmffte. 
$n  bem  ©cfjufc*  unb  Srufcbfinbnife,  ba3  am  30.  9ttärz  1683  unter 
ber  Garantie  ber  ftirdje  zwifdjen  ©efterreidj  unb  $o!en  zu  gemein* 
famer  2lbwcl)r  ber  Xürfen  gesoffen  würbe ,  fagte  ©pbieäfi  bem 
ßaifer  ein  jpUför)ccr  oon  Dierjigtaufenb  Sttann  zu. 

2ln  bem  gleiten  Sage,  an  welchem  ßeopolb  ben  Vertrag  mit 
©obieäft  unterzeichnete,  brach  baä  türftfehe  £>eer  in  ber  ©tärfe  oon 
breimalhunberttaufenb  SEann  unter  ber  gührung  beä  ®rofjoezier3 
^ara  2Jcuftaoha>  etneS  ebenfo  talentlofen  als  ehrgeizigen  unb 
habfüchtigen  ©moorföminlingS,  ber  Oesterreich  alä  ein  ^afcfjalif  für 
fidt)  ju  erobern  gebachte,  oon  Hbrianooel  auf,  um  fich  nach  ber 
ungaäfchen  (Frenze  in  Bewegung  zu  fejjen.  Sßachbem  biefelbe  über* 
fdjritten  Worben ,  erliefe  Zötöit) ,  ber  in  @ffef  ju  bem  türftjehen 
Speere  geftofeen,  ein  9#anifeft,  in  welchem  Sitten,  bie  fich  für  ihn 
erflären  mürben,  ber  ©chufc  beä  ©ultanä  unb  oolk  Sicherheit  it)re^ 
Sebent  unb  (Sigenthumä  ^ugefichert  mürbe.  ®ara  9Jcuftaoha  über* 
gab  ihm  einen  ^eerfmufen  zur  Berennung  oon  ^ßrefjburg,  mährenb 
ein  anberer  zur  Belagerung  oon  9taa6  zurücfgelaffen  mürbe,  unb 
fefcte  bann  mit  bem  #auptc)eere ,  ba3  noch  immer  über  zweimal* 
hunberttaufenb  ättann  zahlte,  unter  gräuetootten  Vermüftungen  feinen 
jjug  gegen  SBien  fort.  $)a  ber  Herzog  oon  Lothringen  gegen  eine 
folche  llebermacht  fein  treffen  wagen  burfte ,  z°9  er  fi<$  in 
märfchen  auf  bie  £auptftabt  zurücf. 

Unbefchreiblich  war  ba3  (£ntfe|jen  unb  bie  Verwirrung,  welche 
bie  Äunbe  oon  bem  £>eranrücfen  beä  gefürchteten  3etnbeä  unter  ber 
Beoölferung  oon  SBien  hcrüorrief.  2(n  fechzigtaufenb  äWenfdfjen  Oer* 
ließen  bie  Btabt,  atö  gasreiche  Slüchtlinge  unb  bie  am  öftüchen 
£immet  aufftetgenben  geuerfäulen  unb  Nauchmolfen  bie  Nähe  beä 
Xürfenheereä  oerfünbeten.  siluch  ber  ®aifer,  ber  felbft  in  biefen 
fcfjrecfenüollen  s2lugenblicfen  feine  oolle  sJtuhe  unb  ©Ottergebenheit 
bewahrte,  erfannte  bie  Nothwenbigfeit,  bie  #auptftabt  zu  oerlaffen. 


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16 


ßaifer  Seopolb  I 


Jochbein  er  bic  93ertheibtgung  berielben  bcm  tapferen  unb  friegS* 
funbigen  Grafen  (äxnft  Milbiger  t>on  ©tarhemberg  übertragen 
unb  bie  93firgerfchaft  ju  mannhaftem  Söiberftanb  angefeuert,  öer* 
lieg  er  am  7.  Quli  2Bien,  unter  ber  3"faöe  balbigen  ©ntfafceS,  unb 
jog  fid)  mit  bem  $ofe  nach  Sinj  jurücf. 

3nbeffen  bot  Starnberg,  ber  ftch  feiner  ferneren  Aufgabe 
öollfommen  gemachten  jeigte,  2fIIcö  auf,  um  bie  SöiberftanbSfräfte 
ber  £auptftabt  $u  erhöhen.  Qn  fur^er  Qdt  maren  bie  jum  Xr)cit 
fcr)r  fdmbhaften  geftungämerfe  auägebeffert  unb  $n>eifmnbert  8a* 
nonen  auf  ben  SöäHen  aufgepflanzt.  3u*  Söerftärfung  ber  fcfjr 
fehroachen  befafcung  hatte  ber  ^er^og  öon  Springen  öierje^ntau- 
fenb  9ttann  Sinientruppen  in  bie  ©tabt  geworfen,  mäfjrenb  er  fid) 
mit  bcm  SRefte  feineä  $ecreS  in  ber  Dichtung  auf  Wlafyrm  jurücf* 
gebogen,  um  fict)  mit  ben  fjeranjiefjenben  $ilfSöölfern  jum  ©ntfafce 
ber  .£>auptftabt  ju  vereinigen. 

2lm  13.  3uli  erfa)ienen  bie  erften  türfifdjen  föeitcrfdjaaren 
vor  ben  dauern  von  2Sien ,  unb  fdjon  am  folgenben  Sage  mar 
bie  ©tabt  tioflftänbig  ton  bem  geinbe  eingeidjloffen.  So  meit  ba£ 
Singe  reifte,  fa)toeifte  e3  über  einen  SSBalb  öon  gelten  —  man 
Zählte  bereu  fünfunb^manjigtaufenb  —,  bie  ftch  im  $albf reife  öon 
bem  Ufer  ber  Sonau  biä  lieber  $u  bemfelben  ring$  um  bie  ©tabt 
3ogen.  9tachbem  bie  Surfen  ihre  Batterien  aufgepflanzt ,  begann 
fofort  bie  ©efa^ießung  ber  ©tabt,  unb  £mnberte  fernerer  Gefchüfce 
entjanbten  ifjr  verbcrbcnfprühenbe$  geuer  gegen  bie  dauern  ber= 
fetben.  2lber  ber  entfcfjloffenc  ©tarhemberg  manftc  nicht:  alle  2luf^ 
forberungen  zur  llebergabe  jurürfmeifenb ,  öerttjeibigte  er,  von  ben 
rühmlichften  2(nftrengungen  ber  Bürger  unb  ©tubenten  unterftüfct, 
bic  feiner  Dblmt  anvertraute  ©tabt  mit  bem  bemunberungätoürbigften 
£>elbenmutl)  gegen  alle  ©türme  ber  Sürfen.  28aS  bie  feinblichen 
Gejchü&e  bei  Sage  jufammengemorfen,  mürbe  bei  üZacr)t  roieber  auf* 
gerietet.  3>a  man  ben  SUtinen  ber  Xürfen  burcr)  Gegenminen  ju 
begegnen  fuc^te ,  fam  e£  oft  förmlichen  ©djladjten  unter  ber 
(£rbe.  Much  in  aal)(reirf)en  2lu3fällen  bemä^rte  fich  ber  unerschütter- 
lich SobeSmuth  ber  belagerten,  Vichts  vermochte  ihre  WuSbauer 
ju  ermüben;  felbft  als  aufgebrochene  $ranfl)eiten  noch  furchtbarer 
uuter  ihnen  aufzuräumeu  begannen,  als  baS  feiublicfje  geucr,  blieb 
ihr  ftanbhafter  SWuth  fich  gleich ;  fie  waren  entjchloffen,  auszuharren 
bis  511m  legten  Blutstropfen  unb,  wenn  Rettung  unmöglich  fe*»  ftdj 
unter  ben  Srümmern  ber  ©tabt  begraben  311  laffen. 

^nbeffen  mürbe  bie  Gefahr  mit  jebem  Sage  bringenber;  benn 
mährenb  bie  geftungStucrfc  bereite  burch  baS  geuer  ber  Surfen 
vielfach  befchäbigt  morben  unb  baS  Anbringen  beS  geinbeS  immer 
heftiger  uuo  brohenber  mürbe ,  gingen  in  ber  ©tabt  bie  Borräthe 
an  ^ulver  unb  Lebensmitteln  immer  mehr  jur  Steige,  unb  bic  30h1 


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Seopolbd  Türfenfriegc. 


17 


bcr  Skrtfjeibiger  mar  faft  auf  bic  £>älfte  jufammenge|*chmol$en. 
9hir  mit  9Jftihe  gelang  e3  ©tarljemberg  am  4.  ©eptember ,  einen 
öon  bem  ©ro&öejter  felbft  geleiteten  ©türm  jurücfyufchlagen ,  bei 
roeldjem  bie  Xürfen  bereite  öier  SRofjfchweife  auf  ben  dauern  auf- 
gepflanzt,  ©djon  forberte  er  bie  SBürgerfdjaft  auf,  fid)  jum  ©tra* 
ienfampfe  ju  ruften,  als  enblich  bie  hei&erfehnte  ©tunbe  ber  dltU 
tung  fchlug.  2lm  Slbenb  beS  11.  ©eptember  lieg  ©tarfjemberg  öon 
bem  ©tephanatfmrme  au«,  alä  Seichen  ber  fjöcfrften  ftoth,  föafeten* 
fd>märme  abbrennen,  unb  alsbalb  öerfünbigten  bie  gleiten  geuer^ 
Setchen,  bon  ber  #öf)e  be*  Barenberges  auffteigenb,  bafj  ba*  (£ntfafc 
heer  nahe  fei. 

(Srft  im  21uguft  war  e3  bem  $önig  bon  <ßo!en  möglich  gefoefen, 
mit  einem  #eere  bon  fünfunbjmanjigtaufeub  ättann  öon  ftrafau  jur 
Bereinigung  mit  bem  #er$og  öon  ßothringen  aufzubrechen.  9laty 
bem  biefelbe  ftattgefunben ,  toaren  auch  bie  ßurfürften  öon  ©achfen 
unb  ©aiern.unb  ber  <$raf  öon  SBalbecf,  ber  bie  öon  bem  fd&mä» 
bifdjen  unb  fränfifd&en  Greife  aufgebraßten  Xruppen  befehligte,  ju 
bem  öereinten  öfterreißifß^olnifßen  #eere  geftofjen,  meines  baburd) 
eine  ©tärfe  öon  öierunba^tjigtaufenb  SDtonn  erreicht  Ijatte;  ber 
Bormarfch  beSfelben  mar  jebod)  burdj  mannigfache  ©ßmierigfeiten 
gehemmt  morben. 

Obgleich  ba«  türfifche  #eer  trofc  aller  mährenb  ber  ©elage= 
rung  erlittenen  SBerlufte  bem  c^riftlic^en  noch  immer  um  minbeftenS 
baä  Stoppelte  überlegen  mar ,  befchloffen  bie  güffrer  be3  lederen, 
o^ne  ^erjug  jum  Angriff  gegen  baSfelbe  öorjugeljen,  für  melden 
bem  ftönig  öon  $oIen  ber  Oberbefehl  überlaffen  mürbe. 

$er  Xag  ber  blutigen  (Sntfdjeibung,  ber  12.  ©eptember  1683, 
mar  ein  ©onntag.  ©obalb  bie  erften  ©onnenftrahlen  am  öftlichen 
Gimmel  aufftiegen,  la$  ber  ^oc^betagte  r  im  £Rufe  ber  £eiligfeit 
ftehenbe  ®apu$iner  Sftarco  b'Slöiano,  ben  $apft  ^nnocenj  XI.  eigene 
ju  bem  £>eere  entfanbt  fmtte,  um  burdj  feine  begeiftembe  ©erebt* 
famfeit  ben  SJcuth  ber  chriftlichen  ©treiter  anzufeuern,  auf  ber  £>öl)e 
beä  jmifchen  bem  Barenberge  unb  bem  rechten  $)onauufer  gelegenen 
SeopoIbäbergeS  bie  heilige  äfteffe,  unb  ber  Bönig  öon  ißolen  biente 
ihm  als  SWiniftrant.  hierauf  reichte  er  bem  Könige  unb  ben  an- 
bern  fatf)oltfct)cn  Führern  ba3  2lbenbmahl  unb  ertheilte  ber  21rmee 
ben  ©egen,  bem  er  bie  SBerheijjung  beifügte,  baß  ber  ©ieg  ihr  ge- 
hören roerbe,  menn  fie  ihr  Vertrauen  auf  ©ort  fefce.  ©obieäfi  lieg 
ieinen  ©ohn ,  ben  Sßrinjen  %atob ,  nieberfnieen  unb  ertheilte  ihm 
im  $lngefichte  be$  $eere3  ben  SRitterfchlag ,  zum  Slnbenfen  an  ben 
größten  Xag,  ben  er  je  erleben  fönne.  ©eine  $olen  erinnerte  er 
baran,  baf  e$  fidj  in  ber  beöorftehenben  ©flacht  nicht  allein  um 
bie  Befreiung  SBienä,  fonbem  zugleich  um  bie  @rha^unÖ  ^rc^ 
eigenen  SBaterlanbefc  unb  bie  Rettung  ber  ganzen  (£hnftenf)eit  hanble. 


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18 


Äaifer  Seopolb  I. 


9lad)bem  ba$  £>eer  unter  flingenbem  Spiel  öon  ber  £üf)e  be* 
Barenberges  in  bie  (Sbene  geftiegen,  orbnete  Sobieäfi  bie  Xruppen 
jum  Angriff,  morauf  fünf  $anonenfd)üffe  ba*  3eidjen  jur  Sdjladjt 
gaben,  $ie  $olen  auf  bem  regten,  bie  Baiferlidjen  auf  bem  linfen 
Aiüael  unb  bie  9ietd)3truppen  im  Zentrum  f  rücfte  bad  djriftlidjc 
jpeer  gegen  bie  türfifajen  ßinten  öor.  2)ie  Äaiferlidjen  famen  bei 
Dhifeborf  unb  £eiligenftabt  juerft  in*  ÖJefea)t  unb  blieben  nacö 
einem  furzen ,  aber  fjei&en  Kampfe  fiegreid).  Größere  Sd)roierig= 
feiten  fanben  bie  <ßo!en,  bie  ben  geinb  bei  flfceuftift  unb  Xornbadj 
angriffen ,  roo  ber  ©rogüejir  felbft  mit  ben  3anitfd)aren  ftanb. 
$on  feiner  ftampfbegier  ju  meit  f ortgeriffen ,  fafj  fidj  Sobie*fi 
plöfclidj  ödu  einem  Xürfenfdjmarm  umringt,  unb  fein  Seben  fdjmebte 
in  ber  fjödjften  ©efafjr;  aber  bie  SReiterei,  bie  ber  Jperjog  üon 
iJotfyringen  jur  Unterftüfcung  beä  regten  SlügelS  abgefanbt,  rettete 
ben  fcfjmerbebrofjten  Bönig.  33alb  mufete  aud?  ber  ©ro§öe$ir  bem 
ftürmifdjen  Anbringen  Sobieäfi'S  meinen ,  unb  $u  gleicher  Qtit 
brang  baä  Zentrum  ficgreict)  oor.  Um  fedjs  Uljr  SlbenbS  mar  ber 
Sieg  ber  djriftlidjen  Staffen  cntfdueben:  bie  bis  ju  il)ren  3elten 
jurüdgcbrängten  Xürfen  manbten  ftd>,  ßager  unb  SBorrätlje  im  Stiche 
taffeub,  jur  gluckt,  bie  ununterbrochen  bis  Ütaab  fortgefefct  mürbe. 
Unerme&lid)  mar  bie  öeute  an  ®efd)ü$en,  3elten,  SSagen,  Shrieg3= 
üorrätfjen,  Boftbarfeiten  unb  baarem  ÖJelbe ,  bie  ben  Siegern  in 
bem  oerlaffenen  türfi)a?en  Sager  in  bie  $änbe  fielen.  25a*  öon 
©olb  unb  Silber  ftrofcenbe  gelt  beä  ©ro&öeaier*  mürbe  allein  ju 
öiermallmnberttaufeub  Xfmlern  angefangen  unb  bie  ganje  Seute  auf 
$efm  äMionen  gefaxt.  Sie  mürbe  auf  ber  Stelle  unter  bie  Sieger 
oertt)eilt.  Xer  Sintbert  beä  Bönig*  üon  $olen  belief  fi<6  allein  auf 
Dier  9)Mionen  ©ulben. 

§lm  folgenben  läge  gelten  bie  Sieger  unter  bem  ©eläutc 
aller  ©foden  unb  bem  frofylodenben  Sauden  ocr  freubctrunfenen 
löeoölferung  iljren  (SHn$ug  in  bie  gerettete  Jpauptftabt.  Tay  $olf 
erfdjöpfte  fidj  in  ben  rüfjrenbften  Bunbgebungen  ber  3)anfbarfeit, 
bie  ganj  befonber*  bem  Bönig  öon  $olen  galten.  2ltte*  umbrängte 
benfelben,  um  üjm  bie  jpänbe,  bie  5üße  unb  ben  Kautel  \n  füffen, 
unb  feine*  £obe*  fonnte  fein  Gmbe  gefunben  merben.  Ter  Ded)ant 
ber  Steplmn*ttrd)e  mahlte  jum  Xejrte  feiner  Siegeäprebigt  bie 
SSorte:  „(§*  mar  ein  2ftann  öon  ©ort  gefanbt,  ber  fuejj  ^o^nne*." 
$cr  fromme  Bönig  felbft  aber  fdjrieb  an  feine»  ©ema^lin :  „©ott 
fei  für  immer  gejegnet,  ber  un*  ben  Sieg  gegeben.  Me  Xruppen 
Ijaben  eifrig  i^re  $flid)t  getrau;  aber  &Ue  fa)reiben  ©Ott  unb  mir 
ben  Sieg  $u.  (5*  ift  roatjrlmfrig  eine  gro§e  öJnabe  ®otte3;  @^rc 
unb  9lu^m  Q^m  jefct  unb  in  atte  ©migfeit!" 

5lm  14.  September  fe^rte  ^aifer  Seopolb  nac^  SBien  jurücf, 
oon  mo  er  fic^  am  5Raa)mittagef  öon  bem  frurfürften  oon  ©aieru 


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SeopolbS  Xürfenfriege. 


19 


unb  einem  ja^rei^en  ©efolge  begleitet,  in  ba*  fiager  bei  (Sber*= 
borf  $u  einer  perfönlidjen  3ufammenfunft  mit  bem  fönig  Don  tyo-- 
len  begab.  Xie  gegenfeitige  SBegrüfeung  mar  eine  äufeerft  freunb= 
liehe,  ©obieafi  richtete  an  ben  ® aifer  eine  furje  Slnrebe  in  lateu 
itifcher  ©pradje,  toorauf  Seopolb  if)m  in  ber  gleiten  ©pradje  in 
gemähten  SBorten  feinen  $anf  für  bie  geleiftete  £üfe  au*brü(fte. 
hierauf  befahl  ©obieSfi  feinem  ©ofme,  öom  *ßferbe  ju  ftcigen  unb 
bem  faifer  bie  $>anb  $u  füffen.  Xafe  Seopolb  bie«  gefdjehen  lieg, 
ofme  an  ben  £mt  ju  greifen  nnb  bem  ^rinjen  etwa*  Serbinblidje* 
5U  fagen,  üerbroß  ben  fönig.  (£r  empfahl  fia)  mit  ber  Söemerfung, 
bafe ,  fall*  ©eine  faiferlidje  TOajeftät  bie  Xruppen  511  belügen 
nmnfche,  er  feinen  ©eneralen  Befehl  geben  toerbe,  fie  ihm  $u  aeigen. 
Sftadjbem  ber  fönig  in  fein  ßager  jurürfgefehrt ,  burdjritt  ßeopolb 
in  Begleitung  be*  fronfelbherrn  Sablotoäfi  bie  9leit)en  ber  polnifdjen 
Xruppen.  S^ei  Sage  fpäter  fdjicfte  ßeopolb  bem  ^rinjen  $atob 
einen  foftbaren  Xegen  mit  einem  ©djreiben,  in  meinem  er  feinen 
£>anf  für  feine  unb  feine«  Bater*  X^eitna^me  an  ben  SBaffcn* 
traten  be*  12.  ©eptember  auäfprad). 

2ttan  t>at  ben  0 aifer  beä  Unbanf*  gegen  ben  ^olenfönig  be= 
fdjulbigt,  roeil  er  beffen  ©ofm  nict)t  mit  größerer  ©öflidjfeit  be^an= 
belt  fyabt ;  fein  Benehmen  bei  biefer  Gelegenheit  rührte  jebodj  einjig 
unb  allein  oon  feinem  allju  ängftlichen  Beftreben  her,  ber  ifjm  oon 
Gbott  anvertrauten  faiferüdjen  Söürbe  niemals  ba*  ©eringfte  $u  oer- 
geben:  öon  Unbanf  fonnte  babei  fieser  in  feiner  SBeife  bie  SRebe 
fem.  2luch  bemerft  SKenjel  mit  SRedjt:  „£)afe  ©obieSfi  baoon  ritt 
unb ,  anftatt  felbft  bem  f  aifer  bie  Xruppen  ju  geigen ,  bie*  ®e= 
fd)äft  bem  (SJroßfronfelbherm  überliefe ,  fear  ein  ärgerer  SÖerftofe 
gegen  bie  $öflid)feit ,  al*  bafe  ber  f  aifer  üor  bem  ^ßrinjen  %atob 
unb  üor  ben  polnijdjen  Grofeen  ben  £>ut  nidjt  abnahm,  toa*  er  aua} 
üor  ben  $ urfürften  nidjt  tf)at." 

Unterbeffen  r)otte  f  ara  äJhiftapha  feine  jerfprengten  Xruppen 
^mifa^en  $refeburg  unb  Gran  nrieber  gefammelt.  Um  fie  unfdjäb- 
Ud)  ju  machen,  brauen  ber  ^erjog  üon  Lothringen  unb  ©obieSfi 
am  18.  ©eptember  borten  auf.  SJttt  fed)*taufenb  polnifdjcn  Ülei= 
tern  bem  Speere  üoran  ^iehenb,  liefe  fid)  ber  aH$ufühne  ©obie*ft  in 
einen  Hinterhalt  lotfen,  in  meinem  über  jtoeitaufenb  feiner  f  rieger 
bem  Angriff  be*  breifadj  überlegenen  geinbe*  erlagen  unb  ber 
fönig  felbft  in  ber  änfeerften  ©efafjr  fd)tr>ebte ,  bi*  e*  feiner  Be^ 
gleitung  gelang,  ir)n  au*  ben  bieten  jetnbe^höufen  hc^u*juhauen. 
®rei  Sage  fpäter,  am  10.  Dftober,  erfochten  bie  beiben  cfiriftliajen 
Heerführer  bei  Marfan tt  über  ben  ©rofeoejier  einen  glän^enben 
©ieg ,  in  Öolge  beffen  fia)  ba*  tütc^tige  ©ran  ergeben  mufete ,  ba* 
hunbertunbfünfjig  Qahre  lang  mit  nur  fur$er  Unterbrea)ung  im 
©efi^e  ber  Xürfen  gemefen.    5)er  gefa^lagene  ©rofeoejier  50g  fidj 

2^ 


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20  ffatfer  Utopoib  I. 

mit  feinem  Speere  naa)  Söelgtab  aurücf,  um  bort  bie  SBinter  quartiere 
ju  u Climen. 

$er  über  bie  jroeimalige  SRteberlage  feiner  Xruppen  unb  ben 
Berluft  öon  ©ran  aufä  £ödjfte  erbitterte  Sultan  Hftofyammeb  fanbte 
bem  Qanitfd^arenaga  ben  Befehl,  ifjm  ben  Hopf  be3  ©roßöejierä 
311  überfenben,  roorauf  berfelbe  fidj  fofort  naa)  Beigrab  begab  unb 
am  25.  $e$ember  1683  bie  Einrichtung  ®ara  attufta^a'S  öoH= 
jie^en  lieg. 

9lad)  ber  ßHnnafjme  öon  ©ran  war  ber  ®önig  öon  Sßolen  in 
fein  9teidj  jurücfgefeljrt ,  nmfjrenb  ber  £erjog  öon  Sot^ringcn  jur 
gortfefcung  be&  Kriege*  in  Ungarn  jurücfblieb.  Qm  folgenben 
Sa^re  fdjritt  berfelbe ,  nacfjbem  er  in  jtüei  treffen  ftegreia)  ge- 
blieben, ju  ber  Belagerung  öon  Ofen;  bod)  mußte  er  biefelbe  nad) 
breimonatlicf)en  üergeblidjen  STnftrengungen  mit  großem  Berlufte 
lieber  aufgeben  (1.  $oö.  1684).  dagegen  erfocht  er  am  16.  Muguft 
1685  bei  ©ran  einen  glän$enben  Steg  unb  erftürmte  brei  Sage 
fpäter  bie  geftung  <Reut)äufel. 

gm  folgenben  3a^re  fonnte  ber  ®rieg  gegen  bie  Xürfen  mit 
noef)  größerem  SKaajbrucf  fortgebt  roerben,  ba  ber  ßaifer  außer 
ben  Benetianern,  bie  fid>  iljm  fdjon  im  Qaljre  1684  angefdjloffeu, 
in  ber  ©roßfürftin  Sopljia  öon  föußtanb,  bie  für  tf)ren  Stiefbruber 
<ßeter  bie  Regierung  führte,  unb  bem  fturfürften  griebrid)  2Bill)elm 
öon  Branbcnburg  nodj  jmei  anbere  Bunbeägenoffen  gefunben  unb 
überbiea  bebeutenbe  Unterftüfcungen  au3  bem  föeidje  erhalten  fjarte. 
2lm  18.  3uni  eröffnete  ber  $erjog  öon  Kötteringen  jum  anberen 
3Me  bie  Belagerung  öon  D  f  e  n ,  unb  nadj  jefjnroödjentlidjer  fyel- 
beumütf)iger  Berti)  eibigung  erlag  bie  geftung,  bie  feit  fjunbertfünf* 
unbüier$ig  Sauren  bie  $errfdjaft  beä  £>albmonbe3  über  jroei  $rit* 
tfjeile  oon  Ungarn  gefiebert  ^atte ,  ber  in  einer  langen  Steide  blu* 
tiger  kämpfe  beroiefenen  tobeämutfjigen  Xapferfeit  ber  $aiferlidjen. 
2lm  2.  September  1686  erftürmten  btefelben  bie  Söätle  faft  unter 
ben  Slugen  eines  rürfifcr)en  (SntfafcljeereS  öon  ad)t$igtaufenb  3ttann. 

3>ie  (£innal)me  oon  Dfen,  auf  meiere  nod)  in  bem  gleiten 
«ga^re  bie  Eroberung  öon  Sifloä,  günffirdjen  unb  Sjegebin  folgte, 
fjatte  baä  Selbftgefüf)l  ber  djriftlidjen  «Streiter  mächtig  gehoben, 
unb  if)rem  gefteigerten  $ampfe3eifer  entfpradjen  bie  (Erfolge  beä 
gelbsugS  üom  ^afjre  1687.  2lm  12.  Sluguft  erfocht  ber  £erjog 
öon  ßotfjringen  an  bem  Berge  jparfant),  in  berfelben  (Sbene  öon 
2Ko^acj,  auf  melier  einft  ®önig  ßubnrig  II.  öon  Ungarn  nadj 
fdjrecfenöoller  9fieberlage  ben  Xob  gefunben,  einen  glorreichen  Sieg, 
ber  bie  Eroberung  Slaöonienä  unb  bamit  bie  Befreiung  be£  ganzen 
auf  bem  regten  Xonauufer  liegenben  Xfjeileä  öon  Ungarn  jur 
golge  fjatte. 

£iefe  glänjenben  Erfolge  ber  faifertidjen  SBaffen  ooüenbeten 


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Seopolbä  Jürfenfrtege. 


21 


bie  Untermerfung  Ungarns,  ©djon  im  Qahre  1684  hatte  Seopolb, 
trofc  aller  burd)  $öfölö  erlittenen  Säufchungen  fetner  milben  unb 
ttachftchtigen  ^ßolittf  getreu  bletbenb  ,  eine  allgemeine  Slmneftie  für 
bie  ungarifchen  Gebellen  erlaffen,  unb  in  Sfolge  beffen  roaren,  unge* 
achtet  ber  brohenben  Slbmalmungen  Xöföty'S ,  zahlreiche  Slbeligc, 
(£omitate  unb  ©tabte  unter  ben  ©ehorfam  beS  ÄaiferS  jurücfge^ 
fe^rt.  Seiber  gab  ju  Anfang  beS  3af)reä  1687  ein  SBeridjt  beS 
Söcfc^ld^aberö  ber  faiferlichen  Xruppen  in  Dberungarn,  beS  ©rafen 
<£araffa,  nach  meinem  eine  neue  SBerfdjroörung  jur  ©rmorbung  beS 
$aifer£  unb  einer  allgemeinen  Sßerroüftung  ber  Räuber  ber  öftere 
reichtfehen  Sflonardn'e  eutbeeft  morben  fein  foHte,  bem  faiferlichen 
£ofe  Skranlaffung  ju  einem  bebauerlichen  HKi&griff.  (Earaffa 
tüurbe  $ur  Slbmefn*  ber  brohenben  ©efaljr  mit  faft  biftatorifct)cr  QJe* 
tualt  befleibet  unb  baburch  in  ben  ©tanb  gefegt,  burch  ein  in  fei= 
nem  Hauptquartiere  $u  (SperieS  niebergefefcteä  Ölutgeria^t  gegen 
Me,  meiere  §oc§öerrätfyerifd)er  Slbfichten  öerbächtig  erfchienen,  eine 
grauenvolle  Verfolgung  ausüben  ju  laffen.  $ie  bringenben  $or* 
fteüungen  mehrerer  treu  gebliebenen  ungarifchen  Magnaten,  bie  fidj 
persönlich  nach  SBien  begeben  Ratten ,  um  für  i^r  ßanb  gürbitte 
einzulegen,  belogen  ben  ®aifer,  bie  fofortige  Sluflöfung  bc3  *8lut= 
gericf)t$  ju  ©perieS  §tt  berfügen  unb  Saraffa  öon  feinem  Soften 
ju  entfernen.  2)ie  klagen  über  ba8  ©efchehene  öerftummten  unter 
bem  (iinbrurf  ber  großen  $rieg3ercignifje ,  burdj  toelche  bie  $crr* 
fdmft  ber  Xürfen  in  Ungarn  gebrochen  morben,  unb  auf  bem  öon 
£eopolb  nach  <ßrcßburg  berufenen  Reichstag  erfannten  bie  unga= 
rifchen  ©rofjcn  am  31.  Dftober  1687,  ber  gorberung  beS  taiferS 
entfprechenb ,  unter  SBerjichtleiftung  auf  baS  bis  ba^in  öon  ihnen 
geübte  Siecht  ber  $önig§mahl,  bie  ©rblichfett  ber  ungarifchen  (trotte 
in  bem  fjabäburgifdjen  $aufe  an ,  worauf  am  9.  ^ejember  ber 
neunjährige  ^r^erjog  3ofeph,  £eopolb3  ältefter  Solm,  511m  ®önig 
öon  Ungarn  gefrönt  mürbe.  (Sine  neue  2lmneftie,  öon  meldjer  nur 
Söfölö  auSgejchloffen  blieb,  befiegelte  bie  SBieberöerföhnung  jmifchen 
bem  ftaifer  unb  ber  ungarifchen  Nation. 

sJcacfj  ber  Sheberlage  bei  bem  53erge  &arfanü  lmtte  baS  tür- 
fifdje  £>eer  ben  ®ro§öe$ier,  bem  eS  bie  ©chulb  berfelben  beimaß, 
öerjagt  unb  mar  bann  gegen  ®onftantinopel  aufgebrochen,  mo  eS 
ben  Sultan  Sftofjammeb  öom  Ztyxont  geftoßen  unb  beffen  ©ruber 
als  ©0  In  man  III.  auf  benfelben  erhoben  hotte.  $>ie  Entfernung 
ber  oSmanifchen  ©paaren  öon  bem  ©oben  Ungarns  benufcenb, 
brangen  bie  güfjrer  beS  faiferlichen  £eere3  nach  Siebenbürgen  öor, 
befehlen  ®laufenburg ,  ^ermannftabt  unb  anbere  ^auptorte  beS 
1'anbeS  unb  jmangett  bie  ©iebenbürger ,  bem  ftaifer  ßeopolb  ben 
^reueib  als  ^önig  öon  Ungarn  ju  leiften  unb  beffen  9tedt)t  jur 
Söeftätigung  ihrer  gürften  anjuerfennen.    $\i  ber  gleichen  3^it  er- 


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22  flaifer  ßeopolb  I. 

öffnete  ber  ©raf  (Earaffa  bura)  bie  Eroberung  oon  ©tuhltüet&en* 
bürg  unb  bie  SBefefcung  Don  ^etertnarbein  ben  öfterreidjifchen  Srup* 
pen  ben  2Seg  nach  bem  wichtigen,  bie  ^eerftra&e  nach  ®onftanti= 
nopet  beherrfchenben  unb  fperrenben  SB  e  (grab.  Km  11.  Sluguft 
1688  würbe  bie  Üöerennung  biefer  ©tabt  burd)  ben  #urfürften 
Sflarjmüian  Immanuel  oon  SBaiern  begonnen,  unb  am  6.  ©epteim 
ber  erlag  biefelbe  nadj  einem  mörbertfehen  Äampfe  ,  in  »eifern 
mehrere  ber  fjeröorragenbften  faiferlichen  gelbljerren  im  £>anbge- 
menge  ben  ^elbentob  ftarben  unb  ber  Oberbefehlshaber  felbft  Oer- 
munbet  würbe,  einem  allgemeinen  ©türme  beS  cfjriftlichen  £>eereS. 

bie  Eroberung  oon  SBelgrab  reifte  fich,  als  lefcte  9GÖaffen= 
tljat  beS  gelbjugS  oon  1688,  bie  ©innahme  beS  tafteKä  oon 
9ft  u  n  f  a  c  j ,  baS  brei  3aljre  lang  oon  % öfölo'S  ©emaf)Iin  Helene, 
ber  Tochter  beS  im  Qa^re  1671  als  #ochöerräther  enthaupteten 
©rafen  $eter  3rinQ,  auf  #elbeumüthigfte  oertfjeibigt  morben. 
Helene  Söfölty  würbe  nach  Söien  gebracht  unb  bort  bis  jum  grie= 
benSfchluffe  im  3ahre  1699  als  (befangene  jurücfbehalten. 

©o  mar  am  ©chluffe  beS  3ahreS  1688  ganj  Ungarn  bis  an 
feine  alten  ©renken  üon  ben  #eerfchaaren  beS  ©ultanS  unb  feines 
SBerbünbeten  Xöf  öln  gef äubert ,  unb  ©ofymann  III. ,  ber  bie  Jpoff- 
nuug  auf  bie  Söieberherfteflung  feiner  Jperrfdjaft  über  bie  Oer- 
lorenen  ungarifchen  Sßromnjen  aufgab,  jeigte  fich  geneigt,  auf  ber 
©runblage  beS  augenblicflichen  iöefifcftanbeS  mit  bem  0 aifer  grie= 
ben  ju  fernliegen ;  ba  jeboch  bie  oerbünbeten  ÜRächte  Defterreid), 
$olen,  fflu&Ianb  unb  SBenebig  bie  günftige  SSenbung,  bie  ber  $rieg 
für  fie  genommen,  ju  Erwerbungen  auf  türfifdjem  (Miete  auS- 
nufcen  §it  fönnen  glaubten,  jerfchlugen  fidj  bie  angeknüpften  Unter- 
hanbtungen. 

3m  3ahre  1689  überfchritt  ein  faiferlicheS  Jpeer  unter  bem 
Stfarfgrafen  ßubmig  oon  ©aben  bie  türfifche  ©renje  unb  erfocht  am 
30.  Sluguft  bei  53  a  t  u  b  f  ch  i  n  a  über  bie  Surfen  unter  föebfcheb. 
<ßafcha  einen  erften  ©ieg,  an  melden  fich  am  24.  September  ein 
jtoetter  bei  9Hffa  reihte,  ber  neben  bem  gaü  biefer  wichtigen 
geftung  auch  *>cn  öon  Söibbin  jur  golge  hatte. 

3nbeffen  hob  fict)  im  nöchften  3ahre  baS  $riegSglücf  ber 
Xürfen  wieber  unter  ihrem  neuen  (Sko&Oejier  SR  u  ft  a  p  h  a  &  ö  p  r  i  l  i, 
einem  ebenfo  einfichtSüollen  als  thatfräftigen  gekernt.  Sticht  nur 
Sfiffa  mürbe  jurueferobert ,  fonbent  auch  Beigrab ,  nach  *aum  cr; 
öffneter  Belagerung  ber  ©tabt ,  in  golge  beS  (SinfchlagenS  einer 
feinblichen  Bombe  in  baS  ^ßuloermagajin,  am  9.  Dftober  1690  oon 
ben  ftürmenben  Surfen  genommen.  2)ftt  Ausnahme  oon  jcchS- 
hunbert  föriegSleuten ,  benen  eS  gelang,  fich  auf  einige  Xonaufdnffe 
ju  retten,  mürbe  bie  ganje,  jehntaufenb  9J?ann  ftarfe  faiferliche  Be^ 
fatjmtg  ntcbergemejjelt. 


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öcopolbä  Xürfcnfriege. 


23 


,8u  ber  gleiten  3eit  &™ns  Xöföfy,  ben  ber  ©ultan  $um  SKatf)- 
folget  beS  in$nrifdjen  üerftorbenen  fiebenbürgifdjen  Surften  SRidjael 
2Cpafl  ernannt  fjatte,  toäfjrenb  ber  Äoifer  bem  unmünbigen  ©ol)ne 
beS  Sedieren  bie  9tad)foIge  ^ugefogt,  in  Siebenbürgen  ein  unb 
blieb  gegen  bie  ftaif erlitten  fiegreia).  @rft  im  3*f>rc  1691  trat 
mit  bem  gtängenben  ©tege,  ben  Subtoig  oon  Söaben  am  19.  Sluguft 
bei  ©alantemen  mit  einem  £>eere  oon  oierjigtaufenb  üKann 
über  baS  etnfmnberttaufenb  äJtonn  ftarfe  £eer  SKupap^a  ^öorili'S 
baüontrug,  für  bie  #aiferlidjen  toieber  eine  SBenbung  jum  ©effern 
ein.  S)er  empftnblid)fte  Serluft,  ben  bie  dürfen  in  biefec  blutigen 
2c§Iad)t  erlitten,  mar  ber  iljreS  tapferen  ^rog&e^ier^,  ber  mit  fed)S* 
unbjtoanjigtaufenb  Domänen  im  Kampfe  ben  Xob  gefunben.  ßroei 
Monate  fpäter  tourbe  audj  Xöföln  burdj  ben  fiegreidjen  9Jfarfgrafen 
oon  ©aben  toieber  aus  Siebenbürgen  oertrieben. 

©ei  ber  ganjlic^en  (£rfd£>ööfung  ber  Xürfen  fdjien  eS  nur  noef) 
eines  furjen  Kampfes  ju  bebürfen,  um  ben  ©ultan  ju  einem  ben 
SBünfdfjen  ber  berbünbeten  Stfädjte  entforedjenben  grieben  $u 
jrotngen;  aber  ein  neu  entbrannter  Srteg  mit  granfreid)  nötigte 
ben  $aifer,  feine  £>auptfraft  am  Styeine  ju  öertoenben,  unb  ba 
überbieg  ber  9tatf)folger  beS  nadj  bem  toeftlidjen  #riegSfdmup(afc 
abberufenen  SWarfgrafen  oon  ©aben,  ber  Äurfürft  griebridj  Sluguft 
oon  ©adjfen,  3ofjann  ®eorg'S  III.  jtoeiter  ©oljn,  trofc  grofeer  per* 
jönlic^er  Xapferfeit,  toegen  SRangelS  an  gelbfjerrentatent  unb  Kriegs* 
erfaljrung  feinem  Soften  in  feiner  SBeife  getoadtfen  toar,  fanben 
bie  Xürfen  Seit,  neue  ©treitfräfte  ju  fammeln,  unb  fo  oerfloffen 
bie  fünf  fotgenben  ÄriegSjaf)«  ofjne  irgenb  welken  nennenswerten 
Erfolg  für  bie  faiferütfjen  Staffen.  StnberS  tourbe  eS,  als  im 
Safjre  1697  mit  bem  aum  (Seneralfelbjeugmeifter  unb  DberbefeftfS* 
fjaber  in  Ungarn  ernannten  ^rinjen  Ghigen  oon  ©aüooen  ein  sJ^ann 
an  ber  ©pi&e  beS  faiferlia)en  Speeres  trat,  ber  allein  befähigt  mar, 
ben  langen  unb  blutigen  ftampf  ju  einem  efjrenooßen  Slbfdjlufj  ju 
6ringen. 

$rin$  (Sugen  oon  ©aoooen,  geboren  ju  *ßaris  am 
18.  Cftober  1663,  toar  ber  jüngfte  ©of)n  beS  <ßrinjen  (£ugen 
s3Jiori|  oon  ©aoot)en*(£arignan,  (trafen  oon  ©oiffonS,  unb  ber 
Olömoia  9ttancini,  einer  9ttd)te  beS  ÄarbinalS  SUtejarin.  s2llS  ben 
jüngften  oon  fünf  ©rübern  fjatten  ifjn  feine  (Sltern  junt  geiftlidjen 
©tanbe  beftimmt,  unb  fd)on  in  feinem  jefjnten  %af)Tt  toaren  if)tn 
mit  bem  Xitel  2lbb^  be  ©aboie  brei  Abteien  oerliefyen  toorben;  er 
jeigte  jebodj  fa)on  als  Änabe  eine  untoiberftefjlidje  Neigung  für  ben 
Stiegerftanb.  $ie  ättatfjematif  mar  fein  ßieblingSftubium ,  baS 
Seben  SlleranberS  beS  ©rofjen  feine  SieblingSleftüre  unb  ein  |>elb 
ju  toerben  nrie  biefer  fein  ^öa^fter  SBunfa^.  £a  feine  SKutter  ftaj 
naa)  bem  Xobe  feines  ©aterS  mit  feiner  Steigung  auSgefö^nt,  be^ 


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24 


Äaifer  Seopolb  L 


toarb  er  fich  toieberholt  um  eine  paffenbe  Slnftellung  in  ber  Slrmee. 
Mein  ber  ®önig,  ber  if)n  toegen  feiner  Keinen,  fchmächlichen  ®eftalt 
für  ben  9ttiütärftanb  nicht  geeignet  hielt  unb  Um  f^er^nittfe  nur 
le  petit  abbö  nannte,  wottte  nichts  baoon  työxtn  unb  toieä  julefct 
fein  Slnfuchen  mit  fo  oerlefcenber  ©chonungälofigfeit  jurücf,  baß  ber 
GJrofl,  ben  ber  ^rinj  fdjon  lange  toegen  mehrfacher  feiner  gamilie 
zugefügter  ^ränfungen  gegen  ben  Äönig  im  #er$en  trug,  ju  ooller 
$luth  emporloberte.  Er  befdjtoß,  3ranfreich  für  immer  ju  Oer* 
laffen  unb  in  einem  anberen  Sanbe  &rieg$bienfte  $u  nehmen.  3u 
biefem  ©übe  begab  er  "fta?  im  Qaljre  1683  nach  SBien,  um  bem 
$aifer,  ber  eben  jum  Kampfe  gegen  bie  Xürfen  rüftete,  feine  dienfte 
anzubieten,  ©ein  ganzes  Auftreten,  befonberä  fein  mürbeooHer, 
mit  ber  anfpruchlofeften  Befcheibenheit  gepaarter  ©ruft,  ertoeefte 
ilmt  gleich  oon  Anfang  an  Seopolb'3  Zuneigung;  er  gemährte  ihm 
bereirnriüig  bie  erbetene  Aufnahme  in  ba3  faiferliche  £>eer  unb  mied 
tf)n  bem  ©tobe  be$  Sftarfgrafen  ßubroig  oon  Baben  $u,  beffen 
SJJutter  eine  ©djroefter  oon  Eugen'S  Bater  mar. 

©d)on  bei  ber  Belagerung  öon  SBien  tfjat  fich  Eugen  burd) 
große  perfönliche  Xapferfeit  fo  rühmlich  ^eroor,  baß  ber  $aifer  ihm 
$ur  Belohnung  ein  $ragonerregiment  oerlieh,  ba§  ben  Flamen  be$ 
gelben  bis  auf  bie  ©egenmart  fortgeführt  ^at.  $n  ber  ©pijje 
biefeS  ^Regiments  fömpfte  er  mit  in  ber  ©djlad)t  bei  s#arfant)  unb 
Zeichnete  ftch  babei  in  fo  ^eroorragenber  SBeife  aus,  baß  ber  9ttarf= 
graf  oon  Baben  Um  bei  feiner  9iücffet)r  nach  SBien  bem  $aifer  mit 
ben  propfjetifdjen  Söorten  üorführte:  „tiefer  junge  ©aüonarbe  mirb 
mit  ber  Seit  äße  diejenigen  erreichen,  welche  bie  2Belt  jeftt  alä 
große  gclbljerren  betrautet." 

Eugen  rechtfertigte  biefen  SluSfprucf)  im  ganzen  Verlaufe  beä 
XürfenfriegeS,  in  meinem  er  biä  nach  ber  Erftürmung  oon  Beigrab 
an  allen  bebeutenben  Belagerungen  unb  ©djladjten  Stnthcil  nahm, 
in  ber  glänjenbften  Söeife  unb  ftieg  raftf)  oon  einer  militärifchen 
SRangftufe  $ur  anberen  empor.  Slud)  am  SRfjein  unb  Statten  erroarb 
er  fid^  in  bem  Kriege  ßeopotb'ä  gegen  ßubmig  XIV.  oon  1689— 1697 
nicht  aüein  burd)  £elbcnmuth,  X^atfraft  unb  Eutfchloffenheit,  fon= 
bem  auc^  bura?  bie  unbegrenzte  Eingebung  an  bie  ©aa$e  feineä 
faiferlichen  $errn  unb  greunbeä  bie  größten  Berbienftc.  ©eine 
eigentliche  föuhmeSlaufbahn  begann  inbeffen  erft  mit  ber  Uebernahme 
be3  felbftftänbigen  $ommanbo$  in  Ungarn,  baä  ihm  ber  $aifer  haupt= 
fächlich  auf  bie  bringenbe  Empfehlung  beS  SHarfgrafen  oon  Baben 
übertragen  hotte.  Sticht  mehr  eingeengt  burch  bie  hemmenben  Ber* 
hältniffe  einer  untergeorbneten  ©tellung,  bemährte  fich  öon  ba  an  fein 
ungemöhnlicheä  militärifcheS  ©enie  in  einer  ununterbrochenen  sJteihc 
ber  glänjcnbften  ©iege. 

Stach  feiner  Ernennung  jutn  Oberbefehlshaber  in  Ungarn 


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ßcopoibö  Xürfenfricge. 


25 


richtete  (Sugen  feine  ©orge  oor  Ottern  auf  bie  §ebung  ber  9 ampf= 
tüchtigfeit  beä  £eere3  burch  eine  beffere  Verpflegung  unb  bie  $er* 
ftellung  ber  üielfach  gelocferten  $i$ctylin.  Wadjbem  er  hierfür  bie 
trefflichften  SInorbnungen  getroffen,  brach  er  am  25.  Quli  1697  öon 
(Sffef,  too  fief)  bie  faiferliä)en  Ifciegäbölfer  in  ber  ©tärfe  öon  fünf* 
unbmerjigtaufenb  9ftann  gefammelt,  jum  ©chufce  üon  ^eterroarbein 
auf,  gegen  meines  bie  Xürfen  im  Slnjuge  roaren,  unb  nahm  bort 
eine  fo  günfrige  ©tellung,  ba§  ihn  ber  perfönlia)  bei  feinem  Speere 
anroefenbe  Sultan  SDcuftapha  II.,  ©olümaua  III.  ^weiter  Nachfolger, 
nicht  anjugreifen  wagte,  fonbern  feinen  Vormarfd)  ber  ^tjeig  entlang 
fortfefcte. 

3)a  bem  Sßrin$en  burch  einen  Ueberläufer  öerrat^en  roorben, 
bafe  ber  <Sultan  einen  Angriff  auf  baS  nur  fajmad)  befefcte  ©jege^ 
bin  beabfichtige,  mo  bie  Vorräte  unb  bie  Munition  ber  ®aiferliä)en 
aufberoahrt  mürben,  brach  er  fogleich  mit  bem  ganzen  $>eere  $ur 
Verfolgung  be$  geinbeä  auf,  um  beffen  Vorhaben  511  öcreiteln. 
s2luf  bem  SSege  erfuhr  er,  bafc  ber  ©ultan  ba$  Unternehmen  auf 
©jegebin  aufgegeben  unb  bie  §lbfid)t  fyabt,  juerft  gegen  ©ieben* 
bürgen  oorjugeljen,  &u  meldjem  @nbe  er  bei  3  c  n  t  a  eine  Vrücfe 
über  bie  X^eig  ^abe  fd}lagen  laffen.  Ungefäumt  eilte  ber  $rinj  ib,m 
bort  ^in  naef)  unb  erreichte  3^nta  am  11.  ©eptember  um  jmei  Uhr 
Nachmittags. 

Unöerjüglich  [teilte  GSugen  im  ^Ingefidjte  be$  geinbeS,  ber  jum 
größten  %$i\it  nod),  burd)  ftarfe  Verfchanäungen  gebeeft,  mit  bem 
gefammten  ©efcfntfc  auf  bem  rechten  Ufer  ber  Xr)eig  ftanb,  roährenb 
ber  ©ultan  felbft  mit  einem  Xfyeile  feiner  Reiterei  ben  Uebergang 
über  biefelbe  bemerfftelligt  hatte,  fein  £eer  in  ©chladjtorbnung  auf 
unb  fdjritt  fa^on  nach  5&)ei  ©tunben  jum  Singriff,  für  melden  er 
trofc  ber  $ür$e  ber  Seit,  einen  fo  meifterfmften  $lan  entworfen, 
ba&,  naa)  ber  fchroülftigcn  s2luäbrucf£meife,  eines  Slugenjeugeu  unb 
2Jfttfämpfer3,  „ber  ®lücf3gütttn  fein  ©pielraum  mehr  blieb,  ben  2luä; 
gang  be3  Xageä  ju  be£  ^rinjen  Nachteil  $u  entfeheiben."  $>en  Knien 
glügel  führte  ©uibo  Don  ©tarhemberg,  ein  Vetter  be3  ruhmgefrbn- 
ten  Vertheibigerä  Don  28ien,  ben  regten  ber  bemährte  gelb^cug= 
meifter  ©iegbert  $>eifter  unb  ba3  Zentrum  ber  s^rinj  öon  (£onu 
merco,  GSugenS  greunb  unb  SBaffcnbruber.  CSugen  felbft  hatte 
gleichfalls  im  Zentrum  ©tellung  genommen,  fief)  aber  babei  oorbe- 
halten,  überall  hinzueilen,  mo  bie  (Gefahr  feine  ©egenmatt  erheifche. 
SBährenb  ein  Xtyxl  beS  <35efc^u^e«  gegen  bie  UebergangSbrücfc  ge= 
richtet  mürbe  unb  ber  linfe  glüget  bis  an  bie  £heijj  oorrüefte,  um 
üon  ben  langgeftreeften  ©anbbänfen  aus  bie  feinblichen  ©chanjen 
ju  umgehen,  ftürmte  baS  Zentrum  mit  bem  rechten  glügel  in  ber 
gronte  mit  fürchterlichem  Ungeftüm  gegen  baS  türfifche  itoger  an. 
Obgleich  öon  jmei  ©eiten  angegriffen,  leifteten  bie  Xürfen  mehrere 


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26 


$aij"er  ßeopolb  I. 


Stunben  lang  öcrjroeifelten  SBiberftanb,  bis  eS  enblich  bcm  (Sem 
trum  unb  bcm  rechten  glügel  gelang,  bie  feinbtichen  ©d^anjen  §u 
crftürmen.  3n  biefem  entfcheibenben  Slugenblicfe  ftelltc  fich  Otogen 
felbft  an  btc  @pifce  beS  Regiments  ©törum  unb  führte  baffelbe  mit 
fühner  XobeSüerachtung  mitten  in  bic  bichteften  SReihen  ber  geinbe. 
3n  einem  grä&lichen  ©emefcel  würben  bie  3anitfdjaren,  bie,  9Jcann 
gegen  9Kann  fämpfeub,  ihren  helbenmüthigen  Söiberftanb  nicht  auf- 
geben mollten,  gegen  bie  Ufer  ber  Xfjeifj  gebrängt.  35a  eS  injnrifchen 
auch  Starfyemberg  gelungen  mar,  fleh  einen  2Beg  in  baS  Qnnere 
beS  f einbüßen  ßagerS  ju  bahnen  unb  bic  Zhei&brücfe  ju  bejefcen, 
blieb  ihnen  fein  anberer  2luSroeg  übrig,  als  ihre  Rettung  in  ben 
SSogen  beS  ©tromeS  gu  fuchen;  bod)  nur  SBenigen  gelang  cd,  baS 
jenjeitige  Ufer  ju  erreichen :  über  jefmtaufenb  f anben  in  ben  glutfjen 
if)r  ©rab. 

@rft  bie  einbrechenbe  $)unfelheit  machte  bem  furchtbaren  Kampfe 
ein  (Snbe.  günfunbaroanjigtaufenb  Xürfen,  unter  ihnen  ber  ®rofi= 
oejier  mit  öier  anbern  Skleren,  breije^n  ^ßafchaS  unb  breiunbfünfjig 
s2lgaS  unb  23eus,  tagen  tobt  auf  bem  Sdjladjtfelbe ;  Diele  ber 
teren  maren  oon  ben  erbitterten  Qanitjcharen  felbft  im  ^ampfge^ 
nutzte  erfragen  morben.  SJcuftapha  II.,  ber  üom  jenfeitigen  Ufer 
aus  ber  9cieberlage  feines  Speeres  Doli  ©chmerj  unb  gngrimm  $u= 
geflaut,  entfloh  im  $unfel  ber  9cacf)t  nach  XemeSöar,  öon  roo  er 
alSbalb,  nur  öon  menigen  9tcitcrge)a)roabern  gefolgt,  nach  iöelgrab 
lueitereilte. 

2lm  fotgenben  SJcorgen  —  bem  trierjehnten  Jahrestage  ber  *Be; 
freiung  SöienS  —  rücften  bie  Äaiferlichen  in  baS  ocrlaffcne  türftfehe 
Lager  ein,  in  melchem  ihnen  eine  unerme&liche  s-8cutc  —  fiebenunb^ 
achtzig  Kanonen,  adjttaufenb  SBagen  mit  9Jcunition,  Söaffen  unb 
Lebensmitteln,  fedjStaufenb  ferner bepaefte  $amcele,  fiebentauienb 
^ferbe,  fünfsefjntaufenb  Ockfen  unb  bic  ftriegStaffe  mit  brei  Millionen 
^iafter  —  in  bie  £änbe  fiel. 

2>er  glorreiche  ©ieg  bei  £enta,  unftreitig  eine  ber  glänjenbften 
28affentf)aten  beS  fiebje^nten  QahrhunbertS,  oerfa)affte  bem  gelben- 
müßigen  gührer  beS  faijerüdjen  £eereS  bie  Öennmberung  öon  gan$ 
Europa,  roährenb  er  in  ben  öfterretdnfdjen  ©rblanben  alt  ber 
freier  öon  bcm  Qoche  ber  Söarbarenherrfchaft  gepriefen  mürbe.  3u 
ber  Zfyat  burfte  nach  furchtbaren  ftieberlage  ber  Xürfen  auf  bie 
(Erlangung  eines  für  Cefterreich  ehrenöoilen  griebenS  mit  Sicherheit 
gegählt  merben.  $er  gelb$ug  beS  fotgenben  3ahreS,  für  welchen 
(5ugen  fid)  bic  Eroberung  öon  SBelgrab  unb  XemeSöar  als  Qiti 
gefteeft,  blieb  jmar  für  bie  faiferlichen  SBaffen  ohne  bebeutenbe 
(Srfolge,  rocil  ber  ^rinj  toegen  gänzlicher  ßrfchöpfung  ber  ©elb= 
mittel  beS  ÄaiferS  bie  genügenben  Streitfräftc  nicht  erlangen  fonntc 
unb  überbieS  (eine  Gruppen  an  allem  9cothtoenbigen  Langel  litten ; 


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SJeopolbS  $ürfenfriege. 


27 


aber  baä  türfifdje  #eer  war  üoflftänbig  entmutigt  unb  ber  (Sultan 
um  fo  metyr  jum  grieben  geneigt,  alä  nid)t  nur  feine  eigenen  $>ilf$; 
quellen  üerfiegt  waren,  fonbem  audj  ber  v#bjcf)lufj  beä  griebenä  üon 
9iu3witf,  burd)  welken  ber  $rieg  gegen  granfreidj  beenbigt  würbe, 
bem  Äaifer  freie  $anb  gegen  it)n  üerfdjafft  ^atte. 

9lacf)bem  fdjon  wä^renb  be&  Sommers  1698  burd)  bie  s.8er* 
mittlung  ber  beiben  Seemäd)te  ©nglanb  unb  £>ollanb  grtebenä; 
unterrjanblungen  eingeleitet  worben,  würbe  im  SRoüember  ju  $ar= 
lowifc  «n  griebenSfongrefj  eröffnet,  beffen  iBertjanblungen  am 
26.  Januar  1699  jum  Äbfölujj  famen.  Qn  bem  grieben  üon 
ftarlowifc  üerblicb  bem  #aifer  gan$  Ungarn,  mit  Ausnahme  be* 
BanatS  üon  Xemeäüar,  fowie  Siebenbürgen,  auf  welches  ber  üon 
fieopolb  I.  eingelegte  gürft  Wic^aeX  Slpafi  II.  gegen  ben  Xitel  eine* 
3Reid)3fürften  unb  bie  8\i\a$t  üerfcr)iebener  ®üter  in  Cefterreid)  ju 
©unften  be«  ßaiferS  Söerjicrjt  geleiftet.  $8on  ben  SBunbeägenoffen 
Cefterreid)$,  bie  gleidjfaCte  $u  $arlowifc  mit  bem  Sultan  grieDen 
fdjloffen,  erhielt  ©enebig,  au|er  ber  Snfel  Santa  9JJaura,  mit  wel= 
d)er  eS  ben  93efife  ber  joniferjen  3nfeln  üerüollftänbigte,  bie  Jpalb= 
infel  Sttorea,  wäfjrenb  *ßolen,  beffen  $f)ron  feit  bem  Xobe  3o|aitn 
Sobie3fi'3  (1696)  ber  fetjon  üorrjer  jur  fatyolifdjen  #ird)e  überge* 
tretene  Äurfürft  griebridj  Sluguft  üon  Saufen  als  <ä  u  g  u  ft  II.  inne 
f)atte,  burd)  bie  warme  Unterftüfcung  Defterreid)3  baS  ttym  früher 
entriffene  Sßobolien  nebft  $aminec  jurüefbefam  unb  föu&lanb  im  8e« 
fifce  üon  Äfow  blieb,  ba*  ber  (£$ar  ^eter  ber  ®roße  im  Qarjre  1697 
erobert  tmtte. 

$er  ®raf  Xöfölü,  auf  beffen  üon  ben  Surfen  ber)arrlid)  Oer* 
weigerter  Auflieferung  ber  $aifer  nid)t  weiter  beftanb,  begab  fict) 
mit  feiner  gegen  einen  gefangenen  öfterreict)i]cr)en  ÖJeneral  au$ge= 
wedelten  ©emaf)lin  nadj  $leinafien,  wo  tfjm  ber  Sultan  öJüter  ju 
jeinem  Unterhalte  angewiefen.  (£r  ftarb  im  Qarjre  1704  ju  $on* 
ftantinopel. 

So  r)atte  ber  im  3at)re  1683  üon  ben  Ungläubigen  fo  freoel^ 
fjaft  begonnene  unb  üon  üubmig  XIV.  fo  eifrig  gefd)ürte  ftrieg  nacr) 
jea^etjnjäljriger,  wedjfelüofler  5)auer  in  einem  üoüftänbigen  Sieg  ber 
geregten  Sadje  feinen  2lbfd)IuB  gefunben.  $ie  £>errjcr)aft  €efter= 
reitf^  über  bie  wiberfpenfttgen  ungarifdjen  Magnaten  war  befeftigt, 
bie  9ftad)t  be$  ©rbfeinbeä  ber  Sfyriftenfjeit  an  ber  Möttau  gebrochen 
unb  baä  Uebergewidjt  ber  Oämanen  im  Cften  ©uropaS  für  immer 
oernia)tet. 


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28 


taifer  Seopolb  I. 


2>a3  beutfdie  Weidj  unter  Seopolb  L 

„(£«  fönnte  a(3  ein  3ng  be«  befonberen  SBerfjängniffe«  ber 
t>eutfdf)en  Station  bekämet  werben, ■  fagt  21.  SERenjer r  „baß 
Seopotb,  ber  nadj  ber  Anlage  feine«  Reifte«  nnb  fetner  färnerfälligen 
Haltung  mtt)x  31t  einem  Xräger  ber  bamaligen  ©dmlgelal)rtf)eit  be* 
rufen  mar,  fiebenunböicrjig  3a^re  ben  ®aifertt)ron  §u  berfelben  3eit 
einnahm,  roo  Submig  XIV.  burd)  eine  großartige,  mit  Slnmutf)  ge- 
paarte  föniglicf)e  Sßerfönlidjfeit  bie  ©emütfjer  ber  fr  ans  opferen  9ca= 
tton  tnnigft  mit  bem  $f)rone  berbanb  unb  bem  lefcteren  bie  @nt- 
müflung  ber  nationalen  Kultur  unb  Literatur  bergeftalt  anzueignen 
mußte,  baß  ba«  politifdje  Uebergcmia^t  be«  oon  einem  tfyatfräftigen 
SBillen  geleiteten  granfreid)  über  $eutfd)lanb«  3erfpfttteruug,  ©pa* 
nien«  Ermattung  unb  Gnglanb«  inneres  ßermürfniß  unter  ben 
©tuart«  jugleicf)  burd)  eine  2lrt  geiftiger  £>errfd>aft  über  ba«  gebil= 
bete  ©uropa  öerftärft  mavb." 

5lHerbing3  Dürfte  es  einem  Spanne  oon  burdjgreifenberer  ZfyaU 
fraft  unb  befeelt  oon  einem  ähnlichen  S^rgeij  mie  Submig  XIV. 
gelungen  fein,  fid)  trofc  ber  engen  ©renjen,  meldje  ber  meftfä'lifdje 
triebe  ber  ®aifergemalt  gebogen,  unb  ber  neuen  ©cfyranfen,  meiere 
bie  bem  Äaifer  aufgejttmngene  SBa^lfamtuIation  jmifdjen  iljm  unb 
bem  9teid)Sförper  aufgerichtet,  einen  größeren  (Einfluß  auf  ben  ©ang 
ber  beutfdjen  SReidjSangelegenfyciten  ju  öerfdjaffen;  allein  mie  &co- 
polbs  ganje  ©inneSart  mein;  ju  einem  paffiöen  Verhalten  gegenüber 
ber  felbftftänbigen  ^ßolitif  ber  beutfdjen  SReidjSftänbe  neigte,  fo  tarnt 
man  es  u)m  audj  gerechter  SBeife  nidtjt  jum  Söormurf  madjen,  menn 
«r,  ganj  in  ber  gleiten  SBeife,  mie  bieS  ade  großen  unb  Weinen 
Potentaten  (SuropaS  ju  jener  Seit  traten,  feine  ^auptt^ätigfeit  feinem 
eigenen,  in  feinem  SBeftanbe  fo  ferner  bebro^ten  ©taate  jumanbte, 
t»en  er  in  ber  $lmt  burd)  feine  unerfd)ütterlicbe  ®ebulb  unb  s2luS* 
bauer  unb  burd)  bie  richtige  28af)l  ber  leitenben  *ßcrfönlid)feiten  im 
Kriegs*  unb  ©taatSroefen  511  einer  9)cad)t  erfyob,  burd)  meldje  baS 
(SJeroidjt  beS  unauffjaltfam  in  jeiner  Muflöfintg  fortfdjreitenben  beut* 
fetten  fRcict)e^  erfefct  mürbe. 

Sine  ber  folgenfdjmerften  Weiterungen  au«  ber  9tegierung«jeit 
£eopolb'S  I.  mar  bie  SBerroanblung  beS  ÜleidjStageS  in  einen  immer; 
mäfjrenben  Kongreß  oon  Slbgeorbneten  ber  oerfduebenen  ©tänbe. 
©dmn  ben  im  Qabre  1663  megen  ber  Xürfengefafjr  nad)  ÜtegenS* 
bürg  berufenen  ÜfeidjStag  t)atte  topolb  ntd)t  in  ^erfon  eröffnet, 
fonbern  mar  auf  bemfelben  nur  oorübergetyenb  al«  (Saft  erjdjienen, 
unb  als  na^  feiner  Slbretfe  bie  9iei$Sftänbe  bei  ben  Verätzungen 
über  bie  SBafjlfapitularion  fünftiger  ßaifer  in  Swift  gerieten, 
ftanb  er  oon  bem  (Srlaß  eine«  2tetd)StagSabfd)icbeS  ab,  fo  baß 
bie  ©eüollmäcbtigten  ber  ©täube  ungefu'nbert  beiiammen  bleiben 


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beutfdje  SReid)  unter  fieopolb  I. 


29 


fonntcn.  föachbem  bie3  mehrere  3af)re  ^inburc^  gefc^cfjen,  genefc 
migte  ßeopolb,  bafe  jeber  SReidjäftanb  bic  Soften  ber  9teichätag$= 
gejanbtfchaft  üon  feinen  Untertanen  ergebe,  unb  brüefte  baburet) 
ber  »eiteren  SBerlängerung  beS  fHeic^dtagc^  baä  Siegel  ber  ÖJefefc 
möBtgfeit  auf.  25er  föeichätag  würbe  auf  biefe  SSeife  ein  per* 
manenter,  üerlor  jeboa)  baburef)  ooUftänbig  feinen  früheren 
i^arafter.  Söaren  bis  bat)in  bie  ^Reichstage  befonberS  auSgefdjric* 
ben  unb  in  ber  föegel  üon  bem  ftaifer  felbft  in  Gegenwart  ber  meift 
perfönlich  anwefenben  $ur*  unb  9tetct)§fürften  feierlich  eröffnet  uni> 
naa)  längerer  ober  ruberer  $auer  burd)  einen  9leich3tag$abfchteb 
gejd)loffen  worben,  fo  fanb  fortan  Weber  eine  Eröffnung  noch  ein 
Schluß  ber  Verarmungen  Statt,  unb  ba  ber  ®atfer  unb  bie  gürften 
nicht  met)r  persönlich  auf  bem  föetdjätage  erfdnenen,  fafjen  fie  ein* 
anber  gar  nic^t  met)r  in  feierlicher  Sßerfammlung  oon  5lngefic^t  $u 
Singest. 

£a  pet)  baä  Sntereffe  ber  9teict)«ftänbe  oon  3ar)r  ju  3at)r 
immer  met)r  ton  ben  allgemeinen  9teidjäangelegenljeiten  abwanbte, 
um  ftet)  faffc  audfc^lieglic^  auf  bie  eigenen  Territorien  $u  befchrän* 
!en,  würbe  bie  Xf)ätigfeit  be£  ^Reichstages,  beren  Jpauptgegenftanb 
bie  ftets  oon  Beuern  auftaucf)enben  SReligionSbefcf)  werben  bitbeten, 
eine  immer  unfruchtbarere  unb  bebeutungSlofere.  3n  ocm  gleichen 
®rabe  jeboer),  in  welchem  biefelbe  an  innerem  (Sehalte  abnahm, 
roanbten  bie  SfteichStagSgefanbten  ihre  Slufmerffamfeit  bem  S  e  r  e- 
m  o  n  i  e  t  unb  ben  gormalien  ju ,  unb  bie  Söichtigf  eit ,  welche 
biefen  Sleußertichfeiten  beigelegt  würbe ,  fährte  ju  einer  fetjarfeu, 
bis  inö  $ieinlichfte  fich  t>erlierenben  Vegrenjung  beS  Sftangunter* 
jdjiebs  jwifchen  ben  (urfürfttichen  unb  ben  fürftlicr)en  Gefanbten. 
Sie  (Srfteren  wollten  bor  ben  fieberen  ben  SRang  förmlicher  S8oU 
idjafter  ober  ©efanbten  erften  9tangeS  mit  bem  (Sr.cetlenjtitel  unb 
allen  unter  93otfcf)aftern  unabhängiger  SJiächte  üblichen  (5hteube= 
jeigungen  öorauS  haben.  Sie  Oerlangten,  bei  Gaftmählern  auf 
rottjauSgefchlagenen  Stühlen  ju  fi&en  unb  oon  (Sbelfnaben  mit  gol* 
benen  Seffern  unb  Gabeln  bebient  ju  werben,  währenb  bie  fürft= 
liajen  auf  grünen  Stühlen  fifcen,  oon  ßafaien  bebient  werben  unb 
nur  filoeme  Keffer  unb  (Säbeln  erhalten  fottten,  unb  als  bie 
jürftlictjen  Gefanbten  eS  enblicr)  bahin  gebracht,  bafj  überall  nur 
grüne  Stühle  gefefct  würben,  erjagen  ein  furfürftlidjer  Gefanbter 
mit  einem  rothen  2ftantel,  ben  er  fo  über  ben  Stuhl  fallen  liefe, 
ba§  berfelbe  rott)  ausgeschlagen  $u  fein  fchien.  2llS  eine  anbere 
$fa$$eichming  oerlangten  bie  furfürftlichen  Gefanbten,  baß  ihre 
Stuhle  auf  ben  Teppich,  oer  unter  oem  Valbachin  beS  faijerlichcn 
s{rinjipal^ommiffariud  ausgebreitet  war,  bie  Stühle  ber  fürftltcfjen 
$e(anbten  bagegen  auf  ben  bloßen  s43oben  beS  Limmers  gefegt  werben 
foUten.   £ie  iftangorbnung  ber  Gefanbten  unb  ihrer  Gemahlinnen 


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30 


tfatfer  Seopolb  I. 


bei  ©aftmäfjlern  unb  anbcrn  geierüchfeiten  mar  auf  ba$  ©enauefte 
feftgefefct,  unb  bie  ©erlefcung  bcr  hierüber  getroffenen  ©eftimmungen 
gab  nicht  feiten  ©eranlaffung  ju  weitläufigen  biplomatifchen  ©e= 
fdjmerben  unb  Erörterungen. 

„SHefeS  fünftliche  ©emicht  ber  leeren  gorm",  fagt  9Jcen$eI, 
„fenfte  fid)  naturgemäß  öon  oben  nach  unten  unb  lagerte  centner* 
ferner  über  allen  (Gebieten  beS  beutfdjen  Sebent,  £itel  unb  gor= 
malten  mürben  &u  einer  fiänge  auSgebefmt,  meldte  einen  beträft* 
liefen  beS  $)afein3  in  SBorten  öerjehrte.  Umftänblidjfeit  unb 
2öeitfcr)roeifigfeit ,  Ueberlabung  unb  Erhebung  be£  Unmefentlichcn 
über  baS  Söefentüche  mürben  bie  fyeröorftedjenben  SRcrfmale  ber 
Politiken  mie  ber  gefelligen  $enfung$art  unb  #anblung$meife  ber 
SJeutfchen  biefeS  gahrfninbertS ,  ihre  föebe  unb  ©djrift  bie  getreuen 
Spiegel  biefer  ©efinnung." 

3lu§er  ber  (Sinfefcuug  eines  immermähreuben  9tcicr)^tag^  finb 
aus  ber  Seit  ßeopolbs  I.  jmei  anberc  bebeutfame  Neuerungen  ju 
öerjeidmen:  bie  Errichtung  einer  neunten  $ur  für  baS  haunööe= 
rifdje  £>auS  unb  bie  Erhebung  ^reu&enS  $u  einem  Königreich- 

3(uf  bem  ®urfürftentag ,  ben  Seopolb  im  hinter  1689-90 
$u  SfugSburg  abhielt,  um  feinen  elfjährigen  ©ohn  Qofeph  jum  rö= 
mifdjen  König  mahlen  ju  taffen,  als  melier  berfelbe  am  26.  ganuar 
1690  unter  Beobachtung  aller  herfömmlidjen  Gebräuche  gefrönt 
mürbe ,  machten  ihm  bie  beiben  .^erjoge  öon  ©raunfchmeig;ßüne= 
bürg ,  ©eorg  SBilhelm  ju  ©eile  unb  @rnft  Sluguft  ju  $annoöer, 
bie  i^m  bereits  im  Sürfenfriege  öffentliche  $ilfe  geleiftet,  baS  An- 
erbieten ,  gegen  bie  Verleihung  ber  Kurmürbe  eine  ffemige  Union" 
mit  Oefterreich  einzugehen ,  in  melier  fie  fieh  verpflichten  nMten, 
<iuf  ben  Reichstagen  ftetS  mit  Dcfterreich  ju  ftimmen,  bei  jeber 
fünftigen  Katfermahl  bem  älteften  grinsen  beS  öfterreid)ifchen  Kaufes 
ihre  ©timme  $u  geben  unb  bem  Kaifer  für  feine  Kriege  am  ffl)t\\\ 
unb  in  Ungarn  eine  bestimmte  Beihilfe  an  ©elb  unb  Gruppen  su 
leiften.  Seopolb  fagte  ihnen  bie  QJemährung  ihres  2Bunfd)eS  $u 
unb  belehnte  am  19.  Eejember  1692,  ba  ber  ältere  ©ruber  ©eorg 
2Bill)elm  öon  (Seile  finberloS  mar,  beffen  jüngeren  ©ruber  (£rnft 
%  u  g  u  ft  öon  Ijannoocr  mit  ber  Kurmürbc. 

2Säl)teub  nicht  nur  ©adjfcn  unb  ©ranbenburg  bie  ©rünbung 
einer  neuen  Kur,  burch  meldje  eine  proteftantifche  ©timme  mehr  in 
ben  Kurfürftenratfj  famf  befürmortet  hatten,  fonbem  auch  bie  Kur- 
fürften  oon  sDcain$  unb  ©aiern  fid)  mit  berfelben  einöerftanben  er- 
f lärt,  erhoben  bie  Kurfürften  öon  Köln ,  Xrier  unb  ber  $fal$ ,  im 
(Sinoeroehmen  mit  ben  meiften  ©liebem  beS  gürftenratheS ,  (£in= 
iprache  gegen  bie  bem  rjannöDerifcr)en  $>aufe  bemiöigte  Ranger- 
höhung, hauptfächlich  mit  9iücfficht  auf  bie  ©ortheile,  melche  auS 
berfelben  für  bie  9ttachtftellung  beS  KaiferS  ermuchfen,  unb  machten 


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$a«  beutfcfje  SReich  unter  fieopolb  I. 


31 


iogar  9ttiene ,  fich  bcr  oon  ßeopolb  eingeführten  Neuerung  mit 
SBaffengetoalt  $u  toiberfefcen.  £er  Kaifer  überliefe  ber  Qtit  bie 
s-8efchttrid)tigung  ber  opponirenben  gürften,  unb  in  ber  X^ot  er= 
langte  bcr  ©of)n  unb  Nachfolger  (Srnft  AuguftS,  ber  Kurfürft  Öteorg 
Subroig  ,  ber  im  3af)re  1696  $ur  Regierung  tarn,  bie  allgemeine 
Inerfeitnung  ber  feinem  Später  beftrittenen  SBürbe  unb  aller  mit 
berfelben  oerbunbenen  fRec^tc. 

pattt  ßeopolb  fchon  bura)  bie  ©rünbung  einer  neuen  prote^ 
ftantifdjen  Kur  $ur  ©enüge  gezeigt,  baß  er  feineSioegS,  nrie  oiel= 
fach  oon  proteftantifcher  ©eite  behauptet  toorben ,  ein  „SBerfyeug 
ber  3efuiten"  mar,  fo  lieferte  er  bafür  einen  neuen  SöemeiS  in  ber 
ungleich  folgenfehtoereren  Rangerhöhung,  bie  er  bem  branbenburgifchen 
Jpaufe  bettuüigte. 

$er  im  Qa^re  1688  jur  Regierung  gelangte  Kurfürft  grieb* 
rieh  III.  oon  93ranbenburg ,  ber  Sohn  unb  Nachfolger  griebrich 
SBilhetmS,  beS  „großen  Kurfürften",  toünfchte,  feine  preußifch=bram 
benburgifdhen  iöefifcungen  ju  einem  Königreich  ju  oereinigen ,  thetlS 
»eil  ber  KönigStitel  feiner  ©itelfeit  fcfnneichelte  unb  feiner  $runf= 
ju$t  erhöbe  Söefriebigung  in  AuSfic^  fteüte,  thetlS  unb  hauptfäa> 
lieh  aber,  ioeü  fein  nicht  jum  beulten  9%eid»  gehöriges  fouoeräneS 
^erjogthum  Greußen  ü)m  bie  301ögtid)fcit  barbot,  ohne  iöer$ia)tleiftung 
auf  feine  Kurfürftentoürbe  als  außerbeutfdjer  König  bie  Sebeutung 
eines  felbfrftänbigen  £errfdjerS  $u  erlangen.    25a  er  als  beutjeher 
gürft  bie  erftrebte  Rangerhöhung  nicht  ohne  bie  äuftimmung  beS 
$aiferS  oottjiehen  tonnte,  fnüpfte  er  mit  ßeopolb  Unterhaltungen 
an,  unb  biefer  geigte  fich,  in  Anbetracht  ber  reid)Streuen  ©efinnung, 
bie  ber  fturfürft  üon  jeher  unb  inSbefonbere  burch  feine  thätige 
Sethetligung  an  bem  franjöfifchen  roie  an  bem  türfifchen  Kriege  an 
ben  Xag  gelegt,  nicht  abgeneigt,  auf  beffen  Anfügen  einzugehen. 
§ie  genrichtigen  Öebenfen ,  bie  am  faiferltchen  Jpofe ,  inSbefonbere 
oon  Seiten  beS  ^rin^en  (£ugen ,  gegen  bie  (Erhebung  Greußen*  ju 
einem  Königreich  erhoben  mürben,  machten  ihn  jtoar  eine  Zeitlang 
fdjroanfenb;  ba  jebocc)  ber  Ausbruch  eines  großen  europäifchen 
JhiegeS  nach  bem  Xobe  beS  feiner  Auflöjung  nahen ,  finberlojen 
Königs  Karl  II.  oon  Spanien  ju  erwarten  ftanb  unb  es  bem 
ßaijer,  befonberS  mit  Rücfficht  auf  bie  entjefneben  reichSfeinblichen 
Öejinnungen  bcr  Kurfürften  oon  ^öaiern  unb  Köln,  oon  ber  höcfjs 
ften  SBidjtigfeit  erfchien,  fich  far      broheitben  Krieg  bie  nachbrücflkhfte 
Unterftüfcung  SBranbenburgS  ju  fichem,  gab  er  bem  drängen  grieb- 
rict)S  III.  nach  uno  f<W°ß  m^  bemfelben  am  16.  Nooember  1700 
ben  sogenannten  Krontraftat,  in  welchem  er  ben  preußtfehen Kö- 
mgstitel  anjuerfennen  oerfprach,  griebrich  bagegen  fich  oerpflichtete, 
jeljntaufenb  SJcann  für  ben  Kaifer  ins  gelb  ju  ftellen,  eine  Horn- 
pagnie  Solbaten  in  ber  ReictjSfeftung  $t;Uipp^burg  $u  erhalten,  auf 


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32 


$aifer  Seopolb  I. 


bie  rücfftänbigen  ^ilfSgelber,  bie  er  nodj  öon  bem  ßaifer  forbcm 
hatte ,  ju  öerjichten ,  im  SReicfje  nur  bcn  bisherigen  9tang  in  2ln* 
fpritcr)  $u  nehmen  unb  Dom  $aifer  felbft  ben  Xitel  „Sttajeftät"  nicht 
ju  »erlangen,  fonbern  fidj,  roie  auch  ber  Stontg  öon  SJänemarf,  mit 
ber  Slnrebe  „(Suer  ßiebben"  ju  begnügen.  Unter  großer  $rad)tent* 
faltung  fefcte  fich  griebrich  III.  am  18.  Qanuar  1701  §u  Königs* 
berg  als  $  ö  n  i  g  fjriebrict)  I.  öon  $  r  e  u  6  e  n  felbft  bie 
#rone  auf. 

(Stegen  bie  neue  ÄönigSmürbe  proteftirte  nicht  nur  ber  beutfchc 
Drben,  als  ber  rechtmäßige  (Sigenthümer  beS  ^erjogtfmmS  ^Jkeu* 
§cn ,  fonbern  auch  s£apft  Siemens  XI. ,  ber  bie  ©adje  um  fo 
roeniger  mit  ©tiüfchmeigen  übergeben  fonnte,  als  bie  Verroanblung 
beS  DrbenSlanbeS  Greußen  in  ein  meltl\cheS  £>er$ogtf)um  öon  ber 
Kirche  nicht  anerfannt  morben  mar.  Veibe  ^rotefte  blieben  jcbocr) 
ttrirfungSloS. 

©anj  anberS,  als  im  deiche,  geftalteten  fich  unter  ßeopolb  I. 
bie  Verhältniffe  in  ber  öfterrekhifchen  SJconardHe ,  bie  erft  unter 
ihm  unb  burd)  it)n,  £anf  feinem  reblidjen  Söillen  unb  feiner  uner= 
fchütterlichen  ©tanbfjaftigfeit,  eine  europäifche  SJcacht  geworben.  2öie 
biefelbe  nach  ben  Sftathfchlägen  beS  ^ßrinjen  (Sugen  ein  ü)rer  ©röße 
angemeffencS  ftetjenbeS  unb  geübtes  ®riegSheer  mit  ben  baju  gehörigen 
<£inrid)tungen  erhielt,  fo  mürben  aud?  für  bie  3ufti$*  unb  fianbeS* 
öerttmltung  öon  Seoöolb  Verfügungen  getroffen,  bie  öon  unpar* 
teiifcher  ©erechtigfeitsliebe ,  gefunbem  Urtfjeil  unb  regem  (Eifer  für 
bie  2Bof)lfaf)rt  beS  Softes  fiatgitifj  ablegen. 

Sßenn  beffenungeac^tet  bie  innere  Verroaltung  ber  öfterreidufchen 
3Jconarcf)ie  unter  ßeopolbS  Regierung  immer  noch  StfancheS  ju 
roünfchen  übrig  lieg,  fo  lag  ber  ®runb  baöon  ebenfomotjl  in  ber 
allgemeinen  ßerrüttung,  Verttrilberung  unb  Vermüftung,  bie  ber 
breifjigjäfjrige  Shrieg  für  Defterreidj  nicht  minber  als  für  baS  beutfdje 
9ieich  herbeigeführt,  als  in  ber  unöermittelten  unb  unöerfchmolaenen 
3ufammenfefung  ber  öfterreidjifdjen  Üftonardne  aus  ben  öerfdueben* 
artigften  Veftanbtheilen,  fomie  in  ber  Ungunft  ber  Qdt,  bie  gerabe 
biejem  ©taate  feine  sJhihe  gönnte,  fonbern  ihn  aus  einem  Kriegs* 
fturm  in  ben  anbern  trieb,  unb  enblid)  aud>  in  ßeopolbS  ^ßerfön- 
lichfeit.  Von  ©emüthSart  ein  treuer  ©arte,  ein  zärtlicher  Vater,  ein 
milber,  gütiger  $err  unb  öor  SlQem  gefchmücft  mit  ben  djnftlidjen 
Xugenben  ber  Varmherjigfeit  unb  SBo^tt^ätigfeit,  mar  ßeopolb  nur 
aC^u  geneigt,  nicht  nur  Weib  mit  öoHen  $änben  ausstreuen  unb 
baburcf)  bie  Verlegenheiten  beS  ohnehin  fchtoer  zerrütteten  ©taatS- 
hauSl)alteS  $u  erleben  ,  fonbem  auch  burch  eine  all 511  weit  getrie- 
bene 9cachficht  unb  9tachgiebigfeit  bie  nothmenbige  Jolgerichtigfeit 
unb  ilnbeugfamfeit  aufzuheben,  bie  jebeS  tttegierungSfnftem  feft|al= 
ten  muß. 


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2)aS  bcutfdje  fleid)  unter  üeopoib  l 


33 


$ie  !$errjältniffe  ber  Sßroteftanten  lieg  Seopolb  in  ben  öfter* 
reidjifdjen  (£rblanben  ganj  in  betn  bnrer)  ben  tücftfälifct)en  grieben 
getoäljrleifteten  ©tanb,  in  toeldjem  er  fie  bei  feinem  SRegierungScnu 
tritt  getroffen,  unb  ber  proteftantifcfje  ©cfc^icr)tfcr)reibcr  8.  Äftenjel 
gibt  trjm  baS  ^eugniß ,  baß  er  bei  ber  #ufreä)ti)altung  ber  öon 
feinem  SBater  Be^ügtic^  beä  proteftantifdjen  SHrdjenmefettä  eingefüf^ 
ten  ©införänfungen  mit  ©äjonung  unb  innerhalb  gefeilterer  gönnen 
ofjne  £>ärte  unb  ofjne  jebmebe  Verfolgung  ber  s$erfonen  oorge^ 
gangen  unb  feine  anberägläubigen  Untertanen ,  roenn  Söefäroerben 
oon  ifjrer  Seite  §u  il)m  gelangten,  gegen  jebe  gefefctotbrige  $Be 
brüefung  in  ©dmfc  genommen. 

Xrofc  feiner  tiefen  unb  magren  grömmigfett  unb  feiner  mt< 
zweifelhaft  fatr)oItfct)^fircr)Iicr)en  ©efinnung  blieb  Seopolb  nidjt  gän^ 
Udj  unberührt  oon  ben  ju  feiner  oem  gejammten  (Suropa 

jur  ^errfdjaft  gelangten  <&runb|*ä$en  einer  abfluten  ©taatögetoalt ; 
bafjer  finben  mir  aud)  fct)on  unter  feiner  Regierung  ©puren  ber 
unter  feinen  Sfcadjfolgera  mein;  unb  mefjr  in  ben  SBorbergrunb  tre* 
tenben  lenbenj,  bie  9tecr)te  ber  fatfyotiftfjen  ®irdje  unb  it)rer  Liener 
buref)  Stegierungäoerorbnungen  ju  befdjränfen. 

fieopolbä  Hofhaltung  jeigt  un§,  im  fct)ärfften  ÖJegenfa^e  $u 
bem  glän$enben  ,£>ofe  SubnrigS  XIV.  ju  93erfaitte$ ,  an  welchem 
ftct>  unter  ber  trügerifdjen  ^>üHe  äußeren  s$runfe$  unb  ber  feinften 
gefeüfct)aftlid)en  gormen  bie  tieffte  fittlicfje  gaulntß  barg ,  baö 
ferjöne  5©ilb  eineä  einfachen,  regelmäßigen,  oon  roatjrer  grömmigfeit 
burcf)tuef)ten  cfjriftlidjen  gamilienlebenS.  3)ie  fd)önfte  Sierbe  beä 
ftaiferfjofeä  mar  fieopolba  britte  ®emaf)lin,  Sleonore  öon  s4$falj- 
Sfceuburg ,  baä  erhabene  Üftufterbilb  einer  äcr)t  d)riftlid)en  gürftin, 
bie  mit  ber  tiefften  grömmigfeit  eine  umfaffenbe  roiffenfdjaftlidje 
33tlbung  oerbanb  unb  mit  it)rer  ausgesprochenen  Neigung  $ur  5lit^- 
Übung  ct)riftlicr)er  ßiebeStoerfe  unb  ju  fl  öfter  liefen  *8uß~  unb  2ln» 
bachtäübungen  bie  treuefte  unb  gen>iffenr)aftefte  Erfüllung  ber  ^ßfliäV 
ten  ihrer  §or)en  Stellung  ju  oereinigen  mußte. 

$lu*  feiner  erften  @he  mit  ber  fpaniferjen  gnfantin  Sfcarga^ 
retlja  Xherefta  ^atte  #aifet ,  außer  einem  im  s2üter  oon  brei 
Monaten  geftorbenen  ©ofme,  nur  eine  Xodjter,  bie  im  Qahre  1685 
mit  bem  ähirfürften  9Jcarimilian  Immanuel  oon  ©atern  oermählt 
mürbe  unb  fdjon  im  3af)re  1692  ftarb.  ©eine  jtoeite  ©emaljlin 
Glaubia  gelicitaS,  bie  $od)ter  be3  Qx^ex^o^  gerbinanb  $arl  oon 
Xmrol ,  fyaüt  ifym  sroei  Xöchter  geboren ,  bie  Söeibe  furj  nach  ber 
©eburt  geftorben  maren.  £)ie  beiben  fünfttgen  $aifer  3ofeph  I. 
unb  äarl  VI.  entftammten  feiner  britten  ©h*- 


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34         $eutfd)lanbä  Äulturjuftanb  im  fieb^ntcn  3af>rfmnbert. 


II. 

VeuUQtanbs  &uttutiuftaub  int  Meuten  $a$T$uu*ext. 

Unter  ben  öertjeerenben  ©türmen  be*,  breiöigjährigen  Kriege* 
tonnten  in  Deutfchlanb  meber  SSiffenfchaften  noch  fünfte  eine  na** 
haltige  Pflege  finben ;  bennoch  mürbe  $u  jener  3eit  burch  Martin 
Opifc  —  geboren  1597  ju  Sun^Iau,  üon  Äaifer  gerbinanb  II.  ate 
Dichter  gefrönt  unb  unter  bem  Warnen  Dpifc  oon  $oberfelb  in 
ben  $lbel*ftanb  erhoben,  geftorben  1639  ju  Dan$ig  an  ber  $eft 
—  eine  neue  (Epoche  für  bie  beutfäe  ^oefie  angebahnt.  Da* 
£auptöerbienft  biefe*  nicht*  meniger  als  genialen  Dichter*  liegt  in 
feinen  erfolgreichen  ©emühungen  für  bie  SBereblung  ber  äußeren  gorm 
ber  Sßoejie  burch  bie  SBieberherfteüung  ber  Feinheit  ber  ©prache  unb 
bie  SBegrünbung  eine*  regelrechten  58er*baue*.  Durd)  fein  „Söuch 
oon  ber  beutfehen  $oeteret)Mf  in  melchem  er  ben  ©runbfafc  au*fprach, 
bafe  bie  beutfehen  93crfe  nach  bem  Slccent,  nict)t  nach  ber  Qafyi  ber  ©il« 
ben  gu  meffen  feien,  mürbe  er  ber  ©rüuber  ber  neuen  beutfehen  ^rofobie. 
©eine  Dichtungen,  in  beuen  er,  obgleich  mit  Vorliebe  ber  bibaftifchen 
s$oefie  fich  jumenbenb,  SDcufter  für  alle  poetifdjen  (Gattungen  auf« 
fteHen  moHte,  finb  Nachahmungen  franjöfifcher  unb  h°flönbijcher 
iöorbtlber  unb  zeichnen  fid)  burch  eine  forrefte  unb  flie&enbe  ©prache 
au*,  entbehren  jeboch  jebe*  r)ö^eren  ©ebanfenflug*  unb  eine*  tieferen 
poetischen  ©ehalt*.  9ttd)t*beftomeniger  mar  fein  &nfehen  al*  Dich3 
ter  fo  grofe,  baß  man  ihn  al*  ben  „SBater  unb  SBieberherftetler  ber 
beutfehen  Dichtfunft"  gepriefen  unb  ein  gan$e*  Qahrfjunbert  h"1* 
burch  nur  ben  „fdjlefifchen  ©chman"  genannt  fyat.  Unter  feinen 
äehrgebtehten  —  bem  ©eften  loa*  er  gefchrieben  —  ift  fein  „Droft= 
gebicht  in  SBibermartigfeiten  be*  Kriege*"  ba*  gelungenfte. 

Dpifc  fanb  zahlreiche  Nachahmer,  bie  in  ber  Siteraturgef  deichte 
unter  bem  Warnen  ber  erften  f  dj  1  e  f  i  f  ch  e  n  Dichterfchute  $u? 
fammengefafet  merben,  obgleich  fie  nur  $um  fleinften  Dheite  Schleper 
maren.  Der  bebeutenbfte  unter  benfelben  mar  $aut  5 1 e m m i n g  — 
geboren  1609  ju  ^artenftein  im  SBoigtlänbifdjen,  geftorben  1640  ju 
Hamburg  —  beffen  meift  ber  Igrifchen  ©attung  angehörige  Dich* 
hingen  eine  ungleich  reichere  ^Begabung  befunben,  al*  bie  feine* 
SBorbilbe*  Dpifc.  §11*  bramatifcher  Dichter  ber  erften  jchlefifchen 
Dichterfchule  geno§  Slnbrea*  ©rtophiu*  —  geboren  1616  ju 
©rofjglogau,  geftorben  ebenbafelbft  1664  —  ein  9ftann  oon  ungemöhn- 
lich  büfterer  iieben*anfchauung,  eine*  fo  höh««  Slnjehen*,  ba&  er  ben 
Beinamen  be*  „Unfterblichen"  erhielt;  feine  Dragobien,  oon  benen 
eine  ba*  tragifche  ©efdncf  #arl  ©tuart*  behanbelt,  finb  jeboch 
nicht*  Slnbere*  al*  gefchmacflofe  Nachahmungen  ber  Dragobien  ©e^ 
neca'*  ohne  tieferen  poetifchen  ©ehalt  unb  ermübenb  burch  SBcit- 


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Deutfd)lanb3  föiltur^uftanb  im  ficb^chittcii  ^afjrfutnbert. 


35 


idjroeiftgfeit  unb  eine  gestaubte  ©prad)e.  Ungleich  beffer  fmb  feine 
£>ufrfptele,  bie  als  bie  bebeutenbften  bramatifchen  ©rjeugniffe  biefer 
3eü  511  bezeichnen  finb. 

3u  ben  ^ertjorragenbfien  Dichtern  ber  erften  f^Ieftfc^cn  ©chule 
$äfjlt  auch  ber  ©pigrammatift  5  rieb  rieh  oon  ßogau  —  geboren 
1604r  geftorben  1655  511  ßiegnifc  als  ©efretär  beS  £>erjogS  oon  Siegnifc 
unb  ©lieg  —  ein  äRann  üon  tiefem  ®emüth,  ^ofjem  s2lbel  ber  ©e- 
frmtung  unb  warmer  söaterlanbsliebe.  ©eine  Stnngebidjte,  bie  üon 
ben  3rit9en°ffen  nicr)t  nach  ©ebütjr  gewürbigt  würben,  burch  £e(fing 
jebodj  ber  SBergeffenfjeit  wieber  entriffen  unb  feitbem  in  wot)loer- 
bientem  Slnbenfen  geblieben,  finb  jum  Dhctl  tiefgefühlte  klagen  über 
bie  beutfehe  (Entartung,  jum  Xfieil  auch  rein  bibaftifche  ^ic^tungen, 
wie  beifpielsweife  bie  folgenben: 

£>offnung  ift  ein  fefter  ©tab  —  Unb  ©ebulb  ein  Steifefleib, 
$a  man  mit  burd)  SBelt  unb  ©rab  —  SBanbert  in  bie  droigfeit. 

©otteS  Wüllen  mafjlcn  langfam,  mahlen  aber  trefflid)  fletn; 

Ob  au«  fiüngmuü)  er  ftä)  [äumet,  bringt  mit  ©djftrf  er  SltteS  ein. 

Sin  eigener  DichterfreiS,  ber  {ich  gleichfalls  an  Dpifc  anleimte, 
hatte  ffcfj  in  Königsberg  gebilbet.  3u  bemfelben  gehörte  als  baS 
beroorragenbfte  9Jhtglieb  Simon  Dach  (geb.  1605  ju  Üftemel, 
geft.  1659  als  ^ßrofeffor  ber  Dichtfnnft  gu  Königsberg),  beffen  ur* 
iprünglich  in  nteberbeutfcfjer  Sftunbart  gebtchteteS  Sieb  „Slennchen 
oon  Xharau"  noch  je$t  gefungen  wirb.  Dach'S  fämmtliche  lieber 
jeugen  oon  Dtefe  unb  Qnnigfeit  ber  (Jmpfinbung,  wäf)renb  in  feinen 
(BelegenheitSgebichten,  in  benen  er  als  $ofpoet  bie  3ftitglieber  beS 
furbranbeuburgijchen  gürftenfmufeS  befingt,  wie  auch  in  feinen  ©djau* 
jpielen  nur  bie  ©prache  Slnerfennnng  oerbient. 

Unter  bem  Hinflug  ber  Dpifcifchen  ©chule  ftanben  auch  biele 
proteftantifchen  ®ira)enlieberbichter  jener  $tit,  unter  benen  ber  be* 
gabte  $aul  ©erhör bt  (geft.  1674  als  $aftor  ju  Sübben)  bie 
erfte  ©teile  einnimmt,  ©eine  jum  Ztyil  fehr  befannten  ^ßoefien 
athmen  ein  freubigeS  ©ottüertrauen. 

Södhrenb  bie  Dieter  ber  Dpifcifchen  ©chule  meift  bem  pro; 
teftanrifchen  Horben  angehörten,  weil  ihre  trocfen*gelef)rte  Lanier 
im  fatholifdjen  ©üben  wenig  Slnflang  fanb,  hatte  biefer  in  bem 
Jefuiten  griebrtdj  oon  ©pee  auS  bem  abeligen,  jefct  grä> 
lieben  ©efchlecht  ber  oon  ©pee  ju  £angenfe(b  —  geboren  1591  $u 
ÄaiferSmertt),  geftorbeu  1635  51t  Drier  im  Dienfte  ber  bortigen  Sa$a= 
rethe  —  einen  reichbegabten,  burchauS  jelbftftänbigen  Dichter  oon 
tiefem  (Gefühl  unb  regem  Waturfinnc  aufeuweifen,  beffen  oon  ber 
tnnigften  grömmigfeit  burchwehte  unb  in  reiner,  wohlflingenber 
Sprache  gefchriebene  Dichtungen  3U  ben  lieblichften  ölüthen  ber 

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$eutfcf)lanb3  Äulturjuftanb  im  ftebacljnten  Safjrtmnbert. 


beutfäen  $oefte  gehören.  $te  meiften  bcrfelben  finb  nadj  ©pee'ä 
£obe  in  einem  93üd)letn  jufammengetragen  tnorben,  baä  ben  Xitel 
„ZxufryiafyiQaü"  füfjrt,  loeil  eS  „trofc  aßen  SRadjttgaHcn  füg  nnb 
lieblid)  finget. " 

@in  jüngerer  ©eifteSDerrcanbter  ©pee'3  war  ber  (Sonoertit 
Sodann  ©d}effler,  befannter  unter  bem  2)td)ternamen  Singe; 
lu3  ©ilefiuS,  geboren  1624  ju  SöreSlau  als  ber  ©olm  eine£ 
bortljin  auSgetoanberten  polnifdjen  (IbelmanneS,  geftorben  1677  eben* 
bafelbft  als  ^riefter  unb  bifd)öflid)er  9^at^.  ©eine  geiftlidjcn  Sie* 
ber,  t>on  benen  bie  meiften  eine  mtjftifd)e  ©runblage  t)aben,  atf)= 
mcn  eine  feltcne  Xiefe  unb  Qnnigfeit  beä  ©efüfjlS  unb  gehören 
bejüglid)  ber  ©pradje  unb  gornt  ju  bem  ©eften,  roa$  jene  Seit 
gefcbaffen.  SSiele  berfelben  erinnern  in  garbenglutt)  unb  Söilbcr- 
reidjtfuim  an  ba3  Jpofje  Sieb,  toäfjrenb  anbere  in  ifyrem  Xon  finb- 
lieber  Sreubigfeit  an  bie  Dietlingen  ©pee'3  anfangen,  ©ein  t)err= 
lidjeä  Sieb:  „Siebe,  bie  bu  mid)  jum  Söilbe  beiner  ©otttjeit  l)aft 
gemacht,"  ift  roof)l  ba3  ©cfyönfte,  toaS  in  biefer  ©attung  in  beut= 
fcfyer  ©pradje  gebietet  ioorben.  —  @tn  fat^olifc^er  SDidjter  Don 
ungern öfynlidjem  Xalentc  toar  audj  ber  3efuit  Qafob  Söalbc, — 
geboren  1500  ju  (£nfi3f)eim  im  (Slfafj,  geftorben  1668  ju  SReuburg 
in  ber  Dberpfalj  —  ber  jeboct)  faft  auäfdjliefjlid)  in  Iateintfcr)er 
©pradje  bietete. 

(£ine  oon  ben  Dpifcifdjcn  Dielfad)  Derfd)iebene  SRtdjtung  berfolg^ 
ten  bie  gelehrten  ©efcUfdjaften,  bie  fid)  bamalS  nad)  bem  SDcufter 
ber  italicnifdjen  unb  franjöfifdjen  s2lfabemien  aud)  in  2)eutfd)lanb 
fyauptfäd)licfy  ju  bem  ßtoeefe  bilbeten,  ber  immer  mefjr  um  fid)  gret* 
fenben  SBermengung  ber  bentfe^en  ©pradje  mit  Srembtoörtern  ent= 
gegenjutoirfen  unb  mit  ber  ©pradjreinigung  jugleid)  bie  ffudbilbung 
ber  Daterlänbifd)en  $)idjtfunft  ju  förbern.  $>ie  berüfnntefte  biefer 
„©prac^reinigung^ÖJefeÜfa^aften"  mar  bie  im3aljrel644  ju^ürn* 
berg  gegrünbete  „®efellfcf)aft  ber  ^egmfcfdjäfer"  ober  „ber  gefrönte 
§irten=  unb  Sölumenorben",  beffen  SERttgliebcr  ©d)äfernamen  erhielten. 
Sllle  biefe  Vereine  brauten  jtoar  in  furjer  Seit  eine  gan^  außer* 
orbentlid}  grofje  tflnjal)!  Don  ©ebid)ten  aller  Slrt  $u  Söege,  erreichten 
jebod)  ifyren  Qxocd  nidjt,  roeil  fie  fid)  in  £  (einlief  eiten  unb  lieber 
treibungen  Derloren  unb  bie  ^oefie  in  bie  SBafm  einer  tänbelnben 
unb  matt()er5igen  Sentimentalität  leiteten. 

$ie  ©djule  ber  ^egnitjfct)äfer  bilbete  ben  llebergang  ju  ber 
jtoeiten  fdjlefifdjen  2)id)t erf djule ,  bie  an  bie  ©teile  ber 
Xrotfenfjeit  ber  Dpifcijd)en  Lanier  ein  f)of)te3  <Patf)oS,  ©djnntlft, 
©ombaft  unb  llebertrcibuug  fefcte,  jugleic^  aber  audj,  ben  alleinigen 
Sioed  ber  Sßoefie  in  ber  rein  finnlidjen  ©rgöfcung  fud)enb,  fid)  oor* 
jugÄipeife  im  Süfternen  unb  Cbfcönen  gefiel.  5)ie  Häupter  biefer 
©djule,  in  beren  ©djöpfungen  bie  s$oefie  jur  Unnatur  Deqerrt  er= 


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Seuti'djlanbS  Äulturjuftanb  im  fieb^e^nten  3al)rfmn&ert. 


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idjetnt,  roarendfjriftian  £offmann  öon  #off mannStualbau, 
geboren  1618  $u  Breslau,  geftorben  1679  ebenbafebft  als  faiferltdjer 
9tatl),  unb  Caspar  Daniel  öon  Soljeuftein,  geboren  1635 
ju  Bimptfä,  geftorben  1683  ju  Breslau,  ebenfalls  als  faiferlidjer  föatf). 
Öeibe  galten  als  burdjauS  efjrenmertlje  Männer ;  in  ifjren 
tungen,  bei  melden  fie  fid)  baS  leere  SBortgepränge  nnb  bie  bor* 
berrfdjenb  finnlidje  Stiftung  ber  bamaligen  italienifdjen  3)td)ter  jum 
SJlufrer  nahmen,  ergaben  fie  fid)  jebod)  ber  fdjlüpfrtgften  unb  fd)mufcig* 
ften  ^antafte.  3n  ben  Xragöbien  SofjenfteinS,  ju  melden  ber 
Stoff  meift  ber  gräuelreidjen  römifd)en  $ aifergefd)id>te  unb  bem 
blutigen  Xurfentfjum  entlehnt  ift,  wirb  baS  ®rä&tid)fte  unb  SBibrigfte 
auf  bie  33üljne  gebracht,  Xabei  ift  bie  Spradje  lädjerlia)  fjod)tras 
benb,  aufs  &eu&erfte  gefdjraubt  unb  mit  ber  gefdjmatflofeften  ©e= 
lefjrfamfeit  überlaben.  2lud)  im  Vornan  f)at  Sofjenftein  fid)  öer- 
1" ii cht  unb  fein  im  ©an&en  gut  gefdjriebener,  aber  unfäglid)  roeit* 
fdjroeifiger  SlrminiuS,  in  toeldjem,  nad)  bem  2luSfprudje  ©idjen* 
borff'S  „ber  t)oä)trabenbe  ^ßegafuS  ben  ganjen  Sttüftroagen  bamaliger 
®elef)rfamfeit  nad)fd)leppen  mujtj",  galt  lange  3eit  als  ein  dufter- 
bilb  biefer  (Gattung. 

S)aS  Uebermafc  ber  Unnatur  in  ber  jtueiten  fdjlefifdjen  Sdjule 
führte  einzelne  $id)ter,  bie  baSfelbe  ju  befämpfen  fudjten,  ju  bem 
entgegengefefcten  öftrem:  fie  gingen  Dorn  Sdjttriilftigen  $um  SBäffe* 
rigen  über  unb  festen  baS  SBefen  ber  $oefie  in  bie  nüdjternfte 
Reimerei.  (Sine  entfdjieben  beffere  9itd)tung  mürbe  angebahnt  burdj 
ben  (xpigrammatiften  ©Ijriftian  SBernicfe  (geboren  um  1666,  ge* 
florben  jmi)d^en  1710  unb  1720  als  bämfdjer  Staatsrat*))  unb 
griebr.  9tub.  oon  (£anifc  (geboren  1654  $u  Berlin,  geftorben 
cbenbafelbft  1699  als  (Reimer  Staatsrat!)),  bie  SBeibe  in  ib,ren 
faiiriföen  $5id)tungen  bem  Sdjroulft  ber  $offmannSroalbau*Sof)en* 
jteintfd)en  $oejie  entgegentraten  unb  ben  (Glauben  an  beren  SBortreff* 
lidjfeit  bauernb  erjdjütterten. 

SBäfjrenb  bie  beutfdje  ^ßoefie  im  fiebjefmten  3af)rf)unbert  fidj 
roeuigftenS  jeitmeife  einer  nid)t  unroefentlidjen  Slufbefferung  erfreute, 
falj  eS  mit  ber  beutfdjen  $rofa  l)öd)ft  traurig  aus,  inbem  bie  ©e* 
lehrten  fid)  in  tfjren  2Berfen  faft  auSfdjliejjlid)  ber  tateinifdjen  Spraye 
bebienten.  Qn  itjrer  oollftänbigen  löernadjläffigung  jetgte  fte  baS 
JBüb  einer  jammerootlen  Spradjmengerei ,  gegen  roeldje  einzelne 
Satirifer  oergebenS  anfämpften.  SSie  bie  meltlidje  9lebe  fteif,  cere* 
moniöS  unb  getftloS  mar,  fo  trug  bie  firdjlidje,  bie  fid)  bei  ben 
^roteftanten  i)auptfäd)lid)  in  tfjeologifdjen  Streitfragen  beroegte, 
baS  ©epräge  ber  äufeerften  Xrotfenfjeit.  (Srft  burdj  $l)ilipp  Qafob 
Spener  —  geb.  1635  $u  Üiappolsmeiler,  geft.  1705  als  ©onfifto* 
rialrat^  in  Berlin  — ,  ber  mit  gro&em  (Sifer  für  bie  2Sieber^er= 
fteüung  beS  unter  feinen  ©laubenSgenoffen  tief  gefunfenen  religiöfen 


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2)eutfdjlcmb3  5hiltur$uftanb  im  fteb^ntcn  ^aljrfjunbert. 


ßeben«  wirfte  unb  baburd)  bcr  ©rünber  bcr  Sßietiftengcmeinben  würbe, 
erhielt  bic  ^roteftantifc^e  Sßrebigt  wieber  eine  größere  3nmgfeitf 
bie  ober  bielfach  in  einer  fallen  ©efühl«fchwärmeret  beftanb. 

SRadfbem  bie  SBiffenfchaft  unter  ben  ®rieg«wirren  ber  erften 
£älfte  be«  fiebjefmten  3ah*h"nbert«  in  ^eutfdjlanb  faft  ooUftanbtg 
barnieber  gelegen,  nahm  fic  in  ber  jweiten  $älfte  be«felben  wieber 
einen  bebeutenben  Sluffchwung.  211«  6tern  erfter  ©röße  glänjte 
auf  biefem  (Gebiete  ber  berühmte  $futofopl)  (Gottfrieb  SBilhelm 
ßeibnifc,  geb.  ju  Seidig  am  23.  ganuar  1646,  geft.  511  #am 
nober  am  14.  SRobember  1716.  211«  ein  Untoerfalgenie  bon  unge^ 
möhnlich  früher  fReifc  hatte  Seibnife  bereit«  ben  größten  Ztyil 
ber  umfangreichen  wiffenfehaftlichen  93ibliott)ef  feine«  Katers  burdh* 
ftubirt,  al«  er  in  feinem  fünfzehnten  3ahre  bie  Uniberfität  bejog. 
9cad)bem  er  in  ßetyjig  unb  Qena  mit  großem  (Stfer  bem  ©tubium 
ber  2Katf)emattf ,  9^cc§törDtffcnfcr)aft  unb  ^fulofopl^  obgelegen  unb 
fchon  im  adjtaefmten  3ahre  in  öeipjig  TOagifter  ber  ^Uofoplne,  im 
jwanjigften  in  2lltborf  $)oftor  ber  Siechte  geworben ,  tarn  er  im 
3af)re  1667  an  ben  #of  be«  fturffirften  oon  SRainj ,  be«  bereit« 
früher  erwähnten  Sohann  tyfylipp  oon  (Schönborn ,  ber  ihn  jum 
#analeireöifion«rath  ernannte  unb  fid)  feiner  bei  wichtigen  biplo= 
matifchen  ©efchöften  bebiente ,  bie  bem  jungen  (Mehrten  (Gelegen* 
heit  beschafften ,  feinem  patriotifchen  (Sifer  für  bie  ©etbftftänbigfcit 
unb  @hre  be«  beutfehen  SBaterlanbe«  in  mehreren  $enfichriften 
2lu«brucf  ju  berleifjen.  daneben  toar  er  unau«gefcfct  auch  auf  ben 
berfduebenften  Wiffenfc^aftfichen  (Gebteten  fchriftfteüerifch  tf)ättg ,  in= 
bem  er  balb  eine  mathematifche,  balb  eine  p^ilofop^ifd^e,  balb  eine 
naturmiffenfehaftliche ,  balb  eine  geschichtliche  s2lbhanblung  beröffent* 
lichte,  bon  benen  eine  jebe  neue  (Sntbecfungen  enthielt. 

3m  3&hre  1672  machte  Scibnifc  eine  Steife  nach  ^ßari« ,  bon 
wo  er  fich  im  folgenben  3ahr^  nach  ßonbon  begab.  2ln  beibeu 
Drten  fanb  er  bie  ehrenbotlfte  Aufnahme;  bie  gelehrteften  Männer 
bemühten  ftch,  ihn  in  i§ren  pfeifen  jurütf §uf)atten ,  unb  bie  2lfa^ 
bemien  beiber  ©täbte  nahmen  ihn  unter  bie  3a¥  ih^r  äRitglieber 
auf.  3m  3°hre  1676  na(§  $eutfchlanb  jurüefgefehrt ,  trat  er,  ba 
ber  ®urfürft  3ohann  Philipp  ^on  ÜJcainj  injwifchen  geftorben  war, 
al«  SBibliothefar  in  bie  $ienfte  be«  £>erjog«  3°hat*n  Sriebrtch  bon 
$annober,  welche  ©teile  er  auch  bei  beffen  Nachfolger  (Srnft  s2luguft, 
bem  erften  $urfürften  bon  £>annober,  beibehielt,  ber  ihn  fpäter  ju 
feinem  geheimen  Qfuftijratr)  unb  ^iftoriographen  mit  einem  ©ehalt 
bon  breijehnhunbert  XfyaUxn  ernannte.  2fcacf)bem  er  in  ben  3ahren 
1688  unb  1689  auf  Soften  feine«  $errn  eine  Steife  burd)  SJeutfch* 
lanb  unb  3*ö^c"  gemacht,  um  5Irct)ioc  unb  Älofterbibliothefen  jum 
83ehufe  ber  (Gefliehte  be«  braunjehroeigifchen  ,$aufe«  511  burchfucheti, 
bei  welcher  (Gelegenheit  er  fich  längere  Seit  in  Söien  aufhielt,  begab 


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^eutfdjlanbS  Jhilturjuftanb  im  ftebjehnten  ^a^r^unbctt.  39 

er  fict)  im  3ahre  1700  nach  SBerlin,  um  bort  auf  betrieb  ber 
geiftreichen  ©emahlin  beS  Ihirfürften  griebrich  III.  oon  ©rauben* 
bürg,  ber  fjamtööeriföen  ^rinjeffiu  Sophie  <£harlotte,  bie  „©Deich- 
tet! ber  SBtffenfdjaften"  einzurichten ,  bie  unter  bem  oeränbeiten 
tarnen  ber  „Slfabemie  ber  SBiffenfchaften"  noch  ^eute  in  sölütye 
fte^t.  Seitbem  unterhielt  er  mit  ber  nochmaligen  Königin  ötm 
$rtu§en  einen  lebhaften  6riefmechfel,  in  meinem  bie  tiefften  philo ; 
foptjifchen  Probleme  eingehenb  befprochen  mürben. 

2Bie  in  ber  ©elehrtenmelt ,  fo  ftanb  ßribnifc  auch  bei  ben  her= 
öorragenbften  Surften  feiner  Qdt  in  fyotym  Wnfeljen;  fie  fugten 
eine  <£h«  ^avin,  ihm  2(uS$eichnungen  ju  ermeifen.  $er  Sjar  <ßeter 
ber  ©rofje,  ber  ihn  im  3af)re  1711  in  Xorgau  (ennen  (ernte,  öer= 
lieh  tym  ben  Xitct  eines  ruffifchen  3ufti$rathS ,  mit  einem  behalt 
öoti  taufenb  X^alem ;  ®aifer  $arl  VI.  erhob  ihn  in  bem  gleichen 
3at)re  in  ben  SReichSfreiherrenftanb  unb  fefcte  ihm  ein  Qahrgelb  oon 
jmeitaufenb  SteichSgulben  aus. 

Setbnifc  mar  nicht  nur  ber  größte  unb  üielfeitigfte  belehrte 
feine*  ^Ww^iS  >  fonbern  auch  einer  Der  tiefften  Genfer  aller 
3eiten  unb  babei  ein  mahrhaft  chriftlicher  $hrt°f°P§  t  welcher  ber 
fatholifchen  2Bahrt)eit  oft  fehr  nahe  fam ,  aber  leiber  nicht  ju  bem 
entfcheibenben  Schritt  beS  UebertrittS  gelangte.  „3n  allen  (Gebieten 
beS  SSiffenS  ben  2ltr)eiSmuS  $u  befämpfen",  fagt  $affnerf  „aus 
aüen  ^^atfac^en  ber  SKatur  unb  beS  ÖJeifteS  baS  $)afein  ÖJotte» 
feftjufteflen,  gegen  alle  fdjeinbaren  Söiberfprüche  ber  (Erfahrung  bie 
gbee  ber  göttlichen  SBorfeljung  §u  rechtfertigen,  mar  baS  eble  ©tre^ 
ben,  bem  ßeibmfc  ein  ^albed  Qahrhunbert  feine  ®raft  lieh  unb  baS 
1710  in  feinem  reichften  33uche,  in  ber  gegen  iöaüle,  ben  Patriarchen 
ber  fran^öfifchen  greibenfer ,  gerichteten  Xhco°icee  feinen  ®ern 
fanb."  ©eine  ^3r)iIofop^ie ,  bie  meit  mehr  in  fatholifchen  als  in 
proteftantifdjen  Greifen  beachtet  mürbe ,  ^atte  jebodj  ju  fehr  ein 
inbimbuelleS  ©epräge,  als  ba&  fie  eine  allgemeine  SSerbrettung  hätte 
fmben  fönnen. 

SeibnifcenS  ^hätigfeit  mar  eine  raftlofe.  ©emöhnltcr)  arbeitete 
er  bis  um  $mei  Uhr  naa)  ättitternacht ,  unb  menn  ihn  eine  Arbeit 
befonberS  lebhaft  beschäftigte ,  legte  er  ftch  gar  nicht  ju  iöette,  fon- 
bern fchlief  mehrere  Stunben  in  feinem  ßehnftuhl ,  um  gleich  bei 
jeinem  @rttmchen  an  berfclben  fortzufahren.  9(n  baS  (Effert  badjte  er 
erft,  menn  er  ton  junger  erfcfjöpft  mar.  SBaS  ihn  neben  ber  Xtefe 
feines  OJeifteS  befonberS  auszeichnete,  mar  bie  ungemöfmliche  ©dmel* 
tigfeit  ber  5luffaffung.  $ie  termorrenften  fragen  burchfchaute  er 
faft  auf  ben  erften  iölicf  unb  fefcte  fie  mit  ber  bemunberungSmür- 
bigften  St larhett  auSeinanber.  2Benn  er  bie  meiften  feiner  Söerfe 
in  latetntfcher  ober  fran$öfifcr)er  Sprache  gefcfjrieben ,  fo  hotte  bieS, 
abgefehen  oon  bem  Umftanbe ,  ba&  bie  beutfche  Sprache  noch  W 


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S)eutftyanb3  Äulturjuftanb  im  fieb$efmten  gatjr^unbert. 


bcr  nötigen  AuSbilbung  für  nnffenfdjaftlidje  35arftetlungen  ent* 
beerte,  feinen  ©runb  barinr  bafj  baS  Sateinifdje  bamalS  nod^  bte 
allgemein  übliche  ©pradje  ber  (Selet)rten  f  baS  gran$öfifd)e  ober 
bie  beS  europäifdjen  58erfet)rS  mar  unb  Seibnifc  feine  Söerfe  nid>t 
allein  für  $eut[d)lanb  beftimmt  jjatte.  Sine  SBernadjlaffigung  feiner 
sJttutterfyrad)e  fann  it)m  in  feiner  SBeife  jum  Sommrf  gemalt 
toerben;  er  ttm§te  üjre  $orjüge  in  I)oi)em  ®rabe  ju  toürbigeit, 
intereffirte  fidj  lebhaft  für  it)re  Öerbefferung  unb  bebiente  fidj  if/rer 
in  allen  Sailen,  too  er  auSfölie&licf)  für  feine  Sanbsleute ,  unb 
namentlich  wenn  er  an  ben  ®aifer  fäxitb. 

$er  (Srfte,  ber  bie  *ßfnlofopt)ie  in  beutfdjer  Sprache  befmnbelte 
unb  UniüerfitätSöorlefungen  in  beurfdjcr  Sprache  fuelt ,  war 
e^riftian  £t)oma  iuS  (geb.  1655,  geft.  1728),  erft  ^rofeffor 
3U  fieip^ig,  bann  an  ber  neuerridjteten  Uniöerfität  §aflc.  (£r  war 
audj  ber  ©rünber  ber  erftcn  in  beutfdjer  ©pradje  erföienenen  ge= 
lehrten  Seitfdjrift ,  bie  er  unter  bem  Xitel  „ÜJconatSgefprädje" 
Verausgab. 

3)afj  bie  beiben  erften  Saljrtjunberte  ber  Deformation  trofc  beS 
Kampfe«,  ben  bie  „SStffenJdjaft"  im  tarnen  ber  „®eifteSfreit)eit" 
gegen  ben  Autoritätsglauben  eröffnet  fjatte ,  feine  Seit  nrirflidjer 
Aufflärung  mar,  $etgt  nidjt  nur  ber  überall  fyerrfajenbe  Aberglaube, 
ber,  in  allen  Sonnen  üppig  ttmdjernb,  ganj  befonberS  in  ben  bis 
in  bie  Ijödjften  Greife  oerbreiteten  unb  felbft  oon  jaljlreidjen  @e* 
lehrten  begünftigten  aftrologifdjen  Sßljantaftereien  ju  Sage  trat,  Jon* 
bem  bor  Adern  aud)  bie  furchtbare  itferoielfältigung  ber  gräuelüoüen 
£ejenpro$effe,  $u  beren  löefeitigung  bie  Deformation  um  f  o 
Weniger  irgenb  (£troaS  beitragen  fonnte,  als  biefelbe  mit  bem  bura) 
Sutfjer  unb  $aloin  eifrig  geförberten  (Glauben  an  bie  leibliche  9Jcad)t 
beS  XeufelS  über  bie  9Jcenidjen  ben  &e£enn)at)n  bei  Ujren  Anhängern 
nur  me^r  befeftigt  fjatte.  SBaren  bod)  $u  ®enf  im  JJa^re  1545, 
in  bem  furjen  Zeiträume  oon  brei  Monaten  öierunbbrei|ig  ^erfonen 
auf  $aloinS  ^eranftaltung  als  $>ejen  unb  Sauberer  unter  flauer* 
liefen  Startern  Eingerichtet  njoiben. 

Xcr  tief  in  ber  menjd)licf)en  Datur  mur^elnbe  Glaube  an 
2Be)"en,  bie  mit  ben  ä)cad)ten  ber  ginfterotfj  in  SBerbinbung  ftet)en, 
finbet  fia)  bei  allen  SBölfern.  3Bie  fct)on  bie  älteften  93üd)er  ber 
^eiligen  ©djrift  öon  Qaübtxtxn,  ©eifterbefcfytüörem  unb  S33at)rfagem 
reben,  fo  feigen  ftd)  bte  gleiten  Anfd)auungen  audj  bei  ben  fyeib- 
nifdjen  ©tämmen  beS  grauen  Altertums  unb  ebenfo  bei  ben  ttnlben 
Horben  AfienS,  Amerifa'S  unb  Afrifa'S.  ©elbft  bie  fjodjgebilbete 
(kriechen*  unb  Dömerroelt  berfenfte  fidj ,  als  ber  ©laube  an  tyre 
(Sötter  ju  fdjttrinben  begann,  mit  magrer  ßuft  in  bie  9Jtyfterien 
einer  finfteren  Üftagie. 

@S  fann  uns  nid)t  SBunber  nehmen,  bag  in  ben  erften  Reiten 


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XcutfcglcmbS  #ulturjuftanb  im  ficbic^ntcn  3at)rf)imbert.  41 

beS  (HjriftenthumS  manche  l)eibnifd)e  $lnfct)auung  in  ben  ©emuthern 
ber  9*eubefehrten  juruefblicb  unb  in  fortgefefeten  abergläubifdjen 
©ebräudhen  ju  Sage  trat.  $ie  ßtrehe  fchritt  gegen  bieten  Unfug 
mit  um  fo  größerer  ©ntfduebenheit  ein,  als  bie  gnoftifdjen  unb 
manichäiferjen  ©eften  fid)  in  jene  fjeibniföen  9ttr)fterien  warfen ,  um 
burd)  fold)e  ©aufeleien  bie  ©laubigen  511  betören  unb  irre  gu 
leiten,  unb  fic  überbieS  ben  ©runbfafc  uner)cr)ütterlid)  feft  hielt,  baß 
ict)on  allein  ber  Sfcrfuct),  bei  ben  9#äd)ten  ber  ginfterniß  $rilfe  unb 
SSeiftanb  ju  erlangen,  ben  Abfall  tton  ©ort  in  fid)  fct)ließe.  ©d)on 
bie  rjeüigen  SBäter  traten  jenen  ^eibnifajen  Sßorftellungen  unb  ben 
bamit  öerbunbenen  abergläubischen  ©ebräucr)en  mit  bem  größten 
9tacr)brucf  entgegen ,  unb  mit  ihnen  miefen  bie  Goncilien  auf  bie 
^td)tigfeit  magifcr)er  fünfte,  ber  gauberei,  Söafyrfagerei  unb  Seid)en= 
beuterci,  ber  Amulette  unb  felbft  ber  Drbalien  hin- 
gen fdjmerften  ®ampf  hatte  baS  d^riftentl)um  mit  bem  2lber* 
glauben  ber  germanifcr)en  SBölfer  $u  beftefjen,  bereu  Dtaturfult  unb 
tieferem  Sftitlcben  mit  all  ben  taufenbfältigen  @rid)einungen ,  bie 
Sommer  unb  grüljHng,  &erbft  unb  SSinter  in  ftetem  SBedjfel  h*ts 
öorrufen,  baS  ©efüt)l  einer  träumertjd)en ,  abgöttifchen  Verehrung 
nährte.  2lud)  nad)bem  baS  l£(n"tfteiitl)iim  bei  ben  (Germanen  Ein- 
gang gefunben,  fuhren  fie  fort,  ihre  abergläubischen  ©ebräuct)e  ju 
üben ,  inbem  fie  baS ,  maS  naa)  it)ren  früheren  s2lnfct)auungen  oon 
ben  ©öttem  bettrirft  morben,  bem  (Sinfluß  ber  ©eifterroelt  jufchrie* 
ben.  5Iud)  gegen  biefen  Unfug  fchritt  bie  ®ird)e  burd)  aohlretctjc 
©rmobalöerorbnungen  mit  ber  größten  (Sntfduebenfyeit  ein. 

$3iS  in*  bret$ehnte  3ahrfmnbert  mar  inbeften  oon  §  e  j  e  n 
mir  gelten  bie  Siebe.  ©d)ärfer  unb  beftimmter  trat  ber  jpefenroafm 
$u  Anfang  beS  bierjehnten  3ahrhunbertS  auf  unb  3eigte  fid)  oon 
ba  an  in  immer  beutlicheren  ©puren.  55ie  §auptanflage  gegen  bie 
3ungfrau  Oon  Orleans  mar,  baß  fie  eine  ,8auberin  unb  ein  2Berf~ 
$eug  ber  Jpöfle  fei.  2luct)  ben  Tempelherren  ^atte  man  oorgeroor* 
fen ,  baß  fie  ben  Xeufel  anbeteteu ,  ber  ihnen  in  ©eftalt  einer 
ja}marjen  $a$e  erfd)eine.  211S  ber  finftere  SBafm  fict)  immer  metter 
$u  oerbreiten  anfing,  erließ  Sßapft  3nnocen$  VIII.  im  3ar)re  1484 
eine  ÖuEe,  burd)  meld)e  er,  um  bem  bamit  öerbunbenen  Unfug  eine 
®ren$e  gu  stehen,  bie  anaufteßenben  Unterjud)ungen  geiftlid)en 
3hd)tern  übertrug.  $er  $5ominifaner  ©prenger ,  ber  mit  jmei 
anbem  ©liebem  feines  DrbenS  mit  ber  s2luSfüt)rung  biefer  äöulle 
in  £eutfdjlanb  betraut  morben,  üerfaßte,  um  ein  einheitliches  unb 
regelmäßiges  Vorgehen  ju  begrünben,  ben  fogenannten  „^ejrenham* 
nter."  3n  biefem  Öud)e,  baS,  toie  ©örreS  fagt,  „jmar  rein  unb 
untabellmft  in  feiner  Intention ,  aber  nid)t  mit  gef d)ärf tcr  Urteils* 
traft  Durchgeführt,  ohne  hinlänglichen  ©runb  thatfäct)licher  Erfah- 
rung unoorfichtig  auf  bie  fcharfe  ©eite  hinüber  mog,"  fanben  in 


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42         2>eutfälanb«  ßulrurjuftanb  im  fiebjehnten  ^ahrhunbert. 

ber  Solge  alle  |>erenrichter  bie  (SntfdmlbigungSgrünbe  für  ihr  $öer= 
fahren  unb  bic  SBefchwichtigung  für  btc  auftaudjenben  S^eifel  ih**S 
®ewiffen3. 

3nbeffen  famen  bis  $um  Anfang  beä  fechjehnten  3a^r^unbcrtö 
nur  öereinjelte  ^rojeffe  wegen  3auberei  öor,  unb  mit  Ausnahme 
berjenigen  Sötte,  in  welchen  bie  Angefcbulbtgten  nebenbei  wirfliche 
Verbrechen  begangen  Ratten,  wie  ©tftmifcherei ,  ftinbeSmorb ,  S&t 
trug  u.  bgl.,  fanben  ©erurtheilungen  nur  feiten  ftatt.  3m  fechaehn* 
ten  unb  ftebaehnten  Qa^r^unbert  bagegen  fernen  $eutfdjlanb  einer 
wahren  fterenepibemie  anheimgefallen  ju  fein:  bie  #efpenpro$effe 
mürben  in  ber  3ufri$pflege  jur  ftehenben  SRubrif,  unb  in  faft  allen 
Säubern  $eurfchlanb3  mürben  ©chaaren  oon  3ttännern  unb  grauen, 
3ünglingen  unb  Qungfrauen  aU  Sauberer  unb  $ejen  oerbrannt, 
ja  fogar  unmünbige  ftinber  als  SJcitfehulbige  ihrer  Altern  bem  5euer= 
tobe  überantwortet,  ©o  würben  im  Safere  1582  in  ber  baierijerjen 
©raffdjaft  SBerbenfelS  in  einem  einigen  ^erenprojeffe  acbtunboicraiG 
«ßerfonen,  in  ber  SReichSftabt  9cörbüngen  awifchen  ben  Sauren  1590 
unb  93  5Weiunbbrei§ig  $erfonen  aU  3ouberer  unb  §eren  oer- 
brannt.  3m  ©raunfebweigifchen  waren  ju  bcr  gleiten  3eit  bie 
©rrtutionen  fo  jahlreieh,  ba&  oft  an  einem  Sage  jebn  ^ejen  Oer- 
brannt  würben. 

9ioct)  größer  war  in  ber  erften  ^älfte  beä  fiebjehnten  3afc5 
hunbertS  bie  gab,!  bcr  Unglücflicben,  bic  bem  fdjauerlicfjen  £eren= 
wabn  jum  Opfer  fielen.  3n  ocr  ©tabt  Offenburg  im  ÜBreiSgau 
würben  jmifeben  1627  unb  1630  fedjjig  ^erfonen  unb  in  bem 
iöiätfjum  SBürjburg  in  bem  gleichen  ä^itraum  mehr  als  jweiftun^ 
bert  ^erfonen  jeben  Alters  unb  ©tanbeä,  baruntcr  fogar  brei  $om= 
Herren  unb  oierjebn  SBifarien  ber  .frauptfirdjen,  fowic  #inber  oon 
acht  bis  jwölf  3a^r^n,  wegen  .pererei  unb  3a«öcrei  Eingerichtet. 
(£in  jperenrichter  in  gulba  rühmte  fid):  er  allein  ()abe  über  fieben- 
bunbert  <ßerfonen  beiberlei  (ScfcblecbtS  oerbrennen  laffen  unb  Ijoffe, 
e$  über  taufenb  hinaus  $u  bringen. 

Sßaren  in  ben  üorfjergcfjenbcn  3o6r^nbertcn  bie  (Gerichte  meift 
nur  auf  eine  beftimmte  Auflage  wegen  Qauberei  gegen  bie  betreffen- 
ben  Sßerfonen  oorgegangen,  fo  würbe  im  iedj$ef)nten  unb  fiebje^nten 
3ahrhunbert  förmlich  nact)  £eren  gefugt.  SBcnn  an  einem  Orte 
ober  in  einer  ©cgenb  ungewöhnliche  (Srcigniffc:  anbaltenber  SRegen, 
heftige  Gewitter,  $5ürre,  9Jci§wacb3,  ©iebfeueben,  plöfclicbe  XobeS- 
fälle,  geuerdbrünfte  u.  bgl.  eingetreten  waren,  fo  fdjrieb  bcr  Aber- 
glaube biefelbcn  bcr  SBirffamfeit  oon  ,£>ejen  unb  auf  ba£ 
drängen  ber  aufgeregten  ©ebölferung  folgte  in  ber  3tegel  ein  lan 
beSfürftlicber  SBefehl  an  bie  53er)örben  jur  Einleitung  eine*  geriet* 
liehen  Verfahrens.  (Gewöhnlich  fam  biefen  ein  folcr)er  Befehl  er 
wünfeht,  weil  ihre  ©ehalte  auf  bie  fofren  angewiefen  waren  unb 


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3>eut|djlanb«  Äulturjuftanb  hn  fiefyefmten  ga^unbert.  4& 


ihnen  überbte*  au*  bem  eingebogenen  Vermögen  her  ©erurtheilten 
ein  bebeutenber  Hntheil  jupcl. 

3ur  (Sinleitung  eine*  $erenpro$effe*  genügten  bie  nichtigen 
iBerbacfjtägrünbe.  Söcnn  eine  $erfon  ben  SBlicfen  einer  anbem  au*- 
auweidjen  fuchte,  ober  $ur  TOtternacht*ftunbe  außer  bem  $aufe  ge^ 
mtfen,  fo  geriet*)  fie  in  ben  ©eruch  ber  £>ejerei.  $luch  wenn 
3emanb  in  furjer  3tit  reich  geworben  ober  e*  $u  bebeutenber  ®e* 
lehrfantfeit  gebraut  ^atte,  fo  würbe  bie*  einem  SBunbc  mit  bem 
Xeufel  jugefchrieben.  gebe  Srauen*perfon,  bie  burefj  irgenb  eine 
jufdüige  SSeranlaffung  bie  ftufmerffamfeit  oft  nur  ber  Xorfjugenb 
ß«f  Ö^ogen  ober  über  bie  eine  Nachbarin  eine  bo*hafte  $e= 
merfung  gemalt,  mürbe  öon  ben  au*gefanbten  $äfchern  oerhaftet. 
Stanb  bie  Verhaftete  überhaupt  in  einem  üblem  Stufe,  fo  galt  ba* 
al3  fict)cre^  3ttcf)en  ihrer  ©djulb;  ^atte  fie  fid)  eine*  frommen 
Cebenämanbel*  befleißigt,  fo  hieß  e*,  fie  ^abe  bahtnter  ihren  33er; 
fefjr  mit  bem  Xeufel  oerfteefen  motten.  3eigte  fie  Surdjt,  fo  er* 
tatrnte  man  barin  ihr  böfe*  ©ewiffen ;  mar  fie  gefaßt ,  fo  würbe 
bie*  al*  bie  SBirfung  ber  ermutfjigenben  sprach  e  be*  Xeufel*  an- 
gelegen. 

3>tc  Verurteilung  ber  Slngeflagten  erfolgte  atterbing*  meift 
nur  auf  ihr  eigene*  ©eftänbniß,  baß  fie  einen  ©unb  mit  bem 
Xeufel  geföloffen,  fich  ir)m  ganj  Eingegeben,  (Sott  getäftert  unb  ihm 
abgefagt,  bei  nächtlichen  äufammenfünften  mit  bem  Xeufel  unb  an- 
bem .peren  unb  Zauberern  auf  benachbarten  bergen  ober  in  alten 
Schlöffern,  ober  auf  $aiben  ober  im  kat^au*  unb  im  SRatfjafeüer 
ge^mauft,  getan$t  unb  allerlei  Unfug  getrieben  gärten,  ju  biefen 
geften  auf  Dfengabeln  ober  ©eienftielen  ober  auf  einem  fchwarjen 
%od  burch  bie  Öuft  geritteu  feien,  auch  oon  bem  Xeufel  bie  $unft 
erlernt  Ratten,  Söinb  unb  ©ewitter  $u  machen,  9flenfchen  unb  Vieh 
burd)  Berührungen  &rantyeiteu  anzuhängen  u.  bgl.  mehr,  ftber 
biefe  unfinnigen  ©eftänbniffe,  in  welcher  bie  9tid)ter  nicht  ben  gering* 
jten  Stoeifel  festen,  würben  ihnen  burch  bie  jehauerlichften  Holter* 
quälen  abgezwungen. 

$ie  #ererei  galt  nämlich  a^  ein  ^lu *na hm eoer brechen, 
bei  welchem  bezüglich  ber  golter  feine  ber  im  übrigen  peinlichen 
©ericht*oerfahren  gefefclich  oorgefchriebenen  Vefchränfungen  (SJiltig- 
feit  ha***;  baher  würben  in  ben  jpejenprojeffen  bie  golterqualen 
unter  fteter  Steigerung  fo  lange  fortgefefct,  bi*  fich  bie  Unglücf* 
lichen,  benen  ber  Xob  al*  eine  wiHfommene  ©rlöfung  erfchien,  51t 
jebem  Öeftänbniß  bereit  erflarten  unb  bie  albernften  $inge  au*; 
jagten,  nur  um  ben  Rauben  ihrer  unmenfehlichen  Reiniger  ju  ent= 
rinnen. 

Xa*  ®eftänbniß  ber  eigenen  @d)ulb  genügte  jeboch  bem  fana- 
tischen ober  eigennüfcigen  Sifer  ber  dichter  nicht.    21u*  einem 


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44 


3)eutfd»IanbS  Äulturjuftanb  im  ftebjcfmten  3af)rf>unbert 


Jpejenprojeffe  foflten  womöglid)  anbere  hergeleitet  »erben;  batyer 
verlangten  fic  öon  ben  ©eftänbigen  bie  Angabe  onberer  $erjonen, 
bie  mit  i^nen  bei  ben  ^cjentanjen  geWefen,  unb  wenn  biefelben, 
um  nidjt  anbere  Unfdjulbigen  in  ©erbadjt  $u  bringen,  2lu3flüd)te 
fugten,  würben  bie  Solterqualen  wicberljolt,  bi*  bie  ©emarterten 
enblidj  in  ber  ©erjweifluug  bie  erften  ©eften  ober  aud>  diejenigen 
nannten,  nad&  welchen  bie  ffiidjter  fte  birect  fragten.  die  alfo  #n* 
gefäulbigten  würben  bann  ebenfalls  üor  ©eridjt  gebogen,  gefoltert 
unb  gleich  ifjren  Hnflägern  jum  geuertobe  oerurtf)eüt.  die  ©er* 
urtljeilung  unb  £inrid)tung  gefdjaf}  in  folgen  gäüen,  wie  nadjmalS 
in  ber  franaöfifd)en  ©djredeuSaeit,  maffenweife:  anftatt  für  jeben 
<£in$elnen  ein  (£rfenntm&  abjufaffen,  würben  öon  bem  töidjter  nur 
bie  ©eraeidjniffe  ber  ju  üerbrennenben  Sßerfonen  untertrieben  unb 
ben  $enfem  jur  ©ollftretfung  jugefertigt.  Qeber  einzelne  ©er* 
urteilte  würbe  an  einen  $fa!jl  gebunben  unb,  wenn  er  fid>  un* 
äufcferrig  jeigte,  langfam  öon  unten  herauf  öerbrannt.  3ur  ^er* 
fdjärfung  ber  dobeaftrafe  biente  ba3  ©djleifen  auf  ben  8hd)tplafc 
nnb  baä  Kneipen  mit  glüljenben  QanQtn.  ®ola)en,  bei  weisen 
man  ÜttilberungSgrünbc  annehmen  $u  müffen  glaubte,  Würbe  ein 
idjnellerer  Xob  burd)  ©ntljaupien  ober  (Sxbroffeln  bewilligt  unb  bann 
erft  ber  Körper  oerbrannt. 

da  e$  gleichfalls  als  ein  3nbicium  ber  £>ejerei  galt,  wenn 
5femanb  fid)  ber  Slngeflagten  freiwillig  annahm,  wagte  lange  «Seit 
9liemanb,  gegen  ben  grauenhaften  Unfug  feine  Stimme  ergeben; 
bafjer  fielen  bemfelben  in  bem  3rirraum  öon  anbeit^alb  Qa^rlmn* 
berten  fowotyl  in  proteftanttfe^ett  als  in  fatljoltjd&en  ßänbera  öiele 
Xaufenbe  unfa^ulbiger  ÜRenfdjen  jum  Opfer,  unb  ed  würben  (Brauel 
oerübt,  bie  ein  neuerer  ©a^rtftfteüer  „ein  drama  oon  unerme&Udjer 
^luSbehnung"  nennt,  „mit  weldjem  an  3ammer,  ©er$meiflungajcenen 
unb  @lenb  ofjne  tarnen,  SWajj  unb  Qitl  auf  ber  einen  unb  an  Mber* 
glauben,  Unfinn  unb  Barbarei  auf  ber  anbern  «Seite  faum  (£twa$ 
in  unferer  ®efa*)ia)te  oerglidjen  werben  fönne/' 

die  (Srften,  weldje  fia^  ber  unglütflid)en  Opfer  beä  fa)auer* 
lidjeu  £>ejenwaljne$  annahmen,  waren  fatljolifdje  Öteiftlidje,  fo  (£or* 
neltuä  £oo3  (geb.  1546  $u  (Souba  in  ^poUanb,  geft.  1593  $u  ÜlRainj), 
ber  Sefuit  Slbam  danner,  ftanjler  ber  Unioerfität  Sßrag  (geft.  1632), 
bie  ©eibe  bafür  fernere  ©erfolgungen  ju  erbulben  Ratten,  oor  Widern 
aber  ber  eble  griebridj  oon  6p  ee  (f.  ©.  35). 

Uli  im  3af)re  1626  ber  ©tfd)of  oon  2öür$burg,  bem  drangen 
fcer  3uriften  wie  be$  Röbels  naa^gebenb,  nad)  bem  ©oraang  beä 
jper$ogä  Ulridjä  oon  SBürttemberg,  ber  im  3a|re  1616  em  gro&eä 
,£>ejenöerbrennen  in  feinem  ßanbe  angeorbnet,  in  eine  ©erfolgung 
ber  £>e$en  gewilligt,  hatte  er  fidj  oon  ben  Qefuiten  einen  ©eia)t* 
öater  für  bie  unglürflichen  Opfer  erbeten,  unb  fo  war  ©pee  im 


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£eutfcf)lcnib3  Äulturjuftanb  im  ftebjefmten  Sa^unbert 


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gafjre  1627  nach  2Bür$burg  gefommen.  $a3  furchtbare  Vilb  be£ 
3ammer3,  ba3  {ich  ^icr  üor  feinen  ©liefen  eröffnete,  erfüllte  ihn 
mit  entern  fo  tiefen  Kummer,  baß  in  furjer  Seit  ba3  #aar  be& 
$toeiunbbrrijHgjäh"{p  ^riefterS  ergraut  war.  Er  mußte  an  jwei= 
hunbert  ^erfonen  jeben  föangeS  unb  ©taubes,  bie  afle  als  un* 
fdmlbig  erfannt,  jur  Einrichtung  torbereiten  unb  $um  ©djeiter= 
Raufen  begleiten,  unb  fein  £>er$  blutete  unb  wallte  über  oor 
©djtnera  unb  Gram  über  bie  offenbare  Ungerechtigfeit  unb  Sd)änb= 
lichfeü  beS  ^ßroje&öerfahrena.  Sag  unb  5cacht  fann  er  nach  über 
ein  3Ätrtel  jur  Abhilfe  unb  flehte  unter  Ifyxänzn  $u  Gott  um  Er= 
barmen  für  bie  Unglücfltd)en.  Deffentlich  alä  ihr  Vertheibiger  auf- 
treten founte  er  um  fo  weniger,  aU  bie  £erenrichter  ihn  ohnehin 
wegen  feiner  Eingebung  an  bie  armen  befangenen  mit  Mißtrauen 
betrachteten  unb  jftichtö  fehnlicher  wünfctjten,  alä  feine  Entfernung. 
9tid>t3beft  oweniger  machte  er  ihnen  wieberholt  bie  einbringlichfteu 
Vorstellungen ;  er  öermehrte  jebodj  baburch  nur  ihren  $a&  unb 
ihren  Slrgwofm. 

9cad)  langem  unb  innigem  lebete  fanb  ©pee  enblich  ba£  %JliU 
tel,  welches  bie  Slbfcfjaffung  ber  £>erenpro$effe  befchleunigen  foflte. 
ücachbem  er  burd)  eingehenbeä  ©tubtren  ber  ^ßrojefiaften  bie  eige* 
nen  Wahrnehmungen  oerooüftänbigt  unb  fo  bie  gange  9cid)t&wür^ 
bigfeit  beä  Verfahrens  flar  erfannt  fyattt,  fchrieb  er  unter  bem 
Sdjutje  ber  Slnonnmität  fein  berühmte*,  ben  Dbrigfeiten  $5eutjch; 
lanbd  geWibmeteS  SBerf:   »Cautio  criminalis,  seu  de  processibua 
contra  sagas  Uber,«  $u  $)eutfcf) :    „ Gerichtliche  Unterfudmng,  ein 
iöueh  über  £erenprojeffe."    Siefe  im  3al)re  1631  oeröff  entlichte 
©chrift,  in  welcher  bie  raffinirten  Gräuel  ber  £>erenprojeffe,  bie 
empörenben  Ungefefclichfeiten  unb  $lbfurbüäten  be$  (Seric^t^oerf ar) - 
rena  jener  Qtit  mit  einer  ©ct)ärfe  aufgebeeft  würben,  bie  ade  $u- 
riften  be£  3ahrhunbert$  befchämen  mußte,  würbe  Anfang*,  obgleich 
fie  fo  fdjneü  oergriffen  war,  bafj  fchon  im  folgenben  3&hre  eine 
jweite  Auflage  nöthig  würbe,  fühl  aufgenommen;  bod)  trug  fie 
ipäter  ihre  guten  grüd)te.    Philipp  00,1  ©chönborn,  ber  alä  ®a- 
nonifuä  in  Söürjburg  ©pee'3  Vetchtfinb  unb  ber  Vertraute  feine* 
ÄummerS  gewefen  unb  bem  biefer  ficf>  atö  Verf affer  ber  Cautio 
entbeeft  hatte,  ftellte,  nachbem  er  im  $ahre  1647  Er^bifchof  oon 
ÜÄainj  geworben,  in  feinem  Gebiete  bie  £>erenpro$effe  ab,  unb  fci= 
nem  Veijpiele  folgten  balb  anbere  fatholifebe  gürften.    3n  ben  ganj 
fatholifchen  ßänbera,  wie  Italien,  ©panien  unb  granfreich,  hatten 
überhaupt  bie  £>erenpro$ejjfe  bei  weitem  nicht  bie  ^uSbelmung  unb 
gurchtbarfeit  erlangt,  wie  in  2)eutfchlanb ;  in  9tom  felbft  fanb  feine 
einzige  $erenüerbrennung  ftatt.    „3)ie  Erfahrung,  bie  große  Sehr* 
meifterin  in  ben  Singen",  heißt  es  im  Eingänge  einer  ©chrift,  bie 
im  Söhre  1657  in  ber  Srucferei  ber  apoftoltfchen  Cammer  in. 


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2>eutfcf)lanb3  tfulturjuftanb  im  ftcb^nten  galjrfjunbert. 


Sachen  bcr  ^Cfcnprojcffc  erfchien,  „hat  offenbar  gemalt,  mie  im 
Ißroaegoerfahren  gegen  ba&  £erenroefen  bie  fdjmerften  Qrrtöümer 
$um  ftachthetle  ber  ©eredjtigfeit  unb  ber  angeflagten  grauen  be^ 
gangen  werben,  fo  ba§  man  in  ber  ©eneratcongregation  ber  heiligen 
römifchen  unb  allgemeinen  3nquifttion  feit  lange  )a)on  bemerft,  wie 
faum  je  einmal  ein  $ro$e&  berart  regelmäßig  unb  in  ber  töedjtö* 
form  geführt  korben. " 

Sänger  als  in  ben  fatholifchen  ßänbern  bauerten  bie  £>efen^ 
projeffe  in  ben  proteftantifdjen  fort,  ba  bie  proteftantifdje  ©eiftlich5 
feit  nach  bem  Seugniß  proteftantifcher  ©chriftfteüer  entfdjieben  für 
triefelben  eintrat,  ©o  rourbe  noch  im  Qahre  1669  $u  SRora  in 
©darneben  ein  großartiger  $ejenprojeß  eingeleitet,  bei  meinem  üon 
ber  aud  Beamten  unb  Öteiftltchen  $ufammenge)'e$ten  Sominifftou 
jroeiunbfiebjig  SBeiber  unb  fünfzehn  ältere  SHnber,  al$  ber  3<wberei 
überführt,  jum  Seuertobe  oerurtheilt  unb  fea^dunbjmanjig  jüngere 
$inber  mit  anbern  fdjroeren  ©trafen  belegt  mürben.  Qu  Saufen 
fanben  bie  ^pefenprojeffe  mit  ihrem  ganzen  grauelooUen  2lu*na^me- 
verfahren  einen  eifrigen  SBerthetbiger  in  ©enebift  (£  a  r  p  5  0  to 
(geft.  1666),  ber  als  3urift  bei  ben  3«tgenoffen  in  fo  hohcm  2ln- 
fefjen  ftanb,  baß  er  ber  „ÖJefefcgeber  ©ad^eua"  genannt  mürbe.  (Srft 
l>em  *ßrofeffor  (S^riftian  X^omafiud  gelang  e8,  bie  öffentliche  3ftei= 
nung,  trojj  ber  ©egenbemühungen  jahlreicher  fünften  unb  Oeift^ 
liefen,  gegen  biefen  Unfug  $u  gewinnen  unb  baburdj  bie  "Jlbfteüung 
ber  ^efenprojeffe  im  proteftantifchen  Horben  anzubahnen.  3m  ac*>^ 
Reimten  Qahrlmnbert  fommen  nur  noch  oerein^elte  ^ejenprojeffe  öor. 
Der  lefcte  berfelben  fanb  im  3ahre  1782  in  ©laruS  ©tatt,  roo 
eine  Stenftmagb  roegen  angeblicher  3auberei  nach  ritterlichem  ©prudj 
enthauptet  mürbe1). 


1)  ©ehr  lehrretä)  ift  ba«  93ud)  „ber  §eremoaf)n  oor  unb  nach  ber  ©lau* 
benSfpaltintg  in  3)eutfa)lanb"  oon  30h.  $)iefenbac$.   TOatnj  1886. 


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Subung  XIV.  o.  frranteid).  —  ftranfretd)  unter  Sttajarm«  StaatÄDcrroalt.     4  7 

in. 

cltt&wig  XIV.  von  grtattftrei^. 

(1643-1715.) 

gfronfrci^  unter  »lajarinä  Staatsverwaltung. 

(1643—1661.) 

Subnrig  XIII.  hatte  auf  feinem  Sterbebette  für  bie  $>auer  ber 
"ättinberjährigfeit  be§  fünfjährigen  Xfjronerben  Öubtuig  XIV.  einen 
Slegentjchaftarath  eingefefct,  in  roelchem  bie  Königin  Anna  als  SRegen- 
tin  ben  Vorfifc  führen  unb  über  ade  nridjtigcn  Angelegenheiten  nach 
Stimmenmehrheit  cntfcf)icben  merben  foüte ;  baä  Parlament,  ba3  ben 
Augenblicf  für  gefommen  erachtete,  feinen  früheren  (£influ&  auf  bic 
3tad)3angelegenheiten  hrcjuftellen ,  hob  jcboch ,  bem  SBunfcbe  ber 
Königin  entfprechenb,  am  18.  SWai  1643  in  einer  feierlichen  Sifcung, 
roelcrjer  auch  Dcr  junge  Äönig  beiwohnte,  bie  öon  ßubroig  XIII. 
bezüglich  ber  SRegentfchaft  getroffenen  üöeftimmungeu  auf  unb  er- 
fannte  ber  Königin  bie  unumfehränfte  SBormunbfdjaft  mit  ber  93e- 
fugnift  ju,  ^rc  SHäthe  nach  eigenem  Söelieben  $u  mahlen.  Schon 
jubelten  bie  ©rojien  in  ber  fixeren  (hroartung ,  baß  SRicheüeu'ä 
töegterungSfrjftem  unb  bamit  bie  Seit  ihrer  3urücfie$ung  ihr  (fnbc 
erreicht  h^e ;  aber  balb  geigte  bie  Königin,  bajj  fie  entfchloffen  mar, 
ebenfo  unabhängig  oon  bem  Abel  unb  ben  bringen  be$  ,paufe3  $u 
regieren,  roie  ihr  (Gemahl,  bie  ßeitung  ber  ©efchäfte  aber,  gleich 
biefem ,  nicht  felbft  $u  übernehmen ,  fonbern  fie  in  ben  |>anben 
2Rajarin§  ju  belaffen,  bem  fie  jeboeb  nicht  bie  nämliche  überlegene 
Stellung  ihr  gegenüber  einzuräumen  gebachte,  bie  Richelieu  2üb* 
loig  XIII.  gegenüber  eingenommen. 

Von  ber  Stegentin  jum  ^räfibenten  beä  Staatärathä  ernannt, 
hielt  SRajarin  mit  ber  guftimmung  ber  Königin,  bie,  ihre  ÖJefühle 
al$  Spanierin  unterbrücfenb ,  nur  noch  bie  fünftige  Jperrfchergröfje 
ihre*  Sohne«  im  2luge  behielt,  bie  ^olitif  SRtdjelieu'3  nach  allen 
Dichtungen  hin  aufrecht;  bod)  fchlug  er  in  ber  Verfolgung  jeiner 
3iele  anbere  SBecje  ein,  als  fein  Vorgänger,  ^patte  biefer  mit  un- 
beugfamer,  rücffichtälofer  (Sntfchloffenheit  unb  eiferner  £aub  feine 
Gegner  niebergefchmettert ,  fo  fudjte  SKajarin ,  in  welchem  jroar 
jRichelieu'ä  (S^rgeia  unb  Staatäflugheit ,  aber  nicht  bejfen  geftigfeit 
unb  %t)athaft  fortlebten,  feine  äiele  mehr  burd)  ©efdjmeibigfeit, 
2ift  unb  Sntriguen  ju  erreichen  unb  ben  miberftrebenben  Abel 
weniger  burch  ®eroaltma&regeln  ju  bemüthigen  unb  $u  fehreefen, 
ai*  burch  S^eigebigfeit  unb  oielfache  Vegünfttgungen  im  £>oflcben 
auf  feine  Seite  ju  ziehen. 


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48 


öubroig  XIV.  oon  granfretd). 


$ie  mad)fenben  Ausgaben,  rocldjc  ber  mit  üerftärften  Gräften 
fortgelegte  ftrieg  gegen  Cefterreid)  unb  'Spanien  nötljig  machte, 
fteigerten  ben  Steuerbrucf,  ber  fdjon  lange  fdjroer  auf  bem  ßanbe 
laftete ,  ju  einem  fötalen  ©rabe ,  ba&  baS  Parlament  bie  (£in= 
regiftrirung  neuer  Steuerebifte  oerroeigerte.  Vergebend  fuc^te  bie 
Königin ,  gegen  bie  Anfidjt  ÜRajarinS ,  beffen  unentfdjiebeneS  Auf- 
treten einen  fdjarfen  (SJegeufafc  $u  bem  energifdjen  SBorgeljen 
fflidjelieu'S  bei  äfjnlidjen  2Biberfefclid)feiten  bilbete ,  burd)  bie 
fangennef)mung  ober  Verbannung  einzelner  9tät^e  ben  SBiberftanb 
beS  Parlaments  31t  brechen:  bie  «Suftimmung,  roeldje  baSfelbe  bei 
feiner  Dppofitton  oon  Seiten  ber  Söürgerjdmft  in  aßen  Stäbten 
granfreicfyS  fanb,  unb  bie  brofyenbc  Spaltung  biefer  lederen  nötig- 
ten bie  föegentin,  auf  3Äajjregeln  ber  Strenge  $u  Oermten  unb 
bie  gefangenen  ParlamcntSrätfje  freizugeben. 

3m  ÖJefütjIe  fetner  miebergetoonnenen  Sftadjt  ging  baS  Paria* 
ment  meiter  unb  fteHte  Sorberungen,  bie  auf  eine  burdjgreifenbe 
Aenberung  beS  ganzen  fltegierungSfuftemS  jielten.  Um  baSfelbe 
aufregt  ju  galten ,  fud)te  ÜJtojarin  fid)  in  ben  Prinzen  beS  Jpau^ 
jeS  eine  Stüfce  $u  öerfdmffen ,  ju  meldjem  @nbe  er  bem  $erjog 
oon  Orleans  baS  ®ouoernement  oon  ttangueboc  unb  bem  Sot^ne 
beS  grinsen  (Sonbe ,  bem  &er$og  oon  @ngfuen ,  baS  ber  Glmm* 
pagne  überliefe.  $afür  unternahm  eS  ©afton  oon  Orleans ,  mit 
bem  Parlamente  §u  unterfyanbeln,  baS  fid)  ifym  bei  feinen  früheren 
kämpfen  gegen  9tid)elieu  günftig  ermiefen;  aber  feine  iöemityungen, 
baSfelbe  ben  28ünjd>en  ber  Regierung  miUfäfyrig  $u  madjen,  blieben 
ebenfo  erfolglos,  als  bie  einlenfenben  Sdjritte  sJWa$arinS. 

(SJeftüfct  auf  bie  günftige  Stimmung,  meldje  bie  sJlad)ridjt  oon 
einem  großen,  am  20.  Auguft  1648  bei  ßenS  burd)  ben  $erjog 
oon  Anginen  über  bie  Spanier  erfod)tcnen  Siege  unter  ber  Öe- 
öölferung  ber  ^pauptftabt  ijerüorgcrufen ,  be[d}lo&  bie  Königin,  aufs 
sJkue  mit  Strenge  gegen  baS  Parlament  oorsugefyen.  Am  26.  Auguft 
ließ  fie,  narfjbem  in  ber  #ird)e  oon  ^otre^ame  in  ©egenroart  bc* 
£ofeS  baS  Te  üeum  für  ben  errungenen  Sieg  ge jungen  morben, 
bie  fünften  Spieker  oertmften.  3)iefe  Maßregel  brachte  fofort 
ganj  pariS  unter  bie  ^Baffen.  3)er  pröoot  beS  mardmnbS  unb 
bie  Stoffen  ber  Stabt  ließen  u)re  Kompagnien  oor  bem  töatfyfyauje 
oerfammeln  unb  bie  Strafen  burd)  Stetten  fperren.  2)ie  $ur  £>cr- 
fteüung  ber  Drbnung  fyeranrürfenben  Xruppen  mürben  bis  gegen  bie 
Xuilerien  jurütfgebrängt. 

hinter  biejem  Aufftanbe  oerbargen  fid)  felbftfüdjtige  Abfluten 
etnfluBreidjer  perjonttdifeiten ,  bie  ben  ftarbinal  $u  ftürjen  fudjten, 
um  felbft  an  feine  Stelle  ju  treten.  2)cr  fjeroorragenbfte  unb 
tfyätigftc  unter  biefen  Agitatoren  mar  ber  Wcffe  unb  ftoabjutor  bes 
(£r$bijd}ofS  oon  pariS,  paul  oon  $onbi,  ber  nadmialigc  ttarbinal 


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granfreicf}  unter  2Ka$cmn3  StaatSüertüaitung. 


oon  SRefc,  au«  einer  mit  Katharina  oon  ÜHebici  nach  granf  reich 
gefommenen  florentinifchen  gamilte ,  ein  2#ann  oon  bnrd)bringen; 
bem  93litf,  fülmer  <£ntfc*Koffent)eit  unb  großer  Ötetoanbtfjeit  in  ber 
Anzettelung  oon  ^ntriguen,  ber  ofme  SBeruf  unb  Neigung  in  ben 
geistlichen  Stanb  getreten  mar  unb  oor  ©egierbe  brannte,  fich  eine 
einflußreiche  Stellung  am  #ofe  $u  t»erfcr)affen.  SRachbem  er  bie 
Popularität,  bie  er  fid)  burch  bebeutenbe  (SJetbfpenben  unb  ein  zur 
Schau  getragene«  Qntereffe  für  ba«  öffentliche  SBor)l  erworben,  in«* 
geöeim  zur  Aufreizung  be«  S3olfe^  benufct,  bot  er  ber  Königin  feine 
$ienfte  jur  «efchroichtigung  be«  Aufruhr«  an,  in  ber  Hoffnung, 
fufj  ihr  nachher  al«  töattjgeber  unentbehrlich  machen  zu  tonnen. 
Allein  bie  föegentin,  bie  burch  ^ajarin  üon  Ötonbi'«  Machinationen 
in  ÄenntniB  gefegt  toorben ,  wie*  feine  Anerbietungen  junid  unb 
machte  ihn  baburch  jum  erbittertften  geinbe  be«  &ofe«.  Um  fid)  ju 
rächen,  fchürte  er  ben  Aufruhr  au«  allen  Gräften,  unb  biefer  ge- 
wann hierauf  eine  fo  brohenbe  ©eftalt ,  ba&  bie  Königin  fich 
Ztoungen  fah,  bie  gefangenen  Parlamentäre  freizugeben.  $a« 
$olf  begleitete  biefelben  toie  im  Triumphe  Zu  ihren  SBohnungen  unb 
fehrte  bann,  mit  feinem  Siege  aufrieben,  ju  feinen  genanten 
fchäftigungen  jurüd,  entfdjfoffen,  auch  iw  °er  golge  ba«  Parlament 
gegen  ettoaige  fernere  geinbfeligfeiten  be«  £>ofe«  mit  allen  Gräften 
§u  oertheibigen. 

©efchredt  burch  bie  bei  biefer  Gelegenheit  zu  2age  getretene 
(Entichloffen^eit  ber  Parlament«partei ,  bie  man  am  *pofe  fpotttoeife 
bie  gronbe1)  nannte,  zog  fich  bie  fftegentin  mit  ihren  beiben  Söh- 
nen, bem  $önig  unb  bem  um  jroei  %al)xe  jüngeren  prinzen  pfyiltpp, 
nach  ©ermain  jurud,  oon  tt)o  fie  Unter fjanbtungeu  mit  bem 
Parlamente  anfnüpfte.  $)iefe«  oerfehlte  nicht,  bie  errungenen  *Bor= 
theile  zur  (Erlangung  ber  geforberten  3u9eftänbniffe  auszubeuten, 
^achbem  bie  SRegentin  angefid)t«  ber  unter  ber  33ürgerfct)aft  oon 
pari«  fjerrfdjenben  bcbenflidjen  Stimmung  in  bie  oon  ben  Abge- 
orbneten  be«  Parlament«  hauptfäd)lich  auf  ©onbi'«  betrieb  gefor- 
berte  Au«id)lieftung  SDcazarin«  oon  ben  Unterljanblungen  gcnnüigt, 
fanftionirte  fie  am  24.  Dftober  ein  ©efe§,  burch  welche«  alle  oon 
bem  Parlamente  im  (£inüemef)men  mit  ben  hochften  Staatöbehöf- 
ben,  bem  Steuerhof  unb  ber  Dberred)nitng«fammer ,  bezüglich  neu 
einjuführenber  Aemter  unb  Steuern  gefügten  iöefchlüffe  beftätigt 
tourben. 

£er  gorberung  be«  Parlament«  entfprechenb,  fet)rte  bie  Stiegen; 
tin  am  30.  Dftober  mit  bem  #önig  nach  pari«  zurüd,  entfdjloffen, 
bei  ber  erften  günftigen  (Gelegenheit  bie  ifjr  abgerungenen  Sw- 


lj  gronbeur«  —  ©Ruberer  —  nannte  man  bamatä  bie ©trafeenjungen, 
bie  im  Stabtgraben  oon  Pari«  mit  Scqleubeni  gegen  einanber  ftrieg  führten. 

fcolatoartt),  SSeltaefdMte.  VI.  4 


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50 


Subwig  XIV.  üon  granfreidj. 


ftänbniffe  wieber  jurücf^un  c^mcn.  ©ie  gewann  eine  ©tüfce  für  if)re 
$3eftrebungen  an  bem  burdj  feine  Siege  in  $)eutfdjlanb  unb  ben 
Sftieberlanben  rühmlich  betannt  geworbenen  unb  feit  ®ur$em  au3 
bem  gelbe  jurüdgefef)rten  $>erjog  öon  (Snghien,  ber  feit  bem  Xobe 
feine«  ©aterä  (1646)  ben  Eitel  prinj  öon  (Eonbd  führte.  $a 
berfelbe  nicht  nur  bei  bem  £>eere  in  hohem  Slnfeljen  ftanb,  fonbem 
auch  burch  fein  ritterliche^  SBefen  ber  Siebling  ber  abeligen  3uQcnb 
Sranfrcichä  geworben,  bot  ÖJonbi  2lHe$  auf,  um  ir)n  für  bie  Srronbe 
$u  geroinnen;  (Sonb£  war  jeboch  ju  ftol$  auf  feine  ©ebnrt  unb  ju 
feubal  geftnnt,  um  fich  mit  bem  „2lmt3abel"  beä  Parlament«  ju 
öerbinben,  beffen  Auflehnung  gegen  ben  £)of  ihm  alä  Rebellion  er- 
festen  unb  auf  beffen  SKitglieber  er  mit  um  fo  größerer  (Oering* 
fchäfcung  ^erabblicfte ,  als  fie  nie  ben  $)egen  gebogen.  SBährenb 
fein  jüngerer  ©ruber,  ber  Prinj  öon  (Jonti,  unb  feine  ©chwefter, 
bie  ebenfo  leichtfertige  unb  et)rf üchtige  als  fchöne  unb  geiftreidje 
£erjogin  öon  ßongueöifle,  burch  ben  ©tol$  beä  alteren  ©ruberS 
öerlefct,  fidr)  mit  ben  $cr$bgen  öon  ©eaufort  unb  ©outllon  an  bie 
gronbe  anfa^loffen,  fagte  Gonbö  bem  &ofe  feine  Unterftüfcung  ju 
unb  traf  Slnftalten ,  bemfelben  burd)  SSaffengewalt  ben  ©ieg  über 
feine  ©egner  ju  öerfdjaffen. 

(Sonbö'S  Plan  War,  fid)  ber  ©tabtthore  öon  Paris,  ber  ©aftifle 
unb  be$  äeugfjaufeS  ju  bemächtigen  unb  im  Salle  eineä  SSiberftan* 
beS  öon  ©eiten  ber  Bürger  bie  ©tragen  ber  ©tabt  in  ein  ©chladjt* 
elb  $u  öerwanbeln.  ®a  ber  §of  fict)  bie  mit  biefem  Plane  für  ihn 
elbft  öerbunbenen  ©efahren  nicht  öerhehlen  fonnte,  $og  er  eä  öor, 
ich  öorher  in  Sicherheit  ju  bringen ,  unb  begab  fich  in  ber  9kd)t 
öom  6.  ganuar  1649  heimlich  nach  ®ermain ,  öon  wo  bie 
SRegentin  am  folgenben  Sage  bem  Parlamente  ©efc(jl  ertheilte, 
gleichfall*  Paris  ju  öerlaffen  unb  fich  m$  äßontargis  $u  begeben, 
©tatt  biefem  befehle  golge  ju  leiften,  fanbte  basfelbe  Wbgeorbnete 
nach  ®t-  ©ermaiu,  um  bem  |>ofe  ©egenoorftellungen  $u  machen  unb 
ihn  aur  SRürffehr  nach  Pari*  eingaben.  $a  bie  Slbgeorbneten  gar 
nicht  öorgelaffen  unb  mit  äujjerfter  ©eringfehäfcung  behanbelt  wur^ 
ben,  erflärte  baä  Parlament  ben  ftarbinal  ÜDcajarin  für  einen 
Jeinb  beä  ©taateS  unb  üereinigte  fich  mit  bem  ©orfteher  ber  ®auf* 
leute,  ben  ©chöffen,  ©iertelmeiftern  unb  Oberftcn  ber  ©ürgerabtheb 
lungen  öon  pari*  jur  gemeinfamen  ©ertheibigung  ber  ©tabt. 

$em  ©eifpiele  beä  Parlament*  öon  pariS  folgenb,  erflärten 
fich  auch  °ie  Parlamente  ber  Bretagne,  ber  Ulormanbie,  ber  Pro- 
oence  unb  öon  ßangueboc  gegen  ÜRajarin,  unb  bie  abeligen  Jpöup- 
ter  ber  gronbe  fammclten  Xruppen  jur  Unterftüfcung  ber  aufrühre- 
rischen £>auptftabt.  3luch  Xurenne,  ber  ©ruber  beS  £er$ogS  öon 
©ouidon ,  gebachte  bie  beutfdje  Slrmee ,  welche  er  fo  ruhmwürbig 
befeljligt  hatte,  gegen  ben  #of  $u  führen,  unb  ber  Statthalter  ber 


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granfretcr)  unter  Sflozarin*  StaatSüertüalhmg. 


51 


9fteberlanbe ,  Erjfjerjog  Seopolb  öon  Defterreid) ,  erbot  fid) ,  mit 
Tünfjerjntaufenb  9Kann  in  granfreid)  einzufallen,  menn  bie  gronbe 
mit  iljm  in  SBerbinbung  treten  motte. 

Obgleich  ber  Prinz  öon  (£onb<5  nur  ungefähr  zmölftaufenb 
ÜKann  unter  feinem  Äommanbo  t)attc  öereinigen  fönnen  unb  bafjcr 
üon  einer  emftlidjen  (Sinfdtfie&ung  ber  £auptftabt  tjattc  abftel)en 
muffen,  fnett  er  feinen  ©egnern  Stanb,  ba  beren  Uebermadjt  burd) 
bie  Uneinigfeit  ber  einzelnen  .<päupter  paratyfirt  mürbe.  Qnbeffen  er» 
artete  e*  bie  Königin  für  geraten,  mit  bem  Parlamente  Unter* 
fjanblungen  anjufnüpfen ,  unb  ba  biefe*  eine  gro&e  Mäßigung  an 
ben  lag  legte,  fam  am  11.  ÜRärz  1649  ju  föuel  ein  griebe  ju 
Stanbe ,  in  meinem  bie  föegentin  bie  bem  Parlamente  burd)  ba* 
®efe$  Dom  24.  Cftober  gemalten  ßugeftänbniffe  betätigte  unb  eine 
allgemeine  toneftie  jufagte,  wogegen  ba»  Parlament  in  ba*  53er» 
bleiben  9)tozarin*  mittigte  unb  alle  öon  ifjm  feit  bem  6.  Januar 
erlafienen  SBefdjlüffe  für  null  unb  nidjtig  ju  erflören  öerfprad). 

Xa  biefer  Vertrag  meber  ba*  $olf,  nod)  bie  abeligen  £äupter 
ber  gronbe  befriebigte,  fam  e*  in  Pari«  51t  neuen  föuljeftörungen, 
unb  bie  Prüfen  unb  Ebetteute  trafen  Slnftalten  jur  gortfefcung 
be*  Kampfe«.  Sd)on  jog  Xurenne  mit  feinem  #eer  ^eran,  um  bie 
Entfernung  SflajarinS  ju  erjmingen,  al*  er  fic|  plöfclidj  üon  fei= 
nen  Xruppen  öerlaffen  faf).  SWazarin  ^atte  biefelben  ijetmlid)  burd) 
bebeutenbe  ©elbfpenben  jum  Slbfatt  öon  if)rem  gütyrer  bemogen. 
35a  e*  ju  ber  gleiten  Seit  bem  SJttnifter  gelang,  mehrere  Häupter 
ber  gronbe  burd)  gro&e  23crfprcd)ungett  jufrieben  ju  ftetten,  üer= 
ftanb  fic^  einer  na<|  bem  anbern  jur  Slnerfennung  be*  gefdjloffenen 
grieben*.  2lm  18.  Slugnft  f)ielt  bie  9tegentin  mit  bem  $arbinal 
unb  bem  Prinzen  öon  £onb<S  i^ren  Einzug  in  Pari« ,  unb  ba 
2)£ajarin  bie  SBorfidjt  gebraust  c)atte ,  bebeutenbe  Summen  unter 
bie  ^nfte  unb  ben  Pöbel  au*tf)eilen  ju  laffen ,  mürbe  nid)t  nur 
ber  Äönig,  fonbern  er  felbft  öon  bem  *8olfe  mit  freubigem  Qwvtf 
begrübt.  „$a*  ift",  bemerft  ber  Prinz  öon  -äftarfittac  —  al* 
Bdjriftftetter  befannter  unter  bem  tarnen  ßarodjefoucault ,  ben  er 
ein  3afjr  nad)  biefen  Gegebenheiten  burd)  ben  Xob  feine*  SÖater* 
erhielt  —  in  feinen  Memoiren  über  bie  Sftegentfdjaft  Slnna'*  öon 
Cefterreid),  „bie  SBetfe  unfere*  Söolfe*;  mit  bemfelben  ßeidjtfinn, 
mit  tüeldjem  e*  au*  feiner  Sdjulbigfett  £jerau*tritt,  fer)rt  e*  ju  ber* 
felben  jurüd,  unb  gef)t  in  einem  Wugenblirf  öon  2lufruf)r  jum  ©e- 
fyorfam  über."  2)ie  jpäupter  ber  gronbe,  unb  öor  Sitten  ber  ®oabju* 
tor,  beeilten  ftd),  ber  Königin  ifjre  Untermerfung  31t  bezeigen,  mäf)= 
renb  fie  felbft  bem  Prinzen  öon  Eonbd  öffcntlict)  al*  if)rem  Erretter 

iljren  55anf  au*jpraaj. 

^>atte  fict)  SÄajarin  mit  ^)i(fe  (Jonb^'S  gegen  bie  gleichzeitigen 

Angriffe  be*  Parlament*  unb  be*  5lbel*  511  galten  gemuBt,  fo 

4* 


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52 


Subioig  XIV.  oon  granfreid). 


ftanb  if)m  jeftt  ein  ®ampf  gegen  ben  ^ßrinjen  fefbft  beüor.  9Jid)t 
um  ben  OJlinifter,  ben  er  nidjt  liebte,  auf  feinem  Soften  $u  erljal* 
ten ,  fonbern  um  baS  Slnfefjen  beä  Xljroned ,  ber  föniglidjcn  ga- 
milie  unb  be$  fürftlidjen  ©luteS  gegen  bie  (5mpörung3gelüfte  ber 
Bürger  unb  ©eamten  ju  fdjüfjen,  fjatte  ßonbd  feine  äftadjt  in  bie 
Sdjanje  gefdjlagen.  SRac^bem  bie  Autorität  ber  Regierung  f)ergc= 
fteüt  mar ,  trat  er  offen  mit  ©eftrebungen  fjeroor ,  bie  auf  ben 
©turft  beS  fjerrfd&enben  SftegierungäfUftemS  jum  ©eljufe  ber  SBie= 
berljerfteHung  ber  alten  greifet  unb  itnab^ängigfeit  beä  Slbetö 
unb  bie  ©egrünbung  feiner  eigenen  £>errfd)aft  im  fRat^e  ber 
nigin  gerietet  maren.  Xa  fid)  ber  Äarbinal  bei  feiner  Unbeliebt 
r)eit  nid)t  ftarf  genug  füfjlte,  aflein  ©trnaä  gegen  ben  ^rin^en  ju 
unternehmen ,  ber  nidjt  nur  gegen  if>n  jebe  sJtüdfid)t  au&er  s21d>t 
lieg,  fonbern  aud)  ber  Königin  uncfjrcrbietig  begegnete,  fudjte  er  fief) 
gegen  benfelben  be3  ©eiftanbeS  ber  gronbeurd  ju  oerfidjern ,  bie 
oon  bem  *ßrinjen  mit  üerlefcenbem  ©tolje  bef)anbelt  mürben.  $ied 
gelang  ifjm  aud),  nadjbem  ber  ftoabjutor  burd)  oertrauenoofled  (£nt* 
gegenfommen  ber  Königin  für  ben  gegen  ben  ^ßrinjen  geplanten 
®emaltfd)ritt  gewonnen  morben.  Hm  8.  Januar  1650  mürbe  (£onb£ 
mit  feinem  ©ruber  Gonti  unb  feinem  ©djmager,  bem  ^perjog  oon 
Songueüifle,  mit  beneu  er  ficr)  ooüftänbig  audgeföfmt  t)atte ,  in  bem 
Calais  roöal,  mof)in  man  fie  unter  bem  ©ormanbe  mistiger  ©e^ 
ratfjungen  gelocft ,  gefangen  genommen  unb  auf  9)tojarinä  ©efefyl 
nad)  bem  ©djloffe  ©incennca  gebraut. 

$aä  ganj  unter  bem  @influ&  ber  gronbe  ftefjenbe  ©olf  oon 
^avis  empfing  bie  9*ad)rid)t  oon  ber  ©erfjaftung  bed  ©iegerd  oon 
stRocroü  unb  Send,  ben  eä  einft  vergöttert  f  mit  lautem  3nbel,  unb 
bie  £>äupter  ber  gronbe  jaljen  fid)  bereits  im  (Reifte  im  gefiederten 
©c)i§  ber  erftrebten  £errfd)aft.  Allein  in  ben  ^ßrooinjen  fammcl= 
ten  iurenne  unb  fein  ©ruber,  ber  ^er^og  oon  ©ouillon,  im  ©er= 
eine  mit  ber  ßerjogin  oon  fiougueoitle,  bie  nadj  ber  ®efangen= 
nefjmung  ifyrer  ©rüber  unb  ifjreä  oicmahlö  aud  $ari3  entflogen, 
Gruppen  jur  ^Befreiung  ber  (befangenen,  unb  mit  ilmen  oereinigten 
fitf)  jafjlretdje  ©bedeute,  bie  in  ©onbö  ben  ©efdjufcer  ifjrcä  ©tan- 
beä  unb  ben  ©erf echter  ifjrer  greif)eiten  fal)en.  %u$  bie  ©panier 
fagten  ben  greunben  beä  sßrin5en  ben  erbeteneu  ©etftanb  $u. 
sDtajarin,  ber  bieämal  größere  (Sntfdjloffenfyeit  geigte,  50g  gegen  bie 
Gebellen  ju  gelbe  unb  blieb  in  ©urgunb  unb  in  ber  9cormanbie 
fiegreid),  loäljrenb  er  ben  SBiberftanb  ber  ©eoölferung  oon  ®unenne 
nur  burd)  ^»Q^nbniffe  ju  bemältigen  öermodjte. 

3n$mtfd)en  mar  Xurenne  im  ©ereine  mit  bem  @r$f)er$og  ßeo= 
polb  gegen  s$ariä  oorgebrungen ,  um  bie  gefangenen  s$rinjen  ju 
befreien;  biefe  toaren  jebod)  bereite  auf  SDJasarinä  ©efetyt  oon  ©ins 
cenneä  nadj  Jpaore  gebraut  morben.    Üfla§arin,  ber  fc^leunigft  aud 


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granfreid)  unter  9tta$arin*  Staatsverwaltung.  53 


Ctfurjenne  nach  ber  $auptftabt  jurüdgefehrt  mar,  jog  mit  bcm  9Rat* 
khatl  bu  ^leffi*  bcm  feinblichen  fteerc  entgegen,  unb  am  15.  £c* 
jember  1650  erlitt  Surenne  bei  Bethel  in  golge  eine*  unertuar* 
teten  lleberfall*  eine  fo  tjoüftänbige  9ticberlage,  baß  er  nach  oergeb* 
liehen  ^Bemühungen,  feine  jerfprengten  Gruppen  roieber  ju  fammcin, 
nach  Stenan  entfliegen  mußte. 

$urcf)  ben  errungenen  Sieg  auf*  9leue  in  feiner  Stellung  be* 
feftigt ,  jeigte  fich  Bojarin  nid)t  nur  allen  gürbttten  te*  9$arla* 
ment*  für  bie  gefangenen  ^rinjen  unzugänglich ,  fonbern  trat  auch 
gegen  bie  unruhigen  gronbeur*  mit  größerer  dntfd)icbenf)eit  auf, 
beferjroor  jebücf)  baburdj  einen  neuen  Sturm  gegen  ftcf)  felbft  unb  ben 
£of  fjerauf.  @r  fuchte  bemfelben  burd)  bie  glucht  nach  Jpaöre  $u 
entgegen ,  roo  er  Xruppen  ju  fammelu  ober ,  fall*  bie*  nicht  ge* 
linge ,  ben  ^rinjen  unter  geeigneten  SBebingungen  bie  greifet  $u= 
rücfjugeben  gebaute,  um  fich  burdj  (£onb<5'*  Arm  toieber  an  feinen 
(Gegnern  ju  rächen,  Sobalb  feine  Entfernung  au*  ber  £>auptftabt 
befannt  geroorben  (7.  gebruar  1651),  erließ  ba*  Parlament  einen 
^Öefcfjlufj ,  melier  it)n  au*  allen  Säubern  be*  Königreich*  Oer* 
bannte ,  unb  nötigte  ber  Königin ,  bie  bereit*  Anftalten  getroffen, 
beut  $arbinal  ju  folgen ,  einen  greibeit*brtef  für  bie  ^rinjen  ab. 
Um  fid)  felbft  ba*  SBerbienft  ihrer  Befreiung  $u  erroerben ,  tun* 
bigte  ihnen  SJcajarin  am  13.  gebruar  perfönlich  ir>rc  (Sntlaffung 
an  ,  inbem  er  bie  Sd)ulb  ihrer  SBerfjaftung  auf  ®onbi  unb  ben 
£>er$og  üon  Drlcan*  $u  Rieben  fud)te,  ber  fich  mit  bcrfelben  ein* 
t»erftanben  erflärt  r)atte ;  er  fanb  jeboa)  bei  ßonbe,  ber  feinen  2Bor= 
ten  feinen  ©lauben  fchenfte,  flart  be*  ertoarteten  £anfe*  nur  eine 
geringjchäfcige  33ebanblung. 

An  ber  HJcöglichfeit  oersmeifelnb  ,  fich  für  ben  Augenblttf  in 
feiner  Stellung  §u  behaupten,  öerliefi  ber  flarbinal  grantreich  unb 
$og  fich  nach  Süttich  unb  üon  bort  nach  ®öln  jurütf,  beffen  ®urfürft 
ihm  ba*  Schloß  Örühl  5um  Aufenthalte  anmie*. 

llnterbeffen  befanb  fid)  bie  Königin  $u  <ßari*  in  ber  fdjnrie* 
rigften  Sage;  benn  bie  gronbeur*  gingen,  im  sBunbe  mit  (£onb£, 
ber  jefct  roieber  ba*  «Parlament ,  ben  Abel  unb  ba*  #olf  für  fich 
harte,  barauf  au*,  bie  alte,  öon  Richelieu  umgeftaltete  ißerfaffung 
be*  Königreich*  unb  mit  berfelben  alle  früheren  9tect>te  unb  greU 
Reiten  be*  Abel«  fjerjuftellcn,  $u  meinem  @nbe  fich  an  adjthunbert 
^rin^en,  Jpeqöge  unb  ©bedeute  eigenmächtig  in  Sßari*  üerfammclt 
hatten,  $ie  >8efrrebungcn  ber  Skrbünbeten  feheiterten  jebodj  an 
bem  SBiberfpruch  be*  Parlament*,  ba*  bie  Söcrfammlung  be*  Abel* 
für  ungefefclicr)  unb  bem  föniglichen  Anfehen  nachtheilig  erflärte 
unb  bemfelben  bie  Söcfugnig  abfpradj ,  ohne  bie  übrigen  Stänbe 
irgenb  reellen  ©efa^luB  ju  faffen.  2)a  fich  ber  #of,  beffen  s43eU 
ftanb  beibe  Parteien  fugten ,  für  ba*  Parlament  erf lörte ,  liefe  fich 


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54 


Subnrig  XIV.  von  grcutfretch. 


ber  leibenfdjaftlidje  (Sonbd,  bcr  fid)  inahnfcfjen  auch  mit  ®onbi  unb 
mehreren  onbem  $äuptern  bcr  gronbe  überrcorfen  tjarte ,  ju  fo 
feieren  23elcibigungen  gegen  bie  Königin  fjinrei&en,  bajj  btefe  fict) 
entfloß,  ir)n  im  Parlamente  anjuflagen.  TO  fidj  ber  «ßrinj  in 
ber  ©ifcung  oom  19.  Sluguft  1651  unter  ben  beleibigenbften  $(u3= 
fällen  gegen  ®onbi  ju  rechtfertigen  fudjte,  ber  auf  ben  betrieb  ber 
Königin  jum  ®arbinal  erhoben  toorben ,  fam  e£  ju  ben  ^eftigften 
Scenen ,  unb  nur  bem  ebenfo  entfdjiebenen  al£  rofirbeöoflen  2luf= 
treten  beä  Präfibenten  Sftote  tjatte  man  e$  $u  oerbanfen,  baß  bic 
ersten  Parteien  ihren  ©treit  nicht  mit  bem  $egen  in  ber  $anb 
au3fod)ten.  9SoH  2ferger  unb  Erbitterung  berließ  (£onbe  bte  £>aupt= 
ftabt  unb  begab  fid)  nach  93errü. 

$(m  5.  September  1651  erfcfjien  ber  ®önig,  ber  an  biefent 
Xage  fein  bierjehntea  Qahr  unb  bamit  jugleich  baä  Hilter  ber 
Üftünbigfeit  erreichte,  im  Parlamente  unb  erflärte,  baß  er  nunmehr, 
ben  ÖJefefcen  beä  ©taateä  gemäß,  bie  Regierung  felbft  übernehmen 
ttjolle.  hierauf  legte  bie  Königin  bie  SRegentfchaft  nieber  unb  beugte 
ba3  ®nie  bor  ihrem  (Sohne.  $5er  $önig  reichte  U)r  bie  |>anb,  um 
fie  auf juf)eben ,  umarmte  fie ,  banfte  U)r  für  u)re  bisherigen  33e= 
mühungen  um  feine  (Srjiehung  unb  ben  ©taat  unb  bat  fie ,  auch 
ferner  an  ber  @pifce  be3  ©taatSrathä  ju  bleiben,  um  ifm  mit  ü)rer 
(Sinfidjt  $u  unterftüfcen.  $>a3  ©anje  mar  nichts  s2lnbere$,  als  eine 
leere  görmlidtfeit ,  burch  meldte  in  ber  güfjrung  ber  ©taat$angc= 
legenheiten  9ttcht3  geänbert  nmrbe ,  ba  ber  öierjefmjäljrige  ®önig, 
beffen  ©rjichung  übcrbieS  Don  ber  Königin  gänzlich  oernachläffigt 
korben,  begreiflichertoeife  nicht  im  ©tanbe  n>ar,  felbft  bte  Sügel  ber 
Regierung  in  bie  |>anb  ju  nehmen. 

Unterbeffen  ^atte  fidf)  (£onb£,  feft  entfdjloffen,  an  bem  Jpofe  unb 
beffen  ganjem  Anhang  blutige  SRache  ju  nehmen,  mit  bem  ®abinet 
oon  Sftabrib  in  SBerbinbung  gefefct  unb,  ba  biefem  bei  bem  noch 
immer  fortbauernben  Kriege  mit  granfreich  bie  inneren  Sernmrfnifie 
in  biefem  ßanbe  nur  ertoünf cht  fein  fonnten ,  mar  it)m  oon  beim 
felbcn  bewaffnete  Unterftüfcung  für  feine  beabfidjtigte  ©dnlberhebung 
in  «uSficht  geftellt  tuorben;  bann  hatte  er  fidj  nach  (Bunenne  bei- 
geben, tuo  er,  oon  bem  Sßolfe  mit  offenen  Firmen  aufgenommen, 
Werbungen  anfteüte  unb  $ur  SBeftreitung  ber  Soften  berfelben  bie 
fömglichen  ©infünfte  ber  Prooinj  mit  öefchlag  belegte,  Machbem 
ihn  bie  Königin  öergebenä  burd)  bie  auSgebehntefren  Söenriüigungcn 
aufrieben  ju  fteHen  gefugt,  50g  fie  felbft  mit  acfjttaufenb  9tfann 
gegen  ihn  gu  gelbe ,  unb  obgleich  ber  *ßrinj  ihr  ungefähr  mit  ben 
gleiten  (Streitkräften  entgegentreten  tonnte ,  blieb  er  bei  ben  erften 
Unternehmungen  im  Sftadjtheil. 

Söährenb  bieier  Vorgänge  hatte  9^ajarin  in  fteutfchlanb  einige 
taufenb  Mann  gemorben ,  um  an  ber  ©pifce  eines  ,peere£  nach 


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ftranfreicf)  unter  9Äa$ann3  StaatSoerttmihmg. 


55 


Jranfreidj  $urücf$ufef)ren.  2faf  bie  ftadjriajt,  ba&  er  bic  ©renje 
aberfdjritten ,  erflärte  ifm  ba2  Parlament  für  einen  #ocf)üerrätf)er 
mtb  fefcte  einen  $rei&  auf  feinen  ®opf.  Xeffenungcadjtet  50g  er 
raibebetligt  mitten  burd)  baä  föetd)  unb  traf  am  28.  Qanuar  1652 
in  $ottter$  ein,  oon  Wo  üjm  ber  ®ömg  unb  fein  ©ruber  eine 
balbe  3ttette  toeit  an  ber  ©pi$e  ber  ßeibwadje  entgegen  geritten 
waren.  SRodj  an  bemfelben  3(benb  naf)m  er  feinen  alten  ^ßta^  im 
Kabinette  tmeber  ein. 

$a  ber  ©ürgerfrieg  einen  fcfjteppenben  ®ang  annahm ,  be* 
idjfofc  SonW,  ber  injmifdjen  oon  bem  |>ofe  für  einen  2Rajeftät3* 
oerbredjer  erflärt  worben ,  füfyn  nad)  ^ßariS  §u  gelten ,  wo  er  ba& 
Parlament,  baä  fowoftf  if)m  atö  bem  ßarbinat  feinblidj  entgegen* 
jlanb ,  unb  mit  bemfelben  audj  bie  SBürgerfdjaft  auf  feine  ©eite 
jiefjen  $u  fönnen  l)offte.    Obwohl  ber  $öbel  ftd)  für  if)n  erflärte 
unb  ba*  Parlament  burd)  $rof)ungcn  ein$ufd)üd)tern  fud)te ,  Oer* 
^arrte  btefeä,  im  Vereine  mit  bem  befferen  Steile  ber  ©ürgerfdmft, 
bei  feiner  SSeigerung,  für  ben  ^ringen  Partei  ju  ergreifen ,  unb  ba 
unterbeffen  Xurenne ,  ber  bie  föniglidjen  Xruppen  befestigte ,  bei 
Stampeä  baä  $eer  Sonbe'S  mit  bebeutenbem  SBcrluftc  au3  bem 
gelbe  gefdjlagen,  faf)  fidj  ber  $rin$  genötigt,  $u  bemfelben  jurücf= 
Sufefjren,  um  beffen  gättjüc^e  Sluflöfung  ju  üerf)inbern.  «Halbem 
er  ben  SRcft  feiner  Xruppen  natt)  (Sfmreuton  jurücfgefüljrt ,  wo  er 
bie  au$  ben  SRieberlanben  ju  feiner  Unterftüfeung  abgefanbten  fpa* 
mfajcn  Xruppen  erwarten  wollte,  mürbe  er  tum  Xurenne  ereilt  unb 
bi*  oor  bic  2flauern  oon  $ari3  jurüefgebrängt.  21m  2.  Quli  1652 
fam  eä  in  ber  Sßorftabt  'St.  «ntoine  ju  einem  blutigen  ©efed)te, 
m  weitem  bie  ©tötfce  beä  fransöfifc^en  5Tbcfö  auf  beiben  Seiten 
mit  einer  an  bie  föitterfämpfe  beS  2Kittelalter3  erinnemben  Xapfer* 
feit  fodjt.  SRadj  einem  fiebenftünbigen  feigen  fingen,  bem  9flajarin 
mit  bem  <pofe  auf  ber  Wnfyoty  oon  Sljaronne  unb  bie  ^arifer  oon 
ben  dauern,  $äd)ern  unb  Xfjfirmen  ir)rer  ©tabt  aufbauten,  far) 
nc^  Xurenne  junt  fflfidgug  auä  ben  leidjenbebecften  ©tragen  ge* 
nötigt;  aber  für  ben  $rin$en  mar  bamit  wenig  gewonnen,  ba  in- 
jtmfdjen  bie  Artillerie  iurenne'S  eingetroffen  mar  unb  biefer  fo* 
glciai  oor  allen  ©trajseneingängen  ftarfe  Batterien  auffahren  ließ. 

(£onbe,  ber  Oon  Ergebung  9ii$t3  f)ören  moßte,  wäre  Oerloren 
getoefen,  wenn  e£  nidjt  ber  für  feine  ©ad>e  begeifterten  £>erjogin 
ton  SRontpcnfter,  ber  iodjter  ®afton$  oon  Orleans,  gelungen  wäre, 
bic  auf  bem  ©tabtfmufe  oerfammeften  Obrigfeiten  oon  $ari$, 
welche  bie  X^ore  ber  inneren  ©tabt  fjatten  fc^liefeen  (äffen,  ju 
©unften  bed  ^ßrinjen  umjuftimmen  unb  fie  51t  bewegen,  benfelben 
mit  bem  Ueberreft  feinet  jufammengeic^moljenen  $eere*  in  bie  ©tabt 
einjuloffen. 

Um  ba^  Parlament  unb  bie  ©ürgerfajaft  oon  ^ariä  jur  ^ßar^ 


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56 


Subiuig  XIV.  bon  gnmtreid). 


teindjme  für  (£onb£  ju  fingen,  regten  beffen  Anhänger  bcn  Sßö* 
Bei  ju  Sufammenrottungen  unb  blutigen  ÖJemaltthätigfeiten  auf. 
$)a*  SRathhauS  mürbe  oon  einem  bewaffneten  Pöbelhaufen  erftürmt, 
unb  bie  in  bemfelben  oerfammelten  ÜJcagiftrat*perfonen  unb  Bürger 
fahen  fieh  $u  einem  Kampfe  gejmungen,  in  meinem  mehrere  Don 
ihnen  getöbtet  mürben.  Unter  bem  @influ&  be*  fjerrföenben  ©chreden* 
gelang  e*  ben  Anhängern  (£onW*,  bem  Parlamente,  Don  beffen 
sJJfttgliebern  öiele  in  ben  ©jungen  nicht  mehr  ju  erfreuten  wagten, 
einen  SBefdjlufe  abjunöthigen,  bura)  melden  „in  Anbetracht  be*  im* 
freien  3uftanbe*,  morin  SRajarin  ben  ßönig  f)altt",  (£onb<5  sunt 
©eneraliffimu*  be*  Speere«  unb  ber  $erjog  oon  Orleans,  ber  fief) 
fdjon  öor  bem  $lu*bruch  be*  ©ürgerfrieg*  ben  Gegnern  be*  £ofe* 
angetroffen,  jum  ©eneraflieutenant  be*  Königreich*  ernannt  mürbe. 

Auf  bie  Nachricht  oon  biefen  Vorgängen  jog  fiel)  ber  §of 
nacc)  Pontoife  jurüd,  mofnn  SRajarin  im  tarnen  be*  ßönig*  auet) 
ba*  Parlament  berief.  $ie  9Jcehrjahl  ber  SJcitglieber  be*felben 
leiftete  jmar  golge,  beftanb  aber  auch  in  Pontoife  auf  ber  @nt= 
laffung  be*  ÜKinifter*.  Slngefitfu*  ber  im  ganjen  ßanbe  ^errfajen^ 
ben  (Stimmung  hielt  e*  9Wajarin  für  geraden,  fretmtüig  jurud^u^ 
treten,  mo$u  er  fidj  umfo  leichter  entfchlofi,  al*  ber  ßönig  unb  feine 
Butter  ba*  fefte  SBerfprechen  gaben,  if>n  auf  ba*  (J^renöotlfte  jurüd* 
auberufen,  fobalb  U)r  eigene*  $lnfehen  unb  bie  öffentliche  SRuhe  h**r 
geftellt  fein  mürben. 

2Bäfjrenb  fiel)  Sttajarin  nad)  ©eban  jurüd$og  (19.  §lug.  1652) 
unb  £urenne  mit  bem  |>eere  bei  (Sompiegne  eine  oortheilfjafte 
(Stellung  nahm,  begab  fid)  CSonb6,  melcher  fid)  in  Pari*  bei  bem 
burd)  bie  (Entfernung  be*  ftarbinal*  in  ber  ißolf*ftiminung  bewirf* 
ten  Umformung  nicht  mehr  fidjer  glaubte,  mit  bem  SRcflc  feiner 
Xruppen  in  bie  S^ampagne,  um  fid)  ben  (Spaniern  in  bie  9lrme  ju 
werfen.  $en  bitten  ber  Parifer  folgenb,  fehrte  ßubmig  XIV.  am 
21.  October  mit  bem  $>ofe  in  bie  £>auptftabt  jurüd,  wo  er  mit 
Qubel  empfangen  mürbe.  SJcit  2lu*nahme  be*  £)erjog*  oon  Drlean* 
unb  feiner  Xodjter,  bie  Pari*  fofort  öerlaffen  mußten,  unb  be*  ®ar- 
binal*  oon  9teJ,  ber  im  ßouore  gefangen  genommen  unb  juerft 
nad)  SBincenne*,  bann  nad)  9cante*  gebracht  mürbe,  erhielten  alle 
Anhänger  (£onbeJ*  SBerjeifjung.  Stfcaflarin,  ber  injmifc^en  mit  einer 
uon  ihm  gemorbenen  Xruppenfdjaar  oon  oiertaujenb  üttann  mehrere 
oon  ben  (Spaniern  befehle  franjöftfche  piäfce  jurüderobert  unb 
baburch  bie  öffentliche  Meinung  mieber  etma*  mit  fid)  au*geföf)nt 
hatte,  ferjrte  am  8.  Sebruar  1653  gleichfall*  nach  Pari*  8uriid,  oor 
beffen  Ikoven  ihn  ber  junge  ®ömg  felbft,  oon  oielen  Prinzen  unb 
(SbeQeuten  umgeben,  auf  ba*  3wt)orfommenbfte  empfing. 

$on  biefer  3^it  an  mar  9Jcajarin*  Stellung  unb  bamit  ju= 
gleich  bie  SRulje  im  3nnern  gratfreie*)*  gefichert.    ©unenne,  bad 


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ftranfreicf)  unter  3Ra$arin8  Staatäöemmltung.  57 


'.Mim  ■ 


noch  immer  $u  <£onb£  hielt,  würbe  burch  SBaffengewalt  jur  Unter* 
roerfung  gezwungen  unb  ber  $rteg  mit  Spanien,  in  meinem  fortan 
Qont>4  gegen  fein  eigene«  ©aterlanb  fämpfte,  ohne  gegen  ben  oor* 
ftdjtigen  Xurenne  (£twa3  ausrichten  ju  tonnen,  mit  allem  ftachbruef 
fortgeführt.  ftachbem  (£onb<$'a  ©ruber,  ber  ^ßrinj  öon  ßonti,  fich 
mit  bem  #ofe  ooüftänbig  auSgeföfmt  unb  feine  Schmefter ,  bie 
^perjogin  oon  Songueüifle,  fich  in  ein  Softer  jurüefgejogen  hatte,  würbe 
Gonbe  felbft  am  24.  HJcarj  1654  oon  bem  Parlamente  als  £oa> 
oerrätfjer  beä  XobeS  fdmlbig  unb  aller  feiner  SSürbcn  unb  ÖJüter 
oerluftig  erflärt. 

5£er  Sieg,  ben  SJcajarin  burch  jähe  AuSbauer,  ruhige  lieber* 
legung,  rechtzeitiges  Nachgeben  unb  Kare  Auffaffung  ber  ©erhält* 
niffe  über  alle  feine  SB iberf acher  baüongetragen,  befiegelte  zugleich 
bie  abfohlte  $>errfchergcwalt  in  Sranf reich-    $>er  Abel  toagte  feit* 
bem  feine  weitere  Auflehnung  mehr,  fonbern  ftrebte  nur  noch  bar* 
nach,  am  -Jpofe  burch  feine,  gefchmeibige  Sitten  unb  gemanbte  Um* 
gangSformen  ju  glänzen;  auch  bad  Parlament  gab  feine  unter 
Sliajarin  auf«  9ceue  mit  fooicl  s3cachbnuf  unb  ©cfonnenheit  aufrecht 
gehaltenen  Anfprüche  auf  bie  SBetfjciligung  an  ben  ÜteichSangelegem 
heilen  auf  unb  bot  nur  ju  balb  bie  |>anb  zur  Ausführung  beäpo* 
tifchcr  SJcaßregeln.    $em  jungen,  flogen  unb  herrfchfüchtigen  Äönig 
aber  harten  bie  in  ben  Unruhen  ber  Sronbe  empfangenen  (Sinbrücfe 
einen  fo  entfehiebenen  SBibermiHen  gegen  jebe  freiheitliche  unb  felbft* 
ftänbige  Regung  in  feinem  deiche  eingepflanzt,  baß  er  frühe  fchon 
entfchloffen  mar,  ftch  burch  ba$  entfehiebenfte  unb  burchgreifenbfte 
©erfahren  unbebingten  ©ehorfam  ju  üerfchaffen.    3*1  biefem  ©or* 
fafce  mürbe  er  burch  3Jcajarin  beftärft,  ber  feinem  gelehrigen  3ÜÖ5 
ling  jeigte,  wie  üiel  ein  £>errfcher  fich  erlauben  bürfe,  wenn  er  burch 
fein  Auftreten  bie  Untertanen  an  ben  (Glauben  gewöhne,  baß  fein 
28ifle  baS  hö<hfte  ®efefc  fei.    Obgleich  er  feinem  erften  Üttinifter  bie 
ooüe  Leitung  ber  ©ejehäfte  überließ,  oerfäumte  er  nicht,  bei  öor* 
fommenber  Gelegenheit  ju  geigen,  in  welchem  ©eift  er  felbft  ju 
herrfchen  gebenfe.    9codj  nicht  fed)$ehn  Qahre  alt,  erfdjien  er  eines 
XageS,  auf  bie  bei  ber  SRücffehr  oon  ber  Qagb  ihm  zugekommene 
9cachricht,  baß  baä  Parlament  ftch  eigenmächtig  oerfammelt  höbe,  um 
gegen  eine  üom  Jpofe  erlaffene  ©crorbnung  eine  ©orfteHung  abju* 
fafien,  in  gagbfleibern,  ©tiefein  unb  «Spören  mit  ber  föeitpeitfche 
in  ber  £>anb  in  ber  *ßarlamentSüerfammlung,  um  berfelben  in  ben 
härteften  Auäbrücfen  ihre  Anmaßung  öorzumerfen. 

2Jcajarin  felbft  entfehäbigte  fich  für  bie  früher  ihm  geworbenen 
$emüthigungen  unb  Seinbfeligfeiten  burch  baä  ftoljefte  benehmen, 
gr  behanbelte  bie  oornehmften  sperren  wie  feine  Liener  unb  er* 
laubte  Shemanben  mehr,  felbft  bem  Äanjler  beS  Meiches  nicht,  in 
feiner  ©egenwart  nieberzufifcen.    $en  jungen  $ümg  wußte  er  nicht 


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58 


fiubwig  XIV.  üon  granfreid). 


nur  burdj  bie  überlegene  (£inficht,  bie  er  in  allen  ©taat$angelegen= 
Reiten  an  ben  Xag  legte,  unb  ben  glücflichen  ©rfolg  feiner  Unter* 
nehmungen,  fonbern  auch  burch  bie  roeitgehenbfte  Sßachgiebigfeit 
gegen  beffen  für  alle  Setbenfehaften  unb  ©enüffe  empfängliches  @e= 
mütl)  mein*  unb  mehr  an  fid*  ju  feffeln.  $)em  (Sntfdjlug  SubnugS, 
(ich  mit  HRaaarin'a  ^idjte  SJcaria  SRancini  ju  Dermalen,  mit  wel- 
cher er  ein  SiebeSoerhältnifj  angefnüpft,  trat  jebodt)  ber  ßarbinal 
mit  aller  (Sntfchiebenheit  entgegen,  inbem  er  bem  ®önig  erflärte, 
toenn  berfclbe  bei  bicfem  (Sntfdjluffe  Bleibe,  fo  müffe  er,  ber  $ar= 
btnal,  granfretch  berlaffen  unb  alle  feine  SBerroanbten  aufgeben. 
„3d)  liebe  meine  Richte,"  fagte  er,  „aber  ich  liebe  ben  ®önig  öon 
granfreich  noch  mehr  unb  intereffire  mich  für  3^ren  Sftufjm  unb 
bie  (Spaltung  3hre3  ©taateä  mehr,  als  für  alle  anberen  $inge 
in  ber  SBelt." 

Sur  ®emaf)tin  ßubmigä  XIV.  ^atte  aKa$arin  bie  fpanifcf-e 
^nfantin  SKaria  X^erefia,  bie  ältefte  Xocf)ter  fß(iliM>*  IV., 
auSerfefjen,  um  burd*  biefe  Serbinbung  bie  Bereinigung  Spanien* 
mit  granfretch  anzubahnen,  ba  $^ili^  IV.  einiger  Sohn  ®arl  öon 
fo  fchmächlicher  (Sefunbljett  mar,  ba&  mit  ihm  ba$  ©rlöfdjen  beS 
fpanifchen  ®önigäf)aufe3  ju  ertoarten  ftanb.  $)iefe£  mistige  #et- 
rathSprojeft,  mit  beffen  SBermirffidjung  SDJajarin  feiner  ftaatSmäm 
nifchen  Saufbahn  einen  großartigen  2lbfd)luf3  }n  geben  gebaute,  be= 
toog  ben  ®arbinal,  bem  ®önig  öon  Spanien  SBorfchläge  jur  53c= 
enbigung  be$  langen  Krieges  ju  machen,  ber  in  ben  legten  Qaljren 
in  ben  SRieberlanben  burd)  bie  Serbien fte  Xurenne'3  einen  für 
granfreich  äufeerft  günftigen  Verlauf  genommen  r)attc,  unb  ba  ba3  er* 
fd)öpfte  (Spanien  ben  grieben  nur  roünfchen  fonnte,  jeigte  ba3  $a= 
btnet  öon  2ftabrtb  baS  bereitmiHigfte  ©ntgegenfommen.  Sftachbem 
am  7.  Wlai  1659  ein  jtoeimonatUdjer  SBaffenftiQftanb  gefchloffeu 
roorben,  fonnten  fd)on  am  4.  3uni  bie  Präliminarien  unterzeichnet 
roerben,  bei  beren  geftfteöung  nur  bie  öon  bem  fpanifchen  £ofe  als 
@^renfao)e  betrachtete  Srage  ber  SBiebcreinfefcung  be3  ^rinjen  öon 
(£onb£  in  feine  ®üter  unb  sJted)te  Schtoterigfeiten  bargeboten  Ratten.  $er 
eigentliche  griebe  mürbe  am  7.  !$loüember  1659  in  ben  ^ßorenäen 
unb  zroar  auf  ber  in  bem  ökenzfluffe  ©ibaffoa  gelegenen  gafanen* 
infel  unterzeichnet,  roofnn  fid)  SJtojarin  unb  Philipps  rv\  crfter 
sJJcuüfter  35on  Suis  be  £>aro  mit  einem  zahlreichen  glänjenben  be- 
folge begeben  hatten,  um  in  perfönlid)er  Konferenz  bie  noch  fötoe* 
benben  Jöerhanblungen  ju  @nbe  ju  führen.  Sei  ber  2Bat)I  biefer 
3nfel  toaren  bie  gleichen  fleinlichen  ©tifettenrücffichten  maßgebenb 
gemefen,  bie  mir  bei  bem  meftfälifdjen  grieben  fennen  gelernt; 
benn  ba  fie  in  ber  üflittc  ber  SBibaffoa  liegt,  befanb  fich  ba3  auf 
berfelben  für  bie  SBeratfmngen  ber  beiben  2Kinifter  errichtete  $*lt 
halb  auf  fpantfchem  unb  Ijalb  auf  franjofifchem  «oben,  fo  ba§  fie 


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granfreid)  unter  SKasarina  StaatSDerroaltung. 


59 


mit  emanber  confcrircn  tonnten,  oljne  ben  ©oben  if)rer  fRcic^c  ju 
üerlaffen. 

3n  bcm  „porenäifdjen  Rieben u  trat  ©panien  an  granfreiaV 
außer  bebeutenben  £anbfrrid)en  unb  geftungen  in  2lrtoi3,  glanbem, 
^ennegau,  ßuremburg  unb  jnrifdjen  ber  ©ambre  unb  9ftaaa,  ba& 
bis  bafun  auf  ber  Sßorbfeite  ber  ^ßrjrenäen  in  feinem  Söefifce  oerblie* 
benc  ©ebtet,  bie  ©raffdjaften  SRouffitlon  Gonflanä  unb  breiuub= 
breiig  Dörfer  ber  ©raffdmft  (Serbagne  ab  unb  nafym  ben  ÖJrunb-- 
iafc  an,  baß  bie  £>öfje  ber  ^ßtjrenäen  bie  ©renjfdjeibe  ber  beiben 
SReidje  bilbe;  bagegen  fagte  granfreict)  bie  bebingungälofe  SBieber- 
einfefcung  be3  ^rinjen  Don  (£onb<$  in  alle  feine  ©üter,  Sftecf)te  unb 
SSürben  im  ©taat  unb  am  #of,  fonrie  bie  gleidrfafla  oon  ©panien 
geforberte  3u*fitffteflung  fiotfjringenä  an  ben  nadj  bem  meftfäüfdjen 
grieben  in  fpanifdje  $ienfte  getretenen  ^erjog  ®arl  IV.  ju,  unter 
ber  Söebingung,  baß  berjelbe  auger  mehreren  feften  $Iafcen  eine 
mitten  burdj  fein  £anb  gefjenbe,  eine  fjalbe  SEReilc  breite  ©trage  öon 
Sftefc  natf)  bem  G£lfa&  an  granfreid)  abtrete  unb  bie  geftungäroerfe 
öon  9cancn  gefdjleift  mürben.  Sugleid)  öerfpradj  9Jcajarin,  ber  oon 
Spanien  beabfid^tigten  SBiebereroberung  Portugal«  in  fetnerlei  Söeife 
fynberlitf)  fein  ju  motten. 

©leitt^jeitig  mit  ber  griebenäurfunbe  mürbe  aud)  ber  jmifdjen 
fiubnrig  XIV.  unb  ber  Sodjter  SßfHlipp'S  IV.  oereinbarte  @f)et>er= 
trag  unterjeidmet.  3n  berfelben  fagte  ©panien  als  iörautfdjafc  für 
bie  3nfantin  üftaria  Xfjerefia  eine  baare,  in  brei  griften  $u  jaf)= 
lenbe  ©umme  öon  fünft)  unberttaufenb  ÖJoIbfronen  ju;  bagegen 
mußten  ßubmtg  unb  bie  Qnfantin  jum  SBorauS  auf  jebe  2(rt  oon 
(Erbfolge  in  ben  Säubern  unb  9ieic|en  ber  fpanifdjen  ®rone  SSer= 
jiajt  leiften.  Dbgleidj  biefe  ®Iaufel  bie  großartigen  2(u8fid)ten  ju 
öernicr)ten  fd)ien,  bie  ÜJcajarin  an  bie  Sßermäljlung  ßubmig'ä  mit  ber 
fpanifdfjen  Qnfantin  für  granfreidjS  Sufonft  gefnüpft  l)atte,  unterfdjrieb 
er  biefelbe  of)ne  SBebenfen,  in  ber  fixeren  2$orau3fe(jung,  baß  fidj 
trofc  berfelben  fpäter  2Jcittef  unb  SBege  finben  (äffen  mürben,  größere 
ober  geringere  2lnfprüd)e  $u  ergeben  unb  burdjjufefcen. 

2fm  12.  ftoöember  1659  trennten  fid)  bie  beiben  9Jcinifterr 
unb  am  27.  Qanuar  1660  führte  SJcajarin  feinen  berühmten  ©eg= 
ner  donU  an  ben  ju  Stfr.  metfenben  fransöfiftfjen  £of  jurütf.  2tte 
ber  $rinj,  ba£  ®nie  öor  bem  ftönig  beugenb,  ifm  megen  beä  $or= 
gefattenen  um  $er$eif)ung  bat,  reifte  ifjm  Stibmig  bie  #anb  mit 
ben  SBorten:  „9Jcein  Detter,  nad)  ben  großen  fcienften,  bie  ©ie 
meiner  #rone  ermiefen  ^aben,  erinnere  ict)  midj  eine«  Uebete  nict)t 
me^r,  ba*  nur  gfjnen  felbft  gefct)abet  ^at."  Söenige  Xage  barauf, 
am  2.  gebruar  1660,  ftarb  ©afton  oon  Orleans  im  Hilter  oon 
jtoeiunbfünfaig  Qa^ren.    $a  er  feinen  männlia)en  9caa^fommen 


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60 


Subtotg  XIV.  bon  ftrantreicf>. 


hinterließ,  berlieh  fiubwig  XIV.  ba*  #eraogtf>um  Drlean*  feinem 
«ruber  W^PP- 

$>ie  SBermählung  Subwig*  XIV.  mit  ber  Qnfantin  äftaria 
X^erefto  fanb  am  9.  3uni  1660  ju  St.  3ean  be  Öuj  Statt,  unb 
am  26.  Sluguft  hielt  ba*  tonigliche  $aar  unter  groger  brachten!* 
faltung  feinen  ©injug  in  *ßari*,  begrüßt  bon  ben  ent^ufiaftifc^ett 
JJubelrufen  ber  ©ebölferung. 

Snbeffen  neigte  ftch  9Haaarin*  ßaufbafm  ihrem  (£nbe  $u.  3n 
einem  äußerft  gefchwächten  ©efunbheit*$uftanb  au*  ben  ^nrenäen 
juruefgef ehrt ,  ging  er  feitbem  langfam  bem  Xobe  entgegen.  (£3 
würbe  ilmt  ferner ,  bon  ben  £errüdjfeiten  $u  Reiben ,  mit  benen 
er  ftch  umgeben  fjatte,  wohl  um  fo  fernerer,  als  er  nicht  ohne  ®e* 
wiffen*unruhe  an  bie  unrechtmäßige  SBeife  benfen  tonnte ,  auf 
melaje  erf  unter  fdjwerer  ^Benachteiligung  be«  Staate* ,  fein  unge- 
heure*, auf  mehr  al*  fünfgig  SKiUionen  £ibre*  gefaxte*  93ermö^ 
gen  erworben  hatte,  ©eine  ftoftbarfeiten,  barunter  diamanten  unb 
anbere  Gbelfteine  Dorn  r)öc^ften  SBertfje,  üermaajte  er  jum  größten 
XfjeUe  ber  ®rone,  ber  #ünigin=2ttutter  unb  bem  «ruber  be*  $önig*. 
21uch  an  «ermäc^tniffen  für  (Mehrte  unb  ®ünftler,  fowie  für  groß- 
artige  «auuntemefymungen  ließ  er  e*  nicht  fehlen.  Sein  £>aupt* 
erbe  war  fein  Neffe  Philipp  SJcancini ,  bem  er  neben  anbem  be= 
beutenben  ©ütem  ba*  bon  ihm  angefaufte  Jperjogt^um  Neber* 
bermachte. 

SJtojarin  ftarbr  aa)tunbfünfjig  Sah**  alt  r  am  9.  ÜKärj  1661, 
nachbem  er  ftd>  furj  borfjer  noch  einmal  forgfältig  r)atte  f(eiben  unb 
burch  feinen  ^alaft  unb  feinen  ©arten  tragen  laffen,  um  ton  ben 
^errlidjfeiten  SIbfchteb  jii  nehmen,  beren  Slnblicf  it)n  fo  lange  er* 
freut  hatte. 

Obgleich  oer  $önig  bei  ber  Nachricht  bon  bem  Zobe  be* 
$arbinal*  Xfyxantn  bergoß  unb  feinen  ganjen  $of  Xrauer  anlegen 
ließ,  bebauerte  er  e*  wohl  nid)t,  eine*  güt)rer*  entlebigt  ju  fein, 
ben  er  nicht  mefjr  gu  bebürfen  glaubte.  $>atte  boch  9tta$arin  felbft 
in  feinen  legten  Xagen,  al*  man  ihn  besicherte,  baß  3ebermann 
für  feine  ©enefung  bete,  bie  §leußerung  gethan:  „ÖHner  wünfdjt 
meinen  Xob;  ich  mil6  fterben,  lieber  heute  al*  morgen."  $cm  mit 
feinen  eigenen  Steigungen  übereinftimmenben  9iatt)c  aflajarin*  fol- 
genb ,  gab  ßubmig  bem  ßarbinal  feinen  Nachfolger ,  unb  al*  bie 
sJcätt)e  bie  grage  an  ihn  richteten,  an  wen  ftatt  be*  Äarbinal* 
fie  fich  in  Sufunft  $u  tt>enben  hotten,  antwortete  er  ihnen:  „$ln 
mich  fetbft.  J8i*her  höbe  ich  mc™e  Angelegenheiten  burch  ben  ber* 
ftorbenen  £errn  ßarbinal  berwalten  laffen;  e*  ift  Qtit,  baß  ich  tfe 
felbft  berwalte.  Sie  werben  mich  mit  ffixtm  Nathe  unterftüfcen, 
wenn  ich  *hn  begehre.  $er  #err  ^anjler  wirb  Nicht* ,  al*  auf 
meinen  iöefehl,  unterfiegeln ;  bie  Staat*fefretäre  werben  Nicht*,  nicht 


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ihibtüigS  XIV.  crfte  ©roberungStriege. 


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einmal  einen  s$ag,  olme  meinen  23efef)t  unterzeichnen.  Sie  rocrben 
täglich  mir  felbft  9ted)enfd)aft  geben,  Sie  Hüffen  nun  meinen 
©iilen,  unb  es  ift  an  3t)nen,  benfelben  auszuführen." 


gubmigS  XIV.  erfte  eroberungäfricflc. 

(1667-1697.) 

„granfreuV,  fagt  Submig  XIV.  in  bem  öon  ifjm  abgefaßten 
,linterrid)t  für  ben  Saupfun',  „ift  ein  monarcfjifdjer  Staat  in  ber 
meiteften  2tuSbef)nung  beS  SBorteS.  Alle  üfladjt  unb  Staatsgewalt 
rufjt  in  ben  Rauben  beS  Königs ;  eS  fann  im  Steide  feine  Autori* 
tat  geben ,  bie  nidjt  öom  $önig  eingelegt  ift.  $)iefe  9kgierungS= 
form  ift  bem  ßfmrafter  ber  Nation  unb  if)rer  ßage  am  angemef^ 
teuften.  Alles ,  roaS  fidj  im  Umfange  Unferer  Staaten  befinbet, 
roeldjer  SRatur  eS  auc$  fein  mag,  gehört  Uns  aus  gleichem  SRedjtS* 
titel  an:  baS  (Mb  in  Unferer  ^rioatfaffe,  roie  bie  (Oelber  in  ben 
jpänben  Unferer  Sdmfcmeifter  ober  bie,  meiere  9Bir  im  £>anbel  ber 
Söttet  Iaffen."  Qn  biefer  Umfcfjreibung  beS  befannten  AuSfprütfjS 
£ubnrigS:  L'^tat  c'est  moi  —  ber  Staat,  baS  bin  id)  —  finb 
bie  ©runb$üge  beS  StyftemS  gezeichnet,  auf  meinem  bie  SRegie* 
rung  beS  Königs  Don  bem  Xage  an  beruhte,  an  meinem  er  felbft 
baS  ben  £änben  beS  fterbenben  SJca^arin  entfinfenbe  Sauber  beS 
Staates  ergriff. 

5)ie  abfolute  ÖJemalt ,  bie  Subroig  in  feinem  eigenen  ßanbe 
auszuüben  entfdjloffen  mar ,  genügte  jebodj  roeber  feiner  #errfdj= 
fuetjt  nod)  feinem  (S^rgei^.  28ie  Sranfreid)  itjn  als  unumjdjränf  ten 
©ebieter  anerfennen  unb  in  allen  Stücfen  fidj  nriberfprudjSloS  fei- 
nem SSiüen  fügen  füllte,  fo  moüte  er  auch  ber  (Srfte  in  ganz  (Su- 
ropa  fein  unb  ben  Supremat  JranfreichS  in  einer  SSeife  begrün^ 
ben,  ber  in  allen  europäischen  Angelegenheiten  bie  f)öd)fte  (Sntfdjeu 
bung  oon  ihm  allein  abhängig  mache. 

(bleich  beim  beginne  feiner  Selbftregierung  befunbete  Submig 
feinen  Anfprudj ,  überall  als  ber  (Srfte  anerfannt  51t  roerben ,  in 
einem  Ülangftreit  mit  Spanien.  AIS  nämlich  im  3af)re  1661  bei 
einer  Auffahrt  in  ßonbon  ber  fpamfdje  ©efanbte  ben  fortritt  cor 
bem  franjofifc^en  in  Anfprud)  nahm,  ber  feit  äarlS  V.  3eit  ben 
flbgeorbneten  Spaniens  nie  beftritten  morben  mar,  fam  eS,  ba  ber 
fran$öfijd)e  ©efanbte  ihm  burchauS  öorfat)ren  wollte ,  jmifc^en  ber 
beiberjeitigen  $>ienerfchaft  ju  X^ätlic^feiten,  in  welche  fid)  ber  2on~ 
boner  $dbel  ju  ©unften  ber  Spanier  einmiete.  Aufs  $üchfte 
tTjürnt,  liefe  ßubwig  XIV.  fofort  bem  ipanijd)en  ÖJefanbten  an 
ieinem  £>ofe  ben  ©efehl  jufommen ,  $ariS  $u  öerlaffen ,  rief  ben 


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Subhjig  XIV.  tooit  ftranfreidj. 


feinigen  au3  Slcabrib  jurüd  unb  brofjte  feinem  ©djttnegerüater 
brieflich  mit  bem  unüerjüglidjen  SSieberbeginn  be3  faum  beenbigten 
Krieges,  toenn  ber  Vorrang  beä  franjöfifdjen  SBotfdjafterS  üor  bem 
fpantfdjen  nic^t  üon  ©eiten  be3  $>ofeä  üon  ■äflabrib  anerfannt  toerbe. 
Wlipp  IV. ,  ber  e3  um  einer  einfachen  (Stifettenfrage  tniflen  nid)t 
auf  einen  neuen  ®rieg  cmfommen  (äffen  iootltcr  lieg  feinem  Sa^roieger* 
foljne  burdj  einen  eigenen  SBotfdjafter  bie  (Srftärung  überbringen, 
bafj  er  feinen  SJciniftern  befohlen  §abe,  fünftig  bei  öffentlichen  Seier* 
üdtfeiten  nidjt  metir  mit  ben  franjöfifa^en  ®efanbten  um  ben  Vor- 
rang §u  ftreiten,  tuorauf  öubttrig,  ber  biefe  ©rflärung  in  ©egemuart 
beä  £ofe3  unb  aller  fremben  SBotfdjafter  entgegengenommen,  fid)  an 
bie  Sedieren  mit  ben  Korten  tüanbte:  „3$  Sitte  Sie,  3§ren 
Herren  biefe  Gfrftärung  mitgut^ei(en,  bamit  fie  nnffen,  bag  ber  fatfjo* 
lifdje  ®ömg  feinen  ÖJefanbten  befohlen  f)at,  ben  meinigen  bei  jeber 
(Megenfjeit  ben  SBorrang  ju  (äffen. " 

9codj  ungteidj  anma&enber  benahm  fid)  Subtoig  XIV.  gegen  ben 
$apft  SUeranber  VII.  bei  (Megenfjeit  eine*  am  20.  Sluguft  1662 
Sttrifdjen  ben  Seuten  be3  franjofifccjen  ©efanbten  in  9iom,  be3  ftoljen 
unb  übermütigen  $er$og3  üon  <£r£qui ,  unb  ben  ©olbaten  ber 
forfifdjen  Seibtoadje  be$  ^apfteS  in  golge  be$  freien  unb  anmaßen* 
ben  STuftretenS  ber  (Srfteren  aufgebrochenen  Streitet,  bei  toeldjem 
bie  erbitterten  Dorfen  nad)  ben  genftem  be3  ©efanbten  gefdjoffen, 
mehrere  Liener  be£  ÖJefanbten  üernmnbet,  unb  einen  ^agen  beä* 
felben  getöbtet  Ratten.    Sluf  bie  ftunbe  üon  biefen  Vorgängen 
berief  Öubmig  fofort  feinen  ®efanbten  üon  sJtom  jurüd,  lieg  ben 
päpftfidjen  9cuntiu3  bura)  franjofifa^e  Leiter  über  bie  ÖJrenje  bringen 
unb  traf  2(norbnungen  jur  (Sntfenbung  franjöfifdjer  Gruppen  in 
ba$  päpftüd)c  (Gebiet.    Um  bie  Sadje  gütttdj  beizulegen ,  erflärte 
fid)  ber  s#apft  ju  einer  Ötenugtljuung  bereit;  Öubnüg  ftellte  jebodj 
bie  auäfdjroeifenbften  gorberungen  unb  Ue& ,  alä  ber  päpftttdje  £of 
zögerte ,  auf  biefetben  einzugehen ,  s2(ütgnon  unb  bie  0raff$aft 
Öenaiffin  befefcen  unb  ein  #eer  üon  ciuunbjmanjtgtaufenb  SOcann 
nach  Italien  abgeben.    $er  auf«  s#eu§erfte  bebrängte  $apft ,  ber 
üergebenä  ben  Qorn  be3  Königs  burch  ftrenge  öeftrafung  ber  Ur- 
heber ber  bei  bem  Xumulte  begangenen  2Iu3fchreitungen  ju  befchunch* 
tigen  gefugt  hatte,  faf)  fich  in  feiner  Jpilflofigfeit  gelungen,  fid)  aücm 
51t  fügen ,  roaS  ber  übermütige  $önig  üon  ihm  üerlangte.  ©0 
lourbe  am  12.  gebruar  1663  ju  $ifa  ein  förmlicher  griebe  untere 
Zeichnet,  in  metajem  ber  s#apft  fid)  unter  s2(nberm  üerpflia;ten  mußte, 
bura^  feinen  atz  Öegaten  naa)  granfreid)  ju  entfenbenben  vJleffen 
3abio  ©fjigi  megen  be§  iöorgefattenen  öffentlich  Abbitte  tt)un  ju 
laffen  unb  bie  forfifdje  Dcation  für  immer  üon  bem  päpftftdjen 
Dienfte  au§pfa)lte6e:i.    s2(uBerbem  foüte  ber  iöruber  be«  ^ßapfteä, 
ifflaxco  (J^igi,  aU  Oberbefeid()aber  ber  papftlidjen  Xruppen  fiaj 


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Subrotgä  XIV.  erfte  groberuitgäfriefle. 


63 


t"cf>riftlui)  bei  bem  ÄÖnig  oon  granfreich  toegen  ber  bem  franjöfifchen 
©efanbten  zugefügten  SBeleibtgungen  entfchulbigen ,  ber  (SJouöeraeur 
oon  9iom,  ber  ®arbinal  Qmperiali,  ftch  perfonlich  ju  bem  gleichen 
3toecfe  nach  ^3ari«  begeben  unb  enblid)  Sluguftin  £J)tgi,  ein  anberer 
9teffe  be«  Zapfte«,  mit  feiner  ©emahlin,  einer  farnefifchen  $rin* 
jeffin,  bem  fterjog  oon  (ixtqui  unb  beffen  ©emahlin  bei  beren  8tücf* 
fe^r  nach  9tom  jehn  9#eilen  lucit  entgegenkommen ,  um  benfelben 
ba3  ©ebauern  be«  <ßapfte«  über  ben  Vorfall  Dom  20.  #uguft  au«* 
jubrüefen.  @rft  nadjbem  alle  biefe  ©ebingungen  erfüllt  roaren,  er« 
hielt  ber  $apft  Moignon  unb  Venaiffin  jurüd. 

3ur  bouernben  öegrünbung  ber  franjöfifchen  Hegemonie  fudjte 
fiubroig  bie  ©renken  feine«  deiche«  bura)  (£roberung«friege  ju  er= 
lueitern,  beren  Erfolg  ebenforoohl  burch  bie  treffliche  Drganifation 
be«  franjöfifchen  §eertoefen«,  at«  burd)  bie  große  ßahl  Ijeröorragen* 
beT  gelbherren  gefiebert  feinen ,  bie  ßubmig  feinen  Zruppen  $u 
gührern  geben  fonnte  —  in  ben  erften  Reiten  l)auptfäa)lta)  Sonbä 
unb  Xurenne,  fpater  bie  frieg«luftigen  DJtarfchälle,  bie  fid)  in  ber 
Schule  biefer  beiben  gelbherren  au«gebilbet  Rotten. 

$ie  erfte  Gelegenheit  ju  ber  erftrebten  (Srroeitcrung  feine« 
fteidjeS  bot  fid)  ßubmig  XIV.  im  Qaljre  1665  bei  bem  Xobe  fei* 
ne«  (Schttnegeroater«  Philipp  IV.  bar.    Obgleich  er  unb  feine  ®e* 
ma^Itn  in  bem  purenäifchen  grieben  auf  alle  ßänber  ber  fpanifdjen 
^onarc^ie  Verzicht  geleiftet  Ratten,  erl)ob  er  Slnfpruch  auf  bie  fpanifdjen 
s#ieberlanbe,  unter  bem  Vortoanbe,  ba§  feine  unb  feiner  Gemahlin 
SSerjic^tleiftung  auf  biefe  fiänber  wegen  be«  in  benjclben  geltenben 
befonberen  (Erbrechte«  feine  Slnroenbung  finben  fönne  unb  überbte« 
ber  ganje  Vertrag  hinfällig  fei,  meil  bie  feiner  Gemahlin  al«  2lequi= 
oalent  jugefagte  ÜÄitgift  nicht  in  ben  feftgefefcten  griften  befahlt 
morben  fei.  ^fyilipp«  IV.  SBittme  Wlaxia  s2lnna,  bie  Xocfjter  ®aifer 
gerbinanb«  III.,  bie  für  ihren  minberjät)rigen  Sohn  $arl  II.  bie 
Äegentfa)aft  führte,  nrie«,  unter  Berufung  auf  ihre  Verpflichtung, 
ihrem  Sohne  bie  Gefammtheit  ber  Üflonardne  ungejc^mälert  $u  et« 
galten,  ßubnrig«  gorberung  jurücf,  unb  bem  Sinflitg  s#nna'«  oon 
Cefterreich  gelang  e«,  bie  @roberun«gelüfte  ihre«  Sohne«  für  ben 
^ugenblicf  in  Schränken  ju  haten;  nachbem  jebod)  auch  fie  am 
20.  gebruar  1666  im  Hilter  oon  oierunbfech^ig  fahren  in«  Grab 
gefunfen  toar,  befchlofj  Submig,  ber  fich  erft  jefct  oollftänbig  frei  fühlte, 
feine  s2lnfprüche  auf  bie  ftieberlanbe  bura)  Söaffengemalt  $ur  Gel* 
tung  ju  bringen. 

3m  äftai  1667  rücfte  Xurenne  mit  einem  Speere  oon  fünfunb- 
breißigtaufenb  3Jiann,  bem  noch  cinc  ^teferöearmee  oon  jroanjigtaufenb 
^Jcann  folgte,  in  glaubern  ein,  unb  ba  bie  $um  Kampfe  nicht  gerüfteten 
Spanier  nur  geringen  SBiberftanb  leiften  fonnten,  mar  in  furjer  ßeit 
ein  großer  Xheil  be«  ßanbe«  oon  ben  granjofen  befe^t.  ©leid)  erfolg* 


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64 


Subroig  XIV.  uon  granfretd). 


reid)  mar  bcr  im  Qo^re  1668  unternommene  Gränfaß  ßonbä'S  in 
bie  gramf>e*(£omtc,  bie  innerhalb  ftebjelm  Sagen  faft  ofme  Sdjmert; 
ftreic^  befefct  mürbe.  Sdjon  f>iett  fia)  Submig  in  bem  erftrebten 
©eftfce  ber  SKieberlanbe  für  gefidjcrt,  als  ifjm  ganj  unermartet  in 
feinem  'Siegesläufe  ein  gebieterifdjeS  |>alt  jugerufen  mürbe.  3>te 
burd)  bte  reißenben  gortfajritte  ber  granjofen  mit  ©eforgniffen  für 
ü)ren  eigenen  iöefifcftaub  erfällten  £oÜänber  Ratten  auf  bie  *8eran* 
taffung  iljreS  ftaatsflugen  föatljSpenfionärS  3o^ann  be  SBitt  mit 
Scfymeben  unb  ©nglanb,  in  melay  lefcterem  fianbe  feit  bem  igafjre 
1660  baS  ßönigtlmm  unter  Äarf*  I.  Sofme  ®arl  II.  IjergefteHt 
mar,  ein  iBünbuifj,  bte  fogenannte  Xriple^Hianj,  gefd&loffen,  in 
meinem  bie  brei  9)Ma)te  fic^  öerpflidjteten,  als  griebenSöermittler 
jmijd)en  granfreia}  unb  Spanien  aufzutreten  unb,  falls  ü)re  gütliche 
Xajmifajenfunft  fruchtlos  bleiben  foHte,  granfreidj  ju  fianbe  unb 
jur  See  anzugreifen.  $>a  Submig  auf  einen  allgemeinen  ®rieg  nidjt 
vorbereitet  mar,  fjielt  er  es  für  geraden,  fia)  ju  einem  grieben  ju 
bequemen,  ber  tfjm  immerhin  SBortfjjeile  in  SluSfidji  ftellte,  meldje  bie 
geringen  €pfer  feiner  bisherigen  ÄtiegSfüfjrung  bebeutenb  übermogen. 
3n  bem  am  2.  Sftai  1668  ju  Slawen  abgesoffenen  griebenS* 
vertrag  gab  er  bie  grand)e=(£omte  an  Spanien  jurücf  unb  blieb  ba= 
gegen  im  Jöcfi&e  ber  in  ben  SRieberlanben  gemalten  Eroberungen, 
fo  bafe  baS  (Gebiet  öon  ber  ätteereSfüfte  bis  *ur  Sambre  mit  Dielen 
mickrigen  Stäbten  an  granfreidj  fam. 

Xer  griebe  öon  Maasen  mar  inbeffen  nur  ein  furjer  2Baffem 
ftillftanb.  Saum  mar  berfelbe  unter jetdmet,  als  im  Statte  Sub- 
mtgS  XIV.  neue  (SroberungSpläne  entmorfen  mürben.  $>cr  ®egen= 
ftanb  berfelbcn  mar  bie  SRepublif  ^pollanb,  bereu  öefifc,  mie 
ber  ttriegSminfter  ßouöois  bem  ®önig  eiugefyenb  auSeinanber  fefcte, 
giaufreia)  nidjt  nur  unberechenbare  £>anbelSüortl)eile,  fonbcrn  auä) 
bte  ütöglidjfeit  beS  fpäteren  (SrmerbS  ber  fpanifdjen  vJcieberlanbe  unb 
ber  MuSbcfynung  ber  fran$öfifd)en  ©renje  bis  an  ben  9if)ettt  in  s2luS= 
fidjt  ftellte.  $em  $önig  felbft  fagten  ßouooiS'  $läne  um  fo  meljr 
ju,  als  er  üor  iöegierbe  brannte,  bie  ^ollänber  für  bie  ®ülmf)eit, 
mit  meldjer  fie  in  feinen  Siegeslauf  einzugreifen  gemagt,  feine  Staate 
füllen  zu  laffen,  unb  fo  mürben  alsbalb  bie  umfaffenbften  SDkß^ 
regeln  zur  £$ermä)tung  ber  Ijollänbi  [djen  Üiepublif  getroffen. 

(S^e  mir  ben  Verlauf  beS  öon  äubmig  XIV.  geplanten  jmei* 
ten  (SroberungSfriegeS  fdulbern,  müffen  mir  einen  iölitf  auf  bie  dnU 
micflung  ber  Ütepubtif  ber  oereinigten  9iteberlanbe  feit  ber  ^Inerfen- 
nuug  i^rer  Selbftftänbigfeit  öon  Seiten  Spaniens  im  grieben  öon 
fünfter  merfen.  Sa)on  ein  $at)x  oor  bem  s2lbfdjluf3  biefeS  griebenS, 
im  ajiärz  1647,  mar  ber  ^rinj  griebriä)  jpetnria)  öon  Dramen, 
ber  im  3a*)re  1625  feinem  finberlojeu  öruber  3ttorifc  in  ber  Statt; 
l)alterfd)aft  gefolgt  mar  (f.  $b.  V.  S.  315)  mit  Xob  abgegangen, 


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ßubroigö  XIV.  erfie  groberimgStriegc.  65 


iein  mit  bcr  englifchen  ^ßrinjeffin  HJcaria,  ber  Xodjter  ®axl'$  I., 
Dermalster  @ofm  SB  il  he  Im  II.  jcboc^  erft  im  3af)re  1648  jum 
Statthalter  ernannt  toorben.  $a  er  nach  bem  ^(bfc^lufe  beS  tt>cft- 
fälifehen  griebenS  ba3  IfriegdOolf  in  ftärferer  Slnjahl  beibehalten 
roiffcn  wollte,  als  bie  ©tänbe  oon  §o£tanb,  unb  ba  biefe  eigenmächtig 
neununbjroansig  öon  ihnen  bejahte  gähnen  entlaffen  Ratten,  mar 
ber  fdjon  bei  bcn  remonftrantifcben  Unruhen  ^erüorgetretene  ©treit 
über  bie  gragc,  ob  bie  ©ouoeränität  bei  ben  ©eneralftaaten,  welche 
auf  ber  Seite  be§  ©tatthalterS  ftanben,  ober  bei  ben  ^roöinjial- 
jtänben  fei,  mit  erneuter  £eftigfeit  ausgebrochen.  9cach  einem  Oer» 
unglüeften  SBerfuche  be3  ^rinjen,  biefe  grage  burch  einen  Ökmalt- 
ftreich  in  feinem  ©inne  ju  entfcheiben,  mar  e*  ben  ©eneralftaaten 
gelungen,  bie  ImBänbifchen  ©tänbe  jur  Wachgiebigfeit  ju  beroegen, 
unb  fo  war  bie  Streitfrage  bahin  erlebigt  toorben,  ba&  ba£  IRec^t 
ber  Haltung  unb  Slbbanfung  ber  Gruppen  für  alle  Seiten  ben 
©eneralftaaten  oerbleiben  folle. 

9loct)  in  bemfelben  3ahrc  (1650)  ftarb  SBiüjelm  II.  im  nod) 
nid)t  ooflenbeten  oierunbjtoanjigften  Sebenäjahre.  SSährenb  ber 
3Einberjäf)rigfett  feinet  erft  nach  feinem  Xobe  geborenen  ©ofmeä 
SSil^elm  Heinrich,  erlangte  bie  „ ariftofratifc^e  Partei",  an  beren 
Spifce  ber  im  3af)re  1653  im  2llter  oon  achtunbjtoanjig  fahren 
jum  SKathäpenftonär  ernannte  Qohann  be  SBitt  ftanb,  über  bie 
oranijdje  fo  entfdueben  ba$  llebergemicr)t,  ba§  fie  ben  oon  ben  ^ßro~ 
öinjialftanben  im  Qanuar  1651  auf  einer  SBerfammlung  im  £>aag 
gefaxten  Sefctjlug,  für  bie  gufunft  feinen  ©tatthaltcr  mehr  $u  er- 
roä^lcn,  aufrecht  halten  tonnte.  (3Kn  im  Qafjre  1651  jtoifchen  ben 
^Icieberlanben  unb  (£nglanb  aufgebrochener  unb  mit  ungewöhnlicher 
partnäefigfett  geführter  ©eefrieg,  ber  burch  bie  SSeigerung  ber 
®eneralftaaten,  fich  ber  englifeben  SRepublit  an^ufchliefeen,  h^rbeige= 
fü^rt  toorben  mar,  oerlief  infolge  ber  entfduebenen  Uebermacht  ber  @ng= 
länber  jum  9^acr)tr)eile  ber  Ücieberlänber  unb  mürbe  im  3ahre  1654 
nad)  $etm  blutigen  ©eefchlachten  burch  einen  grieben  beenbigt,  in 
sichern  bie  föieberlänber  oerfprachen,  fich  niemals  ber  geflüchteten 
ftönigSfamilte  oon  ©nglanb  anzunehmen  unb  ihre  gahrjeuge  in  ben 
bringen  ®emäffern  ftetd  oor  englifchen  $rieg3fchiffen  bie  glaggen 
Streichen  ju  laffen. 

9caa)  Dcr  $erfteßung  be3  griebenä  mit  (Jnglanb  mifchten  fich 
bte  Scieberlänber  in  ben  #rieg  #arl  (SJuftao'ä  oon  ©daneben  mit 
$ofen  unb  $änemarf,  um  burch  °*c  Unterftüfcung  biefer  beibeu 
dächte  ihre  burch  bte  (5roberung3gelüfte  beä  ©chrocbenfbnigä  ge* 
Erbeten  .imnbeläintereffen  auf  ber  Oftfee  ju  fchüfcen.  Wachbem  bie 
®eneralftaaten  bereit  im  3af)re  1656  eine  ©ef ajung  nach  $an3ig 
flftnbi,  um  biefe  ©tabt  gegen  ben  Singriff  ftarl  ©uftao'ö  &u  Oer* 
Wigen,  erfchien  im  Sahre  1658  eine  hollänbifche  glotte  im  ©mibe 


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66  Subroig  XIV.  t?on  grmtfrei^. 


unb  brachte,  nacf)  einem  fiegreidjen  QJefedjte  mit  ber  fc^tt»ebifc^en 
(Seemacht,  Verhärtungen  naa)  Kopenhagen.  $)a  ®arl  Öuftaö  trofc= 
bem  ber  bon  ©nglanb,  granfreid)  unb  ben  Sftieberlanben  an  Um  ge- 
sellten gorberung,  aläbalb  grieben  ju  fdjlie&en  nidjt  nadjfam,  führte 
ber  l)oUaiibtid)c  Slbmiral  be  SRuöter  fiebrig  $rieg3fd)iffe  burdi  ben 
©unb  unb  blocfirte  bie  fdjmebifdjc  glotte  in  ®arl£frona  (1659). 
Xiefen  kämpfen,  auf  meiere  nrir  in  ber  norbifdjen  ÖJefdudjte  jurücf* 
fommen  werben,  madjte  ju  Anfang  beä  folgenben  Qa^reaber  Xob 
$arl  ©uftaö'3  ein  (Snbe. 

Qm  Qaljre  1665  mürben  bie  SRieberlänber  in  einen  neuen  ©ee* 
frieg  mit  ©nglanb  öernricfelt,  ju  meinem  ein  Singriff  ber  (Sngläuber 
auf  bie  t)oÜänbifd)en  gortä  in  ©uinea,  fonrie  auf  bie  Jöeftfcungen 
ber  9iepublif  in  SRorbamerifa  bie  erfte  SBeranlaffung  gab.  2113  ber 
sJtatf)£penfionär  be  SSitt  in  golge  biefer  Singriffe  ein  ftrengeS  Sßer* 
bot  gegen  bie  (Sinfutyr  englifdjer  gabrifate  erlieg,  erflärte  föarl  II. 
am  14.  Sttärj  1665  ben  ©eneralftaaten  ben  Ärieg,  burd)  welchen 
er  jugleid)  einen  günftigen  Umfcfjnmng  für  feinen  Neffen,  ben  jungen 
^rin^en  üon  Dranien,  J>erbeijufü^ren  hoffte.  9iad)  einem  jtt>ei= 
jährigen  n>ed)felootlen  Kampfe,  in  meldjem  bie  nieberlänbifdje  9tepu* 
blif  unter  ber  gefdudten  $riegäfüf)rung  ber  berühmten  6eef)clben 
be  Gunter  unb  Gomeliuä  £romp  au&ergemöf)nlidje  Gräfte  ent= 
faltete,  inbem  bie  ariftofrattjdje  Partei  bem  Seemejen  bie  größte 
gürjorge  gennbmet  ^atte,  mürbe  im  3ahre  lß67  ju  Söreba  ein 
griebc  gefdjloffen,  ber  nid)t  nur  baS  2lnfef>en  ber  SRepubltf  bebeu* 
tenb  erf)öl)te,  fonbern  if>r  aud)  toefentlid)e  $anbel3öortheile  üerfdjaffte. 

93ei  ber  gehobenen  Stimmung,  toeldje  bie  glücflidje  SBeenbigung 
beä  Krieges  unter  ber  SBebölferung  verbreitet  ^atte,  gelang  es  be 
SBitt,  eine  Maßregel  burd)$ufefcen,  meldje  bie  Parteien  oerfö^nen, 
jugleia)  aber  aud)  ben  Draniern  bie  9}föglid}feit  benehmen  füllte, 
it)re  Wlafyt  jum  9tadjtfjeile  ber  greit)eit  be«  ttanbeä  $u  gebrauten, 
©in  im  Safere  1670  erlaffeneä  (Ebift,  bie  fogenannte  „s2lfte  ber  $ar-- 
monie",  beftimmte,  bajj  jmar  bie  ©tattf)alterfd)aft  in  ben  9iieberlan= 
ben  mieberum  in3  Seben  treten  fönne,  aber  nur  unter  ber  S8e* 
bingung  ber  Xrennung  berfelben  bon  ber  Dberbefeljtefjaberjdjaft 
über  bie  £anb*  unb  ©eemadjt. 

<So  lagen  bie  2>inge  in  £olIanb,  alä  ßubmig  feine  SBorberei* 
tungen  $ur  Vernietung  ber  föepublif  traf.  Um  ben  ©rfolg  beä  ge^ 
planten  Unternehmens  ju  fiebern,  fud)te  er  bie  Jpoüänber  ju  ijolireu, 
fid)  felbft  aber  burdj  SBünbniffe  ju  ftärfen.  ßunädjft  galt  eä,  bie 
Xriple-Miana  $u  fprengen  unb  £>ottanbä  bisherige  VunbeSgenoffen 
auf  bie  ©eite  granfreidjä  ju  jie^en.  S)ie§  gelang  bem  $önig  un* 
ferner  bei  $arl  II.  Don  (Suglanb,  ber  gleich  nadj  bem  s2lbfc^lu6  be^ 
Slac^ener  griebenä  geheime  Unter^anblungcn  mit  i^m  angefnüpft. 
$arl  II.  trachtete  nämlia),  ungemamt  bura^  bad  traurige  Sa^trfi'al 


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fiubwig«  XIV.  erfte  GroberungStricge. 


67 


feines  SBater«,  nadj  ber  $>erftellutig  einer  unumftfjränften  ®önig«ge* 
walt  unb  glaubte  biefe«  Siel  am  fitfjerften  buref)  ben  2lnfd)luß  an 
granfreief)  erreirfjen  $u  fönnen ;  audj  fjatte  er  bie  2lbfid)t,  jur  fatljo* 
Uferen  ßirdje  überzutreten,  unb  wünfdjte,  üon  Subwig  bie  nötigen 
(^elbmittei  pr  Unterbrürfung  etwaiger  aufrüljrertfdjer  Bewegungen 
$u  erhalten,  bie  burd)  biefen  Schritt  oerurfadjt  werben  fönnten.  $a 
Öubnrig  bereitwillig  auf  fein  ©erlangen  einging,  fam  jwifdjen  ifmt 
unb  finrl  ein  geheimer  ©ertrag  $u  8tanbe,  in  welchem  ber  fiefctere 
üjm  gegen  ba«  ©erforedjen  einer  ©ubfxbie  oon  $Wei  ÜftiHionen  8iü* 
rc4  unb  ber  Ueberlaffung  ber  *ßrooin$  ©eelanb  bei  ber  bemnädrftigen 
Xljeüung  ber  üereinigten  SRieberlanbe  ben  SBeiftanb  ber  frieg«bewäf)r* 
ten  Seemadu"  feine«  SReidje«  jufagte. 

SSie  ©nglanb,  fo  erflärte  fidj  audj  Schweben  bereit,  für  eine 
jafn*licr)e  Safjlung  oon  fed)«l)unberttaufenb  X^alern  ein  &eer  öon 
fedjStaufenb  3Rann  in  ^ommern  unb  ©remen  aufjuftclleu,  ba« 
gegen  jeben  beutfajen  9teid)«ftanb  oorgefjen  follte,  ber  etwa  jur 
Unterftüfcung  ber  $oHänber  rüften  toerbe.  SSeitere  ©nnbe«genoffen 
fanb  Subwig  XIV.  in  bem  ©rjbifcfjof  äßajimilian  £einrid)  oon 
&öln  unb  bem  gurftbijd>of  oon  fünfter,  bem  frieg«luftigen  ©ern- 
Ijarb  oon  ©alen,  oon  benen  ber  ©rftere  längft  im  ©djlepptau 
granfreidj«,  ber  ßefctere  mit  ben  Sßieberlänbern  oerfeinbet  unb  ba= 
^cr  gern  bereit  war,  bem  $önig  oon  granfreidj  ju  ifjrer  Unter* 
werfung  jebtueben  ©eiftanb  §u  leiften.  Slud)  bie  Jperjöge  3of)ann 
griebrid)  oon  £>annoüer  unb  ©fjriftian  oon  9fterflenburg*©a^werin 
fagten  Subwig  XIV.  £ilf«truüpen  ju ;  ©raunfd)Weig,  ©aiern,  2Bürt= 
temberg  unb  bie  $fal$  oerfprad)cn,  neutral  $u  bleiben,  ©elbft  ber 
ftaifer  Seopolb  ließ  fidj  burd)  feinen  erften  2JUnifter,  ben  (trafen 
£obfowi$,  ber,  olmef)in  ein  eifriger  ©ewunbercr  £ubwig«,  ben  grie* 
ben  mit  granfreid)  um  jeben  $rei«  aufregt  ju  galten  fünfte,  im 
ftooember  1671  jum  \>ibfd)luß  eine«  ©ertrag«  mit  Subwig  bewegen, 
in  welchem  er  bemfelben  oerforadj,  fidj  in  feinen  ®rieg  etn$ulaffen, 
ber  außerhalb  be«  beutfdjen  fReic^ed  unb  ber  fpanifdjen  3#onardjie 
geführt  werbe,  unb  ben  oon  granfreidj  angegriffenen  9)täd)ten 
feinen  anbern  ©eiftanb  ju  leiften,  al«  ben  einer  freunbfd)aftlid)en 
Vermittlung.  2ludj  ©panien,  beffen  3n*creffcn  ourc§  öon  8U0* 
iftg  beabfiduHgte  Eroberung  ^ollanb«  auf«  Sleußerfte  gefäfjrbet 
waren,  wußten  bie  franjöfifdjen  QJefanbten  burd)  it)re  biploma- 
tija^en  fünfte  ju  bewegen,  fid)  jeber  (Sinmifdjung  §u  ©unften 
jpoüanb«  $u  enthalten.  Unb  wo  bie  fünfte  ber  $olitif  unb  bie 
Sftadjt  be«  (Selbe«  nidjt  au«reidjten,  ba  mußte  Gewalt  jum  Qitlt 
füfjren.  211«  ßubwig  XIV.  erfuhr,  baß  ber  $erjog  $arl  IV.  oon 
Sotfningen,  ber  längft  feiner  2lbf)ängtgfeit  Oon  granfreid)  mübe  war, 
ben  ©eneralftaaten  ba«  Anerbieten  gemalt,  auf  i^re  Soften  ein  |>eer 
für  fte  in«  gelb  ju  fteUcn,  ließ  er  beffen  §er$ogtimm  burc^  feine 

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68 


Subnüg  XIV.  oon  ftranfreid). 


bereit  fteljenben  Gruppen  fo  rafdj  befefcen,  bafj  ber  £>er$og  faunt 
3eit  fanb,  per)  burdj  bie  3f(ucr)t  öor  ber  @)efangenfd)aft  ju  retten. 

©ä^renb  3*ortfreid)  für  ben  beöorfteljenben  ©roberungSfrieg, 
nict)t  nur  jafylreidje  SBunbeSgenoffen,  fonbern  aud)  in  ben  reichen  £>ilf£^ 
.  quellen,  bie  £ubung§  tfjätige  unb  fraftöoüe  ^erroaltung  im  Innern 
be£  fHctdtje^  erfd)loffen,  bie  auägiebigften  Littel  jur  ^erfteßung 
einer  jaf)lreicf)cu ,  mit  allem  SRötrjtgcn  im  ileberflufj  üerfe^enen 
#riegämaa}t  gefunben ,  fallen  fid)  bie  Sftieberfänber  jur  Slbmeljr  ber 
i^nen  brofjenben  ©efafjr  faft  au^fcrjliegüct)  auf  it)re  eigene  $raft 
angenüefen.  3^r  einjiger  SbunbeSgenoffe  mar  ber  mit  ber  ©djmefter 
2ötlt)e(m«  II.  öon  Oranien  öermäfjlte  $urfürft  griebrid)  2Stlf)elm 
öon  Söranbcnburg.  SBergebenä  fmtte  Submiö,  XIV.  bemfelben  einen 
$f)eü  ber  ju  madjenben  Eroberungen  als  *ßrei3  feiner  SöunbeSge* 
noffenfdjaft  angeboten,  auf  meiere  er  ein  ganj  befonbereS  ®emicf)t 
legte:  in  richtiger  SBürbigung  ber  ©efal)ren,  mit  meldjen  ein  s2In* 
griff  auf  ^oHanb  ba3  bcutfct)e  föeicf)  unb  inäbefonbere  feine  eigenen 
nieberrfjeinifdjen  Söefi&ungen  bebrol)te,  t)atte  ber  fturfürft  nietjt  nur 
ba$  öon  ßubnrig  iljm  angetragene  SBünbnifj  entfäieben  abgelehnt, 
fonbem  aud)  bie  ifjm  angefonnene  Neutralität  jurüefgemiefen,  inbem 
er  entfdjloffen  mar,  ben  gefafjrbrofjenbcn  Eroberungägelüften  beä 
$önig$  öon  Sranfreid)  mit  allen  feinen  Gräften  entgegen  ju  treten. 
#11  biefent  (5nbe  t)attc  er  am  26.  Slprtl  1672  mit  ben  ®eneral= 
ftaaten  ein  Söünbnig  gefdjloffen ,  in  meinem  er  ifmen  ^mansigtau- 
fenb  9J(ann  §ilfätruppen  jufagte,  öon  benen  bie  4>älfte  burd)  tjoHäns 
bifdjeS  ©elb  unterhalten  merben  foüte. 

3n$roifd)en  mar  bereit«  am  7.  SIpril  1672  bie  &rieg*erflärung 
granfreidjS  an  bie  9tieberlanbe  unb  balb  barauf  audj  bie  öou  Eng- 
lanb  erfolgt.  9todj  in  bemfelben  Üftonat  erfdjien  ßubmig  felbft,  um= 
geben  öon  ber  SBlütfje  beä  fran$öfi)cr)en  3lbelä ,  an  ber  ©pi£e  öon 
einmall)unbertjmö(ftaufenb  äJcann,  bie,  in  jmei  £>eere  geseilt,  öon 
(Sonbö  unb  Xurenne  geführt  mürben,  an  ber  r)oHänbifcr)en  (5)ren$e. 
^tujger  bem  fötieg^minifter  £ouöoi3  unb  bem  berühmten  SBauban, 
ber  al3  ber  erfte  Qngenieur  feiner  3eü  bie  söelagerungSanftalten  lei- 
ten folltc,  befanb  fict)  im  (befolge  be3  Königs  aud)  ber  ÖJcfct)icr)t^ 
fdjreiber  sßeliffon ,  bem  bie  Aufgabe  juget^eilt  mar ,  beS  ftönigä 
©rofetfjaten  als  Slugenjeuge  ber  sJcacr)melt  ju  überliefern,  ©letcf^ei* 
tig  mit  ber  franjofifa^en  £>auptmad)t  tjatte  fiel)  aud)  ein  beutfd)c$ 
£eer  öon  jmanjigtaufenb  SJtonn  öon  ®öln  unb  fünfter  auä  unter 
bem  fran$üfifd)en  äftarfdjall  öon  ßujemburg  nadj  bem  ®rieg3fd)au= 
plafce  in  Söemegung  gefegt. 

£a  bie  ariftofratija^e  Partei  feit  bem  $obe  28ilf)elm3  II.  ifnre 
gan$e  Slufmerffamfeit  ber  Slotte  jugemanbt  unb  barüber  bie  Sanb= 
madjt  gänjltd)  öernaa^läffigt  ^atte,  fonntc  bie  9iepubUf  ben  geroal- 
tigen  Xrnppenmaffen,  bie  fic^  gegen  it)re  ©renken  Ijeranmäljten,  nur 


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SubnngS  XIV.  erfte  eroberungSfricgc. 


69 


ein  £eer  üon  jroansigtaufenb  äRann  entgegenftetlen.  SOcit  fo  unge* 
nügenben  Streitfragen  war  ber  jroeiunbämanjigjährige  2S  U  h  e  l  m 
oon  Oranten,  ber  jum  Oberbefehlshaber  ernannt  morben  — 
aber  nic^t ,  rote  feine  Anhänger  »erlangt ,  anf  Seben^eit ,  fonbern 
nur  für  bie  $5auer  be£  beüorftehenben  Krieges  —  um  fo  weniger 
im  ©tanbe,  gegen  ben  übermächtigen  Seinb  irgenb  (StmaS  auSju^ 
rieten,  ate  e$  ihm  bei  alT  feinem  SRuthe  unb  feiner  herüorragen* 
ben  Klugheit  an  ber  nötigen  StiegSerfahrung  fehlte.  Unaufhalt* 
)'am  brang  baS  fran^öfifche  fteer ,  nachbem  e$  am  12.  $uni  bei 
SolIfmuS  untueit  imüffen  olme  ©chmierigfeit  benSRhein  Übertritten 
unb  mit  leidster  9Jiür)c  eine  große  &a$l  oon  geftungen  jur  (Er- 
gebung gelungen  r)attef  bis  $u  ber  $roüinj  $ottanb  üor. 

Xie  9Ueberlänber  begannen  an  ihrer  Rettung  5u  üerjmeifeln, 
unb  ber  Umoille  be3  großen  $>aufen3  manbte  fich  gegen  be  SSitt, 
bem  man  nicr)t  mit  Unrecht  bie  üollftänbige  Söehrlofigfeit  beS  San* 
be*  jur  Saft  legte.  814  berfelbe  in  ber  höchften  «Rott)  Unterhand- 
lungen mit  granfreich  anknüpfen  fudjtc,  gelang  eS  feinen  GJegnern, 
unter  bem  SBolfe  ben  ©erbaut  ju  ermeden,  er  fpinnc  ©errath  gegen 
feirt  ©aterlanb  unb  motte  bie  SRepublif  bem  geinbe  üerfaufen ,  um 
bie  oranifdje  Partei  nicht  gum  ©iege  gelangen  ju  (äffen.  <Radj 
einem  üerfctjlten  SRorbanfchlage  auf  ben  SRathSpenftonär  erjmang 
baä  meift  oranifch  gefinnte  ©olf  bie  Aufhebung  beS  (£bift3 ,  burdj 
welches  bie  Trennung  ber  ©tatthattermürbe  unb  ber  Oberbefehls^ 
baberfetjaft  oerfügt  morben  mar,  fomie  bie  Ernennung  SBithehnS  III. 
mm  Dramen  $um  lebenslänglichen  Statthalter  oon  ^oflanb  unb 
Seelanb,  ben  beiben  einzigen  üon  bem  3einbe  noch  nicht  befefeten 
^rooinaen  (2.  3uli  1672). 

Obgleich  be  SSitt  hierauf  feine  ©teile  niebertegte,  mar  ber  £aß 
feiner  Gegner  nicht  befriebigt;  fie  hörten  nicht  auf,  bie  Erbitterung, 
bie  fie  unter  bem  ©olfe  gegen  ihn  $u  meefen  gemußt ,  in  immer 
f)öb,erem  (3fcabe  anzufachen.  Sluf  bie  SfaSfage  eines  notorifchen 
©öfenrichteS,  beS  ©arbierS  Xidjetaar,  ber  ben  ©ruber  beS  SRathS- 
penfionärS,  ben  SIbmiral  SorneliuS  be  SBitt,  befchulbigte,  er  habe  ihn 
burch  ©elbüerfprechungen  jur  Grrmorbung  beS  bringen  oon  Oranien 
$u  üerleiten  geflieht,  mürbe  berfelbe  gefänglich  eingebogen  unb  ben 
auSgefud)teften  golterqualen  untermorfen,  um  ein  (Skftänbniß  oon 
ihm  JU  erjmingen.  $aum  ha^e  er  biefelben  mit  bem  ihm  eigenen 
|>elbenmuth*  unter  fteten  ©etheuerungen  feiner  Unfdmlb  überftanben, 
als  ein  müthenber  ^öbelhaufe  ihn  mit  feinem  ©ruber ,  ben  man 
unter  bem  ©orgeben,  baß  ber  (befangene  ihn  ju  fprecheu  münfehe, 
in  feine  3efle  gelocft,  aus  bem  ©eföngniß  riß  unb  ©eibe  unter 
barbarifchen  hartem  töbtete.  $ie  üon  ben  ©tänben  üon  ^ottanb 
üerlangtc  ilntcrfudjung  unb  ©eftrafung  mürbe  burch  ben  Statthat 
tcr  üerlunbert,  ber  fogar  bem  Auflager  beS  Kornelius  be  Söitt  ein 


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70 


fiubroig  XIV.  oon  3rranfreid>. 


3<u)rgcl)a(t  au*fe|jte.  ®raft  einer  bem  ^rinjen  *>on  Otanien  öon 
ben  ©eneratftaaten  erteilten  SBoümadjt  würben  alle  2(nf)änger  be 
SBitt'*  aus  ber  gaf)I  ber  ^Beamten  unb  ftäbtifdjen  9#agijrrate  öon 
iljren  ©teilen  entfernt. 

3fnbeffen  trat  balb  für  bie  fo  fdjrcer  bebrofjten  lieber  länber, 
öon  benen  bie  SReidjeren  bereite  ben  ©ebanfen  in*  2luge  gefaxt, 
mit  tyren  ©djäfcen  nad)  Oftinbien  ju  entfliegen,  um  bort  eine  neue 
SRepublif  ju  grünben ,  gu  roeldjem  ftc  «ne  2lnjaf)l .  öon 

©Riffen  jur  $lbfa§rt  bereit  gelten ,  eine  SBenbung  §um  Söefferen 
ein.  SBäljrenb  ber  ^ßrinj  öon  Dramen  bie  gortfdjritte  ber  gran^ 
jofen  baburd)  fjemmte,  ba§  er  bie  55ämme,  meiere  bie  gluu)en  ber 
?)ffel,  be*  SRfiein*,  be*  £ecf*  unb  ber  äfteröe  jufammenfjalten,  burd)= 
ftccr)en  unb  fo  ba*  ganje  ßanb  unter  SSaffer  fefoen  Heß ,  gelang  e* 
bem  ©eefjelben  be  SRutjter,  bie  beabfidjtigte  fianbung  ber  frangöfifer)* 
englifcf)en  Sflottc  auf  ©eelanb  $u  oereiteln;  audj  näherte  fidj  ber 
®urfürft  öon  ©ranbenburg  mit  feinem  £ilf*fjecre  ber  f>oflänbifcf)en 
©renje.  $er  fiefctere  fdjlog  $roar  am  6.  3uni  be*  folgenben 
3<tljre*,  tfjeil*  roeil  ber  Faiferlidje  Selbfyerr  HHontecuculi ,  ben  ßeo- 
polb  iljm,  feinem  drängen  nadjgebenb ,  mit  fe^e^ntaufenb  Sttann 
3um  ©cfjufce  ber  beutfdjen  ©renken  beigegeben ,  in  Solge  geheimer 
befehle  be*  ©rafen  ßobforoijj  ir)n  in  feinen  Söetoegungen  me^r 
fjemmte  al*  unterftüfcte,  tfjeil*  aud),  meil  ü)m  ba*  2lu*bleiben  ber 
öon  $oHanb  jugefagten  ©elber  bie  größten  Sßerlegenfjeiten  bereitete, 
mit  fiubnrig  $u  SBoffem  bei  £üttid)  einen  grieben,  in  roeldjem  er 
gegen  bie  föütfgabe  feiner  öon  ben  granjofen  befefcteh  Glcöifdjen 
©tabte  fein  ©ünbnif?  mit  ben  ©eneralftaaten  aufgab;  bafür  traten 
jeboet)  öerfdncbene  anbere  Sflädjte  al*  ©egner  ßubttig*  auf  ben 
#rieg*fd)auplafc. 

3unäd)ft  bemog  bie  ofme  jebe  ^rieg*erflärung  erfolgte  2Beg= 
nalmte  Belgien*  burd)  ßubmig*  ©ruber ,  ben  $erjog  ^rjilipp  öon 
Drlean*,  ba*  #abinet  öon  SRabrib,  au*  feiner  bi*i)erigen  fteutralU 
tät  f>erau*5utreten.  Shtd)  in  SBien  fjatte  fidj  aHmäfjlid)  eine  ria> 
tigere  Slnfrfjauung  öon  ben  ©efafjren,  meldje  bie  ^Bereinigung  ber 
MepubM  £>oHanb  mit  Sranfreid)  für  ba*  beutfaje  föeid)  in  fia) 
barg,  Söalm  gebrochen,  unb  bie  (Sntrüftung  über  ba*  ru<fficf>t*lofe 
Auftreten  Subnng*,  ber  ba*  (£rjbi*tf)um  Xrier  befefct ,  jefnt  9ieic§*s 
ftäbte  im  ©Ifafc  an  fidj  geriffen  unb  bie  üBefcftigungen  öon  Colmar 
unb  ©djlettftabt  ljarte  fprengen  laffen,  befd)leunigte  bie  fRücffet)r  be* 
ftaiferfjofe*  $u  ben  alten  unb  ädjten  ©runbjajen  öfterreia^ifa)er 
^ßolitif.  %m  30.  «uguft  1673  fdjloß  ber  ^aifer,  beffen  an  8mV 
rcig  gejteßte  gorberungen :  Räumung  be*  beutfa^en  ©ebiete*,  3urürf= 
gäbe  ber  befefcten  feften  ^ßtö^e,  ©ntfdjäbigung  ber  beeinträchtigten, 
^perfteflung  be*  £>er$ogü)um*  Sotfiringen,  ©ta^erung  ber  beutfe^en 
©eredjtfame  im  @l{a6  unb  in  ben  rfjcinifdjen  ©i*t()ümern  unb 


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SubnrigS  XIV.  erfte  (groberungSfriege. 


71 


grieben«fdjlu§  mit  (Spanien  unb  #olIanb,  öon  Submig  XIV.,  mie 
oorauäjufehen  mar,  unberütffidjtigt  blieben,  mit  bem  König  öon  Spanien 
unb  ben  <$eneralftaaten  ein  Bünbniß  jur  gemeinfamen  Befämpfung 
Subroig«.  tiefem  Bünbnifj,  ba«  neben  ber  Slbmehr  ber  bem  beut* 
idjen  Steide  brobenben  ©efa^r  bie  Sicherung  be«  fpanifdjen  Beft(j* 
ftanbe«  in  ben  Sßieberlanben  unb  bie  STufredjtfjattung  ber  Integrität 
ber  Ijollänbifdjen  SRepublif  bejroetfte ,  trat  aud)  ber  #erjog  Karl 
oon  Lothringen  jur  SBiebereroberung  feinet  Öanbe«  bei. 

SBafprenb  bie  fpamfdjen  Gruppen,  bie  ber  ®raf  öon  Sftonterety 
in  ben  itieberlänbifdjen  ^roöinjen  jufammengebracht,  ftd)  mit  benen 
be$  ^rinjen  öon  Dranien  jum  gemeinfamen  Kampfe  gegen  (£onb£ 
öereinigten,  ber  am  1.  3ult  Sftaeftridjt  erobert  ^atte,  führte  Xurenne 
ba«  ibm  unterftehenbe  $eer  nad)  bem  füblidjen  $)eutftf)lanb,  um  ben 
mit  einem  $eere  öon  breifjigtaufenb  SRann  fieran^ie^enben  faifer* 
liefen  gelbherrn  SRontecuculi  öon  bem  ^ollänbifd&en  Krieg«f3>au= 
plafce  abzuhalten,  unb  obgleidj  ber  franjöftfche  Oberbefehlshaber 
perfönlidj  milb  unb  menfäUdj  mar ,  ergojfen  fidj  balb  über  bie 
9üjein*,  SRain*  unb  flteefargegenben  bie  ©Breden  ber  öanbalem 
artigen  Kriegführung ,  bie  ßouöoi«  al«  ba«  ftdjerfte  TOttel  jur 
geglichen  ©ntfräftung  ber  ©egner  granfreich«  in  Slnroenbung  ge* 
bradit  roiffen  mottte. 

3ttontecuculi ,  ber  feinem  berühmten  ©egner  öollftänbig  ge= 
madjfen  mar,  nötigte  bura)  getiefte  Beilegungen  ba«  bi«  nadh 
granfen  oorgebrungene  #eer  $u  ftetem  3urürfmetchen  bis  über  ben 
>Jihein  unb  manbte  fict)  bann  natf)  bem  ftieberrhein,  mo  er  ftdj  bei 
«nbernadj  mit  bem  ^ßrinjen  öon  Dranien  öereinigte ,  ber  ihm  mit 
bem  größten  Xheile  feine«  $eere3  entgegen  gebogen  mar.  Beibe  unter* 
nahmen  herauf,  um  ben  granjofen  ben  ^Rücfjug  burdj  bie  ßanbe 
be«  Kurfürften  öon  Köln  abjufdjneiben,  mit  einer  Sruppenmadjt  öon 
funfjigtaufenb  9)?ann  bie  Belagerung  ber  furfölnifchen  <Stabt  Bonn. 
Sergeben«  fudjte  donU,  ber  jum  ©ntfafce  ber  ©labt  herbeigeeilt, 
bie  Aufhebung  ber  Belagerung  berfelben  $u  erzwingen :  er  mußte 
fid> ,  naajbem  Bonn  im  Eejembcr  öon  ben  Berbünbeten  erobert 
roorben ,  $um  SRüdsug  entfthlie&en  unb  fah  fidj ,  um  feine  Ber* 
emigung  mit  Xurenne  p  bemerfftelligen ,  jur  Räumung  öon  ganj 
§oflanb  genöthigt.  9hir  in  2Raeftrid)t  blieb  eine  franjöftfdje  Be* 
fajjung  jurüd. 

28ie  ju  Sanbe,  fo  nahm  ber  5elb$ug  be«  Qahre«  1673  audj 
$ur  See  einen  für  bie  SRepublif  günftigen  Berlauf.  dreimal  mürbe 
bie  öon  ber  fran$öfifa)=englifd)en  glotte  öerfudjte  Sanbung  an  ber 
hoflänbifdjen  Küfte  bura^  be  3tut)ter  unb  (Eomeliuä  Xromp  öereitelt. 

Sftodj  ungünftiger  geftalteten  fid)  bie  Berhältntffe  für  granf- 
reidj  im  Qahre  1674.  Karl  II.  öon  (£nglanb  fah  fief)  bura^  bie 
»adjfenbe  Unjufriebenheit  feine«  Bolfe«  über  ba«  franjöfifdhe  Bünb- 


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72 


Subtuig  XIV.  öon  grcmfrei«. 


ni&  unb  bie  brohenbe  Haltung  beS  Parlaments  genötöigt,  mit  ben 
ftieberlänbern  grieben  ju  f«lie&en  (19.  gebr.);  au«  ber  Äurfürft 
öon  ®öln  unb  ber  gürftbif«of  öon  9ttünfter  föfmten  fi«,  öon  Dra= 
nien  unb  ÜHontecucuti  in  ihrem  eigenen  (Gebiete  bebrangt,  mit  $ol* 
lanb  aus,  unb  baS  beutle  föei«  entf«lofj  fi«  enbli«,  na«  langen, 
f«merfäHigen  SBerhanblungen ,  im  3unt  1674  jum  (£rla&  einer 
®rieg§erflärung  gegen  granfrei«.  S)ieS  gab  au«  bem  ®urfürften 
üon  Sranbenburg ,  ber  fi«  für  ben  gaff  beS  SRei«SfriegeS  bie 
SBiebereröffnung  ber  geinbfeligfetten  gegen  granfrei«  öorbehalten, 
33eranlaffung,  mit  fe«$elmtaufenb  9flann,  beren  Unterhaltung  ©pa* 
nien  unb  #oHanb  übernommen  fetten,  auf  &*n  ®riegSf«aupla$ 
aurütfjufef>ren. 

Zxofy  biefer  fo  bebeutenb  oeränberten  ©a«lage  mar  Submig 
entf«loffen,  ben  ßtieg  fortjufe^en;  benn  er  fühlte  fi«  bei  ber  ihm 
mohlbefannten  inneren  ©«roa«e  ber  meiften  ber  toiber  «n  öerbün- 
beten  9ftä«te  unb  ihrem  fanget  an  @ü«eit  feinen  ©egnem  no« 
immer  bebeutenb  überlegen,  unb  ber  Verlauf  beS  gelbjugeS  öom 
3ahre  1674  rechtfertigte  im  Allgemeinen  feine  Gfrmartungen.  $ie 
gran«e^(£omte,  in  roel«e  Submig  felbft  eingebrungen,  mürbe  inner* 
halb  fe«S  2Bo«en  erobert,  unb  meber  in  ber  $fal$,  bie  abermals 
bur«  bie  ©«aaren  £urenne'S  öon  grauenvollen  SBerroüftungen  h«nt= 
gefu«t  rourbe,  no«  in  ben  Sfteberlanben,  mo  au«  bieSmal  ©onb^ 
bie  franaöfif«e  ©treitfraft  befehligte,  gelang  eS  ben  Sßerbünbeten, 
bebeutenbe  Erfolge  $u  erringen.  $ie  blutige  ©«la«t  bei  ©enef 
(17.  Aug.  1674)  $roif«en  (Sonbd  unb  bem  Sßrinjen  öon  Cranien, 
in  roel«cr  na«  bem  föinbru«  ber  9ca«t  no«  jmet  ©tunben  lang 
beim  ©«eine  beS  SDconbeS  fortgefämpft  mürbe,  blieb  unentj«ieben ; 
bo«  glaubten  beibe  %$t\U  ®runb  $u  h^oen,  fi«  ben  ©ieg  juju* 
f«reiben. 

SBährenb  bie  granjofen  im  folgenben  3a^rc  ™  Dcn  lieber* 
lanben,  mo  ber  $önig,  mie  gemöhnli«  felbft  ben  gelb$ug  eröffnet  hatte, 
um  na«  bem  erften  gelungenen  ©«läge  na«  SßerfaifleS  jurücfjuf ehren, 
einige  ißortheile  gemannen,  traf  fie  auf  bem  fübbeut|"«en  $rtegS* 
{«auölafc  *™  f«n>erer  ©«lag.  9ca«bem  Xurenne  unb  Sföontecuculi 
einanber  eine  Seitlang  bur«  9ttärf«e  unb  ©egenmörf«e  ben  Söor* 
theil  abjugeminnen  gefu«t,  jog  fi«  Sflontecuculi  na«  bem  Xorfe 
©aSborf  unmeit  Dffenburg  jurüd,  um  h*er  *n  öortheilhafter 
©teßung  bem  getnbe  eine  ©«la«t  anzubieten.  Xurenne,  ber  «m 
raf«  gefolgt  mar,  traf  ju  berfelben  foglei«  äße  Anorbnungen  unb 
ritt  in  Begleitung  beS  Marquis  öon  ©aint^ilaire  auf  einen  £>ügel, 
um  bie  SBemegungen  beS  geinbeS  $u  erfragen.  3njmif«eu  hatte 
bie  Sanonabe  bereits  begonnen,  unb  faum  mar  ber  gelbherr  auf 
ber  Anhöhe  angelangt,  als  er,  öon  einer  Äanonenfugel  in  ben  Unter» 
leib  getroffen,  entfeelt  öom  $ferbe  fanf  (27.  Quli  1675).  ©ein 


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Subioigä  XIV.  erfte  (JroberungSfriegc.  73 


Xob  rief  in  bem  franjöftfdjen  £eere  eine  fotdje  SBeftürjung  fjeroor, 
ba&  bie  ©d)lad)t  aufgegeben  werben  mußte,  SBon  SHontecucuti  Oer* 
folgt,  jog  fidj  ba$  |>eer  in  aller  (SKle  unb  nieftt  ofme  bebeutenbe 
Skrlufte  an  SRenfdjen  unb  ©epäcf  über  ben  8tf)ein  jurürf.  (Uauj 
granrreieb,  trauerte  um  ben  gefallenen  £efben,  mit  meinem  fetbft 
ßubnrig  im  erften  Sdjrecfen  9Wea  für  oerloren  &telt.  ©eine  ßeidje 
tourbe  mit  großem  ©epränge  in  ber  fönigägruft  ju  St.  Xeni* 
beigelegt. 

|>enri  be  ia  %oux  b'STuüergne,  SBicomte  be  lurenne  —  nadj 
bem  $(u3fprudje  9tanfe'3  „ unter  aßen  Seinben,  bie  faifer  unb  SReidj 
jemals  gehabt,  einer  ber  größten u  —  galt  mit  9terf)t  als  ber  er^ 
fafjrenfte  rriegäoerftänbtgfte  £>eerfüljrer  3*anfreid)$,  ber  e£  roie  fein 
anberer  oerftanb ,  feine  auÄ  ben  oerfdjiebenften  SanbeSarten  unb 
SebenSfreifen  aufammengebradjten  a^annfefjaften  im  Saum  ju  M 
ten  unb  au*  ihnen  einen  toofjt  organifirten  Körper  $u  bilben,  mit 
bem  er  alle*,  roa3  er  toottte,  aufführen  fonnte.   Dabei  mar  er  frei 
ton  jeber  8etbftfudjt.    „9ftemanb",  fagt  9lanfe,  „mar  entfernter 
baoon,  SReidjtyümer  für  fidj  felbft  gu  fammeln.    (5r  fpradj  nie  oon 
fid);   befdjeibenere  unb  roafnrfyafttgere  Sftemoiren  gibt  e*  nidjt,  ate 
bie,  meldte  er  oon  einigen  feiner  gelbjüge  t)interlaffen  t)at ;  fie  finb 
eben  ba3  ©egentljeü  oon  bem,  read  in  ben  anberen  baS  biftorifdje 
©efüljl  üerlefct.  @r  mar  einer  oon  ben  Sftenfdjen,  bie  in  ber  9)atte 
einer  großen  unb  toettumfaffenben  X^ötigfeit ,  in  ber  Sfnfdmuung 
großer  $itk  ftd)  felbft  oerföroinben."    $ie  oon  feinen  Xruppen  in 
ber  ^falg  oerübten  ©raufamfeiten  r)ielt  erf  gleidj  bem  fönig,  bura) 
bie  militarifdje  fRäcffic^t  unb  SRotljmenbigfctt  entfdjulbigt.  „fein 
3roeifel,  baß  feine  (Seele  bon  aller  Hinneigung  ju  perfönlidjer 
roaltfamfeit  fern  mar;  er  fjat  Seuten  bie  Söaffen  aus  ben  |>änben 
geriffen,  roeldje  unnufce  ©raufamfeiten  ausübten."  (SRanfe).  —  SSie 
fein  alterer  ©ruber ,  ber  ^erjog  oon  löouiüon ,  im  proteftantifdjen 
©tauben  erjogen ,  mar  Xurenne  im  3a(>re  1668,  im  Hilter  üon 
fündig  3a^ren ,  burdj  ben  berühmten  öoffuet  befet)rt ,  jur  fatbo* 
ii)cnen  Miran  uoergetreten. 

£en  Oberbefehl  über  baä  oerroaifte  #eer  übernahm  ber  auä 
ben  ftteberlanben  abberufene  $rinj  oon  ®onb£ ;  bod)  legte  er,  of)ne 
nodj  ettoaS  oon  SBebeutung  unternommen  $u  Imben,  fdjon  im  folgen« 
ben  SBinter  ben  gelbfjerrnftab  nieber,  um  fid&  in  baS  ^rioatleben 
^urürfjujie^en.  Som  ^ofe  faft  oergeffen,  ftarb  er  1686  im  fünf* 
unbfedföigften  fiebendja^re  auf  feinem  ßu)t|d)(offe  e^antiUo  bei 
$ari#.  Qu  ber  gletdjen  Seit ,  mie  (£onb£ ,  50g  fic^  auc^  üflonte* 
cueuü  oon  feinem  fommanbo  jurücf,  naa^bem  ber  faijer  bereite 
im  September  1675  in  bem  ^erjog  farl  IV.  oon  ßotljringen 
einen  anberen  bewährten  getb^errn  bura}  ben  2ob  oerloren  r)atte. 
Xa*   £>eer   be*   Sejteren   übernahm   beffen   Sfteffe    unb  Grbe 


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74  ÖubtDtfl  XIV.  öon  granfreid). 

®arl  V.,  bcn  wir  bereit«  in  ben  Xürfenfriegen  ßeopolb«  rennen 
gelernt  haben. 

2Tud)  ber  Horben  $eutfdjlanb«  mürbe  ju  biefer  Seit  öon  bem 
®rieg«getümmel'  fjeimgefudjt ,  inbem  ßubmig  XIV.,  um  ben  $ur^ 
fürften  ton  ©ranbenburg  Dom  9tt)eine  abjujte^en ,  ben  ®ömg 
®axt  XI.  öon  ©djmeben,  ®art«  X.  ©ofm  unb  9tad>foIger ,  $ur 
(£ntfenbung  eine«  #eere«  öon  fect)äefmtaufenb  SRann  unter  bem  falb* 
marfdwff  Sörangel  —  einem  ©ruber  be«  legten  fdjmebifd)en  Dber* 
befebtöfyaber«  im  breifjigjärjrigen  Kriege  —  in  bie  SJcarfen  beroog, 
bie  öon  benfetben  mit  ferneren  SBranbfdjafoungen  r)eimgefuc^t  mür- 
ben, yiadfitm  ber  föurfürft,  ber  eben  —  3)e$ember  1674  —  im 
(£lfa&  gegen  Xurenne  fämpfte  unb  fidj  nidjt  ot)ne  bie  äufjerfte  S^ott) 
öon  bem  roeftlidjen  $rieg«fci)aupla&e  jurucfjie^en  moHte,  fid)  öer= 
geben«  bemüht  rjatte,  ben  $aifer  unb  ben  ®önig  (£t)riftian  V.  öon 
5)änemarf ,  (£t)rifrtan«  IV.  (Snfel  unb  jmeiten  Sfcadjfolger ,  $um 
Stiege  gegen  ©cfjmeben  ju  bemegen,  unb  aud)  bei  ben  Dtieberlam 
bem  feine  |>ilfe  gefunben,  bract)  er  im  3uni  1675  naä)  feinem 
ßonbe  auf  unb  erfocht  am  28.  in  ber  benfmürbigen  <&d)lad)t  bei 
g  e  t)  x  b  e  1 1  i  n  über  eine  fdjmebifdje  #eere«abtrjeilung  einen  Sieg, 
ber  ben  SRüdjug  2BrangeI«  nadj  Bommern  jur  golge  t)attc  unb 
bem  ^urfürften  für  ben  fortgefefcten  $rieg  mit  ben  ©ebrängern 
feine«  ßanbe«  bie  s«8unbe«gcnoffenfcr)aft  be«  $önig«  öon  $>änemarf 
unb  be«  gürftbifdjof«  öon  fünfter  öerfäaffte,  meldje  fiel)  in  Bremen 
unb  ©erben  ju  tfjeüen  gebauten. 

93är)renb  ber  Äurfürft  in  bem  folgenben  Qatjre  bie  ©djmeben 
au«  bem  größten  Steile  öon  ^Sommern  öertrieb  unb  im  3at)re 
1678  mit  Jpilfe  $änemarf«  audj  bie  3nfel  Stügen  eroberte,  bauerte 
ber  ®rieg  ber  SBerbünbeten  gegen  grantretet)  am  $ftt)eine  unb  in  ben 
flheberlanbcn  fort,  mobei  in«befonbere  bie  ©aar*  unb  2Kofelgegen* 
ben  öon  ben  granjofen  in  fdjrecfenerregenber  SBeife  öermüftet  mur= 
ben,  ba  Souöoi«  e«  für  nötfjig  t)ielt,  bie  beutfdjen  ©renjtänber  in 
Söüfteneien  ju  öermanbeln,  um  ben  geinben  einen  (Sittfall  in  granf* 
reid)  öon  biefer  «Seite  au«  unmöglich  ju  machen.  Xrofc  biefer  ©er; 
müftungen  brang  ber  Jperjog  öon  Öot^rtngen  im  grüfjjatjr  1677 
mit  öierjigtaufenb  Wann  über  bie  ©aar  unb  trieb  ben  Sttarfcfjaü' 
oon  (£requi  öor  fict)  t)er;  ba  jebodj  bie  im  (£(fa&  fte^enben  föeict)« 
trappen  ,  auf  beren  SÖWmirfung  er  geregnet ,  buret)  gefdutfte  ©e= 
megungen  ber  granjofen  in  ber  9lät)e  öon  ©trafjburg  §urücfger)al; 
ten  mürben,  mußte  er  fia),  im  dürfen  bebrot)t ,  mieber  über  ben 
föfjein  jurürfaie^en.  SBäfjrenb  er  fein  >>eer  in  bie  Sömterquartiere 
öertt)cilte,  gelang  e«  bem  in  (Silmärfdjen  tjerangejogenen  attarfdjaH 
öon  (Srequi,  ba«  midjtige  greiburg  bura)  Ueberrafdmng  ju  erobern, 
mobei  ben  ©iegern  eine  reiche  ©eute  in  bie  £>änbe  fiel,  ba  bie  ©e 
mot)ner  be«  ganjen  ©rei«gaue«  ir)re  ©d)äfe  in  biefe  geftung  ge= 


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Subnrigä  XIV.  erfte  erobcninöSfricge. 


flüchtet  hatten.  Qm  folgenben  Qahre,  ba«  für  bic  ©egenben  be« 
CberrtjeinS  neue  ^lünberungen  unb  Sttorbbrennereien  braute,  gingen 
auch  ßanbau  unb  Kehl  für  bie  SBerbünbeten  öerloren.  Qn  ben 
ftieberlanben  ^arte  Submig  unterbeffen  im  üttärj  1677  bie  Seftungen 
SBalencienneS  unb  (£ambraö  erobert,  unb  nach  einem  am  11.  9lpril 
t>on  bem  bringen  oon  Oranien  bei  SDcontcaffel  gegen  ben  ^erjog 
oon  Crlean«  unb  ben  SJcarfchaH  öon  öujremburg  erlittenen  lieber* 
läge  mar  auch  ©aint*Dmer  in  feine  £>änbe  gefallen,  fo  bafj  ben 
Spaniern  öon  ben  zahlreichen  belgifchen  Seftungen  nur  noch  ®ent, 
ftamur,  SttonS,  Dftenbe  unb  9lieumport  öerblteben. 

Um  bie  ©panier  in  ihrem  eigenen  ßanbe  ju  befchäftigen,  fanbte 
ßubroig  ben  SJcarfchall  öon  SRoatlleS  im  Satjre  1676  nach  Kata- 
lonien, ©djon  im  öorfjergefjenben  3°^re  *)attc  w  oen  auc*> 
nad)  ber  3nfel  ©teilten  öerpflanjt ,  nachbem  in  SJceffuta  ein  $luf= 
ftanb  gegen  bie  fpanifdje  Regierung  ausgebrochen  unb  bie  s2üif^ 
rubrer  ihre  ©tabt  unter  ben  ©djufc  granfreich«  gefteflt.  @ine  fron- 
jöfifaje  glotte  unter  bem  Slbmiral  bu  DueSne  mar  ben  oon  einer 
großen  £aljl  fpanifcher  KriegSfchiffe  ferner  bebrüngten  2Rejftnefen 
ju  §ilfe  gefommen,  unb  ßubmig,  ber  fich  bereit«  als  ben  §errn 
t)on  ©icilien  betrachtete,  fyattt  ben  Jperjog  öon  $iöonne  sunt  SBice* 
fönig  über  biefe  Snfel  ernannt.  SBon  bem  $>ofe  öon  SJcabrib  um 
§ilfe  angegangen ,  fanbten  bie  ©cneralftaaten  ein  ®efcfm>aber  öon 
jelm  Sinienfchiffen  unb  öier$efm  Keinen  5ahr$eugen  unter  be  föuüter 
nach  ben  fkilifchen  (SJemäffern ;  aber  bie  #tlfe  mar  nicht  au«= 
reichenb,  unb  ber  ftebjtgjährige  2lbmiral  fanb  im  Kampfe  gegen  bu 
OueSne  ben  £ob.  $n  einem  hartnäefigen ,  aber  unentfehiebenen 
treffen,  ba«  beibe  glotten  am  8.  Januar  1676  in  ber  9cäf)e  be* 
ftetna  einanber  lieferten ,  mürben  ihm  burch  eine  fernbliebe  Kugel 
beibe  $eine  jerfchmettert ,  unb  einige  Xage  fpäter  erlag  er  ju 
@örafu«  feinen  fieiben.  (£ine  neue  ©eefchtacht  bei  Palermo  ,  bie 
mit  ber  öoflftänbigen  ÜJtteberlage  ber  SBerbünbeten  enbete,  öerfdjaffte 
ben  gransofen  ben  Söefifc  öon  SJcejfina  unb  mehrerer  anberer 
Scütfajer  ©täbte. 

Cbgleidj  ßubmig  unter  allen  SöedjfelfäUen  be«  Kriege«  im 
ungemeinen  ungleich  größere  Erfolge  errungen  f)atte  als  feine 
©egner,  far)  er  bodj  bie  Unmöglichfeit  ein,  baS  Qicl  $u  erreichen, 
für  toeldje«  er  baS  ©chroert  gejogen ,  unb  er  mußte  um  fo  mehr 
toünfdfen ,  fich  burch  einen  balbigen  grteben  ben  bauernben  *Beftfc 
ber  gemonnenen  93ortheile  ju  fichern,  als  feine  Hilfsquellen  ju  öer= 
Segen  begannen  unb  ber  SRuhm ,  ben  feine  5elbf)erren  auf  bem 
fricgefchaupla^e  ernteten,  baS  äfturren  beS  Golfes  über  bie  mach2 
icnbe  Saft  ber  Abgaben  nicht  mehr  ju  befchmichtigen  öermochte. 
$aju  famen  bie  Unfälle  ber  ©chmeben  in  ihrem  Kriege  mit  Q'änt 
«ort  unb  SBranbenburg ,  bie  eine  9tücffet)r  bc«  Kurfürften  an  ben 


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76  fiubmig  XIV.  öon  gratfrei*. 

tRbein  unb  bie  Berftärfung  ber  niebcrlänbifdjen  glotte  burtf)  bic 
bämfdje  erwarten  ließen,  fomie  bic  Annäherung  ©nglanbS  an  §oU 
lanb,  bie  im  $c$xc  1677  bereite  bis  jur  Bermäfjlung  ber  $oa> 
ter  beS  $rinjen  öon  gorf,  beS  ^weiten  ©oljncS  #arlS  L#  mit  bem 
grinsen  öon  Dramen,  öorgefdjrttten  war. 

$ie3  Alles  trieb  ben  &önig  an ,  bie  griebenSunterljanblungen 
SU  befdjleunigen ,  bie  bereite  im  3al)re  1676  in  9lömmegen  er* 
öffnet  worben  waren.  Bor  Allem  mar  er  bebaut,  bie  $otIänber  öon 
ifjren  93unbeSgenoffen  ju  trennen ,  um  ben  Se&teren  ,  bie  bei  ir)rer 
finanziellen  ©rfdjöpfung  nidjt  in  ber  Sage  waren,  ben  $rieg  allein 
fortjufefcen,  ben  grieben  öorfdjretben  ju  fönnen.  $>a  er,  um  ju 
biefem  Siele  ju  gelangen ,  ben  ®eneralftaaten  bie  günftigften  Be= 
bingungen  in  AuSfid&t  ftctltc  r  ließen  ftdj  bie  $>odjmögenben ,  benen 
ofmet)in  ÜftidjtS  erwünfcf)ter  fein  fonnte ,  als  eine  mi)glid)ft  rafdje 
Beenbtgung  beS  Krieges ,  baju  bewegen ,  i^re  BunbeSgenoffen, 
benen  bie  Sftepublif  iljre  Rettung  öerbanfte,  fdjmäfylidj  im  ©tidje  $u 
laffen  unb  am  10.  Auguft  1678  mit  granfreia?  einen  ©eparat- 
trieben  $u  fdjließen,  ber  fte  im  Befifce  ifjreS  gefammten  ©ebieteS 
ließ  unb  fogar  bem  sJkin$en  öon  Dranien  bie  £erfteHung  beS  gür^ 
ftentljumS  Drange  jufagte,  baS  £ubwig  im  gafjrc  1660  mit  ge* 
wolmter  2Biöfür  eingebogen  unb  bem  Gebiet  öon  granfreid)  ein* 
öerleibt  t)atte. 

9ßär>renb  bie  föepublif  $olianb  öoöftänbig  ungefdjäbigt  aus 
einem  Kriege  fjerüorging,  ber  ifyre  SBermtf)tung  jum  Qioecfc  gehabt, 
mußten  tfjre  ber  SBtßfür  ßubmigS  preisgegebenen  53unbeSgenoffen 
ben  grieben  burd)  me^r  ober  weniger  große  Dpfer  erfaufen.  Bon 
Spanien  er  j  Wang  ßubwig  in  bem  am  17.  ©eptember  1678  unter* 
$eidmeten  griebenSöertrag  bie  Ueberlaffung  ber  grandje=ßomt£  unb 
bie  Abtreiung  öon  feefoefm  feften  <ßläfcen  in  ben  fpanifdjen  9he* 
berlanben.  $er  9tütftritt  ©pantenS  öon  bem  ßtiegSfdjauplafce  nö* 
t^tgte  and)  ben  ®atfer  $ur  Annahme  ber  öon  granfreidj  geseilten 
Bebingttngen.  Am  5.  gebruar  1679  fdjloß  er  für  fidj  unb  baS 
föeid),  gleidjfaHS  ju  sJtymmegen,  mit  ßubwig  einen  grieben,  in  wel* 
d>em  er  bemfetben  ,  gegen  bie  Berjid)tleiftung  auf  baS  BefafcungS= 
redjt  in  «ßr)ilippsburg ,  öon  feinen  eigenen  Bedungen  bie  öon  ben 
granjofen  eroberte  geftung  greiburg  mit  einer  SDülttärftraße  öon 
bort  bis  Bretfad)  überließ  unb  im  tarnen  beS  SReidjS  in  bie  Ab- 
tretung ber  grand>e*(£oint£  roiUigte.  £aS  ^erjogt^um  ßotyringen 
folltc  l^art  V.  jurüefgegeben  merben,  aber  nur  unter  ber  Söebingung 
ber  Ueberlaffung  öon  sJiancö  unb  ßongtüö  an  granfreic^  unb  ber 
Bewilligung  öon  brei  weiteren  $eerftraßen  öon  einer  falben  fLRcilc 
Breite  nad)  Burgunb  unb  bem  @Ifaß.  ^sa  S'arl  V.  fic^  weigerte, 
auf  biefe  Bebingung  cinjuge^en,  blieb  fein  Sanb  öon  ben  granjofen 
befe^t. 


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SubroigS  XIV.  ©croaltt^tttiflfcitcn  gegen  3>eutfd)lanb,  Spanten  jc-  77 


Sa  in  bem  grieben  bon  SRbmwegen  —  ber  beutfdje  SBoflSwifr 
nannte  ifjn  ben  grieben  „SRimm  weg"  —  ben  ©djweben  aüed  ju- 
gefprodjen  worben,  was  fte  im  Kriege  gegen  93ranbenburg ,  $äne* 
mar!  unb  ÜRünfter  berloren  Ratten,  fa!)  fiä)  ber  fturfürft  bon  ©ran* 
benburg ,  ber  für  fia)  allein  ben  Ärieg  nid>t  fortfefcen  fonnte ,  in 
golge  ber  Verheerung  feiner  weftfälifdjen  ©efifcungen  burd)  ein 
franjöfifdjeS  £eer  gezwungen,  in  bem  am  29.  gnni  $u  6t.  ©er- 
"main  en  ßabe  mit  granfreiä)  abgefdjloffenen  grieben  auf  baS  ben 
Sieben  entriffene  Vorpommern  Ver^t  gu  leiften,  unb  ging  fo- 
mit  oljne  ©ewinn  aus  bem  Kriege  fjerbor,  in  welkem  er  eine  nid)ts 
weniger  als  uneigennüfcige  9Me  gefpielt.  2lud)  Sänemarf  mürbe 
burd)  einen  (Sinfaö  franjöfifdjer  Gruppen  in  fein  olbenburgifdjeS 
Öeoiet  gelungen,  allen  Sßortfjeilen  ju  entfagen,  bie  eS  gegen  bie 
Schweben  errungen  §atte. 


t'ubraigä  XIV.  öewalttl^ätigfciten  gegen  2>eutfd)laitb,  Spanien; 
unk  tjerfä}icbene  italientMe  «Staaten. 

(1679-1685.) 

Üflit  bem  9Ibftfjluß  beS  griebenS  bon  Stmnwegen  mar  ßubmig 
bem  3tele  feiner  auswärtigen  ^ßolüif,  ber  ^crftcUung  einer  2lrt 
CberletyenSfjerrfdjaft  über  alle  Staaten  (Suropa'S,  um  einen  bebeu- 
tenben  ©abritt  näfjer  geniert,  unb  mit  berboppeltem  @ifer  unb  ber- 
boppelter  SRütffidjtSlofigfcit  fdjritt  er  auf  ber  betretenen  SBafm  weU 
ter.  23äf)renb  er  auet)  nad)  bem  griebenSfä)luffe  fein  £>eer  auf  bem 
SriegSfuße  erhielt  unb  feine  ©ecmacrjt  unabläffig  ju  oerftärfen  be= 
müljt  war,  fudjte  er  feine  Qtotdt  gugleia)  buret)  33cfted)ung  unb  bi- 
plomatifdje  Stanfe  $u  förbern.  Söie  er  unabläffig  barauf  aus  warr 
bem  Äaifer  burd)  ^ufreijung  ber  Ungarn  ober  ber  dürfen  $er= 
legenfjeiten  511  bereiten,  um  bie  3Kad)t  DefterreidjS  51t  paralüfiren, 
fo  wußte  er  burdj  r)ofje  Safjrgelber  bie  etnflußretdjften  ÜUätglieber 
beS  englifdjen  SftinifteriumS  unb  Parlaments  in  fein  JJntereffe  $u 
jiefjcn.  $aS  gleite  ©bftem  befolgte  er  in  noct)  umfaffenberer 
Seife  unb  mit  nod)  größerem  ©lüde  in  3)eutfd)lanb,  wo  $al)lreidje 
Staatsmänner  unb  ©ele^rte  in  franjöfifdjem  ©olbe  ifjren  Öanbs* 
leuten  bie  SMnung  beizubringen  fugten,  baß  nidjt  nur  5)eutfa> 
lanbS  §eil  im  engften  2lnfd)luffe  an  granfreia)  liege,  fonbern  baß 
eS  au<|  bie  t)öd]fte  <£t)re  fei,  bem  ©iegeSWagen  beS  franjöpf^en 
DiftatorS  ju  folgen.  ©0  würben  bie  meiften  beutfäen  #öfe,  fofern 
fte  nic^t  bereits  im  ©djlepptau  granfreidjS  waren,  in  baSfelbe  hinein* 
gejogen.  3n  Italien  ftanb  bie  9fteljr$al)l  ber  freien  gürften  oljne- 
lim  aus  SBeforgniß  bor  ber  fpanifd&en  aJiacf)t  in  biefem  fianbe  auf 


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78 


öubtoig  XIV.  üon  granfreicf). 


granfreich*  ©eite.  ?luch  in  bcn  ©djweijer  Kantonen,  bereit  frieg*= 
luftige  Sugenb  aablreicf)  unter  ßubwig'*  gähnen  biente ,  mar  ber 
franjoftfehe  (£influ|  fo  überwiegenb,  ba&  er  gerabeju  bie  SBefchlüffe 
t>er  Regierungen  beftimmte.  Qu  ber  gleiten  SBeife  gehorchte 
©chweben,  ba*  bem  SBeiftanbe  granfreich*  bie  föüeferftattung  feiner 
beutfehen  ßänber  oerbanfte,  ben  SBinfcn  be*  franjöfifchen  9)fachtbaber*. 

28a*  bie  erftrebte  Erweiterung  ber  ©renken  feine*  fRetc^e^  be* 
traf,  fo  mar  Subwig  weit  entfernt,  fid)  mit  bem  $u  begnügen,  wa* 
ihm  bie  ftömweger  Vertrage  eingebracht.  $er  griebe  fottte  nur  jur 
öeru^igung  be*  ßanbc*  unb  jur  Slnfammlung  neuer  Stäfte  für 
weitere  friegerifche  Unternehmungen  bienen,  emftweilen  aber  foßte  auf 
bem  SSege  brutaler  ®ewaft  bie  Schwäche  ©eutfdjlanb*  unb  ©panien* 
ju  neuen  ®ebiet*erwerbungen  ausgebeutet  werben. 

55a  bei  bem  9lbfcf)lu&  be*  Stieben*  öon  Scnmwegen  bie  faifer* 
liefen  ÖJefanbten  fich  mit  einer  Betätigung  be*  weftfältfehen  grie= 
ben*  begnügt  hatten,  ohne  auf  ber  SReftitution  ber  elfäffijchen 
9*ekh*ftäbte  unb  reich*ritter  liehen  (Gebiete  ju  beftehen,  bie  oon 
granfreich  wiberrechtlich  befefct  worben  waren,  \kit  Subwig  fich  fü*  be= 
rechtigt,  bie*  al*  eine  ftillfchweigenbe  Slnerfennung  feine*  (Sigen* 
thum*recht*  auf  biefelben  anjufehen,  unb  forberte  bemgemäfc  im 
3ahre  1679  bie  föeich*ftäbte  unb  bie  9leich*ritterfchaft  im  @lfa& 
jur  förmlichen  ^mlbigung  auf.  Swö^ich  ftc^e  cr  an  a^c  unmittel* 
baren  9teich*ftänbe,  bie  früher  ju  ben  brei  lothringifchen  5öi*thümern 
$cefc,  Xoul  unb  SBerbun  in  einem  ßehen*üerf)ältniffe  geftanben,  bie 
gorberung,  ihn  al*  ihren  Oberherm  anjuerfennen,  weil  bie  SRedt)tc 
ber  gebauten  Bifchöfe  auf  ihn  übergegangen  feien.  3m  folgenben 
Qahre  würbe  auf  ben  SBorfchlag  Souooi*',  ber  im  Qntereffe  ber 
Nahrung  feine*  eigenen  ©influffe*  bie  (Sitelfeit  unb  SRuhmbegierbe 
Subwig*  planmäßig  bearbeitete,  um  beffen  Gtyrgcij  ja  nicht  §ur 
9hif)e  fommen  $u  laffen,  eine  genaue  Unterfuchung  über  alle  Die- 
jenigen Territorien  unb  Stäbte  angeorbnet ,  welche  mit  ben  im 
fünfter' fchen  unb  9h)mweger  grieben  abgetretenen  ®ebiet*theilen 
be*  beutfeheu  deiche*  ober  Spanien*  in  früherer  ober  fpäterer  Qcit 
in  Sehen*oerbinbung  ober  anbern  Beziehungen  geftanben  hätten,  ba= 
mit  biefelben,  al*  in  ben  gemachten  Abtretungen  einbegriffen,  gleich1 
fad*  in  Befifc  genommen  werben  fönnten.  Qu  biefem  Qwcde  wur* 
ben  ju  9Jcefc,  Befancon,  Breijach  unb  Xournaty  befonbere  Bericht** 
höfe  unter  bem  Ücamen  9teunion*fammern  errichtet,  welche  bie 
öon  ihnen  al*  $epenbenjen  ber  abgetretenen  Säuber  unb  Stäbte 
anerfannten  ©ebiete  mit  granfreich  wieber  oereiuigen  follten. 
2)ie  $Reunion*fammern  ju  TOe^,  Befanson  unb  dreifach  erflärten 
ba*  ganje  ^erjogthum  Sweibrücfen,  obgleich  ba*felbe  bem  Bunbe** 
genoffen  granfreich*,  bem  ftönig  ®arl  XI.  oon  Schweben,  gehörte, 
Saarbrücfen,  Belben$,  Sponheim,  3#ömpelgarb,  Sauterburg,  ®ermer** 


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fiubnngä  XIV.  ©ewaltttjcitigtetten  gegen  $>eutfd)lanb,  Spanien  2c  79 


heim,  Hornburg,  53it)d),  galfenburg  unb  Diele  anberen  Stäbte  unb 
^cjtrfc  für  alte  Ssepenben jcn  ber  neuerworbenen  ^roöinjen  unb 
ipradjen  bem  ßönig  oon  granfreich  bie  Oberhoheit  über  biefetben  p. 
Subtoig  Ue&  hierauf  bie  gürften  unb  (trafen,  benen  bicfe  ©ebiete 
gehörten,  jur  Jpulbigung  Dorlaben,  unb  ba  ftiemanb  erjdnen,  mur* 
ben  bie  fraglichen  „$epenben$en"  als  öermirfte  fielen  mit  ©emalt 
in  Söefife  genommen. 

3n  ähnlicher  SBeife  würben  burch  bie  föeumonäfammer  oon 
Xoumati  öerfduebene  bem  Könige  Don  Spanien  gehörige  nieber* 
länbifcfte  ^Btcibtt  unb  £>err}d)aften,  barunter  bad  gan$e  #erjog* 
tljum  ßujemburg,  als  $)epenbenjen  ber  im  Mrenäifdjen,  Aachener 
unb  9lrjmweger  grieben  abgetretenen  ©ebiete  bem  ftöntg  oon  granf* 
reich  jugeförochen.  2Kit  bem  gleiten  fechte,  ba*  bei  biejen 
9teunionen  geltenb  gemalt  mürbe,  Jjätte  Submig  gan$  $)eutfchlanb 
„renniren"  tonnen,  ba  an  jebe  £epenben$  fidj  immer  eine  anbere 
anfchloö- 

Vergebens  fugten  fomof)!  ber  ftaifer  als  ber  föeichätag  ju 
föegenaburg  burd)  iöorftettungen  ben  Anmaßungen  ßubwig'ö  entgegen 
ju  treten,  inbem  fie  bie  örunblofigfeit  {einer  Anförüche  auf  bie  reu^ 
nirten  ©ebiete  burdj  bie  unwiberleglichften  9iecht$grünbe  nachmiejen. 
gubnrig  ttriüigte  ^war,  um  fich  ben  Anfleht  ju  geben,  al£  fei  er 
weit  entfernt,  (&emalt  öor  9ted)t  gehen  laffen  $u  motten,  in  bie  Söe* 
fchicfung  be$  oon  bem  9ieict)c  jur  Ausgleichung  be$  entftanbenen 
3nrifte£  in  Sßorfchlag  gebrauten  ©ongreffeä,  ber  In  granffurt  abge= 
halten  werben  fottte ;  aber  noch  ehe  oer  Reichstag  in  feiner  gewöhn* 
ten  SchioerfdUigfeit  fich  über  bie  bei  ben  ^ertjanblungen  $u  bcobaty 
tenben  görmlidjlichfctteu  imtte  einigen  fönnen,  geigte  ein  neuer  ©e= 
mattfehritt  £ubwig'ä,  mie  wenig  berfelbe  gemittt  mar,  fich  burdj 
^techt^grünbe  unb  Skrhanblungen  in  ber  Söefriebigung  feiner  9iaub= 
gelüfte  aufhalten  511  laffen. 

Cbgleia)  bie  ©tabt  Strasburg,  beren  Söichtigfeit  als 
$auptfchlüffel  jum  Steine  uno  büm  deiche  fc^on  $arl  V.  burch 
ben  AuSfpruch  bezeichnet  ^atte :  „2Benn  SBien  unb  Strasburg  $u= 
gleich  in  ©efat}r  mären,  jo  mürbe  er  juerft  Strasburg  ju  retten 
juchen",  bei  ber  Abtretung  beS  (SlfaffeS  in  bemgrieben  oon  fünfter 
ausbrücflich  aufgenommen  morben,  mar  £ubmig  entfchloffen,  fich 
berfelben  yi  bemächtigen,  wofür  ihm  ber  llmftanb,  ba&  ihm  bie  9teu= 
nionstammer  $u  dreifach  ba*  g  a  n  5  e  ©Ifaft  jugefprochen,  einen 
erwünschten  Sßormanb  bot.  jftadjbem  mehrere  franjöfifche  9tegi= 
menter  ganj  in  ber  8titte  in  ba*  (£lfaB  eingerüeft  maren  unb  §trafc 
bürg  eingejchloffen  hatten,  erfchien  am  29.  September  1681  i*ou* 
ooiS  felbft  mit  einem  Speere  öon  jmanjigtaufenb  SDiann  unb  $ahl* 
reichem  itöelagerungSgefchüfc  oor  ber  3tabt  unb  forberte  bie  beftürj* 
ten  ©inmohner  auf,  fich  5«  ergeben,  wibrigenfall*  er  fie  als  >Jie* 


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80 


ßubtöig  XIV.  Don  grtmfreid). 


beflcn  bezaubern  werbe,  $a  Subrotg  für  biefen  fct)on  lange  cor* 
bereiteten  $anbftrcia}  einen  Xt)cil  be*  9Jcagifrrat*  bura?  ©eftedjung 
gewonnen  hatte  unb  bie  angefeljenften  Kaufleute  eben  auf  ber  granf* 
furter  SCReffc  waren,  aua?  bie  Stabt  au*  gurd)t  öor  granfreia)  bie 
Slufnafjme  einer  faiferlidjen  Söefafcung  üerweigert  fjatte,  gab  bie  *8ür* 
gerfefjaft  jeben  ©ebanfen  an  SBiberftanb  auf  unb  fdjlo§  fdjon  am 
folgenbcn  Sage  mit  Souooi*  eine  Kapitulation,  in  welcher  fie,  gegen 
bie  3ttP4etttiig  ber  2(ufrea)tlmltung  it)rcr  bürgerlichen  SBerfaffung 
unb  i!)re*  coangelifa^en  föeligtonSWefen*  nad)  bem  9<ormaljat)re 
1624,  ben  König  bon  granfreidj  al3  Dberf)errn  anerfannte,  beffen 
Xruppen  aufzunehmen  berfprad?  unb  ben  Katf)olifen  bie  3urütfgabe 
ber  $omfircf)e  jufagte.  9caa)bem  £ouooi*  noch  an  bem  nämlichen 
Sage  in  bie  Stabt  eingebogen,  lieg  er  bie  Bürger,  bie  aHe  ihre 
Staffen  auf  bem  9tat^aufe  Ratten  abliefern  muffen,  bem  König  bon 
grantreich  (jnlbigen. 

211*  Submig  XIV.  am  23.  Dftober  mit  feiner  ganzen  gamilie 
unb  einem  zahlreichen  glänjenben  ©efolge  in  Strasburg  erfd)ien, 
würbe  er  unter  bem  portale  be*  fünfter*  bon  bem  ihm  ganj  er* 
gebcnen  SBifdjof  granj  (Sgon  bon  gürftenberg,  ber  nicht  wenig  511 
bem  ©elingen  be*  Ueberfafl*  betgetragen,  mit  ber  söerficherung  em= 
pfangen:  „2ßie  ber  alte  Simeon,  fo  fönne  auch  er  fagen,  ba§  er 
ba*  (£nbe  feiner  Sage  mit  greuben  erwarte,  ba  ber  9cachfomme  be* 
©rünber*  be*  3)ome*  wieber  al*  fein  £err  in  benfelben  ei«jicr)e. " 
3ur  Erinnerung  an  ba*  mistige  @reigui§,  burch  welche*  ba*  ftärffte 
rocftlidje  Söollwerf  be*  9teid)e*  ohne  einen  Sdjroerrftmd)  in  feine 
Jpänbe  gefommcn,  lieft  Öubwig  eine  5)enfmünje  prägen  mit  ber 
3nfd)rift:  »Germanis  Gallia  clausa  —  ©aflien  ift  ben  Seutfchen 
berfdjl  offen",  unb  trug  jugleich  Sorge,  bie  m  iberrechtlich  in  söefty 
genommene  Stabt  burch  bie  Anlage  einer  ungemein  ftarfen  Sita- 
belle  \u  einem  £>auptwaffenpla$e  granfreich*  311  machen,  burd)  meU 
chen  tr)m  ber  (Einbruch  in  ba*  fübüdje  SJeutfchlanb  ungemein  er* 
leichtert  mürbe. 

Unterbeffen  war  ber  Kongreß  $u  granffurt  cnblich  eröffnet 
worben;  aber  anftatt  zugleich  mit  allem  9cad)brucf  bie  Rechte  be* 
Reiche*  gegen  bie  freien  Eingriffe  granfreich*  ju  magren,  berloreu 
bie  beutja^en  $lbgeorbneten  ihre  3«t  in  enblofen  Strettigfetten  über 
bie  fleinltchften  ©tif ettenfragen :  über  bie  Reihenfolge  ber  gegenfei* 
tigen  ©efua)e,  über  bie  ^ßläfce  an  ben  Sujung*tifchen  unb  berglei* 
a)en  mehr.  $lud)  entfpann  fict)  ein  Qtotft  mit  ben  franjöfifdjen  Mb* 
georbueten  über  bie  Sprache,  in  welcher  bie  >8erhanblungen  geführt 
werben  follten.  SBä^renb  bie  beutfehen  ©efanbten  bie  ^-Beibehaltung 
Der  in  allen  biplomattfchen  ^er^ältniffen  bi*  bahin  üblich  gemefenen 
lateinischen  Spraye  oerlangten,  obgleich  bie  beutja^en  Staatsmänner 
felbft  in  ihrer  Korrefponbenj  fid)  ber  franjöfijchen  Spraye  bebien* 


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Subroigä  XIV.  ©enmlttljätigfeiten  gegen  2>eutfd)lanb,  Spanten  ic.  81 

ten,  beftanben  bie  franjöfifdjen  mit  um  fo  größerem  ©tgenfinn  barauf, 
baß  in  ifjrer  Spraye  öerljanbeit  merbe,  als  fie  in  biefem  3ttnft  ein 
emmnfdjteS  9Jcittel  fanben,  bie  Unterfjanblungen  in  bie  £änge  $u 
Steden,  um  ifjrem  ßönig  Seit  ju  öerfdjaffen,  burä)  Unterftüfcung  ber 
rebellifdjen  Ungarn  unb  Aufreizung  ber  Surfen  5U  einem  neuen 
Kriege  gegen  ben  Äaifer  bie  SBiberftanbSfraft  Defterreid)3  ju  lahmen. 

Um  ftd>  für  ba&  gef)tfd)lagen  ber  Hoffnungen ,  bie  er  auf  ben 
Sürfettfrieg  gefefct,  $u  entfdjäbtgen,  befd)loß  £ubnrig,  welker  auf  bie 
oon  ganj  ©uropa  mit  Qubel  begrüßte  9tadjrid)t  öon  ber  Befreiung 
SBienS  fidj  im  Uebermaß  be3  Unmuts,  ein  Unmofjlfein  öorfdulfoenb, 
brei  Xage  lang  in  feine  ©emädjer  eingejdjloffen  fyatte,  ßujremburg 
unb  Zrier  in  feinen  BefuJ  $u  bringen.  3m  jJloöember  1683  rütften 
bie  3Barfd)älle  $mmi&re3  unb  (£r£qui  in  bie  fpanifctyen  lieber lanbe 
ein,  unb  mäfjrenb  ber  (Jrftere  Sourtrotj  unb  $)irmuiben  roegnafjm, 
jroang  (Srequi  ßujemburg  jur  Ergebung.  5)a  fia)  ju  ber  gleichen 
3eit  ein  franjöfifdjeS  Jpeer  gegen  SftouffiHon  in  söetoegung  )e$te, 
blieb  bem  Jpofe  öon  Sftabrib  ÜRidjtö  übrig,  als  an  granfretdj  ben 
Äxieg  $u  erflären.  3n$mifd}en  toar  Erdqui  in  ba$  ©rjbiätfmm 
Xrier  eingefallen  unb  fjatte  bie  Belagerung  ber  $>auptftabt  begonnen, 
bie  ficf>  am  15.  3uni  ergeben  mußte.  9kä)bem  audj  biefer  Sdjlag 
gelungen  mar,  ließ  Subttrig  bem  9teid)3tag  ju  SRegenSburg  einen  Staffen* 
ftiöftanb  anbieten,  obgleich  man  fid)  gar  ntdjt  im  Srrieg^juftanbe 
befanb,  unb  ba  bie  Streitfrafte  be£  ®aifer$  burdj  ben  fortbauern* 
ben  ßrieg  mit  ben  Xürfen  in  Anfprud)  genommen  roaren,  brachte 
e$  ber  fhirfürft  öon  Branbenburg,  ber  ftd)  jefct  ganj  bem  franjö* 
ftfrfien  Qntereffe  ergeben  jeigte,  bafjin,  baß  ber  neue  fdjreienbe  ©in* 
griff  ßubnngä  in  bie  Siebte  be3  9teia)3  ungeafmbet  blieb  unb  bie 
angebotene  2Baffenruf)e  angenommen  mürbe.  ©0  fam  am  15.  Auguft 
1684  pu  9tegen3buTg  jttrifcfjen  bem  ®aifer,  bem  SReid)  unb  Spanien 
einerfeitö  unb  ber  Stone  granfreid)  anbererfettä  ein  Vertrag  ju 
Stanbe,  fraft  beffen  bie  lefctere  bis  jum  2lbfd)luß  eine«  bemnädtft 
ju  oereinbarenben  befinitiöen  griebenä  im  ungeftörten  ©efifc  aller 
feit  bem  9tymmcger  grieben  gemalten  Erwerbungen  bkibtn  joüte. 

2Bie  $eutfdjlanb  unb  Spanien,  fo  mußte  aud)  gtalien  ben 
Uebermutb,  SubmigS  unb  bie  SBirfungen  beä  öon  bemfelben  erlange 
ten  Uebergenud)t§  ferner  empfinben.  9*ad)bem  granfreia)  bereite 
im  ^rieben  öon  (Sljieraäco  (f.  ©b.  V.  6.  666)  in  ben  «efifc  ber 
roia)tigen  geftung  «ßignerol  gefommen  mar  unb  baburdj  feften  guß  in 
gtalien  gefaßt  ^atte,  ftrebte  ber  #önig  nad)  bem  (Srmerb  ber  in  bem 
mantuanifdjen  Anteil  öon  2ttontferrat  gelegenen  geftung  (£  a  f  a  l  e, 
bie  für  einen  Singriff  auf  bie  fpanifc^en  Öeftfcungen  in  Dberitalien 
ben  bequemften  ©tü^punft  bilbete,  unb  eä  mar  t^m  gelungen,  ben 
hnberlofen  ^erjog  Ä'arl  IV.  oon  9Kantua ,  ben  Urenfel  #arlä  öon 
Feuers,  im  ^ejember  1678  ju  einem  geheimen  Vertrage  ju  be- 
^olatoart^,  3B«Itflefa)ia)te.  VI.  6 


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82  fiubrotg  XIV.  Don  grantreicb,. 

wegen,  in  meinem  i$m  bcrfelbe  gegen  bie  ga^ung  öon  fjunbert= 
taufenb  ©cubi  baä  ©efafcungärecht  öon  (Safale  einräumte.  Qnbeffen 
erlangten  Defterreicf)  unb  Spanien  ®enntnifj  öon  biejem  Vertrage, 
ef)e  eä  ßubwig  möglich  gewefen,  Xruppen  nach  (£afale  $u  bringen, 
unb  ba  ber  ®önig  in  ©rfafyrung  gebracht,  ba&  ber  ©taatäfefretär 
beä  fterjogä  öon  SRattttta,  ber  ©raf  SRattiolt,  ber  Vermittler 
be3  ermähnten  Vertrag«,  ba«  ®eheimni&  an  ©aöoüen  öerfauft  fw&e, 
lieg  er  benfelben,  nachbem  man  ihn  auf  franjöfifche«  ÖJebiet  gelotft, 
gegen  alle«  Völferrecht  in  einer  einfamen  SBalbgegenb  öerhaften  unb 
bei  bunfler  9cad)t  unter  einem  fremben  tarnen  auf  bie  geftung 
s$ignerol  bringen.  211«  ber  ©ouöerneur  berfelben,  ©t.  2Kar«, 
balb  barauf  nach  ber  Snfel  ©t.  9)cargucrite  öerfefct  würbe, 
mu&te  ihn  aJcattioti  borten  begleiten  unb  ihm  fpäter  al«  ©t.  2Kar« 
jum  ftommanbanten  ber  93aftiüe  ernannt  morben,  auch  in  biefe« 
©taategefängnifc  folgen,  wo  er  unbefannt  unb  öergeffen  ftarb  l). 

$ie  Vefe&ung  öon  Safale  burch  eine  #eere«macht  öon  $wölf= 
taufenb  9flann  unter  bem  Vrigabegeneral  (Xatinat  erfolgte,  nachbem 
ber  #of  öon  Xurin  bie  (Srlaubntfi  jum  $urch$ug  berfelben  burd) 
ba«  ^temontefifche  erteilt  hatte,  an  bemfelben  Jage,  an  meinem 
Souöoi«  in  ©trafjburg  einjog. 

3)ie  Vefifcergreifung  öon  (£afale  burdj  granfreich  gab  £ub* 
mig  XIV.  im  %afyxt  1685  Veranlaffung,  auch  ber  Üiepublif  ®e= 
nua,  bie  fich  fett  ben  Seiten  be«  Änbrea«  $)oria,  eingeben!  ber 
früher  öon  granfreich  erlittenen  Unterbrücfung,  auf  ber  ©eite  ©pa^ 
nien«  gehalten,  ba«  öolle  (Gewicht  feiner  $)lad)t  in  ber  übermütfug* 
ften  SBeife  fühlen  ju  laffen.  S)a  bie  ©enuefen  ben  Xran«port  öon 
£eben«mitteln  für  bie  Vefafcung  öon  Safale  burd)  il)r  (Gebiet  nicht 
geftatten  wollten,  fanbte  ßubmig  im  9Jiai  1684  eine  gewaltige 
glotte  unter  bem  Mbmiral  bu  Que«ne  unb  bem  äRarqui«  öon 
©eignelai,  bem  ©ohne  be«  ginanaminifter«  Solbert,  nach  ©enua, 
um  öon  ber  ©ignoria  bie  Auflieferung  öon  öier  ©aleeren  unb  bie 
(Smtfenbung  einer  ©efanbtfchaft  nach  Verfaille«  ju  öerlangen,  bie 
ben  ®önig  wegen  ber  ihm  jugefügten  Veleibigung  um  Verjeifjung 
bitten  unb  ifm  ber  öollftänbigen  Unterwerfung  ber  ©tabt  öerfid)ern 
foßte,  unb  ließ  auf  bie  Steigerung  ber  (Senuejer,  biefer  empörenben 
gorberung  nachkommen ,  gegen  bie  ©tabt  ein  Vombarbement  er* 
öffnen,  ba«  in  berfelben  fo  furchtbare  Verheerungen  anrichtete,  baß 

1)  $ie[er  ©raf  SJcarh'olt  ift  aller  3Ba^rfd>cütlict)feit  natf)  jener  geheimnifc 
oofle  (Staatsgefangene,  ber  unter  bem  tarnen  „ber  SRamt  mit  ber  eijernen 
sJDia«fe"  befannt  geworben,  »eil  er  nie  anber«  als  mit  einer  fdjtoarjen  3RaSfc 
gefeiten  tourbe,  bie  übrigen«  feine  eiferne,  fonbern  oon  Sammt  mar.  SDie 
ängftlict>c  Sorge,  mit  roeldjer  man  e«  öerf)üten  fudjte,  bafj  ber  ©efangene 
erfannt  werbe,  ermeefte  ba§  Sntereffe  für  benfelben  nur  in  um  fo  ijöberem 
ÖJrabe  unb  gab  SSeranlaffung  yu  ben  oerfa^iebenartifljten  Vermutungen  über 


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SubtotgS  XIV.  britter  groberungSfrieg. 


83 


bie  ©ignoria,  um  bic  gänzliche  Söernidjtung  ber  Stabt  abjumenben, 
ben  *8efd)lut3  faßte,  fid)  in  ba3  Unoermeiblia)e  ju  fügen,  $n  einem 
im  gebruar  1685  gefa)loffenen  SBergleiO)  oerftanb  fic|  bie  föepublif 
ba$u,  allen  gorberungen  granfreid)*  Genüge  $u  leiften,  bie  Soften 
be4  ^ombarbementä  ju  erfefcen  unb  ben  $>ogen  granceSco  2flaria 
beglt  gmperiali  mit  oier  Senatoren  nad)  iöerfaiHe*  ju  fenben,  um 
öor  bcm  Äönig  bemütfnge  Abbitte  bafür  $u  tfmn,  bafj  fte  eä  ge* 
roagt,   feinem  SBiflen  entgegen  ju  fein.    Sit«  man  bem  $ogen, 
einem  ttmrbigen  unb  geiftreidjen  2ftann,  nad)  erfolgter  Abbitte  bie 
Sehenärourbigfetten  be3  pradjtooHen  #önigafi|je3  jeigte  unb  ilm  ba* 
bei  fragte ,  toeldje  oon  ben  üielen  Seltenheiten  am  meiften  fein 
Staunen  errege,  gab  er  jur  ?lnnoort:   „$ie,  mid)  t)icr  ju  fehen." 


gubtoigä  XIV.  britter  groberuuggfrieg. 

(1638-1697.) 

Xie  33ereittt)i0igfeit ,  mit  weldjer  fotuobl  Spanten  alä  ba$ 
:Heid)  auf  ben  oon  granfreidj  oorgefd)lagenen  unb  nur  für  bic* 
jeS  Sanb  bortheilhaften  SBaffenftiüftanb  eingegangen,  t)atte  ßub- 
toig  XIV.  auf*  91eue  bie  ganje  Sd)ttmd}e  feiner  Gegner  enthüllt 
unb  ihm  gezeigt,  ma£  er  fid)  2llle3  gegen  biefelben  erlauben  fönne; 
er  f abritt  bafjer  mit  ber  äufcerften  Verhöhnung  alle*  SRedjtea  auf 
ber  29afm  ber  SReunionen  toeiter  fort.  So  ließ  er  bie  im  (£lfa& 
belegenen  Güter  be$  beutfdjen  Drbenä,  fomie  bie  beS  Strafjburger 
$)omfapitel$  unb  ber  greiburger  Unioerfität  einziehen  unb  bei 
Rüningen  ein  gort  errichten  unb  eine  SBrüde  über  ben  9%r)ein  fdjla- 
gen,  bie  jum  %fyt\l  auf  einer  bem  SDlarfgrafen  oon  $Baben=2)urlad) 
gehörigen  9ir)eininfel  ruhte,  beren  Abtretung  gebieteriftt)  oerlangt 
würbe.  $um  offenen  ©rud)  be$  gefd)Ioffenen  SBaffenftiflftanbe* 
burd)  bie  Erneuerung  beS  Kriege*  in  S)eutfä)lanb  mürbe  nur  auf 
eine  Gelegenheit  gemartet,  bie  bem  länberfüa}tigen  ftömg  einen 
neuen  Gebiet3äutoad>  in  SluSfidjt  ftelle. 

$iefe  Gelegenheit  fduen  ftcr)  im  gafjre  1685  barjubieten. 
fturfürft  ßarl  bon  ber  $falj ,  ber  9tad)folger  £arl  Subtoig*  unb 
ber  lefcte  männlid)e  Sprößling  ber  reformirten  Simmernfajen  ßinie 
be3  furpfäl$ifd>en  §aufe3  ftarb  in  biefem  3ar)re  unb  bie  fatho* 
Ufd)e  £inie  $fal^9leubiirg ,  beren  £aupt  ^faljgraf  SBü* 
heim,  ber  Sa)ttnegeröater  be$  ßaiferä  mar,  foüte  nun  in  ben 
Sejtfc  ber  furpfäljifchen  Sänber  !ommen.  2>a  aber  ßubmigä  XIV. 
«ruber,  ber  £>er$og  Philipp  oon  Drleanä ,  mit  ber  pfäl* 
Alchen  ^rinjeffin  ©lifabeth  Charlotte,  ber  Schtoefter  beä  Oer* 
Torbenen  fturfürften,  oermählt  mar,  erhob  ber  Stönig  im  tarnen 

6* 


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84 


fiubioig  XIV.  Don  granfreicf). 


fetner  ©chtoägerin  ttnfpruch  nicht  nur  auf  bie  bewegliche  hinter* 
laffenfdjaft  be«  fieberen,  fonbern  auch  auf  bie  furpfäfaifchen  Slllobien, 
obgleich  bte  ^erjogin  oon  Orleans  bei  ihrer  Vermahlung  in  boll- 
ftänbig  giltiger  SBeife  auf  if>r  (Erbrecht  SScrsic^t  geleiftet ,  ma&te 
fia)  felbft  bie  UnterfuAung  barüber  an,  meldte  Pfeifchen  XerrU 
torien  OTobien  ober  fielen  feien,  unb  berlangte  bid  jur  (SntfcheU 
bung  biefer  Angelegenheit  bie  Ueberlaffung  be$  gefammten  fur= 
pfäl$ifdjen  ©ebietefc. 

$ie  näa)fte  golge  biefer  neuen  Verlegung  ber  fechte  unb 
3ntereffen  beS  ^Reiches  burct)  ben  franjöftfcfjen  ®eroalthaber  war 
ber  Slbfchlufj  eines  93ünbniffe3  ättufchen  bem  $urfürften  uon  $Bran= 
benburg,  ber  inattrifchen  bezüglich  granfreichS  jn  feinen  früheren 
Slnfchauungen  prüdgefehrt  mar,  unb  bem  ®aifer,  mit  roelchem  grieb= 
rieh  2öilhelm  feit  einiger  Seit  megen  ber  oon  ihm  beanfpruchten 
fdjlefifchen  |)erjogt^ämer  ^ägernborf,  ßtegntty,  SBrieg  unb  SBohlau 
in  gtuiefpalt  gelebt  r)atte.  Qu  bem  am  8.  2Jcai  1686  $u  ©erlin  jnrifchen 
Setben  abgefdjloffenen  Vertrag  berpflichtete  fid)  ber  $urfürft,  unter 
*8er$ichtletftung  auf  bie  fraglichen  .£>erjogthümer  gegen  bie  Ueber- 
laffung  be$  ju  ©chlefien  gcfjörenben  ©chnriebufer  ®reife§,  jur  naaV 
brücflict)ften  90?itnrirfung  für  bie  $lufrechthaltung  ber  SRedjte  aller 
9teid)3ftänbe  gegen  Angriff  unb  ®etoalt,  inSbefonbere  ber  be3  neuen 
$urfürften  bon  ber  $fatj.  gmei  Sttonate  fpäter,  am  9.  Quli  1680, 
fct)Ioß  ber  ftaifer  ju  WugSburg  mit  Spanien,  ©djroeben,  bem  Shtr- 
fürften  bon  Katern  unb  ben  am  regten  Ufer  be3  DberrheinS  au- 
fäfftgen  Surften  unb  ©täuben  ein  öünbntfi  jur  (Erhaltung  De^ 
grtebenS  unb  be§  SRegenSburger  SSaffenfttflftanbeS. 

$ie  Nachricht  üon  bem  Abfdjtuffe  biefe$  ©ünbntffeS  fam  bem 
Äonig  bon  granfreich  nicht  unmiflfommen ,  ba  (te  ihm  einen  *Bor= 
toanb  ju  bem  geplanten  Kriege  gegen  $eutfchlanb  bot.  Vorher 
wollte  er  fid)  jebodj  beä  (£rjbi3thum3  ®öln  berfichern ,  beffen  (£r= 
lebigung  in  ber  ®ür$e  ju  erwarten  ftanb.  $n  biefem  (Shtbe  muffte 
er  e£  bafjiu  ju  bringen,  bafj  ein  $beil  beS  $omfapitelä  ben  auf  fein 
Verroenben  jum  ®arbinal  ernannten  SBifcuof  oon  ©trafiburg,  2Bilf)elm 
ton  gürftenberg,  ben  ©ruber  unb  Nachfolger  be$  im  Qabre  1682 
beworbenen  gran$  (Sgon ,  jum  ®oabjntor  beä  feinem  @nbe  ent* 
gegcngehenben  .^urfürften  ^ajimilian  Heinrich  wählte.  $apft  3nno* 
cenj  XI.  berwarf  aber  bie  uncanonifchc  SBacjl.  Wach  bem  $obe  beS 
^urfürften  tourbe  Jürftenberg,  obfdjon  ber  ^ßapft  fich  gegen  ifm  an^= 
fprach,  benttoch  t)on  breijef)u  Domherren  jum  ©rjbifchof  gcmätjlt,  roä> 
renb  bie  neun  anberen  it)re  ©timmen  bem  baierifchen  ^rinjen  3ofeph 
©lernend ,  bem  «ruber  beä  turfürften  SWa^tmilian  Immanuel ,  ga^ 
ben.  5)a  aber  nach  bem  canonifchen  fechte  ein  Sifchof  für  ein 
anbereS  ©idthum  nur  poftulirt  roerben  fanu  unb  h^rju,  im  Salle 
ein  2Baf)lbcrechtigter  mit  ihm  coneurrirt ,  eine  9)cehrhett  oon  jtt)ci 


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Subroig*  XIV.  brittcr  GroberungSfrieg. 


85 


^rittljetfen  ber  Stimmen  crforbcrt  tturb,  erflärte  $apft  ^nnocenj  XI. 
am  20.  September  1688  bie  SBa^l  gurftenberg*  für  ungiltig  unb 
bestätigte  bie  be*  baicrifc^en  ^rinjen. 

Xa*  gehlfdjlagen  feiner  Hoffnungen  auf  bie  ©rfjebung  feine« 
Schübling*  auf  ben  Äölnifdjen  Stuhl ,  toerbunben  mit  ber  fta^ricftt 
neuer  Siege  ber  ftaiferliehen  in  bem  Xürfenfriege ,  bie  ba*  balbige 
£nbe  beäfelben  in  SluSficht  fteüten ,  bemog  ben  flönig ,  ben  be* 
ichloffenen  &rieg  nict)t  länger  aufjufdneben ,  fonbem  burdj  ben  un= 
erwarteten  beginn  be*felben  bem  bebrängten  Sultan  eine  fräftige 
$>u>erfton  $u  mad)en.  2lm  25.  September  1688  rücfte  ber  Dauphin 
mit  einem  Speere  öon  achtjigtaujenb  Sttann  in  bie  9theinpfal$  ein, 
nadpbem  am  üor^erge^enben  Xage  bie  ®rieg*erflärung  Subttrig*  nach 
ÄegenSburg  abgegangen.    3n  biefem  ättanifefte  erflärte  ßubttrig: 
„<£r  fei  jum  Kriege  gelungen,  roeU  ber  ffaifer  bie  &bfid}t  ^ege,  mit 
ben  dürfen  grieben  ju  fchliejjen  ,  um  feine  SSaffen  gegen  granf* 
reidi  $u  teuren,  weil  femer  ber  ®urfürft  bon  ber  $falj  fidj  tt>ei= 
gere  ,  ben  Slnfprüchen  ber  Herzogin  öon  Orleans  auf  bie  (Srbfdwft 
ihred  trüber«  geredet  ju  werben,  unb  bei  bem  $aifer  Unterftü^ung 
für  feine  ungerechte  Steigerung  fudje,  unb  roeil  enblich  ber  Söiener 
4)of  ben  mit  bem  Könige  befreunbeten  ®arbinal  bon  gürftenberg, 
ben  ein  be*  Xomfapitel*  ju  #öln  $um  ^r^bifc^ofe  erroählt, 

üon  biefem  Stuhle  berbrängt  unb  bie  2Baf)l  be*  baierifcr)en  $rin$en 
.Csofcpt)  lllcmen»  burdjgefefct  tjabe  in  ber  s2lbjtcf)t,  tjicburd)  ba*  baU 
bige  ?lu*fterben  be*  baierifchen  $aufed  $u  beförbern;  boef?  habe  er 
bie  SSaffen  nur  ergriffen,  um  feinerfeit*  ade«  $u  thun,  roa*  jur 
Bidjerüellung  eine«  allgemeinen  Sftuheftanbe*  für  bienlidj  erachtet 
werben  fönne.  @*  roerbe  nur  an  bem  $aijer  liegen,  biefem  9hihe~ 
ftanbe  burd)  bie  Söerroanblung  be*  ju  föegen*burg  gesoffenen 
SSaffenfiillftanbe*  in  einen  befinitiben  grieben  immermährenbe 
3)auer  $u  berjajaffen.  5)en  Anfang  ^abe  er  mit  ber  Belagerung 
ber  föeidjäfeftung  ^t)ilippöburg  machen  laffen  f  nicht  um  ba*  Ktiqj 
anzugreifen,  fonbern  um  ben  (Gegnern  ber  töulje  ben  Eingang  in 
fein  Königreich  $u  berfperren,  unb  er  roerbe  jur  SBeförberung  be* 
abjufajIieBenben  3)efinitibf  rieben*  gern  bereit  fein,  biefe  Stabt 
nach  Schleifung  ber  geftung*roerfe  unter  ber  Bebingung  jurürfau* 
geben,  baß  bie  Söerfe  niemal*  mieberhergeftetlt  roerben  unb  bie  $ur 
Sicherung  ber  franjjöfifcfjen  ©renje  angelegten  gort*  Rüningen  unb 
&>ui*  feine  Beeinträchtigung  erleiben  bürften." 

ßeopolb  übertrug  bie  Slbfaffung  ber  Slnttoort  auf  biefe*  fdjmaa> 
ootte  TOanifeft ,  in  meinem  bem  deiche  in  ber  empörenbften  Söeife 
^olm  gebrochen  mürbe,  bem  berühmten,  auch  d&  Staatsmann  unb 
9ie<htalehrer  hochangefeljenen  ^hüofophcn  Seibni^ ,  ber  eben  in 
©ten  anmefenb  mar ,  unb  biefer  entlebigte  fidj  be*  Auftrag*  feine* 
faiferlichen  greunbe*  unb  OJönner*  in  einer  feine*  gro&en  tarnen* 


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86 


öubwtg  XIV.  öon  Orranfvcic^. 


würbigen  SBeife.  9cacf)  eingehenber  SSiberlegung  aller  einzelnen 
fünfte  be3  franjöfifchen  ©djriftftücfea  mürbe  oft  eigentlicher  3wecf 
ber  franjöfifchen  s$olitif  bie  Äbficht  bejeichnet,  bie  SieichSftcmbe 
burdj  bog  ©chretfbilb  einer  angeblichen  öfterreid^ifdtjen  ^nec^tfc^aft 
Don  bem  ftaifer  ju  trennen  unb  unter  granfreich«  ©otmä&igfeit  ju 
bringen.  Mein  jeber  Xeutfdje,  ber  noch  nicht  ba&  eiferne  3och 
granfreichS  trage,  werbe  an  ben  unter  bemfelben  feufjenben  ©tam= 
meägenoffen ,  ja  an  ben  Untertanen  unb  bem  nieberen  unb  hohen 
Slbel  granfreich«  felbft  leicht  untertreiben  fönnen,  ob  bie  öfter* 
reichifche  Regierung  ober  bie  franjöfifche  £errfchaft  ber  Xürannei 
oermanbter  fei.  „  Seine  faiferliche  3Waieftät"f  fo  fdtjtog  ba3  3Jcani* 
feft,  „wäfdjt  ihre  #änbe  in  Unfchulb  über  bie  folgen  biefeä  Kriege* 
unb  erffärt  bor  ®ott  unb  aller  SBelt ,  ba&  nicht  fte  Urfache  beä 
ftamofe«  ift,  fonbem  granfreich  benfelben  au3  eigener  SSiUfür  be- 
gonnen t)at.  SBelche  Erfolge  aber  auch  *>er  $err  ber  .freerfdjaaren 
ben  SSaffen  ber  geinbe  üerleihen  mag,  fo  wirb  ber  ®aifer  ftetä  bie 
Söege  ber  SSorfehung  oerehren,  welche  fich  $uweilen  ber  ®ei&el  be& 
Sittila  bebient,  um  in  ihrer  SBarmherjigfeit  £>ie  ju  jüchtigen,  welche 
fte  lieb  hat." 

3njtt)ifchen  hatte  ber  ®rieg  am  9tr)ein  bereit«  begonnen  unb 
nahm,  ba  ber  ©rua)  be3  2Baffenfti£lftanbe3  oon  fftegenSburg  burch 
ßubroig  baS  SReich  gänzlich  unoorbereitet  getroffen,  einen  für  granf* 
reich  günftigen  Verlauf.  5)ie  feften  Stäbte  SJcainj ,  Xrier  unb 
23onn  ergaben  fich  auf  ba$  ÖJeheif?  it)rer  furchtfamen,  mit  ben  gein= 
ben  halb  befreunbeten  (Gebieter  ohne  ©ehwertftreich ;  £>etf bronu, 
SDcannheim,  granfenthal,  Speier  unb  SBormS  folgten  biefem  $8eU 
fpiele;  ^ßtjilipp^burg  unb  $eibelberg  fielen  nach  fc&wacher  SBertheU 
bigung.  Qn  furjer  Seit  war  ba3  gefammte  ^ch^inlanb,  mit  2luä= 
nähme  oon  ®öln  unb  Äoblenj,  in  ber  (Gewalt  ber  granjofen.  Schon 
brangen  biefelben  unter  fürchterlichen  SBranbfchafcungen  btö  naa> 
Schwaben  unb  tief  in  granfen  oor,  als  ein  unerwartete*  ©reignifj 
aKe  ^Släne  fiubwigä  ju  burchrreujen  brohte. 

3n  ©nglanb  hatte  3afob  II.,  ®arl3  II.  ©ruber  unb  9caa> 
folger,  ber  noch  oor  feiner  Thronbesteigung  (1685)  jur  fatholifchen 
Äirche  übergetreten  war,  burdj  bie  iöegünfttgung  ber  $atfjolifen,  fowie 
burch  mehrfache  (Singriffe  in  bie  beftehenben  Gtefefce  unb  feine  un* 
begrenzte  Eingebung  an  granfreich  unter  oielen  feinen  Unter* 
thanen  eine  (Erbitterung  wach  gerufen,  welche  ber  mit  3afob$  ältefter 
Xochter  Sflaria  oermählte  SBilhelm  III.  oon  Dramen  bemtfcte ,  um 
bie  £>errfct}aft  in  (Englanb  an  fich  8«  bringen.  $er  ©inlabung 
mehrerer  unjufriebenen  Öko&en  folgenb,  mit  benen  er  fetjon  feit  einiger 
3eit  gegen  feinen  Schwiegeroater  confpirirt  hatte,  fegelte  berfelbe 
mit  einer  hoüänbifchen  glotte  nach  (Snglanb.  9cachbem  3afob  II.  nach 
granfreich  entflohen,  übertrug  ba«  Parlament  bem  ^rinjen  Oon 


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SugtoigS  XIV.  britlcr  <£roberungSfrieg. 


87 


Cremten  unb  feiner  (Semafjltn,  gegen  bie  Stnerfennung  aller  Steckte 
ber  Nation,  bie  Ihone  oon  (Snglanb.  $a  ßubnrig  XIV.,  ber  offen 
für  3<tfo&  II.  Partei  ergriffen,  gleidr)  nad>  ber  <£infd)iffung  beS 
Statthalters  an  bie  (Beneralftaaten  ben  ®rieg  erflärt  l)atte,  fctjtog  fid) 
Cfriglanb  im  Vereine  mit  ^ottanb  an  Oefterreid)  an.  s2(ud)  ber 
Ädnig  oon  Spanien  trat  bem  SBünbni&  gegen  granfreidj  bei,  unb 
fo  erweiterte  fid)  ber  SReia)Sfrieg  ju  einem  europäifdjen  Kriege. 

Unterbeffen  fjarte  Submig  feinen  gelbfjerren  am  8if)ein  ben 
©efe^l  jugetyen  laffen,  „bie  $falj  nieber jubrennen."  Qu  biefem 
barbarifdjen  SBerfafjren,  burdj  toefcrjeS  man  fdjon  im  öorfjergefyenben 
Kriege  franjöfifdjerfeitS  bie  ©egner  ju  fd)mäd)en  gefugt,  fyatte  £ou= 
ootS  bem  Äönig  geraden,  roeil  er  Bei  ber  eingetretenen  9cotf)tr»enbtg= 
fett,  bie  oorfjanbenen  ©treitfräfte  auf  üerfd)iebenen  fünften  ju  t>er- 
tfjeilen,  bie  Ünmögltdjfeit  einfal),  ben  Ärieg  am  föfjein  in  ber  glei- 
chen SEBeife  wie  bist)er  fort$ufefcen.  510c  <piäfce,  bie  man  aus  SKangel 
an  Zruppen  nidjt  befefcen  ober  nidjt  behaupten  ju  fonnen  glaubte, 
foüten  öernid)tet  unb  bie  Umgebungen  berfelben  oerfjeert  roerben, 
bamit  bie  ^eranjie^enben  beurfdjen  Speere  längs  ber  franjbfifd)en 
©renje  nur  öbe  öranbftätten  unb  SSüfteneien  fänben. 

$)er  fd)auerlid)e  öefefjl  beS  Königs  mürbe  oon  ben  franj5fi)d)en 
(Generalen  mit  ber  fdjommgSlofeften  |>ärte  ooüjogen.  SBefonberS 
jeidjnete  fid)  bei  ber  HuSfüIjrung  beSfelben  ber  gelbmarfdjall  SGR^Iac, 
beffen  9came  nod)  jefct  in  bem  ©ebäd)tniffe  ber  Sßfäljer  als  ber 
eines  ^weiten  #erofrrateS  fortlebt,  burd)  bie  empörenbfte  #erjlofig; 
feit  auS.  3m  Januar  1689  lieg  berfclbe  eine  fRcir^c  oon  größeren 
unb  Heineren  Ortfd)aften  in  ber  Sßfalj  unb  im  S3abi)d)en,  bie  ben 
gan§en  SBinter  ^inburd)  bie  geforberten  garten  ©ranbfdja&ungen 
pünftüd)  ^erbeigefd)afft,  nad)  DorauSgegangener  *ßlünberung  in  Söranb 
fteefen  unb  bie  roe^rlofen  ©inmoljner,  bie  fjänberingenb  auf  ben 
tnieen  um  ©nabe  *  flehten,  tyetlS  nieber^auen,  tfjeilS,  üon  Ottern 
entblößt,  in  bie  öben  Selber  fjinauStrctben,  mo  bie  meiften  bem 
(Slenb  unb  ber  Söinterfälte  erlagen,  hierauf  mürbe  am  2.  aJcär$ 
in  Jpetbelberg  baS  furfürftlid)e  Sd)log  mit  bem  3eugfmufe  auSge* 
plünbert  unb  nebft  ber  Sßecfarbrfide  unb  einem  Steile  ber  6tabt* 
mauer  in  bie  ßuft  gefprengt;  bann  jünbeten  bie  Üttorbbremter 
bie  Söolmungen  ber  ©urger  an  oerfd)iebenen  ©teilen  jugleid)  an. 
3n  3Jcannf)eim  mu&ten  bie  ©inmofjner  felbft,  auf  ©efef)l  beS 
©enerals  SJcontclaS ,  bie  geftungSmerfe  abtragen  unb  öffentlid)e 
»ie  <ßrtoatl)aufer  burd)  3Jcinen  in  bie  ßuft  fürengen  Reifen,  mo= 
rauf  am  5.  äRära  ber  fReft  ber  fjalbberfd)ütteten  ©tobt  in  Söranb 
gefteeft  rourbe.  $aS  gleid)e  ©djieffal  traf  bie  ©täbte  3franfentf)ai, 
Eeuftabt  an  ber  #aarbt,  föaftabt,  ©oben,  Dffenburg,  ßabenburg, 
Oppenheim,  ©emS^eim  unb  unjäfjlige  anbere  größere  unb  Heinere 
Orte  bis  an  bie  ©renje  beS  ©IfaffeS.    3n  oielen  Orten  mürben 


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88 


Subwig  XIV.  üon  ftranfretcf). 


bie  Einwohner  mitten  im  forglofen  «Schlafe  plöfclich  burdj  bie  glarn* 
mcn  erwecft  unb  fahen  mit  ©chrecfen  bic  für  befreunbet  gehaltene 
©efafcung  in  Sttorbbrenner  unb  tobenbe  ^ßlünberer  öerwanbelt. 

$a£  ^drteftc  ©djicffal  erfuhren  bic  beibcn  alten  SReichSftäbte 
SBormS  unb  ©peier,  bie  fid&  im  üorhergehenben  $erbfte  auf 
bte  ©ebingung  ergaben,  baß  föath  unb  ©urgerföaft  in  ihren  ®e* 
fchäften  unb  Sftedjten  unangetaftet  bleiben  unb  nur  einige  £unbert 
9Kann  auf  frauliche  Soften  in  bie  ©tabt  eingelagert  »erben  fotl* 
ten.  ftac&bem  fie  nicht  nur  bie  öoUftänbigfte  Slu&erachtlaffung  bic- 
fer  öon  bem  ^aupfun  felbft  auf  baS  fceiligfte  befräftigten  3ufagen 
öon  ©eiten  ber  nad)  unb  nadj  auf  baS  ©edjSfaäje  erhöhten  fran* 
jöfifc^en  ©efafcung  fechä  Monate  lang  gebulbig  ertragen,  fonbern 
fid)  auch  allem  gefügt,  was  wäfjrenb  biefer  Seit  wiberrechtlich  öon 
ifmen  geforbert  worben  — -  felbft  an  ber  3erftörung  ihrer  geftungä* 
werfe  geholfen,  ungeheuere  ©ummen  gejagt  unb  i^re  fämmtlichen 
$ornöorräthe  nach  ^ß^üi^burg  jur  Unterhaltung  ber  bortigen 
franjöfifchen  93efafcung  ausgeliefert  —  würbe  ihnen  am  22.  3Äai  1689 
angefünbigt:  beS  Königs  Qntereffe  erforbere  eS,  ba&  bie  ©täbte 
SBormS  unb  ©peier  ganj  öon  ber  @rbe  öertilgt  würben;  bod)  fotle 
e$  ben  ^Bürgern  geftattet  fein,  nach  ben  nächftgelegenen  franjöfifchen 
©täbten  auSjuWanbern.  gür  bie  £abe,  bie  fie  nicht  mitnehmen 
fonnten,  würbe  ihnen  ©icherheit  in  ben  Xomfirchen  jugefagt,  für 
welche  ©c^onung  berheifjen  würbe;  faum  hatten  fie  jeboch  einen 
Xheil  ihred  ©igenthumS  in  biefe  angeblichen  ©idferheitsftätten  ge* 
bracht,  als  bie  räuberifchen  ©paaren  in  biefelben  einbrangen  unb 
fie  auSplünbertcn.  hierauf  würben  beibe  ©täbte,  SBormS  am 
31.  Sttai  unb  ©peier  am  5.  Quid,  in  öranb  geftetft  unb  waren 
in  wenigen  ©tunben  in  Slfchenhaufen  öerwanbelt.  Qn  ©peier  blieb 
Vichts,  in  SSormS  nur  bie  $)omfirche  öerfdjont.  3n  ber  erfteren 
©tabt  würben  nicht  nur  bie  Elften  beS  SReidjSfammergerichtS  jammt 
ben  Waffen  hinweg  gefdjleppt,  fonbern  auch  0*c  ßaifergräber  auSge- 
plünbert  unb  bie  öermoberten  (Gebeine  unter  ©pott  unb  Jpoljn  auf 
bem  ©oben  umhergeftreut.  2llS  einige  menfchlicheren  Offiziere  ben 
jungen  Jperjog  öon  (£r£qui,  ber  bie  SBermüftungSgräuel  in  SBormS 
unb  ©peier  leitete,  nach  bem  GJrunbe  aller  biefer  fchauerlichen  3#a&* 
regeln  fragten,  erwieberte  er  falt:  „£er  ßönig  will  eS,"  unb  wie* 
ein  $er$eichni&  öon  jwölfhunbert  ©täbten  unb  Dörfern  oor,  bie 
alle  noch  öerbrannt  werben  müßten. 

$ie  golge  biefer  ©räuelthaten,  bie  in  allen  (Sauen  $eutfchs 
lanbS  einen  ©d)rei  beS  ©ntfefcenS  unb  ber  SButfj  h^öorriefen,  War 
ein  ungewöhnlich  rafdjeS  unb  thatfräftigeä  3«fflwmenwirfen  ber 
beutfehen  gürften.  $er  neue  ®urfürft  öon  öranbenburg,  grieb= 
ridj  III.,  griff,  währenb  ein  Ztyil  feiner  Xruppen  ju  bem  ffleid)3-~ 
heere  ftieß  unb  ein  anberer  jur  Unterftüfcung  beS  ÄaiferS  gegen 


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2ubnrig§  XIV.  brittcr  Groberangatrieg. 


89 


bie  dürfen  nad)  Ungarn  abging,  mit  einem  branbenburgifa>hottän= 
biföen  §eere  öon  brei&igtaufenb  HÄann  bie  granjofen  im  Qhcfiti* 
ttnim  ßöln  an  nnb  öertrieb  fie  aus  bem  größten  beSfelben. 
2lud>  in  granfen,  wo  ber  Kurfürft  Johann  ®corg  III.  öon  ©ach* 
fen  bereit«  im  Oftober  1688  mit  einem  £eere  öon  öieraehntaujenb 
s3Jiaitn  erfdjienen  mar,  fowie  in  ber  $fal§  flogen  bie  granjofen  ben 
Kürzeren,  unb  nachbem  eS  bem  fterjog  öon  ßott)ringen,  ber  mit 
ben  Xruppen  beS  KatferS  ^ugleicr)  baS  fRetchäheer  als  Oberbefehls- 
haber anführte,  am  8.  September  1689  gelungen,  SÄainj  nach  jmei* 
monatlicher  ^Belagerung  jur  Kapitulation  ju  $wingen,  mar  3)eutid^ 
lanb  fo  toeit  öor  bem  föeichsfeinbe  gefiebert,  bafj  ßeopolb  im  SGßtn= 
ter  öon  1689  auf  1690  einen  Kurfürftentag  ju  Augsburg  galten 
tonnte,  auf  meinem,  nach  erfolgter  Krönung  ber  Kaiserin,  ber  elf- 
jährige  ©rj^erjog  3°fcP$  einftimmig  §um  römifäjen  König  gemäfjlt 
unb  gefrönt  mürbe. 

3m  3af)re  1690  erlitten  ber  Kaifer  unb  baS  SReid)  einen  ferneren 
V-Sertuft  burch  ben  Xob  beS  tyetbenmüttyigen  $er$ogS  öon  Lothringen, 
ber,  erft  ftebenunböterjig  3ahre  alt,  am  18.  $pril  ju  SBelS  in 
Cberöfterreich  ftarb.  3hm  folgte  als  Oberbefehlshaber  ber  SReichS= 
trappen  ber  Kurfürft  SRajimilian  (Immanuel  öon  SBaiern,  ber  es 
nicht  öerhinbem  tonnte,  ba§  bie  grangofen  mieber  ihre  SBinter- 
quartiere  im  SreiSgau  unb  im  JBabifchen  nahmen. 

Buch  in  ben  9tteberlanben  fyattt  injmtfchen  baS  ©lücf  bie 
Waffen  SubwigS  begünftigt.  SBätjrenb  SBilhelm  öon  Dranien  in 
Qrlanb  befdjäftigt  mar,  wo  ^afob  II.  am  1.  JJutt  1689  mit  einem 
franjöfifäjen  #eere  gelanbet  unb  faft  allgemein  als  König  anerfannt 
morben,  gelang  eS  bem  3Raxfäaü  öon  Sujemburg,  einem  greunb 
unb  Schüler  (£onb<5'S,  über  bie  öon  bem  gürften  ®eorg  Sötlhelm 
öon  SBalbecf  befehligten  fwllänbifchen,  beutfehen  unb  fpanifchen  Xrup= 
pen  am  1.  $uli  1690  bei  bem  $orfe  gleuruS  in  ber  ©raffdjaft 
föamur  einen  @ieg  ju  erringen,  ber  für  bie  SBerbünbeten  bie  Oer* 
fjcmgm&öoüften  Jolgen  hätte  ^äbta  fönnen,  märe  eS  nicht  bem  um- 
fichtigen  gürften  öon  SSBalbecf  gelungen,  bem  gefchlagenen  §eere 
etnen  georoneten  ytua^ug  ju  |tcnern. 

llnterbeffen  mar  auch  in  Italien  ber  Krieg  entbrannt.  $ier 
fjatte  ßubmig  ben  Oberbefehl  bem  bisherigen  Kommanbanten  öon 
(Eafale,  bem  ebenfo  umfichtigen  als  tapferen  örigabegeneral  ßatinat, 
übertragen,  unb  biefer  erfocht  am  18.  Sluguft  1690  bei  ber  Slbtei 
@taffarba,  unweit  ©alujjo,  über  ben  £er$og  SBtftor  SlmabeuS 
öon  Saöoöen,  ber  öor  Kurzem  burch  ben  Kaifer  für  baS  ©ünbnifc 
gegen  granfreich  gewonnen  morben,  einen  ©ieg,  welcher  ihn  jum 
#errn  beS  größten  %f)dl&  öon  <5aöot>en  machte.  Sluä)  hier  öer- 
übten  bie  granjofen  bie  gleichen  SBerwüftungSgräuel  wie  in  ber 
$fal$,  fo  wenig  auch  bitft  Wct  ber  Kriegsführung  bem  menfehlicher 


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90 


Subnng  XIV.  öon  ftranfreid). 


gefilmten  (£atinat  aufagte.  SHefeS  barbarifdje  Söerfafjren  empörte 
inSbefonbere  ben  $rinjen  (£ugen,  ben  ber  Äaifer  mit  fünftaufenb 
9Jtonn  jur  Unterftüfcung  beä  ^er^ogS  öon  ©aöoüen  nad)  Stalten 
gefanbt  ijatte ;  er  öermodjte  jebodj  bei  ber  ®eringfügigfeit  feiner  ©treit* 
fräftc  um  fo  meniger,  benfelben  (ginljalt  tlmn,  als  er  burd)  ben 
unfähigen  ©efel^aber  ber  fpanifdjen  #ilf3truppen  me&r  gehemmt 
als  unterftüfct  mürbe. 

SEBie  ju  Sanbe,  fo  mar  audj  jur  (See  baS  ®lütf  ben  Sranjofen 
günftig.  2lm  10.  3uli  1690  erlitt  bie  englifc^^oflänbif^e  glotte 
bei  ber  3nfel  SBigfjt  gegen  ben  franjöftfdjen  Slbmiral  Souröille  eine 
empfinblid)e  9cieberlage. 

3m  3a^re  1691  brauten  bie  beutfdjen  Sürften  eine  bebeutenbe 
©treitmadjt  aufammen,  über  welche  ber  ®urfürft  öon  ©adjfen  ben 
Obcrbcfc^C  erfuelt;  allein  ber  Langel  an  Gtntradjt  jmifdien  iljm 
unb  bem  faiferlidjen  gelbljerrn,  ÖJrafen  ©aprara,  ließ  es  feinen 
bebeutenben  Erfolgen  gegen  granfreid)  fommen. 

Unterbeffen  Ijattc  SBityelm  HL  öon  ©ngfanb  bereits  am 
11.  3uli  1690  bei  bem  irtfdjen  gluffe  ©oljne  über  feinen  ©djmie; 
gerüater  einen  entfdjeibenben  ©ieg  baöongetragen,  melier  ben  Sefc* 
teren,  ber  fidj  injmifdjen  burd)  fein  eigenfinniges  5eftf>alten  an  un= 
faltbaren  ifjronredjten  bie  $>er$en  ber  Qrlänber  entfrembet  Ijatte, 
jur  abermaligen  gludjt  nadj  Sranfreidj  nötigte.  $)ie  ööllige 
Unterbrücfung  beS  irifdjen  s2lufftanbeS  bem  öor  Äußern  jum  (5Jra= 
fen  öon  äftarlborougl)  erhobenen  ßorb  ©fmrdnu*  überlaffenb,  fe^rte 
SBilfjclm  nad)  ben  Sßieberlanben  jurücf,  um  ftdj  bort  felbft  an  bie 
©pi^e  ber  öerbünbeten  Gruppen  $u  ftetlen  ;  boaj  gelang  es  aud) 
if)tn  nid)t,  ben  ©iegeSlauf  ber  granjofen  ju  fjemmen.  3lm  3.  Sluguft 
1692  erlitt  er  bei  ©teenferf  en  gegen  ben  üftarfdjau*  oon  ßuyem= 
bürg  eine  Sftieberlage,  bei  melier  bie  öerbünbeten  aa^ttaufenb  Xobte 
auf  ber  2öaf)lftätte  jurürfließen,  mäljrenb  bie  gran5ofen  ftebentaufenb 
Xobte  unb  SBermunbete  jaulten,  dagegen  erlag  bie  franjöfifö^e 
glotte,  bie,  öierunböterjig  Segel  ftarf,  unter  Xouröifle  auf  SubmigS 
öefefyl  aus  bem  |>afen  öon  SBreft  ausgelaufen  mar,  um  eine  %xan%- 
portflotte  öon  breifyunbert  Skiffen  ju  eSfortiren,  auf  melier  3°; 
fob  II.  mit  elftaufenb  auSgemanberten  (Snglänbern  unb  Qrlänbeni 
unb  öiertaufenb  franjöfijdjen  ©olbaten  jur  SBiebereroberung  feines 
9teid)eS  nad)  (Suglanb  überfein  motlte,  nadj  einem  §elbenmütf)igen 
Kampfe  mit  ber  öereinigten  englifdjen  unb  fyollänbifdjen  glotte 
öon  neunjig  Sinieufduffen,  mit  melier  fie  am  29.  9Wai  1692  bei 
bem  ®ap  la  |>ogue  jufammengetroffen,  ber  feinblidjen  Uebermadjt 
unb  ber  Ungunft  beS  SBinbeS.  ©ed^je^n  franjöfif^e  ©djiffe  mür- 
ben in  bie  23ucf)t  öon  la  ^>ogue,  in  melier  Xouröille  bei  feinem 
9lü(fjug  nad)  ber  franjöfifc^en  ^üfte  auf  ben  ©tranb  gelaufen, 


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gubmigS  XIV.  britter  eroberunflSfrieg. 


9t 


oon  bcn  ifm  öerfolgenben  (Srnglänbern  tfyeild  geentert ,  tfyeilä  in 
jorano  geueert. 

Sur  ben  erlittenen  Verluft  mürbe  Submig  burefj  bie  neuen 
ßorbeern  entf  ct)äbigt ,  bie  ber  ßanbfrieg  im  folgenben  3af)re  feinen 
SBaffcn  braute.  2lm  29.  3uli  1693  griff  ber  SJcarfdmll  Don 
fiuyemburg  ben  ßönig  SBilfjelm  mit  überlegener  Xruppenraadjt  in 
feinem  befeftigten  ßager  bei  bem  $orfe  fteerminben  an  unb  er* 
fodjt  über  benfelben  naa)  einem  fjeifcen  Kampfe,  ber  adjt  ©tunben 
lang  tun  unb  fjer  tobte,  burd)  einen  roudjtigen  (SJefammtangriff  einen 
fo  öoflftänbigen  ©ieg,  bafj  ber  föücfjug  ber  Verbünbeten ,  ben  fie 
mit  einem  Verlufte  bon  jmölftaufenb  üttann  an  Xobten  unb  ®c= 
fattgenen,  fomie  il>reä  gefammten  ©efdjüfeeS,  antraten,  ftd)  $u  einem 
fluchtartigen  geftaltete.  9cur  ber  gänjlia^en  ©rfdjöpfung  beä  geinbeö, 
bie  bemfelben  jebe  Verfolgung  unmöglich  machte ,  fjatten  fie  e$  $u 
oerbanfen ,  bajs  SBilfjelm  baS  gefcfjlagene  £>eer  mieber  orbnen  unb 
fo  bie  fdjlimmften  Solgen  ber  erlittenen  ftieberlage  abmenben  fonnte. 
£er  ©ieg  bei  SReerminben  mar  ßufemburgä  lefcte  Söaffentfjat ;  balb 
naef)  bemfelben  legte  er  ba$  ßommanbo  nieber  unb  ftarb  am 
4.  3anuar  1695. 

SSäfjrenb  in  ben  folgenben  Srieg3jal)ren  ba£  9teict)3f)eer ,  ob* 
gleich  eä  im  3°^rc  16^3  in  bem  au*  bem  Xürfenfriege  jurürf= 
berufenen  Sflarfgrafen  Submig  oon  Vaben  einen  neuen  trefflietjen 
Süfjrer  erhalten,  nur  menig  ausrichten  fonnte,  meil  es  bem  SJcarf* 
grafen  bei  bem  mefjr  unb  mefjr  erfaltenben  $rieg3eifer  ber  beut= 
fdjen  gürften  nid)t  gelang,  bie  nötigen  ©treitfräfte  jufammen  51t 
bringen,  nafmt  aud)  in  Statten  ber  Stieg  einen  für  Sranfreia) 
günftigen  Verlauf.  9cad)bem  ber  $rin$  (Sugen  im  Pommer  1692 
einen  Einfall  in  ba3  füblidje  granfreief)  gemalt,  ber  alle  ^luSficfjt 
auf  einen  günftigen  (Erfolg  fjatte,  aber  roegen  ber  plöfclicfjen  @r- 
franfung  beä  «Jperjog*  oon  Saüonen  uidjt  fortgefefct  werben  fonnte, 
erlitten  bie  Verbündeten  unter  bem  fterjog  Viftor  2lmabeu$  am 
4.  Dftober  1693  bei  2Jcarfaglia  gegen  ©atinat  eine  jmeite  lieber* 
läge,  unb  ber  ^ßrinj  (Eugen  mar,  trofc  ber  unermüblidjften  unb  um- 
fidjtigften  $fjätigfeit,  bei  ber  unter  ben  einzelnen  güfjrern  fjerrfdjen* 
ben  Uneinigfeit  um  fo  weniger  im  ©taube ,  ben  5ran$ofen  bie  er- 
rungenen  Vorteile  toieber  $u  entreißen,  als  er  nidjt  nur  oon  Söien 
au*  of)ne  bie  nötigen  ÖJelbmittel  ju  einer  genügenben  Verpflegung 
ber  Xruppen  gelaffen  mürbe,  fonbem  aua)  ber  $er$og  oon  Sa* 
üoüen,  ber  feit  bem  Sage  oon  SJcarfaglia  beä  Kriege*  mübe  mar, 
geheime  Unterljanbhmgen  mit  bem  fran$öfifdjen  £ofe  angehtüpft 
fjatte,  in  3olge  beren  er  bie  Operationen  ber  Verbünbeten  gefliffent* 
lia)  $u  erfahrneren  juckte. 

55er  #rieg  in  Stalten  mürbe  im  Oftober  1696,  ben  gorbe* 
rangen  beä  £er$ogä  oon  Saöooen  entfpredjenb ,  burd)  einen  Weit* 


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92 


fiubtüig  XIV.  uon  grcmfreidj. 


tralttät«üertrag  bcenbigt ,  traft  bcffen  fotool)!  bie  franjöftfdjen ,  a(« 
bie  faiferttdjen  unb  bie  fpanifdjen  Gruppen  ba«  ßanb  räumen  muß- 
ten. Stadlern  bie«  gefd)ef)en,  fdjloß  Sötftor  2(mabeu«  mit  granf* 
reidj  einen  grieben,  in  meinem  ifjm  ßubnrig,  ber  iljn  bauemb  auf 
feine  «Seite  ju  jiefjen  toünfdjte,  nia^t  nur  ba«  öon  ben  Söerbunbeten 
genommene  (Safale  gegen  bie  3ufage,  bie  bortigen  gefiung«n>erfe 
fdjleifen  ju  laffen,  fonbern  audj  bie  geftung  ^ignerol  überlieg. 

Dbgleidj  fiubnug  in  ben  ftieberlanben ,  bem  £auptfdjauplafce 
be«  Kriege«,  anfjaltenb  im  Sortiert  blieb  unb  audj  in  ©panien, 
Iüo  ber  ^er^og  öon  9toaiHe«  feit  bem  %ofyct  1689  ben  &rieg  of)ne 
bebeutenben  Erfolg  geführt ,  Barcelona  erobert  Horben ,  jeigte  er 
ficf>  $u  einem  billigen  grieben  geneigt,  toeil  ber  finberlofe  ®önig 
$arl  II.  öon  (Spanien  feinem  Xobe  entgegen  ging  unb  fiubnng  fei* 
nem  gänjlid)  erfdjöpften  Sanbe  einige  föufje  gönnen  mußte,  um 
feine  Slnfprfidje  auf  bie  gefammte  fpanifaje  9ttonard>ie  mit  entfpre* 
djenben  ©treitfräften  geltenb  machen  ju  fönnen,  unb  ba  aud)  (£ng* 
lanb  unb  ^poüanb  be«  Krieges  mübe  toaren,  fafjen  ficr)  ber  $aifer 
unb  Spanien  genötigt,  gleidtfaü«  öon  ber  Sortierung  be«felben 
flbjuftetjen. 

©o  trat  am  9.  2Jcär$  1697  auf  einem  Suftfdjloffc  be«  $rim 
^en  öon  Dranien  bei  SR  ü«  und  ein  grieben«congreß  jufammen, 
auf  meinem  e«  ßubnrig  abermals  gelang ,  burdj  bie  Xrenuung  fei- 
ner ©egner  alle«  $u  erreid)en,  tt>a«  er  fid)  öorgefefct.  ÜRarfjbem  er 
^uerft  bie  $oflänber  burd)  ba«  3uflcftönbni6  mistiger  £anbel«öor* 
tfjeile  unb  bann  ben  $önig  Sötlfjelm  burdj  bie  bi«f)er  öertoeigerte 
Wncifennung  feiner  $errfd}aft  in  (Smglanb  jufrieben  gefteHt,  gab  er 
an  Spanien  ben  größten  Xfjeil  ber  öon  ifjm  gemalten  @robe= 
rungen  jurüd,  in  ber  fixeren  (Srroartung,  in  ®urjem  in  ben  33efifc 
ber  gefammten  2ttonardne  $u  gelangen,  unb  fo  fafjen  fid)  ber  ftaifer 
unb  ba«  9ieid) ,  bie  nunmehr  allein  ftanben ,  gelungen ,  auf  bie 
"öon  ßubiuig  geftellten  ©ebtngungen  einjugefjen.  ©ie  mußten  iljm 
ntc^t  nur  au«brürflid)  ©traßburg  nebft  allem  3ubeljör  auf  bem 
Iinfen  9tf)etnufer  abtreten,  fonbern  ifym  aua)  ben  gortbefifc  be«  ge= 
fammten  (Slfaffe«  jugeftefyen,  mogegen  ßubroig  auf  greiburg,  Sörei* 
fad),  .NU1  hl  unb  $l)ilipp«burg  ocr.uctjtetc,  ade  außerhalb  be«  (Slfaffe« 
gemachten  Sfteunionen  reftituirte,  ba«  (Shrbredjt  be«  $fal$grafen  ^fu* 
lipp  SStlfyelm  öon  9teuburg  auf  bie  furpfäljijdjen  Vau  ber  aner- 
fannte  unb  in  bie  3wrürffteüung  be«  £erjogtl)um«  Sotfyringen  an 
$arl«  V.  ©ofm  ßeopolb  willigte. 


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Subimg  XIV.  als  «Regent. 


fiubwtg  XIV.  als  Keßent. 

Öubwig  XIV.  mar  eine  jum  ^errfdjen  geborene  9*atur;  an 
feiner  gebteterifchen  ^crfönlic^feit  war  jeber  Qoü  ein  ®önig.  ffiar 
au*  feine  Srgie^img  öon  fetner  SJcutter  imb  bem  ®arbtnal  SNaja* 
rin  üoUftänbig  öernachläfftgt  worben,  fo  würbe  biefer  SNangel  in 
melen  ©ejiehungen  ausgeglichen  burä)  feinen  bebeutenben  natür* 
lidjen  93erftaub,  feinen  Scharfblitf,  feinen  energifa)en  SBillen  unb- 
feine  feltene  SlrbeitSfraft.  2Sie  ihn  bie  @iferfud)t  auf  fein  «nfehen 
antrieb ,  fidj  um  MeS  51t  betummern  unb  OTeS  fclbft  ju  prüfen, 
um  überall  bie  lefcte  (Sntfcheibung  fclbft  $u  treffen,  fo  öerrieth  fia> 
jene  feurige  ©emüthSart,  bie  ilm  jeben  SRuhm  fudjen  unb  jebem  ®e* 
miß  nachjagen  lieg,  aud)  in  bem  (S^rgeij,  als  Regent  ju  glänjen. 

9ttd)t3  erregte  ßubwigS  XIV.  gorn  in  leerem  ©rabe,  al& 
bie  9Jcißaä)tung  feiner  abfoluten  SBnigSgewalt.    Um  biefelbe  gegen 
jebe  Anfechtung  öon  Seiten  ber  (Großen  fid)er  511  fteflen,  befä)ränfte 
er  bie  ©ouoerneure  ber  ^ßroöinjen  in  ber  bisher  geübten  ©eroalt, 
inbem  er  bie  Stauer  if}reS  SlmteS  auf  brei  Qafjre  feftfefcte  unb 
ihnen  bie  SBefugniß  ber  XruppenauShebung  entjog,  bie  fie  fia)  im 
Saufe  ber  Seit  angemaßt  Ratten*   3ua.leich  Würben,  um  bem  SBie^ 
beraufleben  beS  (SHnfluffeS  ber  Parlamente  öorjubeugen ,  bie  ©e= 
fchäftsfreife  ber  Qntenbanten  ber  Quftij  unb  Polizei  bebeutenb  er* 
wettert  unb  bie  in  ben  einzelnen  ^rooinjen  liegenben  Xruppen  $u 
ihrer  Verfügung  geftellt,  um  jeben  SSiberftanb  gegen  ihre  Hnorb* 
nungen  nieberjufjalten.    $)ie  Sonnen  ber  $lbminiftration  würben 
fchärfer  auSgebilbet ,  mo$u  fdjon  ber  Umftanb ,  baß  ßubwig  bie 
Stelle  eines  PremierminifterS  eingeben  ließ,  Sßeranlaffung  gab,  ba 
fid)  ^ierbura)  bie  ©int^eilung  ber  ®efd)äftSäWeige  in  mehrere  De- 
partements mit  befonberen  iBorgefefcten  öon  felbft  bilbete.  2lud) 
für  bie  ©efefcgebung  gefdjah  fct)r  Diel.    (SS  würben  nach  unb  nach 
ein  neues  Äriminalredjt,  eine  neue  Orbnung  für  ben  ^rrtmtnalprojeß 
unb  ein  neues  Seerecht  ausgearbeitet. 

3n  ber  erften  £>älfte  feiner  Regierung  ^atte  ÖubWig  baS  ©lüä\ 
treffliche  ©elulfen  ju  befifcen,  für  welche  er  in  ber  jweiten  feinen 
auSreid)enben  (£rfajj  fanb.  S)er  öon  ihm  jum  ftanjler  erhobene 
StaatSfefretär  2t  Xellier,  ben  er  befonberS  wegen  feiner  über* 
großen  Ergebenheit  fyofyfäafytt ,  war  ein  ebenfo  gewanbter  als  eif- 
riger ©efdjäftSmann ,  unb  fein  Solm,  ber  Söefifcer  beS  3JcarquifatS 
2  0  u  ö  0  i  S ,  ein  äußerft  tatentöoHer,  aber  ftoljer,  hartherziger  unb 
ehrgeiziger  SJcann ,  leiftete  bem  ®önig  als  ^riegSminifter  bie  er= 
fprießlichften  SHenfte  burdj  eine  treffliche  Drganifation  beS  Jpeer- 
roefenS  unb  bie  SluSnu^ung  aller  Gräfte  beS  ^anbeS  für  fiubwigS 
droberungSjwetfe.  Xer  9Jiinifter  beS  9leußeren,  önonne,  ber  fid) 
jdjon  unter  9Jcasarin  als  einen  höchft  gewanbten  unb  fa)arffinnigen 


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fiubroifl  XIV.  öon  granfreidj. 


Diplomaten  erwiefen,  jeigte  fidt)  unermüblidj  in  feinen  Vemüfjungen 
für  ben  $ienft  beS  ftönigS.  $)a  ber  Dberintenbant  ber  ginanjen, 
Nicola«  3  o  u  q  u  e  t ,  Vicomte  öon  9Mun  unb  Vauj,  fein  21mt  im 
«tgenen  Sntereffe  jum  SRad^t^eil  beS  ßanbeS  ausgebeutet  unb  fid) 
überbieS  burd)  feinen  überljebenben  ©tofy  baS  äRißfatten  be$  m* 
nigS  jugejogen  fjatte,  war  ßubwig  ju  einem  2Bed)fel  entfdjloffen.  gou= 
quet  Ijatte  ftd)  jebodj  burdj  ©efädigfeiten  aller  5trtf  bie  er  ben  ange» 
fefjenften  ^erfonen  am  $>ofc  wie  in  ber  <ßrotrin$  unb  im  $arla* 
mente  auf  Soften  beS  Staatshaushaltes  erliefen ,  einen  fo  beben» 
tenben  Einfluß  ju  berfdjaffen  gewußt ,  baß  ber  flönig  gegen  ü)n 
mit  großer  SBorftc^t  $u  SBerfe  gehen  ju  müffen  glaubte.  (£r  naljm 
ihn  im  ©eptember  1661  bei  einer  Steife  in  bie  Bretagne  als  Ve* 
gleiter  mit  unb  ließ  ihn  gu  Nantes  unter  ber  Slnflage  ^oa^oer* 
rätt)erifcher  Umtriebe  gefangen  nehmen,  wobei  er  fidj  ber  Hoffnung 
Eingab ,  ba&  bie  aus  ben  SRitgtiebem  oerfchiebener  Parlamente  $u 
feiner  Slburtheilung  eingefe&te  ©pejialfommiffton  ilm  beS  Xobeä 
ftfjulbig  erflären  »erbe.  $iefe  Hoffnung  erfüllte  fid)  jebod)  nicht. 
£>a  bem  Slngeflagten  nur  eine  öerfd&menbertfdje ,  oon  Veruntreu* 
ungen  nicht  freie  Verwaltung  ber  gtnait$en,  aber  fein  nrirtfidjeä 
©taatSDerbrechen  nachgewiefen  werben  !onntef  lautete  ber  ©prudt) 
ber  9ftd)ter,  trofc  ber  Veeinfluffung,  bie  man  auf  fte  $um  9fead)tl)eil 
gouquets  auszuüben  gefugt,  nur  auf  Verbannung  unb  SonfiSfatton 
feiner  ©üter.  ßubwig,  ber  ben  ättitwiffer  aller  (Seljeimniffe  granf* 
reidjS  nicht  ins  ÄuSlanb  jiehen  laffen  wollte ,  oerfchärfte  bie  ihm 
guerfannte  ©träfe  auf  lebenslängliche  $>aft  unb  ließ  it)n  jur  33er* 
büßung  berfelben  auf  bie  geftung  ^ignerol  bringen ,  wo  er  am 
23.  aWärj  1680  ftarb.  Viele  fjaben  in  ihm  ben  SDlann  mit  ber 
eifernen  SIftaSfe  fefjen  wollen  unb  behauptet,  er  fei  nidt)t  in  $ignerol, 
fonbern  in  ber  JöaftiHe  geftorben;  bie  ©runblofigfeit  biefer  Sin* 
nähme  ift  jeboch  nadjgemiefen  werben. 

Sunt  Nachfolger  gouquets  würbe  3ean  Vaptifte  Volbert 
(geb.  1619),  ber  ©olm  eines  EiichfycmblerS  in  SftyeimS ,  ernannt. 
211^  ©efretär  ÜDtojarinS,  ber  ilm  im  Qa^re  1648  auf  ße  XeßierS 
(Empfehlung  in  feinen  S)ienft  genommen ,  war  berfelbe  wegen  feiner 
Xreue ,  $ünftlidt)teit  unb  Ökjchäftägemanbtheit  in  ber  @unft  beS 
$arbinalS  fo  Ijodj  geftiegen,  baß  biefer  ilm  $um  ginanjintenbanten 
unb  fpäter  fogar  jum  ©taatSratfj  ernannt  tyattt.  SRadjbem  Sub* 
wig  ii)m,  unter  Verleihung  beS  XitelS  eines  ÖJeneralcontroleurS  ber 
gmanjen ,  bie  Oberleitung  beS  ginanjwefenS  übertragen ,  entfaltete 
Volbert t  ber,  einfaa)  in  feinem  Auftreten  wie  in  feiner  SebenS- 
Weife,  um  Slnfeinbungen  wenig  beffimmert,  aber  bura)  unb  burc^ 
redjtfajaffen ,  in  Slllem  baS  entfa)iebenfte  ©egentfjeil  feines  Vor* 
gängerS  war,  eine  X^ätigfeit,  bie  balb  für  granrreidj  jur  reiften 
SegenSquelle  werben  fottte.    (Sr  fanb  ben  ©taatS^auS^alt  in  ber 


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fiubroig  XIV.  ton  granfreicf) 


95 


unljeilöollften  Stermirrung :  bic  Staat*faffen  waren  leer ,  bie  @tn= 
na*)tnequeHen  in  ben  Jpänben  mucherifcher  ÖJeneralpächter ,  unb  ba* 
^Bolt  feufete,  in  golge  ber  ungerechten  JBertbeilung  ber  Steuern, 
unter  einem  unerträglichen  Slbgabenbrud.   %\x\  bie  öefeihgung  bte= 
ier  Uebel  burch  eine  geregelte  SBermaltung,  ftrengere  Uebermadmng 
ber  ^Beamten  unb  eine  gerechtere  Steueroertheilung  mar  Volbert* 
erfte  Sorge  gerietet.    9tachbem  bie*  3iel  erreicht  unb  ber  Staate 
fdjafc  burch  iBerminberung  ber  übergro&en  3at)l  oon  Beamten  unb 
^enfionär*  erleichtert  morben ,  fuchte  er  bie  Sinnahmequellen  be* 
Staate*  ju  oerüielfältigen.  ßur  $ebung  be*  #anbel*  mürben  neue 
Sanbfirajjeu  angelegt  unb  bie  alten  öerbeffert ,  Kanäle  gebaut  — 
barunter  mit  einem  Äoftenaufmanb  öon  brei^elm  Millionen  2it>re* 
ber  fönigliche  ®anal  t>on  ßangueboc,  ber  ba*  SJcittelmeer  mit  bem 
Ccean  oerbinbet  unb  üon  bem  neuangelegten  £>afen  üon  (£ette  in 
bie  ©aronne  unterhalb  Xouloufe  führt  —  $aubel*geiefce  erlaffen 
unb  naa)  oem  Vorgänge  ber  Jpoflänber  unb  Englänber  $anbel*ge= 
feüfd)aften  für  SBeft*  unb  Oftinbien  gegrünbet,  in  beren  Sörberung 
bie  ganje  Nation  mit  bem  #önig  metteiferte.    $ünfirchen,  ba* 
unter  CSrommeH  an  (Snglanb  gefommeu ,  mürbe  üon  ftarl  TL  für 
tnermalhunberttaufenb  $funb  Sterling  jurüefgefauft  unb  ber  £>afen 
biefer  Stobt,  gleich  ocm  1,011  SÖtorfeUIe,  511  einem  Freihafen  gemacht, 
rooburd)  ber  norbifche  $anbel  nach  jenem,  roie  ber  leüantifche  nach 
biefem  geleitet  mürbe.    Much  ba*  Äolonialmefen  »urbe  burch  (£ol- 
bert  mächtig  geförbert.    3  n  bem  bisher  müften  da  nenne  in  Süfr 
amerifa  unb  auf  9ftabaga*car  entftanben  fron ^öui die  Kolonien,  unb 
an  ber  9lorbfüfte  be*  mejtfanit'chen  Stteerbufcn*,  an  ber  rechten 
Seite  be*  SJftjfiftppi ,  mürbe  eine  Stoeberlaffung  üerfudjt ,  bie  nach 
ßubroig  XTV.  ben  tarnen  £  0  u  i  f  t  a  n  a  erhielt.  X)ie  bereit*  früher 
in  &anaba,  auf  Martinique  unb  .panti  angelegten  Kolonien  mürben 
burch  eine  neue  Einrichtung  311  liotiercr  iölüttic  emporgehoben. 

(Sine  nicht  minber  große  Sorgfalt,  al*  auf  bie  Hebung  be* 
jpanbel*,  üermenbete  Volbert,  ben  ßubmig  jum  2ftarqui*  üon 
Seignelat  erhoben,  auf  bie  görberung  ber  gnbuftrie.  Unabläffig 
würben  neue  Üttanufafturen  auf  Staat*foften  angelegt,  barunter  bie 
berühmte  Sßorjellanfabrif  öon  S&üre*  unb  bie  großartige  (Stobelin** 
manufaftur  ju  $ari*.  X)anf  ber  meifen  gürforge  Volbert*  lebte 
ber  bura)  °*e  unaufhörlichen  SBürgerfriege  ertöbtete  Sfrmftfleifj  auf* 
SReue  auf  unb  entfaltete  fich  unter  bem  Sdm|e  unb  ber  ftrengften 
Kontrolle  be*  Staate*  $ur  fchönften  ölüthe,  Ter  :Kitf,  ben  bie  in 
Sranfreich  gefertigten  Seibenftoffe ,  Xeppidje,  Xapeten,  Spiegel, 
Spü)en,  ©olb=  unb  Silbermaaren  im  2lu*lanbe  erlangten,  führte 
eine  üon  Qafjr  ju  Qahr  gefteigerte  $u*fuhr  biefer  &rtifel  herbei, 
unb  roährenb  auf  bie  je  SBeife  ba*  übrige  Europa  granfreich  tribut* 
pflichtig  rourbe,  mar  bie  fran$öfifa>e  ^nbuftrie  im  eigenen  JJanbe 


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96 


Subroig  XIV.  oon  &mnfretc$. 


gegen  bie  ®onfurren&  be*  2lu*lanbe*  burd)  bie  hohen  @ingang*$ölle 
gefd)üfct,  bie  für  bie  au*länbifd)en  Sabrifate  erhoben  tourben. 

Xrofc  be*  h°§cn  s2luf)chtoung*,  ben  (Solbert*  raftlofe  fc^öpfc^ 
rifcf)e  ^^ätigfeit  bem  £anbel  unb  ber  Qnbuftrie  Sfranfreid)*  Der« 
lieh,  gelang  e*  bem  oerbienftoollen  9)canne  nicht,  ben  Steuerbrucf 
$u  oerminbem,  ber  auf  bem  ßanbe  laftete,  roeil  bie  burch  ben  (S^r* 
gei$  unb  bie  ßänberfucht  ßubroig*  herbeigeführten  Kriege,  fonrie  bie 
üerfdnoenberifche  Hofhaltung  unb  bie  großartigen  bauten  be*  ®önig*  : 
bie  Schlöffer  oon  iöerfaitle*,  2Jcartn,  Xrianon  u.  a.,  bie  gagabc 
be*  ßouore,  ba*  £>6tel  rotjal,  ber  $lu*bau  ber  Xuilerien  unb  oiete& 
N2lnbere,  bie  ©elbbebürfniffe  oon  3ahr  jit  3af>r  fteigerten.  Um  ben* 
felben  ju  genügen,  fah  er  fidj  julc^t  genötfngt,  S8erbrauch*fteuern 
auf  QJetränfe  unb  ®rämerroaaren  ausschreiben,  unb  bie*  jog  ihm 
ben  £>af$  ber  geringeren  (Sintoohnerflaffen  oon  ^ßari*  in  fo  h&hem 
®rabe  ju,  ba&  nach  1™*«"  ^obe  (6.  Sept.  1683)  ber  $öbel  ficf> 
jufammenrottete,  um  feine  Söeerbigung  ju  ftören,  unb  feine  Seiche 
nur  burch  eine  bewaffnete  iöebecfung  oor  öffentlichen  Üfli&hanblungen 
gefaxt  merben  tonnte. 

$)te  ungeheueren  Hilfsquellen,  bie  Volbert  bem  ßanbe  erfchlof- 
fen,  festen  auch  bie  übrigen  9JHnifter  in  ben  Stanb,  in  ihren  Der* 
fchiebenen  Sßertualtung^toeigen  bie  umfaffenbften  Skrbefferungen 
einzuführen  unb  Schöpfungen  in*  fiebeu  treten  ju  laffen,  bie  nicht 
roeuig  baju  beitrugen ,  bie  ÜJtecht  ßubmig*  unb  ben  SRuhm  granf* 
reich*  ft«  erhöhen,  ßouooi*  ließ  eine  gro&e  Slnjahl  oon  ,8eughäu= 
fern,  Äafernen  unb  3Jcaga$inen  erbauen,  forgte  für  eine  gtetchför= 
mige  ©efleibung  unb  eine  jmeefmägigere  ©etoaffnung  ber  Xruooen 
unb  erhöhte  bie  3af)i  ber  ®efchüfce  auf  mehr  al*  ba*  Vierfache. 
Sür  untaugliche  unb  au*gebiente  Krieger  mürbe  in  v#ari*  ein  3n* 
oalibenhau*  üon  ungewöhnlicher  ®rö&e  unb  bracht  errietet  unb  an 
allen  ©renken  Sranfreia)*  burch  ben  genialen  iBauban  eine  große 
Öaljl  neuer  gefrungen  angelegt,  bie  al*  3Jtofterfchööfungen  ber  $rieg*= 
baufunft  bemunbert  mürben.  Die  franjöfifche  Seemacht  erhob  fid> 
unter  ber  SBertoaltung  be*  jungen  9)torqui*  oon  Seignelai,  be* 
Sohne*  (Solbert* ,  ju  einer  fo  glänjenben  Höhe ,  baß  fie  ber  eng= 
lifchen  unb  hoüanbifchen  an  9tuhm  nicht  mehr  nachftanb.  Statt 
breißig  $Tieg*fdnffen,  bie  (Solbert  bei  ber  Uebernahme  ber  ginanj'- 
uermaltung  oorgefunben,  jählte  granfreich  beren  bei  feinem  Xobe 
jtoeifmnbert  mit  fechjigtaufenb  Seeleuten. 

Sluch  für  bie  Hebung  Der  Äünfte  unb  SBiffenfdjaften  mürben 
unter  (Solbert*  SSermaltung  große  Summen  oerau*gabt.  2ln  bie 
oon  ^tichelien  im  Qahre  1638  gegrünbete  erfte  franjöfifche  s#fabemie 
reihten  fich  ihm  3ahrc  *664  bie  Slfabemie  ber  SJcaler  unb  i8üb= 
ljauer,  bie  Slfabemie  ber  Sftufif  unb  bie  ber  ^nförtften ;  jmei  Qahre 
joätcr  folgte  bie  ®rünbuug  ber  flfabemie  ber  SBiffenfchaften  unb 


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Subnrig  XIV.  alä  SRegent. 


97 


im  3af)re  1671  bic  ber  ©aufunft.  gür  alle  biefe  Schöpfungen  be* 
Raffte  Volbert  nicht  nur  bic  nötigen  (Selbmittel,  fonbern  er  gab 
ju  benfelben  aud)  bic  erfte  unb  unmittelbare  Anregung.  $a* 
GHeidje  mar  bcr  gall  bei  ben  jahlreichen  Prachtbauten,  in  beren 
©rridjtung  ßubmig  eine  befonbere  ©efriebigung  fetner  (Sitelfeit  unb 
3hihmfucht  fanb. 

$ieieibe  ftuhmfucht  unb  ©itelfeit  mar  eä  auch,  bic  ßub* 
roig  XIV.  trofc  feiner  geringen  ttriffenf  ältlichen  ©Übung  antrieb, 
nicht  nur  in  feinem  eigenen  «anbe  bic  Vertreter  ber  SBiffcnfchaft 
mit  föniglicher  greigebigfeit  ju  unterftüfcen,  fonbern  feine  ßtbera= 
lität  auch  auf  frembe  ®elehrte  auskeimen,  um  aua)  über1  bie 
©renken  granfreich*  fynavß  al*  ber  befonbere  greunb  uub  *Be= 
fchüfter  ber  SBiffenfchaften  gepriefen  $u  toerben.  vJcachbem  Süonne 
$u  biejem  Qvotdt  bic  nötigen  <£rfunbtgungen  eingebogen,  mürben 
mehr  als  fettig  auSttmrtige  (Mehrte  burch  höfliche  «riefe  Golbert* 
überrajeht,  bie  mit  reichen  ©elbgefchenfen  ober  ber  äufage  eines 
3ahrgehalteS  bie  »itte  enthielten:  „fte  möchten  geftatten,  baß  ber 
ftönig  öon  granfreich  ihr*  2Bohltt)äter  merbe,  ba  er  nicht  baä  ®lücf 
habe  ihr  Dberherr  ju  fein."  ®ie  golge  biefer  Liberalität  mar,  baß 
balb  ein  großer  Xheil  ber  europäifchen  ©elehrtentuelt  boüftänbig 
im  SHenfte  be*  ftönig*  üon  granfreich  frwb  unb  feine*  £obe*  fein 
Snbe  finben  fomtte. 

Lubtoig*  Seftreben ,  in  feinem  ftreife  ein  felbftftänbtgeä,  ber 
föniglichen  Autorität  fich  entjiehenbeä  Leben  ju  bulben,  machte  fia) 
auch  auf  firchlichcm  (Gebiete  geltenb  unb  verleitete  ihn  ju  Singriffen 
in  bie  fechte  unb  greit)eiten  ber  ftirche.  ©dmn  feit  langer  Seit 
hatte  granfreich,  in  golge  ber  burch  °ie  „gattifanifchen  greitjeiten" 
(f.  58b.  IV.  ©.  278  u.  445)  gefdmffenen  Vefchränfungen  ber  päpft* 
liehen  ©emalt,  bem  Oberhaupte  ber  ftirche  gegenüber  eine  gemiffe 
©onberftellung  eingenommen.  $iefe  fogenannten  greiheiten,  mie 
Appellation  ber  oon  ihren  Söifdjöfen  üerurtheilten  ©eiftlichen  an  bie 
meltliche  bemalt,  Berufung  unb  38eftätigung  ber  fran^öfifchen  3i)ito 
ben  burch  ben  ftönig,  Öefchränfung  ber  fechte  ber  päpftltdjen 
Nuntien  in  granfreich  u.  f.  m.,  fanben  lebhafte  Verthetbiger  an 
ben  fran§öfifchen  tftechtägelehrten  unb  namentlich  in  ben  firdjenfeinb- 
liehen  Parlamenten,  aber  auch  bei  einem  ZtytiU  be*  ftleru*  felbft. 

Lubmig  XIV.  unterbrüefte  Anfang*  bie  fdt)t^matifc^en  Jöeftre* 
bungen,  melche  fich  in  ben  Parlamenten  unb  auch  bei  einigen  l)oa> 
gefteüten  ^eiftlithen  funb  gaben.  Qn  golge  eine*  ßermürfniffe* 
mit  bem  heiligen  Stuhle  megen  beä  fogenannten  dt  e  g  a  1 i  e  n  r  e  d)  t  e 3 , 
oermöge  beffen  ber  ftönig  mährenb  ber  (Shrlebtgung  ber  biidjöjlidjen 
Stühle  beren  (Sinfünfte  bejog,  bie  (Mter  burch  feine  Beamten  ber- 
»alten  ließ  unb  bie  ber  bischöflichen  Verleihung  unterftehenben  Vene= 
jicien  mit  ^udnahme  ber  Pfarreien  bejefcte,  änberte  er  jeboa)  fein 

fcolan>ari$,  SBeltflefäi^te.  VI.  7 


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98  fiubiuig  XIV.  öon  graufrei$. 

93enef)men  unb  berief  im  Qafyre  1681  jum  Söelmfe  ber  Äufredjt; 
fjaltung  ber  gallifanifdjen  greifjeiten  eine  SBerfammlung  öon  fünf^ 
unbbrei&ig  Söifdjöfen  unb  eben  fo  öielen  Üflitglieber  beä  übrigen 
®leru3  nadj  $artö,  meiere  eine  Defloration  über  ben  Umfang  ber 
päpftlidjen  ©ewalt  in  granfreid)  erlaffen  follte.  9tad)bem  bie  öon 
bem  SBifdjof  öon  Xournaö  entworfene ,  gerabeju  auf  ein  ©dnSma 
loäfteuernbe  ©rflärung  öon  ber  Jßerfammlung  öerworfen  worben 
mar,  nafym  biefelbe  bie  berühmten  öier  gallif  anif  d)en  Slrtifel 
öon  ber  ftrd)ltdjen  Gewalt  an,  bie  ber  ©ifdjof  ton  SJceauj,  ber 
buraj  GJeleljrfamfett,  Söerebtfamfeit,  firdjlidjen  Sinn  unb  ftrenge  ©e- 
finnung  auSgejeidmete,  aber  bem  §ofe  gegenüber  aüju  nachgiebige 
5©  o  f  f  u  c  t ,  rebigirt  hatte,  ßubwig  erhob  biefe  Ärtifel,  au£  weldjen 
fid)  Folgerungen  ableiten  liegen,  bie  ber  Staatsgewalt  Gelegenheit 
$u  einem  bie  freie  SBirffamfeit  ber  $trd)e  beeinträchtigenben  *Bor= 
gehen  gaben,  fofort  $u  9teia)§gefeten,  an>ang  alle  ßefjrer  beä  Vechta  ' 
unb  ber  Geologie,  biefelbe  $u  befchmören,  unb  öerfügte,  ba&  bie 
theologischen  unb  juriftifchen  gafuUäten  beS  Sanbeä  ftiemanben  pro* 
moöiren  bürften,  ber  fidj  weigere,  biefelben  in  einer  feiner  Xbefen 
$u  üertheibigen. 

$atft  Snnocenj  XI.  behielt  fta?  ftifle,  öerweigerte  aber  ben 
öon  ßubwig  ju  ©ifchöfen  ernannten  9Kttgliebern  ber  s$arifer  «er= 
fammlung  bie  SBeftättgung.  .gnbeffen  fuhr  ©offuet  fort,  bie  Är* 
tifel  gegen  bie  Anhänger  ber  entgegengefefoten  ftreng  fira^liajen  ftn= 
fa)auung,  bie  man,  um  ben  ©egenfafc  ala  einen  nationalen  erfreuten 
ju  (äffen,  bie  Ultramontanen  nannte,  mit  aller  ©ntfduebenheit 
$u  öertheibigen.  Unter  biefen  Ultramontanen  ragte  befonberS  ber 
©rjbifc^of  öon  Sambra^,  ber  milbe,  flare  unb  eble  g<5n<5lon, 
heröor,  unb  biefem  gelang  eä,  fielen  bie  Äugen  über  bie  Gefahren 
5U  öffnen,  tvelc^e  bie  gaUifanifdjen  greiheiten  ber  greiheit  ber 
$ircfje  bereiteten,  inbem  fie  aJcandjeä,  worüber  bem  geiftlichen  Ober* 
fjirten  allein  bie  (Jntfajeibung  juftanb,  in  bie  £)änbe  be*  weltlichen 
Regenten  legten,  ©elbft  öon  ben  SBortfü^rern  ber  gattifanifchen 
greiheiten  famen  Stiele  $u  ber  ©rfenntnifi,  bafj  bie  öermeintüdjcn 
gattifanifchen  greiheiten  bie  £ird)e  unter  baä  3och  ber  Ihtedjtfdjaft 
bringen  würben. 

$)ie  ©pannung  jwifdjen  Subwig  unb  bem  päpftlict)en  Stuhle 
würbe  cvl)bl)t  burd)  einen  neuen  ©treit,  ben  be3  $önigä  übermü* 
tfjige  .^crvid)jud)t  ^eraufbefa^wor.  Söeranlaffung  §u  bemfelben  gab 
ba3  Äfölrecht  ber  <£)efanbtf$aft3quartiere  in  SRom,  bie  in  golge 
eineä  alten  SJcifjbrauchS  öon  ber  ©eridjtä barfeit  ber  römifdjen  Söe- 
hörben  frei  waren.  Ta  bie  franjöfifchen  öotfehafter  biefeä  Äfut- 
redjt  mit  ^errifa^er  Änma&ung  and)  über  bie  IJcauern  ihreä  $a= 
lafteä  (unauä  auf  bie  nädjü  gelegenen  ©tragen  auägebelmt  hatten, 
fonnten  Verbrecher  aller  Ärt  auf  eine  Sufluchtäftätte  rennen,  in 


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fiubtoig  XIV.  a!3  Regent. 


99 


toeldjer  jte  gegen  alle  ftadrforfdjungen  ber  römtfäen  *ßottjei  ge* 
föü$t  waren.  Um  biefem  baS  ©anbitenunwefen  in  fjotjem  ®rabe 
begünfrigenben  Unfug  ein  (£nbe  machen,  oerlangte  ber  ^ßapft 
oon  ben  fremben  9ttä$ten  bie  SBerjidjtletftung  auf  bae  2lftilred)t 
iljrer  (Sefanbten.  Xiefer  billigen  gorberung  famen  fotvo^I  ber 
&atfer,  at&  bie  Könige  oon  Spanien,  ©nglanb  unb  Sßolen  bereit* 
nrifltg  nadj;  Subwig  bagegen  erf)ob  SBiberfprud),  weil  e4  ifjm  toi* 
berftrebte,  jtdj  naa)  bem  ©etfpiele  2(nberer  $u  richten.  Qnno= 
ccn$  XI.  erhörte  hierauf  ald  ©ouöerön  ba$  &ft)lredjt  für  aufge« 
fjoben  unb  bebroljte  JJeben,  ber  fortfahre,  baäfelbe  auszuüben,  mit 
ber  (Srfontmunifation.  2ludj  jefct  gab  ßubwig  nidjt  nad),  fonbem 
lieB,  um  bem  ^apfte  offen  Xrofe  ju  bieten,  feinen  neu  ernannten 
53orfcr)aftcr,  ben  9ttarqui$  öon  ßaoarbin,  am  16.  SRooember  1687 
feinen  ©injug  in  fRom  mit  einem  (befolge  Don  adjtfyunbert  ©emaff= 
neten  galten,  welche  außer  bem  fran$öft|d}cn  ©efanbtfd&aftspalaft 
aud)  bie  angrenjenben  Strogen  befefcten.  „Sie  fommen,  ftol$  auf 
i^rc  SSagen  unb  Stoffe",  fagte  3nnocen$;  „idj  aber  oertraue  auf 
ben  $errn,  ber  ba  bleibt  in  (Ewigfeit."  <£r  oerweigerte  bem  ©e= 
fanbten  bie  oerlangte  2lubien£,  belegte  iljn  mit  firdjlidjen  ©trafen 
unb  fpradj,  al$  ber  SJtorquiS  nicfytöbcftoweniger  ftdj  in  bie  £ubtuig$s 
firdje  begab,  um  bem  £>odjamte  betjuwofmen,  ba$  Qfntcrbift  über 
biefe  fördje  au§.  $er  ©efanbte  war  fred)  genug,  mit  einem  jaf)l* 
reichen  (befolge  in  bie  ^ßeteräfirdje  einzubringen;  ber  (Sotteäbienft 
nmrbe  jebodj  bei  feinem  (Srfdjeinen  fofort  unterbrochen,  unb  fämmt* 
lic^e  ©eiftüa)en  oerließen  bie  Irirdje. 

Vergebend  fudjte  Subwig  burä)  bie  ©efefcung  bon  Sloignou 
unb  Venaiffin  unb  bie  $rol)ung  ber  (Sntfenbung  eines  £>eere$  nadj 
bem  #ird)enftaate  ben  $apft  einjtiftfjüdjtern:  3nnoccn5  XL  blieb 
unerfctyütterlid).  Slleranber  VIII.,  ber  im  3afjre  1689  3nno* 
cenj  XI.  auf  bem  papftlidjen  Stuhle  folgte,  oerwarf  bie  öier 
2lrttfel  unb  oerweigerte  bie  öeftätigung  ber  neuernannten  S8U 
fdjöfe.  Qttbcffctt  wud>8  in  granfreia)  bie  Verwirrung  in  ben  ftrdj* 
lid^en  Verfjdltniffen  fo  fefjrf  ba§  jidj  ßubwig  enbtidj  jum  üRadj* 
geben  gezwungen  faf).  9fadjbem  er  im  3^rc  auf  ba$  2lft)l* 
rcdjt  bis  franjöftfajen  ©efanbtfdjaftäquartterS  in  9tom  )öer$idjt  ge* 
teißet  unb  bem  Sßapft  Slöignon  unb  SBenaiffin  jurüefgeftettt,  Wied 
er  im  3<*§re  1692  bie  fedjäunbbret&ig  Söifäöfe,  bie  er  feit  bem 
3a$re  1682  ernannt  Ijatte,  an,  ftdj  bem  päpftltdjen  Stuhle  $u 
unterwerfen,  unb  erflärte  bem  $apft  JJnnocenj  xil.,  bem  S'lac^folger 
Sllefanber^  VIII.  r  ba&  er  bie  öef^lüffe  ber  SSerfammlung  t?on 
1681  für  nic&t  oerbinbliä)  erachte  unb  feine  auf  ©runb  berfetben 
erlaffenen  ©efeje  jurfitfneljme. 

Um  ben  ^abel  ju  enthaften,  ben  er  ftd)  bura^  feine  (Eingriffe 
in  bie  ^ca^te  ber  flirre  üon  Seiten  ber  fatf>olifd)en  SBelt  juge* 

7* 


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100  Subwig  XIV.  tum  granfreitf). 

Sogen,  fud^tc  fiubmig  fctitcit  (£ifcr  für  ben  fat^olifc^cn  ©laubcn 
burcf)  bie  gemaltfame  ,8urücfführung  bcr  Hugenotten  jur  fatholifdjcn 
Kirche  ju  befunben ,  obgleich  ber  $apft  felbft  im  ©elfte  ber  Kirche 
erflärte:  man  muffe  bie  irrenben  SBrüber  burefj  Siebe  gewinnen 
unb  nicht  mit  ©emalt  in  bie  Sirenen  föteifen.  3uerft  erlieg  ßub= 
»ig  eine  $Reit)e  öon  Verfügungen  §ur  ©efdjranfung  ber  9tedjt«* 
fp^äre  ber  Hugenotten.  $ie  au«  Hugenotten  unb  ®atholifen  ge= 
mtfehten  $Recht«!ammern  mürben  aufgehoben,  bie  Hu9enottcn  öuä 
ben  hohen  Remtern  entfernt  unb  gemifa)te  (Sfjen  auf«  ©trengfte 
unter  jagt;  ebenfo  mürbe  ber  Uebertritt  üom  ®atholtci«mu«  jum 
<Proteftanti«mu«  bei  fernerer  ©träfe  verboten.  $a  alle  biefe  Witt* 
tel  nicht  rafdj  genug  jum  Siele  führten ,  fuchte  man  burd>  bie  ßaft 
ber  (Einquartierung  ba«  $Befehrung«mert  ju  befchleunigen ,  inbem 
man  in  bie  Käufer  ber  SLUberfpenftigen  Dragoner  einlagerte,  bie 
grofje  (Sjceffe  öerübten.  3)iefe  fogenannten  „$ragonaben"  Ratten 
in  ber  %\)at  ben  Uebertritt  oieler  ^roteftanten  $ur  golge;  bod) 
tourbe  eine  ungleich  größere  Qafyi  burch  ba«  milbe  ©ntgegenfommen 
unb  bie  überjeugenben  ^ßrebigten  einzelner  9Jctfftonäre ,  benen  in«= 
befonbere  ber  eble  g^nölon  a(g  Sttufter  öoranleudjtete ,  $ur  Kirche 
jurütfgefüfjrt. 

$>en  ©chlufj  be«  ganjen  Verfahren«  bitbete  im  Saljre  lß85 
bie  Aufhebung  be«  (Ebift«  Don  9iante«.  CSin  föniglidjcr  (Erlag 
entjog  ben  Hugen°tten  ad'  ihre  früheren  ^riüilegien ,  unterfagte 
ihnen  ben  öffentlichen  mie  ben  $ßrioatgotte«bienft ,  orbnete  bie  3)e* 
molirung  ber  neuen  Kirchen  an  unb  bemrie«  aüe  proteftantifdjen 
Sßrebiger  au«  bem  ßanbe.  Obgleich  ben  Hu9cn°tten  feinerer 
©träfe  bie  2lu«manberung  verboten  unb  ju  biefem  ©nbe  bie  ftrengfte 
Ueberroacfmng  ber  ©renken  angeorbnet  mürbe,  gelang  e«  boch  ote- 
len  Saufenben  —  bie  Angaben  fchroanfen  $ttnfd)en  fechjigtaufenb 
unb  einer  Viertel  2#iHion  —  mit  ihren  gamilien  au«  granfreid)  $u 
entfommen  unb  ihre  Wrbeit«fraft,  it)re  ftenntniffe  unb  ihren  ftunft* 
fleifj  anbern  ßänbern  $ujufüt)ren,  fo  bafj  Submig«  angeblicher  !Rc- 
ligion«eifer  granfreid)  fehlere  Sßunben  fchlug ,  bem  s2lu«lanbe  ba* 
gegen  Vorteil  brachte.  SEBilhelm  üon  Oranien,  ber  fidj  im  eigenen 
Qntereffe  jum  befonberen  Vejchüfcer  ber  au«gemanberten  v$roteftan= 
ten  aufmarf ,  lieg  ifmen  bebeutenbe  Unterftüfcungen  jufommen,  ba- 
mit  burd)  fie  bie  franjöfifctje  (Semerbttjätigf eit  nach  H°^anb  unb 
(Englanb  öerpflan$t  merbe.  s2luch  ber  $urfürft  grtebrich  2Bilt)elm 
Don  Vranbenburg  na bm  an  jmanjigtaufenb  au«gemanberte  fran- 
$öfifd)e  Sßroteftanten  in  bie  Sparten  auf  unb  füt)rte  baburdj  in  bie- 
fen  ©egenben  einen  raffen  #uffchnmng  ber  fünfte  unb  ©eroerbe 
herbei. 

£rofc  aller  ©emaltma&regeln  mar  jebod)  ber  $roteftanri«mu« 
in  granfreich  nicht  ooUftänbig  unterbrüeft.    Verfleibete  reformirte 


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*!ubnrig«  XIV.  $of. 


101 


^räbifanten  burcfjftreiftcn  ba3  ßanb  unb  üerfammelten  it)re  in 
granfreich  zurüdgebliebenen  ©laubenSgenoffen ,  bie,  boH  3ngrimm 
im  £eraen ,  nur  bie  (Gelegenheit  abwarteten ,  gegen  ben  ®önig  bie 
Waffen  ju  ergreifen,  in  SBälbem  unb  (Einöben  zur  Abhaltung  ifjreä 
(^otteSbtenfte*.  2Bo  bie  Regierung  biefen  SBerfammlungen  auf  bie 
Spur  famf  fdjritt  ftc  gegen  biefelben  mit  grofjer  Strenge  ein.  Xa 
fie  bennoch  nic^t  aufhörten,  mürben  üerfdjärfte  SJca&regeln  ergriffen. 
3>teä  führte  im  $ahre  1702  in  ben  <Seöennen,  in  beren  I^älem 
befonberä  öiele  «ßroteftanten,  meift  SRachfommen  ber  alten  SBalbenfer, 
lebten,  beren  ©laubenSeifer  burd)  angebliche  ©ifionen  einzelner  ©e* 
meinbeglieber  zum  religiöfen  Sanattemuä  gefteigert  morben  ,  ben 
blutigen  Slufftanb  ber  „(Eamifarben  fyttbti ,  ben  bie  Regierung 
vergebens  burcf)  SBaffengemalt  ju  unterbrücfen  fachte.  Nach  einem 
äteetjäljrigen  erbitterten  Kampfe ,  in  meinem  t>on  beiben  ©eiten  bie 
empörenbflen  ©raufamfeiten  berübt  mürben  unb  über  §n>anaigtaufenb 
ücenfchen  ben  Xob  fanben,  fam  e3  ju  einem  Vergleich,  in  meinem 
ben  Slufftänbifäen  Religionsfreiheit  bemilligt  mürbe. 

Submigö  XIV.  $of. 

55a  Submig  XIV.  eS  für  nötfufl  erachtete,  zur  möglichften  <Er= 
bebung  feiner  eigenen  Sßerfon  jttJifchen  fich  unb  ber  Brenge  eine 
Slrt  @<heibemanb  aufzurichten,  umgab  er  fich  mit  einem  jahlrei^ 
rfjen,  mannigfach  gcglieberten  unb  abgeftuften  |>ofe,  in  beffen  bracht 
fich  ocr  ®lönj  ber  $rone  in  beftänbigem  SBiberfchein  abfpiegetn 
tollte.  Qn  ber  (Einrichtung  btefeS  prunfoollen  $>ofeS  fah  er  zugleich 
baS  ficherfte  SRittel,  ben  5lbel  feinen  einfamen  ©cf)löffern  ju  ent* 
reiften,  in  beneu  berfelbe  fo  oft  auf  (Empörung  gefonnen  unb  ben 
^errfchem  SfranfreichS  Xro j  geboten ,  ihn  bauemb  in  feine  9lähe 
^u  ziehen  unb  ihm  baburdj  SBeranlaffung  zu  geben,  feine  (Einnahmen 
in  ber  Nachahmung  bcS  föniglichen  &uru$  zn  berfchmenben ,  feinen 
Ehrgeiz  auf  Rang  unb  SBürben  am  |>ofe  zu  richten  unb  fich  fctöft 
baburch  unbemu&t  feiner  Stacht  unb  Unabfjängigfeit  zu  entäußern. 

Qn  bem  gtänzenben  Greife,  mit  welchem  Submig  XIV.  {ich 
umgab,  mar  er  ftets  bemüht,  in  allem,  maS  er  that  unb  fprach, 
bie  SKajeftät  unb  ben  mürbeoollen  Slnftanb  beS  §errfcherS  zu  oe* 
mahren,  mobei  baS  ^mponirenbe  feiner  ganzen  (Srfchetnung ,  feine 
fchöne,  männliche  ©eftalt  unb  bie  eble  SBilbung  feines  ©eftchtS,  tf)n 
auf*  Öefte  unterfrüfcte,  unb  feine  (Eitelfeit  gefiel  fich  ™  *>m  ®e* 


1)  liefen  9?amen  erhielten  bie  $lufftftnbifchen,  »eil  fte  bei  ihren  nficht- 
lid)en  Ausfällen  übet  ihren  Äleibern  fcemben  (camiso  =  chemise)  trugen,  um 
nidjt  erfannt  zu  werben. 


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102 


Subraig  XIV.  üon  ftranfreidj. 


mußtfein,  baß  Aller  Augen  öott  93emunberung  auf  ihn  gerietet 
waren. 

$a*  ßeben  am  #ofe  ßubmig*  öerfloß  in  unau*gefefcten  3feft= 
lidjfeiten  unb  ßuftbarfeiten.  Earouffelpartien ,  allegorifche  <ßanto* 
mimen,  ©allette  unb  8ingfpiele,  oon  ben  sperren  unb  tarnen  be* 
$ofe*  aufgeführt,  mechfelten  ab  mit  ©chaufpielen ,  ÜJ?a*fen$ügen 
unb  geuermerfen ;  anbere  SBeluftigungen  mannigfaltigfter  Art  bräng* 
ten  fid)  in  bunter  Reihenfolge  bajmifchen.  $>er  ®önig  felbft  nahm 
an  ben  jur  Aufführung  gebrauten  geftfptelen,  bie  öon  ben  h«öor= 
ragenbften  ftidjtern  granfreich*  eigen*  für  ben  £of  öerfaßt  mur- 
ben ,  balb  in  ber  Rolle  eine*  gelben ,  balb  in  ber  eine*  ©orte* 
Ztyil,  unb  Alle*  in  biefen  (Spielen  mar  barauf  abgelesen,  ilm  al* 
ben  größten  unb  meifeften  ^Monarchen  ju  öerherrlichen. 

gür  biefe*  glänjenbe  £ofleben  genügten  bie  Räume  be*  Souöre 
nicht  mehr;  auch  ber  Aufenthalt  in  biefem  alten  *ßalaftc  bem 
ßönig  burch  bie  Erinnerung  an  bie  äReutereien  ber  Sßarifer  in  ben 
3eiten  ber  gronbe  öerleibet.  Ebenfomenig  fagte  ihm  für  bie  Dauer 
ba*  ©chloß  öon  @t.  ©ermain  ju,  mohin  er  anfang*  fein  $oflager 
»erlegt  hatte ;  er  ließ  bafjer  ba*  fleine  (Schloß  8 et  f  a  t U t  *  #  ba* 
feinem  SBater  bei  beffen  Sagben  jum  Ruhepunfte  gebient,  mit  einem 
ßoftenaufmanb  öon  neunjig  aJciütonen  ßiöre*  ju  einem  prachtvollen 
ßönig*ftfce  umbauen,  um  melden  balb  eine  anfehnliche  Stabt  ent= 
ftanb.  SBie  ba*  <Sd)loß  felbft,  obgleich  gan$  im  ©efehmaefe  ber 
gefunfenen  italienifchen  SBaufunft  errichtet,  öon  ben  Seitgenoffen  al* 
ein  unübertreffliche*  SJcuftermerf  angeftaunt  mürbe,  fo  galt  auch  ber 
©arten  öon  SBerfaiHe*  mit  feinen  ©rotten,  Söafferfünften ,  Statuen 
unb  23aumgängen  lange  Seit  al*  ein  SBunbermerf  ber  neuen  Söelt, 
unb  2  e  R  6  t  r  e  ,  ein  SDcann  öon  außerorbentlichem  Xalent,  mürbe 
burch  bie  Anlage  be*felben  ber  <Sd)öpfer  eine*  neuen  ©efehmaef* 
in  ber  ©arten! unft ,  melcher  fich ,  trofc  ber  Sßerirrung  ,  bie  in  ber 
übertriebenen  (Symmetrie ,  in  ben  nach  ber  Schnur  befdmittenen 
£ccfen  unb  Söaumgängen  liegt,  balb  über  ganj  Europa  öerbreitete. 

3n  ben  (Sälen  unb  ©arten  öon  Söerfaide*  bilbeten  fid)  jener 
freiere  gefellige  Xon,  jene*  belebte  unb  geiftreiche  ©efpräch,  jene 
leichten  unb  angenehmen  Umgang*formen  au*,  burch  meiere  £ub~ 
mig*  §of  ba*  Söorbilb  für  alle  übrigen  £>öfe  Europa'*  mürbe,  unb 
ber  Einfluß,  ben  granfreich  burch  biefe  fociale  söilbung  auf  ba* 
Au*lanb  au*übte,  trug  nicht  menig  baju  bei,  fein  Uebergemicht  in 
Europa  fidjer  ju  fteHen. 

Aber  bie  öerfeinerten  gormen,  in  melchen  fich  ba*  ßeben  am 
Jpofe  öon  SSerfaiHe*  bemegte,  maren  nur  bie  trügerifche  £>üüe  einer 
tiefen  fittlichen  Sßerberbniß,  unb  menn  auch  ßubmig  XIV.  ftrenge 
barauf  hielt,  baß  ber  äußere  Anflanb  gemährt  blieb,  fo  jeigten  fich 
bodj  fchon  unter  ihm  bie  folgen  ber  am  §ofe  gepflegten  griöolität 


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fiubwig*  XIV.  $of« 


103 


in  ber  ooOftänbigen  Untergrabung  ber  ©runblagen  be*  gamilien* 
lebend.  9Ran  mar  bereits  fo  toeit  gefommen,  baß  e*  nur  Söenige 
ber  3Jcüt)e  merit)  erachteten,  eheliche  Untreue  ju  oerbergen,  unb 
häusliche  Xugenben  unb  Sittenremfjeit  ber  (Segenftanb  be*  ®efpörte* 
tüurben.  Um  geiftreiche  Sudlerinnen,  mie  9cinon  be  r@nclo*, 
bic  mit  einer  unoermüftlichen  Schönheit  eine  feltene  Anmutt),  gern* 
heit  unb  ßebhaftigfeit  be«  (Seifte*  oerbanb,  fammelten  fich  bie  am 
gefehenften  SKanner  be*  $>ofe*. 

2Bie  meit  ba*  firtliche  SBerberben  unter  ber  öfteren  franjö- 
fifdjen  ©efeflfehaft  bereit*  um  fict)  gegriffen  unb  welche  Verbrechen 
mitunter  im  Verborgenen  oerübt  mürben,  jeigt  in*befonbere  ber 
s3roje6  ber  jungen  unb  föchten  SJcarquife  oon  IBrinoillier*, 
bic  im  3a§rc  1676  a^  ®iftmtfct)erin  $u  $ari*  enthauptet  mürbe. 
Sie  t)atIC  nicht  nur  au*  £abfucr)t  ihren  SBater  unb  ihre  fämmt= 
liehen  ©efchmifter,  fonbern  auch  eine  große  Sah!  anberer  ^erfonen 
oergiftet,  um  bie  SBirfung  ber  üon  ihr  bereiteten  ©ifte  ju  erproben. 
Ueberhaupt  ^atte  bie  ©ifrmifcherei  eine  fo  fehreefenerregenbe  $lit** 
behnung  gemonnen,  baß  ßubmig  jur  Verfolgung  unb  SBeftrafung 
berfelben  einen  eigenen  @eric^t8t)off  bie  Chambre  ardente,  einfette. 

fiubmig*  ©emahlin  SJcaria  itjerefia  mar  eine  fetjöne  unb  firten= 
reine  grau  oon  großer  $>eraen*güte ;  fie  befaß  jeboct}  ju  menig 
glänjenbe  @igenfct)aften,  um  ba*  £erj  be*  ®önig*  feffeln  ju  fönnen. 
ßubroig  fytlt  jmar  ftrenge  barauf,  baß  ihr  bi*  an  ihr  fieben*enbe 
(30.  Quli  1683)  bie  ihr  gebührenbe  Sichtung  ermiefen  merbe;  er 
felbft  aber  rummerte  ftd)  menig  um  fie ,  ba  er  fchon  frühe  ange* 
fangen ,  feine  ©unft  anbem  grauen  jujumenben.  Xie  (£rfte ,  um 
berentmißen  er  feiner  ©emahlin  bie  Ireue  brach ,  mar  bie  fpäter 
oon  ihm  $ur  ^erjogin  erhobene  fiouife  granc;oife  be  la  SB  a  liiere, 
bie  al*  £ofbame  ber  ^rinjeffin  Henriette  Oon  (Snglanb,  ber  erften 
©emahlin  be*  ^erjog*  oon  Drlean*,  an  ben  franjöfifchen  $>of  ge= 
fommen  mar  unb  felbft  eine  glüt)enbe  Neigung  für  ben  ®önig  ge* 
faßt  hatte.  ßubmig*  Seibenfehaft  für  fie  oerrauchte ,  al*  er  im 
3at)re  1674  in  ber  SWarquife  oon  9ftonte*pan  eine  glänjenbere 
Schönheit  rennen  lernte.  Xie  ßa  Valliere,  bie  ihren  Sturj  al* 
eine  gerechte  ©träfe  be*  Gimmel*  anfah ,  jog  fich  in  ba*  Softer 
ber  ftarmeliterinnen  ju  $ari*  jurücf,  mo  fie  bi*  an  ihr  ßeben*enbe 
(6.  3uni  1710)  unter  bem  tarnen  soeur  Louise  de  la  miseVicorde 
burch  horte  Arbeiten  unb  ftrenge  93ußübungen  bie  gef>ltritte  ihrer 
3ugenb  ju  fühnen  fudjte. 

SBährenb  bie  fia  SMiere  feinerlei  Einfluß  auf  bie  Staat*ans 
gelegenheiten  ju  erlangen  gefugt ,  mar  ba*  Streben  ber  h^rfet^ 
füctjtigen  SHarquife  oon  9ftonte*pan,  bie  im  Qatjre  1676  oon  ihrem 
®emahle  gefchieben  mürbe,  nachbem  berfelbe  feine  Auflehnung  gegen 
ba*  jmifchen  ihr  unb  bem  ftönig  fich  entfpinnenbe  »erhältniß  erft 


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104 


Subroig  XIV.  bon  8rtanfrct<$. 


burch  eine  längere  .fjaft  in  ber  Vaftiüe,  bann  burch  bie  Verbannung 
nach  (Staoenne  gebüßt  hatte,  auf  bie  oollftänbtge  Veherrfchung  be*  ge* 
famntten  $ofe*  gerichtet,  unb  jte  erreichte  biefe*  Qitl  auch  für  eine 
Steide  bon  fahren.  2Bie  ber  fonft  auf  feine  Sttadjt  fo  eiferfüc^- 
tige  Äönig  fich  in  fdjtoachen  ©tunben  gänzlich  bon  il)r  leiten  lieg, 
fo  beugte  jtdj  auch  ber  £>of,  beffen  gtanjenber  äRittetyunft  fie  ge* 
toorben ,  oor  ihrem  eigentümlich  feinen  Xon ,  ihrem  fprühenben 
©eift  unb  ihrem  bei&enben  SBifc,  unb  9Jttnifter  unb  Generale  git- 
terten bor  ihren  Saunen.  Nacfjbem  ü)r  bereit«  im  Safjre  1678 
in  bem  fieO^e^njä^rigen  gräulein  oon  gontange*,  bie  gleichfalls 
oon  bem  in  leibenföaftlidjer  Siebe  $u  ü)r  entbrannten  Äönig  jur 
^jerjogin  ernannt  tourbe,  eine  gefährliche  Nebenbuhlerin  erftanben, 
bie  jeboch  fdjon  nach  brei  Qaljren  ftarb,  tourbe  fie  ganj  au«  ßub* 
ttrig*  £)er$eu  oerbrängt  bura)  bie  im  reformirten  ©tauben  erlogene, 
fpäter  aber  jur  fatljoUfdjen  Kirche  übergetretene  SBttttoe  be*  fo» 
mifchen  dichter*  ©carron,  gran$oife  b'#ubign<5,  bie  nachmalige 
Srau  bon  Sftaintenon,  meiner  ber  Äönig  bie  Pflege  unb  (5r* 
5tcfmng  fetner  beiben  natürlichen  ©ohne  übertragen  hatte.  Um  ba£ 
gegebene  Slergernife  toieber  gut  $u  machen  unb  für  ihre  Vergebungen 
Öu&e  ju  thun,  oerttjeilte  bie  3Jtonte3j)an  ben  größten  Xljeil  ihre*  Ver= 
mögen*  unter  bie  Firmen  unb  jog  fid)  reumütig  in  bie  ©tnfamfeit  eine* 
Ülofter*  jurücf,  »o  fie  ihre  Seit  aroifchen  Vuüübungen  unb  SBerfen 
ber  SBofjItyätigreit  feilte,    ©ie  ftarb  im  3a$re  1707. 

$a*  Verhältni&  be*  ®önig*  ju  ber  grau  oon  9Jcaintenon  — 
biefen  Namen  führte  bie  SBitttoe  ©carron  oon  ber  ^errfdjaft 
9ttaintenon ,  beren  Wnfauf  iljr  burch  Subnrig*  reiche  ©efdjenfe  er= 
möglia)t  toorben  —  war  ein  anbere* ,  al*  ba*  ,  toelche*  junfchen 
ihm  unb  feinen  früheren  ©eliebten  beftanben  fjatte.  Subnrig  füllte 
feine  jener  teiben)d)aftüd)en  Regungen  mehr,  bie  ihn  ju  fo  ferneren 
Vertrrungen  b,ingeriffen ;  bagegen  empfanb  er  mit  ben  $unefjmenben 
fahren  eine  immer  grö&ere  Seere,  bie  loeber  bie  raufchenben  Ver- 
gnügungen feine*  £ofe*  noch  ber  9tul)m  unb  ba*  ©lud  feiner 
©äffen  au^ufüHen  üermochten.  @r  beburfte  ber  Serftreuung  burct) 
eine  anregenbe  Unterhaltung,  unb  biefe  fanb  er  bei  3rau  oon 
3ttaintenon  in»  fo  reiä)em  ^afte ,  baß  iljre  (SJefeCCfc^aft  ihm  balb 
unentbehrlich  festen.  $en  Hinflug ,  ben  fie  ^ieburc^  auf  Sub* 
toig  XIV.  getoann,  tou&te  fie  burch  ein  äu&erft  taftüotte*  unb  flu* 
ge*  benehmen  ju  fidjem :  fte  beobachtete  bie  ftrengfte  3MriicfhcdtunÖ' 
toiberfprach  bem  Äönig  nie  unb  fchien  fein  anbere*  ©treben  $u 
fennen,  al*  feine  Saunen  ju  jerftreuen  unb  ihn  burch  Die  SBieber* 
belebung  feine*  religiöfen  ©efühl*  auf  ben  SBeg  ber  Pflicht  jurücf* 
juführen.  Nachbem  e*  ihr  gelungen,  be*  ^önig*  jper^  oon  ber 
2ftonte*pan  lo*auret6en,  beren  toachfenbe  ßaunenhaftigfeit  ihm  längft 


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SubwigS  XIV.  £of. 


105 


lafrtg  geworben,  fuchte  fie  ein  beffereS  93erhältniß  stützen  it)m  unb 
feiner  Gemahlin  ^erjufteaen,  unb  auch  bieS  gelang  ifu\ 

#mei  Söhre  nach  bem  Xobe  ber  Königin  bot  fiubroig  ber 
grau  öon  EJcaintenon  fetbft  feine  $>anb  an.  Vergeben«  bat  ihn 
ßouüois  fußfällig,  öon  bem  Gebanfen  abstehen,  bie  SBitttoe  ©car* 
ron  jur  Äönigin  öon  granfreidj  ju  machen ;  alles,  toaS  er  erlangen 
fonnte,  mar,  baß  Subroig  auf  bie  anfänglich  öon  ihm  beabfichtigte 
93efauntmachung  feiner  SBieberöermählung  SSerjid&t  leiftete.  $ie 
Xrauung  mürbe  gan$  in  ber  ©tiöe  in  ber  ^riöatfapelle  beS 
©djloffeS  öon  Verfaule«  öon  bem  (Srjbifchof  öon  <ßariS  üoHjogen. 

Äber  (Shtfluß,  ben  bie  SJcaintenon  buref)  ihre  geiftige  lieber- 
legenheit  auf  ben  Äönig  ausübte,  fteigerte  fid)  öon  3at)r  ju  3ahr 
unb  machte  fidj  auch  öm  $>ofc  geltenb.  Obgleich  ßubroig  ben  öotten 
Glans  beSfelben  aufrecht  t)iclt  unb  auch  noch  prunföolle  Sefte 
gab ,  f uchte  er  an  bemfelben  eine  größere  ©ittenftrenge  r)erjuftcden. 
$>ie  SJcaintenon  felbft  nahm  an  ben  £offeften  nur  feiten  Xheil,  toeil 
fte  bei  benfelben  nicht  als  Königin  auftreten  fonnte.  ©ie  fanb  ihre 
Jreube  in  SBerfen  ber  SJctlbthätigfeit,  ju  benen  fie  auch  ben  $önig 
anjuregen  fuchte.  ©ei  allem  (Schein  jurüergejogener  SBefcheibenheit 
übte  fie  boch  auf  ben  Gang  ber  Staatsangelegenheiten  einen  bebeu= 
tenben  ©influß  aus.  $er  ^öitig  arbeitete  häufig  mit  feinen 
TOniftem  in  ihrem  Simmer,  roährenb  fie  mit  ßefen  ober  roeiblichen 
Arbeiten  befchäftigt  mar.  fragte  er  fie  bei  folgen  Gelegenheiten 
um  ihre  Meinung,  fo  antwortete  fie  in  ber  flieget  ausroeidjenb  unb 
oerbarg  forgfältig  baS  ^ntereffe,  baS  fie  an  bem  Gegenftanbe  ber 
33erathungen  nahm.  2lber  in  ber  Kegel  mar  bereits  sMeS  jroifchen 
ihr  unb  ben  SJcmiftern  bef prochen  unb  abgemacht ,  fo  baß  fie  eS 
mar,  bie  thatfächüch  alle  Gefchäfte  leitete,  roährenb  fie  ben  $önig 
in  bem  Glauben  erhielt,  baß  alle  @nt[cheibungen  öon  ihm  allein 
ausgingen. 

Qn  biefer  einflußreichen  ©teüung ,  in  melcher  fie  jroar  nicht 
allgemein  geliebt ,  aber  allgemein  geachtet  rourbe ,  mußte  fict)  bie 
SRaintenon  burch  ihre  Klugheit  bis  gum  Xobe  SubroigS  ju  behaup* 
ten.  Xabci  mürbe  jebodj  ihre  Aufgabe  bem  Könige  gegenüber  öon 
Qahr  ju  Qahr  fehmieriger,  ba  berfetbe  fortmährenb  unterhalten  unb 
§erfrreut  fein  roollte  unb  Doch  immer  mehr  bie  (Smpfänglichfeit  für 
geiftige  Unterhaltung  öerlor.  Gleich  nach  bem  Xobe  beS  Königs 
öerließ  fie  ben  jpof  unb  jog  fich  nach  ©t.  (Eür  jurücf,  mo  fie  eine 
reich  auSgeftattete  G£r$iehungSanftalt  für  breihunbert  iöchter  unbe= 
mittelter  ©belleute  gefttftet  hatte.  $ort  ftarb  fie  1719,  im  Sllter 
öon  öierunbacht^ig  fahren ,  bis  an  ihr  <£nbe  roie  eine  oermittroete 
Königin  geehrt. 

3)aS  gefammte  £>of!eben  $u  ©erfailleS  beruhte  auf  ber  im 
)'echjehnten  Qahrhunbert  am  fpanifchen  §ofe  herrfchenb  gemorbenen 


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106 


Cubwiß  XIV.  von  granfreicfc. 


(Stilette,  bic  burd)  flnna  öon  Defterreiet)  nad)  granfreid)  öerpffonjt 
morben  mar  unb  luer  burd)  ßubmig  XIV.  ü)re  h°#fte  2lu«bilbung 
erhielt.  Me«  bi«  in«  SHeinfte  mar  bur*  bic  ftrengften  ©efefce  ge* 
regelt.  <£«  gab  genaue  Sorfdjriften  barüber ,  in  meldte  ©emädjer 
bie  einzelnen  Herren  unb  tarnen  be«  §ofe«  ungerufen  fommen 
Durften,  »er  beim  Slufftefjen  ober  (Schlafengehen  be«  ftönig«  zu- 
gegen fein  mu&te,  bi«  ju  meldtet  föangftufe  f)erab  bie  pttxtn  bei 
ben  ^ofgefeHfctjaften  fid)  fefcen  unb  auf  ben  Spaziergängen  ba« 
£aupt  bebeefen  burften. 

Submig  tyüt  aufs  ©trengfte  barauf,  ba&  jeber  @ro§e  öon 
SRang  regelmä&ig  bei  4>ofe  erfct)eine.  2Ber  bie«  öerfäumte,  burfte 
auf  feine  SBergünftigung  öon  Seiten  be«  ®önig«  rennen.  SBurbe 
um  eine  foldje  für  ihn  gebeten,  fo  pflegte  Submig  ju  antmorten: 
„3ch  fenne  ben  Sttenfdjen  nicht;  ich  fehe  iim  nie."  ©onft  geigte 
fid)  Submig  gemöfmlich  im  SSerfefjr  mit  feiner  Umgebung  fehr  h^f5 
lieh ,  öerbinblich  unb  lieben«mürbig  unb  mußte  ftdj  ftet«  mit  fo 
mürbeöoller  9lrtigfeit  au«jubrücfen,  ba&  feiten  3emanb  bem  3a"ber 
feiner  Söorte  miberftanb. 

55ie  Xage«orbnung  be«  $ömg«  mar  auf  ba«  ©enauefte  be= 
frimmt.  SRaehbem  ilm  um  adjt  Uhr  ber  erfte  ftammerbiener  ge= 
medt  unb  ein  anberer  ifjm  ein  frifche«  £emb  gebraut,  erfduenen 
$mei  tammerherren  ,  öon  benen  ihm  ber  eine  SBeihmaffer  unb  ber 
anbere  ein  (Gebetbuch  reichte,  morauf  ©eibe  fich  jurüdjogen.  So- 
balb  ber  ®önig  aufgeftanben  mar  unb  fich  ba«  2florgenfleib  t)atte 
reiben  laffen,  traten  bie  ^ßrinjen,  bie  Generale  unb  bie  Herren  öom 
fogenannten  „jmeiten  «Surritt"  ein,  in  beren  ©egenmart  er  fid)  an= 
f leiben,  ben  öart  abnehmen  unb  bie  ^erliefe  auffegen  lieg.  9cad) 
beenbigter  Xoilette  mürbe  ein  gemeinfame«  sIRorgengebet  üerrichtet; 
bann  begleiteten  alle  s#nmefenben  ben  ®önig  in  fein  tabinet,  mo  er 
feine  Söefefjle  über  gefte ,  geierlidjfeiten  unb  anbere  bergleichen 
$inge  erteilte,  hierauf  begab  et  fich  jur  Ütteffe,  mobei  ber  ganje 
Jpof  in  ber  GJaHerie  jmifajen  feinem  tabtnet  unb  ber  ScapeHe  in 
feierlicher  Haltung  fielen  mufete.  9tad)  beenbigter  äfteffe  arbeitete 
ber  ftönig  bi«  ein  Uhr  mit  ben  Sftimftera  in  feinem  Äabinete  unb 
ging  bann  jur  9Jttttag«tafeI.  ©emöfjnlid)  fpeifte  er  allein ,  unb 
roährenb  ihn  bie  Äammer^erren  bebienten,  fa^en  fein  ©ruber,  ber 
ben  Xitel  SDconfieur  führte,  fomie  feine  (Söhne  unb  ©nfel  ftef>enb  ju. 
sJlad)  ber  Xafel  fütterte  ber  ftönig  feine  §unbe  unb  fpielte  mit 
ihnen  ;  bann  fleibete  er  fich  um  unb  fufjr  au«.  Stach  ber  SRüd* 
fefjr  mec^felte  er  abermal«  bie  ßleibung,  morauf  er  ben  ©efua^  feiner 
(^ünftlinge,  ßammerleute  unb  Beamten  empfing  ober  Söeridjte  ent= 
gegen  na^m.  Um  je^n  U^r  begann  bie  glänjenbe  Slbenbtafel ,  §u 
melier  eine  Slnja^l  öon  Röfleuten  eingelaben  mürbe.  SRadj  aufge^ 
tjobener  Xafel  unterhielt  ftc^  ber  tönig  noch  eine  3eitlang  fte^enb, 


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2>ie  fransöftfcfc  Sitcratur  unter  Subroig  XIV.  107 

mit  bem  ftüden  an  einen  Pfeiler  gelernt,  über  gleidjgiltige  $)inge 
mit  ben  üm  umringenben  SInroefenben  unb  jog  fia^  bann,  ben  $a= 
men  eine  Verbeugung  madjenb,  in  fein  ^abtuet  jurüd,  oon  wo  i^n 
fpäter  bie  &erren  öom  erften  unb  aweiten  gutritt  in  fein  Sd>laf= 
gemac$  begleiteten.  «Racfcbem  er  in  ifjrem  SBeifein  fein  SCbenbgebet 
oerridjtet  unb  fid)  t)atte  entfletben  laffen,  ftieg  er  $u  ©ette,  worauf 
fid)  bie  anmefenben  #ofleute  jurürfjogen. 

(5ine  mafjrljaft  impofante  <ßraa)t  entfaltete  ber  föniglidje  £>of 
an  ben  gro&en  ©alatagen,  an  Welmen  ber  $önig  bie  ^ulbigung, 
beS  gefantmten  £ofeS  unb  SRetdjeS  entgegennahm  ober  in  ber  pra$U 
Dollen  ©aHerie  $u  VerfaißeS  ben  ©efanbten  frember  TOidjte  feier^ 
lidje  tfubienj  erteilte. 

2>ic  frangdftf^e  Literatur  unter  Shtbmig  XIV. 

Unter  ber  Regierung  ßubwigS  XIV.  entfaltete  fid)  bie  fran- 
jöftfdje  SRationafliteratur  ju  fo  fyofjer  SBIütfje,  bafj  man  feine  Qtit 
Ujr  g  o  1  b  e  n  e  3  Seitalter  genannt  fjat.  TOerbingS  fdjmiegte 
ftd?  bie  $oefte ,  bie  gleid)  ben  übrigen  fünften  r)auf>tfacr)(icr)  jur 
Verherrlichung  beS  &ofeS  bienen  follte,  öollftänbig  ber  an  bemfel* 
ben  fjerrierjenben  ©efdjmadsridjtung  an;  baljer  bewegten  fid)  irjre 
Sdjöpfungen  faft  auSfdjlie&lid)  in  ben  engen  ©renjen  ber  ^onüenienj 
unb  trugen ,  ftatt  baS  ßeben  in  feiner  Döllen  SBafjrljeit  mieberju- 
föiegeln,  baS  ©epräge  beS  ©entarten.  9licr)t  minber  als  burdj  bie 
Seffeln  beS  £ofgefdnnatfS  mar  ber  freie  Slufflug  beS  bidjterifdjen 
©eniuä  burd)  bie  beengenben  Sdjranfen  einer  mi&öerftanbenen  Siegel* 
redjtigfeit  geftemmt,  meldte  bie  $id)ter  felbft  fidj  buvd)  bie  fflaoifdje 
9cacf)at)iming  ber  xHlten  gebogen  Ratten,  ©anj  befonberS  gilt  bie* 
oon  ber  bramatifdjen  $id)tung,  bie,  wie  in  ©nglanb  unter  @ltfa* 
betfj  unb  ben  Stuarts,  fo  audj  in  granfreid)  unter  ßubwig  XIV. 
im  Vorbergrunbe  ftanb,  weil  fie  am  meiften  jur  Verfeinerung  ber 
glän$enben  £>offefte  beitrug. 

Sdjou  SRidjelieu  ftatte ,  oon  ber  &nfid)t  auSget)cnb ,  baß  ba& 
Zfytattx  eine  Sdwle  ber  VolfSbübung  fei,  ber  bramatifa)en  3)id)t; 
fünft  feine  befonbere  Slufmerffamfeit  jugeroanbt.  (£r  entwarf  fogar 
jelbft  in  feinen  Sftufceftunben  Richte  ju  X^eaterftüden ,  bie  er  oon 
mehreren  in  feinem  Solbe  ftefjenben  $>id)tem  ausführen  lieft.  2lber 
wie  ber  grofje  (Staatsmann  baS  politifdje  Uebergewidjt  Spaniens 
öernidjtet  hatte ,  fo  mar  er  auch  bemüht ,  ben  (SHnfluf}  ju  brechen, 
ben  baS  in  freieren  formen  fidj  bewegenbe  fpanifche  $>rama  auf 
baS  fran§öftfd>e  X^eater  ausübte ,  unb  legte  ju  biefem  @nbe  ben 
oon  ihm  befolbeten  Richtern  bie  ^flidjt  auf,  fieft  ftreng  an  bie  brei 
Sin^eiten  beS  SlriftoteleS  ju  ijalten,  bie  iöoüeau  fpäter  als  @runb= 
regel  ber  bramatifdjen  ^ßoefie  in  bie  $8erfe  braute: 


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108 


ßubmtg  XIV.  t>on  ftranfreicf). 


„Qu'en  on  lieu,  qu'en  un  jour,  un  seul  fait  accompli 
Tienne  jusqu'ä  la  fin  le  theätre  rempli." 

SDicfc  Siegel,  bie  nidjt  nur  in  ber  $arftellung  ber  bramatifdjen 
^anblung  jeben  2Secf>fel  be«  Drte«  üerpönte ,  f  o  bog  alle« ,  ma« 
außerhalb  biefe«  Drte«  fid)  jutrug,  einfach  erjagt  merben  mußte, 
fonbern  audj  bie  gefammte  ©ntmitflung  berfelben  auf  ben  Seitraum 
tion  öierunb$man$ig  ©tunben  beidjränfte,  eben  baburdj  aber  and) 
ben  bramatifajen  £id)tern  bejüglid)  be«  ju  roäfjlenben  Stoffe«  bie 
engften  ©renjen  jog,  galt  feitbem  al«  ©runbgefefc  ber  „flaffifdjen 
ISragöbie",  bie  im  fiebaefmten  galjrfjunbert  unb  ganj  befonber« 
unter  fiubmig  XIV.  burd)  (Sometfle  unb  Racine  ju  i^rer  työdjften 
iBoüenbung  geführt  würbe. 

^ierre  Corneille,  öon  feinen  £anb«leuten  „ber  $ater 
ber  franjöfifc^en  Xragöbie",  unb  „ber  ®roße"  genannt,  geboren  im 
3af>re  1606  ju  föouen,  mar  ber  ©of)n  eine«  Ocneralabüofaten  am 
bortigen  Parlamente  unb  fyatte  fidj,  nadjbem  er  in  einem  Qefuiten* 
Kollegium  eine  gebiegene  93ilbung  erlangt,  bem  ©tubium  ber  Sftedjt«- 
tuiffenfdjaft  gemtbmet,  balb  aber  au«fdjließlidj  ber  $idjtfunft  juge* 
manbt.  5öon  bem  ßuftfpiele,  in  metd&em  er  fidj  juerft  oerfudjt, 
ging  er  balb  jur  Xragöbie  über,  ©eine  im  3a§rc  1^35  erföie* 
nene,  ganj  bem  ©enecca  nadjgebilbete  „Sttebea",  bie  großen  SBeifaü 
fanb,  oeranlaßte  9ttd)elieu,  ifjn  unter  bie  ßafjl  °cr  fym  befol- 
beten  3>id)ter  aufzunehmen.  3)a  jeboä}  ber  fjodtftrebenbe  (£ornetüc 
fid)  ben  Slnfidjten  be«  $arbinal«  nid)t  in  allen  fünften  fügen  wollte, 
löfte  fidj  biefe«  SBerfyältniß  balb  mieber ,  jum  großen  iBort^eil  be« 
3)id)ter«  ,  ber  nun  ganj  feine  eigenen  SBege  ging,  9lad)bem  er  ficö 
mit  ben  bramatifdjen  üfleiftermerfen  ber  ©panier  öertraut  gemalt, 
fcfjuf  er  fd)on  im  Qafjre  1636  nad)  einem  fpanifdjen  ©tüde  öon 
Luiden  be  ßaftro,  feinen  „Sib" ,  ber  feine  £anb«leute  jur  söegeiftc* 
rung  fyinriß,  bem  3)id)ter  aber  ooüftänbig  bie  GJunft  be«  ®arbinal« 
entjog.  „$)er  Seif  all,  ben  ber  £>of  unb  ba«  ÜBolf  biefem  ©tüde 
fpenbeten",  fagt  ber  ®efd)idjtfd}reiber  $£liffon ,  „ift  unbejdjreiblid). 
Wlan  mürbe  nidjt  mübe,  e«  ju  fefjen;  man  fprad)  oon  nidjt«  Kit» 
berem  in  ben  ®efellfdjaften.  3eber  mußte  menigften«  einige  ©teilen 
au«  bemfelben  ^erjufagen;  bie  ®inber  mußten  bie  fdjünften  au«= 
menbig  lernen.    ,©d)öu  mie  ber  (£ib',  mürbe  jum  ©prüdjmort." 

3n  ber  2  bat  befunbete  ber  (£ib  burcfj  ba«  ebte  ^atfjo«,  bie 
tolltönenben  SBerfe  unb  bie  meifterfjafte  SDarftellung  be«  Kampfe« 
ämifdjen  Siebe  unb  (Sfjre  einen  bebeutenben  gortfdjritt  in  ber  (Snt* 
micflung  ber  reiben  bramatifdjen  iöegabung  be«  5)ic^ter«.  Unftrei* 
tig  mürbe  er  ©rößere«  gefa^affen  ^aben ,  märe  er  auf  ber  betre* 
tenen  öa^n  meiter  gegangen;  allein  aud)  er  ließ  fic^  burd)  bie 
^errfa^enbe  ©efc^macf«ric^tung  baju  oerleiten,  ju  bem  (lajftfa^en 
2lltert^um  jurücf  ju  fe^ren  unb  ficft  fjauptfadjltd)  ber  ftarren  Stö* 


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2>ie  ftoit$ö[if(f)e  Literatur  unter  Subroig  XIV. 


10» 


inerttelt  jujuwenben.  $>a  ihm  feine  (Uegner  ben  Vorwurf  mad> 
teil ,  bafi  feine  Stüde  nur  Nachahmungen  feien ,  mät)lte  er  junächft 
einen  Stoff,  ben  bor  ihm  noch  Niemanb  bramatifch  bearbeitet  hatte, 
unb  fo  entftanben  im  Safjre  1639  feine  „£>oratier\  eine  feiner 
ooüenbetften  Xragöbien,  in  welker  er  bie  aufopfernbe  Eingebung, 
an  ba3  «aterlanb  barfteflt ,  bie  im  Kampfe  für  ba*  £>eil  beäfelben 
3lüc3,  auch  bie  eigne  Samüie,  preisgibt.  ?ln  bie  §orarier  reifte 
ftch  noch  in  betnfelben  3°hrc  fein  mit  bem  gleichen  ©eifaß  aufge* 
nommener  „<£inna",  ben  Napoleon  I.  „bie  Schule  ber  Könige" 
nannte. 

55>a3  ©öchfte  leiftete  (JomeiHe  in  feinem  „^ßotyeuft",  in  wel- 
kem er  bie  2Baf)rf)eit  unb  bie  ftegreid)e  ßraft  ber  chriftlicrjen  3been 
jur  $lnfd)auung  bringt.  3n  feinen  folgenben  Stücfen  jeigt  fich 
mitunter  eine  geftnfje  Neigung  ju  Uebertreibungen  in  ber  Schübe? 
rung  ber  ßeibenfehaften  unb  eine  fehlerhafte  ftnlage;  aber  in  allen 
feinen  Xragöbien  —  er  fjat  beren  über  breifjig  gefchrieben  —  fef* 
feit  er  burd)  ben  2lbel  unb  bie  (Sr^aben^eit  ber  ©efinnung,  burd} 
bie  traftoofle,  ^nre^enbe  Sprache  unb  burch  bic  Kühnheit,  Seelen* 
ftärfe  unb  geiftige  ®raft,  womit  er  feine  Reiben  audftattete. 

<£orneüte  ftorb  im  3°hrc  1684  als  Senior  ber  franjöfifcheu 
2Ifabemie,  beren  SRitglieb  er  im  Söhre  geworben.  3ft  feiner 
£eben$weife  wie  in  feiner  (Srfcheinung  war  er  äufjerft  einfach ,  im 
Umgang  wenig  gefprädjig  unb  ohne  jebwebe  UnterhaltungSgabe ; 
bennoct)  begegnete  man  ihm  überall  mit  ber  größten  33eret)rung. 
So  oft  er  im  Schaufpielhaufe  erfaßten ,  wo  er  feinen  beftimmteit 
s£la$  hatte ,  erhob  fid)  baS  ^ßublifum  unb  baS  parterre  applau= 
birte.  Schmeichelei  unb  rnechenbeS  SBefen  waren  ihm  oerhafjt ;  ba^ 
her  war  er  auch  Srcunb  beS  £>ofe$,  obgleich  auch  w  *°at 
auf  bie  (Dröge  granfreichS  unb  unter  bem  $anne  lag,  mit  welchem 
Üubwig  XIV.  burch  feine  Anfänge  bie  granjofen  bezauberte.  Sfteb* 
lichfett,  Äufrichtigfeit  unb  grömmigfeit  bilbeten  bie  ©runbjüge  fei- 
net &fyaxattzx%. 

$u  ben  Nachahmern  SomeiÜVS  gehörte  fein  jüngerer  ©ruber 
ZfyomaS  Corneille  (geb.  1625,  geft.  1709),  oon  beffen  jaf)l* 
reichen  Xragöbien  jebodj  (eine  einzige  mit  benen  beS  „  großen  (£or* 
neiue*  auch  n«r  im  (Entfernteren  oerglichen  werben  !ann. 

2Bte  baS  Erhabene  ben  ©runbjug  ber  Xragöbien  (SorneiuYä 
bilbet ,  fo  tragen  bie  Schöpfungen  feinet  jüngeren  ßeitgenoffen 
Racine  mehr  ben  (tyaxattet  beS  sJtührenben.  JJean  Racine 
war  hn  3<*hr*  1639  5«  #a  3ert&2Jcüon  im  Departement  tttöne 
geboren*  Schon  im  Sllter  oon  brei  fahren  üermaift,  erhielt  er 
(eine  erfte  (£r§iet)ttng  im  #aufe  feines  mütterlichen  ©ro&baterS,  bte 
er  in  feinem  fechse^nten  3ahre  in  bie  Schule  oon  $ort*9toöal 
(fiehe  unten  S.  122)  aufgenommen  würbe,  wo  er  fich  mit  Vorliebe 


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110 


üiubujig  XIV.  üon  frranfretcf). 


bcn  9fleifterroerfen  bcr  alten  ^cücncn  jumanbte  unb  SöicleS  auS 
$omer,  ©opfyofleS,  MefdjöluS,  (JurimbeS  unb  $ütbar  auStoenbig 
lernte.  (Sine  Obe ,  bie  er  im  3af>re  1649  auf  bie  SBermäljlung 
SubnrigS  XIV.  bietete,  braute  bem  reidjbegabten  3üngling  burdj 
Volberts  Vermittlung  ein  ©eföenf  Don  fünflmnbert  ßouisbor  unb 
eine  jäl>rlid)e  «ßenfion  öon  fed>Sf)unbert  ßibres  ein,  bie  ber  fönig 
fpäter,  als  SRacine  if)n  im  Saljre  1663  burd)  eine  neue  Cbe  Der* 
l)errlicf)t  fmtte,  auf  jmeitaufenb  fiiDreS  erf)öfjte. 

Racine'«  erfte  Sragöbie ,  „bie  2f)ebaibe  ober  bie  feinblidjen 
©ruber",  bie  im  3al)re  1664  in  $ariS  jur  Sluffufjrung  gelangte, 
fanb  reiben  ©eifaü.  ftod)  tnefjr  erhoben  ilm  in  ber  ©unft  beS 
<ßubltfumS  fein  „SHeranber"  (1666)  unb  feine  „Sfabromadje"  (1668), 
in  meld)  teuerem  Stüde  er  fid)  juerft  als  felbftftänbiger  SDidjter 
geigte,  mä^renb  er  in  ben  früheren  ©omeille  jum  Sßorbilb  genom* 
men.  ©eitbem  mudjS  ber  9tu^m  beS  $id>terS  mit  jebem  neuen 
©tüd.  2luf  Slnbromadje  folgten  jnrifdjen  ben  Sauren  1668  unb 
1677  nod)  fedjS  meitere  Xragöbien,  unter  benen  „öritannicuS", 
„g^igenie"  unb  „Wbra"  bie  bebeutenbften  ftnb. 

Qnbeffen  oerleibete  ber  «Reib ,  ber  bem  Serbienfte  folgt ,  mie 
ber  ©chatten  ber  ©onne,  bem  rufymgefrönten  ^idjter  bie  bramarifdje 
fiaufba^n  fo  feljr,  baß  er  fidj  im  3a§re  1677  ganj  Dorn  Sweater 
^urüd^og.  Qu  biefem  ©dritte  ttürften  jebodj  aud)  anbere,  in  Ujm 
jelbft  liegenbe  ©runbe  mit.  $er  eitle  ©dummer  eines  Dergäng* 
liefen  Sturmes  Dermodjte  nidjt,  fein  $er$  loszureißen  Don  bem  tief 
in  bemfelben  nmrjelnben  ©efmen  naef)  bem  ©roigen  unb  Unoergöng- 
liefen,  unb  fo  fjatte  er  ben  (Sntfdjluß  gefaßt,  in  ben  $artfjäufer= 
orben  ju  treten,  um  in  ber  ftiflen  ^lofterjelle  im  auSfdjließlidjen 
$ienfte  Rottes  ben  grieben  ju  fudjen ,  ben  bie  SBelt  ifjm  nidjt 
geben  ju  fönnen  fdjien.  Qnbeffen  gelang  es  feinen  greunben,  Don 
feinem  eigenen  üBeidjtöater  unterftüfct,  ber  SRacine'S  bemeglidjeS  #erj 
nidjt  für  baS  Softer  geeignet  fanb,  ilm  öon  biefem  (£ntfd)luß  ju* 
rücfjubringen. 

S8on  Submig  XIV.  im  3a§re  1677  ju  feinem  £>iftoriograj>l)en 
«mannt,  befdjäftigte  fid)  Racine  fortan  faft  auSfdjließlidj  mit  bem 
©tubium  ber  ®efd)id)te;  bod)  färieb  er  auf  ben  SBunfdj  ber  grau 
von  Sttaintenon  für  baS  gräuleinftift  Don  ©t.  Sur  nod)  jroei  biblifdje 
Xragöbien,  „(Sftfjer"  (1689)  unb  „Sltfjalie"  (1691),  in  roeldjen  er 
audj  ben  gried)ijdjen  (X ijor  $ur  s2lnmenbung  brachte.  SBon  bem  jpauaje 
einer  maljrfmft  religiöfen  SBeilje  burdjmef)t,  gehören  beibe  ©rüde  $u 
ben  fd)önften  ©lütfjen  feines  3)id)tergeniuS.  ^ndbefonbere  Dereinigt 
VUlmiie,  unftreitig  fein  äfteiftertoerf  unb  ^ugleid)  baS  (größte,  toaS 
auf  bem  Gebiete  ber  flafftfa)*franjöftfa^en  Xragöbie  gefdjaffen  mor* 
ben,  alle  iöorjüge  SRacine'S.  @in  ungleich  tieferer  Kenner  beS 
menfa)lia)en  ^perjenS,  als  C£orneiHe,  beffen  ®l>araftere  me^r  tlb- 


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SMe  frcmaöfifcfje  fiitcratur  unter  Submig  XIV, 


111 


frraftioiten  als  Realitäten  fhtb,  Gilbert  Racine  ben  SJcenfchen  in 
öollftänbig  wahrheitsgetreuen  Süßen,  nach  Sa  Bruto&re'S  SluSfpruch, 
„ntdjt,  wie  er  fein  füllte,  fonbern,  wie  er  ift."  Qn  fetner  treffen^ 
ben,  burchficf)tigen  Sprache  fpiegeln  fich  alle  Regungen  beS  SHenfchen* 
her^enS  wieber.  ©an$  befonberS  finb  feine  grauengeftalten  EWcifter= 
werfe  ber  Sharafteriftif.  $abei  finb  alle  feine  (Schöpfungen  t>on 
bem  Räuber  ber  Einmuth  untwoben  unb  tragen  baS  Gepräge  ber 
hödrften  gormoollenbung.  3n  ber  Harmonie  unb  bem  SBo^aut 
beS  SBerfeS  ift  Racine  öon  feinem  anbera  franjöftfchen  dichter  je 
übertroffen  worben.  Racine  ftarb  int  3af)re  1699  auS  Kummer 
über  bie  Ungnabe  beS  ÄönigS,  bie  er  ficf)  burdj  eine  Eenffchrift  ju= 
gebogen ,  in  welker  er  bie  herrfdjenbe  Roth  als  bie  golge  ber  (£r= 
oberungSfriege  ßubwigS  barfteüte  unb  SJcittel  gu  ihrer  2lbf)ilfe 
oorfc^lug. 

Oünftiger  als  für  bie  Xragöbie ,  bie  trofc  beS  hohen  2luf- 
fchtoungS,  welken  fie  unter  (£omeifle'3  unb  Racine'S  Bearbeitung 
genommen,  innerhalb  ber  ihr  burd)  ben  hemmenben  Regel^mang  ge- 
sogenen ©djranfen  fich  nur  ju  einer  relatiöen  SBoIIenbung  entfalten 
fottnte,  lagen  bie  SBerfjältniffe  für  bie  #omöbie,  für  welche  nicht 
bie  gleiche  ftrenge  Beobachtung  einengenber  Regeln  oerlangt  würbe. 
Bis  ju  SometuYS  Auftreten  t)atte  granfreich  gar  feine  eigentliche 
ftomöbie  gehabt.  SGÖaS  mit  biefem  Ramen  bejetdmet  würbe,  waren 
theilS  Rad)ac)mungen  aus  bem  Stalicnift^cit ,  theilS  Slnfammlungen 
lofe  aneinanber  gereifter  alter  berber  ©paffe.  ($rft  burdj  (EorneiUe'S 
„Sügner"  würbe  ber  (Urunb  ju  ©harafterftücfen  in  eblerer  Sprache 
unb  mit  gernhaltung  aller  gemeinen  ©paffe  gelegt.  $er  eigentliche 
Begrünber  ber  franjöfifchen  ftomöbie  war  jeboch  9JI  o  l  i  h  r  e  ,  ber 
bie  franjöfifche  ©efellfchaft ,  öon  ihrer  lächerlichen  Seite  aufgefaßt, 
in  wahrheitsgetreuen  f  lebenSöoflen  Sittengemälben  auf  bie  Bühne 
brachte. 

3ean  Baptifte  ^oquelin  —  bieS  war  ber  eigentliche 
Rame  beS  XidjterS  —  War  im  3af)re  1620  als  ber  Solm  eines 
XapejiererS  unb  ÄammerbienerS  beS  Königs  ju  $ariS  geboren. 
$er  häufige  Befudj  ber  theatralifchen  BorfteHungen  im  £otel  bc 
Bourgogne,  Wohin  ihn  fein  ©rofjöater  öon  mütterlicher  Seite  mit* 
junehmen  pflegte,  fyattt  in  ihm  eine  fo  unwiberftehliche  Reigung 
für  baS  Xheater  geweeft,  ba§  er  ftch  nach  feinem  SluStritt  aus  bem 
Qefuitencollegium  öon  ©lermont  ju  *ßariS,  wo  er  ftch  fünf  Qafjre 
lang  fleißig  mit  ben  alten  Sprachen,  ber  ^litloiopinc  unb  ber  Rechts* 
wiffenfehaft  befchäftigt  fmtte,  im  ftahre  1642,  trofc  ber  #bmah= 
nungen  feines  erzürnten  BaterS,  unter  bem  angenommeneu  Ramen 
SJcolifcre  einer  bamals  bejonberS  beliebten  ©chaufpielergefeüjchaft 
anfchlofe,  bie  im  gaubourg  6t.  ©ermain  Borftellungen  gab.  Xrci 
3ahre  fpäter  oerlieg  er  bie  #auptftabt,  um  als  $ireftor  einer  man* 


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112  ßubroig  XIV.  öon  Sranfreid). 

bcrnbcn  Xruppe  SBorftellungen  in  ben  <ßroöinzialftäbten  ju  geben, 
wobei  er,  ba  c*  ihm  an  ßuftfpielen  fehlte,  fctbft  zur  JJeber  griff, 
um  sunadtft  öerfchtebene  italiemfche  unb  ipaniföe  ©tücfe  für  bie 
franzöfifdje  ©filme  umzuarbeiten,  ©alb  jeboct)  fdt>ritt  er  zu  eigenen 
Schöpfungen,  bie  wegen  i^red  fernhaften  SBifecd  unb  ber  Statur- 
roat)rt)eit  ir)rer  ß^araftcre  großen  löeifad  fanben. 

3m  3at)re  1657  nad)  <ßari*  jurüefgefe^rt,  erhielt  9Miere, 
auf  bie  «erwenbung  be*  Prinzen  öon  Sonti,  feine*  bejonberen 
©imner*,  bie  ©rlaubntjj,  oor  bem  $önig  ju  fpielen,  ber  ftd)  fo  fet)r 
an  feinen  Stäcfen  ergöfcte,  ba&  er  ÜMiere'*  Xruppe  in  feinen 
eigenen  Xienft  nahm.  3efct  erft  befanb  ftd)  SMiere  in  ber  Sphäre, 
in  welcher  fid)  fein  ungewöhnliche*  Xalent  öoUftänbig  entfalten 
fonnte,  unb  in  rafdjer  Slufeinanberfolgc  erfduenen  bie  bebeutenbften 
feiner  ßuftfpiele,  öon  benen  öiele  al*  wahre  9tteifterwerfe  ftdj  nodj 
jefct  auf  ber  ©üfjne  be*  gleiten  ©eifall*  erfreuen,  wie  jur  Seit 
ihrer  erften  Aufführung. 

9GBa*  bic  Üomobie  ÜMiere'*  au*zeidmet,  ift  bie  barau*  ^er- 
oorleuc^tenbe  tiefe  ^enntnifj  be*  menfdjlichen  Gerzen*  unb  ber  33er- 
t)ältniffe  be*  ßeben*,  mit  welcher  ber  mit  einer  feltenen  Söeobad^ 
tung*gabe  au*geftattete  Xidjtcr  thetl*  ourdi  fein  zwölfjährige*  2Ban= 
bcrleben,  tt)eil*  burd)  feine  fpäteren  Beziehungen  zu  bem  Jpofe  unb 
ben  üerfduebenften  Greifen  ber  Sßarifer  Ötefeflfc&aft  oertraut  gewor* 
ben,  fowie  bie  unübertreffliche  3eid)nung  ber  (iijaraftcrc,  bie  zwang* 
lofe  Anlage  feiner  Stüde  unb  bie  SRaturwahrfjeit  ber  Situationen, 
bie  frifdje  ßebenbigfeit  unb  Slnfchaulidjfeit  ber  Spraye  unb  bie 
iHaftt^öeit  unb  ßeidjtigfeit  be*  $)ialog*.  ©eine  Stüde  finb  zwar 
junächft  unb  §auptfäd)lid)  ©über  ber  Sitten  unb  ißerf)älrniffe  fei- 
ner Qtit  unb  feine*  SBolfe*;  aber  oiele  feiner  (£f)araftere,  wie  fein 
®ü$al$,  fein  SRenföenfeinb  unb  anbere,  ^aben  ihr  llrbilb  fo 
fet)r  in  ber  menfd)  liefen  Statur,  baß  fie  für  ade  Stationen  wie  für 
alle  Reiten  gleich  treffenb  unb  gleid]  wahr  finb.  $on  ben  fedj*-- 
unbbreijjig  ftomöbien,  bie  ÜJioliere  getrieben,  finb  bie  bebeutenb- 
ften: bie  „Femmes  savautes" ,  ber  Bourgeois  gentilhomme", 
in  welchem  er  bie  I itelwuth  be*  bürgerlichen  ©mporfömmling*  auf 
bie  ergöfclid)fte  SBeife  fdjilbert,  ber  „Qbti$aU",  ber  „SÄenfdjen- 
feinb"  unb  ber  „Xartufe",  ein  Stüd,  worin  ber  dichter  zwar  nur 
ba*  3urjchautragen  einer  erheuchelten,  al*  2)ecfmantel  ber  Selbft* 
fucejt  bienenben  grömmigfeit  geigein  wollte,  bem  aber  öon  ^Bielen 
nic^t  mit  Unrecht  ber  Vorwurf  gemacht  würbe,  bajj  e*  and)  bie 
wahre  grömmigfeit  ber  @efal)r  au*fefce,  al*  Heuchelei  oerbächttgt 
Zu  werben. 

Obgleich  Sttoliere  in  glänzenben  $ermögen*t>erhältniffen  lebte, 
ba  ihm  auger  bem  Gkfyaite  öon  fiebentaufenb  Siöre*,  ben  er  Don 
bem  Äönig  erhielt,  feine  Stüde  fo  öiel  eintrugen,  bog  fein  jährliche* 


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$ie  fransöftfäe  Literatur  unter  Lubroig  XIV.  113 


Uli« 


41'  'Ü 


C^infommen  auf  breißigtaufenb  Lioreä  beregnet  mürbe,  führte  er  ein 
einfach^  unb  mäßiget  Leben  unb  fu'elt  fia)  felbft  oon  ber  Sittcn- 
Derberbniß  frei,  bie  er  fo  trefflief)  ju  fdnlbern  oerftanb.  Xrofc  be£ 
3ruf)me£,  ben  er  fid)  burd)  feine  $id)tungen  ermorben,  maren  üjm 
Sitelfeit  unb  ©elbftüberfjebung  fremb.  SBergeblidj  brangen  feine 
jaljlreidjen  (Gönner  unb  greunbe  in  ifm,  fid)  öon  bem  Xfjeater  $u= 
rürfju^ie^en,  um  in  bie  ^fabemie  einzutreten:  er  blieb  Sdjaufpicler 
bi§  an  feinen  Xob.  2113  er  am  17.  gebruar  1673  bei  ber  britten 
33orftellitng  feines  legten  Stüdes,  „Le  malade  imaginaire",  bie 
Titelrolle  fpielte,  überfiel  ifm  ein  ©lutfturj,  unb  in  menigen  8tun* 
ben  mar  er  eine  Leiefje. 

9ceben  ber  Xragöbie  unb  ber  ®omöbie  blühte  unter  Lubmig  XIV. 
audj  bie  franjöfifdje  Dper.  25er  eigentliche  Söegrünber  berfelben  mar 
ber  glorentiner  ©iooanni  SBattifta  Sullrj  (geb.  1633,  geft.  1681), 
ber  al3  ®üd)enjunge  ber  SJcabemoifeHe  be  SDcontpenfier  nad)  s$ari$ 
gefommen  mar,  unb  buref)  fein  ungemöfmlidjeä  mufifalifdjeS  Xalent 
bie  ^lufmerffamfeit  Lubmigä  XIV.  fo  fcr)r  erregt  rmtte,  baß  berfetbc 
für  feine  meitere  SluSbifbung  ©orge  trug.  Anfangs  oon  bem  ®önig 
an  bie  Spifce  feiner  „Bande  des  petits  violonstt  gefteflt,  bie  unter 
feiner  Leitung  ben  Stuf  ber  gefdjicfteften  Capelle  ©uropaS  erlangte, 
mürbe  er  im  Qafyre  1671  jum  $)ireftor  ber  großen  Oper  ernannt. 
Qu  feinen  Opern,  bie  über  ein  &albe3  Qafjrfmnbert  gan$  granf= 
reidj  entjürften,  lieferte  ümt  5ßf)ilipp  Ouinault  (geb.  1635, 
geft.  1688),  ber  fict)  audj  im  Luftfpiel  nidjt  oljne  ÖKüd  t»erfua)te, 
treffliche  Xerte. 

$em  Seitalter  Lubmig«  XIV.  gehört  aud)  Qean  be  La  fon= 
taine  (geb.  1621  ju  af)ateau^ierrü,  geft.  1695  ju  $ari3),  ber 
größte  fran$öfifcr)e  gabelbid)ter,  an.  Lafontaines  gabeln,  tf)etl£ 
eigene  ©rfinbung,  tfjeilö  Uebertragung  au3  ben  ©idjtern  beä  s2llter= 
ttmmä  ober  be§  2Jcittelalter$,  finb  mafjre  Sfleiftermerfe,  au3ge$eia> 
net  burd>  Seia)tigfeit  unb  ©efäfligfeit  be$  ©töl3,  finbliaje  ftaiöität, 
Lebenbigfeit,  «Ratürlictjfcit  unb  SBatjrrjcit  ber  SDarfteHung.  $aS  $er3; 
maß  med)felt  je  naa)  ber  Sftatur  beä  ©rüde«  unb  fdjließt  fidj  unge= 
$mungenr<  mie  ein  leiste«  ®emanb,  bem  Qnfmlt  an.  $ic  Lefjre  fließt 
ganj  oon  felbft  in  anmutfug  fiterer  SBeife  au«  ber  (Ermutig  tjcr= 
oor.  SBeit  meniger  Lob  oerbienen  Lafontaines  ben  alten  franjöfi* 
jdjen  „gabliauj"  nad&gebilbete  poetifdje  @r$äf)lungen,  in  benen  er 
oielfaa)  bie  ©renjen  ber  Sittlia)feit  überfdjreitet. 

Lafontaine  mar  ber  einjige  unter  ben  großen  franaöfiferjeu 
$id>tem  be«  fieberen  ^aijrfjunbert« ,  melier  fict)  ber  ®unft 
Lubmig«  XIV.  nidjt  ju  erfreuen  ^atte.  5)er  ^önig  f  ber  in  ber 
^oefie,  mie  in  ber  ßunft  überhaupt,  nur  ba3  ©roßartige  unb 
^omp^afte  liebte,  Imtte  feinen  Sinn  für  ben  einfachen  Qbeenfreiö 
unb  bie  ungefünftelte  ©pradje  ber  gabelbta^tung,  unb  ebenfomenig 

^oljttart^  38eltge|^te.  VI.  8 

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114 


Lubtuig  XIV.  üon  granfreid). 


Jagte  iljm  ber  träumerifdje,  $erftreute,  forgfo«  in  bcn  Xag  funein= 
lebenbe  $)id)ter  ju,  bcr  ftd)  feine  ÜJcüfje  gab,  iljm  jn  gefallen  unb 
burd)  ben  GIan$  be«  #ofe«  ftd)  nidjt  geblenbet  jeigte;  aud)  öer= 
brofj  i^n  bie  tafyängltdtfeit,  bie  Lafontaine  feinem  Gönner  gouquet 
beroafjrte. 

5)er  einflufjreidjfte  ©djriftfteller  au«  ber  Qzit  Lubttrig  XIV. 
mar  Nicola«  ©oüeau'$)e«pr<$aur.  (geb.  1636,  geft.  1711), 
ber  Anfangs  bie  9ted)te,  bann  Xljeologte  ftubiert,  fidj  aber  balD  au«* 
fdjliefjlid)  ber  SJtdjtfunft  genribmet  Ijatte.  SU«  ein  talentöoller  $)id)5 
ter  unb  äufjerft  getuanbter  SBerfififator,  bem  jebod)  jebe  Genialität 
abging,  roanbte  ftd)  SBotleau  sunädtft  ber  «Satire  ju  unb  erntete  in 
biefer  Gattung  reiben  93eifaÜ.  ©eine  ©atiren,  in  benen  er  mefjr 
bie  I^or^eiten  unb  ftttlidjen  Sßerirrungen  feiner  3cit,  al«  bte  eigent* 
lidjen  Safter  geigelt,  öerratfjen  ^enfdjenfenntnif},  ©djarfftnn,  SBifc 
unb  eine  feine  93eobad)tung«gabe  unb  finb  auagejeidmet  burdj  eine 
reine,  flare  ©pradje  unb  einen  äufjerft  regelmäßigen  5Öer«bau;  bie 
Gebanfen  entbehren  jeboct)  ber  9leur)eit  unb  Originalität;  aud)  oer» 
mifjt  man  an  bem  SBerfaffer  Xiefe  be«  Gefühl*  unb  bid)terifd)e  83e* 
getfterung.  $)ie  fml)e  SBebeutung  ©otleau'«  für  bte  franjöfifa^e 
Literatur  liegt  jebod)  weniger  in  feinen  ©atiren,  al«  in  feinem  be* 
rühmten  Letyrgebidjt,  bie  „Art  poetique",  in  meinem  er  in  roor)I= 
flingenben  Herfen  ein  öoüftänbige«  Letyrgebäube  ber  $)idjtfunft  auf* 
ftellt.  $iefe«  bielgepriefene  SBerf,  morin  er  nidjt  nur  ba«  SBefen 
ber  einzelnen  poetijdjen  Gattungen  befinirt,  fonbern  aud)  bem  2)idj* 
ter  Siegeln  unb  Anleitung  über  alle«  gibt,  ma«  er  in  ©ejug  auf 
gorm  unb  Qnfjalt  feiner  ©djöüfungcn  ju  beobadijten  ober  ju  meiben 
fjabe,  lfjat  lange  Qtit  als  poetifdje«  Gefefcbud)  gegolten  unb  auf  bie 
©ntmirflung  ber  franjöftfdjen  Literatur  einen  bebeutenben,  roenn  auaj 
nid)t  burdnoeg  erfpriefjlidjen  Hinflug  ausgeübt.  $a«  $auptt»erbienft 
öoileau'«  beftefjt  barin,  ba&  er  ju  einer  geläuterten  Gefdjmad«* 
ridjtung  ben  Grunb  gelegt  unb  ba«  «ßublifum  in  ben  ©tanb  gefefct 
imt,  bie  l)erüorragenben  (Jrfdjeinungen  auf  bem  Gebiet  ber  jeitge- 
nöffifdjen  Literatur  nad)  Gebühr  ju  toürbigen.  S3on  bem  ©eifall, 
ben  öoüeau'«  SBerfe  in  granfreid)  gefunben,  legt  ber  Umftanb  3*U9S 
nifj  ab,  bafj  fd^on  mäljrenb  feine«  Leben«  baoon  fedjjig  tlu«gaben 
erfdjienen  unb  im  Safjre  1830  beren  bereit«  jmet^unbertfünfjig  ge* 
5äljlt  rourben.  2Bie  Racine,  fo  mürbe  audj  öoileau,  ber  mit  allen 
fjeroorragenben  $id)tern  feiner  Seit  ben  freunbfdjaftlidtften  Serfcfjr 
unterhielt  unb  am  £ofe  f)od)geef)rt  mar,  oon  Lubmig  XIV.  ju  feinem 
#iftoriograüljen  ernannt;  aud>  mar  er  9Äitglieb  ber  franaöfifdfen 
»fabemie  unb  ber  Wabemte  ber  3nfd)riften. 

2luf  bem  Gebtete  be«  Vornan«  ^errfa^te  bi«  ju  Eoileau'«  Qtit 
noc^  oer  Gefc^mad  für  bie  föomantif  be«  ^ittert^um«,  bem  befon* 
ber«  iöcabelaine  be  ©eub^rö  (geb.  1607,  geft.  1701)  in  üjren 


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3)ie  franjöftfdje  Siteratur  unter  Subroig  XIV. 


115 


langatmigen  ^iftori{a)en  Romanen  fjulbtgte.  ftachbem  ©oileau'* 
Satiren  biefer  ©efdjmacterichtung  ein  @nbe  gemalt,  oerlangte  man 
ftatt  ber  pomphaften  ©prachc,  ber  nnmberbaren  Abenteuer,  ber  über« 
fdjroänglichen  ©efinnungen  unb  (Befühle,  bie  man  lächerlich  ju  fin= 
ben  begonnen,  Einfachheit  unb  ^atürlia)feit  in  SBejug  auf  ©prache, 
Gegebenheiten,  ©mpfinbungen  unb  ßharaftere,  unb  biefen  5Inforbe= 
rungen  entfprechen  bie  Romane  ber  geiftreidjen  (Gräfin  oon  8  a* 
fa^ette  (geb.  1632,  geft.  1693),  beren  £>auä  ber  ©ammelplafc  ber 
au^gejeiajnetften  ©eifter  mar. 

Qm  fomifchen  Romane  glätte  ber  bereits  oben  (©.  104)  als 
®emahl  ber  granc^ife  b'&ubigne'  genannte  geiftreidje  $aul  ©car* 
ron  (geb.  1610,  geft.  1660)  ein  3flann,  ben  eine  fernere  Heroen* 
franfheit  febon  in  feinem  fiebenunbsmanjigften  Lebensjahre  jum  ooll* 
ftänbigen  Krüppel  gemalt,  ber  aber  nichtsbeftomeniger  bis  an  feinen 
Xob  bie  unoernutftlichfte  £eiterfeit  beroahrte.  $aS  Söefte  leiftete  jebodj 
im  fonüföen  Vornan  Sllain  föene*  ßefage  (geb.  1668,  geft.  1747), 
ber  bie  Umriffe  ju  feinen  ©djöpfungen  ben  Spaniern  entlehnte  unb 
beffen  „Gil-Blas  de  Santillanau  als  baS  Oottenbetfte  Söerf  in  biefer 
(Wartung  gilt. 

(Jinen  ^öc^ft  intereffanten  Xf)eil  ber  franjöfifdjen  ßiteratur 
unter  ßubmig  XIV.  btlben  bie  93rieffammlungen  oerfd)iebener  geift- 
reifer  grauen,  unter  benen  bie  9Jcarquife  oon  ©äöigne*  (geb. 
1626,  geft.  1696)  ben  erften  Sftang  einnimmt.  $)ie  ©riefe  biefer 
liebenSroürbigen,  burä)  2lbel  ber  Öteftnnung  nicht  minber  als  burd) 
bie  öielfeitigfte  SBilbung  heroorragenben  S^au  an  ihre  $od)ter,  bie 
in  2Ü£  lebenbe  SDcarquife  öon  ©rignan,  feffeln  nicht  nur,  als  un> 
übertroff ene  SDcufter  beS  franiöfifd^en  $3riefftn(S,  burd)  Einmuth, 
griffe,  ©eroanbtheit  unb  ®orreftheit  ber  Spraye  unb  ben  rüfjrenb* 
ften  N2luSbrucf  einer  an  ©chmarmerei  grenjenben  9Jhitterliebe,  fon* 
bem  gemäßen  auch  burd)  bie  barin  enthaltenen  Details  über  baS 
ßeben  unb  Xreiben  am  £>ofe  unb  in  ber  ^arifer  ÖJefettfchaft,  fomie 
burd)  öielfadje  Slnfpielungen  auf  bie  nndjtigften  3eitereigniffe  einen 
fjöchft  intereffanten  ©nblicf  in  bie  ©cf  duckte  ßubmig  XIV.  unb  ber 
heroorragenbften  ^ßerfcmlichfeiten  aus  feiner  Umgebung. 

$)ie  franjoftfehe  $rofa  entfaltete  fidj  in  ber  jroeiten  $ölfte  beS 
fiebjehnten  3a^r^unbertS  ju  ber  ^errlic^ften  iölütlje  in  ber  geift= 
liehen  SBerebtfamfeit,  in  meldjer  befonberS  öoffuet,  g^nelon,  gl^dner, 
33ourbaloue  unb  SJcajfillon  eine  SBerüIjmheit  erlangten,  in  welcher 
pe  oon  feinem  ber  nadjfolgenben  ®an$elrebner  erreicht  toorbeu  finb. 

SacqueS  benigne  SBoffuet,  geboren  am  27.  ©eptember 
1627  §u  3)ijon,  jeigte  fdjon  frühe  eine  ungewöhnlich  reiche  geiftige 
Begabung,  bie  fidj  unter  ber  Leitung  ber  3efuiten  auf*  Olänjenbfte 
auSbilbete.  ©eine  gamilie  hatte  ihn  für  bie  juriftifche  Saufbahn 
beftimmt;  aber  ber  ©rnft  unb  bie  Xiefe  feines  GJeifteS  jogen  ihn 

8* 


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116 


ßubroig  XIV.  üon  ftranfreid). 


unnüberftehüch  jum  geiftlichen  Staube  hin.  ftachbem  er  in  <ßariS 
Xheologie  unb  ^fufofophie  ftubiert,  bann  in  9Kcfc  $mei  %af)tt  lang 
bem  Stubium  ber  $irchenöäter,  namentlich  beS  tjcütgen  Augufrin, 
obgelegen  unb  im  Safjre  1650  bie  2)oftormürbe  erlangt  Ijatte,  er* 
hielt  er  im  3ahre  1652  bie  ^rieftermeihe  unb  tourbe  ®anontfuä  in 
äflefc,  too  er  fe$*  Sah«  in  tiefgehenben  Stubten  unb  eifriger  priefier* 
lieber  Xtjätigfcit  »erbrachte  unb  iuSbefonbere  erfolgreich  für  bie  Ve- 
rehrung ber  ^roteftanten  mirfte,  öon  melden  Diele  burd)  feine  SJcilbe 
für  bie  fatr)olifcr>c  ftirdje  gewonnen  mürben. 

3m  Söhre  1659  öon  bem  $omfapitel  öon  ättefc  jur  Orbnung 
uerfchiebener  Angelegenheiten  nach  *ßariS  gefanbt,  rig  93offuet  jehn 
3ai)re  lang  beu  $>of  unb  alle  Greife  ber  Jpauptftabt  burd)  feine  er* 
greifenben  ^rebigten  hin,  in  benen  fic^  mit  ber  fjödtften  Äraft  unb 
Stürbe  ber  Spraye  unb  bem  erhabenften  ©ebanfenflug  bie  tieffte 
ftenntniß  beS  2flcnfchenher$enS  öerbanb.  Unerreicht  geblieben  ift 
er  in  feinen  Xrauerreben  —  Oraisons  funebres  —  „9ioch  nie", 
fagt  SBeifj,  „hat  Qemanb  fdjöner,  ergreifenber  mcnfct;Iict)e  Ököfce  in 
il)rer  ^idtjtigfeit  ber  Roheit  ©otteS  entgegen  $u  ftetten  oerftanben 
unb  an  ben  Eingang  eines  Sterblichen  erhabenere  @Jcbanfenreihen 
$u  fnüpfen  oermocht.  $)te  Seele  beS  SRebnerS  ift  nrie  lobernbeS 
Seuer,  welches,  alle*  3rbifcf>e  oer$chrenb,  mit  feiner  Spifcc  ben 
Gimmel  berührt.  An  ber  ©rofjartigfeit  Der  ©Uber,  an  ber  ©ebrängt= 
tyeit  ber  SÖorte  ftef)t  man,  nrie  feine  Seele  ftdj  nährte  an  bem  ©eift 
ber  ^eiligen  Schrift." 

Qm  3a^rc  1670  tourbe  Soffuet  oou  ßubmig  XIV.  $um  (£r= 
aieher  beS  $aupl)in  ernannt.  @Janj  oon  ber  fyotyen  ©ebeutung  ber 
ihm  übertragenen  Aufgabe  erfüllt,  fdjrieb  er  für  benfelben  feinen 
berühmten,  mit  stecht  als  baS  SJceiftertnerf  ber  fran^öftfe^cn  s$rofa 
gefeierten  „ Discours  sur  l'histoire  universelle * ,  eine  großartige 
üeberjidjt  ber  ©eiduchte  ber  2D^cnfc^t)eit  bis  auf  ®arl  ben  ®ro&en, 
in  toelcher  er  $ucrft  unter  allen  ©efchichtf Treibern  bie  2Bel taddjidite 
ald  ein  ®aujeS  auffaßte  unb  bie  £anb  QJotteS  in  ber  Leitung  ber 
menschlichen  (^eiduefe  nachnues.  9tachbem  *8offuet  feine  Aufgabe 
als  Gr^ieher  beS  Dauphin  beenbet  hatte  (1680),  ernannte  ihn  £ubnng 
3itm  erften  Almojenicr  ber  Xauphine  unb  jum  Söifchof  non  itfeauf, 
in  roelay  legerer  Stellung  er  fich  burch  einen  ungewöhnlichen 
jpirteneifer  auszeichnete.  3n  biefer  Seit  cntftanb  feine  berühmte 
„©ejdnchte  ber  Steränberungen  beS  proteftantifchen  Ehrbegriffs  — 
Histoire  des  variationstt,  bie  fein  proteftanti jeher  ©chriftfteucr  jener 
Seit  ju  miberlegcn  oermod)te. 

AIS  ber  erftc  sJiebner  3ranfreichS  eröffnete  93offuet  baS  fleatio- 
nalconcil  öom  $ai)xc  1681  mit  einem  mcifterlmften,  gebanfenreichen 
Vortrag  über  bie  (Einheit  ber  ttirche,  liefe  fich  jeboch  nichtSbefto- 
weniger,  wie  nur  oben  i^S.  98)  gejetjen,  burch  feine  alljugrofje  4>tn= 


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3)ic  frcmjöfifcfce  fiiteratur  unter  ßubiüig  XIV. 


117 


gebung  an  ben  Lintig  jur  93crt^etbigung  ber  f.  g.  ga[Ufantfdjen  grei* 

*  .«i      g.i — ?g  — 

netten  umreißen. 

SBoffuet  frarb  am  12.  STuguft  1704      Stteauj,  im  Mter  ton 

fiebcnunbpcbjtg  Sauren.    SBon  bem  tjofjen  &nfel)en,  in  roelcfam  er 

bei  ben  3eitgenojfen  ftanb,  jeugen  bie  Söorte  SRafftllon« :  „$n  ben 

erften  3af)rljunberten  be«  Gbriftentfjum«  geboren,  märe  er  ba«  Drafet" 

ber  Äirdje  gewefen  unb  fjätte  $u  9Hcäa  unb  (£pt)efu«  ben  SBorfifc 

t)abeu  muffen." 

Sine  ton  ©offuet  tuefentlid^  öerfduebene  Natur,  aber  gleia> 
falls  eine  fieud)te  ber  ftirdjc,  ein  üflufter  geiftlidjer  ©erebtfamfeit 
unb  ein  SSorbilb  priefterlidjer  SBfirbe  unb  ^oljeit  mar  ber  liebend* 
rrmrbtge,  eble  unb  milbe  S  r  a  n  $  o  i «  be  ©alignac  bc  la 
Sttotije  S^n^Ion.  Geboren  auf  bem  ©djloffe  S^Ion  in  $erU 
gorb  am  6.  9luguft  1651,  bejog  ber  retdj  begabte  gönelon  fdjon 
früfj  bie  Unirjerfität  (£af)or«,  ftubierte  bann  ju  "sßariö  ^ßb,ilofopfue 
unb  Geologie  unb  erhielt  im  Qa^re  1673  in  bem  ©eminar  ©t. 
©utpice  bie  98rieftern)eif)e,  vorauf  er  brei  3a§«  in  biefer  Pfarrei 
a(«  ^rebiger  unb  Sattlet  tfjatig  war.  Sßäfjrenb  biefer  Qtit  Oer« 
fafjte  er  feine  „Slbfyanblung  über  bie  (Sfiftena  ©orte«",  beren  erfter 
Xt)eil  au«  einer  glänjenben  ©djilberung  ber  ©a)önr)eit  unb  Drbnung 
ber  SRatur  befielt,  toäfjrenb  er  in  bem  jtoeiten,  ben  fiefer  öon  bem 
©idjtbaren  jum  Unfidjtbaren  fortfü^renb,  in  bie  Xiefe  ber  ÜWctapfjrjfif 
bringt  unb  babei  nia^t  nur  $u  überzeugen,  fonbem  aua)  ba«  |>erj 
$u  erwärmen  lüeiß. 

Sin  fegen«retdjer  9Sirfung«frei«  eröffnete  fid)  für  ben  feelen* 
eifrigen  gen^Ion,  at«  er  nad)  ber  5luft)ebung  be«  Sbift«  ton  9ßan* 
te«  Don  feinen  Oberen  nadj  Sßottou  gefanbt  mürbe,  um  an  ber  SBe* 
fefjrung  ber  bortigen  ^roteftanten  XljeU  ju  nehmen.  Hebte  fdjon 
feine  ganje  ^erfönlidjfeit,  in«befonbere  feine  ÜJttlbe  unb  Öeutjeltg* 
feit,  einen  Sauber  au«,  ber  üjm  jum  Söorau«  bie  vierten  ber  ju 
S3efer)renben  gewann,  fo  oermoa^te  faum  einer  berfelben  {einer 
einbringüdjen,  überjeugenben  ©erebtfamfeit  ju  wiberfteben,  unb 
feiner  ber  übrigen  9)ciffionäre  burfte  fid)  berglctdjen  (Erfolge  rüf)* 
men,  wie  er. 

3m  3af>re  1689  würbe  g^ndlon  ton  ßubwig  XIV.  auf  bie 
©mpfer)(ung  ber  grau  ton  SJtomtenon  $um  Srjtefjer  be«  £>erjog« 
ton  ©ourgogne ,  be«  älteften  ©ofyne«  be«  $aupf)in«,  ernannt,  unb 
er  unterzog  fict)  ber  üjm  geworbenen  Aufgabe  mit  ber  aufopfernd 
ften  Eingebung  unb  ^ßflid^ttreue  unb  mit  enrfpreajenbem  ©rfotge. 
9cad)bem  Um  ber  ßönig  im  Qa^re  1695  jum  (Srjbifdjof  Don  (£am* 
brat)  ernannt  fjatte,  fc^rteb  er  für  feinen  föniglidjen  Högling  a(« 
ße^rbuaj  ber  9Regierung«f unft  feinen  berühmten  bibaftifa^en  Vornan : 
WVU  Abenteuer  be«  letemad)",  ber  ben  fünftigen  X^ronerben  bie 
Sugenb  lieben  unb  ba«  Safter  meiben  lehren  foüte.    5)iefe«  ©uet), 


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118 


Subroig  XIV.  öon  ftranfreid) 


in  bem  fid)  g<*n#on«  reine«  unb  tugcnbfjafte«  (Semütfj  in  ber 
ebelften  ©pradje  abfpiegelt  unb  ba«  unter  allen  feinen  SBerfen  am 


J 

t 

41 

beftomeniger  bie  Ungnabe  be«  ®önig«  $u,  ber  in  bem  ganjen  9to= 
man  nur  eine  Satire  auf  feinen  £>of  unb  feine  Regierung  erblicfen 
mollte.  S^n^ton  erhielt  bie  SBeifung,  feinen  ©prengel  nid)t  $u 
terlaffen,  unb  feinem  Sögling  mürbe  jeber  per f online  SBerfefjr  mit 
il)m  unterfagt. 

SBeldje  ©teflung  gdn^Ion  ju  ben  öier  gatlifanifc^en  SIrtifeln 
einnahm,  |mben  mir  bereit«  oben  (8.  98)  gefe^en.  353ar  er  f)ier, 
al«  Skrtljeibiger  ber  SRedjte  ber  $ird)e  gegen  bie  Ucbergriffe  ber 
©taat«gemalt,  ©offuet  gegenüber  im  föedjte  gemefen,  fo  mar  bie« 
bei  einer  fpäter  jmifdjen  ben  beiben  berbienftüoUen  Prälaten  enfc 
ftanbenen  heftigen  ^olemif  nidjt  ber  gafl.  (£«  mar  nämlidj  ju 
jener  3eit  burd)  ben  ©panier  Üflidwel  2Jcolino«  (geb.  1627  ju  ©a* 
ragoffa,  geft.  1698  in  föom)  eine  falfdje  9tid)tung  ber  Sttöftif,  ber 
fogenannte  „£Luieti«mu«",  in«  fieben  gerufen  morben,  nadj  meinem 
bie  Ijödtfte  ©tufe  ber  S3oHfommenf)eit  in  bem  gänjlidjen  ©idjücr- 
lieren  in  (Sott,  b.  f>.  barin  befielen  foflte,  ba6  fidj  bie  ©eele  jeber 
©elbfttfjätigfeit  enthalte,  meber  nadj  bem  Rummel  verlange  nod)  bie 
£ölle  fürdjte,  meber  Slfte  be«  Glauben«  ermecfe  nod)  befonbere  (Se* 
bete  oerridjte,  fid)  jeber  Hoffnung  unb  3urd)t  gänjlid)  entfdjlage, 
ben  Verfügungen  feinen  Söiberftanb  leifte,  fonbern,  in  iljr  iftidjt« 
öerfunfen,  (Sott  allein  in  fid)  mirfen  laffe.  tiefer  £luieti«mu«, 
ben  Sftolino«  felbft  nadj  jeiner  Verurteilung  burd?  Qnnocenj  XII. 
abgefdjmoren,  taufte  in  gemilberter  3form  aud)  in  Sranfreid)  auf, 
mo  eine  burdj  Jrommigfeit  unb  Verebtfamfeit  f)eröorragenbe  3rau, 
bie  oermittmete  3otwnna  be  la  9flotf)e  (S  u  ö  o  n  (geb.  1648  ju 
üttontargi«,  geft.  1717  in  SBloi«)  benfelben  burdj  SSort  unb  Schrift 
ju  öerbreiten  fudjte.  3^re  (Srunbanftdjt  mar,  bafj  e«  einen  3«s 
ftanb  ber  reinen  unb  uneigennützigen  ßiebe  (Sorte«  oljne  SRüdftdjt 
auf  ßot>n  unb  ©träfe  gebe,  in  meinem  ber  Sftenfd?  felbft  gegen 
fein  ©eelenljeil  gteid^giltig  fei  unb  (Sott  al«  ba«  ooüfommenfte  unb 
lieben«mürbigfte  SBefen  nur  um  feiner  felbft  mitten  liebe,  barin  bie 
Uoße  ©eltgfeit  finbe  unb  bafjer  audj  bereit  fei,  bie  Verbammni&  ju 
tragen ,  menn  ©ort  fie  iljr  beftimmt  fmbe.  ßubmig  XIV.  öeran^ 
ftaltete  bie  Äonferenj  ju  3ffü  (1694),  meiere  unter  ber  ßeitung 
Voffuet«  bie  (Srunbfäjje  ber  ächten  HJcnftif  im  (Scgenfafce  ju  ben 
2lnfia)ten  ber  SBittme  (Suüon  in  merunbbreijjig  s2lrtifeln  feftftellte, 
unb  fiefctere  unterjeia^nete  berettmiUig  bie  gegen  it)rc  ©Triften  er- 
laffenen  ©enfuren  unb  erflärte  feierlich,  ba§  fie  nie  beabfidjtigt  Ijabe, 
(Stma«  gegen  bie  ßefjre  ber  $irdje  $u  Jagen  ober  ju  fa^reiben.  $er 
©treit  ljörte  bamit  aber  niajt  auf;  benn  öoffuet«  ©a^rift:  „Von 
ben  ©rufen  be«  ©ebete«"  öeranla&te  S^n^lon  in  feiner  ©a^rift : 


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®ie  franjöfif^c  Siteratur  unter  «ubroig  XIV. 


119 


„3)ie  ©runbfäfce  bcr  ^eiligen  über  baS  innere  fieben"  bie  fie^re 
öon  ber  uneigennützigen  Siebe  ju  ücrtfjeibigen.  2IIS  jebodt)  $apft 
^nnocenj  XII. ,  bem  bie  ©acfje  jur  (£ntfcf}eibung  öorgelegt  worben, 
breiunbjwanjig  aus  g£n£IonS  ©d)rift  gezogene  ©äfce  üerurtf)eüte, 
unterwarf  er  fidj  nicr)t  nur  öoflftänbig  biefem  ©prucfj,  fonbern  öer= 
bot  felbft  in  einem  Hirtenbrief  feinen  $>iö$efanen  baS  ßefen  feines 
93ud)eS.  g^n^lon  ftarb  311  (SEambrat)  am  7.  Qanuar  1715,  im  Hilter 
öon  breiunbfedjaig  Sauren. 

©Sprit  girier  (geb.  am  10.  3uni  1632,  geft.  1710),  ber 
Sofjn  armer  Altern,  begann  feine  ©tubien  unter  ber  Leitung  feinet 
C^eimS,  welcher  ©upertor  ber  Kongregation  ber  chriftlidjen  ficfjre 
in  Slöignon  war.  %lad)  bem  Xobe  beffelben  fam  er  nach  $ariS,  wo 
er  burch  bie  ©unft  mehrerer  öornehmen  trogen  in  ben  ©tanb  gefegt 
mürbe,  feine  tljeologifchen  ©tubien  ju  beenbigen.  Anfangs  mürbe 
er  öon  Subwig  XIV.  jum  93ifd)of  öon  Saüaur.  in  ßangueboc,  fpäter 
jum  SBifchof  öon  9limeS  ernannt,  in  welch'  lefcterer  ©teile  er  burch 
feine  Söerebtfamfeit  feie  burch  feine  Xugenben  ja^Ireic^e  ^ßroteftanten 
feiner  ^iö^efe  für  ben  fatf)otifd)en  ©lauben  gewann.  2HS  einer  ber 
gefeiertften  ^anjelrebner  feiner  3cit  erwarb  er  fid)  befonberS  ^o^en 
3ftuf)m  burch  feine  Xrauerreben,  öon  benen  öiete,  inSbefonbere  bie  auf 
©offuet  unb  Xurenne,  noch  jefot  als  unübertreffliche  SDfeifterwerfe 
beS  ©tnts  bewunbert  werben. 

SouiS  SBourbaloue  (geb.  am  20.  Huguft  1632  $u  SBourgeS, 
geft.  1704)  trat,  nadjbem  er  nur  mit  Sftüfye  öon  feinem  SBater  bie 
©rlaubnifj  erhalten,  fid)  bem  geiftlichen  ©tanbe  $u  mibmen,  in  ben 
3efuitenorben  unb  mürbe  balb  burch  feine  ©eleljrfamfeit  unb  föe= 
rebtfamfeit  ttrie  burch  feine  Xugenben  eine  fjeröorragenbe  3^*°* 
beSfelben.  SRachbem  er  längere  Seit  in  ber  <ßroöinj  mit  grofcar* 
tigern  G£rfo(g  geprebigt,  fam  er  im  3at)re  1669  naef^  ?ariS,  wo 
er  burch  bie  gewattige  ftraft  feiner  Siebe  OTeS  jur  ^egetftcrung 
hinrifj.  „SJlic  hat  ein  ^rebiger",  fdjrieb  grau  öon  ©«Söignö,  „fo 
ergaben  unb  fo  ebel  bie  cfnriftlidjen  SBaljrhetten  öerfünbet."  3Kan 
öergftdj  ir)n  mit  $emoftheneS  unb  mit  bem  ^eiligen  Huguftin.  9ftehr 
bemüht ,  ju  überzeugen  als  ju  rühren ,  ftrebte  er  öor  sMem  nach 
Klarheit,  fct)arfer  Segrenjung  ber  Segriffe  unb  Iogifd)er  Ibnfequenj. 
Xabei  mar  er  ein  ©ittenprebiger  öon  unnachfichtiger  ©trenge,  ber 
in  feinen  je^n  3at)re  nac^einanber  öor  bem  Jpofe  gehaltenen 
gafienprebigten  bie  ftttttche  «erberbnig  feiner  3eit  mit  bem  grei- 
mutf)  eines  2lpoftelS  unb  mit  einem  geuer  befämpfte,  öor  meinem,  nach 
bem  SluSfpruche  ber  grau  öon  ©^ötgnö,  „bie  $>öfünge  erbitterten." 

3ean  öaptifte  Sflaffilton  (geb.  am  24.  3uni  1663  ju 
$ökeS,  geft.  1742  ju  ©lermont)  trat  nach  Seenbigung  feiner 
Raififchen  unb  pfjüofophifäen  ©tubien  in  bie  ©enoffenfc|aft  ber 
Cratorianer  unb  fam  im  3af)re  1696  nach  ^ßariS,  wo  er  ©elegen* 


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120 


Cubtptg  XIV.  tum  granfreid). 


fjeit  fanb,  bie  &eroorragenbften  $anselrebner  feiner  Seit  $u  ^ören, 
bie  if)m  in  ber  2lu*bilbung  feine«  eigenen  glän$enben  föebnertalente* 
tötofter  unb  SSorbilb  mürben.  3n  ben  gaftenprebigten,  bie  er  in  ben 
Sauren  1701  unb  1704  in  SSerfaiOe*  hielt,  entjücfte  er  feine  3^ 
fjörer  bura)  bie  (Sleganj  unb  s2lnmutf)  feiner  Sprache,  mäljrenb  er 
jugleicf),  mel)r  an  ba*  #er$  al*  an  ben  SBerftanb  fid)  menbenb,  bie 
(iJemüu)er  burdj  bie  eble  SBürbe  unb  (Sinfad)heit  feine*  Vortrag* 
mächtig  ergriff.  2U*  ein  tiefer  Kenner  be*  9Jcenfd)enl)eraen*  r>er> 
ftanb  er  e*  meiftcr^aft,  in  bie  geheimen  galten  be*felben  einju- 
bringen  unb  bie  verborgenen  ßeibenfa^aften  an*  ßidjt  ju  jieljen, 
um  fie  mit  ber  ganjen  ©ajärfe  ber  uberjeugenbften  $ialeftif  ju  be= 
tämpfen,  unb  ber  (Erfolg  feiner  ^rebigten  mar  ein  umfo  größerer, 
als  3ebcr  füllte,  baß  fie  ber  2lu*brucf  ber  uncrfc§ütterlia)ftcn  lieber* 
jeugung  maren  unb  müfyelo*  au*  be*  föebner*  tiefftem  $>er§en  ^er^ 
oorquoflen.  *Rad)  bem  Xobe  Submig*  XIV.  mürbe  SJcafftHon  üon 
bem  Regenten  $f)iltpp  oon  Drlean*  jum  Biföof  oon  Glermont  er* 
nannt,  mo  er  feitbem  mit  bem  größten  (Sifer  feine*  ^pirtenamte* 
mattete  unb  im  3ahrc  1742  ftarb. 

3u  ben  an*gejeic^netften  ^rofaifern  au*  ber  $ät  Submig*  XIV. 
gehört  audj  Qean  be  la  SBrutierc  (geb.  1644,  geft.  1699),  ber 
in  feinen  geiftretdjen,  mit  ÜTceiftertyanb  gezeichneten  unb  mit  unge= 
^euerem  SBeifaH  aufgenommenen  w(£l)arafteren''  eine  üttenge  origi* 
neHer  ©fijjen  menfctylidjen  Xrmn*  unb  Xreiben*  in  buntem  Söedjfel 
unb  fdjiflernbem  garbenglanj  an  bem  Sefer  ooritbcrfüfjrt.  3n  ^Cs 
fen  geiftoollen  ©ittengemälben,  bie  burd)  fur^  gefaßte  pf)tlofopf)ifd)e 
Setradjtuugen  mit  einanber  öerbunben  finb,  ift  $llle*  in  ebler, 
flarer  Sprache  unb  glänjenber  $5arftellung  fo  ferjarf  gezeichnet  unb 
fo  treu  unb  maf>r,  baß  nod)  jefct  jebe  Nation  bie  Originale  baju 
barbietet. 

Xie  ^fnlofopfne  mar  fdjon  öor  ßubmig  XIV.  in  eine  neue  SBafjn 
gelenft  morben  burdj  £e*carte* —  latinifirt  Sartefiu*  —  ben  man 
ben  „Söatcr  ber  mobemen  ^hilofopfjie"  genannt  §at. 

sJten£  $>e*carte*,  geboren  1596  ju  ßa  £>atie  in  Xouraine 
al*  ber  ©otjn  einer  altabeligen  gamilie,  hatte  in  bem  3cfu^ens 
Kollegium  ju  ßafl&he,  mo  er  feine  (Srjiefjung  erhalten,  mit  uner* 
{örtlicher  SBißbegierbe  ben  oerfajiebenartigften  Stubien  obgelegen, 
bi*  er  fict)  in  feinem  fedjjerjnten  3a*)rer  nnbefriebigt  burdj  ben  ba- 
maligen  ©tanb  ber  SBiffenfdmft,  in  ben  Strubel  be*  Seben*  marf 
unb,  um  SBelt  unb  ättenfehen  fennen  $u  lernen,  £tieg*bienfte 
nahm,  erft  in  granfreich  felbft,  bann  in  £oflanb  unb  jule&t  in 
Xeutfdjlanb,  too  er  unter  XiHn  in  ber  ©djlacht  auf  bem  meißen 
Söerge  mitfocht.  9cadj  granfreich  $urütfgefcf)rt ,  manbte  er  fidj  mit 
feinem  ganjen  28iffen*burft  bem  ©tubium  ber  SJcathematif  unb  ber 
s$f)ilo)opf)ie  ju,  fiebelte  jebodj  im  3<M)*e  1624>  oa  icine  pOilofo* 


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$ie  frttitjÖftid)c  Siteratur  unter  Subwtg  XIV. 


121 


pEjifdjen  ^Inficfyten  in  granfreidj  angefeinbet  tourben,  nad)  ^ollanb 
über,  tum  too  er  ftd)  im  3a^re  1649,  einer  (Stnlabung  ber  Königin 
CEfyriftine  öon  ©äjroeben  folgenb,  nad)  ©tocfyolm  begab.  Xort  ftarb 
er,  nur  wenige  Monate  nadf)  feiner  Slnfunft,  am  11.  gebruar  1650. 

©leia?  ben  älteren  #umaniften  bie  $l)iIofopI)ie  beS  SlrtftoteleS 
üertDcrfenb,  ftefltc  5)eScarteS  ein  neue«  p^i(ofopt)tfc^e^  ©tiftem  auf, 
beffen  HuSgangSpunft  ber  ßtoeifel  mar.  2HIe  ^orauSfefcungen ,  fo 
meinte  er,  müßten  aufgegeben  unb  nur  baS  bürfe  beibehalten  tt>er= 
ben,  loa«  feinem  £tt>etfä  nteljr  unterliege.  211S  baS  allein  un^me^ 
fefljaft  gfeftfteljenbe  erfdjien  il)m  ber  ©afc:  „3dj  benfe,  barum  bin 
idj"  — ;  wbenn,  es  ift  nriberfpredjenb",  fagte  er,  „ju  meinen,  bafc 
baS,  toaS  benfe,  niajt  erjfrire."  91uS  bem  ©elbftbettmfjtfein  leitet 
er  junäc§ft  bie  ©ennffteit  toon  ber  (£rjften$  ©orte*  l)er ,  inbem  er 
bie  ber  benfenben  ©eele  innetoofmenbe  SBorftellung  eine*  öottfom= 
menen  2BefenS  als  ben  unttnberleglidjften  SetoeiS  für  beffen  SJafein 
betrautet,  $iefeS  $afein  ©orte«  aber  ift  (nnnrieberum  für  iljn  bie 
söürgfct>aft  für  bie  objeftiüe  SBar)rr)eit  unferer  ©rfenntniffe.  Ob* 
gleich  5)eScarteS  ber  Äirdje  feineStoegS  feinbltd)  gegenüberftanb,  oer* 
fannte  man  in  granfreia)  bie  ®efal)ren  nict)t ,  bie  ber  SartefiamS* 
muS  ber  gefunben  ßeljre  bereitete  unb  bie  fpäter  bei  ber  (Sutnri<f= 
lung  feiner  $onfequen$en  noa)  flarer  an  ben  Xag  traten;  ba^er 
erging,  nadfbem  bereits  im  SRotoember  1663  in  Sftom  baS  (Saite* 
liaaifct>e  ©öftem  »erboten  morben,  bis  eS  öerbeffert  fein  werbe,  am 
30.  3anuar  1675  an  bie  Uniberfttät  Singer«,  an  toeldjer  baSfelbe 
öorgetragen  mürbe,  ein  föniglidjeS  Verbot  gegen  bie  Seljre  beS 
(JarteftuS ,  mit  ber  Slufforberung ,  ber  ißerbreitung  berfelben  cnt= 
gegen^utoirfen ;  audj  erhärten  ftct>  oeriajiebene  tfjeologifdje  gaful= 
täten,  fonrie  bie  $arifer  Unioerfität  gegen  baS  (£artefianifd)e  ©öftem. 
$aS  ©leidje  gcfdjafj  proteftantifdjer  ©eits  burdj  bie  $orbred)ter 
©mtobe. 

Unter  ben  Slnfyäugem  beS  S)eScarteS  ragte  befonberS  ber 
fromme  unb  eble  Nicolas  Sftalebrandje,  ^ßriefter  beS  Dra* 
toriumS  $u  $ariS  (geb.  1638,  geft.  1715)  tyerüor,  ber  baS  (£ar= 
teftanijdje  ©nftem  ^aitptfäct)licr)  nad)  ber  religtöfen  ©eite  f)in  auS~ 
jubilben  unb  mit  ber  djriftlidjen  ßeljre  in  oottftänbigen  (Sinflang 
ju  bringen  fudjte. 

3m  ©egenfafce  ju  SRalebrandje  fagte  ftdj  ber  (Sarteftaner 
$ierre  $aöle  (geb.  1647  $u  (Jarlat  in  ber  GJraffdjaft  goij 
als  ber  ©oljn  eines  reformirten  ^rebigerS ,  geft.  1706),  anfangs 
^rofeffor  ber  Sßljilofopljte  ju  ©eban,  bann  $u  föotterbam,  meldet 
bie  menfdjlidje  93eraunft  nur  für  fäf)tg  erflärte,  Srrt^ümer  ju  ent- 
beefen,  niä^t  aber  bie  SBafyrfjeit  $u  erfennen,  als  boüenbeter  ©fep= 
tifer  ooöftänbig  bon  bem  djriftlid&en  Glauben  loS.  (5r  erflärte  bie 
Religion  für  unnüfc  unb  ben  oottenbeten  Unglauben  für  beffer  als 


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122 


Subnrig  XIV.  üon  ftranfrettf. 


bcn  Aberglauben.  %a,  er  oerftieg  fidj  fogar  ju  ber  ©eljauptung, 
bafj  e3  ganj  gut  Staaten  geben  tonne,  in  benen  Stoemanb  an  ©ort 
unb  Unfterblidjfeit  glaube.  $a3  Auftreten  93at)Ic'Ä  mirfte  um  fo 
Derberbüdjer ,  al$  er  fid)  nidjt  nur  in  feinen  SBerfen,  im  ®egenfafc 
ju  ben  übrigen  (Selefjrten  feiner  Seit,  ftatt  ber  lateinifdjen  Spraye 
ber  franjöfifd)en  bebtente,  fonbem  aud)  jur  teidjteren  Verbreitung 
feiner  Sefyren  ein  Journal  grünbete  unb  babei  bie  ©abe  großer 
SBerebtfamfeit  unb  ©emanbtljeit  in  ber  Darfteüung  befa§. 

$)er  (£arteftani3mu$  mar  in  öielen  fünften  mit  bem  3  a  n  f  e  * 
ni  $mu3  oertoanbt,  ju  meinem  ein  Söuct)  be3  im  Qatyre  1638  oer- 
ftorbenen  SBifa^ofä  3  a  n  f  e  n  i  u  3  bon  ?)pern  über  baä  93err)ättni6 
ber  ©nabe  ju  ber  menfd)lidjen  grei^eit  ben  ©runb  gelegt.  $)iefe3 
jtoei  Safpre  nadj  bem  Xobe  be3  3anfemu3  oeröffentlidjte  SBerf 
für)rt  ben  Xitel  „Auguftinuä" ,  enthält  jebodj  niajt ,  mie  ber  Ver^ 
faffer  angibt,  bie  Sefyren  be3  ©ifdjofd  oon  feippo,  fonbem  bie  3rr; 
tfjümer  ®aloin§.  ©egen  baä  SBerf  beS  3anfeniuS  traten  junädjft 
bie  ßöroener  3efuiten  auf,  inbem  fie  mehrere  au*  bemfelben  au$= 
gejogenen  falfdjen  ©äfce  bem  apoftolifdjen  Stuhle  jur  Prüfung 
oortegten,  totö  ein  unterm  6.  9ftär$  1642  edaffeneS  Verbot  be£ 
„AuguftinuS"  burd)  ben  $apft  Urban  VIII.  jur  golge  fyatte. 

3nbeffen  fyatte  fid)  ber  ©treit  nad)  Sranfreicf)  öerpflanjt,  mo 
er,  ba  ber  „AuguftinuS"  bort  fel)r  oerbreitet  mar  unb  ebenfo  eifrige 
Vertljeibiger  alä  (SJegner  gefunben ,  mit  grofjcr  #eftigfeit  geführt 
mürbe.  $iefe  ©treitigfetten  öeranlafjten  im  3af)re  1650  adjtunb* 
aa^tjig  franjofifa^e  $8ifcf)öfe,  bem  apoftolifdjen  ©tuijle  fünf  aus  bem 
„ Auguftinu§"  aufgewogene  ©äfce  üorjulegen  unb  beffen  (Sntfdjeibung 
5U  erbitten,  roorauf  3nnocenj  X.  unterm  31.  9Jlai  1653  biefe  fünf 
©äfce  al$  falfdj  unb  Ijäretifd)  bermarf.  Qnbcffcn  fugten  bie  3<*nfc= 
niften  ber  päpftlidjen  (£enfur  baburdj  ju  entgegen,  ba&  fie  bie  33c^ 
fjauptung  aufftetlten:  bie  fünf  bermorfenen  ©äfce  feien  atterbing* 
fjäretifd);  aber  S^nfeniuS  fjabe  biefelben  gar  nia)t  ober  menigftend 
nidjt  in  bem  ©inne  gelehrt,  in  meldjem  fie  berbammt  roorben  feien. 
$iefe  Vefjauptung  mürbe  jeboct)  am  28.  2flär$  1654  öon  ad)tunb= 
breißig  franjofiidjen  ©ifdjöfen  mibertegt  unb  biefe  Söiberlegung  am 
29.  ©eptember  1654  burefj  ben  $apft  beftätigt. 

$)anüt  fjörte  jebod)  ber  ©treit  nid)t  auf ,  beffen  #auptijerb 
bie  Abtei  *ßort  =  9lottaI  gemorben.  $iefeä  berühmte,  im  3a^re 
1216  oon  ber  ©räfin  2Äat^ilbe  öon  ©arlanbe  in  ber  9la^e  oon 
$ari3  unter  bem  tarnen  w$ort>9lo^al  beä  (Stampf  gegrünbete 
©iftercienfer=^onnenf(ofter  ^atte  in  ben  jmei  erften  Sa^rje^nten 
beä  fiebje^nten  3ö^r^unbertd  unter  ber  frommen  unb  feeleneifrigen, 
aber  äufeerft  ef altirten  Aebtiffin  Angelifa  A r n a u I b  einen  folgen 
3utoaa^g  erhalten ,  ba&  bie  öorf)anbenen  ^äume  nia^t  me^r  au3= 
reiften,  unb  mar  ba^er  im  3^«  1626  naa)  ^ari«  in  bie  Vor= 

• 


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Sit  franjöftfäe  Siteratur  unter  fiubroig  XIV.  123 

jtobt  ©t.  3acqueS  öertegt  morben ,  mährenb  in  ber  9cähe  beS  alten 
älofterS  $ort=9tolMl  beS  (JhampS  öon  einer  Slnjaht  gelehrter  9Jcännerr 
bie  fich  bort  angefiebelt  garten  unb  fich  ftrengen  ©u&übungen  unter- 
marfen,  bie  berühmte  ©djule  öon  ^ort^o^at  gegrünbet  morben  mar. 
Somo^I  biefe  „©nftebler"  öon  ^ort^o^at  beS  (JhampS,  als  bie  tr)eologi= 
firenben  Tonnen  öon  <ßort--föoüal  öon  <ßariS  Ratten  fich  ben  3anfa; 
niften  angefchloffen.  9caeh  betn  ©rfcheinen  ber  päpftlichen  ©ufle 
Dom  3afjre  1654  fteflten  fie  bie  Behauptung  auf ,  bie  f?ird)e  fei 
aüerbtngS  unfehlbar,  toenn  fte  eine  Meinung  als  ^äretifc^  öer* 
merfe;  aber  fie  fönne  nicht  mit  unfehlbarer  ®emi&heit  entfdjeiben, 
ba&  bie  öon  ihr  als  irrig  üertoorfenen  ©äfee  in  bem  SBudje  irgenb 
eine«  Tutors  ftünben.  SJcan  fei  baljer  ihrem  9luSfpruche  über  XfyaU 
fa^en  nur  ein  ehrerbietiges  ©tiHfajtoeigen  fdmlbig.  *ßapft  hieran* 
ber  VII.  öermarf  am  16.  Oftober  1656  bic  falfche  $iftinftiou 
unb  lief*  am  18.  gebruar  1665  bem  fran^öfifdjen  $leruS  eine  @r* 
ßarung  jur  Untcrfct)rift  öorlegen,  beS  Qn^altS,  bafe  bie  fünf  im 
„SluguftinuS"  enthaltenen  unb  öon  bem  apoftolifc&en  ©tuf)le  öer^ 
bammten  ©ä$e  5U  öertoerfen  feien.  $>er  ©treit  ruhte  herauf  bis 
§um  3a§rc  1702,  mo  er  burch  bie  3anfeniften  aufs  9ceue  herauf- 
beschworen mürbe.  $a  bie  Tonnen  öon  s$ort'9lot)al ,  ermuthigt 
burdh  baS  SBeifpiel  ber  ©infiebler  öon  ^ßort^Rotjal  beS  (S^ampS, 
eine  aufrichtige  Unterwerfung  üermeigerten ,  mürbe  im  3ahrc  1710 
auf  ©efehl  ßubmigS  XIV.  bie  SIbtei  aufgehoben  unb  jerftört.  $ie 
meiften  3a^1eniften  toanberten  ^iexauf  nach  ben  SRieberlanben  au*, 
loo  fie  fieh  als  befonbere ,  öon  0tom  getrennte  fatr)oltfcr)e  Kirchen* 
partei  erhalten  ha&en,  beren  Oberhaupt  ber  (Srjbifchof  öon  Ut* 
recht  ift. 

3u  ben  eifrigften  unb  gemanbteften  SBertheibigern  beS  3anfe= 
niSmuS  gehörte  ber  in  ber  Schule  bcS  (SartefiuS  gebübete  93  l  a  i  f  e 
Vascal  (geb.  1628  $u  (Jlermont,  geft.  1662  ju  SßariS),  einer 
ber  Gftnfiebler  öon  $ort*$Rot)al ,  ber  einen  erbitterten  ®ampf  gegen 
bie  3efuiten  eröffnete,  inbem  er  in  feinem  öielgelefenen ,  als  flaf= 
fifch  gepriefenen  gliche:  »Lettres  provincialesc  eine  ^[njahl  an* 
ftöfeiger  ©ä$e,  bie  öon  ben  Jcinben  beS  OrbenS  aus  ben  Büchern 
einzelner  jefuitifcher  SJcoralijten  ausgesogen  morben ,  mit  menig 
Xreue  unb  ©enauigfett,  aber  mit  großer  ©efehieflichfeit  ju  einem 
höchft  nachtheiligen  ©übe  ihrer  (Sittenlehre  öerarbeitete.  dinen  eb= 
leren  oerfolgte  $aScal  in  feinen  >Pens£e8t,  in  melden  er 

bie  ^othtoenbigfeit  beS  ©laubenS  nachjumetfen  fachte. 


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124     gnglanb  in  bet  jweiten  $«lfte  beS  fiebjcf>nten  3ab^unbert« 

IV. 

<S ngfanb  In  ber  \miten  &ätfte  be$  (leB}e8ntm  Oafjrfiunöt'rto. 
2>te  erften  Seiten  ber  eitöliföen  XetytMil. 

(1649-1653.) 

!Rac^  ber  ^inriditung  ftarlS  I.  fefetc  ba$  Unterhaus,  baS 
unter  bem  tarnen  „ Parlament  öon  ©nglanb"  alle  9iegierung3ge= 
malt  in  fid)  öereinigte ,  jur  Seitung  ber  inneren  unb  äußeren 
(Staatsangelegenheiten  einen  ©taatöratf)  Don  einunbüierjig  SRitglte* 
bem  ein ,  beren  SSoflmadjt  auf  bie  $auer  öon  jroölf  Monaten  be* 
fdjränft  mürbe.  Xiefe  5öeljörbe,  in  welker  neben  ©rommett  beffen 
vertraute  (SefinnungSgenoffen ,  3retonf  #arrö  9Kartin,  ©rabföam 
unb  SR.  Qofjn,  bie  Hauptrolle  föielten,  hatte  jebodj  zahlreiche  ©egner, 
nicht  allein  in  ber  föniglidjen  gamilie  unb  ben  englifchen  SRoöa* 
Itften,  fonbern  auch  in  ben  Sßreabbterianem  unb  ben  £eöeC(er3,  öon 
meld)  ßefcteren  (Srommell  offen  beS  ©trebenS  nad)  SWeinherrfchaft 
befdjulbigt  ttrnrbe ,  ganj  befonberä  aber  in  ben  Srlänbern  unb  ben 
(Spotten.  Sluch  bie  Unjufriebenheit  beS  burdj  bie  £aft  ber  Abgaben 
niebergebrüeften  SolfeS  bereitete  ben  SRachthabern  große  ©erlegen* 
Reiten. 

£ie  öermitttocte  Königin  lebte  mit  ihren  ftinbern  fett  ber  §in* 
rtchtung  tyreS  GJcmahtä  in  $ari3 ,  roo  fie  mährenb  ber  Unruhen 
ber  gronbe  oon  bem  #ofe  fo  feljr  üernadjläffigt  mürbe ,  baß  fie 
oft  an  bem  OTernothmenbigften  Langel  litt.  3h*  ältefter  ©ohn 
®  a  r  l  hielt  fid> ,  unauägefefct  mit  planen  jur  SSicbergeminnung 
feines  öäterlichen  $f)rone3  beschäftigt ,  meift  in  ben  Wieberlanben 
bei  feinem  ©chmager  28ilf)elm  IL  öon  Dramen  auf.  ©eine  #off* 
nung  beruhte  ^auptföd^Uc^  auf  ©ajottlanb  unb  Srtanb.  3n  bem 
erfteren  ßanbe  ^atte  bie  Einrichtung  $arls  L  einen  fo  tiefen  (Sin* 
bruef  gemalt,  baß  ber  größte  %f)til  ber  JÖeöölferung  fid)  mit  21b* 
fdjeu  öon  ben  9ttad)tf)abern  in  ßonbon  abmanbte  unb  eine  bebingte 
SReftauration  beä  £önig3l}<wfe3  verlangte.  5)er  ©raf  öon  Slrgöle, 
ber  eifrigfte  (Gegner  ber  ©tuartä ,  ber  in  ©ajottlanb  bie  gleite 
sJiolIe  5U  föielen  gebadete,  roie  fein  Jreunb  (Srommeß  in  Qrnglanb, 
filmte  ^mar  biefem  ©erlangen  entgegen  gu  treten;  er  fonnte  jebodj 
ntcrjt  öer^inbern ,  baß  mit  bem  $rin$en  öon  SBaleS  Unterlmnb* 
lungen  angefnüpft  mürben,  bei  melden  bie  ©Rotten  ihm  ihre  ®rone 
unter  ber  Söebingung  anboten,  baß  er  ben  ©oüenant  beftätige. 

SBäfyrenb  ®arl  jögerte,  auf  biefe  gorberung  einzugehen,  fam 
im  Horben  ©djottlanbs  eine  roualtftifche  ©emegung  jum  Ausbruch, 


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$ic  erfttn  Seiten  ber  englifdjen  SRepublif. 


12.- 


bie  feine  bebingungSlofe  Surütfführung  auf  ben  £h*on  fetner  SBä* 
ter  jutn  gweefe  ^atte.  2ln  ber  ©pifce  berfelben  ftanb  3fafob 
®  r  o  h  a  m ,  SJtorqmS  bon  9R  o  n  t  r  o  f  e ,  ber  treuefte  unb  ritter* 
Itchfte  Slnhänger  8axU  I.,  ber  mit  einer  ©djaar  bon  fünfhunbert 
$eutfdjen  auf  ben  Drfnet)a*3nfeln  gelanbet  unb  öon  bort  nach  ©chott* 
lanb  übergefefrt  war ,  in  ber  Hoffnung ,  baß  nicht  nur  bie  Großen, 
bie  früher  unter  ihm  für  #arl  I.  gefämpft ,  ftch  ihm  anließen 
mürben,  fonbern  auch  bie  üttehrjahl  beä  SBolfeS  ftch  um  Um  fchaaren 
werbe.  Slber  nur  SBenige  leifteten  feinem  Aufrufe  Solge;  benn  bie 
puritaniföen  (&eiftti$en  Ratten  if>m  in  fanatifchen  ^rebigten  erfolg» 
reich  entgegengearbeitet.  JDfme  große  SRüfje  mürbe  er  mit  feiner 
fleinen  ©chaar  burdj  bie  Xruppen,  bie  baS  Parlament  ihm  unter 
$at>ib  Se§Iie  entgegenfanbte ,  am  17.  ftpril  1650  bei  (£orbtc3bale 
in  ber  ©raffdjaft  flfitoß  aurücfgefdjlagctt.  @$  gelang  u)m  jwar,  ju 
entfommen;  er  mürbe  jeboch,  nachbem  er  merjehn  läge  lang  ber- 
fleibet  im  (Gebirge  umhergeirrt ,  burd)  einen  falfchen  Sreunb  oer* 
ratfjen  unb  barhaupt  unb  gebunben  auf  einem  Marren  burd)  ben 
genfer  nach  (Ebinburg  gebraut,  wo  ifjn  ba$  Parlament,  bem  drängen 
ber  preSbtjterianifchen  ©etftlichfeit  nachgebenb ,  bie  noch  immer  in 
ber  ©erwaltung  be$  SanbeS  bie  einflußreichfte  Stimme  f>atte,  $u 
einem  fd)maa)öolIen  Xobe  öerurtheüte.  ®r  foüte,  $um  abfdjrecfen- 
ben  33etfpiel  für  aße  Anhänger  be$  ÄönigS,  brei  ©tunben  lang  an 
einem  bretßig  3u6  h°0cn  (Balgen  fangen  unb  bann  in  fedjS  ©tücfe 
gerhauen  werben ,  bie  in  ©binburg  unb  ben  fünf  anbern  größten 
Stäbten  be3  Sanbeä  auf  ^ßfäfjle  genagelt  unb  an  ben  £>aupttfjoren 
aufgefteOt  werben  foHten.  $113  ihm  biefer  furchtbare  ©pruch  oer= 
fünbet  würbe,  erflärte  er:  er  rühme  ftd)  feinet  ©efchicfS  unb  be- 
flage  nur,  nicht  &  lieber  genug  ju  haben,  um  ade  ©täbte  ber  Otyn» 
ften^eit  mit  ©eweifen  feiner  Xreue  oerfehen  ju  fönnen.  Um  ba$ 
Üftaaß  beä  bitteren  #ofme8  ju  füllen ,  mußte  ihm  ber  genfer  öor 
feinem  ©ange  jur  9ttcf)tftcttte  (21.  3M  1650),  feine  lefcte  $roffo- 
mation  fammt  ber  $uf$atjlung  feiner  SBaffenthaten  um  ben  $>al& 
fangen.  (Er  lächelte  über  bie  öoShrit  feiner  geinbe  unb  fagte,  e& 
fei  bie*  für  Um  eine  glänjenbere  8ierbe,  at«  ber  £ofenbanborben, 
womit  ihn  fein  Küttig  beehrt  habe.  $)ie  SBürbe  unb  unerfchütter* 
liehe  ©tanbhaftigf eit ,  womit  er  ben  £ob  erlitt,  gewann  ber  ©ache 
beä  ftönigä  mehr  Sßrofelöten ,  als  alle  feine  früheren  $elbentl)aten. 

$er  unglüefliche  Ausgang  ber  burch  ÜKontrofe  öeranftalteten 
3(hüberhebung  bewog  ben  s$rinjen  öon  SBaleä  ,  ftdt)  auf  jebe  93e^ 
bingung  ben  ©Rotten  in  bie  2(rme  ju  werfen,  ftachbem  er  ihnen 
am  bewilligt ,  wa3  fie  »erlangt ,  fduffte  er  fta)  nach  ©^hottlanb 
ein  unb  erreichte,  ungeachtet  ber  9fcad)jMungen  ber  englifchen  Slotte, 
am  23.  guni  1650  bie  fc^ottifc^c  ftüfte.  (5r  Würbe  au  ©binburg 
mit  allen  feiner  SBfirbe  gebührenben  (Ehrenbezeigungen  empfangen. 


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126     (gnglanö  in  ber  jroeiten  £älfte  be«  fteb$efmten  3ahr^unbert$. 

unb  baä  Parlament  bewilligte  ihm  ohne  ©ajwierigfeit  bic  ju  feiner 
Hofhaltung  nötigen  (Selbmittel.  2lber  bie  unauägefefcten  üttah* 
nungen  ber  puritanifd)en  ^rebiger,  feine  Sünben  ju  bereuen,  fowie 
bie  6d)mähungen,  bie  er  fortwährenb  über  bie  „GJottlofigfeit"  feiner 
Altern  frören,  unb  bie  enblofen  ^rebigten,  benen  er  Xag  für  Xag 
mehrmals  beiwohnen  mußte,  matten  bie  Sage  be3  jungen,  nad) 
J2ebenägenu&  ftrebenben  #errfd)er3  ju  einer  äu&erft  unangenehmen. 
Rid)t3beftoweniger  fügte  er  fia)  mit  ÖJebulb  ben  ilm  umringenben 
©iberwärtigfeiten ,  weil  er  einfah ,  ba&  er  bie  ftarren  ^erjen  ber 
Rotten  um  jeben  $rete  $u  gewinnen  filmen  müffe,  um  fid)  ihrer 
$ilfe  gegen  (Snglanb  ju  öerftchern. 

Sn^wifchen  Ratten  aud)  bie  3rlänber  ben  ^rinjen  toon  SBaleS 
$um  König  ausgerufen  unb  ben  #er$og  oon  Ormonb,  weld)em  Karl  I. 
brei  Monate  bor  feinem  Xobe  *BoHmad)t  ert^eiü ,  ihnen  alle  ihre 
gorberungen  ju  bewilligen,  als  «Statthalter  Karlä  II.  anerfannt. 
Um  ben  SBcrluft  SrlanbS  ju  öer^üten,  ging  (Sromweil,  nad)bem  ihn 
ba*  Parlament  jum  ßorb=©eneral  ernannt  hatte ,  mit  ad)t  burd) 
baä  üooä  beftimmten  Regimentern  im  3uli  1650  borten  ab,  unb 
fd)on  im  Sftai  beS  folgenben  SahreS  hatte  er  burd)  eine  ebenfo 
graufame  als  umfidjtige  Kriegführung,  fowie  burd)  geheime  Unter- 
hanblungen  mit  einjelnen  Häuptern  ber  3rlänber  bie  Kraft  beä 
SlufftanbeS  fo  weit  gebrod)en ,  ba&  er  bie  üoüftänbige  Bewältigung 
beSjelben  feinem  ©djwiegeifohn  Qreton  überlaffen  unb  nad)  (£ng= 
lanb  jurürffehren  fonnte ,  um  ben  Oberbefehl  über  ba$  $>eer  ju 
übernehmen,  baä  jum  Kampfe  gegen  bie  Sdjotten  befrimmt  war. 

3n  ®d)ottlanb  hatte  ©romweö  anfangt  einen  fd)weren  ©tanb, 
ba  baä  üon  bem  (Venera!  ßeälie  geführte  fd)ottifd)e  £>eer  ihm  faft 
um  bad  doppelte  überlegen  war  unb  e$  ihm  balb  an  ben  nötfngen 
ßebenämitteln  fehlte ;  bie  puritanifd)en  ^rebiger ,  bie  als  Kird)en> 
au$jd)ufj  baä  fd)ottifd)e  Jpeer  begleiteten,  famen  ihm  jebod)  felbft  ju 
#ilf  e ,  inbem  fie ,  in  ber  Beforgnijj ,  ba&  baä  englifd)e  §eer  ent* 
fommen  fönne,  ben  ©eneral  £eälie  zwangen,  öon  ben  Anhöhen  bei 
$unbar,  auf  weld)en  er  fid)  in  einer  trefflidjen  Stellung  Oer* 
|d)an$t  hatte,  in  Die  (Sbene  ^inab^ufteigen f  um  ben  fteinb  anju* 
greifen.  „@te  fommen  h^tab;  ber  £err  hat  fie  in  unfere  Jpänbe 
gegeben;  laffet  3hn  M  erheben  unb  ©eine  geinbe  jerftreuen!"  rief 
ber  freubig  überrafd)te  (£rommell  au3,  unb  in  furjer  Qtit  hatte  er 
ben  üollftänbigen  ©ieg  errungen  (3.  Sept.  1650).  $)reitaujenb 
©d)otten  lagen  tobt  auf  ber  SBahlftätte,  unb  jefmiaufenb  (befangene 
würben  fammt  ®efd)üfc,  Munition  unb  ®epäd  bie  Beute  ber 
©ieger.  2)ie  äftitgüeber  beä  puritanifd)en  Kird)enau8fd)uffe$  oer* 
fehlten  nid)t,  bie  erlittene  Rieberlage,  bie  ihre  BorauSfagungen  ju 
©d)anben  gemad)t,  in  einer  „furjen  (Jrflärung  unb  SBarnung"  ber 
©ünbhaftigfeit  ber  $>auptleute,  jowie  ben  offenbaren  Slergerniffen, 


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SMe  crftcn  3eitcn  bcr  englifäen  SRepublif. 


127 


bie  bcr  flönig  burd)  feinen  letdjtftnnigen  8eben$manbe(  gegeben, 
unb  anbem  äljnliajen  Urfadjen  jujufdjreiben ,  „roeldie  ben  $errn 
gereift,  Jehl  Sfntlife  t)on  ben  ©öljnen  3<rfofa  ab$umenben  unb  fein 
hott  mit  einer  fdjrecftidjen,  aber  mol)lt»erbienten  S^^igung  ffeimju* 
fudjen."  dagegen  meinten  anbere  Sßräbif  anten :  „@3  fei  fefjr  un* 
flug  Don  ©ort,  roenn  er  feinen  Qotn  §u  weit  treibe,  ba  ti  bod)  am 
Snbe  fein  eigener  ©djaben  fein  roerbe,  roenn  bie  Äuaerroäfjlten  auf 
bcr  (£rbe  unterbrürft  mürben  unb  nur  feine  abgefagteften  Seinbe 
übrig  blieben." 

Cbglctd)  (£romroett  nad)  bem  Siege  bei  $)unbat  ofyne  Söiber* 
ftanb  in  ßeitf)  unb  (Sbinburg  eingerürft  mar,  in  meld)  letzterer  ©tabt 
er  mit  ben  in  bie  ©ttabeüe  entflogenen  puritanifdjen  ©eiftlidjen 
einen  tr)eoIogifcr)en  ©djriftroedjfel  eröffnete,  um  fie  $u  ben  ©runb= 
fä$en  bei  Snbcpenbenten  bu  &efef)ren ,  trug  bie  9tieberfage  ber 
Schotten  meljr  $ur  (Sxfyöfmng  al$  jur  ©djmädmng  ftarlÄ  II.  bei. 
(£r  empfing  am  1.  Januar  1651  in  ber  $ird)e  $u  ©cone,  nad)bem 
er  feicrlidj  gelobt,  ben  (Sobenant  $u  galten,  au$  ben  Rauben  $lrgülc$ 
bie  Ärone  feiner  SBorfa§ren,  unb  bie  burd)  ba3  erlittene  93Jißgeja)tdf 
geroamten  ©eiftlid>en  überliegen  ifym  bie  güfjrung  be8  neu  gefam* 
melten  §eere3.  Qu  feinem  Unglücf  befd)lo&  er,  roäfjrenb  (Sromroett 
gegen  Sßertfj  borbrang,  mit  etftaufenb  SRann  einen  Einfall  in  ($ng* 
lanb  $u  madjen,  in  ber  Hoffnung,  baß  ftet)  bie  bortigen  Stotoaliften 
fogleia)  um  if)n  fdjaaren  mürben.  Quid)  ben  unerwarteten  (Sin- 
bradj  fiberrafa^t  unb  ofjnefjin  bura?  bad  TOßlingen  ifyrer  früheren 
^ufftänbe  entmutigt ,  fanben  fid)  biefelben  nur  in  geringer  Qafyi 
bei  bem  föniglid)en  £>eere  ein,  tuäfyrenb  ftdj  bie  Xruppen  be£  $arla* 
mentä  uon  allen  ©eiten  in  ber  ®  egenb  üon  Söorcefter  f  ammeU 
ten  unb  burdj  ben  rafdj  herbeigeeilten  (£rommell  bis  auf  breijjig* 
taufenb  9Rann  oerftarft  mürben. 

9fcadjbem  Crommeß  bei  SBorcefter  an  jroei  fünften  ben  lieber* 
gang  über  bie  ©eoem  erzwungen,  mürbe  am  3.  September,  bem 
3aljre3tag  ber  ©djladjt  bei  $unbar,  ba&  £eer  ber  föotjaliften  nad) 
einem  feigen  Kampfe,  in  meinem  ber  Äönig  fetbft  große  dgntfajlof« 
jenljeit  unb  Xapferfeit  gezeigt,  ooüftänbig  $erfprengt.  SRur  mit 
äftüfje  entrann  #arl,  beffen  Hoffnungen  mit  einem  ©djlage  öer* 
nidjtet  roaren,  bem  ßoofe  ber  ©efangenfdjaft.  2Rit  fedfoig  feiner 
fdjottifdjen  Leiter  legte  er  im  Tuntel  ber  9ßad>t,  ofme  anhalten, 
mel)r  als  fünf  beutfaje  teilen  $urüd  unb  trennte  fia)  bann,  auf 
ben  SRatf)  beä  ©rafen  $>erbö,  mit  biefem  oon  feinen  übrigen  *8e* 
gleitern,  um  an  ber  ©ren$e  bon  ©tafforbföire  bei  einem  bem  @ra* 
fen  mofjlbefamtten  fatr)otifcr)ett  *ßäd)ter,  tarnen«  $enberel,  ©dmfc 
ju  fuajen.  £ier  lebte  er,  Don  bem  ^äajter  unb  feiner  gamilie 
mit  ber  rüfjrenbften  Eingebung  aufgenommen,  als  ©auer  öerüeibet 
mehrere  Xage,  mäfjrenb  (Jrommea'f^e  ©treifmaajen  bie  ©egenb 


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128     fcnglanb  in  bcr  jtoeiten  #älfte  beS  fteb$ehnten  3a^unbcrt*. 

burchjogen  imb  Qcbcm  mit  bcm  Xobe  brofjten,  bcr  bcn  Aufenthalt 
beS  Königs  verheimliche,  demjenigen  aber,  ber  ihn  ausliefern  werbe, 
eine  große  Jöelofmung  verfprachen.  Als  bie  ®efahr  immer  bringen* 
ber  würbe,  verbarg  fia>  ®arl  mit  bem  Dberften  CSareleß,  einem 
eifrigen  föotyaltften,  ber  gleichfalls  bei  ben  ^ßenberel  eine  3ufluchtS^ 
ftätte  gefunben,  in  ben  bidjt  belaubten  heften  einer  alten  Eiche  — 
feitbem  bie  „ftönigSeiche"  genannt  —  unb  blieb  bort  volle  vier* 
unbjroanjig  ©tunbeu,  n>äf>renb  bie  3rau  beS  Pächters,  anfeheinenb 
Reifer  fuchenb,  in  ber  Mähe  teilte,  um  bie  umherftreifenben  ©ol* 
batenfjaufen  ju  beobachten  unb  bem  ftönig,  wenn  nöt^ig,  SBarnungS* 
^eichen  ju  geben. 

SSon  $enberel  unb  feinen  vier  Söhnen  begleitet,  begab  ftdj 
#arl  weiter  nach  Dem  ©täbtehen  ©entleh,  wo  ilmt  Sorb  SBilmot, 
einer  fetner  giuchtgenoffen,  bei  bem  ber  föniglidjen  ©aaje  treu  er* 
gebenen  Dberften  fiane  eine  äufluchtSftätte  gefiebert  r)attc.  $e* 
langen  ©ehenS  in  ben  plumpen  ©auernfttefeln  nicht  gewöhnt,  fam 
er  mit  wunben  gußfofjlen  in  öentleü  an,  wo  er  feine  treuen  ©e* 
gleiter  mit  warmem  danfgefühl  entließ.  Um  feinem  ©afte  bie 
Einfcfuffung  nach  Shranfreich  ju  ermöglichen,  brachte  ihn  Sane  $u 
einer  feiner  Serwanbten  in  ber  ©egenb  von  öriftol,  ber  Sttiftreß 
Horton,  bei  welcher  er  als  ©ebtenter  ber  Xoajter  ßane'S  eingeführt 
würbe.  Unter  bem  SBorwanbe,  baß  er  fteberfranf  fei,  wie«  ihm 
iUHjrreß  Horton  ein  eigenes  Limmer  an;  bennoch  würbe  er  von 
einem  Aufmärter  erfannt,  ber  ftch  ihm  ju  Süßen  warf  unb  bie  Söitte 
beS  erfchroefenen  Königs,  ihn  nicht  ju  oerrathen,  mit  ber  )öerftcherung 
unverbrüchlicher  Ergebenheit  beantwortete. 

die  SReife  nach  ©riftol  war  inbeffen  eine  vergebliche  gewefen, 
ba  fein  einjigeS  ©duff  $ur  Abfahrt  bereit  lag,  unb  fo  mußte  ®arl 
feine  gefahrvolle  SBanberung  nach  e^ncr  <mbern  Dichtung  foitfejjen. 
Er  begab  fich  mit  £orb  SBilmot  nach  Xrent  bei  ©herburn  in  dor= 
fetfhire,  ju  bem  Dberften  SBinbljam,  gleichfalls  einem  befanuten  An* 
hänger  ber  ÄönigSpartet.  Aud}  h^r  beeiferten  ftch  ^tö^  Dcm  Dc*s 
folgten  ©aft  ihre  £iebe  unb  Anhänglichkeit  ju  bejeigen.  die  hoch5 
betagte  SWutter  beS  Dberften  jerfloß  in  greubenthränen  beim  Anbluf 
beS  verfleibeten  Königs  unb  betheuerte,  baß  fte  jefot  gern  ben  SBer* 
luft  ihrer  brei  im  Kampfe  für  feinen  Sater  umgefommenen  ©öhne 
oerfchmerjen  wolle,  ba  ihrer  gamilie  baS  ®lüd  geworben,  ein  2Serf= 
$eug  ju  feiner  Erhaltung  $u  werben. 

9cact)  mehrtägigen  vergeblichen  Ucachforfdnmgen  nach  einem 
3rahr$eug,  würbe  ju  ityme  ein  ©chiffseigenthümer  gefunben,  ber 
fid)  bereit  erflärtc,  für  h°hcn  $tciS  ben  ßorb  SBilmot  unb  beffen 
diener,  für  welchen  fich  ®er  ^önig  ausgab,  nach  granfreich  ju 
bringen,  worauf  Söeibe  fich  na(^  ßtyme  begaben.  s2Iber  in  ber  $ur 
Abfahrt  feftgefejjten  ^ac^t  blieb  ber  ©Ziffer  aus,  weil  feine  bt- 


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$ie  erften  3cttcn  bet  cnglifc^cn  SRepublif. 


129 


forgte  grau  ihn  angftlich  gemalt,  unb  fo  mußte  ®arl  nadj  Xrcut 
}urü<ffel)ren.  §luf  bem  SBege  bahin  fanb  er  ju  Söribport  eine  #eereS= 
abtheilung  öon  fünfoehntaufenb  9J<ann,  bie  ju  einer  ©jrpebition  nad) 
ber  3nfel  3erfeü  eingefdufft  werben  füllte,  ©eine  SBcftür^ung  oer* 
bergenb  ftieg  er  öom  $ferbe  unb  führte  ba^felbc  mit  füfmer  <5nt* 
fc^Ioffen^eit  mitten  burch  bie  murrenben  ©olbaten  nach  bem  Wixtfa 
häufe.  $ier  ftarrte  jebod)  feiner  eine  neue  ©efa^r:  ber  $auS= 
fnecf>t  begrüßte  it)n,  nur  feiner  Süge,  nicht  aber  feiner  *Jkrfon  fid) 
erinnernb,  als  einen  alten  SBefannten  au«  ber  Seit,  too  er  ju 
(rjeter  bei  einem  §errn  Dotter  in  $ienft  geftanben.  ®arl,  ber  in 
ber  %t)at  mährenb  beS  SBürgerfriegS  eine  Zeitlang  bei  biefem  ge* 
tpofjnt,  ^atte  ®eifteSgegenmart  genug,  auch  bieSmal  feinen  ©djrerfen 
$u  oerbergen  unb  mit  bem  ©Cheine  ber  größten  SRufje  berrt  £anS* 
fnecht  $u  antworten:  „3a,  ich  war  einmal  bei  £>errn  Wörter  in 
Xienft ;  je|t  aber  Imbe  ich  feine  Seit  unb  behalte  mir  öor,  bei  einem 
GHafe  SBier  unfere  Söefanntfa^aft  $u  erneuern,  wenn  ich  Don  ßonbon 
jurücffomme." 

©lütflich  mürbe  Xrent  wieber  erreicht;  aber  bei  ben  bebend 
liefen  GJerüdjten,  bie  fid)  in  ber  Umgegenb  verbreitet  Ratten,  erfdjien 
ein  längerer  Aufenthalt  beS  Königs  im  £aufe  beS  Dberften  SBinbham 
nicht  rathfam.  Abermals  mußte  er  feine  gefährliche  SSanbcrung 
fortlegen,  bis  eS  enblia)  gelang,  in  bem  $>afen  öon  ©horefjam  in 
©uff  er.  ein  galjrjeug  aufjufmben,  baS  im  begriffe  ftanb,  nach  granf* 
reich  unter  ©egel  ju  gehen  unb  beffen  (Sigentfyümer  fid)  bereit  finben 
ließ,  bie  beiben  glüchtlinge,  ben  ®önig  unb  ßorb  SBilmot,  mitzu- 
nehmen. 9cachbem  baS  gafjrjeug  ausgelaufen,  beugte  ber  ©duffäfyerr 
üor  bem  ftönig,  ben  er  wohl  erfannt  r;attef  baS  $me  unb  gelobte 
ihm,  i^n  fidjer  an  bie  franjöfifdje  $üfte  ju  bringen.  @r  erfüllte 
Die«  S3erjpred)en,  unb  am  17.  £)f  tober  ftieg  ber  gerettete  $önig  bei 
ber  normannifdjen  ©tabt  gecamp  anS  Sanb. 

$)ie  %f)zitnafymt,  bie  ®arlS  I.  tragifchcS  ©efehief  in  gan$  (5u= 
ropa  gefunben,  fyatte  auch  für  baS  Unternehmen  feines  ©ofjneS 
aüermärtS  ein  reges  Qntercffc  erweeft,  unb  wie  man  ficr)  nach  fei- 
ner  iRiebcrlage  bei  SBorcefter  ben  lebhafteften  SBeforgniffen  für  ihn 
hingegeben,  fo  mürbe  bie  ®unbe  oon  feiner  Rettung  überall  mit 
greube  begrüßt.  $er  9#uth,  ben  er  im  gelbe  an  ben  $ag  gelegt, 
fowie  bie  Umficht  unb  ÖJeifteSgegenwart,  womit  er  ben  mauigfaa)en 
(Gefahren  auf  feiner  gludjt  entgegen  getreten,  fyatten  bit  ©umpatfuen 
für  ihn  erhöht  unb  allgemein  bie  Ueberjeugung  mach  gerufen,  baß 
er  ber  ßtone  feiner  SBäter  mürbig  fei.  ©ein  fpätereS  Auftreten 
rechtfertigte  jeboer)  biefe  Ueberjeugung  nicht.  „$arl",  fagt  ßingarb, 
„ hatte  oieloerfprechenbe  Slüthen  entfaltet ;  aber  fie  »elften  balb  unter 
bem  jerftörenben  ©influß  ber  ßerftreuung  unb  beS  SSohllebenS." 

9loch  ehe  eS  ®arl  gelungen  mar ,  nach  granfreich  ju  entfom= 

^ol4ttart^f  SBeltßef($i<$te.  VI.  9 

» 

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130     (Snglanb  in  ber  jrociten  §älfte  beS  ft^jc^ntcn  gahr&unbertS. 

men,  f)atte  ber  ©eneral  SJconf,  ber  feit  (SrommeHS  fRücffc^r  nach 
©nglanb  ben  Oberbefehl  über  baS  englifche  |>eer  führte,  bie  meiften 
feften  Pläfce  SdmttlanbS  eingenommen,  unb  in  furjer  3eit  mar  bie 
Untermerfung  ber  ©Rotten  öoflenbet.  $aS  englifche  Parlament  er= 
flärte  bie  ßtonlänbereien  für  Gemeingut  nnb  öerfügte  bie  (£onft3= 
fation  beS  SBermögenS  afler  derjenigen,  bie  bem  Äönig  gefolgt  maren. 
Sitte  StaatSgemalt,  bie  nicht  bem  englifchen  Parlamente  entf prang, 
mürbe  burefj  eine  Proklamation  für  aufgehoben  erflärt ;  alle  Sheriff* 
unb  anberen  Beamten  öon  jmeifelhafter  Xreue  mürben  burch  folche 
erfefct,  bie  ber  SRepublif  ergeben  maren ;  englifche  dichter,  benen  bret 
ober  oier  ©ingeborene  beigegeben  mürben,  foflten  baS  ßanb  bereifen, 
bie  Rechtspflege  übernehmen  unb  an  bie  Stelle  ber  bisherigen  Xri= 
bunale  treten.  Statt  ber  freien  Einquartierung  mürbe  bem  öanbe 
eine  jährliche  Xaje  oon  einhunbertbreijngtaufenb  Pfunb  jum  Unter« 
halt  ber  Gruppen  auferlegt. 

2)er  Kummer  ber  Schotten  über  biefe  Steuerungen  mürbe  er= 
höht  burch  bie  3luSftcht  auf  bie  Bereinigung  beiber  Reiche  ju  einer 
einjigen  SRepublif,  moburch  Schottlanb  $u  einer  englifchen  Protmig 
herabgemürbigt  merben  follte.  5)iefe  „Union",  über  melche  längere 
3ett  jmifchen  Slbgeorbneten  beS  englifchen  Parlaments  unb  ben 
iBertretern  ber  fchottifchen  ®raffcfmften,  Stäbte  unb  ©urgflecfen  un- 
terhanbelt  mürbe,  fam  im  3ahre  1654  bn  Stanbe  unb  ^atte  bie 
Aufnahme  oon  breifctg  fchottifchen  deputirten  in  baS  Sionbouer  Par- 
lament $ur  golge. 

Ungleich  trauriger  noch,  als  für  Schottlanb,  geftaltcten  fich  bie 
SBerhaltniffe  für  Srlanb.  ^uf  ocm  ®e9c  ErommellS  fortfehrcitenb, 
hatte  Qreton  unter  grauelooflem  ©lutoergiefcen  bie  Untermerfung 
beS  Raubes  meiter  geführt,  als  er  im  ^perbfte  1651,  furj  nach  ber 
Eroberung  öon  Simeiicf,  einer  peftartigen  ®ranfheit  erlag.  Sein 
Nachfolger  Jleetmoob,  ber  baS  Dberfommanbo  feiner  Berheirathung 
mit  QretonS  SSittme  oerbanfte,  fe&te  bie  ©räuel  beS  furchtbaren 
BernichtungSfriegeS ,  ben  ber  religiöfe  unb  politische  ganatiSmuS 
ber  englifchen  £tRact)tt)aber  ben  unglüeflichen  Qrlänbem  erflärt  ^atter 
mit  unoerminberter  ©raufamfeit  fort,  unb  im  Sommer  1653  mar 
Qrlanb  ooüftänbig  untermorfen.  s2UIeS,  maS  (SnglanbS  frühere 
^errfcher  an  ber  triften  Nation  burch  $>ärte,  ©eroattthätigfett  unb 
©raufamfeit  oerbrochen,  trat  in  ben  ^pintergrunb  cor  ben  9)ca6= 
regeln,  melche  öon  ben  Häuptern  ber  englifchen  SRepublif,  bie  ben 
$önig  im  Namen  ber  greifet  ermorbet  hatten,  $ur  Knechtung  ber 
Qrlänber  getroffen  mürben. 

Schon  mä^rc nb  beS  Steges  maren  mit  bcifpiellofer  ©raufaim 
feit  alle  irifehen  (befangenen  nach  SBeftinbien  gejehieft  ober  oerfauft 
morben;  jejt  mürben,  nachbem  ein  oon  ben  englifchen  aJcadjthabern 
cingefefcter  ^ot)er  (Gerichtshof  über  jmeihunbert  ber  erften  ÜRänner 


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3)ic  crftcn  Seiten  ber  englif^en  SRepubtif 


131 


be*  SanbeS  als  Veranftalter  unb  #auptforberer  beS  AufftanbcS 
bem  93lutgerüfte  überantwortet  hatte  unb  breifjig  bis  oierjigtaufenb 
ftreitbare  Männer,  öon  ber  allen  $auptleuten  unb  ehemaligen 
Sriegern  erteilten  (Srlaubnife  jur  AuSmanberung  (Gebrauch  machenb, 
ba3  £anb  üerlaffen  hatten,  um  in  Sranfreicf),  Spanten,  Oefterretd) 
unb  SSenebig  SriegSbienfte  ju  nehmen,  jur  öoüftänbigen  Vernich* 
tung  ber  triften  ftationalfraft  über  jman$igtaufcnb  Qünglinge, 
SSetber  unb  ftinber  millfurlich  aufgegriffen  unb  nach  bem  $u  jener 
3eit  eroberten  Samaica  ober  anbem  Sufeln  AmerifaS  funüberge* 
füljrt.  hierauf  rourbe  baS  bereits  früher  befolgte  gemaltfame 
SolonifationSfuftem  in  ber  umfaffenbften  SBcife  fortgefefct.  Alle, 
roeldje  bei  bem  Aufftanbe  als  güfjrer  ober  föathgeber  beteiligt  ge= 
mefen,  rourben  ihres  gefammten  ©runbbefifceS  öerlufttg  erflärt ;  55)ic* 
jenigen,  bie  gegen  baS  Parlament  gekämpft,  oerloren  atoci  Dritt* 
theile  unb  bie,  toeldje  nicht  f  ü  r  baSjelbe  bie  SBaffen  geführt,  ein 
$rttttf>eü  ihrer  Sänbereien.  Huf  biefe  SBeife  follen  bamalS  an  acht 
^äüiarben  borgen  £anbeS  eingebogen  morben  fein,  üon  benen  bie 
Stegiemng  einen  Xtyü  für  ftd)  behielt,  mährenb  fie  baS  Uebrige 
unter  it)rc  Solbaten  ober  an  englifdje  unb  fcr)otrifc^c  $oloniften 
öert^eilte.  Um  bie  Vernichtung  beS  politischen  Däferns  ber  Nation 
$u  öollenben,  mürben  alle  ©ingeborenen  über  ben  Shannon  nach 
Sonnaught  üertrieben  unb  bie  ®oloniften  ermächtigt,  3eben,  ber  fid) 
über  ben  5lu&  hcri*&crtt)age,  ofjue  2BeitereS  nieber$uftofjen.  Auch 
mürbe  auf  baS  Xragen  unb  Aufbewahren  üon  SBaffen  bie  DobeS^ 
ftrafe  gefegt. 

)U?it  ber  politifchen  (Srjftenj  ber  Qrlänber  foüte  auch  ü)rc  ^Cs 
ligion  üemichtet  merben.  3U  biefem  (Sttbe  erliefen  bie  ©ioilforn* 
miffäre,  bie  baS  Parlament  mit  ber  Drbnung  ber  irifct)en  Angele- 
genheiten betraut  hatte,  ein  allgemeines  Verbot  ber  Ausübung  beS 
fatholifchen  ©otteSbienfteS  unb  miefen  in  einer  ^ßroflamation  äße 
!attjoüfct>en  ^riefter  an,  bei  ©träfe  beS  ^pochoerrathS  innerhalb 
§roan$ig  Xagen  Qrlanb  $u  oerlaffen,  unter  Androhung  ber  XobeS* 
ftrafe  für  ^tbtn,  ber  einen  berfelben  bei  fid)  aufnehme.  Auch  mür- 
ben bie  DrtSbehörben  ermächtigt,  ben  Matljolifen  ihre  ®tnbcr  roeg- 
junehmen,  um  biefelben  jur  drjiehung  nach  ©nglanb  ju  fanden, 
unb  öon  allen  ^ßerfonen,  bie  baS  einunbjmanjigfte  3ahr  erreicht 
hatten,  ben  AbfcrjmörungSeib  ju  f orbern,  beffen  Vermeigerung  mit 
$erferhaft  unb  theilmetfer  VermögenSconfiScation  beftraft  mürbe. 

3ur  Durchführung  aller  biejer  SDca&regeln  mürbe  baS  ®negS* 
heer  in  Meinen  Abteilungen  über  bie  Sßroüinjen  oertheilt ,  unb 
^eligionShajs  unb  (^eminnfucht  fct)ärften  baS  Auge  ber  Auf  paffer, 
bereu  9tacr)fpürungen  burch  ben  Umftanb  erleichtert  mürben,  bajj 
9ttemanb  ohue  befonbern  (SrlaubntBfchein  ber  JÖe^örbe  reifen  burfte. 
ftidjtsbeftomeniger  blieben  zahlreiche  ^riefter  im  ßanbe  jurücf. 

9* 


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132     (gnglanb  in  ber  aweiten  §älfte  beS  fiebje^nten  3af>rf)unbert3. 

^8tc£c  berfelben  büßten  bafür  am  ©algen,  roäljrenb  eS  Slnbern  ge= 
lang  ,  ftd)  in  33ergf)öf)len  ober  einfomen ,  in  moraftigen  ©egenbcn 
gelegenen  Kütten  $u  oerbergen,  oonmo  auS  fie  jur  9tadjtjeit  bie 
ärmlichen  2Bof)nungen  ifjrer  gebrücften  ©laubenSgen  offen  auffudjten, 
um  biefen  ben  $roft  ber  Religion  ju  fpenben. 

Sßäfjrenb  burd)  bie  ©raufamfeit  beS  englifdjen  Parlaments  bie 
politijaje  ©fiftenj  ber  Qrlänber  unb  iljre  religiöfen  greifjeiten  oer* 
nietet  unb  bie  ©Rotten  burd)  bie  Ausbeutung  ifjrer  ^ilflofigfeit 
jur  Anerfennung  ber  Union  mit  (Snglanb  gelungen  mürben,  fdjritt 
SrommeU  in  biefcm  lefetereu  fianbe  fclbft  mit  eiferner  ®onfequen$ 
auf  ber  53afm  weiter  fort,  bie  Um  $um  afleinigen  Jperrjdjer  über 
baSjelbe  führen  foHte.  ÜRadjbem  burd)  bie  frrengften  Ettafcregetn 
jebe  Dppofition  gegen  bie  beftefyenbe  Regierung  unterbrütft  roorben, 
benufcte  er  ein  Semmrfnifj  attrifdjen  bem  Speere  unb  bcm  Parla= 
mente,  um  fid)  beS  lederen  unb  beS  aus  bemfelben  hervorgegangenen 
Staatsrate  mit  $ttfe  beS  erfteren  ju  entlebigen.  Am  20.  flprü 
1653  erfcfuen  er  in  bem  „ Rumpfparlament überhäufte  bie  SKit* 
glieber  beSfelben  mit  Vorwürfen  unb  Sdjmäbungen  unb  forbertc 
fie  auf,  auSeinanber  ju  gef)en,  um  befferen  beuten  piafc  ju  machen. 
„Ter  £>err  t)at  fid)  oon  eud&  losgelegt",  rief  er  auS;  „er  f>at 
anbere  ©erzeuge  crforen,  fein  SBerf  ju  betreiben. *  SllS  it)m  oon 
oerid)tebenen  Seiten  mibcrfproa^en  mürbe,  traten  auf  feinen  SBinf 
amanaig  SÖhiSfetiere  in  ben  Saal  unb  fprengten  bie  SBerfammlung 
auSeinanber.  hierauf  begab  fidj  (SrommeH  in  ben  Staatsrat!)  unb 
crflärte  beffcn  iöefugniffe  in  ^olge  ber  Aufhebung  beS  Parlamente 
für  crlofcr)en.  £er  Präfibent  Sörabftam  fjielt  i^m  $mar  bie  (Jr- 
flärung  entgegen ,  ba§  bie  Sluflöfung  beS  Parlamente  null  unb 
nidjrig  fei,  ba  beffcn  9#irgüeber  allein  baS  9kd)t  gärten,  biefelbe  ju 
Der  fügen;  feine  Söortc  blieben  jeboa)  mirf  ungSloS ,  unb  bie  fflätye 
mürben  auSeinanber  getrieben. 

Grommell  mar  je&t  in  ber  Zfyai  s21üeinl)errfd}er ;  er  fuelt  es 
jeboct)  jur  bauernben  söegrünbung  feiner  Eftadjt  für  ratljfam ,  bie 
gormen  ber  ^erfaffung  fo  meit  ju  fronen ,  als  eS  mit  feinen 
^werfen  oereinbar  mar.  3)afjcr  füllte  ber  Staatsrat!},  ben  er  au» 
oier  9ied)tegelef)rten  unb  ad)t  Offizieren  unter  feinem  eigenen  $or* 
fi&  gebilbet,  ein  neues  Parlament  jufammen  berufen.  3>amit  baS= 
felbe  aus  lauter  „^egeifterten"  unb  „^eiligen"  befte^e,  bie  er  oer= 
mo^e  beS  ifjm  in  biejen  Greifen  ju  ©ebote  fte^enben  dinfluffeS  gan$ 
nadj  feinem  Söillen  leiten  ju  fonnen  fmffte ,  lieg  er  an  fämmtttdje 
öeiftlidjen  ber  preSbnteriauijdjen  ftird)C,  fomie  an  bie  ÖJcmeinben  bcr 
^nbepenbenten  unb  iicoellerS  bie  Wufforberung  ergeben,  öiften  ifjrer 
„gottcsfürdjhgftcn,  gläubigften  unb  entlMltfarnftcn"  ©lieber  unb  5In= 
gehörigen  auf jnfteücn ,  unb  aus  biejen  mahlte  ber  Staatsrat^,  un^ 
befümmert  um  bie  (Üeied)t*:2me  beS  Golfes ,  tyunbertfünfaig  ^bge- 


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$ie  erften  äeiten  ber  englifcben  SRepublif. 


133 


orbncte ,  beuen  in  itjren  (Sinberufungäfcf)reiben  mitgeteilt  würbe, 
nxldje  ©raffdjaft  ober  melden  Drt  ein  3eber  ju  öertreten  fjabe. 
gür  3r(anb  würben  nur  fec^d  unb  für  Sdjottlanb  nur  öier  3Hit- 
g  lieb  er  ernannt. 

Slm  4.  Quli  1653  eröffnete  (£rommett  biefe*  neue  Parlament 
in  beut  9tatf)äjimmer  ju  SStyitefjafl  mit  einer  ausführlichen ,  fal= 
bungäooUen  SRebe,  in  melier  er  ber  Skrfammlung  bie  &anb  ®otteä 
in  ben  jüngften  ©reigniffen  ju  jeigen  fudjte  unb  fie  aufforberte, 
ber  ^o^en  Aufgabe  getreu,  ju  weiter  fic  „burd)  bie  2Baf)l  beä  £>errn" 
berufen  worben ,  „baä  ®erid)t  ber  ©nabe  unb  2öat>rr)eit  gewiffem 
h<rft  ju  üben  unb  mit  ben  ^eiligen  im  ©lauben  ju  üer|arren." 
„SSir  ftnb  berufen,"  fo  fdjlofe  er,  „ju  bem  ftrieg  beä  Sammeä  mit 
feinen  geinben;  wir  ftnb  angelangt  an  ber  Schwelle  beä  ©ingangS 
bei  bem  äufjerften  ©aume  ber  Prophezeiungen  unb  SBerheijjungen ; 
®ott  fyat  fid)  erhoben,  fein  Sßolf  auä  ben  Xiefen  ju  retten  unb 
3uba  heimzuführen  in  feine  Sifce.  ®ott  erfdjüttert  bie  S3erge,  unb 
fie  taumeln,  ©ort  bat  auch  einen  liol]cn  |>ügel;  fein  $ügel  ift  wie 
ber  £ügel  oon  SBafan,  unb  ber  Söagen  Qehoüah'S  ftnb  jwanjig* 
taufenb  (Shtgel,  unb  ®ott  wirb  Wonnen  auf  biefem  £>ügel  immerbar.'' 
.pierauf  lieg  er  eine  Don  tfjiu  felbft  unterzeichnete  unb  beftegelte 
3ct)rift  tieriefen ,  woburd)  er  ber  SBerfammlung  bie  oberfte  ÖJewalt 
auf  fünfzehn  äRonate  mit  ber  SBeifung  übertrug,  nach  Ablauf  biefer 
3eit  bie  2Jätglieber  ber  neuen  SBerfammlung  felbft  ju  wählen. 

SDen  folgenben  $ag  wibmeten  bie  neuen  Vertreter  ber  Nation 
auäfchliefjlich  anbächtigen  Uebungen,  ju  welchen  fie  fid)  frül)  ÜDcorgenä 
um  acht  llt)r  in  bem  ©ifcungäfaale  öerfammelten.  Um  „ben  £>errn 
ju  fu^en",  würbe  bid  Mbenbä  fec^d  Uhr  ununterbrochen  gebetet 
unb  geprebigt.  Ta*  gleiche  Gepräge  pietiftifdjer  M onüontif cl  tru- 
gen aüe  folgenben  ©ijjungen ,  bie  mit  enblofen  Anrufungen  3er)o= 
t»ah'3  eröffnet  unb  gefdjloffen  würben.  Sftan  t)örte  ÜRichtö  als  An* 
fpielungen  auf  baä  alte  Xeftament  unb  ©prücfje  au$  bemfelben; 
alle  polirifa^en  SBerljältniffe  würben  au«  bem  biblifdjen  ©efid)t3* 
punfte  betrautet1). 

3nbeffen  zeigte  ba3  neue  Parlament,  ba3  nach  bem  £eberl)änb= 


1)  ©efonberS  djarafteriftifd)  für  ben  3eitgetft  ift  bie  unter  ben  „^eiligen" 
berrfdjenb  geworbene  Sitte,  nicht  nur  ihre  gewöhnlichen  Xaufnamen  gegen  a\U 
teftamentltdje .  wie  $efefiel,  £>abafuf,  $ofua  u.  ju  oertaujefcen ,  fonbern 
fogar  als  „SSiebergeborne  in  bem  §errn"  ganze  SBibelfprüche  al«  S3ornamen 
anzunehmen.  So  nannte  fid)  einer  Xöbte  bie  @ünbe  pimple,  ein  ?ln= 
berer  ©et  treu  im  (Stauben  %o\ntx,  ein  dritter  kämpfe  ben  guten 
#ampf  SBftte  u.  f.  w.  3)er  ©ruber  beS  Varianten  t$mitgliebc8  greife« 
©ott  Jöarebone  füqrte  beu  Tanten:  Söäre  S^riftu«  nidjt  für  und  ge* 
ftorben,  fo  loftren  roir  ewig  oerbammt  (daran'd).  Siele,  benen  ber 
^ame  ju  lang  war,  nannten  tfm  einfach  Daran'd  Barebone  —  »erbammter 
joareoone. 


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134     (Snglanb  in  bcr  jrocitcn  £älfte  beS  fkbse^nten  3ctf)rhunbert«. 

Icr  ^rctfc^Dtt  ©arebone,  einem  ber  etfrigften  ©eter  unb  ©predjerr 
audj  baS  ©  a  r  e  b  o  n  a  r  1  a  m  e  n  t  genannt  ttmrbe ,  tro$  bcr 
geiftigen  93efd)ränftf)ett  ber  meiften  feiner  TOtglieber  met)r  prafttfdjen 
©inn  unb  größere  ©elbftftänbigfett ,  als  ßrommell  ermartet  hatte, 
unb  ba  er  nidjt  genullt  mar ,  fid)  burd)  baSfelbe  irgenb  meiere 
2TCa4tbefdn:anfung  auferlegen  ju  laffen,  befd)lo&  er,  ftdj  feiner  eben= 
falls  ju  entlebigen.  Radjbem  er  mit  feinen  oerttauten  Anhängern, 
bie  gleidjfaüS  in  bic  SBerfammlung  gemäht  morben ,  bie  nötfuge 
Rütffpradje  genommen,  begaben  fid)  biefe  am  12.  $ej.  1653  ju 
früher  ©tunbe  in  bie  ©tfcung  unb  brauten  einen  53efdjlu§  in  5ßor= 
fdjlag,  traft  beffen  baS  Parlament,  „baS  fo  Diele  üerfefjrten  2Ra&= 
regeln  ergriffen,"  fxd)  auflöfen  unb  bie  §errfdmft  in  bie  §änbe 
desjenigen  jurürfgeben  foöte,  oon  meinem  eS  biefelbe  empfangen 
f)abe.  $)a  fid)  SBiberfprud)  erhob,  öerliegen  bie  ^nbepenbenten  mit 
bem  Sprecher  ben  Saal,  morauf  ber  Oberft  2ör)itc  mit  einer  ®om= 
pagnie  ©olbaten  erfdjien  unb  bie  3urücfgebliebenen  ou$  ^em  <paujc 
trieb.  2113  biefelben  auf  bie  Srage  SBhite'S ,  maS  fie  Iner  nod) 
madjten,  jur  9lnnoort  gaben:  „SBir  fud)en  ben  £errn,"  foll  ihnen 
ber  Dberft  höhnifö  angerufen  haben:  „Xann  mü&t  ihr  anberSmo 
hingehen;  benn  id>  tnei§  genrifc,  baß  er  fdjon  feit  mehreren  Qa^ren 
ntdjt  mehr  ^ier  getuefen." 

93ier  Xage  nad)  ber  Sluflöfung  beS  SBarebone- Parlaments  er 
fdu'cn  ber  ©eneral  Sambert ,  einer  ber  eifrigften  Anhänger  (£rom 
roellS,  mit  ben  Uätgliebern  beS  ßvriegSratt)S  t>or  bem  Sorb-ÖJeneral, 
um  bemfclben  ben  Üntnmrf  einer  neuen,  oon  ilmen  ausgearbeiteten 
SBerfaffung  oorjulegen,  nach  meldjer  er  mit  bem  Xitel  „proteftor 
ber  Rcpublif"  bie  öolle  SBürbe  unb  ©emalt  eines  Königs  erhalten 
foütc.  ©rommell  erheuchelte  Ueberrafchung  unb  erflärte,  eine  fo 
fernere  Saft  nicht  übernehmen  ju  fönnen;  er  lieg  ftdj  jeboch  burd) 
bie  *8orftcllungen  unb  bitten  Lamberts  unb  ber  Offiziere  un)d}tt)er 
bemegen,  feinen  SSiberftanb  aufzugeben. 

Rod)  an  bemfelbcn  Xage  —  16.  Tej.  1653  —  fuhr  (£rom 
med,  5tuifcf)en  ad)t  in  <ßarabe  aufgcfteClten  Regimentern  hinburch,  in 
feierlichem  Slufjuge  oon  2B^itet)aH  nach  Söeftminfter.  $or  ihm  ^er 
gingen  ber  2orbs2flajor  unb  bie  Sllbermänner  oon  Sonbon,  hinter 
U)m  bcr  ©taatSrath  unb  ber  Rat!)  ber  Offiziere.  211S  (Srommell, 
ber  in  fchroarjen  ©ammt  gefleibet  mar,  in  bem  ©aale  beS  ®anjlei- 
geridjtS  auf  einem  Prunffeffel  piafc  genommen,  trat  Lambert  bor 
unb  bat,  nad)bem  er  ben  Slnroefenben  auSeinanbergefef t ,  mie  bie 
bebenflid&en  geiturnftönbe  eine  ftarfe  unb  fefte  Regierung  erf)eifa> 
ten,  ben  ßorb-®eneral  im  Ramen  ber  STrmee  unb  ber  brei  Ratio* 
nen,  bie  SBürbe  eines  proteftorS  oon  (Snglanb,  ©a^ottlanb  unb 
Qrlanb  anzunehmen.  Rad)  einigem  ©träuben,  in  meinem  bie  U)m 
jur  ©emoljncjeit  geworbene  ©erftellung  nic^t  511  öerfennen  mar,  gab 


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Tie  erften  3eitcn  ber  englifcljen  föepubltt  135 

Sromroeß  feine  3uftimmung,  hjorouf  einer  ber  ©efretäre  be$  ©taata- 
ratfä  bie  neue  SSerfaffung  oerlaS.  Tie  |>auptbeftimmungen  berfet-- 
ben  roaren  bie  folgenben:  Tie  gefefcgebenbe  (bemalt  ift  bei  bem 
2orb*Proreftor  unb  bem  Parlamente,  baä  alle  brei  Qaljren  berufen 
werben  mu§  unb  öor  Ablauf  beä  fünften  Süconatö  feiner  ©ifcung3= 
jeit  nicht  aufgelöft  roerben  barf.  Qu  bemfelben  roerben  für  (Sng= 
ianb  oierhunbert  unb  für  ©djottlanb  unb  Qrlanb  je  brei&ig  Witt- 
glieber  gewägt.  2Ber  ein  Vermögen  öon  jroeihunbert  Pfunb  hz 
if*  hnx  if)etfnaf)me  an  ben  SBa^len  berechtigt;  gewählt  roerben 
(ann  3eber ,  ber  über  breiunbjroanjig  Qa^re  $ählt  unb  unbefchol- 
ten,  gotteSfürchrig  unb  reinen  SBanbelS  ift.  Tie  auäübenbe  ®eroalt 
ift  bei  bem  Öorb^roteftor,  ber  befugt  ift,  unter  3urat^ejiet)ung  beS 
StaatärathS  mit  fremben  dächten  $u  unterl)anbetn  unb  mit  beffen 
3uftimmung  ®rieg  ju  erflären  unb  ^rieben  $u  fchlie&en.  Ter 
2orb^roteftor  fjat  bie  Verfügung  über  bie  Sanb-  unb  ©eemacht 
unb  befefct  bie  ©taatäämter.  Dirne  «Bufttmmung  beä  Parlaments 
tonnen  roeber  (Uefefoe  gegeben,  noch  Abgaben  erhoben  roerben.  Tie 
Sioiflifte  be3  Proteftorä  ift  auf  jroanjigtaufenb  Pfunb  feftgefe&t. 
3ur  2(ufrechthaltung  ber  Drbnung  unb  $um  ©chufce  ber  S3erfaffung 
wirb  ein  ftehenbeä  |>eer  öon  jroanjigtaufenb  gu&folbaten  unb  jelju- 
taujenb  Weitem  unterhatten;  bie  ©tärfe  ber  Slotte  bleibt  bem 
Snneffen  be3  Proteftorä  anheimgefteflt.  2lße,  meiere  burch  Qefum 
^riftum  an  ©ort  glauben,  foüen  in  it)ren  9teIigion3übungen 
gefaxt  roerben ,  aufgenommen  bie  „Papiften"  unb  diejenigen, 
bie  unter  bem  Tecfmantel  ber  Religion  ein  jügellofeä  Seben  pre= 
bigen.  3um  erften  Sorb^roteftor  roirb  ber  Sorb^eneral  (Srom* 
roeü  auf  Seben^eit  ernannt ;  feinen  Nachfolger  ernennt  ber  ©taat3= 
rata. 

9cachbem  bie  SSerfaffungäurfunbe  oerlefen  roar,  erhob  (£rom* 
roeü  feine  rechte  £anb  unb  fdjrour,  bie  klugen  mit  feierlichem  2lu3* 
bruef  gegen  |>immel  gerichtet,  bie  neue  SBerfaffung  geroiffenhaft  ju 
Wten  unb  für  beren  Befolgung  ©orge  ju  tragen.  Tann  über* 
reichte  ihm  Lambert  fnieenb  ein  üBürgerfchroert ,  roorauf  GEromroefl 
ieinen  Tegen  ablegte,  jum  Blichen,  bafj  er  fortan  nicht  burch  üttiü; 
targeroalt,  fonbern  ben  ©efefcen  gemäß  regieren  roolle.  2ln  bem- 
l'ctben  Tage  rourbe  bie  Einführung  ber  neuen  föegierungaform  unter 
Beobachtung  aller  bei  ber  Thronbefteigung  eine£  Monarchen  üblichen 
Zeremonien  burch  Proklamation  öffentlich  oerfünbet. 


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136     gnglanb  in  ber  jroeiten  $ftlfte  bc3  ficb^ntcn  3ahrl)imbertS. 

i 

dttßlanb  unter  bera  ^roteftorote  GrommeBS. 

(1653-1658.) 

Obgleich  (£romroelI$  ©r^cbung  nur  baä  28erf  feiner  SBaffeit* 
brüber  mar  unb  bie  neue  SBerfaffung  beu  (Snglänbern  faum  mehr 
Stechte  unb  gretljeiten  gemährte,  als  fic  unter  $arl  I.  befeffen,  ließ 
fidj  bie  Nation,  ber  häufigen  Umroäl  jungen  unb  ber  brüefenben 
93?itttart)crrfc^aft  mübe,  gern  einen  SBechfel  gefallen,  ber  bie  9tücf* 
fef)r  ruhigerer  Stittn  in  3lu3fui)t  fteöte.  $er  ^roteftor  felbft  mar 
entfdjloffen,  bie  ifjm  übertragene  ©eroalt  mit  ber  ganzen  $raft  feU 
ne3  $errfchergciftc3  nach  Qunen  roie  nach  s2lußen  aufregt  ju  ^aU 
ten.  $abei  fuchte  er  feine  Gegner  nach  wie  öor  buraj  ben  Schein 
ber  $emuth  unb  Uneigennüfcigfeit  ju  täufdjen,  inbem  er  bei  jeber 
Gelegenheit  besicherte,  ba§  er  bei  ber  2lnnahme  be£  $roteftoratö 
nur  bem  SBiCten  ber  SBorfehung  unb  bem  Gebote  ber  Pflicht  ge^ 
horcht  unb  baä  eigene  Glücf  bafun  gegeben,  um  fein  SBaterlanb  oor 
Anarchie  unb  Untergang  ju  beroafjren,  unb  ba§  er  mit'greuben 
bie  fernere  SBürbe  nieberlegen  roerbe,  fobalb  e&  mit  Sicherheit  für 
bie  Nation  gefc^e^en  fönne.  Seine  Betreuerungen  fanben  jeboct) 
nur  noch  bei  feinen  üerblenbetften  Anhängern  ©tauben.  SBiele  fei 
ner  früheren  $ameraben  nannten  ihn  offen  „einen  lifrigen,  mein= 
eibigen  $öferoicht"  unb  brohten  ihm  mit  einem  noch  flimmeren 
SluSgang,  „als  ber  beä  legten  Xorannen  geroejen."  (Sromroell 
magte  nicht,  gegen  btefelben  mit  äu&erfter  Strenge  oorjugehen.  (Sr 
begnügte  ftch  bamit,  einige  üon  ihnen  au*  ihren  Stetten  $u  entfer* 
neu ;  nur  biejenigen,  bie  ihm  befonberä  gefährlich  fdjienen,  mürben 
in  ben  Xorocr  jur  £>aft  gebracht.  Unter  biefen  befanb  ftcfj  ber 
Dberft  ^arrifon,  früher  fein  eifrigfter  Anhänger,  jefet  als  ftarrer 
SRepublifaner  fein  unocriöhnltchfter  geinb.  mt  ben  SRoualiften,  bie 
er  nicht  in  bem  gleichen  Grabe  fürchtete,  machte  SrommeÜ  weniger 
Umftänbe ;  mehrere  berfelben,  bie  befdjulbigt  roorben,  eine  $Berfchmö= 
rung  ju  feiner  (Jrmorbung  unb  jur  Erhebung  #arlä  II.  angebettelt 
ju  haben,  mürben  hingerichtet. 

Obgleich  ber  Staatärath  nidjt  oerfehlt  hatte,  burch  offene  Sin* 
griffe  in  bie  ^Baufreiheit  bie  28af)len  ju  bem  neuen  Parlament 
möglichft  su  Gunften  trommelte  ju  lenfen,  jeigte  baäfelbe,  nachbem 
eS  am  3.  September  1654  üon  bem  ^roteftor  mit  foniglichem  Ge= 
prange  eröffnet  morben,  eine  für  benfclben  nicht*  meniger  al*  be= 
ruhigenbe  Spaltung.  Glicht  nur  bie  Sluflöfung  beä  langen  <ßarla; 
mcntS  mürbe  al3  eine  gefe^mibrige  bezeichnet,  fonbern  auch  bie 
Gilrigfeit  bcr  neuen  SJerfaffung  in  3n>eifel  gejogen  unb  mit  ber= 
felbeu  trommelte  gan^e  Stellung  angegriffen.  Um  bie  Opponent 
ten  5ur  9iul)e  ju  jmingen,  erflärte  (Srommell  in  bcr  Sifcuug  oom 


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(Snglanb  unter  bem  ^roteftorate  (Sromwcfl«.       '  137 

12.  September,  bie  Serfammlung  fei  nidjt  befugt,  feine  SSürbe,  bie 
ü)m  üon  ©ott  unb  bem  Softe  ofjne  fein  Q\itf)\m  öerlieljen  roorben, 
irgenb  meiner  ätitif  ju  unterbieten,  unb  ftelje  felbft  rect)tIod  ba, 
wenn  fte  fid)  metgere,  bie  StaatSgemalt  an^uerfennen ,  buref)  roeIcf>c 
ße  berufen  toorben.  @r  Ijabe  eine  bie  9Inerfennung  feiner  Stellung 
unb  ber  neuen  Serfaffung  entfjaltenbe  ©rflärung  abfaffen  laffen, 
bie  öon  ben  9Jcitgliebern  ber  Serfammlung  ju  unterjeidmen  fei. 
SBer  biefe  ©rflärung  ntc^t  unter$eicfme,  fdjließe  fid)  felbft  oon  bem 
Parlamente  au$.  3n  ber  Xfmt  mürben  über  ljunbert  attitglieber, 
bie  ifyre  Unterfdjrift  öerioeigerten ,  am  folgenben  Xage  öon  ben 
Sadjen  nidjt  in  ben  Sifcung3faal  eingeladen.  $a  trofc  biefer  ®e= 
toaltmaßregel  bad  berftümmelte  Parlament  fortfuhr,  über  2lbänbe= 
mngen  ber  Serfaffung  ju  berauben  unb  bie  Serorbnungen  be3 
Proteftorä  einer  Unter fudjung  ju  unterbieten ,  löfte  CErommefl  aud) 
biefe*  Parlament,  nadjbem  bie  gefefclid)  oorgefd>rtebene  Srift  oon 
fünf  SWonaten  —  afferbingö  nur  9ftonbmonate  ju  adjtunb$manjig 
lagen  —  oerftridjen  mar,  am  22.  Qanuar  1654  mieber  auf. 

tiefer  Sdjritt  fonnte  nur  baju  beitragen ,  ben  allgemeinen 
Unmiflen  gegen  ben  ^roteftor  ju  fteigern.  Sucf)  mirften  anbere 
llrfadjen  baju  mit,  bie  3afjl  feiner  Änfjänger  ju  verringern.  $>ie 
georbnete  £off)altung ,  mit  melier  fidj  (EromroeH ,  feiner  fjofjen 
Stellung  entfpredjenb ,  umgeben ,  fyatte  üjn  mefjr  unb  meljr  ber  re= 
ligiöfen  ©emeinfdjaft  mit  ben  „^eiligen"  entrüeft ,  mit  benen  er 
nidjt  mefjr  fo  eifrig  rote  fonft  „ben  $errn  fachte."  Wud)  gegen 
bie  Offiziere,  in  bereu  (Sefellfdjaft  er  früher  bei  fröfjlidjen  Sftafjlen 
an  ben  auSgelaffenften  Solbatenftreicfjen  Xr)cü  genommen ,  toie  fid) 
überhaupt  in  feinem  (£l)arafter  mit  bem  religiöfen  (Sntfmfiaamua 
ein  entfdjtebener  £>ang  ju  berber  Spaßmadjerei  oerbanb,  benrieä  er 
eine  größere  Surüdfmltung ,  bie  i^m  bie  £>erjen  Sieler  unter  ifynen 
entfrembete.  Um  ba3  Sotf  gegen  iljn  aufjutoiegeln ,  oerbreiteten 
feine  (SJegner  Stugf^riften  aller  3lrt,  in  benen  feine  £>eudjelei  unb 
fein  ©ibbruef)  bloßgelegt  toaren,  unb  balb  roedjfelten  republifanifcfje 
unb  roualiftifdje  Sßerfdjtoörungen  mit  einanber  ab ,  bie  jebod)  alle 
burdj  Sromtoetla  fc^laue  unb  roobjbefolbete  Spione  leicht  entbeeft 
unb  in  Strömen  53lute$  gebämpft  mürben. 

$lod)  größer  mürbe  bie  Unjufricbenljeii ,  alä  ber  ^ßroteftor  im 
$pril  1656  $ur  letzteren  Unterbrürfung  ber  immer  saf)lreidjer 
toerbenben  Slufftänbe,  fomie  jur  rareren  Beitreibung  ber  auf  eine 
bis  balnn  unerhörte  Jpörjc  geftiegenen  Steuern  ba3  ganje  föeid)  in 
fünf  2KUitärgout>ernement3  einteilte  unb  ben  Sorfte^ern  berfelben, 
bie  ben  9iang  oon  Generalmajoren  erhielten,  bie  ©efugniß  einräumte, 
nidjt  nur  Gruppen  in  iljren  SBejirfen  auöju^eben,  nad)  SMfür 
Verhaftungen  üorjunefjmen  unb  Güter  einjujie^en,  fonbern  aud)  bie 
«uffia)t  über  fttnften  unb  Spulen  ju  führen.   ^a&  militärifc^er 


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138    (Sngtanb  in  bct  jmetten  $«lfte  be«  fiebjefaten  3a$rf>unbertS. 

Despotismus  baS  <£nbe  fo  langer  unb  blutiger  kämpfe  fein  follte, 
erfüllte  Seben  mit  Erbitterung. 

(£in  IjöfjereS  Wnfel)en,  als  in  ben  brei  üon  üjm  beljerrfdjten 
föeidjen,  genoß  Gxomtoell  im  WuStanbe.  Seine  Erhebung  fyatte  bei 
feinem  befonnten  (5b,rgeij  bie  fremben  Wächte  nic^t  überrafdit,  unb 
feine  berfetben  öertoeigerte  ifjm  bie  Slnerfennung ;  bie  meiften  be- 
eilten ftdj  fogar,  tfjeilS  um  feine  greunbfdjaft  ju  gemimten,  tljeilS 
um  feiner  geinbfdmft  oorjubeugen ,  tym  iftre  ÖKüdnwnfdje  borju- 
bringen,  unb  jaljlreic&e  Votfdmfter  unb  ®efanbte  brangten  ftet)  an 
feinen  £of.  (£rommett  empfing  fie  ju  SBfn'tefafl,  mo  er  mit  feiner 
gamilie  bie  früheren  föntglidjen  ©emädjer  belogen ,  in  bem  großen 
«anfetfaal,  auf  einem  *ßrad)tftuf)te  fifeenb ,  mit  bem  *ßrunfe  eine* 
fouüerönen  £errfd)erS. 

Der  glütflid&e  Ausgang  beS  SeefriegeS  mit  #oflanb  bemog  ben 
<ßroteftor  gu  neuen  friegerifdjen  Unternehmungen,  buraj  meldte  er 
bie  Slufmerffamfeit  feiner  Untertanen  oon  ben  inneren  Singelegen-- 
Reiten  afyulenfen  hoffte.  Da  ein  ®rieg  gegen  Spanien  bei  beffen 
in  rafdjem  Sinfen  begriffener  üttadjt  einen  leisten  Sieg  unb  eine 
reiche  Veute  in  SluSftdjt  ftettte,  befcf)(o&  er,  feine  SSaffen  junaefpt 
gegen  biefen  Staat  ju  ridjten.  Um  einen  Sorroanb  jum  SriebenS* 
brua)  ju  finben,  ftettte  er  an  baS  ftabinet  oon  Sttabrib  gorberungen, 
bie  baSfelbe  nidjt  bewilligen  fonntc ,  unb  ließ  auf  beffen  ablefmenbe 
Antwort  jtoei  Stötten  unter  Segel  gelten ,  oon  benen  bie  eine 
unter  bem  berühmten  Seefjelben  33 1  a  f  e  nadj  bem  9Jftttelmeere, 
bie  anbere  unter  bem  Slbmiral  ?5  e  n  n  nadj  3Beftinbien  ging.  Da 
ber  ftrieg  gegen  Spanien  nod)  nid)t  erftärt  mar ,  griff  ©lafe ,  ber 
ben  geheimen  Auftrag  fjatte,  bie  mit  ben  Sdjäfcen  JfnbienS  betabenc 
fpanifdje  Silber  flotte  fyimoeg  ju  nehmen,  juerft  bie  brei  9taubftaa= 
ten  Algier,  DuniS  unb  DripoliS  an  unb  jroang  beren  $8ef)errfd)cr 
$ur  fjveigebung  aller  in  ber  Sflaoerei  jurüdgefmltenen  (Snglänber, 
foroie  ju  ber  Sufagc,  fünftig  feine  englifdjen  Schiffe  meljr  $u  bt- 
rauben.  Da  in$toifdjen  bie  Silberflotte  glüeflid)  in  ben  #afen  oon 
(£artyagena  eingelaufen  mar,  fefyrte  er  oofl  TOßmutl)  nad)  (Snglanb 
jurüdf. 

gnjmifa^en  l)atte  $enn ,  nad)  einem  bergeblidjen  Angriff  auf 
San  Domingo,  im  Üftat  1655  Qamaica  erobert,  unb  im  9Ipril  1657 
gelang  eS  Vlafe ,  in  bem  £afcn  Oon  Santa  (£ruj  auf  ber  Qnfel 
Deneriffa  bie  fpanifdje  Silberflotte  Ijimoeg  ju  nehmen,  bie  jebod) 
bei  ber  Verbrennung  ber  biefelbe  eSfortirenben  Sdjiffe  ju  Qkunbe 
ging.  Sluf  ber  9türffe(jr  oon  biefem  Quge  ftarb  er ,  als  eben  fein 
Schiff  in  ben  £afen  öon  ^ßltymoutfj  einlief. 

3ur  nadjfjaltigeren  Vefämpfung  Spaniens  fjatte  fid)  ©romroeü 
bereits  im  Qaljre  1655  mit  granfreid)  üerbünbet,  baS  ifym  als 
*ßreis  feiner  längft  erftrebten  ©unbeSgenoffenfrfjaft  bie  Verbannung 


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(gngianb  unter  bettt  «ßroteftorate  ©rommellS.  139 


ber  Stuarts  oon  bem  fran^öftferjen  ©oben  jugefagt.  $aS  englifc^c 
ftilfsheer  öon  fedjStaufenb  2Rann ,  raeldjeS  bic  granjofen  in  ben 
SRieberlanben  unterftüfcen  follte ,  würbe  bem  Oberbefehle  Xurenne'S 
unterftellt  unb  nafym  an  ber  (Eroberung  oon  $  ü  n  f i  r  d)  e  n 
(14.  3uli  1658)  Xf>etl,  meiere«  ben  <£nglänbern  übcrlaffen  blieb. 

Xrofc  beS  erböten  2lnfef)enS,  baS  ßromraells  friegerifdje  Unter; 
nefymungen  unb  inSbefonbere  ber  buref)  ifjn  berotrfte  bebeutenbe 
Äutfdjroung  ber  englifdjen  Seemadjt  bem  englifdjen  tarnen  oer= 
fdjafft  Ratten,  bauerte  bie  Unjufriebenljeit  in  ©nglanb  fort.  911S  ber 
proteftor,  tfjeilS  wegen  ©elbnotf),  tbeilS.um  ben  93eftimmungen  ber 
SBerfaffung  ju  genügen,  auf  ben  17.  September  1656  ein  neues 
Parlament  berief,  fielen  faft  an  allen  Orten  bie  oon  if)tn  aufgefteö^ 
ten  föanbibaten  burdj,  unb  wo  bie  2Baf)l  berfclben  burcfygefetjt  Wor> 
ben  ,  war  bieS  burd)  offene  ©ewalt  oon  Seiten  ber  Beamten  unb 
Generalmajore  gefa^e^en.  $5ennod)  mar  (SrommetI  entfd)loffen ,  fei- 
nen feiner  erflärten  (Gegner  §u  bem  Parlamente  jujulaffen;  er 
ftria)  batjer  olwe  SöettercS  bie  Flamen  aller  ber  jenigen  ©ewal)lten 
auS  ber  fiifte  aus,  für  weldje  fid>  in  angeblidj  nidjt  entfpredjenber 
religiöfer  ober  fittlidjer  ©efinnung  ein  ©runb  ber  9luSfd)lie6ung 
finben  liefe.  Obgleid)  er  auf  biefe  3Beife  ein  Parlament  jufammen 
gebracht ,  oon  meinem  er  9Hd)tS  befürdjtcn  $u  müffen  glaubte, 
jetgte  fief)  audj  in  btefer  SÖerfammlung  ber  alte  SBiberftanbSgeift, 
ber  befonberS  burd)  eine  heftige,  oon  ben  auSgefdjloffenen  $arla 
mentSmitgliebern  oeröffentlia^te  söefdjmerbefdjrift  geweeft  morben  mar. 

3)ie  nngünftige  Stimmung  ber  neuen  Stellüertreter  ber  Nation 
berührte  ben  $roteftor  um  fo  unangenehmer,  als  er  ftd)  bem  Siele 
nafje  geglaubt,  auf  weldjes  längft  fein  ganjeS  Streben  gerietet  ge^ 
raejen.  55er  proteftor-Xitel ,  fo  gro&  unb  furdjtbar  er  benfelben 
auef)  ju  machen  gemußt,  genügte  feinem  (Sfyrgeij  nidjt:  im  SBefifce 
einer  unumfdjränfteren  ©eraalt,  als  fie  je  oon  einem  ber  red)t- 
mäßigen  Jperrfa^er  (SnglanbS  ausgeübt  morben,  glaubte  er  eS  raagen 
ju  burfen ,  feine  £anb  nadj  ber  KönigSfrone  auSjuftrecfen ,  naa> 
bereu  Erlangung  er  burdj  bie  £>erfteHung  einer  erblia^cn  2Ho= 
narajie  feiner  gamilie  ben  gortbefifc  ber  .fterrfdjaft  fidjeru  ju  fönneu 
hoffte,  ftadjbem  er  fidj  mit  feinen  oertrauteften  greunben  über 
bie  Saaje  eingefjenb  beratfjen  unb  eine  oereitelte  $erfd)raörung 
gegen  fein  öeben,  bie  oon  ben  9tid)tern  für  Jpodjoerratf)  erflärt  wor= 
ben,  weil  ^roteftor  in  gefefclidjer  ©ejieljung  gleidjbebeutenb  fei 
mit  Äönig,  eine  unmittelbare  Steranlaffung  geboten,  bie  ^Sieben 
einfü^rung  beS  Königtums  im  Parlament  $ur  Spradje  $u  bringen, 
übernahm  eS  einer  feiner  eifrigften  Anhänger,  in  ber  SBerfammlung 
ben  SBunftfj  auSjufpredjen :  eS  möge  bem  proteftor  gefallen ,  bie 
föegierungSgemalt  gan§  nad)  ber  alten  SSerfaffung  $u  übernehmen, 
ba  bteS  bas  fic^erfte  Littel  fei,  aüen  Komplotten  ein  (Snbe  ju 


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140     gnglanb  in  ber  jmeitcn  $aifte  be«  fiebaeimtett  3af)rfmnbert«. 

machen  unb  bic  greiljeiten  be«  Sanbe«  auf  bcm  alten  fixeren 
®runbe  311  befestigen,  $a«  |>au«  to«  überrafdjt;  aber  mäljrenb 
bie  ©inen  bie  3krmegenf>ett  be«  SRebner«  tabelten ,  liegen  ftdj  Ru- 
bere äuftitnmenb  öernetmten,  unb  al«  in  ber  nädjften  ©ifcung  in 
aller  gorm  ber  Antrag  geftettt  mürbe ,  bem  Proteftor  bte  Stone 
anzubieten,  gelang  e«  ben  Sreunben  trommelte ,  für  benfelben  bie 
$Ref)rf)ett  ber  ©timmen  ju  gewinnen. 

(Srommefl  ftanb  am  %\tli  feine«  Streben«;  aber  er  gefiel  ftcf) 
barin,  ben  Söfiernben  ju  fptelen,  um  ftd)  ben  #nfd)ein  ju  geben, 
al«  erblitfe  er  in  ber  SBürbe,  meiere  ber  ®egenftanb  feiner  fjei&eften 
SBünfdje  mar,  mir  eine  fernere  ©ürbe.  211«  tym  ber  Sprecher  be« 
£aufe«  ben  in  ber  gorm  eine«  „gefjorfamen  ©cfudj«  unb  ®ut= 
achten«1'  abgefaßten  SBcfcftfuß  überreizte  unb  beffen  SJcotioe  in 
längerer  SRebe  au«einanber  fe&te,  erflärte  er :  fein  Gtemütlj  erfdjrccfe 
t)or  bem  ©ebanfen,  eine  fold&e  Saft  auf  fid)  ju  nehmen;  er  bebürfe 
3cit,  ben  §errn  unb  fein  innere«  ju  Statte  §n  jie^en.  $abei  er« 
mangelte  er  jebod)  nict)t ,  feine  Slnljänger  im  ©rillen  ju  ermuntern, 
auf  ifjrem  Verlangen  ju  beftefjen,  bamit  feine  (Sinmilligung  al«  eine 
i^m  abgerungene  gelten  !önne. 

3nbeffen  zeigte  ftet)  unter  ben  eifrigen  SRepublifanern  mie  un= 
ter  bem  £>eere  eine  fo  bebenflidje  ©timmung ,  bafi  CSrommell  §u 
feinem  (Sntfölufs  fommen  fonnte.  (Sine  Don  einer  ?(nja^I  fana= 
tifct)er  Qnbepenbenten  angebettelte  S8erfd)mörung ,  meiere  bie  lieber* 
tragung  ber  SRegierung«gcmalt  an  einen  „IRatfy  ber  ^eiligen"  be* 
^metfte,  fct)eiterte  zmar  an  ber  SBadjfamfett  ber  ©ptone  ßrommell«, 
unb  bie  an  berfelben  Beteiligten  mürben  in  ben  Xomcr  geftetft; 
aber  bie  Beforgniffe  be«  Proteftor«  waren  bamit  nidjt  befeitigt; 
beim  bte  angefeljenften  Offiziere ,  bte  drommell  ©ergeben«  in  Pri- 
oatfonferenjen  für  fein  ®ümgtfmm  ju  gemimten  gefugt ,  übergaben 
fcem  Parlamente  eine  Petition,  in  melcf/er  bie  bringenbe  Bitte  au«* 
gefprodjen  mar ,  bte  „gute  alte  ©ad)e" ,  ju  beren  Berttyeibigung 
fte  it)r  ßeben  Einzugeben  bereit  feien,  aufregt  ju  galten  unb  ju 
fdjüfcen. 

$>iefer  ©abritt  bemog  enbücf)  ben  Proteftor ,  feinen  lang  ge= 
nährten  füfynen  Hoffnungen  ju  entfagen.  Um  einer  Debatte  über 
bie  Petition  ber  Offiziere  oorjubeugen ,  lieg  er  am  8.  üftat  1657 
bie  2)cttglieber  be«  Parlament«  nad)  ^luteiiatl  fommen  unb  er* 
flärte  tfjnen,  bafj  er  bie  ifmt  angebotene  ®rone  nidjt  annehmen 
fönne,  „ba  bie  ©ad>e  nidjt  au«  bem  ©lauben  fomme  unb  baffer 
eine  ©ünbe  fei."  $)a«  Parlament  erteilte  tf)tn  hierauf  eine  feier* 
lidje  Betätigung  feine«  Proteftorat«  unb  erfannte  if)m  ba«  $Red)t 
Zu,  feinen  9cad)folger  felbft  ju  ernennen.  9cad)bem  hierauf  nod)  bte 
Siebereinfüljrung  einer  erften  Cammer,  für  meiere  man  jebod)  ftatt 
be«  Scamen«  Obernau«  bie  Bezeichnung  „anbere«  $>au«"  mahlte, 


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©nglcmb  unter  bem  ^rotcftoratc  (JromroetlS.  141 


oerfügt  tuorben,  mit  bcr  SBeftimmung,  ba&  baSfelbe  nicht  unter  üierjig 
unb  nict)t  über  fteb^ig  oon  bem  fSroteftor  ju  mählenben  unb  öon 
bem  £aufe  ber  Gemeinen  ju  beftätigenbe  SJcitglieber  jaulen  foHe, 
mürbe  baä  Parlament  auf  fecfjä  9ttonate  vertagt. 

©eitbem  Srommella  Hoffnung  auf  bie  $rone  gefchmunbcn  tuar, 
öerfolgte  er  eine  anbere  ^otittf.  S8on  ber  SBoltepartei  mit  tiefem 
©rolle  ficf)  abmenbenb,  fud)te  er  ben  Ebel  für  fich  ju  gewinnen. 
(Sr  öermählte  öon  feinen  beiben  noch  unoerheiratcjeten  Xöchtern  bic 
ältere  mit  £orb  Salconberg  unb  bie  jüngere  mit  bem  Grafen  SBarmicf, 
ernannte  au&er  feinen  beiben  Schmiegerföhnen  noch  acht  $eer*  üom 
alten  Slbel  $u  2)citgliebern  bed  Dberhauje*  unb  erteilte  ben  jmei= 
unbfunfoig  anbern  öon  i^m  ermatten  ÜÄitgliebern  beäfelben,  bic 
theilä  bem  $eere,  t^eild  bem  Öeamtenftanbe  angehörten,  bie  JBorrechte 
ber  ^eerfehaft  für  fich  unb  ihre  gamilkn.  81*  er  jeboe^  am  20.  3a= 
nuar  1658  bie  beiben  Käufer  jufammen  berief,  fanb  fid),  au&er 
galconberg,  öon  ben  alten  £orbä  nur  ein  einziger  ein,  unb  baä  Unter* 
tjauä  geigte  fo  grofce  SBiberfefclichfeit,  ba&  er  jdjon  am  4.  gebruar 
baä  Parlament  roieber  auflöfte. 

tiefer  neue  ©emaltfchrttt  erhöhte  bie  allgemeine  Erbitterung. 
Drohungen  mürben  laut  unb  (Schriften  öerbreitet,  in  benen  bie  (£r= 
morbung  beä  Sßroteftorä  als  etne  geredete  unb  öerbienftooHe  £>anb* 
lung  öargeftcllt  mar.  xHudi  bie  s2lrmee  murrte,  meil  bie  Slujlöjung 
beä  Parlamente  öor  ber  Demütigung  ber  Subfibien  erfolgt  mar 
unb  itjr  bafjer  ü)r  rücfftänbiger  Solb  nic^t  gejault  merben  tonnte, 
unb  öiele  Offiziere  fpraä)en  offen  öon  ber  Herstellung  ber  Sftepublit 
„ofme  einen  Sftann  an  ber  Spifce."  Zugleich  Rattert  bie  SRoaaliften 
zahlreiche  $ßre$böterianer  für  ben  in  ben  9cieberlanben  meilenben 
Äarl  II.  $u  gewinnen  gemußt,  mit  meinem  eifrige  Unterhaltungen 
gepflogen  mürben. 

Um  feine  Gegner  ju  fct)recfen  unb  üjre  Jöerfuc^e  $u  feinem 
Sturje  raja)er  unb  nachbrücflicher  511  öereiteln,  errichtete  ©rommell 
einen  neuen  „lwl)en  Gerichtshof,"  ben  er  mit  feinen  ergebenften 
Anhängern  befefcte.  ®ie  erften  Dpfer  biejeä  Tribunals  maren  jroei 
•Konaiifteu,  Sir  $>enro  Slingäbt},  ein  fatholijcher  Ebelmann,  unb 
Xoctor  kernet,  ein  Geiftlicher  ber  (Spiäfopalfirche.  Jöeibe  mürben 
enthauptet,  obgleich  ber  Skfctere  in  (£romroell$  ^ieblingätochter  @li- 
fabelt)  (ilat)poie  eine  manne  gürfprecherin  gefunben.  2)er  balb  barauf 
erfolgte  Xob  (Sli)abethS,  bie  auf  ihrem  «Sterbebette  gegen  ihren  $ater 
äföeifel  an  ber  Gerecfjtigfeit  feiner  Sache  auägebrücft  unb  ihn  er- 
mahnt  haben  foü,  bie  oberfte  (bemalt  bem  rechtmäßigen  Eigenthümer 
äurücfyuftellen,  trug  nur  baju  bei,  bie  herbe  unb  geregte  Stimmung, 
Ded  ^roteftorS  $u  erhöhen. 

3u  ben  Sorgen  für  bie  Behauptung  jcincr  Stellung  gefeilte 
fia>  bei  Erommeü  eine  immer  größer  merbenbe  gurcfjt  öor  ^Jcorb^ 


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1 42     ©nglanb  m  ber  ^weiten  $älfte  be*  ficbjc^ntcn  3ahrhunbert*. 

anklagen,  gegen  melche  er  {ich  buret)  alle  nur  erben  fliehen  ©or* 
jichtimafjregeln  fieser  $u  fteflen  fitdjte.  (Jr  trug  einen  ganger  unter 
t>em  bleibe,  hatte  ftet*  gelabene  Sßiftolen  bei  fid)  unb  beobachtete, 
wenn  er  Wubienjen  $u  geben  gezwungen  mar,  mit  ber  ängftlictjften 
Sorgfalt  bie  ©liefe  unb  ©emegungen  ber  ^erfonen,  bie  ihm  näher 
famen.  SBoUte  er  ausfahren,  fo  mar  er  barauf  bebaut,  bafi  vJ!ie* 
manb  öorb,er  baoon  unterrichtet  fei;  überall  Inn  mußten  ifm  ftarfe 
tfbtheilungen  feiner  ßeibmaehe  begleiten,  unb  nie  feljrte  er  auf  bem- 
felben  SBege  jurüd,  ben  er  juerft  eingefchlagen.  3n  allen  feinen 
Zimmern  ^atte  er  verborgene  Ausgange  anbringen  laffen,  um  bei 
einem  etmaigen  Ueberfall  leichter  entfommen  ju  tonnen.  $)ie  Zt)ü* 
ren  feine*  Schlafzimmer*,  ba*  er  häufig  mechfelte,  maren  mit  fö« 
niglia)  bezahlten  2Baa)en  befefct,  unb  oft  ftanb  er  in  ber  9caa)t, 
menn  bie  gurdjt  ihn  nicht  fajlafen  lieg,  oon  feinem  ßager  auf,  um 
fid)  ju  öerfiajern,  ob  fie  auf  ihrem  Soften  feien.  (£r,  bcr  fo  oft 
im  gelbe  bem  Xobe  feften  ©liefe*  in*  2luge  geflaut,  gitterte  jefct 
beftänbig  bor  unbefannten,  unftchtbaren  geinben,  bie  fein  £eben  be* 
breiten. 

2)  ieie  fortbauembe  geiftige  Aufregung  untergrub  bie  fonft  fo 
ftarfe  tförperfraft  (£rommell*.  Hm  17.  «uguft  1658  befiel  ihn 
ein  gieber,  ba*  bie  Sierße  al*  bebenfltch  erfannten,  metyrenb  er 
felbft  fieh  überzeugt  hielt,  baß  (Sott,  feine  unb  Slnberer  Gebete  er« 
hörenb,  if)m  ein  längere*  ßeben  befdjieben  fyabt,  unb  balb  ließen 
feine  june^menbe  Schmäche  unb  feine  häufige  ©emu&tloftgteit  feinen 
3meifel  mehr  über  feine  nahe  Huflöfung.  3n  ber  Stacht  oom 
2.-3.  (September  fragte  er  feinen  Kaplan  Sterrn,  ob  e*  möglich 
fei,  au*  ber  Gnabe  ju  fallen,  unb  al*  btefer  feine  grage  verneinte, 
rief  er,  mie  oon  einer  ferneren  Saft  befreit:  „9hm,  bann  bin  ich 
fidjer!  benn  ich  mei&  g,emi&,  baß  ich  einmal  in  ber  Gnabe  mar." 
3)er  folgenbe  Xag,  ber  3af)re*tag  feiner  Siege  bei  2>unbar  unb 
iJBorcefter,  mar  fein  Sterbetag.  s2ll*  feine  Liener  unter  Xhränen 
unb  klagen  an  ba*  Sager  be*  5)at)ingefc^iebenen  traten,  rief  ber 
fanatifdje  Sterrtj  ihnen  $u:  „£>ört  auf  $u  meinen!  3h*  fabt  nie^r 
Urfache,  euch  $u  freuen.  (£r  mar  auf  (Srben  euer  Sßroteftor,  mirb 
euet)  aber  nun,  mo  er  mit  (Shrifto  $ur  regten  |>anb  be*  ©ater*  fifcet, 
mit  meit  größerer  2Jcaa)t  befdjüfcen." 

3)  ie  deiche  be*  $roteftor*  mürbe  mit  ungemöt)nlic§em  Ge- 
pränge, bei  meldjem  man  ba*  (Zeremoniell  jum  DJcufter  nat)m,  ba* 
bei  ber  SBeerbigung  $^ilipp*  II.  oon  Spanien  beobachtet  morben, 
in  ber  SEBeftminfterabtet  neben  ben  Gräbern  ber  Könige  (Snglanb* 
betgefefct. 

,,©i*  $um  Anfang  be*  neunzehnten  3ahrhunbert*,"  fagt 
Siugarb,  „mo  ber  munberoode  SRann  aufftanb,  ber  bura)  feiner 
Siege  Glanj  unb  feine*  deiche*  $lu*befmung  alle  früheren  2Bag= 


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Snglanb  unter  bent  ^roteftorate  (XromroctM 

■ 


143 


Itnge  oerbunfelte,  mar  ber  Warne  ©rommell  ofme  (bleichen  in  ber 
<Skfd)id)te  beä  ciüiltfirten  (SuropaS.  SHan  fat)  mit  einem  ©efühle 
oon  Scheu  anf  ben  ©tödlichen,  ber,  olme  burch  ©eburt,  Sfcetcfjtljum 
ober  Sßerbinbungen  unterftüfct  ju  fein,  bod)  im  Stanbe  mar,  bie 
Regierung  breier  mäßiger  Königreiche  an  ftd)  ju  reiften  unb  baS 
3od>  ber  ßtiechtfchaft  auf  bie  Warfen  $)erer  ju  legen,  bie  jugleid? 
mit  ihm  in  ben  Kampf  getreten  waren,  um  bie  meniger  miüfür; 
liehe  #errfchaft  it)reS  erblichen  Sföonarchen  abschütteln.  2)aß,  wer 
ioldjeä  üollbracht,  fein  gemöfmlicher  OTcnfcr)  mar,  muß  allgemein 
jugeftanben  merben,  unb  boch  finben  mir,  bei  genauer  gorfdjung, 
in  feinem  (S^arafter  menig  (Erhabenes  ober  auch  nur  SölenbenbeS. 
drommeQ  glich  ntcr)t  bem  SHeteor,  baS  burch  ©lanj  unb  ©Quelle 
feines  fiaufeS  überrafdjt  unb  in  Staunen  fcfct.  3n  tätet  Stefon* 
nent)eit  unb  beregneter  Ilmficht  fchlid)  er  langfamen,  mot)l  abge> 
meffenen  Sa^ntteS  ooran,  mitten  im  ©enuß  ber  ^eimlic^en  Jreube 
über  fein  Slnffteigen  jur  £>öhe  ftetS  bebaut,  bie  Sufchauer  5«  äber= 
reben,  eine  äußere,  unmiberfte^lia^e  ©emalt,  ber  @ang  ber  (5reig= 
niffe,  bie  91  ücf  ficht  auf  baS  gemeine  Öefte,  ber  SEBiÜe  beS  Speeres, 
ja  bie  ©ejchlüffe  beS  Slßmächtigen  brängten  Um  fort.  3hm  galt 
Verkeilung  als  bie  SBoflenbung  menfchlidjer  SBeiSheit;  fie  mußte 
it)m  $um  Schlußftein  beS  ©emölbeS  bienen,  auf  meldjem  er  ben 
iöau  feine*  ©lürfeS  aufführte,  ©ein  aufftrebenber  (Shrgeiä  oerbarg 
fid)  hinter  bem  Vormanbe  ber  2lnf)änglichfeit  an  bie  ,gute  alte 
Sache,'  unb  fein  geheimes  Xreiben  jur  (Erlangung  unbejehränfter 
bemalt  für  fich  unb  feine  9ladjfommen  mußte  er  auszulegen,  als 
münfehe  er  nur,  feinen  oormaligen  SBaffenbrübern  bie  Segnungen 
bürgerlicher  unb  religiöser  Sreiheit,  als  ber  beiben  großen  ©üter, 
für  meldte  fie  juerft  in  ben  Streit  gegangen,  unoerlierbar  ju 
fiebern.  So  ging  fein  ganzes  X^un  unb  Söefen  auf  ßift  unb  93c* 
trug  hinaus." 

künftiger  als  über  (£romme(lS  politifcheu  (£fyaraftet  urt^eilt 
Singarb  über  feinen  teligiöfen  Stanbpunft.  (£r  ^ält  il)n  nid)t,  mie 
oerjdn'ebene  anbere  £iftorifer,  für  einen  religiöfen  ^eudjler,  ber 
nur  aus  ©igennufc  ben  ^eiligen  gefpielt,  fonbern  für  einen  religiös 
Jen  Schmärmer,  ber  jeboch  feine  Religion  mit  feinem  S^rgeij  in 
(Sinflang  ju  bringen  gemußt.  „@r  glaubte,"  fagt  biefer  treffliche 
®efd)icf)tfd)reiber  (fnglanbs,  „bie  Sad>e,  für  meldje  er  ftd)  erflart 
hatte,  fei  bie  Sache  ©otteS;  aber  er  glaubte  ebenfo  feft,  (Sott  fyabz 
it)n  jum  glütfltchen  Verfechter  biefer  Sache  erforen.  So  mar  in  feiner 
3bec  ©otteS  (S^re  oon  feinem  eigenen  SöachSthum  nicht  ju  untere 
jeheiben,  unb  bie  Schleichmege  feiner  ^ßolitif  mürben  in  jeinen  klugen 
geabelt  burch  ben  legten  3merf,  ju  melchem  fie  führen  foHten." 


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144     gnglanb  in  ber  jwciten  §älfte  be«  fiebjehnten  3af|rhunbert«. 

Sie  SBteberljerftellung  be3  Ädnigtl>ura8. 

(1660.) 

$a  (Sromroell  (eine  93eftimmung  über  feinen  Nachfolger  ge* 
troffen,  ernannten  bie  Sttitglieber  be«  Staat«ratf>e«  feinen  älteften 
Sohn  ?Richarb  jum  $roteftor,  obgleich  berfelbe  Weber  ba«  religiöfe 
noch  ba«  militärische  Änfe^en  feine«  Söater«  befa§  unb  wenig  sJteu 
gung  unb  QJefdjicf  ju  ben  Staat«gefchäften  zeigte,  wä()renb  fein  jüngerer 
trüber  $  einriß,  ber  bei  be«  $ater«  Xob  ©tatt^alter  bon  Qrlanb 
war,  fid)  im  gelbe  wie  in  ber  Sßerwaltung  trielfache  (shfahrungen  er* 
worben  unb  in  feinem  ganzen  Auftreten  ftet«  einen  entf ^offenen 
Sinn  unb  einen  gewanbten  ®eift  befunbet  ^atte. 

föicharb«  (Erhebung  ftie§  auf  feinertei  Söiberftanb ;  ja  e«  liefen 
oon  aßen  Seiten  fo  jatjlreiaje  Söeileib*  unb  ÖUücfwunfchabreffen 
unb  fo  überfdjwengliche  £>ulbigungen  ein,  bag  e«,  wie  ßingarb  fagt, 
jtf)ien,  al«  Ratten  fich  bie  freigeborenen  ©ritten  in  ein  SBolf  öon 
Sflaben  oerwanbelt.    „$ie  Sonne  fei  untergegangen",  fo  f)ie&  e«, 
„aber  ohne  ba&  eine  Sftacht  gefolgt.    2)en  vJ*äf)röater  Ratten  fie 
uerloren,  ber  ba«  3od)  ber  #ned)tfdjaft  oon  bem  Warfen  unb 
wiffen  ber  ©otte«fürchtigen  genommen  unb  e«  zerbrochen  ^abe ;  aber 
bagegen  fei  ihnen  ber  ebelfte  $weig  be«  glorreichen  Stamme«  ju 
Ztyil  geworben,  ein  gürft,  ausgezeichnet  burch  feine  liebliche  ©e^ 
ftalt,  aber  noch  toeit  mehr  burch  be«  ©emüth«  öortreffliche  Sigen* 
fchaften.  $)er  oerftorbene  sJ$roteftor  fei  ein  ättofe«  gemefen,  ber  ©ot* 
te«  Sßolf  au«  s<Heggpten  geführt;  in  feinem  Sohne  aber  erblühe  ein 
3ofue,  ber  e«  jum  ooöen  ©efifc  be«  gelobten  Öanbe«,  ber  SBahrheit 
unb  be«  frommen  SSanbel«  leite.    @lia«  fei  gen  Jpimmel  aufgehoben 
worben ;  Slifäu«  aber  oerroeüe  auf  (Srben,  ber  @rbe  feine«  Hantel« 
unb  feine«  Reifte«."    5lud)  bie  fremben  dächte,  bie  e«  für  ftaat«- 
flug  erachtet  Ratten,  be«  SBater«  greunbfehaft  ju  iuetjen,  beeilten  fia), 
bem  Sohne  ihre  GHücfmünfche  barzubringen.  * 

Slber  nicht  lange  foflte  fich  ber  neue  ^roteftor  be«  ungeftörten 
Öefijje«  ber  ihm  übertragenen  9Äad)t  erfreuen.  5)a«  $eer  wollte 
Nicht«  Don  einem  jperrfcher  wiffen,  ber  nie  ba«  Sa)wert  für  bie 
„gute  Sache"  gebogen,  unb  bie  Offiziere  berathf plagten  in  gehei- 
men 3ufammenfünften  über  bie  SBieberherftetlung  ber  Sttilitärherr* 
fchaft,  ber  burch  bie  „Ufurpation  (Srommell«"  ein  (£nbe  gemacht  wor* 
ben.  dagegen  jeigte  ba«  Parlament,  ba«  ber  neue  Sßroteftor 
wegen  gänzlicher  ©rfchöpfung  oder  (Mbrnittel  fchon  im  Qanuar 
1659  zujammenberufen  mujjte,  auch  feinerfeit«  ba«  unoerfennbare 
Streben,  fich  fdbft  mieber  bie  fjöchfte  Gewalt  im  Staate  anzu- 
eignen. 2)te  (Gemeinen  ertonnten  zwar  bie  Nachfolge  Nicharb«  an, 
aber  nur  unter  bem  Vorbehalt  einer  bie  greifet  be«  $olfe«  fiebern- 


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$te  23ieber^erfteflung  be*  £5mgtf>um*. 


145 


• 

ben  ©efdjränfung  feiner  SRedjte  unb  Privilegien  burd)  eine  foäter 
gu  erlaffenbe  S8iU.  2lua)  ba*  neue  Obernau*,  ba*  im  ©efüf)le  fei= 
iter  unseren  ©tellung  forgfältig  bemüht  mar,  jeben  (Sonflift  mit 
ben  Gemeinen  $u  vergüten,  mürbe  al*  öarlamentarifdje  SBerfamm* 
hing  nur  für  bie  $auer  ber  gegenmörtigen  ©ifcungen  anerfannt, 
ba  ba*  bem  verdorbenen  Proteftor  vcrfönlid>  jugepanbene  SRed)t, 
ein  foldje*  $u  berufen,  nicr)t  auf  beffen  9lad)folger  übergebe.  $>a 
ba*  Parlament  nidjt  nur  eine  von  fed>*fmnbert  Offizieren  unter* 
jei^nete  „bemütf>ige  SBorfteHung  unb  99itte",  ir)rc  ©olbforberungen 
$u  befriebigen,  neben  bem  Proteftor,  ber  fein  #rieg*mann  fei,  einen 
Cberbefef)l*lja6er  ju  ernennen  unb  an  ber  „guten  alten  ©ad)e" 
feftjufjalten,  jurürfmie*,  fonbem  aud)  jebe  gufammenfunft,  Söeratf)* 
idjlagung  ober  SBefdjlufjfaffung  ber  Offiziere  ofjne  Suftimmung 
Proteftor*  unb  be*  Parlament*  al*  gefefcnribrig  unterfagte,  bewogen 
bie  fnfcigften  £>auvtleute  ben  jungen  Proteftor  burd)  $)rolmngen,  ba* 
Parlament  aufjulöfen.  211*  bie  SHitgtieber  be*felben  am  22.  Slvril 
1659  nad)  fur^er  Vertagung  itjre  ©jungen  miebereröffnen  motlten, 
fanben  fie  Öie  Xf)üren  verfd)loffen. 

$a  fia)  bie  jur  £errfdmft  gelangten  Offiziere,  bie  fidj  nad) 
errungenem  ©iege  um  ben  Proteftor  ntcr)t  meiter  fümmerten,  über 
bie  Slnorbnung  be*  jufünftigen  ^Regiment*  nidjt  einigen  tonnten,  ge- 
rieten fie  auf  ben  ©ebanfen,  ba*  „lange  Parlament"  in  ber  (&e- 
ftalt,  bie  e*  narf)  ber  2lu*fd)lief?ung  ber  Puritaner  gefmbt,  mieber 
fjerjufteflen.  ÜKad)bem  von  ben  jerftreuten  ©liebem  be*felben  ftebjig 
in  ßonbon  jufammengefommen,  conftituirten  ftdj  biefelben  al*  bie 
r>öct)fte  ©taat*gemalt  in  ben  brei  föeidjen  unb  eröffneten  am  7.  Sftai 
ifjre  ©jungen  mit  einem  Programm,  ba*  bie  SBieberfyerfteflung  ber 
religiöfen  unb  volitifdjen  greifjeit  unb  bie  2lbfd)affung  be*  Protef* 
torat*  jufagte.  gür  bie  2lu*füfjrung  biefe*  Programm*  mürben  bem 
Parlamente  von  ben  Offizieren  in  gebieterifdjem  Xone  bie  leitenbeit 
@tefid)t*j)unfte  vorgejeidjnet,  benen  gemäß  ba*  |>au*  einen  „©tdjer* 
fjeit*au*fdm6"  unb  einen  ©taat*ratf)  einfette.  $)iefe  Vorgänge  be= 
mögen  SRidmrb  ©romroell,  ber  bie  ®raft  nid^t  in  fidj  füllte,  ben 
broöenben  ©türm  ju  befdjmören,  unb  ber  of)nef)in  burdj  bie  93efd)lüfje 
be*  Parlament*  tijatfädjlidj  abgefegt  mar,  am  25. 2Kai  feine  SSürbe 
nieber  $u  legen.  Söalb  barauf  mürbe  aua)  fein  ©ruber  #einridj 
von  bem  $eere  jur  2lbbanfung  gejmungen.  $a*  Parlament  fagte 
Reiben  einen  Qaljrgefwlt  juf  ber  iljnen  jebod)  nid)t  au*gejaf)lt  nwrbe. 
Sie  karten  in  ba*  Privatleben  jurüd,  in  meinem  fie  Ujre  £age 
rufjig  unb  ungefränft  verlebten. 

Obgleich  ba*  Parlament  ftd>  2lnfang*  ben  gorberungen  ber 
Cffijiere  millfä^rig  gezeigt,  na^m  e*  balb  eine  anbere  Spaltung 
an  unb  beratyfälagte  über  Maßregeln,  burd^  meiere  ben  2ln= 
maßungen  be*  4)eere*  eine  ©renje  gejogen  merben  foate.    ©o  ent= 

^oU»ait^  SBeltflef^tc.  VI.  10 


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146     gnglanb  in  ber  jtucttcn  §älfte  be3  fiebjc^ntcn  ^a^r^unbcrt*. 

brannte  jnrifchen  beiben  Parteien  ein  $ampf,  ber  mit  bem  ©iege 
beS  $>eere£  enbete.  $)a$  Parlament  mit&te  fkh  am  13.  Dftober 
1659  jnr  CHnfteüung  fetner  ©ifcungen  bequemen  unb  bem  £>eere 
ba3  fRec^t  juerfenncn,  eine  neue  SBerfaffung  ju  entwerfen ,  bie  ber 
!öeftätigung  eine$  neuen  ^arlamentä  unterbreitet  merben  foüte. 
$ie  ^Befehlshaber  legten  hierauf,  „traft  ber  ber  Wrmee  innewohnen; 
ben  f)ödjften  ©ewalt",  bie  ©taatööertoaltung  üorläufig  in  bie  £>änbe 
cineä  ©idjerheitSauSfdjuffeS  öon  breiunbjmanjig  ^erfonen  nieber. 

2lüe  biefe  rafd)  aufeinanber  folgenben  $eränberungen  Ratten 
in  Grnglanb  eine  Verwirrung  hervorgerufen ,  bie  an  üoüftänbtge 
Vlnardue  grenzte.  SBährenb  bie  oerfchiebcnen  ^arteihäupter  biefen 
troftlofen  3nf*anb  im  eigenen  Qntereffe  ausbeuten  fugten ,  eut= 
warf  ber  Statthalter  oon  ©d)ottIanb ,  ber  (General  SRottl ,  ben 
s$lan,  burch  bie  $erfteHung  beä  ^Parlaments  bem  attilitärbeSpottö: 
muS  ein  (5nbe  ju  machen  unb  bie  föüdfehr  georbneter  3nftänbe  an* 
5ubat)nen. 

3m  gatjre  1608  in  $eöonfhire  als  ber  ©olm  einer  ange* 
fernen  gamilie  geboren,  mar  ©eorg  9ttonf,  nad)bem  er  an  ben 
(Jjrpebitionen  gegen  ftabir.  unb  Sa  föochelle  theilgenommen  ^atter  in 
nieberlänbtfche  $ienfte  getreten  unb  erft  bei  bem  beginne  beS  fc^ot- 
tifchen  Kriege«  nach  ©nglanb  jurüefgefehrt,  wo  er  anfangt  für  ben 
®önig  gefämpft  hotte,  nach  längerer  ÖJefangenfchaft  aber  in  ba3 
s^arlament«hcer  eingetreten  mar.  ©eitbem  (Sromwell  burch  ben  @in* 
fall  $arls  II.  in  (Snglanb  jur  9tücffehr  borten  bewogen  morben  mar, 
führte  Sttonf  ben  Oberbefehl  über  alle  in  ©dwttlanb  ftehenben 
Gruppen.  ÖJeftüfct  auf  bie  5lnhanglia)feit  feiner  ©olbaten  unb  auf 
bie  allgemeine  ©efjnfucht  beS  engten  SBolfeS  nach  ber  öeenbigung 
ber  inneren  SBitren,  brach  er  am  1.  3anuar  1660  mit  fedjStaufenb 
URann  gegen  Öonbon  auf.  3n  ber  5lät>e  oon  £)orf  fticB  gairfaj, 
ber  fich  feit  SrommeÜS  Erhebung  in  baS  *ßriüatleben  jurüdgejogen, 
mit  einem  gasreichen,  meift  aus  9toüaliften  ber  umliegenben  ®raf* 
fchaften  beftehenben  ^eereSfjaufen  ju  ihm,  unb  am  2.  gebruar  ftan* 
ben  Söeibe  oor  ben  Xtyxtxi  ber  ^auptftabt. 

$ier  h^ten  unterbeffen  bie  Bürger  burch  SSaffengewalt  bie 
3urücfberufung  beS  Rumpfparlamente  erzwungen,  baS  fogleicr)  alle 
feine  (Gegner  aus  ben  S3efehlshaberftellen  beS  §cercS  entfernt  hatte. 
Ohne  ©chwierigfeiten  geftattete  baSfelbe  ben  (Sinjug  9ttonfS  in  bie 
A>auptftabt  unb  banfte  bem  ©eneral,  als  er  in  ber  iöerfammlung 
erfdnen ,  burch  ben  slftunb  feinet  ©predferS  für  feine  bem  2kter= 
lanb  ermiefenen  ©ienfte.  SftonfS  Weigerung,  ben  SlbfdjwörungSeib 
gegen  bie  ©tuartS  ju  leiften,  ermeefte  jeboch  baS  äßifjtrauen  beS 
.§aufeS,  unb  um  feine  Xreue  ju  prüfen,  ertheilte  man  ihm  iöefehl, 
bie  söürger  ber  Situ  oon  Sonbon,  bie  ftd)  weigerten,  irgenb  weldje 
©tcuern  ju  jahlen,  beoor  ein  öolIftänbigeS  unb  freie«  Parlament 


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3>ie  SBieberherftettung  beS  SBnigtfjumS. 


147 


nach  ben  alten  ©runbgefefcen  beS  SanbeS  an  bic  ©teile  beS  Rumpf- 
parlamente getreten,  burch  SSaffengewalt  jum  ÖJehorfam  ju  bringen. 
2Konf  üofljog  biefen  ihm  unangenehmen  Auftrag,  ot)ne  großen 
SBiberftanb  ju  finben;  als  jebodj  herauf  baS  Parlament  üon  it)m 
auch  bie  Slupfung  beS  ©tabtrathS  ber  Eitu  »erlangte,  entwarf 
er,  im  Einüernehmen  mit  feinen  Cf  frieren,  ein  an  ben  ©predjer 
beS  £>aufeS  gerichtetes  ©abreiben,  worin  baS  Sttilitär  fich  barüber 
beflagte,  baß  eS  $um  SSerfjeug  perfönlicher  Raa)e  gegen  bie  üöür* 
ger  gebraust  worben  fei,  unb  bie  unoerjügliche  VerOollftänbigung 
beS  £>aufeS  burch  bie  Einberufung  ber  auSgefchloffenen  preSböteria* 
nifc^en  SDcitglieber  oerlangte,  bamit  bie  nötigen  Vorbereitungen  jur 
Einberufung  eines  neuen  Parlaments  getroffen  werben  tonnten. 

tiefer  «Stritt  rief  in  ber  $muptftabt  einen  ungeheuren  ^ubel 
heröor  unb  oerwanbelte  bie  Unjufriebenheit  über  9#onfS  Vorgehen 
gegen  bie  Situ  in  eine  allgemeine  SBegeifterung  für  ben  entfdjloffenen 
Öeneral.  Sluf  feine  Einlabung  erfdjienen  am.  21.  gebruar  bie  oon 
Eromwefl  auS  bem  langen  Parlament  auSgefchloffenen  Üttitglieber 
ber  pre3bt)teriamfd)en  Partei  in  bem  Rumpfparlament.  $a  fie  in 
bemfelben  bie  2ttefjrjaf)l  bilbeten,  oerließen  bie  meiften  Republikaner 
ba&  §auS.  S)tefeS  ernannte  fofort  9ftonf  jum  Oberbefehlshaber  in 
allen  brei  Reihen  unb  löfte  fidj,  nadjbem  eS  bie  Berufung  eines 
neuen  Parlamentes  angeorbnet,  am  16.  ÜÄärj  auf.  $8iS  jur  Er« 
Öffnung  ber  neuen  SBerfammlung  follte  ein  oon  Sftonf  errichteter 
Staatsrate)  bie  RegierungSgefchäfte  leiten. 

Unterbeffen  mar  in  2JJon!  ber  Entfchluß  jur  |>erfteHung  beS 
^önigthumS  jur  oollftänbigen  Reife  gelangt,  unb  er  jögerte  nicht, 
pch  bieferhab  mit  ®arl  II.,  ber  eben  in  sörüffel  »eilte,  in  einen 
brieflichen  SBerfehr  $u  fefcen ,  burch  welchen  bie  Reftauration  ber 
Stuarts  eingeleitet  mürbe.  Qnjroifchen  ^atte  ber  SluSfaö  ber  2Saf)s 
ten  §u  bem  neuen  Parlament  ihm  auch  °ie  ^ctoi6t)eit  gegeben,  baß 
fein  plan  bie  ©ompattnen  beS  Golfes  für  {ich  haDer  unb  ba  in  bem 
am  25.  Wpril  eröffneten  neuen  Parlamente  gleich  oon  oornherein 
bie  Rothmenbigteit  einer  neuen  SBerfaffung  betont,  ErommeHS  miß- 
fürliche  Regierung  oerbammt  unb  bie  Einrichtung  beS  ®önigS  als 
ein  bie  britifche  Rarion  fchänbenber  glecfen  bezeichnet  Würbe ,  er* 
fanute  Sftonf,  baß  baS  Eis  gebrochen  unb  bie  Staub e  gefommen 
fei,  mit  feinen  wahren  Slbfidjteu  ans  Sicht  $u  treten. 

3n  ber  ©ifcung  oom  1.  2Jcai  theilte  er  ber  SSerfammlung  mit, 
baß  ßorb  ©reenoifle  ihr  ©riefe  ©einer  SJcajeftät  beS  ÄönigS 
$arl  II.  $u  überreichen  münfehe.  $>aS  £>auS  bewilligte  bemfelben 
fofort  Einlaß  unb  nahm  bie  föniglichen  Schreiben  entgegen.  $te= 
fen  war  eine  Urfunbe,  bie  fogenannte  Defloration  üon  SBreba, 
beigefügt,  in  Welcher  $arl  bitten,  bie  binnen  oier^ig  Xagen  $u 
Xreue  unb  ©ehorfam  aurüeffehren  würben,  mit  Ausnahme  $er* 

10* 


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148    (Jnglonb  in  ber  jroeiten  ftfilftc  be«  ftebjehntcn  ^a^unbcrt«. 

jenigen,  bie  ba*  $au*  felbft  bezeichnen  werbe,  tolle  $lmneftie  be* 
willigte ,  allgemeine  ®emiffen*freiheit  oerlneß  unb  bcm  #eere  bic 
©ejahlung  aller  ©olbrücfftönbc ,  fowie  jebem  (Einjelnen  ba*  ©er* 
bleiben  im  $ienfte  be*  ßönig*  mit  Beibehaltung  be*  bisherigen 
®rabe*  jufagte.  SBcibc  Käufer  —  auch  bie  pre*böterianifchen  Peer* 
waren  im  Dberfjaufe  $ufammen  getreten  —  faßten  ben  ©efdjluß,  baß, 
ba  nach  ben  alten  (SJrunbgefefcen  be*  fianbe*  alle  9tegierung*gewalt 
bei  bem  #önig  unb  ben  beiben  Käufern  be*  Parlamentes  fei,  eS 
auch  in  Sufunft  fo  gehalten  werben  fofle,  unb  (üben  Äarl  ein,  nach 
Gritglanb  ju  fommen  unb  bie  ftrone  in  (Smpfang  §u  nehmen,  bie 
it)m  nac^  feiner  Geburt  juftehe.  Um  feinen  bringenbften  ©ebürf* 
niffen  $u  begegnen,  überfanbten  fie  ihm  ein  ©efdjenf  oon  fünf$ig= 
taufenb  Pf  unb,  benen  jehntaufenb  für  Äarl*  älteren  ©ruber,  ben 
^er^og  öon  ?)orf ,  unb  fünftaufenb  für  ben  jüngeren ,  ben  #erjog 
ton  ©locefter,  beigefügt  waren,  ©in  weiterer  ©efcfjluß  Oer  fügte  bie 
Vernichtung  aller  SBappen  unb  Smnbole  ber  SRepublif  unb  bie  Sluf* 
nähme  be*  Samens  be*  ßünig*  in  ba*  SHrchengebet  unb  beftimmte, 
baß  bie  Seit  ber  Nachfolge  ßarl*  II.  in  ber  Regierung  oon  bcm 
Xobe*tage  feine«  ©ater*  an  gerechnet  werben  folle. 

©ergeben*  fteflten  mehrere  Sttitglieber  be*  Parlaments  ben 
Antrag ,  einen  2lu*fchuß  jur  ftbfaffung  eine*  ©ertrage*  nieberju-- 
fefcen,  burch  welchen  bie  fechte  unb  bie  greiheit  be*  ©orte*  gewahrt 
unb  alle  jwifchen  bem  Parlament  unb  ber  firone  ftreitig  gewesenen 
Punfte  auf  ®runb  einer  gegenfeitigen  unb  bauerhaften  ©erftänbigung 
georbnet  mürben.  SRonf  wiberfefcte  fich  biefem  Antrag  mit  fo  großer 
(intjehiebenheit  unb  mürbe  babei  bura)  bie  im  Parlamente  fifcenben 
Äaoaliere  fo  nachbrüeflich  unterftüfct ,  baß  berfelbe  fallen  gelaffen 
mürbe.  Ob  ben  (General  babei  ber  SBunfd),  feinen  $ienften  in  ben 
2lugen  $arl*  II.  einen  h öftren  SBertt)  $u  oerleihen ,  ober  bie  ©e* 
forgniß  geleitet,  baß  neue  ©erhanblungen  ben  faum  unterbrüeften 
#aß  unb  bie  alte  ©tferfudjt  ber  Parteien  wieber  ertoeefen  unb  fein 
gan^e*  SBerf  311m  Scheitern  bringen  fönnten ,  muß  bahin  geftedt 
bleiben;  jebenfaHS  mar  e*  feine  Sdmlb,  baß  &arl  II.  ben  Xhron 
beftieg,  ohne  burch  irgenb  eine  Sufage  gebunben  ju  fein,  unb  ba« 
rau*  ben  Schluß  50g ,  er  fei  $u  ber  ganzen  SWachtfüfle  berechtigt, 
bie  fein  ©ater  beim  ©eginne  feine*  Kampfe*  mit  bem  Parlamente 
beanfprucht  Imtte  —  ein  Schluß,  ber  bie  SBiebcrfehr  be*  äwiefpal* 
te*  jwijchen  bem  ^errfdjer  unb  bem  ©olfe  unb  für  ba*  £au* 
Stuart  ben  bauernben  ©erluft  ber  englijehen  ft^one  $ur  golge 
haben  joUte. 

&arl  leiftete  ber  fchnfüchtig  erwarteten  ©inlabung  jur  9tücf- 
hf)t  nach  ©nglanb,  mo  er  bereit*  am  8.  ättai  feierlich  ium  ^önig 
aufgerufen  morben,  fofort  golge  unb  lanbete,  nachbem  er  fich  5U 
Scheoeningen  auf  ber  borthin  gefommenen  englifchen  glotte  einge* 


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ftarl  II. 


149 


fdnfft,  am  23.  9Kai  1660  ju  $otoer.  §ier  empfing  ilm  üftonf  an 
ber  ©pifce  be£  §lbel3  bcr  benachbarten  ®raf|chaften  im  SBetfein 
einer  jahUoS  ^erbeigeftrömten  SBolfSmenge.  Sari  umarmte  ifm  unter 
Xhränen ,  nannte  ihn  feinen  Später  unb  SBohlthäter  unb  ließ  ihn 
neben  fiel)  in  bem  föniglichen  SSagen  $lafc  neunten.  $)er  3ug  bon 
$oüer  nadj  ßonbon  mar  ein  unauSgefefcter  Xriumph ;  überall 
brängte  fiel)  ba$  S8olf  in  großen  Sdjaaren  herbei ,  um  ben  Sönig 
mit  Qubelrafen  ju  begrüßen.  51uch  oon  ber  Armee,  bie  ju  *81aa% 
heath  in  Schfachtorbnung  aufgefteöt  mar ,  mürbe  Start  mit  freu* 
bigen  «Surufen  empfangen.  Seinen  Grutjug  in  bie  £>auptftabt ,  an 
beren  $horcn  ihn  ber  £orb*2Jcauor  mit  ben  Wlbermännern  erroar* 
tete,  hielt  Sari  am  29.  2Hai,  feinem  breißigften  ÖJeburtötag.  SCIlc 
€>traßen ,  burd)  melche  ber  3ug  bis  SB^ite^aÜ  führte ,  maren  mit 
Blumen  beftreut,  bie  Käufer  mit  Xeppichen  behängt,  unb  enblofeS 
Subelgefchrei  erfüllte  bie  ßuft.  3u  SShitehaÜ  empfmg  Sari  bic 
2tt  itglieber  ber  beiben  Käufer ,  beren  Sprecher  ilm  mit  hieben  ttott 
bcr  feurigften  Verftcherungen  treuer  ÖJefinnungen  begrüßten.  ,,©e= 
miß",  äußerte  Sari  gegen  einen  feiner  Vertrauten ,  „e$  muß  meine 
3d)ulb  geroefen  fein,  baß  ich  nic^t  früher  gefommen  bin;  benn 
heute  menigftenS  ha&e  i$  deinen  getroffen,  ber  nicht  betheuert  hätte, 
baß  meine  SSiebereinfefcung  ftetä  fein  SBunfcf)  gemeien." 

ft  a  r  I  II. 

(1660-1685.) 

Sie  frohen  Hoffnungen,  mit  melden  man  in  ©nglanb  bie 
^BieberherfteUung  ber  Monarchie  begrüßt  hatte,  in  beren  Abschaffung 
man  bie  Duelle  atleä  erlittenen  Unglütfä  erblicfte,  mürben  erhöht 
burch  Sartä  II.  geminnenbe  ^erfonlichfeit.  äRit  einem  frönen, 
männlichen  Aeußeren  oerbanb  er  ein  anfprechenbeä ,  leutfeligeS  $8e* 
nehmen,  einen  heiteren  «Sinn  unb  eine  gefunbe  Urtheitefraft.  $)iefe 
Vorjüge  mürben  jeboch  öerbunfelt  burch  ©igenfdmften ,  bie  ihm 
felbft  unb  feinem  £anbe  jum  fchmeren  Verhängniß  roerben  follten. 
(Sr  mar  inbolent  bid  jur  Schmähe,  liebte  bie  ^Bequemlichkeit  mehr, 
a!3  e*  fich  mit  feinen  föegentenpflichten  bereinigen  ließ ,  unb  mar 
in  {einer  fchranfenlofen  (SJenußfucht  ftetä  bereit ,  bie  Staatägefchäfte 
hintan  $u  fefcen,  menn  e3  fich  um  3ctftreuungen  unb  Vergnügungen 
hanbelte.  93eim  beginne  feiner  Regierung  faßte  er  jroar ,  in  ber 
richtigen  Grrfenntniß ,  baß  trofc  be3  allgemeinen  greubentaumelä 
unb  beä  ihm  gemorbenen  glänjenben  (SmpfangS  fein  Zfyxon  noch 
auf  fehr  unftcherem  ©oben  ftehe ,  ben  feften  äntfdjluß ,  fich  9an8 
ben  SRegierungägefchäften  ju  mibmen,  um  bie  «Schmierigteiten  feiner 


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150     (frtglonb  in  ber  atoetten  ftälfte  beS  ftcfycfjnten  SafnljunbertS. 


Soge  511  bewältigen,  unb  feine  SJcinifter  —  meift  Httänner,  bie 
toährenb  feiner  Verbannung  fein  Vertrauen  geroonnen  —  nmnfdj; 
ten  fich  Ötfücf  ju  feiner  beränberten  SebenSweife.  $(ber  feine  guten 
Vorfäfce  gelten  nicht  lange  <3tanb.  Valb  marf  er  ben  beengenbeu 
Strang,  ben  er  fich  felbft  auferlegt,  hrieber  ab  unb  machte  fid)  oon 
ber  ßaft  ber  ©efd)äfte  Io3,  um  in  ßtebfchaften  ober  im  Greife  frö> 
lieber  SöeUIeute,  ttrifciger  föpfe  unb  müfter  <Sct)tt>etger  ^erftreuung 
ju  fuc^en. 

S5a3  Parlament  $eigte  gegen  ben  ®ömg  bie  äufjerfte  9Sittfä^rig= 
feit  unb  festen  bereit,  ihm  bie  Freiheiten  ber  Nation  ju  Süßen  ju 
legen.  2)ie  ®aüattcre  fafjen  in  ber  ©rtjö^ung  beä  $f)rone3  nur  ihren 
eigenen  Xriumph,  unb  bie  ^ßrc§bt)terianer  legten,  reuigen  ©ünbern 
gleich,  ba«  ängftlichfte  Vemühen  an  ben  Sag,  bie  Erinnerung  au 
ifjre  früheren  Vergebungen  $u  tilgen;  bie  SBenigen  aber,  in  benen 
noch  bie  ÖJrunbfäfce  ber  SRepublif  fortlebten,  toagten  nicht,  mit  ihren 
2Bünfcf)en  unb  s2lnficf)ten  an«  ßidjt  ju  treten. 

Qnbeffen  fonnte  ba&  Parlament  nicht  al3  eine  ooflfommen  ge= 
fc|jliche  Verfammlung  gelten,  roeil  feine  SJtttglteber  nicht  in  Solge 
föniglicher  SluSfchreiben  erfdjienen  toaren;  bie  3ufammenberufung 
eine«  neuen  Parlament«  fcfjien  bafjer  geboten.  $)a  eä  jebod)  bie 
Stätte  beä  ®önig3  für  bebenflict)  erachteten,  ein  ihren  SBünfdjen  fo 
bereitmiüig  entgegenfommenbeä  Unterhaus  ju  entlaffen,  jogen  fie 
oor,  eine  SIfte  in  Vorfdjlag  $u  bringen,  burdj  meiere  baä  parta- 
ment  fich  felbft  legalifire.  $)icfe  oon  bem  Parlamente  angenommene 
SIfte  enthielt  bie  ©rflärung,  baß  ba«  im  fedföetynten  9ftegierung&= 
jat)re  ®arl3l.  (1640)  einberufene  Parlament  feine  ©nbfehaft  erreicht 
habe  unb  bie  in  SBcftminfter  gegentoärtig  oerfammelten  9iepräfen= 
tonten  ber  Nation  bie  beiben  Sßartamentähäufer  conftttuirten.  Obgleich 
bie  Srage  nahe  log,  roofjer  eine  in  ihrem  Urfprung  ungefefcliche  Ver* 
fammlung  bie  Vefugntg  ableiten  fönne,  fid)  felbft  ein  legale«  $afeiu 
51t  geben,  mürbe  ba«  fogenannte  ,,(£onüention«=s$arlament"  oon  feinet 
©ette  ernftlitt}  angefochten. 

55a  eine  ongefteflte  Untetfuchung  ju  bem  Ergebnife  geführt, 
bog  bie  2Ui«gaben  ®arl«  I.  toett  bebeutenber  getoefen,  al«  feine 
©infünfte,  unb  man  in  biefem  Üftif3öerhältmf3  bie  Urfache  aller 
über  bie  Station  hemncje&rocjjenen  Unglücksfälle  erfannt  ju  fyabtn 
glaubte,  befdjfofj  ba«  Parlament,  ber  SBiebcrfe^r  eine«  ähnlichen 
^äfjoerhältniffe«  burch  bie  (£rf)öhun9  Der  iätjrlid^en  Einfünfte  bcr 
®rone  auf  bie  bt«  bahnt  unerhörte  ©umme  oon  ein  Million  jmeimal* 
fmnberttaufenb  $funb  üorjubeugen.  ©inen  toeiteren  Vemei«  feiner 
Ergebenheit  gab  ba«  Parlament  bem  ftönig  baburdj,  bog  e«  ihm 
burch  bie  Vemiöigung  ber  jur  21bjahlung  aller  ©olbrücfftänbe  ber 
Gruppen  nötigen  ©elbmtttel  bie  Sluflöfung  be«  Speere«  ermöglichte, 
beffen  rafch  öeränberte  Stimmung  bie  9Ktnifter  mit  Veforgniffeu  er- 


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tfarl  II. 


151 


füllt  f)atte.  9cur  fünftaufenb  9Jcann,  bic  in  bcn  öerfcfnebenen  Stäb* 
ten  beS  föeidjeä  als  ©arntfonen  üertheilt  merben  fotlten,  blieben 
unter  ben  SSaffen. 

SHinber  einig,  als  in  biefen  finanziellen  fragen,  jeigten  fidj 
bie  beiben  Käufer  in  53ejug  auf  bie  öon  ®arl  in  ber  Defloration 
oon  Söreba  jugefagte  Slmneftie,  inbem  bie  fiorbs  öon  berfelben  nicht 
nur  fämmtliche  9tic^tcr  ®arl3  L,  fonbern  auch  alle  Diejenigen  au$^ 
gefdjloffen  miffen  moflten,  bie  jemals  in  einem  f)of)en  ^ufti^tribunal 
über  irgenb  einen  gefangenen  SRotjaliften  ju  (Bericht  gefeffen,  bie 
Gemeinen  bagegen  eine  tuet  weiter  gefjenbe  SBegnabigung  oerlangten. 
(£nblieh  einigte  man  fich,  nachbem  Äarl  felbft  ben  ßorbS  Mäßigung 
empfohlen,  in  einer  öon  bem  ®önig  genehmigten  Mmneftieafte  bat)in, 
baj$  $roar  eine  große  Slnjafjl  üon  ^erfonen  oon  ber  ©traflofigfeit 
auägejchloffen  bleiben,  aber  nur  bie  in  £aft  befinblichen  ^Richter 
&arl£  I.  —  bie  meiften  berfelben  maren  thctU  geftorben,  theilS 
entflogen  —  fotoie  Diejenigen,  bie  in  anberer  Söeife  bei  feinem  Xobc 
eine  ^croorragenbe  Sttofle  gefptelt,  als  $onigSmorber  oor  (Bericht 
gejogen  merben  füllten.  ®arl,  bem  man  bie  ftrenge  s-8eftrafung  ber= 
felben  als  eine  heilige  Pflicht  hwgefteHt,  lie&  bem  gegen  fie  einge- 
leiteten  Verfahren  freien  fiauf,  unb  fo  ftarben  jefjn  ber  (befangenen, 
unter  ihnen  ber  ÖJeneralabüofat  (£ofe,  fomie  bie  Cberften  £>arrifon 
unb^aefer,  toeldjer  £efctere  ben  föniglichen  befangenen  bemadjt  hatte, 
auf  bem  Ölutgerüfte.  Sludj  mürben  in  ÖJemä§heit  eines  üon  beiben 
*ßarlamentshäufern  erlaffenen  unb  oon  bem  ftönig  genehmigten  ©c= 
fefjlS  bie  £eidmame  (JrommellS ,  SBrabjhamS  unb  QretonS  au$ 
ihren  ©räbern  geriffen ,  nach  iüburn  gefdjleift ,  am  DobeStagc 
#arls  I.  an  ben  brei  @cfen  beS  ©algenS  aufgehängt  unb  am  s2lbenb 
unter  bemfelben  eingefcharrt. 

GHeich  feinem  SBater  unb  feinem  ©rofjüater  oon  ber  lieber 
jeugung  burdjbrungen,  bajj  ber  (SöiScooat  bie  ficherftc  ©tüfcc  beS 
fcönigthumS  fei,  fefcte  $arl  nicht  nur  in  ©nglanb  bie  (jpisfopalfirche 
in  alle  ihre  fechte  mieber  ein,  jonbern  fteöte  auch  in  Schottlanb, 
beffen  Union  mit  ßrnglanb  aufgegeben  mürbe,  nach  Scfeittgung  beS 
SoöenantS  bie  bischöfliche  iBerfaffung  mieber  her.  ©o  fchmerjlich  auch  D*c 
Schotten  tytrbuxd)  getroffen  mürben,  mar  bod)  ihre  (Sxfchöpfung  ju 
gro§,  als  baß  für  ben  Slugenblicf  irgenb  melier  ÖJebanfe  an  2öiber= 
ftanb  hörte  auffommen  fönnen;  erft  fpäter  lebte  in  biefem  Üanbe 
ber  alte  puritanifche  ©ifer  in  feiner  ganzen  (Stärfe  mieber  auf  unb 
trat  in  ernften  SRuheftörungen  $u  Xage.  ®egen  bie  ^reäboteriancr, 
bie  Anfangs  einige  3«8cftä"D"iffe  erlangt  hatten,  mürben,  nachbem 
ftar!  baS  GonöentionS^arlament  aufgelöft  hotte  unb  am  8.  Wai 
1661  ein  neues,  meift  aus  föooaliften  beftehenbeS  Parlament  $u* 
fammengetreten  mar,  eine  9ieit)e  oon  2Jca(jregeln  erlaffen,  in  golge 
bereu  über  jmeitaujenb  preSbntertanifche  ®eiftliche,  bie  fich  ben  neuen 


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152    (Snglcmb  in  ber  feiten  £(Ufte  beS  ftef^nten  Saf^unbertS. 

Verorbnungen  nidjt  fügen  mollten,  U)re  Stellen  üerloren.  Obgleich 
in  biefen  Sttaßregeln  eine  offene  Verlegung  ber  öon  Äarl  beftimmt 
jugefagten  Ö5ctt»iffenSfrei^eit  lag,  mürbe  bura)  biefetben  bie  Stufte 
ni<|t  geftört. 

(Sbenfomenig  als  ben  SßreSbüterianern  gelang  eS  ben  ®att)o-~ 
lifen,  bie  Lüftung  $u  erlangen,  meldte  bie  Eeflaration  oon  Vreba 
audj  i^nen  in  $luSfid)t  geftellt.  2)er  ßönig  Inelt  fidj  $mar  im  £in* 
blitf  auf  bie  Dielen  Vemeife  oon  Xreue  unb  Ergebenheit,  bie  fie  ifjm 
mäfjrenb  feiner  Verbannung  gegeben,  fomie  burd)  frühere  äufagen 
üerpflid)tet,  iljnen  Erleichterung  $u  üerfdjaffen;  er  fonnte  jebodj  bie 
Hufhebung  beS  XreueibeS  nicht  burchfefcen,  obgteidj  bie  $atholifen 
ftdj  in  einer  an  baS  Parlament  geria^teten  Petition  bereit  erflärt 
hatten,  ju  befdjmörcn,  ba6  fie  bem  Zapfte  fetnerlei  roeltlid^c  Ober« 
Roheit  jugeftanben,  unb  ftd)  eiblich  ju  öerpflidjten,  fetbft  bem  $apfte 
mit  Seben  unb  Vermögen  entgegen  ju  treten,  menn  er  jemals  eine 
foldje  in  Snglanb  auszuüben  oerfudjen  foHte,  bem  Könige  aber  gegen 
jebe  frembe  unb  einheimische  SEßacht  ohne  irgenb  welche  Vefchränfung 
©ehorfam  ju  Ieiften.  2lud)  ®arls  Hbficht,  bie  früher  gegen  fie  er= 
laffenen  garten  Strafgefefce  $u  mtlbern,  fdjeiterten  an  bem  SBiber- 
ftanb  ber  angüfanifdjen  Vifdjöfe,  bie  ihren  ©ife  im  Parlamente  mie= 
ber  eingenommen  fjatten. 

Qm  Sa^re  1662  uermählte  fid)  ®arl  II.  mit  ber  Portugiesen 
s$rin§e(fin  Katharina,  einec  Sdjmefter  beS  Königs  Alfons  VI.,  bie 
ifjm  außer  ben  geftungen  Xanger  in  Wfrifa  unb  Vombaö  in  Oft* 
inbien,  eine  baare  Sftitgift  oon  breihunberttaufenb  sßfunb  Sterling 
äubradjte.  Tieie  Vermählung  mar  ^auptfäa^üa)  baS  SSerf  8ub= 
migS  XIV.,  ber  burdj  biefelbe  Englanb  mit  Spanien  oerfeinben 
unb  ber  lefcteren  2Jcad)t  Verlegenheiten  bereiten  rooöte.  3U*  93*= 
grünbung  einer  bauernben  Verbinbung  jmifdjen  Englanb  unb  granf* 
reich  fmtte  er  bereits  im  öorhergehenben  3afjre  eine  Vermählung 
feines  VruberS,  beS  4>erjogS  öon  Orleans,  mit  $arls  II.  Sa^mefter 
Henriette  5U  Stanbe  $u  bringen  gemußt. 

3m  3afjre  1662  lieg  fid)  $arl,  ber  burd)  feine  t>erjchmenbe= 
rifche  SebenSmeife  bie  reiche  MnSfteuer  feiner  ©emafyUn  rafd)  oer= 
geubet  hatte,  burtf)  feine  ®elboerlegenheit  ju  bem  Verfaufe  uon  ®ün- 
firmen  an  granfreidj  h«irei6cn  uno  üerlefcte  baburdj  aufs  Xieffte 
ben  9>cationalftol$  ber  Englänber,  bie  ben  Ermerb  biefer  mistigen 
Stabt  als  einen  öotlftänbigen  @rfa|j  für  ben  Verluft  öon  ©alaiS 
mit  ber  leb^afteften  greube  begrüßt  Ratten.  5)eS  Königs  Sage  mürbe 
erfdjmert  burd^  ben  ungünftigen  Vertauf  bes  Krieges  gegen  $)oHanb 
(f.  S.  66),  fomie  burd)  eine  furdjtbare  ?eft,  bie  im  3a^re  1665 
juerft  Sonbon ,  bann  Oon  bort  aus  baS  ganje  Äönigrcid)  t)eim^ 
iua^te  unb  in  ber  £>auptftabt  allein  über  fmnberttauienb  Opfer  fyn: 
megraffte. 


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ftarl  II. 


153 


STuf  biefe  fernere  #eimfuchung,  burch  roeldje  alle  Vanbe  ber 
Orbnung  gclöft  mürben,  folgte  im  3^re  1666  eine  neue  in  einem 
fehreefenerregenben  Vranbe,  ber  öier  £age  lang,  öom  2.-4.  ©ep* 
tember,  in  ßonbon  ttmtfjete  unbr  aller  jum  $heü  öon  bem  tfonig 
unb  feinem  Vruber,  bem  $er$og  öon  gorf,  mit  ber  bemunberungS* 
nmrbigften  ©elbftoerläugnung  perfönlich  geleiteten  ööfchöerfuche 
fpottenb,  jroci  fcrittyeile  ber  ©tabt  in  einen  Mfdjenhaufen  öerman* 
belte.  $>er  reügiöfe  ganatiSmuS  fct)ricb  benjelben,  trofc  ber  öott* 
giltigften  ®egenberoeife,  ben  „papiften"  $n  unb  öeremigte  nicht  nur 
biefc  freöelhafte  öerläumbung  burd)  ein  Monument,  beffen  öon  bem 
nachmaligen  $>ea)anten  öon  ?)orf  öerfa&te  3nfa^rift  bie  „papiftifche 
gafrion"  als  bie  Urheberin  beS  VranbeS  bezeichnete,  fonbern  beu* 
tete  biefelbe  auch  ju  einer  neuen  Äatholifenöerfotgung  aus,  bie  ber 
$önig,  ber  gorberung  beS  Parlaments  entfprechenb,  burch  eine 
^roflamation  anorbnete. 

$ie  mijjmuthige,  gereifte  Stimmung,  bie  fteh  in  golge  aller 
biefer  Unglüdföfäfle  ber  Nation  bemächtigt  hotte,  roanbte  ftet)  weniger 
gegen  ben  $önig  felbft,  als  gegen  beffen  oberfteu  9iatf)geber,  ben 
$um  ^er^og  öon  (Harenbon  ernannten  2orb  $t)be,  ber  ftet)  bei 
allen  Parteien  mißliebig  gemalt  hatte :  bei  ben  greunben  ber  greiheit 
burch  fein  beharrliche*  Verfechten  aller  Mnfprüdje,  bie  mit  ben  Vor* 
rechten  ber  ®rone  in  Verbinbung  ju  ftehen  fchienen,  bei  ben  ftatho^ 
lifen,  ^reSbrjterianern  unb  anbern  XiffenterS  burch  ha^tnacfigen 
unb  erfolgreichen  Söiberftanb  gegen  bie  Wufrechthaltung  ber  in  ber 
^ettaration  öon  SBreba  jugeftanbenen  $>ulbung  unb  bei  ben  |>öf= 
lingen  burch  feine  Bemühungen,  ihren  (Stnflufi  auf  ben  föonig  511  be* 
fdjränfen.  Von  allen  ©eiten  mürbe  an  feinem  ©turje  gearbeitet, 
unb  ber  $önig,  ber  ben  ©pötteleien  feiner  Höflinge  über  ben  ein* 
flufcreichen  SWinifter  unb  beren  klagen  über  ©larenbonS  MnmaBung, 
ihn  gänzlich  beljerrfchen  311  motten,  ein  miliige«  Df>r  lieh,  roanbte 
fich  enblich  mit  2B ibermitten  öon  ihm  ab  unb  entliefe  unwahre  1667 
ben  Wann,  ber  ihm  feit  feiner  frühften  3ugenb  nahe  geftanben  unb 
bisher  alle  feine  ©abritte  geleitet.  $er  Vefchluß  beS  Parlaments, 
ben  3Äiniftcr  in  Stnflageftanb  ju  öerfe&en,  um  feine  SRücffehr  an 
baS  ©taatSruber  ju  oer^inbem,  bemog  ben  ®onig,  ihn  auf  ben 
kontinent  ju  öerbannen.  ßlarenbon  begab  fich  nach  föouen,  mo  er 
im  3ahre  1674  ftarb. 

Stach  ocr  Verbannung  ßlarenbonS  lüfte  fich  Da^  De*  &cr  föeftau^ 
ration  gebilbete  9Jcinifterium  auf,  unb  an  feine  ©teile  trat  baS 
„ Sabal* SJcinifterium",  fogenannt  nach  ben  ÄnfangSbuchftaben  ber 
fünf  sMtglieber  beSfelben:  (Slifforb,  Slihletj,  Vucfingham,  Slrltngton 
unb  ßauberbale.  S)er  erfte  %tt  beS  neuen  3JcimfteriumS  mar  ber 
flbfa)lu&  ber  Xriple=s2lttian$,  burch  melche  bem  ©iegeSlauf  2ub* 


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154     (gnglcmb  in  ber  jroeiten  #älfte  beS  fiebaehnten  3af)rhunbcrt$. 

WigS  XIV.  in  feinem  erften  (ähroberungSfriege  eine  ©renje  gejogen 
würbe  (f.  ®.  64). 

Von  ben  2Äitgliebern  beS  ©abalmhttfteriumS,  an  beffen  ©pifce 
ber  ebenfo  tefötfhtnige  unb  ftttenlofe  als  ehrgeizige  Vucftngham, 
ber  ®ot)n  beS  ©ünftlhtgS  3afobS  I.  unb  ®arls  I.,  ftanb,  war  nur 
ber  heimlich  jur  fatholiföen  Kirche  übergetretene  ßorb  (jlifforb  ein 
redt)tföaffener  unb  ebelbenfenber  SRann  ,  nach  ßingarb  „ein  2Rt* 
nifter  mit  reinen  Rauben  an  einem  beftechlföen  unb  beftodjenen 
^>ofc" ;  alle  übrigen  waren  9ftänner  öon  ^öa^ft  zweifelhaftem  ©ha= 
raher ,  welche ,  bie  eigenen  Ueberjeugungen  in  politifdjen  wie  in 
religiöfen  fingen  htntanfefcenb,  mehr  ober  weniger  nur  ben  perfön- 
Iföen  SBortr)cü  im  &uge  Ratten  unb  üor  2Wem  bemüht  waren,  fid) 
bauernb  in  ber  ®unft  beS  $önigS  feft$ufefcen. 

55ie  größte  ©chwierigfeit  bereitete  bem  neuen  äßinifterium 
®arls  beftänbige  ©elboerlegenheit ,  für  Welche  öon  bem  Parlamente 
feine  Abhilfe  mehr  ju  erwarten  ftanb.  $)ieje  ®elböerlegenheit  be- 
wog  ben  &önig,  fid)  oon  Beuern  Subwig  XIV.  ju  nähern,  ber  ihm 
nach  feiner  SReftaurarion  (Sclbuntcrftüfcung  jugefagt.  $ie  jwiföen 
beiben  ^Monarchen  angefnüpften  Unterhanblungcn  würben  bcfct)Icu= 
nigt  burch  ben  gu  jener  Qtxt  erfolgten  Uebertritt  beS  £>er$ogS  3afob 
oon  $orf  $ur  fatholiföen  $trd)e ,  inbem  baburdj  in  bem  iönig 
ber  GJebanfe  geweeft  würbe,  ben  gleiten  ©abritt  $11  thun.  <Sa>n 
früher  r)arte  ®arl  Hinneigung  junt  ®atl)oliciSmuS  gejeigt ;  aber  in 
bem  (Strubel  feinet  leichtfertigen  ßebenS  war  er  ju  feiner  emften 
Prüfung  ber  ©laubenSwahrheitcn  unb  noch  weniger  ju  einem  (£nt^ 
fötufj  gefommen,  ber  feine  trotte  hätte  geföhrben  unb  ihn  nötigen 
fönneu ,  fein  bequemes  ßeben  aufzuopfern.  Sluf  ben  Statt)  feiner 
ÜJUnifter  liefe  er  bem  ftönig  oon  granfrefö  feine  Slbfföt  eröffnen 
unb  erbot  ffö,  ihn  bei  bem  projeftirten  (Sinfaü  in  ftollanb  $u  unter- 
ftüfcen,  wenn  ihn  Subwig  burch  eine  jährliche  Subftbte  in  ben  ©tanb 
fefce,  jebe  aufrühreriföe  Bewegung  in  feinem  deiche  ju  unter» 
brüefen ,  bie  in  golge  feinet  Uebertritt«  entftehen  fönne.  ßubwig 
riett)  gwar ,  bie  Sache  oorher  reiflich  ju  überlegen ,  ba  eine  über= 
eilte  ©rflarung  nicht  nur  feine  fhrone,  fonbern  fogar  fein  ßeben  in 
GJefahr  bringen  fönne,  inbem  bei  ber  ausgesprochenen  gfeinbföaft 
oon  neun  gehntljcüen  feiner  Untertanen  gegen  ben  fatholiföen 
©lauben  ein  allgemeiner  Slufftanb  ju  befürchten  ftehe;  er  ging  je= 
boch  im  Uebrigen  bereitwillig  auf  ®arlS  ihm  fjiföft  wülfommene 
Vorföläge  ein,  unb  fo  fam  im  3at)re  1670  bei  einem  Tjüche  ber 
Jperjogin  oon  Orleans  in  (Snglanb  burch  ihre  Vermittlung  ju 
2)ooer  ber  geheime  Vertrag  ju  ©tanbe,  beffen  wir  oben  (©.  67) 
gebaut  h^ben.  $luS  ber  in  bemjelbtn  enthaltenen  $ufage  $arlS: 
„ju  einer  3*hr  bie  ihm  als  bie  angemeffenfte  föchten  werbe,  öffent* 
lieh  $u  erflären,  ba§  er  fatholifö  geworben,"  föeint  hctöorjugehen, 


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ffnrl  II. 


155 


bag  $arl  entmeber  Bereite  jur  fatf  olifcf  en  #  treffe  übergetreten  ober 
$u  biefem  Sdjritt  feft  entfcfloffen  tt)ar. 

3n  ber  Hoffnung  auf  eine  neue  (Mbbemitligung  berief  #arl 
baS  Parlament  für  ben  $>erbft  1670  wieber  ein  unb  ließ  bemfelben 
buref  ben  ßorb~©iegelbemafrer  eröffnen,  baß  er  WngcficftS  ber  um* 
faffenben  SriegSrüftungen  SranfreicfS  entfcfloffen  fei,  eine  Slotte 
öon  fünfzig  ©egeln  §um  Auslaufen  in  93ereitfcfaft  fefcen  $u  laffen, 
inn  bie  britifefen  lüften  bor  feinblicfen  Einfällen  ju  fefüfcen.  Da 
bic  SRinifter  fief  eine  SJcajorität  im  Unterlaufe  ju  fiefern  gemußt, 
nwrben,  trofc  ber  öon  oerfcf  iebenen  ©eiten  über  bie  SBerfcf  roenbungen 
im  ©taatSfauSfalte  erhobenen  klagen,  bie  geforberten  (Delbmittet 
6emüligt.  dagegen  mürben  in  beiben  Käufern  Üöefcfmerben  „über 
baS  Umftdjgretfen  beS  ^ßaptSmuS"  an  ben  ®önig  gerichtet  unb 
neue  Maßregeln  ju  beffen  Unterbrücfung  geforbert,  unb  ®arl  mar 
fdjroacf  genug,  trofc  feinet  aller  SB al)rf cr)einlict)f eit  naef  bereits  er= 
folgten  UebertrittS,  in  einer  ^roflamation  511  erflären:  „fo  mie  er 
(tetS,  allen  Serfudmngen  jum  Drofc ,  ber  magren  Religion ,  mie  fie 
in  ber  englifefen  föirrfje  geprebigt  merbe ,  angefangen  f  abe ,  [0 
tootle  er  auef  fernerhin  bie  äußerfte.  ©orge  unb  ben  größten  (Stfer 
anmenben,  um  pe  aufrecht  511  falten  unb  511  toertf  eibigen."  C£r  er= 
ließ  jroar  balb  barauf,  jur  ©efefroieftigung  feines  ©emiffenS  be- 
jüglicf  ber  in  ber  Defloration  oon  ©reba  gegebenen  8ufage ,  eine 
„Snbufgen^fte" ,  melcf  e  ben  DiffcnterS  einige  (Srleicfterung  ge- 
währte; bie  ®atfoüfen  jogen  jeboef  aus  berfelben  faum  irgenb 
melcf  en  Sortfeil,  ba  tfnen  jeber  öffentliche  (SJotteSbienft  unterfagt 
blieb. 

Cbgleicf  bie  SBetfeiltgung  (SnglanbS  an  bem  Kriege  5ranf= 
retcf  S  gegen  ,§offanb  nief  t  in  ben  SSünfcf  en  ber  Nation  lag ,  roeil 
bie  maeffenbe  2flacft  ßubmigS  XIV.  in  (Snglanb  große  SBeforgniffe 
ermeeft  fatte,  bemitligte  baS  am  5.  gebruar  1673  eröffnete  $arla= 
ment  abermals  bie  baju  geforberten  ÖJelbmittel ;  ber  ®önig  mußte 
biefelben  jeboef  buret)  bie  Sluffebung  ber  Qnbulgenj  ^ftc  erfaufen, 
nadjbem  in  bem  Unterlaufe  ber  SSefcfluß  gefaßt  morben,  baß  ©traf* 
Oerfügungen  in  fircfltcfen  Dingen  nur  buref  *ßarlamentSaften  fuS- 
penbirt  merben  fönnten.  33atb  barauf,  am  28.  Jebruar  1673, 
ging  im  Unterlaufe  ein  Antrag  buref,  fraft  beffen  Qeber,  ber  fief 
roeigern  merbe,  ben  Dreu=  unb  ©uprematSeib  ju  leiften,  bie  DranS- 
fubftantiation  ab$ufcfmörcn  unb  baS  9lbenbmafl  naef  bem  sJlitnS 
ber  angltfantfefen  ®ircfe  ju  nefmen,  unfäfig  fein  folle,  irgenb  ein 
öffentliches  s2lmt  ju  befleiben.  Diefer  audt)  üott  bem  DberfauS  an- 
genommene, unter  bem  tarnen  Deftafte  befannte  ©efcfluß  mürbe 
öon  bem  #ontg  beftätigt,  nadjbem  man  ifm  öorgefteüt,  baß  t>on 
ber  (Benef  migung  beSfelben  bie  ferneren  (Mbbemitttgungen  beS  Untere 
faufes  abfangen  mürben. 


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156     (Snglanb  in  ber  jroeiten  §älftc  be*  fiebäehnten  ^ahrhunbert*. 

$er  (Shclafj  ber  Xcftaftc  bemog  ben  ^er^og  oon  ?)orf,  fein 
}lmt  al*  ÖJrofcabmiral  ber  glotten,  ba*  er  mit  SRufjm  unb  $lu*= 
jetefmung  befleibet  f)attef  nebft  allen  anbem  ihm  born  ®önig  über- 
tragenen ©teilen  nteber  ju  legen  itnb  fich  offen  als  ®att)olif  ju  be- 
fennen.  3u  ber  gleiten  3eit  unb  au*  bem  gleichen  ®runbe  trat 
auch  ©lifforb  au*  feinem  SImte  au*,  obgleich  ber  Äönig  STlle*  auf* 
geboten,  tt)n  jum  ©leiben  in  bemfelben  ju  beroegen. 

$atte  fdjon  ber  Uebertritt  be*  f>er$og*  öon  ?)orf,  ber  bei  be* 
Königs  finberlo*  gebliebener  (äfye  X^ronfolger  mar ,  bie  religtöfe 
Antipathie  be*  Sßolfe*  aufgereiht,  fo  brach  biefelbe  in  öoflen  Slam* 
men  au*,  al*  man  erfuhr,  ba§  fich  berfelbe  am  30.  ©eptember 
1673,  nachbem  feine  erfte  ©emafjftn  STnna,  eine  Xochter  be*  Jper* 
$og*  oon  ©farenbon,  bereit*  im  3at)re  1671  geftorben  war,  burdt) 
einen  ©eöollmächtigten  mit  einer  fatljoüfrfjen  ^rinjeffin ,  ber  fünf* 
zehnjährigen  2J?aria  öon  @fte,  ber  ©chroefter  be*  regierenben  §er$og* 
von  Üflobena,  öermäf)lt  fyabt.  $>a*  am  20.  Dftober  nneber  $u* 
fammen  getretene  Parlament  bat  ben  ®ömg  in  einer  Slbreffe,  bie 
$8olIjiet)ung  biefer  ©ermählung  nidjt  §u  geftatten  unb  zugleich  einen 
allgemeinen  Safttag  an$ufetjen,.  „um  oon  ÖJott  bie  2lbmenbung  ber 
(Gefahren  §u  erflehen,  mit  melden  ber  <ßapi*mu*  ba*  ßanb  be* 
brohe";  e*  erreichte  jebodj  toeber  ba*  GHne  noch  ba*  2lnbere:  ®arl 
erflärte  bie  gorberungen  be*  Parlament*  für  ungebührlich  unb 
fprach  am  4.  9toöember  beffen  Vertagung  au*. 

Dbgletd)  ber  ®önig ,  um  bie  allgemeine  Aufregung  ju  be* 
fdjnridjtigen  t  nicht  nur  ber  ®emaf>lin  feine*  ©ruber*  bie  U)r  au** 
brüeflitt}  jugeftanbene  (Einrichtung  einer  öffentlichen  Capelle  öertuei= 
gerte ,  joubern  auch  eine  ftrenge  Slnmenbung  ber  ©trafgefe^c  gegen 
bie  ^atholtfen  anorbnete ,  mieberholte  ba*  Parlament  nach  feiner 
lieberer  Öffnung  im  Januar  1674  feine  ©itte  um  bie  s2lu*fcfjrei* 
bung  eine*  öffentlichen  gaften*  jur  (Srflefumg  be*  ©chufce*  be* 
Allmächtigen  für  $ird)e  unb  ©taat  „gegen  bie  untergrabenben 
^raftifen  papifttfdjer  töecufantcn"  unb  verlangte  zugleich  bie  (Sut< 
laffmtg  ber  üttinifter  Arlington,  ©uefingham  unb  ßauberbale. 

Ücachbem  ber  ®önig  bejüglid)  ber  beiben  (Srfteren  öollftänbig 
unb  hinfichtlidj  ßauberbale'*  infofern  nachgegeben,  baß  er  ihn  nur 
al*  ©camten  ber  fchottijchen  &rone  beibehielt,  unb  fomit ,  ba 
flfhleü,  ben  er  jum  (trafen  oon  ©hafte*burö  ernannt  hatte,  fdt)on 
im  Qahre  1673  abgefegt  morben ,  in  bie  gänzliche  Auflöf  ung  be* 
dabalminifterium*  gemiütgt,  auch  im  3uni  1674  einen  oortheilljaf* 
ten  grieben  mit  ben  ©eneralftaaten  gefchloffeu ,  roanbte  fich  bie 
ßppofition  h^uptfächlich  gegen  ben  $er$og  oon  $orf ,  um  beffen 
s2lu*fchlu6  oon  ber  Thronfolge  burchjufejen.  2)er  4>auötagitator  für 
biefen  ßtoeef  mar  ©l)afte*burn,  ber  feit  feiner  (Jntlaffung  au*  bem 
ajftmfterium  al*  2Jiitglieb  ber  Dppofition  ju  ben  entfehiebenften 


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»OXl  II. 


157 


Seinben  be«  £ofe«  gäblte.  21n  QafobS  ©teile  bauten  feine  ©egner 
ben  (trafen  Don  3ttonmoutt),  einen  natürlichen  ©ol)n  Äarl«  IL 
iinb  beffen  befonberen  Siebling,  gum  X^ronfolger  üorgufchlagen.  $)er 
§ergog  t>on  ?)orf  fudjte  ihren  Plänen  burch  bie  Vermittlung  eine« 
neuen  Vünbniffe«  gmifdjen  #arl  n.  unb  ßubwig  XIV.  entgegen 
gu  arbeiten,  burch  welche«  er  feinem  ©ruber  auSreidjenbe  ©elb* 
mittel  gu  berfdmffen  hoffte,  um  benfelben  in  ben  ©tanb  gu  fefcen, 
bie  SBiebereröffnung  be«  Parlament« ,  beffen  Vertagung  ftarl  be* 
fdjloffen  hatte,  auf  längere  Seit  fjinau«  gu  fefneben.  $tefe«  Vünb* 
niö  fam  in  ber  Xlmt  am  23.  Sluguft  1674  gu  ©taube,  ©egen  bie 
Sufage  eine«  Salzgehalt«  öon  hunberttaufenb  Sßfunb  öerfpraa)  Äarl 
bem  Äönig  öon  granfreid},  in  beffen  fortgefe&tem  Kriege  neutral  gu 
bleiben. 

$a  biefe  Neutralität  fich  für  ©nglanb  al«  ein  Vortue«  er* 
wie«,  inbem  fte  bem  #anbel  einen  neuen  Sluffchwung  berlieh,  trat 
nach  unb  nach  unter  bem  SBolfc  eine  ruhigere  ©timmung  ein  ,  ob* 
gleich  bie  ©egner  ber  Regierung  Glicht*  oerfäumten,  bie  frühere 
Ungufriebenheit  mach  gu  h^ten;  als  jeboer)  ber  Äönig  fich  burd> 
neue  ©elboerlegenheiten  genöthigt  far>,  im  gebruar  1677  ba«  *ßar* 
lantent  wieber  einguberufen ,  mürben  al«balb  auch  bie  alten  klagen 
über  gefahrbrohenbe  Umtriebe  ber  Sßapiften  auf«  Neue  laut.  $a 
bie  Dppofition  gugleia)  ernfte  Vebenfen  gegen  bie  wachfenbe  Httacht 
3ranfrrich«  erhob  unb  ®arl«  Verhältnis  gu  ßubwig  XIV.  gur 
Sprache  brachte,  fchritt  ber  Äönig  am  26.  äftai  gu  einer  aberma* 
ligen  Vertagung  be«  Parlament«. 

3m  3ahrc  1678  mürbe  ba«  gange  Sanb  burd)  eine  augebliche 
papiftifche  Verfchwörung  in  eine  ungewöhnliche  Aufregung  berfefct. 
@tn  gemiffer  X  i  t  u  «  D  a  t  e  «  ,  ber  wegen  9tteineib«  unb  ©itten- 
loftgteit  feine  ©teile  al«  anglifanifcher  ©eiftlicher  verloren  fyattt, 
mar  auf  ben  Natf)  eine«  Öonboner  Ißfarrer«,  be«  Dr.  Xonge,  ber 
überall  Verschwörungen  ber  $atholifen  gegen  bie  anglifanifche 
Äirche  witterte,  nach  Vallabolib  gegangen,  um  in  einem  bortigen 
Älofter  englifcher  ^efuiten ,  wo  er  al«  angeblicher  ®atholit  $luf* 
nähme  fuchte  unb  fanb,  r)oct)tierratr)erifc^en  planen  nachgufpüren  — 
ein  ©piel,  ba«  er,  nachbem  er  in  Vallabolib  burchfehaut  unb  au£ 
bem  $lofter  oertrieben  morben,  in  bem  Kollegium  englifcher  3efui= 
ten  in  ©t.  £)mer  fortfefcte,  wo  ihn  ba«  gleiche  ©chiclfal  traf,  wie 
in  Vallabolib.  Nach  (£nglanb  gurüefgefehrt,  gab  er  oor,  einer  gro- 
ßen, üon  bem  Sßapfte  gebilligten  ^efuitenoerfchwörung  auf  bie  ©pur 
gekommen  gu  fein,  welche  bie  (Srmorbung  be«  $önig«  unb  bie  gewalt» 
fame  Vernichtung  be«  $roteftanti«mu«  in  (Snglanb  gum  3mecfe  habe. 
3ur  Vegrünbung  biefer  s2lnflage  benufcte  er  gefäljehte  Vriefe,  fowie  eine 
im  2lpril  1678  oon  ben  Qefuiten  in  Bonbon  abgehaltene  geheime 
3ufaramenfunft ,  bei  welcher  e«  fich  jeboct)  nur  um  bie  (Ernennung 


158     (Snglanb  in  ber  jmcitcn  ©älfte  be«  fiebjehnten  3af)rl)unbertS. 

eines  ProfuratorS  unb  bic  SRegulirung  ber  inneren  Angelegenheiten 
bcö  DrbenS  gehanbelt.  $>aS  gan^e  (chmachoolle  ßügengemebe,  bem 
ber  $önig  felbft  feinen  (Stauben  fdjenfte,  mürbe,  befonberS  auf 
©ImfteSburn'S  betrieb,  ju  einer  allgemeinen  ftatholifenoerfolgung 
ausgebeutet.  <5ed)S  Qefuiten  unb  jelm  Öaien  ftarben  auf  bem  Vlut- 
gerüfte,  unb  alle  Werfer  waren  mit  #atf)olifen  angefüllt,  bie  ber 
TOtmiffenfchaft  um  bie  angebliche  Verfdjmörung  öerbödjtig  fdjienen. 
dagegen  mürbe  DateS  als  ber  Detter  beS  VaterlanbeS  gepriefen 
unb  mit  Gtefchenfen  unb  (Ehrenbezeugungen  überhäuft. 

Unterbeffen  mar  in  bem  am  21.  Dftober  jufammengetretenen 
Parlamente,  baS  fogleid)  bie  ganje  ©adje  in  bie  $anb  genommen, 
eine  VitI  in  Vorfchlag  gebraut  morben,  nach  melier  bie  $  attjo* 
lifen  fortan  mcber  <Bifc  unb  ©timme  im  Parlamente  haben,  noch 
in  ber  Umgebung  beS  Königs  unb  in  feinem  Palafte  gebutbet  mer* 
ben  füllten.  Um  bie  unter  bem  fanatifirten  Volfe  fjerrfdjenbe  2luf* 
regung  311  befchmichtigen,  genehmigte  ber  $önig  nicht  nur  jofort 
biefe  «ill,  fonbem  miüigtc  fogar  in  bie  öon  beiben  Käufern  gefor- 
berte  Entfernung  feinet  VruberS  3afob  aus  ßonbon,  inbem  er  ben- 
felben  bemog,  auf  einige  3eit  nach  ©chottlanb  5U  gehen,  jeboch 
baS  Unterbau«  hierauf,  burdj  beS  Königs  SRachgiebigfeit  ju  meiteren 
feinblichen  Stritten  gegen  ben  £>of  ermutigt,  ben  #orb*Scha&metfter 
2)anbö,  ÄarlS  einflu&rcichften  föathgeber,  in  2lnftagefianb  öerfefctc 
unb  £orb  Muffel  im  Dberhaufe  ben  förmlichen  Antrag  fteUte,  ben 
jperjog  öon  $)orf  für  unfähig  $ur  X^ronfolge  $u  erflären,  löfte  $arl 
am  24.  Januar  1679  baS  Parlament  auf. 

Obgleich  ber  ®önig,  um  bie  Dppofition  $u  entfräften,  Muffel 
unb  ©fjafteäburt)  felbft  in  baS  ÜRinifterium  aufgenommen,  jeigte 
fich  baS  britte  Parlament,  baS  am  6.  9ttar$  1679  eröffnet  mürbe, 
tmn  bemjelben  (Reifte  befeelt,  mie  baS  üorhergehenbe.  Um  bie  ge* 
forberten  ÖJelbbemilligungcn  ju  erlangen,  mufjte  ber  ®önig  nicht 
nur  $anbü  fallen  laffen  unb  in  eine  Untersuchung  gegen  benfelben 
mitligen,  bie  ben  ÜJftnifter  in  ben  Horner  führte,  (onbern  auch 
eine  bereits  früher  in  Vorfdjlag  gebrachte  ©iE,  bie  £>  a  b  e  a  S* 
(£orpuS*$lfte  —  fo  genannt  nach  ^rcn  Eingangsworten 
—  genehmigen,  burch  mclche  feftgefefct  mürbe,  bafj  fein  Eng* 
länber  oerhaftet  merben  bürfe  ohne  einen  fchriftlichen,  bie  ÖJrünbe 
ber  Verhaftung  angebenben  Vefefjl  ber  öorgefefcten  Vchörbe  unb 
jeber  Verhaftete  innerhalb  tnerunbamangig  Stunben  ju  einem  cor* 
läufigen  Verhör  jugelaffen  merben  muffe.  SDer  erneute  Antrag  beS 
Unterhauses  auf  AuSfchlujj  beS  £>er$ogS  öon  $orf  oon  ber  Xh*on* 
folge  bemog  ben  #önig ,  auch  &a$  dritte  Parlament  im  Qanuar 
1686  aufjulöfen. 

3n  feiner  8tathlofigfeit  nahm  ber  ftctS  gelbbeburftige  Äönig 
aufs  9*eue  feine  3«flucht  $u  ßubroig  XIV.,  ber  ihm  $mar  aber- 


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Äorl  II 


159 


rnalä  ©ubfibicn  ^ufagte,  aber  babei  nicht  ermangelte,  ben  SRath  feines 
(Sefanbten  Barillon  ju  befolgen,  ber  ihm  gcf abrieben  Rätter  „ÄarlS 
v2lnfehen  ift  fo  gefunfen,  baß  ein  Bünbniß  mit  if>m  WichtS  merth 
fcf)etnt.  Keffer  ben  $arteit)äuptern  ben  £>of  machen,  bamit  bie 
Uebelftänbe  fortbauern."  Um  eine  (Sinigtmg  jnnfchcn  bem  Äönig  unb 
bem  Parlamente  ju  erfchtoeren,  bewilligte  er  mehreren  republifani* 
nifdjen  &auptern  Qa^rgelber  unb  ermahnte  fie,  unter  feiuem  mäch- 
tigen  ©chufce  in  ber  Bertheibigung  ber  greihetten  beS  SBolfeS  fort* 
zufahren,  währenb  er  anbrerfeits  ben  £>erjog  oon  ?)orf  in  ber  3M* 
nung  beftarfte,  bie  föniglicfje  ©etoalt  tonne  nur  burdj  bie  §erbei* 
führung  eines  BürgerfriegeS  ^ergeftellt  toerben. 

2)iefe  SRadnnationen  oerfehlten  ihres  ftmda  nicht.  Qmmer 
größer  tourbe  bie  ®luft  jttrifdjen  bem  ftönig  unb  feinem  Bolfe, 
immer  erbitterter  ber  ©treit  ber  Parteien,  ber  ftd)  in  ftarlS  legten 
SebenSjahren,  toähreub  melier  er  nach  rafch  aufeinanber  gefolgter 
Sluflöfung  jmeier  neuer  Parlamente  ofme  ßugie^ung  ber  ©täube 
regierte,  ^auptfäc^lic^  um  bie  3:f)ronfolge  breite.  Obgleich  baS 
Obernau«  eine  Don  bem  Unterlaufe  erlaffene  Bill,  bie  ben  £>er$og 
oon  $orf  für  unfähig  $ur  Thronfolge  erflärte,  oermorfen  fyatlt, 
beirrten  bie  ©egner  beS  #er$og§  auf  beffen  SluSfchlie&ung  unb 
fugten  bie  ftrone  bem  ©tatthalter  ber  Wieberlanbe,  SBilhelm  III.  oon 
Dranien,  als  bem  ©ema^l  ber  älteften,  im  proteftantifchen  Glauben 
erlogenen  Xodjter  3afobS,  9Jtoria  Oon  ?)orf,  jujumenben. 

Bon  ben  beiben  Parteien,  bie  einanber  fo  färoff  gegenüber 
ftanben,  ba&  ber  SBteberauSbruch  beS  BürgerfriegS  au  befürchten 
tuar,  mürben  bie  Anhänger  ber  Regierung  XorieS  unb  it)re  (Steg* 
ner  SB  hiß*  genannt.  Obgleich  beibe  Benennungen  ©pott  unb  Ber- 
achtung  auSbrücfen  füllten,  inbem  urfprünglkh  mit  bem  Warnen 
XorieS  bie  burch  bie  Xörannei  ber  englifchen  Regierung  ihres  Be* 
(ifceS  beraubten  unb  baburd)  $um  Wäuberleben  getriebenen  JJrlänber 
unb  mit  bem  Warnen  2Bf)igä  bie  fchottifchen  ßanbleute  bezeichnet 
mürben,  bie  als  Anhänger  beS  (EooenantS  bie  fechte  ber  trotte  in 
fachlichen  Angelegenheiten  beftritten,  mürben  biefelben  oon  ben  $ar« 
teien  felbft  als  (Styrennamen  angenommen  unb  finb  feitbem  in  (£ng= 
lanb  als  Bezeichnung  ber  conferoatioen  unb  ber  liberalen  Partei 
in  Gebrauch  geblieben. 

2)ie  (Entbecfung  einer  angeblich  bon  ben  Häuptern  ber  SBt;igö 
geleiteten  Skrjchtoörung  gegen  baS  ßeben  beS  Königs  oeranlafjte 
Sie  (Einleitung  einer  Unter  fudwng  gegen  bie  fedjS  hcröorragenbften 
berfelben,  ben  #er§og  oon  aWonmoutt),  ben  (trafen  (Efjej,  bie  SorbS 
Jpomarb,  @rerj  unb  WuffeE,  Algernon  ©ibnetj  unb  $ampben.  $)er 
^erjog  oon  Sftonmoutt)  unb  öorb  (Steeg  enttarnen  nach  4>oöanb; 
©raf  (Sffej  gab  fich  felbft  im  ©efängnifj  ben  Xob;  £ott>arb,  Wuf* 
fett  unb  Algernon  ©ibneu  ftarben  auf  bem  Blutgerüfte,  mährenb 


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160     Gnglanb  in  ber  jwritcn  §älfte  beS  fiebjc^ntcn  3at)rf)unbert3. 


^antoben  $u  einer  (Sklbftrafe  öon  öierjtgtaufenb  $funb  öerur* 
tfyeilt  mürbe. 

2öie  in  G£nglanb,  fo  fam  es  aud)  in  ©cfyottlanb,  als  baS  SBolf 
ficf)  aus  feiner  drfd)laffung  empor  gertffen,  ju  aufrüfjrertfdjen  *8e= 
megungen,  bie  jebod)  meljr  religiöfer  als  politifdjer  Statur  maren. 
9taa)bem  ein  emfter  Slufftanb  ber  (SoöenanterS  im  Qafjre  1667 
burd)  Sßaffengemalt  niebergemorfen  unb  auf  baS  ©trengfte  beftraft 
morben,  brad)  jmölf  3af)re  fpäter  ein  jmeiter  auS,  bei  meinem  ber 
(Srgbifa^of  öon  ©t.  9lnbremS,  ber  als  ber  ^aupturfyeber  aller  gegen 
bie  (SooenanterS  angemanbten  (Semaltmafjregcln  galt  r  öon  einer 
Scbaar  fanatifirter  Puritaner  ermorbet  mürbe.  Wud)  biefer  Stuf- 
ftanb  mürbe  burd)  ein  öon  bem  £>erjog  öon  Hftonmoutfj  geführtes 
englifdjeS  $eer  im  3uni  1679  unterbrürft,  morauf  bie  meiften  ber 
©mpöreT  fid)  untermarfen  unb  ftcö  jum  Söefudje  beS  öon  ben  SBi- 
fdjöfen  eingerichteten  ÖJotteSbienfteS  bequemten.  9tur  bie  mübeften 
Sdjmärmer,  in  Mem  nur  fedjjig  äßann,  fcfjaarten  ftd)  um  ifjren 
^rebiger  (Sameron,  nad)  meinem  fie  fidj  (£ameronianer  nannten, 
unb  erließen  eine  ©rflärung,  in  meldjer  fie  „als  bie  Streiter  Qefu 
Gfjrijtt,  beS  gelbfjerrn  ifyrer  Seligfeit, "  bem  $önig  als  Xürannen 
unb  Ufurpator  ben  $rieg  öerfünbeten,  maljrenb  ein  <$enoffe  (£ame= 
ronS  benfelben  förmlich  mit  bem  *8ann  belegte.  Sftadjbem  fie  mit 
leichter  Sftüfje  übermältigt  morben  unb  (Sameron  im  Kampfe  ben 
$ob  gefunben,  mürben  fernere  Strafen  über  fie  öerpngt.  $enen, 
bie  jum  Xobe  öerurtfjeilt  morben,  bot  ber  bamals  in  Sdjottlanb 
meilenbe  £>erjog  öon  gorf,  bem  ber  #önig  bie  Regierung  über 
biefeS  Sanb  übertragen,  ©nabe  an  unter  ber  Söebingung,  baß  fie 
nur  bie  SBorte:  ,,©ott  fegne  ben  Äönig!"  auSfprädjen ;  fie  jogen 
jebod)  fämmtlidj  ben  Xob  öor.  3nbeffen  fudjte  Qafob  burd)  Sftilbe 
unb  eine  größere  5)ulbung  gegen  bie  Puritaner  eine  bauernbe  S3e- 
rubjgung  beS  ßanbeS  fjerbei$ufüljren,  unb  in  ber  Xljat  begannen 
bie  ^erjen  fid)  if)m  mit  Vertrauen  jujumenben;  nad)  feiner  9lü(f- 
fef)r  nad)  (Snglanb  (1682)  mürben  jebod)  bie  früheren  Strafgefefce 
gegen  bie  miberfpenfttgen  Seften  mieber  mit  aller  Strenge  in  2ln* 
menbung  gebraut. 

%m  1.  gebruar  1685  mürbe  ®arl  II.  öon  einem  Sdjlaganfall 
betroffen,  unb  bie  Sfranfyett  nafmt  einen  töbtlidjen  Verlauf.  $ie 
anglifanijdjen  *Bi}d)öfe  brängten  fid)  an  baS  itoger  beS  Äranfen, 
um  i^m  baS  2lbenbmaf)l  nad)  anglifanifdjem  SRituS  ju  reiben ;  Äarl 
mieS  jebodj  ifjren  «eiftanb  jurücf.  s2llS  fid)  fein  Quftanb  immer 
mefjr  oerfcblimmerte,  fragte  i^n  ber  £>er§og  öon  ?)or!,  ob  er  nadj 
einem  fat^olifd>cn  ^riefter  fajtcfen  foße.  „Um  ©otteS  mitten  t^ue 
baS  fogleia)",  ermieberte  Äarl.  „2lberw,  fügte  er  fun$ur  „mirft  bu 
bia)  baburd)  auai  fetner  ©efa^r  auafefeen?"  Qafob  erflärte,  er 
merbe  einen  sJkiefter  ^erbeibringen,  unb  menn  eS  i^n  baS  ßeben 


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3afob  II. 


161 


fofte.  Qx  holte  ben  Kaplan  ber  Königin,  bcn  *8enebif*rinermönch 
£ubblefron,  ber  nact)  ber  Schlacht  bei  Söorcefter  ba*  ©erzeug  ber 
Rettung  be$  Königs  gemefen,  unb  führte  it)n  feinem  iöruber  oor 
mit  ben  ©orten:  „Sir,  biefer  mürbige  $*ann  rettete  einft  3^r 
Seben;  jcßt  fommt  er,  Qqre  Seele  $u  retten."  $arl  erfiärte  bem 
$rtefter  auf  beffen  grage,  ba&  er  in  ber  Gemeinichaft  ber  römifaV 
fatholtfct)en  Äirche  ju  fterben  toünfche,  unb  empfing  nach  reumütiger 
Beichte  bie  fu\  Kommunion  unb  bie  lefcte  Delung.  Sein  £ob  er^ 
folgte  am  6.  gebruar  1685. 

3  a  f  0  b  II. 

(1685-1688.) 

$rofc  ber  oon  bem  Unterfjaufe  gegen  tlm  erlaffencn  ftuftfdjluf}» 
biU  fticB  $atob  II.  bei  feiner  Xfjronbefteigung  auf  feinerlei  SBiber^ 
ftanb,  unb  ba  er  in  einer  an  ben  geheimen  SRath  gerichteten  unb 
burcf)  ben  Drucf  oeröffentlichten  Wnfprache  bie  beftimmte  (Srflärung 
abgegeben,  baß  er  entfchlofjen  fei,  bie  rechtlich  begrünbete  iÖerfaf- 
fung  oon  Ürdje  unb  Staat  aufregt  gu  erhalten,  fat)  man  aüge^ 
mein  feiner  Regierung  mit  Vertrauen  entgegen.  $)aä  ganj  unter 
bem  (£influfe  ber  Xorieä  gewählte  Parlament,  baS  am  25.  3J?ai 
1685  eröffnet  mürbe,  benrieS  ihm  bie  größte  Söidf ä^rigfeit ;  auch 
oon  bem  fdjottifa^en  Parlamente,  baä  er  noct)  oor  bem  englijchen 
jufammen  berufen,  mürbe  ihm  alles  bereinigt,  toaS  er  »erlangte. 
$>aä  offene  Befenntnife  feinet  fatholifchen  (Glaubens,  ba£  er  burd) 
ben  ©efud)  ber  SReffe  in  ber  Capelle  feiner  ©emahltn  unb  burdj 
ben  Empfang  ber  fyi.  Kommunion  in  berfelben  ablegte,  rief  jtoar 
bei  ben  SpiSfopalen  bie  Befürchtung  mach,  baß  er  ber  fatl)oliidien 
SHrdje  greiheiten  $u  bemiöigen  beabftchtige,  bie  ba$  Qntereffe  ber 
anglifanifchen  £>ochfirche  gefährben  fönnten,  unb  biefe  Befürchtung 
fteigerte  fid),  als  Qafob  mehrere  Xaufenb  gefangene  ftatholifen 
unb  jafjlreidje  anbere  $)iffenterS  aus  ihrer  £aft  entliefe.  3)er  llm= 
ftanb,  baß  er  fiel)  burd)  ben  @r$bifd)of  oon  ßanterburt)  mit  allen 
Gebräuchen  ber  anglifanifdjen  Kirche  frönen  liefe,  beruhigte  jebod) 
einigermafeen  bie  ängftlichen  ®emüther,  benen  bie  oon  Qafob  in 
ber  X^at  erftrebte  allgemeine  Religionsfreiheit  als  ba*  gröfete  aller 
Uebel  erfd)ien. 

Unterbeffen  fyattt  ber  fterjog  oon  SJconmoutf)  oon  Jpoüanb 
aus,  100  er  fid)  noct)  immer  aufhielt,  eine  Sct)ilberhebung  oorberei= 
tet  unb  mar  mit  ungefähr  hunbertfünfjig  9Jcann  an  ber  n>eftlict)eu 
früfte  (Jnglanb*  gelanbet,  in  ber  ftd)eren  ©rioartung,  bafe  SafobS  ent= 
fdnebenes  Auftreten  ju  ©unften  ber  $atholifen  eine  allgemeine  @r= 

^oljtoart^  SkltflefWte.  VI.  11 


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162      ©nglanb  in  ber  feiten  §älfte  be§  fiebjeljnten  Safahunbert«. 

Witterung  gegen  benfelben  erzeugt  Imbe  unb  e«  ihm  unter  2ttitwirfung 
ber  äSf)ig$f  mit  beren  Häupter  er  in  fortbauernber  Serbinbung  geblie= 
ben,  leicht  fein  werbe,  ben  febwanfenben  %bxoxi  Sfafob«  um$uftür= 
jen  unb  fein  eigene«  §aupt  mit  ber  ihm  früher  jugebac^ten  Sfrone 
gu  febmütfen.  Qn  biefer  ©rmartung  fah  er  fich  jeboch  getäufcht. 
da«  Parlament  fefcte  fofort  einen  $rei«  auf  feinen  $opf,  unb  bie 
öon  Qafob  gegen  ilm  entfanbten  druppen  überwältigten  mit  leichter 
9Kübe  feine  &u  breitaufenb  SDcann  angewachsene  ©chaar.  (£r  felbft 
mürbe  auf  ber  ftlucht  ergriffen  unb  gefangen  uadj  Sonbon  gebraut, 
tfuf  ©egnabigung  burfte  er  um  fo  weniger  l)offen,  al«  er  nach  feiner 
Öanbung  in  Gmglanb  eigenmächtig  ben  $onig«titel  angenommen  unb 
in  einem  pomphaften,  an  bie  englifche  Nation  geästeten  9Jtomfeft 
nicht  nur  Safob  II.  mit  ben  ^eftigften  ©chmäbungen  überhäuft, 
ihn  einen  Mürber,  Söerräther,  duranuen  unb  Seinb  alle«  ©uteu 
unb  (£blen  genannt ,  „ber  ben  ©raub  üon  Bonbon  mit  öerfdmlbet, 
bie  papiftifche  $erfchwörung  angebettelt ,  bura)  falfche  3*ugen  Un* 
fchulbige  auf«  SBlutgerüft  gebraut ,  feinem  trüber  nach  oem  £e= 
ben  getrachtet  unb  ihn  öergiftet  tyabtt"  fonbern  auch  t>a$  $arla* 
ment  für  eine  aufrührerifche  unb  öerrätherifche  Sßerfammluug  er- 
flärt  unb  alle  diejenigen  mit  ben  fchwerften  ©trafen  bebroht  ijattc, 
bie,  ftatt  reumüthig  ju  ihm  überzutreten,  bei  bem  Ujurpator  au«= 
harren  mürben.  @r  würbe  jum  dobe  oerurtheilt  unb  am  25.  Quli 
1685  ju  ßonbon  enthauptet.  die  ©trenge,  mit  welcher  gegen  feine 
Anhänger  üorgegangen  mürbe,  oon  benen  über  jmeihunbert  auf  bem 
$lutgerüfte  ftarben,  fällt  weniger  bem  $önig  felbft,  al«  bem  oon 
ihm  beftellten  Dbcrrichter  3effreö«  5ur  Saft,  bem  Qafob  aU$u  freie 
§anb  ließ. 

Ter  rafche  unb  entfeheibenbe  ©ieg,  ben  ber  $ünig  über  9#on~ 
moutl)  baoon  getragen,  unb  bie  Unterftü Jung ,  bie  er  babei  in  bem 
Parlamente  gefunben,  leitete  ihn  auf  bie  oerhängni&oolle  *8af)n,  bie 
ihn  bem  ©turje  entgegenführen  foüte.  die  bi«  bahin  beobachtete 
3urücfhaltung  abmerfenb,  fchritt  er  mit  unerwarteter  Kühnheit  fei- 
nem  $iele,  ber  jperftellung  einer  unumfehränften  &önig«gemalt,  ju. 
da«  (Sxfte,  wobura)  er  ber  bt«  bahin  in  fct)r  engen  ©djranfen  ge» 
bliebenen  Dppofition  eine  größere  ©tärfe  oerjehaffte,  war  bie  Sei* 
behaltung  be«  ftehenben  Speere«  oon  fünfjehntaufenb  äftann,  ba«  er 
währenb  ÜJconmoutl)«  Snoafion  unter  bie  SBaffen  gebracht,  unb  bie 
gegen  bie  deftafte  oerftojjenbe  Aufteilung  zahlreicher  fatholijeher 
Dfftjiere  in  bemfelben,  fowie  bie  SSieberanfnüpfung  be«  al«  £>ochs 
Oerrath  geltenben  Söerfehr«  mit  bem  ^eiligen  ©tuhle  burch  ben 
(Smpfang  eine«  päpftlichen  ©efanbten  unb  bie  ©ntfenbung  eine« 
folchen  nach  9fa)m.  daran  reihte  fich  ba«  Verbot  ber  ftontrooer«* 
prebigten  unb  bie  SBiebereinführung  eine«  h°^cn  #ommijfion«hofe« 
3ur  s-8eftrafung  ber  «Suwtberhanbelnben. 


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Safob  II. 


163 


$>en  SBiberfprud)  beS  Parlaments  gegen  alle  biefe  Eingriffe 
in  bic  beftehenben  ÖJefefce  fudjte  3o(ob  burdj  mieberholte  Vertagung 
beSfe!6en  $u  entfräften,  währenb  er  bie  ifjm  miberftrebenben  angli* 
fantf^en  Vifööfe  theilS  abfegte,  theilS  oerhaften  lieft.  $ie  erftere 
Strafe  traf  am  6.  September  1686  ben  Vifdjof  ©ompton  öon 
Bonbon,  ben  Sütjrer  ber  Dppofition  im  Dberhaufe,  ber  fich  bem 
Verbot  ber  ÄontroberSprebigten  nid)t  fügen  wollte.  SlnbrerfeitS 
mürben  anglifanifche  ©eiftlid)i\  bie  jur  fatholifchen  ®irdje  übertra- 
ten ,  in  bem  gortgenuß  ihrer  firchlichen  föeoenüen  belaffen  unb 
überhaupt  bie  ßatfjoliten,  ber  Xeftafte  jum  Xrofc  in  allen  Zweigen 
ber  Sßerwaltung  beoor^ugt. 

Söährenb  ber  Äönig  burch  biefeS  unfluge  Vorgehen  ju  fünften 
ber  ftatholifen  eine  große  Aufregung  unter  ben  Anhängern  ber 
^ocrjfirc&e  unb  ben  Puritanern  ^eröorrief ,  erregte  er  sugletd) 
burd;  fein  auSfchwetfenbeS  Seben  großen  &nfioß.  $)aju  fam  als 
neue  OueHe  ber  Veforgniß  bie  Aufhebung  beS  (SbiftS  öon  Nantes 
burd)  ßubwig  XIV.;  benn  wenn  auch  Qafob  bie  in  großer  Qafyl 
naef)  (Snglanb  auSgewanberten  franjöftjchen  Sßroteftanten  wofjlwoüenb 
aufnahm ,  fo  gaben  boch  feine  intimen  SBejiefmngen  ju  bem  $önig 
oon  grantreich  ju  ber  Vefürchtung  s2(nlaß,  baß  er  gegen  feine  pro- 
teftantifajen  Untertanen  ähnliche  Sflaßregeln,  wie  biefer,  ergreifen  f önne. 

9tad)bem  3afob  traft  beS  oon  ihm  als  ein  alte*  Pribilegium 
ber  Ärone  in  Slnfprud)  genommenen  ff$tSpenfattonSrechteS"  in  $af)l* 
reiben  gällen  neben  ben  SBirfungen  ber  ieftafte  auch  bie  ber  be= 
ftehenben  Strafgejefce  $u  ©unften  ber  fatholifen  aufgehoben  Ijatte, 
proflamirte  er  im  2lpril  1687  allgemeine  Religionsfreiheit  für  bie  brei 
^Reiche.  3)te  ©rbttterung  ber  ftvengen  (SpiSfopalen  über  biefe  bie 
^ßorrec^te  beS  anglifanifchen  föleruS  gefährbenbe  Maßregel  würbe 
erhöht  burch  bie  oon  %atob  angeorbuete  gericr)t(ict)e  Verfolgung  aller 
(SJeiftltdjen,  welche  fich  weigerten,  baS  Xoleranjebift  oon  ben  fanjeln 
herab  $u  beriefen.  2ÜS  btefclben  burd)  ben  ju  ihrer  Slburtfjeilung 
eingelegten  (Gerichtshof  öon  aller  Sdjulb  freigefprocheu  Würben,  cr= 
füllte  baS  in  ben  Straßen  oerfammelte  Volf,  bem  $önig  junt  £ofm, 
bie  £uft  mit  enblofem  3ubelgefa)rei.  Vergebens  toamten  nicht  nur 
ber  fpanifaje  unb  ber  faiferlufje  ©ejanbte ,  fonbern  auch  ^ßapft 
^nnocenj  XI.  ben  fönig  oor  Ueberftürjung :  $afob  fuhr  fort,  ben 
^lan  ber  SBieberherfteHung  beS  ßatholiciSmuS  ohne  jebmebe  Ve- 
rücfftchtigung  ber  beftehenben  ®efefce  wie  ber  Stimmung  beS  Voltes 
$u  oerfolgen,  unb  jog  fich  baburch  in  immer  höhet«"  ©rabc  ben 
£aß  jeiner  proteftantijchen  Unterthanen  $u,  bie  fich  in  üielfachen 
Vejtehungen  beleibtgt  unb  $urücfgefefct  fühlten,  Slud)  bas  National* 
gefühl  ber  (Snglänber  mürbe  arg  oerlefct  burch  bie  ftrt  unb  SBeife, 
rote  ber  ftönig  fich  um  bic  greunbfehaft  ÜubtoigS  XIV.  bewarb,  beffen 
politif  für  ihn  in  allen  Stücfen  maßgebenb  geworben  ju  fein  fchien. 

11* 


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164     (Snglanb  in  bcr  feiten  $älfte  beä  ficbjclwtcn  3af)rf)unbcrt*. 


Sßäfjrcnb  fid)  über  bem  Raupte  be*  Derblenbetcu  £ünigä  ber 
politifcfye  Gimmel  immer  mef)r  Derbüftertc,  mürbe  am  10.  3uli  1688 
burd)  bic  ©eburt  eine*  X^ronerben  fein  feljnlidjfter  Söunfö  erfüllt. 
5(bcr  biefe*  für  ifjn  felbft  jo  freubige  ©reignife ,  ba*  bem  £>aufe 
Stuart  ben  bauernben  iöefifc  be*  engltfdjcn  Sfjronc*  31t  fiajern 
fcr)icn ,  biente  nur  ba$u ,  ben  Sturj  beäfelben  31t  bejdjlcunigen. 
Qafob*  ©egner,  bie  ftd)  bi*  bat)tn  mit  ber  Hoffnung  getrüftet  tjatten,  bafj 
bei  bem  $ obe  be*  alternbcn  ftönig*  bie  ftrone  an  feineu  Sdjroieger^ 
jolm  Söilljelm  III.  Don  Dramen  ,  al*  ben  (#cmal)l  feiner  ältefteir 
Xod)ter  INaria,  übergeben  unb  biefer  alle  iÖorredjte  ber  angltfanifdjen 
ftirdje  fyerftellen  roerbc,  erflärten  ba*  $inb  für  untergefd)obeu  unb 
rcijten  2SiU)elm  Don  Dranien  auf ,  feine  angcblidjen  9ied)tc  burd) 
bie  fof ortige  (Entthronung  feine*  Sdjmiegerüater*  ju  fidjern.  Qato'o 
nutrbe  burd)  iiubtüig  XIV.  r»on  bcr  ttjm  brofjenbcn  Öcfaljr  in 
ftenntnif)  gefegt;  er  ucrfct;loi3  jebod),  im  bltnben  Vertrauen  auf  bie 
Ergebenheit  feiner  Xodjter  unb  iljrc*  (Jtematjl* ,  allen  BBatnungS» 
ftimmen  befjarrlid)  fein  Ctjr.  (£rft  at*  er  am  20.  September  1688 
burd)  feinen  Ötejanbten  im  £mag  bie  unjmeifelljafte  (&eroijjl)eit  er= 
fuelt,  ba&  Silfyelm,  Don  mehreren  etnflufjreidjen  ©rojjen  $ur  Sm« 
pfaugnafyme  ber  ftronc  ciugelabcn,  &orf  errungen  ju  einer  ^anbung 
in  (Suglanb  treffe,  für  roeld)e  iijm  bie  ©eneralftaaten  bie  nicbcrlän= 
bifdje  glotte  jur  Verfügung  gefteüt ,  gingen  ttjm  bie  klugen  auf. 
£ie  Dolle  (^röße  bcr  (&cfal)r  erfennenb  ,  judjte  er  auf  jebe  Söetje 
ben  £>aB  fetner  ©egner  ju  entfräften.  Um  bic  augltfauijdjcn  sötfdjöfe 
311  Derfüfjnen ,  machte  er  ifynen  bie  mcitgeljcnbften  ^ugeftänbniffe, 
tDäfjrenb  er  ba*  $olf  burd)  bie  3urö^,lrt^mc  oer  am  nteiften  auge= 
feiubeten  ißcrorbnungcu  unb  burd)  bie  .Sujage  eine*  frei  3U  mät)len= 
ben  N4>arlantent*  311  beliebigen  fudjte  unb  ben  nad)  Üonbon  be- 
rufenen (Ürojseu  uMüibcrleglidje  iöcwcife  Don  bcr  Wcdjtljeit  ber  ®e* 
burt  bc*  ^rin^cn  Dorlegte.  Me  biejc  Stritte  blieben  jebod) 
rcirfungalo*,  unb  l^afob  tyatte  jogar  ben  Sd)mcr3,  aud)  feine  Xod)- 
ter  Vlnna  mit  itjrcnt  $cmal)le  $corg  Don  Xäuemarf  Don  ftd)  ab= 
fallen  ju  feljen;  al*  ^Uc*  ftd)  Don  bem  unglütflid)cn  Münig  jurürf^ 
30g,  Dcrlicßcn  aud)  fie  in  aller  Stiüc  3U  näd)tlid)er  Stunbe  otjne 
fein  ißornnffen  ben  £of  Don  2£l)itet)all. 

Uuterbeffen  tjatte  SBiüjelm  Don  Cranien  am  5.  sJloDember 
1688  bei  Xorban  feine  üanbung  bemerfftelligt.  Sluf  feinem  3"9e 
^egen  ©feter  fanb  er  ben  erroarteten  ©mpfang  nid)t,  ba  biejc 
(iJcgcnb  ber  Sa^aupla^  be*  bura^  sJJionmout^  erregten  Slufftanbe* 
gciücfen  unb  bic  Sdjrcrfeu  jener  3ett  noa)  ju  fet)r  in  bem  ÖJcbäa^t^ 
nig  ber  iöeDölfcrung  fortlebten,  üöalb  jebod)  mürbe  e*  anberS: 
eine  Stabt  naa)  ber  anbern  fiel  i^m  311,  unb  immer  grö§er  mürbe 
bic  ^a^l  ber  (SbcUeute ,  bie  fia)  mit  beroaffuetem  (befolge  unter 
feine  &al)\\c  fajaarten.  @rft  je^t  licfj  Qafob,  ber  burd)  eine  unglürf^ 


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3afob  II.  165 

feiige  gauberpolttif  ben  planen  feinet  ©d^wiegerfofmeS  nur  att^u 
großen  $orfd)ub  geletftet,  ben  größten  Xfjeil  feiner  Xruopen  gegen 
Silfjelm  oorrüefen;  aber  in  ben  9teif)en  ber  Öfterer  r)atte  ber  58er* 
Tatf)  bereite  fomeit  um  fid)  gegriffen,  baß  einer  nad)  bem  anbern 
*u  bem  *ßrin$cn  überging,  ©elbft  Qafobä  perfönlidjeä  ©rfdjcinen 
bei  bem  £eere  bermod)te  nict>t  mcfjr  ber  allgemeinen  $>cfertion  (5in= 
halt  ju  tfnm.  s2lld  aud)  ber  oon  iftm  mit  ©unftbejeigungen  aller 
?lrt  überhäufte  ÖJeneraHieutenant  ßfmrdjitl ,  in  melden  er  fein 
gan$eä  Vertrauen  gefegt,  öon  iljm  abfiel,  oerlor  er  ben  ÜJhitl)  unb 
orbnete  ©efanbte  mit  $Bergletd)3oorfd)lägen  an  feinen  ©d)wieger= 
iofjn  ab. 

$ie  3«ni^eifung  berfclben  burd)  ben  unauftaltfam  gegen  bie 
^auptftabt  oorrütfenben  ^rin^cn  bewog  ben  burdj  bie  beunruljigenbften 
öerüdjte  geängftigten  Äönig  $ur  gludjt.  Dtadjbem  er  bie  Königin 
mit  bem  ^rinjen  öon  SSalcä  nad)  (SJraoeäenb  uorauägefdjitft ,  öon 
too  biefelben  burd)  eine  ifjrer  Ijarrcnbcn  $ad)t  glütflid)  nad)  (£alai& 
übergefefct  mürbe  ,  oerltcß  er  felbft  28f)itef)afl  in  ber  9tad)t  jum 
12.  ^ejember  unb  entfam  in  einer  9Jiictl)futfd)e  unangefjalten  au3 
Bonbon,  ©djon  r)atte  er  in  SeberSljam  ein  für  iljn  gemietetes 
gafjrjeug  beftiegen  unb  glaubte  beS  Belingens  feinet  gludjtplanS 
fidjer  fein  ju  Dürfen,  als  er  burd)  brei  freujenbe  SBoote  entbedft 
unb  nad)  geüerSljam  jurürfgebradjt  mürbe. 

£>ier  rietr)  man  ifjm  bringenb,  nad)  ßonbon  jurütfjufefyren,  ba 
fid)  bort  bie  ©timmung  leicht  $u  feinen  (fünften  änbern  fönne. 
Chitjdjloffeu ,  biefem  9tatf)e  ju  folgen ,  fanbte  3afob  an  ben  Sorb* 
9J2atu)r  unb  bie  2llbermänncr  oon  ßonbon,  weldje  nadj  feiner  3lud)t 
im  Vereine  mit  ben  2©ifct)üfcn  unb  ^ßcerS  bie  burd)  ben  $Öbet  gc- 
ftörtc  Drbnung  in  ber  £auptftabt  Ijergeftellt  unb  mit  £>ilfe  ber 
Stabtmilij  bas  $>olf  im  3flunte  fjielten,  ein  ©abreiben,  worin  er 
ftd)  bereit  erflarte,  falte  bie  ftäbtifdjen  i8ef)örben  tl)m  bie  ©tdjerljeit 
feiner  ^erfon  Oerbürgen  wollten,  fid)  ifjren  £>änben  anvertrauen, 
bis  bie  Slngelegen^eiten  beS  SanbeS  burd)  ein  freiem  Parlament 
georbnet  morben.  Dbgleid)  biefe  ^ufdjrift  ablefjnenb  beantwortet 
rourbe,  ba  man  fid)  bereits  mit  bem  bis  in  bie  jftäfje  ber  £>aupt- 
ftabt  oorgerüeften  ^rinjen  oon  Dranien  in  i&erbinbung  gefegt,  fefyrte 
3öfob  nad)  2Br)iter)aü  jurürf.  £aum  mar  er  jebod)  r)icr  angefom= 
men,  als  oier  Bataillone  f)o£länbifd)er  Xruppcn,  oon  bem  Sßrinjen 
entfanbt ,  baS  <5d)loß  befcjjteu  unb  SBitljelm  burd)  mehrere  2lbge* 
orbnete  feinen  ©djwiegerüater  aufforbern  ließ ,  SB^iteI)aII  ju  Oer-* 
laffen,  ba  er  felbft  am  folgenben  Sage  in  Sonbon  eintreffen  werbe. 
Seinem  Verlangen  gemäß  würbe  Qafob  nad)  SRodjefter  gebraut, 
wo  man  i^n ,  ba  ber  %x\\\i  feine  freiwillige  Entfernung  auä  (5ug= 
lanb  wünfa^te,  nur  oberflädjlid)  bewaa^te.  9laa^  oiertägigem  5(ufent- 
l)alt  in  ^oa^efter  entfajloß  fid)  Qafob  abermals  3ur  Slua^t  unb  er* 


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166     gnßlanb  in  ber  groeiten  §fUfte  beS  pcb^ntcn  3ahrf)unbertS. 

reichte  bieSmal  unangefochten  bie  franjöftfche  ftüfte  (2.  Januar  1689). 
ßubnrig  XIV.,  ber  ihn  mit  ber  äußerften  3uoorfommenhett  empfing, 
ttrieS  u)m  unb  feiner  gomilie  baS  Sctjlog  St.  ©ermain  jum  SBofm* 
fifce  an  unb  fe&te  ihm  einen  bebeutenben  Salzgehalt  aus,  ber  ilmt 
bis  ju  feinem  Xobe  (1701)  auSgejahlt  nmrbe. 

3öil$elm  III. 

(1689-1702.) 

■ 

fln  bem  gleiten  Xage,  an  melchem  3afob  jum  anbem  Sttale 
baS  Sctjrog  SB^ite^aa  öerlaffen  (28.  $e$.  1688),  jog  SBilhelm  öon 
Dramen  in  baSfetbe  ein.  die  ihm  bon  allen  Seiten  juftrömenben 
#ulbigungen  ließen  feinen  Smetfel  barüber,  bog  feine  £>errfd>aft 
geftdjert  war;  aber  noch  fehlte  berfelben  jebe  gefefclicfje  ©runblage, 
unb  baS  Siecht  ber  Eroberung  fonnte  er  umfotoeniger  geltenb  machen, 
als  er  bei  feiner  fianbung  auSbrücfltch  erflärt  r^attc ,  baß  er  nur 
gefommen  fei ,  um  (SrcglanbS  SSerfaffung  unb  töeligton  fieser  511 
ftetten ,  unb  alles  SBeitere  ber  ©ntfdjeibung  eines  frei  gewählten 
Parlaments  überlaffen  roerbe.  da  fein  ®önig  ba  mar ,  ber  baS 
Parlament  einberufen  fonnte ,  mürben  bie  in  Sonbon  anmefenben 
peerS ,  fomie  alle  diejenigen ,  bie  unter  ber  ^Regierung  ÄarlS  II. 
im  £>aufe  ber  ©emeinen  gefeffen,  nebft  bem  ßorb*9Wa^or  unb  mer= 
unbjmanjig  ©emeinberäthen  oon  Sonbon  eingelaben ,  mit  bem 
Prinjen  über  bie  Sage  beS  ßanbeS  unb  bie  ^Berufung  eines  freien 
Parlamentes  ju  beraten,  die  SBerfammlung  bat  ben  Prinzen,  bie 
borläufige  SRegentfchaft  ju  übernehmen  unb  baS  Parlament  einju* 
berufen,  rooju  fidj  berfelbe  bereit  erflärte.  23äf)renb  ber  3Baf)len, 
bie  ganj  ju  fünften  ber  beabfidjtigten  X^ronOerönberung  ausfielen, 
fcfjlofjen  fich  auch  Schotten  ben  Vorgängen  in  öonbon  an ,  in- 
bem  auch  oen  Prinzen  um  bie  einftroeilige  Uebemahme  ber 
Regierung  in  ihrem  Sanbe  baten. 

Sßachbem  baS  am  22.  Qanuar  1689  eröffnete  Parlament  gleich 
in  feiner  erften  Sifcung  ben  englifchen  Xhron  in  Solge  ber  Stuckt 
3fafobS  11.  für  erlebigt  erflärt  hatte,  mürbe  am  16.  gebruar  nach 
längeren  heftigen  debatten ,  bei  melden  bie  £orbS  bem  englifchen 
SBolfe  baS  SKecfit  abfprachen ,  feinen  $ömg  abjufefeeu ,  bie  englijehe 
®rone,  ohne  $Rficffid)t  auf  bie  fechte  beS  Prinjen  uon  SBaleS,  ber 
Prinjefftn  Söcaria,  als  ber  älteften  Xocfjter  QafobS,  unb  ihrem  ©e-- 
mahle  SBilhelm  Don  Dranien  juerfannt,  mit  ber  fcBeftimmung ,  baß 
biefelbe ,  roenn  SJcaria  finberloS  oerfterbe ,  nach  ihrem  UItD  i&rc$ 
©emafjlS  dobe  an  ihre  Schmefter  2lnna  übergehen  folle.  Um  jeber 
SöiUfür  öon  ihrer  Seite  in  ber  Regierung  oorjubeugen ,  mußten 


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SBilfcim  III. 


167 


fie  eine  Urfunbe,  bie  fogenannte  Bill  of  rights,  betätigen,  in  wel* 
eher  bie  föedjte  be3  SSolfc*  ber  fönigttdjen  ©ewatt  gegenüber  ge- 
nauer als  früher  präctftrt  waren.  $iefe  ^arlamentSafte  fprad) 
bem  Äönig  baS  föedjt  ab,  bie  ^oUftretfung  bet  ®efefce  ju  hemmen 
ober  öon  benfelben  $u  bispenfiren  unb  ohne  Genehmigung  beS  <ßar* 
laments  Auflagen  ausschreiben  ober  in  griebenSjeiten  ein  £eer  jii 
unterhalten.  «Rachbem  SBilfjelm  unb  feine  Gemahlin  biefe  53ifl  an* 
genommen,  würben  fie  am  21.  9lpril  $u  SBeftminfter  gefrönt. 

3n  ©djottlanb  würbe  SBilbelm  am  21.  9tfat  1689  jnm  ftönig 
ausgerufen,  nadjbem  er  bie  SöieberherfteHung  ber  *ßreSböterialoer= 
faffung  jugefagt  hatte,  dagegen  verfochten  bie  3rlänber,  obgleich  fie 
auch  unter  Safob  II.  im  eigenen  Sanbe  recht*  unb  heimatlos  ge-- 
blieben  waren,  bie  Stechte  beS  legitimen  fönig«  gegen  feinen  oerrä* 
therifchen  Schwiegerfohn.  W%  3afob  II.  im  9ttärj  1689  mit  fünf- 
taufenb  granftofen  in  Srtanb  lanbete,  fah  er  fich  alSbalb  öon  üier* 
jigtaufenb  Kriegern  umgeben,  bie  bereit  waren,  für  ihn  ju  fterben; 
eT  lähmte  jeboch  felbft  gleich  öon  Anfang  an  ben  Sortgang  feiner 
Sache  burch  eine  unheilvolle  Halbheit  unb  ein  unzeitgemäßes  &eft* 
halten  an  ben  beftehenben  SBerbältniffen  beS  ßanbeS  ber  ®ronc 
gegenüber,  woburch  öiele  Srlänber  öeranta&t  würben,  fich  lieber 
oon  ihm  ab^uwenben.  $em  Verlangen  beS  öon  ihm  jufammen^ 
berufenen  Parlamentes,  Qrlanb  für  unabhängig  oon  ber  engltfdjcu 
Ärone  ju  erflären  unb  bie  3nfe(  ju  einem  befonberen  ^Reiche  ju  ge^ 
hatten,  trat  er  entf Rieben  entgegen,  unb  ebenf  owenig  fonnte  er  fich 
$u  ber  öon  bem  ÄleruS  geforberten  iBer^ichtleiftung  auf  ben  fett 
Heinrich  VIII.  oon  ben  s<Bef)errfchern  GmglanbS  beanspruchten  Su^ 
premat  über  bie  Kirche  entstiegen  r  obgleich  berfetbe  mit  beren 
ßehre  unb  SSerfaffung  im  fchärfften  SSibcrfpruche  ftanb.  s2Im  1.  %vlü 
1690  oon  SBilhelm  oon  Oranien  in  ber  «Schlacht  an  ber  $3otyne 
(f.  S.  90)  öoüftänbig  befiegt,  muffte  er  nach  Sranfreich  jurüeff ehren. 
£ie  Qrlänber  unterwarfen  fich  bem  Sieger  unter  ber  93cbtngung 
ber  freien  Ausübung  ihrer  Religion,  bie  ihnen  in  bem  Vertrag  oon 
Simerid  (Oft.  1 690)  in  ber  Söeife  jugeftanben  wutbe,  wie  fie  unter 
$arl  II.  beftanben. 

©ilhelm,  ber  511  biefem  3u9ef^&nbntg  nur  burch  oen  SBunfch 
bewogen  worben,  feine  Xruppen  fobalb  als  möglich  aus  Qrlaub 
jurüefrufen  ju  fönnen,  um  fie  in  ben  ftieberlanben  ju  oerwenben, 
hielt  ben  3rlänbern  fein  SSort  nicht;  ihre  Sage  geftaltete  fich  viel- 
mehr, in  Jolge  neuer  ÖJütereinjiehungen  unb  anberer  Ötewaltmafc 
regeln  $ur  öollftänbigen  Unterbrücfung  ihrer  religiösen  unb  polittjehen 
Jrciheit,  immer  troftlofer,  weßhalb  auch  bie  2IuSwanberung  oon  3ahr 
$u  Qahr  grö&erc  $)imenfionen  annahm. 

2ttit  ber  Xh^onbefteigung  SSilhelmS  III.  würbe  bie  auswäre 
rige  ^olitif  ©nglanbö,  bie  unter  ®arl  II.  unb  Safob  II.  üollftän-- 


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168     ßnglcmb  in  ber  jtocitcn  $>älftc  beS  Pedanten  Sabrlnm&ert« 


big  im  8d)Iepptau  granfrcidjS  gemefen,  mieber  eine  felbftftänbige, 
unb  bic  burcf)  t^rc  3Wi™ng  faft  bi§  jur  gättjlidjetl  poIttifa)en  Öe^ 
beurungälofigfeit  berabgefunfene  üttonardiie  erlangte  balb  mieber 
einen  großen  Einfluß  auf  bie  ®eftaltung  ber  ftaatltdjen  58erf>ält= 
niffe  beä  übrigen  (Suropa'S.  SBcldjen  Slntfunl  ünglanb  unter  mu 
beim  III.  an  ber  23efämpfung  SubmigS  XIV.  in  bcffem  britten 
(froberungSfrieg  gebabt  unb  nrie  ber  ®önig  üon  granfreidj  in  bem 
trieben  üon  9tü3mitf  bie  förbcbung  SBifyelmä  anerfannt,  fjaben  mir 
bereits  oben  (3.  86—92)  gefeljen. 

^nbeffen  fehlte  e§,  trofc  ber  glänjenben  (Srfolge  ber  äußeren 
«ßolitif  2Bilr)eIm^  III.  unb  be3  bebeutenben  fluffd&mungS,  bcn  unter 
ifjm  $anbel  unb  ®emcrbe  im  inneren  be3  Sanbeä  nabmen,  audj 
unter  feiner  Regierung  nidjt  an  inneren  3ermürfniffcn.  $ie 
2SI)ig§,  meldje  bic  .fmuptmerrVugc  feiner  ©rfyebung  gemefen,  über- 
malten nidjt  nur  mit  ber  größten  (Strenge  alle  Sdjritte  be3  ®önig3, 
um  jcbe  9tüdfef)r  ju  abfolurifrifdjen  Skfrrebungen  unmöglich  $u 
machen,  fonbern  maren  aud)  cntfdiieben  gegen  jebe  Maßregel,  bte 
eine  bauembe  $erföf)nung  bcr  ^arteten  bätte  Ijcrbeifübren  fönnen. 
Sltleä,  ma£  SBilbelm  in  biefer  SBejiebwtg  burd)fefcen  tonnte,  mar 
eine  ^oleranjbitt,  meiere  bie  proteftantifdjen  heften  öon  ben  gegen 
Tie  erlaffenen  (Strafgefejen  befreite;  ben  ^atyolifen  bagegen  murbc 
ba§  alte  3od)  in  feiner  ganzen  (Sdjmere  mieber  aufgebürbet.  £rin= 
ria^tungen  famen  jmar  feiten  mefjr  öor,  befto  rjäufigcr  aber  mebr 
ober  meniger  fernere  (Mb*  unb  föerferftrafen ;  aud}  blieb  bie  Seftafte 
in  Dotier  ßtaft. 

Tie  2öiberfcfcltd)feit  ber  28Ing3  bemog  bcn  $önig,  ba3  $arla= 
ment,  baä  ibm  bie  ßrone  gefdjenft,  fdjon  im  $af)re  1690  aufju- 
löfen  unb  fid)  ben  Xorieä  51t  nähern,  bie  in  bem  jmeiten  ^arla* 
mente  bie  Majorität  Ratten ;  allein  auef)  bei  ifynen  fanb  er  bic  ge= 
boffle  Untcrftüfcung  ntcr)t,  ba  bie  meiften  berfelben  nodj  immer  in 
gebeimer  s^erbinbung  mit  bem  enttbronten  .<perrfdjer  ftanben.  Scbon 
im  Qabre  1692  fjatte  btefer,  mie  mir  oben  (8.  90)  gefeben,  eine 
Sanbtmg  in  Grnglanb  öorbereitet,  ju  melier  Submig  XIV.  bic  nm= 
faffcnbften  SBorfefyrungen  getroffen;  baä  llnternefnnen  mürbe  jebod) 
burd)  bcn  großen  ©ieg  ber  bereinigten  englifd)  nieberlänbifdjen  jjlorte 
bei  Sa  .^ogue  Oereitelt.  (Srmutfyigt  burd)  bie  madjfenbcn  ©djmie= 
vigfeiten  ber  Sage  SBifyelmä,  bereitete  ^atob  mit  .£)ilfe  Subroigd  im 
Jtafnre  1696  jur  SBieberermerbung  feiner  ftrone  eine  jmeitc  ©£pebi= 
tion  öor,  für  meldje  gman^igtaufenb  9ftann  fran$öfifdjer  Xruppen 
$mifd)en  (Calais  unb  $)ünftrdjen  §ufammen  gebogen  mürben,  mabrenb 
geheime  Agenten  nadj  (Snglanb  gingen,  um  bie  früheren  Mnfjängcr 
3afob3  für  einen  3(ufftanb  ju  geminnen.  $>ie  Sadje  mürbe  jebod) 
entberft,  unb  bic  (Sinmütbigfeit,  mit  melier  bad  englifa^c  $arta= 
ment,  alle  Dppofition  für  ben  ^lugenblid5  üergeffenb,  bem  Äönig 


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©ilftclm  III. 


169 


fBilbelm  $ur  ©ctte  ftanb,  bemog  fiubmig  XIV.,  bic  beabfidjtigte 
Sanbung  auf  einen  günftigeren  3e^Pim^  iu  t>erfd)ieben,  unb  ba  er 
fdjon  im  folgenben  Qafjre  in  bem  grieben  üon  SRtiänricf  bie  £>err= 
fc^aft  Söilfyelm«  in  Gnglanb  anerfannte,  mußte  ba«  Unternehmen 
gänjlidj  aufgegeben  merben. 

9cad)  bem  Hbfdjluß  be«  Srieben«  öon  9h)«nricf  geriet^  SSBtl* 
beim  in  einen  Streit  mit  bem  Parlamente  roegen  be«  in  ben  9iie~ 
berlanben  ftefyenben  .£>eere«,  ba«  er  in  ber  fixeren  $orau«fid)t  be« 
balbigen  2Bieberau«brud)«  be«  Krieges  mit  granfreid)  unter  ben 
Waffen  $u  behalten  tt>ünfd)te,  mäfjrenb  ba«  Parlament  au«  ^3eforg> 
niß  öor  etttmigeu  Angriffen  auf  bie  englifd)e  SÖerfaffnug  bie  £erab> 
minberung  be«felben  auf  fiebentaufenb  Üftann  unb  bie  (Sntlaffung 
aller  au«länbifd)en  Solbaten  öerlangte.  9tadjbem  ba«  Parlament 
in  biefem  fünfte  feinen  Söillen  burcr)gefefct,  fam  e«  ^uifefien  it)m  unb 
bem  ftöuig  ju  einem  neuen  greift  über  bie  in  Qrlanb  nad)  ber  33e= 
mältigung  be«  bortigen  Slufftanbe«  confi«cirten  ®üter.  SBityelm 
t>atte  biefelben  jum  größten  X^eite  feinen  Generalen  unb  jonftigen 
Anhängern  gefdjenft ;  ba«  Unterhaus  na^m  fie  jebod)  für  ben  Staat 
in^lnfprud)  unb  erflärte  nicfyt  nur,  ofjne  sJiürffid)t  auf  bie  Zinnien; 
bungen  SBilfyelm«,  jene  Sdjenfungen  für  null  unb  nichtig,  foubern 
orbnete  aud)  ben  SBerfauf  ber  betreffenben  Sänbereien  31t  (fünften 
be«  (Staate«  an.  $iefe  $üf>nf)eit  bemog  ben  $önig,  ba«  Parlament 
am  26.  9cooember  1699  aufaulöfen. 

Größere  Söillfäljrigfeit  fanb  SBilljclm  bei  bem  neuen,  im  3a^re 
1701  jufammengetretenen  Parlamente,  ba«  nicf)t  nur  auf  feinen 
SBunfa}  ben  bei  feiner  Grfjebung  bejüglid)  ber  Xfjroufolge  gefaßten 
Sefdjluß  bafjin  ergänze,  baß  bic  englifdje  ftrone  nad)  bem  lobe 
feiner  Sdunägerin  siluna,  faü«  tiefe  feine  ftinbet  fjinterlaffe, 
mit  beftänbiger  2lu«fa}ließung  aller  fattjolifc^en  (^lieber  bc«  £mufe« 
Stuart,  auf  bie  9iad)fommen  be«  Äurfürften  griebrid)  V.  0011  ber 
$falj,  al«  be«  ©emaf)l«  ber  Xod)ter  3afob«  I.,  übergeben  fotte,  fom 
bem  ifnu  aud)  für  bie  ^Beteiligung  an  bem  furj  üorfjcr  au«gcbrod)cucn 
füanifdjen  ©rbfolgefrieg  al«  Öunbe«geuoffe  föaifer  ßeopolb«  I.  gegen 
^ubroig  XIV.  bie  nötigen  $elbmtttel  mit  ungcroofjnter  freigebig* 
feit  bewilligte.  Sdjon  ftanb  SSiüjeim  im  begriff,  fid)  mit  feinen 
Gruppen  nad?  ben  9iieberlanben  ein$ufduffen,  al«  ein  unglütflidjer 
Sturj  mit  bem  $ferbe  auf  ber  Qagb  i^n  auf«  ftranfenlager  marf, 
ba«  er  nidjt  mcfyr  öerlaffen  foHte.  (£r  ftarb  am  19.  attärj  1702 
im  Hilter  öon  neununbfünfjig  Sauren.  $a  feine  ©ema^lin  Waxia 
föon  fiebeu  3al)re  ö|>r  tym  ™%  ®rab  gefuufen  mar,  beftieg  feine 
Sajtüägerin  2(nna  ben  cnglifdjen  Sljron. 


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170     (Snglanb  in  bcr  jtoeitcn  §filfte  be«  [\€b^nttn  3a$rf)imbertä. 

V. 

$ie  entflfäe  ^tferafur  im  te$\e$nUn  unb  fct}e(httett 

3afir0uubert. 

©eitbem  in  (£nglanb  bie  mittelalterltdje  $oefie  ber  9tteneftrel3 
erftorben  mar,  Ijatte  fidj  bie  englifdje  $id)tung,  fomofjl  im  (SpoS 
al§  in  bcr  ßtjrif,  l)auptfäd)Iid)  auf  bic  Sftacfynfimung  italicnifcfjer 
93orbilber  befdjränft;  crft  unter  ber  Königin  GElifabetl)  naljm  fte, 
inbem  fle  fid^  mit  Vorliebe  bem  $rama  jumanbte ,  einen  neuen 
^htffcfjmung  unb  erreichte  in  biefer  (Sattung  ifjre  työdjfte  Söottenbung. 

3Bie  bei  allen  anbem  djtiftftdjeu  Sßbtfcm ,  fo  beftanben  audj 
bei  ben  (Sfnglänbern  bie  älteften  tfjeatralifdjen  $arfteflungen  au$ 
bialogtfirten  biblifdjen  (Sefdjidjten ,  ben  fogenannten  „SJtyfterien", 
bie  meiftenä  öon  ©eiftlid&en  öerfaßt  unb  in  $(öftem  unb  (Spulen 
$ur  9htffüfjrung  gebraut  mürben.  2Tu3  biefen  ÜJlnfterien  entmicfek 
ten  fid)  nad)  unb  nadj  bie  „3floralitäten" ,  attegorifdj*moralifcf)e 
Sd^aufpiele,  in  meldjen  einjelne  Xugenben  ober  ßafter  perfonificirt 
auftraten  unb  beren  SBerfaffer  ben  3roetf  fjatten ,  eine  Sefyre  jur 
^efferung  beä  ßebenamanbelä  aufjufteffen.  3"  bieten  Sttoralitäten 
famen  in  ber  erften  Hälfte  be&  fed^jcrjnten  3al)rljunbert3  togenannte 
„3mifd)enfpie(e''  öotf  berben  £mmor$.  9tadj  unb  nac§  manbte  man  ftd) 
mefjr  profanen  Stoffen  ju  unb  madjte  ba3  mirflidje  Öeben  jum  ©egen= 
ftanb  be3  $rama'3,  juerft  in  ber  ®omöbie,  bann  audj  in  ber  Xragöbie. 

Unter  (Sttfabetf) ,  bie  eine  große  Vorliebe  für  tfjeatralifdje 
$arfteflungen  fmtte,  öerbreitete  ftct)  ber  ©inn  für  biefelben  öon 
bem  £>ofe  au&  balb  über  ba3  ganje  ßanb,  unb  fo  groß  mürbe  nadj 
unb  nadj  bie  3°^  ber  manbernben  ©d)aufpietergefellfd)aften ,  baß 
bie  meitere  $ermef>rung  berfelben  bereit*  im  Qafjre  1572  gcfefcltd) 
befdjränft  roerben  mußte.  $ie  $Büf>ne  beftanb  urfprünglidj  auö 
einem  ©erüfte,  ba3  gemöfmlidj  in  bem  $ofe  eine*  großen  SBirtl^ 
fjaufeä  errietet  mar.  SBeldjen  Ort  unb  meld>e  Sofalitäten  fie  öor- 
ftetten  follte,  mar  entmeber  auf  ein  ©rett  gefdjrieben,  ober  einer  ber 
©djaufpieler  jagte  e3  ben  3ufd)auern.  $>ie  Sonltffen  mürben  burd) 
aufgehängte  Seppirfje  ober  Tapeten  erfefet.  Snbeffen  entftanben 
fdjon  unter  ©üfabetf)  in  öonbon  ftefjenbe  Xfjeater,  beren  Qafy  fid) 
unter  3afob  I.  auf  fiebje^n  erfjöljte.  $ie  SBorftellungen  begannen 
um  brei  Uljr  WadjmittagS  unb  bauerten  feiten  länger  alä  jmei 
©tunben.  3n  ben  3roifd)enaften  aßen  unb  tranfen  bie  3ufdjauer 
ober  raupten  unb  fpietten  harten. 

©o  mar  ber  3uftanb  ber  Öüfme ,  für  meldje  Söilltam 
©J^afcSpeare,  ber  größte  aller  bramatifdjen  $id)ter  ber  neueren 
3eit,  feine  ©tütfe  ftfjrieb.  lieber  bie  Qugenbgefdjidjte  btefeS  öon  ber 
^aa^melt  me^r  nod)  al*  öon  ben  3citQenoffen  in  feinem  ooflen 
©ert^e  erfannten  $idjterfürften  miffeu  mir  nur  mentg  üBeftimmteS. 


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$ie  engüfdje  Sitcratur  hn  fedjjeljnten  unb  ftebjc^nttn  Sahrlmnbert.  171 

Mieles,  roa«  boöon  ergäbt  wirb,  gehört  ofme  3^«f^  ber  ©age 
an.  3n  ©tratforb  am  Stoffe  «öon  in  SBarttricffttre  am  23.  Slpril 
1564  geboren,  erhielt  er  oon  feinem  SBater,  einem  .franbfajuhmacher 
ober  SSolIhänbler  ,  ber  in  ber  Solge  meiere  ftäbtifche  Remter  be^ 
gleitete ,  eine  gute  (Jr^ie^ung ,  befugte  bie  tateirtifc^e  ©djule  feiner 
ißaterftabt  unb  foH  nadj  feinem  Austritt  au«  berfelben  eine  Qt\t> 
lang  Schreiber  bei  einem  Slbbofoten  in  ©tratforb  geroefen  fein,  ©djou 
in  feinem  neunzehnten  3a^re  berheiratt)ete  er  fidj  mit  ber  fteben 
3afjre  älteren  Xodjter  eine*  mo^abenben  ßanbmann«,  bie  ihm 
mehrere  tfinber  fdjenfte.  3m  3at)re  1586  ftebelte  er  nad)  ßonbon 
über,  mo  er  ftdj  bem  Ztyattx  zuroanbte,  anfangt  al«  ©djaufpieler, 
bann  aber  hauptfächlich  als  ©chaufpielbidjter ,  in  meld)'  lefcterer 
©genfe^oft  er  balb  ber  entfehiebenfte  ßiebling  be*  Sßublifumä  mürbe 
unb  inSbefonbere  auch  ben  Seifafl  ber  Königin  ©lifabetr)  fanb,  ob= 
mohl  er ,  toeit  entfernt ,  it)r ,  gleich  feinen  $unftgenoffen ,  in  feinen 
Dichtungen  SBethraudj  ju  ftreuen  unb  burch  Schmeicheleien  nach 
ihrer  ©unft  $u  t)afd)en ,  fidj  nicht  freute ,  in  feinen  ©ramen  ber 
herrfcheuben  3ritrid)tuiig  entfehteben  entgegen  zu  treten  unb  fia),  mie 
diio  fagt,  jur  Aufgabe  fteßte,  „fo  Diel,  al3  für  it)n  möglich  mar, 
bie  nrilben  unb  fdjmufcigen  SBaffer  abzureiten,  meiere  feit  bem 
Regierungsantritte  ber  Königin  ©Itfabctt)  ben  ©trom  ber  öffentlichen 
Meinung  trübten."  Sind)  feine  SBermögen&oerhältniffe  geftalteten  ficf> 
balb  fo  günftig,  bag  er  fdjon  im  3at)re  1596  baä  fchönfte  #au* 
in  ©tratforb  unb  1602  eben  bafelbft  bebeutenbe  ©ruubftütfe  faufen 
unb  im  $a$xt  1605  feiner  JBaterftabt  ein  beträchtliche«  Darlehen 
machen  fonnte.  hierhin  (ehrte  er  im  3<*h*e  1611  jurücf,  um  feine 
legten  ßebenäjahre  in  friller  8u^ücfgejogenhcit  Einzubringen.  <£r 
ffcarb  am  23.  Slpril  1616  mit  .ipinterlaffung  zmeter  Xödjter  unb 
rourbe  in  ber  ^auptfirdje  feiner  Sßaterftabt  beigefefct. 

©f^eäpeare'ä  Dramen  fteden  ba$  Seben  in  feinen  maunig- 
faltigften  (ährfdjeinungen  mit  folcher  Xreue  unb  Sebenbigfeit  bar, 
ba§  man,  toie  ÖJotfye  fagt,  „üor  ben  aufgefchlagenen  Ungeheuern 
Suchern  be$  ©chidfal«  zu  ftefjen  glaubt,  in  benen  ber  ©turmminb 
be$  bemegteften  ßeben«  fauft  unb  fie  mit  ®eroalt  rafet)  hin;  unb 
mieber  blättert,"  unb  enthüllen  babei  mit  unübertroffener  SDeeifter* 
fchaft  bie  innerften  Xiefen  be3  SRenfchenherjen«.  2lüe  ©haraftere, 
mögen  fte  ber  ©efduchte  entlehnt  ober  ganz  *>er  $hanta^e  btö  ^ify 
terS  eutfprungen  fein,  tragen  ba8  ©epräge  ber  öoöenbetften  inneren 
Wahrheit  unb  treten  unä  babei  in  einer  Üttaunigfaltigfeit  ber  Qnbi^ 
mbualifierung  entgegen ,  roie  fte  bei  (einem  anbern  bramatifchen 
Dichter,  roeber  oor  noch  nach  ©hft(e$peare ,  zu  fwben  ift.  5lde 
Regungen  beä  ÜJcenfd>enherzen8,  oon  ber  z<*rteften  ©mpfiubung  unb 
tänbelnbem  ©cherz,  fprubelnbem  2öi^  unb  nerfenber  ßaune  bid  zur 
erhabenften  moralifdjen  Äraftentfaltung  unb  ben  furchtbarften  Schreiten 


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172     Gnglanb  in  ber  jtuciten  &filfte  bc§  fieberten  3af)rf)unbert3. 

fccr  £eibenfdmft ,  finb  mit  ber  gleichen  9fteifterfchaft  gezeichnet,  uttb 
nicht  minber  glütflich  ift  bcr  Dichter  in  ber  ©dulberung  be$  Säuer- 
lichen, ber  fläglkhcn  ©d)n)äche  unb  ber  moralischen  Scrfommen* 
hctt,  fonrie  in  ber  (£f)arafterifirung  ber  einzelnen  6tänbe  unb  bcr 
nationalen  fögenthüinfidjfeiten.  2113  nrirflidje  £eben$bilbcr  geigen 
felbft  @^afc#peare^  Xragübien  ein  ®emifch  üon  ßruft  unb  ©djerj, 
Don  Seib  unb  grcub,  unb  mit  ben  erfchütternbften  Scenen  ber  Sci- 
benfchaft  unb  beS  herbften  Seelenfchmerjea  roechfeln  ^eitere  ©über, 
bic  jcbocr)  mit  jenen  *fo  fimftootl  bcrflochten  finb,  bafj  burd)  bie 
(SJctoalt  be3  ©egenfa^eä  ba3  Dragifche  nur  noch  übermältigenber 
roirft.  ©fjafcäpeare'ä  8prad)c  belctbigt  ^mar  in  einzelnen  ©tel= 
len,  too  c£  fid)  um  bte  <Scf)ilberung  nieberer  (Efjaraftere  t)anbett, 
ben  Öcfchmatf  unfercr  Sät;  aber  nach  bem  Urtfjeil  s2luguft  2SMl= 
beim  ©d)legel£  ift  fie  in  ihrer  ©efammtheit  „unmittelbar  au3  bem 
Seben  gegriffen  unb  meifterhaft  mit  bem  hochftcn  poetifd)en  Sd)tnucfe 
rjeridjmoljen,  ein  nod)  unübertroffene^  ©orbtlb  im  Staden  unb  ©r= 
fyabcnen,  im  öJefäHigen  unb  garten." 

9ftan  t)at  in  ©hafeäpeare'ä  Sßkltanfdjauung  ba3  „einfache, 
pofittoe,  biblifchc  (Ehriftcuthum  bcr  s$roteftauten"  finben  moHen;  aber 
s3cid)t3  mibcrfpricht  mehr  ber  SSahrfjcit  al»  biefeä  auf  ben  miÜfür= 
lidjften  ,£r)pothefcn  unb  bcr  oollftänbigftcn  ^ißfennung  beS  (X(ia- 
raftcrä  feiner  Dichtungen  beruljenbc  Urtheil.  StjafeSpcare  gehörte 
nicht  nur,  als  ber  ©ol)n  eine«  glauben£trcucn  9iecufanten,  burd) 
feine  (Geburt  bcr  fatbolijehen  ftirche  an,  fonbern  ift  auch,  wie  §at)l= 
reiche  uu^meibentige  ©teilen  in  feinen  bramatifdjen  Dichtungen  6e* 
inciicn  ,  fein  ganzes  Sebeu  lang ,  tro^  aller  an  it)n  l)erantretcnbcn 
Verfügungen  jum  ®lanben£abfa(l,  feinen  fatholifcbcn  2lnfd)auungen 
unb  Ueberjeugitngen  treu  geblieben  unb,  nad)  bem  jebeufallö  ferner 
nnegenben  Beugiüß  ^meicr  anglifanifcher  Ökiftlichen  f  als  „s$apift" 
geftorben  l). 

Shafeäpearc'*  burdnueg  fattjolifche  SBcltanfchauung  bilbet  ben 
(SJrunbtou  aüer  feiner  Dichtungen.  „Da$  Sdjidfal  ber  Gilten,  mU 
dje*  al*  unabänberliche  Wothroenbigfeit  ber  Freiheit  bcr  £>aublung 
gegenüber  auftritt,"  jagt  23ei&,  „fiubet  fid)  bei  ©hafeäpeare  nicht, 
fonbern  Sdjirffal  unb  $cmüth  finb  bei  ihm  ein«;  in  ber  ©ruft  be3 
SHenföen  leuchten  bie  ©terne  feinet  Sdjitffate.  Der  üüfeufch  ift 
,V)err  feinet  6d)itffal$ ,  roenn  er  auf  bie  göttlichen  Scbenägebanfen 
eingebt;  er  berfällt  ben  eitrigen  ©efejen ,  auch  tuenn  er  noch  fo 
groß  ift,  fofern  er  ber  fittlidjen  ^otljmenbigfeit  junriber  \)avbtilu 
ixben  barnm  enthalten  auch  3hafe*peare'ä  Dichtungen,  toie  SBeiB 
weiter  bemerft ,  eine  güQc  ber  tiefften  ßebendmei^heit  in  fünfter 
gorm.  3n  aüen  feinen  tragifchen  Öeftalten  maltet  eine  heitere  föuhe, 

1)  Sie^c  JHaid),  (Sf)«k3peare'£  Stellung  jur  fatfjolifdjcn  fird)c. 
aKainj.   gr.  Äird)t)etnu 


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Die  engli)'cf)c  öitcratur  im  iedjje^ntcn  unb  fteb*et)ntcn  ^a^v^unbert.  173 


unb  neben  ber  ®raft  ber  Sluffaffung  reißen  un$  bie  liefe  be3  ©e^ 
banfenS ,  bte  burct)jtct)ttgc  Stühe  unb  bte  freubtge  Stärfe  $ur  s8t- 
tounberung  hin. 

Die  berühmteren  unter  ben  bramatifchen  Dichtungen  Sl)afe3= 
peare  —  im  ©anjen  fiebenunbbreißig  Stücf  —  finb  feine  fünf 
großartigen  Dragöbien:  „Siomeo  unb  Qulie"  (1592),  nad)  £efftttg$ 
2lu3fpruch  „baä  einzige  Stürf,  ba3  bie  Siebe  biftirt  |at;*  »$am< 
let"  (1598),  „ein  ©ebanfen=Draucr)pieI,  burd)  anf)altenbe$  unb  nie 
befriebigteä  Scadjfinnen  über  bte  menfd)H$en  Sdjicffale ,  über  bte 
büftere  iöertoorrenfjeit  ber  SBeltbegebenheiten  eingegeben,  unb  beftimmt, 
eben  biefeä  sJcachfinnen  toieber  in  ben  ^ufd)oucrn  heröorjurufen," 
(Schlegel);  „Äönig  Sear"  (1605);  „Macbeth"  (1609),  ein  SBcrf, 
baä  in  fetner  großartigen  3rurct)tbarfcit  an  bie  Surien  bc£  Slcfchölo» 
erinnert,  unb  „Cttjcflo"  (1612).  S3on  feinen  luftorijd)en  Schauipielcu 
fteüen  brei:  „3uliu£  CSäfar"  (1606),  „Wntoniuä  unb  Cleopatra" 
(1607)  unb  „(Soriolan"  (1608),  baä  öffentliche  fieben  beä  alten 
SRomä  in  ber  großarttgften  unb  freieften  bramatifchen  Sonn  bar; 
bie  übrigen  jef^n,  bie  ihren  Stoff  au$  ber  englifdjen  $efchichte  ent~ 
lehnen :  $önig  Qofjann ,  ?Rict)arb  II. ,  Heinrich  IV. ,  Heinrich  V., 
jRtcharb  III.,  Heinrich  VI.  (in  brei  2lbtheilungen,  toahrfcheiulich  baä 
äliefte)  unb  Jpeinrich  VIII.,  büben  nach  Schlegel  eigentlich  nur  ein 
©erf ,  ein  h^orM^c^  £>elbcngebicht  in  bramatifcher  5orm.  „Die 
£aupt$üge  ber  Gegebenheiten,"  fagt  Schlegel  über  biefelben,  „finb 
fo  treu  aufgefaßt;  ihre  Urfadjen ,  fogar  ihre  Driebfebern  finb  fo 
lichrootl  burchfehaut,  baß  man  barauS  bie  Qtefdjichte  nach  ber  2Sahr= 
heit  erlernen  fann ,  toährenb  bie  lebenbige  Darftellung  fie  ber  ©in* 
bilbungäfraft  unau3löfd)lich  einprägt."  $on  Shafeäpeare'3  üuftfpielen 
gehören  brei :  ber  Sturm ,  baä  SBintermörchen  unb  ber  Sommer = 
nachtötraum,  ganj  ber  SBelt  ber  s45t)antaftc  an;  unter  ben  übrigen 
finb  bie  bebeutenbften  „ber  Kaufmann  oon  Sßenebig"  unb  „bie  luftigen 
53eiber  oon  SSinbfor",  in  welch  lefcterem  Stücfe  Qohn  Clbcaftle, 
ba3  .paupt  ber  Sollharben  (f.  33.  IV.  S.  478),  unter  ber  fomifchen 
ftigur  beä  galftaff  farrifirt  erfcheint. 

Drofc  be£  großen  unb  wohlöerbienten  SBeifallä,  ben  ShafeS* 
peare'3  Dramen  bei  ihrem  @rfd)einen  auf  ber  englijehen  iöüfjne  ge- 
funben,  fat)  ber  Dichter  in  feinen  legten  £ebenäjat>ren  feinen  hohen 
9tuhm  burch  eine  unberechtigte  ®ritif  gefchmälert.  (Sine  ÖJegen* 
partei ,  an  bereu  Sptfce  jwet  anbere  bramatifche  Dichter ,  iöen 
3ohnfon  (geb.  1573,  geft.  1637)  unb  Sohn  gleicher  (geb. 
1516,  geft.  1625)  ftanben ,  warfen  ihm  Langel  an  ©elehrfamfeit 
unb  Mißachtung  ber  Slriftotelifchen  Siegeln  oon  ben  brei  Einheiten 
oor  unb  brachten,  an  bie  Stelle  ber  poetijdjen  ®raft  unb  beä  hohen 
®ebanfenflug3  bie  nüchternfte  süuffaffung  be3  Sebent  fefcenb ,  eine 
©efchmacterid)tung  jur  (Geltung,  bie  im  Vereine  mit  bem  immer 


174     gnglanb  in  ber  jtocitcn  §älfte  bcS  ftebäehnten  SahrfwnbertS. 

weiteren  Umfidjgretfen  be$  bem  X^eater  fctnbüc^en  puritanifchen 
Reifte«  bie  bramatifche  ftunft  in  (Snglanb  ihrem  Verfalle  entgegen 
führte. 

©leid}  nach  bem  Ausbruch  be£  *8ürgerfrieg3  liefe  ba*  $arla= 
ment  in  feinem  puritanifchen  @ifer  alle  Schaufptelhäufer  fdjliefeen, 
unb  erft  nach  ber  föücffchr  ®arl3  II.  mürbe  baä  Verbot  ber  s-8üh* 
nenfptelc  ttueber  aufgehoben.  Xa£  engltfdje  2)rama  fonnte  fid)  je* 
boch  nicht  mehr  jn  fetner  früheren  Jpötyc  emporfdjroingen ;  benn  e3 
lag  oollftänbig  in  ben  Öanben  bc$  öon  $arl  II.  nad)  (Smglanb 
herübergebrachten  franjöfifchen  (SJefdjmacfö,  gefiel  fid)  nur  in  Weu* 
$erlid)teiten ,  prunföollen  (£oftüm$  unb  Dekorationen,  glänjenben 
Aufzügen  unb  bergleic^en,  unb  neigte  fid)  burd)  bie  Söerbtnbung  be$ 
©efangä  mit  ber  Deflamation  mehr  unb  mehr  ber  Oper  ju.  Der 
^pauptrepräfentant  biefer  (5Jefchmacferid)tung  mar  3of)n  Grüben 
(geb.  1631,  geft.  1701),  ber  öon  ben  ^itflenoffen  als  ber  befon= 
bere  ©ünftling  ber  2Jcufen  gepriefen  unb  im  3af)re  1668  al£  Did)= 
ter  gefrönt  rourbc.  ©r  ^at  an  breifeig  Opern,  Suft-  unb  Xrauer* 
fpiele  gefchrieben,  bie  längft  bem  öerbienten  Öoofe  ber  Söergeffenheit 
anheimgefallen  finb. 

Der  bid)terifd)e  9lepräfentant  beS  reltgiöfen  Sdjroimgeä  ber 
^re^bnterianerjett  ift  3of)n  9R  ü  t  o  n.  GJeboren  511  ßonbon  im 
jjahre  1608  al$  ber  Solm  eines  Notars,  ber  ihm  eine  treffliche 
(5r$iehung  gab,  bejog  er  fdjon  in  feinem  fechäefmten  3°^rc  °ic 
Unioerfität  Offorb,  roo  er  anfangt,  bcm  SBunfdje  feinet  söaterS 
cntfprcchenb,  Xr>eologie  ftubierte,  fid)  aber  balb  faft  auSfchliefelid) 
ber  Xict)tfunft  jutuanbte,  für  meiere  er  fdjon  frühe  ein  bebeutcnbeS 
Dalent  an  ben  Dag  gelegt.  9cad)bem  er  in  ben  Qahren  1638  unb 
1639  granfreid)  unb  Qtalien  burctjreift  hatte,  nahm  er  bei  feiner  SRücf* 
fehr  in  bie  ^eimatf)  feine  früheren  literarifd)en  Stubien  mit  öer= 
boppeltem  (Sifer  mieber  auf,  lad  Dante,  Petrarca,  Horner  unb  baS 
alte  Dcftament  in  ber  ürfprachc  unb  mufete  balb  bie  beiben  lefcteren 
faft  gan$  auSmenbig.  gür  feine  Dichtungen,  öon  benen  bie  älteften 
in  lateinifcher  Sprache  getrieben  finb,  mahlte  er  meift.  religiöfe 
unb  moralifche  Stoffe,  in  beren  iöehanblung  er  nach  flaffijdjer  $ol* 
lenbung  ftrebte.  ißon  feiner  greifjeitäliebe  jum  Wnfd)lufe  an  bie 
Partei  ber  9tepublifaner  getrieben,  entfagte  er  für  eine  Zeitlang  ber 
sßoefie,  um  feine  fchriftftetlerifche  Dh^ta*  auSfchliefeltd)  ben  üffent- 
liehen  Angelegenheiten  jujumenben.  (Sine  Schrift  jur  SBertf)cibigung 
ber  Einrichtung  $arlS  I.  öerfd)affte  ihm  bie  befonbere  ®unft  (£rout= 
metlS,  ber  ihn  jum  StaatSfefretär  ernannte.  Obgleich  fett  bem 
3al)re  1652  üoöftänbig  erbliubet,  blieb  er  raftloä  literarifd)  thätig, 
inbem  er  feinen  Död}teru  bifttrte  unb  fich  öon  ihnen  öorlcfeu  liefe. 
sJtad)  ber  SSieberherftcliung  beS  JBnigthumS  mürben  einige  feiner 
Schriften  burd)  iumfer^hanb  öerbrannt;  er  felbft  aber  blieb  unbe* 


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2)te  englifäe  Literatur  im  fedjaefmten  unb  ftebjeljnten  Saljrlwnbert.  175 

^efligt.  „3dj  fjöre,"  fagte  $arl  II.,  „bog  SÄilton  arm,  franf  unb 
blütb  ift;  ba  ift  er  genugfam  beftraft." 

Seit  biefer  3cit  bilbetc  bic  <ßoefie  nrieber  Sflilton*  £>auptbe* 
idjaftigung,  unb  im  3a^rc  1665  ooUcnbetc  er  feine  grojjartigfte 
$>idjtung,  „$a*  Verlorene  $arabie*\  in  meiner  ba*  religiüfe  (£po* 
ber  ©nglänber  feine  fjödrfte  iBollenbung  erreichte.  9ttit  nmnber* 
barer  Äraft  unb  Wnmutlj  jdulbert  ber  $id)ter  bie  erhabene  8d)ön* 
l>eit  be*  ^arabiefe*,  ba*  GUücf  unb  ben  grieben  be*  erften  sJtten* 
fdjenpaare*  oor  feinem  gaHe,  mit  ergreifenben  gügen  einerfeit*  in 
bem  Satan  unb  ben  gefallenen  ©ngeln  bie  2Kad)t  ber  Selbftfuajt, 
gepaart  mit  bem  fc^merjlia^en  äBetou&tfein  be*  iikrlufte*  ber  ur* 
fprüngliajen  £>errlidjfeit,  unb  anbererfeit*  in  ben  au*  bem  ^ara- 
biefe  oerfto&enen  ©tammeitern  be*  9ttenfa)engefd)led)t*  bie  furcht* 
baren  golgen  be*  Sünbenfall*.  9tur  mit  9ttüf>e  gelang  e*  ÜWil* 
ton,  für  biefe  fyerrlidje  $idjtung  einen  Verleger  ju  finben,  ber  itym 
für  biefelbe  je^n  ^ßfunb  jaulte ;  aud)  mürbe  ba*  SBerf  öon  ben  QtiU 
genoffen  Anfang*  wenig  beamtet.  3m  3al)re  1671  jdjrieb  aWilton 
al*  ©egenftücf  ju  biefer  erften  5)ia>tung  eine  jtoeite:  „£>a*  nrieber* 
gewonnene  $arabie*",  in  meinem  er  in  ber  ^erfudmug  be*  ^>eUan* 
be*,  ber  für  iljn  mefjr  9)*enfa)  öl*  ÖJott  ift,  bie  Of)nmaa)t  be*  sööjen 
bem  ©örtlichen  gegenüber  barftellt.  Dbgleia)  er  jelbft  biefer  leiteten 
S)id)tung  einen  f)öfjeren  SBertl)  beilegte,  al*  ber  erften,  ftetjt  fie  ber- 
felben  bod)  bei  Söeitem  natf).  ^lujser  biefen  beiben  pauptbidjtungen 
fjat  SKilton  audj  trefflidje  fleinere  Inrifa^e  Öebidjte  »erfaßt ;  feine 
Obe  auf  bie  ©eburt  ©fyrifti  gilt  für  bie  befte,  bie  in  englija>r 
Sprache  gebietet  roorben. 

SBäfyrenb  SDtilton  in  feinen  3Md)tungen  bie  $)oljeit  unb  £>err= 
lidjfeit  ber  djriftlidjen  Religion  feiert,  ftetlte  fia)  fein  3e^Öenoffc 
Samuel  Rüttler  (geb.  1612,  geft.  1673)  bie  Aufgabe,  bie  Ifjor* 
Reiten  unb  Uebertreibungen  ber  puritantfdjen  ganatifer  mit  ber 
(beißet  ber  Satire  flu  jüdjtigen.  Qu  biefem  @nbe  {abrieb  er,  nad) 
bem  SBorbilbe  be*  $>on  Duijote,  ein  fotnifa^e*  (£po*,  ba*  er  nad) 
bem  gelben,  einem  fdjeinfyetligen  puritanijajen  bitter,  ber  mit  fei* 
nem  Staflmeifter  Stolpe  äffnlidje  Abenteuer  beftef)t,  tuie  3)on  Quijote 
unb  Sandjo  Sßanfa,  £>ubibra*  nannte.  Obgleich  e*  biefem  (&e* 
bidjte  niajt  an  ©eift  unb  2Bt&  fefjlt,  f>at  ber  ^erfafjer  bod)  fein 
gro&e*  SBorbilb  Qeroante*  nid)t  erreidjt. 

(£benfon>enig  förberlidj  al*  für  bie  fünfte,  Die  jur  (Erweiterung 
unb  SBerfd)Önerung  be*  ßeben*  bienen,  fonnten  bie  fetten  be*  löürger* 
friege*  unb  ber  Jperrfdjaft  ber  Puritaner  für  bie  2Öifjenjd)aften  fein, 
ba  ben  Üßadjtfjabern  bei  ifjrer  einfeitig  religiöfen  9tia)tung  bie  pro- 
fanen  Stubien  gleidjgiltig,  wenn  nid)t  gar  anftö&ig  unb  oerberblid) 
erfahrnen  mußten,  unb  in  ber  Xfyat  mar  ba*  Strebeu  be*  Söarebone- 
Parlamente*  auf  nidjt*  (Geringere*  gerietet,  al*  auf  bie  gäujliaje 


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176     Gnglanb  in  ber  ^weiten  ^»ftlftc  be«  fiebgelmten  3Ahrfninbert$. 

Vernichtung  ber  Untoerfttäten.    Togegen  jeigte  fleh  ©rommell  al* 
v$rotcftor  ben  (belehrten  nicht  ungünftig. 

?luf  bem  ©ebiete  ber  ^^ilofoptjtc  mar  fchon  ju  (Slijabeth* 
Seit  burch  Sranj  öoeo,  Sir  öon  $erulam,  einem  ber  fcharfftn* 
nigften  Genfer  (£nglanb*  —  geboren  1561  ,  öon  (Elifabett)  jn 
ihrem  außerorbentlichen  ^Ratr)  ernannt,  unter  3afob  I.  ®roj}fiegel= 
bemahrer  unb  Sorb  ^anjler,  im  Qa^re  1621  megen  ©rthetlung  öon 
Remtern  unb  s£ribifegien  für  ®elb  oon  bem  Oberläufe  angeflagt 
unb  ju  einer  Strafe  Oon  öter$igtaufenb  *ßfunb  unb  ©inferferung 
im  Softer  üemrtfjeüt,  oon  $arl  I.  jeboa)  begnabigt,  geftorben  1626 
—  ber  ©runb  ju  einem  neuen  pt)ilofopt>ifct)cn  Sufteme  gelegt  wor= 
ben,  ba*  auf  ber  Anficht  bafirte,  baß  bie  Beobachtung  ber  äufeeren  . 
SRatur  ber  einige  SBeg  pr  CSrfemitniß  ber  Wahrheit  fei.  Tiefet 
Stiftern,  welche*  ba*  9teich  ber  äußeren  SSelt  unb  ber  Erfahrung 
jutn  TOttelpunfte  alle*  menfdjlidjcn  Söiffen*  unb  jum  #crn  ber 
$^ttofopt)ie  machte,  würbe  weiter  au*gebilbet  burch  Baco'*  greunb 
Sfjoma*  £>obbe*  (geb.  1588,  geft.  1679).  3eber  religiöfen  <5te 
ftnnung  bar,  fat)  .ftobbe*  in  ber  Religion  nur  eine  UWenfchenerfinbung, 
ein  ben  £errfchern  nüfcliche*  Söerfjeug  jnr  Bänbigung  ber  Üßaffen, 
in  ber  Vernunft  nur  bie  anerlernte  Stimme  ber  Klugheit  im  3)ienfte 
bc*  (Sigcnnufcc*  unb  in  bem  Staate  ben  Xräger  einer  abfoluten  ©e^ 
walt,  oon  ber  alle*  SRccht  au*gef)e  unb  ber  auch  bie  Kirche  fidj  öoCU 
ftänbig  unterorbnen  müffe.  3m  ®egenfafc  ju  biefen  neuen  ftaat*= 
rechtlichen  Wnfidjten,  bie  bei  ötelen  (£pi*fopalen  Wnflang  fanben,  oer= 
trat  «Igernon  Stbneö  (f.  S.  159)  bie  fechte  be*  «olfe*,  511 
beften  Heftern  bie  Regierung  beftetye  unb  ba*  barum  bie  Cbrigfeit 
t)cfct)ränfen  unb  gänjltch  änbem  fonne. 

(£ine  weitere,  cigeuthümliche  Wu*bilbung  erhielten  Baco'*  $In* 
fiepten  burch  3°hn  0 cf  c,  ber,  im  3ahre  I6«*2  8U  Sörington  in  ber 
©raffchaft  Somerfet  geboren,  auf  ber  Unibcrfität  Offorb  juerft 
neifunbe,  bann  $f)tlo)opf)ie  ftubierte,  feinen  ©önner,  ben  (trafen 
Shafte*burn,  nach  beffen  Stur^  nach  ben  Dlteberlanben  begleitete, 
im  3<*f)re  1688  mit  SÖU^elm  oon  Dranien  nach  ©nglanb  jurüeffehrte 
unb  im  3rthrc  I704  \taxb.  ®eftüfct  auf  ben  Sa$:  „Nihil  est  in 
intellectu,  quod  non  fuerat  in  sensu  —  sticht*  ift  im  ©eifte, 
ma*  nidjt  bor  her  in  ben  Sinnen  mar,"  —  leitete  er  alle*  menfaV 
liehe  SSifjcn  au*  ber  Erfahrung,  b.  h-  au*  ber  Beobachtung  ber 
äußeren  9Jatur  unb  ber  eigenen  Ö)eifte*thättgfeit  her  unb  mürbe  ba* 
burch  ber  Skter  bc*  Senfuali*mu*  unb  (5mpiri*mu* *),  ber 
bei  feinen  Schülern  mehr  unb  mehr  in  Üttaterali*mu*  überging. 


1)  SenfualtSmu*  nennt  man  ba* jenige  pljilofopljif che  Stiftern,  baSbie 
@mncmoaf)rncl)mung  für  bie  aflemige  Cucllc  alle*  ©iffen*  erflärt,  unb  Umpu 
ri*mu*  baSjenige,  »eiche*  aUe  ©rfenntnife  au*  ber  Erfahrung  herleitet. 


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2>ie  engliidje  fiitcratut  im  fccfeelmten  unb  ftebsefmten  ^a^unbcrt.  177 

3nbcm  Sode  bic  93ef)auptung  aufteilte,  baß  ber  Vernunft  bie  (£nt* 
Reibung  über  bie  oon  ben  oerfduebenen  sJleligiondparteien  ald  £)ffen= 
barungäletjren  oertretenen  Meinungen  juftefje,  brad)  er  ben  foge= 
nannten  gretbenfern  ober  Reiften  bie  $8afm,  bie  in  ber  ge* 
offenbarten  Religion  nur  baa  gelten  laffen  rooflten,  maä  mit  ber 
fogenannten  „natürlichen  Religion4'  übereinftimme. 

Salb  bübeten  fid>  in  (Snglanb  ©nippen  oon  Männern,  bie 
Religion  unb  ©irtlidtfeit,  fira)lia)e  unb  ftaatlidje  Drbnung  g(eia> 
mäßig  untergruben.  (Siner  ber  einflu&rcidjften  berfelben  mar  ber 
©raf  Oon  ©  f)  a  f  t  e  *  b  u  r  ü,  ber  in  feinen  Unterljaltungäfdjriften  bie 
Sibel  unb  bie  SBunber,  bie  Religion  unb  bie  9Koral,  bie  Regierung 
unb  baä  ^iftorijaje  SRedjt  mit  £>ofm  unb  Spott  übergoß  unb  ber 
"änfidjt  fmlbigte,  baß  man  tugenbfjaft  fein  fönne  ofme  (&ott  unb 
ba&  bie  Sorberungen  ber  ©innltdtfcit  unb  ber  ©elbftfuajt  ben  58er- 
nunftgejefcen  nidjt  jumiberliefen.  Slnton  So  (lind  (geb.  1676, 
geft.  1729),  ein  Sreunb  unb  Högling  8oaY3,  fdjrieb  gegen  bie 
£>od}fira)e  mie  gegen  baS  Sfjriftentjjum  überhaupt  unb  richtete  feine 
Angriffe  befonberä  gegen  bie  ÜJceffianifdjen  SBeiffagungen  beä  alten 
33unbe3;  er  mar  e3,  ber  ben  tarnen  „greibenfer"  in  Slufnaljme 
braute.  *8on  bem  gleiten  ©eiftc  burdjmeljt  ftnb  bie  ©Triften  beä 
3rlänber3  3ofm  Xolanb  (geb.  1670,  geft.  1721),  ber  naa)  fei- 
nem  Abfall  oon  ber  (at^oüfa)en  fördje  bie  ÖJeiftlia^feit  in  Dielen 
$ampf)leten  öerfpottete,  bie  Vernunft  für  bie  työdtfte  fötdjterin, 
aud)  ber  Vibel,  erflärte,  alle  SJtyfterien  leugnete  unb  feinen  ßefjren 
aud)  an  ben  £>öfen  oon  $annoüer  unb  Berlin  ©ingang  ju  Oer- 
jdjaffen  fudjte,  an  meld)'  lefcterem  bie  Königin  Charlotte  ©opf)ie 
(f.  ©.  39),  fid)  große  9i)culje  gab,  üjn  $u  nnberlegcn.  Qvl  ben  eif- 
rigften  Vefämpfern  be£  (£f)riftentf)um3  gehörten  audj  ber  9tedjt3- 
gelehrte  5]Jfattt)äu3  Xinbal  (geb.  1656,  geft.  1733),  ber  bie  natür* 
lidje  Religion  für  genügenb  erflärte  unb  mit  ber  Sftottjroenbigfeit 
ber  Offenbarung  biefe  felbft  beftritt,  unb  ber  frühere  anglifanifdje 
Ideologe  %t)oma$  SBoolfton  (geb.  1669,  geft.  1731),  beffen  bie 
gefd}id)tlid)e  ©laubnmrbigfeit  ber  $8ibel  befampfenbe  2lbfjanblungen 
reigenben  ^bfafc  f anben  ,  f onrie  fpäter  ber  58i3count  $8 o Ii n g= 
brofe  (geb.  1672,  geft.  1751),  ber  in  feinen  ©riefen  über  ba$ 
Stubium  ber  ®efd)id)te  baä  ©hriftentfwm  auf  bie  ja)onungälofefte 
s23ei)'e  angriff. 

SBätjrenb  baS  Veftreben  ber  englifd)en  ^^Uofop^en  jener  &\t, 
aüe^  menfdjlidje  SSiffen  auf  bie  ©innemoaljmet)mung  unb  Gftfaf^ 
rung  jurüdjufüfjren,  auf  bem  (Gebiete  ber  Religion  unb  SJcoral  bie 
b ef l a ge n ö ro c r 1 1)  ef t cn  Verheerungen  anrichtete,  führte  ber  2Beg  ber 
*Beobad)tung,  auf  meldten  fie  fnngenriefen,  auf  bem  (Gebiete  ber 
turmiffenfajaften  ju  ben  überrafd^enbften  (Sntbecfungen.  2)iefe  maren 
^aiiptfädjlid?  baä  SBerf  be3  berühmten  9Jcathematifer$  3  j  a  a  f 
$olatoart$,  SBeltßei^te.  VI.  12 


178     (Snglanb  in  bcr  jrocttcn  .fciilfte  beä  ftebjehnten  Sahrfmnbert«. 

■ 

91 e  m  t  o  n ,  geb.  am  25.  $ej.  1642  §u  2Boo(ftt)orpe  in  Sincolnfhire. 
ftachbem  er  im  Qahre  1669  ^rofeffor  ju  ©ambribge  unb  brei 
3af)re  füäter  SDlitgtieb  ber  üon  £arl  II.  gefrtfteten  föniglichen 
„Soctetät  ber  SBiffcnfcftaftcn"  ju  fionbon  geworben,  öeröffentltdfjte 
er  feine  eüochemachenbe  „Xheorie  be*  Staate*  unb  ber  garben"  unb 
führte  burch  bie  üon  ihm  entmtcfelten  ©runbjä&e  ber  ^Raturp^ilo» 
fophie  eine  üöllige  Umgeftaltung  ber  Waturmiffenfchaften  gerbet, 
©eine  SBerbienfte  mürben  burch  zahlreiche  2lu*aeichnungett  unb 
(Styrenbe$eigungen  anerfannt:  bie  ^artfer  Slfabemte  ernannte  itm 
im  Qahre  1699  jum  au*märtigen  ÜKitgliebe;  bte  Königin  Slnna 
erf>ob  ihn  im  3af)re  1703  jum  <ßräfibenten  ber  Societät  ber  Ziffern 
faxten  unb  im  Satjre  1705  in  ben  ftitterftanb.  ©r  ftarb  im  3a^re 
1725,  nach  furjem  Stanfenlager ,  im  Hilter  öon  fünfunbachtjig 
3af)ren,  nachbem  er  fidj  in  ben  jelm  legten  Sauren  feine*  ßebenä 
aller  miffenfchaftlichen  SBefchäftigungen  hatte  enthalten  muffen,  meil 
ba*  Ueberma&  ber  Mnftrengung  feine  geiftige  ^raft  erfc^öpft  hatte. 
(SJeorg  I.,  ber  Nachfolger  $lnna%  lieg  ihn  mit  föniglichem  Gepränge 
in  ber  SBeftminftcrabtei  beifefcen.  Xrofc  feine*  retchen  SBiffen*  mar 
er  ftet*  befchetben  unb  anfpruch*lo*  unb  bemahrte  bi*  an  fein  @nbe 
bte  offene  Unbefangenheit  eine*  Äinbe*. 

Unter  ben  jahlreichen  Sehen ,  bte  ber  religiöfen  (Währung 
unter  $arl  I.  unb  in  ben  Reiten  ber  9iepublif  ihren  iirfprung  üer= 
bannen ,  mar  bie  etgentfjümltdjfte  bie  ber  D  u  ä  f  e  r.  2)er  Stifter 
berfelben  mar  S^h"  So?  (geb.  1624,  geft.  1691),  ein  au*  ber 
&ecjre  entlaufener  Schufterburfche ,  ber  fieb, ,  nachbem  er  ftch  fd)on 
frür)e  einem  träumerifdjen  Sinnen  über  religidfe  fragen  Eingegeben, 
üon  © ott  berufen  glaubte ,  al*  33ujjprebiger  au*jujte^en ,  um  bem 
ißerberben  feiner  3*1*  entgegen  ju  treten,  ba*  feiner  SReiming  nach 
nur  üon  ber  Ueberjchctfcung  ber  äußeren  Seite  ber  Religion  unb 
bem  ^Berfennen  be*  inneren  SBefen*  berfelben  ^errür)re.  SDiefe* 
beftefje,  fo  lehrte  er,  in  bem  innerlichen  Stufe  be*  göttlichen  2öor= 
te*,  unb  nur  diejenigen ,  bie  bemfelben  folgten ,  feien  roatjre  ÜtyxU 
ften  unb  mürben  oiirdj  bte  Wtafy  be*  göttlichen  Reifte*  üom  Sööfen 
gereinigt.  55a  er  fich  burch  feinen  fdjmarmertfdjeu  (gifer  jur  Stö- 
rung be*  öffentlichen  ®otte*b  teufte*  unb  ju  heftigen  5)eflamattonen 
gegen  bte  GJeiftlidjfett  hinreißen  liefe,  mürbe  er  mehrmal*  gerichtlich 
üerfolgt ,  erlangte  jeboch  immer  feine  Sreihett  mieber ,  ba  ihm  fein 
gefefcltch  ftrafbare*  Vergehen  nachgemiefen  merben  tonnte  unb  ©rom- 
mell  i^n  mit  Schonung  behanbelt  mtffen  mollte.  3>ie  allgemeine 
religiöfe  (Währung  führte  ihm  zahlreiche  Anhänger  ju,  bte  fich  bie 
„(SefeÜfchaft  ber  greunbe"  ober  bie  „©efenner  be*  Sichte*"  nann- 
ten, üon  ihren  ÖJegnern  aber  ben  sJcamen  Ctuäfer  (3itterer)  erhielt 
ten,  meil  fie  bei  ihren  gotte*bienftlichen  SBerfammlttngen  üor  innerer 
Erregung  häufig  in  conüulfiüifche*  gittern  geriethen. 


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3>ic  cnflUfdje  Sttctatur  tat  fcthjefjnten  unb  ftebjc^ntcn  Sahrhunbert.  179 

Su  ben  Ctuäfern  traten  felbft  mehrere  gelehrten  SHänner  über, 
bie  allmählich  bie  Anflehten  bed  ©tifter*  ber  ©ehe  in  ein  georbnete* 
Sehrföftem  brachten.  <£incr  berfelben  ,  SS  i  1 1  i  a  m  $  e  n  n  (geb. 
I674r  geft.  1718),  ber  ©ofm  be3  früher  (©.  138)  ermähnten 
^bmiralfc,  grünbete  für  feine  in  ©nglanb  üielfach  bebrängten  (Blau* 
benSbrüber  in  fleorbamerifa,  wo  flarl  II.  ihm  am  Delaware  gegen 
eine  öon  $enn3  Später  ^errü^renbe  ©dmlbforberung  bon  fechjehn* 
taufenb  Sßfunb  einen  bebeutenben  ßanbftrid)  abgetreten,  eine  Kolonie, 
bie  nach  ihm  ben  tarnen  $ennfnlDanien  erhielt  unb  fleh 
balb  $u  ^o^er  ©lüthe  emporfchmang.  3n  ©nglanb  erlangten  bie 
Quäfer  erft  unter  Safob  IL  $ulbung  unb  unter  SBilhelm  III.  ooCU 
jfönbtge  Religionsfreiheit. 

Stach  ber  ßet)re  ber  Duäfer  ftnbet  fleh  in  ber  Seele  eined 
jeben  SReufdjen  ein  ber  göttlichen  Vernunft,  ein  gunfe  ber 
©einfielt,  ber  aber  burch  ben  materiellen  ßeib  Derb  unfett  unb  unter« 
brüeft  ift  unb  entjünbet  werben  mufj,  wenn  man  glüeflich  fein  will. 
<£urc$  biefed  innere  ßkt)t,  baS  bie  Urfache  aller  religiöfen  Srfennt* 
niB  unb  bie  Duelle  be$  frommen  bebend  ift ,  erhält  bie  tyiÜQt 
Bdjrift  erft  Söerftänbnif}  unb  Autorität.  $a  nach  °er  Anficht  ber 
Dudfer  ber  äujjere  (Sottefcbienft,  bie  firdjlic^en  Zeremonien  unb  bie 
heiligen  ©atramente  unnüfc  unb  überflüffig  finb ,  höben  fie  Weber 
einen  befonberen  ^ßrebtgerftanb  als  Vermalter  bed  göttlichen  Sehr* 
amte$  noch  eine  beftimmte  Öiturgie ,  auch  feine  Safttage  unb  feine 
Kirche,  ©ie  oerfammeln  fleh  in  fchmucflofen  ©ölen,  wo  fie  fcf)Wei= 
genb,  mit  bebeeftem  Raupte  unb  ben  ©lief  $ur  (5rbc  gefenft ,  fltyen 
unb  harrcnf  &i*  ©inen,  3Rann  ober  grau,  „ber  ©eift  ergreift/ 
ba§  er  ju  ihnen  rebe.  ©efdjieht  bie*  nicht ,  fo  gehen  fie  fchroei- 
genb  roieber  auäeinanber.  3m  gewöhnlichen  ßeben  jeidmen  fie  fleh 
burch  (Einfachheit  unb  Strenge  ber  ©Uten  au* ,  oerfchmähen  jeben 
$tenft  ber  Sttobe  unb  jebeä  weltliche  Vergnügen ,  untertaffen  jebe 
#öflichfeUab€$eigung ,  nennen  Qebermann  b  u ,  bebienen  fleh  feiner 
anberen  Anrebe  als  „mein  greunb"  unb  oerweigem  ben  @ib,  ben 
ftriegSbienft  unb  bie  Uebernahme  obrigfeitlicher  Remter. 


12* 


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180 


2>er  fpanifdjc  erbfolgefrieg. 


VI. 

Der  fvanifQe  grBf  of  fleßr  t  eg. 

(1701-1714.) 

$ie  bret  crftcn  ftrieggjal>re. 

(1701-1703.) 

spotte  baS  fiebje^nte  3af)rf)unbert  feit  bcm  beginne  beS  brei&ig= 
jäfjrtgcn  Kriege«  bcr  europäifcf)en  SBelt  nur  furjc  «Sttrifdjenräumc 
frieblicfjer  Ütufje  gegönnt,  fo  füllte  baS  ad)tjel)nte  Ujm  an  öerfjeeren* 
ben  friegSftürmen  nidjt  nad)ftel)en.  ©leid)  bei  feinem  beginn  er= 
tönte  auf«  9leue  baä  SBaffengetöfe ,  baä  burd)  bie  5rieben^fcr)Iüffe 
öon  ÜiöSttncf  unb  ®arloroifc  nur  für  furgc  3^*  5"™  Sdjmeigen  ge^ 
bracht  morben,  in  jtnei  großen  kämpfen,  bie  im  9torboften  unb  im 
Sübmeften  311  gleicher  Seit  entbrannten  unb  alle  Staaten  Europa' S 
in  ifyren  Strubel  riffen.  SBir  tuerben  un§  3unäcf)ft  mit  bemjenigen 
befdjäftigen,  ber  um  bie  Erbfolge  in  Spanien  geführt  mürbe. 

Sdjon  feit  einer  längeren  Steide  öon  3a^rc«  fato  °ic  Sroöc» 
mem  nad?  bem  $obe  bc£  finberlofen  Königs  ®arl  II.  öon  Spanten, 
beffen  beftänbigeS  Sied)tf)um  ein  früfycS  (Snbe  erwarten  ließ ,  bie 
fpanifa^e  Sftonardue  aufaßen  fofle,  bie,  roenn  audj  augenblitflid)  Don 
ifyrer  früheren  £>ölje  fyerabgefunfen,  bod)  nodj  immer  burcf)  iljr  weit 
auägebefmteä ,  reidjeS  unb  fjerrlidjeS  (Gebiet  als  ein  beneibenS- 
roertfjeä  @rbe  erfdjien,  bie  Kabinette  befdjäftigt  unb  ju  ben  lcbljaf= 
teften  SBerfjanblungen  93eranlaffung  gegeben. 

$)ie  beiben  |>auptbemerber  um  ba§  fpanifdje  (Srbe  maren 
ßubroig  XIV.  unb  $aijer  Üeopolb  I.,  bie  iöeibe  öon  Södjtem  $f)i= 
lipps  III.  abftammten  unb  mit  Xödjtern  ^IjilippS  IV.  Dermalst 
gemefcn  maren.  9113  Sofyn  ber  älteren  Sdjtoefter  unb  ®emaf)I 
ber  älteren  Xodjter  ^fyilipps  IV.,  mürbe  ^ubmig  unzweifelhaft 
ein  nähere«  (Srbredjt  gehabt  fyaben ,  als  Seopolb ,  ber  öon  ber 
jüngeren  Sduoefter  ^SfjilippS  IV.  abftammte  unb  mit  beffen 
jüngerer  Softer  öermäljlt  gemefen ,  hätten  nitf)t  feine  Üttutter 
Slnna  öon  Defterreicf)  unb  feine  ©emafjlin  Sftaria  X^erefia  bei 
tf)rer  SSer^eirat^ung  auSbrücflidj  auf  ba£  fpanifdje  (5rbe  SBerjidjt 
geleiftet,  roäfjrcnb  bie  ÖJema^lin  gerbinanbS  III.,  SJiaria  $lnna, 
unb  bie  Ö)emaf)lin  SeopolbS  I.,  sJJtargaretfja  Xfyerefia,  firf)  bei  Ujrer 
$Bermäl)lung  auSbrüdlidj  if>r  ©rbredjt  üorbefjalten  Ratten.  Slufjerbem 
fonnte  ßeopolb  jur  S5egrünbung  feiner  Slnfprüa^e  nid)t  nur  ba$  alte 
gamilienrea^t  ber  Habsburger,  fonbern  aud)  baS  öon  bcu  fpanifdjen 
(JorteS  betätigte  Xeftament  s$f)ilippä  IV.  geltenb  machen,  traft  beffen 


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$ie  bret  erftcn  ÄTiegSja^re. 


181 


in  Ermangelung  eine«  männlidfjen  Erben  #ar(8  II.  bie  gefammte 
fpanifcf>e  9flonardjic  ber  @emaf)lin  ßeopotb«  unb  tljren  ftadjfommen 
anfallen  follte.  $>urd)  biefeS  Xeftament  wäre  allerbingS  baS  Erb* 
xtd&t  auf  ben  jungen  Sftirprinjen  Sofep^  gerbinanb  öon  SBaiern, 
als  ben  ©ofm  ber  einzigen  Softer  beS  ftaiferS  ßeopolb  unb  ber  Sttarga* 
retfja  Xfjerefta,  übergegangen,  roenn  erftere  bei  ifjrer  Bermäfjlung 
mit  bem  ßurfürften  9tta$imilian  Emmanuel  Don  ©aiern  auf  Ber* 
langen  ifjre$  BaterS,  ber  bie  21nfprüd&e  be$  f)ab$burgifd)en  |>aufe$ 
nidjt  auf  baS  £>au3  SöittelSbadj  übergeben  feljen  mottle ,  auf  il)r 
Erbred&t  Berjidjt  geleiftet  Ijatte.  $a  jebodj  biefe  Berjidjtleiftung 
ton  ben  fpanifdjen  EorteS  triebt  anerfannt  morben,  l)ielt  ber  ®ur* 
fürft  oon  SBaiern  bie  Slnfprüdje  feinet  ©ofmeS  aufrecht ,  mäljrenb 
Subnug  XIY.  bie  feinigen  auf  bie  öon  feinen  SRea^tSgelefn'ten  ab* 
gegebene  Erflärung  ftüfcte ,  baß  feine  Berjidjtlriftung  ungiltig  fei, 
tuet!  fein  Surft  bie  8tedjte  feiner  SRadjfommen  öeräufcern  fönne. 
Um  jebodj  ber  SBcforgnifj  ber  übrigen  9J?äd)te  öor  einer  Bereinigung 
ber  fpamfd&en  Sttonardfne  mit  ber  fran$öfifct)en  unter  einem  ©cep> 
ter  entgegenzutreten,  öerlangte  er  biefelbe  toeber  für  ftd)  felbft,  nod> 
für  ben  $)aupf)tn,  nod)  für  beffen  älteften  ©ofm,  fonbern  für  feinen 
jüngeren  Enfel,  ben  ©erjog  $l)ilippöon2lnjou,  nrie  audj 
fieopolb  auS  bem  gleiten  ©runbe  fein  Erbredjt  auf  feinen  jmeiten 
So^n  #  a  r  1  übertragen  tyatte. 

Xro$  biefer  öon  ben  beiben  §auptbemerbern  flur  Beruhigung 
beä  übrigen  Europa'S  getroffenen  SJtafjregeln  mar  bie  Söeforgnifj 
öor  ber  Störung  be$  europäif  djen  (SJleidjgenridjtS  burd)  ben  Jpeim- 
fad  ber  gefammten  fpaniftf)en  Monarchie  an  eines  ber  beiben  £>äu* 
fer  nidjt  gejdmnmben,  unb  ebenfo  lebhaft  mar  ber  äBunfcr)  ber  &abU 
nette,  bem  $lu$brudj  eines  Krieges  jnrifdjen  Sranfreirf)  unb  Defter* 
reidj  öorjubeugen.  SlngefidjtS  biefer  ©adjlage  braute  Submig  felbft, 
bem  e£  fjauptfäd)üdj  barum  ju  tfyun  mar ,  bie  beiben  ©eemäcfjte 
Englanb  unb  £ol!anb  in  trügerifdje  ©iäjerfjeit  einjumiegen ,  nod) 
öor  bem  Xobe  SfarlS  II.  ton  Spanien  bei  biefen  beiben  SÄädjten 
eine  Teilung  ber  fpanifdjen  9Bonardue  in  Borfdjlag,  unb  in  ber 
2f>at  fam  nadj  einigen  Untertjanblungen  am  11.  Dt  tober  1698 
ättrifdjen  granfreiä),  Englanb  unb  |>oHanb  ein  geheimer  XfjeUungS* 
öertrag  $u  ©tanbe ,  nad)  meinem  ber  franjöfifaje  ^ßrinj  Neapel 
unb  6icüien  nebft  ©uipujcoa ,  ber  öfterreidjifdje  bie  flanbrifdjen 
^roöinjen  mit  9ftaÜanb  unb  ber  ®urprinj  öon  Baiern  bie  gan^c 
übrige  fpanifdje  9flonard)ie  erhalten  follte.  $5er  fturfürft  öon  Baiem, 
mit  meldjem  fiubmig  längft  insgeheim  llnterljanblungen  angefnüpft, 
erKarte  fid)  mit  biefer  Xfjeilung  einöerftanben ;  bagegen  legte  ber 
Sftnfer  gegen  jebe  SSerfürjung  feines  Erbreä)tS  entfd}ieben  Berma^ 
rung  ein. 

Snbeffen  mar  baS  jttrifdjen  ben  brei  TOäct)ten  getroffene  2lb* 


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182 


$>er  fpomfdje  (Srbfolgcfrieg 


fommen,  öon  welkem  nur  ber  Kaifer  unb  ber  Kurfürft  öon  ©aiern 
in  Kenntniß  gefegt  werben  follten,  auch  am  §ofe  oon  TOabrib  bc^ 
rannt  geworben,  unb  Karl  IL,  ber  non  einer  X^eidmg  feines  fdjö^ 
nen  Meiches  Nichts  wiffen  wollte  unb  überbieS  heftig  Darüber  er= 
jürnt  mar,  ba&  frembe  9)?ächte  fieh  unterfingen,  noch  bei  feinen 
ßeb$eiten  über  baSfelbe  $u  oerfügen ,  ernannte  am  14.  Noöember 
1698  ben  Kurprinjen  oon  93aiern  ju  feinem  alleinigen  (£rben. 
ßubwig  ließ  fofort  burdj  feinen  ©efanbten  in  SRabrib  gegen  biefc 
GEmennung  ^ßroteft  einlegen,  tüäfjrenb  ber  Kurfürft  oon  SBaiem,  ber 
bamalS  als  Statthalter  ber  fpanifchen  Nieberlanbe  in  ©rüffet 
Weilte ,  fchleunigft  «orfehrungen  traf ,  um  feinen  Sohn  nach  Spa= 
nien  bringen  ju  laffen.  $te  ganje  Sachlage  mürbe  jebod)  buret) 
ben  unerwarteten  $ob  beS  ftebenjäfjrigen  Kurprinzen  üeränbert.  $a 
hterburdj  bie  grage  ber  Erbfolge  wieber  in  ihr  urfprüngltcheS  Sta* 
bium  jurürfgetreten  war,  fam  im  SWarj  1700  jwifchen  granfreieh, 
©nglanb  unb  $oöanb  ein  jweiter  X^cilung«öertrag  ju  Stanbe ,  in 
Welkem  ßubwig  fogar  gegen  eine  bebeutenbe  SBergröfcerung  feines 
eigenen  SlntheilS  in  bie  ©r^ebung  beS  (Sr^eraogS  Karl  auf  ben 
fpanifchen  Sfjron  Willigte,  unter  ber  öebingung,  ba&  berfelbe  binnen 
brei  Monaten  bem  «ertrage  beitrete  unb  ftd)  verpflichte ,  bei  £eb* 
jeiten  Karls  II.  Weber  nach  Spanien  noct)  nad)  Sttailanb  ju  gehen, 
aua^  töne  öfterreidjifaje  Kriegsmacht  in  fpanifct)e  ßänber  einrüefen 
5U  laffen;  bod)  auch  bicSmal  erhob  Seopolb  feierlich  ^roteft  gegen 
jebe  $heifang  t*r  fpanifchen  SÄonarchic. 

$lm  £ofe  ju  SKabrib  fefcte  unterbeffen  ber  franjöftfche  ©efanbte, 
ber  SßarquiS  oon  $>arcourt,  alle  £ebel  in  Bewegung,  um  oon  bem 
mit  rafchen  Schritten  feinem  @nbe  entgegengehenben  König  eine 
teftamentarifche  SBefttmmung  ju  ÖJunften  beS  £>erjogS  oon  $lnjou 
ju  erlangen,  unb  ba  ihm  ber  Vertreter  DefterretchS,  ber  alte  ©raf 
^arrach ,  an  Schlauheit  nicht  gemachfen  war ,  gelang  eS  bemfelben 
nicht,  ihm  erfolgreich  entgegen  ju  arbeiten.  2lm  1.  Ol  tober  1700 
unterzeichnete  Karl  II.  ein  Xeftament,  worin  er  ^Sh^W  öon  Slnjou 
ju  feinem  Nachfolger  ernannte.  SBier  SBochen  fpäter ,  am  1.  9lo* 
öember  1700,  erlag  er  feinem  langen,  öerjehrenben  Siechthum. 

WlS  biefeS  Xeftament ,  oon  welchem  au&er  denjenigen ,  bie  ju 
bemfelben  mitgewirrt,  Niemanb  eine  2lhnunQ  Schobt,  befannt  würbe, 
erheuchelte  ßubmig  Ueberrafct)ung.  Obgleich  er  fich  am  ßiele  fei* 
ner  2Bünfct)e  fah ,  war  er  Slngefichts  beS  faum  gefchloffenen  jmet* 
ten  XheifangSoerrragS ,  ben  unter  allen  Umftänben  treu  unb  feft 
ju  halten  er  auf  baS  Öeftimmtefte  jugefagt ,  einen  s2lugenblicf 
fchwanfenb ,  ob  er  baSfelbc  annehmen  folle;  boch  balb  fiegten  fein 
@h*geij  unb  feine  (SroberungSfucht  über  alle  iöebenfcn.  Nact)bem 
am  16.  Nooember  ber  fpamfehe  ©efanbte  in  93erfaiHeä  fnieenb  ben 
^erjog  üon  9lnjou  als  König  üon  Spanien  begrüfjt  hattc  r  l«6 


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$ie  brei  erften  #rieg$iat)re. 


183 


2ubti>ig  bie  glügeltfjuren  öffnen  unb  erf forte  ben  oerfammelten 
Großen:  „9tteine  Herren,  ©ie  fef)en  ^ter  ben  ®önig  oon  Spanien! 
$ie  Natur  fwt  ifyn  baju  gemalt ;  ber  oerftorbene  ßönig  ijat  ifm 
baju  ernannt;  ba*  fpanifdje  SBolf  fefmt  ftdj  naa)  ifjm,  unb  idj  gebe 
meine  3uftimmung!"  $ann  fid)  ju  feinem  (Snfel  menbenb,  fügte  er 
dinju:  „3ftre  erfte  <ßflid)t  ift  nunmehr,  ein  guter  ©panier  ju  fein; 
aber  oergeffen  ©ie  nidjt,  baß  ©ie  oon  ®eburt  granjofe  finb  unb 
ba§  oon  ber  ©inigfeit  beiber  fronen  baS  ©lud  ber  SSölfer  unb  bie 
(Spaltung  be*  grieben*  abfängt.''  2ldjt  Xage  fpäter,  am  24.  Wo? 
oember  1700,  mürbe  ber  ^erjog  oon  Slnjou  ju  SRabrib  als  $f)i= 
lipp  V.  jum  tfönig  aufgerufen.  er  am  14.  Eeaember  SSer* 
jaule*  oerließ,  um  oon  feinem  neuen  ®önigrcid)  SBefifc  $u  nehmen, 
oerrietljen  ßubmig*  Mbfdjiebamorte :  „2Rcin  ©ofm,  jefct  gibt  e$  feine 
^renaen  mef>r!"  in  unsmeibeutiger  SBeife  bie  ftoljen  £errfd)aftä* 
plane,  mit  benen  fid)  ber  eljrgeijige  ftönig  trug. 

2lm  18.  gebraar  1701  Ehielt  W^PP  V.  feinen  (Sin$ug  in 
SRabrib,  unb  balb  lief  auf  allen  fpaniföen  Webenlänbern  bie  Waa> 
riajt  ein,  baß  er  in  benfelben  gleidrfafl*  al*  ßönig  anerfannt  n>or= 
ben.   SBon  ben  auämärtigen  Surften  mar  ber  fturfürft  oon  Saiern, 
ben  fiubmig  burdj  bie  SluSfidjt  auf  bie  feinem  $>aufe  ju  oerleiljenbe 
erbliche  ©tattfjalterfdmft  in  ben  ftiebertanben  ganj  in  fein  Sntereffe 
au  $ie§en  gemußt,  ber  (£rfte,  ber  feinem  Setter  ?fulipp  ®lürf 
towifdjte  unb  ifjm  in  allen  erforberlidjen  gäUen  feine  Dienfte  an* 
bot.   ©einem  ©eifpiele  folgte  balb  audf)  fein  33ruber,  ber  fturfürft 
Sojepf)  ©lernen«  oon  ftöln,  ben  Submig  gleidtfatt*  burd)  glän$enbe 
8«fagen  $u  föbern  gemußt.   Qn  Statten  fanb  Subnrig  *8unbe*ge= 
noffen  in  bem  $>erjog  SBictor  2Imabeu*  oon  ©aoouen,  ber  al*  ber 
Sdjnuegeroater  be*  neuen  Königs  oon  ©panien  fogleid)  auf  beffen 
Seite  getreten,  unb  bem  £>erjog  ßart  IV.  oon  sJJtontua.    $a  meber 
bie  ®eneralftaaten  nod)  dnglanb  jum  Kriege  gerüftet  maren  unb 
©üljelm  III.  fid)  überbie*  gerabe  bamal*  burdj  eine  ungünftige 
Stimmung  be*  Parlament«  am  freien  |>anbeln  gefyinbert  fafj,  muß* 
ten  audj  fie  fid)  jur  ?Inerfennung  ^ßf)ilipp*  bequemen;  bod)  trafen 
beibe  Üftädjte  im  ©tiöen  if)re  SBorfefjrungen,  um,  fall*  ber  ftaifer 
&u  ben  SBaffen  greife,  im  geeigneten  Momente  in  bie  Slftion  etm 
treten  $u  tonnen. 

©o  fd)ien  SubmigS  ^Ranfefpiet  ooüfommen  gelungen  unb  baä 
fpanifc^e  @rbe  für  Defterreid)  Oerloren  ju  fein.  $5em  mar  ieboc^ 
nia^t  fo.  fieopolb,  ber  baS  Xeftament  Äarl*  II.  für  erfd)lid)en  er= 
Körte,  mar  feft  entfdjloffen,  für  ba«  unbeftreitbare  9led)te  feine* 
$auje*  sÄüe*  einjufefcen  unb  troj  ber  (Sria^öpfung  feiner  ©taaten 
ben  Stieg  mit  granfreic§  aufzunehmen.  3n  biejem  S3orfa^e  be* 
ftattte  i^n  befonber*  ber  Sßrina  Sugen ,  beffen  ftaatömännifc^er 
Sa>rfblid  mo^l  erfannte,  baß  mit  bem  93efife  ber  fpanifa^cn 


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184 


3)cr  fpanifdK  Grbfotgcfrieg. 


Monarchie  ba3  Uebergewicht  be$  £>aufe£  ©ourbonin  Ghiropa  ent= 
Rieben  fein  werbe,  unb  ber  ben  #aifer  umfomehr  ju  rafchem 
ftanbetn  brängte,  als  er  überzeugt  mar,  bafj  fich  nach  bem  erften 
©ieg  ber  öfterreidjifdjen  Stoffen  SöunbeSgenoffen  für  benfelben  ftn= 
ben  mürben. 

Gana  allein  ftanb  inbeffen  ßeopolb  auch  beim  ^Beginne  beS 
Krieges  nicht.  Aufjer  bem  neuen  Äönig  oon  Greußen,  ber  ihm  ein 
&itf$h*er  oon  achttaufenb  9Rann  augejagt,  tydt  fich  auch  ber  ßur= 
ürft  oon  ^onnoüer  burch  ben  $anf,  ben  er  bem  #aifer  für  bie 
einem  &aufe  bewilligte  Rangerhöhung  fchulbete,  ju  beffen  Untere 
tüfcung  verpflichtet,  dagegen  hatte  ßeopolb  Don  Seiten  beS  Rei* 
djeS,  baS  bie  ganje  Angelegenheit  als  eine  ben  ftaifer  perfönlich 
betreffenbe  betrachtete,  für  ben  Augenblicf  feine  #itfe  $u  erwarten. 
$er  fturfürft  öon  ©achfen,  ber  in  ben  öorhergehenben  Kriegen  fein 
iöunbcSgenoffe  gewefen,  fah  ftd)  burch  ben  im  Horben  entbrannten 
£rieg,  an  welchem  er  als  ftünig  öon  *ßolen  betheiligt  mar,  in  bie 
Unmöglichfeit  oerfefot,  für  DefterreichS  auteS  Stecht  irgenbwie  ein$u= 
treten;  SBaiern  unb  Äöln  ftanben  ohnehin  auf  granfreichS  Seite, 
unb  bie  übrigen  ©tänbe  begnügten  fich  bamit,  unter  einanber  ein  Söünb* 
nijj  $u  gemeinfamer  Abwehr  eine«  etwaigen  Angriffs  auf  ihre  Ge= 
biete  ju  fdjtieSen. 

Rachbem  ßeopolb  feine  ©treitfräfte  auf  achtjigtaufenb  9Rann 
erhöht  hatte,  &™ch  ®Wn  m  Wax^  1701  mit  einem  $>eere  öon 
breifjiataufenb  Sflann  nach  %talkn  auf,  um  ben  granflofen  bie  bor- 
tigen  fpanifdjen  Rebenläuber  $u  entreißen.  55a  Sßenebtg  fich  für 
neutral  erflärt  unb  ©atinat,  bem  ßubwig  auch  bieSmal  ben  Ober- 
befehl in  Italien  übertragen,  bie  Xnroler  ^äfje  gefperrt  hotte,  De* 
ld)lo6  ber  ^rinj,  fich  über  baS  Gebirg  im  Rücfen  beS  getnbeS  einen 
2S*eg  $u  bahnen.  Xurdj  unwegfame  %fyäkx  unb  auf  fteiten  5öerg- 
pfaben,  bie  nur  ben  Birten  unb  Jägern  befannt  waren,  ließ  er  burch 
einige  feiner  Regimenter,  benen  bie  umwofmenben  Gebirgsbewohner 
bereitwillig  Söeiftanb  leifteten,  SBege  ^crftcUcn  für  bie  Reiterei  unb 
baS  Gefchüfc,  unb  wo  ben  ^ßferben  baS  Sitfytn  ju  fchwer  warb, 
legten  ©olbaten  unb  dauern  mit  Jpanb  au.  Räch  unfägtichen  SRühen, 
Öefchwcrben  unb  Gefahren,  benen  Sftenfchen  unb  i(ucrc  *n  Ör°6cr 
3ahl  erlagen,  ftieg  511m  ©rftaunen  (EatinatS,  ben  (Sugen  burch  bor- 
genommene  RecognoSctrungen  in  bem  Glauben  ju  erhatten  gewußt, 
baß  er  an  ber  (£tfch  burd)$ubrechen  beabfichtige,  baS  faiferliche  £>eer 
$u  Anfang  guni  in  bie  (Jbene  üon  Verona  hinab.  (Sugen  fuhr 
fort,  feinen  Gegner  burch  gefchiefte  £>in=  unb  ftermärfche  ju  täufchen 
unb  fchlug  ihn,  nachbem  es  ihm  gelungen,  bie  (Stich  5U  überjehrei^ 
ten,  am  7.  ^uli  bei  (Sarpi,  trofc  ber  numerifchen  Uebermacht  ber 
gran$ofen,  burch  eincn  unerwarteten  Angriff  fo  ooüftänbig ,  baf* 
ßatiuat  fich  "ber  ben  Üttincio  unb  ben  Oglio  jurücfjiehen  unb  ben 


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$ie  bret  crftcn  #rieg3ja*n*. 


185 


flaiferlic&en  ba3  ganje  Gebiet  ätt)ifcr)en  biefen  gfüffen  unb  bcr  ©tfct) 
überraffen  mußte. 

Xie  9cact)ricr)t  öon  biefer  SKieberlage  öerfefcte  ben  ®önig  üon 
granfreict)  in  ben  fjeftigften  Sora.  (Sx  entzog  fofort  bem  tüct)tigen 
Gatinat  ben  Oberbefehl  unb  übertrug  benfelben  bem  aJcarfdmtl  üon 
Silleroi,  feinem  befonberen  ©ünftling,  ben  er  mit  einer  SBerftärfung 
ton  ^manjigtoufenb  SJcann  nact)  Italien  fanbte.  SBitleroi,  ber  bie 
Vertreibung  ber  ®aiferlict)en  au*  Italien  für  ein  &inberfpiet  fuelt, 
ging  gleich  nact)  feiner  Anhtnft  im  franjöfifdjen  ßager  über  ben  Dglio, 
um  ben  ^ringen,  ber  bei  <£  f)  i  a  r  i  in  trefflict)  gemähter  ©tetlung 
ein  ücrfdjanäteä  ßager  belogen,  mit  einem  bem  faifertidp  um  baS 
Stoppelte  überlegenen  $eere  anzugreifen.  $er  Angriff  erfolgte, 
troj  ber  Abmahnungen  (Satinatä,  am  1.  ©eptember  unb  enbete 
mit  einem  streiten  glänjenben  ©iege  ber  $aiferlict)en,  bie  mär)renb 
beä  ganzen  ®efecr)te3,  gegen  bie  franjöfifdjen  kugeln  gebeert,  hinter 
f)of)en  SBerfdjanjungen  geftanben  t)atten  unb  bat)er  nur  fecr)$unb* 
breifjig  Xobte  unb  einunbadjtjig  SBertounbete  jäteten,  roätjrenb  ber 
Seinb  über  ^toeitaufenb  £obte  unb  unter  benfelben  $meir)unbert 
Offiziere  auf  bem  ©ct)lacr)tfelbe  jurücfliefe.  9cact)bem  beibe  gelb* 
Herren  einanber  noct)  jroei  Sflonate  lang  beobachtet,  belogen  fie  bie 
Winterquartiere,  melcr)e  bie  granjofen  im  9)ki(änbif(t)en  unb  bie 
€efterreict)er  in  ®u  aftafla  nat)men. 

bitten  im  SBinter  überfiel  Gragen  511  näctitlicrjcr  ©tunbe  bie 
Seftung  (5  r  e  m  0  n  a.  günft)unbert  faiferlidje  ©renabiere  brangen 
buret)  einen  troefen  liegenben  ffrinal  in  baä  3nnerc  ocr  ©tobt,  über« 
rumpelten  bie  $r)ornmcr)e  unb  öffneten  bem  £>auptforp3  ben  (Sin- 
Sang.  9tafct)  ergoffen  fict)  bie  faiferlict)en  Gruppen  buret)  bie  ©trafen 
Sremona'ä  unb  jmangen  SBiHeroi,  ber  in  feinem  SBette  überfallen 
tonrbe,  fidt)  gefangen  ju  geben.  (£t)c  jeboct)  ein  jmeitcä  ®orpä,  ba£ 
unter  bem  ^rinjen  öon  ißaubemont  öon  bem  Sörücfenfopfe  auä  in 
bie  ©tabt  einbringen  fottte,  angefommen  mar,  t)atten  fict)  bie  gran* 
jofen  öon  bem  erften  ©ct)recfen  ber  Ueberrafdmng  ert)olt,  unb  nact) 
einem  jet)nftünbigen  t)ei§en  ©tra&engefecr)t,  ba$  ben  granjofen  jmölf- 
fyunbert,  ben  ®aiferlict)en  fcct)3t)unbert  SJcann  foftete,  mußte  fict) 
Sugen,  ba  injmifct)en  bie  SBrücfe  jerftört  roorben  mar,  über  roeldje 
^Baubemont  einbringen  foflte,  $ur  SRaumung  ber  ©tabt  entfct)liefjen. 
$en  gefangenen  SBiüeroi  fanbte  @ugen  nad)  3nn3brucf ;  bie  ^arifer 
aber  forberten  in  einem  ©pottlieb  bie  Armee  auf,  bem  $rieg8gotte 
für  ü)r  beifpieöofeä  ©lücf  5U  banfen,  baß  fie  „GSremona  behalten 
unb  ifnren  ©eneral  üerloren  t)abe."  Shibmig  erfefcte  it)n  buret)  ben 
tapferen  unb  friegSrunbigen  $erjog  öon  SBenbome,  ber  mit  bebeuten* 
ben  Verftörfungen  in  3ralien  anlangte. 

3njroifcr)en  t)atten  bie  ©eemäct)te  Cragtanb  unb  £>oflanb,  nact> 
bem  fie  üergebenä  öon  Submig  XIV.  eine  billige  (Sntfcrjäbigung  für 


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186 


3)er  fpanifdic  Grbfolgcfrieg 


bat  Kaifer  unb  beftimmte  S«flcftänbniffc  jur  Sicherung  ihrer  burch 
bcn  Uebergang  bcr  fpanifd)en  SRonarchie  an  ba3  §au$  Vourbon 
gefährbeten  £>anbel3intereffen  ju  erlangen  gefuct)t,  ermutigt  burct) 
bie  3ortfct)rirte  (SugenS  in  Statten,  im  September  1701  im  §aag 
mit  bem  Kaifer  jur  gemeinfamen  SBefämpfung  ßubmigä  ein  JBünb* 
ni&,  bie  „große  5lflianj",  gefd)loffen.  i)ie  Verbünbeten  öerpflich- 
teten  ftd),  ben  Krieg  gegen  Srranfreict}  fo  lange  fortzuführen,  bis 
bem  Kaifer  ®enugtf)uung  für  feine  Slnfprüdje  geworben,  bie  See* 
mächte  bie  gemünzten  Sicherheiten  für  ihre  jpanbeläintereffen  er* 
halten  haben  mürben  unb  lunreichenbe  ©ürgfdjaft  bafür  erwirft 
fein  werbe,  ba&  Sranfreid)  unb  Spanien  nie  unter  bem  nämlict)en 
Scepter  oereinigt  werben  mürben.  $a3  englifche  Parlament  t)atte 
jmar  Anfangs  bem  Äönig  Sct)wterigfeiten  bezüglich  ber  nötigen 
©elbmittel  gemalt,  ba  in  bemfelben  bie  griebenäpartci  bie  Dber= 
hanb  hatte,  unb  bie  englijche  «Ration  felbft  mit  5Bilbelma  friegerifdjer 
^olitif  wenig  einöerftanben  mar;  allein  üubmig  führte  burch  eine 
neue  Vertrag&öerlefcung  einen  rafchen  Umfchmung  in  ber  Stirn* 
mung  ber  (Snglänber  ^erbei.  Uneingeben!  ber  im  ^rieben  üon 
fööäwicf  gegen  SSilhelm  III.  eingegangenen  Verpflichtungen,  er= 
fannte  er  nach  bem  £obe  3afob3  II,  (16.  Sept.  1701)  beffen 
Sohn  Safob  CSbuarb,  ber  ben  Warnen  3afob  III.  annahm,  als 
ben  rechtmäßigen  König  oon  (Snglanb  an,  in  ber  ©offnung,  baburch 
in  ©nglanb  einen  neuen  Kampf  ber  Parteien  heroor  ju  rufen.  $a$ 
englifche  Volf,  ba«  f)izxm  eine  unbefugte  Grmnüfdmng  in  feine 
inneren  Angelegenheiten  erblicfte,  jeigte  fich  über  ßubmigä  5ln= 
maßung  aufä  $>öchfte  erbittert,  unb  ba*  neue,  unter  bem  ©influö 
ber  gänzlich  öeränberten  Stimmung  gewählte  Parlament  bewilligte 
bem  König  ohne  Schmierigfeit  bie  nötigen  ©elbmittel  für  bie  s2ln= 
Werbung  oon  Dierjigtaufenb  Sttann  ßanbtruppen  unb  ebenfo  Bielen 
SOcatrofen  (f.  S.  169). 

SBilhelm  übertrug  ben  Oberbefehl  über  bad  Sanbheer,  ben  er 
wegen  feiner  (Sxfranfung  nicht  felbft  übernehmen  tonnte,  bem  $um 
trafen  toon  9)carlborough  ernannten  ©eneraflieutenant  ShurdnH, 
ber  fich  im  3Jcärj  1702  nach  9tieberlanben  einfchiffte.  Kaum 
waren  jeboch  0*c  englifchen  iruppen  in  ^poüanb  gelanbet,  al£  bie 
Nachricht  öon  bem  Xobe  SSilhelmö  eintraf.  $er  Xr)ronroecfjfetr  ber 
in  ben  Wieberlanben  wie  in  Oefterreich  bie  SBeforgniß  einer  minber 
thatfräftigen  Kriegführung  oon  Seiten  (£nglanb$  hetöorrief,  änberte 
jeboch  Seichte  an  ben  getroffenen  ÜJcaßregeln,  inbem  fich  burd); 
auä  unfelbftftänbige  Königin  Anna  burdj  bie  jur  Oberfthofmeifterin 
ernannte  Jperjogin  oon  9Jcarlborough,  it)re  3ugenbfreunbin,  unfehwer 
bewegen  lieg,  baS  Programm  if>rc3  Vorgänger*  in  allen  fünften 
aufrecht  ju  halten. 

$a  injwifchen  auger  Greußen  unb  #annober  auch  öier  9teid^ 


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3>ie  brei  etftcn  ihiegäja^re. 


187 


freife,  her  fränfifdje,  ber  fd)tr»äbifdje  unb  bic  beiben  rf)einifd>en,  ber 
großen  Slfliana  beigetreten  maren,  fd^tog  fid>  ba3  töeid)  in  feiner 
®efammt^eit,  bem  Verlangen  beS  ßaifer*  entfpredjenb,  gleidtfaU* 
an  biefelbe  an  unb  erftärte  am  6.  Dftober  1702  an  3ranfreid> 
ben  Ärieg,  morauf  ber  fran^öfifc^c  (Sefanbte  ju  föegenäburg  bie 
SBeifung  erhielt,  binnen  brei  Sagen  bie  ©tabt  ju  öerlaffen. 

$en  Oberbefehl  über  alle  ÄriegSöölfer  am  Obergern,  fotoo^I 
bie  faiferlidjen  al3  bie  öon  bem  Steide  ju  ftellenben,  übertrug 
ßeopolb  bem  betoäfjrten  SRarfgrafen  ßubmig  öon  ©oben,  bei  roel* 
#cm  fidj  aud)  ber  römifdje  $önig  3ofept)  einfanb,  um  fidj  perfön= 
üd)  an  bem  Kampfe  $u  beteiligen.  $er  Sttarfgraf  eröffnete  bie 
geinbfeligfeiten  mit  ber  Belagerung  öon  ßanbau,  ba3  öon  bem  be* 
rüa^tigten  SMac  öertfjeibigt  mürbe,  9iad)bem  ein  öon  (Satinat  ge* 
führte*  (gntfafcljeer  jurüdgefdjlagen  trorben,  mußte  fia)  2Mac  am 
11.  September  1702  $ur  Kapitulation  öerftefjen.  ©djon  ftanb  ber 
SCNarfgraf  im  ©egriff,  in  ba&  offenftetyenbe  (Slfaß  einzubringen,  aU 
bie  9fcad)ria)t  eintraf,  baß  ber  Shirfürft  öon  Söaiern,  ber  bifytt  nur 
infcgefjeim  mit  Sranfretdj  im  *8unbe  geftanben,  fid)  am  8.  ©ep= 
tember  burdi  einen  uädjtlidjen  UeberfaH  ber  SReicfyäftabt  Ulm  be- 
mächtigt unb  biefelbe  nebft  mehreren  onbern  ©täbten  be$  fdjmä= 
btjdjen  Greifes  befefct  t)abe.  *Diefed  öerrätfjerifdje  Vorgehen  nötigte 
ben  SDtarfgrafen,  am  Dberrfjein  $u  bleiben,  um  bie  Bereinigung 
beS  fturfürften  mit  bem  9flarfdmll  SöiüarS  ju  öerljmbern,  ber  furj 
nad)  ber  Uebergabe  öon  ßanbau  mit  großer  ©efdurflidifeit  ein 
ftarfeä  franaöfifdjeS  £>eer  bei  Rüningen  über  ben  SRfjein  geführt  hatte. 
5?lm  14.  Dftober  fam  e&  bei  grieblingen  jmifa^en  ben  beiben 
Selb^erren  gu  einer  ©d)lad)t,  bie  jmar  unentfdjieben  blieb,  aber 
baä  franjoftfa^e  £eer  fo  fel)r  gefdjroädjt  l)atte,  baß  Billard  fid)  roie* 
ber  über  ben  #tt)ein  jurürfjie^en  mußte.  $n  ben  9lieberlanben 
mar  unterbeffen  aftarlborougf)  gegen  ben  erfahrenen  SJtorfdjaü  93ouff= 
lerä  im  93ortt>cil  geblieben  unb  t>attc  bie  3eftungen  SBenloo  unb 
fiüttidj  erobert. 

3n  3*a^tti  fam  e8  im  Qatjre  1702  $u  feiner  entfdjeibcnben 
SBaffcnttjat.  3)a  (£ugen  bem  unter  Söenbome  auf  adjtjigtaufenb 
SÖ?ann  angeroadjfenen  franjöfifdjen  ^eere  nur  öierjigtaufenb  üflann 
gegcnüberfteüen  fonnte  unb  feine  Xruppen  überbieä  bei  ber  ®elbnott) 
be3  Söiener  #ofe$  an  bem  9totl)n)enbigften  SRangel  litten,  mußte  er 
fic|  auf  bie  $)efenftöe  befdjränfen  unb  falj  fid)  fogar  außer  ©tanb, 
ben  (Smtfafc  ber  Seftung  SKantua  burdj  bie  granjojen  ju  öerfnn* 
bem.  211*  jebod)  SBenbome,  um  ifjn  auS  feiner  unangreifbaren 
Stellung  bei  CEurtatone  ^erau^ubringen,  ben  $o  über f djrttt  unt> 
©uaftalla  unb  ©re^cello  bebrofjte,  mo  faiferlia^c  33efa^ungen  lagen, 
rüdte  ber  $rinj  i^m  fü^n  entgegen  unb  griff  il)n  am  15.  Muguft 
in  feinem  2ager  bei  ßujgara  an.    9Zaa^  einem  Reißen  Kampfe, 


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188 


$er  fpamfäe  (Srbfolgefrieg. 


in  meinem  ba«  ®rieg«glütf  fidj  balb  auf  bic  eine ,  halb  auf  bie 
anbere  Seite  neigte,  fafj  fidj  SBenbome,  trofc  feiner  bebeutenben 
numerifdjen  Ueberlegenheit,  jum  föütfjug  hinter  feine  S3erfd)anäungen 
genötigt. 

9tt«  #err  be«  ©chladjtfetbe«  burfte  Eugen  fidj  bie  @^re  be« 
Siegel  auftreiben ;  allein  an  ein  Verfolgen  be«felben  fonnte  er  bei 
0  bem  troftlofen  ^uftanbe  feine«  $eere«  nicht  benfen.  211«  SBenbome, 
auf  jeben  weiteren  Singriff  öerjic^tenb ,  $u  Anfang  Wooember  bie 
Winterquartiere  belogen  hatte,  trat  ber  $rtnj  ben  Oberbefehl  an  ben 
(Urafen  ©uibo  öon  ©tarhemberg  ab  unb  eilte  nach  SSien ,  ent* 
fcfiloffen,  fein  ®ommanbo  nieberjulegen,  fall«  er  nicht  rafaje  Sfbhilfe 
ber  unhaltbar  geworbenen  Sage  be«  £eere«  erlangen  fonne. 

Eugen  fanb  in  SBien  nicht  nur  bie  ginanjnoth  größer,  al«  er 
fieft  gebaut ,  fonbem  auch  bie  Verwaltung  be«  ®rieg«wefen«  in 
einem  3uftanbe,  ber  ihm  bie  ernfteften  Veforgniffe  für  ben  Skr* 
lauf  be«  Kriege«  einflößte.  Wit  bem  ihm  eigenen  greimuth  ent- 
hüllte er  bem  ßaifer  bie  jahlretchen  Mängel  in  bem  #eermcfen  wie 
in  ber  ginansöerwaltung ,  unb  biefer  lieh  ™fy  nur  feinen  Reform* 
öorfchlägen  ein  willige«  Di)v,  fonbern  ernannte  ihn  felbft  $um  *ßräfi* 
benten  be«  £>offrieg«rath«. 

Dbgletd)  e«  bem  ^rinjen  trofc  ber  einftcht«bolIften  unb  raft* 
lofeften  Xhätigteit  unmöglich  toax,  alle  Mängel  eine«  ©uftem«,  ba« 
Jgahrhunberte  hindurch  unangefochten  beftanben,  mit  einem  ©djlage 
p  beseitigen,  matten  fidj  balb  bie  h^ilfamen  folgen  ber  öon  ihm 
eingeführten  Reformen  im  reidjften  9Jcaße  geltenb;  boch  war  e« 
bem  ^rinjen  junächft  nid)t  oergönnt,  biefelben  auf  bem  italienijchen 
$rieg«fchauplafce  ju  öerwerthen ,  ba  feiner  eine  anbere  Aufgabe 
harrte. 

$)te  ^Bemühungen  ber  faiferlichen  Regierung ,  in  Ungarn  nicht 
nur  burch  bic  £>ebung  be«  Sieferbaue«  unb  ©ewerbe«,  fonbem  auch 
burch  ftrenge  £>anbf)abung  ber  ©ercajtigfeit  unb  wachfame«  Biebers 
halten  aller  Drbnnng«ftörungen  bie  SEÖunben  $u  fytiltn,  bie  ber 
lange ,  öerfjeercnbe  Sfrieg  bem  ßanbe  gefcfjlagen ,  ha^e  unter  ben 
(Droßen,  bie  aud)  jefct  nodh  bie  Ungebunbenheit  nicht  aufgeben  wölk 
ten ,  an  welche  fie  fid)  währenb  ber  langjährigen  ®rieg«wirren  ge- 
wöhnt, bie  frühere  Unjufriebenheit  wieber  erweeft,  unb  ber  Surft 
3ran$  ßeopolb  9t  a  g  0  c  5  9  ,  ber  ©tieffohn  be«  in  ber  Verbannung 
lebenben  Emmerich  Xöfölö ,  fjattt  biefelbe  jur  Slnjettlung  einer 
neuen  Empörung  gegen  ben  Äaifer  benu&t ,  bie ,  öon  geheimen 
Agenten  ßubwig«  XIV.  eifrig  gefchürt,  bei  ber  nahezu  öollftänbigen 
Entblößung  be«  fianbe«  öon  faiferlidjen  Xruppen  immer  beben!* 
liefere  $)tmenfionen  gewann. 

Xa  Sftiemanb  geeigneter  fdjien ,  biefe  neue  ©efafjr  für  ba« 
$aiferl)au«  ju  beschwören ,  al«  Eugen ,  übertrug  ihm  Seopolb  ben 


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2)ic  brei  crften  #rteg3jat)re. 


189 


Oberbefehl  über  fämmtlidhe  jur  ^Bewältigung  beS  AufftanbeS  oer- 
fügbaren  Truppen  unb  fanbte  ihn  nach  $re&burg  mit  bem  Auf- 
trage, bie  Qnfurgenten  entweber  auf  bem  SBege  frieblidjer  Untere 
fmnblungen  ober  burd)  Waffengewalt  jum  ©ehorfam  $urüd$ufüf)ren. 
(Sugen  erfannte  balb,  bafc  nur  baS  lefctere  2Kittel  jum  #tele  führen 
tonne,  unb  jögerte  niajt,  baSfelbe  mit  aller  Energie  $ur  Anmenbung 
§u  bringen;  aber  bei  ber  ©eringfügigfeit  ber  ihm  $u  (Gebote  ftehen- 
ben  6treitfräfte  unb  bem  gänzlichen  Langel  an  ©elbmitteln  blie- 
ben  feine  Bemühungen  jur  Unterwerfung  ber  Aufftänbifchen  erfolg^ 
loS,  unb  als  er  im  Januar  1704  währenb  ber  winterlichen  Waffen- 
ruhe naa)  Wien  jurücf fehrte ,  um  burd)  feine  ©egenwart  bie  iöor- 
fe^rungen  für  ben  Setbjug  beS  nädjften  3al)reS  ju  befajleunigen, 
rief  i^n  ber  Verlauf  beS  großen  Kampfes  um  baS  fpanifche  (£rbe 
auf  ben  weftlichen  UfriegSfchauplafc  jurüd,  wo  glän$enbere  Lorbeeren 
feiner  harten. 

TaS  3a^r  1703  mar  nidjt  allein  burch  ben  ungarifchen  Auf- 
ftanb  eines  ber  gefahrbrohenbften  in  ber  wcd))cloollen  Regierung 
ßeopolbS  I.  geworben:  auch  im  Kampfe  gegen  granfreid)  fyattt 
ben  ^aifer  üielfadjeS  Stti&geidutf  betroffen.  sJ*ach  jwei  oergeblichen 
Sßerfuchen,  fich  mit  bem  fturfürften  oon  söaiern  $u  oereinigen,  mar 
ber  2Warfchail  JöiüarS,  ber  ben  Oberbefehl  im  (Sljafj  führte,  $u  An- 
fang 3Jtoi  $um  britten  9Wale  über  ben  dtytin  gegangen  unb,  nad) 
einem  oergebliajen  Angriff  auf  bie  beutjehen  Linien  bei  ©tollhofen, 
oernüttelft  eines  gefchidten  SftarfdjeS  burch  ben  ©chwarjwalb  unb 
baS  windiger  Thal  über  Stonauefdungen  bis  nach  Tuttlingen  in 
Schwaben  oorgerüdt,  wo  ber  föurfürft  ihn  erwartete,  tiefer  mar 
hierauf,  währenb  Ottlars  iöaiern  bedte,  in  Ttyrol  eingefallen  unb 
hatte  bie  wichtige  Seftung  &ufftein  befefct;  felbft  bie  $auptftabt 
QnnSbrud  fyattt  ü)m  om  25-  3u"i  ergeben.  ,8U  *>er  gleiten 
3eit  mar  Söenbome,  gegen  welchen  ©tarhemberg  fich  bti  ^cm  fr°fI= 
lofen  guftanbe  feiner  burd)  junger  unb  ftranff)ett  faft  auf  bie 
^pälfte  rebucirten  Truppen  nur  burch  feine  fcltenc  ÄriegSgewanbt- 
heit  unb  ruhmwürbige  AuSbauer  hatte  halten  tonnen,  oon  Italien 
aus  in  bie  Gebirge  beS  füblichen  TörolS  eingebrungen,  um  fid)  mit 
bem  Murfürften  ju  gemeinfamem  Vorgehen  gegen  Wien  \n  oer- 
einigen. 5)iefe  Bereinigung  war  jwar  nidjt  ju  Stanbe  gefommen ;  benn 
bie  treuen  Ttyroler  hatten  fich  injwifchen  unter  bem  tapferen  Sanb- 
ricfjter  Martin  ©ter$inger  $um  Äampfe  für  ihren  Sfaifer  $u- 
fammengefchaart  unb  aus  allen  ©a)hichten  unb  üon  allen  5*13= 
fpifcen  h^rab  mit  ihren  fixeren  Äugeln  unb  herabgeftürjten  Öaum- 
ftämmen  unb  SelSblöden  bie  oorbringenben  >8aiern  fo  erfolgreich 
angegriffen,  bafj  ber  föurfürft,  ber  felbft  nur  baburdj  bem  ihm  oon 
einem  Turoler  <3d)arfjchü$en  jugebachten  Tobe  entgangen,  bajj  bie- 
fer  ben  neben  ihm  reitenben,  reifer  gefleibeten  (trafen  Arco  für 


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190 


$>er  fpanifäe  Grbfolßefrieg. 


ifm  gehalten,  fd)leunigft  ©efefjl  jum  Stückig  fjatte  geben  muffen 
unb  nur  mit  ber  #alfte  feine*  §cere*  nad)  Katern  aurücfgefefjrt 
roar:  —  aber  bafür  Ratten  bie  $aiferlid)en  in  Saiern  felbft  unb 
am  Üitjeine  empfinblidje  Schläge  erlitten.  3>er  General  Stnrum 
mar  am  20.  September  bei  £>ödjftäbt  bura>  bie  oereinigten  5ran= 
^ofen  unb  ©aiern  auf*  $aupt  geflogen  morben;  bie  mistigen 
Seftungen  ©reifadj  unb  ßanbau  fmtten  fid)  ben  granjofen  ergeben 
muffen;  SRegen*burg  t)attc  ber  Shirfürft  öon  Söaiern,  Wug*burg  ber 
fran^öpfctje  Cberbefel)l*f)aber  Sflarfin ,  ber  9ka)folger  «illar* ,  be= 
fcftt ;  ja  felbft  ba*  mistige  ^ßaffau,  ber  Sdjlüffel  $u  Dberöfterreid), 
mar  in  bie  #änbe  ber  iöaiern  gefallen. 

®lücflic|er  mar  ber  Selbjug  öon  1703  für  SDcarlborougf)  oer* 
laufen,  bem  feit  bem  Anfang  be*  Qaljre*  ber  nad&  neunmonatiger 
ßtieg*lmft  Don  bem  #aifer  ofjne  ßöfegelb  freigegebene  söilleroi 
gegenüberftanb.  $a  biefer  forgfältig  jebem  ernften  3wfömmenfto6e 
mit  bem  getnbe  an^umeia^en  futf)te,  fonnte  Sttarlborougt)  ungern* 
bert  feinen  geftung*frieg  in  ben  fpanifdjen  9cieberlanben  unb  im 
$ölnifd)en  fortjefcen  unb  53onn,  £>uü,  Himburg  unb  ©elbern  in  feine 
ÖJemalt  bringen,  mofür  ifjm  bie  Königin  $nna  ben  $erjog*titel 
uerliet). 

Unterbeffen  fwtte  bie  große  2lflian$  jmei  neue  ÖJenoffen  erhal- 
ten. 9cadjbem  bereit*  im  Sommer  1702  ber  $önig  ^ebro  11.  öon 
Portugal ,  burtf)  bie  3ufa9*  ber  Abtretung  mehrerer  ipanifdjen 
Seftungen  für  ben  (Sr^erjog  $arl  gemonnen,  ficf)  ben  JÖerbünbeten 
angefdjloffen ,  entfagte  and)  ber  £>er$og  üßictor  Mmabeu*  oon  Sa* 
um) eu  ,  ber  bura)  ba*  immer  beutlidjer  fjeroortretenbe  Söeftrcbcn 
Jranfreidj* ,  bie  allein  leitenbe  ÜWadjt  in  Qtalien  $u  merben ,  feine 
Selbftftänbigfeit  gefä^rbet  far)  unb  fidj  überbie*  burd)  ßubnrig*  An- 
maßungen öielfad)  oerlefct  füllte ,  bem  frangöftfdjen  iBünbniß  unb 
fd)loß  am  8.  Wooember  mit  bem  ftaifer  einen  Kilian  ^ertrag ,  in 
meinem  er  ficr)  gegen  bie  Ueberlafjung  be*  mantuauijcqen  Xfjeile* 
oon  Sttontferrat ,  fomie  bie  Stäbte  &alen$a  unb  Wleffanbria  jur 
Stellung  eine*  §ilf*l)eere*  oon  fünfjefjntaujenb  2ttann  oerpflidjtcte. 
5)a  ber  $önig  oon  Portugal  barauf  brang,  baß  ber  (Srjtjerjog  ttarl 
perfonlicr)  nad)  Spanien  fomme,  roo  in^mifc^en  ber  ©influß,  ben 
ber  fa)mad)e  Philipp  V.  ber  Dberlmfmeiftertn  ber  Königin ,  ber 
flugen  unb  getftooÜen ,  aber  t)errfa)füd}tigen  ^rin$ejfin  U  r  f  i  n  i , 
auf  alle  SRegterung*augelegenf}eiten  einräumte ,  eine  große  Unju-- 
friebenfjeit  tyeröorgerufen  t)atte,  entfdjloß  fid)  ber  Äaifer,  menn  aud) 
mit  fernerem  Jperjen,  feinen  Sofm  nad)  Spanien  ju  fenben.  #m 
19.  September  1703  oerließ  $arl  SBicn ,  um  fia>  ftunädtft  über 
jpoüanb  nac^  ^nglanb  ju  begeben,  oon  mo  er  am  7.  3Jcarj  1704 
auf  ipamjctyem  iöoben  eintraf. 


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2>te  Sc$lad)t  bei  $dctftftbt.  191 


Sie  mad}t  bei  öidiftobt. 

(13.  Huguft  1704.) 

Ta  (Sugen  f(ar  erfannte ,  baß  bte  öfterreidnfcbe  9ftonard)te 
unb  mit  tfyr  baS  beutjdje  föeicf)  nur  burdj  bte  rafd)e  Befeitigung 
ber  ifjr  öon  Batern  ber  brotyenben  ®efaf)r  gerettet  merben  fönne, 
aber  für  bicfe  jdjroere  Aufgabe,  beren  glücflicbe  ßöfung  ujm  jugleicb 
einen  günfrigen  Verlauf  beS  ganzen  .friegeS  ju  verbürgen  feinen, 
bie  fatferlid)en  ©trettfräfte  ntdjt  für  auSreicbenb  erachtete,  befcr)fo6 
er  mit  guftimmung  ßeopolbS,  ben  £)erjog  öon  9)carlborougb  ju  er* 
fudjen ,  mit  bem  grüßten  X^etle  feines  Speeres  nacfy  bem  oberen 
Xeutfct)lanb  ju  jie^en ,  um  im  Vereine  mit  ifjm  unb  bem  $JlavU 
grafen  t)on  Baben  bie  3ran$ojen  unb  Baiem  ju  fd)lagen  unb  ben 
geinb  über  ben  SRfjetn  jurütf jubrängen.    3"  biefem  *ßlane,  auf 
welchen  SJcartborougf)  mit  Begeifterung  eingegangen  ,  roeil  er  einen 
glänjenben  ©ieg,  ber  bem  englifc^en  sJcationalgefüf)l  ftfuneicble,  pr 
Befeftigung  feiner  burd)  baS  (Smporfommen  ber  XorieS  ins  Sebtoanfen 
geratenen  Stellung  für  nötfug  erachtete,  gab  bie  Königin  Mnna  itjre 
«jjuftimmung;   audj  bie  (SJeneralftaaten  ließen  nad)  einigem  öögern 
ben  Cierjog  $ief)en,  roeil  er  fie  in  bem  (Rauben  ju  erhalten  gemußt, 
baß  eS  per)  nur  um  einen  gug  naa)  ber  s3)co)elgegenb  ijanble.  9cadt> 
betn  er  im  grüf)jabr  feine  Xruppen  bei  SJtoeftricbt  ^ufanimengejogen, 
rücfte  er  rbeiuaufroärtS  bis  ®ob!enj  unb  oon  ba ,  um  ebeu)oroot)l 
bie  £ol!änber  als  bie  granjojen  ju  tauften ,  mofelaufroärts  bis 
gegen  Xrier;  bann  roanbte  er  fiä)  plö^lia)  nrieber  nad)  bem  Stfyein, 
übertritt  benfelben  am  26.  9ftai  bei  $oblenj  unb  ftanb  bereits  am 
3.  3uni  bei  ßabenberg  am  9cecfar. 

sXn\  10.  3u°i  trafen  (£ugcn  unb  s3JcarIborougb  in  9Jftnbelf)eün 
jum  erften  SQialc  Rammen ,  unb  roenige  Mugenblidfe  genügten, 
5tmfdjen  ben  beiben  größten  gdbfjerren  ityrer  &e\t  ein  bauernbeS 
greunbfd)aftsbanb  ^ergufteQen.  $5rei  Sage  fpäter  gelten  fie  in 
Großheppach  mit  bem  2ttarfgrafen  Subrotg  öon  Baben  eine  Be* 
ratfjung  über  baS  gemeinfame  Borgeben  gegen  bie  Baiern  unb 
granjofen.  @ugen  unb  9ttarlborougb ,  bie  fieb  bereits  ins  üollftän* 
bigfte  einüeme^men  gefegt,  fugten  ben  äflarfgrafen  $u  beftimmen, 
mit  feiner  Slrmee  jur  Beobachtung  beS  im  (Slfaß  fte^enben  9^ar- 
l'cfjafiS  Xallarb,  ber  bem  Jhirfürftcn  üon  Beiern  ein  jroeiteS  fran= 
jöpfc^eS  florpS  jufü^ren  foflte,  am  dltyin  ju  bleiben,  roäfjrenb  fie  felbft 
gegen  SJcarfin  unb  ben  Shtrfürften  aufbrechen  roollten,  bie  jruifc^en 
tfautngen  unb  Millingen  ein  fefteS  ßager  bejogen  bitten;  ba  jeboeb 
ber  Sflarfgraf  burdwuS  mit  Sftarlborougb  gegen  Beiern  öorgefjen 
mollte,  entfcblog  fieb  @ugen  mit  ebler  ©elbftoerleugnung  ju  ber 
Uebernabme  ber  geringeren  Aufgabe ,  an  ber  ©pifce  eines  Dbfer^ 
oationSforpS  ben  ^b^in  5U  beefen.    aftarlborougb  unb  ber  SJcarf* 


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192 


Der  fpcmifäe  (Sibfolgefrieg. 


graf  wanbten  fid)  hierauf  gegen  bie  Donau,  erftürmten  am  2.  Quli 
bie  $8erfd)anjungen,  bie  ein  baierifdjeä  ®orp$  unter  bem  (trafen 
Wrco  auf  bem  Sdjelle  11  berge  bei  Donauwörth  errietet  fyatte, 
um  ben  SBerbünbeten  ben  ilebergang  über  bie  Donau  ju  erfdjweren, 
unb  befe$ten  Donauwörth.  Da  ber  Äurfürft  unb  SRarfin  fich  jefct 
in  ihrem  ßager  bei  ßauingen  nicht  mehr  fia^er  hielten,  jogen  fie  fich 
auf  Slugfburg  jurütf.  s-8on  t>icr  fnüpfte  ber  ^urfürft  mit  WlaxU 
borougf)  llnterhanblungen  an,  um  3eit  ft*  bie  Bereinigung  mit 
SaHarb  ju  gewinnen,  beffen  Uebergang  über  ben  dttytin  (Sugen  mit 
feiner  geringen  Druppcnmacht  nid)t  Ijatte  öerhinbern  fönnen. 
Daliarb  am  3.  Muguft  ju  ihm  gefto&en,  wief  er  bie  üon  WlaU 
borough  geftellten  griebenabebingungen  mit  .Jwhn  jurücf. 

Unterbeffen  mar  auch  (Sugen,  ber  mit  adjtjefjntaufenb  3#ann 
bem  Daüarb'fchen  ftorpf  in  (Silmärfchen  nachgerürft,  in  Donauwörth 
angefommeu,  unb  nachbem  e£  if)m  unb  3)carlborough  gelungen,  ben 
liDcarfgrafen ,  burd)  beffen  afljugro&e  Bebächtigfeit  fie  fich  beengt 
füllten,  jur  Belagerung  oon  Qngolftabt  $u  beftimmen,  brauen 
Jöeibc  auf,  um  ben  geinb  anzugreifen,  ber  bereite  bie  Donau  über= 
jehritteu  unb  bei  bem  gleden  ^öchftcibt,  wo  im  öorhergehenbeu  . 
3af)re  bie  Defterreicher  unter  bem  (Senerat  «Störum  eine  sJlieberlage 
erlitten  Ratten,  Stellung  genommen,  &ier  fam  e*  am  13.  Muguft 
1704  ju  einer  ber  blutigften  unb  jugleich  folgenreichen  Schlachten 
be£  gaujen  ßriegeä. 

©chon  in  ber  frühen  Sflorgenftunbe  rürften  bie  Serbünbeten 
in  ber  Stärfe  öon  jmeiunbfünfjigtaufenb  Mann  gegen  ben  fechäig= 
taujenb  'Mann  jählenben  geinb  öor,  bem  ein  bitter  Siebet  ihr  #eran* 
nahen  öerbarg.  3#arlborough  führte  ben  linfen  glügel,  Sugen  ben 
regten;  bie  Reiterei  bilbete  baä  Zentrum.  2U*  um  fieben  Uhr 
bie  Sonne  ben  Jeebel  burdjbtad),  erfannten  (Sugen  unb  SDcarlborough, 
ba&  ber  geinb  feine  (Stellung  trefflich  gewählt  hatte  unb  ber  Sieg 
für  fie  fein  leidster  fein  werbe.  Der  rechte  glügel  be3  feinblichen 
£eere3  unter  Dallarb  hatte  in  bem  Dorfe  Blinb^eim,  baä  Zentrum 
unter  iDlarfin  in  Ottenheim  fefte  Decfung;  bie  Stellung  be*  linfen 
Jlügelä  unter  bem  tfurfürften  ftü&te  fich  auf  i3ufcingen  unb  war 
überbieä  bura)  2öalb  unb  Üttoräfte  gebedt. 

Schon  um  neun  Uhr  begann  bie  $anonabe,  bie  eigentliche 
Schlacht  jebod)  erft  gegen  ein  Ufjr  sJiachmittagä,  weil  (Sugen  mit 
bem  rechten  glügel  einen  befchwerlichen  si)carjd)  aufführen  hatte, 
ehe  er  in  bie  Schujjlinie  beä  geinbeä  gelangte.  Den  .stampf  er- 
öffnete 2)carlborough  mit  einem  Angriff  auf  bad  Dorf  Jölinbheim, 
wo  Daliarb  bie  ^pauptftärfe  be£  franjöfifchen  Speere*  concentrirt 
hatte.  lUadibem  brei  mit  ungeftümer  Xapferfeit  aufgeführte  Stürme 
blutig  5urücfgejd)lagen  worben,  warf  fic^  ber  £>er$og  mit  ber  Jpaupt^ 
mafje  (einer  Regimenter  gegen  bad  franjofifc^e  Zentrum,  auf  wel- 


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$ie  etyfafy  bei  $öd}ftfibt. 


193 


djem  Xaüarb  eine  33erftärfung  oon  gmötftaufenb  9Kann  ju  bem  rech; 
ten  glügel  herübergezogen,  unb  lieg  ben  Vingriff  auf  iBlinbheim  nur 
noch  zum  Steine  fortfefcen.  s2lber  trofc  ber  erlittenen  Schmähung 
leiftete  bie  franjöfifc^c  Äaoatterie  be*  (Sentrum*  fo  erfolgreichen 
SBtberftanb,  bog  bie  Schlachtlinie  be*  ^perjog«  in  bie  äu&erfte  ©e* 
fa^r  gerieth;  fic  mürbe  jeboch  burch  mehrere  Srüraifierregimenter 
gerettet,  bie  (Sugen  bem  Sefctercn  zu  £>ilfe  fanbte. 

3njtt)i(chen  ^attc  auch  (Sugen  ben  Singriff  auf  ben  linfen 
feinblichen  glügel  begonnen.  Seine  Stellung  toar  noch  fchmieriger, 
al*  bie  be*  £erzog*;  benn  ihm  gegenüber  ftanbeu  2)carftn  unb  ber 
fturfürft,  unb  ber  Sefctere,  ber  bei  feiner  genauen  ^enntniß  be* 
Sdjlachtfelbe*  jeben  HJcoraft,  jeben  #ügel,  jebe*  ®ebüfch  in  33e* 
rechnung  jiehen  fonnte,  entfaltete  an  biefem  Xage,  an  welchem,  mic 
er  mohl  fühlte,  Me*  für  ihn  auf  bem  Spiele  ftanb,  feine  ganje 
&rieg*funft  uub  Xapferfeit.  @ine  feinbliche  Batterie,  beren  oer= 
heerenbe*  geuer  bie  Leihen  Sugen*  lichtete,  mürbe  oon  ben  $reufccn 
im  erften  Anlauf  genommen  unb  zugleich  bie  franjöfifche  Reiterei 
buref)  bie  faiferliche  in  bie  glucht  geflogen;  allein  ber  rafch  mit 
ber  Steferoc  herbeigeeilte  ®urfürft  entriß  ben  Xapferen  bie  er= 
rungenen  SBortheile.  &\xm  jroeiten  9Me  liefe  (Sugen  feine  zurücf^ 
gebremgte  Reiterei  anförengen;  allein  auch  bie*mal  mürbe  fie  oon 
bem  $urfürften  mit  bebeutenben  Sßerluften  jurüefgemorfen.  Sluch 
bei  einem  britten  Angriff  brachen  fich  ihre  Slnftrengungen  an  bem 
fräftigen  Söiberftanbe  ber  furfürftlichen  (Sarbefaüallerte ;  in  Dotier 
Unorbmmg  midien  bie  #aif  erliefen  jurücf  unb  manbten  fich  bnx 
glucht.  (Sugen,  ber  bie  gliehenben  oergeben*  zum  Stehen  ^u  bringen 
gefucht,  fteflte  fich,  bem  ^perjog  oon  SBürttemberg  unb  bem  Prinzen 
oon  jpannooer  bie  Sorge  für  bie  SBieberherfteüung  ber  Drbnung 
unter  ber  aufgelösten  Reiterei  überlaffenb,  an  bie  Spifce  feine*  gufc 
oolf*  unb  ftürmte  mit  bemfelben  auf*  9ceue  gegen  bie  feinbliche 
Schlachtlinie  üor.  Seine  füfme  Xobe*oerachtung  entflammte  bie 
Seinigen  jur  äujjerften  Xapferfeit,  unb  in  furzer  $eit  maren  ÜDtorfin 
unb  ber  feurfürft  bi*  auf  ttufchigen  jurüefgebrängt.  (Sin  erneuter 
ftürmifcher  Angriff  oertrieb  fie  au*  ihren  legten  Stellungen  unb 
nöthigte  fie,  ben  S^ücfjug  anzutreten. 

3u  ber  gleichen  Qtit  ^atte  fich  auc§  auf  öcm  linfen  glügel 
ber  Sieg  üoUftänbig  auf  bie  Seite  ber  SBerbünbeten  geneigt.  X)a 
(£ugen*  (Erfolge  9Rarfin  Oerhinberten,  an  Xallarb,  ber  bon  9Karl= 
borough  immer  mehr  in  bie  @nge  getrieben  roorben,  S3erftärfungen 
abjujenben,  erla^  bie  gänzlich  crfcf)öpfte  franjöftfc^c  Reiterei  einem 
legten  entfeheibenbe.:  Angriff  be*  Herzog*.  ®ie  !öerbinbung*linie 
zmifdjen  ben  Dörfern  mürbe  oon  ben  (Snglänbern  befefct  unb 
Xallarb  felbft,  al*  er  fich  gegen  iöliubheim  burchz  Umlagen  fuchte, 
gefangen  genommen.    X)ie  zerfprengten  üeberrefte  feine*  Äoro* 

$olÄ»art$,  SBeltgeföi^te.  VI.  13 


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194 


2>er  fpantfdje  ©rbfolgefrteg 


toanbten  fid)  jur  gluckt.  9cur  jehntaufenb  in  SBIinbheim  oerfdjanjte 
Sranjoicn  festen,  3Jcarlborough*  flufforberung  jur  Kapitulation 
äurücftücifenb,  nod)  eine  3eitlang  ben  Kampf  fort,  bi*  bie  ein* 
brecheube  ftadjt  unb  ihre  üollftänbige  Erfchöpfung  fic  fangen,  fid) 
gefangen  ju  geben. 

$er  blutige  Xag  ^atte  auf  beiben  Seiten  fdjtoere  Opfer  ge= 
foftet.  $er  Sßertuft  ber  Skrbünbeten  an  lobten  unb  Serrounbeten 
betrug  nahezu  ätoblftaufenb  9)tonn ;  Don  ben  ©aiern  unb  granjojen 
waren  jtt)anjigtaufenb  SKann  gefaflen  unb  fünfjchntaufenb  in  ©e* 
fangenjdmft  geraten.  Sn  bem  feinblichen  Üager  fanben  bie  (Sieger, 
au&er  ber  reichgefüllten  Kriegafaffe,  einhunbertftebjehn  Kanonen,  ein= 
Imnbertfiebenunbjtoanjig  2)corjer,  einhunbertneununbätoanjig  Sahnen, 
eiiü)unberteinunbfiebäig  Stanbarten,  breitaufenbfec^S^unbert  3elte  unb 
fünftauienbbreitjunbert  Söagen  mit  Öcbenämitteln  unb  ftriegäbebarf. 

$er  Sieg  bei  $öchftäbt  rettete  bie  bfterreidnfche  9Jconardne, 
inbem  er  nid)t  nur  bie  ©efa^r  befeitigte,  bie  berjelben  bon  Söeften 
her  gebrofjt,  fonbern  auch  bem  Cfufftottb  ber  Ungarn  mit  ber  ent* 
fchnmubenen  sJlu£fidjt  auf  Unterftüfcungen  oon  Seiten  granfreich*  bie 
Spi$e  abbrach-  $>er  fyodjerfreute  Kaifer  brütfte  bem  ^rinjen  Eugen 
in  einem  äußerft  fmlbüollen  Schreiben  feinen  tiefgefühlten  $ant  au* 
unb  erhob  beffen  ^ßalaft  ju  SBien  jum  priöilegirten  abeligen  grei- 
häufe,  ba*  für  enrige  Qtittn  oon  jeber  Jöeftcuerung,  Einquartierung 
ober  jonjtigen  iöelaftung  befreit  fein  foUe ;  ben  £>er$og  oon  sMavU 
borough  ernannte  er  jum  dürften  be*  ^eiligen  römijd^cn  deiche*. 

9cad)  ber  Schlacht  bei  £>öchftäbt  machte  Eugen  bem  Kurfürften 
oon  Baiern  bie  oorttjeiltjafteften  s2lnerbietungen,  um  ilm  auf  bie 
Seite  be*  Kaifer*  ju  jieljen;  benn  er  achtete  bie  Xapf erfeit  feines 
alten  SBaffengefäfyrten  unb  oerfannte  bie  ^ortfyeile  nicht,  bie  ber 
VlnfdjiuB  Baiern*  an  bie  N2lllian$  für  Cefterreid)  Ijaben  tonnte ;  allein 
ber  Kurfürft  50g  bie  3ujagen  £ubtoig*  ber  Hoffnung  auf  Ücopolb* 
(#nabe  oor  unb  folgte,  nadjbem  er  feiner  (Gemahlin  bie  33ertoaltung 
s43aiern*  übertragen,  bem  gänzlich  entmutigten  Sftarfin  mit  ben 
Xrümmern  be*  franjöfifchen  Speere*  über  ben  Ütfjcin,  um  fich  oon 
bort  al*  fpanifc^^franjöfifc^er  Statthalter  nach  Trüffel  ju  begeben. 
Sein  Sanb  mürbe  in  Solge  eine*  am  22.  9cooember  1704  $u  3lber*- 
l)eim  jtoifchen  ber  Kurfürftin  unb  bem  römifchen  König  Qofeph  ge* 
troffenen  Slbfommen*,  fraft  beffen  ber  Erfteren  nur  bie  Stabt  unb 
ba*  Rentamt  München  oerbleiben  follte,  oon  ben  Kaiferlidjen  befeft 
unb  erhielt  einen  öfterreichiiehen  Statthalter,  3$on  ben  baierifd)en 
Xruppen  trat  ber  größte  Ifyzil  in  faiferliche  Xicnftc. 

Qnjmifchen  maren  Eugen  unb  SHarlborough  mit  bem  $JlaxV 
grafen  oon  Öaben,  ber  auf  Eugen*  SBunfch  bie  Belagerung  oon 
3ngolftabt  in  eine  einfache  $3lorfabe  oerroanbelt  hatte,  an  ben  föhetn 
gebogen,  roo  £anbau  am  24.  Stoüember  jurüeferobert  mürbe. 


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$ie  beiben  crftcn  9tegierung«jaf)re  ^ofepljS  L 


SBäfjrenb  9flarlborougf)  ^ierauf  bic  gransofen  au3  bcn  2Kofel* 
gegenben  oertrieb  unb  Xrtcr  unb  Drarbad)  *  befefcte,  feierte  Sugen 
nad)  Skiern  jurütf,  um  bcn  Vertrag  üon  ^Ibersheim  jur  sllu& 
fü^rung  ju  bringen,  ftadjbem  bie*  gefdjehen  unb  er  ben  fönig* 
liefen  Veamten  auf  baä  Dringenbftc  Sdjonung  beä  erfdjbpften  unb 
erbitterten  Volfeä  anempfohlen,  begab  er  fid)  im  Dezember  1704 
nad)  SSien,  um  mit  bem  ftaifer  für  ben  näd)ftjäl)rigen  gelbjug  bie 
nötigen  Vereinbarungen  ju  treffen,  gür  £ubnüg  XIV.r  bem  feit 
bem  Xage  oon  pdtftäbt  baö  ®lütf  cntfdncben  ben  dürfen  getoanbi, 
begann  je&t  eine  faft  ununterbroajene  fRet^e  oon  UuglürfafäUeu  unb 
Demütigungen. 


Die  beiben  erften  Wegicrungeja^re  3ofcpf)ä  L 

(1705  unb  1706.) 

Der  Sieg  bei  ^>öc^ftöbt  mar  ber  lefcte  fiidjtblid  in  bem  med)* 
jclooUen,  melbetoegten  Leben  fieopolba  I.  ©djon  feit  längerer  $tit 
Ratten  fid)  bei  ihm  bie  Vorboten  ber  Vrufttoafferfudjt  eingeteilt, 
unb  im  Srühjahr  1705  oerfünbete  eine  rafdje  Slbnahme  ber  ftbrper- 
fräfte  bie  bem  Leben  be$  ®aifer£  brohenbe  (Gefahr.  2lm  28.  v2lpril 
übergab  Leopolb  bie  güfjrung  ber  9tegierung3gefd)äfte  feinem  Sohn 
3ofepf),  um  fid)  au^fc^liegltc^  ber  Vorbereitung  auf  ben  Xob  l)inju= 
geben.  SIm  5.  Sflai  empfing  er  jum  lefcten  Sftale  mit  tiefer  s2ln* 
baa^t  unb  Demutf)  bie  ^eilige  Kommunion,  nadjbem  ba3  heilige 
yfteöopfer  in  feinem  Limmer  gefeiert  morben.  Dann  nahm  er  s2lb* 
fdneb  oon  feiner  (Gemahlin  Eleonore,  empfahl  feinem  Sohne  3o- 
jeph  in  mannen  SBorten  treuem  gehalten  an  ber  geredeten  Sadje 
feinet  in  Spanien  tömpfenben  Vruber»  Marl  unb  erteilte  ihm, 
fomie  fämmtlidjen  Üttitgliebern  ber  faiferlidjen  gamilie,  aud)  feinem 
Neffen,  bem  jungen  Jperjog  Qofeph  oon  Lothringen,  feinen  üäter- 
Itajen  Segen.  9lad)bem  ihm  bie  lefcte  Delung  gefpenbet  morben, 
ließ  er  fid)  baä  ®ru$iftr,  reiben,  Oon  meldjem  fein  ©rofjoater  gerbi* 
nanb  einft  bie  3ula9e  oernommen  $u  ^ben  geglaubt:  „gerbinanb, 
idj  nntt  biet)  nicht  oerläffen,"  unb  umfaßte  e3  mit  bem  2lu*rufe: 
„Von  Dir  fyabt  idj  Sceptcr  unb  Äroue  empfangen ;  ju  Deinen  güfjen 
lege  fte  ^eute  miflig  nieber!"  ©leid)  barauf  öerfdneb  er  mit  ben 
^Sorten  beä  fterbenben  (£rlö)er$ :  „(5&  ift  oollbradjt;  in  Deine  £>änbe 
empfehle  idj  meinen  GJeift." 

LeopolbS  fiebenunboterjigjäl)rige  Regierung,  bic  in  bem  Jpaufe 
Defterreidj  an  Länge  nur  oon  ber  griebrid)S  III.  übertroffen  roor* 
ben,  mar  an  grofjen  Xfyattn  unb  (Sxeigniffen  eine  ber  reichten. 
„Obwohl  er  hierbei",  fagt&.  51.  Üttenael,  „feine  glän$enben  £errjcher* 

13* 


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196 


3>er  fpanifche  drbfolgerricg. 


gaben  jur  2lnfchauung  gebracht  unb  bic  ^cadjroelt  ben  (Sbreunamcn 
be3  (großen ,  welcher  Oon  ©chriftfteflern  fetner  unb  ber  nächften 
Qcit  ihm  beigelegt  mürbe,  mit  ihrem  höheren  9Jcaßftabe  für  gürften* 
große  nicht  übereinftimmenb  gefunben  bat,  jo  ift  bodj  bie  oon  ihm 
gemähte  unb  beharrlich  feftgehaltene  ^olitif  al£  ber  redete  SBeg 
Defterreichä  auch  im  meiteren  gortfehritte  erprobt  morben ,  unb 
feiner  (rmfiebt  unb  geftigfeit  in  beren  Bcftimmung ,  feiner  ftanb- 
haften  l}lu£bauer  in  gefaßten  Grntfdjtüffen  unb  feiner  Unoerjagtheit 
in  jeglichem  ÜJcißgefcbicf  fann  ohne  Ungerecbtigfeit  it>r  2Bertb  unb 
ihr  großer  s2lntbeil  an  bem,  ma3  Oeftcrreid)  beute  in  Europa  be- 
beutet,  nicht  abgesprochen  merben." 

Lcopolbä  Nachfolger ,  ber  ftebenunbämanjigjä'hrige  Qofepb  I-( 
mar  ein  jugenblich  frifeber,  ftattlicher  gürft  oon  regem,  ^oa^ftreben= 
bem  (Reifte,  eine  rjeitere r  moblmoflcnbc ,  prunflicbcube  Natur,  ein 
greunb  ritterlicher  Uebungen  unb  ber  3agb  mit  Leibenfchaft  er= 
geben.  SWit  einer  Soften  Borftellung  oon  feinem  Ncgentenberufc 
oerbaub  er  ein  nicht  minber  flare*  Bemußtfein  ber  if}m  fclbft 
barauS  ermachfenben  ^ßfli*ct>tcn ,  sugleicb  aber  auch  einen  ungleich 
ftärferen  .pang  $u  ftaatlicbem  ÄbfolutiSmu« ,  al$  Leopolb  L ,  meß- 
I^alb  auch  fein  Berhältniß  jitr  Siraje  häufig  ein  getrübte«  mar. 
Much  ohne  bie  bringenbe  Mahnung  feine«  fterbenben  Bater«  mürbe 
er  ben  Srieg  gegen  granfreich  im  Qntereffe  ieine«  ©rubere  mit 
aller  ©ntfehiebenheit  fortgelegt  haben  ;  benn  er  empfanb  gegen 
Lubmig  XIV.  eine  noch  ungleich  tiefere  Abneigung,  al«  Leopolb. 

Snbeffen  öcrlief  Qofepb«  erfte«  9iegicrung«jabr  ohne  bebeu* 
tenbe  friegerifche  (Sreigniffe.  3n  3talien ,  wohin  (Sugen  fchon  im 
Mpril  jurüdgefehrt  mar,  ftanb  noch  immer  Benbome  mit  überlegener 
sJJtod)t;  bennoch  gelang  e«  bem  s4kiu$en  burch  lleberliftung  be« 
geinbe«,  ben  Dglio  31t  überjehreiten.  Um  einen  Uebergaug  über  bie 
2lbba  (@tjch)  §u  erjmingen,  griff  er  am  18.  s21ugitft  ein  franjüfifcbe«  tforp« 
bei  (E  a  f  f  a  tt  0  an ;  er  mußte  jeboef),  ba  Benbome  felbft  jur  Unter- 
ftüftung  be«felben  herbeigeeilt  mar,  nach  einem  mehrftüubigen  Kampfe, 
in  melchem  ber  neunzehnjährige  hclbenmüthige  .per^og  3°)eob 
Lothringen  töbtlich  üermunbet  mürbe ,  ben  tftücfsug  antreten ,  ben 
ber  geinb  nicht  ju  ftören  magte. 

gaft  ju  berfclben  Qcit ,  wie  (£ugen  in  Italien ,  mar  iUcarl^ 
borough  am  9thetn  eingetroffen,  um  nach  ber  Bereinigung  mit  bem 
9teich«f)eere  8c8cn  ocu  aw  Der  sJ^ofcl  ftehenben  2Jcarfchaü  Biliar« 
vorzugeben  unb  ben  Stieg  nach  granfreich  felbft  hinüber  ju  tra= 
gen;  allein  ber  SDcarfgraf  Oon  Baben  zögerte  mit  bem  Aufbruch 
fo  lange ,  baß  SOcarlborough  fich  jur  Nücffebr  nach  ocn  9cieberlan= 
ben  entfchließen  mußte,  mo  unterbeffen  Billeroi  unb  ber  töurfürft 
von  Baiern  bie  Belagerung  oon  Lüttich  begonnen  hatten.  Söäbrenb 
er  hier  bie  granjofen  über  bie  Xule  $urücfmarf ,  nahm  Biliar«, 


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SHc  bctbcn  crfteu  SRegterungfjahre  3ofepf)3  I.  197 


ber  gegen  baf  Keine  SReic&äfyeer  ein  leichtcf  Spiel  fyatte ,  Saar^ 
brücfen  unb  $rier  nnb  üertricb  ,  nadjbem  er  fich  mit  Üftarfin  öer- 
einigt,  am  4.  3uli  baf  föetd^fjeer  auch  auf  feinen  ßinicn  bei 
SBeiBenburg. 

Unterbeffen  berrfcbte  in  SBaiern,  mo  troft  ber  ernften  9#a()= 
nungen  (Tugend  bte  öftenreichifchen  Beamten  mit  äußerfter  SBillfür 
unb  £mrte  auftraten,  eine  bumpfe  (Währung,  unb  im  Cftober  1705 
machte  fich  bie  allgemeine  (Erbitterung  gegen  bie  Rrembfjerrfdjaft 
in  einem  offenen  9Iufftanbe  fiuft.  3n  großen  ©paaren  rotteten 
ficf}  bie  Säuern  $u)ammen,  griffen  einzelne  öfterreidjifche  ^ecrfjaufcn 
an ,  um  ihnen  bie  aufgehobene  junge  9ftannfd)aft  roieber  ju  ent* 
reißen ,  fangen  mehrere  feften  93läjje  jur  Ergebung  unb  brangen 
in  ber  Starte  üon  breißigtaufenb  Sftann  unter  ber  Sührung  ^meier 
Stubenten  auf  ^ngolftabt,  e  i  n  b  l  unb  *ß  1 1  n  g  a  n  f  e  r ,  gegen 
SJcünehen  üor.  $cr  faiferlidje  Statthalter  fah  fic§  ju  Unterhanb* 
lungen  mit  Urnen  genötigt  unb  erlangte  ben  ?lbfd)Iu&  einef  SSaffen= 
ftiflftaubef ,  mäbrcnb  beffen  e£  ben  Defteweidjem  gelang,  üon  üer= 
idjiebcnen  Seiten  föeidjftruppen  ^rbei^ujie^en,  mit  beren  $>ilfe  ber 
v}{ufftanb,  ber  ohnehin  buref)  Uneinigfeit  unb  Herrath  an  innerer 
äraft  üerloren ,  im  Januar  1706  bemäftigt  mürbe.  SJceinbl  unb 
<ßlinganfer  retteten  fich  burch  bie  3lud)t;  üon  beu  übrigen  Häup- 
tern bef  Slufftanbef  mürben  mehrere  Eingerichtet. 

Obgleich  ber  lurfürft  erflärte,  ba&  er  an  bem  Mufftanb  feiner= 
lei  Sintbert  gehabt  unb  benfelben  üon  Anfang  an  mißbilligt  fyabt, 
fprad)  ber  ®aifer  über  ifm  unb  feinen  ©ruber,  ben  föurfürften 
3ofeph  (Siemens  üon  Äöln ,  am  29.  Slprtl  1706  mit  3uftimmung 
bef  $urfürften=$otlegiumf  bie  föeicfjäadjt  auf,  burch  meiere  SBeibe 
aller  ihrer  9teef)te,  (Ehren,  Remter,  Sanbe  unb  Seute  oerluftig  er* 
Hart  mürben.  $ie  Söhne  bef  lurfürften  üon  Saiem  ließ  Qo= 
fe^h  I.  nach  Itagenfurt  bringen,  mo  fie  unter  bem  tarnen  Orafcn 
üon  SBittelfbach  erlogen  mürben,  ©atern  felbft  mürbe  serftücfelt. 
$ie  Cberpfalj  mit  bem  (Srjtruchieffenamt  erhielt  ber  ®urfürft  Qo^ 
bann  Söilhelm  bon  ber  $falj  jurücf,  mogegen  baf  für  baf  für* 
pfäl$i)che  §auf  gefdjaffene  (Er$}cha&meifteramt  an  <pannooer  über* 
ging.  Xonaumörth  mürbe  mieber  freie  SReufjf ftabt ;  einige  ®ebietf* 
ftriche  öon  SBaiern  erhielten  bie  9ieicf)fftäbte  Ulm  unb  Slugfburg 
alf  (Entfchäbigung  für  bie  burch  beu  fturfürften  erlittenen  Sßerlufte; 
ein  aufgebehnter  Sejirf  $mifchen  ^affau  unb  Salzburg  mürbe  ju 
bem  öfterreiefufchen  Eanbe  ob  ber  (Snf  gcfchlagen.  $ie  in  ein 
fteichffurftenthum  üermanbelte  £jerrftf)aft  9#inbelhetm  fcheufte  ber 
Äaifer  bem  £er$og  üon  sJtfarlborough. 

3n$mifchen  hatten  fich  auch  in  Spanien,  mo  ber  ®rieg  feit 
1702  mit  abmechieinbem  Öilücfe  geführt  morben ,  bie  SBcrhältniffe 
für  bte  ©erbünbeten  günftig  geftaltet.    ^achbem  ber  (Srjherjog 


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198  $cr  fpanifäe  ©rbfolßcfricg. 

£arl  im  3ar)re  1704  öon  Portugal  auä ,  mo  er  feine  Sanbung 
beroerffteffigt,  an  ber  ©pifce  eine«  englifcHoHänbifäcn  Jpecrc«  unb 
öon  einem  portugteftfehen  £ilf3f)eere  begleitet,  in  (Spanien  einge* 
rücft  mar  nnb  bie  bereinigte  engtifa>f)oflänbifd)e  giotte  am  4.  Stuguft 
1704  ©tbraltar  ^inmeggenommen  nnb  im  folgenben  3ah™ 
auch  Barcelona  jur  Ergebung  gelungen,  Ratten  fich  Katalonien, 
Valencia  unb  Slragonien  für  ihn  erflärt  unb  ilm  als  8axl  III. 
jum  $önig  aufgerufen.  3m  Quni  1706  rücften  ein  portugiefifcheS 
unb  ein  englifdjeS  #eer  fogar  in  9Jcabrib  ein,  nachbem  Wüpp  V., 
ber  bei  ber  vergeblichen  Belagerung  öon  Barcelona  faft  fein  ganjeS 
£>eer  eingebüßt,  mit  bem  £ofe  nach  BurgoS  entflohen  mar;  ba  je= 
boer)  bie  (Eilboten,  mclcrje  bie  Heerführer  ber  Berbünbeten  an  ben 
bei  ©aragoffa  ftehenben  ®arl  III.  entfanbt,  um  tl)n  einjulaben, 
fchleumgft  mit  feinem  £eere  naef)  ber  $muptftabt  ju  fommen ,  öon 
ben  Spaniern  aufgefangen  mürben  unb  e$  ben  granjofen  gelang, 
ben  enblict)  ^eranrüefenben  Ätinig  unb  ben  ihm  entgegengejogenen 
portugiefifc^en  £>eerfüf)rer«öon  ber  £>auptftabt  ab^ufdmeiben ,  tonnte 
$f)tfipp  V.  im  ©eptember  mieber  nach  SDcabrib  jurüeff  ehren. 

3n  ben  Sftteberlanben  ^atte  unterbefjen  Sttarlborough  am 
23.  9Jlai  1706  bei  bem  $orfe  SRamillieS,  fübltcr)  öon  Sömen, 
über  Biüeroi  einen  ©ieg  erfochten,  ber  für  bie  Sranjofen  ben  Ber* 
luft  be£  größten  ZfyciUZ  ber  9tieberlanbe  jur  Jolge  hatte.  28äl)* 
renb  ber  gefchlagene  Btlleroi  fiel)  mit  bem  ®urfürften  öon  Batern 
bis  hinter  bie  ©chelbe  jurücf jog ,  jmang  2Jcarlborough  fammtlicrje 
©täbte  öon  Brabant  unb  Jlanbern,  ftarl  III.  als  ifjrem  itonbeS* 
herrn  ju  f^ulbigcn  ,  unb  fefcte  tu  beffen  Hainen  ju  Brüffel  einen 
©taatSrath  ein. 


Die  Sdjladjt  bei  2urin. 

(7.  ©eptember  1706.) 

9cict)t  minber  cjlücfttct)  als  in  ben  9cieberlanben  öerlief  für  bie 
Berbünbctcn  ber  Selbjug  beS  3af>reS  1706  in  Statten.  (Sugen, 
ber  ben  SBinter  in  SSien  jugebraa^t ,  r)attc ,  nachbem  er  im  s2lpril 
auf  ben  italienifdjen  ftriegSfchauplafc  jurüefgefehrt ,  nach  Ucbemrin* 
bung  jat)Hofer  ©chtmerigfetten  feine  Xruppen  in  ber  ÖJegenb  öon 
Bcrona  jufammengcjogen ,  mo  er  bie  im  ?lnjuge  begriffenen  Ber= 
ftärfungen  aus  bem  SReich  ju  ermarten  gebachte.  9llS  er  jeboch  bie 
Nachricht  erhielt,  baß  ber  ^er^og  be  la  Jeuillabc,  melchen  fiubmig 
mit  einem  fetten  £eere  nach  ^iemont  gefanbt ,  am  26.  Üflai  bie 
Belagerung  öon  Xurin  begonnen ,  baS  bem  £>erjog  öon  ©aooöcn 
öon  allen  feinen  ©täbtett  allein  noch  geblieben  mar ,  brach  er  fo* 


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$te  Sd)[ad)t  bei  Turin. 


199 


gleid)  oon  Verona  auf ,  um  feinem  fdjtoerbebrängten  Setter  ju 
£>ilfe  ju  eilen ,  ber  fid) ,  bie  SBertljeibigung  feiner  ."pauptftabt  bem 
faiferlitffen  gelbmarfdjaH  $5aun  überlaffenb,  mit  feinem  £>eere  nad) 
Äfri  jurücfgejogen.  £a  e3  für  (Sugen  feinem  3^cifet  unterlag,  bog 
ber  ifym  mit  einer  ungteid)  größeren  ^ruppenjaf)!  gegenüber* 
ftefjenbe  SBenbome  2llle3  aufbieten  toerbe,  um  ben  $urd)brud)  ber 
Saiferliajen  ju  üerfjinbern ,  fudjte  er  ifjn  über  ben  $untt  ju 
tauften ,  an  meinem  er  feinen  Uebergang  über  bie  (Stfd)  511  be= 
roerfftelligen  gebaute,  unb  bie«  gelang  ü)m  aud)  fo  gut,  baß  er 
nidjt  nur  bei  SBabia  ungefjinbcrt  bie  (Stfct)  überfdjreiten,  fonbern  aud) 
feinen  Uebergang  über  ben  $0  ooffjie^en  fonnte,  efje  bie  Snmsofen, 
bie  ifjn  an  ber  oberen  (Stfa)  ertoartet,  geit  fanben,  ifjm  i^re  Streik 
fräfte  entgegen  $u  toerfen.  3m  ©egriffc,  mit  bem  Aufgebote  feiner 
ganzen  2Jkd)t  bem  unauföaltfam  üorbringenben  (Sugen  entgegen  ju 
treten,  mürbe  SBenbome  au«  Italien  abberufen,  um  in  ben  9itcber= 
ianben,  mo  ben  Qntereffen  3ranfreid)3  bie  größere  ®efaf)r  ju  brofjen 
freien ,  an  93ifleroi'§  ©teile  ben  Dberbefefjl  $u  übernehmen.  3« 
(einem  9tad)folger  r)attc  fiubtoig  feinen  wuber,  ben  .£>erjog  ^l)iüpp 
Don  Orleans,  ernannt,  bem  ber  StfarfdmH  9flarfin  als  föatijgeber 
beigegeben  toorben. 

Unterbeffen  r)atte  (£ugen  mit  füljner  ©ntfdjloffenljeit  feinen 
3ug  fortgefefct,  obgleich  bie  ©efafyren  unb  $öefd)toerben  bcäfelbeu 
fid)  täglia)  mehrten.  $ie  glüfyenbe  .«pi^e  berurfadjte  heftige  ®ranf; 
Reiten  unter  ben  raftloä  ba^ineilenben  Xruppen.  Brunnen  unb 
Duellen  maren  oerfiegt;  oiele  ©olbaten  blieben  öerfajmadjtet  auf 
ber  Straße  liegen;  anbete  ftürjten  mäfjrenb  beä  sJ#arfd)e£  tobt 
nieber.  £a  baä  £eer  fidj  auf  feine  toofjl  öerfeljenen  3eftungen 
frühen  fonnte ,  fehlte  eä  bemfelben  bei  feinem  raffen  SSorbringen 
balb  audj  an  ben  nötigen  Sebenämitteln ;  bennodj  ^iett  ber  ^ßrinj 
bie  frrengfte  9J?ann3$ud)t  aufregt  unb  bulbete  keinerlei  ^lünbc- 
rung ,  um  feinen  an  üflüfyen  unb  ökfafjren  ofynefjin  überreifen 
SJiarfd?  nidjt  burdj  eine  feinblid)e  ÖJefinnung  ber  SBeoötferung  nod) 
mein*  erfdjtoert  5U  fcr)cn.  SBon  einem  jafylreidjen  feinblidjen  Speere 
balb  im  SRüden ,  balb  in  ber  glanfe  bebrofjt ,  rüdfte  er  burdj  baä 
©ebict  oon  $arma  gegen  ^iacenja  oor  unb  gelangte ,  ba  ber 
$erjog  oon  Crlean3  üerfäumt  t)atte ,  ben  (Sngpafj  oon  ©trabella 
ju  befefcen ,  am  31.  s2(uguft  in  bie  Sftäfje  oon  Mfti.  3lm  folgen^ 
ben  Xage  ftie&en  feine  Xruppen  ju  benen  beä  ^er^og»  oon  ©a- 
ootjen. 

$a  ba«  oereinigte  faoooifaj-faiferlife  £>eer  nur  breißigtaufenb 
Üttann  jäljlte,  toünfdjte  ber  £erjog  oon  DrteanS,  bemfelben  in  offenem 
Selbe  eine  ©d)lad)t  ju  liefern  ,  bereu  ?lu3gahg  ifmt  bei  feiner  be- 
beutenb  ftärferen  Xruppeujaljl  nid)t  jmeifel^aft  fdjien ;  allein 
3^arfin ,  beffen  Energie  feit  feinem  2lufbrua)e  nad)  Italien  burf 


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200 


$er  fpanifdje  Grbfolgcfrieg. 


eine  büftcre  Xobeäahnung  gelahmt  mar,  erflärte  fich  bagegen,  unb 
ba  ba3  Uebergemicht  feines  $lntehena  bie  übrigen  (Generale  mit  fort* 
riß,  mürbe  ber  Bcfchluß  gefaßt,  ben  geinb  in  ben  SBcrfchanjungen 
öon  Xurin  §n  ermarten. 

SBährenb  bie  granjofen  bie  SBelagerungSarbeiten  fortfefcten 
unb  immer  neue  ©efeftigung^roerfe  in  ihrem  £ager  Ijerridjteten, 
gingen  bie  $erbünbetcu  über  ben  $o  unb  nahmen  jmifchen  ber  Stura 
unb  ber  $ora  Stellung,  ba  ^ier  bie  feinblichen  SBerfdjanjungen  am 
fchmächften  fchienen.  §n  ber  grühe  beä  7.  September  öerließen 
fie  ihr  £ager,  um  jum  Angriff  gegen  biefelben  öor$ugehen,  unb  trofc 
be$  mörberifchen  geuer3,  mit  meldjem  fie  öon  ben  granjofen  em* 
pfangen  mürben,  Ratten  fie  in  furjer  Qcxt  auch  ihre  <&efchüfce  in 
Batterien  aufgepflanzt.  @3  entfpann  fich  hierauf  eine  jmetftünbige 
große  ^Irtillcriefc^tac^t,  in  melier  bie  ® aiferlichen,  ba  fie  bem  burdj 
feine  93er  f  chanjungen  gebceften  geinb  ohne  Schufcmehr  gegenüber 
ftanben,  empfinbtiche  SBerlufte  erlitten. 

Unterbcffen  mar  bie  Scftladjtlinic  ber  Skrbünbeten  formirt 
morben,  unb  nachbem  baS  Seichen  jutn  Angriff  erfolgt  mar,  rütfte 
suerft  ber  linfe  glügel,  beftefjcnb  auä  ben  ®renabierbrigaben  ber 
öerfdncbenen  föeid^ccntingente  unb  ben  Greußen  unter  bem  tapferen 
gürften  £copolb  öou  $effau,  bem  nadnnalä  fo  berühmt  gemor= 
benen  „alten  £5effauer"  —  öon  (Sugen  nur  ber  „  Bullenbeißer  * 
genannt  — ,  junt  ©türme  öor.  Unbeirrt  bureb,  ba3  furchtbare 
geuer  be£  geinbeä  brangen  bie  tapferen  Scfmaren,  ohne  felbft 
einen  Schuß  511  thun,  bte  in  bie  9cähe  ber  franzöfifchen  $er* 
fchanzungen  öor;  fner  mürbe  jebodj  ber  feinbliche  Kugelregen  fo 
bid)t,  bafi  fie  ^urücfmia^en.  Um  ihnen  üuft  gu  machen,  lieft  (Jugen, 
ber  fich  unb  bem  $>er$og  öon  Saüotyen  ben  allgemeinen  Cberbe-- 
fel)l  öorbehalten,  auch  ba*  auä  bem  faiferlichen  gußöolf  gebtlbete 
Zentrum  unb  ben  regten  glügel,  ber  f)auptfäd)lidj  au3  ^faljern 
unb  Sachfen  beftanb,  fofort  jum  Angriff  öorgeljen.  Nachbem 
längere  Seit  öon  beiben  Seiten  mit  gleich  großer  Xapf erfeit  unb 
WuSbauer  gefämpft  morben,  fprengte  (£ugcu,  um  eine  rafdjere  (Snt= 
fdjeibung  herbeizuführen,  nach  bem  linfen  glügel,  ftellte  fich  an  bie 
Spifce  ber  Greußen  unb  führte  fie  $um  Sturme  gegen  bie  3kr= 
fchanjungen.  $3egeiftert  burdj  bie  ihnen  gemorbene  s2lu»jeichnung, 
warfen  fie  fich,  wlt  fühner  Stobeäöerachtung  bem  geliebten  gührer 
folgenb,  in  ben  bichteften  Kugelhagel,  frürmten  über  bie  SSaÜgräben 
meg  ben  SBerfchanjungen  ju  unb  erftiegen  biefelben.  3m  blutigen 
.V>anbgemenge  mürbe  bem  ^rinjen  baS  ^ßferb  unter  bem  £eibe  er* 
jehoffen ;  boch  augenblicflich  fich  crljebenb,  rief  er  feinen  erjehroefenen 
Kriegern  aufteile  fein  „Bormärtä!"  51t  unb  trieb  fie  an  $u  neuem 
blutigen  fingen. 

5öährenb   bie  Greußen  auf  (SugenS  Ü8efcl)l  bie  erftürmten 


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3>ie  @#Iacf)t  bei  Turin. 


201 


fernblieben  SBerfc  bemolirten,  brang  audj  ber  ^rinj  oon  SBürttem* 
berg  mit  feinen  ©renabteren  in  bie  SBerfdjanjungen  ein,  unb  ju 
ber  gleiten  Qeit  entfdjieb  fidj  im  (Sentrum,  too  $f)ÜiPP  bon 
Orleans  unb  Üttarfin  bem  §erjog  Don  Saöoöen  gegenüberftanben, 
ber  #ampf  ebenfalls  jum  SBortfjeil  ber  Serbünbeten.  9cad)bem 
SJcarftn  $u  Dobe  getroffen  unb  aud)  ber  £>er$og  oon  Orleans  lahmer 
x>ertr»unbet  roorben,  gelang  es  ben  $aiferli$en,  bie  feinblict)cu  #er* 
iefianjungen  ju  erfteigen  unb  in  benfelben  fefte  Stellung  ju  nehmen. 
9cur  auf  bem  regten  glügcl  fdjroanfte  nodj  bie  ©ntjdjetbung.  9kd) 
einem  jmetftünbigen  feigen  Kampfe  mar  es  jtuar  bem  9$rin$en 
t)on  Sadjfen*©otfm  gelungen,  ficr)  ber  franjöfifdjen  $Berfa)an$ungen 
$u  bemad)tigen;  aber  ber  rafd)  gefammelte  geinb  ftanb  auf  bem 
fünfte,  Ujn  mieber  auS  benfelben  äurüdjubrängen.  55a  fprengte 
Chigen  an  ber  Spifce  ber  gnfanterie  auf  bie  ftürmijd)  t)eranbringen= 
ben  granjofen  ein  unb  ttmrf  fte  nad)  turpem  Kampfe  surutf.  Die 
Sfteberlage  ber  granjofen  mar  eine  oollftänbige ;  nadj  aßen  tility 
hingen  f)in  ftoben  ir)re  aufgelösten  Regimenter  auSeinanbcr,  iljr 
ganjeS  SBelagerungSgefdjüfc  —  ameüjunbertbretje^n  Stürf  —  mit  allen 
SDfanitionSöorrätljen,  baruuter  über  aa)täigtaujcnb  gäffer  ^ufoer, 
fott»ie  breitaufenb  ^ferbe  unb  ir)re  reidj  gefüllte  SriegSfaffe  ben 
Siegern  jurürflaffenb. 

Da  ber  £>er$og  öon  Orleans  in  Sßtgnerol,  tuofjin  er  fict)  mit 
ben  Xrümmern  feines  geflogenen  £cereS  ^urücfgejogen  r)attef  feiner* 
lei  SBorrätfje  fanb  unb  feine  Druppen  ooüftänbig  entmutigt  maren, 
trat  er  ben  SRütfjüg  nadj  granfreid)  an.  So  tonnte  ber  ^erjog 
oon  Saoouen  fein  ßanb  ofme  Scfyroertftreidj  nüeber  in  93efifc  nc^ 
men,  tuäfjrenb  @ugen,  unter  3uru^^affun9  ObferoationSforpS 
öon  jmölftaufenb  äRann  an  ber  fran$öfifd)en  (Brenge,  jur  iBertreu 
bung  ber  gran^ofen  aus  9Railanb  unb  ben  übrigen  nodj  oon  ifmen 
nefe|ten  Heineren  geftungen  aufbrad).  2öie  im  Driumpljc  burdj* 
50g  er  ben  Horben  QtalienS,  beffen  Stäbte  ifjm  meift  freiwillig 
ir)rc  Dfjore  öffneten,  unb  fuelt  am  26.  September  feinen  (Sinzig 
in  üftatlanb,  wo  er  mit  begeifterten  3urufen  a^  &er  „93cf reter 
3talienS  uom  franjüfifdjen  3od)"  begrübt  mürbe,  ®aifer  Qofepf) 
uberfanbte  ifnu  als  3«^cn  feiner  Daufbarfeit  einen  präd)tigen, 
reidj  mit  Diamanten  befefcten  Degen  unb  ernannte  il)it  jum  Statt* 
t)alter  oon  SDcailanb.  s2lud)  aus  (Smglanb,  $>ollanb  unb  bem  beut- 
fdjen  SReidje  erfjielt  ber  Sßrinj  jafylreidje  Söemeifc  ber  f)ödjften  "än- 
erfennung  unb  SBerefjrung.  So  üermadjte  tf>m  eine  unoerfjeiratfjete 
englifdje  Dame  auf  iljrem  Sterbebette  jroeitaufenb  ^ßfunb  Sterling 
mit  bem  SluSbrud  beS  ©ebauernS,  „bem  Sieger  oon  Durin  nirfjt 
baS  ^unbertfaa^e  fjinterlaffen  ju  fönnen",  unb  ein  ©ärtner  in 
ßonbon  bebaute  it)n  in  feinem  Deftamente  mit  Rimbert  $funb,  ber 
^älfte  feines  Vermögens. 


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202 


3>er  fpanifdje  (grbfolgefrieg. 


21m  13.  SWarj  1707  f^tog  (£ugen  ju  üttailanb  im  dornen 
®  arls  III.  öon  ©panieu  mit  bem  *öeöoümäd)tigten  Sranfreic^^ 
einen  ©ertrag,  bie  fogenannte  „®eneralfapitulation",  morin  2ub* 
ttrig  XIV.  gegen  bie  ®eftattung  beS  freien  2lb$ugS  ber  franjöfifchen 
93cfa0ungStruppen  bie  unöerjüglidje  Räumung  QtalienS  jnfagte  unb 
^ugleic^  öerfprach,  mährenb  ber  $auer  beS  IftiegeS  fein  #eer  mehr 
borten  ju  Riefen. 

$er  franaöfifdje  (ginflufj  in  Stalten  ttmrbe  öoüftänbig  befeitigt 
bnrdj  bie  Eroberung  öon  Neapel,  mit  melier  (Sugen  ben  tylbtn* 
müßigen  ©ertheibiger  öon  Xurin,  ben  (trafen  $aun,  beauftragt 
hatte.  2öie  in  ber  ßombarbei,  fo  mürben  auch  ^ier  bie  faiferlichen 
iruppen  ton  bem  SBotfc  mit  3ubel  empfangen.  (Sin  Stufftanb  in 
Neapel  nötigte  am  7.  3nni  1707  ben  ©icefönig  jur  glucht,  unb 
balb  mar  baS  ganje  ßanb  für  ®arl  III.  gewonnen. 

©inen  anbem  SluSgang,  als  baS  Unternehmen  gegen  Neapel, 
hatte  ber  auf  baS  ©erlangen  ber  ©eemächte  im  3uti  1707  öon 
(£ugen  unb  bem  $>er$og  öon  ©aöoüen  $um  Qmdt  ber  Eroberung 
öon  %  o  u  l  o  n  ausgeführte  ßug  in  baS  fübtiche  Sranfretch.  Obgleich 
bie  ©tabt  öon  ber  ©eefeite  burd)  bie  englifch-hollänbifche  Siotte 
unb  öon  ber  ßanbfeite  burd)  bie  faiferlichen  unb  faöoöifchen  Xrup= 
pen  öoUftänbig  cingefchloffen  mürbe,  fcheiterte  baS  Unternehmen,  öon 
meinem  <£ugen  in  richtiger  SBürbigung  ber  bamit  öerbunbenen 
©chmicrigfeiten  gleich  öon  Anfang  an  abgeraten,  an  ber  Ueberlegem 
fjeit  beS  öon  ßubmig  jum  (Sntfafce  öon  Xoulon  entfanbten  Speeres 
unb  an  bem  SJtonget  an  3ufuhren  für  bie  ©elagerungStruppen. 
3n  ber  Wacht  $um  12.  Sluguft  trat  (Sugen  in  aller  ©tifle  ben  9tücf= 
gug  an,  auf  meinem  er  burch  meifterhaft  ausgeführte  SMrfche  bie 
tfjn  öerfolgenben  granjofen  fo  ju  tauften  mußte,  baß  er  ofme 
nennenSmerthe  ©inbufje  am  30.  Sluguft  mieber  an  bem  ÖJrenjfluffe 
Söar  anlangte.  Sn^ffen  blieb  baS  fehlgefdjlagene  Unternehmen  nicht 
ganj  of)nc  Söortheil  für  bie  SBerbünbeten,  inbem  eS  bem  $rin$en 
auf  bem  SRücfjuge  gelang,  bie  öon  ben  granjofen  noch  befefcte  mich1 
tige  Seftung  ©ufa,  ben  ©djlüffel  ju  Sßiemont  öon  granfretd»  aus, 
$ur  (Ergebung  ju  gmingen. 

gür  baS  beutfdje  fReid)  hotte  baS  ®riegSjahr  1707  unter 
menig  günftigen  s#uSfichten  begonnen.  Sin  bie  ©teile  beS  am  4. 
Qanuar  1707  im  Hilter  öon  jmeiuubfünfjig  3ahren  öerftorbenen 
Sflarfgrafen  ßubmig  öon  SBaben  mar  ber  Sttarfgraf  ©hnftian  ®rnft 
öon  iüatreuth,  ein  bereits  betagter,  fränflicher  unb  unentjchloffener 
ättann,  getreten,  ber  eS  in  feiner  SBeife  mit  bem  im  @lfa&  fielen* 
ben  üJtorfdjaU  SSiöarS  aufnehmen  fonnte.  ©o  mar  eS  biefem  ohne 
DJiühe  gelungen,  im  SWai  über  ben  Othein  ju  gehen  unb  fich  ber 
©totlhofener  fiinien  ju  bemächtigen,  morauf  er  unter  furchtbaren 
©ranbfchafcungen  bis  granfen  unb  ©a)maben  öorgebrungen.  93om 


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$ie  Scf)lnd)ten  bei  Oubenarbe  unb  bei  Sftalplaquet. 


203 


ganjen  SReidje  mit  SBormürfen  überhäuft,  legte  ber  Üftarfgraf  beu 
Cberbefefjl  nieber,  unb  unter  feinem  9lad)folger,  bem  ungleich  tüfy 
tigeren  unb  tätigeren  ®urfürften  ©eorg  öubmig  üon  $annooer, 
nahmen  bie  $)inge  eine  anbere  Söenbung.  9iad)bem  berfelbe  bem 
gan^lict)  öermaljrloften  Suftanbe  ber  9leta)äarmee  ein  (Snbe  gemacht, 
traf  er  fo  euergifdje  Sßorfefyrungen  jur  Vertreibung  ber  gronjofen 
auä  ben  bon  itmen  befefcten  ©ebieten,  bajj  SBiHara,  in  beffen  £eer 
ftet)  ein  empfinblitfjer  9Wangel  eingeteilt,  eä  oorjog,  of)ne  ©djmert- 
frreia)  über  ben  SR^ein  jurücfjnfe^ren. 


Sic  ®d)lad)ten  bei  Oubenarbe  (11.  3uti  1708)  unb  bei 
äRaWaquet  (11.  ®e*t.  1709). 

Sei  ber  ungünftigen  Beübung,  mefdje  bte  Xinge  für  granf* 
reief)  genommen,  unb  ber  gänjlid&en  ©rfdjöpfung  feine*  fianbe* 
fjatte  ihtbnrig  bie  Unmöglidjfett  erfannt,  bte  gefammte  fpanifdje 
9ttonard)ie  ju  behaupten,  unb  geigte  fid)  bafjer  geneigt,  ben  grie» 
ben  burd)  große  gugeftönbuiffe  ju  erfaufen ;  ba  jeboe^  feine  Gegner 
fidj  auf  feinertet  griebenSunterfanblungen  einlaffen  wollten,  fo  lange 
er  fidj  nic§t  jur  23eräid)tleiftung  auf  ba3  gefammte  fpanifdje  ©rbc 
bereit  erfläre,  befdjloi  er,  ben  $rteg  fortjufe^en.  Snbeffen  Ratten 
bie  fteben  üorauägegangenen  ßttegäjaljre  aud)  bie  Gräfte  be3  ®ai= 
ferljaufeä  na^cju  crfct)öpft,  unb  Sugen  faf)  ein,  bog  ein  balbiger 
8rrieben3fd)fuB  für  Defterretd)  faum  mtnber  notfjmenbig  mar,  atö 
für  graurreid).  (£r  mar  bafyer  eifrig  bemüht,  burdj  einen  |>aupt* 
fdjlag  eine  rajdje  Söeenbigung  beä  ®riege3  fjerbeijufütjren,  unb  ba 
aud)  2flariborougf>  eine»  entfdjeibenben  ©iegeS  beburfte,  um  feine 
Partei  in  ©nglanb  am  Silber  pt  erhalten,  mürben  für  ben  gelb= 
jug  beä  3af>rc3  1708  bte  umfaffenbften  SBorfeljruugen  getroffen. 
3ur  gönjlic^en  Befreiung  ber  *ftteberlanbe  foflte  9#artborougf}3  $>eer 
auf  fedjjigtaufenb  Sftann  erfjöfjt,  ein  jmeiteä  §eer  öon  oierjigtaufenb 
Sftann  unter  @ugen  in  ben  !IRofefgcgenben  aufgeftettt  merben,  um 
firf)  ben  Operationen  9ftarlborougf)3  an$ufd)Uef3en,  unb  ein  brütet 
r>on  fünfjigtaufenb  SDtann  unter  bem  ®urfürften  öon  .!pannooer  ben 
WlitttU  unb  Dberrfjein  beefen. 

Ilm  bie  $(äne  feiner  (Gegner  ju  burdjfreuäen,  fteüte  Submig  XIV. 
fcfyon  im  grüfyjaljr  1708  ein  $eer  öon  neunjigtaufenb  Sftann  an 
ber  ®renje  bon  glanbem  auf.  35ie  güfjrung  beäfelben  übertrug  er 
bem  fünfunb^manjigjä^rigen  $>er$og  öon  Söourgogne,  bem  älteften 
©cljne  be£  $aupfjin§,  feinem  befonberen  Siebling,  bem  er  ben  er- 
fafyrenen  s-8enbome  afä  SRatfygeber  jur  ©cite  fteüte.  $a  sMaxU 
boroug^  §eer  bie  üorgefefjene  Starte  nod)  nicr)t  erreicht  fjattc 


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204 


$er  fpamfdje  grbfolgefrieg. 


mtb  aud)  ©ugen  nodj  nic^t  nadj  bcr  2flofel  fjatte  aufbrechen  fönnen, 
aeftaltete  fid)  ber  beginn  be*  gelbjug*  für  bie  granjofen  günftig. 
äftarfborougf)  mußte  ftdj  nadj  ßömcn  jurücf^ie^en  unb  fonnte  bie 
Eröffnung  ber  Belagerung  oon  Oubenarbe  nidjt  öerlunberu. 
Qnbeffen  traf  @ugen,  bem  e*  unfäglidje  9Kübe  gcfoftet,  bie  Sang- 
famfett  ber  föeid)*fürften  in  ber  SCufftcflung  if)rer  Kontingente  ju 
überminben,  frü^e  genug  ein,  um  ftdj  mit  9ttarIborougb  jum  @nt* 
fafce  oon  Oubenarbe  ju  oereinigen.  Bor  ben  dauern  biefer  Stabt 
fam  e*  am  11.  3uli  1708  gu  einer  blutigen  Sd)lad)t ,  in  melier 
ba*  franjöfifaje  £eer,  trofc  feiner  bebeutenben  numeriiajen  lieber* 
legenfyeit ,  bauptfäd)lid)  in  fjolge  ber  stoifdjen  bem  £crjog  oon 
Bourgogne  unb  Benbome  berrfdjenben  Uneinigfett  fo  üottftänbig  gc= 
fd)lagen  mürbe,  bog  ber  föürfjug  be*felben  fid)  ju  einem  fludjtar* 
tigen  geftaltete. 

SBä^renb  ba*  gan^lid)  jerrüttete  franjöftfa?e  #ccr  Ritter  ben 
dauern  oon  ®ent  ©ebufc  fuebte ,  mürbe  in  bem  fetiegaratfjc  ber 
Berbünbeten  ber  Be[d)lu&  gefaßt ,  ba*  in  ben  sJhebcrlanbcn  er- 
rungene  Uebcrgerotcbt  burd)  bie  (Eroberung  eine*  ftarfen  SBaffcn* 
planes  an  ber  frauflöftfeben  ®renje  ju  fiebern  unb  §u  biefem  Sxvcdt 
äur  fofortigen  Belagerung  ber  midjtigen  geftung  Sille  $u  fdjrei^ 
ten.  9cad)bem  bie  fjoHönbifcben  geftungen  ba*  fetylenbe  Belage* 
rung*material  geliefert,  brachen  (Smgen  unb  SRarlborough  gegen 
ßiüe  auf,  unb  mäbrenb  ber  (Sxftere  jur  Sedung  bc*  Belagerung** 
forp*  in  ber  9lät)e  ber  Stabt  eine  mof)lgcroablte  Stellung  nafym, 
eröffnete  (Sugen  am  11.  Sluguft  bie  Belagerung  bcr  geftung,  bie 
al*  Bauband  3fteiftermerf  galt  unb  oon  ben  granjofen  für  uncin= 
nebmbar  gehalten  mürbe.  Obgleich  biefclbe  oon  bem  3ttarjd)all 
Bouffier*  mit  ber  ^eljntaufcnb  2ftann  ftarfen  Befatyung  auf*  Xapferfte 
ocr%ibigt  mürbe  unb  ber  2ttangel  an  tüchtigen  ©cnieoffijieren, 
foroie  bie  Sdnoierigfeit ,  bei  ber  Unterbrechung  ber  Berbinbung  mit 
Brüffel  bie  nötigen  ßeben*mittel  für  ba*  Belagerung*l)ccr  ju  be- 
fdwffen,  bie  Operationen  (Sugen*  fef)r  erfebroerten,  trug  bic  Umficht 
unb  3(u*bauer  be*  $rin^en  ben  Sieg  baoon.  9cad)bem  Bouffier* 
fid)  bereit*  am  22.  Oftober  burdj  bie  Bitten  ber  ausgehungerten 
Beoölferung  $ur  llebergabe  ber  Stabt  ^atte  bemegen  laffen  r  jab  er 
fid)  am  9.  $e$ember  gelungen ,  auch  bie  Gitabclle  unter  ehren= 
ooHen  Bebingungcn  ju  räumen,  $cr  Uebcrgabe  berfelbcn  folgte  am 
2.  Qanuar  1709  auch  bie  oon  ÖJent.  $a  hierauf  aud)  Brügge  oon 
ben  granjofen  geräumt  murbc  unb  bie  übrigen  minber  bebeutenben 
^Mäfce,  bie  roäfjrenb  be*  gelbjug*  oon  ben  granjofen  noch  befefct 
gemefen  ,  fid}  ben  Berbünbeten  ergaben ,  mar  bie  Aufgabe  f  toeldje 
bie  beiben  gelbljerren  fiel)  geftcllt,  auf  ba*  ©länjenbfte  gclöft:  ganj 
glanbern  mar  oon  ben  gran^ofen  befreit. 

sMt  ben  fd,mcren  Berluften,  bie  granfreid)  in  bem  gelbjug 


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$ie  ©d)f  achten  bei  Oubenarbe  unb  bei  Sttalplaquet.  20 & 

oon  1708  ju  erleiben  gehabt,  mar  für  Submig  baS  Ücaß  ber  |>etnu 
fudjungen  nicht  erfchöpft.  ©leid)  nach  ber  Veenbiguug  beSfelbcn 
trat  eine  fo  ungemölntliche  $älte  ein ,  ba&  baS  gan^e  3ahr()unbert 
feinen  gleich  ftrengen  SBinter  aufaumeifen  ^atte.  s2ln  ben  Stuften 
gefror  baS  3J?ecr  nne  im  ^o^cn  Horben.  9cid)t  nur  bie  SSeinftötfe 
unb  Celbäume,  auch  bie  Saat  unter  ber  (£rbe  erfror.  Sclbft  in 
ihren  SBohnungcn  erlogen  gan$e  gamilien  ber  furchtbaren  #älte. 
SBie  bie  ftatur,  fo  fdjien  auch  baS  gefammte  öffentliche  Seben  er* 
ftorrt.  Xheater  unb  Berichte,  felbft  bie  meiften  .Slauflöben  blieben 
gefchloffen.  Unb  als  enblich  ber  ^iöerjeljnte  grühling  erfchicu, 
fam  neuer  Jammer:  Ueberfchtoemmungen,  £ungerSnoth  unb  ftranf- 
Reiten  rafften  Xaufenbe  Ijumeg.  $5aS  allgemeine  (Slenb  fteigerte 
bie  iln$ufriebenljeit  beS  VolfeS  über  bic  längft  unerträglich  getoor* 
benen  haften  beS  Kriege*  jur  äufjerften  Erbitterung:  Sc^mä^fc^rif^ 
ten  auf  ben  $änig  mürben  öerbreitet,  Drohungen  gegen  fein  üv- 
ben  an  ben  StraBeneefen  angefdjlagen.  $er  gebeugte  £ubroig  bot 
auf*  9ceue  bie  £>anb  jum  grieben,  inbem  er  fic|  jur  Ver$ichtleiftung 
auf  bie  ganje  jpanijche  Monarchie  mit  alleiniger  MuSnalnne  oon 
Neapel  unb  Sicilten  bereit  erflärte.  Allein  bie  Verbünbeten,  toeit 
entfernt ,  fich  mit  btefem  griebenSangebot  $u  begnügen,  ftellten  u)m 
im  Vollgefühle  ihrer  Ueberlegenheit  noch  härtere  Vebtngungen ,  als 
oorher.  2lu§er  ber  Ver^ichtleiftung  auf  bie  gefammte  fpanifche 
Monarchie  oerlangten  fie  bie  ijurürfgabe  ber  Stäbte  Stra&burg, 
dreifach  unb  Sanbau  an  baS  beutfd)e  Dleich- 

X)ie  franjöfifchen  ©efanbten  erklärten  jmar  biefe  Vebingungen 
für  unannehmbar ,  festen  aber  bennoch  bie  Unterhanblungen  fort, 
in  ber  Hoffnung,  bafj  es  ihnen  gelingen  merbe,  burch  bie  Trennung 
ber  Verbünbeten  ju  bem  oon  ^ubmig  erftrebten  3idt  ju  gelangen. 
$iefe  nriejen  jeboch  bie  Slnerbietungen ,  bie  Subtoig  ihnen  einzeln 
machen  lieg ,  mit  Sntfchiebenheit  jurücf  unb  fügten  fogar  ihren 
frühereu  Vebingungen  bie  weitere  tyintu,  ba&  ^ubmig  felbft  fia)  an 
ber  Vertreibung  feines  (Snfels  betheilige,  falls  berfelbe  fich  weigere, 
Spanien  ju  räumen.  2)iefe  gorberung  beroog  ^ubmig,  bie  Untere 
hanblungen  abzubrechen  unb  bie  legten  Gräfte  feines  erfchöpften 
SanbeS  $u  einem  neuen  öerjmeifelten  Kampfe  jufammen  ju  raffen. 
Xer  ©ehalt  ber  SJcunjen  rourbe  burch  Umfchmeljeit  um  ben  oier- 
ten  Xheil  öerringert;  bie  königlichen  gorften  mürben  gelichtet  unb 
bie  gefaßten  (Richen  um  einen  Spottpreis  oerfauft,  bie  Steuern  ber 
nächften  brei  Qahre  jum  Voraus  erhoben  unb  s2lnlehen  §11  bem 
höchften  3inSfu6e  aufgenommen.  25er  #önig  felbft  fehtefte  fein  ($olb= 
gefchirr  in  bie  2Jcünje.  So  gelang  es  noch  einmal ,  ein  §eer  oon 
neunjigtaufenb  SDtoun  unter  bie  Waffen  ju  bringen ;  bod)  fonntc 
Submig  fich  nw$t  verhehlen,  ba&  es  baS  lefcte  fei,  baS  er  einjufefcen 
im  Staube  fein  merbe.    X)en  Oberbefehl  über  baejelbe  übertrug  er 


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206 


3)er  fpanifdje  (Srbfolgetrieg. 


bem  90£arfdjall  SBillarS,  bem  einzigen  unter  feinen  3felbl)erren ,  ber 
bU  bafjin  unbeftegt  geblieben,  tiefer  brad)  fofort  nad)  ben  9tie* 
berlanben  auf  unb  nafmi  bei  Douai  eine  fefte  Stellung,  bie  er  burdj 
33erfdjan$ungen  bedte ;  als  jebodj  (Sugen  unb  2ttarlborougf) ,  bie 
audj  in  biefem  3af)re  gemeinfam  in  ben  SRieberlanben  operirteu, 
nad)  ber  (Eroberung  oon  Xournai  jur  Belagerung  öon  3fton3  jdjrit* 
ten,  brad)  er  $um  ©ntfafce  biefer  mistigen  Seftung  auf.  (Sugcn 
unb  üftarlborougl)  jogen  i^m  entgegen  unb  fanben  ifjn  bei  bem 
Dorfe  9tt  a  l  p  l  a  q  u  e  t ,  jmifdjen  ValeucienneS  unb  9ttaubeuge,  wo 
er  auf  bie  Shmbe  öon  bem  £eran$ief)en  ber  Verbünbeten  &alt  ge* 
mad)t  unb  ©erbaue  unb  $erfdjan$ungen  fmtte  anlegen  laffen. 

Drofc  ber  Sdjwterigfeiten ,  bie  SBtUarS  günftige  Stellung  für 
einen  Angriff  barbot,  fdjredten  (Eugen  unb  SJtorlborougfy  nict)t  öor 
bemfelben  jurüd.  Sobatb  am  borgen  be3  11.  September  bie 
Sonne  ben  bidjten  9*ebetfd)leier  jerriffen,  ber  bei  DageSanbrud)  bie 
gan^e  QJegenb  bebedt  hatte,  rüdte  ba3  £eer  ber  S3erbunbetcn  gegen 
bie  fernblieben  Sterfdja  Udingen  oor.  (Eugen ,  ber  mit  bem  regten 
glägel  ben  $ampf  eröffnete ,  mürbe  gleich  anfangt  burdj  einen 
StreiffdmB  am  «ftinterfopfe  öermunbet;  er  nahm  fidj  jeboch  nicht 
bie  Seit,  fich  einen  Serbanb  anlegen  $u  laffen,  fonbem  ftedte  ein* 
fad)  fein  Dafchentudj  unter  ben  £>ut  unb  ftürmte  weiter,  ben  Sei= 
nigen  ooran,  bem  JJeinbe  entgegen,  um  wo  möglich  ben  öon  biliar* 
felbft  geführten  linfen  Slügel  be3  Scinbe^  ju  umzingeln.  Um  bied 
$u  oerhüten ,  50g  33itlar$  feine  Schlachtlinie  weiter  jurüd ,  unb 
mehrere  Stunben  lang  rangen  bie  beiben  gelbherren  in  blutigem 
Kampfe  um  ben  Sieg ,  bis  Billard ,  öon  einem  Sdjuffe  burd)  ba£ 
$nie  getroffen,  ohnmächtig  üom  Sßferbe  ftürmte  unb  oon  bem  Kampf- 
plätze weggetragen  werben  mugte.  (Eugen  bcnujjte  bie  l)iebura^ 
unter  bem  geinbe  entftanbene  Verwirrung  $ur  rafdjen  (Erneuerung 
feinet  9Ingriffä ,  unb  e3  gelang  ihm ,  ben  linfen  Jlügel  ber  3ran= 
^ofen  öollftänbig  aus  feiner  Stellung  ju  oertreiben  unb  jum  9tüd> 
$ug  ju  nötigen.  Sofort  fanbte  er  bie  gefammte  faiferliche  Rei- 
terei bem  £er$og  oon  3ftarlborough  311  £)ilfe,  ber  bis  bahin  oer- 
geblict)  ben  SBiberftanb  be3  oon  bem  2ttarfd)all  Bouffiers  befehlig* 
ten  rechten  fernblieben  ^lügeU  ju  bewältigen  gefugt  r)atte,  unb  entfdueb 
babura)  auf  biefer  Seite  gleichfalls  ben  Sieg  ber  Berbuubeten. 
Dem  gewaltigen  9fta ifenangriffe  meichenb,  trat  auch  Bouffiers  ben 
jftüd^ug  an ,  ben  er  in  ber  Richtung  auf  BalencienneS  einfdjlug 
unb  mit  gewohnter  ÜÄetfterfchaft  ausführte. 

Die  Schlacht  bei  Sttalplaquet ,  bie  lefcte  bebeutenbe  beS  lang- 
jährigen Striegel  unb  jugleich  bie  mörberifchfte  beS  ganzen  3afjrhun- 
berts,  tyattt  ben  Berbünbeten  jwanjigtaufenb  Sftann  gefoftet,  wäfyrenb 
bie  granjofen  fieb^e^ntaufeub  $obte  unb  Verwunbete  auf  ber  blu- 
tigen 28af)l)tättc  jurüdlteBeit.    Die  nächfte  golge  beS  oon  (Eugen 


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$er  8turj  SRarlborougl?«  unb  ber  Zob  Sofepfj«  I.  207 

unb  9ftarlborougf)  errungenen  Siege«  mar  ber  Sali  öon  ^on«,  ba« 
fidj  am  20.  Dftober  ben  Berbünbeten  ergeben  mußte. 

$)a  fiubmig  feine  SJfoglidtfeit  fal)  f  ben  Kampf  mit  irgenb 
melier  2lu«fid)t  auf  einen  befferen  (Srfolg  fortjufefeen,  mußte  er  fitf) 
entfdjließen ,  feinen  ©egnern  neue  3rieben«öorföläge  §n  machen. 
Unter  ber  Bebingung,  baß  man  iljm  bie  Beteiligung  an  ber  Ber* 
treibung  feine«  (Snfel«  erlaffe ,  erflärte  er  fid&  nidjt  nur  jur  Ber* 
$ta)tleiftung  auf  bie  gefammte  fpanifaje  3)conard)ie  mit  alleiniger 
2Iu«na!?me  öon  Sicilien ,  fomie  jur  .£>erau«gabe  Straßburg«  unb 
be«  ganjen  ©Ifaffe«  bereit,  fonbern  erbot  fid)  fogar,  ben  Berbünbeten 
£ilf«gelber  jur  Befämpfung  feine«  (Snfelä  ju  jaf)len,  fall«  bcrfelbe 
SBiberftanb  leiften  merbe. 

£er  Katfer  mar  $ur  9cad)giebigfeit  geneigt  unb  jmar  umfo-- 
meljr ,  al«  ©ugen  ftfjon  früher  öor  bem  aüju  ftrammen  Slnfpaunen 
be«  Bogen«  gemarnt  t)atte ;  allein  bie  Seemädjte ,  bie  hinter  ben 
3ugeftänbniffen  ßubroig«  eine  trügerijdje  ©Glinge  öermutfjeten ,  be* 
darrten  bei  i^ren  gorberungen ,  unb  am  13.  Quli  erflärten  bie 
Öeneralftaaten  im  tarnen  bcr  Berbünbeten  ben  franaöfifdjen  ®e* 
fanbten:  erft  bann  fönne  ein  befinitioer  Jriebe  gefcrjloffeu  »erben, 
wenn  ßubmig  im  Vereine  mit  ben  alliirten  sJ!)iäd)ten  feinen  (Snfel 
au«  Spanien  oertrieben  unb  $ur  Berjidjtleiftung  auf  bie  gejammte 
ipanifdje  3ftonard)ie  gejmungen  fabelt  merbe.  Obgleich  aller  $u«= 
fid)t  auf  eine  günftigere  ©eftaltung  ber  5>inge  beraubt,  roie«  Üub* 
roig  bieje  gorberung  al«  eine  mit  feiner  (Styre  unoereinbare  juriief, 
unb  fo  naljm  ber  Krieg  feinen  Sortgang. 


£er  Sturj  9Karlborougf)3  (1711)  unb  ber  Job  3ofepf)3  I. 

(17.  flpril  1711). 

$)a«  3a^r  1710  braute  ben  Berbünbeten  neue  iÖortr)eiIe. 
55a«  oon  (Jugen  unb  sJlttarlborougf}  belagerte  3)ouai  faf)  jid),  nad)= 
bem  biliar«  oergeben«  sMe«  aufgeboten ,  um  ba«fclbe  $u  entfeften, 
am  10.  Quü  jur  Kapitulation  gejmungen ,  unb  menn  and)  bie 
projeftirte  Belagerung  öon  s21rra«  unterbleiben  mußte ,  fo  ent(d)ä* 
bigten  fid)  bie  Berbünbeten  bafür  burd)  bie  (Eroberung  oon  Betfyune 
(31.  2luguft)  unb  bemädjttgtcn  ftdj  hierauf  aua)  nodj  ber  geftungen 
3t.  Genant  unb  Wire.  2)a  hiermit  aud)  bie  britte  iRei^e  jener 
«öofltoerfe  burd)brodjen  mar ,  burd)  roeldje  Mubmig  bie  (iJrenjen 
ieine«  *Reid)e«  im  Horben  gefia^ert  $u  Imben  glaubte ,  burften 
bie  Berbünbeten  fid)  ber  Hoffnung  Eingeben ,  im  nädjften  3af)re 
ifjrem  ©egner  in  feinem  eignen  Öanbe  ben  Jrieben  öorjdjreiben  $u 
tonnen. 


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208 


$er  fpamfdje  (Srbfolgefrieg. 


Diefe  Hoffnung  mürbe  erhöht  burdj  ben  Verlauf,  bcn  bic 
.^ricg^cr cigniff c  injnrifchen  in  Spanien  genommen.  *Rachbem  bie 
Berbünbeten  im  Slpril  1707  auf  ber  (Sbene  oon  fflmanga  eine  be* 
beutenbe  9tteberlage  erlitten,  in  Solge  beren  Valencia  unb  Wxa- 
gonien  ton  ben  granjofen  erobert  toorben  ,  mar  im  3ahre  17 10 
ein  bcbeutenber  Umjchmung  sum  ^iacftt^ctlc  Philipps  V.  eingetreten, 
©eine  ©enerale  roaren  oon  bem  ©rafen  Starke mberg  am  27.  Quti 
bei  Sllmenara  unb  am  20.  Wuguft  bei  Saragoffa  entfeheibenb  ge* 
ichlagen  morben ,  unb  ®arl  III.  Ijatte  am  28.  September  feinen 
feierlichen  @injug  in  2Jtabrib  fjalten  fönnen.  gür  Subtotg  fdjieu 
s2llle3  oerloren  unb  9lichtä  ihm  übrig  ju  bleiben,  af3,  mie  Senelou 
fia)  auäbrücfte,  „burch  Da«  caubinifche  ^^h  ju  gehen."  2lber  toä> 
renb  bie  Berbünbeten  ihres  oodftänbigen  DriumpheS  fieser  ju  fein 
glaubten  ,  traten  jtoei  unermartete  (Sreigniffe  ein ,  meldte  bie  ßage 
ber  Dinge  gänzlich  beränberten  unb  ben  tiefgebeugten  ftönig  mit 
neuen  Hoffnungen  erfüllten. 

Den  erften  Sidjtftrafjl  brachte  bem  Schmerbebrängten  ber  Sturj 
be3  SBhigmimfterium«,  meines  feit  bem  3a$re  1705  an  ber  Spifcc 
ber  engltjajen  Regierung  geftanben  unb  im  (Sinoemehmen  mit 
sJ#arlborough ,  ber  baäfelbe  oollftänbig  beherrschte ,  eine  entfdjieben 
friegerifche  ^olitif  oerfolgt  fjatte.  Schon  feit  längerer  Seit  hatte 
bie  ungeheure  Vermehrung  ber  Staatäfchulb  unb  ber  roadjfenbe 
Steuerbrucf ,  ben  ber  langjährige  ®rieg  bem  ßanbe  aufgebürbet, 
unter  bem  englifchen  Bolfe  eine  große  Unjufriebenfjeit  h^^oorge^ 
rufen,  bie  oon  ben  DorieS  ju  Angriffen  gegen  ba3  SBhigminifterium 
benufct  würbe.  Da  bie  Königin  felbft  mehr  toriftifd)  ala  mhigiftifch 
gefinnt  mar ,  blieben  bie  Bemühungen  ber  % orieä ,  bie  SSln^  bei 
ihr  511  oerbächtigen ,  nia)t  erfolglos;  ihr  3^1  erreichten  fie  \t- 
boch  erft,  nachbem  baä  £er$  Slnna'S  fia)  oollftänbig  oon  ber  $er= 
jogin  oon  :Ucarlborougf)  loägeriffen,  bon  melcher  fie  fia)  bis  ba= 
l)in  roillenloä  %oX\t  *citen  laffen.  Schon  längft  mar  bie  Königin 
ber  '2lnmaBungen  ber  ^errfc^füc^tigen  Dberhofmcifterin  mübe  ge= 
toorben,  ohne  jeboch  ben  3Rutt)  ju  h^ben,  fid)  ihrer  Dnraunei  ju 
entreißen;  al£  biefelbe  jeboch  bie  Entfernung  ihrer  Berroanbten 
tfbigail  ,  ber  nachmaligen  £abu  sD£a3ham ,  bie  fie  felbft  ald 
$ammerbame  an  ben  £of  gebracht ,  au3  ©tferfucht  über  bie 
ueigung ,  toelche  bie  Königin  berfelben  gejehenf t ,  im  Vertrauen  auf 
ihre  eigene  Unentbehrlichfeit  mit  ©etoalt  ergingen  wollte,  fam  e£ 
jmifchen  ihr  unb  ber  Königin  jum  förmlichen  Bruch-  Sie  mürbe 
im  &pril  1710  aller  ihrer  ^pofämter  entfefet  unb  erhielt  ben  Befehl, 
ben  £of  ju  meiben. 

Der  Sturj  ber  Herzogin  oon  3)carlborough  ha^e  bit  (£nt= 
laffung  ber  rolugiftijchen  iHäthe  ber  Königin ,  bie  alle  theite  Ber* 
manDte,  theil*  (ijejchöpfe  &)torlboroughS  maren,  unb  bie  Bilbung 


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$er  ©tuiä  3Ratlborough«  unb  ber  £ob  3ofepfj«  L 


209 


eineä  torifiifchen  9ftinifterium3  jur  golge.  $a3  einflußreichfte  WliU 
glieb  beäfel6en  mar  bcr  fpätcr  511m  Siäcount  t>on  SBolingbrofe 
erhobene  frühere  Staatäfefretär  $arrb  3  t.  3ofjn,  ein  3Jtonn,  bcr 
mit  einer  ungemöfmlichen  Äörperfdjönheit  eine  überfprubelnbe  fie* 
benSfraft,  geroanbte  Sanieren,  fjeroorragenbe  ©etfteSgaben,  glühenben 
@^rgeij  unb  eine  Ijinrei&enbe  ©erebtfamfeit ,  sugleich  aber  aud)  bie 
größte  ©enriffenlofigfeit  unb  bie  öerberblidtften  religiöfen  unb  fttt= 
liehen  ÖJrunbfäfce  öcrbanb  (f.  6.  177). 

£a3  ,f)ouptftreben  be3  neuen  9ftinifterium3  war  barauf  ge- 
rietet, burdj  einen  moglichft  rafcfjen  griebenSfchfaß  ben  ^erjog  öon 
Stfarlborongh  überflüffig  ju  machen  unb  feiner  glorreichen  Siegel 
laufbatjn  ein  Siel  gu  fefcen.  Um  ba3  9Jcinifterium  in  feinen  «e= 
ftrebungen  $u  unterftüfcen  unb  ben  XorieS  bie  #errfd)aft  bauernb 
&u  fiebern ,  löfte  bie  Königin  baä  «Parlament  auf  ,  unb  ba  ba* 
Solf  in  feiner  ©efammtheit  mit  ben  griebenSbeftrebungen  be& 
SKinifteriumä  cinöerftanben  mar,  fielen  bie  9teumahlen  ganj  in 
torifrifchem  Sinne  au«. 

£>ie  neuen  Hoffnungen,  ju  melden  bie  in  (Snglanb  eingetre* 
tenen  SSeränbenmgen  fcubttrig  XIV.  berechtigten ,  mürben  noch  bor 
Ablauf  beä  Qahreä  burch  bie  unerwartete  SBenbung  erhöbt,  meiere 
bie  $inge  in  Spanten  genommen.  $er  £>erjog  öon  Senbome,  ber 
m  ^ilipp^  V.  3)ienfte  getreten  mar,  t)atte  im  Vereine  mit  bem  9ftar= 
jehaü  öou  9toailIeä,  ben  Submig  mit  frifchen  #ilf3truppen  nach 
Spanien  gefanbt  hatte,  am  9.  $eaember  1710  bei  SBrilmela  über  ben 
englischen  ©eneral  Stanhope  einen  glänjenben  Sieg  erfochten  unb 
am  folgenben  Xage  bei  Söillaöiciofa  ben  ©rafen  t>on  Starhemberg 
jum  9tücf3uge  gelungen ,  fo  baß  W^PP  v-  nac§  Cabrio  fyattt 
$urücffef)ren  tonnen. 

3n  biefer  jmeiten  2tettung3au3ftcht  follte  ftd)  für  äubmig, 
beffen  alter  Stolj  mächtig  aufzuleben  begann,  eine  britte  bon  un= 
gleich  größerer  Xragmeite  gefcüen.  $aifer  Sofeph  I.  ftarb  am 
17.  #prü  1711  im  Hilter  oon  $meiunbbreißig  fahren  an  ben$inber= 
blättern,  unb  ba  er  feine  männlichen  Üftachfommen  hinterließ,  gingen 
bie  öfterreichifchen  (Srblanbe  an  feinen  ©ruber  föaxl  über.  $>aburch 
fear  bie  ganje  Sachlage  mit  einem  Schlage  beränbert;  benn  e$ 
unterlag  (einem  Zweifel ,  baß  bie  ©unbeägenojjen  Dcfterreich« ,  bie 
ba3  ©chmert  ergriffen  fyatttn >  um  bie  Uniüerfalmonarchie  ßub= 
»ig*  XIV.  nicht  anffommen  ju  laffen,  auch  t>tc  Sereinigung  ber 
gefammten  fpanifchen  Monarchie  mit  ber  öfterreichifchen  nicht  $u* 
geben  mürben,  unb  fo  mar  an  eine  gortfefcung  bed  Krieges  ju  ben 
bisherigen  Steeden  nicht  mehr  ju  beuten. 

©obalb  @ugen  bic  Nachricht  oon  bem  unermarteten  Xobe  be£ 
ftaijerä  erhalten  hatte,  nahm  er  bie  gefammte  Slrmee  für  ben  ®ö* 
"ig  £arl  in  ($ib  unb  Pflicht  unb  eilte  bann  nach  $eutfchlanb ,  um 

$ol4ttari$,.*Bdtfleföi($te.  VI.  14 

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210 


$er  fpcmifcfje  Grbfolgefrieg. 


ben  Äurfürflen  öon  SDlainj,  al«  ben  ©rjfanjler  be«  9tetct)e«,  jur 
fofortigen  &u«fcf)rcibung  bcr  ftaifertoafyl  ju  üeranlaffen  unb  jugleicf) 
nact)  beften  Gräften  für  bie  2Bal)l  $arl«  ju  mirfen.  SBä&renb  er 
fjicrouf  bic  toeftlidje  SReid)«grenje  befe&te,  um  einerfeit«  einem 
Einfall  öon  «Seiten  granfreid)«  üorjubeugen  unb  anbererfcit«  ben 
$urfürften  öon  Vaiern  öon  jeber  bte  ®aifermaf)l  ftörenben  Slftion 
abgalten,  würbe  am  12.  Cftober  1711  öon  ben  ju  granffurt 
öerfammettcn  ®urfürften  £arl  III.  öon  Spanien  al«  @arl  VI. 
jum  beutfdjen  ®aifer  gemälzt. 

tiefer  fjarte  fid)  bereit«,  nad)bem  er  bie  Regierung  in  Spa= 
nien,  ba«  er  nur  ungern  öerliefe,  feiner  ©emafylin,  ber  jugenblidjen 
(Slifabetf)  öon  Vraunfdjmcig-SBolfenbüttcl ,  einer  ber  fd)öuften  unb 
ebclften  grauen  iljrer  Seit  r  übertragen,  am  27.  September  in 
Barcelona  jur  föütffefjr  nad)  $)eutfd)lanb  eingefcfyfft.  3n  2Jtailanb 
überreizte  if)m  ber  ^faljgraf  ®arl  Sßf)ilipp  öon  9ceuburg  ba« 
Söatylbcfret ,  unb  am  22.  Xejember  empfing  er  ju  granffurt ,  naa> 
bem  er  am  öorfjergetyenben  Sage  feine  35kl)lfapitulation  befct)moren, 
au«  ben  Rauben  be«  turfnrften  öon  a^ainj  unter  ben  üblichen 
Seierlict)feitcn  bie  ftaiferfrone. 

Unterbeffen  hatte  SRarlborougf) ,  ber  anfangt  auf  bie  9taa> 
ridjt  öon  ben  Vorgängen  in  (Snglanb  ben  ©ebanfen  gehabt ,  burdj 
freitoiHige  Säeberlegung  feiner  Stelle  ben  feinblidjen  #bfidf)ten  fei- 
ner (Gegner  äuüorjufommen ,  öon  (Sugcn  jeboct)  jum  ©leiben  be* 
mögen  morben ,  ben  ftrieg  in  ben  flcieberlanben  gegen  Viüar«  er* 
folgrcid?  fortgefe^t,  oljne  ba&  e«  jebod)  511  bebeutenben  kämpfen 
gefommen.  9cadjbem  er  am  13.  September  1711  öoudmin  jur 
Kapitulation  ge$tuungen ,  feljrte  er  nad)  ßoubon  jurürf,  um  bie 
sßlänc  feiner  geinbe  ju  oereiteln.  2)a«  Parlament  flagte  if)n  je* 
boct)  ber  Veruntreuung  öffentlicher  ©elber  au,  unb  am  1.  Januar 
1712  entfette  ir)n  bie  Königin  aller  feiner  Remter.  Vergeben«  bot 
(Sugen,  ber  fidt)  im  Januar  1712  im  Auftrag  $arl«  VI.  nadj 
£onbon  begeben,  um  einen  einfeittgen  grieben«fd)lu6  öon  Seiten 
©nglanb«  ab5umenben,  9llle«  $ur  Vertljeibigung  feine«  SBaffenge- 
fährten  auf :  er  fonnte  ntd)t«  s2lnbere«  erreichen ,  al«  bie  Unter* 
brüefung  ber  bereit«  gegen  üiftarlborougf)  eingeleiteten  gericr)tücr)en 
Verfolgung.  S^act)  bem  Xobe  ber  Königin  sJlnna  (1714)  mürbe 
äftarlborougfj ,  ber  in$roifd)en  mit  feiner  Öemafylin  in  £otlanb  unb 
3>eutfd)lanb  gelebt ,  mo  er  überall  mit  ber  größten  2lu«5eid)nung 
aufgenommen  roorben ,  öon  ©eorg  I.  in  alle  feine  SBürben  mieber 
eingefefct;  boct)  bract>  fdjon  im  3af)re  1716  ein  Sdjlaganfatl  feine 
£taft;  ein  ^weiter  machte  im  Safjre  1722  feinem  #eben  ein  (Snbe. 
(Sbenfo  au«gc$eidmet  al«  Diplomat ,  roie  al«  gelbljerr ,  unb  babei 
einer  ber  fct)önften  unb  ftattlidjfteu  Scanner  feiner  3^it,  mar  ÜDcarl* 
borougl)  äugleid)  ein  burd)  feine,  geminnenbe  Umgangsformen  fyer* 


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$ie  gfriebeitSfalüffe  oon  Utrecht,  töafiabt  unb  ©aben. 


211 


oorragenber  ^ofmamt  unb  ein  SBirtuofe  in  bcr  ®unft  bcr  9)kn* 
fdjenbefyanblung ;  aber  biefe  btenbenben  @igcnfd)aften  toaren  Oer* 
bunfelt  burd)  einen  falt  bered)nenben  (EgoiämuS  unb  eine  fdjranfen* 
Jofc  $abfud)t. 

Sic  gfriebenöWüffe  *on  Utrecht,  Staftabt  unb  öaben. 

©djon  ju  Anfang  bc$  3at)re$  1711  ^atte  (Englanb  geheime 
grieben£imterf)anblungen  mit  granfreidj  angefnüpft  unb  nad)  ber 
(Entfernung  Ü)carlborougl)3  oon  feinem  $ommanbo  burdj  beffen  9cad)= 
folger ,  bcn  ^perjog  oon  Drmonb ,  ben  ®rieg  in  ben  lieber lanben 
nur  nod)  jum  ©efteine  fortfefeen  (äffen.  Sftadjbem  beibe  SWäc^te  fid) 
über  bie  griebenäpraliminarien  geeinigt  unb  ba£  englifdje  Parla- 
ment benf elben  im  Quni  1712  feine  Suftimmung  gegeben ,  liegen 
fidj  audj  bie  Oeneralftaaten ,  trofo  ber  ÖJegenbemüfyungen  @ugen3, 
ber  $lfle3  aufbot,  um  burd)  eine  erfolgreiche  gortfüfyrung  beä  Krieges 
oon  Subtoig  einen  bie  Qnteteffen  be3  ^aiferljaufeS  fidjernben  grie= 
ben  $u  ertoirfen ,  burdj  ba3  englifdjc  ^abtuet  jur  Xfyeilnafjme  an 
ben  griebenäunterfyanblungen  bemegen,  toorauf  am  29.  Januar  1712 
$u  U  t  r  e  dj  t  eine  griebenaconferenj  eröffnet  mürbe ,  an  melier 
außer  granfreid),  ©nglanb  unb  $oöanb,  aud)  Portugal,  Greußen 
unb  ©aoonen  ifjeil  nahmen. 

£er  Slbfdjluß  beä  griebenä  erfolgte  am  11.  Slprtl  1713. 
3n  bemfelben  rourbeu  Spanien  unb  beffen  außereuropäifdje  33e* 
fifcungen  Philipp  V.  juerfannt ,  bod)  mit  ber  auäbrürflidjen  S8e- 
ftimmung,  baß  granfreta}  unb  ©paniert  nie  unter  einem  ©cepter 
oereinigt  merben  bürften.  (Snglanb  erlangte  üon  granfreidj  bie 
2(nerfennung  bcr  ©ueceffionaafte  öom  Qaljre  1701  ,  toeldje  bie 
fatftotifaje  fiinie  beä  £>aufe8  ©tuart  oon  ber  (Erbfolge  au3fd)toß, 
fomie  bie  Abtretung  öon  9ceufd)otttanb,  sJceufunbtanb  unb  ber  £ub= 
fonäbai  unb  bie  %\\\a§t  ber  3nrftörung  0C£  $afen3  unb  ber 
geftung&oerte  oon  $ünfirdjcn;  oon  ©panien,  Gibraltar  unb 
norfa,  fomie  ben  fogenannten  „s2l)*fientotraftat" ,  burd)  melden  ber 
englifdjen  „©übjee^ompagnie"  auf  breißig  3a§re  baä  auäfdjließlidje 
sJkd)t  $um  sJcegerf)anbcl  in  ben  fpanifdjen  Kolonien  jugeftanben  mürbe. 
Xagegen  mußte  fidj  £>oflanb  mit  einigen  ^anbeUoort^eilen  unb 
bem  SBefafcungäredjt  üon  act)t  nieberlänbifdjen  geftungen  begnügen. 
Xer  4>erjog  oon  ©aüonen  erhielt  eine  sJieif)e  oon  geftungen  an 
ber  franjöfifdjen  ÖJrenje  unb  für  feine  Mnfprüdje  an  bie  fpantfa^e 
sJJconardne,  außer  ben  SBejirfen,  bie  if)tn  ®aifer  ßeopolb  bereite  im 
3aftre  1703  abgetreten,  bie  Qnfel  ©tcilien  als  ein  ftonigreid?  mit 
ooller  ©ouüeränität,  foroie  bie  Mnroartfdwft  auf  bie  fpanijdje  $rone 
nad)  bem  2lu3fterben  be3  bourbonijd)en  £>aufeä.    Greußen  erlangte 

14* 

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212 


$er  foaniföe  Grbfolgefricg. 


bie  Slnerfennung  feiner  $ünigämürbe ,  foroie  bie  Abtretung  öon 
Dber^elbern  unb  bie  «eftätigung  ber  Souöeränität  über  WeufchMel 
unb  SBalengin;  bagegen  übet  lieg  eä  an  Sranfreich  baS  gürftentftum 
Crange,  auf  roeldjeä  König  grtebrich  L  als  ber  Solm  einer  oranifdjen 
^rinjeffin  5lnfprüche  hatte. 

Mai)  ber  Unterzeichnung  be3  griebenS  öon  Utrecht  übcrreic^= 
ten  bie  franjöftfchen  unb  englifdjen  Unterhänbler  bem  Vertreter  be3 
®aifer£  ein  griebenäangebot ,  nach  welchem  Starl  VI. ,  gegen  bie 
SBersidjtleiftung  auf  Spanien  unb  Qnbien  unb  bie  (Genehmigung 
flur  3Biebereinje$ung  ber  föurfürften  öon  iBaiern  unb  Köln ,  bie 
9cHeberlanbe  unb  alle  ehemaligen  ipanifchen  Vefifcungen  in  Qtalien, 
mit  Ausnahme  ber  bem  .frerjog  öon  Saoot)en  jugefagten  3nfcl 
Sicilien  juerfannt  werben  füllten.  Karl  VI.  fonnte  fi<h  jeboch  nicht 
ba$u  entfchliejjen,  auf  baä  ihm  lieb  geroorbene  Spanien  5U  oerjich 
ten ,  unb  jog  eä  bafjer  öor ,  in  Verbtnbung  mit  bem  deiche  ben 
Krieg  gegen  granf reich  fort^ufe^en. 

Qnbeffen  mu§te  (£ugen  balb  erfennen,  ba§  auf  bie  £>tlfe  bc£ 
SReicheS  wenig  ju  jählen  fei.  $er  Reichstag  fyattt  jroar  Gier 
Millionen  Xtjaler  für  ben  Krieg  bewilligt ;  aber  al$  ber  ^ßrinj  am 
13.  3Kai  1713  in  jeinem  Hauptquartier  ju  Sftühlberg  anfam,  fanb 
er  bie  Kriegäfaffe  öollftänbig  leer  unb  fonnte  nur  burch  bie  $$cx 
pfänbung  feines  fiirftlichen  @h*enmorteä  öon  einem  granffurter 
SÖechöler  für  bie  nothmenbigften  Vebürfniffe  beä  Speere*  einen  Vor- 
fdm§  oon  h^^bertfünfunb^manjigtaufenb  ©ulben  erhalten.  9lud) 
trafen  bie  Kontingente  ber  öerjehiebenen  Stänbe  nur  äußerft  lang* 
fam  unb  in  ungenügenber  3af)l  ein  unb  befanben  fich  überbieä  in 
bem  troftlofeften  Suftanbe ,  ba  ihnen  in  bem  müßigen ,  nur  burch 
unbebeutenbe  Vorpofteu gefegte  unb  Meine  Streifereien  unterbrochenen 
üagcrleben  ,  in  welchem  ihnen  bie  legten  3ahre  öerftrichen  waren, 
alle  Quty  unb  aller  friegerijehe  ©eift  abhanben  gefommen. 

Unter  biefen  Umftänben  fonnte  es  @ugen  trofc  ber  unermüb= 
lichften  ^h^tigfeit  unb  s2luäbauer  nicht  öcrl)inbern,  baß  VillarS,  ber 
ihm  mit  einem  bebeuteno  überlegenen  Speere  gegenüberftanb ,  ba£ 
nichtige  Saubau  eroberte  (20.  2lug.  1713),  alle  offenen  Stäbte  in 
biefer  ®egenb:  Kaiferälautern,  Speier,  Söormä  u.  a.,  mit  jehmeren 
SBranbfcha&ungen  belegte ,  bann  fogar  über  ben  dttytin  ging ,  um 
auch  am  rechten  Ufer  sMe£  ju  öerwüften  unb  bie  nächft  gelegenen 
9ieichäfreife  au^ufaugen,  unb  enblich,  am  16.  Üftooember  1713  baä 
nur  fchroach  bcfefcte  greiburg  nach  fech3n)öcf)entlicher  tapferer  Ver= 
theibigung  $ur  Kapitulation  $wang. 

9lach  biefem  traurigen  Ausgange  be$  gelb$uge3  öom  3af)re 
1713  hielt  es  ber  Kaifcr  für  geraden,  bie  grieben3öorfcf)läge ,  bie 
©iflarS  ihm  im  Auftrage  ßubmiga  burd)  bie  Vermittlung  beS  Kur* 
fürften  oon  ber  ^falj  jufommcn  liefe ,  nid)t  jurütf$umeifen.  2lm 


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$ie  grieben*fcf)lüffe  öon  Utred)t,  föaftabt  imb  ©oben.  213 


26.  SRotoember  1713  famen  (Sugen  unb  ^idard  jur  geftftettung 
ber  grieben*bebingungen  in  föaftabt  jufammen,  unb  ba  für  granf* 
reid)  ba*  grieben*bebürfnif$  nid)t  minber  groß  mar,  al*  für  Defter* 
reid),  gelang  e*  (Sugen,  bic  übertriebenen  Sorberungen  Subtuig* 
fterobjuftimnten,  bic  eine  Seitlang  ba*  grieben*merf  ju  ftören  ge= 
bro^t.  21m  6.  2Rärj  1714  fam  ber  grieben*öertrag  ju  ©taube, 
unb  am  folgenben  SWorgen  jttrifdjtn  brei  unb  mer  ll|r  mürbe  ber* 
felbe,  nadjbem  bie  Anfertigung  ber  ST6fct)riftcn  bie  ganje  9*ad)t  in 
Slnfprudj  genommen,  öon  ben  betben  gelbfyerren  unter$eid)net,  morauf 
biefelben,  fytngeriffen  tion  ber  fybfjen  SBebeutung  be*  Mugenbtid*, 
einanber  öoü  tiefer  SRüfjrung  in  bie  2Irme  fielen. 

3n  bem  grieben  oon  Sftaftabt  geftanb  granfreidj  bem  föaifer 
bie  fpanifdjeu  üßieberlanbe ,  fottne  Neapel,  Sftailanb,  ©arbinien, 
Sftantua,  —  beffen  tefeter,  megen  feinet  Anfdjhiffe*  an  granfreid) 
in  bie  SReidjSad&J  erflärter  £>er$og  ®art  IV.  im  3af)re  1708  ge* 
ftorben  mar,  —  unb  bie  to*fani}djen  ©eefjäfen  an  ber  roeftlidjen 
ttüfte  ju,  gab  feine  (Eroberungen  am  föbeine,  mit  Auslug  bon 
Sanbau,  bem  Steide  jurücf  unb  anerfannte  bie  ^annööerifa^e  ®ur. 
dagegen  fagte  ber  #aifer  bie  ßo*fpredjung  ber  $urffirften  bon 
Saiern  unb  #Mn  öon  ber  8teidj*ad)t  unb  bie  Söiebcreinfefcung  ber- 
felben  in  ifjre  ßänber  unb  SBürben  ju.  gür  ba*  föeidj  mürbe  bie 
2Bieberf)erftelIung  be*  ßuftanbe*  bor  bem  Kriege  auf  ©runb  ber 
grieben*fc$)lüffe  öon  SRömmegen,  SDtönfter  unb  $Rt)*mio?  vereinbart. 
„$a*  große  Xagemerf  $u  föaftabt  ift  boflenbet,"  fdjrieb  (Srugen  an 
iWarlborougf).  „3d)  mußte  leiber  auf  bie  ©ünbe  ber  ©eemädjte 
im  tarnen  meine*  ©ouöerän*  ba*  ©iegel  brürfen." 

ßarl  VI.  fefcte  in  einem  betrete  bom  24.  ÜRärj  1714  ben 
9teid>*tag  ju  9tegen*burg  bon  bem  ju  töaftabt  atuifdjen  if)m  unb 
granfreidj  getroffenen  Slbfommen  in  ftenntniß,  inbem  er  e*  ben 
©tänben  anf)eim  gab,  ob  fie  felbft  iffren  grieben  mit  fiubmig  ab= 
fließen  ober  ifjn  ba$u  beöoflmädjtigen  moflten.   Sftadjbem  fie  fid) 
ür  ba*  Severe  entfcfjieben,  traten  im  Jgum  1714  faiferlidje  unb 
ranjöfiföe  ©eootlmädjtigte  ju  Söaben  in  ber  ©djmeis  ju  neuen 
Üterf)anWungeu  jufammen,  bie  mit  bem  beitritt  be*  föeidje*  51t  ben 
grieben*bebingungen  üon  Sftaftabt  enbeten.    $ie  grieben*urhmbe 
mürbe  am  8.  ©eptember  üon  (Sugen  unb  SBillar*  unter$etd)net, 
bie  ju  biefem  3mede  ju  SBaben  auf*  fteue  jufammen  getroffen 
waren. 

SBier  Xage  naa)  bem  2lbfa^(ug  be*  ^rieben*  oon  öaben,  ber 
ba*  @nbe  be*  fpanifc^en  ©rbfotgefriege*  befiegette,  erlofa)  bie 
^riege*fade(  aua^  in  Spanien.  Wit  unermübttdjer  ©tanb^aftigfeit 
Ratten  bie  ^elbenmütf|igen  ©atalonier,  benen  s?^ilipp  V.  nur  gegen 
bie  SBerjidjtleiftung  auf  i^re  SRedjte  unb  grei^eiten  Sßerjei^ung  be= 
mißigen  mottte,  ben  ^ampf  fortgefe^t;  nadjbem  jeboa)  Barcelona, 


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214 


$er  fpanifcfje  (Srbfolgefrieg. 


ba3  Xruppen  feit  ber  Slbreife  ber  ®aiferin  im  Qafjre 

1713  öerfdjiebene  2ttale  öergeblidj  belagert,  mit  .ftilfe  eines  neu 
angefommenen  franjöfifdjen  $>eere§  t)on  brei&igtaufenb  Wflann  tx- 
ftürmt  morben,  gaben  fie  ifjren  SSiberftanb  auf.  Xrofc  ber  gürfpradje, 
bie  ®arl  VI.  bei  ben  Unterfmnblungen  oon  SRaftabt  unb  iöabcn 
für  bie  treuen  ©atalonier  eingefegt,  mürbe  bie  SBerfaffung  ber  s$ro= 
öinj  aufgehoben  unb  bamit  ber  lejte  fReftc  ftänbifdjer  SRedjte  unb 
greiljetten  in  Spanien  aerftört. 


VII. 

c£tt6wifl5  XIV.  Ausgang. 

Dbgleidj  ber  tnetjelmjäfjrige  ®rieg  um  baS  ^panifdje  Ghrbe  für 
granfreitf)  ungleid)  günftiger  geenbet,  als  e3  feit  bem  Xage  öon 
£>öd)ftäbt  ju  ermarten  geftanben,  fonnte  Cubmig  fid)  nid)t  oer= 
§ef)len,  baß  berfelbe  feinem  Sanbe  jum  ferneren  $8erf>ängni&  ge* 
morben.  $er  9lationaImol)lftanb  mar  bernid)tet,  ba3  ßanb  öer= 
öbet;  ^anbel,  Gtemerbe  unb  21rferbau  tagen  öoüftänbig  barnieber, 
unb  baä  SBolf,  tum  ber  £aft  unerfdjminglidjer  Steuern  erbrüdt, 
fd)mad)tete  im  tiefften  (Slenb.  $ie  Sdmlbenlaft  mar  ju  ber  #ölje 
oon  neunlmnbert  SJftflioncn  Xfjalern  angemadjfen,  unb  man  fonnte 
nidjt  einmal  bie  Qmfcn  berfelben  jaulen,  nod)  meniger  bie  lau* 
fenben  Slu3gaben  beftreiten.  $er  Äönig  felbft,  ju  meinem  baä 
23olf  einft  mit  Stola  unb  «emunberung  aufgebaut,  mar  ber 
®egenftanb  beä  &affe3  gemorben,  unb  nur  bie  ®etuof)nf)eit  be3 
miflenlofen  <5Jefmrfam3  f)ielt  baS  $8olf  Don  offener  ©mpörung  ju* 
rütf.  $en  legten  9teft  beS  Sßertrauenä  unb  ber  Mcbtung  fjatre 
Submig  bei  feinen  Untertanen  baburd>  aerftört,  baß  er  fid),  tf)eite 
au«  fteugierbe,  tr)etl^  au«  2ßi|trauen,  nidjt  nur  burd)  geheime 
Ihmbfdjafter,  bie  fogar  feine  (SJefanbten  an  ben  fremben  $öfen  be- 
lauften  mußten,  aüe  Stabtgefpräc$e,  felbft  äße«,  roa$  in  ben  3a= 
milienfreifen  borging,  autragen,  fonbern  fogar  aüe  mit  ber  *ßoft 
etnlaufenben  «riefe  eröffnen  unb  fid)  über  ben  Snfjalt  bcrfelben 
©eridjt  erftatten  lieg. 

Sticht  minber  traurig,  als  in  feinem  einft  fo  blüljenben  föeidjc, 
fal)  e§  in  beä  greifen  Königs  eignem  .<paufe  au3;  benn  innerhalb 
meniger  Qafjre  Ijatte  ber  Xob  in  feiner  gamtfie  eine  furchtbare 
(Srnte  gehalten.  SBon  ben  fedjS  $inbern,  bie  feine  ©emaf)lin  iljm 
geboren,  roaren  bie  fünf  jüngften  früf)  geftorben;  nur  ber  $aupf)in 
mar  am  Sieben  geblieben,  unb  vJZid)t3  mar  oerfäumt  morben,  um 
Hm  ju  einem  tüdjtigcn,  mit  ben  reichten  ^enntniffen  auSgcftatteten 
Regenten  fjeranjubilben.    2Bie  öoffuet  fjauütfädjlidj  für  ityn  feinen 


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SubtuigS  XIV.  Ausgang. 


215 


berühmten  3Ibri6  ber  2Beltge|  dachte  gefdjrieben,  fo  mar  auäfchliefc 
lieh  für  feilten  Unterricht  eine  ganje  SReir)c  üon  Ausgaben  römifcher 
Klafftfer  auf  fönigliche  Soften  —  man  beregnete  biefelbe  auf  jmei* 
hunberttaufenb  ßiüreS  —  üeranftaltet  toorben,  bie  auf  bem  Xitel  bie 
SBorte  in  usum  Delphini  führen.  9(ber  ade«,  roaä  für  feine  @r= 
$iehung  gethan  morben,  follte  für  granfreiapS  Sufunft  fruchtlos 
bleiben;  benn  es  mar  if>m  nicht  belieben,  ben  X^ron  $u  befteigen, 
für  merken  er  in  fo  glänjenber  Sßeife  auSgebilbet  toorben.  @r 
ftarb  am  14.  9Ipril  1711,  mitten  unter  bem  Jammer,  ben  ber 
fpanifche  ©rbfolgefrieg  für  granfreich  ^eraufbefa^moren,  im  Sllter 
üon  naheju  fünfzig  Sohren  an  ben  Kinberblattern.  üftach  feinem 
lobe  beruhten  bie  Hoffnungen  ber  Nation  auf  feinem  ©ofme,  bem 
geiftüollen,  allgemein  beliebten  £>erjog  üon  SBourgogne,  unb  beffen 
liebenSnmrbiger  ©emahlin ;  allein  im  folgenben  Qa^re  erlagen  SBeibe 
einem  ^i^igen  gieber,  bie  2)auphine  am  12.  unb  it)r  ©emahl  am 
18.  gebruar.  $)a  ber  Xob  ihren  älteften  ©of)n  fd)on  im  Qahre 
1705  ^inmeggerafft,  mar  ber  jtoeite,  ber  noch  im  Knabenalter 
ftefjenbe  £>er$og  Karl  üon  Bretagne,  Xf)ronerbe;  boch  auch  er  folgte 
fdjon  nach  toenigen  2öod)en  (6.  äftärj  1712)  feinen  Altern  ins 
©rab.  @in  britter  (Snfel  fiubnrigS,  ber  £erjog  üon  Serrü,  beS 
4>eTjogS  üon  Söourgogne  jüngfter  trüber,  fanb  am  4.  Sflai  1714 
ben  $ob  burch  einen  ©turj  üom  ^Sferbe,  unb  fo  blieb  bem  am 
föanbe  beS  ©rabeS  ftehenben  König  üon  allen  feinen  üftadjfommen, 
außer  bem  König  üon  Spanien,  nur  noch  ein  Urenfel,  ber  jüngfte, 
im  3<if)re  geborne  ©ofjn  be£  £>erjog3  üon  ©ourgogne,  ber 

nachmalige  Subroig  XV. 

Qnbeffen  bemegte  fich  baS  ßeben  bes  üereinfamten  Königs, 
ber  trofc  ber  Verarmung  beS  Sauber  feine  prunfüotle  Hofhaltung 
aufrecht  fyittt,  in  bem  gelohnten  (Meife  beS  Hergebrachten,  toobei 
bie  Sftaintenon  5lfleS  aufbot,  feinen  roachfenben  Xrübfinn  burch 
Serftreuungen  aller  31  rt  $u  befämpfen,  roas  ihr  umfo  fehlerer 
tourbe,  als  feine  ©mpfänglichfett  für  geiftige  Unterhaltung  immer 
mct)r  abnahm. 

3m  ©ommer  1715  üerfiel  bie  ©efunbheit  beS  Könige  ficht= 
lief),  unb  balb  üerfünbete  bie  rafche  Abnahme  feiner  Kräfte  baS 
herannahen  feines  XobeS.  TOt  großer  gaffung  üernahm  er  bie 
3J?ittt)ciIung  feinet  SlrjteS,  baß  er  nur  noch  wenige  Xage  ju  leben 
(jooe.  9iacr)bem  er  am  25.  Sluguft  bie  lefcte  Dclung  empfangen, 
Iie§  er  am  folgenben  Sage  bie  3Äinifter  unb  ben  Dauphin  üor 
W  fommen,  empfahl  ben  (Srfteren  Xreue  gegen  feinen  Nachfolger 
unb  ermahnte  feinen  Urenfel  jur  Gottesfurcht,  jur  ©parfamfeit, 
jum  grieben  unb  ju  ädern  ©uten,  baS  er  felbft  nicht  habe  thun 
lemnen.  2Jftt  ©chmerjen  nahm  er  roaljr,  ba§  feine  Hofleute  bei 
feinem  herannahenben  Xobe  fich  üon  ihm  jurüefgesogen,  um  fich 


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216 


9tufelanb  unter  5ßctcr  bem  ©ro&en. 


feinem  Neffen,  bem  $>er$og  $f)iftpp  II.  öon  Orleans,  jujumenben, 
bem  als  bem  nädjften  Slnöermanbten  beS  jungen  Königs  bie  Siegend 
fdjaft  jufafien  mußte.  3n  feinen  beiben  legten  SebenStagen  fmtte 
Submig  nur  menige  lichte  Slugenblicfe,  in  meldjem  man  u)n  roieber= 
holt  beten  hörte:  „2ftetn  ©ort,  fn^f  mir!  ©ile,  mid)  ju  erlöfen!" 
9tuf)ig  unb  gefaßt  entfdjlief  er  am  1.  «September  1715,  früh  um 
acht  Uhr,  mährenb  er  mit  feinem  33eidjtöater  bie  ©terbegebete  öer- 
richtete.  3)aS  SBolf,  baS  ü)n  einft  vergöttert  hatte,  brach  bei  ber 
ftadjridjt  oon  feinem  Xobe  in  lauten  3ubel  aus,  unb  ber  Sßöbel 
»erfolgte  ben  fieichenäug  mit  SBerttmnfdjungen  unb  Söefchimpfungen 
aller  s2lrt,  fo  ba&  man  ben  ©arg  mit  ber  Seiche  beS  Königs  auf 
Scebcnroegen  nach  ©t.  $cnis  bringen  mußte. 


VIII. 

$ttt|f<m&  uniet  ^eter  bem  $ro§en. 

(1682—1725.) 

3n  Sftuglanb  mar,  mie  mir  53b.  V,  ©.  323  gefehen,  im  3al)re 
1584  mit  bem  finberlofen  (Sparen  geobor  ber  ©tamm  iRurifS  in 
männlicher  ßinie  erlofdjen  unb  imgafjre  1613,  nach  längeren  I^ron= 
ftreitigfeiten,  ber  mütterlicher  feitS  bem  £aufe  9turifS  entftammenbe 
Michael  geoboromitfeh  jum  ßjaren  ermaßt  morben.  SRidjacI  III. 
geoboronutfdj  (1613—1645),  ber  bie  SReihe  ber  Regenten  auS  bem 
.£>aufe  föomanom  eröffnete,  befeftigte  feinen  Xfjron  burch  Klugheit 
unb  9flilbe  unb  fteCtte  in  bem  jerrütteten  SReic^e  9luhe  unb  Drbnung 
her.  ©ein  ©of)n  2llejci  TOchaelomitfch  (1645—1676),  ber  fefion 
im  Hilter  bon  fünfzehn  Sauren  bie  Regierung  antrat,  nahm  bie  $o* 
fafen,  bie  fich  gegen  bie  sJtepublif  *ßolen  empört  hatten,  unter  feinen 
©dmfc  unb  bemilligte  ihnen,  als  <ßreiS  ihres  SlnfdjluffcS  an  föu&= 
lanb,  (Steuerfreiheit,  eigene  ©eridjtSbarfeit  unb  baS  töecht,  fich  felbft 
i^ren  £  e  t  m  a  n  —  biefen  Xitel  führte  ihr  Oberhaupt  —  $u  mählen, 
mogegen  fechäigtaufenb  föofafen,  benen  ein  befttmmtcS  ^ahrgelb  ju= 
gefagt  mürbe,  für  ben  $>ienft  beS  (Sparen  unter  ben  SBaffen  bleiben 
fottten.  3n  bem  2BaffenftiHftanb,  ben  er  im  Sahre  1667  ju  Sin* 
bruffom  mit  bem  ®önig  Qohann  ®afimir  öon  s$olen  fd)lo&,  mürbe 
baS  Sanb  ber  fafen  jmtid&en  ber  föepublif  unb  SRu&lanb  fo  ge= 
theilt,  baf}  ber  Knieper  bie  ©renje  bilben  fottte;  auch  erhielt  er  in 
bemfelben  bie  ^roöinjen  ©ebenen  unb  ©molenSf  jurürf.  gür  bie 
§ebung  ber  SBilbung  beS  ruffifdjen  SßolfeS,  baS  noch  W  einer  an 
nollftänbiger  ^Barbarei  grenjenben  0tot)t)eit  oerfunfen  mar,  traf  $tfe(ei 
eine  Üieifje  trefflicher  Einrichtungen. 


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ftufclanb  unter  $ettr  bem  (Drofecn. 


217 


SHejei'«  ©ofa  unb  9<acf)fotger  geobor  MerdnritfcE)  führte 
bic  Regierung  ht  bem  ©eifte  feine«  ©ater«  fort  unb  machte  fia)  be* 
fonber«  baburd)  um  ba«  föetd)  oerbient,  baß  er  bura)  bie  ©ernid>* 
hing  ber  fogenannten  „9to«riabbfid)er,' ,  in  metdjen  alle  $rtbitegien 
be$  Soften  «bei«  oerjeicfinet  tuaren,  beffen  STnfprüdje  auf  ben  erb* 
lidjen  ©efifc  aller  leeren  ©eamtenftellen  beseitigte.  Unter  if)tn 
mürben  bie  Muffen  jum  erften  WlaU  in  einen  #rieg  mit  ben  Xürfen 
toermicfelt,  ber  jum  Wafytyit  ber  ßefcteren  oerlief . 

Seobor  ftarb  fdjon  im  3atjre  1682,  nadj  nur  fed>«  jähriger 
Regierung,  im  Sllter  öon  füufunbjmanaig  Saferen,  unb  ba  er  feine 
tfinber  hinterließ,  gebührte  bie  #rone  feinem  älteren  ©ruber  3  tu  an, 
Slerei'«  Reitern  ©ofme.  tiefer  mar  jeboef)  nid)t  nur  förperlidj 
fcr)tt>a^f  fonbem  aud)  geiftig  fo  gering  begabt,  bog  er  jur  Regierung 
unfäfng  fdjien;  bafjer  erfannten  bie  Großen,  bie  fid)  gleid>  nadj 
Seobor«  Xobe  $u  3Jco«fau  oerfammelt  Ratten,  bie  ftrone  feinem 
^efjnjäfjrigen  ©tiefbruber  $eter,  einem  jüngeren  ©oime  2llejei'«  au« 
beffen  <£l)e  mit  Natalie  ftarifdjfin,  ju. 

Um  <ßeter«  Xljronbeftetgung  ju  vereiteln,  reijte  feine  ©tief* 
tömefter,  bie  ebenfo  fluge  unb  ehrgeizige  al«  entfd)loffene  $rin= 
jeffin  (Sophia,  bie  für  ihren  ©ruber  3man  bie  Regierung  führen 
$u  fönnen  gehofft,  bie  ©treiben  (©triel$i*©d)üfcen,  ein  bon  3man  IV. 
errichtete«  ftef)ettbe«  $eer)  burdj  ba«  Vorgeben,  baß  Sßeter  fie  auf* 
löfen  motte  unb  feinen  ©ruber  3toan  ermorbet  fyabt,  $ur  Empörung 
auf.  Unter  bem  Stufe:  „lieber  mit  bem  SRörber  3man«!"  um* 
Ringelten  fie  ben  ®reml  unb  fneben  $cter«  Df)etm  Qtuan  9carifchfin 
nebft  mehreren  anbern  ©liebem  ber  3<Hmfa  feiner  HJhitter  nieber 
(15.  9Hai  1682).  ©elbft  al«  3man  fidj  an  <ßeter«  ©eite  geigte, 
legte  fid)  ber  Aufruhr  nicht.  (Snblich  riefen  bie  ©treli&en  Qttian 
jum  (Sparen  au« ;  al«  biefer  jeboch  felbft  fid),  jum  großen  ©er* 
bruffe  feiner  ©djmefter,  feinen  ©ruber  $eter  $um  SRitregenten  er* 
bat,  gaben  fie  feinem  2Bun[dje  nach,  unb  fo  mürben  beibe  ©rüber 
am  23.  3uni  1682  ju  2Jco«fau  gemein  fchaftttdj  gefrönt.  SSä^renb 
ihrer  SJftnberjährigfett  fottte  bie  ©roßfürftin  ©opfu'a  bie  SRegentfchaft 
führen,  bie  fie  mit  ihrem  ©ünftling,  bem  Surften  ©alifctn,  theilte. 

3nbcffen  fat)  fid)  bie  (£$aremna  felbft  batb  in  ihrer  ©tellung 
bon  ben  ©treiben  bebrofjt,  bie  fidj  bon  ihr  jurücfgefetjt  glaubten 
unb  bon  einigen  ihrer  Jü^rer,  befonber«  oon  ben  beiben  Surften 
(&f)on)an«fi ,  in  ihren  meuterifchen  ©efinnungen  beftärft  tuurben. 
©optjia  entflog  mit  bem  £>ofe  nach  bem  $lofter  be«  heiligen  ©ergei 
ju  Xroijfoi,  einem  neun  teilen  üon  ber  ^auptftabt  entfernten 
$?aflfafjrt«orte,  unb  mußte  auc^  bie  (5^oman«fi  bort^in  ju  locfen. 
&aum  Maren  biefelben  jebod)  erfa^ienen,  al«  fie  mit  fiebenunbbreißig 
©trelüjen  if)rer  ©egleitung  ermorbet  mürben,  ©ofort  erfrürmten 
bie  übrigen  ©treli^en  ba«  Softer,  um  9taa)e  ju  nehmen  an  bem 


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218 


JRufelanb  unter  $eter  bem  ©rofeen. 


(sparen  ^ßeter,  auf  meieren  ©opfjia  äße  ©cfmlb  gemäljt,  unb  fdjon 
mar  einer  ber  Wufrührer  im  begriffe,  benfelben  am  tlltar  ber  Kirche, 
mo  er  mit  feiner  SDlutter  ©chufc  gefud)t,  nieberjuftofeen,  alä  ein 
anberer,  oon  ©cfceu  r>or  bem  heiligen  Orte  ergriffen,  irm  baoon  mit 
ben  SBorten  ^uräcf r)ielt :  „Glicht  rjier  am  Elitäre,  ©ruber!  Crr  mirb 
un£  nidjt  entmifchen  !"  Unterbeffen  mar  ber  2lbel  ber  llmgegenb 
jum  ©crmfce  feiner  ^errfdjer  herbeigeeilt,  unb  fo  mürbe  $eter 
gerettet.  Sßon  ben  Hufrüfjrern  mürben  breifeig  al§  bie  $aupt- 
räbelsfürjrer  enthauptet,  bie  übrigen  auf  if)r  flehentliches  Sitten  be* 
gnabigt. 

©opbia  benufcte  ben  mifeglücften  ©trelifcenaufftanb  jur  @nt^ 
fernung  *ßeter$  Dom  #ofe,  inbem  fie  ihm  mit  feiner  3Kutter  einen 
oon  feinem  ©ater  erbauten  ßanbftfc  in  bem  $orfe  $reobrafcrjena= 
foi  unmeit  Sttoäfau  jum  Aufenthalte  anmieS.  ©ie  felbft  trat  feit 
ber  $)emütfü'gung  ber  ©treiben  mit  Dotier  ©elbftftänbigfeit  auf. 
Unter  ben  faiferlichen  SBerorbnungen  erfchien  ir/r  9tame  neben  ben 
tarnen  ihrer  beiben  ©ruber;  bie  SJcunjen  trugen  auf  ber  SRücffeite 
ihr  ©ilb  mit  Jfrone  unb  ©cepter,  unb  bie  Umfdjrift  be5eicfjnete  fie 
als  „©eherrf a^erin  öon  ®rofe-  unb  ff lein^ußtanb."  UebrigenS 
führte  fie  bie  SRegentfchaft  nicht  ohne  ©efefnef  unb  mußte  föufelanbä 
5(nfehcn  auch  nach  duften  aufregt  $u  halten.  $on  bem  ®önig  öon 
$olen,  Johann  ©obteäfi,  erlangte  fte  bie  ©ermanblung  be£  SSaffen* 
ftillftanbeS  öon  Slnbruffom  in  einen  beftnitiöen  grieben.  Qbrer 
©ethetltgung  an  bem  legten  Sürfenfrtege  Öeopolb«  I.  ^ahtn  mir 
bereite  oben  (©.  20)  gebaut. 

Unterbeffen  mar  <ßeter  p  $erobrafchenSfoi  jum  Jüngling 
herangemachfen.  ©on  einer  ©chaar  junger  Muffen  auä  ben  erften 
Samiltcn  be3  Sanbeä  umgeben,  überliefe  er  fidj  einer  ööHig  unge^ 
bunbenen  ScbenSmeife.  ?Benn  jebodj  feine  ©chmefter  bie  Hoffnung 
nährte,  bafe  er  fich  burch  AuSfchmeifungen  förperlich  nnb  geiftig  ju 
®runbe  richten  merbe,  fo  faf)  fie  fid)  barin  öollftänbig  getäufcht; 
benn  hinter  <ßeterä  jügeflofem  ^ugcnbtreiben  öerbarg  fich  ein  riefer 
©ruft.  3n  feiner  Umgebung  befanben  fich  mehrere  MuSlänber, 
unter  benen  befonberS  53  e  f  o  r  t ,  ein  taufmannäfohn  au*  ®euf, 
hcroorragte,  ber  nach  einem  abenteuerlichen,  in  franjöfifchen  unb 
hoüänbifchen  Ärieg^bienftcn  hingebrachten  Qugenbleben  als  ©efretär 
ber  bänifchen  <55efanbtfct)aft  nach  Oiufelanb  gefommen.  ©ein  einneh- 
menbeS  SBefen,  fein  entfernebener  CHwrafter  unb  bie  öielfacfjen 
Äenntniffe,  bie  er  fich  &*i  feinem  SBanberleben  angeeignet,  geman- 
nen  ihm  balb  bie  befonbere  3nneigung  be3  jungen,  lebhaften  unb 
mtfebegierigen  (£jaren,  ber  nicht  mübe  mürbe,  ihm  jujuhören,  menn 
er  bie  Lebensart  gebilbeter  ©ölfer,  ihre  bürgerlichen  unb  hän3= 
liehen  Einrichtungen  in  anfcfjaultdjen  ©chUberungcn  an  ihm  üor= 
überführte  unb  ihm  öon  ihrem  ,$anbel  unb  ihren  fünften,  ihrem 


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Shißlmtb  unter  $eter  bem  ©rofecn. 


21D 


&eer*  unb  ©eebienft  erjagte.  SBalb  fanntc  $eter  feinen  ^ö^eren 
SEBmtfch,  al*  bie  Silbung  be*  2lu*lanbe*  nach  föußlanb  $u  üer> 
pflanjen.  9ftit  großem  Grifer  erlernte  er  üon  Sefort  bie  bcutfcfje, 
fjoflänbifdje  unb  franjöfifche  ©pradje  unb  ließ  fidj  üon  ihm  unb 
bem  ©chotten  ÖJorbon  im  (Gebrauche  ber  Staffen  auf  abenblän- 
bif(t)e  2(rt  unterrichten.  ,3ugleich  bilbete  er  au*  feinen  abeligen 
meraben,  bie  er  feine  „^ßotefdjnie"  (©ptelgefährten)  nannte,  eine 
Sompagnie,  in  roeldje  er  felbft  al*  (Semeiner  eintrat,  um  ben 
$)ienft  buref)  afle  ©tufen  fjinburd)  ju  erlernen,  Balb  rouch*  bie 
3at)l  ber  öon  Sefort  unb  ©orbon  einerercirten  ^otefdmie  fo  fef)r, 
ba§  fie  in  *ßerobrafcf)cn3foi  nicht  mef>r  alle  ^lafc  finben  fonnten, 
unb  fo  rourbe  in  bem  nahen  $orfe  ©emenomäloi  eine  jroeite  ßom* 
paaiue  errietet.  $luS  biefen  beiben  ßompagnien  gingen  fpäter  §mei 
©arberegimenter  ^eroor,  bie  noch  ^eute  ben  tarnen  ber  beiben 
Xörfer  führen. 

©oplna  fal)  biefe*  ©olbatenfpiel  nicht  ungern;  benn  fie  fjoffte, 
baß  baSfelbe  ihren  Bruber  öon  ben  ©taataangelegenheiten  ablenfen 
merbe.  Qn  biefer  Hoffnung  fah  fie  fich  jebodj  getauscht;  benn  je 
mef)r  ber  junge  (£$ar  unter  folgen  Beschäftigungen  feine  ßraft 
fühlen  lernte,  befto  brütfenber  erfdjien  ihm  bie  Unfreiheit,  in  mel* 
d)er  feine  (Schroetter  irm  fortmährenb  $u  galten  juckte.  §11*  er  im 
3at)re  1688  jutn  erften  SKale  feinen  ©ifc  im  ©taatSrathe  ein* 
nahm,  geigte  ihr  feine  ganje  Haltung,  baß  ihre  §errfdmft  in  ber 
emfteften  ©efafn*  fcfmjebe.  SRodj  f)öl)er  ftieg  ihre  Beforgniß,  al* 
$eter  fid)  im  3af)re  1689  auf  Betrieb  feiner  flugen  Butter,  bie 
feinen  SügcHofigfeiten  ein  3iel  ju  fcfcen  unb  ihn  jugleich  bem 
Bolfe  näher  ju  fuhren  hmnfchte,  mit  (Subofia  üapuchin,  ber  Xodj* 
ter  eine*  Sojaren,  öermäfjlte.  ©ie  erfannte,  baß  *ßeter*  $ob  allein 
ihr  ben  gortbefig  ber  fterrfcfjaft  fiesem  tonne,  unb  begünftigte  ba= 
^er  eine  Berfchmörung  ber  über  feine  Steigung  ju  bem  auäroär* 
tigen  $eerme}en  aufgebraßten  ©treiben  gegen  fein  ßeben.  3n* 
beffen  erhielt  *ßeter  ßunbe  öon  ber  ihm  brohenben  (Gefahr  unb 
fud)te  ©djufc  in  bem  Softer  Xroijfoi,  mo  fich  alabalb  außer  ben 
$otefcf)nie  bie  üon  ihm  aufgerufenen  Bojaren  in  fo  großer  3^ 
um  i^n  öerfammelten,  baß  bie  ©treiben  feinen  Singriff  magten. 
3Rit  ben  Großen  erflärten  fich  auch  ber  Patriarch  oon  9Ko*fau 
unb  ba*  Bolf  für  ilm.  $ie  ©treiben  mußten  fid)  unterwerfen, 
unb  bie  $auptfcrmlbigen  erfuhren  bie  ganje  ©trenge  be*  fiegreidjen 
Sparen.  $ie  meiften  berfelben  mürben  Eingerichtet,  anbere  nach 
Sibirien  gefeiert,  beffen  unter  Qroan  IV.  begonnene  Eroberung 
unter  geobor  I.  öollenbet  tuorben  unb  ba*  feitbem  al*  Berban= 
nung*ort  für  ©taat*öerbrecher  biente.  5luch  ber  gürft  ©ali^in 
mürbe,  nachbem  er  aller  feiner  (SJüter  üerluftig  erflärt  roorben,  mit 
einem  täglichen  ftoftgelbe  öon  brei  Äopefcn  (neun  Pfennigen) '  nach 


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*J20 


9iunIonb  unter  ^ßeter  bem  ®rof$en. 


dnem  fleinen  Slecfen  am  Eismeere  tjermiefen,  Sophia  felbft  in  ein 
®loftcr  ju  SRoSfau  gebracht,  wo  fie  ben  Schleier  nehmen  mußte. 

50  war  ^ßcter  im  Hilter  öon  fiebjehn  3ahren  jur  Hüeinherrfchaft 
gelangt,  bic  ihm  Qman  willig  überließ,  obgleich  auch  er  btö  an  fei- 
nen  Xob  (1696)  ben  Ehrentitel  führte. 

Unverzüglich  fdjritt  $eter  §ur  Ausführung  be$  langft  entwor* 
fenen  ^ßlane*,  fein  SReich  burdj  bie  Einführung  europäifcher  Kultur 
imb  Einrichtungen  ben  ctöilifirten  Staaten  Europa'3  einzureihen 
unb  ihm  unter  benfelben  eine  geachtete  (Stellung  ju  berfdjaffen. 
$aju  erfaßten  ihm  bor  2lHem  ein  nach  europäisier  SBeife  einge« 
ric^teted  unb  gefchulte*  $>eer  nothwenbig,  mit  meinem  er  nicht  nur 
im  inneren  feine*  SReicheS  jeben  SBtberftanb  gegen  bie  bon  ihm 
beabsichtigten  Reformen  nieberwerfen,  fonbern  auch  beffen  ©renken 
burch  Eroberungen  erweitern  fönne;  benn  er  erfannte,  baß  e3  ihm 
ohne  ben  Bcftfc  bon  $üftenlänbern,  bie  eine  teilte  Berbinbung  mit 
bem  ?lu$lanbe  gewahrten,  unmöglich  fein  Werbe,  SBilbung,  ;panbel 
unb  ÖJewerbfleiß  in  sJtußlanb  einzuführen.  3Bährcnb  Sefort  unb 
dtorbon  ihm  ein  trefflich  gefchulteS  £eer  Don  jwölftaufenb  5ttann 
fchufen,  beffen  ®ern  bie  beiben  Eompagnien  bon  ^ßerobrafchenafoi 
unb  Semenomäfoi  bilbeten,  fdjritt  er  zugleich  jur  (Srünbung  einer 
Slottc,  burch  meiere  föußlanbä  Söobenrcidjtfjum  oermerthet  unb  ber 
SBerfehr  mit  bem  SluSlanbe  gehoben  werben  foflte. 

Meters  Erober  ungäpläne  waren  einerfeit*  auf  bie  fdjwebifdjen 
Dftfeclänbcr  unb  anbererfeitS  auf  bie  ^iorbfüftc  beä  fdjroarjen 
9)}eere$  gerichtet.  Um  junächft  an  ber  lefcteren  feften  3u&  ju  faffenf 
begann  er  im  3<*hrc  1695  bie  Belagerung  beä  ftarf  befefttgten 

51  j  o  w  am  ftuäflufjb  beS  $on ;  feine  Bemühungen,  fich  in  ben  ©cfift 
ber  Stabt  ju  fefccn,  blieben  jeboch  fruchtlos.  Erft  nachbem  ihm  ber 
&aifcr  ^copolb  unb  ber  fturfürft  bon  Branbenburg  auf  fein  Verlangen 
eine  Anzahl  Ingenieure  gefanbt,  Würbe  Afow  am  8.  3uli  1696 
erobert.  Um  fich  im  Befifce  biefeä  wichtigen  SchlüffelS  jum  fchwar* 
jen  Speere  behaupten  zu  fönnen,  liefe  $eter  fünfunbfünfjig  neue 
tfriegäfchiffe  bauen  unb  zugleich  einen  ftanal  anlegen,  ber  ben  $on 
mit  ber  Söolga  berbanb.  Auch  fanbte  er  eine  Anzahl  junger  9tuffen 
nach  Italien,  #ottanb  unb  $eutfchlanb  zur  befferen  Erlernung  beS 
Schiffbau*  unb  beä  ftriegSbienftea. 

Unterbeffen  hatten  Cetera  Neuerungen  unb  tnäbefonbere  bie 
Berwenbuug  fo  bieler  Auälänber  im  gefammten  ftriegäwefen  nicht 
nur  ben  Unwillen  ber  Streiken  erhöht,  fonbern  auch  unter  einem 
großen  ZfyäU  beä  ruffijchen  Abel*  eine  fo  erbitterte  Stimmung 
hervorgerufen,  baß  511  Anfang  be*  %a1)xc%  1697  eine  Berfdjwö* 
rung  gegen  baS  Scben  beS  Ejaren  zu  Stanbe  fam.  3"  ^ad)t 
jurn  2.  Jebruar  jollte  gener  angelegt  unb  ber  E^ar,  ber  bei  fol* 
(heu  (Gelegenheiten  herbeijucilen  pflegte,  um  fclbft  am  ßöfchen  Xheil 


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jRufclanb  unter  $eter  bem  ©rogen. 


221 


$u  nehmen,  im  ©ebränge  ermorbet  roerben;  bann  wollte  man  bie 
(Ejaretrma  Sophia  au$  bem  Softer  f>olen  unb  auf  ben  Xljron  er= 
f)eben.  ©d)on  mar  ber  berfjängnigoolle  Xag  gefommen ,  als  jroei 
reuige  Dffijiere  ber  (Streiken  bem  (Sparen  ben  ganzen  Slnfdjtag, 
entbeeften.  tiefer  lieg  fic  üerfjaften  unb  gab  bem  dtorbefjauptmann 
Xrubefctoi  SBcfc^I,  um  elf  Uf|r  in  ber  üftadjt  ba8  JpauS  be3  ©taatä* 
ratfjä  ©ofotontn ,  in  meinem  fid)  bie  ©erfdjroorenen  oerfammeln 
follten,  in  aller  ©title  ju  umzingeln.  Crr  fclbft  begab  fid),  in  ber 
sI»ieinung,  bag  er  ben  ©arbefyauptmann  fdjon  für  jetjn  Uljr  befteflt 
Ijabe,  ju  biefer  ©tunbe  bortfjin  unb  trat,  bie  SSadje  fdjon  im  £aufe 
glaubenb,  mitten  unter  bie  ©erfd&toorenen.  Dbgleid)  er  bie  ©efafjr 
nicfjt  Derfannte ,  in  roeldje  er  ftdjj  burdj  feine  Uebereilung  geftürjt, 
fagte  er  fid)  fernen ,  grüßte  bie  ©erfammelten  freunblid)  unb  er* 
Karte  Urnen .  er  fei  am  £aufe  öorübergefafyren  unb  l>abe  aus  bem 
gellen  ©djein  ber  Siebter  auf  eine  luftige  ©efellfdiaft  gefa^loffen; 
bafjer  fei  er  eingetreten ,  um  nod)  ein  ®la$  mit  itynen  $u  leeren. 
$ie  ©erfdjmorenen  ,  bie  anfangs  über  fein  ©rfdjeinen  beftürjt  ge- 
ioefen,  trauten  auf  feine  ®efunbf)eit ,  unb  er  felbft  tt)at  ifmen  nad) 
feiner  SBeife  roarfer  Söefd&eib.  211$  er  jebodj  fyörte ,  nrie  einer  ber 
©erfdjtoorenen  Ijalblaut  ju  ©oforonin  fagte:  „3^^,  ©ruber,  ift  e& 
3eit!"  unb  biefer  U)tn  teife  erttnberte:  „9todj  nidjt!",  fprang  er  im 
f)ü djften  Qoxnt  auf  unb  öerfefetc  mit  ben  Sßorten :  „$a,  wenn  e& 
bei  bir  nodj  nid>t  8tit  iftr  fo  ift  e8  bei  mir  Seit!"  bem  ©ofonmiu 
einen  fo  heftigen  gauftfdjlag  in3  ©efidjt,  baß  berfelbe  $u  ©oben 
ftürjte.  (^lüdlic^ertüeife  trat  in  bem  nämlidjen  Slugenbtitfe,  mit  bem 
Schlage  elf  Ul)r,  ber  ©arbe^auptmann  mit  feinen  Seuten  in  ba& 
3immer.  Xic  ©erfrorenen,  bie  2llleä  oerloren  fafjen,  baten  fug* 
fallig  um  @nabe;  fic  würben  jebodj  gebunben  fortgeführt  unb  ftar* 
ben  auf  bem  ©lutgerüfte. 

©djon  tängft  Ijatte  *ßeter  bie  Slbfidjt  gehabt ,  bic  widjtigften 
Staaten  GSuropa'a  ju  bereifen,  um  ifjren  Shilturjuftanb  au3  eigener 
Slnfdjauung  rennen  $u  lernen,  liefen  Sßlan  braute  er  jefct  jur 
SluSfüfjrung.  9lad)bem  er  für  bie  $auer  feiner  silbtt>efenf)eit  ben 
oberften  9Reid)3beamten  bie  Regierung  unb  (Dorbon  ben  Oberbefehl 
über  bie  Gruppen  übertragen ,  trat  er  im  Hpril  1697  feine  Sfteife 
an.  $a  er  alles  Sluffefjen  fjagte  unb  unbefannt  ju  bleiben  roünfdjte, 
gab  er  feinem  jaljlreia^en  befolge  baS  Slnfe^en  einer  ©efanbtfdjaft, 
an  bereu  ©ptfce  er  Sefort  ftettte,  toäfjrenb  er  felbft  ben  Xitel  eine* 
DberfommanbeurS  annahm  3)ie  Steife  ging  über  föiga  unb  TOtau 
nad)  Königsberg,  tuo  ber  pracfjtliebenbe  Shirfürft  griebrid)  III.  oon 
©ranbenburg,  in  einem  fa^artac^nen,  mit  diamanten  befe^ten  ÖJe^ 
roanbe  unter  einem  carmoifinrotljen ,  reia)  mit  ©olb  burc^ftieften 
I^ron^immel  fi^enb  unb  oon  feinem  jaljlreidjen  ^pofftaate  umringt, 
bie  ©efanbtjdjaft  aufä  geierlta^fte  empfing  unb  feinem  ^oljen  ©afte 


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222 


ffiu&lanb  unter  $eter  bem  ©rofccn. 


ju  (Sfjrcn,  bcr  gleich  anfangs  crfannt  werben,  glänjenbe  geftlia> 
feiten  öeranftaltete.  ftachbem  $eter  fich  Don  ben  branbenburgtfehen 
Söerhältniffen  unb  melen  anbem  fingen,  bie  feine  SBtfcbegierbe  er= 
«9t,  forgfältig  unterrichtet  hatte,  reifte  er  am  9.  Quni  mit  feiner 
®efanbtfchaft  weiter  nach  Berlin,  wo  er  fich  in  ber  ftriegSfunfi 
prüfen  unb  ein  ßeugniß  barüber  auSfteöen  lieg.  SBon  r)icr  ging  er 
über  Üftagbeburg  unb  Jpannouer  nach  SImfterbam ,  nachbem  er  ftd), 
um  feinen  WugenbUcf  mit  leeren  Sürmlichfeiten  unb  Zeremonien 
t>erfd)wenben  ju  müffen ,  ferjon  in  (Smmerich  t>on  ber  (SJefanbtfchaft 
getrennt  ^atte. 

3n  Mmfterbam  feffetten  baS  ©ewüb,!  ber  ®aufleute ,  ©Ziffer 
unb  ©olbaten ,  bie  SBerfftätten  ber  $ünft(er  unb  £>anbwerfer ,  bie 
TOüt)Icn  f  $>ämme,  2Rafa)inen  unb  ©chleufen  unb  oor  Gittern  bie 
sJ)icnge  ber  ©duffe  bie  Mufmcrffamfett  beS  ©jaren  fo  fehr ,  baS  er 
fid)  üom  frühen  SKorgcn  bis  in  bie  fpäte  9cad)t  feine  SRufje  gönnte, 
um  SIÜcS  auf«  ©cnauefte  in  Wugenfchcin  511  nehmen.  Um  felbft 
bie  ©djiffSbaufunft  grüubltch  $u  erlernen,  begab  er  fich  naef)  bem 
burdj  feine  bebeutenben  SBerften  berühmten  T>orfe  ©aarbam,  wo 
er  fich  unter  bem  tarnen  Njkter  sittichaclow  bei  einem  ©ct)iffSjim- 
mermeifter  als  ÖJefefle  eintreiben  lieg  unb,  um  nidjt  erfannt  ju 
werben ,  mit  ben  übrigen  ^immerleuten  ^uf  uüüig  gleichem  5u§e 
lebte.  Sein  (Eifer  unb  feine  Üernbcgierbe  fannten  feine  ®ren$en.  2US 
gemeiner  TOatrofc  gefleibet,  erfaßten  er  mit  ber  5lft  auf  ber  ©djul- 
ter  fd)on  in  früfyefter  2ftorgenftunbe  auf  ber  SBerft  unb  war 
beS  2lbenbS  bcr  #e$te  bei  ber  Arbeit,  ©elbft  nachbem  er  tt- 
fannt  worben,  bulbete  er  nicht,  bajj  man  ifjm  irgenb  welche  2(uS* 
aetchuung  erwies,  unb  wollte  nicht  anberS  genannt  fein,  als  „3fteifter 
NJ$etcr."  3)en  Söinter  braute  er  $um  großen  X^eile  in  SImfterbam 
$u,  wo  er  tfyeils  in  ben  Werften  ber  oftinbifdjen  Kompagnie  arbei- 
tete ,  tf)cils  fich  in  ber  9ftatljematif  unb  Waturfunbe  unterrichten 
ließ ,  bie  SBorlefungen  bes  berühmten  Anatomen  Sftuufch  befugte 
unb  fidj  felbft  in  dnrurgifchen  Operationen ,  fogar  im  3af)nauS= 
reißen,  übte.  sfllS  bie  ©tabt  Hmfterbam  ihm  ein  ©duff  fehenfte, 
woran  er  felbft  mit  gearbeitet,  fanbte  er  baSfelbe  mit  Dielen  in 
.^ottanb  angeworbenen  ©eeleuten ,  Dffijicrcn  unb  Äünftfcrn  aller 
tfrt  nac^  s2lra)angel. 

(Einer  (Etnlabung  SBilhelmS  III.  oon  (Englanb  folgenb,  begab 
fich  ^Seter  im  Qanuar  1698  nach  fionbon ,  wo  er  feine  SSofjnung 
$u  3)eptforb  bei  ben  Söerften  ber  SIbmiralität  nahm  unb  fich  fleißig 
mit  ben  Arbeitern  unterhielt.  ?luch  in  Bonbon  wollte  er  'MeS  feljen 
unb  WUeS  fennen  lernen.  3n  engüfeher  3J?atrofcntracr)t  feft weifte  er 
iage  lang  in  ben  ©tränen  ber  ©tabt,  in  (Störten  unb  ftaffeehäu» 
fern ,  $ird)en  unb  ©djaufptclen  umher ,  bejuchte  bie  bebeutenbften 
3abrifen,  fowie  jahlrciche  Söerfftätten  oon  ftünftlern  unb  #anb* 


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SRufolonb  unter  $ctcr  bcm  ©rofecn. 


223 


Werfern  unb  tieft  fic^  in  ber  Sternfunbe  unterrichten.  ©in  See* 
treffen,  baS  ber  ßönig  ihm  $u  @l)ren  burch  bie  encjüfdje  glotte  in 
Spttheab  oorfteHen  lieft,  entjücfte  ihn  fo  feljr,  baft  er  in  bie  Söorte 
ausbrach:  „§a  fürwahr,  wäre  ich  nicht  (£$ar  oon  sJtuftlanb,  fo 
möchte  ich  ein  englifcher  Abmiral  fein."  ftadjbem  er  eine  grofte 
Anjat)!  ^arineoffijiere  unb  Öootfen,  fomie  sweihunbertfünfetg  ®a* 
noniere  unb  über  fünfhunbert  £>anbwerfer  unb  $ünftler  in  feinen 
^ienft  genommen ,  fetjrte  er  nach  £>ollanb  jurucf ,  oon  ujo  er  fldt) 
über  Bresben  nach  2Sicn  De8aD  >  um  auc&  über  baS  öfter» 
reichifche  ®riegSmefen  auf*  benauefte  $u  unterrichten.  Schon  rüftete 
er  fich ,  nach  einem  mehrmonatlichen  Aufenthalte  am  Jpofe  £eo= 
polbS  I.,  $ur  SSeiterreije  nach  3ta(ien#  als  bie  Nachricht  oon  einem 
neuen  Strelifcenaufftanb  ihn  jur  fdjleunigen  Üiücffehr  nach  SRuftlanb 
bewog. 

AIS  ^ßeter  am  4.  September  1698  nach  SWoSfau  jurücffam, 
fanb  er  ben  Aufftanb  bereite  burch  ben  beneral  borbon  bewältigt, 
ber  bie  gegen  bie  jpauptftabt  heranjieheuben  Gebellen  am  28.  Quni 
bei  bem  ftlofter  SBoScrefenSf  jurücfgefchlagen  unb  über  oiertaufenb 
berfelben  ju  befangenen  gemacht.  sJUcr)t  aufrieben  bamit,  ba&  bor* 
bon  bie  fchulbigften  unter  ben  gefangeneu  Aufrühreru  fogleich  \)&ttt 
erfdneften  laffen,  lieft  $eter  über  ade  an  bem  Aufftanb  söetheiligten 
ein  furchtbares  Strafgericht  ergehen.  9iad)bem  er  oergebend  burch 
bie  fdjauerlichften  Folterqualen  ben  befangenen  beftänbniffe  über 
bie  Öetheiligung  feiner  Sa)wefter  an  bem  Aufftanbe  ju  entreiften 
gefugt ,  mürben  über  jweitaufenb  Strehlen ,  jum  Xheil  unter 
fchauerlichen  Dualen,  Eingerichtet,  mobei  ber  Barbar  nicht  nur  felbft 
£>enterSbienfte  oerrichtete,  inbem  er  an  hunbert  Streiken  mit  eigener 
^>anb  enthauptete ,  fonbern  aua)  oiele  ber  oornehmften  Bojaren 
jroang,  feinem  Öeifpiele  ju  folgeu.  Obgleich  es  ihm  nicht  ge= 
lungen,  ©eweife  für  bie  üttitichulb  feiner  Schwefter  $u  erlangen, 
blieb  auch  fie  oon  feiner  Stäche  nicht  öerjdjout.  $or  bem  Softer, 
in  welches  fie  oerbannt  toorben,  lieft  er  achtunbjtoanjig  balgen  er- 
richten, an  welchen  nach  unb  nach  hunDcr^funfä^9  Streiken  aufge- 
hängt würben.  3)rei  berfelben  fingen  unmittelbar  oor  bem  3enfter 
ü)rer  $lofterjeüe ,  unb  bis  $u  bem  Xobe  ber  unglücflichcn  gürfttn 
(1704)  burften  bie  oermoberten  bebeine  nicht  hingenommen  wer- 
ben. Auch  feine  bemahlin  (Suboria  berwies  ber  (£jar ,  inbem  er 
fie,  wahrfcheintich  nur  aus  perfönt  icher  Abneigung  gegen  fie,  gleich ; 
falls  ber  Sflitwtffenfchaft  an  ber  sBerjchwörung  befchulbtgte ,  in  ein 
#tofter  unb  jwang  fie,  ben  Soleier  $u  nehmen.  Das  ®orpS  ber 
Streli^en  würbe  ooüftäubig  aufgehoben. 

3m  folgenben  3ahre  (1699)  hatte  $eter  ben  Schmer^,  feine 
beiben  bemährteften  greunbe  unb  thätigften  Mitarbeiter,  £efort  unb 
borbon,  rajch  Ijintereinanber  ins  brab  finfen  511  fehen.    Sein  be= 


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224  Stufetonb  unter  <ßcter  bem  ©rofeen. 


borzugter  föathgeber  hmrbe  jefct  SRencjif om,  ein  üKann  bon 
ittcbcrcT  §erfunft,  mahrfcijeinlich  ber  ©ofjn  eine*  dauern  au*  ber 
©egenb  bon  SRoSfau.  Sefort  hatte  benfelben  als  $aftetenbäcfer= 
jungen  auf  ben  ©tragen  bon  9)to*fau  getroffen  unb  itm  megen 
feine*  flugen ,  lebhaften  28efen*  unter  feine  $ienerfcr)aft  aufge* 
nommen.  $aburrf)  r)atte  ir)n  and)  $eter  rennen  gelernt,  unb  bo  er 
gro&e*  Gefallen  an  ir)m  gefunben,  r)atte  er  Um  für  feinen  eigenen 
Tienft  auSbtlben  laffen  unb  it)n  fpäter  5U  feinem  Slbjutanten  er= 
nanut.  $a  er  in  biefer  ©teöung  unauSgefefct  um  ben  Sparen  mar, 
gelang  e*  bem  ehrgeizigen  jungen  Sftanne,  ftet)  in  ber  ©unft  be*= 
felben  fo  feft  ju  fefcen,  baß  nach  üefort*  Xobe  beffen  ganzer  <5in» 
flufe  ir)m  jufiel.  ©o  ftieg  er  bon  ©tufe  zu  ©rufe  bis  jum  ©taat** 
minifter  unb  gelbmarfdjall  empor  unb  würbe  bon  *ßeter,  ber  Seicht* 
ofme  feinen  Statt)  unternahm  unb  i^n  in  allen  fingen  zu  feinem 
Vertrauten  gemacht ,  in  ben  gürftenftanb  erhoben ,  roa*  jeboct)  ben  . 
Sjaren  nict)t  berrjinberte ,  it)n  bt*n>eilen  bur(t)juprügeln.  Veram 
taffung  baju  gaben  it)m  befonber*  bie  häufigen  Veruntreuungen,  ju 
benen  3Kencjifom  fiel)  buret)  feine  fdjmähliche  ^>abfuct)t  berleiten  lieg, 
bie  jebodj  ben  (Jjareu  nict)t  beftimmen  fonnten ,  fict)  gänjlidj  bon 
feinem  (Mnftüng  lo*zufagen.  Xro$  biefer  Veruntreuungen ,  bie 
einen  fdjrueren  ©Ratten  auf  ÜKenczifow*  (£t)ararter  unb  Sieben 
werfen,  famt  nict)t  in  &brebe  gefteHt  roerben,  bog  er  ein  tüchtiger 
©taat*mann  unb  Sdbtjerr  unb  ein  äufcerft  tfjätiger  SJfttarbetter 
^ßeter*  mar  unb  bafe  Shifclanb  bie  Vegrünbung  feine*  $lnfer)en*  im 
2lu*lanbe  jum  großen  Xfjeile  ic)m  berbanft. 

$ic  ©inbrüefe,  bie  $eter  bon  feiner  Steife  jurüdgebraetjt,  hatten 
feinen  (Sifer  für  bie  Umgeftaltung  Stujjlanb*  berboppelt,  unb  er  be* 
trieb  biefelbe  mit  ebenjo  bieler  9iücfficht*lofigfeit  als  Xt)atfraft.' 
SJcefjr  jeboef)  noch,  al*  feine  Reformen,  befa)äftigte  ir)n  31t  jener  3ett 
fein  Siebling*plan ,  an  ber  Oftfee  feften  gufc  511  faffen  unb  an  ber 
SHfinbung  ber  Sceroa  eine  jpafen*  unb  £anbelSftabt  ju  grünben; 
benu  zum  ©rmerb  ber  im  Vefifce  ©chroeben*  befinblicr)en  öftlidjen 
$üftenlänber  ber  Oftfee  fduenen  it)m  gerabe  bamal*  bie  Vertjälrniffe 
befonber*  günftig,  ba  ber  im  3at)re  1697  eingetretene  Xob  #arl*  XI. 
bon  ©djroeben  einen  fünfzehnjährigen  ßönig  auf  ben  fct)tt>ebif4en 
Il)ron  geführt  hotte  unb  SDänemarf  unb  sßolen  fict)  geneigt  zeigten, 
fid)  mit  ihm  zu  einem  gemeinsamen  Kriege  gegen  ©chroeben  zu  ber« 
binben.  Vebor  mir  zur  ^arftellung  biefe*  Kriege*  übergehen, 
müffen  mir  einen  ©lief  auf  bie  brei  übrigen  bei  bemjelben  betheilig* 
ten  ©taaten  merfen. 


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I 


$olen  in  ber  arocitcn  fcälfte  be$  ftcfyefmten  3a$rfjunber».  225 

IX. 

^öfeit  in  6er  weiten  «Aäffte  be*  fie^nten  gaWnnbett*. 

TO  SBlabiSlam  IV. ,  ber  im  Kriege  gegen  ben  ruffifc^en 
©jaren  3J?tcr)acI  III.  geoborottritfd)  bie  3ntegrität  be$  polnifäen 
SReia)e3  aufregt  gehalten  (f.  83b.  Vr  ©.  323),  im  3a(jre  1648 
ftarb ,  .  war  bie  SRejmbüf  fdjroer  bebrof)t  bura)  einen  Slufftanb  ber 
Äofofen ,  bie  feit  bem  fünfzehnten  Safjrhunbert  ben  Königen  öon 
*ßo(en ,  toenn  audj  meljr  bem  tarnen  als  ber  Ifyat  nad) ,  unter* 
luorfen  unb  burd)  einen  SBefc^htg  beS  polnifdjen  SReidjätagS  im 
go^re  1638  be3  bid  bafu'n  öon  ifmen  geübten  föedjteä  ,  ifjren 
£>etman  felbft  ju  roäf)Ien,  beraubt  roorben  roaren.  Obgleich  unter 
biefen  Umftänben  bie  fofortige  SBieberbefefcung  be3  Xfjroneä  bringenb 
geboten  erfaßten,  fonnte  fidj  ber  jur  2Saf)t  eines  neuen  Äönigä  zu* 
fammengetretene  Slbcl  erft  nadj  fünfmödjentlidjen  ©treitigfeiten  über 
bie  (Srrfjebung  go^ann  ®  a  f  i  m  i  r  8 ,  be8  jüngeren  SöruberS 
SSMabiälams ,  auf  ben  polnifdjen  %f)xon  einigen  (20.  jttoö.  1648). 
£a  e3  bem  neuen  $önig  an  ben  nötigen  9Jcitte(n  jur  erfolgreichen 
Jöefämpfung  ber  aufrüljrerifdjen  ®ofafen  fehlte,  fnityfte  er  mit  bem 
gü^rer  berfelben  ,  bem  tapferen  5ö  o  g  b  a  n ,  Unterljanblungen  an, 
unb  fdjon  roaren  biefelben  i^rem  Stbfa^luffe  naf>e,  aU  ein  öerrät^e* 
rtfdjer  Ueberfall  beä  Äofafenlagerä  bura)  eine  Slnjatyl  potnifdjer 
(Sbetleute  ben  ®ampf  aufa  9ßeue  entjünbete.  55er  tum  bem  ®fmn 
ber  Xataren  unterftüfcte  Söogban  fd)Iug  bie  $oten  in  mehreren  ®e* 
fechten  unb  $roang  ben  $omg  Qo^ann  $afimir  ju  einem  grieben, 
in  meiern  ben  ®ofafen  ifjre  frühere  SBerfaffung  unb  ben  Xataren 
ein  järjrüc^cr  Xribut  jugefagt  mürbe.  9M)rfad)e  Verlegungen  biefeä 
Vertrags  oon  ©eiten  ber  $ofen  roaren  es,  roaS  bie  ®ofaten  beroog, 
fid)  im  3a^re  1654  unter  ben  ©d)itfc  beä  (Sparen  Sttefei  aftidjaelo* 
roitfd)  ju  fteHen,  unb  biefem  Verantaffung  $u  einem  Kriege  mit 
*ßolen  gab  (f.  S.  216). 

Qvl  ber  gleiten  Seit  tourbe  *ßo(en  burdj  ben  bereits  o6en 
(©.  8)  ermahnten  #rieg  mit  $arl  ÖJuftaö  öon  ©djroeben  an  ben 
Stanb  beS  SöerberbenS  geführt.  Qm  Qa^re  1655  rücfte  ber  ©djroe* 
benfönig,  ber  fid),  öon  $Ruf)mbegterbe  unb  (SxoberungSluft  Derart, 
bie  Aufgabe  gefteßt  Ijatte  f  ÖJuftaö  SlbolfS  $läne  ber  Unterwerfung 
ber  Cftfecfüften  jur  ttoüftänbigen  2lu3fütjrung  ju  bringen  unb  ba* 
burd)  ©a^mebenS  Hegemonie  im  Horben  für  immer  ju  befefttgen, 
mit  einem  ja^reia^en  ^)eere  öon  Bommern  auö  in  ©ro^^olen 
ein  unb  fafj  fia),  bura)  bie  Unjnfriebenfjeit  öieler  polnifa^en  ©ro&en 
mit  bem  ®önig  3o^ann  Äafimir  in  feinen  (£roberung*ülänen  untere 
ftüftt,  batb  im  ©efifce  oon  SBarfa^au.  2(ua)  trafau,  mo^in  3o^ann 
^afimir  t)attc  fliegen  müffen ,  ergab  fict) ,  nad)bem  ber  gleichzeitig 
^oIa»art^  SBeligcföicfcte.  VI.  15 


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226      $olen  in  ber  jwetten  fcftlfte  beS  fiebaeljnten  gahrhunbertS. 

öon  bcn  ©djwebcn  unb  bcn  Muffen  bebrohte  ftönig,  bcr  Uebermacht 
weic&enb,  bcn  93oben  feinet  föeicheä  oerlajfen  fyittc  r  um  in  ©chle* 
fien  ©<hufc  ju  fuchen.  Unaufhaltfam  rücftcn  bic  Schweben  öor, 
unb  in  wenigen  Monaten  war  Äarl  ©uftaö  $err  öon  ganj  <ßolen. 
$a&  cd  ihm  nicht  gelang,  ba&  (Stöberte  im  Kampfe  gegen  $olen* 
83unbe3genoffen,  ben  ftaijer  Seopolb,  ben  Äurfürften  griebrich  2Bil* 
heim  öon  Vranbenburg  unb  ben  Äönig  griebrich  III.  öon  Xäne* 
marf,  ju  behaupten,  fyabtn  wir  bereits  oben  (©.  8)  gefehen. 

91ach  bem  Slbfcf)luf$  befc  griebenä  öon  Oliöa ,  burch  welken 
holend  ©elbftftanbtgfeit  gerettet  mürbe,  bouerte  ber  ftrieg  mit  föufc 
lanb  noch  fieben  Sa^re  fort,  bi*  er  im  3ahre  1667  burch  ben 
brriaeJmjäljrigen  SBaffenftiüftanb  öon  Slnbruffow  $um  ißort^cil  9tufc 
lanb$  beenbigt  würbe  (f.  ©.  216). 

Rotten  bie  ©ertrage  öon  DUöa  unb  Slnbruffow  bem  polnifchen 
9ietdt)e  bie  SRutje  nach  2lu&en  wieber  gegeben ,  fo  würbe  bagegen 
bie  innere  Serriffcnr>cit  öon  Qahr  $u  J3ahr  größer.  ©d)on  im 
$ahre  1652  hatte  ber  ^Reichstag,  bcr  nach  unb  nach  nicht  nur  ade 
gefefcgebenbc  ©cmalt,  fonbern  auch  ba$  Stecht  an  fid)  geriffen,  $uf* 
lagen  ju  ergeben,  ftrieg  an^urunbigen  unb  grieben  unb  ©ünbniffe 
ju  fchltefjen,  ba$  fogenannte  »Liberum  Veto«  eingeführt,  nach  wel» 
djem  jebem  einzelnen  Sanbbotcn  ba$  Stecht  juftanb  burch  bic  Söortc : 
„3$  will  nicf>t,"  alle  ©efchlüffe  ber  Verfammlung  aufzuheben.  Db* 
gleich  biefeä  Liberum  Veto  alle  Ötefefogebung  unb  jebe  geregelte 
©taatööerwaltung  unmöglich  machte,  würbe  ed  öon  ber  3)^er)r^at)I 
ber  (Großen  für  baä  Sßallabtum  ber  greüjeit  erflört  unb,  trofc  ber 
burch  baSjelbe  unaufhörlich  hrcöorgerufenen  Verwirrungen,  öon  ben 
öerblenbeten  Slriftofraten  £um  Verberben  beä  ßanbeS  mit  bcr  fyavt* 
näcfigftcn  (£ntfct)iebenr)eit  aufrecht  gehalten. 

Johann  Äafimir  far)  fia)  burch  biefen  neuen  ©taatSgrunbfafc, 
beffen  öerhängni&öotte  golgen  er  oergebenS  bcn  ^ßolen  in  prophe* 
tifchen  äöorten  öor  klugen  geführt,  fowie  burch  bit  immer  weiter 
gehenben  Slmnajsungen  beö  5lbel£  fo  fehr  an  jebem  erfolgreichen 
ÄUrfen  gehemmt,  baß  er  am  19.  Sluguft  1668  bie  Ätone  nieber- 
legte.  ©r  50g  fich  nach  granfreich  $urücf,  wo  er  im  Qahrc  1672 
ald  3lbt  be3  ÄlofterS  beä  ^eiligen  Martin  $u  9leüer3  ftarb. 

3)ie  SSaht  eines  neuen  ftöntgS  führte  fo  heftige  ©treitigfeiten 
herbei ,  bafc  mehr  als  einmal  baS  2Baf)lfelb  in  ein  förmliches 
©djlachtfelb  auszuarten  brohte,  unb  nur  bem  energifchen  Auftreten 
beS  $honf elbhcrrn  3ohann©obieSfi,  ber  eben  öon  einem  fieg* 
reichen  gelbjug  gegen  bic  rebetti)chen  Äofafen  jurüefgefchrt ,  fyattt 
man  cd  $u  öerbanfen,  baß  öerjehiebene  blutige  Auftritte  fich  ™fy 
in  allgemeine  kämpfe  öerwanbeltcn.  (Srft  am  19.  %üni  1669, 
fedjä  SBochcn  naa)  ber  Eröffnung  bed  SBahltagS ,  würbe  ein  pol- 
nifchcr  ©belmann,  Michael  SBidnowieafi,  als  Sßachfomme  jened 


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$oIen  in  ber  jroeitcn  §älfte  be3  ficb^cfjntcn  3a^r^unbcrt*.  227 


littf)auifdjen  gürfteu  ßorübut ,  ber  wäfjrenb  ber  $ufitenfriege  eine 
,3eitfang  über  Siemen  gefjerrfcfjt  (f.  Öb.  IV,  6.  433),  $um  £önig 
gewählt.  $)a  er  fclbft  füllte,  bag  er  ber  feiner  fjarrenben  Aufgabe 
in  feiner  Söeife  gemadt)fen  war,  weigerte  er  fidj,  bie  Jerone  angu* 
nehmen;  man  brang  jebod)  fo  lange  in  ifm,  bid  er  nachgab. 

Unter  2Hid)ael3  fd)Wad)er  Regierung ,  bie  $u  feinem  eigenen 
tuie  $u  dolens  ÖJIücf  nur  oier  Qatyre  bauerte ,  ba  er  fdjon  am 
10.  Ücoüember  1673  ftarb,  f)errfd)te  nidjt  nur  imSnnern  bie  jügel* 
Iofefte  Anordne ,  fonbern  ba$  Üieicf)  mar  audj  t>on  2lu§en  burd) 
ben  ©ultan  9ttol)amineb  IV.,  beffen  (Efcfmfc  ber  empörte  ®ofafen* 
Häuptling  SJorojenfo  angerufen,  auf  ba3  ©djmerfte  bebrängt.  ©0)on 
hatten  bie  Staaten  bed  ©ultanS  ben  $olen  ^ßobolten  mit  ber 
widrigen,  für  unüberwinbltd)  gehaltenen  S^ftung  ®aminiec$  ent- 
riffen  unb  ftanben  im  begriffe,  in  ba8  3nnere  be3  Sanbeä  einju* 
bringen,  als  ©obieSfi  ilmen  bei  ©fjoejim  eine  blutige  Sfticbcrlage 
bereitete,  burd)  welche  fie  511m  9*ücf$ug  genötigt  mürben.  2)er 
dlufym  btejeS  $age3  mar  eä  ^auptiäa)lia) ,  was  bie  SBafjl  ber 
Magnaten  auf  ben  l)elbenmütf)igen  ©obieöfi  leitete;  am  21.  Sttai 
1674  mürbe  berfelbe  als  3o^ann  III.  jum  &önig  öon  *ßolen 
aufgerufen. 

5ßon  bem  SSafjlfelbe  eilte  ©obieöfi  fogleidj  auf  ben  ®rieg$= 
fdmuplafc  jurücf  unb  cr^ötjte  ben  ©laitj  feines  Ramend  burdj  eine 
SHeilje  neuer  glorreicher  Siege.  Slber  Langel  au  SebenSmitteln, 
fomie  baS  Ausbleiben  ber  erwarteten  Skrftärfungen  unb  bie  geraak 
tigen  £>eereSmaffen ,  bie  ber  ©ultan  Ujm  ftetS  aufs  SReue  entgegen 
warf,  nötigten  ifm  im  3ahrc  1676,  mit  ber  Pforte  einen  Vertrag 
ab$ufdjlie&en ,  traft  beffen  ^obolten  mit  ber  Seftung  ftaminiecj  in 
ben  £änben  ber  iürfen  blieb. 

9tad)bem  fcd)S  galjre  lang  bie  SSaffen  geruht  Ratten,  rief  bie  $3e= 
brangniö  SSienS  burd)  bie  Xürfen  ben  ^oa^^erjigen  ©obieSfi  ju 
neuen  %fyattn.  Dbmofjl  er  fidj  nad)  ber  Einnahme  öon  ®ran 
(f.  <S.  19)  öon  ben  $aif erliefen  getrennt,  fefcte  er  ben  Stampf 
gegen  bie  dürfen  fort;  bod)  ^tnberten  ilm  bie  Sftänfe  einer  oon 
Üubwig  XIV.  gewonnenen  Partei ,  fowie  ber  vJleib  öieler  (SJrojjen 
an  bebeutenben  Unternehmungen.  Um  bie  Unterftü&ung  sJiuf$lanbS 
gegen  bie  Xürfen  $u  gewinnen ,  ging  er  im  3at)rc  1686  auf 
&erwanblung  beS  SBaffenftiflftanbeS  öon  5Tnbruffow  in  einen  befind 
tioen  grieben  ein  (f.  ©.  218).  $ie  ifrat  oon  Sftujjlanb  juge jagte 
£tlfe  blieb  jeboet)  aus,  unb  fo  gelang  es  if)m  bei  ber  ÖJeringfügig= 
feit  ber  mm  bem  9teid)Stag  bewilligten  Öclbmittel  nicht ,  fidj ,  wie 
er  gehofft ,  burd}  Eroberungen  an  ber  türftfehen  (iJrenje  für  ben 
23erluft  ber  bauernb  an  SKu&lanb  übergegangenen  polnifa^en  (Ge- 
biete ju  entfajäbigen.  ®o  gering  jebod)  aua)  bie  ©rgebniffe  feiner 
testen  &elb3üge  gegen  bie  Ungläubigen  im  Vergleiche  ju  ben  früheren 

15* 


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228      $olen  in  ber  jmcitcn  $«ftc  beS  ftcbjc^ntcn  3af)rljunbert3. 

glänjenben  (Srfotgen  feiner  SBoffen  waren,  fo  gemährten  fte  bod> 
bem  $aifer  ben  ©ortfjeil,  ba§  burd)  biefetben  ein  %\)t\l  ber  türfifdjen 
©treitfräfte  befdjaftigt  mar  unb  inSbefonbere  bie  Xataren  fid)  ba* 
burdj  an  einem  @infaß  in  Ungarn  ge^inbert  fafjen. 

Qm  3nnern  beä  9leid)e§  fjatte  ©obieäft  mit  ben  gleiten 
©djwierigfeiten  ju  fämpfen,  tüte  fein  Vorgänger.  Xrofc  ber  uner- 
mübtichften  2(u3bauer  in  feinem  (Streben,  bie  entfdjwunbene  ©runb* 
läge  eine«  georbneten  ©taatöwefenS  ^aufteilen,  gelang  eä  il)m 
rndjt,  mit  ben  öon  ifmt  beabfidjtigten  Reformen  burcfoubringen ; 
benn  Wenn  auch  einmal  ein  ^Reichstag  nach  enblofen  SBerhanblungen 
in  feine  SBorfchläge  einwilligte,  fo  t)atte  ber  folgenbe  nichts  (Eifrigere« 
ju  thun,  als  bie  gemachten  SuQcftanbniffe  jurücfjune^men.  ©benfo 
erfolglos  wie  feine  SJieformbeftrebungen  blieben  ©obteäfi'a  ©e^ 
mühungen,  bem  älteften  feiner  brei  ©öfme  nod)  bei  feinen  Sebaei* 
tcn  bie  Thronfolge  fidjern  ju  Iaffen ,  theilö  weil  ber  Slbel  barin 
eine  Beeinträchtigung  feine«  freien  SBahlredjtS  erblitfte,  tf)eite  weil 
ßubwig  XIV.  ihm  insgeheim  entgegen  arbeitete. 

(£3  war  bem  ebien  ©obieäfi  nicht  belieben,  ben  2lbfd)lu&  be& 
grtebenä  öon  ®arlowifc  $u  erleben ,  ber  *ßolen  baä  oerlorene  *ßo* 
bolien  mit  ^aminiecj  juriidgab:  er  erlag  am  27.  Quni  1696  im 
Hilter  oon  gWeiunbftebjig  Söhren  einem  ©d)laganfall. 

9cad)  bem  $obe  ©obieSfi'S  erneuerten  fid)  bie  SSahlunruhen, 
unb  fo  fefjr  wichen  bie  Meinungen  unb  3ntereffen  ber  polnifchen 
©rofjen  öon  einanber  ab,  baß  ber  SBahltag  erft  am  15.  Sftai  1697 
eröffnet  werben  fonnte.  SSon  ben  oerfdnebenen  Bewerbern  behielt 
bcr  Äurfürft  Sriebrich  Wuguft  II.  oon  ©achfen,  wegen  feiner  uttge* 
wöfmlichen  ®örperfraft  „ber  ©tarfe"  genannt ,  ber  ^weite  ©ofjn 
be«  Äurfürften  ®eorg  III.  unb  ber  ©ruber  be«  im  3a^re  1694 
oerftorbenen  Shtrfürften  ©eorg  IV.,  bie  Dber^anb,  weit  er  fid)  am 
greigebigften  in  ©elbuerfprechuitgen  gejeigt.  $5a§  bie  ©öhne  ©o= 
bie$fi'3  umgangen  würben ,  hatte  feinen  (Drunb  ^auptfä^Uc^  in 
ber  Abneigung  ber  Sßolen  gegen  bie  oerwittwete  Königin,  bie  efyr- 
geijige  ättaria  ®afimira  b'3trquien,  eine  granjoftn,  bie  mit  SDcarta 
oon  9koerä  unb  ÜRantua,  ber  (Bematjlin  2Slabt3law$  IV.,  nad)  ^o- 
len  gefommen  unb  burd)  ihre  föänfefudjt  unb  £errfchbegierbe  nicht 
wenig  baju  betgetragen,  ©obieSft'3  ©tetlung  ju  erfd^weren,  wie  fie 
fid)  auch  burd)  ihren  ©tolj  unb  it)re  Slnma&ungen  bie  &erjen  ber 
ebelften  $olen  entfrembet  hatte. 

9iad)bem  bcr  Jhirfürft  Sluguft  II.  burd)  feinen  Uebcrtritt  jur 
fatholifdjen  Sirdje  baä  lefcte  $)inbcrnig  hinweggeräumt,  ba«  feiner 
(£rt)ebuttg  auf  ben  polnifa^cn  i^ron  nodj  im  Segc  geftanben,  würbe 
er  am  28.  3m"  1697  Jum  Äönig  oon  s$oIen  gewählt  unb  am 
15.  ©eptember  ^u  Pratau  gefrönt.  Qu  feinem  eigenen  wie  $u 
^otcnS  llttglücf  hatte  er  bei  feiner  38a(j(  bie  Verpflichtung  über^ 


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2){inemarf  unter  griebndj  III.  unb  (Eljriftfan  V. 


229 


nommen,  bic  an  ©djmeben  abgetretenen  polmfchen  *ßroöinjen  jurücf 
^u  erobern  —  eine  Verpflichtung ,  bie  ihm  felbft  baä  üeben  öer* 
bittern  unb  ^olen  mehr  unb  mef)r  feinem  Untergang  entgegen* 
führen  fottte. 


X. 

<P<mematft  unter  $thM$  III.  (1648-1670)  ttttb  $)xift\au  V. 

(1670-1699). 

Mi  (Xfjriftian  IV. ,  ber  fdjon  im  Hilter  öon  elf  Sauren  ben 
Ifyxon  beftiegen,  im  3at)re  1648  nach  fedföigjähriger ,  öielbemegter 
Regierung  ins  ÖJrab  gefunfen  mar,  Ijieft  fid^  ber  SIbel,  in  golge 
ber  öon  ihm  ausgegangenen  (Erhebung  grtebrichä  I.  gegen  (£hri* 
ftian  IL,  jur  2Baf)l  unb  ©eftätigung  be3  neuen  Königs  berechtigt; 
bat)er  mußte  griebrich  III. ,  ber  6ofnt  ©hriftianS  IV. ,  ehe  er  ben 
Ifyton  befteigen  burfte,  eine  SSahttapttulatton  unterzeichnen ,  in 
welker  bem  2lbel  fo  bebeutenbe  Vorrechte  $ugeftanben  mürben ,  ba§ 
bie  fonigttche  ©emalt  jum  Mögen  ©Ratten  herabgebrüeft  mar. 

Xrofc  ber  ©rfdjöpfung ,  bie  (£hriftian3  IV.  Kriege  für  $äne* 
ntarf  jur  golge  gehabt,  glaubte  griebrich  III.  ben  Slugenblicf,  mo 
fein  länberfüchtiger  Watybat  $arl  ©uftaö  öon  ©chmeben  s$olen 
mit  ftrieg  überwogen,  ju  einem  $erfud>e  ber  SBiebereroberung  ber 
an  ©chmeben  öerlorenen  Gebiete  benufcen  ju  müffen;  er  fanbte 
t>egr)alb  ber  öon  $arl  ©uftaö  blocfirten  ©tabt  S)anjig  feine  glotte 
gu  £üfe  unb  lieg  jugleidj  ein  £>eer  in  ba3  ben  ©chmeben  ge- 
hörige ^perjogthum  ©remen  einrüefen.  9luf  bie  ®unbe  öon  biefem 
feinblidjen  Vorgehen  be$  Königs  öon  $)änemarf  brach  ®arl  ®uftaö, 
ber  eben  in  ßitthauen  ftanb,  fogleidj  mit  bem  größten  Xhcile  feines 
Speeres  ju  einem  9iachejuge  gegen  griebrich  auf  (3uni  1657). 
Söährenb  fein  gelbfjerr  ßarl  ©uftaö  Sörangel  bie  $)änen  aus 
ben  fchmebifchen  SBefergegenben  öertrieb ,  brang  er  felbft  fiegreidj 
in  bie  bänifche  ^palbinfel  ein  unb  $mang  ben  geinb  $um  Sftücfyug 
nach  ben  Qnfeln.  S)ie  SRatur  felbft  fdnen  feine  (SroberungSpläne 
begunftigen  $u  motten;  benn  ber  SBinter  brachte  eine  fo  unge* 
tuöhnlicfje  £ alte ,  bafj  bie  beiben  93cltc  jufroren ,  fo  baß  man  ju 
gufce  auf  bem  (£ife  öon  Qütlanb  nach  günen  unb  öon  bort  nach 
©eelanb  hinüber  gehen  fonnte.  2ftit  einem  Speere  öon  jmölftaufenb 
SJtonn  unternahm  ber  üermegene  $riegShelb  im  Januar  1658  ben 
3wg  über  baä  GiKS,  mobei  jmei  öottftänbige  Kompagnien  einbrachen 
unb  ertranfen,  bemächtigte  fid)  ber  3nfeln  günen,  £angelanb  unb 


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230 


$änemarf  unter  griebridj  III.  unb  (Sfjriftian  V. 


fialanb  unb  erreichte  ©eelanb,  nadjbem  er  ben  deinen  auf  bem  (£ife 
ein  treffen  geliefert. 

$a  griebrier;  III.  bei  ber  ©eringfügigfeit  ber  ©treitfrafte,  bie 
ifjm  jur  SBertljeibigung  ber  §auptftabt  ju  (Gebote  ftanben,  an  Söiber- 
ftanb  nict)t  benfen  fonnte,  mußte  er  fid)  jum  grieben  entfließen, 
ber  naa)  furzen  Unterljanblungen  am  26.  gebruar  1658  gu  9toe3* 
filbe  gefefjloffen  rourbe.  $änemarf  trat  in  bemfelben  an  ©djroeben 
bie  sßrotnnjen  ©dwonen  unb  Fleringen  mit  ben  umliegenben  Snfeln, 
bie  normegifdje  Sanbfdjaft  ©a()u3  unb  ba3  ©tift  $rontf)eim,  fonne 
bie  Qnfel  Söornfjolm  ab  unb  leiftete  für  immer  auf  £aflanb  SBerjidjt. 
Sugleidj  mürbe  für  ben  $>erjog  griebrid)  III.  üon  £oflftein*$ottorp, 
ben  ©djttriegcrbater  ®arl  ©uftaoä,  bie  Aufhebung  be3  ßef)en3ber* 
f)äftniffe3  $u  SJänemarf  auSbebungen. 

$er  griebe  oon  9toe$filbe  mar  jebodj  nur  ein  furjer  Soffen* 
ftiOftanb;  benn  faum  mar  berfelbe  gefdjlojfen,  als  #arl  ©uftat«  bei 
bem  ©cbanfen,  baß  er  aus  ber  oollftänbigen  ftilflofigfeit  £äne« 
marfS  ungleich  größere  Sßortfjeite  t^ättc  jieljen  fönnen,  SReue  über 
feine  Uebereilung  empfanb.  föafd)  entfdjloffen,  baS  Skrfäumte  naa> 
juljolen,  ließ  er  feine  Gruppen  auf  ben  bämfcfjen  3nfeln  ftct)en 
unb  erfeffien  unermartet  am  8.  STuguft  1658  mit  einem  ja^reia^en 
£eere  jum  anberen  Wlak  auf  ©eelanb.  2tlö  griebridj  III.  üjn 
fragen  ließ,  ttrnä  iljn  gu  biefer  SBerlefcung  be3  SSötfcrrccfjtä  berea> 
tige,  ließ  if>m  ber  lönbergierige  ©djmebentönig  bie  Hntmort  §u* 
fommen:  roenn  er  Eänemarf  erobert  tjabe,  roerbe  e3  if)m  nia)t 
ferner  merben,  feine  iRccr)te  barauf  ju  beroeifen. 

3nbeffen  Ijatte  bie  (Jntrüftung  über  ben  SBortbrucf;  #arl 
©uftaöä  unter  ber  Söeöölferung  oon  ßopentyagen  ben  einmütigen 
©ntfc^luß  roadjgerufen,  bem  ®önig,  ber  meber  öon  gluckt  noefj  oon 
Ergebung  reben  tjören  nMte,  mannhaft  jur  ©eite  ju  ftef)en  unb 
für  bie  SBertfjeibigung  ber  $auptftabt  ©ut  unb  33lut  ein$ufefcen.  ©o 
fonnte  griebrid),  als  $arl  ©uftaü  gegen  ftopenlmgen  fyeranrürfte, 
bie  Wufforberung  beSfelben  $ur  Ucbergabe  ber  ©tabt  mit  ber  Grr* 
flärung  jurüefmeifen :  er  roerbe  ifjm  an  ber  ©pifce  feiner  Unter- 
tanen entgegen  gefjen  unb  fein  Seben  treuer  öerfaufen. 

Wie  cinft  ^artfyago  unb  ßonftantinopel,  fo  rüftete  ftcfj  bie 
bänifdje  ^auptftabt  jum  SBerjmeiflungafampf  für  ifjr  eigenes  unb 
be3  ßanbeä  SJafein.  Sittel  griff  ju  ben  SBaffen,  unb  ?Rcicr)§rätf)cr 
£of!eute,  ©eiftlidje,  ^aufteilte,  ^anbroerfer  unb  ©tubenten  mett* 
eiferten  mit  einanber  in  ben  angeftrengteften  Arbeiten  auf  ben  2S allen ; 
felbft  SBeiber  unb  &inber  beteiligten  fid)  an  benfelben.  3)er  $önig 
bot  feinerfeitä  2llle$  auf,  um  bie  Dpfermifligfeit  feiner  Untert^ancn 
jit  erljö^en.  (£r  ermeiterte  bie  ^Srioilegien  ber  ©tabt,  erteilte  ben 
löürgem  ba«  9ied)t,  abelige  ©üter  ju  ermerben,  geftattete  ifynen  ben 
Zutritt  ju  allen  öffentlichen  Slcmtern,  Wenfte  ben  ©runbftütfcn  ber 


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$«nemarf  unter  gricbrtrf)  III.  unb  (Sfjrifticm  V. 


231 


• 

Bürger  abelige  greiheiten  unb  öerfpracf)  ben  Sapferften  öon  ihnen 
bic  Srfjebung  in  ben  2Ibet3ftanb. 

3n$mifdjen  fyattt  föaxl  ©uftaö  bic  roidjtige  gefrung  Urenberg 
erobert  unb  mar  baburd)  in  ben  Bcfi$  bebeutenber  $rieg3üorräthc 
gefommen.  er  entlia)  am  6.  (September  bie  Belagerung  Don 

Kopenhagen  eröffnete,  fanb  er  ben  Ijartnätfigften  SBtberftanb;  bie 
belagerten  matten  überbieä  häufige  Sluäfälle  unb  jerftörten  babei 
roieberhott  bie  öon  ben  ©djmeben  angelegten  Batterien.  $er  9J?utfj 
ber  Belagerten  ftieg,  als  es  im  9*oöember  1658  einer  hoflänbtfdjen 
§tff3fIotte  nad)  einem  ^artnarfigen  ©efed^t  mit  ber  fdm)cbifd)en  ©ee* 
macfjt  gelang,  bie  $urdjfafjrt  burd)  ben  ©unb  ju  erfämpfen  unb 
äflannfebaft  unb  fiebenämittel  in  bie  ©tobt  ju  bringen.  SBäfjrenb 
beS  ©intern  entftanb  jmar  in  berfelben  neuer  Langel  unb  Slotr) 
mandjerlei  &rt;  bie  Bürger  blieben  jebodj  unöerjagt  unb  fähigen 
am  9.  unb  11.  gebruar  1659  bie  ^eftigften  ©türme  ber  ©djroebeu 
mit  ber  rufjmmürbigften  Xapferfeit  jurütf. 

Unterbeffen  Ratten  audj  bie  Ütorroeger,  benen  ber  König  gfeidj* 
faH3  gro§e  Belohnungen  für  ihre  Beteiligung  an  bem  Kampfe  in 
9lu3fid)t  geftellt,  bie  SBaffen  gegen  bie  ©djtoeben  ergriffen.  Xie 
(Sinroohner  öon  $rontheim  unb  ber  3«fet  Bornhotm  toarfen  ba3 
öerha&te  fdjmebifd)e  3°$  öb  unb  öertrieben  bie  fremben  Beamten 
unb  Kriegäleute.  2(ud)  I)atte  ber  ^elbenmütbige  SBtberftanb  ber 
$>auptftabt  ben  ©egnern  ©djroebenS,  bem  Kaifer,  bem  Kurfürftcn 
öon  Branbenburg  unb  bem  König  3°^ann  Kafimir  öon  $o!en, 
Seit  üerfdwfft,  bem  König  öon  5>änemarf,  ber  fidj  in  feiner  Be* 
brängnifj  an  fie  getoanbt,  ju  £>iffe  gu  fommen.  (SHn  auS  Bran~ 
benburgern,  £5efterreid>ern  unb  ^oten  befteljenbeS  £eer  öon  jtoeU 
unbbretjjigtaujenb  Sftann,  Da$  unter  ber  gührung  beä  Kurfürften 
öon  Branbenbnrg  in  £>olftein  erfaßten,  öertrieb  bie  ©djmeben  au» 
bem  bänifchen  geftfanbe  unb  mürbe  ohne  3mcifel  öoflftänbige 
Befreiung  $änemarf3  bemerfftefligt  ^aben,  ptte  nid)t  bic  etnge- 
tretene  ftrenge  Kälte  bie  Ueberfa^rt  ber  Xruppen  nadj  ben  Snfeln, 
ju  melier  grtebrich  III.  ihnen  feine  glotte  gefanbt,  unmöglid)  ge* 
madjt.  Qm  folgenben  3°^rc  Wng  *w  branbenburgifcb'-polnifd)eö 
Korps,  baS  auf  h°öänbifdjen  ©Riffen  nad)  günen  übergefefct,  im 
Bereine  mit  fedjätaufenb  £änen  bei  Ukeborg  eine  fdjroebifrf)c 
£>eere$abtheUung  fo  ooflftänbig,  ba&  nur  SBenige  entfamen.  $a 
jebodj  bc  !Rut)tcr ,  ber  Befehlshaber  ber  hoflänbifdjen  glotte,  fict) 
weigerte,  bie  ©ieger  nadj  ©eelanb  überzufahren,  inbem  bic  ^ottänber 
nur  SJänemarfS  üoüftänbige  Bemidjtung  fnnbem,  ü)m  °btt 
§u  einem  öortheilhaften  grieben  verhelfen  toollten,  fonnte  ^ar( 
©uftao,  tro^  beS  ungünftigen  Berlauf«,  ben  injnrifdjen  ber  ^rieg 
in  s$oIen  für  ihn  genommen,  bie  Belagerung  öon  Kopenhagen  fort= 
fegen.    @rft  nachbem  er  am  23.  gebruar  1660  ju  Rothenburg  im 


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232  $nnemavf  unter  ftriebrich  III.  imb  dljrtftian  V. 

• 

Hilter  öon  fcd&^unbbrcigtg  fahren  einem  bösartigen  gieber  erlegen, 
r)attc  bie  93ebrängni&  ber  bänifdjen  £>auptfiabt  ihr  ßhtbe  erreicht. 
2Cuf  feinem  ©terbebette  hatte  er  fetner  ©emahlin,  melier  bie  r»or* 
munbfchaftliche  Regierung  für  ben  merjährigcn  X^ronerben  Karl  XI. 
jufiel,  bringenb  anempfohlen,  nach  feinem  Xobe  einen  rafdjen  grie* 
ben  mit  5)änemarf  ju  fdjlie&en.  $)erfelbe  fam  am  27.  9ttai  1660 
nt  Kopenhagen  ju  ©tanbe  unb  mar  im  ungemeinen  nur  bie 
Söeftätigung  beS  griebenS  öon  föoeSfilbe;  bie  einzige  für  $>änemarf 
gunftigere  ©ebingung  war  bie  2kr$tdjtleiftung  ©chwebenS  auf  ben 
Söefife  öon  3>rontheim  unb  Söornholm. 

3)er  $elbenmuth  unb  bie  ©ntfchloffenbeit,  bie  griebrich  III. 
Wäljrenb  beS  fchwebifchen  Krieges  an  ben  Xag  gelegt,  falten  i^m 
in  fahem  ©rabe  bie  Siebe  unb  baS  Vertrauen  feiner  Unterthancn 
erworben.  3nSbefonbere  §eigte  ftdj  bie  ©ürgerfchaft ,  bie  in  ben 
ferneren  $rangfaten  biefeS  KtiegeS  ben  in  fchläffer  Unthätigfeit 
öerharrenben  2Tbet  burch  bie  aufopfernbfte  Eingebung  an  König  unb 
Söaterlanb  befdjämt  hatte,  öon  biefen  ßtefühlen  bura^brungen.  da- 
gegen mar  ber  Slbcl  unöorfichtiq  genug,  nicht  nur  feinen  Unwillen 
über  bie  SBergünftigungen,  welche  ber  König  ber  53ürgerfchaft  mäh' 
renb  ber  Belagerung  öon  Kopenhagen  bewilligt,  offen  ju  jetgen,  fon* 
bem  fogar  Sßcrfuche  ju  machen,  ihr  biefelbeu  $u  öerfürsen  unb  ju 
öerfümmern.  $aburch  war  jmifchen  beiben  ©täuben  eine  ©pan* 
nung  entftanben,  bie  ju  einer  gänzlichen  Umgeftaltung  ber  bänifcf>en 
SJerfaffung  Skranlaffung  gab. 

2luf  bem  Reichstag,  ben  ber  König  $ur  Beratung  über  bie 
Befeitigung  ber  burch  ben  Krieg  erzeugten  ginanjnoth  auf  ben 
10.  (September  1660  nach  Kopenhagen  jufammenberufen,  fefcte  ber 
Söürgerftanb  unter  Sflitwirfung  ber  (JJetftlichfeit,  trofc  beS  anfäng* 
liehen  2ßiberfpruchS  ber  ©belleute,  nicht  nur  bie  Aufhebung  ber  SBahl* 
fapttulation  burch,  o"f  welcher  bie  #errfchaft  beS  SlbclS  beruhte, 
fonbern  jwang  auch  *>en  lefcteren  burch  feine  entfehiebene  Haltung, 
ju  ber  Söertoanblung  $änemarfS  in  eine  (Srbmonarchic  feine  3u- 
ftimmung  ju  geben.  91m  13.  Dftobcr  1660  erflärten  fämmtliche 
©tänbe,  ben  föeichSrath  an  ber  ©pifce,  in  einer  öom  König  ge* 
gebeneu  Wubienj  baS  Sahireich  für  aufgehoben.  Sei  ber  $e* 
rathung  über  bie  grage,  was  an  bie  ©teile  ber  bisherigen  SBaht* 
fapitulation  §u  fefcen  fei,  führte  bie  Beforgniji  öor  einem  heftigen 
Kampf  jmifchen  bem  $lriftofratiSmuS  unb  bem  S)emofratiSmuS  ju 
bem  bie  urfprüngliche  21bftcht  ber  Bürgerfdjaft  weit  übetfehreitenben 
Söcfchug,  WUeS  öoH  ©ertrauen  in  bie  #anb  beS  Königs  ju  legen. 
9iachbem  bie  KapitulationSurfunbe  feierlich  öentichtet  worben,  nahm 
griebrich  III.  am  18.  Dftober  öon  ben  ©tänben  bie  neue  $ul* 
bigung  als  erblicher  ^errfcher  entgegen.  Um  jeben  Bwctfel  über 
bie  SRechtmäßtgfeit  beS  ®ejchehenen  ju  befeitigen,  erliefen  bie  ©tänbe 


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$änemctrf  unter  griebridj  III.  unb  Gfjrifticm  V. 


233 


eine  Srflärung,  in  melier  fie  bie  öottc  unb  unumicfjränfte  Gemalt 
ber  ftrone  auäbrücflid)  anerfannten. 

©o  mar  griebridt)  III.  burd)  bic  fogenannte  „bänifdje  föebo* 
lution"  abfoluter  #errfd)er  geworben;  aber  er  jeigte  fid)  be$  $er* 
trauend  feinet  SBolfe*  nidjt  unmürbig.  Um  ber  Söieberfeljr  älwUdjer 
Gefahren  boraubeugen,  mie  ber  Icfcte  $rieg  gegen  ©djmeben  fie  für 
$änemarf  fjeraufbefdjmoren,  errichtete  er  ein  fteljenbe*  $eer  oon 
trierunbjmanaigtaufenb  Mann.  $te  bem  ßanbe  nadjtf)eiligen  Mbelä* 
öorredjte  Imb  er  auf;  bod>  ging  er  babei  mit  großer  ©ajonung  §n 
Söerfe,  hrie  er  aud)  in  feinen  übrigen  Reformen  s)hd)t$  überftürjte. 
$et  föeic&äratl),  ofme  beffen  guftimmung  er  früher  meber  ftrieg  be* 
ginnen  nod)  grieben  fließen,  nodj  ©ünbniffe  eingeben,  ja  felbft 
nidjt  einmal  außerhalb  be3  SReidjeä  reifen  fonnte  unb  beffen  S3e= 
fdjlüffe  aud)  olme  föniglidje  Genehmigung  Giltigfeit  gehabt,  mürbe 
in  eine  beratt)enbe  S3c^orbe  oermanbelt,  ber  feinerfei  ©ntfdjeibung 
^uftanb.  2)a  nunmehr  alle  9tegierung3getoalt  auSfdjließlid)  in  ben 
Rauben  beä  $öntg&  lag,  fo  baß  er  Gefefce  geben  unb  aufgeben, 
$rieg  erflären  unb  grieben  fließen,  Steuern  auflegen  unb  über* 
fjaupt  Med  im  fianbe  nad)  feinem  alleinigen  SBiöen  regeln  fonnte, 
mar  bon  einer  3ufammenbcrufung  ber  ©täube  feine  9tebe  mefjr. 

2)ie  bon  griebridj  III.  im  Qafjre  1665  erlaffene  neue  Ster* 
faffungäurfunbe,  ba§  fogenannte  „®önig£gefefc1',  ba3  jebod)  erft  bei 
ber  Krönung  feineä  ©ofme3  ßfjriftian  V.  publicirt  mürbe,  ber* 
tnüdjtete  bie  Könige,  bei  ber  2(ug§burgifdjen  CSonfeffion,  als  bem 
Glauben  be3  Sanbeä,  ju  beharren  unb  ifjre  Untertanen  ju  berfel* 
ben  anzuhalten. 

griebridjS  III.  ©ofyn  unb  Üftadtfolger  ,  (£  fj  r  i  ft  i  a  n  V., 
(1670 — 1699),  ein  länberfüa^tiger  gürft,  geriet^  megen  ber  feit 
bem  3a^re  166?  erlebigten  Graffdjaften  Dlbenburg  unb  Deimern 
fjorft,  bie  fein  SBater  in  Söeftfc  genommen,  in  einen  ©treit  mit 
bem  £er$og  (Sfjriftian  $Hbred)t  oon  $olftein=Gottorp ,  ben  ber 
lefcte  Graf  oon  Clbenburg  $um  Sttiterbcn  emgefefct.  S)a  ber 
$>er$og  ein  Söünbniß  mit  ©djtoeben  gefdjloffen,  nafjm  tt)n  (Efjri* 
ftian  V.  bei  einer  gufammenfunft  Leiber  gefangen  unb  gtoang 
ifm,  i^m  in  bem  fRenbäburger  Vertrag  (10.  3uli  1675)  feine 
geftungen  abzutreten  unb  auf  bie  buref)  ben  grieben  oon  9ioe$filbe 
erlangte  ©oubetänttät  ju  Oermten.  Srft  im  3al)re  1689  erhielt 
Gfjriftian  Sllbredjt  buret)  ba3  $a$mifd)entreten  (SnglanbS,  $oflanb$, 
©dnrebenä,  SranbenburgS  unb  ber  braunfd)meigifdjen  £>er$oge  in 
bem  Slltonaer  SBergleidj  feine  93efifcungen  nebft  ber  ©ouoeränität 
jurücf.  S3on  bem  olbenburgifdjen  @rbe  oerblieb  bie  &älfte  bem 
Äönig  oon  $änemarf. 

2Bät)renb  beä  jmeiten  Sroberungäfriegeä  Submig«  XIV.  fd)loß 
fic^  e^riftian  V.,  wie  mir  oben  (©.  74)  gefeljen,  an  ben  ^ur= 


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234 


Stfnemarf  unter  frriebricf)  III.  unb  Sfjrifticm  V. 


fürften  Sriebrid)  SBilhelm  öon  Söranbenburg  ju  gemeinfamet  SBe- 
fämpfung  bcr  ©djmeben  an,  in  bcr  Hoffnung f  fich  für  bic  in  ben 
griebenSfcfjlüffen  öon  SRoeSfilbe  unb  Kopenhagen  erlittenen  SBerlufte 
fdjabloS  galten  }tt  tonnen,  unb  errang  in  ber  Xfyat  nicht  unbebeu* 
tenbe  (Erfolge ;  boch  würbe  er  nach  beut  $lbfchlu&  beS  griebenS  öon 
SRnmmegen  burdj  einen  Einfall  fran^öfifchcr  Xruppen  in  fein  olben* 
burgifdjeS  (Gebiet  ju  bem  Vertrag  öon  ß  u  n  b  gejmungen ,  in  mel^ 
djem  er  ben  ©djmeben  olle  feine  Eroberungen  jurücfgcben  mußte. 
(Sbenfo  erfolglos ,  tt>ie  feine  Unternehmungen  gegen  ©chmeben,  blie* 
ben  feine  Bemühungen ,  bie  ©tabt  Hamburg ,  in  beren  9ßäf)e  fein 
SSater  jur  93efcf)ränfung  beS  Hamburger  $anbelS  bie  <5tobt  211  = 
t  o  n  a  angelegt ,  burdj  SBaffengemalt  $ur  5(nerfennung  ber  bänifdjen 
^errfdjaft  ju  jmingen. 

3n  feinen  erften  föegierungSiahren  ftanb  (£f)riftian  V.  in  bem 
öon  ihm  jum  trafen  öon  ®reifenfelb  erhobenen  $eter  ©chuh* 
madjer,  bem  ©ohne  eines  SBeinhänblerS  in  Kopenhagen,  ein  treffe 
lia)er  Sftinifter  jur  ©eite.  tiefer  h^üorragenbe  Wann  ,  ber  fidj 
burdj  feine  feltcnen  ®eifteSgaben  unb  reiben  Kenntniffe  fchon  bie 
®unft  gricbricfj«  III.  ermorben  f)attt  unb  unter  Ghnftian  V.  öon 
einer  ©hrenftefle  jur  anbern  emporgeftiegen  War,  mürbe  öon  feineu 
zahlreichen  Leibern  beS  SflifjbrauchS  ber  ihm  übertragenen  ®emalt 
befdjulbigt  unb  bem^ufotge  unter  ber  Slnflage  beS  £>ochöerrathS 
öerhaftet.  Obgleich  feine  ©chulb  nicht  crttriefen  merben  fonnte,  lau- 
tete  ber  (Spruch  ber  dichter  auf  ben  $ob ,  unb  ber  König  beftä* 
tigtc  baS  Urtheil.  ©dion  ftanb  ber  ®raf  auf  bem  SBIutgerüfte,  unb 
baS  ©chmert  beS  £>enferS  mar  über  ihm  gefchnnmgen,  als  ihm  Oer* 
fünbet  tourbe,  ber  König  h<*&e  aus  (SJnabe  bie  XobeSftrafe  in  le= 
benSlängücheS  ©efängnig  öermanbelt  (1676).  Smciunbsmanaig  3ahre 
lang  fchmachtete  er,  jebeS  Littels  ber  SBefchäftigung  unb  3er* 
ftreuung  beraubt,  in  enger  #aft  auf  bem  Stoffe  äJtuittyofat,  bis 
ihm  im  3af)re  1698  bie  greifet  jurücf gegeben  mürbe,  ©djon  im 
folgenben  Qahre  ftarb  er,  fur$  öor  bem  König,  ber  ben  Solgen  einer 
auf  ber  Qagb  erhaltenen  Söunbe  erlag. 

Qn  feinen  legten  9tegierungSjahren  mar  Shnftian  V.  mit  bem 
$erjog  Sriebrich  IV.  öon  £>olftein=(5Jottorp ,  bem  ©ohne  (£hriftian 
Wibrechts  unb  ©chnriegerfofme  Karls  XI.  öon  ©cfjmeben,  in  einen 
3mift  gerathen,  in  melchem  bcr  $>er$og  bei  feinem  ©chmiegeröater 
unb  nach  beffen  Xobe  bei  feinem  ©chmager  Karl  XII.  ©eiftanb 
gefunben.  $)tefe  Unterftüfcung,  fomie  ber  SBunfch,  bie  an  ©chmeben 
oerloren  gegangenen  ^roöin^en  mieber  ju  erobern ,  bemogen  &)xi'> 
ftianS  V.  ©ofm,  griebrich  IV.,  ber  am  25.  Muguft  1699  ben 
bänifchen  Xhron  beftiegen,  im  Sftooember  beS  gleichen  QahreS  mit  bem 
(Sjaren  $eter  unb  Muguft  II.  öon  ©achfen  unb  ^ßolen  ein  SBünbntB 
$u  fliegen,  in  melchem  bie  brei  ättächte  fia)  ju  einem  gleichseitigen 


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cdjmeben  unter   arl  XI.  u.  in  b.  brei  erfien  ffiegierungSjahren  tfarlS  XII.  235 

Angriff  auf  Schweben  unb  ju  gegenteiliger  Unterftüfcung  in  ber 
Durchführung  ihrer  ©roberungSpläne  üerpflidjteten. 


XI. 

SQwbm  unter  &axt  XI.  (1660-1697)  unb  in  ben  bxei 
erfien  '♦ttegterungojafiren  /tarfs  XII. 

yiaä)  bem  $obe  Karls  X.  ÖJuftao,  beffen  ganje  SRegicrungS* 
$eit  in  (SroberungSfriegen  berftrichen  war,  gab  feine  SSittwe,  £>eb* 
wig  Eleonore  tum  £>olftein,  bie  im  Vereine  mit  ben  fünf  f)öd)ften 
Kronbeamten  für  ihren  vierjährigen  Sohn  Karl  XI.  bie  oormunb* 
fcrjaftliche  Regierung  führte,  burd)  bie  Vertrage  bon  Dlioa  (f.  S.  8) 
unb  öon  Sopcnfyagen  (f.  S.  232)  bem  Sanbe  ben  langentbehrten 
grieben  wieber.  Seitbcm  blieb  bie  auswärtige  ^olitif  Scr)webenS, 
wie  bieS  bereite  feit  bem  beginne  bcS  ftebjcrjnten  3ahrhunbertS 
ber  %aü  gewefen ,  fowoljl  unter  ber  töegentfchaft  als  unter  ber 
felbftftänbigen  Regierung  Karls  XI.  au  baS  Qntereffe  granfreichS 
gefnüpft.  Sftur  im  3a*)rc  1668  Ö^ang  eS  ber  anti=franjöfifcr)eri 
Partei,  eine  Störung  bcS  jwifchen  ben  beiben  dächten  beftel)enben 
freunbfcr)aftlichen  SBerhältniffeS  f)txbc\^n^xtn  unb  ben  Slnfdjluß 
Sd)WebenS  an  bie  Xripte^ütana  $u  bewirfen.  ßubwig  XIV.  mußte 
jeboch  balb  burdj  S8eftccr)ungcn  unb  crt)öl)te  Qahrgelber  bie  frühere 
SBerbinbung  h^ufteßen  unb  Schweben  trofc  aller  au«  feiner  53e* 
Heiligung  an  ben  franjöfifchen  Kriegen  if)m  erwacfjfenben  Wafy 
theile  im  Schlepptau  granfreichS  ju  erhalten,  Wogegen  er  aller* 
bingS  auch  Sorge  trug,  feinen  bemährten  SBunbeSgenoffen  bei  bem 
griebenSfchluß  mit  feinen  öerfchtebenen  Gegnern  oor  jeber  Gebiets* 
einbüße  ju  bemahren. 

Snbeffen  hotte  ber  junge  König  aus  ben  Erfahrungen,  bie  er 
im  Saufe  biefeS  Krieges  51t  macheu  Gelegenheit  gehabt,  bie  lieber* 
jeugung  gewonnen ,  baß  Schweben  nur  burch  eine  frieblichc  föegte* 
rung  auS  feiner  Erfcfjöpfung  geriffen  unb  auf  ber  $5$e  erhalten 
werben  tonne,  auf  welche  eS  unter  ©uftaü  Slbolf  unb  Karl  X. 
emporgeftiegen ;  batjer  befdjloß  er,  baS  nicht  unbebeutenbe  friege* 
rifche  latent,  baS  er  im  Kampfe  für  bie  Steffen  granfreidjs 
an  ben  Sag  gelegt,  ruhen  gu  laffen  unb,  im  ÖJegenfafoe  ju  feinem 
eroberungSlufrigen  Sßatcr,  feine  gan$e  Sorge  ben  inneren  Slngclegen* 
heiten  feines  fianbeS  jujuwenben. 

|>ier  galt  eS  oor  2Wem,  ben  Slbel,  ber  wahrenb  ber  Üttinber* 
jährigfeit  beS  Königs  nicht  nur  nahezu  aHeS,  waS  ber  Krone  Don 
Romanen  noch  scblie&eu ,  an  ficrj  ju  bringen ,  fonbem  auch  feine 


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236   ©djroebeit  unter  Ratl  TL  u.  in  b.  bret  erften  9?egierung3jaf)reii  ßarlS  XII. 

ohnebin  fdjon  fo  bebeutenben  Siechte  nodj  tucitcr  au^ubehnen  ge* 
wufjt  hatte,  in  [eine  ©renjen  jurücfjutücifen,  wa£  um  fo  nothwenbiger 
erfdjien,  als  bte  Sftitgricber  ber  ^öc^ften  ^bel^ftaffen  bic  errungene 
9J?ad)t  öielfad)  jum  SRa^t^eU  be£  SanbeS  mißbrauchten.  Um  biefen 
TOiöftänbert  ein  (Snbe  ju  machen  unb  ben  überWiegenben  ©infuifj 
be£  Mbete  ju  brechen,  berief  ber  ßönig  im  3uli  1681  bie  Staube 
be3  fReic^cö  unb  fanb  bei  ber  ©eiftltchfeit  tote  bei  ben  ©urgent 
unb  Sauern  für  feine  9teformpIäne  bie  gemünfehte  Unterftüfcung. 
Uladjbem  eine  jur  Unterfuc^ung  ber  Amtsführung  ber  bei  ber  9te- 
geutfefjaft  beteiligt  gemefenen  ®ronbeamten  eingefefcte  ®ommiffion 
biefe  ber  ©rpreffung  unb  Sßcrfchwenbung  für  fdjulbig  erflärt  unb 
äum  Scbabenerfafc  öerurtfjeilt  hatte,  erfannte  ber  ^Reichstag  bem 
$önig  bie  gefefcgebenbe  ©ewalt  in  it)rem  ganzen  Umfange  ohne 
Sftttmirfung  ber  Stänbe  ju.  ®arl  XL,  ber  fidj  auf  bieje  Söeife 
mit  einer  ähnlichen  Sttachtfülle  betreibet  fat) ,  wie  fie  bte  bäutfehen 
Könige  feit  ber  9teöolution  öon  1660  befa&en,  öerfügte  hierauf  bie 
ein^te^ung  aller  berjenigen  Domänen,  bte  fett  ben  legten  (junbert 
3a^ren  öon  bem  Slbel  Wtberrechtlich  in  SBefifc  genommen  ober  bem= 
felben  öon  ber  fhone  öerpfänbet  worben,  inbem  er  erflärte,  ba& 
feine  Vorgänger  fein  Stecht  gehabt,  ßrongüter  anberä  als  auf  ße* 
ben^eit  ju  öerleiljen.  ftur  biejenigen  oon  bem  2Ibe(  angefauften 
öüter ,  für  welche  ber  öolle  SSertl)  gejagt  worben ,  foUten  ben 
Käufern  öerMeiben.  2luf  biefe  SSeife  famen  äetjn  ©raffdjaften  unb 
fiebjig  Saronien  an  bie  ®rone  jurücf ,  maä  in  Skrbinbung  mit 
ben  öon  bem  Äöntg  eingeführten  finanziellen  Reformen  eine  fo  be* 
beutenbe  ©rfjöfmng  ber  königlichen  (Sinfüufte  jur  golge  fyattt,  ba& 
$arl  fiel)  in  ber  £age  fat) ,  nicht  nur  bie  aufgehäuften  Schulben 
abzahlen,  fonbern  auch  Sftanufafturen  unb  $>anbel  ju  unterftüfcen, 
bte  im  legten  Kriege  öemichtete  glotte  neu  heraufteilen  unb  neben 
ben  ftehenben  Xruppen,  bie  in  bie  beutfehen  SBeftfcungen  Schweben« 
unb  beffen  übrige  Dftfeeproöinjen  öerlegt  mürben,  jur  löertr)ei- 
bigung  beä  £auptlanbe£  eine  fianbwehr  ju  fchaffen. 

$>a  bie  ©tänbe  au3  eigener  Qnitiatiöe  jebem  Slnfpruch  auf 
93etf)eiligung  an  ber  ©efefcgebung  entfagt  hotten,  war  nicht  mehr  bie 
SRebe  öon  „be§  fdjwebifchen  9tcid)e3  Statt)  unb  Stänben",  fonbern 
öon  „be3  Königs  SteicbSrau)  unb  Stäuben",  unb  wenn  $arl  XI. 
auch  femer  noch  Stcidjatage  berief,  fo  gefchafj  bie£  nur  aus  $lug* 
heit  unb  weit  er  fie  in  feiner  Söeife  meljr  fürchtete  ober  ju  fürchten 
Urfache  I)atte. 

$a  $arfö  XI.  ©rjiehung  öoüftänbig  öernachläffigt  Würben, 
inbem  feine  Sftutter  auf  wiffenfdjaftliche  SBilbung  feinen  28ert() 
legte  unb  bie  StegentfcbafUräthe  ber  Slnficht  gewefen,  ba&  ein  un* 
unterrichteter  ®önig  Weber  für  bie  ÜBergangenheit  Siechenfchaft  forbern, 
noch  in  ber  3ufunft  ihren  (Sinflufj  bejehränfen  werbe ,  fyattt  er 


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©chroeben  unter  ßarl  XI.  u.  in  b.  bret  erftcn  9?egterung3jcu)ren  ßarlS  XII.  237 


wenig  ©inn  für  fünfte  unb  SSiffenfchaften ,  meßfjalb  ftcfj  biefelben 
auch  feiner  befonberen  Unterftüfcung  öon  fetner  ©eite  ju  erfreuen 
Ratten.  5)en  ©uchhanbel  lieg  er  burch  einen  Senfor  ftreng  über- 
wachen, ber  jährlich  ein  Sßcrjcic^ntg  aller  gebrueften  unb  eingeführ- 
ten 93ficher  einreiben  mußte,  unb  bie  '^rofefforen  würben  angemte* 
fen,  ben  SReichStagSbefchlüffen  gemäß  ju  lehren:  bie  ®önig£gemalt 
ftamme  unmittelbar  öon  ©ort  unb  fei  unbefchränft. 

SBie  unter  feinen  Vorgängern,  fo  blieb  auch  unter  ®arl  XI. 
baS  Sutt)ert^um  bei  garten  ©trafen  auSfchließliche  Religion,  unb 
mer  öon  bemjelben  abmict),  mußte  auSmanbern.  $(13  nact)  ber  2Tuf* 
t)ebung  beS  (£bift£  öon  Nantes  fran$öfifcr)e  Üieformtrte  in  ©cr)me* 
ben  einmanberten,  mürben  fte  unter  forgfältige  Slufficbt  geftellt  unb 
angehalten ,  nierjt  nur  ben  lutherifchen  ©otteäbienft  ju  befugen, 
fonbem  auch  tyxt  ßinber  im  lutr)erifcf)cn  (Glauben  erziehen  $u  laffen. 
$f)e°f°9iW)e  ©treitigfeiten  mürben  auf  9teicr)3tagen  unb  ®ircr)enüers 
fammlungen  mit  ber  größten  Setbenfehaft  öerhanbelt  unb  jur  ©r* 
t)öt)ung  ber  bem  Söolfc  öoflftänbtg  abt)anben  gefommenen  „grömmig= 
feit"  allerlei  $ircr)enbußen  eingeführt.  9Bie  es  jeboct)  babei  mit  ber 
„^ufttärung"  befteöt  mar,  jeigt  ber  großartige  ^efenprojeß  $u 
9Jcora,  beffen  mir  oben  (©.  46)  gebaut  fyaben. 

#arl  XI.  ftarb  am  15.  Slpril  1697,  erft  einunboierjtg  3at)re 
alt.  Obgleich  e$  feiner  SRegierung  nicht  an  mancherlei  Ungerech* 
tigfeiten  unb  SBißfürhanblungen  gefehlt,  bleibt  ihm  ba£  große  ißer* 
bienft ,  ©crjmeben  aus  ber  S3ahn  milber  ©robcrungSluft  auf  bie 
einer  frieblichen  ©ntmieflung  htngejmungen  unb  einen  mohlgeorbneten 
Staatshaushalt  begrünbet  ju  haben. 

®arlS  XI.  ©or)n  unb  Nachfolger  ®arl  XII.  säfjlte  bei  bem 
£obe  feineä  SBaterS  erft  fünfzehn  3at)re.  SBiS  ju  feinem*  ftebenten 
3at)re  mar  ber  begabte  ®nabe  ber  auSfchließlidjen  Leitung  fetner 
frommen  Butter  Ulrife  ©leonore,  ber  Tochter  griebrtchS  III.  öon 
©änemarf,  überlaffen  geblieben,  bie  ihn  burch  SBort  unb  Jöctfptel 
an  ©anftmuth,  ©erechtigfeit  unb  SBohltljätigfeit  &u  gemöhnen  unb 
inSbefonbere  in  feinem  empfänglichen  |>er$en  eine  innige  grömmig* 
feit  unb  ein  tiefet  ©efütjl  für  bie  hohen  Pflichten  feinet  fünftigen 
£errfct)erberufeS  $u  meefen  geflieht  unb  bis  ju  feinem  elften  Safjre, 
roo  fie  ihm  burch  ben  Xob  entrtffett  murbe,  auch  feinen  Unterricht 
Übermacht  tyattt,  ber  il;m  öon  trefflichen  fiehrem  ertfjeilt  murbe. 
Sie  beutfehe  Sprache ,  bamalS  bie  $offprache  in  ©tocfholm ,  hatte 
er  neben  ber  fdjmebijchen  erlernt;  baS  Öateinifcfje  betrieb  er  mit 
(Sifer;  bagegen  mar  ihm  bie  franjöfifche  ©pracr)e  öerljaßt,  unb  als 
man  ihm  bemerfte ,  baß  er  biefelbe  öerftehen  müffe ,  um  fich  mit 
ben  franjöfifchen  ©efanbten  ju  unterhalten,  antwortete  er:  „Ißknn 
ein  franjöfifcher  ©efanbter  hierherfommt ,  fo  ift  es  fehief lieber ,  baß 
er  um  meinetmillen  fchmebifch  lernt,  als  baß  ich  um  fcinetmiden 


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238   Sdjroeben  unter  Äarl  XI.  u.  in  b.  brei  erften  SRegierungSjaljren  ßarl*  XII. 

franjöfifd)  lernen  foffte."  Unter  ben  SSiffcnfdjaften  jog  if)n  Ijaupt* 
fädjlid)  bie  9Watf)ematif  an,  in  welcher  er  ftdj  ntdjt  unbebeutenbe 
#enntniffe  erwarb.  9iidjt*  fagte  if)m  meljr  ju,  al*  ritterliche 
Uebungen.  <£in  füfmer  9titt,  eine  verwegene  3agb  mar  feine  l)öd&fte 
£uft.  ©efonber*  jog  it)n  bie  SBärenjagb  an,  weil  e&  babei  wirf* 
lidje  ©efafjren  $u  beftefjen  gab.  ©d)on  im  Süter  üon  brei$efm 
Sauren  f>atte  er  mehrere  ©ären  erlegt,  toic  er  in  bem  gleiten 
Stlter  aud)  alle  Hebungen  ber  ©olbaten  mitmadux  unb  babei,  gleidj 
einem  ergrauten  Ärieger,  junger  unb  $urft  unb  alle  ©trapajen 
ofjne  SJcurren  ertrug.  Ueberfyaupt  geigte  er  öon  feiner  frästen 
SHnbljeit  an  eine  ungewöfjnlidje  Seftigfeit  be*  SBtllen*,  babei  jeboa) 
einen  großen  ©tarrfinn,  ben  nur  bie  Siebe  $ur  9ttutter  unb  bie 
3urcf)t  öor  bem  SBater  mitunter  $u  beugen  oermodjten,  unb  einen  fo 
entföiebeuen  #ang  jum  SBiberfprud),  bog  man  iljm  oft  ba*  (Negern 
tljeil  oon  bem  rietfj,  wa*  man  öon  if)m  erlangen  wollte. 

9*ad>  ben  SBefrimmungen  feine*  SaterS  foflte  ftarl  XII.  erft 
nad)  feinem  noüenbeten  ad^eljnten  ßcbenSjafjre  bie  Regierung  an* 
treten  unb  biefelbe  bi*  balnn  oon  feiner  (Sro&mutter,  ber  Königin 
£ebmig  (Eleonore,  im  Vereine  mit  fünf  9teidj*rätl)en  geführt  wer- 
ben; auf  ben  ^Betrieb  be*  ©taatäratt)*  trafen  $iper,  bem  ftart 
bei  einer  Xruppenfdjau  feinen  9Jftßmutlj  barüber  auSgebrütft  tyaben 
foü,  baß  man  ifm  unter  bie  Söormunbfdjaft  einer  grau  geftetlt,  er« 
Harten  Ujn  jebodt)  bie  9fteidj*ftänbe  fdjon  am  15.  9loüember  1697 
für  münbig  unb  festen,  trofo  be*  SBiberfprudjS  ber  SRegenrin,  feine 
Krönung  auf  ben  24.  Xe^ember  beäfelben  Qafyre*  fcft«  ©ebeu* 
tungäöoll  erfdjien  e*  Stelen,  baß  ber  junge  Äönig  bei  biefer  Seiers 
lidjfcit  bem  (Srjbifdjof  oon  Upfala  bie  Jerone  au*  ber  £anb  nafym 
unb  fie  ftd)  felbft  auf*  £>aupt  fefcte.  Snbeffen  ging  bie  burd)  bie- 
fen  3^9  oon  ©tolj  unb  ©elbftbemußtfein  gewedte  Erwartung,  baß 
er  fofort  als  felbftftänbiger  ^errfa^er  auftreten  werbe,  nid)t  in  (£r* 
füllung:  ®arl  überlieg  öielmet)r  bem  ÖJrafen  $iper  alle  SRegic* 
rung*gefd)äfte  unb  fdjien  für  nidjt*  Slnbere*  ©tnn  ju  t)aben,  al* 
für  söärenjagben,  ©djlittenfafjrten,  SRaSferabcn  unb  anbere  berartigen 
Serftreuungen.  $er  £>of  oon  ©torfljolm  erhielt  ein  ooßfommen  Oer* 
änberte*  Slnfe^en,  unb  fa^on  im  Qafyre  1700  war  ber  oon  bem 
fparfamen  &ar(  XI.  gefammelte  ©cfyafc  ganjlia^  erfcfjöpft;  ja  mau 
ijatte  fogar  bereit*  wieber  $u  Slnlefjen  feine  Sufluc^t  nehmen  müffen. 
$lHe*  bie*  tonnte  natürlich  an  ben  auswärtigen  $>öfen  oon  bem 
jungen  ©djwebenfömg  feine  befonber*  günftige  Meinung  erweefen; 
bafyer  gelten  and)  bie  brei  Sftadjbarmädjte,  SRußlanb,  sßolen  unb 
2>änemarf,  ben  3c^pwuft  für  gefommen,  wo  c*  il)ncn  leicht  fein 
werbe,  ©tfjweben  biejenigen  ^rooinjen  ju  entreißen,  nad)  welken 
fie  Öuft  trugen.  9cur  ju  balb  foüten  fie  erfahren,  wie  jetjr  fie  fid) 
in  bem  jungen  ßönig  gctäufdjt  Ratten. 


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3>er  bäniföe  Jfrieg  unb  bic  Schladt  bei  Stoma. 


239 


XII. 


(1700-1721.) 


2er  bomfdje  ffrteg  (flug.  1700)  unb  bie  Schlacht  bei  Karton 

(30.  »ob.  1700). 


2113  bie  SRadjricfjt  üon  ben  Lüftungen  ber  brei  9cad)6arftaaten 
unb  bem  bereite  erfolgten  (Sinfatt  ber  ©achfen  in  fiiotanb  nach 
Stod^olm  tarn,  ctitftanb  im  fc^n>ebifcr)eu  9tetch3rathe  große  föt* 
ftür^ung.  Jöiele  waren  ber  Anficht,  man  müjfe  fofort  Unter  fjanb* 
lungen  anfnüpfen  unb  ben  grieben  um  jeben  $reid  aufregt  ju 
galten  fudfc)en;  aber  ber  junge  König  erflärte  mit  einer  geftigfeit, 
bie  Slfle  in  ©taunen  oerfefete :  er  werbe  nie  einen  ungerechten  Krieg 
anfangen,  einen  geregten  jebodj  nur  mit  bem  Untergang  feiner 
geinbe  beenben.  ©ofort  mürben  bie  nötigen  Slnorbnungen  ge* 
troffen,  um  £>eer  unb  glotte  in  friegStuchtigen  ©tanb  $u  fefcen, 
wobei  ber  König  ben  lebhafteren  ©eift  jeigte  unb  eine  fieberhafte 
2t)atigteit  entfaltete. 

3uerft  fodte  ber  König  oon  $)änemarf,  ber  im  SJcarj  1700 
Xruppen  in  ba3  bebtet  beä  £>erjog$  griebridj  IV.  oon  $ottftein* 
©ottorp,  be$  demahlä  ber  ^ieblingäfchwefter  Karlä  XII.,  fjatte 
einrüefen  laffen,  für  biefen  grtebenabruch  gejüchtigt  werben.  ÜKach* 
bem  Karl  bie  nötigen  SInorbnungen  bezüglich  ber  Regierung  fei* 
neä  £anbe$  getroffen,  begab  er  fich  oon  ©tocffjofai,  ba3  er  — 
gleich  wie  einft  ®uftaü  Slbolf  unb  Karl  X.,  als  fie  $u  ihren  (5r= 
oberungäfriegen  auäge$ogen  —  nicht  wteberfehen  foüte,  nach  Karte* 
frona,  wo  er  fich  am  3.  Stuguft  mit  fünfjehntaufcnb  Ütfamt  auf 
bretfjig  Sinienfchiffen  unb  üielen  anbern  Heineren  gahrjeugen  nad) 
ber  3nfel  ©eelanb  einjehtffte.  Üftachbem  er  am  folgenben  2age  ein 
fruchtlofeä  ©ombarbement  gegen  bie  bänifdje  £auptftabt  eröffnet, 
befchtog  er,  noch  am  nämlichen  Xage  in  ber  9cafje  oon  Kopenhagen 
feine  fianbung  ju  bemer(fteüigen.  (£$  gejehah  gegen  fedjä  Uhr 
2lbenb3  unter  bem  ^efttgften  geuer  ber  $änen.  $a  bie  Kähne 
nicht  rafch  genug  anä  Ufer  fommen  tonnten,  fprang  Karl  felbft  mit 
bem  S)egen  in  ber  $>anb  iu3  SBaffer  unb  brang,  oon  feinen  jubeln* 
ben  ©olbaten  gefolgt,  mutlng  gegen  bie  fetnblichen  Batterien  oor. 
SKafch  waren  biefelben  erftürmt  unb  bie  bänifchen  ©olbaten  hinter 
bie  Stauern  oon  Kopenhagen  jurücf gebrängt. 

£>em  König  oon  3)änemarf  blieb  bei  ber  Ueberlegenheit  ber 
jehwebifchen  Stacht  unb  ber  Unmöglichfeit,  oon  feineu  entfernten 


240 


$cr  norbtfcfje  Äricg. 


BunbeSgenoffen  $ilfe  ju  erholten,  9citf)t3  übrig,  al§  mit  &arl 
Unterhanblungen  ansufnüpfen,  bic  am  18.  Muguft  $u  bcm  grieben 
öon  Xraöenbaf)l  führten.  bemfelben  trat  griebrid)  IV.  öon 
bcm  Bünbnifc  mit  bem  Goaren  unb  5fuguft  II.  jurücf,  entfagte 
allen  Slnfprüchen  auf  bie  ßänber  be8  £>erjogä  öon  j£>oIfteitt=(5Jottorpf 
erfannte  beffen  ©ouöeränität  an  unb  üerpflichtete  fich  $ur  3^^ung 
einer  $rieg£entfd)äbigung  an  ©chroeben.  $arl  XII.  fjätte  ohne 
3roeifel  feinem  gebemüthigten  ©egner  Martere  Bebingungen  fteüen 
fönnen;  aber  bie  ©efafjr,  bie  feinen  öftlichen  ^roötnjen  brofjte, 
unb  ber  SSunfd),  balbmöglichft  ju  beren  2d)\\{\  aufbrechen  ju  fönnen, 
bemogen  ir)nr  öon  ädern  ab$uftehen,  roaä  baä  griebenämerf  ptte 
ftören  fönnen. 

©o  ^atte  ber  achtzehnjährige  ®önig  innerhalb  öier$et)n  Xagen 
feinen  erften  $rteg  ruhmüoll  beenbigt.  Unöerroeilt  fet)rtc  er  nach 
Schweben  jurücf,  um  bie  nötigen  ^Inorbnungen  jur  Sinfchiffung 
feiner  Gruppen  nach  Siölanb  }it  treffen,  roo  bereits  im  ^ejember 

1699  ein  fächfifcfjcä  £>ecr  jur  Belagerung  öon  9ttga  erfchienen  mar, 
nachbem  ein  öon  ®arl  XI.  ferner  gefränfter  liölänbifcher  @bel= 
mann,  9teinf)olb  SßatfuI,  &uguft  II.  ba3  Besprechen  gegeben, 
ben  gefammten  liölänbifchen  5Xbcl  auf  feine  ©eite  ju  bringen.  S)ie 
Hoffnungen,  bie  Sluguft  auf  biefed  Besprechen  gefe|t,  ermiefen  fich 
jeboch  aU  trügerifch:  ber  Uülänbifche  s2lbel  erhob  fich  nicht  für  ihn, 
unb  ber  fchmebifche  Befehl$ha&cr  0011  ^Ö0»  Dcr  fünfunbjiebjigjährige 
(Venera!  Vahlberg,  Iciftctc  bem  fächfifchen  Belagerung^hcere  fo  tapferen 
Söiberftanb,  bajj  fich  baäfelbe  $urücf$iehen  mußte.  Vergeben«  er* 
neuerte  Sluguft  perfönlich  nach  ber  ©innahme  öon  3)ünamunbe 
(26.  9Jcärj  1700)  bie  Belagerung  öon  9üga:  auch  er  mußte  fich, 
nach  mehrmaliger  erfolglofer  Befdne&ung  ber  ©tabt,  im  ©eptember 

1700  jum  diücf^ug  entf  abließen. 

©chon  ftanb  $arl  im  Begriff,  fich  5«  #arlähantn  mit  feinen 
Gruppen  einjuf Riffen,  als  er,  gleichzeitig  mit  ber  ®unbe  öon  ber 
Aufhebung  ber  Belagerung  öon  9tiga,  bie  Nachricht  erhielt,  ba& 
ber  (£$ar  $eter  mit  einem  Speere  öon  achtjtgtaufenb  Sttann  in  @fth= 
lanb  eingerüeft  fei  unb  sJcartua  belagere,  ©ofort  befchlofc  er,  fich 
junächft  gegen  biejen  geinb  jii  menben.  Nachbem  er  am  17.  Dl  tober 
mit  einem  £>cere  öon  achtjehntaufenb  SDfynn  im  £>afen  öon  Bernau 
gelanbet,  eilte  er  mit  breitaufenb  Weitem  unb  fünftaujenb  SDcann 
gu&öolf  bem  ^auptheere  öorauS  unb  ftanb  am  29.  SKoöember  öor 
vJcarma.  2)a  ^eter  eben  baä  Belagerung^hecr  öerlaffen  hatte,  um 
neue  Xruppen  herbei  51t  siehen,  bejchlofc  Start,  bie  Wnfunft  feiner 
übrigen  sJ)cann|chaft  nicht  abzuwarten,  fonbern  gleich  am  folgenben 
Xagc  in  „®otteä  Hainen"  ben  ihm  minbeften«  fünffach  überlegenen 
geiub  anzugreifen.  2113  er  gegen  bie  feinblichen  ißerjehanjungen 
oorrüefte,  mar  bie  Suft  burd)  ein  fo  bidjteä  ©chneegeftöber  Oer* 


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3)cr  bttmfdje  Äricg  unb  bie  Sdjtodjt  bei  Warroa. 


241 


bimfelt,  baß  bie  Muffen  ben  Seinb  erft  bemerften,  att  er  nur  nodj 
gc^n  ©dritte  meit  bon  tt)nen  entfernt  mar.  „©ort,  ber  baS  fRec^t 
Beföüfct  unb  baä  Unrcdjt  (traft  mirb  und  beiden!",  rief  Äarl 
ben  ©einigen  ju.  „3$  merbe  eud)  ein  SBeifpiel  geben,  bem  ifjr 
nachfolgen  fönnt;  mer  aber  nidjt  fämpfen  null,  mag  jurürf bleiben. • 
©inftimmig  riefen  Höe:  fie  trollten  mit  U)m  leben  unb  fterben. 
w@leid)  im  Anfang  be3  ©efed)teä  mürbe  bem  $önig  fein  *ßferb  er- 
icfjoffen.  „$ie  Muffen  motten  mid)  reiten  lehren,"  fagte  er  falt- 
blütig  unb  beftieg  ein  anbereS.  ©leid)  barauf  berlor  er  in  einem 
SIKorafte,  burd)  ben  fein  2Beg  if)n  führte,  fein  jmeiteä  *ßferb,  unb 
einer  feiner  ©tiefet  blieb  im  ©umpfe  fterfen;  aber  biel  ju  unge= 
bulbig,  um  ftdj  mit  bem  SBieberanäie^en  beSfelben  aufjulmlten, 
jagte  er  auf  rafdt)  gemedifeltem  $ferbe  im  ©trumpfe  meiter.  3u 
meniger  als  brei  ©tunben  mar  ba$  ruffifrfje  $>eer  jerfprengt  unb 
ba3  feinblidje  fiager  erobert,  in  meinem  bie  ©ieger  außer  ber 
föriegäfaffc  einfjuubertfünfunbfünfaig  ©efd)üfce  unb  ungeheuere  $or- 
rätfje  erbeuteten.  Sldjtäeimtaufenb  SRuffen  Ratten  tt)eilä  im  Kampfe, 
tfjeilä  in  ben  Stützen  ber  Sftaroma  ben  £ob  gefunben.  Su  ben 
jafjlreidjen  (befangenen,  bie  mä^renb  ber  ©d)lad)t  ben  ©djmeben 
in  bie  #änbe  gefallen,  fam  am  folgenben  Sage  nod)  ein  ganjeä 
ßorpä  tum  adn^efjntaufenb  sD?ann,  bie  fid)  bem  $onig  freimittig  er- 
gaben,  ba  fie  gehört,  baß  berfelbe  bie  (befangenen  mit  großer  2)älbe 
be^auble. 

Unter  bem  Bonner  ber  Kanonen  50g  ®axt  in  ba8  befreite 
Starma  ein,  beffen  Söcüölferung  U)n  mit  ftürmifdjem  Qubel  empfing, 
©ein  erfter  ©ang  mar  in  bie  ßirdje,  mo  er  fnieenb  @Jott  für  ben 
errungenen  ©ieg  banfte.  ©0  midjtig  biefer  ©ieg  inbeffen  auc$  für 
ben  2(ugenblid  für  ir)n  mar,  gereifte  er  ifjm  bod)  infofern  511m 
9ßad;tf)cile,  al£  er  ir)n  öeranlaßte,  bie  SRuffeu  al£  feige  ju  Der* 
achten  unb  it)re  9ftad)t  für  üemicfytet  511  galten,  bie  feinige  bagegen 
ju  übcrfd)äfcen.  gür  ben  ©jaren  aber  Ijatte  bie  erlittene  SWe» 
berlagc,  }o  empfinblid)  ü)n  aud)  ber  ©ebaufe  berührte,  oon  einem 
ad)tjef)njäf)rigen  $önig  mit  fo  geringen  ©treitfräften  befiegt  morben 
ju  fein,  ben  großen  iBortbeil,  baß  er  bie  9iotf)menbigfeit  erfannte, 
in  ber  Sortfefcung  be$  Äriegeä  alle  feine  Gräfte  aufzubieten  unb 
burd)  SBorfid)t  $u  erfefcen,  ma$  ben  Muffen  an  $rieg$erfafjrung 
abging.  „$ie  ©djmeben  merben  uns  nodj  oft  fd;lagen",  fagte  er; 
„aber  sulefct  merben  fie  und  aud)  fiegen  lehren." 


£>olstoatt$,  Sßkltgeföidjte.  VI. 


16 


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242 


3)cr  norbifdje  Äricg. 


2er  p  o  l  ii  i  f  d)  c  ßrieg. 

(1700—1706.) 

Üladjbem  Äart  XII.  im  grül)jaf>r  1701  anfefjnlidje  SBer* 
ftärfungen  au$  @d)roeben  an  fia)  gebogen,  bind)  er  am  17.  Quni 
non  3)orpat  und)  SRiga  $um  Kampfe  gegen  2luguft  II.  auf.  Unter» 
Imlb  biefer  ©tabt  fefcte  er  am  8.  Quni  im  3lngefid)te  eineä  fädtfifö« 
ruffi{ct)en  £>eereä  über  bie  2)üna  unb  griff  ben  Jeinb  an,  nod)  efje 
baä  fd)n)ebijd)e  ökjdjub  üollftänbig  au£  ben  .Kalmen  fjerauägefyoben 
tuar.  Xic  Sadjfen  leifteten  anfangs  tapferen  SSibcrftanb;  ba  je* 
bodj  bie  Muffen,  öon  einem  panifdjen  ©Breden  ergriffen,  alabalb 
bad  SBeite  fugten,  gerieten  aud)  fic  in  Unorbnung  unb  mu&ten 
unter  Surütflaffung  iljreS  ganzen  ÖJepädeä  unb  aller  iljrer  Kanonen 
baä  Sdjladjtfelb  räumen.  SBäfjrenb  fie  fid)  in«  ^rcu&ijdje  jurütt- 
jogen,  befehle  Sari  $urlanb,  baS  auf  2luguft3  II.  «Seite  getreten 
toar,  unb  brang  bann  in  ßittfyauen  ein.  2Ud  hierauf  bie  $o!en 
tfm  burd)  einen  ökfanbten  um  ©djonung  ifjreä  ©ebieteä  bitten 
liegen,  ba  bie  CRepubltf  feinen  2lntfjeil  an  bem  Kriege  Ijäbe,  ben 
iljr  Gültig  als  ®urfürft  öon  Saufen  gegen  ©djroebcn  füfjre,  gab 
er  bem  ©efanbten  bie  s21ntroort:  er  fyegc  feinerlei  feinblidje  Stbfidj* 
ten  gegen  bte  Siepublif,  fonbern  rooüe  im  QJegentfjeil  bie  üerle(jte 
2Bar)lfreit)eit  berfelben  fycrfteHen,  ben  $önig  Sluguft,  beffen  roißfür* 
lict>e  Regierung  jeben  freien  Sßolen  erbittern  muffe,  jur  Slbbanfung 
jrotngeu  unb  eine  beffere  Verfaffung  begrünben;  bcg^alb  fyege  er 
audj  bie  fixere  (Erwartung,  bafj  er  überall  günftige  Slufnafyme, 
willigen  SBeiftanb  unb  eine  freie  Verpflegung  finben  werbe.  Dljne 
eine  weitere  (Erflärung  be3  polnijdjen  $Rei$atageä  abzuwarten,  lieg 
er  nidjt  nur  Lieferungen  aller  Vitt,  fonbern  auaj  t)ol)t  Sfriegäfteuem 
beitreiben,  unb  ba  er  babei  feine  (Generale  $ur  Strenge  ermunterte, 
^atte  ba*  Lanb  unter  2Btüfurlid)feiten  unb  ©rprefjungen  ferner 
$u  leiben. 

Um  bem  Sdnoebenfönig  ben  Veweiä  $u  liefern,  ba&  bie  *ßolcn 
mit  bem  Kriege  s2luguft$  SfadjtS  au  fdjaffen  fjaben  wollten,  unb  itjn 
baburd)  jur  Schonung  be3  (5)ebiete3  ber  töepublif  ju  belegen,  üer= 
weigerte  ber  polnifa^e  föeidjätag  bem  ftönig  s2luguft  II.  jebe  Unter* 
ftüfcuug  unb  geftattete  Weber  bie  Vereinigung  beS  fä^fiföen  £>eere* 
mit  bem  polnifa^en  Stron^eere,  nodj  bie  Verwenbung  be$  lederen 
gegen  bie  ©Sweben.  $er  auf«  s2leufeerfte  bebrängte  Sluguft  fua^te 
grieben  511  fliegen  um  jeben  tßrei^  unb  fanbte  ju  biefem  ©nbe 
feine  beliebte,  bie  ebenfo  fdjlaue  ati  fdjöne  ©räfin  Aurora  öon 
#önig3marf  —  bie  SJcutter  bcS  nadjmalä  io  berühmt  geworbenen 
ÜJcarfdjallä  üHorifc  öon  Saufen  —  eine  geborene  ©dnoebin,  in  ffortt 
Säger ;  ber  junge  St önig  lieg  fie  jebodj  nidjt  einmal  öor  ficr).  2lud) 


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$er  polnifdje  ftricg. 


243 


bcr  ©efanbte,  ben  Sluguft  nach  biefem  mtßglücften  SBerfuche  mit 
griebenSoorfchlägen  au  ihn  abfdncfte,  mürbe  abgeroiefen.  Vichts 
öermodjte  bcn  haläftarrigcn  ®önig  bon  feinem  (Sntfchluß  abjubringen, 
nic^t  eher  grieben  ju  fließen,  bis  er  feinem  öcrhaßten  ©egner  bie 
polnifdje  ftrone  entriffen  Ijabcn  werbe. 

©anj  öon  biefem  ©ebanfen  erfüllt,  orbnete  $arl  für  ben  gelb* 
$ug  beä  folgenben  Jahres  bie  umfaffenbften  Söorfefjrungen  an.  (Sr 
felbft  mar  babei  raftloS  tt>ätig  unb  freute  meber  2lnftrengungen 
nod)  23efchmerben.  Rift  ein  abgejagter  geinb  jeber  Söeichtichfeit, 
bejog  er  ben  ganzen  SSinter  lnnburd)  fein  £>au3,  fonbern  blieb  in 
feinem  öon  ©troh  umflochtenen  $elte,  in  meinem  er  fich,  roenn  bie 
#älte  gu  heftig  mürbe,  burdj  glühenbe  Stöhlen  ermärmte.  ©eine 
Sebenämeife  mar  bie  cinf ac^ftc :  er  tran!  meber  SBetn  noch  33rannt* 
mein  unb  begnügte  fich  mit  ber  allergemöhnlichften  ®oft.  ©eine 
Reibung  beftanb  au3  einem  für  unfern  ©efehmaef  höchft  unjier^ 
lidjen  ©olbatenroef  mit  großen  meffingenen  knöpfen,  unb  auä  gel* 
ben  Unterfleibern ;  baju  trug  er  große  föeiterfiiefel  unb  leberne 
#anbfchuhe,  beren  mächtige  ©tulpen  bis  an  bie  ©ttenbogen  hinauf* 
reichten.  9cur  an  bem  furchtermeefenben  ©rnft  im  ©lief,  roelcher 
©tol^,  ©igenfinn  unb  Kühnheit  zugleich  auSbrücfte,  erfannte  man 
ben  Äönig.  $)iefe  ©igenfehaften  jeigte  er  jeboct)  nur  bem  geinbe; 
gegen  feine  Offijiere  unb  ©olbaten  mar  er  ein  milber  unb  leut* 
feiiger  §err,  melier  iStfykv,  menn  fein  böfer  SBiße  $u  ©runbe  lag, 
gern  entfdmlbigte,  nie  bulbete,  baß  üon  Äbmefenben  SBöfeS  gefpro- 
chen  merbe,  unb  treue  $5ienfte  föniglid)  belohnte,  ©elten  braufte  er 
auf;  nur  ein  finftereä  Sufammen^tehen  ber  $lugenbraunen  oerfünbete 
feinen  Qoxn  ober  fein  SJcifjfaflen. 

SBäfjrenb  Sluguft  SlHeS  auf6ot,  feine  ©treitfräfte  ju  erhöhen, 
30g  ®arl  am  24.  9Jcai  1702  in  SSarfdwu  ein,  ba3  fich  auf 
feine  erfte  Slufforberung  ergeben  ^atte.  9cad)  einem  toiermöchent* 
liehen  Aufenthalte  in  ber  polnifchen  |>auptftabt,  mährenb  beffen  ihn 
bie  polnifchen  Magnaten  »ergebend  megen  ber  Abfe^ung  ÄuguftS 
auf  anbere  ÖJebanfen  ju  bringen  fuchten,  brach  er  nach  ©üben 
auf,  um  feinem  öon  ßrafau  tjerait^ie^enben  ÖJcgner  eine  ©chladjt 
anzubieten,  ©ie  fanb  ©tatt  am  19.  3uli  1702  bei  fHifforo 
unb  enbete  mit  einer  öollftänbigen  9cieberfage  ber  ©achfen,  bie  mit 
einem  Serlufte  fcon  mehreren  taufenb  Xobten  unb  $errounbetcn 
ba3  3d)iacf)tfelb  räumen  unb  außerbem  ihr  ganjeä  Öepäd,  fomie 
bie  $rieg3faffe  unb  ben  größten  beS  ©ejchüjjeä  in  bcn  Rau- 
ben ber  ©icger  jurücflaffen  mußten.  Unter  ben  ©efangenen  befan* 
bcn  fich  auch  einige  Ijitnöcrt  Dffijierabamen,  bie  ®arl  foglcich  burdj 
einige  SReitcrfchmabronen  an  bie  fchlefifche  ©renje  bringen  unb 
bort  in  Freiheit  fefcen  ließ.  Sluguft  biefe  .'pöfltchfcit  burch  bie 
Sfreilaffung  eines  gefangenen  jehmebifchen  ^ittmeifter*  ermiberte, 

16* 

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2)cr  norbifche  ßrtcc]. 


fanbte  ihm  ®art,  ben  biefcr  SBetteifcr  oerbroß,  fünfunbawanaüj 
fächfifdje  Cffijiere  jurücf. 

Stach  bcr  Schlacht  bei  $UffoW  jog  f?arl  in  Eilmärfchen  gegen 
Pratau.  2IIS  ber  polnifche  93cfc^I»f)abcr  fid)  weigerte,  bie  Schweben 
cinjuloffen,  oerfefete  ihm  $arl,  ber  felbft  an  baS  ^alb  geöffnete 
äußere  £f)°r  getreten,  mit  feiner  Oieitöcitfche  einen  fo  heftigen  $kb 
ins  ©eftcht,  baß  er  betäubt  jurücf taumelte,  worauf  ber  ftönig  rafd> 
mit  feinem  ©efolge  in  bie  Stabt  einbrang  unb  fich  beS  SchloffeS 
bemächtigte.  S)ie  beftürjtc  Söefafcung  ergab  fid)  ofjne  Söiberftanb 
unb  würbe  burch  eine  fchwebifdje  erfefct. 

$a  Sluguft,  bcr  bisher  ben  $ricg  au^fd&Iicßlicr)  auf  Soften 
feines  fturfürftenthumS  geführt,  feine  SDcittcl  mehr  unb  mehr  Der* 
fiegen  fat),  fuctjte  er  eine  Bereinigung  ber  polnifdum  ©roßen  51t 
feiner  Unterftüfcung  511  Staube  ju  bringen;  allein  bie  gu  biefem 
3wecfc  5U  Senbomir  Deranftaltete  SBerfammlung  beS  polntfchen 
SlbclS  geigte  aufs  9ccue  baS  traurige  SBilb  beS  ^artcifjaffcS,  beS 
Leibes  unb  beS  $(rgmolmeS.  McS,  Worüber  man  fid)  einigen 
fonnte,  mar  bie  nochmalige  Slborbnung  einer  griebenSgefanbtfchaft 
an  $arl.  Aber  auch  biefer  Stritt  hatte  feineu  Erfolg.  „Unb 
wenn  ich  fünfzig  gafjrc  in  <J>olen  bleiben  müßte, "  erflärte  ber  ftarr= 
finnige  ®arl,  „fo  werbe  ich  nic^t  eher  Derlaffen,  bis  ich  t>icfen 
ßönig  Dom  Zfjvont  geftoßen  fyabc."  Vergebens  fegte  ihm  fein 
TOnifter  <ßiüer,  bcr  fein  ganjcS  SSertraucn  befaß,  in  einer  eigenen 
£enffchrift  auSeinanber,  wie  er  burch  bie  Entthronung  beS  StönigS 
Don  $olen  nicht  nur  fich  felbft  unfägliche  9flühen  unb  SBerbricßlic^ 
feiten  bereiten  unb  ohne  jeglichen  Söortr)cU  für  baS  eigene  Sanb  bie 
5ölütt)e  ber  fdjwebifcheu  Nation  aufopfern,  fonbem  auch  ben  aflge-- 
meinen  £>aß  auf  fid)  laben  werbe,  wäljrcnb  er  burch  bie  Sinnahme 
ber  SriebcnSoorfchläge  SluguftS  biefen  an  fein  3ntercffe  fnüpfen  unb 
an  ihm  einen  nüflichen  SBuubcSgenoffcn  gegen  ben  Ejaren  gewinnen 
würbe  —  itarl  blieb  taub  gegen  alle  $orftellungen  unb  bef)arrte 
felbft  bann  noch  auf  ber  Jortfcfcung  beS  Krieges,  als  bie  ättchrl)eit 
bcr  polnifchen  ©roßen  auf  einer  &crfammluug  5U  fiublin  bie  Don 
ihm  oorgefdjlagcnc  Entthronung  SluguftS  DerWorfen  unb  Öefchlüffe 
jur  itnterftüfcuug  bcSfclbcn  gefaßt  hatte. 

SSährenb  bie  herrfchenbe  Uneinigfeit  ber  Ausführung  btefcr 
S3efchlüfje  hiubernb  in  ben  SScg  trat,  blieb  baS  ÖHücf  bem  Schweben^ 
fönig  treu.  21m  1.  üDcai  1703  trug  er  bei  ^ultuSf  über  bie 
Saasen  einen  abermaligen  Steg  baoon,  brachte  balb  barauf  $au$ig 
unb  Elbing  in  feine  ©ewalt  unb  jwang  am  15.  Oftober  1703  Zfyoxn 
burch  ein  heftiges  S3ombarbcment  $ur  Ergebung. 

llnterbcffcn  war  Sluguft  $ur  iöefchaffuug  neuer  ÄriegSmittel 
und)  Sadjfen  gegangen,  unb  ber  ®arbinal^rimaS  Don  $olen,  baS 
4>aupt  unb  bie  Seele  ber  Don  5TarI  gewonnenen  Partei,  benufctc 


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$cr  polmföe  tfrieg. 


245 


feine  5J6tuefenf)eit  jur  Berufung  eines  SReidjStagS  nach  SSarfchau, 
ber  am  30.  3anuar  1704  jufammentrat  unb  am  6.  gebruar  ben 
polnifchen  X^ron  für  erlebigt  erflärte,  roeil  Muguft  frembe  ©olbaten 
ins  Üteich  geführt ,  ben  Krieg  ohne  5Öcfc^tuß  ber  Sftepublif  untere 
nommen ,  ein  nachteiliges  Bünbnijj  mit  SRufjlanb  gefdjloffen  unb 
bie  Qutereffen  SßolenS  auf  jebe  Söeife  gefchäbigt  ^abe.  Qax  SBaf)l 
eines  neuen  Königs  füllten  ftcfj  faic  polnifchen  (trogen  am  12.  Quli 
tüieber  ju  SBarfajau  jufammenfinben. 

Karl ,  ber  felbft  feine  Stift  trug ,  bie  polnifdje  Krone  anju* 
nehmen,  inbem  er,  roie  er  bem  ÖJrafen  $iper  bemerfte,  „lieber 
Königreiche  geben  als  nehmen  tüoflte",  ^atte  anfangs  bie  91bfid)t, 
einen  ber  @öf)ne  ©obieSfi'S  auf  ben  polnifchen  Xfjron  ergeben  $u 
laffen;  allein  5lugnft,  ber  üon  biefer  91bfidjt  Kenntniß  erhalten, 
lieg  bie  beiben  Ölteften  ©obieSft,  bie  fich  in  ber  ©egenb  üon  BreS* 
lau  aufhielten  f  burd)  fächfifche  Leiter  aufheben  unb  als  ©efangene 
uadj  ber  $(ei§enburg  bringen,  unb  ber  jüugfte  lehnte  $u  Karls 
58erbru§  bie  Krone  ab.  Karl  fcf)lug  hierauf  oeu  polnifchen  Großen 
ben  fiebenuubjmanjigjährigeu  (trafen  ©taniSlauS  Öeöcin^ft, 
2Bojett>oben  üon  $ojen,  ber  burd)  feine  fdjöne,  männliche  ©eftalt, 
fein  lebhaftes  unb  bodj  befd)eibcned  SSefen  unb  feine  genrinnenbe 
Berebtfamfett  fein  befonbereS  2S  ohlgefallen  erregt  hatte,  jutn  Kö* 
nig  üor  unb  erjroang  beffen  SBaf)!  gegen  ben  SötHeit  beS  Karbinal* 
^JkimaS,  inbem  er  an  bem  Söarjltage  mit  feinem  ganzen  Speere  üor 
SBarfdjau  (Stellung  nahm  unb  ben  2öal)Iplajj  mit  fa^mebifa^en 
Gruppen  befefcen  liefe-  2ll£  ber  neue  König  am  anberen  Xage  in 
bem  fdjnjebifdjen  Sager  erfdjien,  um  feinem  Befchüfcer  ju  banfen, 
empfing  ihn  Karl  aufs  £>erjlichfte  unb  fagte  ihm  feinen  nadjbrücfs 
lichften  Bciftanb  jur  Behauptung  feiner  Krone  ju. 

Qnjmifchen  war  Sluguft  nad)  $olen  juriiefgefe^rt  unb  ha*te 
$u  <Senbomir  nicht  nur  üon  bem  Sparen  burch  einen  (SJefanbten, 
fonbern  auch  üon  einem  großen  Xf)eile  ber  polnifchen  Magnaten 
bie  3u\aqt  Fräftiger  llnterftüfcung  erhalten.  Qn  ber  Xhat  gelang 
cS  ihm,  roährenb  Karl  jur  Eroberung  üon  Semberg  ausgesogen 
luar,  fich  ber  #auptftabt  SBarfdjau  ju  bemächtigen  unb  (Stanislaus 
3itr  Slucfjt  ju  ^mingen.  Mein  Karl,  ber  unterbeffen  Semberg  er* 
fturmt  hatte,  eilte  herbei,  um  feinen  ©djüfcling  nadt)  SBarfchau  $u* 
ruef^uführen ,  unb  Sluguft  fat)  fich  t  nachbem  er  fich  Vergebens  be* 
muht  hotte,  ihm  ben  Uebergang  über  bie  SBeidjfel  ftreitig  ju  machen, 
^um  föütfang  nach  ©achfen  genötlngt.  $er  feierlichen  Krönung  beS 
neuen  Königs  fteüten  fich  ieboch  fo  üiele  $inberniffe  entgegen ,  bog 
Karl  biefelbe  erft  im  Dftober  beS  folgenben  Jahres  burchfefcen 
fonnte. 

55a  unterbeffen  ein  ftarfeS  ruffifcheS  £eer  in  Sitthauen  einge* 
rücft  unb  ein  fejehfifches  jur  Bereinigung  mit  bemfelben  im  2ln$uge 


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246 


35er  norbifdje  #rieg. 


mar,  brach  ®arl  mitten  im  SSinter  (11.  Januar  1706)  borten 
auf,  um  bcn  geinb  $u  überfallen.  Obgleich  #unberte  bcr  ©einen 
ber  furchtbaren  falte  erlagen,  brang  er,  unbefummert  um  ©crjnee 
unb  (Si«,  raftlo«  meiter  bi«  öor  ÖJrobno.  SBöfjrenb  er  $roifchcn 
biefer  ©tobt  unb  SBilna  ©tellung  nahm,  griff  fein  Jelbherr 
9?h™ffiölb  am  13.  gebruar  ba«  vereinte  ruffifcö^fäc^fifc^c  £ecr 
unter  ©dmlenburg  bei  3  r  a  u  ft  a  b  t  mit  folgern  (Srfolge  an  ,  baft 
Don  bemfclben  nur  menige  Xrümmer  übrig  blieben.  SRadjbem 
herauf  ber  größte  Xfjeit  be«  Ittthauifchen  «bei«  ©taniälau«  at« 
fönig  anerfannt,  brang  fori  unter  unfäglidjen  53efchmerben  unb 
©efafjren  bi«  tief  in  SBolhönien  ein ,  toolnn  bie  SRuffen  ftd)  jurücf= 
gebogen ,  unb  erjmang  auch  bor*  bie  3(nerfennung  feine«  ©chüfc* 
ling«.  $ann  manbte  er  fidt)  nach  ©chleften ,  um  t»on  bort  nach 
©achfen  öorjubringen  unb  bem  Shtrfürften  in  feinen  (Srblanben 
ben  Stieben  ju  biftiren.  $5en  ©chreefen ,  ben  ba«  ©rfcheinen  ber 
fchn)ebifchcn  ©chaaren  in  ©achfen  hervorrief,  fchlug  er  ^mar  burch 
frrenge  9ttann«jucht  nieber,  bebrüefte  aber  ba«  Sanb  burch  b*e  ®rs 
preffung  Don  ©elbjahlungen  unb  Lieferungen  aller  2lrt.  Sßachbem 
er  bis  in  bie  Stahe  üon  Seip jig  borgebrungen,  bejog  er  bei  $(  1 1  r  a  n* 
ft  ä  b  t  ein  fefte«  Säger  ,  mährenb  er  einen  Xfyeil  feine«  $eere« 
gegen  Bresben  oorrüefen  lief}.  $u  fcfjmacr)  &um  SBiberftanb ,  far) 
fich  Sluguft  genöthigt,  5rteben«unterhanblungen  mit  ihm  anju* 
fnüpfen,  bie  am  24.  ©eptember  1706  jum  Slbfchlufj  famen.  3n 
bem  an  biefem  Xage  in  ®arl«  Hauptquartier  unterzeichneten  21  lt* 
ran  ft  äbter  trieben  leiftete  Sluguft  auf  bie  polnifdje  frone 
Sßerjicht,  erfannte  ©tani«lau«  £e«cin«fi  als  fönig  öon  ^olen  an, 
entfagte  allen  ißerbinbungen  gegen  ©ergeben  unb  öcrfprach ,  bie 
33rüber  ©obie«fi  frei$ugeben,  feine  Gruppen  au«  bcn  noch  t>on  ihm  be- 
festen  polnifchen  ©täbten  jurücfjujiehen  unb  bie  SReichSfleinobicn, 
ba«  f  riegSgeräth,  bie  (befangenen  unb  bie  fchroebifchen  Ueberläufer, 
fottrie  ben  in  rufpfchen  $tenften  ftehenben  unb  öon  2luguft  öölfer= 
rccr)töroibrig  gefangen  gehaltenen  Siölänber  ^ßatful  anzuliefern.  Qn 
ber  SBeftrafung  be«  Sefcteren  ließ  f  arl  feinem  unüerföhnlichen  £>affe 
in  einer  SSeife  Sauf ,  bie  feinem  tarnen  einen  unau«löfchlichen 
gierten  angeheftet.  $)er  Unglücf  liehe ,  ber  fchon  im  Sager  bei  s2llt-- 
ranftäbt  brei  Monate  lang  in  Letten  an  einen  $fafjl  gcfchloffen 
hatte  ftct)en  müffen,  mürbe  am  10.  Dftober  1707,  nachbem  ihn  ein 
Kriegsgericht  al«  SanbeSöerräthcr  $um  Xobe  öerurtheilt ,  bei  bem 
Softer  f  afimierj,  acht  Steilen  oon  $ofen,  öon  unten  auf  geräbert, 
roobei  feine  Dualen  bura)  bie  Ungefcf)icflichfett  be«  genfer«  in  fo 
grauenerregenber  SSeife  cr^ör)t  unb  öcrlängert  mürben ,  ba§  man 
ihm  julefct  auf  fein  flehentliche«  bitten  ba«  $aupt  abfdjlug. 


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$ie  ©rünbung  Don  ©t  «Petersburg.  247 


Sie  ©rünbung  tum  St.  ^eterSburß. 

(1703.) 

SBäfjrenb  ®arl  XII.  in  feinem  öerblenbeten  ©tarrftnn  feine 
ganje  Seit  nnb  #raft  an  bie  Entthronung  9Tuguftä  II.  gefefot,  nur 
um  feinen  perfönlichen  $aß  ju  beliebigen,  chatte  ber  E$ar  bie  Er; 
oberung§smecfe ,  für  meiere  er  baä  ©chmert  gegen  ©darneben  in  bie 
£anb  genommen,  nahezu  erreicht  unb  babei  bie  Sehren,  bie  er  au3 
ber  9lieberfage  bei  ftarroa  gebogen,  auf  3  Söefte  öermerthet.  SBic  er 
feitbem  in  feiner  Kriegführung  mit  ungleich  größerer  93orfid)t  ju 
SBerfe  gegangen,  fo  Ijatte  er  auch  bie  ®rieg3tüchtigfeit  feiner  Xruppcn 
bebeutenb  erhöbt  unb  inSbefonbere  ba3  ©elbftgefühl  feiner  Srieger 
baburch  gehoben,  baß  er  aflen  in  ba8  $>eer  eintretenben  ßeibeigenen 
bie  Sreiheit  öerlicr). 

2)a  ®arl,  einzig  mit  feinen  planen  auf  $olen  befdjäftigt,  jum 
«Schule  feiner  £>ftfeeproöin$en  r)öcr)ften^  jehntaufenb  Sftann ,  ein* 
fdjließlich  ber  SDftlij,  jurürfgelaffen,  mar  e$  bem  Ejaren  nicht  fcfjmcr 
geworben,  ben  ©chroeben  ganj  Qngermantanb  hinroegjunehmen  unb 
fich  in  einem  %ty\U  öon  Siötanb  unb  ©ftrjlanb  feftjufcfcen.  9taa> 
bem  er  am  22.  Dftober  1702  ba3  am  Enbe  beä  ßabogafec'3  ge= 
legene  SRöteburg  erobert ,  bem  er  nach  einer  bebeutenben  Ermeite* 
rung  ber  geftungätoerfe  ben  paffenben  tarnen  ©djlüffelburg 
gab ,  jtoang  er  im  3aljre  1703  ba$  eine  9Jceile  öom  finnifa^cn 
9tteerbufen  liegenbe  fcr)tt>ebifc^c  gort  9tienfd)anj  jur  Ergebung  unb 
fah  fict)  baburch  im  Söcfifce  eines  freien  unb  bequemen  £>anbel§= 
plafceS  am  Auspuffe  ber  SKema.  3n  ber  fixeren  3l^erftd(|t,  baß 
ihm  bie  ©chtoeben  ba$  eroberte  Qngermanlanb  nicht  mehr  mürben 
entreißen  fönnen,  fo  furchtbar  fia)  auch  ihr  rriegerifchcr  $önig  biä 
bahin  ju  machen  gemußt,  traf  er  fogleich  5(nftalten,  an  biefer 
©teile  eine  fefte  ©tabt  ju  erbauen,  meldje  bie  erftrebte  engere  Sßer* 
binbung  jmifchen  SRußlanb  unb  bem  übrigen  Europa  h^ftetten  unb 
jugleidj  als  fünftige  $auptftabt  ein  ©tüfcpunft  ber  ruffifdjen  £>err* 
fcfjaft  auf  bem  baltifdjen  2tteere  merben  foHte.  $en  ©runbftein  ju 
biefer  neuen  ©tabt ,  bem  jefcigen  ©t.  Petersburg ,  legte  er  am 
27.  2tfai  1703,  unb  jmar  juerft  311  ber  #ütte,  bie  er  felbft  be= 
mohnen  mollte.  Es  mar  ein  ungeheueres  SBerf,  auf  biefem  moraftigen 
Söoben,  ber  erft  burch  aufgetragene  Erbe  befeftigt  unb  erhöht  merben 
mußte,  eine  ©tabt  ju  erbauen;  aber  $eter  fdjrecfte  öor  feiner 
©chmierigfeit  jurfief.  2lud)  öerfdjaffte  ihm  bie  ritffifdje  ßeibeigen* 
fchaft  SSerfleute  in  Spenge:  £unberttaufcube  öon  ßeibeigenen,  auf 
jmeihunbert  Steilen  meit  sufammengeholt ,  arbeiteten  unter  $eterS 
eigener  Slufftcht  Xag  unb  9lacr)t.  £ie  meiften  famen  in  33ettler= 
lumpen  gehüllt,  in  welchen  fie  auch,  ™  Ermangelung  öon  ©d)itb= 


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248 


$er  norbticf)c  tfricg. 


farren,  bic  $ur  (Erhöhung  beS  93obenS  nötige  (£rbe  ^crbcitrugcn. 
SBiele  ftarben  in  golge  bcr  übermäßigen  SInftrengung ,  bcr  elenben 
Nahrung  unb  ber  ungefunben  fiuft;  aber  bie  Abgegangenen  mürben 
immer  neu  erfefct  unb  ju  biefem  Qrotdt  felbft  ftalmücfen  unb  Xu* 
taren  herbeigetrieben. 

Sei  folgern  (Srifer  waren  bie  SeftungSroerfe  in  unglaublich 
fur$er  3tit  öoüenbet  unb  auch  ber  SBau  ber  SBofmhäufer,  bie  an* 
fangS  nur  aus  ftolj  errichtet  rourben ,  rücftc  fo  rafd)  öoran,  ba& 
bie  ©tabt  fdjon  im  jmeiten  3at;re  betoohnt  roerben  fonnte.  $a 
jebod)  ber  Aufenthalt  in  jenen  SJcoräften  roeber  angenehm  noch 
fieser  mar,  glaubte  ber  (£$ar,  um  bie  neue  ©tabt  $u  beüölfern,  $u 
«SmangSmafjregeln  feine  3uflua^t  nehmen  ju  muffen.  ©ine  grojk 
Qal)l  öon  ©bedeuten,  Äauffeuten  unb  $anbroerfern  auS  9ttoSfau 
unb  anbern  ©täbten  erhielten  ben  ftrengften  5öefe^l  ,  untrüglich 
mit  ihren  gamilten  nach  Petersburg  überjufiebcln,  unb  au«  Surdjt 
cor  PeterS  Qoxn  magte  9ciemanb ,  ftd)  biefem  befehle  ju  nnber* 
fcfcen.  Salb  r)attc  auch  ber  Gjar  bie  Jreube ,  ein  f)oßänbifa>e3 
Schiff  in  bie  9ceroa  einfahren  ju  fer)en  r  um  ben  93emof)nern  ber 
neuen  ©tabt  feine  ßabnng  anzubieten.  $)a  allmählich  öielc  ruffifd)en 
©rofjen,  um  fid)  bei  ihrem  öeherrfcher  beliebt  ju  machen,  fid)  in 
Petersburg  niebcrließen  unb  neue  ©tabttheile  anlegten,  ttmchS  PeterS 
©chüpfung  fchon  gu  feinen  fiebjeiten  $u  einer  bebeutenben  ©tabt 
heran;  3U  bem  pradjtöollen  (^arenfifc,  als  meiere  fie  jefct  baftetjt, 
haben  fie  jebod)  erft  bie  folgenben  ruffifchen  Jperrjcher  gemacht. 

$a  bem  Goaren  bie  geftung  ©djlüffelburg  juin  ©dmfce  ber 
neuen  ©tabt  nicht  genügenb  erfchien,  lieg  er  im  3af)re  1704  unter 
9Jcenc$ifoms  ßeitung  auf  ber  nahen  Qnfel  föetufaii  eine  gtoeite 
geftung,  baS  nnchtige  ftronftabt,  erbauen.  3n  bemfelben  3ahre 
gelang  eS  ihm  auch,  $orpat  unb  9carma  nach  längerer  Belagerung 
jur  Ergebung  $u  jmingen. 


2er  rufftfdic  Ärieg. 

(1708-1709.) 

Obgleich  in  bem  Altranftäbter  ^rieben  für  bie  fehroebtfehen 
Gruppen  nur  bis  jum  grühjahrc  Quartiere  in  ©achfen  ^ugeftanben 
roorben ,  bet)nte  $arl  unter  mancherlei  SBortuänben  feinen  Äufent* 
halt  in  biefem  ßanbe  über  ben  größten  Xheil  beS  ©ommerS  aus. 
Grft  311  (£nbe  Auguft  1707  brach  er  mit  einem  £>eere  öon  öierunb= 
t)ier$igtaufenb  äJcann,  baS  jum  Xfjeile  aus  angeworbenen  X)eutfd»en 
beftanb,  aus  feinem  Säger  öon  Altranftäbt  auf,  um  auch  feinen  leg- 
ten unb  mächtigften  ÖJegner,  ben  Goaren  Peter,  ju  ©oben  $u  merfen. 


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$er  mffifäe  tfrieg. 


249 


Statt  jeboch  aunächft  nach  bett  OftfeeproDtttjen  ju  stehen,  um  burch 
bereu  ,3urücferoberung  bie  unentbehrliche  SBerbiubung  mit  Schweben 
herjufteüett ,  wanbte  er  fich ,  ba  er  burchauS  feinem  Gegner  beu 
Srieben  in  ber  alten  (Sjarcnftabt  StfoSfau  öorfc^reiben  wollte,  im 
blinbeit  Vertrauen  auf  feine  Uttbeftegbarfeit  oftwärtS,  um  burch  <ßo= 
tett  in  baS  innere  föußlanbS  oorjubringen ,  ofme  fich  jeboch  babei 
einen  beftimmten  gelbjugSptau  entworfen  ju  haben.  9tad)bem  er  ju 
Slnfang  beS  SahreS  1708  bie  SBeichfel  Übertritten,  nahm  er  am 
28.  Öebruar  ©robno  unb  fefcte  bann,  ba  bie  9tuffen  überall  öor 
i^m  jurücfwtchen ,  feinen  3"9  btä  nach  SBilna  fort ,  mo  er  fein 
&eer  fo  lange  raften  lieg,  als  bie  bort  üorhanbenen  Vorräte  aus* 
reichten.  Qm  Quni  brach  er  gegen  bie  Söereftna  auf,  bie  am 
18.  bei  Soriffott)  überfchritten  mürbe,  befiegte  am  13.  ^uli  bei 
|>  0  1 0  w  c  $  i  m  am  gluffe  Söibitfdt)  ben  bort  oerfchanjten  rujfifchen 
General  Scheremetew,  überfchritt  balb  barauf  ben  QDniepr  unb  brang 
bis  in  bie  9lar)c  öon  SmolenSf  oor. 

$er  SBcg  nach  SfloSfau  ftanb  bem  ®ömg  offen;  aber  unge- 
ahnte  Schmierigfeitett  traten  feinem  weiteren  Vorbringen  in  ben 
28eg.  $a  bie  Muffen  bei  ihrem  Surücfweichen  in  baS  Snnere  beS 
SanbeS ,  um  ben  nachjiehenben  Stfinb  aushungern ,  2WeS  auf 
ihrem  Sßege  oerwüftet,  bie  SDcagajitte  jerftört  unb  bie  Dörfer  nie* 
bergebrannt  hatten,  fehlte  es  ben  Schweben  balb  an  ben  nötigen 
Lebensmitteln,  unb  ber  immer  fühlbarer  werbenbe  Langel  erzeugte, 
t)erbunben  mit  ben  übermäßigen  SKnftrengungen ,  bie  $arl  feinen 
Eruppen  jumuthete,  #ranfheiten,  Unjufriebettheit  unb  SDcutfjlofig* 
feit,  $iper  unb  Slnbere  aus  ßartS  Umgebung,  tueldje  bie  (gefahren 
ber  Sage  mof)I  erfaitnten,  boten  Med  auf,  um  ben  ®önig  öon  weU 
terem  Sorbringen  abzuhalten  unb  ihn  §u  beftimmen,  fich  burch  eine 
rücfgängige  Bewegung  mit  bem  ©eneral  &öwenl)aupt  $u  bereinigen, 
ber  mit  einem  £>eere  üon  jwölftaufenb  SJcann  aus  Siolanb  hcrons 
50g  unb  bebeutenbe  Vorräte  oon  £ebenSmitteltt  unb  ®riegSbebarf 
mit  fich  führte.  Statt  jeboch  biefen  Sftath  ju  befolgen,  ließ  fich 
&arl  ju  feinem  Unglücf  burch  bat  ftofafeuhetman  9Jcajeppa  be- 
wegen ,  fich  fübmärtS  nach  ber  Utraine  §u  toenben  unb  fich  auf 
biefe  SBeife  immer  weiter  öon  feinen  Hilfsquellen  ju  entfernen. 

3wan  aKajeppa  (geb.  um  baS  3ahr  1645),  ber  Sofm 
eines  mitteüofen  polnifchett  ©belmannS,  ^atte  an  bem  £>ofe  3ohanu 
ÄafimirS ,  Wohin  er  als  *ßage  gefommen ,  mit  ber  ©attiti  eines 
polnifdjett  ®ro&en  ein  fiiebeSöerhältttifj  angefnüpft ,  wofür  berfclbe 
fich  baburdj  an  ihm  rächte,  ba&  er  ihn  naeft  auf  ben  Üiücfen  eines 
^ßferbeS  binben  lieg  unb  biefem  bie  Freiheit  gab.  35aS  <ßferb 
eilte  mit  ihm  in  bie  r)eimatr)Iic^en  Steppen  ber  Ufraine ,  Wo  ber 
bem  £obe  nahe  Wlapppa ,  ber  mit  bem  erfchöpften  ^ferbe  511 
©oben  geftürjt,  bon  dauern  aufgefunben  unb  (oSgebunben  Würbe. 

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250 


$cr  ncrbifd)c  $ricfl. 


(5r  fdtfofc  ftd)  ben  bortigen  Äofafen  an  unb  erttmrb  fidt)  Bei  ben- 
f ctbcti  balb  burdj  ©etuanbtfjett  unb  Xapfcrfeit,  foluie  burdj  feinen 
Sßerftanb  unb  feine  Äenntniffe  ein  fo  h°^3  ^Infe^en,  bafs  fie  if>n 
im  Saljre  1687  nach  bem  lobe  ihre«  #etman3  ju  beffen  9lad^- 
folget  toasten.  *ßeter  ber  CBroßc,  beut  er  in  feinem  Xürfenfriege, 
befonberfc  bei  ber  ^Belagerung  t>on  $foro ,  wichtige  Xtenftc  geteiftet, 
ernannte  ihn  jum  gürften  ber  Ufraine ;  aber  bteS  genügte  bem  ehr* 
geizigen  2Rajeppa  niebt:  fein  ©treben  ging  auf  tjottftänbige  Unab* 
Fjängigfeit  toon  bem  Sparen.  $a  er  biefeä  Stet  am  ftdjttften  bnref) 
tfarlS  xn.  3Rititnrfung  gu  erreichen  Ijoffte,  bot  er  ihm  ein  #ilf«* 
beer  bon  breigigtaufenb  ftofafen,  fonrie  Sebenämittel  in  Ueberfluß 
für  feine  Xruppen  an,  roenn  er,  anftatt  geraben  SBegS  nach  2Ro3= 
fau  ju  geben,  ben  Umroeg  burch  bie  Ufraine  machen  unb  ftd)  bort 
mit  ihm  bereinigen  rooHe.  ®egen  ben  9latr)  aller  ©ad)t>erftänbtgen 
im  febroebifchen  §eere,  beren  ®intoänbe  nur  umfomehr  be3  Äönig* 
©tarrftnn  reijtcn ,  ging  Äarl  auf  biefen  SBorfdjtag  ein  unb  trat, 
nadjbem  er  bem  General  Sön>en!jaupt  ©efe^t  gefanbt,  ihm  nadj^u* 
folgen,  ben  Su9        DC*  Ufraine  an. 

Sttit  ebenfo  großer  SBefriebigung  als  SBerttmnberung  fab  ber 
ß^ar  ben  ©djroebenfönig  fübroärtö  gießen;  benn  er  burfte  fieb  ber 
Hoffnung  Eingeben ,  baß  berfelbe  feinem  SBerberbcn  entgegengehe. 
§n  ber  X^at  erlagen  Eaufenbe  ber  fdjroebifcben  Srieger  in  ben 
enbfofen  SBälbem  unb  roüften  ©teppen,  in  welchen  man  Weber  be* 
wofmte  Orte  noch  ßeben&mittel  fanb,  bem  £mnger,  ben  2fnftrcngungen 
unb  ben  burch  bie  anfjaltenbe  9läffe  unb  bie  mangelhafte  93eflei- 
bung  erjeugten  Ätanfheiten,  unb  eine  äflenge  Kanonen  blieben  in 
ben  SKoräften  fteefen.  ®tc  einzige  Hoffnung  ber  fcbwebtfdjen  ©ene* 
rate  ftanb  auf  ßöwenbaupt  unb  SJcajeppa;  aber  feiner  bon  ©eiben 
ließ  fid>  bliefen.  (Snbltcr)  r  am  23.  Dftober,  erfa^ien  ber  @rfterer 
bod)  nur  mit  fedj3taufenb  Sftann  unb  ofme  jebwebe  3ufu^r :  wieber* 
holte  Kampfe  mit  überlegenen  ruffifcfjen  £>eere8abtheilungen  hatten 
ihm  bie  4>älfte  feinet  £eere3  unb  fein  ganjeS  ©epäcf  gefoftet.  $lud) 
SÄajeppa,  ber  balb  nachher  eintraf,  führte  bem  ®ömg,  ftatt  ber  Der* 
fproebenen  breißigtaufenb  Äofafen,  nur  einen  ^eerhaufen  bon  fünf- 
taufenb  Sflann  ju  unb  braute  Weber  fiebenämittel  noch  ©etb  mit. 
2>ie  9cad)rid)t ,  bog  ber  (£jar  mit  einem  furchtbaren  £>eere  tyxan* 
rüde,  \)aitt  alle  feine  ^Bemühungen,  bie  ®ofafen  jum  Mbfatt  bon 
bcmfelben  ju  bringen,  fruebttoä  gemacht. 

SBährenb  ®ar(3  Dffijiere  ihrem  Unmutb  über  Üttajeppa  freien 
fiauf  liegen,  gefiel  fidj  ber  ftönig  barin,  feinen  SBerbruß  ju  öer= 
bergen  unb  bem  feetman  fein  unfreunblichcS  SBort  ju  fagen.  Unter 
unaufhörlichen  ^Beunruhigungen  burch  bie  Muffen,  beren  #eerhaufen 
ben  ©chroeben  immer  gur  ©eite  ftreiften,  nmrbe  am  22.  SRoüember 
SBaturin,  aj^jcppa^  Wohnort,  erreicht,  wo  man  SRaft  ju  hatten  gc- 


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$er  raffte  ^rieg. 


251 


backte;  aber  SKcncjtf ow ,  ber  fürs  öorljer  bort  gewefen,  hatte  bie 
©labt  in  einen  Slfdjenhaufen  öerwanbelt ,  äRajeppa'3  Bilbm&  an 
ben  ©argen  gelängt  unb  einen  anberen  #etman  ernannt.  5luf  bem 
weiteren  SKarfche  ging  ba3  ©cpätf  meift  öerforen;  ein  groger 
ber  ^ferbe  erlag  bem  junger,  unb  bie  SJcenfdjen  Ratten  jur  SRaf)* 
mng  nur  trodeneS,  meift  üerfchimmelteä  Brob  unb  Sftirjeln;  benn 
bie  Hüffen ,  bie  unter  9Jcenc$ifow  bie  ©egenb  burchftreift ,  fyatttn 
21üc^  niebergebrannt.  5)aju  fam  bie  ungeheure  ®alte,  bie  ben 
SBinter  öon  1708 — 1709  ju  einem  ber  benfmfirbigften  beS  Qahrs 
fjunbertä  gemacht.  $)ie  Reiterei  mußte  abfifcen,  um  nicht  gu  er= 
frieren,  unb  baä  gu&öolf  ftetö  in  öoüem  Saufe  fortjtehen.  $ennoa> 
erlagen  an  öiertaufenb  2Jccnfdjen,  tfjeitö  ber  &älte  felbft,  theilS  bem 
burd)  biefelbe  erzeugten  (Slenb. 

9co<h  immer  märe  e$  für  ben  ßöntg  Qtxt  gewefen,  nach  $olen 
jurüdjufe^ren,  unb  Sßiper  befdjwor  ihn,  im  Vereine  mit  SRaaeppa, 
öon  einem  wetteren  Vorbringen  abftitftehen  unb  ben  SRüdweg  einju- 
fragen;  aber  ber  ftarrftnmge  ftönig  founte  Weber  burdj  biefe 
333arnung3ftimmen  noch  burdj  ben  ^Inblicf  beä  gren$enlofen  (£lenbe& 
feiner  ©olbaten  ju  einem  ©abritte  bewogen  werben ,  ber  ihm  al3 
3urd)t  tjätte  gebeutet  werben  tonnen  ober  einer  Sludjt  ähnlich  gc= 
fefjen  ^aben  mürbe,  (ährft  müffe  man ,  meinte  er ,  bte  SRuffen  au£ 
ber  Ufraine  oertreiben  unb  ftd)  in  ber  ^auptftabt  ^ultama  feft- 
fefcen;  bann  fönne  man  noch  immer  tljun,  waä  man  wolle. 

(Snblich  würbe,  nachbem  ba$  eingetretene  Xfwuwetter  in  ben 
faft  ungangbar  geworbenen  SSegen  unb  ben  ju  ©trömen  angefa^wefl* 
ten  Bächen  neue  ©djwierigfeiten  gefdjaffen,  ju  SInfang  2lprtl  1709 
Sßultawa  erreicht.  $arl  traf  fogleid)  Slnftalten  jur  Belagerung 
ber  fefteu,  mit  Lebensmitteln  rctcr)licr)  üerfehenen  unb  öon  einer 
adjttaufenb  SDcann  ftarfen  ruffifdjen  Befafcung  öertheibigten  ©tabt; 
aber  bei  feinen  ungenügenben  ©treitfräften  —  fein  £>eer  jaulte  faum 
mehr  noch  jwan$igtaufenb  ÜRann  —  unb  ber  geringen  Qai)l  ber 
ihm  gebliebenen  ©efd)ü&e  ^atte  bte  Belagerung  umfomemger  2lu3* 
ficht  auf  (Srfolg,  al3  baä  jum  (Sntfafc  ber  ©tabt  Ijerangerüdte  £eer 
öon  funfunbfe^igtaufenb  SJcann,  bei  welkem  ^ßeter  fid)  perfönüa) 
eingefunben,  bereite  gan$  in  ber  sJcäfje  ftanb. 

Stach  mehreren  f leinen  Borpoftengef  echten  fam  e£  am  8.  Quli 
öor  ben  dauern  öon  $ultama  $ur  (Sntfcheibungäjchlacht.  $)a  $arl 
in  einem  ber  legten  ©charmüjjcl  an  bem  Knöchel  be£  linfen  gufje£ 
eine  gefährliche  ©djufjwunbe  erhalten  l)atte  unb  baher  nidjt  ju 
$ferbe  fteigen  fonnte,  füfjrte  ber  ©eneral  Sfi^enffiölb  ben  Dberbe* 
fc^l  über  baS  fd)Webifdje  £>eer ;  boa)  lieg  fia)  äarl,  um  bte  Xapfer^ 
feit  ber  ©einigen  $u  entflammen,  in  einer  ©änfte  auf  bem  ©c^lacht^ 
felbe  ^rumtragen.  £er  SluSgang  beS  ungleichen  Sampfed  fonnte 
nicht  jweifelhaft  fein,  unb  in  ber  2;hat  genügten  jwei  ©tunben, 


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252  $er  liorbifdje  Jhteg. 


um  baS  fdjmebifdje  #eer  faft  gan^lia?  $u  Dernidjten  unb  ben  bis* 
fjer  nie  belegten  @d)mebenfönig  jum  ärmften  glüdjtling  ju  madjen. 
sIRel)r  als  neuntaufenb  ©djmeben  unb  $ofafen  fanben  im  Kampfe 
ben  £ob,  unb  mehrere  fdjmebifdjen  (Generale,  unter  ifjnen  Styenffiölb 
felbft,  tyiptx  unb  ber  ^ßrinj  SJcajimilian  Immanuel  Don  SBürttem* 
berg,  mürben  gefangen  genommen.  5)aS  gan$e  ©epärf  mit  ber 
reiben,  fteben  Sttillionen  Xfjaler  entfjaltenben  ihriegSfaffe  fiel  ben 
©iegern  in  bie  £>änbe.  $)em  Könige  l)alf  man  auf  ein  ^ßferb  unb 
braute  ifm  bann  glütflidj  in  eine  fealefdje ,  in  melier  er  eiligfr, 
Don  einer  ©djaar  fdjmebifdjer  Leiter  unb  einigen  Rimbert  ftofafen 
begleitet,  gegen  ben  $niepr  ^in  cntflot)  (8.  Quli  1709). 

$>er  (General  ßömenf)aupt,  bem  es  gelungen,  bie  SRefte  beS 
äerförengten  &eere3  $u  fammeln,  ergab  ftd),  bie  Unmöglidjfeit  ein* 
feljenb,  eS  mit  bem  übermächtigen  geinbe  aufzunehmen,  an  ÜÄencjU 
fom  unter  ber  SBebingung,  ba§  baS  gan$e  $eer  roäfjrenb  ber  6)e= 
fangenfdmft  anftänbig  befwnbelt  unb  nadj  bem  griebenSfdjluffe  frei 
ausgeliefert  merbe.  $iefe  öebingung  mürbe  jebod)  nidjt  erfüllt. 
SBon  ben  gefangenen  ©djmeben  fa!)en  nur  einige  menigen  bie  &eU 
matfj  roieber;  bie  übrigen  mürben  burd)  baS  ganje  ruffifdje  9teid> 
äerftreut,  unb  Diele  ftarben  in  ben  fibirifdjen  öergmerfen. 

$er  (S^ar,  ber,  obgleich  felbft  fein  ^eroorragenber  gelbljerr, 
in  ber  ©djladjt  bei  ^ßultama  gro&en  perfönlia-jen  Hßlutf)  unb  bie 
faltblütigfte  @ntfd)loffenl)eit  gejeigt,  feierte  bei  feiner  föücffefjr  nadj 
9ttoSfau  ben  errungenen  ©ieg,  burdj  melden  baS  ©cfurffal  beS  9cor* 
ben*  entfdueben  unb  SRufclanbS  ^errfdjaft  Dom  (SiSmeer  bis  jur 
faSpifdjen  @ee  unb  Don  ginnlanb  bis  jum  fajmaqen  Ütteere  aus* 
gebebt  mürbe,  burd)  einen  Xriumpljjug,  bei  toeldjem  ber  ©raf 
^ßiper  finnbilblicf)  Don  Marren  umgeben  mar  unb  immer  ein  SRuffe 
mit  Derbunbenen  klugen  je  $ef)u  jufammengefoppelte  ©djmeben  ein- 
^erfü^rte. 

ffarl  XII.  in  ber  Surfet. 

(1709-1714.) 

9lad)bem  $arl  XII.  mit  feiner  berittenen  ^Begleitung  unter 
9ftajeppa'S  gfifjrung  glücfüct)  ben  $niepr  erreidjt  fjatte,  fefcte  bie 
flüdjtige  ©d)aar  ityren  SRitt  unter  ber  brennenbften  ©onnentjifoe 
burd)  unberooljnte  SBüfteneien,  fortroäijrenb  mit  junger  unb  3)urft 
fämpfenb ,  nad)  ber  bamalS  burd)  ben  93ug  gebilbeten  türfifefieu 
ÖJrenje  fort,  bie  am  15.  3uli  erreicht  mürbe.  3)ie  Xürfcn  mad)* 
ten  anfangs  ©djnrierigfeiten ,  ber  bewaffneten  ©djaar  bie  lieber* 
far)rt  über  ben  SBug  ju  geftatten;  ber  $afd>a  Don  SBenber  gab  je* 
boc§  SBefefjl,  bem  Äönig  unb  feiner  Begleitung,  benen  ein  nadj* 


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Sari  XII.  in  ber  Sürfci. 


253 


fefccnber  ^almürfcnfchtoarm  fmrt  auf  ben  gerfen  mar,  $u  ber= 
felben  bc^ifflic^  ju  fein,  unb  fanbte  if)m  jugleich  einen  9Iga  mit 
einer  türfifdjen  9reiterfct)aar  entgegen,  um  lfm  nach  ©enber  511 
geleiten,  roo  er  it)n  mit  großer  (Jfjrerbietung  empfing  unb  it)m  ein 
ftattlidjeS  .f>au3  aur  SBolmung  antoieä.  $a  jebod)  ®arl  fict)  nur 
im  Shißcrgctoöhnlichen  gefiel,  fdtfug  er  bor  ber  ©tobt  ein  Sager 
auf,  baä  balb  burd)  ben  Umbau  bcr  Seite  in  SBaracfen  ba3  $ln* 
fehen  einer  förmlichen  ©tabt  getoann,  toie  auch  ÄarlS  Begleitung 
burct)  neu  huigugtfommene  Schieben  unb  <ßolen  ju  einem  Meinen 
§eere  ^erantouch«,  mit  meinem  er  täglich  militärifche  Uebungen 
^elt.  $er  (Sultan  Sldjmct  III.  öerfaf)  it)n  rcidjlirf)  mit  Sebent 
mittein  unb  lieg  tfjm  baneben  täglich  fünfhunbcrt  Zfyakv  auszahlen. 
Slußerbem  nat)m  ßarl  große  «Summen  gu  l;of)en  3infen  auf,  nur 
um  Öklb  unter  feine  fieute  nue  unter  bie  Sanitfdmren  auSfrreuen 
unb  feine  greunbe  in  ben  ©tanb  fefcen  ju  fünnen,  mit  fürftlicher 
bracht  ju  leben,  toährenb  er  felbft  feine  geroohnte  einfache  Sebent 
meife  fortfefcte. 

Unterbeffen  l)atte  ®arlä  attißgcfchirf  ade  feine  früheren  3einbe 
mieber  unter  bie  SGBaffen  gerufen.  ©cr)on  öor  ber  ©d)lad)t  bei 
^ßultatoa  fjatte  Sn^rich  IV.  oon  $)änemarf  bei  einem  Bcfuche,  ben 
er  auf  ber  9Jüdfet)r  öon  einer  italienischen  9icife  am  $ofe  öon  2)rc3* 
ben  gemacht,  fein  frühere^  Bünbniß  mit  2luguft  II.  erneuert.  Qejjt 
erflärte  biefer  ben  5lltranftäbter  grieben  al3  einen  errungenen  für 
null  unb  nichtig  unb  rüdfte  mit  einem  £cere  öon  breijehntaufenb 
SUtann  in  s$olcn  ein.  £ier  erlangte  er  balb  ein  fo  bebeutenbeS 
Uebcrgemicht,  baß  Stanislaus  nach  Bommern  entfliehen  mußte,  oon 
tt?o  er  fich  fpäter  ju  #arl  XII.  nach  Benber  begab,  ber  ihm  ju 
feinem  Unterhalte  bie  Ginfunfte  be3  £>er$ogthum£  ßrocibrüdeu  an* 
tüieä.  2lm  7.  Df  tober  erneuerte  auch  Der  §5ar  fe*n  Bünbniß  mit 
Süiguft  II.,  mit  roclchem  er  ju  biefem  ßiuccfe  in  Zfyoxn  jufammen^ 
gcfommcn,  unb  balb  barauf  erfolgte  bcr  2lbfd)luß  eines  neuen  $er= 
tragS  jmifchen  bem  Goaren  unb  Jricbrich  IV.  $er  Sefctere  erflärte 
am  28.  ßftober  an  (Schieben  ben  ®rieg,  unb  am  12.  Sftoöcmber 
lanbete  ein  bänifcheS  £ecr  öon  öierunbjioan^igtaufenb  SERamt  unter 
ben  (Generalen  SReöenllotu  unb  9tanjau  in  ©dponen.  s2(ber  nod) 
toar  ©crjtoebeng  ftraft  nicht  gebrochen,  groar  ftanbeu  nur  achttau fcnb 
SERann  regulärer  Xruppen  im  Sanbc ;  aber  mit  bcnfclben  oercinigten 
fich  ä&er  ätoölftaufenb  Bauern,  unb  obgleich  btefe  ungeübt  unb  nur 
fdjlecht  bewaffnet  maren,  gelang  eS  boch  bem  erfahrenen  (General 
©tenboef,  mit  ihnen  unb  feinen  eigenen  Gruppen  am  10.  9)car$  1710 
bem  geinbc  in  beffen  Säger  bei  £elfingborg  eine  fo  öollftänbige 
Sfticberlage  fttt  bereiten,  baß  fich  °ie  bäuifchen  gelbherren  auf  ihre 
©d)iffe  äurürf^ichen  mußten,  (^lürflichcr  toareu  bic  tief  in  (Sfthlanb 
unb  Siolanb  eingebnutgenen  Muffen,  gegen  bereu  llcbermacht  fich  Die 


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254 


25er  norbtfdie  $rtcg. 


fleinen  fdjwebifdjen  öefafcungen  nidjt  lange  galten  tonnten:  fdjon 
$u  ©nbe  bcS  QaftreS  1710  fafj  fidj  ^ßeter  im  Sefifo  beiber  £änber, 
fowie  Kardien*  imb  eines  2 r)eileä  öon  ginnlanb. 

93ei  biejer  bebenflidjen  Sachlage  wäre  für  ßarl  XII.  bie  fdjleu* 
uigfte  SRücffefjr  in  feine  Staaten  nidjt  nnr  baS  erfte  ©ebot  ber 
$lugf)eit,  fonbern  audj  eine  unabweisbare  SRegentenpflidjt  gewefen, 
unb  ber  2Beg  baf)in  ftanb  itym  burd)  Ungarn  unb  2)eutfdjlaub  offen ; 
aber  fein  Stolj  fträubte  ficr)  gegen  ben  ÖJebanfen,  fid),  nacfjbem  er 
bie  SBelt  burd)  feine  SBaffentljaten  mit  bem  Sftuljme  feinet  Samens 
erfüllt,  feinen  Untertanen  als  ein  gelbfjerr  ol)ne  #eer  wiebcrju* 
geigen  unb  als  ein  [Jlüdjtlmg  burdj  t)alb  Suropa  ju  reifen.  9cur 
auf  einem  einzigen  Stege  glaubte  er  mit  @t)ren  jurücf fchucu  $u 
fönnen,  uämlid)  burdj  eben  biefeS  iftußlanb,  in  meinem  er  jum 
erften  Sftale  befiegt  worben,  unb  jwar  an  ber  Spifce  eines  türfifdjen 
#eereS,  baS  öon  iljm  ftegen  gelernt.  ®anj  oon  biefem  abenteuer* 
liefen  sßlane  erfüllt,  bot  er  s2lllcS  auf,  bem  Sultan  Sldjmet  begreife 
lid)  ju  machen,  baß  bie  Sicherheit  beS  türfifdjen  Steides  ein  £>erab= 
brüefen  ber  rujfijajen  sMad)t  ert)eifd)c,  unb  ifm  baburd)  ju  einer 
fofortigen  $riegSerilänmg  gegen  9tu&lanb  $u  bewegen,  wobei  er  fid)  * 
it)m  als  SBunbeSgenoffe  anbot.  Qn  feinen  Bemühungen  arbeitete 
i^m  jebod)  vJteter,  bem  reifere  ®elbmittel  jur  ©efteetyung  ber  Um* 
gebungen  beS  Sultans  ju  (Gebote  ftanben,  fo  erfolgreich  entgegen, 
ba&  ber  oon  i^nt  nadj  Üonftantinopel  entfanbte,  ebenfo  fajlaue  als 
gemanbte  ®raf  ^oniatowsfi,  oer  SBater  beS  nachmaligen  Königs  oon 
$ofcti,  erft  nad)  brei$el)nmonatlid)en  ocrgebltcften  Bemühungen  jum 
ijicle  gelangte.  flcadjbem  er  burd)  bie  feinften  biplomatifdjen  föänfe 
unb  ftunftgriffe  bie  Slbfefcung  $meier  oon  SRußlanb  gewonnenen 
©ro&oeaierc  bewirft  hatte,  jeigte  ftdj  enblidj  ber  britte  ben  SBünfcfjen 
ftarlft  günftig. 

ttm  17.  ftoüember  1710  erflärte  bie  Pforte  an  ftu&lanb  ben 
&rieg,  unb  im  3rüf)jahr  1711  rücfte  ein  türfifcheS  #eer  oon  ameimal* 
hunberttaufenb  2Jtann  unter  ber  5ür)rung  beS  ®ro&be$ierS  gegen  bie 
ruffifche  örenjc  üor.  <ßeter,  ber  bemfelben  mit  einem  anfetjnlidjen, 
oon  bem  (General  Sdjeremetem  geführten  Speere  eutgegen^og,  lieg 
fid}  burdj  bie  $oSpobaren  ber  ÜDcolbau  unb  SBalladjei,  bie  ihm  heim* 
lid)  oerfprochen  hatten,  oon  ber  tibüffien  £errfchaft  abzufallen,  fo* 
balb  bie  Muffen  auf  ihrem  (Miete  erschienen  fein  würben,  in  bie 
Dölbau  locfen,  wo  eS  ihm  balb,  ba  bie  SRolbauer  fein  £>cer  nur 
unaureic^eub  mit  ÜSkfj  üerforgten  unb  bie  auä  ber  SSaüacbei  erwärm 
teten  ßufu^ren  gänjlia)  ausblieben,  an  ben  nötigen  Lebensmitteln 
fehlte.  Unter  großen  iöefajwerben,  bie  burd)  junger,  Xurft  unb 
eine  brennenbe  Jpifc  cr^ö^t  würben,  jogen  bie  Muffen  ben  s^rutt) 
hinunter  bis  jum  ^Dorfe  Salcji,  wo  fie  fic^  plöjjlich  burc^  ben 
injWifdjen  über  ben  ^rut^  gezogenen  ©roöoejier  fo  üollftänbig  einge* 


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#ari  XII.  in  ber  Xürfet. 


255 


fchtoffen  fa^en,  ba&  feine  3ßöglidjfeit  be*  (Sntfommen*  Dorfjanben 
war.  $a  bei  ihrer  gänzlichen  (Erfchöpfung  an  einen  erfolgreichen 
#ampf  mit  bem  weit  überlegenen  feinblichen  £eere  faum  gebaut 
»erben  fonnte,  festen  ben  Muffen  nicht  $lnbere*  übrig  ju  bleiben, 
al*  bie  SBaffen  511  ftreefen.  Schon  chatte  ber  Sjar  ein  ©abreiben 
an  ben  Senat  nach'SJcoöfau  entlaubt,  mit  ber  SJcelbung,  ba§  er 
ot)ne  befonbere  göttliche  jpilfe  nichts  Slnbere*  öor  Hugen  fefje,  al* 
eine  gänzliche  9cieberlage,  unb  mit  58erhaltung*maBregeln  für  ben 
gall  feiner  ®efangenfchaft  ober  feine*  £obe*,  al*  e*  feiner  ®e* 
mahlin  Katharina1),  bie  ilm  in  ben  Ärieg  begleitet  fyattt,  unter 
SJcitmirfung  mehrerer  höheren  Offiziere  gelang,  buret)  s}ket*gebuug 
ihrer  Quwelen  ben  fjabfücfjtigen  unb  überbie*  be*  Kriege*  oollfom» 
men  un!unbigen  ©rogoejier  junt  Slbfchlug  eine*  grieben*  $u  be* 
wegen,  ber  am  2.  $uli  1711  nach  furjen  Unterhanblungen  $u 
©tanbe  fam.  Qn  bemfelben  würbe  bem  ruffifa^en  Jpeere  freier  s2Xb* 
jug  bewilligt,  wogegen  s£eter  öerfpraa),  tffom  f)erau*$ugeben,  feine 
geftungen  an  ber  türfifchen  ©renje  ju  fdjleifen  unb  ber  SRücffehr 
be*  fönig*  üon  Schweben  in  feine  Staaten  fein  ^inbernifj  in  ben 
SSeg  jn  legen. 

Vergeben*  fyattt  $oniatow*fi  2lHe*  aufgeboten,  um  ben  s#b= 
fdjlufi  be*  grieben*  ju  hintertreiben;  auet)  fein  ^roteft  gegen  ben-- 
felben  würbe  nicht  beamtet.  (Sbeufowenig  öermochte  £arl  felbft,  ber 
herbeigeeilt  war,  um  ben  Triumph  $u  geuiejjen,  feinen  gefährlich* 
ften  (Gegner  al*  befangenen  $u  feheu,  ben  grieben  rücfgängtg  ju 
machen.  511*  er  ben  ©ro&üeaier  mit  Vorwürfen  überhäufte,  aut* 
wortete  ihm  biefer:  „©Ott  befiehlt  un*,  bem  geinbe  ju  oerjeihen, 
ber  fich  üor  un*  Demütigt  unb  um  ©nabe  bittet.  2Ber  follte  sJtufc 
lanb  regieren,  wenn  ich  tf)m  feinen  £>errfcher  nähme?"  SBei  bem 
SIb$ug  ber  Muffen  erbot  fich  ßarl,      mit  einer  türfifchen  £eere** 


1)  $eter*  jioette  ©emaf)lin  Katharina  mar  nach  ©inigen  bieXoduer  eine* 
fatholifchen  ©auern  au*  iUttbauen,  tarnen*  (5faroon*fi;  nadj  Slnbern  war 
itjr  eigentlicher  Sßame  SJcartfja  9tabe  unb  ihr  $ater  fd)roebijcher  Cuartiermeifter. 
litt  bie  fehr  junge  grau  eine*  fdjroebifdjen  Dragoner*  mar  fie  im  %a\)xc  1702 
nach  &cr  Eroberung  bc*  Iiulftnbtjcfjcn  6tttbtd)cn*  Hiarienbura  ben  sJtuffcn  in 
bie  Mdnbc  gefallen  unb  bem  ruffifct)cn  QJcnerat  SBauer  al*  Üoeuteantheil  ^uer* 
fannt  roorben.  3)iefer  trat  fic  an  3Rencjitoro  ab,  beffen  9lufmcrf)amfeit  fic 
burd)  ihre  Schönheit  unb  ihren  SSerftanb  erreat  t)atte.  911*  $eter  fie  in 
^encjiforo*  $au*  fat),  entbrannte  er  in  heftiger  Öeibenfdjaft  ju  ihr  unb  jroang 
ben  tfürften,  fte  ihm  $u  überlaffen.  Wad)  ihrem  Uebertritt  jur  gricchifdjen 
Äircbe,  bei  welchem  fte  bie  tarnen  $atlmrina  ^tlcrejerona  annahm,  uermnljltc 
nd)  ber  (isar  im  ^ahvc  1707  heimlich  mit  ihr,  unb  am  Xage  feine*  Slud^ug* 
flegen  bie  'iürfen  (,17.  ^Äd«  1711)  erflärte  er  fie  öffentlich  für  feine  ©cmaljlin. 
3)urd)  bie  ©ebulb,  mit  welcher  fte  alle  feine  Jaunen,  foioie  feine  jeitroeiligen 
3KiBhanblungen  ertrug,  fomie  burd)  ihr  Fluge*  Gingehen  auf  ade  feine  ^becn, 
roufete  fte  fich  ihm  unentbehrlich  ju  madjen  unb  jid)  bi*  an  feinen  $ob  im 
«cfi^e  feiner  3uneigung  ju  erhalten. 


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250 


35er  norbifdjc  Äricg. 


abtt)eilung  anzugreifen  unb  zu  befiegen;  ber  Großoezier  üerfagte 
jebod)  ^icrju  feine  (Einwilligung,  unb  fo  Blieb  bie  lefcte,  oon  ihm 
auf  fo  fdjmadjöofle  SBeife  ocrfaufte  Gelegenheit,  ba3  türfifdje  SRcief) 
gegen  ben  gewaltig  machfenben  Machbar  ju  befeftigen,  unwieber* 
Dringlich  oerforen. 

2113  £arl  öott  Sttißmuth  nach  SBenber  zurucffam,  fanb  er  fein 
ßager  burd)  eine  ftarfe  SluStretung  be3  2)niepr  fo  ooflftänbig 
unter  SSaffer  gefefct,  baß  er  fict)  entfließen  mußte,  ba&felbe  einige 
9Mlen  weiter  hinauf  nach  SBarnifea  zu  üerlegen,  wo  er  für  fitf) 
unb  bie  ©einigen  feftcre  #äufer  bauen  lieg.  $a  e3  *ßoniatoW3ft 
gelungen  mar,  bie  s2lbfefcung  be3  GroßoezierS  burchzufefeen,  gab  er 
fid)  ber  Hoffnung  hin,  baß  ber  triebe  öon  galcji  nicht  oon  langer 
$auer  fein  werbe,  unb  in  ber  Zijat  machte  e3  $eter  felbft  burd) 
bie  Nichterfüllung  ber  eingegangenen  ©ebingungen  *ßoniatomafi 
möglich,  öon  bem  ©ultan  eine  neue  StiegSerfTärung  gegen  9tuß- 
lanb  $u  erlangen.  $urcf)  baS  ©a^wifchentreten  (SnglanbS  unb 
#oflanbS  Würbe  jebod),  noch  cl)c  bie  geinbfeligfeiten  begonnen 
hatten,  ber  511  galc$i  abgefdjloffene  triebe  auf  fünfunbzwanzig 
gahre  verlängert. 

Xrofc  bicfeS  abermaligen  gehlfdjlagen  feiner  Hoffnungen  gab 
®arl  biefelben  nicht  auf,  unb  in  ber  Xfyat  brachte  eS  ^ouiatowäfi 
nach  bem  abermaligen  ©turje  eines  GroßoczierS  bahin,  baß  am 
12.  9£ooember  1712  eine  brttte  $riegSerflärung  gegen  SRußlanb 
erlaffen  würbe;  aber  auch  bicämal  ^atte  biefelbe  feine  Solgen,  ba 
bie  rufftfdjen  Unterhanbier  burch  Gelb  unb  SBorfpiegctungen  SflleS 
wieber  auszugleichen  mußten.  3hrcm  ©influffe  gelang  es  auch, 
ben  ©ultan  bahin  51t  bringen,  baß  er  an  $arl  bie  ^lufforberung 
ergehen  ließ,  bie  Xürfei  ju  oerlaffen.  tiefer  erflärtc  jebod),  er 
bebürfe,  um  mit  (Shren  abreifen  31t  fönnen,  einer  halben  SDhöion 
Xfjaler  jur  ^Bezahlung  feiner  ©chulben,  unb  als  ber  ©ultan  ihm 
hierauf  jmölftaujenb  SBeutcl  —  fechSmalhunberttaufenb  ZfyaUx  —  auS= 
jahlen  ließ,  ocrlangte  er,  um  einen  neuen  Söormanb  zu  längerem 
bleiben  3U  finben,  noch  heitere  taufenb  Söeutel.  Qe^t  cnbtict) 
war  bie  Gcbulb  beS  ©ultan»  erfd)ityft.  @r  oerfammelte  ben 
$ioan,  um  bemfelbcn  bie  Sragc  ju  unterbreiten,  ob  er  nun  wohl, 
ohne  bie  Pflichten  beS  Gaftred)teS  31t  Derlefccn,  ben  grembling  aus 
feinen  ©taaten  jagen  bürfc,  unb  nacf)bem  fämmtliche  Ütäthe  biefe 
grage  bejaht,  ließ  er  an  ben  Sßafcha  oon  SBenber  unb  beu  ®han 
ber  Xataren  ben  fehriftlichen  Söefehl  ergehen,  ben  dortig  mit  Gemalt 
3U  oertreiben. 

2US  ber  ^Safdja  oon  93enber  $arl  XII.  biefen  Söefehl  oerfün* 
bete  unb  \{)n  fragte,  ob  er  nicht  lieber  als  grennb  abreifen  motte, 
antwortete  ihm  ber  $önig  mit  zornfunfelnbem  ©lief:  „Gehorche 
deinem  £>errn,  wenn  $>u  baS  $erz  bazu  ^aft ;  aber  geh  mir  aus 


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ftarl  XII.  in  ber  Xürfei. 


257 


ben  klugen."  ©ogleid)  mürben  alle  bcm  ®önig  bcttiifligten  Siefen 
mngen  eingeteilt  unb  bie  $olen  unb  $o)afen,  bie  btäfier  nodj  um 
benfelben  gemefen,  bura)  ben  *ßafdja  bemogen,  fid)  nad)  SBenber 
$urütf,5U3tef)en,  fo  bafc  farl  mit  feinen  Offizieren  «nb  etwa  merzet^ 
lunbert  ©djmeben  allein  blieb.  Obgleid)  fid)  allmäljlid)  breizeljn» 
toufenb  Xürfen  unb  Xataren  um  SBarnifca  aufammenaogen ,  mar 
Äarl  tollfüfjn  genug,  an  ©egenme^r  zu  benfen,  unb  gab  53efel)f,  baä 
Sager  mof)t  zu  berfdjanzeu.  Vergeben*  boten  feine  Beamten  unb 
Offiziere  im  Vereine  mit  ben  im  Sager  anmefenben  ©eiftlidjen  5lüe3 
auf,  um  tyn  zum  9cad)geben  ju  bemegen:  er  blieb  taub  gegen  i^re 
SBorftellungen  mie  gegen  iljre  bitten  unb  gebot  if)nen,  fortzugeben, 
toenn  fie  nid>t  mit  iljm  fämpfen  mollten. 

9cad)bem  ber  *ßafd)a  am  12.  gebruar  1713  normal*  einen 
öergeblidjen  SBerfud)  gemalt,  ben  ®önig  zur  Vernunft  ju  bringen, 
gab  er  am  folgenben  Xage  Söefeljl  jur  ©rftürmung  beä  fdjtuebifdjen 
ßagerS.  £)ie  um  baäfelbe  aufgepflanzten  Kanonen  mürben  abge* 
feuert,  unb  in  menigen  Slugenblicfen  maren  bie  SBerfäanzungen  er* 
ftiegen  unb  bie  meiften  Käufer  in  ©raub  gefteeft.  $ie  ©djmeben, 
bie  nur  ©abritt  für  Schritt  zurürfgemidjen,  ergaben  fict)  ber  lieber^ 
madjt;  nur  ftarl  jog  fidj  mit  etma  fünfzig  ber  ©einigen  in  fein 
nod)  unberfefyrteä  £au3  zurfief,  oerrammelte  bie  Xfyüren  unb  lieft 
au*  bcn  genftern  feuern.  2U3  enblidj  baä  bon  ben  Xürfen  in 
Sranb  gefteefte  $ad)  über  ben  ßämpfenben  zufammen  ju  frühen 
brofyte,  befdjlofi  ®arl  auf  ben  9tat^  eines  Xrabanten,  fid)  nad> 
einem  anberen  fefteren  £aufe  burd)zufd)lagen ;  er  jebodj  mit 
feinem  bidjt  gebrängten  Häuflein  unter  einer  guten  ^ßiftolenfalbe  auf 
bie  Xürfen  au*  ber  Xfnlre  f)inau£ftürmte,  bermidelte  er  fid)  in  feine 
Sporen  unb  ftürjte  zu  SBoben,  morauf  er  bon  ben  Qanitfdjaren  nid)t 
ofme  grofje  SÄülje  entmaffnet  mürbe.  2Jton  braute  ifjn  in  baä  gelt 
be*  ^ajdja'*,  ber  üjn  mit  (Jfjrerbietung  empfing  unb  ifm  zum  ©ifcen 
einlub,  „meil  er  motyl  mübc  fein  roerbe." 

SRadjbem  Marl  nod)  einige  rfeit  in  93enber  zugebracht,  moljin 
ber  s$afd)a  ifm  l)atte  führen  laffen,  mürbe  Ujm  2)emotifa  bei  Slbria* 
nopel  zunt  2lufentf)alt3orte  angemiefen,  roo  man  Ujm,  mie  früher, 
9taturallieferungen,  jebod)  fein  ÖJelb  bemißigte.  9tod)  immer  nährte 
er  bie  Hoffnung,  e3  bei  bem  ©ultan  zu  einer  neuen  $rteg$erflärung 
gegen  Äufjlanb  zu  bringen,  unb  fdjränfte  fid),  um  nur  bleiben  zu 
fonnen,  auf  ba*  Sleu&erfte  ein.  Um  in  feiner  ärmlichen  2Bof)nung 
feinen  Söefud)  annehmen  zu  müffen,  ftetlte  er  fid)  franf,  blieb  oft 
ganze  SBodjen  in  feinem  Seite  liegen  unb  fam  z^)«  Sttonate  lang 
gar  nidjt  au*  bem  Limmer. 

Snztoifdjen  befanb  ftd^  ©d)tueben  in  ber  traurigften  Sage.  (£3 
fefjlte  zur  gortfefcung  be$  Stiege*  an  ©elb,  mie  an  ©olbaten  unb 
Sriegäbebarf;  ber  $>anbel  ftodte,  ba*  fianb  feufzte  unter  ber  fiaft 


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258 


SDcc  norbtjdje  $rieg 


unerfchnringücher  s2I6gaben,  unb  bic  unter  aßen  ßlaffen  ber  53c* 
üölferung  ^crrfc^cnbe  Unjufriebenheit  trat  immer  mehr  in  lautem 
2Jhirren  ju  £ag.  $abei  Ratten  bie  oerbünbeten  ©egner  ÄarlS 
nach  unb  nach  alle  fct)tt)ebtfcrjen  ^efifcungen  in  $eutjchlanb  btö  auf 
Stralfunb ,  SBiSmar  unb  bie  Qnfel  tilgen  in  53efi(j  genommen. 
£er  ©eneral  Stenbocf  erfocht  jroar  am  20.  5)e$ember  1712  bei 
®  a  b  e  b  u  f  dj  über  bie  SDänen  einen  oollftänbigen  Sieg  ,  mu&te 
fid)  aber,  naa^bem  er  am  9.  Qanuar  1713,  um  bie  tljeilroeife  Qtt- 
ftörung  oon  Stabe  burd)  bie  Oerbünbeten  ju  rächen ,  baä  ööllig 
toehrlofe  Altona  niebergebrannt ,  oor  einem  ^eranrüdenben  ruffifd)* 
fäc^fifc^en  £>eere  in  baä  fefte  Höningen  prucf^ie^en ,  in  roelchem  er 
oon  ben  SBerbünbeten  fo  ootlftänbig  ausgehungert  tourbe ,  ba§  er 
fich  am  16.  9Jcai  gc$nmngen  faf),  fidj  mit  feinem  ganzen  Speere  511 
ergeben.  $)ie  Üftadjt  ber  Schweben  mar  bamit  in  biefen  ©egenben 
gänzlich  bernichtet ;  Schleimig  aber  würbe  bem  jungen  $er$og  ®arl 
griebrich  üon  |>olfteuu©ottorü,  ftactö  Neffen,  beffen  Steter  griebrich  IV. 
in  ber  Schlacht  bei  Älifforo  ben  Xob  gefunben ,  abgefunden  unb 
mit  Sänemarf  Dereinigt. 

Xrofc  biefer  oerhängnifjöollen  Söenbung  bcr  2)inge  wollte  $arl 
üon  (einem  grieben  hören  unb  erflärte  3^^n,  ber  ba$u  ratlje,  für 
einen  Skrrätljer.  S)abei  beftanb  er  mit  feinem  gewohnten  Starr* 
finn  barauf ,  OTeä  üon  ber  Xürfei  aus  regieren  ju  wollen ,  unb 
al3  im  35ejember  1713  bie  föeidjäftänbe  jufammen  getreten  waren, 
um  über  bie  troftlofe  Sage  beS  Sanbeä  unb  über  bie  Herbeiführung 
be£  griebenS  511  beratfjen,  erflärte  er  bie£  für  einen  freüentlid>en 
(Singriff  in  feine  töedjte  unb  fanbte  ben  sJteia)Sftänben  ben  Befehl, 
fofort  auäeinanber  511  gehen.  Sie  gehörnten,  fanbten  aber  $u 
gleicher  Seit  ben  ©eneral  Siemen  au  ben  $öntg  ab,  um  iijn 
bringenb  $ur  unoerjüglichen  föütffefjr  aufauforbern.  $ie  Schübe* 
rung ,  bie  Siewen  bem  ftönig  öon  ber  Sage  beä  Sanbeä  unb  ber 
allgemein  hcrrfa^enben  Unaufrtebenheit  machte,  unb  beffen  unum= 
munbene  ©rfläruug,  ba§,  falte  $arl  noch  langer  mit  feiner  sJtücf* 
fe^r  jögere ,  bie  sJteich3ftänbe  ohne  it)n  grieben  fajüegen  unb  ben 
$l;ron  aubermettig  befefeen  mürben,  riffen  enbltch  ben  ftöuig  auä 
feiner  ©tftarrung.  (Sr  orbnete  eine  gläujenbe  <&efanbtfd)aft ,  ju 
bereu  Sluäftattung  er  fich  nur  unter  ben  ejorbitanteften  iöebingungen 
baä  nötljige  ®elb  hatte  üerjdjaffen  (öunen,  nach  Äonftantinopel 
ab,  um  bem  Sultan  bie  Ütttttheilung  machen  §tt  laffen,  bajj  er  ent* 
fchloffen  fei,  nach  Schweben  jurücfaufehren.  sJiachbem  ihm  Vldjmet  III. 
noch  ein  prächtige^ ,  mit  ®olb  gefttcfte«  Seit,  einen  Säbel  mit 
btamantenem  ÜJriffe,  acht  fchöne  arabifche  s^ferbe  mit  filbernem 
ÖJefchirr  unb  Steigbügeln  unb  fedjjig  äöagen  mit  Sebendmitteln 
3um  ©ejchenf  überjanbt,  brach  er  am  1.  Dftober  1714  oon  £emo* 
tifa  auf,  unb  ein  jahlreidjeä  türfifct)ed  ©hrengefolge  gab  ihm  ba* 


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$arl3  XII.  «uSgcmg.  —  ©nbc  beS  norbtfdjcn  tfriegeä.  259 


(Geleite  biä  jur  ÖJrcnjc.  3n  bcr  SBafladjei  trennte  er  fich  oon 
feinen  fchwebifchen  Begleitern  unb  behielt  nur  bie  beiben  Dberften 
SRofen  unb  Düring  bei  fid),  mit  benen  er  unter  bem  tarnen  eineä 
fchwebifchen  Hauptmanns  grifch  bie  föeife  burdj  Ungarn  unb  S)eutiaj= 
Ianb  fortfe&te.  ©o  unaufhaltfam  ftürmte  er  üormärtS,  baß  ber 
erfdjöpfte  SKofen  fdwn  nach  ben  brei  erften  Xagen  §urücfbleiben 
mußte,  ßfnu  SRaft  unb  8tuf)e  ging  bie  Steife  fort,  am  $age  $u 
^ferbe  unb  bei  5Racr)t  $u  SBagen ,  bi«  enblid)  am  22.  SRoöember 
Nachts  um  ein  ill)r  ©tralfunb  erreicht  mürbe.  Snnerhalb  üier* 
^ehn  Sagen  Ratten  ßarl  unb  Düring  äWetfmnbertachtaig  beutle 
«Weilen  jurücfgelegt. 

3n  ©tralfunb  rief  bie  Nachricht  öon  ber  Nücftehr  be3  ®onig3 
eine  allgemeine  unb  aufrichtige  greube  herüor.  2llä  er  am  folgen* 
bat  Sage  bie  Straßen  ber  ©tabt  burchritt,  brängte  fid)  Sllleä  um 
ihn,  unb  üon  allen  (Seiten  begrüßte  if)n  fetter  Subelruf.  Um  ber 
Bürgerjchaft  feine  Sanfbarfeit  ju  bemeifen,  erließ  er  ber  ©tabt 
auf  $efm  3af)re  alle  Abgaben  uub  erhob  bie  öornefjmften  !Ratr)S* 
Herren  in  ben  s2lbelftanb. 


StaxU  XII.  »uätjana,.  —  gnbe  be$  norbtfdjcn  ftrießeS. 

(1718-1721.) 

2113  ßarl  XII.  ftc^  jur  ftürffehr  nach  ©djtoeben  entfloß, 
glaubte  er  nur  gegen  feine  brei  früheren  Berbünbeten  ben  $arnpf 
trrieber  aufnehmen  müffen;  bie  Safyi  feiner  (Gegner  oermehrte 
fia)  jeboch  balb  um  jmei  neue.  ßuerft  trat  griebrich  SBilhelm  L 
oon  Greußen,  griebrich^  I.  ©ot)n  unb  Nachfolger  (feit  1713),  ber 
einem  mit  ©achfen  unb  Nußfanb  gefchloffenen  Vertrage  gemäß 
einen  großen  Zfyzii  oon  ©chwebifdj5$ommem  befefet  fyattt  >  ocm 
Bünbniß  gegen  ©chweben  bei,  weil  ®arl  fich  weigerte,  bie  oon  ihm 
als  ^ßreiä  ber  Räumung  ©tettinä  geforberte  Ünifchäbigung  oon 
öiermalhunberttaufenb  Xijaltxn  ju  §al)len.  hierauf  fdjloß  ÖJeorg  I., 
$Önig  oon  (ämglanb  unb  ®urfürft  oon  ^pannooer ,  am  26.  Quni 
1715  $u  Kopenhagen  mit  griebrich  IV.  einen  Vertrag,  in  welchem 
ber  Öefctere  für  bie  ©umme  oon  achtmalhunbertjiebenunbfiebjigtau= 
fenb  X^aletn  bie  ben  ©chroeben  entriffenen  £>er$ogtf)  unter  Bremen 
unb  Serben  an  £annoüer  abtrat  unb  ©eorg  I.  ftd)  bagegeu 
^ur  Betheiligung  an  bem  allgemeinen  Kriege  gegen  ©chweben  Oer* 
pflichtete. 

Obgleich  ©ehwebenä  Sfräfte  ooUftänbig  erfchöpft  waren ,  nahm 
$arl  ben  $ampf  mit  feinen  übermächtigen  Gegnern  auf  unb  er- 
öffnete bie  geinbfeligfeiten  bura)  bie  Befefcuug  ber  3ufel  Ufebom; 

17* 


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260 


$er  norbifc^c  Jhieg. 


er  mürbe  jeboch  burd)  ein  preußifd)eS  £>eer,  baS,  burdj  bänifchc, 
fädjfifche  unb  hcmnöüerifdje  Xruppen  berftärft,  gegen  ©tralfunb  unb 
SSiSmar  heranrüdte,  roieber  aus  berfclben  bertrieben.  2lm  15.  9to= 
üember  festen  fünfjehntaufenb  Greußen,  £änen  unb  ©achfen  unter 
ber  güfyrung  beS  dürften  Leopolb  bon  $)effau  r\ad)  ber  Qufcl  9tügen 
über,  unb  ein  bitter  Diebel  erleichterte  ihnen  bie  Befcftung  berfel- 
6en.  Söet  bem  bergeblichen  SÖerfuche ,  bie  Qnfel  gu  bertheibigen, 
gerietfj  ®arl  nid)t  nur  felbft  in  Lebensgefahr ,  fonbern  berlor  auch 
feinen  SReifegefährten  Düring,  ber  im  Kampfe  ben  Xob  fanb.  v2luch 
©tralfunb,  baS  bon  einem  aus  Greußen,  $)änen  unb  ©achfen  bt- 
ftehenbeu  Speere  belagert  mürbe  f  bermochtc  $arl,  trofc  ber  r)elben= 
müthigften  SBertheibigung  nicht  ju  galten.  S2US  bie  s2lußenmerfe 
genommen  maren  ,  fchiffte  er  fid) ,  bie  ömcdlofigfeit  eines  längeren 
SBiberftanbcS  cinjehenb ,  am  21.  £e$ember  1715  fyeimltdj  nach 
©choonen  ein,  worauf  bie  ©tabt  am  23.  ben  Belagerern  übergeben 
unb  bon  ben  £änen  befefct  mürbe.  ÜJiit  SBiSmar ,  baS  fich  im 
folgenben  Qahre,  burdj  junger  bezwungen,  gleichfalls  bem  preußifch= 
bänijdjen  BelagerungShecre  ergeben  mußte,  büßte  ©ehweben  ben 
legten  SReft  feiner  beutfehen  Befijjnngen  ein. 

%xo%  aUebem  berlor  ®arl  ben  Sftuth  nidjt.  Er  befaß  in  bem 
in  feine  Xienfte  getretenen  Ijolfteinifdjen  Baron  ®  ö  r  $  einen  treff= 
liefen  ginanjminifter ,  ber  bem  gänjlid)  zerrütteten  ©taatshöi^h0*1 
burch  bie  Einführung  bon  ^apiergelb  unb  fupfernen  ^t)alern  mc* 
nigftenS  für  ben  Slugenblid  aufhalf  unb  baburch  ben  föönig  in  ben 
©tanb  fefctc,  für  bie  unabmeisbarften  Bcbürfniffe  beS  £>eereS,  baS 
fich  im  elenbeften  äuftanbe  befanb  unb  nicht  einmal  gehörig  be- 
treibet mar ,  ©orge  ju  tragen.  Um  bem  geinbc  feine  3eit  $ur 
Erholung  §u  gönnen,  unternahm  $arl  51t  Anfang  beS  3al)rcS  1716 
einen  SSinterfelbjug  nach  Norwegen ,  bei  meinem  er  jmar  aufs 
sJteuc  glänjenbe  groben  beS  SftuthcS  unb  einer  burch  Vichts  51t  er* 
mübenben  2ütSbauer  gab  unb  im  SRärj  1716  baS  bon  feinen  Be^ 
mohnern  berlaffene  (£f)rifriama  befefcte ,  aber  bennoch  bem  geiubc 
feinen  erheblichen  ©chaben  jufügte ,  inbem  feine  glotte ,  bie  bem 
.peere  frifche  Lebensmittel  unb  ftriegSbebürfniffe  jufüljren  füllte,  im 
jpofeu  bon  gricbrichShall  oon  bem  Wbmiral  iorbenfdu'lb  überfallen 
unb  berbrannt  mürbe,  fo  baß  er  fich  Qenötfngt  faf),  fein  bon  s2lllem 
entblößtes  £>eer  fchleunigft  nach  ©chtoeben  jurürfjuführen ,  worauf 
er  ben  SBinter  ju  Lunb  in  ©choonen  jubrachte. 

Unterbeffen  ^atte  GJorj,  um  ©djmebenS  gefunfene  2Kad)t  aufs 
sJceue  $u  heben,  $läne  bon  ungewöhnlich  füfmer,  bod)  mohlberechneter 
Sragmeitc  entworfen,  bie  $arlS  bollfte  guftimmuttg  erhielten.  $)urch 
bie  Ueberlaffung  bon  Qngermanlanb  unb  Efthlanb  follte  ber  Ejar, 
^arlS  gefährlicher  ÖJcguer ,  auf  ©chroebenS  ©eite  gebogen  unb  für 
bie  Unterftüfcuug  ftarlö  im  Kampfe  gegen  beffen  übrige  geinbc, 


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tfarld  XII.  Ausgang.  —  (£nbe  beS  norbifrfjen  Kriege*.  261 

fotoie  für  bic  Betfjeiligung  an  ber  28iebereinfe|}ung  ©taniälauS 
£c3cin3ri'ä  getuonnen  roerben;  bagegen  foüte  fid)  $arl  für  bie  au 
ftußfanb  abgetretenen  Sänbcr  gunädjft  burdj  bie  (Eroberung  öon 
9cortoegen  entfdjäbigen ,  bann  öon  bort  nad)  <3djott(anb  überfein, 
um  ©eorg  I.  ju  (fünften  be£  *ßräteubcnten  3afob  III.  Dom  Xfjrone 
ju  frühen,  unb  fid)  baburrf)  uidjt  nur  beu  SBieberermerb  ber  öon 
£>annooer  angefauften  Herzogtümer  ©reinen  unb  Serben ,  fonbern 
audj  bie  Bereinigung  öon  |>annooer  mit  ©cfjmeben  fiebern.  $)er 
^ar ,  mit  meinem  fid)  &öx%  bereite  ine  ©inöcrnefjmen  gefegt, 
geigte  fid)  umfo  geneigter  jum  ?(b[d)Iuß  eineä  <5eparatfricben3  mit 
©djroeben ,  foroie  jur  Unterftüjmng  ber  öon  bem  fdjmebifc^en  üflU 
nifter  entworfenen  Richte,  als  er  nicfyt  nur  erreicht  Imrte,  maä  er 
gettjoßt,  fonbern  aud)  auf  $>änemarf3  £jerrfd)aft  im  ©unbe  unb 
fenglanba  Befitjnafjme  öon  Bremen  unb  Berben  eifcrfüd)tig  mar,  unb 
fdjon  fjatte  man  fidj  bei  einem  im  9M  1718  auf  ßofoc,  einer  ber 
$llanb3infcln,  eröffneten  Kongreß  über  fämmtfidje  £>auptpunfte  ge- 
einigt,  aU  ein  uneriuarteter  Xob  ber  ftürmifdjcn  ßaufbafyn  be3 
fed)3unbbreifiigjäfjrigen  <5d)mebenfönig§  ein  Siel  fefctc. 

Um  bie  Eroberung  öon  Sftorroegen  §11  bemerfftcHigen ,  f>atte 
$art  im  5Iuguft  1718  ben  Baron  Slrmfelb  mit  einer  £>eere$ab* 
tfjeihmg  öon  jefjntaufenb  ÜRann  über  bie  Violen  nad)  S)rontl)eim 
entfanbt  unb  mar  bemfelben  im  ftoöember  mit  bem  £>aupt()eerc  auf 
füblidjem  SBege  über  bie  normegifdje  ©renje  gefolgt,  morauf  er  am 
4.  £ejember  bie  Belagerung  ber  geftung  gricbric^Ä^all  er* 
öffnet  Imtte.  9ßad)bem  er  felbft  am  9.  mit  bem  Xegen  in  ber 
4>anb  eine  £>auptfd)anje  erobert  Ijatte,  begab  er  fidj  am  11.  — 
einem  (Sonntage  —  föät  2lbenb3,  trofc  ber  fdjneibenben  ^aa^thtft, 
mit  bem  Dberingenieur  9flegret  unb  bem  ©encralabjutanten  ©iquier, 
^meien  gran^en,  tyinauä,  um  $u  feiert ,  mie  meit  man  mit  ben 
Arbeiten  in  ben  ©räben  gefommen.  2BäI)renb  er,  über  eine  ©ruft* 
wefjr  ^ingelet)nt  f  ben  $opf  auf  beibe  Slrmc  geftüfct,  beim  Sidjt  ber 
Sterne  ben  Arbeiten  jufab,  entfernten  fidj  feine  beiben  Begleiter, 
fo  baß  er  allein  jurücfbUcb.  2113  fie  nad)  Berlauf  einer  ©tunbc 
mit  einigen  anbern  Offizieren  jurürffamen ,  fanben  fie  ben  ®ömg 
tobt,  föütfmärtä  gegen  bie  Brufttoefjr  gelcfmt,  Ijieft  er  bie  rechte 
£anb  am  $5egen;  $opf  unb  $mnbfd)uf)e  maren  mit  Blut  bebeeft. 
Äße  maren  beftür$t  unb  tief  erjdjüttert;  nur  bie  beiben  gran$ofcn 
geigten  feine  Ueberrafcfmng ,  unb  Sftegrct  fagte  faltbtüttg:  „$a3 
<Bpid  ift  au«;  mir  moüen  nad)  £>aufe  gefjen."  Um  ba3  Unglücf 
geheim  $u  galten ,  füllten  bie  Offiziere  üaxtä  £etdje  in  einen 
SRantel  unb  trugen  fie  inä  Hauptquartier.  $)er  bei  bem  $>eere 
dnroefenbe  s-ßrina  griebridj  öon  Heffen^affel ,  ber  ®cmal)l  ber 
fdjmcbifdjen  ^ßrinjeffin  Ulrife  (Eleonore,  ftarlä  jüngerer  ©djroefter, 
i)ob  fofort  bie  Belagerung  öon  griebrid)$lmll  auf  unb  führte  baä 


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262 


$er  norbifdje  Äricg. 


fteer  nacf)  ©chmeben  zurficf.  SBon  tlrmfelbS  §eer  f  baS  jtuar 
$rontheim  nach  unfäglichen  SBefdjmerben  erreicht  f  ober  bie  ftarfc- 
unb  roohl  öertfjetbigte  geftung  nicht  ju  erobern  öermodjt ,  far)cit 
faum  fünffmnbert  HJcann  bie  £>eimath  roieber;  alle  Uebrigen  maren 
bei  bem  mitten  im  SSinter  angetretenen  3tficfzuge  auf  ben  ©Sfel= 
bern  ber  #iölcn  ber  $älte,  bem  junger  unb  ben  Slnftrengungen 
erlegen. 

Unftreitig  r)attc  ®arlS  XII.  (£harafter  eine  cble  ©runblage. 
(Seine  grömmigfeit  mar  eine  aufrichtige,  unb  feine  ©ittenreinhett, 
feine  (Einfachheit  unb  SJcafiigfeit  bilben  einen  mcujltfmenbcn  ©egen* 
fajj  ju  ber  ©ittenöcrberbnifc ,  ber  $runtfud)t  unb  Ueppigfeit ,  bie 
an  ben  meiften  gürftenl)öfen  jener  Seit  hnx  unbefchränften  £>err* 
fdjaft  gelaugt  maren.  $abei  mar  er  ein  abgefagter  geinb  oon  fiug 
unb  Xrug  unb  Schmeichelei  unb  fein  ©inn  öon  Anfang  an  auf 
baS  ©ro§e  gerichtet.  Slbcr  mit  feinen  guten  ©igenfehaften  öerban- 
ben  fich  fchmermiegenbe  gehler.  $er  ©tarrfinn,  in  welchen  bic 
geftigfeit  feinet  SBillenS  ausgeartet  mar ,  machte  ihn  nicht  nur 
unzugänglich  gegen  jeben  guten  SRatfj,  felbft  menn  fich  bcrfelbe  auf 
bie  triftigften  unb  einleuchtenbften  ©rünbe  ftfifete,  fonbern  auch  wn= 
empfinbltch  gegen  bie  ßeiben  feines  SBolfeS.  ©eine  gurchtlofigfeit 
unb  helbenmuthige  Xapferfeit  mürbe  nicht  feiten  zur  Xoflfühnheit, 
unb  baS  ©eroufjtfcin,  für  fein  gutes  Stecht  baS  ©chroert  gebogen  51t 
haben ,  rijg  ilju  zu  blinber  9tacf)fucht  hin.  E)a§  er  burdjauS  fein 
herborragenber  gelbt)err  mar,  geht  fchon  aus  ber  ööfligen  $lan* 
lofigfeit  feiner  gclbjüge,  fomie  aus  ber  gänzlichen  $ernachläffigun$ 
auch  gemöhnlichften  unb  nothroenbigften  SBorfichtSmaöregeln  bei 
benfelben  tyrtiox.  SBährenb  baS  llnglücf  ihn  nicht  ju  beugen  ber= 
mochte ,  berleitete  ihn  baS  ©lücf  jur  Ueberfchäfcung  ber  eigenen 
®raft  unb  }u  unöerzeihlichen  Xhorheiten.  ©0  üergeubete  er  burch 
ben  SKi^brauch  feiner  reichen  ©aben  nufeloS  bie  Gräfte  feine* 
ßanbeS  unb  fturjte  ©chtneben  tum  ber  £>öfje  unb  politifchen  93ebeut* 
famfeit  tyxab ,  zu  melier  cS  burch  ©uftaü  Slbolf  unb  ftarl  X. 
emporgehoben  morben. 

Obgleich  cS  im  haften  ÖJrabe  unmahrfcheinlich  erfchien ,  ba§ 
eine  feinbliche  ßugel  ben  $Önig  gelobtet  habe ,  unb  baS  allgemeine 
©erücht  bie  beiben  granzofen  fo  ungefcheut  als  feine  9ftörber  bc* 
Zeichnete ,  baß  ber  Ucame  ©iquier  in  „©icaire"  oermanbelt  mürbe, 
gefefmh  nicht  baS  äftinbefte  jur  SHarftcUung  ber  näheren  Umftänbc 
beS  traurigen  ©reigniffeS.  9J?an  ließ  es  als  ausgemacht  gelten, 
baß  ber  ®önig  öon  einer  auS  ber  geftung  he™&ergefommenen  bä= 
nifchen  ®ugel  getroffen  morben.  (Erft  achtunb^manzig  3at)re  fpäter, 
am  11.  Quli  1746,  mürbe  bie  Seiche  ärztlich  unterfucht,  mobei  fidr> 
herauSgeftcllt  haben  foß ,  bog  ber  $ob  beS  Königs  nur  burch  eine 
Sßiftolenfugcl  herbeigeführt  morben  fein  fönne,  bie  ihn  an  ber  rech* 


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ßctrlS  XII.  KuSgcmg.  -  Gnbc  bcS  norbifcben  Stiege«.  263 

tcn  ©d)läfe  getroffen  Ijabe  unb  an  ber  linfen  «Seite  be«  ©djäbclS 
ttrieber  Ijerauägebrungen  fei.  SBenn  inbeffen  ftarl,  wie  faum  ju 
beameifeln,  burd)  SO^euc^etmorb  gefallen,  fo  ift  er  ftcfjer  nidjt  ba3 
Dpfer  einer  ^riüatradje  geworben,  fonbern  bem  $mffe  be3  mit  feiner 
unumfdjränften  Regierung  Iongft  unjufriebenen  2lbel3  erlegen,  unter 
meldjem  ertoiefener  9Haßen  eine  Skrfdjmörung  gegen  fein  Seben  be= 
ftanben  r)atte. 

$er  fdjmebifdfje  Slbel  berfäumte  aud|  nidjt,  ben  $ob  beS  ®ö= 
nigS  in  ber  auSgiebtgften  SSetfe  au$aumtfcen.  2Rit  Umgebung  beä 
jungen  ^erjogS  ®arl  Sriebridj  üon  $otftein*®ortorp,  ber  als  ber 
©ofm  ber  älteren,  im  3a^re  1708  ju  ©totfljolm  öerftorbenen 
©djmefter  $arl3  bie  nädrften  föedjte  auf  ben  erlebigten  Xf)ron  ju 
^aben  fdjien,  obgleict)  nad)  ben  oon  ben  oorljergefyenben  Königen 
bejügltcr)  ber  (Erbfolge  getroffenen  53efttmmungen  S^eifel  barüber 
obmalten  fonnten,  entfdjieb  fidj  ber  SReidjaratf)  für  #arl$  jüngere 
©djmefter  lllrtfe  Eleonore,  bie  ®emaf)lin  SriebridjS  oon  Reffen, 
nadjbem  biefelbe  ju  ©unften  beS  $Ibetd  auf  bie  unumfa^ränfte  $önig3* 
gemalt  ücrjicrjtct  unb  bie  SBiebereinfüfjrung  ber  alten  ^egierungä- 
roeife  jugefagt.  SDttt  .ßuftimmung  ber  9tei($8ftänbe  übertrug  fie  im 
3a§re  1720  bie  ^Regierung  iljrem  ©emaljle. 

Sflit  ber  Xfyronbefteigung  ber  Königin  Ulrife  Eleonore  mar  aud) 
ba3  ©djtdfal  beä  93aron3  ®ör$  befiegelt,  ber  als  Sluälänber  unb  al£ 
ber  oertrautefte  9tatf)geber  ®arlä  für  ben  fjerrfdjfüdjtigcn  $lbel  längft 
ein  ÖJegenftanb  be3  bitterften  &affe$  geroorben.  Mea  Unheil,  ba$ 
feit  Qaljren  burd)  ®arl3  SBiflfür  ober  burd)  ben  $)rang  ber  Um- 
ftänbe  über  ©d)meben  gefommen,  mürbe  ifjm  $ur  ßaft  gelegt  unb 
eine  fReir)e  oon  Slnflagen  gegen  iljn  erhoben,  ju  bereu  SBtberlegung 
man  ifjm  meber  einen  SRedjtSbeiftanb  nodj  eine  ftf)riftttdje  S8ertr)ci* 
bigung  bemittigte.  Dbgleid)  iljm  fein  ein$ige3  ©taatäoerbredjen  nadj* 
gemiefen  merben  fonnte,  mürbe  er,  mit  ber  gröblid)ften  SBerlefcung 
oder  9led)t3formen,  uad)  einem  einzigen  $8erl)öre  jum  Xobe  oerur= 
tfjeilt  unb  am  2.  Stfärj  1719  Ijingeridjtei. 

3)er  norbifdje  ®rieg  mürbe  jmifdjen  ben  Qafjren  1719  unb 
1721  burd)  eine  SReilje  oon  grieben3fd)lüffen  beenbet,  bie  ©djmeben 
burd)  mefjr  ober  meniger  große  Dpfer  erfaufen  mußte,  ©tatt  ftd), 
bem  Gebote  ber  Älugfyeit  gemäß,  juerft  mit  bem  (£$arcn,  alä  bem 
mädjtigften  unb  gefäfjrlidjften  ©egner,  abjufinben,  bradj  ba3  fdjme^ 
bifdje  $abinet,  ben  £a|  gegen  ÖJorj  aud)  auf  beffen  politifc^eS 
©uftem  übertragenb,  bie  Unter^anblungcn  mit  9iußlanb  ab,  in  ber 
Hoffnung,  naa^  ber  £erfteHung  be§  SriebenS  mit  ben  übrigen 
2Räd)ten  gegen  ben  ©jaren  leid)tere3  ©piel  51t  ^aben.  Suerft 
erfolgte  am  20.  SRooember  1719  ber  Slbfdjluß  be^  griebend  mit 
©eorg  I.  oon  ©nglanb  unb  £annoöer,  ber  Bremen  unb  Serben 
behielt  unb  bafür  an  ©a^meben  eine  Million  X^aler  jaulte;  bann 

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264 


^cterä  beS  ©rofjen  ^Reformen  unb  lefcte  Sebenäjahre. 


tourbe  am  5.  Qanuar  1720  ein  9(bfonimen  mit  $Tuguft  II.  getroffen, 
traft  beffen  Schieben  ihn  als  $önig  üon  Sßolen  anerfannte  gegen 
bie  oon  ihm  übernommene  Verpflichtung,  an  (Stanislaus  SeScinSfi, 
bem  ber  föniglidje  Xitel  oerbleiben  fottte,  eine  Million  Xtyaler  ju 
jaulen.  Sftit  5ricbricr)  SBilfyelm  I.  oon  ^ßreu&en  einigte  man  fich 
unterm  1.  gebruar  1770  bafjin,  baf?  bemfelben  baS  üon  ihm  befehle 
Stettin,  fohrie  Vorpommern  bis  an  bie  $cene  nebft  ben  Qufcln 
Ufebom  unb  SßoHin  gegen  bie  an  Sdjroeben  ju  leiftenbe  3^^u^g 
öon  jmei  Millionen  X^alent  oerblieben.  $)änemarf  behielt  in  bem 
am  14.  3uni  1720  abgefdjloffenen  ^rieben  ben  ©ottorp'fchen  2lntf)ctl 
öon  Schleswig  unb  erhielt  aufjerbem  oon  Schtoeben  eine  Summe 
oon  fcchSmalhunberttaufenb  %^aitxn,  wogegen  eS  bie  bemfelben  ent» 
riffenen  Eroberungen  Verausgab  unb  auf  bie  bisher  genoffene  3oH= 
freir)eit  im  Sunbe  Verjidjt  leiftete. 

Xiefe  oerfdu"  ebenen  griebenSf rfjlüffe  brauten  ben  (Sjaren  gegen 
bie  ihm  ohnehin  toerha&te  fchtoebifche  Regierung  fo  fehr  auf,  bag 
er  fid)  ju  rächen  unb  Schweben  jum  grieben  $u  jmingen  befdjloß. 
Sftuffifche  Gruppen  rücften  in  Upfanb  ein,  plünberten  unb  Oer  brann- 
ten bort  zahlreiche  Stäbte,  Dörfer,  abelige  (Süter  unb  2ttühlen,  leg» 
ten  ganje  Strecfen  fdjöner  Salbungen  in  Slfdjc,  jerftörten  ©ifen* 
werfe  unb  Äupfergruben  unb  jdjleppten  SDcenfchen  unb  Viel)  mit 
ftd|  fort.  3)iefe  ^Barbareien  ^Wangen  enblich  bie  Schweben,  fid)  ben 
Sorberungen  beS  (Sparen  ju  fügen,  unb  fo  fam  am  10.  September 
1721  ber  griebe  oon  Ucoftäbt  ju  Stanbe,  in  welchem  Schweben 
an  SRußlanb,  gegen  bie  Zahlung  oon  jroei  2Jciflionen  XfyaUvn  unb 
bie  SHüdgabe  Oon  ginulanb,  bie  s$roüinjen  Qngermantanb,  ©fthlanb, 
ittolanb  unb  ben  größten  Xf>eil  oon  Kardien  abtrat.  SRach  bem 
§lbfa)Iu6  biefeS  griebeuS,  ber  SchwebenS  Üftacht  für  immer  Oeraich5 
tete,  nahm  ^ßeter  am  22.  Df tober  1721  ben  $aifertitel  au,  unb  ber 
Senat  erfaunte  ihm  bie  Ehrennamen  „ber  ©ro&e"  unb  „ber  Vater 
beS  VaterlanbeS"  $u. 


XIII. 

"gtttts  bc$  §ro£en  Reformen  unb  fe|fe  ^eflensjafke. 

(1721-1725). 

So  fehr  auc^  Meters  beS  ©roj$en  Xt)äti9feit  burdj  feine  ©r* 
oberungSpläne,  bie  nicht  auf  ben  Erwerb  ber  fchtoebifchen  Dftfee* 
prooinjen  bejehränft  blieben,  fonbent  auch  bie  Vereinigung  SßolenS 
mit  föufjlanb  jum  ©egenftanbe  Rattert,  in  Slnfprud)  genommen  mar, 
üerlor  er  boch  ju  feiner  3eit  bie  Sorge  für  bie  innere  UmgeftaU 


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$eter«  beS  ©ro&cn  Reformen  unb  icfcte  2eknSjal)rc. 


265 


tung  feine*  Meiches  aus  ben  klugen.  3)er  #auötgegenftanb  feiner 
Slufmerffamfeit  blieb  baS  £eermefen,  baS  mehr  unb  mehr  nach 
euroöäifchein  dufter  eingerichtet  mürbe.  Slufcer  bem  ftcr)enbcn  $>eere, 
in  melchem  er  bie  ftrengfte  SJcannSjucht  aufrecht  !jiett,  fachte  er  auch 
eine  2lrt  ßanbroehr  ju  btlben,  unb  ein  im  3afn*e  1713  erlaffeneS 
®efefc  verpflichtete  ben  gefammten  Slbel  jutn  ShriegSbienfte.  gür  bie 
£>ebung  ber  ©eemacht  gefdjah  fo  tuet,  bafj  bei  ^Seterö  Xob  bie 
ruffifdje  glotte  a^tunböierjig  Sinienfchiffe  unb  acfjtfjuubert  fleinere 
ihriegSfahrjeuge  mit  einer  Bemannung  tjon  ac^tunb^manjigtaufenb 
©eelcuten  jählte. 

Dteben  bem  $>eermefen  lag  bem  (Sparen  befonberS  bie  Hebung 
beS  £>anbelS  unb  beS  ©eroerbflctSeS  am  £erjen.  Qux  Erleichterung 
beS  inneren  SSerfehrS  nnirben  Sanbftraßen  unb  Kanäle  angelegt  unb 
burdj  bie  $8erbinbung  ber  inneren  <Sdt)ifffa^rt  mit  bem  9)ceere  neue 
£anbelSroege  eröffnet.  Qvix  SBcreblung  ber  ©chafjucht  mürben  ©djäfer 
unb  ©djafe  aus  $olen  unb  ©djlefien  ocrfdirieben  unb  jur  Anlegung 
oon  Seinroanbmanufafturen,  Scberfabrifen,  Papiermühlen,  (Glashütten 
u.  bergl.  5ar)lreicr)e  SluSlänber  inS  Sanb  gebogen.  ©ef)r  nüfclich 
ermiefen  fief)  für  bie  Hebung  ber  ©croerbethätigfeit  in  SRufjlanb 
bie  burd)  baS  gan^e  SReidf)  jerftreuten  fdjroebifdjen  Kriegsgefangenen 
Dom  3af)re  1709,  benen  nach  bem  Slbfdjluß  beS  griebenS  üon  9cü= 
ftäbt  üiele  ihrer  fiaubsleute  freimillig  nachfolgten.  Eine  ganj  be= 
fonbere  (Sorgfalt  üermanbte  $eter  auch  auf  ben  93ergbau.  Er  lieg 
in  Sibirien  unb  im  Ural  jal)lreicr)e  Sßergmerfe  anlegen  unb  errich- 
tete im  Safjre  1718  eine  eigene  Söergfdmle. 

Um  bem  $lbel  jeben  (Stnfluß  auf  bie  Regierung  ju  entjiefjen, 
hob  ^eter  ben  „93ojarenf)of  auf  unb  errichtete  im  3al)re  1711  als 
oberften  Gerichtshof  beS  SRcicheS  einen  ©enat,  beffen  Sftttglieber 
üon  ihm  ernannt  mürben.  28er  bie  ©ifcungen  beSfelben  oerfäumte 
ober  au  benfelben  ju  fpät  fam,  oerfiel  in  ©träfe.  $em  ©enate, 
in  welchem  ber  E$ar  gemöhnlich  fclbft  ben  33orfifc  führte,  ftanb, 
aufjer  ber  Entfdjeibung  über  Sragcn  ber  Gefe^gebung  unb  ber 
oberften  9(ufficf)t  über  ben  iöoüjug  ber  Gcfeje,  baS  föcd)t  ju, 
Stangftufen  ju  ertheilen  unb  in  ben  9lbelftanb  ju  erheben.  Sitte 
tum  bemfelben  auSgchenben  Erlaffe  —  Ufafe  —  hancn  GefefceSfraft, 
menn  ber  Ejor  fie  nicht  auSbrücflich  aufhob,  gür  bie  einzelnen 
3meige  ber  ©taatSüermaltung  maren  Kollegien,  jelm  an  ber  Qafyl, 
eingefefct,  beren  9töthe  unb  93eififcer  Dom  ©enate  ernannt  mürben, 
mäbienb  bie  Ernennung  ber  Präfibenten  unb  SBiceoräfibenten  üon 
bem  Ejarcn  ausging.  Eine  europäifer)  organifirte  ^olijei  machte, 
im  Vereine  mit  ber  geheimen  ^nquifitionSfanjlei,  über  bie  öffentliche 
©icherheil  unb  über  baS  Xretben  uujufriebener  Muffen.  5)ie  ©e- 
rect)rigfeit  mürbe  ftreng  unb  ohne  Hnfehen  ber  Perfon  gehanbhabt; 
bie  r>öc^ftert  ©taatsbeamten  mufjten  begangene  Ungerechtigkeiten  burch 


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26G 


^clcrö  bcä  ©rofecn  «Reformen  imb  lefrte  SebenSjafnc 


Verbannung  nach  «Sibirien  büßen.  VefonberS  fudjte  Peter  mit 
großem  (Trufte  ba3  Volf  öor  Vebrücfungen  unb  Wxülüx  öon  ©ei* 
ten  ber  Beamten  unb  ©bcHente  ju  fchüfcen ;  e3  gelang  üjm  bieä  je= 
bodj  nur  in  fehr  befchränftem  Sflaße,  ba  ba&  Uebel  attju  rief  einge* 
murjelt  mar. 

$en  alten  Srbel  teilte  Peter  in  brci  klaffen  —  Surften, 
trafen,  Varone  — ,  ben  mit  gemiffen  Remtern  unb  SBürben  öer* 
bunbenen  fftangabel  in  öierjehn,  öon  benen  acht  mit  bem  erblichen, 
fedjS  mit  bem  perfönlichen  9lbel,  alle  aber  mit  Priüilegien  öerbun* 
ben  maren,  ben  Vürgerftanb  in  fcchä  klaffen  mit  entfprechenben 
Priöitegien.  $ie  ©ifchöfe  mürben  ben  ^o^cn  militärifd)en  Sftang- 
flaffen  jugetheilt. 

Um  fich  ber  fchiämatifch-griechifchen  $ir<he  gegenüber,  meldje 
in  föußlanb  bie  allein  Ijerrf^enbe  mar,  eine  unbefchränfte  ÜKacht 
SU  fidjern,  lieg  Peter  nach  bem  Xobe  beS  Patriarchen  Mbrian  II. 
öon  SHoäfau  (1700)  beffen  Stelle  unbefefct  unb  ernannte  mährenb 
ätuanaig  3af)ren  nur  Vermefer  be3  Patriarchats,  bie  über  «Richte 
felbftftänbig  beftimmen  tonnten,  fonbem  über  2llle3  mit  ben  ©i* 
fdjöfen  Dörfer  beraten  unb  bann  ben  CSjaren  um  Genehmigung 
ihrer  Verfügungen  bitten  mußten.  2(18  im  3a()re  1721  bie  ©eift* 
lichfeit  um  bie  (Stnfe&ung  eines  neuen  Patriarchen  bat,  fdjlug  fict> 
ber  G^ar  auf  bie  «ruft  mit  ben  Korten:  „£ier  ift  euer  Pa= 
triarch!"  Sin  bie  ©teile  beS  abgerafften  Patriarchats  trat,  als 
höchfte  firc^liape  Vehörbe,  bie  am  25.  gebruar  1721  errichtete 
„heilige,  birigircnbe  ©önobe",  beren  SJcitgUeber  bem  (Sjaren  „als 
ihrem  natürlichen  unb  mahrhaften  Dberherrn"  Xreue  unb  ®ehor* 
fam  fdfjfoören  unb  babci  befennen  mußten,  baß  ber  $aifer  aller 
Reußen  ber  fjödrfte  [Richter  in  geiftlichen  Angelegenheiten  fei.  $5ie 
©tmobc,  beren  bie  föeinerhaltung  ber  ßehrc,  beS  ttuItuS  unb  ber 
XiScipltn  umfaffenber  ©efchäftSfreiS  auf  baS  ©enauefte  öorge$eich5 
net  mar  unb  bie  ifjre  3nftruftionen  öon  bem  Sjaren  felbft  empfing, 
erließ  alsbalb  aufPeters  Vcranlaffung  eine  SReifje  öon  93orfc^riftcri 
für  ben  SBcIt*  unb  DrbenSflcruS ,  meiere  einen  (Sinblicf  in  ben 
traurigen  guftanb  ber  rnffifchen  ftirche  ju  jener  Seit  eröffnen  unb 
inSbefonbere  ben  ungeheueren  Hbftanb  jrotfehen  bem  öcrfommcncn 
ruffifchen  unb  bem  in  fyofytx  Vlüthe  ftehenben  abenblänbifchen 
2Jconcf)thum  erfennen  laffen.  8ln  bie  Aufhebung  beS  Patriarchats 
reihte  fid)  bie  ©instehuug  aller  ©rjbisthümer,  mit  alleiniger  5luS~ 
nähme  öon  ®iem  unb  9comgorob.  Xic  erlebigten  ©tühle  mürben 
mit  ©ifchöfen  befe&t;  boct)  behielt  fich  ber  (£$ar  öor,  öerbienftöoHe 
SRänncr  burch  bie  Verleihung  beS  Xitel«  eines  GrräbtfchofS  ober 
Metropoliten  auszeichnen,  peter  hatte  fich  jroar  eine  Zeitlang 
öon  bem  Siefen  ber  fatfjolifchen  Kirche  fo  fehr  angezogen  gefühlt, 
baß  er  bem  Zapfte  ©lernen*  XI.  bie  Verficherung  fyattt  geben 


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s3?eter$  be§  QJrofjcn  ^Reformen  unb  Ietyte  2cben8jaf)re. 


267 


laffen:  er  roerbe  im  ganzen  Umfange  feinet  SRcidjeS  bic  freie  unb 
öffentliche  Ausübung  be$  fatfjolifchcn  #ultu3  geftatten;  feine  fat^o- 
lifenfreunbliche  (Stimmung  mar  jeboch  fpäter  in  baS  ©egentr)eil  um* 
gefchlagen,  unb  nach  ber  Aufhebung  be$  Patriarchats  trat  er  nicht 
nur  entfehieben  feinblich  gegen  bie  fathotifche  Kirche  auf,  fonbern 
fd)ien  e8  fidj  fogar  jur  befonberen  Aufgabe  gemacht  ju  fyabtn,  bie 
päpfttiche  SBürbe  auf  jebe  SBeife  ju  öerhöhnen.  $ie  bamal«  ge* 
grünbete  6t.  Petersburger  Scitung  erhielt  als  möehentlidje  ©eilagc 
öerfchiebene  in«  SRuffifche  überfcfcte  Vrochüren,  in  melden  bie  fatho- 
Hfdje  SHrdje  öerläumbet  unb  öcrfpottet  mürbe. 

5ür  bie  £>ebung  ber  VolfSbilbung  forgte  Peter  burd)  bie  3ln= 
(egung  üon  ©deuten,  für  roelche  er  Sefebücher  unb  ®ateduSmen  aus* 
arbeiten  ließ,  ©oroohl  bic  ©bctleute  mic  bie  Veamten  maren  ge* 
halten,  ir)rc  ©öfme  t?om  je^nten  bis  jum  fünfzehnten  3ahre  in  biefe 
©dmlen  ju  fehtefen.  3ür  bie  roeitere  gottbilbung  ber  ©öfme  beS 
SlbelS  mürben  befonbere  SriegSfchulen  errichtet.  «8"*  allgemeineren 
Verbreitung  ber  Vtlbung  ließ  Peter  $rucfereien  anlegen  unb  frembe 
©chriftmerfe  in«  Sluffifche  überfein,  gu  meinem  Qmdt  er  latent- 
üofle  junge  Muffen  ins  SluSlanb  fanbte.  5ür  höh***  Vilbung,  für 
fünfte  unb  SBiffenfchaften  fehlte  bem  ftaifer  ebenfomohl  ber  ©tnn 
als  baS  Verftänbniß,  mic  überhaupt  nur  baS  für  ihn  SBertt)  hatte, 
ttjaä  für  baS  praftifche  Seben  ©eminn  bringen  fonnte.  @i*  legte 
jmar  ein  anatomifchcS  Üftufeum,  SRaturalienfammlungen,  Vibliothe* 
fen  unb  ©emälbefammlungen  an,  für  roelaV  lefctere  er  befonberS 
©eeftücfe  unb  ÖJemälbe  hoUänbifdt)er  ®üuftler  anfaufte,  unb  errid)5 
tete  fogar  im  3af)re  1725  nach  einem  Don  ßeibnifc  entmorfenen 
Plane  eine  $lfabcmie  ber  SBiffenfdjaften ;  aber  bieS  $WeS  gefdjal) 
meift  nur  beS  äußeren  PrunfeS  megen. 

Sludj  baS  gefcHfdwftliche  ßeben  ber  Muffen  fudjte  Peter  ju 
reformiren.  Um  fie  an  bie  £öflichfeitSformen  unb  bie  gefelligen 
Vergnügungen  beS  eimlifirten  (furopa'S  ju  gemöfmen,  ^ielt  er  bic 
2Bol)lf)abenberen  baju  an,  ju  gemiffen  Reiten  $lbenbgefcüfcf)aften  ju 
geben,  mobei  fie  gelabene  mie  ungelabenc  ®äfte  freunblich  empfangen 
unb  menigftenS  mit  Xfjee  bemirtl)en  mußten.  55er  (£jar  felbft  cr= 
fcfjien  btemetlen  gau$  unermartet  in  biefen  ©efeflfehaften.  Sluch  gab 
er  mitunter  einen  #ofbafl,  ber  buref)  Xrommelfchtag  in  ben  ©traßen 
angefünbigt  mürbe,  unb  mufterte,  am  ©ingang  beS  PalafteS  ftefcenb, 
bie  SInfommenben.  £erren  unb  tarnen  jogen  aus  Urnen  bie  9tum* 
mer,  melche  ihnen  angab,  mit  mem  fie  fich  mährenb  beS  ©alle«  ju 
unterhalten  hätten.  $ic  ÖJroßfürftinnen  reiften  ©rfrifchungen :  %tyt, 
3Jceth,  Vier  unb  Vranntmein. 

$amit  bie  Muffen  auch  in  ber  äußeren  ©rfcheinung  ben  übrigen 
Europäern  ähnlich  mürben,  öerbot  Peter  bei  fernerer  ©träfe  baS 
fragen  langer  Värte  unb  SRöcfe.    S)ie  lederen  burften  nur  fo  lang 


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268         $cter«  be8  ©roßen  Reformen  unb  lefcte  SebcnS  jähre. 

fein,  baß  fie  beim  ßnicen  eben  ben  93oben  berührten.  5tn  fämmt= 
ticken  Stabtthoren  oon  SJcoSfau  maren  beutfdjc  unb  ^ofldnbtfc^c 
Nöde  ausgehängt,  bie  in  biefer  SBejieljimg  sunt  9ttufter  bienen  fott* 
ten ,  unb  mer  fich  mit  -einem  längeren  Nocfc  geigte ,  bem  mürbe  er 
ohne  SBeitereS  auf  ber  Straße  unten  abgcfcr)nittcn.  $icfe  Neuerung 
bedeute  inbeffen  baS  Narionalgefühl  ber  Muffen  fo  fer)r ,  baß  fie 
überall  auf  offenen  SBiberftanb  ftteß.  9llS  ber  Statthalter  bon 
Wftratfjan  biefelbe  mit  ©emalt  burchführen  mottte,  fam  eS  ju  einem 
förmlichen  Slufftanbe ,  bei  meinem  er  felbft  mit  einer  großen  Qaf)l 
bort  anfäffiger  gremben  erfragen  würbe.  SlngefichtS  biefcS  ent* 
fcr)iebcncn  ©iberftanbes  50g  es  *ßeter  oor,  baS  erlaffcne  Verbot 
mieber  anzuheben ,  belegte  aber  bafür  baS  Xragen  langer  ©arte 
unb  Nöcfe  mit  einer  fjoljen  Steuer,  welche  bie  Reiften  willig  $ahl* 
ten,  um  nur  bie  £rad)t  iljrer  SSätcr  beibehalten  ju  fönnen. 

23?ie  folgenreich  aber  auch  Meters  Neuerungen  für  Nußlanb 
geworben  finb  unb  in  hüe  Oorttjeiltjafter  2Seife  inSbefonbere  bie  Um* 
geftattung  feine«  deiche«  in  eine  Militärmacht  bie  ganje  Stellung 
beSfelben  ju  bem  übrigen  Ghiropa  öeränbcrt  r)at ,  fo  war  boch  ber 
Ghrfolg  feiner  cioilifatorifchen  SBirffamfeit  faum  mein;  als  ein 
äußerer,  weil  er  ben  SRuffcn  eine  fertige,  ihrem  SBefen  frembartige 
SBilbnng  mit  gewaltfamer  Untcrbrücfung  ihrer  nationalen  ©igen* 
thümlichfeiten  burd)  3wang 1  Xrucf  unb  Mißhanblung  aufbrang, 
ftntt  fie  burch  wahre  innere  ©tlbung  unb  burch  ©rweefung  ihres 
©hrgefüfjlS  für  feine  Neuerungen  ju  gewinnen.  (Sben  baburet)  er* 
hielt  auch  feine  ganje  Schöpfung  baS  Gepräge  eines  inneren  SBiber* 
fprudjS ,  ber  bis  auf  ben  heutigen  Xag  in  ben  .Huftänbcn  beS 
ruffifchen  NeidjeS  unb  SBolfeS  fortlebt. 

$eter  felbft  mar  in  feiner  ßcbenSWeife  wie  in  feiner  Äletbung 
höchft  einfach,  unb  fein  ganzer  .£>ofhalt  foftete  jährlich  faum  fcchjig* 
taufenb  Silberrubcl.  (£r  befaß  fein  Silbergefdjirr ;  Keffer  unb 
©abeln  hatten  hölzerne  Stiele.  3m  (Sffcn  war  er  mäßig,  bagegen 
aber  bem  Xrunfe,  bem  Nationallafter  ber  Muffen,  bem  SBeiber  unb 
Männer  in  gleichem  Maße  fröhnten,  in  ber  auSfchweifenbften  SBcife 
ergeben.  Sein  ßiebltngSgetränf  mar  ber  ^Branntwein ,  ben  er  fich 
mit  großer  Sorgfalt  felbft  bereitete.  Huer)  über  bie  Notzeit  feines 
SBolfeS  öermodjte  fich  $cter  nicht  511  erheben.  Sßie  er  nicht  feiten 
feine  ÜHtnifter  unb  ©ünftlinge,  felbft  ben  gürften  Mencjifow,  burch» 
prügelte  unb  fogar  feine  (Gemahlin  Katharina  mitunter  thätlid} 
mißhanbelte ,  fo  fdjeute  er  fich  etuet)  nicht ,  in  anberer  SSeife  Sitte 
unb  Slnftanb  in  ber  gröbften  Seife  $u  »erleben.  So  riß  er  ein* 
mal  in  Xanjig  währenb  ber  ^Srebigt  bem  neben  ihm  fifcenben 
Bürger meifter  bie  $erücfc  öom  $opfe  unb  fcfcte  fie  fich  felbft  auf, 
meil  ihm  ber  ®opf  falt  geworben,  ©in  anbermal  ftopfte  er  bem 
©encral  QJolowfin ,  ber  feinen  Salat  effen  fonntc ,  bei  einem  öon 


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«ßeterS  beä  ©ro&en  Reformen  «nb  le&te  SebenSjafjre.  269 

bem  öftcrrctc^ifcfjcn  QJcfanbten  gegebenen  geftmahl  mit  ÖJeroalt 
Salat  in  ben  9Hunb  unb  go&  ihm  ben  @ffig  in  äftunb  unb  sJcafe, 
6i«  ber  Ijeftigfte  Ruften  unb  SRafenbluten  eintrat,  ©inem  oornehmen 
Beamten,  bem  ber  Ungarroein  jurotber  mar,  jroang  er,  fo  lange 
baoon  ju  trinfen,  bi«  er  betüußtlo^  ju  Boben  fanf;  bann  ließ  er 
ihn  üon  leinen  Bebienten  au*$ie$en  unb  in  ben  tiefften  Schnee 
roeryen. 

3n  ungleich  fyötyxm  ®rabe  noch  unb  in  ir»afjrf)aft  efelerregen* 
ber  SBeife  trat  $eter«  Slo^eit  in  ben  feftlichen  Slufougen  ju  Xage, 
bie  er  nach  ber  Aufhebung  be«  Matriarchat«  jur  Berbücjnung  ber 
^apftroal)!  abgalten  lieg.  Söci  benfelbcn  fpielte  fein  Hofnarr  So* 
toro,  auf  einem  gaffe  reitenb  unb  gefolgt  öon  zahlreichen  Be* 
trunfenen,  bie  at«  $omimfaner,  granjiöfaner  unb  berglcitfjen  öer- 
mummt  waren,  ben  neu  gemalten  s}$apft,  roährenb  ben  berüd)tig* 
ften  Branntroeintrinfern  bie  Sollen  öon  $arbinälen  jugemiefen 
waren.  $a«  öJanje  enbete  mit  einem  jfcrinfgelage,  ba«  fid)  fchliefj* 
lieh  unter  ber  Beteiligung  be«  al«  ÜDcatrofen  öcrfleibeten  (Sjaren 
$ur  roibrigften  Orgie  fteigerte.  s2lud)  bei  ber  SBaffcrroeihe  im 
Januar  unb  in  ber  fogeuannten  „Butterrooche"  öor  ben  großen 
gaften  fanben  gefte  Statt,  bie  ein  Slugenjeuge  als  roaf)re  Bacdja* 
nalien  ber  fcfjlimmften  2lrt  bejeichnet. 

$aum  minber  ftreng  nal)m  e«  ber  (£§ar  mit  ber  Beobachtung 
be«  Slnftanbe«  unb  ber  guten  Sitte*  bei  ben  geftlichfeiten,  $u  benen 
bie  fremben  ©efanbten  gelaben  mürben.  2113  er  im  Quni  1715 
fein  neu  erbaute«  £uftfd)lo&  ^ßetcrr)of  etnroeil)te ,  famen  bie  Bot* 
fdwfter  jmei  Sage  lang  au«  bem  SKaufdje  nidjt  fjerau« ;  baaroifchen 
mußten  fie  in  GJemeinjchaft  mit  itjm  einen  etroa  ^unbert  Stritt 
langen  Baumgang  ausbauen,  bann  auf  elenben  Bauernpferben 
ofme  Sattel  unb  3«9^  «inen  fteilen  Berg  Ijinanreiten  unb  enbltd) 
ben  e^aren  im  furdjtbarften  Sturm  unb  <ßla&regen  511  SBaffer 
nach  tronftabt  begleiten,  fo  ba&  bie  gefttichfeit  für  Sitte  mit  einem 
heftigen  gieber  enbigte.  Mitunter  trat  bei  folgen  Gelegenheiten 
auch  oie  rohe  ©cfü^l^roeife  bc«  Goaren  in  ber  empörcnbftcn  SBeife 
äu  Sage.  Bei  bem  erften  ©aftmafjle,  ju  meinem  er  ben  ©e* 
janbten  griebrich«  I.  öon  ^reufjen  einlub ,  lieg  er ,  rote  griebrid) 
ber  ®ro§e  in  feinen  SBerfen  erzählt,  ju  feinem  Bergungen  äroanjig 
gefangene  Streiken  t;er&cifcr)leppen  unb  l)\tb  bei  jebem  ©lafe 
Branntroein,  ba«  er  teerte,  einem  berfelben  ben  ®opf  herunter; 
ja  er  lub  fogar  ben  ©efanbten  ein,  an  biefem  Bergnägen  Zf)t\i 
5U  nehmen ,  uub  mar  fet)r  ungehalten ,  als  berfclbe  bie«  mit  ber 
©rflärung  ablehnte,  ba§  bergleichen  in  feinem  £anbe  nicht  Sitte 
fei.  $iefelbe  SKoljheit,  bi«  $ur  entfc&lichften  Stttenlofigfeit  ge* 
fteigert,  geigte  $eter  in  feinem  Umgang  mit  bem  rocibltchen  ÖJe* 


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"270         $eter8  bcS  ©rofeen  ^Reformen  uni>  lefcte  SebenSjafjre. 


fdjledjt;  bod)  gab  aud)  feine  ©emaljlm  .Katharina  if>m  in  ©e$ug 
auf  bie  SSerlefcung  ber  eljelidjen  Xreue  9cid)t3  nadj. 

9^oa)  toäljreub  be$  norbifdjen  Krieges  unternahm  $eter  eine 
^roeite  große  SReife  burd)  einen  ifjeil  oon  (Suropa,  auf  toeldjer  ifjn 
feine  ©emaljlin  ftatljarina  begleitete.  3"  Anfang  beä  3°^rc*  1716 
begab  er  fidj  über  Dan^ig  nadj  Stettin  ju  einer  Söefpredjung  mit 
bem  ^önig  oon  Greußen  unb  oon  bort  nati)  Jpamburg,  mo  er  eine 
Sufammenfunft  mit  griebridj  IV.  oon  Dänemarf  Imtte.  SSon  fjier 
reifte  er  weiter  nad)  ^Ormont,  oon  mo  er  jum  58efudje  feiner  mit 
bem  £erjog  oon  Üftedlenburg  oermäfylten  sJtid)te  $atljarina ,  ber 
Xodjter  SroanS,  nad)  Sdnoerin  jurütffefjrte.  Da  er  in  Hamburg 
bem  Äönig  Oon  Dänemarf  feine  Unterftüfcuug  ju  einer  ßanoung  in 
Sdjoonen  jugefagt,  r)attc  er  in$roifd)en  eine  bebeutenbe  Druppcn* 
madjt  oon  SRoftocf  au*  nadj  Seelanb  überfein  lafjen ,  unb  am 
17.  Quli  begab  er  fid)  felbft  mit  feiner  GJcmaiJlin  nad)  Kopenhagen, 
mo  er  mit  großen  fö^renbejeigungen  empfangen  mürbe.  Die  Öanbung 
in  Sdjoonen  unterblieb  jebod)  in  golge  eine*  jroifd)en  il)m  unb 
Sriebridj  IV.  eingetretenen  9Ktßüerf)ältmffe3. 

Wati)  feiner  9iüdfef)r  oon  Kopenhagen  fefete  $eter  feine  9teife 
nad)  JpoHanb  fort  unb  fam  am  16.  Dezember  in  Slmfterbam  anf 
mo  Wlle3  aufgeboten  ttmrbe,  ü)n  angenehm  ju  unterhalten.  SBalb 
naefi  feiner  ^nfunft  befudjte  er  aud)  Saarbam  mieber ,  um  feiner 
Gemahlin  baS  £>auS  ju  geigen ,  in  meinem  er  als  Sd)iff3$immer* 
mann  gewohnt.  (Srft  im  $lpril*1717  oerlieg  er  ftoflanb,  um  fid), 
ttäfjrcnb  feine  ©ema^Iin  in  Wmfterbam  jurüdblicb ,  über  &nt* 
merpen,  Trüffel,  GJent,  ©rügge  unb  Dünfird)en  nad)  s$ariS  511  be= 
geben.  Sein  Jpauptjmed  mar ,  ben  ^er^og  oon  Orleans ,  ber  ba= 
mala  für  ßubmig  XV.  bie  9iegentfcf)aft  führte ,  ju  einem  «ünbnijj 
gegen  (Snglanb  31t  beroegen.  Dies  gelang  ihm  jmar  nid)t;  bod) 
lieg  man  es  an  3uoorfommeuf)eiten  unb  tfufmerffamfeiten  nid)t 
fehlen.  söon  ber  Wabemie  mürbe  ihm  eine  öobrebe  gehalten,  unb 
in  ber  2flünse ,  mo  er  baS  ©elbprägen  mit  ansehen  gemünfa^t, 
fdjlug  man  ihm  $u  @^ren  in  feiner  ©egemuart  eine  Denfmünje  mit 
feinem  mofjlgetroffenen  SBilbnijj.  5lttc  SehenSmürbigfeiten  nahm  er 
mit  bem  lebhafteren  Sntereffe  in  Slugenfchein.  iöei  bem  2lnblirf 
*eä  marmorenen  DenfmalS  Dtidjelieu'ä  rief  er  auS :  „©rojjer  Üttann, 
bie  plfte  metner  Staaten  mürbe  id)  begeben,  fimuteft  bu  mid) 
bie  anbere  regieren  lehren!"  Den  fiebenja^rigen  Submig  XV.  na^m 
fr  auf  ben  Htm  unb  füßte  ifjn  mit  ben  Söorten:  „3a^  münfcfje, 
baß  ©uere  sJDiajeftät  moljl  aufmadjfen  unb  löblia^  regiereu  mögen; 
oielleidjt  merben  mir  einauber  mit  ber  3eit  brausen  fönnen." 
sJlud)  bie  grau  oon  Üftaintenon  befugte  er  unb  brang ,  um  fie  511 
fcl)cn ,  faft  mit  ÖJemalt  in  i^r  3"nmcr ,  mie  er  es  überhaupt  audj 
i)ier  mit  ber  ^öeobaa^tuug  beS  ^InftanbeS  unb  ber  feinen  Sitte  fo 


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Meters  be«  ©ro&en  Reformen  unb  lefrte  SebenSjaljre. 


271 


tt>enig  genau  nat)m,  ba§  er  fict),  abgefeiert  bon  mancfjem  anberen 
Anftö&igen  in  feinem  $Benel)men,  bei  einer  (Sinlabung  in  gontaU 
nebleau  bi«  jur  öoüftänbigen  8eWu&tlofigfeit  betranf. 

Wad)  einem  zweimonatlichen  Aufenthalte  in  ^ßarU  fet)rte  ber 
<5$ar  p  feiner  ®emat)lin  nact)  Amfterbam  jurücf ,  oon  wo  SBcibc 
Zu  Anfang  ©eptember  über  Berlin  unb  S)anjig  nact)  Wujjlaub  $u* 
rürfreiften. 

©ei  feiner  £eimfet)r  t)arrte  feiner  bie  fei)were  unb  bebenftidje 
Aufgabe,  über  feinen  eigenen  <Sot)n  Alejei,  ba«  einzige  ®inb  au* 
feiner  (Sl)e  mit  (Suboijia  öapudjin,  ju  ©erict)t  ju  ftfcen.  s}kter  t)atte 
bie  Abneigung ,  bie  er  gegen  Alefei'«  Butter  empfanb  ,  auä)  auf 
biefen  übertragen ;  bat)er  toar  fdjon  früt)e  zwifct)en  iöater  unb  Sofm 
ein  9Wf}üert)ältmjj  entftanben ,  ba«  öon  ber  altruffifd)en  Partei 
bazu  benufct  worben ,  ben  geifttg  wenig  begabten  Qüngling  ,  für 
beffen  @rjiet)ung  $eter  taum  irgenb  meldje  ©orge  getragen ,  mit 
SRigtrauen  gegen  feinen  S3ater  311  erfüllen  unb  it)m  einen  entfdjie* 
benen  SBibermiflen  gegen  beffen  Neuerungen  einzuflö&en.  ^ßetcr, 
ber  buret)  bie  offen  jur  ©dwu  getragenen  ©efinuungen  feine« 
©ot)ne«  feine  ganze  ©djöpfung  gefät)rbet  fat),  glaubte  it)n  burd) 
bie  S3ermät)lung  mit  einer  beutfa^en  3ürftentocr)ter  für  europäifci)e 
Anfdmuungen  gewinnen  ju  fönnen ,  unb  feine  953at)l  fiel  auf  bie 
©djmefter  ber  @Jemat)lin  $atfer  ®arl«  VI.,  bie  ^rinjeffin  Gt)ar* 
lottc  (£t)riftine  oon  $raunfdjmetg*2Bolfenbüttel ,  mit  melier  Alejei 
im  3at)re  1711  bei  einer  Weife  be«  ^aren  nact)  <Saa)fen  ju  $or= 
gau  getraut  mürbe.  Allein  bie  Hoffnungen ,  bie  ^ßeter  auf  biefe 
SBermäfilung  gefefct,  fdjlugen  fet)l.  Ale? ei ,  ber  fxd)  fd)on  früfje 
bem  Xrunfe  ergeben ,  überlieft  fict)  ben  größten  Au«fct)meifungeH 
unb  mi6r)anbelte  feine  eble  unb  lieben«mürbige  ÖJematjltn  in  fo 
rot)er  SSeife,  baß  ber  ©ram  barüber  fdjon  im  3at)re  1715,  fur$ 
nact)  ber  (Geburt  it)re«  zweiten  ®iube«,  be«  nadjmaligen  s$eter  IL, 
tt)ren  Xob  t)erbeifüt)rte. 

$er  auf«  ^>öc^fte  erzürnte  Sjar  ermahnte  feinen  6ot)n,  ber 
fict)  franf  [teilte,  um  feinem  Sßater  au«zumeia)en ,  in  einem  Sct)rei= 
ben,  feinen  ßcben«wanbel  zu  änbern  unb  fia)  ber  Xt)ronfolge  wür= 
big  ju  jeigen,  iubem  er  il)n  fonft  oon  berfelben  au«fct)lie&en  werbe. 
SRtt  erc)euct)elter  5>emittt)  antwortete  it)m  A(e;ei,  er  füt)le  feine 
Unfäi)igfeit  jur  Regierung  unb  wünfci)e  in  ein  fölofter  einzutreten. 
AI«  l)ierauf  ber  ßjar ,  ber  eben  im  begriffe  ftanb ,  feine  zweite 
Weife  anzutreten,  it)m  noa)  einmal  perfoulict)  bie  Öefferung  feine« 
£eben«manbel«  an«  |)erj  legen  unb  zugleidj  öon  it)m  Abfa^ieb 
nehmen  wollte,  fci)ü|jte  er  abermal«,  um  it)n  nia^t  fet)en  ju  muffen, 
eine  $ranft)eit  öor,  wohnte  aber  glekt)  nact)  be«  ilaifer«  Abreife 
einem  wüften  Xrinfgelage  bei.  2öal)renb  sßeter«  Abwefenl)ett  ent* 
flot)  er  nact)  SBien  511  feinem  ©a)wager  ®arl  VI.  unb  üon  bort 


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272 


^etcrä  bcä  ©rofjen  Reformen  unb  lefcte  ScbcnSja^re. 


nach  Neapel,  in  her  2(6fidjt,  im  2(u$lanbe  ben  Xob  feinet  &ater$ 
abzuwarten ,  nach  welchem  er  mit  §ilfe  feiner  Anhänger  ofme 
Schmierigfeiten  ben  Thron  befteigen  311  tonnen  fjoffte.  2(13  $eter 
üon  feiner  Slucf)t  $unbe  erhielt,  fd)icfte  er  ÖeöoHmädfjrigte  an  Um  ab, 
bie  it)n  unter  ber  3"fage  ber  Sßerjeifmng  beä  (Sparen  jur  SRücffehr 
aufforbern  füllten.  Sllejei  leiftete  Solge  unb  liefe  fidj,  nachbem  er 
im  gebruar  1717  mieber  in  9J?o*fau  eingetroffen  ,  $ur  feierlichen 
$erätd)tleiftung  auf  bie  2^ronfoIge  bewegen,  worauf  fein  im  oor= 
hergehenben  Qafjre  geborener  Sticfbruber  s,ßeter,  Katharinens  ältefter 
Solm,  jum  Thronfolger  ernannt  mürbe. 

Qnbeffen  ergaben  fich  balb  gewichtige  ÖJrünbe  für  bie  2In* 
nähme,  baß  e3  Mlejei  Weber  mit  feiner  Thronentfagung  aufrichtig 
gemeint,  noch  bei  ben  ©cftänbniffen ,  bie  fein  SBater  als  unerläj^ 
liehe  Öebingung  feiner  Skr^eihung  üon  ihm  öerlangt  hatte ,  aUe 
ÜRitwiffer  unb  öegünftiger  feiner  glucht  unb  fonftigen  Xh^nehmer 
feiner  gegen  ^eterä  Neuerungen  gerichteten  kleine  genannt  höbe, 
unb  ba  zugleich  ©eweife  einer  meit  bezeigten  SBerfchwörung  oor= 
lagen ,  an  melier  auch  bie  gefchiebene  $aiferin  ©ubor. ia  ,  8Uc{ ei'3 
Butter,  beteiligt  mar,  überwog  bei  bem  Sparen  bie  Sorge  um 
feine  Schöpfung  alle  übrigen  9tücf fiepten :  er  übermied  feinen  Sof»t 
einem  auä  hwnoertoierunbjman^ig  getftlichen  unb  weltlichen  2Bür* 
benträgern  aufammengefefcten  Berichte,  mit  bem  auSbrücf liehen  53e= 
fehl,  über  benfelben  ohne  jebmebc  9tU ficht  auf  feine  *ßerfon  baS 
Urtl)eil  au  fpredjcn,  ba3  feine  Vergehen  öerbienten.    $er  Sprua) 
ber  dichter  lautete  auf  ben  Tob.    ^11^  berfelbe  bem  (SJrofjfürftcn 
oerfünbet  mürbe,  öerfiel  er  auä  Schrecfen  in  Krämpfe,  unb  balb 
erfchicu  fein  guftanb  ^offnung^tod.    Site  ber  h«^«8«ufene  (£$ar 
mit  ben  S8omef)mften  feine*  $>ofe3  ju  ihm  fam ,  befannte  er  ihm 
unter  r)eigen  Xhränen  feine  ganje  Sdjulb  unb  bat  ihn  flehentlich, 
ben  gluch  aurücf^nnehmen,  ben  er  über  ihn  ausgesprochen,  unb  ihm 
feinen  Segen  $u  erteilen.    Tief  ergriffen  willfahrte  sJ$eter  feinem 
ÜBunfche  unb  nahm  bann  Slbfdneb  oon  ihm  (18.  3uli  1718). 
GJegen  Slbenb  lieg  ihn  s2Ilejei  nochmals  511  fich  bitten,  boch  fanb  ihn 
sßeter  nicht  mehr  am  £eben. 

Gegenüber  biefer  auf  ben  officieUen  Berichten  beruhenben  T)ar- 
fteöung  beS  «erlaufe«  ber  Sache  haben  Biele  ben  natürlichen  Tob 
s2llerä'S  in  Slbrebe  geftellt  unb  behauptet,  er  fei  im  ©efängniffe 
getöbtet  morben ,  unb  jmar  nach  ben  Einen  burch  Enthauptung, 
nach  oen  Mnbern  burch  <W;  biefc  Behauptungen,  für  melche  aller* 
bingä  gewichtige  ©rünbe  $u  fpredjen  fcheinen,  ftnb  jebod)  niemals 
ermiefen  morben.  Bon  Mtejei'S  aflitfdwlbigen  mürben  oiele,  jum 
Tljeil  unter  graufamen  Üflartern,  Eingerichtet. 

3m  Sahre  1722  unternahm  ^eter  $ur  Sicherftellung  beä 
ruffifchen  §anbel3  auf  bem  faSpifchen  äReere  einen  3ug  gegen 


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<ßcter§  beS  ©rofjen  Reformen  unb  lefrte  £ebcn§jaf)re.  273 


Werften,  ber  im  (September  1723  burd)  einen  ©ertrag  beenbet 
mürbe,  burd)  meldten  Nußlanb,  außer  ben  Stäbten  Verbeut  unb 
33afu ,  bie  brei  perfiden  ^rooinjen  9ftafanberan ,  2lfterabab  unb 
ba3  feibenreidje  ®hilan  erhielt.  $iefe  brei  ^roöinjen  mußten  je* 
botf)  fdjon  unter  <ßeter  II.  mieber  an  <ßcrfien  jurüefgegeben  merben. 

$etet3  le&tc  ßebcnäjahrc  mürben  theils  burd)  fdpere  forper* 
Kche  fieiben ,  bie  folgen  feiner  Huäfdjmeifungen ,  tfjeilä  burd)  bie 
Sorge  um  ben  gortbeftanb  feiner  Schöpfung  getrübt.  5)aju  fam 
ber  ©c^mers  über  ben  Xob  ber  beiben  Söhne,  bie  fatfjarina  if)m 
geboren.  Schon  im  3af)re  1719  ftarb  ber  oon  ihm  jum  Xtjxon* 
folger  eingefe&te  vierjährige  *ßeter  unb  brei  3af>re  fpäter  auch 
beffen  jüngerer  ©ruber  ^aul.  ©on  feinen  Sinbern  blieben  bem 
Sparen  jefct  nur  nod)  bie  beiben  Töchter  s#nna  unb  Süfabett) ,  öon 
benen  bie  ©rftere  im  3aljre  1725  mit  bem  #erjog  $arl  griebrtdj 
öon  |>olftein=®ottorp ,  bem  Steffen  ®arlä  XII.  oon  Schmeben ,  öcr= 
mahlt  mürbe.  Nach  bem  beftehenben  (£rbredjt  mürbe  bie  Xf>ron= 
folge  *ßcter$  gleichnamigem  (Snfel,  bem  Sohne  Sllejei'S,  jugefatten 
fein;  ba  berfclbe  jeboch  oon  fielen  alä  ber  fünftige  Vertreter  alt* 
ruffifcher  Anflehten  betrachtet  mürbe ,  erließ  ber  (Sjar  im  gebruar 
1722  eine  neue  (£rbfolgeorbnung ,  nach  mclcher  ihm  felbft ,  fomie 
nach  bem  jebeSmaltgen  SBeherrfcher  Nußlanbä  baä  9iec^t  %u* 
fte^en  foHte ,  ofme  Nütfficht  auf  ben  ®rab  ber  SBermanbtfchaft  ben 
Söürbigften  jum  Nachfolger  $u  ernennen.  3(m  18.  9)?ai  1774 
fefcte  er  felbft  feiner  Gemahlin  Katharina  bie  Mjerfrone  auf  unb 
fchien  baburch  ausbeuten ,  baß  er  fie  31t  feiner  Nachfolgerin  be= 
ftimmt  fyabt ;  boct)  brach  balb  barauf  jmifchen  ben  beiben  Gegarten 
ein  Üftißoerhältniß  aus,  baä  ben  $aifer  befrimmte,  ihre  (Ernennung 
3u  oerjögem. 

Qnbeffen  oerfiel  Cetera  ©efunbljeit  mehr  unb  mehr ,  unb  mit 
feinem  junehmenben  fieiben  mud#  fein  Srübfinn.  „(5:3  ift  er* 
ftaunenb",  ^eigt  e3  in  einem  *8erid)t  bcS  fächfifchen  ÖJefanbten  £e* 
fort,  „mie  jener  (ber  (^ar)  oeränbert  ift,  ma3  er  auch  tyne,  um  e3 
■ju  oerbergen.  %ix  Schmerj  ift  fo  auf  feinem  ©efichte  auSgebrürft, 
baß  ein  3cber  ihn  beflagt."  @ine  heftige  ©rföltung,  bie  er  fich 
burch  einen  Sprung  ins  2Baffer  juge^ogen ,  inbem  er  ein  geftran= 
beteS  Schiff  retten  Reifen  moüte,  befchleunigtc  fein  Crnbe.  (Sr  ftarb 
am  8.  gebruar  1725  unter  furchtbaren  Schmerjen,  nach  einem 
fechsefmftünbtgen  XobeSfampfe ,  ohne  über  bie  $hrt™folge  irgenb 
meldte  ©eftimmung  getroffen  ju  höoen. 


fcolatoartlj,  SeltQefdjttfjt*.  VI.  18 

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274   SRujjlcmb  unter  ben  oiec  erften  Nachfolgern  Meters  beS  ©roßen. 

XIV. 

3tn|£fanb  unter  ben  viex  etßeu  ?Ia  4  f  of  gern  3Me*s  bes  6  r o  fteu. 

(1725-1762.) 

Katharina  L  (1725-1727),  $cter  U.  (1727-1730)  im*  Buna 

(1730-1740). 

Sla^  bcm  Xobe  $eterS  gebaute  bic  altruffifdje  Partei  bcn 
©ot)n  Sttejei'S  auf  bcn  %f)xon  5U  ergeben  unb  bic  SBormunbfchaft 
ber  Äaiferin  unb  bcm  ©enate  ju  übertrogen;  oUcin  2tencjifon>, 
ber  Katharina  bic  unumfdjränfte  #errfchaft  511  ocrfcf)affen  ttmnfchte, 
fam  ihr  juöor.  Sftachbem  er  bic  Seibgarbe  auf  bic  Seite  ber  $ai= 
ferin  gebogen  r)attc  unb  mit  bcn  oornehmften  Offizieren  zugleich  eine 
große  3ahl  anberer  einflußreicher  Scanner  burdj  $atharina'S  SBer* 
fidjerung,  baß  fie  ben  Ztyxon  bem  ®roßfürften  <ßeter  erhalten  merbe, 
für  ihre  ©r^ebung  gcroonnen  morben  maren,  liefe  er  fic  als  Äatha* 
rtna  L  sur  „©elbftherrfcherin  aller  Steußen"  aufrufen,  ot)nc  baß 
bic  überrafdjten  ©roßen  oon  ber  altruffifchen  Partei  bagegen  (£in= 
fpruch  §u  ergeben  tuagten.  Qnbeffen  ließ  bic  ßaiferin,  theilS  frei* 
ttuüig,  tt)eilS  geamungen,  alle  StegierungSgeroalt  in  ben  £>änben 
2tencjifon>S,  mährenb  fie  felbft  fict>  ihrer  Neigung  jum  Xrunfe  in 
fo  aügeflofer  SSeije  Inngab,  baß  ihre  ©efunbheit  öoUftanbig  unter* 
graben  mürbe  unb  fic  mit  rafdjen  ©abritten  ihrem  @nbc  entgegen 
ging.  3ie  ftarb  am  17.  SJcai  1727  nach  faum  ameijähriger  Regierung. 

Um  fia?  and)  nach  bem  Xobe  ftathartna'S  bic  gortbauer  fei* 
ncr  ^errferjaft  $u  fiebern,  ^atte  SKencjifom  bic  faiferin  bewogen, 
in  baS  Xeftament ,  burch  roclcheS  fie  bcn  ®roßfürften  <ßeter  $u 
ihrem  Nachfolger  ernannte,  bie  SBeftimmung  aufjune^men ,  baß  ber* 
felbc  mit  atencjifoms  ältefter  Xochter  ÜJiaria  oermätjlt  roerben 
fotte.  2luf  biefeS  Xeftament  geftü&t ,  ließ  2tencaiioro  gleich  nach 
bcm  Ableben  ber  ftaiferin  bic  Verlobung  beS  jungen  (^aren  mit 
feiner  Xodjter  oodjiet)en  unb  leitete  augleich ,  um  bic  Skrbinbung 
feiner  Samilie  mit  bem  $aiferhaufe  unauflöslich  ju  machen ,  bie 
Verlobung  feine«  SolmeS  mit  Meters  II.  ©chroefter  Natalie  ein.  $er- 
^erjog  oon  £>olftein*©ottorp,  ber  unter  ber  Regierung  feine«  Steffen 
eine  einflußreiche  9toüe  fmelen  ju  rönnen  gehofft  hatte,  obgleich  i^m  ju 
berfelbcn  jebe  Befähigung  fehlte,  fat)  fich  fo  fehr  bei  ©eite  gefegt, 
baß  er  fdjon  im  Qahre  1727  mit  feiner  Gemahlin  oon  Petersburg 
abreifte. 

Qnbeffcn  ertrug  ber  junge  (£jar  ben  Despotismus,  ben  Stencji* 
foto  auch  gegen  ihn  ausübte,  nur  mit  Söiberftreben ,  unb  bic  $at)l5 
reichen  geinbc  beS  aügetoaltigen  ÜttinifterS  crmangelten  nicht,  feinen 
Unmiüen  über  bcnfelbctt  auf  jebe  SBeife  ju  fchüren.  3n*befonbere 


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Äatyarina  I.,  $eter  IL  unb  %xma. 


275 


geigte  fid)  bie  angefef)ene  gamilie  $olgorucfi  eifrig  bemüht,  ben 
©turj  9^cnqifotü^  ^erbetjufü^ren,  unb  biefer  beföleunigte  felbft  bie 
®ataftropf)e  burdj  feine  $reiftigleit.  Slld  ber  Äoifer  ein  ®efd)enf 
üon  neuntaufenb  Rubeln ,  ba3  if)m  öon  Slbgeorbneten  einer  ßanb* 
fdmft  überreizt  morben,  feiner  ©dmjefter  überfdjitfte,  naljm  SJcencji* 
fort  ba3  (Mb  bem  Voten  ab  unb  behielt  eä  für  fidj.  $cr  aufä 
Sleufjerfte  erzürnte  Äaifer  lieg  if)n  t>erf)aften  unb  einen  ^rojeS  gegen 
ifm  einleiten,  in  golge  beffen  er  toegen  saf)lreid)er  Veruntreuungen 
unb  onberer  ifjm  jur  Saft  gelegten  Vergeben  feine*  ganjen  Ver* 
mögend  oerluftig  erflärt  unb  mit  feiner  gamilie  nad)  bem  fibirifdp 
©täbtdjen  Verejoro  öerbannt  mürbe.  3m  ©eptember  1727  reifte 
er  mit  feiner  ®emaf)lin,  feinem  ©of)ne  unb  feinen  beiben  Södjtero 
borten  ab.  ©einen  jetyen  ©turj  öon  fdjttrinbelnber  $öl)e  in  bie 
Xiefe  be3  (Slenbeä  ertrug  er  mit  ©lanbljaftigfeit  unb  SBürbe  unb 
fanb  feinen  Xroft  in  bem  Vau  einer  flehten  fernen  ®irrf)e,  ju 
meinem  er  firf)  bie  Littel  ton  bem  Saggelb  üon  jelm  föubeln  er* 
fparte,  ba3  ifjm  ju  feinem  unb  feiner  gamilie  Unterhalt  angemiefen 
morben.  2llä  jebodj  ber  ÖJram  juerft  feine  ®cmaf)lin,  bann  aud) 
feine  ältere,  einft  jur  ®aiferin  beftimmte  Xodjter  töbtete,  uerfanf  er 
in  tiefe  ©djtuermutf) ,  fprad)  fein  SBort  mein:  unb  nafym  nidjtä 
Slnbered  ju  fid),  al$  Söaffer  unb  Vrob,  bi£  er  am  2.  9couember 
1729  feinem  Kummer  erlag,  ©einem  ©of)ne  unb  feiner  jüngeren 
<£ocr)ter  mürbe  fpäter  bie  Sftücffeljr  nadj  SRuftfanb  geftattet,  mo  man 
ifmen  einen  Keinen  %fyt\l  ifjrcd  öäterlidjen  Vermögend  flurüefgab. 

Sßadj  bem  ©tur^e  SRencjifomd  führten  bie  Xolgorutfi  ben 
jungen  (£jaren  nad)  9fto3fau  unb  trafen  Slnftalten  jur  Vejeitigung 
ber  Reformen  ^ßeterd  bed  ©rofjen  unb  jur  ^erfteöung  ber  altruf* 
fifdjen  Verfaffung.  Vor  Slüem  aber  waren  fie  beftrebt,  beu  stuölf* 
jährigen  ®aifer  ganj  ton  ber  Regierung  fern  ju  galten,  um  felbft 
bie  Stolle  SKenc^tforna  fortjufpielen ,  unb  bicä  gelang  ifynen  aud) 
öoflftänbig.  $er  letbenfdjaftlidje  junge  .^errfcfjer  gab  fid)  ber  lau- 
nenlmfteften  SBißfür  t)tn  unb  überließ  fid)  suglcid)  ,  in  ÖefcHjdjaft 
feines  ßieblingd  Qroan  5)olgorucfi,  bem  auäfdjmeifenbftcu  ^eben. 
Um  fict)  im  Vcfijje  il)rc$  ©influffed  ju  fid)ern,  bemogen  bie  $olgo= 
ruefi  $eter  II. ,  ficr)  mit  Qtuanä  ©djroefter  ^at^arina  $u  oerloben, 
unb  fcfmn  mar  ber  Xag  ber  Vermahlung  feftgefeftt ,  al£  ber  ßjar 
üon  ben  Vlattern  befallen  mürbe,  bie  ilm  am  30.  Qanuar  1730 
im  Hilter  öon  fünfje^n  Qa^ren  ^inmegrafften.  Wit  ifym  crlofa)  ber 
3J?anndftamm  bed  £>aufeä  Romanow. 

Obgleia^  bie  Äaiferin  ®atfwrina  in  i^rem  Jeftamentc  bie  23e* 
ftimmung  getroffen,  ba§  im  Salle  beä  finberlofen  s2lbfterbend  ^ße^ 
ter§  II.  bie  ©rbfolge  an  iljre  Xörfjter  unb  bereu  Ücac^fommen  über* 
gefjen  foüc,  bemogen  bie  5)olgorucfi,  im  Vereine  mit  ben  übrigen 
SHttgliebcrn  bed  ©taatdrat^d ,  ben  ©cnat  unb  bie  ©rofeeu ,  bie 

18* 


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276   föufclanb  unter  ben  üicr  erften  ftadjfofgcrn  ^eter3  be§  ©rofeen. 

jüngere  Xocfjtcr  beä  blöbfinnigen  3roan,  bie  fiebenunbbrcifjigjäfjrtge 
üerttuttwete  £>erjogin  51  n  n  a  öon  Kurlanb ,  jur  Sljronerbin  $u  er= 
Hären,  tneit  fie  fjofften,  ba§  biefe  Sürftin,  bie  öon  allen  GHiebern 
ber  9?omanonyfdjen  gamilic  alä  bie  Söenigftberedjtigtc  erfducn,  au£ 
£anfbarfeit  für  ben  ifjr  gegebenen  Vorzug  fid)  baju  bcrftefjen 
Werbe ,  in  bie  üon  iljnen  für  notfjmenbig  erhärten  ©efdjränfungen 
ber  faifcrlidjen  Ütfacfjt  511  willigen.  Qn  ber  Xf)at  unterzeichnete 
Slnna  olme  öebenfeu  bie  Kapitulation,  bie  U)r  burd)  brei  tfbgeorb* 
uete  beä  <3taat3ratf)3 ,  be3  Senate  unb  be$  2lbcl3  überfanbt  wor* 
ben,  vorauf  fie  am  15.  gebruar  1730  in  3Jco3fau  atö  Kaifcrin  ge* 
frönt  würbe. 

Snbeffen  harrte  $erer,  bie  im  Sntereffe  ifjrcr  eigenen  9tfacf)t= 
ftellung  bie  2Baf)l  Sfmta'S  betrieben  Ratten,  eine  bittere  (Snttau= 
fdjuug.  $ie  lange  Sauer  ber  5iaetnrjcrr)cr)aft  unb  bie  fraftooüe  21rt, 
in  weldjer  biefeibc  gefjanbhabt  worben  war,  hatte  bie  Nation  bergeftalt 
an  biefe  Staatäform  gewöhnt,  ba&  ber  bloße  9tame  be$  ©ebicter* 
ba*  G5cfüf)l  unb  ben  Xricb  blinber  Unterwerfung  ermetfte.  Unter 
biefen  SScrhältniffcn  fonnte  c»  ber  neuen  Katfcrin,  ber  mehrere  ent= 
fdjloffenen  sJtatf)gcber  5ur  Seite  ftauben,  nid)t  ferner  faflen,  {ich  eine 
Partei  51t  btlbcn,  bie  bereit  War,  fie  in  ber  Behauptung  ber  unbe* 
fdjränftcn  £err  (Obergewalt  §u  unter  ftüfcen.  Sdjon  am  25.  gebruar 
erfchtenen  über  fed)tfhunbcrt  ©bellcute  mit  einer  tHnjal)!  öon  Söiidjö* 
fen,  (Generalen  unb  Senatoren  im  Kreml ,  um  ber  Kaiferin  eine 
Jüittfcbrift  311  überreifen  ,  in  weldjer  fie  erfucfjt  würbe ,  „bie  feit 
unbenfltdjen  Briten  beftchenbe  unb  bem  ruffijdjen  9ietchc  allein  an- 
gemeffene  imbefdjräntte  Regierung  fjer^uftcllcn."  Sie  erflärtc,  fie 
Ijabc,  in  ber  ^Dichtung ,  bamit  bem  2Bitlcn  ber  Nation  31t  entfpre- 
eben ,  eine  Schrift  unterlief)  net ,  bie  if)r  entgegengefefete  Verpflich- 
tungen auferlege ,  unb  befaßt  bicfelbe  511  holen  unb  ber  ißerjamm^ 
lung  uorjulcjen.  9cadjbcm  auf  ifjre  bei  jebem  einzelnen  fünfte 
tutcbcrfjolte  grage,  ob  bie£  ber  Sötllc  ber  Nation  gewefeu,  ftetö  mit 
einem  lauten  9cein  geantwortet  worben,  ocrrifj  fie  bie  oon  ü)r  un= 
terjetchnete  Kapitulation  unb  üerwicä  bie  Solgorudi  nebft  ben  übri- 
gen fjcrüorragenbftcn  Urhebern  ber  bie  Kaifcrgcwalt  befebränfenben 
Urfunbe  auf  ihre  (Hilter,  hierauf  verlegte  fie  ben  Sifc  ber  Regie- 
rung wieber  uad)  s^eter3burg  unb  richtete  fid)  einen  neuen,  au3  ein* 
uubjtoanjig  ^erfonen  befteljenben  „birigirenben  Senat,"  foroie  einen 
geheimen  Kabineteratfj  ein.  3n  bem  lefcteren  erhielt  D  ft  c  r  m  a  n  n , 
ein  s$rebigcr»fot)tt  auä  SBcftfalcn,  ber  fdjon  unter  Sßeter  bem  ®ro* 
fccu  nad)  sJtufslanb  gefommen  unb  unter  Katharina  unb  ^Setcr  II. 
eine  f)e*öorragcnbc  sJioHc  gcfpiclt ,  al^  Kanzler  ben  Vorfife.  ^ie 
obere  Leitung  be^  Krieg^wefenö,  ba^  feit  bem  Xobe  ^eter^  beö  Öro- 
Ben  feljr  oernafläjfigt  iporbcu,  würbe  bem  talentvollen,  jum  5e(b- 
marfchall  ernannten  olbenburgijd)eu  (trafen  fßlünnid)  übertragen, 


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$atf)arma  Lt  $eter  II.  unb  Slnna. 


277 


ber  im  fpanifdjen  Crrbfolgefrieg  in  Qtalien  unb  ben  9lieberlanbcn 
unter  bem  ^rin^en  ©ugcn  nnb  SJcarlborough  bie  $rieg3fuuft  erlernt 
hatte  unb  gleichfalls  fd)on  unter  ^cter  bem  ©roßen  in  ruffifdjc 
$5icnftc  getreten  mar. 

$en  bebeutenbften  (ärinfluß  aber  übte  auf  alle  ©taatSangele* 
genheiten  Slnna'S  ©ünftling  Söiron  —  er  fjiefj  eigentlicr)  $8üf)rcn, 
hatte  aber  tarnen  unb  SBappen  ber  alten  franjofifchen  |)erjoge 
r-on  Söiron  angenommen  — ,  ein  SÜcann  üon  geringer  £>erfunft,  ber 
fid)  burch  fein  einnehmcnbcS  SIeußere  bie  ©unft  ber  .^erjogin  Don 
$urlanb  in  fo  tjo^em  ©rabe  ermorben  ,  baß  er  fie  öoflftänbig  be- 
herrschte. SSaS  ihm  an  gebiegener  SBilbung  abging,  crfejjte  er  burch 
Schlauheit ,  ©emanbtheit  unb  ®ütmt)eit.  (Uegen  bie  auSbrürfliche 
©ebingung  be$  ©enateS ,  baß  er  in  ®urlanb  jurürfbleibe ,  mar  er 
ber  Äaiferin  jur  Krönung  nach  SttoSfau  gefolgt,  unb  balb  fyerrfdjte 
er,  ba  Slnna,  felbft  ofync  Neigung  jum  Regieren,  ihm  bie  oberfte 
ßeitung  ber  ©taatSgefchäfte  ubertrug ,  über  ba£  ganje  fianb  mit 
l>e^potifcr)er  (bemalt.  SIfle,  bie  ihm  entgegenzutreten  magten,  muß* 
ten  feine  3^acr)c  im  üoüften  DJcaße  fühlen.  5ll£  bie  Solgorucfi 
einen  SSerfuch  matten,  bie  ©unft  ber  ®aiferin  mieber  ju  erlangen, 
verhängte  er  über  bie  gange  Samilie  ein  furchtbarem  (Strafgericht. 
3man  $oIgorucfi,  ber  befonbere  Siebling  Meters  II.,  rourbe  gerä* 
bert,  unb  fünf  anbere  ©lieber  feiner  Samilie  fanben  gleichfalls  nad) 
unb  nach  ben  Xob  burd)  ^pcnferShanb;  bie  übrigen  mürben  nach 
Sibirien  oerbannt  unb  ihre  ©üter  confiSctrt.  ©elbft  ber  ehema* 
ligen  SBraut  beä  ®aifer£  ließ  man  faum  bie  nothtoenbigfte  $lei* 
bung.  2lud)  auf  bie  Anhänger  ber  $>olgorudi  erftrcdfte  fich  bie  flache 
SBironS:  Saufenbe  berfelben  mußten  in  bie  Söerbannung  nach  @i3 
birien  manbern.  ©elbft  bie  bitten  ber  ®aiferin,  bie  fich  fogar  ihrem 
übermächtigen  ©ünftling  unter  %fyxäntn  5U  Süßen  gemorfen  haben 
foö,  öermochten  nicht,  bie  Unglütflichen  oor  feinem  Qoxnt  ju  fdjüfcen. 

SBie  bie  ®aiferin  felbft ,  fo  überhäuften  auch  frembe  gürften 
ben  ftoljen  (Smporfömmling  mit  (5f)ren  unb  ÖJefchenfen.  ®aifer 
Äarl  VI.  ernannte  il)n  jum  Üteid)ögrafen  unb  überfanbte  ihm  fein 
mit  brillanten  befefcteS  bilbniß ,  baä  einen  Söerth  öon  breißigtau^ 
fenb  Xhalern  hatte ,  unb  STuguft  III.  öon  ©adjfen  unb  ^olen  be* 
lehnte  ihn  im  3ar)re  1737 ,  nach  ocm  SfaSfterben  beS  in  ®urlanb 
regierenden  ®etteler'fchen  £aufe$,  auf  ben  SSunfdj  ber  ®aiferin,  bie 
ihm  jur  Erlangung  ber  polnifchen  $rone  behilflich  gemefen,  mit  bie* 
fem  ^erjogthum. 

S)a  bie  ruffifchen  Machthaber  ihre  roichtigfte  Aufgabe  in  ber 
^Behauptung  ihrer  £>errfct)aft  gegenüber  ber  altruffifchen  Partei  er* 
blichen,  gefcr)ar)  unter  2lnna'S  Regierung  menig  öebeutenbeS  meber 
nach  Qnnen  noch  na(h  2lußen.  9cur  ba£  $riegSmefen  nahm  unter 
9Jcünnich3  Leitung  einen  neuen  Sluffchtrung.  3m  3ahre  1731  mürbe 


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278  SRufelcmb  unter  ben  bier  erften  Nachfolgern  $etcrä  beS  ©ro&en. 

ju  Petersburg  eine  fianbfabettcnfchule  errichtet  unb  im  folgenben 
Qo^re  ber  93au  eines  ®riegSf)ofenS  bei  Sxonftabt  begonnen.  2tudj 
unternahm  ber  fü^ne  Qütlänber  93 erring,  ber  bereits  im  Qaljre 
1728  bie  9>lorbrufte  Sibiriens  befahren  unb  bie  nach  ihm  benannte 
Straße  entbeeft  Jjatte,  im  Stuftrag  ber  ruffifchen  Regierung  weitere, 
auch  naef)  bem  Xobc  Slnna'S  fortgefefcte  (SntbecfungSreifen,  bei  roet* 
djen  er  im  3a^re  1741  öon  Dchojjf  aus  an  ber  Sftorbweftruftc  tton 
Slmerifa  lanbete. 

$aS  wichtigfte  auswärtige  Unternehmen  unter  SInna'S  SRegie* 
rung  war  ein  im  3at)re  1736  begonnener  ßtieg  gegen  bie  Xürfei, 
ju  Welchem  berfchiebene  berfjeerenbe  Streifereien  ber  unter  türfifdjer 
^por)eit  ftefjenben  Notaren  in  baS  (Gebiet  ber  ruffifchen  $ofafen  ben 
$orWanb  boten.  55er  ßrieg  nahm  unter  SJcunmdjS  umftdjtiger  ßei- 
tung  einen  für  SRufjlanb  günftigen  Verlauf.  SBäfjrenb  ßaSct),  ein 
feit  1697  in  ruffifchen  Eienften  ftefjenber  irifcher  ©raf,  9lfow  ero- 
berte, brang  Sftünnich,  nach  ber  (Einnahme  ber  Scftung  *ßerefop,  in 
bie  ®rim  ein,  bemächtigte  fich  ber  Stabt  $oSlow,  beS  bebeutenbften 
£>anbelSplafceS  ber  £>albinfel,  fowie  93agbfd)eferai'S,  ber  9lepbenj  bc£ 
$lf)anS ;  bod)  jroangen  ir)n  ®ranfl)eiten  in  feinem  $eere  jur  9tücf* 
fehr  nac§  ber  Ufraine.  Qm  folgenben  3at)re  (1737)  erftürmte  er 
baS  wichtige  Ccjafow,  baS  jebod)  wegen  SttangelS  an  SebenSmitteln 
unb  einer  im  ruffifchen  ,§ecre  auSgcbrodjenen  peftarttgen  $ranfheit 
nic^t  behauptet  werben  fonute,  wcf^alb  Tännich  fich  jur  Schleifung 
ber  SeftungSwerfe  entfc^Iog.  9J?inber  glüeflich  toar  für  bie  SRuffen 
ber  Selbjug  bon  1738.  dagegen  erfocht  9)Jünnich  am  28.  Wuguft 
1739  bei  bem  £orfe  Stawutfchane  in  ber  SRähe  ber  ©egenb,  wo 
einft  ^ßeter  ber  ©rofje  am  ^ßruth  eingefchloffen  worben  war,  über  ein 
ungleich  ftärfereS  türfifdjeS  .f>eer  einen  entfeheibenben  Sieg,  welcher 
bie  Uebergabe  ber  Seftung  (Shocjtom  jur  Solge  hatte.  $ie  glänjen= 
ben  Hoffnungen,  $u  benen  biefer  Sieg  ben  ruffifchen  gelbherrn  be= 
rechtigte,  würben  jebodj  burch  ben  ^rieben  vereitelt,  welchen  Ocfter- 
rcich,  baS  feit  bem  $ahre  1737  an  bem  Kriege  iiieil  genommen, 
nach  einer  am  7.  $uli  1739  bei  ®ru$fo  erlittenen  ferneren  lieber* 
läge  gefdjloffen  ^atte.  Qn  bem  ^rieben,  ju  welchem  fich  nun  auch 
bie  fatferin  Slnua  genöthigt  f at) ,  erhielt  föu&lanb  nicht  einmal  bie 
freie  Schifffahrt  auf  bem  fchwarjen  unb  ftfow'fchen  ÜHeere  unb  Slfow 
nur  mit  gereiften  geftungSWerten. 

(£in  Qahr  nach  93eenbtgung  beS  SürfenfriegeS,  am  28.  DU 
tober  1740,  ftarb  bie  ftttiferi«  s2(nna,  naa)bcm  fie,  felbft  finbcrloS, 
ben  einjährigen  3wan,  ben  Sohn  ihrer  mit  bem  $>er$og  Slnton  Ul* 
rieh  *">n  öraunfchwetg  Gebern  bermählten  Richte  Huna  bon  Httecflen- 
bürg,  ber  Softer  ihrer  älteren  Schwefter  Katharina,  au  ihrem  $aa> 
folger  ernannt  hotte. 


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<E!ifa*et$.  279 

1 1  i  f  t  »  e  U. 

(1741-1762.) 

Sftach  ber  oon  ber  ®aiferin  5lnna  auf  ihrem  Sterbebette  ge- 
troffenen 23eftimmung  foKte  mäfjrenb  ber  SJftnber  jährigfeit  ^Wanä 
Viron  alä  Regent  be8  SReicheS  bie  öormunbfchaftliche  Regierung  fühs 
ren.  Staburch  fügten  fich  jeboct)  bie  (Sltern  beä  jungen  (Sparen  in 
ihren  $Recfjten  öerle(jt  ,  unb  bo  fich  and)  äRünnich  oon  bem  ^erjog* 
Regenten,  ber  fich  oon  bem  ©enate  ben  Xitel  „$aiferliche  |>oheit" 
hatte  oerleihen  lajfen,  juräefgefc^t  fah,  oerbanb  ftdj  berfelbe  mit 
bem  ^erjog  unb  bcr  #erjogtn  oon  SBraunfchweig  jum  Sturje  ©i- 
ron£.  9(n  ber  ©pifce  ber  oon  if)m  gewonnenen  ^ßreobrafchenäfoi- 
fdjen  ©arbe  überfiel  er  ihn  in  feinem  ^ßalaft  unb  ließ  ihn  gefangen 
nach  ©chlüffelburg  bringen,  wo  eine  Unterfudjung  gegen  Ujn  einge* 
leitet  würbe,  bie  feine  Verbannung  nach  (Sibirien  jur  Solge  r)artc. 
hierauf  erließ  bie  ^erjogin  2lnna  ein  üttanifeft,  in  Welchem  fie  er* 
Harte,  baß  fie  ate  ©roßfürftin  oon  SFlußtanb  bie  Regierung  für  ihren 
unmünbigen  ©of)n  übernommen  Jjabe.  3h*  Gemahl  würbe  jum 
Dberfelbherrn  unb  ajtttregenten  unb  SRünnich  jum  erften  2Rinifter 
ernannt.  $ie  ßeitung  ber  auswärtigen  Angelegenheiten  behielt 
Dftermann. 

Snbeffen  fam  e3  balb  jmifchen  ber  SRegentin  unb  ÜRünnich  51t 
3erwürfniffen ,  inbem  ber  fiebere  ben  £>erjog  oon  SBraunfcfjroeig, 
bem  er  bie  Dberfelbherrnwürbe  nietet  gönnte,  in  wegwerfenber  SBeife 
behanbelte,  unb  ba  bie  SRegentin  ftcfj  burdj  Dftermann,  ber  feiner* 
feitä  auf  SRünnich  etferfüdjtig  mar,  bewegen  lieg,  in  ihrer  Stellung 
junt  Muälanbe  eine  ben  Wnfidjten  9#ünnich8  entgegengefefcte  *ßolitif 
ju  befolgen,  forberte  biefer  feine  (Sntlaffung ,  in  ber  SRcinung,  baß 
er  unentbehrlich  fei  unb  man  ihm  gugeftänbniffe  machen  werbe,  um 
ihn  jum  Verbleiben  in  feinem  tote  ju  bewegen.  $n  biefer  (Srwar* 
hing  jah  er  fich  jeboch  getauft:  bie  SRegentin,  bie  fiofj  war,  fich 
oon  einem  läftigen  Xheilnefmier  an  ber  Regierung  befreit  ju  fct)cnr 
entliefe  ihn  ohne  Sägern. 

$ie  Entfernung  be3  thatfräftigen  ©rafen  SJcunnich  ermuthigte 
bie  ^rinjeffm  ©lifabeth,  ^eterS  be§  ®ro&en  Softer,  jur  8hi8* 
führung  be3  längft  genährten  planes ,  fich  fclbft  auf  ben  %t)xon  ju 
fchtotngen.  ©ie  hotte  bi$h?r,  fcheinbar  unbefümmert  um  bie  fRegie* 
rungäangelegenheiten ,  aber  nichtäbeftoroeniger  oon  bem  oorfichtigen 
HJcünnich  Wohlbeobachtet,  feinerlei  ehrgeijige  SBeftrebungen  an  ben 
Xag  gelegt,  babei  jeboch  nicht  öerjäumt,  fich  ourch  große  ßeutfetig* 
feit  bei  bem  Volfe,  ba3  ohnehin  mit  SBiberWiHen  Xeutfdje  über  fich 
herrfchen  fat) ,  beliebt  ju  machen ,  gan$  befonberö  aber  burch  fluge 
§erablafiung  fich  We  ®unft  ber  ©olbaten  51t  erwerben.  3h* 
trauter  unb  bie  eigentliche  ©eele  ihrer  ^läne  war  ihr  fieibarjt  S  e  - 


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280   föujjfonb  unter  bcn  tricr  crftcn  Nachfolgern  $eter3  be8  ©rofjen. 

ftocq.  Much  ber  franjüfifcfje  ©efanbte  Sa  ßfyetarbie  muffte  um  bie= 
felben,  unb  ba  er  Defterreid),  auf  beffen  «Bette  bic  9iegentin  getreten 
mar,  eine*  trächtigen  93unbe3gcnoffett  $u  berauben  münfd)te,  oer= 
fdjaffte  er  ber  ^rtnaeffin  bic  nötigen  ©elbmittel.  $ie  ©efanbten 
OefterrcichS  unb  SnglanbS,  bie  aus  feinem  58erfet>r  mit  ber  $rin* 
jeffin  SSerbact)t  geköpft,  marnten  bte  SRegentin;  btefe  lieg  fidj  je* 
bod)  burdj  bie  Jöerficherungen,  bte  ihr  (SUfabctt)  unter  frönen  öon 
ihrer  2In^ängttd)fctt  unb  Xreue  gab,  boflftänbig  beruhigen. 

$a  (Slifabethä  Vertraute  ber  Slnficfjt  waren,  bag  e3  Slngeftd&tä 
beä  ermatten  Slrgmolmä  gefärjrlicr)  fei ,  mit  ber  Ausführung  be£ 
bcfchloffenett  Unternehmend  länger  ju  jögem ,  begab  ftch  bie  ©roß* 
fürftin  in  ber  9cacr)t  jum  6.  $ejember  1741,  bon  fieftoeq  unb  ihrem 
®ammerjunfer  Söoronjom  begleitet ,  in  bie  ßafeme  ber  <Preobra= 
fchenSfoifchen  ©arbe  unb  trat ,  ein  ©eroehr  in  ber  £anb  f)altenbf 
bor  bie  ©renabiere  mit  ben  SBorten :  „3h*  hri&t,  mer  id)  bin,  $e* 
tcrS  be£  ©rofjen  Sodjtcr  unb  eure  rechtmäßige  ßaiferin;  mollt  it)r 
mir  folgen  ?**  2113  fidj  sMe  ba$u  bereit  erflärt,  erhob  fte  ein  $reuj 
unb  forberte  bie  ©renabiere  auf,  ju  fchmörett,  bafj  fte  cntfd)loffen 
feien,  nötigenfalls  mit  ifjr  unb  für  fte  ju  fterben.  Uiachbem  alle 
Slnmefenben  biefen  ©djttmr  geleiftet,  brach  fie  mit  brcir)unbert  9#ann 
ganj  in  ber  ©tille  nach  bem  Sßintcrpalaft  auf ,  mo  fid)  ir)r  bte 
Söache  gleichfalls  anfchlog.  Ohne  irgenb  melden  SBiberftanb  ju  fin* 
ben,  brang  fte  in  bie  ©emächer  ber  großfürftlichen  Samilie  ein  unb 
ließ  biefelbe  gefangen  nehmen.  Qu  ber  gleichen  Seit  mürben  auch 
bie  ©rafen  SDcunnich  nnb  Dftermann  in  ihren  SBofmungcn  über* 
fallen  unb  t>err)aftct. 

2US  am  anberen  borgen  bie  Vorgänge  ber  Stacht  befannt 
mürben  ,  brach  baS  SSolf  in  lauten  Qubel  aus ;  bie  Vornehmen 
brängten  fich  glücfmünfchenb  $u  ber  neuen  ftaifertn ,  unb  Üftilitär 
unb  Siml  leifteten  ihr  ben  @ib  ber  Xreue.  Sitte ,  bie  bei  bem 
©taatsftreiche  mitgenrirft ,  erhielten  reiche  Belohnungen.  Seftocq 
mürbe  in  ben  ©rafenftanb  erhoben  unb  jum  roirfltchen  ©eheimen^ 
rath  mit  einem  ©ehalt  bon  fiebentaufenb  Rubeln  ernannt;  auch 
fchenfte  ihm  (Sltfabetf)  ih*  «ich  tn  diamanten  gefaßtes  83tlbniß  im 
SSerthe  bon  jmausigtaufenb  Rubeln.  5Die  breihunbert  ©renabiere, 
melche  ben  SSinterpalaft  befefct  hatten,  erflärte  bie  neue  ®atferin  für 
ihre  Seibgarbe;  bie  ©erneuten  erhielten  ben  9tang  ton  SieutenantS, 
bie  Korporale  bcn  bon  ^auptleuten  unb  üttajorS,  unb  bie  Offiziere 
rourben  $u  ©cneralmajorS  unb  ©enerattieutenants  beförbert.  $)age= 
gen  berfufjr  Glifabett)  gegen  Sitte ,  bie  bei  bem  vorausgegangenen 
^hronmechfcl  betheiligt  geroefen,  mit  empörenber  ©raufamfeit.  $>er 
unglncfliche  Qman,  ber  faum  ins  jmeite  ßebenSjahr  getreten,  mürbe 
in  bic  Scftung  ©chlüffelburg  etngefchloffcn,  mo  er  in  troftlofer  @in* 
famfeit  ohne  jebmeben  Unterricht  aufmuchS  unb  in  ftetcr  £obeägefat)r 


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Gliiabctl). 


fcfjroebte ,  ba  bcr  madjtljabenbe  Offizier  Söcfc^I  fjatte  ,  if)n  fogfeidj 
nteberauftedjen ,  faß«  ein  SBerfud)  $u  feiner  Befreiung  gemacht  mcr- 
ben  fottte.  Seine  ©Item  lieft  (£Iifabetfy  nadj  Äolmogori,  einer  Snfel 
in  ber  2)roina  am  weiften  Speere ,  bringen ,  roo  §(nna  im  3?af)re 
1746  nadj  harter  SöefjanMung  ftarb.  3l)r  ©emaljl  erhielt  bon 
Äat^artna  II.  bie  ©rfaubnift  $ur  9Hücffel)r  in  fein  SBaterlanb;  bodj 
machte  er  bon  berfelben  feinen  ©ebraudj  nnb  ftarb  im  Qofyct  1776 
an  bem  Orte  feiner  Verbannung ;  ifjre  bier  jüngeren  ^inber  mur^ 
ben  im  Safjre  1780  nad)  $änemarf  gebracht,  roo  fie  fämmtlidj  ofyne 
SRadjfommen  ftarben.  SDcunnidj  unb  Dftermann  mürben  mit  mehreren 
anberen  (befangenen  jum  Xobe  berurtfjeitt,  aber  auf  bem  93(utgerüfte 
begnabigt  unb  nadj  Sibirien  bertotefen.  2U«  Sflünnid}  auf  ber  Steife 
bortljin  burtt)  bie  Vorftabt  bon  ®afan  fufjr,  begegnete  er  bem  £er* 
50g  93iron,  ber  mit  Kielen  anbern  unter  ber  borigen  Regierung  md) 
Sibirien  SBernriefenen  bon  (Slifabetl)  begnabigt  morben.  Sie  blieften 
fic§  ftarr  an  unb  fuhren ,  ofjne  ein  SBort  ju  medjfeht ,  aneinanber 
borfiber.  Qm  Raffte  1762  mürbe  Sflünnidj  bon  $eter  III.  au«  ber 
Verbannung  flurüdföerufen  unb  in  feine  früheren  SBürben  toieber 
eingefefct.  dagegen  mar  e«  Dftermann  nidjt  befdjieben,  au«  ber  SBer* 
bannung  gurürfjufe^ren :  er  ftarb  im  3af>re  1747  in  bem  fibirifdjen 
Stäbtdjen  SBereforo. 

Unter  ben  au«  Sibirien  Surücfgef ehrten  befanb  fidj  auäj  93  e  * 
ftudjero,  einer  ber  SJftnifter  ber  ftaiferin  Slnna,  ber  als  ein  befon* 
ber«  eifriger  2(nf)änger  SBiron«  in  beffen  Stur$  berroicfelt  morben. 
2Cuf  Seftocq«  Vermenben  ernannte  if)n  (SUfabetf)  jum  SSicefaitiler 
unb  ertyob  Um  in  ben  ÖJrafenftanb.  9ftd)t«beftoroeniger  mürbe  er  in 
ber  golge  fieftoeq«  gefä^rltdjfter  geinb  unb  bie  Urfad)e  feine«  Stur* 
je«.  $>a  nämlid)  Seftocq  für  ^reuften  Partei  genommen,  mäljrenb 
er  felbft  ju  Defterreidj  f)ieft,  bemog  er  bie  ®aiferin,  it)rc  £>anb  bon 
bem  Spanne  abjujietyen,  ber  ba«  erfte  unb  t^ätigfte  SBerfyeug  iljrer 
ßrrfjebung  auf  ben  Xtyron  gemefen,  unb  tf>n  bem  £>affe  feine« 
(Gegner«  preiszugeben.  Unter  ber  2tnf(age  auf  §odjberratl)  mürbe 
Seftocq  beruftet  unb ,  nadjbem  il)m  burd)  ®nutenljiebe  ba«  ®e* 
ftänbnift  feiner  angeblichen  Sdjufl)  entriffen  morben ,  jum  Ver* 
lüfte  feiner  ®üter  unb  $ur  Verbannung  nad)  Sibirien  berurt^eUt 
(1748). 

Von  ba  an  mar  83eftuä)eto  bie  Seele  ber  ruffifdjen  <ßotttif 
unb  ber  borjügltdjfte  ßeiter  afler  Staat«gefdjäfte,  bi«  ifjn  im  Qafjre 
1758  ba«  gleite  Sdjicffal  traf,  ba«  er  Seftocq  bereitet  Ijatte.  diu 
fabetl)  felbft  Ijatte  ben  X^ron  nur  gefudjt,  um  if>rem  Vergnügen 
(eben  $u  fönnen.  SBäfjrenb  fie  bie  Regierung  ifjren  ÖJünftlingen 
fiberlieft  ,  gab  fie  fia)  ben  jügettofeften  §lu«fa)meifungen  ^in  unb 
fanb  i^rc  Jöefriebigung  in  bem  niebrigfteu  Sinnengenuft  unb  $u* 
gleia)  in  einer  fo  beifpieöofen  $u6fua)t,  baft  man  nad)  i^rem  Xobe 


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282 


Schweben  unter  griebridj  I« 


in  ihrer  Gtorberobe  nicht  meniger  al3  breigigtaufenb  Kleiber  gefun* 
ben  haben  fo0.  $abei  trieb  fie  jebodj  eine  abergläubische  gurcht 
$ur  ftrengften  Beobachtung  aller  fira)Iic^en  (Gebräuche.  SBährenb  ihr 
£>of  ber  ©chauplafc  ber  fchmacrpollften  ©ittenlofigfeit  unb  ber  nieo* 
rigften  Nänfe  mar,  herrschten  im  ganzen  ßanbe  Unorbnung  unb 
SBillfür,  unb  eine  geheime  3nquifttion  oermanbelte  oft  bie  Pflege 
beä  Necf)t&  in  bie  Ausübung  ber  fcrjreienbften  Ungerechtigfeit. 
w@3  ift  rtidt)t  ber  geringste  ©Ratten  mehr  übrig  oon  $reue,  (Ihre, 
Vertrauen,  ©cham  ober  ©iöigfeit",  fo  Reifet  ed  in  einem  Berichte 
be3  ^ottönbifc^en  (Sefanbten  öom  3a^re  1777  ;  „man  ficht  Nichte, 
ate  unbefc^reiblic^e  ©itelfeit  unb  Berfchtoenbung,  rodele  jum  Unter* 
gange  führen.  £ie  alten  gamilien  unb  ba£  gemeine  iöolf  finb 
aufä  ©raufamfte  unterbrüeft  burch  alle  biefe  auä  bem  Nichts  empor- 
gehobenen Seute." 

3n  melier  SBeife  Nuglanb  unter  (SUfabet^  in  ben  ÖJang  ber 
übrigen  europäischen  Angelegenheiten  eingriff,  merben  mir  fpäter 
hören.  AIS  bie  ßaiferin  am  5.  Januar  1762  nach  längerer 
ßranffjeit  einem  93lutftur$  erlag,  beftieg  ihr  Neffe  #arl  $eter 
Ulrich  üon  ^olftein^ottorp,  ber  ©ofm  ihrer  üerftorbenen  älteren 
©chroefter  Anna,  ben  fie  fdmn  im  3af)re  1742  jum  Nachfolger 
ernannt  unb  nach  Petersburg  hatte  fommen  laffen,  als  $eter  III. 
ben  ruffijchcn  tyxon. 


XV. 

Sdimeben  unter  ^riebrid)  I. 

(1720-1751.) 

Noch  ehe  ©ergeben  fich  burch  ben  Abflug  beä  Nnftäbter 
griebenä  üoUftänbige  Nufje  üon  Augen  üerfdfmfft  hatte,  mar  bie 
üon  ber  Königin  Ulrtfe  Eleonore  als  ^reiS  ihrer  Erhebung  auf 
ben  Zfyxon  jugeftanbene  Umgeftaltung  ber  inneren  Berfaffung  in* 
Sßerf  gefegt  morben.  Nach  berfelben  mar  bie  gefefcgebenbe  ©e* 
malt  bei  ben  NetchSftänben,  benen  auch  bic  (Sntfcheibung  über  ®rieg 
unb  grteben,  fomie  baS  Necbt  ber  Steuerung  unb  beS  SSorfchlagS 
ju  ben  erlebigten  NeichSrathSftellen  üorbehalten  blieb.  $ie  Negie* 
rung  füllte  üon  ber  Königin  unb  bem  NeichSratlje  gemeinfam  ge* 
führt  roerben,  unb  in  bem  lefcteren,  ber  aüe  Angelegenheiten  nach 
Stimmenmehrheit  entfehieb,  mürben  ber  Königin  jmei  ©timmen  ju* 
erfannt.  AIS  Ulrife  Eleonore  im  Qahre  1720  bie  Negierung  ihrem 
©emahl  griebridj  I.  überlieg,  erhielten  bie  Nechte  ber  $rone  neue 
58cfcf)ränfungen,  burch  melche  bie  ©ouüeränität  üoflftänbig  an  bie 


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©cfjwcbcn  unter  griebrid)  I. 


283 


SRctchäftänbe  tarn.  Alle  ©ehörben  würben  ihnen  oerpflichtet,  alle 
Stetten  int  föetdjäratfje  tote  im  #eere,  öom  Oberften  aufwärtl,  burd) 
fic  befefet ;  jeber  Singriff  auf  bie  Unabhangtgfeit  ber  föeichlftänbe 
würbe  für  ein  iWajeftätloerbrechen  erüort. 

3nt  ©choo&e  ber  Ijerrfdjenben  Ariftofratie  enrftanben  balb 
jtoei  Parteien,  bie  ®tjllenborg'fche  unb  bie  £orn'fd)e,  bie, 
nach  bem  Aulforuch  #önig  ®uftaoi  III.,  au«  ber  Nation  jtDct 
oerfdnebene  SSötfer  matten,  meiere  gemeinfam  nach  bem  SBerberben 
bei  &aterlanbel  ftrebten.  $ie  ®t)ßenborg'fcf>e  gartet  ftanb  im 
©otbe  granfreid)!;  bie  ©orn'fche  ^atte  ftch  an  SRu&lanb  »erlauft, 
unb  je  nad^bem  bie  eine  ober  bie  anbere  im  SReidjltage  bie  £)ber= 
fjanb  behielt,  trat  ©djweben  für  bie  3ntereffen  granfreichl  ober 
9tuf,lanbl  in  bie  ©chranfen.  Statt  fich  mit  ben  Angelegenheiten 
bei  $anbel  ju  befdjäfttgen,  toaren  beibe  Parteien  nur  barauf  aul, 
fia)  auf  ben  SReichltagen  möglidjft  öiete  ©ttmmen  $u  üerfdjaffen, 
wobei  fie  mitunter  in  fo  heftigen  Streit  gerieten,  bajj  SBlut  Oer« 
goffen  würbe.  Stuf  bem  9teid)ltage  beä  Qahrel  1738  brachte  bie 
ÖJtjlleuborg'fche  Partei,  ben  öon  granfreid)  erhaltenen  ^nftruftionen 
gemäß,  einen  ®rteg  gegen  fRu&Ianb  in  JBorfdjlag,  unb  ba  bie 
£om'fd)e  bie  Aufredjthaltung  bei  griebenl  befürwortete,  würben 
ihre  Anhänger  öon  ben  (Gegnern  ©djlafmüfcen  genannt,  ©eitbem 
erhielten  bie  beiben  Parteien  bie  tarnen  ber  fi  (j  e  n  unb  ber 
4>  ü  t  e.  $a  bie  £>üte  burdj  (Srfaufen  ber  ©timmen  bie  Dberhanb 
behielten  unb  el  ihnen  gelungen  war,  burd)  ben  £>inweil  auf  bie 
im  9tyftäbter  grieben  erlittenen  SSerlufte  unb  auf  ben  Umftanb, 
baß  föu&lanb  eben  in  einen  ®rteg  mit  ben  dürfen  oerwicfclt  unb 
bafjer  ber  Augenblicf  für  bie  SBiebereroberung  ber  oerlorenen  $ro= 
trinken  günftig  fei,  bie  ßampfluft  ber  Nation  aufjureijen,  mürbe 
am  4.  Auguft  1741  ber  ftrieg  an  9hif$lanb  erftärt,  obgleict)  bal- 
felbe  in  ber  Swifdjenjeit  mit  ber  Pforte  grieben  gefd)lofjen. 

£er  unftug  unternommene  $rieg  nahm  einen  für  ©djweben 
öußerft  ungünftigen  Verlauf.  $ie  ruffifct)cn  Generale  ®eith  unb  Öalcty 
brangen  in  ginnlanb  ein  unb  f djtugen  bie  ©dj  weben  am  3.  ©eptem? 
ber  1741  bei  SBiHmanlftranb.  jJUdjtlbeftoWeniger  fteHte  bie  fdjwe* 
bifdje  Regierung,  nachbem  if>r  bie  Äaiferin  (Süifabett)  einen  3Baffen> 
ftiflftanb  angetragen,  in  ber  SJceinung,  SRußtanb  müffe  um  jeben 
^ßreil  grieben  fc^liegen,  unannehmbare  gorberungen  unb  oerfäumte 
babei  zugleich,  für  bie  gortfefcung  bei  ßxiegel  bie  nötigen  Lüftungen 
anzufallen.  35ie  Muffen  rücften  hierauf  aufl  9teue  in  ginntanb  ein 
unb  trieben  bal  fd)webifche  £eer  oon  einem  Soften  jum  anbern  bil 
nach  £>elfingfor3,  wo  balfelbe  eingefchloffen  unb  am  20.  Auguft 
1742  jur  drgebung  gezwungen  würbe. 

Sum  ®lüd  für  ©chweben,  bal  fich  in  ©efafjr  fah,  ben  gric* 
ben  burch  bie  Abtretung  oon  gan$  ginnlanb  erlaufen  ju  müffen, 


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284      granfrcid)  unter  ber  Dtegcntldjaft  bcS  $er3ogS  üon  CrlcanS. 

fanb  ftd)  ein  minbcr  foftfpieligeS  bittet  $ur  SluSgleidmng.  $a 
®önig  griebria)  I.  finberloS  mar,  lag  bic  gragc  öor,  wer  ifmt  auf 
bem  fd)tt)ebifd)en  $bron  folgen  folle.  211S  ber  nädtftberedjtigtc  (£rbe 
erfduen  ber  $erjog  *ßetcr  Ulrich  öon  $olftein=©ottorp ,  ber  ©nfel 
beS  bei  ßltffom  gefallenen  £>erjogS  griebridj  IV.  unb  ber  älteren 
©djmcfter  ßarlS  XII.  2>a  berfelbe  jebod)  bereits  als  ber  @nfe( 
Meters  beS  GJrofjen  jum  9tad;folger  ber  ®aiferin  (Slifabetf)  auf  bem 
ruffiferjen  STIjrone  befrtmmt  mar,  braute  biefe,  um  föujjlanb  einen 
bauernben  (Sinflufj  auf  6d)meben  511  fiebern,  beffen  mütterlidjerfeitS 
gleichfalls  mit  bem  £aufe  28afa  öcrtoanbten  Setter  21bolf  grieb* 
rief)  in  $orfd)lag,  inbem  fie  fiefj  im  galle  ber  Slnna^mc  bcSt'etben 
als  Sljronerben  ju  einem  billigen  grieben  bereit  erflärte.  $er 
2lbcl  ging  auf  biefen  5ßorfd)Iag  ein,  unb  fo  fam  im  Qa^re  1743 
ber  griebe  üon  21  b  0  5U  Stanbe,  in  meinem  fid)  bie  ftaiferin  mit 
ber  Abtretung  einiger  finnlönbifa^en  (BebietSftrcden  $ur  ©id)erung 
it)rcr  ©renken  begnügte.  Obgleid)  bie  erlittene  Sinbuge  in  feinem 
S8erf)ältnii3  ju  bem  Sßerlufte  ftanb,  öon  meinem  fid>  ©djroebcn  be* 
brofyt  gefefjen,  mußten  bie  fd)tuebifdjen  Generale  öubenbrod  unb 
Sömenhaupt  für  ben  nachteiligen  Ausgang  beS  Krieges,  ben  ber 
9teidjSrath  ilmen  allein  beimaß,  mit  ihren  köpfen  büßen.  2ldjt  Qafjre 
fpäter  (1751)  ftarb  $önig  griebrid),  unb  ber  ju  feinem  Nachfolger 
ertoählte $>erjog  Slbolf  griebrich  öon  £>olftein  =  ®ottorp  be= 
ftieg  ben  fd)tr>ebifdjen  i^ron. 


XVI. 

$tan&tei$  unter  bet  fUflenffdJaft  be*  cfictjofl$  von 

(1715-1723.) 

Obgleich  Subroig  XIV.  ein  Xeftament  lunterlaffen,  in  meinem 
er  feinem  natürlichen  ©ofme,  bem  £er$og  öon  9flaine,  nid)t  allein 
ben  Oberbefehl  über  baS  £eer,  fonbern  auch  bie  ©r^ie^ung  beS 
jungen  Königs,  unb  feinem  Neffen  Philipp  II.  öon  Orleans  bie 
fltegentfdjaft,  öon  melier  er  ifjn  nicht  gänjlich  ausfließen  fonnter 
nur  bem  Flamen  nach  übertragen  l)atter  inbem  berfelbe  an  einen 
SRath  öon  öier$efm  SERännern  gebunben  fein  unb  nur  bei  ©timmen* 
gleid)f)eit  baS  SRecht  ber  ©ntfdjeibung  fmben  follte,  tourbe  ber  $>erjog 
öon  Orleans  öon  bem  Parlamente,  baS  er  burd)  feine  (Schmeicheleien 
gu  geminnen  gemußt,  ohne  SRücfficht  auf  SubmigS  teftamentarifc^e 
Söeftimmungen  in  alle  Siechte  eines  Regenten  eingefefct  unb  ifjm  $u= 
gleich  ber  Oberbefehl  über  baS  $eer  juerfannt,  roäfjrenb  fich  ber 


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5ranrreicfj  unter  ber  9icgcntfcfiaft  bc*  $er$og*  oon  Otiten*.  285 


.5>eraog  oon  9Mne  mit  einer  untergeorbneten  ©tettung  im  Regent« 
fcr)aft*rathe  begnügen  mufete. 

s.ß^ilipp  II.  oon  Orleans,  ber  bamal*  im  einunboierjig* 
ften  £eben3jaf)re  ftanb,  mar  ein  9)cann  oon  angenehmem  3(eu6eren 
unb  in  jeber  Begehung  öon  ber  9iatur  mit  reiben  ÖJaben  auäge- 
ftattet.  mt  einem  fcharfen  SBerftanb  unb  einer  leisten  Auffaffung 
öcrbanb  er  ein  glütfliche*  (SJebächtnijj  unb  ein  richte*  Urtfjeil;  auch 
hatte  er  fid)  in  ber  9)cathematif,  ber  (Shemie,  ber  ©rbfunbe  unb  ber 
03efd)ichte  nicht  unbebeutenbe  tfennrniffe  erworben  unb  oerftanb  fid)  auf 
SMerct  unb  9ftufif.  $abei  mar  er  liebeu*Würbig  int  Umgang, 
Reiter  unb  milb,  ooll  3Jiutr)  unb  Sapferfeit  unb  bod)  jugteich  ein 
Sreunb  be*  grieben*.  Aber  alle  biefe  guten  @igcnfdmften  mürben 
oerbunfelt  nid)t  nur  burch  bic  äußerfte  3nbolen$  unb  ben  oollftän* 
bigften  Sttangcl  an  religiösen  unb  fittlichen  ©runbiä&en,  fonbern  auch 
burch  bie  tieffte  moralijehe  Benommenheit,  bie  golge  einer  fehlest 
geleiteten  Crrjiehung  unb  eine*  in  ben  jügelloicften  &u*fd)Weifungen 
hingebrachten  £eben*,  unb  in  allen  ©tüden  bemährtc  fid)  bie  SSahr* 
heit  be*  fchmer^lichften  ÖJeftänbntffe*  feiner  Butter,  ber  pfälsifchen 
s$rin$effin  ©lifabeth  Ghötlotte:  „2>ie  geen  fyabtn  meinem  ©ohne 
alle  Talente  gegeben,  nur  nicht  ba*,  einen  guten  Gebrauch  baoon 
ju  machen."  Seine  (Sharafterfdjwäche  mar  fo  grofj,  bafj  er,  ob- 
gleich $um  £>errfd)en  berufen,  fid)  öoQftänbig  oon  Knbern  unb  felbft 
oon  ©otogen  bcf)errfcf)en  ließ,  benen  er  fich  weit  überlegen  fühlte 
unb  bie  er  mit  Stecht  verachtete.  Um  fich  ungeftört  feinen  nieberen 
£eibenjd)aften  Eingeben  ju  fönnen,  ha*te  er  fich  gänjlich  oon  bem 
(Stauben  an  ©Ott  unb  an  bie  Sugcnb  loSgcfagt;  aber  mährenb  er 
bie  Wahrheiten  be*  ©hnftenthum*  al*  leeren  253al)n  ocrjpottetc, 
mar  er  bem  graffeften  Aberglauben  oerfallen:  er  fuchte  sJtatf)  bei 
Söahrfagerinnen  unb  bact)te  allen  ©rnfte*  barau,  mit  bem  Xeufcl 
einen  Bunb  ju  fd)lief$en. 

Xro(j  feiner  tiefen  fittlid)cn  Söerfunfenhcit  fchien  e*  ber  $>er$og 
Anfang*  mit  ber  (Erfüllung  feiner  ^egentenpflichten  ernft  nehmen 
mollen,  unb  feine  erften  9tegierung*hanblungcn  waren  geeignet, 
ba*  Vertrauen  ber  Nation  ju  ermeden.  (Sr  entlieft  einen 
be*  Speere*  unb  gab  bem  Parlamente  ba*  9ied)t  jurüd,  Bor* 
ftellungeu  51t  machen.  Auch  mürben  bie  Oerhaßteften  2Jcinifter  au* 
ihren  ©teilen  entfernt  unb  in  bie  ©taat*oerwaltung  oerfchiebene 
^wertmäßige  Reformen  eingeführt.  Aber  balb  übertrug  ber  jeber 
Anftrengung  abgeneigte  Regent  bie  gejammte  ©taat*oerwaltung  fei- 
nem ©rjieher,  bem  unwürbigen,  aber  tatcntooüen  Abbd  2)  u  b  0  i  *, 
einem  Wanne,  ber  trofc  feiner  Glaubend»  unb  ©ittcnlofigfcit  nach 
bem  sßurpur  ftrebte.  2)er  apoftolifchc  ©tuht  wie*  lange  #eit  biefe* 
Anfinneu  jurürf,  bi*  e*  enblich  ben  oereinten  Bemühungen  be* 
Regenten,  be*  $aifer*  unb  ber  Könige  oon  ©nglanb  unb  ©oanien  gc* 


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286     gfranftetdj  unter  ber  töegentfdjaft  be$  &erjog$  üon  Crlean«. 

lang,  $apft  3nnocenj  XIII.  ju  bewegen,  bcm  Verlangen  ^uboia' 
willfahren.  SSährenb  bicfcr  über  granfreich  ^crrjc^tc ,  überließ 
fich  bcr  ^crjog^cgcnt  ben  jügellofeften  SluSfchweifungen.  Ällabcnbs 
lieh  üerfammelte  er  im  $alaiS=9ioüal  einen  ®rei$  ber  lafterhafteften 
Sttänner  unb  grauen,  mit  benen  er  ben  größten  Xljeil  ber  Stacht  in 
Ueppigteit  unb  ©chwelgcreien  ücrbrachte.  $)abei  ließ  er  jeboch  ben 
(Senoffen  feiner  nächtlichen  Söacdjanalien  feine  üolle  Verachtung  fühs 
len;  benn  er  nannte  fic  nicht  anberS,  als  feine  Rouäs  (©eroberte), 
weil  fie  nach  it)ren  nächtlichen  (Belagen  wie  geräbert  emfyerfcfjlicfjen, 
ober  roeil  fie,  ttrie  er  fagte,  üerbienten,  auf  bem  SRabe  ju  fterben. 
©o  bot  unter  ber  9tegentfchaft  beS  £>er$ogS  üon  Orleans  ber  fran^ö* 
fifdje  ,§of  ein  93ilb  üon  Safterrmftigfeit  unb  Verworfenheit  bar,  baS 
an  bie  fcf)limmften  Qtittn  ber  römijcfjen  ^aifcrtjcrrfc^aft  erinnerte. 

$ie  (£r§iehung  bcS  jungen  Königs  hatte  ber  $erjog  *  Regent 
bem  ebenfo  anmaßenben  als  geiftlofen  3Äarfcf)att  Villeroi  übertra* 
gen ,  bem  als  ßefjrer  beS  föniglichen  Knaben  ber  ehrmürbige 
§  I  e  u  r  o ,  ©ifchof  öon  grejuS,  jur  ©eite  ftanb.  SSährenb  ber  ßefcs 
tere  burch  5Ktlbe  unb  ©anftmuth  auf  baS  ©emüth  feinet  SöglingS 
ein$umirfen  fudjte  unb  in  ber  Xf)at  beffen  üollfte  Zuneigung  ge* 
wann,  flößte  ber  2JtorfchalI  bemfclben  fcfjon  friitjc  eine  höh*  sD*eU 
nung  üon  ber  föniglichen  9JtodjtüoHfommenl)eit  ein.  Söenn  er  mit 
ihm  ausfuhr  unb  baS  Volf  ben  &uf  erfchatten  tieg :  „@S  Übt  ber 
ftönig!"  pflegte  er  ihm  ju  fagen:  „Sehen  ©ie,  gnäbigfter  §err, 
alle  biefe  ßeute  gehören  3hncn ,  ftnb  3t)r  ©igenth.um ;  ©ie  finb  ber 
#err  öon  Mem!"  $a  ber  £nabe  wegen  feiner  fchwächlichen  ÖJe* 
funbheit  möglichft  gefchont  werben  follte ,  mürben  feine  geifttgen 
Anlagen  wenig  entwickelt,  unb  er  Wuchs  heran  ohne  föuhmbegicrbe, 
aber  auch  ohne  Suft  jur  Arbeit  unb  s2lnftrengung  unb  ohne  bie  rief)* 
tige  Vorftctlung  üon  ber  hohen  Aufgabe,  bie  feiner  als  §errfcher 
harrte. 

$ie  größte  ©chmierigfeit  ücrurfadjte  bem  Regenten  ber  troft^ 
lofe  Snftanb  ber  ginanjen.  ©tatt  jeboch  burch  eine  weife  ©par* 
famfeit  baS  ungeheuere  SJcißüerhältniß  $wifchen  ben  @infünften  unb 
ben  Ausgaben  beS  ©taateS  auszugleichen,  fcheuten  fich  bie  2Jcimfter 
nicht,  ^u  ben  ungerechteren  SUtoßrcgeln  $u  greifen.  Söiclc  gorberun= 
gen  an  bcn  ©taat  mürben  mit  ber  größten  SBiüfür  für  ungiltig  er* 
flärt,  bie  2ftün$en  ücrfct)tccf)tcrt  unb  zahlreiche  Einnehmer  unb  ginanj* 
Pächter  wegen  angeblicher  Unterfd)leifc  üor  ein  befonbereS  peinliches 
(Bericht  gejogen,  baS  fie  ju  großen  ©traffummen  üerurtheilte.  2)aS 
burch  biefe  Gewaltmittel  gewonnene  ÖJelb  würbe  jeboch  nicht  gum 
Vorteil  beS  ©taateS  üerwenbet,  fonbern  floß  in  bie  Xafdjen  bcS 
Regenten  unb  feiner  ÖJünftlingc.  ©o  ftieg  bie  9coth  üon  Xag  ju 
^lag,  unb  fchon  war,  wenn  auch  unter  bem  hcftigften  S93iberfpruct), 
bcr  ÖJcbanfe  in  Anregung  gebracht  worben,  bie  beiben  fteuerfreien 


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ftranfretdj  unter  ber  föegentfdjaft  bc8  ^erjogS  r»on  Orleans.  287 


Stänbe,  ben  21M  unb  bie  ®eiftlicr)f eit ,  ju  ben  Abgaben  §eran$u= 
3iehen,  ate  jtdj  bem  Regenten  ganj  unerwartet*  bie  2lu3}icht  auf  eine 
rafdje  unb  üollftänbige  Abhilfe  aller  ginanjnoth  $u  eröffnen  f^icit. 

©in  (Schotte,  Johann  San),  ber  ©ohn  eine«  (SolbfchmiebS  ju 
(Sbinburg,  ber  ftdt)  feit  längerer  Seit  öielfadj  mit  bem  9tedmung3= 
unb  ginangmefen  befdfjäftigt  hatte ,  überreizte  nämlich  im  Slpril 
1716  bem  Regenten  einen  $lan,  burdj  roetchen  nicht  nur,  roie  er 
toerfprach ,  bie  ganje  ungeheuere  ©taatäfchulb  in  roenigen  Sauren 
getilgt,  fonbern  auch  ber  Nation  eine  unöerfiegbare  Duelle  ber  S8e* 
reicherung  erfchtoffen  roerben  foHte.  tiefem  $lane  gemäfi  erteilte 
i^m  ber  Regent  bie  Ermächtigung  jur  Errichtung  einer  3ettelbanf 
—  Banque  d'escompte  — ,  bie  am  3.  2Jcai  1716  mit  einem 
2lftienfapital  öon  fechS  2JciHionen  £iüre3  eröffnet  rourbe.  $ie  9toten 
biefer  93anf  fanben  balb  gro§e3  Vertrauen  unb  mürben  überaß  um 
fo  lieber  ftatt  baaren  ©elbeS  angenommen,  als  baS  ®olb  $u  jener 
Seit  umgeprägt  unb  im  SRennroerthe  erhöht  mürbe,  roät)renb  bie 
Söant  ü)re  Noten  nadt)  ber  alten  Söäfyrung  einjulöfen  öerfpracr). 

Um  baS  in  bie  öanf  fliegenbe  baare  ®elb  ju  oerroerthen  unb 
5ugletcr)  für  baS  *ßublifum  eine  neue  Socffpeife  ju  fd-affen ,  rourbe 
eine  mit  ber  Söanf  oerbunbene  £anbelSgefetlfchaf  t ,  bie  „abenblän* 
bifche  ©efeüfdjaft"  ober  „bie  9Jciffifippi*®ompagnie"  genannt ,  er* 
rietet,  melier  ber  ßönig  baS  ©ebiet  oon  ßouifiana  mit  bem  $riüi* 
Iegium  abtrat,  Sänbereien  ju  laufen  unb  ju  oerfaufen,  ©täbte  ju 
bauen  ,  geftungen  anzulegen ,  ©teilen  $u  befefcen ,  $rieg  ju  führen, 
grieben  ju  fchlie&en  u.  bergl.  S)a  man  bort  bebeutenbe  ÖJotb- 
unb  ©ilbergruben  ju  entberfen  hoffte ,  erfdjien  baS  Unternehmen  als 
ein  äu&erft  geroinnöerfprechenbeS ;  ba^er  beeilte  fidj  sMe3 ,  ftet)  bei 
bemfelben  buret)  ben  Slnfauf  öon  $ftien  ber  ©efedfa^aft  ju  betei- 
ligen ,  für  roelche  auger  ben  feftgefe^ten  oier  ^rojent  3infen  eine 
bebeutenbe  ©ioibenbe  in  2lu3fid)t  geftedt  rourbe.  3)ie  ganje  Nation 
roar  roie  ton  einem  ©chtoinbel  ergriffen.  §eöer  fürchtete,  ju  fpät 
^u  fommen,  unb  jo  roar  SaroS  Eomptoir  oom  frühen  SJcorgen  bis 
in  bie  fpäte  9cacr)t  bon  einer  SJcenge  öon  SDcenfcfjen  umlagert ,  bie 
ficr)  mit  Lebensgefahr  hc^ubrängten ,  um  ihr  ©elb  gegen  'ilftien 
umjutaufchen.  2)iefe  ftiegen  benn  auet)  balb  jo  fct)r  im  greife, 
ba&  fie  tchliefjüch  um  ba$  Qtfytfafyt  ihres  NennroertheS  oerfauft 
rourben. 

3)er  ginanjminifter  NoailleS  unb  ber  $an$ler  b'^gueffeau, 
bie  ihre  Stimmen  gegen  Saro»  Neuerungen  erhoben  ,  rourben  ent* 
laffen,  unb  als  auch  baS  Parlament  gegen  biefelben  Sin(prache  er* 
hob,  öerbot  ber  Regent  bemfelben  im  #uguft  1718  in  einer  fönig* 
liehen  Sifcung  jebe  ©iumifchung  in  ginanj'  unb  ©taatSangelegeu* 
heiten.  hierauf  rourbe  im  S)ejcmber  1718  bie  £aro'icr)e  iöanf  in 
eine  foniglicr)  öerroanbclt  unb  $ugleict)  bie  Errichtung  üon  öanf= 


288     ftranfreid)  unter  ber  JKegentfchaft  bcS  ^cr^ogS  uon  Orleans. 

comptoirS  in  berfcf)iebencn  ^roüinjialftäbten  oerfügt.  9Hcht  jufrie* 
ben,  burch  alle  Littel  ber  SBcrlocfuug  Xaufenbe  oeranlaßt  ju  höben, 
nidtjt  allein  it)r  baareS  (Selb  gegen  iöanffcheine  ^injugeben,  fonbem 
auch  ihr  Söefifcthum  ju  üerfaufen  ,  um  für  ben  (SrlöS  beweiben 
Slfticn  ber  SBanf  ju  ermerben,  fucr)te  nunmehr  bie  Regierung  bem 
Umlauf  beS  *ßapiergelbes  burd)  3roangSmaßregcln  noch  eine  toei= 
tere  SluSbchnung  ju  geben,  ©o  burftc  nach  einem  @bift  oom  2)c~ 
jember  1719  feine  3flh*un3  üo^r  jefyn  SiorcS  mel)r  in  Silbergelb 
unb  feine  über  breifjunbert  £ioreS  in  ÖJolb  gemalt  merben,  unb 
im  gebruar  1720  mürbe  ein  (£bift  erlaffen,  nach  meinem  Üiicmanb 
mcf)r  als  fünfljunbert  Stores  in  gemünztem  ©olbe  in  feinem  £>aufe 
behalten  unb  feine  ÄuSjahümg  über  fjunbert  Stores  anberS  als  in 
Söanfnoten  gemalt  merben  burftc.  %a,  eS  mürben  fogar  alle  bei 
ben  (Berichten  hinterlegten  (Oelber,  eingezahlte  löürgfdjaften ,  baS 
ißermögen  unmünbiger  Söaijen  u.  bergl. ,  mit  Ötemalt  eingezogen 
unb  in  Söanfnoten  uermanbelt. 

$iefe  3)caßrcgeln  crioecften  inbeffen  nicht  nur  Unzufricbenheit, 
fonbem  auch  Mißtrauen.  9ftan  fing  an,  bie  Srage  511  ermägen,  ob 
es  ber  93anf  bei  ber  ungeheueren  2Jcenge  ber  ausgegebenen  ftoten 
möglich  fein  merbc ,  biefclben  jemals  toieber  cinjulöfen ,  unb  bie 
barüber  auftauchenben  3meifel  mürben  erhöht  burch  bie  geringen 
(£rgcbniffc  ber  in  üouifiana  begonnenen  vJ(nficblungen.  nun 
gar  ber  Regent ,  ber  felbft  bie  Unmöglichfeit  einfah ,  bie  auSgege= 
benen  SBanfnotcn  in  ihrem  ooflen  SBerthe  jurücf^ugahlen ,  am 
21.  äftai  1720  ben  Söerth  berfelben,  trofc  ber  töcgenoorftetlungcn 
£an>S  ,  auf  bie  ipälfte  hcrabfcfcte ,  in  ber  Hoffnung ,  baburch  ein 
rechtem  8et$ältniß  herzuftcllen ,  mar  mit  einem  Silage  aller 
(Srcbit  beS  s#apiergelbeS  oernichtet.  SBie  üorbem  jum  Slnfauf  ber 
Slftten,  fo  bräugte  fich  jefet  2lücS  zur  ©inlöfung  ber  Acoren  an  bic 
$anf  heran,  unb  ba  ihr  bic  Littel  fehlten,  ben  maffenhaften  ?ln= 
forberungen  §u  genügen;  mußte  fie  ihre  3ah*un9cn  einftetlcn.  3>ie 
Nation  ermatte  bei  bem  plötzlichen  3ufammenfturj  beS  Suftgcbäu* 
beS  roic  aus  einem  Traume.  $cr  ganze  SBermögcnSzuftanb  hatte 
fich  öcränbert.  SSährenb  einzelne  burch  ben  geroinnreichen  2öiebcr= 
oerfauf  ihrer  Mfticn  ungeheuere  9leict)thümer  ermorben  hatten,  fahen 
fich  an  jtoanjigtaufenb  gamilien  an  ben  öettelftab  gebracht  unb 
über  fmnbcrttaujenb  bes  größten  Zweite  ihres  Vermögens  beraubt. 
«§anbel  unb  ©emerbe  lagen  ooüftänbig  bamieber.  Üftur  bie  aüge= 
meine  ßhrfcrjlaffung ,  bie  auf  ben  finnlofen  ©djroinbel  gefolgt  mar, 
oerl)inberte  ben  Ausbruch  eines  offenen  WufftanbeS.  $er  Regent 
befahl  jtoar,  ben  sßerfäufem  ber  Slftien  jum  heften  ber  51t  QJrunbe 
gerichteten  gamilien  ihren  ÖJeminn  mieber  abzunehmen;  aber  biefe 
Maßregel  ließ  fich  um  f°  weniger  burchführen,  als  bie  meiften  ber^ 
fclbcn  baS  gemonnene  (Mb  bereits  über  bie  GJrenjc  ju  Raffen 


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frrcmtreid)  unter  ber  ategentfehaft  beS  ^erjogS  Don  Orleans.  289 

getrugt.  Satt?  felbft  mar  gleich  nach  bem  Sufammenftur^  ber  Jöanf, 
um  ber  9Rad)e  beS  SBolfeS  $u  entgegen,  aus  granfreich  geflüchtet 
unb  ftarb  1729  ju  Stenebig  in  Eürftigfeit.  $on  ben  brei&igtaufenb 
9tti£lionen  ^apiergelb  ,  bie  ausgegeben  morben ,  mürbe  ein  drittel 
öeraichtet,  baS  Uebrige  in  einprocentige  (Staatsrenten  öermanbelt. 

$>er  SRegierung  überbrüffig,  beeilte  fich  ber  Regent,  ben  ftönig, 
fobalb  berfelbe  fein  breijefjnteä  SebenSjahr  öoflenbet  r)attc,  für  mün- 
big  erflären  ju  laffen ,  vorauf  Shibmig  XV.  bem  tarnen  nach  bie 
Regierung  felbft  antrat  (16.  gebruar  1723).  2)ieS  änberte  jeboch 
Vichts  in  ber  ©taatSöerroaltung,  ba  ber  $arbinal  $uboiS  in  feiner 
©teile  als  erfter  2Rinifter  öerblieb.  Qum  ®lücf  für  granfreia)  ftarb 
berfelbe  im  Sluguft  beS  gleichen  3af)reS.  $lucr)  ber  £>erjog  öon 
Orleans,  ber  fich  nach  $uboiS'  $ob  auf  bie  «itte  beS  ßönigS  ba$u 
t»erftanben  t)atte,  bie  ßaft  ber  ©efcf)äfte  ttrieber  p  übernehmen,  er* 
lag  am  2.  ^ejember  1723  ben  folgen  feiner  SluSfchmeifungen. 

SRach  bem  Xobe  beS  $>er$ogS  öon  Orleans  übertrug  ber 
nig  auf  ben  föath  gleurr/S  bie  Seitung  ber  (StaatSgefchäfte  bem 
merunbbreifjigjährigen  ^erjog  öon  33ourbon*(£onb<$  ,  als  bem  näa> 
ften  «ßrinjen  öon  ©eblüte.  tiefer  ftanb  jeboch  fo  fefjr  unter  bem 
(Sinflufc  feiner  93uhlerin,  ber  Sftarquife  öon  <ßrie,  ba&  biefelbe  bie 
eigentliche  93et)crrfcherin  granfreid)S  mar.  9Iuf  ihre  SSeranftaltung 
mürbe  bie  jur  Gemahlin  fiubnrigS  XV.  beftimmte  achtjährige  fpa= 
nifcf)e  3nfantin  SKaria  Slnna,  bie  ju  ihrer  ©rgiehung  nach  granf* 
reich  gebracht  morben ,  nach  SJcabrib  jurüefgefchieft  unb  ber  $önig 
am  16.  öuguft  1725  mit  2Karia  fiouife  ßeScinSfa,  ber  Xodjter  beS 
bamalS  in  granfreid)  lebenben  entthronten  ^olenfömgS  Stanislaus, 
öermählt. 

$aS  (Streben  ber  attarquife  üon  $rie ,  ben  Söifdjof  be  gleurrj 
aus  ber  9^ät)e  beS  Königs  ju  entfernen,  bemog  ledern,  bem  £erjog 
öon  23ourbon  im  Safjre  1726  bie  Seitung  ber  (StaatSgefchäfte  $u 
entziehen  unb  biefelbe  bem  breiunbfiebjigjährigen  gleurtj  felbft  ju 
übertragen,  bem  ^ßaöft  SBenebift  XIII.  im  folgenben  Safere  ben  $urpur 
öerliet).  $ie  fteb5et)nj[är)rigc  bis  ju  feinem  $obe  (1743)  fortgefefcte 
(StaatSöermaltung  gleurr/S  mar  eine  2öot)ttc)at  für  baS  erfchööfte 
granfreich,  inbem  er  öor  2Wem  barauf  bebadjt  mar,  bem  Sanbe 
ben  grieben  ju  erhalten,  burch  toetfe  ©parfamfeit  bem  jerrütteten 
(Staatshaushalte  aufzuhelfen,  burch  görberung  beS  £>anbels,  beS 
^cferbauS  unb  ber  SÖcanufafturen ,  fomie  ber  fünfte  unb  Sßiffen-- 
fchaften  ben  SBohlftanb  unb  baS  Slnfehen  ber  Nation  ju  erhöhen 
unb  jugleict)  bureb  bie  £>ebung  ber  Sanb-  unb  Seemacht  bem  deiche 
bem  SluSlanbe  gegenüber  bie  gortbaucr  einer  achrunggebietenben 
Stellung  $u  fiebern. 


^oIjtDttrt^  ©eltßef^te.  VI.  19 


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290 


Spanien  unter  W^PP  V. 


XVII. 

Spanien  unter  TfQMpp  V. 

(1700—1746.) 

^Ijtfipp  V.  befaß  bei  Dieler  natürlichen  ©urmütt)igfeit  burdjauS 
nicht  bie  G£igenfchaften  eines  #errfcherS.  9cur  im  Stolje  feinem 
(SJroßöater  Submig  XIV.  ähnlich,  mar  er  trägen  ©eifteS,  unentfdjloffen, 
unfähig  $u  jeber  Anftrengung  unb  aller  Arbeit  abgeneigt.  j$n  ocr 
erften  Qtü  fetner  ^Regierung  ftanb  er  gan§  unter  ber  $errfdjaft 
feiner  Gemahlin  äRaria  fiouife  üon  Saootyen;  boct)  mar  nicfjt  fte 
eS,  meldtje  bie  Angelegenheiten  beS  fianbeS  leitete,  fonbern  it)re  Dber* 
hofmeifterin,  bie  $rinjeffin  Urfini1),  bie  buret)  bie  Ueberlegenheit 
it)reS  ÖJeifteS  einen  fo  bebeutenben  (Sinfluß  auf  baS  ÄöntgSpaar  er* 
langt  hatte,  baß  bie  £errfd)aft  über  Spanien  thatfächtich  in  ihrer 
£mnb  lag.  Sßad)  bem  Xobe  ber  Königin  nährte  fic,  trojj  ihres  bor= 
gerüeften  Altert  —  fie  ^atte  bamals  fcf)on  baS  fiebjigfte  SebenSjahr 
überfchritten  —  bie  Hoffnung,  bie  SJcaintenon  öon  Spanien  ju  mer* 
ben ;  ba  $hUtpp  V.  jeboch,  obgleich  jur  SBieberöermähtung  entfdjloffen, 
feine  fiuft  trug,  bem  ©eifpict  feinet  ßkoßoaterS  *u  folgen,  fud)te  fte 
ihm  eine  Ökmaljlin  31t  oerfdjaffen,  oon  roelcher  fte  feine  Sdjmälerung 
ihres  (SinfluffeS  ju  befürchten  fyabt,  unb  benahm  fkh  barüber  mit 
bem  (SJefchäftSträger  beS  $er§ogS  öon  *ßarma  am  fpanifchen  #ofe, 
3uüuS  9L  l  b  e  r  0  n  i,  ber  fid)  ihr  öotfeS  Vertrauen  ju  ermerben  gemußt. 

tiefer  reichbegabte  2ftamt,  ber  Sohn  eine*  ©ärtnerS  in  ber 
9cähe  öon  ^Siacenja,  ^atte  fich,  nachbem  ihm  burdj  ben  ©tfchof  öon 
^iacenja  ber  (Eintritt  in  ben  geiftlichen  Stanb  ermöglicht  morben, 
burch  ©eift  unb  GJemanbtheit  bie  ®unft  beS  £>erjogS  öon  SBenbome 
ertoorben,  ber  ihn  als  Kaplan  unb  Sefretär  in  feine  3)ienfte  nahm. 
Stach  bem  Xobe  Venbome'S,  ben  er  nach  Spanien  begleitet  ^atte, 
mar  er  üon  bem  $er$og  öon  $arma  $u  beffen  ÖJefanbten  am  £>ofe 
$u  üUcabrib  ernannt  unb  in  ben  ©rafenftanb  erhoben  morben.  Aber 
fein  @hr9eU  ftrebte  nach  einer  einflußreichen  Stellung  in  Spanien 
felbft ;  bat)er  fdjlug  er  ber  $ßrin$e|fm  Urfini  jur  ©emahKn  SßhiUppS 
bie  Richte  beS  ^er^ogS  üon  Sßarma,  ©lifabett)  Sarnefe,  üor, 
unb  ba  er  ihr  biefelbe  als  eine  geiftig  befchränfte,  anfpruchslofe  unb 
lenffame  Sürftin  fdjilberte,  bie  feinen  ©hrgeij  renne  unb  nur  Sinn 
habe  für  $ufc  unb  Xänbeleicn,  fnüpfte  fte  fogleich  mit  bem  $>ofe 
öon  Marina  Unterhanblungen  an,  in  golge  beren  bie  Vermahlung 


1)  3)iefe  merfmürbiae  ^xau  &>ar  eine  ftran^Öftn  aus  bem  $aufe  %xt- 
mouiue  unb  bie  SBittroc  grlat>iu  Orfini'S,  ^erjogS  tum  Araccano,  mit  meinem 
fte  fid)  nach  bem  im  Saljre  1675  ju  Korn  erfolgten  £obe  ihre«  erften  ®e* 
maljleS,  eine»  grinsen  üon  £()alai3,  üenuüfjlt  tjatte. 


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Spanien  unter  Wtipp  V. 


291 


Klipps  v  mit  ^(tfabet^  garnefe  am  17.  September  1714  burdj 
Ißrofuration  tjottjogen  mürbe. 

2)ie  neue  Königin  mar  inbeffen  in  allen  Stödten  ganj  baS 
<$egentf)eil  t»on  bem,  maS  bie  Sßrinjefftn  Urfmi  nadj  Sllberoni'S 
Sdnlberung  ermartet  r)attc.  <ftad)  bem  SluSfprudje  3ricbricr)d  beS 
(Srofjen  „ftolj  mie  eine  Spartanerin,  fmrtnädig  mie  ein  (Englänber, 
fein  mie  ein  Qtaliener  unb  lebhaft  mie  ein  granaofe",  öerbanb  fie 
mit  einer  ungemeffenen  ^errfäfudjt  ben  unbeugfamften  ©igenftnn 
unb  eine  ungemöfjnlidje  m ühntieit.  %U  bie  Sßrinjeffin  Urfini,  beten 
(Entfernung  oom  fpanifdjen  £ofe  bei  ifjr  bereits  befd)loffene  Sadjc 
mar,  fte  in  ©uabalajara,  moljm  fie  it)r  entgegengereift,  in  ber 
fixeren  (Srmartung  begrüßte,  in  Ün*  eine  bantbare  unb  fügfame  ÖJe« 
bieterin  gu  finben,  fing  (jlifabetfj  obne  aßen  <&runb  Streit  mit  ifjr 
an  unb  befahl  fcr)lte^ücr)  bem  2lnfüf)rer  ber  ßeibmadje,  fie  Don  ber 
„alten  Xrjörin"  ju  befreien.  Qfyrem  S3efef)le  gemäjj  mürbe  bie 
^ßrinjeffin,  trojj  ber  minterlidjen  $älte  unb  iljrer  leisten  $leibung, 
fofort  in  einen  SBagen  gepadt  unb  über  bie  fpanifdje  ©renjc  ge- 
bracht, ©anj  (Europa  ftaunte  über  biefe  93ef)anblung  einer  3rau, 
meiere  Spanien  fo  lange  nid)t  ofme  (Einfidjt  regiert  r)atte.  Sub* 
mig  XIV.,  ben  man,  unb  üielleidjt  nid)t  o^ne  ÖJrunb,  befdjutbigte, 
bei  ber  gangen  Sadje  bie  #anb  im  Spiele  gehabt  ju  Ijaben,  meil 
bie  ^ßrinjeffin  fidj  nidjt  in  allen  Stücfen  feinem  Sßiflen  gefügt,  em- 
pfing  fie  ju  $ari3,  gmar  falt,  aber  ad)tungSt»oII,  unb  mieS  il)r  einen 
jgatyrgeijalt  öon  bierjigtaufenb  ßiöreS  an.  Sie  felbft  ertrug  ifjren 
Sturj  mit  mürbeooller  Saffung  unb  mar  nod)  im  SBoHbeftJe  ifjrer 
geiftigen  JJrifdje  unb  fiebEjaftigfeit,  als  fie  am  5.  $ejember  1722 
3u  föom  im  Hilter  öon  aerjt^ig  Qaijren  ftarb. 

3nbeffen  fjatte  bie  Königin  (Slifabetlj  alsbalb  über  iljren 
fdjmadfen  ®emaf)l,  bie  gleite  ©emalt  erlangt,  mie  feine  erfte  ©e* 
maf)linr  unb  rjetrfcr)tc  bafjer  audj  über  Spanien,  mie  öorbem  bie 
Urfini.  ®a  iljr  jebod)  für  bie  fieitung  ber  StaatSgefdjäfte  bie  nö* 
ifjigen  Äenntniffe  festen,  überlieg  fie  biefetbe  gang  bem  Hftanne, 
ber  ben  erften  ©runb  ju  if)rer  (Srfjöljung  gelegt.  2(n  bie  Spifce 
ber  Sermaltung  geftellt  unb  jum  fpanifa^en  QJranben  ernannt,  bot 
Sflberoni,  meinem  $apft  Siemens  XI.  bie  ®arbinalsmürbe  öer- 
licr) ,  SllleS  auf ,  um  baS  2lnfef>en  Spaniens  mieber  ju  ber  frü* 
Ijeren  $>öl)e  emporjufjeben,  unb  feiner  Xfjatfraft  unb  Umfielt  ge* 
lang  eS,  Drbnung  unb  Sparfamfeit  in  baS  gemittete  Staatsmefen 
gu  bringen,  9lcferbau,  ÖJemerbe  unb  §anbel  neu  ju  beleben  unb  eine 
anfe^nliaje  Seemaa^t  gu  f Raffen.  2)abei  nal)m  er  jeboer)  nicr)t  bie 
geringfte  SRürffidjt  auf  bie  9ftedf)te  unb  Sreifjeiten  beS  23olfeS;  t»on 
einer  ^Berufung  ber  Portes  mar  feine  Siebe  mef>r,  unb  bie  Sßro* 
oinjen,  bie  im  Grrbfolgefrieg  ju  Äarl  III.  gehalten,  mürben  mie 
eroberte  fiänber  be^anbelt.    Wudj  blieb  Sllberoni'S  S^rgeij  bei  ben 


ic 


292 


Spanien  unter  ^tyilipp  V. 


in  ber  Skrmaltung  eingeführten  SScrbefferungen  nidjt  fielen.  Spa^ 
nien  füllte  nierjt  nur  innerlich  neu  erftarfen,  fonbern  aud)  bie  SluS* 
beljnung  unb  bie  pofttifdje  ©ebeutfamfeit  mieber  erlangen,  bie  eS 
unter  ®arl  V.  unb  ^iüpp  II.  befeffen.  Xrofc  ber  entgegenftefjen* 
ben  SBeftimmungen  beS  lltredjter  griebenS  narrte  er,  im  $tnblicf 
auf  bie  fdjmadje  (55efunbt)eit  SubmigS  XV.,  bie  für  benfelben  fein 
langet  fieben  ermarten  lieft,  in  $r)Uipp  V.  bie  Hoffnung,  ben  %^xon 
feines  ©rofcöaterS  $u  befteigen;  ber  Königin  (Sli)abet^  aber,  bie 
ü)re  Söfme  mit  fremben  gürftentljümern  auSgeftattet  ju  fe£)en 
münfdjte,  meil  jmei  ^rinjen  aus  Sßfjüippa  erfter  (Slje  ifmen  bie  SluS- 
ficr)t  benahmen ,  auf  ben  $fjron  Spaniens  felbft  ju  gelangen ,  öer* 
fpradj  et,  ju  btefem  Stüecfe  bie  an  Cefterreid}  übergegangenen  ita* 
licnifc^en  $ebenlänber  Spaniens  jurücfjuerobern ,  auf  meldje  $fji= 
lipp  bis  balnn  noefj  ebenfomenig  förmlid)  SBerjidjt  geleiftet,  nrie 
Sari  VI.  auf  Spanien  felbft. 

Um  bie  $crmirflid)ung  btefer  ehrgeizigen  $länc  anjubafjnen, 
näherte  Sllberoni  fid)  ben  Secmädjten  unb  fudjte  junäc^ft  ben  ftö* 
nig  ®eorg  I.  öon  ©nglanb,  ben  Sftadjfolger  SInna'S,  buref)  bas  $Kn* 
erbieten ,  bie  ©efdn*änfungen  beS  cnglifdjen  #anbeIS  mit  Spanien 
ju  ermäßigen,  bie  nod)  ftreitigen  fünfte  beS  «ffiento  (f.  S.  211) 
auszugleiten  unb  mit  Snglanb  einen  bortfjeüljaftcn  $anbelSöertrag 
ju  fdjiicfjen,  für  ein  ©ünbntfj  mit  Spanien  ju  gewinnen.  $ie  eng* 
iifdje  Regierung  hielt  es  jebod)  für  mistiger ,  bura?  ben  SInfdjhig 
an  granfreidj  bem  ^rätenbenten  Safob  III.  bie  Unterftüfcung  bc& 
Regenten  ju  entgehen ,.  unb  ba  biefer  felbft  bura)  bie  $läne  Silbe- 
ront'S  fein  ©rbredjt  auf  bie  franjöfifdjc  #rone  gefä^rbet  faf) ,  fam 
es ,  ftatt  JU  einem  fpanifaVenglifa)cn  Söünbnig ,  ju  einem  folgen 
Smifc^en  Snmfreid) ,  (Snglanb  unb  £>ottanb ,  baS  am  4.  Januar 
1717  gefdjlofien  mürbe.  $er  Regent  öcrfprad)  in  bemfetben,  ben 
$rätenbenten  über  bie  3(Ipen  ju  Raffen;  bagegen  Ieiftete  ©nglanb 
©ernähr  für  bie  ©eftimmung  beS  Utrerfjter  griebenS ,  nadj  melier 
für  ben  gatl  *>er  ©rlebigung  beS  franjofifdjen  %f)xon&  bura)  ben 
Xob  SubmigS  XV.  bem  £>aufe  Orleans  bie  9*ad)fofge  $ugefidjert 
mar.  $effcnungead)tet  öer$id)tete  SUbcrom  ntd)t  auf  feine  $(äne; 
er  befdjlofe  öielmet)r,  aflein  ju  ben  SBaffen  ju  greifen,  unb  fanbte 
im  3uli  1717  eine  glotte  öon  amölf  ftriegSj Riffen  mit  einem  Sanb- 
heere  öon  nenntaufenb  9)fann  öon  Barcelona  naa?  ber  Qnfel  Sar= 
binien  ab,  bie  nad)  furjer  ©egenmefjr  erobert  mürbe.  $en  gleiten 
(Srfolg  hatte  ein  im  nädtftcn  3af)re  unternommener  Angriff  auf  bie 
3njel  Sicilien. 

$>ie  golge  biefeS  griebcnSbrudiS  mar  ber  2lbfdm§  eines  gegen 
Spanien  geridjteten  SöünbniffeS  jtüifctjen  bem  Scaifer ,  (Snglanb  unb 
granfreid),  ba«  am  2.  ^uguft  1718  jn  Staube  fam  unb  mit  9tücf^ 
fidjt  auf  ben  fidjer  ermarteten  beitritt  £oüanbS,  bie  Ouabrupek 


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(Spanien  unter  WtipP  V. 


293 


Sniiana  genannt  mürbe.  Sßadj  ben  äWifcf)en  ben  SBerbünbeten  üer= 
rinbarten  SBefttmmungen  foUtc  ber  Äaifcr  in  aller  gorm  auf  bie  fpa= 
nifdfje  9Jconarcfne  SBerjicfjt  leiften  unb  Philipp  V.  aufgeforbert  werben, 
baS  ßtfeidje  bejüglicrj  ber  an  ben  $aifer  übergegangenen  fpanifd)en 
Scebenlänber  ju  tlmn,  Saöorjen  baS  if)tn  im  Utrea)ter  grieben  p 
er!annte  Sicilien  an  Defierrcid)  abtreten  unb  bagegen  Sarbinien 
erhalten ,  bem  älteften  6o£)ne  ^fu'ftypS  unb  ©lifabetl)*  aber  bte 
Tuartfdjaft  auf  SoScana,  Sßarma  unb  $iacen$a  juerfannt  werben, 
ba  in  biegen  fiänbern  bie  männlichen  fiinten  ber  Käufer  SERebict  unb 
garnefe  bem  SluSfterben  nahe  waren. 

SBäljrenb  ber  fterjog  öon  Saöoüen  auf  ben  öon  ihm  öerlang> 
ten  unüortheilhaften  Xaufdj  ofme  SBiberfpruch  einging,  üerweigerte 
Spanien  bie  2lnnaf)me  ber  tlmt  gemalten  SSorfdjläge,  weil  bie  bem 
fpanifdjen  ^rinjen  in  SluSficht  gefteüten  fiänber  Weber  SÜberoni 
noc§  ber  Königin  (Slifabeth  genügten. 

Um  ben  gorberungen  ber  Duabrupel^Hianj  Sftachbrucf  ju  ge= 
ben,  fanbte  ©nglanb  eine  glotte  unter  bem  Slbmiral  Song  nach  bem 
SJcittelmcere,  unb  am  11.  Jluguft  1818  tarn  eS  beim  Gap  $  äff  aro 
einem  Xreffen ,  in  meinem  bie  fpanifdje  glotte  eine  üoüftänbtge 
9cteberlagc  erlitt.  Sllberoni,  ber  baS  Vorgehen  ©nglanbS  für  einen 
SBrud)  beS  S8öIferrcct)tS  erflärte,  obgleich  er  felbft  burch  bie  Eroberung 
ton  ©arbinten  unb  Sicilien  ben  grieben  gebrochen,  öerlor  trofcbem 
ben  9Jcutfj  nicht;  benn  er  fefcte  große  Hoffnungen  auf  ben  öon  bem 
fchwebifchen  SKinifter  ©örj  entworfenen  unb  öon  ihm  unterftüfcten 
^ßfan  eines  Singriffs  ßarls  XII.  auf  Schottlanb ,  jum  ©e^ufe  beS 
Sturzes  beS  r)annööerifdjen  %fyxontä  unb  ber  Söieberetnfefcung  ber 
Stuarts  (f.  S.  261  f.).  $(ucr)  foHte  Defterreid)  burd)  einen  neuen 
Slufftanb  ber  Ungarn  in  SBerlegenhett  gebracht,  ber  ^erjog=9tegent  öon 
granfreich  aber  burdj  eine  öon  Sllberoni  gewonnene  Partei  am  fran= 
^öftfehen  £ofe  feftgenommen  unb  an  Spanien  ausgeliefert  werben. 
35te  ©ntbetfung  biefer  öon  bem  fpanifchen  ÖJefanbten  Seßamara  in 
IßariS  geleiteten  Söerfdjwörung,  fowie  ber  unerwartete  Xob  ÄarlS  XII. 
burchfreu$ten  bie  s$läne  Sllberoni'S,  unb  als  granfreich  unb  (£nglanb 
am  9.  3anuar  1719  eine  förmliche  HriegSerflärung  an  Spanien  ab- 
ge^cn  ließen,  mußte  er  erfennen,  baß  fein  (Sfjrgeij  fich  §öi)tx  öerftie* 
gen,  als  bie  Gräfte  Spaniens  reichten.  SBon  einem  franjöftfchen 
$UfSforpS  unter  bem  (SJeneraflieutenant  (trafen  Söonneüal  unterftüfct, 
eroberte  ber  faiferliche  (General  ÖJraf  9Jcercü  im  Qa^re  1719  Stci= 
lien  jurüef,  unb  ju  ber  gleiten  3eit  überfct)ritt  ein  franjöfijcheS 
$>eer  öon  bretßigtaufenb  2ttann  unter  SBerwicf  bie  fpanifdje  ©renje, 
befefcte  ©uipujcoa  unb  brang  ftegreidj  in  Katalonien  ein. 

SBäfjrenb  bie  Sage  ^Iberoni'S  fich  unter  biefen  SSerfjältniffen 
immer  Schwieriger  geftaltete,  würbe  jugleicr)  an  bem  £ofe  üon 
Sttabrib  ber  ©oben  untergraben ,  auf  welkem  baS  ©ebäube  feiner 


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294 


Spanien  unter  W^PP  V. 


2ftadjt  errietet  mar.  Um  bie  Königin  ©ttfabetl)  für  bie  ©eftimmungett 
ber  DuabrupekSWianj  ju  genrinnen,  fteflte  ifyr  ber  $>eraog=$Regent 
als  $ret3  ber  2lnnal)me  berfelben  bic  SBermäljlung  tf)rer  Xod&ier 
mit  Subtüig  XV.  in  «u*fu$t,  unb  biefeS  SRittet  führte  $um  3ielc. 
$em  Verlangen  ber  SBerbünbeten  entfpredjenb ,  30g  ©lifabetf)  ifjre 
£>anb  öon  bem  9Kanne  ab ,  meldjer  ber  |>erftellung  beS  grieben« 
im  Sßege  ftanb,  unb  am  5.  ftejember  1719  erhielt  Sltberoni  ein 
föniglia^eä  ©abreiben,  baS  iljn  aller  feiner  ©teilen  entfette  unb  iljm 
aufgab ,  binnen  öierunbjmanjig  ©tunben  Sttabrib  unb  innerhalb 
acfjt  Xagen  ba3  ®önigreid)  ju  öerlaffen.  (£r  feljrte  nadj  Stalten 
jurücf,  mo  er,  naa^bem  er  längere  Seit  in  9lom  gelebt,  öon  ^apfir 
Siemen^  XII.  jum  ßegaten  öon  föaöenna  ernannt  mürbe,  ©eine 
9teidjtf)ümer  öertoenbete  er  meiftenS  jur  ©rünbung  verriebener 
2öof)ltf)ätigfeit3anftalten  unb  jog  fid>  autelt  nadj  ^iacenja  jurürf. 
£ier  ftarb  er  1752  im  2llter  öon  gmeiunbneunjig  Qabren. 

Wad)  ber  Entfernung  TOeroni'3  fam  am  26.  Januar  1720 
im  §aag  ein  triebe  ju  ©taube ,  in  mettfjem ,  ben  urfprünglidjen 
Söefttmmungen  ber  Quabntpet^llliana  gemäfe,  ber  flatfer  auf  bie 
fpanifefte  9tfonard)ie  unb  ?f)ilipp  V.  auf  bie  italiemfäen  «Rebenlänber 
berfelben  Serjidjt  leiftete ,  bem  fpanifajen  Infanten  (£arlo3 ,  bem 
ätteften  ©ofmc  ber  Königin  ©lifabetf),  bie  Slnmartfdjaft  auf 
fana,  *ßarma  unb  ^iacenja  bei  bem  Wu&fterben  beä  9tfanne3ftamme3 
ber  SRebici  unb  garnefe  juerfannt  unb  bem  &erjog  öon  ©aöonen 
für  ba3  an  Defterrcid)  abgetretene  ©icilien  bie  3nfel  ©arbinien  mit 
ber  ®önig3toürbe  äugefprodjen  nwrbe. 

2ln  2Ubcroni'3  ©teile  trat  ber  fpanifdje  ®raf  föipperba,  ber 
nadj  bem  Aufgeben  beä  $rojeft3  bejüglid)  ber  $8ermäf)lung  £ub* 
mig«  XV.  mit  ber  fpanifdjen  Snfantin  Don  ©eiten  granfreidja 
(f.  ©.  289)  einen  2lnfcf>lu&  ©panien«  an  Defterreidj  benrirfte. 
9laa)bem  er  im  Saljre  1726  in  golge  feiner  Unfctyigfeit  entlaffen 
morben,  mürbe  ber  genuefifäe  ©raf  ®rimalbi  ber  9iatf)geber  ber 
Königin  <Sltfabetf>.  W^PP  V.  felbft,  ber  im  3af)re  1724  in 
einem  Unfall  öon  ©c^mermut^  unb  ©enriffenäangft  bie  trotte  ju 
(fünften  feine«  ätteften  fiebjefinjäljrigen  ©ofyneä  fiuburig  nteberge- 
legt,  nac§  beffen  ba(b  barauf  erfolgtem  Xobe  aber  ben  Xfjron  auf* 
9*eue  beftiegen,  50g  fidj  in  golge  feine«  madjfcnben  SrübfimtS,  ber 
fid)  jeitmeife  ju  öoflftänbtger  ®eifte3jcrrüttung  fteigerte,  mef)r  unb 
mefjr  öon  aßen  ÜlegterungSgefdjäften ,  nrie  überhaupt  öon  ädern 
S3erfefjr  mit  ber  2Bclt  jurücf.  Dft  fonnte  er  Monate  lang  nia^t 
ba^u  bemogen  merben,  ju  SBcttc  ju  ge!)en;  bann  ftanb  er  mieber 
SKonate  lang  gar  nia^t  auf,  liefe  ©art  unb  S^ägcl  maa^fen  unb 
fonnte  nur  mit  großer  9ttulje  baju  gebraut  merben,  bie  Söäfa^e  ju 
mea^feln.  @«  famen  mofjl  auc^  mieber  3«iten,  mo  er  fia)  etma* 
reger  jeigte;  bod)  maren  fie  immer  nur  öon  fur$cr  X)aucr.  Qnk^t 


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(gnglanb  unter  ®eorg  I.  unb  ©eorg  II. 


295 


tonnte  man  nur  nod)  burdj  fiift  für  bie  micfjtigften  ©rfaffe  feine 
Unterfcfjrift  erlangen.  2(uä  feinem  langen  geiftigen  ©ied)tf)um  er* 
löfte  ifm  ber  Sob  am  9.  Quli  1746. 


xvra. 

gttflfanb  ititfer  $eotfl  I.  (1715—1727)  unb  $eotg  II. 

(1727-1760). 

$ie  Königin  Slnna  überlebte  bie  ©eenbigung  be£  foanifdjen 
©rbforgefriegeS ,  ber  ben  #auptmoment  iljrer  föegierungägefdjidjte 
bilbet,  nur  um  menige  Monate:  fie  ftarb  am  1.  Shtguft  1714.  gür 
bie  inneren  SBerfjäftniffe  beS  brttifdjen  SReidjeä  mar  itjre  Regierung 
befonbera  mistig  burdj  bie  am  1.  2Rai  1707  oottjogene  SBer* 
einigung  (£nglanb&  unb  ©djottlanbS  gu  bem  ®önigreidj  <3Jro&* 
britannien.  $a  bie  9flet)rf)eit  ber  ©Rotten  mot)I  erfannte,  bafc 
buref;  biefe  Union  baä  felbftftänbige  ßeben  it)re3  fianbeS  oernicfjtet 
unb  ba3  ®önigreid)  ber  S)uncan3  unb  äftalcolmS  511  einer  <ßroöina 
beS  mäajtigen  9tad)barftaate3  Ijerabgebrücft  merben  mürbe  ,  mar  eä 
ben  englifcfjen  Sftiniftern  nur  mit  Üttü^e  gelungen ,  bie  lättgft  be* 
fc^Ioffene  9Jcagregel  burdfoufefcen.  £>ie  Parlamente  beiber  föeidje 
mürben  oerbunben  unb  bie  befonberen  Siechte  ber  ©djotten  aufge* 
Ijoben.  9tur  bie  fdmttifdje  ftirdje  behielt  itjrc  eigentümliche  23er* 
faffung  unb  mit  berfetben  ber  bifd)öflid)en  ®trcf)e  (Snglanbä  gegenüber 
i$re  öotle  ©elbftftänbigfeit. 

W\t  mir  oben  (©.  169)  gefetyen,  mar  burdj  bie  auf  SBeran* 
laffung  SSilfjelmä  III.  im  3a^re  1701  oon  bem  Parlament  er* 
laffene  ©ucceffionSafte  bie  Xfyronfolge  in  berart  feftgefefct  roorben, 
bajj  nur  biejenigen  SIbfömmlinge  be3  £>aufe3  ©tuart ,  bie  fid)  $ur 
proteftantifcfjen  Üirctye  befannten  ober  befennen  mürben,  in  ben  S8e* 
fifc  ber  $rone  Gmgfanbä  gelangen  foflten.  5)aburd)  mar ,  ba  oon 
Slnna'S  breijefm  Sftnbern  feines  am  Seben  geblieben ,  bie  t)ocrjbe* 
tagte  oermittmete  ®urfürftin  Sophie  oon  $annooer,  als  bie  (Snfelin 
Jtafoba  I.  üon  beffen  £ocf)ter,  ber  ^pfaljgräfin  ©lifabett),  bie  näd)ft* 
berechtigte  Xt)ronerbin  gemorben.  ^nbeffen  münfdjte  bie  Königin 
2Inna,  ba  fie  bie  Sluäfdjliefiung  it)re$  93ruber$  3afob  oon  bem  eng- 
lifcfjen  Xtjrone  für  eine  unredjtmäBige  hielt,  eine  $lenberung  ber 
feftgefefcten  £t)ronfoIgeorbnung  ju  ÖJunften  it)reä  Neffen,  be$  $tö> 
tenbenten  Qafob  III.,  t)erbeijufüljren ,  unb  fettbem  bie  bem  $>aufe 
©tuartd  geneigten  Xorieä  mieber  anä  SRuber  gefommen,  fcr)icn  biefeS 
©treben  größere  $lu3fid)t  auf  (£rfolg  ju  t)abeu.  Xod)  noch  et)e 
etma$  ©ntfcr)eibcnbcö  in  biefer  SBejiefmng  t)attc  gefdjcfjen  fönnen. 


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296 


Gngtcmb  unter  ©eorg  L  imb  ©corg  II. 


machte  bcr  £ob  ber  Königin  bcit  Veforgniffen  ber  2Sf)ig3  bezüglich 
bcr  föücffehr  ber  Stuarts  ein  (Snbe. 

$a  bie  Shtrfürftin  ©ophie  am  8.  3uni  1714  geftorben  mar, 
ging  baS  Erbrecht  auf  ihren  ©olm,  ben  bereits  im  fünfunbfünfsig= 
ften  fiebenSjahre  ftehenben  Äurfürften  ®eorg  Submig  über,  unb  als 
berfelbe  am  18.  ©eptember  1714  in  ©reenmidj  lanbete,  mürbe  er 
freubig  empfangen  unb  beftieg  ofme  SBiberiprud)  als  ®  e  o  r  g  I. 
ben  2f)ron,  morauf  er  bie  bisherigen  SJänifter  entliefe  unb  ein 
neues  SJcmtfterium  auS  entfduebenen  SSljigS  bilbete. 

Cftne  ^ö^ere  geiftige  SBilbung  unb  djeroanbthett  unb  ber  eng* 
lifdjen  ©prache  nicht  mächtig,  überliefe  ®eorg  I.  bie  Regierung  öott* 
ftänbig  feinen  SJciniftern ,  unter  benen  Robert  SB  a  l  p  o  l  e ,  ein 
frtebliebenber ,  einfidjtSüolIer ,  aufeerft  u)ätiger  Staatsmann  unb  ge* 
manbter  parlamentarifcher  Kämpfer,  als  ®anjler  ber  ©chafcfammer 
ben  meiften  (Sinflufe  erlangte.  $er  nad)  (Snglanb  jurüdgefehrte 
Sttarlborough  erhielt  aufs  9ceue  ben  Oberbefehl  über  baS  £eer; 
bagegen  mürben  bie  brei  £>äupter  beS  aufgelöften  EorüminifteriumS, 
©olingbrofe ,  Ormonb  unb  Dfforb ,  megen  beS  Utrechter  griebenS 
unb  roegen  SBegünftigung  beS  Sßrätenbenten  in  SInttagcftanb  öer= 
fefct.  ©olingbrofe  unb  Drmonb  entjogen  fid)  ber  ifmen  broljenben 
58er^aftung  burch  bie  gludjt  nach  bem  geftlanbe,  mährenb  Dyforb 
in  ben  Xomer  gefefct  mürbe,  mo  er  öerblieb  bis  im  3at)re  1717 
feine  gretfprea^ung  erfolgte,  Volingbrofe  erhielt  im  3=ahre  1723 
bie  (Srlaubnife  jur  9tudfehr  nach  ©nglanb  unb  befajäfttgte  fid)  feit» 
bem,  ba  man  i$m  feinen  ©i&  im  Oberläufe  nicht  jurüefgab,  haupt* 
fächlich  mit  Wriftfteflerifchen  Arbeiten  (f.  ©.  177). 

Unterbeffen  hatte  ber  <ßrätenbent  3afob  III. ,  ber  fidj  feiger 
in  Lothringen  aufgehalten,  ermutigt  burch  bie  Unjufriebenheit  ber 
©Rotten  über  bie  Union  mit  ©nglanb,  ben  (Sntfchlufe  gefaßt ,  nach 
©djottlanb  überaufefcen,  um  ben  Verfud)  §u  machen,  menigftenS  bie 
fdjotnfche  ®rone  §u  erlangen.  3n  ber  %fyat  erhoben  fidj,  nachbem 
ber  ®raf  9Jcar  bie  gähnt  ber  Stuarts  aufgepflanzt  unb  ben  *ßra= 
tenbenten  ju  (Saftletomn  als  Qafob  III.  jum  $önig  ausgerufen, 
gasreiche  SJafeöergnügte  für  ihn;  bie  englifchen  SJanifter  trafen 
jeboch ,  öon  bem  Parlamente  auf  baS  ftachbrücfuchfte  unterftü^t, 
fofort  energifche  ©egenmafercgeln.  Nachbem  auf  ben  ®opf  beS 
$rätenbenten  ein  SßreiS  öon  einmalhunbcrttaufenb  $funb  gefegt 
roorben,  mürbe  bie  §abeaS*(£orpuS*$lfte  fuSpenbirt  unb  ber  ^erjog 
öon  5lrgöle  mit  einer  ftarfen  Xruppenabtheilung  nach  ©djottlanb 
gefdudt.  2Bäf)renb  biefer  einen  Xheil  ber  Safobiten  unter  bem 
©rafen  9tfar  bei  S)umblain  jurücffchlug  unb  baburd)  ihre  Vereinigung 
mit  benen  im  ©üben  öerhinberte,  mürbe  ihre  übrige  Sftacht  burch 
ben  ©eneral  Sarpenter  bei  ^refton  jerfprengt.  ©o  fanb  ber  $rä= 
tenbent  bei  feiner  fianbung  in  ©chottlanb  feinen  ganjen  Slnfmng  §er* 


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©nglanb  unter  ©eorg  L  unb  ©eovg  DL  297 

0 

ftreut  unb  falj  fich  nach  einem  furjen  Aufenthalt  ju  Pertf)  genötigt, 
nach  granfreich  jurüefpfehren.  £>rei  fiorbS  unb  eine  große  Slnjahl 
geringerer  Anhänger  ber  ©tuartS  büßten  it)re  $8etf)eiligung  an  bem 
tmßglücften  Slufftonb  mit  bem  ßeben. 

(Sine  mistige  Neuerung  aus  ber  Regierung  (UeorgS  I.  mar 
ber  (Srlaß  ber  fogenannten  „©eptennial3$8ill,"  burdj  roeIcr)c  bie  bis* 
herige  breijährige  $)auer  beS  Parlaments  in  eine  ftebenjährige  ber- 
toanbelt  mürbe ,  fo  baß  fortan  nur  alle  fieben  3a^re  9kuroa!jlen 
vorgenommen  mürben.  Unter  bem  (Sinfluffe  biefer  in  beiben  #äu* 
fem  mit  großer  Majorität  burchgegangenen  2krfaffungSänberung 
entmicfelte  ftdt>  in  bem  gleiten  (Srabe ,  in  meinem  burdj  biefetbe 
bie  3Kaa)t  ber  SBolfSüertretung  gehoben  mürbe,  für  baS  neue  §err= 
fcfjcrhauS  eine  größere  Abhängigfeit  üon  ber  ©emalt  nationaler 
Anfcrjauungen  unb  Sntereffen,  fo  baß  eä  im  Saufe  ber  Seit  für  bie 
Könige  öon  (Snglanb  immer  fernerer  mürbe,  in  ber  Regierung  if>re 
eigene  Perfönlicftfeit  geltenb  ju  machen ,  unb  fie  immer  mehr  als 
bloße  SSürbenträger  eines  öon  innem  Gräften  bemegten  unb  im 
®ange  erhaltenen  ÖJemeinmefcnS  erfdjienen. 

Unter  ÖJeorg  L  taufte  in  (Snglanb  ein  ähnlicher  ©djhrinbel 
auf,  nrie  ilm  baS  Sam'fche  gman$füftem  unb  bie  ©rünbung  ber 
9fttffifippi*$ompagnte  in  granfreich  erzeugt  Ratten,  ©in  gemiffer 
Slount '^atte  ber  Regierung  einen  Plan  öorgelcgt,  nach  welchem 
bie  gefammte  ©taatsfchulb  auf  bie  neugegrünbete  „©übfee*$om* 
pagnie"  übertragen  unb  biefe  baburdj  jum  alleinigen  ©taatSgläu* 
biger  gemacht  merben  foHte.  ©o  gemicfjtige  ©timmen  fief)  auch 
gegen  biefen  Plan  erhoben  hatten ,  faub  berfelbe  boer)  bie  ®cnehs 
migung  beS  Parlaments,  unb  ba  bie  ÖJefeÜfchaft  ungeheuere  $or* 
theile  in  Ausfielt  fteUte ,  beeilte  fid)  3<*>ermann ,  feine  ©dmlbf orbe* 
rangen  an  ben  ©taat  auf  bie  Kompagnie  ju  übertragen.  $8alb 
barauf  entftanb  baS  ©erficht ,  bie  Regierung  beabftdjttge ,  üon  ©pa* 
iuen  mehrere  piäfce  in  Peru  gegen  Gibraltar  unb  Port  äKahon 
einjutaufchen ,  unb  ba  man  fich  barauS  für  bie  ©üb)ee=® ompagnie 
einen  unberechenbaren  ©eminn  öerfprach ,  ftrömte  Alles ,  ©taatS* 
männer  unb  ©ciftlic^e ,  2Bf)igS  unb  XorieS,  Geräte,  8aufleutc  unb 
®emerbtreibenbe,  felbft  ©paaren  öon  grauen,  $u  bem  ßomptoir  ber 
Kompagnie,  um  Aftien  einjufaufen.  Alle  anberen  Söeftrebungen 
unb  ©cfcfjäfte  mürben  öernachläf figt :  man  fannte  nur  ben  einen 
©ebanfen ,  als  Af tionär  ber  ©übfee5©efellfchaft  in  furjer  Seit  reich 
ju  merben.  ©o  ftiegen  innerhalb  meniger  Monate  bie  Aftiett  ber 
Öefeüfchaft  meit  über  ihren  toahren  SBerth-    Sluct)  entftanben ,  ba 


üuuij 

te,  über  hundert  anbere  ähnliche  Unternehmungen,  bie 
meift  auf  ben  ftnnlofeften  $orauSje$ungen  beruhten,  nichtsbefto* 
weniger  aber  miliige  Xh«tnehmer  fanben.    Sie  ©ummen,  meldje 


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298  gnglanb  unter  ©eorg  t  unb  Gtorg  II. 


für  alle  biefe  ©cfjroinbeleien  erhoben  ttmrben,  Beliefen  ftdj  nad)  einer 
ungefähren  Slofdjäfcung  auf  brethunbert  Millionen  $funb  Sterling. 

Qnbeffen  trat  balb  ber  unausbleibliche  SRücffchlag  ein.  S)ie 
Slftien  ber  ©übfee=Kompagnie,  bie  auf  achthunbertneunjtg  ^Srojent 
geftiegen  roaren,  fanfen  auf  einfjunbertfünfoig  Sßrojent  herab ;  bie  ber 
übrigen  Unternehmungen  mürben  jum  Xfjeil  öoflftänbig  ttjcrt^lo*. 
$5ie  Solgen  beS  9Ifricnfcr)toinbcIä  traten  jeboefj  in  ©nglanb  in  minber 
fehredfenerregenber  SSeife  ju  Sage,  als  in  granfreich,  ba  SSalpole,  ber 
öon  Anfang  an  bem  ganjen  Xreiben  mit  GHnfidjt  unb  9kchbrucf 
ttriberfprochen  ^attc,  fofort  jtoecfmäßtge  Maßregeln  ergriff,  um  ben 
angerichteten  ©chaben  auf  baS  geringfte  9flaß  ju  befcöränfen. 

2luf  SBalpole'S  Borfdjlag  mürbe  jur  ©rünbung  eines  XilgungS* 
fonbS  für  bie  auf  fünfzig  Millionen  (Sterling  angeroachfene  (Staate 
fdjulb  ber  SinSfuß  öon  fünf  auf  bier  ^rojent  herabgefefet.  tiefer 
SonbS  mürbe  jmar  fpäterhin  nicht  auSfchließlich  ju  feinem  urfprüng= 
liehen  ßroeefe  oerroenbet;  bennoch  trug  er  roefentüch  jur  Hebung 
beS  KrebitS  unb  baburch  zugleich  $ur  weiteren  (£ntroicflung  beS  ge= 
fammten  SlnleihemefenS  bei,  baS  für  fönglanb  eine  um  fo  größere 
SBichtigfett  hotte,  als  bie  im  3ntereffe  beS  in  immer  großartigerer 
SSeife  fidj  entfaltenben  englifchen  $anbels=  unb  ©eroer  bfleißeS  für 
nothroenbig  erachtete  Behauptung  ber  ©eeherrfdjaft  ftets  neue 
Kämpfe  erforberte,  tt)clcf)c  große  Summen  oerfchlangen. 

35a  ©eorg  I.  bie  SSerhältniffe  feiner  beutfehen  (Srblänber  mehr 
am  §erjen  lagen,  als  fein  Königreich,  fo  mürben  biefelben  oor* 
jugsroeife  maßgebenb  für  feine  auswärtige  Sßolitif.  ©o  mar  feine 
Betheiligung  an  bem  norbifchen  Kriege  lebiglich  eine  Solge  beS 
SlnfaufS  ber  ben  ©chroeben  burch  Xänemarf  entriffenen  $>er$og* 
thümer  Bremen  unb  Serben  für  fein  Kurfürftentlmm  £>annooer. 
3n  roelche  Berbinbungen  ©nglanb  unter  ihm  mit  ben  übrigen 
europäifchen  dächten  trat,  haben  mir  in  ben  oorhergehenben  SIb* 
fchnitten  gefehlt. 

QJeorg  I.  ftarb  am  22.  Quni  1727  ju  DSnabrücf,  auf  einer 
Steife,  bie  er  in  feine  beutfehen  (Srbftaaten  gemacht,  unb  hinterließ 
ben  englifchen  Xhron  nebft  bem  Kurfürftenthum  £annoöer  feinem 
©ohne  ©eorg  II.  35a  biefer  SBalpole  als  erften  9Kinifter  beibe* 
hielt  unb  bemfelbcn  öoflftänbig  freie  $anb  ließ,  führte  ber  %^xon- 
roechfel  in  ber  innern  mie  in  ber  äußern  Sßolitif  (SnglanbS  feiner* 
lei  9lenberung  tyxbti.  3n  ben  erften  jroölf  3ahrcn  ber  neuen 
^Regierung  genoß  ©uglanb  bie  ©egnungen  eines  ungeftörten  3rie= 
benS;  bagegen  mürbe  im  3ahre  1739  ein  Krieg  mit  ©panien 
begonnen,  angeblich  megen  Beeinträchtigungen  beS  englifchen  $an* 
bels  in  ben  amerifanifchen  Speeren  oon  ©eiten  ber  ©panier,  tfyaU 
fächlich  aber,  roeil  biefe  ben  öon  ben  ©nglänbcrn  nad)  ben  fpanifdjen 
Kolonien  getriebenen  großartigen  ©djleichhanbel  nicht  bulben  roott* 


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eitglcmb  unter  Gfeorg  I.  unb  ©corg  II 


299 


ten  unb  baher  bic  $urd)fuchung  ber  englifchen  Schmuggelfchiffe  an- 
georbnet  Ratten.  Vergebens  Ijatte  ber  friebliebenbe  Sßalpole  bic* 
fen  #rieg  burd)  einen  mit  Spanien  gefdjloffenen  Vertrag  ju  Oer* 
hinbern  gefugt;  feine  ^Bemühungen  waren  an  bem  (Sntgegenmirfen 
feiner  geinbe,  bie  eine  Gelegenheit  ju  feinem  Sturje  ^erbeijufü^reu 
toünfchten,  fowie  an  bem  ftürmifdjen  Verlangen  ber  Nation  ge* 
feheitert,  burch  SBaffengewalt  bie  ßöfung  aller  Seffeln  herbeiju* 
führen,  burch  welche  Spanien  noch  ben  britifdjen  Raubet  in  feinen 
amerifanifchen  Kolonien  einengte.  2)er  Serlauf  beS  Krieges  ent* 
fpradj  jeboch  ben  oon  ben  ©nglänbern  gehegten  Erwartungen  nicht, 
unb  bie  allgemeine  Unjufrieben^eit  wanbte  fich  gegen  SBalpole,  ben 
man  befdjulbigte,  bie  $anbeläintereffen  (£nglanb3  nicht  genügenb 
gefchüfct  ju  höben.  $a  auch  ber  *)3rin$  oon  SBaleä  fich  ber  Oppo* 
fition  analog,  erhielt  biefelbe  ein  foldjeS  Uebergewidjt ,  ba& 
®eorg  II.  feinen  Efliuifter  nur  burch  fofortige  ©ntlaffung  öor 
einer  öffentlichen  Anflöge  fchüfcen  fonnte  (gebr.  1742);  boa)  be= 
funbete  er  ihm  feine  perfönlicfje  Bufriebenheit  burch  feine  (£r* 
nennung  jum  ©rafen  öon  Dsforb.  SBalpole  ftarb  am  10.  3Jcär$ 
1745  unb  nahm  ben  9tuhm  mit  inä  ®rab,  feine  langjährige 
Verwaltung  in  feiner  SBeife  jur  eignen  Vereiterung  ausgebeutet 
ju  ^ben. 

fturj  nach  bem  Ausbruch  ber  geinbfeligfeiten  mit  Spanien 
fat)  fia)  ©eorg  II.  auch  in  ben  nach  bem  Xobe  ßaifer  $arlä  VI. 
aufgebrochenen  öfterreichifchen  @rbf  olgef  rieg  ücrwicfelt,  in 
welchem  er  auf  ber  Seite  Defterreich*  ftanb,  währenb  granfreich 
ein  Vünbnig  mit  beffen  (Gegnern,  Spanien,  Vaiem  unb  Sachfen, 
gcfchloffen  hatte,  unb  bie  großen  Dpfer,  Welche  bie  Vetheiligung  an 
biefem  Stiege  ©nglanb  auferlegte,  fteigerten  bie  Unjufriebenhett  ber 
Nation  unb  mit  berfelben  bie  SDcacht  ber  Dppofirion  im  englifchen 
Parlamente. 

£ie  Verlegenheiten  ber  englifchen  Regierung  mürben  erhöht 
burch  einen  neuen  Verfudj  ber  Stuarts,  ba3  ^annööerifcr)e  $>auä 
öon  bem  englifchen  Xhron  $u  ftoßen.  Von  granfreich  unterftüfct, 
lanbete  ber  Stuart'fche  ^rinj  Äarl  ©buarb,  ber  Sohn  beä  $rä* 
tenbenten  Qafob  III.,  nachbem  ein  erfter  Verfud),  mit  einer  bebeu* 
tenben  Sanbmadjt  oon  fcünfirchen  auf  nach  Schottlanb  überju* 
fefcen,  burch  Stürme  unb  baä  ©rfcheinen  einer  englifchen  glotte 
oercitelt  morben,  am  27.  Quni  1745,  währenb  ©eorg  II.  in 
$eutfd)lanb  mar  unb  ber  größte  Zfytil  feine*  Speeres  unter  bem 
£>er$og  oon  (Sumberlanb,  feinem  brüten  Sofjue,  in  ben  9fteberlan* 
ben  ftanb,  mit  einem  einzigen  Schiffe  unb  nur  wenigen  Begleitern 
bei  9tfoübart  an  ber  meftlidjen  ®üfte  oon  Schottlanb.  $er  Anfang 
be£  Unternehmen*  fchien  glücfoerfprechenb ;  benn  bie  Häuptlinge  ber 
fchottifchen  £ochlänber  fchloffen  fief)  fogleidj  bem  ritterlichen  Sprö&= 

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300 


(Snglanb  unter  ©eorg  I.  unb  ©eorg  II. 


linge  ihres  alten  KönigShaufeS  an,  unb  mit  ihrer  #tlfe  gelang  e3 
bem  Sßrinjen,  einen  oon  ©binburg  gegen  tlm  entfanbten  £>eer* 
Raufen  jurücfjuf^lagen  unb  Sßerth  jur  ©rgebung  $u  swin^en, 
worauf  ihm  am  19.  September  and)  (Sbinburg  bie  Zfyott  öffnete. 
9lad)bem  er  ^ier  feinen  SBater  als  König  unb  fleh  felbft  als  Stegen* 
ten  ber  brei  Königreiche  ^atte  ausrufen  laffen,  fdjlug  er  am  21. 
September  bei  $refton*$anS  ein  englifdjeS  Korps  oon  oiertaufenb 
URann  unb  führte  bann,  als  $o<hlänber  gefleibet,  feine  betreuen, 
beren  &a§l  ftd)  burd)  ben  Anfchtufj  oieler  alten  greunbe  feines  #aufeS 
bebeutenb  üergrößert  l)attep  über  bie  englifdje  ©renje.  Sdjon  war 
er  bis  $)erbtj  oorgebrungen,  als  baS  Ausbleiben  beS  erwarteten 
3ulaufS,  fomie  ber  Langel  an  ©elb  unb  ©efchüfc  it)n  nötigten, 
oor  ben  mittlerweile  aus  ben  Sfeieberlanben  ^erübergerufenen  unb 
Oon  bem  fterjog  oon  GSumberlanb  geführten  englifchen  Xruppen  nach 
Schottlanb  jurücfyuWeichen,  wohin  ihm  ber  ^erjog  nachfolgte.  £ier 
erfocht  er  jwar  am  23.  Januar  1746  nod)  einmal  bei  galfirf  mit 
feiner  Keinen  Schaar  einen  Sieg;  allein  bie  unter  ben  fa)ottifdjen 
Häuptlingen  ^errfajenbe  Uneinigfeit,  ber  er  nicht  #err  ju  werben 
oermochte,  fowie  bie  gänzliche  (Srfdjöpfung  feiner  ©elbmittel  be* 
reiteten  if)m  fo  groge  Schwierigfeiten,  baß  er  fid)  nach  ben  $och* 
lanben  jnrütfjie^en  mu&te.  Am  27.  April  1746  wagte  er  bei 
<£  u  11  o  b  e  n  eine  entfajetbenbe  Schlacht ;  aber  bie  tobeSmutljige 
Xapferfeit  ber  £ochlänber  oermochte  9UchtS  gegen  bie  ©ajonette 
unb  baS  ©efcfjüfc  beS  übermächtigen  geinbeS.  (Sbuarb,  beffen  9fte* 
berlage  oollftänbig  mar,  oerlieg  als  glüchtling  baS  Schlachtfelb  unb 
irrte  mehrere  üftonate  in  ben  SBilbniffen  beS  $ochlanb*S  umher. 
Obgleich  ©eorg  II.  einen  SßreiS  Don  breifeigtaufenb  *ßfunb  Sterling 
auf  feinen  Kopf  gefefct  ^atte  unb  englifdje  Später  jeben  SBinfel 
beS  ©ebirgeS  burd)fud)ten,  erreichte  er,  burd)  bie  Xreue  unb  Anfang« 
lid)feit  ber  £od>länber  gefchüfct,  glücfüc^  bie  Küfte;  boef?  gelang  eS 
i^m  erft  nach  fünfmonatlichem  gefahrvollen  Umherirren  auf  ben 
weftlichen  ©ilanben,  ein  franjöftfcheS  Schiff  $u  finben,  baS  ihn  nach 
Sranfreich  jurüefbrachte.  *Rad)bem  er  üon  bort  in  golge  beS  ben 
öfterreidjifchen  (Srbfolgefrieg  beenbenben  griebenS  oon  Aachen  (1748) 
auSgewiefen  worben,  begab  er  fta)  nach  Italien,  wo  er  fta)  nach 
bem  Xobe  feines  SBaterS  (1766)  mit  einer  ©räfin  Stolberg  Der* 
mahlte.  ®r  ftarb  im3ahre  1788  $u  9tom,  ohne  Kinber  $u  hinter* 
laffen.  2Rit  feinem  trüber,  bem  Karbinal  oon  ?)orf,  erlofch  im 
3ahre  1807  bie  männliche  Sinie  ber  Stuarts. 

Ueber  ©buarbS  Anhänger  lieg  bie  englifdje  Regierung  ein 
fchwereS  (Bericht  ergehen.  Sttachbem  bereits  nach  ber  Schlacht  oon 
ßuöoben  baS  fiegreiche  £>eer  gegen  bie  SBermunbeten  unb  ©e* 
fangenen  in  fdt)aucrlicr)er  SBeife  gewütet  unb  bie  93eft(jungen  unb 
ÖJüter  ber  ju  (SbuarbS  Anhang  jählenben  fchottifchen  ©rofeen  Oer* 


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Gnglcmb  unter  QJeorg  I.  unb  ©eorg  II. 


301 


ljeert  fiatte,  würben  olle  gefangenen  ^äuptfinge,  fottrie  m'ele  anberen 
^eröorragenben  Än^anger  ber  Stuarts,  unter  ifjnen  ber  ©raf  #il= 
ntamof  unb  ber  fiorb  Söatmerino,  jum  Xobe  öerurtfjeilt  unb  fjmge* 
rietet,  mafjrenb  jafjlreiaV  anbere  im  Werfer  ftarben. 

$en  ®att)oIifen  brachte  ber  Uebergang  ber  englifdjen  ®rone 
an  baS  fjannööerifdje  £auS  feinertei  ©rleidjterung,  roeber  in  ©ng= 
lanb  nod)  in  3rlanb.  ©in  im  3afjre  1737  im  engufa)en  Sßaria* 
mente  gefteHter  Antrag,  bie  Xeftafte  aufgeben,  nutrbe  mit  bebeu* 
tenber  Majorität  abgelehnt,  „meit  jeber  ©taat  einer  ©taatsfirdje 
bebürfe  unb  bie  befte^enben  ©efefce  pr  #eru)eibigung  unb  Huf= 
redjtfjaltung  berfetben  noujmenbig  feien;  es  aud>  red)t  unb  gefe(jlia) 
erfdjeine,  §eben,  ber  biefe  2lnfid)t  nidjt  tfjeile,  öon  allen  Remtern 
auSjuf  abliefen."  3n  Srlanb  mottte  man  nia^t  einmal  baS  2>afein 
ber  #atf)ottfeu  gefeilter)  anerfennen,  unb  gegen  bie  Söebrütfungen 
unb  2Jftf#anblungen  ifjrer  proteftantifdjen  ®utsl>erren  gemährte  fein 
©eridjt  ifjnen  ©dmfc.  Xrofc  i^rer  Slrmut§  mußten  fie  niajt  nur 
if)re  ^riefter  fctbft  unterhalten,  fonbern  aud)  bem  Ijeerbenlofen  angli* 
fanifdjen  IHeruS,  bem  über  jmei  TOHionen  ÜKorgen  SanbeS  über* 
nriefen  morben,  ben  Befjnten  entria^ten  unb  ftdj  unbarm^erjige  2lu3* 
faugungen  gefallen  laffen. 

@eorg  II.  ftarb  am  25.  Dftober  1760,  im  Sllter  öon  fieben* 
unbpeb5ig  Qa^ren,  mitten  unter  ben  SBirren  beS  fieben jährigen 
Krieges,  an  meinem  er  als  SöunbeSgcnoffe  feines  Neffen  griebridjS 
beS  (SJrofjen  Xrjcil  naf)m,  unb  eines  gleid^eitigen  ©eefriegeS  @ng= 
lanbS  gegen  granfreidj.  $a  fein  ältefter  @o!m  griebria)  Submig 
bereits  im  3af>re  1751  geftorben  mar,  folgte  ifjm  auf  bem  Sfjrone 
fein  ©nfel  als  ©eorg  III.  (1760—1820). 


$ie  englifd)e  Siteratur,  auf  bereu  gortentttrirflung  ber  £of,  im 
(Segenfafce  ju  bem  franjöfifdjen,  oljne  (Sinflug  blieb,  weil  folooffl 
©eorg  I.  als  ©eorg  II.  faum  mit  ber  6pradje  beS  SanbeS  Oer* 
traut  maren,  trieb  im  adjt$efmten  Safjrfyunbert  auf  bem  (Gebiete 
ber  ^oefie  fmuptfädjlitf)  nur  in  ben  untergeorbneten  (Gattungen: 
ber  (Satire,  bem  Vornan,  ber  befdjreibenben,  bibaftifdjen  unb  reflef* 
tirenben  SHdjtung,  reifere  ölfitfjen ;  $rama  unb  @poS  maren,  gletcr) 
ber  lörifdjen  ^oefie,  nur  bura)  öereinjelte,  im  Allgemeinen  menig 
bebeutenbe  (Srfdjeinungen  oertreten. 

25er  geiftreieftfte  unb  barum  audj  ber  gefürajtetfte  6atirifer 
mar  3onau)an  ©roift,  geboren  1667  in  Dublin  als  ber  ©olm 
eines  bort  anfäffigen  (SnglänberS.  3)urdj  bie  Sßott)  ju  bem  ©tubium 
ber  Geologie  getrieben,  für  roeldje  er  als  falte,  fjod>müu)ige  unb 
negatioe  9tatur  burdjauS  nidjt  geeignet  toar,  geriet^  er  auf  oiel- 
fad^e  Slbmege,  mifajte  fic^,  unter  häufigem  SBedjfel  ber  ^arteiftel* 


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302 


(Englanb  unter  ©eorg  I.  unb  ©eorg  II. 


lung,  in  bie  ^olitif  unb  ftarb,  nadjbem  er  ftcfj  nadj  allen  Seiten 
fnn  Dermalst  gemalt,  im  Qafjre  1745  im  SBaljnfum.  Unter  feinen 
fatirifct)cn  Söerfen  fyabtn,  neben  feinem  „2ftärdjen  Don  ber  Xonne," 
in  »eifern  er  bie  berfdjiebeuen  (Sonfeffionen  al3  feinblidje  ©cgen* 
fäfoe  ju  bem  magren  (£fjriftentlmm  barjufteßcn  fudjt,  „(Mlliberä 
Reifen/  eine  Satire  auf  ba3  politifdje  unb  nriffenfdjaftlidje  Seben 
<£ng(anb3  t>od  §a6  gegen  bie  9Renfd$eit  unb  falter  2Renfd)ent»er* 
ac^tung,  am  meiften  iöerüljmtfjeit  erlangt. 

Unglei^  ebler  gehalten  ftnb  bie  Satiren  3°fetf)  SlbbifonS 
(geb.  1672,  geft.  1719),  ber  mit  einem  unüermüftlidjen  £umor  unb 
einer  unerfcfjöpflidjen  (Erfinbungägabe  einen  ungemein  gemanbten 
unb  anjieljenben  Styl  oerbinbet.  3m  Vereine  mit  feinem  5*eunbe 
3*ict)arb  Steele  (geb.  1671,  geft.  1729)  grünbete  2Tbbifon  ben 
„Spectator  /  eine  fpäter  unter  bem  Xitel  „Xfje  ®uarbian"  bon 
Steele  allein  fortgefefcte  SBodjenfdjrift ,  meiere  fu$  bie  Aufgabe  ge* 
ftellt,  bie  Ijerrfcfcenben  Xljorfjeiten  unb  SBerfeljrtljeiten  balb  mit 
tuürbeboHem  <£mft,  balb  mit  Spott  unb  fdjarfer  JJronie  an«  SHdjt 
$u  jieljen  unb  in  treffenben  GHwrafterbitbern  ein  Sittengemalbe  jener 
3eit  ju  liefern.  ®ro&en  93eifaU  fanb  audj  Slbbifonä  Xrauerfpiel 
(Xato,  baä  nadj  feinem  (£rf djeinen  im  Qaljre  1717  einen  ganzen 
Sftonat  lang  Xag  für  Xag  unter  ungeheuerem  Sudans  beä  *ßubli-- 
fumä  jur  STup^rung  gebraut  unb  bon  Voltaire  für  „bie  erfte  ge* 
niefjbare  Xragöbie,  bie  ein  (Snglänber  gebietet/  erflärt  mürbe, 
nidjtäbeftomemger  aber  ben  Seroeiä  liefert,  baf$  eä  bem  SScrf affer 
bei  allem  fonftigen  fajriftfteDerifä^en  latent  an  matjrljaft  poetifd&er 
Begabung  burdjauS  fehlte. 

Stuf  bem  (Miete  be8  föomanS  ift  junädjft  Daniel  $efoe 
(geb.  1661,  geft.  1731),  ber  SBerfaffer  beS  bielgelefenen,  auf  einer 
magren  Gegebenheit  beruf)enben  S3olf3budje&  „SRobinfon  (Srufoc,"  $u 
ermähnen.  Samuel  9Ud)arbfon  (geb.  1689,  geft.  1761)  fdjrieb 
gamilienromane  in  Briefform,  bie  bon  großem  fittlidjem  (Srnft,  fo* 
mie  bon  untrennbarem  Xalent  für  tä)axattn>  unb  Sittenfdjilbe* 
rung  jeugen,  jebod)  $u  fet>r  in  bie  ©reite  gebogen  finb  unb  bie 
Slbftdjt  be«  SRoraliftrenS  attju  beutlid)  h«öortreten  (äffen.  (Sine 
meifterf>afte  Scbilberung  beS  fcf^licr)ten  gamilienlebenS  gibt  Dliber 
Oolbf mitt)  (geb.  1728,  geft.  1774)  in  feinem  „SBicar  of  SBafe* 
fielb,"  einem  Fontane,  ber  trofc  mand)er  Mängel  im  *ßlane  unb  ein* 
feiner  Unma!jrfd)einiid)feitcn  ein  Sieblingdbuct)  nia)t  nur  ber  (£ng* 
länber,  fonbem  aller  Nationen  gemorben  ift. 

211«  SBerfaffer  fomifajer  unb  ljumorifnfdjer  Romane  berbienen 
(Srmäfmung:  £enri  Siel  bing  (geb.  1707,  geft.  1754)  unb  Xobia« 
Smolett  (geb.  1721,  geft.  1771),  bie  SBeibe ,  im  ©egenfafce  ju 
SRidjarbfon ,  ganj  nad)  ber  9latur  malen ,  babei  jebod)  in  il)ren 
Säuberungen  btemeilen  jur  gemeinen  9Catägticl>feit  tytabfinUn,  bor 


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©nfllaitb  unter  ©eorg  I.  unb  ©eorg  II. 


303 


OTen  aber  fiaurence  ©terne  (geb.  1713,  geft.  1768),  ber  in  ber 
SRegettofigfett,  in  ber  Unerfdjöpflidtfett  ber  ßaune,  in  ber  griffe  be* 
©efityl*,  im  Stadium  be*  Söifce*  tnelfad)  an  Sean  «ßaut  erinnert, 
bemfelben  jeboa)  an  9icinr)cit  nadjftef)t. 

2öie  ber  töoman,  fo  ttmrbe  auc§  ba*  $rauerfpie(  bürgerfid), 
tuefftalb  aud)  an  bie  ©teile  ber  metrtfajen  Sonn  bie  ungebunbene 
9lcbc  trat;  badfelbe  fanb  jebod>  feinen  einzigen  fjeröorragenben  SQt* 
arbeiter.  dagegen  braute  ber  berühmte  ©djaufpieler  $amb  ®  a  r  r  i  tf 
(geb.  1716,  geft.  1769),  ber  ftaj  audj  al*  ßuftfptelbicfjter  einen 
tarnen  emmrb,  bie  Xramen  ©fjafefpeare'*  bei  feiner  Nation  nneber 
Hnfe^en.  Unter  ben  ja^rei^en  ßuftfpielbidjtern  nimmt  SRidjarb 
©$eriban  (geb.  1751,  geft.  1816),  beffen  „ßäfterfd)u(e  —  the 
chool  for  scandal  —  ju  ben  beften  fiuftfmeten  ber  neueren  geit 
gehört,  bie  erfte  ©teile  ein. 

2tuf  bem  GJebiete  ber  bibaftifdjen  ^3oefie  genoß  befonber* 
211er. anber  $  o  p  e  (geb.  1688,  geft.  1744),  ber  „Surft  be*  Steinte*" 
unb  „ber  große  SBerftanbe*bid)ter,"  roie  iljn  bie  ©nglänber  nodj 
tyeute  nennen,  eine*  f)oI>en  2(nfel)en*.  2Iud>  feine  ©djäfergebidjte, 
foroie  fein  befdjreibenbe*  ®ebid)t:  „ber  2Ba(b  üon  Söinbfor"  unb 
fein  fatirifdj-'fomifdje*  @po*  „ber  fiodenraub"  trugen  bem  eljrgeU 
$tgen  SDidjter  reiben  Söeifall  ein. 

£>of)en  9tul)m  erwarb  ftdj  al*  Sefyrbidjter  aud)  (Sbtoarb  ?)  o  u  n  g 
(geb.  1721,  geft.  1770)  burd)  feine  „ftaajtgebanfen,"  bie  megen  ber 
2iefe  unb  SBafyrljeit  ber  barin  au*gebrüdten  ©efü^Ie  nidjt  nur  in 
(Snglanb,  fonbern  aud)  in  grranfreid),  $eutfd)Ianb  unb  Qtalten  gro* 
gen  Entlang  fanben. 

3m  befdjretbenben  ©ebidjte  glänjt  befonber*  3ame*  Xfjomf  on 
(geb.  1700,  geft.  1748),  beffen  faft  in  alle  ©prägen  (Suropa'*  über* 
fe&te  „3a^re*jeiten"  al*  ein  SRuftcrbilb  in  biefer  Gattung  gelten. 
2lud)  in  ber  bramatifdjen  Eidjtung  öerfudjte  fict)  Xfjomfon  mit  ®lüd, 
unb  ber  ©djlu&gefang  feine*  2Ka*fen)>iel*  „2tlfreb"  ift  wegen  be* 
ftol$en  Refrain* :  „Rule  Britannia,  rule  the  waves  —  Britons 
never  shall  be  slaves"  ein  Siebling*lieb  ber  ©nglänber  getoorben. 

2tt*  elegifajer  $idjter  ragt  befonber*  Sfjoma*  ®rag  (geb. 
1716,  geft.  1771)  §erüor,  beffen  „ ©legte  auf  einem  ^Dorffird^rjofc" 
ju  ben  fdjönften  perlen  ber  englifdjen  SHdjtung  jäljft.  ®a*  £>öd)fte 
leiftete  jeboef)  auf  bem  (Gebiete  ber  lorifd)en  5>idjtung  ber  Sdjottc 
Stöbert  SBurne,  ein  unbemittelter  ®ärtner*fo!m,  ber  im  %af)vt  1796 
nad)  einem  rocd)felöoflen,  aufreibenben  ßeben  im  Hilter  oon  37  3af)ren 
einem  gieber  erlag,  aber  trofc  feine*  frühen  Xobe*  auf  bie  SBer- 
jfingung  ber  Xidjtuug  feiner  .frcimatl)  einen  tiefgreifenben  ©influfj 
au*geübt  t>at ,  weil  er  in  feinen  ben  Döllen  «Sauber  ber  ^ßoefie 
atfjmenben  Biebern  nur  ©elbftgefuf)lte*  au*fpraa}.    GJötfje  jäfjlt  ifjn 


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304 


Äaifer  ffarl  VI 


ben  crftcn  35ichtergeiftern ,  welche  baS  adjtjefjnte  3ahrfmnbert 
herüorgebra<f)t. 

Söon  großem  ©influfe  auf  bie  Hebung  ber  englifdjen  Sßocftc  mar 
bic  genauere  Söcfanntfd&aft  mit  ben  alten  ©aöaben  unb  SBolfSliebern, 
üon  benen  ber  Söifdjof  %fyomtö  ^ßercü  im  3ahre  1765  unter  bem 
Xitel  „The  reliquies  of  anciens  english  poetry44  eine  reichhaltige, 
mit  großem  öeifall  aufgenommene  (Sammlung  Verausgab,  burch 
meldje  jahlreidje  Nachahmungen  öeranla&t  mürben.  Ungeheuerem 
Sluffehen  erregten  bie  im  3a^re  1762  oon  bem  ©Rotten  3ameS 
äftac&herfon  als  ©efänge  beS  bermeintlichen  altfa^ottifajen  93ar~ 
ben  Dffian  herausgegebenen  Sichtungen,  beren  Unäd)theit  auf  baS 
(Soibentefte  nachgemiefen  ift. 

Unter  ben  profaifchen  ©djriftftellern  QtnglanbS  aus  ber  3eü 
©eorgS  I.  unb  ®eorgS  II.  finb  bie  namhafteften  bie  Ö5efc^ic^tfc^rci= 
ber  £aöib  Jpume,  ein  (Sporte  auS  einem  roenig  begüterten  3meig 
ber  gamilie  ber  trafen  oon^ome  (geb.  1 7 1 1  r  geft.  1776),  ber  eine 
©efchicfjte  (SnglanbS  gef abrieben;  SSifltam  9iobertfon  (geb.  1721, 
geft.  1793),  ber  SSerfaffer  öerfchtebener  ©efdjichtsmerfe,  unter  anbera 
einer  ©efdjichte  ÄarlS  V.,  unb  (Sbroarb  ©ibbon  (geb.  1737,  geft. 
1794),  beffen  „QJe)'and)te  beS  SBerfaßS  unb  Untergangs  beS  römi* 
fchen  Meiches"  oon  äflandjen  für  baS  befte  SBerf  über  biefen  ©egen* 
ftanb  gehalten  mirb.  2(üe  brei  roaren  Reiften  —  Ülobertfon  unb 
(Gibbon  Schüler  SBoltaire'S.  Qnbeffen  mar  feit  bem^ahre  1740  baS 
Slnfehen  ber  Sreibenfer  in  Gmglanb  gefchmunben ,  unb  bie  offenen 
Angriffe  auf  ben  Offenbarungsglauben  mürben  feltener,  ba  man  bie 
cngltfche  Sretfjeit  für  gefiajert  tytit  unb  jum  Kampfe  gegen  ben 
$etyotiSmuS  nicht  mehr  beS  HnftürmenS  gegen  ben  als  fein  ü8ofl= 
merf  betrachteten  Elitär  ju  bebürfen  glaubte.  $te  englifchen  grei* 
benfer  jogen  fidt)  nach  unb  nach  in  bie  geheimen  ÖJefefljchaften,  ins* 
befonbere  in  bie  Sogen  ber  greimaurer  jurücf,  beren  erfte  im 
3a(;re  1717  in  Sonbon  eröffnet  mürbe. 

XIX. 

£aifex &axt  VI. 

(1711-1740.) 

ftarlä  VI.  erfter  2ürfen!rieg. 

(1716-1718.) 

2ludj  nach  DC*  öcenbigung  beS  fpanifchen  <£rbfolgefriegeS  mar 
ber  erfchöpften  öfterreichifchen  Monarchie  feine  Seit  ber  föufje  be* 
fchieben.   $aum  mar  ber  griebe  üon  SRaftabt  gefa)loffen,  als  neue 


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Äarl«  VI.  elfter  2ürfenfrieg. 


305 


SBetterrooIfcn  oon  Dften  herauf  fliegen.  $)ie  Domänen ,  bie  burd) 
ben  Srieben  öon  ®arloroifc  aus  bem  größten  Xfjeile  öon  Ungarn 
öerbrängt  unb  auf  SemeSroar  unb  Jöelgrab  juruefgeroorfen  roorben, 
formten  bie  erlittenen  Sterlufte  nidjt  öerfdnneraen ,  unb  ba  bic 
SBenetianer  per)  auf  ber  in  irjren  SBefifc  übergegangenen  £albinfel 
Üftorea  buret)  t>iclfacr)c  SBebrücfungen  ber  ©rieetjen  öerfja&t  gemacht, 
glaubte  bie  Pforte  biefelbe  mit  leidster  9ttüf)e  jurüeferobern  $u 
fönnen.  ©ie  erflärte  barjer  im  Qafjre  1715  ber  föepublif  ben 
ßrieg ,  inbem  fie  gleichzeitig  eine  ©efanbtfdjaft  an  ben  ftaifer  ab* 
orbnete,  um  benfelben  burdj  bie  SBerficrjerung  ber  freunbfcfjaftlidjften 
©efinnungen  gegen  Defterreitf)  öon  einer  (Sinmiföung  ju  (fünften 
ber  SBenetianer  ab^ubalten.  SBäfjrenb  $arl  VI.  ben  Auäbrua)  be3 
öon  ber  Pforte  geplanten  Krieges  burdj  baä  Anerbieten  feiner  ©er* 
mittlung  jur  Herbeiführung  eine«  gütlichen  Abfommenä  mit  ben 
SBenetianern  ju  öerrnnbern  fua)te ,  mar  bereits  ein  jafjlretajea  tür- 
fifdjea  £>eer  über  bie  ßanbenge  öon  Forint!)  nad)  SDcorea  öorge= 
brungen  ,  unb  balb  mar  ber  of)nef)in  nur  fdjroad)e  SBiberftanb  ber 
oenetianifdjen  Xruppen  auf  ber  ganjen  £>albinfel  niebergeroorfen. 
3Me  Senetianer  roanbten  fief)  hierauf  an  ben  $atfer  mit  ber  Sitte 
um  feinen  ©eiftanb  jur  Aufredjtrmltung  ber  Stipulationen  beä  ®ar* 
toroifcer  griebenS,  unb  ba  ber  öon  ber  Pforte  begangene  Vertrags* 
brud)  nicfjt  nur  ba3  Qntereffe  beS  d)riftltd>en  ©laubena  ferner  ge* 
fäfprbete,  fonbern  auefj  für  ben  öfterreidnfdjen  Staat  neue  ©efafjren 
t)eraufbefd)roor ,  inbem  jeber  öon  ber  Pforte  errungene  Sflad^u* 
ttmdjä  für  ben  ©rofcfjerrn  ein  ©porn  roerben  fonnte ,  bie  SBieber* 
eroberung  ber  im  grieben  öon  ®arloroifc  an  Defterreia)  jurütfge* 
fommenen  ©ebiete  ju  öerfudjen ,  fd)lo&  ber  ftaifer,  auf  ben  föatf) 
be$  ^ringen  (Sugen,  am  13.  April  1716  mit  ben  «enetianern  ein 
©djufc  unb  Xru&bünbmfj  unb  lieg  jugleid)  an  bie  Pforte  bie  Auf* 
forberung  ergeben,  bie  SBeftimmungen  beä  ftarlotoifcer  griebenä  ju 
refpeftiren  unb  ber  Sftepublif  SSenebig  ben  ir)r  jugefügten  ©ajaben 
$u  öergüten,  nubrigenfallä  er  fofort  feinen  ©cfanbten  Don  ßonftan* 
tinopel  abberufen  roerbe.  ©tatt  biefer  Aufforberung  nadföufommen, 
erflärte  bie  Pforte,  beraufd>t  bura)  bie  auf  üJcorea  errungenen  (Sr* 
folge  unb  im  Vertrauen  auf  öefterreidj*  (Srfdjöpfung,  an  ben  ßaif er 
ben  ftrieg,  für  melden  fofort  bie  umfaffenbften  Lüftungen  angefteUt 
rourben. 

Snbeffen  roar  auefj  ^rinj  (Sugen,  bem  als  bem  ^räfibenten  beS  §of* 
fricgäratrjä  ba3  gefammte  öftcrrcict)ifcf)c  £eerroefen  unterftanb ,  nidrt 
mü&ig  geblieben,  unb  alä  ber  (Uro^oejir  ju  Anfang  Auguft  1 7 1 6  mit 
einem  §eere  öon  jroeimal^unberttaufenb  9Jcann  oor  $  e  t  e  r  ro  a  r  b  e  i  n, 
bem  ©ammelplaje  ber  öfterreicfjifcfjett  Gruppen,  erjagen,  fanb  er  ba* 
felbft  ein  $eer  üon  fünfunbfea)aigtaufenb  9J^ann,  baä,  oon  unbebing* 
lern  Vertrauen  auf  feinen  bemäfjrten  gü^rer  erfüüt  unb  mit  allem 

fcolatoartf),  ©cltgcf^te.  VI.  20 


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306 


äatfer  Jtarl  VI. 


9^ütf)tQcn  auäreichenb  öerfeljen,  öor  Söegierbe  brannte ,  bem  treu» 
brüchigen  geinbe  ber  (Shriftenheit  ein  ^roeited  $enta  $u  bereiten.  $>ie 
Slufforbcrung  beä  (Skofcoejirä,  bie  Seftung  gegen  freien  21b$ug  ber 
Söefafcung  $u  übergeben ,  mürbe  feiner  Antwort  getoürbigt,  unb  als 
hierauf  bie  dürfen  SJftene  matten ,  $ur  Belagerung  berfelben  ju 
fchreiten,  befch!o&  (Sugen,  ofme  Berjug  $um  Angriff  gegen  baä  un- 
gleich ftärfere  fernbliebe  £>eer  öorjugehen,  unb  fteüte  ju  biefem  (5nbe 
am  5.  s2Iuguft  feine  Xruppen  in  Sdjlachtorbnung  auf. 

9tad)  einem  fünfftünbigen  feigen  Kampfe,  in  fteldjem  bie  faU 
ferliche  ffieiterei  öon  Anfang  an  bebeutenbe  Bortheile  errungen,  mäh* 
renb  ba&  gu&öolf  mehrmals  öon  ben  Qanitfdjaren  jurüefgemorfen 
tuorben,  lüften  fich  bie  türfifchen  Siethen.  Vergebend  fudjte  ber  ©rojj* 
öe$ir,  ber  bie  Saline  be&  Propheten  entfaltet  ^attef  an  ber  Sptfcc 
feiner  ßeibgarbe  bem  ftürmifchen  Vorbringen  ber  Kaiferlicfjen  (Sin* 
fjalt  $u  tljun  unb  ilmen  ben  faum  mehr  jmeifelhaften  Sieg  ju  ent* 
reißen:  öon  einer  Sauget  burd)  bie  Stirn  getroffen,  ftürjte  er  öom 
^Pferbe.  ©ein  Xob  machte  bie  Bertoirrung  in  bem  gefdjlagenen  tür* 
fijchen  £>eere  öoHftänbig :  in  regellofer  Slucfyt  eilten  bie  $erfprengten 
Schaaren ,  in  ihrem  öcrlaffenen  £ager  ben  Siegern  eine  unermeß* 
liehe  Beute  an©efchüfcen,  Sahnen,  Sterben,  Kameelen  unb  Koftbar= 
feiten  aller  2(rt  juriicflaffenb,  ber  Satte  ju. 

(Sugen  orbnete  für  ben  glorreichen  Sieg,  ber  ben  Kaiferlicheu 
an  Xobten  unb  Bernmnbeten  breitaufenb  Üttann  gefoftet,  mahrenb 
ber  Berluft  ber  Xürfen  fich  auf  ba$  doppelte  belief ,  einen  feier* 
liefen  $)anfgotteäbienft  an,  unb  ber  ftürmifdje  3"bel,  mit  melchem 
bie  SiegeSbotfchaft  in  SSien  begrüßt  mürbe,  fanb  in  ganj  (Suropa 
begeifterten  Söiberljall.  $)em  fiegreichen  Sßrinjen  (Sugen  fanbte  $apft 
(Siemens  XL,  ber  öon  Anfang  an  baä  lebt)aftefte  Qntereffe  für  ben 
Krieg  gezeigt  unb  bem  Kaifer  jur  leichteren  Beftreitung  ber  Soften 
berfelben  ben  Reimten  a^er  gciftlichen  (Sinfünfte  in  beffen  ©rblän- 
bern  bemiQigt  ^atte ,  einen  gemeinten  $ut  unb  2)egen ,  ba3  übliche 
Reichen  ber  Slnerfennung  heröorragenber  friegerifcher  Berbienfte  um 
bie  gefammte  (£f)riftenheit  unb  bie  fatholifche  Kirche. 

Um  ben  errungenen  Sieg  mögüchft  ausbeuten,  fchritt  (Sugen 
ohne  Berjug  5ur  Belagerung  öon  Xemeamar,  bie  am  1.  Septem* 
ber  eröffnet  mürbe.  2)a  ber  Kommanbant  ber  geftung,  ber  tapfere 
SKehemeb  2lga,  ficher  auf  balbigen  (Srfafc  rechnen  burfte,  totes  er  bie 
Slufforberuug  ©ugenä  jur  Uebergabe  be$  Sßlafceä  mit  ©utfehiebenheit 
jurücf;  naa)bem  jeboch  baä  am  23.  September  erfchienene  (Sntfafc* 
heer  burch  einen  energifchen  Angriff  öon  Seiten  ©ugenä  jum  9tucf* 
$ug  über  bie  XemeS  gelungen  unb  am  1.  Df tober  bie  ftarf  befe* 
ftigte  Borftabt  öon  Xeme&mar  öon  ben  Kaiserlichen  erftürmt  mor* 
ben,  entfehlog  fich  ÜJcehemb  Slga  am  12.  Dftober  $ur  Kapitulation, 
unter  ber  Bebingung  freien  2lbjug3  für  bie  öon  achtaelmtaujenb 


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ÄarlS  VL  ctfict  «Efirfcnfrieg. 


307 


<mf  gtoölftaufenb  Sftann  gufammengefajmolgene  ©efafeimg,  fottrie  für 
bie  türfifdje  ©eöölferung  ber  ©tobt. 

$urd)  bie  (Eroberung  Don  XemeStoar,  ba3  ljunbertbierunbfedfgig 
3afjre  lang  ununterbrochen  in  ben  $>änben  ber  dürfen  geroefen, 
gelangte  ba8  fiegreidje  fatferüdje  £>eer  in  ben  SBefifc  be3  ganzen 
Öanatö.  SRadjbem  (Sugen  ben  (General  ber  Kaöaflerie,  trafen 
HKercö,  gum  Oberbefehlshaber  biefeS  £anbe$  befteQt  unb  ©treifgüge 
nad)  ©oSnien,  Serbien  unb  ber  2Ballad)ei  angeorbnet,  beren  ©e- 
t>ölferung  burdj  bie  Befreiung  be$  SBanatS  öon  ber  Xürfenfjerrföaft 
mit  neuen  Hoffnungen  auf  bie  enbltdje  (Srlöfung  öon  bem  Sodje  ber 
Ungläubigen  erfüllt  toorben ,  feljrte  er  gur  £eitung  ber  nötigen 
SJorfefjrungen  für  ben  gelbgug  be3  fommenben  3at)re3  nadj  SBien 
gurüd,  tt)o  ihm  ein  glängenber  Empfang  gu  ttmrbe. 

Unterbeffen  ^atte  bie  Pforte ,  burd)  bie  bebeutenben  Erfolge 
fcer  faiferliajen  SBaffen  au3  bem  ©iegeätaumel  geriffen,  in  melden 
fie  burdj  bie  rafdje  Eroberung  öon  9Horea  öerfefet  toorben,  an  ben 
Kaifer  gricben&üorfdjläge  gelangen  (offen;  ba  btefelben  jebod)  in 
feinem  SBerhälhuß  gu  ben  Slnfprüdjen  ftanben,  gu  lueldjen  bie  be* 
reitS  errungenen  Sortierte  ben  faiferlidjen  £of  berea^tigten  ,  wur- 
den fie  gurfitfgenriefen  unb  bie  nadjbrüdftdjfte  gortfefcung  beä  Krieges 
befölojfen. 

SRachbem  fich  (£ugen  am  14.  Sftai  1717  öon  feinem  faifer- 
litt^en  Kriegsherrn  öerabfdjiebet  hatte,  um  auf  ben  Kriegäfdjauplafc 
aurütfjufefjren,  gog  er  bie  einzelnen  Xruppentheile  bei  ^etertoarbein 
^ufammen  unb  brach  öon  bort  am  9.  3uni  mit  bem  gangen  #eere, 
baä  auch  bieSmal  wieber  fünfunbfechgigtaufenb  Üftann  gäf)lte,  gur 
Ueberfdjreitung  ber  $onau  auf,  an  beren  rechtem  Ufer  er  am  16.  Quni 
im  Singefichte  öon  Seigrab  (Stellung  nahm.  9Son  bem  SBunjche 
getrieben,  unter  bem  größten  gelbherrn  ihrer  Seit  im  ru^müoüen 
Kampfe  gegen  ben  (Erbfeinb  ber  ßhriftenheit  bie  erften  ßorbeeren  gu 
erringen,  Ratten  fich  gasreiche  beutfdje  gürftenföhne,  unter  ihnen  bie 
beiben  ©ohne  be$  fturfürften  SRarhniltan  Immanuel  öon  SBaiern  mit 
fed)3taufenb  2Rann  baierifcher  Xruppen,  fottrie  ber  *ßring  Immanuel 
öon  Portugal  unb  groei  lothringische  ^ringen  nebft  einer  großen 
©djaar  frangöfifajer  (Sbetteute  bei  bem  faiferlia)en  #eere  eingefunben. 

Cbgleid)  fia)  ber  Belagerung  öon  93elgrab  bei  beffen  Sage 
buf)t  am  (Sinfluß  ber  ©aöe  in  bie  $)onau  unb  ber  ttmten  2lu3beh* 
nung  ber  trefflich  angelegten  Söefefttgungätoerfe ,  inSbefonbere  bei 
ber  Ungugängltchfeit  ber  fteil  abfaüenben  (JitabeHe,  bie  größten 
<Sd)ttrierigfeiten  entgegenftettten  unb  überbieä  ein  $cer  öon  groeimal* 
fjunbertfunfgefmtaufenb  üßann  gum  (£ntfa&e  ber  geftung  tyiantüdtt, 
war  Sugen  feft  entfajtoffen,  ben  Kampf  um  ben  Öefty  berfelben  gu 
toagen.  sJcachbem  gur  ?Iufrea)t^altung  ber  SSerbtnbung  mit  ben 
faiferlidjen  Sänbern  fotüo^t  über  bie  $onau,  aU  oua)  über  bie  8aoe 

20* 


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308 


tfcujer  Äarl  VI. 


93rücfcn  gefdjlagen  unb  jum  Sdju(je  be$  faiferlichen  SagerS  gegen 
einen  Singriff  be3  türfifchen  @ntfafchcere$  bebeutenbe  SBerfchanjungen 
angelegt  morben,  begonnen  bie  eigentlichen  ©elagerungSarbeiten,  bie 
fo  rafcf)  an  (5nbe  geführt  mürben,  baß  fchon  am  22.  Quli,  fünf 
Xage  nach  einem  fiegreidj  jurücfgefchlagenen  SluäfaH  ber  breißtg* 
taufenb  9J?ann  ftarfen  türfifchen  SBefajjung ,  $ur  SBefdueßung  ber 
Stabt  gefchritten  werben  fonnte.  Schon  nach  menigen  Sagen  mar 
ber  größte  Xtjcil  ber  eigentlichen  Stabt  in  einen  Trümmerhaufen 
oermanbelt.  Auch  bie  geftungSmerfc  hatten  fo  fct)r  gelitten,  bog  bie 
Söelagerer  ihrem  Siele  nahe  ju  fein  fchienen,  als  am  31.  Quli  ba& 
oon  ber  93efafcung  fehnlichft  ermartete  Crntfafcheer  anlangte  unb  im 
Singefichte  bc£  faiferlichen  Sager 3  eine  befefrigte  Stellung  nahm. 

Set  ber  gemaltigen  Uebermacht  be3  SeinbeS  unb  ber  Gx= 
fdjöpfung  ber  faiferlichen  Xruppen,  unter  bcncn  überbieS  bie  unge= 
heueren  Slnftrcugungen  ber  lejten  Seit,  fomie  bie  SöelagcrungSfämpfe 
unb  aufgebrochenen  föranfheiten  bebeutenbe  Sücfen  gefchaffen,  mar  bie 
Sage  bcä  faiferlichen  .§eere3  eine  äußerft  bebenfliche;  bennoch  öer- 
lor  (£ugen  ben  9Jhith  nicht.  $a  ein  SRücfgang  über  bie  SBrücfen 
im  31ngefichtc  beS  JJeinbeS  nicht  möglich  mar  unb  ein  längeres  SUs 
marten  bie  Sage  be£  faiferlichen  $eere$  nur  oerfchlimmern  fonnte, 
befdjloß  er,  ohne  Sögern  $um  Angriff  auf  baS  türfifche  §eer  511 
fehreiten,  für  melden  er  ben  16.  Sluguft  feftfcfcte. 

Schon  um  SJZitternacht  oerließcn  bie  faiferlichen  Söölfer  in 
lautlofer  Stille  ihr  Sager,  um  fich  außerhalb  ber  Verfchanaungen  in 
Schlachtorbnung  aufstellen.  9113  ber  iag  anbrach,  breitete  fiety 
über  bie  gan$e  ©egenb  ein  bitter  Sftebel  auf,  ber  jmar  bem  Jeinbe 
bie  Annäherung  ber  faiferlichen  eine  Seitlang  öerbarg ,  juglcich 
aber  auch  ben  83emegungen  be3  faiferlichen  £>eere£  bie  nöthige 
Sicherheit  raubte.  £a§  plöfclidje  Grrfchcinen  ber  öflerrcichifchen 
Reiterei  be£  rechten  glügelS  üor  einer  frifch  aufgemorfenen  türfifchen 
SReboute  brachte  SBemegung  unter  bie  Xürfcn,  unb  in  menigen  Tlu 
nuten  mar  baS  gan$e  feinbltche  Säger  in  Schlachtbercttfchaft. 

$a  bei  bem  rafch  auf  ber  ganjen  Sinie  entbrannten  Kampfe 
ber  fortbauembe  Jeebel  jebeS  georbnetc  Sufantmengehen  öerbinberte, 
gefchal)  eS ,  baß  ein  XtyH  beS  faiferlichen  gußöolfeS  im  Slnfchluß 
an  bie  öemegungen  ber  beiben  glügel  ju  meit  nach  rechte  ober  nach 
linfS  abfcfjmenfte,  unb  als  gegen  acht  Uhr  enblich  ein  frifcher  9flor= 
genminb  ben  bid)tcn  9iebelfd)Ieicr  jerriß ,  gemährte  (Fugen  mit 
Sd)rccfcn,  baß,  mährenb  feine  beiben  glügel  fiegreich  üorgebrungen 
maren  unb  ben  geinb  aus  feinen  Verfchanäungcn  jurüefgemorfen 
hatten,  bie  faiferliche  Schlachtlinie  auSeinanber  geriffelt  morben  unb 
baä  türfifche  giißoolf  in  ooücm  Vorbringen  in  ben  entftaubenen 
Stoifchcnraum  begriffen  mar,  fo  baß  für  bie  faiferlichen  bie  (Gefahr 
üorlag,  im  föücfcn  unb  in  ber  Slanfe  überfallen  $u  merben.  Üiafch 


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Aar»  VI.  crfter  Xürfenfrieg. 


309 


<ntfd)loffen ,  ftellte  er  fleh  felbft  an  bie  ©pifce  beS  jroeitew  treffen« 
unb  fiürmte  mit  füt)ner  Xobeäöeradjtung  ben  oorbringenben  Qanit* 
fdjaren  entgegen.  SSa^renb  feine  ©Goaren  mit  begeiftertem  Unge* 
früm  mit  ben  3anitfcharen  rangen,  bie  fla?  ben  errungenen  Bortheil 
nicht  entreißen  laffen  wollten ,  entfehieb  Gsugen  burch  einen  an  ber 
©öifce  einiger  Äüraffierfdjroabronen  aufgeführten  glanfenangriff  ben 
tlutigen  Äampf  ju  (fünften  ber  #aiferlicf)en.  $)ie  ton  jroei  ©etten 
angegriffenen  3anitfa)aren  miauen  jurücf,  unb  nachbem  bie  laifer* 
lidje  ©djlachtlinie  Ijergefteflt  roorben,  fat)en  fidfj  bie  dürfen  al&balb 
au£  ihrer  ganzen  ©tellung  öerbrängt.  üßur  eine  einzige  türfifche 
Batterie  bon  achtzehn  ferneren  @efdjü$en  teiftete  im  Zentrum  be3 
t$einbe8 ,  ton  ben  ©pahte  gebetft ,  noch  Oer jweifelten  SSiberftanb ; 
l>ocr)  auch  fle  mürbe  burch  eine  ©turmfolonne  oon  jefjn  ©renabier* 
fompagnien  unb  oier  Bataillonen  Infanterie ,  bie ,  einer  ÜKauer 
gleich ,  bis  ju  ber  feinblichen  Batterie  oorbrangen ,  ofme  ba8  ber* 
|eerenbe  Seuer  betfelben  mit  einem  einzigen  ©dmffe  ju  erroibem, 
unb  fidj  bann  mit  gefaßtem  Bajonett  auf  bie  Scinbe  fttirjten,  nad) 
einem  fjeißen  fingen  erobert.  3n  nnlber  £>aft  oerließ  ba3  ge* 
fdhlagene  türfifche  $>eer  fein  Säger  unb  fuchte,  bon  ben  faiferlia^en 
£ufaren  berfolgt ,  fein  ©eil  in  einer  regeflofen  Sludjt ,  mehr  aU 
ämanjigtaufenb  lobte  unb  Berrounbete  auf  ber  Mutgetränften  SBahl* 
ftatte  jurücflaffenb.  $en  flegreichen  Äaiferlidjen,  bie  nur  fünfeefmhun* 
i>ert  Xobte  unb  breitaufenbfünfhunbert  Berrounbete  jählten,  fiel  aud) 
"bie^ mal  in  bem  oerlaffenen  türfifdjen  fiager  eine  unermeßliche  Beute 
in  bie  £>anbe. 

groei  Xage  nad)  ber  ©djlacht  fapitulirte  Beigrab,  unter  ber 
Bebingung  beä  freien  STbjugS  ber  Bejahung  unb  ber  türfifcfjen  Be* 
Dölferung  ber  ©tabt,  unb  am  22.  5luguft  nahm  (Sugen  bon  ber 
tJeftung  Befu).  9Jtft  berfelben  fielen  ü)m  fe^^unbert  ©cfdnifce  unb 
ungeheuere  SRunitionSborräthe  ju;  auch  Öanäc  $onauflotifle 
würbe  eine  Beute  ber  ©ieger. 

3n  SBien  rief  bie  Sßadjricht  oon  bem  glorreichen  ©iege  bei 
Beigrab ,  ber  legten  großartigen  2Baffentt)at  be3  ^rin^en  (lugen, 
einen  unbefchreiblichen  Jfubel  h^röor.  $aum  bermochte  ber  lieber* 
bringer  berfelben,  ber  (SJeneralfelbtuachtmeifter  Hamilton ,  fein  $ferb 
burch  bie  jaudjjenbe  Spenge  nach  oct  faiferlidjen  Burg  ju  bringen, 
unb  bis  in  bie  fpate  Stacht  erfdjoll  in  ben  ©tragen  ba&  Bibatrufen 
t)er  begeifterten  Söiener.   3för  fanb  auch  bieSmal  in  allen 

Säubern  (Suropa'S  ben  freubigften  SBiberhatt ,  unb  bon  bielen  ge* 
frönten  ©öuptern  erhielt  @ugen  bie  ehrenöollften  Beglüchoünfchung^ 
fchreiben.  2)lit  unauSlöfcfjlichen  Bügen  aber  tyatte  ber  ruhmgefrönte 
^ürfenbejtoinger  burch  ben  glorreichen  ©ieg  bei  Beigrab  feinen 
Flamen  in  ba$  ©erj  beS  beutfehen  Botted  eingefchrieben ,  unb  ba^ 
Sieb  bon  $rtnj  ©ugeniu«,  bem  „eblen  bitter/  bad  (Sugenä 


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310 


tfatfer  ßarl  VI 


tapfere  Krieger  in  bem  naffen  gelblager  bor  93elgrab  mährcnb  ber 
griebenäunterhanbtungen  gebidjtet  Rotten,  würbe  ein  Eotfälieb  in  beä 
SBorte«  mettefter  SBebeutung. 

Mach  bem  Salle  oon  93elgrab  machte  ber  (Sultan  bem  ßaifer 
neue  5rieben«üorfchtäge ,  unb  ba  £arl  VI.  fchon  toegen  ber  burd> 
SUbenmi'ä  enttoürfe  herbeigeführten  politifchen  Sertoicflungen  toün* 
fd^ert  mugte,  batbmögtichft  freie  §anb  ju  gewinnen,  ging  er  bereit* 
tüiöig  auf  biefelben  ein.  ©o  fam  am  21.  Quli  1718  in  bem 
ferbifchen  ©täbtdjen  $a ff ar o m i ba«  auf  ben  öorfälag  (Sugen& 
3um  ßongre&orte  beftimmt  morben,  ein  für  Defterretct)  äufjerft  oor= 
tf)cilr)aftcr  Sriebe  ju  ©tanbe.  $>er  ®aifer  erhielt  burd)  benfelben 
Sklgrab  mit  bem  nörblichen  Xbcile  oon  ©erbien,  fotoie  £eme«toar 
mit  bem  93anate,  bie  SBaCfad^ei  bi«  an  bie  Sltuta  unb  einen  Xfjeil 
oon  Kroatien,  ©laoonien  unb  ©o«nien  unb  au&erbem  ba«  ©dm&* 
recht  für  feine  auf  türfifdjem  53oben  lebenben  Untertanen ,  fotoie 
bie  Ermächtigung,  jur  ©idjerung  be«  öfterrcic^ifct)cn  #anbel«  mit 
ber  Seöante  ®onfu!n  unb  Agenten  an^tifteHen. 


Sie  *ragtnatifd)e  Sanctton. 

©chon  im^a^re  1713  hatte  ber  bamal«  noch  finberfofe  #aifer 
#arl  VI.,  um  bie  öfterreidufdje  3)bnara)ie  für  ben  3au\  ba&  er 
ohne  männliche  9tacf)fommen  fterbe ,  gegen  ähnliche  Gefahren  ju 
fchüfcen,  toie  fie  ber  Xob  ®arl«  II.  für  ©panien  tyeraufbefdjmoren, 
ein  neue«  @rbf otgegefefc ,  bie  fogenannte  pragmatifche  ©anc* 
tion1),  errietet,  nad)  meinem  bie  gefammten  öfterreidufchen  ©taaten 
in  Ermangelung  eines  männlichen  (Srben  ungeteilt  an  feine  %öfy 
ter  unb  beren  3>e«cenbenten  nach  bem  9lecr)tc  ber  ©rftgeburt  über* 
gehen,  für  ben  gaH  feine«  fmberlofen  Slblebenä  jcboct)  ben  Xödjtem 
Sofeph«  I.  unb  beren  ftacfjfommen,  gleichfalls  nach  bem  fechte  ber 
(Srftgeburt,  ^fallen  foaten.  $a  fein  einziger,  am  13.  Slpril  1716 
geborener  ©of)n  Seopolb  fdjon  am  4. SJcooember  be«  gleiten  3ahre& 
geftorben  mar,  lag  ihm  Vichts  mehr  am  $erjen ,  aU  ber  älteften 
feiner  brei  Xödjter,  flftaria  %  heref  ia,  ben  ungefchmälerten  unb 
unbeftrittenen  SBefifc  be«  öfterreicfnfchen  Staate«  ju  fidlem.  3"  biefem 
(Snbe  liefe  er  nicht  nur  bie  beiben  Xöchter  3ofeph«  I. ,  oon  benen 
bie  ältere  bie  ©emahlin  Sluguft«  III.  oon  ©achfen,  unb  bie  jüngere 
bie  be3  ®urfürften  ®arl  Ulbert  oon  üöaiern  mürbe,  bei  ihrer  SBer* 


1)  $er  Sftatne  „praamatifrfje  (Sanctton"  tft  eine  fef)r  alte,  fdjon  Oon 
ßaifer  ^uftinian  gebrauste  ©e^eidjnung  für  ©efe&e  oon  umoiberrnflitf)er  9*as 
tUT,  burd)  welche  rotdjtige  93erf)ältniffc  bauernb  georbnet  toerben  füllen.  6o 
nannte  auch  äatl  VII.  oon  granfreiä)  ba«  ©efe^,  tooburd)  er  im  %af)vt  1438 
bie  gaflifanifche  Kirche  orönete,  pragmatifche  ©anetion. 


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$ie  pragmati^e  Sanction. 


311 


mäljfang  eiblidj  auf  ifyr  Grrbredjt  SScrjtc^t  leiften,  fonbcrn  ^olte  audj, 
um  jebweben  Slnfpntdj,  bcr  öon  trgenb  einer  anberen  ©eite  auf  bie 
gefammte  öfterreidjifdje  Sftonardjie  ober  einzelne  Sfjeile  berfelben 
nadj  feinem  Xobe  erhoben  werben  fönnte,  511m  ©orauä  unwirfjam 
$u  madjen,  für  bie  pragmatifdje  ©anctton  bie  au$brücflid)e  Slner* 
feitnung  ber  ©tänbe  feiner  fämmtlidjen  Grrblänber  ein,  worauf  baä 
neue  §au3gefefe  am  6.  $)ecember  1724  feierlid)  prottamirt  würbe. 

Um  bie  pragmattfdje  ©anetion  gegen  jebe  SInfedjtung  fieser  511 
fteüen,  fud)te  ber  ®aifer  für  biefetbe  bie  SInerfennung  unb  (Bewähr* 
leiftung  fowofyl  beä  beutfdjcn  fReic^d  aU  aud)  ber  auswärtigen 
SKädjte  ju  erlangen.  ©ergebend  bemerfte  ifjm  ber  ^rinj  ©ugen, 
ber  bie  «rglift  unb  SBUIfür  ber  bamaligen  ©taatäfunft  beffer  bura> 
fäaute,  als  ber  ftaifer,  ba&  ein  fampf bereite«  #eer  öon  jwcimal* 
fmnberttaufenb  2ftann  unb  ein  wofjtgefütlter  Staat»fct)a^  eine  fidjerere 
Söürgfäaft  für  bie  Slufredjtljaltung  feinet  .§au3gefe6e3  fein  würben, 
alt  aCe  nur  benfbaren  ©ertrage :  ®arl  VL,  ber  fclbft  öon  bem 
ftrengften  9*ect)tdgefü^I  erfüllt  war  unb  babei  einen  gro&en  SScrtt) 
auf  görmlidjfeiten  legte,  fonnte  ftd)  nidjt  öon  bcr  Ueberjeugung  lo& 
reiben ,  bafe  unter  bem  ©djufce  ber  urfunblidjen  Slnerfennung  unb 
GJewäfprleiftung  feines  £>au3gefefce3  öon  Seiten  ber  übrigen  2Käd)te 
ba$  erbrecht  feiner  Sodjter  {einerlei  Slnfecfjtung  leiben  werbe,  unb 
glaubte  bafjer  fein  Opfer  freuen  ju  bürfen,  um  biefe  ju  erlangen. 

$ie  erfte  Stfadjt,  bie  fid)  jur  Slnerfennung  ber  pragmatischen 
©anetion  bereit  finben  lieg,  war  ©panien.  SBie  wir  oben  (©.  294) 
gefef>cn,  war  ber  ©treit  jwifdjen  ber  £tuabrupel*2lHian$  unb  bem  §ofe 
öon  SDcabrib  im  3at)re  1720  burd)  ben  im  $aag  abgefd)loffenen  grie* 
ben  beigelegt  worben.  £abei  War  jur  öollftänbigen  2lu3gleidning 
einselner  bejüglidj  ber  burd)  bie  ©eftimmungen  ber  Quabrupel*  Kilians 
geföaffenen  ©erfjältniffe  jWifäen  Defterrei^  unb  ©panien  nod)  ob* 
fdjwebenber  ^ifferenaen  ein  Kongreß  üereinbart  worben,  ber  im 
3ar)re  1722  $u  ßambrat)  eröffnet  würbe.  $te  öermittelnben  SMdjte, 
©nglanb  unb  <po£(anb ,  führten  jebodj  auf  bemfelben  eine  fo  an* 
magenbe  ©pradje,  bog  ber  ®aifer  unb  ber  $önig  öon  ©panien  fid) 
baburd)  in  gleicher  SBeife  üerlefct  fügten.  £ifr  luerbur$  gwifdjen 
beiben  9Jcad)ten  bewirfte  Slnnätjerung  würbe  geförbert  bura?  ba£ 
3erwürfni(5 ,  baä  in  golge  ber  Surüdjenbung  ber  jur  ®emal)lin 
Subwigä  XV.  beftimmt  gewefenen  fpanifdjcn  Qnfantin  nad)  Sflabrib 
jwifdjen  ©panien  unb  granfreid)  entftanben  war.  $er  öon  ber 
Königin  (Stifabetf)  nad)  SSien  gefanbte  ®raf  9ttpperba  (f.  ©.  294), 
ber  Sftadtfolger  2llberoni'3  in  ber  Seitung  ber  fpanifdjen  v2lugelegen= 
Reiten,  braute,  nadjbem  ber  Kongreß  öon  ßambraö  refultatloä  Oer* 
taufen,  ot)ne  jebwebe  frembe  (SHnmifc^ung  eine  öoßftänbige  KuSfö^ 
nung  jmifdjen  Cefterreic^  unb  ©panien  ju  ©tanbe ,  inbem  er  am 
30.  SfprU  1725  mit  bem  ftaifer  einen  ©ertrag  fdtfofi,  in  welkem 


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312 


£aifer  Äarl  VI. 


bie  SBeftimmungen  ber  BuabrupekHUianj  bcftätigt  unb  alle  nodj 
obfehwebenben  Differenzen  ausgeglichen  würben. 

Sugleidj  gelang  e3  9itpperba,  ben  ftaifer  nicht  nur  für  ba&  t>on 
ber  Königin  (jltfabeth  entworfene  *ßrojeft  einer  SÖermählung  ihrer 
beiben  ©ohne  mit  ben  beiben  älteften  Xöchtern  $arlS  ju  gewinnen, 
fonbern  ihn  auch  trofc  ber  ©egcnöorfteHungen  (£ugen£  ju  einem 
Vertrage  $u  beftimmen,  in  welchem  ®arl  VI.  (Spanien  wieber  jum 
Söefifce  oon  Gibraltar  ju  oerhelfen  oerfpradj  unb  beibe  SDMdjte  für 
ben  Sali  eines  Krieges  mit  Sranrreich  unb  (Snglanb  einanber  nach* 
brüeflichen  bewaffneten  SBeiftanb  jufagten.  Obgleich  ber  befinitioe 
2lbfchlu§  ber  projeftirten  SSerlobungen  einer  fpäteren  Seit  öorbefmt* 
ten  blieb,  übernahm  Spanien  bie  ©ewährleiftung  ber  pragmatifdjen 
©anetion  unb  bewilligte  überbicä  bem  ®aifer  für  bie  öon  bemfelben 
$u  Oftenbe  errichtete  oftinbifdje  $anbel3gefetlfchaft  in  einem  am 
1.  Sftai  1725  gefchloffenen  £anbeteberrrag  bie  gleichen  SBorrechte 
unb  Sreibeiten  bezüglich  beS  SSerfehrS  mit  ©panien  unb  3nbien, 
Welche  früher  bie  oereinigten  9lieberlanbe  genoffen  Ratten. 

Ungeachtet  ber  ®aifer  bezüglich  beä  awifdjen  ihm  unb  ©panien 
abgesoffenen  SBünbniffeS  bie  ftrengfte  Geheimhaltung  auSbebungen, 
fam  baSfelbe  burdj  bie  Unoorficf)ttgfeit  beS  (trafen  9tipperba  jur 
ß'enntnig  C£nglanb$  unb  Srantreidjä,  unb  ba  fidj  ju  ber  gleichen 
Seit  baS  Gerücht  Verbreitete,  ba&  auch  bie  Äaiferin  Katharina  oon 
SRu&lanb  bemfelben  beigetreten,  fdjloffen  beibe  dächte  ihrerfeitS  ein 
Söünbniß  unb  bewogen  auch  ben  ®önig  griebrich  SBilfjelm  I.  Oon 
Greußen  jum  beitritt,  inbem  jte  ihm  oerfprachen,  ihn  bei  bem  Xobe 
beä  finberlofen  ®urfürften  oon  $fal^9teuburg  in  ber  Geltenbmachung 
feiner  Sfnfprüche  auf  Jülich  unb  Söerg  ju  unterftüfcen.  Sludj  #ol!anb, 
$)änemarf,  ©chmeben  unb  ©arbinien  fcfjloffen  fid)  ihnen  an.  93ei 
ber  erften  feinblichen  Bewegung  Oefterreichä  foHte  ein  gleichseitiger 
Eingriff  auf  Neapel,  9JcaiIanb  unb  ©chlefien  erfolgen. 

Qnbeffen  gelang  eä  bem  (Einfluß  be3  $rinjen  (Jugen,  bie 
$olitif  be3  ®aifer3  ohne  übereilte  Söjung  beS  mit  ©panien  ge* 
fchloffeuen  SBünbniffeS  oon  ben  Jöanben  ber  fpanifchen  s2lbhangtgteit 
äu  befreien  unb  wieber  eine  entf Rieben  beutfdje  Dichtung  ju 
geben.  $ie  nächftc  golge  baüon  war  ber  9lücftritt  beä  Königs  oon 
Greußen  oon  bem  *8ünbni&  mit  (Snglanb  unb  granfreich-  2lm 
12.  Oftober  1726  fdjlofe  berfelbe  mit  bem  ju  biefem  Speere  nach 
SBerlin  entfanbten  Grafen  ©eefenborf,  ber  fchon  bei  einer  früheren 
•äfliffton  be3  Königs  öoflfteä  SBertrauen  ju  gewinnen  gewußt,  ben 
Vertrag  oon  SBufterhaufen,  in  Welchem  ber  $önig  fich  gegen  bie 
Suficherung  ber  Unterftüfcung  beS  $aifer3  jur  Geltenbmadmng 
feiner  bergifchen  (Jrbanfprüche  bereit  erflärte,  bie  pragmatifche  ©anc== 
rion  ju  gewährleiften.  Qxoü  3ahre  fpäter,  am  23.  2)c$ember 
1728,  würbe  biefer  Vertrag  burdj  ben  „berliner  Xraftat"  in  ein 


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3)ic  pragmatifäe  ©anctum. 


313 


förmliche*  6dmfc  unb  $rufcbünbni&  öermanbelt,  in  metdjem  bcr 
Kaifer  unb  bcr  König  einanber  bcn  93cfife  if>rer  Sauber  oerbürgten 
unb  ber  ßefctere  nid)t  nur  bic  pragmatifdje  ©onction  in  oller  gorm 
gemäf)rteiftete,  fonbern  aua?  bem  fünftigen  (Sfcmaljle  3ttaria  Xfjerefta'* 
feine  (Stimme  bei  ber  ftaifermafjl  jufagte,  jeboet)  unter  ber  au** 
brücflidjen  ©ebingung,  „baf?  berfelbe  meber  ein  (Spanier,  nodj  ein 
tJranjofe,  fonbern  ein  $)eutfdjer  fei."  2lud)  mit  sJtu&lanb  mar  fd)on 
im  3aljre  1726  ein  $Bunbe*öertrag  ju  ©tanbe  gefommen,  in  mel* 
djem  bie  Kaiferin  Katharina  gleidjfafl*  bie  pragmatifdie  ©anetion 
anerfannt  f)atte. 

2)ie  ©efaljr  eine«  allgemeinen  Kriege«,  ben  bie  ausfertigen 
Lüftungen  in  fufjere  2lu*fidjt  ju  fteffen  fdjienen,  rourbe  abgemanbt 
burd)  ba*  bermittelnbe  SJajnufdjentreten  be*  päpftlidjen  tfhintiu* 
©rimalbi  in  SBien,  bem  e*  gelang,  amifdjen  ben  ftreitenben  Wläfy 
ten  einen  93ergleid>  ju  (Stanbe  ju  bringen,  beffen  #auptpunft  in 
ber  toon  bem  Kaifer  bettrißigten  <Su*penfion  ber  oftinbifdjen  |>an* 
bet*gefeflfdmft  beftanb.  $ie  übrigen  Streitfragen  foüten  auf  einem 
Kongreß  unterfudjt  unb  entfd)ieben  merben,  ber  in  ber  $(jat  in 
<Soiffon*  abgehalten  mürbe,  bie  gehegten  ©rroartungen  jebod)  nidjt 
erfüllte. 

Snjroifdjen  mar  ba*  Sßrojeft  ber  SBermäfjlung  Üttaria  Xfjerefia'* 
mit  einem  fpanifdjen  $rinjen  befinititi  aufgegeben  morben,  inbem 
bie  Kaiferin  iljre  Xodjter  mit  bem  §erjog  granj  (Stephan  öon 
Sotfjringen  ju  Dermalen  münfdjte  unb  bieje  SBerbinbung  öon  bem 
^ßrinjen  (Sugen  auf  ba*  SBärmfte  befürmortet  mürbe.  $>ie  Ijier* 
burdj  tief  gefränfte  Königin  (Slifabctr)  fdjlojj  fjinter  bem  9tüden 
be*  Kaifer*  am  9.  Sßoöember  ju  (Seöiöa  mit  Crngfanb  unb  granf* 
retdj  einen  Slßianjöertrag,  in  meinem  bie  (Sntfenbung  üon  fedj** 
taufenb  ÜERann  fpanifdjer  Xruppen  nadj  Italien  $ur  (Sidjerfteßung 
ber  bem  fpanifrfjen  Infanten  Karlo*  jugefagten  Erbfolge  in  £o*fana, 
tßarma  unb  Sßiacenja  öereinbart  mürbe. 

$ie  greunbfdjaft  jroifcöen  Spanien  unb  ben  beiben  SBeftmädj* 
ten  mar  jebod)  üon  nod)  fürjerer  $auer,  al*  ba*  s«8ünbni&  ber 
Königin  (Slifabett)  mit  Karl  VI.  Sil*  ber  ^rinj  ßugen  Flamen* 
be*  Kaifer*  ben  iöerbünbeten  bie  öon  entfpredjenben  Lüftungen 
begleitete  ©rflärung  juge^en  ließ,  bafj  Defterreid)  ba*  (Srfdjeinen 
eine*  einzigen  fpanifdjen  Solbaten  in  Stallen  al*  einen  Kriegsfall 
anfefjen  merbe,  üerfagten  ©nglanb  unb  grantreid)  ber  Königin  dlifa* 
betf)  iljre  SDfttmirfung  ju  ber  projeftirten  Ueberfüfjrung  fpanifd)er 
Gruppen  nadj  3talien,  morauf  (Spanien  audj  feinerfeit*  fidj  meigerte, 
bie  ifmen  in  bem  Xraftat  üon  (Sem'Ha  bemiHigten  §anbel*öort^eile 
einzuräumen.  $ie  näc^fte  golge  ber  2luf^ebung  btefe*  Xraftat*  mar 
bie  2lnnä^erung  (Snglanbä  an  ben  Kaifer,  bie  am  16.  Sttärj  1731 
jum  Slbfc^lufe  eine*  Vertrag*  führte,  in  meinem  (Snglanb  unb  ^oüanb 


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314 


Äaifcr  ftori  VI. 


bie  pragmatrfdje  Sanction  geroäfjrleifteten  unb  fori  VI.  feinerfeits 
üerfpradj,  bcn  Untertanen  beiber  ©eemäd)te  freien  §anbel  nad) 
©icilien  $u  geftatten  unb  bie  £anbel3gefellfa)aft  ju  Dftenbe  bauernb 
aufeufyeben. 

$ie  s2lnerfennung  unb  ÖJemäfjrleiftung  ber  pragmatifdjen  @anc* 
tion  öon  Seiten  be$  beutfdjen  Steide«  erfolgte,  trofc  ber  Sßroteftation 
ber  furfürften  öon  ©adtfen,  öaicrn  unb  ber  *ßfal$,  im  3af>re  1732. 


Ser  poliiif cfjc  IHjronfolgcfricg. 

(1733—1735.) 

SRadjbem  Sluguft  II.  burd)  ben  Ausgang  be«  ruffifdjen  3elb= 
jug«  farls  XII.  bie  polnifaje  frone  wieber  erlangt  tyatte,  war 
fein  (Streben  öor  Sltlem  barauf  gerietet,  burdj  bie  SBemtdjtung  ber 
unbef$ränften  «perrfdjaft  be$  9lbel3,  ber,  obgleid)  er  nur  ben 
äioanaigften  Sfjeil  ber  SBeüölferung  bilbcte,  bod)  fo  fefjr  aüe  ftaat* 
liefen  Siebte  an  fid)  geriffen,  bafj  er  allein  bie  Nation  barfteßte, 
eine  rpirflict)c  f  önigSgemalt  fjersufteHen.  $iefeä  3icl  I)atte  ifjm 
fdjon  bei  ber  oerfua^ten  Eroberung  Siölanbä  öor  Hugen  gefdnoebt; 
ba  er  e3  jebodj  auf  biefem  2öege  nia^t  batte  erreichen  tonnen,  Oer* 
folgte  er  jefct  eine  entgegengefefcte  ^olitif:  er  fnüpfte  Unter^anb= 
hingen  mit  föu&lanb  unb  Greußen  an,  um  beibe  3J?äd)te  burd)  bie 
Abtretung  beträdjtlidjer  polnifdjer  ©ebiet&ftretfen  $u  bewegen,  ifmt 
$ur  Serwanblung  beä  Ucberrefteä  in  ein  ouoeräneä  ©rbfönigtfjum 
befulflid)  ju  fein.  Slber  inbem  er  jum  ämetfe  ber  $urd)füf)rung 
feiner  *ßläne  bie  fäd)fifd)e  5lrmee  in  <ßolen  aurütfbefjielt,  ofjne  in 
ber  Sage  ju  fein,  berfelben  ben  nötigen  Unterhalt  ju  oerfdmffen, 
braute  er  befonberS  ben  nieberen  9lbel,  ber  burdj  bie  üon  ben 
fäd)fifd)en  Gruppen  oerübten  ©rpreffungen  ferner  gefd)äbigt  mürbe, 
fo  fef>r  gegen  fid)  auf,  ba&  berfelbe  ju  ben  SBaffen  griff,  SBalb  ent* 
ftanben  jafjlreidje  „(Sonföberationen"  —  au&erorbentlidje  Serbin* 
bungen,  ju  meinem  ber  Slbel  feine  ßuflua^t  naf)m,  um  burd)  ©e= 
malt  $u  erreichen,  maä  auf  gefefclia)em  SBcge  nidjt  §u  bemirfen  mar, 
—  unb  ba  aud)  bie  ÖJrofeen,  auf  meldje  Sluguft  gejagt,  fidj  ber 
allgemeinen  ©emegung  anfdjloffen,  blieb  bem  fönig  nidjts  Slnbereä 
übrig,  als  bie  Vermittlung  beS  Goaren  in  s2lnfprudj  ju  nebmen. 
liefern  gelang  es,  am  3.  ftooember  171G  einen  Vergleid)  ju  ©tanbe 
}il  bringen,  nad)  meinem  Sluguft  feine  Saasen  entlaffen,  gleid^cirig 
aber  aud)  bie  ftationalarmce  meit  unter  bie  Hälfte  if)re3  führen 
«eftanbeä  f)erabgefefct  werben  füllte,  wa3  ber  f önig  nadj  bem  juri* 
fcJ>en  ujm  unb  ber  Nation  befteljenben  miberfinnigen  $Berf)ältni&  als 
einen  oon  iljm  errungenen  Vorteil  anfar). 


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315 


£a  Sluguft  aur  bcr  ileberjeugung  gelangt  war,  baß  ber  25eg 
bcr  ©ewalt  ifjn  nia)t  ju  bcr  erftrebten  SBieberfjerfteflung  bcr  fönig- 
ticken  9Had)t  führen  werbe,  filmte  er  ju$  ben  polnifdjen  s2lbcl  burd) 
beffen  ©ewölmung  an  eine  er^ö^te  <ßrunf*  unb  ©enußfudjt  p  eigen 
3U  madjen,  ju  welchem  Enbe  er  an  feinem  £ofe  ju  SBarfdmu 
bie  äußerfte  $radjt  unb  Ueppigfeit  entfaltete.  &ber  aud)  biefe* 
SKittet  führte  üjn  nu&t  junt  Siele,  unb  at*  er  am  1.  gebruar 
1733  mäfjrenb  eine«  SReid&atageS  ju  SBarfdjau  ftarb,  war  eS  il)tn, 
trofc  ber  eifrigften  93emüf)ungen,  nodj  nidjt  einmal  gelungen,  feinem 
©ofme  bic  Wadjfolge  auf  bem  pofoifdjen  Xfjrone  ju  fiebern. 

$ie  ©liefe  ber  ^olen  wanbten  fid)  bei  ber  neuen  MmgftDaty 
fjauptfädjtid)  auf  ©taniätauS  SeäcinSfi,  unb  ber  franjöfifdje  £of 
betrachtete  e«  all  eine  Efjrenfadje,  feinen  ganzen  Hinflug  ein^u* 
fefcen,  um  bem  ©djwiegeröater  ßubwigä  XV.  wieber  ju  ber  ber* 
torenen  polnifd>en  Ärone  ju  üerfjelfen.  3n  biefem  ©treben  unter- 
ftüfcte  ifm  befonberä  bcr  $rima3  Sßotodi,  ein  eifriger  Slnljänger 
fieScinSfi'a,  unb  nadjbem  berfeibe  auf  bem  gteidj  nad)  bem  Sobe 
2(uguft3  II.  auägefdjriebenen  „GonbocationSreidj&tage''  —  fo  wur* 
ben  in  $o(en  bie  föeid)3tage  genannt,  auf  Welmen  geir  unb  Ort 
ber  ßönigäwafjl  feftgefefct  Würbe  —  ben  ©efdjluß  burdjgefefct,  baß 
jeber  auswärtige  gürft  öon  ber  2Saf)l  auägefdjloffen  fein  unb  nur 
ein  $iaft,  b.  f).  ein  Eingeborener,  gewählt  werben  fotle,  fduen  bie 
9lücffer)r  SeäcinäfVä  auf  ben  pofaifcf)en  Sfpron  um  fo  meljr  gefiebert, 
aU  ber  franjöfifa^e  ©efanbte  Sttonti  burd)  (Selb  unb  93erfpred)ungen 
faft  bie  ganje  Nation  für  benfelben  gewonnen  fjatte. 

$en  SBemü^ungcn  granfreidja  waren  jeboer)  Reifer  $arl  VI. 
unb  bie  ®aiferin  9(una  Don  föußlanb  entgegengetreten,  wetdje  ben 
neuen  fturfürften  öon  ©adrfen,  Shiguft  III.,  Wuguftä  II.  ©ofm,  auf 
ben  pülnifcrjcn  Xf)ron  ju  bringen  fugten,  weniger  nod)  um  9ßoIen 
bem  Einfluß  granfreid)&  ju  entstellen,  al3  au£  perfönlid)en  (Mxnn* 
ben.  Sfuguft  III.  t)artc  nämlid)  bem  ßaifer  als  tyxtii  feines  Sei- 
ftanbeä  jur  Erlangung  bcr  polnifdjen  $rone  bie  5Inerfennung  ber 
pragmatifdjen  ©anetion  unb  bamit  jugletdj  bie  SSerjidjtlciftung 
auf  bie  Slnfprüdje  jugefagt,  welche  er  als  ®emafyl  bcr  älteften  Xodj- 
ter  Qofcpf)^  I.  auf  bie  öftcrreid)ifd)e  Sftonardjie  etwa  geltenb  maajen 
tonne,  unb  bie  ßaiferin  $Inna  war  oon  bem  $urfürften  burd)  ba£ 
SBerfpredjen  gewonnen  worben,  faö^  er  ®önig  öon  ^ßolen  werbe, 
iJ)rem  ©ünftüng  Söiron  bie  Söelefjnung  mit  bem  erlcbigten  $erjog= 
tf)um  Änrlanb  gu  erteilen.  33eibe  9)cad)te  erttärten,  baß  fie,  ba 
©taniälauä  burd)  einen  früheren  SBefdjIuß  ber  Nation  für  immer 
»on  bem  polnifdjeu  $f>rone  auägefdjloffcn  worben,  beffen  SBiebercr- 
t)ebung  auf  benfelben  aU  eine  $8erle$ung  ber  polnifdjen  JBcrfaffung 
betrauten  müßten,  bereu  2(ufred)tf)alhmg  ju  überwachen  fic^  burd) 
ältere  Verträge  üerpfliajtet  feien. 


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316  ffmfer  Statt  VI. 

Unterbeffen  mar  ©taniälau«  Se«cin«fi  fetbft  fjeimftdj ,  al« 
Kaufmann  öerfleibet,  burtf)  $eutfdjlanb  nad)  $o!en  gereift  unb  er- 
festen  am  12.  ©eptember  1733  auf  bem  2Baf)ltage  ju  SBarfdjau, 
mo  er  mit  3ubel  empfangen  unb  äugleidj  mit  großer  Majorität  $um 
König  gemäht  mürbe,  dagegen  rief  eine  fa)toad)e  Gegenpartei,  an 
beren  ©pifce  bie  93ifdt)öfc  öon  Krafau  unb  $ofen  ftauben,  am  5.  QU 
tober  1733,  unter  bem  ©djufce  eine«  über  bie  Grenze  gefommenen 
ruffifdjen  |>eere«,  auf  einem  bei  bem  $orfe  Komief  gehaltenen  2Baf)l* 
tag  ben  Kurfürften  öon  ©adjfen  al«  Sluguft  III.  jum  König  au«. 

$a  2e«cin«fi  fidj  in  Ermangelung  eine«  fampf6ereiten  |>eere« 
gegen  bie  rufftfct)e  Krieg«mad)t  in  SBarfdjau  nidjt  behaupten  ju 
fönnen  glaubte,  flo!)  er  nad)  $>anjig ,  mo  er  bie  Slnfunft  ber  fran* 
äöfiföen  £ilf«öölfer  ju  erwarten  gebaute.  $er  Sttagiftrat  erflärte 
fid&  im  ©ereine  mit  ber  gefammten  Bürgerfdjaft  fofort  für  iljn ;  bie 
©tabt  mürbe  jebodj  burdj  ein  rufflfdje«  £>eer  unter  2ttünnidj ,  ba« 
alsbalb  ju  ifjrer  Belagerung  erfduen,  naa?  einem  ameimaligen  oer* 
geblichen  Berfud&e  ber  öon  $ünfird&en  nad)  ber  Oftfee  entfanbten 
franaöfifa^cn  glotte,  ben  Belagerten  Verhärtungen  unb  Lebensmittel 
jujufüfjren,  am  9.  guli  1734  jur  Ergebung  gezwungen,  ©tani«» 
lau«,  ber  felbft,  öon  ber  Wufclofigfeit  eine«  längeren  SBiberftanbe« 
überzeugt,  bie  ©tabtbefjörben  $u  Kapitulation«unterI)anbIungen  öer* 
anlagt  fjatte,  entflog  al«  grud)tf)änbler  öerfleibet,  au«  $anjig  unb 
erreidjte,  nadjbem  er  mehrere  ÜMe  in  Gefahr  gefdjtoebt,  bem  Seinbe 
in  bie  $>änbe  ju  fallen ,  bie  preu&ifdje  ©tobt  9flarienmerber ,  öon 
too  er  ftdj  nad)  Königsberg  unter  ben  ©dm&  Sriebrid)  SBilljelm«  I. 
von  Greußen  begab,  ber  anfang«  auf  ber  ©eite  Deftcrreidj«  unb 
fltußlanb«  geftanben  r)atte ,  aber  burd)  bie  Steigerung  5Iuguft«,  if>m 
bie  öerlangten  gugeftänbniffe  ju  madjen,  unb  öerfdjiebene  UM* 
fid)t«lofigfetten  öon  ©eiten  föuglanb«  ber  ©adje  ber  Berbünbeten 
entfrembet  worben  mar.  £)ie  ©tabt  £an$ig  mürbe,  nadjbem  fie 
Stuguft  III.  gefjulbtgt ,  im  Befifce  it)rer  grcir)citcn  unb  Berfaffung 
belaffen,  mußte  aber  an  föu&lanb  eine  ©elbbu&e  öon  jmei  2JUHio* 
nen  Malern  entrid)ten.  $ie  polniftfjen  ©roßen ,  bie  ifjren  König 
nad)  $an$tg  begleitet  Ratten,  erfannten  bie  SBa^l  Sluguft«  III.  al« 
eine  rea)tmäßige  an;  auch  ber  $rtma«,  ber  mit  bem  fran$öfifdjen 
<5Jcfanbten  gefangen  in  ba«  ruffifdje  Sager  geführt  morben ,  unter- 
warf fidj  bemfelben. 

Unterbeffen  $atte  Sranfreid)  öon  ber  Söafjl  Sluguft«  III.  jum 
König  öon  <ßolen  Beranfaffung  genommen,  an  ben  Kaifer  ben  Krieg 
31t  erflären,  obglcia)  berfelbe  fein  |>eer  nad)  ^olen  entjanbt,  fonbem 
nur  Xruppen  in  ©djlefien  aufammengejogen  fjattc,  unb  bem  Bei* 
fpiele  be«  franjöfifdjen  |>ofe«  maren  and)  bie  Königin  öon  ©panien 
unb  ber  König  Karl  Emmanuel  öon  ©arbinien  gefolgt,  jene  meil 
fie  ben  Slugenblicf  für  günftig  cradjtete,  in  3taft*n  weitere  ©e* 


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3>er  pomifche  Sljronfolgefrieg. 


317 


bietäerroerbungen  $u  machen,  unb  biefer f  meil  audj  er  au3  ben 
neuen  Skrmicflungen  SBortheile  für  fein  £au3  jtehen  ju  fönnen 
hoffte.  9cach  bem  jWifd^en  ben  brei  dächten  gefd)loffenen  93unbe3* 
vertrage  follte  ber  ®aifer  oller  feiner  italienifchen  SBefifoungen  be* 
raubt  werben,  ber  fpanifdje  Infant  $on  ®arIoä  auf  $o$fana, 
<ßarma  unb  ^iacenja  ju  fünften  feines  jüngeren  ©rubere  WftW 
Oermten  unb  bafür  Neapel  unb  ©teilten,  ber  #önig  oon  ©arbi* 
nien  aber  bad  SMlänbifche  erhalten  unb  bafür  ©arbinien  an  granf* 
reia)  abtreten. 

Unmittelbar  nach  erfolgter  #rieg3erflärung  lieg  granfretd)  brei 
$eere  in3  Selb  rücfen.  $a3  eine  unter  bem  9Jcarfchaü  93ern?icf  über^ 
Jchritt  ben  9lr)ein  bei  ©trafjburg  unb  jtoang  am  28.  Oftober  1733 
bie  SReiä)3feftung  $  e  h  1  naa)  mehrtägiger  Belagerung  jur  Ergebung ; 
baä  jmeite  befefcte  Lothringen ,  unb  ba3  britte  unter  ißiöarg  ging 
naa)  Statten ,  mo  e3  fid)  mit  bem  oon  ®art  (Immanuel  felbft  ge* 
führten  farbinifd^en  |>eere  üereinigte.  SBährenb  bie  beiben  lederen 
Speere  mit  leidster  2Jiüt)e  ba£  nur  mit  einer  fd)toad)en  SBefafcung 
öerfeljene  SDcailanb  eroberten  unb  hierauf  bie  gange  fiombarbei  be= 
festen,  30g  ein  fpanifcc)e3  $eer,  baä  in  $oöfana  gelanbet,  unter 
bem  gnfanten  Barlos,  ben  ber  kaifer  im  Qahre  1731  bei  bem 
$obe  be&  legten  #erjog3  oon  $arma  auä  bem  £aufe  garnefe  mit 
biefem  ^erjogtlmm  belehnt  t)attc ,  gegen  baS  oon  faiferlichen  $rup= 
pen  faft  gänjlich  entblößte  Neapel,  unb  in  furjer  Seit  mar  aud) 
biefeä  Königreich  ®arl  VI.  entriffen. 

Am  $ofe  5U  SSien  herrfajte  bie  größte  Seftürjung ,  unb  $u 
fpät  erfannte  ber  $atfer,  mie  richtig  ber  <jkin$  <£ugen  bie  Sage  ber 
$>inge  beurteilt  ^atte,  als  er  oon  jeber  (Stnmifdmng  in  bie  polni= 
fdjen  Angelegenheiten  abzuhalten  gefud)t.  Vergebens  bemühte  er 
fich,  bie  Seemächte ,  bie  beibe  feine  ©etheiligung  an  ben  polnifdhen 
SSahlhänbeln  mißbilligt  fetten,  ju  fid)  ^txnbcx^k^tn :  foroohl  £>oI= 
lanb  als  (Snglanb  oerfagten  ihm  ihren  SBeiftanb.  Selbft  baä  beutjehe 
Meid)  zögerte,  trofc  bcö  oon  granfreid)  burch  bie  Eroberung  oon 
$et)l  begangenen  offenen  gricbenäbrucheS ,  fid)  ihm  anschließen, 
unb  nur  mit  üftühc  gelang  e3  ihm,  bie  beutfdjen  6tänbe  ju  einer 
fdjmachen  Unterftüfcung  ju  bemegen. 

Obgleich  bie  körperhaft  be3  ^rinjen  @ugen  burch  Saft  ber 
3at)re  unb  mehr  noch  burch  bie  9Jcühen  unb  Anftrengungen  feinet 
thatenreichen*  ßebenä  gebrochen  mar,  übernahm  er  noch  einmal  ben 
Oberbefehl  am  9*hein ;  boch  mar  e3  ihm  bei  ber  ©cringfügigfeit  ber 
Streitfrage,  bie  er  gegen  ben  übermächtigen  geinb  inä  gelb  511  füh* 
ren  hatte  —  ficbenuubbretßigtaufenb  SJcann,  t^eüd  ftaiferliche,  theilä 
9teia)3truppen,  gegen  einmalhunbcrttau(enb  granjofen  —  nicht  mög* 
lieh,  ben  gortfehritten  beäfelben  einhält  511  fytlt.  2)ie  feften  Sßläfec 
Girier  unb  Trarbach  mürben  gleich  ju  Anfang  beä  gelbjug^  oon 


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318 


ffaifer  Äarl  VI. 


1734  burd)  bie  Sranjofen  erobert,  unb  am  18.  Quli  mußte  fid) 
if)nen  aud)  bie  SReidjSfeftung  SßlulippSburg  ergeben,  obmofjl  ber  Sftar* 
fdjall  SBermuf  bei  ber  Belagerung  berfelben  ben  £ob  gefunben  fjatte. 

3m  folgenben  3ab,re  fehlen  baS  #erannab,en  eines  ruffifdjen 
4c>ilf^6ccrc5  unter  bem  Öteueral  ÖaScu  ben  ^aifertidjen  etmaS  gün= 
ftigere  9luSfid)ten  ju  eröffnen ;  altem  bie  3lnfunft  biefeS  feljnlidj  er= 
marteten  #orpS  mürbe  burdj  bie  Sdjmicrigfeiten  oerjögert,  bie  ber 
#urfürft  oon  SBaiern  bem  Xurdjmarfdj  beSjelben  burd)  bie  Dberpfalj 
in  ben  28eg  legte ,  unb  als  baSfelbe  enblidj  auf  bem  ftriegSfdjau* 
ptafce  anlangte,  roaren  bereits  auf  ben  Antrag  beS  ®arbinalS  gleurü 
geheime  SriebenSunterfjanblungen  jnrifdjeu  Defterreidj  unb  3ran!reic^ 
angefnüpft  morben.  Xer  Umftanb,  ba§  feit  ber  Grinnafjme  oon  5>an* 
$ig  burdj  bie  töuffen  bie  polniidje  Xtyronfolgefrage  tfjatjädjlid)  erle- 
bigt mar,  inbem  biefelbe  bie  Slnerfennung  SluguftS  III.  als  $önig 
t>on  $olen  aud)  oon  Seiten  ber  früheren  Anhänger  ScScinSfVS  $ur 
Solge  gehabt,  ^atte  granfreid)  $u  einer  SSerftänbigung  mit  bem 
$ai)er  geneigter  gemalt,  unb  jmar  umfome^r,  als  bemfetben  eine 
entfpredjenbe  (Sntfdjabigung  für  feinen  @d)üfcling  SeSctnSfi  unb  mit 
berfelben  jugleid)  ein  groger  eigener  SBortfyeil  in  s2luSfia)t  gefteöt 
morben.  $iefe  (£ntfd)äbigung  follte  in  ben  $>er$ogtf)ümern  Sotfjrin* 
gen  unb  33ar  befteljen ,  auf  meldje  ber  jum  ®emaf)l  Ovaria  S^ere* 
fia'S,  ber  ätteften  Softer  ®arlS  VI.,  bestimmte  £>erjog  granj  Stephan 
gegen  bie  tf)m  jujuerfcnnenbe  2lnmartfdjaft  auf  loSfana  $u  fünften 
beS  entthronten  s$olenfömgS  SBerjidjt  $u  leiften  bereit  mar,  unb 
meld)e  nad)  bem  Xobe  ßeScinStVS  als  Ürbtljeil  ber  Ötemafjlin  ßub- 
migS  XV.  an  Sranfreid)  fallen  foQten.  $a  jebod)  XoSfana  bereits 
bem  fpanifdjen  Infanten  Barlos  jugefagt  morben,  follte  berfelbc  im 
Jöcfifce  oon  Neapel  unb  ©icilieu  oerbleiben,  bagegen  aber  nidjt  nur 
auf  XoSfana,  fonbern  aud)  auf  ^arrna  unb  ^tacenja  ju  (fünften 
beS  ÄaiferS  Oermten.  $er  ftonig  oon  ©arbinien  follte  burdj  bie 
oon  bem  §er$ogtl)um  9#ailanb  $u  trennenben  (Gebiete  oon  Xortona 
unb  9tooara  jufrieben  geftellt  merben ,  baS  beutfd)e  Üieid)  bie  oon 
ben  granjofen  eroberten  geftungen  jurütfer^alten  unb  granfreid) 
au&erbem  bie  pragmatifche  ©anetion  gemä^rteiften. 

sJiadjbem  biefe  ©auptbebingungen  smtfdjen  bem  ®aifer  unb 
granfreidj  oereinbart  morben,  mürben  am  3.  Dftober  1735  inSBien 
bie  griebenSpräliminarien  unter5eid)net.  Spanien  metgerte  fid)  an* 
fangS,  bem  trieben  beizutreten,  meil  bie  Königin  (Slifabetf)  außer 
Neapel  unb  Sicilien  aud)  XoSfana,  ^arrna  unb  ^iaeenja  behalten 
$u  f önnen  gehofft  Imtte ;  ba  jebodj  bem  £>ofe  oon  9)*abrib  bie  Littel 
fehlten,  feine  gorberungen  burdjjufefcen ,  oerftanb  er  fid)  baju,  am 
21.  ftoüember  1736  feinen  föchten  auf  $arma  unb  <ßiaccn$a  ju 
fünften  beS  ffaiferS  unb  feinen  5lnfprüc^en  auf  XoSfana  jum 
heften  beS  £aufeS  Lothringen  ju  entfagen.    dagegen  übertrug  ber 


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$er  polnifcf)e  X^ronfolgcfneg. 


319 


Äaifer  am  11.  $>ecember  beS  gleichen  3aljreS  Neapel  unb  ©icUien 
an  bcn  Qnfantcn  Barlos. 

Stanislaus  SeScinSfi ,  bcr  als  £ömg  öon  Sßolen  anerfamtt 
morben  unb  hierauf  am  28.  Januar  1736  ju  ßimigSberg  feierlich 
feine  SRedjte  auf  bie  polnifdje  ®rone  an  Sluguft  III.  übertragen 
hatte,  nahm  am  3.  Wpxil  1737  öon  feinem  neuen  Sanbe  33eftfc  unb 
tuählte  ßuneoille  ju  feiner  SUcfibenj.  Xa  bie  ihrem  alten  |>errfd)er* 
häufe  treu  ergebenen  Sot^ringer  ihren  fterjog  mit  tiefem  ©ebauern 
Ratten  fcheiben  fehen,  hatte  bcr  neue  Surft,  ber  ben  tarnen  eines 
Königs  öon  tßolen  fortführte,  anfangs  einen  ferneren  ©tanb;  bodj 
ermarb  er  fich  balb  bie  öolle  guneigung  feiner  Untert^anen  burd) 
feine  fieutfeügfeit  unb  greigebigf eit ,  fomie  burd)  bie  SJcilbe  unb 
SBetSljeit  feiner  Regierung ,  burd)  meiere  er  bcr  2öot)Itt>äter  beS 
£anbeS  mürbe,  ©o  mar  feine  Stellung  ungleich  beneibenSmerther, 
als  bie  feines  föiöalen  Sluguft  III.,  ber  in  $olen  felbft  ohne  2Kad)t 
unb  2lnfef)en  unb  nach  2lußen  bcr  ©flaöe  föußlanbS  mar. 

9cad)  einer  neununbgmanjigja^rigen  fegenSreidjen  Regierung 
fanb  ber  öielgeörüfte  SeScinSfi  im  $Ütcr  öon  aajtunbaa^t^ig  fahren 
burd)  einen  Unfall  ben  Xob.  2lm  Kamine  fifcenb,  fam  er  bem  geuer 
$u  nahe;  bie  Rammen  ergriffen  feine  Leiber,  unb  er  erhielt  baburd) 
fo  fdjmere  Söranbmunben,  baß  er  benfelbcn  erlag.  (23.  gebr.  1766.) 

$er  $crjog  granj  (Stephan  öon  Sothringen ,  ber  (£nfel  jenes 
$arl  V.,  bcr  unter  ßeopolb  I.  fo  rufjmüotl  gegen  bie  Xürfen  ge* 
fämpft,  üermählte  fich  am  11.  Wpxii  1736  mit  #arlS  VI.  2od)ter 
9ftaria  X^erefia  unb  hielt,  nad)bem  baS  ihm  $uerfannte  GJroßher* 
äogthum  XoSfana  am  9.  3uli  1737  burd)  ben  Xob  beS  ©roßher* 
*ogS  Sodann  ÖJafton  feinen  legten  #errfd)er  aus  bem  ^ebieeifdjen 
Jpaufc  öertoreu,  am  20.  Qanuar  1737  mit  feiner  jugenblidjen  ©e* 
mahün  feinen  feierlichen  (Sinjug  in  glorenj.  23ic  Sothringen  unter 
(Stanislaus,  fo  erfreute  fidj  aua)  XoSfana  unter  feinem  neuen 
$errfd)er  einer  milben  unb  fegenSreidjen  Regierung. 

SRiemanb  hatte  ben  s2lbfd)luß  beS  SBtener  griebenS  mit  größerer 
33efriebigung  begrüßt ,  als  bcr  $rinj  (Sugen ,  ber  bei  ber  abfoluten 
finanziellen  £ilflofigfeit  bcS  ftaiferS  unb  beffen  nahezu  öoßftänbiger 
3folirung  in  einem  raffen  griebenSfchluß  baS  einzige  föettungS* 
mittel  für  bie  öfterreichifdje  Monarchie  erblicft  unb  für  biefelbe 
nodj  ©d)limmereS  als  ben  Eerluft  öon  Neapel  unb  ©icilien  be= 
fürchtet  hatte.  $ro|  feines  junehmenben  SöruftleibenS  fefcte  er  feine 
gefd)äftlid)e  Xt)ätigfeit  mit  unermüblidjem  <£tfer  fort,  unb  bcr  ®aifer 
faßte  auch  jejjt  nod)  feinen  entfeheibenben  (Sntfdjtuß,  ohne  beS  ^rin^en 
©utadjten  eingeholt  $u  haben.  $ie  te^te  Slngelegenheit,  bei  welcher 
(Eugen  als  9lathgeber  $arlS  mitgemirft,  mar  bie  i8ermäf)lung  SJcaria 
Xherefia'S,  $u  bereu  Söefchtcunigung  er  ben  faifer  bringenb  auf= 
geforbert ,  „bamit  allen  übrigen  33emcrbungen  ein  für  allemal  ein 


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320 


Haifa  ffari  VI. 


3ic(  gefefot  unb  baS  GJlücf  feiner  Xoc^ter  ,  fomie  bie  9tuc)e  feiner 
(Srblanbe  gefiebert  werbe."  (Sugen  felbft  überlebte  biefe  Berbinbung, 
burdj  njeldje  baS  £auS  ^pabsburg'ßothringen  begrünbet  tourbe, 
nur  um  furje  Qtit.  Sßachbem  mit  bem  herannahen  beS  5rüf)lingS 
fein  3uftonb  fich  merflich  ju  beffern  gefduenen ,  fanb  man  ihn  am 
borgen  beS  21.  9lpril  1736  tobt  in  feinem  Bette.  Sine  ßungen* 
lä^mung  Ijatte  feinem  ßeben  ein  (Snbe  gemacht,  unb  feine  ruhige 
Sage,  foroie  ber  milbe  ^uSbrudf  feines  ®eftchteS  befunbeten,  baß 
fein  Eingang  ein  fanfter  unb  fdjmerjlofer  gemefen. 

Sßrinj  (ämgen  oon  ©aüoijen  —  bon  griebrich  bem  Großen, 
ber  im  polnifchen  X^ronfotgerrieg  als  Bolontair  in  bem  preußtfehen 
9teichScontingente  eine  Qeit  lang  unter  ihm  gebient,  mit  Sftedjt  „ber 
Schufcgcift  DefterreidjS"  genannt  —  jäfylt  unftreitig  ju  ben  größten 
gelbfyerren  ber  SBeltgejchichte.  ©eine  ©chlachtpläne,  bie  er  inmitten 
beS  ^ampfgemühleS  je  nach  ben  Umftänben  trefflier)  ju  mobificiren 
mußte,  finb  mar)re  SJiciftcrftücfc  ber  föriegSfunft,  unb  ber  Genialität 
beS  SnthmrfS  entfpradj  bie  tufme  ©ntfchloffenheit  ber  Ausführung. 
$>abei  befaß  er  in  hohem  Grabe  baS  auch  Napoleon  I.  eigene 
Talent ,  bie  ©tegeSauoerficht ,  bie  ilm  felbft  erfüllte ,  auch  feinen 
©olbaten  einzuflößen,  }o  baß  fie,  unter  feiner  güfyrung  fict>  für  un* 
übernrinblicfj  ^altenb,  it)m  öotl  Begeiferung  folgten,  merfn  er  ftct> 
an  ihrer  ©pifce  mit  fühner  2obeSüerad)tung  mitten  in  baS  bidjtefte 
©chlachtgetümmel  ftürjte. 

2Wit  feinem  ungcmöhnlichen  gelbherrntalent  oerbanb  (Sugen 
auch  eine  feltcne  ftaatSmännifche  Begabung,  burch  welche  er  gleich- 
falls bem  Äaiferfjaufe  bie  nridjtigften  SMenfte  leiftete.  $)abei  mar 
er,  maS  höhe*  anjufchlagen  ift  als  aHeS  Rubere,  ein  burdwuS  ebler 
unb  hochherziger  2Jcenfch,  ber  bie  Pflicht  jur  einigen  9lic^tfd^nur 
feines  SebenS  nahm ,  bie  unbermeiblichen  SJrangfale  beS  SfriegeS  . 
nac^  Gräften  ju  milbern  fud)te  unb  mit  ebler  ©elbftoerleugnung 
ben  eigenen  Bortheil  gern  bem  2Bof)Ie  2lHer  jum  Dpfer  braute. 
2Bie  ferjr  er  fid)  aua)  in  feiner  ftaatSmännifcfjen  Xhätigfeit  öon 
allen  SHänfen  unb  biplomatifc^en  SBinfeljügen  fern  $ielt,  obgleich  er 
biefelben  bei  Slnbern  flar  burchichaute  unb  mit  Gefcf)icf  $u  oereiteln 
mußte,  bemeift  ber  SluSfpruch  BillarS  über  bie  Spaltung  beS  $rin$en 
bei  ben  9taftabter  Berhanblungen.  „Vichts  fyat  mir",  fo  fagt  er, 
„in  meinem  Seben  fo  oicle  Üttühc  gefoftet,  als  bie  SKeblichfeit  SugenS 
nicht  JU  bclctbigen ;  fein  ©harafter  flößt  3ebem  (S^rfurd^t  ein." 

(SugenS  aufrichtige  unb  tiefe  SReligiofität  bemährte  fich  ebenfo* 
mohl  in  ber  entjduebenen  Slnhänglichfeit  unb  Xreue,  bie  er  bei  aller 
3)ulbfamfeit  gegen  bie  Ueberjcugungen  AnberSgläubtger  fein  ganzes 
iieben  hinburch  feinem  fatholifdjen  (Glauben  bewahrte ,  als  in  ber 
gemiffenhafteften  Erfüllung  feiner  fird)lid)en  Pflichten.  „(Eugen 
lmßte",  fagt  ber  Qejuit  s#eifhart,  „bie  ilebertretung  ber  göttlichen 


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$er  polnifdje  Shronfolgefrieg.  321 

©ebote.  galfdje  fiehrgrünbe  unb  ©äfce  bcr  ©ottloftgfeit,  oon  melden 
fich  bie  ^cronrcifenbc  3«9^  in«gemein  anhauchen  lägt,  f)at  er 
oerachtet.  Smeier  geiftiidjcr  93ücf>er,  meiere  Oon  bcr  ©h*e  ©orte« 
unb  ben  Pflichten  be«  (^riften  hobeln,  bebiente  er  ficf>  foft  täglich, 
uttb  toer  mit  ihm  in  Angelegenheiten  ber  Religion  fprechen  rcoUte, 
fonb  ftet«  ein  geneigtes  ©ef)ör.  £cn  Gebrauch  ber  heiligen  ©afra* 
mente  ^at  er  $u  gebotener  Seit  niemal«  übergongen.  ©etoöhnlich 
mar,  noch  beoor  er  in«  gelb  sog,  bie  9(u8fö$nuttg  mit  ©ort  fcfjon 
öorgenommen,  obgleich  biefelbe  auch  mitten  im  .Kriege  nicht  unter* 
blieb.  Unb  fo  liefe  er  fich  benn  auch  noch  sroei  Süochen  üor  feinem 
Xobe  mit  ben  ^eiligen  ©aframenten  oerfefjen." 

211«  ein  eifriger  greunb  ber  ßünfte  unb  SBiffenfchaften  Oer* 
roanbte  ^rinj  ©ugen  einen  großen  Styeil  feiner  (Sinfünfte  unb  feines  ©er* 
mögen«  jur  Slnfammlnng  öon  Jhmftroerfen  unb  jur  Anlegung  einer 
äußerft  reichhaltigen  ©ibliothef,  beren  SBerfe  für  ihn  ber  ©egen* 
ftanb  be«  emfteften  ©tubium«  maren.  Sluch  ftanb  er  mit  ben  |er= 
öorragenbften  flünftlern  unb  ©elehrten  feiner  3eit  tt)eil«  in  perfön* 
liebem,  tffeil«  in  brieflichem  SBerfehr,  unb  fein  $au«  mar  ben 
Srägern  ber  ©Übung  jeberjeit  gaftfreunblich  geöffnet.  2Rit  Seibnifc, 
ben  er  roährenb  be«  legten  Aufenthalte«  be«felben  in  SBien  fennen 
unb  fct)äfeen  gelernt,  öerbanb  it)n  bte  innigfte  greunbfehaft,  bie  ihren 
9(u«brucf  in  einem  immer  reger  fich  geftaltenben  ©rieftoechfel  fonb. 
Qn  be«  ^rinaen  öertrauteften  greunben  gehörten  auch  ber  geiftreiche 
unb  funftfinnige  flarbinal  Alberto  Albani ,  ein  «Reffe  (Siemen«  XI. 
unb  in  noch  höhcr^  ©rabe  ber  $arbinal  25ominico  ^affionet,  ber 
ebenfo  gelehrte  al«  eifrige  ©orfämpfer  für  bie  fechte  ber  Strafe, 
ber  ol«  üäpftlicher  ©eöollmächtigter  ouf  ben  ßongreffen  öon  Utrecht 
unb  ©oben  fich  (Sugen«  öoUfte  Hochachtung  erworben  t>atte. 

©ei  aller  feiner  ©röße  mar  @ugen  öon  f eltener  ©efdjeibenheit 
unb  ftet«  geneigt,  ben  SBerbienften  Anberer  öolle  ©erect)tigfeit  hriber* 
fahren  ju  laffen.  „Sßiemal«  fyabt  ich",  fdjreibt  ber  franjöfifche 
Styrifer  Qean^aptifte  föouffeau,  ber,  au«  feinem  ©aterlanbe  Oer* 
bannt,  öon  (Sugen  mit  SBohlthaten  überhäuft  toorben  mar,  ihm  aber 
nicht«beftotoeniger  mit  Unbanf  lohnte,  „in  einem  Spanne  fooiel 
©röße  mit  fooiel  Einfachheit  oereinigt  gefet)en.  ©ein  Urtr>etl  ift 
öon  einer  rounberbaren  Sttichtigfett,  unb  in  Allem  ift  er  unterrichtet. 
@r  ift  ein  friegerifcher  ^ptjitofopr) ,  ber  feine  SBücbe  unb  feinen 
SRuhm  mit  ©leichgiltigfeit  betrachtet  unb  bie  gehler,  bie  er  gemacht 
hat,  mit  berfelben  Offenheit  erjählt,  al«  ob  oon  einem  Anberen  bie 
föebe  märe;  falt  bei  ber  erften  Begegnung,  äußerft  oertraulich  bei 
längerem  Umgange,  ein  weit  größerer  ©emunberer  ber  Xugenben 
Ruberer,  al«  feiner  eigenen." 


$olatoart$,  IWiflfHmf.  Vi. 


21 

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322 


ä  alfer  flarl  VI. 


Üaxtt  VI.  satter  Sfirfenlricg. 

(1737-1739.) 

» 

Üttit  bem  $>infcheiben  be«  ^rinjen  (Sugen  hotte  ber  öftcrrcidt)ifc^c 
©taot  fein  eigentliche«  leitenbe«  £>aupt  oerloren.  gortan  rourbe  ber 
roohlmeinenbe ,  ober  frembem  (Hinflug  aflju  jngängüc^e  $aifer  meift 
öon  üttiniftern  nnb  Generalen  geleitet,  bie  theil«  be«  richtigen  93er* 
ftänbniffe«  für  bie  Sage  ber  Xinge  entbehrten ,  theil«  ben  eigenen 
$ortheil  mehr  als  ben  be«  Staate«  im  Sluge  hotten.  Unglüdlicher* 
roeife  brachten  fie  ihn  auf  ben  Gebauten,  fich  burch  bie  SBethetligung 
an  bem  im  Qahre  1736  öon  SRufclanb  gegen  bie  Pforte  eröffneten 
Kriege  (f.  ©.  278)  für  bie  im  polmfdjen  it)ronfotgcfricfl  erlittenen 
SSerlufte  entfehäbigen.  211«  SSorroanb  $um  beginne  ber  geinb- 
feligfciten ,  ju  welchen  bie  Pforte  bie«mal  feinerlei  SBeranlaffung 
gegeben ,  rourbe  bie  feit  bem  polnischen  Xhronfolgefrieg  jroifchen 
Deftcrreich  unb  föufelanb  befteljcnbe  SlHianj  gebraucht,  traft  beren 
man  fid)  für  verpflichtet  erflärte,  an  bem  Kampfe  ber  93unbc«ge= 
noffen  Xfjcil  iu  nehmen. 

Sftachbem  am  9.  Januar  1737  ba«  öfterreichifch^ruffifche  33ünb* 
nif?  burch  ben  Gefanbtcn  be«  ftaifer«  in  Petersburg  mit  bejonberer 
^öe^ugnahme  auf  ben  öon  nun  an  gemeinfam  ju  führenben  $rieg 
gegen  bie  Xürfen  erneuert  roorben,  lieg  $arl  VI.  ber  Pforte  grie* 
benSbcbingungen  übermitteln,  in  welchen  er  für  Defterreich  foroohl 
nrie  für  Sftu&lanb  Gebietsabtretungen  verlangte ,  unb  ba  biefe  öon 
ber  Pforte  öerroeigert  würben,  erfolgte  im  Quli  1737  bie  ihieg«* 
erflärung  Defterreich«  au  ben  ©ultan.  3«  ber  gleichen  Qtit  rüdte 
ein  üftcrreidnfche«  $>eer  unter  bem  Grafen  ©edenborf,  einem  fränfifchen 
(Sbelmanne,  ber  fich  in  fädjfijchen  unb  faiferlichen  ftriegSbienften  ' 
herüorgethan  unb  fpäter  als  Gefanbter  ®arl«  VI.  am  £>ofe  ju 
Berlin  mit  großer  biplomatifcher  Geroanbtheit  bie  3ntereffen  Ocfter- 
reich«  üertreten  hotte,  in  bie  Söallachei  ein,  um  juuächft  bie  Seftung 
9ttffa  ju  erobern. 

$er  Anfang  bc«  Unternehmen«  fct)ien  glüdöerfprechenb ;  benn 
fdjon  am  2.  Sluguft  mu&te  fich  ^iffa  ergeben.  2lud)  ein  ©treifjug 
be«  Dberften  Sentuhi«  in  ba«  fübroeftücr)e  Serbien  hotte  guten 
Erfolg :  SRoöUöaffaf  rourbe  genommen ,  unb  bie  (£f)riften  ber  Um= 
gegenb  fchöpften  neue  Hoffnung  auf  bie  enbliche  Befreiung  öon  bem 
türfifchen  Qochc.  9lber  balb  roanbte  ba«  Glüd  ben  faiferlichen  ben 
föüden.  55ie  Xürfen  hotten  bebeutenbere  ©treitfräfte  aufgebracht, 
al«  man  in  SSicn  erwartet,  unb  fo  mißlang  ber  Angriff  ©eden* 
borf«  auf  Söibbin;  auch  Sentulu«  fonnte  fich  i«  ^n  öon  ihm  be= 
festen  GebietSftrichen  nicht  behaupten.  $a  man  in  SBieu  bie  *8e* 
fürchtung  ^egte ,  ba&  bie  Surfen  burch  Bosnien  in  ©teiermarf, 


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ÄarlS  VI.  jmcttcr  Xürfcnfrieg. 


323 


Äärntfjen  unb  Üxain  einbringen  möchten,  erhielt  Secfenborf  ©efel)l, 
fofort  jur  3)ecfung  ber  Sinie  an  ber  <Saöe  aufzubrechen.  2)ie  golge 
baöon  mar  ber  gall  öon  Niffa,  in  meinem  nur  eine  fcfjmache  Söe* 
fafcung  ^atte  prücfgelaffen  werben  fönnen.  211S  ber  ^afd)a  öon 
Numelien,  Sldjineb  Äöprili,  mit  einem  £>eere  öon  einmal^unbert- 
$manfttgtaufenb  äftaun  jur  SBiebereroberung  biefer  geftung  ^eran* 
rücfte,  üerlor  ber  Äommanbant  berfelben,  ber  ©ehmeijer  3)ojatf  fo 
fefjr  ben  Sfluth,  ba&  er  ber  Slufforberung  jur  (Ergebung  gegen  freien 
Slbjug  ber  Vefafcung  fofort  golge  leiftete.  (£r  würbe  bafür  öon 
einem  Kriegsgerichte  511m  $obe  öcrurtr)ei(t  unb  baS  Urt^eit  öom 
ßaifer  beftätigt.  2(ud)  gegen  ©cefenborf ,  ber  am  SSiener  £>ofe 
Zahlreiche  (Gegner  ^atte  f  mürbe  unter  ber  Anflöge  einer  mangelhaft 
ten  güfjrung  ein  gerichtliches  Verfahren  eingeleitet,  in  golge  beffen 
er  als  (befangener  auf  bie  geftung  ÖJrafo  abgeführt  mürbe. 

Qnbeffen  mar  ©ecfenborfS  Nachfolger  im  Oberbefehl,  ber  ®raf 
$önigSegg ,  im  gelbjuge  beS  Sahred  1738  nicht  glücflidjer.  (5r 
mußte  nicht  nur  bie  öon  ihm  eroberte  geftung  ÜJcefjabia  mieber 
räumen ,  fonbern  tonnte  auch  bit  ©innahme  öon  9teu*Drfoma  unb 
Semenbria  burch  bie  Xürfen  nicht  üerf)inbern  unb  far)  fich  genötigt, 
fich  bis  nach  Velgrab  zurücf zuziehen.  Äud)  er  mürbe  abberufen  unb 
baS  Äommanbo  bem  (trafen  SöalliS  übertragen.  Unter  biefem  neuen 
gelbherro  nahmen  bie  $)inge  eine  noch  fchlimmere  SSenbung.  (Sr 
erlitt  am  22.  Quli  1739  bei  ®rofcf  a  gegen  ben  ©roSüejier  eine 
fo  öoüftänbige  Nieberlage ,  baß  er  nichts  VeffereS  thun  zu  fönnen 
glaubte,  als  eitigft  einen  Unterhänbler  mit  griebenSanträgen  in  baS 
türfijche  Sager  ju  fenben.  tiefer  bot  bem  Öko&öezier  SBelgrab  als 
s$reiS  beS  ju  bemifligenben  griebenS  an,  unb  ber  ®raf  Neipperg, 
ben  ber  töaifer  auf  bie  Nachricht  öon  bem  bebenflichen  ©tanbe  ber 
$inge  fofort  mit  Vollmachten  p  griebcnSunterhanblungen  in  baS 
Sager  beS  (JJroBöejierS  entfanbt  hatte,  lieg  fich  burch  ben  2)rang  ber 
Umftänbe  bemegen ,  nicht  nur  btefeS  Anerbieten ,  öon  meinem  ber 
(ÄJroöoejier  nicht  mehr  abgehen  moUte,  aufrecht  ju  halten,  fonbern 
auch  mit  bemfelbcn  unter  ber  Vermittlung  beS  im  türfifchen  Sager 
anmefenben  fran^öfifchen  ®ejaubten  Villeneuoe,  ber  nicht  menig  baju 
beigetragen,  bie  Verlegenheiten  NeippergS  ju  üermehren,  einen  $rä* 
Uminarfrieben  abzufließen,  burch  mclchen  bie  geftungen  Velgrab 
unb  ©abaq  nebft  (Serbien,  ber  öfterreich ifchen  äßallachei  unb  ber 
3nfel  unb  geftung  Orfoma  ben  dürfen  juerfannt  mürben.  $a  ber 
öon  bem  Äaiferl)ofe  abgefanbte  Äurier,  ber  ben  Abjchluß  eines  über» 
eilten  griebenS  oerhinbern  follte,  nach  feinem  Eintreffen  im  öfter« 
reichijehen  Sager  öon  SöattiS  nach  Siebenbürgen  abgefertigt  morben  mar, 
famen  bie  3)epefchen  erft  in  NeippergS  £änbe,  nachbem  berjelbe  be* 
reitS  am  18.  (September  1739  ben  befinitiöen  gricbenSöertrag,  ben 
jogenannten  „grieben  öon  Velgrab,"  unterzeichnet  hatte.  $ie  ÖJrafen 

21* 


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324 


Äaifer  Statt  VI. 


fteipperg  unb  SBatliä  nmrben  jur  Strafe  tyreS  Verhaltens  ju 
längerer  geftungShaf  t  berurtheilt ;  aber  bie  fiänber,  bie  burdt)  SugenS 
©iege  bem  Äatfer  gewonnen  unb  burdj  ir)rc  llngefdjicftidjfett  in  bie 
#änbe  ber  dürfen  jurüefgebracht  morben,  blieben  für  Defterreidj 
oerloren. 

Xer  Ihimmer  über  ben  unglücflidjen  ©erlauf  biefea  Krieges 
nagte  an  $arl3  VI.  geben.  9cacf)  längerem  Sränfeln  ftarb  er  am 
20.  Oftober  1740  in  feinem  fedjSunbfünfjigften  SebenSjahre.  (5r 
mar  ein  milber,  roofjltuoHenber  Sürft  oon  feltener  lierjenägüte,  ba= 
bei  melfeitig  gebilbet  unb  toll  be«  beften  SBiflenä,  feinen  SRegenten-- 
pflid)ten  $u  genügen;  aber  ifnn  fehlte  bie  nötige  £errfd)erfrafi, 
unb  ber  mit  (Styre  unb  Xreue  fmelenben  ^olitif  beS  3ahrl)unberte 
mar  feine  flüchte  föedjtlicfjfeit  nicht  gemachten. 


Sa8  beutle  »et«  unter  Staxl  VI. 

Unter  ßarl  VI.  fanf  bie  £ai  ergematt  ju  noch  größerer  SBc* 
beutungäloflgfeit  fyxab,  als  unter  einen  beiben  Vorgängern.  $a$ 
SKetcf)  t)attc  fitt)  tfmtfächlich  aufgelöft  in  einen  ©taatenüerein  bon 
mehr  als  breifjunbert  ©liebern  —  größeren  unb  Heineren,  befcf)ränf= 
ten  unb  unbefchränften ,  geiftlidjen  unb  meltltchen  dürften  unb 
Herren  unb  einer  großen  3a^l  theilä  ariftofratifet) ,  tyetl*  bemofra* 
tifd)  conftituirter  ©tabtgemeinben  — ,  in  melden  ber  nationale  ©inn 
gänzlich  erftorben  mar  unb  bor  ben  Qntereffen  be3  ©injelnen  bie 
SRücffic^t  auf  baä  ©efammtmol)!  boüftänbig  in  ben  ^intergrunb  trat. 
Von  ber  früheren  ßaiferherrlichfeit  mar  nicht«  SlnbereS  übrig  ge* 
blieben ,  alä  bie  Sßrunfformen  ber  Krönung ,  bie  gteiet)  ben  Jörnt* 
lidjfciten  ber  ftaiferroaljl  genau  nad)  ben  Safcungcn  ber  golbeneit 
VuHe  beibehalten  mürben. 

SBäljrenb  bie  ®efammtfraft  ber  Nation  unb  mit  berfclben  bcS 
föcichcä  ©l)re  unb  Slnfe^en  ihrem  boüftänbigen  Verfalle  entgegen 
gingen,  metteiferten  bie  SReidjSfürften  in  bem  Vcftreben,  nicht  nur 
an  $)lad)t  unb  föegierungägemalt  $u  madjfen,  fonbern  auch  in  föang 
unb  liteln  fidj  ben  mädjttgjten  Potentaten  gleich  $u  ftellen  unb  an 
bracht  unb  ©fanj  beä  £offtaateä  einanber  ju  überbieten.  <$ür  bic 
meiften  berfelbcn  mar  ber  prunfooHe  $>ofhalt  Submigä  XIV.  9ttufter 
unb  Vorbilb  geworben,  unb  mit  ben  blenbenben  formen  unb  ber 
oerfdjmenbcrifdjen  Einrichtung  beä  £ofe3  oon  VcrfaiUcä  ^atte  auch 
ba£  an  bcmfelben  hcrrftf)cnbe  ©ittenöerberbniß  an  ben  bcutfdjeu 
#öfen  ©ingang  gefitnben. 

$er  glanjoollfte  unb  juglcich  ber  übpigfte  unter  ben  beutfehen 
5ürfteuf)öfcn  mar  ber  fächfifchc.  Schon  ber  fturfürft  Qohanu 
©eorg  II.  (1656—1680)  hatte  bura)  feine  prachtltebe  unb  «er» 


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2>a3  beutfäe  m$  unter  Äarl  VI.  325 

anügungSfudjt  feinem  ßanbe  bie  fd)merften  Saften  aufgebürbet,  unb 
fein  (ämfel  unb  jmeiter  Sftadjfolger  Qoljann  ©eorg  IV. 
(1691—1694)  mar  in  biefer  ©ejteljung  ganj  in  feine  Sufeftapfen 
getreten.  SBeit  fdjlimmer  jebodj  noa)  mürbe  eS  unter  bem  ©ruber 
unb  Stadjfolger  beS  fieberen,  Sluguft  II.  bem  Starfcn,  ber  niajt 
nur  burd)  feine  alles  9fla§  überfdjreitenbe  <ßrunffud)t  unb  $er= 
fdjmenbung  ben  ofmef)in  burdj  feine  Kriege  fdjmergefdjabigten  2Bol)l* 
ftanb  ©adjfenS  boUftänbig  ju  ®runbe  richtete ,  fonbern  audj  ftdt) 
felbft  unb  baS  ßanb  burd)  Sudlerinnen  befjerrfdjen  lieg,  an  meiere 
er  9KiHionen  öerfdjenfte,  mährenb  baS  SSolf  im  tiefften  (Slenbe 
fcufjte. 

$ie  gleite  Sßerfdjmenbung  ^errfa^te  an  bem  fädjfifdjen  $>ofe 
unter  5luguftS  II.  ©ofm  unb  *Rad)folger  21  u  g  u  ft  III. ,  ber  jinar 
feine  anbere  ßeibenfd)aft  fannte,  als  bie  Qagb,  aber  aus  ©eroohn* 
rjeit  feinem  SBater  in  bem  t»erfdjmenberifd)en  <ßnmt  ber  Hofhaltung 
itadjahmte  unb,  mie  biefer,  ungeheuere  (Summen  für  bie  2lnfamm= 
lung  öon  Ihmftfdjäfcen ,  mSbefonbere  foftbarer  (SJemälbe ,  berauS* 
gabte.  D^ne  jebmebe  GJeifteSfraft  unb  gclangmeilt  burcr)  alles,  maS 
bie  Regierung  feines  ßanbeS  betraf ,  überliefe  er  bie  Seitung  ber 
<StaatSgefd)äfte  öoUftänbig  feinem  ©ünftling ,  bem  trafen  $einridj 
t)on  ©  r  ü  h  l ,  ber  eS  meifterhaft  öerftanb,  feinen  £>errn  in  öoflftän* 
bigfter  Slbhängigfeit  oon  feinem  eigenen  SBiHen  unb  babei  $ugleid) 
in  bem  Sßalme  $u  erhalten,  bafe  er  2WeS  felbft  entfcr)eibe.  3n  ber 
tßrunffudjt  metteiferte  ber  allgemalrige  SRiniftcr  mit  feinem  £errn, 
unb  fein  $offtaat ,  ber  ungeheure  ©ummen  öerfchtang ,  blieb  an 
<3*lan$  faum  hinter  bem  föniglidjen  jurüd.  Stufeer  einer  Liener* 
fdjaft  öon  jmeihunbert  ^erfonen  unterhielt  er  eine  (£h*enmadje  öon 
Slbeligen,  bie  höh«  befolbet  waren,  als  bie  föniglia^en  Cammer* 
jitnfer,  unb  ber  SujuS  fetner  Xafel  mie  feiner  fjäuSlidjen  ^inrict)* 
tung  unb  feiner  SHetbung  äberftieg  alles  üftafe.  „SBriÜjl",  fagt 
Sricbrict)  ber  ©rofee,  „mar  ber  2tfann  biefeS  QahrhunbertS,  ber  bie 
meiften  Kleiber,  Uhren,  ©ptfcen,  ©tiefein,  @^u^e  unb  Pantoffeln 
Ijatte.  (£äfar  mürbe  ifm  ju  jenen  fdjön  frifirten  unb  parfümirten 
#öpfen  gewählt  fyabcn,  bie  er  nidjt  fürchtete."  $a  fein  ©ehalt  öon 
^meiunbfünfjigtaufenb  %$akxn  jur  ©eftreitung  feines  mafelofen  Stuf* 
manbeS  bei  SBeitem  nid)t  ausreiste,  liefe  er  fid)  oon  bem  Könige 
bie  reichten  ©efifcungen  fdjenfen  unb  flimmerte  fid)  menig  barum, 
bafe  baS  fianb  burdj  feine  SBerfdjmenbung  ju  ©runbe  gerietet  mürbe 
unb  bie  ©djulbenlaft  beS  ®urfürftenthumS  unter  feiner  SBermaltung 
auf  baS  günffadje  anmudjS. 

Sieben  bem  fächfifetjen  $ofe  tr>at  fid)  aud)  ber  baierifd&e  unter  bem 
ganj  an  3rantreidj  hingegebenen  föurfürften  9ttajtmtlian  @m* 
manuel  (1679—1726)  burd)  bie  Entfaltung  eines  maglofen  $run!eS 
l)croor.    2)er  $of,  ben  fid)  SKajimilian  Immanuel  als  Statthalter 


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326 


ÄQifcr  Äarl  VI. 


ber  Nieberlanbe  in  SBrüffcI  eingerichtet,  mar  ein  treues  STbbilb  bes 
franjofifc^cn,  unb  um  bie  Soften  beSfelbcn  aufjubringen,  mürbe  Katern 
eine  foft  unerfchmingliche  ©teuerlaft  aufgebürbet.  9luch  unter  2)car> 
milian  Emmanuels  ©ofm  unb  Nad)f olger  $arl  Ulbert  bem  nach* 
maligen  ftrifer  ®arl  VII.,  jäfjtte  ber  baierifdje  $of  ju  ben  glänjenb* 
ften  in  $eutfd)lanb  unb  trug  in  feinen  prunfoollen  geftlidtfeitcn 
ein  entfd)ieben  fransöfifdjeS  Gepräge. 

93on  ben  fteineren  beutfehen  gürftent)öfen  geigte  befonberS  ber 
toürttembergifchc  unter  bem  $erjog  Sber^arb  fiubmtg  (1693 
bis  1733)  unb  beffen  jmeitem  Nachfolger  #arl  (1737—1793), 
bem  ©of)ne  beS  jur  fatt)oIifcfjen  Kirche  übergetretenen  £>er$ogS  ®arl 
SUeranber,  ber  feinem  SBetter,  bem  finberloS  oerftorbenen  (£bert)arb 
Submig,  in  ber  Regierung  gefolgt,  neben  einem  bie  Gräfte  beS  San* 
beS  oerjehrenben  $runf  baS  traurige  SBilb  einer  großen  (£ntfitt= 
lidnmg;  boer)  flickte  ber  $>erjog  ®arl  in  feinen  legten  NegierungS* 
jähren  burdj  größere  ©parfamfeit  unb  eine  unwichtigere  ©taatSüer* 
maltung  ben  feinem  Sanbe  jugefügten  ©c^aben  möglidrft  gut  ju 
machen. 

Einen  roofjfthuenben  ©egenfafc  ju  ben  meiften  übrigen  üoüftän= 
big  franjöfirten  gürftenböfen  SeutfchlnnbS  bilbete  ber  $of  ju  28ien, 
ber  fich  toie  unter  fieopolb  I.,  fo  auch  unter  ®art  VI.  burdj  ©in» 
fachheit  unb  ©ittenreinheit  auszeichnete,  ®arl  VI.  hielt  jtoar  an 
bemfelben  bie  Etiquette  aufregt,  an  toelche  er  fich  ol$  ßönig  oon 
©panien  gemöfmt  hotte;  bodj  ließ  er  feinertei  fran^öfifcfje  Unfttte 
auffommen.  ©eine  SieblingSerhoIimgen  toaren  ©cheibenfehteßen, 
Sagb  unb  Eoncerte,  bei  meld)'  lefcteren  er,  felbft  ein  großer  Kenner 
ber  2Ruftf,  oft  perfönlid)  mitmirfte.  93ei  befonberS  feftlichen  ©e* 
legenheiten  entfaltete  jeboer)  auch  ber  $>of  §u  Söien  eine  mahrhaft 
faiferliche  bracht. 

Neben  bem  faiferlichen  $>ofe  jeichnete  fich  auch  °er  branben= 
burgifche  unter  bem  großen  #urfürftcn  burch  eine  mürbige  Haltung 
aus.  SlnberS  mürbe  es  aüerbingS,  jum  großen  Nadu^eü  bes  San* 
beS,  unter  griebrid)  SöilhelmS  ©ohn  unb  Nachfolger  griebrid), 
bem  erften  ßönig  Oon  Greußen,  unter  melchem  auch  ber  .frof  oon 
Berlin  einen  OöHig  franjöfiföcn  Wnftrich  erhielt,  ot)ne  baß  jeboch 
an  bemfelben  mit  ber  bracht  unb  ©itte  beS  $ofeS  oon  SßerfaiöeS 
auch  baS  franjöfifdje  ©ittenoerberben  ©ingang  fanb.  3u  melcher 
Einfachheit  bagegen  ber  preußifche  $>of  unter  griebrichs  I.  ©otju, 
griebrid)  SSilhelm  I.  jurüefgeführt  mürbe,  merben  mir 
fpäter  hören. 


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Italien  Dom  roeftfälifdjen  Rieben  bt3  in  bie  SRittc  bed  18.  3af)rf).  327 


XX. 

haften  vom  weftttttfQeu  Stieben  tos  in  bie  ?8itte  bes 

adStjeßnfen  ^aßrßuuoerts. 

Sic  $a>jle  *on  1655-1758. 

5)lac^  bem  Sobe  3mtocena'  X.  (f.  93.  V.  @.  665)  öerabgerte 
ftdj  bie  2Bteberbefe&ung  be£  ^apftlid^en  ©tuhleä,  in  Solge  beä  öon 
bem  Äaifer  foroie  öon  bem  ®önig  öon  ©pauien  erhobenen  Wn* 
fprua)3  auf  baä  nirgenba  urfunblich  jugeftanbene  SRedjt  ber  „(£rriu* 
ftöe",  b.  f>.  ber  Sluäfchlicfcung  einer  ilmen  mißliebigen  ^erfönlichfcit 
öon  ber  ^apftmahl,  bis  $um  7.  Slprit  1655,  an  mcldjcm  Xage  ber 
Äarbinal  gabio  CShigi  öon  ©iena  aU  5llejanber  VII.  ben  papft* 
liefen  $f)ron  beftieg.  $a  feine  mohlbefannte  2Bei3f)eit,  grimmig* 
feit  unb  (Einfachheit  $u  ben  beften  Hoffnungen  für  fein  ^ontififat 
berechtigten,  mürbe  feine  3öaf)l  öon  ben  Römern  mit  Subel  begrü&t. 
3n  ber  Sfjat  rechtfertigte  ber  Anfang  feiner  Regierung  öoüftänbig 
bie  öon  berfelben  gehegten  ©rmartungen :  er  lieg  feinen  feiner  9ccpo* 
ten  noch  9tom  fommen  unb  traf  öieie  treffliche  Mnorbnungen.  s2tf$ 
ihm  jeboa)  öon  üerfchiebenen  Seiten  öorgeftellt  mürbe,  bafj  er  in 
atti&heüigfeiten  mit  bem  toSfanifchen  $ofe  gerathen  fönne,  menn  er 
feine  SSermaabten  aU  einfache  Surger  in  ©iena  leben  laffe,  unb 
bafc  überbieä  bie  fremben  ©efanbten  grö&ereä  Vertrauen  in  einen 
SRinifter  fefcen  mürben,  melier  ber  gamilie  beä  ^apfteS  angehöre, 
berief  er,  nacf}bem  baS  (Sonfiftorium  feine  grage,  ob  er  fich  feiner 
SBermanbten  jum  2)ienfte  beä  aöoftolifchen  ©tufjleä  bebienen  bürfe, 
bejaht  hatte,  feinen  ©ruber  Sflario  mit  beffen  Sohn  glaöio  nach 
Mom  unb  übertrug  bem  (Srfteren  ben  Oberbefehl  über  bie  päpftUcfjen 
Xruppen,  mährenb  er  ben  Sefeteren  junt  ftarbinal  erhob,  ohne  ihm 
jeboch  einen  afl$u  großen  Einfluß  einzuräumen.  (Sin  anberer  feiner 
Neffen,  toguftin  @^tgi,  mürbe  mit  einer  farnefifchen  *ßrin5e|fin 
öermähtt,  unb  ©iena,  bie  SBaterftabt  beä  Sßapfteä,  erhielt  jahlreiche 
©unftbejeigungen. 

SBelche  fchmeren  Unbüben  SUeranber  VII.  öon  Öubroig  XIV. 
$u  erbulben  hatte,  t)a&cn  ^ir  oben  (©.  62  u.  f.)  ge)et)en.  ©inen 
Sichtblicf  feines  $ontififatft  bilbete  ber  Uebertritt  ber  Königin 
©hripine  öon  ©chmeben  jur  fatholifchen  Kirche  (f.  33.  V.  ©.  673). 

$er  Nachfolger  Süeranberä  VII.  mar  ber  ©taatäfefretär  3uliuä 
ftofpigltoft,  melier  am  20.  3uni  1667  „ati  ber  befte,  gütigfte 
SKann,  ber  fia)  nur  finben  laffe,"  auf  ben  päpftlichen  Xhron  crf)o= 
beti  mürbe  unb  ben  tarnen  Siemen«  IX.  annahm,  ©leid)  feinem 
Sßorgänger  bichterifch  begabt  unb  fenntnijjreich,  mar  er  ntchtabefto* 


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328  stalten  Dom  toeftfftlifc&cn  grieben  bi*  in  bie  Witte  be«  18.  3ahrh. 

weniger  äußerft  beweiben,  in  allen  fingen  gemäßigt  unb  babei  oon 
groger  ©tttenftrenge.  Söäljrenb  er  feinen  eigenen  SSerwanbten  feine 
befonberen  SBergünftigungen  ju  werben  lieg,  bemied  er  ben 
SBerwanbten  feine*  Vorgänger*  große*  SBohltoollen.  Obgleich  er 
nach  allen  ©eiten  f)in  SSofyUfyaten  fpenbete  unb  bie  Söenetianer  in 
ihrem  Kriege  gegen  bie  Xürfen  (f.  58.  V.  6.  668)  mit  großen  ©elb* 
fummen  unterftüfcte,  gelang  e*  ihm  burdj  weife  ©parfamfett  für 
ftd)  felbft  toie  für  ben  ®taat*hau*halt,  bem  unter  feinem  Sorganger 
in  Verfall  geratenen  Sinanjwefen  be*  $irchenftaate*  wieber  auf* 
$uljelfen.  ßr  Oermittelte  im  3at)re  1668  ben  ^rieben  üon  dachen 
jwifchen  Spanien  unb  granfreich  unb  fudjte  Subwig  XIV.  oon 
feinen  <£roberung*plänen  abzubringen,  ©roße*  SBcrbicnft  erwarb  er 
fid>  um  bie  auswärtigen  2Jciffionen,  in*oefonbere  auch  baburch,  baß 
er  ben  TOfftonären  alle  £anbel*gefchäfte  oerbot.  5)er  ©chmerj  über 
ben  unglücklichen  ©erlauf  be*  oenetianifcfctürftfchcn  Krieges,  burch 
welken  $anbia  ber  djriftlidjen  #errfchaft  entriffen  würbe,  befehlen* 
nigte  feinen  Xob.  ©r  ftarb  am  9.  $e$ember  1669,  im  &lter  oon 
ueununbfedjjig  Sauren. 

Nach  fünfmonatiger  (ährlebigung  be*  päpftlichen  (Stuhle*  be* 
ftieg  benfelben  ber  achtzigjährige  Gemittan  zitiert  al*  Siemen*  X. 
(1670—1676).  ©ei  feinem  hohen  «Iter  mußte  feine  Xf)ätigfeit 
eine  befchränfte  bleiben;  bodj  trat  er  ben  oielfadjen  $lu*fchreitungen 
fiubwig*  XIV.  mit  ©ntfehiebenhett  entgegen,  unterftüfcte  bie  $olen 
in  it)ren  dampfen  gegen  bie  Xürfen  unb  erwarb  ftch  bie  Siebe  feiner 
Untertanen  burch  feine  ÖJerechtigleit  unb  Sttilbe. 

2(uf  (Siemen*  X.  folgte  am  21.  September  1676  ber  eble 
föarbinal  Dbe*caldji  au*  (£omo  al*  3«nocenj  XI.  ©od  (Sfifer 
für  bie  Erfüllung  feiner  hohen  SßfCic^ten,  wachte  er  in*befonbere  über 
bie  ©tttenreinheit  be*  #leru*,  ging  bei  ber  Vefefcung  ber  geiftlicfjen 
©teilen  mit  ber  größten  Vorficht  ju  SBerfe  unb  erließ  üiele  tyiU 
famen  SBerorbnungen.  ©eine*  Äonjttfte*  mit  ßubwig  XIV.  wegen 
ber  gaHifanifdjen  Slrtifel  unb  be*  bom  $apfte  abgerafften  Slfülrecht* 
ber  &efanbtfdjaft*quartiere  in  9iom  haben  wir  oben  (©.  97  unb  99) 
ausführlich  gebaut.  $)a*  benfwürbige  (Shreigniß  au*  feinem  Sßonti* 
fifat  war  ber  glorreiche  ©ieg  ber  chriftltchen  SBaffen  ü6er  ba* 
türfifche  93elagerung*r)eer  üor  ben  üttauem  oon  SBien,  ju  beffeu 
Herbeiführung  er  felbft  burch  bie  Vermittlung  be*  ©ünbniffe*  ßeo* 
polb*  I.  mit  bem  helbenmüthigen  ©obte*fi  fo  wefentlich  mitgewirft. 
Von  bem  römifchen  Volfe  wie  ein  ^eiliger  oerehrt  unb  felbft  oon 
ben  öroteftantifchen  #öfen  hochgeachtet,  ftarb  Snnocenj  XL,  nach 
einem  breijehnjahrigen  reich  gefegneten  ^ontififate,  am  10.  2Iu* 
guft  1689. 

3nnocenj'  XI.  Nachfolger,  ber  hochbetagte  $arbinal  tßictro 
Dttoboni  au*  Venebig,  ber  ben  Namen  Sllejanber  VIII.  an* 


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Sie  ^äpftc  öon  1655-1758. 


329 


nahm,  leitete  bie  Angelegenheiten  ber  Kirdje  nur  jwei  3at)re 
(1689—1691),  wät)renb  Welver  er  bie  ©Bulben  be3  ßirchenftaote« 
berminberte,  bie  ©ibtiothef  ber  öerftorbenen  Königin  (Ehriftine  öon 
Schweben  für  ben  SBatifan  erwarb,  feine  Eaterftabt  in  bem  Kriege 
gegen  bie  Surfen  mit  bebeutenben  ©ubftbien  unterftüfcte  unb  öon 
granfreid)  eine  theilweife  ©enugthuung  für  bie  bem  apoftoftfdjen 
<Btu\)l  zugefügten  öeleibigungen  erlangte. 

Stach  bem  lobe  Stteranber«  VIII.  (1691)  würbe  ber  Karbinal 
STnton  Sßignateffi  au«  ber  3amilie  ber  ^erjoge  öon  ÜKonte  Öeone 
atö  gnnocenj  XII.  auf  ben  päpftiiehen  Stuhl  erhoben,  ©ütig, 
teutfelig,  Wohltätig  unb  fparfam  wie  Snnocenj  XI.,  ben  er  fleh 
$um  SBorbilb  genommen,  mar  er  gleich  biefem  ein  entfehiebener 
(Gegner  be«  9lepoti«mu«,  gegen  welchen  er  eine  eigene,  mit  ben  Kar« 
binälen  vereinbarte  Suffe  erlieg.  Sfadj  bem  bamal«  nod)  in  föom 
wie  in  "btelen  anberen  europäifchen  Staaten  beftehenben  @ebraudt)e 
be«  SSerfauf«  ber  Remter  machte  er  ein  (Snbe  unb  gab  ben  Käufern 
ben  Kaufpreis  jurücf.  3)urch  feine  öäterliche  gürforge  für  SIrme 
unb  SBaifen,  fottrie  burd)  ben  ©rtaß  öieler  trefflichen  ®e)efce  für  bie 
$ered)tigfcit«pftege  unb  ba«  9krwattung«wefen  würbe  er  ber  befon= 
bere  Sß3ol)Itf»ätcr  be«  Kirch  enftaate«.  3)a§  unter  ihm  bie  Surücfnafjme 
ber  gciflifanifchen  S3cfc^Iüffc  burd)  ßubwig  XIV.  unb  bie  Untermer- 
fung  ber  miberrec^tltc^  erwählten  franko  filmen  ©ifdjöfe  unter  bie 
Autorität  ber  Kirche  erfolgte,  \)aben  Wir  bereit«  oben  (S.  98)  ge= 
fehen.  $a  bie  grieben«fchlüffe  öon  8ty«wid  unb  Karlowifc  ber  euro- 
pätfehen  SBett,  wenn  auch  nur  auf  furje  ben  grieben  jurüd* 
gegeben,  tonnte  Qfnnocenj  XII.  ba«  grofje  Jubiläum  öon  1700  an* 
fünbigen,  $u  welchem  unzählige  Sßilger  herbeiftrömten.  Söäfyrenb  ber 
^auer  be«felben  ftarb  ber  fünfunbachtjigjährige  $apft  am  27.  ©ep= 
tember,  tief  betrauert  öon  ber  ganzen  ©fjriftenheit. 

5)er  Nachfolger  Snnocenj*  XIL,  granj  Älbant,  ein  gelehrter 
$he°I°9e  u^b  eifriger  $rebiger,  ber  ben  tarnen  Siemens  XI. 
annahm,  trat  ganj  in  bie  gufcfiapfen  feine«  Vorgänger«,  beffen 
Ißertrauen  er  in  h°§em  ®*öbe  genoffen  l)atte.  2tf«  £'ird)enfürft 
wanbte  er  feine  gürforge  ganj  befonber«  ber  £>ebung  ber  SDftffionen, 
ber  Steinerhaltung  be«  ©lauben«  unb  ber  SBahrung  ber  fechte  be« 
apoftolifchen  ©ruhte«  ju.  3ft  ba«  $ontififat  (Siemen«'  XI.  fielen, 
auger  ber  (£rhc&lU!9  Greußen«  ju  einem  Königreich,  gegen  welche 
er  öergeben«  proteftirte  (f.  @.  82),  ber  fpanifche  (Erbfolgefrieg  unb 
ber  erfte  Xürfenfrieg  Karl«  VI.  $a&  er  in  bem  lefcteren,  für 
welchen  er  ba«  regfte  Qntereffe  an  ben  Xag  legte,  ben  Katfer  burch 
bie  Ueberlaffung  eine«  Sheitc^  be«  Kirchenjehnten  in  ben  öfter- 
reichifchen  Sanben  unterftüjjte,  würbe  bereit«  mügetheilt.  SDa  er  in 
bem  Kampfe  ?ßhiKpl>3  V.  unD  Karl«  III.  um  ba«  fpanifche  @rbe 
beiben  Ihc^cn  gerecht  $u  werben  fuchte,  würbe  er  öon  granfretdj 


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330   Italien  Dom  meftfältfäcn  Uneben  bis  in  bic  Witte  beS  18.  3a^. 

tüte  oon  ßefterreidj  als  gctnb  angefefjen  unb  ber  $irdjenftaat  burd* 
bnö  oftcirrcidjifd&c  £>eer ,  baS  nad)  ber  Sdjladjt  bei  £urin  unter 
$aun  jur  Eroberung  Neapel*  aussog,  auf  53efcf)I  ®aifer  Sofcp^  I. 
mit  ferneren  93ebriitfuna.cn  f>eimgefua)t.  9ladjbem  if)n  fcerßaifer  im 
3afjre  1709  ju  einem  Vertrage  gejmungen,  in  meinem  er  ftarl  III. 
als  ®ünig  oon  Spanien  anerfannte ,  oerbot  ^ß^itipp  V.  aücn  $er* 
fefjr  Spanien«  mit  9fom,  bertrieb  ben  päpftlidjen  SfcuntiuS  aus 
SNabrib  unb  fperrte  beffen  Xribunal. 

2lud)  in  Stalten  felbft  ^atte  ber  otelgeprüfte  *ßapft  fernere 
kämpfe  ju  beftefjen.  £er  £er$og  Victor  SlmabeuS  II.  oon  Sa= 
oouen,  ber  burdj  ben  Utredfter  grieben  $ömg  öon  Sictlien  geworben, 
erlaubte  fidj  fo  melfaaje  Eingriffe  in  bie  föeajte  ber  ttrdje  unb 
naf)nt  gegen  ben  $lernS  eine  fo  fetnblidje  Haltung  an,  ba&  Sie* 
mens  XI.  über  baS  ®öntgreta)  Sictlien,  beffen  ©eoölferuna  ftdj  nur 
gejtoungen  ber  faoomfajen  £>errjd)aft  gefügt,  baS  3nteAi(t  Oer* 
Ijängte.  *TCad)bem  Sicilien  burd)  ben  griebenSbrudj  Sllberoni'S  unter 
bie  £>errfd)aft  Spaniens  gefommen,  mürbe,  nadj  borauSgegangenen 
Unterf>anblungen  beS  fpantfäen  §ofeS  mit  bem  päpftlid)en  Stuhle, 
baS  Qnterbift  aufgehoben,  bod)  bauerte  ber  Streit  mit  Victor  $lma= 
beuS  fort.  SBäfjrenb  über  bie  ^Beilegung  beSfetben  unterljanbelt 
nmrbc,  ftarb  Siemens  XI.  am  19.  gflärj  1721  im  Hilter  bon  jmeU 
unbfiebjig  3af>ren ,  nadjbem  er  in  feinem  bielbemegten  ^ontiftfate 
faft  unauSgefefct  ben  Sdjmerj  gehabt,  bie  Sftedjte  beS  apoftolifd)en 
Stüdes ,  für  meldje  er  f>od)|erjtg  gefämpft ,  bon  allen  Seiten  Oer* 
fürst  unb  beinahe  alle  feine  Stritte  oon  ben  tocltltajen  3Häd)ten, 
bie,  unbefümmert  um  bie  föedjte  ber  ßirdje,  nur  ifjrcn  eigenen  &or* 
t^eil  oerfolgten,  mtbbeutet  unb  angefeinbet  ju  fe^en. 

3um  ftadtfolger  Siemens'  XI.  mürbe  ber  ftarbinat  Sttidjael 
2lngelo  Sonti  aus  einer  oorneljmen  römtfdjen  Samilie  ermäfjlt,  ber 
unter  bem  tarnen  3  n  n  o  c  e  n  5  XIII.  ntdjt  oolle  brei  3af)re 
(1721-1724)  ben  päpftltdjen  Stubl  inne  r)atte.  SSäfjrenb  feines 
furjen  <ßonttftfatS  mürben  bie  3ted)te  ber  ßirc&e  btelfad>  beriefet, 
inSbefonbere  buref)  bie  Uebertragung  ber  £erjogtf)ümer  ^arrna  unb 
$iacen$a  an  ben  fpanifa)en  Qnfanten  Barlos,  mobei  oon  ber  ur* 
alten  papftüdjen  DberlefjcnStyerrlidjfeit  (einerlei  Sßotij  genommen 
mürbe.  2>aS  2Bol)l  ber  fttrdje  förberte  Snnocenj  XIII.  burd)  bicl* 
faaje  f>eilfame  SBerorbnungen.  ©ro&en  Kummer  bereitete  if)m  bie 
gebieterifaje  gorberung  beS  franjöfifdjen  «fjofeS,  bem  unmürbigen  2lbb<5 
$uboiS  ben  Purpur  ju  berleüjen,  unb  nur  gelungen  unb  unter 
Xfjränen  unterjeiajncte  er  beffen  Ernennung  311m  $arbinal. 

2luf  Snnocenj  XIII.  folgte  am  29.  3ttai  ber  gelehrte ,  bem 
$omintfanerorben  angcfjörige  Äarbinal  ötncenj  9ftaria  Orfini  als 
©enebift  XIII.  Dbgleidj  fein  <£ifer  oor  2Iüem  ben  hra^li^en  21^ 
gelegenl)eiten  unb  inSbefonbere  ber  Hebung  beS  geiftlta^en  StanbeS 


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S>ie  Jfipftc  öon  1655-1758. 


331 


unb  bcr  wiffenfdjaftlid)en  Seftrebungen  beSfelben  galt,  berfäumte  er 
nid)t,  §anbel  unb  Qnbuftrie  im  #irdjenftaate  förbern.  Sludj  war 
er  bemüht,  mit  ben  oerfduebenen  £>öfen  ein  gutes  ©inüernefjmen 
herstellen,  wobei  er  jebod)  ben  9fti6griff  beging,  bem  oon  if>m  jum 
ftarbinal  erhobenen  unmürbigen  flhfolauS  (EoScta  bei  ben  mit  ben* 
felben  geführten  Unterfjanblungen  aflju  freie  £anb  ju  laffen,  wobura) 
ben  welttidjen  üftädjten  meljr  bewilligt  ttmrbe,  als  mit  ben  ^ntereffeu 
ber  ^irc^c  berträgltdj  war.  *Ria)tSbeftoweniger  erfuhr  ber  *ßapft  oon 
ben  meiften  £>öfen  nichts  als  ßtänfungen. 

ftad)  bem  £obe  öenebifts  XIII.  (21.  gebruar  1730)  wägten 
bie  #arbinale  ben  fünfunbftebjigja^rigen  ßoren$  (£orfini  aus  glo= 
renj,  ber  ben  tarnen  (Siemens  XII.  annahm  wnb  wäf>renb  feinet 
$ef)njäljrigen  <ßontififatS  feines  fjofjen  SlmteS  in  würbiger  SEBeife 
waltete.  3n  richtiger  (Srfenntnifj  ber  (Gefahren,  welche  ber  ju  $ln* 
fang  beS  adjtjefmten  QaWunbertS  in  ©nglanb  entftanbene  gret* 
maurerorbeninft^  barg,  oerbot  er  im  Saljre  1738  bei  Strafe 
beS  Sannes  ben  eintritt  in  benfelben.  SKitten  unter  ferneren  ©or* 
gen,  bie  if>m  buraj  geinbfeligteiten  oon  ©eiten  ©panienS  unb  ©ar* 
binienS  bereitet  tourben,  ftarb  (Siemens  XII.  im  gebruar  1740,  im 
Süter  Oon  adjtjig  Sauren. 

9laä)  einem  fedjSmonatlidjen  ©onclaoe  Würbe  am  17.  Sluguft 
1740  ber  fünfunbfet^jigjä^rige  Äarbinat  ^roäper  fiorenj  Samber* 
ttni  als  Senebift  XIV.  auf  ben  päpftlidjen  ©tuf)l  erhoben.  2IuS* 
gejeidjnet  burd)  eine  ebenfo  grünblidje  als  umfaffenbe  ©elefjrfamfeit, 
förberte  Senebift  XIV.  bie  Söiffenfdjaften,  tljeilS  burd)  eigene  SSerfe, 
tljeilS  burd)  bie  (Srriajtung  mehrerer  geteerten  ÖJefeKf djaften,  fowte 
burd)  bie  Anregung,  bie  er  $u  $af)lreidjen  fdjriftfteüerifdjen  Arbeiten 
gab.  SefonberS  groß  war  er  als  firdjlidjer  (Sefefogeber.  ©eine 
Süden  waren  oft  gelehrte  $lb(janblungen ;  aber  U)r  ^nfjalt  jeugte 
Oon  f)oljer  Umfidjt  unb  SSeiSljeit.  S)en  erfdjöpften  ginanjen  beS 
fiHrdjenftaateS  fudjte  er  ljauptfädjlidj  burd)  große  ©parfamfeit  auf- 
jufjelfen ;  aud)  trug  er  ©orge  für  bie  $ebung  beS  SlrferbaueS  unb 
ber  Qnbuftrie,  fowie  für  bie  Sefdjränfung  beS  ßuruS  unb  für  eine 
geeignetere  Drganifation  ber  $8ef)örben.  Son  ber  Ueberjeugung  aus* 
geljenb,  bafj  ber  ©treit  jwifdjen  ber  geiftltdjen  unb  weltüdjen  ©ewalt 
nur  ben  geinben  ber  Religion  (Gewinn  bringe,  glaubte  ©enebift  XIV. 
in  feinen  93e$iefwngen  ju  ben  weltlichen  SQiöc^tcn  bis  an  bie  au&erfte 
©ren^e  ber  Sugeftänbniffe  getjen  ju  müffen ;  aber  wenn  eS  iljm  aud) 
babura)  gelang,  mit  ben  in  ifjren  gorberungen  immer  weiter  ge= 
f)enben  £öfen  einen  jeitwciligen  grieben  tyerbeijufüfjren ,  fo  würben 
boef)  burd)  bie  bielfa<|en,  nur  für  ben  $lugenblicf  beregneten  XranS- 
aftionen  bie  obfd)webenben  3)ifferenjen  nidjt  bauernb  befeitigt,  unb 
bie  oft  ju  weit  getriebene  9>tad)giebigfeit  beS  päpftlidjen  ©tuljleS 
biente  nur  baju,  bie  auf  bie  förmliche  Unterjod)ung  beS  firdjlid)en 


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332   Qtalicn  Dom  lueftfälifdjen  ^rieben  bis  in  bie  Witte  beS  18.  3ahrt). 

Gebiete«  auSgehenbe  weltliche  Wlafy  $u  immer  fühnerem  Auftreten 
$u  ermutigen. 

2(uf  ben  SBnnfch  mehrerer  fatholifchen  ^Regierungen  öermin» 
berte  SBenebift  XIV.  bie  Safjl  ber  firdjUchen  Sfefttage.  35en  3ürft* 
abt  öon  gulba  erhob  er  im  3a^rc  1752  5um  Öifdjof.  (5r  mar  ber 
erfte  ^ßapft  r  ber  baS  preufjifdje  ftömgtlntm  anerfannte  unb  in  fpä* 
tcren  (Srlaffen  ben  preußifchen  ©ouüerän  als  fönigliche  SJcajeftat 
bezeichnete.  3)er  tefcte  (Srtafj  öenebifts  XIV.  mar  ein  93reöe  öom 
1.  Slpril  1758,  in  welchem  er,  bem  fich  gegen  bie  Sefuiten  öorbe* 
reitenben  ©türme  nacfjgcbenb ,  eine  SBifitation  ber  Kollegien  unb 
übrigen  Käufer  beS  DrbenS  in  Portugal  anorbnete.  ©inen  Sftonat 
föäter,  am  3.  3Jcai  1758,  ftarb  ber  gefeierte  Sßaoft  im  Sllter  öon 
bretmtbaa)tjig  Sauren. 


%ozlana,  ©aöogcn,  ajenebig  unb  ©cnua. 

Söäfjrenb  fich  %  o  S  f  a  n  a  unter  ber  Regierung  SoSmo'S  II.  unb 
SerbinanbS  II.  (f.  S3b.  V.  ©.  665)  noch  auf  ber  #öl)e  beS  fünft* 
lerifdjen  unb  roiffenfdjaftttdjen  iRuhmcS  erhalten  hatte,  $u  meldjem 
eS  fett  ben  erften  gelten  ber  SJcebiceer  emoorgeftiegen,  fanf  eS  unter 
SerbinanbS  ©ohn  unb  Nachfolger  ßoSmo  III.  (1670—1723) 
gänzlich  öon  berfelben  herab,  unb  ba  (£oSmo  fein  anbereS  ©treben 
fannte,  als  fich  in  ber  @unft  SubmigS  XIV.  ju  erhalten  unb  an 
bem  §ofe  öon  Sforenj  bie  bracht  unb  öerfa^menbung  öon  SBerfaifleS 
nachzuahmen,  öerfdjmanb  mit  ber  geiftigen  SBebeutfamfeit  feines  ©rofc 
herjogthumS  jugleich  ber  lefcte  SReft  feines  ©influffeS  auf  bie  83er* 
hältniffc  ber  £albinfet.  9ÜS  mit  GoSmo'S  III.  ©ofm  Sodann 
©afton  im  Qafjre  1737  baS  $auS  ber  üttebieeer  auSftarb,  befanb 
fich  baS  £anb  in  bem  3«Panbe  äu&erfter  @rfd)ööfung  unb  3errüt* 
tung.  @rft  unter  granj  öon  Sothringen  unb  beffen  jmeitem  ©ohne 
2  e  o  p  o  I  b,  ber  nad)  bem  Xobe  feines  SkterS  baS  ©ro&her jogthum 
SoSfana  als  eine  öon  Deftcrreidj  getrennte  „©ecunbogenitur"  er= 
^ielt,  fe^rten  für  baSfelbe  befferc  Reiten  jurütf. 

SBie  SoSfana  unter  GoSmo  III.  öon  SDcebici,  fo  mar  auch 
©aüotjen  feit  bem  ötyrenäifchen  Srieben  ganj  an  baS  franjöfifche 
Sntereffe  gefettet,  bis  ber  ©erjog  öictor  toabeuS  IL  (1675  bis 
1730)  fidj,  junächft  im  britten  (SroberungSfriege  SubmigS  XIV.  unb 
föäter  im  föanifchen  (Srbfofgefriege,  aufs  Neue  an  bie  (Gegner  granf* 
reichS  anfdjto&.  Victor  StmabeuS ,  ber ,  mie  mir  oben  gefehen ,  im 
Utrea)ter  ^rieben  ©icilien  mit  ber  ftönigSmürbe  erhalten,  im  3ahre 
1718  jeboch  genöthtgt  roorben,  biefeS  fianb  gegen  ©arbinien  an  ben 
flaifer  abzutreten,  unb  feitbem  als  Victor  SlmabeuS  I.  ben  Xitel 
eines  Königs  öon  ©arbinien  führte,  gab  feinem  Sanbe  eine  ftreng 


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XoSfona,  ©aöo^cn,  SSenebig  unb  ©enua.  333 


müitarifdje  (Einrichtung,  mobei  ihm  bie  be*  üreufjifchcn  Staate*  jum 
SBorbilbe  Diente,  unb  legte  im  ©eptember  1730  bie  Regierung  ju 
fünften  feine*  ©ohne*  #arl  (Emmanuel  nieber.  211*  er  im  folgen* 
ben  3afjre  bie  STbfidjt  ju  erfennen  gab ,  ben  %fjton  nrieber  ju  be= 
fteigen ,  mürbe  er  auf  ©efefjl  feine*  ©offne*  üerfmftet  imb  auf  ba* 
Schlo§  Hiüoli  gebracht,  too  er  bi*  ju  feinem  £obe  (1732)  al* 
(Staatsgefangener  lebte. 

flarl  (Emmanuel  I.  (1730-1773)  ftellte  bie  TOlitärfraft 
feine*  Sanbe* ,  ba*  er  im  3ntereffe  feiner  friegerifdjen  Smecfe  mit 
ben  fdjmerften  Abgaben  brüefte,  in  ben  $ienft  frember  SÜcächte,  mo- 
bei  er  oft ,  ber  <ßolitü  feiner  ^eit  Qttxtn ,  mitten  im  Kampfe  bie 
*Bunbe*genoffenfchaft  mechfelte,  menn  ber  s2lnfchlu&  an  ben  ©egner 
größere  SBort^eile  in  2lu*fia}t  fteflte. 

58 e nebig,  ba*  burdj  ben  unglücf liefen  Verlauf  feine*  üier* 
unbamanjigjä^rigen  Eürfenfriege*  bie  3nfel  ftanbta  üerloren  (f. 
93b.  V.  8.  667),  fanb  al*  öunbe*genoffe  ftaifer  ßeopolb*  in  beffen 
im  3a^re  1783  abgebrochenem  Xürfenrriege  für  biefen  fdjmer  em= 
pfunbenen  SBerlujt  einen  (Erfafc  burd)  bie  (Eroberung  ber  £albinfel 
SJcorea,  bie  burd)  ben  früheren  ^elbenmüt^igen  Sertf/eibiger  üon 
Äanbia,  ben  2)ogen  3france*co  SHorofino,  im  3al)re  1687  nach  f)ti* 
gen  kämpfen  ben  Surfen  entriffen  unb  im  grieben  üon  ®arlonri& 
ben  SSenetianern  juerfannt  mürbe.  Xie  Unjufricbenheit  ber  gried)i= 
fchen  Seüölferung  ber  #albinfel  über  ben  üon  ben  üenetiamfdjen 
Sanbpflegern  geübten  ferneren  S)rucf  erleichterte  ben  Xürfen  bie 
SBiebereroberung  SÄorea'* ,  unb  im  grieben  üon  ^affaronnfc  mufjte 
fich  ^Benebig  $ur  Serjichtleiftung  auf  ba*felbe  gegen  bie  Abtretung 
ber  gelfeninfel  (Eerigo  üerftehen.  ©eitbem  blieb  ber  Sefifcftanb  23e= 
nebig*  feft  normirt,  unb  bie  fjin  unb  nrieber  auf*  9leue  beginnen* 
ben  geinbfeligfeiten  gegen  bie  Xürfen  bienten  nur  baju,  ber  in 
immer  größere  (Erfdjlaffung  üerfinfenben  SRepublif  $emüthigungen 
aller  2lrt  ju  bereiten. 

Ö)enua,  ba*  feit  ber  ihm  im  3<*hrc  1684  burdj  Subttrig  XIV. 
auferlegten  ferneren  ,£>eimfudmng  mit  granf  reich  in  Sieben  gelebt 
hatte  unb  üon  ben  SBirren  be*  fpanifchen  (Erbfolgefriege*  unberührt 
geblieben  mar,  fyatte.  feit  bem  3ahrc  1729  har*e  kämpfe  gegen  bie 
3nfel  ®orftfa  ju  befielen r  in  beren  Söefifc  e*  im  3ahre  128& 
gefommen.  iftachbem  bie  Dorfen  fich  fchon  in  ben  üorhergeljenben 
Sohren  nueberholt  in  üereinjelten  Slufftönben  gegen  bie  brücfenbe 
genuefifche  £>errf  djaft  aufgelehnt  hatten,  ohne  bafj  e*  ihnen  gelungen  mar, 
ba*  üerha&te  3o<h  abschütteln ,  erhob  fich  im  3ahre  1729  *>k 
ÖJefammtbeüöKerung  ber  Qnfct  jum  gemeinfamen  Kampfe  gegen  ihre 
Söebrücfer,  unb  erft  im  3ahrc  1733  Solang  e*  ben  (SJenuefen,  unter 
ber  Üftitnrirfung  üon  achttaufenb  9ttann  öfterreichijeher  Xruppen,  bie 
ihnen  ®aifer  ftarl  VI.  ju  #ilfe  gefanbt,  ihre  £err jd)aft  auf  forfifa 


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334   Stalten  botn  toeftfälifdjen  ^rieben  bis  in  bie  SRittc  be«  18.  3<rf>rfj. 

Ijerjuftellen.  $>er  ®ampf  brad)  jebod)  aufs  9teue  aus,  als  im  9ttär$ 
1736  ein  beutfäer  Gbelmann  aus  Söeftfalen,  Xtyeobor  fteuljof, 
ber  fidj  längere  3e^  als  politifd)er  Mbenteuerer  an  oerfd)iebenen 
£öfen  untergetrieben ,  mit  einem  ©djiffe  unter  englifdjer  Slagge, 
baS  retrf)lid)  mit  #riegSbebarf  üerfeljen  war,  an  ber  forfifdjen  ftüfte 
erfd)ien  unb  ftdj  ben  Dorfen  jum  Befreier  anbot,  wenn  fie  ifm  $u 
ifnrem  dürften  wählen  wollten.  3n  ocr  ^fat  nuirbe  er  im  Slpril 
beS  gleiten  QafjreS  als  X  f)  e  o  b  o  r  I.  jum  Äönig  öon  föorfifa  aus* 
gerufen  unb,  in  Ermangelung  einer  wirflidjen  ftrone,  mit  einem 
^orbeerfranje  gefrönt,  worauf  er  $al)lreid)e  $ofämter  erridjtete,  ben 
Vornehmen  beS  fianbcS  Xitel  unb  SBürben  öerliel),  ben  Drben  beS 
©rtöfers  ftiftete  unb  aWünjen  fdjlagen  ließ. 

Qnbeffen  bilbete  fid)  balb  unter  ben  Dorfen  eine  Partei  gegen 
ben  neuen  ®önig,  unb  ba  fid)  berfelbe  überbieS  in  ©elboerlegenljeit 
befanb,  inbem  bic  öon  if)m  auSgefdjriebenen  Steuern  nur  mangel* 
r)aft  eingingen,  begab  er  fid)  im  üftooember  1736,  nadjbem  er  für 
bie  Xauer  feiner  9lbwefenf)eit  eine  Sftcgcntfdjaft  eingefefot,  nadj  $lm* 
fterbam,  wo  ifjn  ein  Xfjeil  ber  ®aufmannfd)aft  gegen  baS  S3erfpre= 
djen  gewiffer  $anbel^oort^eile  auf  ftorfifa  mit  ©elb  unb  neuem 
$ricgSbebarf  öerfaf). 

Unterbeffcn  Ratten  fidj  bie  (SJcnuefen  um  £ilfe  an  granfreUf) 
gewanbt  unb  uon  bem  fransöfifdjen  jpofc  bie  Qu)a$t  bewaffneter 
tlnterftüfcung  $ur  ^Bewältigung  beS  forfifdjen  WufftanbeS  erhalten, 
unb  als  X^eobor  im  September  1737  mit  brei  fyollänbifdjen  .Kriegs* 
fdnffen  nadj  ®orfifa  jurüdfam,  fwtte  fid)  ein  Xtjcil  ber  93eöütferung 
bereits  burdj  ben  Sütjrcr  ber  injwifdjen  auf  ber  Qnfel  angelangten 
franjöfifdjen  Xruppeu  $u  einem  Sertrage  mit  <&enua  beftimmen 
laffen,  in  weldjem  biefcS  ben  Dorfen  als  <J*reiS  i^rer  9lüa*fe^r  unter 
feine  :perrfcf>aft  eine  toollfommene  Slmneftie  unb  eine  eigene  Regie- 
rung bewilligte,  tföä^renb  feine  2lnf)ängcr  ben  $ampf  fortfefcten, 
öerliefe  £l)cobor,  auf  beffen  ®opf  ein  $retS  gefegt  worben,  aufs 
SKeue  bie  $n\tl,  fetjrte  jebod)  im  Qa^re  1743  jum  anbern  9)tole 
batyin  jurütf,  bieSmal  mit  englifdjen  ^riegSfdjiffen ,  511  wefdjen  if)m 
ttonboner  Äapitaliften  öerfwtfen;  aber  baS  fSoit  war  fo  feljr  ent* 
müßigt,  baß  er  alsbalb,  an  feiner  ©adje  oeraweifelnb,  fid)  wieber 
nadj  Bonbon  etnfdjiffte,  wo  er  am  11.  $>ejember  1755  in  ber 
äu&erften  £)ürftigfeit  ftarb. 

$a  bie  ©enuefen  bie  ben  Dorfen  gemalten  SitgcftanbntfTc 
niajt  erfüllten,  griffen  biefe  aufs  9ieuc  ju  ben  SBaffen,  unb  ber  oon 
i^nen  jum  Oberbefehlshaber  ernannte  eble  unb  l)elbenmüthige  $  a  S* 
cal  $aolo,  bem  aiigleid)  bie  Verwaltung  beS  fianbeS  übertragen 
worben,  führte  eine  Seitlang  ben  ®rieg  gegen  bic  ©enuefen  mit  fo 
cntfajiebenem  öJlürf,  ba6  biefe  abermals  bie  ^ilfe  SranfrcidjS  in 
silnfpruch  nehmen  mußten.   2ln  ber  SDiögliajfeit  oerjweifelnb ,  fia) 


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3)a3  ftöntgr.  $reufcen  unter  griebr.  I.  u.  griebr.  $Biu).  I.  —  griebr.  I.  335 

im  SBeftfce  ber  3nfef  ermatten  ju  fönnen,  traten  fie  im  9ttai  1768 
i^rc  föed)te  auf  bicfclbc  gegen  eine  bebeutenbe  ®eibfumme  an  granf* 
reid)  ab,  beffen  Gruppen  fid)  inattufdjen  auf  einem  X^eile  oon  ®or= 
pfa  feftgefefct  Ratten.  $ao(o  legte  auf  einer  ^erfammlung  ber 
Dorfen  in  ©orte  öor  ganj  Europa  gegen  ba3  Unrecht,  baä  granf* 
reia}  unb  ©enua  an  ftorfifo  begangen ,  fcicrlidt)  SBcrtoahrung  ein 
unb  begeifterte  feine  Sanbaleute  jum  äufeerften  Sötberftanb ;  nadjbem 
jebod)  jebe  Hoffnung  auf  ben  erwarteten  SBeiftanb  ©nglanbä  ge* 
fctjtounben ,  gab  er  im  folgenben  3a^re ,  naa)  einer  bei  $  o  n  t  e 
9i  u  o  b  o  erlittenen  ftieberlage,  ben  auäfidjtölofen  Äampf  auf  unb 
fduffte  fid)  am  11.  Qult  nadj  v#ifa  ein,  t»on  too  er  fid)  fpäter  nad) 
(Jnglanb  begab.  9cad)  bem  Muäbrua)  ber  frausöfifa^en  töeöofution 
würbe  er  jurn  (Statthalter  feiner  ^eimat^Uc^en  Qnfel  ernannt,  bie 
am  12.  3uni  1769  —  jwei  Monate  bor  ber  ©eburt  Napoleon 
SBuonop arte'S,  beä  größten  tfjrer  ©öfmc,  ber  burd)  bie  58er* 
ttid)tung  ber  genuefifdjen  SRepubfif  unb  bie  Unterjochung  grantreid)* 
ber  föädjer  feinet  Rottes  werben  foüte,  —  befinittb  in  ben  93eft& 
granfreidjä  übergegangen  war;  er  hntrbe  jebodj  im  %af)xe  1793  ate 
(Gegner  ber  SRepublif  geästet,  worauf  er,  ber  Slufforberung  ©eorgS  III. 
uon  (Snglanb  folgenb,  naa)  fionbon  jurürffe^rte.  $ier  ftarb  er  im 
3at>re  1807. 

XXI. 

J>az  ^ottigtetd)  Igteufau  untet  gfriebrta)  I.  unb  £frietotd> 

(1688—1740.) 

9f  r  i  e  b  r  i  $  L 

(1688-1713.) 

9tact)bem  ber  ju  Anfang  bed  fieb$ef)nten  Qafjrljunberta  burd) 
ben  £eimfafl  be§  £er$ogtf)um§  Greußen  an  ba£  branbenburgifd)e 
£auS  eniftanbene  preußifüVbranbenburgi)d)e  Staat  unter  bem  fdjroadjen 
tfurfürften  ®eorg  SBilfyelm  (1619 — 1640)  mö^renb  ber  <5türmc  be& 
bretfjtgjährigen  ®riege§  in  bie  tieffte  3errüttung  unb  Olmmadjt  ber* 
funfen  mar,  Würbe  berfelbe  burd)  bie  fraftootte  Regierung  beä 
„großen  ®urfürften"  griebrid)  SBilfjelm  (1640 — 1688),  be£ 
€>ohneS  unb  9cad)folger3  ®eorg  2Bill)elmä,  ju  einer  ungeahnten 
Sölütfje  emporgehoben. 

griebrid)  SBilfjelm  war  ein  ^errfajer  bon  t)od)ftrebenbem  ©eifte, 
fettenem  @d>arfbtitf  unb  raftlofer  Xhätigfcit ,  babei  eine  burd)  unb 


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336   $aö  Jtomgreid)  Greußen  unter  ^nebridj  I.  unb  griebrid)  SBil^elm  I. 

bunt)  majeftatifche  (Erfcrjeinung.  „Biegfam  tote  bie  SBeibe  unb  hart 
wie  ber  ©tafjl,  je  nachbem  e*  galt,  fein  Siel  $u  erreichen,"  war 
er  ebenfo  gewanbt  unb  befonnen  in  Unterhanblungen ,  al*  rafet) 
unb  fühn  jur  Xfjat.  ©einer  Beteiligung  an  ben  oerfchiebenen 
politifchen  SBerwicMungen  unb  friegerifchen  (Eretgniffen  feiner  3rit 
haben  wir  bereits  früher  gebaut.  Befonber*  bebeutfam  für  bie 
Sufunft  feine*  £>aufe*  war  ber  am  19.  September  1657  watjrenb 
be*  fchwebifch-polnifchen  Kriege*  jwifchen  ihm  unb  bem  $önig  3o* 
hann  $afimir  öon  ^ofen  abgesoffene  Bertrag  ©on  Söclau,  burefj 
Welchen  bie  ßefyenSabfjängigfeit  be*  £>erjogthum*  Greußen  oon  $olen 
aufgehoben  Würbe. 

2Bie  Sriebrich  SBiIr)elm*  erfte  Sorge  bei  feinem  Regierung*« 
antritt  barauf  gerietet  mar,  Orbnung  in  ben  gänjlich  zerrütteten 
3inaitjöerf)ältniffen  be*  branbenburg*preußifchen  ©taate*  ju  fcr)affen 
unb  beffen  (Einnahmequellen  ju  erweitern ,  fo  blieb  auch  *n  ocr 
3olge  bie  ^ebung  be*  SBohlftanbe*  feine*  Sanbe*  ein  beoorjugter 
©cgenftanb  feiner  SRegententhätigfeit.  3U  biefem  (Enbe  nahm  err 
wie  wir  oben  (©. 100)  gefehen,  jwanjtgtaufenb  audgemanberte  Huge- 
notten in  bie  buret)  bie  berheerenben  $hrieg*ftürme  jum  größten  Xheile 
oeröbeten  ©tobte  ber  9Jcarfen  auf  unb  führte  baburdj  in  benfelben 
ein  rafdje*  Söieberaufblühen  ber  (bewerbe  unb  eine  errjö^te  $unft* 
tfjätigfeit  herbei;  auch  S°Ö  cr  bux  Sörberung  be*  2lcferbaue*  zahl- 
reiche £>oflanber  in  bie  |>aöellänber  unb  nach  bem  SBarthebruch  unb 
erleichterte  ben  inneren  33crfct)r  burch  bie  Einlage  be*  bie  Ober  mit 
ber  ©pree  oerbinbenben  5riebrich*9ßilhetni**®anal*  unb  bie  (Ein- 
führung regelmäßiger  $oftfar)rten.  ®anj  befonber*  lag  ihm  bie 
(Erweiterung  unb  3$erfcr)önerung  t»on  Berlin  am  £>crjen.  Sluch  für 
bie  Hebung  ber  ©Übung  forgte  er  burch  bie  ©rünbung  berfdnebener 
höherer  Unlerricht*anftaltcn. 

$a*  ^pauptaugenmerf  griebrich  Söilhelm*  mar  jeboer),  bem  in 
ber  Dichtung  ber  Seit  Iiegenben  ©treben  naa)  fiänberermerb  unb 
9ttacht$uwach*  entfprecr)enb,  auf  bie  Hebung  ocr  SRüitärfraft  feine* 
£anbe*  burch  bie  Söilbung  eine*  ftehenben  Heere*  gerichtet.  Um 
baju  bie  nötigen  üttittel  ju  gewinnen,  führte  er,  unbefümmert  um 
ben  SBiberftanb  ber  ©taube,  außer  mehreren  anbern  neuen  Abgaben 
eine  allgemeine  Sßerbrauch*fteuer ,  bie  fogenannte  91  c  c  i  f  e ,  ein. 
(Ebenfo  wenig  wie  bei  biefer  Beranlaffung  ließ  er  ftcr)  in  anbern 
gäüen  burch  °*c  (Einmenbungen  ber  ©tänbe  in  feinen  (Entfct)ließungen 
hemmen ;  benn  er  war  ber  Anficht ,  baß  ber  fürftliche  SSifle  burch 
bie  ftänbifchen  fechte  nicht  befchräntt  werben  bürfe,  wenn  ber  ©taat 
nach  Snnen  unb  Mußen  erftarfen  unb  machtiger  werben  fotte. 

$iefe*  ßiel,  auf  welche*  äße  feine  ©abritte  gerichtet  waren, 
erreichte  er  in  ber  X(;at;  benn  bei  feinem  Sobe  (29.  2TpriI  1688) 
war  fein  Sanb  um  ein  Eritthei!  gewachfen  unb  bie  ©eüölferung 


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griebrich  I. 


337 


beSfelben  in  bem  gleichen  Sftaße  geftiegen,  roährenb  bie  ©innafnnen 
beS  <&taattö  fidt)  üerffinffacht  Ratten.  König  Sriebridj  II.,  für  meldten 
er  in  üielen  Stücfen  9Jhtfter  unb  SÖorbüb  gemorben,  fteflt  feinem 
öon  ihm  f)oc^öere^rten  Slfmherrn  baS  glänjenbe  3*ugniß  auS: 
„2)urch  feine  SSeiSheit  ber  SBieberherfteller  eines  üerroüfteten  SanbeS, 
burch  feine  Sßolitif  unb  Klugheit  ber  Grrroerber  neuer  Sßroüinjen, 
burch  feine  Xapfcrfeit  eine  ©tufce  feiner  SunbcSgenoffen ,  ein  93er* 
tr)etbigcr  feiner  Untertanen,  ift  er  immer  gleich  groß  in  allem,  maS 
er  unternimmt." 

grie  brich  III.,  ber  ©ofm  unb  Nachfolger  beS  großen  Kur* 
fürften,  mar  förderlich  mie  geiftig  gan$  baS  ©cgentfjeil  feines 
SBaterS.  SJon  ©eftalt  Kein,  fchmädjlich  unb  üermachfen  unb  babei 
öon  burchauS  gemöfmlicher  ©efichtäbilbung,  mar  er  als  Regent,  nach 
bem  HuSfpruche  griebrichS  beS  ©roßen ,  „groß  in  allen  Keinen 
fingen  unb  flein  in  ben  großen."  ©eine  (£ttelfeit  unb  maßlofe 
*ßrunffucht  öerleiteten  it)n  $u  einem  Slufmanb,  ber  bie  Kräfte  feines 
SanbcS  meit  überftieg  unb  Auflagen  nötfjig  machte,  burd)  meiere 
baö  93olf  ferner  gebrüeft  unb  ber  (Staatshaushalt  öollftänbig  5er* 
rfittet  mürbe.  5>abei  mar  griebridj  III.  öon  fo  fdjroacfjem  (Sharaf* 
ter,  baß  er,  jebem  (Einfluß  nadjgebenb,  ber  ©pielbaH  feiner  ©ehmeief)* 
ler  mürbe,  bie,  öon  it)m  mit  einflußreichen  Slcmtern  unb  fyotyn 
SSürben  6ebacht,  im  fianbe  nach  SMfür  fchalteten  unb  burch  ihre 
$abfud)t  bie  Unter thanen  auSf  äugten. 

Qnbeffeu  fehlte  es  bem  neuen  Kurfürften  auch  nicht  an  lobenS* 
werben  ©tgenfehaften.  @r  mar  im  höchften  ©rabe  leutfelig,  gut* 
herjig  unb  mohltooHenb,  babei  öon  unüerbrficf)licher  Xreue  unb  00H 
Grifer  für  bie  ©adje  ©eutfchfanbS.  SBie  er  im  %a1)xt  1689  an  bem 
ReichSfriege  gegen  ßubmig  XIV.  perfönlid)  Xheil  nahm  (f.  ©.  88), 
fo  unterftüfcte  er  im  Qahre  1691  ben  Kaifer  in  beffen  Sürfenfrieg, 
fomie  fpäter  im  fpanifchen  ©rbfolgefrieg  aufs  Racf)brücfltchfte ,  unb 
mir  hoben  gefetjen,  meld)  heröorragenben  Slntheil  feine  Gruppen  an 
ben  ©iegen  üon  $öchftäbt  unb  Xurin  gehabt. 

SBenn  auch  griebrict)  III.  nicht  gleich  feinem  Vorgänger  auf 
(Eroberungen  ausging,  fo  fehlte  es  ihm  boch  nicht  an  ©hrgei$.  ©eit* 
bem  fein  Setter  SBilhelm  öon  Dranien  König  öon  dnglanb  unb 
fein  Machbar  Sluguft  öon  ©adjfen  König  öon  $olen  gemorben,  ließ 
ihm  ber  SSunfch ,  feinem  Sanbe  bie  gleiche  Rangerhöhung  $u  er* 
merben,  feine  Ruhe  mehr,  unb  mir  1)abzn  obtix  (©.  31)  angegeben, 
in  melier  SSeife  er  ju  biefem  3iele  gelangte,  Kaum  ^attc  er  bie 
Nachricht  üon  bem  am  16.  Roöember  1700  erfolgten  2lbfd)luß  bcS 
„KontraftatS"  erhalten,  ber  ihn  ju  ber  Sinnahme  beS  föniglichen 
Titels  ermächtigte,  als  er  mitten  im  SBinter  mit  feiner  gamilie  unb 
feinem  ganzen  ©ofe  nach  Königsberg  eilte ,  um  feine  unb  feiner 
©emahlin  Krönung  ins  äßerf  §u  fefcen. 
fcclamarif),  ffleltfleicfjidjte.  VI.  22 


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338         tfönigreid)  ^reufeen  unter  ftrtebricf}  L  unb  griebrich  fBttyelm  L 

tftadjbem  bie  nötigen  Vorbereitungen  gu  ben  Krönungäfeier* 
lichteten  getroffen  toorben,  riefen  am  15.  Qanuar  1701  reichgefleU 
bete ,  berittene  £>erolbe  in  ben  Strafen  oon  Königsberg  unter 
(Stfodfengeläute  unb  Kanonenbonner  bie  Qrrfjebung  be3  Jperjogtfmma 
Sßreujjen  ju  einem  Königreiche  aus,  unb  jtoei  Xage  fpäter  grünbete 
grtebrich,  $um  ewigen  ©ebächtnifj  bie(eä  Wichtigen  (Sreigniffeä ,  ben 
f  ch  w  a  r  j  e  n  ^Iblerorben,  mit  meinem  fogleich  bie  ljudjften 
Söürbenträger  beS  8anbe3  gefchmucft  mürben.  2lm  folgenben  Xage, 
bem  18.  Qanuar,  fefcte  griebrich  III.,  in  bem  2lubiengfaale  be3 
©chloffeä  auf  einem  reich  gefchmücften  Ztycont  fifcenb  unb  bebecft 
mit  einem  carmoifinrothen ,  mit  golbgefticften  Slblern  unb  Kronen 
überfäten  9ftantel,  in  (Gegenwart  aller  (trogen  beä  Steidjä  unb  ber 
fremben  (SJefanbten  guerft  fich  felbft,  bann  feiner  öor  iljm  fnieenben 
©ema^lin  bie  KönigSfrone  auf,  toorauf  fein  ©ohn  unb  feine  Vrib 
ber  i tnieenb  ir)rc  {mlbigung  barbrachten.  Xaruad)  begab  fidt) 
ber  gange  §of  in  bie  Kirche,  too  ber  König  unb  bie  Königin  fich 
auf  $wei,  ju  beiben  Seiten  be3  Mltareä  errichteten  prachtoollen 
X^ronen  nieberlie&en.  Sftachbem  Veibe  oon  gmei  Dberhofprebigern, 
bie  griebrich  eigens  $u  biefem  Qtotdt  $u  Vtfchöfen  ernannt  ^atte, 
in  Kreugeöform  auf  bie  ©tirne  gefalbt  toorben,  würbe  baä  ©elbft* 
auffegen  ber  Krone  noch  einmal  oor  bem  Oerfammelten  Volfe  oor* 
genommen.  $en  ©chlu&  ber  geierlichfeit  bilbeten  ©efänge,  *ßrebigt 
unb  ©penbung  beä  s2lbenbmahl3. 

Um  ben  $runf  be3  gefteä  oollftänbig  ju  machen ,  fehlte  eä 
auch  an  ben  bei  ben  Kaijerfrönungen  üblichen  ©penben  für  ba3 
Sßolf  nicht:  ein  ©pringbrunnen  fprubelte  mei&en  unb  rothen  SBein, 
unb  ein  ganger  gebratener  Ochfe  tourbe  ber  Üttenge  preisgegeben, 
©in  ÖJnabenaft,  burch  welchen  allen  (Befangenen,  Xobtfchläger  unb 
©chulbenmacher  aufgenommen ,  bie  greifet  gurürfgegeben  würbe, 
befchlofi  ben  f eftlichen  Xag;  bod)  bauerten  bie  £uftgelage  faft  un* 
unterbrochen  fort  bis  gum  8.  9ßärg.  Slm  6.  2M  ^ielt  ber  neue 
König  feinen  feierlichen  <£ingug  in  Berlin  bura)  bie  ©trage,  bie 
feitbem  ben  tarnen  „Königäftra&e"  trägt. 

S^ach  bem  Vorgänge  ber  übrigen  Kurfürften,  bie  ohne  ©djwierig* 
feit  ber  bieäbegüglkhen  Slufforberung  beä  Kaiferd  golge  leifteten, 
erfannten  bie  meiften  ©taaten  Suropa'ä  bie  preu&ifche  Königäwürbe 
fofort  an;  oon  Seiten  Spanien*  unb  granfreidjä  gefchah  bie£  erft 
im  Utrechter  grieben.  Xafj  bie  ©infpradje  beä  $apfted  gleich  oer 
be3  ©rojjmeifterS  bed  beutfehen  9litterorben3  wirfungäloä  blieb, 
haben  toir  oben  gefehen.  gür  $reuf}en£  ^ufunft  mar  bie  erlangte 
Rangerhöhung  oon  eminenter  Vebeutung.  ©ie  mar  nach  bem  2lud* 
fpruche  König  griebrich^  IL:  „eine  Üocffpeife,  welche  griebrich 
.  allen  feinen  Nachfolgern  hinwarf  unb  woburdj  er  ihnen  gu  fagen 


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griebricS  L  339 

fdjien:  „äfladjt  eudj  beS  Xitel«  mürbig,  ben  tdj  eudj  oerfdjafft;  oo(* 
lenbet  ben  SBau,  beffett  ©runbftcin  ia)  gelegt  §abe." 

Slufjer  ber  ®  önigSmürbe  oerbanft  ber  prcußifc^c  Staat  grieb* 
rief)  I.  audj  einen  nid)t  unbebeutenben  Sänberjumad)3.  SBie  il)m 
als  bem  Solme  ber  oranifdjen  ^rinjefftn  Souife  Henriette,  ber 
älteften  Softer  beS  ©rbftattfjalterä  griebridj  #einrt4 ,  burdj  ben 
$ob  2Bifljelm&  III.  öon  Dranien  bie  (Sraffdjaften  fiingenä  unb  2ttör3, 
fomie  bie  gürftentf)ümer  Sfteuftfjatel  unb  Söalengin  (J8a(enbi&)  juge* 
fallen  maren,  fo  crmarb  er  burd)  ßauf  bie  ©raffdjaft  Xecflenburg, 
bie  (Srbfdnrmbogtei  über  baä  «Stift  Oueblinburg,  bie  9teid)3bogtei 
$u  *Rorbf)aufen  unb  bie  2lnroart)d)aft  auf  ©aireutf). 

$er  belebenbe  SDUttetyunft  beä  glanjöoöen  ^Berliner  Äöntg«* 
f)ofe3  mar  griebrid)3  I.  ©ema^lin  Sophie  (£  fj  a  r  t  o  1 1  e ,  eine 
Softer  bcä  £>erjog3  unb  nadjmaligen  ®urfürften  (Srnft  Sluguft  bon 
§annober.  Dbgleidj  bie  ebenfo  liebenStoürbige  als  geiftreidje  unb 
^oa^gebitbete  Königin  $öfjere  GJenüffe  fannte  ,  als  bie  prunfüoHen 
geftlidjfeiten,  in  melden  griebricfc  I.  fein  ©lüd  fanb,  entzog  fie  fidj 
benfelben  au3  SRüdfidjt  für  iljren  ©emaljl  nidjt ,  fonbern  bemühte 
fidj,  beren  föeij  burdj  ftnnreidje  unb  gefdjmadüolle  tfnorbnungen  ju 
crimen  unb  $u  berebeln,  unb  mit  föedjt  fagt  grtebrid)  ber  ®rofee 
bon  if)x :  fie  fjabe  ben  ©eift  feinerer  ©efeHigf cit ,  bie  mafjre  föiU 
bung  unb  bie  Siebe  ju  ben  fünften  unb  ben  SBtffenfrfjaften  in 
Greußen  fjeimifa)  gemadjt.  Sie  felbft  fanb  tyr  ©lüd  in  ber  93c= 
djäftigung  mit  ®unft  unb  SBtffenfdjaft  unb  berbradjte  ifjre  9flufe* 
tunben  am  liebften  in  bem  üon  ifjr  erbauten  Sdjloffe  $u  ßüfeoro  — 
päter  nadj  i()r  Sfjarlottenburg  genannt  —  mo  fte  einen 
$rciS  geiftreia^er  unb  gelehrter  Banner  um  fidj  berfammelte.  3ljre3 
58cr!er)rd  mit  Seibnifc  unb  ber  burtfj  fte  beranlafjten  ©rünbung  ber 
berliner  „Societät  ber  2Biffenfdmften"  ift  fdjon  oben  (S.  39)  ge* 
barfjt  morben. 

%ud)  griebridj  I.  §atte  Sinn  für  bie  ftunft,  mobon  auger  ber 
üon  üjm  gefrifteten  9Mer*  unb  öilb^auerafabemte  ju  Söerltn  jaf)l* 
reidje  fjerbarragenbe  Söauroerfe  3e«9ni§  ablegen  ,  burd)  metdje  er 
feine  #auptftabt  berfdjönerte.  2)aä  bortige  föniglidje  Sdjlofj  lieg 
er  ju  einem  s$raa)tbau  umgeftalten  unb  ben  größten  %f)til  ber 
griebridjftabt ,  fonrie  baä  großartige  $eug!)au&  unb  bie  „lange 
SBrüaV  erbauen ,  bie  mit  ber  bronzenen  sJteiterftatue  beä  großen 
Äurfürften,  bem  aReiftermerfe  beS  berühmten  ©aumeifterä  unb  ©üb* 
^auerS  Schlüter,  gefd&mütft  mürbe. 

gür  bie  SBiffenfc^aften  ttmrbe  bura)  bie  ©rünbung  ber  Uni* 
öerfität  $  a  1 1  e  eine  neue  ^jlegeftätte  gefc^affen ,  toela^e ,  ba  bie 
tf)eologif<|en  ße^rftü^Ie  auSi^Iießlia)  mit  greunben  unb  Sln^ängern 
SpenerS  (f.  S.  37)  befefct  mürben,  jum  toiffcnfajaftliajen  WlitttU 
punfte  ber  metifti)a)en  9iia)tung  bcS  ^ßroteftantiSmuS  ^eranmua)«. 

22* 

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340   3)a*  JBnigreia)  «ßrcufjen  unter  griebvid)  L  unb  griebria)  23iü)elm  I. 

Qu  ben  oon  griebridj  I.  nad)  $atte  gesogenen  Seffern  ber  Geologie 
gehörte  aud)  ber  oon  ben  ortfyobojen  Lutheranern  au*  Seiojig  Oer- 
triebene  Sluguft  ^ermann  granfe,  ber  ©rünber  be*  $>aflifc^cn 
SSaifenljaufe*. 

$)er  heröorragenbfte  unter  ben  bamaligen  ^ßrofefforen  ber  neuen 
Uniüerfität  mar  inbeffen  ber  $f)ilofopf)  (£f>riftian  SSolf.  (£r 
mar  ber  ©ofm  eine*  ©erber*  in  93re*lau  unb  ljatte  früfje  fdjon, 
neben  ber  2J?atf)ematif,  bie  ©Triften  öon  $e*carte*  unb  ßcibnifc 
jum  $muptgegenftanbe  feiner  ©tubien  gemadjt.  $on  Seipjtg,  too 
er  juerft  eine  &nftettung  al*  ßeljrer  ber  s$l)ilofopfjie  erholten,  ttmrbe 
er  im  Saljre  1706  al*  <ßrofeffor  ber  9ttatf)ematif  unb  ftaturlefyre 
nadj  $alle  berufen  unb  erwarb  fidj  fner  balb  burdj  bie  ftlarfjeit 
feine*  Vortrag*  unb  bie  ©rünblidjfeit  feiner  Unterfucfmngen  gro&e* 
S(nfe^en.  ©eine  ^ßlulofoplne,  ioeldjer  2eibni|jeu*  ©oftem  ju  ©runbe 
lag,  baftrte  jmar  nod),  glcidj  biefer,  auf  c^riftlidjen  Qbeen,  ftellte 
aber  nid)t*beftotoeniger  bie  pofitioen  djriftlidjen  Dogmen  oor  ber 
„natürlichen  9teligion"  in  ben  ©Ratten  unb  öermodjte  ba^er  aud) 
nid)t,  bem  Umfidjgreifen  ber  in  (Snglanb  unb  granfreid)  laut  üerfün* 
bigten  neuen  9fleinungen  ju  fteuem.  ©eine  freieren  ?lnfidjten  öer- 
roitfclten  ifjn  in  einen  «Streit  mit  ben  £afltfdjen  ^ietiften,  loa*  bem 
9tadjfolger  griebrid}*  I.,  griebridj  2Bilf)elm  1.,  Skranlaffung  gab, 
if)n  im3af)re  1723  al*  Qrrle^rcr  feiner  ©teile  ju  entfefcen  unb  ifjit 
„bei  ©träfe  be*  Strange*"  au*  ben  preujjifdfen  Öanben  ju  oerroeifen. 
(Sr  begab  fidj  naa?  Harburg,  too  ber  Sanbgraf  $arl  oon  Reffen- 
taffei  iljm  eine  *ßrofeffur  angetragen  tjatte.  3m  3af)rc  1733  erfielt  er 
Don  grtebrid)  SBilfjelm,  ber  injmifa^en  ju  feinen  ©unften  umgeftimmt 
morben,  eine  el)renoolIe  ©inlabung  jur  9tütff erjr  nadj  §atte ;  er  lehnte 
biefelbc  jebod)  ab  unb  fiebelte  erft  im  3a^re  1740  nadj  feiner  Qu- 
rütfberufung  burdj  griebric§  II.  mieber  bal)in  über,  $on  ßaifer 
$arl  VII.  in  ben  9kid)*freil)errenftanb  erhoben,  ftarb  er  im  3aljre 
1754  al*  ^icefansler  ber  Unioerfität  £aUe. 

griebrtd)  I.  erlag  am  25.  gebruar  1713  im  Hilter  oon  fed)** 
unbfünfaig  Sohren  einem  Söruftleiben,  an  meinem  er  feit  längerer 
3eit  geträufelt  hatte. 


griebn«  28il()elttt  I. 

(1713-1740.) 

griebridj  SBilfjelm  I.,  ber  einzige  ©ofm  griebrid)*  L, 
jaulte  oierunbjtoansig  %ai)xzf  al*  ityn  ber  Xob  feine*  SBater*  jur 
Regierung  berief.  SSebcr  üon  bem  freien  SBcfen  feiner  r)ocr)gebil^ 
beten  Butter  unb  ber  Vorliebe  berfelben  für  $unft  unb  SBiffen* 


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frricbritf  SSityclm  I.  341 

fchaft,  noch  öon  bcr  öerfchmenbcrifdjen  $runffucht  feine*  Vater*  mar 
ba*  (SJcringfte  auf  ilm  übergegangen:  eine  burdj  unb  burdj  berbe 
Ratur  öon  unbeugfamer  SSiUenöfraft  unb  mafjlofer  |>eftigfeit,  mar 
er  ein  abgejagter  geinb  aller  £>offormen  unb  jebe*  öerfchmenberifdjen 
$runfe*  unb  ein  entfdriebener  Verächter  aller  ©elchrfamfeit.  Rur 
ba*  $ra!tifc^e  Ijatte  SSertfj  für  ir)rtr  unb  ©parfamfeit,  ©trenge  unb 
Xr)ätigfeit  galten  ifjm,  befonber*  im  §inblirf  auf  bie  öollftänbig  $er* 
rüttete  gtnan^tage  be*  fianbe*  unb  bie  mannigfachen  Unorbnungen, 
bie  burch  feine*  Vater*  Sdjmädje  in  ber  ©taat*öermaltung  r)erbct= 
geführt  morben,  al*  bie  erften  feiner  Regentenpflichten. 

Von  ber  fieidje  feine*  Vater  ^inmeg  eilte  griebrich  SMfyelm  I. 
in  fein  $abinet,  um  ungefäumt  burch  bie  meitgehenbfte  Rebuftion 
feinet  $>offtaate*  allen  meiteren  unnüfcen  2lu*gaben  ju  fteuern. 
Von  ben  jjunbert  Äammerherren  feine*  Vater*  behielt  er  nur  öicr, 
tjon  ber  zahlreichen  fofttyieligen  §ofbienerfchaft  nur  jmei  $agen, 
^mei  ®ammerbiener,  einige  Reitfnechtc,  einen  &au*hofmeifter,  jtoei 
Äellermeifter  unb  jtüei  Äöct)e  bei.  51uc^  feiner  QJemafjIin,  ber  Königin 
©opfne  ©orothea,  einer  Tochter  ©eorg*  I.  öon  (Snglanb,  gemattete 
er  nur  bie  afferaotf)tt)enbigftc  Vebtenung.  Von  ben  öerabfd)iebcten 
#ofbeamten  erhielten  öiete  gar  feinen,  bie  übrigen  nur  einen  fet)r 
geringen  Ruhegehalt,  unb  bie  im  Xicnfte  Verbleibenben  mußten  fich 
eine  bebeutenbe  Verringerung  ihre*  ©ehalte*  gefallen  laffen.  Xte 
aufgehäuften  ©chäfcc  öon  (Sbelfteinen  unb  perlen,  bie  foftbaren 
SBeine  au*  bem  ©chloßfeßer  unb  bie  8u{ u*pferbe  au*  bem  SKarftall 
würben  öerfteigert,  bie  funftöotlen  ®olb*  unb  ©ilbergeräthe  in 
bie  äRünje  gefdntft  unb  eingeschmolzen.  S)en  ganzen  ^of^alt 
richtete  ber  ®önig  fo  einfach  ein ,  baß  er  einen  burchau*  bür* 
gerüchen  Slnftrich  erhielt.  Sludj  Übermächte  er  bie  5lu*gaben  be** 
felben  mit  ber  größten  ©enauigfeit;  fogar  bie  IHidjenrechnungen 
ließ  er  fich  öorlegen  unb  rügte  e*  auf*  ©trengfte,  menn  ihm  nur 
ein  Pfennig  ju  öiel  öerau*gabt  $u  fein  feinen,  ©eine  £eben*meife 
mar  ganj  bie  eine*  einfachen  fianbebelmann*,  unb  feine  2ttahl$eiten 
beftanben  au*  §au*mann*foft :  meber  Sudermerf  noch  franjoftfehe 
unb  fpanifche  SBeine  burften  auf  feinem  Sifch  erfcheinen.  SSie  er 
felbft  feine  anbere  ßleibung  trug,  al*  bie  DberftemUniform  be* 
<ßot*bamer  ©renabierregiment* ,  fo  bulbete  er  auch  f^nen 
Umgebungen  feinerlei  ftlciberaufmanb.  $ie  ©chaufpiele,  bie  unter 
griebrich  I.  am  ^Berliner  £of  eine  fo  heröorragenbe  Rolle  gefpielt, 
ftellte  er  fofort  ab,  üerabfdjiebete  bie  Capelle  unb  bie  Dper  unb 
ließ  bie  ©arberobe  unter  bie  SIrmen  öertheilen.  $en  Berlinern 
blieben  im  Allgemeinen  jur  Unterhaltung  nur  ©ciltänzerfünftc  unb 
^uppenfomöbien  geftattet. 

griebrich  2Bilf)elm  felbft  fanb  fein  Vergnügen  unb  feine  (Sr* 
holung  in  ben  rohen  ^arforce^agben,  bie  in  bem  öon  ihm  ange* 


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342   $aS  Königreich  ^reufcen  unter  Sriebricf)  I.  unb  ftriebrid)  SBil^elm  I. 


legten,  mehrere  teilen  umfaffenben  „$arforcegarten"  bei  SBufter* 
häufen  abgehalten  würben,  in  feinen  Xruppeninfpeftionen  unb  bem 
©piete  feiner  £autboiften,  ganj  befonber*  aber  in  feinem  meltbe* 
rühmten  „SabafMolIegium."  fiu  bemfelben  toerfammelte  er  aHabenb* 
Ii$  in  einem  gimmer  beä  berliner  ©chloffeä  feine  „guten  greunbe", 
©enerale,  SHinifter  u.  9t.,  $u  ungezwungener  Unterhaltung.  Sttan 
fa&  auf  hölzernen  ©tüf)len,  tranf  33ier  unb  raupte  Zabal,  Wobei 
man  bie  «Pfeife  nach  hoHänbifcher  SBeife  mit  einer  Xorffohte  an* 
jünbete,  bie  ju  biefem  Swecfe  in  einem  ©eefen  bereit  gehalten  mar. 
SSer  nicht  raupte,  mußte  wenigftenS  eine  pfeife  in  ben  SJhmb 
nehmen,  £abei  mürbe  txfifyt,  gelacht  unb  nicht  feiten  auf  Soften 
einiger  ©infaltigen  ober  ©utmüthtgen ,  bie  jtch  baju  hergaben ,  um 
feiner  ©djerj  getrieben ;  boef)  blieben  auch  emfte  ©efprädje  über  bie 
mia)tigften  Staatsangelegenheiten  nicht  au&gefchloffen ,  unb  ba  bie* 
felben  in  ber  gorm  jmangtofer  Unterhaltung  gepflogen  mürben, 
benufcten  bie  fremben  ©efanbten ,  bie  gleichfalls  Zutritt  ju  bem 
XabafSfodegium  hatten,  gern  biefe  ©clegenheit ,  um  ftd)  über  bie 
Stimmung  be3  Königs  unb  beffen  Sßläne  ju  orientiren. 

$>te  gleite  ©parfamfeit,  mie  an  feinem  £ofe,  führte  ber  fönig 
auch  in  ben  Staatshaushalt  «in.  $ie  ©ehalte  ber  meiften  Beamten, 
befonberS  ber  höhten,  bie  unter  feinem  Jßater  einen  fürftlichen 
Slufmanb  hatten  treiben  fönnen,  mürben  bebeutenb  herabgefefct  unb 
manche  ©teilen  ganj  eingebogen.  $ie  Wfabemie  für  bilbenbe  fünfte 
lieg  ber  fönig  fofort  eingehen ,  unb  mit  ber  ©ocietät  ber  SBiffem 
fchaften  gebaute  er  baS  (bleiche  ju  thun ;  boer)  ließ  er  ftet)  burdj  bie 
$orftet(ung,  bafj  fte  ihm  gute  SBunbörjte  für  fein  $eer  bilben 
fönne,  bon  biefem  ©ebanfen  jurürfbringen ,  entjog  ihr  aber  nichts* 
beftomeniger  bie  meiften  ihrer  ©infünfte. 

$eS  fönigä  Sürforge  für  bie  Slufbefferung  beS  öollftänbig 
jerrütteten  SmanamefenS  befchränfte  fidj  inbeffen  nicht  auf  bie 
SRebuftion  ber  SluSgaben:  es  füllten  auch  neue  (Einnahmequellen  ge* 
fdjaffen  unb  bie  bereit*  beftct)enben  ergiebiger  gemalt  merben.  Qu. 
biefem  Grube  mürben  bie  abeligen  Sehengüter,  bie  bisher  faft  fteuer* 
frei  gemefen  unb  nur  im  Kriege  fogenannte  „Sehenpferbegelber"  ftatt 
beS  pcrförtlicf)  ju  leiftenben  ßticgSbienfteS  ju  entrichten  hatten ,  in 
freie  (Erbgüter  oerroanbelt  unb  nach  ißa&gabe  ber  Safjl  oer  W*- 
terpferbe,  mit  melden  fie  öeranfchlagt  waren,  fteuerpflichtig  ge* 
macht.  Sluch  mürbe  für  alle  gefchäftlicfjen  unb  gerichtlichen  Urfun* 
ben,  für  Eingaben  u.  bgl. ,  ©tempelpapier  eingeführt.  $or  9lHem 
mar  ber  fönig  barauf  bebaut,  burch  bie  görberung  beS  SlcferbaueS, 
ber  ©emerbe  unb  beS  £anbelS  ben  SBohlftanb  feine*  SanbeS  ju 
heben  unb  bamit  jugleich  beffen  ©teuerfraft  ju  erhöhen,  unb  fdjeute, 
mo  es  biefem  3wecfe  galt,  felbft  bebeutenbe  Ausgaben  nicht,  ©o 
lieg  er  oiele  burch  ©ranbfehäben  herunter  gefommene  ©täbte  wieber 


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343 


aufbauen,  oollenbete  bie  oon  feinem  SSater  begonnene  griebridjSftabt 
in  ^Berlin  unb  erweiterte  baS  ju  jener  Seit  nodj  wenig  bebeutenbe 
sßotSbam  &u  einer  ber  anfefmlidjften  ©täbte  beS  SanbeS.  ©omofjt 
fjier  als  in  ©panbau  liefe  er  burd)  ijollänbifdje  ©djwertfeger  unb 
33üdjfenmad)er  ÖJemeljrfabrifen  anlegen,  auS  benen  fetbft  auswärtige 
$eere  ifjre  SBaffen  belogen,  unb  in  Berlin  baS  fogenannte  »Sager* 
fmuS"  erridjten,  worin  baS  $ur  ©eftetbung  beS  gefammten  #eereS 
nötige  Xud)  in  öor$üg(idjer  Dualität  oerfertigt  würbe.  3n  bie 
üeröbeten  (Segeuben  Greußens  nafjm  er  $aljlreidje  arme  Samilien 
auS  ber  ©djweij  unb  oerfdnebenen  ÖJegenben  DeutfdjlanbS  als  9Tn* 
fiebler  auf  unb  oerfalj  fie  mit  bem  nötigen  SReifegelb,  fowie  mit 
©aumateriat  unb  $ltfergerätl)e.  Dabei  übermalte  er  fetbft  aufs 
ÖJenaucfte  bie  9IuSfüfjrung  aller  bon  ifym  getroffenen  Wnorbnungen, 
liefe  ftdj  über  SttleS  bis  in  bie  fTeinften  Details  töedjenfdjaft  ablegen 
unb  bestrafte  aufs  ©trengfte  felbft  bie  geringfte  ^flid&toerfäumnife 
ober  SBeruntreuung  bon  ©etten  ber  ^Beamten. 

2TIS  eine  burdj  unb  burdj  beSpotifd)e  Statur  unb  im  tfyatfäaV 
lirfjen  SBefifce  jener  unumfdjränften  fierrf  Obergewalt ,  ju  welker  fein 
©rofeöater  burdE)  bie  öollftänbige  Ünterbrürfung  aller  ftänbiftfjen 
Siebte  ben  ©runb  gelegt,  ©erlangte  griebridj  2Bitf)eftn  bon  feinen 
Untertanen  blinben  QJefjorfam  unb  berfuljr  babei  in  bieten  ©tütfen 
mit  einer  wa^r^aft  ttyrannifdjen  SftüdfidjtStofigfeit  unb  SBitffür.  ©o 
wies  er  wot)If)abenben  ßeuten  ober  Ijofjen  Beamten  in  ben  ©täbten, 
bie  er  empor  bringeu  wollte,  namentlio)  in  Berlin  unb  *ßotsbam, 
©auptäfce  an  unb  jwang  fie,  auf  benfelben  anfe!mlid)e  Käufer  ju 
errieten,  audj  wenn  if>r  Vermögen  barüber  ju  ÖJrunbe  ging.  Um 
bie  inlänbiftfje  Seinenweberei  unb  SSoöenfabrifation  ju  heben,  erliefe 
er  ein  ftrengeS  Verbot  beS  SerbraudjS  bon  ©aummoflftoffen  unb 
orbnete  ^auSfutfjungen  an,  um  bie  Suwiberfjanbelnben  jur  ©träfe 
ju  jiefjen;  ja  er  liefe  fogar  ben  SBürgerSfrauen  auf  offener  ©trafee 
ifjre  Äattunfleiber  bom  Seibe  reifeen.  Sludj  berbot  er  bie  Äornein* 
fuf)r,  felbft  wenn  Sttangel  war,  unb  nötigte  feine  Untertanen, 
ifmt  baS  in  feinen  SKagajinen  aufgehäufte  betreibe  ju  einem  bon 
ifjm  felbft  beftimmten  greife  abzulaufen. 

^irgenbS  trat  ber  rütffidjtSlofe  Despotismus  beS  Königs  in 
fdjrofferer  unb  empörenberer  SEBeife  ju  Xage,  als  in  ber  ©ererf)ttg* 
feitspflege.  (£r  führte  aöerbingS  in  baS  8fterf)tsmefen  berfdjtebene 
fjeilfame  Reformen  ein,  inSbcfonbere  baburd),  bafe  er  bie  SRedjtS* 
formen  oereinfaa^te  unb  für  eine  rafdjere  (Srlebigung  ber  SRed^tS* 
fadjen  ©orge  trug,  als  eS  bei  bem  bamaligen  fdjleppenben  GJeria)tS- 
gange  ber  SaH  war;  audj  fcr)affte  er  bie  £e£enJ>rojeffe  ab:  aber  er 
griff  bafür  auf  bie  wiüfürlidifte  SEBeife  in  bie  ®riminaljufti$  wie  in 
bie  ©efefcgebung  ein,  oerorbnete,  ofjne  9tütffia)t  auf  frühere  ®efefce 
ober  auf  baS  #erfommen,  ja  felbft  auf  bie  gorberungen  ber  2Kenfa> 


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344    2)a3  Äömgreid)  $reugen  unter  $riebricf>  I.  unb  Sriebrid)  BfQdm  I. 

lidjfeit,  toaS  er  felbft  im  Slugenblicfe  als  baS  3n>ecfmägigfte  erachtete, 
öerfc^ärfte  bie  üon  ben  Richtern  ©erhängten  ©trafen,  roenn  fie  ihm 
ju  milb  erfdjfcnen ,  unb  führte  neue  ©trafarten  forote  bie  grau* 
famften  Torturen  ein.  ftinbSmörberinnen  tourben  in  ©äcf en ,  bie 
fie  felbft  nähen  mußten,  in*  SBaffer  geworfen;  §auSbiebe  ohne 
weiteren  ^ßrojeg  bor  ber  Xljüre  beS  $>aufeS,  in  Welchem  fie  ge* 
ftofjlen  Ratten,  aufgehängt;  junge  ßeute,  bie  ihr  Vermögen  oer* 
fct)tücnbctcn#  nach  ©panbau  ober  in  ein  anbereS  Sud^auS  gebraut. 
SBer  in  irgenb  einer  Söeife,  fei  eS  burch  X^aten  ober  burd)  SBorte, 
baS  Sfligfallen  beS  flönigS  erregt  hatte,  mugte  bei  perfönlicher  löe* 
gegnung  feinen  ©toef  füfjlen  ober  mürbe  ju  ben  fjarteften  ©trafen 
tjerurtt)eiÜ.  Auf  ber  ©trage  fuä)te  man  ihm  möglichft  auszuweichen, 
weil  er  bie  SBorübergehenben,  wenn  fie  irgenbwie  feine  Aufmerffam* 
feit  auf  fiä)  jogen ,  anzuhalten  unb  auszufragen  unb  bei  nicht  be* 
friebigenben  Antworten  auszuweiten  ober  gar  burd&znprügeln  pflegte, 
©elbft  auf  bie  ättobe  erftreeften  ftcfj  feine  polizeilichen  #or  fünften, 
bei  benen  eS  ihm  hanptfächluh  barum  ju  tfmn  fear ,  ber  ^guf fucr)t 
eine  ©djranfe  ju  ziehen  unb  inSbefonbere  bie  franzöfifchen  Erachten 
$u  oerbannen ,  benen  er ,  wie  allem  franzöfifchen  SBefen ,  einen  un= 
öerföfmlichen  $ag  gefchworen. 

XeS  Königs  ^i^ige  ©emüthSart  unb  fein  unermübltcher  §aug 
Zur  X^ätigfeit  trieben  i!)n  an,  überall  felbft  nad)jufef)en  unb  mög* 
tict)ft  ötel  felbft  p  t^un.  Alle  wichtigen  Berichte  las  er  felbft  unb 
fdjrieb  an  ben  föanb  einen  furzen,  bestimmten,  oft  berben  iöefcheib, 
bei  Ablehnungen  mitunter  nur  baS  SBort  „ftarrenpoffen."  $en 
©jungen  ber  Hammer  wohnte  er  pufig  perfönltch  bei.  ©einem  An* 
fefjen  burfte  ftiemaub  ju  nahe  treten;  entfehiebener  SBiberfprudj, 
oon  tvefc^cr  ©eite  er  auch  kommen  mochte,  rig  ihn  nicht  feiten  511 
$f)ätltchfeiten  hin,  unb  ein  heftiges,  in  abfehreefenbem  Xone  heröor* 
geflogene« :  „föaifonnir  @r  nicht!"  fchuitt  alle  (Smwenbungen  ab. 
$a  U)m  jebe  freie  Aeugerung  über  ©taatsfadjen  als  ©taatSüer* 
brechen  galt,  burfte  anfangs  in  feinem  Sanbe  gar  feine  8ettung  er- 
feheinen;  erft  als  feine  Armee  fich  im  Kampfe  gegen  bie  ©ergeben 
hohen  SRuhm  erwarb ,  geftattete  er  baS  28iebererfcf)einen  ber  93er* 
Iiner  Leitungen,  bamit  bie  ©rogtljaten  feiner  Xruppen  allgemein 
befannt  mürben.  $abei  blieben  fie  jeboch  einer  fo  ftrengen  (lenfur 
unterworfen,  bag,  toer  wtffen  wollte,  was  in  *ßotSbam  oorging,  bie 
fietjbner  ßeitung  falten  mugte. 

Qn  ber  gleichen  beSpotifchen  SBeife,  wie  in  weltlichen  fingen, 
fchaltete  griebrict)  Söilljelm  auch  in  ben  firchlichen.  3n  bem  fal= 
oinifchen  iöefenntitiffc  geboren  unb  erlogen  unb  bemfelben  mit  grogem 
ßifer  jugethan,  jwang  er  ber  lutherifcfjen  ÖJeiftlichfeit  bie  reformirte 
Hirchenorbnung  auf,  oerbot  bei  ben  Söegräbniffen  ber  Sutheraner 
bie  93ortragung  beS  HrujiftjreS,  als  eine  auS  bem  ^apfttl)um  übrig 

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grtebrtd)  SBilfjehn  I. 


345 


gebliebene  „ärgerliche  ®etoohnf)eit,"  unb  unterfagte  auf*  ©trengftc 
jebe  anbere  gorm  be*  @otte*bienfte* ,  al*  bie  in  <ßot*bam  uub 
in  ber  ®arnifon*firche  $u  SBerlin  übliche;  auch  fdjrieb  er  ben 
Oetftttdjen  t>or,  bei  einer  an  bie  Äirdjenfaffe  ju  entridjtenben 
©träfe  öon  jtuet  Xfjalern ,  an  allen  ©onn*  nnb  geiertagen  ge* 
nau  eine  ©tunbe  lang  ju  prebigen  unb  in  jeber  ihrer  ^rebigten 
it)rc  Qnfydxtv  mit  gehörigem  (Sifer  ju  öden  Stiftungen  ju  ermahnen, 
welche  bie  Pflicht  ber  Xreue  unb  be*  (Sefjorfam*  ben  Untertanen 
betn  fönige  gegenüber  auferlegten.  $a  er  bie  beiben  proteftantifct)en 
fonfeffionen  au  öerfchmeljen  münfehte ,  wobei  bie  ßutfjeraner  ju 
(fünften  ber  3^eformirten  alle  Ueberrefte  ber  aftfirdjfidjen  gormen 
unb  (Gebräuche  aufgeben  follten,  unterfagte  er  ben  ®eiftfidjen  beiber 
öefenntniffe  bei  ©träfe  ber  2lmt*fu*penfton ,  bie  unter  Umftänben 
noc^  in  willfürlicher  Sßeife  öerfc^ärft  werben  follte,  alle  Streitfragen 
über  bie  SScrfc^icbcn^cit  ber  beiben  $ onfefftonen  auf  bie  fanjel 
3U  bringen. 

®egen  bie  fatfjolifen  bauerte  unter  griebrich  SBilljelm  I. ,  ber 
allem  fatholifchen  Sßefen  in  fjofym  ®rabe  abgeneigt  mar,  bie  Un* 
bulbfamfeit  ber  früheren  branbenburgifchen  ^errfcher  fort,  ©er 
fönig  lieg  jtnar  au*  fRücffic^t  auf  bie  öielen  fatljolifen ,  bie  fid) 
in  feinem  £eere  befanben,  im  3afjre  1738  in  $ot*bam  eine  fatijo* 
lifdje  firche  erbauen,  in  melier  ein  ©ominifaner  au*  #alberftabt, 
ber  ben  Xitel  „apoftolifdjer  9fliffionar  beim  fatholifdjen  SeibregU 
ment"  führte,  ben  ®otte*bienft  fyttt,  unb  geftattete  in  Serltn, 
©tettin  unb  ©panbau  bie  Sfnroefenfjeit  ähnlicher  9ttiffionäre  für 
feine  ©olbaten;  auch  bilbeten  fich  in  ©tenbal  unb  granffurt  a.  b. 
£)ber  roieber  fatf)olifche  ©emeinben:  allein  bie  öffentliche  Sieligion** 
Übung  blieb  ben  ßatholifen  unterfagt,  unb  ihre  ®eiftlichen  burften 
feine  ^farrfjanblungen  bornef)men.  X)er  Uebertritt  jur  fatholifchen 
Kirche  mar  nicht  geftattet,  unb  noch  Weniger  mürbe  „auswärtigen 
firchenobern"  irgenb  melcher  (Sinflufc  jugeftanben. 

Xer  beöor^ugte  (SJegenftanb  ber  Sftegententhätigfeit  griebrich 
SSilhelm*  blieb  ba*  £>eermefen,  für  Welche*  er  fchon  in  frühfter 
3ugenb  eine  entfdjiebene  Vorliebe  an  ben  Xag  gelegt.  Xa  er  in 
einem  jahlreidjen  unb  gut  gefchulten  £>eere  bie  fidjerfte  SBürgfdwft 
für  $reu§en*  ©elbftftänbigfeit  unb  Üftachtftettung  erblicfte,  erhöhte  er 
feine  ©treitfräfte  öon  breijjigtaufenb  auf  achtjigtaufenb  9)lamt,  bie 
burch  ben  „alten  Xeffauer"  unter  be*  fönig*  eigener  Sttitluirfung 
in  trefflicher  SBeife,  aber  mit  empörenber  ©trenge  eingeübt  mürben 
unb  baburch  eine  berounberungsmürbige  ©chlagfertigfeit  erlangten. 
Sludj  auf  ba*  Sleugere  far)  ber  fönig  bei  feinen  Xruppen  mit 
unerbittlicher  ©trenge:  Wie  in  ber  Haltung,  fo  raufjte  ber  ©olbat 
in  Lüftung  unb  ßleibung  bt*  auf  3opf  unb  fnopf  im  tabcllofeften 


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346   <Dqs  tfönigretch  Reußen  unter  Sricbrich  I.  unb  $riebrich  Siedln  I. 

Suftcmbe  fein,  Wenn  er  nicht  fernere  ^rügetfrrafe  gewärtigen 
haben  wollte. 

S3ei  ber  Gfrgänaung  unb  SBermehrung  be«  $>eere«  mürbe  mit 
ber  rficfficht«tofeften  SBillfür  $u  SBerfe  gegangen:  alle  btenftfähigen 
jungen  fieute  würben  mit  ®ewalt  in  bie  Regimenter  eingereiht  unb 
diejenigen,  bie  fidj  burdj  bie  gtucht  bem  Krieg«bienfte  ju  entziehen 
fugten,  al«  S5eferteure  nach  ber  ganjen  Strenge  ber  Krieg«gefefce 
beftraft.  Xa  jeboch  bie  3af)l  ber  3at)nenflüchtigen  immer  größer 
mürbe,  führte  ber  König,  ber  eine  aagemeine  (Sntoölferung  feine« 
fianbe«  $u  fürchten  Begann,  im  Saljre  1733  bie  „Kantonoerfaffung" 
ein,  burch  Welche  ba«  ganje  fianb  in  ©ejirfe  eingeteilt  mürbe, 
oon  benen  jeber  au«  ber  jungen  9Jcannfdwft  ber  nieberen  @tänbe 
ben  if>m  jugetheilten  Regimentern  ben  nötigen  ©ebarf  an  Refru* 
ten  liefern  mußte.  Sluch  würben  2Iu«länber  in  großer  3af)t  für 
ba«  $>eer  gemorben. 

3u  ben  größten  SßiHfüraften  unb  ber  öottftänbigften  Äußer* 
adjtlaffung  aller  Pflichten  ber  ©erechtigfeit  oerleitete  ben  König 
feine  fieibenfehaft  für  $odjgetoacl)fene  ©olbaten.  Um  ftd>  in  ber 
„*ßot«bamer  ©arbe"  ein  fieibregiment  oon  lauter  Riefen  ju  Bitben, 
ließ  er  nicht  nur  in  feinem  eigenen  ßanbe  OTe,  bie  ftdj  burch 
Körpergröße  auszeichneten,  ohne  jebwebe  Rücffidjt  auf  £eben«öer* 
hältniffe,  ©tanb  unb  ©efa)äftigung  geWaltfam  aufheben,  fonbern 
auch  im  SluSlanbe  burch  feine  ©erbeoffi^iere  einen  förmlichen  9flen> 
fdjenhanbel  unb  SRenfchenraub  ausüben,  ©olbaten,  bie  in  frem* 
ben  $ienften  ftanben,  mürben  entführt,  Reifenbe  in  ben  2Btrth«= 
Käufern,  ©tubenten,  Künftler,  Kaufbiener,  Jabrifarbeiter  auf  ben 
©traßen  aufgegriffen  unb  gefangen  nach  *ßot«bam  gebraut.  2Ber 
aber  einmal  in  bie  <ßotabamer  ©arbe  eingereiht  mar,  ben  fonnte 
feine  SSermenbung  üon  Seiten  be«  ©efanbtcn  feine«  Sanbe«  mehr 
au*  berfelben  loßreißen.  Rieht  feiten  brohten  bie  ©ewalrthättgfeiten 
ber  preußifajen  SBerbeoffijiere  emfte  SBerwtcflungen  mit  ben  fremben 
Regierungen  herbeizuführen.  3n  Saufen  mürbe  ein  foldjer  $um 
Xobe  öerurtheilt  unb  nur  auf  bie  Drohung  Sriebria)  SBilhelmS, 
baß  er  im  Salle  ber  SBollftrecfung  be«  Urteil«  ben  fächfif<hen  ©e* 
fanbten  hängen  laffen  merbe,  mieber  frei  gegeben,  dagegen  ließen 
bie  §ollänber  einen  anberen  preußischen  SBerbeoffijier,  ber  mehrere 
ihrer  ©olbaten  $ur  Fahnenflucht  herleitet  hatte,  in  SJcaftricht  erfchießen, 
ma«  ben  König  in  fo  heftigen  3^m  berfefcte,  baß  ber  Ausbruch 
eine«  Kriege«  nur  burd)  ba«  öermittelnbe  dajWifchentreten  be« 
Kaifer«  abgemenbet  merben  fonnte. 

gnbeffen  fuchten  Diele  fremben  gürften  ben  König  burch  bie 
Ueberfenbung  „großer  Kerle"  in  ihr  Qntereffe  ju  ziehen.  2Bie  fie 
hierbei  über  ihre  Untertanen  mit  empörenber  SBillfür  öerfügten, 
fo  blieb  hierin  auch  Snebrich  SBilhelm  nicht  jurücf.    $em  (£jaren 


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griebrich  SBühelm  L  347 

$eter,  ber  ihm  wieberholt  IanggeWachfene  Muffen  $um  ®efchenfe 
machte ,  fatibtc  er  bagegen  ©tahlfchmiebe  aus  bcr  ©rafföaft  Wart 
in  Söeftfalen,  bie  ofme  SBeitereS  aufgegriffen  unb  gleich  Verbrechern 
öon  9Jttlitarpoften  ju  9Kiütärpoften  bis  jur  ruffifdjen  ©renje  tranS= 
portirt  mürben,  um  bort  ben  Muffen  jur  Einrichtung  it)rer  gabrifen 
übergeben  ju  werben, 

gär  bie  (Spielerei  mit  ber  *ßotSbamer  (Sterbe  fcöeute  ber  fonft 
fo  fparfame  König  feine  Soften,  ©injelne  GJrenabiere  erhielten  eine 
tägliche  Söhnung  öon  jWei  Xhalern  unb  bie  geringften  eine  folche 
Don  einem  Bulben;  mancher  ^atte  ihn  bei  ber  Anwerbung  Xau* 
fenbe  öon  Xhalern  gefoftet  —  waren  ihm  bocf>  einmal  für  bie  An* 
Werbung  eines  SrlänberS  12661/8  $funb  Sterling,  alfo  beinahe 
8500  Xhaler,  beregnet  worben  — ,  unb  im  ©anjen  f  ollen  wäljrenb 
ber  Sa^re  1713—1735  an  SBerbegelbern  jwölf  TOUionen  Xhaler 
in  baS  AuSlanb  gegangen  fein,  Sur  Veftreitung  biefeS  Aufwan* 
beS  hatte  griebrich  2öiII)etm  eine  eigene  Kaffe,  bie  fogeuannte 
„ftefrutenfaffe",  eingerichtet,  in  welche,  außer  aßen  ©trafgelberu 
unb  fämmtlichen  ©portein  für  bie  Ausfertigung  ber  AnfteHungS* 
biplome,  ber  Ertrag  beS  VerfaufS  ber  ©teilen  unb  ber  Xitel  flog, 
ber  bei  ber  allgemeinen  SRang*  unb  Xitelfud>t  jener  3eit  ein  fehr 
bebeutenber  mar.  $a  ber  König  aus  feiner  Verachtung  beS  ge* 
fammten  föang*  unb  XitetmefenS,  fowie  überhaupt  alles  Eeremo* 
nielS  unb  jeber  Etiauette  fein  ^et)I  machte,  öielmet)r  biefelbe 
bei  jeber  Gelegenheit  gefliffentlich  an  ben  Xag  legte,  fanh  er  in 
feiner  SBeife  als  ber  Urheber  ober  görberer  beS  Stti&brauchS, 
SRang  unb  Xitel  ju  faufen,  angefehen  Werben;  er  beutete  einfach 
bie  Xhorheit  feiner  Unterthanen  im  Sntereffe  feiner  eigenen  thörich* 
ten  Siebhaberei  auS.  SSeit  fchärferen  Xabel,  als  ber  Verfauf 
ber  Xitel  öerbient  ber  im  auSgebehnteften  2flaße  betriebene  93er* 
fauf  ber  ©teilen,  ber  freilich  bamals  in  ben  meiften  beutfehen 
Staaten  gebrauchlich  war.  2Bie  weit  biefeS  Unwefen  in  Greußen 
ging,  beweift  ber  Umftanb,  bafj  fogar  ©aefträger  für  ihre  ©teile,  bie 
nicht  mehr  als  $ef)n  Xhaler  monatlich  eintrug,  fechShunbert  Xhaler 
gezahlt  ijdbtn  follen. 

Xrofc  feiner  leibenfehaftlicheu  Vorliebe  für  baS  Sftilitärwefen, 
war  griebrich  SBilhelm  fein  friegerifcher  gürft,  unb  bei  ber  bebeu* 
tenben  (Erhöhung  feiner  Kriegsmacht  hattc  er  ölS  S^ecf  weit  mehr 
bie  (Srhafomg  °ic  Erweiterung  feiner  Stacht  im  Auge.  An  bem 
norbifchen  Kriege,  ber  ihm  ben  öon  bem  großen  Kurfürften  öer= 
gebenS  erftrebten  Veftfc  öon  Bommern  öerf  Raffte,  nahm  er  faft  wiber 
SBillen  Xheil. 

35ie  gleiche  beSpotifche  ©trenge,  burch  welche  fjriebrict)  SBil* 
heim  feine  Unterthanen  in  gurdjt  unb  Sutern  h^lt,  beobachtete  er 
auch  9e9cn  fc™c  gawilie,'  öon  ber  er  in  allen  ©tücfen  bie  abfo* 

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348    5)a8  JBmgreia)  ^reu&en  unter  griebriä)  L  unb  griebrich  2öil^clm  I. 

tutefte  Unterwerfung  unter  feinen  SBttten  oerlangte.  #uf  bic  9cei* 
gungen  unb  Siebhabereien  feiner  Kinber  nahm  er  nicht  bie  geringfte 
9ftücffid)t.  ©eine  ©öhne,  bie  in  ihrem  Eafchengelb  äugerft  fnapp 
gehalten  würben,  mu&ten  fdjon  als  Knaben  ben  ©otbatenbtenft  öon 
unten  auf  erlernen.  $en  Kronprinzen  Sriebrict)  trieb  er  burdj  feine 
ma&lofe  ©trenge  fo  fct)r  jur  Serjweijiung,  ba&  btefer  ftdj  burd)  bie 
gluckt  ber  bäterttdjen  Xtjrannei  ju  entziehen  fud)te,  Wa3  ihn  in 
(Befahr  brachte ,  fein  fieben  auf  bem  ©djaffot  ju  beenben.  ©eine 
ättefte  Softer  SBilhelmine,  bie  nachmalige  ®emahlin  be3  Erbprinzen 
oon  ©aireuth,  war  einmal  nahe  baran,  bon  it)m  erftochen  &u  »er* 
ben ,  weil  fte  e8  gett>agt ,  it)m  ju  miberfprechen.  $)er  König  war 
baher  auch  für  feine  Kurier  weit  mehr  ein  ©egenftanb  ber  gurcht, 
als  ber  Siebe. 

Obgleich  in  ber  ©rjiehung  griebrich  SBilhelmS ,  befonberä  öon 
©eitert  feiner  2Jcutter,  Lichta  öerfäumt  werben,  um  feinen  ©inn  für 
Kunft  unb  SBiffenfchaft  ju  werfen,  Rotten  bic  ^Bemühungen  feiner 
Sehrer  nur  geringen  Erfolg  gehabt  ,  woju  aflerbingS  ihre  feinem 
ganzen  SBefen  wiberftrebenbe  pebantifa^e  Unterrichtämethobe  wefent* 
lidj  beigetragen  haben  mochte,  ©eine  wiffenfdjaftlidje  SBilbung  war 
bafjer  eine  fet)r  befdjränfte  geblieben :  öon  Sßoefie  unb  ^^ilofop^ie 
ober  bem,  was  bamit  öerwanbt  ift,  r)atte  er  feinen  begriff ;  nur  in 
benjenigen  SBiffenfchaften ,  bie  für  ba3  praftifche  fieben  SSerth  I)at* 
ten,  r)atte  er  fidt)  einige  Kenntniffe  erworben.  9ttd)t  einmal  feine 
SJcutterfpradje  öerftanb  er  grünblich;  benn  er  fchrieb  biefelbe  ebenfo 
ungrammatifd),  alä  unorthograpt)ifch.  3>a3  ßateinifa^e,  ba§  bamalS 
bei  ber  Unterweifung  ber  fjöljeren  ©tänbe  in  $eutfd)lanb  jur  ®runb* 
läge  biente,  war  ihm  fo  oerhafjt,  bafj  er  ben  Erziehern  be3  Kron= 
prinjen  auf  baä  ©trengfte  oerbot,  feinen  ©ofm  in  bemfetben  z« 
unterrichten.  $er  franzöfifdjen  ©prache  bagegen  war  er  öoUfommen 
mächtig  unb  bebiente  fich  berfelben  auch,  wenn  ber  Slnftanb  bteä  bei 
frembem  S8efuct)e  erforberte,  wie  er  auch  feine  Kinber,  bem  ©ebote 
ber  ftothwenbigfeit  fich  fügenb ,  barin  unterrichten  lieg ;  bagegen 
fpradj  er,  ber  f>errfd)enben  Soffitte  juwiber,  mit  feiner  gamilie  unb 
mit  ben  (Sfcfanbten  beutfdjer  9Jiäcr)tc  nur  beutfd)  unb  bulbete  auch 
in  feinen  ^benbjirfeln  feine  anbere  ©prad)e. 

SBie  griebrich  SBithefmä  ganze  ftatur,  fo  war  audj  feine  poli* 
tifche  ©efinnung  eine  burdj  unb  burd)  beutfdje.  Zxoi  mehrfacher 
Serwurfniffe  mit  bem  Kaiferf)ofe  hing  er  mit  unöerbrüchlicher  Xreue 
an  Kaifer  unb  Bleich  unb  an  ber  ganzen  beftehenben  9lcchtÄorbnung, 
aaerbtng«  Wohl  mit  au§  bem  ©runbc,  weil  er  in  berfelben  zugleich 
bie  fiajerfte  ©runblage  feinet  eigenen  ©taateä  erblicfte.  „$egcn  unb 
^iftolen,"  fagte  er  einft  ju  bem  öon  ihm  hochverehrten  ^rinjen 
@ugen,  „Witt  ich  meinen  Kinbern  in  bie  ©iege  legen,  bamit  fie  für 
ben  Kaifer  fämpfen  lernen/ 


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griebridjö  n.  Sugcnbia^re, 


349 


Sieben  ber  äd^t  beutfdjen  ©efinnung  griebrtch  SBilhelmä  Oerbient 
inSbefonbere  feine  ©ittenreinheit  unb  ©ittenftrenge  rü|menbe  2lner* 
fennung,  toenn  es  ftdjer  auch  nicht  ju  billigen  ift,  bog  er  unter  bem 
preufcifchen  SBolfe  burd)  ©totffd)läge  eine  beffere  Sucht  herbeizuführen 
fudjte.  £atte  er  oon  feinem  #ofe  mit  jeber  fürftlidjen  bracht  auch 
alle  feineren  ©enüffe  beä  Sebent  öerbannt,  fo  fanb  fich  bagegen  an 
bemfelben  auch  feine  ©pur  ber  an  ben  meiften  anbern  #öfen  herr= 
fchenben  tiefen  fittticfjen  Entartung. 

griebrich  SBilhelmS  oft  in  ©eij  auSartenbe  ©parfamfeit  fefete 
üjn  nicht  nur  in  ben  ©tanb,  alle  bon  feinem  SSater  bem  ßanbe  auf= 
gebfirbeten  ©Bulben  abzutragen,  fonbern  auch  für  fünf  Millionen 
neue  Sfrongüter  unb  für  jtuei  9ftilIionen  Sanbgüter  für  feine  jüngeren 
©öfjne  anjufaufen,  anbertfjalb  9Mionen  in  ©ilbergerätt)e  aller  2lrtf 
al3  einem  ntdjt  fo  Icict)t  anjugreifenben ,  im  gaHe  ber  9totf)  jeboa) 
unfehtoer  toieber  in  ®elb  umjufefcenben  Kapitale,  anzulegen  unb  ba* 
bei  feinem  Nachfolger  eine  baare  ©umme  bon  ad)t  üfliHionen  fieben* 
malhunberrtaufenb  X^altxn  ju  hinterlaffen.  tiefer  bebeutenbe  ©taata* 
fct)a^  fowie  bie  oon  griebrich  SBilhelm  L  in  ba3  gefammte  ©taat^ 
tt>efen  eingeführte  Drbnung  unb  baä  trefflich  gefällte  $eer  oon 
aajtäigtaufenb  2Hann,  baä  bei  beä  ftönig*  $ob  (30.  äJcai  1740) 
unter  ben  SSaffen  ftanb,  matten  eä  feinem  ©ohne  griebrich  II. 
möglich,  bie  günftige  ®onjunftur  $u  benufcen,  bie  ihm  fed)3  Monate 
nac§  feiner  X^ronbefteigung  ber  £ob  ®atfer  ®arl3  VI.  für  bie  2lu3= 
fü^rung  feiner  längft  genährten  (Sroberungäpläne  gcfct)affen. 


gfriebri^S  II.  3uöcnbiajre. 

(1712-1740.) 

griebrich  IL— tn  ber  Xaufe  ®arl  griebrtd)  genannt,  ba 
neben  feinem  ®ro&üater  griebrich  I.  ber  ®aifer  &arl  VI.  fein  Sauf* 
patlje  mar  — ,  geboren  ju  Berlin  am  24.  ganuar  1712,  oerlebte 
feine  erften  ®inberjaf)re  unter  ben  Slugen  einer  reformirten,  burd) 
bie  Aufhebung  be3  (Sbiftä  üon  Nantes  nach  ©ranbenburg  gefomme- 
neu  franzöftfehen  SDame,  ber  bernritttoeten  Dbrifrin  oon  SRocouHeS, 
bie  aua)  föon  feine$  *Bater3  ©rjieherin  getoefen.  $urd)  fte  erhielt 
er  mit  ber  erften  ®ennrnij3  ber  franjöfifdjen  ©pradje  auch  ieitc  en*s 
fctjicbene  Vorliebe  für  biefelbe,  bie  ihn  $ur  atti&adjtung  unb  gänj* 
liefen  Semachlöf figung  feiner  ÜUhttter [prache  oerleitete. 

Sflit  bem  Eintritt  in  fein  fiebenteS  Sebenäjahr  mürbe  griebrich 
unter  männliche  Seitung  gefteHt.  Qvl  feinem  Dberhofmeifter  ernannte 
ber  ®önig  ben  fechsigjährtgen  ©eneraßieutenant  trafen  oon  ginfen- 
ftein,  ber  ftcr)  im  fpanifdjen  ©rbfolgefrieg,  befonberä  bei  9Mplaquerf 


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350    3)ciS  tfönigreid)  Greußen  unter  griebrich  I.  unb  griebrich  SBil^clm  I. 


ausgezeichnet  hatte,  zum  Untergouoerneur  bat  OSerften  oon  ®alfftein 
unb  übergab  if>nen  eine  oon  if)m  feibft  aufgearbeitete  ausführliche  3n* 
ftrufiion,  an  roelche  fic  fidj  in  ber  Erziehung  beS  Kronprinzen  frreng 
ZU  galten  Rattert.  Qn  berfelben  mar  ilmen  als  Hauptaufgabe  cor* 
geschrieben,  in  bem  Sßrinjen  eine  roahre  c^rifttic^e  grömmtgfeit  unb 
Gottesfurcht,  infonberheit  aber  bie  falDinifc^e  „SRechtgläubtgfeit"  $u 
tueefen  unb  ju  nähren,  bagegen  ihm  „t>or  ber  tatr)oIifcr)en  Religion, 
fo  oie(  als  immer  möglich,  cm  Mjcheu  ju  machen  unb  bereit  Un* 
grunb  unb  5lbfurbität  oor  2Iugen  ju  legen  unb  wohl  $u  imprimi= 
ren,"  ihm  Ehrfurcht  unb  ©ehorfam  gegen  feine  ©Item  einzuprägen, 
auf  baS  ©trengfte  über  feine  ©ittlichfeit  ju  machen,  feinen  ©tolj 
unb  ^ochmuth  in  ihm  auffommen  ju  laffen  unb  ihn  jur  ßeutfelig= 
feit  unb  2)emuth,  zur  9#äßigfeit,  ©parfamfeit,  Drbnung  unb  einem 
rooht  geregelten  gleiß  anzuhalten,  Bezüglich  beS  miffenfehaftlichen 
Unterrichte  maren  nur  bie  praftifch  zu  bertoerthenben  ßenntniffe  in« 
Sluge  gefaßt.  $aS  ßateinifche  mar  auSbrücfüch  auSgefchloffetv  Qn 
ber  beutfehen  unb  franzöftfehen  ©pradje  follte  ber  ^ßrinj  hauptfäa> 
lieh  W  ourch  Ucbungen  einen  fließenben  ©tnl  anzugemöhnen  fudjen ; 
bagegen  follte  er  in  ber  SRechenf unft ,  9ftathematif ,  Slrtiacric  unb 
Oefonomie  grünblich  unterrichtet  merben.  „$ie  alte  $iftorie",  ^ieg 
es  tueiter,  „fann  ihm  nur  obenhin,  biejenige  aber  oon  unfern  Seiten 
unb  öon  hnnbertfünfzig  Qahren  her  muß  ihm  aufs  ÖJcnauefte  bei* 
gebracht  merben,  roie  auch  9totur*  unb  Sölferrecht,  Geographie  unb 
roaS  in  jebem  Sanbe  merfmürbig,  bie  ©efdjichte  Greußens  unb  ber 
benachbarten  ßänber."  $abei  foöte  auch  in  geeigneter  Seife  für  eine 
tüchtige  förperlidje  SluSbilbung  unb  Abhärtung  beS  Prinzen  ©orge 
getragen  merben.  „Slbfonbcrlic^'4,  fo  fließt  bie  3nftruftion,  „haben 
©ie  iöeibe  fich  äußerft  angelegen  fein  zn  laffen,  9fteinem  ©ofme  bie 
mahre  Siebe  zum  ©olbatenftanbe  einzuprägen  unb  3hut  3U  impri* 
muten,  baß,  gleich  Nie  Vichts  in  ber  SBelt  einem  Prinzen  9hthm 
unb  @hre  zu  9C0^n  öermag,  als  ber  3)egen,  dr  in  ber  SBelt  ein 
verachteter  aftenfdj  fein  mürbe,  menn  @r  folgen  nicht  gleichfalls 
liebte  unb  bie  einzige  ©loria  in  bemfclben  fuchte." 

5)en  bebeutenbften  Einfluß  auf  bie  geiftige  Sntmicftung  beS 
Prinzen  gemann  fein  ßehrer  $uhan  be  3anbun ,  ein  auSgemanber* 
ter  granzofe,  ber  ihn  nach  u"°  na$  *»  oie  franjöfifc^c  ßiteratur 
einmeihte  unb  ihm  für  biefelbe  jene  Begeiferung  einflößte,  bie  ihn 
bis  in  fein  fpätefteS  SUter  mit  ©eringfehäfcung  auf  bie  inzttnfchen 
gleichfalls  zu  Wer  ^31ütt)e  gelangte  baterlänbifche  Literatur  herab- 
bliefen  ließ. 

£>a  ber  König,  fo  menig  er  auch  im  Allgemeinen  oon  ben 
fünften  hielt,  eine  gemiffe  greube  an  ber  SKufif  hatte,  ließ  er 
feinen  ©ot)n ,  ber  feibft  einen  regen  «Sinn  für  bie  elbe  an  ben  Xag 
legte,  burch  einen  $omorgamften  im  Älamerfpiel  unterrichten,  ©eit* 


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gricbrid)«  II.  3u0*nt>jGl)rc. 


351 


bem  jebodj  ber  $rinj  im  Qafjre  1728  bei  einem  mit  feinem  Sater 
am  3)re3bener  £ofe  gemachten  SBefudje  ben  berühmten  Xonfünfiler 
Buanfc  auf  ber  glöte  gehört,  l)atte  er  fidj  mit  entfdnebener  Vorliebe 
biefem  Qnftrumente  $ugeroanbt,  unb  auf  ba$  Sßerroenben  feiner 
Butter  erhielt  Duanfc  oon  Äuguft  II.  bie  (Srlaubnig,  jmeimal  im 
ga^re  auf  eine  Zeitlang  nach  ^Berlin  $u  reifen,  um  ben  lernbegie* 
rigen  üfronprinjen ,  natürlich  olme  SSormiffen  be8  SBaterd,  im  3lö* 
tenfpiele  ju  unterrichten ,  in  meinem  e3  griebrich  befanntlidj  ju 
einer  grofjen  Dtteifterfchaft  braute. 

$er  Unterricht  in  ber  Religion  mürbe  bem  Kronprinzen  burch 
jttiei  §ofprebiger  erteilt ;  bod)  l)atte  berfelbe  nict)t  ben  öon  bem 
König  ermarteten  ©rfolg,  roeil  er  bec-  Sßrin$en  §er$  falt  lieg  unb 
bie  reformirten  Dogmen  ib,n  meber  anzogen  noch  befriebigten.  ®a$u 
fam  bie  fiangemeile,  bie  i^m  ba£  üorgefchriebene  häufige  2lnf)ören 
langer,  geiftlofer  ^rebigten  öerurfadjte.  2luch  bie  2Ba|rne^mung, 
bag  beS  Königs  grömmigfeit  unb  falöimfche  föedjtgläubigfeit  feinerlei 
Ginflug  auf  beffen  rauhe  ®emüth$art  unb  fein  törannifche3  halten 
au^uüben  öermochte,  mar  roenig  geeignet,  ben  religio  feit  ©inn  be8 
$rin$en  ju  beleben.  SSoflftanbig  entfrembet  mürbe  er  bem  ©(jriften* 
tfmm  buref)  bie  «Schriften  ber  franjöfifdt)en  föeligionäfpötter,  bie  ilm 
fdmn  frühe  auf  bie  Sahn  be£  Unglaubens  führten. 

55a  ber  Kronprinz  bor  allen  fingen  $u  einem  tüchtigen  Sol* 
baten  ^erangebilbet  merben  foUte,  Ijatte  ber  König  fetjon  im  3ahre 
1717  gu  feiner  Uebung  im  Keinen  SBaffenbienfte  eine  fronprinjliche 
Kabettenfompagnie  errietet ,  bie  fpäter  ju  einem  ganjen  Bataillon 
erweitert  mürbe;  auch  mugte  ber  $rin$  fd)on  im  jarteften  Knaben* 
alter  bie  Kinberfleiber  gegen  eine  militärifche  Uuiform  öertaufd)en. 
3n  feinem  bierje^nten  Safjre  mürbe  er  5um  Hauptmann,  im  fünf* 
je^nten  $um  äftajor  unb  im  fiebje^nten  jum  Dberftlieutenant  er* 
nannt.  Qn  allen  biefen  ©teilen  hotte  er,  mie  jeber  Slnbere,  ben 
regelmäßigen  S)ienft  $u  tljun.  Sagte  bieä  fdjon  an  fidt)  bem  lebfmf* 
ten  ©eifte  be£  ^Srin^en  roenig  ju,  fo  mürbe  ihm  ber  militärifche 
$)ienft  öoUftänbig  öerleibet,  feitbem  er  nach  feiner  Ernennung  jum 
Dberftlieutenant  an  bem  unabläffigen  ©inejerciren  ber  Gruppen 
tljeilneijmen  unb  baburdj  3tü$t  ber  unmenfa)lid>en  #ärte  fein  mugte, 
mit  melier  bie  beflagenSroerthen  Solbaten  babei  öon  feinem  SSater 
unb  bem  gurften  öon  $)effau  bef)anbelt  mürben.  3e  meniger  er  aber 
fein  Sttigfaflen  barüber  $u  öerbergen  mugte,  befto  mehr  Jan!  er  in 
ber  SMnung  feinet  Skterfc,  ber  it)n  für  einen  $u  einem  redeten 
Solbaten  untauglichen  2öeia)ling  tytlt.  S3eibe  maren  grunbüerfchie* 
bene  Naturen,  bie  einanber  mehr  abftiegen  als  anzogen;  gleich 
maren  fie  nur  in  ber  (Sntfdnebenheit  beä  SBiHena,  unb  je  eigen* 
artiger  fia)  be3  Kronprinzen  d^axattn  unb  ganzes  Söefen  entmicfelte, 
befto  mehr  rouchä  beS  SBaterS  Abneigung  gegen  ihn. 


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352   3?a8  tömgreid)  ^reufjen  unter  griebrid)  i.  unj)  ^nebricr}  SStl^clm  I. 

2(n  Serantaffungen  gur  Unjufriebenfjeit  fehlte  c«  bem  ftßnig 
nidjt.  3"  Kummer,  ben  er  über  bie  religiöfe  (IJleidjgUtigfeit 
be«  föronprinjen  empfanb,  gefeilte  fidt)  ber  Unmutt)  über  beffen  ent* 
fdnebene  Sorltebe  für  tüiffenfc^aftlic^c  Sefctjäftigungen,  für  fran- 
jöfifcfje  fieftüre  unb  fran$öfifct)en  ßuru«,  foroic  über  feinen  Langel 
an  ©parfamfeit  unb  fjäu«lict)en  Sinn.  &uct)  oerbroß  e«  ben  Sater, 
baß  ber  s?rinj  toeber  an  ben  rot)en  sßarforcejagben  im  ^ßarfe  oon 
SBufterfjaufen,  nodj  an  ben  berben  ©olbatenfpäffen  im  Xabaf«foIIe= 
gium  (Gefallen  fanb,  in  toeldje«  er  al«  roirftirf)e«  Sftttgtieb  aufge= 
nommen  roorben;  baß  er  ernft  blieb,  mo  ber  Sater  lachte,  unb  fid> 
bi«tt)eilen  im  ©efüt)Ic  feiner  geiftigen  Ueberlegent)eit  eine  fpotteinbc 
Semerfung  über  3)inge  unb  *ßerfonen  erlaubte,  bie  bem  Sater  roertt) 
maren.  dr  befdjulbigte  Um  be«  ©tol$e«  unb  ber  £>offart  unb  r)ielt 
e3  für  nött)ig,  ifjn  in  um  fo  ftrengerer  gucr)t  $u  galten,  dr  über= 
toactjte  alle  feine  Schritte,  oerbot,  al«  er  in  @rfat)rung  gebraut, 
baß  ber  ^ßrinj  ©Bulben  madje,  bei  fernerer  ©träfe  einem  3Kinber~ 
jährigen,  „unb  menn  e«  ber  $ronprinj  märe,"  irgenb  Stroa«  ju 
borgen,  unb  jroang  it)n,  täglich  oom  frühen  9Jcorgen  bi«  jur  Sttittag«* 
tafel  auf  bem  ©jrercierplafc  $u  bleiben,  fo  baß  ber  $rinj  feinen  Sieb* 
Iing«befd)äftigungen  nur  bie  9tad)mittag«ftunben  mibmen  fonnte.  211« 
er  ifm  einft  beim  glötenfpiel  in  einem  golbbrofabenen  ©djlafrotf 
überragte,  fnett  er  ifjm  eine  bonnernbe  ©trafprebigt,  ließ  it)n  fofort 
feine  Uniform  mieber  anlegen,  marf  ben  ©djlafrocf  in«  geuer  unb 
fanbte  bie  fran5öftfct)en  SBerfe,  bie  auf  be«  ^rinjen  Xifdje  lagen, 
ju  bem  Sucfjfjänbler  jurücf. 

9coct)  größer  mürbe  be«  IBnig«  Erbitterung  gegen  ben  ftnnu 
prinjen,  al«  er  erfuhr,  baß  berfelbe,  feitbem  er  bei  bem  oben  er= 
mahnten  Sefudje  in  Bresben  bie  große  SBelt  mit  it)ren  oerfüljrerifdjen 
föeijen  rennen  gelernt,  fidj  an  $lu«fcr)roeifungen  getüör)nt  r)abe.  3u 
melden  2Butt)au«brüct)en  fict)  ber  leibenfct)aftlict)e  Sater  bei  biefer 
©elegentjeit  Innreißen  ließ,  erhellt  au«  einem  ©riefe  griebrict)«  an 
feine  Butter  oom  Qatyre  1729.  „%<fy  bin",  fo  fdjreibt  er,  „in  ber 
größten  Sersroeifiung !  28a«  icf)  immer  befürchtete,  ift  mir  enblict) 
begegnet.  $er  Äönig  t)at  gänjlia^  üergeffen,  baß  ict)  fein  ©ot)n 
bin,  unb  mict)  mie  ben  niebrigften  2ftenfct)en  befwnbelt.  Qct)  trat 
biefen  borgen  roie  gerüör)nlict)  in  fein  3intmer.  ©obalb  er  mict) 
faf),  ergriff  er  mict)  unb  fct)lug  mict)  mit  feinem  ©toefe  auf  bie  grau* 
famftc  §lrt  ber  Söclt.  Sergeben«  fudjte  tet)  mict)  ju  üertf>eibtgen ; 
er  mar  in  einer  fo  furdjtbaren  Aufregung,  baß  er  fict)  nietjt  met)r 
rannte  unb  nur  au«  (£rmübung  toieber  aufhörte.  Qd)  bin  auf« 
Sleußerfte  gebraut,  t)abe  juütel  (St)rgefüt)l,  um  foldje  Sct)anblung 
311  ertragen,  unb  bin  entfdjloffen,  auf  eine  ober  bie  anbere  2lrt  ber 
©acr)e  ein  ©nbe  511  machen. " 

X)er  buret)  bie  Xt)rannei  be«  Sater«  getoeefte  2Biberftanb«geift 


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griebrid)8  n.  gugenbjafjre.  353 


beS  $rinjen  ttmrbe  erhöht  burd)  ben  Hinterhalt,  ben  griebridj  an 
feiner  SJhitter  fanb.  ©tatt  nadj  ber  einen  Seite  hin  begütigenb, 
nad)  ber  onbern  abmafmenb  ein junrirf en ,  ließ  fia)  bie  Königin 
burch  baS  eigene  Unbehagen  an  bem  glanjlofen  preufcifdjen  £>of, 
too  fte  SftidjtS  als  (Entbehrungen  unb  Un^uträglia^teiten  gefunben, 
unb  buref)  bie  untoürbige  ©ehanblung,  bie  aurf)  fie  mitunter  Don 
Üircm  teibenfe^aftü^en  unb  argroöhnifdjen  üknmblc  $u  erbulben 
^atte,  baju  öerleiten,  in  beS  $ronj>rin$en  klagen  über  feinen  Vater 
einjuftimmen  unb  feine  Neigungen  fynttt  beffen  SRütfen  ju  begün* 
ftigen,  toobureb,  fie  nid)t  menig  jur  görberung  beS  beftehenben  Üftifc 
öerhältniffeS  beitrug.  2lud)  griebridjs  ©d)h)efter  SBU^cItntne,  bie 
entfdjteben  auf  beS  föronprinsen  ©eite  ftanb  unb  in  beren,  bie  (£r~ 
lebniffe  ihrer  3u9cn0  frfjtfberaben  äftemoiren  fid)  eine  bis  jum  $af3 
gefteigerte,  baS  (Gefühl  beS  SeferS  tief  bertejjenbe  Vitterfeit  gegen 
i^ren  Vater  auSfprid)t,  oerfäumte  nid)t,  baS  geuer  ju  fajüren. 

$ie  ©pannung  in  ber  föniglidjen  gamilie  erreichte  ben  hödjften 
@Jrab  im  ©ommer  1730,  als  bie  fdjon  feit  längerer  Seit  biSfutirte 
grage  ber  Vermählung  beS  föronprinjen  jur  ©ntfdjeibung  gebraut 
toerben  foHte.  (SS  mar  ein  SieblingStounfch  ber  Königin,  ihre  %ofy 
tcr  SSilhelmine  mit  ihrem  Steffen,  bem  ^rinjen  üon  SBaleS,  unb 
ben  Äroityrinjen  mit  beffen  ©djtoefter,  ber  frönen  englifchen 
^Prinjeffin  Amalie,  ju  öermäb,Ien,  unb  bie  Steigungen  ihrer  $tn* 
ber  ftimmten  mit  biefem  SSunfa^e  überein.  2tua)  ber  ftönig 
mar  anfangs  biefem  VermählungSprojeft ,  mit  welchem  nicht  nur 
ber  ®öntg  ÖJeorg  II.,  fonbern  aus  (SJrünben  ber  s$olirif  auch 
baS  englifche  Parlament  unb  S8otf  öollftänbtg  einoerftanben  roaren, 
nicht  abgeneigt;  als  aber  fpäter  bie  öon  feinen  Söerbera  in 
|>annober  oerübten  unb  oon  ü)m  in  ©djujj  genommenen  Ungebühr* 
Itdjfeiten  ein  ernfteS  Sermürfnig  jnrifchen  ihm  unb  feinem  ©djum* 
ger  herbeigeführt,  moflte  er  üon  ber  geplanten  $>oppelheirath  92ict)t^ 
mehr  ttriffen,  unb  als  er  erfuhr,  baß  griebrich  felbft  bie  ©ache 
eifrig  betreibe  unb  bereits  bieferfjalb  heimlia)  nach  (Snglanb  gefd^ric- 
ben  f)abt,  gerieth  er  in  fo  heftigen  3orn,  ba&  er  ben  Spritzen 
öffentlich  mit  ©torff ablägen  aufs  ($röblid)fte  mi&hanbelte  unb  fidj 
babei  an  bie  Slntoefenben  mit  ben  SBorten  roanbte:  „SBäre  id)  oon 
meinem  Vater  fo  behanbelt  toorben,  fo  hätte  id)  und)  tobtgefdjoffcn ; 
aber  er  lägt  fid)  SlHeS  gefallen;  benn  er  hat  feine  (Ehre  im  ßeibe 
unb  ift  ein  geigling." 

3)iefe  fdjmachöolle  Vef)anblung  braute  ben  oon  bem  Sßrin$en 
Iangft  genährten  $lan,  fidj  bura)  bie  glud)t  nach  (Snglanb  ber 
Xurannei  feines  VaterS  ju  entziehen,  jur  rajdjen  Steife.  $uv  2luS^ 
fuhrung  biefeS  planes,  in  melohen  er  nur  feine  ©chtoefter  SSilrjet- 
mine  unb  bie  beiben  Sieutenants  oon  ®eith  unb  oon  ^atte,  feine  Oer* 
trauteften  greunbe,  eingemeiht  hatte,  gebaute  er  bie  Steife  ju  benufcen, 

^olatoatt^,  MWffl&t.  VI.  23 

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354   $a3  Äönigreid)  «ßrcufcen  unter  griebridj  I-  mt&  gnebnd)  Wltylm  I. 

bie  fein  ©ater  mit  iljm  im  3ufi  1730  burdj  ©adjfen,  grauten 
©djmaben  unb  bie  Sftfyeintanbe  machen  moflte.  Obgleich  bem  föönig 
@erüd)te  öon  biefem  glud)tplan,  tua^rfc^etnlic^  burd)  eine  llnöorfid)- 
tigfeit  &atte%  ju  Dljren  gefommen,  nafmt  er  beu  ^ßrinjen  mit, 
erteilte  aber  brei  höheren  Dffijievcn,  bie  mit  bemjelben  in  bem 
nämlichen  SBagen  fuhren,  ben  geheimen  Auftrag,  if)n  nid)t  au*  ben 
Äugen  ju  (äffen. 

9tadjbem  ber  ^ßrinj  mehrere  9ftale  ben  ©erfudj  gemacht,  ju 
entfliegen,  aber  immer  baran  berfjinbert  morben,  mürbe  bem  $önig 
in  granffurt  ein  ©rief  jugefteHt,  ben  ber  ßtonprinj  Don  31n*badi 
aud  an  ben  Lieutenant  Don  föatte  gefdjrieben,  auf  beffen  Mbreffe 
er  jebodj  in  ber  ©ile  ben  ©eftimmung*ort  anzugeben  oergeffen.  $)a 
biefer  ©rief  bem  $cnig  über  feines  ©ofme*  äbfidjten  ooäftanbige 
®en)i8()eit  gab,  lieg  er  benfelben  fofort  üerljaften  unb  auf  ein  ©$iff 
bringen,  ba*  iljn  nad)  SBefel  führen  foQte.  211*  er  am  folgenden 
Sage  gleidjfall*  ba*  ©djiff  beftieg,  Ioberte  fein  3orn  bei  bem  2ln* 
blid  be*  $rin$en  fo  heftig  auf,  bafj  er  if)n  bei  ben  paaren  ergriff 
unb  if)tn  mit  feinem  ©todfnopf  ba*  ©eftdjt  blutig  fdjlug.  3n 
SSefel  liefe  iljn  ber  $önig  auf*  Sfteue  bor  fia)  bringen  unb  brang, 
al*  ber  $rin$  tfjm  auf  feine  grage,  roarum  er  t)abe  befertiren 
motten?  jur  ftntroort  gab:  „er  f)abe  nur  getfjan,  ma*  fein  ©ater 
felbft  an  feiner  ©teile  getljan  fjoben  mürbe,"  mit  gezogenem  $)egen 
auf  il)n  ein,  um  if)it  $u  burdjboljren.  Stur  ba*  $>ajnnfd>entreten 
be*  ©eneral«  9^ofel,  ber  bem  ftönig  mit  ben  SBorten :  „Xöbten 
©ie  midj;  aber  öerfdjonen  ©ie  3#ren  ©o^n!"  in  ben  2lrm  fiel, 
rettete  be*  $rinjen  Leben. 

©ergeben*  fud)te  ber  ®raf  ©edenborf,  ber  ben  #onig  auf 
feiner  Steife  begleitete,  benfclbeu  milber  gegen  feinen  ©ofm  ju  ftim* 
men,  inbem  er  ifmt  be*  $rin$en  gludjtoerfua)  al*  einen  üerjeüj* 
lidjen  Qugenbftreidj  barftellte:  griebriet)  SBil^elm  fa^ien  jmar  einen 
Slugenblid  geneigt,  ber  gurfpradje  be*  (trafen  golge  ju  geben;  al* 
er  jebodj  erfuhr,  ba&  ber  in  SBeiel  fte^enbe  Lieutenant  öon  $eitl), 
ben  ber  $rinj  rechtzeitig  burd)  einige  3c^en  hatte  warnen  fönnen, 
fia)  burd)  bie  gludjt  ber  ihm  augebaajten  ©träfe  entjogen,  feljrte 
feine  öolle  Erbitterung  jurüd,  unb  er  fpraa)  ben  feften  @ntfd)luj} 
au*,  fomoljl  gegen  ben  ftconprinjen,  al*  gegen  ben  Lieutenant  oon 
flatte,  ber  injunfdjen  auf  einen  nadj  ©erlin  abgegangenen  geheimen 
©efefjl  behaftet  morben,  nad)  ber  ganzen  ©trenge  ber  ftriegagefefee 
borjugefjen.  „3a)  habe",  fdjrieb  er  an  feine  GJemafjlin,  „ben  ©d)ur* 
fen,  ben  grijj,  feftnef)mcn  taffen  unb  roerbe  üm  belmnbeln,  mie  e* 
feine  ©erbrechen  unb  feine  Seig&eit  öerbienen.  Ein  fola)er  (Slenber 
öerbient  niajt  me^r  ju  leben." 

Sur  bie  t öniglidje  gamilie  famen  fernere  Xage ;  benn  griebria) 
SBil^elm  üermut^cte  geheime  (Sinoerftanbniffe  ber  Königin  unb  ber 


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grtebrirfja  n.  Sugenbjahre. 


355 


3ßrtn$effm  Söilhelmine  mit  bcm  ftronprinaen.  $11«  er  nach  jetner 
SRücffehr  in  bie  #auptftabt  ber  fieberen  anfichtig  mürbe,  rief  er 
it)r  mit  jornglühenben  ©liefen  ju:  „3nfame  (Sanaide,  hue,  bu 
toagft  es  noch,  bich  üor  mir  ju  seigen?  ©eh'  unb  Iciftc  beinern 
©Surfen  ton  «ruber  ®efellfchaft!"  $abei  gab  er  ihr  fo  heftige 
Sauftfchläge  in«  ®eficht,  baß  fie  ohnmächtig  sufammenfrürate.  3^re 
iörüber  unb  ©chmeftern  marfen  fidj  ihm  ju  Süßen,  umflammerten 
feine  ftntee  unb  baten  ihn  fchluchsenb  um  ©dmnung  für  bie  <ßrin* 
$effin,  mährenb  bie  Königin  öerjmeifelnb  bie  §änbe  rang  unb  feine 
anberen  SBorte  finben  fonnte  al«:  „HJ^cin  ©ort,  mein  ©ofm!" 
Söeim  s2lnblicf  be«  Sieutenant«  üon  Äatte,  ber  eben  gefangen  nact) 
bem  ©ct)loffe  geführt  mürbe,  rief  er :  „3efct  roerbe  i<f>  ben  ©Surfen 
grifc  unb  bie  GanaiHe  SSilhelmine  überführen  fönnen,  unb  ict) 
roerbe  hinreichenbe  ©rünbe  finben,  um  it)m  ben  #opf  oor  bie  Süße 
$u  legen !"  211«  ber  unglüefliche  ®atte  in  einem  leinenen  ©enbar* 
menfittel  öor  it)m  erfaßten,  riß  er  it)m  ba«  Drben«freua  Dorn  $alfe 
unb  gab  it)m  fo  heftige  ©tocfljiebe  unb  Ohrfeigen,  baß  it)m  ba« 
«Blut  über  ba«  ©efict)t  frvömte.  3"  ben  Süßen  be«  Königs  meber* 
fallenb,  beteuerte  berfelbe,  baß  ber  ^ßrinj  feine  anbere  21bficr)t  ge* 
^egt,  al«  nach  (Snglanb  §u  entfliegen  unb  fic^  unter  ben  ©ct)u&  biefer 
Krone  $u  freHen,  nie  aber  ben  geringften  <ßlan  meber  gegen  bie  <ßer* 
fon  be«  König«  noch  gegen  ben  ©taat  entworfen  habe.  $er  König 
hegte  nämlich  ben  Wrgroohn,  baß  e«  bei  be«  $rinjen  Sludjtplan  §u= 
gleich  auf  fein  Seben  abgefehen  gemefen.  „ütttch  gebachten  fie  Oer* 
muthlid)  ju  öergifren,"  äußerte  er  im  Vertrauen  511  ©eefenborf. 
„$>ärte  mir  fjrife  in  SBcfel  ehrlich  OTe«  gefranben,  fo  hätte  ich  e« 
in  ber  ©tiüe  mit  ihm  abgemacht;  aber  nun  muß  bie  ©act)e  ihren 
Sauf  nehmen,  unb  bie  SSelt  fott  rieten  jmifchen  und." 

S)e«  Königs  leiben fd)aftüdt)c^  SSüthen  bet)nte  fict)  auf  OTe 
au«,  bie  feinem  ©ohne  nahe  gefommen.  üftehrere  Herren  unb 
tarnen  com  £ofe  mürben  t>err)aftet  ober  fortgejagt.  $>er  s3ftinifter 
^ntjpr)aufen,  ber  im  Serbachte  ftanb,  bcm  ^ßrinjen  <35etb  geliehen 
$u  haben,  erhielt  feinen  ^Ibfcfneb.  griebrich«  Sehrer  Xurjan,  beu 
ber  König  befchulbtgte ,  bem  ^ßrinjen  ba«  ©ift  be«  franjöftfchen 
©eiftc«  unb  be«  Unglauben«  beigebracht  ju  haben,  mürbe  nach 
Stemel  öerbannt,  ber  erfte  Kammerbtener  be«  Kronprinzen  ju 
3mang«arbeit  öerurtheilt,  bie  fechjehnjährige  Xodjter  be«  föeftor« 
in  ^ot«bam,  bie  ein  ©efcr)enf  öon  bem  ^rin^en  angenommen,  öon 
bem  genfer  burdj  bie  ©trafen  ber  ©tabt  gepeitfeht  unb  $u  leben«* 
länglicher  $aft  in  ba«  3uct)thau«  noc^  ©panbau  gebracht,  mährenb 
ihre  unglüeflichen  (Altern  bie  ©träfe  fct)impfltcher  £anbe«oerroeifung 
traf.  Xen  Berlinern,  unter  benen  eine  fo  große  Aufregung  herrfchte, 
baß  ba«  S3olf  ba«  ©chloß  umbrängte  unb  bie  23acf)c  au«rüdfcn 
mußte,  um  baäfelbc  ju  oertreiben,  mürbe  bei  ©träfe  be«  21u«* 

23* 


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356   $ct3  Jtönigretdb  ^reufeen  unter  ftriebria)  I.  unb  ftriebrid)  29Ul>clm  I 

reigenS  bcr  ßungc  Oerboten,  über  bic  ganje  Angelegenheit  ju  fpre* 
d)en,  unb  ber  englifdje  ©efanbte  erhielt  bie  SSeifung,  feinem  $ofe 
ju  melben ,  ba&  an  eine  $>eiratl)Süerbinbung  mit  bemfelben  nid^t 
mef)r  ju  benfen  fei. 

Unterbeffen  t)attc  ber  König  ben  Kronprinzen  nadj  bem  brei 
SDceilen  ton  öerlin  entfernten  3)ftttenmalbe  bringen  loffen  unb  }n 
feiner  Jöerneljmung  eine  äRilitärfommiffion  niebergefefct.  5)er  s$rinj 
legte  ein  äfmlidjeS  ©eftänbnifj  ab,  tuie  Karte;  als  jebod)  ber  baS 
SBerljör  lettenbe  gelbmarfc^atl  unb  9Jcinifter  bon  ©rumbfom,  ber 
ju  feinen  persönlichen  ©egnem  jäfjlte,  fid)  bamit  nicfjt  begnügen 
wollte  unb  itjm  mit  ber  Anmenbung  ber  golter  brof)te,  verweigerte 
er  in  ben  ftarfften  AuSbrücfen  jebe  weitere  Antwort,  als  mit  feiner 
SBürbe  unvereinbar.  @r  würbe  hierauf  nadj  Küftrtn  gebraut  unb 
in  bem  borligen  ©Stoffe,  wo  in  ber  SBofmung  beS  Kammerpräfi* 
benten  oon  äRündjow  ein  Limmer  für  il)n  in  eine  ©efängnifeelle 
umgemanbelt  worben,  als  Staatsgefangener  in  ftrengftem  ©ewa^r* 
fam  behalten,  ©eine  Uniform  mufete  er  gegen  bie  gemöfmlidje 
©träflingSfleibung  auä  grobem  blauem  Xud)  öertaufdjen ,  unb  ba£ 
@ffen ,  baS  man  iljm  aus  einer  Gtorfüdje ,  2JftttagS  für  fedjS  unb 
AbenbS  für  m'er  ©rofdjen,  holte  unb  baS  er  auf  einem  hölzernen 
©d)emel  oer^ren  mufjte,  mürbe  üjm  aerfdjnitten  gebracht,  weil  er, 
wie  ein  jum  Xobe  iöerurtt)eiltcr ,  toeber  Keffer  nod)  ©abel  tjaben 
foHte.  Xinte  unb  geber,  fowie  bie  glöte  waren  i^m  verjagt  unb 
$ur  ßeftüre  nur  bie  Jöibel  unb  einige  AnbadjtSbücher  geftattet.  9cie= 
manb  burfte  ju  ifjm  gelaffen  werben,  unb  feinen  SBäc^tern  war  aufs 
©trengftc  oerboten  mit  ifjm  $u  fpredjen.  Alles  fdnen  barauf  be= 
rennet,  Um  mit  bem  ©ebanfen  an  ben  fdjlimmften  Ausgang  Oer* 
traut  ju  machen. 

Qn  ber  Z$at  r)attc  ber  König  bem  Kriegsgerichte,  baS  er  im 
Oftober  1730  jur  Aburteilung  griebrid)S  unb  Katte'S  nad)  Köpc* 
nif  berufen,  Jöefeljl  gegeben,  über  ben  „Dberftlieutenant  gri&"  wegen 
ber  oon  il)m  beabfia)tigten  $efertion,  of)ue  irgenb  weldje  9tücffid)t 
auf  feine  (Geburt,  naa)  ber  ganzen  Strenge  ber  KriegSgefefce  9tc$t 
}tt  fpredjen ,  unb  fdnen  entfdjloffen ,  baS  Urteil ,  baS  naa)  bem 
JBudjftaben  beS  ©efe&eS  nur  auf  ben  Xob  lauten  fonnte,  ootlftrccfcn 
3U  laffen.  $te  gürjpradje ,  weldje  bie  cinflugreie^ftcn  femer  ©ene= 
rale  für  ben  ^rinjen  einlegten ,  wies  er  mit  (Jntfdu'ebcnfjeit  ju^ 
rüd;  bagegen  geigte  er  fictj  ben  oon  bem  faiferlidjcn  ©efanbten 
©rafen  ©eefeuborf  aufs  ^aa)brücflia}fte  unterftüfcten  gürbitten  oer= 
fcfyebcner  £öfe  gegenüber  minber  feft.  (Sntfdjeibeub  für  feinen  fönt-- 
fcfjlufc  war  baS  bringeube  JBerwenben  beS  KaiferS  für  fein  ^at^eiu 
finb.  „öitrcr  Kaiferltajen  ^ajeftöt  lebiglia^",  fc^rieb  er  an  Karl  VI., 
uaa^bem  er  i^m  ben  Kummer  über  baS  betragen  feines  ©offnes 
gefa)ilbert,  ,,^at  er  eS  in  gebüfjrenber  @rfenntlia)feit  3U  bauten,  baft 


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Sriebric^  II.  gugenbja*«.  357 


©ie  $ero  gürmort  ihm  ^aben  angebenden  laffen;  bcnn  nur  ba* 
burch  bin  ich  bewogen  morben,  ihm  ju  beleihen." 

Snbeffen  foßte  bem  ^ringen  ber  ©chmerj  nid^t  erfpart  biet* 
ben,  feinen  unglücflichen  Sreunb  Karte  um  feinetroiHen  ben  Xob  er* 
leiben  ju  fehen.  £a*  öon  betn  König  eingefefcte  Kriegsgericht 
twtte  benfelben,  ben  Umftanb,  baß  er  fich  nüfjt  oon  feinem  9tegt* 
ment  entfernt  §atte  unb  feine  öeTbredjerifd&e  Slbficht  nict)t  jur 
Sfjat  gemorben ,  al*  2JciIberung*grunb  annehmenb ,  nur  jur 
Kaffation  unb  mehrjähriger  5cftung*haft  berurtheilt;  biefe*  Ur* 
theil  mar  jeboch  bon  bem  König  al*  biel  ju  milb  ^ödt>ft  un* 
cjnäbig  aufgenommen  morben.  (£r  t)attc  ba*  Vergehen  Katte'* 
für  ein  9)<ajeftät*t)erbrcchen  erffärt  unb  bie  über  ifm  verhängte 
©träfe  au*  eigener  aflachtboHfornmenhett  in  bie  ber  Enthauptung 
toermanbelt,  mit  ber  auSbrücflid&en  Veftimmung,  baß  biefelbe  üor 
ben  Slugen  be*  Kronprinzen  an  bem  Unglütflidjen  ooHjogen  mer* 
ben  fotte.  Vergebens  flehten  ber  Vater  be*  Verurteilten ,  ber 
@eneraüteutenant  oon  Katte,  unb  fein  ©roßoater,  ber  greife,  Oer* 
biente  gelbmarfdjatl  üon  2Barten*Ieben ,  fugfättig  mit  ben  rührenb* 
ften  Söorten  für  ihren  ©ofm  unb  (Snfel:  ber  König  mar  unerbitt* 
lieh  unb  erffärte,  er  ermeife  fich  gegen  ben  Verbrecher  noch  fehr 
gnöbig ,  ba  berfelbe  für  fein  Vergehen  glfit)enbe  Sanken  unb  ben 
©algen  oerbient  habe. 

2)em  föniglichen  Vefehle  gemäß  mürbe  Katte,  ber  fein  Urtheit 
mit  großer  Saffung  öernommen  unb  nur  bittere  SReue  über  fein 
frühere*  leichtfertige*  Seben  unb  über  feinen  (S^rgeij,  burch  melden 
er  ben  ©einen  fo  fchmeren  Kummer  bereite,  au*gebrücft  hatte,  am  5.  9co* 
öember  nach  Küftrin  gebracht  unb  in  ber  ftxtyt  be*  folgenben 
9Jcorgen*  jur  Einrichtung  geführt,  bie  auf  bem  SBaöe  hinter  bem 
©djloffe  ftattfinben  follte.  $)er  $rinj  ftanb  am  genfter,  at*  ber 
Unglückliche,  bon  jmei  ®eiftüdjen  begleitet,  borüberfchritt.  „2Jcein 
lieber  Karte",  rief  er  ihm  unter  %i)xänen  ju,  „bergeben  ©ie  mir, 
baß  ich  ©ie  in  biefe*  Unglücf  geftürjt  habe!"  —  «Neffen  bebarf 
e*  nicht,  Roheit"  antmortete  Karte ;  „menn  ich  taufenb  ßeben  hätte, 
mürbe  ich  ftc  m^  Sreuben  für  ©ie  hingeben."  Vom  ©chmerj  über* 
mältigt,  fiel  ber  lißrinj  in  Ohnmacht,  unb  al*  er  mieber  $ur  Ve* 
finnung  fam,  mar  2IHe*  borüber. 

Xer  getbprebiger  9Jcutler,  ber  ben  Slbgefdjiebenen  jum  Xobe 
Vorbereitet ,  überbrachte  bem  ^ringen  mit  ber  legten  Vetheuerung 
feine*  greunbei?,  baß  er  ihm  feinerlei  ©djulb  megen  feine*  Xobe* 
beimeffe ,  eine  ©d)rift ,  in  tuelctjcr  Katte  ben  ^ßrinjen  in  ben  ein* 
bringlichften  SBorten  bat,  fein  £er$  ben  Söahrheitcn  be*  chrift* 
liehen  ÖJIauben*  jujumenben ,  ju  melchen  er  fich  fefbft  in  feiner 
Kerferfmft  befchrt  hatte,  unb  fich  in  a^er  SJemuth  a(*  gehorfamer 
©ohn  feinem  Vater  ju  untermerfen.   $iefe  Ermahnungen  eine* 


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358    $a§  ffönigrcid)  Greußen  unter  griebrid)  I.  unb  griebrtc^  SBityelm  I- 

greunbe«,  ber  um  feinetnnHen  ben  Xob  erlitten,  motten  ouf  ben 
t»om  ©cf)mer$  gebeugten  ^rinjen  einen  fo  tiefen  ©inbrurf,  bog  er 
ben  SSunfdj  auSfprad),  ben  ^rebtger  Sftüller  nod)  einige  Qtxt  bei 
fidj  behalten  ju  fönnen,  unb  ben  53emüf)ungen  beäfelben  gelang  eä, 
ba«  ptx%  be«  ^rinjen  für  ben  djriftlidjen  ©tauben  ju  erwärmen 
unb  i^n  ju  reuiger  ilntertuerfung  unter  bie  üäterlidje  Autorität  ge= 
neigt  ju  madjen. 

$ie  Vertäte,  bie  ber  *ßrebiger  über  bie  ©inneSänberung  be£ 
$rin$en  nadj  Berlin  fanbte,  betrogen  ben  ljodjerfreuten  ®önig,  ber 
no<$  immer  fortbauemben  ©orge  griebridj«  um  fein  Seben  ein 
(£nbe  $u  machen.  @r  rerföradj  if)m  ©egnabigung ,  toenn  er  eiblidj 
gelobe,  fidj  nie  an  irgenb  gemanbem  megen  be«  Vorgefallenen  ju 
rächen  unb  ifjm  fünftig  in  allen  ©tücfen  ein  gefjorfamer  ©olm  ju 
fein.  <ftarf)bem  griebricr;  bieten  (£ib  am  19.  «Roöember  in  ber  öon 
feinem  Vater  üorgefdjriebenen  gorm  öor  einer  ftommiffion  t>on 
9Jiiniftern  unb  Generalen  abgelegt,  erhielt  er  Drben  unb  $egen 
jurücf  unb  tuurbe  au«  feiner  ftrengen  $aft  enttaffen. 

Qnbeffen  fyiett  ber  ftönig  jur  gehörigen  Dämpfung  be«  IjoaV 
fatyrenben  ©tnne«  feine«  ©oljne«  notf)  eine  Verlängerung  feiner 
©trafen,  trenn  aud)  in  gemilberter  gorm,  für  nöujig.  @r  rerorb* 
nete  baf)er,  baß  ber  *ßrinj  nod)  einige  3afjre  in  Süftrin  bleiben, 
ein  $>au«  in  ber  <StaU  bejiefjen,  Gitritfleiber  tragen,  niajt  au«  ben 
©tabttf)oren  fommen ,  bei  ber  $rieg«*  unb  3)omänenfammer  Dom 
Sftorgen  bi«  jum  §(benb  arbeiten  unb  fidj  tneber  mit  Sftufif  nod) 
franjöftfdjer  Seftüre  befd)äftigen ,  aud?  feine  anbern  ©riefe  fcfjreiben 
fotle,  al«  oon  Seit  ju  Seit  an  feine  (fltcrn.  SBenn  per)  ber  $rin$ 
audj  ber  it)m  auferlegten  Arbeit  nur  au«  ©efjorfam  gegen  feinen 
Vater  unter jog ,  fo  ^atte  fie  boer)  für  iljn  ben  großen  Vortt)eil, 
baß  er  fid)  burdj  biefelbe  eine  grünblia^e  ®enntniß  ber  tnidjtigften 
Vertr»altung«$tueige  ertrarb. 

9lm  15.  Sluguft  1731  faf)  ber  ®önig  bei  feiner  2Intoefent)eit 
in  ®üftrin  jum  erften  äftale  feinen  ©ofjn  tnieber.  Anfang«  über= 
Raufte  er  ifjn  mit  Vortnürfen;  al«  jebod)  ber  $rinj  it)n  fnieenb 
um  Ver$eilmng  bat  unb  Me«  aufzubieten  gelobte,  um  be«  Vater« 
Sufricben^eit  tnieber  ju  erlangen,  geigte  er  fid)  milber  unb  erflärte, 
er  trolle,  ba  er  feine  SReue  für  aufrichtig  fyalte,  ifmt  ettua«  größere 
greiljeit  getnäljren.  Gr  erlaubte  il)m,  bie  geftung  ju  oerlaffen 
unb  bie  bcnadjbarten  Wemtcr  ju  bereifen;  aud)  foßten  if)m  ^ßferbe 
unb  Söagen  jur  Verfügung  geftetlt  tuerben.  3w9^i4  ert)ielt  ber 
$rtnj  ©ifc  unb  ©timme  in  ber  $>omänentammer.  dagegen  blieb 
i^m  nod)  jebe  3erfrreuu"9  bura^  franjöfifa^e  33üa)er,  Sflufif,  ©piel 
unb  Xanj  unterfagt,  roie  aua^  bie  ftrenge  Vorfctjrift  regelmäßiger 
SBctftunben  am  borgen  unb  Slbenb  aufregt  gehalten  mürbe. 

Unterbeffen  t)atte  ber  ^önig,  naa^bem  bie  englifdjen  Vermä^ 


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griebridj«  n.  gugenbjafjre. 


359 


hmgSprojefte  befinitiD  aufgegeben  worben,  ben  Söefchluß  gefaßt, 
feine  Zoster  SBilhelmine  mit  bem  (Erbprinzen  Don  ©aireuth  ju 
öermäfjten,  unb  ben  Söibcrftanb  ber  ^ßrinjeffin  burdj  bie  3ufage  ge* 
brodjen ,  baß  er,  falls  fie  gutwillig  fid)  feiner  Slbftcht  füge,  aücö 
(9efcfjehene  Dergeffen  unb  bem  Kronprinzen  geftatten  werbe,  ben 
$ermäljlungsfeierltd}feüen  beizuwohnen.  3n  ber  %f)at  burfte  ber 
^rin$  am  23.  SRoDcmber  1731,  bem  SBermählungStage  ber  s£rin= 
Zeffin,  nach  93erlin  jurürffe^ren.  ÜRan  fanb  ihn  nicht  nur  in  feiner 
äußern  (Jrfdjeinung ,  fonbem  auch  in  feinem  SBefcn  bebeutenb  Oer* 
änbert:  bie  garten  Erfahrungen  ber  legten  Seit  Ratten  ben  neun* 
Zehnjährigen  ^ßrinjen  zum  Sttanne  gereift. 

Einige  Xage  nach  griebrichS  Wnfunft  begaben  fich  fämmtliche 
in  ©erlin  anwefenben  Generale  unb  Dberften,  an  ihrer  (Spi^e  ber 
Surft  fcon  $effau,  51t  bem  König,  um  Don  ihm  bie  3Bieberaufnaf)me 
beS  Prinzen  in  baS  £>eer  ju  erbitten.  $er  König  fagte  biefelbe 
ju;  boer)  fanbte  er  ben  ^rinjen  nach  Küftrin  jururf,  bamit  er  noch 
einige  Qdt  <w  ber  3)omänenfammer  fortarbeite. 

Qm  gebruar  1732  melbcte  ber  König  bem  Kronprinzen,  er 
§abe  i^m  bie  $rinjeffm  ©lifabeth  (Hjriftine  ö^n  ©raunfehweig* 
93eDern ,  eine  SRic^tc  ber  (Gemahlin  Kaifer  Karls  VI. ,  jur  grau 
gewählt ,  „ba  er  fie  Wohl  aufgewogen  unb  mobeft  gefunben ,  wie 
grauen  fein  müßten."  griebrid)  antwortete  ihm,  baß  er  fid)  ganz 
feinem  SSiUen  unterwerfe ,  unb  Derfidjerte  ihn  zugleich ,  »baß  ihm 
nichts  SiebereS  gefchehen  fönne,  als  wenn  er  (Gelegenheit  habe,  fei* 
nem  aHergnäbigften  SBater  feinen  blinben  ®ef)orfam  ju  bezeigen." 
3u  ber  gleichen  S^it  fchrieb  er  jebodj  an  ben  SKinifter  Don 
©rumbfow :  man  möge  um  ©otteSWitten  ben  König  enttäuschen  unb 
ihm  ju  bebenfen  geben ,  baß  er  fich  nicht  für  ihn ,  fonbem  für  fich 
felbft  oerheirathe ;  benn  bie  ^rinzeffin  fönne  er  unmöglich  lieben 
nnb  motte  fie  nicht.  Schließlich  fügte  er  fich  ohne  SBiberrebe  bem 
SBitten  feines  SBaterS,  worauf  ihn  biefer  zur  geier  ber  Verlobung 
t>on  Küftrin  aurürfberief.  Wachbem  biefelbe  am  16.  2flat  1732 
ju  ©erlin  ftattgefunben,  würbe  am  12.  Quni  1733  zu  ©alzbahlum, 
einem  Suftfchloffe  beS  Herzogs  Don  ©raunfehweig ,  bie  Vermählung 
Dottzogen.  $aS  ßooS  ber  liebenSWürbigen  unb  reichbegabten  Krön* 
prin$effin  War  nicht  beneibenSWerth ;  kenn  wenn  auch  ber  König 
ihr  ftets  bie  zuDorfommenbfte  greunblichfeit  bewies  unb  felbft  bie 
ihr  urfprünglich  fo  wenig  gewogene  Königin  ihr  balb  eine  warme 
^heilnahme  bezeigte,  fo  ließ  bodj  griebrich,  bei  aller  Slnerfennung, 
bie  er  ihrer  #erzenSgüte,  ihrer  ©anftmuth  unb  ihrem  eifrigen  SBe* 
frreben,  jebem  feiner  SBünfche  zuDorzufommen ,  zu  hoUtn  genötigt 
war,  in  feinem  ganzen  benehmen  beutlich  merfen,  baß  er  zur  @hc 
mit  ihr  gezwungen  Worben.  (£r  ließ  ihr  z^ar  Dolle  greifjeit,  ihren 
Neigungen  gemäß  zu  leben;  aber  er  hatte  fein  #erz  für  fie  unb 


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360   3)a8  £3mgretdj  Greußen  unter  griebrtcf)  L  unb  griebrid)  SBtfljefot  I. 

glaubte  feiner  ^ßflidjt  ÖJenüge  geleiftet  ju  fmbenf  menn  er  ftd)  mit 
ber  SBeaeigung  einer  füllen  Hortung  gegen  fie  abfanb.  Sftadj  bem 
Xobe  feine*  SBater*  festen  fie  überhaupt  für  ihn  nicht  mehr  $u 
erjftiren. 

Unterbeffen  fyttte  fid)  ber  $um  Dberften  beförberte  Äronprinj, 
bem  ber  ®önig  ba*  ©täbtdjen  föuopin  jum  fBohnorte  angemiefen, 
burd)  ben  (Sifer,  mit  freierem  er  feinen  niUitärnaVu  Sttenftpflichten 
oblag,  foroic  burch  bie  unbebingtefte  Untertoürfigfeit  in  ber  ©unft 
feine*  SBater*  immer  f efter  $u  fefcen  gemußt.  3m  1734 
fanbte  Uju  ber  Mönig  mit  ben  Xruppen,  bie  er  in  bem  polmfdjen 
X^ronfolgefrieg  ju  bem  faiferlidjen  $>eere  ftoßen  lieg,  an  ben  Schein, 
um  unter  bem  ^ßrinjen  (Sugen  ba*  #rieg*hanbmerf  ju  erlernen, 
roogu  ber  gelb$ug  jene*  3af)re*  Jhm  jeboch  roenig  ©ctcgcnr)eit  bar* 
bot.  griebrid)  benrie*  bem  ruhmgefrönten  faifertidjen  gelbberrn  bie 
aufria^tigfte  SSere^rung  unb  ertlärte  fpäter  oft,  baß  er  ftolj  barauf 
fei,  fid)  al*  beffen  ©d)üter  anfeljen  $u  bürfen.  9cadj  feiner  9tü<f* 
ferjr  bejog  er  mit  feiner  ÖJema^ün  ba*  ©djloß  $h*in*berg, 
ba*  ber  ®önig  für  if)n  angefauft  unb  mit  einem  ®oftenauftt>anb 
öon  fünf$igtaufenb  Xfjalem  t)attc  umbauen  unb  ertueitern  laffen. 

$er  ftrengen  33eauffia)tigung  feine*  SBater*  entjogen,  ber  ihm 
überhaupt  je&t  nicht  mehr  bie  gleiten  SBefdjränfungen  auferlegte, 
hrie  früher,  überließ  fidj  griebrich  in  9l^ein*berg  ganj  feinen  fiieb* 
ling*neigungen,  ber  Pflege  ber  SBiffenfdmften  unb  ber  SRuftf  unb 
ben  ©enüffen  eine*  öerfeinerten  gefeUfdjaftlidjen  ßeben*,  unb  in 
einem  aufgerollten  Greife  talentooller  unb  geiftreicher  Scanner  ge= 
ftaltetc  {ich  fein  bortiger  Aufenthalt  $u  feiner  glütflichften  Qtit 
„2öir  haben",  f abreibt  er  an  ben  fädjfifdjen  (Sefanbten  oon  ©uljm, 
ber  oft  in  9^^ein*berg  »eilte,  „unfere  93efa)äftigungen  in  jloei 
Staffen,  in  nüfclidje  unb  angenehme,  eingeteilt.  Qu  ben  mißlichen 
rechne  id)  ba*  ©tubium  ber  ^^ilofoö^ie,  ber  ©efdndjte  unb  ber 
©prägen;  bie  angenehmen  finb  bie  äRufif,  bie  £ufi*  unb  Srauer* 
fpiele,  bie  mir  aufführen,  bie  !Dca*feraben  unb  ©aftmähler,  bie  mir 
geben,  (Srnfthafte  SBefchäftigungen  behalten  inbeffen  ben  SBorjug." 
3n  ben  (Soncerten,  bie  ber  ^ßrinj  allabenblid)  in  feinem  «Salon  ber= 
anftaltete,  trug  er  nicht  feiten  eigene  ©ompofttionen  auf  ber  glöte 
öor,  auf  melier  er  e*  bereit«  ju  einer  roirflidjen  2#eifterfchaft  ge* 
bracht  hatte. 

lieber  bie  Pflege  ber  SSiffenfdwften  unb  ber  SJcufif  bergaß 
griebrich  feine*roeg*  bie  ®rieg*funft.  @r  ftubierte  mit  großem 
(Sifer  bie  gelbjüge  ber  berühmteren  gelbljerren  unb  fudjte  feine 
$enntniffe  in  biefem  gad>e  burd)  eingehenbe  ©efprädje  mit  ben 
älteren  unb  erfahreneren  ber  in  9lhein3berg  anroefenben  Dffijiere 
ju  ermeitern.  Um  biefer  SBefdjäftigung  einen  poetifa)en  5Reij  $u 
verleihen,  ftiftete  er  eine  2Irt  ftitterorben  oon  5tt>ölf  9JWgliebem, 


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griebritf)«  II.  Sugenbjatjre. 


361 


$u  benen,  auger  Ujm  felbft,  feine  beiben  ©rüber,  ber  $erjog  gerbi-- 
nanb  üon  ©raunfcfjroeig,  ber  ^erjog  SBtHjelm  öon  ©eöern  unb  feine 
üertrouteften  mUitärifdjen  greunbe  gehörten.  $er  ©dmfcpatron 
biefer  ritterlichen  ©erbinbung  war  ©aöarb  unb  baS  ©innbilb  beS 
DrbenS  ein  auf  einem  Sorbeerfranje  Iiegcnber  $egen  mit  ber  Um* 
fdjrift:  Sans  peur  et  sans  reproche.  Qüm  ©rogmeifter  beS 
OrbenS  fjatte  griebridj  ben  toon  if)m  befonberS  fjoajgefdjäfeten  Üflajor 
öon  gouque*  ermaßt.  ©on  tf)m  erhielten  bie  jtoölf  bitter,  an  tf>rer 
©pifce  griebrid)  felbft,  ben  9tttterfd)lag,  nadjbem  flc  in  feine  $änbe 
baS  CrbenSgelübbe  abgelegt,  baS  fic  ju  ritterlichen  X^aten  unb 
inSbefonbere  jur  ©eröollfommnung  ber  ShiegSfunft  unb  ber  §ecr* 
füljrung  verpflichtete.  2)te  IRitter  trugen  als  DrbenSjeia^en  einen 
föing,  ber  bie  gorm  eines  runbgebogenen  ©djmetfeS  hatte,  mit  ber 
Snfa^rift:  „®S  lebe,  mer  ftc^  nie  ergibt. *  (Viye  le  sans-quartier) 
unb  führten  altfranjöfifche  ©unbeSnamen.  grtebrich  f>ie&  Le  Con- 
8tant,  gouque*  le  Chaste,  ber  &erjog  gerbinanb  le  Sobre,  ber 
jperjog  mm  ©eoern  le  Gaillard  u.  f.  ».  Sluch  fdjrieben  pe  fia? 
©riefe  in  altfranjöfifchem  Sftitterftüt. 

3m  3>af)re  1739  liefe  fid)  griebrich  bei  einem  ©efudje  in 
©raunfehmeig  in  ben  greimaurerorben  aufnehmen,  beffen  aller  pofi* 
ttoen  ^Religion  feinbliche  Xenbenj  feiner  eigenen  ©eifteSrichtung  ju 
feljr  entsprach,  als  bag  er  nicht  bem  öerlocfenben  Üteije  beS  geheimen 
Tuntels  bereitmittig  hätte  folgen  fotlen,  in  roelcheS  biefer  Orben 
fidj  füllte.  $)a  ber  Äöuig  ein  entfduebener  Gegner  ber  gretmaurer 
mar,  fanb  bie  Slufnabme  beS  $rinjen  insgeheim  $u  nächtlicher  ©tunbe 
ftatt;  nach  bem  iobe  griebrich  SBtlhelmS  jebod)  erflärte  fid)  grieb* 
rieh  als  ßanbeSherr  offen  jum  ©rogmetfter  ber  $u  ©erlin  eröffneten 
Soge  „Qu  ben  brei  SGBeltf ugetn. " 

SBäfjrenb  feine*  Aufenthalts  in  följeinSberg  fnüüfte  griebrich 
einen  eifrigen  ©riefroechfel  mit  ©oltaire  an,  ber  für  feine  religiöfe 
©nttüicflung  entfdjeibenb  mürbe.  Diefer  SJcann,  bamals  ber  ge* 
lefenfte  unb  einflugreichfte  ©chriftfteller  granfretdjs,  ber  burdj  eine 
feltene  ©ielfeitigfeit  unb  (Sefchmeibigfeit  beS  Reifte*  bie  ihm 
fe^lenbe  Xiefe  unb  ©rfinbltchfeit  ju  öerbeefen  ttmgte,  ^atte  burdj 
bie  befiedjenben  (Sigenfdjaften  feiner  ©chrtftmerfe :  bie  fliegenbe 
©pradje,  ben  leichten  ©djer^,  bie  feine  ©arire,  ben  treffenben  SBifc, 
bie  ©eftimmtheit  beS  5luSbrucfS,  bie  gütle  anmutiger  ©ebanfen 
unb  geiftreicher  SBenbungen,  inSbefonbere  aud)  burch  bie  in  feinen 
Xragöbien  jur  ©djau  getragenen  erhabenen  ©efinnungen  grieb^ 
ric^S  ©emunberung  in  fo  ^o^ern  ©rabe  erregt,  bag  er  i^m  nia^t 
nur  als  ber  öoflenbetfte  ©c^riftfteller  feine«  3a!jrl}unbert§,  fonbern 
aud^  als  einer  ber  grögten  ÖJeifter  aller  Reiten  erfaßten,  beffen  ©ei* 
fall,  mie  er  i^n  in  feinen  ©riefen  öerfidjerte,  ifym  me^r  galt,  als 
ber  beS  falben  menfajliajen  ©efdjleajtS.    „©e^en  ©ie",  f abreibt  er 


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362    $a*  Äömgreidj  ^reufcen  unter  $riebricf)  I.  unb  ftriebrid)  Sil^elm  I. 

ifnu,  „meine  ftanblungen  fünftig  al*  bie  Srüdjte  3*jrer  fielen  an. 
Tmrd)  biefe  ift  mein  jperj  gerührt  roorben,  unb  idj  fjabe  e*  mir  junt 
unöerbrüdjüdjen  (Uefefc  gemalt,  fte  mein  ganje*  ßeben  Ijmburd)  ju 
befolgen." 

$>er  SBerfefjr  mit  btefem  fjeroorragenbften  Vertreter  ber  mate= 
rialiftifdjen  9tict)timg  be*  bamoligen  ©djriftfteHertfmm*,  ber  fid)  bie 
Vernietung  be*  (Sl)riftentl)um*  burcr)  Verleumbung,  ©pott  unb  £of)n 
jur  £eben*aufgabe  gefreHt,.  öoöenbete  in  griebrief)  II.  ben  bauern* 
ben  Vrucfj  mit  aflen  djriftlidjen  Anfdjauungen ,  melden  ber  t»on 
feiner  früt)ftcn  ßinbljett  an  iljm  auferlegte  religiöfe  Stoang  unb  ba* 
au«  ben  SBerfen  ber  franjöfifdjen  9Religion*fpötter  gefogene  ©ift 
längft  in  irmt  vorbereitet.  (Sine  3«tlang  fdnen  e«  jroar,  als  foHe 
ba*  Stubium  ber  „attetapfjrjfif''  Don  SBolf,  bie  er  fiefj  bura)  ben 
fädjfiföen  ®efanbten  öon  ©ufjm  in*  granjöftfcfje  fmtte  überfein 
laffen,  »eil  er  fid)  in  feiner  Voreingenommenheit  gegen  feine  2fturter* 
fpradje  nia^t  baju  entfließen  fonnte,  beutferje  Sßerfe  ju  lefen,  i^n 
mieber  $u  djriftliaVn  gbeen  aurütffüfjren ;  benn  er  brürftc  in  einem 
Briefe  öom  23.  2Rai  1740  bem  gelehrten  Verfaffer  feine  tooffe  An* 
erfennung  au«:  aber  balb  fefjrte  unter  bem  (Sinfluffe  Voltaire'* 
feine  Bmeifelfucfjt  in  if)rer  ganzen  ©tärfe  jurücf,  um  fortan  in  Ver= 
binbung  mit  einem  ftarren,  bis  jum  gatafttmu*  gefteigerten  $rä* 
befttnation*glauben  bie  bauembe  ©runblage  feiner  pf)ilofopf)ifd)en 
Aufhaltungen  §u  bilben. 

2>er  cbrgeijige  $>rang  naefj  fdjriftftellerifaym  ffiu^nte  trieb  ben 
$rinjcn  mäfjrenb  feine*  Aufenthalte«  ju  Reinsberg  ju  literarifcfjen 
Verfudjen  an.  $>urdj  bie  ©cfnneicfjeleien  Voltaire'«  angeregt,  ber 
if)tn  fein  ©umliefen  über  bie  ©ntbeefung  au*briicfte,  „ba|  e*  in 
biefer  Söclt  einen  ^rinjen  gebe,  ber  al*  9ftcnf#  benfe,  einen  pf)ilo* 
fopfufdjen  Surften,  ber  bie  Sttcnfdjen  glüdflid)  machen  merbe  unb 
bem  bie  ganje  äHenfd)l)eit  öerpflicfjtet  fei  für  bie  9flüf)e,  bie  er  fief; 
gebe,  feine  jum  #errfd)en  geborene  ©eelc  ju  bilben,"  fcfjrieb  er 
feine  „Vetrac|tungen  über  ben  gegenwärtigen  guftanb  Europa'*," 
in  melden  er  fiefj,  um  fid)  ber  Sobfprü^e  Voltaire'«  mürbig  ju  jet* 
gen,  offen  ju  ben  ©taat*grunbfäfccn  ber  neueren  englifdjen  unb  fran* 
^öfifd)en  ^Ijilofopfjen  befannte,  nad)  benen  ber  gürft  nur  ber  erfte 
Liener  be*  ©taate*  ift.  Auf  biefe  erfte  grö&ere  Arbeit  folgte  im 
Satjre  1739  fein  „Anti;9Jtacdjiaöet,''  eine  Art  Politiken  ©lauben*= 
befenntniffc*,  in  meinem  er,  ofme  ba*  SBerf  be*  berühmten  Sloren* 
tiner*  „Dom  gürften"  mit  Unbefangenheit  unb  miffenfcrmftlirfjer 
©c^ärfe  ju  roiberlegen,  ber  in  bemfetben  entnricfelten  ©taatsfunft 
ba«  gbeal  eine*  gürften  im  ©inne  ber  neueren  Seit  entgegenftettt. 
^er  ©nglanbcr  9«acaulat)  nennt  biefe*  SBud),  ba*  im  3af)re  1740 
bura)  bie  Vermittlung  Voltaire'*  oljne  tarnen  bc*  eigenUia^en 
Autor*  in  ^oflanb  im  ^ruef  erfaßten,  „eine  crbau(ia>e  ^rebtgt  gegen 


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Oriebrtdja  II.  3ugeubja&re. 


363 


föaubfucht,  £reulofigfeit ,  SBißfürfjcrrfc^aft  unb  ungerechte  Kriege, 
fu*Z  gegen  faft  alles,  megen  beffen  ber  SBerfaffer  im  Anbenfen  ber 
2Jcenfd)en  fortlebt." 

Unterbeffcn  mar  baS  Jfahr  1740  ^erangefommen ,  unb  baS 
Seben  griebrict)  SBilbelmS  ging  jur  Neige.  Nachbem  er  bereits 
feit  bem  Noöember  1739  gefränfelt,  begab  er  fid)  am  27.  April 
1740,  im  Vorgefühle  feine«  nahen  ^infcfjetbcnö,  nach^otsbam,  mo 
er  ju  fterben  münfehte.  £>ier  bereitete  er  ftd)  ernftlich  auf  ben  Xob 
üor;  boct)  hatte  ber  $robft  Noloff,  ben  er  ju  fid)  berufen  lieg, 
große  Wltyt ,  it)n  ju  überzeugen ,  baß  er  burd)  bie  $ärte  feiner 
Regierung,  burdj  ben  errungenen  £äuferbau  in  ©erlin,  burch 
tTJt£ffärUct)e  ©traffchärfungen  unb  öerfchiebene  ungerechte  £inrich= 
hingen  mehr  ©ünben  begangen  hübe,  als  er  felbft  mahnte,  Sur 
fein  ßeid)enbegängniß ,  baS  äußerft  einfach  gehalten  merben  füllte, 
traf  er  felbft  bie  nötigen  Anorbnungen  bis  in  bie  fleinften  ©in* 
jelnbeiten ;  auch  ließ  tt  ficc)  fchon  bei  feinen  Scheiten  einen  eiche* 
nen  ©arg  anfertigen.  $)er  Kronprinz,  ben  bie  Königin  am  27.  üttai 
öon  9tb*in8berg  nach  ^otSbam  berufen,  jeigte  große  Zfytilnafymt  an 
ben  fieiben  feines  SSaterS,  mie  fieh  überhaupt  baS  SBert)äItm6  jmi* 
fchen  SBeiben  feit  beS  Prinzen  Nütffehr  öon  Küftrin ,  menigftenS 
äußerlich,  öon  Qahr  zu  Qahr  frcuublidjer  geftaltct  ^atte.  $er 
^önig  befprach  fich  mit  ihm  nrieberholt  längere  Qzit  unter  öter 
Augen  über  bie  Angelegenheiten  beS  <5taatt% ,  unb  fein  AuSruf : 
„SJcein  ©ott,  ich  f*er&c  aufrieben,  meil  ich  einen  fo  mürbigen  ©ohn 
Zum  Nachfolger  höbe!"  bemeift,  baß  ihn  griebrichS  2Xnftct)ten  befrie» 
bigt  hatten. 

Hm  borgen  feines  XobeStageS  --  31.  2Jcai  1740  —  ließ  ber 
König  bie  hieven  Offiziere  unb  2ftinifter  ju  fich  kommen,  um  Ab* 
jcfjieb  öon  ihnen  ju  nehmen.  S)a  er  bem  dürften  öon  $)effau  unb 
mehreren  Anbern  s$ferbe  zum  Anbenfen  beftimmt  hotte,  mußte  man 
ihm  feinen  ©effel  an  baS  genfter  rüden,  bamit  er  fie  ihnen  jeigen 
fönne.  AIS  er  fat),  baß  bie  ©taflfnechte,  roeldie  Söefer)!  erhalten 
hatten,  bie  ^ferbe  herauszuführen,  benfelbcn  falfche  ©ättel  aufge* 
legt,  ermachte  noch  einmal  feine  zornige  Natur.  „Sich,  menn  ich  nur 
gefunb  märe  ,u  rief  er ,  „ich  wollte  bie  ©dmrfen  berb  abprügeln ! 
6Jef)e  boch  einer  hinunter  unb  haue  fie  tüchtig  zufammen."  |>ierauf 
übergab  er  feierlich  baS  Neid)  unb  Regiment  bem  Kronprinzen, 
empfahl  bemfelben  bie  Königin  unb  ermunterte  feine  jüngeren  Söhne, 
braöe  ©olbaten  zu  werben  unb  ihrem  älteren  ©ruber  treu  unb  ge* 
horfam  zu  fein.  $)ieS  Alles  r)otte  ihn  jebodj  fo  fet)r  angegriffen, 
baß  er  fich  in  fein  Söett  zurüdbringen  laffen  mußte.  SRehrere  ©tun* 
ben  fpäter  gab  er  mit  bem  Ausrufe :  „$>err  Qefu ,  bu  bift  mein 
©enrinn  im  Seben  unb  im  ©terben!"  ben  ÖJeift  auf.  (£r  ^atte  ein 
Alter  öon  zweiunbfünfzig  Saferen  erreicht. 


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364         tönigreich  ^reugen  unter  griebrich  I.  unD  griebrich  Silhetm  I. 


Srriebridjg  II.  Steöterunöäantritt. 

(81.  SRai  1740.) 

$a8  eifrige  Streben  nach  fchriftftetlerifchem  Sftuhme,  in  roel» 
djem  griebrichS  ganjeS  SBefen  auf jugehen  festen ,  unb  feine  auSge* 
fproebene  Vorliebe  für  fetteren  SebenSgenug  Ratten,  öerbunben  mit 
ben  Slnfichten ,  bie  er  in  feinem  2Inti*9Hacd)tac.et  über  bie  Pflichten 
ber  gürften  auSgefprodjen ,  ju  ber  allgemeinen  ©rtoartung  ©eran* 
(affung  gegeben,  bag  er  al«  ®önig  burch  eine  milbe,  friebliche  SRe* 
gierung  fein  ©olf  ju  beglüefen  fudjen  unb  augerbem  fein  anbereS 
Streben  rennen  merbe,  at3  ben  §of  oon  ©erlin  $u  einer  Pflege* 
ftätte  ber  #unft  unb  SBiffenfdjaft  unb  einer  prunfboHen  ©efeUigfeit 
$u  geftalten,  unb  bie  erften  ©abritte  beS  Königs  fduenen  in  ber 
%f)at  biefe  (Erwartungen  ju  rechtfertigen.  $a  in  golge  be3  borauS* 
gegangenen  ftrengen  SBinterS  große  Neuerung  entftanben  mar,  lieg 
griebrich  bie  föniglid&en  SSorrat^^äufer  öffnen  unb  berfaufte  ba3 
barin  aufgehäufte  Stoxn  ju  billigen  greifen.  $ie  gotter,  foroie  bie 
bon  feinem  Später  eingeführten,  baS  nötige  9flag  überfchreitenben 
Strafbeftimmungen  fyob  er  auf  unb  forgte  für  eine  unparteiifche 
^Rechtspflege.  $en  Offizieren  empfahl  er  eine  menfchlic&ere  93c» 
fjanblung  ber  Solbaten.  $a3  ans  lauter  liefen  beftehenbe  <ßot8* 
bamer  ©renabierregiment  f  baS  feinen  Sßater  fo  groge  Summen  ge= 
foftet,  mürbe  aufgelöft  unb  aus  bem  ©ubget  ber  Hofhaltung  bie 
SluSgabe  für  bie  fönigtichen  Hofnarren  geftrichen.  S)er  bon  feinem 
©ater  nur  in  berftümmelter  gorm  gebulbeten  Slfabemie  ber  SStffen* 
fdjaften  gab  ber  $önig  ihre  frühere  ©ebeutfamfett  jurücf  unb  über* 
trug  bie  Sfteugeftaltung  berfelben  bem  bon  ihm  $u  ihrem  ^röftben^ 
ten  ernannten  franjöfifdjen  Sftathematifer  SJcaupertuiS,  ber  fich 
burch  ein  äugerft  fct)meic^et^Qfted  Schreiben  griebrichS  jur  lieber^ 
ftebtung  nach  ©ertin  hotte  bewegen  laffen.  3)en  ^Sr)Uöfopt)cn  SBolf 
berief  er  nach  #atle  jurücf  unb  ernannte  ihn  jum  ©icefanjler  ber 
Uniberfität  mit  einem  ©ehalt  öon  breitaufenb  Xtjalcrn.  Um  fich 
auch  in  religiöfer  ©ejichung  als  ^ß^ilofo^»^  auf  bem  Xhrone  ju 
bewähren,  berfünbete  er,  bag  in  feinen  Staaten  3eber  nach  fciner 
eigenen  gac;on  feiig  werben  fönne" ;  auch  überrafchte  er  bie  SBelt 
burch  bie  greigebung  ber  treffe.  3)em  #ofe  gab  er  eine  prunf^ 
tjotterc  (Einrichtung  unb  entfehäbigte  inäbefonbere  feine  SJcutter  für 
fo  manche  frühere  (Entbehrung  burch  einen  glänjenben  $>offtaat.  3n 
©erlin  mürbe  ber  ©au  eines  OpernhauJeS  begonnen ,  unb  ber  ®a= 
peümeifter  ©raun  erhielt  ben  Auftrag,  in  SftaUen  eine  Capelle  ju 
werben. 

Qnbeffen  jeigte  fich  balb,  bag  ber  franjöftfche  ©efanbte  in 
©erlin  richtig  geurtheilt,  wenn  er  bereits  bor  bem  Xobe  griebrich 


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griebricf)S  II.  Regierungsantritt.  365 

SEBtHjelntf  bezüglich  beS  fiebenS  unb  treiben«  griebriehS  in  fR^cin«- 
berg  an  ben  frans bfifdjen  §of  berietet  hatte:  „ber  eigentliche  ©e* 
genftanb  feinet  StrebenS  fei  ber  föuhm  unb  zmar  ber  ftriegSrurjm ; 
er  brenne  bor  Segierbe,  in  bie  gußftapfen  feines  Slfmherrn,  beS 
großen  fhtrfürften,  ju  treten."  Srofc  ber  bebeutenben  Stärfe,  roelctje 
bie  preußtfehe  Kriegsmacht  fd)on  unter  griebrief)  Söilhefm  L  erlangt 
hatte,  erhöhte  griebrief  II.  biefelbe  balb  nach  feiner  £r)ronbefteU 
gung  um  töeitere  jmanzigtaufenb  9Bann.  #atte  man  ftdj  im  Steide 
über  feines  SBaterS  Kriegsmacht  Iängft  beruhigt,  ba  beffen  friebfer* 
tiger  Sinn  fo  allgemein  befannt  mar,  baß  man  Don  ihm  ju  fagen 
pflegte:  „er  fpanne  jmar  ftetS  ben  $>ahn,  brüefe  aber  niemals  loa," 
fo  mußten  bie  öon  griebrich  II.  angeorbneten  Werbungen  um  fo 
größere  ©ebenfen  erregen,  als  berfelbe  fd>on  im  erften  SJconate  feU 
ner  Regierung  beutltch  ju  erfennen  gegeben,  baß  er  in  SRetcfjafadjen 
feine  anbere  Grntfcfjeibung  anerfenne,  als  bie  ©emalt.  2US  bei  ber 
(Jrlebtgung  ber  <5Jraffct>aft  #anau  ber  Shirfürft  öon  9Jcain$ 
fprücfte  auf  bie  #errfdjaft  Stumpenheim  erhob,  manbte  fidj  ber 
fianbgraf  öon  #effen4hiffel ,  bem  bie  (Uraffdwft  zugefallen,  an  ben 
neuen  ßönig  öon  Greußen  unb  erhielt  öon  bemfelben  fofort  bie 
3ufage,  bog  er  it)n  mit  ©emalt  im  Söefifee  öon  SRumpenheim  fdjfifcen 
merbe. 

3n  ä^nli^er  SBeife  trat  griebrich  gegen  ben  ©ifdjof  öon  2üU 
tief)  auf.  21uS  bem  oranifdjeu  ©rbe  mar  feinem  Sater  bie  #err* 
fcfjaft  £erftaf  an  ber  äRaaS  zugefallen,  über  meldje  bem  SBifchof 
öon  fiüttich  bie  £ehenSf)errlichfeit  juftanb.  $iefeS  SBerhältniß ,  fo* 
mie  ber  öon  griebrief)  SSil^elmS  Söerbern  auf  bem  (Miete  beS 
3öifcf)ofS  getriebene  Unfug  Ratten  ju  Streitigfeiten  geführt,  bei  roel= 
chen  ber  ftönig  bem  SBifdjof  ben  SBorfchlag  gemalt,  ihm  bie  £>err* 
fdjaft  $erftal  abzulaufen;  bie  Sache  mar  jeboct)  zu  griebrief)  2Bil* 
helmS  ßebjeiten  nict)t  mehr  zur  (Srlebigung  gefommen.  2llS  nun 
nac^  griebricf)S  2hr°nbefteigung  bie  #erftaler  ©c^toierigfeiten  mach* 
ten,  ihm  ju  fjulbigen ,  beoor  er  öon  bem  Söifdjof  belehnt  morben, 
befchulbigte  ber  Äönig  ben  Sefcteren  ber  Slufreijung  ber  SBeoolfe* 
rung  unb  liefe  Gruppen  in  baS  SBiSthum  ßüttid)  einrüefen.  $er 
Sötfcfjof  flagte  über  ßanbfriebensbrucf)  unb  brachte  bie  Sache  öor 
ben  $aifer.  tiefer  richtete  am  4.  Df tober  ein  ab mahncnbeS  Schrei- 
ben  an  griebrich;  er  erhielt  jeboch  öon  bemfelben  eine  Slntroort, 
bie  beutüch  erfennen  ließ,  baß  ber  Äönig  feine  Stellung  als  Geichs* 
fürft  üoöftänbig  üergeffen  habe.  Ohne  irgenb  melche  9tuefficf)t  auf 
föaifer  unb  Steicf) ,  stoang  er  burch  brücfenbe  (Einquartierung  ben 
Söifcfjof  jum  Slnfauf  ber  jperrfchaft  £erftal  ju  bem  öon  ihm  felbft 
beftimmten  greife. 

gu  ber  gleichen  Seit  ließ  er,  um  bei  bem  ju  erhmrtenben  Xobc 
beS  achtzigjährigen  fturfürften  öon  *ßfalz*9leuburg  feine  Crrban^ 

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366 


2>er  oftcrrcidjtfdje  (Srbfolgcfvieg. 


fprüc^e  auf  %üüd)  unb  33crg  geltcnb  $u  machen,  unbefümmert  um 
bie  ©afcungen  be*  föeichä,  bei  $überich,  SBefel  gegenüber,  3elboer* 
fdjanaungen  anlegen.  $odj  noch  ehe  bie  fraglichen  Sänber  jur  (Sr= 
lebtgung  gefommen,  gab  ber  Xob  #aifer  $arl3  VI.  feinen  friege* 
rifcr)en  belüften  eine  anbete  Dichtung.  $aj}  er  biefe  bereit*  längft 
im  s2luge  gehabt ,  erhellt  au«  einem  Briefe ,  ben  Suhrn ,  bamalS 
fäc^fifc^cr  ©efanbter  in  «Petersburg,  bei  biefer  Gelegenheit  an  ir)n 
richtete.  „9flein  lebhafte*  Qntereffe  an  bem  ©lanje  uub  ÖHücfe  ber 
Regierung,  roelche  6ie  3^ren  treueren  Untertanen  öcrfjei§en",  fo 
feftrieb  ihm  biefer  Vertraute  feiner  geheimen  (£roberung3pläne ,  „er* 
laxibt  mir  nicht,  oon  biefem  (Sreigniß  ju  fpredjen,  ohne  im  Boraus 
©urer  äRajeftät  ®lücf  $u  roünfct)en  wegen  ber  großen  $onjunfturen, 
roelct)e  3^nen  nun  bie  (Gelegenheit  barbieten,  3h«n  Hutyn  ju  Der* 
mehren,  inbem  ©ie  arbeiten  für  bie  3ntereffen  unb  ba3  ®lucf 
3^cr  Staaten." 


XXII. 

Per  Iftetfei#tf4<  ^ tBf of j efttieg. 

(1740-1748.) 

»laria  Sherefta'ä  »egterunggantritt. 

(26.  Oftober  1740.) 

9cact)  bem  Xobc  Statt*  VI.  trat  feine  ältefte  $od)ter,  bie  brei* 
unbsiuanatgjäfjrige  9^ariaXhcrefiaf  traft  be$  oon  ifjxem  SBater 
crlaffcnen  unb  oon  fämmtudjen  dächten  ©uropa'3  gemahrleiftercn 
neuen  fymftgef efet* ,  ber  pragmatifct)en  «Sanction,  unter  bem  Xitel 
einer  Königin  oon  Ungarn  unb  Söhnten  bie  Regierung  über  bie 
öftcrreia^ifd)en  ©rblänber  an.  $ie  neue  £>errfcr)erin ,  oon  welcher 
ber  üenetianifa)e  ©efanbte  goScarini  an  feine  Regierung  berichtete : 
„2Jcan  mürbe  fie  oft  @rbin  beä  $aufe*  Defterreict)  berufen ,  roenn 
unter  allen  grauen  ber  SSelt  bie  28af)l  frei  ftünbe",  oeretnigte, 
nact)  bem  frönen  SluSfpruct)  oon  23ei& ,  „bie  glänjeuben  (5igen= 
fdjaften  oteler  Xräger  be$  mit  ihrem  Sater  erlogenen  ha&*s 
burgifdjen  tarnen«:  bie  Klugheit,  Klarheit  unb  gefttgfeit  be3  erften 
SRubolf;  bie  ©ct)cmheit  feine«  önfela  griebrict};  bie  öabe,  bie  $er* 
$en  ju  bezaubern,  toelche  ber  erfte  3Jcarjmilian  befeffen ;  bie  tiefe 
fteltgiofität,  toelche  $arl  V.  fo  oiele  fchtoeren  ©ct)tcffale  mit  Stühe 
ertragen  unb  einer  äBeltherrfctjaft  entfagen  ließ,  um  grieben  in 
Ö)ott  ju  finben."    9cacr)bem  fie,  crfäöt  oon  tiefem  @cr)mcrj  über 


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SR  aria  StjereficfS  ^Regierungsantritt. 


367 


ben  Eingang  ifjreS  SBaterS ,  beffen  Siebling  unb  Xroft  fte  gemefen, 
unter  fronen  unb  ©djluchien  bie  |mlbigung  bcr  SJcinifter  unb 
ber  ©pifcen  bcr  33c^örbcn  empfangen ,  ernannte  fte  ihren  ©ernaf)! 
tjranj  ©teptjan  öon  Lothringen ,  nunmehrigen  Öro&herjog  öon 
^XoSfana,  jnm  TOttrcgentcn  unb  ihren  ©chmager  .tart  ton  Lothringen 
^um  getbrnarfchafl.  Xicf  burdjbrungen  öon  bem  Söenm&tfein  it)rer 
,v>errfcherpflic{)ten  unb  burdjglüf)t  öon  (Sifer  für  beren  gennffenhaf= 
tefte  Erfüllung ,  traf  fte  fogleid)  oerfc^tebene  heilfame  Vlnorb* 
•nungen  jur  Slbfteßung  ber  bringenbften  SDci&ftänbe,  bie  fich  mährenb 
ber  Regierung  ihres  SkterS  in  bie  8taatSöermaltung  eingefetteten. 
(So  würbe  jur  kufbefferung  ber  gänjltch  zerrütteten  ginanjen  ber 
^pof^alt  öereinfacht  unb  ben  öielfachen  Unterfchteifen  im  Staats- 
unb  £>ofhauShaIt  gefteuert,  unb  bie  tnegen  beS  unglüeflichen  iöer= 
laufS  beS  legten  SürfenfriegeS  in  geftungShaft  gehaltenen  ®ene* 
rate  ©eefenborf,  2Battiö  unb  SReipperg  erhielten  nicht  nur  tfjre  gm* 
heit  jurikf,  fonbern  mürben  auch  in  if)rc  ^mter  unb  Söürben 
tnieber  eingefefct. 

2)a  bie  meiften  $öfe  (Suropa'S  SJcaria  £t)erefia  als  bie  recht* 
mä&ige  (ärbin  ber  öfterreichifchen  SWonarchie  anerfannt  unb  beglücf* 
toünfcht  hatten,  fchien  bem  ruhebebürftigen  Defterreidj  unter  bem 
milben  ©cepter  feiner  ebenfo  umfichtigen  als  thatfräftigen  jungen 
^errfdjerin  eine  Sutunft  öott  grieben  unb  ®lücf  beöorjuftehen  unb 
ber  hochherzigen  Königin  feine  anbere  Aufgabe  ju  harren,  als  bie 
görberung  beS  SSohleS  ber  üerfduebenen  ihr  entgegen  jubelnben 
SBälfer  itjred  grofjen  Meiches.  216er  eS  fam  anbcrS:  nicht  baS 
®lücf  einer  frieblichen  Regierung  im  unangefochtenen  SBefifce  ihrer 
©rbftaaten  mar  ber  Xodjter  #ar!S  VI.  befdjteben,  fonbern  in  fchme* 
ren  ftriegeSftürmen  foHte  fich  bie  ©tat)lfraft  ihrer  ©eele  mie  bie 
$ähe  Äraft  unb  bie  unverbrüchliche  Xreue  ihrer  SBölfer  bemähren. 

©leid)  in  ben  erften  Xagen  nach  bem  Regierungsantritt  Sflaria 
Xfjerefia'S  gab  ber  baierifche  GJefanbte  am  Sötener  §ofe,  ber  ®raf 
^ßerufa,  bie  (Srflärung  ab,  ba&  fein  §err,  ber  ®urfurft  ftart  2(1= 
bert  (ber  ©ofm  beS  im  3af)re  1726  öerftorbenen  sJftajimilian 
Immanuel)  bie  £>er$ogin  öon  Lothringen  unb  ®rof$her$ogin  öon 
XoSfana  nicht  als  (Srbin  ber  öfterreichifchen  Monarchie  anerkennen 
fönne,  ba  er  felbft  nähere  fechte  auf  biefelbe  habe,  unb  jroar  nicht 
nur  als  9cachfomme  ber  älteften  Xoajter  gerbinanbS  I.,  fonbern 
auch  unb  hctuptfächUch  in  golge  einer  teftamentarifchen  SBeftimmung 
biefeS  $aiferS,  fraft  beren  nach  bem  ShtSfterben  ber  männlichen 
Linie  beS  habsburgifdjen  JpaujeS  bie  Erbfolge  in  fämmtlichen  öfter- 
reichifchen Länbern  an  bie  9caa)fommen  biefer  Softer  übergehen 
folle.  Obgleich  nach  bem  SBortlaut  beS  fraglichen  XeftamenteS, 
beffen  in  SBien  aufbewahrtes  Original  2Karia  Xherefia  am  3.  9co* 
öember  in  ©egentoart  aller  frembeu  Oefanbten  oerlefen  lieg  r  ben 


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3G8 


Der  öfterretd)ifd)e  ©rbfolgefrieg. 


Sftachfommen  bcr  älteften  Xocfjter  gerbinanbä  I.  bic  (Erbfolge  nur 
für  ben  Sali  be8  2lu«fterben3  bcr  eh  elidjen,  nic^t  aber  ber 
männlichen  35e3cenbenten  ber  ©öt)ne  biefeä  Reifer«  oorbermlten 
worben ,  öerliefj  ber  baierifche  Oefanbte  am  20.  SRoüember  SBien 
unter  3urücflaffung  e*ncr  0011  DCm  ^urfürften  aufgeteilten  (ürrflä= 
rung,  in  Welcher  berfelbe  feine  angeblichen  9tcct)tc  auf  bie  öfter« 
retcfufcfje  2Jconarchie  im  üoHften  Umfange  aufrecht  hielt  mit  bem 
©emerfen,  bafc  ber  öon  feiner  (Gemahlin,  al3  einer  iodjter  $aifer 
Qofeph«  I.  ty*«  Vermählung  ju  (fünften  ber  pragmatifchen 
©anetion  geleiftete  SBerjicht  biefen  befonberen ,  bei  bemfelben  gar 
nicht  ermähnten  fechten  feinen  Abbruch  h°&c  ^un  rönnen. 

Sei  ber  augenfälligen  ©runblofigfett  ber  öon  bem  #urfürften 
erhobenen  Slnfprüdje  tytlt  man  eä  in  SBien  für  unbenfbar,  bafi 
auch  anbere  dächte,  welche  bie  pragmatische  ©anetion  nicht  nur 
feierlich  anerfannt,  fonbern  auch  gewäijrleiftet  hatten,  bie  @iltigfeit 
berfelben  anfechten  mürben,  dennoch  gefchah  bie«,  unb  ftWar  ju* 
nächft  öon  Seiten  be3  fran^öftfehen  ^>ofeö.  $)ort  mar  e$  einem 
ebenfo-  gemanbten  als  öerf erlogenen  *ßolittfer ,  bem  (trafen  öon 
93eIIeiöter  ber  fich  burdt)  bie  Zertrümmerung  ber  öftcrreict)ifcr>cn 
Monarchie  um  granfreichä  9Jtaa)tfteHung  befonberS  öerbient  ju  machen 
unb  fich  felbft  einen  unsterblichen  tarnen  $u  ermerben  hoffte ,  trofc 
ber  djegenbemühungen  beä  friebliebenben  ®arbinal3  Sleurn  gelungen, 
mit  bem  öon  ihm  entworfenen  $lane  ber  Ungiltigfeitäerflärung  ber 
pragmatischen  ©anetion  burchjubringen.  SSenn  auch  granfreich  felbft 
feine  ©rbanfprüche  erheben  fonnte ,  fo  füllten  im  Qntereffe  ber  ge* 
planten  3ertrümmerung  ber  öfterreidjifchen  SJconarcrn'e  bie  angebe 
liehen  Sftechte  anberer  Wächte  unter  Sttitwirfung  granfreich«  mit 
SSaffengemalt  jur  ©eltung  gebracht  werben.  3mwd)ft  mürbe  ber 
£of  öon  SJcabrib  üeranlaßt,  mit  ber  (Srflärung  herüorjutreten,  bafj 
bic  öon  ihm  ausgegangene  Slnerfennung  unb  ©emährleiftung  ber 
pragmatifchen  ©anetion  ungiltig  fei,  weil  biefelbe  bie  unüeräujjer* 
liehen  fechte  ber  fpanifchen  ßrone  auf  bie  öfterreichifche  Monarchie 
üerlefce ,  welche  fechte  man  au«  bem  Umftanbe  ableitete ,  ba&  bie 
Könige  öon  ©panien  au«  bem  öfterreidnfehen  $aufe  unb  bie  nach 
©panien  ücrmählten  öfterrcicf)ifcr)cn  ^rinjeffinnen  fich  Da^  9^ect)t  ber 
Erbfolge  in  ben  SBefifcungcn  ber  beutfehen  Sinie  für  ben  gaH  be£ 
©rlöfchen«  beS  2Rann3ftammä  berfelben  oorbehalten  hätten. 

9lachbem  mit  bem  £ofe  öon  Sftabrib  bie  nötigen  SBcreinba* 
rungen  getroffen  Würben,  begab  fich  93cllei3le,  ber  jum  SJtorfchall 
öon  granfreich  unb  jum  93otfct)aftcr  biefer  ®rone  bei  bem  jur 
Söicbcrbefefcung  beS  erlebigten  $aiferthrone3  auäjufchreibenben  28ahl* 
conöent  ernannt  Worben  war,  pr  Befürwortung  ber  SBatjl  beä  ®ur= 
fürften  ®arl  Ulbert  öon  «aicrn  jum  beutfehen  ®aifer  an  bie  £>öfe 
ber  fturfürften  öon  ftöln,  Xrtcr,  3Jcaina  unb  ©achfen  unb  fudjte 


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3)cr  crfte  jd)lefijd)e  Äricg. 


369 


boitn  bat  neuen  König  oon  Greußen,  ber  tnanrifdjen  bereit«  bie 
Waffen  gegen  aRaria  X^erejta  ergriffen,  um  ©Rieften  ju  erobern, 
in  feinem  ßager  $u  Vrieg  auf,  um  mit  ihm  einen  »ertrag  über 
bie  Teilung  ber  öfterrei^ifd^en  SRonarchie  ju  öerabreben,  ber  je* 
bodj  bamal*  noch  nicht  jum  befinirtoen  «bfc^luffe  fam.  Von  Vrieg 
reifte  er  nach  SRünchen ,  mo  if>n  ber  Kurfürft  Karl  Ulbert  auf* 
(SHänjenbfte  empfing  unb  ihm  in  bem  ßuftfchloffe  SRömphenburg 
eine  SBofjnung  annrie*.  #ter  mürbe  am  22.  üttai  1741  jnufchen 
Sranfreuf),  Spanien  unb  Vaiern  ein  93unbe*oertrag  gefchloffen,  in 
meinem  Sranfreia)  unb  ©panien  fia)  verpflichteten,  bie  2Baf>l  be* 
Kurfürften  Karl  Ulbert  $um  ^aifer  bunh  ©elb  unb  Gruppen  $u 
unterftüfceu,  Karl  Ulbert  bagegen  bie  fajmaajoofle  Verpflichtung 
übernahm ,  bem  König  oon  Spanien  jur  Erwerbung  ber  öfter- 
reic^ifct)en  Vejtfcungen  in  Italien  in  jeber  SBeife  behilflich  ju  fein, 
bie  ßänber  unb  ©tobte  aber,  toelche  bie  Sranjofen  am  dltyin  be> 
kfcen  mürben ,  als  Kaifer  niemal*  $urücfjuforbern.  9cadj  ben  in 
betreff  ber  geplanten  $heifong  ber  öfterretchifchen  Sttonarchie  ge* 
troffenen  Vereinbarungen  foHten  Söhnten,  ßberöfterreich,  Xörot  unb 
Vrei*gau  an  ©aiem,  Dberfchleften  unb  ÜJcahren  an  ©achfen,  Biebers 
fd)lefien  an  Greußen,  bie  ßombarbei,  ^arrna  unb  ^iacenga  an  ben 
®Öntg  ton  ©panien ,  al*  ben  HbfÖmmling  Karl*  Y.  in  geraber, 
wenn  auch  weiblicher  ßinie  fallen,  bie  belgijdjen  Sßrooinjen  an 
Sranfreich  fommen  unb  ber  Königin  SJcaria  Xherejta  nur  lieber* 
unb  Qnneröfterreich  nebft  bem  Königreich  Ungarn  oerbleiben. 


2)er  erftc  fthlejtfche  ffrieg. 

(1740-1742.) 

«Kit  bem  Xobe  Karl*  VI.  mar  für  griebrich  n.  ber  Slugen* 
blicf  gefommen,  bie  <£roberung*pläne  in*  SBerf  ju  fefcen,  für  toelche 
er,  nach  feinem  eigenen  ©eftänbniß,  feine  Kriegsmacht  in  fo  anfefjn* 
licher  SBeife  erhöht  hotte.  (S*  galt  für  ihn,  feine  angeblichen  fechte 
auf  ©  ch  l  e  f  i  e  n  mit  Söaffengemalt  geltenb  ju  machen. 

©4on  ber  große  Kurfürft  hotte,  in  golge  eine*  im  3afjre  1537 
jnrifchen  bem  Kurfürften  Qoadnm  II.  oon  ©ranbenburg  unb  bem 
^erjog  griebrich  H.  öon  Stegnifc ,  Vrieg  unb  2Bof>lau  abgefchloffe* 
nen,  öon  Kaifer  gerbinanb  I.  jebodj  für  ungiltig  erflärten  (Srbber- 
trag  2lnfprüche  auf  biefe  brei  ^erjogthümer  erhoben ;  er  hotte  jeboct) 
auf  biefelben,  rote  mir  oben  (©.  84)  gefehen,  in  einem  mit  Katfer 
Seopolb  oereinbarten  Vertrage  gegen  bie  Ueberlaffung  be*  ©chroie* 
bufer  Greife*  Verzicht  geleiftet.  9ctcht*beftomeniger  nahm  griebrid)  n. 
biefe  Slnfprüche  roieber  auf,  roeil  ber  ©chtoiebufer  Krei*  öon  Srieb* 

$oi$toart$,  SßeltflefäWe.  VI.  24 


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370 


$er  ofterreid)ifd)e  Grbfolgefrieg. 


rieh  L  micber  an  Dcfterreich  jurücf gegeben  worben  war.  SBelche 
neuen  2Infprüdje  jeboch  auch  Greußen  immerhin  au§  biefem  tlmftanbe 
hätte  tjerleiten  fönnen,  fo  waren  bieielbcn,  abgefehen  baoon,  baß 
griebrich  Söilhelm  I.  it)rer  nie  (Erwähnung  gett)an,  burdj  ben  ge* 
Reimen  berliner  Vertrag  Dom  Xesembcr  1728  förmlich  unb  feier- 
lich befeitigt.  Vluch  tonnte  üon  Seiten  Defterreichä  mit  bollern  9tedjte 
jeber  Slnfpruch  Greußens  für  üerjäfjrt  erflärt  werben.  „3ft  e3  nidjt 
ööHig  flar,"  fagt  ber  englifche  Staatsmann  unb  (5)efdt)ic^tfc^rcibcr 
Sftacaulaü,  „baß  bie  SSelt  nie  einen  Xag  lang  griebcn  ^aben  wirb, 
wenn  cä  geftattet  ift,  toeraltete  21ufprüdje  gegen  neue  Verträge  unb 
langen  Sßefife  gelteub  ju  machen?  £ie  ötefefce  aller  Wülfer  ^aben 
bie  weife  (Zurichtung  einer  SBerjährungäjeit  getroffen,  fo  baß  ©e* 
fifctitel,  wie  unrechtmäßig  fie  auch  begonnen  Ijaben  mögen,  nach 
einer  gewiffen  grift  nicht  mehr  angetaftet  werben  bürfen.  $ie  Qbt- 
fammtheit  ber  Bürger  barf  forbern,  baß  eä  für  jeben  Streit  ein 
@nbe  gebe." 

griebrich  II.  bie  9tadjrid)t  oon  bem  2obe  tfarlS  VI.  er* 
^telt,  lag  er  fieberfranf  in  9if)einäberg  barnieber.  ®egen  ben  föatt) 
ber  Werlte  nahm  er  ftarfe  3)ofen  Slunin,  „ba  er",  wie  er  erflärte, 
„ Wichtigere  $)inge  ju  tl)un  fyabt,  aU  feinem  Sieber  abzuwarten." 
@ntidt)loffen,  fofort  Schlefien  jurücfjuforbem  unb,  falls  eS  it)m  Der* 
weigert  werbe,  ben  Sortheil,  ben  bie  eigene  $rieg£bereitfchaft  unb 
Oefterreichä  jerrüttctea  £)eer~  unb  ginanjmefen  ihm  gewährten,  $ur 
gewaltfamen  Söefijjergreifung  ber  fchlefifchen  ^crjogt^ümcr  $u  be» 
nufcen,  berief  er  ben  gelbinarfchall  ÖJrafen  Schwerin,  einen  bewähr« 
ten  gclbherrn  auä  (Sugcnä  unb  SttarlboroughS  Schule,  unb  ben 
3Jcmifter  ^ßobemilä,  ben  Schwiegerfolm  beä  im  3<*hrc  1739  öerftor* 
beuen  ©rumbfom,  ju  fich,  um  fie  in  feine  ^ßläne  einzuweihen.  Söeibe 
riethen  ihm  bringenb  ab :  bennoch  blieb  er  bei  feinem  Sntfchluß 
unb  ließ  fofort  an  feine  fämmtlichen  ^Regimenter  ben  Befehl  ergchen, 
fich  marfchbereit  ju  galten ;  boch  blieb  ba£  3iel  oe^  beabfichtigten 
gclbäugS  noch  ®ehcimmß. 

3n  ber  grühe  be3  13.  5)ejember  reifte  gricbrkh,  nachbem  er 
Währenb  beä  größten  XfydUZ  ber  9Zadt)t  einem  ^ofbaüe  beigewohnt, 
öon  ©erlin  ab,  um  fich  an  bie  Spifee  feines  Speeres  ju  ftellen,  ba£ 
fich  bereite  in  ber  Stärfe  öon  breißigtaufenb  ÜDtonn  nach  Schlefien 
ju  in  Bewegung  gefegt  hatte.  Sei  fehlem  s2luS$uge  aus  ber  $auptftabt 
rief  er  bem  fraulichen  ©efanbten  $u:  „3$  fte^cf  glaube  ich,  *m 
SBeßriff,  3h*  ®Pic*  5U  fpiclcn.  Söenu  mir  bie  #ffen  zufallen,  fo  wer* 
ben  Wir  feilen."  2lm  16.  überfällt  baS  preußifche  £>cer  bie  föteftföe 
©renze,  unb  an  bemjelbcn  Sage  öerfünbete  ein  öom  1.  Dezember 
batirteä  SJfanifeft  ben  ©chlcfiem,  baß  ber  ftönig  oon  Greußen  nur 
in  baä  fianb  gerüeft  fei,  um  bei  ben  gefährlichen  Weiterungen,  welche 
beim  ©rlöföen  be^  öfterreichifchen  3JZanndftamm^  fich  aum 


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$er  erfte  fc^Icfifc^e  Ärieg.  371 

fdjon  geäufcert,  jum  in  Dollen  flammen  ausbrechen  im 

begriff  ftünben,  ba*  ^erzogtlmm  ©Rieften,  meines  bcn  SKeichSlan* 
ben  beS  Königs  jur  Vormauer  biene,  gegen  diejenigen  ftdjer 
ftellen,  bie  an  bie  (Srblanbe  be3  JpaufeS  Defterreich  einige  ^rätenfion 
Zu  hoben  oermeinen  fönnten.  „9ciemanb  möge  baher",  f)ieg  e$  in 
bemfelben  meiter,  „irgenb  rocldje  Sfcinbfcligfcit  befürchten;  öielmehr 
bürfe  %t\>tx,  mc6  StanbeS  unb  melajer  Religion  er  fei,  fid)  feiner 
Stechte  unb  beä  föniglichen  Schuftes  üerfic&ert  galten." 

(Gleichzeitig  mit  feinem  Aufbruch  öon  SBerlin  ^atte  gricbrich 
ben  trafen  ÖJotter  als  befonbercn  93eüoflmäd)tigten  nach  SBien  ge* 
fanbt,  um  ber  Königin  bie  branbcnburgifche  ®urftimmc  für  bie  2Sat)l 
it)reS  GJemahlS  jum  Äaifer,  fomie  ben  Öeiftonb  feiner  ganzen  £üiac^t 
für  bie  Slufredjtfjaltung  ber  pragmatischen  Sanction  unb  einen  ©aar* 
»orfdmB  öon  amei  Millionen  X^alem  anzubieten,  falls  fte  geneigt 
fei,  ihm  Schlesien  freiwillig  abzutreten,  der  ®raf  ^atte  zugleich 
Vollmacht,  für  ben  öorauSgcf efjenen  gaH  ber  Ablehnung  feinet  Sin* 
tragS  an  Defterreich  ben  ftrtcg  ju  erflären. 

griebrichS  feinblicheS  Auftreten  traf  ben  SSiener  £of  boll* 
ftänbig  unüorbereitet ;  benn  trofc  ber  Reibungen  beS  faiferlidjen 
©efanbten  in  Berlin  öon  Slnjcid^cn  eines  ficf>  aufammenjiet)enben 
©eraitter*  Ijarte  man  an  bie  Sftoglidjfeit  eines  fo  unerhörten  ÖruchcS 
beS  9teajteS  unb  ber  dreue  nicht  glauben  f önnen ;  nichtSbeftomcniger 
lehnte  Wlaxia  Xfytxtfia  ben  Antrag  griebrichS  mit  höflichen,  aber 
feften  SBorten  ab.  „Sie  erfenne",  fo  lautete  ü)re  Slntmort,  „ben 
öollen  SBertfj  ber  greunbi'chaft  Seiner  aJcajefiät  beS  Königs  öon 
Greußen  unb  höbe  fidt)  feinen  Vorwurf  zu  machen,  irgenb  ßtroaS, 
rooöon  beren  Erhaltung  abhängig  fei,  öerabfäumt  ju  haben;  fie  fei 
jeboch  nicht  SßitlcnS,  ihre  Regierung  mit  ber  Berftücflung  ihrer 
Staaten  anzufangen,  ba  @hre  unb  ©eroiffen  ihr  bie  Pflicht  aufer- 
legten, bie  pragmatische  Sanction  gegen  alle  mittelbaren  unb  un* 
mittelbaren  Angriffe  $u  öertheibtgen,  unb  fönne  baher  zu  feiner 
Veräußerung  SchlefienS,  meber  beS  Manzen  noch  eines  %f)tiltä,  ihre 
.ßufttmmung  geben.  23aS  ben  öon  bem  ftönig  angebotenen  53eU 
ftanb  zur  Slufrechthaltung  ber  pragmatischen  Sanction  betreffe,  fo 
glaube  fie  bemerfen  zu  ntüffen,  ba§  fchon  baS  *8anb,  baS  alle 
©lieber  beS  beutfchen  Meiches  öereinige,  foroie  bie  auSbrücfliche  Ver* 
orbnung  ber  golbeuen  Söutlc  jcben  9teich$ftanb  ücrpflichte,  dem* 
jenigen  beizuftehen,  ber  in  einem  X^eüe  feiner  zum  deiche  gehört* 
gen  Staaten  angegriffen  merbe,  unb  ba&  biefe  allgemeine  üBerpflidj* 
tung  burch  bie  oom  ÜicichSförper  auSbrüdlich  übernommene  (Garantie 
ber  Sanction  üerboppelt  merbe.  SSegen  ber  angebotenen  Stimme 
3ur  Äaifermabl  fühle  fte  fich  bem  ftönig  unenbltch  üerpflichtet ;  bie 
Jlaiferroahl  müffe  jeboch  frei  fein  unb  nach  ben  Vorschriften  ber 
flolbenen  VuHe  geschehen,    die  angebotenen  stpci  9Jcillionen  Zfyakx 

24* 

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372  $cr  öftcrreicf^ife^e  (grbfolgcfrieg. 

i 

mürben  nicht  fynxtifyn,  bcn  oon  ben  preußifdjen  Xruppen  in 
©djleften  angerichteten  ©chaben  $u  erfefcen.  8ux  (Erneuerung  auf* 
richtiger  greunbfdjaft  mit  bem  Könige  fei  fie  beffenungeadjtet  noch 
immer  bereit,  menn  bieS  ohne  Verlegung  ber  fRec^tc  eine«  dritten 
gefdjehen  fönne  unb  ©chtefien  ungefäumt  oon  ben  preußifdjen 
Xruppen  geräumt  merbe." 

dbenfo  überrafcht,  nrie  in  SBien,  mar  man  im  gefammten 
Teutfdjlanb  über  griebrichS  unerhörtes  Vorgehen,  unb  überaß  fpradj 
ftd)  gegen  baffelbe  bie  entfehiebenfte  Sftißbilligung  au«,  bie  ber  König 
auf  ben  Sfteib  ber  übrigen  Surften  über  bie  oon  ihm  erftrebte  Ver- 
größerung feines  SanbeS  jurücfyuführen  fucf)te.  ©elbft  oon  ©eiten 
feiner  Untertanen  erfuhr  griebrich  fcharfen  Xabel,  maS  bie  fofor^ 
tige  Unterbrüdung  ber  oon  ihm  jugeftanbenen  greit)ett  ber  treffe 
jur  golge  hatte,  ben  eroberungsluftigen  unb  ruhmbegierigen  König 
jeboct)  in  ber  Verfolgung  feiner  $Iäne  umf omeniger  irre  machte,  als 
er  mof)I  mußte,  baß  ber  Crrfolg,  ber  if)m  nach  ben  bereits  errungenen 
Vorteilen  jroeifeüoS  fdjien,  nicht  verfehlen  merbe,  bie  allgemeine 
(Stimmung  $u  feinen  fünften  umjumanbeln. 

$a  in  ©chlefien  bei  bem  (Einbruch  griebrichS  nur  fiebentaufenb 
Sftann  öftemidufcher  Gruppen  ftanben  unb  bie  meiften  geftungen 
DerfaHen  toaren,  fonnte  oon  einer  nachhaltigen  Verttjeibigung  beS 
SaubeS  faum  bie  Nebe  fein;  ber  öfterreichifche  gelbmarfchafl  ®raf 
Vromne,  ber  ben  Cbcrbefc()l  in  ©chlefien  führte,  50g  fich  bafjer,  naa> 
bem  er  bie  ©arnifonen  in  ben  feften  sßläfccn  möglichst  üerftärft  hatte, 
mit  ben  ihm  oerbleibenben  Gruppen  ^intcr  bie  Neiße  jurücf.  60 
tourbe  noch  üor  Ablauf  beS  SafjreS  ber  größte  Xr)cil  beS  offenen 
SanbeS  üon  ben  Greußen  befefct  unb  Siegnifc  burdj  Ueberrumpelung 
genommen.  SSährenb  griebrich  bie  geftung  ®logau  burch  ben  (5rb* 
prinjen  Seopolb  oon  $cffau  einfließen  ließ,  rücfte  er  felbft  oor 
Breslau,  baS  ihm,  oon  Gruppen  gänjlich  entblößt,  gegen  bie  3ufag,e 
ber  Neutralität  unb  unter  Vorbehalt  beS  eigenen  VefafcnngSrechteS 
am  4.  Qauuar  1741  feine  Zfyoxt  öffnete.  $ie  öfterreichifchen  Ve* 
hörben  mußten  bie  ©tabt  oerlaffen,  unb  bie  oon  Qefuiten  geleitete 
Unioerfität  tourbe  gefchloffen;  auch  belegte  ber  König  bie  öfter* 
reichifchen  Waffen  mit  Vefchlag.  91m  6.  Januar  ergab  fich  Chlau 
gegen  freien  5X65119  ber  fchtoaa)en  ötornifon ;  baS  bleiche  tr)at  Ott* 
machau,  nachbem  bie  flcine  Veiafcung  oon  ameihunbertfechSunbfünfaig 
©renabieren  Oicr  Xage  lang  ben  muthigften  SStberftanb  gcleiftet. 
NamSlau  erlag  bem  ferneren  preußifchen  Gtefchüfc.  $ie  geftung  Neiße, 
toelche  bie  Slufforberung  $ur  Kapitulation  jurüefgemiefen,  mürbe  nach 
oergeblichem  brettägigem  Vombarbemcnt  blocfirt ;  baS  (bleiche  gefchah 
mit  Vrieg.  ©logau  mürbe  am  8.  SJtärj  burch  ben  ©rbprinjen  oon 
2)cffau  erftürmt. 

Unterbeffcn  mar  eS  ber  Königin  9tfaria  Üt)ercfia  möglich 


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2>er  erfte  ffileftfche  ßrieg.  373 

toefen,  größere  Streitfräfte  jur  Vertheibigung  ©djlefien«  ju  fammeln, 
unb  im  2Rär$  1741  rücfte  ber  gelbmarf  djaH  9ceipperg  mit  einem 
#eere  öon  fünfeehntaufcnb  Sttann  au«  9fläfjren  in  Cberfdjlefien  ein, 
um  flceiße  ju  entfefcen.  Um  bie«  $u  öerffinbem,  jog  ihm  griebrich, 
Halbem  er  fidj  burch  bie  £Belagerung«truppen  öon  ©rieg  öerftärft 
unb  mit  bem  SelbmarfdjaH  Schwerin  bereinigt  hatte,  in  ©ilmärfdjen 
entgegen,  unb  bei  bem  Eorfe  Sttollwifc,  unweit  SBrieg,  fam  e«  am 
10.  VTpril  ju  einer  blutigen  ©d^acht,  beren  ßeitung  griebricr)  bem 
erfahrenen  ©chwertn  überließ.  $ie  öfterreichifche  ®aöallerie  er* 
öffnete  ben  k  ampf  mit  einem  fo  ftürmifchen  Angriff  auf  bie  preußifche, 
baß  biefe  atibalb,  öoflfiänbig  jeriprcngt,  ba«  SBeite  fuchte  unb  öon 
ben  fedjaig  Äanonen,  roelcrjc  bie  Greußen  gegen  fedjjeljn  öfterreichifche 
in«  treffen  geführt,  öiete  bem  getnbe  in  bie  #änbe  fielen.  $a 
©djwerin  an  bem  günftigen  Ausgang  ber  ©d)Ia<|t  p  öcr^wetfeln 
begann,  rieth  er  bem  ßönig  bringenb,  ficfj  ju  bem  bei  ©treten  ftehen* 
ben  fbrp«  be«  &er$og«  öon  #olftein-93ccf  $u  begeben,  um  mit  bem* 
felben  für  ben  fdjlimmften  Satt  ben  9tücfaug  be«  preußifdjen  #eere« 
$u  unterftüfcen  unb  jugleich  Dfjlau  ju  becfcn.  SBährenb  ber  ®ömg, 
biefem  Statte  fotgenb,  mit  geringer  Begleitung  nach  Oppeln  eilte,  ent* 
riß  bie  preußifche  Qnfanterie,  bie  ber  feinblichen  an3a^  weit  über* 
legen  mar,  ben  Defterreicfjern  ben  bereit«  f)alb  errungenen  ©icg. 
211«  ©chwerin  am  2lbenb  feine  £tnie  $u  einem  legten  Angriff  ju* 
fammenjog,  trat  Sßeipperg  ben  SRücfjug  an. 

Sit  nächfte  golge  be«  ©iege«  ber  Greußen  bei  2flolIwifc  war 
bie  Uebergabe  ber  geftung  SBrieg.  SBichtiger  jeboc^  mar  für  griebrich 
ber  flbfehfaß  be«  Sftmnphenburger  SBünbniffe«,  gu  beffen  .ßuftanbe* 
lommen  bie  ©rfolge  ber  preußifchen  SBaffen,  nrie  ohne  .Steifet  aud) 
bie  jwifchen  ihm  unb  23e(Iei«te  getroffenen  geheimen  Vereinbarungen, 
wefentlid)  mitgewirft. 

«Reipperg  r)atte  fidj  nach  ber  ©flacht  bei  2RoHwifc  hinter  Steige 
äurütfgejogen.  9cad)bem  er  tjicr  eine  S^itlang  eine  beobachtenbe 
(Stellung  eingenommen,  brach  er  plö&Iid)  auf,  um  ba«  preußifche 
£eer  $u  umgeben  unb  fid)  in  ben  SBeftfc  öon  SreSfau  $u  fe£en. 
griebrich  fam  ihm  jeboch  $uöor,  inbem  er,  naajbem  ber  Sflagiftrat 
ben  geforberten  $)urd>marfch  eine«  preußifchen  ®orp«  jugeftanben, 
bemfelben  anbere  Gruppen  folgen  unb  fo  bie  ©tabt  befefcen  lieg, 
worauf  er  ben  gefdjloffenen  *fteutralität«bertrag  für  aufgehoben  er* 
flärte.  25a  SRetpperg  ftc^  in  eine  ©teuung  jurüdgejogen,  in  welcher 
i^m  niajt  beijufommen  war,  mußte  ber  ©ebanfe,  ihn  nochmal«  an* 
zugreifen  unb  wo  möglich  ganj  au«  ©djlefien  hinau«jufchlagen,  auf* 
gegeben  Werben. 

Unterbeffen  war  in  golge  ber  ju  ülömphenburg  getroffenen 
Vereinbarungen  ber  ^ampf  um  ba«  öfterreia)ifche  @rbe  burch  einen 
erfolgreichen  (SinfaH  be«  ^urfürften  öon  ©aiern  in  ba«  &c$txw 


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374 


2>er  öfterreidjiföc  Grbfolgcfrieg. 


tljum  Cefterreid)  eröffnet  morben,  unb  bie  fdjmerbcbrftngte  Wlavia 
X^erefia  erfannte  bie  Unmöglicf)feit,  bei  tfiren  geringen  ©treitfräften 
ben  äxieg  nad)  ^roei  (Seiten  f)in  mit  &u§fid)t  auf  (Erfolg  $u  führen ; 
fie  entfloß  fief)  bafyer,  bem  9^atl>c  Ghtglanbä,  fidj  junorf)ft  grieb- 
rict)^  al£  ifjre«  gefäbrlidtften  ©egnerfc  burdj  eine  öon  ben  Umftän- 
ben  gebotene  SRadjgiebigfett  ju  entlebigen,  golge  ju  leiften,  unb  ba 
griebricfi,  ber  in^roifc^en  bem  9tympf)enburger  ©ünbnife  beigetreten, 
pdj  bem  Slbfdjlufj  eine«  geheimen  grieben«  niefit  abgeneigt  geigte, 
mürbe  am  9.  Dftober  1741  bei  einer  Sufammcnfunft  beä  fieberen 
mit  ben  öfterreicfjifcfjen  Generalen  Weipperg  unb  SentuIuS  auf  bem 
©tarf)embergifcf)en  ©d)loffe  ®letnfcf) nellenborf  unter  2ttitmirfung 
beä  engltfcfjen  (SJefanbten  am  preußifäen  ,$ofe ,  Sorb  £>t)nbfort,  ein 
Sßertrag  vereinbart,  traft  beffen  jnrifcfKHt  ben  Defterreicfjem  unb 
Greußen  ein  geheimer  SBaffenftiflftanb  eintreten,  bie  geftung  SReifee 
naa)  einer  jum  ©djeine  geführten  Belagerung  ben  fieberen  über= 
geben  merben  unb  9teipperg  fief)  nadj  9ttäf)ren  $urücf$iet)en,  im  fünf- 
tigen  trieben  aber  ganj  SRieberfcfjlefien  nebft  einem  Xt)eile  öon  Dber* 
fc^teften  an  Greußen  überlaffen  merben  fottte. 

Unmittelbar  naef)  bem  2tbfcf)lu6  be«  SHeinfdmeHenborfcr  SBer* 
trag«  jog  fief)  Weipperg  nad)  SWäfjren  jurücf,  unb  am  21.  Dftober 
übergab  ber  SFommanbant  öon  Steige  nad)  einem  furzen  ©djeinmiber* 
ftanb  bie  geftung  ben  Greußen,  dagegen  mürbe  ber  gefd)loffene 
Vertrag  üon  Srtebrict)  ttic^t  gehalten,  ©d)on  am  4.  Woöember  fdjloß 
berfelbe  mit  bem  ®urfürften  üon  SBaiern  ein  ©d)it&;  unb  %xn^ 
bünbnig,  in  mcldjem  er  btefem  gürften  ©öfynen,  Defterreid)  unb 
$nrol  unb  $arl  Ulbert  tt)m  bagegen  außer  ©cftlcficn  auch  bie  ju 
Böhmen  gehörige  Gkaffdjaft  ®lafc  gemährleiftcte.  liefen  «ertragt 
brach  fucrjte  ber  ®önig  jmar  burd)  ben  $rang  ber  Umftänbe  unb 
inäbefonbere  baburdj  ju  entfdjulbigen ,  bag  ba3  bei  ber  getroffenen 
Uebercinfunft  audbebungene  ®eheimniß  öon  Seiten  Defterreichä  nicht 
gemaf)rt  morben;  boef)  ift  SIrneth  ohne  3meifel  im  üoflen  föedjte, 
menn  er  fagt :  „griebrich  fdjloß  ba«  Ucbereinfommcn  nur  ab,  um 
Weiße  ohne  ©futöergiegen  in  feine  (Semalt  ju  befommen,  um  Weip- 
pergä  $eer  nict)t  mefjr  gegenüber  ju  hebert,  ftcti  in  aller  SRuIje  a\i& 
breiten  ju  fönnen  unb  feinen  burd)  einen  elfmonatlichen  gelb^ug 
erfct)öpftcnf  fdjon  miggeftimmten  Xmppen  ©r^olung  51t  gönnen.  (£r 
fdjloß  e3  ab  in  ber  Slbficht ,  bie  Königin  öon  Ungarn  $u  hinter  ^ 
gehen."  tiefem  Urteil  fdjeint  auch  ber  <ßreuße  ©teujel  öoüftänbig 
beizupflichten,  menn  er  fagt:  „(53  fei  baä  beim  ©fliegen  unb  S3rc 
djen  be3  ßleinfchnetlcnborfer  SBertragS  beobachtete  Verfahren  nicht 
ju  rechtfertigen  ober  auc^  nur  einigermaßen  ju  entfc^ulbigen :  baä 
müffe  man  ben  baju  beftimmten  eigentlichen  unb  unetgentlichen 
Staat«',  $>of=  unb  ^au8hiftoriograpt)en  überlaffen. u 

Xrei  2age  nad)  bem  «bfchluß  beä  33ünbniffe§  mit  bem  ^ur- 


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$ct  erfte  fc^Ieftfcf^c  5hicg. 


375 


fürftcn  öon  ©atern,  am  7.  SRoöember  1741,  lieg  ftcfj  griebrich  ju 
Breslau  öon  ben  nieberfchlefifdjen  ©tänben  als  fianbeäherr  hui» 
bigen.  $er  SDliitiftcr  ^obewttS  fejjte  benfefben  in  einer  längeren 
$ebe  auSetnanber ,  baß  ber  Schaben ,  ben  baS  §auä  Branbenburg 
burdj  bie  lange  (£nt$iehung  ber  toter  fdjlefifdjen  gürftenthümer  er* 
litten  fyabt,  ben  SBertf)  beS  ganjen  SanbeS  ©djlefien  überfteige, 
wobureh  bem  Könige  baS  9lecht  öinbicirt  werben  foflte,  aus  bem* 
felben  ©ummen  in  beliebiger  £öf)e  ju  jiehen.  griebrich  felbft,  ber 
bei  ber  geiertichfeit  in  einer  abgenufcten  Uniform  erfducn,  Derzeit 
fich  öoflftänbig  fchweigfam.  SRachbem  er  bie  £ulbtgung  ber  fatho* 
lifchen  ©eiftlidjfeit  fifcenb  unb  bebeeften  £aupteä  entgegengenommen, 
ftanb  er  beim  herantritt  ber  föitterfdjaft  auf  unb  nahm  ben  £mt 
ab,  in  welcher  (Stellung  er  auch  bei  ber  (SibcSleiftung  ber  ©täbte 
öerblieb.  SBic  burdj  fein  prunflofeS  Sluftreten  im  einfachen  ®rteg^ 
roef ,  fo  gab  griebrich  auch  burd)  fein  berebteS  Schweigen  feinen 
neuen  Untertanen  ju  erfennen,  baß  er  ihr  unumfehränfter  $>err 
unb  baß,  wie  bie  gftHe  ber  3Jcajeftät  allein  in  feiner  $erfon,  fo 
bie  ßtaft  berfelben  allem  in  feinem  Degen  enthalten  fei.  SKit  bem 
ftönbifchen  SBefen  hatte  es  in  ber  Sljat  feitbem  in  ©chlefien  ein 
<£nbe. 

Sur  gortfefcung  bcS  Kriege«  gegen  SJcaria  Xtyrtfia  lieg  grteb* 
rieh  ben  gelbmarfchall  Severin  in  Fähren  einrüden,  unb  wä'hrenb 
berfelbe  am  27.  $ejember  Dlmüfc  eroberte  unb  in  ber  Umgebung 
biefer  Stabt  bie  SBiuterquartiere  nahm ,  bemächtigte  fich  ber  (£rb* 
prtnj  Seopolb  öon  Xeffau  im  Januar  1742  ber  ©tabt  unb  G*raf* 
fdjaft  ®lafc  unb  führte  hierauf  feine  Xruppen  jur  winterlichen  SRuhe 
nach  Böhmen. 

Unterbeffen  mar  griebrich  nach  Bresben  gereift,  um  Stuguft  III., 
ber  ftd)  in$mifchen  gleichfalls  bem  Bünbnijj  gegen  Oefterreich  ange* 
fc^toffen  ^atte  unb  beffen  Eruöpen  burd)  einen  glücfltc^  auSgcführ* 
ten  Ueberfatt  in  ben  Befi&  öon  $rag  gelangt  waren,  jur  nach* 
brücfltchften  Unterftüfcung  feiner  friegerifchen  Operationen  aufju* 
forbern,  bie  auch  öon  bem  ©rafen  ^rü^(  jugefagt  würbe.  Bon 
Bresben  eilte  er  nach  $rag,  um  auch  mit  ben  bort  ftefjenben  baie- 
rifdjen  unb  franjöfifchen  gelbherren  bie  nötigen  Vereinbarungen 
in  betreff  beS  beöorftet)enben  gelb$ugS  ju  treffen,  «Rachbem  er  am 
25.  3anuar  1742  wieber  ju  feinem  #eere  jurüdgefehrt  war,  fdjritt 
er,  öon  fächfifchen  Xruppen  unterftüfct,  jur  Belagerung  öon  Brünn, 
baS  öon  bem  öfterrcid^ifc^en  General  9loth  aufs  Saöferfte  öer* 
tfjeibigt  Würbe. 

3n$mifchen  fyattt  3Raria  Ifyerefia  ben  ungarifdjen  Heerbann 
aufgeboten,  unb  mit  ben  in  SWaffe  ju  ihren  gähnen  geftrömten 
Ungarn  waren  auch  m%  ^rcn  übrigen  ^ßroöinjen  zahlreiche  SDcann* 
fchaften  herbeigeeilt ,  um  für  ba8  gute  Stecht  ihrer  geliebten  $>err- 


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376 


Ter  öfterretd)ifcf)e  Grbfolgefrieg. 


fc^erin  in  ben  Äampf  ju  Riehen.  So  war  eS  ber  Königin  möglich 
gewefen,  jwei  neue  $eere  ins  Selb  $u  fenben,  unb  Wäfjrenb  baS 
eine  unter  bem  Qkafen  ß^cöcn^tßer ,  bem  bie  (Generale  Bärenflau, 
Xrencf  unb  Sftenjel  unterteilt  waren,  bie  Baiern  unb  granjofen 
auS  Defterretcr)  üertrieb  unb  fiegreicf)  in  baS  baierifche  (Gebiet  ein- 
brangr  rütfte  baS  anbere  unter  ®arl  öon  ßothringen  in  Böhmen 
ein,  um  $rag  jurütfjuerobern  unb  bie  Aufhebung  ber  Belagerung 
öon  Brünn  ju  ergingen,  griebrich  $og  bemfelben  entgegen,  unb 
bei  ber  öon  ben  Defterreidjem  befefcten  Stobt  (£  $  a  S  l  a  u  fam  eS 
am  17.  9Hat  1742  ju  einem  blutigen  Xreffen.  SBeibe  |>eere  waren 
ungefähr  gleich  ftarf;  boch  gab  eine  ungleich  größere  3ah*  fdjwerer 
(Sefchüjje  ben  Greußen  über  bie  Defterreidjer  ein  Uebergewidjt,  baS 
burd)  feine  Sapferfeit  ber*  Vetteren  ausgeglichen  werben  fonnte. 
*ftach  einem  üierftünbigen  Reißen  Kampfe  —  öon  7  bis  11  U!)r 
SttorgenS  —  entfdjieb  griebrich  burdj  eine  unerwartete,  geflutt 
ausgeführte  Scbwenfung  bie  <Scr)lacl)t  ju  feinem  Bortheil ;  boch 
jogen  fich  bie  Oefterreicher  in  fo  guter  Drbnung  jurüd,  ba&  öon 
einer  erlittenen  SRieberlage  faum  bie  9tebe  fein  fonnte.  $ie  Qafyl 
i^rer  lobten  unb  Berwunbeten  betrug  breilaufenb,  bie  ber  Greußen 
öiertaufenb. 

2)er  STuSgang  ber  Schlacht  bei  ©jaSlau  —  öon  bem  Steden 
©fjotufifc,  bem  HKittelpunft  ber  preu&tfchen  Stellung,  auch  bie 
Schlacht  bei  ßfwtufifc  genannt  —  befchleunigte  ben  SIbfct)fu6  bcS 
griebenS ,  für  beffen  3uf*anbefommen  auch  bicSmal  (Snglanb  mit 
aller  Sttacht  thätig  mar;  benn  wie  ERaria  %§txtf\a  bie  9cotbmen= 
bigfeit  erfannte,  fich  mit  einem  öom  ©lüde  fo  entfdncben  begünftig* 
ten  (Gegner  ju  oertragen,  um  ihre  ganje  Streitmacht  gegen  ihre 
übrigen  getnbe  öerwenben  ju  fönnen,  fo  mar  aud)  griebridj  ju  ber 
Ueber^cugung  gelangt ,  baß  Defterreich  nicht  fo  leidet  ju  Boben  ju 
werfen  fei,  als  er  geglaubt. 

9tachbem  Sorb  |>rmbfort,  als  Beöollmädjtigter  SDtoria  Xfjcrefia'S, 
unb  ber  preu&ifdje  2Jctnifter  ^SobewilS  ju  Breslau  bie  jwifdjen 
ihnen  öereinbarten  griebenSpräliminarien  unterzeichnet  hatten,  fam 
am  28.  3uli  ju  Berlin,  Wohin  ber  #önig  am  12.  jurüefgefehrt, 
ber  befinitiüe  griebe  $u  Stanbe.  3n  bemfelben  trat  Sftaria  Xherefia 
Ober*  unb  üftieberfchfefien,  mit  Ausnahme  bes  gürftenthumS  Xefdjen 
unb  eines  %ty\k%  ber  gürftenthümer  Xroppau,  Qägernborf  unb 
9cei&e, ,  beSgleidjen  auch  bie  ©raffefjaft  ®lafc ,  an  ben  $ömg  öon 
Greußen  unb  beffen  (Srben  unb  9cad)fommen  beiberlei  ©efchlechtS  ab, 
Wogegen  griebrich  fidj  jur  3ah^un9  ciner  Summe  öon  einer  SJftllton 
fiebenmalhunberttaufenb  XfyaUxn,  welche  bie  ©uglänber  unb  £>oHänber 
pfanbmeife  an  Oefterreich  auf  Schlefien  geliehen  hatten,  fowie  jur 
fofortigen  3u^5iehung  aller  feiner  Xruppeu  auS  ben  Sänbem  ber 
Königin  unb  §um  föücftritt  öon  bem  9cumphenburgcr  Bünbniffe  Oer* 


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S5er  dfteneUtyMe  (Stbfolgerrieg  bis  jimt  Xobc  Itaifer  ßarlS  VII.  377 

pflichtete  unb  fein  toeitereS  ©ünbnife  mit  ben  geinben  CefterreidjS 
einzugehen  oerfprad).  gür  bie  fattjolifc^c  Religion  in  ©djlejien  mürbe 
fcofle  greifjeit  unb  Slufredjtfjaltung  iI)reS  SBefifcftanbeS ,  jebodj  ohne 
^Beeinträchtigung  bcr  Religionsfreiheit  ber  s$roteftanten  unb  ber  bem 
©ouöerän  beS  SanbeS  juftehenben  ©erechtfame  jugefagt. 

SSaljrenb  griebria)  über  baS  Belingen  feines  ©roberungSplaneS 
triumphirte ,  burd)  melden  ber  preu&ifche  ©taat  um  fiebenhunbert 
Cluabratmeilen  mit  einer  2Jciflion  üiermalhunberttaufenb  ©intoohnern, 
atfo  um  ein  üotleS  Erittheil ,  öergröfjert  unb  beffen  jährliches  @in* 
fommen ,  nach  griebricf)S  Berechnung ,  um  brei  SRiütonen  fechSmal* 
hunberttaufenb  X^aler  erhöht  mürbe,  empfanb  Flavia  Xljerefia  über 
ben  SSerluft  ©chlefienS,  beS  „fünften  ©belfteinS  ihrer  ßtone,"  ben 
herbften  ©chmer^.  „ßorb  £>ijnbfort,"  fdjrieb  bcr  englifdje  ©efanbte 
in  SBien  an  feine  Regierung,  „fann  in  ber  gerne  leicht  baöon  reben, 
bog  eine  Imputation  nöthig  mar ;  menn  man  aber  einer  focfjen  £)pe= 
ration  beiroofmt,  fo  leibet  man  mit  bem  Traufen  unb  burdj  ben 
ßranfen.  $er  ©djmerä  ber  Königin  ift  fel>r  grog.  2We  Uebel 
feinen  ihr  gering  gegen  bie  Abtretung  ©djlcfienS;  fie  öergifct  bie 
Königin  unb  bricht  mie  ein  SBeib  in  Xfjränen  auS  ,  menn  fie  einen 
©chlefier  fleht." 


2>er  öfterreid)tfd)e  erbfolgefrieg  bt§  $um  2obe  ftaifer 

Staxtt  VII. 

(1741-1745). 

SBäfjrenb  baS  einzige  $eer,  baS  SKaria  Sfjerefia  jur  2(ufrecht= 
Haltung  ihres  SBefifcftanbeS  ins  gelb  ftetten  tonnte,  in  ©chlefien 
gegen  griebrich  II.  fämpfte,  festen  fich  toon  aüen  ©eiten  Gruppen 
gegen  Defterreich  in  ©emegung.  ©en  ftrteg  eröffnete  ber  ßurfürft 
Don  SBaiern  burdj  bie  Ueberrumpelung  üon  Sßaffau  unb  ber  in  ber 
SRähe  liegenben  mistigen  geftung  Obernaus.  25urch  ein  franjöfis 
fdjeS  #eer  öon  gmanjigtaufenb  9#ann  unter  bem  9ttarfdjall  SBetleiSle 
öerftärft,  baS  am  15.  Stuguft  bei  gort  SouiS  über  ben  R^ein  ge= 
gangen  unb  burd)  ©chmaben  nach  SBaiern  öorgebrungen ,  rücfte  er 
im  ©eptember  1741  in  Dberöfterreich  ein,  nahm  am  16.  ßinj  ofme 
©djmertftreich  unb  lieg  ftd)  am  19.  öon  ben  bort  öerfammelten 
©tänben  als  (5r$herjog  öon  Defterreich  fmlbigen.  2ln  bem  gleiten 
Sage  trat  auch  Sluguft  III.  oon  ©adjfen  unb  ^olen  bem  ftmnphen* 
burger  93ünbni&  bei  unb  lieg  ein  £eer  Oon  amanjigtaufenb  27cann 
aur  SBefifcergreifung  ber  ihm  juerfannten  S^arfgraffajaft  SRähren  in 
Böhmen 


*          m  j 

\4\ 

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378 


$er  Öfterreicfjtfdje  örbfolgefrieg. 


SSon  Seiten  be$  föeidjä  Ijatte  Sttaria  Üfjerefta  feine  £>itfe  ju 
erwarten;  benn  ber  ®urfan$Ier  erflärte,  bie  ganje  Sacfje  gefje  nur 
bie  £öfe  öon  Sttündjen  unb  SSien  an,  unb  bie  ^urfürften  öon  $ötn 
nnb  ber  <ßfalj  ftanbcn ,  a(3  nalje  SBermanbte  ®arl  Ulberts  öon 
SBaiern,  auf  bcffen  Seite.  9tur  $eorg  II.  öon  ©nglanb  r)attcf  al£ 
$urfürft  öon  £annoöer ,  ein  £>cer  öon  breißigtaufcnb  SGRann  jur 
llnterftüfcung  Sftaria  Xfyerefia'ä  in  feinem  Stammlanbe  jufammen^ 
gebogen  unb  ftanb  im  ©egriffe,  mit  bcmfelben  in  bie  preufjifdjen 
Staaten  einzubringen ;  er  mürbe  jebod)  burd)  ein  fran$öfifd>e$ 
£eer,  baö  unter  bem  Üftarfdjaö  9ftaifleboi3  bei  Xüffelborf  über  ben 
SRfjein  gegangen,  öon  ber  einen  unb  burd)  ein  an  ber  @lbc  ftefyen* 
be3  preufjifdjeS  £>eer  öon  ber  anberen  Seite  eingefdjloffcn  unb  fafj 
ftet)  baburdj  genötigt,  auf  einen  Vertrag  einjugcfycn,  in  meldjem 
er  fid)  burd)  ba$  23erfpred)en,  ber  Königin  öon  Ungarn  feinen  mei- 
teren  Söeiftanb  511  leiften  unb  bei  ber  faifermafjl  bem  Äurfürften 
öon  SBaiern  feine  Stimme  ju  geben,  Neutralität  erfaufte.  £er 
Königin  Sparta  Xljerefta  blieb  fomit  fein  anberer  ©unbeägenoffe 
aU  9hi&lanb;  aber  bie  £ilfe,  bie  fic  Don  bort  erwarten  burfte, 
mürbe  if)r  burd)  ben  $rieg  entzogen,  ben  Sdjmeben  im  2Iuguft  1741 
auf  granfrcidjä  betrieb  an  bie  föegentin  Wnna  erflärt  tyatte  (f. 
S.  279  u.  283). 

So  ftanb  üflaria  Xijerefia  if)rcn  aaljlretaien  ÖJegnern  üoflftän-- 
big  ifolirt  gegenüber,  unb  bei  ifjren  ungenügenben  Streitfräften 
unb  bem  traurigen  ßuftanbe  ber  öfterreidjifdjen  ginan$en  festen  iljr 
faum  irgenb  meldje  Hoffnung  auf  Rettung  übrig  ju  bleiben.  2Ibcr 
bennod)  öer^agte  fie  ma)t :  fic  fefcte  it>r  Vertrauen  auf  ®ott  unb 
ifjr  gutc£  9ted)t,  unb  biefe*  Vertrauen  foüte  nidjt  ju  Sdjanbeu 
roeroen. 

3unädjft  mürbe  ir)re  ©ebrängnifj  burd)  bie  genfer  ifjrer  ©eg= 
ner  oerminbert.  SSäre  $arl  Ulbert  öon  &n$  aus  geraben  2Beg£ 
gegen  SBtcn  öorgerüdt,  an  beffen  SBertfjeibigung  bei  bem  clenben 
Ijuftanbe  ber  borrigen  geftungStoerfe  unb  ber  fdrtoadjcn  ©efafcung 
öon  fiebentaufenb  sJCRann  faum  fjätte  gcbad)t  merben  fönnen,  fo 
bürfte  bie  öfterreid)ifd)e  Sftonardjie  üerloren  gemefen  fein.  Slber  bie 
©eforgnifc,  ba&  Sluguft  III.  mit  bem  ©ebanfen  umgeben  fönne, 
burd)  feine  in  Sööljmen  eingerüeften  Gruppen  biefeä  £anb  für  fidj 
erobern  ju  laffen,  ba  aud)  er  mit  Slnfprüdjen  auf  bie  gefammte 
öfterreidnfdje  9ttonardue  tjeröorgetreten ,  bemog  Um,  fidj  gegen  ben 
Statf)  griebriajS  II.  gleid)fafl3  nad)  SBöljmen  ju  menben.  Mm  26. 
9looember  1741  bemäd)tigten  fid)  bie  Saufen  burd)  einen  nad)U 
liefen  Ueberfall  ber  £auptftabt  $rag,  unb  am  19.  ^ejember  empfing 
®arl  Ulbert,  ber  inattnfdjen  ben  Xitel  eines  ftönigS  öon  ©öfjmen 
angenommen,  nad)  erfolgter  Krönung,  auf  bem  <ßrager  Sdjtoffe  bie 


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Ter  SftencictyMe  ©rbfolgefrieg  bis  aum  2°*>«  toif«  Äarl«  VII.  379 


#ulbigung  bon  meljr  at«  merfjunbert  $erfonen  au«  bcn  bier  ©tön* 
ben  be«  tfönigreid)«,  bic  fid)  auf  ein  oon  Ujm  erlaffene«  Wu«fd)rei* 
bcn  au  biefem  Sitte  eingefunben. 

SSofyrenb  ®arl  $Tf6ert  ftd)  in  bcm  Sßrunfe  feiner  #önig«roürbe 
gefiel  unb  an  feine  9ftöglid)feit  eine«  Umfdjrounge«  backte  #  fyatte 
Ataxia  Xfjerefia  Seit  unb  Littel  gefunben,  ba«  @rbe  iljrer  SBäter 
ju  retten.  3  m  Suni  1741  tjatte  fie  fid)  jum  (Smpfang  ber  unga* 
rifdjen  Ärone  nadj  Sßvefjburg  begeben  unb  fd)on  bei  biefer  Gelegen- 
fjeit  forooljl  burdj  bie  Slnmutfj  ifjrer  (Sirfdjeinung ,  al«  burdj  ifjr 
roürbeoofle«  unb  $ugleidj  fluge«  Auftreten  bie  $)erjen  ber  Ungarn 
gewonnen.  9ßad)bem  fie  fid)  am  7.  September  mit  ben  bomeftmften 
Magnaten  über  ben  9totf)ftanb  ber  Sflonardjie  beraten ,  berief  fie 
auf  ben  11.  bie  ungarifrfjen  ©täube  nad)  ^refeburg,  um  ifpre  $>ilfe 
jur  Rettung  berfetben  in  Stnfprudj  ju  nehmen. 

3n  ungarifdjer  Xrauerfleibung ,  bie  ®rone  be«  fjeiligen  Ste- 
fan auf  bem  Raupte  unb  fein  Sd)tt>ert  an  ber  (Seite ,  trat  fie  in 
bie  SSerfammlung  ein  unb  f abritt  langfam  unb  majeftätifd)  burdj  bie 
Steigen  ber  Großen  jum  Sfjrone.  9ßad)bem  ber  ®au$ler  $öattf}t)ani 
bie  Sage  ber  $)inge  gefd)ilbert  unb  bie  Gefahr  betont,  bie  nid)t 
nur  gegen  bie  öftemidjifdje  ftauptftabt,  fonbern  aud)  gegen  Ungarn 
tyeranjiefye ,  erfyob  ftdj  bie  Königin  unb  richtete  an  bie  SÖerfamms 
lung  eine  Stnfpradje,  in  meiner  fie  in  ebenfo  rü^renben  al«  mürbe- 
Döllen  SBorten  ben  Hoffnungen  Äu«brurf  gab,  bie  fte,  Don  Slllen 
berlaffen,  für  fid>  unb  ifjre  fönber  mie  für  bie  Sufunft  ber  Ütto* 
nardne  auf  bie  Xreue  unb  Dpferroilligfeit  ber  Ungarn  unb  ben  alten 
§elbeugeift  ber  Nation  fefce.  Sit«  fie  ityrer  SHnber  gebaute,  brad> 
fie  in  frönen  au«  unb  mar  eine  Solang  unfähig,  meiter  ju  reben. 
$er  SInblirf  ber  fdjönen,  unglürflidjen  $>errfd)erin  riß  alle  Slmoefen* 
ben  $u  begeifterter  X^eüna^me  f)in.  3m  Sluflobern  be«  ritterlidjen 
•Sinne«  unb  be«  ^elbensorne«  entblößten  bie  ungarifdjen  ©bedeute 
ifjre  Säbel  unb  fdjmangen  fie  empor  mit  bem  2lu«rufe :  „Seben  unb 
23lut  für  <£ure  9tfajeftät !  2Bir  rooüen  fterben  für  unfern  ftönig 
SWaria  $f>erefia!" 

Sluf  ben  SBunfdj  ber  Königin  ernannten  bie  ungarifdjen  Stäube 
am  20.  September  if)ren  Gemafjt,  ben  Grofifjerjog  gran$,  jum  9J{it* 
regenten,  unb  am  folgenben  Xage  legte  berfelbe  al«  foldjer  cor  Urnen 
ben  (Sib  ab.  Sei  biefer  Gelegenheit,  nidjt,  roie  gemöfmlid)  erjäljlt 
mirb,  bei  jener  erften  SBerfammlung  ber  Stänbe  am  11.  September, 
xvax  e« ,  mo  Sftaria  $ljerefia  ifjren  bamat«  fedj«  SKonate  alten 
Sofm,  ben  nadjmaligen  ß'aifer  Qofep^  II.,  ber  am  oorfyergefjenben 
Xage  nad)  Sßreßburg  geflüchtet  morben  unb  nad)  ben  SBorten  eine« 
Augenzeugen  „mie  ein  ($id)l)ömdjen  auf  ba«  in  gemaltiger  SRenge 
^er^ubringenbe  58olf  ^erabblirfte ben  Stänben  jeigte  unb  baburd) 


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380 


2>er  öfterreidjifdjc  ©rbfolgefrieg. 


aufä  üfteue  unter  ifjnen  einen  ©turnt  ber  ©egeifterung  toadjrief,  ber 
in  einem  hrieberfjolten  ©d)tour ,  für  bie  Königin  unb  ifjre  Samilie 
$u  fterben,  SluSbrucf  fanb. 

&m  29.  Df  tober  fdtfof?  SJtoria  Xfjerefia  ben  ungarifdjen  Sanb* 
tag,  nadjbem  fie  burdj  umfaffenbe  3ugeftänbniffe  ben  Söünfdjen  ber 
Wation  SRedmung  getragen  unb  ben  ©tänben  ba&  iöerfpredjen  gege* 
ben,  öfter«  in  Ungarn  gu  refibiren.  Qnattrifdjen  mar  burd)  eine  üon 
ben  ©tauben  eingefefcte  ®ommiffion  eifrig  an  ber  Organifirung  ber 
üon  ber  Königin  üertangten  ©treitfräfte  gearbeitet  unb  im  ganjen 
Sanbe,  in  ben  Kütten  »nie  auf  ben  ©dtföffern,  auf  ben  ©ergen  mie 
in  ben  Ebenen ,  jum  $rieg  gerüftet  toorben ,  unb  nodj  üor  bem 
©bluffe  be«  SanbtagS  Ratten  ftdj  fünfjeljntaufenb  berittene  ©bei* 
leute  in  Sßregburg  eingefunben,  mit  benen  fidj  jaljlreidje  3flann= 
fdmften  auä  allen  (Somitatejt  oereinigten.  Sludj  über  bie  anberen 
öfterreidu'fdjen  ©rbfänber  ergofj  fia?  tote  ein  (Blutfjftrom  bie  in 
Ungarn  ertoadjte  93egeifterung  für  bie  ©adje  ber  fdjtoer  bebrängten 
Königin,  unb  fo  fal)  fidj  2flaria  £f)crefta  in  furjer  Seit  im  ©efifce 
$meier  neuen  £>eere,  burdj  meld>e  bie  Rettung  ber  öfterreidjifd)en 
SKonardjie  bemerfftelligt  loerbcn  fottte.  SBäbjrenb  baä  eine  btefer 
Speere  unter  bem  «ßrinjen  ®arl  oon  ßotfnringen  in  93öf)men^ein= 
rüdte,  eroberte  ba3  anbere  unter  bem  ©rafen  ®f)eüenluller  Ober* 
Dcfterreid)  junid  unb  brang  im  3anuar  1742  fiegreidj  in  ©aiem 
ein  (f.  ©.  376). 

Unterbeffen  mar  ber  Shirfürft  ®arl  Ulbert  fdjon  in  ben  Testen 
Xagen  be3  Sa^re«  1741  oon  $rag  über  Bresben  nad)  Sflündjen 
äurürfgcfeffrt,  roo  er  nidjt  bie  günftigfte  ©timmung  gefunben,  ba  man 
fein  Unternehmen  nie  gebilligt  unb  für  baSfclbe  feinen  glüdüdjen 
Ausgang  ertoartete,  unb  tyatte  fidj  üon  bort  nad)  2J?annljeim,  ber 
bamaligen  fRefibenj  feinet  Detters  ®ar(  ^tfipp  oon  ber$ßfafy,  be* 
geben,  too  er  feine  (£rmäf)lung  jum  S?aifer  abmarten  ioollte. 

Obgleich  bie  2Baf)t  ®arl  Hlbertä  nadj  ber  Sage  ber  2>inge 
feinem  Qtoeifel  unterliegen  fonnte,  ba  fturpfatj  fdjon  burdj  einen 
im  3af)re  1724  abgefdjloffenen  §auSöertrag  jum  engften  ^fam* 
menge^en  mit  SBaicrn  üerpflidjtet  mar,  ®öln,  ©adjfen  unb  93ran= 
benburg  auf  SBaiernS  ©eite  ftanben,  ber  ßurfürft  oon  £>annoüer  in 
bem  sJleutralität3üertrag  oom  17.  ©eptember  1741  bem  $urfürften 
$arl  SUbert  feine  ©timme  jugefic^ert  unb  bie  $urfürften  üon  2Mn$ 
unb  $ricr  burdj  bie  $rofyungen  SBelleiale'ä  genötigt  toorben,  ein 
®k\d)c%  ju  tljun,  Ratten  bie  SBafjIbotfdmfter  bereits  jmei  2J?onate 
getagt,  ofjne  ju  einer  ©ntfdjeibung  gefommen  ju  fein,  ba  fie,  nadj 
ber  fpöttifdjen  öemerfung  griebrid)3  II. ,  „ftatt  ein  Oberhaupt  ju 
toäljlen,  fidj  über  golbene  granjen  ober  ©pijjen  ftritten,  meta^e  bie 
ÖJefanbten  üom  jmeiten  9tange  ebenfomo^I  ju  tragen  üerlangten, 


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$er  BfterreuWcge  (grbfolgcfricg  biä  jum  2obe  Äaifcr  flarl«  VII.  381 


aU  bie  üom  erften  SRange."  ©nbtidj  braute  baä  drängen  grieb* 
rid>3,  ber  bic  ©adje  balbmöglicf)ft  erfebigt  ju  feljen  münfdjte,  bie 
i8erljanblungen  in  etmaä  rafdjeren  ®ang.  Um  bic  28al)t  burdj  93c- 
feitigung  jebmeben  2Biberfprud)S  §u  einer  ganj  cinftimmigen  ju 
machen,  würbe  burd)  einen  SBefajluf?  beS  $ur*$oöegium3  bie  böf)* 
mifdje  fhtrfrimme,  welche  9Jtoria  £l)erefia  für  ifjren  ©ema^  in  2ln* 
fprud)  genommen ,  mäfjrenb  ®axl  Ulbert  fic  alä  iljm  gebü£)renb  be* 
trottete,  für  bieämat  au&er  fhaft  gefefct  nnb  in  golge  beffen  ber 
93otfct)aftcr  SKaria  £fjerefta'3  üon  bem  2Baf)lgefdjäfte  auSgef hoffen. 
*ftacf)bem  ber  Antrag,  ben  fhxrfürften  öon  ©aiern  in  ber  2BaI)tfaüi= 
tulation  als  ®önig  üon  Sööfjmen  nnb  (Srjfjerjog  öon  Defterreidj  an= 
juerfennen,  abgelehnt  morben  mar,  erfolgte  am  24.  Qanuar  1742  bie 
einftimmige  SBa^f  $arl  Ulberts  jum  beutfdjen  äaifer ,  morauf  ber* 
felbe  am  31.  Qanuar  feinen  GSHnjug  in  granffurt  fjtelt  unb  am  12. 
gebruar  atä  ®arl  VII.  feierlich  gefrönt  mürbe. 

SBäfjrenb  $arl  VII.  fiefj  in  granffurt  im  Ötfanje  ber  ®aifer= 
frone  fonnte,  bie  er  Iwuptfädjlid)  ber  ©nabe  granfreicf)8  $u  Oer* 
banfen  {jatte,  jogen  bie  Defterretdjer  unter  SBärenflau  unb  9Kenje( 
in  Sflündjen  ein,  ba£  fidj  if)nen  am  13.  gebruar  gegen  bie  3ufage 
ber  ©idjerfjeit  ber  ^erfou  unb  be3  (£igentljum& ,  ber  Sldjtung  ber 
ftäbtiföen  greifjetten  unb  ber  ©c^onung  ber  furfürftlidjen  Sd)Iöffer, 
of)ne  SBerfucf)  jum  SSiberftanbe  ergeben  fmtte.  <Bo  fa§  ®arl  VII. 
in  granffurt,  auf  bie  geringen  Erträge  beä  ®aifertf)um3  unb  ben 
Söeiftanb  granfreidjä  unb  $reu&en3  befdjränft ;  benn  ebenfomenig 
nrie  ba3  9kid)  atö  foIdjeS  für  bie  2lufrecf)tljattung  ber  üon  ifrni  ge* 
roäfjrleifteten  pragmatifdjen  ©anetion  eingetreten,  naljm  eä  an  bem 
Kriege  be3  neuen  ®aiferä  gegen  Defterreid)  $f)etf,  unb  ber  perma* 
nente  3teid)3tag,  ber  feinen  ©ifc  öon  9legenäburg  nadj  granffurt 
üerlegt  ljatte,  üermodjte  nidjt  einmal,  bie  SBcrabfoIgung  be§  in  SBien 
befinblidjen ,  3ur  gortfüfjrung  ber  3teid)3gefdjäfte  unentbef)rttd)en 
9ieidj3ard)iüa  an  ba$  neue  Dber^auüt  ju  bemirfen,  ba  9ttaria 
Xf)ercfia  bie  3Baf)I  ®arl$  VII.  megen  ber  5luäfd)tte&ung  93öljmen& 
üon  bem  2Bal)Igefd)äfte  für  ungiltig  erftärt  rjattc.  $ie  2(nfunft 
eines  neuen  franjöfifc^en  $>eere£,  ba$  unter  bem  Sttarfdjaß  £ar* 
court  jur  Vertreibung  ber  Defterretdjer  in  Söaiern  eingerüeft  mar, 
fomie  bie  6iege  ber  preu§ifd^en  SBaffen  in  9ttaf)ren  unb  ©öfjmen 
hielten  jmar  noef)  eine  3c^an9  Äarfö  VII.  Hoffnungen  aufrecht ; 
aber  ber  griebe,  ben  ber  ^önig  Oon  Greußen  nad)  ber  6c^Iaa^t  üon 
(£ja3lau  mit  2Waria  X^erefia  fa^lo§,  unb  bie  barauffolgenbe  s2IuS- 
föf>nung  ©adjfenä  mit  Defterreia)  fc^tugen  biefclben  gänjli^  bar* 
nieber. 

55a§  Uebergemit^t,  ba§  biefer  grieben§fa^(u6  ben  öfterreic^ifc^eu 
Staffen  üerlie^ ,  jeigte  fia^  junöc^ft  in  Sö^men.  ^ie  franjöfifcfjc 
Slrmee,  bie  in  ber  ©tärf e  üon  üier$ef)ntaufenb  33?ann  unter  ©etleiale  in 


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382 


Set  ö|"terrctd)ifcf)e  Grbfolgcfrteg. 


biefem  Sanbe  ftanb,  faf)  fid)  genötigt,  ftd)  nach  $rag  jurücfjujic^cn, 
unb  würbe  bort  oon  ben  Defterreichern  unter  bem  dürften  Sobfo* 
wifc  eingefroren.  9Kan  ^ielt  fie  für  gefangen  unb  jweifelte  nicht 
baron ,  ba§  ber  junger  fie  jur  (Ergebung  jwingen  werbe.  2lber 
SBelleiSle  fa&te,  um  biefer  Schmach  ju  entgegen,  einen  oer$weifelten 
(Sntfchlug.  Qn  einer  finfteren  SBinternacht  —  e§  war  ber  17.  $e= 
aember  1742  —  jog  er  Ijeimltd),  unter  Snrücflaffung  einer  fdjwachen 
Söefa^ung  öon  taufenb  QnöaUben ,  au*  $rag ,  um  fich  nach  (Sger 
$urücf$uäiehen ,  ba3  noch  oon  einem  fraujöfifdjen  £>eere  unter  bem 
yjlaxfäaü  ©roglto  befefct  mar.  9113  bie  Defterreicher  bie  in  ber 
©tabt  oorgegangene  Söeränberung  wahrnahmen,  festen  fie  fogleidj 
ben  ^bgejogenen  nach;  biefe  Ratten  jebod)  bereit«  einen  ju  großen 
SSorfprung  gewonnen  unb  erreichten  (Sger  nach  einem  elftägigen 
mübeooUen  SHarfdje ,  jeboch  mit  einem  iöerlufte  oon  fedjätaufenb 
SQcann ,  bie  ber  Äältc ,  ben  Slnftrengungen  unb  ben  Angriffen  ber 
nadjfefcenben  öfterreicr)ifc^cn  #ufaren  erlegen  waren.  $)ie  in  $rag 
äurücfgebliebenen  Qnoaliben ,  beren  $ahl  öon  Sobfowifc  bebeutenb 
überfchäfct  worben,  fapitulirten  gegen  bie  Bewilligung  freien  2lb$ugä 
nac^  Söaiern. 

gnjmifchen  mar  e3  bem  gelbmarfchall  ©eefenborf ,  ber  au* 
öfterreidufdjen  in  baierifche  $ienfte  getreten,  in  ben  legten  Söodjen 
be3  3a^re«  1742  gelungen,  bie  öfterreid)ifdjen  unb  ungarischen 
Gruppen,  bie  Baiern  noch  befefet  hielten,  über  bie  ören^e  ju  treU 
ben,  fo  ba&  bie  au«  Böhmen  fommenben  Sraujofen  in  bem  baierifchen 
GJebiete  fixere  Ouartiere  fanben  unb  Barl .VII.  felbft  am  19.  Slpril 
1743  nach  München  jurüeffehren  fonnte.  ©eefenborf,  ber  bie  Sage 
ber  $inge  flarer  burchfehaute ,  alä  ber  ®aifer ,  unb  inäbefonbere 
überzeugt  mar,  baS  e«  ben  Sranjofen  mit  bem  Kriege  fein  rechter 
(Ernft  mehr  fei,  bot  ade  feine  Berebtjamfeit  auf,  um  $arl  VII.  ju 
einem griebendfehluffe  mit O efterreich  ju  bewegen;  biefer  fonnte  ftch 
jeboeö  nicht  baju  entfdjlieöen,  fich  friebefuchenb  ber  Softer  ®ar.l3  VI. 
^u  nähern,  nachbem  er  erft  fur$  oorfjer  beren  fronen  als  fein  ©igen* 
thum  in  Slnfprudj  genommen. 

2Bät)renb  ®arl  VII.  noch  immer  feine  Hoffnung  auf  ben  fran* 
äöfifdjen  $of  fefote ,  au  welchem  feit  bem  fur$  üorher  (29.  Januar 
1743)  erfolgten  Xobe  be3  ®arbinalä  gieurü  jebe  einheitliche  <ßolitif 
aufgehört  hatte,  würbe  eine  baierifche  |>eere«abtheilung  oon  fiebert* 
taufenb  Sttann,  bie  unter  bem  (General  9Jttnujjt  bei  Simpad)  unweit 
Braunau  ftanb,  oon  ben  Defterreichern  unter  Äh^nhitter  unb  bem 
s$rin$en  $arl  oon  Lothringen  angegriffen  unb  faft  gänzlich  aufge^ 
rieben.  2>a  Broglio  511  ber  gleichen  3eit,  ftatt  $um  ©dmfce  beä 
$aiferä  herbeizueilen ,  oon  (Sgcr  nach  oem  Cheine  aufbrach ,  ftanb 
Baiern  ben  Defterreichern  offen ,  unb  fo  blieb  ftarl  VII.  Wicht* 
übrig,  alä  auf«  9ceue  feine  §auptftabt  $u  oerlaffen.    Söährenb  er 


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$er  dftenricfttfdp  (grbfolflcfvicg  bis  311m  lobe  Äaifer  ftarld  VII.  383 


$uerfi  in  2lug«burg ,  bann  jum  anbern  9#ale  in  granffurt  eine 
.Bufluc&täftätte  juckte,  fchloß  ©eefenborf  am  27.  guni  1723  in  feinem 
Auftrag  mit  ben  öfterreidujrfjen  gelbr)errn  ,  beren  Vorbringen  in 
Vaiern  er  mit  feiner  Keinen  £ruppenmacht  üon  jefmtaufenb  9#ann 
nicht  §U  ^inbern  oermochte,  einen  9täumung«üertrag,  fraft  beffen  ba« 
baierijehe  £>eer  beftimmte  Cuartiere  be$og  unb  ba«  Sanb  ben  Defter- 
reifem  überlaffen  mürbe. 

Unterbeffen  fjatte  granfreich  in  bem  im  3ahre  1739  au«ge= 
brochenen  englifdHpanifchen  Kriege  (f.  ©.  298)  Partei  für  ©panien 
ergriffen  unb  baburdj  ba«  englifche  Parlament  bemogen,  bem  ®önig 
®eorg  II.,  ber  längft  au«  ber  ihm  aufgezwungenen  Neutralität  herau«; 
jutreten  genmnfdjt  hatte,  bie  nötigen  (Selbmittel  jur  nachbrüeflichen 
Unterftüfcung  Defterreich«  ju  bewilligen,  Nachbem  e«  bem  tönig  ge- 
lungen mar,  bie  ©eneralftaaten  jur  Beteiligung  an  bem  Stampfe  für 
bie  s2lufrechthaltung  ber  auch  üon  Urnen  getoährleifteten  pragmatischen 
©anetion  ju  geminnen,  ruefte  er  im  gebruar  1743  mit  einer  in  ben 
Nieberlanben  gefammelten  Slrmee  üon  fünfjigtaufenb  9flann ,  bie 
ihre«  Qtotdrt  roegen  bie  „pragmatische"  genannt  mürbe,  ohne  9ftücf= 
ficht  auf  bie  oon  bem  ftatfer  unb  bem  ftönig  oon  Greußen  erhobene 
<Jkoteftation ,  burch  ba«  gülich'fche  unb  Shirfölnijche  ©ebiet  jur 
Vereinigung  mit  ben  Defterreichern  in  bie  Httyin*  unb  2ftaingegen* 
ben  ein.  (Sin  fofort  oon  granfreich  nach  $eutfchlanb  entjanbte« 
unb  oon  bem  #erjog  üon  Noaifle«  geführtes  £eer  oon  fechjigtau* 
fenb  Üftann  fuchte  bem  ftöntg  bei  Dettingen,  unmeit  Raffen* 
bürg,  ben  SSeg  ju  oerfperren,  mürbe  jeboch  oon  bemfelbcn  am  27.  guni 
1743  gefchlagen  unb  jum  IRücf^ug  über  ben  9tf)ein  genötigt. 

3m  Sluguft  führte  ®eorg  II.  bie  pragmatische  Slrmee ,  bie  in* 
^mifa^en  burc|  atoanaigtaujenb  $oüanber  Oerftärft  morben,  gleichfall« 
über  ben  ^ein ,  unb  im  ©eptember  folgte  ihm  ber  s$rinj  $arl 
üon  Stahringen  mit  einem  öfterreic^ifc^en  #eere  oon  adjtjigtaufenb 
SJcann  auf  ba«  linfe  9lf)«nufer  naa).  55er  ßefctere  tuuufchte ,  ben 
Ärieg  im  Vereine  mit  ber  pragmatifdjen  2lrmee  nach  granfreich 
hinüber  ju  tragen;  er  fanb  jeboch  ben  ®önig  ®eorg  menig  geneigt, 
fich  an  biefem  Unternehmen,  ba«  ihm  aHju  gemagt  fchien,  §u  bethei- 
ligen,  unb  ba  granfreich  insmifchen  311  umfaffenben  Lüftungen  Seit 
gefunben,  blieb  ben  Verbünbeten  Nicht«  übrig,  al«  ihre  Xruppen  in 
bie  SBinterquartiere  51t  üerlegen ,  bie  oon  ber  pragmatischen  #rmee 
in  glanbern  unb  Oon  ber  mieber  über  ben  Schein  jurüefgefehrten 
öfterreichifchen  in  ©chmaben  unb  Vätern  genommen  mürben. 

SBährenb  auf  biefe  SBeife  ber  mit  fo  glänjenben  (Srmartungen 
begonnene  gelb$ug  ohne  irgenb  meldje«  militärische  G£rgcbm&  blieb, 
hatte  berfelbe  ben  2Tbfc^Iu&  eine«  förmlichen  Vünbniffe«  jmifchen 
£)efterreich ,  (Snglanb ,  §ol!anb  unb  ©arbinten  jur  golge ,  ba«  am 
23.  ©eptember  1743  ju  SBorm«,  bem  Hauptquartiere  ÖJeorg«  II., 


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384 


3)cr  öfierrcicfyfc^e  (Srbfolgcfricg. 


ju  ©tanbe  fam  unb  bcr  Königin  Sttaria  X^erefia  aHeS  baSjenige 
gcmäfyrleiftete,  tt>a£  fie  üermüge  ber  pragmarifdjen  ©anctton  befifcen 
foHte.  Xiefem  Söünbniffe  trat  am  21.  Eejember  1743  aucf> 
Shiguft  III.  üon  ©adjfen  unb  Sßolen  bei. 

i)cr  Ucbcrgang  ®eorg&  II.  unb  bed  $rinjen  üon  Sotfjringen 
über  ben  SRtjctn  gab  bem  ®ömg  üon  granfreid),  bcr  bis  bafun  nur 
als  ©unbeSgenoffc  ber  <ßrätenbenten  beS  öftcrrcict)ifc^en  @rbeS  an 
bem  Kampfe  um  baäfetbe  Xfjeil  genommen,  Sßeranlaffung,  als  felbft* 
ftänbige  friegfüfyrenbe  Sfladjt  aufzutreten ,  $u  welchem  (£nbe  er  am 
26.  Slpril  1744  ber  Königin  2Jfaria  X^erefta  unb  am  15.  2Hai 
beSfelben  3afyreS  an  Sngtanb  ben  ftrieg  erftärte.  2113  groeef  be3= 
felben  mürbe  bie  Eroberung  ber  öfterreidjifdjen  Wieberlanbe  in£ 
2luge  gefaßt. 

£a  bie  £>er$ogin  ton  (£f)ateaurouj,  bie  bamalige  beliebte  2ub= 
roigS  XV.,  biefen  üom  SticgSrufyme  umftrafylt  ju  fetjen  münfdjte, 
beroog  fic  ben  ®onig,  fid)  perföntidj  ju  ber  Slrmee  $u  begeben,  ma£ 
griebrid)  II.,  ber  in$nnfd)cn  feine  ^erbinbung  mit  granfreid)  ftitnt 
5öct)ufc  neuer  geinbfeligfetten  gegen  Ocfterreid)  erneuert  Ijatte ,  für 
eine  fo  großmütige,  ja  ^erotfdje  Üfmt  üon  Seiten  ber  Herzogin  er* 
flärte,  „bie  für  granfreid}  bie  Sntereffen  ifjreä  ^er^enS  unb  üjreS 
GHürfeS  geopfert,"  baß  biefelbe  in  ben  3a^rbüa}ern  ber  ©ef^te 
aufgezeichnet  $u  merben  Oerbiene. 

$ie  Operationen  ber  franjöftfa^en  2lrmee  in  ben  öfterreidufdjen 
Sftieberlanben  beftanben  ^auptfäd)lid>  in  ber  Belagerung  ber  feften 
<ßtäfce ,  unb  ba  biefe  meift  fduoad)  befejjt  maren  unb  überbieä  oon 
bem  in  ben  Wieberlauben  ftetycnben  englifdjen  £>eere  jef)ntaufenb 
9flann  jum  ©dmfce  ©ngtanbS  gegen  bie  ©cfa^r  einer  franjöfifdjen 
itonbung  ober  einer  Srfjebung  ber  Qafobiten  in  bie  $eimatij  ju^ 
rütfberufen  roorben,  r)attc  baS  franjöfifdje  #eer  in  furjer  3eit  nic^t 
unbebeutenbe  Erfolge  aufaumeifen ,  an  benen  jebod&  bcr  fönig 
feinerlct  9IntI)eil  tjatte  r  ba  er  einen  müßigen  3ufcf)auer  abqab  unb 
fief)  barauf  befdjränfte ,  täglict)  Beriete  über  bie  friegSereigniffe 
entgegenzunehmen,  ßourtraü  ergab  fict)  am  18.  2Bai,  SWcnin  am 
12.  3uni,  gpern  am  25.  3uni,  $nofe  am  29.  Quni  unb  gurneS 
am  11.  3uli. 

Unterbcffen  §attc  ber  ^rin$  fori  öon  ßotfjringen  am  3.  3uli 
in  ber  Wälje  üon  StalSrufje  mit  einem  zahlreichen  öftcrrcid)ifd>en 
Speere  ben  dtyein  überfchritten  unb  mar  in  ba«  (Slfaß  eingerüeft. 
©S  mar  fein  müitärtföe*  9ttcifterftüd,  ber  #öljepunft  feines  3iuf)meS ; 
benn  mäfjrenb  ©erfenborf  mit  achtzehntaufenb  Sflann  fogenannter 
„fatfertitf)er  Xruppen"  bei  ^^ilippsburg  ftanb,  ^atte  fid)  ein  ja^l- 
reifes  franzöfifdjeS  $eer  unter  Soignü  längs  bed  ©tromeS  auSge* 
breitet,  unb  beibe  gelbfjerren  toaren  mit  fa)arfem  Stuge  aflen  33e= 
toegungen  bcS  ^rin^en  gefolgt,  um  i^m  an  jeber  ©teile,  mo  er  ben 


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$er  Öfterreidjifdje  ©rbfolgefrteg  bis  jum  2obe  #aifer  $ad8  VII.  385 

SRfyeinübergang  ju  beroerfftelligen  fudjen  roerbe  ,  bcn  2Beg  ju  üer* 
legen,  Unauffjattfam  brangen  bie  Defterreidjer  im  ©(faß  üor,  unb 
balb  ftanben  ifjre  SBorooften  in  Sabern.  (Stanislaus  SeScinSft  ent< 
flof)  aus  fiuneüiöe;  benn  mit  bem  gefammten  (£lfaß  fd)ien  aud) 
Stahringen  aufs  (£rnftlidjfte  bebrof/t. 

3Iuf  bie  9tad)ridjt  üon  bem  erfolgten  Sftfycinübcrgang  beS  $rin- 
$en  üon  Sotfjringen  mar  ßubroig  XV.  mit  bem  größten  %\)  eile  fei= 
neS  öeereS  aus  ben  9lieber(anben  nad)  bem  ©(faß  aufgebrodjen, 
um  bie  SBiebereroberung  ber  bem  beutfd)cn  9teid}e  entriffenen  über» 
rf)etmfcf)en  Sanbfdjaften  burd)  bie  ftegreidjen  öfterrcid)i(d)en  Sd)aa* 
ren  ju  üerfyinbern.  2)er  beabftdjtigte  Angriff  auf  $ar(  üon  Sotfjringen 
mürbe  jebodj  burdj  eine  heftige  (Sxfranfung  beS  Königs  üer$ögert, 
bie  benfelbcn  längere  Qeit  in  9ftcfc  jurüdljielt,  unb  als  er  genefen, 
maren  bie  Defterreidjer  mieber  über  ben  9^^ein  jurütfgegangen ; 
benn  neue  geinbfeligfetten  üon  ©eiten  griebrid)S  II.  Ratten  SRaria 
Xfjerefia  genötigt ,  ben  ^rinjen  oon  ßotfyringen  fdjleunigft  jum 
Sdmfc  beS  [d>mer  bebrofytcn  ©öfymenS  juriitfauberufen.  2Sie  ber 
erfte  Stfyeinübergang  beS  ^ßrinjen,  fo  mar  aud?  fein  Stüdaug  ein 
Sfteifterftüd ,  unb  ebenfo  rafdj  unb  glüdlidj  führte  er  fein  #eer 
burdj  ©djmaben,  granfen  unb  Saiern  nad)  93öf)men  jurüd,  bas 
jmar  in$mifd)en  oon  ben  Greußen  üollftänbig  erobert  morben  mar, 
aber  nod)  in  bcmfelbeu  Qaljre  (1744)  oon  iljnen  mieber  geräumt 
werben  mußte. 

£er  2lb$ug  ber  Cefterreicfjer  aus  Dberbeutfdtfanb  r)attc  es  bem 
®aifer  möglid)  gemalt,  am  23.  Cftober  1744  mieber  in  feine 
<pauptftabt  SKünc^en  etnjujie^en;  aber  audt)  bieSmal  fd)ien  er  nur 
bafjin  äurüdgefefjrt  }n  fein ,  um  ftdj  jum  anbern  äftalc  genötigt 
fef>en,  feine  3uflud)tSftättc  in  granffurt  mieber  aufjufudjen; 
benn  bei  ber  Söenbung ,  meldje  bie  £inge  in  ©binnen  genommen, 
mußte  er,  ba  er  ein  neues  SBünbniß  mit  griebrid)  II.  gefdjloffen, 
barauf  gefaßt  fein,  abermals  üon  ben  fiegreidjen  Defterreidjcrn  aus 
feinem  ttanbe  üertrieben  ju  roerben.  SSor  biefem  ©efdjid  bemalte 
ifm  ein  unermarteter  Xob,  ber  am  20.  Qanuar  1745  in  golge 
einer  jurüefgetretenen  gußgidjt  feinen  förderlichen  unb  geiftigen 
Seiben  ein  Qid  fefete.  ©terbenb  ermahnte  er  feinen  ©ofjn  unb 
9iad)folger  Sttarjmilian  Sofepf) ,  fidj  üor  bem  (Efjrgeij  ju  fjüteu, 
burc§  melden  er  felbft  fo  ferneres  Unglücf  über  fid)  unb  fein  ßanb 
gebracht,  unb  ftd)  fein  ©eifptel  jur  SSarnung  bienen  ju  laffen,  „ba 
eS  bitter  fei,  aus  feinem  Sanbe  fliegen  unb  üon  ber  ^armljer$igfeit 
Slnberer  leben  51t  müffen." 


^olatoart^,  SSeltöef^te.  VI.  25 


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386  $er  öfterreid)tföe  (Srbfolgefrieg. 

* 

Xcr  Ivette  frfjlcitfdjc  ftrteg. 

(1744-1745.) 

Xic  (Srfolgc  ber  öftcrrcic^ifc^cn  SBaffcn  im  Kampfe  gegen 
SBaiern  unb  granfreich  beunruhigten  ben  ftönig  üon  Greußen  um= 
fomcfjr ,  alä  er  annehmen  ju  muffen  glaubte ,  baß  bem  jroifchen 
SJcaria  Xherefia ,  Cfriglanb ,  $oHanb ,  Sarbinien  unb  «Sachfen  jur 
2lufred)tf)altung  ber  pragmatifchen  ©anetion  gefchlofienen  Söünbniß 
bie  Slbjicht  ju  ÖJrunbe  liege,  ifjm  @d)Iefien  mieber  ju  entreißen. 
S)tcfe  Söeforgniß,  fonne  ber  Sßunfd),  roeitcre  SBortheile  gegen  Defter* 
rei^  au  erringen,  beroogen  ilm,  ju  ©unften  Äarte  VII.  aufä  9ceue 
in  bie  5lftion  einzutreten.  3"  biefem  @nbe  fdjloß  er  am  22.  ÜKai 
1744  mit  bem  ßaifer,  bem  ftonig  griebrich  I.  üon  ©chroeben,  als 
£anbgrafen  üon  £cffen-£affcl ,  unb  bem  $urfürften  $?arl  X^eobor 
üon  ber  «ßfalj,  bem  9cac£»folgcr  ftarl  ^ilippft-  (feit  1742),  ein 
öünbniß,  bie  fogenannte  „granffurter  Union",  alä  beren  Qrotd  bie 
Haltung  beS  ftttfert  unb  ber  sJtetch3üerfaffung  bezeichnet  mürbe. 
„$a  aber  $u  beforgen  ftehe" ,  fo  f)ie&  eä  in  ben  getroffenen  Skr* 
einbarungen,  „baß  gütliche  WuSfunft  ofjne  SBirfung  bleibe,  jo  fönne 
eä  nothmenbig  merben ,  baß  man  ju  ben  SBaffen  greife ,  in  meinem 
traurigen  galle  bie  ^erbünbeten  fudjen  moüten,  außer  ben  baierifdjen 
®urlanben  für  ben  ftaifer  baä  Königreich  Böhmen  als  eine  ange= 
meffene  Sluäftattung  für  baS  SReichSoberhaupt  $u  erobern ;  bod)  foHc 
ber  Äönig  üon  Greußen  alä  ßofm  für  feine  9)cühe  bie  an  ©chlefien 
grenjenben  böhmifchen  Greife  ®öniggrä&,  ©unjtau  unb  Seitmerifc 
erhalten.  fteine  ber  üerbünbeten  dächte  bürfe  für  fic^  allein  grie* 
ben  fchließen,  fonbern  alle  müßten  ju  gemeinfamer  $)emüthigung  be£ 
£>auje$  Cefterreich  ftanbhaft  jufammenblctben." 

SDlit  granfreich  föloß  griebrich  am  6.  3uni  ein  befonbereS 
iöünbniß,  in  meinem  er  üerfprach,  fallä  bie  Defterreidjer  *ur  ©robe* 
rung  be$  ©Ifaffeä  unb  Sothringen3  über  ben  sJthcin  rücfen  foflten, 
mit  einem  Jpeere  üon  aa^tjigtaufenb  aKanu  in  Böhmen  einzubrechen, 
um  bie  Königin  oon  Ungarn  ju  jmingen,  ihre  Xruppen  auä  bem 
(Slfaß  jurücfjuberufen ,  wogegen  Üubmig  XV.  fich  oerpflichtete ,  bie 
£cfcteren  über  ben  iRfydn  hinaus  »erfolgen  ju  laffen ,  um  fie  ruo* 
möglich  bn  öernichten,  unb  jugleich  burch  bie  (Sut)enbung  eineä  £>eere£ 
nach  SBeftfalen  $annoüer  511  bebrohen.  Um  Äußlanb  bauerub  üon 
Defterreich  fem  511  galten  unb  bem  preußischen  Qntereffe  bienftbar 
3U  machen,  fyattt  er  eine  Vermahlung  beä  Thronerben  $eter  üon 
£olftein=(4Jottorp  mit  ber  $rin$effin  Sophie  üon  Slnhalt'ßerbft l) 


1)  ©et  ihrem  am  9.  3ult  1744  erfolgten,  Ucbertritt  $ur  griechitchen  ffirc&e 
nahm  btefelbe  ben  Hainen  Katharina  an,  unter  meinem  fte  fpäter  al$ 
Äaiferin  eine  fo  heroorragenbe  SRofle  fpielen  fottte. 


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3)er  jiocttc  fd)leftfcl)e  $rieg. 


387 


vermittelt,  bcrcn  Skter  ©eneral  in  preujjifchen  $)tettften  uttb  ihm 
fehr  ergeben  tvax.  9luch  ©cfm)cben  mar  buret)  bie  JBermählung  beS 
$um  Thronfolger  ermahnen  £>eraogS  Slbolf  griebrich  öon  #olftein= 
(Sottorp  (f.  ©.  282)  mit  griebrichS  ©cfjtüefter  Ulrife  (Slconore  auf 
Greußens  ©eite  gebogen  morben. 

91  m  7.  9Iuguft  1744  liefe  griebrief)  burch  feinen  ©cfanbten  am 
SSiener  |>ofe,  ben  ÖJrafen  $ohna,  ber  Königin  öon  Ungarn  eröffnen : 
er  fönne  als  ®urfürft  nicr)t  mit  gleichgültigem  2luge  anfehen,  bafe  bie 
SSürbe  beS  $aiferS  unterbrüeft,  bie  SBerfaffung  beS  beutfcfjen  Meiches 
umgeftürjt  unb  beffen  ©tänben  ©emalt  angethan  merbe ;  ber  SBiener 
£of  habe  feine  bisherigen  SBarnungcn  unbeachtet  gelaffen  unb  ir)n  baburd) 
gejhnmgen,  mit  bem  tfaifer  unb  einigen  Surften  eine  Union  abzufchliefjen 
unb  bem  (Srfteren  einige  feiner  Gruppen  als  $ilfSöölfer  ftit  überlaffen. 

SBährenb  fich  ju  ber  gleiten  Seit  achtjigtaufenb  Greußen,  bie 
als  „faijerlichc  ^ilfSöölfer"  bezeichnet  mürben,  gegen  33öt)men  in  $3e* 
toegung  festen,  crfct)ien  ein  9Jcanifeft,  in  meinem  griebrich  erflärte: 
„Me  feine  Bemühungen  für  ben  grieben  in  3>eutfcf)tanb  feien  üer* 
geblich  gemefen ;  3Jtarta  $herefta  dQDC  °ie  griebenSanträge  beS 
ÜatferS  ^oct)müt^ig  öermorfen;  fie  fd)lage  aus  unbegrenztem  @f)t* 
cjetj  bie  beutfehe  Freiheit  in  geffcln  unb  fpiele  mit  breite  unb 
(Glauben.  SSie  aber  bie  alten  ©ermatten  burd)  Qahrhunberte  ihr 
SBaterlanb  unb  ir)re  greifet  gegen  bie  gan$e  ^>crrlicr)fctt  ber  9tömer= 
luelt  befchüfct,  fo  mürben  auch  it)rc  Ücachfommen  bie  bebrorjtc  greU 
heit  beS  SBaterlanbeS  öertheibigen.  $arum  ergreife  auch  er  jefct 
.bie  SSaffen  für  bie  greiheit  beS  Meiches,  für  bie  Söürbe  beS  ftaiferS, 
für  bie  Stühe  Chiropa'S;  er  höbe  babei  nicht  baS  geringfte  perfön* 
liehe  3ntereffe  unb  tierlange  für  fich  gar  nichts.  •  $rofo  biefer  hoch5 
tönenben  Söorte  bezeichneten  fclmn  bamals  SSiele  bie  brei  böhmifchen 
Greife  als  bie  alleinige  Urfache  beS  Krieges. 

S)ie  jur  Eroberung  Böhmens  auSrücfenbe  Xruppenmacht  be= 
ftanb  aus  brei  £>eerfäulen,  öon  benen  bie  eine  unter  Schwerin  öon 
©chlefien  aus  unb  bie  gmeite  unter  bem  (Srbprinjen  öon  £effau 
burch  bie  Saufifc  heranä°9f  nmhrenb  ber  ftönig  felbft  mit  ber  britten 
ben  28eg  burd)  ©achfen  nahm.  s2ln  bem  gleichen  Xage,  an  welchem 
er  „im  9camen  beS  IfatferS"  freien  Xurchjug  burch  baS  ®urfürften* 
thum  öerlangte,  überfchritt  er  auch  fchon  bie  fächfifche  GJrenje,  fo 
bafj  ber  ^roteft  beS  5)reSbener  £ofeS,  ben  ber  ffönig  für  Geichs* 
feinbfehaft  erflärte,  feine  SBirfung  mehr  hoben  fonnte  unb  bie  mehr* 
lofe  fächfifche  Regierung  fich  gelungen  fah ,  ben  burchjiehenben 
preu&ifchen  Gruppen  Lebensmittel  ju  liefern  unb  ihnen  bie  nötigen 
©djiffe  ju  ftellen,  um  über  bie  @lbe  ju  fefcen. 

9cachbem  fich  bie  &rei  Äolonnen  am  2.  ©eptember  bei  *ßrag 
öercinigt  hotten  unb  innerhalb  acht  Xagen  baS  fernere  ©efchüfc  jur 
©teüe  gebracht  morben,  mürbe  am  IL  baS  Öombarbement  ber 

25* 


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388 


$er  öfterretd)ifd)e  ©rbfolgefrieg. 


Stabt  eröffnet.  $ier  Xage  lang  letftete  ber  93efef)lSfjaber  $arfdj 
mit  ber  fd&toadjen  SBefafcung  Don  fedjjeljnljunbert  Wann,  Don  ben 
Stubenten  matfer  unterftüfct,  ben  Belagerern  tapferen  SBibcrftanb ; 
als  jebodj  am  16.  bie  ^ßreu&en  ÜJiicnc  machten  jum  Sturme  ju 
f freiten,  pflanzte  er,  bem  ungeftümen  Verlangen  ber  Söürgerfcfyaft 
nadjgebenb,  bie  mei&e  galme  auf  unb  übergab  bie  Stabt  am 
folgenben  Jage  ben  Sßreufcen,  naapbem  er  fiefj  ocrgebenS  bemüht  fjatte, 
für  bie  SBefafcung  freien  Slbjug  ju  erlangen,  griebrid&  ließ  bie* 
felbe  nad)  Sdjlefien  abführen  unb  in  Derjdnebene  geftungen  Der* 
tfjeilen.  83on  ben  Stubenten  ftetfte  er  Diele  unter  feine  ^Regimenter, 
„roeil  fie  5um  ftriegSljanbwerf  meljr  Suft  gezeigt  Ratten,  als  ju  ben 
mtyxn." 

$luf  bie  ©inna^me  ber  böfjmifdjen  Jpauptftabt  folgte  nod)  im 
sJD?onat  September  bie  Don  Xabor,  SBubmeiS  unb  grauenberg,  unb 
beöor  ber  Don  Sftaria  Sfjerefia  fd)leunigft  aus  bem  @lfa§  jurücfbe* 
rufene  ^ßrinj  Don  ßotljringen  bie  böfjmi[d)e  ©renje  erreia^en  fonntc, 
mar  faft  baS  ganje  roef)rlofe  ßanb  Don  ben  Greußen  befejjt. 

So  r)atte  griebridj  feinen  gelb^ug  glänjenb  eröffnet;  aber  mit 
ber  SRürffefn*  ßarlS  Don  Hötzingen  erfolgte  ein  jäljer  Umformung, 
griebrid)  fjatte  eS,  inbem  er  feinem  SiegeSraufd)e  $u  rafd)  nadj 
bem  Säben  SööfymenS  Dorgebrungen,  bem  aus  $toiern  jurücfbe* 
rufenen  öfterreid&ifdjen  gelb^errn  ©attfjtjani  möglich  gemalt,  eine 
Stellung  $u  nehmen,  burd)  toeld)e  er  nid)t  nur  mit  Saufen  in 
SBerbinbung  blieb,  fonbern  aud)  bem  Sßrinjen  Don  Sotfjringen  bie 
jpanb  reiben  tonnte.  Sßadjbem  baS  £cer  beS  Hejjteren  fidj  am 
1.  Oftober  mit  bem  Storps  $Battl)Dani'$  Dereinigt  fyatte,  fugten  beibe 
gelbfjcrren  ben  fäönig  Don  ^ßreujjen,  unter  S&ermeibung  eines  3Us 
jammenftofjeS,  burd)  gefd)irfte  SWärfdje  unb  gut  gemähte  Stellungen 
mefjr  unb  mefyr  in  bie  (Snge  ju  treiben  unb  ifym  bura)  ifjre  leisten 
Gruppen  bie  nötigen  #ufuf)ren  ab$ujd)neiben,  bamit  bie  Sftotl)  ifm 
jur  Räumung  SöötnnenS  jtoinge.  Qn  biefen  ©emüfjungen  mürben 
fie  burd)  bie  allgemeine  Abneigung  ber  SBöfjmen  gegen  bie  Greußen 
trefflid)  unterftufct.  £ie  Hanbleute  gogen  fid)  überall  mit  allen  Sebcnö* 
mittein  Dor  ben  preujjijdjen  Xruppen  auS  it)ren  Dörfern  in  SBälber 
unb  Sd)luc^)ten  jururf  unb  unterrichteten  baS  £>eer  ifjrer  Königin 
Don  allen  iöemegungen  beS  geinbcS,  mäljrcnb  bie  ^ßreufjen  über 
bie  Cefterreidjer  nidjt  baS  2Janbefte  erfahren  fonuten,  ba  alle  Don 
ifmen  auSgefanbteu  &unbfd)after  aufgegriffen  mürben.  Um  fid)  in 
bem  SBeftfc  oon  ^ßrag  ju  fiebern,  bradj  griebrid)  nrieber  nadj  bem 
Horben  auf,  roorauf  Sabor  unb  ÖubroetS,  in  melden  er  ftarfe  Soften 
5urücfgelaffen,  burd)  bie  ßefterreidjer  nrieber  erobert  mürben. 

9tad)bem  baS  £eer  beS  ^ßrinjen  Don  ßottjringen  burd)  jroan$igs 
tauj'enb  Sad)  jen,  bie  am  21.  Dftober  $u  ifym  geftofeen,  auf  fieb^ig-- 
taufenb  iD^ann  err)ür)t  toorben,  burfte  berfelbe  hoffen,  ben  $Önig  aus 


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$er  jiucitc  fdjlcftfrfjc  Äricg. 


389 


einer  fefteit  Stellung  nacfj  ber  anbern  öerbrängen  ju  fönnen.  Qn 
ber  Zfyat  fafj  fid^  grtebridj,  beffen  Sage  ntdjt  nur  burdj  madjfenben 
Langel,  fonbern  aitcf)  burdj  $afjfretcf)e  $efertionen  unter  feinen 
Gruppen  öon  Xag  ju  Sag  bebenflicfyer  nmrbe,  nadj  öcrgeblidjen  93e= 
inübungen,  ftdj  burd)  eine  entfdjeibenbe  Scr)tae^t  ßuft  31t  machen,  jum 
tRücf^ug  über  bie  @lbe  genötigt,  um  ber  ÖJefafjr  §u  entgegen,  öon 
<3cf)Ieften  abgefdjnitten  ju  roerben.  Wit  großem  Serlufte  unb  unter 
unauffjörtidjen  Angriffen  ber  letzten  öfterreidnfdjen  Reiterei  erreichte 
er  in  ben  legten  Xagen  beS  Sßoüember  bie  fcf)lcfifd)e  ©renje,  bie 
er  am  1.  $)ejember  in  ber  traurigften  Söerfaffung  übertritt.  $>cr 
löerlnft  feine*  gefammten  ferneren  ®efd)üfce$,  ba*  bie  preugi[cr)e 
SBefafcung  öon  $rag  bei  i^rem  fdjleunigen  STbjug  fyatte  jurücflaffen 
muffen;  ein  auf  bie  ©älfte  5ufammengefd)mol$ene8,  bemoralifirte* 
£>eer  unb  eine  öollftänbig  erfd^öpfte  ®affe  —  ba3  war  ba$  einjige 
<£rgebniß  beä  mit  fo  großer  Suöerftdjt  unternommenen  gelbjugS. 
„$aä  große  Sriegäljeer,  toetcfjeS  SBöfmten  berfdjlingen  unb  felbft 
Oefterreid?  übcrfdjmemmen  fofltc/'  fo  geftebt  griebrid^  felbft  in 
feiner  Sdnlberung  jene*  gelbjugS,  „hatte  baä  6d)icffal  jener 
glotte,  bie  ben  tarnen  ber  unüberminblidjen  Slrmaba  führte."  (£r 
erfannte,  baß  ber  fixieg  ton  ©eiten  ber  öfterreid)tfd)en  gelbljerren 
meifterfyaft  geführt  toorben,  mäfjrenb  er  felbft  große  geiler  be* 
gangen;  ganj  befonberä  fcfjricb  er  jebodj  feine  Sflißerfolge  bem 
ifeortbrudj  ber  granjofen  ju,  bie,  ftatt  bem  au8  bem  (Slfaß  ab* 
3ief)enben  #eere  ®arl8  öon  Sotfjringen  ju  folgen,  um  baäfclbe  öon 
Winnen  fern  51t  fjalten,  ftd^  auf  bie  Belagerung  öon  greiburg  im 
SöreiSgau  befefcranft  Ratten,  »eil  c$  fidj  für  bie  bamaligen  Senfer 
"ber  (Sefdjicfe  granfreid)3  öor  2Wem  barum  fjanbelte,  bem  ®önig, 
"ber  fortmäfyrenb  perfönlidj  bei  bem  $eere  anroefenb  mar,  leisten 
Scriegaruljm  ju  üerfdmffen  unb  i^n  baburd)  in  rriegeriföer  Stuf* 
regung  ju  erhalten. 

griebrid)*  Sage  mürbe  erfdjroert  burd)  ben  Xob  $aifer 
$arfä  VII.,  ba  üjm  burd)  benfelben  nidjt  nur  jeber  SBormanb  jur 
gortfefcung  be£  Striegel  gegen  Flavia  $f)erefia  entzogen,  fonbern 
<tud)  bem  ®roßfjeräog  granj  öon  Xoäfana  bie  2Iudfid^t  auf  bie 
$aiferfrone  eröffnet  mürbe ,  inbem  ber  adjtjefynjäljrige  föurfürft 
liDtorunilian  Qofepr)  öon  SBaiern  nodj  nidjt  ba«  öon  ber  golbenen 
SBulIe  für  bie  2öar>Ifä^tgfctt  öorgefdjriebene  Mter  tjatte.  $er 
franjöfifaje  $>of  fud)te  jmar  bem  ®emaf)le  5ftaria  Xf>erefia'3  in 
Sluguft  III.  öon  ©adjfen  unb  s£olen  einen  Nebenbuhler  in  ber  53e= 
merbung  um  bie  ®aiferfrone  51t  ertoeefen  —  ein  *ßlan,  bem  gricb= 
rid)  II.  umfo  bereitwilliger  sugeftimmt,  atä  er  in  bemfelben  ba* 
fi^erfte  bittet  erblidte,  ©ad^fen  mit  Defterreic^  bauemb  ju  öer« 
feinben,  —  unb  bemühte  fidt)  ju  biefem  (Snbe  eifrig,  eine  5lu§fö^ 
ltung  jmiföen  ben  ^öfen  öon  5)re«ben  unb  ©erlin  au  ©tanbe  5U 


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300 


$er  öfterrctcf)ifcf)e  Grbfolgcfrieg. 


Bringen;  bie  Abneigung  ?luguft3  III.  unb  befonberS  be«  (trafen 
53rüf)l  gegen  eine  SSerbinbung  mit  Greußen,  ba3  burch  fein  (5mpor* 
fteigen  ©achfen  in  eine  niebere  ©tettung  herabgebrüeft ,  mar  jebodj 
fo  groß,  baß  fte  felbft  burch  ba3  Angebot  ber  $aiferfrone  unb  ber 
nötigen  #ilf3gefber  für  fechjigtaufenb  2J?ann  nidjt  überwunben 
werben  fonnte.  Wudj  fjatte  ©achfen  bereite  in  einem  am  8.  Januar 
1745  ju  2Barfd)au  mit  (Snglanb ,  £ol!anb  unb  Defterreich  gc* 
fc^Ioffenen  ©ünbniß  bie  Verpflichtung  übernommen ,  bem  ®emahle 
TOario  Xtjerefia^  bei  ber  ßaiferwaf)!  feine  ©timme  ju  geben  unb 
jur  ©efämpfung  griebrich«  auf  ba«  Wachbrücflichfte  mitjumirfen. 

©in  harter  ©djlag  für  griebrich  mar  e3,  baß  ber  junge  #ur- 
fürft  Sftarjmilian  3ofeph  öon  ©aiern  fich  burch  bie  ooflftänbige 
SluSficfjtalofigfeit  feiner  Sage  beftimmen  ließ,  am  22.  Hpril  1745 
mit  9flaria  Xtyxtfxa  ben  grieben  t?on  g  ü  f  f  e  n  abjufchlteßen  ,  in 
meinem  er  gegen  bie  SHütfgabe  ber  oon  ben  Cefterreidjem  in  fet» 
nem  fianbe  gemachten  (Eroberungen  allen  ftnfprüchen  auf  baS  öfter* 
reichifche  ©rbe  entfagte  unb  bem  ®roßher$og  granj  feine  ©timme 
jur  $aiferwaf)l  jufidjerte;  benn  nun  ftanb  ber  $önig  im  Kampfe 
gegen  Defterreidt)  allein,  unb  nadjbem  er  felbft  ben  SBreSlauer  ©er* 
trag  gebrochen,  in  Welchem  Sttaria  ^t)crcfta  if)m  ©chleften  abgetreten, 
fonnte  er  nicht  baran  jweifcln,  baß  auch  fie  fich  ihres  SSorteS  für 
entlebigt  erachtete  unb  entfchloffen  mar,  ihm  feine  (Eroberung  mieber 
$u  entreißen.  3n  ber  %l)at  fprach  Sflaria  Sherefia  biefen  <5nt= 
fdjluß  offen  in  einem  an  bie  ©etuohner  ©djlefienS  unb  ber  ®raf= 
fchaft  ®lafc  gerichteten  Aufruf  an«,  in  welkem  fie  alle  Slnfprüche 
griebrichä  auf  biefe  fiänber  al£  burch  feine  vielfachen  S3crtrag*öer= 
lefcungen  unb  inäbefonbere  burch  *>en  in  bem  Angriff  auf  SBöhmcu 
begangenen  griebcn&bruch  für  Verwirft  erflärte. 

3nbeffen  mar  griebrich  entfehtoffen,  ©chlefien  um  jeben  $rei£ 
ju  behaupten,  unb  bot  31t  biefem  ßmeefe  ade  Gräfte  feine«  SanbcS 
auf.  @o  brachte  er  ein  $eer  von  einmalhunberttaufenb  gußgängern 
unb  fünfunboieraigtaufenb  Weitem  jufammen,  mit  welchem  er  auf 
bie  Nachricht,  baß  ®arl  von  Lothringen,  mit  beffen  fünfunbachtäig* 
taufenb  3Hann  ftarfem  $eere  fich  &ei  Xrautenau  breißigtaufenb 
©achfen  vereinigt  hatten,  von  bort  gegen  bie  fchleftfcfje  ©renjc  heran* 
rücfte,  am  1.  3uni  1745  awifcfjen  ©chroeibnu)  unb  ©triegau  ein 
fefteS  Sager  bejog,  obgleich  injWifchen  ftarfe  ungarifche  SReiterfcfmaren 
in  Cberjdjlefien  eingerüeft  maren  unb  am  27.  SOiai  bie  wichtige 
geftung  ftofel  erftürmt  hotten.  9113  ber  in  feinem  ßager  anmefenbe 
franjöfifche  ©efanbte  Valori  ihm  fein  (Erftaunen  barüber  auSbrücftc, 
baß  er  afle  <ßäffe  offen  gelaffen,  entgegnete  er  ihm :  „9flem  greunbr 
wenn  man  bie  2Jcau3  fangen  miß,  mad>t  man  bie  Salle  nicht  §u." 
©ein  *ßlan  mar,  oon  feiner  gut  gewählten  ©teHung  au«,  bie  wegen 
ber  vielen  Anhöhen  jener  ©egenb  ben  ©liefen  beä  geinbeS  faft  per* 


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$er  jroeitc  fchlcfii'cfjc  Ärieg. 


391 


borgen  blieb ,  bem  ^eranjie^enben  öfterreichifchen  £>eer  burd)  einen 
unerwarteten  Angriff  ben  Untergang  ju  bereiten. 

2US  fid)  baS  #eer  beS  Sßrtnjen  Don  Lothringen  am  3.  3uni 
an  ber  Sanbftraße  oon  $auer  nach  SanbShut  jeigte,  ließ  griebrich 
in  ber  SRacht  jum  4.  baS  {einige  in  aller  ©title  gegen  £>ob,en* 
friebberg  oorrüefen,  um  ben  afjnungStofen  geinb  ju  überfallen, 
unb  beim  erften  Morgengrauen  erbröbnten  bie  (Gebirge  ringsumher 
oon  bem  Bonner  ber  preuSifchen  ©efchüfce.  Roch  ehe  baS  öfter- 
reid)tfd)e  $eer  fich  üoflftänbtg  gefammelt,  waren  bie  ©achfen,  beneu 
ber  erfte  Angriff  galt ,  oon  aüen  ©eiten  umringt ;  nach  längerem 
tapferen  SBiberftanb  mürbe  ihre  Reiterei  jerfprengt,  unb  um  peben 
Uhr  war  baS  ganje  fädjfifche  ÄorpS  jurücfgefcblagen.  3)er  Sßrinj 
oon  Lothringen ,  ber  auf  bie  Radjricht  oon  bem  (Srfdjeinen  ber 
Greußen  mit  SBHfceSfchneÜ'e  au*  feinem  Rachtquartier  in  ^auSborf 
herbeigeeilt  mar,  um  fein  £>eer  in  ©chlachtorbnung  51t  ftellen,  far)# 
nachbem  bie  ©achfen  bem  ftürmifcfjen  Angriff  ber  Greußen  erlegen, 
auch  feine  öfterreidnfehen  Regimenter  im  Störten  unb  in  ber  fronte 
3ugleicr)  gefaßt;  bennod)  fyitlt  er  bem  geinbe  noch  öoüe  jwei  ©tun- 
ben  ©tanb:  erft  als  beim  fedjfren  Anlauf  beS  geinbeS  bie  öfter* 
reichifdje  Reiterei  geworfen  worben  unb  auch  baS  gufjoolf  fich  nicht 
mehr  ju  haften  oermochte,  gab  er  93cfet)t  311m  Rücf jug,  ber  in  befter 
Orbnung  oor  fich  Ö^n9-  $cr  ^crluft  ber  Defterreicher  unb  ©achten 
betrug  an  Xobten,  Verwunbeten  unb  (befangenen  fünfecfjntaufenb 
Wlann ;  baneben  waren  fed)Sunbjechäig  it)rcr  Kanonen  unb  fiebenunb* 
fcchjig  Sahnen  bem  geinbe  in  bie  #änbe  gefallen. 

$er  $rinj  oon  Lothringen  jog  fich,  öon  griebrtcr)  gefolgt,  nach 
Söhnten  jurücf,  too  er  bei  Üöniggräfc  ein  unangreifbares  Säger  be* 
jog,  währenb  griebrich  juerft  bei  (£hlum,  bann  bei  ^aromirj  eine 
nicht  minber  günftige  ©tetlung  nahm.  $a  beibe  Xheite  fich  buxti) 
Xruppenentfenbungen  gefdjwächt  hatten  —  griebrich  in  ber  SIbficht, 
bie  Ungarn  aus  Dberfdjlefien  ju  oertreiben ,  ßarl ,  um  ein  unter 
(£onti  hcranjiehenbeS  franjofifcheS  $eer  oon  granffurt  abjuhalten, 
wo  eben  bie  ®aiferwaht  begonnen  r)atte  —  fam  eS  jwifchen  ihnen 
wafjrenb  eines  Vierteljahres  nur  }U  fleinen  ©efecf)ten,  burch  welche 
man  fich  gegenfeitig  Vortheile  abzugewinnen  fudjte. 

ilnterbeffen  fyattz  ®önig  ÖJeorg  II.,  ber,  burch  b*c  ©djilberhe* 
bung  beS  ©tuart'fchen  ^rinjeu  ®arl  ©buarb  (f.  ©.  299  f.)  mit  23e* 
forgniffen  für  feinen  Xhron  erfüllt  unb  eine  fianbung  ber  granjo- 
fen  in  (Snglanb  fürdjtenb,  ben  ©treit  jmifchen  Greußen  unb  Oefter* 
reich  beenbigt  $u  fehen  wünfehte ,  bamit  SRaria  Ztyttfia  ihre  ge* 
fammten  ©treitfröfte  gegen  granfreid)  oerwenben  fönne,  mit  grieb* 
rieh  N.  Unterhanblungen  angefnüpft,  bie  am  26.  3luguft  1745  in 
bem  „Vertrag  oon  #annooer"  ihren  Slbfchlufc  fanben.  $n  bem= 
jelben  oerfprach  griebrich  bem  ©emahle  üflaria  Xherefia'S  bei  ber 


uiQitizeo  D 


392 


£er  öt'terrctcfjifdjc  (Srbfolgefricg. 


ftaiferwaljl  feine  Stimme  311  geben,  wogegen  Georg  II.  fidj  an* 
heifdn'g  machte,  bie  Königin  t>on  Ungarn  jum  grieben  auf  ©runb 
beS  SreSlauer  Vertrags  ju  beftimmen  «nb  bem  #önig  toon  ^reuöen 
bie  Gewäljrleiftung  ber  übrigen  2Rädjte  für  ben  öeftfc  SdjlefienS 
3U  erwirfen.  äRaria  X^erefta  mar  jebod)  umfoweniger  baju  ju 
bewegen,  auf  bie  eintrage  beS  ÄönigS  bon  (Snglanb  etnjugefjen, 
als  if)r  Gemahl  bereit«  am  13.  September  1745  unter  SluSfdjlufc 
ber  branbenburgifd&en  unb  furpfäljifdjen  Stimmen  jum  Äaifer  er* 
wäfjlt  lüorben  mar.  9Jftt  ruhiger  ©ntfiieben^eit  erflärte  fie  bem  eng* 
lifd&en  ©efanbten:  fie  fönne  auf  Sdfleften  nidjt  freiwillig  93er$t<f)t 
leiften  unb  fei  entfdjloffen ,  ben  SluSgang  einer  neuen  Sdjladjt  ab* 
zuwarten.  $en  eigentlichen  ©runb  jebod) ,  ber  fie  jur  Slbleljnung 
ber  englifdjen  SriebenSborfdjlage  bewog,  tb,  eilte  fie  in  einem  bertrau* 
Tieften  ©efprädje  bem  benetianifdjen  (Sefanbten  mit.  „Sie  fyabc 
fid)" ,  fo  fagte  fie,  „über  ben  SBertuft  bon  Sdjlefien  bereits  be= 
rulpigt  gehabt  unb  niemals  baran  gebadet  ,  ben  ©reSlauer  ^rieben 
ju  brechen.  $)er  offene  Xreubrud)  beS  &önigS  bon  ^ßreufcen  aber, 
weither  fie  ofme  jebe  Urfadje  in  bem  Slugenblicfe  angegriffen  Ijabe, 
in  wettern  fie  fjoffen  fonnte ,  ba&  if>r  am  SRljetn  fteljenbeS  $>eer 
i§r  eine  SdjabloSljaltung  für  ben  SBerluft  SdjlefienS  erfämpfen 
werbe,  Ijabe  fie  mit  ber  Ueberjeugung  erfüllt,  ba§,  fo  lange  biefer 
Sürft  fo  mädjtig  bleibe,  fie  in  fteter  öeängftigung  fdjmeben  müffe 
unb  fid)  niemals  beS  ruhigen  ©efifceS  iljrer  Staaten  erfreuen 
fönne.  (5:S  fei  bafjer  nidjt  CStgenfinn  bon  tl)r,  fonbern  ein  Gebot 
ber  Sftotljwcnbigfeit ,  wenn  fie  in  bem  gegenwartigen  $(ugcnblicf  bie 
$anb  $um  trieben  nidjt  biete.  Sie  erfenne  eS  als  Ujre  ^flic^t,  in 
biefem  fünfte  unbeugfam  ju  bleiben;  benn  fie  fei  überzeugt,  baß 
ber  ®önig  bon  Greußen  nur  an  ben  trieben  benfe,  um  fie  etnju* 
frf)läfern  unb  fie  neuerbingS  ju  überfallen,  wenn  fid)  eine  günftige 
Gelegenheit  ba$u  bar  bietet 

3)a  37toria  Ztyxtfia  bie  auf  ben  4.  Dftober  feftgefefcte  ®rö* 
nung  ifyreS  Gemahls  burd)  einen  Sieg  über  gfriebric^  berfjerrlidjt 
ju  fetyen  wünfdjte,  forberte  fie  iljren  Schwager  bringenb  auf,  bem* 
felben  eine  Sdjlacftt  $u  liefern.  Obgleich  ber  $rin$  eS  borgejogen 
l)ätte ,  bie  Äräfte  feines  Gegners  burd)  ben  Keinen ,  ermübenben 
$rieg  ju  erfdjöpfen,  brad?  er,  um  bem  SBunfäe  9Jtoria  X^erefta'^ 
nad^ufommen,  nadj  ber  fdjlefifdjen  Grenje  auf,  in  ber  fidjeren  (5hr= 
Wartung,  baß  ber  ßönig  if)m  baljin  folgen  werbe,  griebridj  fudjte 
ifnn  juöorjufommen  unb  fdjtug,  bon  ben  Defterreidjern  gefolgt, 
feinen  23eg  in  ber  SRidjtung  nad)  Xrautenau  ein.  Xer  $rinj  üon 
Lothringen  fanb  i^n  am  30.  September  bei  Soor  in  einem  unge? 
beefteu  fiager,  baS  er  eben  abbrechen  ju  laffen  im  ^Begriffe  ftanb. 
©in  rafd^er  Singriff  ber  Oefterreic^er  Würbe  ofjne  Streifet  für  i^n 
eine  entfd;eibenbe  9iieberlage  jur  golge  gehabt  ^ben;  ber  ^ßrina 


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$er  jrocite  f c^Ieftfc^c  $rieg 


393 


ftögerte  jebodj  mit  bemfelben,  roahrfcheinlich  in  bcr  Meinung,  baß 
"ber  $önig  fogleic^  ben  SRücfyug  antreten  roerbe ,  auf  melchem  er 
beffen  $eer  boflftänbig  bernichten  fönnen  hoffte ,  unb  ließ  fo 
feinem  (Segner  Seit,  fcfbft  $um  Angriff  ju  {abreiten,  ju  welchem  fid) 
griebrid) ,  obgleich  er  ben  fünfunbbreißigtaufenb  Defterreichem  nur 
^meiunbjmanjigtaufenb  äftann  entgegen  fteöen  (onnte,  rafd)  entf hoffen 
rjatte,  roeil  er  e&  für  minber  gefährlich  r)ielt ,  ben  ®ampf  mit  bem 
geinb  ju  roagen,  als  in  beffen  Slngeficht  ben  9tücfjug  burdt)  (£ng* 
paffe  anzutreten. 

griebridj  eröffnete  bie  ©chlacht,  inbem  er  fein  ©eer  fogleidj  eine 
SBiertelfchmcnfung  nach  recht«  machen  ließ,  um  ber  gronte  ber  Defter- 
reicher  eine  parallel  laufenbe  gronte  entgegenjuftetten.  SSic  er  burd) 
biefe  Hflaßregel  eine  glänjenbe  <ßrobe  feinet  gelbherrntalente«  gab, 
fo  lieferte  bie  Dfafdjheit,  mit  meiner  biefelbe  mitten  unter  bem  Ijef* 
tigften  feinblidjen  geuer  ausgeführt  mürbe,  einen  nicht  minber  glänzen* 
ben  SBemei«  Don  ber  trefflichen  #rieg3jud)t  unb  £apfer(eit  feiner 
Gruppen.  $urdj  biefe  2lrt  be«  Angriffs  entzog  ber  ftönig  ben 
Defterreichern  auf  bem  engen  Xerrain,  auf  meinem  bie  ©djlacht  au«* 
gefönten  mürbe,  ben  S3ortf)eU  ber  numertfehen  Ueberlegenheit ,  unb 
fo  blieb  naefc  bierftünbigem  Reißen  fingen  ber  ©ieg  ben  *ßreu&en. 

2Bät)renb  fid)  ®arl  bon  Lothringen  in  ba«  ©ebirge  jurücfaog, 
hielt  griebrich  bei  ©oor,  um  bie  (£f)re  be«  «Siege«  ju  matjren, 
noch  eine  fünftägige  SRaft  unb  trat  bann  ben  9tücfn>eg  nach  ©chle* 
fien  an,  iueil  bie  ganje  ÖJegenb  fo  boflftänbig  auägefogen  mar,  baß 
tx  feinen  Unterhalt  mehr  auftreiben  fonnte.  £a  er  ben  bie&jährigen 
gelbjug  für  beenbigt  hielt,  legte  er  fein  £eer  jmifchen  ©chroeibnifc 
unb  ©triegau  in  bie  SBinterauartiere  unb  (ehrte  am  28.  Dftober 
nach  Berlin  jurücf.  ®aum  mar  er  jebodj  in  feiner  ftauptftabt  an= 
gelangt,  al*  er  burch  ben  fchmebifchen  (Sefanbten  am  $re«bener 
§ofe  bie  ®unbe  erhielt,  baß  feine  (Gegner  nach  einem  bon  bem 
trafen  93rüt)I  entmorfenen  *ßlane  einen  Einbruch  in  feine  (£rb* 
ftaaten  aufführen  gebachten.  $on  bem  öfter  reichten  $>eere,  ba« 
unter  bem  ©rafen  Sraun  am  $tf)tint  ftanb ,  foHten  äclmtaufenb 
Sftann  unter  bem  General  ©rünne  gegen  Seidig  rücfen ,  um  bon 
bort  im  Vereine  mit  einem  fächftfdjcn  ßorp«  in  bie  ßurmarf  ein* 
aufaßen,  unb  ber  $rinj  öon  ßothringen  ju  ber  gleichen  Seit  bon 
Böhmen  au«  burch  bie  Saufifc  gegen  ©agan  unb  troffen  siehen, 
um  bie  ^reufcen  im  föütfen  ju  faffen. 

Um  biefen  <ßlan  ju  bereitein,  fer)rtc  griebrich  fofort  nach 
©chlefien  jurüdf,  jog  rafd)  feine  Gruppen  jufammen,  befefcte  alle 
Ißäffe  nac|  ©öhmen  unb  ber  ßaufifc ,  bamit  feine  (Segner  (eine 
ihtnbfchaft  bon  ihm  erhalten  (önnten,  unb  rücfte  am  23.  Sßobember 
tn  aller  ©rille  gegen  ©örlifc  bor.  S3ei  #atholifcfr#enneräborf  fttef? 
er  auf  einen  fächfifdjen  £eerhaufen,  melier  bie  Vorhut  beS  $rin$en 


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394 


$er  öfterreicfyfdjc  ©rbfolgefricg. 


t>on  ßothringen  bilbete  unb  burdj  baS  unerwartete  (Srfcheinen  ber 
Greußen  überrafdjt,  natf)  furjem  Kampfe  jerfprengt  tourbe.  ®axt 
fetbft,  ber  ben  ganjen  $lan  öerrathen  fah,  jog  ftdj  rafdj  nadj 
Söhnten  prücf,  um  Don  bort  über  Sßtma  jum  Sdjufee  $reSbenS 
nach  Sachten  ju  jtefjen.  tluct)  ber  ®raf  (Srünne,  ber  fich  bereit* 
ber  branbenburgifdjen  ÖJrenje  genähert  fyattt,  ^ieU  eS  für  geraden, 
umjufehren,  um  ficf)  mit  bem  fächfifcöen  £>auptheere  ju  Bereinigen, 
baS  unter  bem  (trafen  NutoroSfy  bei  Bresben  ftanb. 

Nachbem  griebridj  in  ©Örlifc  eingerücft,  fanbte  er  bem  alten 
Sürften  oon  5>effau  SBefehl,  mit  feinem  bei  $alle  oerfammelten 
$eere  in  baS  furfächfifche  (Gebiet  einjurürfen  unb  bie  Sachfen  bei 
Bresben  anjugreifen.  tiefer  nahm  juerft  Seipjig  burd)  ®apitu* 
lation  ein  unb  erfchien,  nachbem  er  fid)  am  13.  5)e5ember  mit  bem 
au*  ber  ßaufifc  herangezogenen  ÖJeneral  fiehtoalb  oereinigt  ^atte,  ben 
Srriebricf)  gu  feiner  SBerftärfung  abgeorbnet,  am  25.  üor  ber  fädjfU 
fchen  #auptftabt,  aus  melier  Sluguft  III.  mit  bem  (trafen  SBrüfjI 
nac^  $rag  entflogen  mar. 

Obgleich  ber  alte  Tcffauer  baS  fädjfifche  £eer  mit  bem  ®orpS 
beS  ©rafen  ®rünne  auf  einer  5lnf)öhe  bei  föeffelsborfin  treffe 
lieber  Stellung  oerfcfyanjt  fanb,  fcrjritt  er,  burd)  ben  SSormurf  ju 
großer  fiangfamfeit,  ben  ifjm  griebrich  toährenb  beS  SBormarfcheS 
gegen  Bresben  brieflieb,  gemacht,  in  feiner  gelbberrnehre  fchroer 
öerlefct,  um  jtoei  Uhr  Nachmittags  sunt  Angriff  auf  baSfelbe.  SNit 
füf)ner  XobeSöerachtung  trotten  bie  preu&ifdjen  (JJrenabiere  bem 
geuer  beS  geinbeS;  bennoch  mürben  fie  jurüdgetoorfen,  unb  bie 
©djlacfjt  würbe  für  bie  Ttffaucr  oerloren  getoefen  fein,  hätten  nicht 
bie  Sachfen  unb  Dcfterreidjcr,  in  ber  9)teinung,  ben  Sieg  bereits 
errungen  ju  höben,  ihre  Skrfdjanjungen  üerlaffen,  um  ben  geinb 
ooöftänbig  in  bie  gludjt  gu  fragen.  Sofort  erneuerte  ber  preußijche 
gelbherr  ben  Angriff,  unb  feine  Xapferfeit  ber  Sachfen  unb  Cefter- 
reidjer  öermochte  ben  begangenen  Sehler  toieber  gut  $u  machen. 
Söährcnb  ÄeffelSborf,  in  meines  ber  dteneral  Sehroalb  eingebrungen, 
in  SÖranb  gerietf),  erftieg  ber  preußifche  linfe  glügel  bie  Slnhöfje, 
unb  beim  (Einbruch  ber  Nacht  befanb  fich  baS  aufgelöste  fächfifefc 
öfterreichifchc  $>eer  auf  bem  fluchtartigen  Nütfjuge,  breitaufenb  Xobte 
unb  fedjStaufenb  befangene  mit  achtunboierjig  Kanonen  auf  bem 
®ampfplafce  jurücflaffenb.  $cr  Sßrinj  oon  fiothringen,  ber  bis  in 
ben  ^lauen'fchen  ®runb  oorgebrungen,  ging  nach  ber  Nieberlage 
feiner  S3unbeSgenoffen  über  bie  böhmifche  ©renje  §urütf. 

griebrich  erhielt  bie  Nachricht  oon  bem  Siege  bei  ®effelSborf 
in  SJcei&en,  loohin  er  an  bem  gleichen  Sage  mit  bem  §auptheere 
aufgebrochen,  um  ben  Ausgang  ber  Schlacht  abjutoarten.  2tm 
folgenben  Sage  lieft  et  feine  Xruppen  ju  benen  beS  Surften  oon 
25effau  fto&en,  unb  am  18.  ^ejember  h^It  er  feinen  (Sinjug  in 


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2>er  aroettc  fchleftfche  tfrieg. 


395 


Bresben ,  baS  if>m  ofme  SBibcrftanb  bic  X^ore  öffnete.  3n  gan& 
(Saufen  mürben  fernere  93ranbfd)a|jungen  erhoben;  bagegen  be* 
fat)l  ber  ®ömg  feinen  Gruppen  ftrenge  SJcannSjucht  an  unb  fudjtc 
bie  SBeöölferung  ber  £>auptftabt  burd)  ein  J)erabIoffenbe§  benehmen 
5u  genrinnen. 

2luguft  III.  erflärte  fich  öon  $rag  aus  brieflich  jum  grieben 
bereit.  sÜ\id)  Wlaxia  X^crfia  erfannte  bie  SRothtoenbigfett,  fid)  mit 
griebrich  jn  öertragen;  fie  fanbte  bat)er  ben  Statthalter  öon  33öh* 
men,  ben  trafen  ^mrradj,  mit  Vollmachten  ju  griebenSunterhanb= 
fangen  nach  Bresben.  $a  griebrid)S  finanzielle  Gräfte  öottftänbig 
erfdjöpft  maren  —  in  feiner  ®affe  fanben  fid)  nur  nod)  fünfje^n= 
taufenb  %fyaUx  —  unb  er  überbieS  muftte,  baö  bie  ®aiferin*$önigin 
jmifa^en  bem  grieben  mit  it)m  ober  mit  granfreidj  ge[chmanft  hatte 
unb  mit  ber  (enteren  Stacht  bereite  in  Unterr)anblungen  getreten  mar, 
^ütete  er  fid)  roof)l,  baS  griebenSmerf  burch  meiter  gehenbe  gor-- 
berungen  als  bie  in  bem  Vertrage  öon  $annoöer  enthaltenen  ju 
gefät)rben,  unb  fo  fonnte  fd)on  am  25.$ejember  ber  griebe  öon 
Bresben  unterzeichnet  roerben.  gn  bemfelben  öcrzidjtete  Sftaria 
Ztyxtfw  junt  anbern  Sftale  auf  ©d)lefien,  wogegen  griebrich  ihren 
©emarjl  als  ®aifer  anerfannte.  ©achfen  verpflichtete  fich  gur  3ahlung 
einer  ÜftiHion  %f)akx  an  ben  ®önig  öon  $reu&en  unb  geroährleiftete 
bemfelben  ben  SBefifc  öon  ©d)lefien;  and)  leiftete  bie  @)emar)lin 
SluguftS  III.  auSbrfitflieh  auf  alle  Slnjprüche  «erficht,  bie  fie  als 
Xodjter  ®aifer  QofephS  I.  an  biefeS  ßanb  haben  fönnc.  &er  $ur= 
fürft  öon  ber  sßfatj  mürbe  in  ben  grieben  eingcfcf)loffen  unb  aner= 
fannte  granj  I.  als  ®aifer. 


£te  öter  legten  3a|re  beä  äfterretdnfdjen  erbfolgefriegeS. 

(1745—1748.) 

9cadj  bem  £obe  ®arls  VII.  brangen  bie  Cefterrcia^er  unter 
SBärenflau  unb  Söatt^r^ani  in  Söaiern  ein  unb  öertrieben  foroohl  bie 
baierifchen  als  bie  franjöfifchen  Gruppen  aus  bem  ganzen  fianbc, 
fo  ba&  ber  junge  Surfürft  SJcajimilian  Sofeph  fu$  aus  feiner  föefi* 
benj  nach  SlugSburg  flüchten  mu&te.  s2Iuct)  baS  franzöfifche  $eer, 
baS  unter  bem  SRarfchatt  9JcailleboiS  an  ber  Sahn  ftanb  unb  93e* 
fehl  hatte,  nöthigenfatts  in  Söaiem  Z«  fünften  SKarimitian  3ofept)S 
einzuschreiten,  mürbe  burch  ben  aus  ben  Sftieberlanben  h^anjiehen* 
ben  faiferlichen  gelbherrn  Aremberg  jurüefgebrängt.  S3ei  biefer 
Sachlage  blieb  bem  Ihirfürften,  ber  anfangs  beftimmt  erflärt 
hatte,  bem  $8ünbni§  mit  granfreid)  unb  ^reugen  treu  bleiben  511 
motten,  Vichts  übrig,  als  fich  mit  Defterreict}  auSjuföhnen,  moju 

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396 


$er  Bfierreidjtfdje  Grbfotgefricg. 


if)m  nidjt  nur  ©etfenborf,  bcr  furj  bor  bcm  Xobe  ®arlä  VIT.  bcn 
Oberbefehl  über  baä  baiertfefte  #eer  niebergelegt,  fonbern  audj  feine 
eigene  9ftutter  bringenb  rietfjen.  ©o  (am  am  22.  SIprtf  1745  ber 
griebe  bon  Hüffen  ju  ©tanbc,  in  meinem  Hftarjmitian  Sofepö 
allen  Stnfprüdjen  auf  ba3  öfterreidn'fdje  (Srbe  entfagte,  ber  bon  bem 
#teid)e  übernommenen  ©emäfjrleiftung  ber  pragmatifdjen  ©anetion 
beitrat  unb  feine  Stimme  bei  ber  beborftefjenben  ®aifermaf)I  bem 
<&emaljle  Sftaria  Xljerefta'a  juftcf)erte,  mogegen  biefe  ifyrn  unter  2kr* 
ätdjtteiftung  auf  alle  @ntfdjäbigung$anfprüdje  feine  fämmtftdjcn  ßänber 
äurüdffteHte  unb  bie  ®aifernmrbe  feinet  Sßatera  anerfannte. 

(£ine  $auptforge  SKaria  Xfjerefia'S  mar  bie  ©idjerung  ber 
Höar)I  ifyreä  (Stemaljte  jnm  ®aifer,  roofür  iljr  außer  ber  baierifdjen 
®urftimme  bie  ber  brei  geiftlia^en  ®urfürfien,  fomie  bie  bon  ©aefj* 
fenf  ftannober  unb  93öf)men  gemiß  maren.  $a  Submig  XV.  grieb* 
rtdj  IT.  auf  ba3  SBeftimmtefte  jugefagt  fjatte,  baß  er  ftdj,  felbft  mit 
©efa^r  einer  ©djladjt,  ber  (Srmäfjlung  be3  ©roßfjer§og3  bon  Xo3* 
fana  tmberfefcen  merbe,  galt  e£  bor  5(Hem,  baS  franjöfifdje  £>cer, 
ba$  in  ber  ©tärfe  bon  fünfjigtaufcnb  SRamt  unter  bem  ^rinjen 
(Sonti  ben  föfyein  überfdjrttten  unb  jmifeften  3>armftabt,  Wfdjaffcnburg 
unb  (ließen  ©teßung  genommen,  mieber  bon  bem  3ieid)3boben  ju 
vertreiben,  bamit  berfelbe  für  bie  auf  ben  2.  ^uni  anberaumte  (Sr= 
Öffnung  be$  SBaljltageä  frei  fei.  Qu  biefem  (Snbe  führte  ber  öfter- 
reidjifdje  Setbmnrfdjall  Xraun,  ber  im  üorfyergefjcnben  3aljre  unter 
$arl  bon  Sotfjringen  an  ber  Vertreibung  Sriebridjä  aus  33öf)men 
einen  ^eröorragenben  $lntf)eil  gefjabt,  bie  nodj  in  SBaiern  ftefjenben 
Oeftcrreidjer  an  ben  9ftain,  mäfyrenb  Aremberg  mit  einer  §eere$= 
abtfjeilung  aus  ben  Sftieberlanben  fyeranjog.  Sftadjbem  beibc  gelb= 
Ijerren  tfjre  Xruppen  in  Orb  bereinigt,  übernahm  ber  ©roßljerjog 
Sranj  ©tepljan  felbft  ben  Oberbefehl  über  biefetben.  Xie  granjofen 
ließen  c§  jebod)  $u  feiner  eigentlidjen  ©djladjt  fommen,  fonbern 
3ogcn  fitt)  unter  (leinen  ®efedjten  unb  fteten  SSerluften  über  ben 
sJtf)ein  jurürf. 

©o  mar  bie  ^aifermaf)!  jebem  fremben  ©influß  entzogen,  unb 
ba  bie  gegen  bie  SEBafjlfyanblung  erhobene  ©infpradje  beä  branben* 
burgifdjen  unb  be8  (urpfäljifdjen  ©cfanbtcn  (eine  Söcrürfjidjtigung 
fanb,  mürbe  am  13.  ©eptember  1745  „bcr  burdjlaudtfigfte  §err 
granjiSfu^  ©tepfjanuS,  £>erjog  bon  fiotfjringen  unb  93ar,  ©roß= 
^er5og  bon  Xoäfana  unb  föönig  bon  Qerufalem"  mit  ben  peben 
übrigen  ©timmen  a(8  Sranj  L  sunt  $aifer  gemault.  Xie  feier* 
lia)e  Krönung  be^  neuen  ^aiferö,  beffen  2öar)I  bon  bem  S8ol(e  mit 
3ubcl  begrüßt  morben,  erfolgte  am  4.  Cftober  in  ÖJegenmart  9J2aria 
Xfjerefia'8,  bie  eä  fta^  nic^t  {jatte  berfagen  (önnen,  fia^  ^u  berfelben 
nadj  gran(furt  ju  begeben,  unb  auf  ifjrer  fReifc  über  SRegenäburg, 
Dürnberg  unb  Slfajaffenburg  aller  Orten  mit  begeiftertem  %ubd 


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$ie  oter  Ickten  3af)re  be$  öfterreidjifdjen  (SrbfoIgefrtegeS.  397 

empfangen  worben  fear.  ber  ®rönung8jug  fid)  oom  $)ome  iu 
ben  Börner  jurüdbewegte,  gab  fie  oom  öalfon  eine*  nafjen  $aufe& 
tyerab,  auf  weldjem  fie  bemfelben  aufbaute,  burdj  ben  9tuf :  „SSioat 
ftaifer  gran$!"  baä  $eid)cn  5U  jaudfoenber  ^Begrüßung  be$  neuen 
®aifer$.  ©ie  felbft  fonnte  jebodj  burd)  (ein  Sureben  bewogen  wer- 
ben, fid)  $ur  ftaiferin  frönen  $u  laffen;  bennoa)  fährte  fie  fortan 
ben  Xitel  $aiferin*®önigin. 

SDiit  bem  2lbfd)lu|  be£  $reäbener  griebenS,  burd)  weldjeu 
bem  ©trett  unter  ben  oerfduebenen  $ftei<f)$g(iebem  ein  Ski  gefegt 
ioorben,  fyatte  ber  öfterreidjifdje  (Srbfolgefrieg  auf  beutfdjem  ©oben 
fein  ßnbe  erreia^t;  nur  in  ben  SRieberlanben  unb  in  Italien  fowie 
jur  See  bauerte  er  nodj  $wifd)en  Defterreid),  $oßanb,  (Snglanb 
unb  ©arbinien  einerfeitS  unb  granfreid)  unb  ©panien  anberer* 
feit*  fort. 

3n  ben  Sßieberlanben,  woljin  Subwig  XV.  im  2lpril  1745 
jum  anbern  Sftate  mit  einem  £eere  oon  adjtjigtaufenb  SRann  auf- 
gebrochen  mar,  oerfajaffte  ber  in  franjöftfdje  Xienfte  getretene  unb  $um 
aj^arfa^aH  oon  granfreid)  ernanute  ®raf  9ftorifc  oon  ©ad)fen, 
ein  natürlicher  ©ofm  Sluguftä  II.  (f.  ©.  242),  feinem  $ater  wie 
an  Äörperfraft  fo  aud)  an  ©ittenberberbnifj  äfmlidj,  aber  babet 
ein  auägejeidfneter  gelbfjerr,  ben  Sranjofen  burdj  eine  Steide  glän* 
jenber  3Baffentf)aten  ein  entfduebeneS  Uebergewidjt.  ©ei  bem  3)orfc 
gontenoi,  unweit  Xournai,  erfodjt  er  am  11.  9Kai  1745,  in 
einem  ber  blutigften  Xreffen  be3  ganjen  Krieges,  über  bie  oon  bem 
$ersog  oon  Sumberlanb  unb  bem  öfterreidnfdjen  gelbmarfa)all  ftönigS* 
egg  geführte  pragmatifdje  2lrmee  einen  ©ieg,  ber  aufcer  ber  lieber* 
gäbe  ber  oon  ben  granjofen  feit  längerer  Qcit  oergeblidj  belagerten 
geftung  Xournai  ben  gall  oon  ©rügge,  Dubenarbe  unb  mehrerer 
anberen  widrigen  <ßläfce  jur  golge  Ijatte. 

9tod)  ungünftiger  geftalteten  fid)  für  bie  SBerbünbeten  bie  $er^ 
fjältniffe  in  ben  SRieberlauben,  nao^bem  ber  #er$og  Don  (£umber- 
lanb  mit  einem  XfjeUe  be3  engtifajen  £eere&  jur  ©efämpfung  be& 
3afobitenaufftanbe&  naa)  CSnglanb  abberufen  worben  (f.  ©.  300). 
Sluf  bie  (Eroberung  ber  £auptftabt  ©rüffel  (20.  gebruar  1746), 
in  welaje  Subwig  XV.  am  4.  Sttai  feinen  (Sinjug  fjtelt,  folgte 
rafa)  naa)  einanber  bie  oon  aWeajeln,  ßöwen,  Antwerpen,  ÜftonS, 
ßfyarleroi  unb  SRamur,  unb  nad)  bem  blutigen  ©ieg,  ben  2Rori& 
oon  ©adjfen  am  11.  Oftober  bei  föaucour.  über  ben  Ißrinjeu 
ßarl  oon  ßotfjringen  erfodjt,  würben  bie  gefammten  öfterreityfdjen 
«Rieberlanbe  bi*  auf  ßujemburg  unb  Himburg  oon  ben  granaofen 
befefct. 

Ilm  bie  ©eneralftaaten  jum  grieben  ju  jwingen,  ließ  öub- 
wig  XV.  im  Slpril  1747  feine  Xruppen  in  bad  ^ottönbija^e  Ge- 
biet einrüefen  unb  gab  baburd)  Seranlaffung  ju  einem  ä^nliajen 


398 


$er  Öfterrcicf)i)cf)e  gv&folgcfrieg. 


Umfdjmung  in  bcn  SBerhäftniffen  ber  föepublif,  tote  bteS  ßub* 
toig  XIV.  burcfj  feinen  (Einbruch  im  3flhrc  M>7%  gethan  (f.  S.  68). 
9iad}  bem  Xobe  SBilhelmS  III. ,  ber  auch  als  Äouig  oon  (Englanb 
bie  Statthaltermürbe  beibehielt ,  ^atte  in  ben  Sfcicberlanben  bie 
ariftofratifche  Partei  über  bie  oranifdje  baS  llebergemicht  erlangt 
unb  im  Jfaljre  1703  bie  Slbfdjaffung  ber  (Erbftatthattermürbe  burch* 
gefegt,  bie  SBilfjelm  III.  oergebenS  feinem  Detter  Qo^ann  Wilhelm 
t)on  9caffau*Dranien  aus  bem  £>aufe  Sfcaffau^tefo,  bem  Statthalter 
Don  grieSlanb  unb  ©röningen,  $u  fiebern  gefugt.  So  mar  bie  obere 
£eitung  ber  gefammten  nieberlänbifchen  $olitif  mieber  an  ben  ©roß* 
ober  SRatfj&penfionär  jurücfgefommen.  $er  ungünftige  Serlauf  beS 
Kriege*,  in  meieren  fidj  bie  SRepublif  als  BunbeSgenoffe  Defterreid)3 
«mgelaffen,  fyattt  jebodj  baS  SSolf  gegen  bie  ^errfct)cnbc  ariftorra* 
tifdje  Partei  erbittert,  unb  ba  bie  Anhänger  beS  $>aufeS  Oranien 
nic^t  ermangelten,  biefe  (Erbitterung  ju  frören  unb  bie  SBieberher* 
ftellung  ber  (Erbftatthalterfchaft  als  baS  einzige  SJftttel  $ur  Rettung 
ber  SRepublif  ju  bezeichnen ,  mürbe  ber  $rin&  SBtlhelm  oon  Dra* 
nien,  ber  Sohn  beS  obengenannten  3°hann  Söilhelm  unb  gleich 
fem  Statthalter  oon  JjfrieSlanb  unb  (Kröningen,  am  2.  Wlai  1727, 
unter  eifriger  SRitmirfung  ©eorgS  II.  oon  (Englanb,  feines  Schmie» 
<jeroaterS,  oon  fämmtlichen  ^rooinjen  als  SBilhelm  IV.  $um 
ÖJeneralftatthalter ,  (Keneralfapitän  unb  Oberabmiral  oon  £>ouanb 
ernannt  unb  im  3öhre  1748  bie  Statthaltermitrbe  auch  in  meib* 
licher  Sinie  für  erblich  erttärt,  woburch  bie  SRepubltf  thatfächlich  jur 
(Erbmonarchie  mürbe. 

3nbeffen  mar  auch  ocr  neue  Statthalter — ein  leutfeücjer,  reb= 
licher  ÜWann ,  ber  Vichts  oon  ber  ©emanbtheit  unb  Sßerfdjloffenhett 
beS  erften,  noch  oon  ber  Lauheit  unb  Derbheit  beS  britten  SBil* 
heim,  aber  auch  Vichts  oon  ber  ftriegStüchtigteit  Leiber  befaß  — 
nicht  im  Stanbe,  ben  Sortfehritten  ber  granjofen  (Einhalt  ju  thun. 
Hm  2.  3uli  1747  erfocht  2)?ori^  oon  Sadjfen  bei  bem  5)orfe  ßattM 
f  e  1  b  einen  neuen  großen  Sieg  über  ben  .peqog  oon  (£umberlanb, 
beffen  sJfteberlage  ben  granjofen  ben  2Beg  zur  Belagerung  oon 
2Kaftricht  bahnte,  baS  ihnen  im  üttai  1748  in  bie  £änbe  fiel.  Sluch 
baS  wichtige  Bergen  op  Qoom  mürbe  in  ber  flacht  oom  5.  auf 
ben  6.  September  1747  burefj  ben  franjöpfchen  gelbherrn  ßömen» 
thal  erftürmt. 

3n  ^tnlicn  mar  ber  ftrieg  jmifchen  Spanien  unb  Defter* 
reia)  feit  bem  $ahre  1742  mit  abmechfelnbem  ®lücf  gefuhrt  mor* 
ben.  $a  es  ftd)  babei  für  Spanien  junädrft  um  bie  Befi&ergrei* 
fung  oon  $arma  unb  $iacen$a  hobelte,  bie  ihm  in  bem  Sfcom* 
phenburger  Bünbnijj  als  Söeuteantheil  an  ber  ju  jerftücfelnben 
öfterreieftifchen  Monarchie  juerfannt  morben,  mar  baS  nörbliche 
Italien  in  ber  erften  Qt\t  ber  #auptfd>auplaj  beS  Krieges,  Jöon 


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S)te  bier  legten  3al)rc  be*  öfterreidjif  d>en  (Sr&folgefriege*.  399 


entfd)eibenber  2ßid)tigfeit  erfdjien  bic  Stellung ,  bie  ber  ßönig  $arl 
Immanuel  oon  Sarbinien  ju  ben  beiben  Parteien  nehmen  merbe, 
ba  er  nic^t  nur  über  breijjigtaufenb  Sttann  gutgefdjulter  Xruppen 
verfügte,  fonbern  audj  bte  Sdjlüffel  $u  Qtalten  in  feiner  £>anb 
r)atte ;  für  ifyn  felbft  aber  mar  nidjt*  Rubere*  ma&ßebenb  al*  ber 
grö&ere  93ort^cil ,  unb  ba  er  biefen  auf  ber  Seite  Defterreid)*  ju 
finben  glaubte,  fd)lo&  er,  nadjbem  er  fid)  Anfang*  Spanien  genä- 
hert, am  1.  Sebruar  1742  mit  SDfaria  $l)erefia  einen  Vertrag,  in 
lucldjem  er  gegen  bie  Abtretung  atte*  meftlid)  uont  Xeffino  gelegenen 
Sanbe*  bie  Operationen  be*  öfterreidjijdjen  Speere* ,  ba*  unter  bem 
©rafen  ©raun  in  Qtatien  erfdnenen  mar,  mit  feiner  gefammten 
®rieg*madjt  ju  unterftüfcen  oerfprad).  55a  ber  £>er$og  oon  9ftobena 
fid)  in*gefjeim  an  Spanien  angefeftfoffen  tyatte,  befefcten  Xraun  unb 
$arl  Immanuel  beffen  (Gebiet,  worauf  ber  £>er$og  fid)  nad)  SBenebtg 
jurüdjog.  3"  btx  gleiten  Seit  (Sluguft  1742)  mürbe  ber  ®ömg 
$arl  IH.  oon  Neapel,  ber  bereit*  jmölftaufenb  Sttann  511  bem  im 
$ird)enftaate  ftefyenben  fpanifdjen  |>eere  unter  bem*.jper$og  Sttonte* 
mar  (jatte  ftofjen  laffen,  burd)  ein  engttfdje*  ©cfdnoaber ,  ba*  uner- 
martet  in  ber  Söudjt  uon  Neapel  crfct)icn  unb  bie  Stabt  mit  einem 
Söombarbement  bebrof)te,  jur  Surüdberufung  fetner  ©ruppen  unb 
$ur  3ufid)erung  unbebingter  Neutralität  gejmungen.  dagegen  brofjte 
®arl  Emmanuel  üon  Sarbinien  im  folgenben  3afjre,  burd)  glän= 
jenbe  Slnerbietungen  oon  Seiten  granfreid)*  unb  Spanien*  berlorft, 
oon  Defterreid)  abjufaflen,  unb  fonnte  nur  burdj  neue  ©ebiet*ab* 
tretungen,  511  betten  9#aria  ©l)erefta  fid)  auf  ba*  ©rängen  Eng* 
lanb*  entflog ,  jur  Erneuerung  be*  eingegangenen  iöünbniffe*  be* 
mögen  merben. 

3m  3af>re  1744  führte  ber  öefdjt,  ben  9ttaria  ©fjerefia  bem 
Sürften  Sobfornifc,  bem  SRadjfolger  ©raun*  im  Dberfommanbo  über 
bie  in  Stefan  fteljenben  öftcrreidjifdjen  ©nippen,  jum  Sinrütfen  in 
ba*  Äönigreid)  Neapel  gegeben  fjatte,  ben  #önig  $arl  III.  auf  ben 
#rieg*jd)aupla|j  jurütf,  worauf  im  mittleren  Statten  ernfte  kämpfe 
ftattfanben,  bi*  ftd)  fiobfomifc  im  Huguft  1744  genötigt  faf) ,  fidj 
mit  ber  öftemidufdjen  ^pauptmaajt  nad?  bem  Horben  jurüdjujie^en, 
um  bem  ton  Spaniern  unb  granjojen  ferner  bebrängten  $önig  oon 
Sarbinien  $u  £ilfe  ju  fommen. 

©er  Selbjug  be*  3af)re*  1745  öerlief  für  bie  oerbunbeten 
Defterreidjer  unb  Sarbinier  nod)  ungünftiger,  ba  nid)t  nur  granf* 
reid)  unb  Spanien  im  Söunbe  mit  Neapel  unb  Sttobena  bebeuten* 
bere  Streitträfte  in  ben  $ampf  führten,  fonbern  aud)  ©enua  fidj 
ber  SUttanj  gegen  Defterreid)  angefdjlojfen  Ijatte.  2Bäf)renb  ber 
Äönig  oon  Sarbinien  burd)  ben  9JtarfdmlI  üRaiUeboi*  bi*  nadf) 
©urin  jurüdgebrängt  mürbe,  befefte  ber  Snfant  $on  ^^üipp  mit 
äner  fpanifa^'franjöfifc^en  i>eere*abtfjeilung  nia)t  nur  ^arrna  unb 


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400 


$cr  5fteaei$tf{$e  (5rbfoigerrieg. 


^iacenja,  fonbern  auch  einen  großen  Xfjeil  beS  toSfanifchen  unb 
matfänbifchen  ©ebietc^ ,  unb  In'ett  am  19.  ^ejember  feinen  ©injug 
in  SKailanb,  too  ihm  ttrie  bem  rechtmäßigen  $>errfdjer  get)ulbtgt 
mürbe. 

Statten  festen  für  Ocfterreidj  oerloren  unb  jroar  um  fo  fidjerer, 
als  ber  ®onig  öon  ©arbinien  abermals  burd)  bie  £>öfe  Don  SBer- 
faitleS  unb  ÜKabrib  in  ber  Xreue  gegen  feinen  bisherigen  23unbeS= 
genoffen  manfenb  gemacht  toorben  mar.  Qnbeffen  bemog  bie  ©eforgniß, 
nacr)  ber  Vertreibung  ber  Cefterreidjer  anS  Italien  in  öoüftänbige 
^(b^ängigfeit  Don  ben  Söourbonen  ju  geraden ,  ben  ®ömg  ®arl 
©mmanticr,  fein  53ünbniß  mit  Sttaria  X^erefia  aufregt  ju  galten, 
unb  ber  ©ieg,  ben  bie  £)efterreid)er  unter  bem  gürften  ßidjtenftein 
am  16.  Quni  1746  bei  ^iacenja  über  baS  fpanifd)*fran$ö* 
fifct)e  $cer  unter  QJageS  unb  üttailleboiS  erfochten,  entriß  ihren 
(Gegnern  bie  meiften  ber  im  oorf)crgcr)enben  Qafyxt  errungenen  S8or- 
tt)etlc.  Öfenua  fclbft  fiel  am  5.  ©cptem6cr  in  bie  $änbe  ber  Qefter* 
reifer ,  unb  fcfjon  ftanben  biefclben  im  begriffe ,  burd)  einen  @in= 
fall  in  bie  s$rooence  ben  ßxieg  nach  granfreid)  hinüber  ju  tragen, 
als  pe  burd)  einen  SBolfSaufftanb  roieber  aus  ©enua  oerrriebert 
mürben. 

Unterbeffen  r)atte  ber  Xob  ^htfippS  V.  oon  ©panien  (9.  Quli 
1746)  in  bem  Verhalten  beS  £)ofeS  oon  Sftabrib  eine  für  Defter* 
reich  günftige  Slenberung  herbeigeführt,  inbem  ber  neue  ®önig, 
gerbinanb  VI.  (1746—1759)  feine  Öuft  trug,  bie  Gräfte  feines 
ÖanbeS  noer)  mehr  ju  erfd)öpfen,  um  feinem  ©ttefbruber  ^p^itt^»p 
(Gebiete  in  Italien  ju  erobern,  unb  bafjer  ben  $tieg  in  biefem 
£anbc  mit  ungleich  geringerem  (Sifer  betrieb,  als  cS  feine  ©rief= 
mutter  getfjan,  beren  §crrjcf)aft  mit  bem  Xobe  ^3t)Utppö  V.  ü)r  (Snbe 
erreicht  rmtte. 

2lucf)  jur  rareren  Herbeiführung  beS  griebenS  mirfte  ber 
Xhronmccx)feI  in  Spanien  mit,  inbem  Serbinanb  VI.  buref)  feine 
(Gemahlin,  eine  portugiefifdje  ^ßrinjeffin,  ju  einer  Slnnäherung  an 
©nglanb  bemogen  mürbe,  tiefer  Umftanb ,  oerbunben  mit  bem 
©chaben,  ben  bie  ©nglänber  ber  ©eemad)t  unb  bem  $>anbel  ber 
granjofen  buret)  erfolgreiche  Angriffe  auf  bereu  Kriegs*  unb  $auf= 
fahrteifchiffe  zufügten,  unb-  ber  immer  fühlbarer  roerbenben  (£r* 
fchöpfung,  marfjte  auch  oen  §of  üon  VerfailleS  jum  grieben  geneigt, 
unb  ba  bei  ben  übrigen  friegführenben  dächten  baS  griebenS* 
bebürfmß  nicht  minber  groß  mar,  trat  im  2ttär$  1748  $u  dachen 
ein  griebenSfongreß  jufammen.  ©chon  am  30.  9lpril  hotte  man 
fief)  über  bie  Präliminarien  geeinigt ;  ber  bepnitioe  griebe  mürbe 
jeboch  erft  am  18.  £f tober  —  hunocrt  3°^  oem  toeftfäü* 
fehen  grieben  —  unterzeichnet.  $ie  GJrunbfage  beSfelben  bilbete 
bie  gegenfeitige  SSiebererftattung  aller  gemachten  Eroberungen,  mit 


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Ocftcrr.  u.  ?reuß.  nad)  b.  öfterr.  (Srbfolgetricfl.  —  SRar.  3^ct.  als  ftegentin.  401 

alleiniger  Ausnahme  bon  $arma  unb  $iacen$a,  bicr  nebft  bcm 
Keinen,  feit  bem  3af)rc  1746  burch  ben  lob  beS  finberlofen  ptx* 
&og3  3<>fa>h  au&  einer  Seitenlinie  be3  £>aufe*  ©onjaga  erlebigten 
^ersogt^nm  ®uaftada ,  als  ein  neuer,  felbftftänbiger  ©taat  bem 
fpanif^en  3nfonten  X>on  $^Uipp ,  bem  ©ohne  ber  ©(ifabeth  SJar* 
nefe,  juerfannt  würben.  $em  Äönig  bon  ©arbinien  öerblieb  ber 
toeftUd)  bom  Xeffino  gelegene  Xheil  be3  #erjogthumä  SRatfanb. 
X)iefe  Gebiete  maren ,  nebft  bem  größten  Xheile  bon  ©Rieften  unb 
ber  ©raffäaft  ©lafc,  bie  «erlufte,  mit  welchen  SKoria  Xherefia  au* 
bem  großen,  jur  3crtrümmemng  ber  öfterreic^ifc^en  SRonarchie 
unternommenen  Kriege  hervorging. 


xxin. 

©efferreta)  unb  ^freuten  naa)  bem  ofterretdiifefiett  grö- 

fofgeftriege. 

(1748-1756.) 

SDtaria  2fjerefta  al$  ftegentin- 

£aben  mir  bie  fjo^erjige  Xodjter  #arl$  VI.  im  Kampfe  um 
ihr  bäterlidjcä  Srbe  mit  männlichem  SDtuthe  ihren  jahfreichen  <£eg* 
nem  bie  ©tirne  bieten  unb  auch  inmitten  ber  gcfät)rticr)ften  ©türme 
bie  5afme  Defterreich$  f)oc$t)alten  fefjen,  fo  jeigt  fie  fich  nach  bem* 
felben  nict)t  minber  groß  unb  bewunberungSWürbig  in  ihrem  frieb* 
liehen  SSMrfen  für  bie  Hebung  ber  inneren  ftraft  ihres  Meiches  unb 
für  bie  SBeglücfang  ihrer  Sölfer.  „$er  ©rfotg,"  fagt  SSetß,  chatte 
9ftaria  Xherefia  nicht  geblenbet,  ber  3ubel  ber  Änerfennung  fie 
nicht  übermütig  gemacht.  $er  STnfer,  ber  fie  fefthielt,  wo  fo  SBiete 
geftrauchelt  wären,  blieb  il)r  tiefe*  Pflichtgefühl,  gern  bon  fträfUdjer 
3ut)erftd^t,  mar  fie  immer  bor  jid)  felber  auf  ber  #ut  unb  fürchtete, 
auf  ihrer  ferneren  ßaufbahn  ju  wanfen  unb  nach  «ficnb  einer 
©eite  hin  Unrecht  ju  thun." 

$ie  SRaßregeln,  burch  welche  SJtoria  Xherefia  bie  innere 
Kräftigung  ber  öfterreichifchen  STconardue  ju  bewerfftelligen  unb 
ba$  SS?ohl  ihrer  Unterthanen  gu  förbem  ^offtc ,  beftanben  in  einer 
größeren  (Eentralifation  ber  SBerWaltung  mit  möglichfter  ©chonung 
alter  gormen  unb  Ueberlieferungen ,  in  ber  STufbefferung  ber  (£toü* 
unb  ©trafredjtSpflege ,  beS  ßriegS*,  ginanj*  unb  Unterricf)t3wefenS 
burch  he^fame  un°  seitgemäße  Reformen,  wobei  fie  jeboch  mit 
großer  SSorfidjt  unb  ruhiger  Ueberlegung  ju  SBerfe  ging  unb  bem 
„guten  ^erfornmen"  öietätbott  Rechnung  trug,  fomie  in  ber  eifrige 

$olatoait$,  SSeltfle^tc,  VI.  26 


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402   Defterreidj  unb  ^reufeen  nadj  bcm  öftcrreid)ijd)en  (Srbfolgefriege. 

ficn  Sürforge  für  bic  Hebung  beä  #anbel«  unb  bcr  Qnbuftrie  unb 
für  bic  Crrletdjterung  be3  üoofcd  bcr  Sanbbeoölferung  burd)  bic 
2)ftlberung  bcr  grofmbienfte. 

$)er  Ijeröorragenbfie  9tatt)geber  bcr  ®aiferin  in  bcr  $urd)= 
füt)rung  bcr  mciftcn  bicfcr  SJca&regeln  mar  bcr  ®raf  $  a  u  g  m  i  |j, 
ein  ©djlefter,  bcr  unter  ifjrem  sBater  SRatt)  bei  bem  Cberaintc  in 
Jöreälau  gemejen  unb  in  beffen  6taatäflugt)eit  ftc  Iwuptjädjlid}  befc 
I)alb  ein  unbebtngteä  Vertrauen  jefote,  »eil  bic  )öorfid)t,  bic  er  tt)r 
nadj  bcm  8bfd)lui  beä  griebenä  oon  Söreälau  gegen  roeitere  ©robe* 
rungSpläne  be3  ÄönigS  oon  <ßreuf$en  anempfohlen,  ftd)  als  notlj* 
roenbig  ^erauägeftellt  Imtte  unb  alleä,  toaä  er  it)r  barüber  oorau** 
gejagt,  in  (Erfüllung  gegangen  mar.  s2ludj  jefct  mahnte  er  fie  auf 
baä  (Einbringlidjfte,  fid)  burd)  bie  (Erdung  itjrer  Streitfräfte  unb 
eine  angemeffene  föeorganijation  beä  §cermefenS  für  bie  ©oentualität 
eine«  neuen  Ifriegeä  bereit  $u  galten.  2)ic  ßaijerin  befolgte  biejen 
9latr)f  unb  ba  man  es  in  Söicn  nid)t  für  eine  (Srniebrigung  Inelt, 
aud)  oon  bem  Seinbe  $u  lernen,  mürben  oiele  (Stnriaptungen  be$ 
prcuBifajen  ^eermejenä  in  baä  öfterreidjijdje  aufgenommen.  )8ejon» 
ber3  mürben  t)aufigc  gelblager  abgehalten,  ba  man  barin  ba3  befte 
■Drittel  jur  §eranbilbung  friegStüdjtiger  Gruppen  erfanntc.  £>abei 
Ijielt  bic  ftaiferin,  bie  biejen  Uebungcn  perfönlid)  beijumo^nen  pflegte, 
ftrenge  barauf,  baß  it)re  ©olbaten  menjdjlidj  befmnbelt  mürben,  unb 
erjjö^tc  babura)  beren  Slnt)anglid)feit  au  it)re  $errjd)erin.  „$art 
märe  eä,"  fo  meinte  fie,  „menn  man  joldje  ßeutc  ate  mic  Sflaoen 
hielte,  ©in  oöüig  ber  SKeinung,  ba&  jemefjr  3reit)eit  gelaffen  mirb, 
befto  metjr  man  auf  jolcfje  ^eute  trauen  fann."  3n  jeber  öe^ieljung 
mar  fie  bemüht  ben  ©olbatenftanb  au3$uäetdmen  unb  ju  einem  et)ren* 
Collen  ju  machen ;  bod)  bulbetc  fie  nidjt  bic  geringste  (Erhebung  bed= 
jclbeu  auf  Soften  frieblict)er  ^Bürger. 

Um  ein  tüchtige»  Dffijicrforp*  t)eransubilben,  grünbete  2Raria 
Sj&erejia  im  Qaljre  1752  bic  3Jcilitärafabemie  ju  SBtener^leuftabt, 
mit  einer  ißorfdmle  für  fmnbert  arme  abelige  Knaben  ober  ©ötme 
oon  Offizieren,  unb  im  3at)re  1754  aud)  in  Söien  eine  2Hilitär= 
afabemic.  Selbft  it)r  (Gegner  griebrid)  II.  fonnte  nia^t  umfun, 
it)rem  erfolgreichen  SSirfen  für  bie  £ebung  beä  bfterreidHjdfcn 
äftilitärmefend  QJeredjttgfeit  roiberfatjren  ju  laffen.  „Xie  ftaiferin", 
jagt  er,  „t)atte  im  öorigen  Kriege  bie  9tott)menbigfeit  einer  befjeren 
&ricg$jud)t  eingejefyen.  6ie  mäfylte  tljätige  ©enerale,  meldje  ge- 
jdjirft  maren,  ilriegdjua)t  unter  ben  Xruppen  einzuführen ;  bie  alten 
uub  für  ben  3)ienft  i^rcr  ©teUeu  untüa^tigen  Offiziere  mürben  auf 
^enfion  gefegt  unb  an  it)rer  8tcüc  junge  ücutc  oon  'Staube  ange> 
(teilt,  bie  oofi  @ifer  unb  ooll  Üiebc  jum  ßtiegäbienft  maren.  3lüc 
Qat;rc  mürben  itager  in  ben  ^rooinjen  errietet,  in  melden  bic 
Gruppen  oon  3njpeftionä*!8eöoUmädjtigten ,  bie  mit  ben  großen 


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Waxia  Sherefta  als  Rcgentin. 


403 


#riegSmanöüern  fet)r  mohl  befannt  waren,  geübt  mürben;  bie 
fi-atferin  begab  fia?  felbft  oerfduebene  Sftale  in  bie  £ager  bei  $rag 
unb  Olmüfc,  um  bie  Xruppen  burd)  ihre  ©egenmart  unb  ihre  Srei* 
gebigfett  anzufeuern.  Keffer  als  irgenb  ein  ftürft  öerftanb  fie  eS, 
jene  (Sljrenjeidjen,  auf  meldte  man  einen  fo  h°h*n  SBerth  legt, 
geltenb  ju  machen ;  fte  belohnte  bie  Cffijiere,  meiere  ihr  bon  ihren 
(Generalen  empfohlen  maren,  unb  fo  ermetfte  fte  überaß  SSett* 
eifer.  Unter  ber  Seitung  beS  Surften  Siajtenftein  bilbete  fta)  eine 
eigene  ©djule  ber  Slrtifleric ;  er  brachte  btefeS  #orpS  auf  fedjS  Ba* 
taillone,  ben  (Gebrauch  ber  Kanonen  aber  ju  einem  bisher  gan$  un* 
erhörten  ©rabe." 

Um  bie  einnahmen  beS  (Staates  bem  gefteigerten  Bebürfnif? 
entfpredjenb  ju  erhöhen,  mürben  bie  abeligen  Orunbbefifcer,  bie  bis 
bafun  fteuerfrei  gemefen,  in  ber  gleiten  Söeife  mie  bie  Bauern, 
menn  auch  $u  einem  anbern  ^rocentfafc,  ju  ben  Abgaben  herange* 
sogen  unb  aufeerbem  in  baS  gefammte  Sinan^mefen,  auf  ben  Bor* 
fdjlag  beS  ©rafen  #augmi(j,  fo  treffliche  Reformen  eingeführt,  baß 
bie  ©taatSeinfunfte  unter  Üftaria  Dherejia,  trofc  beS  BerlufteS  bon 
©djleften  unb  ber  italienifchen  Jper$ogtl)ümer,  noch  einmal  fo  oiel 
betrugen,  als  unter  $arl  VI. 

Die  Rechtspflege  mürbe  unter  üflaria  £f)ercfta  bebeutenb  ge* 
hoben  burch  bie  Trennung  berfelben  öon  ber  Bertualtung  unb  burch 
bie  (Einführung  einer  neuen,  für  fämmtliche  beutfehen  ©rblänber 
giltigen  ®erichtSorbnung ,  burch  meldte  inSbefonbere  eine  rafchere 
(Srlebigung  ber  ^rojeffe  ermöglicht  mürbe.  3ur  Durchführung  ber 
neuen  RegierungSgrunbiä(}e  mürben  bie  ®reisämter  ins  Seben  ge* 
rufen.  Den  ÄreiShauptleuten  lag  nach  ber  ^nftruftion  ber  ®ai* 
ferin,  bie  Pflicht  ob,  „ein  forgfältigeS  Slugenmerf  $u  richten  auf  bie 
reine  Beibehaltung  unb  Sortpflanzung  ber  fatholifdjen  Religion  unb 
auf  ^Ibftedung  alles  ärgerlichen  unb  lafterhaften  ßebenS;  bie  reifere 
3ugenb  junt  Befuch  ber  (Sljriftenlefjre  anzuhalten  unb  namentlich 
für  bie  chriftliche  unb  ehrbare  (Erziehung  ber  3ugenb  emfige  ©org« 
falt  ju  tragen ;  ©tragen  unb  253ege  in  gutem  ©tanb  ju  galten  unb 
bie  Beüölferung  oor  ©törung  ber  Ruhe,  oor  Betrug  burch  fal)d)eS 
9)ca6  unb  ©emicht  unb  oor  Bergeroaltigung  burch  ^errfc^aftlic^e 
Beamte  ju  frfju^en." 

Die  in  baS  UnterrichtSmefen  eingeführten  Reformen  belogen 
fich  ebenfomohl  auf  bie  Boltefchulen,  bei  melchen  bie  $aiferin  be* 
fonberS  auf  bie  Slnfteöung  „anftänbiger  unb  genugfam  erfahrener 
©chulmeifter"  braug,  als  auf  bie  höheren  BilbungSanftalten.  Bei 
ben  Sftittelfchulen  f)\tU  bie  $aiferin  »befonberS  auf  grünblicheS 
SBiffen  im  Satein  unb  fehlerlofen  ©ebraud)  ber  beutfehen  ©prache; 
nufclofe  ©ebächtni&übungen  fottten  unterbleiben,  bagegen  bie  ©chü* 
ler  an  felbftftänbigeS  Denfen  gemöhnt  merben.    3ur  #cranbil= 

26* 


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404   Cefterreid)  unb  «ßreufeen  nach  bem  öfterrcidjifdjat  (JrbfolgeFriege. 

bung  cincS  tüchtigen  ©emerbftanbeS  würben  Slnftalten  gegrünber, 
für  welche,  in  ähnlicher  SBcifc  wie  für  unfere  ftealfchulen ,  8ritt> 
metif,  Geometrie,  ?^pf,  2flechanif,  Seltnen,  Buchhaltung  unb 
Äorrefponbenj,  #anbelswiffenfchaft ,  ÖJefchichte  unb  ®eograpfne  als 
£et)rfächer  bejetc|net  waren.  Um  bem  weniger  bemittelten  Slbcl 
(Gelegenheit  ju  bieten,  feine  ©öfjne  ju  üerwcnbbaren  Staatäbienern 
auäbtlben  ju  laffen ,  grünbete  bie  ßatferin  in  ihrem  fiuftfchloffe 
gaöorita  baS  fogenannte  „Xherefianum"  unb  §ur  Sörberung  be£ 
biploinatifchen  SBerfehrS  mit  ber  Xürfei  bie  „orientalifche  Wabemie", 
511  melier  fte  burch  ben  Qefuiten  3ofcpö  granj  ben  $lan  f>arte 
entwerfen  laffen.  2Cuc^  bie  #ebung  ber  UniöerfttätSftubien  lag  ber 
ßaiferin  fcr)r  am  £er$en;  inSbefonbere  harte  fte  fic^  bie  Aufgabe 
geftellt ,  bie  juriftifche  gafultät  $u  folajer  SBlüttje  $u  bringen  r  bafj 
feine  $ochfchule  ©uropa'S  fidt)  ^croorragenberer  föechtSgelehrten 
rühmen  bürfe. 

$rofc  it)rer  wahren  unb  innigen  Srömmigfcit  lieg  ftd)  SKaria 
I^erefia  burdj  ben  fpäter  (1764)  in  ben  gürftenftanb  erhobenen 
©rafen  $  a  u  n  i  ,  ber  auf  bem  SriebenSfongrefj  ju  Slawen  bie 
igntereffen  DefterreichS  mit  CrHfer  unb  ©ewanbthett  »erfochten  unb 
nac^  oem  SriebcnSfchluß  Don  3Jcaria  %fyttt[ia  $um  StaatSminifter 
ernannt  warben,  fowie  burdj  ihren  £eibar$t,  ben  .£>ollänber  oan 
Swieten,  unb  anbere,  gleich  biefen  Reiben  ber  materiellen  SRid)5 
tung  beS  «S^alterS  ^ulbigenbe  Beamten  ju  üerfchtebenen  Schritten 
oerleiten,  bie  ben  fatholifchen  Qntereffen  unb  ben  päpftlicfjen  9Jecr)- 
ten  gleichmäßig  nachtheilig  waren,  unb  gerieth  baburdj  in  ein  ge= 
fpannteS  SBcrhältnifc  ju  bem  apoftolifchen  ©ruhle;  baSfelbe  würbe 
jeboch  unter  SÖenebift  XIV.  wieber  öollftänbig  ausgeglichen.  (Segen 
bie  ^ßroteftanten  bewies  ftch  bie  föaiferin  bulbfam ;  fie  ficherte  ihnen 
ben  JÖottgenuß  ihrer  fechte  ju  unb  geigte  fich  allen  gegrünbeten 
iöcfchwerben  öon  ihrer  Seite  jugänglich ;  bod)  oerbat  fie  fich  i&t 
iöerwenbung  frember  ÖJefanbtcn  für  fte. 

3u  ber  2Bat)l  ihrer  öertrauten  ?Rätr)e  war  Sftaria  Xherefia 
immer  glüeflich;  feiten  würbe  fie  getäufcht.  Qnbcffert  gewann  feiner 
ihrer  Sftinifter  einen  überwiegenben  Einfluß  auf  fte:  fie  liefe  fich 
überjengen ,  aber  nie  in  einer  il)re  @elbftftänbigfeit  beeinträchtigen* 
bett  28ei)e  leiten.  3n  ihrer  unermüblichen  Xhätiateit,  wie  in  ihrem 
raftlofen  (Stfer  für  baS  2Bol)l  ihrer  Untertanen  blieb  fie  fich  *hr 
gatt$eS  £eben  lang  gleich-  3m  Sommer  ftanb  fte  fchon  um  fünf, 
im  SBinter  um  fcd)3  Uhr  auf,  fleibete  ftch  m$  ihrem  Üftorgengc* 
bete  ooQftänbig  an,  wohnte  in  ihrer  Capelle  einer  ^eiligen  QJicffe 
bei ,  frühftücfte  unb  wibmetc  bann  ben  größten  Ityxi  5e8  XageS 
ben  ©efchäften.  3cbcn  SRorgen  um  10  Uhr  fonnten  Sitte,  bie  eine 
s8ittfd)rift  311  überreichen  hatten»  bei  ihr  2(ubien$  erlangen,  unb  ba* 
bei  geftattete  bie  leutselige  ®aiferin  ben  ©ittftettern ,  ihr  ganzes 


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SRaria  Xljercfia  als  3*egentin. 


405 


£>erj  bor  ihr  auS juf djütten.  ©o  Behielt  fte  ftetS  gühlung  mit 
ihrem  Softe  unb  blieb  für  baSfelbe  ber  ©egenftanb  ber  Ijödrftctt 
Verehrung  rote  ber  unerfd)ütterlid)ften  oertrauenSoollften  Slnhäng* 
lichfeit. 

Obgleich  HRaria  X^crcpa  ihren  ®emahl  jum  OTtregenten  er* 
nannt  $atte,  nahm  berfelbe  an  ben  föegierungSgefchäften  feinerlei 
Slntheil,  mie  er  auch  als  ßaifer  in  bie  verfahrenen  93erhältniffe 
t>eS  SRcic^cö  in  feiner  Seife  entfdjeibenb  eingriff.  Sem  üon  jebem 
(Sfjrgeia  unb  ohne  jebmebe  Neigung,  fich  in  bie  ©taatSangelegen* 
Reiten  rinjumifchen ,  babei  jugleich ,  im  (Begenfafce  ju  ben  lefcten 
$absburgera,  ein  entfehiebener  geinb  aller  ©tiquette,  gefiel  er  ftd) 
fogar  barin,  öffentlich  $u  aeigen,  ba&  er  fich  am  SBiener  &ofe  nur 
ülS  ^rioatmann  betrachte.  2llS  eines  XageS  bie  ßaiferin  eine 
feierliche  2Iubien$  erteilte ,  50g  er  fich  in  eine  (Scfe  beS  ©aale« 
äurücf ,  too  er  fich  neben  jn?ei  tarnen  nieberlief?.  2>iefe  mollten 
fogleich  auffielen;  er  fu'ri*  ftc  i&od)  jurücf  mit  ben  ©orten: 
„Achten  Sie  nicht  auf  mich ;  ich  »itt  hier  bleiben,  bis  ber  $of  fich 
juriicfjieht,  unb  mich  ön  ocm  Ablief  ber  Spenge  ergöfcen."  2llS 
«ine  ber  Damen  ihm  bemerfte,  ber  #of  fei  ba,  too  ©eine  faifer* 
liehe  SRajeftat  fich  befinbe,  ermiberte  er  ladjelnb:  „©ie  irren  ffch; 
tue  Äaiferin  unb  meine  SHnber  machen  ben  $of  aus ;  ich  bin  hier 
■nur  ^riüatmann." 

UebrigenS  mar  bie  <£he  ber  ßaiferin  eine  feljr  glüefliche,  unb 
nie  tuurbe  baS  gute  ©nöernehmen  jroifchen  ben  beiben  (Batten  burch 
t>ie  SSerfchiebenheit  ber  ©haraftere  unb  Slnfdjauungen  geftört.  Unb 
lme  über  ben  häuslichen  g rieben,  fo  machte  Sflaria  Ztyxtfia  mit 
ihrem  feinen  ©efühl  für  alles  ©ittlidje  unb  ©ittige  auch  über  bie 
&%xt  beS  ®aiferhofeS,  ber  unter  ihr  baS  gleiche  ©Üb  ber  ©itten= 
teinheit  unb  SBürbe  barbot  ,  nrie  in  ber  guten  alten  Qtit  £aS 
©djaufmel  unb  bie  Xonfunft  mürben  an  bemfelben  ebenfo  gut  ge= 
pflegt,  mie  an  bem  #ofe  griebrichS  II.  SnSbefonbere  roar  bie 
$aiferin ,  bie  felbft  eine  mohlflingenbe ,  gut  gefchulte  ©timme  be* 
fafj,  eine  greunbin  unb  Sennerin  ber  SDßufif,  mefchalb  fie  auch  an 
Goncerten  ein  großes  Vergnügen  fanb.  3;nbeffcn  famen  glän$enbe 
gefte  am  SSiener  £ofe ,  namentlich  in  ben  fpäteren  fltcgierungS* 
jähren  Hftaria  %$ettf\a'$ ,  nur  bei  befonberen  (Gelegenheiten  oor. 
5J)ie  Äaiferin  fühlte  fein  93ebürfni6  nach  geraufchöoflen  3erftreuungen 
unb  fanb  ihre  (Erholung  im  gamilienfretfe.  $uch  toar  ihr  ©inn 
faft  auSfchliefjlich  auf  bie  SRegierungSangelegenheitcn  unb  bie  (£r= 
giehung  ihrer  ßinber  gerichtet ,  benen  fie  jmar  eine  järtliche ,  ju» 
gleich  aber  auch  eine  ftrenge  SKutter  mar. 

Sftaria  XhcrePa  fßnnte  feine  anberen  perfönlichen  geinbe,  als 
bie  beS  ©taateS.  Sine  enti'riji ebene  Abneigung  liegte  fie  gegen 
griebrich  TL,  unb  $roar  nicht  nur  aus  poUtifchcn  ©runben,  fonbem 


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406   Oefterreiß  unb  Greußen  naß  "bem  öfterretßifßen  (Srbfolgefriege. 

meil  fein  ganzes  SBefen,  baS  ju  bem  irrigen  einen  fßarfen  ®on^ 
traft  bilbete,  Ujr  antipatfn'fß  mar  unb  feine  polittfßen  mie  feine 
religiöfen  5lnfßauungen  unb  ®runbfäfce  if)re  eigenen  tief  tarierten. 
3n  ßrer  £ebf)aftigfeit  unb  i^rem  tiefen  ©ereßtigfeitSgefüfjl  war  jie 
leicht  aufgebraßt,  aber  ebenfo  leißt  lieber  befänftigt;  eine  ger- 
jtörcnbe  Seibenfßaft  hat  fte  nie  gefannt.  ^erfönliße  ©ßmeißelei 
fanb  bei  if)r  feinen  ©oben ,  mottf  aber  mürbe  fie  bismeilen  burß 
#eußelei  gctäufßt.  ©eletftete  2)ienfte  toergafc  fte  niemals,  unb  ifjre 
2Sof)ltf)ätigfeit  fannte  feine  ©renjen.  „2Ran  fann",  fagt  it)r  treff= 
lißer  Söiogröpr)  SBolf,  „tiefer  benfen  öon  ben  gormen  ber  (Sefeff* 
fcr)aft ,  bon  ben  ©eftaltungen  beS  ©taatSlebenS ,  öon  ben  föätljfeltt 
ber  ®efßißte;  aber  man  fann  nie  fjodjfjerjiger  hanbeln  für  baS 
23olf  unb  baS  fianb ,  nie  tiefer  überzeugt  fein  toon  ben  Sßflißten 
beS  ßebenS,  als  SKarta  Xfjerefia.  SKiemanb  l>at  fie  je  gesagt ; 
ftiemanb  fonnte  fte  beraßten.  gijre  Snbibibualität  übte  auf  Me, 
bie  ßr  nä^er  geftellt  maren,  einen  unmiberftehlißen  3auber  aus." 


grriebridjä  n.  »egentent^ättöfeit  unb  Privatleben. 

Stoßt  minber  eifrig,  als  3Raria  Xfjerefta,  jeigte  ftet)  grieb* 
riß  II.  naß  bem  miebergefefjrten  ^rieben  bemüht,  bie  SBunben  ju 
feilen,  melße  bie  beiben  fßleftfßen  Stiege  auß  feinem  Sanbe  ge* 
fßlagen,  bie  ber  ©taatSbermaltung  anflebenben  Mängel  $u  befei- 
tigen,  burß  jmetfentfpreßenbe  Sftaßregeln  bie  Einnahmequellen  beS 
<5taatz%  ju  erweitern  unb  fiß  baburß  in  ben  ©tanb  ju  fefoen, 
neuen  frtegerifßen  Eüentualitäten  bie  ©tirne  ju  bieten  unb  fiß  im 
SBcfifce  ber  gemaßten  Eroberungen  ju  behaupten.  2)aß  er  fyaupU 
fäßliß  biefen  3roecf  im  Auge  tjattc ,  berrtetfj  er  felbft  burß  ben 
2luSfpruß:  „5)ie  STmeifen  fammeln  im  ©ommer,  bamit  fie  im 
SSinter  ju  berühren  haben."  tiefer  SBinter  mar  für  ihn  ber 
Stieg,  ben  er  noß  einmal  gegen  Oefterreiß  führen  §u  müffen  feft 
überzeugt  mar.  „©ißeißeit  gegen  Oefterreiß"  mar  ber  (Urunbge- 
banfe  feines  gefammten  SStrfenS ,  X^unS  unb  (Strebend ,  tote  ber 

gegen  biefe  9ttaßt  baS  ©Aftern  feine?  ©taateS  mürbe. 

©einem  SftegierungSprogramme  getreu,  naß  melßem  nur  ber 
©taat  mof)l  regiert  ift,  in  melßem  ber  ©ouberan  felbft  als  oberfter 
SRißter,  ©eneral  unb  ©roßfßafcmeifter  bie  Soften  ber  erften  S5e* 
amten  ausfüllt  unb  feine  SJänifter  nur  bie  ©erzeuge  in  ber  $>anb 
eines  meifen  unb  gefßicften  SfleifterS  finb,  mollte  griebriß  mit  fei* 
ner  Xljätigfeit  SlfleS  umfaffen  unb  Alles  burßbringen  unb  fiß  in 
ber  Seitung  ber  inneren  Angelegenheiten  feines  ©taateS  in  ber 
gleißen  glanjenben  SBeife  bemähren,  mie  er  eS  als  ^olitifer  unb> 
in  ben  fßlepfßen  Kriegen  als  gettßerr  getf)an. 


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griebric&S  II.  SRegcntent^fittgtett  "nb  ^rtoatleben.  407 

griebridjS  Xfjätigfeit  war  in  SBtrHtdjfeit  eine  ftaunenSWertlje. 
günf  bis  fed&S  ©tunben  ©chlaf  genügten  ihm;  im  ©ommer  ftanb 
er  gewöhnlich  fdjon  um  öier,  im  SBtnter  um  fünf  Uljr  auf,  fteibete 
ftch  ofme  frembe  ©eifjitfe  an  unb  lad  bie  mistigeren  ber  einge* 
gangenen  ©riefe  unb  ©eridjte  ber  ©ehörben  burdj ,  wahrenb  ihm 
bie  ßabinetSräthe  öon  ben  übrigen  fur$e  SluSjüge  machen  mußten. 
$ann  erfdjien  ber  Stbjutant  jur  ©erichterftattung  unb  jutn  Empfang 
feiner  ©efehte.  9cad)bem  er  gefrühftücft,  ergriff  er  feine  fjtötc,  ber 
er  oft  jroei  öolle  ©tunben  wibmete,  wobei  jebod)r  wie  er  erjagt, 
feine  (Sebanfen  weniger  beim  (Spiele,  als  bei  ben  öffentlichen  2In= 
gelegensten  weilten.  !Radt)bem  er  fein  Spiel  geenbet ,  tag  er  bie 
öon  ben  fabinetSrätben  gefertigten  2luS$üge  burd)  unb  gab  an,  WaS 
auf  bie  eingelaufenen  ©riefe  unb  (Eingaben  ju  antworten  fei.  9lad) 
ber  ©eenbigung  ber  ®abinetSgefchäfte  laS  ober  fcfjricb  er  bis  um 
^wölf  Uhr,  wo  er  jur  ÜJHttagStafet  ging,  für  welche  er  fich,  als 
ein  großer  greunb  cutinarifcher  GJenüffe,  fdjon  früh  SttorgenS  ben 
^üa^enjettel  jur  durchficht  hatte  bringen  taffett.  9cach  ber  £afel, 
an  welcher  er  einen  Ähreid  geiftretcfjer  Scanner  um  ftch  öer* 
fammelte ,  blies  er  wieber  eine  Ijalbe  ©tunbe  auf  ber  gtöte, 
unterzeichnete  bann  bie  in^wifchen  im  Kabinette  abgefaßten  ©riefe, 
tranf  ßaffee  unb  befaf)  feine  Anlagen.  $)ie  ©tunben  öon  öier 
bis  fed)S  waren  gewöhnlich  feinen  fchriftfieüerifchen  Arbeiten  ge* 
wibmet;  bann  folgte  öon  fechs  bis  fieben  Uhr  ein  Soncert,  in  wet* 
ehern  er  felbft  mehrere  ©otoS  ju  fpielen  pflegte ,  unb  r)icrauf  bie 
Slbenbtafet,  bie  unter  anregenben  ober  wiegen  ©efprächen  über  bie 
neueften  (Srfcheinungen  ber  Literatur  —  mit  StuSfdjtuß  ber  beut* 
fcfjen,  bie  ber  König  nicht  ber  ©eadjtung  Werth  hielt  —  ober  über 
gragen  ber  ^ß^ttofop^ie  unb  ©efdnchte  oft  bis  Mitternacht  öer* 
längert  Würbe. 

©inen  ©taatSrath  fyattt  griebrich  II.  nicht;  ber  ©erfefjr  mit 
feinen  ÜDciniftern  war  ein  fdjriftticher :  auf  eingereichte  ©ericf)te  er- 
hielten fie  bie  öon  bem  ßönig  getroffenen  ©erfügungen  fefpriftüch 
aus  beffen  Kabinet  jurücf.  Auf  fein  eigenes  Anfehen  war  grteb= 
rieh  fo  eiferfüchtig ,  baß  fetten  ein ,  Wenn  auch  noch  fo  trefflicher 
©orfchtag  ©erüeffichtigung  fanb,  wenn  er  ihm  nicht  in  ber  gorm 
einer  befcheibenen  Anfrage  ober  Anbeutung  unterbreitet  worben; 
boch  fam  er  gewöhnlich  auf  fotehe  ©orfchtäge  jurücf ,  um  fie  als 
feine  eigenen  (Sebanfen  jur  Ausführung  ju  bringen. 

griebrichS  £auptforge  war  auf  bie  ©erftörfung  unb  ©eröoff* 
fommnung  feiner  Kriegsmacht  gerichtet,  gür  bie  föefrutirung  würbe 
bie  öon  griebrich  SBilhelm  I.  eingeführte  Kantonoerfaffung  betbe* 
hatten  unb  bei  ber  SftefrutenauShebung  mit  ber  gleichen  Strenge 
unb  SSiltfur  öerfahren ,  wie  unter  biefem.  3ur  Erhöhung  beS 
friegerifchen  (SeifteS ,  ben  ber  fönig  in  brei  Singe :  Drbnung,  ®e* 


408  ßefterreidj  unb  ^rcunen  nad)  bem  öftcrrcic^ifc^en  erbfolgefricgc. 


fjorfam  unb  Eapferfeit,  fegte,  würben  große  gelbübungen  gehalten; 
auch  fdjrieb  ber  #önig  für  feine  (Generale  eine  „Xaftif,  b.  h-  eine 
©ammlung  militärifcher  <3runbfäge,  bie  fie  bor  bem  geinbe  geheim 
galten  mußten.  $a  griebrich  ber  Anficht  war,  baß  bem  Bürger* 
ftanbe  mit  geringen  &u*nahmen  ba*  militarifche  Xalent  unb  bad 
©efüht  ber  (S^re  fremb  feien,  würben  bie  Dfftjierftellen,  einige 
t>erein$elte ,  faft  nur  in  Ärieg*$eiten  borgefommene  gälle  abge= 
rechnet,  au*fchltefjlicf)  mit  Abeltgen  befegt ;  ba*  £>öchfte,  wa*  ber 
^Bürgerliche,  ber  freiwillig  ober  gezwungen  in  ben  2Kilitärftanb  trat, 
erreichen  fonnte,  war  ber  UnteroffoierSgrab. 

ÜRächft  ber  $ebung  be*  #eerwefen*  (ag  bem  $dnig  cor  Ättem 
bie  Aufbefferung  ber  burch  feine  beiben  Kriege  fdjwer  gefdjäbigten 
ginan$en  am  |!erjen.  3wtfdjen  (Sinnahmen  unb  Ausgaben  mürbe 
ba*  richtige  ©erhältniß  ^ergeftellt  unb  in  ber  gefammten  ©taat** 
berwaltung  bie  gleite  ©parfamfeit  beobachtet,  wie  unter  griebrich 
2SUt)e(m  I.  2Iudt)  in  ber  größtmöglichen  8u§nufcung  ber  Sirbett«« 
fräfte  ber  ©eamten,  tute  in  ber  ftrengftcn  öeauffichtigung  berfelben, 


Wationalreic^um  unb  baburd)  zugleich  bie  ©taat*einfüufte  ju  er* 
höhen,  toanbte  er  feine  befonbere  (Sorgfalt  bem  gabrifwefeu  unb 
bem  $anbel  ju,  für  Welche  er  eine  eigene  öehörbe  errichtete,  lieg 
Sammet*  unb  ©eibenarbeiter  au«  Stölln  unb  gabrifanten  bon 
$rapb'or  au«  grantreich  fommen  unb  berförieb  $ur  Gewinnung 
feinerer  SBoüe  SWerinofchafe  au*  Spanien;  auch  würben,  bamit  für 
Keffer  unb  ©cheeren  fein  ©elb  in*  Au*lanb  gehe,  ©d>miebe  au* 
föuhla  unb  ©chmalfalben  jur  Ueberftcblung  nach  Greußen  bewogen. 
Sur  Erleichterung  be*  inneren  #anbel*berfehr*  liefe  griebrich  mehrere 
Kanäle  anlegen :  ben  $tauen'fc|en  jwifd)en  ber  Elbe  unb  ber  #abel, 
ben  ginoro'fchen  awifchen  ber  #abel  unb  ber  Ober  unb  ben  ©rom* 
berg'fchen  jwifchen  ber  ©rahe  unb  ber  ÜRege. 

dagegen  Würbe  ber  SBerleljr  mit  bem  &u*lanbe  burch  ba*  öon 
griebrich  eingeführte  Sßrohibitibfoftem  in  fehr  enge  ®ren$e  einge* 
äWftngt.  „$ie  preußifchen  fianbe",  fagt  $)ohm,  ein  jüngerer  Qtit* 
genoffe  griebrich*,  ber  im  3ahre  1779  au$  lurheffifchen  in  preu* 
fnfehe  $)tenfte  trat,  „waren  fähig,  ber  ©ig  eine*  blühenben  unb 
bie  Untertanen  bereichernben  ^anbel*  $u  werben;  aber  griebrich 
wie*  biefen  £>anbel  gefliffentlich  jurücf.  5)ie  I^ofyen  Abgaben,  welche 
frembe  SBaaren  beim  Eintritt  in  ba3  ßanb  ober  bei  ber  durchfuhr 
bejahten  mußten,  noch  mehr  bie  mannigfachen  ?ßlacfereien  unb  ber 
Aufenthalt,  bem  man  bei  ber  Unterfuchung  burch  bie  3°Bföebienten 
au«gefegt  war,  h^en  bit  guhrleute  unb  ©a)iffer  bon  ben  preu* 
ßifd)en  ©renken  jurücf.  2Jcan  fchug  alle  SBege  ein,  um  nur  ben 
preußifchen  ©oben  nicht  ju  berühren.   9ftan  $og  einen  weiteren 


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giiebvicf)«  II.  töegententt)ättgfctt  unb  ^riöatleben.  409 

foftfyietigeren  2Beg  öor,  roenn  man  nur  nicht  an  bte  ^reugifc^e 
©rcnjc  fam." 

Um  ben  Dberbrudj  unb  anberc  noch  unbebaute  @Jebiet«ftrecfen 
urbar  ju  machen  unb  juateid)  im  Qntereffe  feiner  friegerifchen  3toecfe 
bie  ©ebölferung  feine«  Sanbe«  $u  bermehren,  309  griebrich,  gleich 
feinem  SBater  unb  Urgrogöater,  zahlreiche  Jhrtoniften  in«  ßanb,  bie 
mit  allem  gum  Snbau  be«  ©oben«  unb  ju  ihrer  2lnfieblung  Sftoth* 
menbigen  reichlich  berfehen  unb,  um  weiteren  8^hH  anjulocfen,  für 
eine  föeifje  bon  Sauren  bon  Abgaben  unb  2Rilitärbienft  befreit  nmr* 
ben.  2Bä§renb  biefe  Hu«länber  auf  jebe  SBeife  begünftigt  mürben, 
blieb  ber  eingeborene  ©auernftanb  unter  bem  »ollen  $rurf  ber 
Seubaluntert^änigfeit,  bie  in  feinem  anbern  Staat*  fo  ferner  auf 
ber  fianbbebölferung  taftete,  mie  in  ^reugen. 

2(ua)  bie  SBerbefferung  ber  föecht«bflege,  bie  noch  fet)r  im 
2Trgen  lag,  lieg  griebrich  fich  angelegen  fein;  bodj  mürben  bura> 
greifenbe  Reformen  auf  biefem  (Miete  erft  in  feiner  fuäteren 
sJlegierung«$eit  eingeführt. 

lieber  ben  ©efdjäften  blieben  fünfte  unb  SBifienfdmften  nicht 
bergeffen.  (Sine  ganj  befonbere  2Iufmerffam!eit  ttmnbte  ber  ®ömg 
ber  bon  ihm  hergeftettten  SIfabemie  ber  SBiffenfdjaften  ju,  beren 
^raftbium  er  nach  aHaubertui«'  Sobe  (1759)  felbft  übernahm,  ba 
ber  berühmte  9ftathematifer  b'STlembert  bie  ihm  angetragene 
^rapbentenftefle  abgelehnt  hatte,  ©roge  ©ummen  mürben  für  ©auten 
berau«gabt,  bie  ber  ßönig  theil«  in  Berlin,  theil«  in  <ßot«bam  au«* 
führen  lieg.  9cadjbem  im  3aljre  1748  ba«  groge,  für  taufenb  *Jkr= 
fönen  eingerichtete  Qnbalibenhau«  eingemeiht  morben,  mürbe  ber 
ÖJrunb  ju  ber  neuen  $omfirche  gelegt,  bie  fortan  al«  romgliche« 
(£rbbegräbnig  bienen  foHte,  unb  $u  ber  gleiten  Seit  ber  Sau  ber 
fatholifchen  £>ebnrig«firche  begonnen,  ju  melier  ber  $önig  jeboct) 
nur  ben  $lafc  fetjenfte,  mährenb  ba«  für  ben  ©au  nötige  (Selb 
buret)  Sammlungen  unter  ben  ®atholifen  Don  ganj  ©uropa  jufam* 
mengebradjt  mürbe. 

©cr)on  mährenb  ber  Vorbereitungen  jum  jtociten  fct)Iefifchen 
Kriege  hatte  griebric^  felbft  ben  $lan  $u  einem  Öuftfchlog  eutmor» 
fen,  ba«  er  ftet)  auf  einer  eine  fjatbe  ©tuttbe  oon  $ot«bam  ent= 
fernten  3lnhöt)e  erbauen  laffen  moHte,  unb  bie  Ausführung  be« 
SBaue«  bem  berühmten  Slrdjiteften  greiherrn  oon  ®nobel«borf  über- 
tragen. 2lm  1.  Sttai  1747  mürbe  ba«  neue  Suftfdjlog  bura)  ein 
fröhliche«  geft  eingemeiht  unb  blieb  fortan  unter  bem  tarnen 
€>an«fouci  be«  kernig«  8iebling«aufentr)alt.  $>ter  fuctjte  er,  ge- 
trennt oon  feiner  <$emaf)ün,  ber  er  gleich  naa)  bem  $obe«  feine« 
Vater«  ba«  Sctjtog  Sdjönfmufen  jum  SBolmfifc  angemiefen,  mo  er 
fte  nur  ein  einzige«  SJcal  befudjte,  mährenb  fie  felbft  nie  nach 
@an«fouci  fam,  feine  (Erholung  in  einem  Greife  oon  Äünftlern  unb 


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410   Cefterreid)  unb  ^reufcen  nad)  bem  öfterreicbjfchen  erbfolgefriege. 

(Gelehrten  ober  geiftretdjen  unb  mifcigen  3Kännern.  SBon  leiten,  bie 
ihm  cinft  ju  SRheinäberg  naf>e  geftanben,  waren  mehrere  geftorben, 
roäfjrenb  Rubere  fich  oor  be3  Königs  wechfelnber  ©timmung  jurücf* 
gebogen  Ratten,  um  nur  au«  ber  gerne  in  brieflichem  ©erfehr  mit 
üjm  flu  bleiben ;  nur  SBenige  gehörten  noch  bem  Greife  öon  ©anSfouci 
an,  ber  meift  au«  AuMänbern  beftanb. 

(Sine  beoorjugte  ©teile  nahmen  in  bem  Vertrauen  unb  ber 
(Gunft  beä  Königs  amei  ©Rotten  ein,  bie  trüber  (Georg  unb  3afob 
k  t  i t  h ,  bie  wegen  ihrer  ^Beteiligung  an  bem  3a^00^cnauf^an^ 
Dom  3a^re  1745  auS  ihrem  SBaterfanbe  fwttcn  entfliegen  müffen. 
$er  jüngere  «ruber,  Qafob  $eitfj,  ben  Sriebrich  jum  preufjtfchen 
gelbmarföaa  ernannt  ^atte,  ftarb  in  ber  ©chlaajt  bei  $odßf*4 
(1758)  ben  $elbentob,  mährenb  ber  anbere,  (Georg  fleith,  ber  als 
(£rbmarfchall  öon  ©chottlanb  gewöhnlich  ber  wÖorb=3Rarfa)alIw  ge= 
nannt  mürbe,  bem  tönig,  welcher  fich  feiner  befonberS  ju  wichtigen 
biplomatifchen  äflifftonen  bebiente,  bi3  in  beffen  fpätereä  Sebenäalter 
erhalten  blieb. 

$en  höhten  ffieij  erhielt  für  ^riebria)  baä  ßeben  in  ©ans* 
fouci  buraj  ba&  ©rfcheinen  Voltaire' 3.  ©djon  lange  ^atte  ftdj 
ber  ®önig  vergeben*  bemüht,  ben  gefeierten  $idjter,  ben  (Gegen* 
ftanb  feiner  begeifterten  ©emunberung,  in  feine  Stahe  ju  jiehen: 
erft  im  Qafjre  1750  lie§  fich  berfelbe  fjerbei,  ber  bringenben  (£in* 
labung  beä  Königs  fjolßc  ju  leiften,  weil  ihm  gerabe  bamate  ber 
Aufenthalt  in  $ari$  unb  Sßerfaillea  burdj  oerfchiebene  3Ät6^cIIig^ 
feiten  oerleibet  worben  mar.  bereitwillig  ^atte  ihm  ber  fonft  fo  fpar- 
fame  tönig  ba3  geforberte  föeifegelb  oon  üiertaufenb  ifyältm  fluge- 
fanbt  unb  ihm,  auger  freier  2öo|nung  unb  Xafel  fomie  einer  (£qui* 
page,  einen  Qahrgehalt  oon  fünftauf enb  Xfyaltxn  jugefagt.  Äl£ 
SBoltaire  enblich  am  10.  Quli  1750  in  ©an^fouci  eintraf,  ging  ihm 
ber  ftönig  bi3  an  ben  Söagen  entgegen,  umarmte  ifm  unb  führte  ihn 
felbft  in  bie  für  ibn  bereit  gehaltenen  Sintmer,  worauf  ber  gan$e 
£>of  fich  beeilte,  bem  (Gefeierten  bie  Aufwartung  ju  machen.  Um  ihn 
bauernb  an  feinen  £of  ju  feffeln,  fanbte  ihm  ber  ®önig  ben  ®am= 
merherrenfa^lüffel  unb  ba£  Sfreuj  beä  SBerbienftorbenS  mit  einem 
©chreiben,  morin  e3  unter  Anberem  fytb:  „©ie  finb  ^5t)ilofop^ ; 
id)  bin  es  auch:  was  ift  natürlicher,  aU  bau  jwei  s$liilo)oplKu, 
gemacht,  mit  einanber  ju  leben,  burch  gleiche  ©tubien,  gleichen  (Ge- 
fehmaef  unb  gleiche  3)enfart  oerbunben,  ftd)  biefe  (Genugtuung 
geben?  Qch  achte  ©ie  als  meinen  ßefjrer  in  Söerebtfamfeit  unb 
SSiffen ;  ich  Wc  ©ie  al3  meinen  tugenbhaften  greunb.  —  Qch  haDC 
nicht  bie  thörichte  Anmaßung,  §u  meinen,  ba&  Berlin  $ari3  auf» 
wiegen  fönnc.  SBenn  SReichthum,  (Gröfee  unb  bracht  eine  ©tabt 
liebenämertf)  machen,  fo  treten  mir  gegen  $ari3  jurücf.  Söenn  ber 
gute  ©efehmaef  an  einem  Orte  ber  SSelt  feinen  ©ifc  fyat,  fo  geftehe 


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$friebrt<f)§  IL  JRegentcntfjätigfett  uitb  Privatleben. 


411 


ich,  e«  ift  in  <ßari«.  Slber  bringen  fte  biefen  ®efebmad  benn  nid>t 
überaß  hin,  wo  ©le  ftnb  ?  2Bir  haben  $änbe,  3h«en  »eifafl  ju 
Hatten,  unb  wa$  ba*  (Skfüht  betrifft,  fo  räumen  wir  feinem  Orte 

ber  2Mt  ben  Storrang  ein.  ©ie  werben  hier  glüeflich  fein, 

fo  lange  ich  lebe.  ©ie  werben  als  ber  JBater  ber  tBiffenfiaft  unb 
beS  ©efehmads  angefehen  werben  unb  in  mir  ade  bie  Xröftungen 
finben,  bie  ein  SRann  öon  Syrern  ©erbienft  öon  einem  anberen  er» 
warten  fann,  ber  ihn  ju  fdjäfcen  weiß." 

$ie  Sfnwefen^eit  SBoItaire'S  öerboööette  ben  <£ifer  beS  ßönigS 
für  feine  eigenen  fchriftfteümfchen  Arbeiten,  bie  er  üjm  jur  ©eur* 
tfjeilung  unb  jur  Slbrunbung  beS  ©tyls  übergab.  Unter  Voltaire'* 
SRitwirfung  würben  bie  beiben  erften  Xheile  ber  „©efd)i(f)te  meiner 
«Seit*  unb  ber  „SWemoiren  $ur  ©efc^td)te  beS  £>aufe3  öranbenburg" 
öottenbet.  3n  bem  erfteren  ©erfe,  in  welkem  ftriebrich  öon  ftd) 
(elbft  in  ber  britten  ^ßerfon  fpridft  unb  fich  furjweg  ben  Äönig 
nennt,  tritt  fia^tüa)  baS  ©eftreben  heröor,  fein  Auftreten  im  günftig* 
ften  fitste  ju  jeigen;  fogar  ber  Xabel,  ben  er  fyin  unb  wieber  fid> 
felbft  ausbricht,  öerbirgt  im  <5Jrunbe  nur  bie  Sorberung  ber  $lner* 
fennung  öon  ©eiten  Önberer.  ©eine  Xenfwürbigfeiten  be$  bran- 
benburgtfcfjen  §aufe£  tragen,  troj  feiner  feierlichen  Sterfidjerung, 
baß  er  fich  über  ade  ©orurtheüe  erhoben  unb  OTeS  mit  unpar« 
teiifajem  unb  wp^ilofop^ifc^emM  3Cuge  betrautet  ^abe,  ba&  Gepräge 
beä  unöerföfmlichften  $affe$  gegen  baS  ftaiferhauS.  ©o  fagt  er 
öon  bem  $arbinal  SRichelieu,  nachbem  er  beffen  ©totj  unb  $taty 
fudjt  mit  f djarfen  SBorten  gegeißelt:  „3ch  erfenne  ihm  ben  Xitel 
eines  erleuchteten  SJcinifterS  nur  infofem  ju,  als  er  fich  mit  ©chwe* 
ben  oerbanb,  um  in  $eutfa)lanb  ben  öfterreidnfehett  Despotismus 
nieberjufd>Iagen.#' 

äußer  biefen  beiben  Sßerfen  würben  öerfdjicbene  ©eböc^rniß* 
reben,  bie  griebric^  auf  feine  Sreunbe  unb  anbere  Scanner  öon 
Sßerbienft  für  bie  Sttabemie  öerfaßt  hatte,  forote  eine  SReihe  öon  ihm 
öerfertigter  ÖJebichte  mannigfacher  2lrt:  Oben,  gereimte  ©riefe,  ein 
£ef)rgebid)t  über  bie  StiegSfunft  u.  f.  w.,  an  benen  nichts  9(nbereS 
poetifch  ift,  als  bie  Sorm,  öon  SBoltaire  reöibirt  unb  unter  bem 
Xitel:  „23erfe  beS  ^^ilofop^en  öon  ©an&fouci"  in  einer  $radjt* 
ausgäbe  gebrueft.  Sriebrich  fmtte  $u  biefem  Qwede  in  bem  Xfjurme 
beS  berliner  ©chloffeS  eine  eigene  $ruderei  eingerichtet;  baJjer 
führen  jene  SBerfe  auf  ihrem  Xitel  bie  Ortsangabe:  *Au  donjon 
du  ch&teau"  (Qm  Xhurme  beS  ©djtoffeS).  Stuf  bem  Xitetblatt  ber 
ÖJebichte  fteht  außerbem  nodj:  „Avec  le  privil&ge  d'Apollon"  (üttit 
bem  $riöilegium  Slöoflo'S). 

$ie  Slnfunft  SBoftaire'S  ha^e  unter  ben  ©chöngeiftem  in 
©anSfouct  einen  wahren  SGBetteifer  gewedt,  bei  ben  glanjenben 
^benbmahtjeiten,  an  welchen  ber  gan$e  ÄreiS  X^eit  nahm,  einanber 


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412   Oefierrcicf)  unb  ^reufecn  nacf)  bem  öfterreidjifdjen  (Srbfolgefriege- 

in  fprubelnbem  SStfee  ju  überbieten.  Sludj  bei  ber  Aufführung  ber 
dragöbten  be*  dichter*  mar  3^ber  eifrig  bemüht,  in  ber  durchfüh* 
rung  ber  it)m  jugetheilten  9?oüe  allen  Slnforberungen  S3oltaire'*  *u 
genügen. 

Qnbeffen  untergrub  SBoltaire  felbft  balb  burdj  bie  fterrfchfudjt 
unb  SRifegunft,  bie  neben  bem  fämufcigften  ©etje  bie  ^erüorftec^enb* 
ften  güge  feine«  S^araftcr«  bilbeten,  bie  glanjenbe  Stellung,  bic 
ihm  be*  ^önig«  ungetoöhnliche  ©unft  in  San*fouci  gefdmffen.  2Bie 
t>er  oiel  georiefene  dichter  fich  nach  einer  allgemein  geglaubten 
terjählung  nicht  fdjeute,  heimlich  in  ben  Sälen  bon  San*fouci  bie 
halb  abgebrannten  2Bacb*ferjen  einjufteefen ,  um  fie  Oerraufen  $u 
laffen,  unb  wegen  eine*  if)tn  jur  Saft  gelegten  betrügerifchen  §an* 
fcel*  in  einen  feanbalöfen  ^ßrojefe  mit  einem  berliner  3uben  gerieth, 
ber  ifm  offen  ber  Jälfchung  oon  Dutttungen  befdjulbigte,  fo  fiel  er 
mit  ber  SButf)  eines  eiferfüdjtigen  SBeibe*  auf  Sebcn  lo*,  ber  fict) 
neben  ihm  ber  ©unft  be*  Königs  ju  erfreuen  fyatte,  unb  oerläfterte 
mit  ber  fyämifdjeften  5öo*heit  diejenigen,  bereu  moralifchen  Söerth 
nicht  auf$utoiegen  er  per)  bemufet  mar.  3n  ben  Wbenbunterhaltungen 
toollte  er  atiein  neben  bem  $önig  ba*  Söort  führen  unb  ftfjlug  nicht 
feiten,  toenn  9We*  in  ber  fyeiterften  Saune  mar,  ben  einen  ober  ben 
anbern  ber  difchgenoffen,  ber  e*  toagte,  eine  anbere  Meinung  au** 
lufpredjen,  al*  bie  fetnige,  auf  fo  oerlefc enbe  SSeife  nieber,  bafe  ber 
feünig  felbft  barüber  unmillig  mürbe. 

der  #auptgegenftanb  feine*  neibiferjen  ©rode*  toar  Dttauper- 
tui* ,  beffen  Stelle  al*  ftanbiger  *ßräfibent  ber  berliner  Slfabemie 
er  gern  felbft  befleibet  ^ätte.  (Sine  oon  2Jcauoertui*  üeröffentliajte 
Schrift,  bie  neben  einzelnem  QJuten  oiel  Söerfchrobene*  unb  tyfyan-- 
tafttfehe*  enthielt,  gab  ihm  eine  ertoünfajte  Söeranlaffung  jur  &b= 
faffung  einer  cbenfo  mifcigen,  al*  bo*haften  Satire,  bie  er  trofc  be* 
au*brücflichen  Verbote*  be*  ®önig*  in  dre*ben  bruefen  liefe,  um 
feinen  öerhafeten  Nebenbuhler  oor  ber  ganzen  SBelt  lächerlich  ju 
machen,  der  auf*  Sleufeerfte  erbitterte  Üönig  liefe  biefc  Schmäh* 
fdjrift  ju  Söerlin  auf  öffentlicher  Strafee  bura)  ^enferÄhanb  Oer* 
brennen ,  toa*  Voltaire  ihm  fo  übel  nahm ,  bafe  er  ihm  fofort  fein 
3a!)rgef)alt*bcfret,  fotoie  ben  flammerherrenfchlüffel  unb  ba*  Drben** 
ireuj  surüdfduefte.  3nbeffen  bereute  er  balb  biefen  Schritt  unb 
fuct)re  benfelben  burc|  einen  an  ben  ßönig  gerichteten  53rief  mir* 
fung*lo*  ju  machen,  in  toelapem  er  bem(clben  bie  ©efüfjle  ooUftän* 
biger  Xroftlofigfeit  über  bie  erlittene  Stäntuug,  jugleia)  aber  auch 
feinen  tiefen  Sdjmer$  barüber  au*brücfte,  „ba&  er  ba*  Unglücf  ge- 
habt, bem  $önig  ju  mißfallen."  diefer  «rief  ocrfehlte  feinen  Stoecf 
nicht :  noch  an  bemfelben  dage  erhielt  Voltaire  bie  Reichen  ber  f  ö* 
niglichen  ©nabc  jurücf. 


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griebrid)«  Jl.  Kcgentcntfiatiflfcit  imb  $rit>atleben.  41  a 

Jfnbeffen  erfannte  SBoftatre  balb,  baß  baS  alte  SBerbältniß 
jnrifchen  it)m  unb  bcm  ®önig  nicht  ttueber  ^erjuftcUcn  fei;  er  50g. 
eS  ba^er  oor,  ben  £of  griebrichs  $u  oerlaffen.  Unter  bem  93or- 
toanbe ,  baß  feine  gefdjtoäcfjte  ©cfunbheit  einer  SBabefur  in  $Iom* 
btereS  bebfirfe,  reifte  er  am  26.  SRärj  1753  mit  äuffamnung  beS» 
Königs  oon  SßotSbam  ab,  entfdjloffen ,  nicht  mehr  baljin  jurücf$u= 
febren.  er  nichtSbeftoroentger  bem  ftöiüg  baS  SBerfprechen  ge* 
geben,  im  ©eptember  nrieber  ju  fommen,  ^otte  er  fein  DrbenSfreuj 
nnb  ben  ®ammerherrenfchlüffel,  fonrie  einen  SBanb  oon  Sßoefien,  bie 
ber  ®önig  nur  in  jtoölf  (Sjemplaren  für  feine  öertrautefien  greunbe 
r)attc  bruefen  Iaffen ,  mitnehmen  bürfen ;  als  er  jeboer) ,  ftatt  nach 
granfreich  ju  reifen,  nach  Seidig  ging  unb  bort  eine  neue  ©chmäh* 
fchrift  gegen  SftaupertuiS  bruefen  liefe,  fanbte  griebrier)  nach  granf* 
furt  am  SJcain  ben  Söcfet)! ,  ben  dichter  bei  feiner  Shtrcfjreife  fo- 
lange  gefangen  galten  ju  Iaffen ,  bis  berfelbe  ben  ßammerherren* 
fdjlüffel  nebft  bem  DrbenSfreuj  unb  ben  ©ebidjten  herausgegeben 
^aben  »erbe.  SBoItatre,  ber  am  31.  9ttai  in  granffurt  anfam, 
lieferte  fofort  ©djlüffel  unb  Drben  ab;  ba  jebod)  bie  ®ifte,  in  xotU 
d)er  fidj  bie  ©ebia)te  befanben,  noch  ßeipjig  mar,  burfte  er  erft 
nach  beren  Eintreffen  feine  Steife  fortfefcen.  Qum  $anf  für  alle 
©unft,  mit  melier  grtcbvirfi  t&u  überlauft  r)atte ,  überietjuttetc  er 
benfelben  in  feinen  nach  feinem  Xobe  gebrueften  2ttemoiren  mit  ben 
niebrigften  ©Chinahungen. 

Unter  ben  franjöfifchen  ©chöngeiftem  unb  frioolen  Sßertretern 
ber  alles  Uebcrfinnlict)c  leugnenben  w1ßr)iIofop^ic  ber  Slufflärung," 
bie  außer  Voltaire  am  £ofe  griebrichS  lebten,  nahmen  ber  2lr$t  2a 
9Jcettrie  unb  ber  SJcarquiS  b'&rgenS  in  ber  ®unft  beS  Königs  bie 
erfte  ©teile  ein. 

Sutten  2a  SWettrie  (geb.  1709  §u  ©t.  9Mo  als  ber  ©ohn 
eines  reichen  Kaufmanns) ,  ber  geiftig  unbebeutenbfte ,  zugleich  aber 
auch  ber  frioolfte  unb  frechfte  ber  bamaligen  SReligionSfpötter ,  ber 
mit  ber  größten  Unnriffenheit  bie  Unöerfchämtheit  üerbanb ,  frembe 
3been  für  feine  eigenen  auSjugeben ,  brachte  bie  ©pöttereten  unb« 
SSifceleien  SSoItaire'S  unb  Slnberer  in  ein  förmliches  ©nftem  boben* 
lofer  ©ittenlofigfeit  unb  gottlojer  ©innlichfeit.  SBte  in  granfreief* 
bie  fatholifche  ©eiftlichfeit,  fo  erhoben  fich  in  £>oflanb ,  lüot)in  er 
nach  fetner  Verbannung  aus  feinem  SBaterlanbe  auSgemanbert ,  bie 
reformirten  ^rebiger  gegen  ihn,  fo  baß  er  auch  biefeS  Sanb  Oer* 
Iaffen  mußte,  nachbem  in  Serben,  toie  oorfjer  in  ^aris,  feine  ©chrif- 
ten  burch  ^enfcrStjanb  oerbrannt  toorben  maren.  griebrich,  ber 
in  ihm  nur  ein  Döfer  religiöfer  Unbulbfamfeit  fah ,  berief  ihn  nach- 
^Berlin  unb  behielt  ihn ,  burch  feine  unoertoüftliche  heitere  Saune 
gefeffelt,  nicht  nur  bis  an  fein  SebenSenbe  als  SBorlefer  unb  ©paß* 
macher  an  feinem  £ofe,  fonbern  fdjrieb  fogar  nach  Sa  3ttettrie'S> 


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414   Ccfterretd)  unb  <|keufeen  nadj  bem  öfterreid)tj<$en  erbfolgefrteg. 

2obe  (1751)  eineßobrebe  auf  iljn,  bic  er  in  bcr  berliner  Stfabemie 
burdj  feinen  Scfretär  öorlefen  lieg. 

$er  SHarquiS  borgen  3  (geb.  1704  ju  Slir.  in  ber  ^ro* 
toence)  mar,  natf>bem  er  fid>  burcf}  $lu3fött>eifungen  unb  ©c&ulben* 
madjen  mit  feiner  gamilie  entjmeit  r)attc,  nad)  £ottanb  übergefiebelt, 
too  er  fid)  als  SdjrtftfteHer  ju  ernähren  fudjte.  $ie  $reiftigfeit,  mit 
melier  er  in  feinen  oberflächlichen ,  öon  §a&  gegen  baS  Triften* 
tf)um  bnrd&brungenen  SBerfen  —  fölfipfrige  Romane,  ©riefe  in  bcr 
$Irt  ber  „Lettres  persanes"  uon  Montesquieu  unb  eine  Sufam-- 
menftettung  feiner  pfulofopf)ifdjen  §(nfidjten  unter  bem  £ite(:  tyfo 
lofopfyie  be&  gefunben  9#enfdjenöerftanbe$  (philosophie  du  bon 
sens)  —  gegen  alles  #öf>ere  ju  gelbe  jog  unb  bie  Öeljren  ber 
neuen  <ßl)ilofopf)ie  öerfünbete,  berfdjaffte  tym  bie  befonbere  (Uunft 
SBoltaire'S,  auf  beffen  Smpfef)lung  üjn  griebrid)  II.  an  feinen  #of 
30g.  £rier  mürbe  er  balb  burd)  feine  £ebf)aftigfeit ,  feinen  SBtfc, 
feine  feinen  9Kanieren  unb  feine  Sebenäerf aljrungen ,  bie  er  in  ber 
Unterhaltung  in  geiftreidjer  SBeife  ju  ücrmertt)en  mußte,  ber  beoor- 
jugte  ÖJefellfdjafter  be&  ^önig« ,  ber  üjn  aud)  in  mistigen  s2(ngele= 
genfjeiten  ju  föatfie  50g  unb  in  beffen  Vertrauen  er  fidj  bis  ju 
feinem  $obe  (1771)  §11  erhalten  mußte. 

Unter  bem  (Sinfluffe  biefer  unb  anberer  fran$öfifd)er  Sdjön= 
geifter  bilbete  fidj  an  grtebrid)*  .'pofe  jene  frioole  9teligionSfpötterei 
$um  „guten  Xone"  aus,  bie  baS  ^eiligfte  in  ben  ©taub  50g  unb 
bereu  öerfyängnißüolle  9tadjroirfungen  balb  in  ganj  $eutfdj[anb, 
befonberä  in  ben  fyöljeren  Steifen  ber  QJefellfdjaft ,  in  einer  immer 
tiefer  gefyenben  (£rfd)ütterung  beS  religiöfen  öemußifeinS  ju  Jage 
traten.  3nbeffen  mar  eS  bem  Röntge  öorbeljalten,  bie  ücrberblidjen 
grüßte  beS  unter  feineu  klugen  unb  oon  ü)m  felbft  auSgeftreuten 
Samens  ber  9teligionSoerad)tung  junädtft  in  feinem  eigenen  Sanbe 
reifen  $u  feljen.  (£r,  ber  in  feinen  Schriften  bie  fjeiligften  Behren 
beS  SfjriftentfjumS  mit  £>ofnt  unb  Spott  überfd)üttet  unb  fogar 
93la$pl)emtcn  gegen  bie  s$erfon  beS  (SrlöferS  unter  baS  SBolf  ge= 
bradjt,  äußerte  einmal  in  feinen  legten  ßebenSjaljren  gegen  feinen 
(SJroßfanjler  (Earmer:  wÖ)laub'  mir,  meine  f fünfte  Söataiöe 
tooHte  td)  barum  geben ,  menn  id)  Religion  unb  Sfloralität  unter 
meinem  Bolfe  toieber  ba  fjaben  fönnte,  100  idt)  fie  bei  meiner  Xfyron* 
beftetgung  gefunben." 

yioi)  bor  bem  beginn  beS  jmeiten  fd)leftfd)en  Krieges  fjattc 
griebridj  DftfrieSlanb  in  öefifo  genommen,  beffen  Bereinigung  mit 
bem  branbenburg-preu&tfcf)en  Staate  burd)  ben  großen  $urfurften 
oorbereitet  morben.  Qu  ber  Qtit,  a^  b\t  9ticberlänber  gegen  8pa= 
nien  für  i^re  llnabf)ängtgfeit  fämpften,  lagen  bie  oftfriefifc^en  gurften 
mit  i^ren  Stänben  im  Streit,  unb  ba  fie,  gleidj  allen  übrigen  lutlje= 
rifc^en  gurften  beS  $Reic^S,  fpanifa)  geftnnt  maren,  jdjlugen  fic^  bie 


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griebricfjS  II.  diegententljftttgfeit  unb  s^nuat  leben.  415 


$eneralftaaten  auf  bic  Seite  ber  oftfriefifdjen  ©tanbe.  «ftachbem  fie 
fidj  ben  gürften  als  Vermittler  aufgebrungen ,  warfett  fie  Gruppen 
inS  Sanb  unb  erzwangen  für  bie  @tänbe  eine  für  bie  gfirften 
äugerft  brücfenbe  SBerfaffung,  beren  ®etuäf)rleiftung  fie  übernahmen. 
2US  fpäter  bie  finfenbe  Wlafy  ber  ©ollänber  bie  oftfriefiföen  gär* 
ften  ju  bem  öerfudje  ermutigte ,  bie  öerha&ten  geffeln  $u  brechen, 
bot  ber  Kurfürft  griebrich  SBilhefm,  ber  fid)  mit  meitauSfchauenben 
planen  auf  2Beltf)anbeI  unb  Kriegsflotten  trug  unb  bafür  bie  treff* 
liefen  $>äfen  oon  OftfrieSlanb  ju  benufcen  gebaute,  ben  oftfriefifdjen 
©tänben  feine  #Unterftü&ung  gegen  ihre  SanbeSherren  an  unb  lieg 
ju  biefem  (Snbe  Xruppen  in  OftfrieSlanb  einrüefen;  auch  erroarb  er 
öon  Kaifer  Seopolb  I.  bie  Slnroartfdwft  auf  btefeS  Sanb  beim  2luS* 
fterben  beS  fürftlidjen  #aufeS,  worauf  bie  ferner  gefränften  oftfrie* 
fifchen  gürften  mit  bem  ftammoertoanbten  £>au)e  £>amtouer  eine 
(£rbüerbrüberung  fajloffen. 

(bleich  nad)  feiner  ^^ronbefteigung  fnüpfte  griebrich  II.  Unter* 
fjanblungen  mit  bem  Sftagiftrate  üon  (Smben  an  unb  erlangte  üon 
bemfelben,  gegen  bie  Sufid^unQ  ber  SBeftätigung  aller  fßribilegien 
ber  (Stabr,  baS  SBerföredjen  fofortiger  £>ulbigung  nad)  bem  Xobe  beS 
noch  jungen  Surften,  ber  feine  männlichen  (Shrben  t)atte.  tiefer  ftarb  am 
13.  äftai  1744,  unb  am  folgenben  Xage  fanbte  ber  König  oon  Greußen 
Xruppen  in  baS  £anb  unb  oerlangte  aller  Orten  bon  ben  erftaunten 
(Eintüofjnern  bie  ^pulbigung.  Sftachbem  in  bie  bebeutenberen  Orte 
preugtfcr)e  Söefafcungen  eingerüeft  toaren,  erfannten  bie  oon  bem 
preu&ifchen  KriegSminifter  ©occeji  nach  Slurich  jufammenberufenen 
oftfriefifdjen  Stänbe  am  6.  guni  1744  ben  König  als  ihren  gürften 
unb  .pernt  an  unb  gelobten  ihm,  auf  ®runblage  ber  alten  Verträge, 
Xreue  unb  ®el)or}am,  ioorauf  ber  König  ihre  sßrioilegien  beftätigte. 

griebrich  begnügte  fid)  jebod)  nicht  mit  bem  eigentlichen  Oft- 
frieSlanb,  auf  melcheS  er  traft  ber  bem  großen  Kurfürften  ertf) eilten 
faiferliajen  s2lntoartfchaft  $lnfprudj  ergeben  burfte,  fonbern  nahm  auch 
bie  beiben  Remter  beS  £>arlinger  fianbeS ,  eines  befonberen  $Befifc= 
tfmtnS  ber  fürftlidjen  gamilie,  melajeS  in  ber  Urfunbe  ber  s2lntoart= 
fdjaft  auSbrüdlia)  auSgefd)loffen  mar ,  in  93efi(j ,  unb  bie  oon  ben 
übrigen  öemerbem  bei  bem  Reichsgerichte  erhobene  Sßroteftation  blieb 
toirfungSloS,  ba  griebrich  II.  ftärfer  mar,  als  bie  OteichSgeridjte. 

2Bie  oodftänbig  fich  griebrich  bereits  bamalS  oon  bem  Reiche 
loSgelöft  hatte,  befunbet  ber  Umftanb,  baß  feit  bem  3af)re  1750  in  ben 
preu&ifchen  Kirchen  auch  übliche  fonntägliche  ÖJebet  für  ben  Kaifer 
aufhörte. 


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416 


3)er  ficbcnjä^riflc  (britte  fd)le[ifäe)  ßtieg. 


XXIV. 

Per  fietenjaSrifle  (britte  ftfeßMe  iutea,  I 

(1756-1763.) 

Seranlaffung  unb  »itäbnidj  bes  ftriegcg. 

£er  triebe  oon  Hachen  ,  ben  bie  allgemeine  ©rfchöpfung  jur 
gebieterifchen  iRothmenbigfeit  gemacht,  ^otte  bic  Streitfragen,  meldte 
p  bem  achtjährigen  ftriege  Seranlaffung  gegeben,  nicht  bauenib 
ausgeglichen  unb  mürbe  in  ber  Xfmt  oon  ben  meiften  betheiligten 
dächten  nur  al«  ein  SBaffenftiOftanb  angefefjen,  ben  man  gefchloffen, 
um  ben  befinitioen  3lu«trag  be«  Streite«  auf  einen  günfttgeren 
Seitpunft  }it  oertagen.  2lm  menigften  mar  auf  einen  bauernben 
grieben  amifchen  Gniglanb  unb  granfreich  $u  reinen,  ba  bie  58e= 
üoHmöchtigten  beiber  dächte  bei  bem  grieben«fchluffe  $u  dachen 
oerfäumt  hatten,  bie  ©renjen  be«  englifdjen  unb  franjöfifchen  ©e* 
biete«  in  SRorbamerifa ,  bie  fchon  bei  bem  Utrechter  grieben  in  un- 
genügenber  Sßeife  feftgefteflt  morben,  fo  genau  §u  beftimmen,  ba& 
fein  .ßmeifel  mehr  barüber  übrig  bleiben  tonnte. 

SBic  in  biefen  ungeniigenben  ©renjbeftimmungen  bie  Äeime 
unausbleiblicher  neuer  germürfniffe  gtoifchen  ßnglanb  unb  granf* 
reich  lagen,  fo  mar  in  $eutfchlanb  ber  triebe  burch  bie  fortbauembe 
Spannung  jmifchen  Oefterreich  unb  ftau&en  bebroht.  Söenn  einer- 
feit«  SDcaria  X^erefia  ben  Schmerj  über  ben  öerluft  Schleften«  nur 
ferner  oerminben  unb  ju  bem  eroberungSfüchtigen  Machbar  fein 
Vertrauen  mehr  faffen  tonnte,  fo  fah  anbrerfeit«  griebrich  II.  mit 
machfenber  iöeforgnijj  ben  oerhaßten  öfterreidufcfjen  Staat  unter  ber 
umfichtigen  fieitung  feiner  thatfräftigen  £>errfcherin  ju  neuer  innerer 
Staft  unb  Sölütlje  emporfteigen ;  benn  nur  bei  ber  fortbauemben 
Schmäche  Defterreich«  feinen  ihm  ber  SBefu)  Schlefien«  gefidjert. 

$iefe  Spannung  führte  naturgemäß  ju  bem  ©eftreben ,  fich 
beiberfeitig  burch  SBünbniffe  $u  ftärfen.  5)ie  ©emetnfamfett  ber 
3ntcreffen  mie  be«  $affe«  gegen  Oefterreich  fchien  auch  bie«mal 
granfreich  unb  Greußen  jufammen  führen  $u  müffen ,  unb  in  ber 
ifyat  glaubte  griebrich  auf  bie  fortbauembe  öunbe«genoffenfchaft 
be«  <£)ofe«  oon  *BerfailleS  jählen  ju  fönnen,  mie  auch  biefer  feiner* 
feit«  fich  al«  bie  unentbehrliche  Stüfce  ber  rafa)  emporgemachfenen 
preußifchen  Stacht  anfaf).  (Sbenfo  erfefnen  nach  ben  SBerhältniffen, 
in  melden  ba«  £>au«  ^pannoüer  feit  feiner  (Srfjebung  jur  furfürft* 
liehen  SBurbe  511  bem  ftaiferhofe  geftanben ,  unb  nach  ber  Atolle, 
bie  Äönig  ©eorg  II.  im  öfterreichifchen  (Srbfolgefriege  gefpielt,  Sng- 
lanb  al«  ber  natürliche  $Bunbe«genoffe  Oefterreich«,  unb  jmar  um- 


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SBercmlaffung  unb  HuSbrucf)  be*  Kriege*. 


417 


fomeljr,  al*  ©eorg  II.  über  ben  ßönig  oon  $reu§en  wegen  ber 
SBefifcergreifung  bon  Dftfrie*(anb  tief  erbittert  war. 

2lber  roiber  alle*  ©rroarten  geftalteten  fid)  bie  $>inge  anber*. 
$er  öfterreidufdje  SWiniftcr  ©raf  ftaunifc  mar  ber  Slnfiajt,  bog  bie 
nädjfte  Aufgabe  ber  ^olitif  be*  $aiferf)aufe*  barin  beftefje,  bem 
ßönig  üon  Greußen  ben  Söetftanb  granfreid)*,  al*  ber  bebeutenb* 
ften  europäifdjen  £anbmad&t,  ju  entfliegen  unb  ben  $>of  bon  2kr= 
faille*  für  ein  $8ünbni&  mit  Defterreid)  ju  geroinnen ,  ba*  er  für 
weit  mistiger  ertfärte,  al*  ba*  bisherige  mit  (Snglanb,  ba  ba* 
lefctere  für  ben  'Sali  eine*  Kriege*  ungleich  geringere  SBortyeüe  ge* 
mäfjre.  Obgleid)  2ftaria  Sfjerefia  ba*  gute  (£inbernef)men  mit 
©eorg  II.  aufregt  p  galten  münzte,  mar  fic  bod)  mit  ben  2In* 
fdjauungen  ifjre*  Sftinifter*  einberftanben ,  unb  fo  fanbte  fie  ben* 
felben  nad)  Söerfaifle*,  um  ba*  erftrebte  SBünbuifj  anjuba^nen. 

ftaunifc  t) arte  anfang*  am  franjöfifdjen  jpofe  fein  leiste* 
©piel,  ba  $reu§en  in*gefjeim  feinen  Söemüfmngen  entgegen  arbeitete 
unb  überbie*  nidjt  nur  bie  aflgemeine  Stimmung  einem  SBünbmjj 
entgegen  mar,  ba*  mit  allen  polttifdjen  Xrabitionen  be*  fianbe* 
im  2Siberfprud)e  ftanb,  fonbem  audj  bie  geroiegteften  ©taat*männer 
fict)  gegen  ein  3ufammengef)en  mit  Defierreidj  erflärten;  allein  ber 
©influf  ber  9D?arquife  bon  ^ompabbur,  bie  ben  fdjroadjen  ßub* 
roig  XV.  boUftänbig  befjerrfdjte  unb  bie  ®aunife  in  fein  3nterefje 
ju  fliegen  gemußt  fjatte,  braute  aümäfjlid}  bie  fdjleppenben  Unter* 
fjanMungen  in  rafdjeren  Wang. 

Unterbeffen  mar  e*  jmifc^en  ©nglanb  unb  granfreid)  megen 
ber  ftreitigen  ©renjfragen  in  ifyrcn  norbamerifamfd)en  ©ebieten  $u 
fo  ernften  SBerroitflungen  gefommen,  ba&  ber  $rieg  jroifdjen  beiben 
3ftätf)ten  al*  unbermeiblid)  erfduen.  $>a  ju  ermatten  ftanb ,  ba& 
bie  gran^ofen  benfelben  mit  einem  Angriff  auf  &annober  eröffnen 
mürben,  roobei  bie  Haltung  griebrid)*  II.  für  ober  gegen  granfreid) 
ferner  in  bie  SBagfdjale  faden  rnu&te,  fuelt  e*  ber  $önig  bon  (Smg* 
lanb  für  geraten,  feine  perfönlidje  Abneigung  gegen  feinen  Neffen 
jum  ©d)tueigen  ju  bringen  unb  bemfelben  ein  Söünbnijj  anzutragen. 
3u  ber  gleiten  3eit  bemühte  fid)  aua)  granfreid),  ba*  SBünbnifj  mit 
griebrid)  II.  $u  erneuern,  „©d)mben  ©ie  Qfjrem  Könige,"  fagte 
ber  franflöfifdje  Süttnifter  ©ouiüd  ju  bem  preußifdjen  ©efanbten 
Snöpfjaufen,  bog  er  un*  gegen  £amtober  beifte^en  foöe.  @*  gibt 
babei  (Stroa*  ju  plünbern.  5)er  ©djafc  bc*  englifdjen  Äönig*  bort 
ift  gut  gefüllt.  25er  preufcifdje  $önig  brauet  if)n  nur  f)inmeg$u» 
nehmen  unb  tljut  babei  einen  guten  gang."  griebrid)  mar  eine 
Seitlang  im  Smeifet  barüber,  auf  melier  ©eite  ifmt  ber  größere 
SBort^eil  roinfe ;  bie  (Srmägung ,  bag  er  burdj  bie  Unterftü Jung 
eine*  franjöfifc^en  Angriff*  auf  |>annoöer  fia^  nia)t  nur  bie  Sng= 
länber,  fonbem  aua)  bie  Defterreia^er  unb  bie  mit  (Snglanb  in  ben 
^oliroart^  SMiflefdjidjte.  VI.  27 


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418 


2>er  ftebenjäfjrige  (britte  fcfjlcftfc^e)  flrieg 


beften  ^Beziehungen  ftefjenben  Muffen  auf  ben  $alS  Riehen  werbe, 
burch  ben  Slbfchlug  eine*  SöünbniffeS  mit  (Snglanb  bagegen  wahr* 
f€r)cinüc^  ben  öon  granfreief)  geplanten  ©infafl  in  ,£>annoöer  öerfnn* 
bem  fönne  unb  fomit  freie  #anb  in  ^eutfdjlanb  ^aben  werbe,  be- 
weg ihn  jeboer),  bie  Anträge  ®eorgS  II.  anzunehmen,  unb  fo  fam 
am  16.  3anuar  1756  ber  Vertrag  öon  SBeftminfter  ju  ©tanbe,  in 
meinem  beibe  äftächte  fidj  verpflichteten,  nict)t  ju  geftatten,  bafj 
eine  frembe  2flacht  Gruppen  in  55eutjd}tanb  einrüdfen  laffe. 

$)er  ^T6fc^lu§  biefeS  Vertrags,  ber  in  VerfaifleS  aß  ein  befU 
nitiöer  Abfall  griebricf)S  öon  granfreidjS  betrautet  würbe  unb  bie 
natürliche  Abneigung  SubmigS  XV.  gegen  Greußen  auf*  ^öc^ftc 
fteigerte,  mar  entfeheibenb  für  bie  öon  ftaunifc  mit  bem  franjöfifc^cn 
£ofe  gepflogenen  Mianaöerhanbtungen :  am  1.  9M  1756  fchloffen 
granfretch  unb  Defterreich  ju  VerfailleS  ein  $>efenfiobünbni&,  in 
welchem  fie  fidj  öerpflichteten,  einanber  in  ber  Vertheibigung  ihrer 
in  (Suropa  gelegenen  Staaten  mit  einer  Sruppenmacht  öon  öierunb- 
jwanjigtaujenb  Sttann  beijuftehen.  Xer  Slbftcht  eines  Angriffs  auf 
griebrich  II.  War  in  bemjelben  in  feiner  SBeife  gebaut. 

2lufjer  bem  Vünbnifj  mit  granfreidj  hatte  Äaunifc,  bem  bie 
$atferin  nach  feiner  9iürffef)r  öon  $ariS  bie  oberfte  Leitung  ber 
öefchäfte  übertrug,  auch  eine  engere  Verbinbung  mit  SRufjlanb 
bringenb  befürwortet,  Schon  im  3at)re  1746  war  $toifc$en  ben 
£öfen  öon  öerlin  unb  Petersburg  ein  Vertrag  ju  gegenfeitiger 
^ilfeleiftung  im  galle  eines  Angriffs  gejchloffen  worben,  unb  in 
einem  btefem  Vertrage  beigefügten  geheimen  Slrtifel  ^ottc  bie  ftaife* 
rin  (Slifabeth  bie  fpejielle  Verpflichtung  übernommen,  für  ben  gatt, 
baß  griebrich  IL  ben  $)reSbener  grieben  breche,  ber  $aijerin*$ö= 
nigin  ihren  Veiftanb  ^ur  SBiebereroberung  öon  Schlefien  unb  ber 
$raffchaft  (3Ha{j  ju  leihen,  Scitbem  war  baS  Verhältnis  jwifc^en 
ber  (Sjarin  unb  bem  ®önig  öon  Greußen  ein  immer  gefpanntereS 
geworben,  theilS  weil  griebrich  IL  unauSgefefct  gegen  ben  Sölden 
ber  ®aiferin  ruffifdje  Unterthanen  für  ben  preufeifchen  $)ienft  an= 
werben  liefe r  theilS  wegen  ber  bei&enben  ©pöttereien,  bie  ftch  ber 
®önig  über  (£UfabethS  unfittlichen  ßebenSWanbel  erlaubte  unb  bie 
berfclben  öon  bienftbefliffenen  äwifchenträgern  hinterbracht  würben. 
Much  fat)  baS  rufftjehe  Volf  felbft  baS  (Smporfteigen  ^reujjenS  mit 
großem  Stti&trauen,  unb  ber  Senat  ju  Petersburg  ftellte  im  9Jeai 
1753  ben  ©runbfafc  auf,  bajj  man  fich  einer  ferneren  3nnahmc 
ber  preufjifchen  Sftacht  wiberfefcen  unb  bie  erfte  paffenbe  (Selegem 
heit  ergreifen  müffe,  um  baS  £auS  Vranbenburg  wieber  tyrabw 
brüefen. 

Qn  biefen  ÖJefinnungeu  war  föujtfanb  burch  ÖJeorg  II.  beftärft 
worben,  fo  lange  berjelbe  noch  preufjen  für  ben  Verbünbeten  granf* 
reichs  gehalten ;  ja  es  war  fogar  jwifchen  beiben  dächten  ju  einem 


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SJeranlafiimg  unb  SJuSbrud)  bcö  Kriege«.  419 


Vertrage  gefommen,  ber  offenbar  auf  einen  ®rieg  gegen  Greußen 
jiette.  (Slifabetf)  mar  bafjer  über  ben  2Ibjd)iu&  beä  preu&ifa>eng= 
lifdjen  93üubniffe3  aufs  |>öd)fte  entrüftet  unb  brüefte,  fobalb  fic  oon 
bemfelben  #enntniß  erhalten,  bem  öfterreidnfajen  öJefanbten  efter^ajo 
ifjre  ©ereitmiaigfeit  au«,  bem  feinem  Stbfdtfuffe  na^en  ©ünbntffe 
DefterreidjS  mit  Sranfreidj  beizutreten. 

2Bie  föugtanb,  fo  ftanb  aud)  ®urfadjfen  entfdjieben  ju  Defter* 
reiefj,  ntdjt  nur  megen  beä  perfönlifen  ^paffeö  93rül)te  gegen  grieb* 
ridj  IL,  fonbern  audj  meil  ba3  fädc>fifrf)e  Sßolf  bic  in  bem  legten 
Kriege  öon  ben  $reu&en  in  Saufen  oerübten  ®emalttf)ätigfeiten  nia)t 
oergeffen  tonnte.  $ie  (Erbitterung  be3  $re£bener  |>ofe$  tjattc  in 
einem  eifrigen  ©djriftmedjfel  SBrüf)lä  mit  ben  leitenben  ^erfonen  an 
ben  $>öfen  oon  Söien  unb  Petersburg  einen  Ieibenfdjaftüd)en  &u3* 
brutf  gefunben ;  bodj  mar  eä  nod)  $u  feinertei  Vereinbarungen  jmifdjen 
ben  brei  2J?ädjten  in  Söejug  auf  ein  gemeinfame«  feinblidjeS  Vor* 
gefjen  gegen  $reu&en  gefommen. 

3n$roifdjen  mar  griebrid)  burdj  einen  beftodjeneu  ©efretär  ber 
öftcrreict)ifcr)eri  ®efanbtfd)aft  in  ^Berlin  unb  burd)  einen  gleidjfatts 
in  feinem  ©olbe  ftefjenben  fädtfifdjen  ftabtnetäjefretär  in  ben  93c- 
fifc  oon  Sfbfdjriften  geheimer  Rapiere  gelangt,  au«  melden  er, 
laut  einer  nad)  bem  öuÄbrud)  be«  $r#ge«  oon  feinem  SOcintfter, 
bem  (trafen  £>er$berg,  $u  feiner  SRedjtfertigung  oeröffent(id)ten 
€>taat«fdjrift,  bie  Ueberjeuguug  gefajöpft,  bafj  Defterreia),  föu&Ianb 
unb  ©ad&fen  übereingefommen  feien,  ifjn  im  fommenben  griUjjafyre 
anzugreifen,  um  ficr)  in  feine  ßänber  ju  tfyeüen.  Dbgteid)  in  ben 
fragltdjcn  papieren,  mie  ^erjberg  fpäter  offen  befannte,  nidjt«  2ln* 
bere«  enthalten  mar,  al«  mefjr  ober  minber  heftige  SluäfäHe  gegen 
ben  #önig  unb  eoentueöe  Xtyetfungaoorfdjtäge  für  ben  in  ben  ge- 
heimen Slrtifeln  be«  üorermäfjnten  öfterretdnfaVruffifd)cn  55efenfio= 
oertrag«  00m  Qaljre  1746  oorgefefjenen  gaü  eine«  grieben«brua)« 
oon  Seiten  be«  ®önig«  ton  ^ßreufjen,  befd)(o&  griebria)  bie  ifjm 
geworbenen  „(Smtfnlüungen"  ju  einem  fof ortigen  Singriff  auf  ©adjfen 
unb  £)efterteidj  $u  benufcen,  ba  biefclben  für  ben  2(ugenblirf  nodj 
attein  ftanben  unb  nidjt  gerüftet  maren,  mafjrenb  er  fetbft  fid)  in 
oofler  ®rieg«bereitfdjaft  befanb. 

Qnbeffen  erfannte  griebridj,  ba§  er  5ur  Eröffnung  ber  geinb* 
feligfeiten  irgenb  eine«  Vormanbe«  bebürfe,  unb  baju  mujjten  ü>m 
Xruppenanfammlungen  bienen,  bie  eben  in  Siemen  unb  2Räf)ren 
ftattfanben.  (£r  liefe  burd)  feinen  ©efanbten  am  SBiener  £>ofe  ber 
ilaiferin  eine  $cnffd)rift  überreifen,  morin  er  öon  ityr  unter  bem 
£nnmei«  auf  bie  „itym  jugefommenen  juöedäifigcu  9tad>rtd)ten  oon 
einem  jmifdjen  i^r  unb  ber  ®aiferin  oon  SRufelanb  gejdjloffenen, 
gegen  i^n  geria}teten  Angriff «bünbnig" ,  fomie  auf  Öcfterreio)« 
Lüftungen  eine  förmlid) e  s-8erfia)erung  barüber  üertangte,  bafj  fie 

27* 


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420 


Scr  ftebcni^rigc  (brittc  Weftfdp)  flricg. 


auf  feine  2Irt  gefonnen  fei,  iljn  Weber  in  biefem  nod)  im  folgen* 
ben  Sa^re  feinbiid)  anzugreifen,  tiefer  gorberung  mar  bie  (5r= 
'  flärung  beigefügt,  bajs  ber  König  eine  ungemiffe  unb  unfdjluffigc 
Antwort  als  ein  ©ingeftänbnig  feinbfeliger  ^bfic^ten  unb  fomit  für 
einen  Kriegsfall  anfeuert  werbe.  $)ie  Kaiferin  lieg  Ujm  ermiebern: 
„3>ie  if)r  übergebene  $enfförift  fei  nad)  3nfmlt  unb  SluSbrurf 
eine  berartige,  bafj  fie  gar  nidjt  barauf  antworten  fönne,  ofjne  bie 
©djranfen  ber  Mäßigung  ju  über f abreiten,  ©ie  fmbe  jebod)  be* 
fohlen,  bem  ©efanbten  ju  eröffnen,  ba§  bie  9*ad>rid)t  oon  einem 
jwifd)en  ifjr  unb  SRufelanb  gegen  ©eine  preufjifdjc  sUtojeftät  ge= 
richteten  2TngriffSbünbni&  fowie  alle  Angaben  in  betreff  ber  babei 
getroffenen  Serabrebungcn  oöllig  falfd)  unb  erbietet  feien,  unb 
ba&  ein  berartiger  Xraftat  gegen  ben  König  oon  ^reufjen  nid)t 
efiftire,  nodj  jemals  erjftirt  fjabe.  UebrigenS  fönnten  bie  oon  \f)x 
getroffenen  militärifd)cn  Söorfe^rungen  ben  König  umjo  weniger  be= 
fremben,  als  er  ja  felbft  fa)on  längft  mit  bebroljlidjen  Lüftungen 
beschäftigt  fei." 

$iefe  Antwort  würbe  oon  griebrid)  für  ungenügenb  erflart 
unb  bemgemäfj  gleict)  am  $age  naa)  bem  Eintreffen  berfelben,  am 
26.  Sluguft  1756,  ben  Gruppen  9^arfd)befe^l  erteilt,  $er  erfte 
Angriff  galt  ©ad)Jen,  baS  ber  König  burd)  eine  rafdje  ©efefcung 
entWeber  oon  bem  angeblidjeu  ©ünbnifj  mit  Defterreid)  loszureißen 
unb  ju  feinem  eigenen  SJunbeSgcnoffen  ju  madjen  ober,  was  ifjm 
als  baS  S3ort^eüt)aftere  erfdnen,  für  feine  friegerifd)e  ^werfe  aus- 
zubeuten gebaute. 

2lm  29.  Sluguft  erflärte  ber  preujjifd)e  ©efanbte  in  Bresben: 
„$er  SBiener  £of  jwinge  ben  König,  nad)  Söhnten  §u  marfdnreu, 
unb  ber  2Seg  müffe  burdj  ©ad)fen  genommen  werben,"  unb  an 
bemfelben  Xage  überfdjritt  ein  preufjifdjeS  £eer  oon  fed^igtaufenb 
Timm  bie  fädjfifdje  ©renje.  Wittenberg,  Xorgau,  fieipjig  unb  Diele 
anberen  ©täbte  mürben  ofyne  ©djwierigfeit  befefct,  unb  fdjon  am 
9.  ©eptember  ftanb  griebrid)  oor  ben  dauern  oon  Bresben.  $)a 
bie  ©tabt  nid)t  oertfjeibigt  werben  fonnte,  inbem  baS  £anb  ofme  alle 
Kriegs bereitfa^aft  war,  entflof)  2(uguft  III.  mit  bem  ©rafen  ©rüljl 
nad)  $ima,  wo  fein  gelbmarfdjall  ÖJraf  föutomsfn  mit  einem  in 
ber  Eile  jufammengebrad)ten  £eere  oon  fiebjc^ntaufenb  9#ann  ein 
fefteS  fiager  belogen  l)atte. 

©o  fonnte  griebrid)  oljne  ©d)Wierigfeit  in  bie  fäd)fifdje  #aupt- 
ftabt  einjie^en.  £)ier  lieg  er  baS  Wrdjio  im  furfürftlidjen  ©djloffe 
gewaltfam  öffnen,  obgletd)  bie  in  Bresben  jurütfgebltebene  Kurfürftin 
ben  Eingang  ju  bemfelben  mit  ifyrem  Sftürfen  51t  betfen  judjtc,  unb 
aus  bemfelben  alle  für  if)n  widrigen  Urfunben  fjerauSnefymen,  aus 
welchen  bann  fein  2)ünifter  ^perjberg  ben  ©toff  ju  ber  oben  erwähn* 
ten,  fpäter  oon  if)tn  felbft  jum  größten  Xfjcile  bementirten  ©taats* 


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SBcranlaffung  unb  Ausbruch  be«  Kriege» 


421 


fefprift:  „(SJrünbliche  Nachricht  öon  ben  gefährlichen  Sftftchten  ber 
£öfe  gu  SBien  unb  ju  Bresben"  fchööfte. 

$a  ftuguft  DL  ba«  öon  griebridj  ihm  angetragene  SBünbnifc 
ablehnte  unb  fich  nur  jutn  Slbfchlu§  eine«  9ieutratität«öertrag«  be* 
reit  erflärte,  würbe  ©achfen  wie  ein  eroberte«  £anb  behanbelt.  $te 
«geughäufer  ju  Bresben,  28eißenfet«  unb  Beij  würben  ausgeräumt 
unb  bie  SSaffen  fammt  bem  ©efdjüfc  nach  9ttagbeburg  gerafft,  bie 
öffentlichen  Waffen,  fomie  bie  Söergwerfe,  bie  SJcunje  unb  bie  ^orjet- 
lanfabrif  mit  SBefdjlag  belegt  unb  bie  $anjteien  öerftegelt.  3n 
Xre«ben  errichtete  grtebrich,  nachbem  er  ba«  fächfifche  Sonferen^ 
minifterium  auger  $f)ätigfeit  gefegt,  eine  preufnfehe  ßanbeSöerwat* 
tung  unb  in  Xorgau  ein  ßriegSfommiffariat,  welche«  burdj  s2IuS= 
fchreiben  allen  Einnehmern  furfürftlict)cr  ÖJefäHe  gebot,  biefelben 
nicht  mehr  an  ben  SanbeSherrn,  fonbern  an  ben  Äönig  öon  Greußen 
311  entrichten. 

Unterbeffen  hotte  SfriebrichS  unerhörte«  Vorgehen  gegen  ©achfen 
im  beutfehen  deiche  allgemeinen  Unwillen  hwborgerufen,  unb 
bergS  NechtfertigungSfchrift  fanb  wenig  (Glauben.  2ln  jriebrich  er- 
ging ein  fatferliche«  TOanifcft,  worin  er  aufgeforbert  würbe,  bem 
«föönig  öon  Sßolen  aßen  ihm  jugefügten  ©chaben  ju  erfefeen  unb  feine 
Gruppen  unüerjüglich  au«  ©achfen  jurücfjujiehen.  ©tatt  biefer 
Slufforberung  golge  5U  leiften,  fdjritt  3rriebrich  $ur  Einfchüefjung 
t>e«  fächfifchen  Säger«  bei  $irna,  ba«  ihn  an  ber  Ausführung  feine« 
beabfichtigten  Einbruch«  in  ©ohmen  t)inbertc.  3>a  ba«  fächfifche 
£eer  fich  in  einer  unangreifbaren  Stellung  befanb  unb  in  fidlerer 
Erwartung  eine«  balbigen  Entfafce«  burch  bie  Defterreidjer  jum 
äugerften  SBiberftanb  entfehtoffen  mar,  blieb  ihm  nicht«  anbere«  übrig, 
<il«  ba«felbe  auszuhungern. 

Qn^mifchen  ^atte  ber  öfterreichifche  Selbmarfchatl  ^Browne  in 
Böhmen  fünfunbbrei&igtaufenb  Sftann  jufammengebracht,  mit  welchen 
<r  gegen  bie  fächfifche  (Ürenje  öorrücfte,  um  ben  eingefchloffenen  ©ach* 
fen  Öuft  ju  machen,  grtebrich  50g  ihm  fogleich  mit  breijjigtaufenb 
SDtonn  entgegen,  unb  bei  bem  böhmifchen  ©täbtehen  ßowofifc  tarn 
e«  am  1.  Oftober  ju  einer  ©djfacht,  bie  öon  fteben  Uhr  borgen« 
bi«  brei  Uhr  Nachmittag«  unentfdueben  §in*  unb  h^wogte,  ba  bie 
gebirgige  ©egenb,  fowie  ein  bidjter  Nebet,  ber  fich  erft  $ur  9JHttag«= 
^cit  ju  jerftreuen  begann,  bie  Bewegungen  beiber  £>eere  erfchwerten. 
Nachbem  ein  öon  bem  Jperjog  öon  SBeöern  mit  bem  ttnfen  preufji* 
fchen  Slügel  gefchieft  ausgeführte«  SRanööer  bie  STuflöfung  be«  rechten 
faiferlichen  glägetö  herbeigeführt,  trat  Söromne  ben  Nücfyug  nach 
Söubin  an.  Snebrich,  ber  fiebentaufenb  iobte  auf  bem  ©chla<f)tfelbe 
äurücftiefj,  währenb  ber  SSertuft  ber  Defterreicher  nur  ^weitaufenb 
SNann  betrug,  fonnte  nicht  umhin,  feinem  (Gegner  ba«  Seugnifj  ber 
einficht«öottften  unb  taöferften  Söertheibigung  au«juftellen.  ,,E« 


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422  $cr  ftcbenjd^rigc  (brittc  föleftföc)  Ärieg. 


finb  nid)t  mef)r  bic  alten  Defterreidjer ,  bic  icf)  bei  ßomofifc  fanb", 
f  abrieb  er  an  ben  ©rafen  oon  ©djroerin.  „Sic  ftnb  meit  flügcr 
als  fonft ,  unb ,  glauben  ©ie  mir  auf  mein  SBort ,  eS  wirb  un= 
jä^Iige  äftenfdjen  foften,  fte  ju  fragen,  menn  mir  ifjnen  anbcrS 
ntd)t  eine  übermicgcnbe  SRaffe  öon  grobem  ®efa)ü&  entgegenstellen 
oermögen." 

Sriebrid)  eilte  naa)  ©a^fen  jurücf,  um  baS  eingefdtfoffeue 
fädjfifdje  $eer ,  in  meld&em  injmifa^en  bie  Wotl)  aufs  £ödjfte  gc* 
ftiegen ,  jur  Kapitulation  ju  jtoingen.  9laa)  einem  üergeblidjcn 
$er{ud)e,  p  nädjtlidjer  ©tunbe  über  bie  ©Ibe  ju  ge^en  unb  ftcr) 
burdj  bie  Greußen  burdf^u  föfagen ,  um  ftdj  mit  ©romnc  $u  t>er= 
einigen ,  ber  ifjnen  bereits  bis  ©rfjanbau  entgegengefommen ,  blieb 
ben  üoüftänbig  erfcf>öpften  unb  bem  Söerfjungcrn  nafyen  fädöflfc^en 
Xruppen  9HdjtS  übrig,  als  fidj  ju  ergeben.  Slm  14.  Öftober  mürbe 
jmifdjen  bem  (trafen  sJtutomSfn  unb  bem  preu&ifajen  ®eneraflieute* 
nant  oon  2öinterfe(b ,  gricbrirf)S  oertrauteftcm  9tatf)geber  unb  bem 
£auptanftifter  beS  Krieges,  ein  $apitulationSt>ertrag  gefdjloffcn,  naa? 
meinem  fid)  baS  ganje,  nod?  aus  oierje^ntaufenb  Sftann  befteljenbe 
fäd)fifcf)c  £ecr  mit  allen  SSaffen  unb  $riegSoorrätl)en ,  bod)  ofyne 
bie  gafjnen  unb  ©tanbarten,  gefangen  geben  mußte.  3)ie  Offiziere 
mürben  auf  iljr  (Sfjrcuroort,  nict)t  gegen  Greußen  }it  bienen,  frei* 
gelaffen ,  bie  Gemeinen  bagegen ,  in  benen  3riebrid)  nur  millenlofe 
SBerfyeuge  ju  erblicfen  getoofjnt  mar ,  jum  Eintritt  in  baS  preu= 
ßi)tf)e  $eer  gejroungen.  %\t  fädjftfdjen  ©olbaten  jeigten  jebod)  eine 
f)öl)ere  (Sefinmutg,  als  Sriebrid)  ifjnen  jugetraut:  bie  meiftcn  ber- 
felben  beroafjrten  ifjrem  Shirfürften  bie  iljm  jugefdijroorene  Xreue 
unb  entminen,  ben  ifjnen  abgerungenen  gafjneneib  für  nidjt  öer= 
binblidj  eradjtenb ,  fdjaarenrocife  nadj  ^ßolen ,  rooliin  Sluguft  III. 
ftcr)  mit  feinen  beiben  ©öfjnen  unb  mit  feinem  SHinifter  SBrüfjt 
begeben  fjatte. 

SSäljrenb  bie  Defterreidjer  fidj  in  baS  innere  SBöfjmenS  $u* 
rücfjogen ,  nahmen  bic  Greußen  ifjre  SBinterquarticre  in  ©djleften 
unb  ©adjfen.  3riebridj  fclbft  oerbradjte  ben  Söinter  in  Bresben, 
roo  er,  feine  Seit  jmifrfjen  meiteren  $riegSoorbcreitungen ,  jdjrift= 
fteücrifcrjcn  Arbeiten  unb  ftunftgenüffen  tfjcilenb,  bie  Ütotle  beS  ge* 
btetenben  SanbeSfjerrn  fpielte. 


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$ie  (Schlachten  bei  <ßrag,  Äollin,  ffiofebaef)  unb  Seilten.  423 

Sic  Sdtfadjten  bei  $rag,  «ollin,  Koftbad)  unb  «cuthen. 

(1757.) 

35er  griebenabruch,  ben  ber  ®önig  oon  Greußen  burch  feinen 
Einfall  in  ©Ockfen  begangen,  fjatte  in  ganj  (hiropa  ba3  größte 
Sluffeben  unb  eine  allgemeine  (Sntrüftung  erregt.  35ie  ®aiferin 
Oon  SRu&lanb  ließ  bem  $urfürften  oon  Sachfen  bie  Sterficfjerung 
jufommen,  baß  ftc  baä  Unglücf,  ba$  ihn  betroffen,  aufrichtig  mit- 
fühle unb  ed  für  tt)re  befonbere  Pflicht  erachte ,  i^m  megen  ber 
gegen  feine  (Srbfraaten  geübten  ©emalttbätigfeit  eine  ÖJenugthuung 
ju  oerfebaffen,  bie  weniger  nach  Maßgabe  be3  jugefügten  SchabenS 
ju  beftimmen  fei,  ate  nach  ber  ^bfcheulicbreit  beä  burch  ben  ®önig 
Oon  Greußen  rücffichtaloS  begangenen  griebenäbruebea.  Um  }U 
jeigen  ,  baß  eä  ihr  mit  biefer  Verfidjerung  ©rnft  fei ,  orbnete  fie 
fogleich  bie  umfaffenbften  Lüftungen  an. 

3)ie  gleichen  ©eftnnungen  jetgte  Submig  XV.,  beffen  ältefter 
Sohn,  ber  Dauphin  fiubtotg,  mit  einer  Xocfjter  Muguftö  III.  Oer* 
mahlt  mar.  (£r  gab  SBefef)!,  bei  SD^eft  ein  fteer  oon  oierunbamanjig; 
taufenb  3ftann  jufammensuäieben,  unb  als  griebrich  bem  fran^öfifchen 
©efanbten  am  Sreäbener  £ofe,  bem  ÖJrafen  93roglio,  bie  ©rlaubntß 
oermetgerte,  bem  bei  $tma  eingefchtoffenen  fturfürften  perfönlicb  ein 
Schreiben  feinet  Königs  ju  überbringen,  mürbe  ber  fran^öftfehe  ©e= 
fanbte  oon  ^Berlin  abberufen,  moranf  griebrich  feinem  Ötefanbten 
in  *ßari£  gleichfalls  ben  ©efcbl  ftur  fofortigen  Slbreife  jufommen 
liefe.  $>er  jmifeben  granfreieb  unb  Cefterreich  gefcbloffene  £efen5 
fiooertrag  mürbe  burch  ben  am  1.  Sftai  1757  unterzeichneten 
bireft  gegen  Greußen  gerichteten  fogenannten  „fetten  Vertrag  üom 
SSerfaiQe^"  ergänjt,  in  welchem  fidj  Submig  XV.  oerpflichtete,  bie 
®aiferin^ömgin  in  ihrem  Kampfe  gegen  griebrich  II.  mit  einer 
Xruppenmacht  oon  einmalfjunbertf  ünf  5  ebntauf  enb  Üftann  unb  namf)af= 
ten  i>ilf3gelbern  ju  unterftü&en,  mogegen  ihm  2Karia  ^r)erefia  für  ben 
Satt  ber  erftrebten  SBiebereroberung  oon  ©cblefien  unb  ber  Grafschaft 
Glafc  bebeutenbe  Gebietsabtretungen  in  ben  ftieberlanben  jufagte. 

$er  Reichstag  ju  SRegenSburg  fprach  au  Anfang  bcS  3at)re3 
1757  über  griebrich  toegen  beS  oon  ihm  begangenen,  bie  9teuf)3; 
oerfaffung  oerlefcenben  griebenSbrucbS  bie  Mchtäerflärung  au£  unb 
orbnete  ju  beren  SBollftrecfung  bie  Slufftellung  eines  9ieicbabeere3 
an.  Sluch  ©chtoeben  mürbe  burch  franjöfifcheS  ©elb  unb  ben  @in= 
fluö  ber  ®aiferin  (Elifabetb ,  fomte  burch  bie  Hoffnung  auf  ben 
SBieberermerb  oon  Vorpommern  für  bie  93etl)eiligung  an  bem  Kriege 
gegen  Greußen  gemonnen. 

So  fat)  fich  griebrich  einem  99unbe  gegenüber,  beffen  ©trete 
fräfte  bie  feinigen,  einfchlieglicf)  ber  oon  feinen  23unbe3genoffen 


Digi  ^ , 


424  $er  fiebenjityrige  (brüte  fdjlefifdX)  tfrieg. 

(£ng(anb,  |>ef}cn^affe( ,  Söraunfctyweig  unb  ©otlja  ju  erwartenben 
Verhärtungen,  bei  SBeitem  nuf)t  geWadjfen  waren.  Xennod)  er- 
uliten  feine  Sage  für  ben  Slugenblid  nidjt  allju  ungfinfhg;  benn 
wät)renb  er  burdj  bie  auägiebigfte  ©enufcung  ber  reiben  Hilfs- 
quellen, bie  ba£  oon  ifjm  befefcte  €>ad)fen  i^m  gewährte,  für  ben 
gclbjug  bed  fommenben  Qa^rea  bie  umfaffenbften  Vorbereitungen 
t)attc  treffen  fönnen,  waren  bie  Lüftungen  feiner  (Gegner  nod)  lange 
nidjt  beenbigt,  unb  fiberbieS  war  e&  i|m  gelungen,  ben  ruffifc^cn 
ÖJrofjfanjIer  ©eftudjew  burdj  bebeutenbe  (Selbfummen  bafjin  511 
bringen,  bafj  berfelbe  bem  ^bmarfdj  ber  ruffifdjen  Gruppen  auf  ben 
$rieg$fd)auplafc  afle  nur  erbenflidjen  £inberniffe  in  ben  2Beg  legte ; 
audj  bie  2öat)I  beä  burdjaufc  unfähigen  (trafen  Slprarjn  jutn  Dber* 
befefjtSljaber  be§  rufftfdjen  $>eere3  befunbete,  ba&  Jöeftudjem  öoCU 
ftänbig  für  griebridt)3  3ntereffe  gewonnen  mar. 

9tad)  bem  bon  griebrich  für  ben  getbjug  be3  3at)re3  1757 
entworfenen  $tane  follte  feinen  SöunbeSgenoffen  bie  2tbwet)r  ber 
granjofen  überlaffen  bleiben  unb  gegen  bie  Muffen,  Don  melden 
er  für  ben  Slugenblirf  wenig  ju  fürchten  t)atte ,  ber  alte  gelbmar* 
fdmU  ßefjwalb  mit  jefmtaufenb  Sftann  entfanbt  werben,  bie  preufjifdje 
Jpauptmadjt  aber  in  83öt)men  einfallen  unb  $rag  erobern,  nad> 
beffen  einnähme  ber  $önig  in  ber  Sage  ju  fein  f)offte ,  ben  ftrieg 
in  baä  3nnere  Defterreiä)*  $u  öerpflanjen  unb  ber  #aiferin-®ö* 
nigin  in  SBien  felbft  ben  grieben  $u  biftiren.  $en  mit  feinen  gelb* 
fjerren  getroffenen  SSerabrebungen  gemä&,  über  meldte  ba8  ftrengfte 
®et)eimniB  bewahrt  würbe,  rücfte  ba3  preu&ifdje  #eer  im  Sfprit  in 
oier  Slbtljeilungen  öon  öier  berfduebenen  ©eiten  t)er  in  $Böl)men 
ein,  nafmt  überaß,  ba  ber  (Stnbrudj  ben  Oefterreia^ern  öööig  uner* 
wartet  gefommen,  bie  9flaga§ine  funmeg ,  fo  bafj  e3  für  längere 
Seit  reid)lid)  mit  ädern  Nötigen  berfet)en  war,  unb  ftanb  am  6.  9Äai, 
bem  jur  Bereinigung  ber  oerfduebenen  Jpeerfäulen  beftimmten  Xage, 
oor  iß  rag,  wo  unterbeffen  baä  öfterreid)ifd>e  $eer  unter  bem 
^rinjen  $arl  oon  Kötteringen  unb  bem  gelbmarfdjafl  ©rowne 
Stellung  genommen. 

Dbgleid)  ber  alte  getbmarfdjaH  Schwerin  bem  #önig  bringenb 
riet!) ,  bebor  er  jum  Angriff  fdjreite ,  ba«  Serrain  genau  ju  er* 
funben  unb  feinen  ermübeten  Xruppen  einen  Xag  §Rut)e  ju  gönnen, 
beftanb  griebriä)  auf  einem  fofortigen  Angriff  unb  orbnete  felbft 
fein  £>eer  jur  ©djladjt.  Slbcr  fdjon  beim  Slufmarfdneren  ftiejj 
man  in  bem  fumpfigen  unb  bergigen  (Srbreidj  auf  unoorljergeietjene 
©cbwtertgfeiten ,  fo  bafj  ber  Angriff  erft  um  ein  Ut)r  Nachmittags 
beginnen  fonnte.  $ie  $reu&en  würben  bei  bem  2krfucf>e ,  bie 
$>öl)en  ju  erftürmen,  au3  ben  woljl  angebrachten  öfterrctdt>ifc^cn 
Batterien  mit  einem  fo  mörbcrifchen  geuer  empfangen ,  ba&  ganje 
Regimenter  nieberftürjten  unb  i^rc  Üiei^en  fict)  ju  (Öfen  begannen. 


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$ie  ©djladjfen  bei  $rag,  Äount,  töoßbad)  unb  Scut^cn.  425 

2)er  breiunbftebäigjäfjrige  ©ajmerin,  ber  einem  fliefjenben  Säfjnrid)  m 
bie  galjne  aus  ber  fyanb  geriffen  unb  an  ber  @jnfce  feine«  3uß* 
üotls  aufs  Sfeeue  gegen  bie  berberbenfprühenben  femblidjen  Batterien 
borgebrungen  mar,  fanf,  Don  bier  tfartätfdjenfugeln  burdjbofjrt,  tobt 
ju  ©oben.  3mmer  größer  mürbe  bie  ©ntmuthigung  im  preußifajeu 
Speere  ,  unb  fdjon  fdnen  ber  ©ieg  für  bie  Defterreid&er  gefiebert, 
als  ber  gelbmarfchall  ©romne  burd)  eine  fetnblid>e  £ugel  töbtlidj 
bermunbet  mürbe  unb  bemußtloS  aus  bem  #ampfgemfif)le  fortge* 
tragen  merben  mußte.  Sto  ber  $nnj  bon  Öot^ringen  faft  ju  ber 
gleiten  Seit ,  mäljrenb  er  in  ^öc^fter  Erregung  ben  in  ber  $luf* 
löfung  begriffenen  öfterretdjtfchen  regten  ftlügel  $um  ©teilen  ju 
bringen  fudjte,  burd)  einen  plöfclidjen  heftigen  öruftframpf  ber  ©e- 
ftnnung  beraubt  mürbe,  geriet!)  baS  öfterreidjtfd)e  jpeer  in  bollftän* 
bige  ißermirrung,  unb  nad)bem  eS  bem  ftönig  gelungen,  baS  feinb* 
Iict>c  Zentrum  ju  burdjbredjen ,  mar  ber  ©ieg  für  il)n  entfa^ieben. 
51ber  e£  mar  ein  treuer  erfaufter  @ieg;  benn  mel)r  als  fed^ehns 
taufenb  Greußen  lagen  tfjeilS  tobt,  tljeilS  bermunbet  auf  ber  blu- 
tigen SSaljlftätte ,  unb  ber  SBerluft  ©ajmertnS  mog,  nadj  bem  9luS* 
fprudj  5riebrid)S,  fernerer,  als  menn  er  je^ntaufenb  üftann  mein; 
eingebüßt  ^atte. 

$a  ber  $rin$  bon  Böhringen  fidj  mit  bierjigtaufenb  SRann 
hinter  bie  Stauern  bon  $rag  jurüefge^ogen  unb  überbieS  ein  $mei* 
teS  öfterreidjtfdjeS  £eer  unter  bem  Sfelbmarfd^aQ  3)aun  bei  Hutten* 
berg  ftanb,  mürbe  bie  Sufforberung  jur  Uebergabe  ber  Stabt  jurütf* 
genriefen,  unb  fo  faf)  ftdj  Sriebridj  genötigt,  jur  Belagerung  ber* 
felben  ju  fdjretten.  $iefe  Hufgabe  übernahm  er  felbft,  mäfjrenb  er 
ben  £er$og  bon  SBraunfa^meig^Bebem  mit  jmanjigtaufenb  üflann 
jur  ©eobadjtung  5)aunS  gegen  Äuttenberg  entfanbte. 

Untcrbcffen  mar  ein  franjöfifdjeS  Jpeer  bon  fyunberttaufenb 
SDtonn  in  Söeftfalen  eingerütft,  unb  ein  gleich  ftarfeS  ruffifdjeä  §eer 
jog  gegen  Greußen  Ijeran.  ÄlS  griebrid)  ^ierbon  Äunbe  erhielt,  be* 
fd)loß  er ,  nachbem  er  bereits  fünf  SEBodjen  lang  bie  böhmifdje 
£auptftabt  erfolglos  Ijatte  begießen  laffen,  felbft  bem  fteere  $aunS 
entgegenjujie^en ,  in  ber  Hoffnung ,  baß  ein  ©ieg  über  baSfelbe, 
woran  er  bei  feiner  geringen  Meinung  bon  2)aunS  gelbherrntalent 
nicht  gmeifelte,  eine  (ofortige  güufttge  Söenbung  beS  Steges  für  ifm 
jur  Solge  ^aben  merbe.  2Jftt  jmeiunbbreißigtaufenb  SJcann  brach  er 
am  13.  ^uni  jur  Bereinigung  mit  Gebern  bon  $rag  auf  unb  traf 
mit  bemfelben  am  15.  bei  $aur$im  jufammen.  $a  $)aun  in- 
^mifajen  bon  SBien  Befehl  erhalten,  $WeS  gum  (Sfntfafce  bon  Sßrag 
aufzubieten,  ^atte  er  feine  Xruppen  jum  SBormarjO)  gegen  baS 
preu§i)d)e  iÖelagerungS^eer  bei  Ä  o  1 1  i  n  jufammengegogen ,  mo  er 
auf  bie  9iadjrid)t  bon  g^^^i^^  heranziehen  eine  treffliche  ©tel- 
lung  na^m.   £ier  griff  i^n  griebria)  am  18.  3uni  um  ein  U&r 


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426 


$er  ficbcnj«f)rigc  (brittc  föleftfdje)  tfrieg. 


RndmtittagS  an.  $ie  Schlacht  tourbe,  nach  bcm  öon  bem  äönig 
entmorfenen  *ßlane ,  burd)  bcn  rechten  preußifchen  glügel  unter 
bcm  General  Sythen  eröffnet,  ber  bie  Oefterreidjer  öon  ber  Seite 
angriff  unb  ihnen  trofc  ber  ^eftigften  Gegenroehr  ntc^t  unbebeutenbe 
Sortheile  abgetoann.  SIber  roährenb  9ltte*  fidj  aufs  Günftigfte  für 
bie  Greußen  ju  geftalten  festen ,  änberte  griebrid)  plöfclich  feinen 
Sdjlachtplan ,  inbem  er  mehreren  Qnfanterieregimentem ,  bie  &ur 
Berftärfung  beS  regten  glügelS  heranrückten ,  Befehl  erteilte,  ben 
geinb  in  ber  gronte  anzugreifen.  Vergeben«  machte  U>n  ber  $rin$ 
9Hori$  öon  3>effau,  ber  biefe  Regimenter  befehligte,  auf  bie  unauS= 
leiblichen  golgen  biefer  9lenberung  aufmerffam :  ber  finnig,  ber  fia> 
fchon  feit  längerer  Seit  in  einer  fo  geregten  Stimmung  befanb,  baß 
er  auf  feinen  Rath  hörte,  mieS  ihn  mit  heftigen  SBorten  jurücf  unb 
fprengte  enblid),  als  ber  <ßrinj  feine  (Sinmenbungen  ju  ttrieberhoten 
magte,  mit  entblößtem  $egen  auf  ir)n  ein,  inbem  er  ihn  fragte,  ob 
er  gehorchen  »olle  ober  nicht?  $er  $rinj  fügte  fich;  aber  maS 
fommen  mußte,  fam:  bie  preußifchen  Generale  fonnten  fteft  nia)t  fo* 
fort  in  bie  neuen  Slnorbnungcn  finben,  unb  fo  gingen  mehrere  auf 
eigene  Gefahr  öon  ben  ursprünglichen  Befehlen  grteDridjS  ab.  $ie 
baraitS  für  bie  Defterreidjer  ertoachfenben  SBortyeite  mürben  öon 
Xaun,  bem  griebrich  felbft  baS  Scugniß  auSftellt,  fich  bei  biefer 
Gelegenheit  als  „großer  Heerführer"  bemüh**  ju  haben,  aufs  $reff= 
tiefte  ausgebeutet,  unb  fo  blieb  ber  Sieg  ben  Defterreidjern.  2Rit 
einem  Söerlufte  öon  oiergehntaufeub  äRann  an  lobten,  Bertounbeten 
unb  Gefangenen,  barunter  brcihunbertfechSunbatüanäig  Offiziere,  unb 
unter  3urü<flaffung  öon  fünfuuböterjig  Gefchüfc en  unb  jmeiunbsmanjig 
gähnen  unb  Stanbarten  mußte  ber  $önig  ben  Rücfyug  antreten. 

W\t  ber  Rieberlage  Don  S'ollin  mar  grtebrichs  hodjfahrenben 
Plänen  ein  Qiti  gefefct:  oon  bem  Singriff  mußte  er  jur  Berthei* 
bigung  übergehen.  Rachbem  er  bie  Belagerung  öon  ^rag  aufge* 
hoben,  orbnete  er  bie  allmähliche  Räumung  Böhmens  an.  Sein 
trüber  Sluguft  SBilhelm,  ber  ben  Auftrag  hatte,  einen  Xfjeil  beS 
£>eereS  nach  ber  fiaufity  jurücfyuführcn,  erlitt  bei  bem  Ausgang  aus 
ben  böhmifdjen  $äffen  empfinbüche  Berlufte,  morüber  griebrich  ihn 
mit  fo  öerlefcenben  Bortoürfen  überhäufte,  baß  ber  Kummer  barüber 
bcn  trefflichen ,  allgemein  oerehrten  ^Srinjen ,  ben  ber  ®önig  fchon 
längft  als  feinen  Rachfolger  mit  Wrgroolm  $u  betrachten  fich  gc* 
möhnt  hötte,  in  ein  frühes  Grab  frürjte. 

SBährenb  griebrich  nach  Dcr  öoUftänbigen  Räumung  Böhmens 
ein  fefteS  £ager  bei  Görlifc  be$og,  nahm  baS  öfterreiduiche  .peer, 
baS  il)m  unter  bem  ^rinjen  Oon  fiothringen  unb  $>aun  gefolgt 
mar,  an  ber  Reiße  eine  fo  treffliche  Stellung,  baß  ber  ®önig,  ber 
üor  Begierbe  brannte,  bie  bei  ftollin  erlittene  Scharte  burch  einen 
Sieg  auSjutoe&en,  oon  einem  Eingriff  auf  baSjelbe  abftehen  mußte. 


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$ie  <Sd)la<t\ttn  bei  $r<tg,  tfoUin,  SRofebach  unb  Seutf)en.  427 


Unterbeffen  waren  bon  ollen  leiten  Unglfictebotfchaften  ringe* 
laufen.  $5ie  Muffen  maren  in  Greußen  eingebrochen,  Ratten  am 
5.  3ult  SWemel  erobert  unb  plünberten  unb  bewerten  bie  bon  ihnen 
burdjjogenen  Oegenben  in  grauenboller  SBeife.  $ie  granjofen 
Ratten  griebrichs  rhetnifche  unb  meftfälifche  Sänber  befefct,  bie  fie 
mit  ferneren  SBranbfchafcungen  fjeimfudjten,  unb  ba«  öon  griebrtcha 
beutfdjen  ©unbeSgenoffen  aufgebraßte  unb  bon  bem  iperjog  oon 
(Sumberlanb  geführte  £>i(f8heer  mar  am  26.  ftuti  bei  #aften6etf , 
unweit  Jameln,  öon  bem  franjöfifchen  SWarfiafl  b'Str^eS  boflftän* 
bi<l  gefchlagen  morben,  morauf  bie  gfrangofeit  fich  über  gan$  lieber? 
fachfen  berbreitet  Ratten. 

$a3  .$eran$iefjen  eine*  jroeiten  franjöfifcften,  bon  bem  ^ßrinjen 
Soubtfe,  einem  (Uünjtling  ber  90?arquife  öon  Sßompabour,  geführten 
#eere£,  ba$  im  Vereine  mit  bem  unter  bem  Oberbefehle  be3  $rin= 
$en  bon  £ilbburgfjaufen  ftefjenben  SReidjSEjeere  bie  Greußen  au$ 
föurfachfen  bertreiben  fottte ,  bemog  ben  $ömg ,  ba3  Sager  bon 
®örlifc  bem  ©erjog  üon  Vraunfchmeig*Vebern  ju  überlaffen  unb  fief) 
fclbft  im  Wuguft  mit  jmölftaufenb  Sftann  nach  Treiben  ju  begeben, 
bon  mo  er  feine  Truppen  in  Keinen  (Schaaren  bis  nach  £alberftabt 
hin  bertheilte. 

Söäfjrenb  griebridj  in@achfen  ftanb,  erlitt  ber  fech^unbftebjtg* 
jährige  gelbmarfchall  fiehmalb  am  30.  $(uguft  bei  ©rofcjägern* 
b  o  rf ,  unmeit  Sßelau,  gegen  ben  ruffifdjen  gelbherrn  Slprarjn,  beffen 
£eer  bem  preußifdjen  um  baS  Vierfache  uberlegen  mar,  eine  lieber* 
tage,  bie  ohne  Broetfel  ben  Verluft  bon  ganj  Greußen  jur  golge 
gehabt  h°ben  mürbe  r  märe  ntcr)t  Slprajin  unermartet  mit  feinem 
£>eere  burdj  Veftucfjem  abberufen  morben.  35er  ©runb  baoon  (ag 
in  einer  plöjjlicfjen  gefährlichen  Crrfranfung  ber  Äaiferin  ©lifabetf), 
nach  beren  ficher  ermartetem  Tobe  Veftuchem  fich  be$  #eere3  jum 
©turje  be8  jum  Thronfolger  ernannten  ßJroßfürften  $etet  bebtenen 
moHte.  $)ie  dtenefung  (SltfabethS  unb  bie  ©ntbeefung  fetner  5lbfichten 
führten  feine  Verbannung  nach  Sibirien  herbei. 

9cach  bem  Hbjug  ber  Sftuffen  manbte  fich  Dcr  gelbmarfchall 
fiehmalb  gegen  bie  ©djmeben ,  bie  in  ber  ©tärfe  bon  jmeüurt^man* 
$igtaufenb  Sflann  in  Bommern  eingefallen  maren,  unb  brängte  fie 
bis  nach  ©tralfunb  unb  ber  Snfel  SRügen  jurücf. 

ÜJtinber  günftig  als  im  Dften  hatten  fich  injmifcfjen  im  Söeftcn 
bie  $inge  für  griebrief)  geftaltet.  Nach  ber  Schlacht  bei  $aftenbecf 
hatte  fich  ber  £>erjog  bon  ßumberlanb  bon  bem  ^er^og  bon  fRtc^e- 
lieu,  bem  Nachfolger  b'@tr£e£,  fo  fehr  in  bie  @nge  treiben  laffen, 
bajj  er  fein  £>eer  nur  bnreh  ben  am  8.  September  unter  ber  Ver- 
mittlung T)änemarf3  gefchloffenen  Vertrag  bon  ®lofter*@eeben 
cor  firiegSgefangenfdjaft  retten  fonnte.  tiefer  Vertrag,  in  meinem 
er  fich  berpflidjtete ,  alle  Truppen  feine*  $>eere3  mit  Sluänahme  ber 


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428 


2>er  fteftenjtyrige  (brittc  fdjlcfifc^c)  ffrieg. 


.fSannoöeraner  auSeinanbergefjen  ju  laffen ,  mit  bicfen  fidj  über  bie 
(SIbe  jurücfjujic^en  unb  ben  granzofen  btc  bi«  jefct  oon  tym  befe&* 
ten  Sänber  einzuräumen,  mürbe  jmar  öon  ®eorg  II.  nidjt  rotificirt; 
ober  bie  Sranjofen  blieben  beffenungead)tet  nidjt  nur  im  ©efifc  be3 
&nrfürftentf)um3  £annoöer,  fonbern  befefcten  audj  Bremen,  ©raun* 
ftfmeig  unb  SBolfenbüttet ,  fomie  ba3  Gebiet  be3  ßanbgrafen  öon 
<£>effem$affel,  ber  fiaj  naefc  Hamburg  zurüefzog. 

Unterbeffen  war  griebrief)  öon  Bresben  nadj  Arfurt  aufge* 
brocken,  um  ©oubife  unb  ben  ^rinjen  öon  ftilbburgljaufen  öon 
©adjfen  abzuhalten.  3n  feiner  madjfenben  ©ebrängnifj  ^atte  er  e3 
ntdjt  unter  feiner  SBürbe  gehalten,  ber  öon  ifjm  fo  ötel  gefdjmäfjten 
tötorquife  öon  ^ompabour  als  $rei3  ber  Vermittlung  eine«  für  tf)n 
tjortfjeilfmften  griebenS  juerft  fünfmalljunberttaufenb  Sfjaler  unb 
bann  fogar  baä  gürftentf>um  9ceua)atel  nebft  ©alengin  anzubieten : 
feine  Anträge  maren  jebodö  in  ©erfaiHeS  entfdjieben  zurutfgemiefen 
morben.  Sludj  bie  ©emüfjungcn  be3  burd?  fdjmeidjetyafte  ©riefe 
gricbridjS  ünb  bebeutenbe  ©elbfpenben  in  ba$  preugifdje  pntereffe 
gezogenen  $erzog3  öon  9hd)elieu,  £ubmig  XV.  jur  fiöfung  be3 
©ünbniffeä  mit  Defterreid)  zu  belegen,  maren  erfolglos  geblieben; 
boa)  r)atte  griebrid)  burd)  föidjelieu  ben  9Ibfcr)tu6  eine*  fedjämonat* 
lid)en  SBaffenftiflftanbeS  erlangt,  ber  e3  i^m  möglid)  madjte,  einen 
2£)etf  feiner  Xruppen  auä  9Keberfac§fen  znrürfzuzie^en. 

@bcn  im  ©egriff,  gegen  ©oubife  unb  ben  Prinzen  öon  $tfb* 
burgt)aufen  öorzurütfen,  erhielt  grtebrid)  bie  flcadjridjt ,  ba&  ber 
öfterreidufdje  (General  §abbtf  mit  einer  Hbttyeilung  Kroaten  in  bie 
•Dcarf  eingefallen  unb  bis  ©erlin  öorgebrungen  fei.  ®r  bradj  fo- 
gleidj  mit  einem  Steile  feines  $eere3  öon  (Arfurt  auf,  um  nad)  feiner 
£auptftabt  z"  eilen;  £abbif  ^atte  fid)  jebod)  bereite,  nadjbem  er 
©erlin  mit  einer  ©ranbfdjafcung  öon  zroeimalfjunbertfünfzigtoufenb 
Xfjalern  Ijeungefudjt ,  öor  bem  mit  fieben  Regimentern  fjeranrütfen* 
ben  2Horifc  öon  $)cffau  mieber  zurüdgezogen. 

Qnzmifdjen  Ratten  ©oubife  unb  ber  $rinz  öon  £>übburgf>aufen 
bie  ©aale  überfdjrttten  unb  bie  ©täbte  SBei&enfelä ,  Berleburg  unb 
platte  befefct.  ©ogleidj  z°Ö  griebrid)  aüe  feine  oerfügbaren  Xruppen 
Zufammen  unb  rüdte  an  ber  ©pifce  eines  £>eere£  öon  adjtunbzman* 
Zigtaufenb  Mann  gegen  bie  ©aale  öor,  mo  er  bei  bem  $>orfe  SR  o  &  = 
badj,  unroeit  Sfterfeburg,  einßager  bezog.  2)a  baS  üerbunbete  Jpeer 
bem  feinigen  um  ba$  Stoppelte  überlegen  mar,  zweifelten  bie  gran* 
Zofen  nid)t  baran,  ba&  e$  ifmen  ein  SeidjteS  fein  roerbe,  i^n  zu  öer« 
nieten ;  Üjrc  einzige  ©orge  mar  nur ,  baß  ber  ^önig  i^nen  entrin- 
nen fönne.  Um  bied  zu  öer^inbern,  brauen  fie  fdjleunigft  auf  unb 
begannen  am  äßorgen  be*  5.  9loöember  baä  preugifa^e  Sager  zu 
umgeben,  griebrid»,  ber  mofjl  mußte,  baö  er  öon  bem  bunt  zufam* 
mengemürfelten,  unbiäciplinirten  Reic^S^eere  menig  zu  fürchten  fyabe, 


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S)ic  @<$Iad)ten  bei  $rag,  floflin,  föofebach  unb  fieutfjen.  429 


unb  bon  bem  gelbfjerrntalent  be$  *ßrin$en  bon  Soubife  eine  feljr 
geringe  Meinung  hatte,  blieb  ruhig  in  feinem  $tü ;  erft  nachbem  er 
unter  ben  klängen  ber  f r an jöfifchen  gelbmufif  ba$  SDcittagSmahl 
eingenommen,  gab  er  ©efefjf,  bie  3^te  abzubrechen,  unb  in  wenigen 
21ugcnblicfen  war,  jum  ©rftaunen  be3  geinbe«,  ba&  preußifdje  $>eer 
in  Sdjlachtorbnung  aufgeteilt.  Seim  erften  Slnftürmen  ber  bon  bem 
©eneral  Senblifc  geführten  preußifcfjen  Reiterei  löfte  fich  bad  Geichs* 
heer  in  bermorrene  3f(uc^t  auf,  unb  nach  faum  anberthalbftünbtgem 
Kampfe  waren  auch  bie  granjofen  boflftänbig  jerfprengt.  $ie  früh 
einbrechenbe  SJunfelheit  rettete  bie  gliehenben  bor  ber  gänjlichen 
$Bemicf)tung ;  bodj  fielen  an  fiebentaufenb  bcrfcl6en ,  barunter  neun 
(Generale  unb  breit)unbert$wanäig  anbere  Offiziere,  ben  nadjfefcenben 
Greußen  als  (befangene  in  bie  #änbe.  9Iuf  bem  Sdjladjtfelbe,  auf 
welchem  ba3  gefchlagene  ,£eer  ftebenfjunbert  $obe  unb  jweitaufenb 
SBerwunbete  jurüefließ,  würben  bon  ben  (Siegern  breiunbfechjig  ®a* 
nonen  unb  jweiunbjwanjig  gähnen  unb  Stanbarten  erbeutet.  5)en 
Greußen  foU  ber  leicht  errungene  Sieg,  ber  bei  ber  allgemeinen  Er- 
bitterung über  bie  9taubfudjt  unb  ßu^tlofigteit  ber  granjofen  in 
ganj  $eutfcf)lanb  großen  Qubel  fjerborrief,  nur  fjunbertfea^jig  Wann 
gefoftet  haben. 

Xie  nächfte  golge  beS  Steges,  ben  griebrich  bei  Roßbach  er- 
rungen ,  mar  bie  Ungiltigfeitöerflärung  be3  SBertragS  bon  Softer- 
Seeüen ,  §u  melier  ber  neu  ernannte  englifche  Staatäminifter 
SBilliam  $  i  1 1  ben  ®önig  ©corg  II.  bewog,  nachbem  ba£  engltfdje 
Sßolf ,  ba8  bie  ^Rac^ric^t  bon  ber  Stieberlage  ber  granjofen  mit 
lautem  Qubel  begrüßte,  bie  nachbrücflichfte  Unterftüfcung  beä  fieg= 
reiben  ^reußenfönigS  geforbert  t)atte.  2)en  Oberbefehl  über  ba£ 
neugebilbete  berbünbete  £>eer  erhielt ,  nach  griebridjS  eigener ,  bon 
(Snglanb  eingeholter  SBahl ,  ber  s#rinj  gerbinanb  bon  83raun* 
fchweig. 

9iachbem  griebrich  fich  burch  ben  Sieg  bei  9io66acr)  im  Söe- 
fifce  SachfeuS  gefichert  hatte,  brach  cr  m&  feinem  §eerc  nach  Sdjlefien 
auf,  mo  bie  Sßerhältniffe  fich  injtoifc^cn  für  ihn  äußerft  ungünftig 
geftaltet  ha^cn-  Schon  am  7-  September  hatten  bie  Defterreicf)er 
unter  bem  (Seneral  9caba$bi  einer  preußifdjen  £>eere3abtheilung, 
bie  unter  SBinterfelb  bei  bem  $)orfe  ÜJcobS ,  unweit  ®drlifc ,  Stel* 
lung  genommen ,  burch  einen  Ucbcrfatl  fernere  Söerlufte  zugefügt, 
unb  in  bem  Gefechte  war  SBinterfelb  felbft,  ju  griebrich^  großem 
Schmerle,  burch  einen  Schuß  in  bie  Jöruft  getöbtet  worben.  5)er 
£>erjog  bon  öebern  war  hierauf  mit  feinem  gefammten  Storps  nach 
Schlesien  aufgebrochen,  um  biefes  ßanb  gegen  bie  Deftcrreicher  ju 
beefen,  unb  hatte  bei  SBreSlau  Stellung  genommen.  £ier  gebachtc 
griebrich  fich  m^  bem  SÖebern'jchen  $orpd  $u  bereinigen.  Schon 
in  ÖJörlifc  erfuhr  er,  baß  ber  ®ommanbant  bon  Schwetbnifc  biefe 


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430 


Ter  fiebenjftljrige  (brüte  fchlcfifchcj  ffrieg. 


wichtige  geftung,  meiere  bic  böfjmifdjeit  <ßäffe  beefte,  am  1 1 .  Wooem* 
ber  bem  (General  SRabaabi,  ber  nad)  oierjehntägiger  ^Belagerung 
berfelben  jum  ©türme  gefchritten  war,  mit  aßen  bort  aufbewahrten  Sßor= 
ratzen  unb  ber  Söefafcung  oon  fechstaufenb  ÜÄann  übergeben  ^abc. 
2luf  biefe  yiatyity  folgte  fd)on  in  ben  nächften  lagen  eine  nod) 
nieberfchlagenbere :  SBeüern  mar  am  22.  Slooember  bei  ©reälau 
ton  einem  ungleich  ftärferen  öfterreichifchen  $eere  unter  #arl  oon 
Lothringen  unb  bem  gelbmarfchaH  $aun  gefangen  worben ,  unb 
$wei  Xage  fpäter  hatte  ber  Jöcfc^I^^obcr  öon  Breslau  in  ber  erften 
iöeftürjung  bie  fdjlefifche  £auptftabt ,  ohne  irgenbwelchen  Serjudj 
$ur  Sertheibigung  berfelben,  ben  Defterreidjern  übergeben,  öeoern 
felbft  war  an  bem  gleichen  läge  bei  einer  ffiecognoäcirung  ben 
Cefterreichem  in  bie  #änbe  gefallen.  Stele  glaubten,  er  fyabt  fidt> 
abftchtlia)  gefangen  nehmen  laffen,  um  bem  Sorne  griebricha  ju 
entgehen,  ber  ihn  für  bie  Behauptung  ©chlefienS  mit  feinem  Äopfe 
oerantwortltch  gemacht. 

griebrich  erfannte,  bog  Sdjlefien  für  ihn  Oerloren  war,  wenn 
es  ihm  nicht  gelang,  noch  in  biefem  gelbjug  bie  Defterreicher  au* 
bemfelben  $u  oertreiben :  er  bcfct)Iog  baber ,  trofc  ber  bebeutenben 
Ueberlegenheit  bed  öfterreichifchen  jpeercS  eine  ©flacht  ju  wagen, 
obgleich  er  fich  wohl  bewußt  war ,  ba&  er  babei  Slfleft  auf  e  i  n  e 
ftarte  fefce.  Wachbem  ihm  Siethen  am  2.  $e$ember  in  Sßardjwifc 
bie  SRefte  beä  SBeoern'fchen  tforpä  augefüt)rt  hatte,  oerfügte  er  über  eine 
Xruppenmacht  oon  brei&igtaufenb  aftann,  währenb  baS  öfterreichifche 
Jpeer  acht^igtaufenb  SRann  jählte.  $ie  gehobene  Stimmung  beS 
#ecre$,  baä  er  oon  9tofjbach  herbeigeführt,  oerfcheudjte  balb  bie  ©nt* 
muthigung  ber  fchlefifchen  Struppen ,  unb  ba  ber  $önig  Sllleä  auf- 
geboten,  fein  Meines  £eer  mit  ©tcgedjuoerficht  $u  erfüllen,  harrten 
Vllle  mit  Ungebulb  bed  SBefehtä  jum  Aufbruch- 

Äm  4.  jUe^ember  führte  griebrich  fein  Jjpeer  oon  ^ßardjwifc  nach 
^eumarft.  5)a  er  hier  erfuhr,  ba&  ber  Sßrinj  oon  Lothringen  ihm 
entgegen  fliehe,  brach  er  am  folgenben  äWorgen  noch  ^n  oer  Tuntel- 
heit  auf ,  um  feinen  ©egner  auf  jujudjen ,  unb  jehon  nach  wenigen 
©tunben  erbliche  man  in  ber  QJegenb  beä  5)orfe3  ß  e  u  t  h  e  n  baä 
öfterreichifche  Lager.  $er  Äönig,  ber  ben  Sortheil  einer  fehr  ge- 
nauen Drtafenntnifj  für  {ich  hatte,  entwarf  einen  meifterhaf ten ,  ben 
<£igenthümlichfeüen  bed  Xerrain*  oollfommen  angepaßten  <5d)iad)U 
plan,  ber  oon  feinen  fampfbegierigen  Xruppen  ebenfo  meifterhaft 
au&geführt  würbe.  2)ie  ©runblage  beSfelben  bilbete  bie  fogenannte 
„fdjräge  ©djlachtorbnung,"  nach  welcher  bie  ganje  2Bud)t  bed  2ln* 
griffe  auf  ben  Unten  öfterreichifchen  glügel  unter  DcabaSbi  gerichtet 
war.  Ülachbem  berfelbe,  in  ber  gronte,  in  ber  glanfe  unb  im  dürfen 
jugleich  gefaßt,  nach  turpem  tapferen  SBiberftanb  jerfprengt  worben, 
gerieth  bie  ganje  öfterreichifche  ©djlachtlinie ,  bie  ben  gehler  einer 


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$ie  ©djlatyen  bei  «ßrag,  Staffln,-  SRoßbaa)  unb  Seutfjen.  431 

oHju  wetten  SluSbehnung  hatte,  in  Verwirrung,  unb  alle  Bemühungen 
ber  gührer,  bie  fich  auflöfenben  Regimenter  neu  $u  formtren,  blieben 
fruchtlos.  3n  bem  furzen  Zeitraum  oon  brei  Stunben  —  oon  ein 
bis  oier  Uf)r  föachmittagä  —  war  eine  ber  blutigften  Schlachten  beä 
3aljrf)unbcrt3  gefcijlagen  unb  für  griebria)  einer  ber  wichtigsten  Siege 
errungen.  $ie  Deftcrreicher  Ahlten  je^ntoufenb  Xobte  ober  Verwun* 
bete,  barunter  fiebjefm  ©enerale  unb  faft  alle  Offiziere,  unb  $wölf* 
taufenb  ©efangene,  bie  Greußen  fechätaufenbbreihunbert  Xobte  unb 
Verwunbete.  Beinahe  baä  ganje  öfterreic^ifc^e  ®efchü&,  fjunbertein* 
unbfechaig  Kanonen,  war  mit  emunbfünfaig  gähnen  ben  Siegern  in 
bie  $änbe  gefallen. 

X)a  bie  ^ereinbrec^enbe  9lact)t  bie  Verfolgung  bcd  geflogenen 
öftcrreicr)ifcr)en  Speeres  unmöglich  machte ,  Inelt  ba£  ermattete  preu- 
ßifdje  pttv  auf  bem  Schlachtfelbe  eine  fur$e  9taft.  griebrich  felbft, 
bem  Diel  baran  lag,  baä  Abbrechen  ber  bei  2  i  f  f  a  über  ba3  Schweif 
nifcer  SBaffer  füfjrenben  Vrürfe  $u  oerhinbern,  über  meiere  bie 
Defterreidjer  fict)  jurürfge^ogen,  brach  nod)  an  bemfelben  21benb  mit 
einem  Xrupo  £>ufaren  nach  biefem  Drte  auf.  TO  er,  bort  ange- 
fommen,  mit  nur  wenigen  Begleitern  über  bie  3uöbrücfe  in  ben 
Schloßhof  einritt,  fah  er  ftd)  plöfclich  oon  einer  großen  21njahl  öfter* 
reichifetjer  Offiziere  umringt,  bie  ihm  mit  Lichtern  entgegentraten. 
$ie  Ueberrafdmng  mar  auf  beiben  Seiten  gleich  groß;  griebrich 
oerbarg  jeboct)  bie  feinige  unter  ber  anfdjetnenb  oollftänbig  ruhigen 
Begrüßung:  „Bon  soir ,  messieurs.*  Sie  hoben  mid)  liier  wohl 
nic^t  erwartet?  ®ann  man  benn  noch  mit  unterfommen  ?*  (Sin  ehr= 
f urcht3üolle3  W) !  War  bie  cinjige  Antwort ,  unb  Keiner  wagte  bie 
Jpanb  an  ben  #önig  ju  legen.  211*  jeboa)  balb  barauf  griebrich^ 
©enerale  eintraten,  bie  bem  mittlerweile  gleichfalls  gegen  Liffa  auf* 
gebrochenen  preußischen  Speere  oorangeeilt  waren,  ließ  er  bie  öfterrei* 
c^ifcr)en  Offiziere  gefangen  nehmen. 

$er  ^rin§  oon  Lothringen  war  unterbeffeu  mit  feinem  oou% 
ftänbig  entmutigten  |>eere  nach  Sdjweibnifc  jurütf  gefetjrt ,  oon  Wo 
er  feehjelmtaufenb  Sftann  nach  Breslau  entfanbte;  mit  bem  tiefte 
feines  #eere3  —  nur  noch  fiebenunbbreißigtaufenb  ÜTcann  —  jog  er 
fich  nad)  Böhmen  jurücf,  wo  er  aläbalb  ben  Oberbefehl  nieberlegte, 
um  als  Statthalter  nad)  ben  9cieberlanben  ju  gehen.  Jpier  ftarb  er 
im  $ahre  1780,  nachbem  er  fich  ourc§  fane  miIoc  Verwaltung  beä 
Lanbeä  ben  9camen  be3  „guten  ^er^ogS"  erworben. 

Stach  bem  2lbjug  beä  öfterreichifdjen  £eereä  war  griebrich  un* 
oerweilt  jur  Belagerung  oon  Breslau  geichritten,  ba$  fich  ihm  nach 
oier^ehntagigem  SEBiberftanb  mit  allen  feinen  Vorräten,  einer  wohl- 
gefüllten  JRfriegäfaffe  unb  feiner  achtjehntaufenb  äßann  ftarfen  Be* 
fajung  ergeben  mußte.  Von  gan$  Schlcficn  blieb  ben  Defterreichem 
nur  noch  Schweibnifc. 


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432 


3>er  fiebenjcü)rige  (Dritte  fdjlefifäe)  tfrieg. 


£ie  Sdjladjt  bei  3ontborf  unb  ber  UeberfaH  bei  Oodjftrd). 

(1758.) 

Ser  ©ieg  bei  Seut^en  fmtte  griebric^  au«  ber  äußerften  SBc- 
brängniß  gerettet  unb  ifjm  für  ben  Slugenblirf  ben  gortbefife  öon 
©dtfefien  gefiebert:  aber  er  mußte  fid)  auf  neue  fernere  kämpfe 
gefaßt  galten;  benn  feine  ©cgner  üerboppelten  tyre  sünftrengungen, 
um  ifjm  bie  errungenen  Sortierte  toieber  ju  entreißen.  ©dwn  im 
SBtnter  fefjrte  ba«  ruffifaje  $eer,  bie«mal  bon  bem  ©rafen  germor 
geführt,  nad)  Greußen  juruef;  granfreidj  fanbte  bebeutenbe  Ber= 
ftärfungen  unter  bem  511m  9cadjfotger  be«  abberufenen  $erjog«  oon 
föiajelieu  ernannten  ©rafen  oon  SIermont  naaj  9fteberfad)fcn  gegen 
gerbinanb  oon  Braunfa^toeig,  unb  in  Böhmen  mar  Saun  eifrig 
bemüht,  bie  Süden  ju  ergäben,  bie  ber  Sag  üon  Senden  in  bem 
öfterreid)ifd)en  £eere  gefdmffen  l)attc. 

griebrid)«  erfte  ©orge  mar,  bura)  bie  SBiebereroberung  Oon 
©a)tt)eibm&  bie  Defterreidjer  gan^lid)  au«  ©Rieften  ju  oerbrängen. 
ftadjbem  biefe  geftung  am  18.  Styril  nadj  längerer  tapferer  Ber* 
t^eibigung  mit  ©türm  genommen  toorben,  erwartete  Qebermann, 
baß  ber  ftönig  in  Warnen  einfallen  werbe,  um  Saun  eine  ©d>Iad)t 
anjubieten.  ©tatt  beffen  bradj  er  jeboef)  in  SJfäljren  ein  unb  er* 
öffnete  am  3.  9M  bie  Belagerung  oon  Clmnfe,  nadj  beffen  oon 
ifjm  nidjt  bezweifelter  Eroberung  er  rafa^  gegen  SBien  üor$ubringen 
gebaute,  um  9#aria  Styerefta  jum  grieben  $u  jtoingen.  «ber  ber 
ganje  $lan  fdjeiterte  an  bem  Ijartnätfigen  SBiberftanb,  ben  tfjm  bie 
mit  ädern  «Röthigen  reidjüd)  oerfetyene  unb  oon  einem  ebenfo  unu 
fidjttgen  als  entfdjloffenen  Befehlshaber  oerttyeibigte  geftung  leiftere, 
unb  als  U;m  ber  öfterreidufd^e  ÖJeneral  Soubon  (fpr.  Saubon)  mit 
großem  Ötefdjitf  eine  Sn^x  oon  breitaufenb  SSagen  weggenommen, 
jmang  ifm  bie  9cotf)  jur  Sluf^ebuug  ber  Belagerung  unb  jur  fd)leu= 
nigen  Räumung  9ftäl)ren«.  SRadjbem  er  burdj  fingirte  Slnorbnungen 
bie  öfterretd)tfd)en  gelbfjerren  Saun  unb  ßoubon  in  ber  SDceinung 
beftärft,  baß  er  fict)  bireft  mieber  nad)  ©djlefien  wenben  werbe,  unb 
jie  baburd)  oeranlaßt  tjatte,  ifjre  ©treitfräfte  nadj  biefer  ©eite  $u 
werfen,  um  if)m  ben  Diütfaug  abjufdmeibeu,  brad?  er  in  ber  SRadjt 
jum  2.  Quli  nad)  ber  böfjmifdjen  ©renje  auf.  Ser  9tücfjug  burdj 
biefe«  Sanb  gehört  &u  griebridj«  rufjmoollften  ßrieg«tf)aten.  Unter 
fteten  $cfcd)tcn  mit  bem  nad)$ief)enben  öfterreidufdjen  Speere  erreidjte 
er  mit  feinem  gejammten  ®efd)ü$  unb  Ötepärf  am  14.  Quli  ftöniggräfc, 
oon  wo  ber  ^üdjug  naa)  ©d)lefien  olme  weitere  ©efaljr  bewerf* 
fteUigt  werben  fonnte. 

Saum  hatte  griebridj  in  ßanb«hut  ein  fefte«  ßager  belogen, 
in  meldjem  er  bie  Bemegungen  Saun«  abjumarten  gebaute,  al« 


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35ic  <3$lacf)t  bei  Bomborf  unb  ber  Ucbctfatt  bei  $o$rirc$.  433 


ifm  ba&  immer  »eitere  SBorbringen  ber  SRuffen,  bie  fdjon  im 
3amiar  ganj  Greußen  befefct  unb  in  Königsberg  bie  {mlbigung  für 
bie  Katferin  (SUfabety  errungen  Rotten,  jum  fofortigen  Slufbrudj  nad) 
ber  Sßeumarf  jtoang,  bie  gleich  Bommern  oon  ben  morbbrennerifdjen 
ruffifdjen  ©paaren  mit  gräuelüoHen  SBertuüftungen  fjeimgefudjt 
ttmrbe.  SBci  jjornborf  ftieg  er  am  25.  Sluguft  auf  baS  ruffifdje 
£eer,  baS  eben  bie  ©tabt  Küftrin,  mofun  bie  umtoofmenben  ßanb* 
befifcer  i^re  £abe  geflüdjtet ,  nad)  öergeblicfjer  ©cfduegung  ber 
SeftungStoerfe,  bis  auf  brei  Käufer  in  Slfdje  gelegt  hatte.  Obgleich  baS* 
felbe  bem  feinigen  bebeutenb  überlegen  ttjar  —  germorS  |>eer  jaulte 
anjeiunbfünfoigtaufenb,  baS  preugifdje  £eer  jnjeiunbbreifeigtaufenb 
Warm  —  unb  fid)  in  einer  burd)  ©umpf  unb  SBatb  unb  einen 
Reinen  glug  gebeeften  2Jcoornrilbnig  trefflich  t>erfdjan$t  t)ai\t,  fdjritt 
er  fofort  jum  Angriff.  $a  er,  aufs  ^>öc^fte  erbittert  über  bie  Don 
ben  Muffen  üerübten  ©räueltfmten,  befohlen  hatte,  feinem  Muffen 
Karbon  ju  geben,  geftaltete  fldj  bie  ©djlacht  öon  Anfang  an  $u 
einem  ungeheueren  ©emefcel,  baS  öon  neun  Uf)r  9ftorgcnS  bis  jum 
fpaten  s2lbenb  unter  ftetem  SBedjfel  beS  KriegSglüdeS  fortbauerte. 
3ben  enblidjen  Sieg  oerbanfte  griebrich,  nrie  furj  öor^er  bei  9cog- 
bad),  f)auptfäd)Iid)  bem  unermüdlichen  ©etiblifc,  ber  an  ber  ©püje  ber 
preugtfdjen  9teiterei,  ftetS  ben  regten  Slugenblicf  erfaffenb,  balb 
ber  jurürfgemorfenen  preugifchen  Qnfantcrie  Suft  fdjaffte,  balb 
in  ftürmifchem  Anlaufe  bie  rufftfdje  Kaoallerie  jurüefbrängte  unb 
in  SBertoirrung  bradjte.  Qukfy  fämpfte  nur  nod)  SJcann  gegen 
Hftann  ohne  jebmebe  Drbnung.  SRuffen  unb  Greußen,  Qnfanterie 
unb  Kaoallerie,  $Tded  mar  in  bieten  Knäueln  bura^einanber  ge* 
brängt.  Kein  Ztyil  blieb  hinter  bem  anbem  an  SJhtth  jurücf;  bie 
beffere  KriegSjucht  allein  üerfc^affte  ben  Greußen  baS  Uebergeroicht. 
211S  bie  finfenbe  9£ad)t  bem  furchtbaren  fingen  ein  @nbe  machte, 
waren  bie  Muffen  Dom  @d)ad)tfelbe  jurüefgebröngt.  S)er  fehreef* 
liehe  Kampf,  ber  mörberifchfte  beS  ganzen  Krieges,  hatte  ben 
Greußen  an  Xobten  unb  SBerttmnbeten  elftaufenb  3Jtonn  gefoftet; 
bie  Muffen  liegen  naheju  bie  boppelte  Sa^l  auf  ber  grauenvollen 
SBahlftätte  jurücf. 

Slm  folgenben  SJcorgen  fudjte  gerinor,  ber  roöljrenb  ber  Stacht 
feine  jerftreuten  ©djaaren  toieber  gefammelt  hatte,  ben  ^ßreugen  ben 
errungenen  ©ieg  noch  einmal  ftreitig  ju  machen ;  bie  beiberfeitige  (Sx* 
fchöpfung  lieg  es  jeboch  51t  feinem  ernftlichen  Kampfe  mehr  fommen, 
unb  nac^  einer  mehrftünbigen  Kanonabe  öerlieg  baS  rufftfdje  §eer 
baS  ©d)lad)tfelb,  um  balb  barauf  ben  föürftoeg  nach  SanbSberg  an 
ber  2Bartf>e  anzutreten.  Üftad)  einer  oergeblichen  Belagerung  öon 
Kolberg  ging  germor  über  bie  2Beid)fel,  um  in  ^reugen  unb  ^olen 
bie  SBinterquartiere  ju  net)men. 

Unterbeffen  mar  ffriebrich,  mit  Surücflaffung  einer  #eere£ab* 

^olanjait^,  3SeItflcfcf)i^te.  VI.  28 


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434 


$er  ficbcnjä^rigc  (brittc  fc^Icftfc^c>  tfrieg. 


t^eilung  unter  bem  (trafen  Xofyna  jur  5l6tt>c^r  ber  Muffen  unb 
Sdjroeben,  nad)  Sadjfen  aufgebrochen,  um  feinem  ©ruber  Heinrich 
$u  $ilfe  ju  fommen,  ber  in  feinem  Säger  bei  5)re3beu  oon  Xaun 
auf  baS  ©rnftlichfte  bebvolit  mar.  $luf  bie  NJtndirid]t  Don  bem 
£>eranrütfen  bc3  ftönigä  50g  fiel)  Staun ,  ber  bereit«  2lnorbnungen 
jum  Ueberf freiten  ber  @lbe  getroffen  t)atte,  um  ben  Sßrinjen  £einridj 
au§  Sadjfen  $u  oertretben,  in  ein  fefteS  Säger  bei  Stolpen  jurücf. 
iBon  ^ier  au3  befefote  er  alsbatb  bie  Mühen  Don  Äittltfc,  um  bem 
Äönig  ben  Sfäcfmeg  naef)  Sd)lefien  abjufdjneiben ,  mo  bie  C  efter* 
reicher  eben  Sßeifie  unb  ftofel  belagerten,  griebrid},  ber  rafd)  ben 
28eg  über  ©aufcen  unb  (Sörlifc  geminnen  moHte,  hatte  ihn  um* 
ge^en  tonnen ;  auf  ben  8d)veden  feine»  Ramend  unb  auf  £  aund 
befannte  Unentfct)Ioffent)cit  üertrauenb ,  mar  er  jebodj  unoorfichtig 
genug,  mit  feinem  ungleich  fchmädjeren  |>eere  trofc  ber  2lbmahs 
nungen  feiner  erfahrenften  (Generale  bei  bem  $orfe  §  0  ch  f  i  r  dj 
im  Ängefid)te  feinet  ®egner3  in  einer  leicht  angreifbaren  Stellung 
ein  Sager  aufschlagen.  9lachbem  er  h^r  brei  Xage  lang  ruhig 
geftanben,  befchlofj  er,  bem  drängen  feiner  Jelbherren  nachjuge* 
ben  unb  am  folgenben  borgen,  bem  14.  Oftober,  ben  gefährlichen 
Soften  ju  oerlaffen.  Allein  £aun,  ber  injmifchen  feinen  Angriffs* 
plan  entmorfen,  fam  ihm  juüor.  SBährenb  ber  Stacht  näherten  fich 
bie  Oefterreicher  in  oder  Stille  bem  $)orfe  ^ochfirch,  unb  mit  bem 
Schlage  fünf  Uhr  borgend  mürben  bie  ^reufjen,  nachbem  ihre 
SBorpoften  überwältigt  morben,  burch  ftriegSgeichrei  unb  ®eroet)r* 
feuer  au*  bem  Schlafe  gemeeft.  Sie  ftürjten  aus  ihren  Stitm, 
aber  bie  SJunfelheit  ber  Stacht  lieg  fie  Richte  erfennen :  fie  hörten 
nur  ben  hcranftürmenben  3*inb.  Sofort  entfpann  ftch  ein  mör* 
berifcheä  Gefecht,  beffen  Schrecfen  burch  ben  Umftanb  erhöht  mur» 
ben ,  ba&  man  greunb  unb  geinb  nicht  ju  unterfcheiben  oermochte. 
Liethen,  ber  in  ber  ©eforgnifj  eine«  UeberfatteS  feiner  SReiterei 
ohne  SSormiffen  beS  Königs  Söefet)l  gegeben,  gerüftet  ju  bleiben, 
griff  fogleich  in  ben  $ampf  ein;  auch  bie  übrigen  gührer,  fomie 
ber  $önig  felbft,  ber  anfangs  nicht  an  einen  allgemeinen  Angriff 
ber  Oefterreicher  hotte  glauben  motten,  boten  2Meä  auf,  um  bie 
Regimenter  in  Sd)lachtorbnuug  auf  aufteilen ,  unb  in  ber  Xfyat  be* 
mährte  fich  ^ie  mufterlmfte  £>i3ctplin  beä  preufcifchen  §eereä  auch 
biefer  SdjrecfenSnacht  aufä  ÖJtänjenbfte.  Snbeffen  gelang  e3  ben 
Oefterreichern ,  fich  einer  bei  bem  $orfe  <pochftrch  aufgepflanzten 
großen  preu&tfchen  Batterie  öon  fechSunbjmanjig  Oefc^ufeen  ju  be* 
mächtigen,  bie  nun  auf  bie  in  ben  engen  ©äffen  beäfelben  jufam* 
mengebrängten  <ßreujjen  gerichtet  mürbe  unb  furchtbare  Verheerungen 
unter  ihnen  anrichtete.  Öalb  ging  ba3  $orf  in  glammen  auf,  bie 
meithin  bie  (Brauel  beä  furchtbaren  nächtlichen  Kampfes  beleuchteten. 
Lim  bie  SBatterie  mieber  $u  geminnen,  brang  ber  gelbmarfchall 


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3)ie  ©djladjt  bei  ^omborf  unb  bcr  UcbcrfaH  bei  ©odjftrd).  435 

fHitf)  an  ber  ©pifce  mehrerer  Bataillone  bon  ber  (Seite  in  ba$ 
brennenbe  Dorf  ein ;  aber  gleidj  barauf  fanf  er ,  üon  jwei  ßartät* 
fdjenfugeln  burdjbofyrt,  entfeelt  $u  ©oben.  Dem  tapferen  ^ßrinjen 
granj  üon  ©raunfdmmg ,  ber  mit  neuen  Druppen  herbeieilte ,  riß 
eine  feanonenfugel  ben  ®opf  Ijinweg ;  audj  ber  $rinj  Sftorifc  üon 
Deffau  würbe  töbtlidj  üerwunbet  aus  bem  ®ampfgewüljle  fortgetragen. 

@nblid)  bradj  ber  Dag  an ;  aber  er  änberte  9ttd)tS  an  ber 
Sage  ber  Dinge ;  benn  ein  bidjter  SRebel  bebeefte  ben  $ampfplafc. 
Bis  gegen  neun  Uljr  fudjte  fid)  ber  ^önig  in  feiner  Stellung  ju 
behaupten;  bann  gab  er  Befehl  jum  SRürfjug,  ber  trofc  ber  erlitte* 
nen  ferneren  Berluftc  in  foldjer  Drbnung  ausgeführt  ttmrbe ,  ba§ 
bie  Defterreicber  ifm  nidjt  ju  ftören  wagten,  tbifct  fedjstaufenb 
Dobten  unb  Berwunbeten,  bie  ber  ®önig  auf  ber  blutigen  SBa^I- 
ftätte  jurütfliefj ,  mar  fein  fämmtlidjeS  (§efd)ü&  unb  fein  ganjeS 
®epäd  üerloren.  Qnbeffen  Ratten  audj  bie  Öefterreid)er  fernere 
Berlufte  erlitten ;  bie  &a1)l  ifjrer  Dobten  unb  Berwunbeten  betrug 
fünftaufenbfedjSfjunbert. 

SSäfjrenb  Sfriebrid)  fofort  auf  ben  £>öf)en  üon  Baufcen  ein 
neues  Sager  aufjajlug,  jetgte  ftdj  Daun  in  ber  Benufcung  beS  er* 
rungenen  ©iegeS  fo  fäumig ,  ba§  eS  bem  ^rinjen  #einric|  möglidj 
mar,  feinem  ©ruber  fiebentaufenb  9ttann  nebft  frifdjem  ftriegSüor* 
ratf)  jujufü^ren.  Da  eS  üjnen  gelang,  baS  Daun'fdje  Sag  er  ju  um* 
gefyen  unb  QJörlifc  ju  erreichen,  üon  wo  bem  Äönig  ber  Eintritt  in 
©d&lefien  ntdjt  mef>r  üerweljrt  werben  fonnte,  far)  fidj  Daun  um  bie 
Srüdjte  feine«  ©iegeS  betrogen.  grtebrid)  lieg  feinen  ©ruber  mit 
einer  |>eereSabtf)eLlung  bei  SanbSljut  ftefjen  unb  eilte  felbft  nad) 
©djlefien,  wo  er  alSbalb  bie  Aufhebung  ber  Belagerung  üon  Steige 
unb  #ofel  erjwang. 

Unterbeffen  war  Daun  jur  Befreiung  ©adjfenS  aufgebrodjen, 
wo  er  ftd)  mit  bem  föeiajSljeere,  baS  bereits  bis  ßeipjig  üorgebrungen 
war,  ju  gemeinfamer  Slftion  ju  üereinigen  gebaute ;  baSfelbe  würbe 
jebod) ,  nodj  ef)e  er  felbft  bie  fädjfifrfje  ©renje  Übertritten  fjatte, 
üon  bem  ©rafen  Dofma,  ber  tnawifd)en  aus  ber  Heumar!  jurücf* 
gefeljrt  war ,  jum  Stücfjug  nad)  fronten  genötigt ,  wo  es  bie 
Winterquartiere  na^m.  211s  Daun  enblidj  mit  feinem  #eere  üor 
DreSben  erfd)ien  unb  Slnftalten  jur  Belagerung  traf,  lieg  ber 
$ommanbant  ber  ©tabt,  ©raf  ©djmettau,  einen  Dljeil  ber  frönen 
Borftäbte  berfelben  abbrennen,  bamit  bie  Defterretdjer  ftd&  nidjt 
barin  feftfefcen  tönnten,  unb  wies  bie  Slufforberung  jur  Uebergabe 
mit  ber  Antwort  ab  :  er  werbe  fid)  üon  ©trage  $u  ©trage  Derlei* 
bigen  unb  fid)  im  äufjerften  Satte  unter  ben  Drümmern  beS  für* 
ffirftfidjen  ©ajloffeS  begraben.  Da  Daun  auf  biefeS  Sleu&erfte 
eS  niajt  aufommen  laffen  wollte  unb  überbieS  bie  9iad)rid)t  er§al* 
ten  Ijatte,  bag  griebrid}  wieber  oon  ©ajlefien  ^eranrüde,  jog  er 

28* 


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436  fcer  fiebenjtyrige  (brittc  föWtfd»  ßrieg. 

\\<fy  tiac^  JBöljmen  $urücf,  um  bort  bie  SBinterquartiere  $u  nefmten. 
griebrtch,  bcr  in  bcr  %^at  fdjon  am  20.  üRoöember  in  $re3ben 
anfam,  traf  bort  alle  nötigen  Wnorbnungen  $ur  SBertljeibigung 
©ad>fen8,  bic  er  abermals  feinem  ©ruber  #einric$  übertrug,  unb 
fefjrte  bann  jur  Ueberwinterung  nad)  53rc3lau  jurücf. 

©o  war  aud)  ber  gelbjug  be*  3al)reS  1758  für  griebric$, 
trofc  ber  Unfälle  öon  Dlmfifc  unb  £>odjfir4  oljne  wefentlidjen  9cad>* 
tf)eü  $u  @nbe  gegangen.  2luf  bem  Weftlief)en  JrriegSfdjauplafc  Ratten 
fpgar  bie  £>inge  für  Um  eine  günftigere  SSenbung  genommen, 
gerbinanb  öon  ©raunfdjweig  war  über  ben  föfjein  gegangen  unb 
fjatte  am  23.  Quni  bei  Ärefelb  über  ben  trafen  öon  (Vermont 
einen  öoflftänbigen  ©ieg  erfochten.  $a&  Eintreffen  bebeutenber 
Verhärtungen  für  bie  fran}öfiföe  9tyeinarmee  unter  bem  tüchtigeren 
SOtorqui*  Don  (SontabeS ,  ber  an  SlermontS  ©teile  trat ,  fonrie  ber 
©inbrudj  eines  jweiten  franjöfifdjen  #eere$  unter  ©oubife  unb 
SBroglio  in  baä  Ijeffiföe  ©ebiet  fjatten  il)n  jwar  $um  SRücfyug  auf 
ba*  redjte  Üt^einufer  genötigt;  fjier  hatte  er  jebodj  an  ber  Sippe 
eine  fo  trefflief)  gewählte  (Stellung  genommen,  ba&  bie  franjöfifcijen 
gelbl)erren  ihre  beabpa^tigte  Bereinigung  nicht  bewerfftelligen  fonn* 
ten ,  fonbern  SontabeS  feine  SBinterquartiere  jwifchen  bem  fltyein 
unb  ber  2Jtoa$  nehmen  unb  ©oubife  Reffen  wieber  räumen  mu&tc, 
worauf  gerbinanb  fein  #eer  für  ben  SSinter  in  bie  weftfäliföen 
©isthümer  öerlegte. 


2)ie  Schlacht  bei  ffuneräborf, 

(12.  Huguft  1759.) 

$>er  gelb$ug  be8  3ahre3  1758  hatte  ben  unglüclfeligen  Ärieg 
feiner  (Sntfcheibung  um  feinen  ©chritt  näher  geführt;  bad  (£rgebni& 
beSfelben  War,  nach  griebrichS  eigenem  ÖJeftänbnif} ,  fein  anbereä, 
als  „ber  Jöerluft  öieler  braöen  ßeute,  baä  Unglucf  öieler  auf  immer 
öerfrüppelten  armen  ©olbaten ,  ber  ftuin  einiger  ^ßroöinjen ,  bic 
SSerwüftung,  Sßlünberung  unb  ber  *8ranb  einiger  blühenben  ©tobte." 
SSon  allen  ©eiten  würbe  baher  für  ben  neuen  gelbjug  mit  ber 
größten  Slnftrengung  gerüftet. 

gür  griebrich  würbe  e$  inbeffen  immer  fdjwerer ,  bie  Soften 
beä  Krieges  ju  beftreiten ,  obgleich  (Snglanb  ihm  nach  bem  am 
1.  Sfyril  1758  abgesoffenen  ©ubfibienöertrag  für  bie  Erhaltung 
unb  JBermehrung  feiner  ©treitfräfte  jährlich  öier  Millionen  Zfyakv 
jaulte.  Um  bie  fehlenben  ©elbmittel  beizubringen ,  öerfctjlcchterte 
er  nicht  nur  bic  SJcünsen  in  immer  työljerem  ©rabe ,  fonbern  beu^ 
tete  aua^  bie  öon  ifjm  befefcten  ßänber  in  ber  unbarmfjerjigfteu 


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$ie  ©d)Iad)t  bei  ÄunerSborf. 


437 


SBeife  auS.  ©o  mußte  ©achfen  für  ben  gelbjug  beS  SafjreS  1759 
<m  ßieferungen  unb  baarem  (Selbe  neun  Millionen  XfyaUx  —  nach  ber 
^Berechnung  ber  ©achfen  fogar  elf  Millionen  —  entrichten  unb  jtoölf- 
taufenb  SRcfruten  fteflen.  $n  S^PiU*  würben  bie  reiften  Kaufleute 
f eftgenommen  ober  mit  ber  Sßegfüfjrung  unb  SBerfteigerung  aller  ihrer 
löaaren  bebroht,  bis  bie  ber  ©tabt  aufgebürbete  Kontribution  öon 
t>reunaUjunberttaufenb  Xfjatern  erpreßt  mar.  Sftecflenburg  mußte  $ur 
©träfe  bafür,  baß  eS  fehmebtfehem  KriegSöolf  ben  Xurdföug  geftattet 
hatte,  jmei  Million  öiermalt)unberttaufenb  Xfjaler  jaulen. 

SBefonberS  ferner  lag  beS  Königs  £anb  auf  ben  Katfjoltfen, 
namentlich  in  ©chleften.  2lm  19.  ^ejember  1758  erhielt  bie  fatfjos 
ftfdje  ©eiftlic^feit  Söcfe^I ,  ben  je^nten  i^rcö  (SinfommenS  an 
bie  Sftilitärfaffe  abzuliefern,  „meil  eS  eine  retchSfunbige  ©adje  fei, 
t>aß  ber  SBiener  §of  jur  gortfefcung  beS  Krieget  öom  Zapfte  bie 
5BoHmacf)t  erlangt  habe,  öon  ben  fatfiolifchen  ©tiftern  unb  ber  ganjen 
Klerifei  in  ben  gefammten  9teichSlanben  ben  ahnten  Xhetl  it)rer 
(Sinfünfte  ju  beziehen."  35a  häufig  tatholifche  ©djlefier  fahnenflüd)5 
tig  mürben,  entftanb  bei  bem  König  mie  bei  Dielen  preußischen  SBe* 
fehlSlmbem  bie  Meinung,  baß  biefe  ©olbaten  öon  ben  fattjoltfc^en 
©eifttichen,  als  geheimen  Serbünbeten  DefterreidjS ,  $ur  3)efertion 
öcrleitet  mürben.  (£S  mürbe  baher  bem  fatholifchen  Klerus  für  ben 
Satt  biefeS  Vergehens  mit  ber  ganzen  ©trenge  ber  KriegSgefefce  ge* 
!>roht,  nach  welchen,  traft  einer  öon  bem  König  erlaffenen  SBerorb* 
nung,  5llle,  bie  einen  ©olbaten  jur  $>efertion  öerletten  ober  ihm 
baju  behilflich  fein  mürben ,  ohne  mettläufigen  $rogeß  ohne  QJnabe 
unb  ohne  Sulaffung  eines  (Seiftlichen  neben  bem  $5eferteur  aufge- 
hängt merben  füllten.  $iefe  ©träfe  traf  einen  ©eiftlichen,  SlnbreaS 
gaulhaber ,  meil  er  nach  ber  2luSfage  eines  eingefangenen  3luS* 
reißet ,  ber  fidj  baburch  öegnabigung  ju  erfaufen  hoffte ,  biefem 
in  ber  ^Beichte  gejagt  haben  foßte,  bie  Sahnenflucht  fei  jroar  eine 
fernere  ©ünbc,  boer)  fönne  man  für  biefelbe  Sßerjeihung  öon  (Sott 
erlangen.  SBäfjrenb  ben  Xeferteur,  ber  in$mifchen  feine  2luSfage 
tüiberrufen  hatte,  füäter  aber  ju  berfelben  jurüefgefehrt  mar,  nur 
t>ie  ©träfe  beS  (SaffenlaufenS  traf,  mürbe  ber  ^riefter  auf  ©efehl 
beS  Könige  am  29.  ^ejember  1758  an  einem  Ötolgen  aufgehängt, 
an  melchem  bereits  ein  Xeferteur  hing.  (£r  ftarb  mit  bem  äftuthe 
unb  ber  greubtgfcit  eines  9ttartörerS. 

W  9kd)bem  griebridj  feine  Lüftungen  beenbei  hatte,  bejog  er  mit  einem 
J£>eere  öon  fünfunböierjigtaufenb  Sftann  bei  ßanbshut  ein  fefteS  £ager, 
entfdjloffen,  bieSmal  ben  Singriff  feiner  geinbe  abjumarten.  ©achfen 
mar  bura)  ben  $rin$en  Heinrich  unb  Oberfchlefien  burch  ben  ©eneral 
Souqu^  gebeeft.  ßängS  ber  böfmtifchen  ©renje  ftanb  ein  öfterreichifcheS 
$eer  öon  breiunbachtjigtaufenb  Sttann  unter  $>aun  unb  Soubon.  \\ :, 
2luf  bie  Nachricht,  ;baß  baS  ruffifche  £eer,  baS  unter  bem 


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438 


Der  fiebcnjäfrige  (brittc  fdjlefijcfe)  Äricg. 


(trafen  Soltiforo,  bem  9tacf  folger  germor*  im  Cberbefeft,  bereite 
@nbe  Slpril  bie  SSeidjfel  überfefritten  ^atter  gegen  bie  Ober  öorrücfe, 
um  fidj  mit  einem  öfterreidn'fcf  en  ®orp*  öon  jroanaigtaufenb  Wann  $u 
öcreinigen ,  ba*  if  m  unter  Soubon  entgegenliefe ,  fanbte  8riebrid> 
bem  ©rafen  $ofna,  ber  eben  bie  Scfrocben  in  ©tralfunb  belagerte, 
SBefefl,  fofort  naef  ^ßolen  aufjubredjen  ,  um  roomöglicf  bie  Muffen 
in  einjelnen  £>eerfaufen  gu  fcf  lagen  unb  baburd)  it)rc  Bereinigung 
mit  ben  Defterreicfern  ju  öerfinbern.  $)ofna  tonnte  biefem  33efef  l 
nieft  nadtfommen,  ba  er  fid)  in  $olen  ber  öan5cn  rufflfd&cn  &rmee 
gegenüber  fal) ,  unb  mußte  fid),  ofne  eine  paffenbe  ©elegcnfeit  ju 
einer  (Skflacft  gefunben  ju  faben,  bi*  jur  Ober  jurücfjiefen.  £er 
ßönig  rief  ifn  mit  allen  geilen  feiner  Ungnabe  jurücf  unb  fanbte 
an  feine  Stelle  ben  (trafen  öon  23ebel,  ber  fid)  bereit*  im  jroeiten 
fcflefifdjen  Kriege  ben  (Jfrennamen  be*  preufjifcfen  Seoniba*  er- 
roorben  unb  aud)  bei  fieutfen  fid)  auf*  SRüfmlidjfte  feröorgetfan, 
mit  bem  Site!  unb  ber  SöoHmadjt  eine*  Siftator*  unb  bem  ©efcr)Ie, 
bie  Muffen  ju  feftagen ,  too  er  fie  finbe.  tiefem  93efet)Ie  gemäß 
griff  SBebcI  am  22.  3uli  bei  bem  $orfe  ®  a  U ,  unweit  Söllichau, 
ba*  ifm  an  ßaf  I  breifad)  überlegene  unb  in  einer  äu&erft  öortf eil* 
faften  Stellung  öerfdjanjte  ruffifefe  £eer  an;  er  mürbe  jebodj  mit 
einem  SBerluft  öon  adjttaufenb  Sobten,  Berwunbcten  unb  (befangenen 
unb  öon  fünfunbjwan$ig  ©efdjüjjen  jurütfgcfcflagen.  £ie  S3er= 
einigung  ©olttfow*  mit  Soubon  war  nun  nidjt  mef  r  $u  öerfinbern ; 
fie  erfolgte  am  3.  21uguft  bei  troffen. 

§(uf  bie  ßunbe  öon  ber  Sftieberlage  feine*  Xiftator*  befdjlo§ 
Sriebricf ,  felbft  unöerweilt  ben  Muffen  entgegenliefen.  @r  rief 
feinen  ©ruber  #einrid)  au*  Saufen  ferbei,  wo  berfelbe  ben  Gene- 
ral 5inf  mit  neuntaufenb  Wann  aurüdliefj,  unb  übertrug  ifm  ben 
Oberbefcf l  in  Scflefien.  9lur  öon  einem  Xrupp  £>ufaren  begleitet, 
ging  er  am  30.  Quni  nad)  Sagan  ab,  um  ftdj  an  bie  Spu)e  be*  ge= 
fcflagenen  SSeberfcfen  £>eere*  $u  fteHen.  Wit  adjtunbüierjigtaufenb 
Wann  überfefritt  er  am  11.  Sluguft  bie  Ober  unb  fat)  fid)  balb  bem 
öereinigten  ruffifdjen  unb  öfterreief  ifd) en  $eere  gegenüber,  ba*  fief  in 
ber  Stärfe  öon  fed^igtaufenb  Wann  —  jweiunbbierjigtaufcnb  Muffen 
unb  aef  tjcf  ntaufenb  Defterreid)er  —  unweit  granffurt  a.  b.  D.  auf  ben 
Slnföfen  öon  $uner*borf  oerfefanst  f atte.  Cbglcicf  er  bemfelben 
an  3af)  1  nieft  gemaeffen  mar,  befcf Io&  er,  am  folgenben  Sage,  bem 
12.  5(uguft,  gum  Singriff  ju  fefreiten.  berfelbe  erfolgte  um  11  Ufr 
Vormittag*.  $ie  $i&e  mar  brücfenb  unb  ba*  ben  Greußen  nidjt 
genügenb  befannte  Serrain  au&erft  fefwierig;  auef  fprüften  bie 
jafflofen  geuerfeflünbe,  mit  benen  bie  s2lnföfen  befeft  maren,  Sob 
unb  SSerberben  auf  bie  anftürmenben  $reu|en ;  bennoa)  brangen  fie 
unauffaltfam  öor,  eroberten  bie  ©atterien,  bie  ben  linfen  Slügel 
ber  Hüffen  bedten,  unb  warfen  biefen  felbft  in  öoHer  Sluflöfung  jurüd. 


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$te  ©cfjfodjt  bei  ShmerSborf. 


439 


©ei  ber  Verwirrung ;,  bie  in  bem  fernblieben  Öager  $u  fjerr* 
fc^en  fdjien ,  unb  im  Veftfce  bon  fiebjtg  erbeuteten  Äanonen ,  Ijtelt 
griebric$  bie  SRieberlage  beä  ruffifdjen  £eere$  für  entfdjieben  unb 
$ögerte  baljer  nidjt,  einen  Kurier  mit  ber  ©iegeSbotfdjaft  naef)  $er= 
lin  abzufertigen.  2tber  feine  ©iegeäfreube  mar  berfrütjt.  SRod) 
ftanb  ber  rechte  gtügel  ber  SRuffen  unerfcf) üttert ,  unb  bie  Deffcer* 
reifer  waren  nodj  gar  nia^t  in3  (Uefedjt  gefommen;  audj  fammek 
ten  fid&  biete  glüdjtige  be3  linfen  ruffifcfjcn  glügetS  Wieber,  Weil 
ber  #önig  in  feiner  @iege3$uberfid}t  Vefefjt  gegeben ,  wäfjrenb  ber 
&ö)la$t  granff urt  $u  befefcen ,  bamit  ben  föuffen ,  bie  er  burdjauä 
gan$Iicf)  bernidjtet  wiffen  wollte,  ber  SRücfjug  abgefcfcnitten  fei. 

$ie  meiften  Generale  rieben  bem  ftönig  bringenb ,  tum  ber 
gortfe&ung  beä  flampfeä  abauftefjen ,  ba  feine  Xruppen  erfdjöpft 
feien  unb  bie  Stoffen  ficf>  tooc)I  fidjer  wäfjrenb  ber  9^act)t  jurütf- 
jieljen  würben;  aber  griebridj,  ber  bie  ©adje  um  jeben  $rei3  bofl- 
ftänbig  entfdjieben  feljen  Wollte,  beftanb  auf  ber  Erneuerung  be3 
2lngriff3.  &aum  fjatte  jeboer)  ber  ßampf  mit  bem  regten  ruffifdjen 
glügel  begonnen,  alft  ba$  ®lücf  bem  #önig  entfdjieben  ben  föücfen 
wanbte.  $ie  Greußen  fonnten  bie  erbeuteten  rufftfdjen  Kanonen 
nia)t  benufcen ,  weil  für  biefelben  feine  Sttunition  mefjr  borljanben 
war,  unb  waljrenb  fie  ftdj  bergebenä  bemühten,  bie  eigenen  in  bem 
fanbigen  ©oben  boranjubringen ,  wütfjete  ba§  geuer  ber  fernblieben 
©efdjüfce  in  furchtbarer  SBeife  in  iljren  föeit)en.  griebrid&  fafj  fein 
anbereä  bittet  ber  Sftettung ,  alä  feine  Reiterei  gegen  ben  getnb 
auftürmen  $u  lajfen.  ©enbtifc,  ber  ben  Untergang  berfelben  bor 
2fagen  falj,  erfjob  (Sinwenbungen;  als  jebod;  ber  ®önig  feinen  Ve> 
fefyt  mit  jornigen  SBorten  Wiebertjolte,  ftürmte  er  gegen  bie  ruffifdjen 
©djanjen*  bor.  Slber  bon  ben  mörberifa^en  #artätid>enfugeln  wur= 
ben  äftann  unb  SRofc  ju  ©oben  geriffen,  unb  ©etyblifc  fclbft  mufjte 
fd)Werberwunbet  auä  bem  ®ampfgewüf|te  fortgetragen  Werben.  2hicf) 
ben  Xapferften  entfanf  ber  9Jhitl).  SRodj  einmal  orbnete  griebridj 
felbft  bie  gelitteten  SReiljen  feines  gu&bolfS  unb  führte  fie  bon 
Beuern  inä  geuer.  3n  biefem  2lugenbtio?  erfcf>ien  iebodj  Soubon, 
ber,  bon  ben  Greußen  ungefefjen,  mit  feinen  Sfteiterfdjaaren  eine 
tiefe  ©djludtf,  feitbem  ber  ßoubonägrunb  genannt,  burdfoogen  Ijatte, 
in  ber  glanfe  unb  im  9tüdfen  be£  preugifct)en  $eere3  unb  bollen* 
bete  beffen  grauenbolle  Sftiebertage.  Von  einem  paniftf)cn  ©d&recfen 
ergriffen ,  wanbte  ftd)  2We8  jur  gluajt.  Vergeben«  fudjte  ber 
#ömg,  ber  noa)  immer  ben  ©ieg  an  fiefj  reißen  ju  fönnen  ^offte, 
einige  Bataillone  gum  ©tefjen  ju  bringen,  gwei  $ferbe  würben 
ifym  unter  bem  fieibe  erfefjoffen,  unb  aU  er  ba«  britte  befteigen 
wollte,  jerfa^metterte  ifjm  eine  SRuäfetenfugel  fein  golbene?  Stui  in 
ber  SBeftentajdje.  ^)a«  9^u^lofe  fetner  ©emüfiungen  erfeunenb,  rief 
er  boü  Verzweiflung:  „^ann  mic^  benn  feine  berwünfdjte  S'ugel 


440 


$5er  fteben  jahrige  (brittc  fchleftfdje)  tfrieg. 


erreichen!4'  ©djon  fc^toebte  er,  faft  bon  allen  feinen  Xruppen  öer- 
laffen,  in  (Gefahr,  öon  einer  (Schaar  ^eranfprengenber  Sofafen  ge* 
tobtet  ober  gefangen  genommen  ju  werben,  al*  fein  2lbjutant,  ber 
Stittmeifter  ^ßrittrotfe,  mit  einem  Xrupp  $mfaren  herbeieilte  unb  üjn 
in  ©icherheit  brachte.  SBdhrenb  ber  Stuckt  fdjrieb  er  auf  bem 
dürfen  feine*  Mbjutanten  mit  Söleiftift  an  feinen  TOnifter  ginfen* 
ftein  in  SBerün  bie  befannten  SBorte:  w5lHc^  ift  oerloren;  retten 
©ie  bie  föniglidje  gamilie.  Hbieu  für  immer l"  Hufjer  achtjefjn* 
taufenb  Xobten  unb  SBemmnbeten  fyatte  Ujn  ber  oerf}ängni§öoHe 
Äampf  fein  ganje*  ©efdjüfc  gefoftet,  unb  ber  Sfteft  feine*  $eere* 
mar  jerfprengt.  dagegen  jagten  bie  Defterreidjer  nur  jtoeitaufenb 
Xobte  unb  Sßcrrounbete ,  bie  Hüffen  atlerbing*  ungleich  mehr;  ihr 
Söerluft  foH  fich  auf  oierje^ntaufenb  9ftann  belaufen  Ijaben. 

Sriebrich  braute  bie  yiad)t  in  bem  Meinen  $orfe  Der* 
fdjer  a.  b.  D.  in  einer  oeröbeten  ©auern^ätte  ju.  -£ner  fdjrieb 
er,  ba  bie  an  feiner  ©eele  oorüber^ie^enben  Silber  einer  fdjretf* 
liefen  Sufunft  ilm  nicht  fchlafen  liegen,  einen  ©rief  an  ginfenftein, 
ber  einen  furzen  Bericht  be*  Verlauf*  ber  ©flacht  enthielt  unb 
mit  ben  SBorten  fd)lo&:  „3dj  fyabt  feine  Hilfsquellen  mehr,  unb 
um  bie  SBafjrheit  ju  fagen,  ich  halte  2llle*  für  verloren,  lieber* 
leben  »erbe  ich  ben  Untergang  meine*  SBaterlanbe*  nicht,  fiebert 
©ic  mot)l  auf  ewig!" 

Xer  Äönig  fchten  fich  entfdjieben  mit  ©elbftmorbgebanfen  $u 
tragen,  ©djon  nad)  ber  ©flacht  bei  oll  in  hatte  er  in  einer  an 
ben  9Karqui*  b's2lrgen*  gerichteten  poetifdjen  (Spiftel  bie  Slbftdjt 
au*gefprochen ,  fich  ba*  Seben  511  nehmen,  unb  X^atfaa^e  ift,  bafj 
er  toäljrenb  be*  ganzen  Kriege*  (SHftpiUen  bei  fidi  trug,  bie  man 
nach  feinem  % obe  noch  eingepaeft  fanb.  3)ie  fragliche  Üptftel ,  bie 
mit  einer  Wnfpielung  auf  eine  ©teile  au*  einem  Xrauerfpiele  %$oU 
taire'*  fdjloß *) ,  fyattt  er  biefem  Sedieren  jugefanbt ,  unb  ber  er* 
fd)rocfene  dichter  hatte  nicht  ermangelt ,  feine  gan$e  SBerebtfamfeit 
aufzubieten,  um  ihn  oon  ber  ausgesprochenen  Hbficht,  „bie  feinem 
9tuhme  nachtheilig  unb  eine*  ^inloiopben  unmürbig  fei, 41  $urücf$u= 
bringen.  Sftichtöbeftoroeniger  fam  Sriebrict)  im  Verlaufe  be*  Kriege* 
mieberholt  auf  biefelbe  jurücf.  ©frörer  meint  jeboct) :  toer  fich  eine 
&ugel  burch  ben  ®opf  fliegen  motte,  fpredje  nidt)t  auf  offenem 


l)  Merope,  Acte  II.,  Scene  VII. 

Qaand  on  a  tout  perdu,  quand  on  n'a  plus  d'espoir, 
La  Tie  est  un  opprobre,  et  la  mort  un  devoir. 

(SBenn  91  He*  un*  üertäfet,  bie  Hoffnung  felbft  aerbridjt, 
2)ann  ift  ba*  Seben  ®cf)mad),  unb  Sterben  wirb  un*  Pflicht.) 


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$te  (Scf>lad)t  bei  ßuneräborf 


441 


2Karfte  baöon;  jene  (Epiftet  fei  nur  ouf  (Effert  beregnet  gemefen 
unb  fmbe  bie  Söelt  in  Staunen  fefcen  foßen. 

2(m  13.  STuguft  50g  griebrid)  in  aller  grülje  mit  ben  2rüm* 
mern  feineä  $eere3,  bie  ftd)  wafjrenb  ber  ftadjt  in  ber  Starfe  öon 
fünftaufenb  2ttann  lieber  um  if)n  gefammelt ,  über  bie  Ober  nadj 
föeitmein,  wo  ftd)  norf)  aaljlreidje  glüdjtttnge  bei  if>m  einfanben,  unb 
wanbte  ftd)  öon  bort,  nadjbem  er  einige  in  ber  9taf)e  fte^enbe 
Sruppenabtfjetlungen  an  fidj  gebogen  unb  ®eftf)üfc  aus  Berlin  unb 
ftüftrin  fjatte  Ijerbeifdjaffen  laffen,  nadj  gürftenmalbe.  <pier  ge* 
badete  er  bem  bereinigten  #eere  ber  Dcfterreidjer  unb  Muffen  ent* 
gegen  ju  treten,  öon  benen  er  einen  Angriff  auf  Berlin  mit  Stdjer* 
beit  erwartete.  Eiefe  (Erwartung  erfüllte  ftd)  jeboc^  nidjt.  Solti= 
fow,  ber  of>nef)in  feine  Smnpatfjien  für  bie  Defterreidjer  ^atte  unb 
e3  im  £>inblicf  auf  bie  prcufjenfreunblidjen  ©efmnungen  be3  rufft* 
fdjen  £f)ronfolger3  für  geraden  eraajtete,  ben  ßönig  nidjt  alläufeijr 
inS  ©ebränge  ju  bringen,  erwiberte  auf  ein  ©treiben  $)aun3, 
worin  biefer  i(m  ju  gemeinfamem  Weiteren  Borgeln  gegen  grieb* 
ridj  aufforberte:  „Qd)  fjabe  jwet  Sdjladjten  gewonnen  unb  warte 
nur  nod) ,  um  weitere  Bewegungen  ju  machen ,  auf  bie  9iad)ridjt 
jweier  Siege  öon  Qfmen ;  benn  es  ift  nidjt  billig,  ju  öerlangen,  bafj 
bie  Xruppen  meiner  ®aiferin  allein  agiren."  $a  fidj  2)aun  hierauf 
nad)  Böfjmen  wanbte ,  fefjrte  Soltifom  burdj  9Ueberfdjlefien  nadj 
$olen  jurfirf.  So  Chatte  fia)  bie  SBetterwolfe  öerjogeu,  bie  ben 
®önig  mit  gänjlidjcr  Bernidjtung  bebrof)t  t)atte. 

.Unterbeffen  fmtte  baä  9ieid)3f)eer ,  baS  unter  bem  $er$og  öon 
3weibrücfen  in  baä  öon  preujjifdjen  Gruppen  faft  gänjlidj  entblößte 
Sadjfen  eingebrungen  war,  nad)  ber  Eroberung  öon  Xorgau  unb 
Wittenberg  bie  Belagerung  öon  Xreäben  begonnen,  unb  ba  ber 
$ommanbant  ber  ©tabt,  ber  tapfere  ©raf  Sdjmettau,  unmittelbar 
nad)  ber  Sd)ladjt  öon  ®uner8borf  öon  bem  ftönig  ben  söefct)!  er* 
galten ,  e3  nidjt  bis  aufä  2len§erftc  fommen  ju  laffen ,  inbem  er 
auf  feinen  (Ent)afc  ju  rechnen  Ijabe ,  fonbem  nur  bie  föniglidjen 
Waffen  ju  retten,  r)atte  er  am  4.  September  fapitulirt.  51m  folgen* 
ben  Xage  erhielt  er  öon  griebrid)  ben  fdjtiftlidjen  Befehl,  £re»ben 
auf  jebe  möglidje  2öeife  $u  behaupten ,  ba  öon  Xorgau  aus  ,  ba» 
m$mifd)en  gleidj  Wittenberg  öon  bem  ©eneral  Söunfd)  jurüeferobert 
worben ,  ein  (Entfcfcfjeer  ^eranjie^e ;  biefer  Befehl  fam  jebod)  ju 
fpät.  3)em  ÖJrafen  Sdjmettau  aber,  ber  nur  budjftäblid)  ber  Drbre 
griebrid)3  naebgefommen  war,  entzog  ber  burdj  ben  Berluft  öon  $re3* 
ben  gänjlid)  außer  Raffung  gebraute  ®öntg  nicr)t  nur  für  immer 
feine  £mlb,  fonbern  entließ  irjn  aud)  au3  feinen  3)tenften. 

Qnjwifd^en  war  ber  ^ßrinj  £>einrid)  mit  öierjigtaufenb  9ftann  nadj 
Saufen  ^urücfgefe^rt,  worauf  fic^  35aun,  ber  bei  Bresben  ein  fefteS 
Säger  belogen  ^atte,  ängftlic^  unb  unentf^Ioffen  wie  immer,  nac^  Söite* 


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442  $er  fiebenjfthrige  (britte  fc^Icfifc^c)  Sfcrieg. 


bruf  jurücf^og.  Slm  13.  Sflooember  traf  griebrich  fcIBft  in  ©adfc 
fcn  ein.  hocherfreut  über  $aunS  SRücrjug  ,  erteilte  er  fofort  fei* 
nem  ÖJeneral  ginf  ©efehl ,  mit  jmölftaufenb  ÜRann  nach  %R  a  5  e  n 
aufzubrechen  unb  bem  im  flauen' ferjen  (SJrunbe  ftehenben  $>aun  in 
ben  föücfen  ju  faden,  um  bemfelben  ben  SRücfyug  nach  Böhmen 
abftufdjneiben  —  ein  SBefehl,  ben  Napoleon  für  einen  unbegreif- 
lichen unb  unoer glichen  Segler  griebrichS  erflärt,  ba  SRichtS  auf 
bie  9Ibfid)t  S)aunS  gebeutet ,  ©achfen  ,  beffen  £>auptftabt  er  befaß, 
burdj  einen  SRücfjug  nach  ^Böhmen  bem  geinbe  preiszugeben,  ginf, 
ber  bie  Unausführbarfeit  beS  ihm  geworbenen  Auftrags  erfannte, 
oerfuchte  Qkgcnoorfteflungen  $u  machen;  griebrich  fchnitt  biefclben 
jeboch  mit  ben  barfchen  SBorten  ab:  „Grr  meiß,  ich  fann  bie  $iffi- 
fultäten  nicht  leiben.  SttaaV  er,  baß  er  fortfommt!"  ginf  gehorchte; 
er  fah  fich  jeboch,  nachbem  er  faum  bei  ÜJcayen  angelangt,  oon  ber 
gefammten  öfterrcichifchen  Stacht  eingefchloffen  unb  nach  einem  oer= 
geblichen  SSerfuche ,  fich  burchjufchtagen ,  ju  einer  Kapitulation  ge= 
imungen,  traft  beren  er  fich  mit  feinem  ganjen  Storps  ben  Defter= 
reichern  friegSgefangen  gab  (20.  Sßooember).  2Iuch  ginf  mußte  fein 
Unglücf  als  ein  Vergehen  büßen.  !Racr)  einem  SluSfpruche  be£ 
Kriegsgerichts  mürbe  er  feiner  ©teile  entfefct  unb  erhielt  biefelbe 
auch  fpäter  oon  fjriebrict)  nicht  jurücf. 

Qnbeffen  ^atte  ber  „ginfenfang  bei  2Ra£en",  ber  in  SBien 
mit  umfo  größerer  greube  begrüßt  mürbe ,  als  er  fo  toenig  SBlut 
gefoftet,  nicht,  mie  Üttaria  %f)txt\\a  hoffte,  bie  Räumung  ©adjfenä 
burch  bie  Greußen  jitr  golge.  Obgleich  baS  preußifche  $eer  bur$ 
ben  Unfall  bei  9Ra;en  auf  Oierunbjmanjigtaufenb  SKann  rebucirt 
morben  mar,  be^og  griebrich  bei  SBilSbruf,  $aun  gegenüber,  ein  fefteS 
Sager ,  in  melchem  er  trojj  ber  fürchterlichen  Kälte ,  bie  in  feinem 
£eere  Xaufenbc  funmegraffte ,  bis  über  ben  QahreSroechiel  hinauö 
auSl)ielt,  nur  bamit  $aun  auch  in  bem  feinigen  feftgehalten  merbe 
unb  bie  gleichen  Sßerluftc  erleibe.  (£rft  am  10.  Januar  1760  ließ 
er,  nachbem  ihm  gerbinanb  oon  SBraunfchmctg  eine  Sßerftärfung  oon 
gehntaufenb  SRann  gefanbt  hatte,  feine  ©olbaten  bie  Winterquartiere 
beziehen,  mobei  er  baS  Hauptquartier  nach  greiberg  oerlegte. 

$luf  bem  meftlichen  KriegSfchauplafc  hfltten  bie  granzofen  ben 
gelbjug  oon  1759  mit  ber  iöefefcung  oon  granffurt  eröffnet,  in 
mclchcs  ber  $rin$  Oon  ©oubife  am  3.  Qanuar  unter  bem  SBormanb 
eines  einfachen  $urchmarfcheS  eingerüeft  mar.  Um  fie  mieber  auS 
biefer  ©tabt  $u  Oertreiben ,  bie  ihnen  als  £>aupttoaffenplafc  biente 
unb  bie  SBerbinbung  beS  am  Dberrhein  ftehenben  SlrmceforpS  mit 
ber  2lrmee  am  SRieberrhein  fomie  mit  ber  SReichSarmee  in  granfen 
berite,  unb  fie  über  ben  3flain  jurücf jubrängen,  brach  gerbinanb  oon 
©raunfehmeig  mit  breißigtaufenb  ÜJcann  aus  feinen  Winterquartieren 
auf;  er  erlitt  jeboch  am  13.  2lpril  bei  Sergen  gegen  ben  in  fcr>r 


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$ie  Sdjlctdjtcn  bei  fiicgm^  unb  £orgau. 


443 


oortfjeilfjafter  Stellung  öerfc^anjten  $>erjog  Don  SBroglio  eine  9£ie* 
berlage ,  bie  tfyn  sunt  9tücf $ug  nötigte  unb  bie  SBieberbefefcung 
$>effen3  burcf)  bie  gran$ofen,  fomie  ben  Serluft  oon  9#inben  unb 
SKänfter  jur  golge  fj  atte ,  bie  im  %imi  unb  oon  (£ontabe£ 
erobert  mürben.  Sllle  errungenen  S8ortr)ciIc  mürben  jebocr)  ben 
granjofen  burdj  ben  ©ieg  roieber  entriffen,  welken  gerbinanb  oon 
SBraunfdjweig  am  1.  Huguft  bei  9fttnben  über  ben  tf)m  faft  um 
bie  boppelte  Xruppen$al)l  überlegenen  SontabeS  erfocht. 


£ie  Sri)lad)ten  bei  Sicpifc  unb  Sorgau. 

(1760) 

9^act)  ben  in  bem  abgelaufenen  $rieg3jaf)re  erlittenen  ferneren 
©inbugen  unb  ben  gewaltigen  Lüftungen  feiner  ©egner  tonnte 
griebrid?  ben  gelbjng  beä  Qafyreä  1760  nur  mit  geringen  £>off= 
nungen  auf  eine  günftigere  ©eftaftung  ber  $5inge  beginnen.  SBäfjrenb 
Defterreicr)  unb  SRufclanb  über  jroeimal^unberttaufenb  ÜRann  gegen 
iljn  tnö  gelb  ju  führen  Ratten,  war  eä  if>m  mit  &nftrengmtg  aller 
Gräfte  nid)t  möglid)  gewefen,  mefjr  als  neunjigtaufenb  9flann  ju= 
fammen  ju  bringen,  unb  überbieä  fonnten  bie  neu  eingeteilten  $e* 
fruten,  bie  mit  £ift  unb  ©ewalt  ju  feinen  gähnen  gefct)Ieppt  worben 
waren ,  bie  alten  ®emfdmaren  nidjt  erfefcen ,  mit  benen  er  feine 
früheren  ©iege  erfodjten  t)atte.  Süidj  feine  finanzielle  93ebrängnifj  t)atte 
ftd)  bebeutenb  gesteigert,  unb  nur  burd)  bie  fcfjranfenloiefte 
beutung  ber  befefcten  Sanber ,  namentlidj  @ad)fen3  ,  wo  fogar  bie 
SSälber  auägefjauen  mürben,  um  ba$  $>ol$  in  fltngenbe  9ftünje  um= 
jufefcen,  fonnten  bie  nötigen  ©elbmittel  jur  gortfefcung  be3  Sfriegeä 
befdjafft  werben. 

|>atte  eä  griebrid)  im  borfyergeljenbett  $al)re  ber  SHugfjeit  an= 
gemeffen  erachtet,  fia?  beim  beginne  be3  gelbjugS  auf  bie  $efen* 
fioe  51t  befdjränfen ,  fo  zwangen  ifjn  in  biefem  Safere  bie  S3erplt- 
niffe  ba$u.  SieSmal  wollte  er  feibft  mit  öierjigtaufenb  ÜKann  bie 
SBertfjeibigung  ©adjfenä  übernehmen,  wo  $>aun  bei  Bresben  ein  öer= 
fdjanäteä  Sager  belogen  r)attc.  gouqucS  foflte  mit  fünfje^ntaufenb 
Wann  ©ajlefien  beefen  unb  ber  $rin$  ^einrtet)  mit  fünfunbbrctBtg* 
taufenb  9ttann  bie  Muffen  öon  ber  Sttarf  abgalten.  2113  jebod)  im 
3uni  auä  ©Riepen  bie  Sfladjridtf  einlief,  ba§  ber  öftcrrcict)ifct)e  ©ene* 
ral  £>arfd)  baä  wichtige  ©lafc  eingefcf>loffen  Ijabe  unb  gouque  in  fei- 
nem fiager  bei  Sanb^ut  oon  Soubon  fdjwer  bebröngt  werbe,  überließ 
griebrid)  bie  SBertfjeibiguug  Sarf)fen3  feinem  ©eneral  hülfen  unb  bradj 
nad)  ©Rieften  auf,  in  ber  Hoffnung,  baburdj  audj  $aun  aus  ®ad^ 
fen  f)erau3$ujief)en.   tiefer  folgte  il)m  in  ber  £f)at  auf  bem  gu&e 


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444 


$cr  ftebenjftyrige  (brittc  fc^Icftfc^c)  Jfrieg. 


nach,  unb  eine  3«tlang  jogen  beibe  £eere  unter  beftänbigen  ©djar- 
müfceln  bidjt  neben  einanber  fyer. 

211$  griebrich  bei  93au$en  bie  ©pree  Übertritten  hatte,  erhielt  er 
bie  9ßadjrid)t,  baß  Sfouqud'S  $>eer  gefchtagen  unb  ber  JJü^rer  felbft 
gefangen  fei.  ßoubon  ^otte  benfelben  am  23.  Quli  mit  bebeuten* 
ber  Uebermacht  angegriffen  unb  nach  mehrftünbiger  berjmeiflungS* 
boller  (Gegenmehr  ber  Greußen  unb  ber  (Gefangennehmung  3ouqu6'$ 
ben  (Bieg  errungen.  Xa«  Jußboll  mar  theilä  getöbtet,  tt)eil*  zur 
Ergebung  gejmungen  roorben,  mährenb  bie  Reiterei  fict)  §um  größten 
Steile  burchgefchlagen  r)attc. 

(Statt  feinen  SBeg  nach  ©chleften  fortjufefeen,  manbte  ftdj 
griebridj  rafcf»  um  unb  fefyrte  nach  ©adjfen  jururf,  mo  er  Bresben 
burd)  Ueberrafchung  ^inmegjune^men  Ijoffte,  bebor  £)aun  itm  ein* 
holen  fönne.  $)a  ü)m  bteö  nicr)t  gelang,  inbem  ber  ®ommanbant 
bon  Bresben  mot)l  auf  feiner  $mt  unb  jur  nachbrücflichften  %b* 
mehr  be3  geinbeö  entfdjloffen  mar,  ließ  er  gegen  bie  ©tabt  ein 
furchtbares  Sombarbement  eröffnen,  buret)  melcheS  fünf  Kirchen  unb 
Zahlreiche  $aläfte,  fomie  bierr)unbertfechzehn  Käufer  in  9lfd)e  gelegt, 
Diele  (Simoofmer  getöbtet  unb  unzählige  anberen  an  ben  93ettelftab 
gebraut  mürben.  $ie  s2Infunft  $)aunä  unb  bie  SRachridjt,  baß  (Glafc 
am  26.  3uü  in  bie  £>änbe  ber  Defterreicher  gefallen  fei,  bemogen  it)n, 
bie  ^Belagerung  bon  Bresben  aufzuheben  unb  zum  ©dmfce  bon  ©refc* 
lau  unb  ©chmeibnifc  nach  ©djlefien  aufzubrechen.  Xaun  jog  ihm 
nac^,  um  it)m  ben  2Beg  ju  berlegen,  unb  nachbem  fich  berfelbe  mit 
bem  u)m  entgegen  $iet)enben  Soubon  bereinigt  ^attc,  fat)  ftch  ber 
ftönig  in  (Gefahr,  bon  ber  öfterreic^ifc^cn  Uebermacht  erbrüeft  zu 
merben.  £a3  (Gefährliche  feiner  ßage  mürbe  erhöht  burch  ba3 
heranziehen  ©olttfoms,  ber  mit  fechjigtaufenb  Muffen  bereit«  in  ber 
9cäl)e  bon  Breslau  ftanb  unb  beffen  Bereinigung  mit  bem  öfter* 
reichlichen  §cere  bisher  nur  burch  feine  ©iferfucht  auf  $aun  ber* 
zögert  morben. 

Um  feine  (Gegner  irre  ju  leiten,  roechfelte  griebrich  bon  Xag  ju 
Xag  feine  ©tellung.  ©o  zog  er  fich  in  ber  Wacht  bom  14.  2(uguft 
ganz  in  ber  ©tille  auS  feinem  bon  ben  öfterreichifchen  (Generalen 
genau  erfaßten  Sager  bei  gefdtfenborf,  oberhalb  ßiegnifc,  auf 
bie  unterhalb  biefer  ©tabt  gelegenen  Anhöhen  bon  $faffenborf 
Zurücf,  mo  er  feine  SJcannfchaft  bie  ganze  Stacht  hinburd)  in  botler 
$ampfbereitfchaft  hielt.  (Gegen  $mei  Uhr  Borgens  mürbe  ihm  ge= 
melbet,  baß  ber  geinb  heranziehe.  (SS  mar  Soubon,  ber  bie  2Tb* 
ficht  hotte,  gleichfalls  bie  £öhen  bon  ^faffenborf  ju  befejjen,  ba 
bie  öfterreichifchen  gelbherren  bem  ®önig  einen  ähnlichen  Ueberfall 
mie  bei  ^pocr)fircr>  zugebaut  hatten.  Sriebrid)  ließ  fogleich  fein  £>eer 
in  ©chlachtorbnung  auffteHen,  unb  fo  mürbe  ßoubon,  ber  feine 
Ahnung  bon  ber  Stnroefenheit  ber  Greußen  r)atte,  mit  einem  t)efs 


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2)ic  <5d)lacf)ten  bei  iMegnifc  unb  $orgau. 


440 


tigen  ©efd)üfcfeuer  empfangen,  föafch  gefaßt  fußte  er  feine  Druppen 
in  ©c^la^rrei^en  ju  orbnen,  bodj  ^inberte  baS  ungünftige  Xerrain 
eine  genügenbe  Ausbreitung  bevfelben;  auch  bermocfjte  er  im  Däm= 
merli^te  beS  borgend  nicht,  ben  mahren  ©tanb  beS  3einbeS  ju 
erfennen:  bennocf)  feuerte  er  bie  ©einen  au  mutigem  SBorge^en 
gegen  benfelben  auf  unb  ga6  ihnen  felbft  baS  SBeifpiel  ber  fühn* 
ften  DobeSöerachtung.  Als  er  jeboch  beim  öoüftänbigen  Anbruch 
beS  DageS  erfannte,  ba&  er  nicht,  mie  er  öermutfjet  $attc,  nur 
einem  I^eile  beS  preufjifchen  £eereS,  fonbern  ber  ganzen  Wla6)t 
beS  Königs  gegenüberftanb,  unb  Daun,  ber  öon  ber  anberen  Seite 
ben  geinb  t)atte  angreifen  follen,  ftch  nicht  bliefen  lieg,  trat  er  um 
fecfjS  Uf>r,  unter  3urücflaffung  öon  fedjStaufenb  Dobten,  SScrnutnbeteii 
unb  befangenen  unb  jttjeiunba^tjig  Kanonen,  ben  föücfyug  an,  ben 
er  in  fotdjer  Drbnung  ausführte,  ba&  griebrich  feiner  Umgebung 
öoll  Semunberung  jurief:  „Da  fef)t  ben  ßoubon!  SBon  bem  fanu 
man  retiriren  lernen;  er  räumt  baS  Selb  toie  ein  ©ieger!w  Daun 
hatte  fid)  jmar  jur  beftimmten  3eit  auf  ben  in  ber  9caa)t  öon  ben 
Greußen  öerlaffenen  $tycn  eingefunben;  aber  ein  ttribriger  Söinb 
hatte  ilm  öerljinbert,  ben  Donner  ber  Ökfchüfce  öon  bem  entfernten 
ßampfplafce  ^er  $u  üemefjmen. 

©leid)  am  SWorgen  nach  ber  ©chladjt  trat  griebrich  ben  2öeg 
nach  $ard)nrifc  an  unb  erreichte  ungefäljrbet  93reSlau,  ba$  injmi^ 
ftf)cn  öon  Soubon  öergeblid)  belagert  tnorben  mar,  aber  burd)  bie 
ftattgefjabte  SBefchtefcung  bebeutenb  gelitten  hatte.  Da  Daun  Üftiene 
machte,  ihn  öon  ©chroeibnifc  abjufchneiben,  mußte  er  ifym  in  biefer 
Dichtung  folgen.  SBeibe  lagerten  fich  fdjlieglicr)  in  ber  9läfje  öon 
DittmannSborf ;  boch  fam  e$  jmifc^en  ihnen  nur  ju  Keinen  ©cfjar* 
müfceln,  ba  feiner  öon  Reiben  baS  SBagnifc  unternehmen  tooHte,  ben 
Anberu  in  feiner  trefflichen  ©tellung  anzugreifen. 

Unterbeffen  mar  e$  ben  öfterreic^ifcr)en  gelbherren  gelungen,  ben 
gelbmarfdjatl  ©oltiforo,  ber  fich,  ofme  jebmeben  (Sifer  für  ben  ^rieg 
unb  aufgebraßt  über  Dauns  fiangfamfeit,  öon  SBreSlau  lüieber  über 
bie  Ober  jurüefgejogen  t)atter  für  ein  gemeinfameS  Unternehmen  gegen 
^Berlin  $u  gewinnen.  Am  3.  Dftober  erfchienen  fünfjehntaufenb 
Cefterreid)er  unter  SaScti  unb  jroanjigtaufenb  Muffen  unter  (Sjernit* 
fasern  oor  ber  preujjifchen  £>auptftabt,  unb  ba  ein  herbeigeeilter  preu* 
ßifcher  ^cerhaufen  fich  ju  ihrem  (ämtfafce  ju  fc^roact)  eroieS,  ergab 
fich  btefelbe  am  9.  Df tober.  Der  ©tabt  mürbe  eine  ÄriegSfteuer  öon 
einer  Sftillion  füuffntnberttaufenb  Dhalcrn  unb  jmethunberttaufenb 
Xfyakx  als  ®efd)enf  für  baS  £eer  auferlegt. 

Die  9tachrid)t  öon  ber  SBefefcung  feiner  ^auptftabt  burß  bie  Sftuffen 
unb  Cefterreicher  bemog  ben  ftönig,  fofort  in  ©ilmärfchen  bahin  aufju» 
brechen ;  er  erfuhr  jeboch  ichon  in  (iJuben,  baß  SaScij  unb  Sjemitfchett) 
am  12.  Dftober  auf  bietunbe  oon  feinem  herannahen  Berlin  mieber 


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446 


2>er  ftebeniäfjrige  (brittc  f c^lcfifcfjc)  tfrieg. 


geräumt  Ratten.  Slnftatt  nach  ©chlefien  jurücf jufc^rcn,  roanbte  er  fich 
nach  ©achjen,  mo  unterbeffen  ba*  9teich*h«r  ßeipzig  erobert  unb  £>üt* 
fen*  Keinen  $eerb,aufen  jur  Räumung  öon  Xorgau  unb  Wittenberg 
gejtoungen  hatte.  £>ier  ^orte  fich  3)aun,  ber  gleichzeitig  mit  Sriebrich 
t)on  ©chlefien  aufgebrochen  mar,  auf  einer  ^>ügelreir)c  bei  Xorgau, 
ben  Siptifeer  £>öhen,  in  faft  unangreifbarer  ©tellung  oerfdjanjt.  2Bähs 
renb  ber  ©eneral  hülfen  ßeipzig  unb  Wittenberg  jurüeferoberte 
unb  ba*  >"Hcicr)ötjccr  jum  Stücf^ug  gegen  Umringen  jroang,  ging 
griebrid)  am  26.  Dftober  bei  $)effau  über  bie  (Slbe,  um  3)aun 
anzugreifen.  (£r  t>er^e^lte  ftd)  nicht,  bafj  er  bei  biejem  Angriff 
2We*  auf*  ©piel  fefoe,  ba  für  ben  gatt  eine*  ähnlichen  s2(u*gang* 
roie  bei  ®uner*borf,  ber  bei  3)aun*  numerifcher  Ueberlegenheit  unb 
beffen  trefflich  gewählter  ©tellung  nicht  ju  ben  Unmöglichfeiten 
gehörte,  nicht  nur  ©achfen  für  ihn  verloren  mar,  fonbern  auch  bic 
Jöejefcung  ber  9flarf  burch  bie  fiegreichen  Defterreicher  unb  bie  bei 
£anb*berg  an  ber  SBarthe  ftehenben  Muffen  nicht  mehr  öerhinbert 
roerben  !onnte;  aber  er  mar,  mie  er  an  ben  SRarqui*  borgend 
fchrieb,  entfdjtoffen,  „in  biefem  Jelbjuge  Sitte*  ju  magen  unb  bie 
öer^roeifeltften  $>inge  ju  unternehmen,  um  ju  fiegen  ober  ein  ehren- 
öotte*  @nbc  ju  finben." 

sJcach  bem  öon  Sriebrich  enttoorfenen  ©djlachtplane  foUte  ber 
Angriff  auf  ba*  öfterreichijehe  #eer  am  3.  Nooember  gleichzeitig 
öon  jmei  ©eiten  au*  erfolgen,  im  Horben  burch  ihn  felbft  mit  ber 
Hauptmacht  unb  im  ©üben  burch  3ictheit  mit  einem  getrennten 
$orp*.  ©ein  veer  zahlte  öterunböierzigtaufenb,  ba*  öfterreich ijehe 
oierunbfechzigtaufenb  SRann.  ©a)on  in  ber  frühften  äRorgenftunbe 
fefcte  fid)  ber  ®önig  mit  feinen  Regimentern,  bie  in  öier  Kolonnen 
getheilt  roaren,  in  $emegung;  ba  er  jeboch  einen  Weg  öon  mehreren 
©tunben  zurücf zulegen  tjatte,  mürbe  e*  ein  Uhr  Nachmittag*,  ehe 
er  im  Singefichte  be*  öfterreichifchen  Speere*  anlangte.  &aum  hatte 
er  begonnen,  fein  £>eer  in  ©chladjtorbnung  aufzustellen,  al*  gegen 
3toei  Uhr  öon  ber  entgegengefefcten  ©cite  ein  heftiger  $anonenbonner 
herüberbrang.  griebrid)  ^rocifelte  nicht,  ba&  Siethen  bereit*  ben 
Kampf  eröffnet  f)G&e,  unb  ba  er  nur  oon  einem  gleichzeitigen  2ln* 
griff  einen  günftigen  3lu*gang  ermarten  zu  bürfen  glaubte,  führte 
er  fogleich,  ohne  bie  öollftänbige  Slufftettung  feiner  Regimenter  ab* 
^umarten,  einige  ^Bataillone  gegen  ben  geinb.  Slber  $aun,  bem 
ber  Angriff  nicht  unerwartet  fam,  hatte  feine  iöorfehrungen  zu  einem 
furchtbaren  (Smpfange  getroffen:  au*  mehr  al*  zwc^unoert  ®& 
fchüfcen  ergoö  fich  &&cr  bie  Slnftürmenben  ein  Seuer,  ba*  ganze 
Regimenter  nieberfchmerterte.  „(£*  mar" ,  erzählt  ber  ^reujje 
Slrcgenholfc,  ber  al*  junger  Offizier  an  bem  blutigen  Ireffen 
nahm,  in  feiner  ©efduchte  be*  fiebenjährigen  Kriege*,  „ein  !öilb 
ber  |>ötte,  bie  fich  bn  öffa«i  ih«n  ^au&  ju  empfangen. 


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35te  6djlad)ten  bei  Siegnifc  unb  £orgcm. 


447 


Die  älteften  Krieger  beiber  .§eere  Ratten  nie  eine  foldje  geuerfeene 
gefeben;  fctbft  ber  ®bnig  bracb  roteberbolt  gegen  feine  Äbjutanten 
in  bie  SBorte  au3:  ,2Belcb'  fdjrecflicbe  ®anonat)e;  ^aben  Sie  je 
eine  äfntücf)e  gehört?4  2Iucb  mar  bie  SSirfung  über  alle  SBorfteflung 
grä&lict).  3n  einer  falben  @tunbe  lagen  bie  fünftaufenbfünfbunbert 
©renabiece,  roelcbe  ben  Singriff  matten,  tobt  ober  oerrounbet  auf 
bie  3Bat)Iftatt  geftreeft,  grö§tentbeil3  nodfc)  ebe  fie  ifyre  Ötemebre  Ratten 
abfeuern  fönnen;  nur  fed)£f)unbert  maren  am  anbern  Xage  wod) 
•  $um  Dienfte  übrig.  (5&  regnete  ftarf;  allein  ber  Bonner  be$  %t* 
fcbü(je3,  ber  fo  gemaltjam  unb  ununterbrochen  bie  ßuft  jerrifc,  jer* 
feilte  bie  SBolfen  in  ber  Legion  be3  si  ampfplafeeS,  unb  ber  £>imntel 
mürbe  etmaä  Weiterer,  9Jctttlermetle  rücfte  bie  |>auptfolonne  aus  bem 
SBalbe  an.  9cocb  ebe  bie  Sßreujjen  ben  geinb  in£  Äuge  faffen 
fonnten,  fielen  bie  SBtpfel  ber  üöäume,  öon  ben  kugeln  jerfebmettert, 
auf  iljxc  Mänpter.  Da«  prüden  ber  Kanonen  miber^aUte  gräßlich 
burdj  ben  28alb;  e3  maren  gleicbfam  ^ofauuen  beä  Xobeä.  Unb 
nun  beim  2lu3gang  fa^en  bie  neu  anrüefenben  s$reu&en,  bie  fid^  in 
SBogen  bureb  ben  ^ulüerbampf  fortfcblängelnben,  feine  fiegoerfpre* 
d)enben  @cenen,  fonbern  eine  28af)lftatt  oofler  lobten  unb  gra&üd) 
öerftümmelter  Körper,  bie  fid>  feudjenb  in  ihrem  SBlute  maljten." 

9cur  mit  unfäglicber  SJcübe  brauten  bie  s$reu&en  ihre  Kanonen 
öorroärta,  ba  ^ferbe  unb  gfit)rer  niebergefapffen  unb  bie  Safetten 
zertrümmert  mürben,  griebrieb  ftanb.  mitten  im  fjeftigften  geuer. 
Stents  unb  linte  fdjlugen  bie  fernblieben  kugeln  in  bie  (£rbe,  fo 
ba§  fein  $ferb  in  beftänbiger  ©emegung  blieb.  Äudj  traf  ein 
©treiffebufj  feine  ©ruft,  ber  it)m  bie  ©eftnnung  raubte.  SautloS 
fanf  er  Dom  Sßferbe;  bod)  balb  fam  er  mieber  ju  fieb;  benn  bie 
SBerrounbung  mar  feine  fernere,  ba  ein  $elj  unb  fein  6ammtrocf 
bie  SBirfung  ber  Jcugel  gefdjmäcbt  (jatten.  W\t  ben  SBorten:  „Än 
meinem  ßeben  liegt  beute  am  menigften.  3eber  tf)ue  feine  Pflicht, 
unb  met)e  Denen,  bie  jte  nicht  t^un!"  fa)mang  er  fieb  mieber  aufä 
^ßferb  unb  ftürmte  öon  Beuern  in  ben  #ampf.  ftttd)  Daun,  ber  an 
ber  ©pifce  feines  gufcöolfä  auf  bie  ^reufcen  eingeftürmt,  banc  e*nc 
SBunbe  erhalten,  bie  er  fieb  mitten  im  ftampfgemübl,  auf  bem  ©oben 
fifcenb,  uerbinben  lieg,  ohne  feine  Jöefc^lc  ju  unterbrechen. 

3nbeffen  mar  ber  Angriff  ber  ^reujjen  bereite  breimal  $urud* 
gefcblagen  morben,  unb  mit  jeber  Siertelftunbe  fanf  grtebricb& 
Hoffnung  mehr;  benn  ber  ®ern  feiner  Infanterie  lag  auf  bem 
Sölutfelbe  bingefcblacbtet,  unb  noeb  ^atte  man  fid)  ber  fernblieben 
SBerfdjanaungen  niebt  bemächtigt,  ©nbltcb  nötbigte  ibn  bie  früb  ein« 
breebenbe  Stacht,  SBefetjl  jum  Äücfjug  in  bie  (Sbene  ju  geben,  mäb- 
renb  Daun,  ber  ftd)  feiner  SBunbe  megen  nad)  Xorgau  ^attc  bringen 
laffen  müffen,  einen  Äurier  mit  ber  Siegeabotjcbaft  nacb  SBien 
entfanbte. 


Uigitizecl  by 


448 


S)er  ficbenjft^rige  (brüte  fdWtfäe)  #™g. 


$odj  wie  im  üorljergefjenben  3af)rc  bei  Äuneräborf,  fo  trat 
aud)  f)ier  ein  unerwarteter  Umfdjmung  ein.  gießen  fmtte  nämlidj, 
nadjbem  er  längere  Qtit  burdj  einen  öfterreidufd)en  SSorpoften  auf* 
gehalten  worben,  gegen  weldjcn  er  Kanonen  fjatte  aufführen  laffen 
muffen,  ben  Angriff  üerjogert,  um  ben  feiner  Meinung  nadj  üon 
bem  $önig  fiegreidj  jurütfgemorfenen  Defterreidjern  beim  $erabfteü 
gen  üon  ben  $öf)en  ben  Kucfjug  abjufdjneiben.  Srfl  als  er  bic 
Ueberjeugung  gewonnen,  ba&  griebridjä  Angriff  abgeflogen  Wor* 
ben,  warf  er  fidj  mit  aller  SJcadjt  auf  bie  Cefterreidjer,  unb  ba  if>m 
bie  glommen  beS  in  ©raub  gefteeften  $orfe§  Siprifc  $ur  Seudjte 
bienten,  gelang  eä  Ujm,  an  einer  unbefefcten  Seite  bis  auf  bie  2ln= 
fyöf)e  oorjubringen.  #ier  entfpann  fidj  aldbalb  ein  heftiger  $ampf, 
in  meinem  Siethen  bura)  oerjd)iebene  jerfprengten  Regimenter,  bie 
auf  griebrid)3  Seite  gefämpft  unb  fic^  tn$mtfd)en  wieber  gefammelt 
Ratten,  aufs  *Rad)brürflid)fte  unterftüfct  würbe.  $a  ben  burdj  ben 
unerwarteten  Angriff  ofmeljin  in  Verwirrung  geratenen  £)efterret= 
djern  bie  9)cumtion  ausgegangen ,  fanbte  $aun  üon  $orgau  aus 
©efef)l,  ben  SBütfjug  über  bie  (£lbe  anzutreten. 

griebrid)  braute,  wäfyrenb  feine  Gruppen  fid&  auf  ber  Sorgauer 
jpaibe  an  unjaftfigen  SBadjtfeuern  gelagert,  bie  9cad)t  in  ber  flcinen 
JÜirdje  beä  Dorfes  (JlSnig  ju,  weil  ade  23auernf)äufer  mit  SBerwnn* 
beten  angefüllt  waren,  üftit  fieberhafter  Ungebulb  erwartete  er  ben 
Slnbrudj  beS  XagcS,  um  fein  £>eer  aufs  SReue  in  Sdjladjtorbnung 
aufstellen.  Qn  ber  erften  SJcorgenbämmerung  warf  er  fid)  auf 
fein  ^j$ferb  unb  ritt  jum  $orfe  f)inau$,  um  fid)  ©ewißfyeit  über  ben 
Staub  ber  $ingc  ju  ücrfdjaffen.  55a  erblidte  er  in  ber  gerne  einen 
Xrupp  £mfaren,  unb  atebalb  fprengte  Siethen  ü)m  mit  ben  ©or- 
ten entgegen:  „(Eure  üßajeftät,  ber  geinb  ift  gef djlagen ;  er  jieljt 
fidj  jurüd."  griebrid)  umarmte  tr)n  nnb  brürfte  tl;m  tief  bewegt 
feinen  2)anf  aus. 

$cr  tjeige  Xag  fjatte  auf  beiben  Seiten  fernere  Opfer  gefoftet. 
s-Bou  ben  fßren&en  lagen  jelmtaufcnb  äftann  tobt  ober  üerwunbet  auf 
ber  blutbebedten  SS3af)lftätte  unb  üiertaufenb  waren  als  befangene 
ben  Defterreidjern  in  bie  £änbe  gefallen ;  baä  £eer  $aunS  jäfjlte 
ad)ttaujeub  Xobte  unb  ißerwunbete  unb  ebenfo  Diele  befangenen. 
Obgleid)  griebrid)  feinen  äwetf,  bic  Cefterreidjer  aus  Saufen  ju 
oertreiben,  nid)t  erreidjt  fyatte,  ba  £aun  feinen  Ütüdjug  auf  Bres- 
ben genommen,  fo  fyatte  er  burd>  ben  Sieg  bei  Sorgau  bod)  fo  Diel 
getDonucn,  baß  Soltifow  Don  einem  (£inbrud)  in  bie  Wlaxt  abgefjal-- 
teu  Würbe  unb  er  felbft  bie  Winterquartiere  uoa^  einmal  in  Sadj- 
jen  nehmen  tonnte ,  wo  er  btedmal  fein  Hauptquartier  in  fieipjig 
auffd)lug.  ^te  Ütuffen  jogen  fic^  al^balb  naa^  3ßolen  jurüd,  mä^-- 
reub  ^oubou  fein  .peer  in  ber  ©rafjc^aft  6Jla(j  bie  Winterquartiere 
bejieljeu  lieg. 


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$ie  a»ci  Ickten  #riea3jaf)re  unb  bet  ftubcrtSburger  triebe.  449 

3nnftf)en  ben  franjöfifdjen  Slrmeen  unb  ben  berbunbeten  %vup* 
pen  unter  bem  s$rinjcn  gerbinanb  öon  SBraunfömeig  mar  es  in 
biefem  Selb$ug  ju  feinem  bebeutenben  (Sreigniß  gefommen,  obgleich 
bie  erfteren  einmaHjunbertawanjigtaufenb  Üflann  jaulten  unb  ber 
$rinj  gerbinanb  ad)tunbneunjigtaufenb  Wtaxin  unter  feinem  ®om* 
manbo  fjatte ;  nur  ber  Keine  ®rieg  mar  eifrig  geführt  worben.  2Jton 
t)attc  beiberfeitig  ©täbte  genommen  unb  ebenfo  fdjnell  wieber  öer* 
loren,  unb  am  (Snbe  beS  3af)re$  befanben  fi$  bie  beiberfeitigen  |>eere 
ungefähr  wieber  in  ber  gleiten  Stellung,  wie  am  Anfang  beSfelben. 


Sie  jwei  legten  ftriegäja&re  unb  ber  £ubert3burger  triebe. 

(1761-1763.) 

Qm  fiaufe  beS  SSinterS  waren  öon  öerfdjiebenen  ©eiten  3rie* 
benSnnterfianblungcn  in  Anregung  gebracht  worben,  unb  bie  meiften 
ber  am  Kriege  beteiligten  9JMc|te  Ratten  fid)  für  bie  Slbfmltung 
eines  griebcnSfongreffeS  entf dneben,  ber  im  3uü  1761  5U  SlugS- 
bürg  eröffnet  werben  fotlte ;  ba  jebod)  bie  ©egner  JriebrtdjS  Dör- 
fer noef)  größere  93ortr)ciIc  über  if)n  ju  erlangen  hofften,  fyatte  ber 
f?rieg  feinen  ungefyinberten  gortqang.  $er  ®önig  fonnte  in  ber 
Xfyat  bem  neuen  Selbjug  nur  mit  ber  größten  SBeforgniß  entgegen* 
fe^en;  benn  feine  Sage  mar  eine  immer  bebrängtere  geworben.  $>ie 
jafjlreidjen  Süden  in  feinen  beeren  würben  $war  burd)  bie  im 
ganjen  9ieict)e  angefteHten  unb  burdj  jebe  nur  erbenflidje  öift  unter* 
ftüfcten  SBerbungen  wieber  ausgefüllt ;  aber  bie  neuen  ©olbaten 
mußten  erft  wäfyrenb  beS  Sieges  einejercirt  werben ,  unb  auf  bie 
(befangenen,  bie  man,  ofyne  fie  ju  fragen,  ob  fte  unter  beS  Königs 
gafjnen  bienen  wollten ,  mit  (Semalt  unter  bie  preußifdjen  Sftcgi* 
menter  fteefte,  war  fein  SÖerlaß.  $5a$u  fam  bie  SBanblung,  bie  in 
ber  ^olitif  (SnglanbS  feit  bem  Regierungsantritte  (SeorgS  III.,  beS 
(£nfels  (SJeorgS  II.  (f.  ©.  301)  eingetreten  war  unb  bie  bem  ®önig 
öon  Greußen  ntc^t  nur  eine  minber  eifrige  Söetfjeiligung  ©nglanbä 
an  bem  Kriege,  fonbem  aud)  ben  Abgang  ber  englifdjen  ©ubfibien 
in  SluSfidjt  fteflte.  Qu  ber  ©efdjaffung  ber  nötigen  ©elbmittel 
reichte  bie  fortgefefcte  SBerfdjledjterung  ber  2ttünjen  nidjt  auS,  unb 
wie  bie  Ihräfte  feiner  eigenen  fiänber  öollftänbig  erfct)öpft  waren,  fo 
öerfiegten  audj  bie  Hilfsquellen,  bie  if)m  bisher  in  Saufen  ju  ©ebot 
geftanben,  me^r  unb  mefjr. 

föadj  bem  jwifdjen  ben  $öfen  öon  SBten  unb  Petersburg  öer* 
einbarten  gelbjugSplane  foflten  Soubon  unb  ©uturlin,  ber  an  ©ol= 
tifows  ©teile  getreten,  ©djlefien  öollftänbig  erobern  unb  bie  2flarf 
befefcen,  $aun  bagegen  ben  Äönig  in  ©adjfen  bejdjäftigen.  Sriebrid) 
&ol4toari$,  S&Ugef$i<$t*.  VI.  29 


Digiti 


450 


$er  [tebenjftyriöe  (britte  fc^lefif(±»c)  tfrieg. 


überliefe  jebodj  bcn  €berbefel)l  in  bicfem  Sanbe  feinem  ©ruber 
£einrid)  unb  brad)  nad)  ©Rieften  auf,  um  bie  Bertf>eibigung  biefer 
^jßroüinj  in  $erfon  ju  übernehmen.  $5rei  Monate  lang  fud)te  er 
burdj  fünftlic^e  üftärfdje  unb  äRanööer  bie  Bereinigung  fioubonS 
mit  bem  oon  ber  polnifdjen  ©renje  ^eranjie^enben  Buturlin  $u 
öcrhjnbern ;  beffenungeadjtet  erfolgte  biefelbe  am  17.  2luguft  bei 
Striegau.  Um  nid)t  oon  ber  feinbüc^en  Uebermadjt  erbrüeft  $u 
merben  —  baS  berbünbete  #eer  jaulte  einmatlmnbertbreigigtaufenb 
2)cann ,  baS  feinige  nur  fed^igtaufenb  —  oerfdjanjte  er  ftdj  bei 
JBunjcltt>if ,  untueit  Sdjmeibnifc,  fo  feft,  bag  fein  £agcr  einer  geftung 
glia).  $ennod)  mürbe  er  oerloren  gemefen  fein ,  ^ättc  nid)t  Butur* 
lin,  ber  ben  Krieg  ebenfo  läffig  betrieb,  nrie  fein  Borgänger,  fiefj 
bem  oon  Soubon  geforberten  Angriff  auf  baS  preugifc^e  £ager  ent= 
{Rieben  miberfefct.  911S  ßoubon  fdjlic&Iid)  ju  Bortoürfen  gegen 
feinen  2)citbcfci)iSf)aber  überging,  50g  fid)  biefer,  nadjbem  Bcibe  baS 
preujjifdje  §eer  jroanjig  Sage  lang  etngefdjloffen,  am  9.  September 
nneber  hinter  bie  Ober  unb  üon  bort  nad)  $olen  aurfid,  inbem  er 
nur  jroölftaufcnb  SDcann  bei  bem  öfterreidnfdjcn  Speere  jurütflie&. 
Um  if)m  bie  9tücffer>r  oon  bort  für  bie  nädtfte  3"*  unmögltd)  $u 
machen  unb  baburd)  bie  2Jcarf  gegen  einen  (äHnbruA  oon  feiner  Seite 
311  fdn't&en,  ließ  griebrid)  burd)  ben  iljm  nadjgefanbten  (Seneral 
s$laten  afle  in  feinem  föütfen  bcfinblidjen  BorratfjShäufer  nieber^ 
brennen. 

Um  Soubon  aus  bem  Gtebirge  in  bie  ©bene  ju  lotfen  unb  if)n 
buraj  einen  Ueberfall  jur  Sd)lad)t  ju  fingen,  oerliefc  griebrid) 
fein  fefteS  Sager  unb  manbte  fidj  gegen  Steige ;  er  gab  jebod)  ba* 
burd)  bie  geftung  Sdjmeibnifc  feinem  (Segner  preis,  unb  Öoubon 
beeilte  fid) ,  aus  biefer  Unoorfidjtigfeit  feine«  ÖJegnerS  Bortljeil  $u 
jie^en.  @r  bradj  in  aller  Stille  gegen  Sa^mcibni^  auf  unb  nafjm 
biefe  midjtige  geftung  in  ber  föadjt  311m  l.  Dftober  burd)  einen 
qlücflid)  ausgeführten  UeberfaQ.  l'cit  ber  fdjroadjen  Bejahung  oon 
breitau jenb  äftann,  bie  fich  ihm  ohne  Kapitulation  ergeben  mu§te, 
fiel  ihm  ein  reidjer  Borrath  oon  aßen  möglidjen  Kriegs  bebürfniffen 
in  bie  £)änbe. 

ds  mar  ein  fernerer  Schlag  für  griebrid),  ber  anfangs  gar 
nicht  Daran  glauben  wollte  unb  ben  2Ibjutanten ,  melier  ihm  bie 
UnglurfSbotfchaft  überbrachte,  mit  ben  SBorten  anfuhr:  „3dj  fag' 
if)m  aber ,  es  ift  nicht  wahr !  Sdjeer  er  fid)  ^um  Xeufel !"  $tn 
eine  Bertreibung  ber  Dcfterreidjer  aus  Sa^leften  fonnte  er  jefct  nicht 
mehr  beuten ;  er  mufjte  nur  auf  bie  Rettung  ber  £auptftabt  unb 
ber  übrigen  gfeftungen  bebadjt  fein.  Qu  biefem  (Snbe  lieg  er  feine 
Xruppen  in  ben  Dörfern  bei  Strehlen  lagern  unb  na^m  felbft  in 
bem  ®orfe  SBoifelmife,  in  ber  9cäl)e  biefer  Stabt,  fein  £>auptquar* 
tier.    ,J>ier  blieb  er  bis  $um  10.  ^ejember,  mo  er  fein  |>eer  langS 


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$ie  jioet  legten  tfriegSjcihre  unb  ber  §ubertäburger  griebe.  451 


ber  Ober  jnnfäen  s-örieg  unb  GJlogau  in  bie  SBinterquartiere  legte, 
mahrenb  er  fetbft  feine  Söofmung  in  Sörealau  nahm.  &aum  bort 
angefommen,  erhielt  er  bie  Nachricht,  bafj  ba£  wichtige  Dolberg, 
ba£  feit  bem  20.  Sluguft  öon  einem  ruffifdjen  |>eer^aufen  unter 
bem  trafen  SRomanjoto  mit  £>ilfe  einer  ruffifc^-fc^tDebifc^en  flotte 
belagert  unb  öon  bem  ®ommanbanteu  ber  Jcftung,  £5berft  £>eoben, 
mit  Umfielt  unb  ©ntjc^Ioffen^eit  öertfjeibigt  roorben  mar ,  fid)  am 
16.  $e$ember  au3  Langel  an  Lebensmitteln  unb  ©chiefrbebarf  hatte 
ergeben  muffen. 

2Bie  in  ©Rieften ,  fo  mar  e£  auä)  auf  ben  übrigen  Sl  ricgS* 
fchaupläfcen  mäfyrenb  be3  gelbjugä  öon  1761  ju  feinem  irgenbmie 
entfa^eibenben  (£reigni&  gefommen.  $ie  Schweben,  beren  $hatfraft 
burd)  baä  auf  bie  Sfonee  jurürfroirfenbe  Sßarteigetriebe  be3  im 
Sltleinbefije  ber  Sftadjt  befinbltchen  Slbela  gelähmt  nnirbe,  maren 
burd)  ben  ©eneral  Petting  mit  üerhältni&mä&ig  geringen  Streit- 
fräften  im  Schach  gehalten  roorben.  Qu  Saufen  hatte  $)aun,  trofo 
feinet  bebeutenben  Uebevmac^t,  ben  s^rinjen  Heinrich  nicht  au3  feiner 
Stellung  ju  üerbrängen  oermocht,  mä^renb  bie  flteichSöölfer  bura) 
ben  mieber  genefenen  Seöblifc  hinter  ber  Slfter  jurücfgehalten  mor- 
ben  maren.  säm  sJ*hein  unb  an  ber  SSkfer  Ratten  bie  franaöfifchen 
Speere,  obfehon  fie  auf  bie  Stärfe  öon  einmalhunbertöieraigtaufenb 
2Rann  gebraut  morben  unb  öon  $ampfluft  erfüllt  roaren,  gegen  ben 
ebenfo  umfiajtigeu  als  entfchloffenen  £>eraog  öon  s«öraunfa)meig  sJli<fytä 
auarichten  fönnen,  weit  eä  bem  £>erjog  öon  iöroglio,  ber  bie  Slrmee 
be3  Obergerns  befehligte,  bei  all'  feiner  fonftigen  Xüdjtigfeit  an 
iöefonnenhett,  unb  bem  ^rinjen  öon  Soubife,  bem  Dberanfüfyrer 
ber  silrmee  beä  sJtieberrhein* ,  an  X^atfraft  fehlte  unb  iöeibe  über* 
bieä  burd)  9ceib  unb  ©iferfucfjt  an  einem  einmütigen  Sujammen* 
gehen  ge^inbert  mürben. 

So  hatte  auch  ber  gelbjug  beS  Saljreä  1761  dlifytt  entfe^ie- 
ben,  bie  Sage  SriebrichS  aber  bebeutenb  öerfchlimmert.  Üttit  Sduöeib* 
ni&  hatte  er  bie  $>älfte  öon  Scf)lefien  unb  mit  Dolberg  bie  Hälfte 
öon  Bommern  üerloren ,  unb  in  betben  Sänberu  hotten  feine  ©eg* 
ner  jum  erften  30iale  bie  Söinterquartiere  nehmen  tonnen.  SBon 
Sachfen  hatte  er  nur  einen  Xheil  inne,  unb  feine  gefammten  Streit* 
fräfte  in  biejem  Laube ,  lote  in  Schleften ,  beftanben  nur  noch  au3 
ettuaä  mehr  als  fedföigtaufenb  9Jcann. 

Söeiche  Hoffnungen  tonnten  bem  ftimig  unter  biefen  Verhält* 
niffen  für  ben  3*lb$ug  beS  fommenben  3ahre3  bleiben?  „$er 
größte  %f)tü  ber  ^roDin^en,"  jagt  er  fetbft ,  „mar  erobert  ober 
oerheert;  man  fat)  nicht  mehr  ab,  moher  man  Siefruten  nehmen, 
reo  man  sßferbe  unb  (Sefdurre  befommen,  »o  man  Lebensmittel 
ftnbeu  follte,  noch  mie  mau  mit  Sicherheit  bie  &rieg£bebürfniffe 
jur  s2(rmee  f Raffen  fönnte."    3n  feiner  9loth  öerfchmahte  er  eä 

29* 

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452  $er  rieben jfUjrige  (britte  fd)lefi|d)e)  Jtttcg. 

nidjt,  ben  tfirfifdjen  Sultan  unb  ben  ®fian  ber  Xataren  jum  Kriege 
gegen  Defterreid)  unb  SRufjlanb  aufjuftadjeln ;  gfänjenbe  ©eferjenfe 
mürben  nad)  #onftantinopel  gefanbt,  um  ben  (Sultan  £)*man  III. 
ju  einem  (Einfall  in  Ungarn  ju  beftimmen.  511*  aud)  biefe*  erhoffte 
$Rettung*mittel  fef)l  fdjlug,  ttne*  griebrid)  feinen  ÖJefanbten  in  Öon* 
bon  an,  5llle*  jum  ©turje  be*  neuen  Sttinifter*  ©ute  aufzubieten, 
burdj  beffen  (Einfluß  ifnn  bie  früher  gejagten  ©ubfibien  entzogen 
tüorben  maren ;  aber  feine  $epefd>en  gelangten  $ur  Äenntrtifc 
©eorg*  III.,  unb  fo  würbe  ba*  ^Bcrtjältnig  jroifdjen  tf>m  unb  G£ng* 
Ianb  nur  um  fo  gefpannter.  Qn  ben  Wugen  Don  ganj  (Europa  galt 
feine  ©adje  al*  eine  verlorene.  „Üftan  fann  jefct  brei  gegen  eins 
roerten,"  fdjrieb  Voltaire  an  ben  franjöftfajen  sJftmifter  (£f)oifeut, 
„ba§  ßue  (biefen  ©pottnamen  r)atte  er  bem  $önig  gegeben)  mit 
feinen  Herfen,  ©paffen  unb  SBefdjimpfungen  unb  mit  feiner  ^ottrif, 
bie  afle  jufammen  gleich  fcr>tccr)t  ftnb,  öertoren  tft."  $)odj  al*  bic 
SRotf)  für  griebrid)  auf«  £>öd)fte  geftiegen,  eröffnete  ftd)  iljm  in 
bem  £  t)  r  o  n  m  e  d)  f  e  l  in  SR  u  ß  l  a  n  b  bie  fixere  >2lu*fic$t  auf 
Rettung. 

?(m  5.  Qanuar  1762  erlag  bie  ®aiferin  ©lifabetl)  nacr) 
längerer  #ranfl)eit  einem  ©lutfturj,  unb  iljr  SReffe  peter  öon  $ol* 
ftetn=(5Jottorp ,  ber  nod)  an  bemfelben  Xage  al*  $  e  t  e  r  III.  ben 
ruffifajen  Xfjron  beftieg,  mar  ein  fo  fdjmärmerifajer  SSerefyrer  grieb* 
rid)*,  ber  il)m  al*  ba*  Qbeal  eine*  gürften  galt,  ba&  er  einen 
SRtng  mit  beffen  93ilb  ftet*  al*  r)öcr)fted  ftleinob  am  ginger  trug 
unb  biefe*  Eilb  oft  öor  ben  Muffen  mit  Eegeifterung  fügte.  ©leid) 
nadj  feiner  Sfjronbefteigung  gab  er  allen  preußifdjen  befangenen, 
beren  2(u*löfung  (Slifabcttj  be&arrlidj  toermeigert  tyatte,  ofjne  fiöfegelb 
bie  greifet  jurüd,  öerbot  ba*  fernere  9lu*f>auen  ber  preußifdjen 
halber,  fdjenfte  ben  öerarmten  pomraer'fdjen  ©tänben  bebeutenbe 
©elbfummen  unb  räumte  tynen  feine  2Hagaaine  in  ©targarb  ein. 
griebria}  fanbte  if>m  herauf  gleidrfaH*  bie  ruffifd)en  ©efangenen 
jururf  unb  öerorbnete  bie  Söiebererftattung  aller  au*  bem  gürften* 
t§um  §tn^alt--3crbft ,  bem  ©eburt*lanbe  ber  neuen  ftaiferin  ftatfja* 
rina,  beigetriebenen  SBranbfdjafcungen  unb  Sief erungen.  Arn  16.  9Jiära 
mürbe  ju  ©targarb  ättnfdjen  betben  Sttädjtcn  ein  SSaffenftiÖftanb 
gejdjloffen,  unb  am  5.  2Hai  erfolgte  ju  Petersburg  ber  2lbfd>luß 
eine*  grteben*,  burd)  meld/en  griebrid)  alle  öon  ben  Muffen  ero» 
berten  preußifdjen  ©ebiete  jurürferluelt.  tiefer  griete  mürbe  am 
8.  Quni  in  ein  förmliche*  Jöünbniß  üermanbelt ,  worin  ber  (£jar 
bem  ftöntg  ade  feine  ©taaten  nad)  ben  grieben*fd)lüffen  öon  *8re*lau 
unb  $)re*ben  garantirte.  Qu  ber  gleiten  Seit  erhielt  ber  nod)  in 
Polen  ftet)enbe  ©jcrnttjcfiero  33efe^l,  mit  jmanjigtaufenb  3^ann  ju 
bem  preulifc^en  Speere  ju  ftojjen. 

2)ie  nöa^fte  golge  ber  Jperftellung  be*  grieben*  jmifa^en  dlufc 


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$ie  gmci  legten  ÄriegSjafyre  unb  ber  $ubcrtSburfler  ftviibt.  453 


lanb  unb  Greußen  toar  ber  Abfdjluß  eines  SBaffenftillftanbeS  $roi« 
fcfyen  Greußen  unb  ©dnoeben,  ber  am  7.  April  burdj  bie  Sßermitt* 
lung  beS  Goaren  51t  ©taube  fam  unb  am  22.  2Rat  ju  Hamburg 
in  einen  befinitioen  grtebeu  ocrmanbelt  nntrbe.  ©djmeben  fagte  fidj 
in  bemfelben  oon  bem  33unbe  mit  ben  (Gegnern  3riebri($S  Iodr  unb 
beibe  Xfjeile  oerpflidjteten  fid)  jur  gegenfeitigen  greigebung  ber  @Je* 
fangenen,  foroie  jur  £>erfteflung  ber  ©renjen ,  nrie  fie  öor  bem 
Kriege  geroefen. 

3friebrid)S  fd^roerfte  Sebrängnifj  tuar  üorüber,  unb  er  (onnte 
nun  alle  feine  Gräfte  gegen  Defterreid)  roenben,  roo$u  er  unöerjüg* 
lid)  bie  nötfngen  Anorbnungen  traf.  $er  auS  Bommern  jurütfge* 
Teljrte  (General  Söefling  würbe  $ur  Sßerftärfung  beS  Prinjen  $>ein* 
ridj  nad)  ©ad)fen  gefanbt,  roäfjrenb  griebrid)  mit  #ilfe  (Eternit* 
fdjeroS  bie  JJeftung  ©djroeibnifc  roieber  ju  erobern  unb  bie  Oefter* 
reicher  gänjltdj  aus  ©djlefien  $u  oerbrängen  gebaute.  Ilm  $)aun, 
ber  roieber  an  ßoubonS  ©teile  ben  Dberbefefjl  in  ©djlefien  führte 
unb  jum  ©djufce  oon  ©diroeibnift  ^erdnjog ,  ben  (£ntfafc  biefer 
?¥eftung  unmöglich  $u  machen,  griff  er  ben  bei  Abelsbad)  fteljenben 
tinfen  ftlügel  beS  öfterreidnfdjen  $mt%  an,  unb  ba  er  gegen  ben* 
felben  SßtdjtS  auszurichten  t>ermod)te,  befd)loß  er,  feinen  Angriff 
gegen  ben  auf  ben  Pütjen  oon  SöurferSborf  oerfdjanjten  regten 
ftlüget  3)aunS  ju  rieten,  ®aum  I)atte  er  jebod)  baju  bie  nötigen 
Anorbnuugen  getroffen ,  als  © jernitfe^en)  au*  Petersburg  S3efef)l 
erhielt,  mit  feinen  jmanjigtaufcnb  HÄann  fofort  nadj  föuglanb  $u* 
rudaufefjren. 

(Sin  neuer  Xfpnroedjfcl  fmtte  bort  Alles  umgeftaltet.  ^ßeter  III., 
ber  ftdj  burdj  mißliebige  Neuerungen  oerfjaßt  gemadjt,  mar  auf 
Anftiften  feiner  ©emaf)lin  geftürjt  unb  balb  barauf  ermorbet  roor* 
ben,  unb  biefe  fetbft  Jjatte  als  $at Marina  II.  ben  ruffifdjen 
2f)ron  beftiegen.  S)a  fie  nidjt  nur  bie  Steuerungen  ü)reS  ÖJemaf)lS, 
fonbern  audj  beffen  unroürbigeS  SBeneljmen  gegen  fie  fetbft  bem 
CSHnfluffe  griebridjS  jufdjrieb,  Ijatte  fie  unmittelbar  nadj  i^rer 
X^ronbefteigung  ein  Üttanifeft  erlaffen,  in  meinem  Greußen  als  ber 
Sobfeinb  föufjlanbS  bejeidmet  unb  atkS  für  nichtig  erflärt  mar,  toaS 
jnrifdjeu  ^eter  III.  unb  griebrid)  vereinbart  morben;  nadjbem  fie 
jebodj  aus  öerfdjiebenen ,  unter  PeterS  papieren  oorgefunbenen 
«riefen  bes  Königs  bie  ©eroij^eit  geköpft ,  baß  griebrid)  oie)-en 
cor  allen  unoorfid)tigen  Steuerungen  gemamt  unb  ü)m  eine  toürbU 
gere  SBefjanblung  feiner  ©ema^liu  bringenb  empfohlen,  nafjm  fie  bie 
gegen  Preußen  erlaffenen  $Befd)lüffe  jurüd,  bod)  blieb  eS  bei  ber 
Abberufung  (£aernitid)eros. 

$!iefe  Abberufung  mar  für  $riebridj  ein  5)onnerfa^lag ;  er 
verbarg  jebod)  feine  ©eftürjung  unb  bat  ben  ruffifdjen  gelb^crrn 
nur,  ifm  niajt  üor  ber  SBeenbigung  ber  ©d^laa^t  ju  oerlaffen.  3)a$u 


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454 


2>er  ftebenjffftrige  (brittc  fölefifte)  flrieg. 


ließ  fiel)  ^emitfc^cm  benn  audj  bewegen  unb  trug  baburdj  roefent= 
lid)  ju  einer  für  griebrid)  günftigen  ©ntfdjeibung  bc£  Greffens  bei, 
inbem  2)aun,  ber  bie  SRuffen  nodj  immer  für  fteinbe  In'elt ,  ftdj  ge- 
nötigt falj,  bem  in  ©dtfadjtorbnung  aufgeteilten  ruffifdjen  £orp» 
eine  entfpredjenbe  $ruppenaat)l  gegenüberstellen ,  unb  baburd)  an 
ber  Skrtoenbung  feiner  gefammten  Xruppenmadjt  gegen  ba£  preu- 
fcifdie  £eer  oerfn'nbert  mar.  Sftadjbem  ber  oon  griebridj  angegriffene 
redjte  öfterreid)ifd)c  ^Jlüget  mehrere  Stunben  lang  mit  Sömenmutlj 
gegen  bie  preufjifdje  Uebermadjt  gefämpft,  mußte  $)aun  mit  einem 
S3erlufte  üon  na^e^u  breitaufenb  SJcann  ba3  Sd)lad)tfelb  räumen 
(21.  Quli  1762).  Sßäfjrenb  er  ftdj  nad)  ber  bofnnifdjen  ©renje  jurücf- 
jog,  fa^Iug  (£$emitfcb,em  ben  9tücfmeg  nad)  SRuftfanb  ein. 

Sftadj  bem  5Ibjuge  ber  Defterretd)er  traf  griebrid)  fofort  $8or- 
fetyrungen  jur  Belagerung  üon  Sctjtoeibnifc,  bie  am  8.  9luguft  eröff= 
net  mürbe  unb  neun  üoüc  Söodjen  bauerte.  Nadjbem  ein  Sßerfud* 
£aun$,  bie  geftung  $u  entfefcen,  fefjlgefrfjlagen  mar,  ergab  fidj  biefelbe 
am  9.  Dftober  nad)  bem  fyclbenmütfjigften  Söiberftanb,  ber  ben  33e- 
lagerten  breitaufenbfünffjunbert  unb  ben  Belagerern  breitaufenb 
Sttann  gefoftet  Ijatte. 

äftit  bem  galle  üon  Sdjmeibnifc  mar  ber  ßrieg  in  Sdjlefien 
beenbet ;  in  Sadjfen,  mo  es  injmtfcrjen  nur  ju  üerfdjiebenen  flehten 
®efed)ten  gefommen,  bauerte  er  noct)  bis  jum  29.  Dftober  fort,  an 
meinem  Sage  $rinj  £>einrid)  beigreiberg  über  bie  9icid}3armce 
unb  bie  Defterreid)er  unter  bem  Surften  üon  Stolberg  einen  ©ieg 
erfodjt ,  ber  ben  $ampf  auf  bem  gefammten  öftlicfyen  $rieg3fdjait; 
plafce  abfdjloß,  inbem  am  24.  9coüember  ein  SBaffcnftiUftanb  3roifd)eu 
Defterreid)  unb  Greußen  ju  ©tanbc  fam,  bem  balb  ber  erfefjntc 
griebe  fotgen  foßte. 

$)a  bie  9kid)3truppen  in  ben  gefdjloffcncn  SBaffenftillftanb  nidjt 
einbegriffen  maren,  ließ  griebrid),  ber  feine  Xruppcn  oon  Xfyüringen 
burd)  Saufen  unb  bie  Saufifc  ^inburd)  bis  Sdjleficn  in  bie  2Öinter= 
quartiere  üertbeift  unb  fein  Hauptquartier  in  Seipjig  genommen, 
ben  Dberften  ftleift  mit  jefjntaufeub  Üftann  in  granfen  einbrechen, 
um  SBranbfdjafcungen  beijutreiben  unb  jugleid)  bie  bortigen  9icid)a= 
ftänbc  jur  Neutralität  ju  jmingen,  melier  ßroeef  aud)  bei  ben  $ur- 
fürften  oon  Baiern  unb  9}?atn$,  fonüe  bei  ben  Bifdjöfen  oon  Bam= 
berg  unb  Sßürjburg  erreidjt  mürbe. 

2(uf  bem  meftlid)eu  ßriegäfdmuplafce  hatte  gerbinattb  üon  Braun - 
fdjmeig,  ber  auch  in  biefem  gelb^ugc  rübmlidt)  gegen  bie  Rranjofcn 
gefodnen,  am  1.  Sftoüember  Gaffel  erobert,  unb  ba  jmei  4age 
fpätcr,  am  3.  9coücmber,  bie  griebenäpräliminarien  amifdjen  ©ng-- 
lanb  unb  granfreich  unterzeichnet  mürben,  l)ürte  aud)  in  biefen  ÖJe--- 
genben  ber  lange  üerfjeercnbe  ÄMeg  auf. 

«So  ftanben  Ovaria  X^evefia  unb  griebria)  einanber  atiein 


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$ie  jroei  Ickten  $rieg8jabre  unb  ber  ftitbertsburßer  griebe.  455 


gegenüber,  unb  ba  ber  ®önig  mein:  als  je  entfcfjloffen  mar,  nidjt 
baS  ©eringfte  öon  bem  aufzugeben  ,  roaS  er  in  ben  oorfjcrgeljenben 
Kriegen  geroonnen,  unb  trofc  ber  gänjlidjen  (Shrfdjöpfung  feinet  San* 
beS  23  orf  errungen  ju  einem  neuen  gclbjuge  traf,  blieb  ber  ®aiferin 
feine  anbere  2Baf)l ,  als  ben  ®rieg  mit  bem  Aufgebote  aller  Gräfte 
if)reS  8ietd)eS  allein  fortjufejjen  ober  burdj  bie  nodjmaltgc  unb  beft- 
nitiüe  Veräidjtleiftung  auf  ©Rieften  unb  ©lafc  ben  Stieben  ju 
erfaufen.  ©ie  entfdjieb  fiel)  für  baS  Severe  im  .ftinblicf  auf  bie 
geringe  9Bafjrfd)einlid)feit ,  mit  ifjren  alleinigen  Gräften  meljr  ju 
erreichen,  als  im  Vereine  mit  fo  Dielen  mächtigen  VunbeSgenoffen, 
fonrie  mit  Sftütffidjt  auf  bie  ©efjnfudjt  ifjrer  Golfer  nadj  grieben 
unb  auf  bie  bebenflidje  £>öl)e ,  ju  tneldjer  bie  öfterreid)ifd)e  ©taatS- 
fd)ulb  mäfnrenb  beS  Krieges  angcroadjfen  mar.  Sftadjbem  pe  bem 
®önig  burd)  ben  Kronprinzen  oon  ©aefifen  bie  ©rflärung  fmtte  ju* 
fommen  laffen,  „baß  fie  ju  einem  balbigen  billigen  unb  Dauerhaften 
grieben  maljrfjaft  geneigt  fei/'  miüigte  griebrtd),  beffen  griebenS- 
bebürfuiß  nid)t  minber  groß  mar,  als  baS  ifjrige,  in  bie  Mbfjaltung 
eines  ßongreffeS,  ber  am  31.  ^ejember  1762  auf  bem  fädjfifdjen 
3agbfd)toffe  £>ubertsburg,  jroifdjen  beißen  unb  SBurjen, 
eröffnet  mürbe.  Deftcrrcid)  mar  auf  bemfelben  burd)  ben  £>ofratfy 
öon  $offenbad),  Greußen  burd)  ben  ®ef)eimen  SegationSratf)  öon 
^erjberg  unb  ©ad)fen  burd)  ben  (SJefjeimenratf)  gritfet)  öertreten. 
S)a  man  fid)  öon  allen  (Seiten  über  bie  griebenSbebingungcn  jum 
Boraus  flar  gemorben,  fließ  baS  griebenSroerf  auf  (eine  ert)eblid)en 
©djroierigfeiten.  9cad)  einem  öergeblidjen  SSerfucfjc  beS  Vertreters 
Defterreid)3 ,  griebridj  II.  jur  Verzidjtleiftung  auf  bie  ÖJraffdurft 
®laft  ju  bemegen,  fam  am  15.  gebruar  1763  ber  griebe  ju 
©tanbe.  $)ie  .(lauptbebingung  beSfelben  mar  bie  aßfeitige  3lner= 
fennung  bcS  VefifcftanbeS  ber  brei  Staaten,  mie  er  öor  bem  Kriege 
gemefen.  Slußerbem  fagte  griebrtd)  II.  bem  älteften  ©ofme  bei- 
ftaiferin,  bem  ©r^erzog  Qofeplj,  feine  ©timmc  ju  ber  römifdjen 
Ä'önigsmaljl  ftit.  gn  ben  grieben  mit  Cefterreid)  mürbe  aud)  baS 
beutfdje  föeid)  aufgenommen.  $)ie  3urütfzicf)ung  ber  preufii)d)cn 
Xruppcn  aus  ©adjfen  unb  ber  bftcrreiajifdjen  aus  ©djlefien  erfolgte, 
ber  getroffenen  Vereinbarung  gemäß,  brei  9Boa)cn  nad)  bem  5lbfa)luß 
beS  griebenS. 

©o  ging  griebrtd)  aus  bem  langen,  fa)lad)tenreid)en  Kampfe 
als  ©ieger  fjerüor  unb  l)attc  erreicht ,  maS  er  erftrebt:  bie  ©tel* 
hing  Greußens  als  einer  europäifdjen  ®roßmad)t  mar  gefidjert, 
unb  ber  ©lanj  feiner  Xfjaten  fjatte  baS  ^nbenfen  an  bie  9tccf)t^= 
mibrigfeit  feines  VorgefjenS  in  ben  $>intergrunb  gebrängt.  $>ie 
traurigen  golgen  beS  öerfjängnißüollen  Krieges  aber  traten  in  ben 
meiften  ber  An  bemjelben  beteiligt  gemeienen  ©taaten  in  idjretfem 
erregenber  SBeife  ju  2age.    granfreid)  unb  ©djmeben  maren  bem 


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456      $ie  atoei  legten  tfriegSjaljre  unb  ber  JmbertSburger  triebe. 


93anferotte  nafje;  bie  engltfa^e  9cationalfdmlb  f>atte  ftdj  oerboppelt, 
bie  öfterreidjifdje  mar  um  (mnbert  Millionen  ©utben  gemad>fen; 
baS  bon  greunben  unb  geinben  auSgefogene  ©adrfen  berechnete 
feinen  #riegSfcfjaben  auf  fiebrig  bis  adjt$ig  3JiiIIioncn  X&aler.  3n 
Greußen  mar  nad)  gricbridjS  eigenem  ^eftänbni6f  ber  neunte  Xfjeü 
ber  ©eoölferung  tljeilS  in  Sdjladjten,  tljeilS  burd)  ftrantyeiten  ju 
Omnbe  gegangen;  einzelne  ©täbte  maren  gänjlidj  jerftört,  anbere 
lagen  $ur  $älfte  in  Krümmern;  $at)lreid)e  Dörfer  maren  fammt 
tfjren  ©emoljnern  oerfdjmunben ;  bie  Selber  lagen  bradj,  meil  eS 
an  ©aatforn,  an  5öie^  unb  an  |>anben  $ur  SBebauung  fehlte. 
Ueberau  Ijerrfdjte  9^ott) ;  ber  Jhebit  mar  oernidjtet,  bie  Drbnung 
untergraben,  ber  9tid)terftanb  zerrüttet  unb  bie  SfriegSäuajt  gelocfert. 
5lm  Xraurigften  faf)  eS  in  benjenigen  ßänbern  aus,  in  melden  bte 
Muffen  unb  bie  granjofen  gekauft.  $n  ^ßreu&cn,  jammern  unb 
ber  9ceumarf  maren  ganje  Oegenben  öollftänbig  oeröbet ;  an  breißtg* 
taufenb  meljrlofe  9Jcenfd)en  follen  bort  öon  ben  milben  #ofafenfd)mar* 
men  niebergemefcelt  morben  fein,  ©in  faft  nod)  fdjltmmereS  Slnbenfen 
Ratten  bie  granjofen  in  SBeftfalen,  Sfteberfadjfen  unb  Reffen  aurücf* 
gclaffen.  6elbft  im  fränftfd>en  Greife,  mo  fie  nidjt  auf  feinblidjem 
©oben  geftanben,  Ratten  fie  bergeftalt  gebranbfdjafct  unb  geplünbert, 
ba&  ein  franjöfifdjer  Offizier  nad)  ber  ©djladjt  bei  9to&badj  an  einen 
greunb  fdjrieb:  „$aS  fianb  ift  auf  breifhg  Steilen  in  bie  föunbe 
geplünbert  unb  oerljeert,  mie  menn  geuer  Dom  Gimmel  gefallen 
märe.  $aum  Ijaben  unfere  flcad^ügler  unb  SttarobeurS  bie  Käufer 
ftefjen  laffen." 

Die  fajlimmfte  gotge  bcS  un^eilöoflen  Stiege*  mar  jebod)  bie 
©eftegelung  beS  burd)  griebrtd)  II.  begrünbeten  Dualismus  in 
Deutfdjlanb.  „Der  #önig  griebrid)  II.,"  fagt  Onno  mopp,  „fat 
bie  (£tnl)eit  eines  beutfa^en  föcidfjeS  unb  einer  beutfajen  Nation  un* 
möglich  gemacht.  9cid)t  bie  ftirdjenfpaltung  beS  fedfoelmtcn  3a^r- 
ljunbertS  f)at  baS  oermodjt,  nid^t  ber  breifngjäfjrige  Krieg  unb  ber 
meftfälifdje  griebe.  (Sie  tonnten  baS  föcid)  lodern.  Der  entfefc* 
tict)e  $tieg  unb  ber  traurige  griebe  fonnten  2öot)(ftanb  unb  bür- 
gerliche greif)eit  jertrümmern,  bie  ©tänbe  unb  Korporationen  bem 
SBiücn  ber  Derritorialfürften  opfern,  baS  Stecht  unb  bie  9Jcadjt  beS 
oberften  9ftd)terS  im  föeidje  oerfümmern  bis  auf  ein  (Geringes ; 
aber  nodj  blieben  bie  gormen,  bie  unter  günftigen  Umftänben  ein 
neu  ermadjenber  flcationalgeift  mieber  erfüllen  unb  beleben  tonnte. 
Sflit  bem  Auftreten  griebrid)s  II.  mar  baS  oorbei.  2BaS  öon 
einem  beutfcfyen  9ieid)e  nodj  oorljanben  mar,  baS  opferte  biefer 
SÖcann,  beffen  Seele  früfje  ftcb,  getöft  b,atte  üon  aÖen  Zeitigen  ^Ban* 
ben  ber  Pietät,  bem  Phantome  feines  Ijoljlen  9tu^meS.  @r  aflein 
jertpaltete  baS  9ieid).  (kv  fc^uf  ben  Dualismus.  Denn  baS  mußte 
aud)  ifmi  flar  fein,  bag  felbft  im  günftigften  gatle,  menn  eS  ifjm 


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S)cr  ftebenjäf>r.  engUfa>franaöf.  Jfrieg  auf  bem  SReere  u.  in  ben  Kolonien.  457 

gelang,  ©djlefien  md)t  bloä  ju  geminnen,  fonbern  audj  $u  behalten, 
ein  fjeralidjer  griebe  mit  bem  $ aiferf)aufe  niemals  mieber  möglich 
fein  merbe,  Weniger  nod)  bon  jener  (Seite,  als  bielmetyr  bon  ber 
peinigen.  ®a3  mar  md)t  bloä  meljr  ein  ßttnefpalt,  eine  ©tfcrfudjt 
bon  ^toei  fürftlidjen  Käufern  im  föeidje,  tute  cä  borbem  gemefen 
mar,  etma  jmifdjen  ^otjenjollern  nnb  SBelfen,  über  Indexen  au3glei* 
djenb  unb  bermittelnb  ber  beutfdje  Reifer  ftanb,  fonbern  e3  mar 
ein  ©palt  beä  Steides  fclbft.  Verblieben  autf)  bem  $aifer  redjtlidj 
bie  Söefugniffe  bc£  ftaiferä :  fo  mußten  biefelben  tf)atfäd)lid)  Reitern 
an  bem  SStbcrftrcbcn  griebridjä,  ber  nidjt  mein;  fid)  nnterorbnen 
moüte.  @in  Eingriff  auf  baä  ftaifcrfjauS,  jumal  wenn  er  gliieflid) 
mar,  jerrig  bie  beutle  Nation.  9Iuct)  in  ber  alten  loderen  gorm 
mar  fie  fä^ig  gemefen,  ben  ©türmen  bon  Oft  unb  SBeft  ju  mtber= 
ftefyen,  meil  jur  Seit  nod)  bie  gan^e  ®raft  bem  9iufe  beä  (Sincn 
folgte.  Serfpalten  unb  griffen,  mar  fie  gelähmt  nad)  Dft  unb 
Sßeft ;  benn  bie  Heineren  ©plitter  müffen  nad)  bem  ÖJefejje  ber  ÖJra= 
bitation  bem  ©emidjte  ber  fdjmereren  Staffen  folgend 

XXV. 

Per  Reßenjafirtge  entfiftyfxautöfifQe  <$(xie$  auf  bem  £fteere 

nnb  in  ben  ytofouini. 

(1756-1762.) 

3)ie  unmittelbare  Skranlaffung  ju  biefem  Kriege  gaben,  mie 
mir  oben  (©.  416)  gefefyen,  bie  ungenügenben  ÖJrenjbefttmmungen, 
bie  im  Utredjter  unb  im  2ladjener  grieben  bejüglid)  ber  englijcfyen 
unb  franjöfifdjen  öefifeungen  in  9iorbamerifa  getroffen  morben.  ©er 
bieferfjalb  entftanbene  ©treit  be^og  fict)  einerfeitä  auf  21  f  a  b  i  e  n, 
ba§  granfreid)  im  Utredjter  grieben  an  (Snglanb  abgetreten  unb 
bon  bem  bie  ©nglänber  behaupteten,  bajj  eä  fid)  bis  an  ben 
Sorenjoftrom  erftretfe,  roafyrenb  bie  grau^ofen  barunter  nur  bie 
£>albinfel  9ceufdjottlanb  berftanben  miffen  mollten,  unb  anbercr)ett3 
auf  bie  ©renken  bon  Souifiana,  meiere  bie  granjofen  bid  $u  ben 
großen  ©een  auäaubefjnen  fugten,  roäfyrcnb  bie  ©nglänber  alle  jen* 
feitS  beä  2lllegf)ani=(5tebtrg3  gelegenen  tüfteulänber  al»  bon  ifmen 
entbeeft  in  Slufprud)  nahmen. 

$iefe  testete  ©treitfrage  mar  für  beibe  Xljcile  bon  umfo 
größerer  3Sid)tigfeit,  alä  granfreief),  menn  e3  mit  feinen  gorbe* 
rungen  burdjbrang,  fidt)  in  ber  &agc  befanb,  eine  Sßerbinbung  jtuU 
fd)en  üouifiana  unb  ßanaba  fferjufteHen,  moburdj  bie  ^ntereffen 
Gmglaubä  fdjmer  gefäfyrbet  morben  mären.  $5ie  (Snglänber  beeil* 
ten  fid)  bafyer,  in  ben  ftreitigen  (Stegenben  Slnfieblungen  anzulegen, 


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458 


$er  fiebenjityriße  englifa>fran5öftfd)c  £ rieg 


unb  als  bie  granjofen  bic«  burch  ®emalt  ju  öerhinbern  fugten 
unb  fiel)  babei  jugleich  in  ifjren  eigenen  9cteberlaffungen  befeftigten 
unb  berftärfien,  mürbe  ber  9Jcajor  20  a  f  h  i  n  g  t  o  n,  ber  fpäter  in  bem 
norbamerifanifdjen  greiheitsfampfe  eine  fo  ^eröorragenbe  Stolle 
fpielen  füllte,  üon  SSirginien  auS  an  ben  fran^öfifdjen  öefe^t^^aber 
abgefanbt,  um  bemfclben  $orftellungen  gu  machen  unb  jugleicij 
einen  michtigen  $unft  am  Df)io  ju  befehlen;  ba  jebodj  bic  gran= 
jofen  bereits  an  berfclben  Stelle  ba«  gort  bu  OueSne  angelegt, 
mußte  Söafhington  unoerrtchteter  Tinge  jurüeffe^ren.  Tie  eng^ 
lifdje  Regierung  fanbte  hierauf  ju  Anfang  beä  3af)re3  1755,  noch 
üor  erfolgter  SricgSerflärnng,  ben  9lbmiral  SBoScamcn  mit  r>ier= 
unbjmanjig  ßriegSf Riffen  nad)  ben  ßüften  bon  SRorbamerifa,  um 
baS  franjöftfche  (&efd)maber  aufzufangen,  baS  oon  93reft  mit  58er- 
ftärfungen  nach  bem  Sorenjoftrome  abgegangen  mar.  Ter  Angriff 
auf  baSfelbe  mißlang  jebodj,  unb  ebenfomcmg  Chrfolg  Ratten  bie 
Unternehmungen  be£  englifchen  (Generals  ©rabbod  gegen  bic  fran= 
jöfifdjen  9lnfieblungcn  am  Df)io.  dagegen  gelang  es  ben  ©nglän= 
bem  im  folgenben  %afyxt,  ben  granjofen  zmeihunbcrtunbfünfjia, 
^auffatjrtcifcfiiffe  hinmegzunehmen. 

Um  fief)  für  biefe  ®cmaltthat  $u  rächen,  fanbte  bie  franjöpfa^e 
Regierung  eine  glotte,  bie  jtt)ölftaufenb  Üflanu  unter  bem  Oberbefehl 
bcS  $>erzogS  oon  ^tctjclieu  an  93orb  fjatte,  nad)  ber  Qnfel  fSJti- 
norfa,  unb  nadjbem  eine  jum  Schufte  berfelben  herbeigeeilte  eng-- 
liidje  glotte  üon  einer  jmetten  franzöfifdjen  jurütfgcftftfagen  mor- 
ben,  mn&te  fid)  bie  $anptftabt  ^ort  a)carjon  am  28.  3uti  1756 
ergeben. 

Ter  fortbauemb  ungünfttge  Verlauf  be$  Krieges  in  9corb- 
amerifa,  fomie  bie  Wnftalten,  bie  in  granfreid)  zu  einer  Sanbung 
in  (rnglanb  getroffen  mürben,  fteigerten  bie  Aufregung  unter  bem 
englifchen  $olfc,  baS  ohnehin  mit  ben  ®runbfäfoen  ber  Regierung 
unjufrieben  mar,  in  fo  hohem  ®rabe,  baß  ber  ®önig  Öeorg  II. 
fid)  genöthigt  fal),  im  Tezember  1756  ein  neues  9ftimfterium  511 
btlben,  in  meinem  ber  üolfsbcliebte  SSilliam  ^ßitt  eine  tjtxvox* 
rageube  Stelle  erhielt.  Tiefes  TOmfterium  mar  jebod)  nur  oon 
furzer  Tauer,  ba  bie  perfönliche  Abneigung  beS  Königs  gegen 
<ßitt  burch  beffen  Söibcrfpruch  gegen  feine  unb  beS  $>erzogS  oon 
(£umbcrlanb  Wnfichten  über  ben  Srteg  auf  bem  gcftlanbe  erhöht 
mürbe:  fchon  am  5.  3(pril  1757  fah  fict>  ^fitt  genötlngt,  feine 
Stelle  nieber^ulegen.  Tic  allgemeine  Unjufriebcnhcit  über  feinen 
jRürftritt,  fomic  bie  SBittjchriftcn,  bie  Oon  allen  bebeutenben  Stäbten 
unb  $örpcr(d)aften  bcS  Raubes  für  feine  SSicbcranfteHung  an  ben 
ftötiig  gerietet  mürben,  befttmmten  biefen  jebod),  >ßitt  noch  in  bem= 
fclbcu  3«hre  mieber  in  baS  Ecinifterium  aufzunehmen,  beffen  eigent- 
liche Seele  er  fortan  blieb. 


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auf  bem  9Rcere  unb  in  ben  Äolonien 


45^ 


Unter  ber  umfidjtigen  unb  tfjatrräftigen  Seitung  $ittS,  beffen 
Verwaltung  für  (Snglanb  eine  neue  9(era  ber  Stacht  unb  beS  2ln- 
fchenS  herbeiführte,  nahm  ber  Stieg  für  (äfnglanb  eine  anbere 
S&enbung,  lote  in  Xeutfct)Ianb,  fo  auch  in  fleorbamerifa.  SBährenb- 
engltfdje  (Sefchwaber  bie  Kfiften  granfreichS  burch  fianbungen  beun* 
ruhigten,  bie  SBerfe  ton  (Efjerbourg  jerftörten  unb  bie  für  (Sanaba 
beftimmten  Verhärtungen  in  ben  franjöfifchen  Häfen  jurütfhielten, 
führte  ber  2(bmiral  VoScaroen  jroölftaufcnb  Sftann  Sanbrruppen  unter 
bem  ©eneral  9(mfjcrft  nach  Halifaj,  roetc^e  fich,  burch  bie  amerifa- 
nifdje  ßanbroehr  terftärft,  terfdjiebener  franjöfifcher  geftungen  be* 
mädjtigten  unb  fich  baburdj  ben  28eg  ju  weiteren  Unternehmungen 
auf  CEanaba  bahnten. 

3m  3ah^c  1759  rücften  brei  englifche  HeereSabtheilungen  ton 
brei  öerfchiebenen  fünften  au*  in  Ganaba  ein,  um  fich  tor  ber 
Hauptftabt  Ouebecf  ju  tereintgen;  boch  erreichte  nur  bie  ton  bem 
(Venera!  SBolf  geführte  ihr  SM-  SRachbem  biefer  treffliche  güfjrer 
ade  ©chroicrigfeiten  feines  3nge$  übernmnben,  nötigte  er  am 
13.  (September  baS  tor  Ouebecf  ftehenbe  franjöfifche  Heer  51t  einem 
Xreffcn,  boch  mußte  er  ben  Sieg  mit  feinem  £eben  erfaufen. 
Unter  9ttitnrirfung  ber  englifchen  glotte  rourbe  Ouebecf  erobert  unb 
im  folgenben  Qahre,  nachbem  ein  Verfud)  ber  granjofen,  bie  Stabt 
roieber  ju  gewinnen,  vereitelt  worben,  burch  oie  Eroberung  ton 
Montreal  bie  gänjliche  Vertreibung  ber  granjofen  aus  ©anaba 
ooöenbet. 

SBährenb  bie  ©nglänber  in  SRorbamerifa  bie  9Jiacht  ber  gran* 
jofen  öermchteten,  vereitelten  fte  auch  in  Europa  bie  Hoffnungen, 
bie  granfreich  auf  bie  geplante  Sanbung  in  ©nglanb  gebaut.  Xie 
glotte  ton  Xoulon,  bie  fich  8«  biefem  Qlotdz  mit  ber  ton  Vreft 
oereinigen  foflte,  um  bie  in  ber  Bretagne  gefammelte  Kriegsmacht 
nach  ©nglanb  ober  Urlaub  überjufefccn,  mürbe  am  18.  Sluguft 
1759  bei  bem  (Sap  ßagoS,  an  ber  Sübfüfte  öon  Portugal,  burch 
ben  Slbmirat  VoScawcn,  unb  bie  ton  Vreft  am  20.  Wotembcr 
bei  Ouiberon  burch  ben  Slbmiral  H^feS  gänjttch  gcfchlagen.  ©in 
HeineS  ®efd)nmber,  bem  bie  Ausfahrt  auS  $)ünfirchen  geglüeft, 
lanbete  jmar  -an  ber  Küfte  ton  Urlaub,  fiel  jeboch,  ohne  bort  etttmS 
ausgerichtet  ju  ha&en,  am  28.  gebruar  1760  ben  ©nglänbern  in 
bie  $)änbe. 

$iefe  Unfälle  machten  ben  H°f  ton  VerfaifleS  jum  grieben 
geneigt;  aber  mährenb  er  jur  Herbeiführung  beSfelben  Unterhanb- 
lungen  mit  (£nglanb  angefuüpft  hatte,  leitete  er  ju  ber  gleichen  3eit 
um  für  ben  gall,  bog  bie  englifche  Regierung  51t  hohe  gorbe^ 
rungen  pellen  foüte,  ben  Krieg  mit  terftärften  Kräften  fortführen 
ju  fönnen,  ein  VünbniB  mit  Spanten  ein,  beffen  neuer  König 
Karl  III.,  ber  frühere  König  ton  Neapel,  fich  oen  SOßünfct>eu  be* 


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460 


S)er  ftebenjäfjrige  engltfa>franäöfifa>  Sfrieg 


franjöfifcfjen  <pofeS  geneigter  jeigte,  als  fein  im  üorfjergebenben 
Sa^rc  geftorbcner  Stiefbruber  gerbinanb  VI.,  ber,  bcm  ©influfc 
feiner  @temaf)Iin  nadjgcbenb,  in  bem  Stiege  granfreid)S  mit  (£ng= 
lanb  üollftänbig  parteilos  geblieben  mar. 

SBäfJrenb  bie  Unterfyanblungen  üon  $itt  abfidjtlid)  in  bie 
Sänge  gebogen  mürben,  meil  bcrfelbe  burd)  bie  (Eroberung  ber 
3n|el  SBetletSle  an  ber  franjöfifdjen  fiüfte  ein  91uSgleidMngSobjcft 
für  baS  Verlorene  Sftinorfa  in  bie  $anb  ^u  befommen  münfrf|te, 
flelong  es  bem  franjöfifc^en  SWinifter  Gfjoifeul,  am  15.  $uguft 
1761  ben  fogenannten  „bourbonifdjen  gamiltenpaft"  mit  (Spanien 
Staube  ju  bringen,  burd)  meldten  eine  fo  enge  ©erbinbung  bcr 
£>öfe  üon  JßerfatfleS  unb  Sftabrib  fjergeftetlt  merben  foHte,  ba&  beibe 
SHeidje  fortan  bem  SluSlanbe  gegenüber  nur  eine  SDcadjt  bilbeten. 
«3u  biefem  ©übe  erflärten  bie  Könige  üon  granfreid)  unb  «Spanien, 
ba&  in  Sufunft  jebe  2ftad)t,  meiere  bie  Seinbin  beS  (£inen  merbe, 
aud)  als  bie  geinbin  beS  51nberen  gelten  foüe,  unb  gemäfjrleiftcten 
cinanber  ifjre  gefammten  ©efifungen,  meiere  Ötemäfjrleiftung  audj  auf 
bie  ßänbcr  beS  Königs  öon  Neapel  unb  beS  §erjogS  üon  Marina 
auSgcbelntt  mürbe.  3n  einem  geheimen  ©ertrage  üerpftidjtete  fid) 
(Spanien,  am  1.  ÜRai  1762  an  Gnglanb  ben  $ricg  ju  erflären, 
falls  bte  bafyin  bcr  griebe  jnnfdjcn  granfreid)  unb  (Snglanb  nidjt 
$u  Staube  gefommen  fein  foflte;  bagegen  üerfprad)  bcr  $önig  üon 
granfreid),  biefen  grieben  uidjt  eljer  abaufdjlie&cn,  bis  (Spanien  öon 
©nglanb  für  alle  feine  $8efdj)merben  üolle  ©enugt^uung  erlangt  fjabe. 
3)te  gorberungen,  bie  bicferfjalb  oon  bem  franjöfija^en  jpofe  an  bie 
cnglifdje  Regierung  gcftetlt  mürben,  führten,  ba  (Snglanb  biefclben 
auf  baS  Crntfcfytebenfte  jurürfmieS,  ben  fofortigeu  s#bbrud)  ber  gric= 
benSunterfjanblungen  fyerbei. 

$>a  s$itt  eine  ®rtegScrfIärung  oon  Seiten  (Spaniens  üorauS- 
faf),  brang  er  barauf,  bajj  man  bcm  £>ofe  üon  TOabrib  barin  ju* 
üorfomme,  bamit  man  in  bcr  Sage  fei,  bie  fpanifdje  Silbcrflotte 
fjintüegjuuefjmcn ,  beüor  btefclbe  in  Sidjerfyeit  gebraut  merben 
fonttc ;  er  ftie§  jebod)  bei  bem  ®önig,  ber  fid)  ganj  üon  Sorb 
Sitte,  einem  Spotten  üon  gebilbetem  ÖJcifte  unb  unbeftrittener 
(Sfurenfjaftigfeit,  ober  unbeliebt  megen  feines  falten  unb  fto^cn  Sc- 
nefjmenS,  leiten  liefe,  auf  SBiberftanb,  unb  als  er  hierauf  feine  ßnt^ 
laffung  forberte,  bemog  5öute  ben  ftönig,  biefelbe  an^uncl^men.  So 
erfolgte  alfo  bie  ÄriegScrflärung  nid>t  üon  Seiten  (SnglaubS,  fon^ 
bcm  oon  Spanien.  2>a  bie  portugteftfrfje  Regierung  fidj  meigerte, 
bem  ©erlangen  Spaniens  gemäß  ben  (£nglänbcrn  ifjre  £>äfen  $u 
üerfdjlieBen,  erflärten  «Spanien  unb  granfreid)  aud)  an  Portugal 
beu  $rieg. 

Ziq§  ber  ©etljetligung  Spaniens  an  bem  Kriege  gegen  (£ng= 
lanb,  blieb  biefeS  nad)  tote  üor  im  ©ort^eil.    Xie'ganje  ÖJruppc 


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auf  bem  SBeere  unb  in  bcn  Kolonien. 


461 


ber  Antillen,  öon  bcncn  ®uabe(oupe  unb  Dominique  bereite  früher 
öon  ©nglanb  erobert  morben  maren,  ging  für  granfreich  öerloren,  unb 
am  11.  Shiguft  1762  mußte  ftdj  §aüanna,  bie  #auptftabt  öon 
(Suba,  bie  ben  TOttcipunft  be*  fpanifch*meftinbifchen  Raubet«  bübete, 
nach  längerer  tapferer  Skrtheibigung  mit  ber  in  ihrem  #afen  liegen* 
ben  Jlotte  ben  ©nglänbern  ergeben.  #mei  SRonate  fpäter,  am 
6.  Df  tober,  eroberten  biefelben  auch  Manila,  bie  $auptftabt  ber 
$f)iüüptnen.  $)ie  an  beiben  Orten  gemalte  ©eute  öon  fünf  WliU 
lionen  <ßfuhb  Sterling  mar  inbeffen  nur  ein  Heiner  Beitrag  jur 
Eecfung  ber  ®rieg*foften  ©nglanb*,  roetdje  bie  Scfmlbenlaft  be* 
Sanbe*  bereite  öon  achtzig  auf  etnhunbertöieraig  TOttionen  $funb 
Sterling  geftetgert  Ratten. 

3n  feinen  Hoffnungen  auf  einen  günftigeren  Verlauf  be* 
Kriege«  getäufdjt,  machte  granfreich  auf*  <Reue  grieben*öorfchläge, 
unb  ba  ber  heftige  ^arteifampf,  ber  jmifchen  ben  Slnhängcrn  <ßitt* 
unb  benen  be*  Sorb  ©ute  ausgebrochen,  bem  engüfchen  SRinifterium 
große  Verlegenheiten  bereitete,  jeigte  fidj  ba*felbe  entgegenfommenb. 
So  famen  am  3.  SRoöember  1762  511  gontainebleau  bie  ^rieben** 
Präliminarien  ju  «Staube,  bie  am  10.  Februar  1763  ju  <ßari*  in 
einen  befinitiöen  grieben  öermanbelt  mürben.  3)urch  benfelben  er* 
^ie(t  ©nglanb  Ganaba  nebft  ber  Qnfet  (Jap  Breton,  bie  Heineren 
unter  ben  eroberten  HnriHen,  bie  |>albinfel  gloriba  fotoic  ba*  Sene* 
galgebiet  in  Slfrifa;  auch  mürbe  ihm  SJcinorfa  jurüdgegeben.  gür 
ba*  abgetretene  gtoriba  mürbe  Spanien,  ba*  feine  ©efifcungen  auf 
(Euba  forote  Manila  jurücfer^ielt,  burch  Souifiana  entfchäbigt,  auf 
roeld)e*  granfreich  ju  feinen  ©unften  Söerjtcr)!  tetftete.  3n  ber  93e* 
nufcung  be*  einträglichen  gifchfang*  an  ber  Stufte  öon  9ceufunblanb 
mürben  ben  granjofen  bebeutenbe  iöcfdjränfungen  auferlegt,  unb  auf 
ben  i^nen  abgetretenen  Qnfetn  St.  ^ierre  unb  9JctqueIon  burften 
fie  feine  geftung*roerfe  anlegen. 

Portugal,  beffen  Xruppen  unter  ber  unwichtigen  gucjrung  be* 
öon  (Snglanb  mit  Verhärtungen  borthin  gefanbten  (trafen  öon  Schaum* 
burg^Sippe  bie  Angriffe  ber  Spanier  jum  größten  %$t\it  ju  öereiteln 
gemußt,  büeb  in  bem  ©efifcftanbe,  in  meinem  e*  fidj  öor  bem  Kriege 
befunben  hatte. 

2lud)  in  Dftinbien,  mohin  fict)  ber  ®rieg  ^mifchen  (Snglanb  unb 
gfranfreich  gleichfall*  öerbreitet  fyattt,  (Snglanb  im  93ortr)cil. 
Qm  3ahre  1758  fanbte  bie  fronjöfifdje  Regierung  ben  (trafen  £aHn 
Xolenbal  (eigentlich  XuÜt)-5)aIe),  ben  Slbfömmling  einer  mit  ben 
Stuart*  nach  grantreidj  au*gemanberten  irifchen  gamilie,  al*  ®ouöer- 
neur  mit  bebeutenben  Verhärtungen  nach  ^onbidjerö,  ber  ^auptftabt 
ber  franjöfifchen  Sftieberlaffungen  in  Dftinbien.  9tttt  großer  perjbn* 
licfjcr  Sapferfeit,  burd)  meldte  er  fich  befonber*  in  ber  Schlacht  bei 
gontenoi  heröorgethan,  öerbanb  berfelbe  einen  glühenben  CStfer  für 


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462 


$er  ftebenjftfjrifle  cngltfcf)=fran^öfifc^c  $rieg 


tue  ©efämpfung  bcr  engtifchen  SJcadjt  in  Dftinbien;  aber  it)m  fehlte 
nicht  nur  jebe  politifdjc  Klugheit ,  fonbern  auch  bic  ju  einer  er* 
folgreichen  Kriegführung  nötige  Kenntnis  be«  (£harafter«  unb  ber 
(Sitten  ber  Snbier.  Söährenb  er  einerfeit«  burch  ba«  rütffichtölofefie 
t5infrf)reiten  gegen  bie  in  bie  SSermaltung  ber  franjöfifd^oftinbifdjen 
Kompagnie  eingeriffenen  Sföiftbräuche  bie  gefammte  ©eamtemoelt 
gegen  fich  aufbrachte ,  $og  er  fich  jugleieh  ben  £aft  ber  Singe* 
borenen  burch  bie  gänjliche  Nichtbeachtung  ihrer  nationalen  unb 
religiöfen  SSorurtheile  ju.  ^nbeffen  fchien  ber  Anfang  feiner  friege* 
rifchen  Unternehmungen  glücf  öerfprechenb ;  benn  er  eroberte  ba« 
$aoib«fort,  ba«  er  bem  (Srbboben  gleich  machen  tieft,  dagegen 
mifttang  fein  Angriff  auf  SJcabra«:  bie  im  $ejember  1758  begon* 
neue  ^Belagerung  biefer  ©tobt  muftte  im  gebruar  be«  folgenben 
3ahre«  bei  bem  ©rfdjeinen  einer  englifdjen  (Srfafoflotte  aufgehoben 
tuerben,  unb  fo  groft  mar  bie  ÜJciftbefiebtheit  Satin'«  bei  feinen 
eigenen  £anb«Ieuten,  baft  bie  Nachricht  oon  feinem  ?Ibjug  oon 
SJcabra«  in  ^onbichern  mit  Subel  begrüßt  mürbe.  $a  Salin  jur 
Unterftüfcung  biefer  Unternehmung  ben  (Senerat  ©uffn  au«  ben 
wörtlichen  23efifcungen  ber  granjofen  h^beigerufen  fyattt ,  gingen 
auch  biefe  für  granfreich  üerloren ,  inbem  bie  (Jnglänber  fich  Don 
Bengalen  au«  barin  feftfefcten.  Nachbem  bicfelben  im  Qahre  1759 
sJJcaffulipatam  erobert,  mürbe  am  22.  Qanuar  1760  in  einem  treffen 
bei  SBanbiroafh  bie  frau$öfifche  TOac^t  gänzlich  aufgerieben.  3h* 
lefcter  Kampf  galt  ber  Erhaltung  oon  s^onbichern ;  bodj  auch  biefe 
©tabt  mußte  fich  am  16-  3<*nimr  1761  nach  tapferer  SSerthetbigung 
ben  (Snglänbern  ergeben,  unb  ehe  ba«  Qatjr  ju  ©übe  ging,  toaren 
bic  granaofen  gänzlich  au«  Dftinbien  oertrieben. 

Wl«  Salin,  ber  (rieg«gefangen  nach  ©nglanb  gebracht  morben, 
erfuhr,  baft  man  ihm  allein  ben  iöerluft  ber  fo  hoch  gehaltenen 
inbtjchen  öefijuugen  jur  Saft  legte  unb  ihn  offen  be«  Herrath«  be* 
fchulbigte,  ermirfte  er  fich  ü°n  &er  englifchen  Regierung  bie  (Sr* 
laubniö,  $u  feiner  Rechtfertigung  nach  $ari«  ju  gehen.  (£r  mürbe 
fogleich  in  bie  öaftitle  gebracht  unb  nach  einer  neunjehnmonat* 
liehen  hatten  ©efangenfehaft  jur  söefchmichtigung  ber  leibenfehaftlich 
erregten  öffentlichen  Meinung  oon  bem  Parlamente  jutn  lobe  Oer* 
nrtheitt.  2Jcit  einem  Knebel  im  sJJcunbe  auf  einem  fehmufcigen 
Karren  jur  Nichtftätte  geführt,  ftarb  er  am  9.  3Jcai  1766  auf  bem 
Ölutgerüfte. 

Obgleich  ^onbidjero,  im  grieben  oon  $ari«  an  granfreich  ju* 
rücfgegeben  mürbe,  mar  bie  Stacht  bcr  granjofen  in  Dftinbicn  burch 
bie  ©eftimmung  gebrochen,  baft  fie  bort  feine  geftung«merfe  mehr 
errichten  bürfteu,  unb  im  %af)xt  1770  ging  bie  oftinbifchc  Kom* 
pagnie  öotlftänbig  $u  GJrunbe.  dagegen  gemann  bie  englifche  £>err* 
jehaft  in  Dftinbien  immer  fefteren  *8oben  unb  eine  immer  meitere 


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auf  bem  9Reere  unb  in  ben  Kolonien. 


463 


StuSbefmung,  wogu  ber  GSifer  unb  bie  ®efchicfttchfeit  beS  fpäter 
öon  ®eorg  III.  gum  ßorb  klaffet)  ernannten  Dberften  (£  1 1  b  e , 
ber  fd)on  im  3ahre  1756  burdj  glängenbe  Unternehmungen  gegen 
bie  eingeborenen  Surften,  bie  „NaboW,  ben  ©runb  gu  ber  Unter* 
werfung  öon  gang  Bengalen  gelegt,  baä  ÜMfte  beitrug.  ßatcutta, 
baS  fd)on  früher  ein  SlnfteblungSptafc  ber  (Snglänber  gewefen, 
würbe,  nad)bem  eS  bauernb  in  ihren  Sefifc  übergegangen,  bie  £>aupt* 
ftabt  eines  großen,  ber  englifch;oftinbifchen  Öefettfchaft  gehörigen, 
wenn  aud)  bem  tarnen  nad)  öon  ben  abhängig  geworbenen  gürften 
beherrfchten  9teicheS,  gu  meinem  außer  ben  SBefiJjungen  oon  $Ben= 
gaten  bie  gange  üfttiche  ftüftc,  öon  (Jutta!  bis  gum  (Jap  (Somotin 
geborte.  Sludj  Ratten  fic  in  ber  oon  ihnen  geübten  Sßormunbfchaft 
über  ben  ©rofjmogul  —  ben  ehemaligen,  jefct  auf  baS  ©ebiet 
öon  SeHn'  befchränften  Söeherrfcher  oon  ^pinboftan  —  baS  Sttittel 
in  Rauben,  ihrem  Vorgehen  gegen  bie  inbifdjen  Sürften,  bie  früher 
beffen  SöafaHen  gewefen ,  einen  ©cfjein  beS  Rechtes  gu  leiten  unb 
fich  felbft  bie  erworbenen  ^roöingen  gu  £eb,en  geben  gu  laffen. 
$)aS  ÖJefammtgebiet  ber  oftiubifchen  Kompagnie  umfajjte  gehn 
Millionen  (Einwohner  unb  trug  einen  Üteingewutn  oon  minbeftenS 
fieben  SHiflionen  X^alertt  ein.  tiefer  gerrann  jeboch  in  ben  £>änben 
ber  $irettoren  in  Europa  unb  ber  fyabfüdjtigen  ^Beamten  in  ^nbien, 
beren  Verwaltung  ftch  überbieS  weber  burch  3ttenfchlichfeit  noch 
burch  ©erechtigfeit  empfahl. 

©inen  wefentlidjen  SBeftanbtheil  ber  £eereSmacht,  auf  welche 
fich  bie  £>errfchaft  ber  ©ngtänber  in  Dftinbien  ftüfcte,  bilbeten  bie 
<S  e  p  o  ö  S ,  inbifche  SRefruten ,  benen  fie  europäijche  3ucht  unb 
Slbrichtung  beibrachten,  ohne  fie  mit  ber  europäischen  ftriegSfunft 
öertraut  gu  machen. 

SBa'hrenb  beS  norbamerifanifchen  SreiheitSfriegeS  erftanb  ber 
englifchen  Jperrfdjaft  in  Dftinbien  ein  gefährlicher  Seinb  in  £tyber 
VLli,  bem  Surften  beS  in  bem  füblicheu  Xtjeile  ber  $atbinfet  ge» 
legenen  SReicheS  Üttnfore.  3)aS  ©lücf ,  mit  welchem  berfelbe  feit 
bem  3al)re  1767  bie  ©ngtänber  bekämpfte,  regte  auch  anbere  öon 
ben  zahlreichen  (Staaten  ber  ^albinfel  gegen  fie  auf,  unter  benen 
bie  ber  a  h  r  a  1 1  e  n  —  eines  aud  ber  alten  inbifchen  Krieger* 
fafte  h^röorgegangenen  SBolfeS ,  baS  fich  beS  gangen  9corbenS  ber 
^palbinfel  bemächtigt  hotte  —  bie  gefährüchften  waren.  9cur  bem 
ungewöhnlichen  ©ejctjicf  unb  ber  unermüblichen  SluSbauer  beS  neuen 
Statthalters  Marren  £>aftingS ,  ben  bie  englifche  Regierung  im 
3ahre  1774  nach  Dftinbien  fanbte,  fyattt  ©nglanb  ben  unge* 
jehmälerten  gortbeftanb  feiner  £>errfchaft  in  jenen  ©egeuben  gu 
öerbanfen;  boch  bauerte  ber  burch  £>nber  erregte  ßampf  über 
beffen  Xob  (1782)  hinauf  fort.  (Srft  mit  bem  neuen  SBeherrfdjer 
öon  3)tyfore,  Xippo  ©aib,  2Ui  #nberS  ©ohn ,  würbe  im 


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404 


ftranfreidj  unter  Subroig  XV. 


3afjre  1784  ein  Sriebe  gefdjloffen,  ber  bie  oftinbifche  Kompagnie 
im  ©eftfce  ihres  gefammten  Gebiete*  beließ. 

XXVI. 

Stanßretrß  unter  £ut>n>%$  XV. 

(1715—1774.) 

gubata?  XV.  Privatleben. 

2113  Öubnrig  XV.  im  3ahre  1726  bem  #erzog  oon  ©ourbon 
bie  Settung  ber  (Staatsangelegenheiten  entzogen,  hatte  er  (f.  @.  289) 
auf  gleurü'S  ^Rat^  erftärt ,  bog  er  fortan  felbft  regieren  merbe; 
er  nahm  jebod)  an  ber  fieitung  ber  föegierungSgefchäfte  faum 
irgenb  melden  ^tnt^cil  „  meil  es  ihm  baju  cbenfomohl  an  ßuft, 
als  an  ber  nötigen  einfielt  fehlte,  fonbern  überließ  biefelbe,  zum 
©eile  granfreichs,  üoflftänbig  bem  jum  ©taatSminifter  ernannten 
#arbinal  gleurto.  dagegen  gab  er  feinen  Untertanen  baS  öei* 
föiel  eine«  burchauS  fittenreinen  Sebent.  2ln  feiner  ebenfo  liebend 
mürbigen  als  frommen  Gemahlin  hing  er  mit  rüfjrenber,  marm 
unb  treu  ernriberter  gärtlic^fcit  f  unb  bie  (Stye  beS  ÄönigSpaareS, 
baS  am  8.  $ejember  1728  burdj  bie  heiß  erfefmte  Geburt  eines 
Thronerben  erfreut  mürbe,  nad)bem  bie  Königin  bereits  am  14.  $luguft 
1727  ihrem  Gemahle  ßnullingStödjter  geboren ,  fdnen  für  baS 
ßanb  baS  93orbilb  häuslicher  Xugenb  unb  f)äu$(idjen  GlücfeS  wer- 
ben gu  fotten. 

$ber  nur  ju  balb  mürbe  eS  anbcrS.  $>a  bie  ben  #önig  um* 
gebenben  Höflinge  nicht  nur  ihren  (£influfi  auf  benfelben  burd)  ben 
ber  Königin  gefäfjrbet  faljen ,  fonbern  auch  öon  einer  geregelten 
ficbcnSrocife  beS  $>errfd)erS  ben  SSerluft  oder  Gelegenheiten  jur 
^öefriebigung  ihrer  tfjeilS  ehrgeizigen ,  theilS  genrinnfüchtigen  ®e- 
gierben  fürchteten,  fugten  fie  ilm  burd)  bie  Aufreizung  feiner  Sinn* 
l  ichfeit  in  bie  93afm  beS  fiaftcrS  hineinzuziehen.  Anfangs  fträubte 
fich  SJubroigS  beffere  Statur  gegen  biefe  Bemühungen,  bis  enbltch 
feine  ©abmache  ben  ®unftgriffen  ber  Verführer  erlag.  Xer  Gräfin 
öon  9)?aiüu,  bie  man  ihm  jnr  ©uhlertn  auSermählt,  meil  man  oon 
ihr  feine  aü^u  ehrgeizigen  ©eftrebungen  befürchten  zu  müffen  glaubte, 
gelang  eS ,  ihn  feiner  Gemahlin  ooüftänbig  zu  entfremben ;  boch 
mürbe  fie  felbft  balb  burch  bie  SCBittme  beS  SttarqutS  be  la  Xour* 
neüc ,  bie  ber  in  leibenfehaftlicher  Üiebe  zu  ihr  entbrannte  Äönig 
Zur  $alaftbame  ber  Königin  unb  zur  Herzogin  Don  dfyattavL* 
rouj  erhob ,  aus  SubmigS  Gunft  üerbrängt  ,  worauf  fie  bura) 


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SubmtgS  XV.  Privatleben, 


465 


ftrenge  SBufjübimgen  unb  einen  btä  an  il)r  Sebenäenbe  fortgelegten 
mufterhaften  Söanbel  ifrre  SBergeljungen  $u  fühuen  fucfjte.  $)er 
£önig  aber  mar  für  fein  ganjeS  Seben  bem  Softer  öerfaüen  unb 
fanf  immer  tiefer  in  einen  2Ibgrunb  bon  Unfittlichfeit,  auä  meinem 
er  ficr)  trofc  jeitmeife  roieberfehrenber  befferer  Regungen  nicht  mefjr 
emporzuarbeiten  permochte. 

Um  fid)  in  öoKer  greifet  ber  ungebunbenften  ©tnnlidjfeit  t)in= 
geben  ju  tonnen,  normt  Subroig  feit  bem  Qa^re  1738  feinen  2lufent= 
rjatt  oorjugätoeife  in  bem  ©djloffe  ©hoifu ,  ba$  er  mit  ber  Oer- 
fdjroenberifcf)ften  bracht  r)atte  au8fcf)mücfen  unb  mit  allem  oerfehen 
laffen,  ioaä  bie  üppigfte  ^fjantafie  jur  SBerrrielfältigung  unb  23er* 
feinerung  aller  ©innengenüffe  nur  erbeuten  fonnte.  £rier  mürben 
nächtliche  Seftgelage  gehalten,  bie  in  9hcr)t8  ben  berüchtigten  93accr)a= 
nalien  be$  §erjog3  oon  £>rlean8  nachftanben. 

Unterbeffen  lag  bie  ganje  Saft  ber  Regierung  auf  ben  ©cfmt* 
tem  gleurr/3;  ber  #önig  mo^nte  nur  ben  atferroidjtigften  93e* 
ratt)ungen  im  ©taatSrathe  bei.  3n  ben  erften  Seiten  legte  er 
babei  nodj  ein  geroiffe£  3n*ereffe  f^r  b*e  9tegierung^gefcrjäfte  an 
ben  $ag,  unb  roenn  er,  roa$  jeboch  bei  feiner  angeborenen  ©djüdj* 
temrjeit  nur  feiten  geferjarj,  eine  eigene  SJceinung  auafpradj,  fo  be= 
funbete  biefelbe  gewöhnlich  ein  richtiges  unb  fdjarfea  Urtheil.  Qe 
tiefer  er  jeboch  in  ben  ©trubel  ber  SluSfdjmeifungen  oerfanf,  befto 
mehr  erftarb  in  ifjm  aller  ©inn  für  emfte  Söefcfjäftigungen,  unb  fo 
befümmerte  er  fief)  fdjliefjlich  faum  mehr  um  bie  Qntereffen  be§ 
©taateS. 

SBährenb  ber  SBirren  be£  öftcrrcicr)tfcr)en  (SrrbfoIgefriegeS ,  in 
roeldjen  granfreicr)  toiber  ben  Söiüen  beä  friebliebenben  ftarbtnats 
gleurt)  oerroicfelt  roorben ,  ftarb  biefer  umfichtige  ©taatömann  im 
Hilter  oon  nahezu  neunjig  fahren,  ohne  roährenb  feiner  fiebje^n- 
jährigen  fegenäreidjen  ©taatsoerroaltung  roeber  ficr)  felbft  noch  feine 
iöertoanbten  irgenbroie  auf  Soften  be3  ®taate3  bereichert  ju  fja&en. 

Wad)  bem  Xobe  gleuru'ä  (1743)  fdn'en  ftch  Subroig  XV.  au$ 
feiner  (£rfcfjlaffung  aufraffen  $u  wollen;  benn  er  fprach  ben  (Snt- 
fdtjlufe  au3,  felbft  bie  Seitung  ber  ©taatSangelegenheiten  in  bie  £anb 
ju  nehmen;  aber  fct}on  nach  wenigen  Sagen  roar  fein  ©ifer  für  bie 
®abinet3arbeiten  oerraucht  ,  unb  2We3  blieb  ben  9ttiniftem  unb 
feinen  ^Büfflerinnen  überlaffen.  JJnbeffen  gelang  e3,  roie  mir  oben 
(©.  384)  gefehen,  ber  $erjogin  oon  (£hateaurouj ,  ben  öollftänbig 
in  i^ren  ©anben  liegenben  ®ömg  jur  perfönlicfjen  %$ülnaf)mz  an 
bem  Kriege  in  ben  Stoeberlanben  ju  bewegen ,  mohin  er  fich  am 
3.  2Rai  1744  begab.  $ie  ^erjogin  h^^e  gehofft,  ihm  bahtn  fol^ 
gen  ju  bürfen;  aber  ber  äRarineminifter  SKaurepaS  fyattt  ben 
nig  burch  bie  SöorfteHung,  bag  ihre  Hnmefenheit  bie  burch  fein  (&r~ 
fcheinen  unter  bem  Speere  gemeefte  S3egeifterung  nieberfchlagen  roerbe, 
eoljtoart^,  «Beltaef^te.  VI.  30 


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466 


ftranfreicfj  unter  Cubtmg  XV. 


bemogen,  ifjr  bie*  unterlagen.  Unbetummert  um  ßubmigä  9kr= 
bot  reifte  fie  ifmt  nad)  unb  erfuelt  bafär  unfdjtoer  SBeraeifmng. 

2)ie  Siege,  bie  unter  Submigä  Slugen  tum  ben  franjöftfdjen 
Xruppen  in  ben  föieberlanben  erfaßten  mürben,  begeifterten  bie 
franjöfifdje  Nation,  unb  ba  biefelben  allein  bem  (SHnfluß  be£  $tö* 
nigä  jugefdjrieben  mürben ,  meeften  fte  auf«  fteue  bie  nod)  immer 
nidjt  erftorbene  Siebe  beS  SßolfeS  ju  feinem  ^errfdjerfyaufe.  211$ 
SJubmig  auf  feinem  Quge  nad)  bem  (Slfaß  ju  2fle$  ferner  errranfte, 
mar  gan$  93ari$  in  ber  bangften  SBeforgniß;  bie  s$oft,  ba3  Sdjloß 
unb  bie  ^aläfte  ber  SBornefjmen  maren  Xag  unb  9cad)t  oon  3flen= 
fdjen  umlagert,  bie  mit  Ungebulb  auf  9tadjrid)ten  über  ba$  33efin- 
ben  beä  Königs  darrten ,  unb  bie  föirdjen  maren  mit  Slnbädjtigen 
gefüllt,  bie  fyeiße  ©ebete  für  bie  (Spaltung  feinet  SebenS  ju  ©ort 
emporfanbten.  $)ie  ftunbe  oon  fetner  ©enefung  rief  in  ^ßariä  einen 
foldjen  Sreubentaumel  fjeroor,  baß  ber  (Eilbote,  ber  bicfelbe  über- 
brad&t ,  faft  erbrütft  mürbe  unb  ba$  SBolf  fogar  fein  $ferb  unb 
feine  ©riefeln  fußte.  $ie  Sünfte  oeranftalteten  feftlidje  Slufjüge 
unb  religiöfe  Seierlidjfeiten ,  unb  mehrere  Söodjen  lang  !am  s$art$ 
gar  nidjt  auä  ben  fiuftbarfeiten  Ijerauä.  9ttdjt3  glidj  bem  $ubcl, 
mit  meldjem  ber  $önig  bei  feiner  Sftütffefjr  in  bie  £>auptftabt  bt- 
grüßt  mürbe,  unb  bem  glänjenben  (Smpfang,  ben  man  ü)m  bereitet 
^atte.  (Sr  felbft  mar  baoon  fo  tief  ergriffen,  baß  er  in  bie  SBorte 
auSbrad):  „D  ©ott,  momit  ljabe  idj  fo  oiele  Siebe  oerbient!"  55ret 
Xage  blieb  er  in  bem  ^ßalafte  ber  Xuilerien,  mo  3ebermann  ifyn 
fefjen  burfte;  aud)  naljm  er  eine  (Sinlabung  ju  einem  3ttal)le  auf 
bem  9iatf)f)aufe  an. 

Söä^renb  ßubmigS  fernerer  Stanfbeit,  bie  5lüe3  für  fein  ße= 
ben  fürchten  ließ ,  fjatte  ifjm  fein  Söeidjtöater ,  ber  Sötfdmf  oon 
©oiffonö  ,  ertlärt ,  baß  er  ifjm  bie  ©terbeiatramente  nur  fpenben 
tonne,  menn  er  feine  Öu^erin,  bie  .Iperjogin  oon  Sfmteaurouj,  au$ 
feiner  S^ä^e  entferne,  mit  aufridjtigem  ^erjen  jebem  ferneren  9kr* 
fefjr  mit  if/r  entfage  unb  in  ©egenmart  be3  ganjen  £>ofe£  ©ort 
megen  be$  gegebenen  2lergerniffe3  um  $erjeif)ung  bitte.  Sötüig  mar 
Submig  biefer  gorberung  nadjgefommen,  unb  auf  feinen  SSefefyl  t)attc 
bie  Jperjogin  fofort  oon  äftefc  abreifen  müffen  ;  feiner  ©emafjlin  aber, 
bie  auf  bie  erfte  9tad)rid)t  oon  feiner  (frfranfung,  aller  erlittenen 
ftränfungen  oergeffenb,  nadj  äftefc  geeilt  mar,  um  felbft  feine  Pflege 
$u  übernehmen  unb  ifjm  Xroft  ju  fpenben,  t)atte  er  unter  Reißen 
Xfyränen  Abbitte  getf)an  unb  it)r  gefdjmoren,  oon  nun  an  t^r  allein 
$u  leben.  Aber  mit  ben  legten  ©puren  feiner  $ranffyeit  mar  aud) 
bie  (Erinnerung  an  alle  guten  93orfäfce  öerfdjmunben.  $ie  fdmm* 
lofen  ©elage  im  ©djloffe  ju  (£f)oifto  mürben  mieber  aufgenommen, 
erft  jmar  nur  ^eimli^,  balb  aber  ganj  ungefa^eut.  2)ie  Sfmteau* 
rouj  fe^rte  an  ben  £of  jurüd ,  unb  auf  i^r  Verlangen  erteilte 


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SubroigS  XV.  ^vtoatleben. 


467 


ber  ßönig  feinem  Beichtöater  Befehl ,  fich  in  feinen  ©örengel  gu 
Begeben.  Steffen  tonnte  bie  #ergogin  fich  nicht  lange  ü)reS 
XriumpheS  freuen :  fie  ftarb  fdjon  im  folgenben  3aljre  eine«  ölöfc 
liehen  XobeS. 

©inen  nodj  ungleich  größeren  unb  öerberblidjeren  ©influfe ,  als 
bie  (Hmteauroiij  f  erlangte  auf  ben  fa^madjen  tönig  bereu  ftaa> 
f olgerin ,  bie  mit  bem  ginangöächter  b'StioleS  öerheirathete  3eanne 
^oiffon ,  bie  natürliche  Softer  eines  nieberen  Beamten ,  ber  megen 
Betrügereien  hatte  flüchtig  merben  muffen.  3ung ,  fdjön  unb  öon 
ihrer  fittenlofen  üttutter,  beren  Siebter,  ber  reiche  Generalüäa> 
ter  2 enormanb ,  ihr  eine  forgfältige  SluSbilbung  t)attc  geben  (äffen, 
in  allen  fünften  ber  Verführung  unterrichtet  ,  fannte  fie  lein  an* 
beres  Streben ,  als  in  ber  Gunft  ßubnrigS  an  bie  Stelle  ber  |>er» 
gogin  öon  (Sfjateaurour.  gu  treten,  unb  fie  erreichte  bieS  Siel,  nadt)s 
bem  ein  öon  ü)r  beftoct)cner  Äammerbiener  beS  Königs  it)r  Zutritt 
gu  bemfelben  r>crfct)afft  hatte.  Submig  erhob  fie  am  6.  Üftai  1745 
unter  bcr  Verleihung  beS  2itelS  Sftarquife  öon  ^ompabour  in 
ben  Slbclftanb ,  unb  in  furger  «Seit  hatte  fie  fid)  feines  SßiHenS  fo 
öoQftönbig  bemächtigt,  bafj  alle  Höflinge  eS  für  rathfam  erachteten, 
fich  um  ihre  Gunft  gu  bemerben.  3ebe  ihrer  Caunen  mürbe  be= 
friebigt,  unb  ber  Glang  ihrer  SebenStoeife ,  bie  Spenge  ihrer  Sanb* 
güter  unb  £uftfd)löffer,  bie  ©umme  ihrer  (Stnfünfte  ftieg  öon  3ahr 
gu  3ahr-  $urch  bie  Slufmerf famf eit ,  meldte  fie  ben  (Srfcheinungen 
ber  geitgenöffifchen  Siteratur  gumanbte,  unb  bie  Unterftüfcungen,  bie 
fie  neuen  Berühmtheiten  auf  biefem  Gebiete  gu  Xheil  loerben  lieg, 
gog  fie  auch  bie  hcröorragenbften  ©chriftfteKer  in  ihr  3n*ereffa- 
9ßachbem  ihrem  Verlangen,  unter  bie  G££)renbamen  ber  Königin  auf* 
genommen  gu  merben,  Genüge  geschehen,  obgleich  gu  biefer  Stellung 
nur  bie  Gemahlinnen  ber  ^ringen  unb  $airS  berechtigt  maren, 
fefcte  fie  auch  *hrc  (Erhebung  gur  ^ßalaftbame  burd).  ©eitbem 
empfing  fie  felbft  ^ringen  unb  ^ßringeffinnen  nur  bann,  toenn  fie 
um  Slubieng  gebeten  hatten  ober  toenn  fie  ihnen  Vertoeife  geben 
tpofltc.  9llle  mußten  ftehen  bleiben,  toährenb  fie  felbft  auf  einem 
Stuhle  faß,  funter  meinem  ihr  ^pauShofmeifter ,  ein  bitter  öom 
SubmigSorben,  ftanb. 

Obgleich  beS  Königs  ßeibenfdjaft  für  bie  $ompabour  fich  atl= 
mählich  abfühlte  unb  er  felbft  biStoeilen  bie  |>errfchaft,  bie  fie  über 
ihn  ausübte,  brücfenb  empfanb,  fehlte  ihm  boch  ber  äftuu),  ihr  3och 
abgufchütteln.  ©ie  blieb  bie  unbefchränfte  Gebieterin  SrantreichS, 
unb  bie  Leitung  ber  äußeren  ruie  ber  inneren  Angelegenheiten  lag 
gang  in  ihrer  £>anb.  3n  ihrem  ^ßalafte  gu  VerfailleS  mürbe  ©taatS* 
unb  TOiniperratr)  gehalten;  fie  entnahm  nach  Belieben  Gelb  auS 
ben  ©taatsfaffen ,  fefcte  bie  SJftnifter  unb  Generale  ein  unb  ab, 
empfing  bie  fremben  Gefanbten  unb  ftanb  im  Briefmechfel  mit  ben 

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ftrantreidj  unter  Subtoig  XV. 


tneiften  auSmärtigen  §öfen.  $ie  UnglüctefäCe  be3  Reben j adrigen 
fianb*  unb  Seefriegea,  buict)  welche  bet  innere  SSerfaH  granfreicH 
unb  in$befonbere  bie  finanzielle  äettüttung  oe3  ßanbeS  bebeutenb 
oermehrt  mürben,  fallen  houptfächlich  if>r  jur  Saft,  ba  fie  ju  ©ene* 
ralen  unb  Slbmiralen  nur  ihre  jum  großen  X^etle  burdjau3  un- 
fähigen ©finftlinge  ernannte. 

Um  fid)  bem  ®önig  unentbehrlich  ju  machen  unb  feinen  ©e 
bauten  an  eine  felbftftänbige  Regierung  bei  tr)m  auffommen  ju 
laffen ,  ftrengte  bie  ^Sompabour  alle  it)rc  (Erfinbungägabe  an ,  unt 
ftetS  neue  3e*ftreuungen  fur  ^n  iu  erfinnen.  Sie  fiteste  fein  JJn- 
tereffe  für  bie  Söaufunft  ju  toetfen,  errichtete  ju  3Mncenne3  bie  be- 
rühmte, fpätcr  nach  S&brc3  oerlegte  ^orjeflanfabrif  unb  oeranlaßte 
ihn,  biefelbe  öfter  ju  befugen ;  auch  ließ  fic  burd)  rett^  bezahlte 
Xicfjter  unb  äRufifer  neue  Cpern  unb  Scbaufpiele  für  ben  £of  Der* 
faffen ,  bei  bereu  Aufführung  fie  felbft  mitroirfte ,  unb  führte  jur 
(Ermunterung  ber  2)caler  unb  SBilb^auer  jäf;rlicr)e  öffentliche  ftunft* 
auäfteHungen  in  ben  ©ölen  be£  fiouore  ein.  $a  jebodj  btefer  an» 
ftänbige  Qeitoertreib  r  ju  meinem  noch  baS  Vergnügen  ber  3agb 
fam,  bem  Submig  leibenfdjaftUch  ergeben  mar,  bem  ®Önig  nicht  ge* 
nügte ,  fo  trug  fie  fein  ©ebenfen ,  ihm  auch  für  ben  niebrigften 
Sinnengenuß  Gelegenheit  gu  oerfchaffen. 

©inen  fcharfen  Äontraft  mit  bem  unmürbigen  Seben  beS  Kö- 
nigs ,  melcher  fich  wenig  um  feine  Samilie  fümmerte ,  bilbete  ba$ 
ftille,  ber  Xugenb  unb  Srömmigfeit  getoeihte  fieben  feiner  ©emahlin 
unb  feiner  ®inber.  5>ie  Königin ,  bie  nur  ju  gut  mußte ,  baß  ihr 
$>ater  ganj  Don  ber  ©nabe  Sranfreich^  abhing ,  ertrug  bie 
föränfungen,  mit  benen  fie  fich  überhäuft  fah,  mit  einer  an  Schtoädje 
grenjenben  (Sebulb.  $er  mit  einer  Tochter  9tuguft3  III.  t>on 
Sachfen  t>ermäf)lte  Dauphin  ßubroig,  melcher  mit  einer  gebiegenen 
33tlbung  bie  aufrtdjtigfte  Srömmigfeit  unb  ein  tiefet  ^fltcf>tge- 
fühl  oerbanb,  feuf$te  im  StiHen  über  ba3  unmürbige  Seben  feinet 
Sßaterä ,  beffen  oerhängnißöolle  Solgen  er  t>orau$far) ,  unb  mibmete, 
üon  ber  Regierung  gänzlich  fentgehalten ,  feine  Seit  auäfrfjlic&ltd) 
feiner  SJcutter ,  feiner  (Gemahlin  unb  feinen  ßinbern ,  bereu  (Er* 
jiehung  unb  Unterricht  beibe  (Ehegatten  felbft  mit  ber  gemiffenhaf* 
teften  Sorgfalt  leiteten. 

Qu  Anfang  bc$  3ahre*  1657  mürbe  ein  Sittentat  auf  ben 
ftönig  gemacht.  2113  er  am  5.  Qanuar,  einem  falten  unb  trüben 
©intertage,  um  fechä  Uhr  2lbenb3  au3  ber  HJcarmorhalle  be& 
Schloffen  ju  93erfatllea  trat,  um  in  ben  eben  öorgefaljrenen  Sßagen 
$u  fteigen ,  ber  ihn  nach  irianon  bringen  foQte ,  erhielt  er  einen 
Stoß  in  bie  (Seite ,  unb  als  er  mit  ber  $anb  nach  ber  getroffenen 
«Stelle  fuhr,  bemerfte  er  an  bem  herabtraufelnben  Sölute,  baß  ihm 
zugleich  ein  Stich  oerfefet  morben.    $)en  Xhäter  hotte  SRicmanb 


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fiubwig«  XV.  $rfoatleben. 


469 


flcfef)Cti ;  bodj  erfannte  Um  bcr  ®önig  an  bcm  Umftanb ,  baß  ber* 
felbe  in  bcr  Aufregung  ben  #ut  abziehen  öergeffen  fjatte  unb  aU 
bcr  allem  Sebecfte  baftanb.  Wit  ber  £>anb  auf  ilm  hinbcutenb, 
rief  er  feiner  Umgebung  ju:  „$er  TOenfcr)  ba  fjat  mid)  üermun* 
bet!  ftehmt  ihn  feft;  aber  fügt  ifmt  fein  2eib  au!" 

$er  Vorfall  erregte  ungeheuerem  Sluffehen.  9ftan  bermutyete 
eine  Serfchmörung  jum  Umfturj  beä  %t)xo\\t$  ober  ju  fünften  be3 
Dauphin;  aber  Don  ber  Aufregung  unb  Z$eifcta$mc ,  bie  Submigä 
(Srfranfung  in  SHefc  unter  ben  ^arifern  ^eröorgerufen ,  jeigte  fict) 
feine  ©pur.  $er  Verbrecher,  ber  fogleicr)  unter  ftarfer  ©ebeefung 
nac^  $ari3  gebracht  unb  einem  Verhöre  unterzogen  mürbe,  $ie§ 
Sranj  $>amienä  unb  mar  93ebienter  bei  mehreren  Parlamentär 
räthen  gemefen,  moburet)  er  oft  Gelegenheit  gehabt,  oon  ber  flech- 
ten SSermaltung  beS  Staate*  unb  oon  ber  ©orglofigfeit  bc8  Sönigä, 
fomie  öon  beffen  au3fchmeifenbem  fieben  $u  fyöxtn.  9cachbem  er 
lange  barüber  nachgebacht,  mie  man  ben  ®önig  feinen  fiüften  ent= 
reißen  unb  ihn  jur  (Srfenntniß  feiner  Pflicht  bringen  fönne,  mar 
er  ju  bcm  (£ntfct)lufi  gefommen,  ihn  burch  eine  ungefährliche  23er* 
munbung  an  ben  Xob  $u  mahnen.  2für  bie  SSahrheit  biefer  2Iuä- 
fage  fpract)  ber  Umftanb ,  baß  er  fich  bei  bcm  Attentat  auf  ben 
$önig  nur  eine*  3ebermeffer3  mit  ganj  furjer  Glinge  bebient  fyattc. 
$luch  mar  bie  Sßermunbung  fo  unbebeutenb  ,  baß  ber  $ömg  fct)on 
nach  menigen  Xagen  üoflftänbig  genefen  mar. 

Obgleich  bei  biefer  ©act)lage  an  feine  Sßerfchmörung ,  beren 
UBcrfaeug  $)amien3  gemefen,  gebaut  merben  fonnte,  fonbern  e§  flar 
am  Xage  lag,  baß  cd  fich  nur  um  bie  %f)at  cinc*  SBahnmifcigen 
t)anbelte,  mürbe  ber  ilnglücfltche  ben  fchauerüchften  Solterqualen 
unterroorfen  ,  um  Don  ihm  bie  Angabe  öon  2Jfttfcr)ufbigen  ju  er- 
treffen,  meil  fomohl  ba3  Parlament,  al$  auch  bit  Qanfeniften  unb 
bie  Sßompabour  SBemeife  für  bie  Söetfjetligung  ber  ihnen  OTen  gleich 
öert)aßten  Sefuitcn  an  bem  Attentate  beizubringen  münfdjten;  er 
beharrte  jeboer),  fclbft  unter  ben  furchtbarften  Martern,  bei  ber  sKufc 
fage,  baß  ÜRiemanb  um  fein  Vorhaben  gemußt  fut&e.  $a£  Parlament 
Derurthcilte  ihn  jur  ©träfe  SRaüatHac'S ,  unb  am  28.  2ßärz  1747 
tuurbe  biefeloe  auf  bem  Gräoeplafc  an  ihm  üottjogen.  sDJachbem 
ihm  bie  rechte  £anb  abgehauen ,  bann  ber  Körper  mit  glühenben 
fangen  gejmieft  unb  fiebcnbeS  Del  in  bie  Söuuben  gegoffen  mor* 
ben ,  mürbe  er  burch  öier  Pferbe  in  ©tücfe  jerriffen ,  mad  erft  ge= 
lang,  nachbem  man  ihm  bie  ©er)nen  burchgefchnitten.  2)er  stumpf 
mürbe  mit  ben  abgeriffenen  ÖMiebern  oerbrannt  unb  bie  5Ifc^c  in 
bie  ©eine  geftreut.  tiefer  barbarifchen  Einrichtung ,  bie  fünf 
SMertelftunben  lang  bauerte ,  fahen  auä  ben  genftern  unb  oon  ben 
abgebeerten  £act)ern  ber  ben  ©r&ueplafc  umgebenben  Käufer  ,  mo 
bie  ^läfce  $u  hohen  greifen  öermiethet  morben  maren ,  oiele  Xau* 


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Sranfveirf)  unter  fiubroig  XV, 


fenbe,  barunter  bic  öornehmften  §erren  unb  $amen,  mit  gekannter 
Aufmerffamfeit  $u. 

Am  15.  April  1764  ftarb  bic  9ftarquife  ton  *ßompabour  in 
ihrem  brciunböierjigften  SebenSjahre,  nach  langer  Abzehrung.  Xrofc 
be$  beifpieüofen  ©lanjeS,  ber  fie  umgab,  war  ihr,  nach  ihrem  eigenen 
®eftänbniß,  baS  Seben  jur  fiaft  geworben,  ba  fie  ftet)  ber  allgeinei* 
nen  Verachtung  preisgegeben  fah ,  bic  fich  in  jahllofen  anonymen 
©pottgebichten  auSfprach,  unb  ber  £aß  gegen  fie  fid)  fo  feljr  gewei- 
gert r)atte,  baß  fie  eS  nicht  mehr  wagen  burfte,  fid)  ohne  ftarfc  S3e= 
beefung  an  einem  öffentlichen  Crtc  fel)cn  51t  laffen.  Sie  hinterließ 
ihren  ißerWanbten  öiele  attillioncn,  unb  bie  Verweigerung  ir)rcd  Waty 
laffeS,  ber  eine  Sülle  ber  feltenftcn  $unftwerfe  unb  ftoftbarfetten 
enthielt,  bauertc  ein  öolIeS  Qahr. 


Sic  »ufhebung  bc§  3efuitenorben8  in  3rranfrcidj. 

(1764.) 

3>urch  bic  ausgezeichnete  SBirffamfcit  ihrer  TOtglieber  (jatte  bie 
®efellfchaft  3efu  in  allen  fatljolifdjen  £änbern  einen  Ijeroorragenben 
(Sinfluß  erlangt;  eS  fehlte  it)r  jebod)  auch  nicht  an  mäd)ttgen  ®eg* 
nern,  ju  benen ,  außer  ben  *ßroteftanten  afler  Vefenntniffe  unb  ben 
3anfeniften,  fowie  ben  oon  biefen  gewonnenen  SDcitgliebern  ber  fran* 
jüfifetjen  Parlamente,  ganz  bcfonberS  bic  Vertreter  ber  neuen  ,  mit 
ben  28aorf)citen  beS  ShnftenthumS  zugleich  alle  firc^lic^e  unb  ftaat« 
lidje  Drbnung  befämpfenben  ^ßrjüofopfjic  gehörten. 

Qu  biefen  ©egnern  gefeilten  fid)  in  ber  zweiten  £mlfte  beS  acht- 
zehnten 3ar)rt)unbertS  bie  burch  ihre  franzöfiferje  SBcltbilbung  mit 
ber  mobernen  SBelt*  unb  ©taatSmeiShcit  befreunbeten  TOmfter,  bie 
ju  jener  Qtit  in  fämmtlichen  bourboni)d)cn  ©taaten  am  SRuber  ftan* 
ben  unb  fich  in  ihren  SBcftrebungen ,  ben  ®runbfä{jeu  eben  biefer 
2Betöt)cit  gemäß  bie  Dmnipotenz  beS  ©taateS  auch  über  alle  furch- 
liehen  Angelegenheiten  au3jubef)nen,  burch  °en  ©influß  ber  Qefuiten, 
als  ber  entfehiebenften  Verthcibiger  ber  föed)te  unb  Qntereffen  ber 
Kirche,  beengt  fal)en.  Alle  biefe  haßerfüllten  Ötegncr  ber  ^cfeüjchaft 
Qefu  Oer  einigten  fich  3U  einem  großen  VernichtungSfampfe  gegen 
bicfclbe,  inbem  fie  bic  fchänblichftcn  Verleumbungen  gegen  bie  Qcfuü 
ten  erfannen  unb  burch  ü)re  bezahlten  Helfershelfer  in  allen  Greifen 
ber  ©efeflfehaft  oerbreiten  ließen.  QnSbefonbere  befchulbigten  fie  bie 
3efuiten  einer  lajen  3!)coral ,  bcS  SftißbrauchS  ber  ©eichte ,  bcS 
©trebenS  nach  Weltlicher  <pcrrfd)aft  unb  ber  ©inmifdmng  in  bie 


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$ie  Sluföcbung  beS  SefuitenorbcnS  m  ftranfreid). 


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Politif ,  bcr  9tf i&adjtung  bcr  öifäöfe ,  beS  ©to^eS  unb  bcr  §ah~ 
fliegt ,  ofjne  für  äße  biefc  Auflagen  anberc  ©emeife  beibringen  $u 
fönnen,  als  öereinjelte ,  tfjeilS  fefjr  übertriebene,  tfjeilS  gänalid) 
erfunbene  Stjatfadjen. 

3n  granfreid)  Ratten  bie  ^onfeniften  öorjugSmeife  in  bem 
Parlamente  oon  Paris  einen  mächtigen  SRücffjalt  gefunben,  ba  baS= 
felbe,  oon  jcr)er  gaüifanifd)  gefinnt,  bie  3efuiten  als  Vertfyeibiger 
ber  päpftlidjen  ©eroalt  mit  bitterem  |>affe  oerfolgte.  $>anb  in  £mnb 
mit  ben  Qanfeniften  nnb  bem  Parlamente  gingen  in  ber  Vefämpfung 
ber  Qejuiten  einerfeits  Voltaire  nnb  feine  (SefinnungSgenoffen ,  bie 
mit  ber  Ausrottung  beS  DrbenS  bie  Vernichtung  beS  (£f)riftentb,umS 
anbahnen  roollten ,  unb  anbererfeits  bie  Sftarqmfe  oon  Pompabour, 
bie  eS  ben  Qejuiten  nid)t  öer$eif)en  fonnte,  ba&  feiner  berfelben  if)r 
33ctct)tt)ater  fein  moflte,  fo  lange  fte  bie  93uf)lerin  beS  Königs  fei, 
foroie  if)r  ©djüfjltng,  ber  SJiinifter  (Jfjoifeul,  ber  eS,  abgefeljen  öon 
feiner  perfönlicr)en  Hinneigung  ju  ben  Anfiajten  ber  Jreibenfer  unb 
Sd)öngeifter,  feinem  Qntereffe  angemeffen  fanb ,  ben  $a§  beS  Par* 
lamentS  gegen  bie  Qefuiten  ungeftört  malten  unb  jur  offenen  Ver- 
folgung roerben  ju  laffen,  um  mit  bemfelben  in  gutem  (Sinöernefjmen 
ju  bleiben.  3m  Publifum  mürbe  eine  Waffe  oon  ©djmäfjfdjriften 
gegen  bie  Sefuiten  oerbreitet,  in  meldten  biefelben  für  alles  oerant« 
ruortlicrj  gemacht  mürben,  roaS  jemals  Scftroärmer  unb  Vöferoidjtcr 
XfjöridjteS,  VerroerflidjeS  ober  greoetyafteS  getyan,  unb  ber  €rben 
balb  als  Söortrebner,  too  nid)t  als  Urheber  beS  Despotismus  ber 
Könige  unb  beS  grobfinnlidjften  Aberglaubens,  balb  als  Verfünbiger 
ftaatSgefäfjrlidjer  £el)rcn  unb  als  Anftifter  aller  jemals  an  Königen 
unb  TOniftern  oerübten  ober  oerfudjten  ©etoalttfyaten  bargeftellt 
mar.  Söetl  ber  fpanifdje  Qefuit  3ftariana  jmei  Qa^rljunberte  öor- 
fjer  in  feinem  Söerfe:  „de  Rege  et  de  Regis  Institutione"  bie 
iöbtung  eines  Sttrannen  unter  gemiffen  VorauSfefcungen  für  erlaubt 
erflärt  r)atte  f  fottte  S)amienS  bura)  bie  3efuiten  $u  feinem  2#orb* 
anfatl  auf  ben  föönig  Oer  leitet  morben  fein ,  obgleid)  berfelbe  mit 
Qei'uiten  gar  nid)t  in  Verbinbung  geftanben,  üielme^r  ben  3<mfe* 
niften  angefangen  fyatte.  Aua)  bie  Vorgänge  in  Portugal,  roo,  toie 
mir  meiter  unten  1) ören  merben ,  ber  9Jänifter  P  0  m  b  a  l  eine  an« 
geblidje  Ver(cfyroörung  gegen  ben  Sfönig  $ur  Vertreibung  ber  3efui* 
ten  ausgebeutet  fjatte,  mürben  als  SBaffe  gegen  bie  3c)"uiten  benufct 
$>iefe  Verlcumbungen  öerfeflten  ifjren  Qmd  nid)t:  baS  Publifum 
mürbe  oielfaä)  irre  geführt  unb  tfeilmeije  gegen  ben  Drben  ein« 
genommen. 

3nbeffen  fanben  bie  3efuiten  in  Sranfreid)  marme  Vertfyeibigcr 
an  ber  2J?ef)r$al)l  ber  Vifdjöfc ;  aud)  ber  Dauphin,  fomie  bie  Königin 
unb  bie  Prinjeffinnen  ftanben  entfdjieben  auf  ir)rer  ©eite,  unb  felbft 


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ftrcmfretdj  unter  Subtoig  XV. 


ben  fdjmadjeu  #önig  oermodjte  bic  Pompabour  nic^t  ju  einem 
f einbüßen  SBorgctjen  gegen  bie  3efuiten  ju  bewegen.  (Snblid)  bot 
ein  9ied)t«ftreit  bem  Parlamente  eine  erwünfdjte  $anbrmbe  ^um 
(Sturje  be«  Drben«  in  granfreid).  (Sin  gemiffer  Sa  Palette,  ber 
al«  Profurator  be«  Drben«f)aufe«  auf  ber  Qnfel  Martinique  buret) 
grogartige  $>anbel«fpefulationen  bie  franjöftfc^en  Kolonien  in  Slor 
gebraut  fyatte ,  aber  bem  Drben  nia^t  meljr  angehörte ,  mar  buret) 
ben  Serluft  mehrerer  reicrjbelabenen  Skiffe,  bie  ma^renb  be«  Krieges 
oon  ben  ©nglänbem  meggenommen  movben  waren,  in  SBanferott  ge^ 
ratzen,  unb  ein  §anbel«ljau«  oon  SttarfeiÜe,  ba«  üon  ifjm  au«gefteüte 
2Bed)fel  im  betrag  üon  üier  Sttillionen  Siüre«  aeeeptirt  fjatte,  üer= 
langte  (Sntfdjäbiguug  üon  bem  Drben;  biefer  üerweigerte  jebod)  bic= 
felbe,  meü  2a  Palette  öon  ifjm  nietjt  $um  $>anbel  beauftragt ,  üiel- 
mel)r  be&ljalb  frrenge  gerügt  unb  fdjlie&lid)  au«gefto&en  morben  mar. 
Qnbeffcn  gemann  ba«  $anbel«l)au«  ben  üon  ifmt  angeftrengten  Pro* 
^eß  nic^t  nur  üor  bem  ßonfulate  in  SJkrfeiHe,  fonbern  aud)  üor 
ber  großen  Cammer  be«  Parifer  Parlament«,  unb  biefcö  lefctere 
madjte,  üon  (Sfjoifeul  ju  weiterem  Vorgehen  gegen  bie  Sefuiten 
ermutigt,  au«  bem  (Sioilprojeß  einen  $riminalprosc&,  iubem  e«  am 
17.  Slpril  1761  bie  Vorlage  ber  (Sonftitutionen  unb  Priüilegien  be* 
Drben«  üerlangte  unb  jur  Prüfung  bcrfelben  eine  jum  Xljeil  aus 
3anfeniften  beftefjenbe  (Sommijfion  einfette. 

$a«  ©rgebniß  ber  üorgenommenen  Prüfung  mar  bie  (£rflä= 
rmtg,  baß  einzelne  ber  in  ben  Souftitutionen  enthaltenen  Sä(je  auf* 
rcijenb  unb  gefäfyrlid),  bie  Siegeln  in  ifyrer  ©efammtfjcit  aber,  gleicr) 
ben  bem  Drben  oon  ben  päpften  erteilten  priüüegien ,  fdjäblicr), 
ben  Staat«gefejjen  unb  ben  gaüifanifdjen  greiljeiten  entgegen  unb 
barum  nichtig  feien.  Obgleich  ber  ®önig  bem  Parlamente  am 
2.  3luguft  üerbot,  oor  2lblauf  eine«  Qaljrc«  irgenb  melden  ^efcfyluß 
gegen  ben  Drben  ju  faffen ,  erließ  ba«fetbe  fcfwn  am  6.  2luguft 
mehrere  betrete,  morin  c«  ütele  ©djriften  älterer  Qefuiten  jum 
geuer  üerurtljeilte  unb  allen  gran$ofen  ben  SBefudj  ber  3efuiten= 
faulen  fomie  ben  Eintritt  in  ben  Drben  oerbot. 

Um  auch  bie  öffentliche  Meinung  für  bie  SBernidjtung  be« 
Drben«  $u  gewinnen ,  mürben  burdj  eine  parlament«fommiffion  fo* 
genannte  „Wu«süge"  au«  ben  8d)riften  ber  Qefuiten  angefertigt, 
burdj  meldte  ilmen  unmoralifdje  unb  ftaat«gefährlid}C  2)oftrinen 
nadjgewiefen  werben  füllten.  SBäljrenb  biefe«  elenbe ,  in  föom  ent» 
(Rieben  üerbammte  unb  aud)  oon  mehreren  franjöfifdjen  ©ifefpfen 
in  Hirtenbriefen  cenfurirte  9ftadjmerf,  ba«  ©teilen  au«  ben  SBerfen 
üerfdjiebener  Qefuiten  au«  bem  3ufammenr;ange  riß  unb  3rrtf)ümcr 
(Sinjelncr  bem  ganzen  Drben  jur  Saft  legte,  in  ganj  granfreid) 
verbreitet  würbe,  orbnete  ba«  Parlament  bie  öffentliche  Verbrennung 


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$ie  Aufhebung  beS  SefuttenorbenS  in  ftranfreich. 


473 


bcr  Apologien  beS  DrbenS  an  unb  fdmitt  bemfeloen  jebeS  bittet 
bcr  Sßertheibigung  ab. 

$er  Äöntg  ,  ber  bic  3efuiten  gu  retten  münfehte ,  aber  im 
Strubel  fetner  Vergnügungen  ber  gangen  Angelegenheit  eine  Diel 
$u  geringe  Aufmerffamfeit  fchenfte  ,  lieg  ftc&  Dura)  bie  Verftcherung 
beruhigen,  bog  es  nicht  auf  eine  gänzliche  Aufhebung  beS  DrbenS, 
fonbern  nur  auf  eine  SSerbefferung  feiner  (Einrichtungen  abgefehen 
fei.  Um  biefe  herbei  ju  führen ,  beantragte  Subnrig ,  obgleich  eine 
t>on  ihm  jufammenberufene  Verfammlung  öon  mehr  als  fünfzig 
SBifdjöfen  im  Sßoüember  1761  in  ihrer  überttriegenben  Mehrheit  bem 
Drben  in  Vejug  auf  SBanbel  unb  Xüchtigfeit  fetner  Sttitglieber  baS 
glänjenbfte  S^ugnig  auSgefteflt  unb  bie  öon  bem  Parlamente  gegen 
benfelben  erhobenen  Anflagen  öoüftänbig  entfräftet  hatte ,  bei  bem 
Zapfte  ©lernen«  XIII.  eine  Umgeftaltung  ber  DrbenSöerfaffung, 
inSbefonbere  bie  VeftcHuug  eines  ©eneralöifarS  für  Jranfreich. 
$iefe  gorberung  tourbe  jeboe^  ,  unter  ausführlicher  Darlegung  ber 
bagegen  fpredjenben  nächtigen  QJrünbe  öon  Seiten  beS  ©eneralS 
föicci  tote  beS  PapfteS ,  abgelehnt ,  mobei  Klemens  XIII.  nicht  er- 
mangelte, bem  ®önig  ju  fchreiben,  „ber  ©türm  gegen  bie  3efuiten 
fei  öon  ber  Art,  baff  er  Altar  unb  $hr01t  jwö^ich  bebrohe,  bie 
befttmmt  feien,  bem  Unglauben  als  Schladjtopfer  ju  fallen."  $>aS 
Parlament  hob  hierauf  unterm  6.  Auguft  1762  bie  ®efellfa)aft 
Qefu  auf,  „roetl  biefelbe  in  ihren  fiehren  gottlos  unb  fafrilegifa) 
unb  in  ihrem  SBirfen  ber  Kirche  unb  bem  Staate  öerberblidj  fei 
unb  ber  fdjroache  ®önig  fonnte  fidj  nicht  ju  einem  energifchen  Auf= 
treten  gegen  biefeS  AufhebungSbefiet  entfchlie&en ,  obgleich  nicht  nur 
ber  gange  franjöfifche  (SpiSfopat  gegen  baSfelbe  Proteft  erhob,  fon* 
bern  auch  Der  P^pft  am  3.  (September  ben  bie  Aufhebung  beS 
DrbenS  öerfügenben  33efchlu&  beS  Parlaments  für  null  unb  nichtig 
crflärte.  Ucachbem  ein  öon  bem  ©rgbifchof  oon  Paris  §ur  93er- 
theibigung  beS  CrbenS  unb  ber  Stechte  beS  päpftlichen  Stuhles  cr= 
laffener  Hirtenbrief  auf  Anorbnung  beS  Parlaments  burch  £enferS~ 
hanb  öerbrannt  unb  ber  Ghrgbifchof  öon  bem  $ouig  auf  öierjig 
Steilen  öon  Paris  öernriefen  roorben  mar,  üerfügte  ein  neuer  Paria* 
mentSbefchluß  bie  Verbannung  aller  berjentgen  Qejuiten,  bie  ftch 
roeigern  mürben,  ihren  Drben  für  öerberblich  unb  ftaatSgefährlich  gu 
erflären,  tuaS  öon  Xaufenben  faum  einer  t^at.  3)er  ÄÖnig  fanetio* 
nirte  unterm  1.  $egember  1764  baS  öon  bem  Parlament  erlaffene 
AufhebungSbetret ;  boch  geftattete  er  ben  Sftitgliebern  beS  DrbenS, 
als  Sßeltpricfter  unter  ber  ©ertchtSbarfeit  ber  Vifchöfe  in  granf- 


1)  3n  Portugal  nmrben  bie  ^Mutten  öertrieben,  ruetl  fie,  „oon  bcr  §eU 
ligfeit  ihres  gnftituteS"  abgefallen  feien.  2)aS  eine  war  fo  unroahr  wie  baS 
anbere. 


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474 


ftrctnfreid)  unter  finbroig  XV. 


reich  §11  bleiben ;  auch  rief  er  ben  ©rjbifdjof  bon  $ari«  au«  feinem 
(5rU  jurücf. 

£ie  Ücachthetle,  meiere  bie  Aufhebung  be«  Qefuitenorben«  für 
granfreich  jur  golge  fyattt,  traten  junächft  in  bem  SRücfgang  ber 
Spulen  ju  Sage,  in  melden  befonber«  ber  Unterricht  in  ben  alten 
©prägen  in  ben  flaglichften  Verfall  geriet!). 


gubtoigg  XV.  leite  ftegtertmgSjeit. 

(1764-1774.) 

$er  Xob  ber  ättarqutfe  bon  ^ompabour,  ber  ben  fönig  boBU 
ftänbig  falt  gelaffen,  r)attc  feinerlei  Slenberung  in  ber  Regierung 
herbeigeführt,  ba  ber  Don  it)r  $um  StaatSminifter  ernannte  £er$og 
bon  d  t)  o  i  f  c  u  1  (früher  ©raf  ©tainmtte)  ganj  in  ihrem  ©eifte 
fortmirfte.  Wucf)  be«  ® öuig«  auäfchnieifenbe  ßebcnäroetfe  blieb  unoer= 
änbert.  55er  Dauphin,  on  beffen  Seben  ber  ©ram  über  feine«  Vater« 
fernere  Verirrungen  nagte,  ftarb  am  20.  Tejember  1765,  unb  fdjon 
am  13.  2Eai  1767  folgte  ihm  feine  eble  ©emahlin  in«  ©rab.  flalb 
barauf,  am  25.  3uni  1768,  ftarb  auch  bie  bon  ihrem  ©emahl  fo 
fchmählich  bcrnacf)läjfigte  unb  fo  fehler  gefränfte  Königin. 

fiubmig  blieb  bei  biefen  $obc«fäHen  nicht  gleichgiltig :  wie  er 
feine  Schwiegertochter  bei  bem  2obe  be«  Dauphin  mit  r)crjlicr)cn 
SBorten  ju  tröften  gefugt  hatte,  fo  umarmte  er  ben  ßetdmam  feiner 
©emahlin  mit  allen  Reichen  ber  föeue  unb  Führung.  Slber  biefe 
befferen  Regungen  maren  nicht  mehr  im  ©tanbe,  bauernb  auf  fei- 
nen Söiüen  einjumirfen;  er  führte  bielmehr  fein  fünbfjafte«  fieben 
fort,  unb  e«  feinen  faft,  al«  lege  er  e«  barauf  an,  bem  throne 
alle  Achtung  gu  rauben  unb  ben  Umfturj  be«felbcn  boraubereiten. 
SKach  bem  Xobe  ber  «ßompabour  gerieth  ber  untoürbige  fönig  ganj 
in  bie  ©ctualt  einer  gemeinen  Vuhlerin,  bie  er  mit  bem  ber- 
fommenen  ©rafen  $ubarru  bermählte.  ©ie  erlangte  einen 
foldjen  (Sinfluf,  auf  ßubnrig  XV.,  baß  fich  balb  alle  Höflinge,  auch 
ein  Xhcil  be«  Mbel«  unb  bie  OTnifter,  außer  Shoifeul,  ber  oergeben* 
ihre  @rr)i)r)uttg  $u  hintertreiben  gefnct)t  unb  fich  nic^t  enthalten 
fonnte,  ihr  feine  Verachtung  §u  geigen,  in  niebriger  Kriecherei  oor 
ihr  beugten. 

Unterbeffen  rjattc  (£f)oifeul  im  (Sinbernehmcn  mit  faunifc  eine 
Vermählung  be«  fech$ehnjährigen  Dauphin  gubroig  mit  ber  um  ein 
Qafjr  jüngeren  ©rjherjogin  Üftaria  s2In  totnette  oon  Cefterretch, 
ber  jüngften  Tochter  ber  faiferin  SJtoria  X^crefia  r  eingeleitet, 
meldje  £e$tere  ihre  Uinmiüigung  jit  biefer  Verbinbung  in  ber 
fixeren  ©rtoartung  gab  ,    baß  baburch    ba«   für  ben  grieben 


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ßubnugS  XV.  lefcte  gfcgienmgSjeit.  475 


(Suropa'S  erfpriefjliche  TOnbnig  OefterreichS  unb  granfretchs  ouf 
längere  Seit  fict)cr  geftedt  fein  toerbe.  «Tuf  bie  Sßermählung  beS 
fünftigen  ßönigSpaareS,  bie  am  16.  HRai  1770  $u  SBerfailleS  ootl* 
jogen  tourbe,  toarfen  inbeffen  üerfchiebene  Vorfälle  einen  bunflen 
Schatten,  gleichfam  als  Vorboten  beS  tragifdjen  ©efdn'cfeS,  bem  bie 
Weuüermählten  entgegengingen.  SBähreub  ber  ©infegnung  tobte  ein 
furchtbares  ©eroitter,  unb  öierjehn  Xage  fpäter  entftonb  bei  einem 
geuertoerf,  baS  bie  ©tabt  Paris  jum  ©chlnffe  ber  SBermählungS* 
feierlichfeiten  auf  bem  Plafc  ßouiS  XV.  Oeranftaltet  hatte,  in  golge 
mangelhafter  SBorfehrungen  ein  fo  furchtbares  ©ebränge,  bafe  über 
taufenb  Perfonen  ju  ©dmben  famen  unb  über  breihunbert  erbrüeft 
ober  vertreten  mürben. 

£$nbeffen  fah  ftdj  CHjoifeul  in  ber  Hoffnung  getäufdjt,  burch 
biefe  Ü8erbtnbung  fein  Slnfehen  unb  feine  Stellung  für  immer  be- 
feftigt  ju  haben.  £ie  ©ertngfchäfcung,  bie  er  nach  bor  gegen 
bie  $ubarrtj  an  ben  Sag  legte,  mürbe  oon  ßubmig  hö#  übel  auf* 
genommen ;  baher  fanb  ber  #an5ler  Sftaupeou,  ein  perfönlidjer  ©eg^ 
ner  CHjoifeulS,  ber  bem  ®önig  barjuthun  fudjte,  bafj  ber  SJftnifter 
ben  DppofitionSgeift  ber  ihm  befreunbeten  Parlamente  im  ©rillen 
begünftige  unb  nähre,  für  feine  ©inflüfterungen  ein  geneigtes  Dhr. 
S)aS  Parlament  üon  Pari«  hatte  nämlich  aus  bem  (Gebrauche,  bafr 
ihm  bie  föniglichen  ©bifte  jur  (Sinregiftrirung  jugefertigt  mürben, 
bie  Solgerung  gejogen,  ba§  bie  ©tltigfeit  berfelben  oon  biefer  (£in= 
regiftrirung  abhänge  unb  baß  ihm  baS  Stecht  juftefje,  biefelbe  gu 
oertoeigern,  falls  feine  gegen  mißliebige  ©bitte  erhobenen  SSorftcI- 
lungen  fein  ©ehör  fänben.  3)iefeS  oermeintliche  Siecht,  baS  bem 
Parlamente  als  einem  einfachen  (Gerichtshöfe  gar  nicht  $uftel)en 
fonnte,  mar  bemfelben  im  Qafjre  1766  oon  bem  $önig  in  einem 
fogenannten  „lit  de  justice"  —  einer  im  ©djloffe  ju  SBerfailleS  abge- 
haltenen feierlichen  SBerfammlung,  in  welcher  ber  #önig  perfönlich 
bem  opponirenben  Parlamente  bie  (Sinregifrrirung  eines  (SbiftS  be= 
faf)I  —  burch  bie  Ghflärung  abgebrochen  toorben,  bafj  eS  ju  feinem 
Söiberfpruche  berechtigt,  fonbern  jum  ©inregiftriren  oerpflichtet  fei, 
weil  er  feine  ftrone  allein  oon  ©ort  habe.  Sftichtsbeftoroeniger 
bauerten  bie  ©treitigfeiten  fort  unb  mürben  befonberS  heftig,  als  ber 
£'imig  im  3at)re  1770  einen  oon  bem  Parlamente  ju  Lennes  gegen 
ben  früheren  ©ouoemeur  ber  ^Bretagne,  ben  $erjog  oon  Sliguitton, 
angeftr engten  ^riminalprojeß  caffirt  unb  ben  .frerjog  bei  einem  neuen, 
am  7.  Stejember  abgehaltenen  lit  de  justice,  bei  toelchem  baS  par= 
lament  Oon  Paris  einen  fcharfen  SßcrtoeiS  erhielt,  feinen  ©ifc  unter 
ben  PairS  hatte  nehmen  laffen. 

©rmuthigt  burch  ben  föücffjalt,  ben  baS  Parlament  bei  bem 
allgemeinen  £mffe  gegen  bie  $ubarro  unb  ber  Un^nfricbenheit  über 
ben  auf  bem  $8olfe  laftenben  Slbgabenbrucf  in  ber  öffentlichen  3ttei= 


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476 


ftranfreid)  unter  fiubroig  XV. 


nung  fanb,  fchritt  baSfelbe,  nach  roieberholten  oergeblichen  SBor* 
fteßungen  gegen  ein  neues  ©teuerebift,  ju  bem  gemohnlidj  oon  ihm 
gebrauchten  Sftittel  beS  SöiberftanbeS,  ber  (Sinftellung  aller  gericht- 
lichen ^anblungen.  35iefe  entfd^iebene  Söiberfefcüdjfeit  beS  Parla- 
ments führte  ben  ©tur$  ©hoifeulS  herbei.  S)er  $ünig  entließ 
ihn  am  24.  3)ejcmber  1770  mit  allen  Seichen  ber  Ungnabe,  in- 
bem  er  ihm  Söefer>I  erteilte,  fidj  innerhalb  öierunbjmanjig  ©tun* 
ben  nach  feinem  ßanbfifc  (5t)anteIoup  ju  begeben,  mo  er  fortan  $u 
bleiben  habe. 

Xa  bie  zahlreichen  Gegner  beS  £ofeS  nicht  oerfäumten  in 
9ftaffe  nach  bem  £>otel  beS  geftürjten  SJcinifterS  $u  eilen,  um  bie* 
fem  ihre  $hetfnahme  ju  bezeigen,  erhielt  feine  SBerabfduebung  baS 
Slnfehen  eined  XriumpheS.  $ieS  bemog  ben  ®ömg  ober  bielmehr 
feinen  Jfanjlcr  Sftaupeou,  mit  um  fo  größerer  ©ntfdnebenheit  gegen 
baS  in  feiner  SBiberfefclichfeit  oerharrenbe  Parlament  öorjugehen. 
3n  ber  9cadjt  jum  20.  Januar  1771  mürben  ÜftuSfetiere  in  bie 
SBohnungen  ber  ParlamentSräthe  gefchieft,  um  benfclben  ben  ©efet)I 
beS  Königs  $um  Söieberbeginn  i^rer  gerichtlichen  Arbeiten  ju  über* 
bringen  unb  oon  ihnen  eine  beftimmte  Slnttuort  barüber  ju  öerlangen, 
ob  fie  bemfelben  3olge  leiften  mürben.  3m  erften  ©djrecfen  erflär- 
ten  ftch  5lHe  bereit;  am  anbern  Xage  nahmen  fie  jebodj  nach  einer 
gemeinfamen  öerathung  ihre  bejahenbe  Antwort  jurücf.  3n  ber 
folgenbeu  Stacht  mürbe  ihnen  burch  GcrichtSbiener  ein  SBefdjlufj  beS 
Staatsrates  bef)änbigt,  ber  fie  ifjrer  Slcmter  entfette  unb  nach  *>er= 
fchiebenen  entlegenen  Drtcn  üernneS. 

Ohne  föücfficht  auf  ben  SBibcrfpruct)  ber  Prinzen  oon  Geblüt 
unb  mehrerer  PairS  mürbe  baS  Parlament  oon  Paris  für  aufge= 
hoben  erftärt  unb  an  feiner  ©teile  ein  neuer  Gerichtshof  unter 
bem  tarnen  beS  „großen  SRatheS"  —  grand  conseil  —  gebilbet. 
$aS  Gleiche  gefdjah  bezüglich  ber  Parlamente  in  ben  Probien,  an 
beren  ©teile  fogenannte  „DbergerichtShöfe''  —  cours  supörieures 
—  traten.  Sur  feierlichen  Söeftätigung  ber  neuen  Drbnung  ber 
2)inge  hielt  ber  ®önig  am  11.  Slpril  1771  abermals  ein  lit  de 
justice,  in  melchem  er  an  bie  Sßerfammelten  eine  Siebe  richtete,  bie 
mit  beu  Söorten  fchlofe:  „3$  oerbiete  euch  jebe  ©erathfchlagung, 
bie  meinen  2BiüenSmctnungen  entgegen  ift,  unb  alle  ÖorfteHungen 
$u  fünften  meines  gemefenen  Parlaments;  benu  ich  werbe  niemals 
eine  Slenberung  treffen." 

Sa  ber  ©taatSgcmalt  auSrcichenbe  ütfilitärrräfte  *u  Gebote 
ftanben,  um  jeber  ihrer  Slnorbnungen  9cachbrucf  ju  ocrlcijjen,  unb 
fie  in  ben  geheimen  #erhaftSbefef)len,  ben  fogenannten  Lettres  de 
cachet,  ein  leichtes  Littel  hatte,  fich  ohne  jebe  föechtsform  aller 
mißliebigen  Perfoncn  burch  °eren  Ueberfüfjruug  in  bie  Werfer  ber 
SaftiHe  $u  entlebtgen,  fam  eS  ju  feinem  ernften  SBerfuche  beS  SBiber* 


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SubmigS  XV.  lefcte  ftegierungSjeit. 


477 


ftanbeS;  bic  oerbannten  Üftttgtieber  beS  Parlaments  beeiden  fict)  öiel= 
mef)r,  nac^bem  bie  opponirenben  Prinzen  unb  <ßairS  burdj  (bunftbe* 
jeigungen  unb  ÖJelbfpenben  aufrieben  gefteüt  worben  waren,  fid)  burdj 
ooflftänbige  Unterwerfung  bie  (Srlaubniß  jur  9tütffef)r  unb  (£nU 
fdjäbigung  für  tr)rc  oedorenen  Remter  ju  erfaufen. 

*8on  ber  Dppofition  ber  Parlamente  befreit,  übcrKeg  fidt>  ber 
Äönig  mit  ber  3)ubarrn.  unb  ityrem  Slnfjang  ofjne  jebwebe  ©djeu 
ber  fdjranfenlofeften  S8erftf)Wenbung.  $ie  bittet  baju  fonnten  nur 
burd)  eine  ftete  Steigerung  ber  Abgaben  befdjafft  werben,  unb  ber 
ginanjmintfter  Verrat)  trug  fein  SBebenfen,  baju  in  ber  getoiffen- 
(ofeften  SBeife  bie  £anb  ju  bieten.  $>ie  Qitftn  ber  ©taatöfdjulb 
würben  ljerabgefefct,  oon  ben  ginanjpädjtern  ©trafgelber  erpreßt 
unb  bie  brüdenbften  ©teuerebifte  erlaffen.  2US  einft  eine  $epu* 
tation  ber  ©eiftttdjfeit  bem  Sftinifter  bie  offenbare  Ungeredjtigfeit 
eines  foldjen  (SbiftS  barftcUtc,  erwiberte  er  mit  ber  größten  ÖJelaffen* 
ljeit:  „Slber  wer  fagt  benn,  baß  baS  (Sbift  geregt  fein  fofl?  SBoju 
wäre  itf)  benn  ba?" 

SBäfjrenb  Xerratt,  ber  $er§og  oon  Sliguiflon  als  9JMnifter  beS 
Auswärtigen,  ber  ^anjler  Sftaupeou  unb  bie  ShtbarrU,  bie  ben 
^önig  ooflftänbig  wiQenloS  gemacht  Jjatten,  nur  auf  ifjre  eigene 
Vereiterung  bebaut  waren  unb  fidj  Sftiflionen  um  Millionen  an* 
eigneten,  fjerrfdjte  im  ganzen  ßanbe  eine  fo  furdjtbare  fRott),  baß  in 
ben  $iftriften  ßamardje  unb  fiimoufin  allein  an  öiertaufenb  9Eften= 
fdjen  bem  junger  erlagen.  Xabei  ftieg  bie  ©dfulbenlaft  $u  einer 
fdjredenerregenben  $>öfje.  25er  ®önig  fefbft  geigte  fid)  gegen  baS 
(SIenb  beS  SBolfeS  ebenfo  gleidjgtftig,  als  gegen  beffen  mad)fenbe 
Unjufrieben^eit.  @r  fonnte  fuf>  jmar  nidjt  Oermten,  baß  fein  Xfyron 
auf  einem  untergrabenen  SBoben  ftanb ;  allein  er  pflegte,  wenn  S3e- 
forgniffe  barüber  in  feiner  Umgebung  laut  würben,  mit  apatf)ifd)er 
Sfhifje  ju  fagen:  „$>te  2Ronard&ie  Wirb  wofjt  galten,  fo  lange  wir 
(eben.    Apr&s  nous  le  däluge." 

3m  2ftai  1774  erfranfte  ßubwig  XV.  an  ben  $inberb(attem, 
bie  bei  feinem  öollftänbig  jerrütteten  Körper  balb  einen  töbtlidjen 
(£f>arafter  annahmen.  @r  felbft  a^nte  anfangs  feine  (SJefaljr,  unb 
feine  Umgebungen  fudjten  ifym  biefclbe  fo  lange  als  mögüd)  ju  Oer* 
ljeimlirf)en.  siUS  enbliaj  ein  treuer  $ammerbiener  if)m  bie  Augen 
über  feinen  Suftanb  öffnete,  ließ  er  ber  ©ubarrto  ben  $8efel)l  jugefjen, 
fid)  auf  tf)re  ©üter  ju  begeben,  weil  er,  wie  er  fagte,  nidjt  wollte, 
baß  bie  Auftritte  Oon  2ftefo  fict)  Wteberfyolten.  ©ie  zögerte  nia^t, 
biefem  Söefefyle  nadjjufommen,  um  für  ben  faum  ju  bejwcifelnben 
gatt  beS  XobeS  SubwigS  fid)  felbft  unb  bie  bem  ©taate  geraubten 
Sftillionen  üor  bem  |>affe  beS  5ÖolfeS  in  ©i<f)ert)eit  ju  bringen. 

Söä^renb  bie  Gtefafyr  ber  5lnftecfung  bie  meiften  Höflinge  oon 
beS  Königs  Säger  öer)djeud)te,  gelten  feine  brei  fo  fefjr  oon  i^m 


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478 


ftranfreicfj  unter  Suörotg  XV 


uernachläffigten  Xödjter  in  ber  aufopferobften  Siebe  bei  ifjm  auä. 
(Seinem  53eic^toatcr ,  ber  it)n  mit  ber  größten  (Sntjduebenfjeit  ju 
ber  ernftlichften  SReue  ermahnte,  geftanb  er  bie  Wngft,  mit  melier 
er  im  #tnblicf  auf  fein  lafterhafteS  Seben  ber  ©migfeit  entgegen* 
ging.  Huf  bie  SSerftdjerung  aufrichtiger  Sfteue  mürben  ihm  bie 
©terbefaframente  gefpenbet.  ©ein  (Snbe  mar  fchrecflich;  benn  mäh= 
renb  it)n  ÖJemiffenäbiffe  unb  Xobeäfurcht  oerjehrten,  mußte  er  noch 
lebenb  feinen  Körper  in  gäulniß  übergehen  fehen.  SRach  furd)t= 
baren  Seiben  ftarb  er  am  10.  2ttai  1774,  im  TOer  üon  jmeiunb* 
fedföig  Sauren. 

©leich  nach  bem  Xobe  SubmigS  XV.  berließ  ber  #of  Ser* 
faifleS,  um  bem  $u  (S()oifu  meilenbcn  Dauphin  als  Submig  XVI. 
$u  hulbtgen;  nur  einige  Liener  blieben  bei  ber  Seiche  be$  ®önig3, 
bie  fein  Wrjt  einjubalfamiren  fich  entfc^Iießen  fonnte.  Än  eine 
anftänbige  SBeftattung  berfelben  backte  SRiemanb.  *8on  mer^ig 
öardes  du  Corp8  unb  einigen  $agen  mit  gacfetn  begleitet  unb 
gefolgt  öon  ben  tauten  SBermünfchungcn  be£  93olfe3,  mürbe  ber 
©arg  in  einer  gemüfjnlidjen  Qagbfutfdje ,  auä  mefcher  er  ju  beiben 
(Seiten  heröorragtc,  in  t^Hem  Xrabe  nach  ber  ®önig3gruft  ju  ©t. 
SemS  gefahren.  $aS  ganje  Sanb  att)mete  erleichtert  auf,  unb  ber 
Seiname  be3  „(Srfehnten"  —  le  dfoinS  — ,  mit  meinem  ber  neue 
®önig  bei  feinem  Regierungsantritt  begrüßt  mürbe,  befunbete  bie 
froren  Hoffnungen,  bie  man  auf  ben  jmanjigjährigen  ernften  unb 
befcheibenen  £>errfcher  fefcte.  Wber  e3  mar  ein  trofttofeS  (£rbe,  baä 
Submig  XV.  feinem  (Snfet  r)intcrlaffen  hatte.  $er  ©taatahauähalt 
befanb  ft$  im  3«ftanbe  ooflftänbigfter  Scrrüttung ;  ba3  Sßotf  feufjte 
unter  ber  Saft  unerschwinglicher  Abgaben;  sMerbau,  ÖJemerbe  unb 
£>anbel  lagen  gänjlich  bamieber ;  Qrreligiüfttät  unb  ©ittenlofigfeit 
hatten  namentlich  unter  ben  höheren  ©tänben  in  fchrecfenerregcnber 
SBeife  um  fich  gegriffen  unb  alle  ©runblagen  ber  firchHchen  unb 
bürgerlichen  Drbnung  untergraben;  bie  oon  ben  ÜJtachthabern  felbft 
mit  Süßen  getretenen  ©efejje  genoffen  feiner  Haftung  mehr,  unb 
ber  burch  Submig  XV.  entehrte  Xjjron  mar  tief  erfchüttert.  Sub* 
mig  XVI.  mar  ooß  be3  beften  2SilIen3,  biefen  unheilöoUen  Suftän* 
ben  ein  (£nbc  gu  machen;  aber  $u  ber  gänzlichen  Erneuerung  bed 
tief  gefunfenen  ©taatöroefend ,  burch  tuelctje  allein  bie  Monarchie 
hätte  gerettet  merben  fünuen,  fehlte  ihm  oielfach  bie  nötfnge  @in= 
ficht  unb  Sfraft. 


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3)ic  franjöfifcfje  Sitcratur  im  ad^nten  Safjrfjunbert.  479 

XXVII. 

Pie  frttttjöpf^e  ^itexatux  im  a^t^nien  gaWuubett. 

Unter  ber  Regierung  ßubnrigS  XIV.  fyattt  bie  franjöfifche 
^ßocfic  il)re  reidtften  Stützen  entfaltet;  mit  bem  beginne  beä  acht* 
ahnten  Qahrlmnbertä  fanf  fte  mehr  unb  mehr  oon  ihrer  glänjen* 
ben  Jpöt)c  herab,  unb  menn  bie  SJidjter  jener  Qtit  noch  immer  ju 
ben  franjöfifchen  Älaffifern  gejagt  merben,  fo  hat  biefer  9*ame  für 
fte  nur  infofern  Berechtigung ,  als  er  ben  ®egenfafc  31t  ber  neuen 
„romanttjdjen  —  richtiger  mobern en  —  Schule"  bezeichnet,  bie 
in  Sranfretcf)  roäfjrenb  be3  ®aiferretch3  vorbereitet  unb  mäljrenb  ber 
föeftauration  hauptfächüch  burdj  Victor  £ugo  jur  allgemeinen 
£>errfdjaft  gebraut  mürbe;  —  flaffifd)  im  magren  Sinne  bei 
SBorteS,  b.  h-  muftergiltig ,  waren  bie  Schöpfungen  ber  fran* 
jöfifchen  $ichtfunft  im  achtsehnten  3a$r$tsnbertf  mit  jefjr  geringen 
2luänahmen,  in  feiner  Söeife. 

2)er  heroorragenbfte  unter  ben  franjöfifcfjen  Richtern  be3  acht* 
aefmten  3ahrfmnbert3 ,  ber  eigentliche  föepräfentant  ber  gefammten 
®eifte3richtung  f einer  Seit  ift  33  o  1 1  a  i  r  e,  oon  roeldjem  Bretten *)  ein 
öortrefflicheS  (Sharafterbilb  entmorfen  hat,  baä  un$  ben  gefeierten 
s3^itofopt>cn  unb  dichter  in  feiner  ganzen  Srbärmlichfeit  erfennen 
lögt,  gran<joi3  2ttarie  2lrouet  —  bieä  mar  ber  eigentliche  9ßame 
be3  $ichter$,  ben  er  au$  unbefannten  ÖJrünben ,  nach  ber  ^h^up* 
tung  feiner  Gegner  megen  beä  ominöfen  ÖHeichflangä  mit  ^Trouer 
($u  räbern),  gegen  ben  tarnen  Voltaire  üertaufchte,  —  mar  am 
21.  Sßoöember  1694  $u  $ariä  ald  ber  Sofm  eine*  SportelfaffirerS 
an  ber  föechnungäfammer  geboren  unb  erhielt  feine  (Srjiehung  in 
bem  Kollegium  £oui3  Se  (Sranb,  ba3  öon  gefutten  geleitet  mürbe, 
beren  Unterrichtämethobe  er  fpäter,  trofc  jeineä  töbtlichen  Jpaffeä 
gegen  ben  Drben,  gerechte  toerfennung  joüte.  Wad/bem  er  fta) 
fchon  in  biefer  Slnftalt,  ju  beren  begabteften  Schülern  er  gehörte, 
mit  ®lücf  in  ber  Sichtfunft  öerfucht,  fchrieb  er  im  tffter  oon  ftc£>= 
aehn  Sohren  fein  erfte*  Xrauerfpiel  „DebipuS" ,  in  welchem  er  bie 
erjehütternbe  Einfachheit  beä  griechifchen  Urbilbeä  bura)  ben  glänjeri- 
ben  ttad  einer  conoentionellen  ©leganj  unter  #in$ufügung  einer  übel 
angebrachten  fiiebeäintrigue  $u  erfefcen  fudjte.  gür  ba$  gehlfchlagen 
feiner  Hoffnung,  bura)  bieje  Xragöbie  ben  öon  ber  s2lfabemie  au3= 
gefegten  ^ßrei$  $u  erlangen,  rächte  er  fidj  burch  beifjenbe  Epigramme. 
Um  feinen  hierüber  roie  über  feinen  anftöfjigen  ßebenSroanbel  heftig 
erzürnten  SBater  $u  oerföhnen,  rotbmete  er  fia),  nach  beffen  SBunfch, 
bem  Stubium  ber  ftechtannffenfehaft ;  boch  gab  er  baSfelbe  aläbalb 
toieber  auf,  um  auöjdjlie&lich  ber  ftichtfunft  $u  leben. 


1)  »oltaire,  (Sin  Charafteritlb.   Biburg.   2.  ftufl.  1886. 


480 


$ie  franjöiifcfje  Literatur  im  nd>tsef)nten  Sahrfnmbcrt. 


Wad)  bem  Xobe  SubmigS  XIV.  würbe  ber  junge  Arouet  megen 
einer  ©atire,  bie  er  auf  benfelben  gebietet,  als  befangener  in  bie 
SaftiHe  gebracht,  mo  er  nabeju  ein  toofleS  3ahr  blieb.  #ier  entwarf  er 
ben  <ßlan  ju  feiner  „£enriabe\  einem  £>elbengebidjt  in  jetm  ©efängen 
jur  Verherrlichung  £einrtch3  IV.,  unb  fdjrieb  baoon  bie  beiben  erften 
©efänge.  Waty  feiner  (Sntlaffung  aus  ber  Söaftittc  gelang  e3  ihm,  feinen 
DebipuS  auf  bie  S3ühne  ju  bringen,  ber  fünf unbmerjigmar  nach  einauber 
mit  ungeheurem  ©etfafl  gegeben  mürbe,  tiefer  Xriumph,  ber  ihn  jum 
gelben  be3  $age§  machte,  föt)ntc  feinen  Vater  DoUftänbig  mit  ihm  aus. 
Voltaire  mar  in  feinem  (demente:  fein  ßhrgeij  mie  feine  ©itelfeit  fan= 
ben  reiche  Vefriebigung,  unb  jugleich  eröffnete  fid?  ihm  bie  Ausfielt  auf 
ein  glänjenbeS  Sortfornmen  in  ber  SSelt,  auf  SRcidjtljum  unb  Einfluß. 

Snbcffen  braute  ben  dichter  im  3af>re  1726  ein  (Streit  mit 
bem  mächtigen  ^erjog  oon  SRohan,  bem  er  für  eine  fdjmere  Velei* 
bigung  eine  £erau£forberung  jugefanbt  r)attcr  jum  anbern  2ftalc  in  bie 
Vaftifle,  au«  melier  er  $mar  nach  für jer  3cit  mieber  entlaffen  mürbe, 
aber  mit  ber  SSeifung ,  in  ba3  Auälanb  au  geben.  (£r  begab  fich 
naa^  (Srnglanb,  mo  er  brei  Qa^re  blieb.  55er  Aufenthalt  in  biefem 
Sanbe  mar  entfeheibenb  für  feine  ganje  ®eifte3richtung  unb  bem  ent- 
fprechenb  für  feine  ganje  Sufunft.  Söar  er  fchon  in  ^ßartö  feit  fct= 
nem  Eintritt  in  bie  SBelt  burch  ben  Umgang  mit  ungläubigen  unb 
fittenlofen  jungen  ©betteuten  feinem  cbriftlidjen  (Stauben  entfrembet 
roorben,  fo  mürbe  er  in  Öonbon  burch  ben  Verfehr  mit  ben  eng* 
üfchen  greibenfem  jum  ooflenbeten  Reiften,  gortan  fannte  er  feine 
anbere  ^5r)Uofopt)ie,  al£  ben  ©enfualiämuS,  unb  feine  anbere  Sttoral, 
al$  ba$  roohlberftanbene  eigene  Sntereffe.  3m  Saufe  ber  Seit  mürbe 
feine  3rrcligiöfität  jum  leibenfchaftlicbften  9^c(igion^r)ag.  £>ie  Religion 
mar  für  ihn  nichts  Anbere$  mehr,  als  Aberglauben  unb  ganatiS- 
mu3;  mo  fie  r)errfct)te ,  mar  „brücfenbe  Ö5ciftc^fflat>crci*'#  unb  nur 
Vöfemicf)ter  ober  $ummföpfe  fonnten  fie  noch  gegen  ben  „Sicht* 
glan$"  ber  gefunben  Vernunft  oertheibigen. 

9cad)  einem  bretjährigeu  Aufenthalt  in  Sonbon ,  mo  er  feine 
injmifdjen  üoHenbcte  Jpenriabe  im  $)rucf  erfreuten  lief}  unb  im  Ver* 
fe(Jr  mit  ben  h^röorragenbften  Scbrtftftcllern,  felbft  al$  dichter  hoch- 
gefeiert,  fich  fomoljl  mit  ber  mifienfchaftlichen  aU  ber  befletrifrifchen 
Literatur  önglanbS  oertraut  machte,  burfte  er  nach  Sranfreidj  jurücf= 
fetyren.  £ier  mar  er  oor  Allem  barauf  bebadjt,  feine  in  (Snglanb  ein= 
gefogenen  religionäfeinblichen  3beeu  bem  franjöfifchen  Volfe  zugäng- 
lich bn  machen.  $u  biefem  (£nbe  fchrieb  er  feine  „p^ilofop^ifc^en 
©riefe",  bie  jeboch  megen  ber  barin  enthaltenen  offenen  Angriffe  auf 
baö  (£hriftentl)um  unb  bie  fran$üfifchen  ©taatSeinrichtungen  im  3ahrc 
1734  in  3olge  eine*  $arlament3befchluffe3  burch  £>enfer$hßnb  bw> 
brannt  mürben.  Valb  barauf  erfaßten  feine  fchamlofe  ^arobie  Ja 
Pucelle  (TOrleans*,  bie  fchmachooUfte  Verfilmung  ber  ebelften  ®& 


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$te  fronaöfti^c  Siteratur  im  ad^ntcn  3af)rf)unbert. 


481 


ftalt  in  ber  franjöfifdjen  ©efdjicf)te,  ber  Sungfrou  oon  Orleans,  bie 
in  biefem  oerabfd)euungSmürbigen  2ftadjmerf  in  ber  empörenbfteu 
SBetfe  fjerabgemürbigt  mirb.  (5S  ift  ein  trauriges  Seidjen  ber  fitt= 
liefen  SÖerfommentyeit  in  ber  I)öf)eren  franjöfifdjen  (Sefctlfdjaft ,  baß 
biefeS  fdjmufcbelabene  (Sebidjt,  baS  juerft  in  jafjlreidjen  VIbfärtften 
oerbreitet  mürbe,  bei  gürften  unb  Sßrinjeffittnen  reiben  SBeifatt  fanb. 
3nbeffen  mar  ber  Mnftoß,  ben  baSfelbe  in  maßgebenben  Greifen  er- 
regte,  fo  groß,  baß  SBottatre  fidj  oon  einem  neuen  $aftbefe!j(  bebrofjt 
fa§.  Um  berufenen  ju  entgegen,  entflog  er  nadj  ber  Kampagne,  mo 
er  brei  3af)re  bei  feiner  ©eüebten,  ber  oon  if)rem  Spanne  getrennt  leben* 
ben  Üftarquife  oon  ©Ijatelet,  feiner  „göttlid^en  ©milie",  jubradjte  unb 
oerfd)iebene  pfulofopfufdje  SSerfe,  fomie  mehrere  feiner Xragöbien  fdjrieb. 

9ßadj  $aris  jurüdgefefyrt,  erlangte  Voltaire  burd)  bie  Vermittlung 
ber  Sftarqnife  oon  ^ßompabour,  beren  ©unft  er  burd)  niebrige  ©djmeidje* 
leien  gemonnen,  bie  Iängft  erftrebte  Slufnafjme  in  bie  Stfabemie,  fomie 
feine  Ernennung  jum  $ammertjerrn  unb  ^iftortograpr)cn  oon  granf* 
reid).  $er  im  3afyre  1749  eingetretene  Xob  ber  2ftarquife  oon  (£fjate- 
let,  fomie  oerfdjiebene  9Jttßf)eHig?eitcn  mit  bem  £ofe  bemogen  Um  im 
3a£)re  1750,  ber  bringenben  ©inlabung  griebria)S  II.  jur  Ueberfieb* 
lung  nad)  ©anSfouci  gofge  ju  teiften,  unb  mir  §abeu  oben  (©.410  ff.) 
gefefjen,  meldje  9toÜe  er  bort  jpielte.  9ßad)bem  er  fidj  mit  feinem 
föniglidjen  Verehrer  entjroeit  unb  beffen  £of  oertaffen  ^atte,  fiebette 
er,  nadj  einem  furjen  $(ufentfjalt  in  oerfdjiebenen  ©täbten  granfreidjS, 
nad)  ber  ©d>raeij  über,  mo  er  fid)  bei  bem  $)orfe  5  e  r  n  c  o ,  unmeit 
@enf,  ein  pradjtoolleS  ©d)loß  erbaute.  £>ier  oerlebte  er,  mit  einem 
3afjreSeinfommen  &on  einmal^unbertoierjigtaufenb  SiüreS,  inmitten 
eines  fürftlidjen  ^ßrunfeS  feine  legten  jmanjtg  jjafjre,  in  regem  brief- 
liebem  Sßerfefjr  mit  oielen  bebeutenben  ^rfönlidjfeiten,  inSbefonbere 
mit  griebrtd)  II.  unb  ber  (Starbt  ®atf)artna  IL,  bie  Üjm  ir)rc  5öer= 
efjrung  burd)  bie  lieber fenbung  ifjreS  reidj  mit  brillanten  befefcten 
SBUbniffeS  unb  eines  f oftbaren  $e^eS  befunbete.  ©eine  fdjriftfiellerifdje 
$£)ätigfeit  mar,  trofc  feines  fyofjen  SltterS,  eine  ganj  ungemöfmlidje. 
(£r  fdjrieb  roedjfelsmeife  Xragöbien,  Romane  unb  j>fjiIofopJ)ifdje 
SBerfe.  S)abei  mudjS  fein  #aß  gegen  baS  (£fjriftentf)um  oon  3afjr 
§u  %a1)T.  Söic  et  fdjon  früher,  nad)  feiner  eigenen  ©rjä^tung, 
bem  ^olijeilieutenant  grault  in  9ßariS  auf  beffen  Söemerfung, 
baß  eS  üjm  trofc  feiner  Slnftrengungen  nid)t  gelingen  merbe,  baS 
(£f)riftentf)um  ju  jerftbren,  bie  furje  Hntmort  gegeben:  „2)aS  met- 
ben  mir  fefjen!"  unb  bei  einer  anberen  (Gelegenheit  ertlärt  ^atte: 
W@S  ärgere  if)n,  beftänbig  frören  ju  muffen,  baß  $mölf  Männer 
^ingerei^t  gärten ,  um  baS  (Sfjriftentfmm  5U  grünben ;  er  ^offe ,  ju 
bemeifen ,  baß  nur  ein  einziger  nöt^ig  fei ,  um  eS  ju  jerftören,4' 
—  fo  förieb  er  am  25.  gebruar  1768  an  b'Süembert:  w3a) 
fdjtieße  aöe  meine  ©riefe  mit  ben  SBorten:  Ecrasez  rinfAme!" 

feolatoart^,  SBeliflefWe.  VL  31 


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482         ${C  franäöftjcf)e  fiiteratur  im  adjtaefmten  Sa^unbcrt. 


—  eine  onbcrc  ^Bezeichnung  fyattt  er  für  baS  Ghrtftenthum  ittc^t 
mehr  —  „9Jteiu  Abfdjeu  üor  bcmfelben  ift  größer  bemt  je."  Schon 
unterm  3.  2Rai  1767  hatte  er  an  griebrich  II.  geschrieben:  „@in 
mutiger  unb  meifer  Surft ,  ber  ©elb ,  Xruppcn  unb  ©efefce  hat, 
bebarf,  um  ju  regieren,  ber  Religion  nicht,  bie  nur  $um  betrüge 
Qcfcr)affcn  ift.  $)ie  unferige  ift  bte  a&furDefte  unb  blutbürftigfte, 
bte  je  bie  SSklt  ücrgiftet  fjat.  Sure  2ftajeftät  roerben  ba^er  bem 
menschlichen  ©efchlccht  einen  eroigen  $)ienft  erroeifen,  roenn  Sie  bie- 
fen  infamen  Aberglauben  oernichten."  $3i£  $u  melier  roahnfinntgen 
SButb,  fein  £>a§  gegen  ba$  S^riftent^nm  {ich  gefteigert,  jeigt  ber 
in  einem  feiner  ©riefe  ausgekrochene  SBunfch:  „auf  einem  £>au* 
fen  frommer4  $u  fterben,  bie  ju  feinen  güßen  niebergemefcelt 
roorben." 

3m  Sa^re  1778  begab  ftch  ber  „Patriarch  oon  gernel),"  nrie 
feine  ißere^rer  ihn  nannten,  trofe  fetner  üierunbacht$ig  Qahre ,  mit= 
ten  im  SSintcr  nach  ^SariS,  um  ber  Aufführung  feiner  neuen  Xra= 
göbien  „3rcnc"  un^  »AgathofleS"  beijuroo^nen ;  aber  roäfnrenb  er 
hier  im  Ucbermaß  ber  £>ulbigungen  fduuclgte,  bie  U)m  öon  allen 
Seiten  bargebracht  rourben,  trat  ber  $ob  an  ihn  heran.  $ie  Auf- 
regung  unb  bie  ungewohnten  Anftrengungen,  ju  benen  feine  SiteTfeit 
u)n  antrieb ,  Ratten  feine  ®raft  erfchöpft :  er  ftarb  ju  $ariS ,  nach 
furjem  #ranfenlager,  am  30.  Wlai  1778.  $a  ber  Pfarrer  oon  St. 
Sulpice  ihm  ein  firdjltcheS  ©egräbniß  öerroeigerte,  lieg  feine  gamilie 
ben  £eicf)nam  ^eimlid^  in  bem  breißig  SfteUen  oon  $ariS  entfernten 
SDorfe  Sellt&reS  beifefcen,  roo  fein  9leffe  QJeiftlidjer  mar.  9kch  bem 
Aufbruch  ber  franjöftfc^cn  SRebolution  mürben  feine  ©ebeine  roieber 
aus  gegraben  unb  unter  großem  ©epränge  in  ber  in  ein  Sßantfjeon 
üerroanbelten  SHrdje  oon  St.  Sulpice  beigefefct. 

Unter  S3oltaire'S  bictjterifchen  SSerfen  finb  in  erfter  ßinie  feine 
Xragöbien  ju  erroälmen,  auf  meiere  er  unter  allen  feinen  Arbeiten 
ben  metften  gleiß  oerroanbte,  roeil  bie  bramatifche  föunft  nicht  nur 
in  grantreid)  baS  ^öc^fte  Anfehen  genoß,  fonbern  bie  franjofifchen 
Iragobien  auch  im  AuSlanbe  als  unübertreffliche  2Jcufterroerfe  gak 
ten  unb  er  bafjer  auf  biefem  (Gebiete  ben  pc^ften  9tuf)m  ju  er* 
ringen  t)offcn  burfte.  £atte  bisher  baS  franjöfifche  $rama  feinen 
Stoff  meift  ber  alten  ®efdud}te  entlehnt,  fo  braute  Voltaire  in 
feinen  Xragöbien,  nach  oem  Vorgänge  ShafeSpeare^  —  ben  er 
übrigens  burd)auS  nicht  öerftanb  unb  in  feiner  einfeitigen  SBoretm 
genommenheit  einen  „plumpen  ©auern"  nannte  —  aud)  ©eftalten 
auS  ber  neuem  ©efdndjte  auf  bie  Sülme.  S)abei  backte  er  jeboch 
nicht  baran,  bie  Schranfen  5U  burchbrechen ,  in  roelche  bie  Siegel 
Oon  ben  brei  (Einheiten  bie  franjöfifdje  Xragöbie  eingeengt  hatte,  unb  ba 
baS  $)rama  fortfuhr,  £ofbelufiigung  ju  jein,  fo  blieb  auch  *n  ^°^s 
taire'S  Stücfen  bie  (Ettquette  baS  höchfte  ßunftgefe^.    Aüe  feine 


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$ie  frcmzöfifcfje  Sttcratur  im  acfyiefjnten  Safjrfmnbert. 


483 


Xragöbien  finb  Xenbenzftücfe ,  unb  fotoo^I  bcg^olb  als  aud)  wegen 
feiner  fentenzenreichen  ©pract)e,  wegen  ber  Seibenfchaftlichfeit  ber 
Siebe  unb  wegen  feiner  $unft ,  ju  jpannen ,  ^at  man  U)n  nicht 
ganz  mit  Unrecht  ben  (Suripibefc  ber  franjöfif^en  Xragöbie  ge= 
nannt.  2Bie  er  fchon  in  feinem  „Cebipuä"  bei  ben  Rieben,  bie  er 
ben  ^eibnifc^en  *ßrieftern  öcrfcftt ,  .bie  fatholifche  ©eiftüdjfeit  im 
2luge  fyattz ,  fo  tönt  ber  £a&  gegen  baä  S^riftent^um  auch  an* 
aßen  feinen  fpäteren  Xragöbien  tyxaitä ,  obgleich  er  in  zweien  ber* 
felbeh  gerabe  auä  ber  ct)rifttic^en  Religion  bie  größten  (Schönheiten 
50g.  ©einen  „Sftahomeb,"  in  welchem  er  ben  religiöfen  gana* 
ti3mu$  geigelt ,  fyaxtc  fogar  bie  Kühnheit ,  bem  $apft  $ene* 
bift  XIV.  zu  bebiciren ,  inbem  er  ihm  fdjrieb :  „<$x  wibme  bem 
"ijßapft ,  afö  bem  Raupte  ber  wahren  Religion ,  eine  ©djrift  gegen 
ben  ©tifter  einer  falfdjen  unb  barbarifchen."  $)aj3  biefe  SBorte 
nur  Heuchelei  waren,  beweifen  zahlreiche  ©teilen  au3  SSoltaire'3 
gleichzeitigen  Sßrtüatbriefen.  ©eine  Xragöbien  „SBrutuS"  unb  „ber 
Xob  ©äfarä"  finb,  trofc  einzelner  ©chönheiten  in  ber  ©haratter* 
fdjilberung,  falt  unb  leblos  wie  2lbbifon3  „(lato,44  mit  welchem  fie 
Mieles  gemein  liaben.  Ungleich  tjöl^cr  ftcben  al$  Äunftfchöpfungen 
„Wläfyomtb,"  „SOterope,"  „©^miramiS,"  „Xancreb"  unb  „Qäixt," 
fein  befiel  ©tücf.  Slber  bei  allem  ^lanje  ber  Xsiftion  laffen  fßoU 
taire'd  Xragöbien  falt,  weil  ben  beflamatorifchen  Xiraben ,  ben  auf 
(Sffeft  berechneten  Herfen  bie  innere  SBahrheit  fehlt  unb  feine  (£ha- 
raftere  nicht  ber  28trflichfeit  entfprechen  ,  fonbern  eben  nur  Söol* 
taire'jche  ^r)antafiegebilbe  finb.  JBoltaire'3  iiuftfpiele ,  Opern  unb 
geftfpiele,  bie  faft  ade  für  ben  ,£>of  gebichtet  würben,  finb  burdjau* 
unbebeutenb. 

Xic  gleiche  SRuljmfucht,  bie  ben  Dichter  bewog,  fein  glänjenbed 
Xalent  öorjugS weife  auf  bem  (Gebiete  ber  Xragöbie  ju  oerwerthen, 
trieb  ihn  an,  fich  auch  un  ®P°3  iu  öerfuchen,  weil,  wie  er  fagte, 
granfreich  noch  folc^ed  befifce ;  allein  feine  „§enriabe,"  burch 
welche  er  nach  feinen  eigenen  SBorten  „ unfterblich"  zu  werben  hoffte 
unb  öon  welcher  Sriebrich  II.  fagte:  „ein  einziger  ©ebanfe  berfel- 
ben  wiege  bie  ganze  QUabt  auf,"  ift  trofc  be$  ©lanzefc  ber$arftel* 
lung,  ber  SBollenbung  be3  93er$bau$  unb  öieler  fchönen  Sentenzen, 
eine  falte  Dichtung  ohne  allen  epifchen  ©eift. 

S3oltaire'£  Romane  unb  Grzäljlungcn,  burch  welche  er  gleich- 
falls  feine  „philofophifchen"  Slnfchauungen  zu  öerbreiten  fuchte, 
Zeichnen  fich,  au*e  feine  SBerfe,  burch  c^ncn  leichten,  gefälligen 
Stil  unb  eine  feffelnbe  $arfteHung  aus  unb  fprubeln  meift  Don 
2Bi(j  unb  £aune,  gemifcht  mit  beiftenbem  ©pott;  üiele  berfelben 
öerlefcen  jeboch  burch  ihren  3nhalt  ben  Slnftanb  unb  bie  gute 
©itte. 

2llä  Politiker  dichter  feierte  Soltaire ,  bejonberS  in  feinen 

31* 


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484         $ie  fransöftfdie  fiiteratur  im  acf)t$ef>nten  ^aljrfnmbert. 


jüngeren  Safjren,  bie  3been  bon  3reiljeit  unb  ©leidfteit ,  mtfyx  je= 
bod) ,  um  ber  Seitftrömung  ju  hulbigen  unb  aus  $a&  gegen  baS 
Parlament,  als  aus  Abneigung  gegen  ben  §of  unb  bie  höhere  ©e= 
fetlfdjaft,  in  beren  Streifen  er  ftd)  toolu*  füllte,  tuet!  er  ft$  in  ben* 
felben  betuunbert  unb  gefeiert  fal?,  unb  nid)t  mit  Unrecht  ffat  if>n 
beftyalb  bie  föeoolution  als  i^ren  Vorläufer  gepriefen.  ©r  felbft  fal> 
biefe  flteüolution  öorauS.  „sMeS,  toaS  id)  ring*  um  mid)  fcr)cr" 
fd)rieb  er  fdjon  im  3af)re  1764,  „nrirft  ben  $eim  ju  einer  9teoo= 
lution,  bie  unfehlbar  eintreten  nrirb,  oon  ber  id)  jebodj  nidjt  tnef)r 
baS  Vergnügen  fjaben  toerbe,  3eugc  ju  fein.  $aS  Sidjt  t)at  fic^  fo 
fetyr  ausgebreitet ,  ba&  man  bei  ber  erften  Gelegenheit  losbrechen 
nrirb,  unb  bann  nrirb  es  einen  $>öHentärm  geben.  ©lüa*lid&  bie 
jungen  teilte ;  fie  toerben  fd)öne  $>inge  fe^en!" 

£ie  ©efdn'aitsmerfe  Voltaire'«  feffeln  burd)  eine  getoanbte,  an- 
fd)aultd)e  unb  getftreidje  $arftellung  unb  burd)  eine  gütte  intereffan* 
ter  Details,  burd)  roeldje  biefelben  ju  lebensvollen  Vübern  werben ; 
eS  fefjlt  benfelben  jebodj  jebe  tjiftorifcftc  Xreue ;  benn  Voltaire  fdjrieb 
ofme  alle  ftritif  unb  mad)te  ftdj  fein  ©croiffen  barauS,  bie  %f)at)atyn 
feinen  ©runbfäfcen  ober  feinen  Striefen  anjupaffen.  ©eine  „®efdjidjte 
$arlS  XII., "  mit  melier  er  fidj  fdjon  mabrenb  feines  Aufenthalts 
in  Gnglanb  als  f)iftorifdjer  ©djriftfteller  einführte,  ift  ein  3Reiftertt>erf 
feffclnber  $)arfteHung.  Qn  feiner  „©cfdjidjte  beS  QafjrfjunbertS  Sub* 
nrigS  XIV./  6ei  toeldjer  er  bie  oorfyanbcnen  Duetten  mit  größerem 
Jleiße  benu&t  fjat,  als  in  irgenb  einer  anbern  feiner  fuftorifdjen 
Arbeiten,  beleud)tet  er  in  einer  $et£)e  glänjenb  ausgearbeiteter  ©d)il- 
berungen  bie  Regierung  bicfeS  Königs  nadj  allen  SRidjtungen  f)in, 
jebodj  mit  fo  entfdnebener  Voreingenommenheit,  ba&  er  beffen  Sp- 
alter als  baS  „glorreidjfte  ber  Söeltgcf  du*  djte"  bejeia^net.  ©eine  ganj 
im  3n*creffe  SRuilanbS  unb  mit  ber  Llnterftüfcung  ber  ruffifdjen  9&e= 
gierung  gef  abrieben  e  „®efdnd)te  Meters  beS  ®ro§en"  ift,  gleidj  bem 
„2lbri&  ber  Dtegterung  fiubnrigS  XV.,"  ein  ©etoebe  lügnerifdjer 
©djmcidjelcien —  fteUte  er  bod)  bei  ber  Abfaffung  berfelben  ben 
©runbfafo  auf ,  ba§  man  bie  ©d)roädjen  ber  {jürften  nia^t  fo  feljr 
unter  bie  ßeute  bringen  burfe  unb  bafj  eS  2>inge  gebe,  roeldje  bie 
©efd)id)te  oerbergen  muffe.  s$fl\t  feinem  „Verfudje  über  bie  ©itten 
unb  ben  ©eift  ber  Nationen,"  bttxat  Voltaire  bie  Vafjn  ber  ptylo* 
fopfnfdjen  ÖJefdndjte;  feine  ^^°f°P^cf  °ie  überall  nur  bie  Ober* 
flädje  ber  $>tnge  berührt  aus  5urd)t,  in  ber  Xiefe  unliebfame  SBa^r* 
Reiten  ju  finben,  beftanb  jeboa^  audj  tytx  nur  in  ber  SBefämofung 
unb  ^erabmürbigung  aller  a^rifttia^en  $(nfa^auungen. 

s2lu&er  Voltaire  fyai  bie  bramatifdje  ^oefie  im  aa^tjehnten 
3a^rl)unbert  in  granfreid)  nur  n?enige  nennenSioerthen  ^Bearbeiter 
aufjunjeifen.  5)ie  Xrauerfpiele  d  r  e  b  i  1 1  o  n '  S  (geb.  1674 ,  geft. 
1762),  ber  (Somettte  unb  Racine  nad>$uafmten  fudjte,  baS  SBefen 


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3>ie  fran$öftfd)e  fiiteratur  im  a^tjc^ntcn  3af)rljunbert.  485 

ber  Eragöbie  jebodj  nur  in  bic  Earfteflung  bcS  ©rä&üdjen  unb 
©djrecfenerregenben  fejjte,  tjaben  baS  adjt$cf)nte  3a(jr!junbert  nidjt 
überlebt.  2lud)  baS  ßuftfpiel  fonnte  fid)  nid)t  nueber  ju  ber  &öf>e 
ber  Vollenbung  ergeben,  ju  melier  eS  burdj  SMtere  emporgehoben 
luorben.  2US  Suftfpiclbidjter  oerbienen  nur  ©rroälmung  MlerjS 
<ßiron  (geb.  1689 ,  geft.  1773),  3ean  Söapttfte  ©reffet  (geb. 
1707,  geft.  1777)  unb  ber  originelle  (£aron  be  $8eaumarcf)at3 
(geb.  1732,  geft.  1799),  ber  aus  feinen  fcon  SBi(j  unb  bei&enbem 
©potte  fprubelnben  Äomöbien  eine  politifdje  SBaffe  machte ,  inbem 
er  in  feiner  Xritogie:  „ber  ©arbter  oon  ©etritta,"  „bie  ^>ocr)jcit  be* 
gigaro"  unb  „bie  ftrafbare  Butter"  ben  Slbel  perfiflirte  unb  für 
ben  burd)  bie  Geftalt  gigaro'S  repräfentirten  „brüten  Staub"  in  bie 
©cfjranfen  trat. 

2Iuf  bem  Gebiete  bcS  SRomanS  unb  ber  <£r$äljtung  ift  junädjft 
ber  2lbb(5  öart^I^mu  (geb.  1715,  geft.  1795),  als  «erfaffer 
ber  „Reifen  beS  jungen  s2lnad)arfiS  in  Griedjenlanb,"  51t  nennen, 
eines  SBerfeS,  baS  unter  ber  S$orm  beS  SRomanS  eine  gütle  öon 
(Meljrfamfeit  entnricfelt.  (SlairS  be  glorian  (geb.  1758,  geft. 
1794)  fudjt  in  feinem  „9htma  *ßompüiuS"  ein  Gegenftütf  $u36n<5* 
lonS  „ielemadj"  aufstellen ,  ofme  jebodj  fein  Vorbilb  audj  nur 
annäfjernb  ju  erreichen.  Gelungener  finb  fein  „Gonfaloo  be  (£or* 
boöa"  unb  fein  „2Bilf)elm  %tü ,"  ganj  befonberS  aber  fein  „Xon 
Cluifote/  eine  freie  Uebcrfefcung  beS  fpanifcfjen  UrbilbeS.  £aS  Sefte 
jebodj,  baS  glorian  gefdjrieben  unb  baS  ifjm  ben  meiften  9tuf)m  ein- 
getragen, finb  feine  gabeln.  2HS  Verfaffer  moralifajer  (5rjäf)lungen 
toerbient  aud)  gran^oiS  be  SKarmontel  (geb.  1728,  geft.  1799) 
(£rtoäfmung,  ber  in  feinem  „$8eltfar"  gleichfalls  g^n&onS  Xelemad) 
nachzuahmen  fud)t,  ofme  babei  glüeflicher  ju  fein,  als  Slorian.  Un* 
gleich  bebeutenber  als  bie  (benannten  ift  SBernarbin  be  ©  t. 
^ßierre  (geb.  1737,  geft.  1814),  ber  fdjon  ju  ben  Vorläufern  ber 
romantifd)en  ©djule  gehört,  ©ein  £>aupto)erf,  „$aul  et  Sßirginie," 
eine  tnunberltebliche,  burch  (Einfachheit  unb  ßebenbigfeit  ber  $5arftel* 
lung,  nne  burd)  3ar*^e^  uno  Einmuth  ber  (££)araftere  ausgezeichnete 
ib^flifc^e  SRoücÖc  ,  fanb  einen  folgen  Seif  all ,  bafi  fie  über  üierhwu 
bert  Auflagen  erlebte. 

2llS  fyrifche  dichter  öerbienen  (Srnjd^nung:  3ean-$Baptifte 
SRouffeau  (geb.  1670,  geft.  1741),  beffen  Dbcn  ficr)  jebodj  nur 
burch  einen  getuanbten  Versbau  auszeichnen  unb  ber  wegen  feiner 
bei§enben  ©atiren  für  immer  aus  granfreidj  oernnefen  mürbe  (f.  ©. 
321);  ber  lothringer  Saurent  Gilbert  (geb.  1751),  ein  äufcerft 
ialentootter  dichter ,  ber  im  Hilter  öon  neununb^njan^ig  Qafyren  bem 
(Slenb  erlag  unb  im  SBatmfinn  ftarb,  unb  Stnbre  (5 genier  (geb. 
1762),  ber  in  ber  franjöfifdjen  6c^recfenS5eit  auf  bem  Vlutgerüfte 
enbete  (1794). 


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486 


$te  frcm$öftföe  fittcratur  im  achtzehnten  3ahrt)unbcrt 


9luf  bcm  Gebiete  ber  bibaftifdjen  unb  befchreibenben  SHdjtung, 
bercn  Ucbermuchern  am  bcutlic^ften  ben  SScrfoß  ber  ^oefie  in  granf* 
reich  fennjeichnet,  ermarben  fidj  befonbcrcn  SRubm  Qcan  Racine 
(geb.  1692,  geft.  1763),  ber  @ofjn  be«  berühmten  Xragöbienbitf* 
ter«,  beffen  heröorragenbfte«  ßehrgebicht ,  „bie  Religion,"  bie  Setjre 
non  ber  Sünbe  unb  ber  (Smabe,  Dorn  Xafein  ®otte«  unb  ber  Un* 
fterblichfett  jum  ©egenftanb  hat;  partes  graneoi«  be  @t.  Sam  = 
bert  (geb.  1716,  geft.  1803),  ber  burd)  feine  nad)  bem  SSorbUbe 
Slmntfon«  geblatteten  „3ahre«aeiten"  bie  befchreibenbe  ^oepe  in 
granfreid)  einführte;  3ean  Wntoine  SR  ou  eher  (geb.  1745),  ber  im 
Qahre  1794  mit  Slnbre*  ©linier  Eingerichtet  mürbe,  unb  ganj  be* 
fonber«  Qacque«  $  elille  (geb.  1738,  geft.  1813),  ber  megen 
feiner  forreften  ©prache,  feinet  fließenben  $8er«bau«  unb  feiner 
9Jceifterfdjaft  in  ^aturfdnlbernngen  trofc  be«  geringen  poetifchen 
behalt«  feiner  Dichtungen  ^oa)  gefeiert  unb  ben  gepriefenften 
tern  be«  Sllterthum«  glcict)gcftcllt  mürbe. 

Unter  ben  fran^öfifc^en  ^rofaifern  be«  achtzehnten  3ahrfmn= 
bert«  ^aben,  neben  Voltaire,  in«befonbere  bie  ©  ncöf  lo  p  äbtften 
—  bie  SJtftarbeiter  an  einem  äußerft  umfangreichen  Sonöerfationl* 
Ierjfon,  ba«  unter  bem  Xitel :  „EncyclopeMie  ou  dictionnaire  rai- 
sonne* des  sciences,  des  arts  et  des  mdtiers/  ba«  gefammte 
menfdjlidje  SBiffen  com  Stanbpuufte  ber  neuen  $f)ifofopl)ie  au* 
erfdjöpfenb  unb  in  allgemein  faßlicher  SSeife  barfteüen  follte  —  ba« 
<5>ift  be«  Unglauben«  au«geftreut.  $ie  einflußreichften  unter  benfelbcn 
maren  Eiberot,  b'Sttembcrt  unb  ber  SBaron  Solbad). 

$eni«  $)iberot  (geb.  1712,  geft.  1784),  ber  ©rünber  ber 
„Crncnflopabte,''  hatte  fchon  früher  in  feinen  „Pensfos  philosophi- 
ques,"  bie  er  ben  berühmten  Pensfos  <ßa«cal«  entgegenstellte ,  bie 
SBunber  al«  SBcmcife  für  bie  2Baf)rheit  ber  chriftlichen  Religion  an* 
gegriffen  unb  ben  2ltf)et«mu«  für  beffer  erflärt,  al«  ben  2lbcrglau= 
ben.  9codj  feinbfeliger  trat  er  gegen  ba«  ©hnftenthum  in  feinem  im 
3af)re  1749  oeröffentlichten  „<5enbfd)reiben  eine«  Olmben  junt 
9hi$en  ber  ©chenben"  auf,  in  meinem  ber  (Glaube  al«  Sölinbtjeit 
unb  bie  boti  il)m  unb  feinen  Srcunbcn  öerfünbete  neue  <ßf)ilofophie 
al«  Sehen  bargefteüt  mirb.  Dtcfc«  Senbfchrctbcn  brachte  ihn  al« 
(befangenen  in  ben  Xr)urm  öon  $incenne« ;  feine  §aft,  bie  übrigen« 
eine  fehr  milbe  mar,  fdntdjtcrtc  ihn  jeboch  fo  menig  ein,  baß  er 
gleich  nat$  feiner  greilaffung  fid)  in  feiner  „Interpretation  de  la 
natureu  offen  jum  5lthei«mu«  befannte.  $)ie  SOiateric  erflärte  er  in 
btefem  SSerfe  für  emig,  oon  feinem  ©otte  erfchaffen  noch  erhalten, 
ben  freien  SBiüen  be«  9J?enfct)en  für  ein  leere«  ©ort  unb  bie  per* 
fönliche  Unfterblichfeit  für  einen  iraum.  Obgleich  Xiberot«  Angriffe 
hauptfächlich  gegen  ba«  dhriftentfjum  gerichtet  mareu,  uerfchonte  er 
mit  feinem  $>affc  auch  oa^  ftönigtlmm  nicht;  fprach  er  boch  einft 


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Sic  fronüWWe  Siterahtr  im  achteten  Safchunbcrt. 


bcit  SBunfcfj  au«  :  „mit  ben  ®ebarmen  beS  Ickten  ^riefterS  ben 
Ickten  ®tfnig  erbroffett  flu  feben!" 

$er  erfte  SBanb  ber  (£nct)fIopäbie,  gtt  roetcher  35iberot  im  3<tf>re 
1750  ben  $Ian  entworfen,  erfchten  im  %crt)Tt  1751  unb  erregte 
ungeheueres  9luffeben.  C?S  mürbe  aroar  anfangt  gegen  biefeS  SSerf, 
befTeit  Xenbenj  Mar  am  Xage  tag,  Don  Seiten  beS  ^Parlaments  ein* 
gefchritten ;  ba  jeboefj  ber  $>er$og  oon  GTboifeuI  baS  Unternehmen 
begünftigte,  nahm  eS  einen  ungefjtnberten  Sortgang,  $m  Raffte 
1766  mar  baS  ganje  SBerf  öoflenbet.  ©S  jäfift  smetunb^man^tg 
Soliobäube  unb  mar  in  oiertaufenbfünfbunbert  (Jjemptaren  gebrueft 
morben;  biefelben  maren  jebod)  fo  rafd)  Vergriffen,  baß  atSbalb  ju 
einer  jmeiten  9Iuf(age  gefd&ritten  roerben  mußte.  $ie  legten  @yem- 
plare  mürben  ^u  etntaufenbacbtbunbert  SiöreS  üerfauft. 

S5?ie  Voltaire,  fo  fanb  auch  $)iberot,  ber  ftch  oergeBenS  um  bie 
Aufnahme  in  bie  Srfabemtc  Bemühte,  eine  ©önnerin  unb  SBerebrerin 
in  ber  ®aiferin  Katharina  IT.,  bie  ifjm,  um  fetner  (Mbnottj  ab ju- 
Betfen,  feine  93tBIiotbef  für  fünfftebntaufenb  ftrancS  aBfaufte,  unter 
ber  SBebingung,  baß  er  biefetBe  für  fie  fiBerroacfje  unb  bafür  als  ihr 
SBiBfiotheFar  einen  3abrgebatt  oon  taufenb  SioreS  anneBme,  melden 
©ehalt  fie  ihm  auf  fünfzig  ^abre  t>orauSBe$af)len  ließ,  (üruter  fdjmei- 
djetbaften  ©intabung  ber  ^arin  folgenb  ,  reifte  er  im  Jfahre  1773 
nach  Petersburg,  mo  er  mit  großen  (Ehrenbezeigungen  empfangen 
unb  öon  ber  (£jarin  reich  Befchenft  mürbe,  Natürlich  ermangelte  er 
nicht,  Bei  feiner  SRütffefjr  nach  $ariS  baS  ©üb  feiner  ©önnerin  mit 
ben  fdöönften  Farben  auszumalen. 

3ean  b'SHembert  (geb.  1717,  geft.  1783),  einer  ber  Bc= 
beutenbften  ajeatbemattfer  feiner  Seit  unb  febon  feit  feinem  m'er= 
unb^man^igften  SebenSjabre  TOtgfteb  ber  Sttabemie ,  mar  Withe* 
grünber  ber  (£nct)ttopäbie ,  für  meldte  er  eine  metfterbaft  ftififtrte 
(SMeitung  fdjrieb.  SRubiger,  nüchterner  unb  politifefier  als  ber 
teibenfdjaftliche  $>iberot,  fud)te  er  beffen  ungefrümen  G£ifer  für  bie 
Söefämpfung  ber  ebriftndjen  Jfbeen  ju  mäßigen ,  um  oott  ber 
(SncotTopäbie  ben  (Schein  beS  ooflenbeten  Unglaubens  fem  ju  hat- 
ten, ©eine  $btf°fopbte  mar  ber  ©enfuattSmuS ,  ber  *roar  nicht, 
mie  ber  2J?aterialiSmuS,  baS  $>afein  Rottes  unb  bie  ©uBftan^ialität 
ber  ©eele,  b.  b-  ihre  ©jriftenj  afS  felbftftänbigeS,  ben  Körper  über* 
bauernbeS  3Sefen,  leugnet,  aber  alle  SSorfteHungen  aus  finnfteben 
dinbrütfen  herleitet  unb  baher  nothroenbtg  jum  Materialismus  fübs 
reu  muß. 

$aul  griebrtcb  33aron  öon  .ftolbacb  (geB.  1723  in  bem  jefct 
jum  dJroßher^ogthum  93aben  gehörigen  pfätjifcben  ©täbtd&en  fteibers* 
heim,  geft.  1789  p  $ariS)  mar  fchon  als  mnb  nach  $ariS  gefom- 
men,  mo  fein  SBater,  ein  ^mporfömmltng,  ftch  ein  bebeutenbeS  $er= 
mögen  ermarb,  oon  meinem  ber  junge  Golbach  ju  fünften  ber 


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488         3)ie  franjöfifdje  Sitcratur  im  ad^nten  ga^r^unbert 


„^ß^ilofop^cn"  einen  berfdjroenberifdjen  ©ebraudj  machte.  $a  er  in 
feinem  £oteI  $u  $ariS  ober  auf  feinem  Sdjloffe  ©ranbbal,  ben  S3er= 
fammlungSorten  ber  greibenfer  unb  ©djöngeifter,  zweimal  tbödjent* 
Iidj  für  biefelben  offene  Xafel  hielt,  rourbe  er  ber  „Maitre  d'hotel 
de  la  Philosophie*4  genannt.  @r  felbft  fdjrieb  unter  bem  ^feubo- 
ntjm  Sftirabaub  baS  „Systeme  de  la  nature,44  ein  boflftänbigeS 
Sehrbuch  beS  2ltheiSmuS,  in  meinem  ber  troftlofefte  unb  jugleidj 
abfurbefte  ÜftaterialiSmuS  geprebigt  unb  alles  ©ro&e,  (Sble  unb 
Sßahre  mit  bem  graffeften  ©uniSmuS  in  ben  Staub  gebogen  wirb. 
XaS  93uch  erregte  baS  größte  2luffet)en.  bieten  graute  bor  bem 
Qn^alt,  unb  fogar  Voltaire  war  beftürjt.  (Sowohl  er  als  grieb- 
ridj  II.  fugten  baS  Söerf  $u  wtberlegen;  allein  fie  bermod)ten  e3 
nicr)t ;  benn  ber  SBerfaffer  beS  „©bftemS"  ^atte  nur  ihre  eigenen 
®runbfäfce  bis  in  bie  äufierften  (Sonfequen$en  burdjgeführt. 

Um  ben  ©rgebniffen  ber  neuen  Sßf)Uofopt)ie  bie  weitefte  S8er* 
breitung  ju  ftdjern  unb  fie  inSbefonbere  auch  bem  großen  Raufen 
munbgerecht  $u  machen,  fdjrieb  Golbach  einen  furjen  2luS$ug  feinet 
„StyftemS"  unter  bem  Xitel  „Le  bon  sens44  —  ber  gefunbe  SJten* 
fdjcnberfianb — ,  bon  Welchem  b'Sllembert  meinte,  „man  muffe  Um 
nod)  mefjr  jufammenjie^en,  bamit  er  nur  fünf  SouS  fofte  unb  aud) 
ben  ©ebienten  unb  Köchinnen  jugänglicf)  werbe." 

Unter  ben  Schriftftellern ,  bie ,  ohne  2JKtarbeiter  ber  ©ncbtfo* 
päbie  ju  fein,  bodj  ganj  im  ©eifte  ber  (SncüHopabiften  fdjrieben,  ift 
befonberS  (Haube  Slbrien  £elbetiuS  (geb.  1715,  geft.  1771), 
ein  reicher  ©eneralpädjter  unb  ©utsherr,  ju  erwähnen,  ber  in  feu 
nem  *Bucf)e  „de  r Esprit,44  §u  meinem  er  bie  3been  au«  feinen 
Unterhaltungen  mit  ben  $u  feinem  Xifdje  gelabenen  ^^ilofop^en 
geköpft  hatte,  als  ber  Slpoftel  beS  gröbften  üflaterialiSmuS  auf* 
trat.  SRad)  $elbetiuS  unterfct)cibet  fid)  ber  üflenfdj  bor  bem  Xlnere 
nur  burdj  eine  größere  SBolIfommenheit  feiner  förperlidjen  Drgane 
unb  l)at  bei  jetnen  $>anblungen  feine  anberen  Xriebfebern,  als  baS 
eigene  3ntereffe,  bie  Siebe  jum  ÖJenufj  unb  bie  gurcht  bor  bem 
Unbehagen ,  bor  (Entbehrung  unb  ©a^merj.  gür  £>elbetuiS  ift  bie 
Xugenb  nichts  SlnbereS,  als  ber  wohlberftanbenc  (SgoiSmuS,  unb 
Safter  nur,  was  eigenen  Schaben  bringt.  Xrofc  ber  (5rbärmltcr)fctt 
feines  QnljalteS  erlebte  baS  SBudj  fünfjig  Auflagen  unb  würbe  in 
bie  meiften  Sprachen  ©uropa'S  überfejt  —  ein  trauriges  3cuÖn$ 
für  ben  <&eift  ber  Seit. 

SBäfjrcnb  JBoltaire  unb  feine  ©epnnungSgenoffen  it)re  Singriffe 
me^r  gegen  baS  ßf)riftcnthum  als  gegen  bie  Staatsgemalt  rieh* 
teten ,  tyclt  fid)  3can  3acqueS  &  o  u  f  f  e  a  u  für  berufen ,  bie 
2lyt  an  bie  Söurjcl  ber  ftaatlidjen  unb  gefeüfchaftlichen  Skrhältuiffe 
SU  legen,    ©eboren  $u  ©enf  am  18.  3uli  1712  als  ber  Sot)n 


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S)ie  franjöfifche  ßttcratur  im  achtzehnten  3af)rf>imbert.  489 

eine«  getieften,  aber  wenig  bemittelten  Uhrmacher«,  r)atte  Stouffcau 
fchon  al«  $nabe  mit  Söegeifterung  ^lutarch«  £eben«befchreibungen 
gelefen,  unb  tüte  biefe  Seftüte  U)m  eine  entfduebene  Vorliebe  für 
rc^ublifanifcr)c  ©taat«einrichtungen  eingeflößt ,  fo  Imtte  fie  in  Ujm 
auch  jenen  unbeugfamen  Ütepublifanerfinn  entwufelt ,  ber  neben 
einem  au«gefprochenen  #ang  zur  Sentimentalität  unb  9*atur* 
fchwärmerei  einen  ^auptjug  feine«  ßharafter«  bilbete.  $a  fein 
Skter  nicht  in  ber  Sage  mar ,  ihn  ftubieren  ju  laffen ,  würbe  er 
Gehilfe  ehteS  ©tabtfehreiber« ;  biefe  SBefchäfrigung  fagte  ihm  jeboch 
fo  wenig  ju,  baß  fein  SBater  fich  entflog,  ü>n  ju  einem  ßupfer-- 
ftec^er  in  bie  Seljre  ju  geben.  ®och  auch  ^icr  mar  feine«  Ölet* 
ben«  nicht ;  er  lieg  ftd)  $u  jugenblichen  Unbefonnenheiten  hinreißen, 
unb  bie  gurcht  üor  ber  ©träfe  beroog  ihn  jur  gludjt  nacb  ©a* 
ooöen.  $ier  empfahl  ihn  ein  menfehenfreunblicher  ^riefter  einer 
frommen  (£onöertitin ,  ber  ju  Annecö  lebenben  grau  öon  SBaren«, 
unb  biefe  oerfah  ilm  mit  bem  nötigen  Gelbe  jur  SBeiterreife  nach 
Xurin,  wo  er  in  einer  üttiffion«anftalt  $ur  fatyoftföen  $ird)e  über* 
trat,  ohne  jeboch  bei  biefem  ©chritt  buret)  eigene  Ueberjeugung  ge* 
leitet  5U  fein.  9tach  mancherlei  Abenteuern  unb  Skrirrungen  fct)rte 
er  ju  feiner  Gönnerin  jurücf,  bei  welcher  er  währenb  eine«  mehr* 
jährigen  Aufenthaltes  Gelegenheit  hatte,  nicht  nur  feine  ©tubien 
mit  Erfolg  fort^ufefen,  fonbem  auch  fcin  mufifaltfche«  Talent  au«; 
äubilben. 

3m  3ahre  1742  fam  föouffeau  nach  $ari«,  Wo  ihn  ber  fram 
äöfifche  Gefanbte  in  SBcnebig  al«  ©efretär  in  feinen  $)ienft  nahm, 
©ein  ungebänbigter  greil)eit«fiun  fonnte  fich  jeboch  in  biefe  ab= 
hängige  Stellung  nicht  finben,  unb  fo  fetjrte  er  nach  s,ßari«  jurücf, 
um  bort  feine  fchrifrftetierifche  Xhätigfcit  ju  beginnen,  ©er  trau= 
rige  gefeflfehaftliche  unb  politifa)e  3"ftonb  granfreich«  unb  in«be= 
fonbere  ber  fehlere  3)rucf,  ber  auf  bem  iöolfe  laftete,  fteigerte  feine 
Abneigung  gegen  bie  monarchifche  SRegierung«form  unb  erfüllte  ihn 
mit  |>aß  gegen  bie  reicheren  unb  r)öt>eren  ©täube,  bie  inmitten  be« 
öffentlichen  @lenb«  im  Üeberfluß  fchtoelgten ,  unb  ba  er  fah ,  baß 
fie  al«  Gönner  unb  93eftt)ü6er  ber  fünfte  unb  SSiffenfchaften  au« 
biefen  felbft  nur  eine  neue  SBürje  ihrer  üppigen  gefeüfchaftlichen 
greuben  jogen,  erfd)icn  it)m  bie  gefammte  Gcifte«bilbung  al«  eine 
CueHe  be«  Unglücf«  unb  ber  ©ittenoerberbniß.  33on  biefen  Ge= 
fühlen  bewegt ,  fchrieb  er ,  al«  Antwort  auf  bie  oon  ber  Afabemie 
3U  5)ijon  gefteüte  $rei«frage :  „Db  bie  SBieberhcrfteUung  ber  fünfte 
unb  SBiffenfchaften  (im  fünfzehnten  unb  fedj^etjiiten  Qahrhunbert) 
jur  Sßerbefferung  ber  ©itten  beigetragen  habe?",  eine  Abhanblung, 
in  welcher  er,  ber  fjerrfchenben  Anficht  entgegen,  bie  fünfte  unb 
SBiffenfdjaften  al«  bie  Urfachen  alle«  menfchlichen  S3erberben«  bar^ 
ftcllte.  ^kht«beftoweniger  gewann  er  ben  ^rci«  burch  ben  tauften* 


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490         $ie  franaöftfdie  Literatur  im  achtzehnten  So^imkrt. 

ben  ©lanj  feiner  ©erebtfamfett  unb  burch  bie  Neuheit  ber  oon  ihm 
entmitfelten  Anfichten. 

©alb  barauf  jog  fid)  föouffeau  burch  bie  Veröffentlichung  feinet 
„©riefet  über  bie  franjöftfdje  SÄufi!",  morin  er  bie  geiftlofe  ixodtn- 
heit  unb  falfdt)e  (Melehrfamfeit  bcrfelben  tabelte,  bie  Ungunft  ber 
^Sarifer  in  fo  hohem  ©rabe  ju,  ba§  er  fid>  genötigt  fat)r  bie 
franjöfifche  .§auptftabt  ju  oerlaffen.  @r  begab  fid)  nach  ©enf,  n>o 
er,  um  ba£  burch  feinen  Uebertritt  jur  fatbolifchen  Äircbe  t>er= 
mtrfte  ©ürgerrecht  roieber  geroinnen,  öffentlich  unb  feierlich  *ur 
reformirten  Kirche  aurüdfehrte.  (Sin  Streit  mit  ©oltaire,  beffen 
theatralische  Aufführungen  in  Semen  ihm  jumiber  maren  unb  ber 
feinerfeita  eä  ihm  nicht  Derlen  fonnte,  baß  er  in  einem  ©riefe 
an  b'Alembert  bie  Abschaffung  be£  $beater3  für  eine  9cothroenbig* 
feit  erflärt  ^atte,  verbitterte  ihm  jebod)  ben  Aufenthalt  in  feiner 
©aterftabt  fo  fehr,  baß  er  ihr  *um  anbern  SRale  ben  dürfen  manbte, 
um  fich  nach  (sSbambcrt)  ju  begeben,  mobin  bie  greunbin  feiner 
Qugenb,  grau  öon  SBarenä,  übergefiebelt  mar.  $>ier  fd)rieb  er, 
gleichfalls  in  ©eantmortung  einer  öon  ber  Afabemie  ju  Xijon  ge* 
ftcüten  Preisfrage,  feine  „Abbanblung  über  bie  llrfachcn  unb  ben 
Urfprung  ber  Ungleichheit  unter  ben  Httenfchen",  morin  er  bie  ©e^ 
hauptung  aufftellte,  baß  bie  gefeüfchaftlicbe  ©erbinbung  unb  bie  barau» 
hervorgegangene  ©iüilifation,  inbem  fie  ba3  ©igenthumSrecht  ge* 
fchaffen  unb  jur  ©infefcung  oon  Cbrigfeiten  geführt,  bie  Sftenfchen 
uuglütflich  unb  ju  ©erbrechern  gemacht,  unb  baß  Xugcnb,  gretheit 
unb  ©lütf  nur  unter  ben  SSilben  311  ftnben  feien.  Cbgleid)  er  in 
biefer  (Schrift  bie  GJrunböerhältniffe  ber  bürgerlichen  ÖJefeöfchaft  an= 
griff,  mürbe  ihm  auch  bieämal  ber  $rei3  juerfannt. 

$a  fich  tnjmifchcn  bie  Stimmung  ber  $arifer  mieber  günftiger 
für  ihn  geftaltet  fjattc,  fehlte  er  nach  granfreich  jurütf,  nahm  je= 
boch  feinen  Aufenthalt  nicht  in  ber  £>auptftabt,  fonbern  in  einem 
fianblmufe  ju  Üftontmorench,  ber  fogenannten  „(Sinfiebelei",  mo  er, 
auger  feinem  Oielgelefenen,  mit  ungewöhnlicher  ©prachgetuanbtbeit 
unb  glühenber  ^t)aittafte  in  ©riefform  getriebenen,  aber  bie  Sittlich* 
feit  fefnoer  öerlefcenben  Romane,  ber  „neuen  $c!oife\  beffen  glänjenbe 
Aufnahme  in  ber  öornehmeu  SSclt  ©oltairc'ä  ©iferfudtt"  in  hohem 
®rabe  erregte,  feine  beiben  einflußrcichftcu  SBerfe,  feinen  „Contrat 
social44  (©efeüfchaftÄoertrag),  unb  feinen  „Smil,  ober  über  bie  ©r= 
jichung",  öerfaßte. 

3n  feinem  „Contrat  social",  ber  im  3af)re  1762  erfduen  unb 
mit  ben  Söorten  beginnt:  „£er  SJcenfch  ift  frei,  unb  überall  liegt 
er  in  Ueffeln, "  fteüt  SRouffeau,  nad)  bem  Vorgänge  ber  englifcheu 
©taatöpfulofophen  #obbe3,  Algernon  ©ibnen  unb  ßode,  baä  ge= 
fammte  ©taatätoefen  als  auf  einem  ©ertrage  berufjenb  bar,  burch 
roeldjeu  bie  SÖcenfdjen  im  9tatur5uftanbc  (Jinigen  au«  ihrer  Stritte 


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3Mc  frait$i5flfd)e  ßtteratur  im  adjtjebnten  galjrljimbert.  491 

jur  $anbf)abung  bcr  bürgerlichen  Drbnung  bie  obrigfeitlidje  ©e~ 
Walt  übertrogen  hätten,  unb  jieht  barauS  ben  ©chluß,  bog  ber 
©efammtwille  beS  *8olfeS,  Welcher  bie  Dbrtgfeiten  mit  ber  $luS= 
Übung  ber  ©ewalt  um  beS  gemeinen  9tufcenS  willen  betraut  habe, 
fortwähreub  ber  (SKgenthümer  btefer  (Gewalt  unb  folglich  ber  eigent* 
liehe  Dberherr  fei,  bem  bie  ©errfdjaft  unter  allen  Umftänben  öer- 
bleibe,  unb  baß  fomit  bem  SBotfe  baS  Recht  juftehe,  bie  mit  ber 
SBoflftrecfung  feines  SBittend  beauftragten  Regenten  als  feine  Liener 
nach  belieben  ein*  unb  abjufefoen.  Obgleich  biefeS  SBerf  im  $111* 
gemeinen  wenig  oerftanben  mürbe  unb  Rouffeau  felbft  bie  barin 
ausgekrochenen  9(nftcr)ten  für  praftifdj  unberwerthbar  erflärte,  fanb 
es  bei  ber  fjerrfchenben  Stimmung  unb  wegen  ber  blenbenben  £>ülle, 
mit  roelc^er  ber  fttlgewanbte,  für  feine  SBeltoerbefferungSibeen  be~ 
geifterte  SGerfaffer  feine  ebenfo  irrigen  als  oerberblichen  $lnfict)ten 
$u  befleiben  mußte ,  ungeheueren  SBeifall  unb  bahnte  ben  SBeg  ju 
ber  gewaltfamen  Umwälzung,  bie  fiebenunbjwanjig  3afjre  fpäter 
$um  Ausbruch  fam. 

Qn  feinem  gleichzeitig  mit  bem  „Contrat  social"  tocröffcntUd^* 
ten  „©mil",  einem  SBerfe,  baS  jroifchen  Vornan  unb  fiefjrbuch  bie 
Sftitte  hält,  ftetCt  Rouffeau,  ber  feine  eignen  fünf  Sinber  ohne 
jebeS  Seichen  ber  SBtebererfennung  in  baS  SinbeltjauS  fduefte, 
©runbiäfce  ber  ©rjiehung  auf,  in  benen  SBat)r^eit  unb  Srrthum 
aufs  SBunberlichfte  gemifcht  finb.  Rouffeau'S  burajweg  reöolutio- 
tiare  SrjiehungSlehre,  bie  jroar  manchen  belebenben  unb  befruch- 
tenben  ©ebanfen  enthält,  aber  bie  ©efdjichte  wie  bie  Erfahrung 
gänzlich  öerfennt  unb  mißachtet,  bejwecft  bie  £eranbilbung  beS 
ÄinbeS  511  einem  reinen  „Raturmenfchen",  für  Welchen  er  in  bem 
gelben  feines  $8uct)eS  ein  SDßufterbilb  aufftettt,  ohne  babei  ju  be* 
benfen,  baß  fein  (Smil  in  baS  wirfliche  ßeben  gar  nicht  paßt. 
Sieben  allen  äußeren  3u<ht™üteln  will  er  auS  ber  (srrjiehung  auch 
ben  Religionsunterricht  oerbannt  fehen,  „ba  ein  ®inb,  baS  an  ©ott 
glaube,  notr)roenbig  ein  ©öfcenbiener  fei."  2Bie  ber  S^gling  aus* 
fdjließlich  burch  bie  (Sntwicflung  feiner  Vernunft  auf  ben  SSeg  beS 
©uten  geführt  werben  foll,  fo  fofl  er  auch  oon  ©ott  unb  ben 
chriftlichen  ®laubenSwahrt)etten  erft  bann  StmaS  erfahren,  Wenn 
fein  Serftanb  bie  nöthige  Reife  erlangt  hat,  um  fich  für  ober  wiber 
baS  ©hriftentfmm  ju  entfeheiben  unb  im  erfteren  gaHe  jwifchen 
ben  beftehenben  CSonfeffionen  ju  wählen.  83iS  bahin  foH  in  bem 
$inbe  nur  bie  (£ntwicflung  einer  „^erjenSreligion"  begünftigt,  b.  I). 
fein  6inn  auf  bie  £errlichfeit  ber  Schöpfung  gelenft  werben,  bamit 
eS  in  berfelben  ©ott  ahnen  lerne. 

Obgleich  Rouffeau  Sftitarbetter  an  ber  @ncl)f(opäbie  war,  für 
welche  er  bie  Slrtifcl  über  bie  Sttufif  lieferte,  unb  mit  SHberot, 
b'&lembert  unb  £eluetiu3  in  ben  freunbfchaftlichften  ^Beziehungen 


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492        3)ie  franaöfifdje  Stterotur  im  ad^efinten  3(ü)rljunbert 

ftanb,  war  er  Weber  9ltt)eift  nodj  ein  erflärter  (Gegner  be3  Triften* 
tt)um3;  in  feinem  „©mil"  fpridn"  er  fogar  oon  ber  d)riftlid>en  9te= 
ligion  unb  it)rem  göttlichen  (Stifter  mit  einer  2lrt  begeifterter  3Ser* 
eljrung:  aber  er  beftreitet  nid)t  nur  bie  9lotl)menbigfeit,  fonbern 
fogar  bie  9tföglta)feit  trgenb  weldjer  Offenbarung  unb  fiefjt  in  ber 
9catur  bie  einzige  Duette  ber  ®otte3erfenntni&. 

Sowohl  ber  „(Smil"  als  ber  „Contrat  social"  mürben  auf 
93efet)l  be3  Parlaments  burdj  §enfer3t)anb  öerbrannt  —  jur  großen 
greube  Voltaire'*,  ber  in  einem  «riefe  ben  Sorfatt  mit  bem  foöt* 
tifdjen  3ufafc  erjagt:  „ba*  fommt  baoon,  wenn  man  bie  $f)ito* 
foppen  unb  bie  ©djaufm'ele  anbettt"  — ,  unb  SRouffeau  felbft  entging 
ber  ©efangenfdjaft  nur  bura)  bie  gludjt  nad)  ®enf.  2lber  audj  t)ier 
fanb  er  feine  &ufnaf)me,  ba  fein  „@mil"  unter  ber  bortigen  refor^ 
mirten  (SJeiftlidjfeit  bie  gleiche  ©ntrüftung  fjeroorgerufen  hatte,  wie 
unter  ber  fatfjolifdjen  in  granfreid).  (£r  begab  fidj  nadj  Sern, 
unb  ba  er  aud>  bort  nid)t  gebulbet  würbe,  nadj  fteudjatel,  wo  er 
eine  Zeitlang  in  einem  $orfe  unter  bem  ©d)ufce  3riebrid)3  II. 
lebte,  bis  it)n  bie  feinblidje  Stimmung  ber  oon  bem  Pfarrer  be3 
DrtS  gegen  tfm  aufgcreijten  Säuern  jur  gludjt  auf  bie  $eter3* 
infel  im  Sieler  See  bewog.  2lud)  oon  hier  burd)  bie  Serner 
Regierung  auägewiefen,  folgte  er  einer  ©inlabung  £>ume'ä  nad) 
(fttglanb,  wo  er  oon  ben  greibenfern  mit  Segeifterung  aufgenom* 
men  würbe.  Stber  fein  argmöl)mfd)e3  unb  reijbareä  ©emütt)  Der* 
trug  fidj  nia)t  lange  mit  bem  falten  (Reifte  $>ume'ä,  unb  er  Oer* 
lieg  ©nglanb,  beloben  mit  bem  Sormurf  ber  Unbanfbarfeit.  3m 
Safjre  1766  nad)  $ariä  surüdgefctjrt,  entzweite  er  fid)  mef>r  unb 
mehr  mit  Sitten,  bie  ihm  nahe  ftanben,  unb  festen  nur  bemüht, 
burd)  ein  auffattenbeS,  einfieblerifche&  Seben  bie  öffentliche  Slufmerf* 
famfeit  ju  feffcln.  $a  er  SRiemanben  eine  Serbinblichfeit  fdjulbig 
fein  wollte,  lehnte  er  bie  oon  ÖJeorg  III.  bon  (Snglanb  ihm  ange* 
botene  Unterftüfcung  ab  unb  begnügte  fidt>  mit  bem,  maS  feine  Söerfe 
it)m  eintrugen  unb  waä  er  burd)  9cotenabfchreiben  erwarb.  Seine 
lefcte  Arbeit  war  bie  Sottenbung  fetner  „Sefenntniffe",  in  welken 
er  mit  groger  Offenheit,  jebodj  nicht  ofme  burd)fd)immernbe  Selbft* 
gefälligfett  feinen  ganjen  Sebenälauf  mit  allen  feinen  Serirrungen 
fdulbert.  Sottftänbig  mit  fich  felbft  unb  mit  ber  SBelt  jerfatten, 
ftarb  er  am  3.  Quli  1778  ju  (SrmenonOitte,  wo  ü)m  ber  SJcarquiS 
oon  ÖJir arbin,  einer  feiner  befonberen  Sercfjrer,  auf  feinem  Sanb= 
fifce  ein  Slful  angeboten,  eincö  plö(jlichen  Xobeä,  nach  (Jinigen  an 
einem  Schlagflufj,  nach  2lnbern  an  ©ift,  woburdj  er  freiwillig  fei» 
nem  Seben  ein  ©nbe  gemacht. 

2öic  SRouffeau,  fo  fyattt  aud)  (£fjarle$  be  Seconbat,  Saron  be 
la  Sr&be  unb  be  9Jconte3quieu  (geb.  1689,  geft.  1755),  in 
feinen  beiben  £auotmerfen:  „lieber  bie  Urfadjcn  ber  ©röße  unb 


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$ie  franaBfifdje  Sitetatur  im  a^tjc^ntcn  ^a^unbcrt. 


beS  Verfalls  ber  föömer",  unb  „©eift  ber  ©efefce\  burch  toelcbc 
er  bic  ©taatSttuffenfchaft  jur  SieblingSbefchäftigung  feines  VolfeS 
erhob ,  bie  allgemeine  Aufmerffamfeit  auf  bie  9ttä'ngel  ber  $aat* 
liehen  SBerfjältmffe  granfreichS  gelenft;  boer)  waren  feine  93e* 
mühungen  nicht  auf  bie  Herbeiführung  einer  getoaltfamen  Umioäl= 
jung,  fonbern  nur  auf  bie  Anbahnung  ber  t»on  ihm  für  notfyroen* 
big  erachteten  ftaatlichen  Reformen  gerietet,  tuobei  ihm  bie  eng- 
lifcfjc  Verfaffung,  bie  er  roährenb  eines  jroeijäljrigen  Aufenthaltes 
in  ßonbon  jum  (Segenftanbe  eingef>enber  ©tubien  gemacht,  als 
Vorbilb  öorfchtoebte.  Auch  er  mar  als  auSgefprodjener  $eift  ein 
Verächter  beS  GThriftentlmmS ;  boct)  nahm  er  feinen  Anteil  an  ben 
offenen  Angriffen  auf  baSfelbe,  obgleich  er  in  feinen  geiftreierjen, 
mit  grofjem  VeifaH  aufgenommenen  „Lettres  persanes",  feinem 
erften  SBerfe,  morin  er  einen  Werfer  in  granfreich  reifen  unb  an 
feine  greunbe  in  ber  £eimath  berieten  läßt,  nrie  er  ben  £of  unb 
baS  93oIfr  bie  $riefter  unb  bie  (Mehrten  unb  baS  Seben  in  ben  ge- 
fettigen  Greifen  gefunben,  mit  ben  (Srgfiffen  feines  ©potteS  bie  9fte* 
Iigion  ebenforoenig  oerfchont,  als  bie  gefettfcfjaftltdjen  unb  ftaatfierjen 
Verhältniffe  feines  ßanbeS. 

3u  ben  fran$ öfifdjen  greibenfern  gehört  auch  ber  berühmte 
Sßaturforfcher  Qean  ßouiS  Seclerc,  (Uraf  oon  Vuffon  (geb.  1707, 
geft.  1788),  beffen  aus  fecr)Sunbbrei&ig  Vänben  beftehenbe  „Histoire 
naturelle,  generale  et  particuliere"  toegen  ber  unleugbaren  Vor- 
züge ber  $)arfteHung,  ber  lebhaften  unb  anfdjaulichen  ©cr)ilberangen 
unb  beS  pittoreSfen  ©tilS,  allgemeine  ©erounberung  erregte  unb  in 
ben  roeiteften  Greifen  ben  ©tnn  für  bie  9taturnriffenfdjaften  roecfter 
zugleich  aber  auch  roegen  ber  bem  SBerfe  ju  ©runbe  liegenben 
anticr)riftücr)ett  Anfdjauungen,  nach  melden  ©ort  nicht  als  ©cfjöpfer 
über  ber  9tatur  fteht,  fonbern  i  n  berfelben  als  fdjaffenbe  ®raft 
aufgebt,  biel  jur  Verbreitung  ber  f)errfd)enben  religionSfeinblid^en 
Qbeen  beigetragen  f)at. 

©egen  alle  biefe  offenen  unb  oerfteeften  geinbe  t)attc  bie  djrifU 
liehe  2Bar)rr)eit  feinen  ©chufc.  3n  bie  Afabemien  rourbe  fein  djrift* 
lieh  gefinnter  2Jcann  mehr  jugelaffen :  bie  (ractjflopäbiften  allein 
fa&en  in  benfelben  ju  (Bericht  über  äße  (£rf Meinungen  ber  treffe; 
auc^  oer  ©chulen  Rotten  fie  fidj  ooHftänbig  bemächtigt.  $>ie  öffent- 
liche Sfteimtng  unb  burch  fie  bie  äujjerft  fchtoache  Regierung  ttmrbc 
ganj  oon  ber  neuen  „Aufflärang"  beherrfcht.  Vichts  fruchteten 
mehr  bie  roarnenben  ©timmen  ber  ^ßrebiger,  bie  gehaltoollften 
©chriften  ber  fircr)Iict)cn  Apologeten,  bie  an  ben  %i)xon  gebrachten 
klagen  unb  Alarmrufe  beS  uerfammelten  ÄleruS  unb  oieler  anberer 
einfichtSooüer  9Jcanner.  Alle  ©chriften  mit  einigermaßen  fatt)o= 
Ufchem  Gepräge  würben  oon  ben  Gractjflopäbiften  unterbrfieft,  unb 
baS  Verbrennen  einzelner  ftaatS*  unb  reügionSfeinblicher  SBerfe  burch 


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494 


Portugal  unter  $ombal$  Sknoaltung. 


£enfer3f)anb  ^attc  feine  ©cbeutung.  $ie  ©ottlofigfeit  unb  bie 
tfnardjie  in  ben  ©eiftern  machte  fdjrecfenerregenbe  Sortf^ritte;  VL\u 
glaube  unb  Unftttlidjfeit  mürben  immer  allgemeiner:  —  %fki  mar 
reif  für  eine  furchtbare  Ummaljung. 


XXVIII. 

^ortugaf  unter  ^famßafs  ^crroaltung. 

(1750—1770.) 

Unter  ben  Königen  au4  bem  #aufe  ©raganja,  ba8,  wie  mir 
oben  (53b.  V.  S.  651)  gefefjen,  mit  Johann  IV.  ben  portu= 
giefifd)en  Xfyron  beftiegen,  hatte  Portugal  feine  frühere  ©ebeutfam* 
feit  nicht  nrieber  erlangt,  foubern  mar  mefjr  unb  mehr  in  ein  ab- 
hängiges 33err)altnig  ju  (£nglanb  gefommen. 

3ohann3  IV.  Sohn  unb  Nachfolger  Alfons  VI.  r  mährenb 
beffen  SJcmberjährigfeit  feine  Butter  £ouife  ©ujman  bie  Siegte* 
rung  führte,  mar  ein  geiftig  fdjmacher  Surft,  ber  fid)  fd)on  früljc 
ben  milbeften  2lu$fchroeifungen  unb  Seibenfchaften  Eingab.  Sftach- 
bem  er  im  igaljre  1662  im  Hilter  oon  neunzehn  3a^rcn  f^ne 
SJcutter  gejmungen,  üjm  bie  Regierung  &u  übergeben,  bie  er  burch 
ben  trafen  ßaftelmelhor  führen  ließ ,  mürbe  er  im  9cooember 
1667  oon  feinem  älteren  ©ruber  $ebro  gefangen  genommen  unb 
jur  ©erjichtleiftung  auf  bie  Regierung  gezwungen ,  morauf  ftdj 
N^ebro  felbft  oon  ben  jufammenberufenen  <£orte3  alä  Regent  beftä* 
tigen  lieg.  $)er  entthronte  Äönig  mürbe  als  Staatsgefangener  auf 
eine  ber  $t$oren  gebracht;  nach  einiger  &tit  gemattete  man  ihm 
jeboa)  bie  9tücf fet)r  nach  Portugal  unb  mied  ihm  ein  fleineS  £anb« 
haus  5U  Sintra ,  in  ber  9cahe  oon  Siffabon,  an,  roo  er  im  3a^re 
1683  ftarb.  (Srft  nach  feinem  Xobe  nahm  fein  ©ruber  ben  ßo* 
nigStitel  an. 

Obgleich  Spanien  in  bem  Stieben  oon  ßiffabon  (f.  ©b.  V. 
8.  656)  bie  Unabfjängigfeit  Portugals  anerfannt  ^atte ,  oermochtc 
sß  e  b  r  o  II.  nicht ,  bem  oon  ihm  beSpotifch  regierten  {Reiche  einen 
neuen  ^luffa^mung  $u  geben;  Portugal  fam  oielmehr  unter  ib,m 
immer  mehr  unter  baä  Schlepptau  ber  englischen  Sßolitif.  X)tc 
braftlianifchen  ©efifcungen ,  meiere  ben  Sßortugiefen  jum  größten 
X^cilc  oon  ben  Jpottänbern  entriffen,  unter  3ofjann  IV.  jeboch  $u* 
Tücferobert  morben  maren,  mürben  $roar  bis  jum  Sa  $Iata-Strom 
erweitert,  unb  bie  SJeiffionen  ber  Qefuiten  brangen  bis  jum  9Äa- 
rannon  oor;  bagegen  gingen  jeboch  bie  portugicfifcr)cn  ©efiftungen 
in  Dftinbien  bis  auf  ®oa  an  bie  #oflänber  Oerloren. 


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Portugal  unter  tßombaW  SScrwaltung.  495 


<ßebro  II.  ftarb  im  Qahre  1706  mährenb  beS  fpanifdjen  Crrb* 
folgefriegeS ,  an  »eifern  er  feit  bem  3af)re  1703  als  HJfttglieb  ber 
großen  OTianj  %f)til  genommen  (f.  ®.  190),  nnb  ihm  folgte  fein 
©of>n  Qo^ann  V.  (1706  —  1750),  unter  meinem  bie  Regierung 
in  bem  gewohnten  ©eletfe  fortgeführt  mürbe.  $)eä  ®önigä  ©orge 
mar  fmuptfachltch  auf  bie  Ausführung  öon  Prachtbauten  gerietet; 
auch  tmffenfchaftliche  Jöefrrebungen  fanben  bei  bem  £ofe  Unter* 
ftüfcung;  babei  ging  jebodj  bie  portugiefifd)e  8anb*  unb  ©eemadjt 
immer  mehr  ihrem  Serfalle  entgegen. 

Johanns  V.  ©of)n  unb  Nachfolger,  ber  fchtoache  unb  mottüftige 
3ofept)  (Emmanuel  I.  (1750—1777),  überließ  bie  Regierung 
gänzlich  feinem  HJcmifter  3ofe  be  Garualfjo,  ben  er  fpäter  jum 
Marquis  oon  *ßombal  erhob,  ^em  nieberen  $lbel  angehörenb, 
liatte  CSaroalho  burch  bfe  £>eirath  mit  einer  reichen  unb  oornehmen 
SBtttme  ein  bebeutenbeS  Vermögen  unb  3utrttt  bei  $ofe  erlangt; 
boch  ha*ten  ihn  bie  ^rinberniffe ,  bie  feiner  ^peiratt)  burch  mehrere 
ber  erften  gamilien  be3  Sanbefc  in  ben  2Beg  gelegt  morben ,  mit 
einem  glühenben  £>affe  gegen  ben  gejammten  höheren  Slbel  erfüllt. 
5(13  <$efanbter  in  £onbon  unb  28ien  hatte  cr  ebenfomohl  bie  ^runb- 
jä|e  ber  neuen  ©taatsmetöheit,  bie  in  ber  Sörberung  be3  materiellen 
si8ohl3  oa*  einzige  $>eil  ber  ©taaten  far),  als  auch  bie  ürchenfeinb- 
lichen  ^tnfehauungen  ber  Stuf (lärer  in  fid)  aufgenommen  unb  fudjte, 
nachbem  bie  @)unft  beS  $öntg8  ihn  als  aQgebietenben  HJcinifter  an 
bie  ©pige  ber  Sermaltung  gefteüt  hotte,  bie  im  ÄuSlanbe  gewonnenen 
Anflehten  mit  bem  fchroffften  2lbfoluti£mu8  in  ber  gänzlichen  Um* 
geftaltung  Portugals  jur  (Geltung  ju  bringen.  Sur  Hebung  be* 
gefuntenen  £>anbel$  führte  er  ba£  in  ben  meiften  ©taaten  (£uropa'3 
beliebte  Sßerbotö*  unb  3l°ang3mefen  ein ,  unterfagte ,  nrie  griebrich 
Göllheim  I.  oon  Greußen ,  bie  ©enujjung  auSlänbijcher  gabrifate 
unb  liefe ,  mie  biefer ,  $)enen ,  bie  auSlänbifcheä  Xudj  trugen ,  auf 
offener  ©traße  bie  Kleiber  Dom  ßeibe  reißen.  Ilm  ben  Sieferbau 
$u  beförbem ,  orbnete  er  bie  SluSrobung  ber  2Beinpflan$ungen  in 
ber  ^ßrooinj  Sllemtejo  an,  an  beren  ©teile  ÖJetreibefelber  angelegt 
mürben.  2Bät)renb  er  auf  biefe  SBeife  ben  (Srtrag  be&  Sobenä  be* 
beutenb  oerminberte,  richtete  er  zugleich  bie  SBeinbauer  ju  (SJrunbe, 
inbem  er  ben  ge[ammten  SBeinhanbel,  nm  bie  Sortheile  beäfelben 
ben  (Sngtänbem  ju  entziehen,  einer  Kompagnie  übertrug,  bei  roel* 
eher  er  felbft  .bettjeiligt  mar.  $em  Abel  entriß  er  im  3af)re  1753 
bura)  "ne  gemaltfame  föebuftton  ben  größten  ber  auSge* 

behnten  SBefifcungen  in  Amerifa,  welche  betreiben  in  früheren  3ei= 
ten  öon  ber  $rone  $ugettjeilt  morben,  unb  brachte  babura)  bie« 
fen  ihm  ohnehin  roenig  geneigten  ©tanb  nur  umfo  mehr  gegen 
fich  auf. 

Neben  ber  görberung  ber  materiellen  gntereffen  be«  SanbeS 


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496  Portugal  unter  ^ombalä  SBerroaltung. 


lag  bcm  SRimfter  bcfonberS  bie  Umgeftaltung  beS  UnterricfjtSroefenS 
nad)  ben  ©runbfäfcen  bcr  „Slufflärung"  am  $er$en.  3>ie  Uni- 
oerfitat  oon  Soimbra  erhielt  eine  neue  ©tnridjtung  unb  ttmrbe  burd) 
bic  §crbcijie^ung  mehrerer  auSlänbifdjer  Se&rer  in  eine  ^flanj* 
ftättc  beS  SreimaurertlmmS  ocrmanbelt;  aua?  würbe  bie  ©uerjer* 
cenfur  bei  ©eiftlidjfeit  entzogen,  $a  ben  Neuerungen  beS  9JciniftcrS 
auf  biefem  ©ebiete  befonberS  bie  3efuiten  im  Söege  ftanben,  bie 
als  $eid)toäter  am  $ofe  unb  als  tet^cx  ber  ©öfme  beS  leeren 
SlbelS  eines  fjof)en  2lnfef)enS  genoffen  unb  in  Portugal,  tüte  in 
allen  anberen  Säubern,  als  bie  eifrigften  S8crtc)ctbigcr  ber  Qntereffen 
beS  fatfmlifdjen  ©laubenS  auftraten,  umreit  fie  ber  befonbere 
©egenftanb  feinet  £affeS.  Um  ifjren  ©turj  oorjubereiten,  ber  bei 
ifjm  befdjloffcne  ©adje  mar,  fudjte  er  if)r  ^nfe^en  bura)  "ißampfjlete 
5U  untergraben  unb  üerfcfjmäfjte  fein  Littel  ber  SBerleumbung,  um 
fie  bei  bem  fd)hmdjen  ®önig  ju  oerbäcfjtigen  unb  baburd)  öom 
£ofe  51t  üerbrängen.  ©in  2lufftanb  $u  Cporto  gegen  bie  jum  auS-- 
fcfjlic&lidjen  SBeinfmnbel  berechtigte  Kompagnie  foflte  oon  ifmen  an= 
gebettelt  roovbcn  fein;  felbft  baS  furchtbare  (Srbbeben,  baS  am 
1.  ftooember  1758  faft  bie  ganje  ©tobt  ßiffabon  in  einen  Xrüm* 
nterlmufen  oertoanbelte,  unter  mcfdjem  an  breifeigtaufenb  ÜJcenfdjen 
iljr  ©rab  fanben,  füllten  fie  als  ein  SDättel  jur  Slufreijung  beS 
SSolfeS  benufct  fmben,  inbem  fie  baSfelbe  als  ein  ©trafgeridjt  ©otteS 
für  bie  Sreoel  ber  Regierung  InngcfteHt.  2lud)  ber  Oon  ben  Qefuiten 
in  ^araguau  gegrünbete  Sftufterftaat  (f.  93b.  V.  ©.  336),  üon 
meinem  ein  grofjer  Xljeil  im  3a^rc  17  50  Dur($  einen  m^  ©panien 
gefdjloffenen  Vertrag  an  Portugal  gefommen  mar,  mürbe  oon  $ombal 
als  eine  ^anbfmbe  ju  feinbltdjem  SBorgcfjen  gegen  ben  oon  it)m  fo 
fefyr  gefaßten  Orben  benufot.  9cad)bem  er  bie  ^abfudjt  beS  ®ö= 
nigS  auf  bie  angeblich  öon  ben  3cfu^eu  in  ifyren  9Jebuctioncn  an= 
gehäuften  9teid)tf)ümer  unb  bie  in  jenen  ©egenben  oermutfc)eten  be- 
beuteuben  ©olb=  unb  ©ilberminen  gelenft  fyatte,  orbnetc  er,  um  biefe 
legieren  jum  ißortfjcil  beS  ©taateS  ausbeuten  ju  fönnen,  bie  21uS* 
manberung  aller  bort  roofjnenben  Qnbianer  an,  unb  als  ftd)  bie- 
fei  ben  biejer  SJJca&regel  miberfetjten,  legte  er  ir)re  Wuflefmung  ben 
3cfuiten  $ur  Saft.  s2ludj  bcfdntlbigtc  er  biefe,  am  3Jcarannon  ein 
grojjcS,  bis  jefct  unbefannt  gebliebenes  ÜReid)  gegrünbet  ju  f)aben, 
oon  too  auS  fie  ganj  Sübamerifa  ifjrer  #errjc§aft  ju  unterwerfen 
bcabfidjtigten. 

9cad)bcm  es  ^ombal  burc^  alle  biefe  oerleumberifa^en  Anflogen 
gelungen  mar,  ben  .Honig  $um  (Srlag  eines  ^efe^lS  5U  beftimmen, 
Oer  alle  Rennten  aus  bem  föniglicb.en  ^alafte  oerbannte,  erpreßte 
er  burd)  einen  und]  9iom  gefanbten  lügnerifa^en  Bericht,  ber  ben 
gönilia^en  Verfall  beS  DrbcnS  nactjmeijen  follte,  oon  s^apft  ^ene= 
Oift  XIV.  ein  sBreüe,  bura^  meines  ber  ganj  unter  bem  föinflufc 


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Portugal  unter  $ombal§  SScrtoaltung.  497 


??ombafe  ftehenbe  ftarbinal  ©albanha  mit  bcr  SJifttQtion  bcr  portu* 
giefiföen  Drben$haufer  bcr  3efuiten  betraut  würbe.  Dfme  bie  Wtt= 
geflagten  nur  gehört  ju  ha&en,  erflärte  ©albanha  bicfelben  für  ftraf* 
bar  unb  ben  Drbeu  einer  Serbefferung  bebürftig  unb  erwirfte  bon 
bem  ^atriardjen  bon  ßiffabon  bie  ©u»penfton  ber  gefuiten  bon  bem 
Söctd^tftu^I  unb  bem  ^rebigtamt,  woburdj  i!)r  ©nflufj  in  Portugal 
gebrochen  Würbe.  3u  ihrer  gänjlichen  SBermchtung  fanb  ber  TOnifter 
balb  feinen  erwünfehten  SBortoanb. 

83ei  einer  WuSfahrt,  bie  ber  ®önig  am  3.  ©eptember  1758 
$u  nächtlicher  ©tunbe  machte,  würbe  auf  feinen  SSagen  gefdjoffen 
unb  ber  SRonard)  fetbft  leicht  berwunbet.  Obgleich  bie  ©adr)e  un= 
geheuere»  Sluffeljen  erregte,  bestrichen  mehrere  Üflonate,  efje  eine 
Umerziehung  barüber  eingeleitet  würbe.  STber  bie  töaehe  brütete 
im  ©tiflen,  um  ihre  Opfer  um  fo  fixerer  erreichen  ju  fönnen.  2lm 
13.  ^ejember  Würben  in  ber  Srütje  be»  Borgens  fämmtliche  ©tie* 
ber  ber  mit  bem  f?önig»haufe  berwanbten  unb  bem  9Jctntfter  befon» 
ber«  berha&ten  gamitie  bon  Sabora,  fowie  ber  #erjog  bon  Slbeiro 
t)tx1)a\Ut  unb  bie  Käufer  ber  ^efuiten  befefct,  unb  am  7.  Januar 
1759  erflarte  ein  au»  mettlichen  unb  geifttichen  3Jcttgliebern  jufam* 
mcngefejter  aufjerorbentficher  ©ericht»hof,  nach  einem  mit  ber  em* 
pörenbften  gormloftgfeit  unb  Ungerechtigfeit  geführten  ^roseffe,  bei 
welchem  einzelnen  STngeflagten  burdj  bie  golter  ©eftänbniffe  erpreßt 
worben,  ben  #er$og  bon  Slbeiro,  ben  STcarqui»  bon  Xabora,  fowie 
bie  ©emafjKn,  bie  beiben  ©ohne  unb  ben  Sd)Wiegerfol)n  be»  ßefcteren 
für  fchulbtg  be»  beabfichtigten  #önig»morb»,  bie  Sefuiten  aber  für 
bte  Urheber  be»  SKorbanfchtag»,  unb  berurt^eilte  bie  ©rfteren  aU 
#ochberräther  $um  2obe. 

Obgleich  biefe»  Urteil  bei  ben  meinen  Slngetfagten  nur  auf 
Mögen  Serbacht  Inn  erfolgt  war  unb  fogar  behauptet  würbe,  Sßom* 
hai  felbft  habe  jene«  näcr)tltcr)c  Sittentat  beranftatter,  um  fowohl  bie 
angejehenften  feiner  Gegner  au»  bem  hohen  Slbel,  al»  auch  bie 
3efuiten  in»  Eerberben  $u  jtürjen ,  Würben  fämmtliche  SBerurtheit* 
toi  am  13.  Januar  1759  auf  fchauertidje  SBeife  hingerietet. 
SCuf  einem  hohen,  bor  bem  (Stoffe  *u  ©etem  erbauten  ©erüfte 
würbe  juerjt  bie  SHarquife  bon  Xabora  enthauptet;  bann  Würben 
ihre  betbe  ©ohne,  tt)r  ©djwiegerfohn  unb  brei  ihrer  £au»bebten* 
ten  nach  einanber  auf  ein  eiferne»  foeu*  gelegt  unb  erbroffett  unb 
hierauf  i^re  ©ebeine  mit  beulen  aerfdjlagen,  unb  enbtich  ber  alte 
^arqut*  bon  Xabora  unb  ber  £ersog  bon  2lbeiro  tebenbig  geräbert. 
3>te  Xorfjter  be3  ßünig»,  bie  nachmalige Königin  SKaria  Sfabelta, 
gerieth  bei  bem  3ammergefa)rei  ber  ihr  fämmtlich  genau  befreun* 
öeten  Unglücfhctjen,  ba»  bi»  in  bie  Simmer  be»  fümgltcfjen  ^alafte» 
brang,  tn  eine  fo  heftige  ©emüth»6ewegungr  bag  fie  fti  niebt  mebr 
bon  ber  erlittenen  ©rfchfitterung  erholen  fonnte  unb  fpäter  in  SSahtu 

^olatoart^,  SScItgcf^.  VI.  32 

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498  Portugal  unter  $ombal3  Serroaltung. 


finn  üerficl.  SRachbem  julefct  noch  ber  ßammerbiener  beä  $cr$og3 
t>on  Stoeiro,  ber,  in  einem  SBintel  be$  ®erüfte*  an  einen  <ßfat)l  ge= 
bunben,  ben  Einrichtungen  ^attc  fcufehen  muffen,  an  feinem  Pfahle 
mitten  auf  ba3  beruft  gefegt  morben,  mürbe  baäfelbe  mit  allen 
hingerichteten  Körpern  unb  ben  gebrausten  2)cartermerrjeugen  t>er* 
brannt  unb  bie  2lfdje  in3  SReer  geworfen.  5)ie  Sßaläfte  beä  Jperaogä 
oon  $loeiro  unb  ber  gamilie  tum  Xaüora  mürben  niebergeriffen, 
ihre  GJüter  eingesogen ,  ihre  tarnen  auägelöfcht  unb  alle  ©puren 
ityreä  $afein3  tjertügt. 

28on  ben  angesagten  3efu^en  i  9*9?"  lucld^e  and)  niclit  bie 
leifefte  ©pur  eined  ©emeifeS  ber  SJtitfdmlb  fyattt  betgebracht  mer= 
ben  fönnen,  mürben  brei,  unter  ilmen  ber  ameiunbfiebjigjätjrige,  im 
Stufe  ber  #eiligfeit  ftehenbe  $ater  SMagriba,  burd)  baS  3nqui= 
fitionägericfjt,  meinem  ^ombal  in  feinem  ©ruber  einen  neuen  9&räfb 
benten  gegeben  ^atte,  als  Sefcer  jum  Xobe  oerurtheilt  unb  am 
20.  ©eptember  1761  öffentlich  Eingerichtet. 

©erpn  oorher,  am  3.  ©eptember  1759,  mar  ein  kehret  er- 
Iaffen  morben ,  burch  meines  ber  Drben  ber  ©ejeüfchaft  Qefu  in 
allen  Sänbern  ber  portugiefifchen  Ärone  aufgehoben  unb  bie  @in^ 
jiehung  feiner  fämmtlichen  ©üter  für  ben  ©taat  öerfügt  mürbe. 
s2lüe  in  Portugal  anmefenben  ©lieber  beS  DrbenS  mürben,  mit  2IuS= 
nähme  ber  (befangenen,  ju  ©chiffe  gebracht  unb  an  ber  ßüfte  be* 
ftirchenftaateS  „als  ein  ©eferjenf  für  ben  h^ttgen  $etruS\  mie 
^ßombal  höhntfeh  bemerfte,  an*  ßanb  gefejjt.  Von  ben  hunberroier* 
unbiman^ig  (befangenen  mürben  fechäunbbrei&ig  fpäter  gleichfalls 
nach  3tali*n  9*brad)t ;  fiebenunbbrei&ig  ftarben  hochbetagt  im  Äerfer ; 
bie  übrigen  erhielten  nach  bem  ©turje  ^ombals  bie  greitjeit  jurücf. 

Söte  ^ombal  fchon  bei  feinem  Verfahren  gegen  bie  Scfuiten 
ade  SBorfteÜungen  unb  (Ermahnungen  bes  ^ßapfteS  Siemens  XIII. 
ooQftänbig  unberüeffichtigt  lieg ,  fo  feinen  er  es  auch  111  anberen 
Beziehungen  förmlich  barauf  anzulegen ,  ihn  ju  tränten ,  um  eine 
Skranlaffung  ju  finben,  Portugal  gänjlich  bem  (Sinflufe  beä  päpft* 
liehen  ©tuhleS  ju  entreißen.  SBon  ber  burch  ocn  TOinifter  beran^ 
ftalteten  Vermählung  ber  Snfantin  SWaria  Sfa&eua,  ber  @rbin  beS 
portugiefifchen  X\)xon&,  mit  ihrem  betagten  Oheim  3)on  ^ebro  er- 
hielt  unter  allen  fremben  ©efanbten  ber  päpftliche  9iuntiu$  allein 
leine  2ln$eige,  unb  als  er  in  golge  beffen  an  ber  $ur  geier  berfelben 
ueranftalteten  S^nmination  teinen  ^ntljctl  nahm,  erflärte  ^ombal 
bieS  für  eine  fehlere  SBeleibigung  beS  portugiefifchen  $>ofe* ,  lieg 
ben  Nuntius  unter  militärifcher  (EScorte  an  bie  fpanifche  ©renjc 
bringen  unb  hob  bie  Nuntiatur  auf.  vJiudj  mürben  mit  bem  portu 
giefifchen  ©ejanbten  in  'Horn  alle  bort  lebenben  $ortugiefen  jurüd 
berufen ,  unb  bie  in  Portugal  lebenben  Untertanen  beS  ^ßapfteS 
erhielten  ©efehl  ,  fofort  baS  fianb  ju  oerlaffen.   <£rft  unter  (£le= 


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Portugal  unter  ^om&al*  93erroaltung.  499 


menä'  XIII.  9iadjf olger,  Siemen«  XIV.,  würbe  ber  SBerfef)r  jtt)t- 
fdjen  Portugal  unb  bem  römifdjen  Stufjle  mieber  ^ergeftettt. 

$a  Combat  in  {einem  (£ifer  für  bie  inneren  m Reformen"  bie 
bewaffnete  üftaajt  öollftänbtg  öernadjläffigt  hatte,  braute  ber  ftrieg, 
in  Welmen  ^ortugal  im  3af)re  1762  al3  23unbeSgenoffe  (Snglanb« 
mit  granfreid)  unb  Spanien  öerwicfelt  mürbe  (f.  S.  460),  ba8 
Sanb  in  bie  äu&erfte  ©efahr,  unb  nur  ber  Umfidjt  unb  bem  tyx- 
öorragenben  3elbherrntalent  be3  trafen  öon  ßippe^ücfeburg  f  ben 
G£nglanb  ben  Sßortugtefen  als  güf)rer  gefanbt,  hatte  e3  feine  Rettung 
au*  berfelben  $u  öerbanten.  tiefer  ftrteg  gab  bem  ÜKinifter  93er* 
anlaffung,  aud)  bem  fceermefen  feine  Sorge  au$uwenben,  woburd) 
baSfelbe  unter  ber  SKitwirfung  beS  trafen  öon  ßippe-öuefeburg 
auf  einen  befferen  3u&  gebracht  mürbe. 

^ombalä  <Sa^re(fenÄ^err[a)aft  enbete  mit  bem  lobe  be3  fdjma* 
djen,  öon  if>m  geleiteten  #önig&.  2)te  ^nfantin  2Raria  3}abeUa, 
bie  ihrem  93ater  auf  bem  Xfjron  folgte,  begann  ihre  Regierung  mit 
s4$ombal3  (Entlaffung  unb  ber  Anorbnung  einer  föeöifton  be3  $ro- 
jeffeS  ber  angeblichen  ftönigSmörber.  ftaajbem  baä  über  biefclben 
gebrochene  unb  in  fo  grauenerregenber  SBeife  jur  SMftredung  ge* 
braute  Urteil  für  ungerecht  unb  ungiltig  erflärt ,  ba*  Anbenfen 
ber  beiben  gamilien  Aöeiro  unb  Xaöora  ^ergefteflt  unb  bereu  einge* 
5ogene3  Vermögen  ihren  93erwanbten  jurüdgegeben  worben  mar,  würbe 
^ombal  felbft  wegen  feiner  Amtsführung  jur  töed)enfa)aft  gebogen 
unb  öon  bem  jur  Unterfudmng  berfelben  eingefejten  ®erid)t£bofe 
für  fdjulbig  befunben;  bod>  mürbe  ihm  bie  „ejemplarifche  Strafe", 
bie  er  nach  bem  Ausbruch  ber  dichter  öerwtrft  hatte,  mit  ttütfftcht 
auf  fein  hohe*  Alter  erlaffen.  (Er  blieb  im  ©efi&e  feiner  fteöenüen 
unb  ftarb  1783,  im  Alter  öon  öierunbaa)t$ig  3a^ren. 

Xrofc  ber  be£potifa)en  SBiHfür  unb  #ärte,  womit  Sßombal  über 
Portugal  fa)altete  —  bei  feinem  Sturje  fanben  ftd)  in  ben  Werfern 
be*  Sanbe*  gegen  jefmtaufenb  StaatSöerbrecher  —  mürbe  er  öon 
ben  SBortführern  ber  Aufflärung  unb  ihren  Anhängern,  befonber* 
in  granfreia),  al*  ein  Sreunb  ber  9flenjchf)eit  gepriejen,  unb  er  felbft 
mar  öerblenbet  genug,  fid)  in  einer  Schrift,  in  welker  er  naa)  fei* 
nem  Sturje  feine  Verwaltung  ju  öert^eibigen  fudjte,  bem  berühm- 
ten Su£ty  an  bie  Seite  $u  fteUen ;  für  Portugal  jeboch  fyat  bie  öon 
ihm  auögeftreute  Saat  leine  anberen  Srüdjte  getragen ,  als  93er» 
wirrung  ber  Anfielen  unb  ftttlia)e  Auflösung. 


32  * 

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500 


Spanien  unter  $ari  III. 


XXIX. 

Spanien  unter  S t  a  r  f  III. 

(1759-1788.) 

#arl  III.,  ber  frühere  ®önig  oon  Neapel,  ber  im  3o^rc 
1759  feinem  finberlofen ,  im  SBafmftnn  geftorbenen  |>albbruber 
Serbinonb  VI.  auf  bem  fpanifdjen  Xfjxont  gefolgt  mar,  hatte  fdjon 
in  Neapel  bie  ÖJrunbfäfce  ber  StaatSmeiSheit  beä  Sarjrfmnberte  in 
ftdj  aufgenommen  unb  fucfjte  bie  benfelben  entfpredjenben  „Reformen" 
auch  in  Spanien  einzuführen;  bod)  nmrbe  babei  ungleich  meniger 
geroalttbätig  ju  SBerfe  gegangen,  al3  bieä  in  Portugal  burdi  Com- 
bat gcfrfiarj.  3)e8  ®önig3  näc^ftc  Sorge  mar  Darauf  gerietet,  feine 
(Sinfünfte  au§  ben  fpanifcfjeu  ©efifcungen  in  Omenta  ju  erhöhen; 
bie  (Einrichtungen,  bie  $u  biefem  «ßmeefe  in  benfelben  getroffen  rour^ 
ben,  ftie&en  jeboef),  bejonberS  in  Duito,  auf  einen  fo  bebenflidjen 
Sßtberftanb,  ba&  bie  Regierung  aus  ©eforgniß  oor  bem  gänzlichen 
Slbfatt  biefer  fiänber  bie  beabfichttgten  Neuerungen  aufgab. 

3n  Spanten  felbft  fafj  man  e3  mit  Necht  ungern,  baß  ber 
$öntg  bie  oberfte  Seitung  ber  Staatsangelegenheiten  einem  NeapolU 
taner,  bem  9Jcard)efe  Squillace,  einem  Parteigänger  ber  jreU 
maurer,  übertrug.  £ie  Abneigung  ber  ©panier  gegen  biefen  $lu£= 
länber  fteigerte  fieh  jum  auSgefprodjenen  $affe,  als  berfelbe  im 
(£ifer  bc£  NeformtrenS  auch  folche  Serfügungen  traf,  bie  tfjetU  brücfenb 
unb  läftig  roaren,  theils  bie  ©emohnheiten  be$  SBolfeS  oerlefoten,  mie 
bie  Uebertragung  ber  Sterforgung  öon  Sttabrib  mit  ben  nothtoenbig* 
ften  ficbenSbebürfniffen  an  eine  Kompagnie ,  rooburch  eine  erhebliche 
Steigerung  ber  greife  herbeigeführt  nmrbe ,  unb  ba$  Verbot  beS 
Fragens  langer  Mäntel  unb  breitfrämpiger  ^mte,  toorin  ber  9Jcrnifter 
eine  Ötefährbung  ber  öffentlichen  Sicherheit  fah,  toeil  bie  breiten 
Stümpen  ba£  (SJeficht  oerbeeften  unb  unter  ben  langen  Banteln  leicht 
SSaffen  oerfteeft  roerben  fönnten. 

Sil«  am  23.  SDiärj  1766  ein  junger  Sftenfch,  ber  im  langen  * 
Hantel  unb  mit  niebergeftapptem  .\>ut  an  bem  föntglidtjen  ^ßalafte 
öorüberging,  oon  ber  SHadje  feftgehalten  mürbe,  fam  e$  ju  einem 
SSolfSaufftanb,  ber  fo  broheube  Proportionen  annahm,  ba&  ber  ®ö* 
nig  fid)  ju  förmlichen  Unterhanblungen  mit  ben  Slufrührern  ge= 
jmungen  faf).  Nur  buref)  bie  (Sntlaffung  be£  SttarqitiS  oon  Squtl* 
lace  unb  burch  bie  3liröcfna^me  ber  mifjliebtgften  feiner  Skrorb= 
nungen  fonnte  bie  Nuhe  hergeftellt  merben, 

(£ine  Solge  biefcS  x2lufruhrd  roar  ber  Sturz  ber  Qfefuitcn,  bie 
$arl  III.  bis  bal)tu  gegen  alle  SInfetnbuugen  in  Sd)ufc  genommen. 
S)er  Nachfolger  beä  entlaffenen  3JlinifterS,  ber  ®raf  oon  Slranba, 


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(Spanien  unter  ßart  III 


501 


ein  unoerföfmlicher  ©egner  beS  DrbenS,  ftcllte  nämlich,  im  herein 
mit  anbern  Seinben  ber  Kirche ,  bem  König  bte  3efuiten  als  bie 
Sfnftifter  beS  STufruhrS  bor  unb  bemog  ir)n  forootjC  baburd),  als 
buref)  bie  Süge  öon  einer  groften ,  angeblich  oon  ihnen  angeftif* 
teten,  auf  ben  Umfturj  beS  X^roneS  abjietenben  ^erfärnörung,  am 
2.  Sfpril  1767  ein  GSbift  $u  unterzeichnen,  burd)  meldjeS  ber 
Qefuitenorben  auch  in  Spanien  aufgehoben  unb  bie  Verbannung  ber 
3cfuiten  aus  ben  fpanifrfjen  Territorien  „auf  einige  Scttcu11,  foroie 
bie  Konfiskation  aller  ir)rer  Öüter  üerfügt  mürbe.  9coct)  e^e  biefeS 
<£bift  befannt  gegeben  mar ,  mürben  bie  Qefuiten  $u  nächtlicher 
©tunbe  in  ihren  Käufern  überfallen  unb  ofme  jebmebe  SRücfficht 
auf  Kranfhett  ober  ©ebredjlidjfeit  an  bie  ©eefüfte  gebracht,  um  in 
ben  oerfdjicbenen  £>äfen  nach  bem  Kirchenftaate  eingefchtfft  ju  mer* 
ben.  Sitte  93orftettungen  unb  ^rotefte  beS  ^ßapfteö  gegen  btefcS 
Verfahren,  beffen  (Srünbe  Karl  III.  „in  feiner  königlichen  ©ruft 
unentbeeft  zurückhalten  ju  motten"  erftarte  ,  blieben  mirfungS* 
loS:  ben  3efuiten  mürbe  bie  fRü(ffet)r  nach  Spanien  bei  XobeS= 
ftrafe  tierboten. 

2ßie  fein  Vorgänger ,  fo  fucfjte  auch  Slranba  ©panien  burdj 
bie  (Einführung  ber  oon  bem  ßeitgeifte  geforberten  Neuerungen 
^u  Verjüngen;  feine  Reformen  ließen  jeboch  in  biefem  Sanbe, 
mit  2luSnac)me  einzelner ,  für  ben  ^Bergbau  unb  anbere  Kultur^ 
aroeige  eingeführten  Verbefferungen  unb  ber  SBefdjräufung  ber  ®e* 
richtsbarfeit  ber  Qnquifition,  ebenfomenig  bauernbe  Spuren  zurück, 
als  bie  feines  GJefinnungSgenoffen  ^ßombal  in  Portugal,  $er  burd) 
feine  gemaltthätigen  (Eingriffe  in  bte  kirchlichen  ^Öer^ältniffe  er= 
regte  linnritte  ber  ©panier  führte  im  Qafjre  1773  feine  (Entfernung 
ton  bem  SJcinifterium  t)erbei,  morauf  er  als  ®efanbter  nach  s.ßariS 
ging. 

Unter  Slranba'S  Verwaltung  fefcte  fich  $)on  $abto  Dlaüibe, 
ber  if)m  als  Mitarbeiter  jur  ©eite  ftanb,  burch  bie  Anlage  beut* 
fcher  unb  fchnjeijerifcher  Kolonien  auf  ber  menfdjenleeren  ©ierra 
2ttorena  ein  bleibenbeS  Denkmal,  mobei  er  jeboch  burch  bie  befon= 
bere  Vcgünftigung  ber  ^roteftanten  große  Unzufriebenheit  fytxvox* 
rief,  ©ein  offener  VoltairianiSmuS  braute  ihn  in  Konflikt  mit  ber 
3nquifition  ,  bie  it)n  im  3af)re  1776  öerhaften  lieg  unb  ifjn  ju 
achtjähriger  ©efangenfehaft  öerurtfjeüte.  2ÜS  ihm  ber  König  im 
Qahre  1780  eine  Steife  nach  Katalonien  jum  (Gebrauch  ber  bor= 
tigen  ©aber  geftattet  t)atte  f  entfloh  er  nach  Sranrreich.  $urd)  bie 
franjöfifche  9teooIution  über  bie  Konfequenzen  feiner  religiöfen  unb 
politischen  ©runbfäjje  betehrt,  miberrief  er  Öffentlich  feine  früheren 
Stnfkhten  unb  erhielt  in  ftolge  beffen  im  3ahrr  1796  bie  (Srtaub» 
ni&  jur  Rückkehr  nach  TOabrtb,  mo  er  im  Qahre  1803  ftarb. 

Söäfjrenb  Slranba  feine  Stetigkeit  mehr  ben  inneren  2lnge* 

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502     %ta\\tn  in  ber  jweiten  #älfte  be«  adjtjehnten  Sahrfjunbert«. 

legenheiten  ©panien«  jugemanbt  fyattt,  fudjte  fein  Nachfolger,  ber 
neapolitanifche  SRatchefe  ©  r  t  m  a  l b  i ,  Spaniens  9(nfc^en  natf} 
klugen  ju  heben,  inbem  er  im  %ofyxt  1745  eine  (Sjpebition  gegen 
Algier  ueranftattete ,  bie  jebod)  trofc  ber  bebeutenben,  baju  au3ge= 
rüfteten  Kriegsmacht  —  ftebenunbfed)3ic}  größere  unb  tteinere  ©d)iffe 
unb  ein  #eer  Don  fech3unb$man$igtaufenb  3Wann  —  nichts  &nbcre& 
jur  gotge  fjatte,  als  ben  SBerluft  oon  ffinftaufenb  SRenfc&enleben. 
Gin  toegen  ber  Kolonie  ©an  ©agramento  mit  Portugal  entftanbener 
Stieg  mürbe  im  3a^re  1778  unter  ©rimalbi'Ä  SRachfofger,  bem 
(trafen  31oriba©lanca,  burch  ben  ^rieben  oon  $arbo  beenbigt, 
in  meinem  Portugal  ©an  ©agramento  gegen  ein  (Gebiet  an  ber 
©ren$e  oon  SBraftlien  an  ©panien  abtrat.  93on  ber  ©etheüigung; 
©panien«  an  bem  norbamerifanifdjen  SreiheitStriege,  ju  meinem  e$ 
burd)  ben  bourbonifdjen  Samilienoertrag  gejtoungen  mürbe,  merben 
mir  fpäter  fjören.  SRadjbem  biefer  Krieg  im  %a1)xt  1783  burch  ben 
grieben  öon  SBerfaiHeS  beenbet  morben  ,  fefcte  ber  ©raf  (£  a  m  p  o  * 
m  a  n  e  i,  ber  legte  ÜJftnifter  Karls  III.,  bie  oon  feinen  Vorgängern 
begonnenen  Reformen  mit  Umfielt  unb  ©efdjicf  fort  unb  fudjte  in$= 
beionbere  burd)  Srfparniffe  in  ber  ©taatSoermattung  ben  burch  ben 
Krieg  jerrütteteu  ginanjen  aufzuhelfen. 

Karf  III.  ftarb  im  Qahre  1788  unb  f)tnterüe&  ben  X^ron 
feinem  ©olme  Karl  IV.  (1788—1808.) 

XXX. 

statten  in  ber  jroetfen  MtfU  bes  achtzehnten  3*0*- 

{htnbert*. 

Neapel,  $arma,  SoSIana  unb  Sarbimen. 

TO  König  Statt  III.  burcr)  ben  $ob  feine«  finberlofen  £alb; 
bruberS  gerbinanb  VI.  auf  ben  fpanifcfjen  Ifyxon  berufen  mürbe, 
übergab  er  baS  Königreich  beiber  ©icilien  feinem  britten  ©ohne, 
bem  a^tjä^rigen  gerbinanb,  ba  fein  ältefter  ©ofm  blöbfinnig 
unb  fein  $rociter  ©ofm  Karf  präfumtioer  Thronerbe  oon  ©panien 
mar,  baS  traft  eine«  öon  ihm  erlaffencn  SReidjSgefefceS  nie  mit 
Neapel  unter  einem  ©cepter  bereinigt  merben  foßte ;  boef)  behielt  er 
fid)  eine  2lrt  SBormunbfdwft  über  ben  jungen  König  oor.  £ie 
SRegierungSangelegenheiten  leitete  mä^renb  ber  Sflinb  er  jährigfett 
gerbinanbS  IV.,  ber  oon  1759—1825  bie  neapolitanifche  Krone 
trug,  ber  9Warcf)cfc  Xanucci,  ber  fct)on  Karl  III.  als  Sttmifter 
Sur  ©eite  geftonben  unb  bie  ©runbfäfce  ber  neuen  ©taatStoetSheit 
in  ber  Regierung  Neapel«  jur  ©eltung  gebraut  hatte. 


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9?eapcl,  <ßarma,  XoSfana  unb  Sarbmien. 


503 


3tt  93ejug  auf  bie  Qefuiteu  folgte  Xanucci,  ber  audj  über  bie 
OTnberjäfjrigfeit  beS  Königs  fjinauS  btc  ocr  Regierung  in 

imnbcn  behielt,  ba  gerbinanb  IV.  in  golge  feiner  gan^lid)  oernadj* 
läffigten  ©rjie^ung  jur  perfönlicften  Seitung  ber  ©efdjäfte  burdjauS 
unfähig  fear  unb  foum  für  ctroaS  2(nbereS  ©tun  l)attc ,  als  für 
3agb  unb  5ifd)fang,  bem  Vorgänge  ©panienS.  Qn  ber  %lad)t  jum 
21.  9ioüember  1776  mürben  bie  Qefuitenfollegien  gemaltfam  ge= 
öffnet  unb  fämmttidje  ©lieber  beS  DrbenS  burd)  fönigtidje  Beamte 
mit  Sftilitärgemalt  nad)  ben  ©eef)äfen  gebracht ,  um  gleichfalls  auf 
Kriegs  Riffen  nad)  ber  ®üfte  beS  ^trct)enftaateö  geführt  unb  bort 
anS  Sanb  gefegt  $u  merben.  3)ie  SSorfteHungen  beS  <ßapfteS  fanben 
bei  bem  neapolitanifdjen  £ofc  eben  fo  mentg  ®ef)Ör,  als  bei  bem 
oon  Sftabrib.  $ie  ©emalttfjatigfeiten  beS  ÜttinifterS  befdjränften 
fidj  ntd)t  auf  bie  SluSmeifung  ber  Qefuiten,  fonbem  beljnten  fid)  auf 
bie  gefammte  firdjfidje  Drbnung  unb  QuriSbiftion  aus ,  beren  gän$- 
lidje  3erPör"nfl  Da*  Siel  feines  ©trebenS  mar. 

9cad)bem  gerbinanb  IV.  fein  adjtjef)nteS  3a^r  erreicht  ljatte, 
mürbe  er  mit  ber  (Sr^er jogin  2)J  a  r  i  a  Carolina,  ber  jroeit= 
jüngften  Xodjter  SJcaria  Xf)erefia'S,  öermäfjlt,  bie  balb  einen  be= 
beutenben  (Sinfluß  auf  bie  Regierung  erlangte.  Stadlern  fie  im 
Qatyre  1776  einen  Xljronerbeu  geboren,  erhielt  fie,  ben  ©ripu= 
lationen  i^reS  (5f)eoertragS  gemäß,  ©ifc  unb  ©timme  im  ©taats* 
ratlje,  motauf  Sanucci,  ber  fid)  öergebenS  bemüht  fjatte,  ifjrem 
Uebcrgeroid)t  bie  Söagfdmle  ju  galten,  entlaffen  mürbe. 

ianucci'S  9cad)folger  mar  ber  SDtardjefe  ©ambuca  aus  $a* 
lermo ;  bodj  mürbe  berfelbe  balb  burd)  ben  (Snglänber  21  c  t  o  n 
öerbrängt,  ber  aus  beut  ©eebienfte  beS  ©rof^erjogS  oon  XoSfana 
in  ncapolitanifdje  $>ienfte  gejogen  morben ,  um  baS  für  baS  $önig= 
reid)  fo  mistige  ©eemefen  neu  ju  organiftren,  unb  fid)  ba«  SB«* 
trauen  ber  Königin  in  fo  Kobern  ®rabe  erroarb,  baß  er  bie  ©eele 
ber  ^Regierung  mürbe.  Unter  feinem  Otegimente  naljm  bie  äußere 
^ßolitif  eine  unfreunblidje  Haltung  gegen  ©panien  unb  Sranfreid) 
an,  um  fid)  mefjr  auf  bie  ©eite  dnglanbS  unb  DefterreidjS  511  nei* 
gen;  in  ber  inneren  Sßermaltung,  bie  im  (Reifte  innucci'S  fortge* 
fufjrt  mürbe,  trat  baS  ©treben  nad)  ber  ^erftetlung  eines  ©taatS= 
firdjentfjumS  immer  entfd)icbcner  ju  Sage.  S3ei  Strafe  ber  33er* 
bannung  mürbe  für  jeben  SRefurS  nad)  9iom  bie  ©infjolung  ber  fönig= 
liefen  @rlaubni&  oorgefdprieben ,  unb  bie  SInfprücfje  beS  §ofeS  auf 
bie  SBerleifjung  ber  SöiStfjümcr  unb  polieren  ©eneficien  gingen  fo 
meit,  baß  ^apft  $iuS  VI.  fie  lieber  erlebigt  ließ,  fo  baß  im  3af)re 
1784  über  breifeig  $8ifd)ofSftül)le  unbefefct  maren.  ©ogar  bie  alte, 
oon  *ßapft  £eo  IX.  im  elften  Qafjrfjunbert  über  bie  Normannen  er= 
morbene  unb  oon  Siemens  III.  bei  Ueberrraguug  beS  Königreichs 
Neapel  an  baS  £auS  3Tnjou  erneuerte  £cr)cn^oberr)errIicr)feit  beS 


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504      Italien  in  bcr  ^loeiten  $älftc  beä  achtzehnten  3ahrlmnbert§. 

apoftolifdjen  ©tuhleä,  als  bereit  Reichen  bie  Könige  oon  Neapel 
am  ©t.  SßeterStage  bem  $apfte  einen  toeijjen  Qtlttx  unb  eine 
©umme  öon  fiebentaufenb  ÖJolbthalern  überfanbten,  mürbe  oom 
neapotttanifdjen  $ofe  nicht  mehr  berüefftc^tigt.  3m  3a^re  1788  er* 
flärtc  berfelbe  bem  päpfttic^en  ©tuhle,  er  roerbe  jtoar  fortfahren, 
bie  übliche  ©umme  aU  ein  fretnnlligeS  Opfer  feiner  grömmigfeit 
unb  STnbacht  gegen  bie  ^Ipoftel  ^ßetruS  unb  v$aulu3  an  bie  apofto= 
lifdje  Cammer  jaulen  laffen,  ben  Setter  jebodj  nicht  mehr  über= 
fenben. 

$en  Maßregeln  ber  übrigen  bourbonifchen  §öfe  gegen  ben 
3efuitenorben  fajloß  fich  auch  ber  junge  $erjog  gerbinanb  öon 
$arma  unb  ^iaeenja  an,  ber  im  3a^re  1765  feinem  $ater 
bem  fpanifdjen  3nfanten  ^P^iltpp,  in  ber  Regierung  gefolgt  roar 
unb  für  ben  ber  granjofe  b  u  X  i  II  o  t  bie  ©taatSgefchäfte  leitete. 
2luch  er  erlieg  ein  58erbannung3befret  gegen  bie  3efuitcn»  oic  9Cs 
toaltfam  aus  bem  Sanbe  oertrieben  tourben.  3>a  er  zugleich  ju  ben 
fdt)on  üon  feinem  SSater  getroffenen  ftrehenfeinblichen  Serorbnungen 
neue  fügte,  burefj  melche  bie  9luffid)t  über  ba3  ftirchenroefen  weit* 
liehen  SBehörben  übertragen,  Jßermachtniffe  an  Kirchen  unb  Ätöfter 
unterfagt  ober  befdjränft,  bie  9tecurfe  nad)  föom  aufgehoben,  ju 
getftigen  ^frünben  nur  Eingeborene  für  fähig  erflärt,  pdpftlicrje 
öuüen,  Treben,  Sleffripte  unb  3nbulben  bon  ber  (anbe^^errliajen 
Genehmigung  abhängig  gemalt  mürben,  erließ  Siemens  XIII.,  ber 
fich  nicht  nur  als  ^ßapft,  fonbern  auch  als  DberlehenSherr  in  \tu 
nen  fechten  berlefct  fat),  gegen  ben  |>er$og  ein  3flomtorium,  gegen 
meines  fich  fofort  jämmtliche  bourbonifchen  |>öfe  erhoben,  inbem 
fie  nic^t  nur  beffen  3urücfnahme,  fonbern  auch  bie  ^Inerfennung 
ber  ©ouoeränität  beS  £>erjogthumS  Marina  unb  bie  Aufhebung  beS 
3efuitenorbenS  gebieterifch  oerlangten.  Um  btefen  Sorberungen 
größeren  9ka)brucf  $u  üerleihen,  lieg  granfreich  Slbignon  unb  iöe* 
naiffin,  unb  Neapel  bie  ©nclaöen  SBeneüent  unb  $onte  Sorbo  bc^ 
fefcen.  Siemens  XIII.  nahm  alle  biefe  «ebrängniffe  mit  ber  un- 
crichütterlichften  ©tanbhafttgfcit  hin  unb  begnügte  fich  bamit,  öffent- 
liche ÖJcbete  für  bie  äirdje  anjuorbnen.  £er  fpantfehe  §of  fuchte 
auch  oie  ftaiferin  9Jcaria  Xherefia  ju  gemeiuiamem  feinblichen 
Vorgehen  gegen  ben  apoftolifchen  ©tuht  ju  gewinnen;  fie  lehnte 
jeboch  bie  Sinmifchung  in  biefe  „©taatSfachen"  mit  ber  Srflärung 
ab:  fte  habe  feineu  ©runb,  bie  Unterbrücfung  ber  3efuiten  ju  for* 
bem  unb  ben  s4$apft  gemeinfam  mit  ben  ©ourbonen  ju  bebrangen. 
Srft  nach  Siemen*'  XIII.  Xobe  rourbe  ber  ©treit  mit  <ßarma  burdj 
(Siemens  XIV.  beigelegt. 

3n  SoSfana  regierte  feit  bem  lobe  granj'  I.  (1765)  beffen 
Stociter  ©ohn  <ß  e  t  e  r  Scopol b.  ©eine  Xh™nbefteigung  mar  üon 
feinen  Untertanen  mit  umfo  lebhafterer  greube  begrüßt  morben, 


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Neapel,  Sßarma,  £o«fana  unb  ©arbmien. 


505 


al«  fte  burdj  btefelbe  mieber  einen  in  ihrer  2fiitte  refibirenben 
gürften  erhielten.  $)er  neue  (Broßherftog  traf  in  ber  SBertoaltung 
feines  ßanbe«  mehrere  treffliche  Einrichtungen:  er  reformirte  ba« 
©erichtömefen  burdj  bie  Aufhebung  pribilegirter  ©ericht«ftetten  unb 
burdj  bie  STbfchaffung  mancher  TOßbräuche  in  ber  Rechtspflege,  fo* 
tt)ie  burch  flflilberung  ber  ©trafgefefce,  §ob  ben  Stcferbau  burch  9^ 
eignete  Stfaßregeln  gum  befferen  Stnbou  be«  93oben«,  bie  ^nbuftrie 
burd)  bie  Abschaffung  befäränfenber  $emmniffe,  erleichterte  ben 
SBerfefjr  burch  neue  ®ommunifation«mittel  unb  fuchte  feine  Unter* 
tbanen  an  größere  $hätigfeit  unb  erhöhten  Shmftfleiß  gewönnen, 
dagegen  folgte  er  in  93e*ug  auf  bie  firc^ttc^cn  SÖerhältniffe  gan* 
ber  firchenfeinblichen  Seüffrüntung,  obgleich  er  bei  feinen  bic«be* 
täglichen  Neuerungen  mit  größerer  SBorftdjt  ju  SBerfe  ging,  al«  fein 
©ruber  Sofeph  O.  Rachbem  er  bereit«  feit  bem  3ahre  1780 
mehrere  fogenannten  Reformen  eingeführt,  bie  ebenfooiele  Eingriffe  in 
bie  fechte  ber  Kirche  tuaren,  lieg  er  im  Söhre  1786  feinen  ©ifehöfen 
einen  au«  fiebenunbfünfjig  Wrtifeln  beftehenben  „Reformplan"  jur 
Prüfung  unb  Annahme  unterbreiten,  ber  ganj  auf  janfeniftifchen 
2(nfcf)auungen  beruhte.  $ie  meiften  oberfjirtlichen  Gutachten  fpradjen 
ftch  mit  aller  Entfdjiebenheit  gegen  bie  beabfichtigten  „Reformen"  au«; 
nur  brei  Sifchöfe  erfldrten  ftch  für  biefelben :  bennoch  hoffte  öeopolb, 
feinen  $tan  mit  §ilfe  be«  ganj  auf  feiner  Seite  ftehenben  SBtfdjof« 
©eipio  9t  i  c  c  i  öon  Sßiftoja  unb  $rato  ju  oernrirflichen,  ber  fchon  in 
feiner  Qugenb  für  ben  3anfeni«mu«  gewonnen  roorben  mar. 

Ricci  berief  im  Qahre  1786  eine  ^iöjefanfönobe  nach  ^iftoja, 
unb  ber  antifirchliche  ©eift,  ber  in  ihren  SBerorbnungen  gu  Sage  trat, 
fdjien  bem  (Sroßberjog  ba«  (Mingen  feine«  ^lane«  ju  öerbürgeu.  Er 
öerfammelte  im  Qaljre  1787  feine  fämmtlichen  Sifdjöfe  in  Slorenj, 
um  mit  ihnen  bie  Abhaltung  einer  Rationatftmobe  jum  ber 
Einführung  feiner  Reformen  ju  oercinbaren ;  aber  auch  jefct  fchei* 
terte  fein  Reformprojeft  an  bem  firchüchen  ©inne  be«  to«fanifcben 
Epi«fopat«.  ßeopolb  enttiefe  bie  SSerfammlung  mit  bem  v2lu«brucf 
feine«  Mißfallen«  unb  begann  nun  feine  Reformen  eigenmächtig  ein- 
zuführen.  2)urch  biefe«  Verfahren  untergrub  er  jeboet)  bie  Zuneigung, 
mit  welcher  bie  Xo«faner  ihm  bei  feinem  Regierungsantritt  entgegen 
gefommen,  fo  üoflftänbig,  baß  man  froh  t°a*»  a^  er  m  3ahre  17 90 
bei  bem  Xobe  feine«  33ruber«  Sofeph  II.  ba«  (Sroßherjogthum  feinem 
jmeiten  ©ohne  Serbinanb  übergab,  um  fclbft  bie  Regierung  ber 
öfterretchifchen  Erblänber  $u  übernehmen,  (Degen  Ricci  mar  bie 
Erbitterung  fo  groß,  baß  er  ftch  nach  ocr  Greife  fieopolb«  ge* 
nöthtgt  fah,  feine  ©teile  nieberjulegen. 

SBeit  weniger  firchenfeinblich,  al«  bie  bourbonifchen  |>öfe  unb 
ber  ©roßherjog  oon  $o«fana,  geigte  fich  ber  $önig  Victor 
Slmabeu«  II.  üon  ©arbiuien  (1773—1796),  ber  ©ohn  unb 


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506     Stalten  in  bcr  $roetten  §älfte  M  achtzehnten  gahrfumbert«. 

Nachfolger  ßarl  Immanuel«,  obgleich  auch  er  in  feinem  (Gebiete 
Mieles  ttriHfürftch  orbnete.  $er  ftauptgegenftanb  feiner  Regenten* 
tfjätigfeit  mar  ba«  £>cem>efen,  ba«  er  ganj  nach  bem  SJtufter  be« 
preußifchen  einrichtete.  Obgleich  felbft  nicht  ohne  miffenfchaftliche 
93tlbung  unb  im  (Sanken  gegen  bie  (Mehrten  feine«  Öanbe«  freunb- 
(ich  gefinnt,  mar  er  bodj  fo  fehr  öon  feinen  militärifchen  ßieb&abereien 
erfüllt  unb  fdjtug  beren  SBichtigfeit  fo  f)od)  an,  baß  er  nrieberholt 
äußerte:  „©in  Xrommetfchläger  fei  ihm  mehr  tuerth,  al«  ein  ©e* 
lehrter."  9ftcht«beftoroeniger  beftonb  ba«  öon  U)m  unterhaltene  %cü)V 
reiche  #eer,  beffen  Soften  bie  Gräfte  feine«  ßanbe«  weit  überftiegen, 
feine  <ßrobe  fchfec&t,  a[«  e«  in  ben  Stürmen  ber  franjöfifchen  föeöo* 
lution  jtmfdjen  ihm  unb  granfreich  sunt  Kampfe  fam. 


Tic  brei  legten  Ränfte  be3  anlehnten  3ahrhunbert3. 

(1758-1799.) 

Wach  bem  Xobe  Benebift«  XIV.  (f.  S.  332)  beftieg  ber 
Surbinal  ÜJejjonico  au«  ©enebtg,  ein  9Wann  be«  ©ebete«,  öon 
beiligmäßigcm  £eben«manbcl  unb  öoß  ber  reinften  SCbftdjten,  al& 
Siemen«  XIII.  (1758—1769)  ben  päpfttichen  fyxon.  Sein 
<ßontififat  mar  für  ben  apoftoltfchen  Stuhl  eine  3eit  fehlerer  $e- 
brängniß;  benn  öon  aßen  Seiten  lehnte  fich  ber  glauben«Iofer 
firchenfeinbliche  ©eift  be«  3afjrf)unbert«  gegen  benfelben  auf.  Qn 
S)eutfd)Ionb  trat  ber  %Beic>bt)c^of  öon  $rier,  gohanu  Wtfolau«  öon 
Hontheim,  al«  Wortführer  bcr  antipäpftlichen  Partei  auf,  inbem 
er  im  Safere  1763  unter  bem  erbichteten  Warnen  gebroniu« 
ein  SBiict)  veröffentlichte,  ba«  angeblich  bie  SSieberoeretnigung  ber 
Protestanten  mit  ber  £Hrcf>e  anbahnen  foHte,  thatfächlich  aber 
©runbfäfce  unb  Sorberungen  jur  ©eltung  &u  bringen  fuchte,  bie 
auf  bie  Vernichtung  ber  ©emalt  be«  päpftlichen  Stuhle«  jielten. 
Sebroniu«  geftcljt  nämttch  bem  *ßapfte  nur  ben  Primat  bcr  (5  h  * 
nicht  aber  ben  Primat  ber  Ö$ericht«barfeit  ju.  Wach  feiner 
EarfteClung  nimmt  bcr  Papft  ben  SBifchöfen  gegenüber  nur  bie  Stelle 
eine«  Sßorfijjenben  in  einem  Parlamente  ein.  $ie  ÖJefammtheit  ber 
©ifchöfe  fteht  über  bem  Papfte,  unb  er  fann  ohne  beren  3"ftintmung 
meber  ©lauben«entfcheibungen  geben,  noch  Srrlehren  öerroerfen,  noch 
9Inorbnungen  für  bie  ÖJefammtfirche  crlaffen,  ober  eine  ©cricht«= 
barfeit  in  ben  einzelnen  93i«tf)ümern  au«üben.  Ter  „römifchen 
ßurte",  erflärte  Sebroniu«  roeitev,  müßten  baher  bie  fechte,  bie 
fie  fich  im  Saufe  ber  Seit  angemaßt,  um  be«  ^rieben«  miücn  lie- 
ber entzogen  roerben,  unb  fall«  ber  Papft  fich  toeigere,  freinrilltg 
auf  bicfelben  Verzicht  ju  leiften,  fei  e«  bie  Aufgabe  ber  SBifdjöfe, 


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$tc  brei  lefcten  ^äpfte  be«  acfjtsehnten  gahrfmnbert«. 


507 


ir)n  unter  SJcitmirfung  ber  meltlichen  Surften  baju  gu  jmingen  unb 
buret)  bie  Abhaltung  öon  Nationalconcilien  bie  $erftellung  ber  „ur= 
fprüngtichen"  58erfaffung  ber  Kirche  ju  bettrirfen. 

Obgleich  ba«  SSerf  Hontheim«,  ba«  fetbft  Seffmg  „eine  etenbe 
©djmeidjelei  ber  Surften1'  nennt,  nur  ein  au«  proteftanttfehen, 
janfeniftifchen  unb  gaflifanifdjer  ©Triften  jufammengetragene«  9Jtadj= 
iuerf  rjotl  innerer  SBiberfprüche  ift  unb  allen  logifdjen  8wfammen* 
hang«  entbehrt,  ttmrbe  ba«felbe,  tocil  öon  einem  geiftlichen  SBürben* 
träger  au«get)enb,  öon  ben  Anhängern  ber  „$uf  Körung"  mit  3ubct 
begrügt,  öon  allen  antidjriftlidEjen  ©chriftftellern  gepriefen,  in  öer= 
frfjiebene  ©prägen  überfefct  unb  öon  ben  firct)enfeinblichen  Regte* 
rungen  ju  ben  roeitgeheubften  Eingriffen  in  bie  Rechte  be«  apofto- 
Iifchen  ©ruhte«  ausgebeutet.  Siemen«  XIII.  fpract)  im  3al)re  1764 
ba«  SScrbammungSurtheit  ü6er  ba«  gefährliche  SBuch  au«,  unb  öiele 
fjerüorragenbe  ©clct)rtc  miefen  in  trefflichen  ©egenfcr)riften  bie  3rr= 
t^ümer  unb  ^nconfequenjen  be«  Sebromu«  fdjlagenb  nach;  aua> 
n;urbe  Hontheim  fetbft  im  3at)re  1778  burch  feinen  Srgbifchof  ju 
einem  teiber  unaufrichtigen  SBiberruf  beroogen:  —  bennoct)  fuhr 
ber  au«geftreute  böfe  ©ame  fort,  in  ber  roeiteren  Sntmicftung  ber 
neuen  firchticr>polirifchen  ©taat«grunbfäfce  feine  öerhäugnifeöolleit 
fruchte  $u  tragen. 

(Steide)  ben  hcrüorragcnbften  Prälaten  feiner  Seit  ein  entfehie* 
bencr  ®önner  ber  Qefuiten,  bot  Siemen«  XIII.  5(fle«  auf,  um  ben 
fdjtoer  bebrohten  Drben  gegen  bie  ungerechten  Angriffe  feiner  mäcfc 
tigen  (Segner  $u  fct)ü&en;  er  hatte  jeboch  ben  ©duners,  ihn  in  ben 
meiften  fathotifchen  ßänbern:  in  Portugal,  5ranfreict),  Spanien, 
Neapel  unb  *ßarma,  ben  fchmachooüften  Verfolgungen  erliegen  511 
fehen.  $>er  Kummer  über  bie  nach  bem  Srtaffe  feine«  9Jconitorium« 
gegen  ben  |>er5og  öon  $arma  öon  ben  bourbonifdjen  ^öfen  bem 
päpftlid)en  ©ruhte  angefügten  Unbilben,  fomie  über  bie  machfenbe 
SBebräugnig  ber  Kirche  unb  bie  immer  mehr  überhanb  nehmenbe 
(Sorrlofigfeit  beschleunigte  ben  £ob  be«  fchmergeprüften  tapfre«:  er 
ftarb  am  2.  gebruar  1769,  ohne  äußere«  Reichen  einer  ftranfheit, 
im  2Hter  öon  fech«unbfiebgig  Sahren. 

Siemen«'  XIII.  Nachfolger  mar  ber  ßarbinat  ßoreng  (Sanganetti, 
ber  am  19.  9flai  1769,  nach  «nem  breimonatlichen  Sonclaüe,  in 
toclchem  bie  ben  bourbonifcr)en  £öfen  ergebenen  f  arbinäle  eine  un= 
gemöhnliche  Xt)äticjfett  entfaltet  hatten,  al«  Siemen«  XIV.  auf 
ben  päpftlichen  ©tnhl  erhoben  hnirbc.  Sr  galt  für  milb,  gemäßigt 
unb  freifinnig  unb  ging  in  feiner  9cact)giebigfeit  gegen  bie  meltlichen 
Regierungen  noch  meiter  al«  ©enebift  XIV.,  ben  er  fiel)  flum  #or= 
bilb  genommen.  £a&  unter  il)m  ber  ©trett  mit  *ßarma  beigelegt 
unb  ber  SBerfet)r  mit  Portugal  ^ergefteüt  mürbe,  haben  mir  bereit« 
oben  (©.  499  f.  u.  504)  gefetjen. 


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508     3talicn  in  *>cr  jtücitcn  §älfte  beS  adjtjefinten  3al>rlwnbert3. 

®aum  Chatte  (Siemens  XIV.  ben  päpftftdjen  Stuf#  beftiegen, 
als  bie  bourbonifdjen  $>Öfe  ifm  mit  $)enffcf)riften  über  bic  9cotf)= 
menbigfett  ber  Aufhebung  beS  3«f"itcnorbcnS  beftürmten.  @r  fagte 
biefelbe  bebingungSmeife  $u ,  Verlangte  jeboet) ,  ba&  man  if)tn  3ett 
(äffe,  SlfleS  511  prüfen,  unb  fudjte  inghufdjen  burdj  eine  bebeutenbe 
$cfd)ränfung  ber  SBirffamfett  beS  DrbenS  bie  brangenben  £>öfe  ju 
befcfyrouijtigcn  unb  bie  ftataftroplje  abjumenben ,  bie  if)tn  öor  ber 
fatf)olifd)en  SBelt  fdjmer  aur  Saft  fallen  mußte ;  als  jeboeb,  bte  bour* 
bonifdjen  £>öfe  mit  ber  Ausrottung  aller  geiftlidjen  Orbcn  unb  bem 
Slbbrud)  ir)rer  ^Beziehungen  ju  $om  brofyten,  gab  er  feinen  SBiber* 
ftanb  auf  unb  unterzeichnete  am  21.  Quü  1773  baS  SBrcbe,  burdj 
mclcheS  ber  Orbeu ,  „ba  er  feiner  ©eftimmung  nidjt  mehr  entfpre-- 
a)cn  fönne  unb  öon  Dielen  fatt)oüfcr)en  gürften  bereits  unlerbrücft 
loorben,"  fraft  apoftolifcher  Wnorbnung,  „$ur  SBieberherftellung  beS 
grtebenS"  in  ber  ganzen  S^riften^eit  aufgehoben  unb  für  bie  ein* 
feinen  Sflitglieber,  bie  als  Söeltpriefter  fungiren  fönnten,  Sorforge 
üerheifjen  mürbe.  fciefeS  örcöe  mürbe  am  16.  9ruguft  ben  Sefuiten 
in  9iom  öerfünbet  unb  it)r  Venera!  9ticci  mit  mehreren  feiner 
^fftftenten  gefangen  in  bie  SngelSburg  gebraut,  mo  er  fpäter  ein- 
gehenbe  ©erhöre  gu  beftefjen  ^attef  burd)  meiere  jeboch  nicht  baS 
ÖJeringfte  $u  feinem  unb  beS  DrbenS  ftachtheil  ju  Xage  geförbert 
mürbe.  Somohl  er  als  fämmtlidje  Oberen  erflärten  bemütljig  ihre 
Untermerfung  unter  bie  päpftlidjen  s2lnorbnungen ,  unb  ihrem  ©eU 
fpiele  folgten  bie  meiften  Sftitgtieber  beS  DrbenS  ;  nidjtSbeftoroeniger 
erhoben  bie  bourbonifa^en  $>öfe  SBiberfpruch  gegen  bie  Srcigebung 
ber  gefangenen  3efuiten  unb  bie  ©elaffung  mehrerer  befonberS 
ausgezeichneter  SBäter  im  Sehramte.  Siemens  XIV.  erhielt  jmar 
Nöignon  unb  SBenaifftn  fomie  bie  ©nclaoen  im  9ceapolitanifchen 
Sitrürf;  boa)  erfuhr  er  oielfadje  iMnfungen  oon  Seiten  ber  bour* 
bonijchen  £>üfe ,  bie  burdjj  feine  ftachgiebigfeit  nur  gu  immer  meiter 
ge^enben  eingriffen  in  bie  fechte  beS  apoftolifa^en  Stuhles  ermu* 
tf)igt  mürben. 

$a*  päpftlidje  SlufhebungSbefret  erregte  überall,  mo  bie  $efui* 
ten  bis  baljin  noch  unangefochten  gemirfl,  gro&eS  s2luffef)en  :  nichts* 
beftoroeniger  fam  baSfelbe  in  allen  fatt)olifdt)en  Sanbern  jur  %oü* 
Ziehung,  dagegen  miberfefcten  fidj  jmei  außerhalb  ber  $ird)e  ftefjcnbc 
^errfa^er,  griebrich  II.  oon  ^reugen  unb  bie  (Xjarin  Katharina  II., 
ber  iöerfünbigung  unb  Ausführung  beS  päpftliajen  Söreoe'S.  Öeibe 
moHten  fich  bie  SBortheile  eines  gebiegenen  QugenbunterridjtS  mat)- 
ren,  bie  ber  Drben  i^nen  in  ifjrcn  Staaten  gemährte,  unb  oerlangs 
ten  öon  ben  in  i^ren  (Gebieten  lebenben  3efuiten  bie  ^lufrcc^t^ol* 
tung  ttjrcr  Soüegicn  gegen  bie  Slnorbnungen  beS  ^ßapfteS.  3rieb= 
ri4  II.  oerftänbigte  fia^  im  Qa^re  1776  mit  bem  apoftolifdjen 
Stuhle  bat)in,  ba&  bie  preuBifa^en  3efuiten  fid)  jmar  gleichfalls 


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$ie  brci  legten  $ftpftc  be«  achtzehnten  3ahrhunbert«.  509 

auflöfen  unb  it)r  Drben«fleib  ablegen ,  aber  unter  bem  Kamen 
„^ßrtefter  be«  föniglichen  €>chuteninftitut«"  it)re  ßec)ranftalten  fort- 
begatten  foflten.  3tt  biefer  Verfajfung  beftanben  fte  in  <ßreu6en 
auch  unter  griebrich«  II.  Nachfolger,  griebrich  SSityelm  IL,  fort; 
erft  im  3<*hre  1900  mürben  burd)  griebrich  SBilfjelm  III.  bie  Sehr* 
anftalten  ber  3efuiten  auf  meltlichen  gug  gefegt  unb  it)re  ©üter  ju 
einem  ©chulfonb  Dereinigt. 

Sftinber  geneigt  ju  einer  SÖerftänbigung  mit  SRom,  at«  grieb^ 
rieh  II.,  jetgte  ftd)  bie  Sjarin.  £rofc  ber  SBorftellungcn  be«  päpft* 
liehen  SRuntiu«  $u  2Barfd)au  oermeigerte  fie  entf Rieben  bie  $tuf* 
Hebung  be«  Drben«  in  bem  bei  ber  erften  Xfjeüung  $olen«  in  ihren 
sikfi&  getaugten  „SBetSrujjlanb,"  roo  ftcr)  in  ben  SBoimobfdjaften 
ißolocf  unb  Wlofyikto  zahlreiche  £>rben«nieberlaffungen  befanben,  unb 
orbnete  im  3af)re  1778  bie  (Einrichtung  eine«  Kom'jiat«  für  biefel* 
ben  an ,  metche  SBerorbnung  *ßapft  $iu«  VI.  ftillfchmeigenb  genet)3 
migte.  3m  3af)re  1801  autorifirte  $iu«  VII.  förmlich  bie  lieber- 
laffungen  be«  Drben«  in  töuglanb.  (£rft  bann  liefe  bie  Vorfehung, 
mie  $ergenrötf>er  mit  9tedjt  ^eröor^ebt,  bie  Vertreibung  be«  im 
geuer  ber  Verfolgung  neu  bewährten  Drben«  au«  Ku&lanb  ju,  al« 
bie  fatholifchen  fiönber  ttrieber  nach  feiner  Aufnahme  »erlangten. 

(Siemen«  XIV.,  ber  öielc  lieben«roürbigen  (ftgenf haften  befafc 
unb  nur  burdj  fein  meichc« ,  $ur  gurcht  geneigte«  ®emüth  herleitet 
morben,  bem  drängen  ber  bourbonifchen  #öfe  jur  ilnterbrücfung 
eine«  um  bie  f iraje  fo  ^oajöerbienten  Drben«  gegen  feine  eigene 
Ueberjeugung  nachzugeben ,  öerfiel  balb  nach  bem  (Srla&  be«  uf* 
hebung«bret>e'«  in  eine  an  Xieffinn  grenjenbe  ©chroermuth ,  bie 
roefentlid)  $ur  öottftänbigeu  Untergrabung  feiner  fd>on  feit  längerer 
Seit  gefdjmädjten  ®efunbheit  beitrug.  (Sr  ftarb  am  22.  September 
1774,  im  Hilter  bon  neununbfe^ig  3at)ren.  $a«  Dielfach  öerbreitete 
©erficht,  bog  er  oergiftet  morben,  entbehrt,  nach  ben  oottgiltigften 
3eugniffen,  jeber  ©egrünbung. 

$a  ba«  (£onclaoe  burdt)  bie  Umtriebe  ber  #öfe  große  Vermöge* 
rungen  erlitt,  erhielt  Siemen«  XIV.  erft  am  15.  gebruar  1775 
einen  Nachfolger  unb  jmar  in  ber  $erfon  be«  achtunbfünf  jigjährigen 
Äarbinal«  Sodann  Slngelo  Vra«chi,  ber  ben  Kamen  $i  u«  VI.  an* 
nat)m.  $er  neue  $apft,  ein  frommer  unb  milber,  aber  bennodj  in 
feinen  (Srunbfäfeen  fefter  aflann ,  ber  fein  fjofjeä  2lmt  nur  au«  ®e* 
nriffen«öflicht  al«  eine  fernere  Sürbe  übernommen ,  mißbilligte  ba« 
gegen  bie  unterbrächen  Sefuiten  eingehaltene  f)arte  ©erfahren,  in 
njela^em  er  ba«  Söerf  religton«lofer  SKinifter  unb  ben  Srtumpt)  ber 
©ottlofigfeit  erblicfte.  @r  orbnete  fogleich  bie  fchleunige  (Srlebigung 
be«  $ro^effe«  gegen  bie  in  ber  (£ngel«burg  gefangen  gehaltenen 
3efuiten  an  unb  oerfügte,  ba  fid)  burc^auö  nicht«  ©trafbare«  gegen 
biejelben  ergab,  beren  greilaffung.    3)er  ©encral  Kicci  erlebte  bie* 


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510     Italien  in  ber  feiten  $älfte  be*  achtzehnten  3ahrhunbert*. 

felbe  nicht  met)r:  er  ftarb  am  19.  Nooember  1775,  nachbem  er  üor 
bem  (Smpfang  ber  Sterbefaframente  eiblich  unb  oor  $tü%tn  erflärt 
hatte,  ba&  bic  oon  ihm  geleitete  ©efellfchaft  feinen  GJrunb  ju  ihrer 
Unterbrücfung  gegeben  ^abe  unb  er  felbft  feine  fyavtt  öefangenfcEjaft 
nicht  oerbient  ju  haben  glaube.  2)er  2lu*jpruch:  „Xie  3efuiten 
fotten  fein,  mie  fie  finb,  ober  gar  nicht  fein"  —  sint  ut  sunt,  aut 
non  sint  —  ift  itrni  fälfdjlich  jugefa^rieben  morben.  Xrofc  be*  oon 
bem  fpanifchen  ©efanbtcn  gegen  bie  Sreilaffung  ber  gefangenen 
3efuüen  erhobenen  anma&enben  <ßrotefte*  lieg  $iu*  VI.  bem  sBer* 
ftorbenen  eine  glänjenbe  Xobtenfeier  abgalten  unb  ihn  in  ber  $ro» 
fe&firdje  be*  Drben*  an  ber  Seite  feiner  Vorgänger  ehrenooU  be* 
ftatten.  Sluch  bie  Öage  ber  (Srjefuiten,  beren  gefammte*  SBefi&thum, 
felbft  bis  auf  ihre  SRanuffripte,  eingebogen  toorben,  fudjte  er  nach 
Gräften  $u  milbern. 

3n  ber  erften,  ruhigeren  3eit  feine*  ^ontififat*  t^at  <ßiu*  VI. 
fefjr  oiel  für  ben  tirchenftaat.  @r  förberte  nicht  nur  ben  2Icferbau 
unb  bie  3nbuftrie,  fonbem  nat)m  auch  bie  fchon  oon  mehreren  feiner 
Vorgänger  betriebene,  fett  Si£tu*  V.  jebod)  aufgegebene  2lu*trocf: 
nung  ber  pontinifchen  Sümpfe  toieber  auf  unb  liefe,  nachbem  bie* 
felbe  in  einem  Zeitraum  öon  jehn  Sahren  mit  oieler  2Rut)e  unb 
einem  bebeutenben  $oftenaufroanb  ju  ©nbe  geführt  toorben,  burdj 
biefe  öben  (Segenben  eine  treffliche  Jpcerftrage ,  bie  £inea  <ßia, 
anlegen,  burch  meiere  er  fich  ein  bleibenbe*  fcenfmal  ftiftete. 

2lud)  unter  $iu*  VI.  hatte  ber  pfipftliche  Stuhl  oon  Seiten 
ber  hrdjenfeinblidjcn  weltlichen  TOäc^tc  oiele  Unbilben  ju  erleiben, 
unb  in  ben  meiften  ßänbern  blühte  mehr  ober  weniger  ba*  Staat** 
firchenthum,  ganj  befonber*  in  Neapel  (f.  S.  503).  ®ro&en  ftum* 
mer  bereiteten  bem  sßapfte  bie  firc^ltc^en  Neuerungen ,  bie  $aifer 
Sofeph  II.  nach  tont  Xobe  feiner  Butter  in  ben  öfterreidHichcn 
ßrbftaaten  oornahm.  $a  feine  einbringlichen  brieflichen  >Borftel* 
lungen  oon  bem  faifer  nicht  berüefftchtigt  mürben,  ging  er  felbft 
im  3alp  1781  nach  SBien ;  bod)  hatte  auch  biefer  Stritt  nicht 
ben  geringften  (Srfolg.  Sludj  bie  brei,  öon  aufgeflärten  ^rofefforen 
unb  unfirchlichen  Käthen  irre  geleiteten  geiftlidjen  tfurfürften  5neb* 
rieh  #arl  3ofeph  oon  3Jcain$  (1774—1802),  (Siemen*  2Bence*lau* 
oon  Xrier  (1769—1812)  unb  SRajimiltan  jranj  oon  Äi)ln,#aifer 
3ofeph*  II.  ©ruber  (1784—1801),  fugten,  im  «erein  mit  bem 
^rjbijchof  £ieronnmu*  oon  Salzburg,  fich  oom  apoftolifdjen  Stuhle 
unabhängig  $u  machen  unb  bie  geiftliche  (£Jericht*barfeit,  meldte  bie 
päpftlichen  Nuntien  in  ihren  Sprengein  ausübten,  tt)eil*  ein$u* 
jehränfen,  theil*  gänzlich  aufgeben.  3u  biefem  (Jnbe  ließen  fic 
oon  ihren  ©eooümächtigten  im  Sluguft  1786  $u  (5m*  bie  berüct) 
tigte,  au*  bretunbjtoanjig  Slrtifeln  beftehenbe  „(£mfer  ^ßunftation" 
entwerfen,  bura)  meldte  bie  „ursprünglichen"  erjbifchöflichen  fechte 


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ßaifer  Sofeph  II.  —  $a3  beutfäe  SKeid)  unter  ^fofc^^  IL  511 

hergeftellt  werben  füllten.  Xrofc  beä  öeiftanbe«,  ben  bie  öier  (5t$* 
bifdjöfe  bei  Qofc^^  II.  fanben,  fcheiterte  ihr  Vorhaben  an  bem  2öiber= 
fprudje  ber  SBifchöfe,  welche  für  bie  Stechte  beS  ^ßapfteä  eintraten. 

SBelche  ferneren  Prüfungen  bem  Ijodjbetagten  $iu$  VI.  in  ben 
©türmen  ber  fran^öftfajen  föeöolution  vorbehalten  waten,  bis  er 
am  25.  Sluguft  1799  im  Hilter  öon  ^meiunba^t^ig  3<*hrcn  fein 
Seben  als  franjöfifdjer  (Staatsgefangener  im  @rüe  befdjlofj,  werben 
mir  fpäter  hören. 

XXXI. 

gaifex  ^  o  f  e  |i  9  II. 

(1765—1790.) 

2>a3  beutf^e  Reift  unter  3ofep^  n. 

©o  bebeutungSlofc  auch  bie  ®aiferwürbe  in  Solge  ber  immer 
weiter  fortgerittenen  Muflofung  beä  beutfdjen  deiche«  geworben 
war,  bemühte  fia)  bennodj  Sparta  Xfjerefia  eifrig,  ihrem  #aufe  mit  ber 
$aiferfrone  bie  alte  Stellung  ju  ben  Sleichäfürften  unb  ben  erften 
9tang  unter  ben  europäischen  $errfchern  ju  bewahren.  $af>er  hatte 
fie  auch  bei  ben  griebenäunterhanblungen  ju  £ubert3burg  große« 
®ewid)t  auf  bie  Erlangung  ber  branbenburgifdjen  fturftimme  für 
bie  28ahl  ihres  älteften  ©ohne*  3  °  1  e  J>  h  jum  römijdjen  ftöuig 
gelegt.  $iefe  SBahl  erfolgte  ju  granffurt  am  27.  2Kai  1765  mit 
©timmeneinhelligfeit ,  in  ©egenwart  be*  ®aifer3  granj  L,  unb  am 
Xage  barauf  fanb  unter  ben  üblichen  Grundformen  bie  feierliche 
Krönung  beS  fünftigen  ftaiferä  ftatt. 

Slm  18.  Sluguft  be«  folgenben  Qatjreä  ftarb  ftaifer  granj  I. 
$u  3nn§brucff  wot)in  fid)  ber  £of  $ur  geier  ber  Vermählung  beä 
(£r$her$og3  SJeopolb  mit  ber  füantfcfjen  3nfantin  SJtoria  ßouife 
begebeu  ^attc,  ganj  unerwartet  an  einem  ©chlaganfall.  £)ie  #ai* 
ferin  blieb  ihrem  bahingefa^iebenen  hatten  bid  an  ihr  ßebenSenbe 
in  unwanbelbarer  Siebe  unb  Xreue  $ugethan.  2ln  jebem  3ahre2tage 
feine«  Xobeä  ftieg  fie  in  bie  Üaifergruft  bei  ben  tfaüujinern  ju 
SBien  hinab,  um  in  ftiflem  ®ebete  unb  ernften  Betrachtungen  fein 
©ebächtniS  $u  faern.  legte  fie  bie  Xrauerfleiber  nicht  mehr 

ab ;  eine  fchwarje  giorljaube  bebeefte  fortan  baS  glattgeftrichene  unb 
leicht  gepuberte  #aar. 

$er  römifche  ®önig  3ofep^  II.,  an  welchen  nunmehr  auch  bie 
ßaiferwürbe  überging,  war  am  13.  2Rär$  1747  unter  ben  ©tür* 
men  beS  erften  fchlefifchen  Kriege«  geboren  unb  jählte  fomit  bei 


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512 


feiner  Xfjronbefteigung  üierunbjtüaniig  3at)re.  3n  ber  SBafyl  feiner 
Erzieher  mar  bie  $aiferin  nicht  glüefüch  gemefen ,  unb  fo  mar  ber 
junge  (£r$fjetgog,  beffen  tüelöerfprechcnbe  Anlagen  beS  GeifteS  unb 
£>erjenS  bie  ®aiferin  $u  ben  fdjönften  Erwartungen  berechtigt  Rat- 
ten, unter  ben  un^cUooUen  Einflüffen  ber  materialiftifchen  Slnfdjau* 
ungen,  bie  bamalS  bie  europäifdje  SBelt  befjerrfdjten  unb  mit  bem 
chrtftlichen  (glauben  zugleich  bie  ÖJrunbfagen  ber  ftaatliajen  Drbnung 
untermühlten,  in  jeber  S8e$iefjung  $u  einem  $inbe  feiner  Seit  fjeran= 
gemachten.  2llS  ilm  feine  Butter  nach  bem  Xobe  feines  SBaterS  jum 
Sftitregenten  für  bie  öfterreidjifdjen  ©taaten  ernannte,  mar  it)m  auch 
fdjon  feine  ßebenSrichtung  unb  RegierungSmcthobe  gegeben ,  unb  ba 
bie  lefclcrc  mit  ber  RegierungSart  Ataxia  i^erefia'd  im  öollften 
SBiberfpruche  ftanb,  geftattete  it)m  biefelbe  nur  einen  bcfdjränften 
(Sinflufi  auf  bie  ©taatSgefchäfte ,  fo  baß  er  fich  faft  auSfchliefjlich 
auf  bie  ßeitung  beS  TOUtärmcfcnS  angemiefen  fafj.  $a  fein  un- 
ruhiger ÖJeift  auf  biefem  Gebiete  feine  genügenbe  SBefdjäftigung  fanb, 
befchlofj  er,  feine  Xfyätigfeit  junächft  bem  beutfa^cn  Reiche  jujumen- 
ben,  mobei  er  fich  mit  ber  eitlen  Hoffnung  trug,  ba§  eS  ihm  ge- 
lingen merbe,  bem  abgeworbenen  Reia)Sförper  burdj  tjeilfame  Refor= 
men  ein  neues  ßeben  einzuhauchen. 

Einer  ber  £auptfdjäben  beS  Keines  lag  in  ben  fummelfdjreienben 
Uebelftänben,  bie  fid)  in  bie  Rechtspflege  eingefc^Iic^en  galten.  $ie 
RcichSjuftij  mürbe  burdj  jmei,  öon  etnanber  unabhängige  Gerichtshöfe, 
ben  Reichs  hofratl)  in  SBien  unb  baS  ReichSfammergericht  in  SBefclar, 
öermaltet,  bie  in  ben  jahöofen  ©treitigfeiten  jroifchen  ben  einzelnen 
©tänben  beS  Reiches  unb  jmifchen  biefen  unb  ihren  Untertanen  im 
Ramcn  beS  $aiferS  Recht  fprachen.  Obgleich  biefe  Reichsgerichte 
3ufluchtSftatten  ber  ©chmächeren  gegen  bie  ©tarieren  fein  foHten, 
maren  fie  meit  entfernt,  biefer  Aufgabe  51t  genügen,  unb  fdjon  feit 
einem  3aWunDert  maren  oon  aßen  ©eiten  bittere  klagen  über 
biefelben  laut  gemorben.  $ie  s$ro$effe  fchleppten  fich  an  beiben  Ge- 
richtshöfen burch  gan^e  Generationen  hindurch,  ohne  ba&  eine  (£nU 
fcheibung  erfolgte ,  unb  in  ben  meiften  Sailen  fonnte  fich  ber  ®nfcl 
glüeflich  preifen,  menn  er  bie  (Srrlebigung  einer  Rechtsfache  erlebte, 
bie  ber  Grojjüater  anhängig  gemacht.  Dabei  gab  feiten  baS  Recht 
allein  ben  2luSjchlag;  benn  bei  ber  geringen  ©efolbung  ber  Rothe 
unb  ihrer  Verpflichtung  $u  ftanbeSgemä&em  Slufmanb  mar  ber  ©e* 
ftechuug  %l)üx  unb  Xtmr  geöffnet. 

Um  biefen  Uebelftänben  junächft  bei  bem  unmittelbar  unter 
feiner  Leitung  fteheuben  Reichshofrath  abzuhelfen,  richtete  ftofeph 
an  beufelbeu  unterm  21.  Dftober  1767  einen  fcharfen  fabinetS* 
befehl ,  morin  er  ihm  bie  Annahme  oon  Gejchenfen  ober  Regalien 
uuterjagte ,  „bie  unter  allerlei  SSormänben  angeboten ,  auch  öfters 
angenommen  morben;"  boch  beging  er  babei  ben  üHi&griff,  üon 


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3>aS  beutfdje  SReld)  unter  3ofcj>h  II. 


513 


„fixeren  Erfahrungen  großartiger  Scftechlichfeit"  51t  fpredjen,  ohne 
in  ber  Sage  $u  fein,  X^otjac^en  anzuführen.  Da  er  bei  bem 
9leicf)3fanvmergerid)te  meniger  eigenmächtig  einschreiten  tonnte,  brang 
er  angelegentlich  auf  bie  Spaltung  einer  SBifttation  biefe«  Gerichte«, 
bie  feiern  im  3«^e  1654  burch  einen  8tach«tag«abfchieb  angeorbnet 
morben,  aber  niemal«  $ur  Ausführung  gefommen  war,  unb  braute 
e«  in  ber  $f>at  ba^in ,  baß  ber  9teid)3tag  §11  biefem  Gefaxte  eine 
Deputation  ber  9fteich«ftänbe  ernannte;  allein  er  fämofte  fner,  nrie 
in  Söien,  gegen  einen  ©chlenbrian,  bei  bem  fidj  fo  m'ele  ©tänbe  unb 
^erfonen  unenblid)  mof)!  befanben  unb  ber,  burdt)  taufenberlei  3n= 
tereffen  geftüfct,  jur  unfiberminblichen  ^flauer  gemorben.  „3m  (San* 
jen,"  fagt  ©oorfchil,  „blieb  bie  ©ache  beim  Alten,  unb  3ofeph 
hatte  burch  feine  ©dritte  jmar  benriefen,  bafe  er  Steinzeit  unb 
©dmettigfeit  ber  föeidjSgeredjtigfeitäpflege  motte ,  baß  e«  ihm  aber 
an  Sttacht  fehle,  feinen  SBiflen  burchjufefcen." 

Die  SJtocht  be«  ßaifer«  im  beutfchen  föeidje  befäränfte  fleh  in 
ber  %f)at  faft  nur  mehr  auf  ©tanbe«erhöhungen,  2lbel«öerteihungen 
unb  bie  Gemährung  unbebeutenber  ^rirnlcgien ,  nrie  beifmel«metfe 
bie  ber  '-üudihänblcr,  bie  jeboch,  gleich  ben  ©tanbe«erh Ölungen,  in 
ben  8tetch«ftaaten  erft  bann  Giltigfeit  erhielten,  roenn  bie  Sanbe«* 
Herren  fich  bamit  einoerftanben  erftärt  Ratten.  Ueber  alle  nridjti* 
geren  Angelegenheiten  l)atte  ber  föeich«tag  ju  entf Reiben ,  ober  e« 
mürbe  über  biefelben  öireft  t»on  ben  $öfen  untereinanber  oerhan* 
belt.  Die  Ernennung  be«  $Reid}«iricef  analer«  fomie  bie  ber  übrigen 
^Beamten  ber  9teich«fan$let  gefchat)  rttcf)t  burch  ben  vtaner,  fonbern 
ging  oon  bem  Äurfürften  öon  SJcainj,  al«  bem  JReia^derjfanjter, 
au*.  Die  Sinfünfte,  bie  ber  ttaijcr  au«  einigen  8teich«ftäbten  unb 
bem  „3ubenjoll"  bejog,  mürben  auf  t)öc^ftend  breijehntaufenb  Gut* 
ben  gefchäjjt.  Dagegen  ging  ba«,  ma«  ber  $aifer  an  bie  Reinen 
3ürften  unb  beren  Anhang  bei  ben  öerfduebenften  Gelegenheiten 
fchenfen  mußte ,  jährlich  in  bie  Jpunberttaufenbe.  28a«  bei  3*cict)S- 
belehnungen  an  Dajren  eintief,  mürbe  jur  (frlialtung  ber  sJieictj* 
fandet  unb  be«  9^etcf)dr)ofrat^ed  oertoenbet.  SSBoHte  ber  ttatfer  in 
#rieg«fällen  oon  ben  Heineren  gürften  Gelb  unb  ®rteg«oolf  erlan* 
gen,  fo  mußte  er  unterhandeln  unb  förmlich  flachem,  unb  ohne 
bie  Gemährung  oerfchiebener  SBortheile  ober  minbeften«  barauf  be= 
jügliche  $ufagen  fam  er  gar  nicht  an«  ßiel. 

2öie  meit  bie  einerfeit«  burch  Sftouffeau  unb  anbererfeit«  burch 
Jßoltaire  unb  feine  Gefinnung«genoffen  oertretenen  fiaat«*  unb  fir* 
chenfeinblichen  Anfdjauungen  auch  in  Deutfchtanb  um  fictj  gegriffen, 
bemeift  in«befonbere  ber  im  3<*hrc  1776  öon  Abam  333  ei«hanpt, 
s#rofeffor  be«  ftirchenrecht«  in  Qngolftabt,  gegrünbete  Drben  ber 
3  Hu  min  a  te  n.  Anfang«  mar  biefer  Drben  nur  eine  geheime 
©tubentenöerbinbung,  burch  welche  ber  ©tifter  bie  ftubirenbe  3uÖeno 

fcolitoartfc,  IBeltgefötgte.  VI.  33 


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514 


ffaifer  3ofe^  II. 


bem  Hinflug  bcr  3efuiten  ju  entziehen  unb  biefe  felbft  ju  frühen 
beabsichtigte ;  balb  aber  erhielt  berfelbe  eine  neue,  bic  gefammte 
ftaatltche  unb  ftrehüche  Drbnung  bebrohenbe  SBefttmmung.  £urch 
baS  einmütige  8ufammenmirfen  „aufgeflärter"  unb  mächtiger  2Jcit* 
glieber,  bic  SBeiShauot  für  feinen  ©eheimbunb  ju  gewinnen  fuchte, 
foHte  baS  Regiment  beS  Staate«  unb  bcr  Kirche  ben  „unfähigen 
weltlichen  unb  geiftlidjen  ^Rechthabern,  an  Welche  eS  ber  gufall  ge= 
bracht  ^abe,"  entriffen  unb  in  bie  $änbe  ber  „(Sinfidjtigen  unb 
SBohlgefinnten"  gelegt  werben,  benen  bie  Aufgabe  jugebacht  war, 
alles,  was  bem  Stifter  als  politifdjer  unb  kirchlicher  SBahnglaube 
erjagen,  ju  befeitigen  unb  bie  bürgerliche  ©efeflfehaft  nach  ben 
©runbfäfcen  beS  SeitgeifteS  umjugeftalten. 

tiefem  3wecfe  gemä&  gab  SBeiShaupt  feinem  ©eheimbunbe 
eine  neue  Drganifation,  für  toeIct)e  ihm  bie  Sßcrfaffung  beS  gefuitem 
orbenS  jum  SBorbilbe  biente.  5Die  9Jcitglieber  würben  berpflichtet, 
ben  Oberen  in  allen  Stücfen  unbebingten  ©ehorfam  $u  leiften, 
allenthalben  angefehene  ÜJcänner  an  fict>  ju  jiehen,  cinanber  jur  ©r= 
langung  wichtiger  Stellen  unb  Remter  behilflich  $u  fein,  bamit  bem 
Drben  ein  entfeheibenber  ©influg  auf  bie  öffentlichen  Angelegen* 
heiten  gefiebert  werbe ,  unb  nicht  nur  über  ihre  eigenen  fittlichen 
unb  geiftigen  gortfehritte  monatliche  Berichte  einzureichen,  fonbern 
auch  über  SBefannte  unb  greunbe  Beobachtungen  anjuftellen  unb 
beren  <£rgebni§  einjufenben,  um  baS  mit  "bem  Sittenamt  befletbete 
ßoflegium,  oon  welchem  alle  (Dnabenfachen ,  öeförberungen  unb 
$ienftoerleil)ungen  abhingen,  in  ben  Stanb  $u  fefcen,  über  bie 
2Bürbigfeit  unb  Brauchbarkeit  ber  Bewerber  ju  urtheilen  unb  alle 
untauglichen  *ßerfonen  ju  entfernen.  9cad)  bem  SJcufter  beS  grei* 
maurerorbenS  würben  geheime  ÖJrabe  eingeführt,  ju  Welchen  bie 
SJcitglieber  unter  2lufnahmeceremonien ,  bie  gleichfalls  bem  grei* 
maurerorben  entlehnt  waren,  ftufenweife  emporfliegen.  SRachbem  fie 
auf  ben  Borftufen  als  „9)cinerüalen"  unb  „ftlerifer"  beS  DrbenS 
mit  oorbereitenben  Stubien  beschäftigt  unb  auf  jufünftige  <Sröff= 
nungen  über  bie  eigentlichen  gmeefe  ber  Berbinbung  hutgetoiefen 
worben ,  erfuhren  bie  erprobten  auf  ben  höheren  Stufen ,  in  ben 
fogenannten  „2Jcüfteriengraben",  als  s#riefter,  iWagier,  Regenten  unb 
Könige,  „ba&  baS  Unglücf  beS  SJcenfchengejchlechtS  oon  ber  9le* 
ligiou  unb  ber  jperrfchaft  ber  Mächtigen  herrühre  unb  ba&,  gleia> 
Wie  bie  Religion  aus  SBafm  unb  Sßrieftertrug  entfprungen ,  fo  auch 
bie  Sonberung  ber  ERenfchen  in  Hölter  unb  Staaten  burch  Sift 
unb  (Gewalt  oon  glücklichen  $lnma&ern  bemerfftelligt  worben  fei, 
bajj  aber  bie  *Borfehung  bittet  jur  bereinftigen  (£rlöfung  ber 
33cciiid)l)cit  auS  bem  Stanbe  ber  Unterbrücfung  unb  drniebrigung 
aufbewahrt  habe."  £a*u  feien  bie  geheimen  SBeiSheitSfchulen  be 
ftimmt,  burch  °e*cn  SBirfen  gürften  unb  (Gewalthaber  oon  ber  @rbe 


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$a8  beutfäe  SRctc^  unter  Sofepf)  II. 


515 


öerfchminben  unb  bic  SJcenfchen  nach  Aufhebung  ber  gefettfehaft* 
liefen  Söerfdjiebenheit  unter  bem  ©chufce  ber  Sßernunft ,  als  beä 
otteinigen  ©efefobucheS ,  ot)ne  Surften  unb  ^riefter  parrianhalifch 
gufammenleben  mürben.  $)a$  fei  auch  ber  geheime  ©inn  ber  Sefjre 
beä  gro&en  ÜJceifterS  öon  9cagareth  gemefen,  ber  ba3  (Geheimnis  be£ 
Himmelreichs  feinen  greunben  offenbart,  ben  §Inbem  nur  in  (Gleich* 
niffen  angebeutet  §abe.  $ie  $)ogmen  öon  bem  Salle  ber  Sftenfchen, 
toon  ber  ©rbfünbe  unb  öon  ber  SBiebergeburt  unb  ber  (Gnabe  hat* 
ten  feine  anbere  SBebeutung,  als  bog  ber  2Renfdj  auä  bem  ©taube 
ber  urfprünglichen  greifjeit  unb  9lctnr)cit  burch  bie  SDcadjt  ber  Xriebe 
unb  Seibenfehaften  in  ben  ßuftanb  ber  SBilbfjeit  geraten  unb  auä 
biefem  burdt)  ^ßrtefter,  ©taatSmänner  unb  (Gefefcgeber  gu  ber  jefeigen 
unöollfommenen  SBilbung  geführt  morben  fei,  burd)  bie  Staft  ber 
aufgeflärten  Vernunft  jeboch  gum  Semufctfein  unb  freien  (Gebrauch 
feiner  angeftammten  2Bürbe  mieber  erhoben  unb  in  baS  föeich  ber 
(Gnabe  öerfefct  roerben  folle.  $aä  ©tjmbol  be$  ©unbeä  mar  ein 
flammenber  ©tern  mit  bem  iöuchftaben  G.,  ber  bie  (Gnabe,  Gratia, 
b.  h-  bie  2luff(örung  bcjcic^nctc ,  meldte  bie  öon  Ü)r  (Erfaßten  unb 
(Geleiteten  gu  Qlluminaten,  (Erleuchteten,  madt)e. 

Qnnertjalb  meniger  3at)re  gählte  ber  ©unb,  ber  urfprünglidj 
nur  au*  ^rofefforen  unb  ©tubenten  ber  ©tabt  Qftgolftabt  beftan* 
ben ,  Xaufenbe  öon  OTtglicbern ,  'barunter  üiele  angefehenen  unb 
einflußreichen  Sßerfonen ,  bie  ben  übrigen  SBunbeSbrübern  gu  roic^= 
tigen  ©tetten  in  ©taat  unb  ®irdje  üerfjalfen  unb  fie  inSbefonbcre 
gu  ^ringenergiehern ,  ©tubtenrätfjen  unb  ^ßrofefforen  gu  machen 
fucf)ten.  $ie  Orte  unb  ßanbfdjaften,  in  meiere  ber  söunb  fid)  (Ein* 
gang  öerfdjafft  hatte,  erhielten  Wanten  au$  ber  alteren  unb  mitt- 
leren Qtit,  unb  ebenfo  nahmen  bie  3JcitgIieber  beä  DrbenS  bebeut* 
fame  gefchichtliche  tarnen  an.  2Bei§houpt  felbft  nannte  fich  ©par* 
t  a  f  u  $ ,  um  angubeuten  ,  ba§  er  bie  ©flaöenfetten  ber  SGBelt  gu 
fprengen  beabfichtige.  3m  nörblichen  ©eutfdjtanb  mar  ber  hannööe* 
rifche  Sreiherr  öon  $  n  i  g  g  e ,  ein  melterfahrener ,  mit  bem  grei* 
maurermefen  oertrauter  Mann  unb  gemannter  ©chrtftfteller ,  ber 
ben  Warnen  *ß  1)  1 1  o  angenommen ,  bie  £>auptftü$e  bed  DrbenS. 
Um  bemfelben  im  fatholifchen  $5eutfchlanb  einen  nachhaltigen  (Sin* 
fluß  gu  fidjern,  füllte  gu  äHaing  unter  bem  $rote(torate  be3  ftoab* 
jutorä  ftarl  öon  Balberg,  ben  man  für  ben  Drben  gu  intereffiren 
mußte ,  eine  s2lfabemie  ber  SBtffenfchaften  gegrünbet  merben ,  gu 
melcher  ein  Pfarrer  SBrunner  in  Diefenbach  ben  $lan  entmorfen. 
(E3  fehlte  jeboch  ben  jpäuptern  beä  OrbenS  ber  sibel  ber  (Geftn* 
nung  unb  bie  .straft  ber  Uebergeugung.  SBei^haupt  felbft  fpottete 
über  bie  proteftantifchen  IfytoloQtn,  bie  in  bem  JJttuminatiSmuS 
ben  wahren  ©inn  ber  Sefjre  $efu  gu  fmben  glaubten  unb  öon  bem* 
felben  ba3  $eil  ber  SBelt  ermarteten.   „©ie  fönnen  nicht  glauben", 

33* 


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516 


flaifcr  Sofcpfj  II. 


fd)rie6  er  an  einen  feiner  Jöertrauten,  „welches  2luf*  unb  2lnfehen 
unfer  ^rieftergrab  bei  ben  ßeuten  erweeft,  fo  ba§  grofce  proteftans 
tifdje  unb  reformirte  Geologen,  bie  Dom  Drben  finb,  glauben,  ber 
barin  erteilte  Religionsunterricht  enthalte  ben  wahren  (Helft  unb 
ächten  (Sinn  ber  chriftlichen  Religion.  D  Sftenfchen,  $u  was  fann 
man  euch  bereben!  Jpatte  ich  boch  nicht  geglaubt,  bafj  ich  noch  ein 
neuer  ©laubenSftifter  werben  foQte." 

Qnbeffen  fonnte  bie  $errfa)aft  eines  ©unbeS,  ber  über  feine 
anberen  Machtmittel  oerfügte,  als  über  SBerfpredmngen  unb  $)rofmngcn, 
auf  bie  Xauer  feinen  SBeftanb  Ijaben.  Ueberau  traten  ber  ©igen- 
nufc  unb  bie  ©elbftfucht  ber  (Einzelnen  ftörenb  unb  berwirrenb  ju 
Xage.  $ie  felbftbenfenben  SJcitglieber  wollten  ntcr)t  ©erzeuge, 
fonbern  SBerfmcifter  fein;  Rubere  fafjen  ficr)  in  ihren  Hoffnungen 
auf  einflußreiche  Stellen  getäufdjt,  weil  $uuäd)ft  3eber  felbft  beför* 
bert  fein  ober  bie  bon  ihm  (Empfohlenen  beförbert  jehen  wollte, 
unb  bie  an  bie  SHitglicber  gefteflten  ÖJelbforberungeit  blieben  in 
ben  meiften  Säflen  unbeachtet,  fo  baß  man  fchliefjlich  nur  noch 
aus  bem  (Ertrag  gebrnefter  Sdjerj*  unb  Schmähbücher  unb  bon 
möglichen  fiottcriegewinnften  Slblnlfe  ber  eingetretenen  ®etbnoth  er* 
wartete.  So  geriete)  ber  ganje,  auf  unhaltbarer  ÖJrunblage  aufge* 
richtete  Sau  ins  Schmanfen,  um  nach  fnrjer  Stauer  in  ftd)  felbft 
51t  jerfaHen. 

flcadjbcm  bereit*  511  (Enbe  beS  3ahreS  1783  mehrere  baie* 
rifche  2)iitglicber  au*  bem  Orben  ausgetreten  waren ,  entzweite 
{ich  im  folgenben  Qafjre  SöeiShaupt  mit  ftnigge,  was  bie  (Entlaffung 
beS  üefeteren  aus  bem  SBunbe  jur  JJolge  hatte.  SöetSfjaupt  war 
unborfichtig  genug,  feine  Streitigfeiten  mit  ben  ausgetretenen  ober 
entlaffenen  DrbenSgliebern  burch  3)rutffchriften  in  bie  Deffentlichfeit 
ju  bringen  unb  babitrcf)  felbft  bie  Slufmerffamfeit  ber  baierifchen 
Regierung  auf  ben  Drben  unb  beffen  Xreiben  $u  lenfen.  $)ie  Sotge 
babon  War  ber  (Erlag  einer  furfürftlichen  Sßerorbnung  bom  22.  Quli 
1784,  burch  welche  alle  ohne  laubeSherrliche  Genehmigung  errich* 
teten  Vereine  oerboten  unb  beren  äflitglieber  jum  Austritt  aufge* 
forbert  würben.  $a  bie  3lluminaten  fich  um  biefe  93erorbnung 
nicht  fümmerten  unb  ber  aus  bem  ©unbe  ausgetretene  Qofepl) 
Llfcfchnetber,  Sefretär  ber  ^erjogin  SJcaria  $lnna,  bem  föurfürften 
ßarl  $hcooor  {ctbft  ausführliche  SJcittheilungen  über  ben  Crben 
gemacht  fyattt,  6C&°*  berfelbe  unterm  2.  9Warj  1785  burch  ein 
fcfyarfeS  (Ebift  bei  fchwerer  Strafe  bie  $luflöfung  ber  ^lluminaten 
unb  ber  Freimaurer,  wobei  bie  Üe|teren  als  eine  „bon  ihrer  ur« 
fprünglichen  Stiftung  allzuweit  abgewichene  ©efeUfchaft"  bejeict)- 
net  würben.  SöeiShaupt,  ber  furj  Dörfer  feiner  Sßrofeffur  entfetyt 
worben  war  unb  ben  bon  ihm  unter  3urüdroetfung  ber  ihm  ange* 
botenen   ^ßenfion   geforberten   Slbjrfneb   als   ein  „ho^^üthiger, 


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$a§  beuHdfje  »tetch  unter  3ofeph  II. 


517 


renommirter  Sogenmeifter"  erhalten  hatte,  hielt  eS  für  geraten, 
fich  weiteren  Unanneimtlichfetten  burch  bie  Sludjt  ju  entziehen. 
Radjbem  bic  Xenbenj  beS  DrbcnS  burch  eingeleitete  Unterredungen 
noch  flarer  an  ben  Xag  gelegt  Worben,  würbe  ein  $reiS  auf  bie 
Ergreifung  SBeiSfjauptS  tute  auf  bie  eines  Verbrechers  gefegt ;  er  fanb 
jebodj  in  ötotfja  bei  bem  ^erjog  Srnft  gaftliche  Aufnahme  unb  eine 
fixere  BufluchtSftätte.  Von  hier  liefe  er,  tuöfjrcnb  in  Vaiern  mehrere 
feiner  ©enoffen  mit  Slemteröerluft  unb  ©efängnifj  beftraft  mürben, 
öerfcrjiebene  ausführliche  VertheibigungSfäriften  ausgeben,  in  rocl* 
djen  er  feine  unb  beS  DrbenS  Verfolgung  lebiglid)  bem  #affe  ber 
^rieftet  gegen  bie  öon  ihm  öerbreitete  „9lufflärungM  auftrieb.  $a= 
gegen  gaben  mehrere  ber  guerft  ausgetretenen  9Jcitglieber  umfaffenbe 
Erörterungen  über  bie  gefährlichen  Stoppten  beS  VunbeS  in  2)raef ; 
auch  würben  bie  mit  Vefcfflag  belegten  Rapiere  zahlreicher  gUumi* 
naten  auf  Vefet)l  beS  turfürften  öon  Vaiern  in  München  öeröffent* 
licht.  $>ie  Erwartung,  baß  biefe  *ßublifationcn  gro&eS  Sluffehen  er* 
regen  unb  auch  anberen  Regierungen  Vcranlaffung  $u  emften  üflaf}* 
regeln  gegen  bie  gUuminaten  geben  mürben,  ging  jeboch  nicht  in 
Erfüllung,  thetlS  meil  bie  veröffentlichten  ©eheimlehren  beS  VunbeS 
über  Religion  unb  Staat  im  Söefentlichen  nicht«  SlnbereS  enthielten, 
al«  was  bie  gefeiertften  Schriftfteller  unter  bem  SBeifatt  ber  meiften 
Sürftenfjöfe  in  allen  Xonarten  vorgetragen  hatten,  tfjeilS  auch  meil 
Diele  (Staatsmänner  unb  Beamten  $u  bem  öJeheimbunbe  in  enger 
Vejiehung  ftanben.  ®ein  gürft  öon  Vebeutung  hielt  eS  ber  9)cuhe 
Werth,  öon  bem  Vorgang  irgenbmie  ®enntnifj  ju  nehmen  ober  in 
feinem  Sanbe  Rachforfdmngen  nach  giluminaten  anpeilen  511  laffen, 
unb  fo  fonnten  bie  9Jcitglieber  beS  VunbeS  in  anberen  Sänbern  im 
Verborgenen  ungeftört  ihr  SBefen  forttreiben,  mobei  fte  fich  nur 
grö&erer  Verficht  unb  Surücfhaltung  befleißigten;  öiele  berfelben 
Zogen  eS  jeboch  oor,  ben  gretmaurerlogen  beizutreten. 

2Bie  bie  StaatSummälzungSibeen  Rouffeau'S,  fo  fanben  auch 
feine  päbagogifchcn  ©runbfäfce  in  ^eutfdjlanb  Slnflang,  namentlich 
im  proteftanttfehen  Horben,  mo  ber  bumpfe  *ßcbantiSmuS  beS  in 
gciftlofen  gormen  erftatrten  Unterrichts*  unb  ErziehuugSWefenS  baS 
Vebürfnifj  einer  Reform  befonberS  fühlbar  gemacht.  Qm  Qahre 
1774  grünbete  3ofjann  Vernharb  V  a  f  e  b  0  m  ,  ein  proteftantifetjer 
Xheologe  (geb.  1723  p  Hamburg,  geft.  1790  ju  Eeffau),  nach 
einem  öon  ihm  entworfenen,  im  SBefentlichen  auf  Rouffeau'S  51n* 
fichten  beruhenben  Sßlane,  ber  neben  ber  9luSbilbung  beS  ©eifteS 
burch  eine  rationellere  Unterrichtsmethobe  auch  bie  Entwuflung  ber 
$örperfraft  burch  angemeffeue,  hauptfächlich  auf  Abhärtung  jielenbe 
Uebungen,  nrie  Schwimmen,  Vaben  u.  bgl.,  im  Sluge  hatte  unb 
fich  babei,  bem  (Steifte  ber  Qtit  entfprechenb,  bie  Aufgabe  fteHte, 
ben  Högling  öor  SlHem  für  bie  irbifche  SBelt  heranjubilbcn,  ju 


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518 


Äatfer  3ofepf>  II. 


$effau  eine  SJhifteranftalt ,  ba3  fogenannte  h  i  *  a  n  t  r  o  p  t  n", 
baä  jebodj  im  3af)rc  1793,  nachbem  SBafeboto  fetbft  fdjon  im 
3al)re  1776  burdj  S^rroürfniffe  mit  feinen  SJcitarbeitern  oeranla&t 
toorben ,  bie  ßeitung  ber  Mnftalt  nieberjulegcn ,  au*  SJcanget  an 
©elbnütteln  mieber  einging. 

Obgleich  oon  mehreren  ©dmlmännern,  bie  ffa$  in  bem  tyfylan* 
tropin  mit  SBafebotoS  ©runbfäfcen  oertraut  gemalt,  üerfchtebene 
ähnliche  2(nftalten  in*  fieben  gerufen  mürben ,  unter  benen  befon* 
ber*  bie  burch  ©aljmann  $u  @djnepfentha(  gegrunbete  längere 
3eit  eine«  bebeutenben  SRufeS  genofj,  ^atte  boch  ber  „^fulantropi* 
niamuS"  feine  Xauer ,  meil  bie  ^fnlantropiniften  bei  ber  ©e* 
fämpfung  ber  früheren  Unterrichtämethoben  in  baä  entgegeugefefcte 
©ftrem  oerfielen  unb  burch  finbifche  (Spielereien  beim  Unterricht 
ihren  Möglingen  ftatt  eine*  gebiegenen  SBiffenS  eine  feilte  Siel» 
mifferei  unb  einen  oerberblidjen  Xünfel  beibrachten.  Qnbeffen 
bleibt  bem  ^t)Uantropini*mu*  ba*  SBerbienft,  jur  Wbfteüung  maiu 
eher  oerjät)rten  SJci&ftänbe  im  (Srjiehung3=  unb  UnterrichtStoefen 
be*  proteftantifchen  XJeutfchlanbS  beigetragen  unb  inabefonbere  $u 
toefcntlichen  Serbefferungen  im  ©oltefchulmefen  SBeranlaffung  ge- 
geben au  ^ben. 


2)te  lefcte  »egieningSjeit  Waria  Xherefta'S. 

(1763-1780.) 

©i*  ju  bem  Xobe  Sfran^  I.  mar  ba*  «erf)ältniß  3ofeph*  $u 
feiner  Sftutter  ba*  h^jüchfte  unb  järtlichfie  gemefen;  auch  ™d) 
bemfelben  bauerte  ba*  gute  (Sinoernehmen  jmifchen  Reiben  noch 
eine  9icit)c  oon  fahren  fort,  obgleich  bie  ®eringjchä&ung ,  mit  xotU 
eher  3ofeph  feine  jtoeite  (Gemahlin  Sofepha ,  eine  Xochter  ®aifer 
#arl3  Vü.,  behanbelte ,  meil  fie  ihm  minber  fompathtfeh  toar ,  aU 
feine  erftc  ÖJemahlin  gfabeöa  oon  ^arrna ,  bie  ihm  im  3at)re 
1762  nach  Jtoetjahriger  glütflicher  ©f)e  burch  eine  ©latternepibemte 
entriffen  morben,  ber  $ai[erin  gro&en  Kummer  bereitete.  Allmählich 
jeboch  entftanben  Reibungen  jmijchen  bem  faifer  unb  feiner  9Jcutter, 
bie  ihren  OJrunb  auäfchlie&lich  in  ber  SBerfdnebenheit  ihrer  fiebenS* 
anfehauungen  unb  SRegierungSgrunbfäfee  hotten,  unb  bei  bem  Starr* 
finn,  mit  toelchem  3°feph  on  ben  SJcarjmen  ber  moberneu  Staat3= 
toei&heit,  befonber*  in  Söejug  auf  rcligio&politifche  Sragen,  feft* 
hielt,  unb  ber  gereiften  (Stimmung,  bie  er  in  ber  Söertheibigung 
berfelben  feiner  Üttutter  gegenüber  oft  an  ben  Xag  legte,  geftaltete 
fich  ba3  SBerhältnifc  jmtfdhen  Reiben ,  namentlich  in  ben  lefcten  ße* 
bendjahren  ÜHaria  Xherefia'3 ,  $u  einem  immer  traurigeren;  boch 


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$ie  le|tc  SRegierungSaett  Sßarta  fcherefia'S.  519 


blieb  baS  nicht  mehr  auSaugteichenbe  Sermürfnig,  in  metdjeä  befon* 
berS  eine  Stnjaht  erft  in  neuefter  Seit  burdj  ben  ©oron  Neroon  in 
Srüffet  aufgefunbener  unb  oeröffentlichter  ©riefe  ber  ftaiferin  an 
ihre  intime  Sreunbin,  bie  oermittmete  Sflarquife  b'^erjeae,  einen 
tieferen  ©inblicf  gemähren ,  burch  baS  Sartgefüht  ber  ßaiferin  ben 
Augen  ber  SBelt  berborgen,  unb  menn  bie  tief  befümmerte  9Hutter 
bisweilen  in  ©riefen  an  erprobte  Sertraute  ihrem  bebrängten 
$erjen  Suft  machte,  fo  bat  fte  ftets  am  ©djtuffe  berfelben  bringenb, 
ihre  ©riefe  fofort  ju  bernidjten. 

©dmu  öor  ber  Xljronbefteigung  Sofep^*  II.  ^atte  ber  im 
Qahre  1763  erfolgte  Xob  AuguftS  III.  oon  Saufen  unb  $olen 
föufjtanb  unb  Greußen  ©eranlaffung  ju  einer  erneuten  ©inmifdmng 
in  bie  Angelegenheiten  dolens  gegeben,  bie,  roie  mir  meiter  unten 
hören  merben,  im  Qa^re  1773  $u  einer  erften  gemaltfamen  Xtyu 
lung  biefeS  SanbeS  führte.  äftaria  X^erefia  mieS  anfangt  bie 
Aufforberung  jur  ©etheiligung  an  biefem  (Uemaltafte  mit  ©ntfdjie* 
benfjeit  $urücf ;  nachbem  jeboef)  alle  ihre  ©emüfmngen  $ur  Verhütung 
ber  beabfichtigten  Qerftücflung  dolens  erfolglos  geblieben  unb  ein 
jmifchen  SRußtanb  unb  Greußen  gefdjloffener  X^eilungSoertrag  bem 
SBiener  £ofe  bte  ©eroi&heit  gegeben ,  baß  bie  Anfdjtäge  ber  beiben 
2Räct)te  auf  $olen  nur  burd)  SBaff engematt  vereitelt  merben  fönn* 
ten,  gab  fie  auf  baS  drangen  3ofeph&  unb  beS  gürften  ®aumfc 
ihren  SBiberftanb  gegen  ben  beitritt  }U  bem  oon  5riebrich  unb  ber 
(Ejarin  entmorfenen  EheilnngSplane  auf.  Allein  pe  fdjrieb  an  Äaunifc : 
„Als  aOe  meine  Öänber  angefochten  mürben  unb  ich  gar  nicht 
rnctu"  mu&te,  mo  id)  ruhig  nieberfommen  foQte,  fteifte  ich  mich  auf 
mein  gutes  9ted)t  unb  ben  ©eiftanb  ÖJotteS.  Aber  in  biefer  ©adje, 
mo  nic^t  allein  baS  offenbare  3ted)t  t)immelfc^reict  miber  unS,  fon* 
bem  auch  ööe  ©iHigfeit  unb  bie  gefunbe  Vernunft  miber  uns  ift, 
mufj  ich  befennen ,  ba§  ich  mtc§  Seitlebens  nicht  fo  beängftigt  ge= 
funben  unb  mich  fehen  $u  laffen  fcf)äme.  ©ebenf  ber  Sürft,  maS 
mir  aller  SBelt  für  ein  (Stempel  geben,  menn  mir  um  ein  elenbeS 
©tücf  oon  $olen  unfere  @hre  unb  Deputation  in  bie  ©chanje 
fchlagen.  3dj  merfe  mof)! ,  ba&  ich  <&*'w  bin  unb  nicht  mehr  en 
viguenr;  barum  lag'  ich  ©ödjen,  mieroof)l  mit  meinem  größten 
©rame,  ihren  2Beg  gehen." 

©ereitä  oor  ber  erften  Xhe^u"9  Motens  ^atte  bie  3urd)t  öor 
bem  brohenben  Anmadjfen  ber  ruffifdjen  Stacht  burd)  einen  glück 
lieh  geführten  Xürfenfrieg  griebrid)  IL  ju  einer  Annäherung  an 
Oefterretct)  bemogen,  unb  ba  3°ffPh  IL  fcinerfeitS  fdjon  lange 
münfehte,  ben  $önig,  oon  beffen  Degentengröße  er  eine  hohe  9ttei* 
nung  hotte ,  perf önlich  fennen  ju  lernen ,  mürbe  jmifchen  beiben 
Monarchen  eine  Sufammen!unft  oerabrebet ,  bie  am  25.  Huguft 
1769  ju  9lei§e  ftattfanb.  ©eibe  brüeften  einanber  bie  größte  $och* 


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520 


tfaifer  Sofetf  II. 


fchäfcung  au*  unb  unterzeichneten  einen  geheimen  SBertrag ,  in  roel* 
ehern  ftc  fiel)  verpflichteten ,  ben  jttuföen  <ßreugen  unb  Defterreid) 
glüeflich  jjergefteflten  grieben  mit  aller  Xreue  aufregt  $u  halten 
unb  bei  etwa  eintretenben  politifchen  Sernncflungen  bie  Dollfom* 
menfte  Neutralität  in  Slnfefmng  ihrer  beiberf  eiligen  Seftfcungen  $u 
beobachten. 

$)ie  $u  9eeifje  jnrifchen  beiben  9Jconarct)en  au&getaufchten  Sreunb* 
fd)aft*oerficherungen  hmrben  im  fotgenben  Safere  bei  einer  jtüeiten 
Sufammenfunft  berfelben  ju  SReuftabt  in  ÜJcäljren  (3.  September) 
erneuert,  unb  bie  ©etheiligung  Deftcrreic^d  an  ber  gcrftücfelung 
^olen*  festen  ba*  annfehen  ben  beiben  2Jconard)en  beftehenbe  gute 
(Sinüernefjmen  für  bie  $auer  ficher  $u  fteHen.  9cicht*beftott)eniger 
mürbe  ba*felbe  balb  geftört,  inbem  Sriebrich  au*  ben  SReformbeftre* 
bungen  be*  ßaifer*  im  beutfdjen  föeiche  unb  au*  angeblichen  Ser* 
cinbarungen  be*felben  mit  ber  (Saarin  bie  «bficht  Qofeph*  folgerte, 
nicht  nur  bie  frühere  9Jcacht  be*  ftaiferthum*  h^ftellen ,  fonbero 
auch  ba*  öfterreichifche  ©ebiet  bebeutenb  ju  erweitern,  unb  entfehtoffen 
mar,  ber  2lu*ffihrung  beiber  Richte  mit  allen  ihm  ju  ©ebote  ftehen= 
ben  TOitteln  entgegen  ju  treten. 

SlHerbing*  lag  e*  in  ber  Wbftcht  Qofeph*,  feine  §au*macht  in 
2)eutfchlanb  ju  üerftärfen,  aber  nicht  auf  bem  SBege  ber  ©roberung, 
fonbern  auf  bem  be*  Vertrag*.  $>a  ber  fturffirft  SRayimilian  3o= 
feph  oon  ©atern  feine  ©ohne  hatte,  fiel  ba*  baierifche  fianb  nach 
feinem  Xobe  an  feinen  Setter ,  ben  fhirfürften  Äarl  Xheobor  oon 
ber  $falj,  unb  ba  biefer  gleichfalls  ohne  erbberechtigte  ftachf ommen 
mar,  fnüpfte  Qofeph  H-  nttt  bemfelben  Unterhanblungen  megen  ber 
Abtretung  eine*  großen  XheilS  »on  Saiern  an,  auf  welchen  er 
ohnehin  ade  ©rbanfprüche  geltenb  machen  ju  fönnen  glaubte.  ®arl 
Xheobor  mar  ju  biefer  Abtretung  gegen  bie  Sufage  bebeutenber 
perfönlicher  SBortheile  bereit;  boch  noch  ehe  bie  3"ftimntung  feine* 
eigenen  (£rben,  be*  $>er$og*  Äarl  öon  $falj  3meibrücfen ,  gu  bem 
jmifchen  ihm  unb  bem  $aifer  bereinbarten  Sertrage  hatte  eingeholt 
merben  fönnen,  ftarb  ber  Jhirfürft  SJcarjmilian  Sofeph  öon  Saiem 
am  30.  ^ejember  1777  unerwartet  an  ben  Äinberblattern.  Db* 
gleich  Sftaria  Xljerefia  menig  mit  ber  ganzen  6ad)e  einüerftanben 
mar  unb  ju  berfelben  nur  mit  SBiberftreben  ihre  (finmilligung  ge* 
geben  hatte,  befefcte  Sofeph  fofort ,  auf  ©runb  be*  mit  $arl  $he°5 
bor  am  3.  Qanuar  1778  jum  Slbfchlug  gefommenen  Vertrag*,  ba* 
in  9tebe  ftehenbe  baierifche  Gebiet. 

Snjmifchen  hatte  griebrict)  II.  gleich  nach  bem  Xobe  be*  #ur* 
fürften  SJcarimilian  Sofeph  oon  SBaiern  ben  trafen  ©ör§  an  ben 
#erjog  oon  $fal$*3meibrücfen  entfanbt,  um  benfelben  jur  ©eltenb* 
machung  feiner  (Sxbanfprüche  unter  *ßroteft  gegen  ben  jttrifchen  bem 
Älaifer  unb  bem  neuen  fturfürften  oon  Söaiern  gcfchloffenen  Vertrag 


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2>ic  lefrte  flegterungfyeit  TOaria  Sherefta'3. 


521 


ermuntern  unb  Um  zugleich  aufforbern  ju  laffen,  bei  Greußen  #ilfe 
zu  fucben.  Obgleich  ber  ©erzog  ben  2lft  ber  äufrimmung  ju  bem 
fraglichen  Vertrage  bereits  unterzeichnet  r)attc ,  liefe  er  ftd)  bereben, 
ben  Jetben  jurücfju^alten  unb  mit  bem  ®önig  bon  Greußen  am 
8.  3Rärj  1778  einen  Vertrag  ju  stießen,  in  melc&em  ber  ßefetere 
fich  oerpflichtete ,  bie  föedjte  be*  $>aufe*  ^fata^meibrücfen  auf  bie 
Nachfolge  in  ©aiem  „gegen  bie  ungerechten  Slnfprfiche  be*  SBiener 
$ofe8"  mit  feiner  ganzen  SRadjt  gu  öertheibigen. 

©chon  im  ßaufe  be*  3flonat3  Januar  ^atte  griebrtch  ju  bie* 
fem  gmecfe  im  ©ritten  eine  Sttobilmachung  angeorbnet.  £a  in* 
Ztoifchen  auch  üon  fturfadjfen  unb  aflecftenburg  s2lnfprücr)c  auf  ein= 
Zelne  $heile  be*  baierifchen  Gebietes  erhoben  morben  maren ,  trat 
er  in  ber  ©igenfchaft  eine*  ©achmatter*  auf,  obgleich  feine  93e* 
recbtigung  baju  oon  Defterreich  beftritten  mürbe  unb  ßaunifc  bie 
©rflärung  abgegeben  hatte :  ber  faifertiche  £>of  merbe  nicht  jugeben, 
baß  ein  föeichsftanb  fich  jum  SBormunb  unb  dichter  feiner  9)(itftänbe 
auftoerfe ;  um  jeboch  3eit  $u  gewinnen,  bie  (Sefinnungen  ber  großen 
dächte  ju  erforfchen  unb  ju  erfahren,  auf  toeffen  SBeiftanb  er 
jahlen  fönne,  jog  er  bie  gange  ©ache  gcfliffentlich  in  bie  Sänge. 
2ln  eine  (Sinmifchung  ©nglanbS  in  biefe  Angelegenheit  mar  megen 
be*  im  3ahre  1775  aufgebrochenen  Krieges  biefer  Ütfacht  mit  ihren 
norbamerifanifchen  Kolonien  nicht  ju  benfen ;  bagegen  zählte  grieb* 
rieh,  wenn  nicht  auf  bie  frilfe,  fo  boet)  auf  eine  entfd&iebene  9ieu> 
tralität  granfreich*,  ganj  befonber*  aber  auf  bie  2Ritmirfung  feiner 
getreuen  ©unbeSgenoffin  ,  ber  ®aiferin  Katharina,  faß«  nicht  etma 
ein  ftrieg  SRußlanb*  gegen  bie  Xürfet ,  ju  meinem  äße  Anzeichen 
üorhanben  maren,  bie  Gräfte  ber  ßjarin  auSfchlteßlich  in  Anfpruch 
nähme.  SBährenb  er  felbft  in  ©etymen  etnzufaßen  gebachte,  hoffte 
er  bie  (£jarin  beftimmen  ju  fönnen,  burch  ©alijien  unb  Sobomerien 
ein  #eer  in  Ungarn  einrüefen  ju  laffen,  um  fomohl  ijitt  al*  in 
Kroatien,  im  öanat  unb  in  Siebenbürgen  bie  fcht*matifchsgriechifchen 
Unterthanen  Defterreich*  gegen  ihr  ©errfcherhau*  unter  bie  SSaffen 
ju  bringen. 

Unterbeffen  hatte  3ofeph  feinerfeit*  im  grühjahr  1778  auf 
Ungarn,  Qtalien  unb  glanbern  Xruppen  nach  ©öhmen  gezogen 
unb  baburch  bem  #önig  öon  Greußen  SBeranlaffung  gegeben,  feine 
ifriegöborbereitungen  ju  befct)teunigen.  3mei  preußifche  ©eere,  jebe* 
öon  achtjigtaufenb  2Jcaun,  fefoten  fich,  &a*  eine  öon  Berlin,  ba*  an* 
bere  oon  ©cfjlefien  au* ,  gegen  bie  böhmtfehe  ©renje  in  SBeroegung. 
Wit  bem  lefcteren  bezog  griebrich  felbft,  ber  fidt)  am  4.  April  oon 
öerlin  nach  ®re*lau  begeben,  ein  öerfdjanzte*  ßager  in  ber  ®raf= 
fdmft  (SJlafc.  S3on  hier  au*  unterhielt  er,  um  ben  beginn  be*  Stiege* 
bi*  5 um  (Eintreffen  fixerer  Nachrichten  oon  bem  gleichzeitigen  58or* 
marfch       Stoffen  oerzögern  ju  fönnen,  mit  3ofef>r)  II.  einen  leb* 


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522 


Äaifcr  $ofepl)  II. 


haften  ©rieftoechfel ,  ben  er  mit  ber  Cftflärung  beenbete,  er  toerbe 
bie  längere  SBeigcrung  DefterreichS ,  feine  Xruppen  au*  ©aicm 
äurücfyujiehen,  für  einen  #rieg3fafl  anfehen.  $a  Sofeph  bei  feiner 
Steigerung  beharrte,  rütfte  Sriebrid)  fofort  in  ©ö^men  ein. 

9kd)bem  eS  hier  gtt  einigen  flehten  ©dwrmüfceln  gefommen, 
fanbte  Hftaria  Xfjerefia ,  bie  fehnlichft  ttriinfdjte ,  ben  ^rieben  herge- 
fteHt  gu  fehen,  im  Äuguft  1778  ifjren  9tfinifter  Xfmgut  in  baS 
Säger  SriebridjS  bei  ^Braunau,  mit  bem  Auftrag,  hinter  bem  dürfen 
3ofeph$  mit  bem  $ömg  über  ben  grieben  unterhanbeln,  unb  in 
ber  $hat  jeigte  fich  ber  £önig,  beffen  $eer  fich  bieSmal  in  burdmuS 
ungenügenber  SBerfaffung  befanb ,  meil  griebrich  feiner  ©emohnheit 
gemäfj  ade  Anorbnungen  felbft  hatte  übermalen  moüen ,  ohne  bei 
feinem  üorgerütften  Alter  biefer  Aufgabe  genügen  ju  fönnen, 
einem  gütlichen  Ausgleich  geneigt ;  allein  3°feph>  ber  in  feinen  frie* 
gerifchen  (belüften  burch  $aunifc  beftärft  mürbe,  mar  fehr  ungehalten 
über  bie  gepflogenen  Unterhanblungen  unb  fdjrieb  an  feine  Sflutter : 
menn  fie  grieben  fchlie&en  mofle,  fo  merbe  er  nie  mieber  einen  gufj 
nad)  SBien  fefcen. 

Obgleich  in  golge  beffen  ber  $rieg  fortgefefet  mürbe ,  fam  e& 
ju  feinem  irgenbmie  nennenSmerthen  Unternehmen ,  unb  fdmn  im 
September  50g  {ich  griebrich,  ber  e3,  ohnehin  nicht  mehr  ber  Alte, 
nicht  magte,  baä  öfterreidufche  |>eer  in  feiner  trefflichen  Stellung 
anzugreifen,  unb  beffen  Xruppen  überbieä  an  allem  Röthigen  Langel 
litten,  nach  ©djlefien  5urücf.  S)ie  Defterreidjer  rücften  hierauf  gleich5 
faüä  in  0berfd)lefien  ein ;  boch  blieb  eä  auch  hier  °ei  einigen  unbe* 
beutenben  QJefcchten,  in  melden  fich  bie  öfterreichifche  Reiterei  im 
Allgemeinen  ber  preufiifchcn  überlegen  jeigte. 

griebrich  felbft,  ber  fich  in  feinen  auf  granfreid)  unb  SRuftfanb 
gefegten  Hoffnungen  getäufcht  fah  unb  bei  ber  immer  meiter  um 
ftch  gretfenben  $emoraltfirung  feines  £eereä  auf  feine  bebeutenben 
SBaffenerfolge  hoffen  fonnte,  münfdjte  jefct  fehnlich  ben  trieben, 
unb  ba  Qofeph  II.  fich  Duwh  oie  Abneigung  feiner  Sflutter  gegen 
bie  gortfefcung  be$  Kriege*  in  feinen  Unternehmungen  gleicbfallä 
gehemmt  fah,  nahmen  beibe  Sftächte  bie  üon  granfreid)  unb  föufc 
lanb  auf  ÜÄaria  Xherefia'd  ^Betrieb  angebotene  griebenaüermittlung 
an.  Sftachbem  im  2flärj  1779  ein  SBaffenftiüftanb  gefchloffen  toor* 
ben,  mürbe  am  13.  Sftai  ber  „baierifche  ©rbfolgefrieg"  —  üon  ben 
©olbaten  megen  feiner  unbebeutenben  ©reigniffe  fcherjmeife  ber 
„ßartoffelfrieg"  genannt  —  burch  &en  oon  granfreid)  unb  9tu&= 
lanb  »ermittelten  grieben  üon  %  e  f  d)  e  n  beenbigt ,  in  meinem 
3ofeph  gegen  bie  Ucberlaffung  beä  üon  ben  glüffen  3)onau,  3nn 
unb  Salja  umfa&ten  baierifchen  (Gebietes,  be*  fogenannten  „3nn* 
üicrtclS,"  allen  meiteren  Anfprüchen  auf  ©aiern  entjagte,  mährenb 
ber  $urfürft  oon  ©adjfen  für  bie  üon  ihm  erhobenen  Anfprüche 


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3)ie  lefcte  SRegierungSsett  SRaria  £herefta'ft.  523 

fed)3  2RilIionen  Bulben  erhielt  unb  bem  #erjog  oon  SRecflenburg 
für  bic  {einigen  ba£  *ßrioilegium  de  non  appellando  —  bie  93e* 
freiung  öon  ber  Verpflichtung ,  bie  (Sntf Reibungen  feiner  ©eridjta* 
r)öfc  ben  Reichsgerichten  ju  unterwerfen  —  jugefprodjen  würbe. 
£a  ber  griebe  oon  Xefchcn  nicht  nur  oon  granfreich,  fonbern  auch 
bon  ber  (Sjarin  geroär)rteiftet  Würbe,  fo  War  burrf)  benfelben  für 
föußlanb  bie  93af)n  jur  ©nmifchung  in  bie  inneren  Angelegenheiten 
$)eutfchlanbS  gebrochen. 

SJcaria  i^erefia  überlebte  bie  #erfteHung  beä  griebenS  nur 
anbertfjalb  3af)re.  @in  SBruftfatarrh ,  ber  fie  am  20.  SRooember 
1780  befallen,  entwicfelte  fid)  balb  $ur  ausgekrochenen  ©ruft* 
Wafferfucht.  £ro|j  ber  fteigenben  AthmungSbefchwerben,  bie  fte  mit 
frommer  Ergebung  in  Den  Sßillen  ©otteS  ohne  £aut  ber  ®lage 
unb  ot)ne  jebe  Regung  ber  Ungebulb  ertrug,  wibmete  fie  ben  ©taats* 
gefchäften  fortwährenb  bie  regfte  Xt)eilnaljme.  «ftachbem  fie  bie 
^eiligen  ©terbejaframente  empfangen ,  nahm  fie  oon  ihren  in  SBien 
anwefenben  Sfrnbern  Wbfchieb ,  fegnetc  fie  unb  empfahl  bie  ©r^ 
herjoginnen  ber  befonberen  gürforge  beä  ÄaiferS.  Als  am  Abenb 
beS  folgenben  XageS  bie  Söcflemmungen  junahmen ,  bat  fie ,  bie 
genfter  $u  öffnen,  unb  machte  einen  SBerfuch,  fich  au$  bem  £efm= 
ftul)I  ju  erheben,  in  welchem  fie  bie  lefcten  2age  augebracht;  Sofeph, 
ber  fie  fchmanfen  f ah ,  fprang  hetau ,  boch  in  bemfelben  Augenblicf 
fanf  fie  entfeelt  aurücf.  ©ie  ^attc  ein  Alter  oon  bierunbfechjig 
Sahren  erreicht. 

$ie  Nachricht  bon  bem  $infcheiben  ber  aEtoerehrten  ftaiferin 
rief  in  aflen  Sänbern  ber  öfterreichifchen  Monarchie  bie  unge* 
heucueltfte  Xrauer  h«öor.  3eber  fühlte,  baf?  ein  gro&cä,  bebeu* 
tungSooüeö,  ruhmwürbigeS  ßeben  erlofchen  mar,  unb  bie  @rinne= 
rung  an  bie  Sfraft  unb  2Jcilbe  ihres  SBefenS ,  an  ben  ©egen ,  ber 
oon  ihr  ausgegangen,  lebte  fort  in  Dielen  Saujenben  banfbarer 
#erjen.  „2)ie  Wohlthöfen  Söirfungen  ber  SJca&regeln ,  welche 
2ftaria  %i)txi\\a  ergriff",  fagt  Arneth,  nachbem  er  bie  §aupt* 
momente  ihrer  fegenSreichen  SBirffamfeit  herborgehoben  ,  „mürben 
balb  allgemein  fühlbar,  unb  noch  jefct  wirb  bie  Seit  ihrer  SRegie* 
rung  nicht  nur  in  ben  ^robinjen,  Welche  ben  ®ern  ber  Monarchie 
bilben,  fonbern  auch  in  ben  bamaligen  öfterreichifchen  9cieberlanben, 
in  ber  Sombarbei  unb  in  Ungarn  als  biejenige  ber  fchönften  SBlüthe 
biejer  ßänber  einftimmig  gepriefen 


1)  93on  ben  feeb^ehn  tfinbern,  roeldje  Waxia  £f)erefta  geboren,  überlebten 
fte  $eljn:  3ofeph  Äatfer  unb  (Srbe  oon  Defierreidj;  Seopolb,  ©rofc 
fjerjog  oon  !£o$fana,  Mter  #aifer;  gerbtnanb,  burd)  bic  SSennft^lung  mit 
Ataxia  Beatrix,  oon  ©fte,  öerjog  oon  9flobena;  SR  ajtmüi  an  gran*, 
©rofemeifter  beS  beulen  Drben«,  fpftter  floabjutor  oon  fünfter  unb  Wurf ürft 


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524 


Saifer  Sofetf  II. 


£er  beutfche  ftürftenbunb. 

(1785.) 

$er  Xob  SEaria  X^crcjio^  mecfte  auf«  9fteue  bie  ©eforgniffe 
ftriebrichS  II.  bezüglich  ber  Sttachtttergrö&erungSplöne  beS  ÄaiferS. 
„SJcaria  X^etefta  ift  nicht  mehr!  (Sine  neue  Drbnung  ber  5)tnge 
beginnt!"  färieb  er  auf  bie  erfte  SRadjrtdjt  oon  bem  £)infd}eiben 
ber  $aiferin  an  fein  ÄabmetSminifterium.  Seine  ©eforgniffe  fdjie* 
nen  jebod)  unbegrünbet;  benn  in  ben  erften  Seiten  feiner  Mein* 
regierung  toanbte  Sofept)  feine  ganje  Äufmerffamfeit  ber  inneren 
Skrroaltung  feiner  öfterreidufchen  ©rblänber  $u,  bereu  ooUftänbige 
Umgeftaltung  fd)on  Iangft  bei  it)m  befdjloffene  Sache  gewefen.  $aS 
$rojeft  ber  Erwerbung  $aiernS  tyatte  er  jeboch  nicht  aufgegeben, 
unb  im  3a^re  1785  machte  er,  im  ©inoerftänbnifj  mit  ber  Sjarin, 
mit  welcher  er  fidj  feit  bem  Srteben  oon  Xefchen  $um  großen  33er* 
bruffe  grtebrichS  mehr  unb  mehr  befreunbet  hatte,  unb  bem  gleich* 
falls  mit  ihm  berbünbeten  franjöjtfchen  £>ofe,  bem  fturfürften  #art 
I^eobor  oon  Sßfal$=©aiern  ben  SSorfchlag,  bem  £>aufe  Defterreidj 
gegen  bie  Abtretung  ber  öfterreichifchen  ftieberlanbe ,  mit  9lu8fchlu& 
oon  ßujemburg  unb  SRamur,  unter  bem  Xitel  eines  Königreichs 
93urgunb  unb  bie  «ßahlung  einer  Öaarfumme  oon  brei  üWittionen 
Bulben  baS  fterjogthum  ©aiern,  bie  Dberpfalj,  bie  gürftent^ümer 
SReuburg  unb  ©ufybach  unb  bie  ßanbgraffdjaft  ßeudjtenberg  ju 
überlaffen. 

®arl  Xljeobor,  ber  mit  feinen  baierifc^en  Untertanen  auf  ge* 
fpanntem  gufje  lebte  unb  für  ben  ©lang  einer  ÄönigSfrone  fefjr 
empfänglich  toaxt  ging  bereitwillig  auf  biefen  Sorfajfag  ein.  Um 
bie  3uftimmung  beS  ixrjogS  oon  Sßfat^Smeibrücfcn  ju  erlangen, 
mürbe  ber  ruffifdje  ©efanbte  am  oberrt)einifa)en  Streife,  ®raf  ffto* 
manjow,  beauftragt,  benfelben  öon  bem  getroffenen  Slbfommen  in 
Äenntnig  ju  fefcen  unb  it)m  babei  ben  beabfidjttgten  £aufd)  als 
eine  feft  betroffene  ©ad)e  barjuftellen ,  bie,  oon  föu&lanb  unb 
granfreidj  gebilligt ,  unter  allen  Umftänben  $ur  Ausführung  ge- 
langen werbe.  5)er  ^er^og  üerweigerte  nichtSbeft omeniger  bie  oon 
ihm  geforberte  Einwilligung  uub  beeilte  fich,  bem  #ömg  oon  Greußen 
oon  ben  ihm  geworbenen  Eröffnungen  9Rittheilung  ju  machen. 
Sriebrich  fchrieb  fofort  an  bie  Ejartn  unb  befchtoor  fie,  „bei  ihrer 


tum  Äoln;  3ttarta  Anna,  «ebtiffin  in  «rag  unb  fltaflenfurt;  SRaria 
Ghrifttne,  ber  befonbere  fiiebting  ber  Sfaijcrin,  oermfth»  mit  bem  |)e^og 
91  ( bert  oon  6achf  en*£ef  djen ;  9Raria@lifabeth,  Äcbti jfin  in  ^nnSbrucf ; 
Sftaria  Amalie,  ©emaljlm  beS  £>erjofl8  fttrbinanb  oon  $artna;  9Jcaria 
Caroline,  oermählt  mit  bem  tönige  fterbinanb  IV.  oon  Neapel,  unb 
9Rarla  Slntoinette,  ©emahlin  ßubnrig*  XVI.  oon  grontreich. 


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$>er  beutfdje  prftenbunb, 


525 


alten  greunbfchaft  unb  Slflianj,  bie  er  noch  nicht  gan§  erlogen 
glaube/  bie  ?lu«führung  eine«  fo  gefährlichen  (£nrttmrf«,  ber  tf)r 
eigene«  glorreiche«  SBerf,  ben  grieben  Don  Steffen,  gänzlich  ju  jer= 
ftören  brohe  unb  bem  er  felbft  fid)  mit  allen  feinen  Gräften  nriber* 
fcfcen  muffe,  ntcr)t  zuzugeben.  Heimliche  SBorfteüungen  fanbte  ber 
Herzog  t>on  Smeibrücfen  nach  $eter«burg.  $)ie  (Sgartn  erflarte: 
„<Sie  fei  meit  entfernt,  einen  3wang  ausüben  ju  tuoflen.  6ie  fyabt 
geglaubt,  bog  ein  freinrifliger  unb  billiger  Xaufdj  mit  bem  Srieben 
bon  lefchen  fcr)r  roof>l  beftefjen  fönne,  unb  bafj  ber  oon  bem  beut* 
fcr)cn  ®aifer  oorgefchlagene  Xaufdj  nach  ben  üon  bemfelben  gefteßten 
Söebingungeu  bem  jjfäljifd)en  £>aufe  nur  S3ortr)eitc  gemahre.  $cr 
Herzog  öon  Sroeibrücfen  möge  jebodj  ganz  nach  feinem  Qntereffe 
ffanbeln,  unb  roenn  er  bem  $aufche  feine  Suftimmung  öerfage,  fo 
tocrftecjc  e«  ftcr)  öou  felbft,  bog  bamit  bie  ©acfje  erlebigt  fei".  2)a  granf* 
reic^  bie  gleiche  ©rflörung  ab^ab,  ftanb  ber  $aifer  oon  feinem  Sßlane 
ab,  inbem  auch  er  errTärte,  bafj  er  nie  baran  gebaut  fyabt,  ben  be* 
regten  2lu«taufch  erjmingen  ju  motten. 

5Dtc  ganze  ©acfje  mar  fomit  erlebigt,  unb  griebrich  f)arte  feiner* 
tet  (Srunb  ju  meiteren  ©eforgniffen.  9licf>t«beftotoemger  benufcte  er 
ben  SBorfaü  jur  SBerurirflichung  eine«  längft  entworfenen  *ßlane«  burch 
welchen  jeber  Üftacfjtoergröfjerung  Defterreich«  oorgebeugt  unb  bem 
®aifer  bie  2Köglichfeit  benommen  iuerben  foßte,  in  bie  beftehenben 
9teid)3öerl)ältniffe  irgenbroie  reformirenb  einzugreifen,  ober  nach  grieb* 
rieh«  SluSbrucfStoeife,  „bie  föeichSoerfaffung  zu  üerlefcen."  Um  biefen 
Stoecf  5U  erreichen,  foDten  bie  9ieichSfürfteu  ju  einem  Söunbe  zu* 
fammentreten,  ber  jebem  Eingriff  be«  ßaifer«  in  bie  fechte  be« 
einen  ober  be«  anbern  ber  beutfehen  ©tänbe  mit  oereinten  Gräften 
entgegenzutreten  ftetS  bereit  fei. 

2)ie  3bee  ju  biefem  „gürftenbunb"  mar  in  bem  ®önig  er* 
macht,  al«  ber  Üatfer  im  Qahre  1780  bie  (Stooählung  feine«  SBru« 
ber«,  be«  Shrzherzog«  äRarunilian  granz,  jum  Soabjutor  be«  $ur* 
fürften  oon  ftöln  unb  SBifdjof«  oon  fünfter,  3ttajimilian  griebrich, 
burch  bie  betreff enben  $5omfapitel  burchgefejjt  fyattt.  „Unfer  $8ünb- 
m&",  r)eigt  e«  in  bem  (Sntnmrf,  ben  griebrich  am  24.  Dttober 
1784  feinen  $abinet«miniftera  ginfenftetn  unb  £>erzberg  jugefchieft, 
„fofl  nur  bie  Söefifcungen  eine«  Seben  ftchern  unb  oerfunbern,  bog 
ein  herrfchffichtiger  unb  unternehmenber  Reifer  einmal  bie  ganje 
beutfdje  iBerfaffung  umftürjt,  inbem  er  fie  ftücfmeife  zerbricht.  SBenn 
man  nicht  in  fetten  borfet)rt,  fo  mirb  ber  ®aifer  alle  feine  93et* 
tern  mit  beutfehen  ©isthümern,  @rjbi«thümern  unb  Äbteien  Oer* 
forgen,  biefelben  bann  föcularifiren  unb  auf  allen  Reichstagen 
burch  bie  Stimmen  feiner  Oettern  ba«  Uebergetoicht  behaupten.  X a» 
märe  für  bie  geiftlichen  dürften.  $lber  auch  toeltlichen  (jabcu 
ein  ^ntereffe,  einem  ©ünbniffe  beizutreten,  melche«  ben  ftaifer  in 


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526 


Äaifer  ^ofe^  II. 


allen  Slnfprfidjen  fjemmen  mürbe,  bic  er  auf  ifjre  ©taaten  machen 
fönnte,  ttrie  mir  neuerlidj  in  ©aiern  gefetjen  fwben.  (£in  nidjt 
minber  mistiger  ©egenftanb  ift  ber  SReidjStag  in  SRegenSburg  unb 
baS  ftammergeridjt  ju  SBefelar.  Stimmt  man  nidjt  bei  geiten  gute 
Sfta&regeln,  biefe  alten  @inrid)tungen  jii  erhalten,  fo  nrirb  ber  ®atfer 
fie  benufcen,  um  feinen  Despotismus  in  ganj  Deutfdjlanb  geltenb 
ju  machen. m 

Sftadj  bem  ©Reitern  beS  oon  3ofep§  entworfenen  Xaufdjpro* 
jefteS  fefcte  fid)  griebrid)  junadjft  mit  ben  Äur^öfen  Don  Bresben 
unb  §annooer  in*  (Stnoerneljmen,  unb  ba  biefelben  feine  ©eforg» 
niffe  megen  ber  ©ergrögerungSpläne  beS  ÄaiferS  teilten,  fanb  er 
bei  itjnen  für  feinen  $lan  ein  geneigtes  Df>r.  Dfme  föüdfidjt  auf 
bie  ÜKatjnungen  beS  ®atferS,  ber  oon  ben  angefnüpften  Untertjanb* 
lungen  ftunbe  erhalten,  „gefjäffigen  (Srbtdjtungen  unb  fallen  ©or* 
ftellungen  oon  bebenflidjen  $bftd)ten  beS  #aifert)ofeS  feinen  ©lauben 
beijumeffen  unb  fid)  nid)t  ju  oerbünben  gegen  Äaifer  unb  SReid)," 
fdjloffen  bie  brei  fturljäufer  ©ranbenburg,  ©adjfeu  unb  $annooer 
ben  „beutfd>en  gürftenbunb."  3n  bem  am  23.  3uli  1785  öon 
ben  ©eoollmäctyigten  berfelben  jit  ©erlin  unterjeidmeten  ©unbeS* 
vertrag  oerptüajteten  |taj  Die  zoerounDeten,  „gemeinjam  über  Die 
(Spaltung  ber  beutfdjen  föeidjsoerfaffung  ju  madjen,  jeben  9teid)S* 
ftanb  in  ©efifc  feiner  ßänber  unb  ©ercajtfame  $u  fluten  unb  fidj 
allen  unerlaubten  2fla&rcgeln  in  bem  Söege  ber  Drbnung  ju  toiber* 
fefcen."  Slujjerbem  gelobten  fte  in  ben  bem  ©ertrage  beigefugten 
geheimen  Wrtifeln,  bem  ÄuStaufdje  öon  ©aiern  nadjbrütflidtft  ent« 
gegen  ju  toirfen,  unb  fteüten  für  ben  gall  eine»  bieferfwlb  aus» 
breajenben  Krieges  bie  Xruppen$af)l  feft,  toeldje  jeber  ber  brei  ©er* 
bünbeten  für  benfelbcn  ju  fteflen  t)abe. 

Der  (Sinlabung  ber  brei  Shirljöfe  $um  Slnfdjlug  an  ben  Surften* 
bunb  folgten  balb  bie  £>erjöge  öon  ©raunfdjtoeig,  oon  ©adnen*©ott)a, 
öon  SBeimar,  öon  jjtocibrücfen  unb  oon  äRecflenburg,  bie  SJcarfgrafen 
oon  s2liiSbad>  unb  oon  ©aben,  ber  Sanbgraf  oon  Reffen  Gaffel,  ber 
©ifdjof  oon  DSnabrücf  unb  brei  gürften  oon  Slnfjalt,  julefct  fogar 
ber  im  3afjre  1774  burd)  öfterretc^ifc^en  @influ|  gemähte  tfur* 
fürft  Oon  iücainj,  griebrid)  Äart  Sofept)  Oon  ©rtyal,  ber  fid),  fo 
lange  2Raria  Xfjerefia  lebte,  als  treuer  «ntjänger  beS  (Sr^aufeS 
gejeigt  chatte. 

Drofc  ber  feierlichen  ©erfic^erung  griebria^S,  baS  ber  ©unb 
feinen  anberen  gmeef  ^abe#  als  bie  (Spaltung  unb  ©id^erftellung 
ber  beutfdjen  SReia^Soerfaffung,  erhoben  fta^  $at)lreid)e  ©timmen  ge* 
gen  benfelben,  unb  felbft  ber  preuSifa^e  ÖJet)eimeratt)  Doljm,  ber 
bei  bem  ^(bfc^Uig  beSfelben  eine  ^eroorragenbe  9lolle  fpielte ,  be* 
rietet,  ba6  nic^t  nur  2lnt)änger  Oefterreia^Sf  fonbern  and)  rooljl* 
gefinnte  Patrioten  fic^  mt^billigenb  über  ben  ©unb  auSgefprod>en 


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3«>fep$»  II.  ftaatH^e  Reformen  in  feinen  @r6tänt>em.  527 

unb  bic  grage  aufgeworfen  hätten:  „worum  man  bic  ©ebenfen, 
bic  man  Imbe,  nidjt  bem  föeidjoberfmupte  felber  üortrage,  ba$  fidt> 
ja  ju  einer  SBerbinbung  mit  aüen  föeid)Sftänben  erboten,  weldje  bie 
SBerfaffung  in  ©efa^r  glaubten,  unb  was  überhaupt  gefd)ef>en  fei, 
um  fo  oiel  SDcißtrauen  fjeroor  ju  rufen?  $er  ßatfer  Imbe  bem 
pfäljifdjen  #aufe  einen  Xaufdj  angeboten  unb  auf  bie  Steigerung 
eine«  aNitgliebeä  biefeä  #aufe3  fofort  fein  Angebot  fallen  laffen,  — 
in  feinem  Vorgehen  liege  fidjer  nichts  Unrechte*  unb  ©ewaltfame«, 
nod)  irgenb  welaje  SBebrofmng  für  ba3  töedjt  unb  bie  Srei^eit  2ln» 
berer."  2>en  geheimen  ßmeef  aber,  melden  Srtebrid)  bei  ber  ®rün* 
bung  be3  gfirftenbunbeö  im  Sluge  ^atte,  Derrtetf)  $ofmt  felbft,  inbem 
er  fd)rieb :  „(£3  ift  für  baä  ©leidjgemiajt  ßuropa'S  öon  ber  äußerften 
3Bta)tigfeit,  baß  granfreidjS  <Waa)t  gegen  Defterreiaj  niajt  aO>fe()r 
gefdjmädjt  werbe.  5X0cu  9ftärf)ten  muß  baran  gelegen  fein,  baß 
Defterreidj  feine  fdjWadje  Seite  bura)  ben  SBefifc  ber  Weberfanbe 
nia)t  oerliere  unb  burd)  ben  Erwerb  Don  ©aiern  nid)t  granfreid) 
für  immer  außer  ©tanb  fefce,  im  beutfdjen  Steide  93unbe$genoffen 
ju  f)aben  unb,  wenn  unter  biefen,  wie  natürlid),  ber  Regent  ©aternS 
fid)  befinbe,  burd)  ben  ^3eft^  ber  $onau  geführt,  bis  ins  ^erj  ber 
öfterreidufcfjen  (Staaten  einzubringen  —  ein  in  ber  Xf)at  fajon  mefjr 
ab  einmal  entworfener  unb  fet)r  einfacher  $fan." 


3ofepl)g  II.  jtaatUdje  Reformen  in  feinen  erblanbern. 

(1780-1790.) 

3e  mefyr  fidj  3°fcPf)  H-  bei  Seibjeiten  feiner  Butter  in  fei- 
nem (Einfluß  auf  bie  Verwaltung  Defterreidj  befdjränft  gefefjen  fjatte, 
befto  größer  war  naa)  iJjrem  Xobe  fein  (Stfer  für  bie  S)urd)füf)rung 
ber  Don  U)iu  für  not^wenbig  erachteten  ^Reformen.  Sine  Steife,  bie 
er  im  Qaljre  1777  unter  bem  tarnen  eine«  trafen  öon  3alfen= 
ftein  nad)  fjranfreid)  madjte,  wo  brei  Safjre  früher  ßubmig  XVI., 
ber  ©emafyl  feiner  ©djwefter  SRarta  Slntoinette,  ben  Xfjron  beftte* 
gen,  fjatte  ifjm  (Gelegenheit  oerfdmfft,  bie  SBortfüfjrer  ber  Slufflä* 
rung  unb  ber  neuen  <5taat3mei3()eit:  b'2llembert,  SRouffeau,  *8uf= 
fon,  ben  ginanjmann  üfteefer,  ßubmtgS  XVI.  ÜRinifter  Xurgot  —  baä 
Jpaupt  ber  „s4tyiifio  traten1',  bie  in  ber  £)  ö  rieten  iölüttjc  be*üanbbaueö 
bie  ergiebigfte  Guelic  be3  xBolföreicr^ttjuniö  unb  be»  ©taatäwof)le3 
faf)en  —  u.  perfönlid)  fennen  ju  lernen  unb  im  eifrig  gepfloge- 
nen SBerfefjr  mit  Urnen,  ben  er  ber  ^Beteiligung  an  ben  üim  $u 
CStjrcn  oeranftalteten  Jpoffeften  oorjog,  jidj  eingefjenb  mit  üjrcu 
3been  oertraut  $u  madjeu,  unb  mit  bem  feften  (£ntf$tuß,  it)rc 
©tifteme  in  feinem  ©taate  ju  üermertfjen,  war  er  in  feine  £>eimatl) 


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528 


flaifer  gofepf)  II. 


jurücfgefehrt.  9lber  nrie  feine  öerfef)lte  (£r$iehung  feinen  hochfah* 
renben  ©inn,  anftatt  it)n  ju  öerebeln,  nur  $urücfgeftofjen,  fo  harte 
it)n  ber  mangelhafte  Unterricht,  ben  er  in  feiner  Sugcnb  genoffen, 
nic^t  ju  einem  grünblichen  SBiffen,  fonbem  nur  ju  einer  einseitigen 
unb  oberflächlichen  Sluffaffung  ber  Dinge  geführt.  EIS  „erfter  Die- 
ner beS  ©taatcS,*  als  melden  er  fich,  gleich  griebrich  H.#  ben 
©runbfäfcen  ber  h^rrfchenben  ^hüofophie  cntfprechcnb ,  anfah ,  Jidt 
er  es  für  feine  Pflicht,  audfe^tiegtidt)  für  baS  SBohl  feiner  ©ölfer 
$u  leben;  aber  baS  fogenannte  „©emeintuohl",  baS  ju  förberu  er 
als  feine  erfte  unb  hödrfte  Aufgabe  betrachtete,  faßte  er  nicht  nach 
ben  Söebürfniffen  beS  unter  ben  mannichfaltigften  SBerhältniffen  im 
©taate  lebenben  SWenfchen,  fonbem  nach  einem  ganj  abftraften 
begriffe  oom  ©taate  auf ;  baher  gerieth  feiner  reformatorifcheu 
Xhötigfeit  überall  mit  ber  SBirflichfeit  in  «onflffl  unb  fonnte  für 
feine  ©djüpfungen  nur  burch  baS  Sertrümmern  ber  beftehenben 
Serhältniffe  ©oben  genrinnen,  öeblenbet  burch  bie  Erfolge,  bie 
griebrich  II.  bei  feinem  fülmen  Durchbrechen  alter  NechtSfchranfen  er* 
rungen  hatte,  unb  oon  ber  Ueberjeugung  erfüllt,  baß  feine  beabftchtig* 
ten  Neuerungen  ebenfo  Diele  ©erbefferungen  feien,  hielt  auch  er  fich  an 
bie  in  feinen  ©taaten  beftehenben  NechtSjuftänbe  nicht  gebunben  unb 
riß  mit  unerbittlicher  NücffichtSloftgfeit  alles  nieber,  maS  ihm  im 
SBege  ftanb. 

2Bar  fet)on  burch  bie  Unjufriebenheit,  bie  biefe  jerftörenbe 
SBtrffamfeit  unter  ben  baoon  betroffenen  h^borrufen  mußte,  bie 
Dauer  ber  Neuerungen  3ofepf)S  in  grage  gefteflt,  fo  trug  bie  lieber* 
ftürjung,  mit  melier  er  in  feinem  ruhelofen  Dhatenbrang  bei  ber 
Umgeftaltung  beS  öfterreidufchen  ©taatSmefenS  ju  SBerfe  ging,  nicht 
weniger  baju  bei,  ben  ©oben  feiner  Schöpfungen  ju  untergraben, 
unb  jo  hatte  er  nicht  nur  ben  ©chmerj,  für  feine  guten  Sibfichten, 
nrie  er  glaubte,  Nichts  als  Unbanf  ju  ernten,  fonbern  er  far)  fich 
auch  genötigt,  üerfchiebene  feiner  bermeintlichen  Reformen  felbft 
fturücf  ju  nehmen. 

3ofepf)S  reformatorifche  Dhötigfeit  erftreefte  fich  über  alle  ©e= 
biete  beS  ©taatSlebenS :  über  Sieferbau,  $anbcl  unb  gnbuftrie, 
über  bie  Rechtspflege,  baS  ginanj=  unb  ÄriegSmefen,  über  bie  ©d)u* 
len  unb  bie  fachlichen  ©erhältniffe.  Dabei  wollte  er,  als  ©elbft* 
herrfcher  im  Reifte  griebrichS,  ben  er  fich  nach  feiner  eigenen  aus* 
brüeflichen  (Srflärung  jum  ©orbilbe  genommen,  öon  feinem  tabi* 
nette  aus,  in  roelchem  er  mit  feinen  ©efretären  öom  früheften 
9)corgen  bis  jum  fpäteften  s2lbenb  raftloS  arbeitete,  nicht  nur  ton 
Mem  eingehenb  ßenntniß  nehmen,  fonbern  auch  9Iöed  felbft  lei* 
ten  unb  alle  (Sntfcheibungen  bis  ins  $leinlichfte  felbft  treffen,  ohne 
ju  bebenfen,  baß  baju  toeber  feine  ftraft,  noch  f«ne  ©inficht  auS= 
reichte.    Die  ©Reiben  beS  ©taatSorganiSmuS  burchfehaute  er  jmar 


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Sofe^S  II.  ftaatlidje  Reformen  in  feinen  Grbtönbern. 


529 


mit  fcharfem  ©liefe;  ober  in  ber  2Bat)l  ber  Heilmittel  beging  er 
bie  öerhängmfeüollften  Mißgriffe. 

Unter  ben  SRathgebern  QofephS  ™§m  *>er  «"  3*$«  1764 
öon  Sranj  I.  in  ben  föeichäfürftenftanb  erhobene  GJraf  SSenjel  öon 
®  o  u  n  i  | ,  ber  auch  nach  bem  $obe  Flavia  $herefta%  unter  3o-- 
feph  EL,  wie  unter  beffen  ©ruber  unb  Nachfolger  ßeopolb  IL, 
£of.-  unb  ©taatäfanjler  blieb,  bie  erfte  Stelle  ein.  %ti  Staate 
mann  ganj  ein  ßinb  feiner  3ett,  mar  f  aunife  jugleid)  ein  ©emunberer 
Voltaire'«,  ber  it)m  trefflich  $u  fdjmeicheln  mußte,  unb  feine  Wn* 
fchauungen  über  ba3  ©taat3*  unb  IHrchenleben  übten  auf  ben  ßaifer 
einen  bebeutenben  (Sinflufe  au«.  Sieben  ftaunifc  genofe  ba3  f)öa^fte 
©ertrauen  beä  ftaiferS  fomie  beffen  befonbere  greunbfehaft ,  ber 
®raf  Sfo^ann  Wlipp  öon  Sobenjl,  ben  3ofeöl)  befonberS  $u 
mistigen  9#iffionen  gebrauchte.  Sluch  bie  $äupter  ber  SBiener 
gretmaurer:  ber  greifen;  öon  tfrefel,  ber  befonberS  bie  geiftlüfjen 
Angelegenheiten  ber  Monarchie  leitete,  ber  Seibarjt  öan  ©mieten, 
ber  $>ofratf>  öon  ©onnenfelS  u.  21.,  hatten  fich  im  SRatlje  be* 
$aifer$  einen  fdjmerroiegenben  Hinflug  ju  öerfchajfen  gemußt,  ob* 
gleich  Sofeph  felbft  nicht  greimaurer  mar,  öielmehr  in  feiner  fpä* 
teren  Slegierung^eit  gegen  ba3  übermächtig  geroorbene  9Kaurer* 
thum,  öon  beffen  gaben  er  fich  ringä  umfponnen  fah,  einfdc)ränfenbe 
SHaferegeln  ergriff. 

Um  bie  einheimifdje  Qnbuftrie  ju  heben,  führte  JJofeph*  nöt§ 
bem  ©organge  griebrichä  II.,  ba3  ©perrföftem  ©olberta  ein.  %m 
3at)re  1784  erliefe  er  im  ©inne  biefca  ©Aftern*  fein  „äoflpatent" 
unb  fperrte  feine  ©taaten  burdj  einen  ßofleorbon  ab.  $ie  (Sin* 
fuhr  aller  fremben  ®unftmaaren  fomie  berjenigen  ÜRaturprobufte, 
bie  ber  öfterreichifdje  ©taat  felbft  erjeugte  ober  erzeugen  fonnte,  mürbe 
nicht  nur  auf  ba3  ©trengfte  öerboten,  fonbem  bie  Äaufleute  mufeten 
auch  flfle  in  ihren  SJcagajinen  noch  üorhanbenen  prohibirten  Söaaren 
in  ein  grofeeS  ©orrathähau$  bringen  laffen  unb  bafelbft  innerhalb 
einer  gemiffen  grift  öerfaufen;  neue  nachfommen  ju  laffen,  mar 
ihnen  unter  feiner  ©ebingung  geftattet.  9cur  ^riöatleute,  benen 
etma  einzelne  au3länbifchen  ^anbelSartifel  unentbehrlich  gemorben, 
burften,  nach  oorher  eingeholter  ©rlaubnife,  auf  einen  ihnen  einge* 
hänbigten  *ßafe  bie  fraglichen  Söaaren  gegen  Erlegung  eine*  SoHeS 
öon  fedföig  Sßrojent  be£  SBertheS  jum  eigenen  Gebrauche  einführen. 
Söurben  haaren  öorgefunben,  bie  ohne  $afe  unb  ©rlaubnife  ein* 
geführt  morben,  fo  liefe  ber  #aifer  fie  in  ben  meiften  gäHen  ohne 
2Beitere3  oernichten.  ©o  mürbe  öerfchiebene  üttale  eine  grofee 
Spenge  eingefchmuggelter  Xafchenufjren  öffentlich  jerfdjlagen  unb 
am  6.  9Iuguft  1785  ein  SBagen  mit  fremben  ßleiberftoffen  aus  ©eibe, 
SBolIe  unb  Sinnen,  bereu  (Sefammtmertf)  fich  auf  breifeigtaufenb 
©ulben  belaufen  hoben  fott,  auf  einem  öffentlichen  Sßlafce  jmifchen 

&oIatoart$,  SöeUßelc^idjte.  vi.  34 


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530 


Äaifer  3ojcpf)  II. 


bcr  ©urg  unb  bcm  ©djottentfjor  jum  abfdjrecfenben  93eifpiel  Der- 
brannt.  Xie  SBorfdjriften  be3  oon  3°fcP*)  angenommenen  preujjifäen 
3ofl-  unb  Sftautfjföftema  mürben  auf  baä  ©trengfte  gefjanbfmbt,  unb 
ba  bie  Beamten  fid)  felbft  bei  bem  geringften  SBerfeljen  einer  fd)o* 
nungälofen  £>ärte  auägefefct  fafjen,  bejubelten  fie  bie  SReifenben, 
meldje  bie  öfterreidnfdjc  ©renje  paffirten,  faft  wie  SBerbredjer. 

Um  feinen  Untertanen  bezüglich  ber  (Entbehrung  auälänbifdjer 
<ßrobufte  mit  gutem  SBeifpiel  ooranjugefjen ,  oerfdjenfte  3ofeplj  ade 
in  (einem  ftoffeUer  befinblidjen  auälänbifdjen  Söeine  an  ba&  ßtanten- 
l)au&  unb  geftattete  auf  feiner  Xafel  nur  öfterreidufdje  unb  unga= 
rifdje  SBcine.  9ftd)t8beftomeniger  mar  bie  Unjufriebenljeit  unter  ber 
ÄaufmannSroelt ,  wie  unter  ben  fonfumenten,  eine  allgemeine,  unb 
trofc  ber  beleljrenben  patente,  burd)  roeldje  ber  $aifer  feinen  Unter* 
tränen  bie  Söofylt&ärigfeit  feiner  Sftafjregeln  einleucfftenb  ju  mausen 
fudjte,  erfdjoflen  üon  allen  ©eiten  bie  lauteften  flogen.  3n  ber 
Hiat  50g  SRiemanb  au£  bem  bind)  ba&  ^olipatcnt  gesoffenen 
2J*onopole  $Bortf)eil ,  als  bie  in  Stoffe  in  Defterreid)  einmanbernben 
SluSlänber,  ©nglänber,  granjofen  unb  ©dHuei^er,  bie  in  ben  nad) 
ber  ßlofteraufqebung  in  großer  8a$l  bon  üjnen  um  einen  ©pott- 
preiä  angefauften  äloftergebäuben  gobrifen  anlegten  unb  meift 
fd>led)te  Söaare  für  fjofje  greife  oerfauften,  moburd)  oielc  oon  ilmen 
in  furjer  ßeit  SRiflionäre  mürben. 

$ie  immermä^renben  £  ämpfe  unb  ©orgen  um  baä  gufammen* 
galten  unb  ben  gortbeftanb  be3  öfterreidnfdjen  £änbercomple|e3 
Ratten  ben  ©efjerrföern  Defterreid)*  menig  3eit  gclaffen,  ben  üßro* 
buften=  unb  SBaarenüerfeljr  ju  Ijeben  unb  baburd)  ben  oon  ber 
sJiatur  reid)  gefegneten  Zaubern  großartige  SrioerbSqueUen  ju  er* 
fälie&en;  batjer  fanb  Sofepf)  auf  biefem  Gebiete  SBielcÄ  nod^u* 
holen  unb  511  oerbeffern.  ©eine  Bemühungen  maren  oor  Mem 
barauf  gerietet,  ben  (Srjeugniffen  feines  £anbeS  neue  Slbfa&mege 
3U  eröffnen.  Sßachbem  er  im  3ahre  1783  feinen  burdj  bie  «er* 
binbung  mit  föu&lanb  gemonnenen  (Sinflujj  auf  bie  Pforte  jum  2lb* 
fajlufe  eine«  oortheilhaften  ftanbelaoertragS  mit  berfelben  benufct 
hatte,  burd)  melden  bie  Eonau  als  #auptoerfehräftra&e  erft  ihre  mahre 
SBebeutung  für  ben  §anbel  Defterreichä  erhielt,  fua)te  er  burch  einen 
©emaltaft  bie  geffeln  ju  fprengen,  bie  bem  nieberlänbiföen  #anbel 
burd)  bie  im  meftfälifdjen  grieben  üon  £>ottanb  burchgefe&te  ©per» 
rung  ber  ©chelbe  angelegt  tuorben. 

©<hon  im  3a^re  1781  hatte  3ofeph  bei  einer  SRcifc  nach  ben 
ftieberlanben  mit  eigenen  klugen  gejehen,  mie  bie  §oüänber,  ge* 
fa^ütt  burc^  bad  bei  bem  Utred)ter  grieben  in  bem  fogenannten 
„Söarrieretraftat"  erlangte  ^ea)t  ber  öefe&ung  oon  ac^t  nieber* 
länbifajen  fteftungen,  fia)  buraj  i^ren  $>anbel  auf  Soften  ber  vJlie* 
berlänber  bereicherten,  unb  bic*  ^atte  i^n  ju  bem  Grntja)lug  ge* 


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3ofej)f)S  II.  ftaatli^e  Reformen  in  feinen  (SrbWnbern.  531 

fcradjt,  ber  föepublit  bie  ihr  au«  bem  SBarrierentraftat  erwachten* 
t>en  SBort^citc  burd)  bie  Schleifung  ber  betreffenben  geftungen  jit 
*ntreifeen ,  was  er  umfo  leichter  ausführen  zu  fönnen  fjoffte ,  als 
(Englanb  im  üorhergehenben  3ahre  an  #oflanb  ben  #rieg  erflärt 
r)atte.  <$r  lieg  bemgemäfe  an  bie  ©eneralftaaten  bie  2lufforberung 
ergeben,  it)rc  Söefafcungen  aus  ben  nieberlänbifchen  geftungen  zurücf 
^u  jiefyen ,  ba  er  ftch  bei  {einer  neulichen  91nwefenheit  in  ben  9he* 
berlanben  überzeugt,  bafc  eS  auS  Dielen  ÖJrünben  nicf)t  zuträglich  fei, 
ade  geftungen  in  benfelben  beizubehalten,  unb  bähet  bie  ©djleifung 
ber  meiften  berfelben  angeorbnet  habe.  $ie  ©eneralftaaten  erhoben 
^war  @tnfprad)e  gegen  biefen  ©ruch  ber  Verträge;  fie  fügten  ftch 
jeborf) ,  ba  itjrc  SBorftellungen  oon  ftaunifc  für  unbegrünbet  erflärt 
tourben ,  bem  faiferlicheu  SWachtfpruch ,  inbem  fic  ftch  mit  einer 
biplomatifdjen  SRechtSoerwahrung  begnügten. 

ßrmuthigt  burd)  bie  £>ilfloftgfeit  ber  £>otIänber  unb  im  Ver* 
trauen  auf  ben  SRucftjalt,  ben  er  bei  bem  mit  ifjm  öerbünbeten 
granfreich  ju  fhtben  f>offte,  befc^tog  Sojeph,  weiter  ju  gehen.  *Rachs 
bem  er  eine  SReifye  unbegrünbeter  Sorberungen  an  bie  RtyuHtl  ge* 
fteflt,  liefe  er  im  3af>re  1784  ben  ®eneralftaaten  eröffnen,  bafe  er 
bereit  fei,  biefelben  inSgefammt  gegen  bie  Aufhebung  ber  ©chelbe* 
fperre  fallen  zu  Iaffen.  25a  bie  $ollänber ,  bie  in  ber  Deffnung 
ber  ©d)elbe  ben  Sftuin  ihres  £>anbclS  erblichen,  ftch  weigerten,  auf 
biefen  Vorfdjlag  einzugehen,  unb  fich  babei  auf  ihr  oerbriefteS  Stecht 
beriefen,  liefe  er  ihnen  bie  (Srftärung  zugehen:  „(£r  betrachte  bie 
verlangte  greiheit  ber  ©djelbe  als  eine  bereits  entfdjiebene  ©ache 
unb  werbe  jebeS  $inbernife,  baS  man  ber  ©djifffahrt  feiner  Unter* 
tränen  auf  biefem  ©trome  entgegenfefcen  werbe,  als  offene  geinb* 
feligfett  unb  förmliche  f  riegSerflärung  anfefjen  unb  ahnben." 

Um  bie  SBirfung  feiner  Drohung  $u  erproben ,  berorbnete 
3ojepb,  bafe  eine  Brigantine  Don  Antwerpen  bie  ©djelbe  hinunter 
unb  ein  anbereS  faiferlicheS  ©dnff  oon  Dftenbe  aus  nach  Slntmcroen 
hinauf  fahren  folle,  um  in  bie  ©djelbe  einzulaufen.  ÖJcgen  bie 
Brigantine  liefeen  bie  £>oflänber  feuern  unb  nötigten  fie  zum  fftud- 
$uge;  ba«  anbere  ©djiff  aber  brachten  fie  nach  Vlieffingen  auf. 
3ofeph  war  jum  Kriege  entfchloffen ;  aber  bie  öffentliche  SJteinung 
ergriff  fo  entfefneben  für  bie  §ollffnber  Partei,  unb  ßubwig  XVI. 
riett)  feinem  ©chwager  fo  bringenb  zur  ÜJcafeigung ,  bafe  er  ttorgog, 
fid)  mit  ben  ®eneralftaaten  zu  oerftänbigen ,  wozu  granfreich  feine 
Vermittlung  anbot,  ©o  f am  ber  Vertrag  oon  gontainebleau  zu 
©taube,  in  welchem  3<>feph  Öc9cn  ©umme  oon  zehu  SWUüoncn 
Bulben,  bie  zur  £>alfte  oon  granfreich  bezahlt  würbe,  unb  bie  N2lb* 
tretung  einiger  hoflänbifchen  ©renzftriche,  fowie  bie  greigebung  eine* 
unbebeutenben  X^cile*  ber  inneren  ©djelbe  auf  alle  anberen  gor* 

34* 


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532 


ffaifcr  Sofeph  II. 


berungen,  inSbefonbere  auf  bie  »erlangte  ganjliche  Aufhebung  ber 
©chelbefperre,  Sßerji^t  Iciftctc. 

$5te  gleite  SSiUfür  unb  Ueberfrürjung,  wie  in  ben  jur  Oförbc* 
rung  ber  Snbuftrie  unb  beS  <panbels  getroffenen  Maßregeln ,  trat 
auch  in  ben  Reformen  3ofephS  bezüglich  ber  ©eredjtigfeitSpflege  }U 
$age.  3n  ben  oerfduebenen  ^rooinjen  OefterreichS  hatte  fi<h  bic* 
felbe  nach  ben  jeweiligen  93ebürfntffen  oerfdnebenartig  geftaltet,  unb 
wenn  auch  in  ben  bieSbejüglichen  GJefefcen  unb  Gepflogenheiten,  wie 
bieS  ja  bei  allen  menjchlichen  Qnftitutionen  ber  Satt  ift ,  manche 
Langel  lagen,  fo  war  bod)  jeber  vjkooina  ihr  ererbtes  3uftijwefen 
ef)rmürbig;  man  war  baran  gewinnt  unb  fanb  fid)  barin  auredjt. 
3o(epf)S  £auptftreben  war  jeboch  üon  Anfang  an  auf  bie  ^erftel- 
lung  eine«  (SinheitSftaateS  gerietet,  in  welkem  SlUeS,  ofme 
irgenb  welche  föürfficht  auf  bie  (Sigentfn'imlichfeiten  ber  öerfdnebenen 
Xrjetlc  ber  Monarchie,  auf  Slbfunft,  (Spraye,  Sitten,  ®ulturtoer* 
hältniffe  unb  bürgerliche  SBerfaffung,  oon  einem  gemeinfamen  Littel* 
pnnfte  aus  unb  in  oöUig  gleicher  SBeife,  mit  alleiniger  Senufcung 
ber  beut(d)en  Sprache  als  Gerichts*  unb  SBerwaltungSfprache ,  ge- 
leitet werben  folltc;  batjer  würben  bie  alten  tfommunaloerfaffungen 
in  ©täbten  unb  Warften  oernichtet  unb  #ürgermeifter ,  Richter, 
Rathsherren  unb  ©tabtfehreiber ,  bie  alle  früher  oon  ber  Commune 
frei  gewählt  würben,  burd)  Regierungsbeamte  erfefct.  ©o  War  jebeS 
©elbftgouüememcnt  aufgehoben  unb  bie  ®onftitution  ber  Sauber 
unb  ©täbte  mit  einem  ©abläge  gemaltfam  gebrochen. 

$urcf)  bie  Reformen ,  bie  in  bie  peinliche  GeridjtSorbnung 
2ttaria  J^crefia'S  eingeführt  würben ,  erwarb  fid)  3°!cPh  9*°&e> 
unleugbare  SSerbienfte ,  inbem  er  aus  berfelbcn  bie  garten  unb 
graufamen  ©eftimmungen  entfernte,  bie  als  ein  trauriger  fRcft  aus 
barbarifchen  3ahrhunberten  Don  Dcr  Äaifertn ,  wie  oon  allen 
übrigen  beutfehen  Regierungen ,  noch  beibehalten  worben  waren. 
Söährenb  betfpielsmeife  nach  btt  ^hcrcPanM^n  GerichtSorbnung 
jebe  oor faßliche  unb  wohlbebac^te  Gotteslästerung  mit  bem 
$luSretfjen  unb  Slbfdmeiben  ber  Bunge  ober  mit  bem  Abhauen  ber 
£anb,  in  beiben  gäüen  aber  mit  gleich  barauffolgenbem  Seuertobe 
beftraft  würbe ,  h*c&  *S  in  bem  Sofephiniföcn  Gefejjbud)  über 
GotteSläfterung :  „(Sin  biefeS  Verbrechens  ©dmlbiger  ift  als  ein 
SBahnfinniger  in  einem  Xoüfjaufe  fo  lange  feft^uhalten ,  bis  man 
feiner  Öefjerung  oerfichert  ift."  $)ie  ©trafgerichtSpflege  würbe  in 
allen  (Srblänbern ,  mit  Ausnahme  oon  Ungarn ,  fechSunbfedjjig 
^rimtnalgerichten  übertragen ,  bie  unter  fecfjS  SippeHationSgerichten 
ftanben ,  oon  welchen  ber  ißerurtheilte  noch  an  bie  oberfte  3uf^is 
ftetle  appefliren  fonnte. 

3nbeffen  war  3°feP()  xn  feinen  humani^rcn  ©eftrebungen 
nicht  fonfequent.    @r  hatte  bie  XobcSftrafe  abgerafft  —  ben  ein* 


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3ofeph«  II.  ftaatlidje  Reformen  in  feinen  (Srblänbera,  533 

jigen  gaö  beS  öffentlichen  2lufrut)rS  ausgenommen,  auf  melden  bie 
©träfe  beS  ©trangeS  gefefct  mar  —  unb  bafür  Gefängntgftrafen 
eingeführt,  bie  burch  ©tocffchläge  unb  QmangSarbetten  oerfchärft 
mürben.  S)ie  teueren  beftanben  ^auptfäc^Uc^  in  bem  ©djiffeieljen 
auf  ber  $)onau  unb  in  bem  öffentlichen  ©tragenfehren ,  mobei  bie 
©träflinge  beiberlei  GefchledjtS,  jmei  unb  jtoei  aneinanber  gefettet, 
in  groben  Kleibern  unb  mit  furj  gefchnittenen  paaren  bie  ©tragen 
tum  SBien  fäubern  mußten.  3«  &icfcr  3mangSarbeit  mürben,  nad) 
bem  Grunbfa&e  gofcp^«  r  bag  t>or  bem  Gefe&e  Hße,  ohne  Unter* 
fdjteb  beS  ©tanbeS,  gleich  feien,  felbft  ^erfonen  öom  r)öc^ftcn  Stange 
herangezogen,  bie  fich  oft  mit  ben  gemeinften  Verbrechern  jufammen* 
gefettet  faljen;  eben  baburd)  fyMt  jebodj  bie  mir  fliehe  Gleichheit 
ber  ©träfe  auf,  inbem  bie  äußerlich  gleiche  ©träfe  bie  höhten 
©tänbe  ungleich  fernerer  traf,  als  bie  nieberen. 

$)ie  Unjufriebenheit ,  melche  biefe  Steuerung  in  ben  höheren 
unb  mittleren  ©tänben  hervorrief,  mürbe  burch  ben  Umftanb  ge* 
ftetgert,  bag  3ofeph,  ftatt  öon  bem  ihm  juftehenben  fechte  ber  $Be* 
gnabigung  ober  ber  ©trafmilberung  Gebrauch  ju  machen ,  nicht 
feiten  fogar  baS  öon  ben  Gerichtshöfen  feftgefefcte  ©trafmag  eigen* 
mächtig  üerfchärfte.  texfytlt  fcr)on  baburch  fein  Sorgehen  einen 
ausgekrochenen  Slnftrich  oon  Btllfür,  fo  mar  bieS  in  noch  meit 
höherem  Grabe  ber  gaH,  als  Sofeph,  burch  bie  ßunahme  ber  fchme* 
ren  Verbrechen  erfchreeft  unb  in  feiner  Anficht  üon  ber  Entbehr* 
lichfeit  ber  XobeSftrafe  umgeftimmt,  biefelbe  plö&lich  mieber  ein* 
führte  unb  jmar  mit  rücfmirfenber  ftraft ,  fo  bog  bie  Serbrecher 
nach  einem  anberen  Gefe&e  gerichtet  mürben,  als  bemjemgen,  unter 
melchem  fte  gefreoelt  hatten. 

SJcit  mahrhaft  lanbeSöäterlicher  ©orgfalt  nahm  fich  Sofept) 
beS  noch  immer  ferner  gebrüeften  VauernftanbeS  an,  unb  bie  &uf* 
hebung  ber  Seibeigenfdjaft ,  bie  er  bei  feiner  Xhronbefteigung  noch 
in  ben  meiften  öfterreichifchen  Sßroötnjen  oorfanb,  bleibt  fein  un* 
vergänglicher  Stuhm.  5)aS  faiferliche  patent,  baS  ben  Vauern  bie 
persönliche  greiheit  oerlieh ,  erfchien  für  fämmtliche  öfterreidjifche 
Ißroöinjen,  mit  Ausnahme  üon  Ungarn,  im  3af)re  1782,  für  baS 
le&tere  Sanb  brei  Qahre  fpäter.  $urch  biefeS  patent  mürbe  ben 
Don  ber  Seibeigenfchaft  befreiten  dauern  zugleich  baS  Stecht  juer* 
fannt ,  über  ben  Grunb  unb  ©oben ,  ben  ihnen  bie  Gutsherren 
gegen  angemeffene  ®auffummen  abtreten  mugten,  als  über  ihr  recht* 
mägigeS  (Sigenthum  frei  ju  oerfügen,  ©cfmn  im  Qahre  1781  t)atte 
er  burch  fein  für  bie  öfterretchifch;böhmtfchen  Sßroüinjen  erlaffeneS 
„Unterthanenpatent"  ber  SBiHfürherrfchaft  ber  Gutsherren  über  bie 
dauern  ein  CSnbe  gemalt,  inbem  er  burch  baSfelbe  ben  Sefcteren 
baS  Stecht  juerfannt,  ihre  ©treithänbel  mit  ben  fterrfchaften  bor 


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534 


Äaifer  3ofep$  II. 


bic  ftreisämter  $u  bringen,  olme  beren  3ufttmmung  and)  feine  oon 
ber  (StotSfjerrfcfcaft  »erhängte  Strafe  öottjogen  merben  burfte. 

3ur  |>ebung  be3  2Bof)iftanbe3  unter  ber  ßanbbeöölferung  führte 
Sofepl),  feinem  ©runbfafce  oon  ber  (5Keia)f)eit  aller  ©tänbe  öor  bent 
(Sefefce  getreu,  eine  gleidjmäfjige  Steuerung  be*  ®runbe«  unb 
SBobenä  ofme  9tücffia)t  auf  ben  ©tanb  beä  ©efifcerS  ein,  $u  melc&em 
(Snbe  er  eine  allgemeine  Sermeffung  ber  <$runbftücfe  unb  eine  ge* 
naue  2lbfd)äfcung  tfjreS  (Ertrag*  anorbnete,  eine  Arbeit,  beren  große 
©djttrierigfeiten  burd)  bie  @ile  cr^ö^t  würben,  mit  meldjer  ber  äaifer 
bie  ©ad>e  burcfcgefütjrt  miffen  mollte.  $a  e*  übertue*  öielfaa)  an 
rüstigen  unb  re^tlia)  gefinnten  fieuten  jur  9lu*fül)rung  biefer  Arbeit 
fehlte,  fiel  fomot)l  bie  SÄeffung  be*  ©oben*  al*  aud)  bie  ©ajäfcung 
be*  Ertrags  be*felben  meift  unrichtig  au*,  unb  fo  führten  be*  ®ai* 
ferS  toofjlmeinenbe  2lbfid)ten  faum  ju  etma*  Slnberem,  al*  ju  ©treit 
unb  9Ki6üergnügen,  felbft  bei  ben  SBauem,  bie  mitunter  nad)  bem 
neuen  ©uftem  met)r  jaulen  mußten,  al*  nact)  bem  früheren. 

$ie  Unjufrieben^eit  be*  Slbel*  über  alle  biefe,  feine  «ßrioile* 
gien  beeinträdjtigenben  Neuerungen  be*  äaifer*  mürbe  erfjötjt  burdj 
bie  Aufhebung  ber  gibeicommiffe,  inbem  babura)  ber  Neic&ttjum 
ober  boa?  bie  2Sof)lImbenf)eit  unb  ba*  Slnfefjen  üteler  gamilien  jer* 
ftört  mürbe.  ©in  am  15.  9ftai  1785  über  bie  Snteftaterbfolge  er* 
laffene*  ÖJefefo  be^nte  bie  ©leid^eit  be*  (£rbred>t*  für  fämmtltdje 
ÜJefdjmifter  audj  auf  ben  2lbel  au«  für  ben  gaü,  baß  ber  Srblaffer 
entmeber  gar  fein  ieftament  ober  ein  ber  gorm  nad)  ungiltige** 
f)interlaffen  t)abe. 

Sludj  ba*  bi*  baf)in  Don  ben  abeltgen  <5Jut*befifcern  geübte  SRcdjt, 
auf  ifjrem  23cfifctf)um  ba*  Nidjteramt  $u  oermalten,  gleidwiel  ob 
pe  juriftifdje  ©tubien  gemalt  unb  hierüber  eine  Prüfung  btftmu 
ben  Ratten  ober  nidjt,  mürbe  ifjnen  entzogen.  Nur  menn  ber  abelige 
©runbbeftjjer  ftubirt  unb  ein  Giganten  gemadjt  fjattc,  burfte  er  auf  fei* 
nem  ©eftfctt)um  Nedjt  fpred&en;  im  anbern  Sötte  mußte  er  fid)  ei- 
nen  geprüften  Qufrijiär  galten,  ber  jebodt)  in  feinen  Urtfjeil*f  prüfen 
nidjt  mefjr  it)m,  fonbem  bem  faiferlia^en  2lppetIation*gerid)te  Oer* 
antmortlid)  mar. 

3ür  bie  ^ebung  be*  93olf*unterrid)te*  forgte  3°fcP§  mit  bem 
anerfennen*mertf)eften  (Sifer ,  f)auptfäd)lid)  burdj  eine  bebeutenbe 
SBermefyrung  ber  $olf*fd)ulen.  $cr  .pauptjmecf,  ben  er  babei  im 
Sluge  t)atte,  mar  bie  Hebung  be*  Wtferbaue*  unb  be*  ®emerbfleif}e* 
burdj  crt)ö^tc  SBilbung,  unb  fomit  bie  görberung  beffen,  roa*  if)tn 
al*  ber  f)öa)fte  ©taat*jmecf  erfduen:  SBermeljrung  ber  ^robuftion 
unb  $8olteaaf)f,  (Erdung  ber  ©teuertraft  unb  in  lefcter  3n^a"5 
bie  Sßerme|rung  be*  materiellen  S8olf*mot)le*. 

5)ie  Einrichtungen,  meiere  ben  t)öf)eren  Set)ranftalten,  haupt^ 
fäcf)lia}  naa)  ben  ^at^fa^lagen  be*  greif)errn  oon  ©onnenfel*  unb 


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Sofcph«  II.  ftaatltdje  Reformen  in  feilten  (Srbtanbem.  535 


»an  ©mietenS,  gegeben  mürben,  berriethen  ben  redjnenben  ©eift, 
ber  auch  anf  bem  Gebiete  ber  ©ilbung  für  roenig  ©elb  mögftdjft 
biel  ju  erlangen  fudjt.  Sie  ßefjrer  mürben,  roic  bie  Semenben,  burdj 
frrenge  Sontrole  jum  ©tubiren  angehalten,  Serien  faft  gar  nicht 
geftattet  unb  bermtttelft  unabläffig  mieberfchrenber  Prüfungen  bie 
(£rgebniffe  beS  erteilten  Unterrichts  $u  $uch  gebraut. 

Sa  ©djule  unb  SBiffenfdjaft  nach  beS  ßaiferS  2Tnftc^t  nur 
ba  roaren,  um  bem  (Staate  brauchbare  ©ubjefte  ju  Hefern,  fanben 
in  ber  Sorge,  bie  auf  bie  Pflege  ber  SBiffenfchaften  bertoanbt  mürbe, 
nur  biejenigen  Steige  ©erüdfichrigung,  bie  für  ben  ©taat  einen 
praftifdjen  unb  in  bie  STugen  fpringenben  SRufcen  bringen  tonnten. 
Sie  fpefulatiben  unb  bie  frönen  SBtffenfchaften  gingen  leer  aus. 
33ci  ben  Untoerfttäten,  beren  Qaty  Sofeph  auf  brei  —  bie  §u  SGBien 
unb  ju  $rag  unb  eine  in  ©alijien  —  rebucirt  miffen  mottte,  mürbe 
baS  (SHaubenSbefenntniß  unb  ber  bem  apoftolifchen  ©ruhte  ju  UU 
ftenbe  @ib  beS  ©ehorfamS  abgefdjafft,  melden  teueren  ©onnenfelS 
in  einem  23erid)te  an  ben  $atfer  für  „ein  Ueberbleibfet  auS  ber 
Seit  ber  Sinfternifj  unb  ber  römifcfjen  Ufurpatton1'  erWärt  tjattc, 
„baS  nicht  nur  ben  SSerftanb,  fonbern  aud)  ben  bürgerlichen  ©e* 
horfam  beteibige."  Ottern,  maS  für  baS  (Smporbringen  ber  Uniber* 
fitäten  gefc^ar),  lag  nur  bie  Mbjtdjt  ju  ©runbe,  ben  SanbcSfinbern 
feinen  5(nla&  ober  SBormanb  ju  geben,  auSmärtS  $u  ftubiren  unb 
baburch  ©clb  aus  bem  Sanbe  ju  fdjleppen. 

Sie  munberlichfte  TOifcr)itng  miberfprechenber  ©runbfäfce  jetgte 
fich  in  Sofcp^S  SBerorbnungen  über  bie  greifet  beS  SBüchermefenS. 
Sie  ©efchränfungen,  benen  baS  (Einbringen  ausmärtiger  unb  baS 
Druden  ein^eimifc^er  $8üd)er  tro§  ber  bon  9Waria  Sfjerefia  ge= 
fchaffenen  (Erleichterungen  noch  immer  untertag,  erfdjienen  bem 
®aifer  hauptfächlich  beßrjatb  bermerfttch,  roetf  baburd)  ein  bebeuten* 
ber  S^eig  beS  93erfef)rS  beeinträchtigt  mürbe ;  auch  münfehte  er  bem 
bon  ben  SBortfüfjrern  ber  „Shtfflärung"  gestellten  Serlangen  nach 
ßefe*  unb  Srudfreit)eit  Genüge  ju  teiften :  um  aber  ju  ber  hüten, 
baj?  burch  ben  Slnfauf  auswärtiger  33ücr)cr  afljubiel  baareS  ©etb 
aus  bem  ßanbe  gehe,  mürbe  ber  9tad)brud  berfelben  geftattet,  ob- 
gteich  Sofeph  fetbft  als  SReichSoberhaupt  bieten  Tutoren  ober  93er- 
tegern  ©chufcbriefe  gegen  ben  9fcachbrud  berliehen  t)attc.  HtS  bie* 
felben  über  bie  SBerlefcung  biefer  ©chufcbriefe  93cfd)merbe  führten, 
erhielten  fie  ben  SBefcheib,  ba§  bie  faif  erliefen  ^ribilegien  ftch  nur 
auf  bie  nichtöfterreichifchen  fiänber  belögen  unb  in  biefen  aufrecht 
erhalten  merben  fottten.  Qnbeffen  mürbe,  um  baS  *ßublifum  bor 
fchäbtidjer  Seftüre  ju  fdjüfcen,  unter  Aufhebung  ber  bisherigen 
(Eenfurfommtffionen  in  ben  $robin$en,  eine  „$üchercenfur*|)aupt~ 
fommiffion"  in  SBien  gegrünbet,  meldjer  alle  SBerfe  bon  eini* 
ger  S3ebeutung  jur  Prüfung  unterbreitet  merben  mußten.  Sagegen 


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536 


ftaifer  3ofeph  II. 


foHten  ®ritifen,  wenn  fte  nur  feine  eigentlichen  ©chmäh fünften 
feien,  nicht  oerboten  fein,  befonberS  wenn  ber  93erfa(fer  feinen  9ca= 
men  baju  bruefen  loffe  unb  fich  alfo  für  bie  SBahrheit  ber  ©aetje 
berbürge ,  „ba  e$  Sebent ,  ber  bie  SBahrheit  Hebe ,  eine  greube 
fein  müffe,  wenn  fte  ihm  auch  auf  biefem  SBege  aufomme." 
3ofeph  hatte  babei  bie  fcbftcht,  über  feine  Beamten  aller  klaffen 
eine  ©ontrole  einzuführen,  bie  er  nicht  ju  bejahen  brause,  unb 
gab  ftcr)  fetbft,  um  fein  Oefccjrei  hierüber  auffommen  ju  laffen,  ben 
iöücherfchreibern  preis,  in  ber  fixeren  Grrmartung,  bafi  man  an 
ir)it  ftd)  nicht  wagen  ober  an  ihm  9eid)tS  ju  tabeln  finben  werbe. 
3n  biefer  (Erwartung  far)  er  ftdj  jeboch  getaufa^t,  unb  bie  Ungebun* 
benheit,  mit  melier  bie  SBiener  treffe  fid)  gegen  it)n  fetbft  wanbte, 
üeranlafjte  it)n  ju  oerfduebenen  ©egenmafjregeln ,  bie  jeboch  wenig 
(Sxfolg  Ratten. 

Obgleich  3ofcpt)  auf  bie  beutfdje  Siteratur  triebt  mit  ber  glei- 
chen ©eringf^äfeung  fjerabblitfte,  wie  Sriebria^  II.,  unb  baS  $5eutfche 
ungleich  nötiger  fpradj  unb  fdjrieb,  als  biefer,  fo  fdjenfte  boer)  auch 
er  bem  ®eiftesleben  feiner  Nation ,  baS  fidt)  gerabe  ju  feiner  &tit 
immer  bebeutfamer  entfaltete ,  faum  irgenb  welche  Wufmerffamfeit, 
nicht  nur,  weil  es  ihm  baju  an  Qtit  gebrach,  fonbern  auch,  e* 
ihm  jur  SBürbigung  beS  beutfdjen  ©cbrifttlmmS  an  allem  ©inn  für 
$oefie  unb  $unft  fehlte,  ©teilte  er  bod)  einmal  ben  gefammten 
©uchhanbel  in  feinet  ©chäfoung  unter  ben  ßäfehanbet,  »eil  biefer 
mehr  (Selb  inS  £anb  bringe. 

93et  feinem  SBeftreben,  alle  feine  Untertanen  ju  nützlichen 
Staatsbürgern  ju  machen  ,  mußte  ber  Äaifer  mit  feinen  Reformen 
notrjwenbigerweife  auch  an  bie  Quben  fytxanixtUn ,  gegen  welche 
SJcaria  %tyxtf\af  nicht  au*  9teligtonSb,a6,  ber  ihrem  eblen  $er$en 
burdjauS  fremb  mar,  fonbern  mit  föücfficht  auf  bie  foctale  ©teHung 
berfclben  ben  (Jhnften  gegenüber,  berfduebene  befdjränfenbe  SSerfü* 
gungen  erlaffen  hotte.  $iefe  ©efchranfungen  hob  3[ofeph  burd)  eine 
SReirje  bon  ©eftimmungen  auf,  burd)  welche  bie  3uben  bem  ©taate 
als  SJcitarbeiter  an  bem  materiellen  ®efammtwohl  einberleibt  wer= 
ben  füllten.  @S  foöte  ben  3uben  fortan  geftattet  fein,  ihre  S'inber 
in  bie  öffentlichen  ©chulen  ju  fcr)icfcn ,  fie  ju  öffentlichen  Remtern 
heranbilden  ju  laffen ,  Sabrüen  anzulegen  unb  Sanbgüter  ju  pach- 
ten ;  bagegen  würbe  ihnen  jeboch  bie  Verpflichtung  auferlegt,  beutfdje 
tarnen  anzunehmen,  in  ihren  ©unagogen  fich  ber  beutfehen  ©pradje 
$u  bebienen,  SJcilitärbienfte  ju  thun  unb  bei  ber  ßanbwirthfchaft 
unb  in  ben  gabrifen  nur  jübiföe  Arbeiter  anzunehmen,  bamit  baS 
ber  £>anbarbett  abgeneigte  jübifche  93olf  mehr  unb  mehr  für  biefelbe 
gewonnen  werbe,  tiefer  lefctere  3wed,  ber  bem  $ai}er  bor  Willem 
am  ^erjen  lag,  würbe  jeboch  in  feiner  SBeife  erreicht:  bie  3uben 
blieben  bei  ihren  alten  Jöefchäftiguugen ,  brängten  fich  <*&er  überall 


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3ofepf)8  II.  Krdjlidje  Steuerungen.  537 


bor  unb  fudjten  ftdj  oder  letzteren  CrtDerbdquellett  ouf  Soften  ber 
(Sfjriften  fo  fehr  gu  bemächtigen ,  bog  ber  ßaifer  fich  veranlagt  fah, 
in  tuclen  3äü*en  gegen  ba»  Ueberwuchern  be»  jübifchen  Elemente* 
einjufchreiten. 

$ie  #umanität»anft  alten,  bie  3ofej>h  II.  bei  feiner  Keife  nach 
granfreich  in  $ari»  fennen  gelernt,  Ratten  in  feinem  eblen  $er$eri 
ben  ©ebanfen  angeregt,  in  SBien  ö^nltc^e  ©djöpfungen  in»  Seben 
ju  rufen,  unb  mit  feinem  gewohnten  (£ifer  legte  er  rafcb  4>anb  an» 
SBerf.  ©o  errichtete  er,  nach  bem  SBorbtlbe  be»  $arifer  Hötel-Dieu, 
ein  allgemeine»  ftranfenhau»,  mit  welchem  ein  X^urm  für  ®eifte»* 
franfe,  ber  fogenannte  „Narrenthurm,"  fowie  ein  Siefens  uitb  ein 
gtnbeihau»  oerbunben  würbe.  Äudj  grünbete  er  eine  ^ochfdjule  für 
TOIttarärjte,  bog  fogenannte  „gofepfunum,"  woburch  er  ber  SBohl* 
tr)ater  ber  im  Kriege  oerwunbeten  ober  fonft  erfranften  ©olbaten 
Würbe,  bie  früher  ben  fogenannten  „gelbfdjeerern"  überlaffen  ge* 
blieben  waren,  unb  im  3al)re  1784  ein  Xaubftummeninftitut ,  für 
Welche»  ihm  ber  Srfinber  be»  Xaubftummenunterrichte» ,  ber  be* 
rühmte  Wbb6  be  V&p6t,  ben  er  perfönlich  in  $ari»  fennen  gelernt, 
in  ber  $erfon  be»  SBeltyrtefter»  3°§ann  e^nen  tüchtigen  2)i* 
reftor  au»gebilbet  hatte. 


3ofe*>f)3  II.  ftrdfcjltthe  Neuerungen. 

£atte  Sofep^S  reformatorifche  X^ätigfeit  fchon  auf  bem  <$e* 
biete  be»  ftaatlichen  unb  gefeüfchaftlichen  8eben3,  trofc  einzelner 
burch  biefelbe  gesoffener  unleugbarer  SBerbefferungen ,  mehr  ©dm» 
ben  al»  Nufeen  geftiftet,  fo  waren  feine  Neuerungen  auf  firchlichem 
Gebiete  für  ben  öftemidjifchen  ©taat  gerabeju  Derberblich.  3)er 
®aifer  war  jwar  fein  fjeinb  ber  Kirche,  wie  bie  SEBortführer  ber 
Slufflärung ,  auch  fein  S3eräd)ter  be»  S^riftent^um» ,  wie  Stieb« 
rieh  II. ;  aber  ber  (Sinflufi  ber  Seitftrömung ,  unter  welcher  er  auf» 
gewac^fen  war,  r)atte  fein  Urtheil  getrübt,  unb  bei  feinem  gänzlichen 
Langel  an  tieferer  JBilbuug  waren  it)m  bie  eigentlichen  QitU  ber 
ftrdjenfeinbticften  ^ß^ilofop^ie  unb  ©taat»funft,  bie  er  jur  Ü^ic^tfc^nur 
feiner  Negententhätigfeit  nahm,  oerborgen  geblieben.  (£r  wät)nte 
burch  feine  ftrcr)Iicf)en  Neuerungen  nur  Stäben  zu  tytien  unb  9Äi6= 
brauche  auszurotten ,  bie  mit  bem  SSefen  ber  Religion  Nicht»  ge- 
mein hatten,  aber  ba»  SBohl  be»  ©taate»  beeinträchtigten,  unb  beß* 
hulb  hielt  er  fich  für  berechtigt,  eigenmächtig  unb  mit  ber  rücf ficht»* 
lofeften  (Sntfchiebenheit  in  bie  firc^Iic^en  SBerhältniffe  feiner  ßänber 
einzugreifen. 

©djon  unter  SNaria  Xherejxa  hatten  bie  JJbeen  be»  gebroniu», 
burch  £aumfe,  oan  ©wieten  unb  anbere  Anhänger  ber  Slufflärung  be* 


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538 


ffaifer  Sofeph  II. 


günftigt,  in  Defterreich  (Singang  gefunben;  bie  fachliche  (Sefinnung 
bcr  ßaiferin  mar  jebodj  jebem  offenen  Angriff  auf  ben  apoftolifchen 
©tuhl  ^emmenb  in  ben  SBeg  getreten,  #aum  war  inbeffen  Qofept) 
in  ben  Söcftfe  ber  Sjerrfcfmft  gelangt,  als  er  feine  föegententhatigfeit, 
bie  nach  feinem  eigenen  SfaSfprudje  junächft  in  „ber  (£rf>ebung  ber 
^{)ilofop^ie  jur  <S>efefcgeberin  feiner  «Staaten"  beftehen  foöte ,  mit 
ber  ooUftönbigen  Umgestaltung  be«  fttrchenmefenS  nach  ben  ©mnb= 
fäfcen  ber  falfdjen  Reformer  eröffnete,  ©eine  Neuerungen  auf  bem  firch= 
liefen  (Miete,  bei  benen  er  nicht  nur  burch  bie  religionSfeinblichen 
©chriftfteller  unb  inäbefonbere  burch  bie  Freimaurer ,  fonbem  auch 
burch  einjelne  ber  IHrdje  entfrembete  ©eiftliche  geleitet  unb  unter= 
ftfifct  mürbe,  galten  ber  #eranbilbung  be3  £leru&,  bem  Serhältniffe 
Defterreichä  jum  päpftlichen  ©rut)le,  bem  ßloftermefen,  ber  einriß 
tung  be£  GJotteSbienfteS  unb  ben  firchlichen  Gebräuchen. 

Um  einen  ben  b,errfa^enben  sInfid)ten  bienftbaren  Klerus  heran* 
jubilben,  mußten  bie  tfjeologifdjen  Sehranftalten  gänjlich  ber  bifdjöf* 
liehen  Slufficht  entjogen  merben.  3"  biefem  <£nbe  mürben  bie  bifchöf* 
liefen  ©eminarien  aufgehoben  unb  fogenannte  „(Beneralf  eminarien" 
gegrünbet ,  bie  aufcfchließlich  ber  Seitung  unb  Slufficht  be«  ©taateS 
unterftanben  unb  beren  ganjer  Sehr*  unb  SrjiehungSplan  fwupt* 
fächlich  barauf  gerietet  mar,  bie  Alumnen  ju  guten  „©taat36ürgern" 
heranjubilben.  $ei  ber  SBa^l  ber  föeftoren  unb  ^ßrofefforen,  meldje 
in  benfelben  bie  (Sraiefjung  be3  ßleruä  leiten  foQten,  waren  öan 
©mieten  unb  ber  greifen:  oon  Jfreßl  bie  einflußreichen  9latr)geber 
beä  ÄaiferS ,  unb  93eibe  machten  menig  4>et)l  barauS ,  baß  e3  in 
ihrer  Slbficht  lag,  bie  Ideologen  nach  ben  ©runbfäfcen  öon  9touffeau'ä 
„Contrat  social a  erziehen  §u  laffen. 

2lu3  bem  ganzen  Sehrplan  ber  (Seneralfeminarien  ging  beutlich 
heroor,  baß  biefelben  be*  fatholifchen  ©fwrafterä  ooKftanbig  ent* 
fleibet  merben  unb  nichts  Wnbereä  fein  füllten,  als  $lbricf)tung3* 
anftaltcn  für  ben  ©taatäjmecf.  ©o  ^eißt  eä  in  einer  ©teile  beS 
^Reglements,  in  roeldjer  oon  „ber  Religion  beS  (EfjrtftuS"  bie  SRete 
ift :  „$)ie  2)iencr  biefer  Religion  müffen  oor  s211Iem  nach  ben  magren 
©runbfäfcen  beS  ©ofrateS  erjogen  merben."  S)ie  Sieftoren  unb 
^rofefforen  maren  angemiefen:  „bei  ber  $)arftellung  ber  ftufenmeife 
gefdjebennt  SBeröolIfommnung  beS  gef eHf d^af tlic^en  bebend  befonberS 
auf  bie  f.  f.  ©taaten  bie  Slnmenbung  ju  machen  unb  ben  Alumnen 
ba£  ©lucf,  in  biefen  ©taaten  ju  leben,  anS  #erj  ju  legen  unb  ben 
3öglingen  feine  anberen  Set)ren  unb  Pflichten  aufzubringen,  als 
meldte  aus  ber  ^eiligen  ©djrift,  ben  Sötern  .unb  anberen  lanbeS* 
herrlichen  unb  firdjlidjen  SBerorbnungen  hergeleitet  merben."  9lHe 
Sehr*  unb  Sefebücher  mürben  oom  ©taate  oorgefchrieben  unb  bie 
SBahl  fiel  üorjugSmeife  auf  proteftantifche.  2ftit  SRedjt  bemerft 
Ih^iner :    „$ann  es  befremben  ober  jmeifelhaft  fein,  baß  eine  (Er* 


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Sojcp&S  II.  ftrdjltdje  Neuerungen. 


539 


jiehung  ber  fatfjoltfchen  Qugenb  nach  foldjen  ÖJrunbfäfcen  jum  $ajj 
gegen  bie  fatfjolifdje  Kirche,  jur  Vernichtung  alle*  pofitiöen  Triften* 
tfmm*  unb  §um  Unglauben  führte?" 

35amit  biejenigen  Alumnen,  bie  ben  in  ben  ©eneralfeminarien 
gepflegten  ©eift  nicht  öoflftänbig  in  fich  aufgenommen,  öon  ben  firdj* 
liehen  Remtern  fem  gehalten  würben,  burften  bie  SBifchöfe  nur  foldje 
ftanbibaten  ju  ^rieftern  meinen,  bie  ihnen  jugefchieft  mürben. 

SBte  bei  allen  anbem  SRegierungSangelegenfjeiten,  fo  wollte  ber 
$aifer  auch  in  ^Betreff  ber  ©eneratfeminarien  Alle*  fclbft  leiten  unb 
überwachen,  obgleich  it)m  für  bie  ganje  Angelegenheit  jebe*  Ver^ 
ftänbnifj  abging.  2Bie  fct)r  er  fich  babei  in  ®leinlichfeiten  öerlor, 
beroeift  bie  nachfolgcnbe ,  öon  it)m  felbft  getroffene  ©eftimmung : 
„233a*  ba*  ©arbieren  anbelangt,  foflen  alle  ©emtnariften  fich  felbft 
barbieren  unb  alfo  bafür  ÜRicht*  gejagt  werben;  ber  ungefchieft  ift, 
ba§  er  e*  nicht  erlernt,  foU  ben  SBarbier  au*  feinem  ©äcfel  be= 
johlen." 

Um  ben  päpftlichen  (Sinflug  auf  bie  firc^Iic^cn  Angelegenheiten 
im  3ntereffe  ber  Dmnipotenj  be*  Staate*  $u  öernichten,  würbe 
nach  ben  öon  Sebroniu*  aufgeteilten  ©runbfäfcen  ein  ßirchenrecht 
au*gebilbet,  nach  welchem  ber  Verfehr  ber  ©ifchöfe  mit  bem  römi* 
fchen  ©tuttfe  tt)eil*  gänzlich  öerboten ,  tfjeil*  einer  ftaatlidjen  (£on> 
tote  unterfteflt  würbe ,  öermittelft  beren  in  jebem  beliebigen  Salle 
bie  ©inwirfung  be*  Zapfte*  abgefchnitten  werben  fonnte.  Alle 
päpftlichen  Süllen,  SBreöen  ober  fonftigen  Srlaffe  mußten  öor  ihrer 
SBerfünbigung  ber  weltlichen  £anbe*behörbe  öorgelegt  werben,  unb 
ihre  39efanntmachung  burfte  nur  nach  erfolgter  afterhöchfter  ©eneh* 
wigung  gefchehen.  Auch  für  bie  SBerfünbigung  öon  «Hirtenbriefen 
unb  bischöflichen  Verorbnungen  jeber  Art  mufjte  bie  ftaatltdie  CSr- 
laubnijj  eingeholt  werben.  Xie  ben  SBijdjöfen  öon  bem  päpftlichen 
©tuhle  erteilten  $)i*penfation*red)te  würben  für  aufgehoben  erflärt ; 
bagegen  füllten  bie  Söifchöfe  gehalten  fein,  öon  ben  firchlichcn  @hCs 
hinberniffen ,  beren  geftftedung  ber  $aifer  al*  ein  au*fchließliche* 
Siecht  be*  ©taate*  in  Anfpruch  nahm,  au*  eigener  93^act)t  gegen 
eine  mäfjtge  Xaje  ju  bi*penjtren.  Qu  ben  93tfchof*ftühlen  würben 
nur  Solche  jugelaffen ,  beren  unbebingte  Unterwerfung  unter  bie 
bereits  erlaffenen  ober  noch  ju  erlaffenben  ftaatlichen  Verorbnungen 
in  firchlichen  Angelegenheiten  jum  Vorau*  erprobt  worben  war,  unb  bie 
Verleihung  öon  *Bi*thümern  würbe  au*brücflich  als  eine  ^Belohnung 
öon  ©eiten  be*  ftaifer*  bezeichnet.  Vor  ihrer  (£onfefration  muß* 
ten  bie  neu  ernannten  Vifchöfe  in  bie  &änbe  be*  2anbe*präfibenten 
ben  £mlbigung*eib  ablegen.  Tic  Annahme  eine*  öom  $apfte  öer* 
liehenen  Xitel*  ohne  öorau*gegangene  lanbe*herrliche  Genehmigung 
war  auf  ba*  ©trengfte  öerboten.  £ie  Verwaltung,  be*  IHrchenöermögen* 


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540 


ffaifer  %o\tpf)  II. 


jog  bcr  ©taat  an  ftdt),  ohne 
u  aeftatten. 


•  min 


• 

Im' 

tent 

bcn  ©ifcfjöfen  noch  irgenb  meldje 


3ofeph«  greller  ju  Xage,  al«  bei  feinen  iHofterauft)ebungen.  SBenn 
bem  ^atfer  bie  3aftf  ber  Älöftcr  in  Defterreich  alft  eine  $u  große 
unb  eine  föebuftion  berfetben  ihm  toünfchen«merth  erfduen,  fo  mußte 
er  feine  beßfallfigen  SBünfche  bem  Dberhaupte  ber  ftirdje  öortragen 
unb  bie  ihm  nott)menbig  fcheinenben  Seränberungen  burdj  ba«felbe 
vornehmen  Iaffen.  Sugteich  mußte  auch  auf  bie  rechtmäßigen  33cftfecrf 
fomie  auf  bie  Stifter,  toeldje  biefe  STnftalten  teftamentarifch  gegrün- 
det, unb  auf  bie  ©ttftbriefe,  in  melden  biefelben  it)ren  SBillen  für 
t>ie  ftacfimelt  niebergeregt ,  gebüt)renbe  fRücfftc^t  genommen  ioerben. 
Son  aUebem  gefchat)  jebodj  9hcht« :  ben  gorberungen  ber  ©ereefc 
tigfeit  mürbe  ebenfomenig  ^ea^nung  getragen,  als  benen  ber  Billig* 
feit ;  ba«  Sorget)en  3ofept)3  war  einfeitig ,  gehmttfara ,  rücfficht«lo« 
unb  in  einzelnen  gäflen  fogar  graufam,  menn  aud)  Siele«,  ma«  in 
biefer  Beziehung  bei  ben  fflofteraufgebungen  gefaxt),  nicht  fomohl 
Um  tfaifer  felbft,  al«  feinen  tt)etl«  fanatifchen ,  theit«  ^abfüdjrigen 
Beamten  jur  Saft  gelegt  merben  muß.  2Tn  fünfeigtaufenb  ^erjonen, 
bie  in  ber  6titte  ber  IHofteraefle  einem  felbft  gemähten  Berufe 
lebten  unb  in  bemfelben  tt)re  Sefriebigung  fanben,  mürben  au«  ben 
aufgehobenen  Älöftern  mit  einem  fpärlich  jugemeffenen  3at)re«ge!jatt 
in  bie  SBelt  prüdfgeftoßen,  ber  Siele  oon  it)nen  ooflftänbig  entfrem* 
bet  maren.  $)ie  ßobrebner  ber  Reformen  3ofcPh&  fugten  jmar  ba« 
®et)affige  biefer  ÜJtoßregel  burdj  bie  Set)auptung  ju  befeitigen,  baß 
bie  meiften  Sftömhe  unb  Tonnen  froh  feiert ,  ben  büfteren  Softer* 
mauern  entriffen  ju  fein;  bie  2luft)ebung«urfunben  bemeifen  jeboch 
«ntfehieben  ba«  ©egentt)eil. 

$em  ftaifer  lag  jmar  ber  ©ebanfe  fern,  au«  bem  Serfaufe  ber 
$Toftergfiter  irgenbmie  eigenen  Sortt)eiI  ju  jiet)en;  ber  (£rlö«  ber* 
felben  mürbe  öielmehr  jur  ©rünbung  eine«  fogenannten  „Religion«* 
fonb«"  üermenbet,  ber  $u  ftrc^(idt)eri  unb  oermanbten  Qwtdtn :  jur 
(SJrünbung  neuer  Pfarren  unb  befferer  $)otirung  ber  ärmeren ,  jur 
(Srridjtung  oon  ^ßriefterfemtnarien,  «Schulen,  2Bohtthätigteit«anftalten 
u.  bgl.,  benufct  merben  foüte.  Slber  eine«theit«  mürbe  ber  mirfliche, 
Iiegenbe,  reale  Sefifc  burch  bie  Ummanblung  be«  größten  ZfytiU  ber 
erhielten  ftauffummen  in  ©taat«fchulbenpapiergelb  ferner  gefchäbigt, 
unb  anbererfeit«  famen  bei  ber  Seräußerung  be«  ftloftergute«  fo 
foloffale  Serfdjleuberungen  unb  5)efraubationen  üor,  baß  ein  großer 
be«  ®lofteroermögen«  baburdj  Oerloren  ging. 

Su  biefer  fchmermiegenben  ©djäbigung  ber  materieflen  3ntereffen 
ber  ©cfammtheit  fam  ber  nicht  minber  fchtoermiegenbe  Serluft  fo 
oieler  Sortheile,  melche  bie  aufgehobenen  Älöfter  in«befonbere  ben 
ärmeren  Solteflaffen  gemährt  hatten.   2Sie  oon  einer  IHofterpforte 


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Sofeph«  IL  fir<f)Hdje  Neuerungen. 


■ 

541 


fein  #ungernber  ungefättigt  fortgefdjicft  mürbe,  fo  Ratten  zahlreiche 
unbemittelte  ©Item  in  ben  ßlofterfdjulen  (Gelegenheit  gefunben  ,  bie 
Xalente  ihrer  ©öhne  für  einen  höheren  ÖebenSberuf  ofme  Soften 
ausüben  laffen,  mie  auch  anbererfeitS  bie  grauenflöfter  fixere 
3uflucf>t«ftätten  für  unoerheirathete  Softer  be3  ehrbaren  chriftüchen 
SBolfeS  gemefen  maren. 

$aä  am  12.  ganuar  1782  erlaffene  ®lofteraufhebung3berrct 
3ofepf)3  II.  traf  ade  biejenigen  geiftltdjen  ©enoffenfehaften ,  „bie 
jum  heften  beä  SRächften  unb  ber  ©efellfchaft  nichts  SitfjtbareS  bei* 
trügen,"  alfo  alle  befdjaulidjen  Orben.  diejenigen  ®löfter,  meldje 
megen  ihrer  unüerfennbaren  9^üfclic^feitf  befonberS  für  bie  ftranfen» 
pflege,  nicht  mofjl  ju  entbehren  maren,  blieben  jum  grö&ten 
bon  ber  Aufhebung  öerfchont;  boc^  mürbe  auch  ihnen  ber  Sebent 
nero  burchfdmitten,  inbem  nicht  nur  aller  3ufammenhang  ber  öfter* 
reidjifcfjen  Softer  mit  benen  beS  SluSlanbeS  aufgehoben,  fonbern 
auch  bie  Aufnahme  neuer  SJcitglieber  tum  ber  jebeSmaligen  ©eneh5 
migung  ber  Regierung  abhängig  gemalt  unb  burch  bie  SBeftimmung, 
ba§  bie  Obern  nur  für  eine  befchränfte  Qtit  gemäht  merben  burf* 
ten,  bie  £anbhabung  ber  Drbnung  erfcr>tDert  unb  ber  Verfaß  ber 
flöfterlidjen  Sucht  ftoftematifch  borbereitet  würbe.  durch  alle  biefe 
SKa&regeln  mürbe  nicht  nur  baS  S^ec^t  ber  Kirche,  ÖJefellf haften  ju 
bilben,  bie  ihrem  ©eifte  unb  ihren  ©efefcen  entsprachen,  gemaltfam 
bemühtet,  fonbern  auch  bie  bürgerliche  5rcir>ctt  beeinträchtigt  f  fraft 
beren  Qebem  bie  SSafjl  einer  feinem  Sebenäjroecfe  entfpredjenben 
SebenSmeife  juftehen  mufj,  infofern  burdj  btefetbe  bie  fechte  Slnberer 
nicht  berffirjt  merben. 

3m3ahre  1783  erlieg  Sofeph  eine  ausführliche  „(BotteSbienft* 
orbnung,"  an  meldte  fich  fämmtliche  ©eelf  orger  in  allen  Grrblanben 
bei  ©träfe  galten  mu&ten.  durch  biefelbe  mürben  alle  gotteS* 
bienftlichen  (Gebräuche  bon  ©taatsmegen  geregelt,  (lebete,  Sitaneien 
unb  lieber  auf  ba$  (Genauefte  borgefchrieben ,  alle  Kongregationen 
unb  33ruberfd)aften  aufgehoben,  bie  ^ßrojefftonen  verboten  unb  bie 
Wallfahrten  tfjcüi  gänzlich  unterfagt,  theilS  burch  befchränfenbe 
SBeftimmungen  fehr  erfchmert.  der  ©lan$  beS  ÄuItuS  mürbe  au* 
©parfamfeitSgrünben  auf  ba£  geringfte  3tta&  befct)ränft  unb  fogar 
bie  Slnjahl  ber  ^er^en  beftimmt,  melche  auf  bem  Slltare  angejünbet 
»erben  burften,  auch  ocr  Abbruch  bon  Elitären  unb  Wallfahrte 
Ürchen  oerfügt. 

SRoct)  größere  Unjufriebenheit ,  als  biefe  tief  in  baS  religiöfe 
Seben  beS  SBolfeS  einfdmeibenben  Neuerungen ,  erregte  Qofepr)^ 
„öeerbigungägefejj,"  nach  melchem  feinerlei  Söegräbniffe  in  SHrchen 
unb  Prüften  mehr  geftattet  fein  unb  ju  möglichfter  SBefchränfung 
beä  SöebürfntffeS  größerer  griebhofSraume ,  „bie  tobten  Körper,  um 
fie  befto  gefchminber  ber  SSermefung  aufführen,  mit  #alf  gleich  *n 


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542 


Äoifcr  SofeM  II. 


ben  Xobtentruhen  genugfam  beftreut  »erben  fottten."  &1*  Don  aßen 
Seiten  Berichte  über  ben  Unfeinen  einliefen,  ben  biefe  jebe  ffifirf* 
ficht  auf  bie  djriftlidje  <ßietät  außer  «cht  laffenben  SBeftimmungen 
herborgerufen ,  berfchärfte  ber  heftig  erzürnte  flaifer  ba*  erlaffene 
©efefe  noch  burdj  bie  Verfügung,  ba&  fortan  bie  tobten  Körper, 
olmc  föücfficht  auf  ben  ©tanb  ber  SBerftorbenen ,  in  ßeinmanbfäcfe 
eingenäht  unb  ohne  Iruhen  in  fed>3  ©a^ub,  tiefe  ©ruben  gelegt  unb 
attba  mit  ftalf  beworfen  »erben  foHten. 

$iefe  neue  Öerorbnung  rief  in  allen  $robinjen  einen  folgen 
©türm  ber  @ntrfijrung  t)erbor ,  ba&  Sofeph  bie  ftotfjwenbigfeit  beä 
QHnlenfen3  erfannte.  (5r  nafjm  bie  getroffene  Verfügung  jurücf, 
tonnte  jeboch  nicht  umtun,  in  bem  bieäbeöügtidjen  (£rla&  feinem 
Unioiaen  burch  bie  fpöttifaje  Söeinerfung  Suft  ju  machen:  „(Srmotle 
feinen  SDfenfchen  jttungen,  vernünftig  ju  fein,  unb  fo  möge  ein 
3eber,  wa*  bie  Iru^e  anbelange,  frei  tlnm,  maS  er  für  feinen 
tobten  Körper  im  S3orau3  für  baä  «ngenehmfte  halte."  $er  ©runb, 
ber  Hm  §u  ber  Slnorbnung  ber  neuen  öegräbni&art  beftimmt  hatte, 
lag  allein  in  feiner  ©udjt,  bie  herrfchenben  Sßrinjipien  ber  SfcahonaU 
öfonomte  nach  öden  Dichtungen  hin  jur  ©eltung  ju  bringen.  $)urch 
bie  SBefchränfung  ber  griebhofäräume  follte  bem  gelbbau  weniger 
#oben  entzogen  unb  burch  bie  (£rfparni&  beS  für  bie  ©arge 
ttötfugen  $ol$e3  eine  größere  Schonung  ber  SBalber  herbeigeführt 
toerben. 

Söährenb  3ofeph  bei  allen  biefen  Neuerungen  gegen  bie  fatho* 
lifcfje  #trd)e  bie  äu&erfte  3ntolerana  an  ben  Xag  legte,  machte 
<x  au«  ber  $ulbung  aller  c^riftüc^en  93efenntniffe  in  feinen 
©taaten  einen  feiner  oberften  sJtegierung$gruub)äfce  unb  bet^ätigte 
biefen  ÖJrunbfajj  burdt)  ein  am  22.  3uni  1781  erlaffene*  „Xolerana* 
«bift,"  burd)  welche«  ben  Anhängern  be3  lut^crifc^cn  unb  refor* 
mirten  SBefenntniffeä  fotoic  ben  nicht  unirten  ©rieben  bie  freie 
Uebung  ihres  ©otteäbienfteS ,  bie  Erbauung  oon  ©ethhäufern ,  bodj 
o^ne  %$\vtmt  unb  ÖJlocfen,  ber  ©ib  nach  ber  Jöorfdjrift  ihres  S8t~ 
fenntnijfeS,  bie  Erlangung  bon  ^Bürger*  unb  ÜJcetfterrechten  unb 
ber  Sutritt  ju  allen  bürgerlichen  unb  militärifchen  Remtern  juge* 
fagt  mürbe,  öilbete  biefeS  Xoleranjebift  fdjon  einen  feltfamen 
(Xontraft  mit  ben  in  proteftantifdjen  Öänbern  bamals  noch  beftefjen* 
ben  SroangSgefejjcn  gegen  bie  Sl atljolifen  ,  jo  mürbe  es  au&erbem 
noch  vielfach  jur  4>erabroürbigung  ber  Hüdje  ausgebeutet.  (Sine 
nicht  geringe  «njahl  oon  Slfatholifen  erblichen  in  ber  oon  3ojeph 
proflamirten  ©eiuiffenSfreiheit  einen  Jreibrief  3U  3njulten  aller  Slrt 
■gegen  bie  $atholifen  unb  gingen  barin  fo  roett,  baö  3ojeph  bie 
NJiott;tucnbtgfcit  erfannte,  ein  auSbrücflidjeS  Verbot  gegen  jolche 
«uSjchreitungen  $u  erlaffen.  ©elbft  ber  $roteftant  sJtam*t)om 
fagt :  „Öeiber  rntjehte  fidj  nur  ju  balb  ^u  ber  h^h^n  5«ube,  welche 


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3ofej>f>3  II.  finfjlicfje  Neuerungen. 


543 


mit  Recht  bie  SIfatholifen  über  bic  ilmen  jugeftonbene  greiheit  an 
ben  Xag  legten,  2lnma&ung  unb  Uebermutt),  ber  fogar  in  bie  un* 
anftänbigften  ©eleibigungen  gegen  bie  ©efenner  ber  bominanten  Re» 
ligion  (bie  Statholifen)  ausartete  unb  eine  9Jcenge  höchft  ärgerlicher 
Auftritte  herborrief.  nun  aber  ber  faifer  aurf)  hiergegen  eiferte 
unb  alsbalb  auch  mehrere  fein  erfte«  Xoteranjpatent  ergänjenbe  93er* 
orbnungen  erliefe,  mobura)  fcheinbar  ben  Slfatholtfen  erft  gewährte 
greiheiten  unb  Vorzüge  theilweife  wieber  genommen  ttmrben ,  fo 
fchrien  auch  fie  wieber  über  Unbulbfamfeit  unb  Ungeredjtigfeit." 

©ine  anbere  oon  bem  #aifer  nicht  oorhergefehene  golge  be« 
Xoleranzebiftä  log  barin ,  baß  Viele ,  bie  ihrem  Glauben  längft 
entfrembet  waren,  fich  offen  oon  ber  Äira^e  loäfagten,  in  ber  SfleU 
nung,  fid)  baburch  ber  faiferlichcn  @nabe  ju  empfehlen,  eine  9M* 
nung,  gegen  welche  3ofeph  fid)  öffentlich  unb  nachbrücflichft  zu  Oer* 
wahren  für  nötyig  fanb. 

Von  bem  Xoleranzebifte  ausgenommen  waren  afle  ßonfeffionS* 
lofen,  namentlich  bie  böhmifchen  „Reiften*  ober  „Slbrafjamiten", 
eine  au«  Ueberreften  beS  alten  ^ufitentfjumä  ^vorgegangene  Re* 
ligionäpartei ,  welche  baä  ÖJeheimnifj  ber  fjciligftcn  $reieinigfeü 
läugnete,  3efum  für  einen  gewöhnlichen  ÜJcenfdjen  erflärte,  bie 
ßeljre  oon  feinem  Verföhnungätobe  oerwarf  unb  oon  Saufe  unb 
S(benbmat)l  als  unnötigen  Zeremonien  Richte  miffen  wollte.  Sin 
faiferliche*  (Sbift  öom  19.  ttuguft  1786  oerfügte,  bafc  alle  Seiften, 
bie  fiel)  weigern  mürben,  $u  einer  ber  gebulbeten  Religionen  über* 
zutreten,  i^r  Vermögen  oerlieren  unb  nach  bem  Vanate  übergeführt 
werben  füllten. 

3)ie  meiften  öfterretd)ifct)en  Prälaten  waren  fchwadj  genug,  bie 
fird)Uct)en  Neuerungen  3ofeph3  fa)n)eigenb  hinzunehmen ;  einige 
liegen  fich  fogar  herbei,  biejelben  zu  oertheibigen ;  nur  wenige,  wie 
ber  Äarbinal  ÜJcigazji ,  <£rz&ifä°f  oon  SBien ,  ber  Surft  <£ fter^ajo, 
(Sr^bifchof  oon  Slgram,  ber  (Srzbifchof  Vatt)üani  oon  ©ran  unb  ber 
©raf  ©bling,  ©rzbijchof  Oon  ©örZr  hatten  ben  3Hulh,  al4  S3ertc>et* 
biger  ber  Rechte  ber  ftHrd)e  aufzutreten  unb  bem  tfaifer  bie  ein« 
bringlichften  Vorftellungen  ju  machen;  ihre  ^Bemühungen,  bem  Ver* 
ber  ben  (£iu  halt  zu  tt)un ,  hatten  jeborf)  nicht  ben  geringfte«  (Erfolg 
unb  gaben  nur  bem  Äaifer  Veranlaffung  zu  einer  äufcerft  unwür* 
bigen  Veljanblung  ber  proteftirenben  Vijchöfe.  (Sbenfowenig  iöcrücf = 
fichtigung,  ald  bie  Vorstellungen  ber  öfterreichil'chen  Prälaten,  fanben 
bie  entften  SBarnungen  bed  ihirfürften  Ziemend  2Sence3(auä  oon 
Xrier,  eines  Sohne*  2luguft£  III.  oon  @ad)fen,  bie  oon  bem  $ai? 
fer  fet)r  übel  aufgenommen  unb  in  einer  ben  2lnftanb  oerlefcenben 
Sfleife  zurüdgemiefen  würben. 

Sa  auch  bie  nadjbrüdlichcn  Ermahnungen  unb  Vorftellungen, 
bie  Sßapft  $iuä  VI.  in  mehreren  eigenhänbigen  Schreiben  an  ben 


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544 


Jfaifer  %o\cpf)  IL 


föaifer  gerichtet,  bicfcn  nid)t  jur  Burücfnahme  feiner  fird)enfeinb= 
liehen  (Srlaffe  ^atte  bewegen  tonnen,  entfc^Iog  fid)  berfelbe,  trofc 
feinet  öorgerücften  9llterS  unb  feiner  fdjwadjen  ©efunbheit,  felbft 
nad)  Söien  ju  reifen,  in  ber  Jpoffnung,  burd)  eine  perfönlict)e  93e 
fpredmng  mit  Qofeph  beffere  drfolge  ju  erzielen.  $)er  Äaifer,  bem 
biefer  (£ntfchlu&  beS  SßapfteS  äu§erft  ungelegen  tarn,  fudjte  ber 
Ausführung  beSfelben  burd)  bie  Anbeutung  üorjubeugen,  ba&  er 
felbft  in  ber  &ür&e  nad)  SRom  ju  tommen  beabfid)tige ;  allein 
$iuS  VI.  beharrte  bei  bem,  maS  er  als  oberfter  $irte  ber  ©Triften* 
heit  für  feine  Pflicht  hielt,  unb  traf,  nadjbem  er  auf  feiner  ganzen 
9leife  öon  bem  fatholifdjen  SBolfc  mit  bem  begeiftertften  3ubel  bt- 
grü&t  morben,  am  22.  Sflärj  1782  in  ^Begleitung  beS  ßaiferS,  ber 
ihm  mit  feinem  ©ruber,  bem  Grrjherjog  SJtarünilian,  einige  leiten 
weit  entgegen  gefahren,  in  ber  öfterreidnfehen  ©auptftabt  ein,  wo 
in  ber  ftofburg  bie  früher  öon  3Raria  X^erepa  bewohnten  äimmer 
für  ihn  ^ergeriajtet  morben  waren. 

3n  2Bien  waren  aus  ber  ganzen  Umgegenb  bis  auf  weite 
(Entfernungen  J>in  fo  öiele  3ttenfchen  jufammengeftrömt,  baß  bie 
3at)i  derjenigen,  bie  in  ben  ©tragen  unb  auf  ben  Ißläfcen  ber  An* 
fünft  beS  ^ßapfteS  darrten,  auf  mehr  als  jmeimalhunberttaufenb  gefdjäfct 
würbe  unb  man  wegen  ber  nötigen  ßebenSmittel  für  bie  ungeheuere 
9flenfd)enmenge  bejorgt  mar.  vJ*ad)bem  <ßiuS  VI.  unter  bem  nicht 
enben  mollenben  Qubel  beS  JBolfeS  in  bie  &ofburg  eingefahren  mar,  be= 
ga6  er  fich  alsbalb  nad)  ber  ehemaligen  gefuitenfirdje  am  £ofplafce, 
öon  beren  ÖJaöerie  aus  er  ber  bidjt  gebrängten  Spenge  ben  papft* 
liehen  (Segen  erteilte. 

lieber  ben  öierwöchentluhen  Aufenthalt  beS  SßapfteS  in  ber 
öfterretduichen  Jpauptftabt  berietet  ein  <ßroteftant  baS  Solgenbe: 
„£ic  Söirfung  ber  Anwefenheit  beS  $apftcS  in  SBien  ift  au&er= 
orbentlid).  3d)  war  oft  zugegen ,  wenn  $iu*  bem  Bolle  in  ber 
$aiferftabt  feinen  Segen  gab.  3d)  gehöre  nicht  $ur  fatholifdjen 
Religion,  auch  nicht  ju  ben  weinerlichen  ßeuten;  aber  ich  öerfidjere 
Sie,  ich  nmrbe  heftig  erfchüttert  unb  bis  $u  Zfyamn  gerührt.  Sie 
formen  eS  nicht  glauben,  Welmen  (Sinbrucf  eS  macht,  über  achtzig* 
taufenb  Sflenfdjen  auf  einem  «ßlaftc  oerfammelt  ju  fer)en  unb  bie 
ganje  grofje  Spenge  in  einem  Momente  $u  überblicfen,  wo  ber  AuS* 
bruef  ber  frömmften  Gefühle  au«  allen  Rhenen  leuchtet  unb  wo  bie 
©efmfucht ,  ben  Segen  für  baS  bieSfeitige  unb  jenfeirige  ßeben  in 
fich  aufzunehmen,  ihnen  eine  Anbaut ,  ich  möchte  fagen ,  einen 
(SntlmfiaSmuS  einflößt,  ber  fie  unempfinbiid)  macht  für  bie  unbe- 
schreiblichen SBefdnuerben,  bie  fie  in  bem  erftiefenben  ©ebränge  aus* 
juftehen  hatten.  2)ian  benfe  fich  nun  &aS  ©rfcheinen  beS  $apfteS 
mit  bem  ganzen  ^ompe,  ber  biefen  SBater  ber  (£hriftent}eit  umgibt, 
bie  breifache  ftrone  auf  bem  Raupte,  in  feinem  heißen  Ornate,  oon 


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Sofeph*  II.  fird)lid)c  Neuerungen. 


ben  Äarbinälen  unb  fjofjen  Sßfirbenträgern  umgeben,  nrie  er  fleh 
gegen  bie  @rbe  neigt,  bann  feine  2lrme  gegen  ben  Gimmel  ergebt, 
in  einer  (Stellung ,  toeldje  bie  oolle  3nbrunft  eines  Cannes  aus* 
brüeft,  ber  baS  ©ebet  eines  gangen  JBolfeS  ber  ©ottheit  barbringt 
unb  mit  feinen  ©liefen  bie  ©rljörung  ^erabfle^t;  man  ftette  fid) 
bor ,  ba6  biefe  ^anblung  burd)  einen  ©reis  geflieht ,  beffen  ein» 
nehmenbe  ©eftalt  unb  eble  ©ejichtSsüge  unfere  £>erjen  feffefn ,  unb 
nrie  nun  bie  Xaufenbe  in  bem  Stugenbftcfe ,  roo  er  in  ber  at^em* 
lofen ,  feierlichften  ©titte  bie  SBorte  beS  ©egenS  auSfpridjt ,  auf 
ihre  Äniee  fturjen  unb  Don  berfelben  $lnbacht  unb  Snnigfeit  er* 
griffen  toerben ,  oon  ber  pe  ben  fegnenben  93ater  ber  (£f)riftenfjeit 
ergriffen  fefjen  —  roahrlich  ein  übertoältigenber ,  ^inreiBenber  Än* 
blief." 

$rofc  beS  tiefen  (SinbrucfS ,  ben  baS  (Srfchetnen  beS  SßapfteS 
unb  beffen  gange  ^Serfönlichfeit  in  allen  Greifen  ber  ©eoölferung 
SßHenS  ^eröorgebraa^t ,  unb  ber  begeifterten  SBerefjrung ,  bie  i|m 
Don  allen  (Seiten  ertoiefen  rourbe ,  erreichte  ^PtuS  VI.  feinen  ßtoeef 
nicht.  %tx  ®aifer  lieg  eS  jttjar  an  (einer  ber  (ätyrenertoeifungen 
festen,  bie  einem  folgen  ©afte  gebührten,  unb  geigte  bem  liebend 
roürbigen  ©reife  eine  adjtungSootte ,  tüte  eS  fa^ien  auch  aufrichtige 
3uneigung;  aber  er  nnch  allen  ^Bemühungen  beS  SßapfteS,  mit  üjm 
über  bie  (irchlichen  Angelegenheiten  ju  unterhanbeln,  ber  mit  #au* 
ni$  getroffenen  SSerabrebung  gemä§,  mit  bem  ©intoanbe  auS:  „(£r 
fei  (ein  ifieologe  unb  öerfte^e  gu  wenig  oom  (anonifc^en  SRechte, 
um  münblia)  hierüber  üerljanbeln  ju  (önnen.  SBenn  ©eine  £eilig* 
feit  gegen  bie  oon  ihm  gum  SBohle  feines  IBoKeS  getroffenen  (irch* 
liefen  SSerorbnungen  Erinnerungen  gu  machen  i)abt,  fo  bitte  er, 
ihm  biefelben  fdjriftlich  oorlegen  gu  motten ,  bamit  er  pe  burefj  fei« 
nen  Rangier  ausführlich  beanttoorten  laffen  fömte."  ©dwn  oor  ber 
5lnhmft  beS  SfapfteS  hatte  er  an  bie  gefammte  öfterreidn'fche  ©eift- 
licfjfevt,  inSbefonbere  an  bie  ©ifdjöfe,  ein  ftrengeS  Verbot  ergeben 
laffen,  fich  toegen  irgeitb  meiner  fir^tid^en  Angelegenheit  fcfjriftndj 
ober  münblid)  an  ben  ^eiligen  SSater  gu  toenben,  fo  lange  berfelbe 
in  SBien  roetlen  toerbe ,  unb  SßiuS  VI.  würbe  roäfjrenb  ber  ganzen 
®auer  feines  ©efudjeS  fo  genau  btivafy,  bafj  er  9Uemanben  unbe* 
mer(t  empfangen  (onnte. 

3m  ©egenfajje  gu  bem  ßaifer  ließ  ®auni$  in  feinem  beneh- 
men gegen  ben  $apft  nicht  nur  bie  bem  Dberbaupte  ber  Kirche 
fdjulbige  (Sh^furcht ,  fonbern  fogar  bie  Regeln  beS  conoentionetten 
AnftanbeS  ooflftänbig  außer  Sicht.  211S  $iuS  VI.,  bem  er  nicht 
einmal  einen  ©fjrenbefuch  abgeftattet ,  fi<h  gu  ber  53efichtigung  ber 
©efjenötoürbigfeiten  feines  SßalafteS  gu  ber  üon  bem  Surften  be* 
ftimmten  ©tunbe  bei  ihm  einfanb ,  empfing  er  ihn  im  Sftorgenan* 
jug,  fchüttelte  bie  ihm  jum  Äuffe  bargebotene  ^anb  mit  ungejie* 

^oljtoart^,  3Bcltflef(|t«te.  VI.  35 

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546 


flaifer  II. 


menbcr  Sßcrtraulidjfeit  unb  fefcte,  mit  bcr  (£ntfdjulbigung ,  baß  fein 
®opf  bic  $älte  nid^t  oertrage,  im  3immer  ocn  ^ut  auf. 

Aud)  Ätänfungen  anberer  Art  blieben  bem  $apfte  roäffrenb 
feine«  Aufenthalte«  in  ber  öfterreidnfdjen  $>auptftabt  nidt)t  erfpart. 
Unter  feinen  Augen  erfaßten  $u  SBien  eine  glutl)  oon  glugfdjriften, 
bie  fid)  ungefnnbert  in  ber  $erabnmrbigung  unb  iöerfpottung  be« 
Primate«  ergingen.  $er  ganj  ben  neuen  Qbeen  ljulbigenbe  Abt 
föautenftraud) ,  4>ofratf)  an  ber  böf)mifa>öftemia}ifd>en  ^offanjlct, 
oeröffentlidjte  unter  bem  Xitel:  „SBorftettung  an  feine  päpftlidjc 
£eiligfeit,"  eine  glugfdjrift ,  in  meldjer  er  ben  «ßapft  aufforberte, 
ädern  loeltltdjen  Aufe^en,  aller  jeitUa^en  Wlafyt  unb  £errföaft  frei* 
mittig  ju  entfagen,  „roeil  ber  Söefife  berfelbcn  ton  ßfjrifto  förmlich 
»erboten  toorben  fei."  $n  nod)  unoeridjämterem  Xone  abgefaßt 
mar  bie  ©d)mäl)fajrift  be«  #offanoniften  (Subel:  „2öa«  ift  ber 
$apft?\  in  melier  bie  ©runbfäfce  be«  gebrouiu«  in  ber  fdmeibenb* 
ften  gorm  unter  ba«  S&olt  gebraut  mürben. 

AI«  $iu«  VI.  am  22.  April  bon  SSien  abreifte,  mo  er  nid)t« 
Anbere«  erlangt  hatte,  al«  bie  Stfatf  be«  ftaifer« ,  baß  feine  föe* 
formen  üftidjt«  gegen  bie  Xogmen  ber  IHrdje  unb  bie  SBürbe  iljre« 
Dberfjaupte«  enthalten  füllten,  gab  if)m  Qofcp^  ba«  (Meite  bi« 
jum  Softer  SRariabrunn.  ®leidjfam  al«  motte  er  ber  SBelt  jei* 
gen ,  mie  menig  e«  bem  Zapfte  gelungen  fei ,  Um  umjuftimmen, 
{Job  er  einige  ©tunben  nad)  ber  Abreife  feine«  fyotyn  ®afte«  biefe« 
Älofter  auf. 

SBie  bie  föeife  nad)  SBien ,  fo  geftaltete  ftd)  aud)  bie  Md- 
reife  be«  Zapfte«  nad)  9ftom  $u  einem  magren  Xriumphjuge.  $)ie 
anbad)t«öolle  Eingebung ,  mit  melier  aller  Orten  bie  fatljolifdje 
SBcoölferung  ihrem  Dberfjirten  entgegenftrömte,  feilte  fid)  felbft  oie* 
Ken  ^roteftanten  mit.  Qn  Sttündjen  brängte  fid)  bie  ©emahlin  be« 
englifdjen  (^efaubteu  mit  bemalt  burd)  ba«  U>olf ,  um  öor  bem 
Zapfte  nieber  ju  fnieen  unb  ihm  bie  $>anb  ju  füffen.  3n  Aug«* 
bürg  ^atte  fidb  ber  proteftantifdje  It)cil  be«  ftiatlje«  unb  ber  ©ür* 
gerfd)aft  mit  bem  fatholija)en  jur  Ueberreidmng  ber  an  burdjrei-- 
fenbe  gürften  hertömmlidjen  ^^rengefc^enfe  oereinigt,  mofür  $iu«  VI. 
feinen  $)anf  mit  bem  ©ebete  begleitete,  „baß  ©ott  diejenigen,  roeldje 
feine  Bürger  unb  £au«genoffen  feien,  im  (Sifer  feine«  $)ienfte« 
maxien  laffen,  bie  ©äfte  unb  3u^mmlinge  aber  mit  bem  ÖJeiftc 
feiner  Klarheit  erleudjten  unb  auf  ben  2Bcg  be«  £cile«  führen 
motte,  bamit  er  (ber  s$apft)  fie  Alle  mit  gleicher  Siebe  ju  umfaffen 
fid)  freuen  bürfe."  Seim  93efud)e  ber  Söibliothef  begrüßte  if)n  ber 
93ibliotr)cfar  unb  SReftor  be«  luthertfdjen  (£umnafium« ,  Anbrea« 
Herten« ,  fnieenb  mit  einer  Anrebe ,  in  toeld)er  er  fein  breifadje« 
©lud  prie«,  „ben  $apft  $iu«  VI.,  bie  SSonne  be«  menfchlia^en  ©e= 
fa)lea)t«,  ben  ^ciligftcu  S3ater ,  ba«  Oberhaupt  ber  djriftlidjen  9le* 


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$ic  Stcüolution  m  bcn  ^icbcvlanbcn. 


547 


ligion,  denjenigen,  ber  geboren  fei,  atteä  Ungemach  toon  ben  6terb* 
liefen  ju  entfernen,  mit  innigfter  Bewegung  bon  2lngeftdjt  ju  fefjen 
unb  feine  ^eiligften  5ü&e  ju  tuffen." 

2lm  23.  dejember  1783  erfdjien  3°fa>lj  unerwartet  jum 
öegenbefndje  in  SRom,  tt)o  er  glänjenb  empfangen  mürbe.  2Hä  er  bem 
fpanifdjen  diplomaten  W$axa  feinen  *ßlan  ber  bölligen  ßoSrei&ung 
ber  beutfeheu  $ird)e  non  föom  eröffnete ,  rieth  ihm  biefer  entfe^ie* 
ben  ab.  Qux  Skrmeibung  größerer  Uebel  entfc^log  fidj  ber  Sßapft, 
tf)tn  in  einem  am  30.  3anuar  1784  abgefdjlojfenen  flonforbate  ba3 
©menmtngSredjt  für  bie  ©tetlntmer  in  ben  £erjogthümern  aMlanb 
unb  SJcantua  jujugefte^en.  der  ftaifer  jeigte  fid)  feitbem  $mar  in 
feiner  £>anblung3tt)eife  cttoaS  rücffichtSüoller  gegen  ben  Sßapft ,  atä 
früher,  fchritt  aber  nichtöbeftoroeniger  auf  ber  $Baf)n  feiner  fachlichen 
Neuerungen  mit  unüerminberter  SBittfür  fort  unb  liefe  auch  bie  oon 
ihm  felbft  erbetenen  päpftüdjen  Hutten  über  neue  SBiäthümer  nur 
mit  feinem  $lacet  üerfünbtgen. 


Sie  »ebolution  in  ben  Weberlaitben. 

(1788-1790.) 

die  nieberlänbifchen  $roöinjen  DefterreichS  —  feit  9Jcar> 
milian«  I.  Qtit  ber  „burgunbifche  ftretö"  genannt  —  erfreuten  fid), 
feitbem  bie  Kriege  jroif^cn  granfreich  unb  Cefterreich  aufgehört 
hatten,  einer  behaglichen  Stühe.  3h«  SBerfaffung ,  bie  Joyeuse 
entr£e  ober  Blyde  Inkomste  (frör)lid^cr  (Sinjug),  —  fo  genannt, 
toeil  bie  Urtunbe  berfclben  im  3ahrc  1423  bei  bem  erften  (Sinjug 
be3  ^erjogS  Philipp  beä  ©uten  in  Druffel  auägefteflt  roorben  — 
fieberte  ihren  ©tänben ,  aufjer  bem  fechte  ber  ©teuerbemiöigung, 
triele  anberen  greiheiten  unb  SBefugniffe ,  in  beren  ©enuß  fich  ba3 
33olf  äujjerft  tuohl  fühlte.  2lderbau,  <$erocrbe  unb  $anbel  blühten, 
unb  im  ganjen  £anbe  herrfdjte  ein  früh(ia)er,  tyittxtx  (Seift  fetbft* 
bemühter  Freiheit,  dabei  funfi  bad  iBolf  mit  unverbrüchlicher  Xreue 
an  feinem  fatholifdjen  Glauben  unb  fanb  feine  työtytt  grenbe  an 
ben  frrchlichen  geften  unb  Wufeügen,  bie  als  wahre  SBoltefefte  mit 
altertümlichem  ^ßrunt  unb  reichen  $1  unten  jpenben  gefeiert  mürben, 
die  in  h°^cm  21nfet)en  ftehenbe  ©eiftlichfeit  ^atte  roährenb  be3 
fiebeujährigen  Krieges  bem  Äaiferhaufe  ihre  (Ergebenheit  burch  außer* 
orbentliche  $ilfdgelber  unb  darlehen  öon  fyofytm  ^Betrage  bethä* 
tigt.  S(n  ber  ©pifce  ber  SBermaltung  ftanb  eiu  ©eneralftatthalter, 
welche  ©teile  feit  bem  dobe  be3  $>er^og§  #arl  öon  Lothringen  bie 
©rjherjogin  SJcarie  ©hrifrine,  eine  ©chtuefter  Sofeph^r  gemeinfehaft* 
lieh  mit  ihrcm  ©ernaf)! ,  bem  £er$og  Gilbert  öon  ©achfen=dcjchen, 

35* 

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548 


Äaifcr  3ofej>^  II. 


befleibete.  $em  ©eneralftattfjalter  mar  als  SRat^gebcr  ein  9ftinifter 
beigegeben,  ber  ifm  im  galle  ber  Slbtüefcn^cit  ju  oertreten  Ijatte. 
£ie  aus  bem  9tbel,  ber  ©eiftlidjfett  unb  ben  ©ürgerf Soften  be* 
ftefjenbcn  @tänbe  übten  jeboef),  tf;ei(3  felbft,  tfjeite  bnrd)  $u$fd)üfye 
einen  großen  (Sinfluß  am,  inbem  mdit  nur  bie  .v>öbc,  fonbern  and) 
bie  (Erhebung  unb  SSermenbung  ber  Abgaben  öon  ifmen  angeorbnet 
nwrbe.  $ie  meiften  fianbfdmften  Rotten  if)re  eigenen  Cbergeridjte, 
unter  benen  ber  „  große  9iat(jM  oon  Sörabant  ba§  pdrffe  21nfef>en 
genoß. 

Cbgleid)  Sofcp^  bei  feiner  Sfnronbefteigung  nicr>t  nur  alle 
föchte,  Sreifjeiten ,  ©efefee  unb  ^rioüegien  ber  #er$ogtl)ümer 
©raffdjaften,  ©täbte  unb  Korporationen  ber  Niebedanbe  beftätigt, 
fonbern  aud)  bie  Joyeuse  entr^e  öffentlich  unb  feierlid)  befdjmoren 
ijatte,  griff  er  aläbatb  in  bie  nieberlänbifebe  Skrfaffung  mit  ber 
rütffidjtalofeften  (£igenmäd)tigfeit  ein,  beren  ©etoeggrunb  umfomem* 
ger  in  einer  lanbeäoätcrlidjen  gürforge  für  ba3  SBofyl  biefer  ^ro* 
öinjeu  gefugt  »erben  fonnte,  a(3  er  biefelben  furj  Dörfer  an  ben 
ftutfürßen  oon  ber  *ßfatj  gegen  SBaiern  fjatte  oertaufc^en  motten. 
(£r  teilte  baö  gan$e  £anb,  olme  Nücffidjt  auf  bie  Wbgrenjung 
unb  bie  befonberen  SBerfyältniffe  ber  einzelnen  ^rooinjen,  in  neun 
Greife,  ernannte  ®reiäl)auptleutc,  \iatt  ber  ton  ben  8tänben  ein* 
gefegten  f  aftcüaue  unb  Dberamtfeute,  f)ob  bie  beftcfyenben  Dberge* 
rid)t3f)öfe,  ben  großen  Natfy  öon  Trabant  unb  bie  geiftlidjen  ©e= 
ricfytSftellen  auf  unb  Oereinigte  äße  biefe  Söcfyörben  in  einem  fyödjften 
©eridjt^ofe,  ber  feinen  in  ©rüffel  erfjielt.  ©benfo  lüfte  er 
bie  brei  mit  ben  6tänbcn  jufammenfjäugenben  fliatljSfoflegien  nebft 
ben  ftänbtjrfjen  WuSfdn'iffen  auf  unb  übertrug  bie  gefammte  *Ber- 
maltung  beS  tfanbeS  einer  unter  ber  Seitung  eine«  bevollmächtigten 
9)cutiftcrä  fteljenben  Negterungäbefjörbe ,  moburd)  bie  SBirffamfeit 
ber  ©eneralftattlmlterfcf)aft  auf  bie  einfache  ftepräfentation  befdjranft 
mürbe. 

2flit  ben  ftaatlidjcn  Neuerungen  gingen  bie  fird)litf)en  £anb 
in  £>anb.  ftofepf)  (job  mehrere  ftiöfter  auf  unb  fe&te  in  anberen, 
bie  er  fortbewegen  ließ,  eigenmädjtig  ^ommanbatar^Üebte  ein,  öer= 
bot  burd)  ein  eigenes  (Sbift  jebe  Berufung  an  ben  $apft,  nafjm  ben 
Sbifdjöfen  bie  ©ntjdjeibung  in  ben  ^eangclegentjeiten ,  unterfagte 
bie  Wallfahrten,  befdjränfte  bie  ^rojejfionen ,  üerfümmerte  ben 
©dmiucf  ber  ftirdjcn,  t)ob  bie  bifd)öt"lid)en  Seminarien  auf  unb  er* 
richtete  in  fiömen  unb  ihirnnburg  ©eneralfeminaricn,  in  melden 
für  alle  angeljenben  ftlerifer  beä  JianbeS  bie  Xljeologie  oljne  jeb- 
tuebe  bifdjöflichc  ftontrolc  burd)  ^rofefforen  gelefjrt  merben  foüte, 
bie  üon  bem  tfaifer  ernannt  mürben. 

$iejc  Neuerungen,  gegen  Welche  fomoljl  bie  belgifdjen  53ifd)öfe, 
an  iljrer  6pifce  ber  «arbinal  üon  S  r  a  n  f  e  n  b  e  r  g  ,  (Sr^bifd^of 


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$ie  SRefcolutton  in  ben  Ktebcrlanben. 


549 


t>on  ÜKec^cIn,  als  aud)  bic  ©täube  energifdjen  Sßroteft  erhoben, 
riefen  im  ganjen  ßanbe  eine  bumpfe  (Safjrung  fyerüor,  bic  im  sJco= 
fcember  1786  in  fiöroen  nadj  ber  Eröffnung  be3  ®eneralfemtnar3 
in  offener  28iberfefclicf)fcit  ju  Sage  trat.  bie  ©eminariften  ge- 
gen  bie  Sriüolität  unb  Unfirdjlicfjfeit  ber  öon  bem  ftaifer  ernannt 
ten  ^ßrofefforen  proteftirtcn  unb  bafür  öon  biefen  eine  fctyimpflidje 
SBeljanbhtng  erfuhren,  fam  e3  &u  ifyätltcfjfctten,  bie  ben  $5ireftor 
ber  STnftalt  öeranlaßten,  ftd)  nad)  93rüffet  ju  begeben,  um  militä* 
rifdje  £ilfe  $u  reqtitriren.  Xer  ®arbina(  öon  granfenberg  ermahnte 
bie  ©tubtrenben  burd)  ein  ©djreiben  $ur  Nutye ;  ba  jebodj  bie  58ür* 
gerfdjaft  öon  ßöroen  für  biefeffeert  Partei  ergriff,  bauerten  bie 
Nufjeftörungen  fort.  3)em  öon  ber  Regierung  entfanbten  SDlilttär 
gelang  eä  ^mar,  bie  Orbnung  f)er$ufteüen ;  aflein  bie  ©eminariften 
jogen,  mit  2lu3naf)me  einiger  wenigen,  öon  bannen,  um  iljre  ©tu- 
Sien  in  einem  anberen  fianbe  ju  matf)en. 

5)er  fjeftig  erzürnte  ®aifer  öerroieS  ben  päpftlia)en  Nuntius, 
ben  er  befdjulbigte,  bie  ©eminariften  aufgereiht  ju  $aben,  au& 
Sörüffel  unb  berief  ben  S?arbinal  öon  granfenberg  nad)  SBien,  mo 
er  Lfm  mit  ben  SBorten  empfing:  „$)a  ©ie  öon  bem  jefcigen 
©üfteme  ber  Geologie  unb  ben  Einrichtungen  ber  ©eminarien  feine 
regten  begriffe  ju  haben  fcheinen,  fo  Ijabe  ich  groci  Seifiger  ber 
geiftlichen  $ommiffion  beauftragt,  3hncn  herüber  baä  nötige  ßidjt 
ju  oerf Raffen."  (Sntfchloffener  benn  je,  bie  Neuerungen  beä  Äaiferä 
ju  befömpfen,  fefnrte  ber  ftarbinal  nach  Belgien  jurüd,  roo  fidj 
baä  über  Sofepfjä  ©taatäfirchenthum  erbitterte  iöotf  immer  fefter 
um  feine  Söifdt)öfe  fdjaarte. 

3u  abermaligen  Nuheftörungen  tarn  e3,  als  im  Slpril  1787 
bie  neue  Einrichtung  ber  SBertoaltung  unb  be$  (SerichtBtoefenS  in* 
ßeben  treten  foüte.  5)ie  ©tänbe  öon  Trabant  öerfagten,  öon  bem 
ihnen  öerfaffungStnäßtg  pfteljenben  9fced)te  Gebrauch  madjenb,  bie 
öerlangten  £Uf3geIber,  bid  bie  93efd)tt)erben  beä  ßanbefc  abgcfteHt 
feien,  öerboten  ben  ©teuereinne^mern  bie  2ftachtöollfommenheit  ber 
ueuen  ^Beamten  an^uerfennen,  hoben  ba3  ©eneralfeminar  ju  Soften 
auf,  entboten  bie  übrigen  ßanbfdjaften  ju  einer  allgemeinen  93er* 
binbung  unb  richteten  bringenbe  SSorfteflungen  an  ben  (5teneral= 
ftatthalter.  $)te  SBerljaftung  eine*  33  rüffeler  SBürgerä,  ber,  in  einer 
fiieferungöfaa^e  be3  ^Betruges  befchulbigt,  ben  üerfaffungämäfjigen 
9lec^ten  beä  ßanbeS  entgegen  jur  Unterfudjung  nach  SBien  abge- 
führt merben  foöte,  öeraulagte  einen  Xumult,  ber  balb  in  anberen 
©täbten  Nachahmung  fanb.  ©trohpuppen,  benen  ber  Xitel  ®rei3* 
Hauptmann  angehebt  mar,  mürben  buref)  bie  ©tragen  gefd)Ieift  unb 
öerbrannt  unb  bem  faiferlichen  TOnifter  Söelgiojofo,  toefcher  für 
bcn  hauptiädjlidrften  Urheber  ober  ©eförberer  ber  Neuerungen  galt, 
bie  Senfter  eingeworfen. 


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550 


Äaifer  Sofeft  II 


$a  Niemanb  mefjr  ben  faiferlidjen  Beamten  get)ord)en  mollte, 
hielten  eä  bic  ®eneralftattt)alter  für  geratt)en,  eine  (Srflärung  ju 
erlaffen,  welche  bic  Surürfnafnne  oller  eingeführten  Neuerungen  unb 
bie  Entfernung  aller  mißliebigen  ^erfouen  au*  bem  Natlje  ber 
©tatt^alterei  $ufagtc.  $icfe  (£rflärung  rief  in  Trüffel  einen  unbe* 
fdjreiblidjen  3ubel  tyrtoox,  ber  im  ganjen  fianbe  Nad)t)all  fanbr 
tfanonenbonner  unb  Öloefengeläute  ertönten;  ba«  SSolf  fpannte  fid) 
öor  ben  ©agen  beS  gürftenpaareS ,  unb  im  X^eater  würben  bie 
©rjherjogin  unb  tyr  GJematjl  mit  ftürmifdjem  tfpplauft  als  bie  2öic- 
bert)erfteUer  ber  öffentlichen  2Sot)lfat)rt  unb  greit)eit  begrüßt. 

3ofept) ,  ber  bie  Nadjridjt  üon  biefen  Vorgängen  in  (£f>erfon 
erhielt,  mof)in  er  fid)  ju  einer  3ufammcnfunft  mit  ber  (£jarin  be* 
geben,  mar  meit  entfernt,  mit  ber  Nadjgiebigfeit  feiner  Vertreter 
etnoerftanben  ju  fein.  ©obalb  er  nad>  SBien  jurücfgefef)rt  mar,  be* 
rief  er  bie  ®eneralftattt)alier  unb  ben  9flinifter  ©elgiojofa  auä  ben 
Nieberlanben  ab  unb  forberte  bie  belgijdjen  Stänbe  auf,  u)m  burd) 
Slbgcorbncte  it)re  ©efdjmcrben  oorlegen  $u  laffen,  „bie  aflein  auf 
Sftifjberftänbniffen  unb  fallen  SluSlegungcn  feiner  nur  auf  ba& 
2öot)l  ber  Nieberlänber  jielenben  Slbfidjten  berufen  fönnten."  So 
fetjr  er  aud)  münfdjen  mochte,  feine  Neuerungen  aufredet  ju  fjaltcn, 
nött)igte  ifjn  bod)  ber  Umftanb,  baß  er  eben  im  begriffe  mar,  ge* 
meinfam  mit  Nußlaub  einen  Selb^ng  gegen  bie  dürfen  ju  unter* 
neljmen,  ju  einiger  Nad)giebigfcit.  (5r  fagte  ben  Mbgeorbneten  ber 
nieberlänbifa^en  Stäube  bie  ^erftettung  iljrcr  alten  £anbe$öerfaffung 
bi$  auf  einige  menigen,  noci)  nä^er  ju  unterfud)enben  fünfte  ju, 
fanbte  bie  ßkncralftattfjaltcr,  beren  §(brei(e  bie  Belgier  gar  nidjt 
Ratten  äugeben  moflen,  nad)  ben  Nieberlanben  $urürf,  ernannte  an 
ber  ©teile  SBelgiojofo'ä  ben  ©rafen  üon  Xrautmann^borf  $u  feinem 
bevollmächtigten  SNinifter  unb  erfefcte  ben  gleichfalls  mißliebigen 
©eneral  2fturrau,  ber  ben  Dberbcfefjl  über  bie  in  ben  Nieberlan* 
ben  ftefyenben  Xruppen  führte,  burch  ben  ©eneial  b's2Uton;  ba  er 
jebod)  auf  ben  meifteu  feiner  firchlidjen  Neuerungen  beftanb,  bauerte 
bie  Unjufriebent)cit  ber  Belgier  fort.  Xie  Stänbc  oon  ^ennegau 
unb  oon  Trabant  üermeigerten  aufä  Neue  bie  3a^un9  oer  $Öf** 
gelber,  bid  üollftänbige  s2lbt)ilfe  aller  geregten  Söcfdnoerbcn  gefdmf* 
ten  morben.  25a  fie  in  it)rer  SSiberfetjlidjfcit  oert)arrten,  ließ  ber 
aufä  §leußerfte  gereifte  Äaifer,  nachbem  er  fluerft  bie  ©tdnbe  oon 
$ennegau,  bann  and)  bie  oon  Trabant  burd)  SBaffcngetoalt  hatte  am- 
eiuanber  treiben  laffen,  am  18.  Quni  1789  bie  Joyeuse  entree 
für  aufgehoben  erflären. 

$iefe  unfluge  Üttaßregel  fteigerte,  in  $8erbinbung  mit  ben 
gleid)jeitigen  öerhängnißoollen  @reigniffen  in  granfreid)  —  ber 
©rftürmung  ber  Söaftiöe  unb  ber  ©rljebung  ber  Nationalöerfamm- 
lung  über  ben  2t)ron  —  bie  allgemeine  Währung  ju  einem  fold)en 


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2>ie  SReüolurion  in  bcn  9?icbcrIonbcn 


551 


ßkabe,  baß  toeber  bic  ?(uSgleid)ungSöerfudje  XrautmannSborfS  nodj 
bog  fdjroffe  Auftreten  beS  ©cneralS  b'Sllton  bcn  9luSbrucf)  eines 
allgemeinen  2lufftanbeS  berfnnbern  fonnte.  SBäfjrenb  ber  an  ber 
(Spi^e  ber  Dppofttion  fteljenbe  Slntoalt  Dan  ber  9toot  mit  $reu* 
ßen  unb  ben  ©eemäajten  unterfjanbelte,  bie  als  S8eftf)üfcer  ber  Xürfei 
ju  Cefterrcid)  in  einem  gefpannten  $8erf)ältniffe  ftanben ,  jogen 
Xaufenbe  oon  Unjnfriebenen  über  bie  fjoflänbifdje  (JJrenje  unb 
fammelten  fid)  ju  SBreba,  roo  Ujre  $eereSmad)t  balb  ju  jnjolftaufenb 
Sflann  antoudjS.  3n  ©ruffei  mürben  am  19.  Dftober  in  golge 
entbeefter  SSerbinbungen  mit  ben  2luSgetoanberten  eine  große  2ln* 
jaljt  ^erfonen  aus  allen  ©tänben  oerfjaftet.  $a  fidj  audj  auf 
bem  fianbe  unruhige  SBemcgungett  geigten,  erließ  b'Sllton  eine  $8e* 
fanntmad)ung,  in  toeldjer  er  alle  Dörfer,  in  benen  bie  3fafync  beS 
SlufrufjrS  aufgepflanzt  toerbe,  in  SBranb  ju  fteden  broljte;  als  je* 
bod)  bie  unter  ber  güfjrung  eines  ehemaligen  öfterreidufdjen  Offi* 
jierS,  Dan  ber  Sttarfdj,  über  bie  ÖJrenje  gerüeften  SluSgeroanberten 
am  26.  Cftober  eine  bei  Xurnfjoot  ftefjenbe  9lbtf)eilung  faiferlidjer 
Gruppen  mit  bebeutenbem  SBerlufte  jurütffdjlugen,  oerlor  ber  ru^m» 
rebige  b'?llton  fo  fef)r  ben  ®opf,  baß  er  ber  immer  roeiter  um  fidj 
greifenben  Empörung  ratf)loS  gegenüberftanb.  $te  ©täbte  @ent, 
Dftenbe,  Sörügge,  2HonS  mürben  öon  iljren  93efafcungen  geräumt, 
unb  öon  ben  in  ben  ^roöingen  üertfjeilten  Xruppeu  gingen  ganze 
©djaaren,  öon  ber  gretgebigfeit  ber  über  bebeutenbe  ®clbmittel  Oer* 
fügenben  (Gegner  üerlocft,  ju  ben  Patrioten  über. 

3u  (Snbe  Dftobcr  erließ  öan  ber  9ioot,  als  ber  beöoffmäcfc 
tigte  Slgent  beS  belgifdjen  EolfeS,  ein  ÜJtonifeft ,  in  meinem  ber 
ßaifer  feiner  #eraogStoürbe  für  öerluftig  unb  Belgien  für  unab* 
gängig  erflärt  mürbe.  SrautmannSborf  ließ  jmar  am  3.  <fto* 
öember  biefe  (Schrift  in  ©rüffet  burefj  <penferSf)anb  oerbrennen ;  bie 
ßage  ber  ©auptftabt  feinen  jeboefc  balb  burd?  bie  gortfdjrittc  ber 
Patrioten  fo  fefjr  6cbrof)t,  baß  bie  ®eneralftattf)alter  eS  für  ge* 
ratzen  erad)teten,  mit  bem  $ofe  abjureifen.  9tad)bem  aud)  bellten 
am  12.  5)ejember  1789  in  3olge  eines  burd)  bic  Selcibigung 
eines  Bürgers  oon  (Seiten  eines  Offiziers  erregten  SlufftanbeS 
©rüffel  geräumt,  unb  ^oar  mit  einer  folgen  #aft,  baß  brei  «Willio* 
nen  baaren  (MbeS  jurütf  blieben,  proflamirten  am  13.  bie  6tänbe 
bie  Unabfjängigfcit  ber  SRieberlanbe  unb  conftituirten  fia)  als 
„großmögenbe  Staaten  üon  Sßteberlotljringen,  Trabant  unb  $nt* 
toerpen."  $ie  bemofratifdjen  Elemente,  bie  ftdj  in  bie  SReoolution 
eingej'djlid)en,  unterlagen  balb  bem  Uebergetoidjte  bcS  SlbelS  unb 
ber  ©eiftliaifcit,  meldte  in  ber  ben  ©tänben  übertragenen  @ou* 
üeränität  bie  fia^erfte  ©ürgf^aft  für  bie  Slufredjtljaltung  i^rer 
alten  SHedjte  unb  §erfömmlia^feiten  erblirften.  5)ie  am  7.  ganuar 
1790  unter  bem  SBorfifce  beS  ß'arbinalS  oon  granfenberg  ju  Sörüffel 


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552 


ßaifer  3ofej)$  IL 


eröffnete  ®eneratöerfamntlung  ber  ^Srotrinjen  fanftionirte  bie  Unab* 
fjängigfeit  Söclgien*  unb  fefcte,  nadjbem  fte  eine  au*  jwötf  ftrtifeht 
beftefjenbe  ©unbe*afte  entworfen,  am  11.  Sanitär  einen  föntgrejj 
ein,  an  »eichen  alle  poütijdje  ©ewalt  überging. 

©ergeben«  Ijatte  3oje^f  nadjbem  bereit*  Xrautmann*borf  am 
20.  ÜRooember  bie  ©iebcreinfefcung  ber  Untoerfttät  ßömen  in  alle 
ir)re  ©eredjtfame  jugefagt,  am  26.  9lobember  eine  $rofIamatioit 
erlaffen ,  in  melier  er ,  unter  Surücfnatyme  afler  feiner  ftaatlidjen 
unb  ftrdjlictjen  Neuerungen,  bie  SBieberfjerftettung  ber  Joyeuse  entr^e 
nad)  tfyrem  ganjen  Umfange,  bie  SBiebereinfe&ung  be£  grofjen  Ütatfy* 
oon  Trabant,  bie  (Einberufung  ber  ©tänbe  unb  eine  allgemeine 
Hmnefrie  oerfunbete.  3"  feiner  ©ebrängnifj  rief  er  bie  ©ermitt* 
lung  be*  ^ßapfte*  an;  al*  jebod)  $iu*  VI.  bie  alle  föedjte  ber 
ftircfye  ^erfteüenben  ßufagen  be*  ßaifer*  ben  ©ifdjöfen  mit  ber  Suf* 
forberung  übermittelte ,  in  oerfötmlidjem  @inne  ju  mirfen,  erflarten 
fte  ifmi:  „$ie  ©elgier  fönnten,  nadjbem  fte  fo  oft  in  iijren  £>off* 
nungen  getäufdjt  morben,  ben  Zerreißungen  if)re*  feittyerigen  ©e* 
Ijerrfdjer*  fein  ©ertrauen  mefyr  fdjenfen,  unb  ba  bereit*  eine  neue 
Regierung  eingefefct,  fei  faum  mefjr  auf  eine  Srütffefjr  unter  ben 
©efjorfam  be*  ftaifer*  §u  Ijoffen." 

3ofel>lj8  II.  »entrungen  in  Ungarn« 

$en  gleiten  Unwillen,  wie  in  ben  SRieberlanben ,  riefen  bie 
Reformen  be*  ®aifer*  in  Ungarn  ljertoor,  unb  audj  Ijier  mar  ber 
SÖiberftanb  gegen  biefelben  ein  fo  heftiger  unb  brol)enber,  baji 
3ofep^  nur  burrfj  redjtjeittge*  (Einlenfen  einer  äljnlidjen  S'ataftropfje 
borbeugen  tonnte,  wie  fie  in  ©elgien  jum  5lu*brud)  gefommen. 

Ungarn  fjatte  bamal*  in  bielen  ©ejieljungen  2lelmltcE)fett  mit 
$olen;  benn  wie  bort,  fo  bilbete  aud?  t)icr  ber  friegerti^e,  Oer* 
fd)Wenberifd)e ,  5um  Uebermuttje  gegen  bie  ©djmädjern  unb  jum 
Ungcfjorfam  gegen  bie  flrone  geneigte  STbcI  bie  eigentliche  Nation 
unb  ftanb  aud)  in  ©ejug  auf  ben  unbänbigen  9tationalftol$ ,  ber 
bie  polnifdjen  ÖJro&en  jur  Qtit  tyrer  9Raa)tfüHe  befeelte,  hinter 
biefen  nid)t  jurüd.  $)er  2lbel  war  ftcuerfrei ;  ber  ©auer  allein 
trug  alle  haften  f  mejjfjalb  aud)  ba*  gemeine  ©olf  in  ber  ®efd)äft** 
fprad)e  offiziell  bie  „misera  contribuens  plebsÄ  —  ba*  arme 
fteuernbe  ©olf  —  genannt  mürbe,  ßubem  mar  bie  ©eoölferung 
be*  Sanbe*  eine  bunt  gemtfd)te :  Sftagijaren ,  ©laben  berfd)iebener 
©tämme,  ©riechen  (Rumänen)  unb  $eutfd)e  Rauften,  burd)  bielfadje 
Seinbjeligfeit  gehalten ,  neben*  unb  burdjeinanber.  Ungarn  fonnte 
balp  aud)  al*  ber  am  wenigften  au*gebilbete  ©taat  be*  ganzen 
c^rift(icr)en  (Suropa'*  gelten. 


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3ofep1)8  II.  Weiterungen  in  Ungarn.  553 

$)af?  f|ier  Reformen  9loffy  traten,  mar  nidtjt  ju  beftreiten ;  aber 
ftatt  bei  ber  Äbfdjaffung  fo  Dieter  beralteter  unb  tief  rourjetnber 
2ftt§ftänbe  mit  boppelter  SBorftd)t  51t  SBerfe  ju  gelten  unb  bor  Eitlem 
bie  §ur  $Tnbafmung  befferer  ßuftänbe  nötigen  <$runbfteine  ju  legen, 
ging  ber  Äaifer  audj  fyier  mit  feiner  gewohnten  Ueberftür^ung  bor, 
unb  inbem  er  mit  einem  ©djlage  Sittel  änbem  rooüte,  bereitete  er 
fidj  unüberftei gftcfje  £>inberniffe. 

©Icid^  beim  beginne  feiner  {Regierung  tyatte  3ofcp^  bie  Ungarn 
baburd)  erbittert,  baß  er,  ftatt  ftdt),  toie  e$  baS  £erfommen  erljeifdjte, 
jum  (Smpfange  ber  Slrone  be3  fjeiftgen  ©tepljan  nad)  Sßreßburg  ju 
begeben,  bie  Ueberfüfjrung  berfelben  nad)  SBien  anorbnete,  rooburdj 
er  anjubeuten  fdjien,  baß  er  all  (£rbe  ber  IjabSburgifd&en  üftonardtjie 
bereits  #önig  bon  Ungarn  fei.  $(jatfädjtidj  fjatte  er  bie  Krönung 
nur  beßfjalb  umgeben  motten,  roeit  er  burd)  bie  Hblegung  be8  ®rö- 
nungSeibe«  an  bie  ungarifdje  ©erfaffung,  bie  umjuänbern  er  ent* 
fdjloffen  mar,  gebunben  gemefen  fein  mürbe. 

Sofepfj  eröffnete  feine  Reformen  in  Ungarn  burd)  bie  (ährlje* 
bung  ber  beutfdjen  ©pracfje  jur  allgemeinen  ©efc$äft§tyracf)e ,  mo* 
bei  er  ben  ©eamten  jur  Erlernung  berfelben  eine  breijäfjrige  grift 
jugeftanb.  2Ber  fte  bis  ba^in  nidfjt  erlernt  fjaben  werbe ,  foEte 
fein  2Tmt  berfieren.  hierauf  mürbe  baS  gefammte  ©eridjtsmefen 
umgeftaltet  unb  bie  ©ermaltung  jum  größten  %ty\it  föniglic^en 
93eboßmäd)tigten  ober  ftoramiffarien  übertragen.  Kroatien,  ©la* 
bonien,  baS  ©anat  unb  Siebenbürgen  erhielten  eine  neue  (SKnttjei* 
lung,  moburd)  in  bem  lefcteren  ßanbe  ber  bisherige  SBerfaffungS* 
unterfdfjieb  ber  brei  Stationen :  Ungarn ,  ©$etter  unb  ©adjfen 
aufgehoben  ttmrbe.  Um  bie  für  ben  ®rieg3bienft  nadjt^eiügen 
Werbungen  einftellen  ju  tonnen,  führte  ^ofepfj  bie  (Eonfcription 
ein ,  unb  lieg  $u  biefem  Smecfe  eine  allgemeine  JBotlöjd^ung  bor« 
nehmen. 

Söäljrenb  atfe  biefe  Neuerungen  unter  bem  ungarifdjen  ißotte, 
beffen  nationale  SBorurtfjette  unb  ©emoljnfjeiten  fie  beriefen ,  eine 
tief  gefjenbe  Unjufriebenfjeit  fjerborriefeu ,  bie  burd)  bie  i$m  au* 
ber  tfuffjebung  ber  Seibeigenfajaft  unb  ber  in  2(u8ftcfjt  fteljenben 
gleichförmigen  ©efteuerung  ermadjfenben  ©rteidjterungen  nio$t  be* 
fdjnridjtigt  merben  tonnte ,  toax  ber  Slbel  über  bie  ©eeinträajtigung 
feiner  ©tanbe3borred)te  tief  erbittert ;  audj  bie  ungarifdp  öifööfe 
jeigten  ben  firdjtidjen  Neuerungen  SofepljS  gegenüber  eine  ungleich 
entfcfn'ebenere  Gattung,  als  bie  ber  beutfefcen  (Srbtänber.  ©0  faty 
fidj  ber  Äaifer  bon  allen  ©eiten  mit  klagen  unb  <&egenborfteflungeu 
beftürmt,  bie  if)re3  ©mbrueta  um  fo  roeniger  berfefjlen  tonnten,  aß 
einerfeitö  Ungarn  ber  ©djauplafc  beS  Krieges  mar,  ben  Sofepf)  im 
©imbe  mit  ftußlanb  gegen  bie  Pforte  führte  unb  beffen  anfänglich 
für  bie  ©erbünbeten  menig  günftiger  ©erlauf  bie  Ungarn  in  i|rer 


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554  Äaifer  gofetf  II. 

SBibcrfc^tic^feit  nur  beftärfen  fonnte,  unb  anbererfeit*  Greußen 
eine  immer  brohenbere  Haltung  annahm  unb  bereit*  Xruppen  an 
ber  föleftfdjen  (Drenje  aufgeteilt  ^arte.  $)a  unter  biefen  Umftän* 
ben  bie  in  Ungarn  l^errföenbe  ©ährung  leicht  in  offene  Empörung 
umfragen  fonnte,  tytlt  3*>f*Ph  e*  für  geboten,  bem  ftürmifchen 
Verlangen  ber  ©efammtbeüölferung  nach  ber  £erftellung  ber  früheren 
Suftönbe  nachjufommen.  SJcit  2lu*nahme  beS  Soferanaebift* ,  fo* 
mic  ber  für  bie  Seelforge  getroffenen  Einrichtungen  unb  ber  21uf* 
Hebung  ber  £eibeigenfrf)aft ,  toiberrief  er  am  28.  Januar  1790  alle 
für  baS  Königreich  Ungarn  erlaffenen  93erorbnungen  unb  jagte  bie 
Einberufung  beS  ^Reichstage*  ju ,  ber  feit  ben  erften  Regierung** 
jähren  SJtoria  Ityxtfia'Z  nicht  mehr  abgehalten  morben.  „Er  habe," 
fo  erflörte  er  ben  ungarifdjen  Stänben,  „mit  ben  in  einigen  QmU 
gen  ber  SSermaltung  getroffenen  Slenberungen  nur  bie  görberung 
ber  2öot)Ifar)rt  be*  itanbe*  bewerft ;  ba  fie  jeboch  ben  früheren  3u* 
ftanb  öorjögen,  fo  nehme  er  feinen  Slnftanb,  benfelben  mieber  h«s 
aufteilend  Sluch  bie  frone  be*  ^eiligen  Stephan  frfnefte  er  nach 
Ofen  jurücf.  3«  allen  Orten,  burdj  melche  fie  tarn,  maren 
Sriumphbögen  errietet,  unb  in  Ofen  mürbe  ihre  föücffehr  burdj 
eine  glänjenbe  3ö"^nation  gefeiert.  3*1  0an8  Ungarn  fyerrfd)te 
ein  3ubcl,  al*  ob  bie  Wation  au*  parier  ftne^tf^aft  crlöft  morben 
märe. 


3ofeplj8  II.  ftuSgang. 

3ofep^  II.  Ijatte  bei  ber  oben  (€>.  550)  ermähnten  ßufam* 
menf mtft  mit  ber  Malierin  Matlmvina  oon  SRufclaub  ju  LSt)erfon  mit 
berfelben  ein  SBünbnifj  gcfdjloffen,  in  Solge  beffen  er  fich  genötigt 
fah,  an  bem  im  3öhrc  I707  aufgebrochenen  ruffifch*türfijchen 
Kriege,  über  melden  mir  meiter  unten  ausführlicher  berichten  mer* 
ben,  auf  Seiten  SRuölanbS  hn  nehmen.  Obgleich  er  nach  ben 
Stipulationen  be*  s-BunbeSüertragS  nur  jur  Stellung  eine*  £>ilf*s 
heere*  oon  breiöigtaujenb  9)tonn  berpflichtet  mar,  gemann  in  feinem 
9iatf)e  bie  Anficht  bie  Oberhanb,  bog  e*  beffer  fei,  fich  mit  allen 
verfügbaren  Gräften  an  bem  Kriege  ju  betheiligen,  um  oon  ben  al* 
unjmeifelhaft  betrachteten  Eroberungen  einen  grögeren  Slntheil  für 
fich  nehmen  ju  bürfen.  £emgemä&  ging,  nachbem  am  2.  gebruar 
1788  bie  förmliche  ftriegSerflärung  Oefterreid)*  an  bie  Pforte  erfolgt 
mar,  ein  £>eer  öon  jmeimalhunberttaufenb  9ftann  unter  bem  ©encral 
*Ja*ct),  ber  fich  in  biefem  Kriege  al*  ungefdnefter  gelbherr  ernrieS, 
nach  bem  SBanate  ab  unb  nahm  in  fünf  $lbtheilungen  in  einer  meit 
au*gebefmten  Strecfe  üon  ber  maflachifchen  ÖJrenje  bi*  311m  abriati* 
fchen  Speere  Stellung.    $er  Kaifer  felbft  begab  fich  im  Srühjahre 


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Sofcph«  II.  ÄuSgang. 


555 


$u  bem  bei  Sittof  ftefjenben  #auptheere,  um  im  Vereine  mit  2a3clj 
bie  Leitung  bc£  JelbjugeS  übernehmen. 

55er  Verlauf  beSfelben  mar  in  golge  bc$  burcbauS  öerfehlten 
*ßlaneä  ein  für  Defterreich  unglüeflieber.  $>ie  dürfen  burdjbrachen 
ben  öfterreidnfeben  (jorbon  unb  richteten  bie  fc^roac^en  Xruppenab* 
Teilungen ,  bie  ihnen  entgegen  geftellt  roerben  fonnten ,  fcfjmadjöoff 
&u  (Srunbe,  roährenb  bie  größeren  $orp3  in  funftöott  eingenomme- 
nen Stellungen  müßig  ftanben  ober  in  miffenfehaftlich  berechneten 
SJcarfcben  hin*  unb  herzogen,  mobei  Langel  unb  ftranfbeiten  mehr 
©olbaten  i)inrafftcn  r  alä  eine  bebeutenbe  ©(flacht  gefoftet  haben 
mürbe.  Sofeph»  ber  bei  großem  perfönlichen  Sftuthe  bennoeb  fein 
fjeröorragenber  Selbberr  mar,  entfdjloß  fid)  enblidj,  bem  allgemeinen 
Verlangen  nachzugeben  unb  ben  Oberbefehl  bem  hochbetagten ,  aber 
noch  immer  tüchtigen  fioubon  §u  übertragen,  ber  bem  $rieg  aläbalb 
eine  anbere  SBenbung  gab  unb  baä  ©lücf  $u  ben  öfierreidufeben 
SBaffcn  gurüefführte. 

Sofeph  f elbft  fehrte  im  ^Dejember  1788  mißmutig  unb  ohne 
ben  erhofften  Selbbcrrnrubm  nach  SEBien  jurücf.  $)te  Slnftrengungen 
be£  £agerleben$,  in  meinem  er  mit  feinen  ©olbaten  ade  Söefchmer- 
ben  unb  Entbehrungen  tbeilte,  hatten  ihm,  oerbunben  mit  ben  Ein* 
mirfungen  eines  heißen  ©ommerä,  bürrer  SBüften  unb  moraftiger 
9lu3bünftungen ,  bie  für  ba3  ganje  £eer  eine  ungetuöbnlicbe  ©terb- 
licftfeit  $ur  Solgc  hatten ,  ein  fdjmereä  fiungenleiben  zugezogen, 
bejfen  Entnncflung  burch  ben  nagenben  ©chmerj  über  bie  Erfolglos 
figfeit  aller  feiner  33eftrebungen  befcbleunigt  mürbe,  ©chon  bei  feiner 
Slnfunft  in  SEBien  erflärten  bie  2(er$te  feinen  3uftanb  für  bebenflich. 
2öie  er  trofc  feiner  fhchenf  einbüßen  Steuerungen  nie  aufgehört  hatte, 
burch  ben  Empfang  ber  ©aframente  fein  Schalten  an  ocm  fatr)o» 
lifchen  (Glauben  51t  befunben,  fo  ließ  er  fich  auch,  nachbem  er  ben 
2lu3fprucb  ber  Werlte  öernommen,  um  oon  feiner  fatholifchen  ©e* 
ftnnung  noch  einmal  öffentlich  3^9«i6  abzulegen,  am  16.  $ejember 
in  ber  ShtrgfapeHe  oor  einer  zahlreichen  SBerfammlung  baä  tyiiiqt 
3Ibenbmahl  reichen.  21n  ben  ©tufen  beS  Slltareä  fagte  er  mit  lauter 
©timme:  „5$or  bem  t)kx  gegenmärtigen  ®ott,  ben  ich  baib  als 
meinen  dichter  ermarte,  betheuere  ich,  baß  ich  alles,  maS  ich  roä> 
renb  meiner  neunjährigen  Regierung  gethan ,  nur  in  ber  21bficbt 
angeorbnet  habe,  baä  SBohl  meiner  Untertanen  ju  beförbern.  ©oüte 
ich  gefehlt  haben,  fo  toirb  ©ott  in  föüdficbt  meiner  SIbficbt  unb  ber 
menschlichen  ©cbmäche ,  oon  ber  fein  ©terblidjcr  frei  ift ,  mit  mir 
©armherjigfeit  haben. 

SofephS  Enbe  mar  inbeffen  fo  nahe  noch  nicht,  als  er  felbft 
glaubte ;  cä  trat  m'elmehr  in  feinem  Suftanbe  eine  merfliche  ©effe* 
rung  ein  ,  unb  ber  ©ommer  fd)ien  ihm  Polle  ÖJcnefung  bringen  ju 
mofien.   «Hein  er  fonnte  ber  fcheinbar  mieberfehrenben  ®cfunbheit 


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55G 


Äaifcr  gofcrt  H. 


nid)t  frolj  werben;  benn  alljufdjmer  laftctc  auf  feiner  ©eele  ber 
Kummer  über  bie  bitteren,  felbftoerfdmlbeten  (Erfahrungen  ber  testen 
3a^re ,  über  bie  gänjlia^  auä  ben  (^ugen  getretenen  SSer^ältittffe 
feiner  (Erblänber,  über  bie  ©efafyren,  bie  benfelben  bei  ber  mad^en? 
ben  getnbfa^aft  ^reußend  audi  Don  Stoßen  broljten,  gan$  befouberfc 
aber  über  ben  Söerluft  ©elgten*.  „$)ie  Räumung  SBrüffeU  ift  mein 
£ob,"  fagte  er  &u  bem  nieberlänbifdfen  ^rinjen  öon  Signe.  „Ja? 
fterbe;  id)  müßte  fonft  Don  §0(3  fein."  llnb  ein  anbered  ERat 
äußerte  er:  „Qdj  roünfdpte,  man  f  triebe  auf  mein  @rab:  $>ier 
rufjt  ein  gürft,  beffen  Äbfidtfen  rein  waren ,  ber  aber  ba$  Unglücf 
tyatte,  ade  feine  $(&ne  fctyeitern  ju  fetyen." 

$aß  eä  in  ber  Xf>at  troftloS  in  ben  öfterreidjifdjen  (Srbftaaten 
aufcfafj ,  erfyeöt  au*  ber  nad)folgenben  ©c&ilberung  3ftöcr* :  „3m 
Snneren  ber  öfterreidjifdjen  ßänber  Jjerrfdjte  an  einigen  Orten 
Doße  $(nard)ie,  in  allen  9)?t fjuergnügen  unb  Aufregung.  Belgien 
mar  bereit*  oerloren,  Ungarn  baran,  feine  eigenen  SBege  ju  gcfjen, 
Xtjrol  faft  im  Wufftanbe  megen  ©djmälerung  feiner  öerfaffungä* 
magigen  9ted)te  unb  megen  aW  ber  politifdjen  unb  firdjlidjen  9ieue» 
rungen ,  in  ben  üorberöflerreidHfdjen  ßänbern  tfyeilmeife  53auero* 
aufftänbe;  <&alt&ien,  ©öljmen,  Ober=  unb  Unter  ofterreid) ,  ©teier* 
marf,  ftärntfjen  unb  bie  ßombarbei  Doli  klagen,  33efd)n>erben  unb 
©djnriertgfeiten ,  tljeilS  wegen  ber  Steuerungen ,  tfyeild  megen  beS 
©teuerbrudfö ,  am  atlermeiften  aber  roegen  ber  ©efdjränfnng  ober 
gänjlidjen  ©efeitigung  ber  oerfaffungämämgen  Organe  ber  fiänber, 
ber  $rot>injial«Sanbftänbe.i' 

W\t  bem  beginn  be*  SBinterft  fefjrte  ba3  Uebel  bed  &aifer$ 
in  berboppetter  ©tärfe  $urü(f ,  unb  balb  unterlag  e$  feinem  Qtoti* 
fei  mefjr,  baß  e$  mit  ifun  $u  ©nbe  ging,  ©eine  toadjfenben  förper* 
liefen  fieiben  ertrug  er  mit  ber  gleichen  ftanbtjaften  (Ergebung,  mit 
melier  er  bie  garten  (Erfahrungen  fetner  legten  £eben$jafjre  tyn* 
genommen,  ©eine  unermübltdje  Xtyätigfeit  erlofdj  erft  mit  feinem 
£eoen:  nodj  am  Xage  üor  feinem  Xobe  biftirte  er  feinen  ftabinetä* 
fefretären  bi*  flefjn  Uljr  9lac^td.  9tad»bem  er  am  13.  unb  am 
15.  gebruar  1790  bie  heiligen  ©aframente  empfangen,  entfdjltef 
er  am  20.  gebruar,  in  ber  grülje  be*  SttorgenS,  o^ne  Xobe&fampf, 
im  neununbbierjigften  3al>re  feine*  Sllterfc.  ©ein  X)enfmal  in  SBien 
trögt  bie  Qnfdnrvft:  „Josephus  II.  qui  rei  publicae  non  diu  sed 
totuB  vixit  —  3ofeph  II.,  welker  für  ben  ©taat  nid)t  lange,  aber 
ganj  lebte." 

®on  ben  bieten  oerfdjiebenen  Urzeiten,  bie  über  3ofepI)  II. 
gefällt  roorben,  bürfte  ba3  nad)fteljenbe  öon  Säger  ba3  §utreffenbfte 
fein.  „<E3  nrirb  9ttemanb  aud)  Dom  ©tanbpunfte  feiner  fubjeftiöen 
Ueber^eugung  bem  Äaifer  bie  eble  2tbftcf)t  abfprea^en  fönnen ,  nur 
baä  ©lücf  feiner  Söölfcr  gemottt  unb  angeftrebt  ju  fwben.  5)aß  i§m 


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3ojepf>3  II.  Ausgang. 


557 


ber  traurige  §lnblicf  nicr)t  erfpart  tourbe ,  feine  (Smtroürfe  fdjeitern 
§u  fefum,  r)atte  feinen  ®runb  jum  %\)tii  in  ber  §lrt,  nrie  er  bie* 
felben  ausführen  ju  müffen  glaubte,  jum  X^etl  in  ber  Statur  fei* 
ner  @ntmürfe.  SBieleS  oon  bem ,  roaS  Qofept)  anftrebte ,  ptte  als 
Samenforn  in  bie  (ährbe  gefät  unb  beffen  ©nttoieflung  unb  ©ebenen 
ber  Seit  überlaffen  merben  fotlen.  3ofcpt)  aber  moflte  fdjon  in  bem 
$lugenblicfe,  als  er  ben  ©amen  auSftreute,  fjrüchte  pflüefen;  barum 
gebier)  felbft  baS,  roaS  ßebenSfraft  in  fidj  gehabt,  in  ber  Treibhaus* 
hifce  feiner  SBerorbnungen  nur  ju  einem  fdmeU  oergänglichen  55a* 
fein.  3ofepl),  ber  bem  mirflichen  fieben  ba,  tuo  eS  feinen  ifjeorien 
im  SBege  ftanb,  feine  ^Berechtigung  juerfannte,  mußte  mit  bemfelben 
in  notfrtrenbigen  Streit  unb  $ampf  geraden  unb  eS  erleben ,  baß 
feine  i^eorien  unb  $>oftrinen  gegen  bie  SJcacfjt  ber  hriberftrebenben 
Ueberjeugungen ,  (Sitten  unb  fRechtSanfprüche  ber  SBölfer  felbft  mit 
Despotismus  nicht  gefchüfct  werben  tonnten." 

Qn  Uebereinftimmung  mit  biefem  Urteile  fagt  ®.  $f.  SWenjel: 
„ Seine  (QofephS)  menfehenfreunbliche  Sorge  für  baS  SBohl  ber 
dhrenjbetoohner ,  bie  ifm  ben  bon  ßaSct)  öorgefchlagenen  Sorben  ge- 
nehmigen ließ,  unb  ber  plöfolidje  SBibermifle  gegen  Sölutoergießen, 
ber  if)n  im  entfa^eibenben  SJcomente  eines  fjalb  errungenen  Sieges 
gum  Surütftoeicfjen  oor  ben  Xfirfen  beftimmte ;  —  bie  Qnfchrift,  bie 
er  auf  baS  GingangSthor  beS  öon  ihm  bem  SBotfe  geöffneten  2Iu* 
gartenS  fefcen  ließ :  „eitlen  äRenfchen  geroibmet  öon  ihrem  Sdjäfcer", 
—  unb  bie  ifnttuort,  toomit  er  ben  SBorfchlag,  einen  Ztyil  beS 
(Martens  ficr>  unb  ben  f)öf)eren  Stänben  üorjubeljaUen ,  jurücfttncS : 
,2öenn  ich  nur  unter  meines  (bleichen  fein  moüte,  fo  müßte  ich  mein 
fieben  jnrifchen  ben  Särgen  meiner  Vorfahren  in  ber  ^aifergruft 
jubringen'  —  maren  ber  HuSbrucf  einer  SDenfungSart,  ber  eS  nicht 
fehlen  ju  fönnen  fcf)ien,  bie  Zuneigung  beS  VolfeS  in  ihrer  ganzen 
güHe  ju  geminnen.  $>aß  baS  ©egentheü  eintrat  unb  ber  öolfS* 
freunbliche  ®aifer  bei  feinen  ßebjeiten  roeit  mehr  gehaßt  als  geliebt 
tourbe ,  mar  abet  nicht  bloß  ber  gewöhnliche  £of)n ,  melden  (&üte, 
ofme  fingen  SRücfhalt  gefpenbet ,  ton  ber  ungenügfamen  Spenge  er* 
^ält;  eS  entfprang  auch  nicht  allein  aus  ben  jahlreichen  JBeeinträaV 
tigungen  unb  Verlegungen,  melche  feine  Reformen  ben  Siechten  unb 
Qntereffen  ber  ©inieinen  brauten  ,  fonbem  eS  mar  gum  größten 
Ztyil  SBirfung  ber  £ärte,  mit  meldjer  er  burd>  fchonungSlofe  2ln* 
tuenbung  ber  im  materialiftifchen  Sinne  aufgefaßten  begriffe:  ©e* 
meinmohl  unb  Rechtsgleichheit ,  ben  VolfSfitten  unb  VotfSgefüf)len 
£ofm  fprad)." 


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558 


Äaifer  SJeopolb  II. 


XXXII. 
Si  a  i  f  c  x  £eop  o  f  b  II. 

(1790—1792.) 

$5a  3ofepty  II.  feine  ®inber  fyinterlieS  —  aus  feiner  erften 
<5fye  r)atte  er  nur  eine  Xodjter  gehabt ,  bic  im  SUter  oon  fieben 
3a§ren  geftorben  mar ;  feine  jroeite  @f)e  mar  finberloS  geblieben  — 
ging  bie  öfterreidu'fdje  Sflonardjie  an  feinen  SBruber ,  ben  ÖJro^er- 
jog  Seopolb  öon  £o3fana,  über,  ber  junädjft  ben  Xitel:  *®önig 
t>on  Ungarn  unb  93öf)men  annahm.  $ie  Aufgabe,  bie  biefem  5ür* 
ften  in  feinen  ©rManben  jufiet,  mar  feine  leiste;  bennod)  gelang 
e8  iljm,  fte  burd)  Mäßigung  unb  fteftigfeit  löfen.  2Ba£  ifym 
näe^ft  am  $erjen  lag ,  mar  bie  3urürffü^rung  ber  SRieberlänber 
unter  ben  ©eljorfam  feine«  $>aufe3.  Um  fid)  bafur  bie  3uftimmung 
unb  eöentuefle  SKitroirfung  $reuj3en$  unb  ber  ©eemädjte  ju  fiesem, 
fnüpfte  er  Unterfyanblungen  mit  bem  ®önig  Sriebrid)  SBÜfjelm  II. 
t)on  Greußen,  bem  Steffen  unb  *Rad)foIger  SriebridjS  II.,  an,  bie  am 
27.  3uli  1790  $u  bem  Vertrag  t>on  Sftetdjenbadj  führten.  Qn 
bemfelben  öerpflidjtete  fid)  Seopotb ,  ben  53ctgicrn  tr)rc  alte  öer- 
faffung ,  unter  öennfligung  einer  ollgemeinen  Slmneftie ,  jurüd  ju 
geben  unb  ben  33arriereüertrag  fjerjuftellen ,  mit  ber  Pforte  aber 
fofort  einen  SBaffenftiflftanb  ju  fdjftejjen,  unb  mit  berfelben  über 
einen  Stieben  auj  @Jrunb  beä  $3efij}ftanbe£  öor  bem  Kriege  ju  unter* 
f)anbeln,  wogegen  ber  $önig  tum  Greußen  if)tn  im  (Jinüernebmen 
mit  ben  Seemödjten  feine  guten  3)tenfte  jur  Herbeiführung  einer 
friebliajen  SRütffetjr  ber  belgifdjen  ^romnjen  unter  bie  öfterrcidnfdje 
£errfd)aft  jufagte. 

Sßadjbem  auf  biefe  Söeife  baS  gute  (Smüernefymen  jimfdjen 
Defterreid)  unb  $reufjen  fyergeftettt  mar,  begab  fid)  Seopolb  nadj 
granffurt,  roo  er  am  30.  ©eptember  jum  ftaifer  gemalt  unb  am 
9.  Dftober  gefrönt  würbe.  Hierauf  erließ  er  au  bie  Sftieberlänber 
ein  SRanifeft,  in  meinem  er  fie  unter  ber  3ufage  einer  allgemeinen 
Sümneftie  jur  Unterwerfung  aufforberte  unb  ifjnen  unter  ber  ©e* 
wätyrleiftung  öon  (Snglaub,  £>ollanb  unb  Greußen  baä  SBerfpredjen 
gab ,  bie  nteberianbifd)en  ^roöinjen  nadj  ben  #onftttutionen  unb 
s$rtöUegien  $u  regieren,  bie  fie  jur  Seit  ber  Äaiferin  3Haria  Xtjerefia 
befeffen,  audj  alle*  $u  befeitigen,  wa3  unter  ber  legten  Regierung 
gegen  ben  Snfyalt  biefer  $onftitutionen  gefdjefjen  fein  fönnte.  sÄu&er* 
bem  enthielt  ba&  SRanifcft  bie  vi(nfunbtngung ,  bafj  bemnädjft  ein 
faiferlid>e3  £eer  fcon  bret&igtaufenb  SWann  in  ben  ftieberlanben 
erfajeinen  werbe. 

Xer  nieberlänbifdje  Äongreg  war  jwar  anfangt  entfajloffen, 


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ßatfer  fieopolb  II. 


559 


feine  Unabhängtgfett  ju  behaupten;  allein  bie  ®raft  beS  Sötber- 
ftanbeS  war,  in  Sofge  ber  SBiebererftarfung  ber  bemofratifchen  $ar* 
tei,  burch  innere  Uneinigfeit  gelähmt.  211S  (Snglanb,  ^oöanb  unb 
Sßreu&en  jur  Unterwerfung  rieben,  ergriffen  bie  ©täube  ben  s2luS* 
weg,  ben  britten  ©ohn  beS  ^aiferS,  ben  (Srjherjog  ®arl,  jum  erb- 
liefen  ©rofcherjog  öon  Belgien  ju  ernennen;  ber  SBeöoflmächtigte 
beS  ®aiferS ,  ©raf  SDcerctt  b'Slrgenteau ,  unb  ber  gelbmarfdjall 
Söenber,  ber  güfnrer  beS  faiferlichen  £>eereS,  nahmen  jeboct)  öon  biefer 
Ernennung  feine  9coti$.  Sßachbem  fich  bie  faiferlichen  Xruppen  in 
Sujemburg  gefammelt,  rfiefte  SBenber  mit  benfel6en  am  20.  Wo* 
öember  über  bie  SJcaaS  in  ^Belgien  ein  unb  fanb  nur  fdt)tt>achen 
SBiberftanb.  SSan  ber  9coot  unb  bie  übrigen  £>äupter  ber  bemo* 
fratifdjen  Partei  entflohen,  unb  am  3.  $ejember  1790  gelten  bie 
Cefterreia^er  ihren  ©injug  in  Trüffel.  9coct)  öor  Ablauf  beS  Qa^red 
waren  fammtliche  ^roöinjen  ,  gegen  bie  ©eftätigung  ihrer  SBer* 
faffungen,  *ßriöilegien  unb  ©ebräuche,  nrie  foldtje  ihnen  burcf>  bie 
£ulbigungSafte  föarlS  VI.  unb  9ftaria  $hcrcfta'S  pgefichert  wor- 
ben,  unter  ben  ©ehorfam  beS  ftaiferhaufeS  jurüdgefefyrt. 

©leichjeitig  mit  ber  Unterwerfung  ^Belgiens  erfolgte  bie  öott* 
ftänbige  ^Beruhigung  Ungarns.  $)ie  ungarischen  ©tänbe  fugten 
$war  bem  ®aifer  eine  ©efdjränfnng  ber  ®ömgSgewalt  burch  einen 
neuen  ÄröuungSeib  aufzwingen;  it)rc  Bemühungen  {Vetterten  je* 
boch  an  SeopolbS  gefttgfeit.  9cach  fetner  Krönung  vereinbarte  ber 
ftaifer  mit  ben  ungarifchen  ©täuben  auf  einem  ^Reichstage  bie  @r= 
lebigung  afler  aus  ber  ^cit  3ofepf)3  noch  ^errüf)renben  SBefchwer* 
ben ,  namentlich  bie  Slbfchaffung  ber  befonberS  mi&liebigen  ©runb- 
fteuer,  bie  auch  in  ben  übrigen  ©rblänbern  öon  ßeopolb  aufgehoben 
mürbe.  3n  ben  fird)lichen  ükrhältniffen  ftellte  ber  ftaifer  gleichfalls 
einige  ber  ftörenbften  9)cajjregeln  ab,  wenn  er  aud)  im  Allgemeinen 
baS  öon  feinem  Jöruber  eingeführte  ©uftem  aufregt  fyitlt.  2Jftt  ben 
dürfen  mürbe  am  4.  Auguft  1791  ju  ©$iftowa  ein  griebe  ge* 
fcf)loffen,  in  meinem  Defterretd)  baS  Gebiet  öon  s2Ut-Drfowa  erlangte. 

Obgleich  Seopolb  II.  ftd)  mit  bem  ftönig  gfriebriet)  mtyüm  II. 
oon  Greußen  bei  einer  3ufammenfunft  Leiber  $u  ^illnifo  im  Auguft 
1791  über  gemeinfame  ©dritte  ju  ©unften  feines  unglücf  liehen 
©chwagerS  ßubroig  XVI.,  ber  injwifchen  in  golge  eines  fel)lge* 
fotogenen  gludjtöerfuchs  ber  befangene  feines  *BolfeS  geworben, 
beraten  unb  geeinigt  hatte,  fam  eS  $u  feinem  feinblichen  Sorgehen 
beiber  Sttonarchcn  gegen  granf reich ,  inbem  bie  Annahme  ber  neuen 
ßonftitution  öon  ©eiten  ßubmigS  eine  (Sinmifchung  in  bie  franjö* 
fifajen  Angelegenheiten  noch  nicht  als  rathfam  erfa^einen  lieg.  — 
fieopolb  II.  ftarb  am  1.  2Rärj  1792,  nach  einer  furjen,  burch 
einen  55)iätfcr>Icr  herbeigeführten  Äranfheit ,  im  Alter  öon  öierunb* 
öierjig  fahren. 


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560 


Katharina  II.  oon  3*ufelanb. 


XXXIII. 

a  t  fi  a  r  i  n  a  II.  von  ^itUanD, 

(1762-1796.) 

Iftronbcftciflmtß  ber  ffaiferin  flat&arina. 

(9.  3uli  1762.) 

9cad)bem  bie  ßaiferin  (Elizabeth  am  5.  Qanuar  1762  nacr) 
furjer  Iftanfhcit  einem  ©lutfturj  erlegen  mar ,  beftieg ,  fraft  ber 
üon  ihr  getroffenen  ©eftimmung ,  ihr  Neffe ,  ber  ©roßfürfi  «ßeter 
Ufrict)  aus  bem  $aufe  4>oIftein=©ottorp ,  als  *ßeter  III.  ben  ruf* 
fifd)cn  X^ron.  (Sine  fetner  erften  NegierungShanblungen  mar,  Wie 
mir  oben  (©.  452)  gefcfjen  haben,  bie  ©inftellung  aller  geinbfeligfeiten 
gegen  <ßreufien,  worauf  alsbalb  ber  5lbfchlu&  beS  SriebenS  unb 
ein  förmliches  $8ünbni&  mit  griebridj  II.  folgte,  ©eine  fd)Wärme= 
rifaje  SBerehrung  für  ben  ^reu&enf önig  trieb  ihn  an ,  beffen  Negie* 
rungSmcife  in  jeber  JBcjtcljung  jum  SDhifter  ju  nehmen,  freiließ 
mehr  ben  augeren  gormen  als  bem  Reifte  nad),  unb  bis  ins  SHeinfte 
alle  preufjifdjen  (Einrichtungen  in  feinem  Neiche  nachzuahmen.  Nicht 
nur  baS  £eerwefen,  fonbern  bie  ganje  ©taatSüerwaltung  würbe, 
ohne  Diücffic^t  auf  bie  nationalen  (Sigcntl)ümlid)feiten  NufjlanbS, 
fooiel  als  möglid)  auf  prcu&ifchen  3u&  gefegt  unb  babei  mit  einer 
£>aft  ju  SSkrfe  gegangen ,  bie  Nichts  ju  gehöriger  Steife  gelangen 
unb  felbft  biejenigen  Neuerungen  beS  ftaiferS ,  bie  wirfliche  33er= 
befferungen  waren ,  als  2lfte  ber  #aune  unb  bcSpotifcher  SSiUfür 
erscheinen  lieg. 

Vilich  bieS  er^ö^te  bie  SJcißftimmung ,  welche  burdj  ben  plöfr 
liehen  Uebergang  oon  einem  langjährigen  Kampfe  jur  SBunbeSge* 
noffeufd)aft  mit  bem  {eiterigen  ©egner  in  Nufclanb  heröor9crufcn 
worben.  $ie  dauern  grollten  bem  ftaifet  über  bie  üon  ihm  einge* 
führte  föopfftcuer ,  bie  ©eiftlichen  über  feinen  geringen  (Sifer  für 
bie  (Gebräuche  ber  ruffifchen  $tird)e  unb  über  üerfchiebene  firchliche 
Neuerungen.  $ie  ©olbaten  waren  erbittert  über  bie  SBertaufchung 
ihrer  alten  bequemen  bracht  gegen  bie  engen  preufjifchen  Uniformen 
unb  bie  (Einführung  ber  ftrammen  preu^ifchen  $)iSciplin  unb  mehr 
noch  über  bie  ißorliebe  beS  ßaiferS  für  feine  holfte  inif d)en  Xruppen, 
bie  er  in  ber  augenfälligften  Söeife  beoor^ugte.  3)teS  Ellies  fümmerte 
jeboch  ben  Clären  wenig ;  er  trug  trielmehr  gefliffentlidj  eine  fo  auS- 
gesprochene  Verachtung  feines  Golfes  jur  ©djau,  bafc  ber  ihm  ganj 


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Xbronbefieigung  ber  ffatferüt  töatbnrina.  561 


ergebene  englifdje  @efanbte  ^cttt)  bie  Steigerung  tyat:  „$er  @aifer 
fdjeine  feine  Regierung  mit  bem  <£ntfa)lu§  angefangen  51t  fjaben, 
fein  SBolf  ju  hänfen ,  unb  werbe  bamit  enben ,  für  baSfelbe  ein 
©egenftanb  ber  SBeradjtung  ju  fein." 

$)ie  Unäufrieben^eit  erreichte  ben  f)öd)ften  ®rab,  als  $eter  III- 
93orfef)rungen  511  einem  getbjuge  gegen  3)änemarf  traf,  um  an  bem 
bortigen  ftönigSljaufe  9tad)e  ju  nehmen  für  bie  Ungebühr,  bie  baS* 
felbe  feiner  gamilie ,  inSbefonbere  feinem  ®ro&bater  griebridj  III., 
jugefügt.  Vergebens  futf)te  ifm  griebridj  II.,  ber  bon  einem  Um* 
fdjlag  in  SRufjlanb  bie  fdjlimmften  golgen  für  fid>  felbft  ju  fürchten 
tyatte,  bon  feinem  Söorljaben  abzubringen :  Sßeter  erflärte  eS  für  eine 
ßhmiiadje ,  firf)  Don  ben  Xäncn  ©enugtfjuung  ju  berfdjaffen ,  unb 
als  ber  preu&ifd}e  ©efanbte  nochmals  barauf  jurütffam  unb  i§n  jur 
SBorfitfjt  mahnte,  ermieberte  er:  „SSenn  ©ie  mein  greunb  fein  wollen, 
fo  berühren  ©ie  biefe  Sad)e  nidjt  mdjr!" 

(Sin  Umfturj  mürbe  allgemein  erwartet ,  unb  am  ®atferljofe 
felbft,  in  Meters  unmittelbarer  9*äf)e,  mürben  bie  gäben  $u  bem 
Sftefce  gefponnen,  baS  Um  umftritfen  unb  ju  galle  bringen  follte. 
$ie  ftaiferin  ftatlmrina  (geb.  am  2.  3Härj  1729  ju  Stettin,  wo 
if>r  SSater,  ber  preufnfdje  gelbmarfdjatl  S^riftian  Sluguft,  gürft  bon 
Slnfjalfcäerbft,  als  ©ouöerneur  ftanb),  bie  am  1.  September  1745 
auf  bie  SSeranftaltung  griebric^S  II.  mit  bem  bamaligen  rufjifdjen 
X^ronerben  s$eter  bermäfjlt  morben  (f.  ©.  386),  lebte  mit  ijjrem 
©ernafjl  in  einer  nichts  weniger  als  glücflidjen  @f)e.  Xrofc  ifirer 
feltenen  ©djönljeit  unb  i^rcr  reiben  geifttgen  Begabung  fafj  fie  fia) 
bon  iljrem  (£emal)le  $urüdgefefct,  weil  fia)  berfelbe  anberen  Neigungen 
Eingegeben  fjatte,  unb  felbft  bie  im  Safere  1754  erfolgte  ©eburt  eines 
Xljronerben  bermodjte  nidjt,  ein  beffereS  Söerfjältnifj  jmifdjen  beiben 
©Regatten  fjetbeiaufüljren.  sJtad)  feiner  Xfjronbefteigung  lieg  *ßeter  III. 
fogar  bie  s2lbfidjt  burtfjbltcfen ,  fid)  bon  feiner  ©emaljlin,  bie  er  auf 
bie  unwürbigfte  SBeife  bejubelte ,  fdjeiben  unb  fie  in  ein  IHofter 
fperren  $u  laffen ,  um  fid)  mit  feiner  bamaligen  beliebten ,  einer 
©räfin  SBoronjow,  5U  oermä^len. 

$ie  allgemeine  Xijeilnaljme ,  bie  fid)  ber  ßaiferin  in  um  fo 
leerem  ©rabe  suwanbte ,  als  <ßeter  HL  fic§  bon  Xag  $u  Xag 
beräd)tlid)er  unb  berlja&ter  madjte,  bradjte  in  i^r  ben  <ßlan  jur 
SReife,  fid)  burdj  ben  ©turj  ifjreS  ®emal)ls  ben  SBeg  jum  Xf)rone 
ju  bahnen,  als  beffen  (Srben  s$eter,  mit  Umgebung  feines  eigenen 
©olmeS,  juerft  ben  unglücflidjen  ©ro&fürften  Qroan  (f.  ©.  278  u. 
280),  bann  einen  feiner  ^olfteinifa^en  Settern  in  ^uSfia^t  genommen 
^atte.  2luS  ben  gestern  ifyreS  ©ema^ls  iBort^eil  jie^enb ,  bewies 
fie  ber  ruffifdjen  ©eiftlia^feit  baS  entföiebeufte  siöo^lwoHen,  wohnte, 
obgleich  längft  als  eifrige  S3ere^rerin  Soltaire'S  alles  d)riftlid)en 

^oljtoart^,  Skligef^te.  VI.  36 

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562 


Katharina  II.  Don  SRufelanb. 


©tauben*  baar,  mit  grojjem  (Sifer  bcm  ©otte*bienfte  bei  unb  beo* 
bac^tetc  auf  ba*  Strengfie  alle  ©ebräuße  ber  ortrjobojen  ftirße; 
auß  getoann  fic  ba*  $olf  burß  leutfelige*  (Sntgegenfommen,  mäh* 
renb  ba*  $eer  burß  ifjrc  guten  greunbe  auf  ihre  Seite  gejogen 
tourbe. 

gür  $eter*  Stur^  unb  Katharinen*  ©r^ebung  roirfte  befon= 
ber*  bie  eigene  Sßroefter  ber  ©räfin  SSoronjoro,  bie  neun$ef)n= 
jährige,  burß  fjcrtorragenbe  Talente,  toeibliße  Anmutf)  unb  eine 
gtüfyenbe  93atcrlanb*liebe  gleich  au*ge$eißuete  Sürftin  $  a  f  ß* 
fort),  oon  welcher  ^perjen  fagt :  „3n  it)rcr  perfon  (ei  ba*  ruffifße 
Söetb ,  aufgetuedt  oon  ber  reoolutionären  ÜBeroegung  unter  ^Seter 
bem  Großen,  $um  erften  SJtale  au*  ber  früheren  SBejßränfting 
herüorgetreten  unb  habt  feine  gärjigfeit  jur  X^eilna^me  an  ben 
öffentlißen  Angelegenheiten,  an  ber  Üteorganifation  be*  Staate*, 
an  fünften  unb  SSHffenf ßaften  gezeigt.-  Xurß  fie  rourbc  junädjft 
ber  einflujjreiße  ©raf  $  a  n  i  n  ,  ein  ftaat*fluger  SBeltmann,  für 
Katharinen*  plan  geroonnen.  Sieben  biefen  Reiben  entfaltete  bie 
rührigfte  Xptigfeit  für  bie  (Erhebung  Katharinen*  ©  r  e  g  o  r  Drlott), 
ber  (Snfel  eine*  üon  Peter  bem  ©ro&en  roegen  feiner  ferfen  Xobe*= 
oeraßtung  begnabigten  Streiken  unb  faiferlißer  ©arbeoffyier,  ber 
burß  feine  auBcrgcroöhnliße  Sßbnhett  unb  feine  herfulifdje  ©eftalt 
Auffegen  erregte  unb  al*  ber  beoorjugte  ©unftling  ber  Kaiferin 
Alle*  an  ba*  (Belingen  ihre*  plane*  fefcte. 

3m  Vereine  mit  feinen  beiben  SBrübern  Alefei  unb  Seobor 
getoann  ©regor  Orlom  ber  Kaiferin  $ahlreiße  anbere  Offiziere  ber 
Artillerie  unb  ber  ©arbe,  bie  ohnehin  gegen  ben  Katfer  megen  fei- 
ner militärifchen  Neuerungen  aufgebraßt  roarcu.  2>a*  oon  ben 
58erjßtoorenen  an  bie  Xruppen  gefpenbete  ©elb,  ba*  ©regor  Orlom 
ber  oon  ihm  oerioalteten  Kaffe  ber  Artillerie  entnahm,  üerlieh  ben 
©erüßten  oon  ben  unheilooUen  planen  be*  Kaifcr*  unb  oon  ber 
feiner  ©emahlin  brohenben  ©efahr  ein  größere*  ©etoißt.  #on 
ben  höheren  Offizieren  felbft  begünftigt,  griff  ber  ©eift  ber  Meuterei 
unter  ber  Öefafcung  oon  Peter*burg  immer  toeiter  um  fiß. 

Ohne  Ahnung  oon  ben  gegen  ihn  gefßmiebeten  planen,  Oer* 
lie§  Peter  III.  Petersburg,  um  fiß  naß  Öranienbaum  ju  begeben, 
too  er  feine  Ijolfteinifc^eu  Solbaten  ejercirte  unb  bie  Abeube  in 
©efellfßaft  leichtfertiger  grauen  im  Xheater  ober  an  einer  reißbe* 
festen  Xafel  jubraßte.  $ie  burß  eine  unoorfißtige  Aeujjerung 
oon  Seiten  eine*  ber  SBerfßroorenen  üeranlafjte  Verhaftung  eine* 
Offizier*  befßleunigte  bie  Kataftrophe,  inbem  fie  bie  greunbe  ber 
Kaiferin  ju  ber  Ueberjeugung  braßte,  bafc  nur  bie  unoerjügliße 
Ausführung  be*  entworfenen  plane*  ba*  Belingen  be*felben  fißern 
fonne.    SBährenb  bie  Surftin  $)afßforo  ihren  brannten  bei  ber 


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X^roiibeitcißung  ber  Äaifcrin  tatfjarina. 


563 


33mailon/fcf)en  (Sarbe  bie  SBeifung  jufommen  lie&,  2We£  für  bic 
folgenbe  ftadjt  (9.  3uti  1762)  bereit  51t  Ratten,  eilte  s2llerä  Drlom 
ju  bet  in  bem  Suftfdjloffe  Peterfyof  roeilenben  $aiferin,  um  fie  üon 
ber  8age  ber  3)inge  in  ®enntniß  511  fefcen  unb  iljre  unüerjüglicf)e 
SKütffefyr  naef)  Petersburg  ju  üeranlaffen,  ju  welcher  fie  fid)  fofort 
bereit  erflärte.  s2llS  fie  in  ber  ®a)eme  ber  33mailon/frf)en  ®arbe 
erfd)ien,  ftnrjten  ifjr  bic  Solbaten  entgegen,  fugten  ifjr  bie  £>änbe, 
bie  güfje,  baS  ®leib  unb  nannten  fie  ifyre  Retterin.  9ftit  bem 
gleichen  (EntfjufiaSmuS  rourbe  fie  in  ber  $aferne  ber  ©emenoros* 
ftje^en  @Jarbe  empfangen,  tootym  fie  fidj  unter  bem  (Meitc  ber 
33ntaUou>'fcf)en  (Uarbe  begeben  fyatte,  unb  als  fid)  ber  ötm  b°r* 
nad)  ber  $afanfira)e  roaubte,  fameu  ifyr  aud)  bie  PreobrafdjenS* 
foi'fdjen  (Sarben,  üon  ifyren  Offizieren  geführt,  mit  lautem  3ubel= 
ruf  entgegen.  $n  ocr  ÄWJc  fyarrte  ber  (5r5bifd)of  üon  SRomgorob 
mit  ben  popen,  um  ber  neuen  £>errid)ertn,  bie  i^ren  @of)n  paul 
511111  Ifyronfolger  hatte  aufrufen  laffeu,  bie  religtöfen  Leihen  511 
erteilen,  9tadjbem  bic  $aiferin  hierauf  friegerifdje  %xad)t  nad) 
ruffifajem  ©dmitt  angelegt,  ließ  fie  bie  Xruppen  an  fid)  üoruber= 
jie^en  unb  begab  fid>  bann  nad)  bem  SBintcrpataft ,  roo  fie  i^ren 
28o!)iififc  nafym. 

(Sin  alsbalb  üeröffentlidjteS  SPiauifeft ,  in  meinem  fidj  bie 
neue  £>errfd)erin  „ßatfyarina  II ,  üon  (Rottes  ©naben  tfaiferin  unb 
©elbftljerrjdjeriu  aller  Oieuöen"  nannte,  üerfüubetc  ber  rujfi(d)en 
Nation,  baß  fie,  bem  ungeljeudjelten  Verlangen  üjrer  Unterbauen 
nadjgebenb,  ben  Xfyron  beS  geliebten  SBaterlanbeS  beftiegen  Ijabe, 
um  bie  ortfyobofe  Religion  oor  ber  ®efa£)r,  burd)  einen  fremben 
(Glauben  Derbrängt  ju  werben,  ju  fdjüfcen,  bic  burd)  ben  mit  bem 
argften  geinbe  beS  9ieid>eS  gefdjloffenen  grieben  ferner  ge* 
fd)äbigtc  StaatSefjre  Sftn&lanbS  ju  retten  unb  bie  üon  bem  gän$' 
lidjen  Umfturj  bebroljte  innere  ißerfaffung,  auf  melier  baS  iiBotjl 
unb  bie  ©runbüefte  beS  SBaterlanbeS  beruhe  aufrecht  ju  galten. 

35ie  SReoolution,  bie  bem  ruffijajen  9teid)e  eine  beutjdje  Sürften- 
todjter  jur  £errfd)erin  geben  follte,  mar  innerhalb  ber  rujjijdjen 
£auptftabt  üollenbet,  unb  ganj  Petersburg  fdnüelgte  im  igubel.  Vlm 
fiadjinittage  brad)  bie  $ai)erin,  in  ©arbeuniform  unb  ju  pferbc, 
an  ber  ©pifce  üon  jmanjigtaujenb  Sftann,  unter  benen  fid)  üiele 
greiroilligen  befanben,  gegen  Oranienbaum  auf.  Qfyr  jur  Seite  ritt, 
gleichfalls  in  ber  alten  Uniform  ber  öJarbe,  bie  gürftin  $afd}fom. 

3nin)ifc^en  Ijatte  Peter  III.,  bcr  fia)  oon  Dranieubaum  uad) 
bem  ©aploffe  ^eter^of  begeben,  um  bie  legten  ^norbnungen  ju 
einem  bort  abjulmltenben  gefte  ju  treffen,  üon  ben  Vorgängen  in 
Petersburg  ihmbe  erhalten.  fWünnia^,  ben  er  gleich  naa)  feiner 
X^ronbefteigung  mit  ben  meiften  übrigen  ^erüorragenbeu  Verbann* 
ten  aus  Sibirien  jurüefberufen  unb  in  feine  Remter  unb  SBürben 

36* 

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564 


Äat^arina  II.  oon  SRu&tanb. 


mieber  etngefefct  hatte,  rietf)  ihm,  fogletch  nach  bem  nat)en  ftronftabt 
überzufahren,  um  fidj  bcr  bortigcn  glotte  z«  oerfichern  unb  an  bcr 
©pifce  bcr  ja^Ircic^cn  ©efafcung  bcr  Seftung  gegen  bic  aufrührerifdje 
#auptftabt  oorjurüefen.  ©djon  war  Me«  $ur  ©injduffung  bereit, 
al«  ber  Kaifer  burd)  ben  Slnmarfdj  feiner  I^olfteinifdjen  Xruppcn 
auf  ben  ©ebanfen  gebracht  würbe,  fich  in  Weierhof  $u  bertljeibigen, 
ba  ihm  bie  (£Ijre  oerbiete,  ju  entfliegen,  SBährenb  hierzu  bie 
nötigen  SBorfehrungen  getroffen  Würben ,  raubte  bie  Nachricht  oon 
Katharinens  heranziehen  bem  faifer  ben  SHutlj.  (£ilig  iourbe  jefct 
bie  Ueberfahrt  nach  fcronftabt  bettjerfftcUigt ;  allein  bie  Äaiferin 
hatte  in  ber  «gwifchenzeit  ben  bortigen ,  ihrem  ©emahl  ergebenen 
ftommanbanten  abgefejjt  unb  bie  ©arnifon  für  fid>  in  ©ib  unb 
Pflicht  nehmen  laffen ,  unb  fo  mürbe  bem  ftaifer  unb  feinen  öe* 
gleitern  bie  fianbung  oerweigert. 

ajiünnict)  brang  in  ben  ftaifer,  nach  SReoal  zu  fahren  unb  fidj 
auf  einem  ©chiffe  ber  bortigen  giotte  nach  Greußen  bringen  zu 
laffen,  um  mit  $Ufc  ber  bort  ftehenben  ruffifa^eu  N2lrmee  oon  ad^ig* 
taufenb  9Jcann  feine  Jpauptftabt  zum  ©ehorfam  jurücfjuführen. 
©tatt  biefem  föathe  ju  folgen,  liefe  fich  $eter  burch  bie  grauen  unb 
Höflinge  überreben,  einen  ißerfudj  bux  MuSföhnung  mit  feiner  ©e* 
mahlin  zu  machen,  ju  welchem  (£ube  er  fich  nach  Dranienbaum  z"s 
rücfbringeu  liefe.  itfon  bort  entfanbte  er  einen  Äammcrhcrrn  an 
bie  tfaiferin ,  um  ihre  Verzeihung  Zu  erflehen  unb  ihr  bie  XtyU 
lung  bcr  &errfchaft  anzubieten,  ©tatt  aller  Antwort  liefe  ihm 
Katharina  eine  (£ntfagung«urfunbe  jur  Unterzeichnung  jufteaen. 
Vergeben*  bat  ihn  sJttüumd),  fich  lieber  an  bie  ©pifce  feiner  4>ol= 
fteiner  ju  ftetten ,  um  al*  Äaifer  ju  fterben :  bcr  in  Zrunl  unb 
SSohtleben  üerfommene  ©jar  mar  feine«  mannhaften  ©ntfchluffe« 
fähig.  Dhnc  äöibcrrcbc  unterzeichnete  er  bie  Urfunbe  feine«  ©tur* 
Ze«,  worauf  ber  Ueberbringer  berfelben  bie  $>olfteiner  entwaffnen 
unb  einfperren ,  ben  entthronten  ftaifer  aber  nach  btm  &mbhaufe 
Sftobfchaf  bringen  liefe. 

sJll«  Katharina  in  sßetert)of  bie  Jpulbigungen  ber  Umgebung 
beä  ftaifer«  empfing,  wanbte  fie  fich  an  9K&nnt$  mit  ben  SBorten: 
M©ie  hoben  gegen  mich  kämpfen  wollen?"  —  „konnte  ich",  erwieberte 
er,  „weniger  thun  für  einen  Surften,  ber  mich  au«  ber  (befangen* 
fdjaft  befreit  hatte?  3c(jt  ift  e«  meine  Pflicht,  für  (£ure  ilJcajeftät 
Zu  fämpfen,  unb  ich  werbe  biefelbe  mit  ber  gleichen  Xreue  erfüllen. " 
3)ie  ilatfcrin  übertrug  bem  achtzigjährigen,  um  dtufelanb  Ijocljoer- 
bienten  (Drei«  bie  Leitung  be«  ^iabogafanalbaue«  unb  hielt  ihn  bi« 
an  feinen  Xob  (10.  Oft.  1767)  in  hohen  ©hreu. 

©0  grofe  auch  ber  0 11  bei  mar ,  mit  welchem  Katharina  bei 
ihrer  iKütffehr  nach  Petersburg  oon  ber  Vcoölferung  begrüfet  würbe, 
trübte  boch  ber  ©ebanfe,  bafe  bie  wanbelbare  Jöoltegunft  fich  bcm  ent* 


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X^ronbcftcißung  ber  Äoiferin  #atharina. 


565 


thronten  Gmfel  ^ßctcrö  beS  (Großen  lütcbcr  $utoenben  unb  bie  faum 
errungene  ftrone  U)r  uneber  entrifjen  luerben  fönne,  i^rc  tt)ie  ihrer 
greunbe  SKuhe.  $)en  geftürjten  ®aifer  unfdjäblid)  $u  machen ,  gab 
eS ,  nach  ber  Anficht  ber  Verfchtoorenen ,  fein  anbereS  SJcittel ,  als 
feinen  Xob;  benn  aus  bent  21uSlanbe  fonnte  er  mit  ^eercSmacht 
jurüeffehren,  unb  im  Qnlonbe  fdjien  feine  Seftung  ftarf  genug,  um 
bei  einer  ju  feiner  Befreiung  geplanten  Verfchroörung  ftdjeren 
SBiberftanb  ju  leiften.  3)a$u  fam  bie  Hoffnung  DrlotoS ,  baß  bie 
#aiferin  fid)  mit  ü)m  oermählen  merbe ,  fobalb  bie  nach  ben 
ruffifchen  ©efefcen  unlösbaren  Vanbe  ihrer  (5^e  mit  $eter  III.  ge* 
fprengt  fein  mürben,  ©o  mürbe  bie  ©rmorbung  beS  Goaren  be* 
fchloffen,  unb  OrlomS  ©ruber  2llerei  übernahm  bie  Ausführung  beS 
freoelfjaften  Vorhabens.  SIm  17.  Quli  er  fdjien  er  mit  mehreren 
anberen  Offizieren ,  bie  er  in  baS  ©eheimnifj  beS  beabficf)tigten 
Verbrechens  eingemeiht,  ju  SRobfdwf  in  ben  ©emädjem  beS  ®aiferS 
unb  geroann  beffen  Vertrauen  burdj  bie  3ufaQc  feiner  batbigen  Ve* 
freiung.  Vci  bem  SDctttagSmahle ,  baS  bie  Verfdjroorenen  mit  bem 
Äatfer  einnahmen ,  mürbe  bem  Sefcteren  oer  gif  teter  Vurgunbermein 
gereicht,  ©dwn  nach  bem  erften  ®Iafc  fdjöpfte  er  Verbacht  unb 
lieg  i'irf)  OTlcf)  bringen,  um  bie  SSirfung  beS  ©iftcS  311  lahmen; 
bie  Verfrorenen  überfielen  ihn  jeboch  unb  warfen  tt)n  nad)  oer* 
zmetflungSöolIer  GJegenroehr  ju  Voben ,  morauf  ihm  mit  einer 
©Glinge  ber  £>als  jugefdjnürt  mürbe. 

©0  enbete  $eter  III.  im  Hilter  oon  trierunbbrei&ig  Qafjren 
unter  Sttörberhanben.  $)ie  Vefanntmadjung  feines  XobeS  enthielt 
bie  (Srflarung  f  baß  ber  geroefene  Äaifer  einem  heftigen  ÄolifanfaH 
erlegen  fei.  Damit  SKiemanb  an  feinem  £>in)d)eiben  §rocifcIn  fönne, 
tourbe  bie  ßeidje,  obgleich  fie  beutliche  ©puren  eines  gemaltfamen 
$obeS  trug,  üor  ber  feierlichen  Veftattung  in  ber  $ird)e  beS  911eran= 
ber  9cemsfi*ßlofterS  auSgefteflt. 

Ob  <ßeter  III.  mit  SBiffen  unb  SBiHen  ber  ftaiferin  ermorbet 
morben ,  ober  ob  bie  Verfchmorenen  bie  oerbrecherifche  Xfyat  auS 
eigenem  Antrieb  ausgeführt,  barüber  mirb  bie  ©efe^id^tc  mohl  nie 
ein  öottgiltigeS  Urteil  fällen  fönnen.  %üx  baS  (SHne  mie  für  baS 
5(nbere  fjat  man  Veroeife  beizubringen  gefugt;  bie  größere  SBahr* 
fcheinlidjfeit  fprtdjt  jebod)  für  eine  birefte  SKitfdmlb  ber  ßaiferin. 
3ebenfaHS  befunben  bie  Belohnungen,  bie  allen  denjenigen  ju  Zfytti 
mürben,  meldje  bei  bem  Verbrechen  mitgemirft  hotten,  ba&  baSfelbe 
minbeftenS  ihre  nachträgliche  Billigung  gefunben. 


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560 


tfatöarina  II.  von  SRußtcmb. 


Äatftortna  II.  bcljamrtct  ben  ruften  Ifjroit. 

Nachbem  burdj  bie  (Srmorbung  <ßeter«  III.  nicht  nur  bic  nachfte 
©cfahr,  bie  bem  Xf)rone  bcr  $aiferin  brobte,  fonbem  aud)  ba« 
4>inbcrni&  bcfeitigt  morben,  ba«  ber  Vermählung  Katharina'«  mit 
Tregor  Drlom  im  SBegc  geftanben  ,  bot  ber  Severe  Me«  auf ,  um 
ju  bicfem  3idc  ju  gelangen,  unb  ber  Don  ßatbarina  au«  Sibirien 
jurüdbernfene  SBeftucbem  braute ,  um  fic^  nicht  nur  bei  bem  mäa> 
tigen  (Mnftling,  fonbem  aud)  bei  ber  ®aiferin  bauernb  in  ®unft 
ju  fefcen,  zahlreiche  Unterfcbriften  für  eine  93ittfdjrift  |U  fammcln, 
in  melier  flatbartna  im  tarnen  bc«  ruffifdjen  $olfc«  befdjmoren 
tnurbc,  ihr  „glorreiche«"  SBerf  buref)  iljre  Vermählung  mit  einem 
Muffen  ju  frönen  unb  ju  ihrem  ÖJcmable  denjenigen  ju  roäfylen, 
ber  if)r  als  ber  2l;ürbigfte  erfebeinc.  $a«  ^ßrojeft  fcfjeiterte  inbeffen 
an  bem  cntjdnebcnen  SS?iberfprud)e  "SJkmn«  ,  ber  ba«felbe  für  eine 
SBeleibigung  bc«  gefunben  SOtcnicbcnücrftanbe«  erflärtc ,  unb  ®atba= 
rina  felbft  mar  flug  genug ,  bem  trafen  $anin  auf  feine  ©egcn= 
oorftcHungen  511  erflären:  „3dl  b°be  ben  alten  Nänfeicbmieb  nie 
ermächtigt  511  bem ,  ma«  er  jefct  getrau  t)at,  unb  roa«  Sic  betrifft, 
fo  jcf)e  ich  in  ber  $reue  unb  Offenheit  Qtjred  ^Benehmen«  zu  üiel 
2(nbänglid)feit  an  meine  ^erfon ,  af«  baß  id)  jemals  bie  Söeroeg* 
grnnbe  be«felben  mißbeuten  fönnte." 

3m  September  1762  Iic&  fid)  ftatfjarina,  nachbem  fie,  um  fid) 
in  ber  Qhtnft  be«  Soltek  ju  befeftigen,  alle  mißliebigen  Neuerungen 
^Jkter«  III.  aufgehoben  f>atter  ju  TOodfait  mit  großer  ^runfentfattung 
feierlichst  frönen ;  ber  Mbcl  jeigte  jeboeb  bei  biefer  (Gelegenheit  eine 
fo  referöirte  unb  ba«  Volf  eine  fo  fühle  Haltung,  baß  fie  mit  crn= 
ften  söeforgntffcn  erfüllt  mürbe.  Nicht  nur  in  ihrem  Sohne  $aul, 
ben  ba«  Volf,  mo  cd  ifm  erblicfte,  mit  lautem  ftreubenruf  begrüßte, 
fonbem  auch  in  bem  unglüdlid)en  Qroan,  ben  ^ßeter  III.  au«  feiner 
ftrengen  £>aft  in  Sd)lüffelburg  befreit  fyatit,  fa()  fie  einen  gefäf)r= 
liehen  Nebenbuhler,  ba  e«  ihr  nicht  entgangen  mar,  baß  bie  ©liefe 
öiclcr  Un$ufriebenen  auf  ihn  gerichtet  maren. 

Um  ber  (Erhebung  3*üän«  oor^ubeugen,  ließ  fie  ihn  in  bie 
®afcmatten  öon  Sd)lüffelburg  jurüdbringen  unb  übertrug  feine 
tlebcrmachung  zweien  juoerläffigen  Offizieren,  benen  fie  ben  fchrift= 
liehen  Befehl  einhänbigte,  ihn  zu  tobten,  fobalb  irgenb  Qcmanb 
einen  s«8erfuch  ju  feiner  Befreiung  machen  merbe.  Wit  auffaüenber 
^tanlofigfeit  that  bie«  am  20.  3uni  1764  SBaftl  SJctromitfö  au« 
bcr  Ufratnc,  Unterlieutenant  bei  einem  Infanterieregiment  in  ber 
geftung  Sdjlüffelburg.  Wit  brei  Unteroffizieren ,  bie  er  für  feinen 
$lan  gemonnen,  begab  er  fid)  in  bcr  Nacht  ju  ben  28ad)tpoften  unb 
Zeigte  ihnen  einen  untergefchobenen  Ufa«  bc«  Senate«,  be«  Chatte«, 
baß  bie  Äaifcrin,  entfchloffen,  ba«  ruffifche  Neid}  ju  oertaffen,  bem 


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Äatljarma  II.  behauptet  ben  rufftfthen  Thron 


567 


®roßfürften  3man  als  bem  rechtmäßigen  2f)roncr6cn  bic  trotte 
jurärfjugeben  bcabfichtige  unb  ber  Senat  bafjer  beffen  ^Befreiung  unb 
Ueberführung  nacf>  Petersburg  angeorbnet  habe.  $on  ben  jubelnben 
Solbaten  begleitet,  brang  er  gegen  baS  (Befängniß  3toanS  üor;  bie 
Pächter  beS  Prinzen  bertneigerten  ihm  jebod)  ben  ©nlaß ,  unb  als 
er  2tticne  machte,  baS  %f)ox  mit  ®emalt  p  öffnen,  ftießen  fic  ihren 
befangenen,  ber  fieft  bergebenS  jur  SBefjre  51t  fefcen  fuchte,  mit  $e* 
gen*  unb  ©ajonettftichen  nieber. 

2llS  2Riromitfdj  feinen  Plan  bereitclt  faf) ,  gab  er  ftch  ohne 
Sßiberftanb  gefangen.  <£r  rourbe,  nadjbem  man  vergeben«  bie  9ln* 
gäbe  bon  üttitfchulbigen  bon  ihm  ju  erpreffen  gefugt,  am  28.  ©ep* 
tember  1764  enthauptet,  dagegen  erhielten  bie  beiben  Offiziere, 
bie  ben  unglürflid) en  3man  getöbtet ,  eine  Belohnung ;  boer)  mußten 
fie  auf  einige  3ett  nach  $änemart  flüchten,  um  bem  Unnrillen  beS 
Öolfe«  flu  entgegen ,  baS  in  fötaler  Sflenge  unb  mit  fo  fichtbaren 
Seichen  ber  Sfjeitnaljme  ju  bem  fieichnam  beS  in  SWatrofentrac^t 
bor  ber  Stirdje  ju  ©chlnffelburg  auSgcftcöten  3man  Ijerbeigeftrömt 
mar,  baß  ber  SBefehl  gegeben  roorben  ,  ben  ©arg  ju  fchließen  unb 
ihn  eiligft  nach  einem  jroeihunbert  SSerfte  Don  Petersburg  entfernten 
Softer  ^u  bringen. 

$urd)  bic  (Srmorbung  3^^^  btx  SBeforgniß  befreit,  ihren 
X^ron  an  einen  SRäfyerberedjtigten  $u  verlieren,  atljmete  Katharina 
freier  auf,  unb  bie  ©idjerheit  ihres  Auftretens,  ic)rc  Allen  fühlbare 
geiftige  Ueberlegenheit,  ir)r  Salcnt,  Qeben  ju  ihren  Steeden  ju  ge* 
brausen  unb  ©inen  burd)  ben  Anbern  in  ©chranfen  ju  galten,  unb 
enblid)  auch  baS  Vertrauen,  baS  fie  gegen  ihre  Untert^anen  $ur 
©djau  trug,  bannten  allmählich  ben  ®cift  ber  Auflehnung.  $abei 
fcffelte  baS  ebenfo  jroanglofe  uub  freie  als  glänjcnbe  Seben,  baS 
fidt)  an  ihrem  $ofe  entfaltete  unb  beffen  ^Rci^  burdj  bie  feltenc  söe* 
roeglichfeit  ihres  ÖJeifteS  unb  bie  Anmuth  ir)rcr  (Shrfehcinung  erhöht 
tt)urbe,  bie  feinere  ©cfeUfdjaft,  mährenb  ihre  auswärtige  Politif  ben 
untemehmenberen  ©eiftern  reichliche  (Gelegenheit  $ur  JBefriebigiuig 
ihres  XhötenburfteS  bot. 

(£lf  Qahre  lang  hatte  Katharina  ben  inneren  ^rieben  in  ihrem 
deiche  aufrecht  $u  falten  gemußt,  als  fie  imQahre  1773  in  (Gefahr 
gerieth,  alle  fjrüc^tc  ihres  ehrgeizigen  ©trcbenS  an  einen  2ftann 
öon  nieberer  £>erfunft  ju  verlieren.  (£tn  bonifcher  $ofaf,  Pugat* 
f  d)  c  to ,  ber  im  fiebeujährigen  Kriege  unter  (Slifabeth  gegen  bic 
Preußen  gefämpft  unb  fpäter  an  $atharina'S  erftem  Sfirfenfricge 
Xheil  genommen  hatte,  mar,  weil  er  feinen  Ab|d)ieb  nicht  hatte  erhalten 
fönnen,  nach  Polen  entflohen,  unb  bort  ^atte  ein  burchreifenber  Df* 
fixier  ihm  bie  SBemerfung  gemacht ,  baß  er  eine  auffaHenbe  Aehn- 
lichfeit  mit  bem  beworbenen  ftatfer  peter  III.  höhe,  ©ofort  ent- 
warf Pugatfchem  ben  plan ,  fich  bei  feinen  fianbsleuten  für  biefen 


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568 


Katharina  II.  oon  SRufjlanb. 


auszugeben ,  ba  er  überzeugt  mar ,  baß  fte  ihm  in  Maiic  jufaHen 
würben.  Tiefe  Ucberjeugung  grünbete  fid)  auf  ben  Umftanb,  baf$ 
bie  ftofafen  meift  Anhänger  einer  im  ftebjehnten  3ahrf}unbert  ent* 
ftanbenen  griedufchen  ©efte  waren  unb  als  SRaSfolnifen  (©djiS* 
matifer)  üielfache  Verfolgungen  oon  ©eiten  ber  orthoborat  (Seiftlidj- 
leit  ju  erbulben  Ratten,  mäljrenb  fte  unter  $eter  III.  unbehelligt 
geblieben  waren. 

3n  ber  Xfyat  fanb  ^ßugatfdjew  bei  ben  ftofafen  am  Qaif,  $u 
benen  er  fich  im  ©eptember  1773  begab,  bie  befte  Aufnahme,  unb 
iftiemanb  jtoeifcltc  an  ber  SBaljrheit  feiner  Ch^äblung ,  bafj  er  ber 
Äaifer  ^ßeter  fei,  ber  fich  aus  ben  Rauben  feiner  Verfolger  gerettet 
^abe,  währenb  an  feiner  Stelle  ein  ihm  ähnlicher  ©olbat  ber  ßeib= 
Wache  getöbtet  Worben.  2Bie  Um  bie  fchiSmatifchen  ßofafen  als  ben 
Söcfc^ü^cr  i^rer  religiöfen  greiheit  fweh  gelten,  fo  gewann  er  bie 
ruffifdjen  Jöauern  burch  baS  Verfprechen,  fte  burch  bie  Ausrottung 
beS  Abels  oon  ber  Seibeigenfcfjaft  ju  befreien,  unb  balb  fah  er  fich 
an  ber  ©pifce  eines  zahlreichen,  meift  aus  ®ofafen  beftehenben  $eereS, 
mit  welchem  er  mehrere  gegen  ihn  auSgefanbte  Xruppenabtheilungen 
fiegreich  jurüeffchlug  unb  bie  ©täbte  Drenburg  unb  ®athartnenburg 
belagerte.  $a&  ber  Aufftanb  auch  *>on  anberen  ©eiten  begünftigt 
unb  unterftü&t  mürbe,  bewiefen  bie  burch  ganj  föufclanb  oerbreiteten 
attanifefte ,  welche  ber  ruffifchen  Nation  bie  föücffehr  Meters  IU. 
unb  baS  @nbe  ber  $errfcf}aft  featharina'S  oerfünbeten ,  fowie  neu* 
geprägte  ÜJcünjcn  mit  bem  Vtlbniffe  Meters  III. ,  bic  in  gro&er 
beenge  im  Sanbe  in  Umlauf  gefegt  würben. 

Qnbeffen  würbe  ^ugatfehew,  bem  ber  glüefliche  (Srfolg  feines 
Unternehmens  feine  anfängliche  Vefonnenheit  unb  2Jcafjigung  geraubt 
unb  ber  überall  feinen  SSeg  mit  Vranb ,  SRaub  unb  SJcorb  bezieh* 
nete,  burch  ben  oon  ber  ftaiferin  jum  Kampfe  gegen  ihn  aufgeru* 
fenen  Abel  oon  ®afan  unb  ben  benachbarten  ^rooinjen ,  ber  felbft 
burch  ben  Aufftanb  fchwer  bebroht  war,  jur  Aufhebung  ber  Vela* 
gerung  Oon  Drenburg  gezwungen  unb  erlitt  in  ber  sJlähe  biefer 
©tabt  gegen  ben  gürften  ©alifcin,  ben  gührer  beS  3fcegterungSf)cereS, 
eine  fo  bebeutenbe  Sheberlage,  ba§  er  fich  zum  Sfcücfjug  in  bie  ©e= 
biete  beS  Ural  genötigt  fah ;  boch  fam  er  balb  an  ber  ©pifce  eines 
neuen  £eereS  jurücf  unb  fchritt  zur  Belagerung  ber  alten  unb  gro* 
fcen  $>auptftabt  fafan,  bie  fich  ih™  ergeben  mufjte.  SBährenb  er 
bie  abgefonbert  oon  ber  ©tabt  liegenbe  (SitabeHe  belagerte,  würbe 
er  burch  ben  Dberften  Sftidjelfon  angegriffen  unb  nach  einem  hei&cn 
tampfe  genötigt,  mit  einem  fchwachen  Ueberrefte  feines  £>eereS  in 
bie  ©teppe  ju  fliehen,  dennoch  oerlor  ber  gro&e  §aufe  beS  VolfeS 
baS  Vertrauen  ftu  feinen  Verfpredmngen  nicht,  unb  balb  fah  er  fich 
aufs  9ceue  an  ber  ©pifee  eines  zahlreichen  £>eereS  oon  Hofafen, 
ßalmucfen,  Vafchfiren  unb  Bauern. 


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2>ie  erfte  Teilung  $olen«. 


569 


3njtinfdjen  hatte  Katharina  mit  bcr  Pforte,  mit  meldjer  ftc 
feit  bem  Safere  1768  ftrieg  geführt,  grieben  gesoffen,  unb  fo 
fat)  fidj  Sßugatfdjett)  oon  bem  burdj  ben  ©rafen  töomanjom  aus 
bcr  Surfei  jurücfgefüfjrten  £eere  im  föücfen  bebrofjt.  Er  manbte 
ftdj  ba^er  nadj  ber  SBolga ,  um  in  bie  europäifchen  ^rooinjen  unb 
befonberä  gegen  HJcoöfau  öorjubringen ;  eine  ruffifdje  #eere8abtf)eU 
lung  unter  bem  Dberften  STRic^cIfon  oerlegte  iljm  jebod)  ben  2öeg 
unb  fc^Iog  ihn,  als  er  im  begriffe  ftanb,  bie  fteftung  Sari^in  ju 
belagern,  in  eine  SBüfte  ein,  in  melier  bie  27cehrsahl  ber  &uf* 
rubrer,  bie  Don  feiner  Ergebung  hören  moöten ,  theil*  im  Kampfe, 
tbeilS  in  Slbgrünben  unb  jttriföen  Seifen  ben  Xob  fanben.  <ßugat* 
fchem  fetbft  rettete  ftch,  inbem  er  burdj  bie  SBolgau  fömamm;  bodj 
ualjte  feine  ßaufbalm  ihrem  Enbe.  ©ein  Anhang  fchmolj  immer 
mehr  jufammen,  unb  jule&t  liegen  ftch  feine  nächften  Sreunbe  baju 
herbei,  ihn  auszuliefern.  Er  ttmrbe  nach  SJcoSfau  gebraut  unb  bort 
am  21.  3anuar  1775  mit  mehreren  feiner  ©enoffen  enthauptet. 
Um  bie  Erinnerung  an  ben  jroeijährigen  blutigen  2lufftanb  §u  ttl* 
gen,  ber  eine  gro&e  3af)l  oon  ©täbten  unb  Dörfern  jerftürt  unb 
mehr  als  einmalcmnberttanfenb  9#enfchen  baS  Seben  gefoftet,  erlieg 
bie  ftaiferin  einen  UfaS ,  burch  melden  ber  Warne  3  a  i  f  für  ewige 
Seiten  abgerafft  unb  biefem  gluß  ber  Warne  Ural  öerlieljen 
ttmrbe,  roährenb  bie  an  bemfelben  gelegene  ©tabt  3a6^i ,  in  roel* 
djer  ^ugatfeheto  juerft  bie  Salme  ber  Empörung  aufgepflanzt,  ben 
tarnen  UralSf  erhielt. 


2)ie  erfte  Stellung  $olen§. 

(1772.) 

£a3  Söcftrebcn,  SRufjlanbS  ©renken  ju  erweitern  unb  zugleich 
burch  glönjenbe  friegerifaje  Erfolge  bie  ©eroalttfjätigfeiten ,  burd) 
welche  fie  jum  X^rone  gelangt  mar,  fomie  baS  ämeifel^afte  9ted)t  ihrer 
$errfd)aft  in  SBergeffenheit  ju  bringen,  führte  Katharina  auf  bie 
Saint  ber  Eroberungen.  $toti  Wacbbarftaaten  ,  o  l  e  n  unb  bie 
%  ü  r  f  e  i ,  boten  ü) r  für  biefen  ä^erf  our(h  ^)rc  innere  Schwäche 
unb  SBerroirrung  einen  trefflichen  Spielraum,  unb  in  beiben  gelangte 
fie  burch  bie  Entfaltung  ber  perftbeften,  burd)  gemaltige  ©treitfräfte 
unterftüfcten  ^ßolitif  ju  bem  erftrebten  Siele. 

3n  $olen  tjatten  bie  Einrichtungen,  burch  meiere  ber  feit  ber 
SBerWanblung  beS  ErbfönigthumS  in  ein  9Bahlfönigthum  jur  abso- 
luten ^errfc^aft  gelangte  s2lbel  bie  Sreihett  beS  ßanbeS  ju  fiebern 
geglaubt ,  in  ber  -1  ijat  aber  nur  feine  eigene  ,  mit  Unterbrücfung 
aller  magren  58oIföfrci^cit  errungene  greifet  bis  in*  ©djranfen* 


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570 


ftatyartna  II.  t>on  JRufelanb. 


lofe  erweitert  ^atte,  bie  ©runblagen  aller  ftaatlidjen  Crbnung  unter = 
graben.  SBie  baS  Don  bcn  ocrblenbeten  9lriftofraten  als  ba$  eigent* 
liehe  ^ßallabium  ihrer  Jreiheit  gepriefene  Liberum  Veto  (f.  S. 
226  f.),  iitbcm  e$  jebcm  einzelnen  fianbboten  baS  Stecht  oerlieh, 
burd)  feine  oerncinenbe  Stimme  ade  iöcfc^lüffc  be£  ^Reichstags  un= 
giltig  ju  machen,  jebe  ©efe|gebung  unb  jebc  geregelte  ginanjoer* 
waltung  unmöglich  machte,  jo  lag  in  ber  SBefugniB  beä  2lbel£,  fid) 
$au£tritppen  in  jeber  beliebigen  Starte  ju  galten  unb  ju  bewaff= 
neten  #onföberationen  jufammen  treten,  um  in  Qeiten  befon* 
berer  Uneinigfeit  unb  Verwirrung  burd?  Stimmenmehrheit  baS 
burchjufefcen,  was  auf  bcn  Reichstagen,  wo  Stimmeneinheüigfeit  er- 
forberlid)  mar,  nicht  burchgefefct  werben  fonnte,  bie  Cuclle  fteter 
Unruhen,  bie  nicht  feiten  in  blutige  kämpfe  ausarteten,  ba  oft  $u 
gleicher  Seit  mehrere  ftonf  Operationen  entftanben,  bie  fcr)r  öerfa^ie- 
bene  Bwecfe  verfolgten. 

SBäbrenb  baS  Liberum  Veto  unb  bie  Äonföberationen  alle 
Eintracht  unter  bem  s2lbcl  aerftört  fjatten,  fehlte  bem  oon  einem 
©djattenfönig  regierten  Staate  zugleich  bie  Stüfce  eine*  fräftigeu 
unb  opferwilligen  ©ürger*  unb  vijauernftanbeS ;  benn  alle  Jrei^ei^ 
ten  biefer  beibeu  Stäube  waren  in  ben  Vorrechten  beS  &belS  unter; 
gegangen.  $ie  meiften  Stäbte  waren  auf  abcligem  ©runb  erbaut 
unb  ftanben  ol)ne  allen  fliechtsfehufc  unb  ohne  forporatioc  Selbft= 
ftänbigfcit  ju  ihren  ÖhitSberren  in  einem  oöüig  abhängigen  5Öcr* 
i)ältni6 ;  in  ben  wenigen  freien  ober  föniglichen  Stäbtcn  aber  war 
ber  SBürgerfchaft  burd)  ben  21bel  jeber  9(ntl)ctl  an  ber  gefefcgebett; 
ben  unb  richterlichen  ÖJeroalt  entzogen  Worben.  Xaljer  befanben 
ftd)  auch  ©anbei,  ©ewcrbfleijs  unb  SBoblftanb  in  bem  3»ftanbe 
gänzlichen  Verfalles,  währenb  fich  ber  SuruS  unb  bie  VergnügungS= 
fucht  beS  WbclS  immer  mehr  gefteigert  hatten. 

3e  foftfpieltger  aber  mit  bem  wachfenben  ÖUJU*  unb  ber  §it* 
nehmenben  Vergnügungssucht  bie  ÖebenSweife  beS  9lbelS  mürbe, 
befto  brüefenber  würben  aud)  bie  bem  leibeigenen  Vauernftanbc 
aufgebürbeten  Abgaben  unb  grohnben ;  benn  bie  leibeigenen  Jauern 
hatten,  obgleich  fie  fünf  Sechftel  beS  ganzen  Golfes  bilbeten,  feine 
einige  gefcfclichc  Garantie  unb  fein  anbereS  Üiecht,  als  baS  beS 
$afeiuS,  unb  ftanben  ben  Üeibenfchaften  ihrer  ©utsherren  umfo 
fchnfclojer  gegenüber,  als  nach  bem  polnischen  ©efe^e  ber  Xobt* 
fchlag  eines  porigen  burch  feinen  £errn  nur  mit  einer  (Mbbufje 
öon  sehn  aicarf,  b.  h-  ungefähr  oier  Zfyakxn,  beftraft  würbe. 

@S  fehlte  nicht  an  warnenben  Stimmen,  welche  bem  Slbcl 
über  bie  unausbleiblichen  Solgen  feiner  ÜDctfiberrfchaft  bie  Slugen 
&u  öffnen  fliehten.  „(£S  wirb  eine  Seit  fommen,"  fo  oerfunbete  ihm 
fchon  im  3af)re  1605  ber  gro&e  Äanjelrebner  *ßatcr  Sfarga, 
„wo  ihr  ohne  Könige  fein  werbet,  ohne  Vatcrlanb,  oerbannt  auf 


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2)ic  erffc  X^cilung  ^olcnS 


571 


frember  (£rbe  itnb  terachtet  ton  $enen,  bie  ehebem  aus  gurdjt 
euch  Hochachtung  betoiefen."  Unb  bcr  eble  Köllig  3or)ann  $afimir, 
bcr  tergebltch  im  3af)re  1655  in  bcr  ®athebrale  ton  Scopol  bic 
anroefenbcn  großen  befchrooren,  bic  ©trafen  beS  Rimmels  über 
$olen  baburch  abjuroenben,  baß  fie  „bie  armen  Sanbleutc  auS 
fflatifcher  $ienftbarfcit  erlöftcn,"  fprad)  im  3at)re  1661  tor  bem 
öffentlichen  Reichstage  bie  prophetifchen  Söorte:  „Bei  unferer 
inneren  3nrietraeht  fjaben  mir  bic  Angriffe  beS  SlnSlanbeS  unb  bie 
X^eilung  ber  SHepublif  ju  fürdjten.  $er  SÄoSfomiter  —  tooüe 
©ott#  baß  ich  ein  falfdjer  Prophet  fei  —  hrirb  und  fRnffifc^-^Soten 
unb  Sitthauen  entreißen;  Branbenburg  roirb  fid)  ©roßpolenS  unb 
SöcftprcußenS  bemächtigen,  unb  auch  Cefterreich  mirb  bei  biefer 
Serftütfelung  bie  (Gelegenheit  benufcen  mollen  unb  fidj  $rafau  an* 
eignen." 

Slber  bcr  Hbel  fpottete  biefer  Befürchtungen,  „geben  SCiigen* 
btief  bereit,  ©nt  unb  ©tut  für*  »aterlanb  ju  opfern/'  fagt  3anffen, 
„unb  toH  jenes  ritterlichen  £clbengeifteS,  bcr  im  übrigen  Europa 
Iängft  fchon  untergegangen,  fprach  er  (ber  potnifche  Slbel)  nur  mit 
Verachtung  tom  SluSlanb,  fat)  in  bcr  (Sinmifchung  beSfelben  bic 
©aupturfache  aller  inucren  SBirren  unb  UnglütfSfäHe  unb  machte 
gleichzeitig  felbft  immer  toieber  baS  fianb  gu  einem  meiten  Schau* 
plafc  auSlänbifcher  Sntriguen.  9Han  benfe  nur  an  bie  bei  bem 
$obe  eines  jeben  Königs  immer  roieberfehrenben  terhängntßtoßen 
Reiten  ber  Interregnen,  bie  ber  Slbel  terfchulbcte,  toeil  er  bem 
$önig  nicht  einmal  baS  Recht  juerfannte,  bei  feinen  £eb$citen  au 
bic  SBahl  eine«  Nachfolgers  ju  benfen  unb  ber  Nation  einen  geeig* 
neten  ftanbibaten  in  SBorfdjlag  §ii  bringen." 

211S  gohann  $afimir  im  3af)rc  1661  bie  ermähnte  <ßrophe= 
jeihung  auSfprach,  backte  man  im  5luSlanbe  mirflich  bereits  an 
eine  Xh^hMÖ  Motens.  3>aS  erfte  berartige  s?rojcft  ging  oon  bem 
©ehmebenfönig  ®art  ÖJuftao  aus,  ber  im  $al)Tt  1656  bem  ®ur= 
fürften  griebrich  SBilhelm  ton  ©ranbenburg  ©orfchläge  ju  einer 
^heituug  dolens  machte,  bei  roelcher  auch  ber  beutfehe  ®aifer  unb 
Rußlanb,  fotoie  ber  gürft  (Georg  Ragoqi)  oon  «Siebenbürgen  be- 
bacht  roerben  füllten.  ©S  fam  in  ber  $hat  $roifchcn  ©chtoeben 
unb  ©ranbenburg  ju  mehreren  bieSbejügUchen  Verträgen ;  bcr  Shir- 
fürft  oon  Söranbenburg  trat  jebodj  Oon  benfelben  jurücf,  nachbem 
bnreh  ben  Vertrag  oon  Söclau  baS  ^erjogthum  Greußen  oon  ber 
polnifchcn  SehcnSabI)ängigFeit  befreit  unb  für  fouuerän  erflärt  toor* 
ben.  RichtSbeftotoeniger  blieben  feit  jener  Qüt  bie  ©liefe  bcS 
Berliner  |)ofeS  auf  bic  ©rmerbung  oon  ^olnifch=$reußen  ge* 
richtet. 

SBahrenb  bcS  norbifchen  Krieges  mnrben  oon  $eter  bem 
(Großen  unb  griebrid)  I.  ton  Greußen  neue  $länc  ju  einer  3crs 


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572 


Äatljarina  II.  bon  Shiftlanb. 


frücflung  $otcnS  entworfen,  unb  ber  potnifebe  23abtfönig  9Ingitft  II. 
bot  fogar  fetbft,  roie  mir  oben  (€>.  314)  gefeben,  ben  beiben  9tto- 
nareben  als  $rei3  ibrer  TOtmirfung  ju  feiner  ©rbebung  jum  Crrb* 
fönig  bte  Abtretung  eine*  XbetfeS  bon  $o!en  an.  $tefe  neuen 
^betfungSprojefte  fdjeiterten  jebod)  an  bem  energifdjen  SBiberftanbe 
DefterreicbS  nnb  ber  (Seemädjte,  unb  ate  fester  griebrieb  28tts 
beim  I.  bon  *ßreu&en  nrieberbolten  Waren  auf  biefelben  $urücf= 
tarn,  roollte  $eter  ber  ®roße  bon  einer  3^f^^ung  *ßolen3  WicbtS 
mebr  toiffen,  metl  er  bereit«  ba«  ganjeßanb  al«  eine  ftdjere  ©eute 
SRu&IanbS  betraebtete. 

STucb  nacb  bem  Xobe  *ßeter3  be$  (Großen  blieb  ber  (Srroerb 
$oren3  ba3  näcbfte  Siel  ber  rufftfeben  ^otittf.  $iefeS  giet  füllte, 
ben  oon  ^Beter  in  feinem  politifdjen  Xeftamente  gegebenen  93or* 
fünften  gemäß,  bor  OTem  erreicht  werben  „burdj  bie  STufrecbtbal* 
tung  ber  etenben  potnifeben  Stafaffung ,  bureb  bie  Wnjettetung 
innerer  ©irren  unb  ^arteiungen  unb  burdj  ©eftedjungen  unb 
^ntrtguen  aller  2Irt."  $)ie  rufftfeben  $täne  mürben  geförbert  burdj 
ben  nnbeilboHen  polnifcben  Xbronfolgefrieg,  ber  bem  beutfeben  föeidje 
bte  *ßrobtn$  Sotbringen  foftete,  ba«  potnifebe  ®ebiet  rufftfeben 
Xruppen  ju  beliebigem  Statten  preisgab  unb  ben  biSberigen  pol* 
nifeben  SebenSftaat  fturlanb  rufftfeben  Sefeblen  bienftbar  machte 
(f.  6.  277). 

9fm  ftebenjäbrigen  Kriege  arbeitete  bie  ftatferin  ©fifabetb  an 
ber  ?Tu8fubrung  be8  polirifefjen  Xeftamente$  ibreS  SBaterS,  tnbem 
fte  ben  beutfeben  SBruberfrieg  au*  aßen  Gräften  ju  berrängern 
fuebte,  bamit  bie  beutfeben  Sfläcbte  befto  mebr  fidj  abfebmäcben  unb 
bie  ruffifdje  (Suprematie  über  ^olen  niebt  bebtnberten,  bereu  9(uf* 
reebtbattung  ba3  etgentlicbe  SJcottb  ber  Xt)eitnabme  ffiu&Ianb«  an 
bem  Kriege  mar.  Dbgteia)  ba3  unglüeflidje  ^olen  mäbrenb  jener 
&rieg3jabre  niebt  nur  bon  ruffifeben,  fonbern  aueb  bon  preu&tfcfjen 
Xruppen  mit  ferneren  ©ranbfdjafcungen  fjetmgefucbt  mürbe  unb  bie 
preumfeben  ^eerfübrer  potntfe^e  SRefruten  mit  (Gewalt  jura  Stiegt 
bienfte  fangen,  betraebteten  bie  $oten  Greußen  als  eine  ©dmfe* 
roefjr  gegen  föußlanb,  unb  im  ganzen  Sanbe  fjiett  man  ftriebrid)  II. 
für  ben  ©innigen,  bon  metebem  $oten  feine  Befreiung  bon  ben 
übermütbigen  9htffen  unb  bte  5(btoebr  noeb  fdjfimmerer  fünftiger  $e= 
brängniffe  bon  tyrer  ©eite  ermarten  bürfe. 

9htr  flu  balb  füllten  bie  betörten  $o!en  erfabren,  toie  febr 
fte  ftd)  in  bem  sßreufjenfönig  getäufebt  batten ;  benn  al&  fte  enbttd) 
ju  ber  ©rfenntniß  gehirnnen,  baß  ber  fteigenben  9lott)  be«  SanbeS 
nur  burdj  innere  Reformen  abgeholfen  merben  fönne,  unb  ju  biefem 
Chtbe  bon  einer  mäcbtigen  Partei  bie  $ermanblung  beS  ©afylfänig* 
tbumS  in  ein  (Srbfönigtbum,  bie  SIbfcbaffung  be*  Liberum  Veto, 
bie  SBerleifmng  po!itifdt)er  9lec^tc  an  ben  ©ürgerftanb  unb  bie  miU 


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2>ie  erfte  Teilung  Polen«. 


573 


berung  ber  fieibeigenfgaft  in  SBorfglag  gebracht  würbe,  trat  grieb* 
rig  II.  in  ©emeinfgaft  mit  SRu&lanb  allen  biefen  SReformoerfugen 
mit  Entfgiebcnl)eit  entgegen,  inbem  er  mit  Peter  III.  bei  bem 
2lbfglu&  grer  Cffenfiö*  unb  Xefenfiöallianä  t>om  8.  Quni  1762 
(f.  @.  452)  eine  fliege  geheimer  Krtilel  üereinbarte ,  in  »eigen 
beibe  Kontrahenten  fig  öerpfligteten,  jebem  SBerfuge,  ba3  polnifge 
ßöniqtljum  crblict)  ju  magen,  mit  aßen  Mitteln,  nötigenfalls  mit 
SBaffcngeroalt,  entgegen  jn  treten,  bei  bem  Xobe  MuguftS  III.  nur 
einen  piaften  jum  polnifgen  Xljrone  jujulaffen  unb  fig  über  ben 
paffenbften  2gron=ftanbibaten  ju  oereinbaren  unb  enbltg  ben  pol* 
nifgen  $tffibenten  (fgiSmatifgen  ©rieben,  föeformirten,  ßutye* 
ranern  u.  f.  to.)  in  religiöfer  unb  politijger  93e$iel)ung  alle  dje* 
maligen  Privilegien  unb  Prärogatiöe  toieber  ju  oerfgaffen.  2Sa£ 
bürg  biefc  lefctere  SBcreinbarung  bejmecft  mürbe,  geftefjt  griebrig 
(elbft,  inbem  er  in  feinen  Memoiren  auSbrficflig  fagt:  „3)ie  $i|> 
bentenfrage  fei  bie  §aupturfage  aller  jpäteren  inneren  Unruhen  unb 
Kriege  gerne jen." 

$ie  Statififation  btcfeS  öölferregtännbrigen  Vertrags  mürbe 
jroar  bürg  bie  Entthronung  PeterS  III.  üerfjinbert ;  aber  $aga= 
rina  II.  beftätigtc,  objgon  fie  in  grem  erften  ÜKanifeft  griebrig  II. 
als  ben  ärgften  geinb  SKußlaubS  unb  ben  mit  bemfelben  gefgloffe* 
nen  Sieben  als  ein  oon  grem  ®emal)t  an  ber  ruffifgen  Nation 
üerübteS  Söerbregen  be^eignet  f)atte,  fgon  am  2.  Stooember  1762 
baS  üon  Peter  III.  oon  preufjen  gefglofjene  93üubni&,  unter  Sei* 
beljaltung  ber  be$üglig  Polens  vereinbarten  geheimen  Vlrtifel. 

Sägrenb  jebog  griebrig  ju  Sebjeiten  peterS  III.  bei  beffen 
unbegrenzter  Eingebung  an  feine  Perfon  ju  ber  gegrünbeten 
Hoffnung  berechtigt  geroefen,  in  Polen  roie  im  ganzen  nörb* 
ligen  Europa,  einen  bominirenben  Einfluß  ausüben  311  tonnen  unb 
im  $ofe  oon  Petersburg  einen  getreuen  unb  gefügigen  2Wiirten 
unb  gorberer  feiner  Pläne  $u  finben,  mufjte  er  fig  nag  ber  2gron* 
befteigung  $atfjarina'S,  menn  bie  SBerbtnbung  mit  ir)r  Sauer  Ijabeu 
füllte,  nigt  nur  in  bie  Saunen  unb  Entmürfe  feiner  SBunbeSge* 
noffin  fügen,  fonbern  felbft  $ur  görberung  grer  perfönligen  efjr* 
geizigen  ^meefe  mttroirfen.  kannte  gn  bog  ber  ruffifge  Sftinifter 
©raf  Panin  fpäter  in  feinem  Uebermug  „eine  ruffifge  ©gilbmagt", 
bie  aufrieben  fei,  bie  jmeite  fliotle  $u  fpieten ,  bamit  bie  Kaiferin 
bie  erfte  übernehme. 

NillS  Kagarina  II.  ben  ruffifgen  51) von  beftieg,  galt  SRufelanb 
nog  fo  menig  für  eine  europäijge  ÜDtogt,  bafc  griebrig  II.  im 
3aj)re  1770  an  feinen  in  Petersburg  roeitenben  ©ruber  ^peinrig 
fgrieb:  „er  fgitfe  gm  9togrigten  au»  Europa",  unb  bajj  bie 
Polen  auf  eine  Qnteroention  ber  meftligen  «Staaten  ju  gren  (fünften 
gegen  bie  2HoSfon)iter  oorjüglig  befgalb  äfften,  toeil  eS  gnen 


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574 


tfatfjarina  II.  oon  ftufjlanb. 


unbenfbar  festen,  baß  biete  Staaten  bie  Srfjebung  SRußlanbS  „ju 
einer  europätfd)en  $Jlad)t"  sulaffen  mürben.  „Mber  eben  biefe  (£r* 
Hebung,  bie  nur  bind)  bie  $8et)errid)ung  Polens  erreicht  werben 
tonnte/  fagt  Qanffen,  ,,faf)  ftatbarina  als  ifjre  SebenSaufgabe  an. 
2>urd)  Polen  beredte  fie,  mic  fie  in  einer  geheimen  Qnftruftion 
an  ifjre  ÖJefanbten  in  Söarfajau  beutiid)  auSfpridjt,  bie  ganje  euro* 
päifdje  Politif  ju  beeinfluffen,  unb  fdjarf  blidenbe  iöeobadjter  er* 
rannten,  ba&  fte  polen  nidjt  nur  feiner  felbft  megen  fi$  bienftbar 
madjen  mollte,  fonbern  um  es  als  Srü&punft  für  bie  £ebel  ju  ge= 
brauchen,  mit  benen  fie  SDeutfct)lanb  ju  erfdnlttern  l>offte.  SBar  aber 
bie  altruffifdje  StaatSmapme,  ,burd)  Polen  nad)  Seutfdjlanb'  er« 
reietjt,  fo  mar  bie  rujfifcfje  $tftatur  über  Mitropa  gefiebert." 

Unmittelbar  uact)  tyrer  X^ronbeftetgitng  fd)rieb  ftatljarina  an 
ben  polnifa^en  trafen  Stanislaus  Puniatomsfi,  ber  als 
©efanbter  SluguftS  III.  in  Petersburg  ifn*  beuorjugter  ©ünftliug 
gemefen:  „3dj  f Riefte  fofort  ben  trafen  $anferlingf  nad)  polen, 
um  Sie  bort  nad)  bem  Xobe  SluguftS  III.  $um  König  511  madjen." 
ßinftmeilen  follte  Kauferlingf  bafür  Sorge  tragen,  ba&  ber  polnifd)e 
£ef)enSftaat  tturlanb,  ben  Muguft  III.  nad)  bem  Sturje  öironS 
feinem  jüngeren  Sof)ne  Karl  oerlieljen,  bem  bon  Peter  III.  be= 
gnabigte  SBtron,  ber  bnret)  niebere  Sd)meict)eleicn  bie  ÖJunft  ber 
<£$arin  erlangt,  jurüdgegeben  unb  baburet)  aufs  sJkue  unter  ruffifdje 
SBotmäSigfeit  gebraut  merbe.  9iad)bem  griebrid)  II.  am  22. 
Sebruav  1763  burd)  feinen  ©efanbten  fein  @inoerftänbni&  mit  bie* 
fer  neuen  Interpretation  beS  SBölferredjtS  tjatte  auSfpredjen  laffen, 
rüdte  ein  ruffifdjeS  £>cer  oon  fünf^e^ntaufenb  sJKann  in  Kurlanb  ein, 
um  oon  bem  £>er$og  Karl  bie  Räumung  beS  £anbcS  ju  erzwingen, 
tiefer  mar  Anfangs  511m  SBiberftanb  entfdjloffen ,  gab  benfelben 
jebod)  alsbalb  auf  ben  93efef)l  feines  Katers  auf.  So  febrte  Jöiron 
nad)  Knrlanb  utrüd,  in  beffen  s43efi$e  ifjm  nad)  feinem  Xobe  (1772) 
fein  Sot)u  folgte.  sJ£aa)bem  bie  Sjarin  auci)  ijittfjanen  burd)  ü)re 
Gruppen  t)atte  befe^en  laffen,  ging  fie  in  ifjrer  N2lnma§ung  fo  meit, 
bajj  fie  an  ben  König  oon  Polen  baS  Slnfinnen  ftellte,  u)r  über 
bie  bisherige  SBermaltung  feines  Königreid)S  9tcd)enfd)aft  abju= 
legen. 

$a($  aud)  griebridj  II.  Polen  bereits  als  ein  abhängiges  ilanb 
betradjtete,  bemeift  bie  Söifltur,  mit  melier  aud)  er  bort  auftrat. 
9tad)  einem  33erict)te  beS  engüjdjen  ®ejanbten  in  2Barfd)au  lieg  er 
ganje  gamilien  aufgeben  unb  mit  (bemalt  nad)  Preußen  unb 
iöranbenbitrg  bringen,  um  biefe  t)aI6  ju  ©runbe  genuteten  £anb* 
fdmften  ju  beöolfern,  unb  trieb  nad)  einer  Söeredjnung  beS  pol= 
nijdjen  KronfefretärS  SfierSfi  in  ben  beiben  Palattnaten  Pofcn 
unb  ^alifct)  Kontributionen  im  betrage  oon  $met  üttiüionen  Kro= 
nen  ein. 


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3)tc  erfte  Xfjeüung  <ßoIen$ 


575 


Slm  5.  Dftober  1763  ftorb  ftonig  Sluguft  III.  unb  fein  Sol)it 
griebrich  S^rtftian,  ber  ihm  als  fturfürft  nachfolgte,  erflartc  fic^ 
jur  Annahme  ber  polnifchen  Stone  bereit,  falls  fie  ihm  angetragen 
werbe  unb  bie  benachbarten  dächte  bamit  einoerftanben  feien ;  allein 
er  ftarb  fdjon  am  13.  $ejember  beSfelben  3ahreS  mit  ftinterlaf* 
fung  eine«  minberjährigen  Nachfolgers.  So  fjatte  bie  (£$arin  in 
ber  SSieberbefefcung  beS  polnifchen  ^t)rone«  öoUftänbig  freie  §anb. 
Schon  öor^er,  am  6.  ftooember,  i>atte  fie  ihrem  ©efanbten  Äanfer* 
lingf  unb  bem  Surften  $t  e  p  n  i  n ,  ben  fie  bemfelben  jur  Unter* 
ftüfcung  jugefedt,  eine  Qnfrruftion  jufommen  laffen,  meiere  ü)re 
perfibe  ^ßolitit  gegen  $olen  oollftänbtg  enthüllt  unb  beß^alb  ju  ben 
bemerf  enSmertheften  geheimen  Wttenftüden  ber  3^*  gehurt.  9ftuß* 
lanbs  3ntereffe,  fjeijjt  eS  barin,  oerlange  gebieterifeh ,  baß  $olen 
niemals  $u  einer  erblichen  ÜJcouardjie  erhoben  werbe ;  benn  bie 
(S:rblid)feit  ber  Srone  wäre  bei  erfte  unb  ficherfte  Schritt  „ju  allen 
anberen  Reformen,  bie  ben  rujfijchen  3ntereffen  fd)äblid)  feien." 
5)aS  fächfifche  SürftenfjauS  müffe  oom  polnifchen  X^rone  üerbrängt, 
bie  Mrmee  beS  SanbeS  bürfe  nicht  oerftärft,  unb  oor  sMem  muffe 
baS  Liberum  Veto,  b.  h-  bie  Anarchie  holend,  aufrecht  erhalten 
Werben,  weil  SRußlanb  barin  feinen  größten  üftufcen  unb  „bie  oor» 
äüglichfte  ©runblage  feines  bireften  (SinfluffeS  auf  bie  europäifdje 
s#olitif"  erfenne.  9cur  ein  $iaft,  ber  ben  rufftjehen  ^meefen  bienft* 
bar  fei,  bürfe  ben  polnifchen  X^ron  befteigen ,  unb  Stanislaus 
^oniatowsfi  fei  ber  für  föußlanb  geeignetfte  ®anbibat.  Sr  müffe 
aber  noch  bor  feiner  $8af)l  beftimmte  Garantien  geben,  baß  er  auS 
3)anfbarfeit  gegen  bie  ©jarin  alle  $läne  berfelben  $u  jeber  Qtit 
burdjführen  unb  bie  Qntereffen  föußlanbs  ftetS  als  feine  eigenen 
betrachten  werbe. 

3ur  SBeftecfjung  ber  Sanbboten  auf  ben  ßanbtagen  im  Qntereffe 
ber  2öaf)l  SßoniatowSrVS  ftedte  Katharina  ihren  ©efanbten  unge* 
heuere  ©elbfummen  jur  Verfügung;  auch  ertheilte  fie  ihnen  ben 
Auftrag,  bafnn  ju  mirfen,  baß  ber  Reichstag  allen  polnifchen  $)ifft* 
benten  eine  unbefchräntte  Xoleranj  bewillige  unb  bie  rujfijche  3  ns 
teroention  unb  (Garantie  für  alle  ®efege ,  $rioi(egien  unb 
Freiheiten  nachfuche.  5)aburch  gewinne  fie,  bemerft  bie  (£$arin, 
einen  „p  l  a  u  f  i  b  l  e  n  2$  o  r  w  a  n  b"  ,  (ich  in  bie  polnifchen  2(nge= 
legenheiten  einjumifchen,  unb  tonne  bann  mit  ^Bequemlichkeit  ade 
£ebel,  bie  fte  für  paffenb  erachte,  in  Bewegung  fefcen.  Schließlich 
fpricht  Katharina  ihren  (Sefanbten  bie  Hoffnung  aus,  baß  fie  ohne 
fö^ö  jum  3iele  ihrer  SBünfdje  gelangen  werbe.  Sollte  aber,  fügt 
fie  ht"ä"/  wieber  (Erwarten  ihr  ftronfanbibat  nicht  gemäht  werben, 
fo  fei  fie  entfchloffen,  im  (ärinoerftänbniß  mit  bem  Äönig  üon  <ßreu* 
ßen  ohne  alle  oorauSgegangene  SfriegSertlärung  gleichseitig  alle 
polnifchen  ^rooinjen  mit  ihren  Xruppen  ju  überfchwemmen,  ade 


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576 


ffatfarina  II.  Don  Shifelanb. 


i^re  ©egner  als  Slebeflen  ju  betrachten  unb  bercn  ©üter  mit  Jener 
unb  Schwert  $u  oert)eeren ,  unb  fte  werbe  bie  SBaffen  nicht  et)er 
nieberlegen,  bid  baS  gange  polnifche  ßiolanb  oon  ber  Slepubltf  ge* 
trennt  unb  bem  rufftfdjen  Bleiche  etnoerleibt  fei. 

3m  oollftänbigften  SBiberfpruch  mit  biefer  it)re  Sßläne  unum- 
Wunben  enthütlenben  ^nftruftion  ltcn  bie  (S^arm  mehrere  Söochen 
fpäter  ben  *ßolen  burch  ben  gürften  Slepntn  a  m  1 1  i  $  bie  eibliche 
unb  feierliche  sBerfidjerung  geben:  eS  fei  ein  lügenhaftes  ©erücht, 
ba&  jfe  polntjchcS  Gebiet  an  fich  ju  reißen  beabfidjtige ;  fte  benfe 
an  feine  ©roberungen,  fonbern  wolle  lebiglict)  „burch  ©erechtigfeit, 
9ftenfchlichfeit  unb  ©ro&muth"  ihre  Untertanen  beglüefen;  fte  werbe 
Weber  felbft  fich  jemals  an  bem  Öefifcftanbe  dolens  »ergreifen,  nod* 
jugeben ,  ba&  berfelbe  burch  irgenb  eine  anbere  Wlaty  irgenbwie 
graben  erleibe.  ©ine  ähnliche  (Jrflärung  würbe  am  24.  Januar 
1764  burch  ben  preu&ifchen  ©efanbten  in  SSarfchau  abgegeben. 
„$er  £önig",  fo  lieg  fich  berfelbe  oernehmen,  „fei  mit  Siecht  barüber 
inbignirt,  bafi  man  il)in  jutraue,  er  beabfichtige  im  (Sinöerftänbniffe 
mit  Slufjlanb  eine  Sheilung  holend;  jolche  Sßläne  feien  feiner 
ganjen  XenfungSart  entgegen ,  unb  er  wolle  oielmetjr  Ellies  thunf 
um  baS  polnifche  ©ebiet  unoerlefrt  ju  erhalten." 

Um  bie  übrigen  europäischen  dächte  ju  täufchen ,  fieberten 
Slu&lanb  unb  $reu&en  ben  $olen  in  öffentlichen  Srlaffen  eine  ooU* 
ftänbige  2Bat>lfreir)eit  ju;  gleichseitig  aber  lieg  Katharina,  „um  bie 
Freiheit  ber  ftonigsmahl  ju  fidjern,"  ein  £eer  oon  fünfjehntaufenfc 
SHann  in  *ßolen  einrüefen ,  unb  als  bie  <ßolen  tytxübtx ,  als  über 
einen  S3ruch  beS  VölferrechteS ,  ftlage  erhoben ,  gaben  ihnen  bie 
rujfifchen  ©efanbten  bie  höfmenbe  Antwort:  „$ie  fo  freie  unb 
große  polnifche  Nation  fönne  boch  nicht  mahnen  ,  ba&  fo  wenige 
Muffen  im  Stanbe  mären,  irgenb  (£twaS  gegen  ihre  Siechte  $u 
unternehmen." 

Stufjig  jähen  bie  übrigen  europäifchen  flächte  biefen  ruffifchen 
Vergewaltigungen  in  sJ$olen  ju;  benn  Defterreich  war  nach  ocm 
blutigen  fiebenjätjrigen  Kriege  erfdjöpft  unb  bie  Pforte  burch  °ic 
ruffifchen  Vorfpiegelungen  in  oollftänbige  Xäufdwng  eingewiegt; 
granfreich  aber  würbe  burch  tur^fichtige  $oliti!  beS  £>er$ogS 
oon  IÜuukuI,  ber  auf  nichts  MnbereS  fann,  als  auf  bie  Schwächung 
GrnglanbS,  unb  überbie»  bie  polnifche  Anarchie  als  einen  SÖortr)eiI 
für  bie  franjöfifchen  Sntereffen  anfaf),  oon  jeber  (Stnmifchung  ju 
©unften  dolens  abgehalten ,  unb  Ghtgtanb  gab  für  ben  ©ewinn 
eines  oortljcilljaften  £anbelSocrtragS  mit  Slu&lanb  ber  ßsarin  nicht 
nur  $olen,  fonbern  auch  Schweben  unb  2)änemar!  preis,  wofür  es 
oon  Seiten  ber  ruffifchen  SJlinifter  nur  Verachtung  einerntete.  v2luch 
auf  Sraufreich  nahm  Katharina  fo  wenig  Slücfficht ,  ba&  fie  ben 
fraujüfijchen  ©ejanbten,  ©rafen  iöreteuil,  auf  beffen  Anfrage,  ob 


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$ie  erftc  Teilung  Polens. 


577 


fte  fidj  nic^t  mit  bem  £ofe  oon  SßcrfaiHc^  über  einen  polnifdjen 
Äronf  anbibaten  oerftänbigen  motte,  mit  ben  SBorten  abfertigte:  „$ie 
fianbfarte  mirb  Sfmen  jeigen ,  ob  eS  einem  Ruberen  als  mir  ju* 
fömmt,  ben  Polen  einen  flönig  ju  geben." 

SRadjbem  Äat^arina  II.  unb  griebria)  II.  lange  mit  einanber 
eine  geheime  $orrefponben$  geführt  Ratten,  fdjloffen  fie  am  11.  Slpril 
1764  einen  neuen  "Miau ^ertrag,  bem  baS  jnuirfjen  ^riebrict)  unb 
Peter  III.  unterm  8.  3uni  1762  vereinbarte  ©ünbnij?  als  ©ruub* 
läge  biente.  Straft  biefeS  XraftateS  füllten  bie  Polen  burd)  ®e* 
malt  gejnmngen  merben,  auf  alle  Reformen  Söerjtdjt  ju  leiften:  bie 
SBafjlmonardjie  foHte  beftetyen  bleiben,  baS  Liberum  Veto  beibetjal* 
tenf  ber  fatfjolifdjen  Äira^e  polenS  bttrdj  Söegünftigung  ber  Xifft* 
beuten  ber  SebenSnero  burdjfdjmtten  unb  bie  $iffibentenfrage  als 
nnrffamfteS  Littel  ber  Aufregung  unb  als  bequemer  SBormanb  51t 
fortgelegter  ©inmtfdmng  benufct  merben.  @S  mar  baS  XobeSurtfjeil 
Polens ,  baS  bie  betben  9J?onara)en  mit  biefem  Xraftate  unter 
jeidmeten. 

Unterbeffen  Iwtte  ber  BteidjSprimaS  SttbienSfi ,  ©rjbtfdjof  öon 
©nefen,  bem  polnifdjen  2lbel  nod)  einmal  alle  ©efa^ren  oor  klugen 
geführt,  bie  ber  tnnerlidj  jerrütteten  SRepublif  öon  bem  SluSlanbe 
breiten,  uub  tf)n  mit  feurigem  Patriotismus  ermahnt,  bei  ber  be* 
öorftefyenben  ®önigsmal)l  alle  3nrietrad)t  rutjen  $u  laffen  unb  mit 
mannhafter  Xljatfraft  ju  SBerfe  ju  gelten.  Slber  fo  ferner  aud) 
fdjon  bamals  baS  frembe  ^od)  auf  polen  laftete ,  fdjenfte  bennod) 
ber  potnifdje  Slbel  ben  SRafmungen  beS  PrimaS  fein  ©efjör :  fd>roff 
unb  gemaltfam,  mie  faum  je  Dörfer,  traten  bie  inneren  parteieu 
bei  ber  neuen  ÄönigSma^l  gegen  einanber  auf.  $er  ÜReformpartei, 
an  beren  ©pifce  bie  mäd)tige  gamilie  ber  ©jartoröSft'S  ftanb, 
gelang  eS  jmar,  auf  bem  am  7.  3Rai  1764  eröffneten  „$onuo* 
cationSreid/Stage"  nad)  getoaltfamer  Entfernung  ifjrer  ©egner  mel)* 
rere  fjeilfamen  ©efefce  burd^ubringen ,  burd)  meiere  bie  föniglidje 
9Jtod)t  eine  nia)t  unbebeutenbe  (Srmeiterung  erhalten  mu&te;  als  fte 
jeboa),  um  bie  2lnardjie  mit  ber  SBurjel  auSjurei&en,  bie  ^luföebung 
beS  Liberum  Veto  ju  bewirten  fudjte,  legten  bie  ©efanbten  SRufc 
lanbS  unb  preufjenS  im  tarnen  tyrer  ©ouoeräne  bagegen  fo  ent* 
fduebenen  Proteft  ein ,  baß  bie  Partei  fid)  gezwungen  fal) ,  biefeS 
midjtigfte  9*eformproje{t  fallen  ju  laffen. 

dagegen  liegen  föu&lanb  unb  Preu&en,  um  bie  modrige  Par> 
tei  ber  GjartoroSri'S ,  beren  fte  ftd)  $ur  föegulirung  ber  Königs* 
maljl  in  iljrem  ©inne  ju  bebienen  münjd}ten,  nidjt  aUjufe^r  gegen 
fidj  aufjubringen ,  ben  föeiajStag  in  ber  (£infül)rung  mehrerer 
mefentlia^en  Söerbeffcrungen  in  ©etreff  ber  JÖermaltung  beS  ßanbeS 
unb  beS  GJeridjtSmefenS ,  namentlich  ju  ©unften  beS  gebrüeften 
SBürger*  unb  ©aueraftanbeS,  ru^ig  gemä^ren;  —  mußten  fie  boa), 

^oliteart^,  ©cltflef^te.  VI.  37 

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578 


ßatfyarma  II.  »on  SRufolanb. 


ba&  eä  in  ihrer  9Jcacht  lag ,  bereit  ?(uäführung  jeberjeit  ju  Oer* 
hinbern. 

3Wit  Jptlfe  ber  SReformpartei  tourbe  am  7.  September  1764 
bie  Sr^ebuug  beS  ruffiid^preu&ifdjen  Sfronfanbibaten  Stanislaus 
^oniatom^fi ,  eine*  Neffen  ber  Gjartoruäfi'd  ,  auf  ben  polnifdjen 
%i)von  $u  Staube  gebracht.  Söenn  jeboer)  bie  ßefcteren  gehofft 
Ratten ,  auf  biefen  charafter*  unb  fittenlofen  SDcenfchen  einen  be= 
ftimmenbeu  Einfluß  ausüben  unb  ilm  für  bie  politische  SBiebergeburt 
beS  #anbeä  begeiftern  ju  fönnen ,  fo  fafjen  fte  ftdj  in  biefer  £>off* 
nung  fdjmäfjlid)  getauft;  benn  ber  neue  ftönig  (jatte  oor  fetner 
SBa^l  gegen  SRuftlanb  unb  ^Sreufeen  geheime  Verpflichtungen  etnge* 
gangen ,  burch  welche  er  fich  öon  üornherein  $u  einem  bloßen  ©e= 
fdjöpfe  biefer  dächte  erniebrigte. 

fleachbem  Katharina  burch  bie  Söaftl  $oniatott>3fi'3  ihren  nädj= 
ften  3toecf  in  ^ßolen  erreicht  hatte ,  fteflte  fte ,  um  bie  SRepublif  in 
ooflftänbigfter  ?(bl)än gigfett  ju  erhalten  unb  fte  in  alle  ben  pol* 
nifdjen  Qutereffen  fernlicgenben  rujfifchen  @roberung3friege  hinein- 
Riehen  ju  fönnen ,  an  ben  fogenannten  „ftrimungäreichstag''  bie 
Sorberung,  mit  9tu&lanb  ein  Sd)ufo=  unb  Xru(jbünbni&  $u  fchlieBen, 
mofür  fie  bie  Verhärtung  ber  polntfchen  Slrmee  auf  fünfjigtaufenb 
SDcann  geftatten  moHte.  Slber  bie  SBitlfährigfeit  ber  CSjartorndfi'3 
gegen  bie  (^arin  l)atte  ihr  ©übe  erreicht :  bie  vilbfid)ten  $atharina'd 
burchfehauenb ,  festen  fie  auf  bem  Reichstage  bie  Verwerfung  beS 
oerlangten  VünbniffeS  burch,  matten  fich  aber  baburch  bie  ©jarin 
$u  il)rer  unoerfölmlichen  geinbin. 

Qnbeffen  fetnen  mit  bem  beginne  ber  Regierung  beä  neuen 
ßönig« ,  ber  balb  Don  allen  übrigen  dächten  Europa'*  anerfannt 
tourbe,  für  baS  unglüefliche  $olen  eine  beffere  Seit  anbrechen  ju 
tooüen ;  benn  bie  ©eifter  beruhigten  fich  allmählich ,  unb  mit  bett 
(^artornsfrs ,  betten,  als  ben  jpäuptcrn  ber  Reformpartet ,  bie  üBe- 
fugnijj  eingeräumt  toorben ,  für  bie  Durchführung  ber  erlaffenen 
neuen  ©efefce  unb  Verorbnungen  Sorge  §ti  tragen,  föhnten  ftch  öiele 
ihrer  früheren  (Gegner  au*. 

Slbcr  biefe  SBenbung  sunt  Vefferen  reijte  ben  3orn  ber  Sjarin. 
Sie  fefcte  alle  £ebel  in  Bewegung,  um  ben  ftönig  bem  (SinfluB  ber 
(XäartoruSfi'S  ju  entziehen,  unb  unterftüfcte  aüe  (Gegner  berfelben. 
Ungeftraft  burften  bie  in  v$olen  ftehenben  rujfijchen  Xruppen  uner* 
hörte  Barbareien  oerüben,  unb  als  bie  auf  bem  ÄrönungSreichStag 
im  Anfang  beS  3ahreS  1765  jur  Schlichtung  einiger  jmijchen  SRufc 
lanb  unb  v£olen  objehmebeuben  (Skenaftreitigfeiten  eingelegte  Äom^ 
miffion  toegen  biefer  MuSfchreitungen  ben  Beginn  ihrer  Arbeiten  Oer* 
jögerte,  nahm  fie  felbft  bie  „Örenjregulirung"  in  bie  £>anb,  inbem 
fie  burch  mehrere  neuen ,  ju  biefem  Qmdt  nach  $olen  entfanbten 
Regimenter  bie  ören^en  bahin  „berichtigen"  UeB,  bafc  fte  ber  ftepu* 


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3>U  crftc  Xfjeihmg  ^olenS. 


579 


blif  in  ben  öftlidjen  <ßroOiitäen  einen  Sanbftrid)  Oon  fünfzig  Cuabrat* 
meilen  mit  einer  SBeoöfferung  oon  einmalig uubertfechäigtaufenb  ga* 
milicn  entriß.  $abei  Ratten  bie  ruffifdjen  Gruppen  *8efcf)l ,  alle 
£anbroerfer  unb  ftünftler,  welche  bie  poliiifd&cn  Wbeligen  mit  großen 
Soften  auf  ir>rc  (Mter  gebogen,  unter  militärijcher  Pforte  nad)  Ruß* 
lonb  p  bringen. 

$a  Katharina  in  ber  Verführung  dolens  jum  Schisma  nicht 
nur  baS  ficherfte  9Jcittel  jur  Verschärfung  beS  für  ihre  äroede  noth= 
menbigen  <ßarteihaberS,  fonbern  aud)  ben  geeigneten  Vorroanb  jur 
fortgelegten  Dccupirung  beS  polutfchcn  Gebiete«  erblitfte,  Rotten  bie 
(Sefanbtcn  RußlanbS  unb  Greußens  gleich  nach  ber  Söahl  ^onia» 
tomSfi'S  an  ben  Reichstag  bie  gorberung  geftellt,  baß  alle  $üfiben* 
ten  bollfommene  Religionsfreiheit  ersahen  unb  ju  allen  ©t)rcnftetlcn 
unb  Staatsämtern  augelaffen  werben  (oQten. 

$hötfäd)lich  genoffen  bie  polnifchen  35ifftbcnten  oller  Stänbe 
üofle  religiöfe  greifjeit  unb  ben  gleichen  Schuft  ber  $efefoe,  wie  bie 
ßatfyolifen ,  unb  ber  afatl)olifche  s21bel  befaß  nid)t  nur  alle  (Xiüil- 
red)te  beS  fatfjolif  d)en  ,  fonbern  fonnte  auch  ebenfo  gut  wie  biefer 
alle  sJJ<agiftratSWürbeu  unb  $erid)täämter ,  ja  fogar  bie  fjodjfteu 
Stellen  in  ber  Mrmce  bcfleiben ;  eS  lag  ba^er  am  Xoge ,  baß  bie 
gorberung  ber  QnteroentionSmädjte  feinen  anbeten  Qmcd  hatte,  als 
bem  biffibentifdjen  21bel ,  ber  nur  einige  ljunbert  gamilien  5äl)lte, 
bie  SouüerämtätSrechte  beS  fatholifchen  VlbclS ,  b.  f).  Sifc  unb 
Stimme  im  Reichstag  unb  Zutritt  ju  ben  Ijofjen  Ehrenämtern,  ju 
ncrjdjaffcn,  bamit  ber  CSjariu  im  Senate  unb  auf  ben  Reichstagen 
eine  ifjr  ftets  gefugige  politifdje  Partei  p  (Gebote  ftelje;  ebenbeß* 
halb  ftieß  jeboch  biefe  gorberung  bei  bem  Reichstage  auf  ben  out 
fduebenften  SBiberftanb.  RichtSbeftoroentger  gab  $anin  ben  $iffi* 
benten  bie  Verfidjerung :  an  ein  3utütf$ieheu  oer  rujfijchen  Gruppen 
auS  sßolen  fei  nicht  eher  }ii  benfen ,  bis  feine  £>errin  mit  ihren 
SBünjchen  burchgebrungen  fei,  unb  bem  englifdjen  ©ejanbten  bemerfte 
er :  wenn  ber  polnifchc  Reichstag  bie  gorberungen  wegen  ber  2)ijft- 
beuten  nicht  gutwillig  benüüige ,  fo  mürben  oon  ber  einen  Seite 
oierjigtaufenb  Ruffen  unb  oon  ber  anbereu  oier^igtaufenb  Greußen 
in  $olen  einrüden,  unb  mären  bie  3)inge  einmal  ju  biefem  Weußer* 
ften  gefommen,  fo  halte  er  fich  oon  allen  Stipulationen  entbunben 
unb  ööüig  frei,  weitere  gorberungen  ju  ftetlen. 

Sluf  bem  Reichstage  üom  3ahre  erneuerte  Repnin  bie 

gorberungen  für  bie  Xiffibenten ,  inbem  er  im  Rainen  ber  ßjarin 
erflärte:  Rußlanb  unb  bie  übrigen  afatholifchen  sDcächte  feien  Oer» 
pflichtet,  für  bie  „Ruhe  ber  Republif"  ju  forgen,  unb  bie  (£$arin, 
bie  fich  bereits  um  s$olen  unenbliche  Verbienfte  erworben ,  ba  fie 
großmütig  unb  uneigeunüftig  eine  freie  ÄönigSwahl  ermöglicht 
|abe,  werbe  il)r  glorreiches  SBerf  erft  Hwn  für  oolleubet  erachten, 

37  * 


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580 


tfatljarma  II.  oon  SRufelanö. 


toenn  burdj  bie  ©ehufligung  beffen,  tt>a&  [\t  für  bie  $)iffibenten  Oer* 
lange,  atte  Urfachen  innerer  Unruhen  gehoben  feien. 

Xem  drängen  SRu&lanbS  unb  *ßreu&en3  ju  fünften  ber  $ifft* 
benten,  für  roelche  auch  bie  ©efanbten  (SnglanbS,  Schtoebenfc  unb 
Xänemarfö  „im  tarnen  ber  Humanität"  ihre  Stimme  erhoben,  ob- 
gleich in  allen  brei  fiänbern  bie  ßat^olifen  nicht  bie  geringfte 
ioterauj  unb  noch  oiel  weniger  irgenb  toelche  politischen  fechte  ge* 
noffeu  ,  trat  auf  bem  Reichstag  am  entfduebenften  ber  eble  Jöifdjof 
Soltif  oon  Ifrafau  entgegen,  unbefümmert  um  bie  2)roljung 
SRepninS,  ba&  er  it)n  nach  Sibirien  bringen  iaffen  merbe,  falls  er 
ber  Gjarin  toiberftrebe.  «IIS  ©ifchof,  fo  erflärte  er,  müffe  er 
über  bie  Reinheit  beS  GJlaubenS  machen ,  als  Senator  barauf  ^tn* 
toeijen ,  bafe  RtchtS  ber  inneren  Ruhe  eines  Staate«  oerbcrblidt)er 
fei,  als  eine  SBielfjeit  oon  Seften  mit  gleiten  Rechten  unb  gleicher 
8rei()Ctt.  3ubem  toiberfprächen  bie  JJorberungcn  ber  Sttffibentcn 
ben  ®runbgefe(jcn  ber  Republif  unb  ben  abgcjchloffenen  Üraftaten. 
Üflan  folle  ben  Stffibenten  ihre  bisherigen  Rechte  getoährleiften, 
aber  feine  neuen  Rechte  jugeftehen,  unb  ihnen  burd)  ein  beftimmteS 
(äJefejj  unter  Strafanbrolmng  oerbieten ,  in  ßufunft  ähnliche  2ht* 
fprüche ,  mie  jefct ,  ju  erheben  unb  burd)  bas  Anrufen  ber  $ilfe 
frember  Üttächte  bie  innere  Ruhe  ber  Republif  ju  ftören.  Obgleich 
nicht  nur  bie  Söifc^öfc,  fonbern  auch  bie  meiften  Sanbboten  fich  mit 
biefem  Sßorfdjlage  etnoerftanben  erhärten,  fefctc  ber  ftömg  eS  burd), 
baß  bie  Xijfibentenfrage  einer  au*  ben  öifchofen  gebilbeten  ftom* 
miffiou  jur  Prüfung  übermiefen  unb  bie  ©ntjdjeibiing  barüber  bis 
$um  Schaffe  beS  Reichstag*  oertagt  rourbe.  $abei  erflärte  er 
jeboaj,  ba&  er  für  bie  Religion  feiner  iöäter  leben  unb  fterben 
tooüe,  unb  oerfidjerte  bem  päp  tlic^en  RuntiuS,  er  habe  ber  ©jarin 
gemeibet,  ba($  er  auf  ihre  Mnforbcrungen  für  bie  Ssijftbenten  nicht 
eingehen  fönne. 

„Db  ber  ftönig",  fagt  Qanffen,  „in  feinem  SBiberftanbe  gegen 
Ru&laub  bamals  ernfte  Wbfichten  üerfolgt  höbe,  ober  ob  er,  im  Ge- 
heimen mit  Repnin  eiuoerftanbcn ,  nur  eine  ,orthoboje  2RaSfe<  oor* 
gehalten ,  um  bie  Nation  $u  täujehen ,  ift  bei  bem  burdmuS  unju» 
oerlaffigen  (iljavaftcr  beS  Spanne*  fdjroer  $u  entfeheiben.  So  oiel 
aber  ftef)t  feft ,  bajj  es  ber  S^arin  geringe  ffltyt  f oftete ,  feinen 
SBibcrftaub  $u  brechen. " 

s)lad)  ber  Vertagung  ber  2)ijfibentenfrage  legten  bie  ß \axto- 
röSft'S  bem  Reichstage  einen  neuen  GJeietjentrourf  oor,  ber  bie  Muf= 
hebung  beS  Liberum  Veto  $um  ÖJegenftanbe  liatte ;  bie  ©efanbten 
Ru&lanbS  unb  Greußens  erflärten  jebod):  bie  „polnifche  Freiheit" 
bilbe  ben  foftbarften  Schafc  ber  Nation ,  ben  ihre  Monarchen  in 
ihrer  gürforge  für  biejclbe  ihr  nicht  oerfümmern  laffen  fönnten ; 
fie  müßten  baher  auf  einer  uugejchluächtcn  Wufrechthaltung  be£ 


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SMe  erftc  Teilung  polen« 


581 


Liberum  Veto  befielen  unb  Würben  bic  Annahme  be$  fraglichen 
ßtefefcentwurfä  für  eine  ®rieg3erf(ärung  anfehen.  Um  biefer  Orr* 
flärung  größeren  SRachbrucf  ju  geben,  mürben  fechstaufenb  Muffen 
in  ber  9cahe  Don  SBarfdjau  einquarttrt  unb  äffe  Slbeligen ,  bie  fidj 
bem  SBiffen  SRußtanbS  unb  Greußen*  wiberfefcen  würben ,  oon 
föepnin  mit  ber  ScrWüftung  ihrer  (Mter  bebroht. 

$urch  biefe  SKaßregetn  erlangten  jwar  SRußtanb  unb  Preußen 
bie  SBerjidjtleiftung  ber  (Eaartortoaft'S  auf  ihre  SReformpläne ,  nicht 
aber  bie  (Sntfdjeibung  ber  $)iffibentenfrage  in  ihrem  ©inne.  9cach 
langen  SBerbanblungen  befchloß  ber  9teic|$tag ,  baß  bie  bisherigen 
©taatSgefefce  $u  fünften  ber  fatholifchen  Kirche  in  #raft  bleiben 
unb  ben  $)iffibenten  nur  einige  neuen  Privilegien  ertheilt  werben 
füllten,  liefen  ©efebtuß  be3  Reichstags  erftärte  ffiepnin  für  einen 
SBerratf)  an  Polen  unb  fünbtgte  ber  Republif  im  tarnen  ber 
(£jarin  einen  „9tache^rieg,'  an.  Xen  $önig  aber  befchulbigte  ®atl)a* 
rina  beä  53rudje8  ber  bei  feiner  X^ronbefteigung  bezüglich  ber  $)ifft* 
benten  übernommenen  SBerpflidjrung  unb  brof)te  ihm  mit  (Smtthro* 
nung,  fatld  er  feine  ©eftnnungen  nicht  änbere.  8«  ber  gleiten 
Seit  würben  bie  ritffifdfjen  Xruppen  in  Polen  öerftärft  unb  bie 
$ifftbenten  aufgeforbert ,  ju  einer  bewaffneten  fonföberation  $u* 
fammen^utreten.  $er  eingeflüsterte  fönig  verpflichtete  ftch  in 
einem  eigenhänbigen  ©riefe  an  bie  (£$arin  von  Beuern ,  bie  ©adje 
ber  $ifftbenten  $u  ber  feinigen  ju  machen,  mit  bem  Beifügen,  baß 
er  ftch  felbft  beS  X^rone«  für  verluftig  erflären  werbe ,  wenn  er 
biefe  ©adje  nicht  ju  einem  glücklichen  Ausgange  führe.  $ur  voll* 
ftänbigeu  ^erfteffung  feine«  guten  (Einvernehmens  mit  feiner  £errin 
beburfte  es  jeboch  ber  ©efräftigung  feiner  3ufagen  burch  einen 
vor  Repntn  abgelegten  förmlichen  unb  feierlichen  (Stb. 

2tuf  Wnftiften  ber  Muffen  unb  unter  bem  $rucf  ber  in  Polen 
fteljenben  ruffifchen  Xruppen  bifbeten  fid)  im  9Jcär$  1767  unter 
bem  biffibentifchen  s2lbel  jmei  bewaffnete  $ onföberationen ;  bodj  tra* 
ten  benfelben,  trofc  aller  von  ben  Muffen  angewanbten  SJcittel  ber 
Ueberrebung  unb  Drohung,  nicht  alle  $iffibenten  bei.  Biete  warn* 
ten  ihre  ®laubenSgenoffen  vor  ber  Betheiligung  an  bem  öon  Ruß* 
lanb  »erlangten  bewaffneten  Borgehen ,  ba  es  bie  ©runblagen  do- 
lens erfchüttern  unb  bie  ffiepublif  in  ben  Slbgrunb  ftür^en  werbe. 
§luch  liege ,  fo  erf (arten  fie ,  für  bie  $ifftbenten  feinerlei  Beran* 
laffung  ju  klagen  vor,  ba  bie  Xolerauj,  bie  fie  genöffen  unb  bie 
auf  bem  legten  Reichstag  burch  neue  Privilegien  erweitert  worben, 
«bic  größte  fei,  bie  es  in  (Europa  gebe."  RichtSbeftoweniger  er* 
Härte  Katharina  in  einem  jur  Rechtfertigung  ihrer  Polittf  er* 
(offenen  9Jcanifeft :  bie  $ifftbenten  befänben  ft<h  in  Polen  in  einem 
Suftanbe  ber  Äuechtfchaft,  unb  ba  ade  ihre  bisherigen  Bemühungen, 
fie  berfelben  31t  entreißen,  vergeblich  gewefen,  Ratten  bie  5)iffibenten 


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582 


ßatlmrma  II.  üon  Rufelanb. 


ficfj  genötigt  gefehen ,  oon  ihrem  oerfaffungSmäßigen  fRcc^tc  ®e* 
brauch  $u  machen  unb  eine  $onföberatton  bilben,  um  bie  Unge* 
red)tigfeit  abschütteln  unb  fid)  gegen  bie  Verfolgungen  §u  fdjüfcen. 
3m  „3ntereffc  ber  Humanität"  nehme  fie  biefe  Shmföberation  in 
Schuft,  um  als  aufrichtige  Srcunbin  ^ßolenS  bie  5rcif)cit  unb  <3Jleidjs 
heit  aller  ^ßolen  für  aüe  3u'unft  fieser  ju  fteflen.  Um  aber  etroaige 
Unorbnungen  $u  oerhinbern,  bie  burd)  bie  $iffibenten  entfielen 
tonnten,  habe  fie  in  hochherziger  ©efinnung  ifjre  £>eere  in  $olen 
oerftärft ,  ba  eS  ihr  mütterlid)  fii()Icnbeö  Jperj  höchlidjft  betrüben 
mürbe,  menn  ein  $ole  bas  Vlut  eines  anberen  s$olen  oergöffe. 
Slfle  ^ßolen  fönnten  fid)  ihr  mit  vollem  Vertrauen  anljeim  geben ; 
benn  fie  erftrebe  in  ifn*em  ganzen  Ifyuu  nur  bie  Achtung  (hiropa'ä 
unb  ben  füßen  $roft,  baS  OJIücf  einer  benachbarten  Nation  geför- 
bert  $u  haben.  $aS  Sflanifeft  fdjloß  mit  ber  Verfidjerung :  fie  ver- 
lange gar  Vichts  von  v$olen  unb  toerbc  niemals  irgenb  einen  Wu= 
fprud)  auf  polnifcheS  QJebiet  ergeben;  ja  fie  merbc  bie  Qntegrität 
beS  ßanbeS  fidjern,  tuenn  fid)  irgenb  eine  anbere  SJtacht  je  an  $olcn 
©ergreifen  foüte. 

9flit  ben  beiben  Äonföberationen  ber  Eijfibenten  vereinigten 
fich  im  3uli  1767  mehrere  gleichfalls  burch  bie  Muffen  ins  £ebcn 
gerufenen  ftonföberationen  beS  fatholifchen  Abels  ju  ber  großen 
©eneralfonföberatiou  Don  Rabom,  welche  bie  SSahrung  ber  fechte 
ber  „verlebten  Nation"  unb  bie  Vlufrcchthaltung  ber  „altpoluijchcn 
Freiheit"  auf  ihre  Sahne  ichrieb. 

Sur  rareren  ftörberung  ihrer  Sroetfc  $wang  bie  G^orin  ben 
®cmig  Stanislaus  jur  Snfammenberufung  eines  „außerordentlichen 
Reichstags,"  ber  am  4.  Cftober  1767  ju  3öar|"chau  beginnen  jollte. 
Vor  ber  ©röffnung  beSfelben  legte  Repnin,  ben  Katharina  $um 
^tftator  über  alle  in  ^ßolen  ftehenben  Iruppen  ernannt  hatte,  ben 
Verfammeltcn  einen  Revers  zur  Unterfchrift  vor,  ber  bie  (Srflärung 
enthielt,  „baß  fie  fich  nie  unb  in  feiner  SScife  bem  Verlangen  bcS 
rnffifcheu  VotjdmfterS  luiberfef cn  unb,  falls  fie  bieS  Verjprecben 
nicht  hielten,  fid)  ber  Strafe  beS  Verluftes  beS  WbelS  unb  ber  ©in* 
Ziehung  ihrer  (Mter,  ja  felbft  ber  XobeSftrafe  unterwerfen  würben." 
28er  fich  weigerte ,  biefen  Revers  ju  unterzeichnen ,  fat)  fid)  ben 
graufamften  Verfolgungen  preisgegeben ;  bie  ^aläftc  ber  „renitenten 
Vlbeligen"  mürben  von  ben  ruffifdjen  Gruppen  in  Vranb  gefteeft 
unb  ihre  fiänbercien  verwüftet. 

£em  Vifchof  Soltif  ließ  Rcpnin  mit  ber  Verbannung  nach 
Sibirien  brohen,  falls  er  auf  bem  Reichstage  irgenb  (StroaS  jpre* 
d)en  ober  Hjun  merbe,  was  bem  Hillen  ber  (£jariu  zumiber  laufe. 
?luch  mürben,  um  ben  freimütigen  Vertheibiger  ber  Rechte  feines 
VaterlanbeS  „$ur  Vernunft  zu  bringen,-  ruffifche  Xx Uppen  in  baS 


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Xic  erfte  Teilung  dolens. 


583 


SöiStfjum  ftrafau  Qcfanbt  r  bie  alles  bewegliche  unb  unbewegliche 
SBermögen  beS  SBifcfjofS  mit  93efdilag  belegten,  bie  auf  feinen  (Su- 
tern anfäfftgen  33auern  megfe^teppten  unb  felbft  bie  $irdjengerät()e 
raubten.  9(lS  trofc  aOebem  ber  bocfit)erjige  Patriot  bie  gorberung 
ber  ßjarin,  baß  ber  Reichstag  mit  it)r  einen  Vertrag  fcf)Kef$e,  in 
Welchem  bie  burch  eine  bon  SRepnin  eingefefcte  Äommiffton  urnjuar* 
beitenbe  polnifche  Sßerfaffung  unter  ruffifdje  ©arantie  gefteOt  werbe, 
alö  eine  SBerlefcung  ber  greiheit  holend  mit  aüer  (£ntfd)iebenf)eit 
befämpfte  unb  feine  feurigen  Söorte  auch  Slnbere  $um  Söiber- 
ftanb  hinriffen,  fannte  RepninS  SSuth  feine  ©renjen  mehr.  3u  ber 
Stacht  öom  13.  auf  ben  14.  Oftober  mürbe  ber  33ifd)of  Soltif 
mit  ben  übrigen  freimütigen  Sprechern  gewaltfam  aufgegriffen 
unb  unter  SRi&hanblungen  afler  $Irt  in  baS  3nnerc  öon  Ru&Ianb 
gefchleppt. 

©anj  Sßarfchau  War  über  biefc  OölferrechtSWibrigc  ©ewaltthat 
mit  Trauer  unb  Scfjrecfcn  erfüllt.  $)ie  Repräsentanten  ber  Nation 
eilten  ^it  bem  $önig  Stanislaus,  um  oon  ihm  einen  ^roteft  gegen 
bie  SBillfür  RepmnS  ju  verlangen.  Sie  fanben  ihn  an  feinem 
Sdjreibtifche  im  9ftaleranjug,  umgeben  öon  garbetöpfen  unb  befdjäf= 
tigt,  eine  neue  Sienertracht  für  ben  QahreStag  feiner  Krönung  ju 
entwerfen.  Qhvem  ftürmifchen  drängen  nachgebenb,  ließ  er  ben  ruf* 
fifcheu  Öotfchafter,  mit  welchem  er  ööflig  einöerftanben  war,  311m 
Schein  burch  brei  Senatoren  jur  Rechenschaft  über  feine  greoelthat 
aufforbem ;  als  jeboch  Repnin  ihm  bie  Antwort  jufommen  ließ :  er 
fei  nur  feiner  Souöeränin  Redjenfchaft  fäulbig,  blieb  bie  Sache  auf 
fich  beruhen.  $ie  S^arin  aber  wies  bie  Söitte  um  greigebung  ber 
befangenen  mit  ber  ©rflärung  aurücf:  „$)ie  uneigennützige  unb 
reine  ßiebe,  bie  fie  bem  eblen  ißolfe  ber  <ßolen  juwenbe,  ertaube 
ihr  nicht,  bem  ©ejuche  ju  wiüfalpn,  fonbern  gebiete  ihr,  auf  bem* 
felben  SBege ,  auf  wettern  fie  feiger  baS  ipeil  beS  fiaubeS  erftrebt 
habe,  confequent  fortjuwanbeln.  3hr  Sotfchafter  in  2Barfcf)au  tyabt 
nur  ihre  befehle  bott^ogen ,  als  er  bie  Aufwiegler  aus  bem  Sanbe 
entfernt  habe,  unb  biefe  geinbe  ber  Ruhe  unb  ©cfefclichfett  in 
greifet  fefcen,  r)ieße  baS  £anb  ihren  oerberblichen  v2lnfd)lägen  ge* 
wiffenloS  opfern."  Repnin  aber  erflärte  ben  ÜDatgliebern  ber  Don 
ihm  eingelegten  ßommijfion:  bie  $oleu  hätten  nicht  mehr  baS 
Recht  ju  benfen,  fonbern  nur  ju  fmnbeln,  unb  jwar  fo  ju  hans 
beln,  wie  feine  gnäbige  (Mieterin  eS  üertauge.  SSer  auch 
murre,  ben  werbe  er  als  Rebell  behanbeln.  Seine  Unberjdjämthcit 
ging  fo  weit,  bag  er  in  bie  Elften  beS  Reichstags  bie  Grflärmg 
eintragen  ließ:  „SSknn  man  ber  (£$arm  ntd)t  gehorche,  fo  werbe 
er  Söarfchau  ber  Sßlünberung  preisgeben  ,  baS  Sanb  oerwüften  unb 
allen  SBiberfpenftigen  baS  £>aupt  auf  bem  iölutgerüftc  abfragen 
laffen."    Ruififdje  ©renabiere  umftanben,  in  Schlachtreifen  aufge* 


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584 


ßau)arina  II.  öcm  9hi&Ianb. 


ftellt,  bie  ©tfcungafäle,  immer  bereit,  auf  ben  erften  SBinf  föepnin* 
einzubauen. 

$urch  biefe  ®etr»altma&regeln  fam  bie  (£jartn  $um  S^tc.  $er 
Don  föufclanb  bezüglich  ber  ^teic^fteüung  ber  polnifchen  2)iffibenten 
btftirtc  Xraftat  ttmrbe  unterzeichnet ;  ade  burch  bie  C^artortoSfr* 
unb  ihre  $artei  feit  1764  eingeführten  Reformen  würben  bemichtet 
unb  bie  oon  ber  fommiffton  mit  ftepnin  bereinbarten  neuen  Staate» 
gefefce  unter  ber  auSbrficflichen  ©anetion  be*  Königs  in  ber  gornt 
eine*  für  aQe  Seit  unabänberlich  giltigen  Sertrog*  unter  bie  ®a* 
rantie  ffiufjlanb*  gefteüt.  $a*  Unglücf  <ßolen*  war  befiegelt:  bie 
Hepublif  mar  „faftifä  unb  restlich"  ein  rufpfcher  SafaHenftaai 
geworben. 

Aber  bie  $läne  ber  Gjorin  gingen  noch  weiter.  @ie  wollte 
*ßolen  nicht  nur  ftaatlich  ruffifteiren,  fonbern  bie  polnifchc  Sftationa* 
Iität  burch  bie  Ausrottung  ber  fotholifchen  Kirche  $olen*  für  alle 
Sufunft  ju  Orunbe  richten.  Sßachbem  fie  burch  bie  erwirfte  politifche 
©leicbfteHung  ber  $iffibenten  mit  bem  fotholifchen  Abel  ber  fatbolt* 
fdjen  Kirche  in  $olen  ben  ÖebenSnerb  burchfehnitten  hatte,  trat  fte  offen 
mit  ber  Abficht  beroor ,  burch  bie  ©trichtung  einer  p  o  l  n  i  f  ch  e  n 
SNationalfnnobe  nach  bem  SRufter  ber  „heiligen  ruffifchen 
©rmobe"  *ßolen  bon  SRom  ju  trennen,  moju  ber  fönig  ©tani*lau* 
ihr  fchon  im  Söhre  1764  feine  SWitmirfung  jugefagt  hatte. 

®egen  biefe*  Vorhaben  proteftirten  bie  polnifchen  öifchöfe  in 
einer  an  ben  fönig  gerichteten  ausführlichen  $enffchrift,  worin  fte, 
unter  bem  §tnwei*  auf  ben  feierlichen  <£ib,  burch  welchen  ber 
fönig  fich  bei  feiner  Krönung  jutn  ©dHtfce  ber  fotholifchen  f irdje 
berpflichtet  habe,  au*cinanber  festen ,  wie  bie  bon  ber  Sjarin  ber* 
langte  ©ünobe  ein  bollftänbige*  ©dn*ma  <ßolen*  unb  einen  enblofen 
Sürgerfrieg  herbeiführen  Würbe.  3h«  Sorftellungen  Wie  ihr  <ßro* 
teft  blieben  wirfungSlo* ;  als  jeboch  bie  Aufregung  ber  ©emüther 
im  gonjen  ßanbe  ftch  in  bebenflicher  Söetfe  fteigerte  unb  fchon  oon 
einer  neuen  £ onföberation  bie  föebe  war,  bie  ftch  „für  bie  Freiheit 
be*  Sater lanbeS  unb  bie  Religion"  bilbe,  gab  bie  G^orin ,  bie  es 
nicht  für  gerathen  erachtete,  bie  nationale  Ser$tt>eiflung  auf*  Aeu* 
fcerfte  ju  bringen,  ihrem  ©otföafter  bie  Söeifung,  bie  ©ünobe  bor* 
läufig  fallen  ju  laffen. 

gn^mifchen  war  jeboch  unter  ben  polnifchen  Patrioten  ber  <ßlan 
ju  einem  bewaffneten  SBiberftanbe  gegen  bie  öon  föepnin  im  tarnen 
ber  Gjarin  ausgeübte  GJewaltherrfchaft  jur  Steife  gefommen,  unb  am 
29.  Sebruar  1768  oereinigten  fta)  alle  eblen  <ßolen  ju  ber  beroaff* 
neten  f  onf  öber  att  on  oon  Sar,  umpolen  oon  bem  ruffifchen 
3od)e  ju  befreien.  Qu  ber  gleichen  3eit  proteftirte  auch  $apft  Sie- 
men* XIII.,  ber  in  dtom  einen  allgemeinen  Sittgang  für  bie  (ihr* 
haltung  ber  polnifchen  $  irct)c  angeorbnet ,  gegen  bie  ©ewaltfchritte 


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2)ic  erfte  Xhetluna  3Solen$. 


585 


bcr  rufftfchen  $errfcherin.  föepnin  oerböhntc  biefen  *ßroteft,  nrie  bic 
9Jcaf}regeln  bcr  polnifcben  Patrioten.  SSBibcrftonb  gegen  feine  $errin, 
fagte  er,  fei  fruchtlos,  ©eine  #errin  fei  allmächtig. 

SRachbem  fidj  juerfi  bie  99ebö(ferung  ber  buret)  bie  türfifche 
ÜRachbarfcbaft  gebeeften  Sßrooinj  <ßoboIien  gegen  bie  ruffifebe  Xtjran« 
nei  erhoben,  bilbeten  ftcb  in  allen  ^romnjen  bewaffnete  <Scr)aaren, 
unb  fchon  im  2lprU  1768  begann  ber  #ampf  mit  ben  im  Öanbe 
jtehenben  SRuffen,  mit  meldjen  ber  oerrätherifche  flönig  <Stani3lau& 
aurf)  feine  fironöölfer  oereinigt  f>attc.  Katharina  felbft  tiefe  am 
29.  ÜJtoi  buret)  ihren  ©otfehafter  bie  Äonföberirten,  an  beten  ©pijje 
neben  3ofepf)  ^ulanröfi  ,  bem  eigentlichen  Urheber  ber  SBerbinbung, 
ber  05raf  ^otoeft,  ber  Sürft  SRabjinul  unb  biete  anberen  angefehe« 
nen  potnifchen  Großen  ftanben ,  für  „ftrafmürbige  Stebetlen  unb 
Seinbe  ihres  JBaterlanbeS"  erflären,  $u  beren  SBerniehtung  pe  in 
ifjrer  uneigennützigen  JBorforge  für  ^ßolen  neue  Xruppen  abfenben 
toerbe.  2fucr)  Sriebridj  II.  ließ  ben  $oten  am  9.  Quni  eröffnen: 
(£r  betraute  bie  ftonföberirten  öon  $8ar  ate  „©törer  ber  öffentlichen 
föube,"  bie  unter  bem  falfchen  Vorgeben,  Religion  unb  Sreiheit 
ju  fdjüfcen,  tr)r  SBatertanb  in  bie  größte  9cot§  ftürjten,  unb  beharre 
una6änbertich  bei  ben  SWa&nahmen,  bie  er  im  ©unbe  mit  SRu&lanb 
jum  SBohle  ber  SRepubüf  getroffen. 

Söäfjrenb  ber  s-Öifrf)of  Don  Äaminiec  bie  ®onföberirten  bringenb 
ermahnte,  ftdt)  jeber  (SJemaltthätigfeit  gegen  bie  5)iffibenten  $u  ent* 
Ratten ,  bamit  ba$  burrf)  föufjlanb  betrogene  Suropa  erfenne ,  ba§ 
ihr  ßrieg  fein  SRettgion&frieg  fei ,  rief  Katharina  am  20.  Quni  bie 
roilben  Horben  ber  S^poreger  ®ofafen  unb  ber  $aibamafen  jum 
Kampfe  gegen  bie  ^ßoten  auf  unb  entfeffefte  beren  religiöfen  Sana* 
tiämuS  burd)  ein  gräftfidjeö  9Jcorbebift,  in  roeldjem  ftc  ben  ^Tnfüt)* 
rem  berfelben  SBefeljt  gab,  „im  Qntereffe  ber  oerfotgten  ^eiligen 
Religion  mit  £>ilfe  (Stotteä  ade  $olen  unb  Hubert  auszurotten  unb 
nieberjume^eln."  2Bte  rei&enbe  SBölfe  fielen  bie  3&P°rc0cr  unb 
£>aibamafen  in  $oIen  ein,  brannten  $HIe3  nieber  unb  ermorbeten, 
öon  ruffifdjen  $open  angefeuert,  Xaufenbe  oon  grauen  unb  ®inbern, 
©reifen,  Sttöndjen  unb  Tonnen,  bie  nicht  jur  fchtSmatifchen  Kirche 
gehörten.  3)ie  in  Sßoten  ftehenben  rufftfchen  Xruppen  überboten  fte 
unmöglich  noch  in  entfejjenerregenben  ©raufamfeiten.  mürben 
fogar  befonbere  *8orfdjriften  gegeben,  nrie  bie  gefeffetten,  ungfücftichen 
6a)Iaajtopfer  (angfam  ju  erbroffeln,  ju  erbolcr)en  ober  burch  anbere 
furchtbare  lobeSqualen  $u  martern  feien. 

Vergeben*  riefen  bie  ®onföberirten  in  oerfdjiebenen  berebten 
SWanifeften  alle  SJcädjte  ©uropa'*  um  ^ilfe  an  „für  it)r  arme«,  jer^ 
treteneS  iöaterlanb,  bad  bie  (Ijarin  unter  lügnerifdjen  Sorfpiegetun* 
gen  ööttig  ju  unterjochen  fich  anfehtde" :  —  bie  europaifdjen  älcdchte 
hatten  fein  #er$  für  bie  Seiben  ^olen*.    9cur  smei  berfelben  tra* 


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586 


Katharina  II.  bim  IRu&lanb. 


ten  für  bic  gefnechtete  Lotion  ein:  ber  ?apft  Siemen«  XIII.  burch 
bic  traft  be*  apoftolifcfjen  SBorte*  unb  ber  Sultan  9ttuftapha  III. 
burch  bic  Entfaltung  t>on  Söaffengeroalt. 

$ie  «ßfortc,  bie  fich  lange  8«*  Du*<h  bie  SBorfpiegelungen 
föußlanbS  nnb  s£reu&ena,  ba&  man  „nur  jum  Sdjufce  ber  pol- 
niföen  greiheit  Gruppen  in«  fianb  gefdueft  ^abe  unb  gar  nicht 
baran  benfe,  bort  Eroberungen  ju  machen,"  I)attc  tauften  laffen, 
tourbe  burch  ba$  entfefcenerregenbc  ©lutbab ,  ba£  bie  ruffifchen 
Xruppen  bei  ber  «erfolgung  ber  $ onföberirten  auf  türfifcheä  be- 
btet in  ber  Stabt  93atta  angerichtet,  im  Oftober  1768  jur  Srieg^ 
erflärung  an  föu&lanb  betoogen.  „Erröthen  Sie  nicht",  fagte  ber 
©ro&beaier  ju  bem  ruffifchen  ©efanbtcn  in  Sonftantinopel ,  „oor 
G*ott  unb  oor  ben  3ttenföen  über  bie  Brauel,  melche  bie  ruffifchen 
Xruppen  sunt  $>ofm  aller  göttlichen  ÖJejefce  unb  jur  Schmach  ber 
SJeenfehheit  in  ^ßolen  begangen,  in  einem  Öanbe,  ba3  euch  nicht 
gehört?"  Um  ßefterreich  für  bic  93ethciligung  am  Kriege  $u  ge* 
»innen,  bot  bie  Pforte  bem  Liener  ftof  jur  SHtebereroberung 
Sdjlefien3  unb  jur  Erhebung  beS  fturfürften  oon  Sachten  auf  ben 
polnifdjcn  X\)ton  alle  mögliche  Unterftüfcung  an;  aber  ber  SBiener 
£>of  mar  nicht  jum  Stiege  &u  bewegen.  Cefterreich,  fo  ließ  ber* 
fclbe  in  Sonftantinopcl  erttäreu,  fei  gewohnt,  fein  gegebene«  SBort 
ju  Ijnltcn,  unb  wolle  be0t)al6  Weber  ben  mit  bem  Sönig  oon  $reu* 
§en  oor  einigen  fahren  abgefchloffencn  ftriebeu  brechen,  noch  gegen 
ben  oon  ihm  anerfannten  ttönig  Stanislaus  v$ontatowäfi  oon  ^So- 
len auftreten. 

Katharina  erliefe  ihrerfeitö  gegen  bic  türfit  che  SriegSerflärung 
am  18.  9cooember  1768  ein  s)Jcanifeft,  in  welchem  fie  alle  %f)at* 
fachen  entftellenb,  auch  ocn  Stieg  gegen  bie  Pforte  als  einen  9te* 
ligionäfrieg  proflamirte.  Sic  tyabt ,  fo  erflärte  fie,  "flUe«  auf- 
geboten, um  biejen  Sricg  ju  oerhüten ;  ba  fie  aber  ju  bemfelben 
gejmungen  worben,  jo  erflehe  fie  oom  Jpimmel  ben  Sieg  für  ihre 
$>eere,  „weil  c$  fich  ja  um  bic  Ehre  beä  ^eiligen  göttlichen  tarnen« 
unb  um  bic  «ertheibigung  ber  ^eiligen  orthobojen  Kirche  ^anble, 
bamit  ber  Xobfeinb  be3  chriftlichen  tarnen«  $u  ©oben  gefchmettert 
werbe." 

llnterbcffen  bauerte  in  $olen  ber  erbitterte  sJtationalfampf 
gegen  eine  frembe  revolutionäre  llebermacht  fort,  unb  feine  Schrecfcn 
mürben  erhöht  burch  eine  oerhecrenbe  $eft,  burch  SSiehfcnchen  unb 
$mngcrdnotl).  Unzweifelhaft  fochten  bie  tyotew  mit  bcmjelbcn 
Spechte,  mit  welchem  fpäter  bic  £uroler  unb  bie  Spanier  gegen  bie 
Jraujofen  fämpften  unb  mit  welchem  bic  ^eutjehen  in  ben  3rci- 
heitäfriegen  fich  flogen  bic  franjöfijchc  $)iftatur  erhoben.  „Moer 
ber  polnifche  9cationalfampf",  fagt  3anffcn,  „mar  nicht,  mie  ber 
ber  Xnrolcr,  Spanier  unb  beä  gefammten  2>cutichlanb«,  ein  Sampf 


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$te  erfte  Teilung  $olen*. 


587 


be«  ganzen  93oIfe^f  fonbern  nur  ein  ®ampf  jene«  ©tanbe«,  ber  fid> 
bisher  in  $olen  allein  für  bie  Lotion  gehalten,  ein  ®ampf  be« 
${bel«.  Unb  barin  log  feine  ©djroäd)e  unb  ber  ©runb  feinet  Wifc 
lingen«.  $)ie  ©ärger  blieben  ruhige  Sufdmuer,  unb  nodj  weniger 
trotten  bie  gefned)teten  Bauern  für  bie  abeligen  ®ut«f)erren  jum 
©djmerte  greifen :  Bürger  unb  dauern  beteiligten  fid)  in  $olen 
an  bem  tampfe  nur  burd)  grauenhafte«  Seiben.  9ßur  ber  ifolirte 
2lbel  fodjt  unb  lernte  in  feiner  Jffolirtfjeit  fennen,  roa«  in  Reiten 
ber  Sftotl)  bie  Unterbrütfung  bc«  ^Bürger*  unb  Söauernftanbe«  be- 
beutet.  216er  ber  2lbel  fodjt  mit  einem  TOutr),  einer  9lu«bauer 
unb  einer  Dpferuritligfeit,  bie  unfere  öolle  ©umpatljie  oerbient.  (£« 
mifdjten  fid>  in  feine  kämpfe  aüerbtng«  fct)r  Diele  uneble  (£le* 
mente  ein,  e«  fanben  gegen  bie  Dhtffen  graufame  SRepreffalien  Statt, 
e«  Ijerrfdjte  Uneinigfeit  aroifdjen  ben  Sötern;  aber  im  9lllgemei* 
neu  gebüljrt  ben  $onföberirten  ba«  Sengniß,  baß  fie  inuerlid)  größer 
mürben,  je  grüßer  bie  fie  umgebenben  ®efaf)ren,  baß  fie  fiel) ,  öon 
OTen  Derlaffen,  oon  ifyren  Seibcnfdjaften  ju  reinigen  fugten  unb 
äugleid)  ben  Politiken  ßJrunb  ifyrer  S$roäd)e  erfannten.  SSäfjrenb 
ir)r  SBlut  auf  ben  ©djladjtfelbern  für  bie  Befreiung  $olen«  in 
Strömen  floß,  gingen  fie  bie  tüdjtigften  ©eifter  (Suropa'«  um  9tat(j= 
fernläge  an,  meldje  SSerfaffung  fie  bem  Skterlanbe  geben  follten,  menn 
üjncn  beffen  ^Befreiung  gelungen." 

Qnjmifdien  roaren  in  2Sarfd)au  burd)  bie  ©jartort)«^«  unb 
ben  eblen  ©rafen  3°m°töft>  ber  9ieformpartei  beigetreten,  neue 
SReformpläne  entmorfen  morben,  nad)  melden  bie  polmfdje  S8er- 
faffung  nad)  bem  9)hifter  ber  englifc^eu  umgebilbet  merbeu  füllte. 
$>a  ju  ber  $urd)füf)rung  biefer  $lane  bor  Willem  bie  $actfifation 
^Solenö  nötfng  mar,  fteöte  bie  SReformpartei  öm  29.  September 
1769  in  bem  (Senate  ben  Eintrag,  bie  Vermittlung  (Snglanb«  unb 
£>oflanb«  nadjjufudjen,  um  einerfeit«  bie  Pforte  jur  5luff)ebung- 
ber  gegen  ben  $önig  bon  $olen  erlaffenen  ®rieg«erflärung  ju  bc* 
megen  unb  anbererjett«  uon  ber  ßjarin  bie  Sreigebung  ber  ge- 
fangeuen  $Mfd)öfe  unb  (Senatoren,  fomie  bie  3urüa*5iet)ung  ifjrer 
Xruppen  au«  $olen  unb  bie  2luff)cbung  ber  burd)  3tepuin  auf 
bem  legten  9teid)«tagc  er$mungenen  Stipulationen  ju  erlangen. 
9?ad)bcm  ber  Senat  biefe  $orfd)läge  am  6.  Dftober  1769  juin 
53efd)luß  erhoben,  mürben  brei  (Sefanbte  nad)  ©nglanb,  SRußlanb  unb 
Sranfreid)  abgefdjirft.  $er  ®önig ,  ber  f)tcrju  feine  Suftimmung 
gegeben,  erlnelt  bafür  oon  ^ßanin  im  Tanten  ber  S^artn  eine  ftrenge 
|(ured)tn)cifung  mit  ber  $)rolmng,  baß,  faß«  er  fid)  nidjt  beffere,  bie 
C^arin  jum  Vleußerften  fdjreitcn  merbe;  bie  (£$artorl)«fi'«  unb  an* 
bere  Sttitglieber  ber  SReformpartei  aber  mürben  für  ir)re  „(Empörung" 
burdj  bie  23efd)lagnafjme  ir)rer  ©üter  beftraft. 

£a  ber  $önig,  um  bie  öolle  ©unft  feiner  58efd)üfcerin  mieber 


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588 


Äatfarina  II.  üon  föu&lanb. 


jii  erlangen,  feinen  Sifer  gegen  bie  $onföberirten  oerbopöelte ,  er 
Härten  ifjn  biefe  am  9.  Slpril  1770  (einer  SBörbe  öertuftig.  $ett 
legten  ©djein  oon  Sftacht  unb  Shtfehen  oerlor  er  in  Sßolen  nach 
bem  geheimnifcoollen  „Attentat"  Dom  3.  Wooember  1771.  Site  ber 
&ünig  am  9lbenb  btcfcd  Xage$  jroifchen  neun  unb  $ehn  Uhr  ba§ 
£au3  feinet  Dhcim$,  beft  ®ro&fanater«  Don  ßitthauen,  oerlie&, 
rourbe  er  oon  jmölf  bid  fünfzehn  Männern  überfallen,  bie  ihn  au§ 
bem  SBagen  riffen,  feine  Begleitung  jerftreuten  unb  ihn  felbft  au3 
ber  ©tobt  roegführten,  wobei  er  burch  ein  jmeimalige*  ©türmen 
feine*  Sßferbeä  eine  Duetfa^ung  an  ber  Unten  (Seite  erhielt.  ®a 
feine  (Entführer  brausen  im  ©e^ölj  baä  herannahen  ruf  fif  eher 
Gruppen  ju  hören  glaubten,  jertreuten  fte  fich;  nur  ein  einziger, 
Äofinäfö,  blieb  bei  bem  $önig  unb  braute  Um,  gegen  bie  3ufage 
DoUftänbiger  93egnabigung,  in  ber  grühe  beS  9ttorgen$  nach  2Bar* 
fdt)au  aurücf. 

Obgleich  ba3  angebliche  Sittentat,  als  beffen  Stnftifter  *ßulan>aft 
bezeichnet  mürbe,  aller  S3ahrfcheinlich?eit  nach  Don  ben  Gegnern 
ber  ®onföberirten,  mit  ober  ofme  SBornriffen  be8  Königs,  in  Scenc 
gefegt  morben,  um  biefetben  als  ®önig3mörbcr  ju  branbmarfen, 
unb  bie  ftonföberirten  in  mehreren  ^enffc^riften  feierlich 
theiligung  ober  SÄitmiffenfchaft  an  bemfelben  in  Slbrebe  ftellten, 
hatte  baSfelbe  boch  bie  gemänfehten  Jorgen.  Än  ben  au&roärtigen 
£öfen  fanben  bie  $arftcllungen  ber  Agenten  SRu&lanbS  unb  <ßreu= 
&en3  (Glauben,  unb  bie  #onföberirten  galten  feitbem  im  StuSlanbe 
als  „2Känner  be*  ©chrecfenS",  bie  meber  #ilfe  noch  TOtfttb  üer* 
bienten.  $)er  ßönig  ©taniSlauS  aber  warf  fid)  öottftanbig  ben 
Muffen  in  bie  ftrme. 

Unterbeffen  hotte  ber  #rieg  ®atharinaf3  gegen  bie  Xürfen,  in 
metchem  fte  üou  griebrich  II.  burch  reiche  ©ubfibien  unterftü&t 
mürbe,  einen  günftigen  Verlauf  genommen.  3h*  Selbherr  SRo* 
manjom  hatte  bie  Eflolbau  unb  bie  SBadachei  erobert,  unb  ®atha* 
rina  fchien  entfchloffen,  beibe  Sänber  bauernb  ihrem  deiche  einju* 
Derleiben.  $)iefe  (Erfolge  erhöhten  burch  föufjlanbS  bominirenbe 
©tellung  in  ^ßolen  gemeeften  SBeforgniffe  3riebrich&  für  bie  Unab* 
hängtgfeit  feine«  eigenen  ©taateS ;  er  nahm  baher  ben  alten  ^ßlan 
einer  Xheilung  *ßolenä  oon  Beuern  auf,  in  ber  Hoffnung,  baburch 
bie  C^ann  *u  einem  billigen  ^rieben  mit  ber  Pforte  beftimmen  ju 
fönnen  unb  auf  biefe  SBeife  meiteren  Eroberungen  SRu&lanbS  im 
©üben  öorjubeugen.  ftach  bem  oon  ihm  entworfenen  Xheilungä* 
projefte  foHte  föujjlanb  ihm  felbft  ^olnifch^reuSen,  ©rmelanb  unb 
baS  ^roteftionärecht  über  Stonjig  überlaffen,  bem  SBiener  £>of  für 
beffen  öeiftanb  gegen  bie  dürfen  bie  ©tabt  ßemberg  unb  ihre  Um= 
gebungen  anbieten  unb  für  fkh  felbft,  als  (Sntfchäbigung  für  bie 
gegen  bie  dürfen  aufgemanbten  IhtegSfoften,  biejenigen  X^ctlc  oon 


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5>ie  erftt  Teilung  $olcn3. 


589 


Polen  anneftiren,  bic  if>m  paffenb  fduenen.  XiefeS  Xf)cUung«projeft 
fanb  jcboc^  in  Petersburg  feinen  Slnflang,  ba  Katharina  bereit* 
ganj  Polen  als  if>r  geftcherte«  ©igenthum  betrachtete. 

9Ra<h  bem  Sehtfölagen  feine«  X^eilungdplond  fc^Iog  fich 
JJriebrich  ber  Politif  Defterreich«  an,  ba»  oon  Anfang  an  anritten 
föußlanb  unb  ber  Pforte  §u  ©ermitteln  gefucht.  Um  ein  öoflftän* 
bigeä  3ufammengef)en  mit  bem  SBiener  #ofe  ju  erzielen,  ^atte  er 
am  3.  September  1770  bie  oben  (6.  520)  ermähnte  Sufam* 
menfunft  mit  $ofeph  II.  ju  fteuftabt  in  Fähren,  ©chon  bei  ber 
erften  3ufammenfunft  beiber  üttonardjen  ju  Steige  im  Auguft  1769 
hatte  3ofeph  bem  ftönig  erflärt,  meber  Sttaria  X^erefia  noch  er 
mürben  je  julaffen,  baß  bie  Muffen  im  Befifce  ber  2Mbau  unb 
ber  SBaflat^ei  blieben,  unb  biefe  ©rflärung  mieberholte  jefct  ber 
bei  ber  3ufamnienfunft  in  gfouftobt  anmefenbe  SWiniftcr  Äaunifc, 
inbem  er  lebhaft  bie  (Gefahren  Gilberte,  meldte  für  Europa  au& 
bem  Uebergetoichte  föußlanbs  ju  ertoarten  feien.  Xem  Antrage 
einer  öftemichifch-preußifchen  Kilians,  bie  töaumfc  als  beu  ein j igen 
$)amm  bezeichnete,  ben  man  gegen  ben  „überfchtoellenben  ©trom" 
errieten  tonne,  welcher  ganj  (Suropa  ju  überfluten  brofje,  mich  grieb- 
rief)  and ;  bagegen  f am  jjütfcr)cn  ihm  unb  3ofep^  eine  Vereinbarung 
über  eine  gemeinfame  Qnteröention  in  bem  rufftfcfctürfifdjen  Kriege 
ju  ©tanbe,  unb  nadjbem  noch  mäf)renb  ber  3ufammenfunft  beiber 
Üftonarchen  ein  Kurier  auä  Äonftantiuopel  bie  Nachricht  gebracht, 
baß  bie  Pforte  bie  preußtfeh-öftemichifche  Qnteroention  annehme, 
bot  Sriebric^  s2We3  auf,  um  bei  ber  G^orin  baä  (Bleiche  ju  er- 
langen. 

Tie  polnifdjen  Angelegenheiten  mürben  $mar  auch  5U  Sfauftabt 
$ur  Sprache  gebracht;  boch  muß  bie  Behauptung,  baß  bort  bereit* 
über  eine  Xheilung  Polend  oerhanbelt  toorben,  aU  irrig  bezeichnet 
merben.  SRichtäbeftomeniger  befehlen  bie  Defterreicher,  fur$  nach 
ber  3"fömmenfunft  in  Stteuftabt,  in  ber  $i$\tx  ©efpannfdmft  brei* 
jehn  Üftarftflecfen  unb  einige  fmttbert  Dörfer,  meldte  Äönig  6igi3* 
munb  oon  Ungarn  im  3at)re  1712  an  Polen  ücrpfänbet  hatte. 
3u  ber  gleichen  $eit  ließ  audj  Sriebrich  IL,  angeblich  um  ©renj* 
oerlefcungen  gu  beftrafen  unb  fein  Sanb  gegen  bie  in  Polen  au£» 
gebrochene  peft  ju  fdjüfcen,  feine  Xruppen  in  Polnifch5Preußen 
einrüefen  unb,  außer  (Srrmelanb  nebft  einem  2 heile  ber  palatinate 
oon  ihünt  unb  Polnifch*Pommern,  bie  läng*  ber  fchlefifchen  ©renje 
gelegenen  Xiftrifte  ber  Palatinate  oon  Äalifdj  unb  Pofen  befefoen. 
Xabei  jmang  er  bie  jungen  polnifchen  s-önrjd)en  §um  Eintritt  in 
ba*  preußifc|e  £>eer,  maijrenb  bie  heiratsfähigen  Xödjter,  melche 
bie  (Altern  mit  ißieh,  ©elb  unb  ©erätfje  nach  SBorfd)rift  auäfteuern 
mußten,  nach  {nnterpommero  gebracht  unb  bort  an  Scanner  öerhei* 
ratzet  mürben,  bie  ihnen  bis  balun  gang  unbefannt  gemefen. 


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590 


5hit^arina  II.  Don  SHufrlanb. 


Obgleich  Defterreidj  in$roifd)en  eine  immer  brofjenbere  &aU 
iung  gegen  SRußlanb  angenommen  Ijatte,  unb  ber  Ürieg  jmif^en  beiben 
dächten  unDermeiblidj  fd^ien,  gelang  ei  bem  $önig  Don  Greußen 
nic^t,  bie  (£$arin  jur  £>erabfefcung  ifjrer  übertriebenen  griebenäbc= 
bingungen  ju  bemegen;  er  fat)  ftd)  fogar  felbft  Don  tt)r  mit  einem 
Uebcrmuth  bebanbelt,  ber  if)u  tief  oerlefete.  9*id)tabeftomeniger  gab 
er  {einem  ©ruber  $einrtd),  ben  er  im  Dftober  1770  mit  neuen 
©crmittlungSDorfdjlägen  $ur  Herbeiführung  eine«  griebenä  mit  ber 
Pforte  nad)  Petersburg  gefanbt  hatte,  bie  SBeifung,  mit  Sobfprüchen  auf 
bie  (Sjarin  nic^t  )U  geilen,  unb  oerichmenbete  felbft  in  ben  jum 
©orjeigen  beftimmten  ©riefen  eine  güUe  ber  au*gefuchteftett  Schmeiche* 
Ieien  gegen  biefelbe.  Deffenungea^tet  lieft  fid)  tatfmrtna  mit  bem 
^rinjen  Heinrich,  ben  fte  übrigens  mit  großen  ©hrenbeaeigungen 
empfangen,  in  (einerlei  ©erhanblungen  bejüglid)  be*  griebenä  ein, 
unb  ate  griebrich  brängte,  fteHte  fte  ©ebingungen,  bie  ber  Hönig  meber 
in  SSien  noch  in  ftonftantinopel  mitjutheilen  magte  unb  bie  tym 
felbft  wie  ein  Spott  gegen  Greußen  erfdueuen. 

3nbeffen  mürbe  bie  ^axiw  auberen  Sinne«,  nachbem  fie  Don 
ber  ©efefcung  ber  Sipfer  ®efpannfchaft  burdj  bie  Oefterrei^er  $unbe 
ermatten,  unb  am  8.  Januar  1771  gab  fie  bem  ^rinjen  jpeinridj 
$u  üerftetjen,  baß  fte  e*  nach  bem  Vorgänge  DefterreUh*  natürlich 
ftnben  werbe,  menn  auch  griebrich  jugreife  unb  (Srmelanb  in  ©eftfc 
nehme.  f?riebricr),  bem  fein  ©ruber  fofort  Don  ber  mit  ber  Sjartn 
gehabten  Unterrebung  Nachricht  gab,  ichrieb  bemfelben  anfangt,  er 
halte  ben  $rieg  $mijchen  SRußlanb  unb  Dcfterreid)  für  unoermeib* 
lieh  unb  ^offe,  größere  5öortt)ciIc  51t  erlangen,  menn  beibe  dächte 
ftch  im  Kriege  erfd)öpft  haben  mürben;  ba*  ©iäthum  ©rmelanb  fei 
$u  unbebeutenb,  „um  ihn  für  baä  ÖJcfchrei  }tl  entfehäbigen,  baä  bie 
Sache  erregen  werbe."  9tadj  ber  SRüdfehr  feinem  ©ruber*  nach 
©erlin  änberte  er  jeboch  feine  Anficht  unb  ließ  bureb,  feinen 
fanbten  in  Petersburg,  ben  (trafen  Solms,  ber  Gjarin  auf*  9ieue 
ben  ©orfdjlag  machen,  fict>  bie  ($ntfd)äbigung  für  bie  ShricgSfoften, 
auf  meiere  fte  mit  :>ied)t  ftnfprudj  ergeben  tonne,  bind)  poluifche 
(&ren$proüinjen  $u  Derfchaffeu,  ba  ja  ohnehin  polen  bie  eigentliche 
©eranlaffung  beS  Krieges  gemefeu.  2luch  er  müffe  bann,  fo  erflärte 
er,  jur  itufrec^t^altung  beS  ÖHcichgeioichtS  gegen  Defterretch  üd; 
einiger  polnifdjen  (Gebiete  bemächtigen,  bie  ihm  ebenfalls  $ur  Gnt- 
fchäbigung  für  bie  ber  Malierin  geilten  Subfibien  bienen  wür* 
ben;  bodj  merbe  er  fid)  mit  bem  palatiuate  Don  Hülm  ober  bem 
(Gebiete  Don  Sftartenburg  unb  bem  ©idtt)um  (Jrmelanb  begnügen, 
fall*  SRußlanb  für  bie  übrigen  Don  üjm  beanfpruchten  (Gebiete 
Schnrierigfetten  mache,  ©e^üglich  ber  ©erhanblungen  mit  ben  Xürfen 
merbe  er  Vilich  aufbieten,  bamit  ber  grtebenSjchluß  für  9tußlanb 
ein  glorreicher  merbe.    2luf  bie  s2ltttmort  beS  (trafen  pauiu,  Daß 


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$)ie  erfte  Teilung  $olenS. 


591 


man  über  baS  oon  griebrich  oorgelegte  X^cilung^projeft  feine  &nU 
fcheibung  treffen  tonne  r  bebor  man  beftimmt  ttnffe,  mie  ftch  ber 
Söiener  &of  ju  bemfelben  fteüen  werbe,  fitste  griebrich  btefen 
buret)  bte  $ermittelung  beS  öfterreidufchen  ©efaubteu  Dan  ©mieten 
in  Söerlin  für  ben  Xljctfungäplan  ju  gewinnen;  biefer  erhielt  jebod) 
auf  feinen  nact)  SBien  gefanbten  Bericht  oon  launig  bie  Antwort: 
eine  X^eilung  dolens  fei  mit  ju  großen  ©chmierigfeiten  unb  &t-- 
fahren  oerbunben  unb  mürbe  unberechenbare  Vermittlungen  mit  ben 
übrigen  europäifdjen  dächten  t)erbetfü^ren;  et  rathe  bafyer  öon 
einer  folgen  ab  unb  berfpredje ,  bag  Defterretcr),  obgleich  es  nur 
ein  ihm  jugehörigeS  Territorium  befefet  habe,  feine  Xruppcn  aus 
Polen  aurücfjie^en  werbe,  fobalb  fRuglanb  unb  <ßreugen  bie  irrigen 
iurücfjögen. 

©tatt  biefe  Antwort  in  Petersburg  mitjut^eilen,  liefe  griebrid) 
ber  (Ssariu  feine  Suüerficht  auSbrütfen,  bag  Defterreich  ftet)  ben 
ruffifc^preugifchen  Slnnerwnen  in  Polen  nicht  mit  ben  SBaffen  in 
ber  £anb  miberfefeen  unb  bag,  wenn  SRuglanb  auf  bie  SMbau  unb 
bie  SßkUadjei  oer^te,  Meä  olme  ©tutoergiegen  ablaufen  merbe. 
SRuglanb  möge  mit  Defterreid)  bezüglich  be$  mit  ben  Xürfen  }U 
fcr)tiegenben  grieben*  in  Unterhaltungen  treten  unb  ftct>  mit 
Preugen  über  bie  Erwerbungen  Oerftänbigen,  bie  man  rufjiföcr 
unb  preugifcherfeita  in  Polen  machen  wolle.  TO  ftafttaitb  mit  ber 
Antwort  jögerte,  mürbe  ber  ©raf  ©olmd  ermächtigt,  bem  trafen 
Panin  $u  erMaren:  ber  Äönig  taffe  oon  feinem  bezüglich  Polens 
gefugten  Plane  nict)t  mehr  ab,  unb  menn  sJiuglanb  feine  beftimm* 
ten  gufic^erungen  gebe,  fo  fönne  er  nicht  bafür  fteüen,  me(ct)e  par= 
tei  berfelbe  auf  eigene  gauft  ergreifen  merbe.  3)iefe  brohenbe 
©pradje  bemog  bie  Q^arin  jum  Nachgeben.  3)a  bie  mUitärifdjen 
mie  bie  finanziellen  Gräfte  i(jre§  deiche*  burch  ben  Xürfenfrieg  er* 
fdjöpft  maren  unb  überbieä  eine  furchtbare  Peft,  bie  fich  öon  ber 
9Mbau  unb  ber  polnifdjen  Ufraine  au«  über  ben  grögten  Xr)cil  oon 
SRuglanb  oerbreitete  unb  ungeheuere  Verheerungen  anrichtete,  fomie 
bie  maffenhafte  s2luäroanberung  ber  ftalmücfen  unb  bie  brohenbe  Jpat= 
tung  ber  ftofafen  ihr  groge  Verlegenheiten  bereiteten,  tydt  fie  e3 
Slngeficht«  ber  fortgefejjten  ftrtegärüftungen  DefterreichS  für  bebenf* 
lieh,  b\c  treue  Vunbeägenoffenfchaft  griebrich^  auf*  ©piel  ju  fefcen ; 
fie  ermächtigte  baher  ben  (trafen  ©olmä  unteim  1.  3uni  1771, 
feinem  ftönig  $u  melben,  bog  fie  $u  ber  Xheilung  Polens  ihre  3"= 
ftimmung  gebe  unb  beffen  bieSbesügliche  näheren  Vorfchläge  erwarte. 
2Bär)renb  über  biefelben  jmifchen  Stuglanb  unb  Preugen  öerfwnbelt 
mürbe,  gab  Katharina  aufs  Weite,  511m  ftebenten  äRale  feit  ihrer 
Xhronbefteigung,  bie  feierliche  (Srflärung  ab,  bag  fte  nie  eine  jpanb 
breit  polnijchen  (Gebietes  fid)  aneignen  merbe. 

Unterbeffen  hatte  Defterreich,  baS  im  Qntereffe  feiner  eigenen 


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592 


tfatf)arina  II.  i?on  SHufelanb. 


Sftadjtftclhmg  bie  35onaufürftentf)ümer  nidjt  an  SRujjfanb  fomtnen 
laffen  burfte,  unterm  16.  3uli  1771  mit  ber  Pforte  einen  geheimen 
Snbfibienoerttag  jur  bewaffneten  griebenduermittlung  gefcfyloffen, 
in  meinem  beibe  ättädjte  fid>  jugleicfy  gegenfettig  bie  Buiage  gaben, 
baß  bie  Unabfyängigfeit  unb  greiljeit  $o!en£ ,  meldjefc  ben  ftrtcg 
öeranlaßt  Ijabe ,  {einerlei  (Einbuße  erleiben  fotte.  9tad>  bem  §lb= 
fcf)(u6  biefefc  ©ertragt  erneuerte  SWaria  Xtyerefia  iljre  öemüfmngen, 
ben  mit  tf)r  öerbünbeten  $of  oon  SBerfaille*  ju  energifdjen  9fta&s 
regeln  im  Qntereffe  ber  ^acipfation  $olen&  ju  üeranlaffcn,  für 
meldje  fie  einen  etngeljenben  $(an  entworfen  fmtte,  ber  geeignet 
gemefen  märe ,  bie  Integrität  unb  innere  ffiulje  ber  töejmbltf  511 
fiebern;  im  SRobember  1771  mürbe  ifjr  jebod)  burdj  ben  franjöfi)d)en 
(Uefanbten  in  SBien  bie  (Eröffnung  gemalt,  ba&  jtdj  ber  ftonig 
öon  granfreid)  meber  unmittelbar  nodj  mittelbar  in  bie  polnifdjeit 
Unruhen  ober  in  ben  firieg  jmifa)en  ben  SRuffen  unb  dürfen  ein* 
mifdjen  motte. 

9taa)  meljrfaajen  &ergeblid)en  ©emüljungen  griebria)*,  ben 
Liener  ^>of  für  bie  beabfidjttgtc  Xfjeilung  dolens  511  genrinnett, 
braute  enblitty  bie  am  17.  $e&ember  1771  Don  ber  (£$arin  abge* 
gebene  (Erflärung ,  ba&  fie  auf  bie  Xonaufürftentyümer  $er$id)t 
leifte ,  bie  ßabinette  öon  SBien  unb  Petersburg  einanber  nätjer. 
ßaunifc  erflärte  paj  bereit ,  bei  ber  Sßforte  einen  ©affenfriUftanb 
jum  ©efmfe  beS  3ufammentritte3  griebenSfongreffeS  in  SBor* 
fdjlag  $u  bringen,  unb  ging,  naajbem  ein  neue«  ruf|*ifa>3  jpeer  öon 
öier jigtaufenb  SRann  in  Polen  cingerüdt  mar,  auf  ben  ©ebanfen 
einer  Xljeilung  Polen*  ein. 

Unterbeffen  mar  jmifa)en  fflußlanb  unb  Greußen  tbejüglid)  ber 
oon  beiben  9Käajten  in  Söefty  $u  nefjmenben  polnifajen  ÖJebtetc  ein 
öoUftänbigeS  (Einberneljmen  ju  ©tanbe  gefommen,  unb  am  17.  gebruar 
1772  mürbe  ber  Xf>eilung3t>ertrag  olme  «Sujtelmng  Oefterreidj* 
unteraeiajnet.  $)ie  ©eftfrergreifung  ber  fraglichen  ©ebiete  fottte  im 
aflonat  SRai  ftattfinben  unb  erft  bann  ber  Söiener  £of  jur  X&eil« 
nannte  eingelaben  merben,  ber  Vertrag,  über  melden  vorläufig  ba& 
ftrengfte  ©efjeimnif}  gewahrt  mürbe ,  jebod)  aitdj  in  bem  gaUe  in 
Uraft  bleiben  unb  ausgeführt  merben,  menn  Defterreid)  bemfelben 
nia)t  beitrete.  3n  einem  geheimen  Wrtifel  oerpfliajteten  fia)  beibe 
2Jtäd)te  ju  gemeiufamem  bewaffneten  SBorgefjen  gegen  Defterreia)  für 
ben  goß ,  bog  fid)  baSfelbe  ber  HuSfüljrung  i&reä  XfjeilungSöer* 
trag*  miberfe&en  foflte. 

Qu  einem  SBiberftanb  oon  Seiten  Defterreidj*  fam  e*  jeboa) 
niajt;  Defterreiaj  trat  melmefjr,  in  golge  be*  feit  bem  SRonat 
2>e$ember  1771  in  ber  Stimmung  be*  Liener  #ofe*  eingetretenen 
Umformung*,  bem  £[jeilung3öertrage  bei.  gür  Sötoria  X^erefta 
mar  ber  beitritt  ein  SBerf  ber  ftotij,  baö  i^r  bie  ^erbften  Seelen* 


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3>te  erfte  Teilung  ^olenS. 


593 


fämpfe  foftete.  «Roch  groeimal  ^attc  fic  im  Anfang  beS  $ahreS 
1772  ben  #of  bon  öerfaitteS  ba|in  gu  bringen  gefugt,  gemeinfam 
mit  ihr  ber  flerftücflung  SßolenS  entgegenzutreten;  ober  fie  fyattt 
bie  Antwort  erhalten:  Sranfreia)  nehme  an  ben  polnif^en  Ange* 
legetthetten  nur  infofern  Xheil,  als  fte  fich  auf  eine  freie  ®önig3= 
Wahl  belögen,  unb  begnügte  fia)  im  Uebrigen  mit  einer  „paffioen 
föolle."  Übenfomenig  mar  auf  ein  (Sinfchretten  bon  ©eiten  (£ng* 
lanbs  gu  hoffen;  hatte  boa)  baS  englifche  $abinet  feinen  ©efanbten 
ht  SBarfdjau  bahin  tnftruirt,  „baß  ©eine  Sttajeftät  ber  föönig  nicht 
geneigt  fei,  ftd)  mit  ben  polnifchen  Angelegenheiten  gu  beläftigen." 
©o  ftanb  Defterreich  gänglich  ifolirt  groeien  2Jcachten  gegenüber,  bie 
bertragSmäßig  übereinkommen,  ihren  föaub  an  Sßolen  nötigenfalls 
mit  SBaffengetoalt  aufzuführen,  ©ei  biefer  €>arf)lage  ^ielt  eö  $aumfc 
für  geratener ,  bie  für  Defterreia)  bei  bem  XheilungSprojefte  in 
9lu£ficf)t  gefteHten  93ortf>ciIc  gu  ergreifen ,  als  ber  Xurdtführung 
beSfelben  mit  bewaffneter  #anb  entgegen  gu  treten  ober  bie  beiben 
9iacf)6armäd)te  allein  ihre  Staaten  in  einer  bie  9Wad)tftelIung  Defter* 
reidjS  bebrofjenben  SBeife  üergrößern  gu  laffen. 

Snbeffen  machte  äJcaria  Xherefia  noch  einen  legten  SBerfuch, 
baS  gange  XljeilungSprojeft  gu  hintertreiben,  inbem  fte  für  Defter* 
reich  mehr  verlangte,  als  fte  glaubte,  baß  man  ihr  bereinigen 
werbe;  ihre  h°*)c  gorberung  ^atte  jeboch  feinen  anberen  (Erfolg, 
als  baß  aud)  bie  beiben  anberen  -ättädjte  einen  größeren  (&ebietS* 
antheil,  als  ben  in  bem  XheilungSoertrag  fttyulirten,  in  Aufbruch 
nahmen. 

SJtoria  Xherefia  unterzeichnete  ben  XheilungSentwurf  mit  ben 
SBorten:  »Placet,  weit  fo  triele  große  unb  gelehrte  SWänner  eS 
motten.  SBenn  ia?  aber  fa)on  längft  tobt  bin,  wirb  man  erfahren, 
Was  aus  biefer  Verlegung  bott  allem ,  was  bisher  unb  ge- 

recht mar,  herborgehen  wirb."  Aua)  fpäter  beteuerte  fte  wieber* 
holt,  baß,  wenn  fte  Shtßlanb  unb  Greußen  gur  3urücfgabe  beS  pol» 
nifdjen  ©ebieteS  bewegen  fönne,  fie  ifjrerfeitS  bon  gangem  $ergen 
SllleS  gurüefgeben  unb  ben  lag  ber  föücfgabe  für  einen  ber  glück 
licfjften  i^reS  SebenS  h^ten  werbe. 

üftach  bem  beitritt  Defterreichö  gu  bem  gwifdjen  föußlanb  unb 
Greußen  gefchloffenen  XheilungSoertrage  festen  bie  brei  dächte  bie 
übrigen  europäischen  $öfe  oon  ber  Xljeilung  Motens  in  Äenntntß, 
unb  fein  einziger  £>of  proteftirte  gegen  bie  oölferred)t3wibrige  ®e* 
waltthat.  s.ßapft  Siemens  XIV.  allein  erhob  feine  (Stimme  für  baS 
niebergetretene  $olen ;  aber  fie  oer^attte  ungehört. 

$a  fia)  bie  Sßolen  gegen  bie  ßumuthung  ber  XheilungSmächte, 
auf  einem  ^Reichstage  ben  XheilungSaft  gu  beftättgen ,  mit  aller 
Stacht  fträubten  unb  ber  &önig  bie  Sufammenberufung  beSfelben 
öon  einem  Xermine  gum  anbern  oerfchob ,  fünbigten  i|m  im  9ßo* 

Öolatoart^,  Söcltgc^tc  VI.  38 

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594 


Äatfjarina  II.  bon  Hufelanb. 


bember  1772  bic  ©efanbten  ber  brei  SRächte  an,  bog  fie,  wenn 
nicht  er  unb  bic  Republif  bie  geforberten  *ßrobin$en  gutwillig  ab* 
träten,  baS  ganje  ßonb  unter  fid)  teilen  würben,  unb  ein  unterm 
14.  $5e$ember  bon  ftatfymna  an  ben  Äönig  genuteter  ©rief  ent= 
r>iclt  bie  gebieterifche  gorberung  ber  unberjüglichen  Einberufung  beS 
Reichstages,  ber  bis  ©nbc  Slpril  1773  ade  SBer^anblungen  mit 
ben  Iljeilung3mäd)ten  abgetroffen  ^aben  müjfe,  mibrigcnfaflS  fie 
fict)  jeber  früheren  „»eraichtleiftung*  für  entbunben  galten  unb  fich 
mit  allen  bon  if>r  für  paffenb  erachteten  SRittcln  „®crechtigfeit" 
berfdjaffen  mürbe. 

SBoUftänbig  eingcfcr)ücfttert  burd)  biefe  unb  anbere  Drohungen, 
berief  enblich  Stanislaus  ben  Reichstag  auf  ben  19.  2Rai  1773 
naa^  SBarfchau  jufammen.  gür  benfclben  burften  au*  ben  bon  ben 
XheilungSmächten  abgeriffenen  <ßrooinjen  feine  Vertreter  gemault 
werben,  unb  in  ben  übrigen  gingen  jmeiunbbrei&ig  fianbtage  au** 
einanber,  ohne  ßanbboten  gewählt  ju  haben ,  ba  fie  jtdj  an  ber 
„nationalen  Selbftfcbänbung  ^olenS"  nidtjt  betheiligen  wollten.  Rur 
cinhunbertelf  ttanbboten,  öon  benen  bie  meiften  burdj  bie  fremben  SRächte 
beftodjen  worben  waren,  famen  in  SBarfchau  jufammen,  ba*  roätjrenb 
ber  $auer  beS  Reichstags  ganj  bon  Xruppen  ber  brei  2Rächte  über* 
fchwemmt  mar.  Sd)on  oorfyer  r)atte  fich  bie  Äonföberation  öon 
SBar,  oon  ber  Uebermaajt  ber  berbünbeten  SHächte  erbrüeft,  nach 
bem  wohlüberlegten  $lane  *PulamStV*  aufgelöft,  .um  ftch  für  befferc 
Reiten  aufaufparen."  5)ie  ©enehmigung  beS  Xh«fongSbertragS  oon 
Seiten  beS  polnifchen  Reichstags  erfolgte  am  13.  September  1773. 
$urcf>  benfelben  oeilor  $olen  nahezu  ben  brüten  Ztyil  feines  bis* 
herigen  (Gebietes  unb  jwar  feine  reichften  unb  fruchtbarften  $ro* 
binden.  $on  ben  ber  Republif  entriffenen  ©ebieten  nahm  Ru&lanb 
ben  ßöwenantheil :  bie  öftlichen  *ßrobinjen  jwiföen  ber  $üna  unb 
bem  Eniepr;  Sßreujjen  erhielt  baS  jefcige  SGBcftpreu&en  mit  &uS* 
fdjlu&  oon  Xanjig  unb  %f)OTr\ ,  bie  bei  Sßolen  oerblieben ;  Defter* 
reich  ©alijten  unb  fiobomerien. 

V Inf  bem  Reichstage,  ber  ben  Raub  ber  XheilungSmächte  fanftio* 
nirt  hatte,  würbe  ben  $olen  auch  bon  ben  brei  $öfen  eine  neue 
iBerfaffung  befretirt,  bie  baS  poIntfct)e  $önigthum  ju  einem  mefen* 
lofen  Schattenbilb  unb  Ru&lanb,  als  ben  (Garanten  berfelben,  jum 
thatfachlichen  iöel)erv)rf)cr  SßolenS  machte.  Tic  Sache  ber  Xiifiben 
ten,  burd)  Welche  Rufjlanb  unb  Greußen  ben  inneren  Streit  in 
sßolen  angefacht  unb  baS  fianb  in  geuer  unb  glammen  gefegt, 
würbe,  nachbem  man  erreicht,  was  man  gewollt,  einfach  faflen  ge* 
laffen.  S)ie  ®ijfibenten,  fo  würbe  feftgefe&t,  follten  auch  in  3uhmft 
oon  bem  Eintritt  in  ben  Senat  unb  in  baS  SJcmifterium  auSge* 
f  du  offen  bleiben  unb  jum  Reichstag  nur  brei  ßanbboten  feinden 
bürfen.  Katharina  bejeidjnete  bieS  als  einen  ©eweis  ihrer  9)cafjigung  ; 


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Sfatfjarina'S  erfter  Xürfenfrieg. 


595 


bagegen  flagten  bic  $ifjibenten  laut  über  SBerratlj  oon  ©eiten  be** 
jenigen  $ofe3,  meiner  am  leb^afteften  für  fie  gartet  ergriffen  unb 
fte  $u  ©dritten  beranla&t  fmbe ,  bie  fielen  ba8  Seben  unb  ben 
meiften  ber  Uebrigen  i^r  Vermögen  gefoftet. 

SBä^renb  aber  bie  ^avin  bie  ^ifftbeuten  aufgab ,  lieg  fie  in 
ben  anneftirten  Sßroöinjen  bie  blutige  Verfolgung  gegen  bie  griedjifaV 
unirte  IHrdje  fortfefcen,  unb  mefyr  als  jmei  Sttiflionen  ßatfjolifen 
mürben  burd)  ©emalt  $ur  fdHämatifd)=rufftfd)en  Äirdje  „befeljrt". 
„35ie  Verfolgung  ber  fatfjolifdjen  #ird)e  holend  burefj  SRu&Ianb", 
jagt  Qanffen  mit  föedjt,  „iß  ein  9cadjtftüdf  in  ber  ©efdndjte  be* 
neueren  Ghtropa'S.4' 

ftat&arina'i  erfter  Sürfentrieg. 

(1768—1774.) 

Dbgleidj  bie  &rieg$erftärung  ber  Pforte  an  SRu&lanb  bereits 
im  Dt  tober  1768  erfolgt  mar,  rürfte  ba3  türfifd)e  $>eer  unter  ber 
Süfjrung  be3  (5ho&oejier$  erft  im  9D?är$  1769  gegen  bie  SRuffen 
tn$  gelb,  nad)bem  biefe  bereits  fidj  ber  Seftung  Sfjoqim  genähert 
Ratten,  erleid)  oon  Anfang  an  blieben  bie  Xürfen  gegen  bie  uu= 
gleiö)  meiter  üorgefdjrittene  föriegdfunft  ber  Muffen  unb  bie  feine 
töürfjidjt  auf  SRenfdjenleben  nefjmenbe  Xaftit  ber  ruffifdjen  5clb= 
berren  im  9la$tf)eil.  3)er  fjürft  ®ali|tn  erfodjt  am  17.  ©eptember 
1769  oor  ben  SRauern  oon  (Efjocftim  einen  ©teg  über  baä  türfifdje 
,<peer  unb  befefcte  öier  Xage  fpater  bte  oon  ben  Surfen  oerlaffene 
Seftung. 

9lod)  toeit  bebeutenbere  (Erfolge  oerfdjaffte  ben  SRuffen  ber 
getb^ug  be3  Saljre*  1770.  55er  ©raf  ffiomanaom,  ©alijinä  Waty 
folger  im  Oberfommanbo ,  eroberte  nadj  einem  am  18.  3uli  am 
'43  r  u  1 1)  erf odjtenen  Siege  bie  Dölbau  ,  unb  nadj  einem  jmeiten 
größeren  am  Alagul  (1.  Sluguft)  nucrj  bie  Söaüadjei.  ©inen  SRonat 
fpater  nahm  ber  ©raf  $anin  buret)  einen  nädjtlidjen  ©türm,  ber 
Xaufenben  ber  ftürmenben  Neuffen  ba$  Sieben  foftete ,  bie  Seftung 
Jöenber,  worauf  bie  ©ieger  bie  ganje  Veoölferung  ber  ©tobt  er» 
barmungSloä  nieberme&clten  unb  biefe  felbft  in  einen  Xrümmer* 
Raufen  oermanbelten. 

Unterbeffen  roaren  bie  ©riedjen  bind)  rufftfdje  (Smijfäre  ,uir 
(Srljebung  gegen  baä  türfifdje  Qod)  gereift  morben  ,  unb  eine  ruf* 
ftfct)c  Slotte ,  bie  in  (Snglanb  auSgcbeffert  morben  unb  in  $ort 
sJ#af)on  überwintert  fyatte,  mar  unter  bem  Oberbefehle  Mlejrei  £)r* 
loms  in  ba$  ägäifdje  Mtcx  eingelaufen,  um  ben  VefreiungSfampf 
ber  ©rieben  ju  organifiren.    Vet  i^rem  (£rjd)einen  erhoben  fid) 

38* 


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596 


Äau)arma  II.  Don  SRufelanb. 


bic  (kriechen  im  ganzen  ^ßeloponneS ;  allein  bic  Hoffnungen,  bte  pe  auf 
ben  ©eifianb  SRu&IaubS  gefefct  Ratten,  würben  grau  (am  getäufcht.  3Bät}* 
renb  ber  Statthalter  oon  SÄorea  jur  Üftcberwerfung  beS  2lufftaubeS 
beffere  Mnftalten  traf,  als  ©riechen  unb  SRuffcu  erwartet  Ratten,  jefete 
bie  ruffijd)e  glotte  nur  eine  geringe  Xruppenjahl  ans  £anb,  unb 
Süerei  Drlow  jeigte  fid)  in  feiner  SBeife  feiner  Aufgabe  gewadj)en. 
9?ad)bem  er  eine  ^ätlaua,  Mo  ran  oergebenS  belagert  fwtte ,  flog  er 
fid)  in  ben  $afen  tum  Dtooarino  ^urücf ,  unb  als  bie  bon  ben  Xürfen 
überall  jttrücfgcfchlagenen  ©riechen  bor  ber  Stäche  ber  Sieger  bei 
ihm  @d}ufc  fudjten,  bermeigerte  er  ihnen  benfelben.  58alb  barauf  ber* 
lieg  er  mit  ber  gefammten  rufpfeben  2Rad)t  ben  ^eloponneS,  bie 
unglücklichen  ©rieben  ihrem  Schuf  fal  preiSgebeub. 

gurdjtbar  mar  bie  Stäche,  welche  bie  Xürfen  für  ben  mt&glücf* 
ten  9lufftanb  an  ben  bon  ihren  angeblichen  Söefreiern  oerlaffenen 
©riechen  nahmen,  unb  mit  il)nen  wetteiferten  bie  in  großen  ©paaren 
in  ben  ^ßeloponneS  eingebruugenen  Mlbancfen  in  Staub-  unb  HJcorb= 
luft.  9tur  ein  Heiner  Xheil  ber  grieefufchen  ©ebölferung  tonnte  (Id) 
in  bie  ©ebirge  retten,  um  fpäter  ben  $ampf  gegen  ihre  Söebrücfer 
aufs  9ceue,  bod)  ohne  befferen  Srfolg,  aufzunehmen. 

Qnjmiphen  mar  bie  ruffiphe  Slotte  mit  ber  bon  ihr  aufgefuaV 
ten  türfifdjen  bei  ber  Qnfel  Sfio  jufammen  getroffen,  unb  hier  fam 
es  am  8.  guni  1770  ju  einer  Schlacht,  in  welcher  baS  türfipbc 
SlbmiralSpbiff  bon  ber  ^Bemannung  beS  rufpphen  in  Söranb  gefteeft 
würbe ,  in  feinem  Aufliegen  aber  aud)  bicfcS  mit  fortriß.  X)ie  tür* 
fifd)c  Slotte  flüchtete  fich  in  bie  enge  iöai  bon  XfcheSme  unb  mürbe 
hier  burch  ben  ru(pfa)eu  Mbmiral  (Slpluuftone,  einen  in  ben  Xienft 
ber  ©jarin  getretenen  Snglänber,  mit  einem  Xheil  ber  rufpjd)en 
Slotte  eingephloffen.  3n  ber  Stacht  brang  Xugbalc,  ein  anberer 
(Snglänber ,  mit  einer  Vlnjaljl  bon  iBranbem  in  bie  SBucbt  ein  unb 
befeftigte  einen  berfelben,  trofe  beS  heftigen  SeuerS  ber  Xürfen,  an 
ein  türfifcheS  Schiff,  morauf  er  fich,  m^  sahireichen  ©ranbrnunben 
bebeeft,  ins  9#ecr  ftür$tc  unb  511  ben  Seineu  jurücf  fchwantm. 

(gleich  barauf  ertönte  ein  furchtbares  ©etöfe,  baS  bis  in  Althen 
gehört  mürbe,  unb  balb  ftanb  bie  gan$e  türfifd)e  SJlotte  in  Stammen. 
JsBiS  nach  Smbrna  \)'\\\  erbebte  bie  (£rbe,  unb  bie  rufpfdjen  Schiffe, 
bie  in  einiger  (Entfernung  3*ugcn  beS  fchauerlichen  SchaujptelS 
waren,  mürben  wie  bon  einem  heftigen  Sturme  hin  unb  f^*  getrie* 
ben.  Xie  türfijche  3Jtanufd)aft  rettete  fich  bxm  Qröfetcu  Xfjeile  burch 
Schwimmen  unb  auf  Schaluppen  au  bte  apatijcbe  töüfte,  wo  pe  an 
ber  griedpphen  Söebölferung  furchtbare  Stäche  nahm. 

Stach  ber  gerftörung  fcer  türfiphen  Slotte  brang  ©Ipfnuftone, 
Welcher  ber  (Sjariu  baa  JÖerjprecheu  gegeben,  bie  Xarbanellcn  $u 
burchbredjeu,  auf  bas  3tod)brü<flid)fte  barauf,  bafj  bte  rufpfd)e  3lottc, 
ben  in  ftonftantinopcl  herrjeheubeu  Schrecfen  benufteub ,  ungefäumt 


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ßatharma'S  crftcr  Xurfenfrieg. 


597 


borten  aufbreche ;  allein  Ortom  miberfefcte  ftch  biefem  Borfdjtag, 
entmeber  aus  (Siferfudjt  auf  ben  ihm  überlegenen  Wbmiral  ober  mit 
föürfficht  auf  ben  fchted)ten  3uftanb  bcr  ©d)iffe ,  beren  Bemannung 
faft  nur  nod)  aus  $ranfen  unb  Bertounbeten  beftanb. 

Um  ber  ©jarin  ju  zeigen,  bog  bic  Söfung  feines  BerfprechcnS 
möglich  getoefen  märe,  brang  (£lpf)tnftone  mit  einem  einzigen  3ahr* 
jeug  in  bie  EarbaneHen  ein,  marf  bort  feine  9lnfcr  aus,  tiefe  feine 
Trompeter  btafen  unb  eilte  mit  £ilfe  ber  gtutf)  hrieber  jurücf.  Salb 
barauf  Oertieg  er,  mißmutig  unb  unbetotmt,  ben  rufjtfdjen  ©ee* 
bienft.  SHejei  Drtom  ober,  ber  fidj  nach  Petersburg  begeben,  um  ber 
$aiferin  pcrfönltcr)  feine  ©ntmürfe  für  bie  gfortfefcung  beS  Kriege* 
äu  unterbreiten,  mürbe  üon  feiner  #errin  mit  ben  größten  (Sfjren* 
bejeigungen  empfangen  unb  burd)  ben  Beinamen  „XfcheSmenSfoi" 
belohnt ;  aud)  erhielt  er  bie  Ermächtigung,  mit  ber  ihm  untergebenen 
gtolte  jebe  Unternehmung  ju  roagen,  ofme  jemals  irgenb  metchc 
Beranimortlichfeit  baffir  fürchten  ju  bürfen. 

Crloms  ©liefe  maren  suuächft  auf  9tegüpten  gerietet,  roo  ftdt) 
ihm  bie  2luSfia)t  auf  eine  mächtige  BunbeSgenoffenfdjaft  eröffnet 
hatte.  $ort  tjatte  nämlich  2tti  ©et),  ein  Georgier,  ber  fich  ju 
einem  jener  Üttamelurfenhäupter  emporgefdjroungen ,  melden  bamalS 
bie  .£>errfd)aft  über  2tegl)pten  unter  ber  Sluffidjt  beS  türfifdjen  <&tatU 
balterS  gehörte ,  ben  türfifchen  $afd)a  vertrieben ,  bem  ©ultan  ben 
ÖJeljorfam  gefünbigt  unb  nach  geroaltfamer  Unterbrücfung  aller 
übrigen  Bety'S  bie  .<perrfchaft  üoöftänbig  an  ftch  geriffen;  auefj  mar 
er  bereits  in  Patäftina  eingebrungen  unb  ^atte  ftdt) ,  ba  ber  ßtieg 
mit  SRuftfanb  bie  Pforte  an  einem  nachbrücflichen  Vorgehen  gegen 
ihn  oerbinberte,  öerfajiebener  piäfce  in  ©ürien  bemächtigt,  ©egen 
feine  3"fa9Cr  feine  ßufuljr  nad)  ßonftantinopet  gelangen  $u  Iaffen, 
unterftüfcte  ihn  bie  ruffifa^e  Slotte  bei  ber  Belagerung  oon  Qaffa. 
Mein  bie  großen  Hoffnungen,  bie  Drtom  auf  baS  3ufammcngehen 
mit  9tli  Bei)  gebaut  ^attc ,  blieben  unerfüllt;  benn  fdjon  im  Safjre 
1771  mürbe  ber  fühne  (Smporfömmling  oon  feinem  ©chtoiegerfohne 
aus  ®atro  oertrieben ,  unb  im  folgenben  3a^re  fanb  er  in  einer 
©djtadjt  ben  Xob. 

3m  (Jansen  richtete  bie  niffifcr)e  Statte  im  SRittelmecre  menig 
aus.  $ie  Belagerung  oon  ®anbia  führte  ju  feinem  &kU,  unb  Oon 
SemnoS  mürben  bie  Muffen  burd)  ein  füfjneS  Unternehmen  eines 
türfifdt)en  $eerfüt)rerS  mieber  oertrieben ;  bie  einzige  %n\zl,  bit  fie  im 
2lrd)ipel  befefct  fetten,  mar  ParoS. 

2lud)  ber  Öanbfrieg  mar  für  bie  SRuffen  nach  ocn  Öro&cn  ®ts 
folgen  beS  3a^rc*  1770  8U  einem  BertheibigungSfriege  an  ber 
$)onau  he™bgefunfen.  dagegen  gelang  ihnen  unter  ber  Rührung 
^olgorucfi'S  im  3ahre  1771  bie  Eroberung  ber  #atbiufel  ftrim, 
bie  SKohammeb  II.  im  3<*hrc  1471  unter  türfifche  £>errfchaft  ge* 


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598 


bracht  hatte  unb  bic  feitbem  unter  If^anen  au*  bcm  (Sefchlcchte  Xfchin** 
giS^^an«  geftanben,  welche  al*  VafaHen  bcr  Pforte  oon  ben  o*ma* 
nifchen  £errfd)ent  ein*  unb  abgefegt  worben.  iRachbem  Dolgorucfi 
bic  Dberhäupter  bcr  tatarifchen  ©eöölferung  ftur  Unterwerfung  unter 
bie  rufftfäe  #ot)eit  bewogen  hatte,  begab  fidj  ber  neue,  oon  ifjm 
eingelegte  Ä^an  nach  Petersburg,  um  ber  <£$arin  feine  §ulbigung 
barjubringen. 

©chon  im  3at)rc  1769  Ratten  ft<h,  tpic  wir  oben  (©.  589)  ge* 
fcr)en,  Greußen  unb  Defterreidj,  in  gleicher  SBeife  beunruhigt  burch 
bic  2lbficf)t  Katharina'*,  bic  Eonaufürftenthümer  bauernb  ihrem 
SRcicr)c  einjuoerleiben ,  §u  gemeinfamer  5rieben*oermittlung  geeinigt, 
unb  naeöbem  in  bcr  erften  Teilung  $olen*  ein  Littel  gefunben 
toorben  mar,  bie  (Sjarin  jur  Verjichtleiftung  auf  bie  Dölbau  unb  2Bal* 
ladjci  $u  bewegen,  würbe  jum  ©ehufe  ber  Einleitung  oon  Srie* 
ben*unterhanblungen  ju  ©ufareft  ein  SBaffenftiUftanb  gefcbloffen, 
ber  biä  §um  1.  Slpril  1773  bauern  fofltc.  £a  jeboch  Tregor 
Drlom,  ben  bie  (Sjarin  ju  ihrem  Veüoflmächtigten  ernannt,  nicht 
nur  al*  öorläufige  5rieben*bebingung  bic  Unabbängigfeit  ber  #rim 
oerlangte,  fonbern  auch  auf  bie  Sorberung  ber  Abtretung  bcr  $onau* 
ffirftenthümer  jurücf  fam,  jerfchlugen  fich  bic  angefnüpften  Unter* 
tjanblungen,  unb  nach  bcm  Slblauf  be*  SBaffcnftiflftanbe*  nahm  ber 
ßrieg  feinen  Sortgang. 

£ie  Muffen,  bie  unter  fltomanjom  abermal*  über  bic  $>onau 
gegangen  waren,  griffen  ©Utfrria  an;  fie  würben  jeboch  oon  ben 
Xürfen  gefd)lagen  unb  mit  großem  iBerluft  über  bie  $onau  jurücf* 
getrieben.  $a  bie  ju  biefer  Seit  au*gebrochene  Empörung  ^ugat= 
fdjew*  ber  &}>axixi  eine  rafdje  Söeenbigung  be*  Krieges  wünfdjenSwerth 
machte,  ließ  fic  bcr  Pforte  ben  Srieben  antragen;  allein  ber  neue 
(Sultan  Slbbul  £amib ,  ber  au*  ben  Verlegenheiten  bei  rufftfdjen 
£>ofe*  9hifcen  jtet)en  wollte,  wie*  tt)re  2frieben*oorfchläge  jurücf. 

Snbeffen  wanbte  fid)  ba*  ®rieg*glücf ,  ba*  ben  Xürfen  auf 
einen  Slugenblicf  gelächelt,  balb  wieber  ben  Muffen  ju.  SBährenb 
in  Äonftantinopcl  große  Vorbereitungen  getroffen  würben,  um  mit 
brei  Speeren  über  bie  $>onau  get)en,  überfchritten  bie  Muffen  im 
©ommer  1774  auf*  SReue  biefen  gluß  unb  brangen  bi*  in  bie 
9tät)e  oon  ©cfmmla  oor,  wo  fie  ben  ©roßoejier  in  feinem  öager 
bergeftalt  einjchloffen ,  baß  ifmt  ber  fRücf^ug  nach  Slbrianopel  abge= 
fd)nttten  War.  $)ie*  bewog  ben  ©ultan,  jefct  feinerfeit*  ber  (£$arin 
gricben*üorfcf>lägc  ju  macheu  ,  unb  ba  ba*  3frieben*bebürfniß  auf 
ihrer  (Seite  fortbauerte,  ftellte  fie  annehmbare  Vebingungen.  ©o 
fam  am  22.  3uli  1774  $u  $utfd)uf-$ainarbfche,  unweit 
©iliftria,  ein  5rieben*fchluß  $u  ©tanbe,  in  welchem  bie  Pforte  ben 
SRuffen  freie  ©dnfffahrt  auf  allen  tfirfifchen  ®cwäffern  einräumte, 
in  bie  Unabhängigfeit  ber  ®rim  willigte  unb  Sftußlanb  ba*  ©chuj}* 


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Äatfarina  II.  alö  fflegentüt. 


599 


redjt  über  bie  ber  griec^tfe^en  ®irdje  angeljörigen  Untertanen  be« 
©ultan«  juerfannte,  wogegen  bie  ßjarin  alle  bon  ifjr  gemalten 
Eroberungen ,  mit  2lu«fdjluß  ber  ©täbte  Äertfdj  unb  Qenifale  in 
ber  Stirn  unb  ftinburn  an  ber  lUiünbung  be«  3/nicpr,  ber  Pforte 
jurücffteflte.  3für  bie  unglürflidjen  ©rieben,  bte  fia)  im  Vertrauen 
auf  SRu&lanb«  3ufagen  für  bie  SSiebererlangung  iljrer  ©elbftftänbig* 
feit  erhoben,  ljatte  bie  Sjarin  fein  ®ebädjtnif}  me^r. 

©o  gering  aud)  bie  Sortierte ,  bie  ber  griebe  bon  &utf$uf* 
Äainarbfdje  ber  ©jarin  gemährte,  im  Sergleia)  ju  bem  maren,  ma« 
fie  erftrebt  fmtte,  fanb  fic  bod)  in  ber  ^Xudfi^t  auf  ben  fpäteren 
^efifc  bei  ßrim,  ber  für  fie  nadj  ber  Unab!jängigfeit«crflärung  ber* 
felben  feinem  gmetfel  mef)r  unterlag,  reiben  (£rfnfc  für  ade«,  ma« 
xf)x  für  ben  Slugenblia*  noa)  entgangen  mar ;  benn  biefe«  Sanb  erfduen 
tyr  als  ein  fixerer  ©tüfcpunft,  bon  meinem  au«  fie  in  einem  jmei* 
ten  Kriege  gegen  bie  Pforte  ba«  türfifdje  töeia)  au«  feinen  Ingeln 
f)eben  $u  fönneu  hoffte. 


©leidt)  griebrid)  II.  unb  Qofcpt)  II.  entfaltete  aud)  $atfjarina  II. 
in  ber  SBermaltung  ifjre«  weitläufigen  föeidje«  eine  ungewöljnliaje, 
Slüe«  umfaffenbe  unb  TOe«  mefjr  ober  weniger  umgeftaltenbe  Xfä 
tigfeit,  an  melier  üjre  SRufjmfudjt  ebenfo  großen  ^iitt>cil  fmtte,  al« 
il>r  gntereffe  für  ba«  S5?ot)I  ifjrer  ©ölfcr. 

Um  al«  ®efe$geberin  ju  gtänjen  unb  jugleidj  öon  ben  „pljtlo* 
fopl)ifcbenM  ©timmfütjrern  Europa'«  al«  ,,*ßl)ilofopf)in  auf  bem 
Xijrone"  gepriefen  ju  werben ,  befd)loß  fie ,  iljrem  8teid)e  naa) 
borau«gegangenen  Verätzungen  mit  Slbgeorbneten  aller  ^rooinjen 
be«felben  ein  neue«  ®efefcbudj  nad)  ben  ©runbfäfcen  ber  bon  ben 
franjöftfdjen  ©taat«pf)ilofopl)en  unb  ©djöngetftern  berfünbtgten 
2Bei«t)eit  ju  geben.  Qu  biefem  Smetfe  berief  fie  im  Qaljre  1767 
eine  „©tänbeöerfammlung"  au«  Sßertretern  oon  jwanjig  SBölfer* 
fdjaften  ifjre«  SReidje« :  ©fjriften ,  Anbetern  be«  3>alai=£ama  unb 
$8erefjrern  ber  ©onne,  nadj  9tto«fau  jufammen  unb  legte  U)nen  eine 
üjrem  3nljalte  nad)  mörtlid)  au«  9ftonte«quieu  entnommene,  aber 
unter  i^rem  eigenen  tarnen  beröffentlidjte  unb  auf  if)ren  $8efe§I  in 
äroanjigtaufcnb  Exemplaren  oerbreitete  Qnftruftion  öoH  ber  liberal* 
ften  ©runbfäfce  oor ,  gegen  meldje  ir)r  fdjranfenlofer  ®e«pott«mu« 
unb  ba«  r)errfd)enbe  Regiment  ber  (Sünftlinge  einen  grellen  9(bftidj 
bilbeten.  3>a«  ©an^e  mar,  wie  Qanffen  mit  SReä)t  bemerft,  nur 
eine  lügenhafte,  auf  ba«  berel)rung«füd)ttge  s2lu«lanb  beregnete 
„garce bie  für  ben  beregten  Qtotd  nidjt  ba«  geringfte  föefuttat 
ergeben  fonnte.    $Bemerfen«mertl)  mar  bie  Erflärung,  weld)e  bie 


600 


tfatljarina  IL  öon  Shifelanb. 


2I6georbneten  bcr  Samojeben  burdj  tljre  $olmetfdjer  abgeben  lie&en. 
„2Sir  ftnb  gcnügfam  unb  geregt,"  fo  lautete  biefelbe;  „mir  treiben 
frieblidi  unfere  SRenntf)iere  unb  Brausen  fein  neues  ©efefcbudj; 
aber  mad)t  ©cfcfebüc^cr  für  unfere  Wadjbarn,  bie  Muffen  unb  für 
bie  ©ouöemeure,  bie  it)r  ju  unä  fdjicft,  bamit  fte  ü)re  Zaubereien 
einfteflen." 

ftatfmrina  benufcte  ben  fluäbrucf)  beS  erften  Sürfenrriegeä  all 
SSorroanb  jur  »uflöfung  it)rer  „Stänbeüerfammlung\  unb  biefe  er» 
teilte,  beöor  fte  auSeinanberging ,  ber  ftatferin  bie  ©einamen  ber 
®ro&en,  ber  SBeifen  unb  ber  9Jcuttcr  be*  Saterlanbe*.  3)ie  „be= 
fdjeibene"  (£$arin  nafjm  nur  ben  legten  biefer  @t)rcntitcl  an.  „28cnn 
fte  fidj  beS  erften  mürbtg  madje",  fagte  [\tf  „fo  fomme  e&  ber9cac§* 
tue«  $u,  Um  iljr  $u  erteilen ;  bie  2Bei3t)eit  fei  eine  ®abe  be*  £im= 
meld,  bem  fte  bafür  banfbar  fein  müffe,  bodj  mage  fte  nidtjt,  biefe 
©igenfdjaft  ftd)  jum  Serbienfte  anjurec^nen;  ber  JBeiname:  2Jcutter 
be3  SBaterlanbeä  fei  iljr  ber  mot)ltt)uenbfte ;  it)n  fefje  fte  alä  bie 
rühmliche  ©eloljnung  für  bie  Arbeiten  unb  Sorgen  an,  benen  fie 
für  ifjr  geliebtes  $otf  fid>  unterzogen  tjabe." 

$a8  neue  GJefefcbud),  ba3  fatfwrtna  nunmehr  allein  auSar* 
bettete,  hatte  junäcfrft  bie  innere  93ermaltung  beä  Staates  jum  ©egen* 
ftanb.  Sdmn  öorfjer  Ijatte  fte  ber  oberften  föeidjsbetjörbe  für  bie 
inneren  STngetegenfyeiten ,  bem  Senate,  eine  me^r  geglieberte,  bie 
Ueberfidjt  erleid&ternbe  gorm  gegeben;  an  biefe  Neuerung  reifte  fte 
jefct  eine  jroeite,  inbem  fte  bem  föetdje  felbft  eine  beffere  ©liebe* 
rung  gab.  $ie  Stattftaltereten,  öon  benen  einige  an  Umfang  man* 
djem  ßönigreicfje  gleid)  famen  unb  beren  ©ouoerneure  fo  au3ge= 
behüte  93efugniffe  Ratten,  bafj  fie  baburd)  felbft  für  bie  $rone  ge= 
far)rlic^  »erben  tonnten,  mürben  nidjt  nur  an  Umfang  öerringert, 
unb  jmar  fo,  baß  jebe  ungefähr  öiermalt)unberttaufenb  ©erootjner  jaulte, 
fonbern  audj  mieber  in  mehrere  Greife  toon  circa  oierjigtaufenb  See» 
len  eingeteilt.  $en  SWittelounft  ber  ganjen  Statthalter  fdjaft  bilbete 
bie  ÖJouoernementSftabt,  ben  jebeS  einzelnen  ®reife3  bie  ÄreiSftabt. 
Qn  biefen  Stäbten  Ratten  bie  ÜBerroaltungSbehörben  ihren  Sifc.  2)en 
©ouoerneuren,  benen  früher  außer  ber  ®erid)täbarfeit  unb  ber 
^ßolijei  auch  bie  ©r^ebung  ber  ©intunfte  unb  noch  öieleS  Hnbere 
oblag ,  mürbe  nur  nodj  bie  allgemeine  Wiiffidjt  gelaffen.  Xie 
bürgerlichen  unb  peinlichen  SRechtSfachen  mürben  getrennt  unb  ge= 
fonberten  33et)örbeu  jugemiefen.  s2Iud)  mürbe  in  jeber  Statthalter* 
fdjaft  ein  fogenannteS  w©emiffen^geridt)tw  eingefe(jt,  ba&  bie  Streit« 
hänbel  in  Wüte  ju  fcr)Iict)ten  fudjen  foÜte.  ^odftanbig  auSgefchlof= 
fen  oon  ber  „mütterlichen"  Jür Jorge  ber  ©jarin  blieben  jebodj  bie 
leibeigenen,  für  meldte  fie  au$  JNüdjidjt  für  ben  2(bel  utd)t  bad 
ÖJeringfte  tt)at.  $He  Statthalter  mürben  jmar  angemiefen,  fte  öor 
aflju  Rätter  SBiUfür  üon  Seiten  it)rer  @ut*t)erren  511  fdjüfcen;  ein 


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Äat&arina  II.  al*  ttegentm.  601 

au  bcr  gleichen  Qtxt  Don  ber  Äoifcrin  erlaffener  Ufa«,  morin  jcber 
Setbetgene,  ber  auch  nur  eine  Älage  gegen  fci«cn  ©u«^errn  ju  er* 
heben  möge,  mit  ber  Ihmte  unb  ber  Verbannung  nach  Sibirien  be* 
brot)t  mürbe,  lieg  bieS  jebodj  faft  mte  einen  ©pott  erfebeinen. 

(5ine  3oIge  ber  oeränberten  (Eintheilung  beä  ruffict)eu  deiche* 
mar  bie  (Entftet)ung  mehrerer  neuen  ©täbte,  in  meldjen  ftdj,  ba 
toerföiebene  neu  errichteten  ©ehörben  in  benfelben  ihren  ©ifc  er* 
hielten,  ein  regerer  ©erfefjr  unb  ein  größerer  SBohlftanb  entmirfetten, 
als  in  bieten  ber  alteren,  beren  (Einmofmer  in  mannen  ^Beziehungen 
ben  ©auern  gleich  ftanben,  ba  nur  menige  ruffifäc  Stäbte  burd)  <ßeter 
ben  ©rogen  unb  (Elifabett)  eine  8rt  freier  ©erfaffung  erhalten  Ratten. 

Um  einen  SRittelftanb  mit  ftaatöbürgerltchem  ßeben  unb  be* 
ftimmter  ©teHung  in  ber  (Sefeüfchaft  $u  grünben,  erlieg  Katharina 
eine  neue  ©täbteorbnung ,  burch  meldte  mit  ber  &ai)l  ber  ©täbte 
auch  bie  greiheiten  berfelben  öerme^rt  mürben.  3)ie  ©ürger  mur* 
ben  nach  ihren  © ef Sättigungen  unb  ihrem  ©ermögenäftanbe  in  ge* 
miffe  SRangorbnungcn  geseilt,  Don  meldjen  bie  höhcrcn  befonbere 
©orrechte  erhielten;  auch  mürbe  ber  ©ürgerfdjaft  baä  föecht  juer* 
fannt,  ihre  obrigfeitlichen  ^erfonen  felbft  ju  mahlen. 

$te  Vorreite  be3  $lbelä,  bie  hauptjächlich  in  gänzlicher  ©teuer* 
freitjeit  unb  in  bem  SRechte,  Seibeigene  $u  befifcen,  üon  benen  fte 
nach  ©elieben  Abgaben  unb  Sttenfte  forbern  fonnten,  fomie  in  ber 
Sreifjeit  bon  allen  fieibe&ftrafen  beftanben,  mürben  Don  Katharina 
burd)  einen  befonberen  faijerltchen  Freibrief  neu  betätigt. 

Um  ben  Jjpanbel  burd)  bie  (Erleichterung  bed  inneren  ©erfefjrS 
ju  ^eben,  lieg  Katharina  neue  ©tragen  unb  banale  anlegen;  auch 
(job  fie  bie  £anbel3m  onopole  auf,  meldte  fomofjl  bie  fixone  al&  ein* 
jelne  ©rogen  noch  befagen,  unb  gab  gegen  (Erlegung  einer  beftimm* 
ten  Abgabe  ben  $anbel  mit  inlänbifdjeu  (Eraeugniffen  frei,  fomie 
auch  3ebermann  bie  (Erlaubntg  erhielt,  Sutferfiebereien,  Kattun* 
fabrifen  unb  anbere  SDtanufafturen  anzulegen.  3m  3ahr  1781 
gab  Katharina  ber  Äaufmannfchaft  ein  ©eeredjt  unb  eine  ©d)iffs 
fahrtSorbnung  unb  lieg  anfehnliche  SBerfte  für  ftauffahrteifdnffe 
bauen.  (Einen  rafchen  Sluffdjmung  nahm  ütöbefonbere  nach  bem 
erften  Xürfenfrieg  ber  £>aubel  auf  bem  fchmarjen  Speere,  an  beffen 
®üfte  bie  (Ejarin  im  3°hre  1793  an  ber  ©teile  eines  im  Sahre 
1789  mährenb  be3  jmeiten  lürfenfriegeä  eroberten  türfifchen  gortä 
bie  ©tabt  Dbeffß  grünbete. 

(Eine  ganj  befonbere  ©orgfalt  öermenbete  Katharina  auch  auf 
bie  görberung  ber  SBiffenjchaft  unb  ftunft,  bie  in  SRuglanb,  trofc 
ber  Bemühungen  $eterd  be$  (trogen,  noch  feinen  ©oben  gemonnen 
fjatten.  ©ie  errichtete  eine  (Erjiehungäfommiffton ,  melche  neue 
Unterrichtäroeifen  angeben  unb  Slnftalten  jur  ©Übung  bon  ßehrern 
fomie  ÜRormalfchulen  im  ganzen  deiche  anlegen  follte.    gür  bie 


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602 


Äatfjarina  II.  Don  JRufelanb. 


SluSbilbung  ber  ruffifdjen  ©pradje  grünbete  fte  eine  eigene  Wta* 
bemie  nadj  bem  Sttuftcr  ber  franaöfifdjen  unb  lieg  burd)  biefclbe 
ein  rufftfdjefc  SBörterbudj  aufarbeiten.  $a&  rufftfdje  ©djrifttfmm 
folltc  burd)  Ueberfefcungen  wiffenfdjaftlid&er  unb  bid)terifd)er  fßerfe 
geförbert  werben,  bei  weldjen  ftd)  bie  djarin  perfönlidj  beteiligte, 
wie  fie  aud)  ©djaufpiele  für  bie  rufftföe  ©üfme  fdjrieb,  bie  jebod) 
einen  feljr  untergeorbneten  SBertl)  fjaben  unb  nteift  polttifdje  Xen* 
benjftürfe  ftnb.  3fce  ©cmütjungen  für  bie  Hebung  ber  rufftfa)en 
SBoltebilbung  blieben  jebodj  oljne  nennenswerten  Crrfolg,  tfyeila  weil 
fte  ber  naturgemäße«  Sntwidlung  bcrfelben  ju  fefyc  borgriff,  tfjeife 
auef)  Weil  SBieled  Wieber  aufgegeben  Würbe,  nacfjbem  e«  !aum  be= 
gönnen  worben.  UebrigenS  fdjwanb  üjr  SSfer  für  SBolfSbilbung 
nadj  bem  &u$brud>e  ber  franjöfifdjen  föetoolution,  weil  fte  bicfelbe 
ber  Äufflärung  be3  SBolfeä  auftrieb. 

SBie  fef)r  jebod)  ßatfjarina  felbft  ben  ©runbfäfcen  fyilbtgte, 
weldje  bie  franjöfifdje  SRebolution  in«  Seben  gerufen  baben,  jeigt 
uns  nidjt  nur  ifjre  begeifterte  SSere^rung  für  bie  franjöftfdjen  $f)tlo» 
foppen  unb  ©djöngeifter ,  inäbefonbere  für  ©oltaire,  ber  fie  baffir 
feinerfeitö  „feine  ^eilige"  nannte,  unb  für  Diberot,  fonbern  auc§ 
iljre  burdjweg  revolutionäre  ^olitif.  „®atf)arinaM,  fagt  3anjfen, 
„war  bie  erfte  gefrönte  3afobinerin  in  (Suropa  unb  befolgte  in  üjrer 
<ßolitif  alle  jene  beftruttiben ,  revolutionären  ©runbfä&e,  bie  wir 
gewöfynltdj  al$  (Srjeugmffe  ber  franjöfifa>n  Revolution  betrauten. 
Sie  franjöfifdje  Revolution  Ijat  lebiglid)  biefelben  ^rinjipten  pro* 
flamirt,  welche  bie  ,ncnc  ©emtramis  unb  9)?cffalina  be$  Horbens4 
ein  3Kenfdjenalter  fjinburd)  beftänbig  im  ütfunbe  geführt  unb  burd) 
bie  fie  alle  RedjtSberlefcungen,  ^ertrag&brüdje  unb  Eroberungen  ju 
legitimiren  gefugt  r)orte." 

2Bte  ftatfyirina  bie  bon  bem  ©eifte  ber  Seit  au*  Snbifferen* 
tiSmuS  geforberte  religiöfe  $ulbung  Ijanbbabte,  Ijaben  wir  in  ber 
©efa)itf)te  ber  erften  Xfjeilung  dolens  fattfam  erfahren,  $ie  ffic* 
ligion  War  für  fie  nur  eine  ©anbfjabe  jur  drreid^ung  politifdjer 
3werfe,  unb  wenn  fie,  wie  wir  oben  (©.  509  f.)  gefefjen,  ben  ber= 
folgten  3efuiten  eine  fixere  guflud)t3ftätte  gewahrte  unb  fict)  iljrer 
Sluftebung  in  Rufjlanb  mtberfefcte,  fo  gefdjaf)  bieS  eben  nur,  weil 
fte  tljr  nüfclid)  waren,  ©elbft  mit  ber  ortfjobojren  £irdje,  gegen 
welche  fie  bie  unbebingtefte  Eingebung  an  ben  Xag  legte,  trieb  fie 
ein  f)eud)lerifa)e3  ©piel,  inbem  fie  baä  SBefifctljum  ber  Äirdjen  unb 
ßlöfter  einbog  —  woburd)  fte  ifjre  jäfjrlidjen  (Sinfünfte  um  jwanjig 
SWiflionen  granfen  erljöfyte  —  unb  babei  bem  ruffifdjen  #leru3  er* 
Härte :  fie  tljue  bie«  lebiglid)  au«  S3orf orge  für  bie  ftirdj e,  bie  fie 
bon  ben  „wiberredjtltdjen  Slnmaßungen  be$  Reid>3eigentf)umä"  be- 
freien unb  ju  ber  bon  ©ort  gewollten  primitiben  (£infad$ett  jurürf= 
führen  müffc. 


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603 


$  o  t  e  m  Ii  n  ber  Saurier. 

(1776-1791.) 

Xrofc  tt)re«  männlichen  tyaxatttx*  unb  ber  furdjterWecfenben 
äußeren  Roheit,  womit  pe  OTe«  in  ben  ©chranfen  ber  Unterwür* 
figfeit  ju  halten  Wußte,  ftanb  Katharina,  gleich  ihrer  Vorgängerin 
(gtifabetr)  f  mit  welcher  fte  toic  in  ber  üppigen  $rad)t  unb  Ver> 
fchwenbung  it)red  orientaüfdjen  #offtaate«,  fo  auch  in  it)rem  aßen 
fittlichen  ©efütjlen  hohnfpredjenben  <ßriüatleben  wetteiferte,  in  ^o^em 
©rabe  unter  bem  (Sinfluffc  it)rer  jahlreichen  ©ünftlinge;  bod)  t)at= 
ten  ftdj  bie  meiften  berfelben  it)rer  Neigung  nur  öorübergehenb  ju 
erfreuen,  ©ine  &u«nahme  mochte  junächft  ©regor  Drlom,  ber  fid), 
üon  ber  (Jjarin  mit  ®lan$  unb  SReidjthum  überfct)ürtetf  $ehn  3&hre 
lang  bie  nädjfte  ©teile  an  ihrem  %§xont  ju  Wahren  mußte;  bod) 
erhielt  auch  er  feinen  Äbfdjieb,  al«  bie  (Sunft  Katharina'«  fich 
einem  Slnbern  jugemonbt,  bem  e«  gelang,  fid)  nicht  nur  jum  doCU 
ftänbigen  ©ebieter  ber  ^axin  emporschwingen,  fonbem  auch  feine 
©teUung  bi«  an  fein  ßeben«enbe  $u  behaupten. 

tiefer  mädjtigfte  unter  ben  ©ünftlingen  ber  (Sjarin  mar  (Tre- 
gor $  o  t  e  m  f  i  n ,  ber  ©ot)n  eine«  oerabfehiebeten  Offizier«  au« bem 
nieberen  ruffifdjen  s2lbel.  (geboren  im3at)re  1736  auf  bem  Keinen 
ßanbgute  feine«  Vater«  in  ber«  9^ät)e  Don  ©molen«f,  ^atte  er,  ba 
it)n  fein  Vater  jum  geiftlichen  ©tanbe  beftimmt,  feine  Sugenb  in 
einer  (£r$iet)ung«anftalt  für  ©eiftliche  oerlebt,  wo  er  fid)  eine  ober^ 
flächliche  Vilbung  angeeignet,  mar  jeboeb,  fpäter  in  bie  berittene 
fieibroadje  ber  Äaiferin  (Slifabetb  eingetreten  unb  t)atte  e«  in  ber- 
felben  bi«  jum  SBaajtmeifter  gebraut.  Vei  ber  (Srmorbung  ^Pe- 
ter« III.  mürbe  er  öon  Orlom  ju  £ilfe  gerufen,  unb  feine  Betei- 
ligung an  biefer  grcoelthat  berfdjaffte  ihm  ben  Slang  eine«  Offi* 
jier«  unb  bie  ©teile  eine«  $ammerjunfer«,  al«  welcher  er  balb  auch 
Zutritt  $u  ben  £>offreifen  erhielt. 

3m  Vertrauen  auf  feine  $örperfdjönt)eit  glaubte  ^ßotemhn  e« 
erreichen  ju  fönnen,  ber  <&ünftling  ber  ßaiferin  $u  werben;  allein 
Drlow,  bem  feine  ehrgeizigen  2Ibftct)tcn  nicht  entgingen,  fdnefte  u)n 
ju  bem  $eere  nach  ber  Xürfci.  $iex  nahm  er  an  mehreren  ©djladj* 
ten  ofme  fid)  jebodj  burd)  befonberen  friegerifchen  (SKfer  fjer* 

oorjuthun,  weil  feine  ©ebanfen  au«fdjlie&üdj  auf  ba«  $\tl  gerietet 
blieben,  ba«  fein  (ä^rgeij  fiet)  gefteeft  hatte.  v2ll«  er  im  3at)re  1772 
in  Erfahrung  brachte,  baß  ©regor  Drlom  burd)  feine  Anmaßung 
unb  fein  rohe«  Venehmen  ber  ®aiferin  läftig  ju  werben  beginne, 
wußte  er  e«  bat)in  ju  bringen,  baß  ihm  eine  sDftffion  an  ben  $aifer= 
t)of  übertragen  würbe,  unb  bamit  war  ber  erfte  ©abritt  ju  feiner  (Er- 
hebung gethan.  Katharina  war  balb  fo  feljr  für  ihn  eingenommen, 


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604 


töatfjarina  II.  öon  Stußlcmb. 


baß  er  feinet  ©iegeS  über  ben  nodj  immer  mächtigen  Drloro  ge- 
wiß fein  burfte;  bodj  öerftrtdjeit  noch  öier  3ah*e,  che  eS  it)m  ge= 
lang,  benfelben  gänzlich  aus  ber  ÖJunft  ber  Saiferin  unb  bamit  $u= 
gleich  au$  beren  Stölje  $u  berbrängen. 

SRadjbem  Katharina  ihren  neuen  ©ünftling  in  ben  ®rafenftanb 
erhoben  hatte ,  berlteh  fie  ihm  ein  Ehrenamt  nach  bem  anbern  unb 
übertrug  ihm  nicht  nur  baS  ffriegsmefen ,  fonbern  nad)  unb  nach 
auch  bie  obere  Seitung  aller  inneren  unb  äußeren  StaatSangelegen^ 
Reiten.  Um  ber  (^arm  $u  gefallen  unb  ftd)  ben  einflußreichen 
(Sünftling  geneigt  gu  machen,  überhäuften  it)n  auch  auswärtige 
dürften  mit  öemeifen  ihrer  §ulb.  Sofeph  II.  »erlief  ihm  bie  Söürbe 
eines  beutfdjen  föeichSfürften  unb  Sriebrich  II.  bot  ihm  feine  guten 
$ienfte  an,  falls  er  $er$og  oon  turlanb  ju  werben  mfinfehe.  SRe* 
ben  bem  @fjrgei$  mar  bie  ©elbgier  <ßotemnnS  öorherrfchenbe  Sei* 
benfdjaft ,  unb  aud)  biefe  Würbe  burch  bie  ®unft  ber  ®aifertn  im 
boflften  2ttaße  befriebigt.  9Iußer  bem  hohen  Schalte,  ben  er  für 
feine  öerfdn'ebenen  Remter  bejog ,  unb  ben  reiben  ©infünften  ber 
auSgebelmten  ®üter,  bie  Katharina  ihm  gefajenft  hatte,  erhielt  er  bon 
it)r  an  jebem  9leujahrStage  einmalfjunberttaufenb  föubel  unb  eben* 
fooiel  an  feinem  ®eburtS;  unb  9tamenStagSfefte.  ©ine  noch  weit 
ergiebigere  Duelle  jur  Vermehrung  feiner  (Sinfänfte  lag  in  ber  ihm 
eingeräumten  Vcfugniß,  auf  feinen  bloßen  tarnen  jebe  beliebige 
©umme  auS  ben  faiferlichen  Soffen  $u  entnehmen;  benn  er  trug 
fein  Vebenfcn,  biefe  Vefugniß  ju  feinem  Vortheile  in  ber  gemiffen= 
lofeften  SSeife  auszubeuten. 

2öie  fich  ^otemftn  barin  gefiel ,  feinen  föeidjthum  in  ber  23e= 
friebigung  ber  feltfamften  ßaunen  einer  überfättigten  ©innlidjfeit 
jur  (Schau  ju  tragen,  ohne  baran  ju  benfen,  bie  üeute  ju  befahlen, 
bie  für  ihn  arbeiteten  ober  ihm  Sieferungen  machten ,  fo  jeigte  er 
in  bem  Uebermuth ,  toomit  er  diejenigen  behanbelte ,  bie  in  f fla* 
btfeher  Unterwürfigkeit  um  feine  ÖJunft  buhlten,  fowie  in  ber  föücf- 
fichtslofigfeit ,  bie  er  gegen  bie  $aiferin  felbft  an  ben  Xag  legte, 
inbem  er  nicht  nur  ihrem  2Biüen  Xrofo  ju  bieten  wagte ,  fonbern 
fogar  oft  abfichtlich  baS  ©egentheil  bon  bem  that,  was  fie  wünfdjte, 
baß  er  fich  fäner  SflachtüoQfommenheit  als  unbefchränfter  ©ebieter 
SRußlanbS  bewußt  mar. 

S2ÜS  (Staatsmann  mar  $otemfin  befonberS  auf  bie  (Srwette* 
rung  ber  ©renken  beS  ruffifchen  Meiches  bebaut,  unb  ber  $lan 
gum  llmfturj  beS  türfifchen  Meiches  mar  ^auptfac^licb  fein  SBerf. 
2luf  ben  Xrümmern  beSfelben  fottte  ein  neues  griechifcheS  SRetch 
für  $atharina'S  ^weiten,  im  3af)re  1779  geborenen  (Snfel  errichtet 
merben,  ber  beßfjalb  ben  alten  Kaifernamen  Konft  antin  erhalten 
hatte.  Qvlx  Sörberung  biefeS  planes  mar  $otemfin  eifrig  bemüht, 
eine  engere  Verbinbung  jwijchen  fflußlanb  unb  Oeftcrreich  ju  ©tanbe 


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^otcmfin  ber  Xaurier. 


605 


ju  bringen,  roäfjrenb  baS  üon  $anin  aufrecht  gehaltene  93ünbni& 
mit  griebridj  II.,  ber  im  StiÜcn  bcr  Sßergröfjcrung  SRußfanbS 
entgegen  arbeitete,  immer  locfercr  mürbe.  VUS  Waffen-  unb  JpanbetS- 
pläfce  gegen  bie  Xürfen  mürben  bie  ©täbte  ®atbarinoSlaro,  9Äorio= 
pol  unb  (Styerfon  errichtet,  unb  über  einem  Xfjore  ber  festeren  las 
man  bie  bebeutungSüolIe  ijnfdjrift:  „SBeg  naef)  $ty$an$." 

Um  bie  Söernnrflidjung  beS  orientalifdjen  planes  anaubaljnen, 
mürben  ©dritte  jur  ^Bereinigung  bcr  ®rim  mit  9tu&(anb  getrau, 
bie  mit  (Shrfolg  gefrönt  toaren.  9Zad)bem  ber  ruffifdjc  §of  ben  öon 
ifmt  eingefefcten  ®f)an  ©djaljin  ©tjerai  oollftänbig  auf  feine  ©eitc 
gebogen  fjatte,  machte  ^otemfin  im  3afjre  1782  eine  Steife  nadj  (Sfjer* 
fon ,  um  burdj  93erfpredmngen  unb  ©elbfpenben  fomof)(  if)n ,  als 
aud)  anbere  Häupter  ber  Xataren  für  bie  ruffifdjen  $Iäne  ju  ge* 
minnen ,  unb  in  ber  %f)at  gelang  eS  ifytn ,  ben  ®f)an  jur  Öborb= 
nung  einer  ©efanbtfdjaft  nad)  Petersburg  ju  beroegen,  burefj  me(d>e 
er  ber  (£$artn  feine  Untertfyänigfeit  erMären  liefe.  3>ie  ©rüber 
beS  ®§anS  miberfefeten  fitf)  jmar,  unter  bem  ©eiftanb  eines  XfyeUeS 
ber  SBeoölferung ;  ifjr  2Biberftanb  rourbe  jeboef)  burcr)  ruffifcfjeS  9ttiÜ* 
tär  ntebergemorfen,  baS  fogleicf)  in  baS  ßanb  einrürfte  unb  $aufenbe 
ber  ©egner  beS  ®f)anS  tfyeüs  töbtete ,  tfjetfS  §ur  Seibeigeufdmft 
nad)  SRujjlanb  fcf)Ieppte.  5)er  ®f)an  trat  im  3a§re  1783  feine  ober= 
fjerrlitf)en  9ted)te  gegen  bie  3ufa9e  cine$  QafjrgelbeS  für  fidj  unb 
einige  ©lieber  feiner  Samiüe,  beffen  3luSjaf)lung  jebodj  batb  ein* 
geftetlt  mürbe ,  an  Stußlanb  ab  unb  tocrlicß  bie  $rim ,  bie  fofort 
oon  ben  Muffen  in  Söefifc  genommen  mürbe.  $)ie  Söeoitfferung  er* 
fjob  fief)  jmar  in  9Jcaffe  gegen  bie  ruffifdje  $err[dwft;  aber  ifjre 
Sluflefmung  r>attc  nur  ein  fdjauerüdjeS  ^ötutbab  jur  golge,  bei  mel* 
djem  auf  33efe!jl  $au(  ^otemfinS,  eines  ©ermanbten  beS  3ürften, 
breißigtaufenb  Xataren,  Männer,  SBeiber  unb  ftinber ,  nieberge* 
me&ett  mürben. 

®atf)artna  fuct)te  bie  gemaltfame  SBefifcergretfung  ber  ^rim 
burdj  bie  ©rftäruug  ju  rechtfertigen:  „$ie  Xataren  feien  nidjt  fäfn'g, 
baS  ©lücf  ber  Unabpngigfeit  ju  genießen,  baS  fte  ifjnen  bei  bem 
legten  grieben  oerfdwfft  f)abe;  fie  finbe  fid)  ba^er  bemogen,  jur 
$erfteflung  ber  SRuf)e  in  ber  Shim ,  fomie  jur  ©idjcrf)ett  ifjreS 
eigenen  Steides  unb  $u  einigem  (£rfafc  ber  bereits  für  baS  SBofjt 
ber  Tataren  aufgemanbten  jtoülf  Millionen  tftubel  bie  #atbinfel 
®rim  nebft  $uban  unb  ber  3nfcl  Xaman  unter  il)re  $errfc^aft  ju 
nehmen.  S)ie  üon  atten  curopaifc^cn  SCRäcr)tcn  oerlaffene  Pforte 
fa^  ftet)  genötigt,  nict>t  nur  bie  #errfdjaft  9tu6(anbS  über  bic 
®rim,  ®\iba\\  unb  laman  anjuerfennen ,  fonbern  auc^  bem  über- 
mächtigen ^cac^barftaate  einen  oort^eil^aften  ^anbelsoertrag  ju  ge* 
mähren.  (1784.) 

gür  bie  mit  SRitßlanb  oereinigte  ^rim,  mit  me^er  ^att)arina 


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606 


ben  fixeren  ©djlüffel  jum  o«manifchen  deiche  in  $änben  $u  hoben 
glaubte,  würbe  ber  alte  ttame  X  q  u  r  i  e  n  erneuert ,  unb  ^otemfin 
erhielt  mit  ber  Statthalterfchaft  über  ba*  neugewonnene  öonb  ben 
Huftrag,  baafelbe  ju  einem  ©liebe  be*  rufftfehen  SReiche*  um^uge* 
ftalten.  (Sr  öou>g  biefen  Auftrag  in  ber  ihm  eigenen  fdjonung** 
lofen  SBeife,  inbem  er  bie  beftehenben  (Einrichtungen  gewaltfam 
öernicfjtete  unb  babei  jugleich  ba*  ßanb  jur  ©efriebigung  feiner 
#abfud)t  in  ber  fchmachootlften  SBeife  audfaugte. 

Um  bie  hierüber  oon  feinen  (Siegnern  oor  ben  Xfjron  gebrach» 
ten  Slntlagen  ju  entfräften,  bemog  <Potemfin  bie  flatferin  im  3at)re 
1787  $u  einer  Steife  nach  laurien,  $u  Welver  fie  fich  um  fo  leicfc 
ter  entfdjlofi ,  att  ber  Xob  ihre*  ©ünftling*  Sandfoi  fie  W»«* 
mütlng  geftimmt  ^atte  unb  Ujr  baher  eine  3erftreuung  erwünfebt 
war.  SRit  einem  jahlreidjen  glän$cnben  (befolge,  unter  welchem  fich 
auch  bie  ©efanbten  mehrerer  fremben  $öfe  befanben,  brach  fie  oon 
Petersburg  auf,  unb  &efte,  Schmeicheleien  unb  #ulbigungen  aller 
2lrt  geftaltctcn  ir)re  Steife,  für  welche  äße  bracht  be$  Orient*  auf* 
geboten  worben,  ju  einem  Xriump^ug. 

3n  #iero,  bi*  wohin  wätjrenb  ber  ganzen  gafjrt  bie  langen 
dächte  burch  unzählige  Scheiterhaufen  erhellt  worben  waren,  fdjiffte  fich 
®att)arina ,  na  et)  einem  mehrmonatlichen ,  burd)  ben  (SiSgang  be$ 
Xniepr  oeranla&ten  Aufenthalt,  auf  einer  Keinen  glotte  oon  fünfzig 
JJahrjeugen  nach  ben  neu  erworbenen  äänbern  ein.  2(13  fie  fid) 
benfelben  näherte,  wu&te  ^otemfin  fie  burd)  ein  ölenbwerf  ju  tau 
fct)en ,  ba3  il)r  bie  menfehenteeren ,  oeröbeten  ®egenben  im  Sichte 
einer  ungeahnten  !ölütr)e  geigte.  xHuf  oterjig  Steilen  weit  waren 
große  SBoltemaffen  jufammenget)ott  worben,  um  bie  oerfdnebenen 
Orte,  an  welchen  bie  ftaiferin  borüberf  utjr ,  alä  reichbeoölfert  bar* 
aufteilen  ;  wenn  fie  biefen  Stotd  erfüllt  tjatten,  lieft  man  fte  bor 
junger  umfommen.  Tic  nämlichen  $iet)t)eerben  würben  beä  9iad)t3 
oon  einem  Ort  junt  anbern  getrieben,  um  ber  ftaiferin  balb  hier, 
balb  bort  ben  SSotjlftanb  in  ber  gerne  fdnmmernber  gemalter  $)ör= 
fer  ju  berfünben.  3n  bie  (Srbe  getriebene  9Waftbäume  mit  wet)en- 
ben  Söimpeln  gautelten  it)r  ba3  iöilb  eine*  lebhaften  £>anbet$  auf 
Slüffen  unb  banalen  oor.  3n  bem  .ftafen  oon  Sebaftopot  jeigte 
ftet)  tlir  bei  einem  prächtigen  Jeuerwcrfe  ba3  Xrugbilb  einer  gan* 
$en  fttiegSflotte.  5Öon  neuem  Vertrauen  in  ^ßotcmfinä  fct)öpferifc^en 
(SJeift  erfüllt ,  oerlieh  ihm  bie  getäuföte  Maiionn  ben  Beinamen 
„ber  Xaurier"  unb  ertheilte  bem  Senate  Befehl,  eine  9lu^mfcr)rift 
auf  ihn  $u  berfaffen  unb  biefelbc  im  ganjen  fianbe  befannt  ju 
machen. 

2Bic  bie  Steife  ber  $atferin  nach  Xaurien  SßotemnnS  Hnfehen 
neu  befeftigte,  fo  brachte  fie  auch  feine  s$länc  bezüglich  ber  Xürfei 
ihrer  s2(u*führung  näher;  benn  wäljrenb  berfelben  fam  jwifchen  ber 


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607 


(£jarin  unb  Sofeph  IL,  bcr  mit  ihr  in  (Eherfon  aufammentraf  unb 
fic  oon  bort  auf  ihrer  »eiteren  föeife  begleitete ,  ba*  längft  oon 
^otemfin  erfrrebte  Vünbni&  ju  @tanbe,  ba*  ihr  ben  »eiftanb  Defter* 
xtify  ju  bem  geplanten  neuen  Xürfenfriege  ftcherte. 


Äatharina'S  stoeUer  iürfenfrteg. 

(1788-1792.) 

(seit  ber  Sufantmenhmft  ber  (J$arin  mit  3ofeph  IL  unterlag 
e£  für  bie  Pforte ,  toie  für  ba3  gefammte  äbrige  (Suropa ,  faum 
mehr  einem  Stoeifel,  bag  jtoifchen  Reiben  ein  auf  bie  Vernichtung 
be3  türfifdjen  SReicbeä  jtelenber  ftrieg  Oereinbart  morben;  benn  ber 
rufftfe^e  $of  feinen  e$  gefliffentlich  barauf  anzulegen ,  burch  neue 
unberechtigte  Sorberungen  unb  ©efdrtoerben  aller  Slrt  bie  türttfdje 
Regierung  $u  reijen.  Tiefe  befchlofj  baljer,  im  Vertrauen  auf  bie 
Unterfinning  Gnglanbä ,  $reugend  unb  ©gebend ,  bie  ade  mit 
föujjlanb  au&  oerfd)iebenen  GJrünben  auf  gefpanntem  gujje  ftanben, 
auf  Örunb  ber  zahlreichen  feit  bem  Äb[chlu&  ber  Vertrage  Don 
1774  unb  1784  oon  SRu&lanb  erlittenen  Äränfungen  ber  (Sjarin 
ben  Krieg  ju  erfroren.  $)ie*  gefchah  am  24.  Sluguft  1787,  unb  an 
bem  gleichen  Xage  mürbe  ber  rujfijdje  ©efanbte  Vulgafoio  in  baä 
©chlo|  ber  peben  Xhürmc  gefperrt. 

Katharina  beantwortete  bie  türfifche  &rieg$erffärung  burch  ein 
33ianif eft ,  in  toelchem  fic  r  unter  Verficherungen  ihrer  friebliebenben 
(Sefinnungen  unb  unter  Verroünfchungen  gegen  ben  3fleineib  unb 
bie  Xreulofigfeit  ber  Pforte,  bie  gefammte  cbriftlidje  SBelt  auffor- 
berte,  ihre  ©ebete  unb  ihre  9Waa)t  jur  Vernichtung  be«  (SrbfeinbeS 
ber  (Shriftenheit  $u  oereinigen. 

Söäijrenb  Qofepf)  II.,  toie  mir  oben  (@.  555)  gefehen,  nach 
bem  $lane  ßaäcü'S  mit  einem  jpeere  oon  jtoeimalhunberttaufenb 
ÜHann  burch  baä  Vanat  einen  toeit  audgebehnten  (lorbon  pichen 
lieg,  rücften  jtoei  Oon  töoinanjoro  unb  Sßotemfin  geführte  ruffifche 
.peere  gegen  bie  türfiferje  Örenje  oor.  Much  mürben  bie  (kriechen 
3U  einer  erneuten  @rhc&unÖ  aufgeforbert,  unb  trofe  ber  bitteren  Qx- 
fahrungen,  bie  fie  im  erften  Xürfenfriege  ju  machen  gehabt,  leifteten 
Viele  biefer  Slufforberung  So  Ige. 

Tic*  mal  fchten  bie  Xürfei,  bie  ftch  in  ihren  (£rtoartungen  auf 
Unterftüfcung  oon  Wunen  getan  jd)t  jat),  ihrem  Sdjirffale  nicht  ent- 
gehen ,yi  fönnen;  allein  ber  Verlauf  be3  erften  &riegdjahred  recht- 
fertigte in  feiner  SBeife  bie  Hoffnungen ,  toelche  bie  oerbünbeten 
dachte  auf  ihre  gemaltigen  ©treitfräfte  gefegt.  SBährenb  bie 
Defterreicher  in  Solge  be3  oerfehlten  gelbjugäplanä  £adct)'a ,  ftatt 


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608 


Äattjarma  II.  t>on  Sfcifjlanb. 


ju  einem  erfolgreichen  Angriff  auf  bie  Xürfei  freiten  $u  tonnen, 
fich  mit  ferneren  Verluften  in  baä  3nnere  be*  ©anatS  jurürfge* 
worfen  unb  ju  einem  einfachen  Sßertfjcibtgung&frieg  gezwungen  fahen, 
oerf)inberte  ein  im  3a^re  1788  begonnener  #rieg  Öuftao*  III.  öon 
©chweben  gegen  föußlanb  bie  2lbfenbung  ber  Dftfeeflotte  nach  bem 
Sftittelmeere ,  fo  baß  bie  flotte  im  fchmarjen  ÜReere  es  ollein  mit 
ber  türfifcfjen  Seemacht  unb  ihrem  tapferen  flapuban  $afcha  auf- 
nehmen  mußte. 

Much  bie  beiben  L'anbheere  unter  SRomanjorn  unb  ^otemfin 
befanben  fich  in  einem  nichts  weniger  al*  glänjenben  3uffcanbe ; 
benn  bei  ber  burdj  bie  beitpieflofe  iöerfchwenbung  ber  ©ünftling$= 
regierung  herbeigeführten  ©rfdjöpfung  ber  rufftfehen  ginanjen  fehlte 
es  ben  Gruppen  am  SRöthigften.  ©ech*  Monate  lang  lag  $otemftn 
unt^ätig  öor  ber  ÖJrenjfeftung  Dfjafom,  burdj  welche  fich  bie 
Muffen  im  Söefifce  ber  Ärim  bebroht  fahen,  unb  nadjbem  bie  burdt) 
bie  ©ommerhifce  unb  Langel  aller  Wct  erzeugten  ftranfheiten  öiele 
Xaufenbe  feiner  ©olbaten  hinweggerafft  hatten,  brohte  bie  (Strenge  beä 
SBtnterS  ihnen  noch  größere  ißerlufte  ju  bringen.  STm  17.  2)ejem= 
ber  1778  entfcfjloß  fich  enblich  ^otemfin,  ber  für  bie  Verpflegung 
feiner  Xruppen  nicht  bie  geringste  Sorge  getragen,  ju  bem  oon  ben 
©olbaten  felbft  gewünjchteu  ©türme ,  unb  nach  einem  furchtbaren 
Kampfe  mit  ben  jum  äußerften  Söiberftanbe  entfchloffenen  Xürfen 
brangen  bie  Muffen  über  bic  mit  Seichen  angefüllten  ©räben  in  bie 
©tobt  ein,  in  welcher  fie  nicht  nur  bic  ganje  türfijche  SBcfafcung 
niebermefcelten,  fonbern  auch  unte*  Der  sBeoölferung  ein  fdjauerlichea 
iölutbab  anrichteten. 

Stuf  bie  erfte  Nachricht  oon  ber  (Srftürmung  öon  Dfyafom 
fanbte  Katharina  bem  fiegreidjen  $otem!iu  mit  einem  foftbaren 
3)egen  baä  längft  gewünschte  große  iöanb  beä  ®eorg3orben8 ,  ba& 
fie  ihm  bioticr  nicht  hatte  oerleihen  fönnen ,  weil  e$  nur  derjenige 
tragen  barf,  ber  eine  ^auptjehtacht  gewonnen  ober  eine  $aupt* 
feftung  erobert  fyat.  Sßoch  größere  Wu^eidmungen  harrten  feiner 
in  ^eteräburg,  wohin  er  fich  alabalb  begab.  Mehrere  föchte  hin* 
burch  ließ  bie  (£$arin,  in  ber  oergeblichen  Erwartung  feiner  x'ln- 
fünft,  mit  großen  Soften  brei  teilen  weit  ben  2öeg  erleuchten,  auf 
welchem  er  eintreffen  mußte,  waä  jeboa)  ben  übermütigen  (Sünft* 
ling ,  ber  baoon  Äunbe  erhalten ,  nicht  jjur  ©efchleunigung  fetner 
flieife  bewegen  fonntc,  unb  als  er  enblich  augefommen  war,  machte  fie 
ihm  felbft  ben  erften  SBefuch.  s2lm  Dfterfefte,  an  welchem  fich  ber 
rujfijche  £of  um  Mitternacht  in  ber  $apeße  be3  SBinterpalafteS 
jum  ÖtotteSbienfte  $u  oerjammetn  pflegt,  umarmte  fie  ihn  unb 
banftc  ihm,  unter  Ucberreichung  eine*  mit  ben  merth&oUften  $ia= 
manten  reichbefefoten  Crben^eichenä,  mit  erhobener  ©timme  für  bie 
wichtigen  £tenfte,  bie  er  ihr  unb  ihrem  deiche  geleiftet.    2ftit  bem 


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alleinigen  Oberbefehl  über  beibe  #eere  betraut,  reifte  er  am  folgen* 
ben  Xage  wieber  bon  Petersburg  abf  nadjbem  er  bie  Äaiferin  gc* 
$wungen,  ihm  $ur  Sortfefrung  bet  ffrieget  fecht  SRilltonen  Kübel  au 
bebänbigen. 

$)er  gelbjug  bet  fahret  1789  brachte  ben  SBerbünbeten  un* 
gleich  größere  (Erfolge,  alt  ber  oortjergeljeube.  ^otemfint  Unter* 
felbherr  ©uwarow  erfocht  am  1.  Sluguft,  im  herein  mit  ben  Defter* 
reihern  unter  bem  Sßrinjen  Don  Coburg,  bei  5  o  f  f  <fy  a  n  tj  Aber  ein 
tfirfifdjeS  #eer  Don  fünfunbbreißigtaufenb  Tlaxm  einen  glän^enben 
©icg,  an  welchen  fidj  am  22.  September  ein  noch  größerer  bei 
a  r t inj efti  am  fflimnif  reifte,  wo  bie  beiben  gelbljerren  ein  bon 
bem  ©roßbegier  felbft  befehligtet  $ttx  bon  aweiunbneun$igtaufenb 
9ftann  faft  gänjlich  bernichteten  unb  beffen  reichet  £ager  erbeuteten. 
53alb  barauf,  am  8.  Dftober,  eroberte  ber  alte  ßoubon,  ber  fidj 
bereit  t  9ieugrabetfa't  bemächtigt  hatte,  nach  einer  benf  würbigen  ©e* 
(agerung  bat  wichtige  Söelgrab  unb  warf  bie  Xürten  bis  hinter  Sttffa 
3urücf.  Qu  ber  gleichen  Qtit  fielen  ©alaq,  9lffierman  unb  SBenber, 
bat  lefotere  burch  Serrath,  in  bie  bemalt  $otemfint. 

tiefer  trug  fid)  unterbeffen  mit  bem  ehrgeizigen  $tane,  bie  bon 
ben  Defterreichern  unter  bem  ^ßrinjen  bon  Coburg  eroberte  Dölbau 
tiebft  ber  SBafladjei  bei  ber  bemnächftigen  Xheilung  bet  türfifchen 
deichet  alt  unabhängige  Sfürftenthümer  für  ftch  ju  behalten  r  unb 
bat  geben,  bat  er  in  Qaffy  führte,  befunbete,  baß  er  fid)  bereit* 
alt  beren  £>errfcher  betrachtete.  Um  bie  bornehmen  SDcolbauer  für 
{ich  &u  gewinnen,  umgab  er  fid)  mit  einem  föniglichen  $runt ,  rieh* 
tete  eine  fürftliche  Itapelle  ein,  berfchrieb  ©chaufpieler  unb  Xänjer 
aut  $arit  unb  ließ  aut  granfreich  bie  toftbarften  Schmucfgcgen* 
ftänbe  fommen,  für  welche  ber  (nicht  bezahlte)  &oü  allein  $wölftau» 
fenb  Kübel  betrug. 

Wit  ber  Verwirf lichung  feiner  £errfchafttbläne  ging  et  inbeffen 
io  rafch  nicht,  alt  er  gehofft;  benn  ber  Sultan  Selim,  ber  feinem 
am  7.  $tprit  1789  berftorbenen  Dheim  Slbbul  fyamib  auf  bem 
Xhrone  gefolgt  war,  jeigte  fich,  burch  °*e  feinbliche  Haltung  ©nglanbt 
unb  Sßreußent  gegen  SKu&lanb  ermutigt,  jum  äußerften  SBiberftanb 
entfchloffen,  unb  ber  nach  htm  Xobe  Sofepht  II.  bon  beffen  Nach- 
folger ßeopolb  II.  mit  ihm  gefchloffene  SßaffenfäUftanb,  auf  welchen 
am  4.  Wuguft  1791  ber  Sriebe  bon  ©iftowa  (f.  ©.  559)  folgte, 
gemattete  ihm,  ben  ftampf  gegen  föußlanb  mit  berboppelten  Gräften 
fortjufefcen. 

Unterbeffen  hotte  Katharina  am  14.  Äuguft  1790  mit  Schwe* 
ben  ^rieben  gefd)loffen  unb  fonnte  baher  ihre  gefammten  Streit« 
fräfte  nach  bem  ©üben  richten ,  wo  ihre  Zruppen  altbalb  neue 
^  ortheile  errangen,  öefonbert  wichtig  war  bie  (Eroberung  ber 
Seftung  Stmael,  bie  am  22.  ©ejember  1790  burch  Suwarow 

$  o  I  a  w  a  r  t  f),  3B«Itßefäi$te.  VI.  3  9 

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610 


£aü)arina  II.  tum  Stufelanb. 


crftürmt  tuurbc.  Um  fid)  für  bie  bei  ber  Belagerung  unb  tuäbrcnb 
be*  ©turmed  erlittenen  SBerlufte  $u  rädjen,  lieg  ber  erbarmungSlofe 
Sieger  in  ber  erftürmten  ©tabt  öierjigtaujenb  3Jcenfdjen  meber- 
me()eln.  ©alb  nad)  ber  ©innatyme  oon  3dmail  Übertritten  bie 
Muffen  bie  Ton  au  unb  fälligen  bie  Xürfeu  bei  SDfacfht. 

Xrofc  biefer  Erfolge  erfannte  bie  Gjarin  bie  Kotljmenbigreit, 
\\d)  mit  ber  Pforte  ju  »ertragen ;  benn  (Snglanb  unb  Preußen  ml)-- 
men  eine  entfdueben  brofyenbe  Spaltung  gegen  fie  an,  unb  bie  Polen 
geigten  fid)  entjdjloffen,  ben  Xürfenfrieg  jur  21bfd)üttelung  ber  ruf« 
fifdjen  ^tutngt)crr jdjaft  ju  benufcen ;  audj  roaren  SRu&lanb*  $>ilfd* 
quellen  erfdjöpft :  eä  fehlte  an  (Mb  unb  an  CXrcbit.  Obgleich  Po* 
temfin  felbft  nad)  Petersburg  eilte ,  um  feinen  ganzen  ©injluß  $ur 
gortjeftung  be$  irtieged  ein$ufefcen,  erreichte  er  bteämal  fein  Siel  . 
nidjt :  in  ber  Hoffnung,  fid)  jum  anberen  9Jcal  an  Polen  fd)ablo& 
galten  ju  tonnen,  fuüpfte  bie  £$arin  3riebeu§unterl)anblungen  mit 
ber  Pforte  an,  unb  am  11.  äuguft  1791  tarn  ju  ©alacj  ein  Ver- 
trag ju  Staube,  ber  am  9.  Januar  1792  ju  3  a  [  i  i)  in  einen  befi* 
nitiöen  grieben  oermanbelt  mürbe.  SRufjlanb  leiftete  jum  anbern 
SJcale  auf  bie  Xouaufürfteuttuuncr  iüer^idjt  unb  begnügte  fid)  mit 
bem  (Gebiete  oon  Df jaforn  btä  an  ben  $niefter,  ber  fortan  bie  (SJrenje 
5toifdjen  beiben  Steigen  bilben  foUte. 

sJcod;  öor  bem  Äbfajluß  bed  gfriebend  oon  3affu  hatte  ber  Xob 
ber  glanjöollen  Üaufbafm  potemfiu«  ein  &itl  gefegt.  6a)on  feit 
einiger  Seit  mar  feine  Sebendfraft  burdj  eine  .strauf  tjeit  untergraben, 
bie  er  bura)  Öcradjtung  aller  SBorfidjtämajjregeln  unheilbar  gemadjt. 
Sßon  innerer  Unruhe  getrieben,  mottle  er  fid)  oon  3aff9  naa)  Dfya= 
fom  bringen  laffen,  mo  er  (Erleichterung  $u  finben  hoffte;  auf  ber 
Weife  bat)iu  öerfa)limmerte  fid)  jeboa)  fein  ^uftaub  fo  fefjr ,  bafj  er 
fid)  mitten  auf  ber  ßanbftra&e  auä  feinem  SBagen  (jeben  unb  auf 
lepmdjen,  bie  man  unter  einem  Baume  ausgebreitet,  nieberlegen 
laffen  mu&te.  $>icr  üerfdueb  er  in  ben  Keinen  feiner  9tt$te,  ber  ool* 
nijdjen  Gräfin  Öranicfa  (18.  Oft  1791). 


Sie  jmette  unb  brüte  Ifjcünng  polen*. 

(1793  unb  1795.) 

$)urd)  bie  naaj  ber  erften  2$etfung  Polen*  oon  ben  brei 
9ttäd)teii  ber  SRepublif  aufgezwungene  neue  5ßerfaffung  tyatte  fid) 
bie  Gjarin  bie  bauernbe  £>errfd>aft  über  Polen  gefiebert.  $er  au* 
bem  «bei  ber  SB  oimobf  duften  getollte  „immermä^renbe  Waty," 
ber  ftatt  be*  abgerafften  ©enatä  mit  unb  neben  bem  £önig  für 
bie  SBottaieljung  ber  ©efefce  Jorgen  follte  unb  ber  eigentliche  3n* 


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3)ie  jtoeite  unb  britte  Teilung  $olen«. 


611 


fyaber  ber  föniglidjen  (Seroalt  mar,  ftanb  ganj  in  ifjrem  $5ienfte 
unb  geljordjte  ben  SBefefylen  ifjrer  (Sefanbten  r  roäljrenb  ifjre  Xrup* 
pen,  bic  im  Sanbe  blieben,  „um  bie  9tu^c  SßolenS  unb  beffen  na* 
tionale  greifjeiten  $u  fdntfcen,"  ba3  S8olf  mit  ben  fdjroerften  ©e* 
brfiefungen  fjeimfud)ten.  $ie  ©eljnfudjt  naef)  ^Befreiung  oon  biefem 
Trncfc  unb  biefer  Scfjmad)  ttmdjS  Don  gafjr  ju  3al)r  unb  bradj 
mit  unnriberfteljlitf)er  (Setoalt  Ijerüor,  als  $atl)artna'3  jmeiter  %üt* 
fenfrieg  unb  bic  ruffenfeinblidje  Haltung  (SnglanbS,  $reu($enS  unb 
SdjroebenS  für  ben  Skrfud) ,  ba$  gefnedjtete  Sanb  öon  feinen  gef* 
fein  au  befreien,  einen  glücflidjen  Ausgang  in  Sluafidjt  ju  fteflen 
fdjien. 

@8  fehlte  jroar  nidjt  an  Soldjen,  bie  tfjeilS  auS  gurdjtfamf eit, 
tfjeilS  aus  (Sigennufc  ben  Strom  ber  nationalen  SBegeifterung  ju  Ijem* 
men  fugten;  allein  ber  im  Qafyre  1788  jufammengerretene  SReidjStag 
lieferte  ben  ©etoeiS,  bajj  ber  üaterlänbifcf)  gefinnte  Xljeil  ber  Nation, 
ber  bie  Sßernidjtung  be£  ruffifct)en  (StnflufjeS  öerlangte,  ber  bei  2Bet* 
tem  ftärfere  mar.  $>a3  öon  ftatfyarina  angetragene  SBünbnifj  gegen 
bie  iürfei  mürbe  jurüefgenriefen  unb  ber  93efd)lu&  gefaßt,  baä  pol* 
nifdje  $eer  auf  feeffötgtaufenb  3ttann  ju  erljöfyen,  um  ber  an  SRuß- 
lanb  geftellten  Jorberung,  feine  Xruppen  au*  Sßolen  ^urücf^u^ie^en 
unb  baS  (Gebiet  ber  Slepubli!  mit  bem  oerfjeerenben  $)urdj$iig  ber 
nadj  ber  Xürfei  entfanbten  ^peermaffen  ju  oerfefjonen ,  burd)  eine 
brofjenbe  Haltung  ben  nötfngen  üftadjbrucf  oerlei^en  $u  fönnen. 

5ftad)bem  bie  ©jarin,  burdj  ben  $oppelfrieg  mit  ber  Xürfei  unb 
Sdjtoeben  für  ben  Mugenblicf  jur  SRadjgiebigfeit  gelungen,  ifjre 
Xruppen  aus  *ßolen  jurüefge^ogen  unb  bie  Sufage  Gegeben  f)atte,  bie 
©renjen  beSfelben  fortan  nid)t  mefjr  51t  überfdjreiten ,  fjoben  bie 
Sßolen  ben  „immermafjrenben  SRatt)"  auf  unb  fdjritten,  ermutigt 
burdj  ben  SöeifaQ  SnglanbS  unb  Greußen*,  bie  ilmen  Sdmfc  unb 
Unterftüfcung  in  21u3fid)t  ftellten ,  ju  einer  burdjgreifenben  Reform 
tyrer  SSerfaffung,  als  bem  einzigen  Littel,  bie  berlorene  Selbftftän* 
bigfeit  dolens  ^erjufteHen  unb  feine  ßufunft  ju  fiebern. 

Xrofc  ber  ©egenbemüfjungen  ber  ruffenfreunblidjcn  Partei 
natym  baä  SBert  ber  inneren  Degeneration  s$olen£  feinen  ungern* 
berten  gortgang,  unb  nadjbem  am  29.  ÜÄärj  1790  mit  sßreufien 
ein  93ünbni|  ju  gegenfeitiger  93ert§eibigung  gefd)loffen  roorben  mar, 
festen  bie  Häupter  ber  patriotifd)  gefinnten  Partei,  ber  3Rarfct)aII 
9flalad)oroSfi,  ber  Stfdjof  $raftn£fi  oon  Äamimecf,  ber  ©ifd^of 
<3olti?  oon  itrafau  unb  bie  ©rafen  Qgnaj  unb  Stanislaus  ^otodi, 
am  3.  9J*ai  1791  in  einer  ftürmifa^en  Skrfammlung  bie  s2(nna^me 
ber  neuen  SSerfaffung  bura^.  21uc^  ber  ^önig,  ber  lan^e  unent* 
fc^loffen  ^in  unb  f)er  gefc^manft,  erflärte  fic^  offen  unb  nad)brüa% 
lia^  für  biefelbe.  sJlad)bem  er  oon  feinem  Xf)rone  ^erab  mit  lauter 
Stimme  bie  neue  SBerfaffung  befc^moren  ^atte,  begab  er  ft$  mit  ber 

39* 

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612 


flatyarina  II.  Don  SRufelanb. 


ganzen  Verfammlung  nadj  ber  ßaüjebrale,  mo  unter  bem  Bonner 
beä  ©efdjüfceS  unb  bem  ftürmifd)en  3ubel  ber  Stabt  SSarfdjau  ber 
im  ganzen  Sanbc  begeifterten  sJtad)f)aH  fanb,  bic  SibeSleiftung  er* 
neuert  nnirbe. 

Xurd)  bie  neue  Verfaffung  mürben  alle  biejenigen  3nftitutionen 
beseitigt,  aus  meldjen  bic  innere  3errüttung  $olen*  fjeroorgegangen : 
baä  Liberum  Veto,  bie  $onfoberationen  unb  bie  SBäfjlbarfeit  bcS 
IBnig*.  Sur  ben  9leid)ätag ,  ber  mie  früher  au«  ber  Cammer  ber 
üanbboten  unb  ber  ©enatorenfammer  befielen  unb  alle  jtoei  Saljre 
jufammenberufen  merbcu  joüte,  mürbe  baä  Sflajoritätsootum  einge* 
füt)rt  unb  ber  Üfjron,  bei  ber  Äinberlofigfeit  beS  fönigS  ©tantö* 
lau«,  in  ber  gamilte  bc$  Äurfürften  oon  ©adjfen  für  erblich  er- 
Hart.  Xen  f  ewiglichen  ©tobten  mürben  föchte  jugefprocfjen ,  bie 
eine  aflmäfjlidje  SBerfchmeljung  be3  VürgerftanbeS  mit  bem  Slbel 
anjubafjnen  geeignet  maren.  ©ie  erhielten  nicfjt  nur  bie  SBefugnifj, 
ifnre  3)fagifrrateperfonen  felbft  ju  roäfjlen,  fonbern  e£  follte  aud) 
ben  ©ärgern  bad  Sttedjt  jufteljen,  abelige  (Mter  311  ermerben,  unb 
jeber  Bürger,  ber  ein  ganzes  $)orf  faufe  ober  ein  S^renamt  im 
^eere  ober  in  ber  Verroaltung  befletbe  p  in  ben  Vlbelftanb  erhoben 
merben.  gür  ben  Jöaueutftanb  blieb  jmar  bie  Seibeigenfdjaft  in 
Staft,  bod)  tnurbe  berfelbe  unter  ben  ©cfmfc  ber  ©ejeje  unb  ber 
ßanbeäregierung  geftellt. 

SSäfyrenb  alle  moc)lgefinnten  ^ßolen  in  ber  neuen  Verfaffung  ein 
fixere*  Üuterpfanb  fünftigen  QHücfeä  fafjen,  rief  bie  ruffijdje  Partei, 
an  beren  ©pifce  ber  Surft  gelij:  Sßotocfi,  ber  ßtongro&felbljerr  Vra* 
niefi,  ber  Vifdjof  ftoffafomdft  unb  ber  ßkaf  5)tyemuSfi  ftanben,  ben 
lÖeiftanb  ber  (Ejarin  jur  Vernichtung  ber  oon  ü)r  aU  baä  ®rab 
ber  pohüfetjen  greiljeit  bejeidmeten  neuen  Verfaffuug  unb  ber  9Bic- 
bereinfüfjrung  ber  alten  an.  Söereitmiflig  fagte  ihnen  Matlianna,  bie 
eben  mit  ben  dürfen  ^rieben  gefd)loffen,  ityre  £ilfe  ju,  inbem  fic 
eine  (£rflärung  erlieg,  in  melier  fie  fidj  in  klagen  über  ben  sJieidj3= 
tag  erging,  ben  fie  bed  Unbanfd  gegen  fie  unb  ber  9ftd)tad)tung  ber 
„üon  ben  Vorfallen  jum  Jpeile  s$olenä  erlaffenen  sBeftimmungen" 
befdmlbigte.  Sie  motte  jmar,  fügte  fie  fun^u ,  oergeffen ,  baß  man 
fie  felbft  beleibigt  unb  iure  QkoBmun)  unb  ilneigennüfcigfeit  Der* 
idjinahr  Ijabc;  aber  fte  fönne  uutt  gleidjgiltig  bleiben  gegen  bie 
s$olen,  bie  il)ren  ©djufo  anflehten.  3)ie  ruffijdjc  Partei  fdjloß  hierauf 
$u  I  arg  dum  c  j  eine  onf  oberation,  \w  beren  Unterftüfcung  bie  au* 
ber  Sürfci  jurücffct)renben  Speere  in  ber  ©tärfe  oon  einmal  fmnbert* 
taufenb  SJfann  gegen  bie  polnijdje  Ö)ren$e  Ijeranrürften. 

3m  Vertrauen  auf  bie  £ilfe  vJkeu§enö  jaljen  bie  $olen  rutjig 
bem  iljrcr  Ijarrenbcu  Kampfe  entgegen;  aber  fie  hatten  bie  eoenfo 
perfibe ,  als  jelbftjüdjtige  ©taatefuuft  beä  3aWunbertä  nidjt  in 
iöetrac^t  ge$ogeu.    £er  Äönig  griebria)  ©itl^elm  II.  moüte  i^nen 


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$>ie  jroeite  unb  brittc  Teilung  $olen3. 


613 


feine  #ilfe  nur  um  ben  $rei3  ber  Abtretung  öon  $an$ig  unb 
£f)orn  oerfaufen,  unb  ba  fic  ftdj  ju  berfelben  nidjt  oerftefjen  fonn* 
ten,  fd)Io&  er  ftdj  an  bie  ©sarin  an.  Vergebens  riefen  bie  <ßo(en 
Defterreid) ,  Saufen  unb  bie  Xürfei  um  #ilfe  an :  ©ad) fen  war  ju 
fdjmad),  bie  Xfirfei  erfdjöpft  unb  Defterreid)  mit  ben  granjofen  im 
stampfe. 

©o  fatjen  fidj  bic  $o(en  auf  iljre  eigene  ®raft  befdjränft,  unb 
fiberbieS  wirften  geheime  Wnbänger  ber  SRuffen,  bie  ber  ßönig  in 
feinen  Staatsrat^  aufgenommen  tjatte,  oerrätljerifdjer  weife  ber  tlufc 
füftrung  beffen  entgegen,  was  ber  SReidjStag  in  33e$ug  auf  baS  £>eer  be= 
fd)Io&.  $)ennod)  oerjweifelte  bie  patriotifdje  Partei  nidjt  an  ijjrer  ge* 
redjteu  ©adje,  unb  aud)  ber  ®önig  erneuerte  öor  ©ort  unb  bem 
ganzen  Solfe  fein  (Stelübbe,  für  bie  Söertfyeibigung  ber  93erfaffung 
unb  beS  SBatertanbeS  mit  ©ut  unb  SBlut  einjufteljen. 

Snbeffen  betrug  bie  ganje  Xruppenmadjt  ber  $o(en,  bie  in  jwet 
fteere  geseilt,  bem  geinbe  entgegenjog,  nur  fünfunbbrei&igtaufenb 
HJcann.  $ie  $auptfüf)rer  berfelben  waren  3ofepf)$oniatow3fi, 
ein  9ceffe  beS  Königs,  unb  XtyabbäuS  föoSciuSfo,  ein  pohtU 
fct)er  (Sbelmamt,  ber  im  norbamerifamfdjen  greiljeitsfampfe  unter 
SBaffjington  feine  ftriegSfdjute  gemalt.  SBeibe  §eere  würben  nadj 
oielen  jwar  rüfjmlidjen,  aber  ungtütflidjen  ©efeccjten  bis  an  ben  ©ug 
jurücf gebrängt.  £ier  fam  eS  am  7.  ^ejember  1792  bei  $5ubienf  a 
ju  einem  blutigen  Xreffen,  in  meinem  ber  f>elbenmütf)ige  floSciuSfo 
an  ber  Spifce  t>on  fed)Staufenb  $o!en  einem  ruffifäcn  fteere  öon 
adjtjelwtaufenb  2Jcann  ben  Sieg  ftreitig  machte ,  bis  ifm  bie  Umge* 
6ung  feinet  regten  SlügelS  burdj  bie  auf  baS  neutrale  öfterreidnfdje 
Gebiet  übergegangene  ruffifdje  ßaoatlerie  jum  SRütfauge  smang. 

Qnjwifdjen  liatte  ber  SReidjStag  baS  gefammte  $8off  \u  ben 
SBaffen  gerufen ,  unb  ber  Äönig  erflärte  aufs  üßeue ,  baß  er  ber 
£apferfeit  ber  Nation  mit  bem  Sdn'dfal  beS  Staates  jugieid)  fein 
eigene*  anheimgebe ,  ba  er  entfdjloffen  fei,  ben  Untergang  beS  IRci- 
cfje*  unb  ben  Sieg  ber  ©Öfen  nidjt  $u  überleben.  916er  Wäfyrenb 
baS  Söotf  fidj  um  bie  gähnen  feiner  tapferen  Süfyrer  fdjaarte,  würbe 
ber  feige  ®önig  an  bemfelben  jum  Serrätfjer.  Dcadjbem  bie  Sjarin 
if)m  in  einem  brofjenben  Briefe  befohlen,  ber  Sargowicjer  ®onfö* 
beration  beizutreten,  erflärte  er  am  23.  Quli  1792  feinem  Staats* 
ratf>e:  ba  bie  brei  benachbarten  |)öfe  fid),  wie  er  in  ©rfatjrung 
gebradjt,  gegen  Sßolen  oerbünbet  r)ätten,  fönne  man  bie  bro^enbe 
$efaf)r  nur  burdj  inniges  Slnfdjliefien  an  9tu&lanb  abwenben,  wo- 
rauf i^m  bie  im  ruffifdjen  @olbe  fte^enben  2Ritglieber  beSfelben 
i^ren  55anf  bafür  au3fprad)en,  wba6  er  baS  SSaterlanb  felbft  um 
ben  ^ßreid  ber  ©djmälerung  feines  eigenen  Dlu^meS  511  retten  fudje." 
Sofort  erging  an  baS  §eer  ber  Sefe^l,  aüe  geinbfeligfeiten  einju- 


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614 


Äat^arina  II.  Don  SRufelanb. 


ftettett.  Poniatoroftfi  uttb  ftoSäuäfo  legten  ihre  ©teile  nieber  unb 
©erließen  mit  Dielen  anbeten  Patrioten  ihr  SBaterlanb. 

9lachbem  bie  fro^locfenben  Xargouricjer  ftonföberirten  ?We«  mit 
©eroalt  $um  Beitritte  gelungen  Ratten,  mürbe  mit  duftimmung  be« 
^önigd  bie  neue  ©erfaffung  für  aufgehoben  erttärt  unb  auf  Söefer)! 
ber  Sjarin  ein  SRetdjStag  nach  ©robno  ausgetrieben,  um  über  eine 
neue,  bie  alte  polnifdje  Freiheit  ftdjernbe  ftonftitution  ju  beratfpn. 
Söafjrenb  biefe*  8tetch«tag3  übergaben  bie  ©efanbten  föußlanb«  unb 
Preußen^  eine  (Sxflärung  ihrer  #öfe,  be«  jfafalte«,  ba&  ber  in 
Polen  eingebrungene  ©eift  be«  3afobiniÄmu«  fte  jroinge,  bem 
fianbe,  im  gntereffe  ber  baburdj  bebrohten  9cad)barftaaten,  engere 
©renjen  ju  gießen  unb  bie  SRejmblif  ju  einer  9Jctttclmacht  ^erab» 
jubrürfen.  3u  fpät  erfannten  bie  Xargotoicjer  flonföberirten, 
hin  ber  ruffifdje  ©djufc  geführt,  ben  fte  in  ihrer  SBerblenbung  ange* 
rufen  Ratten,  gclir.  Potodft  eilte  nach  Petersburg,  um  bie  ©eredjtig* 
feit  ber  Gjarin  anjufle^en;  aber  feine  ©emfihungen  Ratten  feinen 
(Erfolg. 

Anfang»  ttriberfefcte  fich  ber  B^cicr>^tag  ber  »on  föu&lanb  unb 
Greußen  geforberten  neuen  Leitung;  al*  jebodj  ber  ruffifa^e  ©e* 
fanbte  ©ieoer«,  ber  zahlreiche  Xruppen  in  bie  ÜRähe  ber  @tabt  ge* 
jogen  hatte,  ©efehüfce  gegen  ba«  Skrfammlung&hau*  auffahren  unb  mcr 
ber  mut^igften  ßanbboten  gefangen  nehmen  ließ,  erlahmte  ber  SBi* 
berftanb.  SRaehbem  am  17.  «uguft  1793  föu&lanb  bnrdj  bie  8btre* 
tung  flleinpolen«  unb  ber  Ufraine  aufrieben  geftetlt  roorben  roar,  nmrbe 
am  3.  ©eötember  auch  ber  ©ertrag  unter  jeidjnet,  burch  melden 
Preufcen  mit  ben  beiben  ©tdbten  $>an$ig  unb  X^orn  ba«  groifajen 
©djlefien  unb  bem  #erjogthum  Preußen  gelegene  ©ebiet  erhielt, 
toelche«  feitbem  „®übpreu&en"  genannt  wirb. 

Stach  ber  jtoeitcn  X^eilung  Polen*  er$nxing  bie  <£jarin  bie 
SBiebereinfü^rung  be«  „immerroährenben  föathe«",  forote  ben  flbfchlufe 
eine«  neuen  ÖunbeSüertrag«  mit  ffiu&lanb,  ber  bie  ©eftimmung  ent* 
^ielt,  baß  ohne  Genehmigung  be«  ru(ftfa)en  #ofe«  feinerlei  ©eränbe^ 
rung  in  ber  SBerfaffung  borgenommen,  feinerlei  SBerbinbung  mit  au«* 
»artigen  SJtacbten  eingegangen  unb  ben  rufftfdjen  Xrupüen  ju  feiner 
Seit  ber  $urchjug  burch  ba&  polmfaje  ©ebiet  öerroehrt  »erben 
bürfe.  Um  ben  Polen  ba*  öolle  ©enricht  be«  rufftfc^cit  Xörannen* 
joche*  fühlbar  ju  machen,  nmrbe  ber  fibcrmüthige  ©raf  3gelftröm 
jum  ©efanbten  in  SBarfdjau  ernannt  unb  ber  3.  SJcai,  berühre«* 
tag  ber  Proflamation  ber  neuen  Serfaffung,  oon  ber  bie  Polen  bie 
SBiebergeburt  ihre«  Sanbe«  erhofft  hatten ,  jur  ^ulbigung  in  ben 
abgetretenen  Proöinjen  beftimmt. 

5)a«  Ueberma&  be«  Unglücf«  unb  ber  ©darnach  trieb  bie  Po« 
len  $u  einem  legten,  berjroeiflungäüoflen  SBerfuch,  ba«  unerträglich 
getporbene  3oa)  abjufchütteln.   3m  X)unfel  be*  tiefften  ©e^ctm* 


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$te  jweite  unb  brüte  X^etlung  $olen«. 


615 


wiffeS  bilbete  ftdj  übet  eine  baS  ganje  Sanb  verbreitete  SBerfdjwö* 
rung,  an  beren  ©pifce  ftoSctuSfo  ftanb,  ber  mit  mehreren  gletd^ge- 
ftnnten  greunben  außerhalb  beS  SBaterlanbeS  eine  SufludftSftätte 
gefunben.  $er  Slufftanb  fam  jum  9lu3brudj,  als  in  golge  ber  bon 
Ötußlanb  unb  Greußen  befretirten  £erabminberung  beS  polnifdjen 
#eere2  auf  fedjjetyntaufenb  ÜKann  baS  ju  ^ultuSf  fte^enbe  ®orpS 
beS  ©eneralS  2flabalinSft  aufgelöft  »erben  füllte.  (24.  9Rärj  1794). 
3RabalinSft  weigerte  fidj,  bem  bieferfyalb  an  iljn  ergangenen  ©efeljle 
nadjjufommen,  unb  führte  feine  93rigabe  burd)  bie  neuen  preu* 
ßifa^en  ©eftfoungen  nadj  förafau,  wo  alsbalb  aud)  ber  bon  ben 
Patrioten  jum  $iftator  ernannte  ftoSciuSfo  erfdjien.  $ie  $8ürger> 
fdjaft  toon  ftrafau  trat  fofort,  gleidj  bem  SIbel  ber  ganjen  2Boimob= 
fdjaft,  bem  2lufftanbe  bei,  unb  ein  9ftanifeft,  baS  bie  SBieberfjer* 
fteflung  dolens  für  ben  einzigen  groeef  ber  ©r^ebung  erflärte  unb 
jebe  SBerbädjtigung  jafobinifdjer  SBeftrebungen  mit  Sntfd)iebenf)eit 
fcurfitfwieS,  forberte  bie  ganje  Nation  jum  Kampfe  gegen  bie  93e* 
brürfer  beS  SBaterlanbeS  auf. 

@in  ©ieg,  ben  ßoSciuSfo  am  4.  STpril  1794  bei  SBracla* 
Wice  mit  öiertaufenb  meift  nur  mit  ©enfen  bewaffneten  s£olen  ofync 
alles  ©efcf>üfc  über  jwölftaufenb  Muffen  erfodjt,  wirfte  burdjfdjlagenb : 
baS  ganje  ßanb  fdjloß  fta)  bem  Slufftanbe  an.  ta  17.  Slpril  erljob 
ftd)  SBarfdjau.  3m  Vereine  mit  ben  polnifdjen  ©olbaten  fiel  bie 
93ürger[a)aft  über  bie  rufftfdje  ©efafcung  Ijer,  unb  nad)  einem  fed)S= 
unbbreißigftünbigen  mörberifdjen  Kampfe  würbe  biefelbe,  trofe  beS 
ifjr  ju  Gebote  fteljenben  ja^lreicben  ©efdjü&eS,  überwältigt.  $)er 
©eneral  Sgelftröm  rettete  fidj  burd)  bie  3lud)t,  unb  mit  iljm  ent* 
ging  nur  ein  fleiner  £f>eil  feiner  Struppen  ber  ©efangenfdjaft. 

$önig  «Stanislaus  wollte  fidj,  als  er  fid)  oon  feinem  gefürdj* 
teten  ©ebieter  befreit  falj,  ben  Patrioten  anfdjließen;  allein  biefe 
liegen  if)m,  obgleid)  fte  feine  ®önigSmürbe  burd)  eine  anftänbige 
©e^anblung  ehrten,  feinerlet  SRadjt.  $oSciuSfo,  ber  auf  bie  9iadj= 
ridjt  bon  ber  Befreiung  ber  $>auprftabt  nadj  SBarfdjau  geeilt  war, 
f)ob,  traft  ber  tf>m  übertragenen  SJtftatur,  ben  „immerwäfjrenben 
SKatl)"  auf  unb  fefcte  eine  neue Dberbefjörbe  ein;  aud)  traf  er  2Raß= 
regeln,  um  ben  2Kißbraudj  ber  großen  Bewegung  burd)  geinbe  ber 
Drbnung  ju  oerf)inbern ;  bodj  mußte  er  jugeben,  baß  öier  ber  öor= 
ne^mften  5lnl)änger  ÜtußlanbS  §um  2obe  burc^  ben  ©trang  oetur- 
t^eilt  unb  am  9.  aflai  gelängt  würben. 

Unterbeffen  wat  griebrid)  Söil^elm  II.  Don  Greußen  mit  einem 
Jpeere  öon  öierjigtaufenb  9Kann  in  $olen  eingerürft.  ftoSciuSfo  jog 
i^m  entgegen  unb  Wagte  e3,  i^m  mit  feinem  ungleidj  fa^wäc^eren  unb 
fd^le^t  bewaffneten  Raufen  am  6.  guni  bei  ©Cjefojun  eine  ©(^laa^t 
anjubieten,  bie  jum  3^aa)t^eil  ber  ^ßolen  ausging.  #on  ben  ^ßreu= 
ßen  »erfolgt,  jog  er  ftc^  nac^  S3arfa)au  jurürf,  baS  jWei  Monate 


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616 


Äatfjarina  II.  Don  Shtfelanb. 


long  oon  einen  preugif4^rufftfc^en  &eere  belagert  ttmrbe ,  bis  ber 
burch  Xombromsfi  in  ben  an  9$reu6en  abgetretenen  ®e6ieten  erregte 
Slufftanb,  burch  welken  fich  baä  prcufeifd^c  $eer  im  dürfen  bebroljt 
fafj,  bie  Aufhebung  ber  Belagerung  herbeiführte. 

$ie  Befreiung  ber  $>auptftabt  tourbe  üon  ben  Patrioten  als 
ein  fidjereS  Unterpfanb  für  bie  Befreiung  beS  ganjen  BaterlanbeS 
mit  Qubel  gefeiert.  SWein  ihre  ©iegeajuoerftcht  ermieä  ftd)  al* 
eine  trügerifche.  SRit  föu&lanb  unb  Greußen  oerbanb  fid)  auch  • 
Defterreich  jur  Bcfämpfung  befc  polnifdjen  ÄufftanbeS,  meil  man  in 
SBien  ber  Anficht  mar,  baft  baS  ©djicffal  $olen3  bodj  nicht  abge* 
menbet  merben  fönne  unb  e$  ber  Klugheit  angemeffen  fei,  ba*  bem 
Untergange  gemeinte  Steich  ben  beiben  übrigen  dachten  nicht  allein 
511m  SRaube  ju  (äffen. 

SBährenb  Defterreich  ©ali$ien  befefcen  liefe,  fanbte  bie,(£jarin 
i^ren  gefürdjtetften  gelbherrn  ©umarom,  ber  eben  mit  ber  @nt* 
maffnung  ber  Sßolen  in  ber  Ufraine  befchafrigt  mar,  mit  zahlreichen 
©treitträften  nach  bem  Qnneren  ^olenä.  Vergebens  fuchte  ©iera* 
foroafi,  ber  mit  einem  §eerf)aufen  öon  jefjntaufenb  3Rann  am  Bug 
ftanb,  feinem  Vorbringen  (Sinhalt  ju  tf)un :  er  erlag  in  jmei  blutigen 
(Gefechten  ber  Uebermacht. 

Um  bie  Vereinigung  ©utoaroma  mit  bem  ruffifdjen  (General 
Scrfen  ju  oerhinbern,  ber  an  ber  Belagerung  öon  SBarfdjau  Xheü 
genommen  unb  noch  jenfeitö  ber  SBeichfel  ftanb,  brach  Äoäciuäro 
gegen  biefen  auf  unb  griff  ihn  am  10.  Oftober  1794  bei  HR  ade* 
jomice  an;  abe^r  meber  fein  herborragenbe3  Selbfjerrntalent  noch 
feine  helbenmüthige  Xapferfeit  oermochte  bem  ubermächtigen  ®eg* 
ner  ben  ©leg  ju  entreißen:  fein  Keiner  ^eerftaufe  erlag,  unb  er 
felbft  fiel,  nachbem  er,  mehrfach  oerttwnbet,  mit  bem  lu&rufe :  Fi- 
nis  Poloniae !  00m  $ferbe  geftürjt  mar,  alfc  befangener  ben  Muffen 
in  bie  $änbe. 

Wachbem  ©umarom  äffe  in  <ßolen  ftehenben  ruffifchen  $>eer* 
häufen  an  fich  gejogen  unb  oerjehiebene  Heineren  polmjchen  ©chaa* 
ren  oernichtet  hatte,  rücfte  er  gegen  Söarfchau  oor  unb  fchritt  am 
4.  SRooember  $um  ©türme  auf  bie  Borftabt  ^raga.  3n  meniger 
al3  einer  ©tunbe  maren  bie  Berfchanjungen  ber  $olen  erftiegen, 
unb  mit  milbem  ©iegeägefchrei  brangen  bie  rohen  ©chaaren  in  bie 
Borftabt  ein,  in  melcher  ber  tyxtfofc  ©umarom  bie  Brauel  oon 
3^mail  erneuern  liefe-  SRadj  ©<SgurS  Angaben  mürben  breifeigtaufenb 
aflenfehen  ohne  föücfficht  auf  Älter  unb  ©efcfjlecht  b*™  «nter 
fchauerlichen  SRartern,  oon  ben  ©iegern  ntebergemefrelt. 

2Rit  bem  Salle  oon  sßraga  mar  ba3  Vollmert  SBarfchau'S 
oernichtet,  unb  ber  unglüeflichen  Bürgerfchaft  ber  §auptftabt  blieb 
feine  Hoffnung  mehr;  fie  fnüpfte  baher  mit  ©umarom  ilnterhanb* 
lungen  megen  ber  Uebergabe  an.    tiefer  oerlangte,  au&er  bem  un» 


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$te  a»citc  unb  britte  Teilung  $olen3 


617 


bezüglichen  Slbjug  ber  potmühen  Vefafcung,  bic  ©elaffung.  beS 
nigS  Stanislaus  in  feiner  SBürbe,  allgemeine  Entwaffnung  unb 
greigebung  ber  ruffii'djen  befangenen  unb  fagte  bagegen  Sicherheit 
beS  ßebenS  unb  beS  Eigentums  ju.  $ie  Bürger  nahmen  bie  ge* 
ftellten  öebingungen  an;  bodj  gelang  eS  ihnen  nur  mit  9ftüf)e,  bie 
pofaifche  öefafcung  Bei  ihrem  &b$uge  jur  3urücHaffung  beS  Königs 
unb  ber  ruffifdjen  befangenen  $u  bewegen. 

SRachbem  bie  potnifdjen  Xruppeu  SSarfcfwu  geräumt,  Ijielt 
Suwarow  am  9.  9lot>ember  1794  feinen  feierlichen  Einjug  in  bie 
Stabt,  wäljrenb  bie  testen  Xrümmer  ber  bewaffneten  ÜJcacht  ?o* 
lenS  burch  einjelne  ruffifchen  unb  preujjtfchen  ^eerljaufen  gerftreut 
unb  über  bie  ©renje  getrieben  würben.  Obwohl  Sumarow  im  Wa- 
rum ber  Sjarin  eine  allgemeine  Slmneftie  jugefagt,  Heg  Katharina 
ben  gürften  3gna§  Sßotocfi  unb  Sfnbere  gefangen  nehmen  unb  ihre 
©üter  fonfiSciren.  ßoäciuSfo  erhielt  erft  nach  ihrem  Xobe  bie  grei* 
r)ett  jurücf. 

S(m  25.  fRottember  1795  erging  an  ben  ftönig  Stanislaus  ber 
$efef)l,  feine  &rone  nieberjulegen.  $)ie  gänjlichc  Vernichtung  beS 
Königreiche  Polen  war  im  SRathe  ber  brei  SRächte  befchfoffen  wor> 
ben.  lieber  bie  Xfjeilung  beS  SanbeS  \)aittn  fid)  btefelben  fchon  feit 
längerer  Seit  geeinigt.  2)er  bebeutenbfte  Xheit  fiel  auch  bieSmal 
SRujjlanb  $u:  eS  erhielt  jweitaufenb  Duabratmeilen  mit  anberthalb 
Sfftllionen  Einwohnern ;  Greußen  nahm  neunhunbert  Quarbratmeilen 
mit  einer  SRiHion  Einwohnern  unb  Defterrekh  achthunbert  Ouabrat* 
meilen  mit  ber  gleichen  Seelenjaht  in  ©efifc.  $er  ©euteanthetl 
SRuftfaubS,  ber  SBarfchau  in  fich  fc^Iog  r  war  burdj  ben  ©ug  Don 
Defterreich  unb  burch  ben  Siemen  öon  Greußen  getrennt,  währenb  bie 
Söeichfel  bie  brenje  jwifchen  Greußen  unb  Oefterreid)  bilbete. 

2lm  15.  3Rär$  1795  oereinigte  Katharina  auch  .fturtanb  mit 
ihrem  deiche,  nachbem  bie  furlänbifchen  Stäube  bewogen  worben, 
fich  am  1.  9Jcar$  burch  c^c  „freiwillige  unb  unbebingte"  Unter- 
werfungSafte  für  Unterthanen  ber  Ejarin  ju  ertfären.  2)er  nach 
Petersburg  berufene  £er$og  Peter  SBiron,  ber  Solm  unb  9cadjfot= 
ger  beS  im  Qaljre  1772  beworbenen  ©ünftlingS  ber  Äaiferin  ^nna 
(f.  S.  574),  leiftete  ber  ^ufforberung  jum  Verzicht  auf  feine  SBürbe 
gegen  bie  Sufacje  eine«  Salzgehaltes  Solge  unb  lebte  feitbem,  gleich 
bem  $i)mg  Stanislaus,  in  Petersburg,  wo  ber  Sefctere  am  12.  ge* 
bruar  1798  ftarb. 

Xrofc  beS  entjcfjiebenen  SSerbammungSurtheilS,  baS  Katharina 
gegen  bie  fran&öftfche  SRebolution  ausgebrochen,  nahm  fie  feinen 
ityü  <m  ber  SBetämpfung  ber  frans  öftren  SRepublif.  dagegen 
traf  fie  im  3ahrc  *?96  Vorfehrungen  ju  einem  Kriege  gegen  Per* 
fien,  um  ben  Schah  3Rohammeb  für  bie  Vertreibung  beS  alten  gär* 
ften  #erafliuS  bon  ©eorgien,  eines  Vafaflen  SRugfonbS,  aus  XifüS 


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618 


OrriebrtcSS  IL  Iefcte  9tegierungSaett. 


ju  aüdjtigen.  ©djon  mar  ein  £jecr  Don  breifjigtaufenb  9Kann  jum 
Hufbrud)  bereit,  als  bie  Sjarin  am  17.  ftoöember  1796  im  Hlter 
oon  fiebenunbfedjjig  Sauren  unermartet  einem  ©djlagfluffe  erlag, 
©ine  ber  erften  $Regierung3fmnblungen  iljreä  ©ofjneS  unb  ftadtfolger* 
*ßaul  L#  ber  ben  #rieg  gegen  Werften  aufgab,  mar  bie  Steige* 
hing  #o3ciuäfo'3.  (£r  fefbft  begab  fid>  mit  feinen  beiben  ätteften 
Söhnen  in  beffen  ©efängnig,  um  u)m  feinen  $egen  jururfjugeben. 
ftoäciuäfo  mieS  benfelben  mit  ben  SBorten  jurüd:  „34  bebarf 
feinen  Eegen  mehr,  meil  idj  fein  SSaterlanb  me^r  habe."*  <£r  ging 
nad)  ©nglanb  unb  bon  bort  nadj  Hmerifa.  3m  %df)xt  1798  nadj 
Europa  $urfidgefef)rt ,  lebte  er  anfangs  in  granfreidj  unb  julefct 
in  ber  ©djroeia,  mo  er  ftdj  in  ber  9ca>  bon  ©olonjurn  ein  Keines 
ßanbgut  gefauft  Imtte.  #ier  ftarb  er  am  18.  Dftober  1817  an  ben 
ijoigen  eines  vs?tur$e$  mtt  oem  ipteroe,  im  alter  ton  einuno)ieojig 
Sauren,  ©eine  Seiche  mürbe  nach  tfrafau  gebraut  unb  in  ber  ©ruft 
ber  polnifchen  Könige  beigefefct. 

• 

XXXIV. 

SFrtebrtdi*  II.  fefcfe  ^tegienmgsjeif. 

(1763-1786.) 

fleach  bem  Slbfchluffe  be*  #ubert$burger  ^rieben*  mar  3rieb* 
rieh  oor  TOem  barauf  bebaut,  ben  ferner  gefchäbigten  2Bof)iftanb 
feiner  ^rooinjcn  ^erjufteflen  unb  bem  jerrütteten  ginanjmefen  auf* 
juhetfen.  2)abei  oerfäumte  er  jeboch  nicht ,  auch  feinen  gefunfenen 
ftriegöfianb  neu  ju  fräftigen,  um  für  jebe  ©öentualität  gerüftet  ju 
fein,  meldte  bie  bem  preu&ifchen  ©taate  errungene  9ftadjtfteflung 
bebrohen  ober  Gelegenheit  gu  neuen  ©rmerbungen  bieten  fönnte. 
$en  Sorfdjlag  äJcaria  i^erefta^ ,  jur  SBerbürgung  eine*  bauern* 
ben  griebenä  ben  ©tanb  ber  beiberfeitigen  |>eere  in  oöttig  gleichem 
SÖerhaltniffe  ^erabjufe^en  unb  fidj  über  einen  bauemb  beijubehal* 
tenben  SJrmeeftanb  gu  öerftänbigen ,  aus  leicht  begreiflichen  ®rün* 
ben  jurücfmeifenb ,  brachte  er  fein  $eer  mieber  auf  einmalhunbert» 
funfunbncungigtaufenb  SJcann,  oon  benen  ungefähr  ber  fünfte  Xfjeil 
an»  angeworbenen  SluSlänbern  beftanb.  Um  bie  Süden  anzufüllen, 
bie  ber  Stieg  unter  ben  Offizieren  gefdjaffen,  meiere  griebrich,  ttrie 
bereit*  früher  bemerft,  faft  auänaf>m$Io3  bem  $bel$ftanbe  entnahm, 
mürbe  nicht  nur  ba3  für  bie  militärifdje  2lu8bilbung  ber  jungen 
©bedeute  beftimmte  Sabettenhau*  in  ©erlin  bebeutenb  oergrö&ert, 
fonbern  auch  jur  Anlegung  jroeier  tteineren  ftabettenfeemten  ju  ©tolpe 
in  Bommern  unb  ju  tinlm  in  2Beftyreu§en  gefchritten.  Vhid)  er* 
richtete  griebrich  in  ©erlin  nod)  eine  befonbere  2Jcilitärafabemie,  für 


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griebricfc*  IL  lefrte  SRegierungSgeit.  619 


welche  er  bie  ßefirer  au*  grantreiefc  berfdjrieb.  Sin  ber  #erftettung 
be*  burdj  ben  ®rteg  fef)r  herunter  gefommenen  gelbgerät|e*  mürbe 
mit  einem  (£ifer  gearbeitet,  al*  ftebe  Greußen  am  SBorabenbe  eine* 
neuen  ßriege*.  Slud>  mürben  bie  SlrtiHerieregimenter  bebeutenb  ber* 
mef>rt,  bie  geftungen  in  befferen  ©tanb  gefefct  unb  alle  93orratlj*> 
Käufer  gefüllt. 

Um  bem  gängltd)  bamieberliegenben  Slrferbau  aufguljelfen ,  lieg 
griebrid)  ba*  betreibe,  ba*  bereit*  für  ben  nädrften  gelbgug  ange* 
fauft  morben,  al*  ©aatforn  unter  bie  gang  oerarmten  Sanbleute 
t>ertf)eilen  unb  gab  bie  für  bie  Artillerie  unb  ba*  ©epäd  beftimmt 
geroefenen  Sßferbe  ber  ßanbmirtfrfdjaft  jurüd.  3n  benjenigen  $ro* 
Dingen,  meldje  am  meiften  burdj  ben  firieg  gelitten  Ratten,  mürbe  ein 
Steuererlaß  bewilligt,  in  ©Riepen  auf  fe<$*  Monate ,  in  Greußen 
unb  ber  Heumar!  auf  gmei  3af)re;  audj  lieg  ber  #önig  öiele  ger* 
ftörte  SBofmungen  auf  feine  Soften  lieber  aufbauen  unb  t)alf  ben 
am  fdjmerften  gefääbigten  gamilien  burdj  ©elböorfdjüffe  auf.  ©ang 
befonber*  mürbe  jebod)  bei  biefen  Unterftüfcungen  ber  Slbet  berüd- 
fidltigt.  $)en  tyeruntcrgefommenen  abeligen  gamilien  fdjenfte  ber 
ßönig  bebeutenbe  ©ummen  gur  93egaf)lung  üjrer  ©Bulben  unb  gur 
$erftellung  unb  Slufbefferung  iljrer  ©üter.  5lud>  füfjrte  er  in  ©djle= 
fien,  Bommern  unb  Greußen  ba*  nod)  je|t  beftefjenbe  ftrebitfuftem 
ein,  nad)  meinem  jeber  3ftittergut*befifcer  Anlegen  auf  fein  ÖJrunb- 
ftücf  bi*  gu  einer  beftimmten  $öf>e  be*  SBertlje* ,  unter  ©ernähr* 
leiftung  ber  ^romngialftänbe ,  bie  gu  biefem  Qmdt  fogenannte 
w*ßfanbbriefe"  au*ftellen,  gu  einem  äu&erft  geringen  3in*fu&  auf5 
nehmen  fann. 

$m  Allgemeinen  mar  ba*  ©nftem,  ba*  griebrid)  in  ber  93er* 
roaltung  feine*  Sanbe*  befolgte,  nadj  bem  fiebenjäljrigen  Sfrieg  ba* 
'  gleite,  mie  öor  bemfelben.  Ungleich  meljr ,  al*  für  ben  s2lcf erbau, 
für  beffen  SBürbigung  al*  ber  mid)tigften  materiellen  2eben*frage 
feiner  Untertanen  bem  #önig  ba*  Sßerftänbniß  fehlte,  gefdjaf)  für 
ba*  gabrifroefen;  boa^  mürbe  aud)  fjier  feiten  ba*  Süchtige  ge* 
troffen.  $ie  Seinenmebereien  in  ©d)lefien  unb  Söeftfalen,  fomie  Sic 
metatlifdjen  gabrifen  unb  bie  Söoöenmanufafturen  in  ber  Sftarf,  in 
Sftagbeburg  unb  in  ©djlefien  erhielten  fia)  ohne  ©taat*unterftüfcung 
in  SBlüttje  unb  gogen  ÖJelb  in*  Sanb;  bagegen  fofteten  bie  prtöile* 
girten  neuen  Sabrifen,  burd)  roeldje  bie  (£infuf)r  frember  ®unftpro* 
bufte  öcrfjütct  merben  foöte,  im  (fangen  bem  ©taate  ungleidj  mefjr, 
al*  fie  i^m  einbradjten.  gür  bic  öon  bem  ®önig  felbft  in  Berlin 
gegrünbete  sßorgeHanfabrif  mürben  bie  ^uben  tributpflidjtig  qc 
maetjt ,  inbem  ilmcn  bie  $8erpflid)tung  auferlegt  mürbe ,  bei  ifjrer 
J8erljetratf)ung  für  einige  f)iinbert  3f)ater  $orgeOan  gu  taufen, 
unb  gmar  nia^t  naa^  eigener  2lu*ma^l,  fonbern  naef)  ber  jenigen  ber 
SBermaltung. 


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620 


ftriebrich*  II.  lefrtc  9teßierunfl«ieit. 


Um  bcn  |>anbel  möglic^ft  nufcbringenb  für  ben  Staat  ju  machen, 
mürben  öerfdjtebene  £>anbcl«artifel  monopolijirt ,  ma«  megcn  bcr 
baburd)  entftefjenben  Verteuerung  berfeiben  große  Un$ufriebenheit 
erregte.  So  mürbe  im  Qa^re  1765  ein  SWonopol  für  ben  Zabalfc 
uerfauf  au  ©unften  eine*  Sranftofen  gefdjaffen ,  ber  bafür  eine 
SJKÜion  Xfialer  $adjt  jar)Ite.  Später  ging  ba«felbe,  ba  ber  <ßäd&s 
ter  feine  SBerbtnblidjfeiten  nid)t  erfüllte,  an  bie  berliner  Xabaf«= 
fabrifanten  ü6er,  unb  enblid)  übernahm  ber  ®önig  felbft  bie  Sodje 
für  SRedjnung  be«  Btaatti.  *ftod)  belaßter  mar  ba«  ffaffeemono* 
pol ,  ba«  bem  <5taat  bebeutenbe  (Summen  eintrug  ,  augleid)  aber 
audj  ben  Slermeren  ben  ©enuß  be«  Kaffee'«  na^eju  unmöglich 
mattete.  „2lrme  Seute",  meinte  ber  #önig,  „brausten  feinen  Kaffee 
%vl  trinfen;  fte  fönnten  ftdj  an  ©ierfuppe  galten."  9hir  mer  jmansig 
^funb  auf  einmal  faufen  tonnte,  ftatte  ba»  föecfjt,  ben  Kaffee  felbft 
$u  brennen,  unb  erhielt  ju  biefem  Crnbe  einen  ©rennfa^ein ;  geringere 
fieute  mußten  gebrannten  Kaffee  faufen ,  öon  meinem  ber  $önig 
fid)  ba«  <ßfunb  mit  einem  Xfaler  bellen  liefe,  mäfjrenb  ber  unge* 
brannte  nia^t  halb  fo  öiel  foftete ,  immer  aber  naf>e$u  hoppelt  fo 
treuer  mar,  als  in  Hamburg.  $>a«  ftaffeebrennen  ohne  Stenn* 
fdjein  mürbe  mit  breijäfjriger  geftung«haft  beftraft.  5fuc§  ber  Sucfer, 
ba«  Salj  unb  ba«  Sörennfjolj  mürben  monopolijirt. 

3fnbeffen  mürbe  ber  ftufcen,  ben  ber  Äönig  au«  allen  biefen 
Monopolen  fid)  fjerau«geredjnet  hatte,  bebeulenb  üerfürjt  burdj  ben 
immer  mehr  überfmnb  nehmenben  Scöleichbanbel ,  ber,  burch  bie 
zahlreichen  ©renken  be«  preußifdjen  Staate«  begünftigt ,  in  einer 
2lu«bef)nung  beirieben  mürbe,  öon  melier  man  fich  gütigen  Xage« 
faum  eine  SorfteHung  machen  fann. 

Schon  unter  griebrieft  SBilhelm  I.  maren  bie  inbireften  Steuern 
mit  ber  größten  Strenge  beigetrieben  morben;  bennodj  mar  grieb= 
rieh  II.  ber  tlnftcht,  baß  bei  einer  noch  fdjärferen  Uebermadjung  bie 
Quelle  biefer  Abgaben  für  ben  Staat  ungleich  reichlicher  fließen 
merbe.  (£r  jog  barüber  ben  eben  in  Berlin  meilenben  franjofifchen 
SchriftfteHer  $>elöetiu«  &u  9tat^c ,  ber  al«  G>eneralpad>ter  ber  fran* 
jöfifdjen  ginanjen  in  biefem  Jache  mohl  bemanbert  mar,  unb  ber* 
felbe  trat  nicht  nur  tooHftänbig  feiner  &nfidjt  bei ,  fonbern  fanbte 
ifjm  auch  fünf  Sranjofen,  au«  melden  ber  $önig  im  Qahre  1766 
eine  befonbere,  ganj  nach  franjöfifchem  SKufter  eingerichtete  „®ene* 
ral*  Qott*  unb  &ccife=2lbminiftration1'  —  gemölmlidj  „föegie"  ge* 
nannt  —  bilbete.  Sur  Durchführung  be«  neuen  Softem«  mürben 
noch  einige  fmnbert  anbere,  im  SoH-  unb  s2lccifemefen  mofjl  geübte 
Sranjofen  in«  Sanb  gebogen ,  um  al«  Slccifebeamtcn  in  bie  ^ßro* 
öinjen  oertheilt  ju  merben.  SSelchen  (Sinbrucf  biefe  Steuerung, 
beren  fernerer  $rucf  nur  ben  Bürger*  unb  SBauernftanb  traf,  ba 
ber  ^öntg  au«brüdüch  erflärt  Ijattc,  baß  er  ben  s2lbel,  al«  gefefclich 


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ftriebrid)3  n.  lefrte  SRcßicrung^cit. 


621 


fteuerfrei,  bon  bemfelben  aufgenommen  wiffen  wollte,  unter  bem 
SBotfc  machte,  crt)cflt  auf  ben  SB  orten  eine«  begeisterten  Seitgenoff  en 
unb  Anfjängerf  bef  .Honig*. 

„Vielleicht1',  fagt  $of)m,  „ift  fein  ©ebanfe  griebric^*  für  fein 
ßanb  je  öerberblicher  gewefen,  unb  mir  glauben  bie  ^ßeriobe,  wo 
bie  Aufführung  beffelben  begann,  alf  bie  traurigfte  ber  Regierung 
bef  Hönigf  anfefjen  ju  fönnen.  Suoerläffige  3)fänner,  bie  bief  er* 
lebten,  fjaben  und  ben  furchtbaren  (Siubrucf  nicht  ftarf  genug  fcrnl* 
bem  fönnen,  alf  bie  anfangt  faum  geglaubte,  aber  balb  alf  wahr 
fia)  bewährenbe  Nachricht  erfchoE :  ef  foUten  ganj  ungewohnte,  harte 
Abgaben  eingeführt  unb  biefelben  burd)  eine  folcfje  Söefchränfung 
aller  natürlichen  Freiheit  unb  burd)  einen  folgen  Swang  bei  ben 
unfdjulbtgften  ©anbtungen  beigerrieben  werben,  ba&  ber  Äönig  ficr) 
nicht  getraue,  fykxbti  eigene  Untertanen  ju  gebrauchen,  weil  er 
bei  ihnen  ju  üiel  menfehlichef  Gefühl  öorauffefce,  fonbern  unbarm* 
h^jige  gremblinge  fommen  laffe ,  benen  er  fein  Söolf  jur  grau* 
famften  afti&hanblung  überliefern  unb  benen  er  hierfür  jum  Sohne 
erlauben  wolle,  fich  mit  beffen  ©chwei&e  §tt  bereichern.  S)iefer  er* 
flärte  fönigliche  SBille  empörte  alle  ©emüther  unb  raubte  bem 
Könige  felbft  einen  guten  ber  Siebe  unb  Achtung  feiner  Unter* 
thanen,  beren  er  bisher  in  fo  fyotym  ®rabe  genoffen  hatte,  unb  bie 
burch  bie  2Bunbertl)aten  bef  ftebenjährigen  Krieges  bif  $ur  haften 
©ewunberung  unb  gärtlichften  2tnt>ängUcr)feit  erhoben  waren,  Viele 
Unterthanen  fahen  üon  nun  an  in  ihm  nicht  mehr  ben  gütigen 
ßanbef  oater ,  fonbern  einen  burch  ben  langen  blutigen  ftrieg  abge* 
härteten  Snrannen,  ber  immer  auf  neue  Entwürfe  ber  Vergrö&e* 
rung  finne  unb  nun  baf  *u  beren  Aufführung  nötige  ÖJelb  üon 
feinem  Sßolfe  burch  grembe  erpreffen  laffen  wolle." 

s)lod)  ungleich  fdjlimmer,  alf  bie  bebeutenbe  (Erhöhung  ber  in« 
bireften  Abgaben,  war  bie  Art  ihrer  Erhebung.  $erfelbe  ©egen* 
ftanb,  fo  oft  er  in  eine  neue  gorm  gebracht,  ju  einem  neuen  ©e* 
brauche  zugerichtet  war ,  oft  auch  mnn  man  lt)u  nuv  ani  nucr 
*ßrooinj  in  bie  anbere  ©erführt  hatte,  würbe  wieberholten  Abgaben 
unterworfen.  Qu  allen  Xagefjeiten  brangen  Soll*  unb  Accifebe* 
bienftete  in  baf  ©auf  jebef  ehrlichen  Sttannef  unb  burchfuchten 
Allef .  gür  jeben  ©egenftanb ,  ber  einer  Abgabe  unterworfen  war, 
forberten  fic  ben  Söeweif,  ba&  biefe  Abgabe  entrichtet  worben. 
konnte  berfelbe  nicht  beigebracht  werben,  fo  nahmen  fie  ben  ($egen* 
ftanb  weg  unb  oerwiäetten  ben  Gigenfijumer,  wenn  ef  ihm  an  ben 
nöthigen  Mitteln  fehlte ,  um  fid)  mit  ihnen  ab$ufinben ,  in  einen 
oerbriefjlichen  $ro$ef$.  ÜJcan  fyitU  bie  Accifeangeftellten ,  bie  ber 
©egenftanb  bef  allgemeinen  £>affef  waren,  jeber  Sßerruchtheit  fähig. 
SRicht  feiten  würben  fie  befchulbigt,  felbft  ftontrebanbe  eingefchleppt 


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622  fcrtebrio)*  II.  lefrte  NegierungSaett. 


unb  bann  behauptet  ju  Ijaben  ,  jtc  Ratten  fte  in  ber  betreffenben 
Söo^nung  gefunben. 

AIS  bic  klagen  über  bic  toerfduebenen  3inanama&regeln  ^ 
fönigS  immer  häufiger  unb  bringenber  mürben  f  befahl  ber  fönig 
bem  ©eneralbireftorium ,  eine  Unterfudjung  barüber  anjufteflen,  in 
miefern  biefelben  begrünbet  feien.  $ie  TOnifter  ©lument&al  unb 
£agen  überreizten  iljm  ein  ©utadjten,  in  meinem  feine  IjanbelS* 
politifdjen  Neuerungen  einer  eingcfjenben  f  ritif  unterzogen  unb  bie 
meiften  berfelben  als  bie  Urfadje  beS  nid)t  Innmeg  ju  leugnenben 
Verfalls  beS  ftanbeiS  unb  ber  ®emerbe  bejeidjnet  mürben.  $er 
fönig  naljm  bie  ©pradje  ber  SSafjrfjeit  jebodj  t>öc^ft  ungnäbig  auf. 
„3d>  erftaune  über  ber  impertinenten  Delation,  fo  ©ie  mir  Riefen, " 
fajrieb  er  eigenfjänbig  unter  baS  eingereihte  ®utac&ten;  „idj  ent* 
fdnitbtge  bie  SfliniftreS  mit  it)re  3gnorancer  aber  bie  9Mice  unb 
Korruption  beS  doneipienten  mujj  ejemplarifd}  beftraffet  merben, 
fonften  bringe  id)  bie  (Eanaiflen  niefymalS  in  ber  ©uborbination." 
'Die  „e£emplarifd>e  ©träfe,"  meiere  ben  SBerf  affer  beS  ©utadjtenS, 
ben  geheimen  ginanjratf)  ÜrfinuS,  traf,  beftanb  in  £ienftentlaffung 
unb  JeftungSljaft  in  Spanbau. 

%\t  ©eredjtigfeit  rourbe  unter  Sriebrid)  II.  im  Allgemeinen 
ftreng  unb  unparteiifd)  gefmnbfmbt:  audj  bie  ärmften  Untertanen 
maren  gegen  ©ebrüdung  unb  ungeredjte  UrtfjeilSfprüdje  gefdjüfct. 
<5d)on  lange  r)atte  fidj  ber  fönig  mit  bem  ®ebanfen  getragen,  burd) 
ein  flareS,  bünbigeS  ÖJefe&bud)  bie  oermicfelten  Oformen  beS  ©eridjtS* 
oerfafyrenS  ju  oereinfadjen.  5)ie  Ausarbeitung  biefeS  (SJefefcbudjeS, 
beS  fogenannten  „preu§ifd)en  ÖanbredjtS,"  übertrug  er  bem  ©ro§* 
fan^ler  Sarmer ;  bod)  mürbe  baSfelbe  erft  nad)  feinem  Xobe 
ooflenbet. 

Obgleich  audj  baS  Sdjulmefen  oon  SriebridjS  Sürforge  nidjt 
auSgef djloffen  blieb,  befdjränfte  fidj  biefelbe  im  SSefentlidjen  bodj  auf 
ben  roiffenfdjaftlidjen  Unterridjt ;  für  baS  ©olfsfdjulroejcn  gefdmfj 
unter  üjm,  nad)  bem  3eugniffe  $5of)mS,  nur  fefyr  menig.  „$)er  größte 
58orrourf,"  fagt  berfelbe,  „ber  bem  fönig  griebridj  II.  in  Abflaut 
ber  fittlidjen  ©Übung  feines  iÖolfeS  gemalt  merben  fann,  ift  un* 
ftreitig  ber,  ba§  er  für  bie  (£r$ief)ung  ber  3ugenb  fo  menig  getljan 
imt.  S)a&  biefe  unb  gute  UnterridjtSanftalten  öon  fyödjfter  3öicr)- 
tigfeit  finb  unb  bie  aufmerffamfte  ©eförberung  ber  Regierung  Oer» 
bienen,  barüber  f)at  Jriebrid)  fotoof)!  in  feinen  Söerorbnungen ,  als 
in  ©djriften  unb  ©riefen  fid)  mit  folgern  Nadjbrutfe  erflärt,  ba& 
man  au  feiner  lleber^eugung  oon  biefer  2Ba()rf>cit  mcfjt  jroeifeln 
fann.  Allein  er  fwt  nietyt  biefer  Ueberjeugung  gemä&  gefjanbelt.  3)ie 
©Ovulen,  befonberS  biejeuigen  für  ben  Sanbmann,  waren  oon  ber 
jd)letf)teften  S8ejd)affenl)eit,  unb  ber  fönig  fwt  äufjerft  menig,  eigent* 
ltd)  gar  nichts  für  fie  getrau."    $en  ©runb  baoon  finbet  $ol)m 


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5riebric$8  II.  lefcte  RegierungSaeit. 


623 


tf)eü3  in  bcr  Überwiegenben  Stiftung  bcr  Xfjätigfett  beS  ÄönigS  auf 
bic  äufcere  ^olitif ,  theils  borin ,  ba&  bei  ben  Dielen  fonftigen  SluS* 
gaben  üon  ben  ©infünften  beS  Staate*  nicht  genug  jur  grünblichen 
SBerbefferung  ber  ©chulen  übrig  geblieben  fei. 

SBon  ber  beulten  ßiteratur  nahm  ber  #Ömg  in  feinen  fpäteren 
ßebenSjahren  ebenf  owenig  Roti§,  als  er  bic«  in  feiner  3ugenb  ge= 
t^an.  Df>ne  Wfmung  oon  ber  ^o^en  s-8oflfommenheit,  ju  welcher  fidj 
bie  oaterlänbifche  ^ßoepe  emporgefchwungen,  fdjrieb  er  in  feinen  lefcs 
ten  Seben&jahren  in  franjöfifdjer  ©prache  eine  Wbhanblung  über  bie 
beutfdje  ßiteratur,  worin  er  fie  aus  ben  Erinnerungen  feiner  Swcjenb 
f Gilbert  unb  bie  beutfehe  Spraye  eine  „barbarifche"  nennt,  „bie  in 
fo  titele  oerfduebene  $ialefte  geteilt  fei,  als  Xeutfdjlanb  Sßrotrinjen 
jähle,  fo  ba&  eS  auch  bem  reichbegabteften  ©chriftfteller  phhfifch  un* 
möglich  fei,  biefe  rohe  Spradjc  in  überlegener  SBeife  ju  hanbhaben." 
$iefe  ©djrift  fdnefte  er  im  3ahrc  1781  an  b'Sllembert  mit  ber 
SBemerfung:  „Sie  werben  über  bie  SJcuhe  fpotten,  bie  ich  mir  gege* 
ben  h&be,  einer  Nation,  bie  bisher  RidjtS  berftanb,  als  effen,  trinlen 
unb  jicf)  fcfjlagen,  einige  begriffe  üon  ®efd)mad  unb  atttjdjem  8aljc 
beizubringen.  3nbeft  man  miß  boef)  gern  nügtidj  fein,  unb  oft  feimt 
ein  SBort,  welches  man  in  einen  fruchtbaren  S3oben  fät,  unb  bringt 
grüdjte  über  Erwartung." 

griebria)  fmtte,  wie  wir  oben  (©.  364)  gefehen,  bei  feinem 
Regierungsantritt  erflärt :  in  feinen  ©taaten  fönne  3eber  nach  feiner 
Jason  feiig  werben.  Tiefe  Sorte,  burd)  welche  er  feinen  Untertha* 
nen  eine  unoertüqte  Religionsfreiheit  jujufichem  festen,  lüelt  er  ben 
Matt)oltfen  gegenüber  infofern  aufregt,  als  er  fie  in  feinen  ©taaten 
bulbete  unb  ihnen  geftattete,  an  benjenigen  Orten  iUrdjcn  ju  bauen, 
wo  fie  bis  baf)in  feine  folgen  Ratten.  Gleichberechtigt  mit  ben  -[>ro* 
teftanten  waren  fie  jeboa)  in  feiner  Söeife;  felbft  in  ben  überwie* 
genb  faüjoltjdjen  Gegenben  feines  ©taateS  fchlofj  ihr  ReligionSbe* 
fenntnife  fie  ber  Regel  nach  öon  ben  öffentlichen  SlnfteHungen  im 
©taatsbienfte  aus. 

2ftan  würbe  fehr  irren,  wenn  man  in  biefer  3urücffe|jung  ber 
Äatholifen  gegen  bie  ^ßroteftanten  eine  Hinneigung  griebridjs  $u  bem 
proteftantifa)en  iöef enntiu jj  erblicfen  wollte :  bem  glaubenSlofen  Moutg 
war  bie  eine  &onfef jton  an  fich  ebenfo  gteichgiltig ,  wie  bie  anbere. 
SBenn  er  aber  nichtsbeftoweniger  baS  proteftantifche  üBefenntnig  in 
feinen  ©taaten  entfehieben  beoorjugte,  fo  r)atte  baS  feinen  Grunb 
einjig  unb  allein  barin,  ba&  nach  feiner  2lnfchauung  bie  abfolute 
Allgewalt  beS  Königs  nicht  mit  bem  ÄatholictSmuS ,  fonbem  nur 
mit  bem  ^roteftantiSmuS  befterjeu  tonne.  3)ieS  war  auch  ber  £>aupt- 
grunb ,  me&hulb  er  auf  ben  Religionsunterricht  ber  3ugenb  einen 
SBerth  legte.  „3)a&  bie  ©dmlmeifter  auf  bem  £anbe,"  fagt  er,  „ben 
jungen  beuten  Religion  unb  SJloral  lehren,  ift  recht  gut,  unb  müffen 


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G24 


/\I  LüriCTI^'      1     l'RIC    ./t  t  U  C 1  III  Ul    >i  1 1 


fie  baoon  nicht  abgeben  ,  bamit  bic  ßeute  bei  ihrer  Religion  ^übfcö 
bleiben  unb  nicht  $ur  fatboüfchen  übergeben;  benn  bic  eoangelifcbe 
Religion  ift  bic  befte  unb  weit  beffer  als  bic  fatholifche.  fcarum 
muffen  bie  Schulmeifter  fich  ÜKühe  geben,  ba&  bie  Seute  «ttachement 
ftur  Religion  behalten,  unb  muffen  fie  fo  weit  bringen,  baß  fte  nic^t 
fte^en  unb  morbeu." 

21m  menigften  unter  aßen  ©lauben*oarteien  hatte  fich  bie  ber 
3uben  ber  ©unft  griebrich«  II.  ju  erfreuen.  Schon  unter  griebrich 
EJübelm  I.  waren  bie  3uben  in  Greußen  in  mancher  öe^te^ung 
hart  befjanbelt  morben ;  unter  griebrich  II.  geftaltetc  ftch  jeboch  ihre 
Sage  noch  ungleich  trouriger.  Sin  hn  %afyxt  1750  iur  ßrbnung, 
ihrer  Angelegenheiten  erlaffene*  Reglement  unterfagte  Urnen  alle 
gewöhnlichen  bürgerlichen  (Bewerbe,  fowie  bie  Erlangung  beS  $ür* 
gerred&ts  unb  ben  Bnfauf  öon  Orunbbefty.  $a«  f>üchfte,  wa*  fte 
erreichen  tonnten,  war  „Schnaube"  $u  fein.  $cr  Sdni& ,  ber  ent- 
weber  ein  perfönlicber  ober  ein  erblicher  war,  im  lederen  gafle 
aber  nur  auf  ein  ßinb  fibergehen  tonnte,  mußte  burch  febwere 
Cofer  erfouft  »erben ,  bie  tbeil«  in  ber  8at)lvm$  einer  gewiffen 
©aarfumme  an  ben  ftönig,  tbeilS  in  ber  Uebemahme  mm  äBaaren 
au«  ben  föniglichen  9Ranufatturcn  nach  ber  SBahl  ber  dermal* 
tungen  beftanben ,  welche  außerhalb  be«  SanbeS  öerfauft  werben 
mußten.  sMen  3ubcn,  bie  ben  föniglichen  Sdjufc  nicht  hatten,  war 
ba«  $eiratben  unterfagt.  2lu3  bem  eigentlichen  groeefe  aller  ben 
3uben  auferlegten  Saften  machte  ber  Sronig  fein  Jpeht ;  er  wollte 
nicht ,  baß  bie  3at)l  ber  3uben  junehme.  3"  biefem  (Enbe  erließ 
griebrich  im  3ahre  1^62  einen  $3efel)l,  traft  beffen  bie  Scbu^juben 
nicht  mehr  nach  gamilien,  fonbern  nach  Äöpfen  gejault  unb,  faß« 
fie  bie  beftimmte  3abl  überfttegen,  bie  ärmften  aus  bem  Sanbe  ge* 
fc^afft  werben  foütcn. 

3n  feinem  ^rioatleben  behielt  griebrich  bis  an  fein  Sebent 
enbe  bie  gleiche  Drbnung  unb  3citeintbeüung  bei,  bie  er  ftd)  bei 
feinem  Regierungsantritt  feftgefefct,  unb  Weber  bie  Saft  ber  3af>re, 
noch  junehmenbe  &tänflichteit  —  er  litt  namentlich  Diel  an  ^obacjra 
—  fonnten  ihn  abhalten,  feine  eiferne  ärbettsfraft  in  ber  gewohnten 
Söetfe  auszubeuten,  ©einen  perfönlichen  Slufwanb  hatte  er  feit  bem 
.frubertsburger  grieben  auf  baS  geringfte  9Raß  befchränft,  unb  es  ift 
It)at jache,  baß  feiten  ein  gfirft  fparfamer  gelebt  hat,  als  griebrich 
s-8on  ber  Summe  oon  einer  5J?iüion  ^weimalhunberttaufenb  Xhalem, 
bie  er  fich  jährlich  auSgefe&t,  verbrauchte  er  für  feine  s#riöatbebürf* 
niffe  nie  mehr  als  jWeimalhunbertjwan^igtaufenb  Ztyakx.  £>atte  er 
früher  für  franjöfifche  ftänjer,  Sanger  unb  Scbaufoielcr  bebeutenbe 
Summen  oerausgabt,  fo  ließ  er  hierin  große  ©efchränfungen  eintre- 
ten  unb  geftattete  fich  imr  noch  °aS  Scbaufpiel.  Sine  eigentliche  £>of* 
haltung  hatte  er  nur  in  öerlin ;  boch  brachte  er  bort  nur  einen  %  heil 


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griebrid)$  H.  Iefcte  Sfcgientngdjcit. 


625 


beä  SBinterS  ju.  ©ein  gemöhnlidjer  Hufentfmlt  blieb  ©anSfouci,  mo 
er  eine  2lrt  ©tnfieblerleben  führte  unb  fidj  befonberS  an  ben  greuben 
ber  Xafel  unb  ber  SRufie  ergö&te.  $ie  3al)l  feiner  SDiener  hatte  er 
auf  baä  roirfIict)c  ©ebürfnife  bef^ränft.  2)ie  ©ernadjläffigung  feiner 
*ßerfon  artete  jule&t  in  <£tmi3mu3  auä.  ©eine  Reibung,  bie  <ßotg* 
bamer  ©arbeuniform ,  mar  meift  abgetragen ;  bie  fdjlaffen  ©tiefei, 
bie  er  beim  $lufftel)en  anjog  unb  erft  beim  ©djlafengef)en  abftreifte, 
maren  faft  rotf)  unb  fingen  unorbentlidj  herunter.  $er  ft>anifd)e 
Xabaf,  öon  bem  er  ftetä  jmei  gefüllte  $>ofen  bei  fiaj  trug,  entfteHte 
mehr  unb  mehr  fein  Slngefidjt. 

$er  #rei3 ,  ben  ber  Äönig  öor  bem  fiebenjä^rigen  Stieg  in 
©anäfouci  um  ftd>  öerfammelte ,  r)attc  fid)  im  ßaufe  ber  Seit  faft 
gänjlich  aufgelöft.  3m  Söhre  1769  mar  ber  SHarquiä  b'Slrgenä 
in  fein  ©aterlanb  jurüefgefehrt  unb  sroei  %a$xt  foäter  $u  Xoulon 
geftorben;  im  Safjre  1774  mar  ihm  gouqu<5  unb  1778  ber  ßorb 
aKarfajall  öon  fteith  in&  ©rab  gefolgt,  ©o  mürbe  e$  immer  ein* 
famer  um  ben  finberlofen  ftönig ,  ber  bie  greuben  beä  gamtlien* 
freifed  fein  ganjea  Seben  Ijinburd)  beharrlich  öon  fich  abgemiefen. 
9Jttt  feiner  ©emahlin,  bie  er  nur  feiten  mehr  fafj,  unterhielt  er 
einen  formellen  ©riefmethfel,  ber  faum  etroaS  2lnbere8  jum  ©egen* 
ftanb  t)atte ,  als  fein  Jöefinben.  S)en  Sronprinjen  griebrich  SBil* 
heim ,  auf  ben  er  baä  ÜDü&trauen  übertragen  ^atte ,  burdj  meiere* 
er  beffen  im  3ö§re  1758  öerftorbenen  Später,  feinen  ©ruber  Sluguft 
Söilljelm,  fo  rief  gefränft,  t>ielt  er,  mie  öon  allen  SRegierungägefdjäf* 
ten,  fo  auc^  öon  feiner  $erfon  möglichft  fern ;  auch  mit  feinen  ©rü* 
bem  Heinrich  unb  gerbinanb  pflog  er  feinen  öertrauten  Umgang,  fo 
fcl)r  auch  ©eibe  fich  feine  franjöfifaje  ©Übung  unb  ©eifteSridjtung 
angeeignet  Ratten. 

dagegen  mürbe  ber  getoohnte  ©riefmechfel  mit  Voltaire  btö  ju 
beffen  £ob  (1778) ,  fomie  mit  b'&lembert  auf  baä  Sifrigfte  fortge* 
fefct,  bis  auch  biefer  im  3aljre  1783  inä  ©rab  fanf.  ©eibe  unter- 
hielten ben  Äönig  nicht  nur  über  bie  neueften  ©rfc^einungen  ber 
fran^öfifchen  Siteratur,  fonbern  ergö|ten  Um  auch  burdj  9Keuigfeiten 
öon  bem  §ofe  öon  ©erfailleS,  mogegen  griebrichS  ©riefe  an  fie  öon 
ben  übertriebenen  Schmeicheleien  überfloffen.  „3$  habe,"  fo  fdfjrieb 
er  im  3<*hre  1777  <m  ©oltaire,  „in  ©erlin  eine  öffentliche  ©iblio* 
tfjel  bauen  laffen.  ©oltaire'3  SBerfe  Ratten  bortjer  eine  511  unan* 
ftänbige  SBohnung."  Unb  an  b'Sllembert:  „©djladjten  fwben  öiele 
9Jienfa)en  gemonnen;  öiele  Imben  Sßrobinjen  erobert:  aber  menige 
^aben  ein  fo  öoHfommened  SBerf  mie  bie  ©orrebe  jur  ©ncuflopäbie 
getrieben." 

Snbeffen  mürbe  bie  SBeltanfdmuung  beä  ßönig* ,  ber  ftd)  in 
feiner  felbft  gefa)affencn  ©ereinfamung  immer  me|r  auf  fein  eige* 
ne^  3^  jurürf^og  unb  fia)  nur  no(^  ben  „©infxebler  öon  ©an** 

Golste ar tf),  »eltgef^te.  Vi,  40 


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626  8rriebri($*  II.  le&te  9?c9ienmg»idt 


fouci"  nannte,  eine  immer  trübere.  £>atte  er  fid)  in  feinen  früheren 
Saferen  nod)  einigen  ©laubcn  an  eine  fittlkfje  Äraft  be*  2Renjd>en 
bewahrt,  fo  fdjwanb  in  feinen  lefcten  £eben*jaf)ren  aud>  biefer,  unb 
ber  natfte  2Rateriali*mu*  gewann  ooüftänbig  bie  Dber&aub.  „3$ 
betraute-,  färieb  er  unterm  18.  9Rat  1782  an  b'SUembert,  „ben 
SKenfa^en  wie  ein  *D*af  dunen  wert ,  welche*  ben  ©ewidjten  unb  9tä= 
bern,  burd)  bie  e*  geleitet  wirb,  notfjwenbig  folgen  muß.  SBa*  man 
SBei^eit  unb  »ernunft  nennt,  ift  nur  bie  gruajt  ber  (Jrf^ning, 
weldje  auf  bie  Surt&t  ober  bie  Hoffnung  wirft ,  auf  biefe  beiben 
großen  Xriebfebern  unferer  ftanblungen.  Sur  unfere  Eigenliebe  ift 
bie*  freilid)  ein  wenig  bemfitlugenb;  aber  unglüdlid>erweife  ift  e* 
nur  ju  walu*." 

SBäljrenb  fid)  ber  Sönig  oon  ben  SHenfdjen  immer  meljr  ju= 
rü(f  jog,  blieben  feine  SBinbfpieie  bU  an  fein  fieben&enbe  feine  un* 
jertrennltajen  ©efäljrten.  ©ein  ßiebtingSljunb,  bem  bie  übrigen  jur 
©efeüfdjaft  bienten,  lag  ftetd  auf  einem  befonberen  Stuhle  an  ber 
Seite  feine*  $erm  unb  fd)lief  be*  «Ract>t*  in  beffen  ©ette.  ©in 
ßafai  führte  bie  ganje  4>nnbcfd)aar  täaüd)  fpajieren ,  unb  wenn 
ber  ftönig  fid)  $u  ben  ÄarnebatefeftlidJteiten  nactj  Berlin  begab, 
würbe  fie  iljm  in  einer  fed)8fpänmgen  fhitfdp  nadjgefafjren ,  wobei 
ber  fie  begleitenbe  ßafai  feinen  $lafc  auf  bem  föütfftfc  netraten 
mußte.  Starb  einer  biefer  £>unbe ,  fo  würbe  er  im  ©arten  oon 
Sanäfouci  begraben,  unb  eine  mit  feinem  Warnen  oerfefyene  Sföarmor* 
platte  bejeidmete  feine  ©rabftätte. 

Rriebrid)  ^atte  in  feinen  testen  id eben 8 ja l) reu  feine  fonft  fo 
fräftige  ©efunbtyeit  ooüftänbig  baburd»  untergraben ,  baß  er  iüd)t 
fierr  feine*  (Baumen*  war.  Dtyne  SRüdftdft  auf  bie  Tarnungen  fei- 
ner Merkte  gab  er  bem  ©elüfte  nad)  fetten ,  ftart  gewürzten  unb 
ferner  oerbaulidjen  Speijen  in  fo  jügeüofer  SÖeifc  nad) ,  baß  er 
\\d)  baburet)  eine  allgemeine  SBerberbniß  ber  Säfte  jujog ,  bie  mit 
SBafferfudjt  enbete.  Stadlern  er  ben  ffiinter  Don  1785  auf  86 
unter  großen  JBefdjmerben  in  $ot*bam  jugebradjt,  begab  er  fid)  am 
17.  XHpril  1786  nad)  Sanfcfouci ,  Wo  er  im  ©enuffe  ber  frifdjen 
Sanbluft  Grrleidjterung  $u  finben  tyoffte.  5)iefe  Hoffnung  erfüllte 
fid)  jebod;  nidjt;  feine  Mräftc  fdjmanben  oiclmel)r  jufe^enb* ,  unb 
im  3uni  würben  bie  iöruftbeflemmungen  in  golge  ber  junefymenben 
Gfeförnulft  fo  heftig,  baß  er  nidjt  mcljr  liegen  tonnte  unb  bafyer  ben 
größten  iljeil  ber  Wadjtc  auf  feinem  gefmftufjle  in  oorwärt*  ge- 
büefter  Stellung  jubringen  mußte.  3)ennod)  ermattete  feine  Xljätig* 
feit  nid)t :  bi»  $u  feinem  legten  Xage  ließ  er  fid)  jeben  borgen  bie 
$abinet*fac§en  oorlegen,  biftirte  feine  Gfrlaffe  unb  fdjrieb  and)  felbft 
n od)  einige  ©riefe.  lUadjbem  am  16.  Sluguft  in  feinem  Quftanbe 
eine  bebenfliaje  JBerfajlimmerung  eingetreten  unb  in  ber  barauf« 
folgenben  9taa)t  ^alboerftänblia^e  qtyantafien  mit  einem  ruhigen 


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^reufecn  unter  3rriebrid)  ©tlfjelm  II. 


627 


Schlummer  abgctoedjf  elt ,  entfchlief  bcr  #önig  am  17.,  jtoet  ©tun» 
bcn  nach  Mitternacht ,  ohne  ftchtbaren  Xobe*fampf  in  ben  Armen 
feinet  ßafaien.  Äußer  biefem  tuaren  nur  fein  Ärjt  unb  jtoei 
Äammerbiener  Seugen  feine*  Xobe*. 

$urd)  ben  SRinifter  Don  $>erjberg  unDerjüglicfj  Don  bem  §in* 
Reiben  be*  #önig*  in  ftenntnife  gefegt  r  eilte  ber  Xtjronfolger 
f^riebnef)  SBtltjclm  II.  fofort  naef)  San*fouci,  um  bie  nötigen  s-3er* 
fügungen  ju  treffen.  Obgleich  Srtcbrict)  im  (Marten  Don  San*fouci 
beerbigt  ju  merben  gettünfcfjt,  hielt  e*  ber  neue  &önig  für  ange- 
meffener ,  Um  in  ber  @arnifon*firche  ju  $ot*bam  an  ber  Seite 
Sricbrict)  2Bilf)elmS  L  beifefcen  311  laffen. 


XXXV. 

Brenken  nutet  3rteoridi  ptfßerm  II. 

(1786—1797.) 

grie  brich  SBilfjelm  II.,  ber  im  Alter  Don  jmeiunbDierjig 
Sauren  ben  preufcifchen  X^ron  beftieg,  mar  ein  Surft  Don  gutem 
natürlichen  SSerftanbe  unb  mohltnoflenbem  #er$en.  SBon  ber  Ueber» 
Beugung  burchbrungen ,  bafj  ba*  2Bot)l  be*  Staate*  mit  ber  2Bohl= 
fahrt  be*  SBolfe*  meljr  in  Einf lang  gebracht  merben  fönne ,  al*  e* 
unter  feinem  üielberounberten  Vorgänger  ber  3fafl  gemefen ,  befchlofc 
er ,  bie  brücfenbften  Einrichtungen  be*  herrjehenben  SSermaltung** 
H)ftem*  511  beseitigen,  Sunächft  nnirbe  bie  Derfm&te  Plegie  anfge-- 
hoben  unb  ber  an  ber  Spifte  berfelben  fteljcnbe  Jranjofe  be  la 
£at)e  be  Sannau  in  Anflageftanb  Derfefct;  ba  jeboch  bie  Unter» 
fuchung  feinen  Unterfdjleif  oon  feiner  Seite  ergab,  erhielt  er  al*balb 
bie  greiheit  jurücf.  55er  Xabaf=  unb  Äaffeehanbel  mürbe  mieber 
freigegeben  unb  baburch  ein  großer  $t)eil  ber  läftigften  SBerfehr*be* 
fchränfungen  unb  ber  gehäffigften  Sfcachforfcfmngen  unb  Quälereien 
befeitigt. 

Anbete  (Erlaffe  unb  Einrichtungen  be*  neuen  &öntg*  bejmeef» 
ten  eine  menfchlichere  ©ehanbtung  ber  Solbaten  unb  eine  Erleichte» 
rung  be*  fdmjer  auf  bem  fianbe  laftenben  SRilitärbrucf*,  unb  wenn 
auch  h*er  xn  bem  gefammten  iBermaltung*mefen  nur  Einjelne* 
geänbert  mürbe  f  ba*  Softem  griebrich*  II.  im  Allgemeinen  aber 
fortbeftanb,  fo  hatten  boch  bie  Don  Sriebrich  SBiltjelm  II.  getroffenen 
Aenberungen  einen  Auffchmung  be*  SBerfehr*  unb  be*  gemeinen 
SBohlftanbe*,  fomte  ein  freiere*  Aufatmen  ber  Nation  jur  golge. 

Aber  in  bem  Eharafter  be*  neuen  ftönig*  Dereinigte  fidj  ®üte 
mit  Schwache.    «öährenb  er  fty  fernhielt  Don  bem  be*ootifchen 

40* 


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628  $Teufeen  unter  griebria)  »ilfclm  II. 


Eigenwillen  griebrid)*  IL,  ließ  er  fid)  öon  unwürbigen  ^erfonen 
leiten,  unb  wenn  fein  Vorgänger  jufammcngefd)arrt  an  allen  ©den 
unb  (Snben  unb  ftid)t*  üerbraudjt  fürte  für  feine  s#erfon,  fo  jeigte 
griebrict)  2Bilf)elm  II.  eine  öerfcr)wenberifd>e  greigebigfeit  gegen 
®ünftlinge,  bie  ber  OJegenftanb  ber  allgemeinen  Veradjtung  waren. 
9lud)  bübete  feine  Vergnügung*fuct)t  ju  ber  nie  ermattenben  Srjätig* 
feit  feine*  Vorgänger*  einen  fd)arfen  ©egenfafr.  2We*  bie*  jiu 
fammengenommen  mußte,  nadjbem  einmal  bie  (Erinnerung  an  bie 
burdj  griebriet)  II.  gefdjaffenen  unb  burd)  feinen  vJtad)folger  befei» 
tigten  brüefenben  ^uftänbe  in  ben  jpintergrunb  getreten,  bei  bem 
Vergleiche  ber  s£erfönlicf>feit  beiber  £errfct)er  ben  Slu*fcr)lag  $u 
©unften  griebrict)*  II.  geben. 

2lm  fdjärfften  trat  bie  Verfduebentjeit  ber  fRegterung*mcife 
griebrid)  SBilfjelm*  II.  t»on  ber  feine*  Vorgänger*  auf  bem  re- 
ligiösen öJebiete  ju  läge.  SBätjrenb  ber  natjeju  ein  fjatoe*  $afy* 
fmnbert  umfaffenben  Regierung  griebrict)*  II.  t)atte  man  fid)  in 
Greußen,  befonber*  in  ben  teeren  ©täuben,  baran  gewöhnt,  nad) 
bem  Vorgang  be*  ßönig*  auf  ba*  (£r)nftentt)um  mit  ©eringjct)äfcung 
r)erabjublitfen.  Unter  bem  ©ci)u|je  biefer  jum  guten  %on  gemor* 
benen  religiöfen  ©leidjgütigfeit  mar  auf  bem  ©ebiete  ber  öroteftan* 
tifdjen  X^eologie  jene  bem  pofttioen  S^riftent^um  fetnbltcr)c  sJüd)- 
tung  jur  $errfd)aft  gelangt,  welct)e,  geftüfct  auf  ba*  buret)  bie  De- 
formation fanftionirte  ^rioilegium  ber  „freien  gorjdmng",  bie  ÖJlau* 
ben*mat)rr)eiten  bem  Urteile  ber  Vernunft  unterworfen  wifjen  will. 
Söärjrenb  griebrict)  II.  biefe  rationaliftifdje  Sttict)tung  fiel)  ungefnn- 
bert  (jatte  entfalten  laffen,  f)ielt  e*  griebrid)  28ilt)elm  II.  für  feine 
Äönig*pflict)t,  bie  orttjoboje  Ürcr)enler)re,  oou  beren  52Ba()rr;cit  er 
überzeugt  mar,  in  feinen  5d)iifc  ju  nehmen.  (£r  erlieg  barjer,  naa> 
bem  er  ben  ehemaligen  sßaftor  Söößner,  einen  eifrigen  Vertt)eibiger 
ber  alten  gormen,  jum  ftuttu*minifter  ernannt  r)atte,  am  9.  3uli  1788 
ein  t»on  biefem  entworfene*  (Sbift,  ba*  ben  (&eiftlid)eu,  Mer)reru  unb 
Sßrofefforen  bei  ©träfe  ber  ¥lmt*entie(jung  oerbot,  fid)  auf  ber  ®an* 
gel  unb  bem  #atr)eber  Abweichungen  oon  bem  £et)rbegriff  unb  ben 
Vefenntnijjfdjriften  ber  eüangelifcr)en  fftrdje  ju  erlauben,  wobei  je* 
bodj  au*brücflicr)  t)croorgcl)oben  Würbe,  baß  ber  ftönig  (einerlei  %t* 
mifjen*§wang  au*üben  wolle  unb  Meinen  wegen  feiner  perfönlictjen 
Ueber$eugung  jur  ©träfe  $ief)en  werbe,  fo  lange  biefe  innerhalb  it)rer 
©djranfen  gehalten  werbe. 

$)iefe*  (Ibift  Würbe  fofort  in  $at)lreict)eu  ©djriften  auf  ba* 
£>eftigfte  angegriffen.  3Bät)renb  bie  meiften  proteftantifd)en  ^ßre* 
biger  bie  Verpflichtung  jur  Verfunbigung  einer  tkfyxt,  an  welche 
fie  nidjt  mehr  glaubten,  für  eine  Aufforberung  jur  .peuerjelei 
erflärten,  wiefen  bie  Söortfutjrer  be*  9cationali*mu*  barauf  bin, 
bafj  ba*  ©lauben*ebift  mit  ber  üet)rfreir)eit ,  au*  welcher  bie 


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Greußen  unter  griebrich  SBilljelm  II.  629 


proteftantifche  ^^cologic  unb  Kirche  hervorgegangen  fei,  im  SBtberfprudj 
ftehe  unb  bog  für  bic  ttriffenfchaftlidje  Söehanblung  ber  X^eologic 
unb  ben  afabeimfdjen  Sehroortrag  nicht  bic  gleiten  Sdjranfen  ge* 
fe^t  werben  fönnten,  tüte  für  bie  $rebigt  unb  ben  Sdjuluntemcht. 
$a  griebrich  SBilhelm  «Rieh**  öon  ber  burdjgreifenben  Energie  fei. 
ne«  Vorgänger*  befaß,  ber  fidj  bei  öden  feinen  Verfügungen,  un« 
befümmert  um  ba*  ©erebe  ber  3Benfd)en,  GJehorfam  &u  ergingen 
mußte,  unb  ber  $hiltu*minifter  unb  feine  9tätt)e  meber  burdj  irjrc 
geiftige  fi^aft  noch  burch  ih«  9lmt*gemalt  ben  Schmierigfeiten  ber 
Soge  gemachten  maren,  blieb  ba*  ©bift,  trofo  ber  mit  groger  Strenge 
gehanbhabten  ©üdjercenfur ,  ohne  irgenb  melden  (Srfolg  für  ben 
Smecf,  $u  meiern  e*  erlaffen  morben  mar. 

Obgleich  griebrich  SSilhelm  II.  mcber  ben  ©^rgeij  noch  bie 
(£roberung*fucht  feinet  Vorgänger*  befaß,  tyclt  er  fidj  bod)  für 
berufen,  nicht  nur  bie  «Stellung  Greußens  al*  ©roßmacht  $u  magren, 
fonbern  auch  bie  SRoöe  feine*  £>heim*  al*  Oberhaupt  be*  beutfehen 
gürftenbunbe*  fortjufpielen ;  bafjer  blieb  bie  äußere  *ßoIitif  $reu- 
ßen*  im  ungemeinen  in  ben  gleichen  Valmen,  in  meldje  grieb= 
ruh  II.  fie  gelenft  hatte. 

3)a*  erftc  friegerifdje  Unternehmen  griebrich  SSHlhelm*  II. 
mar  gegen  £>oUanb  gerietet.  Qn  biefem  ßanbe  beftanben  noch 
immer  jmei  Parteien :  bie  „oranifche",  meldje  bie  2J?ad)t  ber  im 
Jfafjve  1747  unter  (Snglanb*  (Einfluß  ^ergefteOten  unb  erblich  ge- 
matten  Statthalterfchaft  &u  erhalten  unb  wo  möglich  noch  ju  er« 
meitem  fudjte,  unb  bie  bem  regierenben  ^aufe  abgeneigte  „patrio' 
tifche"  ober  „ftänbifche" ,  beren  $>auptftüfce  bie  angelesenen  ®auf* 
leute  ber  größeren  Stäbte  maren  unb  bie  mäljrenb  ber  fraftlofen 
Vermaltung  be*  förbftatthalter*  SBilhelm  V.  ein  entfehiebene* 
Uebergemicht  erlangt  hatte.  Sic  mar  e*,  meldte  bie  Vethciligung 
^ollanb*  an  bem  oon  granfreid)  al*  Vunbe*genoffen  be*  norb» 
amerifanifchen  greiftaate*  gegen  ©nglanb  geführten  Kriege  bemirft 
^atte;  nicht*beftomentger  legte  fie  ben  für  §oOanb  nachteiligen 
2lu*gang  biefe*  Änege*  bem  ©rbftatthalter  jur  Saft,  inbem  fie  ben= 
felben  befdmlbigte ,  au*  greunbfdwft  für  (£nglanb  jmedroibrige 
SJcaßregeht  getroffen  unb  abfid)tlid)  ben  Verfaß  be*  Seemefen*  hcr* 
beigefü^rt  ju  haben.  S)ie  burd)  bieje  Vefchulbigungeu  unter  ber 
SBeüölferung  h^oorgerufene  Währung  mürbe  burd)  rede  .Bettung** 
fdjreiber  unb  eifernbe  Äanaelrebner  fo  feh*  gefteigert,  baß  e*  im 
3ahre  1786  ju  einem  allgemeinen  Slufftanbe  fam,  in  meinem  bic 
Truppen  be*  (£rbftatthalter*  gegen  bie  überall  gebilbeten  patriotifchen 
SBürgermilijen  ben  $ür$eren  jogen.  3)er  ©rbftatthalter  felbft  fat) 
{ich,  nadjbem  er  feiner  Remter  unb  SBürben  öerlufrig  erflärt  mor* 
ben,  jur  gludjt  au*  bem  jpaag  genöthigt.  @r  50g  fid;  nach  ber 
geftung  9iömmcgcn  jurüd  unb  rief  t>on  bort  bie  |)ilfe  griebrid) 


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630 


Greußen  unter  ftriebrich  Scheint  II. 


SBtthelm*  II.  öon  Greußen  an,  mit  beffen  Sdjwefter  er  öer* 
mählt  war. 

Anfangs  jögerte  ber  ftönig,  aus  9?ücffic^t  auf  baS  mit  ben 
Patrioten  öerbünbete  Sranfreich,  fleh  in  bie  Sache  einjumifchen ;  ein 
wahrfdjeinlich  abftc^tlict)  herbeigeführter  Vorfall,  ber  feinen  ga* 
milienftolj  tief  »erlebte,  machte  jebod»  alsbalb  feinem  Sägern  ein 
©übe.  $ie  Gemahlin  beS  (5rbftattr)aIterÄ  war  nämlich  plöfclich 
öon  föömmegen  abgereift,  um  nach  bem  £>aag  jurüdjufehren ;  fie 
war  jeboch  auf  ber  föeife  öon  ben  Patrioten  angehalten  unb  burdj 
©ürgermilijen  wie  eine  Gefangene  nach  ^Umwegen  jurüefgeführt 
Würben. 

Um  biefe  bem  föniglichen  #aufe  augefügte  ©eleibigung  ju  rä- 
chen, lieg  ber  tföntg  fofort  in  SBeftfalen  ein  #eer  oon  öterunb$wan* 
äigtaufenb  9Jcann  unter  bem  #erjog  ftarl  Serbinanb  oon  ©raunfehweig 
jufammenjiehen,  baS  im  September  1787  über  Wömmegen  unb  Arn* 
heim  in  baS  boHänbifche  Gebiet  einrüefte.  $a  fich  bie  fcäupter  ber 
patriotischen  Partei  feige  unb  fopfloS  jeigten  unb  ber  «erfuch,  baS 
fianb  burch  Deffnen  ber  Sdjleufen  unter  SBaffer  ju  fefcen,  wegen 
SaffermangelS  fehlfdjlug,  fanben  bie  Greußen  faum  irgenb  welchen 
SBiberftanb.  $ie  geftungen  ergaben  fich  faft  ohne  (Gegenwehr,  unb 
nach  Verlauf  öon  üier  SBochen  war  baS  ganje  ßanb  oon  ben  preu* 
gifchen  Xruppen  befefct.  (£s  war  ein  SchicffalSmoment,  ber  $reu« 
ßen  Gelegenheit  bot,  ein  ju  £eutfchlanb  gehörige*  unb  in  Wiber* 
natürlicher  Söeife  oon  bemfelben  loSgeriffeneS  ßanb  unter  $wecf- 
entfprechenben  Sonnen  wieber  in  bie  rechte  Stellung  ju  ber  beut* 
fchen  Nation  ju  bringen  unb  ben  föheinftrom  oon  feiner  fchimpfli* 
chen  Sperre  ju  befreien;  allein  Greußen  liefe  biefe  Gelegenheit, 
fich  bxm  wahrhaften  9Jcef)rer  unb  Vertreter  beS  deiche«  &u  machen, 
unbenufct  oorübergehen.  $em  tfönig  genügte  eS,  bie  ©h«  f«ne* 
£aufeS  gewahrt  $u  hoben,  unb  fein  9Jiinifter  $er$bcrg ,  ber  bie 
auswärtigen  Angelegenheiten  ber  9)<onarchie  leitete,  ha*tc  nur  oa* 
(£ine  im  Auge,  #oflanb  als  ©rüde  &u  gebrauchen,  um  $u  einer 
engeren  SBerbinbung  Greußens  mit  ©nglanb  ju  gelangen,  auf  welche 
er  ein  SdjiebSr ichteramt  Greußens  über  ba&  mittlere  (Suropa  ju 
grüuben  gebachte.  So  hatte  ber  ebenfo  glüeflich  ausgeführte,  als 
füc)n  unternommene  3ug  'ein  anbcreS  (Srgebniß,  als  bie  SBieber- 
einfejjung  beS  GxbftatthalterS  in  feine  Aemter  unb  Stürben  unb 
ben  Abfchluß  eines  ^ertheibigungSbünbniffeS  mit  ber  föepublif,  baS 
am  15.  April  1788  ju  Stanbe  fam.  Anftatt  bie  Freiheit  ber 
9^ ^einf dt)iff f al>rt  ju  f orbern ,  begnügte  fich  Greußen  mit  ber  geft- 
fefcung,  baß  bis  gum  Abfchluß  eines  £>anbelSt>ertragS  beibe  Staa-- 
ten  cinanber  in  ^Betreff  beS  §anbelS  unb  ber  Schifffahrt  auf  bem 
guß  ber  am  meiften  begünftigten  Stationen  behanbeln  wollten.  25er 
jweibeutige  ßiiegSruhm  aber,  ben  baS  preußifche  #eer  aus  bem 


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^reufeen  unter  ftriebrich  ©ü^lm  II. 


631 


unblutigen  Setbjug  jurücfbrachte,  fyattt  für  ba*fclbe  bic  fchlimmften 
gotgen;  benn  er  beftärfte  e*  in  bem  burch  griebrich*  II.  (Siege 
begrünbeten  SBa^ne  öon  ber  abfoluten  Unnriberftefjüdjfeit  ber  preu* 
fttfchen  SBaffen. 

2(uf  ba*  iöünbnift  Preu6en*  mit  $ottanb  folgte  am  13.  gunt 
1788  ein  ähnliche*  mit  (Snglanb,  in  tuetdjetn  jtcfj  beibe  Staaten 
jur  gegenfeitigen  SBefdjüfjung  aller  ihrer  Söefifcungen  mit  einer  be* 
frimmten  Xruppenmacht  im  gatlc  irgenb  eine*  feinbltdjen  Angriff* 
verpflichteten.  Tiefe*  üöünbiiiö  mar  fjauptfädjlid)  gegen  Stuflanb 
gerichtet,  mit  roeldjem  (ämglanb  megen  SBefc&ränfungen  feinet  £an* 
bei*  ent$meit  mar ,  roährenb  griebrich  SBil^cIm  II.  fich  burd)  bic 
enge  Verbinbung  8tu§lanb*  mit  Ocftcrreic^  beunruhigt  füllte  unb 
fiberbte*  mit  ber  (S^arm  in  einem  au*  pcrfönlic^er  Abneigung  f>er= 
üorgegangenen  gefpannten  Verhältniffe  lebte. 

Um  Defterreidj  eine  nachbrücf  liehe  ©etheiligung  an  bem  jroei= 
ten  Türfenfriege  Katharina'*  unmöglich  ju  machen,  unterftüfcten 
bie  SBerbünbeten  bie  Unruhen  in  ^Belgien;  auch  nährten  fie  anbe* 
rerfeit*  bie  Währung  in  Polen,  um  bie  Befreiung  biefe*  fianbe* 
oon  bem  ruffifchen  30Chc  f>erbei^ufül)ren.  Ter  günftige  Verlauf  be* 
ßriegeS  für  SRu&lanb  unb  Defterreich  im  3ahre  1789  bemog  bie 
beiben  ÜÄächte,  entfehiebener  für  bie  Slufrechthaltung  be*  türfifcheu 
Meiches  im  Qntereffe  be*  europäifcf>en  ©letchgenncht*  einzutreten,  in 
meinem  §er$berg  bie  ÖJrunbbebingung  ber  9ftachtfteßung  Prenfjcn* 
erblicfte.  Tie  feinbliche  Haltung,  meldte  bie  preufjifche  Regierung 
in  golge  beffen  gegen  Cefterreich  annahm,  führte  nach  bem  Tobe 
Sofeph*  II.,  roie  mir  oben  (©.  559  f.)  gefefjen,  ben  Slbfchlufj  eine* 
SSaffenjtillftanbe*  jmifchen  Defterreich  unb  ber  Pforte  unb  fpäter 
ben  grieben  oon  6iftoma  herbei.  ®egen  SRufjlanb  fdjlofj  Greußen 
am  31.  Januar  1790  einen  $Bunbe*öertrag  mit  ber  Pforte,  in  ber 
ficheren  ©rmartung,  ba§  ©nglanb  ba*  (bleiche  thun  merbe.  Tie* 
mürbe  jeboch  burch  bie  Dppofttion*partei  im  englifchen  Parlamente 
oerhinbert,  unb  fo  fat)  fid)  Preufcen,  nachbem  ber  grieben*fchluf3 
ber  (5§arin  mit  ÖJuftaö  III.  uon  Schmeben  ben  Hüffen  freie  $anb 
gegen  bie  Türfen  oerfdjafft  r>attc,  jur  3ufammen$iehung  bebeuten* 
ber  ©treitfräfte  läng*  ber  ruffifchen  ÖJren^e  genötfngt,  um  feinen 
gegen  bie  Pforte  eingegangenen  Verpflichtungen  ju  genügen.  3n 
einer  bireften  ©inmifchung  Preufjen*  in  ben  ruffijch5türfifchen  ®rieg 
fam  e*  jeboch  nicht,  inbem  bie  ©jarin  am  9.  (September  1792  mit 
ber  Pforte  grieben  fd)lo§. 

SBte  fich  griebrich  ^BU^elm  II.  für  bie  im  Qntereffe  ber  Stuf* 
rechthaltung  be*  türfifchen  deiche*  gebrachten  Cpfer  burch  feine  93e* 
Heiligung  an  ber  atoeiten  unb  brüten  Theilung  Polen*  fchablo* 
hielt,  ha&en  wir  oben  gefehen;  auch  feiner  3ufammenfunft  mit 
Äaifer  ßeopolb  II.  in  Pittnifc  §af>tn  mir  @.  560  gebaut.  Von  bem 


> 


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632  Die  beutfay  ßtferoiur  hn  acfjtie&nten  ga^unbert. 


getbaug,  ben  er  im  3a^rc  1792  im  93unbe  mit  flaifer  granj  II. 
gegen  granfreich  unternahm ,  um  fiubhngS  XVI.  Befreiung  unb 
SSiebereinfefcung  in  feine  SRedjte  ju  erjUiingen,  fottrie  öon  feiner 
$öctt)eiligung  an  bem  erften  Koalitionäfrieg  gegen  ba$  repubüfanifche 
granfreich  wirb  fpäter  bie  «ebe  fein. 

XXXVI. 

Die  »euUiSe  Literatur  im  auflehnten  3a6rfiunoed. 

3m  ©egenfafe  ju  ber  franaöftfehen  ßiteratur,  bie  ir>rc  3«fpis 
rationen  öom  #ofe  unb  ber  öornefjmen  SBelt  erhielt,  entnricfelte  fid) 
baS  beutfehe  Schriftthum ,  Wie  im  fiebjehnten ,  fo  auch  im  aefttgehn» 
ten  Sa^unbert,  in  einem  felbftftänbigen,  mehr  bürgerlichen  ©eijte, 
nicht  unterftüfct,  aber  auch  nicht  beeinflu&t  öon  ben  faft  aufnahm** 
loft  bem  franjöfifchen  ©efehmaefe  hulbigenben  gürften,  unb  roährenb 
au*  bem  serriffenen  Körper  be3  deiche*  jeber  ftationalgeift  ent* 
wichen  war  p  fanb  er  eine  Jpeimftäite  in  ben  @ch öpfungen  ber  ju 
immer  reiferer  SBlüthe  04  cntfaltenben  Didjtfunft. 

Sßachbem  fdjon  *u  <£nbe  beä  fiebjehnten  3at)rhunbert8  bie  Un* 
natur  unb  ÖJcfc^macflofigfctt  ber  jweiten  föleftfdjen  S)ic^terfc^ulc 
(f.  6.  36)  eine  föeaftion  ^eröorgerufen ,  bie  jebodfc)  ju  feinem  §eile 
führen  fonnte,  rocil  ihre  Xräger  in  baS  entgegengefef te  ©jtrem  Der» 
fielen  unb  toon  bem  ©chwülftigen  jum  SBäfferigen  übergingen,  ent« 
ftanben  in  ben  awanjiger  Sauren  beS  achtzehnten  3at)rtmnber&r 
gleichfalls  jur  ©cfämpfung  ber  ßohenfteinifchen  ©runbfäfce ,  jwei 
neue  Dichter  faulen ,  bie  ßeipjiger  unb  bie  f d)W eijerif che, 
jene  gegrünbet  Don  bem  gelehrten ,  um  bie  s2luäbilbung  ber  beut* 
fdjen  Sprache  ^oetüerbienten,  aber  pebantifchen  unb  burdj  unb  burdj 
profaifdjen  3°*>ann  Sftriftopt)  ®ottfd>eb  (geb.  am  2.  gebruar 
1700  unweit  Königsberg,  geft.  1766  ju  ßeipjig  al«  ^rofeffor  ber 
l^ilofop^ie  unb  Dichtfunft) ,  biefe  ton  ben  beiben  3ürid)er  $ro* 
fefforen  3ot)ann  Safob  «obmer  (geb.  1696,  geft.  1783  in  3ürich 
als  SJcitglieb  beä  gro&en  SRatheS)  unb  3o!)ann  3afob  5ör  ei  tinger 
(geb.  1704,  geft  1776  in  3"rich). 

Ötottfdjeb,  ber  fid)  jum  Diftator  auf  bem  Gebiete  ber  Dicht* 
fünft  aufwerfen  wollte,  bie  ^Soefie  jeboch  jur  äu&erften  9lucbtemheit 
herabzog,  inbem  er  aflen  SBerüj  berfelben  in  bie  Klarheit  beä  2luS= 
brutfs  unb  in  bie  Feinheit  ber  poetifetjen  gorm  fefetc ,  lehnte  fict) 
in  feinen  Dichtungen,  bie  nichts  $nbereS  finb  als  gereimte  Sßrofa, 
an  franjöfifct)c  Eftufter  an ,  währenb  bie  ©rfinber  ber  ©chwei$er= 
(Schule ,  üon  benen  ©obmer  ihm  an  bidjterifdjem  Dalente  überlegen 
war  ,  ihre  SBorbilber  in  ©nglanb  fugten  unb  babei  jugleich  bie 
Mufmerffamfeit  auf  bie  Dichtungen  ber  Httinnefänger  hinIcn^cn- 


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$te  beutfdje  Sitcratut  im  achtzehnten  ^ahrlmnbert.  633 

Stützen  bcn  „©ottfchebtanern"  unb  bcn  „SBobmertanern"  fom  e$ 
ju  einem  heftigen  geberfrieg  über  bie  ©runbfäfce  ber  Dichtfunft,  in 
welchem  bie  ©chtoeijer,  »eil  öon  richtigeren  ©efichtSpunften  au*» 
gefjenb,  bie  Dberljanb  behielten. 

SBährenb  biefeS  ©treite«,  ber  burch  bie  Klärung  ber  9Inftcf)ten 
unb  bie  ©djärfung  be$  UrtheilS  über  baä  SBefen  ber  Sßoefic  bte 
Degeneration  ber  beutfdjen  $id)tfwnft  anbahnte,  traten  jroei  Dichter 
auf,  bie,  feiner  ber  beiben  Parteien  ftc^  anfchliefcenb ,  ihre  eigenen 
SBege  gingen  unb  ungleich  öejfereä  leifteten ,  als  ©ottfdjeb  unb 
SBobmer  fammt  ihrem  Anhang.  Dtefe  Dichter  maren  Snbrecfjt  öon 
Roller  (geb.  1708  $u  33ern,  geft.  1777  als  Direftor  ber  ©al§* 
werfe  ju  ©ej),  ein  ©tern  erfter  ©röfce  in  ber  beutfdjen  (Mehrten* 
Welt,  faft  in  allen  SBtffenfdjaften ,  wie  in  allen  ©prachen  GSuropa'3 
bewanbert,  unb  griebrich  öon  #ageborn  (geb.  1708  ju  §am* 
bürg,  geft.  ebenbafelbft  1754),  jener  ein  emfter,  tiefer  Dichter,  beffen 
Sehrgebicht  „bie  Älpen"  in  bem  $llpenüolf  im  ©egenfafc  ju  ber  be* 
reit«  überfeinerten  SBelt  ba«  ©lücf  ber  ©itteneinfalt  barfteCCen  foll, 
biefer  ein  leichter,  gefälliger  Dichter  öon  trefflichem,  liebenSWürbigem 
Sharafter  unb  glüeflichem,  mehr  bem  ^eiteren  jugeroanbten  Xalente, 
ber  eigentliche  ©chöpfer  be3  leichteren  ßiebe«. 

Sftachbem  ©ottfeheb  burch  bie  Angriffe  ber  ©chroeijer  öon  bem 
Sßiebeftale  feine«  SRuhmeS  ^crabgcftürjt  morben,  bilbete  ftch  in  8eip* 
jig  ein  ^weiter  Dicbteröerein ,  bte  „fächfifdje  Dichterfchule",  beren 
9)tttglieber  ihren  SBereinigungSpunft  in  ber  oon  ihnen  gegrünbeten 
Seitf  djrift :  „Beiträge  jum  Vergnügen  be3  SBerftanbe«  unb  SBifceS," 
gewöhnlich  nach  bem  (fcheinbaren)  93erlag8orte  „93  rem  er  93 c t * 
träge"  genannt ,  fanben.  Der  beliebtefte  dichter  biefer  ©djule, 
bie  im  OTgemetnen  noch  ganj  bem  franjöpfchen  ©ejehmaefe  \)\x\* 
bigte ,  mar  ber  fdjftchte ,  fromme  ©hnftian  gürdjtegott  ©  e  l  l  e  r  t 
(geb.  1715  $u  Hainichen  im  Königreich  ©achfen  ,  geft.  1769  als 
Sßrofeffor  ber  ^ßfjilofophie  in  ßeipjig) ,  unftreitig  eine  ber  liebend* 
mürbigften  (Sxfcheinungen  be8  öorigen  QabrfjunbertS  unb  ber  ein- 
zige beutfehe  dichter ,  bem  griebrief)  II.  einige  Slufmerffamfeit 
fchenfte.  §1(3  9ftenfch  mit  Stecht  hochgeachtet  wegen  feiner  aufrtch* 
tigen  grömmigfeit,  feine«  milben,  menjehenfreunblichen  ©tnne«  unb 
feine«  mufterhaften  Sieben« ,  mürbe  ©cflert  al«  dichter  öon  ben 
ßeitgenoffen ,  bie  ihre  Verehrung  für  feine  ^erfon  auch  auf  f^ne 
28erfe  übertrugen,  über  Gebühr  gepriefen;  benn  feine  Dichtungen 
jeidmen  fich  Weber  burch  ^iefe  ber  Slnfchauungen  noch  burch  einen 
hohen  ©ebanfenflug  au*  unb  ftehen  jum  %tyü  noch  ganj  auf  ©ort* 
fcheb'fchem  ©oben.  5(m  gelungenen  ftnb  feine  gabeln  unb  feine 
öoetifdjen  (Stählungen ,  burch  welche  er  hauptfächlich  ber  ßiebling 
be«  SBolfe«  mürbe,  ©eine  geiftlichen  ßieber,  öon  benen  öiele  in  ben 
proteftantijchen  ßtrehengefang  übergegangen  finb,  öerherrlichen  öor* 


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634  2>ic  beutj^e  fiiteratur  im  ahnten  3a$rf>imbert. 


SugSroeife  bic  Oröße  unb  ©üte  be3  Sd)öpfcr3,  ttntrjeln  aber,  bem 
(Deifte  ber  Seit  entfprec&enb ,  mefor  in  ber  natürlichen  ,  als  in  ber 
pofttio=cf)riftlicf)en  Religion.  ©ellert*  bramatifd)e  Sphingen,  8ufl* 
unb  (Sdjäferfpiele,  ftnb  f)ö<f)ft  unbebeutenb. 

3u  ber  fäcfeftfc^cn  (Schute  gehörten  auet)  Oottficb  SBitfjelm 
ftabener  (geb.  1714,  geft.  1771  $u  $re*beu),  ber  ft<$  at*  @a* 
tirifer  einen  unoerbienten  SRufun  erworben ;  Srtebridj  SBilWm 
gadjaria*  (geb.  1726  ju  Sraufenfmufen,  gefl.  1777  al*  ^rofeffor 
$u  ©rauufebtoeig) ,  ber  ©erfaffer  tomiföer  (Epopöen ,  für  meiere  er 
ficfj  ben  engUfctjen  $trf)ter  ^ope  $um  SJhifter  genommen;  ber 
Styrifer  3 o bann  «bolf  (Stieget  (geb.  1721  $u  SEetffen,  geft. 
1793  als  fbnftftoriatratf)  in  #annooer),  ber  SSater  ber  berühmten 
SRomontifer  Sfaguft  Wilhelm  unb  griebrid)  »on  ©^(cgel  ,  unb  fein 
©ruber  3ofjann  (Sliafc  ©Riegel  (geb.  1718,  geft.  1749),  ber 
fiefj  nicf)t  ganj  obne  ©lücf  in  ber  bramatifeben  ^Dicfttfimft  oerfudjte; 
ber  ßptgrammatift  8braf>am  ©ottfjetf  Ä offner  (geb.  1719,  geft. 
1800)  u.  «. 

Ötfeidjjeitig  mit  ber  ßeipjiger  $id)terfcl)ule  bilbete  fid)  J«  #aße 
ein  SMdjteroeretn ,  ber  ftd>  befonber«  ber  tyrifdjen  fßoeftc  juroonbte, 
baneben  aber  audj  ba&  ßebrgebia)t,  bie  3bttfle  unb  bie  befdjreibenbe 
$idjtung  pflegte.  $a3  ö^Dorrogenbfte  SRttglieb  biefe«  „ijaüifajen" 
ober  „preufctfifjen  ^icfjteroereinS"  war  ffiwalb  ©ljriftian  oon  pfeift 
(geb.  1715  $u  göblin  bei  ßöStin,  geft.  1759  ju  granffurt  a.  b. 
Öbcr  an  ben  Solgen  feiner  in  ber  €d)Iaajt  bei  #uner$borf  ert)a(* 
tenen  SBunben),  ein  fünfter,  inniger,  fentimentater ,  befonberft  für 
bie  Statur  begeiferter  Siebter ,  beffen  £>auptgebidjt :  „Xer  Stfib* 
ling",  toobl  ba8  befte  befdjreibenbe  (JJebiajt  ber  $eutfdjen,  fid)  bura) 
liebltdje,  jarte  unb  warme  ©emälbe  au$  bem  Iänblio^en  ©tittleben 
aii£$eid)net. 

(£in  ungleich  geringered  poetifdjefc  Xalent ,  a(ft  ßfeijt ,  befaß 
Sodann  SSilljenn  Subttrig  ©leim  (geb.  1719  ju  (£rm&(eben  bei 
|>alberftabt ,  geft.  1803  in  $atberftabt) ,  ber  in  feinen  „ÄriegÄlie- 
bem  eine«  preußtfdjen  ©renctterS",  bie  Solf&tieber  fein  fottten, 
aber  com  SBolfe  nie  gefungen  roorben  ftnb ,  bie  ©roßt!)aten  Srieb* 
rid)8  II.  oerfjerrlidjte.  $en  gleiten  ©egenftanb  roö^lte  #art  ©il* 
beim  Garnier  (geb.  1725  ju  Dolberg,  geft.  1768  in  ©erlin)  für 
feine  oielgeprtefenen  Oben,  bie  ftd)  jroar  burd)  eine  ^otje  Sonn« 
oottenbung  auszeichnen,  aber  nur  müfyfam  jufammengetragene  @e* 
bauten  enthalten.  Ungleich  höh**  fte^en  in  biefer  ©ejie^ung  bie 
Oben  oon  Sßeter  Sodann  Uj  (geb.  1720  ju  2ln$bacb ,  geft.  eben* 
bafelbft  1796)  ber,  im  <$egenfa$e  ju  Garnier  unb  ©leim,  Don  bem 
fiebenjä^rigen  Kriege  in  jürnenbem  ©roüe  fingt:  w2Bie  lang  5er* 
fleifd)t  mit  eigner  $)anb  ©ermania  üjr  (Singeroeibe  ?u 

®ie  eigentliche  ©lüüje  ber  beutfd)en  5)ia^tung,  ju  toeld)er  bie 


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2)ie  beutfdje  Literatur  im  ad)t$efynten  ^afyrfyunbert. 


635 


gutgemeinten,  aber  feljlgefdilagenen  ©erfudje  biefer  oerfcfjiebenen 
$)id) terfdmlen ,  burdj  bie  Sftadjalmtung  auSlänbifdjer  Jöorbilber  ber 
beutfd)en  $oefie  neue«  Seben  einjuf>audjen ,  toenigftenS  ben  ©oben 
borbereiteten,  beginnt  mit  bem  Auftreten  ßtopftodS.  griebriet)  ©ort* 
Heb  Älopftod  mar  am  2.  3uli  1724  ju  Dueblinburg  geboren, 
»o  fein  SSotcr  bie  ©teüe  eine»  $ommifftonSratf)eS  befleibete.  9fcadj= 
bem  er  feine  SBorbilbung  juerft  auf  bem  ©^mnafium  feiner  S3ater* 
ftobt,  bann  auf  ber  berühmten  ©dmlpforte  erhalten,  bejog  er  im 
3a!)re  1745  bie  Untoerfität  3ena,  um  Ideologie  ju  ftubieren,  ging 
jebod)  fd)on  im  folgenben  ^ahxc  md)  ßeip$ig,  too  er  mit  ben 
Herausgebern  ber  „Wremer  ^Beiträge"  einen  innigen  greunbfd)aftS= 
bunb  fdtfofj.  *ftad)  ber  SBeenbigung  feiner  ©tubien  nafjm  er  bie 
©teile  eine«  §au%U1)xtx$  in  fiangenfalja  an,  lebte  bann  eine  Seit= 
lang  bei  SBobmer  in  Sflria^  unb  ging  im  3a^re  1750,  ber  Sluffor- 
berung  beS  bäntfdjen  ÜRinifterS  ©ernftorff  folgenb,  nad)  ßooenfjagen, 
roo  er  üon  bem  ®öntg  Sriebrid)  V.  einen  Qaljrge^alt  oon  m'er* 
fmnbert  Xfjalern  erhielt.  3m  Qafjre  1756  oerma^lte  er  fid)  mit 
einer  ^amburgerin,  ber  fpäter  oon  if)m  unter  bem  tarnen  „(Sibü" 
befungenen  Sfteta  Spoiler ,  bie  üjm  jebod)  fdjon  nad)  brei  Sauren 
burd)  ben  Xob  entriffen  tourbe.  ÜRad)  ber  (£ntlaffung  feinet  ©önnerS 
©ernftorff  fiebelte  er  im  3afjre  1771  mit  bem  Eitel  eines  bänifdjen 
ßegationSratljeS  nadj  Hamburg  über,  too  er  am  14.  2flär$  1803 
im  SUter  üon  neununbfiebjig  Qa^ren  ftarb. 

Älopftotf  toar  ein  $>id)ter  im  toafyren  unb  öoHen  ©inne  beS 
SBorteS,  erfüllt  oon  ben  fd)önften  unb  ebelften  Qbealen,  unb  babei 
beutfd)  in  feinem  gangen  ©inn  unb  SBefen,  beutfd)  in  feinem  (£rnfte, 
toie  in  feiner  ©emütljSinnerlidjfeit ,  beutfd)  in  ©itte  unb  ßeben, 
bciit(d)  in  feinen  ©eftrebungen ,  lote  in  feinen  (Erinnerungen  unb 
Hoffnungen.  Sfttt  füfjner  (Sntfd)loffenf)eit  befreite  er  bie  beutfaje 
*ßoefie  öon  ben  Ueffeln  ber  9£acr)af)mung  unb  ■  fjob  jugleidj  feine 
SHutterfpradje  burd)  eine  freie  unb  glfitflidje  33ef>anblung  ju  unge^ 
tDör)nlicr)cr  $raft  unb  SBürbe.  S)em  beutfdjen  ©inne  ftlopftorfS  ent* 
fprang  fein  tiefes  ©efüf)l  für  ßiebe  unb  greunbfdjaft ,  fotoie  jene 
fd)toärmerifd)e  greiljettsliebe ,  bie  ifm  in  ber  franjöfifd^en  SReöo* 
lution  bie  Sflorgenrötlje  einer  neuen  Hera  beS  SBölferglücfeS  erblicfen 
ließ,  bis  ir)rc  nrilben  ©räuel  i^n  aus  feinem  SEBafyne  riffen.  Wxt 
feiner  glüfjenben  SSaterlanbSliebe  oerbanb  ftlopftod  eine  begeifterte 
Hingebung  an  baS  C£hriftcntf)umf  bie  ifm  antrieb,  ben  ©rlöfer  gum 
©egenftanbe  feiner  erften  unb  gro&artigften  Sttdjtung,  ber  „Sttef* 
fiabe",  $u  mahlen ,  ju  melier  er  fd}on  auf  ber  ©dmlpforte  ben 
$lan  enttoorfen.  SBaS  ilm  ju  biefer  S)ia)tung  begeifterte ,  war  je- 
bodj  nidjt  ein  feftgetouraelter ,  lidjtooller  ©  l  a  u  b  e ,  fonbern  ein 
tiefes,  djriftlidjeS  ©  e  f  ü  f>  I ;  ba^er  ift  aud)  feine  SWeffiabe  ntd)t  eine 
in  bem  ©oben  beS  (SoangeliumS  tourjelnbe,  in  ein  poetifc^eS  ®e* 


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636 


roanb  geffeibete  £eben«gefcfucbte  Qefu ,  fonbcrn  eine  bortoiegenb  \ty 
rifche  Dichtung,  bic  auf  ben  tarnen  eine*  <5po*  faum  Hnfpruch 
machen  fann.  Den  GJegenftanb  berfclben  bilbet  ba«  (£rlöfung«roerf, 
tüte  e«  in  ber  überirbtfdjen,  unücfjtbarcn  SBelt  fich  boüjogen,  in  ben 
SRathfcblüffen  be«  Sater«  unb  ben  (Sntfchlüffen  be«  ©ohne«  fich 
entfaltet  hat,  burdj  fnmmlifche  ©eifter  borbereitet  unb  geförbert  unb 
burdj  bie  #ölle  bergeben«  befämpft  Horben,  HUerbing«  ift  biefe« 
fehr  gemagte  $f)antafiegemälbc  bofl  ber  erhabenften  ©ebanfen ,  ber 
jarteften  ©efüble  unb  ber  üeblicbften  ©chilberungen ,  $uglei<h  aber 
auch  boll  3Biaffirlia)feiten  unb  Ueberfchmängüchfeiten,  in  »eichen  fich 
jebe  ©pur  be«  feften,  emften  (Shriftenthum«  ju  berlieren  broht. 
Dabei  fet)(t  bem  SBerfe,  an  toetchem  ftlopftocf  na^eju  fünfunbjn)anjig 
3ahrc  gearbeitet  —  bie  brei  erften  ©efänge  crfchicncn  fdjon  im 
3a^re  1748  in  ben  „Wremer  ^Beiträgen  bie  fünf  lefcten  im 
3abre  1773  —  ein  f efter ,  «arer  $lan  unb  bamit  bic  fünftlerifaje 
Ginheit. 

Die  eigentliche  bichterifebe  #raft  tflopftotf«  liegt  in  feinen,  $um 
großen  X^eile  toahrhaft  flafftfehen  Oben,  bie  fich  meift  burch 
hohen  (Sebanfenflug,  (Srbabenheit  be«  2(u«brucfd  unb  große  Sollen* 
bung  ber  bem  ®riedufdjen  nachgeahmten  ftorm  au«jeichnen;  boch 
ftcr)cn  feine  fpäteren  Oben,  in  benen  er  burch  fünftlich  berfdjlun* 
gene  formen  unb  Äonftruftionen  mitunter  böllig  unberftänblich 
toirb,  ben  früheren  bebeutenb  nach-  S3on  ftlopftocf«  gciftlidjen  Sie* 
bern,  in  benen  fich  ein  rein  fubjeftioe«  ©efühl«chriftenthum  au«* 
f priest,  finb  feine  2luferftehung«lteber :  „2Benn  idj  einft  bon  jenem 
<5d)tummer,  welcher  Xob  hei&t,  auferfteh',"  unb:  „&uferfteh'n,  ja 
auferfteh'n  roirft  bu ,  mein  ©taub ,  nach  furjer  Stuf?,"  fotoie  fein 
Unfterblicbfeit«lieb :  „©elig  finb  be«  Gimmel«  drben/  unftreitig  bie 
beften. 

$lopftocf«  bramatifche  Dichtungen,  $u  benen  er  ben  ©toff  t^eitd 
bem  alten  Xeftamentc  („ber  Xob  Slbam«,"  „©alomo"  unb  „Da* 
bib"),  tbeil«  ber  germanifchen  Urjeit  (,^ermann«  ©chfacht,"  „$>er* 
mann  unb  bie  Surften"  unb  „^ermann«  Dob")  entlehnte,  finb  burd)s 
au«  mifcglücfte  ©ct)öpfungen.  Die  lefcteren  gaben,  in  Serbinbung  mit 
$lopftocf«  berfehltem  Serfuche,  ftatt  ber  griednfehen  Anthologie  bie 
nebelhafte  norbifrfje  in  bie  beutfebe  ^ßoefic  einzuführen,  Seranlaffung 
$ur  Grnttouflung  ber  Möglichen  „Sarbenbtchtung,"  bie  balb  ein  ©e* 
genftanb  be«  ©efpötte«  mürbe. 

(Stnen  fd)arfen  ©ontraft  ju  bem  Dichter  be«  SJceffta«  bilbet  fein 
•  Scttgenoffc  ©ottholb  öphraün  ßeffing.  ©eboren  am  22.  Januar 
1729  ju  &amen£  in  ber  ßaufifc  al«  ber  ©ohn  eine«  frommen  unb 
gelehrten  $rcbtger« ,  mibmete  fich  Öefjing  gleichfaß«  bem  ©tubium 
ber  Xhc°l°8«f  8"  melchem  @nbe  er  im  3afjre  1746  bie  Uniberfttät 
Seipjig  bejog ;  er  befchäftigte  fich  jeboc^  mehr  mit  ben  fchönen  S33if* 


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3Me  bcutfdje  fiiteratur  im  ad)t$efmtcn  Safjrfmnbert. 


637 


fenfdjaften  unb  manbte  fid)  mit  großer  Sorliebe  bem  Xfjeater  $u,  für 
meldte*  er  fdwn  bamal*  $u  bieten  anfing,  ftadjbem  er  fid)  auf  ben 
SBunfd)  feine*  Sßater*  in  ©Ittenberg  ben  SHagiftertitel  erworben, 
lebte  er,  au*fa?lie&lid)  mit  fdjriftftellerifdjen  arbeiten  be(d>äftigt,  ab* 
wedjfelnb  in  ßeipjig  unb  ©erlin,  bi*  er  im  3af>re  1767  bie  Sei* 
hing  be*  Xfjeater*  in  Hamburg  übernahm.  Seit  1770  £ofratf>  unb 
©ibliotyefar  in  SBolfenbüttel ,  ftarb  er  im  3af)re  1785  auf  einem 
Hu*fluge  nadj  SBraunfdjmeig. 

3n  ßeffing*  Dichtungen  finbet  fid)  feine  Spur  Weber  oon  ber 
nationalen  unb  religiöfen  Söegeifterung ,  nod)  Oon  bem  fjoljen  @e- 
banfenflug  unb  ber  ©efü£)l*fa)wärmerei,  bie  un*  au*  f  lopftod*  Oben 
unb  feinem  Sfteffia*  entgegenwefjen ;  ebenf omenig  finb  biefelben  (Srgüffe 
eine*  müfjelo*  fdjaffenben  unb  geftaltenben  Didjtergeifte* ,  fonbern, 
wie  er  felbft  fagtr  Schöpfungen,  „bie  nur  burd)  Üritif  unb  9caaV 
afjmung  ermöglicht  unb  ^eroorgebraa^t  worben."  Dafür  befaß  jebod) 
fiejfing  ba*  p  l  a  ft  i  f  d)  e  (Element  ber  poetifdjen  Begabung  in  ungleich 
[) oberem  $rabe  al*  lopftod ,  unb  wenn  ü)m  and)  bie  geftaltenbe 
Durchführung  feiner  Qbeen  3Jcü£)e  foftet  unb  nur  unter  fteter  Qu> 
ratt)e^iet)nng  ber  ilritif  gelingt ,  fo  fte^en  bod)  feine  ©eftalten  Har 
unb  ooll  uor  bem  bellen  Spiegel  feiner  Seele. 

öejfing*  bielfeitiger  Greift  t)at  fictj  in  üerfchiebenen  Gattungen 
ber  ^oefie  oer(ua)t ;  fein  eigentliche*  (Gebiet  mar  jeboa)  bie  brama- 
tifche  Didjtfunft,  bie  bura)  Ujn  in  neue  Öahnen  gelenft  morben. 
Wadjbcm  er  in  feiner  „Hamburger  Dramaturgie"  bie  franjüfijche 
Wejd]macfvrid)tung  mit  bem  glängenbften  Erfolge  betämpft ,  bie  «He- 
geln oon  ben  brei  (Einheiten  richtig  gefteUt  unb  eine  tief  burrf)baa)te, 
menn  and)  nid)t  jnftematijdje  xUcfttjctit  be*  Drama'*  gc jdjaffen  hatte, 
gab  er  in  feiner  „©milia  ©alotti,"  worin  er  ben  Xob,  ben  bie  Römerin 
Virginia  uon  ber  £anb  ihre*  iöatcr*  §ur  Rettung  ihrer  Unfdmlb 
erlitt,  in  moberne  £>ofoerhältniffe  üerjefct,  ein  SJcufterbilb  ber  magren 
Dragöbie.  Schon  früher  hatte  er  in  feinem  ßuftjpiel  „3Jttnna  oon 
Marnheim,"  ba*  jeboa)  etjer  ben  tarnen  eine*  Sdjaufptel*  oerbient, 
mit  entfdjtebenem  ©lüd  einen  ©riff  in  ba*  OoUe  Üeben  getfmn  unb 
babei  ben  un^eilooHen  ftebenjährigen  Ärieg,  bem  er  ben  Stoff  $n 
feinem  Stüd  entlehnt,  fo  gejdjirft  behanbelt,  baß  ©örtje  fpäter  bie 
geiftreid>e  söeinerfuug  machen  tonnte:  H Lintia  oon  Marnheim  Ijabe 
nach  bem  polirifd)en  grieben  jmtfehen  Greußen  unb  Saasen  and) 
ben  grieben  jmijcfjen  ben  ©emüthern  bewirft ,  wenigften*  im  ©Übe 
bewirten  wollen. " 

Die  bebeutenbfte  bramatifa^e  Dichtung  Reifing*  ift  fein  „yiatfyan 
ber  SBeife,"  ein  % enbenjftüd ,  ba*  feine  (£ntftetmng  einem  theolo* 
giften  Streite  be*  ©erfaffer*  mit  bem  §auptpaftor  ©ö(jc  in  Ham- 
burg oevbanft.  Diefe*  SBerf ,  beffen  ^e^etdjnnng  „bramati)a)e* 
©ebia^t"  fajon  barauf  ^inmeift ,  baß  ber  Dichter  ba*felbe  nia)t  in 


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638 


*;te  ocut]aj€  XMteratnr  im  acprjegitien  yaijrqunoen. 


bie  üblt^en  bramatifchen  Kategorien  ein$uregiftriren  mu&te,  ift  mc* 
niger  ein  £rama ,  al£  ein  auf  bie  golie  einer  ^Begebenheit  aufge* 
trageneS  pbilofophifchsbialeftifche8  Shmfrroerf.  Der  ©runbgebanfe  iffc 
bie  Vereinigung  ber  brei  monothetftifchen  Religionen  auf  bem  ©oben 
ber  Humanität;  bie  eble  Xoleranj,  bie  ba3  ©anje  burdjiuefjen  fofl, 
fommt  jcbocf)  am  attermenigften  bem  Sljriftcnttjum  $u  ®ute.  SBenn 
aber  ber  Dichter  in  ber  bem  Italiener  SBocracio  entlehnten  SrjätV 
lung  üon  ben  brei  Ringen ,  bie  JJrage ,  toelc^e  ber  brei  Religionen 
bie  roabre  fei,  aU  unentfdneben  r>inftcttt  unb  ben  ©croci*  für  ben 
ächten  Ring  atiein  in  beffen  bie  ,§anblungen  be8  SRenfchen  beftim= 
menbe  Kraft  fefct,  fo  überfielt  er,  ba§  bie  (SJefchichte  biefen  VetoeiS 
taugft  ju  fünften  befc  (Jbrtftentbumä  geführt  bat.  Ter  jambifche 
Sünfffiiler,  ben  ßefftng  in  feinem  Rathan  ftatt  be&  bis  bahin  ge« 
bräuchlichen  OTef anbrinerS  eingeführt,  ijt  feitbem  bie  beborjugte  gorm 
be3  beutfdjen  Drama'3  geblieben. 

Unter  ßeffingS  profaifdjen  SEÖerfen,  bie  ben  ©runb  ju  einer 
gebiegenen  ^rofa  gelegt  hoben,  ragt  befonberä  fein  burch  3BinfeI= 
mann«  „®e{chi<hte  ber  ftnttft  be*  Hlterthum**'  h«t)orgerufener  wßao- 
!oon  ober  über  bie  ©renjen  ber  Walerei  unb  $oefie"  fytttot ,  ein 
SBerf,  baS  fieffing*  ganje  SWeifterfdjaft  im  profatfdjen  ©tile  ent» 
hüllt,  fieffingfc  eigentlicher  Veruf  mar  bie  Kritif,  bnreh  luclcfje  er  im 
Döllen  Sinne  befc  SBorteS  ber  Reformator  bc8  Wefchnmcte  geroorben, 
inbem  er  biefelbe  mit  ebenfobiel  ©djärfe  als  unbeweglicher ,  rü<f* 
ficht&lofer  Unpartetlichteit  geübt.  —  Durch  feine  theologifchen  SBerfe, 
unter  melden  bie  „(Jrjiehung  bei  Wenf c^engef c^lec^td "  ben  erften 
Rang  einnimmt,  ift  ßefftng  ber  Vater  beS  fonfequenten,  rationaliftU 
fd)cn  ^ßroteftantiSmuS  gemorben. 

Ratten  ftlopftocf  unb  öefffng  bie  beutfct)e  Literatur  üon  ben 
Ueffeln  bei  franjofifchen  Öejcranacte  befreit,  fo  mißbrauchte  ber  geift« 
reiche  SBielanb  fein  h^toorragenbeS  bidjterifcheS  Xalent  jur  Verbrei- 
tung ber  (SncQflopäbiftenroeiftheit  unb  jur  gurütfführung  ber  beut 
fchen  $oefie  auf  bie  Vafm  ber  Radjahmung  franjöfifchen  SBefenS. 

Gfmftopb  ÜRartin  SBielanb,  geboren  1733  ?,u  Oberbolheim 
bei  Viberach,  roo  fein  Vater  $rebiger  mar,  fühlte  {ich  anfangs 
burch  ftlopftoctS  Dichtungen  angezogen  unb  gab  feiner  burch  biefel* 
ben  gemeeften  nationalen  Vegeifterung  in  feinem  (5p  „ftrminiuö" 
2lu*brutf.  Tiefe  Dichtung  berfchaffte  ihm  bie  ©unft  VobmerS,  ber 
ihn  ju  {ich  nach  äürich  einlub.  SBäfjrenb  feine«  jtoei  jähr  igen 
Aufenthaltes  im  £>aufe  VobmerS  bietete  er  in  ber  Sftanier  ber 
©chtpeijerfchule  ein  religiöse«  (SpoS  „ber  geprüfte  Abraham,"  fomie 
eine  grö&ere  Slnjahl  bon  $>erotben,  —  Briefe  bon  Verftorbenen  an 
hinterlaffene  Sreunbe  —  $>umnen,  Oben  u.  bergl.,  in  »eichen  er 
ber  ftreng  gläubigen  Richtung  hulbigte.  ©alb  jeboch  lenfte  er  in 
eine  anbere  ©ahn  ein,  unb  nachbem  er  im  3ahre  1760  Äanalei* 


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2)ic  beutfcfye  fittcratur  im  ad^tje^ntcn  3af)tf)unbert. 


639 


bireftor  in  ©tberadt)  geworben,  fdjlug  feine  retigiöfe  ©djtoärmerei  in 
ba$  entfdnebene  ©egentljeil  um.  3m  $erfe1)r  mit  bem  Greife  fran* 
jofifd)  gebilbeter  Männer  unb  Stauen,  bie  ber  ehemalige  furmain* 
jifdje  9#inifter  ©raf  öon  ©tabion  auf  feinem  in  ber  SRälje  Don 
SBiberad)  gelegenen  (SJute  SBartfjaufen  um  fid)  »erfammelte ,  mürbe 
SSielanb  mef)r  unb  metyr  nic^t  nur  für  bie  (Senüffe  bei  verfeinerten 
©efeflfdjaf  trieben* ,  fonbern  audj  für  franjöfifdje  Hnfäauungen  ge= 
Wonnen,  unb  feitbem  trat  feine  ÜDcufe  in  ben  $ienft  ber  franjö* 
fifdjen  SJretgeifterei  unb  einer  frivolen  ©umlief)  feit.  (Er  gefiel  fid) 
barin,  lüfteme  ©cenen  mit  t>erfü$rerifd)er  ©erebtfamfeit  auSju* 
malen,  franaöfifdje  ©alonwei&ljeit  auSjuftamen ,  bem  auslief** 
liefen  Streben  nad)  irbifcfyer  (SJlücffeligfeit  ba$  SBort  )u  reben  unb 
Steracfytung  äße*  £>Öl)eren  unb  Qbealen  jur  ©djau  ju  tragen.  5)ieä 
2IUcö  tlmt  er  junädjft  in  feinen  „tomifdjen  @r$<u)lungen,"  fowie  in 
feinem  Vornan  „3)ie  Abenteuer  beä  5)on  ©tilüio  von  Sftofaloa  ober 
ber  ©ieg  ber  Üftatur  über  bie  ©c^wärmem,"  einer  febmadjen  %lafy 
a|mung  be$  $on  Duirote ,  unb  in  feinem  „$lgatfjon ,"  worin  er 
ba&  griedufdje  geben  in  bem  frivolen  (Reifte  bei  mobernen  granjo* 
fenttjuntö  befjanbelt.  $)a3  ©efte,  wa$  er  in  profaiföer  Sorm  ge- 
trieben, ift  fein  fatirifd)er  Vornan  „©efdjidjte  ber  Slbberiten,1'  in 
meinem  er  in  fjödjft  ergbfclidjcr  SBeife  bie  fleinftabttfdjen  %i)oxf)ti* 
ten  geigelt.  SBielanb$  |>auptwerf  ift  fein  romantifa)e$  (£po3  „Dbe* 
ron,"  ju  meinem  ü)m  ein  al tfr an^ ö f i f er) er  sJtitterroman  ben  Stoff 
geliefert,  ben  er  übrigen*  me$r  in  ironifdjer  SBeife  be^anbelt.  ßeidj* 
tigfeit  ber  Spraye ,  Sßottenbung  im  $er&bau ,  Srrifdje  unb  Slnmutt) 
ber  Säuberungen  verleiben  biefem  <&ebid)te,  bad  ©Öu)e  „ein  Üftei* 
fterftücf  poetifdjer  ®unft"  nennt,  einen  eigentümlichen  Sauber  unb 
fiebern  u)m  für  bie  3)auer  eine  eljrenoolle  ©teile  in  ber  beutföen 
Literatur. 

9*ad)bem  SBielanb  im  3afjre  1769  einem  Kufe  als  ^rofeffor 
ber  ^ßcjilofopfjie  nad)  Arfurt  gefolgt  mar,  mürbe  ü)m  im  3at)re  1772 
von  ber  verwittweten  £>er&ogin  Amalie  von  ©ad)ien*2öetmar  bie 
©teile  eine*  ©rjiefjer*  i^rer  beiben  ©oljne  übertragen.  2lm  3öei* 
marifdjen  $ofe ,  mo  er  mit  $erber ,  ®üu)e  unb  ©djüler  in  JBeuu)* 
rung  (am ,  unb  auf  feinem  in  ber  9t<w)e  ber  ©tabt  gelegenen  ©ute 
Ddmannftäbt,  ba$  er  von  bem  (Ertrage  einer  C&efammtaudgabe  fei* 
ner  SBerfe  angefauft  ^atte,  verbrachte  er  bie  lefete  #älfte  feine* 
£eben&,  nod)  vierzig  forgenfreie  3a^re.  (Er  ftarb  ju  Söeimar  am 
24.  Januar  1813. 

$a&  Auftreten  $lopftocfö,  SefjlngS  unb  SBielanbä  tjatte,  befon* 
berd  unter  ber  beutfdjen  3ugenb ,  eine  gemaltige  ©ätjrung  t)eroor= 
gerufen,  unb  ba3  mächtig  angeregte  S^ationalgefü^l  trat  junäc^ft  in 
einem  mafjlofen  Umgeftaltung^brang  ju  Xage.  sMii  attem  ^pergebra(J« 
ten  follte  aufgeräumt  werben ;  2lHe*  foüte  urfprünglic^,  genial  origi* 


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o^u  scte  oeutjcpc  AMtercitur  im  aa)t$eqntcn  yngrgunoert. 

ncö  fein.  SRan  nennt  bafjer  biefe  Seit ,  bic  ber  rcidtften  ©ntfal* 
tung  oer  Dcuticgen  -iiajttunit  oorangwg ,  Die  jpenooc  Der  „«Taft* 
genieß4'  ober,  nac§  einem  Don  9ftaj  Jünger,  bem  leibcnidjaftlidjfteit 
unb  ungebunbeuften  biefer  „ßtaftgenieS"  geblatteten  Xrama ,  bie 
„©turm=  unb  $)rangperiobe."  SDie  ©efafjren,  bie  biefeS  anfangt 
regeHofe  jugenblidje  Streben  für  bie  ©ntwitflung  ber  beutfdjen  Site» 
ratur  in  firf)  barg,  würben  abgewenbet  burd)  ba3  mebr  unb  meljr 
fld>  Vafjn  bredjenbe  öofle  Vcrftänbnifj  ber  alten  ßlaffifer,  fomie 
bura?  bie  (£rfenntni&  ber  Wotfjwenbigfeit,  $ur  alten  VolfSpocfte  $urü(f* 
jufeljren  unb  auf  ben  ©puren  $omerS  unb  ©tyafcSpeare'S  ju  wanbeln. 

$cr  ®rfte ,  ber  biefe  «a^n  mit  glänaenbem  Erfolge  betrat, 
mar  Sodann  ©ottfrieb  £  er  ber,  geboren  1740  ju  Körungen  in 
Oftpreufjen.  $a$bem  berfelbe  in  Königsberg  X^eologie  unb  ijtyilo* 
fopf)ie  ftubiert  unb  eine  Scitlang  bie  ©teile  eine*  SefjrerS  an  ber 
Xomfdjule  ju  föiga  befleibct  tyttte,  Würbe  er  SReifeprebiger  be£ 
^rinjen  öon  ftolftein,  lebte  fpäter  als  ©uperintenbent  unb  Kon= 
fiftorialratlj  am  $>ofe  ju  SBücfeburg  unb  fam  im  3a$re  1776  burd) 
bie  Vermittlung  ©ötlje'S ,  ben  er  in  ©trafjburg  fennen  gelernt ,  in 
ber  gleiten  ©igenfdjaft  naa)  SBeimar,  wo  er  im  3a^re  1801  in 
ben  Slbelftanb  erhoben  würbe  unb  1803  als  Vicepräfibent  beS  Ober- 
fonfiftoriumS  ftarb. 

©ajaffenbes  poctifdjcS  Xalent  war  Berbern  nur  in  befdjeibenem 
9fla&e  ju  Xfjeil  geworben ;  bagegen  befa&  er,  neben  einer  burdj  unb 
burd>  Haffifdien  Vilbung,  nidjt  nur  baS  feinfte  poetifdje  ©efüfjl,  baS 
ifjn  in  ben  ©tanb  fefcte ,  bidjterifdje  (£rfd)einungen  jeber  $lrt  ju 
würbigen,  fonbern  aua^  bie  (SJabe,  bie  öcrfdjiebenartigften  Sßrobufte 
bcS  bicr)tcrifct)cn  üebenS  frember  Völfer  in  ben  anjiefjenbften  SRaaV 
btlbungen  auf  beutfdjen  ©oben  ju  Derpflanjen.  ©o  entftanben  feine 
„©timmen  ber  Völfer  in  ßiebern",  in  welchen  er  in  meift  ge* 
lungenen  llebertragungen  „l}icr  in  bie  SreifyeitSluft  alten  ©rie* 
djenlanbS ,  bort  unter  bie  M aftanien jdjatten  ©paniend  ,  jefct  in  bie 
Varfen  ©icilienS  jum  Wbenbgrufc  ber  ^eiligen  Jungfrau,  bann  an 
granfreidjS  fangeSreic&en  Jpof,  über  ben  Kanal  ju  ben  Reliquien 
SlltenglanbS  unb  in  bie  -Webelwelt  ber  ©Rotten,  ja  fogar  über  baS 
weite  ä^eer  und?  ©rönlanb  unb  Sapplanb  füljrt  unb  felbft  ben 
wilben  SRabagaffen  unb  Peruanern  einzelne  Xöne  abgelaufa^t  bat." 
(Srft  narf)  feinem  Xobe  erfduen  fein  w(Jib",  ein  SticluS  fpanifa^er 
S^omanjen,  ju  einem  romantifa)en  (Spo4  ^ufammengetragen ,  baS 
fictj  jwar ,  weil  und)  einer  fran$öjtfd)en  ^Bearbeitung  ber  (i ib  ^Ko 
mannen  ausgeführt,  nidjt  aQ^u  treu  an  bie  jpanifdjcn  Driginalbia)* 
tungen  anfa^liefet,  bennoa)  aber  bad  (5igent^ümlia)e  beS  füblia^en 
VolfSgefangeS  trefflidj  wiebergibt. 

äftit  befonberer  Vorliebe  fa^weifte  Jperber  hinüber  in  ben  Orient, 
ju  ber  SBiege  bed  9Kenfa>engefa)le4teS  unb  ber  $oefte,  unb  brachte 


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2)ie  beiitfäe  ßtteratur  im  adjtaelmten  ^o^unbert.  641 

ton  bort  befonberS  bic  Parabel*  unb  $aram9thien*Dichtung  jurücf, 
bic  auch  in  feinem  ©emfithe  am  reichten  fprofete.  2luch  baS  s2ln* 
benfen  an  bie  mittelalterliche  <ßoefie  frifdt>tc  er  auf  unb  übertrug 
ben  ®eift  berfelben  in  feine  Eegenben  unb  chriftlidjen  #nmneu. 

Sßie  Seffing,  fo  ttrirfte  £erber  für  bie  Hebung  ber  beutfehen 
ßiteratur  auch  burch  bie  Äritif ,  bie  er  befonberS  in  feinen  „ grag= 
menten  über  bie  neuere  beutföe  ßiteratur"  unb  in  feinen  „fritifdjen 
Kälbern  ober  Betrachtungen,  bie  ©iffenjdjaft  unb  ®unft  beS 
Schönen  betreffenb",  in  geiftooHer,  amar  ftrenger  unb  mitunter  felbft 
bitterer,  immer  aber  burdmuS  unparteiifcher  SBeife  übte.  93on  ben 
übrigen  profatfcr)en  Sßerfen  #erberS  finb  befonberS  feine  berühm* 
ten  „Sbeen  aur  ^l>Uofop^ie  ber  ©eföicfjte  ber  ünenfcr)^cit"  au  er= 
mahnen,  in  melden  er  jeboch  baS  Ghriftenthum,  baS  er  überhaupt 
nur  öon  feiner  oft^ctifc^cn  Seite  ins  Sluge  ju  faffen  fid)  gewöhnt 
hatte,  feines  übernatürlichen  (SharatterS  entfleibet  unb  als  eine  ein* 
fache  „Religion  ber  Humanität"  barfteflt ,  bie  als  ©ache  beS  ©e* 
mütf)S  gar  feiner  Dogmen  bebürfe ,  ba  fic  nichts  SlnbereS  beatuerfe, 
als  bie  harmonifche  SluSbilbung  beS  natürlichen  menfehlichen  SBefenS. 

Dem  ©türmen  unb  drängen  nach  gänjücher  Erneuerung  ber 
beutfehen  $oefie  im  Reifte  ÄlopftocfS  unb  $omerS  entfarang  auch 
ber  „ÖJöttinger  Dichteroerein"  ober  ber  „$ainbunb",  au  welchem 
im  3ahre  1772  mehrere  2flufenföhne  ber  ©eorgia  Stugufta  aufam* 
mentraten.  Die  h«*orragenbften  ©lieber  biefeS  BunbeS  »aren 
©ottfrieb  STuguft  Bürger  (geb.  1748  au  SBolmeräwenbe  im  £al* 
berftäbtifchen ,  geft.  1794  au  Güttingen,  nach  einem  burch  eigene 
©chulb  oergifteten  Seben) ,  ber  dichter  ber  „öeonore" ,  einer  Bai* 
labe,  bie  ©Riegel  „ben  golbenen  föing"  nennt,  „mit  welchem  ber 
dichter  ftch  ber  BolfSbichtung  ©ermählte'',  ein  reichbegabter ,  form« 
gewanbter  dichter,  beffen  haKlofeS  ßeben  iebodj  in  feinen  Dich* 
hingen  nachgingt,  in  »eichen  er  balb  au  h^er  Begeiferung  empor* 
fteigt,  balb  in  ben  Don  eines  BänfelfängerS  ^crabf äUt ;  ber  früh 
verstorbene  fromme,  biebere  unb  tieffühlenbe ,  boch  mitunter  attau 
fentimentale  tfubmig  ©hriftoph  £öltö  (geb.  1748  au  SJcarienfee 
im  4>annöt)erifchen ,  geft.  1776);  ber  geniale,  für  Baierlanb  unb 
©lauben  begeifterte  ©raf  Sriebrich  ßeopolb  au  ©tolberg 
(geb.  1750  au  Bramftäbt,  geft.  1819  au  ©onbermühlen  bei  DSna= 
brücf) ,  ber  nach  feinem  Uebertritt  aur  fatholifchen  Kirche  eine  treffe 
liehe,  leiber  nicht  boflenbete  „<&efchuf|te  ber  Religion  Sefu"  fdjrieb, 
unb  fein  ungleich  weniger  genialer  ©ruber  (SJraf  (£h**iftian  au 
©tolberg  (geb.  1748  au  £annober,  geft.  1821),  Beibe  üor* 
herrfchenb  tyrifche  Dichter;  Sohann  Heinrich  Bo§  (geb.  1751 
au  ©ommerSborf  in  SKecflenburg,  geft.  1826  als  babijdjcr  $ofrath 
unb  Slfabemifer  au  #eibelberg),  ber  (ich  burch  feine  Ueberfefcungen 
mehrerer  alter  Älafjtfer,  befonberS  bie  beS  Jpomer,  bei  welcher  er 
fcolatoartö,  «Beltflef^tc  VL  41 


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642 


für  bic  beutfche  9Rf)fytf>mif,  namentlich  für  bcn  ^ejometer,  &uerft  bic 
Regeln  gefunben  ,  ein  ungleich  grögere*  ©erbienft  um  bic  beutfche 
fiitcratur  erworben,  al*  burch  feine  atoar  öielgepriefenen,  ober  afl$u 
fct)r  im  SWaterieflen  ftch  oerlierenben  Sbtotlen ,  unb  ber  unter  bem 
felbftgemählten  dornen  be*  „SBonbSbecfer  SBoten"  betonnte  SBolf** 
bitter  3RAtf»a&  Glaubiu*  (geb.  1740  ju  fflfjeinfelb  im  §oV 
fteinifchen,  geft.  ju  Hornburg  1815),  ber  mit  acht  beutfeber  ©emütt> 
lichfeit  unb  einem  lieben*roürbigen  §umor  einen  mormen  (Sänften* 
glauben  oerbanb. 

$er  ©türm«  unb  Drongperiobe  gehört  au*  bie  erfte  Qtit  ber 
bichterifdp  SBirffomfeit  ber  beiben  $eroen  unferer  ßiteratur,  <8ött)e 
uno  ^cptuei  an ,  mit  oeren  oereintem  roetteifernoen  otreoen  am 
£ofe  ju  SBeimor  bie  eigentliche  GUanjperiobe  ber  beutfajen  $icht* 
fünft  anhebt. 

3ot)onn  SBolfgang  ®öthe  mar  om  28.  «uguft  1749  $u 
granffurt  o.  9H.  geboren,  n>o  fein  ©ater  al*  $>oftor  ber  9ted)te 
unb  faiferlicher  SRath  in  angefet)enen  SBerhältniffen  lebte,  9cachbcm 
er  im  elterlichen  $aufe  eine  äu&erft  forgfältige  @r$iehung  genoffen, 
bejog  er  im  3at)rc  1765  bie  Unioerfttät  ßeiojig,  um  bie  fechte  ju 
ftubieren.  3m  3ot)re  1768  burch  fitanfheit  jur  SRütffehr  nach 
granffurt  genöthigt,  oerblieb  er  bort  anberttjalb  Jalnc  unb  ging 
bann  im  Wpril  1770  jur  Öeenbigung  feiner  ©tubien  nach  Siran 
bürg,  bon  mo  er  1771  mit  bem  Xoftortitel  in  fein  iBaterhau*  ju« 
rütffefjrte.  Qn  ben  beiben  folgenben  Qahren  mar  er  al*  Äbbofat 
bei  bem  9tetch*fammergerichte  ju  SBeJlar  thätig.  §ier  bietete  er 
feinen  „®öfc  bon  ©erlidungen*,  ein  unübertroffene*  SRufterbifb  ber 
oaterlänbifchen  föitterfchaufpiele,  unb  feinen  auf  einer  %\)at\aty  be* 
ruhenben  Vornan  „SBerther*  Seiben",  in  melchem  er,  um  fich  felbft 
bon  einer  hoffnungdlofen  Siebe  $u  feilen,  bie  ©eelenqualen  eine* 
jungen  SHanne*  fchilbert,  ber  burch  eine  unglücflidje  Seibenfehaft 
$um  Selbfrmorb  getrieben  toorben. 

3m  3ahre  1775  ftebelte  @öthe,  einer  Sinlabung  be*  fterjog* 
#arl  Sluguft  folgenb,  nach  SBeimar  über,  too  er  1776  jum  gehei* 
men  £egation*rath ,  1779  gum  mirf  liehen  ©eheimerath  unb  1782, 
unter  (5rh*&ung  in  ben  9Ibel*ftanb,  jum  Äammeroräfibenten  ernannt 
mürbe.  SRachbem  er  bereit*  im  %at)Tt  1779  mit  bem  $erjog  bon 
SBeimar  bie  ©chweij  bereift  ^atte ,  unternahm  er  im  $afyxt  1786 
eine  Steife  nach  Italien,  mo  er  jioei  Jahre  lang  ben  ernfteften 
Äunftftubien  oblag,  feine,  urfprünglich  in  $rofa  gefchriebene  „3Phi* 
genie  in  Zaurid"  in  harmonifche  Sßerfe  fleibete  unb  feinen  „Torquato 
Xaffo"  bietete.  s3cach  feiner  föüdfeljr  nach  XBeimar  ooüenbete  er 
feinen  bereit*  früher  begonnenen  „(Sgmonf  unb  ben  erften 
feine*  grofeartigen  9Heiftermerfe*  „gauft".  SRit  bem  3ahre  1794 
beginnt  bie  Qtit  feine*  3ufflmmenmirten*  mit  Schiller,  melier  neben 


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3)te  bcutfdje  fiiicratur  im  ac^tjc^nten  3al)rljimbert. 


643 


oieten  feiner  fdjönften  Heineren  5)idjtungen :  ©atlaben,  fyrifdjen  unb 
bibaftifdjen  ©ebia^ten,  fein  „SReinecfe  gud)&"  nnb  ba$  ibnflifdje  (Epo8 
„^ermann  unb  $>orotf)ea",  foroie  fein  SRoman  „SBtffjetm  SReifterfc 
ße^rjo^re"  unb  feine  für  bie  öon  i^m  unb  ©djifler  gemeinfam  rebi« 
girte  «Seitfdjrift  »bit  $oren"  tterfafjte  gefdjidjtlidje  ©ftjje  „*Ben* 
üenuto  Gelltni"  angehören.  Warf)  bem  Xobe  ©dnllerS,  ber  in 
©ötije'a  Seben  eine  unauäfütlbare  Sücte  gesoffen ,  entftanben  fein 
Vornan  „bie  SBatyloermanbtfdjaften"  unb  feine  ©elbftbiograptyie 
„2luS  meinem  Sieben,  Söatjrljeit  unb  $5u$tung",  an  toelc^c  fid)  fpä* 
ter  „TOtyetm  SJceifter«  SBanberjaljre''  unb  ber  jtoeite  X^eil  be« 
„Sauft"  anfötoffen. 

3m  Qabre  1815  würbe  ©ötf>e  jum  erften  SBeimarifdjen 
©taatäminifter  ernannt;  er  jog  ßd|  jebod)  im  3a*>re  1828,  nadj 
bem  Xobe  be3  $>erjog8  #arl  ?(uguft ,  öon  allen  ©taat&gefdjäftcn 
jurütf,  um  au$fd)Iief}lidj  feinen  fdjriftfteUerifdjen  Arbeiten  $u  leben, 
unb  ftarb  am  22.  SJcärj  1833,  im  Hilter  Don  breiunbadjtjig  3ab,ren. 

®ein  £)tdjter  ber  neueren  Qdt  fjat  auf  bie  (Sntrouflung  ber 
beutfdjen  Literatur  einen  tiefergeljenben  unb  uad)f)al  tigeren  Gin 
flu  &  ausgeübt,  atd  03ütbe.  6r  öoHenbete  bie  ^Befreiung  ber  beut« 
fdjen  Sßoefie  öon  ttnflffirlidjem  ©efe$e3jmange  unb  ifyre  3urücfffif)s 
rung  jur  9tatur  unb  2BafjrI)eit  unb  erfdtfofj  berfelben,  inbem  er  fte 
mit  bem  fieben  oerflodjt,  eine  unerfdjöpflid)e  Cuefle  be3  mannig« 
faltigften  Stoffe*.  SBenn  aud)  nid)t  alle  feine  $>idjtungen  feiner 
roürbig  finb,  fo  bat  er  bod)  in  allen  Gattungen  ber  $id)tfiinft 
9Jcuftergi(tige3  gefrfjaffen:  im  einfachen  ßiebe  mie  in  ber  erhabenen, 
fdjmungöollen  Dbe,  in  ber  Plegie,  ber  Stoman^e  unb  ber  Söallabe 
tüte  im  Epigramm  unb  in  ber  ©atire ,  in  ber  ®omöbie  mie  in 
ber  Xragöbte,  im  (Spoä  mie  im  Romane.  2)a6et  trägt  jebe  feiner 
$id)tungen  ein  inbimbueHeS  (Gepräge,  in  golge  rein  objeftioer  91uf* 
faffung  unb  Jöefmnblung  be8  ©toffs.  Slber  nidjt  mitten  im  ©türme 
ber  fieibenfdjaft,  nid)t  in  ber  unruhigen  (Srregtfyeit  be£  klugen* 
Miete  fdmf  er  bie  fünftlerifd)e  gorm  für  bie  Um  brängenben  ©e* 
füfjle;  ba^er  bie  plaftifdje  SRulje,  bie  Weitere,  befriebigenbe  £>ar= 
monie  ber  gorm  unb  be*  3nfjaiie3,  bie  feinen  $idjtungeu  einen  fo 
Ijofjen  SRetj  oerleifjen. 

2)er  glanjootten  ßidjtfeite  ber  ©ötlje'id)en  9Jcufe  fefjlt  jcbo<§  bie 
©djattenfeite  nid>t.  $er  Naturalismus,  in  meinem  @ött)c'd  <£l)ri* 
ftengtaube  untergegangen,  mar  für  ifm  nict)t  nur  baS  $>öd)fte,  fon* 
bem  (Eines  unb  2ÜIeS.  „$aS  Sebcn  ber  «ölfer",  fagt  ßinbemann, 
„muffte  er  md)t  in  ben  redeten  3ufammenf)ang  ju  bringen ;  öon 
SBaterlanb&Iiebe  ift  faum  eine  ©pur;  bad  ^olitifc^e  ^ielt  er  fid), 
tote  fein  eigener  üorneljmer  3ludbrud  lautet,  ,oom  ßeibe';  #älte 
unb  ÜKi^trauen  fe^te  er  ber  begeifterten  (£rf)cbung  ber  beutje^en 
Nation  entgegen.  5)er  religiöfe  3ug  fanb  in  btejer  ©eele  feine  an« 

41* 


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644  $ie  beutfcbe  fitterahrr  im  ncfftjefmten  Sahrfmnbert. 

flingenbe  Seite;  bic  gürfttn  ®alifein  ocrmoc^tc  fein  naturaliftifdjea 
(£rebo  nicht  ju  erfchüttern:  glcichgtltig  nat)m  er  ihren  SlbfcfnebS* 
Wunfch  f)in,  ihn,  wo  nicht  fner,  boch  bort  mieberaufehen.  $ie  eige* 
nen  ©lauben3genoffen  waren  nach  biefer  Seite  f)in  ohne  aflen  (£tn= 
fluß  auf  ilm.  (Sine  9caturreligion  r)atte  bereit«  ber  &nabe  für  ben 
#au$bebarf  fich  entworfen;  fpäterc  3aln*e  führten  fogar  jur  ent= 
fduebenen  geinbfehaft  gegen  ba3  S^riftent^um  1).m 

griebridj  ©filier  (im  3a^re  1802  öon  bem  $er$og  öon 
SSeimar  in  ben  Slbelaftanb  erhoben),  ber  mit  @Jött)e  um  ben  t)ö* 
fjern  fßrett  ber  beutfehen  Sprache  uub  SHchtung  ringen  foüte,  war 
am  11.  Wooember  1759  ju  SKarbach  geboren.  3)er  Stellung  fei* 
ne3  $ater$,  eine«  Württembergifchen  $auptmann3,  oerbanfte  er  feine 
Aufnahme  in  bie  fpäter  unter  bem  tarnen  „$arl3fchule"  $u  einer 
Slfabemie  erweiterte  unb  nach  Stuttgart  »erlegte  Wttitärfc^utc  auf 
bem  Schlöffe  ©olitube,  wo  er  Anfangs  bie  fechte,  bann  SKebijin 
ftubierte.  Wach  beftanbenem  ©ramen  Würbe  er  im  Safjre  1780  als 
«Wiütärarjt  angeftellt.  ©chon  auf  ber  Startäfdjule,  wo  bie  Strenge 
ber  XtSciplm  feinen  Dppofitiondgeift ,  unb  etngcfämuggeite  fieftüre, 
befonberä  ber  ©öfc  bon  Söerlichingen,  feine  ^egcifteruug  für  baS 
Ityattx  werfte ,  hatte  er  feine  „SHäuber"  gebietet ,  bie  im  Saljre 
1783  in  9flannt)ctm  jur  Aufführung  famen.  $a  er  biefer  SöorfteU 
lung  ohne  Urlaub  beigewohnt,  erhielt  er  einen  meraehntägigen  Sir* 
reft  unb  mürbe  aujjerbem  mit  Seftungör)aft  bebroht,  falls  er  noef) 
etwas  fct)rcibcn  werbe,  was  nicht  in  fein  gach  gehöre,  $teS  bewog 
ihn,  fetner  £>eimath  ben  Ütürfeu  ju  menbeu.  (Sr  entfloh  nach  SJcann- 
heim  unb  öon  bort  nach  Fauerbach  bei  9)ceiningen,  einem  ©ute 
ber  grau  oon  SBoljogen,  mo  er  freunbüd)  aufgenommen  mürbe. 
4>ier  ooüenbete  er  ben  „gieSco"  unb  „Kabale  unb  Siebe",  jmei 
Xragöbicn,  in  benen  noch,  mie  in  ben  „Stäubern",  bie  regellos  auf* 
ftrebenbe  Sraft  unb  bie  auSfchmeifenbe  ©mpfinbung  in  üielfa^en 
Uebertreibungen  unb  ilnwahrfcheinlichfeiten  $u  Xage  treten. 

3m  3at)rc  1783  erhielt  ©etiler  in  aHannheim  bie  Stelle 
eineä  StjeaterbidjterS ;  ba  Lt)m  jebod)  fein  bortiger  Aufenthalt  burch 
mancherlei  llnannel)mlic^feiten  herleitet  mürbe,  fiebelte  er  im  3ahre 
1785,  ber  ©inlabung  mehrerer  greunbe  folgenb,  bie  feine  SBerfe 
ihm  gewonnen  hatten,  nach  Seidig  unb  öon  bort  nach  Bresben  über. 
3n  bem  nahegelegenen  $orfe  ttofchmifc,  auf  bem  ©ute  feine»  greunbeS 
Börner,  beS  iBatcr^  Stjeobor  ftörnerS,  oollenbete  er  feine  bereit* 
in  2)fannt)eim  begonnene  Xragöbie  „$on  IfarloS",  in  welcher  er 
ben  geiftig  wie  forderlich  üerfommenen  ©ofm  ^ßt)ilippd  II.  jum 
Xräger  be»  eigenen  politifdjen  unb  religtöfen  SiiberaliSmud  machte. 

1)  (£inc  meif Jerhof te,  auf  ben  ciugehenbften  Cuellenftubicn  beruhenbe  ©io^ 
grnpt>ic  unb  G^arafteriftif  ööthe'«  gibt  Baumgartner,  ©öthe,  ©etn  iJebcii 
unb  feine  Söerfe.  3  ©Änbe.  greiburg  1885. 


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SMe  beutfcfa  fiitercttur  im  ad)t$elmten  $af)n)unbert. 


645 


3m  3af)re  1787  lernte  er  auf  einer  föeife  nadj  Söeimar  Sperber 
unb  SBielanb  unb  im  folgenben  3a&re  bei  einem  ©efudje  in  9tu* 
bolftabt  O&ötye  fennen,  auf  beffen  SBeranlaffung  er  im  3af)re  1789 
außerorbentlidjer  <ßrofeffor  in  ber  p^itofopf»  ifd&en  gafultät  ju  Qena 
mürbe.  #ier  befdjäfttgte  er  fia?  faft  auSfd&ließlid)  mit  bem  Stubium 
ber  ®efc|idjte  unb  ber  $f)ilofopf)ie,  bie  fortan  bie  beiben  fieitfterne 
für  fein  bidjterifdje«  Staffen  würben,  unb  fdjrieb  auger  mehreren 
Heineren,  burdj  l)olje  gormüollenbung  fjerüorragenben,  aber  $um 
Xfy'il  ganj  bon  f)eibnifd)en  Slnfdjauungen  burdjbrungenen  bibaftifa> 
refleftirenben  ©ebbten  („9iefignation\  „bie  ©ötter  GJriedjenlanbä", 
„bie  ^ünftler"  u.  a.),  feine  beiben,  bur$  unleugbare  öorjüge  in 
ber  £arftellung  beftedjenben,  aber  nad)  feinem  eigenen  ÖJeftänbniß 
(f.  öb.  V.  <3.  521)  üoUftänbig  un$uöerläfftgeu  <&efdndjtämerfe,  ben 
„Sfbfall  ber  ftieberlanbe"  unb  ben  „breißigjäljrtgen  ®rieg" ,  foroie 
feinen  unöoüenbeten  Vornan  „ber  (SJeifterfe^er". 

35ie  reidjfte  unb  Ijcrrlidjfte  Dtdjterperiobe  ©c^UIcrd  beginnt  mit 
feinem  im  3a^re  1794  mit  ®ötl)e  gefdjloffenen  Sreuubföaftäbunb, 
ber  einige  Qafyre  fpäter,  1799,  feine  Ueberficblung  nad)  SBeimar  jur 
5oIge  ljatte.  3n  SSeimar  fdjuf  ©djifler  außer  feinen  fdjönften  lürifa> 
bibaftifdjen  2)idjtungen  (bie  „©loaV,  ber  „Spaziergang"  u.  a.), 
Söaßaben  unb  föomanaen  („föubolf  öon  $>ab3burg",  „ber  $ampf  mit 
bem  2)radjen",  „ber  ÖJang  nad)  bem  @ifenf)ammer"  bie  alle  ein 
burdmuS  d)riftlidje3,  fpejietl  fatfjolifdjeä  (Gepräge  tragen,  „bie  ®rauid)e 
beö  3bt)fu3"  u.  a.),  feine  öoüenbetften,  unübertroffenen  bramatifdjen 
$idjtungen:  bie  SBaHenftein-Xrilogie  —  „2ßallenfiein3  £ager",  „bie 
beiben  $iccolomtni"  unb  „SBaüenfteinS  Job"  —  (1799),  feine  groß- 
artige ©djöpfung:  „Üttaria  Stuart"  (1800),  in  melier  ber  $)id)ter 
bie  fdjönften  unb  ergretfenbften  ©teilen  au$  ber  $oefie  beä  $atfjolici$* 
muä  fliefjt ;  „bie  Qungfrau  r»on  Orleans"  (1801),  roorin  er  ber  £>elbin 
3ranfreid)3  bie  Glorie  jurütfgtbt,  bie  ber  fridole  Voltaire  ihr  ju  ent- 
reißen gefudjt;  „bie  iöraut  r»on  TOeffina"  (1803),  eine  Xragöbie,  in 
roeldjer  Schiller  ben  verfehlten  Söerfud)  madjte,  bie  antife  2d)tcf  jaUtbee 
unb  mit  berfelben  ben  altgrtedjifdjen  (£f)or  in  bie  Sragöbie  roieber 
emjufüfjren,  in  ben  ljerrlidjcu  G^orgefängen  jebodj  ftdj  $u  bem  ^pöa^ften 
unb  Qtbelften  in  ber  refleftirenben  Surtf  emporgefdjnmngen  fjat,  unb 
„SBtüjelm  SelT'  (1804),  ©dnllerS  ©djtoanengefang,  mortn  erbieQbee 
ber  3frctr)ett,  für  roeldje  er  fett  fetner  frü^eften  3ugenb  geglüht,  in 
ber  rennten  unb  objeftioften  SBcifc  barfteflt  unb  bad  üon  ifjrn  uie 
gcfefjeue  <5d)n)ei$erlanb  mit  einer  Xreue  unb  Sebenbigfeit  fdnlbert, 
baß,  roie  ©djroab  fagt,  3eber,  toeldjer  ben  „$efl"  früher,  alä  er  in 
ber  Sdjinei}  mar,  gelefen  Ii a t ,  roemt  er  nun  biefe  ©egenben  fielit,  fie 
fdjon  einmal  im  üerflärenben  Iva  um  geflaut  $u  haben  meint. 

2ln  ber  JßoHenbung  einer  weiteren  Iragöbie,  für  roelc^e  er 
baä  tragifa^e  ©cfa^td  be^  ruffifc^cn ^ronpratenbenten  Demetrius 


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646 


$ie  beutfdfc  fiitcratur  im  ödjtjefmten  3af>rf)imbett. 


jum  ©egenftanbe  gemäht,  würbe  ©djiller  burdj  feinen  frühen  Xob 
oerfunbert.  ©on  einer  ^Reifc  nad)  ©erlin,  wo  ifjn  #önig  Srieb* 
rid)  2Büf>elm  III.  vergeben»  jurüdjufjalten  fudjte,  fränfelnb  nadj 
SBeimar  jurücfgefefjrt,  fiedjte  er  rafd)  bafnn  unb  ftarb  am  9.  9Wai 
1805,  im  Hilter  oon  fedjSunbbterjig  Sauren. 

„©djifler",  fagt  Sinbemamt,  „ift  oor  ©ötlje  ein  Siebting  ber 
Nation,  öor  5111cm  ber  SteMing  ber  3ugenb  unb  ber  grauenmelt 
geworben.  3n  ber  fdjwungfjaften,  fdnflernben  $rad)t  ber  5>arfte(* 
lung  l)abcn  Utadmfjmer  ifm  ju  erreichen  gefugt ;  mehr  als  ba* 
mußte  bie  $ofjeit,  ber  Slbcl  feine*  SBefenS  feffeln,  bie  feine  SBerfe 
über  bie  ©ötf>e'S  fteden.  3n  feine  religiöfe  ©efinnung  bürfen  mir 
nur  einen  fd)üd)ternen  ©lief  werfen:  er  fud)te  ein  (Sljriftentfjum 
of)ne  (Sfjriftufc ;  ba«  äftfjettfdj  ©diöne ,  ba&  er  in  bie  Legion  be£ 
etf)i}d)  ©uten  erfjob,  mar  feine  Religion,  mit  ber  er  fein  ©olf  Bit* 
ben  unb  ergeben  wollte.  $ie  lefeten  Lebensjahre  jetgen  ben  gort* 
fdjritt,  baß  er  baneben  bie  ©ebeutung  ber  pofitioen  Religion  er* 
fannte,  jum  ©erftänbniß  ber  djriftlidjen  ©ergangenfjeit  borbrang, 
eine  fittliaj^riftlia^e  SBettanfdjauung  in  feinen  SSerfen  ausprägte 
unb  bafjer  gewiß  aud)  wo^I  im  3"wem  djriftlidje  Hnflänge  oernaljm. 
SBie  weit  fein  ftrebenber  ©eift  auf  biefer  ©af)n  gelangte,  baS  Uegt  nur 
öor  ben  Wugen  beä  OTmiffcnben  offen;  oon  einer  ,(Sonöerfionl  beS 
$td)ter3  fpre^en  unb  ifjm  feit  1792  ,feiner  innerften  Neigung,  ©e= 
ftnnung  unb  ©eftimmung  nadj  als  (Styrift  unb  ßattiolif4  ^inftetten,  baS 
Reifet  boaj  ben  ©riefen  unb  2leußerungen  ©duflerS  miberfpredjen." 

©on  ber  großen  Qaty  oereinaclter  Srtd&ter,  bie  fid)  in  ber 
jweiten  #ätfte  beä  aa^tje^nten  3al>rf)unbert3  auf  ben  oerfdnebenen 
©ebicten  ber  $oefte  öcrfudjten  unb  tfjetls  nod)  ber  früheren  ©e* 
fd)tnacf3rid)tung  ^ulbigten,  tf)eil&  fid>  mit  einer  äußeren  s:ftaa> 
a^mung  ©ötfje'S  unb  ©dnHerS  begnügten,  feien  t)tcr  nur  nod)  furj 
erwähnt:  ber  elfäffifaje  gabelbic^ter  $feffel  (1736-1800);  ber 
geniale,  aber  üerfommene  Lörifer  ©d)ubart  (1739-1794),  ber 
feine  s2luSfd)weifungen  mit  ^einjähriger  ftrenger  |>aft  auf  bem 
©d)loffe  £ot)enaaperg  büßen  mußte ;  ber  gewanbte,  aber  aüju  ele* 
gifdje  SKaturmaler  9}Utt^iffon  (1761  —  1831)  unb  fein  ©elfte** 
Oerwanbtcr  Sali*  (1762—1834);  ber  rl)ctorif*e  Siebge 
(1752—1841),  ber  ©erfaffer  beä  oielbewunberten,  einer  pofitiö 
djriftiiajcn  ©runblage  jebodj  entbetyrenbeu  £cf)rgebid)te$  „Urania"  ; 
ber  fenttmentate  3bt)flenbid>ter  £o  fegarten  (1758—1818);  ber 
bramatifdje  $itf)ter  Sffianb  (1739—1814),  beffen  nur  auf  föü> 
rung  beregnete  ©d>aufpiele  ihren  ©toff  bem  bürgerten  Leben 
entnehmen,  unb  ber  frioolc  Luftfptelbichter  ftofcebue,  ber,  1761 
in  SBeimar  geboren,  nad)  einem  oielbcwegtcn  Leben  im  3ah™  1819 
511  ^Naunheim  oon  einem  fd)Wärmerifd)en  ©urfa^enfa^aftler,  bem 
Äanbibaten  ber  Ideologie  Sari  6anb,  ermorbet  Würbe. 


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2)te  beutfdje  fitteratur  im  ad&t$e^ntcn  $al)rf)unbert. 


647 


Auf  bcm  ©ebiete  bcr  beutfdjen  $rofa ,  bic  burch  ßeffing, 
©ötfje  unb  £erber  $u  ihrer  ^öc^ftcn  Stoflenbung  geführt  nmrbe, 
ragt  befonberS  bcr  um  bic  Verbreitung  eine*  richtigeren  Verftänb* 
niffeS  ber  antifen  #unft  hochtoerbiente  3oljann  3oad)im  SB  i  n  l  e  U 
mann  ^eröor.  ©eboren  1717  511  ©tenbal  in  ber  AIrmarf  als  ber 
©ofm  eines  armen  ©chuhmadjerS,  ^atte  er  nur  unter  ftetem  ßampf 
mit  Langel  unb  Entbehrungen  aller  Art  $u  §atte  unb  Qena  bie 
©tubien  machen  fönnen,  $u  benen  fein  S&iffenSburft  ü)n  brängte. 
©ettbem  er  Gelegenheit  gehabt,  in  DreSben  bie  reichen,  bort  ange- 
fammelten  ^unfrfc^a^e  beä  AlterthumS  burd)  eigene  Anfdjauung 
fennen  ju  lernen,  mar  jein  fjeifeefter  SBunfd),  in  SRom  bie  Äunft 
ber  Alten  ju  ftubieren ;  biefer  2Bunfch  ging  jebodj  erft  im  3al)re 
1754  naa)  feinem  Uebertritt  $ur  fatholifdjen  Kirche  in  Erfüllung. 
*Rad)  einem  bierjehnjährigen  jehr  glütflichen  unb  für  feinen  Smed 
im  reichten  äflaße  ausgebeuteten  Aufenthalt  $u  föom,  beffen  Ergebnis, 
außer  mehreren  Abhanblungen  über  einzelne  gragen  ber  Äunft, 
feine  berühmte  „©efdnchte  ber  Shmft  beS  Altertums"  mar,  moUte 
er  im  3af}re  1768  fein  Vaterlanb  noch  einmal  befugen ;  bod>  fchon 
in  lürol  trieb  ihn  eine  untoiberftehüche  ©ehnfucht  nach  bem  ©ü* 
ben  äurücf.  Er  reifte  über  SBien,  mo  er  üon  ber  ßaiferin  Sütaria 
Xherefia  aufs  £>ulbt>ollfte  empfangen  unb  reich  befchenft  mürbe, 
nach  $neft,  um  fich  bort  nach  Ancona  ein$ufchiffen.  Allein  er  fam 
nicht  meiter:  am  8.  3uni  1768  erlag  er  bem  3Rorbftahl  eines 
nach  Hnen  äunftfchäfceu  unb  ©olbmünjen  lüfternen  QtalienerS,  ber 
mit  ihm  in  bem  gleichen  ©afihofe  mofmte.  lieber  SBinfelmannS 
blühenben,  eleganten  ©til  fagt  ©öthe:  „$ie  flaffifche  SBürbc,  bie 
großartige  9iuhe  ocrlaffen  ihn  im  ()öc^ften  ©chrounge  ber  Söegeifte* 
rung  nicht;  mährenb  feine  ©ebanfen  wie  bie  fchmerrouchtigen  ©uieße 
ber  ^omerifchen  gelben  anbringen,  treten  fte  bennoch  ttar  unb 
fdjarf  gefchnitten  tytbox,  mie  bie  giguren  auf  ben  gried)ifchen 
©emmen." 

Unter  ben  ©efchid)tfchreibern  beS  achtzehnten  SahrhunbertS 
nimmt  unftreitig  S^h^nneS  oon  SRütler  (geb.  1752  in©chaff* 
häufen,  geft.  1809  in  Gaffel),  ber  fich  °en  $acituS  jum  üKufter 
nahm ,  jeboch  auch  $crobot  unb  ^^ufrjbibud ,  fonne  bie  alten 
©chn)eijer*(£hronifen  auf  fich  einnrirfen  lieg ,  bie  erfte  ©teile  ein. 
—  Als  UReifebefchr eiber  oerbient  Ermahnung  ©eorg  5  0  r  ft  e  r  (geb. 
1754  in  Dftyreußen,  geft.  1794  in  SßariS,  mohin  ihn  feine  glü* 
henbe  SBegeifterung  für  repubiitanifche  3°*cn  geführt),  ber  als  acht* 
zehnjähriger  Qüngling  ben  englifchen  Kapitän  Eoof  auf  feiner  8fteife 
um  bie  SBelt  begleitet  hatte,  ©eine  ©a)ilberung  biefer  Steife  jeich* 
net  fich  Durd)  cinc  geiftreiche,  anfehauliche  unb  förnige  SJarftettungS* 
meife  aus. 

Auf  bem  ©ebiete  ber  bibaftifdjen  $rofa  finb  als  Nachfolget 


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Sd)ti*ben  unter  ©uftaü  III. 


fieffing«  jii  ermähnen :  bcr  93udjf)änMer  (Sl)riftopl)  Sriebridj  SR  i  c  o* 
lai  (1733—1811),  bcr  burd)  feine  bie  gefammte  ^riftU^e  SBelt* 
anfdmuung  befämpfenbe  „Allgemeine  ©ibliotfjef  ber  frönen  SBiffen* 
fäaften"  bie  ©adje  ber  „«ufflärung*  förbern  fud)te ;  2H  o  f  e  « 
SR  c  n  b  et if  O  1)  n  (1729—1786),  ber  feinem  Ofreunbe  ßef  jtng  $u  beffen 
„SRatyan"  mandje  Büge  geboten  flauen  foß;  S^riftian  ®aröc 
(1742—1798)  unb  Sodann  3afob  ©ngcl  (1741—1802),  bem  e« 
nidjt  feiten  gelang,  bem  ©tile  ßeffing«  nalje  $u  tommen. 

SBä^renb  9Henbel«foIjn,  ©aröe,  (Sngel  u.  H.  bie  ^t)iIofopr)ic 
burd*  populäre  £>arftellungen  bem  größeren  <ßublifum  pgängltcr) 
ju  machen  fugten,  führte  ber  König«berger  <ßrofeffor  Immanuel 
Kant  (1724—1804)  fie  mieber  jur  ftrengften  ©iffenfdjaftlidjfeit 
jurücf.  Kant«  pfulofopfjifdje«  ©tjftem,  bie  fogenannte  „fritifdje  s£f)i= 
lofopfjie",  beruht  auf  bem  ©ebanfen,  ba&  bie  menfd)lidje  Vernunft 
jmar  $ur  (Srfenntnifj  be«  Ueberfumliajen  unfähig  fei,  aber  burcr) 
ba«  in  ir)r  fetbft  fid)  berfünbigenbe  ©ebot  ber  $fü$t  5«nt  GJlau* 
ben  an  (Sott,  Xugenb  unb  Unfterblidtfeit  genötigt  roerbe.  $er 
Glaube  ftü^t  fteft  nad)  Kant  nierjt  auf  bie  göttliche  Offenbarung, 
fonbern  auf  bie  gorberung  bcr  „praftifdjen  Vernunft",  b.  Ij.  be« 
©euriffen«,  au«  bem  ftdj  fein  ganzer  Qn^alt  enttotrfeln  Iaffe.  $a« 
Gf)riftentl)um  ließen  bie  Anhänger  ber  Kanrifdjen  ^Inlofopfne,  bic 
balb,  toeil  bem  3eitgeifte  ganj  entfpredjenb,  bie  ööUige  Dbmadjt  ju 
erlangen  fdnen,  nur  infofern  gelten ,  al«  e«  burd)  ben  aufgef lärten 
3eitgeift  ju  öerooflfommnen  fei. 


XXXVII. 

weben  nutet  Quftav  III. 

(1771—1792.) 

©uftabä  III.  StaatSurawaljung. 

(1772.) 

311«  ber  oon  ben  fdjmebifdjen  ©tänben  im  ©inöernefjmen  mit 
ber  (£jarin  (Eltfabetfj  jum  SRadjfolger  be«  finberlofen  König«  grieb* 
ridj  I.  beftimmte  Jperjog  Slbolf  griebrict)  oon  #olftein*(3Jottorp 
im  Qafjre  1751  ben  fdjtoebifdjen  Xfyron  beftieg  (f.  S.  284),  mar 
ba«  Königtum  bereit«  jum  blo§en  ©djatten  fjerabgefunten ;  bennod) 
fudjte  ber  in  bie  Parteien  ber  9ttu$en  unb  |>üte  gefpaltene,  in  fei= 
ner  $>errf(f)fud)t  aber  einige  Slbel,  ber  alle  ©eroalt  an  fid)  geriffen  fyatte, 
bie  9ted)te  ber  Krone  nodj  mefyr  ju  befd)ranfen.  Söci  feinem  jRegie» 
rung«antritt  mußte  ber  neue  König  nidjt  nur  eine  SBerfidjerung«afte 


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©uftöü«  III.  (BtoatSumwälaimg.  649 

über  bic  Unoerlefclichfeit  bcr  beftefjenben  Sßerfaffung  unterzeichnen, 
fonbern  auch  ba*  feierliche  SSerfpredjeit  geben,  bafi  er  bie  föeict}** 
ftänbe  ihre*  ihm  geleifteten  ©ibe*  für  entbunben  halten  merbe,  roenn 
er  jemal*  gegen  biefe  föntgltdje  Serfte^erung  ober  gegen  irgenb  ein 
Don  ben  9teich*ftänben  erlaffene*  ober  noch  $u  erlaffenbe*  ©efefc 
hanbeln  follte.  <£*  erfolgte  nun  eine  SReihe  neuer  (Sefefee,  bie  bem 
ftönig  ben  legten  SReft  oon  üttacht  unb  Slnfehen  raubten ;  —  Der* 
fügte  boef}  eine«  berfelben,  bog  in  allen  9tegierung*erfaffen  ber 
Sßame  be*  £önig*  burd)  einen  Stempel  beigelegt  werben  fotte,  wenn 
bie  Unterfchrift  auf  atoeimatige*  Slnfuchen  be*  9teid)*rath*  nicht  er* 
folge,  ©elbft  in  bie  Angelegenheiten  be*  föniglichen  $aufe*  griffen 
ber  Slbel  unb  bie  ©täube  entfd)eibenb  ein.  (Sin  SBerfuch  ber  öon 
ben  £>üten  unterbrueften  Sflü&en,  ber  föniglichen  (SJemaft  mieber 
etma*  aufhelfen,  fdjeiterte  an  ber  Unentfchloffenheit  be*  ftönig* 
unb  biente  nur  ba$u,  bie  9flacht  ber  §üte  $u  befeftigen,  inbem  bie* 
felben  bie  Einrichtung  ber  §aupturheber  ber  $8erfcr)mörung,  be* 
©aron*  #orn  unb  be*  trafen  ©rahe,  burchfefcten.  $ie  SRifjerfolge 
ber  fchtt>ebifchen  SBaffen  im  fiebenjährigen  Kriege,  in  melden  ©chme* 
ben  burch  bie  $üte  r)ineingerif(en  morben,  öerfcr)affte  jtoar  ben 
9Jcüfcen  mieber  ba*  Uebergeroicht ;  be*  Königs  Sage  mürbe  jeboct) 
baburdj  in  feiner  SBeife  öerbeffert,  ba  berfelbe  nun  mieber  oon  bie* 
fer  Partei  töraunifirt  mürbe. 

Um  auf  bem  9Reich*tag  eine  SSeränber uug  ber  Sßerfaffung  burch5 
jufe(jen,  forberte  ber  $önig  im  Qahre  1768,  im  (rmoernehmen  mit 
ben  $üten,  bie  «Sufamnttn&^ufung  oe*  9teich*ftänbe.  $er  SReid)** 
rath  roiberfetjte  fich  jtoar  biefer  Sorberung,  gab  jeboct),  au*  gurdjt 
oor  einem  $Bolf*aufftanbe,  nach,  als  ber  $önig  burch  bie  lieber* 
legung  ber  Regierung  alle  SBehörben  be*  Sanbe*  außer  Xfjätig* 
feit  fefcte. 

i>er  auf  ben  26.  2lpril  1769  nact)  9corföping  jufammenbe= 
rufene  fReicr)ötag  jog  ben  9teich*rath  megen  feine*  Verhalten*  jur 
Söerantmortung,  unb  bie  meiften  SDcitglieber  berfelben  mürben  it)rer 
©teilen  oerluftig  erflärt;  nicht*beftomeniger  fielen  bie  beabficr)tigten 
93erfaffnng*änberungen  buret),  unb  ber  Sfteich*tag  trennte  fich  mit 
ber  (Srttärung,  bafi  jebe  Neuerung  unjmecfmögtg  fei. 

2Ba*  ber  Äcmtg  5lbolf  fjriebrict)  nicht  t)atte  erreichen  fönnen, 
follte  feinem  ©oljn  unb  Nachfolger  ®uftao  III.  gelingen,  unb  jmar 
burch  ba*  fühne  Littel  einer  oon  bem  Zf)xom  felbft  ausgegangenen 
9teöolution. 

©  u  ft  a  o  III. ,  ein  geiftreidjer  ,  fcharf61icfenber  unb  füfjncr 
3ürft,  ber  mit  einer  eblen  Haltung  eine  ^er^gen^innertbe  Sieben** 
tuürbigfeit  Oerbanb,  hotte  al*  ^ronprinj  ben  Abel  über  feine  $Be= 
thciligung  an  ben  Öeftrebungen  feine*  iöater*  jur  2öiebert)erfteHung 
ber  föniglichen  ©elbftftänbigfeit  burch  fcheinbare  ©teichgiltigfeit  gegen 


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G50 


(Schweben  unter  ©uftat?  III. 


ade  (Staatsangelegenheiten  $u  tauften  gewußt.  (£r  war  eben  auf 
einer  föetfe  nach  granfretch  begriffen,  al«  ber  %o\>  feine«  SBater« 
it>n  im  3at)re  1771  auf  ben  fchwebifchen  Xtjron  betief.  S)ie  unbefchränfte 
Äönig«gewalt ,  bie  er  am  £ofe  $u  Verfaule«  fennen  gelernt  t)attcr 
mußte  ilm  bie  tiefe  |>crabwürbigung  ber  fchwebifchen  ^rone  nur  um 
fo  fchmeralichcr  empftnben  laffen,  unb  ba  ber  Sftinifter  ^oifeul,  ber 
im  Sntereffe  3ranfreich«  bie  #erfteHung  eine«  abfoluten  ftönigthum« 
in  Schweben  wünfehte ,  ihm  ju  berfelben  feine  Unterftüfcung  burch 
#ilf«gelber  jufagte,  trat  er  bie  ffiücfreife  in  feine  £eimath  mit  bem 
feften  ©ntfehluffe  anr  Alle«  an  bie  Ausführung  feine«  fülmen  $la- 
ne«  ju  fefcen. 

Um  ba«  fäwebifche  Volf  für  fein  Unternehmen  $u  gewinnen, 
bewie«  GJuftaö  gegen  ba«felbe  eine  nie  gefebeue  Seutfeligfcit ,  wobei 
i^m  ber  Umftanb  trefflich  ju  Statten  fam,  baß  er  be«  Sdjmebifchen, 
ba«  bie  beiben  legten  Könige  nicht  oerftanben  hatten ,  al«  feiner 
aJcutterfprache  öottfommen  mächtig  mar,  h)ie  er  fich  überhaupt  mit 
groger  ßeichtigfeit  unb  ©emanbtheit  au«pbrücfen  mußte.  $iefe  ©abe 
ber  Verebtfamfeit  beutete  er  befonber«  ben  fchwebifchen  Stänben 
gegenüber  mit  großem  ®efchtcfe  au«.  $cn  erften  9fteich«tag  eröffnete 
er  mit  einer  föebe,  in  Welcher  er  erflärte,  er  ftnbc  feine  ©hre  barin, 
ber  erfte  Bürger  eine«  freien  Staate*  ju  fein.  fcabei  berftanb  er 
e«  meifterhaft,  feine  Slbficfjten  unter  ber  2Ka«fe  ber  größten  Unbe- 
fangenheit $u  oerbetgen  unb  ben  Abel  burch  ben  Schein  einer  abfo* 
luten  ©utheißung  ber  beftehenben  Suftänbe  ftcher  ju  machen.  $11« 
man  ihm  bie  Afte,  burch  welche  ihm  bie  gleichen  Verpflichtungen 
unb  3«faQcn  auferlegt  würben,  Wie  feinem  Vater  bei  beffen  9tegie- 
rung«antritt,  jur  Unterzeichnung  üorlegte ,  unterfdjrieb  er  fie,  ohne 
fie  gelefen  ju  hn&en,  mit  ber  Vemerfung :  man  werbe  ftcher  bei  ber 
Abfaffung  berfelben  nur  ba«  Vefte  be«  Staate«  im  Auge  gehabt 
haben.  Sein  SBunfdj,  in  ber  (£bene  üon  Upfala,  bei  ben  9Jloraftei= 
nen ,  an  ber  Söahl*  unb  $rönung«ftättc  ber  alten  9cationalfönige 
Schweben«,  bie  ®rone  ju  empfangen,  fanb  feine  Verücffichtigung, 
weil  bie  Artftofratie  baoon  einen  ihre  3ntcrcffen  gefährbenben  (£tn* 
bruef  auf  ba«  fchwebifchc  Volf  befürchtete;  bagegen  würbe  ©uftao« 
Krönung  ju  Stocffjolm  mit  ungewöhnlicher  bracht  Donogen. 

Stach  bem  Empfang  ber$rone  begab  fich  ©uftaü,  unbekümmert 
um  bie  noch  fortbauernben  Verathungen  be«  9teich«tag«,  auf  feinen 
ßanbfifc  (Jeff) olmf unb ,  wo  er  nur  ber  Pflege  ber  fchönen  fünfte  §u 
leben  fchien.  Unterbeffen  waren  mehrere  oon  ihm  au«gefanbte  $er= 
fönen  eifrig  bemüht,  in  ben  oerfdnebenen  ^ßrooinjen  Schweben« 
unter  bem  Volfe  Unjufriebenheit  über  bie  beftehenbe  Verfaffung  ju 
erregen,  inbem  fie  eine  im  Sanbe  herrfchenbe  Neuerung  ber  fchlech1 
ten  Verwaltung  jur  Saft  legten.  9ttehr  jeboch  noch,  al«  burch  biefe 
Aufreizungen,  würben  ©uftao«  Sßläne  burch  oie  fortbauembe  Svoit* 


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(33uftaod  III.  StaatSumroälgung. 


651 


txaty  jwifchen  bcn  aRüfcen  unb  bcn  #üten  geförbert ,  bic  cinanber 
auf  betn  ^Reichstage  in  einem  erbitterten  ffampfe  ba3  Uebergemicht 
ftreitig  machten,  bi«  fich  fcftlicglic^  bie  unterliegenben  .püte  in  ihrem 
Unmuts  über  ben  (Sieg  ber  2Rüfcen,  ber  fte  alles  (£influffe&  beraubte, 
jum  größten  %f)tik  auä  bem  Reichstage  jurürfgogen. 

Unterbeffen  hatte  ber  für  ©uftaöä  $läne  gewonnene  Dberft 
©prengporten  über  hunbertfünfeig  Offiziere  öon  ber  Söefafrung  ber 
^auptftabt  auf  bie  ©eite  beS  Königs  gejogen,  wäfjrenb  (SuftaöS 
beibe  ©rfiber  ßarl  unb  griebrich  in  ben  <ßroöin$en  ©choonen  unb 
©othlanb ,  $u  bereu  Statthalter  fie  ernannt  würben,  für  ben  glei* 
d)cn  QtDtd  erfolgreich  thätig  waren.  9cad)bem  TOeS  genügenb  öor* 
bereitet  war,  erhob  ber  bem  Äönig  warm  ergebene  Hauptmann  §tU 
lidnuS,  ftommanbant  ber  gfefrung  <£r)riftianftabt,  ber  ihm  jugetheil* 
ten  Wollt  gemäß,  am  12.  Huguft  1772  bie  gafme  beä  SlufruhrS, 
inbem  er  ein  3J?anifcft  gegen  bie  Anmaßungen  ber  Slriftofratie  erlieg 
unb  ben  ©tauben  ben  ÖJehorfam  fünbigte.  Daburdj  erhielt  ber  Sßrinj 
ftarl  einen  JBorWanb  jur  3ufammen$iehung  öon  Gruppen,  mit  wel* 
djen  er,  angeblich  jur  ©tiflung  beS  aufgebrochenen  2lufftanbe8,  ge= 
gen  GShnftianftabt  aufbrach. 

biefe  Vorgänge  in  ©toefhotm  befannt  mürben,  fchöpfte  bie 
herrfchenbe  Partei  fogleich  Serbacht;  ber  $önig  mußte  jeboch,  trofe 
feiner  leicht  begreiflichen  Aufregung,  ben  ©djetn  ber  Unbefangenheit 
fo  gut  ju  mahren,  baß  fte  ihm  nichts  anhaben  tonnte.  Xcm  trafen 
Stibbtng,  ber  ihm  bei  einem  5(benbeffen  bie  93emerfung  machte :  e$ 
fei  auffaHenb,  baß  ber  Wachthabenbe  Dffijier  am  Zfyoxt  ju  (Etyrifttan* 
ftabt  auSgefagt  habe,  eä  gefchehe  SUIeS  auf  föniglichen  33efet)l,  ant- 
wortete er,  ohne  burch  ben  fdwrf  beobachtenben  ©lief  beä  ©rafen 
auf  ber  Söffung  gebracht  ju  werben  :  ,,©ic  irren ;  nach  bem  ^Berichte 
an  ben  SReichärath,  ben  ich  fclbft  gefefen,  mar  es  bie  ©djilbwache 
unb  nicht  ber  Offizier."  $a  feine  9ttacht  fo  befchränft  war,  baß  er 
nicht  einmal  einem  ©arberegiment  nach  feinem  SBiöen  23efel)le  erthei* 
len  fonnte,  ^ielt  er  eS  für  nöthig,  fid)  um  bie  ©unft  ber  bewaff* 
neten  SÖürgerfchaft  ju  bewerben ,  unb  jog  ju  biefem  (£nbe  mit  ben 
öon  bem  SReichSrathe  angeorbneten  ©treifroachen  burch  °ic  ©traßen 
öon  ©tocfholm,  währenb  mehrere  feiner  Vertrauten  mit  ber  ©arbe 
unb  ber  Artillerie  Unterhanblungen  anfnüpften. 

3njwifcheu  hotte  ber  noch  immer  mißtrauifche  SReichäratfj  $rup= 
peu  nach  ber  ^auptftabt  beorbert  unb  bem  ^ringen  ®arl  ben  ©efet)l 
jugefjen  laffen ,  bie  öon  ihm  gufammengejogenen  ©chaareu  einem 
anberen  ^Befehlshaber  $u  übergeben :  ber  Üönig  fah  fid)  alfo  in  bie 
Sßothwenbigteit  üerfefct,  fofort  ju  hobeln,  wenn  nicht  baS  gange 
Unternehmen  fcheitem  follte.  AIS  er  am  borgen  beS  19.  Auguft 
nad)  einer  in  banger  ©orge  burdjwachten  Vlaty  in  ben  öcrfammel* 
ten  9teid>^ratt)  trat,  würbe  er  aufgeforbert ,  einen  ©rief  oorjulefen, 


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652 


Sd)iocbcn  unter  ©uftaü  III 


ben  er  mätjrenb  ber  9Ja*t  üon  feinem  ©ruber  erhalten  Ijatte,  unb  als  er 
bie*  at*  ein  ungcbüljrli*e*  Verlangen  üertoeigerte,  fpra*en  einige 
ber  9ki**ratbe  öon  ber  ftotlnoenbigfeit,  ft*  feiner  Sßerfon  fß  Oer* 
fiesem.  3n  toirflic^em  ober  oerftelltem  3orne  bie  $anb  an  ben 
$egen  fegenb,  oeriieß  er  fofort  bie  ©erfammlung.  9ta*bem  er  $u* 
näc^ft  an  bie  üor  bem  Seug^aufe  aufgeteilte  (SJarbe,  bereu  Offiziere 
$um  größten  Steile  für  *n  gewonnen  waren,  eine  freunbli*e  Hn= 
fpra*e  gehalten  unb  eine  2lb*eilung  berfelben  abgeorbnet,  um  bie 
föei**rätf)e  in  ifjrem  ©ifcung*faale  feftjubalten ,  begab  er  fi*  mit 
mehreren  Offizieren  feine*  Hnljang*  na*  bem  6*loffe,  mo  ft* 
unterbeffen  fotuo^I  bie  aufeief>enbe  al*  bie  abaiefjenbe  2Ba*e  Oer* 
fammelt  ^attc  f  berief  bie  anmefenben  Offiziere  in  bie  2Ba*tftube 
unb  enthüllte  *nen  in  begeifternben  ©orten  fein  ©orbaben,  bie  au* 
frembem  ©olbe  gef*mtebcten  Letten  $u  brechen,  mit  benen  ba*  ©ater* 
tanb  gefnc*tet  morben,  unb  bie  uralte,  gefefcmäßige  greüjeit  be* 
tönigret**  ^aufteilen.  Huf  feine  grage,  ob  er  hierbei  auf  ifjrc 
linterftüfcung  jäblen  fönne,  erf*olI  oon  allen  ©eiten  ein  freubige* 
3a.  ÖJuftao  banb  herauf  ein  meiße*  Xu*  um  feinen  Mrm  unb  for* 
berte  3eben,  ber  mit  ifjm  fein  tooöe,  auf,  ba*  <$Hei*e  ju  tfjun, 
bamit  alle  feine  ganger  ft*  an  biefem  3ei*en  erfennen  möchten. 
SBie  bie  Offiziere,  fo  erflärten  fi*  au*  bie  ©olbaten  bereit,  für  ünt 
ju  fterben,  unb  ba*  «olf,  ba*  auf  bie  abfi*tli*  oerbrettete  falf*e 
$a*ri*t,  ber  ßönig  fei  gefangen,  in  großen  ©paaren  fjerbeige* 
ftrömt  mar,  ftimmte  in  ba*  freubige  3au*jen  ein.  9to*  größer 
mürbe  bie  ©egeiftcrung ,  als  (SJufiao,  ber  jeben  zufälligen  Umftanb 
&u  bemtfcen  mußte,  ausrief:  „©ein;,  meine  greunbe,  e*  mef>t  oon 
Horben !  @in  gute*  Rieben .  ^enn  berfelbe  Söinb  blie*,  al*  (Uuftao 
SBafa  mit  feinen  Xb^männern  aufbra*,  um  ba*  fianb  oon  feiner 
3ttHngf)errf*aft  $u  befreien!" 

©ergeben*  bot  ber  (Souocrneur  oon  ©tocfljolm,  ber  (General 
föubbecf,  Me*  auf,  um  bie  Xruppen  mieber  auf  bie  ©eitc  be* 
9tei**ratl)e*  ju  gießen,  inbem  er  ba*  Unternehmen  be*  ®önig*  al* 
ein  Attentat  auf  bie  greifjeit  be*  ßanbe*  bezeichnete :  (Buftao ,  ber 
mit  bem  Xegen  in  ber  £>anb  bie  Straßen  bur*ritt ,  fanb  größeren 
(SJlaubcn  für  feine  ©erfi*erung ,  baß  er  fi*  erhoben  habe ,  um  bie 
gre*ett  be*  ©aterlanbe*  ju  retten.  $)a*  SBolf  brangte  fi*  jubetnb 
um  ü)ii  unb  ictmmr  ihm  Irene  unb  ©ehorfam.  Hu*  bie  auf  ba* 
Storkau*  ^ufammenberufene  ©tabtobrigfett  leiftete  ohne  SBiberfpru* 
ben  oerlangten  (£ib.  $)a*  ($let*e  ge[*at)  oon  leiten  ber  Slbmtra* 
lität  auf  bem  ©*iff*t)olnt.  $ie  beiben  bur*  ben  SRei**ratf)  na* 
2tocft)oim  beorberten  ^Bataillone  Uplanb  unb  ©übermanlanb ,  bie 
bereit*  bi*  in  bie  9täl)e  ber  Stabt  gefommen  maren,  erhielten  ©efefjl 
zur  llmfe^r,  mährenb  ihr  Tvüljrer,  ber  bem  9tei**ratf)  ganz  ergebene 
Oberftlieutenant  (Seberftröm,  in  bie  ^auptftabt  berufen  mürbe.  $>a 


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©uftauS  III.  ©taatSunUüäljung. 


653 


bic  Kunbe  öon  bcn  Vorgängen  in  Stocffjotm  noch  nicht  $u  ihm  ge* 
brungen  mar,  Iciftctc  er  ofjne  Söebenfen  bem  erhaltenen  S8cfct)Ic  golge. 
©leid)  ihm  mürben  öerfchiebenc  anbere  ^erfonen,  bie  $um  ÜRachtheil 
beS  Königs  Rotten  mirfen  fönnen ,  burdj  ftrenge  Ueberwadmng  un* 
fdjäblirij  gemacht. 

9cachbem  ber  König  am  folgenben  Xage,  bem  20.  tluguft,  bie 
^ulbigung  aQer  Kriegs  -  unb  Staatsbeamten  empfangen  unb  aurf) 
bie  ©ürgerfchaft  ihm  bereitwillig  bcn  (£ib  ber  Xreue  geleiftet  fjatte,  oer* 
fammelte  er  am  21.  bie  ©tänbe  in  bem  9titterr)aufc ,  um  ihnen  bic 
öon  ihm  beabfichtigten  SßerfaffungSänberungen  jur  Genehmigung  öor- 
julegen,  wobei  er  nicht  tterfäumte,  burch  s2lufftellung  öon  Sftilitär 
rings  um  baS  DtitterhauS  jebem  gemaltfamen  SSiberftanb  Dorp- 
beugen.  3n  einer  feurigen  9tebe  jct)ilbcrtc  er  bie  9Jä&ftänbe  ber 
beftehenben  SBerfaffung,  fowie  baS  Unheil  unb  bie  ©dunad),  meiere 
bie  bisherigen  sJMad)tlmber  burch  ir)rc  geilheit  unb  iljrc  beftänbigen 
Swifttgfeiten  über  baS  SReich  gebraut  Ratten,  unb  forberte  Seben,  ber  bie 
SBahrljeit  feiner  Söorte  bestreiten  fönne,  auf,  t)txt)QX%\xtxtttn  unb  $u 
reben.  5)a  &öeS  fdmrieg,  fchlofj  er  mit  ber  S3erfid)erung ,  bafj  er 
feinen  ©chwur,  bie  greiheit  unb  baS  Siecht  $u  fcr)ü^en  #  niemals 
brechen  werbe  unb  bie  SBerfaffung  nur  $u  bem  Qtotdt  ju  üeränbern 
beabfichtige,  bamit  bie  gügcUofigfeit  unb  SSiüför  in  ber  Verwaltung 
ein  (Snbe  nehme. 

hierauf  mürbe  baS  neue  93erfaffungSgefe|j  öorgelefen.  $)aSfelbe 
ernannte  bem  König  freie  Verfügung  über  bie  gefammte  Kriegsmacht 
ju  Waffer  unb  $u  £anbe,  über  alle  Staats*  unb  Kriegsämter,  foroie 
baS  Stecht  ju ,  grieben  unb  SBünbniffe  ju  fchliefcen  unb  einen  SBer* 
tfjeibigungSfrieg  $u  führen,  mahrenb  ju  einem  &ngriffsfriege  bie 
(Einwilligung  ber  Staube  nothmenbig  fein  foQte.  3)ie  SBeratfmngen 
beS  Reichstags,  beffen  3ufammenberufung  bem  König  allein  oorbe- 
halten  blieb,  fottten  fich  auf  baS  befchränfen,  maS  ber  König  bem= 
felben  öorlegen  werbe.  $er  föeichSratf)  rourbe  in  eine  berathenbe 
SBehörbe  üermaubelt,  ber  feinerlei  GEntfdjeibung  juftanb. 

jftachbem  bie  Verfammlung  auf  bie  grage  beS  Königs ,  ob  fte 
biefe  SSerfaffung  genehmige,  mit  einem  lauten  3a  geantwortet,  las 
iht  ©uftao  ben  auf  biefelbe  ju  leiftenben  @ib  nor ,  ber  oon  Slüen 
ohne  SBiberfpruch  abgelegt  mürbe,  hierauf  jog  ©uftao  ein  ÖJefang* 
buch  &uS  ber  Xafche  unb  intonirte,  inbem  er  feine  Krone  ablegte, 
baS  Te  Deum,  in  Weldas  bie  ganje  Jßerfammlung  einftimmte. 

©benfomenig  ©chwierigfeiten,  mie  in  ber  £>auptftabt,  fanb  ber 
König  für  feine  ©taatSummäl^ung  in  ben  ^ßromn^en,  in  welchen 
feine  trüber  baS  SBolf  unb  bie  Xruppen  auf  bie  neue,  ben  Steiften 
ganj  unbefannte  SSerfaffung  öereibeten.  ©uftao  felbft  befeftigte  bie 
bereits  über  bie  ®emüther  feiner  Untertanen  gewonnene  ^errfdmft 
bura)  bie  im  folgenben  SBinter  unternommene  „föifSgata"  —  bie 


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654 


2cf)tucbcn  unter  Winten)  II I. 


altherfömmlidje  töunbreife  ber  fchmebifdjen  Könige  — ,  bie  er  in  ber 
altväterlichen  SBctfc  ju  ^ferbe  machte  unb  bi«  an  bic  ©renje  oon 
üRormegen  auäbehnte.  933tc  fidj  bie  ganje  töeoolution  olme  SBlutüer* 
fließen  Donogen  Iiatte,  fo  trübte  aud)  fein  xUft  ber  Stäche  ben  er 
rungenen  Sieg.  Uhemanb  mürbe  tt>egcn  ber  Vergangenheit  jur  SRe* 
erjenfehaft  gebogen,  dagegen  erhielten  diejenigen,  bie  fictj  burd)  be* 
fonberen  öifer  für  bie  Sache  bed  ÄönigS  Ijeroorgethan ,  bie  Der« 
bleute  Belohnung.  Ten  Hauptmann  $ettidjiuä  ernannte  ©uftaü  jum 
Dberften  unb  öerlieh  ihm  ben  etnenbeu  tarnen  (V)  uft  a  o  3  f  ch  1 1  b ; 
ben  Dberft  Sprengporten  erhob  er  $um  Eljef  beä  ÖtarberegimentS, 
beffen  fämmtliche  Offiziere  um  $mci  Wrabc  beförbert  mürben,  mäh* 
renb  bie  Unteroffiziere  denfmünjen  unb  Zulagen  erhielten.  Tie 
mei&e  ötnbe,  bie  ber  Äönig  am  19.  9Iuguft  jum  ErfennungSjeichen 
feiner  Anhänger  beftimmt  tjattc,  foHte  fortan  baS  fdpoebifdje  .\Seered- 
jeichen  bleiben.  Um  jebe  (Erinnerung  an  bie  Qcit  ber  Schmach  unb 
3n)ierraa)t  ju  tilgen,  mürben  bie  ^ßarteinamen  „^üte"  unb  „SJcüfcen" 
auSbrücflich  oerboten. 


Guftauö  III.  Staatsocrmaltung. 

9cad)bem  Ohtftau  burch  feinen  unblutigen  Sieg  über  ben  f)errfcf)s 
füdjtigen  s2lbel  bie  oode  $önig$gemaft  ^ergeftedt  hatte,  geigte  er  ben 
ernften  Btifot,  bie  3afagen  $u  erfüllen,  mit  benen  er  feine  Regierung 
angetreten,  unb  burch  eine  unparteiifehe  ^anbfjabung  ber  (berechtig* 
fett,  burch  eifrige  Sorge  für  bie  allgemeine  SSoljlfafjrt  unb  burch  bie 
Erhaltung  beS  Stiebend  fein  SBolf  511  beglüefen.  Tiefem  löblichen 
Söefrreben  entfprangen  in  feinen  erften  föegierung&jaljren  mehrere 
treffliche  Einrichtungen.  3"  Da*  zerrüttete  Srinanjmefen  mürbe 
Orbnung  gebracht,  burch  bie  Anlegung  oon  Kanälen  ber  Sßerfehr 
erleichtert ,  burch  bi*  Errichtung  oon  it  raufen--  unb  SBaifentjaufern 
für  bie  £>ilfäbebürftigen  Sorge  getragen  unb  burch  bie  Einfefcung 
oon  öierunbjmanjig  üaiibfer)aft^är,^teu  eine  leichtere  unb  beffere  93c* 
hanblung  ber  ftranfen  ermöglicht.  9ftit  bem  rühmlichften  Eifer 
forgte  (iuftao  für  bie  ftufbefferung  beä  ®eri<htsmefen*.  die  Softer 
mürbe  abgefdjafft,  jeber  9Jiijjbrauch  in  ber  ©erechtigfeitspflege  auf 
ba3  Schärf ftc  geatmier,  baö  £>ofgericht  §u  Qönföping  einer  ftrengen 
Unterfuchung  unterzogen  unb  bie  Veröffentlichung  gerichtlicher  #er* 
hanblungen  burch  ben  druef  geftattet.  OJanj  bcfonberS  lag  bem 
ftönig  bie  SBerbefferung  ber  fiage  ginnlanb*  am  $er$en ,  ba*  er 
felbft  bereifte,  um  fich  einen  genauen  Einblicf  in  bie  Sanbeäöcrfaffung 
&u  oerfchaffen  unb  beren  oieljährigen  ©ebrechen  abzuhelfen. 

So  fehr  inbeffen  auch  alle  biefe  SJcagregeln  geeignet  maren, 
bic  SBohlfahrt  SchmebenS  ju  beförbern,  3eigte  fich  in  benfelben 


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©uftab*  III.  StQQtöüenualtung. 


655 


fdjon  ber  $ang  be*  ßönig*  ju  Ueberftürjungen.  (bleich  3ofept)  II. 
mollte  auch  er  Srüdjte  fet)en,  nachbem  faum  bcr  ©ante  in  ben  93o* 
ben  geftreut  ruorben ;  baher  fprang  auch  er  Don  einer  neuen  fön« 
ridt)tung  jur  anbem  über,  ohne  ba*  ^Begonnene  gehörig  511  Snbc  ju 
führen,  unb  fo  blieb  Mieles  unöottenbet  liegen.  $abei  trat  mehr 
unb  mehr  be*  ßönig*  Vorliebe  für  eine  glänjenbe  Sleußerlichfeit 
ju  Xage,  bie  ihn  ben  inneren  SBertt)  ober  Unmerth  ber  5)inge  über* 
fet)en  ließ,  ©einen  #ang  ju  äußerem  $runf  befunbete  ba*  öon 
it)m  oeranftaltete  glängenbe  lumier  ju  Ecfholmfunb ,  ju  meinem 
afle  turnierfät)igen  SRitter  in  üofler  Lüftung  mit  ©treitfolben,  SBurf* 
fmeßen,  5)egen  unb  *ßiftolen  fich  einfinben  mußten.  2hidfc)  ber  ©e- 
banfe,  eine  allgemeine  fdjnjebifdje  23olf*tracht  af*  äußere*  Seichen 
ber  inneren  (Eintracht  einzuführen,  entfprang  biefer  ©efinnung.  $iefe 
bracht,  burd)  meldte  zugleich  ber  ^ufcfucht  unb  93erfd)it>enbung  ge* 
fteuert  werben  foflte,  fiel  jeboef)  fo  bühnenmäßig  au* ,  baß  fid)  bie 
©chroeben  in  berfelben  gerabeju  lächerlich  fanben. 

Ungleich  größeren  &acf)theil,  al*  biefer  öerfehlte  Serfuch,  brachte 
bem  fianbe  ba*  Streben  be*  k  bnigS  ,  ben  (Slang  be*  £ofe*  öon 
iBerfaifle*  nach  ©tocf^olm  ju  berpflangen,  inbem  ber  baju  erforber* 
lic&e  Slufmanb  bie  Gräfte  be*  Staatsanwälte*  meit  überftieg.  2ludj 
auf  ba*  %tyattx  oertoanbte  (Suftaü  mehr  (Srnft  unb  mehr  3ett,  als 
bie  SBfirbe  feine*  Berufe*,  unb  mehr  Weib,  als  bie  ©taat*einrunfte 
erlaubten.  SSte  fein  Dfytim  griebrich  II.  ein  begeifterter  93eret)rer 
ber  frangöfifchen  Sprache  unb  ßiteratur,  errichtete  er  eine  Sifabemte 
nach  frangöfifchem  SRufter  unb  fnchte  bie  höhere  93ilbung ,  bie  er 
bem  fchmebifchen  SBolfe  gu  geben  bemüht  mar,  gang  nach  ber  ober* 
flächlichen  SBeltanfchauung  gu  geftalten,  öon  melier  bie  frangöfifche 
ßiteratur  beherrscht  mar. 

SBährenb  ©uftaü  burch  aüe»  bie*  im  gangen  ßanbe  eine  große 
SBerftimmung  h^oorrief ,  brachte  er  burch  oa&  Verbot  be*  ©rannt* 
mein*,  ber  ben  Schweben  burch  (Semofmheit  unb  ßuftbejehaffenheit 
gum  ©ebürfniß  gemorben,  in*befonbere  ben  ©auernftanb  gegen  fich 
auf.  9c ach  ben  auch  öon  it)m  geteilten  ftaat*ttrirthfchaftlichen  ©runb* 
fäfcen  feiner  Seit  erfdjien  ihm  ba*  (Selb,  ba*  für  bie  jährliche  #orn* 
einfuhr  au*  bem  ßanbe  ging,  al*  ein  baarer  SBerluft,  unb  um  bem 
felben  auf  ba*  geringfte  sD?a&  51t  befchränfen ,  legte  er  ber  Nation 
eine  Entbehrung  auf,  bie  fie  nur  feiner  SStÜfür  jufchrieb.  Soffen 
mar,  ba  fich  °^  ßanbbeoölferung  ihren  ©ebarf  an  iörannttueiu  fetbft 
ja  brennen  pflegte ,  ba*  Verbot  be*  ®öntg*  leicht  gu  umgehen ; 
(Suftaö  befchloß  baher,  ba*felbe  mieber  aufzuheben,  aber  bie  SBer* 
fertigung  be*  SBranntmein*  gu  einem  ©taat*monopol  gu  machen. 
E*  mürben  baher  in  ben  oerfchiebenen  ©täbten  be*  ßanbe*  fönig* 
liehe  SBranntmeinbrennereien  angelegt,  au*  melden  bie  dauern  ihren 
SBebarf  beziehen  füllten.    SBar  btefe  Einrichtung  fd>on  an  fich  bti 


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656 


8d)!t»cben  unter  ®uftaö  III. 


ber  geringen  Qafy  t>on  ©täbten  für  bie  meift  feljr  entfernt  wolmen= 
ben  fionbleutc  äußerft  unbequem,  fo  würbe  fte  wegen  ber  beftänbtgeit 
$lufftd)t  unb  9tad>fudjung ,  bie  jur  ^er^inberung  alle*  eigenen 
©rennend  geübt  werben  mußte,  gerabeju  üerfjaßt.  $ie  Unjufriebcn* 
l)eit  barüber  war  fo  groß,  baß  in  $alefarlten  ein  förmiger  »uf= 
ftonb  ausbrach ,  ber  jmar  burd)  bie  bewaffnete  9Waa}t  unlerbrürfr 
mürbe,  jeboa)  eine  fo  bebeuflic^e  ©äljrung  ber  (Semütyer  Unterließ, 
baß  ber  tfönig  e$  für  geraden  erachtete,  ba«  Jöranntmeinbrennen 
mieber  frei  511  geben. 

38te  ©uftao  unter  bem  ©auernftanb  juerfl  bur<$  ba$  ©erbot 
beS  93ranntweiu$,  bann  bura)  ba$  ©ranntweinmonopoi  eine  gereifte 
©timmung  ^erüorgerufen ,  fo  Jjatte  er  ber  Erbitterung  be#  Slbete 
burdj  bie  auf  bie  Entfräftung  biefe«  ©tanbeS  beregnete  SBieber? 
einfü^rung  ber  alten  Einteilung  beSfelben  in  trafen  unb  Herren, 
bitter  unb  knappen,  neue  föafjrung  gegeben,  inbem  fidj  ber  bei 
Weitem  größere  Xfjeil  ber  (SbcÜeutc  burd)  bie  SBerfefeung  unter  bie 
knappen  aße$  Einfluffeä  beraubt  faf). 

Allgemeine  Mißbilligung  fanb  e£,  baß  ber  $öuig  im  3afjre 
1783,  wäfjtenb  ba$  fianb  burd)  TOfewadj»  unb  X^euerung  heim* 
gcfuajt  würbe,  eine  Steife  nad)  Sranfreidj  unb  S^0^^  antrat,  he 
ren  politifdjer  3rocc* :  bie  Erlangung  ber  3"f^  ©*•  $  angelernt) 
in  SBeftinbien  unb  bie  Erneuerung  be3  alten  3rcunbfd)aft3bünb* 
niffeS  jwifdjen  ©djweben  unb  Sranfreid),  bie  bebeutenben  Soften 
berfelben  nid)t  im  entfernteren  aufwog.  3)er  allgemeine  äftißmutf) 
über  biefe  föeife  würbe  erf)öfjt  burdj  ba3  öon  ©uftattä  (Gegnern  in 
Umlauf  gefefcte  ©erüdjt,  baß  er  mäffrenb  feine*  Aufenthalte^  in 
9fcom,  wo  er  t>erfd)iebene  Sflale  mit^ßiufc  VI.  jufammen  ge!ommen, 
jur  fatfwlifdjen  $Hrd>e  übergetreten  fei  unb  bie  Äbfidjt  r)abe,  biefelbe 
wieber  in  ©djweben  einzuführen. 

3Bie  fehr  baS  gute  Einvernehmen  jwifdjen  ®uftaö  unb  feinen 
Untertanen  gefdjrounben  war,  jeigte  fidj  befonberS  auf  bem  im 
3af)re  1786  oou  il)m  juf  ammenberufenen  9tetd)3tage,  auf  tueldjem 
alle  feine  SBorjdjlflge  auf  einen  fo  entfdnebenen  SSiberfprud)  ftte* 
ßen,  baß  er  feinen  einzigen  burdjjufefcen  t>ermoa)te.  $efonber£ 
peinlia)  war  e$  ihm,  baß  fid)  bie  ©tänbe  ber  SBiebereinfühnmg 
einer  alten  9kich$tag,3orbnung  wiberfefeten,  bermöge  beren  bei  ein* 
tretenber  SWeinungSoerfduebenheit  unter  ben  ©tänben  bie  (Sntfctjei^ 
bung  bem  Könige  $uftehen  foflte. 


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©uftaü«  III.  Äricg  gegen  SRufelanb. 


657 


®ufta*g  III.  «rieg  gegen  »ufelanb. 

(1788—1790.) 

8113  ©ufiab  bie  s2(nl)änglid)fctt  ber  Schtoeben  an  feine  Sßerfon 
toanfen  fah,  erfchien  ihm  ein  friegerifdjeS  Unternehmen,  ba3  bera 
fömebigen  ftationalgefühle  fchmeichle,  als  ba$  fidjerfte  Littel,  bie 
£et$en  feiner  Untertanen  toieber  §u  gewinnen  unb  augleich  fein 
finfenbefc  Slnfe^en  neu  ju  befefrigen.  tiefer  ©ebanfe  fagte  ihm 
um  fo  mehr  $u,  als  ber  ßriegSrufjm  einen  fyofytn  SKeij  für  if)n  be* 
fafe  unb  bie  ßanb*  unb  ©eemad)t  ©ct)rocben3,  auf  beren  Hebung  er 
grofee  ©orge  oermanbt  hatte,  if)m  genügenb  fa)ien,  um  feinem  $önig* 
reich  bic  oerlorene  9JcachtftetIung  nneber  ju  »erraffen. 

$er  ßampf  foOte  föufefanb  gelten,  ba&  fich  im  SKüftäbter  Srte* 
ben  fo  bebeutenb  auf  ©chmebenS  Soften  oergröfeert  hatte,  unb  bie 
SEBiebereroberung  ber  öerlorenen  £ftfeeproöin$en  mar  ba$  Siel,  ba3 
©uftao  fich  geftedt.  Sur  Erreichung  biefeS  £iele3  fdjienen  bie  Um* 
ftänbe  giinftig  ju  liegen;  benn  föufelanb  mar  nia)t  nur  in  einem 
ftrieg  mit  ben  Xürfen  begriffen,  fonbern  fah  fich  aud)  burd)  bie 
feinbliche  Haltung  Greußen*  unb  (Snglanbä  mit  neuen  SernM-- 
Iungen  bebro^t.  2üä  SBorttmnb  gu  bem  geplanten  Kriege  biente 
bem  Äönig  ein  feit  bem  Safjre  1730  $nrifcf>en  ©chmeben  unb  ber 
Pforte  beftehenbeä  ©ünbnife,  ba3  jeber  ber  beiben  2Kädjte  bie  93er* 
pfliefitung  auferlegte,  ber  anbern  im  Salle  eines  2lngriffd  oon  ©ei* 
ten  föufelanbä  ju  #ilfe  $u  fommen,  unb  anbererfeitä  bie  angeblich 
einbfelige  ©efinnung  beä  rufjtfa)en  £ofe&,  ben  ©uftaö  befdmlbigte, 
ich  in  bie  inneren  Angelegenheiten  ©djmebenä  ju  mifajen,  um  bie 
Injufrieben^eit  be$  $lbel$  511  narren  unb  Smietracht  unb  Aufruhr 
$u  beförbern,  meil  bie  ©jarin  bie  Slbfidjt  habe,  ginnlanb  an  fich 
$u  reifeen.  5ll£  Sratharina  biefe  53efa^ulbigungen  in  einer  oon 
ihrem  ÖJefanbten  in  ©totfholm  überreizten  Erflärung  $urfidttne3, 
bie  nicht  nur  an  ben  ßönig,  fonbern  aud)  an  ade  bei  ber  SRegie* 
rung  beteiligten  ©lieber  ber  Nation  gerichtet  mar,  bezeichnete 
©uftao  bieS  als  einen  SSerfud),  Um  öon  feinem  58olfe  ober  oon 
einem  Xfjeile  beäfelben  ju  trennen,  unb  liefe  bem  rujjtfdjen  ©efanb* 
ten  ben  93efe^t  $ugef)en,  unoerjügltct}  Stodljolm  311  oerlaffen. 

£a  ©uftao  nad)  ben  Erfahrungen  be3  legten  Reichstags  nicht 
magte,  benfelben  jur  Einholung  ber  für  einen  5lngriffäfrieg  noth* 
menbigen  ftänbifchen  Genehmigung  jufammen  $u  berufen,  ging  er 
eigenmächtig  oor,  inbem  er  {ich  am  23.  3uni  1788  mit  feinem 
£>eere  nach  Sinnlanb  einfehiffte.  ®aum  Ratten  hier  bie  geinbfeligs 
feiten  ihren  Anfang  genommen,  als  bie  CSjarin  ein  SJcanifeft  er» 
liefe,  worin  fie  bie  fchmebifche  Nation  baran  erinnerte,  bafe  ber 
Äönig,  inbem  er  ben  ffrieg  o|ne  SinmiHigung  ber  ©tänbe  begon* 
nen,  fidj  einer  a3erfaffungÄöerle^ung  fchulbig  gemacht  fyobt. 


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^^d^tDCbCTl  WTXlCT  QJltftClt)  XXX« 


ftoch  fytlt  bic  ©iegcSauberftcht  beS  ftönigS,  bie  burch  bie  Sage 
föu&lanbS  unb  bic  Geneigtheit  ber  (Efthlänbler,  (ich  ihm  anjufchlie* 
gen,  gerechtfertigt  fchien,  bie  fömebifäen  Dffijtre ,  unter  weisen 
bereits  tm  A)untei  ote  tfaDen  emer  sc5er)cöroorung  gesponnen  woroen 
waren,  in  ben  Öanbcu  beS  <$ei)orfamd  jurüd ;  als  jeboch  QJuftao  nach 
einem  erften,  unentfdueben  gebliebenen  ©eetreffen  bei  ber  3nfel 
#oglanb  (17.  3uli  1788),  ftatt  geraben  SBegeS  gegen  Petersburg 
öorjugehen,  jur  ^Belagerung  ber  3feftung  SricbrichShamm  fdjritt, 
weigerten  fie  fid),  in  bem  berfaffungSwibrigen  Kriege  weiter  $u 
fämpfen.  Vergeben«  wanbte  fich  ©uftab  an  bie  ©olbaten :  auch  fie 
legten  bie  28 äffen  nieber,  mit  ber  (Srdärung,  baß  fie  ohne  Befehl 
ihrer  Dffijiere  feinen  ©chritt  borwärts  tf>un  mürben. 

Xte  Verlegenheit  beS  ÄönigS  mürbe  erhöbt  burch  bie  ÄriegS* 
erttärung  5)änemarfS,  ba*  als  ©unbeSgenoffe  SRufclanbs  in  ben 
ftampf  eintrat,  inbem  eS  ein  $eer  bou  fünfaelmtaufenb  äRann  unter 
bem  bringen  SXaxl  bon  Reffen  non  Norwegen  aus  in  ©dwonen  ein* 
rücfen  lieg.  Sem  Honig  blieb  ÜRichtS  übrig,  als  nach  Schweben 
^urücf jufetjren,  um  bei  bem  fc^toebifc^en  SBolfe  bie  £>ilfe  ju  fudjen, 
bie  baS  |>eer  ihm  berweigerte.  Tie  ©ürgerfchaft  t>on  Stockholm, 
bie  ihm  ohnehin  befonberS  anhanglich  mar,  erttärte  fich  einmüthig 
p  feiner  Unterftüfoung  bereit  unb  übernahm  bie  ^Bewachung  ber 
£>auptftabt.  Söäfjrcnb  er  ade  in  ©djweben  jurücfgebliebenen  Grup- 
pen gegen  bie  Säuen  fanbte,  eilte  er  felbft  nach  Salefarlien,  um 
bie  bärtigen  ^Bauern  unter  bie  ©äffen  ju  rufen,  unb  fein  (Srfcheinen 
begeifterte  fie  fo  fehr,  bafj  fich  mehrere  Xaufenbe  fofort  um  feine 
Sahnen  fehaarten.  Xa  bie  übrigen  $robin$cn  bem  SBeifpiel  ber 
Xalcfarüer  folgten,  fah  fich  t>cr  #öuig  balb  an  ber  ©öijje  eines 
$eereS,  mit  welchem  er  bem  bon  ben  Säuen  belagerten  (Rothenburg 
£U  §ilfe  eilen  tonnte.  (£he  e*  jebodt)  511  einem  entfeheibenben 
Kampfe  mit  bem  bänifchen  .freere  getommen,  bewogen  Greußen  unb 
(Snglanb  ben  Äcmig  Don  Sänemarf  burch  ÄriegSanbrohung  jnm 
Slbjchlufc  eines  SBaffenftillftanbeS  mit  Schweben,  ber  im  folgenben 
8rühjahr  in  einen  befinitioen  Srieben  bermanbelt  mürbe. 

©ebor  Wuftao  ben  förieg  mit  9tu§lanb  mieber  aufnahm,  be- 
rief er  im  gebruar  1789  ben  Reichstag  nach  Stocftjoim  jufammen, 
unb  ba  er  feit  feiner  9tücffehr  nach  Schweben  burch  fein  ganzes 
Auftreten  bie  SJcaffe  ber  Nation  wteber  für  fta)  gewonnen  fyatte, 
feierte  er  auf  bemfelben  einen  entfehiebenen  ©ieg  über  feine  abeti* 
gen  (Segner.  9cad)bem  bie  Surcht  cor  ben  ehrgeizigen  unb  tjcrrjd) 
jüchtigen  Hbfichten  beS  SlbelS  bie  Slbgeorbneten  ber  ©eiftlichfeit,  ber 
iöürgerfdjaft  unb  beS  iBauernftanbeS  ausnahmslos  auf  feine  ©eite 
geführt,  bewilligte  ihm  ber  Reichstag  nicht  nur  bie  jur  Sortfefoung 
beS  Krieges  nötigen  ©elbmittel,  fonbern  ertannte  ihm  auch,  troß 
bes  §eftigften  SBiberfpruchS  bon  ©eiten  beS  WbelS,  bolle  ©ouöcräni* 


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©uftaüä  III.  Ärieg  gegen  9tu&Ianb. 


659 


tot  ju.  (£r  erhielt  bic  freie  Verfügung  über  alle  Remter,  fotuie 
baS  »recht,  quc^  einen  ftngrifföfrieg  ot)ne  vorhergegangene  Anfrage 
bei  ben  ©tänben  511  unternehmen.  Xer  föeichäratt)  mürbe  gänzlich 
aufgehoben  unb  ftatt  feiner  ein  r)üc^ftcr  <&ericht&hof  eingelegt.  SDrcifjig 
ber  iiauprtüortfüfjrer  bed  XUbelö  würben  unter  ber  Anflöge  beä  Un= 
gchorfamS,  ber  SSerrätherei  unb  beS  Aufruhr«  in  .paft  gebraut 
unb  bie  9tegtment3befehlahaDcr  w  SJinnlanb,  bie  injroifchen  auf  eigene 
£>anb  einen  SBaffenftiöftanb  mit  föujjlanb  gefdjloffen,  alä  Jpochoer* 
rotier  §um  Xobe  ocrurthcilt,  oon  bem  Könige  jeboefj,  gleich  ben  ge= 
fangenen  SteichStagSmitgliebern,  begnabigt. 

SBähren0  au*cr  biejer  Vorgänge  hotten  bie  Muffen  Qtit  gehabt, 
fict)  gegen  ©chmeben  ju  rfiften ;  ihr  ßanbljeer  mar  oerftärft  unb  bie 
Slottc  in  beften  ©tanb  gefegt  roorben:  e3  beburfte  baher  oon  ©ei* 
ten  ©uftaos  bei  ber  SBieberaufnahme  be£  ®riegc3  ungleich  größerer 
Änftrengungen,  als  beim  ©eginne  beSfelben.  $er  Äamof,  in  wel- 
chem bec  ftönig  ebenfo  Diel  ocrjünlichen  SJhitt),  aU  Umficht  unb 
(Sntfchl  Offenheit  an  ben  Xag  legte,  mürbe  Imupt  jach  lieh  &ur  See  ge- 
führt. $a8  Xreffen,  baä  ©uftaoS  ©ruber,  ber  $>erjog  $arl  t)on 
©fibermanlanb,  unb  ber  ruffifche  Wbmiral  Xfchitfchagoro  am  26.  3uli 
1789  bei  ber  Jfnfel  ©ornholm  einanber  mit  ben  #auptflotten  liefer* 
ten,  blieb  unentf Rieben ;  Dagegen  unterlag  bie  fdjtoebifche  Scheeren 
flotte  am  24.  ftuguft  gegen  bie  ruffifche  im  ©roenSfafunb. 

3m  folgenben  grühjahre  mollte  (JJuftao,  um  ben  &rieg  jn 
einem  rafdt)eren  @nbe  $u  fuhren,  nach  einem  fiegreia)en  Gefechte 
mit  ber  ruffifchen  glotte  bei  griebrich^hamm  Petersburg  angreifen, 
roat)renb  fein  ©ruber  einen  Vingriff  auf  bie  glotte  bei  $ronftabt 
machen  foflte.  Xie  lefctere  fanb  jebod)  Seit,  ftch  mit  ber  oon  sJie= 
oal  ju  oereinigen,  unb  oor  ber  baburch  gefchaffenen  feinblichen 
Uebermacht  mußte  fich  bie  fchmebifche  glotte  unter  bem  £er$og 
ftarl  oon  ©übermanlanb,  mit  welchem  fich  °ie  ©cheerenflotte  unter 
bem  ftonig  oereinigt  hatte/  na4  einem  breitägigen  mörberifchen 
Kampfe  in  bie  ©udjt  Oon  Söiborg  jurücfjichen.  pier  mürbe  fte 
Oon  ber  ruffifchen  glotte  eingefchloffen,  unb  ba  fte  ohne  alle  Le- 
bensmittel mar,  blieb  bem  ftönig  Wichte  übrig,  als  fich  Su  ergeben 
ober  ben  ©erfudj  ju  machen,  fich  burchjufchlagen.  iiv  mahlte  ba3 
lefctere  am  3.  3uli  1790,  unb  bad  töfme  SSagntfj  gelang;  boch 
erreichte  ber  tfönig  ben  ©roenäfafunb  nur  mit  großen  SBerluften.  £>ier 
fam  eä  am  9.  3utt  jtoifchen  ihm  unb  bem  s$rin$en  oon  !sßaffau, 
ber  bie  ruffifche  glotte  befehligte,  $u  einem  Xreffen,  in  welchem 
bie  mit  bem  ÜEftuthe  ber  öerjweiflung  tämpfenben  ©chmeben  einen 
glänjenben  ©ieg  erfochten.  Xie  ruffifche  glotte  mürbe-  beinahe  00H* 
ftänbig  oernichtet;  fünfunbfünfjig  Schiffe  unb  fechdhunbertbreiunb* 
oier.^ig  Kanonen  fielen  ben  ©darneben  in  bie  £änbe.  3)iejer  ©ieg 
fefcte  ben  ftönig,  ber  bie  Unmöglichfeit  einfat),  mit  ben  erfchöpften 

42* 


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660 


Gräften  feine«  ßanbe*  ba*  Qitl  ju  erreichen ,  für  meldte*  er  ben 
ftrieg  begonnen,  in  ben  Stanb,  bie  #anb  $u  einem  ehrenoollen  3rie* 
ben  5U  bieten ,  unb  ba  auch  bie  &aarin  9cid)t*  fehnlicher  tounföte, 
al*  fich  mit  (Guftab  abjufinben,  um  freie  $anb  gegen  bie  Pforte  $u 
gewinnen,  tarn  am  14.  Äuguft  1790  ber  griebe  Don  SBärela  am 
ßumeneflufj  ju  Stanbe,  in  meinem  bie  ©renken  ber  beiben  ^eic^e,  toic 
fie  oor  bem  Au*bruch  be*  Kriege*  gemefen,  aufregt  gehalten  mürben. 

Obgleich  (Guftao*  ftücffehr  burch  glänjenbc  geftlichfeiten  ge* 
feiert  würbe,  fonnte  er  fich  nicht  oerhehlen,  ba&  bie  Stimmung  be* 
Bolfe*  eine  oeränberte  mar.  2)ie  ungeheuere  öermehrung  ber 
Sdmlbenlaft ,  bie  ber  übereilt  unternommene  ftrieg  jur  golge  ge* 
^obt,  mürbe  audfcr)lieglic^  feiner  föuhmfucht  jur  8aft  gelegt,  ber  er 
bas  3Bor>I  be*  SReic^cd  511m  Cvfer  gebraut  haue,  unb  bie  allgemeine 
Unzufriedenheit  burch  ba*  *8ünbni&  erhöht»  ba*  ber  Äönig  im 
Cftober  1791  mit  ber  Sjarin  fchlofj,  inbem  man  au*  bemfelben  bie 
Abficht  eine*  gemein f amen  friegerif djen  Unternehmen*  folgerte. 

3n  ber  Xfmt  trug  fid)  (Guftaü  mit  bem  (Gebauten,  in  (Gemein* 
fdjaft  mit  ber  djarin  bie  in$mifchen  ausgebrochene,  oon  SBeiben  in 
gleicher  SBeife  üerabjeheute  franjöfifche  9teüolutton  $u  befämpfen  unb 
bie  SJcacht  iiubtoig*  XVI.  heraufteilen,  —  ein  (Gebanfe,  ber  feinem 
unruhigen  ©hrgeifl  um  f°  öerlocfenber  erfchien,  al*  er  in  bem  Kampfe 
für  ben  unglücklichen  ftönig  oon  granfreich  eine  (Gelegenheit  ju  neuen 
ritterlichen  %i)akn  erblicfte.  2)ie  Wittel  $u  biefem  Unternehmen 
jolltc  ihm  ber  Reichstag  üerfdwffen,  ben  er  im  Januar  1792  nach 
(Gefle  ^ufammenberufen.  Auf  bemfelben  geigten  [ich  jebod)  aOe  Stänbe 
einig  in  einer  fo  entfehiebenen  Dooofüion ,  ba&  (Guftao  mit  feinem 
Eintrag,  für  eine  Anleihe  oon  jerjn  Willionen  Hullern  (Gemähr  ju 
leiften ,  bie  bei  SRufjlanb  $ur  Ausführung  genuffer  $läne  aufge* 
nommen  merben  foOte,  nicht  burchbringen  fonnte.  s.Uad)  taum  oier* 
wöchentlicher  Malier  hob  er  am  24.  gebruar  1792  ben  8teicb*tag 
mieber  auf,  nachbem  berfelbe  jur  Xilgung  ber  burch  ben  legten  $rieg 
entftanbenen  Schulben  einen  Xermin  oon  jehn  fahren  gefefct  hatte. 

Unterbeffen  mar  unter  bem  fchtoebifchen  Abel ,  beffen  ©rbitte* 
rung  feit  ber  $)erfte(lung  ber  abfoluten  &önig*gen>alt  burch  oen 
9teich*tag  dorn  v^atjre  1789  auf*  .v>ud;fto  gefteigert  morben ,  eine 
SBerfchtoörung  gegen  ba*  £eben  be*  ftönig*  $u  Stanbe  gefommen, 
an  beren  Spi(c  bie  trafen  $ora  unb  ÜRibbing,  ber  greifen*  Söielfe, 
ber  (General  s}kchlin  unb  mehrere  Anbern  ftanben,  unb  3a!ob  oon 
Anfarftröm,  ein  ehemaliger  (Garbeoffijier ,  ber  fid?  oon  (Guftao 
ungerechter  SBeife  prüefgefefet  glaubte,  hatte  bie  Ausführung  be* 
SNorbolan*  übernommen.  X\c  ocvbredjcriidje  Hjat  mürbe  in  ber 
9cad)t  oom  16.  jum  17.  2)cär$  auf  einem  Warfen  balle  in  bem 
Augenblicke  ooü^ogen,  mo  ber  Äönig  au*  feiner  £oge  in  ben  Saal 
trat.   Söäljrenb  eine  gro&e  Anzahl  üon  Wa*fen  ihn  oon  allen  Sei* 


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Stönemarf  unter  ©truenfee'«  (Staatttoermaltimg.  661 


ten  umringte,  traf  Um  ein  töbtlidjer  ©dju&  in  ben  dürfen.  @r  ftarb 
jmötf  Xage  fpäter,  am  29.  2flärj  1762  r  im  SUter  bon  fedjäunb* 
öierjtg  fahren.  $)ie  Mnorbnungen ,  bie  er  öor  feinem  (£nbe  jur 
$lufrechthaltung  be3  beftehenben  9tegierung8ftyftem8  getroffen ,  Der* 
ettelten  ben  $(an  ber  IBerfcbmorenen  jur  ^erftellung  ber  früheren 
SBerfaffung.  gür  ben  bierjehnjährigen  ©ofjn  ®uftat>&  III.,  ber  ate 
&  u  ft  a  ö  IV.  ben  fdjtuebifdjen  Xfjron  beftieg,  übernahm  fein  Oheim, 
ber  £>erjog  $arl  öon  ©übermanlanb ,  bie  9f  egentfdjaft ,  bie  er  bi& 
$um  3öftre  1796  fortführte. 

ÖJuftabS  Üttörber  SInrarfrröm,  ber  burch  ein  Sfteffer  oerrathen 
tuorben,  ba&  er  im  ©ebränge  r)atte  fallen  lajfen,  mürbe  jum  Xobe 
Derurtljeift  unb  am  29.  9lpril  1793  enthauptet.  $>a  feine  ftanb* 
hafte  Steigerung,  feine  SJcitfdfmlbigen  ju  nennen,  beren  Ueberführung 
unmöglich  machte,  famen  biefelben  mit  ber  ©träfe  ber  ßanbeSöer* 
loeifung  baoon. 

XXXVIII. 

$änemax&  unter  gtxuenfee'*  Sfaabtientmrtung. 

(1770—1772.) 

9cadfj  ber  ©eenbigung  be$  norbifdjen  ftriegeS  genoß  $änemarf 
ficbjig  3ö^rc  fang  *ine3  ungeftörten  griebenS.  2Bie  3  r  i  e  b  r  i  ch  IV. 
(1669 — 1730),  fo  Waren  auch  fane  Bciben  nächften  Nachfolger 
C^riftionVI.  (1730—1746)  unb  griebrich  V.  (1746—1766) 
n>of>Imeinenbe  dürften  ,  bie  Don  ber  ihnen  übertragenen  abfoluten 
&önig3gefralt  im  ©anjen  einen  gemäßigten  (Gebrauch  machten.  Tcm 
Setter en  ftanb  in  bem  trafen  Wartung  öon  53ernftorf  ein  tüchtiger 
SJcinifter  jur  ©eite,  welcher  burch  bie  SBahrung  be$  griebenä,  fo* 
ttrie  burch  eine  umfidjtige  unb  einfichtöüolle  ©taatsoerroattung  bie 
Ußohlfahrt  be3  £anbe$  förberte  unb  juglekh  für  bie  Unterftüfcung 
öon  #ünftfern  unb  belehrten  ©orge  trug. 

Sluf  griebrich  V.  folgte  im  Safjre  1766  fein  ftcbjcr)njär)rigcr 
©ohn  (£hrtftian  VII.,  ber  noch  *n  bemfetben  Satyre  mit  ber 
englifchen  Üßriitgeffbt  Caroline  SRathübe,  ber  ®cf)tuefter  be8  ®önig$ 
©eorg  III.,  öermähtt  tourbe.  5)a  bie  ©eifteSfräfte  be3  jungen  ®ö* 
nig3  burch  ein  jügeöofeS  ßeben  gefdjroächt  maren ,  ließ  ihn  Sern* 
ftorf,  ber  ade  ®ematt  in  $änben  behielt,  in  ben  fahren  1768  unb 
1769  eine  Steife  burch  5>cutfd)Ianbf  £>oöanb,  (Sngtanb  unb  Stauf* 
reich  machen ,  auf  welcher  ihn  ein  $eutfcf)er ,  Qofjann  griebrich 
©truenfee,  bisheriger  ©tabt*  unb  ßanbphijfUuä  in  Altona ,  als 
SReifearjt  begleitete.  Qm  3ahre  1737  ju  $>alle  als  ber  ©ohn  eine« 
*ßrebigerS  geboren ,  fjattt  ©truenfee  in  bem  bortigen  SBaifenfjaufe 


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662  $>3nemarf  unter  ©truenfee'3  (StaatSwitoaltung. 


feine  erften  ©tubien  gemalt,  mar  aber  burd)  bte  pietiftifdie  SRtaV 
tung  fetner  ©Kern  unb  ßehrer  auf  ben  entgegengefefcten  SBeg  beS 
Unglaubens  getrieben  roorben  unb  jaulte  feitbem  ju  ben  eifrigften 
Anhängern  ber  neuen  fran^öftfer/en  ^^ilofo^te.  $em  #ömg  mußte 
ftd)  ber  fdjöne ,  tebenSluftige ,  gemanbte  unb  geiffcretdje  SWann  fo 
unentbehrlich  ju  maa^en,  baß  ilm  berfetbe  nadj  ber  SBeenbigung  fei* 
ner  SReife  aU  Seibarjt  an  feinem  $>ofe  behielt.  #ier  erwarb  er  ftdj 
balb  audj  bte  ©unft  ber  Don  ihrem  ©emahfe  mit  großer  ßälte  be* 
Baubeiten  Königin  buret)  feine  eifrigen  unb  mit  drfolg  gefrönten 
Bemühungen,  ein  beffereS  93crr)ättni6  jttrifdjen  ben  beiben  ©Regatten 
herjufteflen.  (£r  mürbe  unter  bem  Xitel  eines  ®onferenjrathe3  junt 
JBorlefer  beS  Königs  unb  jum  ®abinet3fefretär  ber  Königin  ernannt 
unb  erlangte  batb  großen  SHnfluß  auf  bie  ©taatsoermaltung. 

9tadjbem  juerft  ber  bisherige  ©ünftling  beS  Königs,  ber  ®raf 
|>olf,  ber  r)auptfädjltrf)fte  ©egner  ber  Königin,  öom  $ofe  entfernt 
morben  mar,  tourbe  im  (September  1770  auch  ber  ®raf  SBernftorf  ent* 
laffen.  $n  bie  ©teile  be&  ©rfteren  trat,  als  ®efettfdwfter  beS  Königs 
unb  $ireftor  ber  $offeftlidjfeiten ,  ber  junge,  lebensluftige  Grneoolb 
©ranbt,  ein  Sreunb  ©truenfee'S.  $ie  ©teile  93ernftorf3  blieb  un* 
befefjt,  inbem  bie  Regierung  oon  nun  an  „au*  bem  Kabinette  be£ 
ÄöntgS",  b.  h-  burdj  ©truenfee  geleitet  werben  foHte.  Um  bte  öffent* 
Itcr)e  Meinung  über  bie  (Sntlaffung  beS  allgemein  geästeten  5Ktnifter$ 
ju  befchttridjtigen,  oeranlaßte  ©truenfee  ben  ®öntg,  burd)  einen  ®abt* 
net3befef)l  bie  SBüdjercenfur  aufzuheben  unb  eine  boflftänbige  $reß* 
freiljett  einzuführen.  Xa  ftcf)  ber  ©taatSrath  nidjt  fügen  moHte,  mürbe 
er  aufgelöst  unb  ©truenfee  am  14.  Quli  1771  jum  geheimen  ®abi* 
netSminifter  mit  fo  auSgebefmten  ©efugntffen  ernannt,  baß  er  ttjat* 
fäcc)(tcr)  ber  unbefdjränfte  £err  be$  SanbeS  mar.  ®abinet3befehle, 
üon  ihm  unterjetdmet  unb  mit  bem  föniglidjen  ßabtnetsfiegel  Oer* 
feljen,  follten  aud)  ofme  bie  Unterfdjrift  beS  Königs  oolle  ©tltigfeit 
^aben.  ©letdjaeitig  mit  ©trttenfee'd  Ernennung  jum  geheimen  Slabi* 
netSmintfter  erfolgte  feine  unb  SBranbtS  (Erhebung  ™  ben  ©rafenftanb. 

Qm  93efifce  einer  abfoluten  2)cad)töotIfommenheit.  begann  ©truen* 
fee  bie  Umgeftaltung  $änemarf$  nadj  ben  ®runbfätjen  ber  neuen 
'  ©taat$met$heit  burch  eine  roahre  gluth  oon  ©rlaffen,  bte  in  unglaub= 
lidjer  9tafd)hett  auf  einanber  folgten.  Sunacr)ft  hatte  er  bie  Slbfdmffung, 
totrflidjer  SOttßbräucfje  im  $luge,  unb  eS  laßt  fid)  nicht  leugnen,  baß 
er  ftet)  in  biefer  ©ejiehung  burdj  mehrfache  mirflicr)  jmedmäßige  2ln= 
orbnungen  um  5)önemarf  öerbient  gemalt.  Um  bte  fmanjieflett  $er* 
hältniffe  be$  SanbeS  burch  heilfante  ©rfparniffe  günftiger  ju  geftal= 
ten ,  mürben  oiele  überflüffigen  ober  als  überftüffig  angefehenen 
©eamten  entlaffen,  jahlreia^e  @totabengef)a(te  hcrabgefc^t,  bte  ftaat* 
Iia^en  Unterftufcungen  foId)er  ffabrtfen ,  bie  ficr>  nia^t  felbft  ju  er* 
halten  öermoajten ,  eingebogen  unb  bie  Domänen  nid)t  mehr  foft* 


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Stänemarf  unter  ©truenfee'S  6taat3t>ertt>altung.  663 

foiettg  Derwaltet,  fonbcm  einträglich  bedachtet.  $er  #anbel  mürbe, 
gleich  ben  bewerben,  freigegeben,  bie  Sanbrnirthfcrjaft  oerbeffert  unb 
baS  Srohnberoefen  befcr)ranft ,  ber  BolfSunterricht  gehoben,  baS 
©teuerroefen  bereinfadjt  unb  bie  Abgabenlaft  erleichtert,  Gleichheit 
öor  ben  Gerichten  eingeführt  unb  ber  NechtSgang  befcfjleunigt. 

©o  fct)r  jeboef)  auch  *>ie  nteiften  biefer  Neuerungen  geeignet 
roaren,  $änemarfS  28ohlfahrt  ju  förbern,  erwarb  ftcr)  bennodj  ©truen* 
fee  für  feine  umgeftaltenbe  Xt)ätigfeit  feinen  $anf,  weil  auch  er  im 
Eifer  beS  NeformirenS  BteleS  überftürjte  unb  babei  mit  einer  Nücf* 
fichtslofigfeit  ju  SSerfe  ging,  bie  man  it)m,  als  einem  emporgefom* 
menen  AuSlänber ,  boppelt  übel  nahm.  2Bie  er  bie  Beamtenmelt 
burch  bie  Nebuftion  ber  ©teilen  unb  ©ehalte  gegen  ftch  aufbrachte, 
fo  hofete  ihn  ber  Abel,  nicht  nur  »eil  {ich  berfelbe  burch  ihn  alles 
EinfluffeS  beraubt  fah ,  fonbem  mehr  noch  toegen  °er  Bemühungen 
beS  SNinifterS,  ihn  öom  §ofe  ju  entfernen  unb  jum  Aufenthalt  auf 
feinen  Gütern  $u  nötigen.  3>ie  Bürger  grollten  ihm  über  bie 
Aufhebung  beS  ßunftwefenS  unb  bie  gabrifbefifcer  fammt  ihren 
Arbeitern  über  bie  Entziehung  ber  ftaattichen  Unterftüfcungen. 

$er  allgemeine  Unwille  mürbe  erhöht  burch  ben  Umftanb,  baß 
©truenfee,  ber  beS  $änifdjen  nicht  machtig  mar,  bei  ber  Auäfer* 
tigung  aller  föniglichen  Befehle  bie  beutfehe  ©pradje  eingeführt  hatte, 
bie  bis  balan  nur  für  biejenigen  Erlaffe  in  Gebrauch  gemefen, 
welche  bie  beutfehen  <ßrobinjen  betrafen,  ©ährenb  er  burch  btefe 
Einrichtung  feinen  Gegnern  in  bem  oerlefcten  bönifchen  Nationalge* 
fühl  einen  mächtigen  BunbeSgenoffen  t>erfdt)afftc ,  gab  er  ihnen  51t* 
gleich  burch  feine  baS  ftttlicfje  unb  religiöfe  Gefühl  tief  berlefcenben 
Neuerungen  auf  bem  firdjlichen  Gebiet:  bie  Abfchaffung  bieler  geier* 
tage  fomie  ber  rtrchenpoltjeilichen  Aufficht  über  bie  ©itten  unb  bie 
Einführung  äu&erft  lajer  Grunbfäfce  in  Bejug  auf  bie  Ehe  unb 
bie  öffentliche  9floral,  woburdj  er  nicht  nur  bie  Geiftlichfeit  gegen 
fich  aufbrachte,  fonbem  auch  ben  Unwillen  aller  Beffergefinnten  ber 
bönifchen  Nation  erregte,  bie  fdjärfften  SBaffcn  in  bie  #anb,  unb 
balb  fah  er  feine  ©tellung  bon  allen  ©eiten  bebroht. 

Su  feinem  Unglücf  fehlten  bem  9ttinifter  biejenigen  Eigenfdjaf* 
ten,  beren  er  beburft  hätte,  um  ben  £>af$  feiner  Gegner  burch  bie 
Surcht  ju  jügeln :  in  fchwierigen  Berhältniffen  jeigte  er  fich  unent* 
fchloffen  unb  fehwaetj.  AIS  am  10.  September  1771  einige  fmnbert 
Sftatrofen  bon  ber  Slotte,  benen  ihr  ohnehin  üerfürjter  ©olb  nicht 
jur  rechten  Seit  ausgezahlt  worben,  in  brohenber  Haltung  bor  bem 
©chloffe  oon  £nrfchholm,  ber  Nefibenj  beS  Königs,  erfchienen  unb 
bie  Abstellung  ihrer  Bejchwerben  oerlangten,  flüchtete  ber  $of  nach 
bem  eine  halbe  Sttetle  entfernten  ©chloffe  ©Osenberg,  unb  nacrjbem 
es  bem  Süt)rer  eines  gegen  bie  Meuterer  abgefchieften  $5ragonerregi~ 
mentS  mit  leichter  2ftüf)e  gelungen  mar,  fie  jur  Nücffehr  nach  ber  ©tabt 


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664  $änemar!  unter  ©truenfee'*  StaatSöcroaltung. 

au  bewegen ,  lieg  ©truenfee  fte ,  ftott  ihre  Snfuborbination  ju  be* 
[trafen,  mit  ©ranntwein  bewirken  unb  bewilligte  ihnen,  au&er  bem 
fofort  ausgezahlten  rücfftänbigen  ©olb,  noch  eine  Sn^Qe.  ermutigt 
burch  biefe  ©chwädje  bes  SJcinifterS,  jogen  trierjehn  Tage  foäter 
einhunbertawan$ig  ©eibentoebergefeuen,  welche  burch  bie  ©infteflung 
ber  Arbeiten  in  ben  föniglichen  ©eibenfabrifen  brobtoä  geworben, 
nach  £>irfchholm  unb  forberten  ©rob.  $er  einge(chüchterte  2Jcinifter 
oerfpraä)  ihnen  ,  nicht  nur  bie  Sabriten  fortarbeiten  ju  taffen  ,  bis 
eine  anbere  ©efchaftigung  für  |te  gefunben  fein  »erbe,  fonbern  gab 
it)nen  auch  bier  Xage  fpäter  ein  geft  f  bei  welchem  fte  mit  Unren 
grauen  unb  Kiubern  reichlich  bewirket  würben. 

X)te  oon  ©truenfee  eingeführte  $ref?fretyeU  toerfchaffte  feinen  geht* 
ben  ©clegenheit,  ben  allgemeinen  Unwiüen  gegen  ifm  burch  heftige 
S)ni(ffc^riften  $u  fdjüren.  3nSbefonbere  trat  ber  #a|  gegen  ihn  in 
ber  gefliffentlich  unter  bem  ©otte  verbreiteten  ©efchulbigung  ju  Xage, 
baß  er  mit  ber  Königin  ein  ßiebeSöerhältniß  unterhalte,  ©ergeben* 
fudjte  er  burch  ^refebefchränfungen  ben  Angriffen  feiner  ®egner  eine 
©d)ranfe  ju  jie^cn :  er  erhöhte  baburch  nur  bie  allgemeine  (Erbitterung. 

3n$mifchen  gab  ber  König  immer  beutlichere  ©ewetfe  oon  ©e= 
banfenlofigteit  unb  ©ciftc^fcr^mäc^e.  (5r  jtnang  feine  Siebtinge ,  ficr> 
förmlich  mit  ihm  herum  ju  balgen,  unb  als  ©ranbt  barauf  nicht 
eingehen  rootttc ,  befdjulbigte  er  ihn  ber  geigbrit.  9luf  ©truenfee'S 
SRath  gab  ©ranbt  am  folgenben  Xage  bem  ©erlangen  beä  Königs 
nach  unb  brängte  ihn,  naebbem  er  ihn  beim  fingen  bertefct,  an  bie 
SBanb ,  wo  er  ihn  fo  lange  fefthiclt ,  bis  ber  König  felbft  bat ,  ihn 
loSjulaffen,  worauf  ©eibe  als  bie  beften  greunbe  Rieben. 

©truenfee  verhehlte  fich  nicht ,  ba&  eS  ihm  bei  ber  unöerfenn* 
baren  ©eifteS$errüttung  beS  Königs,  ber  üRiemanben  liebte  unb 
beffen  (Stonft  nur  auf  gurdjt  ober  bem  ©ebürfnifj  nach  öerftreuung 
unb  rinbifcher  Unterhaltung  beruhte,  in  feiner  gefährlichen  Stellung 
an  jeber  fixeren  ©tüfee  fehle ;  aber  er  fudjte  bie  fich  ^m  aufbrän« 
genben  bangen  Ahnungen  burch  neue  ©ewaltfcbritte  ju  betäuben, 
benen  nichts  Ruberes  51t  (Srunbe  lag,  als  feine  unüberwinbliche 
SfceuerungSfucht.  9lm  21.  $)e$ember  1771  erfchien  ein  KabinetS» 
befeljl,  welcher  bie  Sluflöfung  ber  föniglichen  Seibgarbe  ju  gu§  — 
einer  angefet)encn,  aus  fünf  Kompagnien  Norwegern  beftehenben 
©chaar  —  unb  bie  ©ertheilung  ber  ÜHannfcbaft  unter  öerfchiebene 
anbere  Regimenter  verfügte.  §113  biefer  ©efehl  bem  auf  bem  2Karft* 
plafce  verfammelten  Korps  eröffnet  unb  hierauf  bie  gähne  eingejo* 
gen  unb  t)in  weggetragen  mürbe ,  entftanb  ein  allgemeiner  31  uf ruht. 
Unter  bem  (Sefcbrei :  ,,$ie  gähne  gehört  uns ;  mir  haben  $u  ihr 
gef Comoren.  SGBir  motten  fie  behalten  ober  oerlangen  unfern  $tb* 
[tfu'eb !"  jogen  bie  (Sarben  nach  bem  ©chloffe,  ftiefjen  ba£  Xhor  ein, 
verjagten  bie  ©olbaten  ber  SBadje  unb  befefoten  biefelbe. 


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Stönemarf  unter  ©truenfee'«  Staatsverwaltung.  665 


D&gletch  bic  Aufruhrer  burdj  herbeigeholte  pflichttreue  Xruppeu 
umjingelt  rourben,  roagte  eS  ©truenfee  nicht,  mit  üftachbrud  gegen 
fie  öorjugehen ;  er  ließ  trielmefjr  förmlich  mit  if)nen  unterhanbeln 
unb  benriüigte  irrnen  nicf}t  nur  ben  geforberten  Abfcfjieb,  fonbem 
gemattete  ihnen  auch,  ihre  Uniformen  $u  behalten,  unb  fagte  aufeer- 
bem  jebem  t>on  ihnen  ein  ©efdjenf  öon  bret  fReichSthalern  ju.  ÄlS 
bie  (Sterben  am  folgenben  Xage  ben  SBeg  nach  ihrer  ,§etmath  ein* 
fdjlugen,  gaben  if)nen  zahlreiche  SSoIfä^aufen  ba&  ©eleite,  roobei  ber 
$öbel  ©djimpfmorte ,  31ücf;e  unb  $rofmngen  gegen  ©truenfee  aus* 
ftief?.  $er  ®ommanbant  Don  Kopenhagen,  ber  mit  einigen  Offizieren 
herbeigeeilt  mar ,  um  bie  9flenge  ju  jerftreuen,  rourbe  oom  ^ferbe 
geriffen  unb  feine  Begleitung  öerhöfjnt  unb  mißhanbelt.  gür  ba3 
©dndfal  ber  Königin  beforgt,  roarnte  ber  englifdje  ©efanbte  Dberft 
^cttl)  ben  Sttinifter  öor  bem  Abgrunbe ,  an  beffen  SRanbe  er  Inn* 
ging,  unb  rietrj  ihm,  Kopenhagen  ju  oerlaffen  unb  ftet)  nad)  @ng-- 
lanb  ju  begeben ;  ©truenfee  mied  jeboer)  biefen  Sftath  mit  ber  (SrfTä* 
rung  jurücf,  baß  er  auf  feinem  Soften  ju  bleiben  entfchloffen  fei, 
unb  lieg,  um  ju  jeigen,  ba§  er  feine  Surcfjt  fenne,  am  9.  Januar 
1772  ben  4>of  nach  ber  Jpauptftabt  jurüdf  ehren. 

£ier  roaren  unterbeffen  bie  gäben  ju  einem  Ste&e  gefponnen 
roorben,  burch  roeldjeS  ber  SWtniftcr  $u  ©oben  geworfen  roerben  foHte. 
$ie  öerroittroete  Königin  Suliane  SWarie,  ^riftian^  VII.  ©tief* 
mutter,  eine  braunfa)n)eig'fa)e  ^ßrinjefftn,  Ijatte  fidj,  erbittert  über 
bie  Sernadjläffigung,  bie  fie  am  £>ofe  erfuhr,  fomie  über  bie  3urüd* 
fe(jung  il)re8  achtzehnjährigen  ©ormeS  griebridj,  mit  be3  fieberen 
ehemaligem  $ofmetfter,  bem  KabinetSfefretär  ©ulbberg,  fonrie  mit 
bem  (General  oon  Ätanjau,  bem  Sriegäfommiffär  ©eringSftolb,  bem 
Dberften  Völler  unb  bem  (Generalmajor  oon  (Sidftäbt  jum  ©turje 
©truenfee'*  unb  ber  oon  it)r  mit  bem  gleiten  £affe  oerfolgten  Kö* 
nigin  öerbünbet ,  unb  ber  oon  ben  SBerfcfjtoorenen  ju  biefem  Stoede 
entroorfene  tßlan  follte  nach  einem  für  ben  17.  Januar  angefefcten 
^ofbaö  ftur  Ausführung  gebraut  roerbeu.  21m  SBorabenbe  beäfelben 
befam  ber  mit  ©truenfee  befreunbete  Stanjau  9teue  über  feinen  93et* 
tritt  ju  ber  SSerfdjroörung,  ju  meinem  ihn  bie  Nichtbeachtung  feiner 
Tarnungen  oon  ©eiten  be3  ÜttinifterS ,  fonrie  bie  Ueberjeugung  be= 
mögen  hotte,  ba&  ftdj  berfelbe  nicht  lange  mehr  fyaitzn  fönne.  Um 
ben  ©ebrohten  $u  retten,  befdjlofj  er,  ihm  burch  feinen  Araber,  ben 
3uftijrath  ©truenfee,  ben  ber  SRinifter  oon  einer  Sßrofeffur  an  ber 
ßiegnifcer  SRitterafabemie  nach  $>änemarf  berufen  unb  im  ginanj* 
fache  angeftcllt  hatte,  eine  SBarnung  jutommen  ju  laffen ;  er  fanb  ben- 
felben  jeboa^  nicht  ju  §aufe ,  unb  fein  ber  5)ienerfchaft  gegebener 
Auftrag,  ihrem  £>erm  ju  melben ,  er  laffe  ihn  bringenb  bitten,  fo* 
gleich  8U  5U  kommen,  meil  er  ihm  wichtige  ütttttheilungen  ju 
machen  fyabz,  mürbe  öon  biefem  nicht  beachtet. 


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666  Dftnetnarf  unter  Strucnfee'Ä  StaatSoerwaltimfl. 


ftadjbem  bcr  £>ofbalI  um  jmei  Ufjr  HRorgenS  &u  ©nbe  gc- 
gongen,  befefrte  ©icfftäbt,  ber  bie  SBad>e  im  ©djloffe  fatte,  äffe  flu* 
gange  beäfelben ,  mäfjrenb  bie  übrigen  SBerfdjmovencn  burdj  eine 
gefjeime  I^ure  in  ba«  ©crjlafgemadj  be*  Äönig&  orangen,  um  bem* 
felben  burdj  6infcr)ucr)terungen  bie  jur  Stu&fuhrung  ifyrefc  ^ßlancä 
nötigen  Söefefyle  ju  entreißen,  ©ie  erflärten  tfjm,  fte  feien  gcfom= 
men,  um  Um  unb  ba«  ßanb  au«  einer  grofjen  ©efa^r  ju  retten, 
unb  legten  i^m  babei  jmei  Rapiere  jur  Unter jeieftnung  öor ,  öon 
benen  ba*  eine  bie  Ernennung  CrtcfftäbtS  jum  Äommanbanten  öon 
flopenfjagen  enthielt ,  unb  ba*  anbere  ben  Dberften  ßöfler  beöoll* 
mäa^tigte ,  im  Vereine  mit  (Sicfftäbt  jebmebe  jur  Errettung  be$ 
ftönig*  unb  be&  ßanbeS  notf)tt>enbige  2Ra&regel  ju  treffen,  «Radjbem 
ber  bcfrürjte  flönig  in  feiner  flngft  beibe  Rapiere,  olme  fle  gelefen 
ju  fmben,  untertrieben  Imttc,  mürbe  er  mit  leic&ter  SJtüfK  baftn 
gebraut,  audj  bie  ton  bem  ^rinjen  Sriebrid)  aufgefegten  SBerljaft«* 
befehle  für  ©truenfee,  ©ranbt  unb  brei^efm  iftrer  «nljänger  $u 
unterjeidmen  unb  an  feine  Gkmaljlin  ein  franiöfifebeä  £>anbbiHet  ju 
treiben,  beä  3nl>alt$:  „$>a  fte  feinen  guten  9iatf)f«lagen  niajt 
ijabe  folgen  motten  ,  liege  bie  ©dmlb  niebt  an  tym ,  wenn  er  ftcfj 
öerpflid)tet  ffiljle,  fie  naefj  Bonenburg  führen  ju  taffen."  Götter 
übernahm  bie  Serfmftnng  ©truenfee'*,  ©itfftäbt  bie  ©ranbt*.  £er 
©rftere  ergab  fict)  obne  SBtberftanb,  ber  fiebere  fefcte  fid)  $ur  SBefjr, 
mürbe  aber  balb  übermältigt.  $13  bie  Königin  ba«  jpanbbiHet  be$ 
Sifönig«  gelefen,  ba$  SRanjau  Ujr  überbradjt,  mollte  fie  ju  i^rem 
©emaf)le  eilen ;  fte  mürbe  jebod)  jurürfge^alten  unb  nad)  öer$roeif= 
lungSöofler  ©egenme^r  ofmmädjtig  in  einen  Söagen  gehoben,  ber  fie 
nad)  Bonenburg  braute. 

$113  fidj  am  folgenben  SWorgen  bie  ftunbe  Don  ben  Vorgängen 
ber  SRadjt  in  Kopenhagen  öerbreitete,  ftrömte  ba3  33olf  unter  lautem 
3ubelgefdjrei  nad>  bem  ©djlo§plafce  unb  brachte  bem  König,  ber  mit 
feiner  ©tiefmutter  auf  bem  ©alfon  erfdnen,  ein  frürmifaje«  £ebe* 
ijod).  9cod)  größer  mürbe  ber  3ubel,  als  ber  König,  feftlidj  geftet* 
bet,  mit  feiner  ©tiefmutter  unb  bem  $rinjen  Sriebrtdj  in  einem 
feaj^fpännigen  ©aöamagen  burdj  bie  ©tragen  fuhr.  ÖtebanfenloS 
fah  er  mit  ftumpffinnigem  Saasen  auf  ben  $öbel,  ber  ben  SBagen 
jie^en  rooGtc,  mä^renb  fein  ©tiefbruber  fia)  nad)  allen  ©etten  grü* 
|enb  neigte.  SDttttagS  um  jmei  U^r  empfing  ber  ®ünig  mit  feiner 
©tiefmutter  unb  feinem  ©tiefbruber  in  feierlicher  Sour  bie  6Jlücf= 
münfaje  be&  W>tU,  unb  am  ^(benb  mar  bie  §auptftabt  mie  naa? 
einem  errungenen  ©iege  glänjenb  erleuchtet. 

3n$ttrifd)en  maren  ©truenfee  unb  ©ranbt  in  bie  ©itabelle  gc* 
bracht  unb  bort,  mit  ferneren  Letten  belaftet,  an  bie  SBanb  irjrcd 
Werfers  gefcbloffen  morben.  3"^  ^Iburt^eilung  be3  ©rfteren  mürbe 
eine  Äommiffion  öon  je^n  9Jhtgliebern  eingefe^t,  öor  meldjer  er 


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Sfönemarf  unter  Strucnfec'«  Stflatsoetttmlhmg.  667 


nach  fünfmöchentticher  fernerer  $>aft  fein  erfteS  «erhör  ju  beftehen 
hatte.  Mngettagt  war  er  eine«  s2lnfcr>Iag«  auf  ba«  Seben  be«  ftönig«, 
fotoie  ber  2lbft^tr  benfelben  $ur  SUeberlegung  ber  ffrone  $u  jwingen, 
femer  eines  ftrafbaren  «erhältniffe«  $u  ber  tfönigm,  einer  fehlechten 
SBehanblung  unb  (grjiehung  be«  Ifronprinjen  unb  enblich  be«  2Rtfc 
brauch«  ber  burch  Slnmafmng  erlangten  2Imt«gewatt.  $ie  beiben 
erften  Anflogen  Waren  wiberftnnig,  ba  ja  ©truenfee'«  ganje  9Jcacrjt 
allein  auf  beut  ftönig  beruht  hatte ;  ben  Sronprinjen  aber  hatte  er 
nach  9touffeau'ö  Hbhärtung«foftem  erlogen,  unb  §war  mit  bem  beften 
Erfolge ,  ba  er  baburch  be«  «Prinzen  fchwächlichen  Körper  fichtlict) 
gefraftigt  hatte,  unb  loa«  ©truenfee'«  ©taat«üerwaltung  anbelangte, 
fo  ftüfctc  ftdj  biefe,  wa«  aud)  immer  gegen  biefelbe  mit  Stecht  öor* 
gebracht  werben  fonnte,  auf  bie  it)m  bon  bem  ftönig  übertragene 
atfadjt.  $ie  einjige  Slnflage,  welche  eine  S3erurtf>eüung  be«  2Rini= 
fter«  herbeiführen  fonnte,  betraf  fein  9Sert)äItni6  jur  Königin,  unb 
gerabe  in  biefem  fünfte  legte  6truenfee ,  roaf)rfd>einlid)  burd>  bie 
2lnbrot)ung  graufamer  golterqualen  gefajrerft  unb  wohl  auch  in  ber 
Hoffnung,  burch  bie  SBerwtcflung  ber  Königin  in  fein  ©c^ieffat  fein 
Seben  ju  retten,  ein  ®eftänbni&  ab,  welche«  bie  @hre  biefer  unglüd* 
liehen  gürftin  ihren  fchabenfrohen  geinben  prei«gab,  obgleich  fein 
einziges  B^ugniß  für  it)rc  ©djulb  beigebracht  werben  fonnte. 

3m  ©efifce  be«  fchriftlichen  SBefenntniffe«  ©truenfee'«,  begaben 
fta)  bie  Äommtffarien  nach  ßronenburg  jur  Königin.  Obgleich  man 
fie  burch  bie  oerfanglichften  fragen  ju  oerwirren  fuajte,  wiberfpract) 
ftc  ber  2lu«fage  ©truenfee'«  auf  ba«  (Sntfdjiebenfte ;  al«  ihr  jeboch 
einer  ber  Äommiffarien,  ber  greiherr  Don  ©d)ad*  föathlom,  bemerfte, 
bafj,  Wenn  fie  bie  2Bar)rt>cit  be«  ÖJeftänbniffe«  ©truenfee'«  in  tlbrebe 
fteüe,  biefen  für  feine  fajmadjüolle  Söerleumbung  bie  quafooßfte 
Xobc«frrafe  treffen  werbe,  erbla&te  fie  unb  fragte,  ob  ein  93efennt= 
ni&  oon  ihrer  ©eite  ben  llnglüdlidjen  retten  fönne.  3)a  fie  in  ben 
SJcienen  ber  ftommiffarien  bie  Bejahung  biefer  Srage  ju  lefen 
glaubte,  ergriff  fie  bie  geber,  um  bie  ihr  oorgelegte,  ba«  ©eftänbnifj 
ihrer  <Sct)utb  enthaltenbe  ©djrift  ju  unterjeichnen.  ©djon  hatte  fie 
bie  erften  Söuchftaben  ihre«  tarnen«  gefchrieben,  at«  ein  höhniferje« 
Sädjeln  ©chad«  fie  irre  machte :  fchaubemb  warf  fie  bie  Seber  hin* 
weg  unb  fanf  ohnmächtig  in  ihren  ©effel  jurüd.  ©d)ad  aber  legte 
ber  Söewufjtlofen  bie  Seber  wieber  in  bie  £>anb  unb  bollenbete,  bie* 
felbe  führenb,  ihre  9camen«unterfchrift. 

Huf  ©runb  biefer  Urttcrfct)rift  würbe  am  2.  Styrit  1772  bie 
@hc  be«  ßönig«  burch  eine  h*cr5u  ernannte  ftommiffion  gelöft,  ber 
©runb  ber  Trennung  jeboch  in  bem  Urteile  öerja^miegen.  @in 
Weitere«  Vorgehen  gegen  bie  Königin  mürbe  burch  0*c  Drohungen 
be«  englifchen  ©efanbten  oerrnnbert.  dagegen  erfolgte  am  25.  2lpril 
gegen  bie  ©rafen  ©truenfee  unb  ©ranbt  ber  ©pruch,  baß  93eibe 


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$>Qnemcirf  unter  'StaatÄDcrwaltung. 


ihrer  (Sfjfen,  SBürben  unb  ®üter  entfefet,  t§rc  SBaffen  jerbrochen, 
t>ie  rechte  $anb,  bann  ber  #opf  ihnen  abgehauen  unb  ihre  Äörper 
gebiertheilt  unb  aufs  föab  geflochten  werben  fotiten.  Ä13  #aupt* 
grunb  mar  bei  ©truenfee  ein  „großem,  tobeSWürbigeS  ©erbrechen 
gegen  bie  SRajeftät  beS  Äönig«,"  bei  ©ranbt  bie  ©ettjeiltgung  an 
©rruenfee'S  öerwerflicheu  ©eftrebungen ,  fowie  baS  ©erbrechen  ber 
9J?ajcftät$beleibigung  angeführt,  „begangen  baburä),  baß  er  ftch  an 
be$  tfönig*  geheiligter  ^erfon  vergriffen."  SMefeS  Urtt)cil  würbe  t>on 
bem  Äönig  ohne  3°9crn  unterzeichnet  unb  am  28.  tfprtl  1772  in 
feiner  ganzen  Strenge  Donogen,  ©eibe  ©erurtheilten  ha^en  ftch 
Wätjrenb  ihrer  fehleren  ($efangenfchaft  aufrichtig  ju  bem  oon  ihnen 
Dorher  öerleugneten  d^riftenglauben  befet)rt  unb  erlitten  ben  lob 
mit  großer  ©tanbhaftigfeit  unb  frommer  (Ergebung  in  ihr  ©chicffal. 

5)ie  übrigen  befangenen  Würben  tfjeilS  mit  ?lemteroerluft,  tt)eil$ 
mit  ßanbeSöermeifung  beftraft  Unter  ben  ßefcteren  befanb  ftch 
©truenfee'S  ©ruber,  für  welchen  ftch  Sriebrich  n.  öerroenbet  hörte. 
$)erfelbe  fehrte  in  feine  frühere  ©teile  nach  ßiegntfc  jurücf,  würbe 
aber  fpäter  bon  griebrich  II.  mit  mehreren  wichtigen  Remtern  be- 
traut  unb  ftarb  1804  als  preu&ifcher  ÜRtnifter. 

$)ie  geriebene  Königin  oerlief},  nach  einer  jwifchen  bem  bani* 
fdjen  unb  bem  engUfcf>en  $ofe  getroffenen  Uebereinfunft,  am  30.  2Rat 
tfcänemarf  unb  begab  fidj  nach  $>annooer,  wo  fte  ba&  Schloß  (Seile 
fcezog.  $ier  ftarb  fie,  hothberet)rt  wegen  ihrer  werktätigen  ERenfdjen* 
liebe,  am  10.  Sftat  1775,  im  Älter  oon  breiunbjwanjig  3a^rcn»  ora 
gebrochenen  $er$en. 

3n  3)änemarf  hatten  ftch  bie  ©erfchworenen  nach  &€m  ©turje 
©truenfee'S  auS  eigener  S)?achtDoQfommenheit  ju  einem  geheimen 
©taatdrath  unter  bem  ©orftye  beS  ^rtnjen  gfriebrich  conftituirt  unb 
alle  ©ehörben  angewiefen,  ©efcljle  mit  ber  Unterfehrift  be3  Königs 
nur  bann  ju  beachten,  wenn  fte  oon  ihnen  gegengezeichnet  feien.  $)a 
ber  $rinj  felbft  ein  unbebeutenber  2Kenfch  war,  würbe  fein  ehema* 
liger  $ofmeifter  ©ulbberg  bie  ©eelc  ber  neuen  Regierung.  3nbeffen 
würbe  oon  ©truenfee'S  Einrichtungen,  infofern  burch  biefelben  3Äi§s 
brauche  abgefchafft  worben,  ©ieleS  beibehalten. 

©on  ben  sJQZitgliebem  ber  ©erfchwörung  behaupteten  ftch  nut 
(SJulbberg  unb  (Sidfftäbt  eine  9ceit)e  oon  3<*hrcn  in  ^rer  neuen  ©tel* 
lung ;  bie  übrigen  würben  in  Sfolge  eingetretener  «SerWürfntffe  rafch 
befeitigt.  5luch  (Sicfftäbt  unb  Oulbberg  erhielten  im  Slpril  1784 
ihren  Slbfchieb,  als  ber  Kronprinz  Biebrich,  Dcr  ©ot)n  ber  Königin 
Caroline  9Jcati)ilbe,  bie  S^Ö^  ocr  Regierung  ergriff,  bie  er  bis  jum 
3ahre  1808  für  feinen  ©ater,  bann  als  ftöntg  3fr ieb rieh  VI. 
bis  p  feinem  Xobe  (1839)  führte. 


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3>er  norbamcrifanif^e  8frei^ctt8frieö.  669 


XXXIX. 

Per  ttori>amerißamf<$e  äftetyeifefttieg. 

(1775-1783.) 

SBäljrenb  in  Ghiropa  bie  alten  ©taat3einrid>tungen  Don  oben 
fjerab  geanbert  unb  bie  (Srunbtagen  jeber  ftaatlidjen  Drbnung  burd} 
eine  oon  ben  gürften  felbft  begünftigte  neue  ^Uofop^ie  untergroben 
Würben,  bie  fid)  jugleidj  bie  SSernuttung  ber  geoffenbarten  Religion 
jum  Siele  gefefct  ,  oofljog  pcf)  jenfeitä  be3  DceanS ,  im  Horben  ber 
„neuen  SBelt,"  eine  Umtoaljung,  meiere  auf  bie  alte  SBelt  mit  nidjt 
geahnter  Sföadjt  jurütfnnrfen  foHte :  —  bie  Kolonien  ber  (Snglänber 
riffen  fid)  lo$  öon  bem  SJfutterlanbe  unb  bereinigten  fid)  ju  einem 
großen  republifanifdjen  ©taatenbunbe. 

$ie  erfte  englifcfye  Kolonie  mar  in  fRorbamerifa  unter  ber  Kö= 
nigin  (Slifabetf)  gegrünbet  tuorben,  nacfjbem  2Baltf)er  SRaleiglj  im 
3a§re  1586  ba3  Küftenlanb  an  ber  (£f)efapeaf=*öai  unter  bem  ta- 
rnen SSirginien  für  bie  tone  (Snglanb  in  53cfife  genommen; 
biefe  Slnfieblung  ging  jebodj  balb  mieber  ju  ©runbe.  (Srft  unter 
Qafob  I.,  ber  im  %af)xt  1606  einer  in  £onbon  jufammengetretenen 
§anbelafompagnie  ba$  fianb  $nrifd)en  bem  30.  unb  40.  ©rab  nörb* 
lieber  ©reite  (SSirginien) ,  baä  jtoifdjen  bem  40.  unb  46.  ©rab 
(9^eu=@nglanb)  bagegen  einer  £>anbelägefeß|dwft  ju  ^ßlnmoutf)  jur 
Kolonifirung  öerlier) ,  führten  §anbeläfpefulationen  ju  bauernben 
Slnfieblungen  in  jenen  ÖJegenben.  ÜRadjbem  foroofjl  in  9teu=(£nglanb 
als  in  SSirginicn  fefie  9iiebertaffungen  gegrünbet  morben,  naljm 
3afob  I.  bie  ben  beiben  £>anbel3gefeüfdwften  ausgepeilten  greibriefe 
jurücf  unb  erteilte  ben  Änfieblern  bie  dichte  freier  (Snglänber. 

Sßolittjdje  unb  religiöfe  Unbulbfamfeit  führte  roäljrenb  ber  unter 
Karl  I.  begonnenen  inneren  kämpfe  ben  norbamerifanifdjen  Kolo- 
nien eine  große  Qafy  neuer  Wnfiebler  ju,  bie  jenfeitö  be»  £)cean£ 
Sdmfc  fugten  oor  ben  Verfolgungen,  benen  fie  fidj  in  ber  £>eimatlj 
aufgefegt  fa^en.  2)ie  republifanifcb,  gefinnten  Puritaner  manbten 
fidj  I)auptjärf)Ud)  nad)  ÜReu  (Suglanb,  wo  bereite  im  3a§rc  1621 
oou  ifjren  @)lauben3br übern  bie  mistige  Kolonie  9)2affaa)ufett§ 
gegrünbet  tuorben  mar,  bie  Königlichen  unb  .£>od)f irdjlidjen  bagegen  oor= 
jugätueife  nad)  SBirginien.  .frier  grünbete  ber  jur  f atfjoltfdjen  Kirdje 
übergetretene  Sorb  Baltimore,  melier  oon  Karl  I.  ben  nörb* 
liefen  Xljeil  bon  SBirginien  als  erbltdjea  ©igentfmm  erhalten  Ijatte, 
bie  Kolonie  SJcarölanb,  in  melier  fortan  bie  oerfolgten  englifd)en 
Katfjolifen  eine  fixere  3uflud>t«ftätte  fanben.  3m  3af)re  1 682  mürbe 
burdj  ben  Duäfer  SBifliam  Sßenn  (f.  ©.  179)  bie  balb  §u  fjol)er 
Sölütye  emporfteigenbe  Kolonie  ^ennftolbanien  gegrünbet. 


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I 

SBä^rcnb  ein  %\>t\l  ber  «uStoanberer  ftdj  in  ben  am  SReere  gc* 
grüubeten  ©täbten  nieberlie&,  bic  hauptiäd)lia}  burd)  ihren  Serfe^r 
mit  ben  glibufHern  —  Abenteueret  au*  allen  Kationen,  roclc^e 
fich  auf  einigen  ber  Heineren  toeftinbifchen  3nfeln  fcftgefefct  Ratten 
unb  im  ftebje^nten  Qahrfmnbert  gegen  bie  fpanifäen  ©djtffe  unb 
Kolonien  einen  großartigen  SRäubcrfrieg  führten  —  jiemlidh  rafdfr  \ 
emporblüf)ten,  brangen  VInbere  tiefer  in  ba*  Üanb  hinein,  um  fidj 
in  ben  Störungen  ber  Urtoälber  anjubauen,  wo  pe  große  SBalb* 
ftreden  theil*  bura)  geuer,  thcil*  mit  ber  2lrt  au*robcten.  SHcfe 
fiefcteren  Ratten  fernere  kämpfe  mit  ben  ebenfo  graufamen  aU 
lifttgen  gnbtanern  ju  beftehen,  für  welche  fie  als  bie  »tauber  ihrer 
Sagbgrünbe  ein  ©egenftanb  be*  grimmigften  $affe*  waren,  «ber 
bie  nur  mit  SBogen  unb  fleule  bewaffneten  inbianif^en  Säger  Oer* 
motten  Wicht*  gegen  ba*  geuergewetjr  ber  SBeißen,  mie  gegen 
beren  überlegene  pfjofifdK  Itraft,  Slu*bauer,  Klugheit  unb  rütffidjtä* 
lofe  «nfprüche;  bat)er  bezeichnet  ba*  «orbringen  ber  englifchen 
stoiontjatton  in  ycoroamenra  ein  jtete*  ioertreioen  uno  xserniajten 
ber  3nbiancr,  bie  in  ©nglanb  feinen  gürfprecher  fanben,  ber  it)re 
<Sad)e  oor  bem  Xfjrone  oertreten  hätte,  wie  ber  eble  ßa*  (£afa*  bie* 
für  ihre  ©rüber  im  ©üben  gett)an  fyatte.  SBäfyrenb  bie  3nbianer  ben 
oorbringenben  englifchen  «nfieblern  ba*  gelb  räumen  mußten,  wur*  ( 
ben  in  ben  fübltchen  ^roüinjen,  feitbem  bie  engltfche  Regierung  auf* 
gehört  hatte,  bie  $eportirten  $ur  ©flaoenarbeit  in  ben  Kolonien  Oer* 
toenben  $u  (äffen,  ftegerfflaoen  eingeführt,  mit  welchen  bie  (Jnglän* 
ber  bamal*  einen  äußerft  geminnreichen  §anbel  trieben. 

3)ie  englifchen  Kolonien,  beren  3al>l  fich  bei  bem  Sluäbruch 
be*  Unabhängigfett*friege*  auf  breijehn  belie}1),  toaren  t^eild  rein 
bemofratifche,  wie  namentlich  bic  in  9ccu=(£nglanb,  tt)eü*  oon  ber 
m roue  angelegte,  in  welche  ba*  in  (Englanb  ^errfa)enbe  ariftofra* 
ttfehe  (Clement  oerpflan^t  worben  (SMrginien,  9cew*$orf,  bie  beiben 
Carolina,  9lew*3erfeö,  Georgia)  theil*  aua^  ^runb^errenfolonien, 
wie  SRarntanb  unb  ^ennfoloanien.  Vlüe  Kolonien  aber  befagen 
bad  englifa^e  9fted)t,  bie  englifa^e  freie  (JJemeinbc=  unb  SBegirt&oer« 
faffung,  unb  feitbem  im  Jaljre  1719  unter  @eorg  I.  bie  SB^ig« 
Regierung  bie  (&runb()errenoer()ättniffe  aufgehoben  hatte,  beruhte  bie 
Sßerfaffung  fammtlia^er  Kolonien  auf  bemorratifa)er  (&runblage.  VLn 
ber  ©pi^e  ber  Regierung  ftanb  in  jeber  Kolonie  ein  (Stauoerneur 

1)  Sirgintcn  (1607);  9*e»»f)or!  (1614  Don  ben  ^oaänbern  aegrünbet, 
1664  oon  ben  enalttnbern  erobert;  9Ra[fac$ufett3  (1621);  «cjo^ainpf^ire 
(1623  toloniftrt,  anfang*  ein  Xtpil  oon  S»affad)ufett«,  feit  1679  felbftftftnbige 
Äolonie);  TOarolanb  (1632),  Äonncttifut  (1635  oon  SRaffadjufettS  au#  folo* 
nifirt);  ^obe=3«lanb  (1638);  ftorfejfarolina  (1650);  Süb^acolina  (1670); 
2)elan>are  (1638  oon  ben  S^meben  unb  $onOnbem  foloniftrt,  1662  oon  ben 
©nglftnbem  erobert);  Wero^erfeo  (1623  oon  ben  §ottünbcrn  tolonifirt,  feit 
1664  englifö);  «ßenn|oloontcn  (1682)  unb  Georgia  (1733).  I 


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*)er  noroameruam|aje  tfreityettörrteg. 


al*  ©tellberrreter  beä  flöntg* ;  ba*  Obernaus  war  burch  einen  Stath, 
ba*  Unterhaus  burch  eine  bon  ben  ©ürgern  gewagte  SBerfamm* 
lung  öon  Stepräfentanten  oertreten.  $ie  föniglichen  Remter  wur* 
ben  jeboch  meift  mit  eigentlichen  (Snglänbern  befefct.  Sluch  geftattete 
Englanb,  ben  ©runbfäfcen  ber  alten  Äolonialpolitif  getreu,  feinen 
norbamerifanifdjen  Kolonien  nur  mit  bem  SJiutterlanbe  einen  ööüig 
freien  95crf c^r ;  bie  Ausfuhr  öon  Siohprobuften  nach  fremben  ßän* 
bern  unterlag  grojjen  ©efchränfungen,  unb  bie  Einfuhr  öon  folgen 
aus  fremben  Sänbern  mar  gänzlich  öerboten. 

$a  Snglanb  ben  fiebenja^rigen  Ärieg  mit  Sranfreidt)  ^anpt- 
fäd)lich  im  3ntereffe  feiner  norbammfanifdjen  Kolonien  unternommen 
unb  baS  Ergebni&  beSfelben  —  ber  Erwerb  Eanaba'3  —  fie  öon 
ber  gefährlichen  Siähe  ber  ^ranjofen  befreit  hatte,  tyttt  ftet)  bie 
engüfct)e  Regierung  für  berechtigt,  bie  Kolonien  burch  bie  «ufer* 
legung  einer  inbireften  ©teuer  in  einem  geroiffen  SSerhältniffe  ju  ben 
fefjr  bebeutenben  tfriegäfoften  heranzuziehen,  unb  belegte  be&fmlb  im 
3at)re  1764,  mit  3uftimmung  be*  Parlaments,  öerfdjiebene  $an* 
beläartifel  mit  einem  Eingängen ;  auch  führte  fie  im  folgenben 
3at)re  eine  ©tempelfteuer  ein.  (Segen  93eibe3  proteftirten  bie  Pro* 
üinjtal="$arlamente  ber  Kolonien,  inbem  fte  bem  Parlamente  bed 
SJcutterlanbeS,  in  welchem  fie  nicht  oertreten  waren,  ba*  Siecht  be= 
ftritten,  eine  neue  ©teuer  einzuführen,  unb  als  Englanb  auf  bem 
beftanb,  wa3  e£  als  fein  Siecht  anfat),  befchloffen  bie  Stäube  ber 
einzelnen  Kolonien  auf  einer  SSerfammlung  ju  Siew^orf,  fidj  ber 
©tempeltare  nicht  311  fügen  unb  bie  Einführung  zollpflichtiger  SBaaren 
nicht  zu  geftatten. 

Xurd)  ben  einmütigen  SBiberftanb  ber  Kolonien  gefdjrecft,  zog 
ba$  englifche  Parlament  im  3at)re  1766  bie  Stempelafte  zurüd, 
erflärte  jeboch  babei  audbrücflich,  bafj  ihm  bad  Siecht  zur  öefteuerung 
ber  Kolonien  zuftcljc,  unb  belegte,  um  biefeS  Siecht  zu  betätigen,  im 
Sahre  1767  ben  Xhee,  fomie  @laä,  Rapier  unb  Malerfarben  mit 
einem  geringen  Eingängen,  beffen  Ertrag  für  bie  ftefolbung  ber 
englischen  Beamten  in  ^merifa  beftimmt  mürbe.  Xro|  ber  Oering« 
fügigfeit  be$  feftgefefcten  Solle«  fügten  fich  bie  Ämerifaner  nicht,  weil 
fie  ertannten,  bafj  e3  bem  englifchen  Parlamente  nur  barum  zu  tt)un 
mar,  fein  Söefieuerungärecht  aufrecht  ju  galten,  unb  bie  heftigen 
Debatten,  bie  in  bem  englifchen  Parlamente,  befonberS  im  Unter* 
häufe,  über  bie  Siechtmä&igfeit  ober  #mecfma&igfeit  ber  ben  #olo« 
nien  auferlegten  neuen  Steuern  geführt  mürben,  fonnten  fie  nur  in 
ihrem  SBiberftanbe  beftärfen. 

5)ie  in  ben  Kolonien  herrfchenbe  gereizte  Stimmung  trat  zuerft 
in  SRuheftörungen  zu  SBofton,  ber  #auprftabt  öon  2Jcaffachufett3,  zu 
Sage.  2113  bie  dotteinnehmer  eine  mit  SDlabeiramein  belabene  Sdja* 
luppe,  bie  einem  fehr  beliebten  SJianne  gehörte,  wegen  falfcher  2ln* 


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672  $cr  norbamerüanifcfc  8rrcü>it3frteg. 

gaben  in  ©efdjlag  nahmen  unb  burdj  bic  ©efafcung  eine«  im  #afcn 
tiegenben  SriegäfchiffeS  unter  bie  Kanonen  be8  gollhaufe*  bringen 
liegen,  entftonb  ein  allgemeiner  Auflauf,  wobei  e«  öon  ©eiten  be* 
SSolfeS  ju  ©ewaltthätigfeiten  gegen  bie  Üotlbeamten  fam.  $ie$  gab 
bem  Parlamente  $eranlaf[ung,  ein  partes  ©trafgefefc  £einrich3  VIII.r 
nach  Welchem  $>ochoerrath,  aufeertjalb  beä  deiche*  begangen,  in  Eng* 
lanb  unterfucht  »erben  foflte,  mieber  in  tfraft  $u  fefcen,  obgleich 
jahtreiche  9Jcitglieber  barauf  ^ingetniefen,  ba&  biefeS  ®efefc  auf  bie 
norbamerifanifchen  Kolonien  feine  Anmenbung  pnben  fönne,  inbem 
ju  ber  Seit,  in  welcher  ba$felbe  erlaffen  warben,  noch  gar  feine 
iiDer]eeiicöen  viniteoiungen  oe]tanoen  natten. 

#atte  fdjon  biefe  SRa&regel  unter  ben  tfoloniften  eine  tiefe 
Erbitterung  wachgerufen,  fo  würbe  biefelbe  noch  gefteigert  burch  bie 
riitfficf)t3lofe  ©eljanblung,  bie  ihrem  ©efchäftaträger  in  fionbon,  bem 
in  allen  Kolonien  h«"h  angef ebenen  ©enjamin  granflin,  $u  Xr)eil 
würbe,  tiefer  berühmte  SRann  (geb.  1706  ju  ©ofton,  al«  ber 
©ofm  eine*  unbemittelten  ©eifenfieberS),  ber  3nr)aber  einer  bebeu= 
tenben  ©uchbrueferei  in  tytylaMpfya,  ber  fich  burch  bie  ÖJränbung 
Dieter  gemeinnüfcigen  Anftalten,  inäbefonbere  auch  burch  feine  ©e* 
mühungen  für  bie  £ebung  be3  Solfäunterricht«,  um  fein  Saterlanb 
unb  burch  eifrige  ©tubien,  bie  Um  auf  bie  ©rfinbung  be3  ©lifcab* 
leiterS  geführt,  um  bie  SBiffenfajaft  öerbient  gemacht  unb  öon  ber 
englifa)en  Regierung  junt  ©eneralöoftmeifter  aller  amertfamfehen 
Kolonien  ernannt  worben,  mar  bei  ben  junehmenben  WlifätüiQUittn 
$nnfd)eii  ben  Kolonien  unb  bem  üftutterlanbe  Don  SDcaffadmfettS  unb 
mehreren  aubern  $roöin$en  nach  fionbon  gefanbt  worben,  um  bei 
ber  Regierung  bie  fechte  feine«  SBaterlanbe*  ju  üertr)eibigen,  wie 
er  bie«  bereit«  früher  mit  ebenjobiel  (Sntfchiebenheit  ati  ®efd)id  in  SBort 
unb  ©djrift  getfmn  hatte,  ftachbem  ed  ir)m  gelungen  mar,  fich  in  ben 
©efifc  ber  ©ertchte  be«  Statthalter«  öon  TOaffacr^ufettd  ju  fefcen,  in 
welchen  ber  englijehen  Regierung  (Bewaltmafjregeln  gegen  bie  #olo* 
nien  empfohlen  mürben,  hatte  er  biefelben  naa)  Amerifa  gefchuft, 
worauf  ber  ©taat  öon  2Haffadjufett3  in  einer  an  ben  ftönig  gerich- 
teten ©orfteßung  um  bie  Abberufung  be«  Statthalter«  gebeten  hatte. 
3n  biefer  Angelegenheit  öor  ben  geheimen  föattj  geforbert,  mar 
Sranflin  öon  bem  fltonanwalt  als  Aufruhrer  behanbelt  unb  al«  ber 
erbittertfte  unb  gefährlichfic  geinb  ©nglanb«  bezeichnet  worben. 

Snjwifchen  hatte  fich  in  golge  be«  (Sntfchluffe*  ber  Amerifa- 
ner,  feinen  Ztyt  mehr  au*  @nglanb  ju  begehen,  in  ben  SBorrath«* 
haufem  ber  oftinbifchen  Kompagnie  eine  fo  beträchtliche  Dftenge  bie- 
fer  SBaare  aufgehäuft,  bog  bie  ©efellfchaft  ftch  erbot,  ben  boppel- 
ten  2lu*gang«joll  ju  §ahlen,  wenn  bie  Regierung  bafür  ben  ante* 
rifanifchen  eingang^oll  aufhebe.  2)ie  Regierung  lehnte  jwar 
biefen  Antrag  ab,  weil  fie  ihr  ©efteuerungärecht  burchfe^en  Wollte, 


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$er  norbamerifanifäe  f>rci^cit«fricg. 


673 


hob  aber  bagegen  im  Safere  1773  burch  bie  fogenannte  „X^ecafte" 
für  allen  nach  ben  englifchen  SRteberlaffungcn  in  Wmertfa  ju  fen* 
benben  %tyt  bic  Stuäfu^rjöae  auf,  in  ber  Hoffnung,  burch  bic  grö* 
§crc  SBo^IfelQpeit  beS  2lrtifelS  bic  Slmerifaner  jutn  Slnfauf  beSfel* 
ben  -\u  üerlocfcn  unb  auf  biefem  SSegc  bic  inbireftc  Slnerfennung 
if)reS  VcfteucrungSrechteS  jit  erlangen.  $ie  Kompagnie  fanbte 
hierauf  eine  Wn^l  bon  $f)eefduffen  nach  Hmerifa.  £ier  hatte 
man  jebod)  Sorge  getragen,  bie  SluSfdn'ffung  berfelben  $u  Dermin» 
bern.  ©urd)  3eitungen  unb  glugfchriften  mar  an  alle  #afenftäbte 
bie  Slufforberung  ergangen,  bie  $fjeefd)iffe  nicht  einlaufen  ju  laffen, 
„roeil  fie  mit  ben  Seffeln  belaben  feien,  bie  ©ro&britannien  für  bie 
Kolonien  gefchmiebet",  unb  Qeber,  ber  auf  irgenb  eine  2lrt  ba^u 
behilflich  fein  werbe,  mürbe  mit  ber  furdjtbarften  föaaje  bebroht. 
2ÜS  beffenungeachtet  mehrere  Sfjeefduffe  unter  bem  Sdjufce  ber  eng* 
lifdjen  ^riegSfchiffe  in  ben  £afen  bon  Vofton  einliefen,  brängte  fiefj 
eine  Slnjahl  bewaffneter  £eute,  bie  als  Ettofjarof^nbianer  berflei* 
bet  waren,  auf  biefelbeu  unb  warf  bic  ganje  Labung  <tytz  —  adjt* 
äefmtaufenb  f  funb  —  inS  SBaffer.  (18.  $ej.  1773.)  Die  Solge  biefeS 
©emaltafteS,  ber  in  (Snglanb  eine  ungeheuere  Aufregung  Ijerüorrief, 
mar  ber  @rla&  eines  ParlamentSbefchluffeS,  burch  melden  bie 
Sperrung  beS  §afenS  bon  Vofton,  foroic  bic  Vefchränfung  ber  ber* 
faffungSmägigen  Freiheiten  bon  SRaffachufettS  berfügt  mürbe. 

2US  biefe  Parlamentsafte  in  ben  Kolonien  befannt  gemorben, 
befdjloffen  fämmtüa^e  Probinjen,  allen  $anbclSberfehr  mit  bem 
Sttuttertanbe  aufju^eben,  bis  biefelbc  jurücfgeaogen  fein  merbc.  Qnx 
Herbeiführung  eines  einmütfngcn  gufammengehcnS  murbc  bie  SU* 
bung  eines  aus  ben  Vertretern  aller  einzelnen  Probinjen  beftehenr 
ben  ÄongreffeS  bereinbart,  beffen  burd)  Stimmenmehrheit  gefaßte 
Vefdjlüffe  allgemein  giltig  fein  foOten.  $ie  ©rgebnifje  ber  33c* 
ratfjungen  biefeS  ftongreffeS,  ber  am  4.  (September  1774  ju  Phila* 
belpfjia  eröffnet  mürbe,  befunbeten  nicht  nur  bie  öoöftänbigfte  @inig* 
feit  unter  ben  Kolonien,  fonbem  auch  baS  Vewu&tjein  ber  in  biefer 
©inigfeit  liegenben  $raft.  9iaa^bem  bie  Verfammlung  ben  Vejchlufc 
gefaxt,  baß  bon  einem  gemiffen  ßeitpunftc  an  fomohl  bie  Einfuhr 
englijeher  SSaarcn,  als  aua)  bie  SluSfufjr  amerifanifcher  Probufte 
nach  ©nglanb  aufhören  foüte,  erliefe  fie  Sufchnften  an  ben  $önig, 
an  baS  englifchc  unb  an  baS  amerifanifche  Volt  unb  an  bie  Probinj 
(Sanaba,  morin  fie  erflärte,  bafj  bic  Kolonien  feine  anberen  «ßweefe 
berfolgten,  als  bie  SBahrung  ihrer  alten,  mohlcrmorbcncn  fechte  gegen* 
über  ben  (Singriffen  beS  Parlamentes  unb  ber  englifchen  Regierung. 

28ie  in  bem  früheren,  fo  waren  auch  in  bem  $u  Slnfang  beS 
3ahreS  1775  jufammengetretenen  neuen  Parlamente  bie  Stimmen 
über  baS  gegen  bie  Kolonien  einjufchlagenbe  Verfahren  gethctlt. 
Viele  riethen  jur  Sftäfjigung,  inSbefonbcre  ber  alte  SBUüam  Pitt, 

fcolatoartfc,  SJeltgeidjidjte.  VL  43 


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674 


9>er  norbamerifamfdje  greiheit&frieg. 


ber  trofc  feine«  ferneren  ©idjtleiben«  beim  ^Beginne  ber  norbameri* 
fanifchen  Unruhen  im  3a^rc  1766  nochmal«  bic  93ilbung  eine« 
üflinifterium«  übernommen,  feine  ©rette  al«  ßorb-©tegelbemahrer 
jeboch  im  3af)re  1768  toegen  junehmenber  Ifräuftichfeit  niebergelegt 
unb  nur  {einen  ©ifc  im  Dberfmufe  behalten  hatte,  in  melche«  er  mit  bem 
Xitel  ÖJraf  oon  (£^atam  eingetreten  mar.  2luf  eine  ifrücfe  geftüfct,  er* 
fchien  er  in  ber  $arlament«oerfammIung,  um  mit  bem  ganjen  geuer 
feiner  Söerebtfamfeit  bie  Regierung  oor  oerhängnifjoollen  abgriffen 
ju  roarnen.  „9Jcülorb«,"  fprach  er,  „fo  wenig,  al«  ich  mir  an= 
maßen  fönnte,  ©ie  mit  biefer  $rücfe  öor  mir  her$utreiben,  fo  un* 
möglich  ift  e«,  Slmerifa  $u  erobern."  Slber  bie  SJcinifter  tooHten 
Slmerifa  &u  ihren  güfeen  feljeu,  unb  ba«  Parlament  ging  auf  ihre 
SBünfc^e  ein.  9ta$bem  eine  neue  $3iII  ben  brei^elm  ^roöinjen  allen 
Söerfe^r  mit  (Snglanb  unterfagt  unb  ihr  ©igenthum  al«  oerfallen  an 
bie  $aper  —  bie  Beamten  Oon  ©einer  Sflajeftät  ®ricg«fchiffen  — 
erflärt  hatte,  mürbe  im  Dl  tober  1775  ber  SBefd>lu§  gefa&t,  bie  re* 
bcKifct)cn  f  olonien  mit  SBaffengemalt  jum  ©ehorfam  aurücfjuführen, 
ju  biefem  ämeefe  aber  frembe  Xruppen  in  ©oib  ju  nehmen,  „bamit 
bem  engüjdjen  (Seroerbfleifje  nicht  ju  öiele  #änbe  entzogen  mürben." 
Slußer  bei  Regierung  oon  #annooer,  bie  ber  englifdjen  ein  anfet)n* 
liehe«  Sruppenforp«  jur  Verfügung  fteflte,  liegen  ftch  bie  gürften 
oon  ©raunfefnoeig  unb  £)effen;®affel  bereit  finben,  fechaefmtaufenb 
ihrer  Untertanen  an  ©nglanb  al«  ©ölbner  ju  oerfaufen. 

Unterbeffen  Ratten  in  ben  Kolonien  bie  geinbfeligfeiten  bereit* 
begonnen.  2ü«  bie  Nachricht  eingelaufen  mar,  bajj  ba«  englifa^e  Sßar(a* 
ment  eine  ftfte  erlaffen  habe,  burch  meiere  alle  ©infu^r  oon  SBaffen 
unb  #rieg«oorräthen  in  bie  brei^elm  Kolonien  oerboten  mürbe,  hatte 
man  fidj  in  ©rmartung  eine«  gemaltfamen  Zugriff«,  511m  beroaff* 
neten  Söiberftanb  gerüftet.  3n  äRaffachufett«  maren  jmölftaufenb 
sJJcann,  meift  ajcilijen  jufammengebra^t  unb  bei  Soncorb  große 
$rieg«oorräthe  aufgehäuft  morben.  Um  biefe  aufgeben,  rücfte  ber 
S\im  (Statthalter  oon  SDiaffadmfettö  ernannte  englifche  ©eneral  ®age, 
ber  ben^afen  oon  SBofton  hatte  bef eftigen  laffen,  gegen  ©oncorb  oor; 
er  mürbe  jeboch  am  18.  Slpril  1745  bei  Serington  oon  ben 
amerifanifchen  SRiligen  angegriffen  unb  mit  JBerluft  jurücfgefchlagen. 

5)iefer  erfte  ©ieg  erhöhte  bie  allgemeine  Jöegeifterung  für  ben 
greiheit«fampf  j  felbft  bie  Ouäfer  griffen  ju  ben  SBaffen.  Qvl  ihrem 
©l  iiefe  hatten  bie  $lmeritaner  einen  Sföann,  bem  fie  mit  bem  oott* 
ften  Vertrauen  bie  ßeitung  be«  Kriege«  übertragen  tonnten.  (£« 
mar  bie«  ber  bereit«  früher  (®.  458)  ermähnte,  burd)  unerfchütter* 
liehe  töeMidjfeit  unb  glühenben  greiheit«finn  ausgezeichnete  ©eorg 
SS af hington  (geb.  1732  ju  ©nbge^Steef  in  ber  ©raffcr)aft 
Söcftmoorelanb  in  SBirginien,  oft  ber  ©ohn  eine«  reiben  ^ßflanjer«), 
ber  fich  in  bem  fiebenjährigen  Stieg  ©ngtanb«  gegen  granfreich  d§ 


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3>er  norbamerifamfdje  ftreif)eit3frteg. 


675 


tüchtiger  3üf)rer  bewährt,  ober  nodj  wäfjrenb  ber  3)auer  beafetben 
bie  militärifdje  Saufbaljn  aufgegeben  unb  feitbem  auf  feinem  ©ute 
9flount  SBernon  in  SBirgtnien  gelebt  Ijatte,  bi*  er  oon  feinen  2anb** 
Ieuten  jum  Vertreter  SBirginien*  auf  bem  Kongreß  öon  *ßf)ilabelpf)ia 
ermaßt  mürbe. 

$8on  bem  Kongreß  an  bie  ©pifce  ber  amerifanifa^en  ®rieg3* 
madjt  gefteflt,  entfaltete  SBaffjington  bie  umfidjtigfte  unb  einftdjt** 
üotlfte  Xfyätigfett,  junäcfjft  in  ber  ^Bewältigung  ber  jafjtretdjen 
©djwierigfeiten  feine*  9lmte*.  $)a  ber  2)ienft  im  Äampfe  für  bie 
SRedjte  ber  Kolonien  ein  freiwilliger  war  unb  überbie*  bie  Sßro* 
üinjiatoerfammlungen,  um  ben  Bürger  nidjt  im  ©otbaten  aufgeben 
ju  (äffen ,  bie  Xruppen  in  ben  erften  ®rieg*jaljren  naefj  Ablauf 
einer  gewiffen  Seit  wieber  nadj  £>aufc  jurücffdjren  ließen,  war  bie 
Slufredjtfjaltung  ber  $rieg*ju<$t  unb  bie  2(u*bilbung  eine«  frieg*-- 
tü artigen  £>eere*  eine  äußerft  fdmnerige  Aufgabe.  $aju  !am  bie 
93erfdjiebenf)ett  ber  jum  Kampfe  oerbunbenen  SBölfer fünften  ,  bie 
einauber  tfjeil*  fremb,  tt)eitd  fetnb  waren,  unb  bie  Sftannigfaltigfeit 
ifyrer  s2(nfa^auungen  unb  Sntereffen,  woburd)  in*befonbere ,  ba  ber 
Kongreß  feine  Steuern  au*fcf>reiben  burfte  unb  fidj  auf  bie  öu*gabe 
öon  ^ßapiergelb  befdjränft  fafy,  beffen  #rebit  burdj  feinen  ©erneut* 
finn  aufredet  erhalten  würbe,  bie  ©efefjaffung  ber  nötigen  ©elb* 
mittel  auf  bie  größten  ©djwierigfetten  ftieß.  STud)  fehlte  e*  nidjt 
au  einer  föniglid)  gefinnten  Partei,  bie  überall  $>emmniffe  ju  be* 
reiten  bemüht  war. 

£ro|j  biefer  ungünftigen  SSerpltniffe  gelang  e*  ber  Umfielt 
unb  ©ef)arrlid)feit  SBafljington* ,  ba*  buntgemifdjte ,  ungeübte  £>eer 
fo  rafdj  in  bie  ©emofmfjeit  be*  Kriege*  $u  bringen,  baß  ber  ©ene* 
rat  ©age  bie  auf  ber  9lnl)öl)e  öon  93unfer*fjiU  bei  SBofton  Oer- 
fdjanjten  Äolonialtruppen  erft  nadj  einem  breimaligen  oergeblidjen 
Angriff,  bei  welkem  bie  (Snglänber  mefyr  at*  taufenb  2ftann  Oer* 
loren,  au*  ü)rer  Stellung  oertreiben  fonnte  (15.  Quli  1775). 

Qnjwifdjen  waren  SBerftärfungen  au*  ©ngtanb  unter  ben  ©ene* 
raten  $ome,  SBourgotme  unb  Clinton  in  SBofton  angefommen;  fte 
würben  jebodj  al*balb  bort  oon  SBaföington  eingefdjloffen  unb 
litten,  ba  bie  Xruppen  mit  ädern  9cotfjwenbigen,  felbft  mit  ^ßferbe* 
futter  unb  ©teinfo^len ,  au*  (Snglaub  üerfef)en  werben  mußten, 
wäljrenb  be*  SBiuter*  oon  1775  unb  1776  ben  fdjrecfüdrften  Langel. 
$ennorfj  matten  bie  englifdjen  Generale  feinen  i8erfudj ,  fidj  au* 
iljrer  mißlichen  Sage  ju  befreien;  erft  nadjbem  ©enerat  (Stege  nad) 
©nglanb  $urücfgefefjrt  war,  befdjloß  ber  ©eneral  £>ome,  fein  Sttadjfolger 
im  Oberbefehl,  SBofton  311  räumen,  unb  braute  biefen  dntfdjluß 
am  16.  2Rär$  1776  jur  2lu*füf)rung.  SReue  3ujüge  au*  (Snglanb 
erljöfjten  balb  ba*  englifc^e  #eer  auf  bie  ©tarfe  oon  breißigtaufenb 
3#ann,  unb  ba  ba*felbe  nunmehr  bem  amerifanifdjen  an  3af>l  K>eit 

43* 


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67G 


Ter  norömnerifanifcfjc  iVvcitjcit-Sfriefl. 


übcrteflcn  fear ,  errang  e$  über  ba*  ledere  mehrfache  Sortheile. 
£ie  Wmertfaner  mu&ten  mit  einem  Serlufte  oon  breitaujenb  üWann 
Song  3^nb  räumen  r  unb  bie  Stabt  9cem*?)orf  mürbe  Don  ben 
Qrnglänbern  fcejefet.  Xrofcbem  oerlor  ber  Kongreß,  ber  feinen  Si& 
oon  ^P^Uabelp^ta  nach  Baltimore  oerlegt  tyattt ,  ben  9fluth  nicht; 
er  erflärte  oielmehr  am  4.  3uli  1776  bie  norbamerifanifchen  #olo* 
nien  für  einen  unabhängigen  unb  fouoeränen  Staat.  $tefe  (5r- 
flärung  mar  jmar  urfprünglich  nur  oon  fiebert  ^roüinjen  ausge- 
gangen ;  bie  fedjS  übrigen  traten  jebodj  berfelbeu  fdjon  nach  wenigen 
lochen  bei,  unb  am  4.  Oftober  1776  erfolgte  bie  förmliche  ÄonfrU 
tuirung  beö  amerifanifchen  Staatenbunbe*. 

Unterbeffen  tjatte  ftch  Söafhington,  ber  burch  bie  erlittenen 
SRieberlagen  in  ber  Ueberjeugung  beftärft  worben,  bafe  er  mit  fei= 
nem  jehwachen,  fehlest  organiftrten  £eere  nicht  im  Stanbe  fei,  bie 
feinbliche  Uebermacht  ju  bewältigen,  unb  ba&  ber  Sieg  nur  burd) 
gebulbigeS  3lu3horren  unb  oorfichtigeä  Qauberu  ju  erringen  fei, 
barauf  befdjränft,  ben  geinb  $u  beobachten  unb  ihn  burd)  gefdnefte 
Bewegungen  irre  $u  fuhren,  um  ben  Moment  $u  erfoähen,  wo  er 
i^m  burch  Ueberrafchung  eine  töieberlage  bereiten  tonne.  3u  ®nbe 
^ejember  1776  ging  er,  als  sporne  fein  Jpeer  in  bie  ©interquar* 
tiere  audeinanber  gelegt  hotte,  über  ben  zugefrorenen  Delaware  unb 
nahm  am  26.  Dezember  bei  X  r  e  n  t  o  n  eine  Wbtheilung  Reffen  — 
taufenb  ©emeine  mit  breiunbjwanjig  Offizieren  —  gefangen;  zehn 
£age  fpäter,  am  3.  3<miiar  1777  ,  gelang  ihm  baä  bleiche  mit 
einer  anberen  Wbthetlung  bei  $rincetown. 

Sticht  minber  glürflidjc  Solgen,  al*  bieje  mit  ebenfooiel  Kühn- 
heit als  Ueberlegung  aufgeführten  Unternehmungen,  bura)  welche 
ber  gefunfene  3ttuth  ber  Vlmerifaner  wieber  aufgerichtet  würbe, 
hatte  bie  Sludbauer ,  mit  welcher  äöajfnngton  in  einem  befeftigteu 
Siager  ju  2)corri$town ,  ben  Wufforberungen  Jpowe'ä  $ur  Schlacht 
wiberftehenb,  mit  achttaufenb  SRann  ein  engtifched  jpeer  oon  breijjig* 
taufenb  äNann  in  Unthätigfeit  tyitlt.  &13  £owe  enblich  gegen 
s4$l)ilabelphia  aufbrach,  jah  fich  SBafhington  genitttugt,  ihm  borthin 
§u  folgen  unb  ihm  am  Sluffe  söranbnwine  am  11.  (September 
1777  eine  Schlacht  anzubieten,  bie  jum  9tad)theil  ber  $lmerifaner 
enbete  unb  bie  (Sinnahme  oon  ^ß^itabelpr^ia  bura)  bie  (Jnglänber  jur 
Solge  hatte,  dagegen  Würbe  ber  englifche  General  sBourgoune, 
ber  oon  (£anaba  auf  in  ba$  3nnere  oon  sJteW-Öorf  bis  jum  ^>ub- 
fon  oorgebrungen  war,  nach  einer  am  7.  Oftober  1777  gegen  ben 
(General  (Stoteä  erlittenen  Sttteberlage,  bei  S  a  r  a  t  o  g  a  fo  oollftanbig 
eingejchloffen ,  bafj  er  fia)  am  15.  Dftober  mit  bem  SRefte  feine* 
$eered  gefangen  geben  mufjte. 

2)iejer  Unfall  oerjehaffte  ber  Jriebendpartei  im  englifchen 
Parlamente  bie  Oberhanb,  unb  bie  englijehen  sJ)ttnifter  cntjchloffen 


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$er  noibamerifamfdje  &reU)ett*frieg. 


677 


fidj  um  fo  rafdjer ,  bie  £anb  jur  2lu*fül)nung  ju  bieten ,  al*  bie 
Spaltung  ber  fran$öftfd)en  föegterung  iljnen  bte  ernfteften  ©eforg* 
tuffe  einflößte.  8eit  bem  beginne  be*  norbamerifanifajen  Sreiljeit** 
friegeö  hatte  bte  ©aaje  ber  Slmerifauer  in  Sranfreicf)  bie  regften 
©mnpatfn'en  gefunben,  weniger  au*  £>a§  gegen  (Snglanb,  al*  au* 
SBorliebe  für  bie  feit  mehreren  Qafjrjeljnten  oon  ben  mortfüf)ren* 
ben  ©djöngeiftern  gepriefene  republifanifdje  <Staat*form.  SBie  bie 
franjöfifdjen  ©eeftäbte  in*gehetm  bie  Slmerifauer  mit  SBaffen  unb 
®rteg*oorrätf)en  unterftüfcten ,  fo  eilten  begeifterte  Scanner ,  unter 
ifmen  ber  äWonjigjährige ,  für  bie  €>ad)e  ber  greifjeit  glüfyenbe 
9flarqni*  ton  Safatjette,  au*  einem  ber  ebelften  (SJefdjledjter  Sranf* 
reidj*,  ber  ®raf  Sftodjambeau  unb  bie  beiben  (trafen  #ametf),  nadj 
Slmerifa ,  um  unter  SBaffnngton*  gafme  für  bie  llnabfjängtgfeit 
ber  Kolonien  $u  fämpfen,  ein  ißeifpiel,  bem  audj  bte  Sßolen  JÜo** 
ctu*fo  unb  $ulam*ft  unb  bie  beutfdjen  Marone  bon  (Steuben  unb 
oon  #alb  nachfolgten.  SGBenn  audj  bie  fran&öfifdje  Regierung  bte 
<&efinnungen  ber  Söeoölferung  be*  ßanbe*  bejüglidj  ber  norbameri* 
fanifdjen  Kolonien  nidjt  tfyeilte,  fo  trat  fie  bod)  ben  Äunbgebungen 
berfelben  nidjt  entgegen,  weil  fie  in  ber  ©ajäbigung  ber  Qntereffen 
Gmglanb*  eine  Sörberung  be*  eigenen  SBortfyeil*  faf). 

©ajon  im  3af)re  1776  war  gvanflin  mit  unbefdjränften  33ofl* 
machten  be*  Äongreffe*  $um  Slbfajluß  eine*  ©ünbniffe*  mit  ber 
franjüfifdjen  Regierung  naa)  ^ßari*  gefommeu,  unb  ber  fa)ltd)te 
Slmerifaner,  ber  nid)t  nur  burdj  fein  offene*,  gerabe*,  mit  amerifa* 
nifd)er  ©d)laul)eit  gepaarte*  Auftreten  unb  fein  republtfanifdj  philo* 
fophifdjc*  SBefen  bie  ©ntljufiaften  au*  SRouffeau'*  ©djule  entjürfte, 
fonbern  audj  in  feiner  einfad&en  £anbe*trad)t  unb  feinen  ungepuber* 
ten  paaren  ber  oorne^men  SBelt  ein  neue*,  ungewohnte*  ©chaufpiel 
barbot,  hatte  in  $ari*  bte  ehrenoollfte  Aufnahme  gefunben.  3)ie 
franjöfifdje  SRegierung  trat  jebodj  au*  ihrem  ©djmanfen  erft  tyxatö, 
a(*  bie  ämerifaner  ihr  burd)  ben  bei  ©aratoga  errungeneu  (Srfolg 
gleidjfam  ein  Unterpfanb  für  ben  glütfltdjen  2lu*gang  be*  Kampfes 
gegeben  Ratten.  s2lm  6.  gebruar  1779  fam  ju  $ari*  ein  23ünbni& 
$wtfd)en  granfreiö)  unb  Mmerifa  ju  ©tanbe,  worin  Subwig  XVI. 
)\d)  oerpfliajtete,  ben  norbamerifanifdjen  3freiftaat  fo  lange  ju  unter* 
ftüjjen,  bi*  (Snglanb  beffen  Unabhängigfeit  anerfannt  Imbe. 

$er  2lbfd)luf$  btefe*  SBünbutffe*  bereitete  alle  3lu*föf)nung*= 
uerfua^e  (Snglanb*:  in  bem  Bonner  ber  Kanonen,  womit  in  ben 
Kolonien  bie  Jöerbtubung  mit  Sranfrcid)  gefeiert  würbe,  ging  ber 
3rieben*ruf  be*  2Wutterlanbe*  unter.  3m  englifdjen  Parlamente 
waren  S3icie  ber  ^Infia^t,  ba&  e*  ba*  föatfjiamfte  fei,  bie  Unab- 
Ijängigfeit  ber  Kolonien  bebingung*lo*  anjuerfennen  unb  alle  Xrup* 
pen  au*  2lmerifa  jurürf^ujtehen ;  ber  bie*be5üglta^e  Antrag  würbe 
jebod)  auf  ba*  @ntfa)iebenfte  oon  demjenigen  befampft,  ber  bi*  ba* 

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678  $er  norbamerifcmifdje  frreihettSfricg. 


hin  immer  mifben  unb  nachgiebigen  9Jcagregeln  gegen  Slmerifa 
geraten  hatte,  oon  SBifliam  <ßitt.  $er  greife  Staatsmann  fonnte 
ben  ©ebanfen  nicht  ertragen,  bag  bie  Kolonien,  für  beren  ©e* 
hauptung  unb  SBofjlfahrt  er  ben  fiebenjährigen  Stieg  mit  3ranf= 
reich  mit  fo  meiern  ftufwanb  oon  S3e^arrlid)feit  unb  ®efct)tcf  ge= 
leitet,  für  (gnglanb  oerloren  feien  unb  bem  oon  ihm  fo  fefpr  ge* 
jagten  granfreid)  ber  Xriumph  bleiben  füllte,  burd)  fein  ©ünbnig 
mit  benfelben  biefen  «erluft  befiegelt  $u  haben.  SBanfenben  Schritt 
teS,  auf  feinen  Sibam  unb  feinen  Sofm  geftüfct,  erfchien  er  am 
7.  2lpril  1778  im  Parlamente,  um  mit  faft  fterbenber  Stimme 
eine  feurige  Siebe  ju  galten,  bie  mit  ben  SBorten  fdjlog:  „Sluf, 
lagt  uns  fampfeu,  fallen,  wenn  es  fein  mug,  unter  ben  Prummern 
bcS  EatcrlanbeS!"  2tl#  er  jum  ^wetten  Wale  auffielen  wollte,  um 
bem  trafen  9tichmonb  ju  antworten,  ber  jenen  Antrag  gefteOt,  fiel 
er  in  Oljnmadjt  unb  mugte  nach  Jpaufe  getragen  werben.  Grinen 
SKonat  fpäter,  am  11.  2Rai  1788,  ftarb  er,  in  feinem  fiebjigfteu 
ßebenSjahre.  2öie  wenig  er  in  ber  merjätjrigen  ruhmvollen  ßeitung, 
ber  englifchen  (Staatsangelegenheiten  auf  feinen  eigenen  iöorttjeil  be* 
baa)t  gemefen,  beweift  ber  Umftanb,  bag  bie  Nation  nach  feinem 
$obc  Gelegenheit  fanb,  ihm  burd)  bie  ©ejahlung  feiner  ©Bulben 
i^re  £anfbarfeit  ju  bemeifen. 

$em  SSünbnig  granfreicljs  mit  Wmerifa  trat,  auger  Spanien, 
baS  burd)  ben  bourbonifdjen  gamilienoertrag  $um  2lufd)lug  ge= 
jmungen  mar,  auch  Jpollanb  bei,  an  meines  dnglanb  im  3ah*e 
1780  ben  ßrieg  erflärt  hotte,  meil  bie  ©eneralftaaten  fich  ben 
waltthätigfetten  ber  (Snglänber  gegen  bie  neutralen  Schiffe  wiberfefct 
hatten.  $>ie  willkürlichen  llnterjuchungen,  womit  biefe  Schiffe  burch 
bie  (Sngtänber  beläftigt  mürben,  bewogen  auch  Xänemarf,  Sdnoeben, 
$tuglanb  unb  Portugal,  fich  ju  einer  bewaffneten  Neutralität  gegen 
©nglanb  ju  öerbünben.  Der  $ampf  entbrannte  nun  auf  allen 
Speeren.  3n  Elften  unb  Wfrtfa  fachten  fich  bie  friegführenben  SJcachte 
gegenfeitig  ihre  Kolonien  ju  entretgen,  unb  baS  $riegSglüd  fdnoanfte 
hin  unb  her,  bis  enbtidj  bie  ©nglänber  unter  ihrem  helbenmuthigen 
5lbmiral  SRobneö  bie  Cberhaub  behielten.  2)er  fpanifche  QJcneral 
(Eriflon  entrig  ihnen  jmar  bie  3nfel  SÖctnorfa  (Jebruar  1782); 
bagegen  behauptete  fich  ber  $ommanbant  oon  (Gibraltar,  ßorb  (Slliot, 
bret  Qahre  lang  gegen  bie  Angriffe  ber  fpanifd)=fran$öfifchen  5lotte 
unb  rettete  bie  ihm  anöertraute  wichtige  Seljenfeftung  burch  bie  3er* 
ftörung  ber  fchmimmenben  ^Batterien  bes  3ngenieurS  b'3lr^on. 

SBeniger  glüeflich  als  jur  See  waren  bie  ©nglänber  in  bem 
fortgefefcten  Sanbfriege  tu  Slmerifa,  obgleich  bie  Slmcrifaner  im 
(5)anjen  wenig  töriegStüchtigfcit  entwickelten  unb  ber  s2(bfatl  bes 
burch  Selbhcrrntalent  unb  grogen  perfönlichen  2Jcuth  hcr0orra9cll= 
ben  ©enerals  Slrnolb,  ber  im  3<*h«  1780  öerrätherifcher  SBeife 


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S>er  norbmnerifanif^e  ftreiheitSfrieg. 


679 


ju  bcn  (Snglänbern  überging,  ben  jungen  greiftaat  in  gro&e 
fahr  braute.  3>er  englifdje  General  Clinton  unterwarf  jmar  im 
3ahre  1780  ©übfarolina  unb  fudjte  hierauf  Virginien  unb  bic 
lüften  üon  Stendorf  mit  furchtbaren  Vermüftungen  heim,  roäh= 
renb  bie  füblichen  ^ßroüinaen  burch  ben  (General  dornmatliS  üer* 
heert  würben;  allein  eine  (Sntfdjeibung  mürbe  baburdj  nicht  her- 
beigeführt. 3"  Anfang  beS  3af)re3  1781  brach  Söafhmgton,  nach= 
bem  er  eine  unter  feinen  Xruppen  auSgebrodjene  2tteuterei  glüeflich 
übermältigt  hotte  unb  burch  eine  in  granfreich  contrahirte  Anleihe 
üon  fechjefm  SMionen  SiüreS  in  ben  ©tanb  gefegt  morben  mar, 
feine  ©olbaten  burch  eine  regelmäßigere  Vejafjlung  unb  beffere 
Verpflegung  5itfrieben  ju  fteöcn,  im  feereine  mit  einem  ingtoifchen 
angefommenen  frangöfifa^en  ^>ilf^r)ccrc ,  nach  bem  ©üben  gegen 
SornmalliS  auf,  ber  tnjmifchen  in  jroei  treffen  gegen  ben  (Gene- 
ral (Greene  fiegreid)  mar ,  fchlie&lich  aber  üon  biefem  bis  auf 
(SfmrieStomn  jurüefgebrängt  mürbe.  Clinton  jog  ihm  jroar  nach; 
eS  gelang  jeboch  SBafhington,  benfelben  burch  QeTe^idftc  #emegungen 
über  baS  3^  feines  3"9C^  bn  täufchen  unb  ihm  baburch  einen  fo  be- 
beutenben  Vorfprung  abzugewinnen,  baf3  beffen  Vereinigung  mit 
SornroalliS  nicht  mehr  berocrfftelligt  merben  tonnte.  5)en  Sefcteren 
fchlojj  er,  im  Vereine  mit  Safatjette,  ber  am  14.  ©eptember  ju  ihm 
geftofien  mar,  am  19.  Dftober  1781  in  ?)orf  toron  fo  üoOftänbig  ein, 
ba&  fich  berfelbe  genöthigt  fah,  ftet)  mit  feinem  ganzen  £eere  ju  er= 
geben  unb  ben  kmerifanern  feine  fämmtlichen  ®efchüfce  unb  alle 
feine  $riegSüorrätf)e  auszuliefern. 

SDJit  bem  Sage  üon  ?)orftomn  mar  ber  norbamerifanifche  grei 
heitSfrieg  im  SBefentlichen  beenbigt.  3n  bem  neuen  Parlamente, 
baS  gu  Anfang  beS  3ahre$  1782  jufammentrat,  ^atte  bie  ben  grie= 
bcn  befürmortenbe  Dppofition  fo  entfdueben  baS  Uebergeroicht ,  ba& 
ber  ®ömg  fich  genöthigt  fah,  ein  neues  SJMnifterium  im  ©inne  ber 
griebenSpartei  §u  bilben,  baS  fofort  mit  ben  Slmerifanern  grtebenS= 
unterhanblungen  anfnüpfte.  sMt  bem  Veginne  berfelben  hörten  alle 
geinbfeligfeitcn  in  Sftorbamerifa  auf ,  mäfjienb  ber  $ricg  (SnglanbS 
gegen  granfreich,  Spanien  unb  ^oUanb  trojj  ber  p  ^ßariS  gepflo- 
genen griebenSunterhanblungen  mit  (Erbitterung  fortgeführt  mürbe. 
55a  bie  ^artnäefigfeit,  momit  Spanien  auf  ber  Verausgabe  üon  ®i= 
braltar  beftanb,  ben  Slbfdjlufj  beS  gricbcnS  üerjügerte,  fchloffen  bie 
Slmerifaner  am  30.  ^oüember  1782  mit  (Snglanb  einen  üorläu* 
figen  befonberen  Vertrag ,  in  meinem  biefeS  ihre  Unabhängigfeit 
anerfannte  unb  ihnen  t>ortr)ctlr)afte  ÖJrenjen  mit  einem  s2lntheil  an 
bem  ©toeffifchfang  bei  Sßeufunblanb  bemiüigte.  $er  befinitiüe  triebe 
jroifchen  fämmtlichen  triegführenben  dächten  fam  am  20.  Qanuar 
1783  ju  VerfatlleS  $u  ©tanbe.  3"  bemfelben  erfannte  G£ng= 
lanb  in  aller  gorm  bie  Unabhängigfeit  ber  norbamerifanifchen  ®olo= 


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G80 


$er  norbamertfoniföe  ftretyeitsfrieg. 


* 

nicn  on  unb  gab  an  bereit  SBunbeSgenoffen  ade  toäljrenb  beS  Krieges 
gemadjten  Eroberungen  jutürf,  mit  alleiniger  $Tu3naf)me  ber  im 
Süben  ber  ftüfte  oon  $oromanbel  gelegenen  Stabt  ftegapatam,  bie 
ftoßanb  ifjm  abtreten  mußte.  3ür  bie  befinitioe  Serjia^tletftung  auf 
(Gibraltar  erhielt  Spanien  Oft^Ioriba  unb  blieb  au&erbem  im  33e- 
fifce  oon  SBefcSloriba  unb  TOnorfa. 

ÜRorbamerifa  ^atte  feine  Unabf)ängtgfeit  erfömpft ;  bodj  blieb 
if)m  nod)  bie  fdntrierige  Aufgabe,  bie  errungene  Sclbftftänbigfctt 
burdj  eine  georbnete  SSerfaffung  bauernb  fidler  gu  fteHen.  $a  jmei 
Parteien  einanber  gegenüber  ftanben,  bie  $em  o  f  r  aten,  meiere  bie 
politifdje  ®emalt  unter  bie  einzelnen  Staaten  oertfjeilt  miffen ,  unb 
bie  göber  aliften,  bie  einen  Staatenbunb  mit  gemeinfamer  9te= 
gierung  grünben  motlten ,  brofjte  e3  *u  cmften  3ermürfniffen  §u 
fommen;  biefelben  mürben  jebod?  burd)  2Baff)ington3  üermtttefnbeä 
$aaroifd)entreten  abgemenber.  Eine  oon  bem  Kongreß  im  3at)re 
1787  nadj  $lulabelpf)ia  jufammenberufene  ©eneralüerfammlung  oon 
Teputirtcn  ber  breige^n  Staaten  einigte  ftd) ,  nad)  mannigfachen 
Sdjmanfuugen  unb  Reibungen ,  über  eine  berfaffung,  bie  im  3af)re 
1789  oon  allen  Staaten  angenommen  mürbe  unb  feitbem  unoer* 
änbert  fortbeftanben  r>at.  Xura)  biefelbe  mürbe  ba3  fianb  unter  bem 
tarnen  „bereinigte  Staaten  oon  9torbamerifa"  für  einen  93unbe§* 
ftaat  erflärt  unb  bie  ootfyieljenbe  bemalt  einem  <ßräfibenten ,  bie 
gefefcgebenbe  aber  bem  tongreffe  übertragen ,  roeldjer  au«  jmei 
tammern,  bem  „Senate"  unb  bem  „$aufe  ber  ^Repräsentanten," 
befter>t.  3n  ben  Senat  mäljlt  jebe  ^rooinj  auf  fedjä  3af)re  jmei 
ÜHttglieber,  bie  mtnbeftenS  breifiig  Qa^re  alt  fein  müffen;  in  baä 
^Repräsentantenhaus  bagegen  fenbet  jeber  Staat  für  bie  $auer  üou 
jmei  fahren  auf  je  ftcbjigtaufenb  ©intootyner  einen  toenigftenä  fünf* 
unb^mangig  3af)re  alten  ^(bgeorbneten.  $5er  ^räfibent  roirb  oon  allen 
ftimmberedjtigten  bürgern  auf  Oier  $af)re  getoäl)lt,  nad)  bereu  9(b* 
lauf  er  nod)  einmal  toiebergetoäfjlt  merben  fann,  unb  erbält  einen 
3af)rgel)alt  oon  füufunb^manjigtaufenb  Dollar«.  6r  ift  jugleidj 
£berbefcf)l$f)nber  ber  fianb*  unb  Seemadjt,  fdjliefjt  mit  GHmotüigung 
be3  Senats  Verträge  unb  SBünbniffe,  empfängt  unb  ernennt  ®e~ 
fanbte,  mie  ifnn  aud)  bie  Ernennung  ber  (Sioil*  unb  SRilitärbeamtcn 
3iiftcr)t ;  er  beruft  jäfjrlid)  ben  Kongreß  unb  ocrlciljt  ben  93efd)lüffen 
beäfelbcn  burd)  feine  ©eftätigung  ©efe(je3fraft.  93ermeigert  er  einem 
Söefdjluffe  feine  Suftimmung,  fo  gefjt  berfelbe  an  ben  Kongreß  jurüd 
unb  gilt  bann  bod)  als  ÖJefefc,  menn  fidj  in  jebem  $>aufe  jtoei  Xrittel 
ber  Stimmen  bafür  erflären.  llebrigenä  fann  ber  5ßräfibcnt  in  5In* 
flageftanb  oerfefct  unb  megen  Serratia,  Söeftedjung  unb  anberer 
fernerer  iöerbredjen  abgefegt  merben.  —  lieber  StaatSprojeffe  unb 
Streitigfeiten  einzelner  Staaten  entfdjeibet  baä  ©unbeSgeridjt ,  ba$ 
3ugleid)  bie  työdjfte  21ppcHatiou8bel)örbe  bilbet.  $ie  Religion  ift  frei, 


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$er  norbamertfamftfje  ftreü)ett&frieg. 


681 


infofern  man  nur  einen  ©ort  befennt.  An  ber  ©pifce  jebeS  einzelnen 
6taate$  ftet)t  ein  (Souöerneur ,  ber  im  Vereine  mit  einer  ©eneral* 
öerfammlung  bie  inneren  Angelegenheiten  beäfelben  leitet. 

$)ie  Aufgabe,  alle  SBerhältniffe  bed  jungen  greiftaateS  im  ©elfte 
ber  SBerfaffung  ju  orbnen ,  fiel  SBafhington  ju ,  ber ,  nadjbem  er 
bereits  am  23.  3)ejember  1784  feine  Dberbefebläfmberftetle  nieber* 
gelegt,  im  Qa^re  1789  einftimmig  jum  Sßriifibenten  ermahlt  mor* 
ben ,  unb  er  löfte  biefe  Aufgabe  mit  ber  gleichen  Eingebung  unb 
Umfielt,  bie  er  als  Selbherr  bettriefen.  (5r  mürbe  baber  auch  im 
3al)re  1793  mieber  gemalt ;  boch  verbitterten  ihm  öielfadje  An* 
feinbungen  öon  ©eiten  ber  $emofraten  feine  ©tettung  fo  feljr,  baß 
er  ftch  im  3ah*e  1797  gan$  au§  bem  öffentlichen  ßeben  jurücfjog, 
um  feine  Xage  auf  feinem  öanbgute  SDcount  SSernon  ju  bcfc^Xiefeen. 
£>ier  ftarb  er  am  14.  $ejember  1799  nadt)  furjer  ®ranfbeit.  ©ein 
9£ame  lebt  fort  in  ber  im  3<*hre  1792  gegrünbeten  SBunbe&ftabt 
SB  a  f  h  i  n  g  t  o  n ,  bie  ben  ©ifc  be3  ®ongreffe&,  be$  Sßräfibenten  unb 
ber  (£entralbefjörben  bilbet. 

©djon  neun  Satjre  öor  SBafbington,  am  17.  April  1790,  war 
granflin  in£  (Srab  gefunfen.  dreimal  hatten  it)nf  feitbem  er  im 
3af)re  1783  nach  bem  grieben  Don  SBerfaiUeä  öon  feinem  ($efanbt> 
fdjaftäpoften  am  fran^öfifchen  $ofe  jurücf gefebrt ,  feine  Mitbürger 
$um  (Siouöerneur  öon  ^ennfolöanien  gewählt,  bis  ihn  im  3faf)re 
1788  fein  hohe*  Alter  unb  junebmenbe  ®ränflichteit  genötfngt,  fief) 
öon  jeber  Xheilnabme  an  ben  SRegierungSgefchäften  jurücfjujiehen. 
Unter  bem  (Geläute  aller  (SJlocfen  unb  bem  Bonner  ber  Kanonen 
rourbe  feine  irbifche  ^>üde  auf  bem  3frtebt)ofc  öon  ^ßl^Uabelp^ia  be* 
ftattet,  unb  ber  Kongreß  ehrte  fein  Anbenfen  burch  bie  Anorbnung 
einer  öiertoöchentlichen  ßanbedtrauer.  ©eine  öon  ihm  felbft  öerfafjte 
(5Jrabfcf>rift  lautet:  „$er  Sörper  Benjamin  granflinä ,  eine*  Such* 
brucfer3,  liegt  hier  (gleich  bem  (Sinbanbe  eine*  alten  Suche*,  beffen 
glätter  jerriffen,  beffen  Xitel  unb  SBergolbung  öermifcht  finb),  ben 
Söürmern  jur  ©petfe.  3)a3  SSerf  felbft  aber  wirb  nicht  öerloren 
gehen ;  benn  e3  wirb  (fo  hoffte  er)  ttrieber  erfcheinen  in  einer  neuen 
unb  fchöneren  Aufgabe,  burchgefehen  unb  öerbeffert  öom  SBerfaffer." 

$>ie  norbamerüanifche  Union  bat  fah  fat  jener  3eit  mit  bei* 
fpiellofer  SRafchheit  $u  einem  SBcttreict)  entroicfelt.  ©chon  im  Qahre 
1850  mar  bie  ©eelenjahl,  bie  im  Qahre  1800  etroaä  über  fünf  unb 
ein  Viertel  9tti£lionen  betrug ,  auf  breiunbjmanjig  2Kißionen  geftie* 
gen  unb  ift  feitbem  öon  3ahr  ju  3at)r  um  mehrere  ^mnberttau* 
fenbe  getoachfen.  Acferbau,  93ieh$ucht  unb  Oeroerbfleijj  habeu  einen 
bebeutenben  Auffchmung  genommen;  inSbefonbere  aber  blüht  ber 
§anbel,  nach  2lu§en  geförbert  burch  eine  £>anbel$flotte,  bie  an  ®röfje 
nur  ber  englifchen  nachfteht,  im  Qnnern  burch  Kanäle  unb  Öanb* 
ftra&en,  bie  nach  öttc«  Dichtungen  ba3  ßanb  burchfreujen,  unb  burch 


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682 


3)er  norbamerifcmifäe  3freifait«frieg. 


ein  auSgebeljnteS  (Sifenbaljnnefc.  SBic  auf  ben  Volfäunterridjt  große 
Slufmerffamfeit  öertoenbet  ttrirb ,  fo  ift  aud)  für  bic  nriffenfdjaftlidje 
Vilbung  burd)  ja^Ircia^e  fjöfjere  ßefjranftalten  geforgt,  unb  loctyrenb 
öor  bem  Unabf)angtgfeit«frieg  faum  oon  einer  amerifanijdjen  ßitc- 
ratur  bie  SRebe  fein  fonnte,  fjat  fiefc  feitbem  auf  aßen  Gebieten  be« 
©djriftfteflertfjumä  ein  rege«  Öeben  entfaltet.  Uebrigen«  ift  bei  einem 
großen  XtjeUe  ber  Veöölferung  ba«  raftlofe  Qagen  nadj  materiellem 
öeminn  fo  fetyr  in  ben  Vorbergrunb  getreten,  bag  barüber  jebe« 
fjöljere  Streben  untergegangen,  Selbft  ber  Kongreß  ift  baoon  nidjt 
unberührt  geblieben :  bie  ©eftedjlicfjfeit  fjat  bei  ben  TOtglieberu  beS- 
felben  in  f^reefenerregenber  SBeife  ©ingang  gefunben.  Ueberljaupr 
treten  un«  in  ber  norbamerifanifdjen  Union,  roic  auf  bem  religiöfen 
unb  fittlidjen,  fo  audj  auf  bem  gefeaidmftlidjen  unb  politifdjen 
(Gebiete ,  bie  fdjärfften  Äontrafte  entgegen ,  toie  bie«  bei  einem 
Staate,  in  toetdjem  eine  jo  wcitgef>enbe  greifet  fierrfdjt ,  faum  an= 
ber«  fein  tann. 

2)ie  crfreulidjftc  ©rfdjeinung  in  ber  (Sntttncflung  be«  norb= 
amerifanifdjen  greiftaate«  ift  unftreitig  ba«  ungetuölmlidjc  SBad)«> 
tf)um  ber  fattjolifdjen  IHrdje  unb  tyr  fjerrlidje« ,  retd)  gefeg= 
netc«  Söirfen  für  bie  Hebung  be«  djriftlidjen  ßeben«,  für  ben  Unter* 
riefet  unb  für  SScrfe  ber  2BoI)ltl)ätigfeit ,  mie  für  bie  Verbreitung 
be«  a)riftlia)eu  ©lauben«  unter  ben  meljr  unb  mefjr  bem  £oofe  ber 
Vernietung  anfjeimfatlenben  3nbianern.  Seitbem  ^apft  $iu«  VII. 
im  ga^re  1808  ba«  ViStfmm  Valtimore  jur  Sttetropole  erhoben 
unb  Oier  SuffraganbiStljümer  errietet,  ift  bie  3af)l  ber  Metropoliten 
auf  ätoölf  unb  bie  ber  ilmen  unterftetyenben  Vtfd&öfe  auf  oierunbfünfjig 
geftiegen,  ju  benen  nod)  einige  apoftolijdje  Vifare  fommen,  unb  bie 
fatljolifdje  Vebölferung,  bie  ju  (£nbe  be«  oorigen  3al)rljunbert*  auf 
breiunbjTOanaigtaufenb  Seelen  gefaxt  nwrbe,  beträgt  gegenwärtig 
meljr  al«  fed)ä  Millionen.  5ür  «rme  unb  Shanfe  ift  burd)  bie 
(£rria)tung  Oon  fiebenunbad)t$ig  ,£>o«pitälern  unb  jnjei^unbertamanjig 
anbern  SGÖo^lt^atigfeit«anftalten  Sorge  getragen ,  bie  meift  oon 
£5rbcn3fdjroeftem  geleitet  roerben.  3n  ber  Seelforge  toie  in  ber 
Seitung  ber  $af)Ireid)en  Se^ranftalten  nrirb  ber  feeleneifrige  (Spiäfo* 
pat  oon  einer  großen  Qaty  öon  £)rben«männern  unterftüfct,  bie,  ben 
öerfdjiebeuartigften  geiftlidjen  ©enoffenfdjaften  ungehörig,  in  opfer= 
freubiger  Eingebung  mit  einanber  wetteifern. 


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Inljaltowrjetdjmß. 


9am  vfitfälif^ri  fmferi  kie  f«B  ^B«lr«#  fcfr  frtififif^rM  jttnlitifi. 


(Einleitung 


Seite 

3 
5 
5 
9 
28 
84 
47 
47 


I.  ffaifcr  geoftolb  I.  (1658-1705) 

geopolbfl  äSafrl  mtb  etfte  SRegierungSaeit 
fleopolbfl  £ür!enfriege.  (1663-1699) 
$a3  bent|cf)c  SReicb  unter  tfeopolb  1. 

IL  3)eutfd)lanbÄ  Ihithtrauftanb  im  ftebjefjnten  3a$rljunbert 

m.  gubtoig  XIV.  oon  %tanfreid).  (1643-1715)  . 

ftranfreid)  unter  9ftQ3arm3  Staatgtiermaltung.  (1643—1661) 
fliibtoiag  XIV.  erfte  groberungSfriefle.  (1667—1697)      .      .  01 
fiubroiflg  XIV.  ©eroatttfrättgieiten  gegen  fteutjdjtanb,  Spanien 

unb  tterfdjtebene  italieniffle  Staaten.  (1679—1685)  .      .  TL 
gubmigg  XIV.  britter  groberunggfricg.  (1688-1697)     .      .  83 

gubtoig  XIV.  als  Regent   .  93 

SubraiflS  XIV.  ftof   ■    .  lül 

$ic  franaöfifcfre  Literatur  unter  Subftng  XIV.       .      .  .107 

IV.  (Sngtanb  in  ber  ^weiten  fialfte  be3  fle6aefrntcn  ffafrrfjunbertS  124 


Sie  erften  Seiten  ber  engtifflen  fRepnbtü.  (1649—1653) 
(Sngtanb  unter  bem  <Broteftorate  (SrommettS.  (1653—1658) 
g>te  Sieberfrerftefluno,  beS  fti3ntgtf)um3.  (1660) 
ftarl  II.  (1660—1685)  . 
ffafob  II.  (1685—1688)  . 


gSiltjetm  III.  (1689-1702) 


V.  $ie  engtijcfye  Siteratur  im  fcrf^efynten  unb  fieb^ctjnten  $af)r 


Rimbert 


VI.  $er  fpatiifd?e  Srbfotgcfrieg.  (1701—1714) 
Xie  brei  erften  ftricflSjafrre.  (1701  —  1703) 
$te  (Sdjtodjt  bei  ftttcftftäbt.  (13.  Muguft  1704) 
3)ie  bciben  erften  SRegicrunggjafrre  SojepftS  I.  (1705  unb  1706)  195 


124 
136 
144 
149 
161 
IM 


170 
180 
180 
191 


684  3n&alt3Derjcic$niij. 


©fite 


Sie  8djladjt  bei  Xurin.  (7.  September  1706) 

198 

Xie  3d)Iarf)ten  bei  Cubcnarbe  (11.  $uli  1708)  unb  bei 

Sflalplaquet  (11.  Sept.  1709)  

203 

Xcr  öturj  2)carlboroug,l)*  (1711)  unb  ber  Xob  3o|epi)S  I. 

(17.  9lprtt  1711)  

207 

Xie  ^ r i c be n ä f d)  1  ü f ) e  oon  Utredjt,  SRaftabt  unb  Reiben 

211 

VII.  fiubiuigä  XIV.  Äu»gang  

214 

VIII.  Wutilonb  unter  $eter  bem  Örofeen.  (1682—1725)  . 

216 

IX.  $oIcn  ut  ber  jmeiteu  haltte  beS  ficbjeljnten  3al)rl)"nbertS 

225 

X.  Dänemar!  unter  Sriebriä)  111.(1648—1670)  unbStjriftianV. 

(1670—1699)  

229 

XI.  ©djtoeben  unter  Äarl  XI.  (1660—1697)  unb  in  ben  bret 

erflen  SRegterungSja&ren  ftartft  XII  

235 

XII.  Xer  norbtfetje  ftriei].  (1700—1721)  .... 

239 

Der  bänifdie  tfriea,  (Wugujr  1700)  unb  btc  (Bct)Iad)t  bei 

Warroa  (HO.  Woö.  1700)  

239 

Xer  polmfaje  Strien.  (lriiO  — 1706)  

242 

Xic  ©rüntunn  Don  St.  Petersburg.  (1703) 

247 

Xer  rufiürtje  Sfrieg.  (1708—1700)  

248 

Barl  XII.  tn  ber  dürfet.  (1709—1714)  .... 

252 

ßarlS  XII.  Ausgang.  —  Snbe  beS  norbt)"d)cit  ftriegeS. 
(1718-1721)  

259 

XIII.  $eterft  bei  ©rojjen  ^Reformen  unb  lefcte  i*cbcn$jaf)re. 

(1721—1725)   264 


XIV.  fliufjlanb  unter  ben  nier  erjtcn  flfarfjfolgcrn  pctcrS  be3 

®rofeen.  (1725—1762)   274 

ftatftarino  I.  (1725-1727),  <ßeter  II.  (1727—1730)  unb 

Anna  (1730-1740)   274 

etifabetl?.  (1741-1702)  279 

XV.  Scftroeben  unter  ftriebrid)  I.  (1720—1751)      .      .  .282 
XVI.  ^rrantretcr)  unter  ber  SRegentfduift  be*  fcerjog*  öon  Orleans. 

(1715-1723)   284 

XVII.  Spanien  unter  flgitipp  V.  (1700—1746)  .  .  .290 
XVIII.  (gnglanb  unter  ©eorg  I.  (1715—1727)  unb  ©eorg  II. 

(1727-1760)   295 

XIX.  ftotfer  ftarl  VI.  (1711-1740)   304 

3tart3  VI.  elfter  Xürfenfrtcfl.  (1716-1718)      .       .  .304 

Xie  pragmatiidK  Sancrion  310 

Xer  polnijdK  Xfrronfoifleirico..  (1733—1735)  .  .  .314 
ftnria  VI.  ^netter  lürfentrieg.  (1737—1730)    .      .      .  322 

Xn3  beutfdje  Neid)  unter  ftarl  VI.   .  324 

XX.  Italien  com  roeftfnlif^cn  ^rieben  bis  in  bie  fflittc  beS 

tt^ejntcn  flaftrftunbertft  827 


$n1)alt3t)eraei$m9. 

685 

Seite 

Sie  $dpfte  t>on  1655—1758   

327 

So&tana,  Saoonen,  ©enebig  unb  ©enua 

332 

XXI.  Sa3  Königreici)  ^rcufjen  unter  ftriebrid)  I.  unb  ftriebrid} 

SBWjelm  I.  (1688—1740)  

335 

griebrt^  I.  (1688—1713)  

335 

ftriebrid)  SBilfjelm  I.    (1713-1740)  .... 

340 

ftriebridjä  II.  Sugcnbiabje.  (1712-1740) 

349 

ftriebrid)*  Ii.  SRegierungaantritt.  (31.  3Kai  1740)  . 

364 

XXII.  Ser  öfterreufciföe  «rbfolgefrieg.  (1740-1748) 

366 

SWorta  Stjcrefia'S  Regierungsantritt.    (26.  Oft.  1740)  . 

366 

Ser  erftc  f^teftfc^e  Ärieg.  (1740—1742) 

369 

Ser  öftcrreic^ifc^c  ©rbfolgeftieg  bis  jum  Zobt  Kaifer 

Äarl«  VII.  (1741-1745)  

377 

«Der  weite  fdjteftfäe  Krieg.  (1744—1745) 

386 

Sie  oter  legten  %a1)vt  be3  öfterreic^ifc^en  ©rbfolgefriege«. 

(1745—1748)  

395 

XXIII.  Defterreid)  unb  ^reufcen  nad>  bem  ö[terrcict)ifc^en  (Erbfolge* 

FrieflC.  (1748-1756)  

401 

Sttaria  Xljcrefia  als  SRegentin  

401 

ftriebridjS  II.  dtegentenifjätigfeit  unb  ^riüatleben  . 

406 

XXIV.  Ser  iiebenjä^rtge  (britte  fd>(efifc^e  Krieg.)  (1756—1763)  . 

416 

Skranlaffung  unb  WuSbrud)  beS  Krieges 

416 

Sie  ©cfyladjten  bei  *ßrag ,  ftottin ,  SRo&bad)  unb.  fieuttjen. 

(1757)   

423 

Sie  ©ctjladjt  bei  3«>mborf  unb  ber  Ueberfafl  bei  #odtfirdj. 

432 

Sie  Sdjladjt  bei  ÄunerSborf.  (12.  Huguft  1759)  . 

436 

Sic  Sd)lad)tcn  bei  ßiegnife  unb  Xorgau.  (1760) 

443 

Sic  jttjei  legten  KriegSjafyre  unb  ber  §ubert3burgcr  triebe. 

(1761—1763)  

449 

XXV.  Scr  fiebenjäf)rige  englijd)»fran^öfifdje  Krieg  auf  bem  SKeere 

unb  in  ben  Kolonien.   (1756  -1762)  . 

457 

XXVI.  ftranfreief)  unter  fiubroig  XV.  (1715—1774)  . 

464 

üubtm'gS  XV.  $riüatlebcn  

464 

Sie  9lufl)ebung  beS  ^fuitenorbenS  in  ^anfretcr).  (1764) 

470 

fiubwigS  XV.  lefrte  SRegierungSseit.  (1764—1774)  . 

474 

XXVII.  Sie  franjöfijdje  Siteratur  im  acfjtacfynten  ^aljrljunbert 

479 

XXVIII.  Portugal  unter  ^ombalS  «ermaltung.  (1750—1770) 

494 

XXIX.  Spanien  unter  Karl  III.  (1759-1788)  . 

500 

XXX.  Italien  in  ber  aroeiten  Hälfte  beS  ad)tjef)nten  3af)*f)unbertS 

502 

Neapel,  s4$arma,  XoSfana  unb  ©arbinien 

502 

Sie  brei  Iefrten  ^äpfie  be*  adjtflefjnten  SafcrljunbertS. 

(1758-1799)  

506 

I 

686  ^n^alttoeräeidjnift. 


Seite 


XXXI.  «atfer  Soitpt)  II.  (1765-1790)  

511 

55a3  beutle  9icid)  unter  ^ofep^  II  

511 

5E)ie  lefete  9tegicrung«aeit  Flavia  $f)crefia'&.  (1763—1780) 

518 

Xer  beutjdje  ftürftenbunb.  (1785)  

524 

3o|epl)3  II   ftaatlidjc  Reformen  in  feinen  (Erblänbern. 

(1780—1790)  

527 

Sofep&S  II.  fird}lid)e  Neuerungen  

537 

Die  Steoolution  in  ben  Nicberlanben.  (1788—1790) 

547 

^ofeptj«  II.  Neuerungen  in  Ungarn  .... 

552 

ftofept)*  II.  Stufcgang  

554 

XXXII.  ftaiier  ficopolb  IL  (1790-1792)  

558 

XXXIII.  ßatfmrina  II.  Don  Wufelanb.  fl762— 1796)  . 

560 

Xfyronbefteigung  ber  ßaiferin  fiatfjarina.   (9.  3uli  1762) 

560 

tfatfyarina  II.  behauptet  ben  ruffifcfyen  I^ron 

566 

Die  erfte  Teilung  ^olenS.  (1772)  

569 

ffattjarina'S  erfter  lürrenfricg.  (1768-1774) 

595 

Äottjarina  IL  a!8  Negcntin  

599 

^otemfin  ber  Courier.  (1776-1791)  .... 

603 

Katharina'«  jweiter  Xürfenfrieg.  (1788—1792) 

607 

Die  zweite  unb  britte  Teilung  $olen#.  (1798  unb  1795) 

610 

XXXIV.  ftriebric&i  II-  tefete  «egierungSaeit  (1768—1786)  . 

618 

XXXV.  Greußen  unter  Sriebricfc  SBilfjelm  II.  (1786—1797) 

627 

XXXVI.  Die  beutle  Sitcratur  im  atyaefmten  ^fa^r^unbert  . 

632 

XXXVII.  ©Sweben  unter  ®uftao  III.  (1771—1792) 

648 

©uftaoS  III.  ©taatSumwälaung.  (1772)  .... 

648 

©uftao*  HI.  Staat#bertt>altung  

654 

©uftatj«  III.  ffrieg  gegen  töu&Ianb.  (1788—1790)  . 

657 

XXXVIII.  Dänemarf  unter  ©rruenfee'«  6taat3t>ertealtung.  (1770  bi* 

1772)   661 


XXXIX.  Der  norbamerifanijtfte  greifreittiricg.   (1775—1788)      .  669 


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