Weltgeschic.
Vom
westfälischen
Frieden bis
zum ...
Franz Joseph
Hr»l7\A/arth
IR K E l E Y
RARY
I
Digitized by Google
Dr. f. $♦ idporty*
Stifter Öonb.
£vei!e, vtrbtfftztt ^ufUge.
1886.
Digitized by Google
•
SÄcdjt ber Ueberfefctmg in frcmbe (Spraken wirb Dprbefjalten.
Xrud bon Sofj. ^alf III. in SNatnj.
Digitized by Google
»ZG
H IL
fratt|ofird)en Uenoluttoit.
387
*»Ij»tttt|, ®eltgefefji($tt. vi.
1
Digitized-by
( i n l e i t n n 9.
3>ie Signatur be3 SeitraumeS äroifdjen bcm tocftfäHfc^cn ^rieben
unb bcr großen franjöfifchen SReüolution ift eine ftetä machfenbe,
faß alle Seichten unb klaffen bcr (BefeUfchaft burchbringenbe föe*
ItgionSgleichgilttgf eit , bie fich mebr unb mehr jum üoCU
ftänbigen Unglauben unb $ur auSfchließlichen Pflege ber materiellen
Jntereffen entnncfelte. 8u biefem troftlofen ,8uftanbe hatte bie 9te*
formation ben ®runb gelegt, tnbem fie, baä unfehlbare fiefyramt
ber ^ircr)c oerroerfenb , an bie Stelle be3 ÖHauben$lichte3 bie
fajmanfenben 2lu3fprüche ber tnbirnbuellen Vernunft fteflte; benn
bie SBertoerfung ber Autorität ging Dom religtöfen (Gebiete auf baS
ber Sitte, ber ^olitif, ber 2Biffenfct)aft über unb umfaßte alle Greife
beä $afeinä. 5>te ©Reibung be$ religiöfen unb beä ^>olitifc^en Sie*
ben&, bie juerft in bem meftfälifchen grieben ju Xage getreten, griff
immer roeiter um fich ; bie Slflianjen unb Xraftate , bie (SntfdjeU
bung über Mrieg unb ^rieben, bie ©efefcgebung unb SBerroaltung
nahmen feine SRücfficht mehr auf ®irdje unb ÖJlauben: irbtfe^e 3n-
tcreffen leiteten allein bie Sßolitif ber Kabinette.
2icic unheilvolle ^atüriunung , bie (ich auch über bie faüjo--
lifchen ßänber öerbreitete, brachte eine anticr)riftticr)c Söerfchroörung
Sur 9ieife, bie, öon Staatsmännern unb ^luloiopljeu begünftigt unb
burch bie oerblenbete ^olitif ber £>öfe geförbert , in ber Literatur
tote im Seben ihre Triumphe feierte, ber $irdje ein SBollroerf nad)
bcm anbem entriß, ben einflußreichen Qefuitenorben vernichtete unb
ben apoftolifchen Stuhl in jeber SBeife emiebrigte unb oergeroal*
ttgte, um bann auch bic oon ihr als £anblanger benufcten Surften
herabjuujürbigen unb $u ftürjen. Jpatte ber oorhergehenbe 3cit=
räum im proteftantifchen ©nglanb mit ©mpörung unb $önigSmorb
geenbet, fo fdjließt ber neue mit ber Xrohung ber (Empörung unb
beä #önig$morb$ im fatholifchen 3ranfreich.
SBahrenb bie roeltlichen gürften fid) in ihren abfolutiftifchen
Scftrebungen nicht nur öon ber hemmenben ® ontrole ber Stänbe,
ionbern auch öon l&tx ©inmirfung ber Kirche freizumachen mußten
unb mit ber ©e|"e&gebung unb SBerttmltung auch °^ @r$iehung unb
ben Unterricht, bie Söohlthätigfeiteanftalten unb bie tirchengüter ju
1*
Digitized by Google
4
Einleitung.
t>ermettüdjen , ja fclbft bic innerftcn 2htge(cgenf)eiten bcr ftirdje in
ben Söereid^ ifjrer Üttac^tfpfyäre ju jiefjen fudjten, gerieten fie in
immer größere Slbfjängigfeit t>on ben Saunen ber Spenge, bie, be=
tfjört öon einer burdj unb burd) reöofationären Siteratur unb burd)
SBolfäaufroiegler irre geleitet, gorberungen $u fteflen begann, rocla}e
roeit hinaufgingen über bie SBieber^erftettung ber alten $o(färea)tc
unb gegen meiere ilmen bie bura) fie gefned)tete unb bem öffent=
ticken Sieben entfrembete ®ird?e feinen ©c^ufe me^r gemäljren fonntc.
w©o erntete bie mcltüdje 9ftaa)t\ fagt $>ergenrötfjer, „ba§, maä fie
gefät: bie föeöolution gegen ben ©taat mar bie grudjt ber 9*eoo=
lution gegen bie ®ird)e; bie „eöangelifche greifjeit" in i^rem Wifc
bxand) führte jutn 3#if$braud) ber poütiiajen greifet. Die Zeiget
ber gürften mürben if)re Golfer; bie sJtäd)erin ber mit gü&en ge-
tretenen ®ird)e marb, if)r fetbft unbemufet, bie SReüotution. £ie
gürften Ratten ben ^ßapft alt ben ©djmädjeren miftyanbclt : bie nodj
ftf)roäd)eren gürften vertrat ber $öbel."
Die ®ird)e fclbft aber, beren Aufgabe burd) bie öeränberte ®e*
ftalt bcr $inge nid)t minber alä burd) bie tfjcilä gleidjgiltige, tfyeila
offenbar feinbfelige Spaltung ber meltlidjen äJtäd)te unenblid) erfdjmert
mar, beroafnrte, mie in allen 2)rangfatcn, fo aud) im Kampfe gegen
bie ungläubige ^f)i(ofopf)ie, bie falfcfye unb feierte 2lufflärung*fud)t
unb bie fyeudjlerifd) ba£ ädjte ^ira^ent^um öorfd)üfcenbe 3rrlef)re,
bie einanber bie £)errfd)aft über bie ©eifter ftreitig matten , bie
öofle ®raft be$ ©laubenä unb bei* Siebe, unb giän^enb bcroäfjrtc
fid) an ü)r bie göttUdje S3er^ei§ung, baß bie Pforten ber JpöHe fie
nid)t überwältigen roerben. SBät)renb ©ott bie 9Äärf)tigen entthronte
unb itjre fronen jerbrad), führte er feine ®ird)e einer neuen SBer*
t)cvrltd)uitg ju.
Digitized by Google
I.
<$aife* £eopotb I.
(1658-1705.)
Seopolbä 2Baf>l unb erfte WegienmgSjeit.
3ferbinanb III. überlebte ben Slbfchlujj beS roeftfälifchen griebenS
nur um neun 3a^r^» roährenb welcher er, ben toeränberten SScrr)ält=
raffen beS Bleiches ^Rechnung tragenb, mit ben beutfdjen ©tänben
ein möglichft gutes Verhältnis aufregt ju galten fuctjte, in feinen
Ghrblänbern bagegen ben SRegierungSgrunbfäfeen feines SSaterS treu
blieb. @r ftarb am am 2. Hpril 1657, nach mehrjährigem Stänfeln,
in feinem neununbm'erjigften SebenSjahre unb hinterließ ben SRuf
eines reichgebübeten, gerechten, menfehenfreunblichen unb frieblieben-
ben Surften. 5)a fein ältefter ©ohn, ber fapn $u feinen ßebjeiten
bie fronen üon ^Böhmen unb Ungarn empfangen hatte unb im 3af)re
1653 als gerbinanb IV. jum römifchen ftönig gemäht unb ge*
frönt roorben war, am 9. 3uni 1654 an ben SBlattem, bie ju jener
3cit furchtbare Verheerungen anrichteten, ftarb, ging baS 9iec^t ber
Thronfolge in ben öfterreidjifdjen ©rblanben an feinen jroeiten ©ot)n
ßeopolb über, ber, nachbem er am 24. Januar 1655 bie §uU
bigung ber öfterreidufdjen ©täube empfangen r>atte, am 27. 3uni beS
gleichen 3ahreS als flönig üon Ungarn unb am 14. ©eptember als
ftönig öon ©öhmen gefrönt rourbe.
©eboren am 9. 3uni 1640, mar ßeopolb noch ö0^c
ftebjehn 3al)re als, als ber Xob feines SBaterS ihn jur Regierung
über bie öfterreidufchen ©rblänber berief unb mit ber Uebernahme
berfelben ber öolle (Srnft beS fiebenS an ihn h«antrat, baS fid) für
ihn in einer nahezu fünfzigjährigen Regierung ju einem äufjerft
ftürmifa^en geftalten foHte. Obgleich er anfangs jum geiftlichen
©tanbe befrimmt unb feine ©rjiehung eine biefem Berufe ent*
fprechenbe gett-efen, waren ihm bie leitenben ©runbfäfce ber öfter*
reichifchen Sßolitif nicht jremb geblieben, unb ba er ftch überbieS in
ber öerhältai&mä&ig furzen Seit feit bem Xobe feines älteren *8rn*
Digitized by Google
6
flatfcr fieopolb I
berS eine große unb öielfeitige ®enntniß ber ®efdjofte angeeignet hatte,
fonnte er fein fürftlidjeS 2lmt mit einer, menn auch nicht glänjen*
ben, fo bodt) überaus rüstigen unb grünbltchen SBorbeveitung an*
treten.
ßeopolbS rotffcnfc^aftlic^c SBilbung, bie er bem trefflichen Untere
richte jmeier SBäter ber ©efettfehaft Qefu oerbanfte, mar eine fo
öielfeitige unb grünbliche, baß ilm fein gürft feines 3ahrt)unbertS an
©elehrfamfeit übertraf. ?(ußer feiner flJcutterfprache hotte er fdjon
frühe Satcinifcr) unb Qtatienifdt) forreft unb fließenb fprechen unb
fdjreiben gelernt; eine grünbliche ®enntniß ber fpanifchen unb
franjöfifchen Sprache ermarb er fich fpäter, bodj fonnte er fich mit
ber lejjteren bei feiner entfdjieben beutfehen (JJefinnung nie recht be-
freunben. Sieben biefen oerfa^tebenen Spraken Ratten ©efdjidjtc
unb ^P^tlofop^ie bie ^auptgegenftänbe feiner ©tubien gebilbet.
Slud) bie fdjönen fünfte maren nicht oernachläffigt geblieben ; inSbe-
fonbere mar fein fjeröorragenbeä Xalcnt für bie SDhtfif, für meiere
er eine große Vorliebe ^atte, auf baS ©länjenbfte ausgebübet mor*
ben. SBott tiefer SReligiofität nnb treuer s2lnhänglichfeit an feine
$ird)e, mar er jugleich, nach bem übereinftimmenben Urtheile ber
geitgenoffen, ein 3üngliug °on ber muftert)afteften Stttenrcinheit,
ber Arbeit mit unermüblichem gleiße Eingegeben unb babei bon
großer £erjenSgüte unb iöefcheibenheit, aber befangen unb unfia^er
in feinem öffentlichen Auftreten.
28är)renb ber Regierungsantritt SeopolbS in feinen (Srblftn--
bem trog feiner 3ugenb auf feine ©djmicrigfeiten geftoßen mar,
traten ü)m bei feiner ©emerbung um bie ^aiferfrone große ^tnber=
niffe in ben Söeg. 55er Urheber berfelben mar Sftajarin, ber bie
ftaiferfronc feinem ®ömg, ßubmig XIV. ju oerfchaffen münfa)te
unb §it biefem 3mecfe bei ben beutfehen ®urfürften fein Sftittel ber
Ueberrebung unb SBeftedjung unöerfudjt ließ. 9tadjbem er erfannt
hatte, baß er fich ein unerreichbares Qk\ gefteeft, machte er alle nur
erbenflidjen 2lnftrengungen , um menigftenS burd) bie ?(uffteöung
eines unter franjöfifchem ©influffe fte^enben beutfehen $anbibaten
baS habSburgtfche $muS öon bem beutfehen ftaiferttjrone auSju^
fernliegen. (Sr burfte babei auf bie TOtmirfung ber brei geiftüchen
Shirfürften unb beS fhirfürften öon ber <ßfal$ säf)len, bie theilS
burch ihre fRätt)e in bie Wefce ber franjöfifchen ^olitif oerftrieft ober
burch bebeutenbe (Mbfummen für baS Sntereffe SubroigS XIV. ge=
monnen morben maren, theilS aus gurcf)t oor bem mächtigen 9iaehs
bar fich ir)m mittfahrig jeigten.
3uerft mürbe ber turfürft gerbinanb Maria öon SBaiern,
9tta£imtlianS @ofm unb Nachfolger, in SBorfcfjlag gebracht; ba biefer
jeboch, theilS feiner eigenen beutfehen ©cfinnung folgenb, theilS bem
Einfluß feiner 9ttutter, einer Softer gerbinanbs II., nachgebend
Digitized by Google
Secpolb* 2Baf>l unb erfte 9flcgienmg*jeit.
7
bie ifjm angetragene ßaiferfrone au*fdjlug, obgleich granfreich fich
erboten fjatte, ihm für bie Unterhaltung be* ftaiferftaate* ein be*
beutenbe* Qafjrgelb §u jaulen, fud>te man ben ©rjfjeraog ßeopotb
SBilhelm, gerbinanb* III. ©ruber unb $oa> unb $)eutfchmeifter,
ber nicht nur al* SKitglieb be* geiftlichen Stanbe*, fonbern auch
roegen feiner fehttmehen ®efunbheit unb perfönlichen 2Had)tlofigfeit
bent ßarbinal SKajarin al* ein bie Sntereffen granfreich nicht ge=
fäf)rbenbe* 9Reid)*oberhaupt erfduen, jur Uebemahme ber 9ieich**
frone gu betoegen. Slflein audj biefer ttrie* ben (SJebanfen eine*
feinbttdjen Auftreten* gegen feinen Neffen Seopolb mit @ntfc^ieben=
fjeit jurücf.
$en hänfen granfreich* gegenüber oertrat ber gürft £obfo-
ro i $ , ben ßeopolb an bie Spifce ber ju bem SBahltag nach granf=
furt abgeorbneten SBafylbotfäaft gefteflt, ba* Qntcreffe feine* sperren
mit ebenfoöiel ©cfdt)icf al* Ergebenheit, unb nachbem e* ihm ge=
hingen, ju ben Stimmen oon Sachfen unb ©ranbenburg, auf toeldje
Defterreich ftcr)er jählen bürfte, auch °ie oon ©aiern unb Xrier ju
gewinnen, ergaben fich auch bie $urfürften Oon SJtoinj unb ®öln,
unb fo föurbe ßeopolb I. am 13. Quli 1658, nach einem 3nter=
regnum öon fünfjehn Sftonaten, jum ftaifer gewählt unb am 1. Auguft
ju granffurt feierlich gefrönt.
©an$ erfolglos waren jeboct) bie 9tänfe üftajarin* nicht geblie*
ben ; benn ßeopolb mujgte fich $ur Unterzeichnung einer 2Bat)lfapitu-
fation oerftehen, in welcher er fich oerpflichtete, Spanien in beffen
Ärieg gegen granfreid) feinen ©eiftanb $u leiften, in bie italie-
nifchen Angelegenheiten fich nid)* einjumifchen unb bem mit granf=
reich oerbünbeten Jperjog üon Saüoöen ba* 9tetch*tufariat in Ita-
lien ju übertragen. 9tur mit 2ttüf)e gelang e* ihm, bie 4>inju=
fügung ber gleichfall* oon ben Äurfürften auf ben ©errieb granf=
reich* in ©orfdjlag gebrachten ©ebingung ju öerhinbern, baß bic
Uebertretung eine* ober be* anbem fünfte* biefer 2Bar)IfapituIation
ober ber Stipulationen be* weftfältfchen grieben* feine Abfe&ung jur
golge haoen folle.
2öie weit bie innere Auflöfung be* beutfehen deiche* bereit*
fortgefchritten unb rote fehr in ben beutfehen gürften jebe* 5latto-
nalgefühl erftorben mar, beweift ber ©unb, ben bie brei geiftlichen
turfürften, ber ©ifchof oon fünfter, ber ^faljgraf oon 9ceuburg, bie
^er^öge oon ©raunfehweig unb ber ßanbgraf oon $effen=$affel,
gleich nach Abreife be* ftaifer* (24. Auguft 1658) auf ben ©etrieb
Schweben*, angeblich sur Aufrechthaltung be* weftfätifchen grieben*,
thatfächlich aber jur Schwächung unb 3folirung Defterreich* unb
fomit jur görberung ber ;gntereffen granfreich* unb Schweben*
fchloffen unb bem biefe beiben dächte beitraten. $er Stifter biefe*
„rheinifchen ©unbe*", eine* toürbigen ©orläufer* be* fchmachoollen
Digitized by Google
8
äaifer ßeopolb L
Dt^cinbunbeS au3 bcr Utapoleonifchen Qtit, mar bcr ®urfürft öon
9flainj, ber talentüofle Qohann s^^ilipp öon ©chönborn,
ber fich burd) feine ganje |>attung bereite als ben äftann einer
neuen Qtit anfünbigte. SBelchc ©orthetfe inäbefonbere granfretch
öon biefem iöunbe erhoffen burfte, erfeunen mir au£ bem Urtheil, ba3
ber franftöfifdje (MefanMc beim beutfdjen 9teich$tag über benfelben
fallt. „$iefe 2tflian$\ f abrieb berfelbe einige 3a^re fpäter an feinen
$onig, „gibt bem ®önig Gelegenheit, feine greunbe unb feinen
großen ®rebit im ^Reiche ju erhalten; fie macht i(m jum 9#ttgliebe
beä föathe* ber beutfdjen Surften, olme il)n öon bemfelben abhängig
$u macben."
©chon ju öebjeiten gerbtnanbfc HL mar ein Ärteg amifcfjen
$art X. (Guftaö) öon ©chmeben, bem Nachfolger (£fjriftinen3f unb
bem ®önig 3otmnn Äaftmir öon <ßolen, bem ©ruber unb $lafyoU
gcr SBIabiSlamä IV. (feit 1648), ausgebrochen, ben hauütfächlich
$arl Guftaöä letbenfchaftliche SRu^mbegierbe unb (SroberungSfudjt
heraufbcfchmoren. 3n biefcn $rieg, in meinem bie ©chmeben tfn=
fangä glanjenbe Erfolge errangen, fyattt fich auch ber gürft Georg
föagocjü II. öon (Siebenbürgen aU ©unbeägenoffe ®ari GuftaöS
eingemifcht, maS ßaifer gerbinanb III. ©eranlaffung gegeben, in
einem auf feinem Sterbebette unterzeichneten ©ertrag, ben ^olen
£>üfe jujufagen. $er ^olitif feine« ©aterS treu bleibenb, lieg ßeo*
polb im ©ommer 1657 ein Jpeer öon fed)$el)ntaufenb Sflann in ^ßolen
einrüefen, unb ju bcr gleiten Seit ergriffen auch ocr ®önig öon
$)änemarf unb ber fturfürft öon ©ranbenburg, ber fein ^erjogthum
^reufjen burch bie ©rfolge ber fdjnjcbifcfjcn SSaffen bebroht fah, für
Sßolen Partei. S)en öereinten Söaffen ber ©erbünbeten mar bie
Stacht ftarl Guftaö« nicht gemachten: feine Xruöpen mürben auf
allen fünften gefchlagen. Schon öorher mar föagocjö $um sJtücfjug
nach Siebenbürgen gejmungen morben, mo er balb barauf im ftamöfe
gegen bie Xürfen ben Xob fanb.
®arl ©uftaö ftarb, nad)bem er oergebenS ben ®aifer ßeopolb
öon feinen ©unbefcgenoffen ju trennen gefucht, am 20. gebruar 1660
öoQ Unmuth über fein finfenbeä ÖHücf, unb fein Xob beschleunigte
bie grtebenäöerhaublungen, bie fdjon im SDejember 1659 im SHofter
D I i t? a bei 2)anjig eröffnet morben maren. SDa fomohl ber $aifer,
als auch oer ^urfürft öon ©ranbenburg au$ gurdjt öor einer
©inmifchung granfreichä ju (fünften Sd)mebenä eine möglichft
rafche Jöcenbigung beä Kriege* münfehten, erlangte Schmeben in
bem am 3. Üftai 1660 abgesoffenen grieben öon Dliöa, bem am
27. 2ttai auch $änemarf beitrat, öortheühaftere ©ebingungen, als
e« hfltte ermarten bürfen. (£d blieb nicht nur im ungefchmälerten
SBefi^ ieiner Ü^achtfteHung an ber Dftfee, fonbern ber $önig oon ^ßolen
entfagte auch aUen sÜnfpruchen auf bie f chmebifche Ätone unb auf ^iölanb.
Digitized by Google
Seupolbä Xüvfcnfrtcfle.
9
£eo)io(b§ 2firfentriefie.
(1663—1699.)
Seopolbä I. ganje föegierung^eit war burd> Kriege ausgefüllt,
t>ie er tfjeite im SBeften unb Süben gegen Sranfreidj, tljeiU im
Dften gegen bie Xürfen ju führen t»atte. Söaren bie elfteren faft
nur eine lange fteuje oon Ütfi&erfolgen, fo Imben bie teueren ba*
gegen bie faiferltc^e Sfrone mit einem unöertoelflidjen ^u^meöfranje
umrooben.
s2ln biefen Kriegen nafjm aÜerbingS ßeopolb perfonlidj feinen
2lntf)eil, hrie er überhaupt, im ©egenfafce jii feinem Sater, ber fid)
in feiner 3ugenb als tapferer unb tüchtiger Selbfjerr bemäfjrt Ijatte,
toeber friegerifdjeS Xalent nod) friegerifdjen ©um beja&; aber ibm
gebührt ba£ boppelte 93erbienft, mit unerfäütterlidjer $u$bauer baä
panier be3 ^reu^eS fjodjgefjalten unb bie rechten Selbfyerren für bie
rechten ^läfce auägemäfjlt $u fyaben, unb bie Sorfefjung fjarte tfym,
sunt Soljne für bie Ijoljen Xugenben, bie er auf bem Xfjrone nrie
in feinem ^rioatleben entfaltete, eine große Qafyl ber au$ge$eidjnetften
£>eerfüf)rer jur Seite gefteflt.
s2ll$ Seopolb I. bie Regierung antrat, mar ganj SRieberungarn
in ben £>änben ber Surfen, Cfen ber ^>crrfct)erfi^ eines rürfijdjen
5Be$iera, Siebenbürgen ber Pforte tributpflichtig unb bie SBafjl ber
fiebenbürgifdjen dürften oon ber SBeftätigung beä Sultans abhängig.
<3)aS iöeftreben, fid) foroofjl ber türfifcfjen als ber öfterreidnfd)en säb~
fjängigfeit 51t entjie^en unb jtoifdjen ben Karpathen unb ben $onau=
gegenben ein felbftftänbigeS SReidj ju grünben, fjatte ben Surften
üttagoqn üeranlafjt, fid} gegen ben Söhlen beS Sultans 3ftol)am=
meb IV. bem Sdimebenfönig ®arl ($uftao in beffen $rieg gegen
"ißolen an$ufd)lie&en, in ber Hoffnung, mit Jpilfe biefeS 93unbeSge=
noffen feine Sßläne üernnrflidjen 511 tonnen; allein ber Öerfudj mar
fefclgefdjlageu, unb föagoqö faf) fid) buref) benfelben in einen blu*
tigen ®rieg mit ben Xürfen oermirfelt, in meinem er, nadjbem ber
(Sultan feine s2(bfe$ung auSgefprodjen, am 22. 2ftai 1660 in ber
©c^laa^t bei ®tyalu töbtlidj oertounbet mürbe.
$a bie Xürfen -IRiene matten, gan$ Siebenbürgen mit ityrem
Sftetdje ju oereinigen, beeilten fid} bie fiebenbür giften Stänbe, ben
erlebigten gürftenftuljl neu ju befefcen, unb ir)rc SBab,l fiel auf
SRagocäU'3 gelbljerrn, Sodann ®remenü. Um fid) gegen bie Xürfen
behaupten ju fönnen, roarf fid) berfelbe ben Defterreidjern in bie
Hrme, unb ßeopolb, ber bie 9totf>toenbigfeit erfanute, bem metteren
Umfidjgreifen ber £ürfenmad)t entgegenzutreten, fanbte ben General
SRontecuculi nac$ Ungarn unb Siebenbürgen, um ^ernenn gegen
ben oon bem Sultan $um Surften oon Siebenbürgen beftimmten
Digitized by Google
10
fatfer ßeopoib L
3ftichael s2lpafi ju unterftüfcen. Xrofc feiner ungenügenben ©trete
fräfte brang 9ttontecuculi erfolgreich oor; allein Dementi fanb fcfjon
ju Anfang beä Qafireä 1662 im $ ampfe gegen bie Anhänger 2lpafi'S
ben Xob.
Seopolb jögerte, ben ®ampf gegen bie Xürfen fortjufefcen,
nicht nur meil er ju einem ernfteren Kriege nicht genügenb öorbe=
reitet mar, fonbern auch unb ^attptfäc^Uc^ wegen ber bebenf üct)en
Gattung ber Ungarn, bie nur ©inn fjatten für ihre partifulariftifchen
tl)eil$ begrünbeten, tfyeite unbegrünbeten SBefchtoerben, ober feinerlei
SBerftänbnifj für ba8 ^ö^ere allgemeine gntereffe be3 iRcic^cS roie
für bie bringenbe (Gefahr ber djriftlidjen SBilbung Europa' ä, unb
oon ben fanatifchen, £>a6 unb Verfolgung gegen Deftcrrcicr) pre=
bigenben proteftantifchen ^ßräbifanten ju offenem Aufruhr gebrängt
mürben, ©o fcr)r jeboct) auch ber $aifer ben Sieben aufrecht ju
erhalten toünfchte, far) er fidj bocfj burch bie maßlofen Sforberungen
unb fortgelegten Uebergriffe ber Xürfen gejttningen, im Qa^re 1663
bie SSaffen gegen fie ju ergreifen.
$er Anfang be3 Krieges mar für Defterreich ein unglücflidjer.
$>ie oon bem türfifchen ©ro|oe^ier Mehmet (Stjrili feit bem 17. Sluguft
1663 mit einem |>eere oon ^unbertjroanjigtaufenb 3flann belagerte
unb oon bem (trafen Sorgacj mit Umficht unb Xapf erfeit oert^et^
bigte Scftung 9ieul)äufel, ba3 ^auptbolltoerf beä meftlichen Un*
garo3 fiel am 24. September, in Solge einer 9fteuterei ber un=
garifct)en SBefa^ungStruppen, oon welchen ein Xtyil fogleidj nach ber
ilebergabe ber ©tabt in türftfehe Dienfte trat. Unter gräueloollen
Sermüftungen fcfjtoeiften oSmannifc^e föeiterfchaaren, gegen meiere
toeber SRontecuculi mit feinem nur fedjätaufenb Wlann ftarfen
®orp3, noc^ oer tapfere unb friegSerfatjrene s8a\\ oon Kroatien,
©raf Piflas 3 * i n u , ber (Snfel beä berühmten s-8ert()eibiger3
oon ©aigeth, mit bem ungarifdj-froatifd)en Heerbann (Etroad au3$u=
richten üermochten, bi3 gegen ^rünn unb Dlmüfc unb festen SBten
in ©Breden.
©anj anberä oerlief bagegen ber 3elbjug beä gafyreä 1664.
SRachbem e3 bem ®aifer burch perfonfic^c* ©rfchetnen auf bem
föeichstag in 9legcn£burg gelungen, bie ©tänbe ju rafcherer <pilfe--
leiftung §ti bemegen, unb bemgemä& bie jugefagten 9teich3truppen
unter bem 2flarfgrafen Öeopolb oon SBaben unb bem (trafen oon
SBalbecf im grühfommer 1664 in Ungarn erf Lienen maren, auch
ber ftönig ßubtuig XIV. oon granfreich bem ßaifer ein .frilfafjeer
oon fechataufenb 9flann unter bem (trafen Qohann oon (Soligno,
einem Ururenfel be3 in ber ^Bartholomäusnacht ermorbeten 9lbmiral$,
ju £ilfe gefanbt, nahm ber faiferliche Oberbefehlshaber äflontecueuli
mit ftebenunbbrei&igtaufenb 9ttann feine ©teHung hinter ber föaab,
um bie ©renjen DberungarnS ju beefen. $ier fam eS am 1 . ^luguft
Digitized by Google
ßeopolt»«* Türfcnfricflc.
1t
1664 bei berr Ijart an ber ©renje ton ©teiermarf gelegenen
Siftercieuferabtet ©t. ©ottfjarbt $ur blutigen (£ntfd)eibung«-
fcf)fadu\
9?adjbem ein X^eil be$ türfifd&en $eere*, ba3 in ber ©tärfc
öon fmnbertbreißigtaufenb 9Rann unter ber jjüfjrung bei ©roß;
t>e$ier3 bi§ an bie ftaab oorgerütft mar, ben Uebergang äber ben
Stuß errungen r)atter griffen bie juerft übergefefoten ganttfdjaren unb
Soatnä bie ba$ (Jentrum beä faifertidjen $eere3 bilbeten SReidjä*
truppen mit fotdjer Uebermadjt an, baß fie öoüftänbig jerfprengt
tourben. ©djon gelten bie Xürfen il)ren ©ieg für gefiebert, ate
Sftontecuculi unb ©otigntj, jener mit bem regten, biefer mit bem
ttnfen Stügel be$ djriftlidjen £eere8, fict) ilmen in bie Sfanfen
roarfen, roäljrenb ber $rin$ oon SBalbecf audj bie jerfprengten Xrup=
pen be$ (Zentrums mit bem $egen in ber £>anb gegen ben 5einb
jurütf trieb. Qtefct gerieten bie dürfen ib,rerfeit$ in SBerroirrung, unt>
ganje ©paaren fprengten in oermorrener fjlucbt babon. 9lodj ein-
mal roanbte ftcr) ba3 ©lud ber ©djladjt, al8 neue Abteilungen tür*
fifdjer Reiterei, bie, oon bem ©roßöejier entfanbt, oberhalb unb
unterhalb be3 ©djladjtfelbeä über ben 3tuß gegangen, ba$ cririftli^e
#eer auf beiben ©eiten unb im SRürfen angriffen. 3n biefem ent-
fefteibenben Wugenblid, roo OTe3 auf bem ©piete ftanb unb ber Jeinb
ftd) bereits beä ©epätfS ber 9letd)äOölfer unb Sranjofen bemädjtigt
fjatte, lieg SKontecucuft mit rafa^er @ntfcr)toffcn^cit ben Äern be*
$>eere3 in ber ganjen gronte oorgeljen, roäfjrenb er (Solignn linte gegen
bie anftürmenben türftfcr)en Leiter entfanbte unb fict) felbft mit feinem
eigenen Regiment unb bem be3 ®enera(3 ©porf rea)t3 bem geinbe
entgegemoarf. *Bor bem Angriff fiel ©porf auf bie ®niee nieber
unb betete entblößten Raupte* mit lauter ©timme: „sMmäd)tigfter
<£eneralijftmuä bort oben, mittft bu un$, beinen cr)riftgCäubigeu $in^
bern, Ijeute nidjt Reifen, fo f)Uf bodj audj roenigftenä ben Xürfenljunben
nia}t, unb bu fottft beine Suft Gaben!" $iefe SBorte riffen feine
©paaren jur begetftcrtftcn ftampftuft fun, bie fidj rafd) über ba£
ganje ct)riftUcr)e #cer oerbreitete, unb balb mieten bie Xürfen auf
allen fünften jurüd. 3mmer größer mürbe bie Verwirrung in ityren
SReüjen, bis enbttdj Reiterei unb gußootf in oermorrener glutf)t fidj
in bie föaab ftürjten, in beren Stützen über ^ntaufcnb SKann ben
Xob fanben. Aua? bie breißigtaujenb 3Rann ftarfe föeferbe ber Di*
manen, bie nodj gar ntd&t ins (Sefeajt gefommen, fitste, oon einem
panijdjen ©ajreden ergriffen, ba$ SBeite.
$)ie ^ieberlage ber Xürfen mar eine ooßftänbige, unb ber
©ieg beä faiferliajen Speeres — ber größte unb glänjenbfte, ben
bie d)riftlid)en ©äffen feit brei Qatjrfjunberten über bie Domänen
erfochten Ratten — ber SSenbepunft bc? türüfe^en ^rieg^gtürfe^.
3nbeffen magte 9flontecuculi nia)t, ben errungenen ©ieg weiter ju
Digitized by Google
12
Äatfcr Seopolb I.
üerfolgen, ba fein |>eer burd) bic erlittenen Söerlufte aH$u fc^r ge*
fd)roäd(>t unb ber d&roßücjier nodj immer im SBefifte n?ett überlegener
«Streitkräfte mar, unb ba ftd) audj ber Sultan jum grieben geneigt
geigte, entfdjloß ftdj Seopolb, ber überbie« uidt)t ftdjer auf bie fernere
£>ilfe be« SReidje« unb nodj meniger auf bie be« Königs üon granf*
reicfj redjnen fonnte, auf bie üon bem ®ro&t>ejier üorgefd)lagenen
grieben«unterfmnblungen einzugehen, ©o fam frf)on am 10. 2luguft
1664 ju 23a«üar unter ber gorm eine« jttjanjigia^rigen 2Baffen*
ftillftanbe« ein griebe ju ©taube, melier bie Xürfen im SBefifce ber
beiben mistigen <piäfce ^etermarbein unb fteuf)äufel liefe unb bem
tnjmifchen tum ben Xürfen jum Surften üon Siebenbürgen einge*
fefcten ÜKi^aet SIpaft bie SInerfennung Defterreidj« üerf djaffte,
toogegen ber ©ultan üerfpredjen mußte, feine Xruppen au« ©ieben*
bürgen jurürfjujie^en unb ben ©tänben biefe« Sanbe« bie freie 28al)l
ihrer gürften ju bclaffen.
Obgleich man hätte crmarten foöen, baß bie Ungarn ben 9(6=
fd)luß be« grieben« üon $a«üar, melier ber Verheerung ihre«
Öanbe« ein Siel fefcte, mit greuben begrüßen mürben, erhöhte ber=
felbe nur ihre (Erbitterung gegen ben $aifer, meil er, ben ©efefcen
ihre« £anbe« unb bem früheren brauche entgegen, ofme ihren Vei*
rath gefdjloffen roorben. sKuä) märe ben ungarifdjen (Großen bie alle
yjlafy im Sanbe in ftänben Ratten unb bie 5)eutfchen mit glühcn=
bem £>affe üerfolgten, bie gortfefcung be« Krieges ermünfcht geroefcn,
um in bemjelben größere Vortheile gegen Defterreid) erringen $u
tonnen, ©ie flagten über Verlegung ihrer Verfaffung unb über
<&eroalttljätigfeiten ber im ßanbe flurüdgebliebenen öfterreidufchen
©olbaten unb verlangten bie ßurücfführung ber ungarifc^en Jerone,
bie mährenb be« Kriege« nach Söien gebracht morben mar, fomie bie (£nt*
fernung aller beutfchen Xruppen au« Ungarn. 5)ie erftere gorberung
mürbe ilmen ohne ßögerung bemiHigt, bie jmeite jeboch, meil unüer-
€inbar mit ber Sicherheit be« üanbe«, ba« fich nidjt felbft ju fchüfcen
üermochte, entfdnebcn jurürfgcmiefen.
3nbeffen fanb ber uugartfcfje Slbel balb in ben fortbauernben
klagen über bie äuchtlofigfeit ber beutfchen ©olbaten, fomie in einer
angeblichen Verfolgung ber sßroteftanten üon ©eiten ber üftcrreidjifdjen
Regierung einen ermünfdjten Vormanb ju ^oc^ücrrät^ertfc^cn Um*
trieben, unb e« entftanb eine geheime Verbinbung, bie mit $ilfe
granfreid)« unb ber Pforte bie 2o«reißung Ungarn« üon Defterreid)
in« 2öert ju fefcen gebaute. $od) nod) ehe bie Verfdjroorenen ifjre
*ßläne jur $lu«führung bringen fonnten, erhielt ber Äaifer Äunbe
üon ber beabfidjtigten (Empörung, unb bie (trafen <ßeter 3rinn, ber
Vruber unb Nachfolger be« oben ermähnten Van'« üon Kroatien,
sJcifla« $iint), ber im 3a^re 1664 burd) einen Unfall auf ber Qagb
ben Xob gefunben — granj sJ^aba«bi, granj grangipani, 3nnü'«
Digitized by Google
lüeopolbS $ürfenfriege.
©cr)u>ager, unb Era«mu« üon Gettenbach büßten im 3af)re 1671
bic t)erüorragenbe dtoUt , bie ftc bei ber Jöerfäwörung gefpielt, mit
bem Xobe auf bem ©lutgerüfte , toährenb ber bei berfelben gleia>
faEte beteiligte Sranj SRagocso, ber Sof)u be« Surften ©eorg II.
öon Siebenbürgen, ber bereit« Xruppen 511m offenen Kampfe ge=
fammelt , aber oon bem öfterreidnfehen ©eneral (Sporf gefdjlagen
tüorbcn, burd) Unterwerfung unb bie Uebergabe aller nod) oon il)tn
befefcten <ßläjje Seben unb 5reif)eit erfanfte.
Um ber Söieberfe^r ähnlicher ©cfatjrcn üorjubeugen unb bie
fömaUdje ßteroalt in Ungarn bauernb ju fidjem, hob Seopolb, naa>
bem eine oon ihm eingefefote Äommiffion oon Xtjeologen oon beu
beiben ihr vorgelegten Sragen : ob ber ftaifer noch an bie ungarifd)c
söerfaffung gebunben fei , ober ob bie Ungarn a I « Nation fid)
empört unb baburdj ihre 9ted)te unb greifjeiten üerroirft t)ättenr
bie (entere nach genauer Prüfung ber (Bachlage cinftimmig bejaht
unb eine politifdje $ommiffion fid) aud) 00m juriftijdjen ©tanbpuufte au«
in bem gleiten ©inne au«ge}prod)en hatte, im Qatjre 1673 bie mefent-
licf)ften SBeftimmungen ber ungari)d)en SBerfaffung auf unb fegte ben
$ocf)- unb $eutfdnneifter $>°hann üon s#mpringen, einen efyr=
haften, thatfräftigen , in politifdjcn fingen erfahrenen Sttann unb
tapferen gelbherrn, jum ©eneral:©ouoerueur oon Ungarn ein. Qu-
gleich mürbe gegen biejenigen proteftantijtfjen ^räbifanten , bie be-
fonber« bie Un^ufrieben^eit $u fdjüren gefugt unb ba« iöolf §ur Empö^
rung aufgcftaa^elt Ratten, eine gerichtliche Verfolgung eingeleitet, nicht,
tuie ber Unterfudmng«fommiifion auf ba« Nachbrudlichfte eingefcr)ärft
rourbe, megen ihre« ÖJ lau ben«, fonbern nur megen &anbe«oer=
rath«. Mehrere berfelben mürben jum Xobe üerurtl)eilt, jebod)
unter ber *Bebingung ber Dlieberlegung ihre« v2lmte« unb ber Ent-
haltung oon allem Unterrichte oon bem ftaifer begnabigt.
Qnbeffen gelang e« bem oon 23ien au« nicht nur mangelhaft
unterftüfcten , fonbern felbft burch jmeefmibrige SJcagregeln in feiner
SBirfiamfctt oielfach gehemmten 4>oct)= unb Seutfchmeifter nicht, in
Ungarn bie Drbnung aufrecht ju halten , unb noch weniger , bie
Seoülferung mit ben Neuerungen be« $aifer« auäjuföhnen. 'Sie
Unjufriebenen fnüpften hochoerrätherifche ißerbinbungen mit granf*
reich an, unb im 3ahre 1678 brach ein offener Mufftanb aus, ber
oon 3ranfreich, $olen unb ber Xürfei unterftüfct mürbe.
$er Urheber unb Seiter ber Empörung mar ber ©raf Em-
merichiXöfö In, ein 2ftann, ber mit reidjer geiftiger Begabung
#elbenfinn, X^atfraft unb Kühnheit, aber auch *ww ör°6e Reiben*
fchaftlichfeit unb einen ma&lofen Ehrgcij oerbanb. 9catf)bem ber=
felbe an ber ©pifce eine« Speere« oon jtoanjigtaufenb si)cann mehrere
gegen ihn au«gefanbte faiferliche $>eerhaufeu $urüdgeja)lagen unb
hierauf ba« ganje £arpatf)eugebiet erobert hatte, fat) fich Seopolb,
Digitized by Google
14
tfaifer Üeopolb I.
bem roegen feine* gleichzeitigen Kriege* mit granfreich nur geringe
©treitfräfte $ur Befämpfung ber ungartfehen SRebellen ju (Gebote
ftanben, jum 2lbfchlufj eine* förmlichen SBaffenftiüftanbe* mit %o*
föln genött)igt , mäfjrenb beffen er nicht nur bie alte Berfaffung
Ungarn* öoüftänbig r)crftcllter fonbern auch burd) bie meitgehenbften
^ugeftänbniffe ber herrfchenben Unjufriebenheit ein (£nbe ju machen
fuc^te. SRachbem Mmöringen im 3at)re 1679 fein 2(mt nieberge*
legt, mürbe ber ©raf $aul ©fterha$ü jum ^alatin gemäht unb
feine 28af)l öon bem tfaifer beftätigt.
Cbgleic^ ßeopolb allen gerechten unb oernünfrigen Befchrocrben
Ungarn* Rechnung getragen unb inäbefonbere ben s.ßroteftanten bie
meiften ihrer gorberungen gemährt, auch a^en Gebellen eine öoll*
ftänbtge SImnefrte bemiüigt hatte, legte Xöfölb bie SBaffen nicht
nieber; benn ben Bemühungen ßubroig* XIV., bem ftatfer, bem
feit ber Beenbigung be* Kriege* mit granfreich burch ben 9h)m*
meger grieben mieber bebeuteubere ©treitfräfte $u Gebote ftanben,
burch Mufrcijung ber Xürfen im Often neue Verlegenheiten ju bc*
reiten , ftellten einen abermaligen Xürfenfrieg in Sluäficht , au*
welchem ber ®raf Bortheile fliehen ju fonnen hoffte, 9lachbem er
eine 3<ntlang ^en $aifcr jU täufchen gettm&t, liefe er fich öon bem
©ultan 9ftohammeb IV., bei meinem bie ränfeöollen ©inflüfterungen
ber franflbfijchen (iJefanbten nicht erfolglos geblieben, am 10. Muguft
1682 jum ^ünig öon 9ttittelungarn unter ber Oberhoheit ber
Pforte ernennen, mogegen er feinem Dberlehen*hcrrn einen jähr»
liehen Xribut öon öierjigtaufenb sßiaftern, fomie bie nachbrücflichfte
Betheiligung an allen Kriegen ber Pforte jufagte.
$)ie umfaffenben Lüftungen, bie in $onftantinopel jur Unter»
ftüftung be* neuen Bajaflen angeftellt mürben, oerfünbigten bem
$aiferf)ofe bie brohenbe ©efahr ; boch trug man fich n0(h immer
mit ber Jpoffnung, bajj e* bem trafen Saprara, ben ßeopolb fchon
im grühjahr 1682 al* aujjerorbentlichen Botfehafter nach Stonftanti-
nopel gefanbt, um öon ber Pforte eine Verlängerung be* SBaffen*
ftiüftanbe* öon BaSöar $u ermirfen , gelingen merbe , ben ^ttan-
fliehenben Sturm , $u beffen erfolgreicher 2lbtoehr e* bem $aifer
ebenfomohl an einem mohlgerüfteten £>eere, al* an ben nöttjigen
(Selbmitteln fehlte, burch Borftellungen unb ©efdjenfe 511 befchtooren.
silHein je mehr (£aprara fich um bie Mufredjthaltung be* grieben*
bemühte, befto leichter mürbe e* bem fran^öfifchen ©efanbten, bem
©ultan bie Ueber^eugung beizubringen , bafj ber &aifer fich öor
ber türfifchen Uebermacht fürchte unb berfelben bei feiner öoUftän-
bigen Söehrloftgfeit in einem neuen Kriege unjmcifelhaft erliegen
müffe.
s2ll* man am faiferlichen Jpofe bie (SJemiBfnut erlangt §atter
bajj ber ®rieg unöermeiblich fei, orbnete öeopolb fchleunigft bic
Digitized by Google
fieopolbS Xürfenfriege.
15
nötfngen Lüftungen an , bic nur aHju lange öcrjögert worben
waren. $)a£ in Ungarn ftehenbe $eer würbe auf breifjigtaufenb
Sttann erhöht unb ber Oberbefehl über baäfelbe bem Herzog ®arl V.
oon Lothringen, bem Neffen ®axU IV. unb ®d>wager Seooolbd,
übertragen. 2lu3 bem Steide, baä ber ßatfer um fdjleuuige §tlfe*
leiftung angegangen, jagten, au&er bem fdjtoäbifdjen unb fränfifchen
Greife , bic fturfürften ©eorg III. üon ©achfen unb 9)ca$tmilian
Immanuel oon ©aiern , welcher ßefctere im Qafjre 1679 feinem
Vater gerbinanb 2)kria in ber Regierung gefolgt war, bem &aifer
Unterftüfcung ju.
2)cn wichtigften $ienft leiftete bem ferner bebrängten faifer
$apft 3nnocen$ XI., inbem ihm berfelbe in bem Äönig 3 o h a n n
© o b t e S f i üon *ßolen, bem Nachfolger 3oc)ann ßafimirä (f. ©. 8),
einen ebenfo ^oc^^erjigen als tapferen SBunbeSgenoffen üerfdmffte.
$n bem ©cfjufc* unb Srufcbfinbnife, ba3 am 30. 9ttärz 1683 unter
ber Garantie ber ftirdje zwifdjen ©efterreidj unb $o!en zu gemein*
famer 2lbwcl)r ber Xürfen gesoffen würbe , fagte ©pbieäfi bem
ßaifer ein jpUför)ccr oon Dierjigtaufenb Sttann zu.
2ln bem gleiten Sage, an welchem ßeopolb ben Vertrag mit
©obieäft unterzeichnete, brach baä türftfehe £>eer in ber ©tärfe oon
breimalhunberttaufenb SEann unter ber gührung beä ®rofjoezier3
^ara 2Jcuftaoha> etneS ebenfo talentlofen als ehrgeizigen unb
habfüchtigen ©moorföminlingS, ber Oesterreich alä ein ^afcfjalif für
fidt) ju erobern gebachte, oon Hbrianooel auf, um fich nach ber
ungaäfchen (Frenze in Bewegung zu fejjen. Sßachbem biefelbe über*
fdjritten Worben , erliefe Zötöit) , ber in @ffef ju bem türftjehen
Speere geftofeen, ein 9#anifeft, in welchem Sitten, bie fich für ihn
erflären mürben, ber ©chufc beä ©ultanä unb oolk Sicherheit it)re^
Sebent unb (Sigenthumä ^ugefichert mürbe. ®ara 9Jcuftaoha über*
gab ihm einen ^eerfmufen zur Berennung oon ^ßrefjburg, mährenb
ein anberer zur Belagerung oon 9taa6 zurücfgelaffen mürbe, unb
fefcte bann mit bem #auptc)eere , ba3 noch immer über zweimal*
hunberttaufenb ättann zahlte, unter gräuetootten Vermüftungen feinen
jjug gegen SBien fort. $)a ber Herzog oon Lothringen gegen eine
folche llebermacht fein treffen wagen burfte , z°9 er fi<$ in
märfchen auf bie £auptftabt zurücf.
Unbefchreiblich war ba3 (£ntfe|jen unb bie Verwirrung, welche
bie Äunbe oon bem £>eranrücfen beä gefürchteten 3etnbeä unter ber
Beoölferung oon SBien hcrüorrief. 2(n fechzigtaufenb äWenfdfjen Oer*
ließen bie Btabt, atö gasreiche Slüchtlinge unb bie am öftüchen
£immet aufftetgenben geuerfäulen unb Nauchmolfen bie Nähe beä
Xürfenheereä oerfünbeten. siluch ber ®aifer, ber felbft in biefen
fcfjrecfenüollen s2lugenblicfen feine oolle sJtuhe unb ©Ottergebenheit
bewahrte, erfannte bie Nothwenbigfeit, bie #auptftabt zu oerlaffen.
Digitized by
16
ßaifer Seopolb I
Jochbein er bic 93ertheibtgung berielben bcm tapferen unb friegS*
funbigen Grafen (äxnft Milbiger t>on ©tarhemberg übertragen
unb bie 93firgerfchaft ju mannhaftem Söiberftanb angefeuert, öer*
lieg er am 7. Quli 2Bien, unter ber 3"faöe balbigen ©ntfafceS, unb
jog fid) mit bem $ofe nach Sinj jurücf.
3nbeffen bot Starnberg, ber ftch feiner ferneren Aufgabe
öollfommen gemachten jeigte, 2fIIcö auf, um bie SöiberftanbSfräfte
ber £auptftabt $u erhöhen. Qn fur^er Qdt maren bie jum Xr)cit
fcr)r fdmbhaften geftungämerfe auägebeffert unb $n>eifmnbert 8a*
nonen auf ben SöäHen aufgepflanzt. 3u* Söerftärfung ber fcfjr
fehroachen befafcung hatte ber ^er^og öon Springen öierje^ntau-
fenb 9ttann Sinientruppen in bie ©tabt geworfen, mäfjrenb er fid)
mit bcm SRefte feineä $ecreS in ber Dichtung auf Wlafyrm jurücf*
gebogen, um fict) mit ben fjeranjiefjenben $ilfSöölfern jum ©ntfafce
ber .£>auptftabt ju vereinigen.
2lm 13. 3uli erfa)ienen bie erften türfifdjen föeitcrfdjaaren
vor ben dauern von 2Sien , unb fdjon am folgenben Sage mar
bie ©tabt tioflftänbig ton bem geinbe eingeidjloffen. So meit ba£
Singe reifte, fa)toeifte e3 über einen SSBalb öon gelten — man
Zählte bereu fünfunb^manjigtaufenb —, bie ftch im $albf reife öon
bem Ufer ber Sonau biä lieber $u bemfelben ring$ um bie ©tabt
3ogen. 9tachbem bie Surfen ihre Batterien aufgepflanzt , begann
fofort bie ©efa^ießung ber ©tabt, unb £mnberte fernerer Gefchüfce
entjanbten ifjr verbcrbcnfprühenbe$ geuer gegen bie dauern ber=
fetben. 2lber ber entfcfjloffenc ©tarhemberg manftc nicht: alle 2luf^
forberungen zur llebergabe jurürfmeifenb , öerttjeibigte er, von ben
rühmlichften 2(nftrengungen ber Bürger unb ©tubenten unterftüfct,
bic feiner Dblmt anvertraute ©tabt mit bem bemunberungätoürbigften
£>elbenmutl) gegen alle ©türme ber Sürfen. 28aS bie feinblichen
Gejchü&e bei Sage jufammengemorfen, mürbe bei üZacr)t roieber auf*
gerietet. 3>a man ben SUtinen ber Xürfen burcr) Gegenminen ju
begegnen fuc^te , fam e£ oft förmlichen ©djladjten unter ber
(£rbe. Much in aal)(reirf)en 2lu3fällen bemä^rte fich ber unerschütter-
lich SobeSmuth ber belagerten, Vichts vermochte ihre WuSbauer
ju ermüben; felbft als aufgebrochene $ranfl)eiten noch furchtbarer
uuter ihnen aufzuräumeu begannen, als baS feiublicfje geucr, blieb
ihr ftanbhafter SWuth fich gleich ; fie waren entjchloffen, auszuharren
bis 511m legten Blutstropfen unb, wenn Rettung unmöglich fe*» ftdj
unter ben Srümmern ber ©tabt begraben 311 laffen.
^nbeffen mürbe bie Gefahr mit jebem Sage bringenber; benn
mährenb bie geftungStucrfc bereite burch baS geuer ber Surfen
vielfach befchäbigt morben unb baS Anbringen beS geinbeS immer
heftiger uuo brohenber mürbe , gingen in ber ©tabt bie Borräthe
an ^ulver unb Lebensmitteln immer mehr jur Steige, unb bic 30h1
Digitized by Google
Seopolbd Türfenfriegc.
17
bcr Skrtfjeibiger mar faft auf bic £>älfte jufammenge|*chmol$en.
9hir mit 9Jftihe gelang e3 ©tarljemberg am 4. ©eptember , einen
öon bem ©ro&öejter felbft geleiteten ©türm jurücfyufchlagen , bei
roeldjem bie Xürfen bereite öier SRofjfchweife auf ben dauern auf-
gepflanzt, ©djon forberte er bie SBürgerfdjaft auf, fid) jum ©tra*
ienfampfe ju ruften, als enblich bie hei&erfehnte ©tunbe ber dltU
tung fchlug. 2lm Slbenb beS 11. ©eptember lieg ©tarfjemberg öon
bem ©tephanatfmrme au«, alä Seichen ber fjöcfrften ftoth, föafeten*
fd>märme abbrennen, unb alsbalb öerfünbigten bie gleiten geuer^
Setchen, bon ber #öf)e be* Barenberges auffteigenb, bafj ba* (£ntfafc
heer nahe fei.
(Srft im 21uguft war e3 bem $önig bon <ßo!en möglich gefoefen,
mit einem #eere bon fünfunbjmanjigtaufeub ättann öon ftrafau jur
Bereinigung mit bem #er$og öon ßothringen aufzubrechen. 9laty
bem biefelbe ftattgefunben , toaren auch bie ßurfürften öon ©achfen
unb ©aiern.unb ber <$raf öon SBalbecf, ber bie öon bem fd&mä»
bifdjen unb fränfifd&en Greife aufgebraßten Xruppen befehligte, ju
bem öereinten öfterreißifß^olnifßen #eere geftofjen, meines baburd)
eine ©tärfe öon öierunba^tjigtaufenb SDtonn erreicht Ijatte; ber
Bormarfch beSfelben mar jebod) burdj mannigfache ©ßmierigfeiten
gehemmt morben.
Obgleich ba« türfifche #eer trofc aller mährenb ber ©elage=
rung erlittenen SBerlufte bem c^riftlic^en noch immer um minbeftenS
baä Stoppelte überlegen mar , befchloffen bie güffrer be3 lederen,
o^ne ^erjug jum Angriff gegen baSfelbe öorjugeljen, für melden
bem ftönig öon $oIen ber Oberbefehl überlaffen mürbe.
$er Xag ber blutigen (Sntfdjeibung, ber 12. ©eptember 1683,
mar ein ©onntag. ©obalb bie erften ©onnenftrahlen am öftlichen
Gimmel aufftiegen, la$ ber ^oc^betagte r im £Rufe ber £eiligfeit
ftehenbe ®apu$iner Sftarco b'Slöiano, ben $apft ^nnocenj XI. eigene
ju bem £>eere entfanbt fmtte, um burdj feine begeiftembe ©erebt*
famfeit ben SJcuth ber chriftlichen ©treiter anzufeuern, auf ber £>öl)e
beä jmifchen bem Barenberge unb bem rechten $)onauufer gelegenen
SeopoIbäbergeS bie heilige äfteffe, unb ber Bönig öon ißolen biente
ihm als SWiniftrant. hierauf reichte er bem Könige unb ben an-
bern fatf)oltfct)cn Führern ba3 2lbenbmahl unb ertheilte ber 21rmee
ben ©egen, bem er bie SBerheijjung beifügte, baß ber ©ieg ihr ge-
hören roerbe, menn fie ihr Vertrauen auf ©ort fefce. ©obieäfi lieg
ieinen ©ohn , ben Sßrinjen %atob , nieberfnieen unb ertheilte ihm
im $lngefichte be$ $eere3 ben SRitterfchlag , zum Slnbenfen an ben
größten Xag, ben er je erleben fönne. ©eine $olen erinnerte er
baran, baf e$ fidj in ber beöorftehenben ©flacht nicht allein um
bie Befreiung SBienä, fonbem zugleich um bie @rha^unÖ ^rc^
eigenen SBaterlanbefc unb bie Rettung ber ganzen (£hnftenf)eit hanble.
Digitized
18
Äaifer Seopolb I.
9lad)bem ba$ £>eer unter flingenbem Spiel öon ber £üf)e be*
Barenberges in bie (Sbene geftiegen, orbnete Sobieäfi bie Xruppen
jum Angriff, morauf fünf $anonenfd)üffe ba* 3eidjen jur Sdjladjt
gaben, $ie $olen auf bem regten, bie Baiferlidjen auf bem linfen
Aiüael unb bie 9ietd)3truppen im Zentrum f rücfte bad djriftlidjc
jpeer gegen bie türfifajen ßinten öor. 2)ie Äaiferlidjen famen bei
Dhifeborf unb £eiligenftabt juerft in* ÖJefea)t unb blieben nacö
einem furzen , aber fjei&en Kampfe fiegreid). Größere Sd)roierig=
feiten fanben bie <ßo!en, bie ben geinb bei flfceuftift unb Xornbadj
angriffen , roo ber ©rogüejir felbft mit ben 3anitfd)aren ftanb.
$on feiner ftampfbegier ju meit f ortgeriffen , fafj fidj Sobie*fi
plöfclidj ödu einem Xürfenfdjmarm umringt, unb fein Seben fdjmebte
in ber fjödjften ©efafjr; aber bie SReiterei, bie ber Jperjog üon
iJotfyringen jur Unterftüfcung beä regten SlügelS abgefanbt, rettete
ben fcfjmerbebrofjten Bönig. 33alb mufete aud? ber ©ro§öe$ir bem
ftürmifdjen Anbringen Sobieäfi'S meinen , unb $u gleicher Qtit
brang baä Zentrum ficgreict) oor. Um fedjs Uljr SlbenbS mar ber
Sieg ber djriftlidjen Staffen cntfdueben: bie bis ju il)ren 3elten
jurüdgcbrängten Xürfen manbten ftd>, ßager unb SBorrätlje im Stiche
taffeub, jur gluckt, bie ununterbrochen bis Ütaab fortgefefct mürbe.
Unerme&lid) mar bie öeute an ®efd)ü$en, 3elten, SSagen, Shrieg3=
üorrätfjen, Boftbarfeiten unb baarem ÖJelbe , bie ben Siegern in
bem oerlaffenen türfi)a?en Sager in bie $änbe fielen. 25a* öon
©olb unb Silber ftrofcenbe gelt beä ©ro&öeaier* mürbe allein ju
öiermallmnberttaufeub Xfmlern angefangen unb bie ganje Seute auf
$efm äMionen gefaxt. Sie mürbe auf ber Stelle unter bie Sieger
oertt)eilt. Xer Sintbert beä Bönig* üon $olen belief fi<6 allein auf
Dier 9)Mionen ©ulben.
§lm folgenben läge gelten bie Sieger unter bem ©eläutc
aller ©foden unb bem frofylodenben Sauden ocr freubctrunfenen
löeoölferung iljren (SHn$ug in bie gerettete Jpauptftabt. Tay $olf
erfdjöpfte fidj in ben rüfjrenbften Bunbgebungen ber 3)anfbarfeit,
bie ganj befonber* bem Bönig öon $olen galten. 2ltte* umbrängte
benfelben, um üjm bie jpänbe, bie 5üße unb ben Kautel \n füffen,
unb feine* £obe* fonnte fein Gmbe gefunben merben. Ter Ded)ant
ber Steplmn*ttrd)e mahlte jum Xejrte feiner Siegeäprebigt bie
SSorte: „(§* mar ein 2ftann öon ©ort gefanbt, ber fuejj ^o^nne*."
$cr fromme Bönig felbft aber fdjrieb an feine» ©ema^lin : „©ott
fei für immer gejegnet, ber un* ben Sieg gegeben. Me Xruppen
Ijaben eifrig i^re $flid)t getrau; aber &Ue fa)reiben ©Ott unb mir
ben Sieg $u. (5* ift roatjrlmfrig eine gro§e öJnabe ®otte3; @^rc
unb 9lu^m Q^m jefct unb in atte ©migfeit!"
5lm 14. September fe^rte ^aifer Seopolb nac^ SBien jurücf,
oon mo er fic^ am 5Raa)mittagef öon bem frurfürften oon ©aieru
Digitized by Google
SeopolbS Xürfenfriege.
19
unb einem ja^rei^en ©efolge begleitet, in ba* fiager bei (Sber*=
borf $u einer perfönlidjen 3ufammenfunft mit bem fönig Don tyo--
len begab. Xie gegenfeitige SBegrüfeung mar eine äufeerft freunb=
liehe, ©obieafi richtete an ben ® aifer eine furje Slnrebe in lateu
itifcher ©pradje, toorauf Seopolb if)m in ber gleiten ©pradje in
gemähten SBorten feinen $anf für bie geleiftete £üfe au*brü(fte.
hierauf befahl ©obieSfi feinem ©ofme, öom *ßferbe ju ftcigen unb
bem faifer bie $>anb $u füffen. Xafe Seopolb bie« gefdjehen lieg,
ofme an ben £mt ju greifen nnb bem ^rinjen etwa* Serbinblidje*
5U fagen, üerbroß ben fönig. (£r empfahl fia) mit ber Söemerfung,
bafe , fall* ©eine faiferlidje TOajeftät bie Xruppen 511 belügen
nmnfche, er feinen ©eneralen Befehl geben toerbe, fie ihm $u aeigen.
Sftadjbem ber fönig in fein ßager jurürfgefehrt , burdjritt ßeopolb
in Begleitung be* fronfelbherrn Sablotoäfi bie 9leit)en ber polnifdjen
Xruppen. S^ei Sage fpäter fdjicfte ßeopolb bem ^rinjen $atob
einen foftbaren Xegen mit einem ©djreiben, in meinem er feinen
£>anf für feine unb feine« Bater* X^eitna^me an ben SBaffcn*
traten be* 12. ©eptember auäfprad).
2ttan t>at ben 0 aifer beä Unbanf* gegen ben ^olenfönig be=
fdjulbigt, roeil er beffen ©ofm nict)t mit größerer ©öflidjfeit be^an=
belt fyabt ; fein Benehmen bei biefer Gelegenheit rührte jebodj einjig
unb allein oon feinem allju ängftlichen Beftreben her, ber ifjm oon
Gbott anvertrauten faiferüdjen Söürbe niemals ba* ©eringfte $u oer-
geben: öon Unbanf fonnte babei fieser in feiner SBeife bie SRebe
fem. 2luch bemerft SKenjel mit SRedjt: „£)afe ©obieSfi baoon ritt
unb , anftatt felbft bem f aifer bie Xruppen ju geigen , bie* ®e=
fd)äft bem (SJroßfronfelbherm überliefe , fear ein ärgerer SÖerftofe
gegen bie $öflid)feit , al* bafe ber f aifer üor bem ^ßrinjen %atob
unb üor ben polnijdjen Grofeen ben £>ut nidjt abnahm, toa* er aua}
üor ben $ urfürften nidjt tf)at."
Unterbeffen r)otte f ara äJhiftapha feine jerfprengten Xruppen
^mifa^en $refeburg unb Gran nrieber gefammelt. Um fie unfdjäb-
Ud) ju machen, brauen ber ^erjog üon Lothringen unb ©obieSfi
am 18. ©eptember borten auf. SJttt fed)*taufenb polnifdjcn Ülei=
tern bem Speere üoran ^iehenb, liefe fid) ber aH$ufühne ©obie*ft in
einen Hinterhalt lotfen, in meinem über jtoeitaufenb feiner f rieger
bem Angriff be* breifadj überlegenen geinbe* erlagen unb ber
fönig felbft in ber änfeerften ©efafjr fd)tr>ebte , bi* e* feiner Be^
gleitung gelang, ir)n au* ben bieten jetnbe^höufen hc^u*juhauen.
®rei Sage fpäter, am 10. Dftober, erfochten bie beiben cfiriftliajen
Heerführer bei Marfan tt über ben ©rofeoejier einen glän^enben
©ieg , in Öolge beffen fia) ba* tütc^tige ©ran ergeben mufete , ba*
hunbertunbfünfjig Qahre lang mit nur fur$er Unterbrea)ung im
©efi^e ber Xürfen gemefen. 5)er gefa^lagene ©rofeoejier 50g fidj
2^
Digitized by
20 ffatfer Utopoib I.
mit feinem Speere naa) Söelgtab aurücf, um bort bie SBinter quartiere
ju u Climen.
$er über bie jroeimalige SRteberlage feiner Xruppen unb ben
Berluft öon ©ran aufä £ödjfte erbitterte Sultan Hftofyammeb fanbte
bem Qanitfd^arenaga ben Befehl, ifjm ben Hopf be3 ©roßöejierä
311 überfenben, roorauf berfelbe fidj fofort naa) Beigrab begab unb
am 25. $e$ember 1683 bie Einrichtung ®ara attufta^a'S öoH=
jie^en lieg.
9lad) ber ßHnnafjme öon ©ran war ber ®önig öon Sßolen in
fein 9teidj jurücfgefeljrt , nmfjrenb ber £erjog öon Sot^ringcn jur
gortfefcung be& Kriege* in Ungarn jurücfblieb. Qm folgenben
Sa^re fdjritt berfelbe , nacfjbem er in jtüei treffen ftegreia) ge-
blieben, ju ber Belagerung öon Ofen; bod) mußte er biefelbe nad)
breimonatlicf)en üergeblidjen STnftrengungen mit großem Berlufte
lieber aufgeben (1. $oö. 1684). dagegen erfocht er am 16. Muguft
1685 bei ©ran einen glän$enben Steg unb erftürmte brei Sage
fpäter bie geftung <Reut)äufel.
gm folgenben 3a^re fonnte ber ®rieg gegen bie Xürfen mit
noef) größerem SKaajbrucf fortgebt roerben, ba ber ßaifer außer
ben Benetianern, bie fid> iljm fdjon im Qaljre 1684 angefdjloffeu,
in ber ©roßfürftin Sopljia öon föußtanb, bie für tf)ren Stiefbruber
<ßeter bie Regierung führte, unb bem fturfürften griebrid) 2Bill)elm
öon Branbcnburg nodj jmei anbere Bunbeägenoffen gefunben unb
überbiea bebeutenbe Unterftüfcungen au3 bem föeidje erhalten fjarte.
2lm 18. 3uni eröffnete ber $erjog öon Kötteringen jum anberen
3Me bie Belagerung öon D f e n , unb nadj jefjnroödjentlidjer fyel-
beumütf)iger Berti) eibigung erlag bie geftung, bie feit fjunbertfünf*
unbüier$ig Sauren bie $errfdjaft beä £>albmonbe3 über jroei $rit*
tfjeile oon Ungarn gefiebert ^atte , ber in einer langen Steide blu*
tiger kämpfe beroiefenen tobeämutfjigen Xapferfeit ber $aiferlidjen.
2lm 2. September 1686 erftürmten btefelben bie Söätle faft unter
ben Slugen eines rürfifcr)en (SntfafcljeereS öon ad)t$igtaufenb 3ttann.
3>ie (£innal)me oon Dfen, auf meiere nod) in bem gleiten
«ga^re bie Eroberung öon Sifloä, günffirdjen unb Sjegebin folgte,
fjatte baä Selbftgefüf)l ber djriftlidjen «Streiter mächtig gehoben,
unb if)rem gefteigerten $ampfe3eifer entfpradjen bie (Erfolge beä
gelbsugS üom ^afjre 1687. 2lm 12. Sluguft erfocht ber £erjog
öon ßotfjringen an bem Berge jparfant), in berfelben (Sbene öon
2Ko^acj, auf melier einft ®önig ßubnrig II. öon Ungarn nadj
fdjrecfenöoller 9fieberlage ben Xob gefunben, einen glorreichen Sieg,
ber bie Eroberung Slaöonienä unb bamit bie Befreiung be£ ganzen
auf bem regten Xonauufer liegenben Xfjeileä öon Ungarn jur
golge fjatte.
£iefe glänjenben Erfolge ber faifertidjen SBaffen ooüenbeten
Digitized by Google
Seopolbä Jürfenfrtege.
21
bie Untermerfung Ungarns, ©djon im Qahre 1684 hatte Seopolb,
trofc aller burd) $öfölö erlittenen Säufchungen fetner milben unb
ttachftchtigen ^ßolittf getreu bletbenb , eine allgemeine Slmneftie für
bie ungarifchen Gebellen erlaffen, unb in Sfolge beffen roaren, unge*
achtet ber brohenben Slbmalmungen Xöföty'S , zahlreiche Slbeligc,
(£omitate unb ©tabte unter ben ©ehorfam beS ÄaiferS jurücfge^
fe^rt. Seiber gab ju Anfang beS 3af)reä 1687 ein SBeridjt beS
Söcfc^ld^aberö ber faiferlichen Xruppen in Dberungarn, beS ©rafen
<£araffa, nach meinem eine neue SBerfdjroörung jur ©rmorbung beS
$aifer£ unb einer allgemeinen Sßerroüftung ber Räuber ber öftere
reichtfehen Sflonardn'e eutbeeft morben fein foHte, bem faiferlichen
£ofe Skranlaffung ju einem bebauerlichen HKi&griff. (Earaffa
tüurbe $ur Slbmefn* ber brohenben ©efaljr mit faft biftatorifct)cr QJe*
tualt befleibet unb baburch in ben ©tanb gefegt, burch ein in fei=
nem Hauptquartiere $u (SperieS niebergefefcteä Ölutgeria^t gegen
Me, meiere §oc§öerrätfyerifd)er Slbfichten öerbächtig erfchienen, eine
grauenvolle Verfolgung ausüben ju laffen. $ie bringenben $or*
fteüungen mehrerer treu gebliebenen ungarifchen Magnaten, bie fidj
persönlich nach SBien begeben Ratten , um für i^r ßanb gürbitte
einzulegen, belogen ben ®aifer, bie fofortige Sluflöfung bc3 *8lut=
gericf)t$ ju ©perieS §tt berfügen unb Saraffa öon feinem Soften
ju entfernen. 2)ie klagen über ba8 ©efchehene öerftummten unter
bem (iinbrurf ber großen $rieg3ercignifje , burdj toelche bie $crr*
fdmft ber Xürfen in Ungarn gebrochen morben, unb auf bem öon
£eopolb nach <ßrcßburg berufenen Reichstag erfannten bie unga=
rifchen ©rofjcn am 31. Dftober 1687, ber gorberung beS taiferS
entfprechenb , unter SBerjichtleiftung auf baS bis ba^in öon ihnen
geübte Siecht ber $önig§mahl, bie ©rblichfett ber ungarifchen (trotte
in bem fjabäburgifdjen $aufe an , worauf am 9. ^ejember ber
neunjährige ^r^erjog 3ofeph, £eopolb3 ältefter Solm, 511m ®önig
öon Ungarn gefrönt mürbe. (Sine neue 2lmneftie, öon meldjer nur
Söfölö auSgejchloffen blieb, befiegelte bie SBieberöerföhnung jmifchen
bem ftaifer unb ber ungarifchen Nation.
sJcacfj ber Sheberlage bei bem 53erge &arfanü lmtte baS tür-
fifdje £>eer ben ®ro§öe$ier, bem eS bie ©chulb berfelben beimaß,
öerjagt unb mar bann gegen ®onftantinopel aufgebrochen, mo eS
ben Sultan Sftofjammeb öom Ztyxont geftoßen unb beffen ©ruber
als ©0 In man III. auf benfelben erhoben hotte. $>ie Entfernung
ber oSmanifchen ©paaren öon bem ©oben Ungarns benufcenb,
brangen bie güfjrer beS faiferlichen £eere3 nach Siebenbürgen öor,
befehlen ®laufenburg , ^ermannftabt unb anbere ^auptorte beS
1'anbeS unb jmangett bie ©iebenbürger , bem ftaifer ßeopolb ben
^reueib als ^önig öon Ungarn ju leiften unb beffen 9tedt)t jur
Söeftätigung ihrer gürften anjuerfennen. $\i ber gleichen 3^it er-
Digitized by
22 flaifer ßeopolb I.
öffnete ber ©raf (Earaffa bura) bie Eroberung oon ©tuhltüet&en*
bürg unb bie SBefefcung Don ^etertnarbein ben öfterreidjifchen Srup*
pen ben 2Seg nach bem wichtigen, bie ^eerftra&e nach ®onftanti=
nopet beherrfchenben unb fperrenben SB e (grab. Km 11. Sluguft
1688 würbe bie Üöerennung biefer ©tabt burd) ben #urfürften
Sflarjmüian Immanuel oon SBaiern begonnen, unb am 6. ©epteim
ber erlag biefelbe nadj einem mörbertfehen Äampfe , in »eifern
mehrere ber fjeröorragenbften faiferlichen gelbljerren im £>anbge-
menge ben ^elbentob ftarben unb ber Oberbefehlshaber felbft Oer-
munbet würbe, einem allgemeinen ©türme beS cfjriftlichen £>eereS.
bie Eroberung oon SBelgrab reifte fich, als lefcte 9GÖaffen=
tljat beS gelbjugS oon 1688, bie ©innahme beS tafteKä oon
9ft u n f a c j , baS brei 3aljre lang oon % öfölo'S ©emaf)Iin Helene,
ber Tochter beS im Qa^re 1671 als #ochöerräther enthaupteten
©rafen $eter 3rinQ, auf #elbeumüthigfte oertfjeibigt morben.
Helene Söfölty würbe nach Söien gebracht unb bort bis jum grie=
benSfchluffe im 3ahre 1699 als (befangene jurücfbehalten.
©o mar am ©chluffe beS 3ahreS 1688 ganj Ungarn bis an
feine alten ©renken üon ben #eerfchaaren beS ©ultanS unb feines
SBerbünbeten Xöf öln gef äubert , unb ©ofymann III. , ber bie Jpoff-
nuug auf bie Söieberherfteflung feiner Jperrfdjaft über bie Oer-
lorenen ungarifchen Sßromnjen aufgab, jeigte fich geneigt, auf ber
©runblage beS augenblicflichen iöefifcftanbeS mit bem 0 aifer grie=
ben ju fernliegen ; ba jeboch bie oerbünbeten ÜRächte Defterreid),
$olen, fflu&Ianb unb SBenebig bie günftige SSenbung, bie ber $rieg
für fie genommen, ju Erwerbungen auf türfifdjem (Miete auS-
nufcen §it fönnen glaubten, jerfchlugen fidj bie angeknüpften Unter-
hanbtungen.
3m 3ahre 1689 überfchritt ein faiferlicheS Jpeer unter bem
Stfarfgrafen ßubmig oon ©aben bie türfifche ©renje unb erfocht am
30. Sluguft bei 53 a t u b f ch i n a über bie Surfen unter föebfcheb.
<ßafcha einen erften ©ieg, an melden fich am 24. September ein
jtoetter bei 9Hffa reihte, ber neben bem gaü biefer wichtigen
geftung auch *>cn öon Söibbin jur golge hatte.
3nbeffen hob fict) im nöchften 3ahre baS $riegSglücf ber
Xürfen wieber unter ihrem neuen (Sko&Oejier SR u ft a p h a & ö p r i l i,
einem ebenfo einfichtSüollen als thatfräftigen gekernt. Sticht nur
Sfiffa mürbe jurueferobert , fonbent auch Beigrab , nach *aum cr;
öffneter Belagerung ber ©tabt , in golge beS (SinfchlagenS einer
feinblichen Bombe in baS ^ßuloermagajin, am 9. Dftober 1690 oon
ben ftürmenben Surfen genommen. 2)ftt Ausnahme oon jcchS-
hunbert föriegSleuten , benen eS gelang, fich auf einige Xonaufdnffe
ju retten, mürbe bie ganje, jehntaufenb 9J?ann ftarfe faiferliche Be^
fatjmtg ntcbergemejjelt.
Digitized by Google
öcopolbä Xürfcnfriege.
23
,8u ber gleiten 3eit &™ns Xöföfy, ben ber ©ultan $um SKatf)-
folget beS in$nrifdjen üerftorbenen fiebenbürgifdjen Surften SRidjael
2Cpafl ernannt fjatte, toäfjrenb ber Äoifer bem unmünbigen ©ol)ne
beS Sedieren bie 9tad)foIge ^ugefogt, in Siebenbürgen ein unb
blieb gegen bie ftaif erlitten fiegreia). @rft im 3*f>rc 1691 trat
mit bem gtängenben ©tege, ben Subtoig oon Söaben am 19. Sluguft
bei ©alantemen mit einem £>eere oon oierjigtaufenb üKann
über baS etnfmnberttaufenb äJtonn ftarfe £eer SKupap^a ^öorili'S
baüontrug, für bie #aiferlidjen toieber eine SBenbung jum ©effern
ein. S)er empftnblid)fte Serluft, ben bie dürfen in biefec blutigen
2c§Iad)t erlitten, mar ber iljreS tapferen ^rog&e^ier^, ber mit fed)S*
unbjtoanjigtaufenb Domänen im Kampfe ben Xob gefunben. ßroei
Monate fpäter tourbe audj Xöföln burdj ben fiegreidjen 9Jfarfgrafen
oon ©aben toieber aus Siebenbürgen oertrieben.
©ei ber ganjlic^en (£rfd£>ööfung ber Xürfen fdjien eS nur noef)
eines furjen Kampfes ju bebürfen, um ben ©ultan ju einem ben
SBünfdfjen ber berbünbeten Stfädjte entforedjenben grieben $u
jrotngen; aber ein neu entbrannter Srteg mit granfreid) nötigte
ben $aifer, feine £>auptfraft am Styeine ju öertoenben, unb ba
überbieg ber 9tatf)folger beS nadj bem toeftlidjen #riegSfdmup(afc
abberufenen SWarfgrafen oon ©aben, ber Äurfürft griebridj Sluguft
oon ©adjfen, 3ofjann ®eorg'S III. jtoeiter ©oljn, trofc grofeer per*
jönlic^er Xapferfeit, toegen SRangelS an gelbfjerrentatent unb Kriegs*
erfaljrung feinem Soften in feiner SBeife getoadtfen toar, fanben
bie Xürfen Seit, neue ©treitfräfte ju fammeln, unb fo oerfloffen
bie fünf fotgenben ÄriegSjaf)« ofjne irgenb welken nennenswerten
Erfolg für bie faiferütfjen Staffen. StnberS tourbe eS, als im
Safjre 1697 mit bem aum (Seneralfelbjeugmeifter unb DberbefeftfS*
fjaber in Ungarn ernannten ^rinjen Ghigen oon ©aüooen ein sJ^ann
an ber ©pi&e beS faiferlia)en Speeres trat, ber allein befähigt mar,
ben langen unb blutigen ftampf ju einem efjrenooßen Slbfdjlufj ju
6ringen.
$rin$ (Sugen oon ©aoooen, geboren ju *ßaris am
18. Cftober 1663, toar ber jüngfte ©of)n beS <ßrinjen (£ugen
s3Jiori| oon ©aoot)en*(£arignan, (trafen oon ©oiffonS, unb ber
Olömoia 9ttancini, einer 9ttd)te beS ÄarbinalS SUtejarin. s2llS ben
jüngften oon fünf ©rübern fjatten ifjn feine (Sltern junt geiftlidjen
©tanbe beftimmt, unb fd)on in feinem jefjnten %af)Tt toaren if)tn
mit bem Xitel 2lbb^ be ©aboie brei Abteien oerliefyen toorben; er
jeigte jebodj fa)on als Änabe eine untoiberftefjlidje Neigung für ben
Stiegerftanb. $ie ättatfjematif mar fein ßieblingSftubium , baS
Seben SlleranberS beS ©rofjen feine SieblingSleftüre unb ein |>elb
ju toerben nrie biefer fein ^öa^fter SBunfa^. £a feine SKutter ftaj
naa) bem Xobe feines ©aterS mit feiner Steigung auSgefö^nt, be^
Digitized by
24
Äaifer Seopolb L
toarb er fich toieberholt um eine paffenbe Slnftellung in ber Slrmee.
Mein ber ®önig, ber if)n toegen feiner Keinen, fchmächlichen ®eftalt
für ben 9ttiütärftanb nicht geeignet hielt unb Um f^er^nittfe nur
le petit abbö nannte, wottte nichts baoon työxtn unb toieä julefct
fein Slnfuchen mit fo oerlefcenber ©chonungälofigfeit jurücf, baß ber
GJrofl, ben ber ^rinj fdjon lange toegen mehrfacher feiner gamilie
zugefügter ^ränfungen gegen ben Äönig im #er$en trug, ju ooller
$luth emporloberte. Er befdjtoß, 3ranfreich für immer ju Oer*
laffen unb in einem anberen Sanbe &rieg$bienfte $u nehmen. 3u
biefem ©übe begab er "fta? im Qaljre 1683 nach SBien, um bem
$aifer, ber eben jum Kampfe gegen bie Xürfen rüftete, feine dienfte
anzubieten, ©ein ganzes Auftreten, befonberä fein mürbeooHer,
mit ber anfpruchlofeften Befcheibenheit gepaarter ©ruft, ertoeefte
ilmt gleich oon Anfang an Seopolb'3 Zuneigung; er gemährte ihm
bereirnriüig bie erbetene Aufnahme in ba3 faiferliche £>eer unb mied
tf)n bem ©tobe be$ Sftarfgrafen ßubroig oon Baben $u, beffen
SJJutter eine ©djroefter oon Eugen'S Bater mar.
©d)on bei ber Belagerung öon SBien tfjat fich Eugen burd)
große perfönliche Xapferfeit fo rühmlich ^eroor, baß ber $aifer ihm
$ur Belohnung ein $ragonerregiment oerlieh, ba§ ben Flamen be$
gelben bis auf bie ©egenmart fortgeführt ^at. $n ber ©pijje
biefeS ^Regiments fömpfte er mit in ber ©djlad)t bei s#arfant) unb
Zeichnete ftch babei in fo ^eroorragenber SBeife aus, baß ber 9ttarf=
graf oon Baben Um bei feiner 9iücffet)r nach SBien bem $aifer mit
ben propfjetifdjen Söorten üorführte: „tiefer junge ©aüonarbe mirb
mit ber Seit äße diejenigen erreichen, welche bie 2Belt jeftt alä
große gclbljerren betrautet."
Eugen rechtfertigte biefen SluSfprucf) im ganzen Verlaufe beä
XürfenfriegeS, in meinem er biä nach ber Erftürmung oon Beigrab
an allen bebeutenben Belagerungen unb ©djladjten Stnthcil nahm,
in ber glänjenbften Söeife unb ftieg raftf) oon einer militärifchen
SRangftufe $ur anberen empor. Slud) am SRfjein unb Statten erroarb
er fid^ in bem Kriege ßeopotb'ä gegen ßubmig XIV. oon 1689— 1697
nicht aüein burd) £elbcnmuth, X^atfraft unb Eutfchloffenheit, fon=
bem auc^ bura? bie unbegrenzte Eingebung an bie ©aa$e feineä
faiferlichen $errn unb greunbeä bie größten Berbienftc. ©eine
eigentliche föuhmeSlaufbahn begann inbeffen erft mit ber Uebernahme
be3 felbftftänbigen $ommanbo$ in Ungarn, baä ihm ber $aifer haupt=
fächlich auf bie bringenbe Empfehlung beS SHarfgrafen oon Baben
übertragen hotte. Sticht mehr eingeengt burch bie hemmenben Ber*
hältniffe einer untergeorbneten ©tellung, bemährte fich öon ba an fein
ungemöhnlicheä militärifcheS ©enie in einer ununterbrochenen sJteihc
ber glänjcnbften ©iege.
Stach feiner Ernennung jutn Oberbefehlshaber in Ungarn
Digitized by Google
ßcopoibö Xürfenfricge.
25
richtete (Sugen feine ©orge oor Ottern auf bie §ebung ber 9 ampf=
tüchtigfeit beä £eere3 burch eine beffere Verpflegung unb bie $er*
ftellung ber üielfach gelocferten $i$ctylin. Wadjbem er hierfür bie
trefflichften SInorbnungen getroffen, brach er am 25. Quli 1697 öon
(Sffef, too fief) bie faiferliä)en Ifciegäbölfer in ber ©tärfe öon fünf*
unbmerjigtaufenb 9ftann gefammelt, jum ©chufce üon ^eterroarbein
auf, gegen meines bie Xürfen im Slnjuge roaren, unb nahm bort
eine fo günfrige ©tellung, ba§ ihn ber perfönlia) bei feinem Speere
anroefenbe Sultan SDcuftapha II., ©olümaua III. ^weiter Nachfolger,
nicht anjugreifen wagte, fonbern feinen Vormarfd) ber ^tjeig entlang
fortfefcte.
3)a bem Sßrin$en burch einen Ueberläufer öerrat^en roorben,
bafe ber <Sultan einen Angriff auf baS nur fajmad) befefcte ©jege^
bin beabfichtige, mo bie Vorräte unb bie Munition ber ®aiferliä)en
aufberoahrt mürben, brach er fogleich mit bem ganzen $>eere $ur
Verfolgung be$ geinbeä auf, um beffen Vorhaben 511 öcreiteln.
s2luf bem SSege erfuhr er, bafc ber ©ultan ba$ Unternehmen auf
©jegebin aufgegeben unb bie §lbfid)t fyabt, juerft gegen ©ieben*
bürgen oorjugeljen, &u meldjem @nbe er bei 3 c n t a eine Vrücfe
über bie X^eig ^abe fd}lagen laffen. Ungefäumt eilte ber $rinj ib,m
bort ^in naef) unb erreichte 3^nta am 11. ©eptember um jmei Uhr
Nachmittags.
Unöerjüglich [teilte GSugen im ^Ingefidjte be$ geinbeS, ber jum
größten %$i\it nod), burd) ftarfe Verfchanäungen gebeeft, mit bem
gefammten ©efcfntfc auf bem rechten Ufer ber Xr)eig ftanb, roährenb
ber ©ultan felbft mit einem Xfyeile feiner Reiterei ben Uebergang
über biefelbe bemerfftelligt hatte, fein £eer in ©chladjtorbnung auf
unb fdjritt fa^on nach 5&)ei ©tunben jum Singriff, für melden er
trofc ber $ür$e ber Seit, einen fo meifterfmften $lan entworfen,
ba&, naa) ber fchroülftigcn s2luäbrucf£meife, eines Slugenjeugeu unb
2Jfttfämpfer3, „ber ®lücf3gütttn fein ©pielraum mehr blieb, ben 2luä;
gang be3 Xageä ju be£ ^rinjen Nachteil $u entfeheiben." $>en Knien
glügel führte ©uibo Don ©tarhemberg, ein Vetter be3 ruhmgefrbn-
ten Vertheibigerä Don 28ien, ben regten ber bemährte gelb^cug=
meifter ©iegbert $>eifter unb ba3 Zentrum ber s^rinj öon (£onu
merco, GSugenS greunb unb SBaffcnbruber. CSugen felbft hatte
gleichfalls im Zentrum ©tellung genommen, fief) aber babei oorbe-
halten, überall hinzueilen, mo bie (Gefahr feine ©egenmatt erheifche.
SBährenb ein Xtyxl beS <35efc^u^e« gegen bie UebergangSbrücfc ge=
richtet mürbe unb ber linfe glüget bis an bie £heijj oorrüefte, um
üon ben langgeftreeften ©anbbänfen aus bie feinblichen ©chanjen
ju umgehen, ftürmte baS Zentrum mit bem rechten glügel in ber
gronte mit fürchterlichem Ungeftüm gegen baS türfifche itoger an.
Obgleich öon jmei ©eiten angegriffen, leifteten bie Xürfen mehrere
Digitized by (^©Ogle
26
$aij"er ßeopolb I.
Stunben lang öcrjroeifelten SBiberftanb, bis eS enblich bcm (Sem
trum unb bcm rechten glügel gelang, bie feinbtichen ©d^anjen §u
crftürmen. 3n biefem entfcheibenben Slugenblicfe ftelltc fich Otogen
felbft an btc @pifce beS Regiments ©törum unb führte baffelbe mit
fühner XobeSüerachtung mitten in bic bichteften SReihen ber geinbe.
3n einem grä&lichen ©emefcel würben bie 3anitfdjaren, bie, 9Jcann
gegen 9Kann fämpfeub, ihren helbenmüthigen Söiberftanb nicht auf-
geben mollten, gegen bie Ufer ber Xfjeifj gebrängt. 35a eS injnrifchen
auch Starfyemberg gelungen mar, fleh einen 2Beg in baS Qnnere
beS f einbüßen ßagerS ju bahnen unb bic Zhei&brücfe ju bejefcen,
blieb ihnen fein anberer 2luSroeg übrig, als ihre Rettung in ben
SSogen beS ©tromeS gu fuchen; bod) nur SBenigen gelang cd, baS
jenjeitige Ufer ju erreichen : über jefmtaufenb f anben in ben glutfjen
if)r ©rab.
@rft bie einbrechenbe $)unfelheit machte bem furchtbaren Kampfe
ein (Snbe. günfunbaroanjigtaufenb Xürfen, unter ihnen ber ®rofi=
oejier mit öier anbern Skleren, breije^n ^ßafchaS unb breiunbfünfjig
s2lgaS unb 23eus, tagen tobt auf bem Sdjladjtfelbe ; Diele ber
teren maren oon ben erbitterten Qanitjcharen felbft im ^ampfge^
nutzte erfragen morben. SJcuftapha II., ber üom jenfeitigen Ufer
aus ber 9cieberlage feines Speeres Doli ©chmerj unb gngrimm $u=
geflaut, entfloh im $unfel ber 9cacf)t nach XemeSöar, öon roo er
alSbalb, nur öon menigen 9tcitcrge)a)roabern gefolgt, nach iöelgrab
lueitereilte.
2lm fotgenben SJcorgen — bem trierjehnten Jahrestage ber *Be;
freiung SöienS — rücften bie Äaiferlichen in baS ocrlaffcne türftfehe
Lager ein, in melchem ihnen eine unerme&liche s-8cutc — fiebenunb^
achtzig Kanonen, adjttaufenb SBagen mit 9Jcunition, Söaffen unb
Lebensmitteln, fedjStaufenb ferner bepaefte $amcele, fiebentauienb
^ferbe, fünfsefjntaufenb Ockfen unb bic ftriegStaffe mit brei Millionen
^iafter — in bie £änbe fiel.
2>er glorreiche ©ieg bei £enta, unftreitig eine ber glänjenbften
28affentf)aten beS fiebje^nten QahrhunbertS, oerfa)affte bem gelben-
müßigen gührer beS faijerüdjen £eereS bie Öennmberung öon gan$
Europa, roährenb er in ben öfterretdnfdjen ©rblanben alt ber
freier öon bcm Qoche ber Söarbarenherrfchaft gepriefen mürbe. 3u
ber Zfyat burfte nach furchtbaren ftieberlage ber Xürfen auf bie
(Erlangung eines für Cefterreich ehrenöoilen griebenS mit Sicherheit
gegählt merben. $er gelb$ug beS fotgenben 3ahreS, für welchen
(5ugen fid) bic Eroberung öon SBelgrab unb XemeSöar als Qiti
gefteeft, blieb jmar für bie faiferlichen SBaffen ohne bebeutenbe
(Srfolge, rocil ber ^rinj toegen gänzlicher ßrfchöpfung ber ©elb=
mittel beS ÄaiferS bie genügenben Streitfräftc nicht erlangen fonntc
unb überbieS (eine Gruppen an allem 9cothtoenbigen Langel litten ;
Digitized by Google
SJeopolbS $ürfenfriege.
27
aber baä türfifdje #eer war üoflftänbig entmutigt unb ber (Sultan
um fo metyr jum grieben geneigt, alä nid)t nur feine eigenen $>ilf$;
quellen üerfiegt waren, fonbem audj ber v#bjcf)lufj beä griebenä üon
9iu3witf, burd) welken ber $rieg gegen granfreidj beenbigt würbe,
bem Äaifer freie $anb gegen it)n üerfdjafft ^atte.
9lacf)bem fdjon wä^renb be& Sommers 1698 burd) bie s.8er*
mittlung ber beiben Seemäd)te ©nglanb unb £>ollanb grtebenä;
unterrjanblungen eingeleitet worben, würbe im SRoüember ju $ar=
lowifc «n griebenSfongrefj eröffnet, beffen iBertjanblungen am
26. Januar 1699 jum Äbfölujj famen. Qn bem grieben üon
ftarlowifc üerblicb bem #aifer gan$ Ungarn, mit Ausnahme be*
BanatS üon Xemeäüar, fowie Siebenbürgen, auf welches ber üon
fieopolb I. eingelegte gürft Wic^aeX Slpafi II. gegen ben Xitel eine*
3Reid)3fürften unb bie 8\i\a$t üerfcr)iebener ®üter in Cefterreid) ju
©unften be« ßaiferS Söerjicrjt geleiftet. $8on ben SBunbeägenoffen
Cefterreid)$, bie gleidjfaCte $u $arlowifc mit bem Sultan grieDen
fdjloffen, erhielt ©enebig, au|er ber Snfel Santa 9JJaura, mit wel=
d)er eS ben 93efife ber joniferjen 3nfeln üerüollftänbigte, bie Jpalb=
infel Sttorea, wäfjrenb *ßolen, beffen $f)ron feit bem Xobe 3o|aitn
Sobie3fi'3 (1696) ber fetjon üorrjer jur fatyolifdjen #ird)e überge*
tretene Äurfürft griebridj Sluguft üon Saufen als <ä u g u ft II. inne
f)atte, burd) bie warme Unterftüfcung Defterreid)3 baS ttym früher
entriffene Sßobolien nebft $aminec jurüefbefam unb föu&lanb im 8e«
fifce üon Äfow blieb, ba* ber (£$ar ^eter ber ®roße im Qarjre 1697
erobert tmtte.
$er ®raf Xöfölü, auf beffen üon ben Surfen ber)arrlid) Oer*
weigerter Auflieferung ber $aifer nid)t weiter beftanb, begab fict)
mit feiner gegen einen gefangenen öfterreict)i]cr)en ÖJeneral au$ge=
wedelten ©emaf)lin nadj $leinafien, wo tfjm ber Sultan öJüter ju
jeinem Unterhalte angewiefen. (£r ftarb im Qarjre 1704 ju $on*
ftantinopel.
So r)atte ber im 3at)re 1683 üon ben Ungläubigen fo freoel^
fjaft begonnene unb üon üubmig XIV. fo eifrig gefd)ürte ftrieg nacr)
jea^etjnjäljriger, wedjfelüofler 5)auer in einem üoüftänbigen Sieg ber
geregten Sadje feinen 2lbfd)IuB gefunben. $ie £>errjcr)aft €efter=
reitf^ über bie wiberfpenfttgen ungarifdjen Magnaten war befeftigt,
bie 9ftad)t be$ ©rbfeinbeä ber Sfyriftenfjeit an ber Möttau gebrochen
unb baä Uebergewidjt ber Oämanen im Cften ©uropaS für immer
oernia)tet.
Digitized by Google
28
taifer Seopolb I.
2>a3 beutfdie Weidj unter Seopolb L
„(£« fönnte a(3 ein 3ng be« befonberen SBerfjängniffe« ber
t>eutfdf)en Station bekämet werben, ■ fagt 21. SERenjer r „baß
Seopotb, ber nadj ber Anlage feine« Reifte« nnb fetner färnerfälligen
Haltung mtt)x 31t einem Xräger ber bamaligen ©dmlgelal)rtf)eit be*
rufen mar, fiebenunböicrjig 3a^re ben ®aifertt)ron §u berfelben 3eit
einnahm, roo Submig XIV. burd) eine großartige, mit Slnmutf) ge-
paarte föniglicf)e Sßerfönlidjfeit bie ©emütfjer ber fr ans opferen 9ca=
tton tnnigft mit bem $f)rone berbanb unb bem lefcteren bie @nt-
müflung ber nationalen Kultur unb Literatur bergeftalt anzueignen
mußte, baß ba« politifdje Uebergcmia^t be« oon einem tfyatfräftigen
SBillen geleiteten granfreid) über $eutfd)lanb« 3erfpfttteruug, ©pa*
nien« Ermattung unb Gnglanb« inneres ßermürfniß unter ben
©tuart« jugleicf) burd) eine 2lrt geiftiger £>errfd>aft über ba« gebil=
bete ©uropa öerftärft mavb."
5lHerbing3 Dürfte es einem Spanne oon burdjgreifenberer ZfyaU
fraft unb befeelt oon einem ähnlichen S^rgeij mie Submig XIV.
gelungen fein, fid) trofc ber engen ©renjen, meldje ber meftfä'lifdje
triebe ber ®aifergemalt gebogen, unb ber neuen ©cfyranfen, meiere
bie bem Äaifer aufgejttmngene SBa^lfamtuIation jmifdjen iljm unb
bem 9teid)Sförper aufgerichtet, einen größeren (Einfluß auf ben ©ang
ber beutfdjen SReidjSangelegenfyciten ju öerfdjaffen; allein mie &co-
polbs ganje ©inneSart mein; ju einem paffiöen Verhalten gegenüber
ber felbftftänbigen ^ßolitif ber beutfdjen SReidjSftänbe neigte, fo tarnt
man es u)m audj gerechter SBeife nidtjt jum Söormurf madjen, menn
«r, ganj in ber gleiten SBeife, mie bieS ade großen unb Weinen
Potentaten (SuropaS ju jener Seit traten, feine ^auptt^ätigfeit feinem
eigenen, in feinem SBeftanbe fo ferner bebro^ten ©taate jumanbte,
t»en er in ber $lmt burd) feine unerfd)ütterlicbe ®ebulb unb s2luS*
bauer unb burd) bie richtige 28af)l ber leitenben *ßcrfönlid)feiten im
Kriegs* unb ©taatSroefen 511 einer 9)cad)t erfyob, burd) meldje baS
(SJeroidjt beS unauffjaltfam in jeiner Muflöfintg fortfdjreitenben beut*
fetten fRcict)e^ erfefct mürbe.
Sine ber folgenfdjmerften Weiterungen au« ber 9tegierung«jeit
£eopolb'S I. mar bie SBerroanblung beS ÜleidjStageS in einen immer;
mäfjrenben Kongreß oon Slbgeorbneten ber oerfduebenen ©tänbe.
©dmn ben im Qabre 1663 megen ber Xürfengefafjr nad) ÜtegenS*
bürg berufenen ÜfeidjStag t)atte topolb ntd)t in ^erfon eröffnet,
fonbern mar auf bemfelben nur oorübergetyenb al« (Saft erjdjienen,
unb als na^ feiner Slbretfe bie 9iei$Sftänbe bei ben Verätzungen
über bie SBafjlfapitularion fünftiger ßaifer in Swift gerieten,
ftanb er oon bem (Srlaß eine« 2tetd)StagSabfd)icbeS ab, fo baß
bie ©eüollmäcbtigten ber ©täube ungefu'nbert beiiammen bleiben
Digitized by Google
beutfdje SReid) unter fieopolb I.
29
fonntcn. föachbem bie3 mehrere 3af)re ^inburc^ gefc^cfjen, genefc
migte ßeopolb, bafe jeber SReidjäftanb bic Soften ber 9teichätag$=
gejanbtfchaft üon feinen Untertanen ergebe, unb brüefte baburet)
ber »eiteren SBerlängerung beS fHeic^dtagc^ baä Siegel ber ÖJefefc
möBtgfeit auf. 25er föeichätag würbe auf biefe SSeife ein per*
manenter, üerlor jeboa) baburef) ooUftänbig feinen früheren
i^arafter. Söaren bis bat)in bie ^Reichstage befonberS auSgefdjric*
ben unb in ber föegel üon bem ftaifer felbft in Gegenwart ber meift
perfönlich anwefenben $ur* unb 9tetct)§fürften feierlich eröffnet uni>
naa) längerer ober ruberer $auer burd) einen 9leich3tag$abfchteb
gejd)loffen worben, fo fanb fortan Weber eine Eröffnung noch ein
Schluß ber Verarmungen Statt, unb ba ber ®atfer unb bie gürften
nicht met)r persönlich auf bem föetdjätage erfdnenen, fafjen fie ein*
anber gar nic^t met)r in feierlicher Sßerfammlung oon 5lngefic^t $u
Singest.
£a pet) baä Sntereffe ber 9teict)«ftänbe oon 3ar)r ju 3at)r
immer met)r ton ben allgemeinen 9teidjäangelegenljeiten abwanbte,
um ftet) faffc audfc^lieglic^ auf bie eigenen Territorien $u befchrän*
!en, würbe bie Xf)ätigfeit be£ ^Reichstages, beren Jpauptgegenftanb
bie ftets oon Beuern auftaucf)enben SReligionSbefcf) werben bitbeten,
eine immer unfruchtbarere unb bebeutungSlofere. 3n ocm gleichen
®rabe jeboer), in welchem biefelbe an innerem (Sehalte abnahm,
roanbten bie SfteichStagSgefanbten ihre Slufmerffamfeit bem S e r e-
m o n i e t unb ben gormalien ju , unb bie Söichtigf eit , welche
biefen Sleußertichfeiten beigelegt würbe , fährte ju einer fetjarfeu,
bis inö $ieinlichfte fich t>erlierenben Vegrenjung beS Sftangunter*
jdjiebs jwifchen ben (urfürfttichen unb ben fürftlicr)en Gefanbten.
Sie (Srfteren wollten bor ben fieberen ben SRang förmlicher S8oU
idjafter ober ©efanbten erften 9tangeS mit bem (Sr.cetlenjtitel unb
allen unter 93otfcf)aftern unabhängiger SJiächte üblichen (5hteube=
jeigungen öorauS haben. Sie Oerlangten, bei Gaftmählern auf
rottjauSgefchlagenen Stühlen ju fi&en unb oon (Sbelfnaben mit gol*
benen Seffern unb Gabeln bebient ju werben, währenb bie fürft=
liajen auf grünen Stühlen fifcen, oon ßafaien bebient werben unb
nur filoeme Keffer unb (Säbeln erhalten fottten, unb als bie
jürftlictjen Gefanbten eS enblicr) bahin gebracht, bafj überall nur
grüne Stühle gefefct würben, erjagen ein furfürftlidjer Gefanbter
mit einem rothen 2ftantel, ben er fo über ben Stuhl fallen liefe,
ba§ berfelbe rott) ausgeschlagen $u fein fchien. 2llS eine anbere
$fa$$eichming oerlangten bie furfürftlichen Gefanbten, baß ihre
Stuhle auf ben Teppich, oer unter oem Valbachin beS faijerlichcn
s{rinjipal^ommiffariud ausgebreitet war, bie Stühle ber fürftltcfjen
$e(anbten bagegen auf ben bloßen s43oben beS Limmers gefegt werben
foUten. £ie iftangorbnung ber Gefanbten unb ihrer Gemahlinnen
Digitized by
30
tfatfer Seopolb I.
bei ©aftmäfjlern unb anbcrn geierüchfeiten mar auf ba$ ©enauefte
feftgefefct, unb bie ©erlefcung bcr hierüber getroffenen ©eftimmungen
gab nicht feiten ©eranlaffung ju weitläufigen biplomatifchen ©e=
fdjmerben unb Erörterungen.
„SHefeS fünftliche ©emicht ber leeren gorm", fagt 9Jcen$eI,
„fenfte fid) naturgemäß öon oben nach unten unb lagerte centner*
ferner über allen (Gebieten beS beutfdjen Sebent, £itel unb gor=
malten mürben &u einer fiänge auSgebefmt, meldte einen beträft*
liefen beS $)afein3 in SBorten öerjehrte. Umftänblidjfeit unb
2öeitfcr)roeifigfeit , Ueberlabung unb Erhebung be£ Unmefentlichcn
über baS Söefentüche mürben bie fyeröorftedjenben SRcrfmale ber
Politiken mie ber gefelligen $enfung$art unb #anblung$meife ber
SJeutfchen biefeS gahrfninbertS , ihre föebe unb ©djrift bie getreuen
Spiegel biefer ©efinnung."
3lu§er ber (Sinfefcuug eines immermähreuben 9tcicr)^tag^ finb
aus ber Seit ßeopolbs I. jmei anberc bebeutfame Neuerungen ju
öerjeidmen: bie Errichtung einer neunten $ur für baS haunööe=
rifdje £>auS unb bie Erhebung ^reu&enS $u einem Königreich-
3(uf bem ®urfürftentag , ben Seopolb im hinter 1689-90
$u SfugSburg abhielt, um feinen elfjährigen ©ohn Qofeph jum rö=
mifdjen König mahlen ju taffen, als melier berfelbe am 26. ganuar
1690 unter Beobachtung aller herfömmlidjen Gebräuche gefrönt
mürbe , machten ihm bie beiben .^erjoge öon ©raunfchmeig;ßüne=
bürg , ©eorg SBilhelm ju ©eile unb @rnft Sluguft ju $annoöer,
bie i^m bereits im Sürfenfriege öffentliche $ilfe geleiftet, baS An-
erbieten , gegen bie Verleihung ber Kurmürbe eine ffemige Union"
mit Oefterreich einzugehen , in melier fie fieh verpflichten nMten,
<iuf ben Reichstagen ftetS mit Dcfterreich ju ftimmen, bei jeber
fünftigen Katfermahl bem älteften grinsen beS öfterreid)ifchen Kaufes
ihre ©timme $u geben unb bem Kaifer für feine Kriege am ffl)t\\\
unb in Ungarn eine bestimmte Beihilfe an ©elb unb Gruppen su
leiften. Seopolb fagte ihnen bie QJemährung ihres 2Bunfd)eS $u
unb belehnte am 19. Eejember 1692, ba ber ältere ©ruber ©eorg
2Bill)elm öon (Seile finberloS mar, beffen jüngeren ©ruber (£rnft
% u g u ft öon Ijannoocr mit ber Kurmürbc.
2Säl)teub nicht nur ©adjfcn unb ©ranbenburg bie ©rünbung
einer neuen Kur, burch meldje eine proteftantifche ©timme mehr in
ben Kurfürftenratfj famf befürmortet hatten, fonbem auch bie Kur-
fürften oon sDcain$ unb ©aiern fid) mit berfelben einöerftanben er-
f lärt, erhoben bie Kurfürften öon Köln , Xrier unb ber $fal$ , im
(Sinoeroehmen mit ben meiften ©liebem beS gürftenratheS , (£in=
iprache gegen bie bem rjannöDerifcr)en $>aufe bemiöigte Ranger-
höhung, hauptfächlich mit 9iücfficht auf bie ©ortheile, melche auS
berfelben für bie 9ttachtftellung beS KaiferS ermuchfen, unb machten
Digitized by Google
$a« beutfcfje SReich unter fieopolb I.
31
iogar 9ttiene , fich bcr oon ßeopolb eingeführten Neuerung mit
SBaffengetoalt $u toiberfefcen. £er Kaifer überliefe ber Qtit bie
s-8efchttrid)tigung ber opponirenben gürften, unb in ber X^ot er=
langte bcr ©of)n unb Nachfolger (Srnft AuguftS, ber Kurfürft Öteorg
Subroig , ber im 3af)re 1696 $ur Regierung tarn, bie allgemeine
Inerfeitnung ber feinem Später beftrittenen SBürbe unb aller mit
berfelben oerbunbenen fRec^tc.
pattt ßeopolb fchon bura) bie ©rünbung einer neuen prote^
ftantifdjen Kur $ur ©enüge gezeigt, baß er feineSioegS, nrie oiel=
fach oon proteftantifcher ©eite behauptet toorben , ein „SBerfyeug
ber 3efuiten" mar, fo lieferte er bafür einen neuen SöemeiS in ber
ungleich folgenfehtoereren Rangerhöhung, bie er bem branbenburgifchen
Jpaufe bettuüigte.
$er im Qa^re 1688 jur Regierung gelangte Kurfürft grieb*
rieh III. oon 93ranbenburg , ber Sohn unb Nachfolger griebrich
SBilhetmS, beS „großen Kurfürften", toünfchte, feine preußifch=bram
benburgifdhen iöefifcungen ju einem Königreich ju oereinigen , thetlS
»eil ber KönigStitel feiner ©itelfeit fcfnneichelte unb feiner $runf=
ju$t erhöbe Söefriebigung in AuSfic^ fteüte, thetlS unb hauptfäa>
lieh aber, ioeü fein nicht jum beulten 9%eid» gehöriges fouoeräneS
^erjogthum Greußen ü)m bie 301ögtid)fcit barbot, ohne iöer$ia)tleiftung
auf feine Kurfürftentoürbe als außerbeutfdjer König bie Sebeutung
eines felbfrftänbigen £errfdjerS $u erlangen. 25a er als beutjeher
gürft bie erftrebte Rangerhöhung nicht ohne bie äuftimmung beS
$aiferS oottjiehen tonnte, fnüpfte er mit ßeopolb Unterhaltungen
an, unb biefer geigte fich, in Anbetracht ber reid)Streuen ©efinnung,
bie ber fturfürft üon jeher unb inSbefonbere burch feine thätige
Sethetligung an bem franjöfifchen roie an bem türfifchen Kriege an
ben Xag gelegt, nicht abgeneigt, auf beffen Anfügen einzugehen.
§ie genrichtigen Öebenfen , bie am faiferltchen Jpofe , inSbefonbere
oon Seiten beS ^rin^en (£ugen , gegen bie (Erhebung Greußen* ju
einem Königreich erhoben mürben, machten ihn jtoar eine Zeitlang
fdjroanfenb; ba jebocc) ber Ausbruch eines großen europäifchen
JhiegeS nach bem Xobe beS feiner Auflöjung nahen , finberlojen
Königs Karl II. oon Spanien ju erwarten ftanb unb es bem
ßaijer, befonberS mit Rücfficht auf bie entjefneben reichSfeinblichen
Öejinnungen bcr Kurfürften oon ^öaiern unb Köln, oon ber höcfjs
ften SBidjtigfeit erfchien, fich far broheitben Krieg bie nachbrücflkhfte
Unterftüfcung SBranbenburgS ju fichem, gab er bem drängen grieb-
rict)S III. nach uno f<W°ß m^ bemfelben am 16. Nooember 1700
ben sogenannten Krontraftat, in welchem er ben preußtfehen Kö-
mgstitel anjuerfennen oerfprach, griebrich bagegen fich oerpflichtete,
jeljntaufenb SJcann für ben Kaifer ins gelb ju ftellen, eine Horn-
pagnie Solbaten in ber ReictjSfeftung $t;Uipp^burg $u erhalten, auf
Digitized by-ÄOOgle
32
$aifer Seopolb I.
bie rücfftänbigen ^ilfSgelber, bie er nodj öon bem ßaifer forbcm
hatte , ju öerjichten , im SReicfje nur bcn bisherigen 9tang in 2ln*
fpritcr) $u nehmen unb Dom $aifer felbft ben Xitel „Sttajeftät" nicht
ju »erlangen, fonbern fidj, roie auch ber Stontg öon SJänemarf, mit
ber Slnrebe „(Suer ßiebben" ju begnügen. Unter großer $rad)tent*
faltung fefcte fich griebrich III. am 18. Qanuar 1701 §u Königs*
berg als $ ö n i g fjriebrict) I. öon $ r e u 6 e n felbft bie
#rone auf.
(Stegen bie neue ÄönigSmürbe proteftirte nicht nur ber beutfchc
Drben, als ber rechtmäßige (Sigenthümer beS ^erjogtfmmS ^Jkeu*
§cn , fonbern auch s£apft Siemens XI. , ber bie ©adje um fo
roeniger mit ©tiüfchmeigen übergeben fonnte, als bie Verroanblung
beS DrbenSlanbeS Greußen in ein meltl\cheS £>er$ogtf)um öon ber
Kirche nicht anerfannt morben mar. Veibe ^rotefte blieben jcbocr)
ttrirfungSloS.
©anj anberS, als im deiche, geftalteten fich unter ßeopolb I.
bie Verhältniffe in ber öfterrekhifchen SJconardHe , bie erft unter
ihm unb burd) it)n, £anf feinem reblidjen Söillen unb feiner uner=
fchütterlichen ©tanbfjaftigfeit, eine europäifche SJcacht geworben. 2öie
biefelbe nach ben Sftathfchlägen beS ^ßrinjen (Sugen ein ü)rer ©röße
angemeffencS ftetjenbeS unb geübtes ®riegSheer mit ben baju gehörigen
<£inrid)tungen erhielt, fo mürben aud? für bie 3ufti$* unb fianbeS*
öerttmltung öon Seoöolb Verfügungen getroffen, bie öon unpar*
teiifcher ©erechtigfeitsliebe , gefunbem Urtfjeil unb regem (Eifer für
bie 2Bof)lfaf)rt beS Softes fiatgitifj ablegen.
Sßenn beffenungeac^tet bie innere Verroaltung ber öfterreidufchen
3Jconarcf)ie unter ßeopolbS Regierung immer noch StfancheS ju
roünfchen übrig lieg, fo lag ber ®runb baöon ebenfomotjl in ber
allgemeinen ßerrüttung, Verttrilberung unb Vermüftung, bie ber
breifjigjäfjrige Shrieg für Defterreidj nicht minber als für baS beutfdje
9ieich herbeigeführt, als in ber unöermittelten unb unöerfchmolaenen
3ufammenfefung ber öfterreidjifdjen Üftonardne aus ben öerfdueben*
artigften Veftanbtheilen, fomie in ber Ungunft ber Qdt, bie gerabe
biejem ©taate feine sJhihe gönnte, fonbern ihn aus einem Kriegs*
fturm in ben anbern trieb, unb enblid) aud> in ßeopolbS ^ßerfön-
lichfeit. Von ©emüthSart ein treuer ©arte, ein zärtlicher Vater, ein
milber, gütiger $err unb öor SlQem gefchmücft mit ben djnftlidjen
Xugenben ber Varmherjigfeit unb SBo^tt^ätigfeit, mar ßeopolb nur
aC^u geneigt, nicht nur Weib mit öoHen $änben ausstreuen unb
baburcf) bie Verlegenheiten beS ohnehin fchtoer zerrütteten ©taatS-
hauSl)alteS $u erleben , fonbem auch burch eine all 511 weit getrie-
bene 9cachficht unb 9tachgiebigfeit bie nothmenbige Jolgerichtigfeit
unb ilnbeugfamfeit aufzuheben, bie jebeS tttegierungSfnftem feft|al=
ten muß.
Digitized by Google
2)aS bcutfdje fleid) unter üeopoib l
33
$ie !$errjältniffe ber Sßroteftanten lieg Seopolb in ben öfter*
reidjifdjen (£rblanben ganj in betn bnrer) ben tücftfälifct)en grieben
getoäljrleifteten ©tanb, in toeldjem er fie bei feinem SRegierungScnu
tritt getroffen, unb ber proteftantifcfje ©cfc^icr)tfcr)reibcr 8. Äftenjel
gibt trjm baS ^eugniß , baß er bei ber #ufreä)ti)altung ber öon
feinem SBater Be^ügtic^ beä proteftantifdjen SHrdjenmefettä eingefüf^
ten ©införänfungen mit ©äjonung unb innerhalb gefeilterer gönnen
ofjne £>ärte unb ofjne jebmebe Verfolgung ber s$erfonen oorge^
gangen unb feine anberägläubigen Untertanen , roenn Söefäroerben
oon ifjrer Seite §u il)m gelangten, gegen jebe gefefctotbrige $Be
brüefung in ©dmfc genommen.
Xrofc feiner tiefen unb magren grömmigfett unb feiner mt<
zweifelhaft fatr)oItfct)^fircr)Iicr)en ©efinnung blieb Seopolb nidjt gän^
Udj unberührt oon ben ju feiner oem gejammten (Suropa
jur ^errfdjaft gelangten <&runb|*ä$en einer abfluten ©taatögetoalt ;
bafjer finben mir aud) fct)on unter feiner Regierung ©puren ber
unter feinen Sfcadjfolgera mein; unb mefjr in ben SBorbergrunb tre*
tenben lenbenj, bie 9tecr)te ber fatfyotiftfjen ®irdje unb it)rer Liener
buref) Stegierungäoerorbnungen ju befdjränfen.
fieopolbä Hofhaltung jeigt un§, im fct)ärfften ÖJegenfa^e $u
bem glän$enben ,£>ofe SubnrigS XIV. ju 93erfaitte$ , an welchem
ftct> unter ber trügerifdjen ^>üHe äußeren s$runfe$ unb ber feinften
gefeüfct)aftlid)en gormen bie tieffte fittlicfje gaulntß barg , baö
ferjöne 5©ilb eineä einfachen, regelmäßigen, oon roatjrer grömmigfeit
burcf)tuef)ten cfjriftlidjen gamilienlebenS. 3)ie fd)önfte Sierbe beä
ftaiferfjofeä mar fieopolba britte ®emaf)lin, Sleonore öon s4$falj-
Sfceuburg , baä erhabene Üftufterbilb einer äcr)t d)riftlid)en gürftin,
bie mit ber tiefften grömmigfeit eine umfaffenbe roiffenfdjaftlidje
33tlbung oerbanb unb mit it)rer ausgesprochenen Neigung $ur 5lit^-
Übung ct)riftlicr)er ßiebeStoerfe unb ju fl öfter liefen *8uß~ unb 2ln»
bachtäübungen bie treuefte unb gen>iffenr)aftefte Erfüllung ber ^ßfliäV
ten ihrer §or)en Stellung ju oereinigen mußte.
$lu* feiner erften @he mit ber fpaniferjen gnfantin Sfcarga^
retlja Xherefta ^atte #aifet , außer einem im s2üter oon brei
Monaten geftorbenen ©ofme, nur eine Xodjter, bie im Qahre 1685
mit bem ähirfürften 9Jcarimilian Immanuel oon ©atern oermählt
mürbe unb fdjon im 3af)re 1692 ftarb. ©eine jtoeite ©emaljlin
Glaubia gelicitaS, bie $od)ter be3 Qx^ex^o^ gerbinanb $arl oon
Xmrol , fyaüt ifym sroei Xöchter geboren , bie Söeibe furj nach ber
©eburt geftorben maren. £)ie beiben fünfttgen $aifer 3ofeph I.
unb äarl VI. entftammten feiner britten ©h*-
Digitized by Google
34 $eutfd)lanbä Äulturjuftanb im fieb^ntcn 3af>rfmnbert.
II.
VeuUQtanbs &uttutiuftaub int Meuten $a$T$uu*ext.
Unter ben öertjeerenben ©türmen be*, breiöigjährigen Kriege*
tonnten in Deutfchlanb meber SSiffenfchaften noch fünfte eine na**
haltige Pflege finben ; bennoch mürbe $u jener 3eit burch Martin
Opifc — geboren 1597 ju Sun^Iau, üon Äaifer gerbinanb II. ate
Dichter gefrönt unb unter bem Warnen Dpifc oon $oberfelb in
ben $lbel*ftanb erhoben, geftorben 1639 ju Dan$ig an ber $eft
— eine neue (Epoche für bie beutfäe ^oefie angebahnt. Da*
£auptöerbienft biefe* nicht* meniger als genialen Dichter* liegt in
feinen erfolgreichen ©emühungen für bie SBereblung ber äußeren gorm
ber Sßoejie burch bie SBieberherfteüung ber Feinheit ber ©prache unb
bie SBegrünbung eine* regelrechten 58er*baue*. Durd) fein „Söuch
oon ber beutfehen $oeteret)Mf in melchem er ben ©runbfafc au*fprach,
bafe bie beutfehen 93crfe nach bem Slccent, nict)t nach ber Qafyi ber ©il«
ben gu meffen feien, mürbe er ber ©rüuber ber neuen beutfehen ^rofobie.
©eine Dichtungen, in beuen er, obgleich mit Vorliebe ber bibaftifchen
s$oefie fich jumenbenb, SDcufter für alle poetifdjen (Gattungen auf«
fteHen moHte, finb Nachahmungen franjöfifcher unb h°flönbijcher
iöorbtlber unb zeichnen fid) burch eine forrefte unb flie&enbe ©prache
au*, entbehren jeboch jebe* r)ö^eren ©ebanfenflug* unb eine* tieferen
poetischen ©ehalt*. 9ttd)t*beftomeniger mar fein &nfehen al* Dich3
ter fo grofe, baß man ihn al* ben „SBater unb SBieberherftetler ber
beutfehen Dichtfunft" gepriefen unb ein gan$e* Qahrfjunbert h"1*
burch nur ben „fdjlefifchen ©chman" genannt fyat. Unter feinen
äehrgebtehten — bem ©eften loa* er gefchrieben — ift fein „Droft=
gebicht in SBibermartigfeiten be* Kriege*" ba* gelungenfte.
Dpifc fanb zahlreiche Nachahmer, bie in ber Siteraturgef deichte
unter bem Warnen ber erften f dj 1 e f i f ch e n Dichterfchute $u?
fammengefafet merben, obgleich fie nur $um fleinften Dheite Schleper
maren. Der bebeutenbfte unter benfelben mar $aut 5 1 e m m i n g —
geboren 1609 ju ^artenftein im SBoigtlänbifdjen, geftorben 1640 ju
Hamburg — beffen meift ber Igrifchen ©attung angehörige Dich*
hingen eine ungleich reichere ^Begabung befunben, al* bie feine*
SBorbilbe* Dpifc. §11* bramatifcher Dichter ber erften jchlefifchen
Dichterfchule geno§ Slnbrea* ©rtophiu* — geboren 1616 ju
©rofjglogau, geftorben ebenbafelbft 1664 — ein 9ftann oon ungemöhn-
lich büfterer iieben*anfchauung, eine* fo höh«« Slnjehen*, ba& er ben
Beinamen be* „Unfterblichen" erhielt; feine Dragobien, oon benen
eine ba* tragifche ©efdncf #arl ©tuart* behanbelt, finb jeboch
nicht* Slnbere* al* gefchmacflofe Nachahmungen ber Dragobien ©e^
neca'* ohne tieferen poetifchen ©ehalt unb ermübenb burch SBcit-
Digitized by Google
Deutfd)lanb3 föiltur^uftanb im ficb^chittcii ^afjrfutnbert.
35
idjroeiftgfeit unb eine gestaubte ©prad)e. Ungleich beffer fmb feine
£>ufrfptele, bie als bie bebeutenbften bramatifchen ©rjeugniffe biefer
3eü 511 bezeichnen finb.
3u ben ^ertjorragenbfien Dichtern ber erften f^Ieftfc^cn ©chule
$äfjlt auch ber ©pigrammatift 5 rieb rieh oon ßogau — geboren
1604r geftorben 1655 511 ßiegnifc als ©efretär beS £>erjogS oon Siegnifc
unb ©lieg — ein äRann üon tiefem ®emüth, ^ofjem s2lbel ber ©e-
frmtung unb warmer söaterlanbsliebe. ©eine Stnngebidjte, bie üon
ben 3rit9en°ffen nicr)t nach ©ebütjr gewürbigt würben, burch £e(fing
jebodj ber SBergeffenfjeit wieber entriffen unb feitbem in wot)loer-
bientem Slnbenfen geblieben, finb jum Dhctl tiefgefühlte klagen über
bie beutfehe (Entartung, jum Xfieil auch rein bibaftifche ^ic^tungen,
wie beifpielsweife bie folgenben:
£>offnung ift ein fefter ©tab — Unb ©ebulb ein Steifefleib,
$a man mit burd) SBelt unb ©rab — SBanbert in bie droigfeit.
©otteS Wüllen mafjlcn langfam, mahlen aber trefflid) fletn;
Ob au« fiüngmuü) er ftä) [äumet, bringt mit ©djftrf er SltteS ein.
Sin eigener DichterfreiS, ber {ich gleichfalls an Dpifc anleimte,
hatte ffcfj in Königsberg gebilbet. 3u bemfelben gehörte als baS
beroorragenbfte 9Jhtglieb Simon Dach (geb. 1605 ju Üftemel,
geft. 1659 als ^ßrofeffor ber Dichtfnnft gu Königsberg), beffen ur*
iprünglich in nteberbeutfcfjer Sftunbart gebtchteteS Sieb „Slennchen
oon Xharau" noch je$t gefungen wirb. Dach'S fämmtliche lieber
jeugen oon Dtefe unb Qnnigfeit ber (Jmpfinbung, wäf)renb in feinen
(BelegenheitSgebichten, in benen er als $ofpoet bie 3ftitglieber beS
furbranbeuburgijchen gürftenfmufeS befingt, wie auch in feinen ©djau*
jpielen nur bie ©prache Slnerfennnng oerbient.
Unter bem Hinflug ber Dpifcifchen ©chule ftanben auch biele
proteftantifchen ®ira)enlieberbichter jener $tit, unter benen ber be*
gabte $aul ©erhör bt (geft. 1674 als $aftor ju Sübben) bie
erfte ©teile einnimmt, ©eine jum Ztyil fehr befannten ^ßoefien
athmen ein freubigeS ©ottüertrauen.
Södhrenb bie Dieter ber Dpifcifchen ©chule meift bem pro;
teftanrifchen Horben angehörten, weil ihre trocfen*gelef)rte Lanier
im fatholifdjen ©üben wenig Slnflang fanb, hatte biefer in bem
Jefuiten griebrtdj oon ©pee auS bem abeligen, jefct grä>
lieben ©efchlecht ber oon ©pee ju £angenfe(b — geboren 1591 $u
ÄaiferSmertt), geftorbeu 1635 51t Drier im Dienfte ber bortigen Sa$a=
rethe — einen reichbegabten, burchauS jelbftftänbigen Dichter oon
tiefem (Gefühl unb regem Waturfinnc aufeuweifen, beffen oon ber
tnnigften grömmigfeit burchwehte unb in reiner, wohlflingenber
Sprache gefchriebene Dichtungen 3U ben lieblichften ölüthen ber
3*
Digitized
36
$eutfcf)lanb3 Äulturjuftanb im ftebacljnten Safjrtmnbert.
beutfäen $oefte gehören. $te meiften bcrfelben finb nadj ©pee'ä
£obe in einem 93üd)letn jufammengetragen tnorben, baä ben Xitel
„ZxufryiafyiQaü" füfjrt, loeil eS „trofc aßen SRadjttgaHcn füg nnb
lieblid) finget. "
@in jüngerer ©eifteSDerrcanbter ©pee'3 war ber (Sonoertit
Sodann ©d}effler, befannter unter bem 2)td)ternamen Singe;
lu3 ©ilefiuS, geboren 1624 ju SöreSlau als ber ©olm eine£
bortljin auSgetoanberten polnifdjen (IbelmanneS, geftorben 1677 eben*
bafelbft als ^riefter unb bifd)öflid)er 9^at^. ©eine geiftlidjcn Sie*
ber, t>on benen bie meiften eine mtjftifd)e ©runblage t)aben, atf)=
mcn eine feltcne Xiefe unb Qnnigfeit beä ©efüfjlS unb gehören
bejüglid) ber ©pradje unb gornt ju bem ©eften, roa$ jene Seit
gefcbaffen. SSiele berfelben erinnern in garbenglutt) unb Söilbcr-
reidjtfuim an ba3 Jpofje Sieb, toäfjrenb anbere in ifyrem Xon finb-
lieber Sreubigfeit an bie Dietlingen ©pee'3 anfangen, ©ein t)err=
lidjeä Sieb: „Siebe, bie bu mid) jum Söilbe beiner ©otttjeit l)aft
gemacht," ift roof)l ba3 ©cfyönfte, toaS in biefer ©attung in beut=
fcfyer ©pradje gebietet ioorben. — @tn fat^olifc^er SDidjter Don
ungern öfynlidjem Xalentc toar audj ber 3efuit Qafob Söalbc, —
geboren 1500 ju (£nfi3f)eim im (Slfafj, geftorben 1668 ju SReuburg
in ber Dberpfalj — ber jeboct) faft auäfdjliefjlid) in Iateintfcr)er
©pradje bietete.
(£ine oon ben Dpifcifdjcn Dielfad) Derfd)iebene SRtdjtung berfolg^
ten bie gelehrten ©efcUfdjaften, bie fid) bamalS nad) bem SDcufter
ber italicnifdjen unb franjöfifdjen s2lfabemien aud) in 2)eutfd)lanb
fyauptfäd)licfy ju bem ßtoeefe bilbeten, ber immer mefjr um fid) gret*
fenben SBermengung ber bentfe^en ©pradje mit Srembtoörtern ent=
gegenjutoirfen unb mit ber ©pradjreinigung jugleid) bie ffudbilbung
ber Daterlänbifd)en $)idjtfunft ju förbern. $>ie berüfnntefte biefer
„©prac^reinigung^ÖJefeÜfa^aften" mar bie im3aljrel644 ju^ürn*
berg gegrünbete „®efellfcf)aft ber ^egmfcfdjäfer" ober „ber gefrönte
§irten= unb Sölumenorben", beffen SERttgliebcr ©d)äfernamen erhielten.
Sllle biefe Vereine brauten jtoar in furjer Seit eine gan^ außer*
orbentlid} grofje tflnjal)! Don ©ebid)ten aller Slrt $u Söege, erreichten
jebod) ifyren Qxocd nidjt, roeil fie fid) in £ (einlief eiten unb lieber
treibungen Derloren unb bie ^oefie in bie SBafm einer tänbelnben
unb matt()er5igen Sentimentalität leiteten.
$ie ©djule ber ^egnitjfct)äfer bilbete ben llebergang ju ber
jtoeiten fdjlefifdjen 2)id)t erf djule , bie an bie ©teile ber
Xrotfenfjeit ber Dpifcijd)en Lanier ein f)of)te3 <Patf)oS, ©djnntlft,
©ombaft unb llebertrcibuug fefcte, jugleic^ aber audj, ben alleinigen
Sioed ber Sßoefie in ber rein finnlidjen ©rgöfcung fud)enb, fid) oor*
jugÄipeife im Süfternen unb Cbfcönen gefiel. 5)ie Häupter biefer
©djule, in beren ©djöpfungen bie s$oefie jur Unnatur Deqerrt er=
Digitized by Google
Seuti'djlanbS Äulturjuftanb im fieb^e^nten 3al)rfmn&ert.
37
idjetnt, roarendfjriftian £offmann öon #off mannStualbau,
geboren 1618 $u Breslau, geftorben 1679 ebenbafebft als faiferltdjer
9tatl), unb Caspar Daniel öon Soljeuftein, geboren 1635
ju Bimptfä, geftorben 1683 ju Breslau, ebenfalls als faiferlidjer föatf).
Öeibe galten als burdjauS efjrenmertlje Männer ; in ifjren
tungen, bei melden fie fid) baS leere SBortgepränge nnb bie bor*
berrfdjenb finnlidje Stiftung ber bamaligen italienifdjen 3)td)ter jum
SJlufrer nahmen, ergaben fie fid) jebod) ber fdjlüpfrtgften unb fd)mufcig*
ften ^antafte. 3n ben Xragöbien SofjenfteinS, ju melden ber
Stoff meift ber gräuelreidjen römifd)en $ aifergefd)id>te unb bem
blutigen Xurfentfjum entlehnt ift, wirb baS ®rä&tid)fte unb SBibrigfte
auf bie 33üljne gebracht, Xabei ift bie Spradje lädjerlia) fjod)tras
benb, aufs &eu&erfte gefdjraubt unb mit ber gefdjmatflofeften ©e=
lefjrfamfeit überlaben. 2lud) im Vornan f)at Sofjenftein fid) öer-
1" ii cht unb fein im ©an&en gut gefdjriebener, aber unfäglid) roeit*
fdjroeifiger SlrminiuS, in toeldjem, nad) bem 2luSfprudje ©idjen*
borff'S „ber t)oä)trabenbe ^ßegafuS ben ganjen Sttüftroagen bamaliger
®elef)rfamfeit nad)fd)leppen mujtj", galt lange 3eit als ein dufter-
bilb biefer (Gattung.
S)aS Uebermafc ber Unnatur in ber jtueiten fdjlefifdjen Sdjule
führte einzelne $id)ter, bie baSfelbe ju befämpfen fudjten, ju bem
entgegengefefcten öftrem: fie gingen Dorn Sdjttriilftigen $um SBäffe*
rigen über unb festen baS SBefen ber $oefie in bie nüdjternfte
Reimerei. (Sine entfdjieben beffere 9itd)tung mürbe angebahnt burdj
ben (xpigrammatiften ©Ijriftian SBernicfe (geboren um 1666, ge*
florben jmi)d^en 1710 unb 1720 als bämfdjer Staatsrat*)) unb
griebr. 9tub. oon (£anifc (geboren 1654 $u Berlin, geftorben
cbenbafelbft 1699 als (Reimer Staatsrat!)), bie SBeibe in ib,ren
faiiriföen $5id)tungen bem Sdjroulft ber $offmannSroalbau*Sof)en*
jteintfd)en $oejie entgegentraten unb ben (Glauben an beren SBortreff*
lidjfeit bauernb erjdjütterten.
SBäfjrenb bie beutfdje ^ßoefie im fiebjefmten 3af)rf)unbert fidj
roeuigftenS jeitmeife einer nid)t unroefentlidjen Slufbefferung erfreute,
falj eS mit ber beutfdjen $rofa l)öd)ft traurig aus, inbem bie ©e*
lehrten fid) in tfjren 2Berfen faft auSfdjliejjlid) ber tateinifdjen Spraye
bebienten. Qn itjrer oollftänbigen löernadjläffigung jetgte fte baS
JBüb einer jammerootlen Spradjmengerei , gegen roeldje einzelne
Satirifer oergebenS anfämpften. SSie bie meltlidje 9lebe fteif, cere*
moniöS unb getftloS mar, fo trug bie firdjlidje, bie fid) bei ben
^roteftanten i)auptfäd)lid) in tfjeologifdjen Streitfragen beroegte,
baS ©epräge ber äufeerften Xrotfenfjeit. (Srft burdj $l)ilipp Qafob
Spener — geb. 1635 $u Üiappolsmeiler, geft. 1705 als ©onfifto*
rialrat^ in Berlin — , ber mit gro&em (Sifer für bie 2Sieber^er=
fteüung beS unter feinen ©laubenSgenoffen tief gefunfenen religiöfen
Digitized by
38
2)eutfdjlcmb3 5hiltur$uftanb im fteb^ntcn ^aljrfjunbert.
ßeben« wirfte unb baburd) bcr ©rünber bcr Sßietiftengcmeinben würbe,
erhielt bic ^roteftantifc^e Sßrebigt wieber eine größere 3nmgfeitf
bie ober bielfach in einer fallen ©efühl«fchwärmeret beftanb.
SRadfbem bie SBiffenfchaft unter ben ®rieg«wirren ber erften
£älfte be« fiebjefmten 3ah*h"nbert« in ^eutfdjlanb faft ooUftanbtg
barnieber gelegen, nahm fic in ber jweiten $älfte be«felben wieber
einen bebeutenben Sluffchwung. 211« 6tern erfter ©röße glänjte
auf biefem (Gebiete ber berühmte $futofopl) (Gottfrieb SBilhelm
ßeibnifc, geb. ju Seidig am 23. ganuar 1646, geft. 511 #am
nober am 14. SRobember 1716. 211« ein Untoerfalgenie bon unge^
möhnlich früher fReifc hatte Seibnife bereit« ben größten Ztyil
ber umfangreichen wiffenfehaftlichen 93ibliott)ef feine« Katers burdh*
ftubirt, al« er in feinem fünfzehnten 3ahre bie Uniberfität bejog.
9cad)bem er in ßetyjig unb Qena mit großem (Stfer bem ©tubium
ber 2Katf)emattf , 9^cc§törDtffcnfcr)aft unb ^fulofopl^ obgelegen unb
fchon im adjtaefmten 3ahre in öeipjig TOagifter ber ^Uofoplne, im
jwanjigften in 2lltborf $)oftor ber Siechte geworben , tarn er im
3af)re 1667 an ben #of be« fturffirften oon SRainj , be« bereit«
früher erwähnten Sohann tyfylipp oon (Schönborn , ber ihn jum
#analeireöifion«rath ernannte unb fid) feiner bei wichtigen biplo=
matifchen ©efchöften bebiente , bie bem jungen (Mehrten (Gelegen*
heit beschafften , feinem patriotifchen (Sifer für bie ©etbftftänbigfcit
unb @hre be« beutfehen SBaterlanbe« in mehreren $enfichriften
2lu«brucf ju berleifjen. daneben toar er unau«gefcfct auch auf ben
berfduebenften Wiffenfc^aftfichen (Gebteten fchriftfteüerifch tf)ättg , in=
bem er balb eine mathematifche, balb eine p^ilofop^ifd^e, balb eine
naturmiffenfehaftliche , balb eine geschichtliche s2lbhanblung beröffent*
lichte, bon benen eine jebe neue (Sntbecfungen enthielt.
3m 3&hre 1672 machte Scibnifc eine Steife nach ^ßari« , bon
wo er fich im folgenben 3ahr^ nach ßonbon begab. 2ln beibeu
Drten fanb er bie ehrenbotlfte Aufnahme; bie gelehrteften Männer
bemühten ftch, ihn in i§ren pfeifen jurütf §uf)atten , unb bie 2lfa^
bemien beiber ©täbte nahmen ihn unter bie 3a¥ ih^r äRitglieber
auf. 3m 3°hre 1676 na(§ $eutfchlanb jurüefgefehrt , trat er, ba
ber ®urfürft 3ohann Philipp ^on ÜJcainj injwifchen geftorben war,
al« SBibliothefar in bie $ienfte be« £>erjog« 3°hat*n Sriebrtch bon
$annober, welche ©teile er auch bei beffen Nachfolger (Srnft s2luguft,
bem erften $urfürften bon £>annober, beibehielt, ber ihn fpäter ju
feinem geheimen Qfuftijratr) unb ^iftoriographen mit einem ©ehalt
bon breijehnhunbert XfyaUxn ernannte. 2fcacf)bem er in ben 3ahren
1688 unb 1689 auf Soften feine« $errn eine Steife burd) SJeutfch*
lanb unb 3*ö^c" gemacht, um 5Irct)ioc unb Älofterbibliothefen jum
83ehufe ber (Gefliehte be« braunjehroeigifchen ,$aufe« 511 burchfucheti,
bei welcher (Gelegenheit er fich längere Seit in Söien aufhielt, begab
Digitized by Google
^eutfdjlanbS Jhilturjuftanb im ftebjehnten ^a^r^unbctt. 39
er fict) im 3ahre 1700 nach SBerlin, um bort auf betrieb ber
geiftreichen ©emahlin beS Ihirfürften griebrich III. oon ©rauben*
bürg, ber fjamtööeriföen ^rinjeffiu Sophie <£harlotte, bie „©Deich-
tet! ber SBtffenfdjaften" einzurichten , bie unter bem oeränbeiten
tarnen ber „Slfabemie ber SBiffenfchaften" noch ^eute in sölütye
fte^t. Seitbem unterhielt er mit ber nochmaligen Königin ötm
$rtu§en einen lebhaften 6riefmechfel, in meinem bie tiefften philo ;
foptjifchen Probleme eingehenb befprochen mürben.
2Bie in ber ©elehrtenmelt , fo ftanb ßribnifc auch bei ben her=
öorragenbften Surften feiner Qdt in fyotym Wnfeljen; fie fugten
eine <£h« ^avin, ihm 2(uS$eichnungen ju ermeifen. $er Sjar <ßeter
ber ©rofje, ber ihn im 3af)re 1711 in Xorgau (ennen (ernte, öer=
lieh tym ben Xitct eines ruffifchen 3ufti$rathS , mit einem behalt
öoti taufenb X^alem ; ®aifer $arl VI. erhob ihn in bem gleichen
3at)re in ben SReichSfreiherrenftanb unb fefcte ihm ein Qahrgelb oon
jmeitaufenb SteichSgulben aus.
Setbnifc mar nicht nur ber größte unb üielfeitigfte belehrte
feine* ^Ww^iS > fonbern auch einer Der tiefften Genfer aller
3eiten unb babei ein mahrhaft chriftlicher $hrt°f°P§ t welcher ber
fatholifchen 2Bahrt)eit oft fehr nahe fam , aber leiber nicht ju bem
entfcheibenben Schritt beS UebertrittS gelangte. „3n allen (Gebieten
beS SSiffenS ben 2ltr)eiSmuS $u befämpfen", fagt $affnerf „aus
aüen ^^atfac^en ber SKatur unb beS ÖJeifteS baS $)afein ÖJotte»
feftjufteflen, gegen alle fdjeinbaren Söiberfprüche ber (Erfahrung bie
gbee ber göttlichen SBorfeljung §u rechtfertigen, mar baS eble ©tre^
ben, bem ßeibmfc ein ^albed Qahrhunbert feine ®raft lieh unb baS
1710 in feinem reichften 33uche, in ber gegen iöaüle, ben Patriarchen
ber fran^öfifchen greibenfer , gerichteten Xhco°icee feinen ®ern
fanb." ©eine ^3r)iIofop^ie , bie meit mehr in fatholifchen als in
proteftantifdjen Greifen beachtet mürbe , ^atte jebodj ju fehr ein
inbimbuelleS ©epräge, als ba& fie eine allgemeine SSerbrettung hätte
fmben fönnen.
SeibnifcenS ^hätigfeit mar eine raftlofe. ©emöhnltcr) arbeitete
er bis um $mei Uhr naa) ättitternacht , unb menn ihn eine Arbeit
befonberS lebhaft beschäftigte , legte er ftch gar nicht ju iöette, fon-
bern fchlief mehrere Stunben in feinem ßehnftuhl , um gleich bei
jeinem @rttmchen an berfclben fortzufahren. 9(n baS (Effert badjte er
erft, menn er ton junger erfcfjöpft mar. SBaS ihn neben ber Xtefe
feines OJeifteS befonberS auszeichnete, mar bie ungemöfmliche ©dmel*
tigfeit ber 5luffaffung. $ie termorrenften fragen burchfchaute er
faft auf ben erften iölicf unb fefcte fie mit ber bemunberungSmür-
bigften St larhett auSeinanber. 2Benn er bie meiften feiner Söerfe
in latetntfcher ober fran$öfifcr)er Sprache gefcfjrieben , fo hotte bieS,
abgefehen oon bem Umftanbe , ba& bie beutfche Sprache noch W
Digitized byiGoogle
40
S)eutftyanb3 Äulturjuftanb im fieb$efmten gatjr^unbert.
bcr nötigen AuSbilbung für nnffenfdjaftlidje 35arftetlungen ent*
beerte, feinen ©runb barinr bafj baS Sateinifdje bamalS nod^ bte
allgemein übliche ©pradje ber (Selet)rten f baS gran$öfifd)e ober
bie beS europäifdjen 58erfet)rS mar unb Seibnifc feine Söerfe nid>t
allein für $eut[d)lanb beftimmt jjatte. Sine SBernadjlaffigung feiner
sJttutterfyrad)e fann it)m in feiner SBeife jum Sommrf gemalt
toerben; er ttm§te üjre $orjüge in I)oi)em ®rabe ju toürbigeit,
intereffirte fidj lebhaft für it)re Öerbefferung unb bebiente fidj if/rer
in allen Sailen, too er auSfölie&licf) für feine Sanbsleute , unb
namentlich wenn er an ben ®aifer fäxitb.
$er (Srfte, ber bie *ßfnlofopt)ie in beutfdjer Sprache befmnbelte
unb UniüerfitätSöorlefungen in beurfdjcr Sprache fuelt , war
e^riftian £t)oma iuS (geb. 1655, geft. 1728), erft ^rofeffor
3U fieip^ig, bann an ber neuerridjteten Uniöerfität §aflc. (£r war
audj ber ©rünber ber erftcn in beutfdjer ©pradje erföienenen ge=
lehrten Seitfdjrift , bie er unter bem Xitel „ÜJconatSgefprädje"
Verausgab.
3)afj bie beiben erften Saljrtjunberte ber Deformation trofc beS
Kampfe«, ben bie „SStffenJdjaft" im tarnen ber „®eifteSfreit)eit"
gegen ben Autoritätsglauben eröffnet fjatte , feine Seit nrirflidjer
Aufflärung mar, $etgt nidjt nur ber überall fyerrfajenbe Aberglaube,
ber, in allen Sonnen üppig ttmdjernb, ganj befonberS in ben bis
in bie Ijödjften Greife oerbreiteten unb felbft oon jaljlreidjen @e*
lehrten begünftigten aftrologifdjen Sßljantaftereien ju Sage trat, Jon*
bem bor Adern aud) bie furchtbare itferoielfältigung ber gräuelüoüen
£ejenpro$effe, $u beren löefeitigung bie Deformation um f o
Weniger irgenb (£troaS beitragen fonnte, als biefelbe mit bem bura)
Sutfjer unb $aloin eifrig geförberten (Glauben an bie leibliche 9Jcad)t
beS XeufelS über bie 9Jcenidjen ben &e£enn)at)n bei Ujren Anhängern
nur me^r befeftigt fjatte. SBaren bod) $u ®enf im JJa^re 1545,
in bem furjen Zeiträume oon brei Monaten öierunbbrei|ig ^erfonen
auf $aloinS ^eranftaltung als $>ejen unb Sauberer unter flauer*
liefen Startern Eingerichtet njoiben.
Xcr tief in ber menjd)licf)en Datur mur^elnbe Glaube an
2Be)"en, bie mit ben ä)cad)ten ber ginfterotfj in SBerbinbung ftet)en,
finbet fia) bei allen SBölfern. 3Bie fct)on bie älteften 93üd)er ber
^eiligen ©djrift öon Qaübtxtxn, ©eifterbefcfytüörem unb S33at)rfagem
reben, fo feigen ftd) bte gleiten Anfd)auungen audj bei ben fyeib-
nifdjen ©tämmen beS grauen Altertums unb ebenfo bei ben ttnlben
Horben AfienS, Amerifa'S unb Afrifa'S. ©elbft bie fjodjgebilbete
(kriechen* unb Dömerroelt berfenfte fidj , als ber ©laube an tyre
(Sötter ju fdjttrinben begann, mit magrer ßuft in bie 9Jtyfterien
einer finfteren Üftagie.
@S fann uns nid)t SBunber nehmen, bag in ben erften Reiten
Digitized by Google
XcutfcglcmbS #ulturjuftanb im ficbic^ntcn 3at)rf)imbert. 41
beS (HjriftenthumS manche l)eibnifd)e $lnfct)auung in ben ©emuthern
ber 9*eubefehrten juruefblicb unb in fortgefefeten abergläubifdjen
©ebräudhen ju Sage trat. $ie ßtrehe fchritt gegen bieten Unfug
mit um fo größerer ©ntfduebenheit ein, als bie gnoftifdjen unb
manichäiferjen ©eften fid) in jene fjeibniföen 9ttr)fterien warfen , um
burd) fold)e ©aufeleien bie ©laubigen 511 betören unb irre gu
leiten, unb fic überbieS ben ©runbfafc uner)cr)ütterlid) feft hielt, baß
ict)on allein ber Sfcrfuct), bei ben 9#äd)ten ber ginfterniß $rilfe unb
SSeiftanb ju erlangen, ben Abfall tton ©ort in fid) fct)ließe. ©d)on
bie rjeüigen SBäter traten jenen ^eibnifajen Sßorftellungen unb ben
bamit öerbunbenen abergläubischen ©ebräucr)en mit bem größten
9tacr)brucf entgegen , unb mit ihnen miefen bie Goncilien auf bie
^td)tigfeit magifcr)er fünfte, ber gauberei, Söafyrfagerei unb Seid)en=
beuterci, ber Amulette unb felbft ber Drbalien hin-
gen fdjmerften ®ampf hatte baS d^riftentl)um mit bem 2lber*
glauben ber germanifcr)en SBölfer $u beftefjen, bereu Dtaturfult unb
tieferem Sftitlcben mit all ben taufenbfältigen @rid)einungen , bie
Sommer unb grüljHng, &erbft unb SSinter in ftetem SBedjfel h*ts
öorrufen, baS ©efüt)l einer träumertjd)en , abgöttifchen Verehrung
nährte. 2lud) nad)bem baS l£(n"tfteiitl)iim bei ben (Germanen Ein-
gang gefunben, fuhren fie fort, ihre abergläubischen ©ebräuct)e ju
üben , inbem fie baS , maS naa) it)ren früheren s2lnfct)auungen oon
ben ©öttem bettrirft morben, bem (Sinfluß ber ©eifterroelt jufchrie*
ben. 5Iud) gegen biefen Unfug fchritt bie ®ird)e burd) aohlretctjc
©rmobalöerorbnungen mit ber größten (Sntfduebenfyeit ein.
$3iS in* bret$ehnte 3ahrfmnbert mar inbeften oon § e j e n
mir gelten bie Siebe. ©d)ärfer unb beftimmter trat ber jpefenroafm
$u Anfang beS bierjehnten 3ahrhunbertS auf unb 3eigte fid) oon
ba an in immer beutlicheren ©puren. 55ie §auptanflage gegen bie
3ungfrau Oon Orleans mar, baß fie eine ,8auberin unb ein 2Berf~
$eug ber Jpöfle fei. 2luct) ben Tempelherren ^atte man oorgeroor*
fen , baß fie ben Xeufel anbeteteu , ber ihnen in ©eftalt einer
ja}marjen $a$e erfd)eine. 211S ber finftere SBafm fict) immer metter
$u oerbreiten anfing, erließ Sßapft 3nnocen$ VIII. im 3ar)re 1484
eine ÖuEe, burd) meld)e er, um bem bamit öerbunbenen Unfug eine
®ren$e gu stehen, bie anaufteßenben Unterjud)ungen geiftlid)en
3hd)tern übertrug. $er $5ominifaner ©prenger , ber mit jmei
anbem ©liebem feines DrbenS mit ber s2luSfüt)rung biefer äöulle
in £eutfdjlanb betraut morben, üerfaßte, um ein einheitliches unb
regelmäßiges Vorgehen ju begrünben, ben fogenannten „^ejrenham*
nter." 3n biefem Öud)e, baS, toie ©örreS fagt, „jmar rein unb
untabellmft in feiner Intention , aber nid)t mit gef d)ärf tcr Urteils*
traft Durchgeführt, ohne hinlänglichen ©runb thatfäct)licher Erfah-
rung unoorfichtig auf bie fcharfe ©eite hinüber mog," fanben in
Digitized by "Google
42 2>eutfälanb« ßulrurjuftanb im fiebjehnten ^ahrhunbert.
ber Solge alle |>erenrichter bie (SntfdmlbigungSgrünbe für ihr $öer=
fahren unb bic SBefchwichtigung für btc auftaudjenben S^eifel ih**S
®ewiffen3.
3nbeffen famen bis $um Anfang beä fechjehnten 3a^r^unbcrtö
nur öereinjelte ^rojeffe wegen 3auberei öor, unb mit Ausnahme
berjenigen Sötte, in welchen bie Angefcbulbtgten nebenbei wirfliche
Verbrechen begangen Ratten, wie ©tftmifcherei , ftinbeSmorb , S&t
trug u. bgl., fanben ©erurtheilungen nur feiten ftatt. 3m fechaehn*
ten unb ftebaehnten Qa^r^unbert bagegen fernen $eutfdjlanb einer
wahren fterenepibemie anheimgefallen ju fein: bie #efpenpro$effe
mürben in ber 3ufri$pflege jur ftehenben SRubrif, unb in faft allen
Säubern $eurfchlanb3 mürben ©chaaren oon 3ttännern unb grauen,
3ünglingen unb Qungfrauen aU Sauberer unb $ejen oerbrannt,
ja fogar unmünbige ftinber als SJcitfehulbige ihrer Altern bem 5euer=
tobe überantwortet, ©o würben im Safere 1582 in ber baierijerjen
©raffdjaft SBerbenfelS in einem einigen ^erenprojeffe acbtunboicraiG
«ßerfonen, in ber SReichSftabt 9cörbüngen awifchen ben Sauren 1590
unb 93 5Weiunbbrei§ig $erfonen aU 3ouberer unb §eren oer-
brannt. 3m ©raunfebweigifchen waren ju bcr gleiten 3eit bie
©rrtutionen fo jahlreieh, ba& oft an einem Sage jebn ^ejen Oer-
brannt würben.
9ioct) größer war in ber erften ^älfte beä fiebjehnten 3afc5
hunbertS bie gab,! bcr Unglücflicben, bic bem fdjauerlicfjen £eren=
wabn jum Opfer fielen. 3n ocr ©tabt Offenburg im ÜBreiSgau
würben jmifeben 1627 unb 1630 fedjjig ^erfonen unb in bem
iöiätfjum SBürjburg in bem gleichen ä^itraum mehr als jweiftun^
bert ^erfonen jeben Alters unb ©tanbeä, baruntcr fogar brei $om=
Herren unb oierjebn SBifarien ber .frauptfirdjen, fowic #inber oon
acht bis jwölf 3a^r^n, wegen .pererei unb 3a«öcrei Eingerichtet.
(£in jperenrichter in gulba rühmte fid): er allein ()abe über fieben-
bunbert <ßerfonen beiberlei (ScfcblecbtS oerbrennen laffen unb Ijoffe,
e$ über taufenb hinaus $u bringen.
Sßaren in ben üorfjergcfjenbcn 3o6r^nbertcn bie (Gerichte meift
nur auf eine beftimmte Auflage wegen Qauberei gegen bie betreffen-
ben Sßerfonen oorgegangen, fo würbe im iedj$ef)nten unb fiebje^nten
3ahrhunbert förmlich nact) £eren gefugt. SBcnn an einem Orte
ober in einer ©cgenb ungewöhnliche (Srcigniffc: anbaltenber SRegen,
heftige Gewitter, $5ürre, 9Jci§wacb3, ©iebfeueben, plöfclicbe XobeS-
fälle, geuerdbrünfte u. bgl. eingetreten waren, fo fdjrieb bcr Aber-
glaube biefelbcn bcr SBirffamfeit oon ,£>ejen unb auf ba£
drängen ber aufgeregten ©ebölferung folgte in ber 3tegel ein lan
beSfürftlicber SBefehl an bie 53er)örben jur Einleitung eine* geriet*
liehen Verfahrens. (Gewöhnlich fam biefen ein folcr)er Befehl er
wünfeht, weil ihre ©ehalte auf bie fofren angewiefen waren unb
Digitized by Google
3>eut|djlanb« Äulturjuftanb hn fiefyefmten ga^unbert. 4&
ihnen überbte* au* bem eingebogenen Vermögen her ©erurtheilten
ein bebeutenber Hntheil jupcl.
3ur (Sinleitung eine* $erenpro$effe* genügten bie nichtigen
iBerbacfjtägrünbe. Söcnn eine $erfon ben SBlicfen einer anbem au*-
auweidjen fuchte, ober $ur TOtternacht*ftunbe außer bem $aufe ge^
mtfen, fo geriet*) fie in ben ©eruch ber £>ejerei. $luch wenn
3emanb in furjer 3tit reich geworben ober e* $u bebeutenber ®e*
lehrfantfeit gebraut ^atte, fo würbe bie* einem SBunbc mit bem
Xeufel jugefchrieben. gebe Srauen*perfon, bie burefj irgenb eine
jufdüige SSeranlaffung bie ftufmerffamfeit oft nur ber Xorfjugenb
ß«f Ö^ogen ober über bie eine Nachbarin eine bo*hafte $e=
merfung gemalt, mürbe öon ben au*gefanbten $äfchern oerhaftet.
Stanb bie Verhaftete überhaupt in einem üblem Stufe, fo galt ba*
al3 fict)cre^ 3ttcf)en ihrer ©djulb; ^atte fie fid) eine* frommen
Cebenämanbel* befleißigt, fo hieß e*, fie ^abe bahtnter ihren 33er;
fefjr mit bem Xeufel oerfteefen motten. 3eigte fie Surdjt, fo er*
tatrnte man barin ihr böfe* ©ewiffen ; mar fie gefaßt , fo würbe
bie* al* bie SBirfung ber ermutfjigenben sprach e be* Xeufel* an-
gelegen.
3>tc Verurteilung ber Slngeflagten erfolgte atterbing* meift
nur auf ihr eigene* ©eftänbniß, baß fie einen ©unb mit bem
Xeufel geföloffen, fich ir)m ganj Eingegeben, (Sott getäftert unb ihm
abgefagt, bei nächtlichen äufammenfünften mit bem Xeufel unb an-
bem .peren unb Zauberern auf benachbarten bergen ober in alten
Schlöffern, ober auf $aiben ober im kat^au* unb im SRatfjafeüer
ge^mauft, getan$t unb allerlei Unfug getrieben gärten, ju biefen
geften auf Dfengabeln ober ©eienftielen ober auf einem fchwarjen
%od burch bie Öuft geritteu feien, auch oon bem Xeufel bie $unft
erlernt Ratten, Söinb unb ©ewitter $u machen, 9flenfchen unb Vieh
burd) Berührungen &rantyeiteu anzuhängen u. bgl. mehr, ftber
biefe unfinnigen ©eftänbniffe, in welcher bie 9tid)ter nicht ben gering*
jten Stoeifel festen, würben ihnen burch bie jehauerlichften Holter*
quälen abgezwungen.
$ie #ererei galt nämlich a^ ein ^lu *na hm eoer brechen,
bei welchem bezüglich ber golter feine ber im übrigen peinlichen
©ericht*oerfahren gefefclich oorgefchriebenen Vefchränfungen (SJiltig-
feit ha***; baher würben in ben jpejenprojeffen bie golterqualen
unter fteter Steigerung fo lange fortgefefct, bi* fich bie Unglücf*
lichen, benen ber Xob al* eine wiHfommene ©rlöfung erfchien, 51t
jebem Öeftänbniß bereit erflarten unb bie albernften $inge au*;
jagten, nur um ben Rauben ihrer unmenfehlichen Reiniger ju ent=
rinnen.
Xa* ®eftänbniß ber eigenen @d)ulb genügte jeboch bem fana-
tischen ober eigennüfcigen Sifer ber dichter nicht. 21u* einem
Digitized by ÖÖOgle
44
3)eutfd»IanbS Äulturjuftanb im ftebjcfmten 3af)rf>unbert
Jpejenprojeffe foflten womöglid) anbere hergeleitet »erben; batyer
verlangten fic öon ben ©eftänbigen bie Angabe onberer $erjonen,
bie mit i^nen bei ben ^cjentanjen geWefen, unb wenn biefelben,
um nidjt anbere Unfdjulbigen in ©erbadjt $u bringen, 2lu3flüd)te
fugten, würben bie Solterqualen wicberljolt, bi* bie ©emarterten
enblidj in ber ©erjweifluug bie erften ©eften ober aud> diejenigen
nannten, nad& welchen bie ffiidjter fte birect fragten. die alfo #n*
gefäulbigten würben bann ebenfalls üor ©eridjt gebogen, gefoltert
unb gleich ifjren Hnflägern jum geuertobe oerurtf)eüt. die ©er*
urtljeilung unb £inrid)tung gefdjaf} in folgen gäüen, wie nadjmalS
in ber franaöfifd)en ©djredeuSaeit, maffenweife: anftatt für jeben
<£in$elnen ein (£rfenntm& abjufaffen, würben öon bem töidjter nur
bie ©eraeidjniffe ber ju üerbrennenben Sßerfonen untertrieben unb
ben $enfem jur ©ollftretfung jugefertigt. Qeber einzelne ©er*
urteilte würbe an einen $fa!jl gebunben unb, wenn er fid> un*
äufcferrig jeigte, langfam öon unten herauf öerbrannt. 3ur ^er*
fdjärfung ber dobeaftrafe biente ba3 ©djleifen auf ben 8hd)tplafc
nnb baä Kneipen mit glüljenben QanQtn. ®ola)en, bei weisen
man ÜttilberungSgrünbc annehmen $u müffen glaubte, Würbe ein
idjnellerer Xob burd) ©ntljaupien ober (Sxbroffeln bewilligt unb bann
erft ber Körper oerbrannt.
da e$ gleichfalls als ein 3nbicium ber £>ejerei galt, wenn
5femanb fid) ber Slngeflagten freiwillig annahm, wagte lange «Seit
9liemanb, gegen ben grauenhaften Unfug feine Stimme ergeben;
bafjer fielen bemfelben in bem 3rirraum öon anbeit^alb Qa^rlmn*
berten fowotyl in proteftanttfe^ett als in fatljoltjd&en ßänbera öiele
Xaufenbe unfa^ulbiger ÜRenfdjen jum Opfer, unb ed würben (Brauel
oerübt, bie ein neuerer ©a^rtftfteüer „ein drama oon unerme&Udjer
^luSbehnung" nennt, „mit weldjem an 3ammer, ©er$meiflungajcenen
unb @lenb ofjne tarnen, SWajj unb Qitl auf ber einen unb an Mber*
glauben, Unfinn unb Barbarei auf ber anbern «Seite faum (£twa$
in unferer ®efa*)ia)te oerglidjen werben fönne/'
die (Srften, weldje fia^ ber unglütflid)en Opfer beä fa)auer*
lidjeu £>ejenwaljne$ annahmen, waren fatljolifdje Öteiftlidje, fo (£or*
neltuä £oo3 (geb. 1546 $u (Souba in ^poUanb, geft. 1593 $u ÜlRainj),
ber Sefuit Slbam danner, ftanjler ber Unioerfität Sßrag (geft. 1632),
bie ©eibe bafür fernere ©erfolgungen ju erbulben Ratten, oor Widern
aber ber eble griebridj oon 6p ee (f. ©. 35).
Uli im 3af)re 1626 ber ©tfd)of oon 2öür$burg, bem drangen
fcer 3uriften wie be$ Röbels naa^gebenb, nad) bem ©oraang beä
jper$ogä Ulridjä oon SBürttemberg, ber im 3a|re 1616 em gro&eä
,£>ejenöerbrennen in feinem ßanbe angeorbnet, in eine ©erfolgung
ber £>e$en gewilligt, hatte er fidj oon ben Qefuiten einen ©eia)t*
öater für bie unglürflichen Opfer erbeten, unb fo war ©pee im
Digitized by Google
£eutfcf)lcnib3 Äulturjuftanb im ftebjefmten Sa^unbert
45
gafjre 1627 nach 2Bür$burg gefommen. $a3 furchtbare Vilb be£
3ammer3, ba3 {ich ^icr üor feinen ©liefen eröffnete, erfüllte ihn
mit entern fo tiefen Kummer, baß in furjer Seit ba3 #aar be&
$toeiunbbrrijHgjäh"{p ^riefterS ergraut war. Er mußte an jwei=
hunbert ^erfonen jeben föangeS unb ©taubes, bie afle als un*
fdmlbig erfannt, jur Einrichtung torbereiten unb $um ©djeiter=
Raufen begleiten, unb fein £>er$ blutete unb wallte über oor
©djtnera unb Gram über bie offenbare Ungerechtigfeit unb Sd)änb=
lichfeü beS ^ßroje&öerfahrena. Sag unb 5cacht fann er nach über
ein 3Ätrtel jur Abhilfe unb flehte unter Ifyxänzn $u Gott um Er=
barmen für bie Unglücfltd)en. Deffentlich alä ihr Vertheibiger auf-
treten founte er um fo weniger, aU bie £erenrichter ihn ohnehin
wegen feiner Eingebung an bie armen befangenen mit Mißtrauen
betrachteten unb jftichtö fehnlicher wünfctjten, alä feine Entfernung.
9tid>t3beft oweniger machte er ihnen wieberholt bie einbringlichfteu
Vorstellungen ; er öermehrte jebodj baburch nur ihren $a& unb
ihren Slrgwofm.
9cad) langem unb innigem lebete fanb ©pee enblich ba£ %JliU
tel, welches bie Slbfcfjaffung ber £>erenpro$effe befchleunigen foflte.
ücachbem er burd) eingehenbeä ©tubtren ber ^ßrojefiaften bie eige*
nen Wahrnehmungen oerooüftänbigt unb fo bie gange 9cid)t&wür^
bigfeit beä Verfahrens flar erfannt fyattt, fchrieb er unter bem
Sdjutje ber Slnonnmität fein berühmte*, ben Dbrigfeiten $5eutjch;
lanbd geWibmeteS SBerf: »Cautio criminalis, seu de processibua
contra sagas Uber,« $u $)eutfcf) : „ Gerichtliche Unterfudmng, ein
iöueh über £erenprojeffe." Siefe im 3al)re 1631 oeröff entlichte
©chrift, in welcher bie raffinirten Gräuel ber £>erenprojeffe, bie
empörenben Ungefefclichfeiten unb $lbfurbüäten be$ (Seric^t^oerf ar) -
rena jener Qtit mit einer ©ct)ärfe aufgebeeft würben, bie ade $u-
riften be£ 3ahrhunbert$ befchämen mußte, würbe Anfang*, obgleich
fie fo fdjneü oergriffen war, bafj fchon im folgenben 3&hre eine
jweite Auflage nöthig würbe, fühl aufgenommen; bod) trug fie
ipäter ihre guten grüd)te. Philipp 00,1 ©chönborn, ber alä ®a-
nonifuä in Söürjburg ©pee'3 Vetchtfinb unb ber Vertraute feine*
ÄummerS gewefen unb bem biefer ficf> atö Verf affer ber Cautio
entbeeft hatte, ftellte, nachbem er im $ahre 1647 Er^bifchof oon
ÜÄainj geworben, in feinem Gebiete bie £>erenpro$effe ab, unb fci=
nem Veijpiele folgten balb anbere fatholifebe gürften. 3n ben ganj
fatholifchen ßänbera, wie Italien, ©panien unb granfreich, hatten
überhaupt bie £>erenpro$ejjfe bei weitem nicht bie ^uSbelmung unb
gurchtbarfeit erlangt, wie in 2)eutfchlanb ; in 9tom felbft fanb feine
einzige $erenüerbrennung ftatt. „3)ie Erfahrung, bie große Sehr*
meifterin in ben Singen", heißt es im Eingänge einer ©chrift, bie
im Söhre 1657 in ber Srucferei ber apoftoltfchen Cammer in.
«
Digitized by
46
2>eutfcf)lanb3 tfulturjuftanb im ftcb^nten galjrfjunbert.
Sachen bcr ^Cfcnprojcffc erfchien, „hat offenbar gemalt, mie im
Ißroaegoerfahren gegen ba& £erenroefen bie fdjmerften Qrrtöümer
$um ftachthetle ber ©eredjtigfeit unb ber angeflagten grauen be^
gangen werben, fo ba§ man in ber ©eneratcongregation ber heiligen
römifchen unb allgemeinen 3nquifttion feit lange )a)on bemerft, wie
faum je einmal ein $ro$e& berart regelmäßig unb in ber töedjtö*
form geführt korben. "
Sänger als in ben fatholifchen ßänbern bauerten bie £>efen^
projeffe in ben proteftantifdjen fort, ba bie proteftantifdje ©eiftlich5
feit nach bem Seugniß proteftantifcher ©chriftfteüer entfdjieben für
triefelben eintrat, ©o rourbe noch im Qahre 1669 $u SRora in
©darneben ein großartiger $ejenprojeß eingeleitet, bei meinem üon
ber aud Beamten unb Öteiftltchen $ufammenge)'e$ten Sominifftou
jroeiunbfiebjig SBeiber unb fünfzehn ältere SHnber, al$ ber 3<wberei
überführt, jum Seuertobe oerurtheilt unb fea^dunbjmanjig jüngere
$inber mit anbern fdjroeren ©trafen belegt mürben. Qu Saufen
fanben bie ^pefenprojeffe mit ihrem ganzen grauelooUen 2lu*na^me-
verfahren einen eifrigen SBerthetbiger in ©enebift (£ a r p 5 0 to
(geft. 1666), ber als 3urift bei ben 3«tgenoffen in fo hohcm 2ln-
fefjen ftanb, baß er ber „ÖJefefcgeber ©ad^eua" genannt mürbe. (Srft
l>em *ßrofeffor (S^riftian X^omafiud gelang e8, bie öffentliche 3ftei=
nung, trojj ber ©egenbemühungen jahlreicher fünften unb Oeift^
liefen, gegen biefen Unfug $u gewinnen unb baburdj bie "Jlbfteüung
ber ^efenprojeffe im proteftantifchen Horben anzubahnen. 3m ac*>^
Reimten Qahrlmnbert fommen nur noch oerein^elte ^ejenprojeffe öor.
Der lefcte berfelben fanb im 3ahre 1782 in ©laruS ©tatt, roo
eine Stenftmagb roegen angeblicher 3auberei nach ritterlichem ©prudj
enthauptet mürbe1).
1) ©ehr lehrretä) ift ba« 93ud) „ber §eremoaf)n oor unb nach ber ©lau*
benSfpaltintg in 3)eutfa)lanb" oon 30h. $)iefenbac$. TOatnj 1886.
Digitized by Google
Subung XIV. o. frranteid). — ftranfretd) unter Sttajarm« StaatÄDcrroalt. 4 7
in.
cltt&wig XIV. von grtattftrei^.
(1643-1715.)
gfronfrci^ unter »lajarinä Staatsverwaltung.
(1643—1661.)
Subnrig XIII. hatte auf feinem Sterbebette für bie $>auer ber
"ättinberjährigfeit be§ fünfjährigen Xfjronerben Öubtuig XIV. einen
Slegentjchaftarath eingefefct, in roelchem bie Königin Anna als SRegen-
tin ben Vorfifc führen unb über ade nridjtigcn Angelegenheiten nach
Stimmenmehrheit cntfcf)icben merben foüte ; baä Parlament, ba3 ben
Augenblicf für gefommen erachtete, feinen früheren (£influ& auf bic
3tad)3angelegenheiten hrcjuftellen , hob jcboch , bem SBunfcbe ber
Königin entfprechenb, am 18. SWai 1643 in einer feierlichen Sifcung,
roelcrjer auch Dcr junge Äönig beiwohnte, bie öon ßubroig XIII.
bezüglich ber SRegentfchaft getroffenen üöeftimmungeu auf unb er-
fannte ber Königin bie unumfehränfte SBormunbfdjaft mit ber 93e-
fugnift ju, ^rc SHäthe nach eigenem Söelieben $u mahlen. Schon
jubelten bie ©rojien in ber fixeren (hroartung , baß SRicheüeu'ä
töegterungSfrjftem unb bamit bie Seit ihrer 3urücfie$ung ihr (fnbc
erreicht h^e ; aber balb geigte bie Königin, bajj fie entfchloffen mar,
ebenfo unabhängig oon bem Abel unb ben bringen be$ ,paufe3 $u
regieren, roie ihr (Gemahl, bie ßeitung ber ©efchäfte aber, gleich
biefem , nicht felbft $u übernehmen , fonbern fie in ben |>anben
2Rajarin§ ju belaffen, bem fie jeboeb nicht bie nämliche überlegene
Stellung ihr gegenüber einzuräumen gebachte, bie Richelieu 2üb*
loig XIII. gegenüber eingenommen.
Von ber Stegentin jum ^räfibenten beä Staatärathä ernannt,
hielt SRajarin mit ber guftimmung ber Königin, bie, ihre ÖJefühle
al$ Spanierin unterbrücfenb , nur noch bie fünftige Jperrfchergröfje
ihre* Sohne« im 2luge behielt, bie ^olitif SRtdjelieu'3 nach allen
Dichtungen hin aufrecht; bod) fchlug er in ber Verfolgung jeiner
3iele anbere SBecje ein, als fein Vorgänger, ^patte biefer mit un-
beugfamer, rücffichtälofer (Sntfchloffenheit unb eiferner £aub feine
Gegner niebergefchmettert , fo fudjte SKajarin , in welchem jroar
jRichelieu'ä (S^rgeia unb Staatäflugheit , aber nicht bejfen geftigfeit
unb %t)athaft fortlebten, feine äiele mehr burd) ©efdjmeibigfeit,
2ift unb Sntriguen ju erreichen unb ben miberftrebenben Abel
weniger burch ®eroaltma®eln ju bemüthigen unb $u fehreefen,
ai* burch S^eigebigfeit unb oielfache Vegünfttgungen im £>oflcben
auf feine Seite ju ziehen.
Digitized by
48
öubroig XIV. oon granfretd).
$ie mad)fenben Ausgaben, rocldjc ber mit üerftärften Gräften
fortgelegte ftrieg gegen Cefterreid) unb 'Spanien nötljig machte,
fteigerten ben Steuerbrucf, ber fdjon lange fdjroer auf bem ßanbe
laftete , ju einem fötalen ©rabe , ba& baS Parlament bie (£in=
regiftrirung neuer Steuerebifte oerroeigerte. Vergebend fuc^te bie
Königin , gegen bie Anfidjt ÜRajarinS , beffen unentfdjiebeneS Auf-
treten einen fdjarfen (SJegeufafc $u bem energifdjen SBorgeljen
fflidjelieu'S bei äfjnlidjen 2Biberfefclid)feiten bilbete , burd) bie
fangennef)mung ober Verbannung einzelner 9tät^e ben SBiberftanb
beS Parlaments 31t brechen: bie «Suftimmung, roeldje baSfelbe bei
feiner Dppofitton oon Seiten ber Söürgerjdmft in aßen Stäbten
granfreicfyS fanb, unb bie brofyenbc Spaltung biefer lederen nötig-
ten bie föegentin, auf 3Äajjregeln ber Strenge $u Oermten unb
bie gefangenen ParlamcntSrätfje freizugeben.
3m ÖJefütjIe fetner miebergetoonnenen Sftadjt ging baS Paria*
ment meiter unb fteHte Sorberungen, bie auf eine burdjgreifenbe
Aenberung beS ganzen fltegierungSfuftemS jielten. Um baSfelbe
aufregt ju galten , fud)te ÜJtojarin fid) in ben Prinzen beS Jpau^
jeS eine Stüfce $u öerfdmffen , ju meldjem @nbe er bem $erjog
oon Orleans baS ®ouoernement oon ttangueboc unb bem Sot^ne
beS grinsen (Sonbe , bem &er$og oon @ngfuen , baS ber Glmm*
pagne überliefe. $afür unternahm eS ©afton oon Orleans , mit
bem Parlamente §u unterfyanbeln, baS fid) ifym bei feinen früheren
kämpfen gegen 9tid)elieu günftig ermiefen; aber feine iöemityungen,
baSfelbe ben 28ünjd>en ber Regierung miUfäfyrig $u madjen, blieben
ebenfo erfolglos, als bie einlenfenben Sdjritte sJWa$arinS.
(SJeftüfct auf bie günftige Stimmung, meldje bie sJlad)ridjt oon
einem großen, am 20. Auguft 1648 bei ßenS burd) ben $erjog
oon Anginen über bie Spanier erfod)tcnen Siege unter ber Öe-
öölferung ber ^pauptftabt ijerüorgcrufen , be[d}lo& bie Königin, aufs
sJkue mit Strenge gegen baS Parlament oorsugefyen. Am 26. Auguft
ließ fie, narfjbem in ber #ird)e oon ^otre^ame in ©egenroart bc*
£ofeS baS Te üeum für ben errungenen Sieg ge jungen morben,
bie fünften Spieker oertmften. 3)iefe Maßregel brachte fofort
ganj pariS unter bie ^Baffen. 3)er pröoot beS mardmnbS unb
bie Stoffen ber Stabt ließen u)re Kompagnien oor bem töatfyfyauje
oerfammeln unb bie Strafen burd) Stetten fperren. 2)ie $ur £>cr-
fteüung ber Drbnung fyeranrürfenben Xruppen mürben bis gegen bie
Xuilerien jurütfgebrängt.
hinter biejem Aufftanbe oerbargen fid) felbftfüdjtige Abfluten
etnfluBreidjer perjonttdifeiten , bie ben ftarbinal $u ftürjen fudjten,
um felbft an feine Stelle ju treten. 2)cr fjeroorragenbfte unb
tfyätigftc unter biefen Agitatoren mar ber Wcffe unb ftoabjutor bes
(£r$bijd}ofS oon pariS, paul oon $onbi, ber nadmialigc ttarbinal
Digitized by Google
granfreicf} unter 2Ka$cmn3 StaatSüertüaitung.
oon SRefc, au« einer mit Katharina oon ÜHebici nach granf reich
gefommenen florentinifchen gamilte , ein 2#ann oon bnrd)bringen;
bem 93litf, fülmer <£ntfc*Koffent)eit unb großer Ötetoanbtfjeit in ber
Anzettelung oon ^ntriguen, ber ofme SBeruf unb Neigung in ben
geistlichen Stanb getreten mar unb oor ©egierbe brannte, fich eine
einflußreiche Stellung am #ofe $u t»erfcr)affen. SRachbem er bie
Popularität, bie er fid) burch bebeutenbe (SJetbfpenben unb ein zur
Schau getragene« Qntereffe für ba« öffentliche SBor)l erworben, in«*
geöeim zur Aufreizung be« S3olfe^ benufct, bot er ber Königin feine
$ienfte jur «efchroichtigung be« Aufruhr« an, in ber Hoffnung,
fufj ihr nachher al« töattjgeber unentbehrlich machen zu tonnen.
Allein bie föegentin, bie burch ^ajarin üon Ötonbi'« Machinationen
in ÄenntniB gefegt toorben , wie* feine Anerbietungen junid unb
machte ihn baburch jum erbittertften geinbe be« &ofe«. Um fid) ju
rächen, fchürte er ben Aufruhr au« allen Gräften, unb biefer ge-
wann hierauf eine fo brohenbe ©eftalt , ba& bie Königin fich
Ztoungen fah, bie gefangenen Parlamentäre freizugeben. $a«
$olf begleitete biefelben toie im Triumphe Zu ihren SBohnungen unb
fehrte bann, mit feinem Siege aufrieben, ju feinen genanten
fchäftigungen jurüd, entfdjfoffen, auch iw °er golge ba« Parlament
gegen ettoaige fernere geinbfeligfeiten be« £>ofe« mit allen Gräften
§u oertheibigen.
©efchredt burch bie bei biefer Gelegenheit zu 2age getretene
(Entichloffen^eit ber Parlament«partei , bie man am *pofe fpotttoeife
bie gronbe1) nannte, zog fich bie fftegentin mit ihren beiben Söh-
nen, bem $önig unb bem um jroei %al)xe jüngeren prinzen pfyiltpp,
nach ©ermain jurud, oon tt)o fie Unter fjanbtungeu mit bem
Parlamente anfnüpfte. $)iefe« oerfehlte nicht, bie errungenen *Bor=
theile zur (Erlangung ber geforberten 3u9eftänbniffe auszubeuten,
^achbem bie SRegentin angefid)t« ber unter ber 33ürgerfct)aft oon
pari« fjerrfdjenben bcbenflidjen Stimmung in bie oon ben Abge-
orbneten be« Parlament« hauptfäd)lich auf ©onbi'« betrieb gefor-
berte Au«id)lieftung SDcazarin« oon ben Unterljanblungen gcnnüigt,
fanftionirte fie am 24. Dftober ein ©efe§, burch welche« alle oon
bem Parlamente im (£inüemef)men mit ben hochften Staatöbehöf-
ben, bem Steuerhof unb ber Dberred)nitng«fammer , bezüglich neu
einjuführenber Aemter unb Steuern gefügten iöefchlüffe beftätigt
tourben.
£er gorberung be« Parlament« entfprechenb, fet)rte bie Stiegen;
tin am 30. Dftober mit bem #önig nach pari« zurüd, entfdjloffen,
bei ber erften günftigen (Gelegenheit bie ifjr abgerungenen Sw-
lj gronbeur« — ©Ruberer — nannte man bamatä bie ©trafeenjungen,
bie im Stabtgraben oon Pari« mit Scqleubeni gegen einanber ftrieg führten.
fcolatoartt), SSeltaefdMte. VI. 4
Digitized by
50
Subwig XIV. üon granfreidj.
ftänbniffe wieber jurücf^un c^mcn. ©ie gewann eine ©tüfce für if)re
$3eftrebungen an bem burdj feine Siege in $)eutfdjlanb unb ben
Sftieberlanben rühmlich betannt geworbenen unb feit ®ur$em au3
bem gelbe jurüdgefef)rten $>erjog öon (Snghien, ber feit bem Xobe
feine« ©aterä (1646) ben Eitel prinj öon (Eonbd führte. $a
berfelbe nicht nur bei bem £>eere in hohem Slnfeljen ftanb, fonbem
auch burch fein ritterliche^ SBefen ber Siebling ber abeligen 3uQcnb
Sranfrcichä geworben, bot ÖJonbi 2lHe$ auf, um ir)n für bie Srronbe
$u geroinnen; (Sonb£ war jeboch ju ftol$ auf feine ©ebnrt unb ju
feubal geftnnt, um fich mit bem „2lmt3abel" beä Parlament« ju
öerbinben, beffen Auflehnung gegen ben £)of ihm alä Rebellion er-
festen unb auf beffen SKitglieber er mit um fo größerer (Oering*
fchäfcung ^erabblicfte , als fie nie ben $)egen gebogen. SBährenb
fein jüngerer ©ruber, ber Prinj öon (Jonti, unb feine ©chwefter,
bie ebenfo leichtfertige unb et)rf üchtige als fchöne unb geiftreidje
£erjogin öon ßongueöifle, burch ben ©tol$ beä alteren ©ruberS
öerlefct, fidr) mit ben $cr$bgen öon ©eaufort unb ©outllon an bie
gronbe anfa^loffen, fagte Gonbö bem &ofe feine Unterftüfcung ju
unb traf Slnftalten , bemfelben burd) SSaffengewalt ben ©ieg über
feine ©egner ju öerfdjaffen.
(Sonbö'S Plan War, fid) ber ©tabtthore öon Paris, ber ©aftifle
unb be$ äeugfjaufeS ju bemächtigen unb im Salle eineä SSiberftan*
beS öon ©eiten ber Bürger bie ©tragen ber ©tabt in ein ©chladjt*
elb $u öerwanbeln. ®a ber §of fict) bie mit biefem Plane für ihn
elbft öerbunbenen ©efahren nicht öerhehlen fonnte, $og er eä öor,
ich öorher in Sicherheit ju bringen , unb begab fich in ber 9kd)t
öom 6. ganuar 1649 heimlich nach ®ermain , öon wo bie
SRegentin am folgenben Sage bem Parlamente ©efc(jl ertheilte,
gleichfall* Paris ju öerlaffen unb fich m$ äßontargis $u begeben,
©tatt biefem befehle golge ju leiften, fanbte basfelbe Wbgeorbnete
nach ®t- ©ermaiu, um bem |>ofe ©egenoorftellungen $u machen unb
ihn aur SRürffehr nach Pari* eingaben. $a bie Slbgeorbneten gar
nicht öorgelaffen unb mit äujjerfter ©eringfehäfcung behanbelt wur^
ben, erflärte baä Parlament ben ftarbinal ÜDcajarin für einen
Jeinb beä ©taateS unb üereinigte fich mit bem ©orfteher ber ®auf*
leute, ben ©chöffen, ©iertelmeiftern unb Oberftcn ber ©ürgerabtheb
lungen öon pari* jur gemeinfamen ©ertheibigung ber ©tabt.
$em ©eifpiele beä Parlament* öon pariS folgenb, erflärten
fich auch °ie Parlamente ber Bretagne, ber Ulormanbie, ber Pro-
oence unb öon ßangueboc gegen ÜRajarin, unb bie abeligen Jpöup-
ter ber gronbe fammclten Xruppen jur Unterftüfcung ber aufrühre-
rischen £>auptftabt. 3luch Xurenne, ber ©ruber beS £er$ogS öon
©ouidon , gebachte bie beutfdje Slrmee , welche er fo ruhmwürbig
befeljligt hatte, gegen ben #of $u führen, unb ber Statthalter ber
Digitized by Google
granfretcr) unter Sflozarin* StaatSüertüalhmg.
51
9fteberlanbe , Erjfjerjog Seopolb öon Defterreid) , erbot fid) , mit
Tünfjerjntaufenb 9Kann in granfreid) einzufallen, menn bie gronbe
mit iljm in SBerbinbung treten motte.
Obgleich ber Prinz öon (£onb<5 nur ungefähr zmölftaufenb
ÜKann unter feinem Äommanbo t)attc öereinigen fönnen unb bafjcr
üon einer emftlidjen (Sinfdtfie&ung ber £auptftabt tjattc abftel)en
muffen, fnett er feinen ©egnern Stanb, ba beren Uebermadjt burd)
bie Uneinigfeit ber einzelnen .<päupter paratyfirt mürbe. Qnbeffen er»
artete e* bie Königin für geraten, mit bem Parlamente Unter*
fjanblungen anjufnüpfen , unb ba biefe* eine gro&e Mäßigung an
ben lag legte, fam am 11. ÜRärz 1649 ju föuel ein griebe ju
Stanbe , in meinem bie föegentin bie bem Parlamente burd) ba*
®efe$ Dom 24. Cftober gemalten ßugeftänbniffe betätigte unb eine
allgemeine toneftie jufagte, wogegen ba» Parlament in ba* 53er»
bleiben 9)tozarin* mittigte unb alle öon ifjm feit bem 6. Januar
erlafienen SBefdjlüffe für null unb nidjtig ju erflören öerfprad).
Xa biefer Vertrag meber ba* $olf, nod) bie abeligen £äupter
ber gronbe befriebigte, fam e* in Pari« 51t neuen föuljeftörungen,
unb bie Prüfen unb Ebetteute trafen Slnftalten jur gortfefcung
be* Kampfe«. Sd)on jog Xurenne mit feinem #eer ^eran, um bie
Entfernung SflajarinS ju erjmingen, al* er fic| plöfclidj üon fei=
nen Xruppen öerlaffen faf). SWazarin ^atte biefelben ijetmlid) burd)
bebeutenbe ©elbfpenben jum Slbfatt öon if)rem gütyrer bemogen.
35a e* ju ber gleiten Seit bem SJttnifter gelang, mehrere Häupter
ber gronbe burd) gro&e 23crfprcd)ungett jufrieben ju ftetten, üer=
ftanb fic^ einer na<| bem anbern jur Slnerfennung be* gefdjloffenen
grieben*. 2lm 18. Slugnft f)ielt bie 9tegentin mit bem $arbinal
unb bem Prinzen öon £onb<S i^ren Einzug in Pari« , unb ba
2)£ajarin bie SBorfidjt gebraust c)atte , bebeutenbe Summen unter
bie ^nfte unb ben Pöbel au*tf)eilen ju laffen , mürbe nid)t nur
ber Äönig, fonbern er felbft öon bem *8olfe mit freubigem Qwvtf
begrübt. „$a* ift", bemerft ber Prinz öon -äftarfittac — al*
Bdjriftftetter befannter unter bem tarnen ßarodjefoucault , ben er
ein 3afjr nad) biefen Gegebenheiten burd) ben Xob feine* SÖater*
erhielt — in feinen Memoiren über bie Sftegentfdjaft Slnna'* öon
Cefterreid), „bie SBetfe unfere* Söolfe*; mit bemfelben ßeidjtfinn,
mit tüeldjem e* au* feiner Sdjulbigfett £jerau*tritt, fer)rt e* ju ber*
felben jurüd, unb gef)t in einem Wugenblirf öon 2lufruf)r jum ©e-
fyorfam über." 2)ie jpäupter ber gronbe, unb öor Sitten ber ®oabju*
tor, beeilten ftd), ber Königin ifjre Untermerfung 31t bezeigen, mäf)=
renb fie felbft bem Prinzen öon Eonbd öffcntlict) al* if)rem Erretter
iljren 55anf au*jpraaj.
^>atte fict) SÄajarin mit ^)i(fe (Jonb^'S gegen bie gleichzeitigen
Angriffe be* Parlament* unb be* 5lbel* 511 galten gemuBt, fo
4*
Digitized by
52
Subioig XIV. oon granfreid).
ftanb if)m jeftt ein ®ampf gegen ben ^ßrinjen fefbft beüor. 9Jid)t
um ben OJlinifter, ben er nidjt liebte, auf feinem Soften $u erljal*
ten , fonbern um baS Slnfefjen beä Xljroned , ber föniglidjcn ga-
milie unb be$ fürftlidjen ©luteS gegen bie (5mpörung3gelüfte ber
Bürger unb ©eamten ju fdjüfjen, fjatte ßonbd feine äftadjt in bie
Sdjanje gefdjlagen. SRac^bem bie Autorität ber Regierung f)ergc=
fteüt mar , trat er offen mit ©eftrebungen fjeroor , bie auf ben
©turft beS fjerrfd&enben SftegierungäfUftemS jum ©eljufe ber SBie=
berljerfteHung ber alten greifet unb itnab^ängigfeit beä Slbetö
unb bie ©egrünbung feiner eigenen £>errfd)aft im fRat^e ber
nigin gerietet maren. Xa fid) ber Äarbinal bei feiner Unbeliebt
r)eit nid)t ftarf genug füfjlte, aflein ©trnaä gegen ben ^rin^en ju
unternehmen , ber nidjt nur gegen if>n jebe sJtüdfid)t au&er s21d>t
lieg, fonbern aud) ber Königin uncfjrcrbietig begegnete, fudjte er fief)
gegen benfelben be3 ©eiftanbeS ber gronbeurd ju oerfidjern , bie
oon bem *ßrinjen mit üerlefcenbem ©tolje bef)anbelt mürben. $ied
gelang ifjm aud), nadjbem ber ftoabjutor burd) oertrauenoofled (£nt*
gegenfommen ber Königin für ben gegen ben ^ßrinjen geplanten
®emaltfd)ritt gewonnen morben. Hm 8. Januar 1650 mürbe (£onb£
mit feinem ©ruber Gonti unb feinem ©djmager, bem ^perjog oon
Songueüifle, mit beneu er ficr) ooüftänbig audgeföfmt t)atte , in bem
Calais roöal, mof)in man fie unter bem ©ormanbe mistiger ©e^
ratfjungen gelocft , gefangen genommen unb auf 9)tojarinä ©efefyl
nad) bem ©djloffe ©incennca gebraut.
$aä ganj unter bem @influ& ber gronbe ftefjenbe ©olf oon
^avis empfing bie 9*ad)rid)t oon ber ©erfjaftung bed ©iegerd oon
stRocroü unb Send, ben eä einft vergöttert f mit lautem 3nbel, unb
bie £>äupter ber gronbe jaljen fid) bereits im (Reifte im gefiederten
©c)i§ ber erftrebten £errfd)aft. Allein in ben ^ßrooinjen fammcl=
ten iurenne unb fein ©ruber, ber ^er^og oon ©ouillon, im ©er=
eine mit ber ßerjogin oon fiougueoitle, bie nadj ber ®efangen=
nefjmung ifyrer ©rüber unb ifjreä oicmahlö aud $ari3 entflogen,
Gruppen jur ^Befreiung ber (befangenen, unb mit ilmen oereinigten
fitf) jafjlretdje ©bedeute, bie in ©onbö ben ©efdjufcer ifjrcä ©tan-
beä unb ben ©erf echter ifjrer greif)eiten fal)en. %u$ bie ©panier
fagten ben greunben beä sßrin5en ben erbeteneu ©etftanb $u.
sDtajarin, ber bieämal größere (Sntfdjloffenfyeit geigte, 50g gegen bie
Gebellen ju gelbe unb blieb in ©urgunb unb in ber 9cormanbie
fiegreid), loäljrenb er ben SBiberftanb ber ©eoölferung oon ®unenne
nur burd) ^»Q^nbniffe ju bemältigen öermodjte.
3n$mtfd)en mar Xurenne im ©ereine mit bem @r$f)er$og ßeo=
polb gegen s$ariä oorgebrungen , um bie gefangenen s$rinjen ju
befreien; biefe toaren jebod) bereite auf SDJasarinä ©efetyt oon ©ins
cenneä nadj Jpaore gebraut morben. Üfla§arin, ber fc^leunigft aud
Digitized by Google
granfreid) unter 9tta$arin* Staatsverwaltung. 53
Ctfurjenne nach ber $auptftabt jurüdgefehrt mar, jog mit bcm 9Rat*
khatl bu ^leffi* bcm feinblichen fteerc entgegen, unb am 15. £c*
jember 1650 erlitt Surenne bei Bethel in golge eine* unertuar*
teten lleberfall* eine fo tjoüftänbige 9ticberlage, baß er nach oergeb*
liehen ^Bemühungen, feine jerfprengten Gruppen roieber ju fammcin,
nach Stenan entfliegen mußte.
$urcf) ben errungenen Sieg auf* 9leue in feiner Stellung be*
feftigt , jeigte fich Bojarin nid)t nur allen gürbttten te* 9$arla*
ment* für bie gefangenen ^rinjen unzugänglich , fonbern trat auch
gegen bie unruhigen gronbeur* mit größerer dntfd)icbenf)eit auf,
beferjroor jebücf) baburdj einen neuen Sturm gegen ftcf) felbft unb ben
£of fjerauf. @r fuchte bemfelben burd) bie glucht nach Jpaöre $u
entgegen , roo er Xruppen ju fammelu ober , fall* bie* nicht ge*
linge , ben ^rinjen unter geeigneten SBebingungen bie greifet $u=
rücfjugeben gebaute, um fich burdj (£onb<5'* Arm toieber an feinen
(Gegnern ju rächen, Sobalb feine Entfernung au* ber £>auptftabt
befannt geroorben (7. gebruar 1651), erließ ba* Parlament einen
^Öefcfjlufj , melier it)n au* allen Säubern be* Königreich* Oer*
bannte , unb nötigte ber Königin , bie bereit* Anftalten getroffen,
beut $arbinal ju folgen , einen greibeit*brtef für bie ^rinjen ab.
Um fid) felbft ba* SBerbienft ihrer Befreiung $u erroerben , tun*
bigte ihnen SJcajarin am 13. gebruar perfönlich ir>rc (Sntlaffung
an , inbem er bie Sd)ulb ihrer SBerfjaftung auf ®onbi unb ben
£>er$og üon Drlcan* $u Rieben fud)te, ber fich mit bcrfelben ein*
t»erftanben erflärt r)atte ; er fanb jeboa) bei ßonbe, ber feinen 2Bor=
ten feinen ©lauben fchenfte, flart be* ertoarteten £anfe* nur eine
geringjchäfcige 33ebanblung.
An ber HJcöglichfeit oersmeifelnb , fich für ben Augenblttf in
feiner Stellung §u behaupten, öerliefi ber flarbinal grantreich unb
$og fich nach Süttich unb üon bort nach ®öln jurütf, beffen ®urfürft
ihm ba* Schloß Örühl 5um Aufenthalte anmie*.
llnterbeffen befanb fid) bie Königin $u <ßari* in ber fdjnrie*
rigften Sage; benn bie gronbeur* gingen, im sBunbe mit (£onb£,
ber jefct roieber ba* «Parlament , ben Abel unb ba* #olf für fich
harte, barauf au*, bie alte, öon Richelieu umgeftaltete ißerfaffung
be* Königreich* unb mit berfelben alle früheren 9tect>te unb greU
Reiten be* Abel« fjerjuftellcn, $u meinem @nbe fich an adjthunbert
^rin^en, Jpeqöge unb ©bedeute eigenmächtig in Sßari* üerfammclt
hatten, $ie >8efrrebungcn ber Skrbünbeten feheiterten jebodj an
bem SBiberfpruch be* Parlament*, ba* bie Söcrfammlung be* Abel*
für ungefefclicr) unb bem föniglichen Anfehen nachtheilig erflärte
unb bemfelben bie Söcfugnig abfpradj , ohne bie übrigen Stänbe
irgenb reellen ©efa^luB ju faffen. 2)a fich ber #of, beffen s43eU
ftanb beibe Parteien fugten , für ba* Parlament erf lörte , liefe fich
Digitized by^OOgle
54
Subnrig XIV. von grcutfretch.
ber leibenfdjaftlidje (Sonbd, bcr fid) inahnfcfjen auch mit ®onbi unb
mehreren onbem $äuptern bcr gronbe überrcorfen tjarte , ju fo
feieren 23elcibigungen gegen bie Königin fjinrei&en, bajj btefe fict)
entfloß, ir)n im Parlamente anjuflagen. TO fidj ber «ßrinj in
ber ©ifcung oom 19. Sluguft 1651 unter ben beleibigenbften $(u3=
fällen gegen ®onbi ju rechtfertigen fudjte, ber auf ben betrieb ber
Königin jum ®arbinal erhoben toorben , fam e£ ju ben ^eftigften
Scenen , unb nur bem ebenfo entfdjiebenen al£ rofirbeöoflen 2luf=
treten beä Präfibenten Sftote tjatte man e$ $u oerbanfen, baß bic
ersten Parteien ihren ©treit nicht mit bem $egen in ber $anb
au3fod)ten. 9SoH 2ferger unb Erbitterung berließ (£onbe bte £>aupt=
ftabt unb begab fid) nach 93errü.
$(m 5. September 1651 erfcfjien ber ®önig, ber an biefent
Xage fein bierjehntea Qahr unb bamit jugleich baä Hilter ber
Üftünbigfeit erreichte, im Parlamente unb erflärte, baß er nunmehr,
ben ÖJefefcen beä ©taateä gemäß, bie Regierung felbft übernehmen
ttjolle. hierauf legte bie Königin bie SRegentfchaft nieber unb beugte
ba3 ®nie bor ihrem (Sohne. $5er $önig reichte U)r bie |>anb, um
fie auf juf)eben , umarmte fie , banfte U)r für u)re bisherigen 33e=
mühungen um feine (Srjiehung unb ben ©taat unb bat fie , auch
ferner an ber @pifce be3 ©taatSrathä ju bleiben, um ifm mit ü)rer
(Sinfidjt $u unterftüfcen. $>a3 ©anje mar nichts s2lnbere$, als eine
leere görmlidtfeit , burch meldte in ber güfjrung ber ©taat$angc=
legenheiten 9ttcht3 geänbert nmrbe , ba ber öierjefmjäljrige ®önig,
beffen ©rjichung übcrbieS Don ber Königin gänzlich oernachläffigt
korben, begreiflichertoeife nicht im ©tanbe n>ar, felbft bte Sügel ber
Regierung in bie |>anb ju nehmen.
Unterbeffen ^atte fidf) (£onb£, feft entfdjloffen, an bem Jpofe unb
beffen ganjem Anhang blutige SRache ju nehmen, mit bem ®abinet
oon Sftabrib in SBerbinbung gefefct unb, ba biefem bei bem noch
immer fortbauernben Kriege mit granfreich bie inneren Sernmrfnifie
in biefem ßanbe nur ertoünf cht fein fonnten , mar it)m oon beim
felbcn bewaffnete Unterftüfcung für feine beabfidjtigte ©dnlberhebung
in «uSficht geftellt tuorben; bann hatte er fidj nach (Bunenne bei-
geben, tuo er, oon bem Sßolfe mit offenen Firmen aufgenommen,
Werbungen anfteüte unb $ur SBeftreitung ber Soften berfelben bie
fömglichen ©infünfte ber Prooinj mit öefchlag belegte, Machbem
ihn bie Königin öergebenä burd) bie auSgebehntefren Söenriüigungcn
aufrieben ju fteHen gefugt, 50g fie felbft mit acfjttaufenb 9tfann
gegen ihn gu gelbe , unb obgleich ber *ßrinj ihr ungefähr mit ben
gleiten (Streitkräften entgegentreten tonnte , blieb er bei ben erften
Unternehmungen im Sftadjtheil.
Söährenb bieier Vorgänge hatte 9^ajarin in fteutfchlanb einige
taufenb Mann gemorben , um an ber ©pifce eines ,peere£ nach
Digitized by Google
ftranfreicf) unter 9Äa$ann3 StaatSoerttmihmg.
55
Jranfreidj $urücf$ufef)ren. 2faf bie ftadjriajt, ba& er bic ©renje
aberfdjritten , erflärte ifm ba2 Parlament für einen #ocf)üerrätf)er
mtb fefcte einen $rei& auf feinen ®opf. Xeffenungcadjtet 50g er
raibebetligt mitten burd) baä föetd) unb traf am 28. Qanuar 1652
in $ottter$ ein, oon Wo üjm ber ®ömg unb fein ©ruber eine
balbe 3ttette toeit an ber ©pi$e ber ßeibwadje entgegen geritten
waren. SRodj an bemfelben 3(benb naf)m er feinen alten ^ßta^ im
Kabinette tmeber ein.
$a ber ©ürgerfrieg einen fcfjteppenben ®ang annahm , be*
idjfofc SonW, ber injmifdjen oon bem |>ofe für einen 2Rajeftät3*
oerbredjer erflärt worben , füfyn nad) ^ßariS §u gelten , wo er ba&
Parlament, baä fowoftf if)m atö bem ßarbinat feinblidj entgegen*
jlanb , unb mit bemfelben audj bie SBürgerfdjaft auf feine ©eite
jiefjen $u fönnen l)offte. Obwohl ber $öbel ftd) für if)n erflärte
unb ba* Parlament burd) $rof)ungcn ein$ufd)üd)tern fud)te , Oer*
^arrte btefeä, im Vereine mit bem befferen Steile ber ©ürgerfdmft,
bei feiner SSeigerung, für ben ^ringen Partei ju ergreifen , unb ba
unterbeffen Xurenne , ber bie föniglidjen Xruppen befestigte , bei
Stampeä baä $eer Sonbe'S mit bebeutenbem SBcrluftc au3 bem
gelbe gefdjlagen, faf) fidj ber $rin$ genötigt, $u bemfelben jurücf=
Sufefjren, um beffen gättjüc^e Sluflöfung ju üerf)inbern. «Halbem
er ben SRcft feiner Xruppen natt) (Sfmreuton jurücfgefüljrt , wo er
bie au$ ben SRieberlanben ju feiner Unterftüfeung abgefanbten fpa*
mfajcn Xruppen erwarten wollte, mürbe er tum Xurenne ereilt unb
bi* oor bic 2flauern oon $ari3 jurüefgebrängt. 21m 2. Quli 1652
fam eä in ber Sßorftabt 'St. «ntoine ju einem blutigen ©efed)te,
m weitem bie ©tötfce beä fransöfifc^en 5Tbcfö auf beiben Seiten
mit einer an bie föitterfämpfe beS 2Kittelalter3 erinnemben Xapfer*
feit fodjt. SRadj einem fiebenftünbigen feigen fingen, bem 9flajarin
mit bem <pofe auf ber Wnfyoty oon Sljaronne unb bie ^arifer oon
ben dauern, $äd)ern unb Xfjfirmen ir)rer ©tabt aufbauten, far)
nc^ Xurenne junt fflfidgug auä ben leidjenbebecften ©tragen ge*
nötigt; aber für ben $rin$en mar bamit wenig gewonnen, ba in-
jtmfdjen bie Artillerie iurenne'S eingetroffen mar unb biefer fo*
glciai oor allen ©trajseneingängen ftarfe Batterien auffahren ließ.
(£onbe, ber Oon Ergebung 9ii$t3 f)ören moßte, wäre Oerloren
getoefen, wenn e£ nidjt ber für feine ©ad>e begeifterten £>erjogin
ton SRontpcnfter, ber iodjter ®afton$ oon Orleans, gelungen wäre,
bic auf bem ©tabtfmufe oerfammeften Obrigfeiten oon $ari$,
welche bie X^ore ber inneren ©tabt fjatten fc^liefeen (äffen, ju
©unften bed ^ßrinjen umjuftimmen unb fie 51t bewegen, benfelben
mit bem Ueberreft feinet jufammengeic^moljenen $eere* in bie ©tabt
einjuloffen.
Um ba^ Parlament unb bie ©ürgerfajaft oon ^ariä jur ^ßar^
Digitized by C#OOgIe
56
Subiuig XIV. bon gnmtreid).
teindjme für (£onb£ ju fingen, regten beffen Anhänger bcn Sßö*
Bei ju Sufammenrottungen unb blutigen ÖJemaltthätigfeiten auf.
$)a* SRathhauS mürbe oon einem bewaffneten Pöbelhaufen erftürmt,
unb bie in bemfelben oerfammelten ÜJcagiftrat*perfonen unb Bürger
fahen fieh $u einem Kampfe gejmungen, in meinem mehrere Don
ihnen getöbtet mürben. Unter bem @influ& be* fjerrföenben ©chreden*
gelang e* ben Anhängern (£onW*, bem Parlamente, Don beffen
sJJfttgliebern öiele in ben ©jungen nicht mehr ju erfreuten wagten,
einen SBefdjlufe abjunöthigen, bura) melden „in Anbetracht be* im*
freien 3uftanbe*, morin SRajarin ben ßönig f)altt", (£onb<5 sunt
©eneraliffimu* be* Speere« unb ber $erjog oon Orleans, ber fief)
fdjon öor bem $lu*bruch be* ©ürgerfrieg* ben Gegnern be* £ofe*
angetroffen, jum ©eneraflieutenant be* Königreich* ernannt mürbe.
Auf bie Nachricht oon biefen Vorgängen jog fiel) ber §of
nacc) Pontoife jurüd, mofnn SRajarin im tarnen be* ßönig* auet)
ba* Parlament berief. $ie 9Jcehrjahl ber SJcitglieber be*felben
leiftete jmar golge, beftanb aber auch in Pontoife auf ber @nt=
laffung be* ÜKinifter*. Slngefitfu* ber im ganjen ßanbe ^errfajen^
ben (Stimmung hielt e* 9Wajarin für geraden, fretmtüig jurud^u^
treten, mo$u er fidj umfo leichter entfchlofi, al* ber ßönig unb feine
Butter ba* fefte SBerfprechen gaben, if>n auf ba* (J^renöotlfte jurüd*
auberufen, fobalb U)r eigene* $lnfehen unb bie öffentliche SRuhe h**r
geftellt fein mürben.
2Bäfjrenb fiel) Sttajarin nad) ©eban jurüd$og (19. §lug. 1652)
unb £urenne mit bem |>eere bei (Sompiegne eine oortheilfjafte
(Stellung nahm, begab fid) CSonb6, melcher fid) in Pari* bei bem
burd) bie (Entfernung be* ftarbinal* in ber ißolf*ftiminung bewirf*
ten Umformung nicht mehr fidjer glaubte, mit bem SRcflc feiner
Xruppen in bie S^ampagne, um fid) ben (Spaniern in bie 9lrme ju
werfen. $en bitten ber Parifer folgenb, fehrte ßubmig XIV. am
21. October mit bem $>ofe in bie £>auptftabt jurüd, wo er mit
Qubel empfangen mürbe. SJcit 2lu*nahme be* £)erjog* oon Drlean*
unb feiner Xodjter, bie Pari* fofort öerlaffen mußten, unb be* ®ar-
binal* oon 9teJ, ber im ßouore gefangen genommen unb juerft
nad) SBincenne*, bann nad) 9cante* gebracht mürbe, erhielten alle
Anhänger (£onbeJ* SBerjeifjung. Stfcaflarin, ber injmifc^en mit einer
uon ihm gemorbenen Xruppenfdjaar oon oiertaujenb üttann mehrere
oon ben (Spaniern befehle franjöftfche piäfce jurüderobert unb
baburch bie öffentliche Meinung mieber etma* mit fid) au*geföf)nt
hatte, ferjrte am 8. Sebruar 1653 gleichfall* nach Pari* 8uriid, oor
beffen Ikoven ihn ber junge ®ömg felbft, oon oielen Prinzen unb
(SbeQeuten umgeben, auf ba* 3wt)orfommenbfte empfing.
$on biefer 3^it an mar 9Jcajarin* Stellung unb bamit ju=
gleich bie SRulje im 3nnern gratfreie*)* gefichert. ©unenne, bad
Digitized by Google
ftranfreicf) unter 3Ra$arin8 Staatäöemmltung. 57
'.Mim ■
noch immer $u <£onb£ hielt, würbe burch SBaffengewalt jur Unter*
roerfung gezwungen unb ber $rteg mit Spanien, in meinem fortan
Qont>4 gegen fein eigene« ©aterlanb fämpfte, ohne gegen ben oor*
ftdjtigen Xurenne (£twa3 ausrichten ju tonnen, mit allem ftachbruef
fortgeführt. ftachbem (£onb<$'a ©ruber, ber ^ßrinj öon ßonti, fich
mit bem #ofe ooüftänbig auSgeföfmt unb feine Schmefter , bie
^perjogin oon Songueüifle, fich in ein Softer jurüefgejogen hatte, würbe
Gonbe felbft am 24. HJcarj 1654 oon bem Parlamente als £oa>
oerrätfjer beä XobeS fdmlbig unb aller feiner SSürbcn unb ÖJüter
oerluftig erflärt.
5£er Sieg, ben SJcajarin burch jähe AuSbauer, ruhige lieber*
legung, rechtzeitiges Nachgeben unb Kare Auffaffung ber ©erhält*
niffe über alle feine SB iberf acher baüongetragen, befiegelte zugleich
bie abfohlte $>errfchergcwalt in Sranf reich- $>er Abel toagte feit*
bem feine weitere Auflehnung mehr, fonbern ftrebte nur noch bar*
nach, am -Jpofe burch feine, gefchmeibige Sitten unb gemanbte Um*
gangSformen ju glänzen; auch bad Parlament gab feine unter
Sliajarin auf« 9ceue mit fooicl s3cachbnuf unb ©cfonnenheit aufrecht
gehaltenen Anfprüche auf bie SBetfjciligung an ben ÜteichSangelegem
heilen auf unb bot nur ju balb bie |>anb zur Ausführung beäpo*
tifchcr SJcaßregeln. $em jungen, flogen unb herrfchfüchtigen Äönig
aber harten bie in ben Unruhen ber Sronbe empfangenen (Sinbrücfe
einen fo entfehiebenen SBibermiHen gegen jebe freiheitliche unb felbft*
ftänbige Regung in feinem deiche eingepflanzt, baß er frühe fchon
entfchloffen mar, ftch burch ba$ entfehiebenfte unb burchgreifenbfte
©erfahren unbebingten ©ehorfam ju üerfchaffen. 3*1 biefem ©or*
fafce mürbe er burch 3Jcajarin beftärft, ber feinem gelehrigen 3ÜÖ5
ling jeigte, wie üiel ein £>errfcher fich erlauben bürfe, wenn er burch
fein Auftreten bie Untertanen an ben (Glauben gewöhne, baß fein
28ifle baS hö<hfte ®efefc fei. Obgleich er feinem erften Üttinifter bie
ooüe Leitung ber ©ejehäfte überließ, oerfäumte er nicht, bei öor*
fommenber Gelegenheit ju geigen, in welchem ©eift er felbft ju
herrfchen gebenfe. 9codj nicht fed)$ehn Qahre alt, erfdjien er eines
XageS, auf bie bei ber SRücffehr oon ber Qagb ihm zugekommene
9cachricht, baß baä Parlament ftch eigenmächtig oerfammelt höbe, um
gegen eine üom Jpofe erlaffene ©crorbnung eine ©orfteHung abju*
fafien, in gagbfleibern, ©tiefein unb «Spören mit ber föeitpeitfche
in ber £>anb in ber *ßarlamentSüerfammlung, um berfelben in ben
härteften Auäbrücfen ihre Anmaßung öorzumerfen.
2Jcajarin felbft entfehäbigte fich für bie früher ihm geworbenen
$emüthigungen unb Seinbfeligfeiten burch baä ftoljefte benehmen,
gr behanbelte bie oornehmften sperren wie feine Liener unb er*
laubte Shemanben mehr, felbft bem Äanjler beS Meiches nicht, in
feiner ©egenwart nieberzufifcen. $en jungen $ümg wußte er nicht
Digitized by
58
fiubwig XIV. üon granfreid).
nur burdj bie überlegene (£inficht, bie er in allen ©taat$angelegen=
Reiten an ben Xag legte, unb ben glücflichen ©rfolg feiner Unter*
nehmungen, fonbern auch burch bie roeitgehenbfte Sßachgiebigfeit
gegen beffen für alle Setbenfehaften unb ©enüffe empfängliches @e=
mütl) mein* unb mehr an fid* ju feffeln. $)em (Sntfdjlug SubnugS,
(ich mit HRaaarin'a ^idjte SJcaria SRancini ju Dermalen, mit wel-
cher er ein SiebeSoerhältnifj angefnüpft, trat jebodt) ber ßarbinal
mit aller (Sntfchiebenheit entgegen, inbem er bem ®önig erflärte,
toenn berfclbe bei bicfem (Sntfdjluffe Bleibe, fo müffe er, ber $ar=
btnal, granfretch berlaffen unb alle feine SBerroanbten aufgeben.
„3d) liebe meine Richte," fagte er, „aber ich liebe ben ®önig öon
granfreich noch mehr unb intereffire mich für 3^ren Sftufjm unb
bie (Spaltung 3hre3 ©taateä mehr, als für alle anberen $inge
in ber SBelt."
Sur ®emaf)tin ßubmigä XIV. ^atte aKa$arin bie fpanifcf-e
^nfantin SKaria X^erefia, bie ältefte Xocf)ter fß(iliM>* IV.,
auSerfefjen, um burd* biefe Serbinbung bie Bereinigung Spanien*
mit granfretch anzubahnen, ba $^ili^ IV. einiger Sohn ®arl öon
fo fchmächlicher (Sefunbljett mar, ba& mit ihm ba$ ©rlöfdjen beS
fpanifchen ®önigäf)aufe3 ju ertoarten ftanb. $)iefe£ mistige #et-
rathSprojeft, mit beffen SBermirffidjung SDJajarin feiner ftaatSmäm
nifchen Saufbahn einen großartigen 2lbfd)luf3 }n geben gebaute, be=
toog ben ®arbinal, bem ®önig öon Spanien SBorfchläge jur 53c=
enbigung be$ langen Krieges ju machen, ber in ben legten Qaljren
in ben SRieberlanben burd) bie Serbien fte Xurenne'3 einen für
granfreich äufeerft günftigen Verlauf genommen r)attc, unb ba ba3 er*
fd)öpfte (Spanien ben grieben nur roünfchen fonnte, jeigte ba3 $a=
btnet öon 2ftabrtb baS bereitmiHigfte ©ntgegenfommen. Sftachbem
am 7. Wlai 1659 ein jtoeimonatUdjer SBaffenftiQftanb gefchloffeu
roorben, fonnten fd)on am 4. 3uni bie Präliminarien unterzeichnet
roerben, bei beren geftfteöung nur bie öon bem fpanifchen £ofe als
@^renfao)e betrachtete Srage ber SBiebcreinfefcung be3 ^rinjen öon
(£onb£ in feine ®üter unb sJted)te Schtoterigfeiten bargeboten Ratten. $er
eigentliche griebe mürbe am 7. !$loüember 1659 in ben ^ßorenäen
unb zroar auf ber in bem ökenzfluffe ©ibaffoa gelegenen gafanen*
infel unterzeichnet, roofnn fid) SJtojarin unb Philipps rv\ crfter
sJJcuüfter 35on Suis be £>aro mit einem zahlreichen glänjenben be-
folge begeben hatten, um in perfönlid)er Konferenz bie noch fötoe*
benben Jöerhanblungen ju @nbe ju führen. Sei ber 2Bat)I biefer
3nfel toaren bie gleichen fleinlichen ©tifettenrücffichten maßgebenb
gemefen, bie mir bei bem meftfälifdjen grieben fennen gelernt;
benn ba fie in ber üflittc ber SBibaffoa liegt, befanb fich ba3 auf
berfelben für bie SBeratfmngen ber beiben 2Kinifter errichtete $*lt
halb auf fpantfchem unb Ijalb auf franjofifchem «oben, fo ba§ fie
Digitized by Google
granfreid) unter SKasarina StaatSDerroaltung.
59
mit emanber confcrircn tonnten, oljne ben ©oben if)rer fRcic^c ju
üerlaffen.
3n bcm „porenäifdjen Rieben u trat ©panien an granfreiaV
außer bebeutenben £anbfrrid)en unb geftungen in 2lrtoi3, glanbem,
^ennegau, ßuremburg unb jnrifdjen ber ©ambre unb 9ftaaa, ba&
bis bafun auf ber Sßorbfeite ber ^ßrjrenäen in feinem Söefifce oerblie*
benc ©ebtet, bie ©raffdjaften SRouffitlon Gonflanä unb breiuub=
breiig Dörfer ber ©raffdmft (Serbagne ab unb nafym ben ÖJrunb--
iafc an, baß bie £>öfje ber ^ßtjrenäen bie ©renjfdjeibe ber beiben
SReidje bilbe; bagegen fagte granfreict) bie bebingungälofe SBieber-
einfefcung be3 ^rinjen Don (£onb<$ in alle feine ©üter, Sftecf)te unb
SSürben im ©taat unb am #of, fonrie bie gleidrfafla oon ©panien
geforberte 3u*fitffteflung fiotfjringenä an ben nadj bem meftfäüfdjen
grieben in fpanifdje $ienfte getretenen ^erjog ®arl IV. ju, unter
ber Söebingung, baß berjelbe auger mehreren feften $Iafcen eine
mitten burdj fein £anb gefjenbe, eine fjalbe SEReilc breite ©trage öon
Sftefc natf) bem G£lfa& an granfreid) abtrete unb bie geftungäroerfe
öon 9cancn gefdjleift mürben. Sugleid) öerfpradj 9Jcajarin, ber oon
Spanien beabfid^tigten SBiebereroberung Portugal« in fetnerlei Söeife
fynberlitf) fein ju motten.
©leitt^jeitig mit ber griebenäurfunbe mürbe aud) ber jmifdjen
fiubnrig XIV. unb ber Sodjter SßfHlipp'S IV. oereinbarte @f)et>er=
trag unterjeidmet. 3n berfelben fagte ©panien als iörautfdjafc für
bie 3nfantin üftaria Xfjerefia eine baare, in brei griften $u jaf)=
lenbe ©umme öon fünft) unberttaufenb ÖJoIbfronen ju; bagegen
mußten ßubmtg unb bie Qnfantin jum SBorauS auf jebe 2(rt oon
(Erbfolge in ben Säubern unb 9ieic|en ber fpanifdjen ®rone SSer=
jiajt leiften. Dbgleidj biefe ®Iaufel bie großartigen 2(u8fid)ten ju
öernicr)ten fd)ien, bie ÜJcajarin an bie Sßermäljlung ßubmig'ä mit ber
fpanifdfjen Qnfantin für granfreidjS Sufonft gefnüpft l)atte, unterfdjrieb
er biefelbe of)ne SBebenfen, in ber fixeren 2$orau3fe(jung, baß fidj
trofc berfelben fpäter 2Jcittef unb SBege finben (äffen mürben, größere
ober geringere 2lnfprüd)e $u ergeben unb burdjjufefcen.
2fm 12. ftoöember 1659 trennten fid) bie beiben 9Jcinifterr
unb am 27. Qanuar 1660 führte SJcajarin feinen berühmten ©eg=
ner donU an ben ju Stfr. metfenben fransöfiftfjen £of jurütf. 2tte
ber $rinj, ba£ ®nie öor bem ftönig beugenb, ifm megen beä $or=
gefattenen um $er$eif)ung bat, reifte ifjm Stibmig bie #anb mit
ben SBorten: „9Jcein Detter, nad) ben großen fcienften, bie ©ie
meiner #rone ermiefen ^aben, erinnere ict) midj eine« Uebete nict)t
me^r, ba* nur gfjnen felbft gefct)abet ^at." Söenige Xage barauf,
am 2. gebruar 1660, ftarb ©afton oon Orleans im Hilter oon
jtoeiunbfünfaig Qa^ren. $a er feinen männlia)en 9caa^fommen
Digitized byji*DOgIe
60
Subtotg XIV. bon ftrantreicf>.
hinterließ, berlieh fiubwig XIV. ba* #eraogtf>um Drlean* feinem
«ruber W^PP-
$>ie SBermählung Subwig* XIV. mit ber Qnfantin äftaria
X^erefto fanb am 9. 3uni 1660 ju St. 3ean be Öuj Statt, unb
am 26. Sluguft hielt ba* tonigliche $aar unter groger brachten!*
faltung feinen ©injug in *ßari*, begrüßt bon ben ent^ufiaftifc^ett
JJubelrufen ber ©ebölferung.
Snbeffen neigte ftch 9Haaarin* ßaufbafm ihrem (£nbe $u. 3n
einem äußerft gefchwächten ©efunbheit*$uftanb au* ben ^nrenäen
juruefgef ehrt , ging er feitbem langfam bem Xobe entgegen. (£3
würbe ilmt ferner , bon ben £errüdjfeiten $u Reiben , mit benen
er ftch umgeben fjatte, wohl um fo fernerer, als er nicht ohne ®e*
wiffen*unruhe an bie unrechtmäßige SBeife benfen tonnte , auf
melaje erf unter fdjwerer ^Benachteiligung be« Staate* , fein unge-
heure*, auf mehr al* fünfgig SKiUionen £ibre* gefaxte* 93ermö^
gen erworben hatte, ©eine ftoftbarfeiten, barunter diamanten unb
anbere Gbelfteine Dorn r)öc^ften SBertfje, üermaajte er jum größten
XfjeUe ber ®rone, ber #ünigin=2ttutter unb bem «ruber be* $önig*.
21uch an «ermäc^tniffen für (Mehrte unb ®ünftler, fowie für groß-
artige «auuntemefymungen ließ er e* nicht fehlen. Sein £>aupt*
erbe war fein Neffe Philipp SJcancini , bem er neben anbem be=
beutenben ©ütem ba* bon ihm angefaufte Jperjogt^um Neber*
bermachte.
SJtojarin ftarbr aa)tunbfünfjig Sah** alt r am 9. ÜKärj 1661,
nachbem er ftd> furj borfjer noch einmal forgfältig r)atte f(eiben unb
burch feinen ^alaft unb feinen ©arten tragen laffen, um ton ben
^errlidjfeiten SIbfchteb jii nehmen, beren Slnblicf it)n fo lange er*
freut hatte.
Obgleich oer $önig bei ber Nachricht bon bem Zobe be*
$arbinal* Xfyxantn bergoß unb feinen ganjen $of Xrauer anlegen
ließ, bebauerte er e* wohl nid)t, eine* güt)rer* entlebigt ju fein,
ben er nicht mefjr gu bebürfen glaubte. $>atte boch 9tta$arin felbft
in feinen legten Xagen, al* man ihn besicherte, baß 3ebermann
für feine ©enefung bete, bie §leußerung gethan: „ÖHner wünfdjt
meinen Xob; ich mil6 fterben, lieber heute al* morgen." $cm mit
feinen eigenen Steigungen übereinftimmenben 9iatt)c aflajarin* fol-
genb , gab ßubmig bem ßarbinal feinen Nachfolger , unb al* bie
sJcätt)e bie grage an ihn richteten, an wen ftatt be* Äarbinal*
fie fich in Sufunft $u tt>enben hotten, antwortete er ihnen: „$ln
mich fetbft. J8i*her höbe ich mc™e Angelegenheiten burch ben ber*
ftorbenen £errn ßarbinal berwalten laffen; e* ift Qtit, baß ich tfe
felbft berwalte. Sie werben mich mit ffixtm Nathe unterftüfcen,
wenn ich *hn begehre. $er #err ^anjler wirb Nicht* , al* auf
meinen iöefehl, unterfiegeln ; bie Staat*fefretäre werben Nicht*, nicht
Digitized by Google
ihibtüigS XIV. crfte ©roberungStriege.
61
einmal einen s$ag, olme meinen 23efef)t unterzeichnen. Sie rocrben
täglich mir felbft 9ted)enfd)aft geben, Sie Hüffen nun meinen
©iilen, unb es ift an 3t)nen, benfelben auszuführen."
gubmigS XIV. erfte eroberungäfricflc.
(1667-1697.)
„granfreuV, fagt Submig XIV. in bem öon ifjm abgefaßten
,linterrid)t für ben Saupfun', „ift ein monarcfjifdjer Staat in ber
meiteften 2tuSbef)nung beS SBorteS. Alle üfladjt unb Staatsgewalt
rufjt in ben Rauben beS Königs ; eS fann im Steide feine Autori*
tat geben , bie nidjt öom $önig eingelegt ift. $)iefe 9kgierungS=
form ift bem ßfmrafter ber Nation unb if)rer ßage am angemef^
teuften. Alles , roaS fidj im Umfange Unferer Staaten befinbet,
roeldjer SRatur eS auc$ fein mag, gehört Uns aus gleichem SRedjtS*
titel an: baS (Mb in Unferer ^rioatfaffe, roie bie (Oelber in ben
jpänben Unferer Sdmfcmeifter ober bie, meiere 9Bir im £>anbel ber
Söttet Iaffen." Qn biefer Umfcfjreibung beS befannten AuSfprütfjS
£ubnrigS: L'^tat c'est moi — ber Staat, baS bin id) — finb
bie ©runb$üge beS StyftemS gezeichnet, auf meinem bie SRegie*
rung beS Königs Don bem Xage an beruhte, an meinem er felbft
baS ben £änben beS fterbenben SJca^arin entfinfenbe Sauber beS
Staates ergriff.
5)ie abfolute ÖJemalt , bie Subroig in feinem eigenen ßanbe
auszuüben entfdjloffen mar , genügte jebodj roeber feiner #errfdj=
fuetjt nod) feinem (S^rgei^. 28ie Sranfreid) itjn als unumjdjränf ten
©ebieter anerfennen unb in allen Stücfen fidj nriberfprudjSloS fei-
nem SSiüen fügen füllte, fo moüte er auch ber (Srfte in ganz (Su-
ropa fein unb ben Supremat JranfreichS in einer SSeife begrün^
ben, ber in allen europäischen Angelegenheiten bie f)öd)fte (Sntfdjeu
bung oon ihm allein abhängig mache.
(bleich beim beginne feiner Selbftregierung befunbete Submig
feinen Anfprudj , überall als ber (Srfte anerfannt 51t roerben , in
einem Ülangftreit mit Spanien. AIS nämlich im 3af)re 1661 bei
einer Auffahrt in ßonbon ber fpamfdje ©efanbte ben fortritt cor
bem franjofifc^en in Anfprud) nahm, ber feit äarlS V. 3eit ben
flbgeorbneten Spaniens nie beftritten morben mar, fam eS, ba ber
fran$öfijd)e ©efanbte ihm burchauS öorfat)ren wollte , jmifc^en ber
beiberjeitigen $>ienerfchaft ju X^ätlic^feiten, in welche fid) ber 2on~
boner $dbel ju ©unften ber Spanier einmiete. Aufs $üchfte
tTjürnt, liefe ßubwig XIV. fofort bem ipanijd)en ÖJefanbten an
ieinem £>ofe ben ©efehl jufommen , $ariS $u öerlaffen , rief ben
Digitized by
62
Subhjig XIV. tooit ftranfreidj.
feinigen au3 Slcabrib jurüd unb brofjte feinem ©djttnegerüater
brieflich mit bem unüerjüglidjen SSieberbeginn be3 faum beenbigten
Krieges, toenn ber Vorrang beä franjöfifdjen SBotfdjafterS üor bem
fpantfdjen nic^t üon ©eiten be3 $>ofeä üon ■äflabrib anerfannt toerbe.
Wlipp IV. , ber e3 um einer einfachen (Stifettenfrage tniflen nid)t
auf einen neuen ®rieg cmfommen (äffen iootltcr lieg feinem Sa^roieger*
foljne burdj einen eigenen SBotfdjafter bie (Srftärung überbringen,
bafj er feinen SJciniftern befohlen §abe, fünftig bei öffentlichen Seier*
üdtfeiten nidjt metir mit ben franjöfifa^en ®efanbten um ben Vor-
rang §u ftreiten, tuorauf öubttrig, ber biefe ©rflärung in ©egemuart
beä £ofe3 unb aller fremben SBotfdjafter entgegengenommen, fid) an
bie Sedieren mit ben Korten tüanbte: „3$ Sitte Sie, 3§ren
Herren biefe Gfrftärung mitgut^ei(en, bamit fie nnffen, bag ber fatfjo*
lifdje ®ömg feinen ÖJefanbten befohlen f)at, ben meinigen bei jeber
(Megenfjeit ben SBorrang ju (äffen. "
9codj ungteidj anma&enber benahm fid) Subtoig XIV. gegen ben
$apft SUeranber VII. bei (Megenfjeit eine* am 20. Sluguft 1662
Sttrifdjen ben Seuten be3 franjofifccjen ©efanbten in 9iom, be3 ftoljen
unb übermütigen $er$og3 üon <£r£qui , unb ben ©olbaten ber
forfifdjen Seibtoadje be$ ^apfteS in golge be$ freien unb anmaßen*
ben STuftretenS ber (Srfteren aufgebrochenen Streitet, bei toeldjem
bie erbitterten Dorfen nad) ben genftem be3 ©efanbten gefdjoffen,
mehrere Liener be£ ÖJefanbten üernmnbet, unb einen ^agen beä*
felben getöbtet Ratten. Sluf bie ftunbe üon biefen Vorgängen
berief Öubmig fofort feinen ®efanbten üon sJtom jurüd, lieg ben
päpftfidjen 9cuntiu3 bura) franjofifa^e Leiter über bie ÖJrenje bringen
unb traf 2(norbnungen jur (Sntfenbung franjöfifdjer Gruppen in
ba$ päpftüd)c (Gebiet. Um bie Sadje gütttdj beizulegen , erflärte
fid) ber s#apft ju einer Ötenugtljuung bereit; Öubnüg ftellte jebodj
bie auäfdjroeifenbften gorberungen unb Ue& , alä ber päpftttdje £of
zögerte , auf biefetben einzugehen , s2(ütgnon unb bie 0raff$aft
Öenaiffin befefcen unb ein #eer üon ciuunbjmanjtgtaufenb SOcann
nach Italien abgeben. $er auf« s#eu§erfte bebrängte $apft , ber
üergebenä ben Qorn be3 Königs burch ftrenge öeftrafung ber Ur-
heber ber bei bem Xumulte begangenen 2Iu3fchreitungen ju befchunch*
tigen gefugt hatte, faf) fich in feiner Jpilflofigfeit gelungen, fid) aücm
51t fügen , roaS ber übermütige $önig üon ihm üerlangte. ©0
lourbe am 12. gebruar 1663 ju $ifa ein förmlicher griebe untere
Zeichnet, in metajem ber s#apft fid) unter s2(nberm üerpflia;ten mußte,
bura^ feinen atz Öegaten naa) granfreid) ju entfenbenben vJleffen
3abio ©fjigi megen be§ iöorgefattenen öffentlich Abbitte tt)un ju
laffen unb bie forfifdje Dcation für immer üon bem päpftftdjen
Dienfte au§pfa)lte6e:i. s2(uBerbem foüte ber iöruber be« ^ßapfteä,
ifflaxco (J^igi, aU Oberbefeid()aber ber papftlidjen Xruppen fiaj
Digitized by Google
Subrotgä XIV. erfte groberuitgäfriefle.
63
t"cf>riftlui) bei bem ÄÖnig oon granfreich toegen ber bem franjöfifchen
©efanbten zugefügten SBeleibtgungen entfchulbigen , ber (SJouöeraeur
oon 9iom, ber ®arbinal Qmperiali, ftch perfonlich ju bem gleichen
3toecfe nach ^3ari« begeben unb enblid) Sluguftin £J)tgi, ein anberer
9teffe be« Zapfte«, mit feiner ©emahlin, einer farnefifchen $rin*
jeffin, bem fterjog oon (ixtqui unb beffen ©emahlin bei beren 8tücf*
fe^r nach 9tom jehn 9#eilen lucit entgegenkommen , um benfelben
ba3 ©ebauern be« <ßapfte« über ben Vorfall Dom 20. #uguft au«*
jubrüefen. @rft nadjbem alle biefe ©ebingungen erfüllt roaren, er«
hielt ber $apft Moignon unb Venaiffin jurüd.
3ur bouernben öegrünbung ber franjöfifchen Hegemonie fudjte
fiubroig bie ©renken feine« deiche« bura) (£roberung«friege ju er=
lueitern, beren Erfolg ebenforoohl burch bie treffliche Drganifation
be« franjöfifchen §eertoefen«, at« burd) bie große ßahl Ijeröorragen*
beT gelbherren gefiebert feinen , bie ßubmig feinen Zruppen $u
gührern geben fonnte — in ben erften Reiten l)auptfäa)lta) Sonbä
unb Xurenne, fpater bie frieg«luftigen DJtarfchälle, bie fid) in ber
Schule biefer beiben gelbherren au«gebilbet Rotten.
$ie erfte Gelegenheit ju ber erftrebten (Srroeitcrung feine«
fteidjeS bot fid) ßubmig XIV. im Qaljre 1665 bei bem Xobe fei*
ne« (Schttnegeroater« Philipp IV. bar. Obgleich er unb feine ®e*
ma^Itn in bem purenäifchen grieben auf alle ßänber ber fpanifdjen
^onarc^ie Verzicht geleiftet Ratten, erl)ob er Slnfpruch auf bie fpanifdjen
s#ieberlanbe, unter bem Vortoanbe, ba§ feine unb feiner Gemahlin
SSerjic^tleiftung auf biefe fiänber wegen be« in benjclben geltenben
befonberen (Erbrechte« feine Slnroenbung finben fönne unb überbte«
ber ganje Vertrag hinfällig fei, meil bie feiner Gemahlin al« 2lequi=
oalent jugefagte ÜÄitgift nicht in ben feftgefefcten griften befahlt
morben fei. ^fyilipp« IV. SBittme Wlaxia s2lnna, bie Xocfjter ®aifer
gerbinanb« III., bie für ihren minberjät)rigen Sohn $arl II. bie
Äegentfa)aft führte, nrie«, unter Berufung auf ihre Verpflichtung,
ihrem Sohne bie Gefammtheit ber Üflonardne ungejc^mälert $u et«
galten, ßubnrig« gorberung jurücf, unb bem Sinflitg s#nna'« oon
Cefterreich gelang e«, bie @roberun«gelüfte ihre« Sohne« für ben
^ugenblicf in Schränken ju haten; nachbem jebod) auch fie am
20. gebruar 1666 im Hilter oon oierunbfech^ig fahren in« Grab
gefunfen toar, befchlofj Submig, ber fich erft jefct oollftänbig frei fühlte,
feine s2lnfprüche auf bie ftieberlanbe bura) Söaffengemalt $ur Gel*
tung ju bringen.
3m äftai 1667 rücfte Xurenne mit einem Speere oon fünfunb-
breißigtaufenb 3Jiann, bem noch cinc ^teferöearmee oon jroanjigtaufenb
^Jcann folgte, in glaubern ein, unb ba bie $um Kampfe nicht gerüfteten
Spanier nur geringen SBiberftanb leiften fonnten, mar in furjer ßeit
ein großer Xheil be« ßanbe« oon ben granjofen befe^t. ©leid) erfolg*
Digitized by
64
Subroig XIV. uon granfretd).
reid) mar bcr im Qo^re 1668 unternommene Gränfaß ßonbä'S in
bie gramf>e*(£omtc, bie innerhalb ftebjelm Sagen faft ofme Sdjmert;
ftreic^ befefct mürbe. Sdjon f>iett fia) Submig in bem erftrebten
©eftfce ber SKieberlanbe für gefidjcrt, als ifjm ganj unermartet in
feinem 'Siegesläufe ein gebieterifdjeS |>alt jugerufen mürbe. 3>te
burd) bte reißenben gortfajritte ber granjofen mit ©eforgniffen für
ü)ren eigenen iöefifcftaub erfällten £oÜänber Ratten auf bie *8eran*
taffung iljreS ftaatsflugen föatljSpenfionärS 3o^ann be SBitt mit
Scfymeben unb ©nglanb, in melay lefcterem fianbe feit bem igafjre
1660 baS ßönigtlmm unter Äarf* I. Sofme ®arl II. IjergefteHt
mar, ein iBünbuifj, bte fogenannte Xriple^Hianj, gefd&loffen, in
meinem bie brei 9)Ma)te fic^ öerpflidjteten, als griebenSöermittler
jmijd)en granfreia} unb Spanien aufzutreten unb, falls ü)re gütliche
Xajmifajenfunft fruchtlos bleiben foHte, granfreidj ju fianbe unb
jur See anzugreifen. $>a Submig auf einen allgemeinen ®rieg nidjt
vorbereitet mar, fjielt er es für geraden, fia) ju einem grieben ju
bequemen, ber tfjm immerhin SBortfjjeile in SluSfidji ftellte, meldje bie
geringen €pfer feiner bisherigen ÄtiegSfüfjrung bebeutenb übermogen.
3n bem am 2. Sftai 1668 ju Slawen abgesoffenen griebenS*
vertrag gab er bie grand)e=(£omte an Spanien jurücf unb blieb ba=
gegen im Jöcfi&e ber in ben SRieberlanben gemalten Eroberungen,
fo bafe baS (Gebiet öon ber ätteereSfüfte bis *ur Sambre mit Dielen
mickrigen Stäbten an granfreidj fam.
Xer griebe öon Maasen mar inbeffen nur ein furjer 2Baffem
ftillftanb. Saum mar berfelbe unter jetdmet, als im Statte Sub-
mtgS XIV. neue (SroberungSpläne entmorfen mürben. $>cr ®egen=
ftanb berfelbcn mar bie SRepublif ^pollanb, bereu öefifc, mie
ber ttriegSminfter ßouöois bem ®önig eiugefyenb auSeinanber fefcte,
giaufreia) nidjt nur unberechenbare £>anbelSüortl)eile, fonbcrn auä)
bte ütöglidjfeit beS fpäteren (SrmerbS ber fpanifdjen vJcieberlanbe unb
ber MuSbcfynung ber fran$öfifd)en ©renje bis an ben 9if)ettt in s2luS=
fidjt ftellte. $em $önig felbft fagten ßouooiS' $läne um fo meljr
ju, als er üor iöegierbe brannte, bie ^ollänber für bie ®ülmf)eit,
mit meldjer fie in feinen Siegeslauf einzugreifen gemagt, feine Staate
füllen zu laffen, unb fo mürben alsbalb bie umfaffenbften SDkß^
regeln zur £$ermä)tung ber Ijollänbi [djen Üiepublif getroffen.
(S^e mir ben Verlauf beS öon äubmig XIV. geplanten jmei*
ten (SroberungSfriegeS fdulbern, müffen mir einen iölitf auf bie dnU
micflung ber Ütepubtif ber oereinigten 9iteberlanbe feit ber ^Inerfen-
nuug i^rer Selbftftänbigfeit öon Seiten Spaniens im grieben öon
fünfter merfen. Sa)on ein $at)x oor bem s2lbfdjluf3 biefeS griebenS,
im ajiärz 1647, mar ber ^rinj griebriä) jpetnria) öon Dramen,
ber im 3a*)re 1625 feinem finberlojeu öruber 3ttorifc in ber Statt;
l)alterfd)aft gefolgt mar (f. $b. V. S. 315) mit Xob abgegangen,
Digitized by Google
ßubroigö XIV. erfie groberimgStriegc. 65
iein mit bcr englifchen ^ßrinjeffin HJcaria, ber Xodjter ®axl'$ I.,
Dermalster @ofm SB il he Im II. jcboc^ erft im 3af)re 1648 jum
Statthalter ernannt toorben. $a er nach bem ^(bfc^lufe beS tt>cft-
fälifehen griebenS ba3 IfriegdOolf in ftärferer Slnjahl beibehalten
roiffcn wollte, als bie ©tänbe oon §o£tanb, unb ba biefe eigenmächtig
neununbjroansig öon ihnen bejahte gähnen entlaffen Ratten, mar
ber fdjon bei bcn remonftrantifcben Unruhen ^erüorgetretene ©treit
über bie gragc, ob bie ©ouoeränität bei ben ©eneralftaaten, welche
auf ber Seite be§ ©tatthalterS ftanben, ober bei ben ^roöinjial-
jtänben fei, mit erneuter £eftigfeit ausgebrochen. 9cach einem Oer»
unglüeften SBerfuche be3 ^rinjen, biefe grage burch einen Ökmalt-
ftreich in feinem ©inne ju entfcheiben, mar e* ben ©eneralftaaten
gelungen, bie ImBänbifchen ©tänbe jur Wachgiebigfeit ju beroegen,
unb fo war bie Streitfrage bahin erlebigt toorben, ba& ba£ IRec^t
ber Haltung unb Slbbanfung ber Gruppen für alle Seiten ben
©eneralftaaten oerbleiben folle.
9loct) in bemfelben 3ahrc (1650) ftarb SBiüjelm II. im nod)
nid)t ooflenbeten oierunbjtoanjigften Sebenäjahre. SSährenb ber
3Einberjäf)rigfett feinet erft nach feinem Xobe geborenen ©ofmeä
SSil^elm Heinrich, erlangte bie „ ariftofratifc^e Partei", an beren
Spifce ber im 3af)re 1653 im 2llter oon achtunbjtoanjig fahren
jum SKathäpenftonär ernannte Qohann be SBitt ftanb, über bie
oranijdje fo entfdueben ba$ llebergemicr)t, ba§ fie ben oon ben ^ßro~
öinjialftanben im Qanuar 1651 auf einer SBerfammlung im £>aag
gefaxten Sefctjlug, für bie gufunft feinen ©tatthaltcr mehr $u er-
roä^lcn, aufrecht halten tonnte. (3Kn im Qafjre 1651 jtoifchen ben
^Icieberlanben unb (£nglanb aufgebrochener unb mit ungewöhnlicher
partnäefigfett geführter ©eefrieg, ber burch bie SSeigerung ber
®eneralftaaten, fich ber englifeben SRepublit an^ufchliefeen, h^rbeige=
fü^rt toorben mar, oerlief infolge ber entfduebenen Uebermacht ber @ng=
länber jum 9^acr)tr)eile ber Ücieberlänber unb mürbe im 3ahre 1654
nad) $etm blutigen ©eefchlachten burch einen grieben beenbigt, in
sichern bie föieberlänber oerfprachen, fich niemals ber geflüchteten
ftönigSfamilte oon ©nglanb anzunehmen unb ihre gahrjeuge in ben
bringen ®emäffern ftetd oor englifchen $rieg3fchiffen bie glaggen
Streichen ju laffen.
9caa) Dcr $erfteßung be3 griebenä mit (Jnglanb mifchten fich
bte Scieberlänber in ben #rieg #arl (SJuftao'ä oon ©daneben mit
$ofen unb $änemarf, um burch °*c Unterftüfcung biefer beibeu
dächte ihre burch bte (5roberung3gelüfte beä ©chrocbenfbnigä ge*
Erbeten .imnbeläintereffen auf ber Oftfee ju fchüfcen. Wachbem bie
®eneralftaaten bereit im 3af)re 1656 eine ©ef ajung nach $an3ig
flftnbi, um biefe ©tabt gegen ben Singriff ftarl ©uftao'ö &u Oer*
Wigen, erfchien im Sahre 1658 eine hollänbifche glotte im ©mibe
Digitized by Google
66 Subroig XIV. t?on grmtfrei^.
unb brachte, nacf) einem fiegreidjen QJefedjte mit ber fc^tt»ebifc^en
(Seemacht, Verhärtungen naa) Kopenhagen. $)a ®arl Öuftaö trofc=
bem ber bon ©nglanb, granfreid) unb ben Sftieberlanben an Um ge-
sellten gorberung, aläbalb grieben ju fdjlie&en nidjt nadjfam, führte
ber l)oUaiibtid)c Slbmiral be SRuöter fiebrig $rieg3fd)iffe burdi ben
©unb unb blocfirte bie fdjmebifdjc glotte in ®arl£frona (1659).
Xiefen kämpfen, auf meiere nrir in ber norbifdjen ÖJefdudjte jurücf*
fommen werben, madjte ju Anfang beä folgenben Qa^reaber Xob
$arl ©uftaö'3 ein (Snbe.
Qm Qaljre 1665 mürben bie SRieberlänber in einen neuen ©ee*
frieg mit ©nglanb öernricfelt, ju meinem ein Singriff ber (Sngläuber
auf bie t)oÜänbifd)en gortä in ©uinea, fonrie auf bie Jöeftfcungen
ber 9iepublif in SRorbamerifa bie erfte SBeranlaffung gab. 2113 ber
sJtatf)£penfionär be SSitt in golge biefer Singriffe ein ftrengeS Sßer*
bot gegen bie (Sinfutyr englifdjer gabrifate erlieg, erflärte föarl II.
am 14. Sttärj 1665 ben ©eneralftaaten ben Ärieg, burd) welchen
er jugleid) einen günftigen Umfcfjnmng für feinen Neffen, ben jungen
^rin^en üon Dranien, J>erbeijufü^ren hoffte. 9iad) einem jtt>ei=
jährigen n>ed)felootlen Kampfe, in meldjem bie nieberlänbifdje 9tepu*
blif unter ber gefdudten $riegäfüf)rung ber berühmten 6eef)clben
be Gunter unb Gomeliuä £romp au&ergemöf)nlidje Gräfte ent=
faltete, inbem bie ariftofrattjdje Partei bem Seemejen bie größte
gürjorge gennbmet ^atte, mürbe im 3ahre lß67 ju Söreba ein
griebc gefdjloffen, ber nid)t nur baS 2lnfef>en ber SRepubltf bebeu*
tenb erf)öl)te, fonbern if>r aud) toefentlid)e $anbel3öortheile üerfdjaffte.
93ei ber gehobenen Stimmung, toeldje bie glücflidje SBeenbigung
beä Krieges unter ber SBebölferung verbreitet ^atte, gelang es be
SBitt, eine Maßregel burd)$ufefcen, meldje bie Parteien oerfö^nen,
jugleia) aber aud) ben Draniern bie 9}föglid}feit benehmen füllte,
it)re Wlafyt jum 9tadjtfjeile ber greit)eit be« ttanbeä $u gebrauten,
©in im Safere 1670 erlaffeneä (Ebift, bie fogenannte „s2lfte ber $ar--
monie", beftimmte, bajj jmar bie ©tattf)alterfd)aft in ben 9iieberlan=
ben mieberum in3 Seben treten fönne, aber nur unter ber S8e*
bingung ber Xrennung berfelben bon ber Dberbefeljtefjaberjdjaft
über bie £anb* unb ©eemadjt.
<So lagen bie 2>inge in £olIanb, alä ßubmig feine SBorberei*
tungen $ur Vernietung ber föepublif traf. Um ben ©rfolg beä ge^
planten Unternehmens ju fiebern, fud)te er bie Jpoüänber ju ijolireu,
fid) felbft aber burdj SBünbniffe ju ftärfen. ßunädjft galt eä, bie
Xriple-Miana $u fprengen unb £>ottanbä bisherige VunbeSgenoffen
auf bie ©eite granfreidjä ju jie^en. S)ie§ gelang bem $önig un*
ferner bei $arl II. Don (Suglanb, ber gleich nadj bem s2lbfc^lu6 be^
Slac^ener griebenä geheime Unter^anblungcn mit i^m angefnüpft.
$arl II. trachtete nämlia), ungemamt bura^ bad traurige Sa^trfi'al
Digitized by Google
fiubwig« XIV. erfte GroberungStricge.
67
feines SBater«, nadj ber $>erftellutig einer unumftfjränften ®önig«ge*
walt unb glaubte biefe« Siel am fitfjerften buref) ben 2lnfd)luß an
granfreief) erreirfjen $u fönnen ; audj fjatte er bie 2lbfid)t, jur fatljo*
Uferen ßirdje überzutreten, unb wünfdjte, üon Subwig bie nötigen
(^elbmittei pr Unterbrürfung etwaiger aufrüljrertfdjer Bewegungen
$u erhalten, bie burd) biefen Schritt oerurfadjt werben fönnten. $a
Öubnrig bereitwillig auf fein ©erlangen einging, fam jwifdjen ifmt
unb finrl ein geheimer ©ertrag $u 8tanbe, in welchem ber fiefctere
üjm gegen ba« ©erforedjen einer ©ubfxbie oon $Wei ÜftiHionen 8iü*
rc4 unb ber Ueberlaffung ber *ßrooin$ ©eelanb bei ber bemnädrftigen
Xljeüung ber üereinigten SRieberlanbe ben SBeiftanb ber frieg«bewäf)r*
ten Seemadu" feine« SReidje« jufagte.
SSie ©nglanb, fo erflärte fidj audj Schweben bereit, für eine
jafn*licr)e Safjlung oon fed)«l)unberttaufenb X^alern ein &eer öon
fedjStaufenb 3Rann in ^ommern unb ©remen aufjuftclleu, ba«
gegen jeben beutfajen 9teid)«ftanb oorgefjen follte, ber etwa jur
Unterftüfcung ber $oHänber rüften toerbe. SSeitere ©nnbe«genoffen
fanb Subwig XIV. in bem ©rjbifcfjof äßajimilian £einrid) oon
&öln unb bem gurftbijd>of oon fünfter, bem frieg«luftigen ©ern-
Ijarb oon ©alen, oon benen ber ©rftere längft im ©djlepptau
granfreidj«, ber ßefctere mit ben Sßieberlänbern oerfeinbet unb ba=
^cr gern bereit war, bem $önig oon granfreidj ju ifjrer Unter*
werfung jebtueben ©eiftanb §u leiften. Slud) bie Jperjöge 3of)ann
griebrid) oon £>annoüer unb ©fjriftian oon 9fterflenburg*©a^werin
fagten Subwig XIV. £ilf«truüpen ju ; ©raunfd)Weig, ©aiern, 2Bürt=
temberg unb bie $fal$ oerfprad)cn, neutral $u bleiben, ©elbft ber
ftaifer Seopolb ließ fidj burd) feinen erften 2JUnifter, ben (trafen
£obfowi$, ber, olmef)in ein eifriger ©ewunbercr £ubwig«, ben grie*
ben mit granfreid) um jeben $rei« aufregt ju galten fünfte, im
ftooember 1671 jum \>ibfd)luß eine« ©ertrag« mit Subwig bewegen,
in welchem er bemfelben oerforadj, fidj in feinen ®rieg etn$ulaffen,
ber außerhalb be« beutfdjen fReic^ed unb ber fpanifdjen 3#onardjie
geführt werbe, unb ben oon granfreidj angegriffenen 9)täd)ten
feinen anbern ©eiftanb ju leiften, al« ben einer freunbfd)aftlid)en
Vermittlung. 2ludj ©panien, beffen 3n*creffcn ourc§ öon 8U0*
iftg beabfiduHgte Eroberung ^ollanb« auf« Sleußerfte gefäfjrbet
waren, wußten bie franjöfifdjen QJefanbten burd) it)re biploma-
tija^en fünfte ju bewegen, fid) jeber (Sinmifdjung §u ©unften
jpoüanb« $u enthalten. Unb wo bie fünfte ber $olitif unb bie
Sftadjt be« (Selbe« nidjt au«reidjten, ba mußte Gewalt jum Qitlt
füfjren. 211« ßubwig XIV. erfuhr, baß ber $erjog $arl IV. oon
Sotfningen, ber längft feiner 2lbf)ängtgfeit Oon granfreid) mübe war,
ben ©eneralftaaten ba« Anerbieten gemalt, auf i^re Soften ein |>eer
für fte in« gelb ju fteUcn, ließ er beffen §er$ogtimm burc^ feine
5*
Digitized bywx>gle
68
Subnüg XIV. oon ftranfreid).
bereit fteljenben Gruppen fo rafdj befefcen, bafj ber £>er$og faunt
3eit fanb, per) burdj bie 3f(ucr)t öor ber @)efangenfd)aft ju retten.
©ä^renb 3*ortfreid) für ben beöorfteljenben ©roberungSfrieg,
nict)t nur jafylreidje SBunbeSgenoffen, fonbern aud) in ben reichen £>ilf£^
. quellen, bie £ubung§ tfjätige unb fraftöoüe ^erroaltung im Innern
be£ fHctdtje^ erfd)loffen, bie auägiebigften Littel jur ^erfteßung
einer jaf)lreicf)cu , mit allem SRötrjtgcn im ileberflufj üerfe^enen
#riegämaa}t gefunben , fallen fid) bie Sftieberfänber jur Slbmeljr ber
i^nen brofjenben ©efafjr faft au^fcrjliegüct) auf it)re eigene $raft
angenüefen. 3^r einjiger SbunbeSgenoffe mar ber mit ber ©djmefter
2ötlt)e(m« II. öon Oranien öermäfjlte $urfürft griebrid) 2Stlf)elm
öon Söranbcnburg. SBergebenä fmtte Submiö, XIV. bemfelben einen
$f)eü ber ju madjenben Eroberungen als *ßrei3 feiner SöunbeSge*
noffenfdjaft angeboten, auf meiere er ein ganj befonbereS ®emicf)t
legte: in richtiger SBürbigung ber ©efal)ren, mit meldjen ein s2In*
griff auf ^oHanb ba3 bcutfct)e föeicf) unb inäbefonbere feine eigenen
nieberrfjeinifdjen Söefi&ungen bebrol)te, t)atte ber fturfürft nietjt nur
ba$ öon ßubnrig iljm angetragene SBünbnifj entfäieben abgelehnt,
fonbem aud) bie ifjm angefonnene Neutralität jurüefgemiefen, inbem
er entfdjloffen mar, ben gefafjrbrofjenbcn Eroberungägelüften beä
$önig$ öon Sranfreid) mit allen feinen Gräften entgegen ju treten.
#11 biefent (5nbe t)attc er am 26. Slprtl 1672 mit ben ®eneral=
ftaaten ein Söünbnig gefdjloffen , in meinem er ifmen ^mansigtau-
fenb 9J(ann §ilfätruppen jufagte, öon benen bie 4>älfte burd) tjoHäns
bifdjeS ©elb unterhalten merben foüte.
3n$roifd)en mar bereit« am 7. SIpril 1672 bie &rieg*erflärung
granfreidjS an bie 9tieberlanbe unb balb barauf audj bie öou Eng-
lanb erfolgt. 9todj in bemfelben Üftonat erfdjien ßubmig felbft, um=
geben öon ber SBlütfje beä fran$öfi)cr)en 3lbelä , an ber ©pi£e öon
einmall)unbertjmö(ftaufenb äJcann, bie, in jmei £>eere geseilt, öon
(Sonbö unb Xurenne geführt mürben, an ber r)oHänbifcr)en (5)ren$e.
^tujger bem fötieg^minifter £ouöoi3 unb bem berühmten SBauban,
ber al3 ber erfte Qngenieur feiner 3eü bie söelagerungSanftalten lei-
ten folltc, befanb fict) im (befolge be3 Königs aud) ber ÖJcfct)icr)t^
fdjreiber sßeliffon , bem bie Aufgabe juget^eilt mar , beS ftönigä
©rofetfjaten als Slugenjeuge ber sJcacr)melt ju überliefern, ©letcf^ei*
tig mit ber franjofifa^en £>auptmad)t tjatte fiel) aud) ein beutfd)c$
£eer öon jmanjigtaufenb SJtonn öon ®öln unb fünfter auä unter
bem fran$üfifd)en äftarfdjall öon ßujemburg nadj bem ®rieg3fd)au=
plafce in Söemegung gefegt.
£a bie ariftofratija^e Partei feit bem $obe 28ilf)elm3 II. ifnre
gan$e Slufmerffamfeit ber Slotte jugemanbt unb barüber bie Sanb=
madjt gänjltd) öernaa^läffigt ^atte, fonntc bie 9iepubUf ben geroal-
tigen Xrnppenmaffen, bie fic^ gegen it)re ©renken Ijeranmäljten, nur
Digitized by Google
SubnngS XIV. erfte eroberungSfricgc.
69
ein £eer üon jroansigtaufenb äRann entgegenftetlen. SOcit fo unge*
nügenben Streitfragen war ber jroeiunbämanjigjährige 2S U h e l m
oon Oranten, ber jum Oberbefehlshaber ernannt morben —
aber nic^t , rote feine Anhänger »erlangt , anf Seben^eit , fonbern
nur für bie $5auer be£ beüorftehenben Krieges — um fo weniger
im ©tanbe, gegen ben übermächtigen Seinb irgenb (StmaS auSju^
rieten, ate e$ ihm bei alT feinem SRuthe unb feiner herüorragen*
ben Klugheit an ber nötigen StiegSerfahrung fehlte. Unaufhalt*
)'am brang baS fran^öfifche fteer , nachbem e$ am 12. $uni bei
SolIfmuS untueit imüffen olme ©chmierigfeit benSRhein Übertritten
unb mit leidster 9Jiür)c eine große &a$l oon geftungen jur (Er-
gebung gelungen r)attef bis $u ber $roüinj $ottanb üor.
Xie 9Ueberlänber begannen an ihrer Rettung 5u üerjmeifeln,
unb ber Umoille be3 großen $>aufen3 manbte fich gegen be SSitt,
bem man nicr)t mit Unrecht bie üollftänbige Söehrlofigfeit beS San*
be* jur Saft legte. 814 berfelbe in ber höchften «Rott) Unterhand-
lungen mit granfreich anknüpfen fudjtc, gelang eS feinen GJegnern,
unter bem SBolfe ben ©erbaut ju ermeden, er fpinnc ©errath gegen
feirt ©aterlanb unb motte bie SRepublif bem geinbe üerfaufen , um
bie oranifdje Partei nicht gum ©iege gelangen ju (äffen. <Radj
einem üerfctjlten SRorbanfchlage auf ben SRathSpenftonär erjmang
baä meift oranifch gefinnte ©olf bie Aufhebung beS (£bift3 , burdj
welches bie Trennung ber ©tatthattermürbe unb ber Oberbefehls^
baberfetjaft oerfügt morben mar, fomie bie Ernennung SBithehnS III.
mm Dramen $um lebenslänglichen Statthalter oon ^oflanb unb
Seelanb, ben beiben einzigen üon bem 3einbe noch nicht befefeten
^rooinaen (2. 3uli 1672).
Obgleich be SSitt hierauf feine ©teile niebertegte, mar ber £aß
feiner Gegner nicht befriebigt; fie hörten nicht auf, bie Erbitterung,
bie fie unter bem ©olfe gegen ihn $u meefen gemußt , in immer
f)öb,erem (3fcabe anzufachen. Sluf bie SfaSfage eines notorifchen
©öfenrichteS, beS ©arbierS Xidjetaar, ber ben ©ruber beS SRathS-
penfionärS, ben SIbmiral SorneliuS be SBitt, befchulbigte, er habe ihn
burch ©elbüerfprechungen jur Grrmorbung beS bringen oon Oranien
$u üerleiten geflieht, mürbe berfelbe gefänglich eingebogen unb ben
auSgefud)teften golterqualen untermorfen, um ein (Skftänbniß oon
ihm JU erjmingen. $aum ha^e er biefelben mit bem ihm eigenen
|>elbenmuth* unter fteten ©etheuerungen feiner Unfdmlb überftanben,
als ein müthenber ^öbelhaufe ihn mit feinem ©ruber , ben man
unter bem ©orgeben, baß ber (befangene ihn ju fprecheu münfehe,
in feine 3efle gelocft, aus bem ©eföngniß riß unb ©eibe unter
barbarifchen hartem töbtete. $ie üon ben ©tänben üon ^ottanb
üerlangtc ilntcrfudjung unb ©eftrafung mürbe burch ben Statthat
tcr üerlunbert, ber fogar bem Auflager beS Kornelius be Söitt ein
Digitized
70
fiubroig XIV. oon 3rranfreid>.
3<u)rgcl)a(t au*fe|jte. ®raft einer bem ^rinjen *>on Otanien öon
ben ©eneratftaaten erteilten SBoümadjt würben alle 2(nf)änger be
SBitt'* aus ber gaf)I ber ^Beamten unb ftäbtifdjen 9#agijrrate öon
iljren ©teilen entfernt.
3fnbeffen trat balb für bie fo fdjrcer bebrofjten lieber länber,
öon benen bie SReidjeren bereite ben ©ebanfen in* 2luge gefaxt,
mit tyren ©djäfcen nad) Oftinbien ju entfliegen, um bort eine neue
SRepublif ju grünben , gu roeldjem ftc «ne 2lnjaf)l . öon
©Riffen jur $lbfa§rt bereit gelten , eine SBenbung §um Söefferen
ein. SBäljrenb ber ^ßrinj öon Dramen bie gortfdjritte ber gran^
jofen baburd) fjemmte, ba§ er bie 55ämme, meiere bie gluu)en ber
?)ffel, be* SRfiein*, be* £ecf* unb ber äfteröe jufammenfjalten, burd)=
ftccr)en unb fo ba* ganje ßanb unter SSaffer fefoen Heß , gelang e*
bem ©eefjelben be SRutjter, bie beabfidjtigte fianbung ber frangöfifer)*
englifcf)en Sflottc auf ©eelanb $u oereiteln; audj näherte fidj ber
®urfürft öon ©ranbenburg mit feinem £ilf*fjecre ber f>oflänbifcf)en
©renje. $er fiefctere fdjlog $roar am 6. 3uni be* folgenben
3<tljre*, tfjeil* roeil ber Faiferlidje Selbfyerr HHontecuculi , ben ßeo-
polb iljm, feinem drängen nadjgebenb , mit fe^e^ntaufenb Sttann
3um ©cfjufce ber beutfdjen ©renken beigegeben , in Solge geheimer
befehle be* ©rafen ßobforoijj ir)n in feinen Söetoegungen me^r
fjemmte al* unterftüfcte, tfjeil* aud), meil ü)m ba* 2lu*bleiben ber
öon $oHanb jugefagten ©elber bie größten Sßerlegenfjeiten bereitete,
mit fiubnrig $u SBoffem bei £üttid) einen grieben, in roeldjem er
gegen bie föütfgabe feiner öon ben granjofen befefcteh Glcöifdjen
©tabte fein ©ünbnif? mit ben ©eneralftaaten aufgab; bafür traten
jeboet) öerfdncbene anbere Sflädjte al* ©egner ßubttig* auf ben
#rieg*fd)auplafc.
3unäd)ft bemog bie ofme jebe ^rieg*erflärung erfolgte 2Beg=
nalmte Belgien* burd) ßubmig* ©ruber , ben $erjog ^rjilipp öon
Drlean*, ba* #abinet öon SRabrib, au* feiner bi*i)erigen fteutralU
tät f>erau*5utreten. Shtd) in SBien fjatte fidj aHmäfjlid) eine ria>
tigere Slnfrfjauung öon ben ©efafjren, meldje bie ^Bereinigung ber
MepubM £>oHanb mit Sranfreid) für ba* beutfaje föeid) in fia)
barg, Söalm gebrochen, unb bie (Sntrüftung über ba* ru<fficf>t*lofe
Auftreten Subnng*, ber ba* (£rjbi*tf)um Xrier befefct , jefnt 9ieic§*s
ftäbte im ©Ifafc an fidj geriffen unb bie üBefcftigungen öon Colmar
unb ©djlettftabt ljarte fprengen laffen, befd)leunigte bie fRücffet)r be*
ftaiferfjofe* $u ben alten unb ädjten ©runbjajen öfterreia^ifa)er
^ßolitif. %m 30. «uguft 1673 fdjloß ber ^aifer, beffen an 8mV
rcig gejteßte gorberungen : Räumung be* beutfa^en ©ebiete*, 3urürf=
gäbe ber befefcten feften ^ßtö^e, ©ntfdjäbigung ber beeinträchtigten,
^perfteflung be* £>er$ogü)um* Sotfiringen, ©ta^erung ber beutfe^en
©eredjtfame im @l{a6 unb in ben rfjcinifdjen ©i*t()ümern unb
Digitized by Google
SubnrigS XIV. erfte (groberungSfriege.
71
grieben«fdjlu§ mit (Spanien unb #olIanb, öon Submig XIV., mie
oorauäjufehen mar, unberütffidjtigt blieben, mit bem König öon Spanien
unb ben <$eneralftaaten ein Bünbniß jur gemeinfamen Befämpfung
Subroig«. tiefem Bünbnifj, ba« neben ber Slbmehr ber bem beut*
idjen Steide brobenben ©efa^r bie Sicherung be« fpanifdjen Beft(j*
ftanbe« in ben Sßieberlanben unb bie STufredjtfjattung ber Integrität
ber Ijollänbifdjen SRepublif bejroetfte , trat aud) ber #erjog Karl
oon Lothringen jur SBiebereroberung feinet Öanbe« bei.
SBafprenb bie fpamfdjen Gruppen, bie ber ®raf öon Sftonterety
in ben itieberlänbifdjen ^roöinjen jufammengebracht, ftd) mit benen
be$ ^rinjen öon Dranien jum gemeinfamen Kampfe gegen (£onb£
öereinigten, ber am 1. 3ult Sftaeftridjt erobert ^atte, führte Xurenne
ba« ibm unterftehenbe $eer nad) bem füblidjen $)eutftf)lanb, um ben
mit einem $eere öon breifjigtaufenb SRann fieran^ie^enben faifer*
liefen gelbherrn SRontecuculi öon bem ^ollänbifd&en Krieg«f3>au=
plafce abzuhalten, unb obgleidj ber franjöftfche Oberbefehlshaber
perfönlidj milb unb menfäUdj mar , ergojfen fidj balb über bie
9üjein*, SRain* unb flteefargegenben bie ©Breden ber öanbalem
artigen Kriegführung , bie ßouöoi« al« ba« ftdjerfte TOttel jur
geglichen ©ntfräftung ber ©egner granfreich« in Slnroenbung ge*
bradit roiffen mottte.
3ttontecuculi , ber feinem berühmten ©egner öollftänbig ge=
madjfen mar, nötigte bura) getiefte Beilegungen ba« bi« nadh
granfen oorgebrungene #eer $u ftetem 3urürfmetchen bis über ben
>Jihein unb manbte fict) bann natf) bem ftieberrhein, mo er ftdj bei
«nbernadj mit bem ^ßrinjen öon Dranien öereinigte , ber ihm mit
bem größten Xheile feine« $eere3 entgegen gebogen mar. Beibe unter*
nahmen herauf, um ben granjofen ben ^Rücfjug burdj bie ßanbe
be« Kurfürften öon Köln abjufdjneiben, mit einer Sruppenmadjt öon
funfjigtaufenb 9)?ann bie Belagerung ber furfölnifchen <Stabt Bonn.
Sergeben« fudjte donU, ber jum ©ntfafce ber ©labt herbeigeeilt,
bie Aufhebung ber Belagerung berfelben $u erzwingen : er mußte
fid> , naajbem Bonn im Eejembcr öon ben Berbünbeten erobert
roorben , $um SRüdsug entfthlie&en unb fah fidj , um feine Ber*
emigung mit Xurenne p bemerfftelligen , jur Räumung öon ganj
§oflanb genöthigt. 9hir in 2Raeftrid)t blieb eine franjöftfdje Be*
fajjung jurüd.
28ie ju Sanbe, fo nahm ber 5elb$ug be« Qahre« 1673 audj
$ur See einen für bie SRepublif günftigen Berlauf. dreimal mürbe
bie öon ber fran$öfifa)=englifd)en glotte öerfudjte Sanbung an ber
hoflänbifdjen Küfte bura^ be 3tut)ter unb (Eomeliuä Xromp öereitelt.
Sftodj ungünftiger geftalteten fid) bie Berhältntffe für granf-
reidj im Qahre 1674. Karl II. öon (£nglanb fah fief) bura^ bie
»adjfenbe Unjufriebenheit feine« Bolfe« über ba« franjöfifdhe Bünb-
Digitized b^Google
72
Subtuig XIV. öon grcmfrei«.
ni& unb bie brohenbe Haltung beS Parlaments genötöigt, mit ben
ftieberlänbern grieben ju f«lie&en (19. gebr.); au« ber Äurfürft
öon ®öln unb ber gürftbif«of öon 9ttünfter föfmten fi«, öon Dra=
nien unb ÜHontecucuti in ihrem eigenen (Gebiete bebrangt, mit $ol*
lanb aus, unb baS beutle föei« entf«lofj fi« enbli«, na« langen,
f«merfäHigen SBerhanblungen , im 3unt 1674 jum (£rla& einer
®rieg§erflärung gegen granfrei«. S)ieS gab au« bem ®urfürften
üon Sranbenburg , ber fi« für ben gaff beS SRei«SfriegeS bie
SBiebereröffnung ber geinbfeligfetten gegen granfrei« öorbehalten,
33eranlaffung, mit fe«$elmtaufenb 9flann, beren Unterhaltung ©pa*
nien unb #oHanb übernommen fetten, auf &*n ®riegSf«aupla$
aurütfjufef>ren.
Zxofy biefer fo bebeutenb oeränberten ©a«lage mar Submig
entf«loffen, ben ßtieg fortjufe^en; benn er fühlte fi« bei ber ihm
mohlbefannten inneren ©«roa«e ber meiften ber toiber «n öerbün-
beten 9ftä«te unb ihrem fanget an @ü«eit feinen ©egnem no«
immer bebeutenb überlegen, unb ber Verlauf beS gelbjugeS öom
3ahre 1674 rechtfertigte im Allgemeinen feine Gfrmartungen. $ie
gran«e^(£omte, in roel«e Submig felbft eingebrungen, mürbe inner*
halb fe«S 2Bo«en erobert, unb meber in ber $fal$, bie abermals
bur« bie ©«aaren £urenne'S öon grauenvollen SBerroüftungen h«nt=
gefu«t rourbe, no« in ben Sfteberlanben, mo au« bieSmal ©onb^
bie franaöfif«e ©treitfraft befehligte, gelang eS ben Sßerbünbeten,
bebeutenbe Erfolge $u erringen. $ie blutige ©«la«t bei ©enef
(17. Aug. 1674) $roif«en (Sonbd unb bem Sßrinjen öon Cranien,
in roel«cr na« bem föinbru« ber 9ca«t no« jmet ©tunben lang
beim ©«eine beS SDconbeS fortgefämpft mürbe, blieb unentj«ieben ;
bo« glaubten beibe %$t\U ®runb $u h^oen, fi« ben ©ieg juju*
f«reiben.
SBährenb bie granjofen im folgenben 3a^rc ™ Dcn lieber*
lanben, mo ber $önig, mie gemöhnli« felbft ben gelb$ug eröffnet hatte,
um na« bem erften gelungenen ©«läge na« SßerfaifleS jurücfjuf ehren,
einige ißortheile gemannen, traf fie auf bem fübbeut|"«en $rtegS*
{«auölafc *™ f«n>erer ©«lag. 9ca«bem Xurenne unb Sföontecuculi
einanber eine Seitlang bur« 9ttärf«e unb ©egenmörf«e ben Söor*
theil abjugeminnen gefu«t, jog fi« Sflontecuculi na« bem Xorfe
©aSborf unmeit Dffenburg jurüd, um h*er *n öortheilhafter
©teßung bem getnbe eine ©«la«t anzubieten. Xurenne, ber «m
raf« gefolgt mar, traf ju berfelben foglei« äße Anorbnungen unb
ritt in Begleitung beS Marquis öon ©aint^ilaire auf einen £>ügel,
um bie SBemegungen beS geinbeS $u erfragen. 3njmif«eu hatte
bie Sanonabe bereits begonnen, unb faum mar ber gelbherr auf
ber Anhöhe angelangt, als er, öon einer Äanonenfugel in ben Unter»
leib getroffen, entfeelt öom $ferbe fanf (27. Quli 1675). ©ein
Digitized by Google
Subioigä XIV. erfte (JroberungSfriegc. 73
Xob rief in bem franjöftfdjen £eere eine fotdje SBeftürjung fjeroor,
ba& bie ©d)lad)t aufgegeben werben mußte, SBon SHontecucuti Oer*
folgt, jog fidj ba$ |>eer in aller (SKle unb nieftt ofme bebeutenbe
Skrlufte an SRenfdjen unb ©epäcf über ben 8tf)ein jurürf. (Uauj
granrreieb, trauerte um ben gefallenen £efben, mit meinem fetbft
ßubnrig im erften Sdjrecfen 9Wea für oerloren &telt. ©eine ßeidje
tourbe mit großem ©epränge in ber fönigägruft ju St. Xeni*
beigelegt.
|>enri be ia %oux b'STuüergne, SBicomte be lurenne — nadj
bem $(u3fprudje 9tanfe'3 „ unter aßen Seinben, bie faifer unb SReidj
jemals gehabt, einer ber größten u — galt mit 9terf)t als ber er^
fafjrenfte rriegäoerftänbtgfte £>eerfüljrer 3*anfreid)$, ber e£ roie fein
anberer oerftanb , feine auÄ ben oerfdjiebenften SanbeSarten unb
SebenSfreifen aufammengebradjten a^annfefjaften im Saum ju M
ten unb au* ihnen einen toofjt organifirten Körper $u bilben, mit
bem er alle*, roa3 er toottte, aufführen fonnte. Dabei mar er frei
ton jeber 8etbftfudjt. „9ftemanb", fagt 9lanfe, „mar entfernter
baoon, SReidjtyümer für fidj felbft gu fammeln. (5r fpradj nie oon
fid); befdjeibenere unb roafnrfyafttgere Sftemoiren gibt e* nidjt, ate
bie, meldte er oon einigen feiner gelbjüge t)interlaffen t)at ; fie finb
eben ba3 ©egentljeü oon bem, read in ben anberen baS biftorifdje
©efüljl üerlefct. @r mar einer oon ben Sftenfdjen, bie in ber 9)atte
einer großen unb toettumfaffenben X^ötigfeit , in ber Sfnfdmuung
großer $itk ftd) felbft oerföroinben." $ie oon feinen Xruppen in
ber ^falg oerübten ©raufamfeiten r)ielt erf gleidj bem fönig, bura)
bie militarifdje fRäcffic^t unb SRotljmenbigfctt entfdjulbigt. „fein
3roeifel, baß feine (Seele bon aller Hinneigung ju perfönlidjer
roaltfamfeit fern mar; er fjat Seuten bie Söaffen aus ben |>änben
geriffen, roeldje unnufce ©raufamfeiten ausübten." (SRanfe). — SSie
fein alterer ©ruber , ber ^erjog oon löouiüon , im proteftantifdjen
©tauben erjogen , mar Xurenne im 3a(>re 1668, im Hilter üon
fündig 3a^ren , burdj ben berühmten öoffuet befet)rt , jur fatbo*
ii)cnen Miran uoergetreten.
£en Oberbefehl über baä oerroaifte #eer übernahm ber auä
ben ftteberlanben abberufene $rinj oon ®onb£ ; bod) legte er, of)ne
nodj ettoaS oon SBebeutung unternommen $u Imben, fdjon im folgen«
ben SBinter ben gelbfjerrnftab nieber, um fid& in baS ^rioatleben
^urürfjujie^en. Som ^ofe faft oergeffen, ftarb er 1686 im fünf*
unbfedföigften fiebendja^re auf feinem ßu)t|d)(offe e^antiUo bei
$ari#. Qu ber gletdjen Seit , mie (£onb£ , 50g fic^ auc^ üflonte*
cueuü oon feinem fommanbo jurücf, naa^bem ber faijer bereite
im September 1675 in bem ^erjog farl IV. oon ßotljringen
einen anberen bewährten getb^errn bura} ben 2ob oerloren r)atte.
Xa* £>eer be* Sejteren übernahm beffen Sfteffe unb Grbe
Digitized by Gc
74 ÖubtDtfl XIV. öon granfreid).
®arl V., bcn wir bereit« in ben Xürfenfriegen ßeopolb« rennen
gelernt haben.
2Tud) ber Horben $eutfdjlanb« mürbe ju biefer Seit öon bem
®rieg«getümmel' fjeimgefudjt , inbem ßubmig XIV., um ben $ur^
fürften ton ©ranbenburg Dom 9tt)eine abjujte^en , ben ®ömg
®axt XI. öon ©djmeben, ®art« X. ©ofm unb 9tad>foIger , $ur
(£ntfenbung eine« #eere« öon fect)äefmtaufenb SRann unter bem falb*
marfdwff Sörangel — einem ©ruber be« legten fdjmebifd)en Dber*
befebtöfyaber« im breifjigjärjrigen Kriege — in bie SJcarfen beroog,
bie öon benfetben mit ferneren SBranbfdjafoungen r)eimgefuc^t mür-
ben, yiadfitm ber föurfürft, ber eben — 3)e$ember 1674 — im
(£lfa& gegen Xurenne fämpfte unb fidj nidjt ot)ne bie äufjerfte S^ott)
öon bem roeftlidjen $rieg«fci)aupla&e jurucfjie^en moHte, fid) öer=
geben« bemüht rjatte, ben $aifer unb ben ®önig (£t)riftian V. öon
5)änemarf , (£t)rifrtan« IV. (Snfel unb jmeiten Sfcadjfolger , $um
Stiege gegen ©cfjmeben ju bemegen, unb aud) bei ben Dtieberlam
bem feine |>ilfe gefunben, bract) er im 3uni 1675 naä) feinem
ßonbe auf unb erfocht am 28. in ber benfmürbigen <&d)lad)t bei
g e t) x b e 1 1 i n über eine fdjmebifdje #eere«abtrjeilung einen Sieg,
ber ben SRüdjug 2BrangeI« nadj Bommern jur golge t)attc unb
bem ^urfürften für ben fortgefefcten $rieg mit ben ©ebrängern
feine« ßanbe« bie s«8unbe«gcnoffenfcr)aft be« $önig« öon $>änemarf
unb be« gürftbifdjof« öon fünfter öerfäaffte, meldje fiel) in Bremen
unb ©erben ju tfjeüen gebauten.
93är)renb ber Äurfürft in bem folgenben Qatjre bie ©djmeben
au« bem größten Steile öon ^Sommern öertrieb unb im 3at)re
1678 mit Jpilfe $änemarf« audj bie 3nfel Stügen eroberte, bauerte
ber ®rieg ber SBerbünbeten gegen grantretet) am $ftt)eine unb in ben
flheberlanbcn fort, mobei in«befonbere bie ©aar* unb 2Kofelgegen*
ben öon ben granjofen in fdjrecfenerregenber SBeife öermüftet mur=
ben, ba Souöoi« e« für nötfjig t)ielt, bie beutfdjen ©renjtänber in
Söüfteneien ju öermanbeln, um ben geinben einen (Sittfall in granf*
reid) öon biefer «Seite au« unmöglich ju machen. Xrofc biefer ©er;
müftungen brang ber Jperjog öon Öot^rtngen im grüfjjatjr 1677
mit öierjigtaufenb Wann über bie ©aar unb trieb ben Sttarfcfjaü'
oon (£requi öor fict) t)er; ba jebodj bie im (£(fa& fte^enben föeict)«
trappen , auf beren SÖWmirfung er geregnet , buret) gefdutfte ©e=
megungen ber granjofen in ber 9lät)e öon ©trafjburg §urücfger)al;
ten mürben, mußte er fia), im dürfen bebrot)t , mieber über ben
föfjein jurürfaie^en. SBäfjrenb er fein >>eer in bie Sömterquartiere
öertt)cilte, gelang e« bem in (Silmärfdjen tjerangejogenen attarfdjaH
öon (Srequi, ba« midjtige greiburg bura) Ueberrafdmng ju erobern,
mobei ben ©iegern eine reiche ©eute in bie £>änbe fiel, ba bie ©e
mot)ner be« ganjen ©rei«gaue« ir)re ©d)äfe in biefe geftung ge=
Digitized by Google
Subnrigä XIV. erfte erobcninöSfricge.
flüchtet hatten. Qm folgenben Qahre, ba« für bic ©egenben be«
CberrtjeinS neue ^lünberungen unb Sttorbbrennereien braute, gingen
auch ßanbau unb Kehl für bie SBerbünbeten öerloren. Qn ben
ftieberlanben ^arte Submig unterbeffen im üttärj 1677 bie Seftungen
SBalencienneS unb (£ambraö erobert, unb nach einem am 11. 9lpril
t>on bem bringen oon Oranien bei SDcontcaffel gegen ben ^erjog
oon Crlean« unb ben SJcarfchaH öon öujremburg erlittenen lieber*
läge mar auch ©aint*Dmer in feine £>änbe gefallen, fo bafj ben
Spaniern öon ben zahlreichen belgifchen Seftungen nur noch ®ent,
ftamur, SttonS, Dftenbe unb 9lieumport öerblteben.
Um bie ©panier in ihrem eigenen ßanbe ju befchäftigen, fanbte
ßubroig ben SJcarfchall öon SRoatlleS im Satjre 1676 nach Kata-
lonien, ©djon im öorfjergefjenben 3°^re *)attc w oen auc*>
nad) ber 3nfel ©teilten öerpflanjt , nachbem in SJceffuta ein $luf=
ftanb gegen bie fpanifdje Regierung ausgebrochen unb bie s2üif^
rubrer ihre ©tabt unter ben ©djufc granfreich« gefteflt. @ine fron-
jöfifaje glotte unter bem Slbmiral bu DueSne mar ben oon einer
großen £aljl fpanifcher KriegSfchiffe ferner bebrüngten 2Rejftnefen
ju §ilfe gefommen, unb ßubmig, ber fich bereit« als ben §errn
t)on ©icilien betrachtete, fyattt ben Jperjog öon $iöonne sunt SBice*
fönig über biefe Snfel ernannt. SBon bem $>ofe öon SJcabrib um
§ilfe angegangen , fanbten bie ©cneralftaaten ein ®efcfm>aber öon
jelm Sinienfchiffen unb öier$efm Keinen 5ahr$eugen unter be föuüter
nach ben fkilifchen (SJemäffern ; aber bie #tlfe mar nicht au«=
reichenb, unb ber ftebjtgjährige 2lbmiral fanb im Kampfe gegen bu
OueSne ben £ob. $n einem hartnäefigen , aber unentfehiebenen
treffen, ba« beibe glotten am 8. Januar 1676 in ber 9cäf)e be*
ftetna einanber lieferten , mürben ihm burch eine fernbliebe Kugel
beibe $eine jerfchmettert , unb einige Xage fpäter erlag er ju
@örafu« feinen fieiben. (£ine neue ©eefchtacht bei Palermo , bie
mit ber öoflftänbigen ÜJtteberlage ber SBerbünbeten enbete, öerfdjaffte
ben gransofen ben Söefifc öon SJcejfina unb mehrerer anberer
Scütfajer ©täbte.
Cbgleidj ßubmig unter allen SöedjfelfäUen be« Kriege« im
ungemeinen ungleich größere Erfolge errungen f)atte als feine
©egner, far) er bodj bie Unmöglichfeit ein, baS Qicl $u erreichen,
für toeldje« er baS ©chroert gejogen , unb er mußte um fo mehr
toünfdfen , fich burch einen balbigen grteben ben bauernben *Beftfc
ber gemonnenen 93ortheile ju fichern, als feine Hilfsquellen ju öer=
Segen begannen unb ber SRuhm , ben feine 5elbf)erren auf bem
fricgefchaupla^e ernteten, baS äfturren beS Golfes über bie mach2
icnbe Saft ber Abgaben nicht mehr ju befchmichtigen öermochte.
$aju famen bie Unfälle ber ©chmeben in ihrem Kriege mit Q'änt
«ort unb SBranbenburg , bie eine 9tücffet)r bc« Kurfürften an ben
Digitized b^Google
76 fiubmig XIV. öon gratfrei*.
tRbein unb bie Berftärfung ber niebcrlänbifdjen glotte burtf) bic
bämfdje erwarten ließen, fomie bic Annäherung ©nglanbS an §oU
lanb, bie im $c$xc 1677 bereite bis jur Bermäfjlung ber $oa>
ter beS $rinjen öon gorf, beS ^weiten ©oljncS #arlS L# mit bem
grinsen öon Dramen, öorgefdjrttten war.
$ie3 Alles trieb ben &önig an , bie griebenSunterljanblungen
SU befdjleunigen , bie bereite im 3al)re 1676 in 9lömmegen er*
öffnet worben waren. Bor Allem mar er bebaut, bie $otIänber öon
ifjren 93unbeSgenoffen ju trennen , um ben Se&teren , bie bei ir)rer
finanziellen ©rfdjöpfung nidjt in ber Sage waren, ben $rieg allein
fortjufefcen, ben grieben öorfdjretben ju fönnen. $>a er, um ju
biefem Siele ju gelangen , ben ®eneralftaaten bie günftigften Be=
bingungen in AuSfid&t ftctltc r ließen ftdj bie $>odjmögenben , benen
ofmet)in ÜftidjtS erwünfcf)ter fein fonnte , als eine mi)glid)ft rafdje
Beenbtgung beS Krieges , baju bewegen , i^re BunbeSgenoffen,
benen bie Sftepublif iljre Rettung öerbanfte, fdjmäfylidj im ©tidje $u
laffen unb am 10. Auguft 1678 mit granfreia? einen ©eparat-
trieben $u fdjließen, ber fte im Befifce ifjreS gefammten ©ebieteS
ließ unb fogar bem sJkin$en öon Dranien bie £erfteHung beS gür^
ftentljumS Drange jufagte, baS £ubwig im gafjrc 1660 mit ge*
wolmter 2Biöfür eingebogen unb bem Gebiet öon granfreid) ein*
öerleibt t)atte.
9ßär>renb bie föepublif $olianb öoöftänbig ungefdjäbigt aus
einem Kriege fjerüorging, ber ifyre SBermtf)tung jum Qioecfc gehabt,
mußten tfjre ber SBtßfür ßubmigS preisgegebenen 53unbeSgenoffen
ben grieben burd) me^r ober weniger große Dpfer erfaufen. Bon
Spanien er j Wang ßubwig in bem am 17. ©eptember 1678 unter*
$eidmeten griebenSöertrag bie Ueberlaffung ber grandje=ßomt£ unb
bie Abtreiung öon feefoefm feften <ßläfcen in ben fpanifdjen 9he*
berlanben. $er 9tütftritt ©pantenS öon bem ßtiegSfdjauplafce nö*
t^tgte and) ben ®atfer $ur Annahme ber öon granfreidj geseilten
Bebingttngen. Am 5. gebruar 1679 fdjloß er für fidj unb baS
föeid), gleidjfaHS ju sJtymmegen, mit ßubwig einen grieben, in wel*
d>em er bemfetben , gegen bie Berjid)tleiftung auf baS BefafcungS=
redjt in «ßr)ilippsburg , öon feinen eigenen Bedungen bie öon ben
granjofen eroberte geftung greiburg mit einer SDülttärftraße öon
bort bis Bretfad) überließ unb im tarnen beS SReidjS in bie Ab-
tretung ber grand>e*(£oint£ roiUigte. £aS ^erjogt^um ßotyringen
folltc l^art V. jurüefgegeben merben, aber nur unter ber Söebingung
ber Ueberlaffung öon sJiancö unb ßongtüö an granfreic^ unb ber
Bewilligung öon brei weiteren $eerftraßen öon einer falben fLRcilc
Breite nad) Burgunb unb bem @Ifaß. ^sa S'arl V. fic^ weigerte,
auf biefe Bebingung cinjuge^en, blieb fein Sanb öon ben granjofen
befe^t.
Digitized by Google
SubroigS XIV. ©croaltt^tttiflfcitcn gegen 3>eutfd)lanb, Spanten jc- 77
Sa in bem grieben bon SRbmwegen — ber beutfdje SBoflSwifr
nannte ifjn ben grieben „SRimm weg" — ben ©djweben aüed ju-
gefprodjen worben, was fte im Kriege gegen 93ranbenburg , $äne*
mar! unb ÜRünfter berloren Ratten, fa!) fiä) ber fturfürft bon ©ran*
benburg , ber für fia) allein ben Ärieg nid>t fortfefcen fonnte , in
golge ber Verheerung feiner weftfälifdjen ©efifcungen burd) ein
franjöfifdjeS £eer gezwungen, in bem am 29. gnni $u 6t. ©er-
"main en ßabe mit granfreiä) abgefdjloffenen grieben auf baS ben
Sieben entriffene Vorpommern Ver^t gu leiften, unb ging fo-
mit oljne ©ewinn aus bem Kriege fjerbor, in welkem er eine nid)ts
weniger als uneigennüfcige 9Me gefpielt. 2lud) Sänemarf mürbe
burd) einen (Sinfaö franjöfifdjer Gruppen in fein olbenburgifdjeS
Öeoiet gelungen, allen Sßortfjeilen ju entfagen, bie eS gegen bie
Schweben errungen §atte.
t'ubraigä XIV. öewalttl^ätigfciten gegen 2>eutfd)laitb, Spanien;
unk tjerfä}icbene italientMe «Staaten.
(1679-1685.)
Üflit bem 9Ibftfjluß beS griebenS bon Stmnwegen mar ßubmig
bem 3tele feiner auswärtigen ^ßolüif, ber ^crftcUung einer 2lrt
CberletyenSfjerrfdjaft über alle Staaten (Suropa'S, um einen bebeu-
tenben ©abritt näfjer geniert, unb mit berboppeltem @ifer unb ber-
boppelter SRütffidjtSlofigfcit fdjritt er auf ber betretenen SBafm weU
ter. 23äf)renb er auet) nad) bem griebenSfä)luffe fein £>eer auf bem
SriegSfuße erhielt unb feine ©ecmacrjt unabläffig ju oerftärfen be=
müljt war, fudjte er feine Qtotdt gugleia) buret) 33cfted)ung unb bi-
plomatifdje Stanfe $u förbern. Söie er unabläffig barauf aus warr
bem Äaifer burd) ^ufreijung ber Ungarn ober ber dürfen $er=
legenfjeiten 511 bereiten, um bie 3Kad)t DefterreidjS 51t paralüfiren,
fo wußte er burdj r)ofje Safjrgelber bie etnflußretdjften ÜUätglieber
beS englifdjen SftinifteriumS unb Parlaments in fein JJntereffe $u
jiefjcn. $aS gleite ©bftem befolgte er in noct) umfaffenberer
Seife unb mit nod) größerem ©lüde in 3)eutfd)lanb, wo $al)lreidje
Staatsmänner unb ©ele^rte in franjöfifdjem ©olbe ifjren Öanbs*
leuten bie SMnung beizubringen fugten, baß nidjt nur 5)eutfa>
lanbS §eil im engften 2lnfd)luffe an granfreia) liege, fonbern baß
eS au<| bie t)öd]fte <£t)re fei, bem ©iegeSWagen beS franjöpf^en
DiftatorS ju folgen. ©0 würben bie meiften beutfäen #öfe, fofern
fte nic^t bereits im ©djlepptau granfreidjS waren, in baSfelbe hinein*
gejogen. 3n Italien ftanb bie 9fteljr$al)l ber freien gürften oljne-
lim aus SBeforgniß bor ber fpanifd&en aJiacf)t in biefem fianbe auf
Digitized by Google
78
öubtoig XIV. üon granfreicf).
granfreich* ©eite. ?luch in bcn ©djweijer Kantonen, bereit frieg*=
luftige Sugenb aablreicf) unter ßubwig'* gähnen biente , mar ber
franjoftfehe (£influ| fo überwiegenb, ba& er gerabeju bie SBefchlüffe
t>er Regierungen beftimmte. Qu ber gleiten SBeife gehorchte
©chweben, ba* bem SBeiftanbe granfreich* bie föüeferftattung feiner
beutfehen ßänber oerbanfte, ben SBinfcn be* franjöfifchen 9)fachtbaber*.
28a* bie erftrebte Erweiterung ber ©renken feine* fRetc^e^ be*
traf, fo mar Subwig weit entfernt, fid) mit bem $u begnügen, wa*
ihm bie ftömweger Vertrage eingebracht. $er griebe fottte nur jur
öeru^igung be* ßanbc* unb jur Slnfammlung neuer Stäfte für
weitere friegerifche Unternehmungen bienen, emftweilen aber foßte auf
bem SSege brutaler ®ewaft bie Schwäche ©eutfdjlanb* unb ©panien*
ju neuen ®ebiet*erwerbungen ausgebeutet werben.
55a bei bem 9lbfcf)lu& be* Stieben* öon Scnmwegen bie faifer*
liefen ÖJefanbten fich mit einer Betätigung be* weftfältfehen grie=
ben* begnügt hatten, ohne auf ber SReftitution ber elfäffijchen
9*ekh*ftäbte unb reich*ritter liehen (Gebiete ju beftehen, bie oon
granfreich wiberrechtlich befefct worben waren, \kit Subwig fich fü* be=
rechtigt, bie* al* eine ftillfchweigenbe Slnerfennung feine* (Sigen*
thum*recht* auf biefelben anjufehen, unb forberte bemgemäfc im
3ahre 1679 bie föeich*ftäbte unb bie 9leich*ritterfchaft im @lfa&
jur förmlichen ^mlbigung auf. Swö^ich ftc^e cr an a^c unmittel*
baren 9teich*ftänbe, bie früher ju ben brei lothringifchen 5öi*thümern
$cefc, Xoul unb SBerbun in einem ßehen*üerf)ältniffe geftanben, bie
gorberung, ihn al* ihren Oberherm anjuerfennen, weil bie SRedt)tc
ber gebauten Bifchöfe auf ihn übergegangen feien. 3m folgenben
Qahre würbe auf ben SBorfchlag Souooi*', ber im Qntereffe ber
Nahrung feine* eigenen ©influffe* bie (Sitelfeit unb SRuhmbegierbe
Subwig* planmäßig bearbeitete, um beffen Gtyrgcij ja nicht §ur
9hif)e fommen $u laffen, eine genaue Unterfuchung über alle Die-
jenigen Territorien unb Stäbte angeorbnet , welche mit ben im
fünfter' fchen unb 9h)mweger grieben abgetretenen ®ebiet*theilen
be* beutfeheu deiche* ober Spanien* in früherer ober fpäterer Qcit
in Sehen*oerbinbung ober anbern Beziehungen geftanben hätten, ba=
mit biefelben, al* in ben gemachten Abtretungen einbegriffen, gleich1
fad* in Befifc genommen werben fönnten. Qu biefem Qwcde wur*
ben ju 9Jcefc, Befancon, Breijach unb Xournaty befonbere Bericht**
höfe unter bem Ücamen 9teunion*fammern errichtet, welche bie
öon ihnen al* $epenbenjen ber abgetretenen Säuber unb Stäbte
anerfannten ©ebiete mit granfreich wieber oereiuigen follten.
2)ie $Reunion*fammern ju TOe^, Befanson unb dreifach erflärten
ba* ganje ^erjogthum Sweibrücfen, obgleich ba*felbe bem Bunbe**
genoffen granfreich*, bem ftönig ®arl XI. oon Schweben, gehörte,
Saarbrücfen, Belben$, Sponheim, 3#ömpelgarb, Sauterburg, ®ermer**
Digitized by Google
fiubnngä XIV. ©ewaltttjcitigtetten gegen $>eutfd)lanb, Spanien 2c 79
heim, Hornburg, 53it)d), galfenburg unb Diele anberen Stäbte unb
^cjtrfc für alte Ssepenben jcn ber neuerworbenen ^roöinjen unb
ipradjen bem ßönig oon granfreich bie Oberhoheit über biefetben p.
Subtoig Ue& hierauf bie gürften unb (trafen, benen bicfe ©ebiete
gehörten, jur Jpulbigung Dorlaben, unb ba ftiemanb erjdnen, mur*
ben bie fraglichen „$epenben$en" als öermirfte fielen mit ©emalt
in Söefife genommen.
3n ähnlicher SBeife würben burch bie föeumonäfammer oon
Xoumati öerfduebene bem Könige Don Spanien gehörige nieber*
länbifcfte ^Btcibtt unb £>err}d)aften, barunter bad gan$e #erjog*
tljum ßujemburg, als $)epenbenjen ber im Mrenäifdjen, Aachener
unb 9lrjmweger grieben abgetretenen ©ebiete bem ftöntg oon granf*
reich jugeförochen. 2Kit bem gleiten fechte, ba* bei biejen
9teunionen geltenb gemalt mürbe, Jjätte Submig gan$ $)eutfchlanb
„renniren" tonnen, ba an jebe £epenben$ fidj immer eine anbere
anfchloö-
Vergebens fugten fomof)! ber ftaifer als ber föeichätag ju
föegenaburg burd) iöorftettungen ben Anmaßungen ßubwig'ö entgegen
ju treten, inbem fie bie örunblofigfeit {einer Anförüche auf bie reu^
nirten ©ebiete burdj bie unwiberleglichften 9iecht$grünbe nachmiejen.
gubnrig ttriüigte ^war, um fich ben Anfleht ju geben, al£ fei er
weit entfernt, (&emalt öor 9ted)t gehen laffen $u motten, in bie Söe*
fchicfung be$ oon bem 9ieict)c jur Ausgleichung be$ entftanbenen
3nrifte£ in Sßorfchlag gebrauten ©ongreffeä, ber In granffurt abge=
halten werben fottte ; aber noch ehe oer Reichstag in feiner gewöhn*
ten SchioerfdUigfeit fich über bie bei ben ^ertjanblungen $u bcobaty
tenben görmlidjlichfctteu imtte einigen fönnen, geigte ein neuer ©e=
mattfehritt £ubwig'ä, mie wenig berfelbe gemittt mar, fich burdj
^techt^grünbe unb Skrhanblungen in ber Söefriebigung feiner 9iaub=
gelüfte aufhalten 511 laffen.
Cbgleia) bie ©tabt Strasburg, beren Söichtigfeit als
$auptfchlüffel jum Steine uno büm deiche fc^on $arl V. burch
ben AuSfpruch bezeichnet ^atte : „2Benn SBien unb Strasburg $u=
gleich in ©efat}r mären, jo mürbe er juerft Strasburg ju retten
juchen", bei ber Abtretung beS (SlfaffeS in bemgrieben oon fünfter
ausbrücflich aufgenommen morben, mar £ubmig entfchloffen, fich
berfelben yi bemächtigen, wofür ihm ber llmftanb, ba& ihm bie 9teu=
nionstammer $u dreifach ba* g a n 5 e ©Ifaft jugefprochen, einen
erwünschten Sßormanb bot. jftadjbem mehrere franjöfifche 9tegi=
menter ganj in ber 8titte in ba* (£lfaB eingerüeft maren unb §trafc
bürg eingejchloffen hatten, erfchien am 29. September 1681 i*ou*
ooiS felbft mit einem Speere öon jmanjigtaufenb SDiann unb $ahl*
reichem itöelagerungSgefchüfc oor ber 3tabt unb forberte bie beftürj*
ten ©inmohner auf, fich 5« ergeben, wibrigenfall* er fie als >Jie*
Digitized by
80
ßubtöig XIV. Don grtmfreid).
beflcn bezaubern werbe, $a Subrotg für biefen fct)on lange cor*
bereiteten $anbftrcia} einen Xt)cil be* 9Jcagifrrat* bura? ©eftedjung
gewonnen hatte unb bie angefeljenften Kaufleute eben auf ber granf*
furter SCReffc waren, aua? bie Stabt au* gurd)t öor granfreia) bie
Slufnafjme einer faiferlidjen Söefafcung üerweigert fjatte, gab bie *8ür*
gerfefjaft jeben ©ebanfen an SBiberftanb auf unb fdjlo§ fdjon am
folgenbcn Sage mit Souooi* eine Kapitulation, in welcher fie, gegen
bie 3ttP4etttiig ber 2(ufrea)tlmltung it)rcr bürgerlichen SBerfaffung
unb i!)re* coangelifa^en föeligtonSWefen* nad) bem 9<ormaljat)re
1624, ben König bon granfreidj al3 Dberf)errn anerfannte, beffen
Xruppen aufzunehmen berfprad? unb ben Katf)olifen bie 3urütfgabe
ber $omfircf)e jufagte. 9caa)bem £ouooi* noch an bem nämlichen
Sage in bie Stabt eingebogen, lieg er bie Bürger, bie aHe ihre
Staffen auf bem 9tat^aufe Ratten abliefern muffen, bem König bon
grantreich (jnlbigen.
211* Submig XIV. am 23. Dftober mit feiner ganzen gamilie
unb einem zahlreichen glänjenben ©efolge in Strasburg erfd)ien,
würbe er unter bem portale be* fünfter* bon bem ihm ganj er*
gebcnen SBifdjof granj (Sgon bon gürftenberg, ber nicht wenig 511
bem ©elingen be* Ueberfafl* betgetragen, mit ber söerficherung em=
pfangen: „2ßie ber alte Simeon, fo fönne auch er fagen, ba§ er
ba* (£nbe feiner Sage mit greuben erwarte, ba ber 9cachfomme be*
©rünber* be* 3)ome* wieber al* fein £err in benfelben ei«jicr)e. "
3ur Erinnerung an ba* mistige @reigui§, burch welche* ba* ftärffte
rocftlidje Söollwerf be* 9teid)e* ohne einen Sdjroerrftmd) in feine
Jpänbe gefommcn, lieft Öubwig eine 5)enfmünje prägen mit ber
3nfd)rift: »Germanis Gallia clausa — ©aflien ift ben Seutfchen
berfdjl offen", unb trug jugleich Sorge, bie m iberrechtlich in söefty
genommene Stabt burch bie Anlage einer ungemein ftarfen Sita-
belle \u einem £>auptwaffenpla$e granfreich* 311 machen, burd) meU
chen tr)m ber (Einbruch in ba* fübüdje SJeutfchlanb ungemein er*
leichtert mürbe.
Unterbeffen war ber Kongreß $u granffurt cnblich eröffnet
worben; aber anftatt zugleich mit allem 9cad)brucf bie Rechte be*
Reiche* gegen bie freien Eingriffe granfreich* ju magren, berloreu
bie beutja^en $lbgeorbneten ihre 3«t in enblofen Strettigfetten über
bie fleinltchften ©tif ettenfragen : über bie Reihenfolge ber gegenfei*
tigen ©efua)e, über bie ^ßläfce an ben Sujung*tifchen unb berglei*
a)en mehr. $lud) entfpann fict) ein Qtotft mit ben franjöfifdjen Mb*
georbueten über bie Sprache, in welcher bie >8erhanblungen geführt
werben follten. SBä^renb bie beutfehen ©efanbten bie ^-Beibehaltung
Der in allen biplomattfchen ^er^ältniffen bi* bahin üblich gemefenen
lateinischen Spraye oerlangten, obgleich bie beutja^en Staatsmänner
felbft in ihrer Korrefponbenj fid) ber franjöfijchen Spraye bebien*
Digitized by Google
Subroigä XIV. ©enmlttljätigfeiten gegen 2>eutfd)lanb, Spanten ic. 81
ten, beftanben bie franjöfifdjen mit um fo größerem ©tgenfinn barauf,
baß in ifjrer Spraye öerljanbeit merbe, als fie in biefem 3ttnft ein
emmnfdjteS 9Jcittel fanben, bie Unterfjanblungen in bie £änge $u
Steden, um ifjrem ßönig Seit ju öerfdjaffen, burä) Unterftüfcung ber
rebellifdjen Ungarn unb Aufreizung ber Surfen 5U einem neuen
Kriege gegen ben Äaifer bie SBiberftanbSfraft Defterreid)3 ju lahmen.
Um ftd> für ba& gef)tfd)lagen ber Hoffnungen , bie er auf ben
Sürfettfrieg gefefct, $u entfdjäbtgen, befd)loß £ubnrig, welker auf bie
oon ganj ©uropa mit Qubel begrüßte 9tadjrid)t öon ber Befreiung
SBienS fidj im Uebermaß be3 Unmuts, ein Unmofjlfein öorfdulfoenb,
brei Xage lang in feine ©emädjer eingejdjloffen fyatte, ßujremburg
unb Zrier in feinen BefuJ $u bringen. 3m jJloöember 1683 rütften
bie 3Barfd)älle $mmi&re3 unb (£r£qui in bie fpanifctyen lieber lanbe
ein, unb mäfjrenb ber (Jrftere Sourtrotj unb $)irmuiben roegnafjm,
jroang (Srequi ßujemburg jur Ergebung. 5)a fia) ju ber gleichen
3eit ein franjöfifdjeS Jpeer gegen SftouffiHon in söetoegung )e$te,
blieb bem Jpofe öon Sftabrib ÜRidjtö übrig, als an granfretdj ben
Äxieg $u erflären. 3n$mifd}en toar Erdqui in ba$ ©rjbiätfmm
Xrier eingefallen unb fjatte bie Belagerung ber $>auptftabt begonnen,
bie ficf> am 15. 3uni ergeben mußte. 9kä)bem audj biefer Sdjlag
gelungen mar, ließ Subttrig bem 9teid)3tag ju SRegenSburg einen Staffen*
ftiöftanb anbieten, obgleich man fid) gar ntdjt im Srrieg^juftanbe
befanb, unb ba bie Streitfrafte be£ ®aifer$ burdj ben fortbauern*
ben ßrieg mit ben Xürfen in Anfprud) genommen roaren, brachte
e$ ber fhirfürft öon Branbenburg, ber ftd) jefct ganj bem franjö*
ftfrfien Qntereffe ergeben jeigte, bafjin, baß ber neue fdjreienbe ©in*
griff ßubnngä in bie Siebte be3 9teia)3 ungeafmbet blieb unb bie
angebotene 2Baffenruf)e angenommen mürbe. ©0 fam am 15. Auguft
1684 pu 9tegen3buTg jttrifcfjen bem ®aifer, bem SReid) unb Spanien
einerfeitö unb ber Stone granfreid) anbererfettä ein Vertrag ju
Stanbe, fraft beffen bie lefctere bis jum 2lbfd)luß eine« bemnädtft
ju oereinbarenben befinitiöen griebenä im ungeftörten ©efifc aller
feit bem 9tymmcger grieben gemalten Erwerbungen bkibtn joüte.
2Bie $eutfdjlanb unb Spanien, fo mußte aud) gtalien ben
Uebermutb, SubmigS unb bie SBirfungen beä öon bemfelben erlange
ten Uebergenud)t§ ferner empfinben. 9*ad)bem granfreia) bereite
im ^rieben öon (Sljieraäco (f. ©b. V. 6. 666) in ben «efifc ber
roia)tigen geftung «ßignerol gefommen mar unb baburdj feften guß in
gtalien gefaßt ^atte, ftrebte ber #önig nad) bem (Srmerb ber in bem
mantuanifdjen Anteil öon 2ttontferrat gelegenen geftung (£ a f a l e,
bie für einen Singriff auf bie fpanifc^en Öeftfcungen in Dberitalien
ben bequemften ©tü^punft bilbete, unb eä mar t^m gelungen, ben
hnberlofen ^erjog Ä'arl IV. oon 9Kantua , ben Urenfel #arlä öon
Feuers, im ^ejember 1678 ju einem geheimen Vertrage ju be-
^olatoart^, 3B«Itflefa)ia)te. VI. 6
Digitized by^OOgle
82 fiubrotg XIV. Don grantreicb,.
wegen, in meinem i$m bcrfelbe gegen bie ga^ung öon fjunbert=
taufenb ©cubi baä ©efafcungärecht öon (Safale einräumte. Qnbeffen
erlangten Defterreicf) unb Spanien ®enntnifj öon biejem Vertrage,
ef)e eä ßubwig möglich gewefen, Xruppen nach (£afale $u bringen,
unb ba ber ®önig in ©rfafyrung gebracht, ba& ber ©taatäfefretär
beä fterjogä öon SRattttta, ber ©raf SRattiolt, ber Vermittler
be3 ermähnten Vertrag«, ba« ®eheimni& an ©aöoüen öerfauft fw&e,
lieg er benfelben, nachbem man ihn auf franjöfifche« ÖJebiet gelotft,
gegen alle« Völferrecht in einer einfamen SBalbgegenb öerhaften unb
bei bunfler 9cad)t unter einem fremben tarnen auf bie geftung
s$ignerol bringen. 211« ber ©ouöerneur berfelben, ©t. 2Kar«,
balb barauf nach ber Snfel ©t. 9)cargucrite öerfefct würbe,
mu&te ihn aJcattioti borten begleiten unb ihm fpäter al« ©t. 2Kar«
jum ftommanbanten ber 93aftiüe ernannt morben, auch in biefe«
©taategefängnifc folgen, wo er unbefannt unb öergeffen ftarb l).
$ie Vefe&ung öon Safale burch eine #eere«macht öon $wölf=
taufenb 9flann unter bem Vrigabegeneral (Xatinat erfolgte, nachbem
ber #of öon Xurin bie (Srlaubntfi jum $urch$ug berfelben burd)
ba« ^temontefifche erteilt hatte, an bemfelben Jage, an meinem
Souöoi« in ©trafjburg einjog.
3)ie Vefifcergreifung öon (£afale burdj granfreich gab £ub*
mig XIV. im %afyxt 1685 Veranlaffung, auch ber Üiepublif ®e=
nua, bie fich fett ben Seiten be« Änbrea« $)oria, eingeben! ber
früher öon granfreich erlittenen Unterbrücfung, auf ber ©eite ©pa^
nien« gehalten, ba« öolle (Gewicht feiner $)lad)t in ber übermütfug*
ften SBeife fühlen ju laffen. S)a bie ©enuefen ben Xran«port öon
£eben«mitteln für bie Vefafcung öon Safale burd) il)r (Gebiet nicht
geftatten wollten, fanbte ßubmig im 9Jiai 1684 eine gewaltige
glotte unter bem Mbmiral bu Que«ne unb bem äRarqui« öon
©eignelai, bem ©ohne be« ginanaminifter« Solbert, nach ©enua,
um öon ber ©ignoria bie Auflieferung öon öier ©aleeren unb bie
(Smtfenbung einer ©efanbtfchaft nach Verfaille« ju öerlangen, bie
ben ®önig wegen ber ihm jugefügten Veleibigung um Verjeifjung
bitten unb ifm ber öollftänbigen Unterwerfung ber ©tabt öerfid)ern
foßte, unb ließ auf bie Steigerung ber (Senuejer, biefer empörenben
gorberung nachkommen , gegen bie ©tabt ein Vombarbement er*
öffnen, ba« in berfelben fo furchtbare Verheerungen anrichtete, baß
1) $ie[er ©raf SJcarh'olt ift aller 3Ba^rfd>cütlict)feit natf) jener geheimnifc
oofle (Staatsgefangene, ber unter bem tarnen „ber SRamt mit ber eijernen
sJDia«fe" befannt geworben, »eil er nie anber« als mit einer fdjtoarjen 3RaSfc
gefeiten tourbe, bie übrigen« feine eiferne, fonbern oon Sammt mar. SDie
ängftlict>c Sorge, mit roeldjer man e« öerf)üten fudjte, bafj ber ©efangene
erfannt werbe, ermeefte ba§ Sntereffe für benfelben nur in um fo ijöberem
ÖJrabe unb gab SSeranlaffung yu ben oerfa^iebenartifljten Vermutungen über
Digitized by Google
SubtotgS XIV. britter groberungSfrieg.
83
bie ©ignoria, um bic gänzliche Söernidjtung ber Stabt abjumenben,
ben *8efd)lut3 faßte, fid) in ba3 Unoermeiblia)e ju fügen, $n einem
im gebruar 1685 gefa)loffenen SBergleiO) oerftanb fic| bie föepublif
ba$u, allen gorberungen granfreid)* Genüge $u leiften, bie Soften
be4 ^ombarbementä ju erfefcen unb ben $>ogen granceSco 2flaria
beglt gmperiali mit oier Senatoren nad) iöerfaiHe* ju fenben, um
öor bcm Äönig bemütfnge Abbitte bafür $u tfmn, bafj fte eä ge*
roagt, feinem SBiflen entgegen ju fein. Sit« man bem $ogen,
einem ttmrbigen unb geiftreidjen 2ftann, nad) erfolgter Abbitte bie
Sehenärourbigfetten be3 pradjtooHen #önigafi|je3 jeigte unb ilm ba*
bei fragte , toeldje oon ben üielen Seltenheiten am meiften fein
Staunen errege, gab er jur ?lnnoort: „$ie, mid) t)icr ju fehen."
gubtoigä XIV. britter groberuuggfrieg.
(1638-1697.)
Xie 33ereittt)i0igfeit , mit weldjer fotuobl Spanten alä ba$
:Heid) auf ben oon granfreidj oorgefd)lagenen unb nur für bic*
jeS Sanb bortheilhaften SBaffenftiüftanb eingegangen, t)atte ßub-
toig XIV. auf* 91eue bie ganje Sd)ttmd}e feiner Gegner enthüllt
unb ihm gezeigt, ma£ er fid) 2llle3 gegen biefelben erlauben fönne;
er f abritt bafjer mit ber äufcerften Verhöhnung alle* SRedjtea auf
ber 29afm ber SReunionen toeiter fort. So ließ er bie im (£lfa&
belegenen Güter be$ beutfdjen Drbenä, fomie bie beS Strafjburger
$)omfapitel$ unb ber greiburger Unioerfität einziehen unb bei
Rüningen ein gort errichten unb eine SBrüde über ben 9%r)ein fdjla-
gen, bie jum %fyt\l auf einer bem SDlarfgrafen oon $Baben=2)urlad)
gehörigen 9ir)eininfel ruhte, beren Abtretung gebieteriftt) oerlangt
würbe. $um offenen ©rud) be$ gefd)Ioffenen SBaffenftiflftanbe*
burd) bie Erneuerung beS Kriege* in S)eutfä)lanb mürbe nur auf
eine Gelegenheit gemartet, bie bem länberfüa}tigen ftömg einen
neuen Gebiet3äutoad> in SluSfidjt ftelle.
$iefe Gelegenheit fduen ftcr) im gafjre 1685 barjubieten.
fturfürft ßarl bon ber $falj , ber 9tad)folger £arl Subtoig* unb
ber lefcte männlid)e Sprößling ber reformirten Simmernfajen ßinie
be3 furpfäl$ifd>en §aufe3 ftarb in biefem 3ar)re unb bie fatho*
Ufd)e £inie $fal^9leubiirg , beren £aupt ^faljgraf SBü*
heim, ber Sa)ttnegeröater be$ ßaiferä mar, foüte nun in ben
Sejtfc ber furpfäljifchen Sänber !ommen. 2>a aber ßubmigä XIV.
«ruber, ber £>er$og Philipp oon Drleanä , mit ber pfäl*
Alchen ^rinjeffin ©lifabeth Charlotte, ber Schtoefter beä Oer*
Torbenen fturfürften, oermählt mar, erhob ber Stönig im tarnen
6*
Digitized
84
fiubioig XIV. Don granfreicf).
fetner ©chtoägerin ttnfpruch nicht nur auf bie bewegliche hinter*
laffenfdjaft be« fieberen, fonbern auch auf bie furpfäfaifchen Slllobien,
obgleich bte ^erjogin oon Orleans bei ihrer Vermahlung in boll-
ftänbig giltiger SBeife auf if>r (Erbrecht SScrsic^t geleiftet , ma&te
fia) felbft bie UnterfuAung barüber an, meldte Pfeifchen XerrU
torien OTobien ober fielen feien, unb berlangte bid jur (SntfcheU
bung biefer Angelegenheit bie Ueberlaffung be$ gefammten fur=
pfäl$ifdjen ©ebietefc.
$ie näa)fte golge biefer neuen Verlegung ber fechte unb
3ntereffen beS ^Reiches burct) ben franjöftfcfjen ®eroalthaber war
ber Slbfchlufj eines 93ünbniffe3 ättufchen bem $urfürften uon $Bran=
benburg, ber inattrifchen bezüglich granfreichS jn feinen früheren
Slnfchauungen prüdgefehrt mar, unb bem ®aifer, mit roelchem grieb=
rieh 2öilhelm feit einiger Seit megen ber oon ihm beanfpruchten
fdjlefifchen |)erjogt^ämer ^ägernborf, ßtegntty, SBrieg unb SBohlau
in gtuiefpalt gelebt r)atte. Qu bem am 8. 2Jcai 1686 $u ©erlin jnrifchen
Setben abgefdjloffenen Vertrag berpflichtete fid) ber $urfürft, unter
*8er$ichtletftung auf bie fraglichen .£>erjogthümer gegen bie Ueber-
laffung be$ ju ©chlefien gcfjörenben ©chnriebufer ®reife§, jur naaV
brücflict)ften 90?itnrirfung für bie $lufrechthaltung ber SRedjte aller
9teid)3ftänbe gegen Angriff unb ®etoalt, inSbefonbere ber be3 neuen
$urfürften bon ber $fatj. gmei Sttonate fpäter, am 9. Quli 1680,
fct)Ioß ber ftaifer ju WugSburg mit Spanien, ©djroeben, bem Shtr-
fürften bon Katern unb ben am regten Ufer be3 DberrheinS au-
fäfftgen Surften unb ©täuben ein öünbntfi jur (Erhaltung De^
grtebenS unb be§ SRegenSburger SSaffenfttflftanbeS.
$ie Nachricht üon bem Abfdjtuffe biefe$ ©ünbntffeS fam bem
Äonig bon granfreich nicht unmiflfommen , ba (te ihm einen *Bor=
toanb ju bem geplanten Kriege gegen $eutfchlanb bot. Vorher
wollte er fid) jebodj beä (£rjbi3thum3 ®öln berfichern , beffen (£r=
lebigung in ber ®ür$e ju erwarten ftanb. $n biefem (Shtbe muffte
er e£ bafjiu ju bringen, bafj ein $beil beS $omfapitelä ben auf fein
Verroenben jum ®arbinal ernannten SBifcuof oon ©trafiburg, 2Bilf)elm
ton gürftenberg, ben ©ruber unb Nachfolger be$ im Qabre 1682
beworbenen gran$ (Sgon , jum ®oabjntor beä feinem @nbe ent*
gegcngehenben .^urfürften ^ajimilian Heinrich wählte. $apft 3nno*
cenj XI. berwarf aber bie uncanonifchc SBacjl. Wach bem $obe beS
^urfürften tourbe Jürftenberg, obfdjon ber ^ßapft fich gegen ifm an^=
fprach, benttoch t)on breijef)u Domherren jum ©rjbifchof gcmätjlt, roä>
renb bie neun anberen it)re ©timmen bem baierifchen ^rinjen 3ofeph
©lernend , bem «ruber beä turfürften SWa^tmilian Immanuel , ga^
ben. 5)a aber nach bem canonifchen fechte ein Sifchof für ein
anbereS ©idthum nur poftulirt roerben fanu unb h^rju, im Salle
ein 2Baf)lbcrechtigter mit ihm coneurrirt , eine 9)cehrhett oon jtt)ci
Digitized by Google
Subroig* XIV. brittcr GroberungSfrieg.
85
^rittljetfen ber Stimmen crforbcrt tturb, erflärte $apft ^nnocenj XI.
am 20. September 1688 bie SBa^l gurftenberg* für ungiltig unb
bestätigte bie be* baicrifc^en ^rinjen.
Xa* gehlfdjlagen feiner Hoffnungen auf bie ©rfjebung feine«
Schübling* auf ben Äölnifdjen Stuhl , toerbunben mit ber fta^ricftt
neuer Siege ber ftaiferliehen in bem Xürfenfriege , bie ba* balbige
£nbe beäfelben in SluSficht fteüten , bemog ben flönig , ben be*
ichloffenen &rieg nict)t länger aufjufdneben , fonbem burdj ben un=
erwarteten beginn be*felben bem bebrängten Sultan eine fräftige
$>u>erfton $u mad)en. 2lm 25. September 1688 rücfte ber Dauphin
mit einem Speere öon achtjigtaujenb Sttann in bie 9theinpfal$ ein,
nadpbem am üor^erge^enben Xage bie ®rieg*erflärung Subttrig* nach
ÄegenSburg abgegangen. 3n biefem ättanifefte erflärte ßubttrig:
„<£r fei jum Kriege gelungen, roeU ber ffaifer bie &bfid}t ^ege, mit
ben dürfen grieben ju fchliejjen , um feine SSaffen gegen granf*
reidi $u teuren, weil femer ber ®urfürft bon ber $falj fidj tt>ei=
gere , ben Slnfprüchen ber Herzogin öon Orleans auf bie (Srbfdwft
ihred trüber« geredet ju werben, unb bei bem $aifer Unterftü^ung
für feine ungerechte Steigerung fudje, unb roeil enblich ber Söiener
4)of ben mit bem Könige befreunbeten ®arbinal bon gürftenberg,
ben ein be* Xomfapitel* ju #öln $um ^r^bifc^ofe erroählt,
üon biefem Stuhle berbrängt unb bie 2Baf)l be* baierifcr)en $rin$en
.Csofcpt) lllcmen» burdjgefefct tjabe in ber s2lbjtcf)t, tjicburd) ba* baU
bige ?lu*fterben be* baierifchen $aufed $u beförbern; boef? habe er
bie SSaffen nur ergriffen, um feinerfeit* ade« $u thun, roa* jur
Bidjerüellung eine« allgemeinen Sftuheftanbe* für bienlidj erachtet
werben fönne. @* roerbe nur an bem $aijer liegen, biefem 9hihe~
ftanbe burd) bie Söerroanblung be* ju föegen*burg gesoffenen
SSaffenfiillftanbe* in einen befinitiben grieben immermährenbe
3)auer $u berjajaffen. 5)en Anfang ^abe er mit ber Belagerung
ber föeidjäfeftung ^t)ilippöburg machen laffen f nicht um ba* Ktiqj
anzugreifen, fonbern um ben (Gegnern ber töulje ben Eingang in
fein Königreich $u berfperren, unb er roerbe jur SBeförberung be*
abjufajIieBenben 3)efinitibf rieben* gern bereit fein, biefe Stabt
nach Schleifung ber geftung*roerfe unter ber Bebingung jurürfau*
geben, baß bie Söerfe niemal* mieberhergeftetlt roerben unb bie $ur
Sicherung ber franjjöfifcfjen ©renje angelegten gort* Rüningen unb
&>ui* feine Beeinträchtigung erleiben bürften."
ßeopolb übertrug bie Slbfaffung ber Slnttoort auf biefe* fdjmaa>
ootte TOanifeft , in meinem bem deiche in ber empörenbften Söeife
^olm gebrochen mürbe, bem berühmten, auch d& Staatsmann unb
9ie<htalehrer hochangefeljenen ^hüofophcn Seibni^ , ber eben in
©ten anmefenb mar , unb biefer entlebigte fidj be* Auftrag* feine*
faiferlichen greunbe* unb OJönner* in einer feine* gro&en tarnen*
Digitized by
86
öubwtg XIV. öon Orranfvcic^.
würbigen SBeife. 9cacf) eingehenber SSiberlegung aller einzelnen
fünfte be3 franjöfifchen ©djriftftücfea mürbe oft eigentlicher 3wecf
ber franjöfifchen s$olitif bie Äbficht bejeichnet, bie SieichSftcmbe
burdj bog ©chretfbilb einer angeblichen öfterreid^ifdtjen ^nec^tfc^aft
Don bem ftaifer ju trennen unb unter granfreich« ©otmä&igfeit ju
bringen. Mein jeber Xeutfdje, ber noch nicht ba& eiferne 3och
granfreichS trage, werbe an ben unter bemfelben feufjenben ©tam=
meägenoffen , ja an ben Untertanen unb bem nieberen unb hohen
Slbel granfreich« felbft leicht untertreiben fönnen, ob bie öfter*
reichifche Regierung ober bie franjöfifche £errfchaft ber Xürannei
oermanbter fei. „ Seine faiferliche 3Waieftät"f fo fdtjtog ba3 3Jcani*
feft, „wäfdjt ihre #änbe in Unfchulb über bie folgen biefeä Kriege*
unb erffärt bor ®ott unb aller SBelt , ba& nicht fte Urfache beä
ftamofe« ift, fonbem granfreich benfelben au3 eigener SSiUfür be-
gonnen t)at. SBelche Erfolge aber auch *>er $err ber .freerfdjaaren
ben SSaffen ber geinbe üerleihen mag, fo wirb ber ®aifer ftetä bie
Söege ber SSorfehung oerehren, welche fich $uweilen ber ®ei&el be&
Sittila bebient, um in ihrer SBarmherjigfeit £>ie ju jüchtigen, welche
fte lieb hat."
3njtt)ifchen hatte ber ®rieg am 9tr)ein bereit« begonnen unb
nahm, ba ber ©rua) be3 2Baffenfti£lftanbe3 oon fftegenSburg burch
ßubroig baS SReich gänzlich unoorbereitet getroffen, einen für granf*
reich günftigen Verlauf. 5)ie feften Stäbte SJcainj , Xrier unb
23onn ergaben fich auf ba$ ÖJeheif? it)rer furchtfamen, mit ben gein=
ben halb befreunbeten (Gebieter ohne ©ehwertftreich ; £>etf bronu,
SDcannheim, granfenthal, Speier unb SBormS folgten biefem $8eU
fpiele; ^ßtjilipp^burg unb $eibelberg fielen nach fc&wacher SBertheU
bigung. Qn furjer Seit war ba3 gefammte ^ch^inlanb, mit 2luä=
nähme oon ®öln unb Äoblenj, in ber (Gewalt ber granjofen. Schon
brangen biefelben unter fürchterlichen SBranbfchafcungen btö naa>
Schwaben unb tief in granfen oor, als ein unerwartete* ©reignifj
aKe ^Släne fiubwigä ju burchrreujen brohte.
3n ©nglanb hatte 3afob II., ®arl3 II. ©ruber unb 9caa>
folger, ber noch oor feiner Thronbesteigung (1685) jur fatholifchen
Äirche übergetreten war, burdj bie iöegünfttgung ber $atfjolifen, fowie
burch mehrfache (Singriffe in bie beftehenben Gtefefce unb feine un*
begrenzte Eingebung an granfreich unter oielen feinen Unter*
thanen eine (Erbitterung wach gerufen, welche ber mit 3afob$ ältefter
Xochter Sflaria oermählte SBilhelm III. oon Dramen bemtfcte , um
bie £>errfct}aft in (Englanb an fich 8« bringen. $er ©inlabung
mehrerer unjufriebenen Öko&en folgenb, mit benen er fetjon feit einiger
3eit gegen feinen Schwiegeroater confpirirt hatte, fegelte berfelbe
mit einer hoüänbifchen glotte nach (Snglanb. 9cachbem 3afob II. nach
granfreich entflohen, übertrug ba« Parlament bem ^rinjen Oon
Digitized by Google
SugtoigS XIV. britlcr <£roberungSfrieg.
87
Cremten unb feiner (Semafjltn, gegen bie Stnerfennung aller Steckte
ber Nation, bie Ihone oon (Snglanb. $a ßubnrig XIV., ber offen
für 3<tfo& II. Partei ergriffen, gleidr) nad> ber <£infd)iffung beS
Statthalters an bie (Beneralftaaten ben ®rieg erflärt l)atte, fctjtog fid)
Cfriglanb im Vereine mit ^ottanb an Oefterreid) an. s2(ud) ber
Ädnig oon Spanien trat bem SBünbni& gegen granfreidj bei, unb
fo erweiterte fid) ber SReia)Sfrieg ju einem europäifdjen Kriege.
Unterbeffen fjarte Submig feinen gelbfjerren am 8if)ein ben
©efe^l jugetyen laffen, „bie $falj nieber jubrennen." Qu biefem
barbarifdjen SBerfafjren, burdj toefcrjeS man fdjon im öorfjergefyenben
Kriege franjöfifdjerfeitS bie ©egner ju fd)mäd)en gefugt, fyatte £ou=
ootS bem Äönig geraden, roeil er Bei ber eingetretenen 9cotf)tr»enbtg=
fett, bie oorfjanbenen ©treitfräfte auf üerfd)iebenen fünften ju t>er-
tfjeilen, bie Ünmögltdjfeit einfal), ben Ärieg am föfjein in ber glei-
chen SEBeife wie bist)er fort$ufefcen. 510c <piäfce, bie man aus SKangel
an Zruppen nidjt befefcen ober nidjt behaupten ju fonnen glaubte,
foüten öernid)tet unb bie Umgebungen berfelben oerfjeert roerben,
bamit bie ^eranjie^enben beurfdjen Speere längs ber franjbfifd)en
©renje nur öbe öranbftätten unb SSüfteneien fänben.
$)er fd)auerlid)e öefefjl beS Königs mürbe oon ben franj5fi)d)en
(Generalen mit ber fdjommgSlofeften |>ärte ooüjogen. SBefonberS
jeidjnete fid) bei ber HuSfüIjrung beSfelben ber gelbmarfdjall SGR^Iac,
beffen 9came nod) jefct in bem ©ebäd)tniffe ber Sßfäljer als ber
eines ^weiten #erofrrateS fortlebt, burd) bie empörenbfte #erjlofig;
feit auS. 3m Januar 1689 lieg berfclbe eine fRcir^c oon größeren
unb Heineren Ortfd)aften in ber Sßfalj unb im S3abi)d)en, bie ben
gan§en SBinter ^inburd) bie geforberten garten ©ranbfdja&ungen
pünftüd) ^erbeigefd)afft, nad) DorauSgegangener *ßlünberung in Söranb
fteefen unb bie roe^rlofen ©inmoljner, bie fjänberingenb auf ben
tnieen um ©nabe * flehten, tyetlS nieber^auen, tfjeilS, üon Ottern
entblößt, in bie öben Selber fjinauStrctben, mo bie meiften bem
(Slenb unb ber Söinterfälte erlagen, hierauf mürbe am 2. aJcär$
in Jpetbelberg baS furfürftlid)e Sd)log mit bem 3eugfmufe auSge*
plünbert unb nebft ber Sßecfarbrfide unb einem Steile ber 6tabt*
mauer in bie ßuft gefprengt; bann jünbeten bie Üttorbbremter
bie Söolmungen ber ©urger an oerfd)iebenen ©teilen jugleid) an.
3n 3Jcannf)eim mu&ten bie ©inmofjner felbft, auf ©efef)l beS
©enerals SJcontclaS , bie geftungSmerfe abtragen unb öffentlid)e
»ie <ßrtoatl)aufer burd) 3Jcinen in bie ßuft fürengen Reifen, mo=
rauf am 5. äRära ber fReft ber fjalbberfd)ütteten ©tobt in Söranb
gefteeft rourbe. $aS gleid)e ©djieffal traf bie ©täbte 3franfentf)ai,
Eeuftabt an ber #aarbt, föaftabt, ©oben, Dffenburg, ßabenburg,
Oppenheim, ©emS^eim unb unjäfjlige anbere größere unb Heinere
Orte bis an bie ©renje beS ©IfaffeS. 3n oielen Orten mürben
Digitized byjioogle
88
Subwig XIV. üon ftranfretcf).
bie Einwohner mitten im forglofen «Schlafe plöfclich burdj bie glarn*
mcn erwecft unb fahen mit ©chrecfen bic für befreunbet gehaltene
©efafcung in Sttorbbrenner unb tobenbe ^ßlünberer öerwanbelt.
$a£ ^drteftc ©djicffal erfuhren bic beibcn alten SReichSftäbte
SBormS unb ©peier, bie fid& im üorhergehenben $erbfte auf
bte ©ebingung ergaben, baß föath unb ©urgerföaft in ihren ®e*
fchäften unb Sftedjten unangetaftet bleiben unb nur einige £unbert
9Kann auf frauliche Soften in bie ©tabt eingelagert »erben fotl*
ten. ftac&bem fie nicht nur bie öoUftänbigfte Slu&erachtlaffung bic-
fer öon bem ^aupfun felbft auf baS fceiligfte befräftigten 3ufagen
öon ©eiten ber nad) unb nadj auf baS ©edjSfaäje erhöhten fran*
jöfifc^en ©efafcung fechä Monate lang gebulbig ertragen, fonbern
fid) auch allem gefügt, was wäfjrenb biefer Seit wiberrechtlich öon
ifmen geforbert worben — - felbft an ber 3erftörung ihrer geftungä*
werfe geholfen, ungeheuere ©ummen gejagt unb i^re fämmtlichen
$ornöorräthe nach ^ß^üi^burg jur Unterhaltung ber bortigen
franjöfifchen 93efafcung ausgeliefert — würbe ihnen am 22. 3Äai 1689
angefünbigt: beS Königs Qntereffe erforbere eS, ba& bie ©täbte
SBormS unb ©peier ganj öon ber @rbe öertilgt würben; bod) fotle
e$ ben ^Bürgern geftattet fein, nach ben nächftgelegenen franjöfifchen
©täbten auSjuWanbern. gür bie £abe, bie fie nicht mitnehmen
fonnten, würbe ihnen ©icherheit in ben Xomfirchen jugefagt, für
welche ©c^onung berheifjen würbe; faum hatten fie jeboch einen
Xheil ihred ©igenthumS in biefe angeblichen ©idferheitsftätten ge*
bracht, als bie räuberifchen ©paaren in biefelben einbrangen unb
fie auSplünbertcn. hierauf würben beibe ©täbte, SBormS am
31. Sttai unb ©peier am 5. Quid, in öranb geftetft unb waren
in wenigen ©tunben in Slfchenhaufen öerwanbelt. Qn ©peier blieb
Vichts, in SSormS nur bie $)omfirche öerfdjont. 3n ber erfteren
©tabt würben nicht nur bie Elften beS SReidjSfammergerichtS jammt
ben Waffen hinweg gefdjleppt, fonbern auch 0*c ßaifergräber auSge-
plünbert unb bie öermoberten (Gebeine unter ©pott unb Jpoljn auf
bem ©oben umhergeftreut. 2llS einige menfchlicheren Offiziere ben
jungen Jperjog öon (£r£qui, ber bie SBermüftungSgräuel in SBormS
unb ©peier leitete, nach bem GJrunbe aller biefer fchauerlichen 3#a&*
regeln fragten, erwieberte er falt: „£er ßönig will eS," unb wie*
ein $er$eichni& öon jwölfhunbert ©täbten unb Dörfern oor, bie
alle noch öerbrannt werben müßten.
$ie golge biefer ©räuelthaten, bie in allen (Sauen $eutfchs
lanbS einen ©d)rei beS ©ntfefcenS unb ber SButfj h^öorriefen, War
ein ungewöhnlich rafdjeS unb thatfräftigeä 3«fflwmenwirfen ber
beutfehen gürften. $er neue ®urfürft öon öranbenburg, grieb=
ridj III., griff, währenb ein Ztyil feiner Xruppen ju bem ffleid)3-~
heere ftieß unb ein anberer jur Unterftüfcung beS ÄaiferS gegen
Digitized by Google
2ubnrig§ XIV. brittcr Groberangatrieg.
89
bie dürfen nad) Ungarn abging, mit einem branbenburgifa>hottän=
biföen §eere öon brei&igtaufenb HÄann bie granjofen im Qhcfiti*
ttnim ßöln an nnb öertrieb fie aus bem größten beSfelben.
2lud> in granfen, wo ber Kurfürft Johann ®corg III. öon ©ach*
fen bereit« im Oftober 1688 mit einem £eere öon öieraehntaujenb
s3Jiaitn erfdjienen mar, fowie in ber $fal§ flogen bie granjofen ben
Kürzeren, unb nachbem eS bem fterjog öon ßott)ringen, ber mit
ben Xruppen beS KatferS ^ugleicr) baS fRetchäheer als Oberbefehls-
haber anführte, am 8. September 1689 gelungen, SÄainj nach jmei*
monatlicher ^Belagerung jur Kapitulation ju $wingen, mar 3)eutid^
lanb fo toeit öor bem föeichsfeinbe gefiebert, bafj ßeopolb im SGßtn=
ter öon 1689 auf 1690 einen Kurfürftentag ju Augsburg galten
tonnte, auf meinem, nach erfolgter Krönung ber Kaiserin, ber elf-
jährige ©rj^erjog 3°fcP$ einftimmig §um römifäjen König gemäfjlt
unb gefrönt mürbe.
3m 3af)re 1690 erlitten ber Kaifer unb baS SReid) einen ferneren
V-Sertuft burch ben Xob beS tyetbenmüttyigen $er$ogS öon Lothringen,
ber, erft ftebenunböterjig 3ahre alt, am 18. $pril ju SBelS in
Cberöfterreich ftarb. 3hm folgte als Oberbefehlshaber ber SReichS=
trappen ber Kurfürft SRajimilian (Immanuel öon SBaiern, ber es
nicht öerhinbem tonnte, ba§ bie grangofen mieber ihre SBinter-
quartiere im SreiSgau unb im JBabifchen nahmen.
Buch in ben 9tteberlanben fyattt injmtfchen baS ©lücf bie
Waffen SubwigS begünftigt. SBätjrenb SBilhelm öon Dranien in
Qrlanb befdjäftigt mar, wo ^afob II. am 1. JJutt 1689 mit einem
franjöfifäjen #eere gelanbet unb faft allgemein als König anerfannt
morben, gelang eS bem 3Raxfäaü öon Sujemburg, einem greunb
unb Schüler (£onb<5'S, über bie öon bem gürften ®eorg Sötlhelm
öon SBalbecf befehligten fwllänbifchen, beutfehen unb fpanifchen Xrup=
pen am 1. $uli 1690 bei bem $orfe gleuruS in ber ©raffdjaft
föamur einen @ieg ju erringen, ber für bie SBerbünbeten bie Oer*
fjcmgm&öoüften Jolgen hätte ^äbta fönnen, märe eS nicht bem um-
fichtigen gürften öon SSBalbecf gelungen, bem gefchlagenen §eere
etnen georoneten ytua^ug ju |tcnern.
llnterbeffen mar auch in Italien ber Krieg entbrannt. $ier
fjatte ßubmig ben Oberbefehl bem bisherigen Kommanbanten öon
(Eafale, bem ebenfo umfichtigen als tapferen örigabegeneral ßatinat,
übertragen, unb biefer erfocht am 18. Sluguft 1690 bei ber Slbtei
@taffarba, unweit ©alujjo, über ben £er$og SBtftor SlmabeuS
öon Saöoöen, ber öor Kurzem burch ben Kaifer für baS ©ünbnifc
gegen granfreich gewonnen morben, einen ©ieg, welcher ihn jum
#errn beS größten %f)dl& öon <5aöot>en machte. Sluä) hier öer-
übten bie granjofen bie gleichen SBerwüftungSgräuel wie in ber
$fal$, fo wenig auch bitft Wct ber Kriegsführung bem menfehlicher
Digitized by
90
Subnng XIV. öon ftranfreid).
gefilmten (£atinat aufagte. SHefeS barbarifdje Söerfafjren empörte
inSbefonbere ben $rinjen (£ugen, ben ber Äaifer mit fünftaufenb
9Jtonn jur Unterftüfcung beä ^er^ogS öon ©aöoüen nad) Stalten
gefanbt ijatte ; er öermodjte jebodj bei ber ®eringfügigfeit feiner ©treit*
fräftc um fo meniger, benfelben (ginljalt tlmn, als er burd) ben
unfähigen ©efel^aber ber fpanifdjen #ilf3truppen me&r gehemmt
als unterftüfct mürbe.
SEBie ju Sanbe, fo mar audj jur (See baS ®lütf ben Sranjofen
günftig. 2lm 10. 3uli 1690 erlitt bie englifc^^oflänbif^e glotte
bei ber 3nfel SBigfjt gegen ben franjöftfdjen Slbmiral Souröille eine
empfinblid)e 9cieberlage.
3m 3a^re 1691 brauten bie beutfdjen Sürften eine bebeutenbe
©treitmadjt aufammen, über welche ber ®urfürft öon ©adjfen ben
Obcrbcfc^C erfuelt; allein ber Langel an Gtntradjt jmifdien iljm
unb bem faiferlidjen gelbljerrn, ÖJrafen ©aprara, ließ es feinen
bebeutenben Erfolgen gegen granfreid) fommen.
Unterbeffen Ijattc SBityelm HL öon ©ngfanb bereits am
11. 3uli 1690 bei bem irtfdjen gluffe ©oljne über feinen ©djmie;
gerüater einen entfdjeibenben ©ieg baöongetragen, melier ben Sefc*
teren, ber fidj injmifdjen burd) fein eigenfinniges 5eftf>alten an un=
faltbaren ifjronredjten bie $>er$en ber Qrlänber entfrembet Ijatte,
jur abermaligen gludjt nadj Sranfreidj nötigte. $)ie ööllige
Unterbrücfung beS irifdjen s2lufftanbeS bem öor Äußern jum (5Jra=
fen öon äftarlborougl) erhobenen ßorb ©fmrdnu* überlaffenb, fe^rte
SBilfjclm nad) ben Sßieberlanben jurücf, um ftdj bort felbft an bie
©pi^e ber öerbünbeten Gruppen $u ftetlen ; boaj gelang es aud)
if)tn nid)t, ben ©iegeSlauf ber granjofen ju fjemmen. 3lm 3. Sluguft
1692 erlitt er bei ©teenferf en gegen ben üftarfdjau* oon ßuyem=
bürg eine Sftieberlage, bei melier bie öerbünbeten aa^ttaufenb Xobte
auf ber 2öaf)lftätte jurürfließen, mäljrenb bie gran5ofen ftebentaufenb
Xobte unb SBermunbete jaulten, dagegen erlag bie franjöfifö^e
glotte, bie, öierunböterjig Segel ftarf, unter Xouröifle auf SubmigS
öefefyl aus bem |>afen öon SBreft ausgelaufen mar, um eine %xan%-
portflotte öon breifyunbert Skiffen ju eSfortiren, auf melier 3°;
fob II. mit elftaufenb auSgemanberten (Snglänbern unb Qrlänbeni
unb öiertaufenb franjöfijdjen ©olbaten jur SBiebereroberung feines
9teid)eS nad) (Suglanb überfein motlte, nadj einem §elbenmütf)igen
Kampfe mit ber öereinigten englifdjen unb fyollänbifdjen glotte
öon neunjig Sinieufduffen, mit melier fie am 29. 9Wai 1692 bei
bem ®ap la |>ogue jufammengetroffen, ber feinblidjen Uebermadjt
unb ber Ungunft beS SBinbeS. ©ed^je^n franjöfif^e ©djiffe mür-
ben in bie 23ucf)t öon la ^>ogue, in melier Xouröille bei feinem
9lü(fjug nad) ber franjöfifc^en ^üfte auf ben ©tranb gelaufen,
Digitized by Google
gubmigS XIV. britter eroberunflSfrieg.
9t
oon bcn ifm öerfolgenben (Srnglänbern tfyeild geentert , tfyeilä in
jorano geueert.
Sur ben erlittenen Verluft mürbe Submig burefj bie neuen
ßorbeern entf ct)äbigt , bie ber ßanbfrieg im folgenben 3af)re feinen
SBaffcn braute. 2lm 29. 3uli 1693 griff ber SJcarfdmll Don
fiuyemburg ben ßönig SBilfjelm mit überlegener Xruppenraadjt in
feinem befeftigten ßager bei bem $orfe fteerminben an unb er*
fodjt über benfelben naa) einem fjeifcen Kampfe, ber adjt ©tunben
lang tun unb fjer tobte, burd) einen roudjtigen (SJefammtangriff einen
fo öoflftänbigen ©ieg, bafj ber föücfjug ber Verbünbeten , ben fie
mit einem Verlufte bon jmölftaufenb üttann an Xobten unb ®c=
fattgenen, fomie il>reä gefammten ©efdjüfeeS, antraten, ftd) $u einem
fluchtartigen geftaltete. 9cur ber gänjlia^en ©rfdjöpfung beä geinbeö,
bie bemfelben jebe Verfolgung unmöglich machte , fjatten fie e$ $u
oerbanfen , bajs SBilfjelm baS gefcfjlagene £>eer mieber orbnen unb
fo bie fdjlimmften Solgen ber erlittenen ftieberlage abmenben fonnte.
£er ©ieg bei SReerminben mar ßufemburgä lefcte Söaffentfjat ; balb
naef) bemfelben legte er ba$ ßommanbo nieber unb ftarb am
4. 3anuar 1695.
SSäfjrenb in ben folgenben Srieg3jal)ren ba£ 9teict)3f)eer , ob*
gleich eä im 3°^rc 16^3 in bem au* bem Xürfenfriege jurürf=
berufenen Sflarfgrafen Submig oon Vaben einen neuen trefflietjen
Süfjrer erhalten, nur menig ausrichten fonnte, meil es bem SJcarf*
grafen bei bem mefjr unb mefjr erfaltenben $rieg3eifer ber beut=
fdjen gürften nid)t gelang, bie nötigen ©treitfräfte jufammen 51t
bringen, nafmt aud) in Statten ber Stieg einen für Sranfreia)
günftigen Verlauf. 9cad)bem ber $rin$ (Sugen im Pommer 1692
einen Einfall in ba3 füblidje granfreief) gemalt, ber alle ^luSficfjt
auf einen günftigen (Erfolg fjatte, aber roegen ber plöfclicfjen @r-
franfung beä «Jperjog* oon Saüonen uidjt fortgefefct werben fonnte,
erlitten bie Verbündeten unter bem fterjog Viftor 2lmabeu$ am
4. Dftober 1693 bei 2Jcarfaglia gegen ©atinat eine jmeite lieber*
läge, unb ber ^ßrinj (Eugen mar, trofc ber unermüblidjften unb um-
fidjtigften $fjätigfeit, bei ber unter ben einzelnen güfjrern fjerrfdjen*
ben Uneinigfeit um fo weniger im ©taube , ben 5ran$ofen bie er-
rungenen Vorteile toieber $u entreißen, als er nidjt nur oon Söien
au* of)ne bie nötigen ÖJelbmittel ju einer genügenben Verpflegung
ber Xruppen gelaffen mürbe, fonbem aua) ber $er$og oon Sa*
üoüen, ber feit bem Sage oon SJcarfaglia beä Kriege* mübe mar,
geheime Unterljanbhmgen mit bem fran$öfifdjen £ofe angehtüpft
fjatte, in 3olge beren er bie Operationen ber Verbünbeten gefliffent*
lia) $u erfahrneren juckte.
55er #rieg in Stalten mürbe im Oftober 1696, ben gorbe*
rangen beä £er$ogä oon Saöooen entfpredjenb , burd) einen Weit*
Digitized by Google
92
fiubtüig XIV. uon grcmfreidj.
tralttät«üertrag bcenbigt , traft bcffen fotool)! bie franjöftfdjen , a(«
bie faiferttdjen unb bie fpanifdjen Gruppen ba« ßanb räumen muß-
ten. Stadlern bie« gefd)ef)en, fdjloß Sötftor 2(mabeu« mit granf*
reidj einen grieben, in meinem ifjm ßubnrig, ber iljn bauemb auf
feine «Seite ju jiefjen toünfdjte, nia^t nur ba« öon ben Söerbunbeten
genommene (Safale gegen bie 3ufage, bie bortigen gefiung«n>erfe
fdjleifen ju laffen, fonbern audj bie geftung ^ignerol überlieg.
Dbgleidj fiubnug in ben ftieberlanben , bem £auptfdjauplafce
be« Kriege«, anfjaltenb im Sortiert blieb unb audj in ©panien,
Iüo ber ^er^og öon 9toaiHe« feit bem %ofyct 1689 ben &rieg of)ne
bebeutenben Erfolg geführt , Barcelona erobert Horben , jeigte er
ficf> $u einem billigen grieben geneigt, toeil ber finberlofe ®önig
$arl II. öon (Spanien feinem Xobe entgegen ging unb fiubnng fei*
nem gänjlid) erfdjöpften Sanbe einige föufje gönnen mußte, um
feine Slnfprfidje auf bie gefammte fpanifaje 9ttonard>ie mit entfpre*
djenben ©treitfräften geltenb machen ju fönnen, unb ba aud) (£ng*
lanb unb ^poüanb be« Krieges mübe toaren, fafjen ficr) ber $aifer
unb Spanien genötigt, gleidtfaü« öon ber Sortierung be«felben
flbjuftetjen.
©o trat am 9. 2Jcär$ 1697 auf einem Suftfdjloffc be« $rim
^en öon Dranien bei SR ü« und ein grieben«congreß jufammen,
auf meinem e« ßubnrig abermals gelang , burdj bie Xrenuung fei-
ner ©egner alle« $u erreid)en, tt>a« er fid) öorgefefct. ÜRarfjbem er
^uerft bie $oflänber burd) ba« 3uflcftönbni6 mistiger £anbel«öor*
tfjeile unb bann ben $önig Sötlfjelm burdj bie bi«f)er öertoeigerte
Wncifennung feiner $errfd}aft in (Smglanb jufrieben gefteHt, gab er
an Spanien ben größten Xfjeil ber öon ifjm gemalten @robe=
rungen jurüd, in ber fixeren (Srroartung, in ®urjem in ben 33efifc
ber gefammten 2ttonardne $u gelangen, unb fo fafjen fid) ber ftaifer
unb ba« 9ieid) , bie nunmehr allein ftanben , gelungen , auf bie
"öon ßubiuig geftellten ©ebtngungen einjugefjen. ©ie mußten iljm
ntc^t nur au«brürflid) ©traßburg nebft allem 3ubeljör auf bem
Iinfen 9tf)etnufer abtreten, fonbern ifym aua) ben gortbefifc be« ge=
fammten (Slfaffe« jugeftefyen, mogegen ßubroig auf greiburg, Sörei*
fad), .NU1 hl unb $l)ilipp«burg ocr.uctjtetc, ade außerhalb be« (Slfaffe«
gemachten Sfteunionen reftituirte, ba« (Shrbredjt be« $fal$grafen ^fu*
lipp SStlfyelm öon 9teuburg auf bie furpfäljijdjen Vau ber aner-
fannte unb in bie 3wrürffteüung be« £erjogtl)um« Sotfyringen an
$arl« V. ©ofm ßeopolb willigte.
Digitized by Google
Subimg XIV. als «Regent.
fiubwtg XIV. als Keßent.
Öubwig XIV. mar eine jum ^errfdjen geborene 9*atur; an
feiner gebteterifchen ^crfönlic^feit war jeber Qoü ein ®önig. ffiar
au* feine Srgie^img öon fetner SJcutter imb bem ®arbtnal SNaja*
rin üoUftänbig öernachläfftgt worben, fo würbe biefer SNangel in
melen ©ejiehungen ausgeglichen burä) feinen bebeutenben natür*
lidjen 93erftaub, feinen Scharfblitf, feinen energifa)en SBillen unb-
feine feltene SlrbeitSfraft. 2Sie ihn bie @iferfud)t auf fein «nfehen
antrieb , fidj um MeS 51t betummern unb OTeS fclbft ju prüfen,
um überall bie lefcte (Sntfcheibung fclbft $u treffen, fo öerrieth fia>
jene feurige ©emüthSart, bie ilm jeben SRuhm fudjen unb jebem ®e*
miß nachjagen lieg, aud) in bem (S^rgeij, als Regent ju glänjen.
9ttd)t3 erregte ßubwigS XIV. gorn in leerem ©rabe, al&
bie 9Jcißaä)tung feiner abfoluten SBnigSgewalt. Um biefelbe gegen
jebe Anfechtung öon Seiten ber (Großen fid)er 511 fteflen, befä)ränfte
er bie ©ouoerneure ber ^ßroöinjen in ber bisher geübten ©eroalt,
inbem er bie Stauer if}reS SlmteS auf brei Qafjre feftfefcte unb
ihnen bie SBefugniß ber XruppenauShebung entjog, bie fie fia) im
Saufe ber Seit angemaßt Ratten* 3ua.leich Würben, um bem SBie^
beraufleben beS (SHnfluffeS ber Parlamente öorjubeugen , bie ©e=
fchäftsfreife ber Qntenbanten ber Quftij unb Polizei bebeutenb er*
wettert unb bie in ben einzelnen ^rooinjen liegenben Xruppen $u
ihrer Verfügung geftellt, um jeben SSiberftanb gegen ihre Hnorb*
nungen nieberjufjalten. $)ie Sonnen ber $lbminiftration würben
fchärfer auSgebilbet , mo$u fdjon ber Umftanb , baß ßubwig bie
Stelle eines PremierminifterS eingeben ließ, Sßeranlaffung gab, ba
fid) ^ierbura) bie ©int^eilung ber ®efd)äftSäWeige in mehrere De-
partements mit befonberen iBorgefefcten öon felbft bilbete. 2lud)
für bie ©efefcgebung gefdjah fct)r Diel. (SS würben nach unb nach
ein neues Äriminalredjt, eine neue Orbnung für ben ^rrtmtnalprojeß
unb ein neues Seerecht ausgearbeitet.
3n ber erften £>älfte feiner Regierung ^atte ÖubWig baS ©lüä\
treffliche ©elulfen ju befifcen, für welche er in ber jweiten feinen
auSreid)enben (£rfajj fanb. S)er öon ihm jum ftanjler erhobene
StaatSfefretär 2t Xellier, ben er befonberS wegen feiner über*
großen Ergebenheit fyofyfäafytt , war ein ebenfo gewanbter als eif-
riger ©efdjäftSmann , unb fein Solm, ber Söefifcer beS 3JcarquifatS
2 0 u ö 0 i S , ein äußerft tatentöoHer, aber ftoljer, hartherziger unb
ehrgeiziger SJcann , leiftete bem ®önig als ^riegSminifter bie er=
fprießlichften SHenfte burdj eine treffliche Drganifation beS Jpeer-
roefenS unb bie SluSnu^ung aller Gräfte beS ^anbeS für fiubwigS
droberungSjwetfe. Xer 9Jiinifter beS 9leußeren, önonne, ber fid)
jdjon unter 9Jcasarin als einen höchft gewanbten unb fa)arffinnigen
Digitized by
fiubroifl XIV. öon granfreidj.
Diplomaten erwiefen, jeigte fidt) unermüblidj in feinen Vemüfjungen
für ben $ienft beS ftönigS. $)a ber Dberintenbant ber ginanjen,
Nicola« 3 o u q u e t , Vicomte öon 9Mun unb Vauj, fein 21mt im
«tgenen Sntereffe jum SRad^t^eil beS ßanbeS ausgebeutet unb fid)
überbieS burd) feinen überljebenben ©tofy baS äRißfatten be$ m*
nigS jugejogen fjatte, war ßubwig ju einem 2Bed)fel entfdjloffen. gou=
quet Ijatte ftd) jebodj burdj ©efädigfeiten aller 5trtf bie er ben ange»
fefjenften ^erfonen am $>ofc wie in ber <ßrotrin$ unb im $arla*
mente auf Soften beS Staatshaushaltes erliefen , einen fo beben»
tenben Einfluß ju berfdjaffen gewußt , baß ber flönig gegen ü)n
mit großer SBorftc^t $u SBerfe gehen ju müffen glaubte. (£r naljm
ihn im ©eptember 1661 bei einer Steife in bie Bretagne als Ve*
gleiter mit unb ließ ihn gu Nantes unter ber Slnflage ^oa^oer*
rätt)erifcher Umtriebe gefangen nehmen, wobei er fidj ber Hoffnung
Eingab , ba& bie aus ben SRitgtiebem oerfchiebener Parlamente $u
feiner Slburtheilung eingefe&te ©pejialfommiffton ilm beS Xobeä
ftfjulbig erflären »erbe. $iefe Hoffnung erfüllte fid) jebod) nicht.
£>a bem Slngeflagten nur eine öerfd&menbertfdje , oon Veruntreu*
ungen nicht freie Verwaltung ber gtnait$en, aber fein nrirtfidjeä
©taatSDerbrechen nachgewiefen werben !onntef lautete ber ©prudt)
ber 9ftd)ter, trofc ber Veeinfluffung, bie man auf fte $um 9fead)tl)eil
gouquets auszuüben gefugt, nur auf Verbannung unb SonfiSfatton
feiner ©üter. ßubwig, ber ben ättitwiffer aller (Seljeimniffe granf*
reidjS nicht ins ÄuSlanb jiehen laffen wollte , oerfchärfte bie ihm
guerfannte ©träfe auf lebenslängliche $>aft unb ließ it)n jur 33er*
büßung berfelben auf bie geftung ^ignerol bringen , wo er am
23. aWärj 1680 ftarb. Viele fjaben in ihm ben SDlann mit ber
eifernen SIftaSfe fefjen wollen unb behauptet, er fei nidt)t in $ignerol,
fonbern in ber JöaftiHe geftorben; bie ©runblofigfeit biefer Sin*
nähme ift jeboch nadjgemiefen werben.
Sunt Nachfolger gouquets würbe 3ean Vaptifte Volbert
(geb. 1619), ber ©olm eines EiichfycmblerS in SftyeimS , ernannt.
211^ ©efretär ÜDtojarinS, ber ilm im Qa^re 1648 auf ße XeßierS
(Empfehlung in feinen S)ienft genommen , war berfelbe wegen feiner
Xreue , $ünftlidt)teit unb Ökjchäftägemanbtheit in ber @unft beS
$arbinalS fo Ijodj geftiegen, baß biefer ilm $um ginanjintenbanten
unb fpäter fogar jum ©taatSratfj ernannt tyattt. SRadjbem Sub*
wig ii)m, unter Verleihung beS XitelS eines ÖJeneralcontroleurS ber
gmanjen , bie Oberleitung beS ginanjwefenS übertragen , entfaltete
Volbert t ber, einfaa) in feinem Auftreten wie in feiner SebenS-
Weife, um Slnfeinbungen wenig beffimmert, aber bura) unb burc^
redjtfajaffen , in Slllem baS entfa)iebenfte ©egentfjeil feines Vor*
gängerS war, eine X^ätigfeit, bie balb für granrreidj jur reiften
SegenSquelle werben fottte. (Sr fanb ben ©taatS^auS^alt in ber
Digitized by Google
fiubroig XIV. ton granfreicf)
95
unljeilöollften Stermirrung : bic Staat*faffen waren leer , bie @tn=
na*)tnequeHen in ben Jpänben mucherifcher ÖJeneralpächter , unb ba*
^Bolt feufete, in golge ber ungerechten JBertbeilung ber Steuern,
unter einem unerträglichen Slbgabenbrud. %\x\ bie öefeihgung bte=
ier Uebel burch eine geregelte SBermaltung, ftrengere Uebermadmng
ber ^Beamten unb eine gerechtere Steueroertheilung mar Volbert*
erfte Sorge gerietet. 9tachbem bie* 3iel erreicht unb ber Staate
fdjafc burch iBerminberung ber übergro&en 3at)l oon Beamten unb
^enfionär* erleichtert morben , fuchte er bie Sinnahmequellen be*
Staate* ju oerüielfältigen. ßur $ebung be* #anbel* mürben neue
Sanbfirajjeu angelegt unb bie alten öerbeffert , Kanäle gebaut —
barunter mit einem Äoftenaufmanb öon brei^elm Millionen 2it>re*
ber fönigliche ®anal t>on ßangueboc, ber ba* SJcittelmeer mit bem
Ccean oerbinbet unb üon bem neuangelegten £>afen üon (£ette in
bie ©aronne unterhalb Xouloufe führt — $aubel*geiefce erlaffen
unb naa) oem Vorgänge ber Jpoflänber unb Englänber $anbel*ge=
feüfd)aften für SBeft* unb Oftinbien gegrünbet, in beren Sörberung
bie ganje Nation mit bem #önig metteiferte. $ünfirchen, ba*
unter CSrommeH an (Snglanb gefommeu , mürbe üon ftarl TL für
tnermalhunberttaufenb $funb Sterling jurüefgefauft unb ber £>afen
biefer Stobt, gleich ocm 1,011 SÖtorfeUIe, 511 einem Freihafen gemacht,
rooburd) ber norbifche $anbel nach jenem, roie ber leüantifche nach
biefem geleitet mürbe. Much ba* Äolonialmefen »urbe burch (£ol-
bert mächtig geförbert. 3 n bem bisher müften da nenne in Süfr
amerifa unb auf 9ftabaga*car entftanben fron ^öui die Kolonien, unb
an ber 9lorbfüfte be* mejtfanit'chen Stteerbufcn*, an ber rechten
Seite be* SJftjfiftppi , mürbe eine Stoeberlaffung üerfudjt , bie nach
ßubroig XTV. ben tarnen £ 0 u i f t a n a erhielt. X)ie bereit* früher
in &anaba, auf Martinique unb .panti angelegten Kolonien mürben
burch eine neue Einrichtung 311 liotiercr iölüttic emporgehoben.
(Sine nicht minber große Sorgfalt, al* auf bie Hebung be*
jpanbel*, üermenbete Volbert, ben ßubmig jum 2ftarqui* üon
Seignelat erhoben, auf bie görberung ber gnbuftrie. Unabläffig
würben neue Üttanufafturen auf Staat*foften angelegt, barunter bie
berühmte Sßorjellanfabrif öon S&üre* unb bie großartige (Stobelin**
manufaftur ju $ari*. X)anf ber meifen gürforge Volbert* lebte
ber bura) °*e unaufhörlichen SBürgerfriege ertöbtete Sfrmftfleifj auf*
SReue auf unb entfaltete fich unter bem Sdm|e unb ber ftrengften
Kontrolle be* Staate* $ur fchönften ölüthe, Ter :Kitf, ben bie in
Sranfreich gefertigten Seibenftoffe , Xeppidje, Xapeten, Spiegel,
Spü)en, ©olb= unb Silbermaaren im 2lu*lanbe erlangten, führte
eine üon Qafjr ju Qahr gefteigerte $u*fuhr biefer &rtifel herbei,
unb roährenb auf bie je SBeife ba* übrige Europa granfreich tribut*
pflichtig rourbe, mar bie fran$öfifa>e ^nbuftrie im eigenen JJanbe
Digitized by £jOOgle
96
Subroig XIV. oon &mnfretc$.
gegen bie ®onfurren& be* 2lu*lanbe* burd) bie hohen @ingang*$ölle
gefd)üfct, bie für bie au*länbifd)en Sabrifate erhoben tourben.
Xrofc be* h°§cn s2luf)chtoung*, ben (Solbert* raftlofe fc^öpfc^
rifcf)e ^^ätigfeit bem £anbel unb ber Qnbuftrie Sfranfreid)* Der«
lieh, gelang e* bem oerbienftoollen 9)canne nicht, ben Steuerbrucf
$u oerminbem, ber auf bem ßanbe laftete, roeil bie burch ben (S^r*
gei$ unb bie ßänberfucht ßubroig* herbeigeführten Kriege, fonrie bie
üerfdnoenberifche Hofhaltung unb bie großartigen bauten be* ®önig* :
bie Schlöffer oon iöerfaitle*, 2Jcartn, Xrianon u. a., bie gagabc
be* ßouore, ba* £>6tel rotjal, ber $lu*bau ber Xuilerien unb oiete&
N2lnbere, bie ©elbbebürfniffe oon 3ahr jit 3af>r fteigerten. Um ben*
felben ju genügen, fah er fidj julc^t genötfngt, S8erbrauch*fteuern
auf QJetränfe unb ®rämerroaaren ausschreiben, unb bie* jog ihm
ben £>af$ ber geringeren (Sintoohnerflaffen oon ^ßari* in fo h&hem
®rabe ju, ba& nach 1™*«" ^obe (6. Sept. 1683) ber $öbel ficf>
jufammenrottete, um feine Söeerbigung ju ftören, unb feine Seiche
nur burch eine bewaffnete iöebecfung oor öffentlichen Üfli&hanblungen
gefaxt merben tonnte.
$)te ungeheueren Hilfsquellen, bie Volbert bem ßanbe erfchlof-
fen, festen auch bie übrigen 9JHnifter in ben Stanb, in ihren Der*
fchiebenen Sßertualtung^toeigen bie umfaffenbften Skrbefferungen
einzuführen unb Schöpfungen in* fiebeu treten ju laffen, bie nicht
roeuig baju beitrugen , bie ÜJtecht ßubmig* unb ben SRuhm granf*
reich* ft« erhöhen, ßouooi* ließ eine gro&e Slnjahl oon ,8eughäu=
fern, Äafernen unb 3Jcaga$inen erbauen, forgte für eine gtetchför=
mige ©efleibung unb eine jmeefmägigere ©etoaffnung ber Xruooen
unb erhöhte bie 3af)i ber ®efchüfce auf mehr al* ba* Vierfache.
Sür untaugliche unb au*gebiente Krieger mürbe in v#ari* ein 3n*
oalibenhau* üon ungewöhnlicher ®rö&e unb bracht errietet unb an
allen ©renken Sranfreia)* burch ben genialen iBauban eine große
Öaljl neuer gefrungen angelegt, bie al* 3Jtofterfchööfungen ber $rieg*=
baufunft bemunbert mürben. Die franjöfifche Seemacht erhob fid>
unter ber SBertoaltung be* jungen 9)torqui* oon Seignelai, be*
Sohne* (Solbert* , ju einer fo glänjenben Höhe , baß fie ber eng=
lifchen unb hoüanbifchen an 9tuhm nicht mehr nachftanb. Statt
breißig $Tieg*fdnffen, bie (Solbert bei ber Uebernahme ber ginanj'-
uermaltung oorgefunben, jählte granfreich beren bei feinem Xobe
jtoeifmnbert mit fechjigtaufenb Seeleuten.
Sluch für bie Hebung Der Äünfte unb SBiffenfdjaften mürben
unter (Solbert* SSermaltung große Summen oerau*gabt. 2ln bie
oon ^tichelien im Qahre 1638 gegrünbete erfte franjöfifche s#fabemie
reihten fich ihm 3ahrc *664 bie Slfabemie ber SJcaler unb i8üb=
ljauer, bie Slfabemie ber Sftufif unb bie ber ^nförtften ; jmei Qahre
joätcr folgte bie ®rünbuug ber flfabemie ber SBiffenfchaften unb
Digitized by Google
Subnrig XIV. alä SRegent.
97
im 3af)re 1671 bic ber ©aufunft. gür alle biefe Schöpfungen be*
Raffte Volbert nicht nur bic nötigen (Selbmittel, fonbern er gab
ju benfelben aud) bic erfte unb unmittelbare Anregung. $a*
GHeidje mar bcr gall bei ben jahlreichen Prachtbauten, in beren
©rridjtung ßubmig eine befonbere ©efriebigung fetner (Sitelfeit unb
3hihmfucht fanb.
$ieieibe ftuhmfucht unb ©itelfeit mar eä auch, bic ßub*
roig XIV. trofc feiner geringen ttriffenf ältlichen ©Übung antrieb,
nicht nur in feinem eigenen «anbe bic Vertreter ber SBiffcnfchaft
mit föniglicher greigebigfeit ju unterftüfcen, fonbern feine ßtbera=
lität auch auf frembe ®elehrte auskeimen, um aua) über1 bie
©renken granfreich* fynavß al* ber befonbere greunb uub *Be=
fchüfter ber SBiffenfchaften gepriefen $u toerben. vJcachbem Süonne
$u biejem Qvotdt bic nötigen <£rfunbtgungen eingebogen, mürben
mehr als fettig auSttmrtige (Mehrte burch höfliche «riefe Golbert*
überrajeht, bie mit reichen ©elbgefchenfen ober ber äufage eines
3ahrgehalteS bie »itte enthielten: „fte möchten geftatten, baß ber
ftönig öon granfreich ihr* 2Bohltt)äter merbe, ba er nicht baä ®lücf
habe ihr Dberherr ju fein." ®ie golge biefer Liberalität mar, baß
balb ein großer Xheil ber europäifchen ©elehrtentuelt boüftänbig
im SHenfte be* ftönig* üon granfreich frwb unb feine* £obe* fein
Snbe finben fomtte.
Lubtoig* Seftreben , in feinem ftreife ein felbftftänbtgeä, ber
föniglichen Autorität fich entjiehenbeä Leben ju bulben, machte fia)
auch auf firchlichcm (Gebiete geltenb unb verleitete ihn ju Singriffen
in bie fechte unb greit)eiten ber ftirche. ©dmn feit langer Seit
hatte granfreich, in golge ber burch °ie „gattifanifchen greitjeiten"
(f. 58b. IV. ©. 278 u. 445) gefdmffenen Vefchränfungen ber päpft*
liehen ©emalt, bem Oberhaupte ber ftirche gegenüber eine gemiffe
©onberftellung eingenommen. $iefe fogenannten greiheiten, mie
Appellation ber oon ihren Söifdjöfen üerurtheilten ©eiftlichen an bie
meltliche bemalt, Berufung unb 38eftätigung ber fran^öfifchen 3i)ito
ben burch ben ftönig, Öefchränfung ber fechte ber päpftltdjen
Nuntien in granfreich u. f. m., fanben lebhafte Verthetbiger an
ben fran§öfifchen tftechtägelehrten unb namentlich in ben firdjenfeinb-
liehen Parlamenten, aber auch bei einem ZtytiU be* ftleru* felbft.
Lubmig XIV. unterbrüefte Anfang* bie fdt)t^matifc^en Jöeftre*
bungen, melche fich in ben Parlamenten unb auch bei einigen l)oa>
gefteüten ^eiftlithen funb gaben. Qn golge eine* ßermürfniffe*
mit bem heiligen Stuhle megen beä fogenannten dt e g a 1 i e n r e d) t e 3 ,
oermöge beffen ber ftönig mährenb ber (Shrlebtgung ber biidjöjlidjen
Stühle beren (Sinfünfte bejog, bie (Mter burch feine Beamten ber-
»alten ließ unb bie ber bischöflichen Verleihung unterftehenben Vene=
jicien mit ^udnahme ber Pfarreien bejefcte, änberte er jeboa) fein
fcolan>ari$, SBeltflefäi^te. VI. 7
Digitized by
98 fiubiuig XIV. öon graufrei$.
93enef)men unb berief im Qafyre 1681 jum Söelmfe ber Äufredjt;
fjaltung ber gallifanifdjen greifjeiten eine SBerfammlung öon fünf^
unbbrei&ig Söifdjöfen unb eben fo öielen Üflitglieber beä übrigen
®leru3 nadj $artö, meiere eine Defloration über ben Umfang ber
päpftlidjen ©ewalt in granfreid) erlaffen follte. 9tad)bem bie öon
bem SBifdjof öon Xournaö entworfene , gerabeju auf ein ©dnSma
loäfteuernbe ©rflärung öon ber Jßerfammlung öerworfen worben
mar, nafym biefelbe bie berühmten öier gallif anif d)en Slrtifel
öon ber ftrd)ltdjen Gewalt an, bie ber ©ifdjof ton SJceauj, ber
buraj GJeleljrfamfett, Söerebtfamfeit, firdjlidjen Sinn unb ftrenge ©e-
finnung auSgejeidmete, aber bem §ofe gegenüber aüju nachgiebige
5© o f f u c t , rebigirt hatte, ßubwig erhob biefe Ärtifel, au£ weldjen
fid) Folgerungen ableiten liegen, bie ber Staatsgewalt Gelegenheit
$u einem bie freie SBirffamfeit ber $trd)e beeinträchtigenben *Bor=
gehen gaben, fofort $u 9teia)§gefeten, an>ang alle ßefjrer beä Vechta '
unb ber Geologie, biefelbe $u befchmören, unb öerfügte, ba& bie
theologischen unb juriftifchen gafuUäten beS Sanbeä ftiemanben pro*
moöiren bürften, ber fidj weigere, biefelben in einer feiner Xbefen
$u üertheibigen.
$atft Snnocenj XI. behielt fta? ftifle, öerweigerte aber ben
öon ßubwig ju ©ifchöfen ernannten 9Kttgliebern ber s$arifer «er=
fammlung bie SBeftättgung. .gnbeffen fuhr ©offuet fort, bie Är*
tifel gegen bie Anhänger ber entgegengefefoten ftreng fira^liajen ftn=
fa)auung, bie man, um ben ©egenfafc ala einen nationalen erfreuten
ju (äffen, bie Ultramontanen nannte, mit aller ©ntfduebenheit
$u öertheibigen. Unter biefen Ultramontanen ragte befonberS ber
©rjbifc^of öon Sambra^, ber milbe, flare unb eble g<5n<5lon,
heröor, unb biefem gelang eä, fielen bie Äugen über bie Gefahren
5U öffnen, tvelc^e bie gaUifanifdjen greiheiten ber greiheit ber
$ircfje bereiteten, inbem fie aJcandjeä, worüber bem geiftlichen Ober*
fjirten allein bie (Jntfajeibung juftanb, in bie £)änbe be* weltlichen
Regenten legten, ©elbft öon ben SBortfü^rern ber gattifanifchen
greiheiten famen Stiele $u ber ©rfenntnifi, bafj bie öermeintüdjcn
gattifanifchen greiheiten bie £ird)e unter baä 3och ber Ihtedjtfdjaft
bringen würben.
$)ie ©pannung jwifdjen Subwig unb bem päpftlict)en Stuhle
würbe cvl)bl)t burd) einen neuen ©treit, ben be3 $önigä übermü*
tfjige .^crvid)jud)t ^eraufbefa^wor. Söeranlaffung §u bemfelben gab
ba3 Äfölrecht ber <£)efanbtf$aft3quartiere in SRom, bie in golge
eineä alten SJcifjbrauchS öon ber ©eridjtä barfeit ber römifdjen Söe-
hörben frei waren. Ta bie franjöfifchen öotfehafter biefeä Äfut-
redjt mit ^errifa^er Änma&ung and) über bie IJcauern ihreä $a=
lafteä (unauä auf bie nädjü gelegenen ©tragen auägebelmt hatten,
fonnten Verbrecher aller Ärt auf eine Sufluchtäftätte rennen, in
Digitized by Google
fiubtoig XIV. a!3 Regent.
99
toeldjer jte gegen alle ftadrforfdjungen ber römtfäen *ßottjei ge*
föü$t waren. Um biefem baS ©anbitenunwefen in fjotjem ®rabe
begünfrigenben Unfug ein (£nbe machen, oerlangte ber ^ßapft
oon ben fremben 9ttä$ten bie SBerjidjtletftung auf bae 2lftilred)t
iljrer (Sefanbten. Xiefer billigen gorberung famen fotvo^I ber
&atfer, at& bie Könige oon Spanien, ©nglanb unb Sßolen bereit*
nrifltg nadj; Subwig bagegen erf)ob SBiberfprud), weil e4 ifjm toi*
berftrebte, jtdj naa) bem ©etfpiele 2(nberer $u richten. Qnno=
ccn$ XI. erhörte hierauf ald ©ouöerön ba$ &ft)lredjt für aufge«
fjoben unb bebroljte JJeben, ber fortfahre, baäfelbe auszuüben, mit
ber (Srfontmunifation. 2ludj jefct gab ßubwig nidjt nad), fonbem
lieB, um bem ^apfte offen Xrofe ju bieten, feinen neu ernannten
53orfcr)aftcr, ben 9ttarqui$ öon ßaoarbin, am 16. SRooember 1687
feinen ©injug in fRom mit einem (befolge Don adjtfyunbert ©emaff=
neten galten, welche außer bem fran$öft|d}cn ©efanbtfd&aftspalaft
aud) bie angrenjenben Strogen befefcten. „Sie fommen, ftol$ auf
i^rc SSagen unb Stoffe", fagte 3nnocen$; „idj aber oertraue auf
ben $errn, ber ba bleibt in (Ewigfeit." <£r oerweigerte bem ©e=
fanbten bie oerlangte 2lubien£, belegte iljn mit firdjlidjen ©trafen
unb fpradj, al$ ber SJtorquiS nicfytöbcftoweniger ftdj in bie £ubtuig$s
firdje begab, um bem £>odjamte betjuwofmen, ba$ Qfntcrbift über
biefe fördje au§. $er ©efanbte war fred) genug, mit einem jaf)l*
reichen (befolge in bie ^ßeteräfirdje einzubringen; ber (Sotteäbienft
nmrbe jebodj bei feinem (Srfdjeinen fofort unterbrochen, unb fämmt*
lic^e ©eiftüa)en oerließen bie Irirdje.
Vergebend fudjte Subwig burä) bie ©efefcung bon Sloignou
unb Venaiffin unb bie $rol)ung ber (Sntfenbung eines £>eere$ nadj
bem #ird)enftaate ben $apft einjtiftfjüdjtern: 3nnoccn5 XL blieb
unerfctyütterlid). Slleranber VIII., ber im 3afjre 1689 3nno*
cenj XI. auf bem papftlidjen Stuhle folgte, oerwarf bie öier
2lrttfel unb oerweigerte bie öeftätigung ber neuernannten S8U
fdjöfe. Qttbcffctt wud>8 in granfreia) bie Verwirrung in ben ftrdj*
lid^en Verfjdltniffen fo fefjrf ba§ jidj ßubwig enbtidj jum üRadj*
geben gezwungen faf). 9fadjbem er im 3^rc auf ba$ 2lft)l*
rcdjt bis franjöftfajen ©efanbtfdjaftäquartterS in 9tom )öer$idjt ge*
teißet unb bem Sßapft Slöignon unb SBenaiffin jurüefgeftettt, Wied
er im 3<*§re 1692 bie fedjäunbbret&ig Söifäöfe, bie er feit bem
3a$re 1682 ernannt Ijatte, an, ftdj bem päpftltdjen Stuhle $u
unterwerfen, unb erflärte bem $apft JJnnocenj xil., bem S'lac^folger
Sllefanber^ VIII. r ba& er bie öef^lüffe ber SSerfammlung t?on
1681 für nic&t oerbinbliä) erachte unb feine auf ©runb berfetben
erlaffenen ©efeje jurfitfneljme.
Um ben ^abel ju enthaften, ben er ftd) bura^ feine (Eingriffe
in bie ^ca^te ber flirre üon Seiten ber fatf>olifd)en SBelt juge*
7*
Digitized by Google
100 Subwig XIV. tum granfreitf).
Sogen, fud^tc fiubmig fctitcit (£ifcr für ben fat^olifc^cn ©laubcn
burcf) bie gemaltfame ,8urücfführung bcr Hugenotten jur fatholifdjcn
Kirche ju befunben , obgleich ber $apft felbft im ©elfte ber Kirche
erflärte: man muffe bie irrenben SBrüber burefj Siebe gewinnen
unb nicht mit ©emalt in bie Sirenen föteifen. 3uerft erlieg ßub=
»ig eine $Reit)e öon Verfügungen §ur ©efdjranfung ber 9tedjt«*
fp^äre ber Hugenotten. $ie au« Hugenotten unb ®atholifen ge=
mtfehten $Recht«!ammern mürben aufgehoben, bie Hu9enottcn öuä
ben hohen Remtern entfernt unb gemifa)te (Sfjen auf« ©trengfte
unter jagt; ebenfo mürbe ber Uebertritt üom ®atholtci«mu« jum
<Proteftanti«mu« bei fernerer ©träfe verboten. $a alle biefe Witt*
tel nicht rafdj genug jum Siele führten , fuchte man burd> bie ßaft
ber (Einquartierung ba« $Befehrung«mert ju befchleunigen , inbem
man in bie Käufer ber SLUberfpenftigen Dragoner einlagerte, bie
grofje (Sjceffe öerübten. 3)iefe fogenannten „$ragonaben" Ratten
in ber %\)at ben Uebertritt oieler ^roteftanten $ur golge; bod)
tourbe eine ungleich größere Qafyi burch ba« milbe ©ntgegenfommen
unb bie überjeugenben ^ßrebigten einzelner 9Jctfftonäre , benen in«=
befonbere ber eble g^nölon a(g Sttufter öoranleudjtete , $ur Kirche
jurütfgefüfjrt.
$>en ©chlufj be« ganjen Verfahren« bitbete im Saljre lß85
bie Aufhebung be« (Ebift« Don 9iante«. CSin föniglidjcr (Erlag
entjog ben Hugen°tten ad' ihre früheren ^riüilegien , unterfagte
ihnen ben öffentlichen mie ben $ßrioatgotte«bienft , orbnete bie 3)e*
molirung ber neuen Kirchen an unb bemrie« aüe proteftantifdjen
Sßrebiger au« bem ßanbe. Obgleich ben Hu9cn°tten feinerer
©träfe bie 2lu«manberung verboten unb ju biefem ©nbe bie ftrengfte
Ueberroacfmng ber ©renken angeorbnet mürbe, gelang e« boch ote-
len Saufenben — bie Angaben fchroanfen $ttnfd)en fechjigtaufenb
unb einer Viertel 2#iHion — mit ihren gamilien au« granfreid) $u
entfommen unb ihre Wrbeit«fraft, it)re ftenntniffe unb ihren ftunft*
fleifj anbern ßänbern $ujufüt)ren, fo bafj Submig« angeblicher !Rc-
ligion«eifer granfreid) fehlere Sßunben fchlug , bem s2lu«lanbe ba*
gegen Vorteil brachte. SEBilhelm üon Oranien, ber fidj im eigenen
Qntereffe jum befonberen Vejchüfcer ber au«gemanberten v$roteftan=
ten aufmarf , lieg ifmen bebeutenbe Unterftüfcungen jufommen, ba-
mit burd) fie bie franjöfifctje (Semerbttjätigf eit nach H°^anb unb
(Englanb öerpflan$t merbe. s2luch ber $urfürft grtebrich 2Bilt)elm
Don Vranbenburg na bm an jmanjigtaufenb au«gemanberte fran-
$öfifd)e Sßroteftanten in bie Sparten auf unb füt)rte baburdj in bie-
fen ©egenben einen raffen #uffchnmng ber fünfte unb ©eroerbe
herbei.
£rofc aller ©emaltma®eln mar jebod) ber $roteftanri«mu«
in granfreich nicht ooUftänbig unterbrüeft. Verfleibete reformirte
Digitized by Google
*!ubnrig« XIV. $of.
101
^räbifanten burcfjftreiftcn ba3 ßanb unb üerfammelten it)re in
granfreich zurüdgebliebenen ©laubenSgenoffen , bie, boH 3ngrimm
im £eraen , nur bie (Gelegenheit abwarteten , gegen ben ®önig bie
Waffen ju ergreifen, in SBälbem unb (Einöben zur Abhaltung ifjreä
(^otteSbtenfte*. 2Bo bie Regierung biefen SBerfammlungen auf bie
Spur famf fdjritt ftc gegen biefelben mit grofjer Strenge ein. Xa
fie bennoch nic^t aufhörten, mürben üerfdjärfte SJca®eln ergriffen.
3>teä führte im $ahre 1702 in ben <Seöennen, in beren I^älem
befonberä öiele «ßroteftanten, meift SRachfommen ber alten SBalbenfer,
lebten, beren ©laubenSeifer burd) angebliche ©ifionen einzelner ©e*
meinbeglieber zum religiöfen Sanattemuä gefteigert morben , ben
blutigen Slufftanb ber „(Eamifarben fyttbti , ben bie Regierung
vergebens burcf) SBaffengemalt ju unterbrücfen fachte. Nach einem
äteetjäljrigen erbitterten Kampfe , in meinem t>on beiben ©eiten bie
empörenbflen ©raufamfeiten berübt mürben unb über §n>anaigtaufenb
ücenfchen ben Xob fanben, fam e3 ju einem Vergleich, in meinem
ben Slufftänbifäen Religionsfreiheit bemilligt mürbe.
Submigö XIV. $of.
55a Submig XIV. eS für nötfufl erachtete, zur möglichften <Er=
bebung feiner eigenen Sßerfon jttJifchen fich unb ber Brenge eine
Slrt @<heibemanb aufzurichten, umgab er fich mit einem jahlrei^
rfjen, mannigfach gcglieberten unb abgeftuften |>ofe, in beffen bracht
fich ocr ®lönj ber $rone in beftänbigem SBiberfchein abfpiegetn
tollte. Qn ber (Einrichtung btefeS prunfoollen $>ofeS fah er zugleich
baS ficherfte SRittel, ben 5lbel feinen einfamen ©cf)löffern ju ent*
reiften, in beneu berfelbe fo oft auf (Empörung gefonnen unb ben
^errfchem SfranfreichS Xro j geboten , ihn bauemb in feine 9lähe
^u ziehen unb ihm baburdj SBeranlaffung zu geben, feine (Einnahmen
in ber Nachahmung bcS föniglichen &uru$ zn berfchmenben , feinen
Ehrgeiz auf Rang unb SBürben am |>ofe zu richten unb fich fctöft
baburch unbemu&t feiner Stacht unb Unabfjängigfeit zu entäußern.
Qn bem gtänzenben Greife, mit welchem Submig XIV. {ich
umgab, mar er ftets bemüht, in allem, maS er that unb fprach,
bie SKajeftät unb ben mürbeoollen Slnftanb beS §errfcherS zu oe*
mahren, mobei baS ^mponirenbe feiner ganzen (Srfchetnung , feine
fchöne, männliche ©eftalt unb bie eble SBilbung feines ©eftchtS, tf)n
auf* Öefte unterfrüfcte, unb feine (Eitelfeit gefiel fich ™ *>m ®e*
1) liefen 9?amen erhielten bie $lufftftnbifchen, »eil fte bei ihren nficht-
lid)en Ausfällen übet ihren Äleibern fcemben (camiso = chemise) trugen, um
nidjt erfannt zu werben.
Digitized
102
Subraig XIV. üon ftranfreidj.
mußtfein, baß Aller Augen öott 93emunberung auf ihn gerietet
waren.
$a* ßeben am #ofe ßubmig* öerfloß in unau*gefefcten 3feft=
lidjfeiten unb ßuftbarfeiten. Earouffelpartien , allegorifche <ßanto*
mimen, ©allette unb 8ingfpiele, oon ben sperren unb tarnen be*
$ofe* aufgeführt, mechfelten ab mit ©chaufpielen , ÜJ?a*fen$ügen
unb geuermerfen ; anbere SBeluftigungen mannigfaltigfter Art bräng*
ten fid) in bunter Reihenfolge bajmifchen. $>er ®önig felbft nahm
an ben jur Aufführung gebrauten geftfptelen, bie öon ben h«öor=
ragenbften ftidjtern granfreich* eigen* für ben £of öerfaßt mur-
ben , balb in ber Rolle eine* gelben , balb in ber eine* ©orte*
Ztyil, unb Alle* in biefen (Spielen mar barauf abgelesen, ilm al*
ben größten unb meifeften ^Monarchen ju öerherrlichen.
gür biefe* glänjenbe £ofleben genügten bie Räume be* Souöre
nicht mehr; auch ber Aufenthalt in biefem alten *ßalaftc bem
ßönig burch bie Erinnerung an bie äReutereien ber Sßarifer in ben
3eiten ber gronbe öerleibet. Ebenfomenig fagte ihm für bie Dauer
ba* ©chloß öon @t. ©ermain ju, mohin er anfang* fein $oflager
»erlegt hatte ; er ließ bafjer ba* fleine (Schloß 8 et f a t U t * # ba*
feinem SBater bei beffen Sagben jum Ruhepunfte gebient, mit einem
ßoftenaufmanb öon neunjig aJciütonen ßiöre* ju einem prachtvollen
ßönig*ftfce umbauen, um melden balb eine anfehnliche Stabt ent=
ftanb. SBie ba* <Sd)loß felbft, obgleich gan$ im ©efehmaefe ber
gefunfenen italienifchen SBaufunft errichtet, öon ben Seitgenoffen al*
ein unübertreffliche* SJcuftermerf angeftaunt mürbe, fo galt auch ber
©arten öon SBerfaiHe* mit feinen ©rotten, Söafferfünften , Statuen
unb 23aumgängen lange Seit al* ein SBunbermerf ber neuen Söelt,
unb 2 e R 6 t r e , ein SDcann öon außerorbentlichem Xalent, mürbe
burch bie Anlage be*felben ber <Sd)öpfer eine* neuen ©efehmaef*
in ber ©arten! unft , melcher fich , trofc ber Sßerirrung , bie in ber
übertriebenen (Symmetrie , in ben nach ber Schnur befdmittenen
£ccfen unb Söaumgängen liegt, balb über ganj Europa öerbreitete.
3n ben (Sälen unb ©arten öon Söerfaide* bilbeten fid) jener
freiere gefellige Xon, jene* belebte unb geiftreiche ©efpräch, jene
leichten unb angenehmen Umgang*formen au*, burch meiere £ub~
mig* §of ba* Söorbilb für alle übrigen £>öfe Europa'* mürbe, unb
ber Einfluß, ben granfreich burch biefe fociale söilbung auf ba*
Au*lanb au*übte, trug nicht menig baju bei, fein Uebergemicht in
Europa fidjer ju fteHen.
Aber bie öerfeinerten gormen, in melchen fich ba* ßeben am
Jpofe öon SSerfaiHe* bemegte, maren nur bie trügerifche £>üüe einer
tiefen fittlichen Sßerberbniß, unb menn auch ßubmig XIV. ftrenge
barauf hielt, baß ber äußere Anflanb gemährt blieb, fo jeigten fich
bodj fchon unter ihm bie folgen ber am §ofe gepflegten griöolität
Digitized by Google
fiubwig* XIV. $of«
103
in ber ooOftänbigen Untergrabung ber ©runblagen be* gamilien*
lebend. 9Ran mar bereits fo toeit gefommen, baß e* nur Söenige
ber 3Jcüt)e merit) erachteten, eheliche Untreue ju oerbergen, unb
häusliche Xugenben unb Sittenremfjeit ber (Segenftanb be* ®efpörte*
tüurben. Um geiftreiche Sudlerinnen, mie 9cinon be r@nclo*,
bic mit einer unoermüftlichen Schönheit eine feltene Anmutt), gern*
heit unb ßebhaftigfeit be« (Seifte* oerbanb, fammelten fich bie am
gefehenften SKanner be* $>ofe*.
2Bie meit ba* firtliche SBerberben unter ber öfteren franjö-
fifdjen ©efeflfehaft bereit* um fict) gegriffen unb welche Verbrechen
mitunter im Verborgenen oerübt mürben, jeigt in*befonbere ber
s3roje6 ber jungen unb föchten SJcarquife oon IBrinoillier*,
bic im 3a§rc 1676 a^ ®iftmtfct)erin $u $ari* enthauptet mürbe.
Sie t)atIC nicht nur au* £abfucr)t ihren SBater unb ihre fämmt=
liehen ©efchmifter, fonbern auch eine große Sah! anberer ^erfonen
oergiftet, um bie SBirfung ber üon ihr bereiteten ©ifte ju erproben.
Ueberhaupt ^atte bie ©ifrmifcherei eine fo fehreefenerregenbe $lit**
behnung gemonnen, baß ßubmig jur Verfolgung unb SBeftrafung
berfelben einen eigenen @eric^t8t)off bie Chambre ardente, einfette.
fiubmig* ©emahlin SJcaria itjerefia mar eine fetjöne unb firten=
reine grau oon großer $>eraen*güte ; fie befaß jeboct} ju menig
glänjenbe @igenfct)aften, um ba* £erj be* ®önig* feffeln ju fönnen.
ßubroig fytlt jmar ftrenge barauf, baß ihr bi* an ihr fieben*enbe
(30. Quli 1683) bie ihr gebührenbe Sichtung ermiefen merbe; er
felbft aber rummerte ftd) menig um fie , ba er fchon frühe ange*
fangen , feine ©unft anbem grauen jujumenben. Xie (£rfte , um
berentmißen er feiner ©emahlin bie Ireue brach , mar bie fpäter
oon ihm $ur ^erjogin erhobene fiouife granc;oife be la SB a liiere,
bie al* £ofbame ber ^rinjeffin Henriette Oon (Snglanb, ber erften
©emahlin be* ^erjog* oon Drlean*, an ben franjöfifchen $>of ge=
fommen mar unb felbft eine glüt)enbe Neigung für ben ®önig ge*
faßt hatte. ßubmig* Seibenfehaft für fie oerrauchte , al* er im
3at)re 1674 in ber SWarquife oon 9ftonte*pan eine glänjenbere
Schönheit rennen lernte. Xie ßa Valliere, bie ihren Sturj al*
eine gerechte ©träfe be* Gimmel* anfah , jog fich in ba* Softer
ber ftarmeliterinnen ju $ari* jurücf, mo fie bi* an ihr ßeben*enbe
(6. 3uni 1710) unter bem tarnen soeur Louise de la miseVicorde
burch horte Arbeiten unb ftrenge 93ußübungen bie gef>ltritte ihrer
3ugenb ju fühnen fudjte.
SBährenb bie fia SMiere feinerlei Einfluß auf bie Staat*ans
gelegenheiten ju erlangen gefugt , mar ba* Streben ber h^rfet^
füctjtigen SHarquife oon 9ftonte*pan, bie im Qatjre 1676 oon ihrem
®emahle gefchieben mürbe, nachbem berfelbe feine Auflehnung gegen
ba* jmifchen ihr unb bem ftönig fich entfpinnenbe »erhältniß erft
Digitized by
104
Subroig XIV. bon 8rtanfrct<$.
burch eine längere .fjaft in ber Vaftiüe, bann burch bie Verbannung
nach (Staoenne gebüßt hatte, auf bie oollftänbtge Veherrfchung be* ge*
famntten $ofe* gerichtet, unb jte erreichte biefe* Qitl auch für eine
Steide bon fahren. 2Bie ber fonft auf feine Sttadjt fo eiferfüc^-
tige Äönig fich in fdjtoachen ©tunben gänzlich bon il)r leiten lieg,
fo beugte jtdj auch ber £>of, beffen gtanjenber äRittetyunft fie ge*
toorben , oor ihrem eigentümlich feinen Xon , ihrem fprühenben
©eift unb ihrem bei&enben SBifc, unb 9Jttnifter unb Generale git-
terten bor ihren Saunen. Nacfjbem ü)r bereit« im Safjre 1678
in bem fieO^e^njä^rigen gräulein oon gontange*, bie gleichfalls
oon bem in leibenföaftlidjer Siebe $u ü)r entbrannten Äönig jur
^jerjogin ernannt tourbe, eine gefährliche Nebenbuhlerin erftanben,
bie jeboch fdjon nach brei Qaljren ftarb, tourbe fie ganj au« ßub*
ttrig* £)er$eu oerbrängt bura) bie im reformirten ©tauben erlogene,
fpäter aber jur fatljoUfdjen Kirche übergetretene SBttttoe be* fo»
mifchen dichter* ©carron, gran$oife b'#ubign<5, bie nachmalige
Srau bon Sftaintenon, meiner ber Äönig bie Pflege unb (5r*
5tcfmng fetner beiben natürlichen ©ohne übertragen hatte. Um ba£
gegebene Slergernife toieber gut $u machen unb für ihre Vergebungen
Öu&e ju thun, oerttjeilte bie 3Jtonte3j)an ben größten Xljeil ihre* Ver=
mögen* unter bie Firmen unb jog fid) reumütig in bie ©tnfamfeit eine*
Ülofter* jurücf, »o fie ihre Seit aroifchen Vuüübungen unb SBerfen
ber SBofjItyätigreit feilte, ©ie ftarb im 3a$re 1707.
$a* Verhältni& be* ®önig* ju ber grau oon 9Jcaintenon —
biefen Namen führte bie SBitttoe ©carron oon ber ^errfdjaft
9ttaintenon , beren Wnfauf iljr burch Subnrig* reiche ©efdjenfe er=
möglia)t toorben — war ein anbere* , al* ba* , toelche* junfchen
ihm unb feinen früheren ©eliebten beftanben fjatte. Subnrig füllte
feine jener teiben)d)aftüd)en Regungen mehr, bie ihn ju fo ferneren
Vertrrungen b,ingeriffen ; bagegen empfanb er mit ben $unefjmenben
fahren eine immer grö&ere Seere, bie loeber bie raufchenben Ver-
gnügungen feine* £ofe* noch ber 9tul)m unb ba* ©lud feiner
©äffen au^ufüHen üermochten. @r beburfte ber Serftreuung burct)
eine anregenbe Unterhaltung, unb biefe fanb er bei 3rau oon
3ttaintenon in» fo reiä)em ^afte , baß iljre (SJefeCCfc^aft ihm balb
unentbehrlich festen. $en Hinflug , ben fie ^ieburc^ auf Sub*
toig XIV. getoann, tou&te fie burch ein äu&erft taftüotte* unb flu*
ge* benehmen ju fidjem : fte beobachtete bie ftrengfte 3MriicfhcdtunÖ'
toiberfprach bem Äönig nie unb fchien fein anbere* ©treben $u
fennen, al* feine Saunen ju jerftreuen unb ihn burch Die SBieber*
belebung feine* religiöfen ©efühl* auf ben SBeg ber Pflicht jurücf*
juführen. Nachbem e* ihr gelungen, be* ^önig* jper^ oon ber
2ftonte*pan lo*auret6en, beren toachfenbe ßaunenhaftigfeit ihm längft
Digitized by Google
SubwigS XIV. £of.
105
lafrtg geworben, fuchte fie ein beffereS 93erhältniß stützen it)m unb
feiner Gemahlin ^erjufteaen, unb auch bieS gelang ifu\
#mei Söhre nach bem Xobe ber Königin bot fiubroig ber
grau öon EJcaintenon fetbft feine $>anb an. Vergeben« bat ihn
ßouüois fußfällig, öon bem Gebanfen abstehen, bie SBitttoe ©car*
ron jur Äönigin öon granfreidj ju machen ; alles, toaS er erlangen
fonnte, mar, baß Subroig auf bie anfänglich öon ihm beabfichtigte
93efauntmachung feiner SBieberöermählung SSerjid&t leiftete. $ie
Xrauung mürbe gan$ in ber ©tiöe in ber ^riöatfapelle beS
©djloffeS öon Verfaule« öon bem (Srjbifchof öon <ßariS üoHjogen.
Äber (Shtfluß, ben bie SJcaintenon buref) ihre geiftige lieber-
legenheit auf ben Äönig ausübte, fteigerte fid) öon 3at)r ju 3ahr
unb machte fidj auch öm $>ofc geltenb. Obgleich ßubroig ben öotten
Glans beSfelben aufrecht t)iclt unb auch noch prunföolle Sefte
gab , f uchte er an bemfelben eine größere ©ittenftrenge r)erjuftcden.
$>ie SJcaintenon felbft nahm an ben £offeften nur feiten Xheil, toeil
fte bei benfelben nicht als Königin auftreten fonnte. ©ie fanb ihre
Jreube in SBerfen ber SJctlbthätigfeit, ju benen fie auch ben $önig
anjuregen fuchte. ©ei allem (Schein jurüergejogener SBefcheibenheit
übte fie boch auf ben Gang ber Staatsangelegenheiten einen bebeu=
tenben ©influß aus. $er ^öitig arbeitete häufig mit feinen
TOniftem in ihrem Simmer, roährenb fie mit ßefen ober roeiblichen
Arbeiten befchäftigt mar. fragte er fie bei folgen Gelegenheiten
um ihre Meinung, fo antwortete fie in ber flieget ausroeidjenb unb
oerbarg forgfältig baS ^ntereffe, baS fie an bem Gegenftanbe ber
33erathungen nahm. 2lber in ber Kegel mar bereits sMeS jroifchen
ihr unb ben SJcmiftern bef prochen unb abgemacht , fo baß fie eS
mar, bie thatfächüch alle Gefchäfte leitete, roährenb fie ben $önig
in bem Glauben erhielt, baß alle @nt[cheibungen öon ihm allein
ausgingen.
Qn biefer einflußreichen ©teüung , in melcher fie jroar nicht
allgemein geliebt , aber allgemein geachtet rourbe , mußte fict) bie
SRaintenon burch ihre Klugheit bis gum Xobe SubroigS ju behaup*
ten. Xabci mürbe jebodj ihre Aufgabe bem Könige gegenüber öon
Qahr ju Qahr fehmieriger, ba berfetbe fortmährenb unterhalten unb
§erfrreut fein roollte unb Doch immer mehr bie (Smpfänglichfeit für
geiftige Unterhaltung öerlor. Gleich nach bem Xobe beS Königs
öerließ fie ben jpof unb jog fich nach ©t. (Eür jurücf, mo fie eine
reich auSgeftattete G£r$iehungSanftalt für breihunbert iöchter unbe=
mittelter ©belleute gefttftet hatte. $ort ftarb fie 1719, im Sllter
öon öierunbacht^ig fahren , bis an ihr <£nbe roie eine oermittroete
Königin geehrt.
3)aS gefammte £>of!eben $u ©erfailleS beruhte auf ber im
)'echjehnten Qahrhunbert am fpanifchen §ofe herrfchenb gemorbenen
Digitized by
106
Cubwiß XIV. von granfreicfc.
(Stilette, bic burd) flnna öon Defterreiet) nad) granfreid) öerpffonjt
morben mar unb luer burd) ßubmig XIV. ü)re h°#fte 2lu«bilbung
erhielt. Me« bi« in« SHeinfte mar bur* bic ftrengften ©efefce ge*
regelt. <£« gab genaue Sorfdjriften barüber , in meldte ©emädjer
bie einzelnen Herren unb tarnen be« §ofe« ungerufen fommen
Durften, »er beim Slufftefjen ober (Schlafengehen be« ftönig« zu-
gegen fein mu&te, bi« ju meldtet föangftufe f)erab bie pttxtn bei
ben ^ofgefeHfctjaften fid) fefcen unb auf ben Spaziergängen ba«
£aupt bebeefen burften.
Submig tyüt aufs ©trengfte barauf, ba& jeber @ro§e öon
SRang regelmä&ig bei 4>ofe erfct)eine. 2Ber bie« öerfäumte, burfte
auf feine SBergünftigung öon Seiten be« ®önig« rennen. SBurbe
um eine foldje für ihn gebeten, fo pflegte Submig ju antmorten:
„3ch fenne ben Sttenfdjen nicht; ich fehe iim nie." ©onft geigte
fid) Submig gemöfmlich im SSerfefjr mit feiner Umgebung fehr h^f5
lieh , öerbinblich unb lieben«mürbig unb mußte ftdj ftet« mit fo
mürbeöoller 9lrtigfeit au«jubrücfen, ba& feiten 3emanb bem 3a"ber
feiner Söorte miberftanb.
55ie Xage«orbnung be« $ömg« mar auf ba« ©enauefte be=
frimmt. SRaehbem ilm um adjt Uhr ber erfte ftammerbiener ge=
medt unb ein anberer ifjm ein frifche« £emb gebraut, erfduenen
$mei tammerherren , öon benen ihm ber eine SBeihmaffer unb ber
anbere ein (Gebetbuch reichte, morauf ©eibe fich jurüdjogen. So-
balb ber ®önig aufgeftanben mar unb fich ba« 2florgenfleib t)atte
reiben laffen, traten bie ^ßrinjen, bie Generale unb bie Herren öom
fogenannten „jmeiten «Surritt" ein, in beren ©egenmart er fid) an=
f leiben, ben öart abnehmen unb bie ^erliefe auffegen lieg. 9cad)
beenbigter Xoilette mürbe ein gemeinfame« sIRorgengebet üerrichtet;
bann begleiteten alle s#nmefenben ben ®önig in fein tabinet, mo er
feine Söefefjle über gefte , geierlidjfeiten unb anbere bergleichen
$inge erteilte, hierauf begab et fich jur Ütteffe, mobei ber ganje
Jpof in ber GJaHerie jmifajen feinem tabtnet unb ber ScapeHe in
feierlicher Haltung fielen mufete. 9tad) beenbigter äfteffe arbeitete
ber ftönig bi« ein Uhr mit ben Sftimftera in feinem Äabinete unb
ging bann jur 9Jttttag«tafeI. ©emöfjnlid) fpeifte er allein , unb
roährenb ihn bie Äammer^erren bebienten, fa^en fein ©ruber, ber
ben Xitel SDconfieur führte, fomie feine (Söhne unb ©nfel ftef>enb ju.
sJlad) ber Xafel fütterte ber ftönig feine §unbe unb fpielte mit
ihnen ; bann fleibete er fich um unb fufjr au«. Stach ber SRüd*
fefjr mec^felte er abermal« bie ßleibung, morauf er ben ©efua^ feiner
(^ünftlinge, ßammerleute unb Beamten empfing ober Söeridjte ent=
gegen na^m. Um je^n U^r begann bie glänjenbe Slbenbtafel , §u
melier eine Slnja^l öon Röfleuten eingelaben mürbe. SRadj aufge^
tjobener Xafel unterhielt ftc^ ber tönig noch eine 3eitlang fte^enb,
Digitized by Google
2>ie fransöftfcfc Sitcratur unter Subroig XIV. 107
mit bem ftüden an einen Pfeiler gelernt, über gleidjgiltige $)inge
mit ben üm umringenben SInroefenben unb jog fia^ bann, ben $a=
men eine Verbeugung madjenb, in fein ^abtuet jurüd, oon wo i^n
fpäter bie &erren öom erften unb aweiten gutritt in fein Sd>laf=
gemac$ begleiteten. «Racfcbem er in ifjrem SBeifein fein SCbenbgebet
oerridjtet unb fid) t)atte entfletben laffen, ftieg er $u ©ette, worauf
fid) bie anmefenben #ofleute jurürfjogen.
(5ine mafjrljaft impofante <ßraa)t entfaltete ber föniglidje £>of
an ben gro&en ©alatagen, an Welmen ber $önig bie ^ulbigung,
beS gefantmten £ofeS unb SRetdjeS entgegennahm ober in ber pra$U
Dollen ©aHerie $u VerfaißeS ben ©efanbten frember TOidjte feier^
lidje tfubienj erteilte.
2>ic frangdftf^e Literatur unter Shtbmig XIV.
Unter ber Regierung ßubwigS XIV. entfaltete fid) bie fran-
jöftfdje SRationafliteratur ju fo fyofjer SBIütfje, bafj man feine Qtit
Ujr g o 1 b e n e 3 Seitalter genannt fjat. TOerbingS fdjmiegte
ftd? bie $oefte , bie gleid) ben übrigen fünften r)auf>tfacr)(icr) jur
Verherrlichung beS &ofeS bienen follte, öollftänbig ber an bemfel*
ben fjerrierjenben ©efdjmadsridjtung an; baljer bewegten fid) irjre
Sdjöpfungen faft auSfdjlie&lid) in ben engen ©renjen ber ^onüenienj
unb trugen , ftatt baS ßeben in feiner Döllen SBafjrljeit mieberju-
föiegeln, baS ©epräge beS ©entarten. 9licr)t minber als burdj bie
Seffeln beS £ofgefdnnatfS mar ber freie Slufflug beS bidjterifdjen
©eniuä burd) bie beengenben Sdjranfen einer mi&öerftanbenen Siegel*
redjtigfeit geftemmt, meldte bie $id)ter felbft fidj buvd) bie fflaoifdje
9cacf)at)iming ber xHlten gebogen Ratten, ©anj befonberS gilt bie*
oon ber bramatifdjen $id)tung, bie, wie in ©nglanb unter @ltfa*
betfj unb ben Stuarts, fo audj in granfreid) unter ßubwig XIV.
im Vorbergrunbe ftanb, weil fie am meiften jur Verfeinerung ber
glän$enben £>offefte beitrug.
Sdjou SRidjelieu ftatte , oon ber &nfid)t auSget)cnb , baß ba&
Zfytattx eine Sdwle ber VolfSbübung fei, ber bramatifa)en 3)id)t;
fünft feine befonbere Slufmerffamfeit jugeroanbt. (£r entwarf fogar
jelbft in feinen Sftufceftunben Richte ju X^eaterftüden , bie er oon
mehreren in feinem Solbe ftefjenben $>id)tem ausführen lieft. 2lber
wie ber grofje (Staatsmann baS politifdje Uebergewidjt Spaniens
öernidjtet hatte , fo mar er auch bemüht , ben (SHnfluf} ju brechen,
ben baS in freieren formen fidj bewegenbe fpanifche $>rama auf
baS fran§öftfd>e X^eater ausübte , unb legte ju biefem @nbe ben
oon ihm befolbeten Richtern bie ^flidjt auf, fieft ftreng an bie brei
Sin^eiten beS SlriftoteleS ju ijalten, bie iöoüeau fpäter als @runb=
regel ber bramatifdjen ^ßoefie in bie $8erfe braute:
Digitized by GöOgle
108
ßubmtg XIV. t>on ftranfreicf).
„Qu'en on lieu, qu'en un jour, un seul fait accompli
Tienne jusqu'ä la fin le theätre rempli."
SDicfc Siegel, bie nidjt nur in ber $arftellung ber bramatifdjen
^anblung jeben 2Secf>fel be« Drte« üerpönte , f o bog alle« , ma«
außerhalb biefe« Drte« fid) jutrug, einfach erjagt merben mußte,
fonbern audj bie gefammte ©ntmitflung berfelben auf ben Seitraum
tion öierunb$man$ig ©tunben beidjränfte, eben baburdj aber and)
ben bramatifajen £id)tern bejüglid) be« ju roäfjlenben Stoffe« bie
engften ©renjen jog, galt feitbem al« ©runbgefefc ber „flaffifdjen
ISragöbie", bie im fiebaefmten galjrfjunbert unb ganj befonber«
unter fiubmig XIV. burd) (Sometfle unb Racine ju i^rer työdjften
iBoüenbung geführt würbe.
^ierre Corneille, öon feinen £anb«leuten „ber $ater
ber franjöfifc^en Xragöbie", unb „ber ®roße" genannt, geboren im
3af>re 1606 ju föouen, mar ber ©of)n eine« Ocneralabüofaten am
bortigen Parlamente unb fyatte fidj, nadjbem er in einem Qefuiten*
Kollegium eine gebiegene 93ilbung erlangt, bem ©tubium ber Sftedjt«-
tuiffenfdjaft gemtbmet, balb aber au«fdjließlidj ber $idjtfunft juge*
manbt. 5öon bem ßuftfpiele, in metd&em er fidj juerft oerfudjt,
ging er balb jur Xragöbie über, ©eine im 3a§rc 1^35 erföie*
nene, ganj bem ©enecca nadjgebilbete „Sttebea", bie großen SBeifaü
fanb, oeranlaßte 9ttd)elieu, ifjn unter bie ßafjl °cr fym befol-
beten 3>id)ter aufzunehmen. 3)a jeboä} ber fjodtftrebenbe (£ornetüc
fid) ben Slnfidjten be« $arbinal« nid)t in allen fünften fügen wollte,
löfte fidj biefe« SBerfyältniß balb mieber , jum großen iBort^eil be«
3)id)ter« , ber nun ganj feine eigenen SBege ging, 9lad)bem er ficö
mit ben bramatifdjen üfleiftermerfen ber ©panier öertraut gemalt,
fcfjuf er fd)on im Qafjre 1636 nad) einem fpanifdjen ©tüde öon
Luiden be ßaftro, feinen „Sib" , ber feine £anb«leute jur söegeiftc*
rung fyinriß, bem 3)id)ter aber ooüftänbig bie GJunft be« ®arbinal«
entjog. „$)er Seif all, ben ber £>of unb ba« ÜBolf biefem ©tüde
fpenbeten", fagt ber ®efd)idjtfd}reiber $£liffon , „ift unbejdjreiblid).
Wlan mürbe nidjt mübe, e« ju fefjen; man fprad) oon nidjt« Kit»
berem in ben ®efellfdjaften. 3eber mußte menigften« einige ©teilen
au« bemfelben ^erjufagen; bie ®inber mußten bie fdjünften au«=
menbig lernen. ,©d)öu mie ber (£ib', mürbe jum ©prüdjmort."
3n ber 2 bat befunbete ber (£ib burcfj ba« ebte ^atfjo«, bie
tolltönenben SBerfe unb bie meifterfjafte SDarftellung be« Kampfe«
ämifdjen Siebe unb (Sfjre einen bebeutenben gortfdjritt in ber (Snt*
micflung ber reiben bramatifdjen iöegabung be« 5)ic^ter«. Unftrei*
tig mürbe er ©rößere« gefa^affen ^aben , märe er auf ber betre*
tenen öa^n meiter gegangen; allein aud) er ließ fic^ burd) bie
^errfa^enbe ©efc^macf«ric^tung baju oerleiten, ju bem (lajftfa^en
2lltert^um jurücf ju fe^ren unb ficft fjauptfadjltd) ber ftarren Stö*
Digitized by Google
2>ie ftoit$ö[if(f)e Literatur unter Subroig XIV.
10»
inerttelt jujuwenben. $>a ihm feine (Uegner ben Vorwurf mad>
teil , bafi feine Stüde nur Nachahmungen feien , mät)lte er junächft
einen Stoff, ben bor ihm noch Niemanb bramatifch bearbeitet hatte,
unb fo entftanben im Safjre 1639 feine „£>oratier\ eine feiner
ooüenbetften Xragöbien, in welker er bie aufopfernbe Eingebung,
an ba3 «aterlanb barfteflt , bie im Kampfe für ba* £>eil beäfelben
3lüc3, auch bie eigne Samüie, preisgibt. ?ln bie §orarier reifte
ftch noch in betnfelben 3°hrc fein mit bem gleichen ©eifaß aufge*
nommener „<£inna", ben Napoleon I. „bie Schule ber Könige"
nannte.
55>a3 ©öchfte leiftete (JomeiHe in feinem „^ßotyeuft", in wel-
kem er bie 2Baf)rf)eit unb bie ftegreid)e ßraft ber chriftlicrjen 3been
jur $lnfd)auung bringt. 3n feinen folgenben Stücfen jeigt fich
mitunter eine geftnfje Neigung ju Uebertreibungen in ber Schübe?
rung ber ßeibenfehaften unb eine fehlerhafte ftnlage; aber in allen
feinen Xragöbien — er fjat beren über breifjig gefchrieben — fef*
feit er burd) ben 2lbel unb bie (Sr^aben^eit ber ©efinnung, burd}
bie traftoofle, ^nre^enbe Sprache unb burch bic Kühnheit, Seelen*
ftärfe unb geiftige ®raft, womit er feine Reiben audftattete.
<£orneüte ftorb im 3°hrc 1684 als Senior ber franjöfifcheu
2Ifabemie, beren SRitglieb er im Söhre geworben. 3ft feiner
£eben$weife wie in feiner (Srfcheinung war er äufjerft einfach , im
Umgang wenig gefprädjig unb ohne jebwebe UnterhaltungSgabe ;
bennoct) begegnete man ihm überall mit ber größten 33eret)rung.
So oft er im Schaufpielhaufe erfaßten , wo er feinen beftimmteit
s£la$ hatte , erhob fid) baS ^ßublifum unb baS parterre applau=
birte. Schmeichelei unb rnechenbeS SBefen waren ihm oerhafjt ; ba^
her war er auch Srcunb beS £>ofe$, obgleich auch w *°at
auf bie (Dröge granfreichS unb unter bem $anne lag, mit welchem
Üubwig XIV. burch feine Anfänge bie granjofen bezauberte. Sfteb*
lichfett, Äufrichtigfeit unb grömmigfeit bilbeten bie ©runbjüge fei-
net &fyaxattzx%.
$u ben Nachahmern SomeiÜVS gehörte fein jüngerer ©ruber
ZfyomaS Corneille (geb. 1625, geft. 1709), oon beffen jaf)l*
reichen Xragöbien jebodj (eine einzige mit benen beS „ großen (£or*
neiue* auch n«r im (Entfernteren oerglichen werben !ann.
2Bte baS Erhabene ben ©runbjug ber Xragöbien (SorneiuYä
bilbet , fo tragen bie Schöpfungen feinet jüngeren ßeitgenoffen
Racine mehr ben (tyaxattet beS sJtührenben. JJean Racine
war hn 3<*hr* 1639 5« #a 3ert&2Jcüon im Departement tttöne
geboren* Schon im Sllter oon brei fahren üermaift, erhielt er
(eine erfte (£r§iet)ttng im #aufe feines mütterlichen ©ro&baterS, bte
er in feinem fechse^nten 3ahre in bie Schule oon $ort*9toöal
(fiehe unten S. 122) aufgenommen würbe, wo er fich mit Vorliebe
Digitized
110
üiubujig XIV. üon frranfretcf).
bcn 9fleifterroerfen bcr alten ^cücncn jumanbte unb SöicleS auS
$omer, ©opfyofleS, MefdjöluS, (JurimbeS unb $ütbar auStoenbig
lernte. (Sine Obe , bie er im 3af>re 1649 auf bie SBermäljlung
SubnrigS XIV. bietete, braute bem reidjbegabten 3üngling burdj
Volberts Vermittlung ein ©eföenf Don fünflmnbert ßouisbor unb
eine jäl>rlid)e «ßenfion öon fed>Sf)unbert ßibres ein, bie ber fönig
fpäter, als SRacine if)n im Saljre 1663 burd) eine neue Cbe Der*
l)errlicf)t fmtte, auf jmeitaufenb fiiDreS erf)öfjte.
Racine'« erfte Sragöbie , „bie 2f)ebaibe ober bie feinblidjen
©ruber", bie im 3al)re 1664 in $ariS jur Sluffufjrung gelangte,
fanb reiben ©eifaü. ftod) tnefjr erhoben ilm in ber ©unft beS
<ßubltfumS fein „SHeranber" (1666) unb feine „Sfabromadje" (1668),
in meld) teuerem Stüde er fid) juerft als felbftftänbiger SDidjter
geigte, mä^renb er in ben früheren ©omeille jum Sßorbilb genom*
men. ©eitbem mudjS ber 9tu^m beS $id>terS mit jebem neuen
©tüd. 2luf Slnbromadje folgten jnrifdjen ben Sauren 1668 unb
1677 nod) fedjS meitere Xragöbien, unter benen „öritannicuS",
„g^igenie" unb „Wbra" bie bebeutenbften ftnb.
Qnbeffen oerleibete ber «Reib , ber bem Serbienfte folgt , mie
ber ©chatten ber ©onne, bem rufymgefrönten ^idjter bie bramarifdje
fiaufba^n fo feljr, baß er fidj im 3a§re 1677 ganj Dorn Sweater
^urüd^og. Qu biefem ©dritte ttürften jebodj aud) anbere, in Ujm
jelbft liegenbe ©runbe mit. $er eitle ©dummer eines Dergäng*
liefen Sturmes Dermodjte nidjt, fein $er$ loszureißen Don bem tief
in bemfelben nmrjelnben ©efmen naef) bem ©roigen unb Unoergöng-
liefen, unb fo fjatte er ben (Sntfdjluß gefaßt, in ben $artfjäufer=
orben ju treten, um in ber ftiflen ^lofterjelle im auSfdjließlidjen
$ienfte Rottes ben grieben ju fudjen , ben bie SBelt ifjm nidjt
geben ju fönnen fdjien. Qnbeffen gelang es feinen greunben, Don
feinem eigenen üBeidjtöater unterftüfct, ber SRacine'S bemeglidjeS #erj
nidjt für baS Softer geeignet fanb, ilm öon biefem (£ntfd)luß ju*
rücfjubringen.
S8on Submig XIV. im 3a§re 1677 ju feinem £>iftoriograj>l)en
«mannt, befdjäftigte fid) Racine fortan faft auSfdjließlidj mit bem
©tubium ber ®efd)id)te; bod) färieb er auf ben SBunfdj ber grau
von Sttaintenon für baS gräuleinftift Don ©t. Sur nod) jroei biblifdje
Xragöbien, „(Sftfjer" (1689) unb „Sltfjalie" (1691), in roeldjen er
audj ben gried)ijdjen (X ijor $ur s2lnmenbung brachte. SBon bem jpauaje
einer maljrfmft religiöfen SBeilje burdjmef)t, gehören beibe ©rüde $u
ben fd)önften ©lütfjen feines 3)id)tergeniuS. ^ndbefonbere Dereinigt
VUlmiie, unftreitig fein äfteiftertoerf unb ^ugleid) baS (größte, toaS
auf bem Gebiete ber flafftfa)*franjöftfa^en Xragöbie gefdjaffen mor*
ben, alle iöorjüge SRacine'S. @in ungleich tieferer Kenner beS
menfa)lia)en ^perjenS, als C£orneiHe, beffen ®l>araftere me^r tlb-
Digitized by Google
SMe frcmaöfifcfje fiitcratur unter Submig XIV,
111
frraftioiten als Realitäten fhtb, Gilbert Racine ben SJcenfchen in
öollftänbig wahrheitsgetreuen Süßen, nach Sa Bruto&re'S SluSfpruch,
„ntdjt, wie er fein füllte, fonbern, wie er ift." Qn fetner treffen^
ben, burchficf)tigen Sprache fpiegeln fich alle Regungen beS SHenfchen*
her^enS wieber. ©an$ befonberS finb feine grauengeftalten EWcifter=
werfe ber Sharafteriftif. $abei finb alle feine (Schöpfungen t>on
bem Räuber ber Einmuth untwoben unb tragen baS Gepräge ber
hödrften gormoollenbung. 3n ber Harmonie unb bem SBo^aut
beS SBerfeS ift Racine öon feinem anbera franjöftfchen dichter je
übertroffen worben. Racine ftarb int 3af)re 1699 auS Kummer
über bie Ungnabe beS ÄönigS, bie er ficf) burdj eine Eenffchrift ju=
gebogen , in welker er bie herrfdjenbe Roth als bie golge ber (£r=
oberungSfriege ßubwigS barfteüte unb SJcittel gu ihrer 2lbf)ilfe
oorfc^lug.
Oünftiger als für bie Xragöbie , bie trofc beS hohen 2luf-
fchtoungS, welken fie unter (£omeifle'3 unb Racine'S Bearbeitung
genommen, innerhalb ber ihr burd) ben hemmenben Regel^mang ge-
sogenen ©djranfen fich nur ju einer relatiöen SBoIIenbung entfalten
fottnte, lagen bie SBerfjältniffe für bie #omöbie, für welche nicht
bie gleiche ftrenge Beobachtung einengenber Regeln oerlangt würbe.
Bis ju SometuYS Auftreten t)atte granfreich gar feine eigentliche
ftomöbie gehabt. SGÖaS mit biefem Ramen bejetdmet würbe, waren
theilS Rad)ac)mungen aus bem Stalicnift^cit , theilS Slnfammlungen
lofe aneinanber gereifter alter berber ©paffe. ($rft burdj (EorneiUe'S
„Sügner" würbe ber (Urunb ju ©harafterftücfen in eblerer Sprache
unb mit gernhaltung aller gemeinen ©paffe gelegt. $er eigentliche
Begrünber ber franjöfifchen ftomöbie war jeboch 9JI o l i h r e , ber
bie franjöfifche ©efellfchaft , öon ihrer lächerlichen Seite aufgefaßt,
in wahrheitsgetreuen f lebenSöoflen Sittengemälben auf bie Bühne
brachte.
3ean Baptifte ^oquelin — bieS war ber eigentliche
Rame beS XidjterS — War im 3af)re 1620 als ber Solm eines
XapejiererS unb ÄammerbienerS beS Königs ju $ariS geboren.
$er häufige Befudj ber theatralifchen BorfteHungen im £otel bc
Bourgogne, Wohin ihn fein ©rofjöater öon mütterlicher Seite mit*
junehmen pflegte, fyattt in ihm eine fo unwiberftehliche Reigung
für baS Xheater geweeft, ba§ er ftch nach feinem SluStritt aus bem
Qefuitencollegium öon ©lermont ju *ßariS, wo er ftch fünf Qafjre
lang fleißig mit ben alten Sprachen, ber ^litloiopinc unb ber Rechts*
wiffenfehaft befchäftigt fmtte, im ftahre 1642, trofc ber #bmah=
nungen feines erzürnten BaterS, unter bem angenommeneu Ramen
SJcolifcre einer bamals bejonberS beliebten ©chaufpielergefeüjchaft
anfchlofe, bie im gaubourg 6t. ©ermain Borftellungen gab. Xrci
3ahre fpäter oerlieg er bie #auptftabt, um als $ireftor einer man*
Digitized by GooqIc
112 ßubroig XIV. öon Sranfreid).
bcrnbcn Xruppe SBorftellungen in ben <ßroöinzialftäbten ju geben,
wobei er, ba c* ihm an ßuftfpielen fehlte, fctbft zur JJeber griff,
um sunadtft öerfchtebene italiemfche unb ipaniföe ©tücfe für bie
franzöfifdje ©filme umzuarbeiten, ©alb jeboct) fdt>ritt er zu eigenen
Schöpfungen, bie wegen i^red fernhaften SBifecd unb ber Statur-
roat)rt)eit ir)rer ß^araftcre großen löeifad fanben.
3m 3at)re 1657 nad) <ßari* jurüefgefe^rt, erhielt 9Miere,
auf bie «erwenbung be* Prinzen öon Sonti, feine* bejonberen
©imner*, bie ©rlaubntjj, oor bem $önig ju fpielen, ber ftd) fo fet)r
an feinen Stäcfen ergöfcte, ba& er ÜMiere'* Xruppe in feinen
eigenen Xienft nahm. 3efct erft befanb ftd) SMiere in ber Sphäre,
in welcher fid) fein ungewöhnliche* Xalent öoUftänbig entfalten
fonnte, unb in rafdjer Slufeinanberfolgc erfduenen bie bebeutenbften
feiner ßuftfpiele, öon benen öiele al* wahre 9tteifterwerfe ftdj nodj
jefct auf ber ©üfjne be* gleiten ©eifall* erfreuen, wie jur Seit
ihrer erften Aufführung.
9GBa* bic Üomobie ÜMiere'* au*zeidmet, ift bie barau* ^er-
oorleuc^tenbe tiefe ^enntnifj be* menfdjlichen Gerzen* unb ber 33er-
t)ältniffe be* ßeben*, mit welcher ber mit einer feltenen Söeobad^
tung*gabe au*geftattete Xidjtcr thetl* ourdi fein zwölfjährige* 2Ban=
bcrleben, tt)eil* burd) feine fpäteren Beziehungen zu bem Jpofe unb
ben üerfduebenften Greifen ber Sßarifer Ötefeflfc&aft oertraut gewor*
ben, fowie bie unübertreffliche 3eid)nung ber (iijaraftcrc, bie zwang*
lofe Anlage feiner Stüde unb bie SRaturwahrfjeit ber Situationen,
bie frifdje ßebenbigfeit unb Slnfchaulidjfeit ber Spraye unb bie
iHaftt^öeit unb ßeidjtigfeit be* $)ialog*. ©eine Stüde finb zwar
junächft unb §auptfäd)lid) ©über ber Sitten unb ißerf)älrniffe fei-
ner Qtit unb feine* SBolfe*; aber oiele feiner (£f)araftere, wie fein
®ü$al$, fein SRenföenfeinb unb anbere, ^aben ihr llrbilb fo
fet)r in ber menfd) liefen Statur, baß fie für ade Stationen wie für
alle Reiten gleich treffenb unb gleid] wahr finb. $on ben fedj*--
unbbreijjig ftomöbien, bie ÜJioliere getrieben, finb bie bebeutenb-
ften: bie „Femmes savautes" , ber Bourgeois gentilhomme",
in welchem er bie I itelwuth be* bürgerlichen ©mporfömmling* auf
bie ergöfclid)fte SBeife fdjilbert, ber „Qbti$aU", ber „SÄenfdjen-
feinb" unb ber „Xartufe", ein Stüd, worin ber dichter zwar nur
ba* 3urjchautragen einer erheuchelten, al* 2)ecfmantel ber Selbft*
fucejt bienenben grömmigfeit geigein wollte, bem aber öon ^Bielen
nic^t mit Unrecht ber Vorwurf gemacht würbe, bajj e* and) bie
wahre grömmigfeit ber @efal)r au*fefce, al* Heuchelei oerbächttgt
Zu werben.
Obgleich Sttoliere in glänzenben $ermögen*t>erhältniffen lebte,
ba ihm auger bem Gkfyaite öon fiebentaufenb Siöre*, ben er Don
bem Äönig erhielt, feine Stüde fo öiel eintrugen, bog fein jährliche*
Digitized by Google
$ie fransöftfäe Literatur unter Lubroig XIV. 113
Uli«
41' 'Ü
C^infommen auf breißigtaufenb Lioreä beregnet mürbe, führte er ein
einfach^ unb mäßiget Leben unb fu'elt fia) felbft oon ber Sittcn-
Derberbniß frei, bie er fo trefflief) ju fdnlbern oerftanb. Xrofc be£
3ruf)me£, ben er fid) burd) feine $id)tungen ermorben, maren üjm
Sitelfeit unb ©elbftüberfjebung fremb. SBergeblidj brangen feine
jaljlreidjen (Gönner unb greunbe in ifm, fid) öon bem Xfjeater $u=
rürfju^ie^en, um in bie ^fabemie einzutreten: er blieb Sdjaufpicler
bi§ an feinen Xob. 2113 er am 17. gebruar 1673 bei ber britten
33orftellitng feines legten Stüdes, „Le malade imaginaire", bie
Titelrolle fpielte, überfiel ifm ein ©lutfturj, unb in menigen 8tun*
ben mar er eine Leiefje.
9ceben ber Xragöbie unb ber ®omöbie blühte unter Lubmig XIV.
audj bie franjöfifdje Dper. 25er eigentliche Söegrünber berfelben mar
ber glorentiner ©iooanni SBattifta Sullrj (geb. 1633, geft. 1681),
ber al3 ®üd)enjunge ber SJcabemoifeHe be SDcontpenfier nad) s$ari$
gefommen mar, unb buref) fein ungemöfmlidjeä mufifalifdjeS Xalent
bie ^lufmerffamfeit Lubmigä XIV. fo fcr)r erregt rmtte, baß berfetbc
für feine meitere SluSbifbung ©orge trug. Anfangs oon bem ®önig
an bie Spifce feiner „Bande des petits violonstt gefteflt, bie unter
feiner Leitung ben Stuf ber gefdjicfteften Capelle ©uropaS erlangte,
mürbe er im Qafyre 1671 jum $)ireftor ber großen Oper ernannt.
Qu feinen Opern, bie über ein &albe3 Qafjrfmnbert gan$ granf=
reidj entjürften, lieferte ümt 5ßf)ilipp Ouinault (geb. 1635,
geft. 1688), ber fict) audj im Luftfpiel nidjt oljne ÖKüd t»erfua)te,
treffliche Xerte.
$em Seitalter Lubmig« XIV. gehört aud) Qean be La fon=
taine (geb. 1621 ju af)ateau^ierrü, geft. 1695 ju $ari3), ber
größte fran$öfifcr)e gabelbid)ter, an. Lafontaines gabeln, tf)etl£
eigene ©rfinbung, tfjeilö Uebertragung au3 ben ©idjtern beä s2llter=
ttmmä ober be§ 2Jcittelalter$, finb mafjre Sfleiftermerfe, au3ge$eia>
net burd> Seia)tigfeit unb ©efäfligfeit be$ ©töl3, finbliaje ftaiöität,
Lebenbigfeit, «Ratürlictjfcit unb SBatjrrjcit ber SDarfteHung. $aS $er3;
maß med)felt je naa) ber Sftatur beä ©rüde« unb fdjließt fidj unge=
$mungenr< mie ein leiste« ®emanb, bem Qnfmlt an. $ic Lefjre fließt
ganj oon felbft in anmutfug fiterer SBeife au« ber (Ermutig tjcr=
oor. SBeit meniger Lob oerbienen Lafontaines ben alten franjöfi*
jdjen „gabliauj" nad&gebilbete poetifdje @r$äf)lungen, in benen er
oielfaa) bie ©renjen ber Sittlia)feit überfdjreitet.
Lafontaine mar ber einjige unter ben großen franaöfiferjeu
$id>tem be« fieberen ^aijrfjunbert« , melier fict) ber ®unft
Lubmig« XIV. nidjt ju erfreuen ^atte. 5)er ^önig f ber in ber
^oefie, mie in ber ßunft überhaupt, nur ba3 ©roßartige unb
^omp^afte liebte, Imtte feinen Sinn für ben einfachen Qbeenfreiö
unb bie ungefünftelte ©pradje ber gabelbta^tung, unb ebenfomenig
^oljttart^ 38eltge|^te. VI. 8
Digitized by
114
Lubtuig XIV. üon granfreid).
Jagte iljm ber träumerifdje, $erftreute, forgfo« in bcn Xag funein=
lebenbe $)id)ter ju, bcr ftd) feine ÜJcüfje gab, iljm jn gefallen unb
burd) ben GIan$ be« #ofe« ftd) nidjt geblenbet jeigte; aud) öer=
brofj i^n bie tafyängltdtfeit, bie Lafontaine feinem Gönner gouquet
beroafjrte.
5)er einflufjreidjfte ©djriftfteller au« ber Qzit Lubttrig XIV.
mar Nicola« ©oüeau'$)e«pr<$aur. (geb. 1636, geft. 1711),
ber Anfangs bie 9ted)te, bann Xljeologte ftubiert, fidj aber balD au«*
fdjliefjlid) ber SJtdjtfunft genribmet Ijatte. SU« ein talentöoller $)id)5
ter unb äufjerft getuanbter SBerfififator, bem jebod) jebe Genialität
abging, roanbte ftd) SBotleau sunädtft ber «Satire ju unb erntete in
biefer Gattung reiben 93eifaÜ. ©eine ©atiren, in benen er mefjr
bie I^or^eiten unb ftttlidjen Sßerirrungen feiner 3cit, al« bte eigent*
lidjen Safter geigelt, öerratfjen ^enfdjenfenntnif}, ©djarfftnn, SBifc
unb eine feine 93eobad)tung«gabe unb finb auagejeidmet burdj eine
reine, flare ©pradje unb einen äufjerft regelmäßigen 5Öer«bau; bie
Gebanfen entbehren jeboct) ber 9leur)eit unb Originalität; aud) oer»
mifjt man an bem SBerfaffer Xiefe be« Gefühl* unb bid)terifd)e 83e*
getfterung. $)ie fml)e SBebeutung ©otleau'« für bte franjöfifa^e
Literatur liegt jebod) weniger in feinen ©atiren, al« in feinem be*
rühmten Letyrgebidjt, bie „Art poetique", in meinem er in roor)I=
flingenben Herfen ein öoüftänbige« Letyrgebäube ber $)idjtfunft auf*
ftellt. $iefe« bielgepriefene SBerf, morin er nidjt nur ba« SBefen
ber einzelnen poetijdjen Gattungen befinirt, fonbern aud) bem 2)idj*
ter Siegeln unb Anleitung über alle« gibt, ma« er in ©ejug auf
gorm unb Qnfjalt feiner ©djöüfungcn ju beobadijten ober ju meiben
fjabe, lfjat lange Qtit als poetifdje« Gefefcbud) gegolten unb auf bie
©ntmirflung ber franjöftfdjen Literatur einen bebeutenben, roenn auaj
nid)t burdnoeg erfpriefjlidjen Hinflug ausgeübt. $a« $auptt»erbienft
öoileau'« beftefjt barin, ba& er ju einer geläuterten Gefdjmad«*
ridjtung ben Grunb gelegt unb ba« «ßublifum in ben ©tanb gefefct
imt, bie l)erüorragenben (Jrfdjeinungen auf bem Gebiet ber jeitge-
nöffifdjen Literatur nad) Gebühr ju toürbigen. S3on bem ©eifall,
ben öoüeau'« SBerfe in granfreid) gefunben, legt ber Umftanb 3*U9S
nifj ab, bafj fd^on mäljrenb feine« Leben« baoon fedjjig tlu«gaben
erfdjienen unb im Safjre 1830 beren bereit« jmet^unbertfünfjig ge*
5äljlt rourben. 2Bie Racine, fo mürbe audj öoileau, ber mit allen
fjeroorragenben $id)tern feiner Seit ben freunbfdjaftlidtften Serfcfjr
unterhielt unb am £ofe f)od)geef)rt mar, oon Lubmig XIV. ju feinem
#iftoriograüljen ernannt; aud> mar er 9Äitglieb ber franaöfifdfen
»fabemie unb ber Wabemte ber 3nfd)riften.
2luf bem Gebtete be« Vornan« ^errfa^te bi« ju Eoileau'« Qtit
noc^ oer Gefc^mad für bie föomantif be« ^ittert^um«, bem befon*
ber« iöcabelaine be ©eub^rö (geb. 1607, geft. 1701) in üjren
Digitized by Google
3)ie franjöftfdje Siteratur unter Subroig XIV.
115
langatmigen ^iftori{a)en Romanen fjulbtgte. ftachbem ©oileau'*
Satiren biefer ©efdjmacterichtung ein @nbe gemalt, oerlangte man
ftatt ber pomphaften ©prachc, ber nnmberbaren Abenteuer, ber über«
fdjroänglichen ©efinnungen unb (Befühle, bie man lächerlich ju fin=
ben begonnen, Einfachheit unb ^atürlia)feit in SBejug auf ©prache,
Gegebenheiten, ©mpfinbungen unb ßharaftere, unb biefen 5Inforbe=
rungen entfprechen bie Romane ber geiftreidjen (Gräfin oon 8 a*
fa^ette (geb. 1632, geft. 1693), beren £>auä ber ©ammelplafc ber
au^gejeiajnetften ©eifter mar.
Qm fomifchen Romane glätte ber bereits oben (©. 104) als
®emahl ber granc^ife b'&ubigne' genannte geiftreidje $aul ©car*
ron (geb. 1610, geft. 1660) ein 3flann, ben eine fernere Heroen*
franfheit febon in feinem fiebenunbsmanjigften Lebensjahre jum ooll*
ftänbigen Krüppel gemalt, ber aber nichtsbeftomeniger bis an feinen
Xob bie unoernutftlichfte £eiterfeit beroahrte. $aS Söefte leiftete jebodj
im fonüföen Vornan Sllain föene* ßefage (geb. 1668, geft. 1747),
ber bie Umriffe ju feinen ©djöpfungen ben Spaniern entlehnte unb
beffen „Gil-Blas de Santillanau als baS Oottenbetfte Söerf in biefer
(Wartung gilt.
(Jinen ^öc^ft intereffanten Xf)eil ber franjöfifdjen ßiteratur
unter ßubmig XIV. btlben bie 93rieffammlungen oerfd)iebener geift-
reifer grauen, unter benen bie 9Jcarquife oon ©äöigne* (geb.
1626, geft. 1696) ben erften Sftang einnimmt. $)ie ©riefe biefer
liebenSroürbigen, burä) 2lbel ber Öteftnnung nicht minber als burd)
bie öielfeitigfte SBilbung heroorragenben S^au an ihre $od)ter, bie
in 2Ü£ lebenbe SDcarquife öon ©rignan, feffeln nicht nur, als un>
übertroff ene SDcufter beS franiöfifd^en $3riefftn(S, burd) Einmuth,
griffe, ©eroanbtheit unb ®orreftheit ber Spraye unb ben rüfjrenb*
ften N2luSbrucf einer an ©chmarmerei grenjenben 9Jhitterliebe, fon*
bem gemäßen auch burd) bie barin enthaltenen Details über baS
ßeben unb Xreiben am £>ofe unb in ber ^arifer ÖJefettfchaft, fomie
burd) öielfadje Slnfpielungen auf bie nndjtigften 3eitereigniffe einen
fjöchft intereffanten ©nblicf in bie ©cf duckte ßubmig XIV. unb ber
heroorragenbften ^ßerfcmlichfeiten aus feiner Umgebung.
$)ie franjoftfehe $rofa entfaltete fidj in ber jroeiten $ölfte beS
fiebjehnten 3a^r^unbertS ju ber ^errlic^ften iölütlje in ber geift=
liehen SBerebtfamfeit, in meldjer befonberS öoffuet, g^nelon, gl^dner,
33ourbaloue unb SJcajfillon eine SBerüIjmheit erlangten, in welcher
pe oon feinem ber nadjfolgenben ®an$elrebner erreicht toorbeu finb.
SacqueS benigne SBoffuet, geboren am 27. ©eptember
1627 §u 3)ijon, jeigte fdjon frühe eine ungewöhnlich reiche geiftige
Begabung, bie fidj unter ber Leitung ber 3efuiten auf* Olänjenbfte
auSbilbete. ©eine gamilie hatte ihn für bie juriftifche Saufbahn
beftimmt; aber ber ©rnft unb bie Xiefe feines GJeifteS jogen ihn
8*
Digitized by
116
ßubroig XIV. üon ftranfreid).
unnüberftehüch jum geiftlichen Staube hin. ftachbem er in <ßariS
Xheologie unb ^fufofophie ftubiert, bann in 9Kcfc $mei %af)tt lang
bem Stubium ber $irchenöäter, namentlich beS tjcütgen Augufrin,
obgelegen unb im Safjre 1650 bie 2)oftormürbe erlangt Ijatte, er*
hielt er im 3ahre 1652 bie ^rieftermeihe unb tourbe ®anontfuä in
äflefc, too er fe$* Sah« in tiefgehenben Stubten unb eifriger priefier*
lieber Xtjätigfcit »erbrachte unb iuSbefonbere erfolgreich für bie Ve-
rehrung ber ^roteftanten mirfte, öon melden Diele burd) feine SJcilbe
für bie fatr)olifcr>c ftirdje gewonnen mürben.
3m Söhre 1659 öon bem $omfapitel öon ättefc jur Orbnung
uerfchiebener Angelegenheiten nach *ßariS gefanbt, rig 93offuet jehn
3ai)re lang beu $>of unb alle Greife ber Jpauptftabt burd) feine er*
greifenben ^rebigten hin, in benen fic^ mit ber fjödtften Äraft unb
Stürbe ber Spraye unb bem erhabenften ©ebanfenflug bie tieffte
ftenntniß beS 2flcnfchenher$enS öerbanb. Unerreicht geblieben ift
er in feinen Xrauerreben — Oraisons funebres — „9ioch nie",
fagt SBeifj, „hat Qemanb fdjöner, ergreifenber mcnfct;Iict)e Ököfce in
il)rer ^idtjtigfeit ber Roheit ©otteS entgegen $u ftetten oerftanben
unb an ben Eingang eines Sterblichen erhabenere @Jcbanfenreihen
$u fnüpfen oermocht. $)te Seele beS SRebnerS ift nrie lobernbeS
Seuer, welches, alle* 3rbifcf>e oer$chrenb, mit feiner Spifcc ben
Gimmel berührt. An ber ©rofjartigfeit Der ©Uber, an ber ©ebrängt=
tyeit ber SÖorte ftef)t man, nrie feine Seele ftdj nährte an bem ©eift
ber ^eiligen Schrift."
Qm 3a^rc 1670 tourbe Soffuet oou ßubmig XIV. $um (£r=
aieher beS $aupl)in ernannt. @Janj oon ber fyotyen ©ebeutung ber
ihm übertragenen Aufgabe erfüllt, fdjrieb er für benfelben feinen
berühmten, mit stecht als baS SJceiftertnerf ber fran^öftfe^cn s$rofa
gefeierten „ Discours sur l'histoire universelle * , eine großartige
üeberjidjt ber ©eiduchte ber 2D^cnfc^t)eit bis auf ®arl ben ®ro&en,
in toelcher er $ucrft unter allen ©efchichtf Treibern bie 2Bel taddjidite
ald ein ®aujeS auffaßte unb bie £anb QJotteS in ber Leitung ber
menschlichen (^eiduefe nachnues. 9tachbem *8offuet feine Aufgabe
als Gr^ieher beS Dauphin beenbet hatte (1680), ernannte ihn £ubnng
3itm erften Almojenicr ber Xauphine unb jum Söifchof non itfeauf,
in roelay legerer Stellung er fich burch einen ungewöhnlichen
jpirteneifer auszeichnete. 3n biefer Seit cntftanb feine berühmte
„©ejdnchte ber Steränberungen beS proteftantifchen Ehrbegriffs —
Histoire des variationstt, bie fein proteftanti jeher ©chriftfteucr jener
Seit ju miberlegcn oermod)te.
AIS ber erftc sJiebner 3ranfreichS eröffnete 93offuet baS fleatio-
nalconcil öom $ai)xc 1681 mit einem mcifterlmften, gebanfenreichen
Vortrag über bie (Einheit ber ttirche, liefe fich jeboch nichtSbefto-
weniger, wie nur oben i^S. 98) gejetjen, burch feine alljugrofje 4>tn=
Digitized by Google
3)ic frcmjöfifcfce fiiteratur unter ßubiüig XIV.
117
gebung an ben Lintig jur 93crt^etbigung ber f. g. ga[Ufantfdjen grei*
* .«i g.i — ?g —
netten umreißen.
SBoffuet frarb am 12. STuguft 1704 Stteauj, im Mter ton
fiebcnunbpcbjtg Sauren. SBon bem tjofjen &nfel)en, in roelcfam er
bei ben 3eitgenojfen ftanb, jeugen bie Söorte SRafftllon« : „$n ben
erften 3af)rljunberten be« Gbriftentfjum« geboren, märe er ba« Drafet"
ber Äirdje gewefen unb fjätte $u 9Hcäa unb (£pt)efu« ben SBorfifc
t)abeu muffen."
Sine ton ©offuet tuefentlid^ öerfduebene Natur, aber gleia>
falls eine fieud)te ber ftirdjc, ein üflufter geiftlidjer ©erebtfamfeit
unb ein SSorbilb priefterlidjer SBfirbe unb ^oljeit mar ber liebend*
rrmrbtge, eble unb milbe S r a n $ o i « be ©alignac bc la
Sttotije S^n^Ion. Geboren auf bem ©djloffe S^Ion in $erU
gorb am 6. 9luguft 1651, bejog ber retdj begabte gönelon fdjon
früfj bie Unirjerfität (£af)or«, ftubierte bann ju "sßariö ^ßb,ilofopfue
unb Geologie unb erhielt im Qa^re 1673 in bem ©eminar ©t.
©utpice bie 98rieftern)eif)e, vorauf er brei 3a§« in biefer Pfarrei
a(« ^rebiger unb Sattlet tfjatig war. Sßäfjrenb biefer Qtit Oer«
fafjte er feine „Slbfyanblung über bie (Sfiftena ©orte«", beren erfter
Xt)eil au« einer glänjenben ©djilberung ber ©a)önr)eit unb Drbnung
ber SRatur befielt, toäfjrenb er in bem jtoeiten, ben fiefer öon bem
©idjtbaren jum Unfidjtbaren fortfü^renb, in bie Xiefe ber ÜWctapfjrjfif
bringt unb babei nia^t nur $u überzeugen, fonbem aua) ba« |>erj
$u erwärmen lüeiß.
Sin fegen«retdjer 9Sirfung«frei« eröffnete fid) für ben feelen*
eifrigen gen^Ion, at« er nad) ber 5luft)ebung be« Sbift« ton 9ßan*
te« Don feinen Oberen nadj Sßottou gefanbt mürbe, um an ber SBe*
fefjrung ber bortigen ^roteftanten XljeU ju nehmen. Hebte fdjon
feine ganje ^erfönlidjfeit, in«befonbere feine ÜJttlbe unb Öeutjeltg*
feit, einen Sauber au«, ber üjm jum Söorau« bie vierten ber ju
S3efer)renben gewann, fo oermoa^te faum einer berfelben {einer
einbringüdjen, überjeugenben ©erebtfamfeit ju wiberfteben, unb
feiner ber übrigen 9)ciffionäre burfte fid) berglctdjen (Erfolge rüf)*
men, wie er.
3m 3af>re 1689 würbe g^ndlon ton ßubwig XIV. auf bie
©mpfer)(ung ber grau ton SJtomtenon $um Srjtefjer be« £>erjog«
ton ©ourgogne , be« älteften ©ofyne« be« $aupf)in«, ernannt, unb
er unterzog fict) ber üjm geworbenen Aufgabe mit ber aufopfernd
ften Eingebung unb ^ßflid^ttreue unb mit enrfpreajenbem ©rfotge.
9cad)bem Um ber ßönig im Qa^re 1695 jum (Srjbifdjof Don (£am*
brat) ernannt fjatte, fc^rteb er für feinen föniglidjen Högling a(«
ße^rbuaj ber 9Regierung«f unft feinen berühmten bibaftifa^en Vornan :
WVU Abenteuer be« letemad)", ber ben fünftigen X^ronerben bie
Sugenb lieben unb ba« Safter meiben lehren foüte. 5)iefe« ©uet),
Digitized by
118
Subroig XIV. öon ftranfreid)
in bem fid) g<*n#on« reine« unb tugcnbfjafte« (Semütfj in ber
ebelften ©pradje abfpiegelt unb ba« unter allen feinen SBerfen am
J
t
41
beftomeniger bie Ungnabe be« ®önig« $u, ber in bem ganjen 9to=
man nur eine Satire auf feinen £>of unb feine Regierung erblicfen
mollte. S^n^ton erhielt bie SBeifung, feinen ©prengel nid)t $u
terlaffen, unb feinem Sögling mürbe jeber per f online SBerfefjr mit
il)m unterfagt.
SBeldje ©teflung gdn^Ion ju ben öier gatlifanifc^en SIrtifeln
einnahm, |mben mir bereit« oben (8. 98) gefe^en. 353ar er f)ier,
al« Skrtljeibiger ber SRedjte ber $ird)e gegen bie Ucbergriffe ber
©taat«gemalt, ©offuet gegenüber im föedjte gemefen, fo mar bie«
bei einer fpäter jmifdjen ben beiben berbienftüoUen Prälaten enfc
ftanbenen heftigen ^olemif nidjt ber gafl. (£« mar nämlidj ju
jener 3eit burd) ben ©panier Üflidwel 2Jcolino« (geb. 1627 ju ©a*
ragoffa, geft. 1698 in föom) eine falfdje 9tid)tung ber Sttöftif, ber
fogenannte „£Luieti«mu«", in« fieben gerufen morben, nadj meinem
bie Ijödtfte ©tufe ber S3oHfommenf)eit in bem gänjlidjen ©idjücr-
lieren in (Sott, b. f>. barin befielen foflte, ba6 fidj bie ©eele jeber
©elbfttfjätigfeit enthalte, meber nadj bem Rummel verlange nod) bie
£ölle fürdjte, meber Slfte be« Glauben« ermecfe nod) befonbere (Se*
bete oerridjte, fid) jeber Hoffnung unb 3urd)t gänjlid) entfdjlage,
ben Verfügungen feinen Söiberftanb leifte, fonbern, in iljr iftidjt«
öerfunfen, (Sott allein in fid) mirfen laffe. tiefer £luieti«mu«,
ben Sftolino« felbft nadj jeiner Verurteilung burd? Qnnocenj XII.
abgefdjmoren, taufte in gemilberter 3form aud) in Sranfreid) auf,
mo eine burdj Jrommigfeit unb Verebtfamfeit f)eröorragenbe 3rau,
bie oermittmete 3otwnna be la 9flotf)e (S u ö o n (geb. 1648 ju
üttontargi«, geft. 1717 in SBloi«) benfelben burdj SSort unb Schrift
ju öerbreiten fudjte. 3^re (Srunbanftdjt mar, bafj e« einen 3«s
ftanb ber reinen unb uneigennützigen ßiebe (Sorte« oljne SRüdftdjt
auf ßot>n unb ©träfe gebe, in meinem ber Sftenfd? felbft gegen
fein ©eelenljeil gteid^giltig fei unb (Sott al« ba« ooüfommenfte unb
lieben«mürbigfte SBefen nur um feiner felbft mitten liebe, barin bie
Uoße ©eltgfeit finbe unb bafjer audj bereit fei, bie Verbammni& ju
tragen , menn ©ort fie iljr beftimmt fmbe. ßubmig XIV. öeran^
ftaltete bie Äonferenj ju 3ffü (1694), meiere unter ber ßeitung
Voffuet« bie (Srunbfäjje ber ächten HJcnftif im (Scgenfafce ju ben
2lnfia)ten ber SBittme (Suüon in merunbbreijjig s2lrtifeln feftftellte,
unb fiefctere unterjeia^nete berettmiUig bie gegen it)rc ©Triften er-
laffenen ©enfuren unb erflärte feierlich, ba§ fie nie beabfidjtigt Ijabe,
(Stma« gegen bie ßefjre ber $irdje $u Jagen ober ju fa^reiben. $er
©treit ljörte bamit aber niajt auf; benn öoffuet« ©a^rift: „Von
ben ©rufen be« ©ebete«" öeranla&te S^n^lon in feiner ©a^rift :
Digitized by Google
®ie franjöfif^c Siteratur unter «ubroig XIV.
119
„3)ie ©runbfäfce bcr ^eiligen über baS innere fieben" bie fie^re
öon ber uneigennützigen Siebe ju ücrtfjeibigen. 2IIS jebodt) $apft
^nnocenj XII. , bem bie ©acfje jur (£ntfcf}eibung öorgelegt worben,
breiunbjwanjig aus g£n£IonS ©d)rift gezogene ©äfce üerurtf)eüte,
unterwarf er fidj nicr)t nur öoflftänbig biefem ©prucfj, fonbern öer=
bot felbft in einem Hirtenbrief feinen $>iö$efanen baS ßefen feines
93ud)eS. g^n^lon ftarb 311 (SEambrat) am 7. Qanuar 1715, im Hilter
öon breiunbfedjaig Sauren.
©Sprit girier (geb. am 10. 3uni 1632, geft. 1710), ber
Sofjn armer Altern, begann feine ©tubien unter ber Leitung feinet
C^eimS, welcher ©upertor ber Kongregation ber chriftlidjen ficfjre
in Slöignon war. %lad) bem Xobe beffelben fam er nach $ariS, wo
er burch bie ©unft mehrerer öornehmen trogen in ben ©tanb gefegt
mürbe, feine tljeologifchen ©tubien ju beenbigen. Anfangs mürbe
er öon Subwig XIV. jum 93ifd)of öon Saüaur. in ßangueboc, fpäter
jum SBifchof öon 9limeS ernannt, in welch' lefcterer ©teile er burch
feine Söerebtfamfeit feie burch feine Xugenben ja^Ireic^e ^ßroteftanten
feiner ^iö^efe für ben fatf)otifd)en ©lauben gewann. 2HS einer ber
gefeiertften ^anjelrebner feiner 3cit erwarb er fid) befonberS ^o^en
3ftuf)m burch feine Xrauerreben, öon benen öiete, inSbefonbere bie auf
©offuet unb Xurenne, noch jefot als unübertreffliche SDfeifterwerfe
beS ©tnts bewunbert werben.
SouiS SBourbaloue (geb. am 20. Huguft 1632 $u SBourgeS,
geft. 1704) trat, nadjbem er nur mit Sftüfye öon feinem SBater bie
©rlaubnifj erhalten, fid) bem geiftlichen ©tanbe $u mibmen, in ben
3efuitenorben unb mürbe balb burch feine ©eleljrfamfeit unb föe=
rebtfamfeit ttrie burch feine Xugenben eine fjeröorragenbe 3^*°*
beSfelben. SRachbem er längere Seit in ber <ßroöinj mit grofcar*
tigern G£rfo(g geprebigt, fam er im 3at)re 1669 naef^ ?ariS, wo
er burch bie gewattige ftraft feiner Siebe OTeS jur ^egetftcrung
hinrifj. „SJlic hat ein ^rebiger", fdjrieb grau öon ©«Söignö, „fo
ergaben unb fo ebel bie cfnriftlidjen SBaljrhetten öerfünbet." 3Kan
öergftdj ir)n mit $emoftheneS unb mit bem ^eiligen Huguftin. 9ftehr
bemüht , ju überzeugen als ju rühren , ftrebte er öor sMem nach
Klarheit, fct)arfer Segrenjung ber Segriffe unb Iogifd)er Ibnfequenj.
Xabei mar er ein ©ittenprebiger öon unnachfichtiger ©trenge, ber
in feinen je^n 3at)re nac^einanber öor bem Jpofe gehaltenen
gafienprebigten bie ftttttche «erberbnig feiner 3eit mit bem grei-
mutf) eines 2lpoftelS unb mit einem geuer befämpfte, öor meinem, nach
bem SluSfpruche ber grau öon ©^ötgnö, „bie $>öfünge erbitterten."
3ean öaptifte Sflaffilton (geb. am 24. 3uni 1663 ju
$ökeS, geft. 1742 ju ©lermont) trat nach Seenbigung feiner
Raififchen unb pfjüofophifäen ©tubien in bie ©enoffenfc|aft ber
Cratorianer unb fam im 3af)re 1696 nach ^ßariS, wo er ©elegen*
Digitized bid^ooQli
120
Cubtptg XIV. tum granfreid).
fjeit fanb, bie &eroorragenbften $anselrebner feiner Seit $u ^ören,
bie if)m in ber 2lu*bilbung feine« eigenen glän$enben föebnertalente*
tötofter unb SSorbilb mürben. 3n ben gaftenprebigten, bie er in ben
Sauren 1701 unb 1704 in SSerfaiOe* hielt, entjücfte er feine 3^
fjörer bura) bie (Sleganj unb s2lnmutf) feiner Sprache, mäljrenb er
jugleicf), mel)r an ba* #er$ al* an ben SBerftanb fid) menbenb, bie
(iJemüu)er burdj bie eble SBürbe unb (Sinfad)heit feine* Vortrag*
mächtig ergriff. 2U* ein tiefer Kenner be* 9Jcenfd)enl)eraen* r>er>
ftanb er e* meiftcr^aft, in bie geheimen galten be*felben einju-
bringen unb bie verborgenen ßeibenfa^aften an* ßidjt ju jieljen,
um fie mit ber ganjen ©ajärfe ber uberjeugenbften $ialeftif ju be=
tämpfen, unb ber (Erfolg feiner ^rebigten mar ein umfo größerer,
als 3ebcr füllte, baß fie ber 2lu*brucf ber uncrfc§ütterlia)ftcn lieber*
jeugung maren unb müfyelo* au* be* föebner* tiefftem $>er§en ^er^
oorquoflen. *Rad) bem Xobe Submig* XIV. mürbe SJcafftHon üon
bem Regenten $f)iltpp oon Drlean* jum Biföof oon Glermont er*
nannt, mo er feitbem mit bem größten (Sifer feine* ^pirtenamte*
mattete unb im 3ahrc 1742 ftarb.
3u ben an*gejeic^netften ^rofaifern au* ber $ät Submig* XIV.
gehört audj Qean be la SBrutierc (geb. 1644, geft. 1699), ber
in feinen geiftretdjen, mit ÜTceiftertyanb gezeichneten unb mit unge=
^euerem SBeifaH aufgenommenen w(£l)arafteren'' eine üttenge origi*
neHer ©fijjen menfctylidjen Xrmn* unb Xreiben* in buntem Söedjfel
unb fdjiflernbem garbenglanj an bem Sefer ooritbcrfüfjrt. 3n ^Cs
fen geiftoollen ©ittengemälben, bie burd) fur^ gefaßte pf)tlofopf)ifd)e
Setradjtuugen mit einanber öerbunben finb, ift $llle* in ebler,
flarer Sprache unb glänjenber $5arftellung fo ferjarf gezeichnet unb
fo treu unb maf>r, baß nod) jefct jebe Nation bie Originale baju
barbietet.
Xie ^fnlofopfne mar fdjon öor ßubmig XIV. in eine neue SBafjn
gelenft morben burdj £e*carte* — latinifirt Sartefiu* — ben man
ben „Söatcr ber mobemen ^hilofopfjie" genannt §at.
sJten£ $>e*carte*, geboren 1596 ju ßa £>atie in Xouraine
al* ber ©otjn einer altabeligen gamilie, hatte in bem 3cfu^ens
Kollegium ju ßafl&he, mo er feine (Srjiefjung erhalten, mit uner*
{örtlicher SBißbegierbe ben oerfajiebenartigften Stubien obgelegen,
bi* er fict) in feinem fedjjerjnten 3a*)rer nnbefriebigt burdj ben ba-
maligen ©tanb ber SBiffenfdmft, in ben Strubel be* Seben* marf
unb, um SBelt unb ättenfehen fennen $u lernen, £tieg*bienfte
nahm, erft in granfreich felbft, bann in £oflanb unb jule&t in
Xeutfdjlanb, too er unter XiHn in ber ©djlacht auf bem meißen
Söerge mitfocht. 9cadj granfreich $urütfgefcf)rt , manbte er fidj mit
feinem ganjen 28iffen*burft bem ©tubium ber SJcathematif unb ber
s$f)ilo)opf)ie ju, fiebelte jebodj im 3<M)*e 1624> oa icine pOilofo*
Digitized by Google
$ie frttitjÖftid)c Siteratur unter Subwtg XIV.
121
pEjifdjen ^Inficfyten in granfreidj angefeinbet tourben, nad) ^ollanb
über, tum too er ftd) im 3a^re 1649, einer (Stnlabung ber Königin
CEfyriftine öon ©äjroeben folgenb, nad) ©tocfyolm begab. Xort ftarb
er, nur wenige Monate nadf) feiner Slnfunft, am 11. gebruar 1650.
©leia? ben älteren #umaniften bie $l)iIofopI)ie beS SlrtftoteleS
üertDcrfenb, ftefltc 5)eScarteS ein neue« p^i(ofopt)tfc^e^ ©tiftem auf,
beffen HuSgangSpunft ber ßtoeifel mar. 2HIe ^orauSfefcungen , fo
meinte er, müßten aufgegeben unb nur baS bürfe beibehalten tt>er=
ben, loa« feinem £tt>etfä nteljr unterliege. 211S baS allein un^me^
fefljaft gfeftfteljenbe erfdjien il)m ber ©afc: „3dj benfe, barum bin
idj" — ; wbenn, es ift nriberfpredjenb", fagte er, „ju meinen, bafc
baS, toaS benfe, niajt erjfrire." 91uS bem ©elbftbettmfjtfein leitet
er junäc§ft bie ©ennffteit toon ber (£rjften$ ©orte* l)er , inbem er
bie ber benfenben ©eele innetoofmenbe SBorftellung eine* öottfom=
menen 2BefenS als ben unttnberleglidjften SetoeiS für beffen SJafein
betrautet, $iefeS $afein ©orte« aber ift (nnnrieberum für iljn bie
söürgfct>aft für bie objeftiüe SBar)rr)eit unferer ©rfenntniffe. Ob*
gleich 5)eScarteS ber Äirdje feineStoegS feinbltd) gegenüberftanb, oer*
fannte man in granfreia) bie ®efal)ren nict)t , bie ber SartefiamS*
muS ber gefunben ßeljre bereitete unb bie fpäter bei ber (Sutnri<f=
lung feiner $onfequen$en noa) flarer an ben Xag traten; ba^er
erging, nadfbem bereits im SRotoember 1663 in Sftom baS (Saite*
liaaifct>e ©öftem »erboten morben, bis eS öerbeffert fein werbe, am
30. 3anuar 1675 an bie Uniberfttät Singer«, an toeldjer baSfelbe
öorgetragen mürbe, ein föniglidjeS Verbot gegen bie Seljre beS
(JarteftuS , mit ber Slufforberung , ber ißerbreitung berfelben cnt=
gegen^utoirfen ; audj erhärten ftct> oeriajiebene tfjeologifdje gaful=
täten, fonrie bie $arifer Unioerfität gegen baS (£artefianifd)e ©öftem.
$aS ©leidje gcfdjafj proteftantifdjer ©eits burdj bie $orbred)ter
©mtobe.
Unter ben Slnfyäugem beS S)eScarteS ragte befonberS ber
fromme unb eble Nicolas Sftalebrandje, ^ßriefter beS Dra*
toriumS $u $ariS (geb. 1638, geft. 1715) tyerüor, ber baS (£ar=
teftanijdje ©nftem ^aitptfäct)licr) nad) ber religtöfen ©eite f)in auS~
jubilben unb mit ber djriftlidjen ßeljre in oottftänbigen (Sinflang
ju bringen fudjte.
3m ©egenfafce ju SRalebrandje fagte ftdj ber (Sarteftaner
$ierre $aöle (geb. 1647 $u (Jarlat in ber GJraffdjaft goij
als ber ©oljn eines reformirten ^rebigerS , geft. 1706), anfangs
^rofeffor ber Sßljilofopljte ju ©eban, bann $u föotterbam, meldet
bie menfdjlidje 93eraunft nur für fäf)tg erflärte, Srrt^ümer ju ent-
beefen, niä^t aber bie SBafyrfjeit $u erfennen, als boüenbeter ©fep=
tifer ooöftänbig bon bem djriftlid&en Glauben loS. (5r erflärte bie
Religion für unnüfc unb ben oottenbeten Unglauben für beffer als
Digitized by C^pogle
122
Subnrig XIV. üon ftranfrettf.
bcn Aberglauben. %a, er oerftieg fidj fogar ju ber ©eljauptung,
bafj e3 ganj gut Staaten geben tonne, in benen Stoemanb an ©ort
unb Unfterblidjfeit glaube. $a3 Auftreten 93at)Ic'Ä mirfte um fo
Derberbüdjer , al$ er fid) nidjt nur in feinen SBerfen, im ®egenfafc
ju ben übrigen (Selefjrten feiner Seit, ftatt ber lateinifdjen Spraye
ber franjöfifd)en bebtente, fonbem aud) jur teidjteren Verbreitung
feiner Sefyren ein Journal grünbete unb babei bie ©abe großer
SBerebtfamfeit unb ©emanbtljeit in ber Darfteüung befa§.
$)er (£arteftani3mu$ mar in öielen fünften mit bem 3 a n f e *
ni $mu3 oertoanbt, ju meinem ein Söuct) be3 im Qatyre 1638 oer-
ftorbenen SBifa^ofä 3 a n f e n i u 3 bon ?)pern über baä 93err)ättni6
ber ©nabe ju ber menfd)lidjen grei^eit ben ©runb gelegt. $)iefe3
jtoei Safpre nadj bem Xobe be3 3anfemu3 oeröffentlidjte SBerf
für)rt ben Xitel „Auguftinuä" , enthält jebodj niajt , mie ber Ver^
faffer angibt, bie Sefyren be3 ©ifdjofd oon feippo, fonbem bie 3rr;
tfjümer ®aloin§. ©egen baä SBerf beS 3anfeniuS traten junädjft
bie ßöroener 3efuiten auf, inbem fie mehrere au* bemfelben au$=
gejogenen falfdjen ©äfce bem apoftolifdjen Stuhle jur Prüfung
oortegten, totö ein unterm 6. 9ftär$ 1642 edaffeneS Verbot be£
„AuguftinuS" burd) ben $apft Urban VIII. jur golge fyatte.
3nbeffen fyatte fid) ber ©treit nad) Sranfreicf) öerpflanjt, mo
er, ba ber „AuguftinuS" bort fel)r oerbreitet mar unb ebenfo eifrige
Vertljeibiger alä (SJegner gefunben , mit grofjcr #eftigfeit geführt
mürbe. $iefe ©treitigfetten öeranlafjten im 3af)re 1650 adjtunb*
aa^tjig franjofifa^e $8ifcf)öfe, bem apoftolifdjen ©tuijle fünf aus bem
„ Auguftinu§" aufgewogene ©äfce üorjulegen unb beffen (Sntfdjeibung
5U erbitten, roorauf 3nnocenj X. unterm 31. 9Jlai 1653 biefe fünf
©äfce al$ falfdj unb Ijäretifd) bermarf. Qnbcffcn fugten bie 3<*nfc=
niften ber päpftlidjen (£enfur baburdj ju entgegen, ba& fie bie 33c^
fjauptung aufftetlten: bie fünf bermorfenen ©äfce feien atterbing*
fjäretifd); aber S^nfeniuS fjabe biefelben gar nia)t ober menigftend
nidjt in bem ©inne gelehrt, in meldjem fie berbammt roorben feien.
$iefe Vefjauptung mürbe jeboct) am 28. 2flär$ 1654 öon ad)tunb=
breißig franjofiidjen ©ifdjöfen mibertegt unb biefe Söiberlegung am
29. ©eptember 1654 burefj ben $apft beftätigt.
$)anüt fjörte jebod) ber ©treit nid)t auf , beffen #auptijerb
bie Abtei *ßort = 9lottaI gemorben. $iefeä berühmte, im 3a^re
1216 oon ber ©räfin 2Äat^ilbe öon ©arlanbe in ber 9la^e oon
$ari3 unter bem tarnen w$ort>9lo^al beä (Stampf gegrünbete
©iftercienfer=^onnenf(ofter ^atte in ben jmei erften Sa^rje^nten
beä fiebje^nten 3ö^r^unbertd unter ber frommen unb feeleneifrigen,
aber äufeerft ef altirten Aebtiffin Angelifa A r n a u I b einen folgen
3utoaa^g erhalten , ba& bie öorf)anbenen ^äume nia^t me^r au3=
reiften, unb mar ba^er im 3^« 1626 naa) ^ari« in bie Vor=
•
Digitized by Google
Sit franjöftfäe Siteratur unter fiubroig XIV. 123
jtobt ©t. 3acqueS öertegt morben , mährenb in ber 9cähe beS alten
älofterS $ort=9tolMl beS (JhampS öon einer Slnjaht gelehrter 9Jcännerr
bie fich bort angefiebelt garten unb fich ftrengen ©u&übungen unter-
marfen, bie berühmte ©djule öon ^ort^o^at gegrünbet morben mar.
Somo^I biefe „©nftebler" öon ^ort^o^at beS (JhampS, als bie tr)eologi=
firenben Tonnen öon <ßort--föoüal öon <ßariS Ratten fich ben 3anfa;
niften angefchloffen. 9caeh betn ©rfcheinen ber päpftlichen ©ufle
Dom 3afjre 1654 fteflten fie bie Behauptung auf , bie f?ird)e fei
aüerbtngS unfehlbar, toenn fte eine Meinung als ^äretifc^ öer*
merfe; aber fie fönne nicht mit unfehlbarer ®emi&heit entfdjeiben,
ba& bie öon ihr als irrig üertoorfenen ©äfee in bem SBudje irgenb
eine« Tutors ftünben. SJcan fei baljer ihrem 9luSfpruche über XfyaU
fa^en nur ein ehrerbietiges ©tiHfajtoeigen fdmlbig. *ßapft hieran*
ber VII. öermarf am 16. Oftober 1656 bic falfche $iftinftiou
unb lief* am 18. gebruar 1665 bem fran^öfifdjen $leruS eine @r*
ßarung jur Untcrfct)rift öorlegen, beS Qn^altS, bafe bie fünf im
„SluguftinuS" enthaltenen unb öon bem apoftolifc&en ©tuf)le öer^
bammten ©ä$e 5U öertoerfen feien. $>er ©treit ruhte herauf bis
§um 3a§rc 1702, mo er burch bie 3anfeniften aufs 9ceue herauf-
beschworen mürbe. $a bie Tonnen öon s$ort'9lot)al , ermuthigt
burdh baS SBeifpiel ber ©infiebler öon ^ßort^Rotjal beS (S^ampS,
eine aufrichtige Unterwerfung üermeigerten , mürbe im 3ahrc 1710
auf ©efehl ßubmigS XIV. bie SIbtei aufgehoben unb jerftört. $ie
meiften 3a^1eniften toanberten ^iexauf nach ben SRieberlanben au*,
loo fie fieh als befonbere , öon 0tom getrennte fatr)oltfcr)e Kirchen*
partei erhalten ha&en, beren Oberhaupt ber (Srjbifchof öon Ut*
recht ift.
3u ben eifrigften unb gemanbteften SBertheibigern beS 3anfe=
niSmuS gehörte ber in ber Schule bcS (SartefiuS gebübete 93 l a i f e
Vascal (geb. 1628 $u (Jlermont, geft. 1662 ju SßariS), einer
ber Gftnfiebler öon $ort*$Rot)al , ber einen erbitterten ®ampf gegen
bie 3efuiten eröffnete, inbem er in feinem öielgelefenen , als flaf=
fifch gepriefenen gliche: »Lettres provincialesc eine ^[njahl an*
ftöfeiger ©ä$e, bie öon ben Jcinben beS OrbenS aus ben Büchern
einzelner jefuitifcher SJcoralijten ausgesogen morben , mit menig
Xreue unb ©enauigfett, aber mit großer ©efehieflichfeit ju einem
höchft nachtheiligen ©übe ihrer (Sittenlehre öerarbeitete. dinen eb=
leren oerfolgte $aScal in feinen >Pens£e8t, in melden er
bie ^othtoenbigfeit beS ©laubenS nachjumetfen fachte.
Digitized by Google
124 gnglanb in bet jweiten $«lfte beS fiebjcf>nten 3ab^unbert«
IV.
<S ngfanb In ber \miten &ätfte be$ (leB}e8ntm Oafjrfiunöt'rto.
2>te erften Seiten ber eitöliföen XetytMil.
(1649-1653.)
!Rac^ ber ^inriditung ftarlS I. fefetc ba$ Unterhaus, baS
unter bem tarnen „ Parlament öon ©nglanb" alle 9iegierung3ge=
malt in fid) öereinigte , jur Seitung ber inneren unb äußeren
(Staatsangelegenheiten einen ©taatöratf) Don einunbüierjig SRitglte*
bem ein , beren SSoflmadjt auf bie $auer öon jroölf Monaten be*
fdjränft mürbe. Xiefe 5öeljörbe, in welker neben ©rommett beffen
vertraute (SefinnungSgenoffen , 3retonf #arrö 9Kartin, ©rabföam
unb SR. Qofjn, bie Hauptrolle föielten, hatte jebodj zahlreiche ©egner,
nicht allein in ber föniglidjen gamilie unb ben englifchen SRoöa*
Itften, fonbern auch in ben Sßreabbterianem unb ben £eöeC(er3, öon
meld) ßefcteren (Srommell offen beS ©trebenS nad) SWeinherrfchaft
befdjulbigt ttrnrbe , ganj befonberä aber in ben Srlänbern unb ben
(Spotten. Sluch bie Unjufriebenheit beS burdj bie £aft ber Abgaben
niebergebrüeften SolfeS bereitete ben SRachthabern große ©erlegen*
Reiten.
£ie öermitttocte Königin lebte mit ihren ftinbern fett ber §in*
rtchtung tyreS GJcmahtä in $ari3 , roo fie mährenb ber Unruhen
ber gronbe oon bem #ofe fo feljr üernadjläffigt mürbe , baß fie
oft an bem OTernothmenbigften Langel litt. 3h* ältefter ©ohn
® a r l hielt fid> , unauägefefct mit planen jur SSicbergeminnung
feines öäterlichen $f)rone3 beschäftigt , meift in ben Wieberlanben
bei feinem ©chmager 28ilf)elm IL öon Dramen auf. ©eine #off*
nung beruhte ^auptföd^Uc^ auf ©ajottlanb unb Srtanb. 3n bem
erfteren ßanbe ^atte bie Einrichtung $arls L einen fo tiefen (Sin*
bruef gemalt, baß ber größte %f)til ber JÖeöölferung fid) mit 21b*
fdjeu öon ben 9ttad)tf)abern in ßonbon abmanbte unb eine bebingte
SReftauration beä £önig3l}<wfe3 verlangte. 5)er ©raf öon Slrgöle,
ber eifrigfte (Gegner ber ©tuartä , ber in ©ajottlanb bie gleite
sJiolIe 5U föielen gebadete, roie fein Jreunb (Srommeß in Qrnglanb,
filmte ^mar biefem ©erlangen entgegen gu treten; er fonnte jebodj
ntcrjt öer^inbern , baß mit bem $rin$en öon SBaleS Unterlmnb*
lungen angefnüpft mürben, bei melden bie ©Rotten ihm ihre ®rone
unter ber Söebingung anboten, baß er ben ©oüenant beftätige.
SBäfyrenb ®arl jögerte, auf biefe gorberung einzugehen, fam
im Horben ©djottlanbs eine roualtftifche ©emegung jum Ausbruch,
Digitized by Google
$ic erfttn Seiten ber englifdjen SRepublif.
12.-
bie feine bebingungSlofe Surütfführung auf ben £h*on fetner SBä*
ter jutn gweefe ^atte. 2ln ber ©pifce berfelben ftanb 3fafob
® r o h a m , SJtorqmS bon 9R o n t r o f e , ber treuefte unb ritter*
Itchfte Slnhänger 8axU I., ber mit einer ©djaar bon fünfhunbert
$eutfdjen auf ben Drfnet)a*3nfeln gelanbet unb öon bort nach ©chott*
lanb übergefefrt war , in ber Hoffnung , baß nicht nur bie Großen,
bie früher unter ihm für #arl I. gefämpft , ftch ihm anließen
mürben, fonbern auch bie üttehrjahl beä SBolfeS ftch um Um fchaaren
werbe. Slber nur SBenige leifteten feinem Aufrufe Solge; benn bie
puritaniföen (&eiftti$en Ratten if>m in fanatifchen ^rebigten erfolg»
reich entgegengearbeitet. JDfme große SRüfje mürbe er mit feiner
fleinen ©chaar burdj bie Xruppen, bie baS Parlament ihm unter
$at>ib Se§Iie entgegenfanbte , am 17. ftpril 1650 bei (£orbtc3bale
in ber ©raffdjaft flfitoß aurücfgefdjlagctt. @$ gelang u)m jwar, ju
entfommen; er mürbe jeboch, nachbem er merjehn läge lang ber-
fleibet im (Gebirge umhergeirrt , burd) einen falfchen Sreunb oer*
ratfjen unb barhaupt unb gebunben auf einem Marren burd) ben
genfer nach (Ebinburg gebraut, wo ifjn ba$ Parlament, bem drängen
ber preSbtjterianifchen ©etftlichfeit nachgebenb , bie noch immer in
ber ©erwaltung be$ SanbeS bie einflußreichfte Stimme f>atte, $u
einem fd)maa)öolIen Xobe öerurtheüte. ®r foüte, $um abfdjrecfen-
ben 33etfpiel für aße Anhänger be$ ÄönigS, brei ©tunben lang an
einem bretßig 3u6 h°0cn (Balgen fangen unb bann in fedjS ©tücfe
gerhauen werben , bie in ©binburg unb ben fünf anbern größten
Stäbten be3 Sanbeä auf ^ßfäfjle genagelt unb an ben £>aupttfjoren
aufgefteOt werben foHten. $113 ihm biefer furchtbare ©pruch oer=
fünbet würbe, erflärte er: er rühme ftd) feinet ©efchicfS unb be-
flage nur, nicht & lieber genug ju haben, um ade ©täbte ber Otyn»
ften^eit mit ©eweifen feiner Xreue oerfehen ju fönnen. Um ba$
Üftaaß beä bitteren #ofme8 ju füllen , mußte ihm ber genfer öor
feinem ©ange jur 9ttcf)tftcttte (21. 3M 1650), feine lefcte $roffo-
mation fammt ber $uf$atjlung feiner SBaffenthaten um ben $>al&
fangen. (Er lächelte über bie öoShrit feiner geinbe unb fagte, e&
fei bie* für Um eine glänjenbere 8ierbe, at« ber £ofenbanborben,
womit ihn fein Küttig beehrt habe. $)ie SBürbe unb unerfchütter*
liehe ©tanbhaftigf eit , womit er ben £ob erlitt, gewann ber ©ache
beä ftönigä mehr Sßrofelöten , als alle feine früheren $elbentl)aten.
$er unglüefliche Ausgang ber burch ÜKontrofe öeranftalteten
3(hüberhebung bewog ben s$rinjen öon SBaleä , ftdt) auf jebe 93e^
bingung ben ©Rotten in bie 2(rme ju werfen, ftachbem er ihnen
am bewilligt , wa3 fie »erlangt , fduffte er fta) nach ©^hottlanb
ein unb erreichte, ungeachtet ber 9fcad)jMungen ber englifchen Slotte,
am 23. guni 1650 bie fc^ottifc^c ftüfte. (5r Würbe au ©binburg
mit allen feiner SBfirbe gebührenben (Ehrenbezeigungen empfangen.
Digitized by G
126 (gnglanö in ber jroeiten £älfte be« fteb$efmten 3ahr^unbert$.
unb baä Parlament bewilligte ihm ohne ©ajwierigfeit bic ju feiner
Hofhaltung nötigen (Selbmittel. 2lber bie unauägefefcten üttah*
nungen ber puritanifd)en ^rebiger, feine Sünben ju bereuen, fowie
bie 6d)mähungen, bie er fortwährenb über bie „GJottlofigfeit" feiner
Altern frören, unb bie enblofen ^rebigten, benen er Xag für Xag
mehrmals beiwohnen mußte, matten bie Sage be3 jungen, nad)
J2ebenägenu& ftrebenben #errfd)er3 ju einer äu&erft unangenehmen.
Rid)t3beftoweniger fügte er fia) mit ÖJebulb ben ilm umringenben
©iberwärtigfeiten , weil er einfah , ba& er bie ftarren ^erjen ber
Rotten um jeben $rete $u gewinnen filmen müffe, um fid) ihrer
$ilfe gegen (Snglanb ju öerftchern.
Sn^wifchen Ratten aud) bie 3rlänber ben ^rinjen toon SBaleS
$um König ausgerufen unb ben #er$og oon Ormonb, weld)em Karl I.
brei Monate bor feinem Xobe *BoHmad)t ert^eiü , ihnen alle ihre
gorberungen ju bewilligen, als «Statthalter Karlä II. anerfannt.
Um ben SBcrluft SrlanbS ju öer^üten, ging (Sromweil, nad)bem ihn
ba* Parlament jum ßorb=©eneral ernannt hatte , mit ad)t burd)
baä üooä beftimmten Regimentern im 3uli 1650 borten ab, unb
fd)on im Sftai beS folgenben SahreS hatte er burd) eine ebenfo
graufame als umfidjtige Kriegführung, fowie burd) geheime Unter-
hanblungen mit einjelnen Häuptern ber 3rlänber bie Kraft beä
SlufftanbeS fo weit gebrod)en , ba& er bie üoüftänbige Bewältigung
beSjelben feinem ©djwiegeifohn Qreton überlaffen unb nad) (£ng=
lanb jurürffehren fonnte , um ben Oberbefehl über ba$ $>eer ju
übernehmen, baä jum Kampfe gegen bie Sdjotten befrimmt war.
3n ®d)ottlanb hatte ©romweö anfangt einen fd)weren ©tanb,
ba baä üon bem (Venera! ßeälie geführte fd)ottifd)e £>eer ihm faft
um bad doppelte überlegen war unb e$ ihm balb an ben nötfngen
ßebenämitteln fehlte ; bie puritanifd)en ^rebiger , bie als Kird)en>
au$jd)ufj baä fd)ottifd)e Jpeer begleiteten, famen ihm jebod) felbft ju
#ilf e , inbem fie , in ber Beforgnijj , ba& baä englifd)e §eer ent*
fommen fönne, ben ©eneral £eälie zwangen, öon ben Anhöhen bei
$unbar, auf weld)en er fid) in einer trefflidjen Stellung Oer*
|d)an$t hatte, in Die (Sbene ^inab^ufteigen f um ben fteinb anju*
greifen. „@te fommen h^tab; ber £err hat fie in unfere Jpänbe
gegeben; laffet 3hn M erheben unb ©eine geinbe jerftreuen!" rief
ber freubig überrafd)te (£rommell au3, unb in furjer Qtit hatte er
ben üollftänbigen ©ieg errungen (3. Sept. 1650). $)reitaujenb
©d)otten lagen tobt auf ber SBahlftätte, unb jefmiaufenb (befangene
würben fammt ®efd)üfc, Munition unb ®epäd bie Beute ber
©ieger. 2)ie äftitgüeber beä puritanifd)en Kird)enau8fd)uffe$ oer*
fehlten nid)t, bie erlittene Rieberlage, bie ihre BorauSfagungen ju
©d)anben gemad)t, in einer „furjen (Jrflärung unb SBarnung" ber
©ünbhaftigfeit ber $>auptleute, jowie ben offenbaren Slergerniffen,
Digitized by Google
SMe crftcn 3eitcn bcr englifäen SRepublif.
127
bie bcr flönig burd) feinen letdjtftnnigen 8eben$manbe( gegeben,
unb anbem äljnliajen Urfadjen jujufdjreiben , „roeldie ben $errn
gereift, Jehl Sfntlife t)on ben ©öljnen 3<rfofa ab$umenben unb fein
hott mit einer fdjrecftidjen, aber mol)lt»erbienten S^^igung ffeimju*
fudjen." dagegen meinten anbere Sßräbif anten : „@3 fei fefjr un*
flug Don ©ort, roenn er feinen Qotn §u weit treibe, ba ti bod) am
Snbe fein eigener ©djaben fein roerbe, roenn bie Äuaerroäfjlten auf
bcr (£rbe unterbrürft mürben unb nur feine abgefagteften Seinbe
übrig blieben."
Cbglctd) (£romroett nad) bem Siege bei $)unbat ofyne Söiber*
ftanb in ßeitf) unb (Sbinburg eingerürft mar, in meld) letzterer ©tabt
er mit ben in bie ©ttabeüe entflogenen puritanifdjen ©eiftlidjen
einen tr)eoIogifcr)en ©djriftroedjfel eröffnete, um fie $u ben ©runb=
fä$en bei Snbcpenbenten bu &efef)ren , trug bie 9tieberfage ber
Schotten meljr $ur (Sxfyöfmng al$ jur ©djmädmng ftarlÄ II. bei.
(£r empfing am 1. Januar 1651 in ber $ird)e $u ©cone, nad)bem
er feicrlidj gelobt, ben (Sobenant $u galten, au$ ben Rauben $lrgülc$
bie Ärone feiner SBorfa§ren, unb bie burd) ba3 erlittene 93Jißgeja)tdf
geroamten ©eiftlid>en überliegen ifym bie güfjrung be8 neu gefam*
melten §eere3. Qu feinem Unglücf befd)lo& er, roäfjrenb (Sromroett
gegen Sßertfj borbrang, mit etftaufenb SRann einen Einfall in ($ng*
lanb $u madjen, in ber Hoffnung, baß ftet) bie bortigen Stotoaliften
fogleia) um if)n fdjaaren mürben. Quid) ben unerwarteten (Sin-
bradj fiberrafa^t unb ofjnefjin bura? bad TOßlingen ifyrer früheren
^ufftänbe entmutigt , fanben fid) biefelben nur in geringer Qafyi
bei bem föniglid)en £>eere ein, tuäfyrenb ftdj bie Xruppen be£ $arla*
mentä uon allen ©eiten in ber ® egenb üon Söorcefter f ammeU
ten unb burdj ben rafdj herbeigeeilten (£rommell bis auf breijjig*
taufenb 9Rann oerftarft mürben.
9fcadjbem Crommeß bei SBorcefter an jroei fünften ben lieber*
gang über bie ©eoem erzwungen, mürbe am 3. September, bem
3aljre3tag ber ©djladjt bei $unbar, ba& £eer ber föotjaliften nad)
einem feigen Kampfe, in meinem ber Äönig fetbft große dgntfajlof«
jenljeit unb Xapferfeit gezeigt, ooüftänbig $erfprengt. SRur mit
äftüfje entrann #arl, beffen Hoffnungen mit einem ©djlage öer*
nidjtet roaren, bem ßoofe ber ©efangenfdjaft. 2Rit fedfoig feiner
fdjottifdjen Leiter legte er im Tuntel ber 9ßad>t, ofme anhalten,
mel)r als fünf beutfaje teilen $urüd unb trennte fia) bann, auf
ben SRatf) beä ©rafen $>erbö, mit biefem oon feinen übrigen *8e*
gleitern, um an ber ©ren$e bon ©tafforbföire bei einem bem @ra*
fen mofjlbefamtten fatr)otifcr)ett *ßäd)ter, tarnen« $enberel, ©dmfc
ju fuajen. £ier lebte er, Don bem ^äajter unb feiner gamilie
mit ber rüfjrenbften Eingebung aufgenommen, als ©auer öerüeibet
mehrere Xage, mäfjrenb (Jrommea'f^e ©treifmaajen bie ©egenb
Digitized
128 fcnglanb in bcr jtoeiten #älfte beS fteb$ehnten 3a^unbcrt*.
burchjogen imb Qcbcm mit bcm Xobe brofjten, bcr bcn Aufenthalt
beS Königs verheimliche, demjenigen aber, ber ihn ausliefern werbe,
eine große Jöelofmung verfprachen. Als bie ®efahr immer bringen*
ber würbe, verbarg fia> ®arl mit bem Dberften CSareleß, einem
eifrigen föotyaltften, ber gleichfalls bei ben ^ßenberel eine 3ufluchtS^
ftätte gefunben, in ben bidjt belaubten heften einer alten Eiche —
feitbem bie „ftönigSeiche" genannt — unb blieb bort volle vier*
unbjroanjig ©tunbeu, n>äf>renb bie 3rau beS Pächters, anfeheinenb
Reifer fuchenb, in ber Mähe teilte, um bie umherftreifenben ©ol*
batenfjaufen ju beobachten unb bem ftönig, wenn nöt^ig, SBarnungS*
^eichen ju geben.
SSon $enberel unb feinen vier Söhnen begleitet, begab ftdj
#arl weiter nach Dem ©täbtehen ©entleh, wo ilmt Sorb SBilmot,
einer fetner giuchtgenoffen, bei bem ber föniglidjen ©aaje treu er*
gebenen Dberften fiane eine äufluchtSftätte gefiebert r)attc. $e*
langen ©ehenS in ben plumpen ©auernfttefeln nicht gewöhnt, fam
er mit wunben gußfofjlen in öentleü an, wo er feine treuen ©e*
gleiter mit warmem danfgefühl entließ. Um feinem ©afte bie
Einfcfuffung nach Shranfreich ju ermöglichen, brachte ihn Sane $u
einer feiner Serwanbten in ber ©egenb von öriftol, ber Sttiftreß
Horton, bei welcher er als ©ebtenter ber Xoajter ßane'S eingeführt
würbe. Unter bem SBorwanbe, baß er fteberfranf fei, wie« ihm
iUHjrreß Horton ein eigenes Limmer an; bennoch würbe er von
einem Aufmärter erfannt, ber ftch ihm ju Süßen warf unb bie Söitte
beS erfchroefenen Königs, ihn nicht ju oerrathen, mit ber )öerftcherung
unverbrüchlicher Ergebenheit beantwortete.
die SReife nach ©riftol war inbeffen eine vergebliche gewefen,
ba fein einjigeS ©duff $ur Abfahrt bereit lag, unb fo mußte ®arl
feine gefahrvolle SBanberung nach e^ncr <mbern Dichtung foitfejjen.
Er begab fich mit £orb SBilmot nach Xrent bei ©herburn in dor=
fetfhire, ju bem Dberften SBinbljam, gleichfalls einem befanuten An*
hänger ber ÄönigSpartet. Aud} h^r beeiferten ftch ^tö^ Dcm Dc*s
folgten ©aft ihre £iebe unb Anhänglichkeit ju bejeigen. die hoch5
betagte SWutter beS Dberften jerfloß in greubenthränen beim Anbluf
beS verfleibeten Königs unb betheuerte, baß fte jefot gern ben SBer*
luft ihrer brei im Kampfe für feinen Sater umgefommenen ©öhne
oerfchmerjen wolle, ba ihrer gamilie baS ®lüd geworben, ein 2Serf=
$eug ju feiner Erhaltung $u werben.
9cact) mehrtägigen vergeblichen Ucachforfdnmgen nach einem
3rahr$eug, würbe ju ityme ein ©chiffseigenthümer gefunben, ber
fid) bereit erflärtc, für h°hcn $tciS ben ßorb SBilmot unb beffen
diener, für welchen fich ®er ^önig ausgab, nach granfreich ju
bringen, worauf Söeibe fich na(^ ßtyme begaben. s2Iber in ber $ur
Abfahrt feftgefejjten ^ac^t blieb ber ©Ziffer aus, weil feine bt-
Digitized by Google
$ie erften 3cttcn bet cnglifc^cn SRepublif.
129
forgte grau ihn angftlich gemalt, unb fo mußte ®arl nadj Xrcut
}urü<ffel)ren. §luf bem SBege bahin fanb er ju Söribport eine #eereS=
abtheilung öon fünfoehntaufenb 9J<ann, bie ju einer ©jrpebition nad)
ber 3nfel 3erfeü eingefdufft werben füllte, ©eine SBcftür^ung oer*
bergenb ftieg er öom $ferbe unb führte ba^felbc mit füfmer <5nt*
fc^Ioffen^eit mitten burch bie murrenben ©olbaten nach bem Wixtfa
häufe. $ier ftarrte jebod) feiner eine neue ©efa^r: ber $auS=
fnecf>t begrüßte it)n, nur feiner Süge, nicht aber feiner *Jkrfon fid)
erinnernb, als einen alten SBefannten au« ber Seit, too er ju
(rjeter bei einem §errn Dotter in $ienft geftanben. ®arl, ber in
ber %t)at mährenb beS SBürgerfriegS eine Zeitlang bei biefem ge*
tpofjnt, ^atte ®eifteSgegenmart genug, auch bieSmal feinen ©djrerfen
$u oerbergen unb mit bem ©Cheine ber größten SRufje berrt £anS*
fnecht $u antworten: „3a, ich war einmal bei £>errn Wörter in
Xienft ; je|t aber Imbe ich feine Seit unb behalte mir öor, bei einem
GHafe SBier unfere Söefanntfa^aft $u erneuern, wenn ich Don ßonbon
jurücffomme."
©lütflich mürbe Xrent wieber erreicht; aber bei ben bebend
liefen GJerüdjten, bie fid) in ber Umgegenb verbreitet Ratten, erfdjien
ein längerer Aufenthalt beS Königs im £aufe beS Dberften SBinbham
nicht rathfam. Abermals mußte er feine gefährliche SSanbcrung
fortlegen, bis eS enblia) gelang, in bem $>afen öon ©horefjam in
©uff er. ein galjrjeug aufjufmben, baS im begriffe ftanb, nach granf*
reich unter ©egel ju gehen unb beffen (Sigentfyümer fid) bereit finben
ließ, bie beiben glüchtlinge, ben ®önig unb ßorb SBilmot, mitzu-
nehmen. 9cachbem baS gafjrjeug ausgelaufen, beugte ber ©duffäfyerr
üor bem ftönig, ben er wohl erfannt r;attef baS $me unb gelobte
ihm, i^n fidjer an bie franjöfifdje $üfte ju bringen. @r erfüllte
Die« S3erjpred)en, unb am 17. £)f tober ftieg ber gerettete $önig bei
ber normannifdjen ©tabt gecamp anS Sanb.
$)ie %f)zitnafymt, bie ®arlS I. tragifchcS ©efehief in gan$ (5u=
ropa gefunben, fyatte auch für baS Unternehmen feines ©ofjneS
aüermärtS ein reges Qntercffc erweeft, unb wie man ficr) nach fei-
ner iRiebcrlage bei SBorcefter ben lebhafteften SBeforgniffen für ihn
hingegeben, fo mürbe bie ®unbe oon feiner Rettung überall mit
greube begrüßt. $er 9#uth, ben er im gelbe an ben $ag gelegt,
fowie bie Umficht unb ÖJeifteSgegenwart, womit er ben mauigfaa)en
(Gefahren auf feiner gludjt entgegen getreten, fyatten bit ©umpatfuen
für ihn erhöht unb allgemein bie Ueberjeugung mach gerufen, baß
er ber ßtone feiner SBäter mürbig fei. ©ein fpätereS Auftreten
rechtfertigte jeboer) biefe Ueberjeugung nicht. „$arl", fagt ßingarb,
„ hatte oieloerfprechenbe Slüthen entfaltet ; aber fie »elften balb unter
bem jerftörenben ©influß ber ßerftreuung unb beS SSohllebenS."
9loch ehe eS ®arl gelungen mar , nach granfreich ju entfom=
^ol4ttart^f SBeltßef($i<$te. VI. 9
»
Digitized by Google
130 (Snglanb in ber jrociten §älfte beS ft^jc^ntcn gahr&unbertS.
men, f)atte ber ©eneral SJconf, ber feit (SrommeHS fRücffc^r nach
©nglanb ben Oberbefehl über baS englifche |>eer führte, bie meiften
feften Pläfce SdmttlanbS eingenommen, unb in furjer 3eit mar bie
Untermerfung ber ©Rotten öoflenbet. $aS englifche Parlament er=
flärte bie ßtonlänbereien für Gemeingut nnb öerfügte bie (£onft3=
fation beS SBermögenS afler derjenigen, bie bem Äönig gefolgt maren.
Sitte StaatSgemalt, bie nicht bem englifchen Parlamente entf prang,
mürbe burefj eine Proklamation für aufgehoben erflärt ; alle Sheriff*
unb anberen Beamten öon jmeifelhafter Xreue mürben burch folche
erfefct, bie ber SRepublif ergeben maren ; englifche dichter, benen bret
ober oier ©ingeborene beigegeben mürben, foflten baS ßanb bereifen,
bie Rechtspflege übernehmen unb an bie Stelle ber bisherigen Xri=
bunale treten. Statt ber freien Einquartierung mürbe bem öanbe
eine jährliche Xaje oon einhunbertbreijngtaufenb Pfunb jum Unter«
halt ber Gruppen auferlegt.
2)er Kummer ber Schotten über biefe Steuerungen mürbe er=
höht burch bie 3luSftcht auf bie Bereinigung beiber Reiche ju einer
einjigen SRepublif, moburch Schottlanb $u einer englifchen Protmig
herabgemürbigt merben follte. 5)iefe „Union", über melche längere
3ett jmifchen Slbgeorbneten beS englifchen Parlaments unb ben
iBertretern ber fchottifchen ®raffcfmften, Stäbte unb ©urgflecfen un-
terhanbelt mürbe, fam im 3ahre 1654 bn Stanbe unb ^atte bie
Aufnahme oon breifctg fchottifchen deputirten in baS Sionbouer Par-
lament $ur golge.
Ungleich trauriger noch, als für Schottlanb, geftaltcten fich bie
SBerhaltniffe für Srlanb. ^uf ocm ®e9c ErommellS fortfehrcitenb,
hatte Qreton unter grauelooflem ©lutoergiefcen bie Untermerfung
beS Raubes meiter geführt, als er im ^perbfte 1651, furj nach ber
Eroberung öon Simeiicf, einer peftartigen ®ranfheit erlag. Sein
Nachfolger Jleetmoob, ber baS Dberfommanbo feiner Berheirathung
mit QretonS SSittme oerbanfte, fe&te bie ©räuel beS furchtbaren
BernichtungSfriegeS , ben ber religiöfe unb politische ganatiSmuS
ber englifchen £tRact)tt)aber ben unglüeflichen Qrlänbem erflärt ^atter
mit unoerminberter ©raufamfeit fort, unb im Sommer 1653 mar
Qrlanb ooüftänbig untermorfen. s2UIeS, maS (SnglanbS frühere
^errfcher an ber triften Nation burch $>ärte, ©eroattthätigfett unb
©raufamfeit oerbrochen, trat in ben ^pintergrunb cor ben 9)ca6=
regeln, melche öon ben Häuptern ber englifchen SRepublif, bie ben
$önig im Namen ber greifet ermorbet hatten, $ur Knechtung ber
Qrlänber getroffen mürben.
Schon mä^rc nb beS Steges maren mit bcifpiellofer ©raufaim
feit alle irifehen (befangenen nach SBeftinbien gejehieft ober oerfauft
morben; jejt mürben, nachbem ein oon ben englifchen aJcadjthabern
cingefefcter ^ot)er (Gerichtshof über jmeihunbert ber erften ÜRänner
Digitized by Google
3)ic crftcn Seiten ber englif^en SRepubtif
131
be* SanbeS als Veranftalter unb #auptforberer beS AufftanbcS
bem 93lutgerüfte überantwortet hatte unb breifjig bis oierjigtaufenb
ftreitbare Männer, öon ber allen $auptleuten unb ehemaligen
Sriegern erteilten (Srlaubnife jur AuSmanberung (Gebrauch machenb,
ba3 £anb üerlaffen hatten, um in Sranfreicf), Spanten, Oefterretd)
unb SSenebig SriegSbienfte ju nehmen, jur öoüftänbigen Vernich*
tung ber triften ftationalfraft über jman$igtaufcnb Qünglinge,
SSetber unb ftinber millfurlich aufgegriffen unb nach bem $u jener
3eit eroberten Samaica ober anbem Sufeln AmerifaS funüberge*
füljrt. hierauf rourbe baS bereits früher befolgte gemaltfame
SolonifationSfuftem in ber umfaffenbften SBcife fortgefefct. Alle,
roeldje bei bem Aufftanbe als güfjrer ober föathgeber beteiligt ge=
mefen, rourben ihres gefammten ©runbbefifceS öerlufttg erflärt ; 55)ic*
jenigen, bie gegen baS Parlament gekämpft, oerloren atoci Dritt*
theile unb bie, toeldje nicht f ü r baSjelbe bie SBaffen geführt, ein
$rttttf>eü ihrer Sänbereien. Huf biefe SBeife follen bamalS an acht
^äüiarben borgen £anbeS eingebogen morben fein, üon benen bie
Stegiemng einen Xtyü für ftd) behielt, mährenb fie baS Uebrige
unter it)rc Solbaten ober an englifdje unb fcr)otrifc^c $oloniften
öert^eilte. Um bie Vernichtung beS politischen Däferns ber Nation
$u öollenben, mürben alle ©ingeborenen über ben Shannon nach
Sonnaught üertrieben unb bie ®oloniften ermächtigt, 3eben, ber fid)
über ben 5lu& hcri*&crtt)age, ofjue 2BeitereS nieber$uftofjen. Auch
mürbe auf baS Xragen unb Aufbewahren üon SBaffen bie DobeS^
ftrafe gefegt.
)U?it ber politifchen (Srjftenj ber Qrlänber foüte auch ü)rc ^Cs
ligion üemichtet merben. 3U biefem (Sttbe erliefen bie ©ioilforn*
miffäre, bie baS Parlament mit ber Drbnung ber irifct)en Angele-
genheiten betraut hatte, ein allgemeines Verbot ber Ausübung beS
fatholifchen ©otteSbienfteS unb miefen in einer ^ßroflamation äße
!attjoüfct>en ^riefter an, bei ©träfe beS ^pochoerrathS innerhalb
§roan$ig Xagen Qrlanb $u oerlaffen, unter Androhung ber XobeS*
ftrafe für ^tbtn, ber einen berfelben bei fid) aufnehme. Auch mür-
ben bie DrtSbehörben ermächtigt, ben Matljolifen ihre ®tnbcr roeg-
junehmen, um biefelben jur drjiehung nach ©nglanb ju fanden,
unb öon allen ^ßerfonen, bie baS einunbjmanjigfte 3ahr erreicht
hatten, ben AbfcrjmörungSeib ju f orbern, beffen Vermeigerung mit
$erferhaft unb theilmetfer VermögenSconfiScation beftraft mürbe.
3ur Durchführung aller biejer SDca®eln mürbe baS ®negS*
heer in Meinen Abteilungen über bie Sßroüinjen oertheilt , unb
^eligionShajs unb (^eminnfucht fct)ärften baS Auge ber Auf paffer,
bereu 9tacr)fpürungen burch ben Umftanb erleichtert mürben, bajj
9ttemanb ohue befonbern (SrlaubntBfchein ber JÖe^örbe reifen burfte.
ftidjtsbeftomeniger blieben zahlreiche ^riefter im ßanbe jurücf.
9*
Digitized
132 (gnglanb in ber aweiten §älfte beS fiebje^nten 3af>rf)unbert3.
^8tc£c berfelben büßten bafür am ©algen, roäljrenb eS Slnbern ge=
lang , ftd) in 33ergf)öf)len ober einfomen , in moraftigen ©egenbcn
gelegenen Kütten $u oerbergen, oonmo auS fie jur 9tadjtjeit bie
ärmlichen 2Bof)nungen ifjrer gebrücften ©laubenSgen offen auffudjten,
um biefen ben $roft ber Religion ju fpenben.
Sßäfjrenb burd) bie ©raufamfeit beS englifdjen Parlaments bie
politijaje ©fiftenj ber Qrlänber unb iljre religiöfen greifjeiten oer*
nietet unb bie ©Rotten burd) bie Ausbeutung ifjrer ^ilflofigfeit
jur Anerfennung ber Union mit (Snglanb gelungen mürben, fdjritt
SrommeU in biefcm lefetereu fianbe fclbft mit eiferner ®onfequen$
auf ber 53afm weiter fort, bie Um $um afleinigen Jperrjdjer über
baSjelbe führen foHte. ÜRadjbem burd) bie frrengften Ettafcregetn
jebe Dppofition gegen bie beftefyenbe Regierung unterbrütft roorben,
benufcte er ein Semmrfnifj attrifdjen bem Speere unb bcm Parla=
mente, um fid) beS lederen unb beS aus bemfelben hervorgegangenen
Staatsrate mit $ttfe beS erfteren ju entlebigen. Am 20. flprü
1653 erfcfuen er in bem „ Rumpfparlament überhäufte bie SKit*
glieber beSfelben mit Vorwürfen unb Sdjmäbungen unb forbertc
fie auf, auSeinanber ju gef)en, um befferen beuten piafc ju machen.
„Ter £>err t)at fid) oon eud& losgelegt", rief er auS; „er f>at
anbere ©erzeuge crforen, fein SBerf ju betreiben. * SllS it)m oon
oerid)tebenen Seiten mibcrfproa^en mürbe, traten auf feinen SBinf
amanaig SÖhiSfetiere in ben Saal unb fprengten bie SBerfammlung
auSeinanber. hierauf begab fidj (SrommeH in ben Staatsrat!) unb
crflärte beffcn iöefugniffe in ^olge ber Aufhebung beS Parlamente
für crlofcr)en. £er Präfibent Sörabftam fjielt i^m $mar bie (Jr-
flärung entgegen , ba§ bie Sluflöfung beS Parlamente null unb
nidjrig fei, ba beffcn 9#irgüeber allein baS 9kd)t gärten, biefelbe ju
Der fügen; feine Söortc blieben jeboa) mirf ungSloS , unb bie fflätye
mürben auSeinanber getrieben.
Grommell mar je&t in ber Zfyai s21üeinl)errfd}er ; er fuelt es
jeboct) jur bauernben söegrünbung feiner Eftadjt für ratljfam , bie
gormen ber ^erfaffung fo meit ju fronen , als eS mit feinen
^werfen oereinbar mar. 3)afjcr füllte ber Staatsrat!}, ben er au»
oier 9ied)tegelef)rten unb ad)t Offizieren unter feinem eigenen $or*
fi& gebilbet, ein neues Parlament jufammen berufen. 3>amit baS=
felbe aus lauter „^egeifterten" unb „^eiligen" befte^e, bie er oer=
mo^e beS ifjm in biejen Greifen ju ©ebote fte^enben dinfluffeS gan$
nadj feinem Söillen leiten ju fonnen fmffte , lieg er an fämmtttdje
öeiftlidjen ber preSbnteriauijdjen ftird)C, fomie an bie ÖJcmeinben bcr
^nbepenbenten unb iicoellerS bie Wufforberung ergeben, öiften ifjrer
„gottcsfürdjhgftcn, gläubigften unb entlMltfarnftcn" ©lieber unb 5In=
gehörigen auf jnfteücn , unb aus biejen mahlte ber Staatsrat^, un^
befümmert um bie (Üeied)t*:2me beS Golfes , tyunbertfünfaig ^bge-
Digitized by Google
$ie erften äeiten ber englifcben SRepublif.
133
orbncte , beuen in itjren (Sinberufungäfcf)reiben mitgeteilt würbe,
nxldje ©raffdjaft ober melden Drt ein 3eber ju öertreten fjabe.
gür 3r(anb würben nur fec^d unb für Sdjottlanb nur öier 3Hit-
g lieb er ernannt.
Slm 4. Quli 1653 eröffnete (£rommett biefe* neue Parlament
in beut 9tatf)äjimmer ju SStyitefjafl mit einer ausführlichen , fal=
bungäooUen SRebe, in melier er ber Skrfammlung bie &anb ®otteä
in ben jüngften ©reigniffen ju jeigen fudjte unb fie aufforberte,
ber ^o^en Aufgabe getreu, ju weiter fic „burd) bie 2Baf)l beä £>errn"
berufen worben , „baä ®erid)t ber ©nabe unb 2öat>rr)eit gewiffem
h<rft ju üben unb mit ben ^eiligen im ©lauben ju üer|arren."
„SSir ftnb berufen," fo fdjlofe er, „ju bem ftrieg beä Sammeä mit
feinen geinben; wir ftnb angelangt an ber Schwelle beä ©ingangS
bei bem äufjerften ©aume ber Prophezeiungen unb SBerheijjungen ;
®ott fyat fid) erhoben, fein Sßolf auä ben Xiefen ju retten unb
3uba heimzuführen in feine Sifce. ®ott erfdjüttert bie S3erge, unb
fie taumeln, ©ort bat auch einen liol]cn |>ügel; fein $ügel ift wie
ber £ügel oon SBafan, unb ber Söagen Qehoüah'S ftnb jwanjig*
taufenb (Shtgel, unb ®ott wirb Wonnen auf biefem £>ügel immerbar.''
.pierauf lieg er eine Don tfjiu felbft unterzeichnete unb beftegelte
3ct)rift tieriefen , woburd) er ber SBerfammlung bie oberfte ÖJewalt
auf fünfzehn äRonate mit ber SBeifung übertrug, nach Ablauf biefer
3eit bie 2Jätglieber ber neuen SBerfammlung felbft ju wählen.
SDen folgenben $ag wibmeten bie neuen Vertreter ber Nation
auäfchliefjlich anbächtigen Uebungen, ju welchen fie fid) frül) ÜDcorgenä
um acht llt)r in bem ©ifcungäfaale öerfammelten. Um „ben £>errn
ju fu^en", würbe bid Mbenbä fec^d Uhr ununterbrochen gebetet
unb geprebigt. Ta* gleiche Gepräge pietiftifdjer M onüontif cl tru-
gen aüe folgenben ©ijjungen , bie mit enblofen Anrufungen 3er)o=
t»ah'3 eröffnet unb gefdjloffen würben. Sftan t)örte ÜRichtö als An*
fpielungen auf baä alte Xeftament unb ©prücfje au$ bemfelben;
alle polirifa^en SBerljältniffe würben au« bem biblifdjen ©efid)t3*
punfte betrautet1).
3nbeffen zeigte ba3 neue Parlament, ba3 nach bem £eberl)änb=
1) ©efonberS djarafteriftifd) für ben 3eitgetft ift bie unter ben „^eiligen"
berrfdjenb geworbene Sitte, nicht nur ihre gewöhnlichen Xaufnamen gegen a\U
teftamentltdje . wie $efefiel, £>abafuf, $ofua u. ju oertaujefcen , fonbern
fogar als „SSiebergeborne in bem §errn" ganze SBibelfprüche al« S3ornamen
anzunehmen. So nannte fid) einer Xöbte bie @ünbe pimple, ein ?ln=
berer ©et treu im (Stauben %o\ntx, ein dritter kämpfe ben guten
#ampf SBftte u. f. w. 3)er ©ruber beS Varianten t$mitgliebc8 greife«
©ott Jöarebone füqrte beu Tanten: Söäre S^riftu« nidjt für und ge*
ftorben, fo loftren roir ewig oerbammt (daran'd). Siele, benen ber
^ame ju lang war, nannten tfm einfach Daran'd Barebone — »erbammter
joareoone.
Digitized by
134 (Snglanb in bcr jrocitcn £älfte beS fkbse^nten 3ctf)rhunbert«.
Icr ^rctfc^Dtt ©arebone, einem ber etfrigften ©eter unb ©predjerr
audj baS © a r e b o n a r 1 a m e n t genannt ttmrbe , tro$ bcr
geiftigen 93efd)ränftf)ett ber meiften feiner TOtglieber met)r prafttfdjen
©inn unb größere ©elbftftänbigfett , als ßrommell ermartet hatte,
unb ba er nidjt genullt mar , fid) burd) baSfelbe irgenb meiere
2TCa4tbefdn:anfung auferlegen ju laffen, befd)lo& er, ftdj feiner eben=
falls ju entlebigen. Radjbem er mit feinen oerttauten Anhängern,
bie gleidjfaüS in bic SBerfammlung gemäht morben , bie nötfuge
Rütffpradje genommen, begaben fid) biefe am 12. $ej. 1653 ju
früher ©tunbe in bie ©tfcung unb brauten einen 53efdjlu§ in 5ßor=
fdjlag, traft beffen baS Parlament, „baS fo Diele üerfefjrten 2Ra&=
regeln ergriffen," fxd) auflöfen unb bie §errfdmft in bie §änbe
desjenigen jurürfgeben foöte, oon meinem eS biefelbe empfangen
f)abe. $)a fid) SBiberfprud) erhob, öerliegen bie ^nbepenbenten mit
bem Sprecher ben Saal, morauf ber Oberft 2ör)itc mit einer ®om=
pagnie ©olbaten erfdjien unb bie 3urücfgebliebenen ou$ ^em <paujc
trieb. 2113 biefelben auf bie Srage SBhite'S , maS fie Iner nod)
madjten, jur 9lnnoort gaben: „SBir fud)en ben £errn," foll ihnen
ber Dberft höhnifö angerufen haben: „Xann mü&t ihr anberSmo
hingehen; benn id> tnei§ genrifc, baß er fdjon feit mehreren Qa^ren
ntdjt mehr ^ier getuefen."
93ier Xage nad) ber Sluflöfung beS SBarebone- Parlaments er
fdu'cn ber ©eneral Sambert , einer ber eifrigften Anhänger (£rom
roellS, mit ben Uätgliebern beS ßvriegSratt)S t>or bem Sorb-ÖJeneral,
um bemfclben ben Üntnmrf einer neuen, oon ilmen ausgearbeiteten
SBerfaffung oorjulegen, nach meldjer er mit bem Xitel „proteftor
ber Rcpublif" bie öolle SBürbe unb ©emalt eines Königs erhalten
foütc. ©rommell erheuchelte Ueberrafchung unb erflärte, eine fo
fernere Saft nicht übernehmen ju fönnen; er lieg ftdj jeboch burd)
bie *8orftcllungen unb bitten Lamberts unb ber Offiziere un)d}tt)er
bemegen, feinen SSiberftanb aufzugeben.
Rod) an bemfelbcn Xage — 16. Tej. 1653 — fuhr (£rom
med, 5tuifcf)en ad)t in <ßarabe aufgcfteClten Regimentern hinburch, in
feierlichem Slufjuge oon 2B^itet)aH nach Söeftminfter. $or ihm ^er
gingen ber 2orbs2flajor unb bie Sllbermänner oon Sonbon, hinter
U)m bcr ©taatSrath unb ber Rat!) ber Offiziere. 211S (Srommell,
ber in fchroarjen ©ammt gefleibet mar, in bem ©aale beS ®anjlei-
geridjtS auf einem Prunffeffel piafc genommen, trat Lambert bor
unb bat, nad)bem er ben Slnroefenben auSeinanbergefef t , mie bie
bebenflid&en geiturnftönbe eine ftarfe unb fefte Regierung erf)eifa>
ten, ben ßorb-®eneral im Ramen ber STrmee unb ber brei Ratio*
nen, bie SBürbe eines proteftorS oon (Snglanb, ©a^ottlanb unb
Qrlanb anzunehmen. Rad) einigem ©träuben, in meinem bie U)m
jur ©emoljncjeit geworbene ©erftellung nic^t 511 öerfennen mar, gab
Digitized by Google
Tie erften 3eitcn ber englifcljen föepubltt 135
Sromroeß feine 3uftimmung, hjorouf einer ber ©efretäre be$ ©taata-
ratfä bie neue SSerfaffung oerlaS. Tie |>auptbeftimmungen berfet--
ben roaren bie folgenben: Tie gefefcgebenbe (bemalt ift bei bem
2orb*Proreftor unb bem Parlamente, baä alle brei Qaljren berufen
werben mu§ unb öor Ablauf beä fünften Süconatö feiner ©ifcung3=
jeit nicht aufgelöft roerben barf. Qu bemfelben roerben für (Sng=
ianb oierhunbert unb für ©djottlanb unb Qrlanb je brei&ig Witt-
glieber gewägt. 2Ber ein Vermögen öon jroeihunbert Pfunb hz
if* hnx if)etfnaf)me an ben SBa^len berechtigt; gewählt roerben
(ann 3eber , ber über breiunbjroanjig Qa^re $ählt unb unbefchol-
ten, gotteSfürchrig unb reinen SBanbelS ift. Tie auäübenbe ®eroalt
ift bei bem Öorb^roteftor, ber befugt ift, unter 3urat^ejiet)ung beS
StaatärathS mit fremben dächten $u unterl)anbetn unb mit beffen
3uftimmung ®rieg ju erflären unb ^rieben $u fchlie&en. Ter
2orb^roteftor fjat bie Verfügung über bie Sanb- unb ©eemacht
unb befefct bie ©taatäämter. Dirne «Bufttmmung beä Parlaments
tonnen roeber (Uefefoe gegeben, noch Abgaben erhoben roerben. Tie
Sioiflifte be3 Proteftorä ift auf jroanjigtaufenb Pfunb feftgefe&t.
3ur 2(ufrechthaltung ber Drbnung unb $um ©chufce ber S3erfaffung
wirb ein ftehenbeä |>eer öon jroanjigtaufenb gu&folbaten unb jelju-
taujenb Weitem unterhatten; bie ©tärfe ber Slotte bleibt bem
Snneffen be3 Proteftorä anheimgefteflt. 2lße, meiere burch Qefum
^riftum an ©ort glauben, foüen in it)ren 9teIigion3übungen
gefaxt roerben , aufgenommen bie „Papiften" unb diejenigen,
bie unter bem Tecfmantel ber Religion ein jügellofeä Seben pre=
bigen. 3um erften Sorb^roteftor roirb ber Sorb^eneral (Srom*
roeü auf Seben^eit ernannt ; feinen Nachfolger ernennt ber ©taat3=
rata.
9cachbem bie SSerfaffungäurfunbe oerlefen roar, erhob (£rom*
roeü feine rechte £anb unb fdjrour, bie klugen mit feierlichem 2lu3*
bruef gegen |>immel gerichtet, bie neue SBerfaffung geroiffenhaft ju
Wten unb für beren Befolgung ©orge ju tragen. Tann über*
reichte ihm Lambert fnieenb ein üBürgerfchroert , roorauf GEromroefl
ieinen Tegen ablegte, jum Blichen, bafj er fortan nicht burch üttiü;
targeroalt, fonbern ben ©efefcen gemäß regieren roolle. 2ln bem-
l'ctben Tage rourbe bie Einführung ber neuen föegierungaform unter
Beobachtung aller bei ber Thronbefteigung eine£ Monarchen üblichen
Zeremonien burch Proklamation öffentlich oerfünbet.
Digitized by Goog
136 gnglanb in ber jroeiten $ftlfte bc3 ficb^ntcn 3ahrl)imbertS.
i
dttßlanb unter bera ^roteftorote GrommeBS.
(1653-1658.)
Obgleich (£romroelI$ ©r^cbung nur baä 28erf feiner SBaffeit*
brüber mar unb bie neue SBerfaffung beu (Snglänbern faum mehr
Stechte unb gretljeiten gemährte, als fic unter $arl I. befeffen, ließ
fidj bie Nation, ber häufigen Umroäl jungen unb ber brüefenben
93?itttart)crrfc^aft mübe, gern einen SBechfel gefallen, ber bie 9tücf*
fef)r ruhigerer Stittn in 3lu3fui)t fteöte. $er ^roteftor felbft mar
entfdjloffen, bie ifjm übertragene ©eroalt mit ber ganzen $raft feU
ne3 $errfchergciftc3 nach Qunen roie nach s2lußen aufregt ju ^aU
ten. $abei fuchte er feine Gegner nach wie öor buraj ben Schein
ber $emuth unb Uneigennüfcigfeit ju täufdjen, inbem er bei jeber
Gelegenheit besicherte, ba§ er bei ber 2lnnahme be£ $roteftoratö
nur bem SBiCten ber SBorfehung unb bem Gebote ber Pflicht ge^
horcht unb baä eigene Glücf bafun gegeben, um fein SBaterlanb oor
Anarchie unb Untergang ju beroafjren, unb ba§ er mit'greuben
bie fernere SBürbe nieberlegen roerbe, fobalb e& mit Sicherheit für
bie Nation gefc^e^en fönne. Seine Betreuerungen fanben jeboct)
nur noch bei feinen üerblenbetften Anhängern ©tauben. SBiele fei
ner früheren $ameraben nannten ihn offen „einen lifrigen, mein=
eibigen $öferoicht" unb brohten ihm mit einem noch flimmeren
SluSgang, „als ber beä legten Xorannen geroejen." (Sromroell
magte nicht, gegen btefelben mit äu&erfter Strenge oorjugehen. (Sr
begnügte ftch bamit, einige üon ihnen au* ihren Stetten $u entfer*
neu ; nur biejenigen, bie ihm befonberä gefährlich fdjienen, mürben
in ben Xorocr jur £>aft gebracht. Unter biefen befanb ftcfj ber
Dberft ^arrifon, früher fein eifrigfter Anhänger, jefet als ftarrer
SRepublifaner fein unocriöhnltchfter geinb. mt ben SRoualiften, bie
er nicht in bem gleichen Grabe fürchtete, machte SrommeÜ weniger
Umftänbe ; mehrere berfelben, bie befdjulbigt roorben, eine $Berfchmö=
rung ju feiner (Jrmorbung unb jur Erhebung #arlä II. angebettelt
ju haben, mürben hingerichtet.
Obgleich ber Staatärath nidjt oerfehlt hatte, burch offene Sin*
griffe in bie ^Baufreiheit bie 28af)len ju bem neuen Parlament
möglichft su Gunften trommelte ju lenfen, jeigte baäfelbe, nachbem
eS am 3. September 1654 üon bem ^roteftor mit foniglichem Ge=
prange eröffnet morben, eine für benfclben nicht* meniger al* be=
ruhigenbe Spaltung. Glicht nur bie Sluflöfung beä langen <ßarla;
mcntS mürbe al3 eine gefe^mibrige bezeichnet, fonbern auch bie
Gilrigfeit bcr neuen SJerfaffung in 3n>eifel gejogen unb mit ber=
felbeu trommelte gan^e Stellung angegriffen. Um bie Opponent
ten 5ur 9iul)e ju jmingen, erflärte (Srommell in bcr Sifcuug oom
Digitized by Google
(Snglanb unter bem ^roteftorate (Sromwcfl«. ' 137
12. September, bie Serfammlung fei nidjt befugt, feine SSürbe, bie
ü)m üon ©ott unb bem Softe ofjne fein Q\itf)\m öerlieljen roorben,
irgenb meiner ätitif ju unterbieten, unb ftelje felbft rect)tIod ba,
wenn fte fid) metgere, bie StaatSgemalt an^uerfennen , buref) roeIcf>c
ße berufen toorben. @r Ijabe eine bie 9Inerfennung feiner Stellung
unb ber neuen Serfaffung entfjaltenbe ©rflärung abfaffen laffen,
bie öon ben 9Jcitgliebern ber Serfammlung ju unterjeidmen fei.
SBer biefe ©rflärung ntc^t unter$eicfme, fdjließe fid) felbft oon bem
Parlamente au$. 3n ber Xfmt mürben über ljunbert attitglieber,
bie ifyre Unterfdjrift öerioeigerten , am folgenben Xage öon ben
Sadjen nidjt in ben Sifcung3faal eingeladen. $a trofc biefer ®e=
toaltmaßregel bad berftümmelte Parlament fortfuhr, über 2lbänbe=
mngen ber Serfaffung ju berauben unb bie Serorbnungen be3
Proteftorä einer Unter fudjung ju unterbieten , löfte CErommefl aud)
biefe* Parlament, nadjbem bie gefefclid) oorgefd>rtebene Srift oon
fünf SWonaten — afferbingö nur 9ftonbmonate ju adjtunb$manjig
lagen — oerftridjen mar, am 22. Qanuar 1654 mieber auf.
tiefer Sdjritt fonnte nur baju beitragen , ben allgemeinen
Unmiflen gegen ben ^roteftor ju fteigern. Sucf) mirften anbere
llrfadjen baju mit, bie 3afjl feiner Änfjänger ju verringern. $>ie
georbnete £off)altung , mit melier fidj (EromroeH , feiner fjofjen
Stellung entfpredjenb , umgeben , fyatte üjn mefjr unb meljr ber re=
ligiöfen ©emeinfdjaft mit ben „^eiligen" entrüeft , mit benen er
nidjt mefjr fo eifrig rote fonft „ben $errn fachte." Wud) gegen
bie Offiziere, in bereu (Sefellfdjaft er früher bei fröfjlidjen Sftafjlen
an ben auSgelaffenften Solbatenftreicfjen Xr)cü genommen , toie fid)
überhaupt in feinem (£l)arafter mit bem religiöfen (Sntfmfiaamua
ein entfdjtebener £>ang ju berber Spaßmadjerei oerbanb, benrieä er
eine größere Surüdfmltung , bie i^m bie £>erjen Sieler unter ifynen
entfrembete. Um ba3 Sotf gegen iljn aufjutoiegeln , oerbreiteten
feine (SJegner Stugf^riften aller 3lrt, in benen feine £>eudjelei unb
fein ©ibbruef) bloßgelegt toaren, unb balb roedjfelten republifanifcfje
unb roualiftifdje Sßerfdjtoörungen mit einanber ab , bie jebod) alle
burdj Sromtoetla fc^laue unb roobjbefolbete Spione leicht entbeeft
unb in Strömen 53lute$ gebämpft mürben.
$lod) größer mürbe bie Unjufricbenljeii , alä ber ^ßroteftor im
$pril 1656 $ur letzteren Unterbrürfung ber immer saf)lreidjer
toerbenben Slufftänbe, fomie jur rareren Beitreibung ber auf eine
bis balnn unerhörte Jpörjc geftiegenen Steuern ba3 ganje föeid) in
fünf 2KUitärgout>ernement3 einteilte unb ben Sorfte^ern berfelben,
bie ben 9iang oon Generalmajoren erhielten, bie ©efugniß einräumte,
nidjt nur Gruppen in iljren SBejirfen auöju^eben, nad) SMfür
Verhaftungen üorjunefjmen unb Güter einjujie^en, fonbern aud) bie
«uffia)t über fttnften unb Spulen ju führen. ^a& militärifc^er
Digitized byGoogle
138 (Sngtanb in bct jmetten $«lfte be« fiebjefaten 3a$rf>unbertS.
Despotismus baS <£nbe fo langer unb blutiger kämpfe fein follte,
erfüllte Seben mit Erbitterung.
(£in IjöfjereS Wnfel)en, als in ben brei üon üjm beljerrfdjten
föeidjen, genoß Gxomtoell im WuStanbe. Seine Erhebung fyatte bei
feinem befonnten (5b,rgeij bie fremben Wächte nic^t überrafdit, unb
feine berfetben öertoeigerte ifjm bie Slnerfennung ; bie meiften be-
eilten ftdj fogar, tfjeilS um feine greunbfdjaft ju gemimten, tljeilS
um feiner geinbfdmft oorjubeugen , tym iftre ÖKüdnwnfdje borju-
bringen, unb jaljlreic&e Votfdmfter unb ®efanbte brangten ftet) an
feinen £of. (£rommett empfing fie ju SBfn'tefafl, mo er mit feiner
gamilie bie früheren föntglidjen ©emädjer belogen , in bem großen
«anfetfaal, auf einem *ßrad)tftuf)te fifeenb , mit bem *ßrunfe eine*
fouüerönen £errfd)erS.
Der glütflid&e Ausgang beS SeefriegeS mit #oflanb bemog ben
<ßroteftor gu neuen friegerifdjen Unternehmungen, buraj meldte er
bie Slufmerffamfeit feiner Untertanen oon ben inneren Singelegen--
Reiten afyulenfen hoffte. Da ein ®rieg gegen Spanien bei beffen
in rafdjem Sinfen begriffener üttadjt einen leisten Sieg unb eine
reiche Veute in SluSftdjt ftettte, befcf)(o& er, feine SSaffen junaefpt
gegen biefen Staat ju ridjten. Um einen Sorroanb jum SriebenS*
brua) ju finben, ftettte er an baS ftabinet oon Sttabrib gorberungen,
bie baSfelbe nidjt bewilligen fonntc , unb ließ auf beffen ablefmenbe
Antwort jtoei Stötten unter Segel gelten , oon benen bie eine
unter bem berühmten Seefjelben 33 1 a f e nadj bem 9Jftttelmeere,
bie anbere unter bem Slbmiral ?5 e n n nadj 3Beftinbien ging. Da
ber ftrieg gegen Spanien nod) nid)t erftärt mar , griff ©lafe , ber
ben geheimen Auftrag fjatte, bie mit ben Sdjäfcen JfnbienS betabenc
fpanifdje Silber flotte fyimoeg ju nehmen, juerft bie brei 9taubftaa=
ten Algier, DuniS unb DripoliS an unb jroang beren $8ef)errfd)cr
$ur fjveigebung aller in ber Sflaoerei jurüdgefmltenen (Snglänber,
foroie ju ber Sufagc, fünftig feine englifdjen Schiffe meljr $u bt-
rauben. Da in$toifdjen bie Silberflotte glüeflid) in ben #afen oon
(£artyagena eingelaufen mar, fefyrte er oofl TOßmutl) nad) (Snglanb
jurüdf.
gnjmifa^en l)atte $enn , nad) einem bergeblidjen Angriff auf
San Domingo, im Üftat 1655 Qamaica erobert, unb im 9Ipril 1657
gelang eS Vlafe , in bem £afcn Oon Santa (£ruj auf ber Qnfel
Deneriffa bie fpanifdje Silberflotte Ijimoeg ju nehmen, bie jebod)
bei ber Verbrennung ber biefelbe eSfortirenben Sdjiffe ju Qkunbe
ging. Sluf ber 9türffe(jr oon biefem Quge ftarb er , als eben fein
Schiff in ben £afen öon ^ßltymoutfj einlief.
3ur nadjfjaltigeren Vefämpfung Spaniens fjatte fid) ©romroeü
bereits im Qaljre 1655 mit granfreid) üerbünbet, baS ifym als
*ßreis feiner längft erftrebten ©unbeSgenoffenfrfjaft bie Verbannung
Digitized by Google
(gngianb unter bettt «ßroteftorate ©rommellS. 139
ber Stuarts oon bem fran^öftferjen ©oben jugefagt. $aS englifc^c
ftilfsheer öon fedjStaufenb 2Rann , raeldjeS bic granjofen in ben
SRieberlanben unterftüfcen follte , würbe bem Oberbefehle Xurenne'S
unterftellt unb nafym an ber (Eroberung oon $ ü n f i r d) e n
(14. 3uli 1658) Xf>etl, meiere« ben <£nglänbern übcrlaffen blieb.
Xrofc beS erböten 2lnfef)enS, baS ßromraells friegerifdje Unter;
nefymungen unb inSbefonbere ber buref) ifjn berotrfte bebeutenbe
Äutfdjroung ber englifdjen Seemadjt bem englifdjen tarnen oer=
fdjafft Ratten, bauerte bie Unjufriebenljeit in ©nglanb fort. 911S ber
proteftor, tfjeilS wegen ©elbnotf), tbeilS.um ben 93eftimmungen ber
SBerfaffung ju genügen, auf ben 17. September 1656 ein neues
Parlament berief, fielen faft an allen Orten bie oon if)tn aufgefteö^
ten föanbibaten burdj, unb wo bie 2Baf)l berfclben burcfygefetjt Wor>
ben , war bieS burd) offene ©ewalt oon Seiten ber Beamten unb
Generalmajore gefa^e^en. $5ennod) mar (SrommetI entfd)loffen , fei-
nen feiner erflärten (Gegner §u bem Parlamente jujulaffen; er
ftria) batjer olwe SöettercS bie Flamen aller ber jenigen ©ewal)lten
auS ber fiifte aus, für weldje fid> in angeblidj nidjt entfpredjenber
religiöfer ober fittlidjer ©efinnung ein ©runb ber 9luSfd)lie6ung
finben liefe. Obgleid) er auf biefe 3Beife ein Parlament jufammen
gebracht , oon meinem er 9Hd)tS befürdjtcn $u müffen glaubte,
jetgte fief) audj in btefer SÖerfammlung ber alte SBiberftanbSgeift,
ber befonberS burd) eine heftige, oon ben auSgefdjloffenen $arla
mentSmitgliebern oeröffentlia^te söefdjmerbefdjrift geweeft morben mar.
3)ie nngünftige Stimmung ber neuen Stellüertreter ber Nation
berührte ben $roteftor um fo unangenehmer, als er ftd) bem Siele
nafje geglaubt, auf weldjes längft fein ganjeS Streben gerietet ge^
raejen. 55er proteftor-Xitel , fo gro& unb furdjtbar er benfelben
auef) ju machen gemußt, genügte feinem (Sfyrgeij nidjt: im SBefifce
einer unumfdjränfteren ©eraalt, als fie je oon einem ber red)t-
mäßigen Jperrfa^er (SnglanbS ausgeübt morben, glaubte er eS raagen
ju burfen , feine £anb nadj ber KönigSfrone auSjuftrecfen , naa>
bereu Erlangung er burdj bie £>erfteHung einer erblia^cn 2Ho=
narajie feiner gamilie ben gortbefifc ber .fterrfdjaft fidjeru ju fönneu
hoffte, ftadjbem er fidj mit feinen oertrauteften greunben über
bie Saaje eingefjenb beratfjen unb eine oereitelte $erfd)raörung
gegen fein öeben, bie oon ben 9tid)tern für Jpodjoerratf) erflärt wor=
ben, weil ^roteftor in gefefclidjer ©ejieljung gleidjbebeutenb fei
mit Äönig, eine unmittelbare Steranlaffung geboten, bie ^Sieben
einfü^rung beS Königtums im Parlament $ur Spradje $u bringen,
übernahm eS einer feiner eifrigften Anhänger, in ber SBerfammlung
ben SBunftfj auSjufpredjen : eS möge bem proteftor gefallen , bie
föegierungSgemalt gan§ nad) ber alten SSerfaffung $u übernehmen,
ba bteS bas fic^erfte Littel fei, aüen Komplotten ein (Snbe ju
Digitized by Google
140 gnglanb in ber jmeitcn $aifte be« fiebaeimtett 3af)rfmnbert«.
machen unb bic greiljeiten be« Sanbe« auf bcm alten fixeren
®runbe 311 befestigen, $a« |>au« to« überrafdjt; aber mäljrenb
bie ©inen bie 3krmegenf>ett be« SRebner« tabelten , liegen ftdj Ru-
bere äuftitnmenb öernetmten, unb al« in ber nädjften ©ifcung in
aller gorm ber Antrag geftettt mürbe , bem Proteftor bte Stone
anzubieten, gelang e« ben Sreunben trommelte , für benfelben bie
$Ref)rf)ett ber ©timmen ju gewinnen.
(Srommefl ftanb am %\tli feine« Streben«; aber er gefiel ftcf)
barin, ben Söfiernben ju fptelen, um ftd) ben #nfd)ein ju geben,
al« erblitfe er in ber SBürbe, meiere ber ®egenftanb feiner fjei&eften
SBünfdje mar, mir eine fernere ©ürbe. 211« tym ber Sprecher be«
£aufe« ben in ber gorm eine« „gefjorfamen ©cfudj« unb ®ut=
achten«1' abgefaßten SBcfcftfuß überreizte unb beffen SJcotioe in
längerer SRebe au«einanber fe&te, erflärte er : fein Gtemütlj erfdjrccfe
t)or bem ©ebanfen, eine fold&e Saft auf fid) ju nehmen; er bebürfe
3cit, ben §errn unb fein innere« ju Statte §n jie^en. $abei er«
mangelte er jebod) nict)t , feine Slnljänger im ©rillen ju ermuntern,
auf ifjrem Verlangen ju beftefjen, bamit feine (Sinmilligung al« eine
i^m abgerungene gelten !önne.
3nbeffen zeigte ftet) unter ben eifrigen SRepublifanern mie un=
ter bem £>eere eine fo bebenflidje ©timmung , bafi CSrommell §u
feinem (Sntfölufs fommen fonnte. (Sine Don einer ?(nja^I fana=
tifct)er Qnbepenbenten angebettelte S8erfd)mörung , meiere bie lieber*
tragung ber SRegierung«gcmalt an einen „IRatfy ber ^eiligen" be*
^metfte, fct)eiterte zmar an ber SBadjfamfett ber ©ptone ßrommell«,
unb bie an berfelben Beteiligten mürben in ben Xomcr geftetft;
aber bie Beforgniffe be« Proteftor« waren bamit nidjt befeitigt;
beim bte angefeljenften Offiziere , bte drommell ©ergeben« in Pri-
oatfonferenjen für fein ®ümgtfmm ju gemimten gefugt , übergaben
fcem Parlamente eine Petition, in melcf/er bie bringenbe Bitte au«*
gefprodjen mar , bte „gute alte ©ad)e" , ju beren Berttyeibigung
fte it)r ßeben Einzugeben bereit feien, aufregt ju galten unb ju
fdjüfcen.
$>iefer ©abritt bemog enbücf) ben Proteftor , feinen lang ge=
nährten füfynen Hoffnungen ju entfagen. Um einer Debatte über
bie Petition ber Offiziere oorjubeugen , lieg er am 8. üftat 1657
bie 2)cttglieber be« Parlament« nad) ^luteiiatl fommen unb er*
flärte tfjnen, bafj er bie ifmt angebotene ®rone nidjt annehmen
fönne, „ba bie ©ad>e nidjt au« bem ©lauben fomme unb baffer
eine ©ünbe fei." $)a« Parlament erteilte tf)tn hierauf eine feier*
lidje Betätigung feine« Proteftorat« unb erfannte if)m ba« $Red)t
Zu, feinen 9cad)folger felbft ju ernennen. 9cad)bem hierauf nod) bte
Siebereinfüljrung einer erften Cammer, für meiere man jebod) ftatt
be« Scamen« Obernau« bie Bezeichnung „anbere« $>au«" mahlte,
Digitized by Google
©nglcmb unter bem ^rotcftoratc (JromroetlS. 141
oerfügt tuorben, mit bcr SBeftimmung, ba& baSfelbe nicht unter üierjig
unb nict)t über fteb^ig oon bem fSroteftor ju mählenben unb öon
bem £aufe ber Gemeinen ju beftätigenbe SJcitglieber jaulen foHe,
mürbe baä Parlament auf fecfjä 9ttonate vertagt.
©eitbem Srommella Hoffnung auf bie $rone gefchmunbcn tuar,
öerfolgte er eine anbere ^otittf. S8on ber SBoltepartei mit tiefem
©rolle ficf) abmenbenb, fud)te er ben Ebel für fich ju gewinnen.
(Sr öermählte öon feinen beiben noch unoerheiratcjeten Xöchtern bic
ältere mit £orb Salconberg unb bie jüngere mit bem Grafen SBarmicf,
ernannte au&er feinen beiben Schmiegerföhnen noch acht $eer* üom
alten Slbel $u 2)citgliebern bed Dberhauje* unb erteilte ben jmei=
unbfunfoig anbern öon i^m ermatten ÜÄitgliebern beäfelben, bic
theilä bem $eere, t^eild bem Öeamtenftanbe angehörten, bie JBorrechte
ber ^eerfehaft für fich unb ihre gamilkn. 81* er jeboe^ am 20. 3a=
nuar 1658 bie beiben Käufer jufammen berief, fanb fid), au&er
galconberg, öon ben alten £orbä nur ein einziger ein, unb baä Unter*
tjauä geigte fo grofce SBiberfefclichfeit, ba& er jdjon am 4. gebruar
baä Parlament roieber auflöfte.
tiefer neue ©emaltfchrttt erhöhte bie allgemeine Erbitterung.
Drohungen mürben laut unb (Schriften öerbreitet, in benen bie (£r=
morbung beä Sßroteftorä als etne geredete unb öerbienftooHe £>anb*
lung öargeftcllt mar. xHudi bie s2lrmee murrte, meil bie Slujlöjung
beä Parlamente öor ber Demütigung ber Subfibien erfolgt mar
unb itjr bafjer ü)r rücfftänbiger Solb nic^t gejault merben tonnte,
unb öiele Offiziere fpraä)en offen öon ber Herstellung ber Sftepublit
„ofme einen Sftann an ber Spifce." Zugleich Rattert bie SRoaaliften
zahlreiche $ßre$böterianer für ben in ben 9cieberlanben meilenben
Äarl II. $u gewinnen gemußt, mit meinem eifrige Unterhaltungen
gepflogen mürben.
Um feine Gegner ju fct)recfen unb üjre Jöerfuc^e $u feinem
Sturje raja)er unb nachbrücflicher 511 öereiteln, errichtete ©rommell
einen neuen „lwl)en Gerichtshof," ben er mit feinen ergebenften
Anhängern befefcte. ®ie erften Dpfer biejeä Tribunals maren jroei
•Konaiifteu, Sir $>enro Slingäbt}, ein fatholijcher Ebelmann, unb
Xoctor kernet, ein Geiftlicher ber (Spiäfopalfirche. Jöeibe mürben
enthauptet, obgleich ber Skfctere in (£romroell$ ^ieblingätochter @li-
fabelt) (ilat)poie eine manne gürfprecherin gefunben. 2)er balb barauf
erfolgte Xob (Sli)abethS, bie auf ihrem «Sterbebette gegen ihren $ater
äföeifel an ber Gerecfjtigfeit feiner Sache auägebrücft unb ihn er-
mahnt haben foü, bie oberfte (bemalt bem rechtmäßigen Eigenthümer
äurücfyuftellen, trug nur baju bei, bie herbe unb geregte Stimmung,
Ded ^roteftorS $u erhöhen.
3u ben Sorgen für bie Behauptung jcincr Stellung gefeilte
fia> bei Erommeü eine immer größer merbenbe gurcfjt öor ^Jcorb^
Digitized by
1 42 ©nglanb m ber ^weiten $älfte be* ficbjc^ntcn 3ahrhunbert*.
anklagen, gegen melche er {ich buret) alle nur erben fliehen ©or*
jichtimafjregeln fieser $u fteflen fitdjte. (Jr trug einen ganger unter
t>em bleibe, hatte ftet* gelabene Sßiftolen bei fid) unb beobachtete,
wenn er Wubienjen $u geben gezwungen mar, mit ber ängftlictjften
Sorgfalt bie ©liefe unb ©emegungen ber ^erfonen, bie ihm näher
famen. SBoUte er ausfahren, fo mar er barauf bebaut, bafi vJ!ie*
manb öorb,er baoon unterrichtet fei; überall Inn mußten ifm ftarfe
tfbtheilungen feiner ßeibmaehe begleiten, unb nie feljrte er auf bem-
felben SBege jurüd, ben er juerft eingefchlagen. 3n allen feinen
Zimmern ^atte er verborgene Ausgange anbringen laffen, um bei
einem etmaigen Ueberfall leichter entfommen ju tonnen. $)ie Zt)ü*
ren feine* Schlafzimmer*, ba* er häufig mechfelte, maren mit fö«
niglia) bezahlten 2Baa)en befefct, unb oft ftanb er in ber 9caa)t,
menn bie gurdjt ihn nicht fajlafen lieg, oon feinem ßager auf, um
fid) ju öerfiajern, ob fie auf ihrem Soften feien. (£r, bcr fo oft
im gelbe bem Xobe feften ©liefe* in* 2luge geflaut, gitterte jefct
beftänbig bor unbefannten, unftchtbaren geinben, bie fein £eben be*
breiten.
2) ieie fortbauembe geiftige Aufregung untergrub bie fonft fo
ftarfe tförperfraft (£rommell*. Hm 17. «uguft 1658 befiel ihn
ein gieber, ba* bie Sierße al* bebenfltch erfannten, metyrenb er
felbft fieh überzeugt hielt, baß (Sott, feine unb Slnberer Gebete er«
hörenb, if)m ein längere* ßeben befdjieben fyabt, unb balb ließen
feine june^menbe Schmäche unb feine häufige ©emu&tloftgteit feinen
3meifel mehr über feine nahe Huflöfung. 3n ber Stacht oom
2.-3. (September fragte er feinen Kaplan Sterrn, ob e* möglich
fei, au* ber Gnabe ju fallen, unb al* btefer feine grage verneinte,
rief er, mie oon einer ferneren Saft befreit: „9hm, bann bin ich
fidjer! benn ich mei& g,emi&, baß ich einmal in ber Gnabe mar."
3)er folgenbe Xag, ber 3af)re*tag feiner Siege bei 2>unbar unb
iJBorcefter, mar fein Sterbetag. s2ll* feine Liener unter Xhränen
unb klagen an ba* Sager be* 5)at)ingefc^iebenen traten, rief ber
fanatifdje Sterrtj ihnen $u: „£>ört auf $u meinen! 3h* fabt nie^r
Urfache, euch $u freuen. (£r mar auf (Srben euer Sßroteftor, mirb
euet) aber nun, mo er mit (Shrifto $ur regten |>anb be* ©ater* fifcet,
mit meit größerer 2Jcaa)t befdjüfcen."
3) ie deiche be* $roteftor* mürbe mit ungemöt)nlic§em Ge-
pränge, bei meldjem man ba* (Zeremoniell jum DJcufter nat)m, ba*
bei ber SBeerbigung $^ilipp* II. oon Spanien beobachtet morben,
in ber SEBeftminfterabtet neben ben Gräbern ber Könige (Snglanb*
betgefefct.
,,©i* $um Anfang be* neunzehnten 3ahrhunbert*," fagt
Siugarb, „mo ber munberoode SRann aufftanb, ber bura) feiner
Siege Glanj unb feine* deiche* $lu*befmung alle früheren 2Bag=
Digitized by Google
Snglanb unter bent ^roteftorate (XromroctM
■
143
Itnge oerbunfelte, mar ber Warne ©rommell ofme (bleichen in ber
<Skfd)id)te beä ciüiltfirten (SuropaS. SHan fat) mit einem ©efühle
oon Scheu anf ben ©tödlichen, ber, olme burch ©eburt, Sfcetcfjtljum
ober Sßerbinbungen unterftüfct ju fein, bod) im Stanbe mar, bie
Regierung breier mäßiger Königreiche an ftd) ju reiften unb baS
3od> ber ßtiechtfchaft auf bie Warfen $)erer ju legen, bie jugleid?
mit ihm in ben Kampf getreten waren, um bie meniger miüfür;
liehe #errfchaft it)reS erblichen Sföonarchen abschütteln. 2)aß, wer
ioldjeä üollbracht, fein gemöfmlicher OTcnfcr) mar, muß allgemein
jugeftanben merben, unb boch finben mir, bei genauer gorfdjung,
in feinem (S^arafter menig (Erhabenes ober auch nur SölenbenbeS.
drommeQ glich ntcr)t bem SHeteor, baS burch ©lanj unb ©Quelle
feines fiaufeS überrafdjt unb in Staunen fcfct. 3n tätet Stefon*
nent)eit unb beregneter Ilmficht fchlid) er langfamen, mot)l abge>
meffenen Sa^ntteS ooran, mitten im ©enuß ber ^eimlic^en Jreube
über fein Slnffteigen jur £>öhe ftetS bebaut, bie Sufchauer 5« äber=
reben, eine äußere, unmiberfte^lia^e ©emalt, ber @ang ber (5reig=
niffe, bie 91 ücf ficht auf baS gemeine Öefte, ber SEBiÜe beS Speeres,
ja bie ©ejchlüffe beS Slßmächtigen brängten Um fort. 3hm galt
Verkeilung als bie SBoflenbung menfchlidjer SBeiSheit; fie mußte
it)m $um Schlußftein beS ©emölbeS bienen, auf meldjem er ben
iöau feine* ©lürfeS aufführte, ©ein aufftrebenber (Shrgeiä oerbarg
fid) hinter bem Vormanbe ber 2lnf)änglichfeit an bie ,gute alte
Sache,' unb fein geheimes Xreiben jur (Erlangung unbejehränfter
bemalt für fich unb feine 9ladjfommen mußte er auszulegen, als
münfehe er nur, feinen oormaligen SBaffenbrübern bie Segnungen
bürgerlicher unb religiöser Sreiheit, als ber beiben großen ©üter,
für meldte fie juerft in ben Streit gegangen, unoerlierbar ju
fiebern. So ging fein ganzes X^un unb Söefen auf ßift unb 93c*
trug hinaus."
künftiger als über (£romme(lS politifcheu (£fyaraftet urt^eilt
Singarb über feinen teligiöfen Stanbpunft. (£r ^ält il)n nid)t, mie
oerjdn'ebene anbere £iftorifer, für einen religiöfen ^eudjler, ber
nur aus ©igennufc ben ^eiligen gefpielt, fonbern für einen religiös
Jen Schmärmer, ber jeboch feine Religion mit feinem S^rgeij in
(Sinflang ju bringen gemußt. „@r glaubte," fagt biefer treffliche
®efd)icf)tfd)reiber (fnglanbs, „bie Sad>e, für meldje er ftd) erflart
hatte, fei bie Sache ©otteS; aber er glaubte ebenfo feft, (Sott fyabz
it)n jum glütfltchen Verfechter biefer Sache erforen. So mar in feiner
3bec ©otteS (S^re oon feinem eigenen SöachSthum nicht ju untere
jeheiben, unb bie Schleichmege feiner ^ßolitif mürben in jeinen klugen
geabelt burch ben legten 3merf, ju melchem fie führen foHten."
Digitized b;
144 gnglanb in ber jwciten §älfte be« fiebjehnten 3af|rhunbert«.
Sie SBteberljerftellung be3 Ädnigtl>ura8.
(1660.)
$a (Sromroell (eine 93eftimmung über feinen Nachfolger ge*
troffen, ernannten bie Sttitglieber be« Staat«ratf>e« feinen älteften
Sohn ?Richarb jum $roteftor, obgleich berfelbe Weber ba« religiöfe
noch ba« militärische Änfe^en feine« Söater« befa§ unb wenig sJteu
gung unb QJefdjicf ju ben Staat«gefchäften zeigte, wä()renb fein jüngerer
trüber $ einriß, ber bei be« $ater« Xob ©tatt^alter bon Qrlanb
war, fid) im gelbe wie in ber Sßerwaltung trielfache (shfahrungen er*
worben unb in feinem ganzen Auftreten ftet« einen entf ^offenen
Sinn unb einen gewanbten ®eift befunbet ^atte.
föicharb« (Erhebung ftie§ auf feinertei Söiberftanb ; ja e« liefen
oon aßen Seiten fo jatjlreiaje Söeileib* unb ÖUücfwunfchabreffen
unb fo überfdjwengliche £>ulbigungen ein, bag e«, wie ßingarb fagt,
jtf)ien, al« Ratten fich bie freigeborenen ©ritten in ein SBolf öon
Sflaben oerwanbelt. „$ie Sonne fei untergegangen", fo f)ie& e«,
„aber ohne ba& eine Sftacht gefolgt. 2)en vJ*äf)röater Ratten fie
uerloren, ber ba« 3od) ber #ned)tfdjaft oon bem Warfen unb
wiffen ber ©otte«fürchtigen genommen unb e« zerbrochen ^abe ; aber
bagegen fei ihnen ber ebelfte $weig be« glorreichen Stamme« ju
Ztyil geworben, ein gürft, ausgezeichnet burch feine liebliche ©e^
ftalt, aber noch toeit mehr burch be« ©emüth« öortreffliche Sigen*
fchaften. $)er oerftorbene sJ$roteftor fei ein ättofe« gemefen, ber ©ot*
te« Sßolf au« s<Heggpten geführt; in feinem Sohne aber erblühe ein
3ofue, ber e« jum ooöen ©efifc be« gelobten Öanbe«, ber SBahrheit
unb be« frommen SSanbel« leite. @lia« fei gen Jpimmel aufgehoben
worben ; Slifäu« aber oerroeüe auf (Srben, ber @rbe feine« Hantel«
unb feine« Reifte«." 5lud) bie fremben dächte, bie e« für ftaat«-
flug erachtet Ratten, be« SBater« greunbfehaft ju iuetjen, beeilten fia),
bem Sohne ihre GHücfmünfche barzubringen. *
Slber nicht lange foflte fich ber neue ^roteftor be« ungeftörten
Öefijje« ber ihm übertragenen 9Äad)t erfreuen. 5)a« $eer wollte
Nicht« Don einem jperrfcher wiffen, ber nie ba« Sa)wert für bie
„gute Sache" gebogen, unb bie Offiziere berathf plagten in gehei-
men 3ufammenfünften über bie SBieberherftetlung ber Sttilitärherr*
fchaft, ber burch bie „Ufurpation (Srommell«" ein (£nbe gemacht wor*
ben. dagegen jeigte ba« Parlament, ba« ber neue Sßroteftor
wegen gänzlicher ©rfchöpfung oder (Mbrnittel fchon im Qanuar
1659 zujammenberufen mujjte, auch feinerfeit« ba« unoerfennbare
Streben, fich fdbft mieber bie fjöchfte Gewalt im Staate anzu-
eignen. 2)te (Gemeinen ertonnten zwar bie Nachfolge Nicharb« an,
aber nur unter bem Vorbehalt einer bie greifet be« $olfe« fiebern-
Digitized by Google
$te 23ieber^erfteflung be* £5mgtf>um*.
145
•
ben ©efdjränfung feiner SRedjte unb Privilegien burd) eine foäter
gu erlaffenbe S8iU. 2lua) ba* neue Obernau*, ba* im ©efüf)le fei=
iter unseren ©tellung forgfältig bemüht mar, jeben (Sonflift mit
ben Gemeinen $u vergüten, mürbe al* öarlamentarifdje SBerfamm*
hing nur für bie $auer ber gegenmörtigen ©ifcungen anerfannt,
ba ba* bem verdorbenen Proteftor vcrfönlid> jugepanbene SRed)t,
ein foldje* $u berufen, nicr)t auf beffen 9lad)folger übergebe. $>a
ba* Parlament nidjt nur eine von fed>*fmnbert Offizieren unter*
jei^nete „bemütf>ige SBorfteHung unb 99itte", ir)rc ©olbforberungen
$u befriebigen, neben bem Proteftor, ber fein #rieg*mann fei, einen
Cberbefef)l*lja6er ju ernennen unb an ber „guten alten ©ad)e"
feftjufjalten, jurürfmie*, fonbem aud) jebe gufammenfunft, Söeratf)*
idjlagung ober SBefdjlufjfaffung ber Offiziere ofjne Suftimmung
Proteftor* unb be* Parlament* al* gefefcnribrig unterfagte, bewogen
bie fnfcigften £>auvtleute ben jungen Proteftor burd) $)rolmngen, ba*
Parlament aufjulöfen. 211* bie SHitgtieber be*felben am 22. Slvril
1659 nad) fur^er Vertagung itjre ©jungen miebereröffnen motlten,
fanben fie Öie Xf)üren verfd)loffen.
$a fia) bie jur £errfdmft gelangten Offiziere, bie fidj nad)
errungenem ©iege um ben Proteftor ntcr)t meiter fümmerten, über
bie Slnorbnung be* jufünftigen ^Regiment* nidjt einigen tonnten, ge-
rieten fie auf ben ©ebanfen, ba* „lange Parlament" in ber (&e-
ftalt, bie e* narf) ber 2lu*fd)lief?ung ber Puritaner gefmbt, mieber
fjerjufteflen. ÜKad)bem von ben jerftreuten ©liebem be*felben ftebjig
in ßonbon jufammengefommen, conftituirten ftdj biefelben al* bie
r>öct)fte ©taat*gemalt in ben brei föeidjen unb eröffneten am 7. Sftai
ifjre ©jungen mit einem Programm, ba* bie SBieberfyerfteflung ber
religiöfen unb volitifdjen greifjeit unb bie 2lbfd)affung be* Protef*
torat* jufagte. gür bie 2lu*füfjrung biefe* Programm* mürben bem
Parlamente von ben Offizieren in gebieterifdjem Xone bie leitenbeit
@tefid)t*j)unfte vorgejeidjnet, benen gemäß ba* |>au* einen „©tdjer*
fjeit*au*fdm6" unb einen ©taat*ratf) einfette. $)iefe Vorgänge be=
mögen SRidmrb ©romroell, ber bie ®raft nid^t in fidj füllte, ben
broöenben ©türm ju befdjmören, unb ber of)nef)in burdj bie 93efd)lüfje
be* Parlament* tijatfädjlidj abgefegt mar, am 25. 2Kai feine SSürbe
nieber $u legen. Söalb barauf mürbe aua) fein ©ruber #einridj
von bem $eere jur 2lbbanfung gejmungen. $a* Parlament fagte
Reiben einen Qaljrgefwlt juf ber iljnen jebod) nid)t au*gejaf)lt nwrbe.
Sie karten in ba* Privatleben jurüd, in meinem fie Ujre £age
rufjig unb ungefränft verlebten.
Obgleich ba* Parlament ftd> 2lnfang* ben gorberungen ber
Cffijiere millfä^rig gezeigt, na^m e* balb eine anbere Spaltung
an unb beratyfälagte über Maßregeln, burd^ meiere ben 2ln=
maßungen be* 4)eere* eine ©renje gejogen merben foate. ©o ent=
^oU»ait^ SBeltflef^tc. VI. 10
Digitized by
146 gnglanb in ber jtucttcn §älfte be3 fiebjc^ntcn ^a^r^unbcrt*.
brannte jnrifchen beiben Parteien ein $ampf, ber mit bem ©iege
beS $>eere£ enbete. $)a$ Parlament mit&te fkh am 13. Dftober
1659 jnr CHnfteüung fetner ©ifcungen bequemen unb bem £>eere
ba3 fRec^t juerfenncn, eine neue SBerfaffung ju entwerfen , bie ber
!öeftätigung eine$ neuen ^arlamentä unterbreitet merben foüte.
$ie ^Befehlshaber legten hierauf, „traft ber ber Wrmee innewohnen;
ben f)ödjften ©ewalt", bie ©taatööertoaltung üorläufig in bie £>änbe
cineä ©idjerheitSauSfdjuffeS öon breiunbjmanjig ^erfonen nieber.
2lüe biefe rafd) aufeinanber folgenben $eränberungen Ratten
in Grnglanb eine Verwirrung hervorgerufen , bie an üoüftänbtge
Vlnardue grenzte. SBährenb bie oerfchiebcnen ^arteihäupter biefen
troftlofen 3nf*anb im eigenen Qntereffe ausbeuten fugten , eut=
warf ber Statthalter oon ©d)ottIanb , ber (General SRottl , ben
s$lan, burch bie $erfteHung beä ^Parlaments bem attilitärbeSpottö:
muS ein (5nbe ju machen unb bie föüdfehr georbneter 3nftänbe an*
5ubat)nen.
3m gatjre 1608 in $eöonfhire als ber ©olm einer ange*
fernen gamilie geboren, mar ©eorg 9ttonf, nad)bem er an ben
(Jjrpebitionen gegen ftabir. unb Sa föochelle theilgenommen ^atter in
nieberlänbtfche $ienfte getreten unb erft bei bem beginne beS fc^ot-
tifchen Kriege« nach ©nglanb jurüefgefehrt, wo er anfangt für ben
®önig gefämpft hotte, nach längerer ÖJefangenfchaft aber in ba3
s^arlament«hcer eingetreten mar. ©eitbem (Sromwell burch ben @in*
fall $arls II. in (Snglanb jur 9tücffehr borten bewogen morben mar,
führte Sttonf ben Oberbefehl über alle in ©dwttlanb ftehenben
Gruppen. ÖJeftüfct auf bie 5lnhanglia)feit feiner ©olbaten unb auf
bie allgemeine ©efjnfucht beS engten SBolfeS nach ber öeenbigung
ber inneren SBitren, brach er am 1. 3anuar 1660 mit fedjStaufenb
URann gegen Öonbon auf. 3n ber 5lät>e oon £)orf fticB gairfaj,
ber fich feit SrommeÜS Erhebung in baS *ßriüatleben jurüdgejogen,
mit einem gasreichen, meift aus 9toüaliften ber umliegenben ®raf*
fchaften beftehenben ^eereSfjaufen ju ihm, unb am 2. gebruar ftan*
ben Söeibe oor ben Xtyxtxi ber ^auptftabt.
$ier h^ten unterbeffen bie Bürger burch SSaffengewalt bie
3urücfberufung beS Rumpfparlamente erzwungen, baS fogleicr) alle
feine (Gegner aus ben S3efehlshaberftellen beS §cercS entfernt hatte.
Ohne ©chwierigfeiten geftattete baSfelbe ben (Sinjug 9ttonfS in bie
A>auptftabt unb banfte bem ©eneral, als er in ber iöerfammlung
erfdnen , burch ben slftunb feinet ©predferS für feine bem 2kter=
lanb ermiefenen ©ienfte. SftonfS Weigerung, ben SlbfdjwörungSeib
gegen bie ©tuartS ju leiften, ermeefte jeboch baS äßifjtrauen beS
.§aufeS, unb um feine Xreue ju prüfen, ertheilte man ihm iöefehl,
bie söürger ber Situ oon Sonbon, bie ftd) weigerten, irgenb weldje
©tcuern ju jahlen, beoor ein öolIftänbigeS unb freie« Parlament
Digitized by Google
3>ie SBieberherftettung beS SBnigtfjumS.
147
nach ben alten ©runbgefefcen beS SanbeS an bic ©teile beS Rumpf-
parlamente getreten, burch SSaffengewalt jum ÖJehorfam ju bringen.
2Konf üofljog biefen ihm unangenehmen Auftrag, ot)ne großen
SBiberftanb ju finben; als jebodj herauf baS Parlament üon it)m
auch bie Slupfung beS ©tabtrathS ber Eitu »erlangte, entwarf
er, im Einüernehmen mit feinen Cf frieren, ein an ben ©predjer
beS £>aufeS gerichtetes ©abreiben, worin baS Sttilitär fich barüber
beflagte, baß eS $um SSerfjeug perfönlicher Raa)e gegen bie üöür*
ger gebraust worben fei, unb bie unoerjügliche VerOollftänbigung
beS £>aufeS burch bie Einberufung ber auSgefchloffenen preSböteria*
nifc^en SDcitglieber oerlangte, bamit bie nötigen Vorbereitungen jur
Einberufung eines neuen Parlaments getroffen werben tonnten.
tiefer «Stritt rief in ber $muptftabt einen ungeheuren ^ubel
heröor unb oerwanbelte bie Unjufriebenheit über 9#onfS Vorgehen
gegen bie Situ in eine allgemeine SBegeifterung für ben entfdjloffenen
Öeneral. Sluf feine Einlabung erfdjienen am. 21. gebruar bie oon
Eromwefl auS bem langen Parlament auSgefchloffenen Üttitglieber
ber pre3bt)teriamfd)en Partei in bem Rumpfparlament. $a fie in
bemfelben bie 2ttefjrjaf)l bilbeten, oerließen bie meiften Republikaner
ba& §auS. S)tefeS ernannte fofort 9ftonf jum Oberbefehlshaber in
allen brei Reihen unb löfte fidj, nadjbem eS bie Berufung eines
neuen Parlamentes angeorbnet, am 16. ÜÄärj auf. $8iS jur Er«
Öffnung ber neuen SBerfammlung follte ein oon Sftonf errichteter
Staatsrate) bie RegierungSgefchäfte leiten.
Unterbeffen mar in 2JJon! ber Entfchluß jur |>erfteHung beS
^önigthumS jur oollftänbigen Reife gelangt, unb er jögerte nicht,
pch bieferhab mit ®arl II., ber eben in sörüffel »eilte, in einen
brieflichen SBerfehr $u fefcen , burch welchen bie Reftauration ber
Stuarts eingeleitet mürbe. Qnjroifchen ^atte ber SluSfaö ber 2Saf)s
ten §u bem neuen Parlament ihm auch °ie ^ctoi6t)eit gegeben, baß
fein plan bie ©ompattnen beS Golfes für {ich haDer unb ba in bem
am 25. Wpril eröffneten neuen Parlamente gleich oon oornherein
bie Rothmenbigteit einer neuen SBerfaffung betont, ErommeHS miß-
fürliche Regierung oerbammt unb bie Einrichtung beS ®önigS als
ein bie britifche Rarion fchänbenber glecfen bezeichnet Würbe , er*
fanute Sftonf, baß baS Eis gebrochen unb bie Staub e gefommen
fei, mit feinen wahren Slbfidjteu ans Sicht $u treten.
3n ber ©ifcung oom 1. 2Jcai theilte er ber SSerfammlung mit,
baß ßorb ©reenoifle ihr ©riefe ©einer SJcajeftät beS ÄönigS
$arl II. $u überreichen münfehe. $>aS £>auS bewilligte bemfelben
fofort Einlaß unb nahm bie föniglichen Schreiben entgegen. $te=
fen war eine Urfunbe, bie fogenannte Defloration üon SBreba,
beigefügt, in Welcher $arl bitten, bie binnen oier^ig Xagen $u
Xreue unb ©ehorfam aurüeffehren würben, mit Ausnahme $er*
10*
Digitized by Google
148 (Jnglonb in ber jroeiten ftfilftc be« ftebjehntcn ^a^unbcrt«.
jenigen, bie ba* $au* felbft bezeichnen werbe, tolle $lmneftie be*
willigte , allgemeine ®emiffen*freiheit oerlneß unb bcm #eere bic
©ejahlung aller ©olbrücfftönbc , fowie jebem (Einjelnen ba* ©er*
bleiben im $ienfte be* ßönig* mit Beibehaltung be* bisherigen
®rabe* jufagte. SBcibc Käufer — auch bie pre*böterianifchen Peer*
waren im Dberfjaufe $ufammen getreten — faßten ben ©efdjluß, baß,
ba nach ben alten (SJrunbgefefcen be* fianbe* alle 9tegierung*gewalt
bei bem #önig unb ben beiben Käufern be* Parlamentes fei, eS
auch in Sufunft fo gehalten werben fofle, unb (üben Äarl ein, nach
Gritglanb ju fommen unb bie ftrone in (Smpfang §u nehmen, bie
it)m nac^ feiner Geburt juftehe. Um feinen bringenbften ©ebürf*
niffen $u begegnen, überfanbten fie ihm ein ©efdjenf oon fünf$ig=
taufenb Pf unb, benen jehntaufenb für Äarl* älteren ©ruber, ben
^er^og öon ?)orf , unb fünftaufenb für ben jüngeren , ben #erjog
ton ©locefter, beigefügt waren, ©in weiterer ©efcfjluß Oer fügte bie
Vernichtung aller SBappen unb Smnbole ber SRepublif unb bie Sluf*
nähme be* Samens be* ßünig* in ba* SHrchengebet unb beftimmte,
baß bie Seit ber Nachfolge ßarl* II. in ber Regierung oon bcm
Xobe*tage feine« ©ater* an gerechnet werben folle.
©ergeben* fteflten mehrere Sttitglieber be* Parlaments ben
Antrag , einen 2lu*fchuß jur ftbfaffung eine* ©ertrage* nieberju--
fefcen, burch welchen bie fechte unb bie greiheit be* ©orte* gewahrt
unb alle jwifchen bem Parlament unb ber firone ftreitig gewesenen
Punfte auf ®runb einer gegenfeitigen unb bauerhaften ©erftänbigung
georbnet mürben. SRonf wiberfefcte fich biefem Antrag mit fo großer
(intjehiebenheit unb mürbe babei bura) bie im Parlamente fifcenben
Äaoaliere fo nachbrüeflich unterftüfct , baß berfelbe fallen gelaffen
mürbe. Ob ben (General babei ber SBunfd), feinen $ienften in ben
2lugen $arl* II. einen h öftren SBertt) $u oerleihen , ober bie ©e*
forgniß geleitet, baß neue ©erhanblungen ben faum unterbrüeften
#aß unb bie alte ©tferfudjt ber Parteien wieber ertoeefen unb fein
gan^e* SBerf 311m Scheitern bringen fönnten , muß bahin geftedt
bleiben; jebenfaHS mar e* feine Sdmlb, baß &arl II. ben Xhron
beftieg, ohne burch irgenb eine Sufage gebunben ju fein, unb ba«
rau* ben Schluß 50g , er fei $u ber ganzen SWachtfüfle berechtigt,
bie fein ©ater beim ©eginne feine* Kampfe* mit bem Parlamente
beanfprucht Imtte — ein Schluß, ber bie SBiebcrfehr be* äwiefpal*
te* jwijchen bem ^errfdjer unb bem ©olfe unb für ba* £au*
Stuart ben bauernben ©erluft ber englijehen ft^one $ur golge
haben joUte.
&arl leiftete ber fchnfüchtig erwarteten ©inlabung jur 9tücf-
hf)t nach ©nglanb, mo er bereit* am 8. ättai feierlich ium ^önig
aufgerufen morben, fofort golge unb lanbete, nachbem er fich 5U
Scheoeningen auf ber borthin gefommenen englifchen glotte einge*
Digitized by Google
ftarl II.
149
fdnfft, am 23. 9Kai 1660 ju $otoer. §ier empfing ilm üftonf an
ber ©pifce be£ §lbel3 bcr benachbarten ®raf|chaften im SBetfein
einer jahUoS ^erbeigeftrömten SBolfSmenge. Sari umarmte ifm unter
Xhränen , nannte ihn feinen Später unb SBohlthäter unb ließ ihn
neben fiel) in bem föniglichen SSagen $lafc neunten. $)er 3ug bon
$oüer nadj ßonbon mar ein unauSgefefcter Xriumph ; überall
brängte fiel) ba$ S8olf in großen Sdjaaren herbei , um ben Sönig
mit Qubelrafen ju begrüßen. 51uch oon ber Armee, bie ju *81aa%
heath in Schfachtorbnung aufgefteöt mar , mürbe Start mit freu*
bigen «Surufen empfangen. Seinen Grutjug in bie £>auptftabt , an
beren $horcn ihn ber £orb*2Jcauor mit ben Wlbermännern erroar*
tete, hielt Sari am 29. 2Hai, feinem breißigften ÖJeburtötag. SCIlc
€>traßen , burd) melche ber 3ug bis SB^ite^aÜ führte , maren mit
Blumen beftreut, bie Käufer mit Xeppichen behängt, unb enblofeS
Subelgefchrei erfüllte bie ßuft. 3u SShitehaÜ empfmg Sari bic
2tt itglieber ber beiben Käufer , beren Sprecher ilm mit hieben ttott
bcr feurigften Verftcherungen treuer ÖJefinnungen begrüßten. ,,©e=
miß", äußerte Sari gegen einen feiner Vertrauten , „e$ muß meine
3d)ulb geroefen fein, baß ich nic^t früher gefommen bin; benn
heute menigftenS ha&e i$ deinen getroffen, ber nicht betheuert hätte,
baß meine SSiebereinfefcung ftetä fein SBunfcf) gemeien."
ft a r I II.
(1660-1685.)
Sie frohen Hoffnungen, mit melden man in ©nglanb bie
^BieberherfteUung ber Monarchie begrüßt hatte, in beren Abschaffung
man bie Duelle atleä erlittenen Unglütfä erblicfte, mürben erhöht
burch Sartä II. geminnenbe ^erfonlichfeit. äRit einem frönen,
männlichen Aeußeren oerbanb er ein anfprechenbeä , leutfeligeS $8e*
nehmen, einen heiteren «Sinn unb eine gefunbe Urtheitefraft. $)iefe
Vorjüge mürben jeboch öerbunfelt burch ©igenfdmften , bie ihm
felbft unb feinem £anbe jum fchmeren Verhängniß roerben follten.
(Sr mar inbolent bid jur Schmähe, liebte bie ^Bequemlichkeit mehr,
a!3 e* fich mit feinen föegentenpflichten bereinigen ließ , unb mar
in {einer fchranfenlofen (SJenußfucht ftetä bereit , bie Staatägefchäfte
hintan $u fefcen, menn e3 fich um 3ctftreuungen unb Vergnügungen
hanbelte. 93eim beginne feiner Regierung faßte er jroar , in ber
richtigen Grrfenntniß , baß trofc be3 allgemeinen greubentaumelä
unb beä ihm gemorbenen glänjenben (SmpfangS fein Zfyxon noch
auf fehr unftcherem ©oben ftehe , ben feften äntfdjluß , fich 9an8
ben SRegierungägefchäften ju mibmen, um bie «Schmierigteiten feiner
Digitized by
150 (frtglonb in ber atoetten ftälfte beS ftcfycfjnten SafnljunbertS.
Soge 511 bewältigen, unb feine SJcinifter — meift Httänner, bie
toährenb feiner Verbannung fein Vertrauen geroonnen — nmnfdj;
ten fich Ötfücf ju feiner beränberten SebenSweife. $(ber feine guten
Vorfäfce gelten nicht lange <3tanb. Valb marf er ben beengenbeu
Strang, ben er fich felbft auferlegt, hrieber ab unb machte fid) oon
ber ßaft ber ©efd)äfte Io3, um in ßtebfchaften ober im Greife frö>
lieber SöeUIeute, ttrifciger föpfe unb müfter <Sct)tt>etger ^erftreuung
ju fuc^en.
S5a3 Parlament $eigte gegen ben ®ömg bie äufjerfte 9Sittfä^rig=
feit unb festen bereit, ihm bie Freiheiten ber Nation ju Süßen ju
legen. 2)ie ®aüattcre fafjen in ber ©rtjö^ung beä $f)rone3 nur ihren
eigenen Xriumph, unb bie ^ßrc§bt)terianer legten, reuigen ©ünbern
gleich, ba« ängftlichfte Vemühen an ben Sag, bie Erinnerung au
ifjre früheren Vergebungen $u tilgen; bie SBenigen aber, in benen
noch bie ÖJrunbfäfce ber SRepublif fortlebten, toagten nicht, mit ihren
2Bünfcf)en unb s2lnficf)ten an« ßidjt ju treten.
Qnbeffen fonnte ba& Parlament nicht al3 eine ooflfommen ge=
fc|jliche Verfammlung gelten, roeil feine SJtttglteber nicht in Solge
föniglicher SluSfchreiben erfdjienen toaren; bie 3ufammenberufung
eine« neuen Parlament« fcfjien bafjer geboten. $)a eä jebod) bie
Stätte beä ®önig3 für bebenflict) erachteten, ein ihren SBünfdjen fo
bereitmiüig entgegenfommenbeä Unterhaus ju entlaffen, jogen fie
oor, eine SIfte in Vorfdjlag $u bringen, burdj meiere baä parta-
ment fich felbft legalifire. $)icfe oon bem Parlamente angenommene
SIfte enthielt bie ©rflärung, baß ba« im fedföetynten 9ftegierung&=
jat)re ®arl3l. (1640) einberufene Parlament feine ©nbfehaft erreicht
habe unb bie in SBcftminfter gegentoärtig oerfammelten 9iepräfen=
tonten ber Nation bie beiben Sßartamentähäufer conftttuirten. Obgleich
bie Srage nahe log, roofjer eine in ihrem Urfprung ungefefcliche Ver*
fammlung bie Vefugntg ableiten fönne, fid) felbft ein legale« $afeiu
51t geben, mürbe ba« fogenannte ,,(£onüention«=s$arlament" oon feinet
©ette ernftlitt} angefochten.
55a eine ongefteflte Untetfuchung ju bem Ergebnife geführt,
bog bie 2Ui«gaben ®arl« I. toett bebeutenber getoefen, al« feine
©infünfte, unb man in biefem Üftif3öerhältmf3 bie Urfache aller
über bie Station hemncje&rocjjenen Unglücksfälle erfannt ju fyabtn
glaubte, befdjfofj ba« Parlament, ber SBiebcrfe^r eine« ähnlichen
^äfjoerhältniffe« burch bie (£rf)öhun9 Der iätjrlid^en Einfünfte bcr
®rone auf bie bt« bahnt unerhörte ©umme oon ein Million jmeimal*
fmnberttaufenb $funb üorjubeugen. ©inen toeiteren Vemei« feiner
Ergebenheit gab ba« Parlament bem ftönig baburdj, bog e« ihm
burch bie Vemiöigung ber jur 21bjahlung aller ©olbrücfftänbe ber
Gruppen nötigen ©elbmtttel bie Sluflöfung be« Speere« ermöglichte,
beffen rafch öeränberte Stimmung bie 9Ktnifter mit Veforgniffeu er-
Digitized by Google
tfarl II.
151
füllt f)atte. 9cur fünftaufenb 9Jcann, bic in bcn öerfcfnebenen Stäb*
ten beS föeidjeä als ©arntfonen üertheilt merben fotlten, blieben
unter ben SSaffen.
SHinber einig, als in biefen finanziellen fragen, jeigten fidj
bie beiben Käufer in 53ejug auf bie öon ®arl in ber Defloration
oon Söreba jugefagte Slmneftie, inbem bie fiorbs öon berfelben nicht
nur fämmtliche 9tic^tcr ®arl3 L, fonbern auch alle Diejenigen au$^
gefdjloffen miffen moflten, bie jemals in einem f)of)en ^ufti^tribunal
über irgenb einen gefangenen SRotjaliften ju (Bericht gefeffen, bie
Gemeinen bagegen eine tuet weiter gefjenbe SBegnabigung oerlangten.
(£nblieh einigte man fich, nachbem Äarl felbft ben ßorbS Mäßigung
empfohlen, in einer öon bem ®önig genehmigten Mmneftieafte bat)in,
baj$ $roar eine große Slnjafjl üon ^erfonen oon ber ©traflofigfeit
auägejchloffen bleiben, aber nur bie in £aft befinblichen ^Richter
&arl£ I. — bie meiften berfelben maren thctU geftorben, theilS
entflogen — fotoie Diejenigen, bie in anberer Söeife bei feinem Xobc
eine ^croorragenbe Sttofle gefptelt, als $onigSmorber oor (Bericht
gejogen merben füllten. ®arl, bem man bie ftrenge s-8eftrafung ber=
felben als eine heilige Pflicht hwgefteHt, lie& bem gegen fie einge-
leiteten Verfahren freien fiauf, unb fo ftarben jefjn ber (befangenen,
unter ihnen ber ÖJeneralabüofat (£ofe, fomie bie Cberften £>arrifon
unb^aefer, toeldjer £efctere ben föniglichen befangenen bemadjt hatte,
auf bem Ölutgerüfte. Sludj mürben in ÖJemä§heit eines üon beiben
*ßarlamentshäufern erlaffenen unb oon bem ftönig genehmigten ©c=
fefjlS bie £eidmame (JrommellS , SBrabjhamS unb QretonS au$
ihren ©räbern geriffen , nach iüburn gefdjleift , am DobeStagc
#arls I. an ben brei @cfen beS ©algenS aufgehängt unb am s2lbenb
unter bemfelben eingefcharrt.
GHeich feinem SBater unb feinem ©rofjüater oon ber lieber
jeugung burdjbrungen, bajj ber (SöiScooat bie ficherftc ©tüfcc beS
fcönigthumS fei, fefcte $arl nicht nur in ©nglanb bie (jpisfopalfirche
in alle ihre fechte mieber ein, jonbern fteöte auch in Schottlanb,
beffen Union mit ßrnglanb aufgegeben mürbe, nach Scfeittgung beS
SoöenantS bie bischöfliche iBerfaffung mieber her. ©o fchmerjlich auch D*c
Schotten tytrbuxd) getroffen mürben, mar bod) ihre (Sxfchöpfung ju
gro§, als baß für ben Slugenblicf irgenb melier ÖJebanfe an 2öiber=
ftanb hörte auffommen fönnen; erft fpäter lebte in biefem Üanbe
ber alte puritanifche ©ifer in feiner ganzen (Stärfe mieber auf unb
trat in ernften SRuheftörungen $u Xage. ®egen bie ^reäboteriancr,
bie Anfangs einige 3«8cftä"D"iffe erlangt hatten, mürben, nachbem
ftar! baS GonöentionS^arlament aufgelöft hotte unb am 8. Wai
1661 ein neues, meift aus föooaliften beftehenbeS Parlament $u*
fammengetreten mar, eine 9ieit)e oon 2Jca(jregeln erlaffen, in golge
bereu über jmeitaujenb preSbntertanifche ®eiftliche, bie fich ben neuen
Digitized by Google
152 (Snglcmb in ber feiten £(Ufte beS ftef^nten Saf^unbertS.
Verorbnungen nidjt fügen mollten, U)re Stellen üerloren. Obgleich
in biefen Sttaßregeln eine offene Verlegung ber öon Äarl beftimmt
jugefagten Ö5ctt»iffenSfrei^eit lag, mürbe bura) biefetben bie Stufte
ni<|t geftört.
(Sbenfomenig als ben SßreSbüterianern gelang eS ben ®att)o-~
lifen, bie Lüftung $u erlangen, meldte bie Eeflaration oon Vreba
audj i^nen in $luSfid)t geftellt. 2)er ßönig Inelt fidj $mar im £in*
blitf auf bie Dielen Vemeife oon Xreue unb Ergebenheit, bie fie ifjm
mäfjrenb feiner Verbannung gegeben, fomie burd) frühere äufagen
üerpflid)tet, iljnen Erleichterung $u üerfdjaffen; er fonnte jebodj bie
Hufhebung beS XreueibeS nicht burchfefcen, obgteidj bie $atholifen
ftdj in einer an baS Parlament geria^teten Petition bereit erflärt
hatten, ju befdjmörcn, ba6 fie bem Zapfte fetnerlei roeltlid^c Ober«
Roheit jugeftanben, unb ftd) eiblich ju öerpflidjten, fetbft bem $apfte
mit Seben unb Vermögen entgegen ju treten, menn er jemals eine
foldje in Snglanb auszuüben oerfudjen foHte, bem Könige aber gegen
jebe frembe unb einheimische SEßacht ohne irgenb welche Vefchränfung
©ehorfam ju Ieiften. 2lud) ®arls Hbficht, bie früher gegen fie er=
laffenen garten Strafgefefce $u mtlbern, fdjeiterten an bem SBiber-
ftanb ber angüfanifdjen Vifdjöfe, bie ihren ©ife im Parlamente mie=
ber eingenommen fjatten.
Qm Sa^re 1662 uermählte fid) ®arl II. mit ber Portugiesen
s$rin§e(fin Katharina, einec Sdjmefter beS Königs Alfons VI., bie
ifjm außer ben geftungen Xanger in Wfrifa unb Vombaö in Oft*
inbien, eine baare Sftitgift oon breihunberttaufenb sßfunb Sterling
äubradjte. Tieie Vermählung mar ^auptfäa^üa) baS SSerf 8ub=
migS XIV., ber burdj biefelbe Englanb mit Spanien oerfeinben
unb ber lefcteren 2Jcad)t Verlegenheiten bereiten rooöte. 3U* 93*=
grünbung einer bauernben Verbinbung jmifdjen Englanb unb granf*
reich fmtte er bereits im öorhergehenben 3afjre eine Vermählung
feines VruberS, beS 4>erjogS öon Orleans, mit $arls II. Sa^mefter
Henriette 5U Stanbe $u bringen gemußt.
3m 3afjre 1662 lieg fid) $arl, ber burd) feine t>erjchmenbe=
rifche SebenSmeife bie reiche MnSfteuer feiner ©emafyUn rafd) oer=
geubet hatte, burtf) feine ®elboerlegenheit ju bem Verfaufe uon ®ün-
firmen an granfreidj h«irei6cn uno üerlefcte baburdj aufs Xieffte
ben 9>cationalftol$ ber Englänber, bie ben Ermerb biefer mistigen
Stabt als einen öotlftänbigen @rfa|j für ben Verluft öon ©alaiS
mit ber leb^afteften greube begrüßt Ratten. 5)eS Königs Sage mürbe
erfdjmert burd^ ben ungünftigen Vertauf bes Krieges gegen $)oHanb
(f. S. 66), fomie burd) eine furdjtbare ?eft, bie im 3a^re 1665
juerft Sonbon , bann Oon bort aus baS ganje Äönigrcid) t)eim^
iua^te unb in ber £>auptftabt allein über fmnberttauienb Opfer fyn:
megraffte.
Digitized by Google
ftarl II.
153
STuf biefe fernere #eimfuchung, burch roeldje alle Vanbe ber
Orbnung gclöft mürben, folgte im 3^re 1666 eine neue in einem
fehreefenerregenben Vranbe, ber öier £age lang, öom 2.-4. ©ep*
tember, in ßonbon ttmtfjete unbr aller jum $heü öon bem tfonig
unb feinem Vruber, bem $er$og öon gorf, mit ber bemunberungS*
nmrbigften ©elbftoerläugnung perfönlich geleiteten ööfchöerfuche
fpottenb, jroci fcrittyeile ber ©tabt in einen Mfdjenhaufen öerman*
belte. $>er reügiöfe ganatiSmuS fct)ricb benjelben, trofc ber öott*
giltigften ®egenberoeife, ben „papiften" $n unb öeremigte nicht nur
biefc freöelhafte öerläumbung burd) ein Monument, beffen öon bem
nachmaligen $>ea)anten öon ?)orf öerfa&te 3nfa^rift bie „papiftifche
gafrion" als bie Urheberin beS VranbeS bezeichnete, fonbern beu*
tete biefelbe auch ju einer neuen Äatholifenöerfotgung aus, bie ber
$önig, ber gorberung beS Parlaments entfprechenb, burch eine
^roflamation anorbnete.
$ie mijjmuthige, gereifte Stimmung, bie fteh in golge aller
biefer Unglüdföfäfle ber Nation bemächtigt hotte, roanbte ftet) weniger
gegen ben $önig felbft, als gegen beffen oberfteu 9iatf)geber, ben
$um ^er^og öon (Harenbon ernannten 2orb $t)be, ber ftet) bei
allen Parteien mißliebig gemalt hatte : bei ben greunben ber greiheit
burch fein beharrliche* Verfechten aller Mnfprüdje, bie mit ben Vor*
rechten ber ®rone in Verbinbung ju ftehen fchienen, bei ben ftatho^
lifen, ^reSbrjterianern unb anbern XiffenterS burch ha^tnacfigen
unb erfolgreichen Söiberftanb gegen bie Wufrechthaltung ber in ber
^ettaration öon SBreba jugeftanbenen $>ulbung unb bei ben |>öf=
lingen burch feine Bemühungen, ihren (Stnflufi auf ben föonig 511 be*
fdjränfen. Von allen ©eiten mürbe an feinem ©turje gearbeitet,
unb ber $önig, ber ben ©pötteleien feiner Höflinge über ben ein*
flufcreichen SWinifter unb beren klagen über ©larenbonS MnmaBung,
ihn gänzlich beljerrfchen 311 motten, ein miliige« Df>r lieh, roanbte
fich enblich mit 2B ibermitten öon ihm ab unb entliefe unwahre 1667
ben Wann, ber ihm feit feiner frühften 3ugenb nahe geftanben unb
bisher alle feine ©abritte geleitet. $er Vefchluß beS Parlaments,
ben 3Äiniftcr in Stnflageftanb ju öerfe&en, um feine SRücffehr an
baS ©taatSruber ju oer^inbem, bemog ben ®onig, ihn auf ben
kontinent ju öerbannen. ßlarenbon begab fich nach föouen, mo er
im 3ahre 1674 ftarb.
Stach ocr Verbannung ßlarenbonS lüfte fich Da^ De* &cr föeftau^
ration gebilbete 9Jcinifterium auf, unb an feine ©teile trat baS
„ Sabal* SJcinifterium", fogenannt nach ben ÄnfangSbuchftaben ber
fünf sMtglieber beSfelben: (Slifforb, Slihletj, Vucfingham, Slrltngton
unb ßauberbale. S)er erfte %tt beS neuen 3JcimfteriumS mar ber
flbfa)lu& ber Xriple=s2lttian$, burch melche bem ©iegeSlauf 2ub*
Digitized by LiOOQie
154 (gnglcmb in ber jroeiten #älfte beS fiebaehnten 3af)rhunbcrt$.
WigS XIV. in feinem erften (ähroberungSfriege eine ©renje gejogen
würbe (f. ®. 64).
Von ben 2Äitgliebern beS ©abalmhttfteriumS, an beffen ©pifce
ber ebenfo tefötfhtnige unb ftttenlofe als ehrgeizige Vucftngham,
ber ®ot)n beS ©ünftlhtgS 3afobS I. unb ®arls I., ftanb, war nur
ber heimlich jur fatholiföen Kirche übergetretene ßorb (jlifforb ein
redt)tföaffener unb ebelbenfenber SRann , nach ßingarb „ein 2Rt*
nifter mit reinen Rauben an einem beftechlföen unb beftodjenen
^>ofc" ; alle übrigen waren 9ftänner öon ^öa^ft zweifelhaftem ©ha=
raher , welche , bie eigenen Ueberjeugungen in politifdjen wie in
religiöfen fingen htntanfefcenb, mehr ober weniger nur ben perfön-
Iföen SBortr)cü im &uge Ratten unb üor 2Wem bemüht waren, fid)
bauernb in ber ®unft beS $önigS feft$ufefcen.
55ie größte ©chwierigfeit bereitete bem neuen äßinifterium
®arls beftänbige ©elboerlegenheit , für Welche öon bem Parlamente
feine Abhilfe mehr ju erwarten ftanb. $)ieje ®elböerlegenheit be-
wog ben &önig, fid) oon Beuern Subwig XIV. ju nähern, ber ihm
nach feiner SReftaurarion (Sclbuntcrftüfcung jugefagt. $ie jwiföen
beiben ^Monarchen angefnüpften Unterhanblungcn würben bcfct)Icu=
nigt burch ben gu jener Qtxt erfolgten Uebertritt beS £>er$ogS 3afob
oon $orf $ur fatholiföen $trd)e , inbem baburdj in bem iönig
ber GJebanfe geweeft würbe, ben gleiten ©abritt $11 thun. <Sa>n
früher r)arte ®arl Hinneigung junt ®atl)oliciSmuS gejeigt ; aber in
bem (Strubel feinet leichtfertigen ßebenS war er ju feiner emften
Prüfung ber ©laubenSwahrheitcn unb noch weniger ju einem (£nt^
fötufj gefommen, ber feine trotte hätte geföhrben unb ihn nötigen
fönneu , fein bequemes ßeben aufzuopfern. Sluf ben Statt) feiner
ÜJUnifter liefe er bem ftönig oon granfrefö feine Slbfföt eröffnen
unb erbot ffö, ihn bei bem projeftirten (Sinfaü in ftollanb $u unter-
ftüfcen, wenn ihn Subwig burch eine jährliche Subftbte in ben ©tanb
fefce, jebe aufrühreriföe Bewegung in feinem deiche ju unter»
brüefen , bie in golge feinet Uebertritt« entftehen fönne. ßubwig
riett) gwar , bie Sache oorher reiflich ju überlegen , ba eine über=
eilte ©rflarung nicht nur feine fhrone, fonbern fogar fein ßeben in
GJefahr bringen fönne, inbem bei ber ausgesprochenen gfeinbföaft
oon neun gehntljcüen feiner Untertanen gegen ben fatholiföen
©lauben ein allgemeiner Slufftanb ju befürchten ftehe; er ging je=
boch im Uebrigen bereitwillig auf ®arlS ihm fjiföft wülfommene
Vorföläge ein, unb fo fam im 3at)re 1670 bei einem Tjüche ber
Jperjogin oon Orleans in (Snglanb burch ihre Vermittlung ju
2)ooer ber geheime Vertrag ju ©tanbe, beffen wir oben (©. 67)
gebaut h^ben. $luS ber in bemjelbtn enthaltenen $ufage $arlS:
„ju einer 3*hr bie ihm als bie angemeffenfte föchten werbe, öffent*
lieh $u erflären, ba§ er fatholifö geworben," föeint hctöorjugehen,
Digitized by Google
ffnrl II.
155
bag $arl entmeber Bereite jur fatf olifcf en # treffe übergetreten ober
$u biefem Sdjritt feft entfcfloffen tt)ar.
3n ber Hoffnung auf eine neue (Mbbemitligung berief #arl
baS Parlament für ben $>erbft 1670 wieber ein unb ließ bemfelben
buref ben ßorb~©iegelbemafrer eröffnen, baß er WngcficftS ber um*
faffenben SriegSrüftungen SranfreicfS entfcfloffen fei, eine Slotte
öon fünfzig ©egeln §um Auslaufen in 93ereitfcfaft fefcen $u laffen,
inn bie britifefen lüften bor feinblicfen Einfällen ju fefüfcen. Da
bic SRinifter fief eine SJcajorität im Unterlaufe ju fiefern gemußt,
nwrben, trofc ber öon oerfcf iebenen ©eiten über bie SBerfcf roenbungen
im ©taatSfauSfalte erhobenen klagen, bie geforberten (Delbmittet
6emüligt. dagegen mürben in beiben Käufern Üöefcfmerben „über
baS Umftdjgretfen beS ^ßaptSmuS" an ben ®önig gerichtet unb
neue Maßregeln ju beffen Unterbrücfung geforbert, unb ®arl mar
fdjroacf genug, trofc feinet aller SB al)rf cr)einlict)f eit naef bereits er=
folgten UebertrittS, in einer ^roflamation 511 erflären: „fo mie er
(tetS, allen Serfudmngen jum Drofc , ber magren Religion , mie fie
in ber englifefen föirrfje geprebigt merbe , angefangen f abe , [0
tootle er auef fernerhin bie äußerfte. ©orge unb ben größten (Stfer
anmenben, um pe aufrecht 511 falten unb 511 toertf eibigen." C£r er=
ließ jroar balb barauf, jur ©efefroieftigung feines ©emiffenS be-
jüglicf ber in ber Defloration oon ©reba gegebenen 8ufage , eine
„Snbufgen^fte" , melcf e ben DiffcnterS einige (Srleicfterung ge-
währte; bie ®atfoüfen jogen jeboef aus berfelben faum irgenb
melcf en Sortfeil, ba tfnen jeber öffentliche (SJotteSbienft unterfagt
blieb.
Cbgleicf bie SBetfeiltgung (SnglanbS an bem Kriege 5ranf=
retcf S gegen ,§offanb nief t in ben SSünfcf en ber Nation lag , roeil
bie maeffenbe 2flacft ßubmigS XIV. in (Snglanb große SBeforgniffe
ermeeft fatte, bemitligte baS am 5. gebruar 1673 eröffnete $arla=
ment abermals bie baju geforberten ÖJelbmittel ; ber ®önig mußte
biefelben jeboef buret) bie Sluffebung ber Qnbulgenj ^ftc erfaufen,
nadjbem in bem Unterlaufe ber SSefcfluß gefaßt morben, baß ©traf*
Oerfügungen in fircfltcfen Dingen nur buref *ßarlamentSaften fuS-
penbirt merben fönnten. 33atb barauf, am 28. Jebruar 1673,
ging im Unterlaufe ein Antrag buref, fraft beffen Qeber, ber fief
roeigern merbe, ben Dreu= unb ©uprematSeib ju leiften, bie DranS-
fubftantiation ab$ufcfmörcn unb baS 9lbenbmafl naef bem sJlitnS
ber angltfantfefen ®ircfe ju nefmen, unfäfig fein folle, irgenb ein
öffentliches s2lmt ju befleiben. Diefer audt) üott bem DberfauS an-
genommene, unter bem tarnen Deftafte befannte ©efcfluß mürbe
öon bem #ontg beftätigt, nadjbem man ifm öorgefteüt, baß t>on
ber (Benef migung beSfelben bie ferneren (Mbbemitttgungen beS Untere
faufes abfangen mürben.
Digitized by
156 (Snglanb in ber jroeiten §älftc be* fiebäehnten ^ahrhunbert*.
$er (Shclafj ber Xcftaftc bemog ben ^er^og oon ?)orf, fein
}lmt al* ÖJrofcabmiral ber glotten, ba* er mit SRufjm unb $lu*=
jetefmung befleibet f)attef nebft allen anbem ihm born ®önig über-
tragenen ©teilen nteber ju legen itnb fich offen als ®att)olif ju be-
fennen. 3u ber gleiten 3eit unb au* bem gleichen ®runbe trat
auch ©lifforb au* feinem SImte au*, obgleich ber Äönig STlle* auf*
geboten, tt)n jum ©leiben in bemfelben ju beroegen.
$atte fdjon ber Uebertritt be* f>er$og* öon ?)orf, ber bei be*
Königs finberlo* gebliebener (äfye X^ronfolger mar , bie religtöfe
Antipathie be* Sßolfe* aufgereiht, fo brach biefelbe in öoflen Slam*
men au*, al* man erfuhr, ba§ fich berfelbe am 30. ©eptember
1673, nachbem feine erfte ©emafjftn STnna, eine Xochter be* Jper*
$og* oon ©farenbon, bereit* im 3at)re 1671 geftorben war, burdt)
einen ©eöollmächtigten mit einer fatljoüfrfjen ^rinjeffin , ber fünf*
zehnjährigen 2J?aria öon @fte, ber ©chroefter be* regierenben §er$og*
von Üflobena, öermäf)lt fyabt. $>a* am 20. Dftober nneber $u*
fammen getretene Parlament bat ben ®ömg in einer Slbreffe, bie
$8olIjiet)ung biefer ©ermählung nidjt §u geftatten unb zugleich einen
allgemeinen Safttag an$ufetjen,. „um oon ÖJott bie 2lbmenbung ber
(Gefahren §u erflehen, mit melden ber <ßapi*mu* ba* ßanb be*
brohe"; e* erreichte jebodj toeber ba* GHne noch ba* 2lnbere: ®arl
erflärte bie gorberungen be* Parlament* für ungebührlich unb
fprach am 4. 9toöember beffen Vertagung au*.
Dbgletd) ber ®önig , um bie allgemeine Aufregung ju be*
fdjnridjtigen t nicht nur ber ®emaf>lin feine* ©ruber* bie U)r au**
brüeflitt} jugeftanbene (Einrichtung einer öffentlichen Capelle öertuei=
gerte , joubern auch eine ftrenge Slnmenbung ber ©trafgefe^c gegen
bie ^atholtfen anorbnete , mieberholte ba* Parlament nach feiner
lieberer Öffnung im Januar 1674 feine ©itte um bie s2lu*fcfjrei*
bung eine* öffentlichen gaften* jur (Srflefumg be* ©chufce* be*
Allmächtigen für $ird)e unb ©taat „gegen bie untergrabenben
^raftifen papifttfdjer töecufantcn" unb verlangte zugleich bie (Sut<
laffmtg ber üttinifter Arlington, ©uefingham unb ßauberbale.
Ücachbem ber ®önig bejüglid) ber beiben (Srfteren öollftänbig
unb hinfichtlidj ßauberbale'* infofern nachgegeben, baß er ihn nur
al* ©camten ber fchottijchen &rone beibehielt, unb fomit , ba
flfhleü, ben er jum (trafen oon ©hafte*burö ernannt hatte, fdt)on
im Qahre 1673 abgefegt morben , in bie gänzliche Auflöf ung be*
dabalminifterium* gemiütgt, auch im 3uni 1674 einen oortheilljaf*
ten grieben mit ben ©eneralftaaten gefchloffeu , roanbte fich bie
ßppofition h^uptfächlich gegen ben $er$og oon $orf , um beffen
s2lu*fchlu6 oon ber Thronfolge burchjufejen. 2)er 4>auötagitator für
biefen ßtoeef mar ©l)afte*burn, ber feit feiner (Jntlaffung au* bem
ajftmfterium al* 2Jiitglieb ber Dppofition ju ben entfehiebenften
Digitized by Google
»OXl II.
157
Seinben be« £ofe« gäblte. 21n QafobS ©teile bauten feine ©egner
ben (trafen Don 3ttonmoutt), einen natürlichen ©ol)n Äarl« IL
iinb beffen befonberen Siebling, gum X^ronfolger üorgufchlagen. $)er
§ergog t>on ?)orf fudjte ihren Plänen burch bie Vermittlung eine«
neuen Vünbniffe« gmifdjen #arl n. unb ßubwig XIV. entgegen
gu arbeiten, burch welche« er feinem ©ruber auSreidjenbe ©elb*
mittel gu berfdmffen hoffte, um benfelben in ben ©tanb gu fefcen,
bie SBiebereröffnung be« Parlament« , beffen Vertagung ftarl be*
fdjloffen hatte, auf längere Seit fjinau« gu fefneben. $tefe« Vünb*
niö fam in ber Xlmt am 23. Sluguft 1674 gu ©taube, ©egen bie
Sufage eine« Salzgehalt« öon hunberttaufenb Sßfunb öerfpraa) Äarl
bem Äönig öon granfreid}, in beffen fortgefe&tem Kriege neutral gu
bleiben.
$a biefe Neutralität fich für ©nglanb al« ein Vortue« er*
wie«, inbem fte bem #anbel einen neuen Sluffchwung berlieh, trat
nach unb nach unter bem SBolfc eine ruhigere ©timmung ein , ob*
gleich bie ©egner ber Regierung Glicht* oerfäumten, bie frühere
Ungufriebenheit mach gu h^ten; als jeboer) ber Äönig fich burd>
neue ©elboerlegenheiten genöthigt far>, im gebruar 1677 ba« *ßar*
lantent wieber einguberufen , mürben al«balb auch bie alten klagen
über gefahrbrohenbe Umtriebe ber Sßapiften auf« Neue laut. $a
bie Dppofition gugleia) ernfte Vebenfen gegen bie wachfenbe Httacht
3ranfrrich« erhob unb ®arl« Verhältnis gu ßubwig XIV. gur
Sprache brachte, fchritt ber Äönig am 26. äftai gu einer aberma*
ligen Vertagung be« Parlament«.
3m 3ahrc 1678 mürbe ba« gange Sanb burd) eine augebliche
papiftifche Verfchwörung in eine ungewöhnliche Aufregung berfefct.
@tn gemiffer X i t u « D a t e « , ber wegen 9tteineib« unb ©itten-
loftgteit feine ©teile al« anglifanifcher ©eiftlicher verloren fyattt,
mar auf ben Natf) eine« Öonboner Ißfarrer«, be« Dr. Xonge, ber
überall Verschwörungen ber $atholifen gegen bie anglifanifche
Äirche witterte, nach Vallabolib gegangen, um in einem bortigen
Älofter englifcher ^efuiten , wo er al« angeblicher ®atholit $luf*
nähme fuchte unb fanb, r)oct)tierratr)erifc^en planen nachgufpüren —
ein ©piel, ba« er, nachbem er in Vallabolib burchfehaut unb au£
bem $lofter oertrieben morben, in bem Kollegium englifcher 3efui=
ten in ©t. £)mer fortfefcte, wo ihn ba« gleiche ©chiclfal traf, wie
in Vallabolib. Nach (£nglanb gurüefgefehrt, gab er oor, einer gro-
ßen, üon bem Sßapfte gebilligten ^efuitenoerfchwörung auf bie ©pur
gekommen gu fein, welche bie (Srmorbung be« $önig« unb bie gewalt»
fame Vernichtung be« $roteftanti«mu« in (Snglanb gum 3mecfe habe.
3ur Vegrünbung biefer s2lnflage benufcte er gefäljehte Vriefe, fowie eine
im 2lpril 1678 oon ben Qefuiten in Bonbon abgehaltene geheime
3ufaramenfunft , bei welcher e« fich jeboct) nur um bie (Ernennung
158 (Snglanb in ber jmcitcn ©älfte be« fiebjehnten 3af)rl)unbertS.
eines ProfuratorS unb bic SRegulirung ber inneren Angelegenheiten
bcö DrbenS gehanbelt. $>aS gan^e (chmachoolle ßügengemebe, bem
ber $önig felbft feinen (Stauben fdjenfte, mürbe, befonberS auf
©ImfteSburn'S betrieb, ju einer allgemeinen ftatholifenoerfolgung
ausgebeutet. <5ed)S Qefuiten unb jelm Öaien ftarben auf bem Vlut-
gerüfte, unb alle Werfer waren mit #atf)olifen angefüllt, bie ber
TOtmiffenfchaft um bie angebliche Verfdjmörung öerbödjtig fdjienen.
dagegen mürbe DateS als ber Detter beS VaterlanbeS gepriefen
unb mit Gtefchenfen unb (Ehrenbezeugungen überhäuft.
Unterbeffen mar in bem am 21. Dftober jufammengetretenen
Parlamente, baS fogleid) bie ganje ©adje in bie $anb genommen,
eine VitI in Vorfchlag gebraut morben, nach melier bie $ attjo*
lifen fortan mcber <Bifc unb ©timme im Parlamente haben, noch
in ber Umgebung beS Königs unb in feinem Palafte gebutbet mer*
ben füllten. Um bie unter bem fanatifirten Volfe fjerrfdjenbe 2luf*
regung 311 befchmichtigen, genehmigte ber $önig nicht nur jofort
biefe «ill, fonbem miüigtc fogar in bie öon beiben Käufern gefor-
berte Entfernung feinet VruberS 3afob aus ßonbon, inbem er ben-
felben bemog, auf einige 3eit nach ©chottlanb 5U gehen, jeboch
baS Unterbau« hierauf, burdj beS Königs SRachgiebigfeit ju meiteren
feinblichen Stritten gegen ben £>of ermutigt, ben #orb*Scha&metfter
2)anbö, ÄarlS einflu&rcichften föathgeber, in 2lnftagefianb öerfefctc
unb £orb Muffel im Dberhaufe ben förmlichen Antrag fteUte, ben
jperjog öon $)orf für unfähig $ur X^ronfolge $u erflären, löfte $arl
am 24. Januar 1679 baS Parlament auf.
Obgleich ber ®önig, um bie Dppofition $u entfräften, Muffel
unb ©fjafteäburt) felbft in baS ÜRinifterium aufgenommen, jeigte
fich baS britte Parlament, baS am 6. 9ttar$ 1679 eröffnet mürbe,
tmn bemjelben (Reifte befeelt, mie baS üorhergehenbe. Um bie ge*
forberten ÖJelbbemilligungcn ju erlangen, mufjte ber ®önig nicht
nur $anbü fallen laffen unb in eine Untersuchung gegen benfelben
mitligen, bie ben ÜJftnifter in ben Horner führte, (onbern auch
eine bereits früher in Vorfdjlag gebrachte ©iE, bie £> a b e a S*
(£orpuS*$lfte — fo genannt nach ^rcn Eingangsworten
— genehmigen, burch mclche feftgefefct mürbe, bafj fein Eng*
länber oerhaftet merben bürfe ohne einen fchriftlichen, bie ÖJrünbe
ber Verhaftung angebenben Vefefjl ber öorgefefcten Vchörbe unb
jeber Verhaftete innerhalb tnerunbamangig Stunben ju einem cor*
läufigen Verhör jugelaffen merben muffe. SDer erneute Antrag beS
Unterhauses auf AuSfchlujj beS £>er$ogS öon $orf oon ber Xh*on*
folge bemog ben #önig , auch &a$ dritte Parlament im Qanuar
1686 aufjulöfen.
3n feiner 8tathlofigfeit nahm ber ftctS gelbbeburftige Äönig
aufs 9*eue feine 3«flucht $u ßubroig XIV., ber ihm $mar aber-
Digitized by Google
Äorl II
159
rnalä ©ubfibicn ^ufagte, aber babei nicht ermangelte, ben SRath feines
(Sefanbten Barillon ju befolgen, ber ihm gcf abrieben Rätter „ÄarlS
v2lnfehen ift fo gefunfen, baß ein Bünbniß mit if>m WichtS merth
fcf)etnt. Keffer ben $arteit)äuptern ben £>of machen, bamit bie
Uebelftänbe fortbauern." Um eine (Sinigtmg jnnfchcn bem Äönig unb
bem Parlamente ju erfchtoeren, bewilligte er mehreren republifani*
nifdjen &auptern Qa^rgelber unb ermahnte fie, unter feiuem mäch-
tigen ©chufce in ber Bertheibigung ber greihetten beS SBolfeS fort*
zufahren, währenb er anbrerfeits ben £>erjog oon ?)orf in ber 3M*
nung beftarfte, bie föniglicfje ©etoalt tonne nur burdj bie §erbei*
führung eines BürgerfriegeS ^ergeftellt toerben.
2)iefe SRadnnationen oerfehlten ihres ftmda nicht. Qmmer
größer tourbe bie ®luft jttrifdjen bem ftönig unb feinem Bolfe,
immer erbitterter ber ©treit ber Parteien, ber ftd) in ftarlS legten
SebenSjahren, toähreub melier er nach rafch aufeinanber gefolgter
Sluflöfung jmeier neuer Parlamente ofme ßugie^ung ber ©täube
regierte, ^auptfäc^lic^ um bie 3:f)ronfolge breite. Obgleich baS
Obernau« eine Don bem Unterlaufe erlaffene Bill, bie ben £>er$og
oon $orf für unfähig $ur Thronfolge erflärte, oermorfen fyatlt,
beirrten bie ©egner beS #er$og§ auf beffen SluSfchlie&ung unb
fugten bie ftrone bem ©tatthalter ber Wieberlanbe, SBilhelm III. oon
Dranien, als bem ©ema^l ber älteften, im proteftantifchen Glauben
erlogenen Xodjter 3afobS, 9Jtoria Oon ?)orf, jujumenben.
Bon ben beiben Parteien, bie einanber fo färoff gegenüber
ftanben, ba& ber SBteberauSbruch beS BürgerfriegS au befürchten
tuar, mürben bie Anhänger ber Regierung XorieS unb it)re (Steg*
ner SB hiß* genannt. Obgleich beibe Benennungen ©pott unb Ber-
achtung auSbrücfen füllten, inbem urfprünglkh mit bem Warnen
XorieS bie burch bie Xörannei ber englifchen Regierung ihres Be*
(ifceS beraubten unb baburd) $um Wäuberleben getriebenen JJrlänber
unb mit bem Warnen 2Bf)igä bie fchottifchen ßanbleute bezeichnet
mürben, bie als Anhänger beS (EooenantS bie fechte ber trotte in
fachlichen Angelegenheiten beftritten, mürben biefelben oon ben $ar«
teien felbft als (Styrennamen angenommen unb finb feitbem in (£ng=
lanb als Bezeichnung ber conferoatioen unb ber liberalen Partei
in Gebrauch geblieben.
2)ie (Entbecfung einer angeblich bon ben Häuptern ber SBt;igö
geleiteten Skrjchtoörung gegen baS ßeben beS Königs oeranlafjte
Sie (Einleitung einer Unter fudwng gegen bie fedjS hcröorragenbften
berfelben, ben #er§og oon aWonmoutt), ben (trafen (Efjej, bie SorbS
Jpomarb, @rerj unb WuffeE, Algernon ©ibnetj unb $ampben. $)er
^erjog oon Sftonmoutt) unb öorb (Steeg enttarnen nach 4>oöanb;
©raf (Sffej gab fich felbft im ©efängnifj ben Xob; £ott>arb, Wuf*
fett unb Algernon ©ibneu ftarben auf bem Blutgerüfte, mährenb
Digitized by
160 Gnglanb in ber jwritcn §älfte beS fiebjc^ntcn 3at)rf)unbert3.
^antoben $u einer (Sklbftrafe öon öierjtgtaufenb $funb öerur*
tfyeilt mürbe.
2öie in G£nglanb, fo fam es aud) in ©cfyottlanb, als baS SBolf
ficf) aus feiner drfd)laffung empor gertffen, ju aufrüfjrertfdjen *8e=
megungen, bie jebod) meljr religiöfer als politifdjer Statur maren.
9taa)bem ein emfter Slufftanb ber (SoöenanterS im Qafjre 1667
burd) Sßaffengemalt niebergemorfen unb auf baS ©trengfte beftraft
morben, brad) jmölf 3af)re fpäter ein jmeiter auS, bei meinem ber
(Srgbifa^of öon ©t. 9lnbremS, ber als ber ^aupturfyeber aller gegen
bie (SooenanterS angemanbten (Semaltmafjregcln galt r öon einer
Scbaar fanatifirter Puritaner ermorbet mürbe. Wud) biefer Stuf-
ftanb mürbe burd) ein öon bem £>erjog öon Hftonmoutfj geführtes
englifdjeS $eer im 3uni 1679 unterbrürft, morauf bie meiften ber
©mpöreT fid) untermarfen unb ftcö jum Söefudje beS öon ben SBi-
fdjöfen eingerichteten ÖJotteSbienfteS bequemten. 9tur bie mübeften
Sdjmärmer, in Mem nur fedjjig äßann, fcfjaarten ftd) um ifjren
^rebiger (Sameron, nad) meinem fie fidj (£ameronianer nannten,
unb erließen eine ©rflärung, in meldjer fie „als bie Streiter Qefu
Gfjrijtt, beS gelbfjerrn ifyrer Seligfeit, " bem $önig als Xürannen
unb Ufurpator ben $rieg öerfünbeten, maljrenb ein <$enoffe (£ame=
ronS benfelben förmlich mit bem *8ann belegte. Sftadjbem fie mit
leichter Sftüfje übermältigt morben unb (Sameron im Kampfe ben
$ob gefunben, mürben fernere Strafen über fie öerpngt. $enen,
bie jum Xobe öerurtfjeilt morben, bot ber bamals in Sdjottlanb
meilenbe £>erjog öon gorf, bem ber #önig bie Regierung über
biefeS Sanb übertragen, ©nabe an unter ber Söebingung, baß fie
nur bie SBorte: ,,©ott fegne ben Äönig!" auSfprädjen ; fie jogen
jebod) fämmtlidj ben Xob öor. 3nbeffen fudjte Qafob burd) Sftilbe
unb eine größere 5)ulbung gegen bie Puritaner eine bauernbe S3e-
rubjgung beS ßanbeS fjerbei$ufüljren, unb in ber Xljat begannen
bie ^erjen fid) if)m mit Vertrauen jujumenben; nad) feiner 9lü(f-
fef)r nad) (Snglanb (1682) mürben jebod) bie früheren Strafgefefce
gegen bie miberfpenfttgen Seften mieber mit aller Strenge in 2ln*
menbung gebraut.
%m 1. gebruar 1685 mürbe ®arl II. öon einem Sdjlaganfall
betroffen, unb bie Sfranfyett nafmt einen töbtlidjen Verlauf. $ie
anglifanijdjen *Bi}d)öfe brängten fid) an baS itoger beS Äranfen,
um i^m baS 2lbenbmaf)l nad) anglifanifdjem SRituS ju reiben ; Äarl
mieS jebodj ifjren «eiftanb jurücf. s2llS fid) fein Quftanb immer
mefjr oerfcblimmerte, fragte i^n ber £>er§og öon ?)or!, ob er nadj
einem fat^olifd>cn ^riefter fajtcfen foße. „Um ©otteS mitten t^ue
baS fogleia)", ermieberte Äarl. „2lberw, fügte er fun$ur „mirft bu
bia) baburd) auai fetner ©efa^r auafefeen?" Qafob erflärte, er
merbe einen sJkiefter ^erbeibringen, unb menn eS i^n baS ßeben
Digitized by Google
3afob II.
161
fofte. Qx holte ben Kaplan ber Königin, bcn *8enebif*rinermönch
£ubblefron, ber nact) ber Schlacht bei Söorcefter ba* ©erzeug ber
Rettung be$ Königs gemefen, unb führte it)n feinem iöruber oor
mit ben ©orten: „Sir, biefer mürbige $*ann rettete einft 3^r
Seben; jcßt fommt er, Qqre Seele $u retten." $arl erfiärte bem
$rtefter auf beffen grage, ba& er in ber Gemeinichaft ber römifaV
fatholtfct)en Äirche ju fterben toünfche, unb empfing nach reumütiger
Beichte bie fu\ Kommunion unb bie lefcte Delung. Sein £ob er^
folgte am 6. gebruar 1685.
3 a f 0 b II.
(1685-1688.)
$rofc ber oon bem Unterfjaufe gegen tlm erlaffencn ftuftfdjluf}»
biU fticB $atob II. bei feiner Xfjronbefteigung auf feinerlei SBiber^
ftanb, unb ba er in einer an ben geheimen SRath gerichteten unb
burcf) ben Drucf oeröffentlichten Wnfprache bie beftimmte (Srflärung
abgegeben, baß er entfchlofjen fei, bie rechtlich begrünbete iÖerfaf-
fung oon Ürdje unb Staat aufregt gu erhalten, fat) man aüge^
mein feiner Regierung mit Vertrauen entgegen. $)aä ganj unter
bem (£influfe ber Xorieä gewählte Parlament, baS am 25. 3J?ai
1685 eröffnet mürbe, benrieS ihm bie größte Söidf ä^rigfeit ; auch
oon bem fdjottifa^en Parlamente, baä er noct) oor bem englijchen
jufammen berufen, mürbe ihm alles bereinigt, toaS er »erlangte.
$>aä offene Befenntnife feinet fatholifchen (Glaubens, ba£ er burd)
ben ©efud) ber SReffe in ber Capelle feiner ©emahltn unb burdj
ben Empfang ber fyi. Kommunion in berfelben ablegte, rief jtoar
bei ben SpiSfopalen bie Befürchtung mach, baß er ber fatl)oliidien
SHrdje greiheiten $u bemiöigen beabftchtige, bie ba$ Qntereffe ber
anglifanifchen £>ochfirche gefährben fönnten, unb biefe Befürchtung
fteigerte fid), als Qafob mehrere Xaufenb gefangene ftatholifen
unb jafjlreidje anbere $)iffenterS aus ihrer £aft entliefe. 3)er llm=
ftanb, baß er fiel) burd) ben @r$bifd)of oon ßanterburt) mit allen
Gebräuchen ber anglifanifdjen Kirche frönen liefe, beruhigte jebod)
einigermafeen bie ängftlichen ®emüther, benen bie oon Qafob in
ber X^at erftrebte allgemeine Religionsfreiheit als ba* gröfete aller
Uebel erfd)ien.
Unterbeffen fyattt ber fterjog oon SJconmoutf) oon Jpoüanb
aus, 100 er fid) noct) immer aufhielt, eine Sct)ilberhebung oorberei=
tet unb mar mit ungefähr hunbertfünfjig 9Jcann an ber n>eftlict)eu
früfte (Jnglanb* gelanbet, in ber ftd)eren ©rioartung, bafe SafobS ent=
fdnebenes Auftreten ju ©unften ber $atholifen eine allgemeine @r=
^oljtoart^ SkltflefWte. VI. 11
Digitized by Google
162 ©nglanb in ber feiten §älfte be§ fiebjeljnten Safahunbert«.
Witterung gegen benfelben erzeugt Imbe unb e« ihm unter 2ttitwirfung
ber äSf)ig$f mit beren Häupter er in fortbauernber Serbinbung geblie=
ben, leicht fein werbe, ben febwanfenben %bxoxi Sfafob« um$uftür=
jen unb fein eigene« §aupt mit ber ihm früher jugebac^ten Sfrone
gu febmütfen. Qn biefer ©rmartung fah er fich jeboch getäufcht.
da« Parlament fefcte fofort einen $rei« auf feinen $opf, unb bie
öon Qafob gegen ilm entfanbten druppen überwältigten mit leichter
9Kübe feine &u breitaufenb SDcann angewachsene ©chaar. (£r felbft
mürbe auf ber ftlucht ergriffen unb gefangen uadj Sonbon gebraut,
tfuf ©egnabigung burfte er um fo weniger l)offen, al« er nach feiner
Öanbung in Gmglanb eigenmächtig ben $onig«titel angenommen unb
in einem pomphaften, an bie englifche Nation geästeten 9Jtomfeft
nicht nur Safob II. mit ben ^eftigften ©chmäbungen überhäuft,
ihn einen Mürber, Söerräther, duranuen unb Seinb alle« ©uteu
unb (£blen genannt , „ber ben ©raub üon Bonbon mit öerfdmlbet,
bie papiftifche $erfchwörung angebettelt , bura) falfche 3*ugen Un*
fchulbige auf« SBlutgerüft gebraut , feinem trüber nach oem £e=
ben getrachtet unb ihn öergiftet tyabtt" fonbern auch t>a$ $arla*
ment für eine aufrührerifche unb öerrätherifche Sßerfammluug er-
flärt unb alle diejenigen mit ben fchwerften ©trafen bebroht ijattc,
bie, ftatt reumüthig ju ihm überzutreten, bei bem Ujurpator au«=
harren mürben. @r würbe jum dobe oerurtheilt unb am 25. Quli
1685 ju ßonbon enthauptet. die ©trenge, mit welcher gegen feine
Anhänger üorgegangen mürbe, oon benen über jmeihunbert auf bem
$lutgerüfte ftarben, fällt weniger bem $önig felbft, al« bem oon
ihm beftellten Dbcrrichter 3effreö« 5ur Saft, bem Qafob aU$u freie
§anb ließ.
Ter rafche unb entfeheibenbe ©ieg, ben ber $ünig über 9#on~
moutl) baoon getragen, unb bie Unterftü Jung , bie er babei in bem
Parlamente gefunben, leitete ihn auf bie oerhängni&oolle *8af)n, bie
ihn bem ©turje entgegenführen foüte. die bi« bahin beobachtete
3urücfhaltung abmerfenb, fchritt er mit unerwarteter Kühnheit fei-
nem $iele, ber jperftellung einer unumfehränften &önig«gemalt, ju.
da« (Sxfte, wobura) er ber bt« bahin in fct)r engen ©djranfen ge»
bliebenen Dppofition eine größere ©tärfe oerjehaffte, war bie Sei*
behaltung be« ftehenben Speere« oon fünfjehntaufenb äftann, ba« er
währenb ÜJconmoutl)« Snoafion unter bie SBaffen gebracht, unb bie
gegen bie deftafte oerftojjenbe Aufteilung zahlreicher fatholijeher
Dfftjiere in bemfelben, fowie bie SSieberanfnüpfung be« al« £>ochs
Oerrath geltenben Söerfehr« mit bem ^eiligen ©tuhle burch ben
(Smpfang eine« päpftlichen ©efanbten unb bie ©ntfenbung eine«
folchen nach 9fa)m. daran reihte fich ba« Verbot ber ftontrooer«*
prebigten unb bie SBiebereinführung eine« h°^cn #ommijfion«hofe«
3ur s-8eftrafung ber «Suwtberhanbelnben.
Digitized by Google
Safob II.
163
$>en SBiberfprud) beS Parlaments gegen alle biefe Eingriffe
in bic beftehenben ÖJefefce fudjte 3o(ob burdj mieberholte Vertagung
beSfe!6en $u entfräften, währenb er bie ifjm miberftrebenben angli*
fantf^en Vifööfe theilS abfegte, theilS oerhaften lieft. $ie erftere
Strafe traf am 6. September 1686 ben Vifdjof ©ompton öon
Bonbon, ben Sütjrer ber Dppofition im Dberhaufe, ber fich bem
Verbot ber ÄontroberSprebigten nid)t fügen wollte. SlnbrerfeitS
mürben anglifanifche ©eiftlid)i\ bie jur fatholifchen ®irdje übertra-
ten , in bem gortgenuß ihrer firchlichen föeoenüen belaffen unb
überhaupt bie ßatfjoliten, ber Xeftafte jum Xrofc in allen Zweigen
ber Sßerwaltung beoor^ugt.
Söährenb ber Äönig burch biefeS unfluge Vorgehen ju fünften
ber ftatholifen eine große Aufregung unter ben Anhängern ber
^ocrjfirc&e unb ben Puritanern ^eröorrief , erregte er sugletd)
burd; fein auSfchwetfenbeS Seben großen &nfioß. $)aju fam als
neue OueHe ber Veforgniß bie Aufhebung beS (SbiftS öon Nantes
burd) ßubwig XIV.; benn wenn auch Qafob bie in großer Qafyl
naef) (Snglanb auSgewanberten franjöftjchen Sßroteftanten wofjlwoüenb
aufnahm , fo gaben boch feine intimen SBejiefmngen ju bem $önig
oon grantreich ju ber Vefürchtung s2(nlaß, baß er gegen feine pro-
teftantifajen Untertanen ähnliche Sflaßregeln, wie biefer, ergreifen f önne.
9tad)bem 3afob traft beS oon ihm als ein alte* Pribilegium
ber Ärone in Slnfprud) genommenen ff$tSpenfattonSrechteS" in $af)l*
reiben gällen neben ben SBirfungen ber ieftafte auch bie ber be=
ftehenben Strafgejefce $u ©unften ber fatholifen aufgehoben Ijatte,
proflamirte er im 2lpril 1687 allgemeine Religionsfreiheit für bie brei
^Reiche. 3)te ©rbttterung ber ftvengen (SpiSfopalen über biefe bie
^ßorrec^te beS anglifanifchen föleruS gefährbenbe Maßregel würbe
erhöht burch bie oon %atob angeorbuete gericr)t(ict)e Verfolgung aller
(SJeiftltdjen, welche fich weigerten, baS Xoleranjebift oon ben fanjeln
herab $u beriefen. 2ÜS btefclben burd) ben ju ihrer Slburtfjeilung
eingelegten (Gerichtshof öon aller Sdjulb freigefprocheu Würben, cr=
füllte baS in ben Straßen oerfammelte Volf, bem $önig junt £ofm,
bie £uft mit enblofem 3ubelgefa)rei. Vergebens toamten nicht nur
ber fpanifaje unb ber faiferlufje ©ejanbte , fonbern auch ^ßapft
^nnocenj XI. ben fönig oor Ueberftürjung : $afob fuhr fort, ben
^lan ber SBieberherfteHung beS ßatholiciSmuS ohne jebmebe Ve-
rücfftchtigung ber beftehenben ®efefce wie ber Stimmung beS Voltes
$u oerfolgen, unb jog fich baburch in immer höhet«" ©rabc ben
£aß jeiner proteftantijchen Unterthanen $u, bie fich in üielfachen
Vejtehungen beleibtgt unb $urücfgefefct fühlten, Slud) bas National*
gefühl ber (Snglänber mürbe arg oerlefct burch bie ftrt unb SBeife,
rote ber ftönig fich um bic greunbfehaft ÜubtoigS XIV. bewarb, beffen
politif für ihn in allen Stücfen maßgebenb geworben ju fein fchien.
11*
Digitized by
164 (Snglanb in bcr feiten $älfte beä ficbjclwtcn 3af)rf)unbcrt*.
Sßäfjrcnb fid) über bem Raupte be* Derblenbetcu £ünigä ber
politifcfye Gimmel immer mef)r Derbüftertc, mürbe am 10. 3uli 1688
burd) bic ©eburt eine* X^ronerben fein feljnlidjfter Söunfö erfüllt.
5(bcr biefe* für ifjn felbft jo freubige ©reignife , ba* bem £>aufe
Stuart ben bauernben iöefifc be* engltfdjcn Sfjronc* 31t fiajern
fcr)icn , biente nur ba$u , ben Sturj beäfelben 31t bejdjlcunigen.
Qafob* ©egner, bie ftd) bi* bat)tn mit ber Hoffnung getrüftet tjatten, bafj
bei bem $ obe be* alternbcn ftönig* bie ftrone an feineu Sdjroieger^
jolm Söilljelm III. Don Dramen , al* ben (#cmal)l feiner ältefteir
Xod)ter INaria, übergeben unb biefer alle iÖorredjte ber angltfanifdjen
ftirdje fyerftellen roerbc, erflärten ba* $inb für untergefd)obeu unb
rcijten 2SiU)elm Don Dranien auf , feine angcblidjen 9ied)tc burd)
bie fof ortige (Entthronung feine* Sdjmiegerüater* ju fidjern. Qato'o
nutrbe burd) iiubtüig XIV. r»on bcr ttjm brofjenbcn Öcfaljr in
ftenntnif) gefegt; er ucrfct;loi3 jebod), im bltnben Vertrauen auf bie
Ergebenheit feiner Xodjter unb iljrc* (Jtematjl* , allen BBatnungS»
ftimmen befjarrlid) fein Ctjr. (£rft at* er am 20. September 1688
burd) feinen Ötejanbten im £mag bie unjmeifelljafte (&eroijjl)eit er=
fuelt, ba& Silfyelm, Don mehreren etnflufjreidjen ©rojjen $ur Sm«
pfaugnafyme ber ftronc ciugelabcn, &orf errungen ju einer ^anbung
in (Suglanb treffe, für roeld)e iijm bie ©eneralftaaten bie nicbcrlän=
bifdje glotte jur Verfügung gefteüt , gingen ttjm bie klugen auf.
£ie Dolle (^röße bcr (&cfal)r erfennenb , judjte er auf jebe Söetje
ben £>aB fetner ©egner ju entfräften. Um bic augltfauijdjcn sötfdjöfe
311 Derfüfjnen , machte er ifynen bie mcitgeljcnbften ^ugeftänbniffe,
tDäfjrenb er ba* $olf burd) bie 3urö^,lrt^mc oer am nteiften auge=
feiubeten ißcrorbnungcu unb burd) bie .Sujage eine* frei 3U mät)len=
ben N4>arlantent* 311 beliebigen fudjte unb ben nad) Üonbon be-
rufenen (Ürojseu uMüibcrleglidje iöcwcife Don bcr Wcdjtljeit ber ®e*
burt bc* ^rin^cn Dorlegte. Me biejc Stritte blieben jebod)
rcirfungalo*, unb l^afob tyatte jogar ben Sd)mcr3, aud) feine Xod)-
ter Vlnna mit itjrcnt $cmal)le $corg Don Xäuemarf Don ftd) ab=
fallen ju feljen; al* ^Uc* ftd) Don bem unglütflid)cn Münig jurürf^
30g, Dcrlicßcn aud) fie in aller Stiüc 3U näd)tlid)er Stunbe otjne
fein ißornnffen ben £of Don 2£l)itet)all.
Uuterbeffen tjatte SBiüjelm Don Cranien am 5. sJloDember
1688 bei Xorban feine üanbung bemerfftelligt. Sluf feinem 3"9e
^egen ©feter fanb er ben erroarteten ©mpfang nid)t, ba biejc
(iJcgcnb ber Sa^aupla^ be* bura^ sJJionmout^ erregten Slufftanbe*
gciücfen unb bic Sdjrcrfeu jener 3ett noa) ju fet)r in bem ÖJcbäa^t^
nig ber iöeDölfcrung fortlebten, üöalb jebod) mürbe e* anberS:
eine Stabt naa) ber anbern fiel i^m 311, unb immer grö§er mürbe
bic ^a^l ber (SbcUeute , bie fia) mit beroaffuetem (befolge unter
feine &al)\\c fajaarten. @rft je^t licfj Qafob, ber burd) eine unglürf^
Digitized by Google
3afob II. 165
feiige gauberpolttif ben planen feinet ©d^wiegerfofmeS nur att^u
großen $orfd)ub geletftet, ben größten Xfjeil feiner Xruopen gegen
Silfjelm oorrüefen; aber in ben 9teif)en ber Öfterer r)atte ber 58er*
Tatf) bereite fomeit um fid) gegriffen, baß einer nad) bem anbern
*u bem *ßrin$cn überging, ©elbft Qafobä perfönlidjeä ©rfdjcinen
bei bem £eere bermod)te nict>t mcfjr ber allgemeinen $>cfertion (5in=
halt ju tfnm. s2lld aud) ber oon iftm mit ©unftbejeigungen aller
?lrt überhäufte ÖJeneraHieutenant ßfmrdjitl , in melden er fein
gan$eä Vertrauen gefegt, öon iljm abfiel, oerlor er ben ÜJhitl) unb
orbnete ©efanbte mit $Bergletd)3oorfd)lägen an feinen ©d)wieger=
iofjn ab.
$ie 3«ni^eifung berfclben burd) ben unauftaltfam gegen bie
^auptftabt oorrütfenben ^rin^cn bewog ben burdj bie beunruljigenbften
öerüdjte geängftigten Äönig $ur gludjt. Dtadjbem er bie Königin
mit bem ^rinjen öon SSalcä nad) (SJraoeäenb uorauägefdjitft , öon
too biefelben burd) eine ifjrer Ijarrcnbcn $ad)t glütflid) nad) (£alai&
übergefefct mürbe , oerltcß er felbft 28f)itef)afl in ber 9tad)t jum
12. ^ejember unb entfam in einer 9Jiictl)futfd)e unangefjalten au3
Bonbon, ©djon r)atte er in SeberSljam ein für iljn gemietetes
gafjrjeug beftiegen unb glaubte beS Belingens feinet gludjtplanS
fidjer fein ju Dürfen, als er burd) brei freujenbe SBoote entbedft
unb nad) geüerSljam jurürfgebradjt mürbe.
£>ier rietr) man ifjm bringenb, nad) ßonbon jurütfjufefyren, ba
fid) bort bie ©timmung leicht $u feinen (fünften änbern fönne.
Chitjdjloffeu , biefem 9tatf)e ju folgen , fanbte 3afob an ben Sorb*
9J2atu)r unb bie 2llbermänncr oon ßonbon, weldje nadj feiner 3lud)t
im Vereine mit ben 2©ifct)üfcn unb ^ßcerS bie burd) ben $Öbet gc-
ftörtc Drbnung in ber £auptftabt Ijergeftellt unb mit £>ilfe ber
Stabtmilij bas $>olf im 3flunte fjielten, ein ©abreiben, worin er
ftd) bereit erflarte, falte bie ftäbtifdjen i8ef)örben tl)m bie ©tdjerljeit
feiner ^erfon Oerbürgen wollten, fid) ifjren £>änben anvertrauen,
bis bie Slngelegen^eiten beS SanbeS burd) ein freiem Parlament
georbnet morben. Dbgleid) biefe ^ufdjrift ablefjnenb beantwortet
rourbe, ba man fid) bereits mit bem bis in bie jftäfje ber £>aupt-
ftabt oorgerüeften ^rinjen oon Dranien in i&erbinbung gefegt, fefyrte
3öfob nad) 2Br)iter)aü jurürf. £aum mar er jebod) r)icr angefom=
men, als oier Bataillone f)o£länbifd)er Xruppcn, oon bem Sßrinjen
entfanbt , baS <5d)loß befcjjteu unb SBitljelm burd) mehrere 2lbge*
orbnete feinen ©djwiegerüater aufforbern ließ , SB^iteI)aII ju Oer-*
laffen, ba er felbft am folgenben Sage in Sonbon eintreffen werbe.
Seinem Verlangen gemäß würbe Qafob nad) SRodjefter gebraut,
wo man i^n , ba ber %x\\\i feine freiwillige Entfernung auä (5ug=
lanb wünfa^te, nur oberflädjlid) bewaa^te. 9laa^ oiertägigem 5(ufent-
l)alt in ^oa^efter entfajloß fid) Qafob abermals 3ur Slua^t unb er*
Digitized b^ioogle
166 gnßlanb in ber groeiten §fUfte beS pcb^ntcn 3ahrf)unbertS.
reichte bieSmal unangefochten bie franjöftfche ftüfte (2. Januar 1689).
ßubnrig XIV., ber ihn mit ber äußerften 3uoorfommenhett empfing,
ttrieS u)m unb feiner gomilie baS Sctjlog St. ©ermain jum SBofm*
fifce an unb fe&te ihm einen bebeutenben Salzgehalt aus, ber ilmt
bis ju feinem Xobe (1701) auSgejahlt nmrbe.
3öil$elm III.
(1689-1702.)
■
fln bem gleiten Xage, an melchem 3afob jum anbem Sttale
baS Sctjrog SB^ite^aa öerlaffen (28. $e$. 1688), jog SBilhelm öon
Dramen in baSfetbe ein. die ihm bon allen Seiten juftrömenben
#ulbigungen ließen feinen Smetfel barüber, bog feine £>errfd>aft
geftdjert war; aber noch fehlte berfelben jebe gefefclicfje ©runblage,
unb baS Siecht ber Eroberung fonnte er umfotoeniger geltenb machen,
als er bei feiner fianbung auSbrücfltch erflärt r^attc , baß er nur
gefommen fei , um (SrcglanbS SSerfaffung unb töeligton fieser 511
ftetten , unb alles SBeitere ber ©ntfdjeibung eines frei gewählten
Parlaments überlaffen roerbe. da fein ®önig ba mar , ber baS
Parlament einberufen fonnte , mürben bie in Sonbon anmefenben
peerS , fomie alle diejenigen , bie unter ber ^Regierung ÄarlS II.
im £>aufe ber ©emeinen gefeffen, nebft bem ßorb*9Wa^or unb mer=
unbjmanjig ©emeinberäthen oon Sonbon eingelaben , mit bem
Prinjen über bie Sage beS ßanbeS unb bie ^Berufung eines freien
Parlamentes ju beraten, die SBerfammlung bat ben Prinzen, bie
borläufige SRegentfchaft ju übernehmen unb baS Parlament einju*
berufen, rooju fidj berfelbe bereit erflärte. 23äf)renb ber 3Baf)len,
bie ganj ju fünften ber beabfidjtigten X^ronOerönberung ausfielen,
fcfjlofjen fich auch Schotten ben Vorgängen in öonbon an , in-
bem auch oen Prinzen um bie einftroeilige Uebemahme ber
Regierung in ihrem Sanbe baten.
Sßachbem baS am 22. Qanuar 1689 eröffnete Parlament gleich
in feiner erften Sifcung ben englifchen Xhron in Solge ber Stuckt
3fafobS 11. für erlebigt erflärt hatte, mürbe am 16. gebruar nach
längeren heftigen debatten , bei melden bie £orbS bem englifchen
SBolfe baS SKecfit abfprachen , feinen $ömg abjufefeeu , bie englijehe
®rone, ohne $Rficffid)t auf bie fechte beS Prinjen uon SBaleS, ber
Prinjefftn Söcaria, als ber älteften Xocfjter QafobS, unb ihrem ©e--
mahle SBilhelm Don Dranien juerfannt, mit ber fcBeftimmung , baß
biefelbe , roenn SJcaria finberloS oerfterbe , nach ihrem UItD i&rc$
©emafjlS dobe an ihre Schmefter 2lnna übergehen folle. Um jeber
SöiUfür öon ihrer Seite in ber Regierung oorjubeugen , mußten
Digitized by Google
SBilfcim III.
167
fie eine Urfunbe, bie fogenannte Bill of rights, betätigen, in wel*
eher bie föedjte be3 SSolfc* ber fönigttdjen ©ewatt gegenüber ge-
nauer als früher präctftrt waren. $iefe ^arlamentSafte fprad)
bem Äönig baS föedjt ab, bie ^oUftretfung bet ®efefce ju hemmen
ober öon benfelben $u bispenfiren unb ohne Genehmigung beS <ßar*
laments Auflagen ausschreiben ober in griebenSjeiten ein £eer jii
unterhalten. «Rachbem SBilfjelm unb feine Gemahlin biefe 53ifl an*
genommen, würben fie am 21. 9lpril $u SBeftminfter gefrönt.
3n ©djottlanb würbe SBilbelm am 21. 9tfat 1689 jnm ftönig
ausgerufen, nadjbem er bie SöieberherfteHung ber *ßreSböterialoer=
faffung jugefagt hatte, dagegen verfochten bie 3rlänber, obgleich fie
auch unter Safob II. im eigenen Sanbe recht* unb heimatlos ge--
blieben waren, bie Stechte beS legitimen fönig« gegen feinen oerrä*
therifchen Schwiegerfohn. W% 3afob II. im 9ttärj 1689 mit fünf-
taufenb granftofen in Srtanb lanbete, fah er fich alSbalb öon üier*
jigtaufenb Kriegern umgeben, bie bereit waren, für ihn ju fterben;
eT lähmte jeboch felbft gleich öon Anfang an ben Sortgang feiner
Sache burch eine unheilvolle Halbheit unb ein unzeitgemäßes &eft*
halten an ben beftehenben SBerbältniffen beS ßanbeS ber ®ronc
gegenüber, woburch öiele Srlänber öeranta&t würben, fich lieber
oon ihm ab^uwenben. $em Verlangen beS öon ihm jufammen^
berufenen Parlamentes, Qrlanb für unabhängig oon ber engltfdjcu
Ärone ju erflären unb bie 3nfe( ju einem befonberen ^Reiche ju ge^
hatten, trat er entf Rieben entgegen, unb ebenf owenig fonnte er fich
$u ber öon bem ÄleruS geforberten iBer^ichtleiftung auf ben fett
Heinrich VIII. oon ben s<Bef)errfchern GmglanbS beanspruchten Su^
premat über bie Kirche entstiegen r obgleich berfetbe mit beren
ßehre unb SSerfaffung im fchärfften SSibcrfpruche ftanb. s2Im 1. %vlü
1690 oon SBilhelm oon Oranien in ber «Schlacht an ber $3otyne
(f. S. 90) öoüftänbig befiegt, muffte er nach Sranfreich jurüeff ehren.
£ie Qrlänber unterwarfen fich bem Sieger unter ber 93cbtngung
ber freien Ausübung ihrer Religion, bie ihnen in bem Vertrag oon
Simerid (Oft. 1 690) in ber Söeife jugeftanben wutbe, wie fie unter
$arl II. beftanben.
©ilhelm, ber 511 biefem 3u9ef^&nbntg nur burch oen SBunfch
bewogen worben, feine Xruppen fobalb als möglich aus Qrlaub
jurüefrufen ju fönnen, um fie in ben ftieberlanben ju oerwenben,
hielt ben 3rlänbern fein SSort nicht; ihre Sage geftaltete fich viel-
mehr, in Jolge neuer ÖJütereinjiehungen unb anberer Ötewaltmafc
regeln $ur öollftänbigen Unterbrücfung ihrer religiösen unb polittjehen
Jrciheit, immer troftlofer, weßhalb auch bie 2IuSwanberung oon 3ahr
$u Qahr grö&erc $)imenfionen annahm.
2ttit ber Xh^onbefteigung SSilhelmS III. würbe bie auswäre
rige ^olitif ©nglanbö, bie unter ®arl II. unb Safob II. üollftän--
Digitized by Google
168 ßnglcmb in ber jtocitcn $>älftc beS Pedanten Sabrlnm&ert«
big im 8d)Iepptau granfrcidjS gemefen, mieber eine felbftftänbige,
unb bic burcf) t^rc 3Wi™ng faft bi§ jur gättjlidjetl poIttifa)en Öe^
beurungälofigfeit berabgefunfene üttonardiie erlangte balb mieber
einen großen Einfluß auf bie ®eftaltung ber ftaatltdjen 58erf>ält=
niffe beä übrigen (Suropa'S. SBcldjen Slntfunl ünglanb unter mu
beim III. an ber 23efämpfung SubmigS XIV. in bcffem britten
(froberungSfrieg gebabt unb nrie ber ®önig üon granfreidj in bem
trieben üon 9tü3mitf bie förbcbung SBifyelmä anerfannt, fjaben mir
bereits oben (3. 86—92) gefeljen.
^nbeffen fehlte e§, trofc ber glänjenben (Srfolge ber äußeren
«ßolitif 2Bilr)eIm^ III. unb be3 bebeutenben fluffd&mungS, bcn unter
ifjm $anbel unb ®emcrbe im inneren be3 Sanbeä nabmen, audj
unter feiner Regierung nidjt an inneren 3ermürfniffcn. $ie
2SI)ig§, meldje bic .fmuptmerrVugc feiner ©rfyebung gemefen, über-
malten nidjt nur mit ber größten (Strenge alle Sdjritte be3 ®önig3,
um jcbe 9tüdfef)r ju abfolurifrifdjen Skfrrebungen unmöglich $u
machen, fonbern maren aud) cntfdiieben gegen jebe Maßregel, bte
eine bauembe $erföf)nung bcr ^arteten bätte Ijcrbeifübren fönnen.
Sltleä, ma£ SBilbelm in biefer SBejiebwtg burd)fefcen tonnte, mar
eine ^oleranjbitt, meiere bie proteftantifdjen heften öon ben gegen
Tie erlaffenen (Strafgefejen befreite; ben ^atyolifen bagegen murbc
ba§ alte 3od) in feiner ganzen (Sdjmere mieber aufgebürbet. £rin=
ria^tungen famen jmar feiten mefjr öor, befto rjäufigcr aber mebr
ober meniger fernere (Mb* unb föerferftrafen ; aud} blieb bie Seftafte
in Dotier ßtaft.
Tie 2öiberfcfcltd)feit ber 28Ing3 bemog bcn $önig, ba3 $arla=
ment, baä ibm bie ßrone gefdjenft, fdjon im $af)re 1690 aufju-
löfen unb fid) ben Xorieä 51t nähern, bie in bem jmeiten ^arla*
mente bie Majorität Ratten ; allein auef) bei ifynen fanb er bic ge=
boffle Untcrftüfcung ntcr)t, ba bie meiften berfelben nodj immer in
gebeimer s^erbinbung mit bem enttbronten .<perrfdjer ftanben. Scbon
im Qabre 1692 fjatte btefer, mie mir oben (8. 90) gefeben, eine
Sanbtmg in Grnglanb öorbereitet, ju melier Submig XIV. bic nm=
faffcnbften SBorfefyrungen getroffen; baä llnternefnnen mürbe jebod)
burd) bcn großen ©ieg ber bereinigten englifd) nieberlänbifdjen jjlorte
bei Sa .^ogue Oereitelt. (Srmutfyigt burd) bie madjfenbcn ©djmie=
vigfeiten ber Sage SBifyelmä, bereitete ^atob mit .£)ilfe Subroigd im
Jtafnre 1696 jur SBieberermerbung feiner ftrone eine jmeitc ©£pebi=
tion öor, für meldje gman^igtaufenb 9ftann fran$öfifdjer Xruppen
$mifd)en (Calais unb $)ünftrdjen §ufammen gebogen mürben, mabrenb
geheime Agenten nadj (Snglanb gingen, um bie früheren Mnfjängcr
3afob3 für einen 3(ufftanb ju geminnen. $>ie Sadje mürbe jebod)
entberft, unb bic (Sinmütbigfeit, mit melier bad englifa^c $arta=
ment, alle Dppofition für ben ^lugenblid5 üergeffenb, bem Äönig
Digitized by Google
©ilftclm III.
169
fBilbelm $ur ©ctte ftanb, bemog fiubmig XIV., bic beabfidjtigte
Sanbung auf einen günftigeren 3e^Pim^ iu t>erfd)ieben, unb ba er
fdjon im folgenben Qafjre in bem grieben üon SRtiänricf bie £>err=
fc^aft Söilfyelm« in Gnglanb anerfannte, mußte ba« Unternehmen
gänjlidj aufgegeben merben.
9cad) bem Hbfdjluß be« Srieben« öon 9h)«nricf geriet^ SSBtl*
beim in einen Streit mit bem Parlamente roegen be« in ben 9iie~
berlanben ftefyenben .£>eere«, ba« er in ber fixeren $orau«fid)t be«
balbigen 2Bieberau«brud)« be« Krieges mit granfreid) unter ben
Waffen $u behalten tt>ünfd)te, mäfjrenb ba« Parlament au« ^3eforg>
niß öor etttmigeu Angriffen auf bie englifd)e SÖerfaffnug bie £erab>
minberung be«felben auf fiebentaufenb Üftann unb bie (Sntlaffung
aller au«länbifd)en Solbaten öerlangte. 9tadjbem ba« Parlament
in biefem fünfte feinen Söillen burcr)gefefct, fam e« ^uifefien it)m unb
bem ftöuig ju einem neuen greift über bie in Qrlanb nad) ber 33e=
mältigung be« bortigen Slufftanbe« confi«cirten ®üter. SBityelm
t>atte biefelben jum größten X^eite feinen Generalen unb jonftigen
Anhängern gefdjenft ; ba« Unterhaus na^m fie jebod) für ben Staat
in^lnfprud) unb erflärte nicfyt nur, ofjne sJiürffid)t auf bie Zinnien;
bungen SBilfyelm«, jene Sdjenfungen für null unb nichtig, foubern
orbnete aud) ben SBerfauf ber betreffenben Sänbereien 31t (fünften
be« (Staate« an. $iefe $üf>nf)eit bemog ben $önig, ba« Parlament
am 26. 9cooember 1699 aufaulöfen.
Größere Söillfäljrigfeit fanb SBilljclm bei bem neuen, im 3a^re
1701 jufammengetretenen Parlamente, ba« nicf)t nur auf feinen
SBunfa} ben bei feiner Grfjebung bejüglid) ber Xfjroufolge gefaßten
Sefdjluß bafjin ergänze, baß bic englifdje ftrone nad) bem lobe
feiner Sdunägerin siluna, faü« tiefe feine ftinbet fjinterlaffe,
mit beftänbiger 2lu«fa}ließung aller fattjolifc^en (^lieber bc« £mufe«
Stuart, auf bie 9iad)fommen be« Äurfürften griebrid) V. 0011 ber
$falj, al« be« ©emaf)l« ber Xod)ter 3afob« I., übergeben fotte, fom
bem ifnu aud) für bie ^Beteiligung an bem furj üorfjcr au«gcbrod)cucn
füanifdjen ©rbfolgefrieg al« Öunbe«geuoffe föaifer ßeopolb« I. gegen
^ubroig XIV. bie nötigen $elbmtttel mit ungcroofjnter freigebig*
feit bewilligte. Sdjon ftanb SSiüjeim im begriff, fid) mit feinen
Gruppen nad? ben 9iieberlanben ein$ufduffen, al« ein unglütflidjer
Sturj mit bem $ferbe auf ber Qagb i^n auf« ftranfenlager marf,
ba« er nidjt mcfyr öerlaffen foHte. (£r ftarb am 19. attärj 1702
im Hilter öon neununbfünfjig Sauren. $a feine ©ema^lin Waxia
föon fiebeu 3al)re ö|>r tym ™% ®rab gefuufen mar, beftieg feine
Sajtüägerin 2(nna ben cnglifdjen Sljron.
Digitized by
170 (Snglanb in bcr jtoeitcn §filfte be« [\€b^nttn 3a$rf)imbertä.
V.
$ie entflfäe ^tferafur im te$\e$nUn unb fct}e(httett
3afir0uubert.
©eitbem in (£nglanb bie mittelalterltdje $oefie ber 9tteneftrel3
erftorben mar, Ijatte fidj bie englifdje $id)tung, fomofjl im (SpoS
al§ in bcr ßtjrif, l)auptfäd)Iid) auf bic Sftacfynfimung italicnifcfjer
93orbilber befdjränft; crft unter ber Königin GElifabetl) naljm fte,
inbem fle fid^ mit Vorliebe bem $rama jumanbte , einen neuen
^htffcfjmung unb erreichte in biefer (Sattung ifjre työdjfte Söottenbung.
3Bie bei allen anbem djtiftftdjeu Sßbtfcm , fo beftanben audj
bei ben (Sfnglänbern bie älteften tfjeatralifdjen $arfteflungen au$
bialogtfirten biblifdjen (Sefdjidjten , ben fogenannten „SJtyfterien",
bie meiftenä öon ©eiftlid&en öerfaßt unb in $(öftem unb (Spulen
$ur 9htffüfjrung gebraut mürben. 2Tu3 biefen ÜJlnfterien entmicfek
ten fid) nad) unb nadj bie „3floralitäten" , attegorifdj*moralifcf)e
Sd^aufpiele, in meldjen einjelne Xugenben ober ßafter perfonificirt
auftraten unb beren SBerfaffer ben 3roetf fjatten , eine Sefyre jur
^efferung beä ßebenamanbelä aufjufteffen. 3" bieten Sttoralitäten
famen in ber erften Hälfte be& fed^jcrjnten 3al)rljunbert3 togenannte
„3mifd)enfpie(e'' öotf berben £mmor$. 9tadj unb nac§ manbte man ftd)
mefjr profanen Stoffen ju unb madjte ba3 mirflidje Öeben jum ©egen=
ftanb be3 $rama'3, juerft in ber ®omöbie, bann audj in ber Xragöbie.
Unter (Sttfabetf) , bie eine große Vorliebe für tfjeatralifdje
$arfteflungen fmtte, öerbreitete ftct) ber ©inn für biefelben öon
bem £>ofe au& balb über ba3 ganje ßanb, unb fo groß mürbe nadj
unb nadj bie 3°^ ber manbernben ©d)aufpietergefellfd)aften , baß
bie meitere $ermef>rung berfelben bereit* im Qafjre 1572 gcfefcltd)
befdjränft roerben mußte. $ie $Büf>ne beftanb urfprünglidj auö
einem ©erüfte, ba3 gemöfmlidj in bem $ofe eine* großen SBirtl^
fjaufeä errietet mar. SBeldjen Ort unb meld>e Sofalitäten fie öor-
ftetten follte, mar entmeber auf ein ©rett gefdjrieben, ober einer ber
©djaufpieler jagte e3 ben 3ufd)auern. $>ie Sonltffen mürben burd)
aufgehängte Seppirfje ober Tapeten erfefet. Snbeffen entftanben
fdjon unter ©üfabetf) in öonbon ftefjenbe Xfjeater, beren Qafy fid)
unter 3afob I. auf fiebje^n erfjöljte. $ie SBorftellungen begannen
um brei Uljr WadjmittagS unb bauerten feiten länger alä jmei
©tunben. 3n ben 3roifd)enaften aßen unb tranfen bie 3ufdjauer
ober raupten unb fpietten harten.
©o mar ber 3uftanb ber Öüfme , für meldje Söilltam
©J^afcSpeare, ber größte aller bramatifdjen $id)ter ber neueren
3eit, feine ©tütfe ftfjrieb. lieber bie Qugenbgefdjidjte btefeS öon ber
^aa^melt me^r nod) al* öon ben 3citQenoffen in feinem ooflen
©ert^e erfannten $idjterfürften miffeu mir nur mentg üBeftimmteS.
Digitized by Google
$ie engüfdje Sitcratur hn fedjjeljnten unb ftebjc^nttn Sahrlmnbert. 171
Mieles, roa« boöon ergäbt wirb, gehört ofme 3^«f^ ber ©age
an. 3n ©tratforb am Stoffe «öon in SBarttricffttre am 23. Slpril
1564 geboren, erhielt er oon feinem SBater, einem .franbfajuhmacher
ober SSolIhänbler , ber in ber Solge meiere ftäbtifche Remter be^
gleitete , eine gute (Jr^ie^ung , befugte bie tateirtifc^e ©djule feiner
ißaterftabt unb foH nadj feinem Austritt au« berfelben eine Qt\t>
lang Schreiber bei einem Slbbofoten in ©tratforb geroefen fein, ©djou
in feinem neunzehnten 3a^re berheiratt)ete er fidj mit ber fteben
3afjre älteren Xodjter eine* mo^abenben ßanbmann«, bie ihm
mehrere tfinber fdjenfte. 3m 3at)re 1586 ftebelte er nad) ßonbon
über, mo er ftdj bem Ztyattx zuroanbte, anfangt al« ©djaufpieler,
bann aber hauptfächlich als ©chaufpielbidjter , in meld)' lefcterer
©genfe^oft er balb ber entfehiebenfte ßiebling be* Sßublifumä mürbe
unb inSbefonbere auch ben Seifafl ber Königin ©lifabetr) fanb, ob=
mohl er , toeit entfernt , it)r , gleich feinen $unftgenoffen , in feinen
Dichtungen SBethraudj ju ftreuen unb burch Schmeicheleien nach
ihrer ©unft $u t)afd)en , fidj nicht freute , in feinen ©ramen ber
herrfcheuben 3ritrid)tuiig entfehteben entgegen zu treten unb fia), mie
diio fagt, jur Aufgabe fteßte, „fo Diel, al3 für it)n möglich mar,
bie nrilben unb fdjmufcigen SBaffer abzureiten, meiere feit bem
Regierungsantritte ber Königin ©Itfabctt) ben ©trom ber öffentlichen
Meinung trübten." Sind) feine SBermögen&oerhältniffe geftalteten ficf>
balb fo günftig, bag er fdjon im 3at)re 1596 baä fchönfte #au*
in ©tratforb unb 1602 eben bafelbft bebeutenbe ©ruubftütfe faufen
unb im $a$xt 1605 feiner JBaterftabt ein beträchtliche« Darlehen
machen fonnte. hierhin (ehrte er im 3<*h*e 1611 jurücf, um feine
legten ßebenäjahre in friller 8u^ücfgejogenhcit Einzubringen. <£r
ffcarb am 23. Slpril 1616 mit .ipinterlaffung zmeter Xödjter unb
rourbe in ber ^auptfirdje feiner Sßaterftabt beigefefct.
©f^eäpeare'ä Dramen fteden ba$ Seben in feinen maunig-
faltigften (ährfdjeinungen mit folcher Xreue unb Sebenbigfeit bar,
ba§ man, toie ÖJotfye fagt, „üor ben aufgefchlagenen Ungeheuern
Suchern be$ ©chidfal« zu ftefjen glaubt, in benen ber ©turmminb
be$ bemegteften ßeben« fauft unb fie mit ®eroalt rafet) hin; unb
mieber blättert," unb enthüllen babei mit unübertroffener SDeeifter*
fchaft bie innerften Xiefen be3 SRenfchenherjen«. 2lüe ©haraftere,
mögen fte ber ©efduchte entlehnt ober ganz *>er $hanta^e btö ^ify
terS eutfprungen fein, tragen ba8 ©epräge ber öoöenbetften inneren
Wahrheit unb treten unä babei in einer Üttaunigfaltigfeit ber Qnbi^
mbualifierung entgegen , roie fte bei (einem anbern bramatifchen
Dichter, roeber oor noch nach ©hft(e$peare , zu fwben ift. 5lde
Regungen beä ÜJcenfd>enherzen8, oon ber z<*rteften ©mpfiubung unb
tänbelnbem ©cherz, fprubelnbem 2öi^ unb nerfenber ßaune bid zur
erhabenften moralifdjen Äraftentfaltung unb ben furchtbarften Schreiten
Digitized by
172 Gnglanb in ber jtuciten &filfte bc§ fieberten 3af)rf)unbert3.
fccr £eibenfdmft , finb mit ber gleichen 9fteifterfchaft gezeichnet, uttb
nicht minber glütflich ift bcr Dichter in ber ©dulberung be$ Säuer-
lichen, ber fläglkhcn ©d)n)äche unb ber moralischen Scrfommen*
hctt, fonrie in ber (£f)arafterifirung ber einzelnen 6tänbe unb bcr
nationalen fögenthüinfidjfeiten. 2113 nrirflidje £eben$bilbcr geigen
felbft @^afc#peare^ Xragübien ein ®emifch üon ßruft unb ©djerj,
Don Seib unb grcub, unb mit ben erfchütternbften Scenen ber Sci-
benfchaft unb beS herbften Seelenfchmerjea roechfeln ^eitere ©über,
bic jcbocr) mit jenen *fo fimftootl bcrflochten finb, bafj burd) bie
(SJctoalt be3 ©egenfa^eä ba3 Dragifche nur noch übermältigenber
roirft. ©fjafcäpeare'ä 8prad)c belctbigt ^mar in einzelnen ©tel=
len, too c£ fid) um bte <Scf)ilberung nieberer (Efjaraftere t)anbett,
ben Öcfchmatf unfercr Sät; aber nach bem Urtfjeil s2luguft 2SMl=
beim ©d)legel£ ift fie in ihrer ©efammtheit „unmittelbar au3 bem
Seben gegriffen unb meifterhaft mit bem hochftcn poetifd)en Sd)tnucfe
rjeridjmoljen, ein nod) unübertroffene^ ©orbtlb im Staden unb ©r=
fyabcnen, im öJefäHigen unb garten."
9ftan t)at in ©hafeäpeare'ä Sßkltanfdjauung ba3 „einfache,
pofittoe, biblifchc (Ehriftcuthum bcr s$roteftauten" finben moHen; aber
s3cid)t3 mibcrfpricht mehr ber SSahrfjcit al» biefeä auf ben miÜfür=
lidjften ,£r)pothefcn unb bcr oollftänbigftcn ^ißfennung beS (X(ia-
raftcrä feiner Dichtungen beruljenbc Urtheil. StjafeSpcare gehörte
nicht nur, als ber ©ol)n eine« glauben£trcucn 9iecufanten, burd)
feine (Geburt bcr fatbolijehen ftirche an, fonbern ift auch, wie §at)l=
reiche uu^meibentige ©teilen in feinen bramatifdjen Dichtungen 6e*
inciicn , fein ganzes Sebeu lang , tro^ aller an it)n l)erantretcnbcn
Verfügungen jum ®lanben£abfa(l, feinen fatholifcbcn 2lnfd)auungen
unb Ueberjeugitngen treu geblieben unb, nad) bem jebeufallö ferner
nnegenben Beugiüß ^meicr anglifanifcher Ökiftlichen f als „s$apift"
geftorben l).
Shafeäpearc'* burdnueg fattjolifche SBcltanfchauung bilbet ben
(SJrunbtou aüer feiner Dichtungen. „Da$ Sdjidfal ber Gilten, mU
dje* al* unabänberliche Wothroenbigfeit ber Freiheit bcr £>aublung
gegenüber auftritt," jagt 23ei&, „fiubet fid) bei ©hafeäpeare nicht,
fonbern Sdjirffal unb $cmüth finb bei ihm ein«; in ber ©ruft be3
SHenföen leuchten bie ©terne feinet Sdjitffate. Der üüfeufch ift
,V)err feinet 6d)itffal$ , roenn er auf bie göttlichen Scbenägebanfen
eingebt; er berfällt ben eitrigen ©efejen , auch tuenn er noch fo
groß ift, fofern er ber fittlidjen ^otljmenbigfeit junriber \)avbtilu
ixben barnm enthalten auch 3hafe*peare'ä Dichtungen, toie SBeiB
weiter bemerft , eine güQc ber tiefften ßebendmei^heit in fünfter
gorm. 3n aüen feinen tragifchen Öeftalten maltet eine heitere föuhe,
1) Sie^c JHaid), (Sf)«k3peare'£ Stellung jur fatfjolifdjcn fird)c.
aKainj. gr. Äird)t)etnu
Digitized by Google
Die engli)'cf)c öitcratur im iedjje^ntcn unb fteb*et)ntcn ^a^v^unbert. 173
unb neben ber ®raft ber Sluffaffung reißen un$ bie liefe be3 ©e^
banfenS , bte burct)jtct)ttgc Stühe unb bte freubtge Stärfe $ur s8t-
tounberung hin.
Die berühmteren unter ben bramatifchen Dichtungen Sl)afe3=
peare — im ©anjen fiebenunbbreißig Stücf — finb feine fünf
großartigen Dragöbien: „Siomeo unb Qulie" (1592), nad) £efftttg$
2lu3fpruch „baä einzige Stürf, ba3 bie Siebe biftirt |at;* »$am<
let" (1598), „ein ©ebanfen=Draucr)pieI, burd) anf)altenbe$ unb nie
befriebigteä Scadjfinnen über bte menfd)H$en Sdjicffale , über bte
büftere iöertoorrenfjeit ber SBeltbegebenheiten eingegeben, unb beftimmt,
eben biefeä sJcachfinnen toieber in ben ^ufd)oucrn heröorjurufen,"
(Schlegel); „Äönig Sear" (1605); „Macbeth" (1609), ein SBcrf,
baä in fetner großartigen 3rurct)tbarfcit an bie Surien bc£ Slcfchölo»
erinnert, unb „Cttjcflo" (1612). S3on feinen luftorijd)en Schauipielcu
fteüen brei: „3uliu£ CSäfar" (1606), „Wntoniuä unb Cleopatra"
(1607) unb „(Soriolan" (1608), baä öffentliche fieben beä alten
SRomä in ber großarttgften unb freieften bramatifchen Sonn bar;
bie übrigen jef^n, bie ihren Stoff au$ ber englifdjen $efchichte ent~
lehnen : $önig Qofjann , ?Rict)arb II. , Heinrich IV. , Heinrich V.,
jRtcharb III., Heinrich VI. (in brei 2lbtheilungen, toahrfcheiulich baä
äliefte) unb Jpeinrich VIII., büben nach Schlegel eigentlich nur ein
©erf , ein h^orM^c^ £>elbcngebicht in bramatifcher 5orm. „Die
£aupt$üge ber Gegebenheiten," fagt Schlegel über biefelben, „finb
fo treu aufgefaßt; ihre Urfadjen , fogar ihre Driebfebern finb fo
lichrootl burchfehaut, baß man barauS bie Qtefdjichte nach ber 2Sahr=
heit erlernen fann , toährenb bie lebenbige Darftellung fie ber ©in*
bilbungäfraft unau3löfd)lich einprägt." $on Shafeäpeare'3 üuftfpielen
gehören brei : ber Sturm , baä SBintermörchen unb ber Sommer =
nachtötraum, ganj ber SBelt ber s45t)antaftc an; unter ben übrigen
finb bie bebeutenbften „ber Kaufmann oon Sßenebig" unb „bie luftigen
53eiber oon SSinbfor", in welch lefcterem Stücfe Qohn Clbcaftle,
ba3 .paupt ber Sollharben (f. 33. IV. S. 478), unter ber fomifchen
ftigur beä galftaff farrifirt erfcheint.
Drofc be£ großen unb wohlöerbienten SBeifallä, ben ShafeS*
peare'3 Dramen bei ihrem @rfd)einen auf ber englijehen iöüfjne ge-
funben, fat) ber Dichter in feinen legten £ebenäjat>ren feinen hohen
9tuhm burch eine unberechtigte ®ritif gefchmälert. (Sine ÖJegen*
partei , an bereu Sptfce jwet anbere bramatifche Dichter , iöen
3ohnfon (geb. 1573, geft. 1637) unb Sohn gleicher (geb.
1516, geft. 1625) ftanben , warfen ihm Langel an ©elehrfamfeit
unb Mißachtung ber Slriftotelifchen Siegeln oon ben brei Einheiten
oor unb brachten, an bie Stelle ber poetijdjen ®raft unb beä hohen
®ebanfenflug3 bie nüchternfte süuffaffung be3 Sebent fefcenb , eine
©efchmacterid)tung jur (Geltung, bie im Vereine mit bem immer
174 gnglanb in ber jtocitcn §älfte bcS ftebäehnten SahrfwnbertS.
weiteren Umfidjgretfen be$ bem X^eater fctnbüc^en puritanifchen
Reifte« bie bramatifche ftunft in (Snglanb ihrem Verfalle entgegen
führte.
©leid} nach bem Ausbruch be£ *8ürgerfrieg3 liefe ba* $arla=
ment in feinem puritanifchen @ifer alle Schaufptelhäufer fdjliefeen,
unb erft nach ber föücffchr ®arl3 II. mürbe baä Verbot ber s-8üh*
nenfptelc ttueber aufgehoben. Xa£ engltfdje 2)rama fonnte fid) je*
boch nicht mehr jn fetner früheren Jpötyc emporfdjroingen ; benn e3
lag oollftänbig in ben Öanben bc$ öon $arl II. nad) (Smglanb
herübergebrachten franjöfifchen (SJefdjmacfö, gefiel fid) nur in Weu*
$erlid)teiten , prunföollen (£oftüm$ unb Dekorationen, glänjenben
Aufzügen unb bergleic^en, unb neigte fid) burd) bie Söerbtnbung be$
©efangä mit ber Deflamation mehr unb mehr ber Oper ju. Der
^pauptrepräfentant biefer (5Jefchmacferid)tung mar 3of)n Grüben
(geb. 1631, geft. 1701), ber öon ben ^itflenoffen als ber befon=
bere ©ünftling ber 2Jcufen gepriefen unb im 3af)re 1668 al£ Did)=
ter gefrönt rourbc. ©r ^at an breifeig Opern, Suft- unb Xrauer*
fpiele gefchrieben, bie längft bem öerbienten Öoofe ber Söergeffenheit
anheimgefallen finb.
Der bid)terifd)e 9lepräfentant beS reltgiöfen Sdjroimgeä ber
^re^bnterianerjett ift 3of)n 9R ü t o n. GJeboren 511 ßonbon im
jjahre 1608 al$ ber Solm eines Notars, ber ihm eine treffliche
(5r$iehung gab, bejog er fdjon in feinem fechäefmten 3°^rc °ic
Unioerfität Offorb, roo er anfangt, bcm SBunfdje feinet söaterS
cntfprcchenb, Xr>eologie ftubierte, fid) aber balb faft auSfchliefelid)
ber Xict)tfunft jutuanbte, für meiere er fdjon frühe ein bebeutcnbeS
Dalent an ben Dag gelegt. 9cad)bem er in ben Qahren 1638 unb
1639 granfreid) unb Qtalien burctjreift hatte, nahm er bei feiner SRücf*
fehr in bie ^eimatf) feine früheren literarifd)en Stubien mit öer=
boppeltem (Sifer mieber auf, lad Dante, Petrarca, Horner unb baS
alte Dcftament in ber ürfprachc unb mufete balb bie beiben lefcteren
faft gan$ auSmenbig. gür feine Dichtungen, öon benen bie älteften
in lateinifcher Sprache getrieben finb, mahlte er meift. religiöfe
unb moralifche Stoffe, in beren iöehanblung er nach flaffijdjer $ol*
lenbung ftrebte. ißon feiner greifjeitäliebe jum Wnfd)lufe an bie
Partei ber 9tepublifaner getrieben, entfagte er für eine Zeitlang ber
sßoefie, um feine fchriftftetlerifche Dh^ta* auSfchliefeltd) ben üffent-
liehen Angelegenheiten jujumenben. (Sine Schrift jur SBertf)cibigung
ber Einrichtung $arlS I. öerfd)affte ihm bie befonbere ®unft (£rout=
metlS, ber ihn jum StaatSfefretär ernannte. Obgleich fett bem
3al)re 1652 üoöftänbig erbliubet, blieb er raftloä literarifd) thätig,
inbem er feinen Död}teru bifttrte unb fich öon ihnen öorlcfeu liefe.
sJtad) ber SSieberherftcliung beS JBnigthumS mürben einige feiner
Schriften burd) iumfer^hanb öerbrannt; er felbft aber blieb unbe*
Digitized by Google
2)te englifäe Literatur im fedjaefmten unb ftebjeljnten Saljrlwnbert. 175
^efligt. „3dj fjöre," fagte $arl II., „bog SÄilton arm, franf unb
blütb ift; ba ift er genugfam beftraft."
Seit biefer 3cit bilbetc bic <ßoefie nrieber Sflilton* £>auptbe*
idjaftigung, unb im 3a^rc 1665 ooUcnbetc er feine grojjartigfte
$>idjtung, „$a* Verlorene $arabie*\ in meiner ba* religiüfe (£po*
ber ©nglänber feine fjödrfte iBollenbung erreichte. 9ttit nmnber*
barer Äraft unb Wnmutlj jdulbert ber $id)ter bie erhabene 8d)ön*
l>eit be* ^arabiefe*, ba* GUücf unb ben grieben be* erften sJtten*
fdjenpaare* oor feinem gaHe, mit ergreifenben gügen einerfeit* in
bem Satan unb ben gefallenen ©ngeln bie 2Kad)t ber Selbftfuajt,
gepaart mit bem fc^merjlia^en äBetou&tfein be* iikrlufte* ber ur*
fprüngliajen £>errlidjfeit, unb anbererfeit* in ben au* bem ^ara-
biefe oerfto&enen ©tammeitern be* 9ttenfa)engefd)led)t* bie furcht*
baren golgen be* Sünbenfall*. 9tur mit 9ttüf>e gelang e* ÜWil*
ton, für biefe fyerrlidje $idjtung einen Verleger ju finben, ber itym
für biefelbe je^n ^ßfunb jaulte ; aud) mürbe ba* SBerf öon ben QtiU
genoffen Anfang* wenig beamtet. 3m 3al)re 1671 jdjrieb aWilton
al* ©egenftücf ju biefer erften 5)ia>tung eine jtoeite: „£>a* nrieber*
gewonnene $arabie*", in meinem er in ber ^erfudmug be* ^>eUan*
be*, ber für iljn mefjr 9)*enfa) öl* ÖJott ift, bie Of)nmaa)t be* sööjen
bem ©örtlichen gegenüber barftellt. Dbgleia) er jelbft biefer leiteten
S)id)tung einen f)öfjeren SBertl) beilegte, al* ber erften, ftetjt fie ber-
felben bod) bei Söeitem natf). ^lujser biefen beiben pauptbidjtungen
fjat SKilton audj trefflidje fleinere Inrifa^e Öebidjte »erfaßt ; feine
Obe auf bie ©eburt ©fyrifti gilt für bie befte, bie in englija>r
Sprache gebietet roorben.
SBäfyrenb SDtilton in feinen 3Md)tungen bie $)oljeit unb £>err=
lidjfeit ber djriftlidjen Religion feiert, ftetlte fia) fein 3e^Öenoffc
Samuel Rüttler (geb. 1612, geft. 1673) bie Aufgabe, bie Ifjor*
Reiten unb Uebertreibungen ber puritantfdjen ganatifer mit ber
(beißet ber Satire flu jüdjtigen. Qu biefem @nbe {abrieb er, nad)
bem SBorbilbe be* $>on Duijote, ein fotnifa^e* (£po*, ba* er nad)
bem gelben, einem fdjeinfyetligen puritanijajen bitter, ber mit fei*
nem Staflmeifter Stolpe äffnlidje Abenteuer beftef)t, tuie 3)on Quijote
unb Sandjo Sßanfa, £>ubibra* nannte. Obgleich e* biefem (&e*
bidjte niajt an ©eift unb 2Bt& fefjlt, f>at ber ^erfafjer bod) fein
gro&e* SBorbilb Qeroante* nid)t erreidjt.
(£benfon>enig förberlidj al* für bie fünfte, Die jur (Erweiterung
unb SBerfd)Önerung be* ßeben* bienen, fonnten bie fetten be* löürger*
friege* unb ber Jperrfdjaft ber Puritaner für bie 2Öifjenjd)aften fein,
ba ben Üßadjtfjabern bei ifjrer einfeitig religiöfen 9tia)tung bie pro-
fanen Stubien gleidjgiltig, wenn nid)t gar anftö&ig unb oerberblid)
erfahrnen mußten, unb in ber Xfyat mar ba* Strebeu be* Söarebone-
Parlamente* auf nidjt* (Geringere* gerietet, al* auf bie gäujliaje
Digitized by
176 Gnglanb in ber ^weiten ^»ftlftc be« fiebgelmten 3Ahrfninbert$.
Vernichtung ber Untoerfttäten. Togegen jeigte fleh ©rommell al*
v$rotcftor ben (belehrten nicht ungünftig.
?luf bem ©ebiete ber ^^ilofoptjtc mar fchon ju (Slijabeth*
Seit burch Sranj öoeo, Sir öon $erulam, einem ber fcharfftn*
nigften Genfer (£nglanb* — geboren 1561 , öon (Elifabett) jn
ihrem außerorbentlichen ^Ratr) ernannt, unter 3afob I. ®roj}fiegel=
bemahrer unb Sorb ^anjler, im Qa^re 1621 megen ©rthetlung öon
Remtern unb s£ribifegien für ®elb oon bem Oberläufe angeflagt
unb ju einer Strafe Oon öter$igtaufenb *ßfunb unb ©inferferung
im Softer üemrtfjeüt, oon $arl I. jeboa) begnabigt, geftorben 1626
— ber ©runb ju einem neuen pt)ilofopt>ifct)cn Sufteme gelegt wor=
ben, ba* auf ber Anficht bafirte, baß bie Beobachtung ber äufeeren .
SRatur ber einige SBeg pr CSrfemitniß ber Wahrheit fei. Tiefet
Stiftern, welche* ba* 9teich ber äußeren SSelt unb ber Erfahrung
jutn TOttelpunfte alle* menfdjlidjcn Söiffen* unb jum #crn ber
$^ttofopt)ie machte, würbe weiter au*gebilbet burch Baco'* greunb
Sfjoma* £>obbe* (geb. 1588, geft. 1679). 3eber religiöfen <5te
ftnnung bar, fat) .ftobbe* in ber Religion nur eine UWenfchenerfinbung,
ein ben £errfchern nüfcliche* Söerfjeug jnr Bänbigung ber Üßaffen,
in ber Vernunft nur bie anerlernte Stimme ber Klugheit im 3)ienfte
bc* (Sigcnnufcc* unb in bem Staate ben Xräger einer abfoluten ©e^
walt, oon ber alle* SRccht au*gef)e unb ber auch bie Kirche fidj öoCU
ftänbig unterorbnen müffe. 3m ®egenfafc ju biefen neuen ftaat*=
rechtlichen Wnfidjten, bie bei ötelen (£pi*fopalen Wnflang fanben, oer=
trat «Igernon Stbneö (f. S. 159) bie fechte be* «olfe*, 511
beften Heftern bie Regierung beftetye unb ba* barum bie Cbrigfeit
t)cfct)ränfen unb gänjltch änbem fonne.
(£ine weitere, cigeuthümliche Wu*bilbung erhielten Baco'* $In*
fiepten burch 3°hn 0 cf c, ber, im 3ahre I6«*2 8U Sörington in ber
©raffchaft Somerfet geboren, auf ber Unibcrfität Offorb juerft
neifunbe, bann $f)tlo)opf)ie ftubierte, feinen ©önner, ben (trafen
Shafte*burn, nach beffen Stur^ nach ben Dlteberlanben begleitete,
im 3<*f)re 1688 mit SÖU^elm oon Dranien nach ©nglanb jurüeffehrte
unb im 3rthrc I704 \taxb. ®eftüfct auf ben Sa$: „Nihil est in
intellectu, quod non fuerat in sensu — sticht* ift im ©eifte,
ma* nidjt bor her in ben Sinnen mar," — leitete er alle* menfaV
liehe SSifjcn au* ber Erfahrung, b. h- au* ber Beobachtung ber
äußeren 9Jatur unb ber eigenen Ö)eifte*thättgfeit her unb mürbe ba*
burch ber Skter bc* Senfuali*mu* unb (5mpiri*mu* *), ber
bei feinen Schülern mehr unb mehr in Üttaterali*mu* überging.
1) SenfualtSmu* nennt man ba* jenige pljilofopljif che Stiftern, baSbie
@mncmoaf)rncl)mung für bie aflemige Cucllc alle* ©iffen* erflärt, unb Umpu
ri*mu* baSjenige, »eiche* aUe ©rfenntnife au* ber Erfahrung herleitet.
Digitized by Google
2>ie engliidje fiitcratut im fccfeelmten unb ftebsefmten ^a^unbcrt. 177
3nbcm Sode bic 93ef)auptung aufteilte, baß ber Vernunft bie (£nt*
Reibung über bie oon ben oerfduebenen sJleligiondparteien ald £)ffen=
barungäletjren oertretenen Meinungen juftefje, brad) er ben foge=
nannten gretbenfern ober Reiften bie $8afm, bie in ber ge*
offenbarten Religion nur baa gelten laffen rooflten, maä mit ber
fogenannten „natürlichen Religion4' übereinftimme.
Salb bübeten fid> in (Snglanb ©nippen oon Männern, bie
Religion unb ©irtlidtfeit, fira)lia)e unb ftaatlidje Drbnung g(eia>
mäßig untergruben. (Siner ber einflu&rcidjften berfelben mar ber
©raf Oon © f) a f t e * b u r ü, ber in feinen Unterljaltungäfdjriften bie
Sibel unb bie SBunber, bie Religion unb bie 9Koral, bie Regierung
unb baä ^iftorijaje SRedjt mit £>ofm unb Spott übergoß unb ber
"änfidjt fmlbigte, baß man tugenbfjaft fein fönne ofme (&ott unb
ba& bie Sorberungen ber ©innltdtfcit unb ber ©elbftfuajt ben 58er-
nunftgejefcen nidjt jumiberliefen. Slnton So (lind (geb. 1676,
geft. 1729), ein Sreunb unb Högling 8oaY3, fdjrieb gegen bie
£>od}fira)e mie gegen baS Sfjriftentjjum überhaupt unb richtete feine
Angriffe befonberä gegen bie ÜJceffianifdjen SBeiffagungen beä alten
33unbe3; er mar e3, ber ben tarnen „greibenfer" in Slufnaljme
braute. *8on bem gleiten ©eiftc burdjmeljt ftnb bie ©Triften beä
3rlänber3 3ofm Xolanb (geb. 1670, geft. 1721), ber naa) fei-
nem Abfall oon ber (at^oüfa)en fördje bie ÖJeiftlia^feit in Dielen
$ampf)leten öerfpottete, bie Vernunft für bie työdtfte fötdjterin,
aud) ber Vibel, erflärte, alle SJtyfterien leugnete unb feinen ßefjren
aud) an ben £>öfen oon $annoüer unb Berlin ©ingang ju Oer-
jdjaffen fudjte, an meld)' lefcterem bie Königin Charlotte ©opf)ie
(f. ©. 39), fid) große 9i)culje gab, üjn $u nnberlegcn. Qvl ben eif-
rigften Vefämpfern be£ (£f)riftentf)um3 gehörten audj ber 9tedjt3-
gelehrte 5]Jfattt)äu3 Xinbal (geb. 1656, geft. 1733), ber bie natür*
lidje Religion für genügenb erflärte unb mit ber Sftottjroenbigfeit
ber Offenbarung biefe felbft beftritt, unb ber frühere anglifanifdje
Ideologe %t)oma$ SBoolfton (geb. 1669, geft. 1731), beffen bie
gefd}id)tlid)e ©laubnmrbigfeit ber $8ibel befampfenbe 2lbfjanblungen
reigenben ^bfafc f anben , f onrie fpäter ber 58i3count $8 o Ii n g=
brofe (geb. 1672, geft. 1751), ber in feinen ©riefen über ba$
Stubium ber ®efd)id)te baä ©hriftentfwm auf bie ja)onungälofefte
s23ei)'e angriff.
SBätjrenb baS Veftreben ber englifd)en ^^Uofop^en jener &\t,
aüe^ menfdjlidje SSiffen auf bie ©innemoaljmet)mung unb Gftfaf^
rung jurüdjufüfjren, auf bem (Gebiete ber Religion unb SJcoral bie
b ef l a ge n ö ro c r 1 1) ef t cn Verheerungen anrichtete, führte ber 2Beg ber
*Beobad)tung, auf meldten fie fnngenriefen, auf bem (Gebiete ber
turmiffenfajaften ju ben überrafd^enbften (Sntbecfungen. 2)iefe maren
^aiiptfädjlid? baä SBerf be3 berühmten 9Jcathematifer$ 3 j a a f
$olatoart$, SBeltßei^te. VI. 12
178 (Snglanb in bcr jrocttcn .fciilfte beä ftebjehnten Sahrfmnbert«.
■
91 e m t o n , geb. am 25. $ej. 1642 §u 2Boo(ftt)orpe in Sincolnfhire.
ftachbem er im Qahre 1669 ^rofeffor ju ©ambribge unb brei
3af)re füäter SDlitgtieb ber üon £arl II. gefrtfteten föniglichen
„Soctetät ber SBiffcnfcftaftcn" ju fionbon geworben, öeröffentltdfjte
er feine eüochemachenbe „Xheorie be* Staate* unb ber garben" unb
führte burch bie üon ihm entmtcfelten ©runbjä&e ber ^Raturp^ilo»
fophie eine üöllige Umgeftaltung ber Waturmiffenfchaften gerbet,
©eine SBerbienfte mürben burch zahlreiche 2lu*aeichnungett unb
(Styrenbe$eigungen anerfannt: bie ^artfer Slfabemte ernannte itm
im Qahre 1699 jum au*märtigen ÜKitgliebe; bte Königin Slnna
erf>ob ihn im 3af)re 1703 jum <ßräfibenten ber Societät ber Ziffern
faxten unb im Satjre 1705 in ben ftitterftanb. ©r ftarb im 3a^re
1725, nach furjem Stanfenlager , im Hilter öon fünfunbachtjig
3af)ren, nachbem er fidj in ben jelm legten Sauren feine* ßebenä
aller miffenfchaftlichen SBefchäftigungen hatte enthalten muffen, meil
ba* Ueberma& ber Mnftrengung feine geiftige ^raft erfc^öpft hatte.
(SJeorg I., ber Nachfolger $lnna% lieg ihn mit föniglichem Gepränge
in ber SBeftminftcrabtei beifefcen. Xrofc feine* retchen SBiffen* mar
er ftet* befchetben unb anfpruch*lo* unb bemahrte bi* an fein @nbe
bte offene Unbefangenheit eine* Äinbe*.
Unter ben jahlreichen Sehen , bte ber religiöfen (Währung
unter $arl I. unb in ben Reiten ber 9iepublif ihren iirfprung üer=
bannen , mar bie etgentfjümltdjfte bie ber D u ä f e r. 2)er Stifter
berfelben mar S^h" So? (geb. 1624, geft. 1691), ein au* ber
&ecjre entlaufener Schufterburfche , ber fieb, , nachbem er ftch fd)on
frür)e einem träumerifdjen Sinnen über religidfe fragen Eingegeben,
üon © ott berufen glaubte , al* 33ujjprebiger au*jujte^en , um bem
ißerberben feiner 3*1* entgegen ju treten, ba* feiner SReiming nach
nur üon ber Ueberjchctfcung ber äußeren Seite ber Religion unb
bem ^Berfennen be* inneren SBefen* berfelben ^errür)re. SDiefe*
beftefje, fo lehrte er, in bem innerlichen Stufe be* göttlichen 2öor=
te*, unb nur diejenigen , bie bemfelben folgten , feien roatjre ÜtyxU
ften unb mürben oiirdj bte Wtafy be* göttlichen Reifte* üom Sööfen
gereinigt. 55a er fich burch feinen fdjmarmertfdjeu (gifer jur Stö-
rung be* öffentlichen ®otte*b teufte* unb ju heftigen 5)eflamattonen
gegen bte GJeiftlidjfett hinreißen liefe, mürbe er mehrmal* gerichtlich
üerfolgt , erlangte jeboch immer feine Sreihett mieber , ba ihm fein
gefefcltch ftrafbare* Vergehen nachgemiefen merben tonnte unb ©rom-
mell i^n mit Schonung behanbelt mtffen mollte. 3>ie allgemeine
religiöfe (Währung führte ihm zahlreiche Anhänger ju, bte fich bie
„(SefeÜfchaft ber greunbe" ober bie „©efenner be* Sichte*" nann-
ten, üon ihren ÖJegnern aber ben sJcamen Ctuäfer (3itterer) erhielt
ten, meil fie bei ihren gotte*bienftlichen SBerfammlttngen üor innerer
Erregung häufig in conüulfiüifche* gittern geriethen.
Digitized by Google
3>ic cnflUfdje Sttctatur tat fcthjefjnten unb ftebjc^ntcn Sahrhunbert. 179
Su ben Ctuäfern traten felbft mehrere gelehrten SHänner über,
bie allmählich bie Anflehten bed ©tifter* ber ©ehe in ein georbnete*
Sehrföftem brachten. <£incr berfelben , SS i 1 1 i a m $ e n n (geb.
I674r geft. 1718), ber ©ofm be3 früher (©. 138) ermähnten
^bmiralfc, grünbete für feine in ©nglanb üielfach bebrängten (Blau*
benSbrüber in fleorbamerifa, wo flarl II. ihm am Delaware gegen
eine öon $enn3 Später ^errü^renbe ©dmlbforberung bon fechjehn*
taufenb Sßfunb einen bebeutenben ßanbftrid) abgetreten, eine Kolonie,
bie nach ihm ben tarnen $ennfnlDanien erhielt unb fleh
balb $u ^o^er ©lüthe emporfchmang. 3n ©nglanb erlangten bie
Quäfer erft unter Safob IL $ulbung unb unter SBilhelm III. ooCU
jfönbtge Religionsfreiheit.
Stach ber ßet)re ber Duäfer ftnbet fleh in ber Seele eined
jeben SReufdjen ein ber göttlichen Vernunft, ein gunfe ber
©einfielt, ber aber burch ben materiellen ßeib Derb unfett unb unter«
brüeft ift unb entjünbet werben mufj, wenn man glüeflich fein will.
<£urc$ biefed innere ßkt)t, baS bie Urfache aller religiöfen Srfennt*
niB unb bie Duelle be$ frommen bebend ift , erhält bie tyiÜQt
Bdjrift erft Söerftänbnif} unb Autorität. $a nach °er Anficht ber
Dudfer ber äujjere (Sottefcbienft, bie firdjlic^en Zeremonien unb bie
heiligen ©atramente unnüfc unb überflüffig finb , höben fie Weber
einen befonberen ^ßrebtgerftanb als Vermalter bed göttlichen Sehr*
amte$ noch eine beftimmte Öiturgie , auch feine Safttage unb feine
Kirche, ©ie oerfammeln fleh in fchmucflofen ©ölen, wo fie fcf)Wei=
genb, mit bebeeftem Raupte unb ben ©lief $ur (5rbc gefenft , fltyen
unb harrcnf &i* ©inen, 3Rann ober grau, „ber ©eift ergreift/
ba§ er ju ihnen rebe. ©efdjieht bie* nicht , fo gehen fie fchroei-
genb roieber auäeinanber. 3m gewöhnlichen ßeben jeidmen fie fleh
burch (Einfachheit unb Strenge ber ©Uten au* , oerfchmähen jeben
$tenft ber Sttobe unb jebeä weltliche Vergnügen , untertaffen jebe
#öflichfeUab€$eigung , nennen Qebermann b u , bebienen fleh feiner
anberen Anrebe als „mein greunb" unb oerweigem ben @ib, ben
ftriegSbienft unb bie Uebernahme obrigfeitlicher Remter.
12*
Digitized by
180
2>er fpanifdjc erbfolgefrieg.
VI.
Der fvanifQe grBf of fleßr t eg.
(1701-1714.)
$ie bret crftcn ftrieggjal>re.
(1701-1703.)
spotte baS fiebje^nte 3af)rf)unbert feit bcm beginne beS brei&ig=
jäfjrtgcn Kriege« bcr europäifcf)en SBelt nur furjc «Sttrifdjenräumc
frieblicfjer Ütufje gegönnt, fo füllte baS ad)tjel)nte Ujm an öerfjeeren*
ben friegSftürmen nidjt nad)ftel)en. ©leid) bei feinem beginn er=
tönte auf« 9leue baä SBaffengetöfe , baä burd) bie 5rieben^fcr)Iüffe
öon ÜiöSttncf unb ®arloroifc nur für furgc 3^* 5"™ Sdjmeigen ge^
bracht morben, in jtnei großen kämpfen, bie im 9torboften unb im
Sübmeften 311 gleicher Seit entbrannten unb alle Staaten Europa' S
in ifyren Strubel riffen. SBir tuerben un§ 3unäcf)ft mit bemjenigen
befdjäftigen, ber um bie Erbfolge in Spanien geführt mürbe.
Sdjon feit einer längeren Steide öon 3a^rc« fato °ic Sroöc»
mem nad? bem $obe bc£ finberlofen Königs ®arl II. öon Spanten,
beffen beftänbigeS Sied)tf)um ein früfycS (Snbe erwarten ließ , bie
fpanifa^e Sftonardue aufaßen fofle, bie, roenn audj augenblitflid) Don
ifyrer früheren £>ölje fyerabgefunfen, bod) nodj immer burcf) iljr weit
auägebefmteä , reidjeS unb fjerrlidjeS (Gebiet als ein beneibenS-
roertfjeä @rbe erfdjien, bie Kabinette befdjäftigt unb ju ben lcbljaf=
teften SBerfjanblungen 93eranlaffung gegeben.
$)ie beiben |>auptbemerber um ba§ fpanifdje (Srbe maren
ßubroig XIV. unb $aijer Üeopolb I., bie iöeibe öon Södjtem $f)i=
lipps III. abftammten unb mit Xödjtern ^IjilippS IV. Dermalst
gemefcn maren. 9113 Sofyn ber älteren Sdjtoefter unb ®emaf)I
ber älteren Xodjter ^fyilipps IV., mürbe ^ubmig unzweifelhaft
ein nähere« (Srbredjt gehabt fyaben , als Seopolb , ber öon ber
jüngeren Sduoefter ^SfjilippS IV. abftammte unb mit beffen
jüngerer Softer öermäljlt gemefen , hätten nitf)t feine Üttutter
Slnna öon Defterreicf) unb feine ©emafjlin Sftaria X^erefia bei
tf)rer SSer^eirat^ung auSbrücflidj auf ba£ fpanifdje (5rbe SBerjidjt
geleiftet, roäfjrcnb bie ÖJema^lin gerbinanbS III., SJiaria $lnna,
unb bie Ö)emaf)lin SeopolbS I., sJJtargaretfja Xfyerefia, firf) bei Ujrer
$Bermäl)lung auSbrüdlidj if>r ©rbredjt üorbefjalten Ratten. Slufjerbem
fonnte ßeopolb jur S5egrünbung feiner Slnfprüa^e nid)t nur ba$ alte
gamilienrea^t ber Habsburger, fonbern aud) baS öon bcu fpanifdjen
(JorteS betätigte Xeftament s$f)ilippä IV. geltenb machen, traft beffen
Digitized by Google
$ie bret erftcn ÄTiegSja^re.
181
in Ermangelung eine« männlidfjen Erben #ar(8 II. bie gefammte
fpanifcf>e 9flonardjic ber @emaf)lin ßeopotb« unb tljren ftadjfommen
anfallen follte. $>urd) biefeS Xeftament wäre allerbingS baS Erb*
xtd&t auf ben jungen Sftirprinjen Sofep^ gerbinanb öon SBaiern,
als ben ©ofm ber einzigen Softer beS ftaiferS ßeopolb unb ber Sttarga*
retfja Xfjerefta, übergegangen, roenn erftere bei ifjrer Bermäfjlung
mit bem ßurfürften 9tta$imilian Emmanuel Don ©aiern auf Ber*
langen ifjre$ BaterS, ber bie 21nfprüd&e be$ f)ab$burgifd)en |>aufe$
nidjt auf baS £>au3 SöittelSbadj übergeben feljen mottle , auf il)r
Erbred&t Berjidjt geleiftet Ijatte. $a jebodj biefe Berjidjtleiftung
ton ben fpanifdjen EorteS triebt anerfannt morben, l)ielt ber ®ur*
fürft oon SBaiern bie Slnfprüdje feinet ©ofmeS aufrecht , mäljrenb
Subnug XIY. bie feinigen auf bie öon feinen SRea^tSgelefn'ten ab*
gegebene Erflärung ftüfcte , baß feine Berjidjtlriftung ungiltig fei,
tuet! fein Surft bie 8tedjte feiner SRadjfommen öeräufcern fönne.
Um jebodj ber SBcforgnifj ber übrigen 9J?äd)te öor einer Bereinigung
ber fpamfd&en Sttonardfne mit ber fran$öfifct)en unter einem ©cep>
ter entgegenzutreten, öerlangte er biefelbe toeber für ftd) felbft, nod>
für ben $)aupf)tn, nod) für beffen älteften ©ofm, fonbern für feinen
jüngeren Enfel, ben ©erjog $l)ilippöon2lnjou, nrie audj
fieopolb auS bem gleiten ©runbe fein Erbredjt auf feinen jmeiten
So^n # a r 1 übertragen tyatte.
Xro$ biefer öon ben beiben §auptbemerbern flur Beruhigung
beä übrigen Europa'S getroffenen SJtafjregeln mar bie Söeforgnifj
öor ber Störung be$ europäif djen (SJleidjgenridjtS burd) ben Jpeim-
fad ber gefammten fpaniftf)en Monarchie an eines ber beiben £>äu*
fer nidjt gejdmnmben, unb ebenfo lebhaft mar ber äBunfcr) ber &abU
nette, bem $lu$brudj eines Krieges jnrifdjen Sranfreirf) unb Defter*
reidj öorjubeugen. SlngefidjtS biefer ©adjlage braute Submig felbft,
bem e£ fjauptfäd)üdj barum ju tfyun mar , bie beiben ©eemäcfjte
Englanb unb £ol!anb in trügerifdje ©iäjerfjeit einjumiegen , nod)
öor bem Xobe SfarlS II. ton Spanien bei biefen beiben SÄädjten
eine Teilung ber fpanifdjen 9Bonardue in Borfdjlag, unb in ber
2f>at fam nadj einigen Untertjanblungen am 11. Dt tober 1698
ättrifdjen granfreiä), Englanb unb |>oHanb ein geheimer XfjeUungS*
öertrag $u ©tanbe , nad) meinem ber franjöfifaje ^ßrinj Neapel
unb 6icüien nebft ©uipujcoa , ber öfterreidjifdje bie flanbrifdjen
^roöinjen mit 9ftaÜanb unb ber ®urprinj öon Baiern bie gan^c
übrige fpanifdje 9flonard)ie erhalten follte. $5er fturfürft öon Baiem,
mit meldjem fiubmig längft insgeheim llnterljanblungen angefnüpft,
erKarte fid) mit biefer Xfjeilung einöerftanben ; bagegen legte ber
Sftnfer gegen jebe SSerfürjung feines Erbreä)tS entfd}ieben Berma^
rung ein.
Snbeffen mar baS jttrifdjen ben brei TOäct)ten getroffene 2lb*
Digitized by
182
$>er fpomfdje (Srbfolgcfrieg
fommen, öon welkem nur ber Kaifer unb ber Kurfürft öon ©aiern
in Kenntniß gefegt werben follten, auch am §ofe oon TOabrib bc^
rannt geworben, unb Karl IL, ber non einer X^eidmg feines fdjö^
nen Meiches Nichts wiffen wollte unb überbieS heftig Darüber er=
jürnt mar, ba& frembe 9)?ächte fieh unterfingen, noch bei feinen
ßeb$eiten über baSfelbe $u oerfügen , ernannte am 14. Noöember
1698 ben Kurprinjen oon 93aiern ju feinem alleinigen (£rben.
ßubwig ließ fofort burdj feinen ©efanbten in SRabrib gegen biefc
GEmennung ^ßroteft einlegen, tüäfjrenb ber Kurfürft oon SBaiem, ber
bamalS als Statthalter ber fpanifchen Nieberlanbe in ©rüffet
Weilte , fchleunigft «orfehrungen traf , um feinen Sohn nach Spa=
nien bringen ju laffen. $te ganje Sachlage mürbe jebod) buret)
ben unerwarteten $ob beS ftebenjäfjrigen Kurprinzen üeränbert. $a
hterburdj bie grage ber Erbfolge wieber in ihr urfprüngltcheS Sta*
bium jurürfgetreten war, fam im SWarj 1700 jwifchen granfreieh,
©nglanb unb $oöanb ein jweiter X^cilung«öertrag ju Stanbe , in
Welkem ßubwig fogar gegen eine bebeutenbe SBergröfcerung feines
eigenen SlntheilS in bie ©r^ebung beS (Sr^eraogS Karl auf ben
fpanifchen Sfjron Willigte, unter ber öebingung, ba& berfelbe binnen
brei Monaten bem «ertrage beitrete unb ftd) verpflichte , bei £eb*
jeiten Karls II. Weber nach Spanien noct) nad) Sttailanb ju gehen,
aua^ töne öfterreidjifaje Kriegsmacht in fpanifct)e ßänber einrüefen
5U laffen; bod) auch bicSmal erhob Seopolb feierlich ^roteft gegen
jebe $heifang t*r fpanifchen SÄonarchic.
$lm £ofe ju SKabrib fefcte unterbeffen ber franjöftfche ©efanbte,
ber SßarquiS oon $>arcourt, alle £ebel in Bewegung, um oon bem
mit rafchen Schritten feinem @nbe entgegengehenben König eine
teftamentarifche SBefttmmung ju ÖJunften beS £>erjogS oon $lnjou
ju erlangen, unb ba ihm ber Vertreter DefterretchS, ber alte ©raf
^arrach , an Schlauheit nicht gemachfen war , gelang eS bemfelben
nicht, ihm erfolgreich entgegen ju arbeiten. 2lm 1. Ol tober 1700
unterzeichnete Karl II. ein Xeftament, worin er ^Sh^W öon Slnjou
ju feinem Nachfolger ernannte. SBier SBochen fpäter , am 1. 9lo*
öember 1700, erlag er feinem langen, öerjehrenben Siechthum.
WlS biefeS Xeftament , oon welchem au&er denjenigen , bie ju
bemfelben mitgewirrt, Niemanb eine 2lhnunQ Schobt, befannt würbe,
erheuchelte ßubmig Ueberrafct)ung. Obgleich er fich am ßiele fei*
ner 2Bünfct)e fah , war er Slngefichts beS faum gefchloffenen jmet*
ten XheifangSoerrragS , ben unter allen Umftänben treu unb feft
ju halten er auf baS Öeftimmtefte jugefagt , einen s2lugenblicf
fchwanfenb , ob er baSfelbc annehmen folle; boch balb fiegten fein
@h*geij unb feine (SroberungSfucht über alle iöebenfcn. Nact)bem
am 16. Nooember ber fpamfehe ©efanbte in 93erfaiHeä fnieenb ben
^erjog üon 9lnjou als König üon Spanien begrüfjt hattc r l«6
Digitized by Google
$ie brei erften #rieg$iat)re.
183
2ubti>ig bie glügeltfjuren öffnen unb erf forte ben oerfammelten
Großen: „9tteine Herren, ©ie fef)en ^ter ben ®önig oon Spanien!
$ie Natur fwt ifyn baju gemalt ; ber oerftorbene ßönig ijat ifm
baju ernannt; ba* fpanifdje SBolf fefmt ftdj naa) ifjm, unb idj gebe
meine 3uftimmung!" $ann fid) ju feinem (Snfel menbenb, fügte er
dinju: „3ftre erfte <ßflid)t ift nunmehr, ein guter ©panier ju fein;
aber oergeffen ©ie nidjt, baß ©ie oon ®eburt granjofe finb unb
ba§ oon ber ©inigfeit beiber fronen baS ©lud ber SSölfer unb bie
(Spaltung be* grieben* abfängt.'' 2ldjt Xage fpäter, am 24. Wo?
oember 1700, mürbe ber ^erjog oon Slnjou ju SRabrib als $f)i=
lipp V. jum tfönig aufgerufen. er am 14. Eeaember SSer*
jaule* oerließ, um oon feinem neuen ®önigrcid) SBefifc $u nehmen,
oerrietljen ßubmig* Mbfdjiebamorte : „2Rcin ©ofm, jefct gibt e$ feine
^renaen mef>r!" in unsmeibeutiger SBeife bie ftoljen £errfd)aftä*
plane, mit benen fid) ber eljrgeijige ftönig trug.
2lm 18. gebraar 1701 Ehielt W^PP V. feinen (Sin$ug in
SRabrib, unb balb lief auf allen fpaniföen Webenlänbern bie Waa>
riajt ein, baß er in benfelben gleidrfafl* al* ßönig anerfannt n>or=
ben. SBon ben auämärtigen Surften mar ber fturfürft oon Saiern,
ben fiubmig burdj bie SluSfidjt auf bie feinem $>aufe ju oerleiljenbe
erbliche ©tattfjalterfdmft in ben ftiebertanben ganj in fein Sntereffe
au $ie§en gemußt, ber (£rfte, ber feinem Setter ?fulipp ®lürf
towifdjte unb ifjm in allen erforberlidjen gäUen feine Dienfte an*
bot. ©einem ©eifpiele folgte balb audf) fein 33ruber, ber fturfürft
Sojepf) ©lernen« oon ftöln, ben Submig gleidtfatt* burd) glän$enbe
8«fagen $u föbern gemußt. Qn Statten fanb Subnrig *8unbe*ge=
noffen in bem $>erjog SBictor 2Imabeu* oon ©aoouen, ber al* ber
Sdjnuegeroater be* neuen Königs oon ©panien fogleid) auf beffen
Seite getreten, unb bem £>erjog ßart IV. oon sJJtontua. $a meber
bie ®eneralftaaten nod) dnglanb jum Kriege gerüftet maren unb
©üljelm III. fid) überbie* gerabe bamal* burdj eine ungünftige
Stimmung be* Parlament« am freien |>anbeln gefyinbert fafj, muß*
ten audj fie fid) jur ?Inerfennung ^ßf)ilipp* bequemen; bod) trafen
beibe Üftädjte im ©tiöen if)re SBorfefjrungen, um, fall* ber ftaifer
&u ben SBaffen greife, im geeigneten Momente in bie Slftion etm
treten $u tonnen.
©o fd)ien SubmigS ^Ranfefpiet ooüfommen gelungen unb baä
fpanifc^e @rbe für Defterreid) Oerloren ju fein. $5em mar ieboc^
nia^t fo. fieopolb, ber baS Xeftament Äarl* II. für erfd)lid)en er=
Körte, mar feft entfdjloffen, für ba« unbeftreitbare 9led)te feine*
$auje* sÄüe* einjufefcen unb troj ber (Sria^öpfung feiner ©taaten
ben Stieg mit granfreic§ aufzunehmen. 3n biejem S3orfa^e be*
ftattte i^n befonber* ber Sßrina Sugen , beffen ftaatömännifc^er
Sa>rfblid mo^l erfannte, baß mit bem 93efife ber fpanifa^cn
Digitized by
184
3)cr fpanifdK Grbfotgcfrieg.
Monarchie ba3 Uebergewicht be$ £>aufe£ ©ourbonin Ghiropa ent=
Rieben fein werbe, unb ber ben #aifer umfomehr ju rafchem
ftanbetn brängte, als er überzeugt mar, bafj fich nach bem erften
©ieg ber öfterreidjifdjen Stoffen SöunbeSgenoffen für benfelben ftn=
ben mürben.
Gana allein ftanb inbeffen ßeopolb auch beim ^Beginne beS
Krieges nicht. Aufjer bem neuen Äönig oon Greußen, ber ihm ein
&itf$h*er oon achttaufenb 9Rann augejagt, tydt fich auch ber ßur=
ürft oon ^onnoüer burch ben $anf, ben er bem #aifer für bie
einem &aufe bewilligte Rangerhöhung fchulbete, ju beffen Untere
tüfcung verpflichtet, dagegen hatte ßeopolb Don Seiten beS Rei*
djeS, baS bie ganje Angelegenheit als eine ben ftaifer perfönlich
betreffenbe betrachtete, für ben Augenblicf feine #itfe $u erwarten.
$er fturfürft öon ©achfen, ber in ben öorhergehenben Kriegen fein
iöunbcSgenoffe gewefen, fah ftd) burch ben im Horben entbrannten
£rieg, an welchem er als ftünig öon *ßolen betheiligt mar, in bie
Unmöglichfeit oerfefot, für DefterreichS auteS Stecht irgenbwie ein$u=
treten; SBaiern unb Äöln ftanben ohnehin auf granfreichS Seite,
unb bie übrigen ©tänbe begnügten fich bamit, unter einanber ein Söünb*
nijj $u gemeinfamer Abwehr eine« etwaigen Angriffs auf ihre Ge=
biete ju fdjtieSen.
Rachbem ßeopolb feine ©treitfräfte auf achtjigtaufenb 9Rann
erhöht hatte, &™ch ®Wn m Wax^ 1701 mit einem $>eere öon
breifjiataufenb Sflann nach %talkn auf, um ben granflofen bie bor-
tigen fpanifdjen Rebenläuber $u entreißen. 55a Sßenebtg fich für
neutral erflärt unb ©atinat, bem ßubwig auch bieSmal ben Ober-
befehl in Italien übertragen, bie Xnroler ^äfje gefperrt hotte, De*
ld)lo6 ber ^rinj, fich über baS Gebirg im Rücfen beS getnbeS einen
2S*eg $u bahnen. Xurdj unwegfame %fyäkx unb auf fteiten 5öerg-
pfaben, bie nur ben Birten unb Jägern befannt waren, ließ er burch
einige feiner Regimenter, benen bie umwofmenben Gebirgsbewohner
bereitwillig Söeiftanb leifteten, SBege ^crftcUcn für bie Reiterei unb
baS Gefchüfc, unb wo ben ^ßferben baS Sitfytn ju fchwer warb,
legten ©olbaten unb dauern mit Jpanb au. Räch unfägtichen SRühen,
Öefchwcrben unb Gefahren, benen Sftenfchen unb i(ucrc *n Ör°6cr
3ahl erlagen, ftieg 511m ©rftaunen (EatinatS, ben (Sugen burch bor-
genommene RecognoSctrungen in bem Glauben ju erhatten gewußt,
baß er an ber (£tfch burd)$ubrechen beabfichtige, baS faiferliche £>eer
$u Anfang guni in bie (Jbene üon Verona hinab. (Sugen fuhr
fort, feinen Gegner burch gefchiefte £>in= unb ftermärfche ju täufchen
unb fchlug ihn, nachbem es ihm gelungen, bie (Stich 5U überjehrei^
ten, am 7. ^uli bei (Sarpi, trofc ber numerifchen Uebermacht ber
gran$ofen, burch eincn unerwarteten Angriff fo ooüftänbig , baf*
ßatiuat fich "ber ben Üttincio unb ben Oglio jurücfjiehen unb ben
Digitized by Google
$ie bret crftcn #rieg3ja*n*.
185
flaiferlic&en ba3 ganje Gebiet ätt)ifcr)en biefen gfüffen unb bcr ©tfct)
überraffen mußte.
Xie 9cact)ricr)t öon biefer SKieberlage öerfefcte ben ®önig üon
granfreict) in ben fjeftigften Sora. (Sx entzog fofort bem tüct)tigen
Gatinat ben Oberbefehl unb übertrug benfelben bem aJcarfdmtl üon
Silleroi, feinem befonberen ©ünftling, ben er mit einer SBerftärfung
ton ^manjigtoufenb SJcann nact) Italien fanbte. SBitleroi, ber bie
Vertreibung ber ®aiferlict)en au* Italien für ein &inberfpiet fuelt,
ging gleich nact) feiner Anhtnft im franjöfifdjen ßager über ben Dglio,
um ben ^ringen, ber bei <£ f) i a r i in trefflict) gemähter ©tetlung
ein ücrfdjanäteä ßager belogen, mit einem bem faifertidp um baS
Stoppelte überlegenen $eere anzugreifen. $er Angriff erfolgte,
troj ber Abmahnungen (Satinatä, am 1. ©eptember unb enbete
mit einem streiten glänjenben ©iege ber $aiferlict)en, bie mär)renb
beä ganzen ®efecr)te3, gegen bie franjöfifdjen kugeln gebeert, hinter
f)of)en SBerfdjanjungen geftanben t)atten unb bat)er nur fecr)$unb*
breifjig Xobte unb einunbadjtjig SBertounbete jäteten, roätjrenb ber
Seinb über ^toeitaufenb £obte unb unter benfelben $meir)unbert
Offiziere auf bem ©ct)lacr)tfelbe jurücfliefe. 9cact)bem beibe gelb*
Herren einanber noct) jroei Sflonate lang beobachtet, belogen fie bie
Winterquartiere, melcr)e bie granjofen im 9)ki(änbif(t)en unb bie
€efterreict)er in ®u aftafla nat)men.
bitten im SBinter überfiel Gragen 511 näctitlicrjcr ©tunbe bie
Seftung (5 r e m 0 n a. günft)unbert faiferlidje ©renabiere brangen
buret) einen troefen liegenben ffrinal in baä 3nnerc ocr ©tobt, über«
rumpelten bie $r)ornmcr)e unb öffneten bem £>auptforp3 ben (Sin-
Sang. 9tafct) ergoffen fict) bie faiferlict)en Gruppen buret) bie ©trafen
Sremona'ä unb jmangen SBiHeroi, ber in feinem SBette überfallen
tonrbe, fidt) gefangen ju geben. (£t)c jeboct) ein jmeitcä ®orpä, ba£
unter bem ^rinjen öon ißaubemont öon bem Sörücfenfopfe auä in
bie ©tabt einbringen fottte, angefommen mar, t)atten fict) bie gran*
jofen öon bem erften ©ct)recfen ber Ueberrafdmng ert)olt, unb nact)
einem jet)nftünbigen t)ei§en ©tra&engefecr)t, ba$ ben granjofen jmölf-
fyunbert, ben ®aiferlict)en fcct)3t)unbert SJcann foftete, mußte fict)
Sugen, ba injmifct)en bie SBrücfe jerftört roorben mar, über roeldje
^Baubemont einbringen foflte, $ur SRaumung ber ©tabt entfct)liefjen.
$en gefangenen SBiüeroi fanbte @ugen nad) 3nn3brucf ; bie ^arifer
aber forberten in einem ©pottlieb bie Armee auf, bem $rieg8gotte
für ü)r beifpieöofeä ©lücf 5U banfen, baß fie „GSremona behalten
unb ifnren ©eneral üerloren t)abe." Shibmig erfefcte it)n buret) ben
tapferen unb friegSrunbigen $erjog öon SBenbome, ber mit bebeuten*
ben Verftörfungen in 3ralien anlangte.
3njroifcr)en t)atten bie ©eemäct)te Cragtanb unb £>oflanb, nact>
bem fie üergebenä öon Submig XIV. eine billige (Sntfcrjäbigung für
Digitized by
186
3)er fpanifdic Grbfolgcfrieg
bat Kaifer unb beftimmte S«flcftänbniffc jur Sicherung ihrer burch
bcn Uebergang bcr fpanifd)en SRonarchie an ba3 §au$ Vourbon
gefährbeten £>anbel3intereffen ju erlangen gefuct)t, ermutigt burct)
bie 3ortfct)rirte (SugenS in Statten, im September 1701 im §aag
mit bem Kaifer jur gemeinfamen SBefämpfung ßubmigä ein JBünb*
ni&, bie „große 5lflianj", gefd)loffen. i)ie Verbünbeten öerpflich-
teten ftd), ben Krieg gegen Srranfreict} fo lange fortzuführen, bis
bem Kaifer ®enugtf)uung für feine Slnfprüdje geworben, bie See*
mächte bie gemünzten Sicherheiten für ihre jpanbeläintereffen er*
halten haben mürben unb lunreichenbe ©ürgfdjaft bafür erwirft
fein werbe, ba& Sranfreid) unb Spanien nie unter bem nämlict)en
Scepter oereinigt werben mürben. $a3 englifche Parlament t)atte
jmar Anfangs bem Äönig Sct)wterigfeiten bezüglich ber nötigen
©elbmittel gemalt, ba in bemfelben bie griebenäpartci bie Dber=
hanb hatte, unb bie englijche «Ration felbft mit 5Bilbelma friegerifdjer
^olitif wenig einöerftanben mar; allein üubmig führte burch eine
neue Vertrag&öerlefcung einen rafchen Umfchmung in ber Stirn*
mung ber (Snglänber ^erbei. Uneingeben! ber im ^rieben üon
fööäwicf gegen SSilhelm III. eingegangenen Verpflichtungen, er=
fannte er nach bem £obe 3afob3 II, (16. Sept. 1701) beffen
Sohn Safob CSbuarb, ber ben Warnen 3afob III. annahm, als
ben rechtmäßigen König oon (Snglanb an, in ber ©offnung, baburch
in ©nglanb einen neuen Kampf ber Parteien heroor ju rufen. $a$
englifche Volf, ba« f)izxm eine unbefugte Grmnüfdmng in feine
inneren Angelegenheiten erblicfte, jeigte fich über ßubmigä 5ln=
maßung aufä $>öchfte erbittert, unb ba* neue, unter bem ©influö
ber gänzlich öeränberten Stimmung gewählte Parlament bewilligte
bem König ohne Schmierigfeit bie nötigen ©elbmittel für bie s2ln=
Werbung oon Dierjigtaufenb Sttann ßanbtruppen unb ebenfo Bielen
SOcatrofen (f. S. 169).
SBilhelm übertrug ben Oberbefehl über bad Sanbheer, ben er
wegen feiner (Sxfranfung nicht felbft übernehmen tonnte, bem $um
trafen toon 9)carlborough ernannten ©eneraflieutenant ShurdnH,
ber fich im 3Jcärj 1702 nach 9tieberlanben einfchiffte. Kaum
waren jeboch 0*c englifchen iruppen in ^poüanb gelanbet, al£ bie
Nachricht öon bem Xobe SSilhelmö eintraf. $er Xr)ronroecfjfetr ber
in ben Wieberlanben wie in Oefterreich bie SBeforgniß einer minber
thatfräftigen Kriegführung oon Seiten (£nglanb$ hetöorrief, änberte
jeboch Seichte an ben getroffenen ÜJcaßregeln, inbem fich burd);
auä unfelbftftänbige Königin Anna burdj bie jur Oberfthofmeifterin
ernannte Jperjogin oon 9Jcarlborough, it)re 3ugenbfreunbin, unfehwer
bewegen lieg, baS Programm if>rc3 Vorgänger* in allen fünften
aufrecht ju halten.
$a injwifchen auger Greußen unb #annober auch öier 9teid^
Digitized by Google
3>ie brei etftcn ihiegäja^re.
187
freife, her fränfifdje, ber fd)tr»äbifdje unb bic beiben rf)einifd>en, ber
großen Slfliana beigetreten maren, fd^tog fid> ba3 töeid) in feiner
®efammt^eit, bem Verlangen beS ßaifer* entfpredjenb, gleidtfaU*
an biefelbe an unb erftärte am 6. Dftober 1702 an 3ranfreid>
ben Ärieg, morauf ber fran^öfifc^c (Sefanbte ju föegenäburg bie
SBeifung erhielt, binnen brei Sagen bie ©tabt ju öerlaffen.
$en Oberbefehl über alle ÄriegSöölfer am Obergern, fotoo^I
bie faiferlidjen al3 bie öon bem Steide ju ftellenben, übertrug
ßeopolb bem betoäfjrten SRarfgrafen ßubmig öon ©oben, bei roel*
#cm fidj aud) ber römifdje $önig 3ofept) einfanb, um fidj perfön=
üd) an bem Kampfe $u beteiligen. $er Sttarfgraf eröffnete bie
geinbfeligfeiten mit ber Belagerung öon ßanbau, ba3 öon bem be*
rüa^tigten SMac öertfjeibigt mürbe, 9iad)bem ein öon (Satinat ge*
führte* (gntfafcljeer jurüdgefdjlagen trorben, mußte fia) 2Mac am
11. September 1702 $ur Kapitulation öerftefjen. ©djon ftanb ber
SCNarfgraf im ©egriff, in ba& offenftetyenbe (Slfaß einzubringen, aU
bie 9fcad)ria)t eintraf, baß ber Shirfürft öon Söaiern, ber bifytt nur
infcgefjeim mit Sranfretdj im *8unbe geftanben, fid) am 8. ©ep=
tember burdi einen uädjtlidjen UeberfaH ber SReicfyäftabt Ulm be-
mächtigt unb biefelbe nebft mehreren onbern ©täbten be$ fdjmä=
btjdjen Greifes befefct t)abe. *Diefed öerrätfjerifdje Vorgehen nötigte
ben SDtarfgrafen, am Dberrfjein $u bleiben, um bie Bereinigung
beS fturfürften mit bem 9flarfdmll SöiüarS ju öerljmbern, ber furj
nad) ber Uebergabe öon ßanbau mit großer ©efdurflidifeit ein
ftarfeä franaöfifdjeS £>eer bei Rüningen über ben SRfjein geführt hatte.
5?lm 14. Dftober fam e& bei grieblingen jmifa^en ben beiben
Selb^erren gu einer ©d)lad)t, bie jmar unentfdjieben blieb, aber
baä franjoftfa^e £eer fo fel)r gefdjroädjt l)atte, baß Billard fid) roie*
ber über ben #tt)ein jurürfjie^en mußte. $n ben 9lieberlanben
mar unterbeffen aftarlborougf) gegen ben erfahrenen SJtorfdjaü 93ouff=
lerä im 93ortt>cil geblieben unb t>attc bie 3eftungen SBenloo unb
fiüttidj erobert.
3n 3*a^tti fam e8 im Qatjre 1702 $u feiner entfdjeibcnben
SBaffcnttjat. 3)a (£ugen bem unter Söenbome auf adjtjigtaufenb
SÖ?ann angeroadjfenen franjöfifdjen ^eere nur öierjigtaufenb üflann
gegcnüberfteüen fonnte unb feine Xruppen überbieä bei ber ®elbnott)
be3 Söiener #ofe$ an bem 9totl)n)enbigften SRangel litten, mußte er
fic| auf bie $)efenftöe befdjränfen unb falj fid) fogar außer ©tanb,
ben (Smtfafc ber Seftung SKantua burdj bie granjojen ju öerfnn*
bem. 211* jebod) SBenbome, um ifjn auS feiner unangreifbaren
Stellung bei CEurtatone ^erau^ubringen, ben $o über f djrttt unt>
©uaftalla unb ©re^cello bebrofjte, mo faiferlia^c 33efa^ungen lagen,
rüdte ber $rinj i^m fü^n entgegen unb griff il)n am 15. Muguft
in feinem 2ager bei ßujgara an. 9Zaa^ einem Reißen Kampfe,
Digitized by
188
$er fpamfäe (Srbfolgefrieg.
in meinem ba« ®rieg«glütf fidj balb auf bic eine , halb auf bie
anbere Seite neigte, fafj fidj SBenbome, trofc feiner bebeutenben
numerifdjen Ueberlegenheit, jum föütfjug hinter feine S3erfd)anäungen
genötigt.
9tt« #err be« ©chladjtfetbe« burfte Eugen fidj bie @^re be«
Siegel auftreiben ; allein an ein Verfolgen be«felben fonnte er bei
0 bem troftlofen ^uftanbe feine« $eere« nicht benfen. 211« SBenbome,
auf jeben weiteren Singriff öerjic^tenb , $u Anfang Wooember bie
Winterquartiere belogen hatte, trat ber $rtnj ben Oberbefehl an ben
(Urafen ©uibo öon ©tarhemberg ab unb eilte nach SSien , ent*
fcfiloffen, fein ®ommanbo nieberjulegen, fall« er nicht rafaje Sfbhilfe
ber unhaltbar geworbenen Sage be« £eere« erlangen fonne.
Eugen fanb in SBien nicht nur bie ginanjnoth größer, al« er
fieft gebaut , fonbem auch bie Verwaltung be« ®rieg«wefen« in
einem 3uftanbe, ber ihm bie ernfteften Veforgniffe für ben Skr*
lauf be« Kriege« einflößte. Wit bem ihm eigenen greimuth ent-
hüllte er bem ßaifer bie jahlretchen Mängel in bem #eermcfen wie
in ber ginansöerwaltung , unb biefer lieh ™fy nur feinen Reform*
öorfchlägen ein willige« Di)v, fonbern ernannte ihn felbft $um *ßräfi*
benten be« £>offrieg«rath«.
Dbgletd) e« bem ^rinjen trofc ber einftcht«bolIften unb raft*
lofeften Xhätigteit unmöglich toax, alle Mängel eine« ©uftem«, ba«
Jgahrhunberte hindurch unangefochten beftanben, mit einem ©djlage
p beseitigen, matten fidj balb bie h^ilfamen folgen ber öon ihm
eingeführten Reformen im reidjften 9Jcaße geltenb; boch war e«
bem ^rinjen junächft nid)t oergönnt, biefelben auf bem italienijchen
$rieg«fchauplafce ju öerwerthen , ba feiner eine anbere Aufgabe
harrte.
$)te ^Bemühungen ber faiferlichen Regierung , in Ungarn nicht
nur burch bic £>ebung be« Sieferbaue« unb ©ewerbe«, fonbem auch
burch ftrenge £>anbf)abung ber ©ercajtigfeit unb wachfame« Biebers
halten aller Drbnnng«ftörungen bie SEÖunben $u fytiltn, bie ber
lange , öerfjeercnbe Sfrieg bem ßanbe gefcfjlagen , ha^e unter ben
(Droßen, bie aud) jefct nodh bie Ungebunbenheit nicht aufgeben wölk
ten , an welche fie fid) währenb ber langjährigen ®rieg«wirren ge-
wöhnt, bie frühere Unjufriebenheit wieber erweeft, unb ber Surft
3ran$ ßeopolb 9t a g 0 c 5 9 , ber ©tieffohn be« in ber Verbannung
lebenben Emmerich Xöfölö , fjattt biefelbe jur Slnjettlung einer
neuen Empörung gegen ben Äaifer benu&t , bie , öon geheimen
Agenten ßubwig« XIV. eifrig gefchürt, bei ber nahezu öollftänbigen
Entblößung be« fianbe« öon faiferlidjen Xruppen immer beben!*
liefere $)tmenfionen gewann.
Xa Sftiemanb geeigneter fdjien , biefe neue ©efafjr für ba«
$aiferl)au« ju beschwören , al« Eugen , übertrug ihm Seopolb ben
Digitized by Google
2)ic brei crften #rteg3jat)re.
189
Oberbefehl über fämmtlidhe jur ^Bewältigung beS AufftanbeS oer-
fügbaren Truppen unb fanbte ihn nach $re&burg mit bem Auf-
trage, bie Qnfurgenten entweber auf bem SBege frieblidjer Untere
fmnblungen ober burd) Waffengewalt jum ©ehorfam $urüd$ufüf)ren.
(Sugen erfannte balb, bafc nur baS lefctere 2Kittel jum #tele führen
tonne, unb jögerte niajt, baSfelbe mit aller Energie $ur Anmenbung
§u bringen; aber bei ber ©eringfügigfeit ber ihm $u (Gebote ftehen-
ben 6treitfräfte unb bem gänzlichen Langel an ©elbmitteln blie-
ben feine Bemühungen jur Unterwerfung ber Aufftänbifchen erfolg^
loS, unb als er im Januar 1704 währenb ber winterlichen Waffen-
ruhe naa) Wien jurücf fehrte , um burd) feine ©egenwart bie iöor-
fe^rungen für ben Setbjug beS nädjften 3al)reS ju befajleunigen,
rief i^n ber Verlauf beS großen Kampfes um baS fpanifche (£rbe
auf ben weftlichen UfriegSfchauplafc jurüd, wo glän$enbere Lorbeeren
feiner harten.
TaS 3a^r 1703 mar nidjt allein burch ben ungarifchen Auf-
ftanb eines ber gefahrbrohenbften in ber wcd))cloollen Regierung
ßeopolbS I. geworben: auch im Kampfe gegen granfreid) fyattt
ben ^aifer üielfadjeS Stti&geidutf betroffen. sJ*ach jwei oergeblichen
Sßerfuchen, fich mit bem fturfürften oon söaiern $u oereinigen, mar
ber 2Warfchail JöiüarS, ber ben Oberbefehl im (Sljafj führte, $u An-
fang 3Jtoi $um britten 9Wale über ben dtytin gegangen unb, nad)
einem oergebliajen Angriff auf bie beutjehen Linien bei ©tollhofen,
oernüttelft eines gefchidten SftarfdjeS burch ben ©chwarjwalb unb
baS windiger Thal über Stonauefdungen bis nach Tuttlingen in
Schwaben oorgerüdt, wo ber föurfürft ihn erwartete, tiefer mar
hierauf, währenb Ottlars iöaiern bedte, in Ttyrol eingefallen unb
hatte bie wichtige Seftung &ufftein befefct; felbft bie $auptftabt
QnnSbrud fyattt ü)m om 25- 3u"i ergeben. ,8U *>er gleiten
3eit mar Söenbome, gegen welchen ©tarhemberg fich bti ^cm fr°fI=
lofen guftanbe feiner burd) junger unb ftranff)ett faft auf bie
^pälfte rebucirten Truppen nur burch feine fcltenc ÄriegSgewanbt-
heit unb ruhmwürbige AuSbauer hatte halten tonnen, oon Italien
aus in bie Gebirge beS füblichen TörolS eingebrungen, um fid) mit
bem Murfürften ju gemeinfamem Vorgehen gegen Wien \n oer-
einigen. 5)iefe Bereinigung war jwar nidjt ju Stanbe gefommen ; benn
bie treuen Ttyroler hatten fich injwifchen unter bem tapferen Sanb-
ricfjter Martin ©ter$inger $um Äampfe für ihren Sfaifer $u-
fammengefchaart unb aus allen ©a)hichten unb üon allen 5*13=
fpifcen h^rab mit ihren fixeren Äugeln unb herabgeftürjten Öaum-
ftämmen unb SelSblöden bie oorbringenben >8aiern fo erfolgreich
angegriffen, bafj ber föurfürft, ber felbft nur baburdj bem ihm oon
einem Turoler <3d)arfjchü$en jugebachten Tobe entgangen, bajj bie-
fer ben neben ihm reitenben, reifer gefleibeten (trafen Arco für
Digitized by
190
$>er fpanifäe Grbfolßefrieg.
ifm gehalten, fd)leunigft ©efefjl jum Stückig fjatte geben muffen
unb nur mit ber #alfte feine* §cere* nad) Katern aurücfgefefjrt
roar: — aber bafür Ratten bie $aiferlid)en in Saiern felbft unb
am Üitjeine empfinblidje Schläge erlitten. 3>er General Stnrum
mar am 20. September bei £>ödjftäbt bura> bie oereinigten 5ran=
^ofen unb ©aiern auf* $aupt geflogen morben; bie mistigen
Seftungen ©reifadj unb ßanbau fmtten fid) ben granjofen ergeben
muffen; SRegen*burg t)attc ber Shirfürft öon Söaiern, Wug*burg ber
fran^öpfctje Cberbefel)l*f)aber Sflarfin , ber 9ka)folger «illar* , be=
fcftt ; ja felbft ba* mistige ^ßaffau, ber Sdjlüffel $u Dberöfterreid),
mar in bie #änbe ber iöaiern gefallen.
®lücflic|er mar ber Selbjug öon 1703 für SDcarlborougf) oer*
laufen, bem feit bem Anfang be* Qaljre* ber nad& neunmonatiger
ßtieg*lmft Don bem #aifer ofjne ßöfegelb freigegebene söilleroi
gegenüberftanb. $a biefer forgfältig jebem ernften 3wfömmenfto6e
mit bem getnbe an^umeia^en futf)te, fonnte Sttarlborougt) ungern*
bert feinen geftung*frieg in ben fpanifdjen 9cieberlanben unb im
$ölnifd)en fortjefcen unb 53onn, £>uü, Himburg unb ©elbern in feine
ÖJemalt bringen, mofür ifjm bie Königin $nna ben $erjog*titel
uerliet).
Unterbeffen fwtte bie große 2lflian$ jmei neue ÖJenoffen erhal-
ten. 9cadjbem bereit* im Sommer 1702 ber $önig ^ebro 11. öon
Portugal , burtf) bie 3ufa9* ber Abtretung mehrerer ipanifdjen
Seftungen für ben (Sr^erjog $arl gemonnen, ficf) ben JÖerbünbeten
angefdjloffen , entfagte and) ber £>er$og üßictor Mmabeu* oon Sa*
um) eu , ber bura) ba* immer beutlidjer fjeroortretenbe Söeftrcbcn
Jranfreidj* , bie allein leitenbe ÜWadjt in Qtalien $u merben , feine
Selbftftänbigfeit gefä^rbet far) unb fidj überbie* burd) ßubnrig* An-
maßungen öielfad) oerlefct füllte , bem frangöftfdjen iBünbniß unb
fd)loß am 8. Wooember mit bem ftaifer einen Kilian ^ertrag , in
meinem er ficr) gegen bie Ueberlafjung be* mantuauijcqen Xfjeile*
oon Sttontferrat , fomie bie Stäbte &alen$a unb Wleffanbria jur
Stellung eine* §ilf*l)eere* oon fünfjefjntaujenb 2ttann oerpflidjtcte.
5)a ber $önig oon Portugal barauf brang, baß ber (Srjtjerjog ttarl
perfonlicr) nad) Spanien fomme, roo in^mifc^en ber ©influß, ben
ber fa)mad)e Philipp V. ber Dberlmfmeiftertn ber Königin , ber
flugen unb getftooÜen , aber t)errfa)füd}tigen ^rin$ejfin U r f i n i ,
auf alle SRegterung*augelegenf}eiten einräumte , eine große Unju--
friebenfjeit tyeröorgerufen t)atte, entfdjloß fid) ber Äaifer, menn aud)
mit fernerem Jperjen, feinen Sofm nad) Spanien ju fenben. #m
19. September 1703 oerließ $arl SBicn , um fia> ftunädtft über
jpoüanb nac^ ^nglanb ju begeben, oon mo er am 7. 3Jcarj 1704
auf ipamjctyem iöoben eintraf.
Digitized by Google
2>te Sc$lad)t bei $dctftftbt. 191
Sie mad}t bei öidiftobt.
(13. Huguft 1704.)
Ta (Sugen f(ar erfannte , baß bte öfterreidnfcbe 9ftonard)te
unb mit tfyr baS beutjdje föeicf) nur burdj bte rafd)e Befeitigung
ber ifjr öon Batern ber brotyenben ®efaf)r gerettet merben fönne,
aber für bicfe jdjroere Aufgabe, beren glücflicbe ßöfung ujm jugleicb
einen günfrigen Verlauf beS ganzen .friegeS ju verbürgen feinen,
bie fatferlid)en ©trettfräfte ntdjt für auSreicbenb erachtete, befcr)fo6
er mit guftimmung ßeopolbS, ben £)erjog öon 9)carlborougb ju er*
fudjen , mit bem grüßten X^etle feines Speeres nacfy bem oberen
Xeutfct)lanb ju jie^en , um im Vereine mit ifjm unb bem $JlavU
grafen t)on Baben bie 3ran$ojen unb Baiem ju fd)lagen unb ben
geinb über ben SRfjetn jurütf jubrängen. 3" biefem *ßlane, auf
welchen SJcartborougf) mit Begeifterung eingegangen , roeil er einen
glänjenben ©ieg, ber bem englifc^en sJcationalgefüf)l ftfuneicble, pr
Befeftigung feiner burd) baS (Smporfommen ber XorieS ins Sebtoanfen
geratenen Stellung für nötfug erachtete, gab bie Königin Mnna itjre
«jjuftimmung; audj bie (SJeneralftaaten ließen nad) einigem öögern
ben Cierjog $ief)en, roeil er fie in bem (Rauben ju erhalten gemußt,
baß eS per) nur um einen gug naa) ber s3)co)elgegenb ijanble. 9cadt>
betn er im grüf)jabr feine Xruppen bei SJtoeftricbt ^ufanimengejogen,
rücfte er rbeiuaufroärtS bis ®ob!enj unb oon ba , um ebeu)oroot)l
bie £ol!änber als bie granjojen ju tauften , mofelaufroärts bis
gegen Xrier; bann roanbte er fiä) plö^lia) nrieber nad) bem Stfyein,
übertritt benfelben am 26. 9ftai bei $oblenj unb ftanb bereits am
3. 3uni bei ßabenberg am 9cecfar.
sXn\ 10. 3u°i trafen (£ugcn unb s3JcarIborougb in 9Jftnbelf)eün
jum erften SQialc Rammen , unb roenige Mugenblidfe genügten,
5tmfdjen ben beiben größten gdbfjerren ityrer &e\t ein bauernbeS
greunbfd)aftsbanb ^ergufteQen. $5rei Sage fpäter gelten fie in
Großheppach mit bem 2ttarfgrafen Subrotg öon Baben eine Be*
ratfjung über baS gemeinfame Borgeben gegen bie Baiern unb
granjofen. @ugen unb 9ttarlborougb , bie fieb bereits ins üollftän*
bigfte einüeme^men gefegt, fugten ben äflarfgrafen $u beftimmen,
mit feiner Slrmee jur Beobachtung beS im (Slfaß fte^enben 9^ar-
l'cfjafiS Xallarb, ber bem Jhirfürftcn üon Beiern ein jroeiteS fran=
jöpfc^eS florpS jufü^ren foflte, am dltyin ju bleiben, roäfjrenb fie felbft
gegen SJcarfin unb ben Shtrfürften aufbrechen roollten, bie jruifc^en
tfautngen unb Millingen ein fefteS ßager bejogen bitten; ba jeboeb
ber Sflarfgraf burdwuS mit Sftarlborougb gegen Beiern öorgefjen
mollte, entfcblog fieb @ugen mit ebler ©elbftoerleugnung ju ber
Uebernabme ber geringeren Aufgabe , an ber ©pifce eines Dbfer^
oationSforpS ben ^b^in 5U beefen. aftarlborougb unb ber SJcarf*
Digitized by google
192
Der fpcmifäe (Sibfolgefrieg.
graf wanbten fid) hierauf gegen bie Donau, erftürmten am 2. Quli
bie $8erfd)anjungen, bie ein baierifdjeä ®orp$ unter bem (trafen
Wrco auf bem Sdjelle 11 berge bei Donauwörth errietet fyatte,
um ben SBerbünbeten ben ilebergang über bie Donau ju erfdjweren,
unb befe$ten Donauwörth. Da ber Äurfürft unb SRarfin fich jefct
in ihrem ßager bei ßauingen nicht mehr fia^er hielten, jogen fie fich
auf Slugfburg jurütf. s-8on t>icr fnüpfte ber ^urfürft mit WlaxU
borougf) llnterhanblungen an, um 3eit ft* bie Bereinigung mit
SaHarb ju gewinnen, beffen Uebergang über ben dttytin (Sugen mit
feiner geringen Druppcnmacht nid)t Ijatte öerhinbern fönnen.
Daliarb am 3. Muguft ju ihm gefto&en, wief er bie üon WlaU
borough geftellten griebenabebingungen mit .Jwhn jurücf.
Unterbeffen mar auch (Sugen, ber mit adjtjefjntaufenb 3#ann
bem Daüarb'fchen ftorpf in (Silmärfchen nachgerürft, in Donauwörth
angefommeu, unb nachbem e£ if)m unb 3)carlborough gelungen, ben
liDcarfgrafen , burd) beffen afljugro&e Bebächtigfeit fie fich beengt
füllten, jur Belagerung oon Qngolftabt $u beftimmen, brauen
Jöeibc auf, um ben geinb anzugreifen, ber bereite bie Donau über=
jehritteu unb bei bem gleden ^öchftcibt, wo im öorhergehenbeu .
3af)re bie Defterreicher unter bem (Senerat «Störum eine sJlieberlage
erlitten Ratten, Stellung genommen, &ier fam e* am 13. Muguft
1704 ju einer ber blutigften unb jugleich folgenreichen Schlachten
be£ gaujen ßriegeä.
©chon in ber frühen Sflorgenftunbe rürften bie Serbünbeten
in ber Stärfe öon jmeiunbfünfjigtaufenb Mann gegen ben fechäig=
taujenb 'Mann jählenben geinb öor, bem ein bitter Siebet ihr #eran*
nahen öerbarg. 3#arlborough führte ben linfen glügel, Sugen ben
regten; bie Reiterei bilbete baä Zentrum. 2U* um fieben Uhr
bie Sonne ben Jeebel burdjbtad), erfannten (Sugen unb SDcarlborough,
ba& ber geinb feine (Stellung trefflich gewählt hatte unb ber Sieg
für fie fein leidster fein werbe. Der rechte glügel be3 feinblichen
£eere3 unter Dallarb hatte in bem Dorfe Blinb^eim, baä Zentrum
unter iDlarfin in Ottenheim fefte Decfung; bie Stellung be* linfen
Jlügelä unter bem tfurfürften ftü&te fich auf i3ufcingen unb war
überbieä bura) 2öalb unb Üttoräfte gebedt.
Schon um neun Uhr begann bie $anonabe, bie eigentliche
Schlacht jebod) erft gegen ein Ufjr sJiachmittagä, weil (Sugen mit
bem rechten glügel einen befchwerlichen si)carjd) aufführen hatte,
ehe er in bie Schujjlinie beä geinbeä gelangte. Den .stampf er-
öffnete 2)carlborough mit einem Angriff auf bad Dorf Jölinbheim,
wo Daliarb bie ^pauptftärfe be£ franjöfifchen Speere* concentrirt
hatte. lUadibem brei mit ungeftümer Xapferfeit aufgeführte Stürme
blutig 5urücfgejd)lagen worben, warf fic^ ber £>er$og mit ber Jpaupt^
mafje (einer Regimenter gegen bad franjofifc^e Zentrum, auf wel-
Digitized by Google
$ie etyfafy bei $öd}ftfibt.
193
djem Xaüarb eine 33erftärfung oon gmötftaufenb 9Kann ju bem rech;
ten glügel herübergezogen, unb lieg ben Vingriff auf iBlinbheim nur
noch zum Steine fortfefcen. s2lber trofc ber erlittenen Schmähung
leiftete bie franjöfifc^c Äaoatterie be* (Sentrum* fo erfolgreichen
SBtberftanb, bog bie Schlachtlinie be* ^perjog« in bie äu&erfte ©e*
fa^r gerieth; fic mürbe jeboch burch mehrere Srüraifierregimenter
gerettet, bie (Sugen bem Sefctercn zu £>ilfe fanbte.
3njtt)i(chen ^attc auch (Sugen ben Singriff auf ben linfen
feinblichen glügel begonnen. Seine Stellung toar noch fchmieriger,
al* bie be* £erzog*; benn ihm gegenüber ftanbeu 2)carftn unb ber
fturfürft, unb ber Sefctere, ber bei feiner genauen ^enntniß be*
Sdjlachtfelbe* jeben HJcoraft, jeben #ügel, jebe* ®ebüfch in 33e*
rechnung jiehen fonnte, entfaltete an biefem Xage, an welchem, mic
er mohl fühlte, Me* für ihn auf bem Spiele ftanb, feine ganje
&rieg*funft uub Xapferfeit. @ine feinbliche Batterie, beren oer=
heerenbe* geuer bie Leihen Sugen* lichtete, mürbe oon ben $reufccn
im erften Anlauf genommen unb zugleich bie franjöfifche Reiterei
buref) bie faiferliche in bie glucht geflogen; allein ber rafch mit
ber Steferoc herbeigeeilte ®urfürft entriß ben Xapferen bie er=
rungenen SBortheile. &\xm jroeiten 9Me liefe (Sugen feine zurücf^
gebremgte Reiterei anförengen; allein auch bie*mal mürbe fie oon
bem $urfürften mit bebeutenben Sßerluften jurüefgemorfen. Sluch
bei einem britten Angriff brachen fich ihre Slnftrengungen an bem
fräftigen Söiberftanbe ber furfürftlichen (Sarbefaüallerte ; in Dotier
Unorbmmg midien bie #aif erliefen jurücf unb manbten fich bnx
glucht. (Sugen, ber bie gliehenben oergeben* zum Stehen ^u bringen
gefucht, fteflte fich, bem ^perjog oon SBürttemberg unb bem Prinzen
oon jpannooer bie Sorge für bie SBieberherfteüung ber Drbnung
unter ber aufgelösten Reiterei überlaffenb, an bie Spifce feine* gufc
oolf* unb ftürmte mit bemfelben auf* 9ceue gegen bie feinbliche
Schlachtlinie üor. Seine füfme Xobe*oerachtung entflammte bie
Seinigen jur äujjerften Xapferfeit, unb in furzer $eit maren ÜDtorfin
unb ber feurfürft bi* auf ttufchigen jurüefgebrängt. (Sin erneuter
ftürmifcher Angriff oertrieb fie au* ihren legten Stellungen unb
nöthigte fie, ben S^ücfjug anzutreten.
3u ber gleichen Qtit ^atte fich auc§ auf öcm linfen glügel
ber Sieg üoUftänbig auf bie Seite ber SBerbünbeten geneigt. X)a
(£ugen* (Erfolge 9Rarfin Oerhinberten, an Xallarb, ber bon 9Karl=
borough immer mehr in bie @nge getrieben roorben, S3erftärfungen
abjujenben, erla^ bie gänzlich crfcf)öpfte franjöftfc^c Reiterei einem
legten entfeheibenbe.: Angriff be* Herzog*. ®ie !öerbinbung*linie
zmifdjen ben Dörfern mürbe oon ben (Snglänbern befefct unb
Xallarb felbft, al* er fich gegen iöliubheim burchz Umlagen fuchte,
gefangen genommen. X)ie zerfprengten üeberrefte feine* Äoro*
$olÄ»art$, SBeltgeföi^te. VI. 13
Digitized by Google
194
2>er fpantfdje ©rbfolgefrteg
toanbten fid) jur gluckt. 9cur jehntaufenb in SBIinbheim oerfdjanjte
Sranjoicn festen, 3Jcarlborough* flufforberung jur Kapitulation
äurücftücifenb, nod) eine 3eitlang ben Kampf fort, bi* bie ein*
brecheube ftadjt unb ihre üollftänbige Erfchöpfung fic fangen, fid)
gefangen ju geben.
$er blutige Xag ^atte auf beiben Seiten fdjtoere Opfer ge=
foftet. $er Sßertuft ber Skrbünbeten an lobten unb Serrounbeten
betrug nahezu ätoblftaufenb 9)tonn ; Don ben ©aiern unb granjojen
waren jtt)anjigtaufenb SKann gefaflen unb fünfjchntaufenb in ©e*
fangenjdmft geraten. Sn bem feinblichen Üager fanben bie (Sieger,
au&er ber reichgefüllten Kriegafaffe, einhunbertftebjehn Kanonen, ein=
Imnbertfiebenunbjtoanjig 2)corjer, einhunbertneununbätoanjig Sahnen,
eiiü)unberteinunbfiebäig Stanbarten, breitaufenbfec^S^unbert 3elte unb
fünftauienbbreitjunbert Söagen mit Öcbenämitteln unb ftriegäbebarf.
$er Sieg bei $öchftäbt rettete bie bfterreidnfche 9Jconardne,
inbem er nid)t nur bie ©efa^r befeitigte, bie berjelben bon Söeften
her gebrofjt, fonbern auch bem Cfufftottb ber Ungarn mit ber ent*
fchnmubenen sJlu£fidjt auf Unterftüfcungen oon Seiten granfreich* bie
Spi$e abbrach- $>er fyodjerfreute Kaifer brütfte bem ^rinjen Eugen
in einem äußerft fmlbüollen Schreiben feinen tiefgefühlten $ant au*
unb erhob beffen ^ßalaft ju SBien jum priöilegirten abeligen grei-
häufe, ba* für enrige Qtittn oon jeber Jöeftcuerung, Einquartierung
ober jonjtigen iöelaftung befreit fein foUe ; ben £>er$og oon sMavU
borough ernannte er jum dürften be* ^eiligen römijd^cn deiche*.
9cad) ber Schlacht bei £>öchftäbt machte Eugen bem Kurfürften
oon Baiern bie oorttjeiltjafteften s2lnerbietungen, um ilm auf bie
Seite be* Kaifer* ju jieljen; benn er achtete bie Xapf erfeit feines
alten SBaffengefäfyrten unb oerfannte bie ^ortfyeile nicht, bie ber
VlnfdjiuB Baiern* an bie N2lllian$ für Cefterreid) Ijaben tonnte ; allein
ber Kurfürft 50g bie 3ujagen £ubtoig* ber Hoffnung auf Ücopolb*
(#nabe oor unb folgte, nadjbem er feiner (Gemahlin bie 33ertoaltung
s43aiern* übertragen, bem gänzlich entmutigten Sftarfin mit ben
Xrümmern be* franjöfifchen Speere* über ben Ütfjcin, um fich oon
bort al* fpanifc^^franjöfifc^er Statthalter nach Trüffel ju begeben.
Sein Sanb mürbe in Solge eine* am 22. 9cooember 1704 $u 3lber*-
l)eim jtoifchen ber Kurfürftin unb bem römifchen König Qofeph ge*
troffenen Slbfommen*, fraft beffen ber Erfteren nur bie Stabt unb
ba* Rentamt München oerbleiben follte, oon ben Kaiferlidjen befeft
unb erhielt einen öfterreichiiehen Statthalter, 3$on ben baierifd)en
Xruppen trat ber größte Ifyzil in faiferliche Xicnftc.
Qnjmifchen maren Eugen unb SHarlborough mit bem $JlaxV
grafen oon Öaben, ber auf Eugen* SBunfch bie Belagerung oon
3ngolftabt in eine einfache $3lorfabe oerroanbelt hatte, an ben föhetn
gebogen, roo £anbau am 24. Stoüember jurüeferobert mürbe.
Digitized by Google
$ie beiben crftcn 9tegierung«jaf)re ^ofepljS L
SBäfjrenb 9flarlborougf) ^ierauf bic gransofen au3 bcn 2Kofel*
gegenben oertrieb unb Xrtcr unb Drarbad) * befefcte, feierte Sugen
nad) Skiern jurütf, um bcn Vertrag üon ^Ibersheim jur sllu&
fü^rung ju bringen, ftadjbem bie* gefdjehen unb er ben fönig*
liefen Veamten auf baä Dringenbftc Sdjonung beä erfdjbpften unb
erbitterten Volfeä anempfohlen, begab er fid) im Dezember 1704
nad) SSien, um mit bem ftaifer für ben näd)ftjäl)rigen gelbjug bie
nötigen Vereinbarungen ju treffen, gür £ubnüg XIV.r bem feit
bem Xage oon pdtftäbt baö ®lütf cntfdncben ben dürfen getoanbi,
begann je&t eine faft ununterbroajene fRet^e oon UuglürfafäUeu unb
Demütigungen.
Die beiben erften Wegicrungeja^re 3ofcpf)ä L
(1705 unb 1706.)
Der Sieg bei ^>öc^ftöbt mar ber lefcte fiidjtblid in bem med)*
jclooUen, melbetoegten Leben fieopolba I. ©djon feit längerer $tit
Ratten fid) bei ihm bie Vorboten ber Vrufttoafferfudjt eingeteilt,
unb im Srühjahr 1705 oerfünbete eine rafdje Slbnahme ber ftbrper-
fräfte bie bem Leben be$ ®aifer£ brohenbe (Gefahr. 2lm 28. v2lpril
übergab Leopolb bie güfjrung ber 9tegierung3gefd)äfte feinem Sohn
3ofepf), um fid) au^fc^liegltc^ ber Vorbereitung auf ben Xob l)inju=
geben. SIm 5. Sflai empfing er jum lefcten Sftale mit tiefer s2ln*
baa^t unb Demutf) bie ^eilige Kommunion, nadjbem ba3 heilige
yfteöopfer in feinem Limmer gefeiert morben. Dann nahm er s2lb*
fdneb oon feiner (Gemahlin Eleonore, empfahl feinem Sohne 3o-
jeph in mannen SBorten treuem gehalten an ber geredeten Sadje
feinet in Spanien tömpfenben Vruber» Marl unb erteilte ihm,
fomie fämmtlidjen Üttitgliebern ber faiferlidjen gamilie, aud) feinem
Neffen, bem jungen Jperjog Qofeph oon Lothringen, feinen üäter-
Itajen Segen. 9lad)bem ihm bie lefcte Delung gefpenbet morben,
ließ er fid) baä ®ru$iftr, reiben, Oon meldjem fein ©rofjoater gerbi*
nanb einft bie 3ula9e oernommen $u ^ben geglaubt: „gerbinanb,
idj nntt biet) nicht oerläffen," unb umfaßte e3 mit bem 2lu*rufe:
„Von Dir fyabt idj Sceptcr unb Äroue empfangen ; ju Deinen güfjen
lege fte ^eute miflig nieber!" ©leid) barauf öerfdneb er mit ben
^Sorten beä fterbenben (£rlö)er$ : „(5& ift oollbradjt; in Deine £>änbe
empfehle idj meinen GJeift."
LeopolbS fiebenunboterjigjäl)rige Regierung, bic in bem Jpaufe
Defterreidj an Länge nur oon ber griebrid)S III. übertroffen roor*
ben, mar an grofjen Xfyattn unb (Sxeigniffen eine ber reichten.
„Obwohl er hierbei", fagt&. 51. Üttenael, „feine glän$enben £errjcher*
13*
Digitized by Google
196
3>er fpanifche drbfolgerricg.
gaben jur 2lnfchauung gebracht unb bic ^cadjroelt ben (Sbreunamcn
be3 (großen , welcher Oon ©chriftfteflern fetner unb ber nächften
Qcit ihm beigelegt mürbe, mit ihrem höheren 9Jcaßftabe für gürften*
große nicht übereinftimmenb gefunben bat, jo ift bodj bie oon ihm
gemähte unb beharrlich feftgehaltene ^olitif al£ ber redete SBeg
Defterreichä auch im meiteren gortfehritte erprobt morben , unb
feiner (rmfiebt unb geftigfeit in beren Bcftimmung , feiner ftanb-
haften l}lu£bauer in gefaßten Grntfdjtüffen unb feiner Unoerjagtheit
in jeglichem ÜJcißgefcbicf fann ohne Ungerecbtigfeit it>r 2Bertb unb
ihr großer s2lntbeil an bem, ma3 Oeftcrreid) beute in Europa be-
beutet, nicht abgesprochen merben."
Lcopolbä Nachfolger , ber ftebenunbämanjigjä'hrige Qofepb I-(
mar ein jugenblich frifeber, ftattlicher gürft oon regem, ^oa^ftreben=
bem (Reifte, eine rjeitere r moblmoflcnbc , prunflicbcube Natur, ein
greunb ritterlicher Uebungen unb ber 3agb mit Leibenfchaft er=
geben. SWit einer Soften Borftellung oon feinem Ncgentenberufc
oerbaub er ein nicht minber flare* Bemußtfein ber if}m fclbft
barauS ermachfenben ^ßfli*ct>tcn , sugleicb aber auch einen ungleich
ftärferen .pang $u ftaatlicbem ÄbfolutiSmu« , al$ Leopolb L , meß-
I^alb auch fein Berhältniß jitr Siraje häufig ein getrübte« mar.
Much ohne bie bringenbe Mahnung feine« fterbenben Bater« mürbe
er ben Srieg gegen granfreich im Qntereffe ieine« ©rubere mit
aller ©ntfehiebenheit fortgelegt haben ; benn er empfanb gegen
Lubmig XIV. eine noch ungleich tiefere Abneigung, al« Leopolb.
Snbeffen öcrlief Qofepb« erfte« 9iegicrung«jabr ohne bebeu*
tenbe friegerifche (Sreigniffe. 3n 3talien , wohin (Sugen fchon im
Mpril jurüdgefehrt mar, ftanb noch immer Benbome mit überlegener
sJJtod)t; bennoch gelang e« bem s4kiu$en burch lleberliftung be«
geinbe«, ben Dglio 31t überjehreiten. Um einen Uebergaug über bie
2lbba (@tjch) §u erjmingen, griff er am 18. s21ugitft ein franjüfifcbe« tforp«
bei (E a f f a tt 0 an ; er mußte jeboef), ba Benbome felbft jur Unter-
ftüftung be«felben herbeigeeilt mar, nach einem mehrftüubigen Kampfe,
in melchem ber neunzehnjährige hclbenmüthige .per^og 3°)eob
Lothringen töbtlich üermunbet mürbe , ben tftücfsug antreten , ben
ber geinb nicht ju ftören magte.
gaft ju berfclben Qcit , wie (£ugen in Italien , mar iUcarl^
borough am 9thetn eingetroffen, um nach ber Bereinigung mit bem
9teich«f)eere 8c8cn ocu aw Der sJ^ofcl ftehenben 2Jcarfchaü Biliar«
vorzugeben unb ben Stieg nach granfreich felbft hinüber ju tra=
gen; allein ber SDcarfgraf Oon Baben zögerte mit bem Aufbruch
fo lange , baß SOcarlborough fich jur Nücffebr nach ocn 9cieberlan=
ben entfchließen mußte, mo unterbeffen Billeroi unb ber töurfürft
von Baiern bie Belagerung oon Lüttich begonnen hatten. Söäbrenb
er hier bie granjofen über bie Xule $urücfmarf , nahm Biliar«,
Digitized by Google
SHc bctbcn crfteu SRegterungfjahre 3ofepf)3 I. 197
ber gegen baf Keine SReic&äfyeer ein leichtcf Spiel fyatte , Saar^
brücfen unb $rier nnb üertricb , nadjbem er fich mit Üftarfin öer-
einigt, am 4. 3uli baf föetd^fjeer auch auf feinen ßinicn bei
SBeiBenburg.
Unterbeffen berrfcbte in SBaiern, mo troft ber ernften 9#a()=
nungen (Tugend bte öftenreichifchen Beamten mit äußerfter SBillfür
unb £mrte auftraten, eine bumpfe (Währung, unb im Cftober 1705
machte fich bie allgemeine (Erbitterung gegen bie Rrembfjerrfdjaft
in einem offenen 9Iufftanbe fiuft. 3n großen ©paaren rotteten
ficf} bie Säuern $u)ammen, griffen einzelne öfterreidjifche ^ecrfjaufcn
an , um ihnen bie aufgehobene junge 9ftannfd)aft roieber ju ent*
reißen , fangen mehrere feften 93läjje jur Ergebung unb brangen
in ber Starte üon breißigtaufenb Sftann unter ber Sührung ^meier
Stubenten auf ^ngolftabt, e i n b l unb *ß 1 1 n g a n f e r , gegen
SJcünehen üor. $cr faiferlidje Statthalter fah fic§ ju Unterhanb*
lungen mit Urnen genötigt unb erlangte ben ?lbfd)Iu& einef SSaffen=
ftiflftaubef , mäbrcnb beffen e£ ben Defteweidjem gelang, üon üer=
idjiebcnen Seiten föeidjftruppen ^rbei^ujie^en, mit beren $>ilfe ber
v}{ufftanb, ber ohnehin buref) Uneinigfeit unb Herrath an innerer
äraft üerloren , im Januar 1706 bemäftigt mürbe. SJceinbl unb
<ßlinganfer retteten fich burch bie 3lud)t; üon beu übrigen Häup-
tern bef Slufftanbef mürben mehrere Eingerichtet.
Obgleich ber lurfürft erflärte, ba& er an bem Mufftanb feiner=
lei Sintbert gehabt unb benfelben üon Anfang an mißbilligt fyabt,
fprad) ber ®aifer über ifm unb feinen ©ruber, ben föurfürften
3ofeph (Siemens üon Äöln , am 29. Slprtl 1706 mit 3uftimmung
bef $urfürften=$otlegiumf bie föeicfjäadjt auf, burch meiere SBeibe
aller ihrer 9teef)te, (Ehren, Remter, Sanbe unb Seute oerluftig er*
Hart mürben. $ie Söhne bef lurfürften üon Saiem ließ Qo=
fe^h I. nach Itagenfurt bringen, mo fie unter bem tarnen Orafcn
üon SBittelfbach erlogen mürben, ©atern felbft mürbe serftücfelt.
$ie Cberpfalj mit bem (Srjtruchieffenamt erhielt ber ®urfürft Qo^
bann Söilhelm bon ber $falj jurücf, mogegen baf für baf für*
pfäl$i)che §auf gefdjaffene (Er$}cha&meifteramt an <pannooer über*
ging. Xonaumörth mürbe mieber freie SReufjf ftabt ; einige ®ebietf*
ftriche öon SBaiern erhielten bie 9ieicf)fftäbte Ulm unb Slugfburg
alf (Entfchäbigung für bie burch beu fturfürften erlittenen Sßerlufte;
ein aufgebehnter Sejirf $mifchen ^affau unb Salzburg mürbe ju
bem öfterreiefufchen Eanbe ob ber (Snf gcfchlagen. $ie in ein
fteichffurftenthum üermanbelte £jerrftf)aft 9#inbelhetm fcheufte ber
Äaifer bem £er$og üon sJtfarlborough.
3n$mifchen hatten fich auch in Spanien, mo ber ®rieg feit
1702 mit abmechieinbem Öilücfe geführt morben , bie SBcrhältniffe
für bte ©erbünbeten günftig geftaltet. ^achbem ber (Srjherjog
Digitized by
198 $cr fpanifäe ©rbfolßcfricg.
£arl im 3ar)re 1704 öon Portugal auä , mo er feine Sanbung
beroerffteffigt, an ber ©pifce eine« englifcHoHänbifäcn Jpecrc« unb
öon einem portugteftfehen £ilf3f)eere begleitet, in (Spanien einge*
rücft mar nnb bie bereinigte engtifa>f)oflänbifd)e giotte am 4. Stuguft
1704 ©tbraltar ^inmeggenommen nnb im folgenben 3ah™
auch Barcelona jur Ergebung gelungen, Ratten fich Katalonien,
Valencia unb Slragonien für ihn erflärt unb ilm als 8axl III.
jum $önig aufgerufen. 3m Quni 1706 rücften ein portugiefifcheS
unb ein englifdjeS #eer fogar in 9Jcabrib ein, nachbem Wüpp V.,
ber bei ber vergeblichen Belagerung öon Barcelona faft fein ganjeS
£>eer eingebüßt, mit bem £ofe nach BurgoS entflohen mar; ba je=
boer) bie (Eilboten, mclcrje bie Heerführer ber Berbünbeten an ben
bei ©aragoffa ftehenben ®arl III. entfanbt, um tl)n einjulaben,
fchleumgft mit feinem £eere naef) ber $muptftabt ju fommen , öon
ben Spaniern aufgefangen mürben unb e$ ben granjofen gelang,
ben enblict) ^eranrüefenben Ätinig unb ben ihm entgegengejogenen
portugiefifc^en £>eerfüf)rer«öon ber £>auptftabt ab^ufdmeiben , tonnte
$f)tfipp V. im ©eptember mieber nach SDcabrib jurüeff ehren.
3n ben Sftteberlanben ^atte unterbefjen Sttarlborough am
23. 9Jlai 1706 bei bem $orfe SRamillieS, fübltcr) öon Sömen,
über Biüeroi einen ©ieg erfochten, ber für bie Sranjofen ben Ber*
luft be£ größten ZfyciUZ ber 9tieberlanbe jur Jolge hatte. 28äl)*
renb ber gefchlagene Btlleroi fiel) mit bem ®urfürften öon Batern
bis hinter bie ©chelbe jurücf jog , jmang 2Jcarlborough fammtlicrje
©täbte öon Brabant unb Jlanbern, ftarl III. als ifjrem itonbeS*
herrn ju f^ulbigcn , unb fefcte tu beffen Hainen ju Brüffel einen
©taatSrath ein.
Die Sdjladjt bei 2urin.
(7. ©eptember 1706.)
9cict)t minber cjlücfttct) als in ben 9cieberlanben öerlief für bie
Berbünbctcn ber Selbjug beS 3af>reS 1706 in Statten. (Sugen,
ber ben SBinter in SSien jugebraa^t , r)attc , nachbem er im s2lpril
auf ben italienifdjen ftriegSfchauplafc jurüefgefehrt , nach Ucbemrin*
bung jat)Hofer ©chtmerigfetten feine Xruppen in ber ÖJegenb öon
Bcrona jufammengcjogen , mo er bie im ?lnjuge begriffenen Ber=
ftärfungen aus bem SReich ju ermarten gebachte. 9llS er jeboch bie
Nachricht erhielt, baß ber ^er^og be la Jeuillabc, melchen fiubmig
mit einem fetten £eere nach ^iemont gefanbt , am 26. Üflai bie
Belagerung öon Xurin begonnen , baS bem £>erjog öon ©aooöcn
öon allen feinen ©täbtett allein noch geblieben mar , brach er fo*
Digitized by Google
$te Sd)[ad)t bei Turin.
199
gleid) oon Verona auf , um feinem fdjtoerbebrängten Setter ju
£>ilfe ju eilen , ber fid) , bie SBertljeibigung feiner ."pauptftabt bem
faiferlitffen gelbmarfdjaH $5aun überlaffenb, mit feinem £>eere nad)
Äfri jurücfgejogen. £a e3 für (Sugen feinem 3^cifet unterlag, bog
ber ifym mit einer ungteid) größeren ^ruppenjaf)! gegenüber*
ftefjenbe SBenbome 2llle3 aufbieten toerbe, um ben $urd)brud) ber
Saiferliajen ju üerfjinbern , fudjte er ifjn über ben $untt ju
tauften , an meinem er feinen Uebergang über bie (Stfd) 511 be=
roerfftelligen gebaute, unb bie« gelang ü)m aud) fo gut, baß er
nidjt nur bei SBabia ungefjinbcrt bie (Stfct) überfdjreiten, fonbern aud)
feinen Uebergang über ben $0 ooffjie^en fonnte, efje bie Snmsofen,
bie ifjn an ber oberen (Stfa) ertoartet, geit fanben, ifjm i^re Streik
fräfte entgegen $u toerfen. 3m ©egriffc, mit bem Aufgebote feiner
ganzen 2Jkd)t bem unauföaltfam üorbringenben (Sugen entgegen ju
treten, mürbe SBenbome au« Italien abberufen, um in ben 9itcber=
ianben, mo ben Qntereffen 3ranfreid)3 bie größere ®efaf)r ju brofjen
freien , an 93ifleroi'§ ©teile ben Dberbefefjl $u übernehmen. 3«
(einem 9tad)folger r)attc fiubtoig feinen wuber, ben .£>erjog ^l)iüpp
Don Orleans, ernannt, bem ber StfarfdmH 9flarfin als föatijgeber
beigegeben toorben.
Unterbeffen r)atte (£ugen mit füljner ©ntfdjloffenljeit feinen
3ug fortgefefct, obgleich bie ©efafyren unb $öefd)toerben bcäfelbeu
fid) täglia) mehrten. $ie glüfyenbe .«pi^e berurfadjte heftige ®ranf;
Reiten unter ben raftloä ba^ineilenben Xruppen. Brunnen unb
Duellen maren oerfiegt; oiele ©olbaten blieben öerfajmadjtet auf
ber Straße liegen; anbete ftürjten mäfjrenb beä sJ#arfd)e£ tobt
nieber. £a baä £eer fidj auf feine toofjl öerfeljenen 3eftungen
frühen fonnte , fehlte eä bemfelben bei feinem raffen SSorbringen
balb audj an ben nötigen Sebenämitteln ; bennodj ^iett ber ^ßrinj
bie frrengfte 9J?ann3$ud)t aufregt unb bulbete keinerlei ^lünbc-
rung , um feinen an üflüfyen unb ökfafjren ofynefjin überreifen
SJiarfd? nidjt burdj eine feinblid)e ÖJefinnung ber SBeoötferung nod)
mein* erfdjtoert 5U fcr)cn. SBon einem jafylreidjen feinblidjen Speere
balb im SRüden , balb in ber glanfe bebrofjt , rüdfte er burdj baä
©ebict oon $arma gegen ^iacenja oor unb gelangte , ba ber
$erjog oon Crlean3 üerfäumt t)atte , ben (Sngpafj oon ©trabella
ju befefcen , am 31. s2(uguft in bie Sftäfje oon Mfti. 3lm folgen^
ben Xage ftie&en feine Xruppen ju benen beä ^er^og» oon ©a-
ootjen.
$a ba« oereinigte faoooifaj-faiferlife £>eer nur breißigtaufenb
Üttann jäljlte, toünfdjte ber £erjog oon DrteanS, bemfelben in offenem
Selbe eine ©d)lad)t ju liefern , bereu ?lu3gahg ifmt bei feiner be-
beutenb ftärferen Xruppeujaljl nid)t jmeifel^aft fdjien ; allein
3^arfin , beffen Energie feit feinem 2lufbrua)e nad) Italien burf
Digitized by
200
$er fpanifdje Grbfolgcfrieg.
eine büftcre Xobeäahnung gelahmt mar, erflärte fich bagegen, unb
ba ba3 Uebergemicht feines $lntehena bie übrigen (Generale mit fort*
riß, mürbe ber Bcfchluß gefaßt, ben geinb in ben SBcrfchanjungen
öon Xurin §n ermarten.
SBährenb bie granjofen bie SBelagerungSarbeiten fortfefcten
unb immer neue ©efeftigung^roerfe in ihrem £ager Ijerridjteten,
gingen bie $erbünbetcu über ben $o unb nahmen jmifchen ber Stura
unb ber $ora Stellung, ba ^ier bie feinblichen SBerfdjanjungen am
fchmächften fchienen. §n ber grühe beä 7. September öerließen
fie ihr £ager, um jum Angriff gegen biefelben öor$ugehen, unb trofc
be$ mörberifchen geuer3, mit meldjem fie öon ben granjofen em*
pfangen mürben, Ratten fie in furjer Qcxt auch ihre <&efchüfce in
Batterien aufgepflanzt. @3 entfpann fich hierauf eine jmetftünbige
große ^Irtillcriefc^tac^t, in melier bie ® aiferlichen, ba fie bem burdj
feine 93er f chanjungen gebceften geinb ohne Schufcmehr gegenüber
ftanben, empfinbtiche SBerlufte erlitten.
Unterbcffen mar bie Scftladjtlinic ber Skrbünbeten formirt
morben, unb nachbem baS Seichen jutn Angriff erfolgt mar, rütfte
suerft ber linfe glügel, beftefjcnb auä ben ®renabierbrigaben ber
öerfdncbenen föeid^ccntingente unb ben Greußen unter bem tapferen
gürften £copolb öou $effau, bem nadnnalä fo berühmt gemor=
benen „alten £5effauer" — öon (Sugen nur ber „ Bullenbeißer *
genannt — , junt ©türme öor. Unbeirrt bureb, ba3 furchtbare
geuer be£ geinbeä brangen bie tapferen Scfmaren, ohne felbft
einen Schuß 511 thun, bte in bie 9cähe ber franzöfifchen $er*
fchanzungen öor; fner mürbe jebodj ber feinbliche Kugelregen fo
bid)t, bafi fie ^urücfmia^en. Um ihnen üuft gu machen, lieft (Jugen,
ber fich unb bem $>er$og öon Saüotyen ben allgemeinen Cberbe--
fel)l öorbehalten, auch ba* auä bem faiferlichen gußöolf gebtlbete
Zentrum unb ben regten glügel, ber f)auptfäd)lidj au3 ^faljern
unb Sachfen beftanb, fofort jum Angriff öorgeljen. Nachbem
längere Seit öon beiben Seiten mit gleich großer Xapf erfeit unb
WuSbauer gefämpft morben, fprengte (£ugcu, um eine rafdjere (Snt=
fdjeibung herbeizuführen, nach bem linfen glügel, ftellte fich an bie
Spifce ber Greußen unb führte fie $um Sturme gegen bie 3kr=
fchanjungen. $3egeiftert burdj bie ihnen gemorbene s2lu»jeichnung,
warfen fie fich, wlt fühner Stobeäöerachtung bem geliebten gührer
folgenb, in ben bichteften Kugelhagel, frürmten über bie SSaÜgräben
meg ben SBerfchanjungen ju unb erftiegen biefelben. 3m blutigen
.V>anbgemenge mürbe bem ^rinjen baS ^ßferb unter bem £eibe er*
jehoffen ; boch augenblicflich fich crljebenb, rief er feinen erjehroefenen
Kriegern aufteile fein „Bormärtä!" 51t unb trieb fie an $u neuem
blutigen fingen.
5öährenb bie Greußen auf (SugenS Ü8efcl)l bie erftürmten
Digitized by Google
3>ie @#Iacf)t bei Turin.
201
fernblieben SBerfc bemolirten, brang audj ber ^rinj oon SBürttem*
berg mit feinen ©renabteren in bie SBerfdjanjungen ein, unb ju
ber gleiten Qeit entfdjieb fidj im (Sentrum, too $f)ÜiPP bon
Orleans unb Üttarfin bem §erjog Don Saöoöen gegenüberftanben,
ber #ampf ebenfalls jum SBortfjeil ber Serbünbeten. 9cad)bem
SJcarftn $u Dobe getroffen unb aud) ber £>er$og oon Orleans lahmer
x>ertr»unbet roorben, gelang es ben $aiferli$en, bie feinblict)cu #er*
iefianjungen ju erfteigen unb in benfelben fefte Stellung ju nehmen.
9cur auf bem regten glügcl fdjroanfte nodj bie ©ntjdjetbung. 9kd)
einem jmetftünbigen feigen Kampfe mar es jtuar bem 9$rin$en
t)on Sadjfen*©otfm gelungen, ficr) ber franjöfifdjen $Berfa)an$ungen
$u bemad)tigen; aber ber rafd) gefammelte geinb ftanb auf bem
fünfte, Ujn mieber auS benfelben äurüdjubrängen. 55a fprengte
Chigen an ber Spifce ber gnfanterie auf bie ftürmijd) t)eranbringen=
ben granjofen ein unb ttmrf fte nad) turpem Kampfe surutf. Die
Sfteberlage ber granjofen mar eine oollftänbige ; nadj aßen tility
hingen f)in ftoben ir)re aufgelösten Regimenter auSeinanbcr, iljr
ganjeS SBelagerungSgefdjüfc — ameüjunbertbretje^n Stürf — mit allen
SDfanitionSöorrätljen, baruuter über aa)täigtaujcnb gäffer ^ufoer,
fott»ie breitaufenb ^ferbe unb ir)re reidj gefüllte SriegSfaffe ben
Siegern jurürflaffenb.
Da ber £>er$og öon Orleans in Sßtgnerol, tuofjin er fict) mit
ben Xrümmern feines geflogenen £cereS ^urücfgejogen r)attef feiner*
lei SBorrätfje fanb unb feine Druppen ooüftänbig entmutigt maren,
trat er ben SRütfjüg nadj granfreid) an. So tonnte ber ^erjog
oon Saoouen fein ßanb ofme Scfyroertftreidj nüeber in 93efifc nc^
men, tuäfjrenb @ugen, unter 3uru^^affun9 ObferoationSforpS
öon jmölftaufenb äRann an ber fran$öfifd)en (Brenge, jur iBertreu
bung ber gran^ofen aus 9Railanb unb ben übrigen nodj oon ifmen
nefe|ten Heineren geftungen aufbrad). 2öie im Driumpljc burdj*
50g er ben Horben QtalienS, beffen Stäbte ifjm meift freiwillig
ir)rc Dfjore öffneten, unb fuelt am 26. September feinen (Sinzig
in üftatlanb, wo er mit begeifterten 3urufen a^ &er „93cf reter
3talienS uom franjüfifdjen 3od)" begrübt mürbe, ®aifer Qofepf)
uberfanbte ifnu als 3«^cn feiner Daufbarfeit einen präd)tigen,
reidj mit Diamanten befefcten Degen unb ernannte il)it jum Statt*
t)alter oon SDcailanb. s2lud) aus (Smglanb, $>ollanb unb bem beut-
fdjen SReidje erfjielt ber Sßrinj jafylreidje Söemeifc ber f)ödjften "än-
erfennung unb SBerefjrung. So üermadjte tf>m eine unoerfjeiratfjete
englifdje Dame auf iljrem Sterbebette jroeitaufenb ^ßfunb Sterling
mit bem SluSbrud beS ©ebauernS, „bem Sieger oon Durin nirfjt
baS ^unbertfaa^e fjinterlaffen ju fönnen", unb ein ©ärtner in
ßonbon bebaute it)n in feinem Deftamente mit Rimbert $funb, ber
^älfte feines Vermögens.
Digitized by Google
202
3>er fpanifdje (grbfolgefrieg.
21m 13. SWarj 1707 f^tog (£ugen ju üttailanb im dornen
® arls III. öon ©panieu mit bem *öeöoümäd)tigten Sranfreic^^
einen ©ertrag, bie fogenannte „®eneralfapitulation", morin 2ub*
ttrig XIV. gegen bie ®eftattung beS freien 2lb$ugS ber franjöfifchen
93cfa0ungStruppen bie unöerjüglidje Räumung QtalienS jnfagte unb
^ugleic^ öerfprach, mährenb ber $auer beS IftiegeS fein #eer mehr
borten ju Riefen.
$er franaöfifdje (ginflufj in Stalten ttmrbe öoüftänbig befeitigt
bnrdj bie Eroberung öon Neapel, mit melier (Sugen ben tylbtn*
müßigen ©ertheibiger öon Xurin, ben (trafen $aun, beauftragt
hatte. 2öie in ber ßombarbei, fo mürben auch ^ier bie faiferlichen
iruppen ton bem SBotfc mit 3ubel empfangen. (Sin Stufftanb in
Neapel nötigte am 7. 3nni 1707 ben ©icefönig jur glucht, unb
balb mar baS ganje ßanb für ®arl III. gewonnen.
©inen anbem SluSgang, als baS Unternehmen gegen Neapel,
hatte ber auf baS ©erlangen ber ©eemächte im 3uti 1707 öon
(£ugen unb bem $>er$og öon ©aöoüen $um Qmdt ber Eroberung
öon % o u l o n ausgeführte ßug in baS fübtiche Sranfretch. Obgleich
bie ©tabt öon ber ©eefeite burd) bie englifch-hollänbifche Siotte
unb öon ber ßanbfeite burd) bie faiferlichen unb faöoöifchen Xrup=
pen öoUftänbig cingefchloffen mürbe, fcheiterte baS Unternehmen, öon
meinem <£ugen in richtiger SBürbigung ber bamit öerbunbenen
©chmicrigfeiten gleich öon Anfang an abgeraten, an ber Ueberlegem
fjeit beS öon ßubmig jum (Sntfafce öon Xoulon entfanbten Speeres
unb an bem SJtonget an 3ufuhren für bie ©elagerungStruppen.
3n ber Wacht $um 12. Sluguft trat (Sugen in aller ©tifle ben 9tücf=
gug an, auf meinem er burch meifterhaft ausgeführte SMrfche bie
tfjn öerfolgenben granjofen fo ju tauften mußte, baß er ofme
nennenSmerthe ©inbufje am 30. Sluguft mieber an bem ÖJrenjfluffe
Söar anlangte. Sn^ffen blieb baS fehlgefdjlagene Unternehmen nicht
ganj of)nc Söortheil für bie SBerbünbeten, inbem eS bem $rin$en
auf bem SRücfjuge gelang, bie öon ben granjofen noch befefcte mich1
tige Seftung ©ufa, ben ©djlüffel ju Sßiemont öon granfretd» aus,
$ur (Ergebung ju gmingen.
gür baS beutfdje fReid) hotte baS ®riegSjahr 1707 unter
menig günftigen s#uSfichten begonnen. Sin bie ©teile beS am 4.
Qanuar 1707 im Hilter öon jmeiuubfünfjig 3ahren öerftorbenen
Sflarfgrafen ßubmig öon SBaben mar ber Sttarfgraf ©hnftian ®rnft
öon iüatreuth, ein bereits betagter, fränflicher unb unentjchloffener
ättann, getreten, ber eS in feiner SBeife mit bem im @lfa& fielen*
ben üJtorfdjaU SSiöarS aufnehmen fonnte. ©o mar eS biefem ohne
DJiühe gelungen, im SWai über ben Othein ju gehen unb fich ber
©totlhofener fiinien ju bemächtigen, morauf er unter furchtbaren
©ranbfchafcungen bis granfen unb ©a)maben öorgebrungen. 93om
Digitized by Google
$ie Scf)lnd)ten bei Oubenarbe unb bei Sftalplaquet.
203
ganjen SReidje mit SBormürfen überhäuft, legte ber Üftarfgraf beu
Cberbefefjl nieber, unb unter feinem 9lad)folger, bem ungleich tüfy
tigeren unb tätigeren ®urfürften ©eorg öubmig üon $annooer,
nahmen bie $)inge eine anbere Söenbung. 9iad)bem berfelbe bem
gan^lict) öermaljrloften Suftanbe ber 9leta)äarmee ein (Snbe gemacht,
traf er fo euergifdje Sßorfefyrungen jur Vertreibung ber gronjofen
auä ben bon itmen befefcten ©ebieten, bajj SBiHara, in beffen £eer
ftet) ein empfinblitfjer 9Wangel eingeteilt, eä oorjog, of)ne ©djmert-
frreia) über ben SR^ein jurücfjnfe^ren.
Sic ®d)lad)ten bei Oubenarbe (11. 3uti 1708) unb bei
äRaWaquet (11. ®e*t. 1709).
Sei ber ungünftigen Beübung, mefdje bte Xinge für granf*
reief) genommen, unb ber gänjlid&en ©rfdjöpfung feine* fianbe*
fjatte ihtbnrig bie Unmöglidjfett erfannt, bte gefammte fpanifdje
9ttonard)ie ju behaupten, unb geigte fid) bafjer geneigt, ben grie»
ben burd) große gugeftönbuiffe ju erfaufen ; ba jeboe^ feine Gegner
fidj auf feinertet griebenSunterfanblungen einlaffen wollten, fo lange
er fidj nic§t jur 23eräid)tleiftung auf ba3 gefammte fpanifdje ©rbc
bereit erfläre, befdjloi er, ben $rteg fortjufe^en. Snbeffen Ratten
bie fteben üorauägegangenen ßttegäjaljre aud) bie Gräfte be3 ®ai=
ferljaufeä na^cju crfct)öpft, unb Sugen faf) ein, bog ein balbiger
8rrieben3fd)fuB für Defterretd) faum mtnber notfjmenbig mar, atö
für graurreid). (£r mar bafyer eifrig bemüht, burdj einen |>aupt*
fdjlag eine rajdje Söeenbigung beä ®riege3 fjerbeijufütjren, unb ba
aud) 2flariborougf> eine» entfdjeibenben ©iegeS beburfte, um feine
Partei in ©nglanb am Silber pt erhalten, mürben für ben gelb=
jug beä 3af>rc3 1708 bte umfaffenbften SBorfeljruugen getroffen.
3ur gönjlic^en Befreiung ber *ftteberlanbe foflte 9#artborougf}3 $>eer
auf fedjjigtaufenb Sftann erfjöfjt, ein jmeiteä §eer öon oierjigtaufenb
Sftann unter @ugen in ben !IRofefgcgenben aufgeftettt merben, um
firf) ben Operationen 9ftarlborougf)3 an$ufd)Uef3en, unb ein brütet
r>on fünfjigtaufenb SDtann unter bem ®urfürften öon .!pannooer ben
WlitttU unb Dberrfjein beefen.
Ilm bie $(äne feiner (Gegner ju burdjfreuäen, fteüte Submig XIV.
fcfyon im grüfyjaljr 1708 ein $eer öon neunjigtaufenb Sftann an
ber ®renje bon glanbem auf. 35ie güfjrung beäfelben übertrug er
bem fünfunb^manjigjä^rigen $>er$og öon Söourgogne, bem älteften
©cljne be£ $aupfjin§, feinem befonberen Siebling, bem er ben er-
fafyrenen s-8enbome afä SRatfygeber jur ©cite fteüte. $a sMaxU
boroug^ §eer bie üorgefefjene Starte nod) nicr)t erreicht fjattc
Digitized by (^OOgle I
204
$er fpamfdje grbfolgefrieg.
mtb aud) ©ugen nodj nic^t nadj bcr 2flofel fjatte aufbrechen fönnen,
aeftaltete fid) ber beginn be* gelbjug* für bie granjofen günftig.
äftarfborougf) mußte ftdj nadj ßömcn jurücf^ie^en unb fonnte bie
Eröffnung ber Belagerung oon Oubenarbe nidjt öerlunberu.
Qnbeffen traf @ugen, bem e* unfäglidje 9Kübe gcfoftet, bie Sang-
famfett ber föeid)*fürften in ber SCufftcflung if)rer Kontingente ju
überminben, frü^e genug ein, um ftdj mit 9ttarIborougb jum @nt*
fafce oon Oubenarbe ju oereinigen. Bor ben dauern biefer Stabt
fam e* am 11. 3uli 1708 gu einer blutigen Sd)lad)t , in melier
ba* franjöfifaje £eer, trofc feiner bebeutenben numeriiajen lieber*
legenfyeit , bauptfäd)lid) in fjolge ber stoifdjen bem £crjog oon
Bourgogne unb Benbome berrfdjenben Uneinigfett fo üottftänbig gc=
fd)lagen mürbe, bog ber föürfjug be*felben fid) ju einem fludjtar*
tigen geftaltete.
SBä^renb ba* gan^lid) jerrüttete franjöftfa?e #ccr Ritter ben
dauern oon ®ent ©ebufc fuebte , mürbe in bem fetiegaratfjc ber
Berbünbeten ber Be[d)lu& gefaßt , ba* in ben sJhebcrlanbcn er-
rungene Uebcrgerotcbt burd) bie (Eroberung eine* ftarfen SBaffcn*
planes an ber frauflöftfeben ®renje ju fiebern unb §u biefem Sxvcdt
äur fofortigen Belagerung ber midjtigen geftung Sille $u fdjrei^
ten. 9cad)bem bie fjoHönbifcben geftungen ba* fetylenbe Belage*
rung*material geliefert, brachen (Smgen unb SRarlborough gegen
ßiüe auf, unb mäbrenb ber (Sxftere jur Sedung bc* Belagerung**
forp* in ber 9lät)e ber Stabt eine mof)lgcroablte Stellung nafym,
eröffnete (Sugen am 11. Sluguft bie Belagerung bcr geftung, bie
al* Bauband 3fteiftermerf galt unb oon ben granjofen für uncin=
nebmbar gehalten mürbe. Obgleich biefclbe oon bem 3ttarjd)all
Bouffier* mit ber ^eljntaufcnb 2ftann ftarfen Befatyung auf* Xapferfte
ocr%ibigt mürbe unb ber 2ttangel an tüchtigen ©cnieoffijieren,
foroie bie Sdnoierigfeit , bei ber Unterbrechung ber Berbinbung mit
Brüffel bie nötigen ßeben*mittel für ba* Belagerung*l)ccr ju be-
fdwffen, bie Operationen (Sugen* fef)r erfebroerten, trug bic Umficht
unb 3(u*bauer be* $rin^en ben Sieg baoon. 9cad)bem Bouffier*
fid) bereit* am 22. Oftober burdj bie Bitten ber ausgehungerten
Beoölferung $ur llebergabe ber Stabt ^atte bemegen laffen r jab er
fid) am 9. $e$ember gelungen , auch bie Gitabclle unter ehren=
ooHen Bebingungcn ju räumen, $cr Uebcrgabe berfelbcn folgte am
2. Qanuar 1709 auch bie oon ÖJent. $a hierauf aud) Brügge oon
ben granjofen geräumt murbc unb bie übrigen minber bebeutenben
^Mäfce, bie roäfjrenb be* gelbjug* oon ben granjofen noch befefct
gemefen , fid} ben Berbünbeten ergaben , mar bie Aufgabe f toeldje
bie beiben gelbljerren fiel) geftcllt, auf ba* ©länjenbfte gclöft: ganj
glanbern mar oon ben gran^ofen befreit.
sMt ben fd,mcren Berluften, bie granfreid) in bem gelbjug
Digitized by Google
$ie ©d)f achten bei Oubenarbe unb bei Sttalplaquet. 20 &
oon 1708 ju erleiben gehabt, mar für Submig baS Ücaß ber |>etnu
fudjungen nicht erfchöpft. ©leid) nach ber Veenbiguug beSfelbcn
trat eine fo ungemölntliche $älte ein , ba& baS gan^e 3ahr()unbert
feinen gleich ftrengen SBinter aufaumeifen ^atte. s2ln ben Stuften
gefror baS 3J?ecr nne im ^o^cn Horben. 9cid)t nur bie SSeinftötfe
unb Celbäume, auch bie Saat unter ber (£rbe erfror. Sclbft in
ihren SBohnungcn erlogen gan$e gamilien ber furchtbaren #älte.
SBie bie ftatur, fo fdjien auch baS gefammte öffentliche Seben er*
ftorrt. Xheater unb Berichte, felbft bie meiften .Slauflöben blieben
gefchloffen. Unb als enblich ber ^iöerjeljnte grühling erfchicu,
fam neuer Jammer: Ueberfchtoemmungen, £ungerSnoth unb ftranf-
Reiten rafften Xaufenbe Ijumeg. $5aS allgemeine (Slenb fteigerte
bie iln$ufriebenljeit beS VolfeS über bic längft unerträglich getoor*
benen haften beS Kriege* jur äufjerften Erbitterung: Sc^mä^fc^rif^
ten auf ben $änig mürben öerbreitet, Drohungen gegen fein üv-
ben an ben StraBeneefen angefdjlagen. $er gebeugte £ubroig bot
auf* 9ceue bie £>anb jum grieben, inbem er fic| jur Ver$ichtleiftung
auf bie ganje jpanijche Monarchie mit alleiniger MuSnalnne oon
Neapel unb Sicilten bereit erflärte. Allein bie Verbünbeten, toeit
entfernt , fich mit btefem griebenSangebot $u begnügen, ftellten u)m
im Vollgefühle ihrer Ueberlegenheit noch härtere Vebtngungen , als
oorher. 2lu§er ber Ver^ichtleiftung auf bie gefammte fpanifche
Monarchie oerlangten fie bie ijurürfgabe ber Stäbte Stra&burg,
dreifach unb Sanbau an baS beutfd)e Dleich-
X)ie franjöfifchen ©efanbten erklärten jmar biefe Vebingungen
für unannehmbar , festen aber bennoch bie Unterhanblungen fort,
in ber Hoffnung, bafj es ihnen gelingen merbe, burch bie Trennung
ber Verbünbeten ju bem oon ^ubmig erftrebten 3idt ju gelangen.
$iefe nriejen jeboch bie Slnerbietungen , bie Subtoig ihnen einzeln
machen lieg , mit Sntfchiebenheit jurücf unb fügten fogar ihren
frühereu Vebingungen bie weitere tyintu, ba& ^ubmig felbft fia) an
ber Vertreibung feines (Snfels betheilige, falls berfelbe fich weigere,
Spanien ju räumen. 2)iefe gorberung beroog ^ubmig, bie Untere
hanblungen abzubrechen unb bie legten Gräfte feines erfchöpften
SanbeS $u einem neuen öerjmeifelten Kampfe jufammen ju raffen.
Xer ©ehalt ber SJcunjen rourbe burch Umfchmeljeit um ben oier-
ten Xheil öerringert; bie königlichen gorften mürben gelichtet unb
bie gefaßten (Richen um einen Spottpreis oerfauft, bie Steuern ber
nächften brei Qahre jum Voraus erhoben unb s2lnlehen §11 bem
höchften 3inSfu6e aufgenommen. 25er #önig felbft fehtefte fein ($olb=
gefchirr in bie 2Jcünje. So gelang es noch einmal , ein §eer oon
neunjigtaufenb SDtoun unter bie Waffen ju bringen ; bod) fonntc
Submig fich nw$t verhehlen, ba& es baS lefcte fei, baS er einjufefcen
im Staube fein merbe. X)en Oberbefehl über baejelbe übertrug er
Digitized by
206
3)er fpanifdje (Srbfolgetrieg.
bem 90£arfdjall SBillarS, bem einzigen unter feinen 3felbl)erren , ber
bU bafjin unbeftegt geblieben, tiefer brad) fofort nad) ben 9tie*
berlanben auf unb nafmi bei Douai eine fefte Stellung, bie er burdj
33erfdjan$ungen bedte ; als jebodj (Sugen unb 2ttarlborougf) , bie
audj in biefem 3af)re gemeinfam in ben SRieberlanben operirteu,
nad) ber (Eroberung oon Xournai jur Belagerung öon 3fton3 jdjrit*
ten, brad) er $um ©ntfafce biefer mistigen Seftung auf. (Sugcn
unb üftarlborougl) jogen i^m entgegen unb fanben ifjn bei bem
Dorfe 9tt a l p l a q u e t , jmifdjen ValeucienneS unb 9ttaubeuge, wo
er auf bie Shmbe öon bem £eran$ief)en ber Verbünbeten &alt ge*
mad)t unb ©erbaue unb $erfdjan$ungen fmtte anlegen laffen.
Drofc ber Sdjwterigfeiten , bie SBtUarS günftige Stellung für
einen Angriff barbot, fdjredten (Eugen unb SJtorlborougfy nict)t öor
bemfelben jurüd. Sobatb am borgen be3 11. September bie
Sonne ben bidjten 9*ebetfd)leier jerriffen, ber bei DageSanbrud) bie
gan^e QJegenb bebedt hatte, rüdte ba3 £eer ber S3erbunbetcn gegen
bie fernblieben Sterfdja Udingen oor. (Eugen , ber mit bem regten
glägel ben $ampf eröffnete , mürbe gleich anfangt burdj einen
StreiffdmB am «ftinterfopfe öermunbet; er nahm fidj jeboch nicht
bie Seit, fich einen Serbanb anlegen $u laffen, fonbem ftedte ein*
fad) fein Dafchentudj unter ben £>ut unb ftürmte weiter, ben Sei=
nigen ooran, bem JJeinbe entgegen, um wo möglich ben öon biliar*
felbft geführten linfen Slügel be3 Scinbe^ ju umzingeln. Um bied
$u oerhüten , 50g 33itlar$ feine Schlachtlinie weiter jurüd , unb
mehrere Stunben lang rangen bie beiben gelbherren in blutigem
Kampfe um ben Sieg , bis Billard , öon einem Sdjuffe burd) ba£
$nie getroffen, ohnmächtig üom Sßferbe ftürmte unb oon bem Kampf-
plätze weggetragen werben mugte. (Eugen bcnujjte bie l)iebura^
unter bem geinbe entftanbene Verwirrung $ur rafdjen (Erneuerung
feinet 9Ingriffä , unb e3 gelang ihm , ben linfen Jlügel ber 3ran=
^ofen öollftänbig aus feiner Stellung ju oertreiben unb jum 9tüd>
$ug ju nötigen. Sofort fanbte er bie gefammte faiferliche Rei-
terei bem £er$og oon 3ftarlborough 311 £)ilfe, ber bis bahin oer-
geblict) ben SBiberftanb be3 oon bem 2ttarfd)all Bouffiers befehlig*
ten rechten fernblieben ^lügeU ju bewältigen gefugt r)atte, unb entfdueb
babura) auf biefer Seite gleichfalls ben Sieg ber Berbuubeten.
Dem gewaltigen 9fta ifenangriffe meichenb, trat auch Bouffiers ben
jftüd^ug an , ben er in ber Richtung auf BalencienneS einfdjlug
unb mit gewohnter ÜÄetfterfchaft ausführte.
Die Schlacht bei Sttalplaquet , bie lefcte bebeutenbe beS lang-
jährigen Striegel unb jugleich bie mörberifchfte beS ganzen 3afjrhun-
berts, tyattt ben Berbünbeten jwanjigtaufenb Sftann gefoftet, wäfyrenb
bie granjofen fieb^e^ntaufeub $obte unb Verwunbete auf ber blu-
tigen 28af)l)tättc jurüdlteBeit. Die nächfte golge beS oon (Eugen
Digitized by Google
$er 8turj SRarlborougl?« unb ber Zob Sofepfj« I. 207
unb 9ftarlborougf) errungenen Siege« mar ber Sali öon ^on«, ba«
fidj am 20. Dftober ben Berbünbeten ergeben mußte.
$)a fiubmig feine SJfoglidtfeit fal) f ben Kampf mit irgenb
melier 2lu«fid)t auf einen befferen (Srfolg fortjufefeen, mußte er fitf)
entfdjließen , feinen ©egnern neue 3rieben«öorföläge §n machen.
Unter ber Bebingung, baß man iljm bie Beteiligung an ber Ber*
treibung feine« (Snfel« erlaffe , erflärte er fid& nidjt nur jur Ber*
$ta)tleiftung auf bie gefammte fpanifaje 3)conard)ie mit alleiniger
2Iu«na!?me öon Sicilien , fomie jur .£>erau«gabe Straßburg« unb
be« ganjen ©Ifaffe« bereit, fonbern erbot fid) fogar, ben Berbünbeten
£ilf«gelber jur Befämpfung feine« (Snfelä ju jaf)len, fall« bcrfelbe
SBiberftanb leiften merbe.
£er Katfer mar $ur 9cad)giebigfeit geneigt unb jmar umfo--
meljr , al« ©ugen ftfjon früher öor bem aüju ftrammen Slnfpaunen
be« Bogen« gemarnt t)atte ; allein bie Seemädjte , bie hinter ben
3ugeftänbniffen ßubroig« eine trügerijdje ©Glinge öermutfjeten , be*
darrten bei i^ren gorberungen , unb am 13. Quli erflärten bie
Öeneralftaaten im tarnen bcr Berbünbeten ben franaöfifdjen ®e*
fanbten: erft bann fönne ein befinitioer Jriebe gefcrjloffeu »erben,
wenn ßubmig im Vereine mit ben alliirten sJ!)iäd)ten feinen (Snfel
au« Spanien oertrieben unb $ur Berjidjtleiftung auf bie gejammte
ipanifdje 3ftonard)ie gejmungen fabelt merbe. Obgleich aller $u«=
fid)t auf eine günftigere ©eftaltung ber 5>inge beraubt, roie« Üub*
roig bieje gorberung al« eine mit feiner (Styre unoereinbare juriief,
unb fo naljm ber Krieg feinen Sortgang.
£er Sturj 9Karlborougf)3 (1711) unb ber Job 3ofepf)3 I.
(17. flpril 1711).
$)a« 3a^r 1710 braute ben Berbünbeten neue iÖortr)eiIe.
55a« oon (Jugen unb sJlttarlborougf} belagerte 3)ouai faf) jid), nad)=
bem biliar« oergeben« sMe« aufgeboten , um ba«fclbe $u entfeften,
am 10. Quü jur Kapitulation gejmungen , unb menn and) bie
projeftirte Belagerung öon s21rra« unterbleiben mußte , fo ent(d)ä*
bigten fid) bie Berbünbeten bafür burd) bie (Eroberung oon Betfyune
(31. 2luguft) unb bemädjttgtcn ftdj hierauf aua) nodj ber geftungen
3t. Genant unb Wire. 2)a hiermit aud) bie britte iRei^e jener
«öofltoerfe burd)brodjen mar , burd) roeldje Mubmig bie (iJrenjen
ieine« *Reid)e« im Horben gefia^ert $u Imben glaubte , burften
bie Berbünbeten fid) ber Hoffnung Eingeben , im nädjften 3af)re
ifjrem ©egner in feinem eignen Öanbe ben Jrieben öorjdjreiben $u
tonnen.
Digitized by Google
208
$er fpamfdje (Srbfolgefrieg.
Diefe Hoffnung mürbe erhöht burdj ben Verlauf, bcn bic
.^ricg^cr cigniff c injnrifchen in Spanien genommen. *Rachbem bie
Berbünbeten im Slpril 1707 auf ber (Sbene oon fflmanga eine be*
beutenbe 9tteberlage erlitten, in Solge beren Valencia unb Wxa-
gonien ton ben granjofen erobert toorben , mar im 3ahre 17 10
ein bcbeutenber Umjchmung sum ^iacftt^ctlc Philipps V. eingetreten,
©eine ©enerale roaren oon bem ©rafen Starke mberg am 27. Quti
bei Sllmenara unb am 20. Wuguft bei Saragoffa entfeheibenb ge*
ichlagen morben , unb ®arl III. Ijatte am 28. September feinen
feierlichen @injug in 2Jtabrib fjalten fönnen. gür Subtotg fdjieu
s2llle3 oerloren unb 9lichtä ihm übrig ju bleiben, af3, mie Senelou
fia) auäbrücfte, „burch Da« caubinifche ^^h ju gehen." 2lber toä>
renb bie Berbünbeten ihres oodftänbigen DriumpheS fieser ju fein
glaubten , traten jtoei unermartete (Sreigniffe ein , meldte bie ßage
ber Dinge gänzlich beränberten unb ben tiefgebeugten ftönig mit
neuen Hoffnungen erfüllten.
Den erften Sidjtftrafjl brachte bem Schmerbebrängten ber Sturj
be3 SBhigmimfterium«, meines feit bem 3a$re 1705 an ber Spifcc
ber engltjajen Regierung geftanben unb im (Sinoemehmen mit
sJ#arlborough , ber baäfelbe oollftänbig beherrschte , eine entfdjieben
friegerifche ^olitif oerfolgt fjatte. Schon feit längerer Seit hatte
bie ungeheure Vermehrung ber Staatäfchulb unb ber roadjfenbe
Steuerbrucf , ben ber langjährige ®rieg bem ßanbe aufgebürbet,
unter bem englifchen Bolfe eine große Unjufriebenfjeit h^^oorge^
rufen, bie oon ben DorieS ju Angriffen gegen ba3 SBhigminifterium
benufct würbe. Da bie Königin felbft mehr toriftifd) ala mhigiftifch
gefinnt mar , blieben bie Bemühungen ber % orieä , bie SSln^ bei
ihr 511 oerbächtigen , nia)t erfolglos; ihr 3^1 erreichten fie \t-
boch erft, nachbem baä £er$ Slnna'S fia) oollftänbig oon ber $er=
jogin oon :Ucarlborougf) loägeriffen, bon melcher fie fia) bis ba=
l)in roillenloä %oX\t *citen laffen. Schon längft mar bie Königin
ber '2lnmaBungen ber ^errfc^füc^tigen Dberhofmcifterin mübe ge=
toorben, ohne jeboch ben 3Rutt) ju h^ben, fid) ihrer Dnraunei ju
entreißen; al£ biefelbe jeboch bie Entfernung ihrer Berroanbten
tfbigail , ber nachmaligen £abu sD£a3ham , bie fie felbft ald
$ammerbame an ben £of gebracht , au3 ©tferfucht über bie
ueigung , toelche bie Königin berfelben gejehenf t , im Vertrauen auf
ihre eigene Unentbehrlichfeit mit ©etoalt ergingen wollte, fam e£
jmifchen ihr unb ber Königin jum förmlichen Bruch- Sie mürbe
im &pril 1710 aller ihrer ^pofämter entfefet unb erhielt ben Befehl,
ben £of ju meiben.
Der Sturj ber Herzogin oon 3)carlborough ha^e bit (£nt=
laffung ber rolugiftijchen iHäthe ber Königin , bie alle theite Ber*
manDte, theil* (ijejchöpfe &)torlboroughS maren, unb bie Bilbung
Digitized by Google
$er ©tuiä 3Ratlborough« unb ber £ob 3ofepfj« L
209
eineä torifiifchen 9ftinifterium3 jur golge. $a3 einflußreichfte WliU
glieb beäfel6en mar bcr fpätcr 511m Siäcount t>on SBolingbrofe
erhobene frühere Staatäfefretär $arrb 3 t. 3ofjn, ein 3Jtonn, bcr
mit einer ungemöfmlichen Äörperfdjönheit eine überfprubelnbe fie*
benSfraft, geroanbte Sanieren, fjeroorragenbe ©etfteSgaben, glühenben
@^rgeij unb eine Ijinrei&enbe ©erebtfamfeit , sugleich aber aud) bie
größte ©enriffenlofigfeit unb bie öerberblidtften religiöfen unb fttt=
liehen ÖJrunbfäfce öcrbanb (f. 6. 177).
£a3 ,f)ouptftreben be3 neuen 9ftinifterium3 war barauf ge-
rietet, burdj einen moglichft rafcfjen griebenSfchfaß ben ^erjog öon
Stfarlborongh überflüffig ju machen unb feiner glorreichen Siegel
laufbatjn ein Siel gu fefcen. Um ba3 9Jcinifterium in feinen «e=
ftrebungen $u unterftüfcen unb ben XorieS bie #errfd)aft bauernb
&u fiebern , löfte bie Königin baä «Parlament auf , unb ba ba*
Solf in feiner ©efammtheit mit ben griebenSbeftrebungen be&
SKinifteriumä cinöerftanben mar, fielen bie 9teumahlen ganj in
torifrifchem Sinne au«.
£>ie neuen Hoffnungen, ju melden bie in (Snglanb eingetre*
tenen SSeränbenmgen fcubttrig XIV. berechtigten , mürben noch bor
Ablauf beä Qahreä burch bie unerwartete SBenbung erhöbt, meiere
bie $inge in Spanten genommen. $er £>erjog öon Senbome, ber
m ^ilipp^ V. 3)ienfte getreten mar, t)atte im Vereine mit bem 9ftar=
jehaü öou 9toailIeä, ben Submig mit frifchen #ilf3truppen nach
Spanien gefanbt hatte, am 9. $eaember 1710 bei SBrilmela über ben
englischen ©eneral Stanhope einen glänjenben Sieg erfochten unb
am folgenben Xage bei Söillaöiciofa ben ©rafen t>on Starhemberg
jum 9tücf3uge gelungen , fo baß W^PP v- nac§ Cabrio fyattt
$urücffef)ren tonnen.
3n biefer jmeiten 2tettung3au3ftcht follte ftd) für äubmig,
beffen alter Stolj mächtig aufzuleben begann, eine britte bon un=
gleich größerer Xragmeite gefcüen. $aifer Sofeph I. ftarb am
17. #prü 1711 im Hilter oon $meiunbbreißig fahren an ben$inber=
blättern, unb ba er feine männlichen Üftachfommen hinterließ, gingen
bie öfterreichifchen (Srblanbe an feinen ©ruber föaxl über. $>aburch
fear bie ganje Sachlage mit einem Schlage beränbert; benn e$
unterlag (einem Zweifel , baß bie ©unbeägenojjen Dcfterreich« , bie
ba3 ©chmert ergriffen fyatttn > um bie Uniüerfalmonarchie ßub=
»ig* XIV. nicht anffommen ju laffen, auch t>tc Sereinigung ber
gefammten fpanifchen Monarchie mit ber öfterreichifchen nicht $u*
geben mürben, unb fo mar an eine gortfefcung bed Krieges ju ben
bisherigen Steeden nicht mehr ju beuten.
©obalb @ugen bic Nachricht oon bem unermarteten Xobe be£
ftaijerä erhalten hatte, nahm er bie gefammte Slrmee für ben ®ö*
"ig £arl in ($ib unb Pflicht unb eilte bann nach $eutfchlanb , um
$ol4ttari$,.*Bdtfleföi($te. VI. 14
Digitized by Google
210
$er fpcmifcfje Grbfolgefrieg.
ben Äurfürflen öon SDlainj, al« ben ©rjfanjler be« 9tetct)e«, jur
fofortigen &u«fcf)rcibung bcr ftaifertoafyl ju üeranlaffen unb jugleicf)
nact) beften Gräften für bie 2Bal)l $arl« ju mirfen. SBä&renb er
fjicrouf bic toeftlidje SReid)«grenje befe&te, um einerfeit« einem
Einfall öon «Seiten granfreid)« üorjubeugen unb anbererfcit« ben
$urfürften öon Vaiern öon jeber bte ®aifermaf)l ftörenben Slftion
abgalten, würbe am 12. Cftober 1711 öon ben ju granffurt
öerfammettcn ®urfürften £arl III. öon Spanien al« @arl VI.
jum beutfdjen ®aifer gemälzt.
tiefer fjarte fid) bereit«, nad)bem er bie Regierung in Spa=
nien, ba« er nur ungern öerliefe, feiner ©emafylin, ber jugenblidjen
(Slifabetf) öon Vraunfdjmcig-SBolfenbüttcl , einer ber fd)öuften unb
ebclften grauen iljrer Seit r übertragen, am 27. September in
Barcelona jur föütffefjr nad) $)eutfd)lanb eingefcfyfft. 3n 2Jtailanb
überreizte if)m ber ^faljgraf ®arl Sßf)ilipp öon 9ceuburg ba«
Söatylbcfret , unb am 22. Xejember empfing er ju granffurt , naa>
bem er am öorfjergetyenben Sage feine 35kl)lfapitulation befct)moren,
au« ben Rauben be« turfnrften öon a^ainj unter ben üblichen
Seierlict)feitcn bie ftaiferfrone.
Unterbeffen hatte SRarlborougf) , ber anfangt auf bie 9taa>
ridjt öon ben Vorgängen in (Snglanb ben ©ebanfen gehabt , burdj
freitoiHige Säeberlegung feiner Stelle ben feinblidjen #bfidf)ten fei-
ner (Gegner äuüorjufommen , öon (Sugcn jeboct) jum ©leiben be*
mögen morben , ben ftrieg in ben flcieberlanben gegen Viüar« er*
folgrcid? fortgefe^t, oljne ba& e« jebod) 511 bebeutenben kämpfen
gefommen. 9cadjbem er am 13. September 1711 öoudmin jur
Kapitulation ge$tuungen , feljrte er nad) ßoubon jurürf, um bie
sßlänc feiner geinbe ju oereiteln. 2)a« Parlament flagte if)n je*
boct) ber Veruntreuung öffentlicher ©elber au, unb am 1. Januar
1712 entfette ir)n bie Königin aller feiner Remter. Vergeben« bot
(Sugen, ber fidt) im Januar 1712 im Auftrag $arl« VI. nadj
£onbon begeben, um einen einfeittgen grieben«fd)lu6 öon Seiten
©nglanb« ab5umenben, 9llle« $ur Vertljeibigung feine« SBaffenge-
fährten auf : er fonnte ntd)t« s2lnbere« erreichen , al« bie Unter*
brüefung ber bereit« gegen üiftarlborougf) eingeleiteten gericr)tücr)en
Verfolgung. S^act) bem Xobe ber Königin sJlnna (1714) mürbe
äftarlborougfj , ber in$roifd)en mit feiner Öemafylin in £otlanb unb
3>eutfd)lanb gelebt , mo er überall mit ber größten 2lu«5eid)nung
aufgenommen roorben , öon ©eorg I. in alle feine SBürben mieber
eingefefct; boct) bract> fdjon im 3af)re 1716 ein Sdjlaganfatl feine
£taft; ein ^weiter machte im Safjre 1722 feinem #eben ein (Snbe.
(Sbenfo au«gc$eidmet al« Diplomat , roie al« gelbljerr , unb babei
einer ber fct)önften unb ftattlidjfteu Scanner feiner 3^it, mar ÜDcarl*
borougl) äugleid) ein burd) feine, geminnenbe Umgangsformen fyer*
Digitized by Google
$ie gfriebeitSfalüffe oon Utrecht, töafiabt unb ©aben.
211
oorragenber ^ofmamt unb ein SBirtuofe in bcr ®unft bcr 9)kn*
fdjenbefyanblung ; aber biefe btenbenben @igcnfd)aften toaren Oer*
bunfelt burd) einen falt bered)nenben (EgoiämuS unb eine fdjranfen*
Jofc $abfud)t.
Sic gfriebenöWüffe *on Utrecht, Staftabt unb öaben.
©djon ju Anfang bc$ 3at)re$ 1711 ^atte (Englanb geheime
grieben£imterf)anblungen mit granfreidj angefnüpft unb nad) ber
(Entfernung Ü)carlborougl)3 oon feinem $ommanbo burdj beffen 9cad)=
folger , bcn ^perjog oon Drmonb , ben ®rieg in ben lieber lanben
nur nod) jum ©efteine fortfefeen (äffen. Sftadjbem beibe SWäc^te fid)
über bie griebenäpraliminarien geeinigt unb ba£ englifdje Parla-
ment benf elben im Quni 1712 feine Suftimmung gegeben , liegen
fidj audj bie Oeneralftaaten , trofo ber ÖJegenbemüfyungen @ugen3,
ber $lfle3 aufbot, um burd) eine erfolgreiche gortfüfyrung beä Krieges
oon Subtoig einen bie Qnteteffen be3 ^aiferljaufeS fidjernben grie=
ben $u ertoirfen , burdj ba3 englifdjc ^abtuet jur Xfyeilnafjme an
ben griebenäunterfyanblungen bemegen, toorauf am 29. Januar 1712
$u U t r e dj t eine griebenaconferenj eröffnet mürbe , an melier
außer granfreid), ©nglanb unb $oöanb, aud) Portugal, Greußen
unb ©aoonen ifjeil nahmen.
£er Slbfdjluß beä griebenä erfolgte am 11. Slprtl 1713.
3n bemfelben rourbeu Spanien unb beffen außereuropäifdje 33e*
fifcungen Philipp V. juerfannt , bod) mit ber auäbrürflidjen S8e-
ftimmung, baß granfreta} unb ©paniert nie unter einem ©cepter
oereinigt merben bürften. (Snglanb erlangte üon granfreidj bie
2(nerfennung bcr ©ueceffionaafte öom Qaljre 1701 , toeldje bie
fatftotifaje fiinie beä £>aufe8 ©tuart oon ber (Erbfolge au3fd)toß,
fomie bie Abtretung öon 9ceufd)otttanb, sJceufunbtanb unb ber £ub=
fonäbai unb bie %\\\a§t ber 3nrftörung 0C£ $afen3 unb ber
geftung&oerte oon $ünfirdjcn; oon ©panien, Gibraltar unb
norfa, fomie ben fogenannten „s2l)*fientotraftat" , burd) melden ber
englifdjen „©übjee^ompagnie" auf breißig 3a§re baä auäfdjließlidje
sJkd)t $um sJcegerf)anbcl in ben fpanifdjen Kolonien jugeftanben mürbe.
Xagegen mußte fidj £>oflanb mit einigen ^anbeUoort^eilen unb
bem SBefafcungäredjt üon act)t nieberlänbifdjen geftungen begnügen.
Xer 4>erjog oon ©aüonen erhielt eine sJieif)e oon geftungen an
ber franjöfifdjen ÖJrenje unb für feine Mnfprüdje an bie fpantfa^e
sJJconardne, außer ben SBejirfen, bie if)tn ®aifer ßeopolb bereite im
3aftre 1703 abgetreten, bie Qnfel ©tcilien als ein ftonigreid? mit
ooller ©ouüeränität, foroie bie Mnroartfdwft auf bie fpanijdje $rone
nad) bem 2lu3fterben be3 bourbonijd)en £>aufeä. Greußen erlangte
14*
Digitized by Google
212
$er foaniföe Grbfolgefricg.
bie Slnerfennung feiner $ünigämürbe , foroie bie Abtretung öon
Dber^elbern unb bie «eftätigung ber Souöeränität über WeufchMel
unb SBalengin; bagegen übet lieg eä an Sranfreich baS gürftentftum
Crange, auf roeldjeä König grtebrich L als ber Solm einer oranifdjen
^rinjeffin 5lnfprüche hatte.
Mai) ber Unterzeichnung be3 griebenS öon Utrecht übcrreic^=
ten bie franjöftfchen unb englifdjen Unterhänbler bem Vertreter be3
®aifer£ ein griebenäangebot , nach welchem Starl VI. , gegen bie
SBersidjtleiftung auf Spanien unb Qnbien unb bie (Genehmigung
flur 3Biebereinje$ung ber föurfürften öon iBaiern unb Köln , bie
9cHeberlanbe unb alle ehemaligen ipanifchen Vefifcungen in Qtalien,
mit Ausnahme ber bem .frerjog öon Saoot)en jugefagten 3nfcl
Sicilien juerfannt werben füllten. Karl VI. fonnte fi<h jeboch nicht
ba$u entfchliejjen, auf baä ihm lieb geroorbene Spanien 5U oerjich
ten , unb jog eä bafjer öor , in Verbtnbung mit bem deiche ben
Krieg gegen granf reich fort^ufe^en.
Qnbeffen mu§te (£ugen balb erfennen, ba§ auf bie £>tlfe bc£
SReicheS wenig ju jählen fei. $er Reichstag fyattt jroar Gier
Millionen Xtjaler für ben Krieg bewilligt ; aber al$ ber ^ßrinj am
13. 3Kai 1713 in jeinem Hauptquartier ju Sftühlberg anfam, fanb
er bie Kriegäfaffe öollftänbig leer unb fonnte nur burch bie $$cx
pfänbung feines fiirftlichen @h*enmorteä öon einem granffurter
SÖechöler für bie nothmenbigften Vebürfniffe beä Speere* einen Vor-
fdm§ oon h^^bertfünfunb^manjigtaufenb ©ulben erhalten. 9lud)
trafen bie Kontingente ber öerjehiebenen Stänbe nur äußerft lang*
fam unb in ungenügenber 3af)l ein unb befanben fich überbieä in
bem troftlofeften Suftanbe , ba ihnen in bem müßigen , nur burch
unbebeutenbe Vorpofteu gefegte unb Meine Streifereien unterbrochenen
üagcrleben , in welchem ihnen bie legten 3ahre öerftrichen waren,
alle Quty unb aller friegerijehe ©eift abhanben gefommen.
Unter biefen Umftänben fonnte es @ugen trofc ber unermüb=
lichften ^h^tigfeit unb s2luäbauer nicht öcrl)inbern, baß VillarS, ber
ihm mit einem bebeuteno überlegenen Speere gegenüberftanb , ba£
nichtige Saubau eroberte (20. 2lug. 1713), alle offenen Stäbte in
biefer ®egenb: Kaiferälautern, Speier, Söormä u. a., mit jehmeren
SBranbfcha&ungen belegte , bann fogar über ben dttytin ging , um
auch am rechten Ufer sMe£ ju öerwüften unb bie nächft gelegenen
9ieichäfreife au^ufaugen, unb enblich, am 16. Üftooember 1713 baä
nur fchroach bcfefcte greiburg nach fech3n)öcf)entlicher tapferer Ver=
theibigung $ur Kapitulation $wang.
9lach biefem traurigen Ausgange be$ gelb$uge3 öom 3af)re
1713 hielt es ber Kaifcr für geraden, bie grieben3öorfcf)läge , bie
©iflarS ihm im Auftrage ßubmiga burd) bie Vermittlung beS Kur*
fürften oon ber ^falj jufommcn liefe , nid)t jurütf$umeifen. 2lm
Digitized by Google
$ie grieben*fcf)lüffe öon Utred)t, föaftabt imb ©oben. 213
26. SRotoember 1713 famen (Sugen unb ^idard jur geftftettung
ber grieben*bebingungen in föaftabt jufammen, unb ba für granf*
reid) ba* grieben*bebürfnif$ nid)t minber groß mar, al* für Defter*
reid), gelang e* (Sugen, bic übertriebenen Sorberungen Subtuig*
fterobjuftimnten, bic eine Seitlang ba* grieben*merf ju ftören ge=
bro^t. 21m 6. 2Rärj 1714 fam ber grieben*öertrag ju ©taube,
unb am folgenben SWorgen jttrifdjtn brei unb mer ll|r mürbe ber*
felbe, nadjbem bie Anfertigung ber ST6fct)riftcn bie ganje 9*ad)t in
Slnfprudj genommen, öon ben betben gelbfyerren unter$eid)net, morauf
biefelben, fytngeriffen tion ber fybfjen SBebeutung be* Mugenbtid*,
einanber öoü tiefer SRüfjrung in bie 2Irme fielen.
3n bem grieben oon Sftaftabt geftanb granfreidj bem föaifer
bie fpanifdjeu üßieberlanbe , fottne Neapel, Sftailanb, ©arbinien,
Sftantua, — beffen tefeter, megen feinet Anfdjhiffe* an granfreid)
in bie SReidjSad&J erflärter £>er$og ®art IV. im 3af)re 1708 ge*
ftorben mar, — unb bie to*fani}djen ©eefjäfen an ber roeftlidjen
ttüfte ju, gab feine (Eroberungen am föbeine, mit Auslug bon
Sanbau, bem Steide jurücf unb anerfannte bie ^annööerifa^e ®ur.
dagegen fagte ber #aifer bie ßo*fpredjung ber $urffirften bon
Saiern unb #Mn öon ber 8teidj*ad)t unb bie Söiebcreinfefcung ber-
felben in ifjre ßänber unb SBürben ju. gür ba* föeidj mürbe bie
2Bieberf)erftelIung be* ßuftanbe* bor bem Kriege auf ©runb ber
grieben*fc$)lüffe öon SRömmegen, SDtönfter unb $Rt)*mio? vereinbart.
„$a* große Xagemerf $u föaftabt ift boflenbet," fdjrieb (Srugen an
iWarlborougf). „3d) mußte leiber auf bie ©ünbe ber ©eemädjte
im tarnen meine* ©ouöerän* ba* ©iegel brürfen."
ßarl VI. fefcte in einem betrete bom 24. ÜRärj 1714 ben
9teid>*tag ju 9tegen*burg bon bem ju töaftabt atuifdjen if)m unb
granfreidj getroffenen Slbfommen in ftenntniß, inbem er e* ben
©tänben anf)eim gab, ob fie felbft iffren grieben mit fiubmig ab=
fließen ober ifjn ba$u beöoflmädjtigen moflten. Sftadjbem fie fid)
ür ba* Severe entfcfjieben, traten im Jgum 1714 faiferlidje unb
ranjöfiföe ©eootlmädjtigte ju Söaben in ber ©djmeis ju neuen
Üterf)anWungeu jufammen, bie mit bem beitritt be* föeidje* 51t ben
grieben*bebingungen üon Sftaftabt enbeten. $ie grieben*urhmbe
mürbe am 8. ©eptember üon (Sugen unb SBillar* unter$etd)net,
bie ju biefem 3mede ju SBaben auf* fteue jufammen getroffen
waren.
SBier Xage naa) bem 2lbfa^(ug be* ^rieben* oon öaben, ber
ba* @nbe be* fpanifc^en ©rbfotgefriege* befiegette, erlofa) bie
^riege*fade( aua^ in Spanien. Wit unermübttdjer ©tanb^aftigfeit
Ratten bie ^elbenmütf|igen ©atalonier, benen s?^ilipp V. nur gegen
bie SBerjidjtleiftung auf i^re SRedjte unb grei^eiten Sßerjei^ung be=
mißigen mottte, ben ^ampf fortgefe^t; nadjbem jeboa) Barcelona,
Digitized bi^OOgle
214
$er fpanifcfje (Srbfolgefrieg.
ba3 Xruppen feit ber Slbreife ber ®aiferin im Qafjre
1713 öerfdjiebene 2ttale öergeblidj belagert, mit .ftilfe eines neu
angefommenen franjöfifdjen $>eere§ t)on brei&igtaufenb Wflann tx-
ftürmt morben, gaben fie ifjren SSiberftanb auf. Xrofc ber gürfpradje,
bie ®arl VI. bei ben Unterfmnblungen oon SRaftabt unb iöabcn
für bie treuen ©atalonier eingefegt, mürbe bie SBerfaffung ber s$ro=
öinj aufgehoben unb bamit ber lejte fReftc ftänbifdjer SRedjte unb
greiljetten in Spanien aerftört.
VII.
c£tt6wifl5 XIV. Ausgang.
Dbgleidj ber tnetjelmjäfjrige ®rieg um baS ^panifdje Ghrbe für
granfreitf) ungleid) günftiger geenbet, als e3 feit bem Xage öon
£>öd)ftäbt ju ermarten geftanben, fonnte Cubmig fid) nid)t oer=
§ef)len, baß berfelbe feinem Sanbe jum ferneren $8erf>ängni& ge*
morben. $er 9lationaImol)lftanb mar bernid)tet, ba3 ßanb öer=
öbet; ^anbel, Gtemerbe unb 21rferbau tagen öoüftänbig barnieber,
unb baä SBolf, tum ber £aft unerfdjminglidjer Steuern erbrüdt,
fd)mad)tete im tiefften (Slenb. $ie Sdmlbenlaft mar ju ber #ölje
oon neunlmnbert SJftflioncn Xfjalern angemadjfen, unb man fonnte
nidjt einmal bie Qmfcn berfelben jaulen, nod) meniger bie lau*
fenben Slu3gaben beftreiten. $er Äönig felbft, ju meinem baä
23olf einft mit Stola unb «emunberung aufgebaut, mar ber
®egenftanb beä &affe3 gemorben, unb nur bie ®etuof)nf)eit be3
miflenlofen <5Jefmrfam3 f)ielt baS $8olf Don offener ©mpörung ju*
rütf. $en legten 9teft beS Sßertrauenä unb ber Mcbtung fjatre
Submig bei feinen Untertanen baburd> aerftört, baß er fid), tf)eite
au« fteugierbe, tr)etl^ au« 2ßi|trauen, nidjt nur burd) geheime
Ihmbfdjafter, bie fogar feine (SJefanbten an ben fremben $öfen be-
lauften mußten, aüe Stabtgefpräc$e, felbft äße«, roa$ in ben 3a=
milienfreifen borging, autragen, fonbern fogar aüe mit ber *ßoft
etnlaufenben «riefe eröffnen unb fid) über ben Snfjalt bcrfelben
©eridjt erftatten lieg.
Sticht minber traurig, als in feinem einft fo blüljenben föeidjc,
fal) e§ in beä greifen Königs eignem .<paufe au3; benn innerhalb
meniger Qafjre Ijatte ber Xob in feiner gamtfie eine furchtbare
(Srnte gehalten. SBon ben fedjS $inbern, bie feine ©emaf)lin iljm
geboren, roaren bie fünf jüngften früf) geftorben; nur ber $aupf)in
mar am Sieben geblieben, unb vJZid)t3 mar oerfäumt morben, um
Hm ju einem tüdjtigcn, mit ben reichten ^enntniffen auSgcftatteten
Regenten fjeranjubilben. 2Bie öoffuet fjauütfädjlidj für ityn feinen
Digitized by Google
SubtuigS XIV. Ausgang.
215
berühmten 3Ibri6 ber 2Beltge| dachte gefdjrieben, fo mar auäfchliefc
lieh für feilten Unterricht eine ganje SReir)c üon Ausgaben römifcher
Klafftfer auf fönigliche Soften — man beregnete biefelbe auf jmei*
hunberttaufenb ßiüreS — üeranftaltet toorben, bie auf bem Xitel bie
SBorte in usum Delphini führen. 9(ber ade«, roaä für feine @r=
$iehung gethan morben, follte für granfreiapS Sufunft fruchtlos
bleiben; benn es mar if>m nicht belieben, ben X^ron $u befteigen,
für merken er in fo glänjenber Sßeife auSgebilbet toorben. @r
ftarb am 14. 9Ipril 1711, mitten unter bem Jammer, ben ber
fpanifche ©rbfolgefrieg für granfreich ^eraufbefa^moren, im Sllter
üon naheju fünfzig Sohren an ben Kinberblattern. üftach feinem
lobe beruhten bie Hoffnungen ber Nation auf feinem ©ofme, bem
geiftüollen, allgemein beliebten £>erjog üon SBourgogne, unb beffen
liebenSnmrbiger ©emahlin ; allein im folgenben Qa^re erlagen SBeibe
einem ^i^igen gieber, bie 2)auphine am 12. unb it)r ©emahl am
18. gebruar. $)a ber Xob ihren älteften ©of)n fd)on im Qahre
1705 ^inmeggerafft, mar ber jtoeite, ber noch im Knabenalter
ftefjenbe £>er$og Karl üon Bretagne, Xf)ronerbe; boch auch er folgte
fdjon nach toenigen 2öod)en (6. äftärj 1712) feinen Altern ins
©rab. @in britter (Snfel fiubnrigS, ber £erjog üon Serrü, beS
4>eTjogS üon Söourgogne jüngfter trüber, fanb am 4. Sflai 1714
ben $ob burch einen ©turj üom ^Sferbe, unb fo blieb bem am
föanbe beS ©rabeS ftehenben König üon allen feinen üftadjfommen,
außer bem König üon Spanien, nur noch ein Urenfel, ber jüngfte,
im 3<if)re geborne ©ofjn be£ £>erjog3 üon ©ourgogne, ber
nachmalige Subroig XV.
Qnbeffen bemegte fich baS ßeben bes üereinfamten Königs,
ber trofc ber Verarmung beS Sauber feine prunfüotle Hofhaltung
aufrecht fyittt, in bem gelohnten (Meife beS Hergebrachten, toobei
bie Sftaintenon 5lfleS aufbot, feinen roachfenben Xrübfinn burch
Serftreuungen aller 31 rt $u befämpfen, roas ihr umfo fehlerer
tourbe, als feine ©mpfänglichfett für geiftige Unterhaltung immer
mct)r abnahm.
3m ©ommer 1715 üerfiel bie ©efunbheit beS Könige ficht=
lief), unb balb üerfünbete bie rafche Abnahme feiner Kräfte baS
herannahen feines XobeS. TOt großer gaffung üernahm er bie
3J?ittt)ciIung feinet SlrjteS, baß er nur noch wenige Xage ju leben
(jooe. 9iacr)bem er am 25. Sluguft bie lefcte Dclung empfangen,
Iie§ er am folgenben Sage bie 3Äinifter unb ben Dauphin üor
W fommen, empfahl ben (Srfteren Xreue gegen feinen Nachfolger
unb ermahnte feinen Urenfel jur Gottesfurcht, jur ©parfamfeit,
jum grieben unb ju ädern ©uten, baS er felbft nicht habe thun
lemnen. 2Jftt ©chmerjen nahm er roaljr, ba§ feine Hofleute bei
feinem herannahenben Xobe fich üon ihm jurüefgesogen, um fich
Digitized by Google
216
9tufelanb unter 5ßctcr bem ©ro&en.
feinem Neffen, bem $>er$og $f)iftpp II. öon Orleans, jujumenben,
bem als bem nädjften Slnöermanbten beS jungen Königs bie Siegend
fdjaft jufafien mußte. 3n feinen beiben legten SebenStagen fmtte
Submig nur menige lichte Slugenblicfe, in meldjem man u)n roieber=
holt beten hörte: „2ftetn ©ort, fn^f mir! ©ile, mid) ju erlöfen!"
9tuf)ig unb gefaßt entfdjlief er am 1. «September 1715, früh um
acht Uhr, mährenb er mit feinem 33eidjtöater bie ©terbegebete öer-
richtete. 3)aS SBolf, baS ü)n einft vergöttert hatte, brach bei ber
ftadjridjt oon feinem Xobe in lauten 3ubel aus, unb ber Sßöbel
»erfolgte ben fieichenäug mit SBerttmnfdjungen unb Söefchimpfungen
aller s2lrt, fo ba& man ben ©arg mit ber Seiche beS Königs auf
Scebcnroegen nach ©t. $cnis bringen mußte.
VIII.
$ttt|f<m& uniet ^eter bem $ro§en.
(1682—1725.)
3n Sftuglanb mar, mie mir 53b. V, ©. 323 gefehen, im 3al)re
1584 mit bem finberlofen (Sparen geobor ber ©tamm iRurifS in
männlicher ßinie erlofdjen unb imgafjre 1613, nach längeren I^ron=
ftreitigfeiten, ber mütterlicher feitS bem £aufe 9turifS entftammenbe
Michael geoboromitfeh jum ßjaren ermaßt morben. SRidjacI III.
geoboronutfdj (1613—1645), ber bie SReihe ber Regenten auS bem
.£>aufe föomanom eröffnete, befeftigte feinen Xfjron burch Klugheit
unb 9flilbe unb fteCtte in bem jerrütteten SReic^e 9luhe unb Drbnung
her. ©ein ©of)n 2llejci TOchaelomitfch (1645—1676), ber fefion
im Hilter bon fünfzehn Sauren bie Regierung antrat, nahm bie $o*
fafen, bie fich gegen bie sJtepublif *ßolen empört hatten, unter feinen
©dmfc unb bemilligte ihnen, als <ßreiS ihres SlnfdjluffcS an föu&=
lanb, (Steuerfreiheit, eigene ©eridjtSbarfeit unb baS töecht, fich felbft
i^ren £ e t m a n — biefen Xitel führte ihr Oberhaupt — $u mählen,
mogegen fechäigtaufenb föofafen, benen ein befttmmtcS ^ahrgelb ju=
gefagt mürbe, für ben $>ienft beS (Sparen unter ben SBaffen bleiben
fottten. 3n bem 2BaffenftiHftanb, ben er im Sahre 1667 ju Sin*
bruffom mit bem ®önig Qohann ®afimir öon s$olen fd)lo&, mürbe
baS Sanb ber fafen jmtid&en ber föepublif unb SRu&lanb fo ge=
theilt, baf} ber Knieper bie ©renje bilben fottte; auch erhielt er in
bemfelben bie ^roöinjen ©ebenen unb ©molenSf jurürf. gür bie
§ebung ber SBilbung beS ruffifdjen SßolfeS, baS noch W einer an
nollftänbiger ^Barbarei grenjenben 0tot)t)eit oerfunfen mar, traf $tfe(ei
eine Üieifje trefflicher Einrichtungen.
Digitized by Google
ftufclanb unter $ettr bem (Drofecn.
217
SHejei'« ©ofa unb 9<acf)fotger geobor MerdnritfcE) führte
bic Regierung ht bem ©eifte feine« ©ater« fort unb machte fia) be*
fonber« baburd) um ba« föetd) oerbient, baß er bura) bie ©ernid>*
hing ber fogenannten „9to«riabbfid)er,' , in metdjen alle $rtbitegien
be$ Soften «bei« oerjeicfinet tuaren, beffen STnfprüdje auf ben erb*
lidjen ©efifc aller leeren ©eamtenftellen beseitigte. Unter if)tn
mürben bie Muffen jum erften WlaU in einen #rieg mit ben Xürfen
toermicfelt, ber jum Wafytyit ber ßefcteren oerlief .
Seobor ftarb fdjon im 3atjre 1682, nadj nur fed>« jähriger
Regierung, im Sllter öon füufunbjmanaig Saferen, unb ba er feine
tfinber hinterließ, gebührte bie #rone feinem älteren ©ruber 3 tu an,
Slerei'« Reitern ©ofme. tiefer mar jeboef) nid)t nur förperlidj
fcr)tt>a^f fonbem aud) geiftig fo gering begabt, bog er jur Regierung
unfäfng fdjien; bafjer erfannten bie Großen, bie fid) gleid> nadj
Seobor« Xobe $u 3Jco«fau oerfammelt Ratten, bie ftrone feinem
^efjnjäfjrigen ©tiefbruber $eter, einem jüngeren ©oime 2llejei'« au«
beffen <£l)e mit Natalie ftarifdjfin, ju.
Um <ßeter« Xljronbeftetgung ju vereiteln, reijte feine ©tief*
tömefter, bie ebenfo fluge unb ehrgeizige al« entfd)loffene $rin=
jeffin (Sophia, bie für ihren ©ruber 3man bie Regierung führen
$u fönnen gehofft, bie ©treiben (©triel$i*©d)üfcen, ein bon 3man IV.
errichtete« ftef)ettbe« $eer) burdj ba« Vorgeben, baß Sßeter fie auf*
löfen motte unb feinen ©ruber 3toan ermorbet fyabt, $ur Empörung
auf. Unter bem Stufe: „lieber mit bem SRörber 3man«!" um*
Ringelten fie ben ®reml unb fneben $cter« Df)etm Qtuan 9carifchfin
nebft mehreren anbern ©liebem ber 3<Hmfa feiner HJhitter nieber
(15. 9Hai 1682). ©elbft al« 3man fidj an <ßeter« ©eite geigte,
legte fid) ber Aufruhr nicht. (Snblich riefen bie ©treli&en Qttian
jum (Sparen au« ; al« biefer jeboch felbft fid), jum großen ©er*
bruffe feiner ©djmefter, feinen ©ruber $eter $um SRitregenten er*
bat, gaben fie feinem 2Bun[dje nach, unb fo mürben beibe ©rüber
am 23. 3uni 1682 ju 2Jco«fau gemein fchaftttdj gefrönt. SSä^renb
ihrer SJftnberjährigfett fottte bie ©roßfürftin ©opfu'a bie SRegentfchaft
führen, bie fie mit ihrem ©ünftling, bem Surften ©alifctn, theilte.
3nbcffen fat) fid) bie (£$aremna felbft batb in ihrer ©tellung
bon ben ©treiben bebrofjt, bie fidj bon ihr jurücfgefetjt glaubten
unb bon einigen ihrer Jü^rer, befonber« oon ben beiben Surften
(&f)on)an«fi , in ihren meuterifchen ©efinnungen beftärft tuurben.
©optjia entflog mit bem £>ofe nach bem $lofter be« heiligen ©ergei
ju Xroijfoi, einem neun teilen üon ber ^auptftabt entfernten
$?aflfafjrt«orte, unb mußte auc^ bie (5^oman«fi bort^in ju locfen.
&aum Maren biefelben jebod) erfa^ienen, al« fie mit fiebenunbbreißig
©trelüjen if)rer ©egleitung ermorbet mürben, ©ofort erfrürmten
bie übrigen ©treli^en ba« Softer, um 9taa)e ju nehmen an bem
Digitized by
218
JRufelanb unter $eter bem ©rofeen.
(sparen ^ßeter, auf meieren ©opfjia äße ©cfmlb gemäljt, unb fdjon
mar einer ber Wufrührer im begriffe, benfelben am tlltar ber Kirche,
mo er mit feiner SDlutter ©chufc gefud)t, nieberjuftofeen, alä ein
anberer, oon ©cfceu r>or bem heiligen Orte ergriffen, irm baoon mit
ben SBorten ^uräcf r)ielt : „Glicht rjier am Elitäre, ©ruber! Crr mirb
un£ nidjt entmifchen !" Unterbeffen mar ber 2lbel ber llmgegenb
jum ©crmfce feiner ^errfdjer herbeigeeilt, unb fo mürbe $eter
gerettet. Sßon ben Hufrüfjrern mürben breifeig al§ bie $aupt-
räbelsfürjrer enthauptet, bie übrigen auf if)r flehentliches Sitten be*
gnabigt.
©opbia benufcte ben mifeglücften ©trelifcenaufftanb jur @nt^
fernung *ßeter$ Dom #ofe, inbem fie ihm mit feiner 3Kutter einen
oon feinem ©ater erbauten ßanbftfc in bem $orfe $reobrafcrjena=
foi unmeit Sttoäfau jum Aufenthalte anmieS. ©ie felbft trat feit
ber $)emütfü'gung ber ©treiben mit Dotier ©elbftftänbigfeit auf.
Unter ben faiferlichen SBerorbnungen erfchien ir/r 9tame neben ben
tarnen ihrer beiben ©ruber; bie SJcunjen trugen auf ber SRücffeite
ihr ©ilb mit Jfrone unb ©cepter, unb bie Umfdjrift be5eicfjnete fie
als „©eherrf a^erin öon ®rofe- unb ff lein^ußtanb." UebrigenS
führte fie bie SRegentfchaft nicht ohne ©efefnef unb mußte föufelanbä
5(nfehcn auch nach duften aufregt $u halten. $on bem ®önig öon
$olen, Johann ©obteäfi, erlangte fte bie ©ermanblung be£ SSaffen*
ftillftanbeS öon Slnbruffom in einen beftnitiöen grieben. Qbrer
©ethetltgung an bem legten Sürfenfrtege Öeopolb« I. ^ahtn mir
bereite oben (©. 20) gebaut.
Unterbeffen mar <ßeter p $erobrafchenSfoi jum Jüngling
herangemachfen. ©on einer ©chaar junger Muffen auä ben erften
Samiltcn be3 Sanbeä umgeben, überliefe er fidj einer ööHig unge^
bunbenen ScbenSmeife. ?Benn jebodj feine ©chmefter bie Hoffnung
nährte, bafe er fich burch AuSfchmeifungen förperlich nnb geiftig ju
®runbe richten merbe, fo faf) fie fid) barin öollftänbig getäufcht;
benn hinter <ßeterä jügeflofem ^ugcnbtreiben öerbarg fich ein riefer
©ruft. 3n feiner Umgebung befanben fich mehrere MuSlänber,
unter benen befonberS 53 e f o r t , ein taufmannäfohn au* ®euf,
hcroorragte, ber nach einem abenteuerlichen, in franjöfifchen unb
hoüänbifchen Ärieg^bienftcn hingebrachten Qugenbleben als ©efretär
ber bänifchen <55efanbtfct)aft nach Oiufelanb gefommen. ©ein einneh-
menbeS SBefen, fein entfernebener CHwrafter unb bie öielfacfjen
Äenntniffe, bie er fich &*i feinem SBanberleben angeeignet, geman-
nen ihm balb bie befonbere 3nneigung be3 jungen, lebhaften unb
mtfebegierigen (£jaren, ber nicht mübe mürbe, ihm jujuhören, menn
er bie Lebensart gebilbeter ©ölfer, ihre bürgerlichen unb hän3=
liehen Einrichtungen in anfcfjaultdjen ©chUberungcn an ihm üor=
überführte unb ihm öon ihrem ,$anbel unb ihren fünften, ihrem
Digitized by Google
Shißlmtb unter $eter bem ©rofecn.
21D
&eer* unb ©eebienft erjagte. SBalb fanntc $eter feinen ^ö^eren
SEBmtfch, al* bie Silbung be* 2lu*lanbe* nach föußlanb $u üer>
pflanjen. 9ftit großem Grifer erlernte er üon Sefort bie bcutfcfje,
fjoflänbifdje unb franjöfifche ©pradje unb ließ fidj üon ihm unb
bem ©chotten ÖJorbon im (Gebrauche ber Staffen auf abenblän-
bif(t)e 2(rt unterrichten. ,3ugleich bilbete er au* feinen abeligen
meraben, bie er feine „^ßotefdjnie" (©ptelgefährten) nannte, eine
Sompagnie, in roeldje er felbft al* (Semeiner eintrat, um ben
$)ienft buref) afle ©tufen fjinburd) ju erlernen, Balb rouch* bie
3at)l ber öon Sefort unb ©orbon einerercirten ^otefdmie fo fef)r,
ba§ fie in *ßerobrafcf)cn3foi nicht mef>r alle ^lafc finben fonnten,
unb fo rourbe in bem nahen $orfe ©emenomäloi eine jroeite ßom*
paaiue errietet. $luS biefen beiben ßompagnien gingen fpäter §mei
©arberegimenter ^eroor, bie noch ^eute ben tarnen ber beiben
Xörfer führen.
©oplna fal) biefe* ©olbatenfpiel nicht ungern; benn fie fjoffte,
baß baSfelbe ihren Bruber öon ben ©taataangelegenheiten ablenfen
merbe. Qn biefer Hoffnung fah fie fich jebodj getauscht; benn je
mef)r ber junge (£$ar unter folgen Beschäftigungen feine ßraft
fühlen lernte, befto brütfenber erfdjien ihm bie Unfreiheit, in mel*
d)er feine (Schroetter irm fortmährenb $u galten juckte. §11* er im
3at)re 1688 jutn erften SKale feinen ©ifc im ©taatSrathe ein*
nahm, geigte ihr feine ganje Haltung, baß ihre §errfdmft in ber
emfteften ©efafn* fcfmjebe. SRodj f)öl)er ftieg ihre Beforgniß, al*
$eter fid) im 3af)re 1689 auf Betrieb feiner flugen Butter, bie
feinen SügcHofigfeiten ein 3iel ju fcfcen unb ihn jugleich bem
Bolfe näher ju fuhren hmnfchte, mit (Subofia üapuchin, ber Xodj*
ter eine* Sojaren, öermäfjlte. ©ie erfannte, baß *ßeter* $ob allein
ihr ben gortbefig ber fterrfcfjaft fiesem tonne, unb begünftigte ba=
^er eine Berfchmörung ber über feine Steigung ju bem auäroär*
tigen $eerme}en aufgebraßten ©treiben gegen fein ßeben. 3n*
beffen erhielt *ßeter ßunbe öon ber ihm brohenben (Gefahr unb
fud)te ©djufc in bem Softer Xroijfoi, mo fich alabalb außer ben
$otefcf)nie bie üon ihm aufgerufenen Bojaren in fo großer 3^
um i^n öerfammelten, baß bie ©treiben feinen Singriff magten.
3Rit ben Großen erflärten fich auch ber Patriarch oon 9Ko*fau
unb ba* Bolf für ilm. $ie ©treiben mußten fid) unterwerfen,
unb bie $auptfcrmlbigen erfuhren bie ganje ©trenge be* fiegreidjen
Sparen. $ie meiften berfelben mürben Eingerichtet, anbere nach
Sibirien gefeiert, beffen unter Qroan IV. begonnene Eroberung
unter geobor I. öollenbet tuorben unb ba* feitbem al* Berban=
nung*ort für ©taat*öerbrecher biente. 5luch ber gürft ©ali^in
mürbe, nachbem er aller feiner (SJüter üerluftig erflärt roorben, mit
einem täglichen ftoftgelbe öon brei Äopefcn (neun Pfennigen) ' nach
Digitized b^^oogle
*J20
9iunIonb unter ^ßeter bem ®rof$en.
dnem fleinen Slecfen am Eismeere tjermiefen, Sophia felbft in ein
®loftcr ju SRoSfau gebracht, wo fie ben Schleier nehmen mußte.
50 war ^ßcter im Hilter öon fiebjehn 3ahren jur Hüeinherrfchaft
gelangt, bic ihm Qman willig überließ, obgleich auch er btö an fei-
nen Xob (1696) ben Ehrentitel führte.
Unverzüglich fdjritt $eter §ur Ausführung be$ langft entwor*
fenen ^ßlane*, fein SReich burdj bie Einführung europäifcher Kultur
imb Einrichtungen ben ctöilifirten Staaten Europa'3 einzureihen
unb ihm unter benfelben eine geachtete (Stellung ju berfdjaffen.
$aju erfaßten ihm bor 2lHem ein nach europäisier SBeife einge«
ric^teted unb gefchulte* $>eer nothwenbig, mit meinem er nicht nur
im inneren feine* SReicheS jeben SBtberftanb gegen bie bon ihm
beabsichtigten Reformen nieberwerfen, fonbern auch beffen ©renken
burch Eroberungen erweitern fönne; benn er erfannte, baß e3 ihm
ohne ben Bcftfc bon $üftenlänbern, bie eine teilte Berbinbung mit
bem ?lu$lanbe gewahrten, unmöglich fein Werbe, SBilbung, ;panbel
unb ÖJewerbfleiß in sJtußlanb einzuführen. 3Bährcnb Sefort unb
dtorbon ihm ein trefflich gefchulteS £eer Don jwölftaufenb 5ttann
fchufen, beffen ®ern bie beiben Eompagnien bon ^ßerobrafchenafoi
unb Semenomäfoi bilbeten, fdjritt er zugleich jur (Srünbung einer
Slottc, burch meiere föußlanbä Söobenrcidjtfjum oermerthet unb ber
SBerfehr mit bem SluSlanbe gehoben werben foflte.
Meters Erober ungäpläne waren einerfeit* auf bie fdjwebifdjen
Dftfeclänbcr unb anbererfeitS auf bie ^iorbfüftc beä fdjroarjen
9)}eere$ gerichtet. Um junächft an ber lefcteren feften 3u& ju faffenf
begann er im 3<*hrc 1695 bie Belagerung beä ftarf befefttgten
51 j o w am ftuäflufjb beS $on ; feine Bemühungen, fich in ben ©cfift
ber Stabt ju fefccn, blieben jeboch fruchtlos. Erft nachbem ihm ber
&aifcr ^copolb unb ber fturfürft bon Branbenburg auf fein Verlangen
eine Anzahl Ingenieure gefanbt, Würbe Afow am 8. 3uli 1696
erobert. Um fich im Befifce biefeä wichtigen SchlüffelS jum fchwar*
jen Speere behaupten zu fönnen, liefe $eter fünfunbfünfjig neue
tfriegäfchiffe bauen unb zugleich einen ftanal anlegen, ber ben $on
mit ber Söolga berbanb. Auch fanbte er eine Anzahl junger 9tuffen
nach Italien, #ottanb unb $eutfchlanb zur befferen Erlernung beS
Schiffbau* unb beä ftriegSbienftea.
Unterbeffen hatten Cetera Neuerungen unb tnäbefonbere bie
Berwenbuug fo bieler Auälänber im gefammten ftriegäwefen nicht
nur ben Unwillen ber Streiken erhöht, fonbern auch unter einem
großen ZfyäU beä ruffijchen Abel* eine fo erbitterte Stimmung
hervorgerufen, baß 511 Anfang be* %a1)xc% 1697 eine Berfdjwö*
rung gegen baS Scben beS Ejaren zu Stanbe fam. 3" ^ad)t
jurn 2. Jebruar jollte gener angelegt unb ber E^ar, ber bei fol*
(heu (Gelegenheiten herbeijucilen pflegte, um fclbft am ßöfchen Xheil
Digitized by Google
jRufclanb unter $eter bem ©rogen.
221
$u nehmen, im ©ebränge ermorbet roerben; bann wollte man bie
(Ejaretrma Sophia au$ bem Softer f>olen unb auf ben Xljron er=
f)eben. ©d)on mar ber berfjängnigoolle Xag gefommen , als jroei
reuige Dffijiere ber (Streiken bem (Sparen ben ganzen Slnfdjtag,
entbeeften. tiefer lieg fic üerfjaften unb gab bem dtorbefjauptmann
Xrubefctoi SBcfc^I, um elf Uf|r in ber üftadjt ba8 JpauS be3 ©taatä*
ratfjä ©ofotontn , in meinem fid) bie ©erfdjroorenen oerfammeln
follten, in aller ©title ju umzingeln. Crr fclbft begab fid), in ber
sI»ieinung, bag er ben ©arbefyauptmann fdjon für jetjn Uljr befteflt
Ijabe, ju biefer ©tunbe bortfjin unb trat, bie SSadje fdjon im £aufe
glaubenb, mitten unter bie ©erfd&toorenen. Dbgleid) er bie ©efafjr
nicfjt Derfannte , in roeldje er ftdjj burdj feine Uebereilung geftürjt,
fagte er fid) fernen , grüßte bie ©erfammelten freunblid) unb er*
Karte Urnen . er fei am £aufe öorübergefafyren unb l>abe aus bem
gellen ©djein ber Siebter auf eine luftige ©efellfdiaft gefa^loffen;
bafjer fei er eingetreten , um nod) ein ®la$ mit itynen $u leeren.
$ie ©erfdjmorenen , bie anfangs über fein ©rfdjeinen beftürjt ge-
ioefen, trauten auf feine ®efunbf)eit , unb er felbft tt)at ifmen nad)
feiner SBeife roarfer Söefd&eib. 211$ er jebodj fyörte , nrie einer ber
©erfdjtoorenen Ijalblaut ju ©oforonin fagte: „3^^, ©ruber, ift e&
3eit!" unb biefer U)tn teife erttnberte: „9todj nidjt!", fprang er im
f)ü djften Qoxnt auf unb öerfefetc mit ben Sßorten : „$a, wenn e&
bei bir nodj nid>t 8tit iftr fo ift e8 bei mir Seit!" bem ©ofonmiu
einen fo heftigen gauftfdjlag in3 ©efidjt, baß berfelbe $u ©oben
ftürjte. (^lüdlic^ertüeife trat in bem nämlidjen Slugenbtitfe, mit bem
Schlage elf Ul)r, ber ©arbe^auptmann mit feinen Seuten in ba&
3immer. Xic ©erfrorenen, bie 2llleä oerloren fafjen, baten fug*
fallig um @nabe; fic würben jebodj gebunben fortgeführt unb ftar*
ben auf bem ©lutgerüfte.
©djon tängft Ijatte *ßeter bie Slbfidjt gehabt , bic widjtigften
Staaten GSuropa'a ju bereifen, um ifjren Shilturjuftanb au3 eigener
Slnfdjauung rennen $u lernen, liefen Sßlan braute er jefct jur
SluSfüfjrung. 9lad)bem er für bie $auer feiner silbtt>efenf)eit ben
oberften 9Reid)3beamten bie Regierung unb (Dorbon ben Oberbefehl
über bie Gruppen übertragen , trat er im Hpril 1697 feine Sfteife
an. $a er alles Sluffefjen fjagte unb unbefannt ju bleiben roünfdjte,
gab er feinem jaljlreia^en befolge baS Slnfe^en einer ©efanbtfdjaft,
an bereu ©ptfce er Sefort ftettte, toäfjrenb er felbft ben Xitel eine*
DberfommanbeurS annahm 3)ie Steife ging über föiga unb TOtau
nad) Königsberg, tuo ber pracfjtliebenbe Shirfürft griebrid) III. oon
©ranbenburg, in einem fa^artac^nen, mit diamanten befe^ten ÖJe^
roanbe unter einem carmoifinrotljen , reia) mit ©olb burc^ftieften
I^ron^immel fi^enb unb oon feinem jaljlreidjen ^pofftaate umringt,
bie ©efanbtjdjaft aufä geierlta^fte empfing unb feinem ^oljen ©afte
Digitized by
222
ffiu&lanb unter $eter bem ©rofccn.
ju (Sfjrcn, bcr gleich anfangs crfannt werben, glänjenbe geftlia>
feiten öeranftaltete. ftachbem $eter fich Don ben branbenburgtfehen
Söerhältniffen unb melen anbem fingen, bie feine SBtfcbegierbe er=
«9t, forgfältig unterrichtet hatte, reifte er am 9. Quni mit feiner
®efanbtfchaft weiter nach Berlin, wo er fich in ber ftriegSfunfi
prüfen unb ein ßeugniß barüber auSfteöen lieg. SBon r)icr ging er
über Üftagbeburg unb Jpannouer nach SImfterbam , nachbem er ftd),
um feinen WugenbUcf mit leeren Sürmlichfeiten unb Zeremonien
t>erfd)wenben ju müffen , ferjon in (Smmerich t>on ber (SJefanbtfchaft
getrennt ^atte.
3n Mmfterbam feffetten baS ©ewüb,! ber ®aufleute , ©Ziffer
unb ©olbaten , bie SBerfftätten ber $ünft(er unb £>anbwerfer , bie
TOüt)Icn f $>ämme, 2Rafa)inen unb ©chleufen unb oor Gittern bie
sJ)icnge ber ©duffe bie Mufmcrffamfett beS ©jaren fo fehr , baS er
fid) üom frühen SKorgcn bis in bie fpäte 9cad)t feine SRufje gönnte,
um SIÜcS auf« ©cnauefte in Wugenfchcin 511 nehmen. Um felbft
bie ©djiffSbaufunft grüubltch $u erlernen, begab er fich naef) bem
burdj feine bebeutenben SBerften berühmten T>orfe ©aarbam, wo
er fich unter bem tarnen Njkter sittichaclow bei einem ©ct)iffSjim-
mermeifter als ÖJefefle eintreiben lieg unb, um nidjt erfannt ju
werben , mit ben übrigen ^immerleuten ^uf uüüig gleichem 5u§e
lebte. Sein (Eifer unb feine Üernbcgierbe fannten feine ®ren$en. 2US
gemeiner TOatrofc gefleibet, erfaßten er mit ber 5lft auf ber ©djul-
ter fd)on in früfyefter 2ftorgenftunbe auf ber SBerft unb war
beS 2lbenbS bcr #e$te bei ber Arbeit, ©elbft nachbem er tt-
fannt worben, bulbete er nicht, bajj man ifjm irgenb welche 2(uS*
aetchuung erwies, unb wollte nicht anberS genannt fein, als „3fteifter
NJ$etcr." 3)en Söinter braute er $um großen X^eile in SImfterbam
$u, wo er tfyeils in ben Werften ber oftinbifdjen Kompagnie arbei-
tete , tf)cils fich in ber 9ftatljematif unb Waturfunbe unterrichten
ließ , bie SBorlefungen bes berühmten Anatomen Sftuufch befugte
unb fidj felbft in dnrurgifchen Operationen , fogar im 3af)nauS=
reißen, übte. sfllS bie ©tabt Hmfterbam ihm ein ©duff fehenfte,
woran er felbft mit gearbeitet, fanbte er baSfelbe mit Dielen in
.^ottanb angeworbenen ©eeleuten , Dffijicrcn unb Äünftfcrn aller
tfrt nac^ s2lra)angel.
(Einer (Etnlabung SBilhelmS III. oon (Englanb folgenb, begab
fich ^Seter im Qanuar 1698 nach fionbon , wo er feine SSofjnung
$u 3)eptforb bei ben Söerften ber SIbmiralität nahm unb fich fleißig
mit ben Arbeitern unterhielt. ?luch in Bonbon wollte er 'MeS feljen
unb WUeS fennen lernen. 3n engüfeher 3J?atrofcntracr)t feft weifte er
iage lang in ben ©tränen ber ©tabt, in (Störten unb ftaffeehäu»
fern , $ird)en unb ©djaufptclen umher , bejuchte bie bebeutenbften
3abrifen, fowie jahlrciche Söerfftätten oon ftünftlern unb #anb*
Digitized by Google
SRufolonb unter $ctcr bcm ©rofecn.
223
Werfern unb tieft fic^ in ber Sternfunbe unterrichten. ©in See*
treffen, baS ber ßönig ihm $u @l)ren burch bie encjüfdje glotte in
Spttheab oorfteHen lieft, entjücfte ihn fo feljr, baft er in bie Söorte
ausbrach: „§a fürwahr, wäre ich nicht (£$ar oon sJtuftlanb, fo
möchte ich ein englifcher Abmiral fein." ftadjbem er eine grofte
Anjat)! ^arineoffijiere unb Öootfen, fomie sweihunbertfünfetg ®a*
noniere unb über fünfhunbert £>anbwerfer unb $ünftler in feinen
^ienft genommen , fetjrte er nach £>ollanb jurucf , oon ujo er fldt)
über Bresben nach 2Sicn De8aD > um auc& über baS öfter»
reichifche ®riegSmefen auf* benauefte $u unterrichten. Schon rüftete
er fich , nach einem mehrmonatlichen Aufenthalte am Jpofe £eo=
polbS I., $ur SSeiterreije nach 3ta(ien# als bie Nachricht oon einem
neuen Strelifcenaufftanb ihn jur fdjleunigen Üiücffehr nach SRuftlanb
bewog.
AIS ^ßeter am 4. September 1698 nach SWoSfau jurücffam,
fanb er ben Aufftanb bereite burch ben beneral borbon bewältigt,
ber bie gegen bie jpauptftabt heranjieheuben Gebellen am 28. Quni
bei bem ftlofter SBoScrefenSf jurücfgefchlagen unb über oiertaufenb
berfelben ju befangenen gemacht. sJUcr)t aufrieben bamit, ba& bor*
bon bie fchulbigften unter ben gefangeneu Aufrühreru fogleich \)&ttt
erfdneften laffen, lieft $eter über ade an bem Aufftanb söetheiligten
ein furchtbares Strafgericht ergehen. 9iad)bem er oergebend burch
bie fdjauerlichften Folterqualen ben befangenen beftänbniffe über
bie Öetheiligung feiner Sa)wefter an bem Aufftanbe ju entreiften
gefugt , mürben über jweitaufenb Strehlen , jum Xheil unter
fchauerlichen Dualen, Eingerichtet, mobei ber Barbar nicht nur felbft
£>enterSbienfte oerrichtete, inbem er an hunbert Streiken mit eigener
^>anb enthauptete , fonbern aua) oiele ber oornehmften Bojaren
jroang, feinem Öeifpiele ju folgeu. Obgleich es ihm nicht ge=
lungen, ©eweife für bie üttitichulb feiner Schwefter $u erlangen,
blieb auch fie oon feiner Stäche nicht öerjdjout. $or bem Softer,
in welches fie oerbannt toorben, lieft er achtunbjtoanjig balgen er-
richten, an welchen nach unb nach hunDcr^funfä^9 Streiken aufge-
hängt würben. 3)rei berfelben fingen unmittelbar oor bem 3enfter
ü)rer $lofterjeüe , unb bis $u bem Xobe ber unglücflichcn gürfttn
(1704) burften bie oermoberten bebeine nicht hingenommen wer-
ben. Auch feine bemahlin (Suboria berwies ber (£jar , inbem er
fie, wahrfcheintich nur aus perfönt icher Abneigung gegen fie, gleich ;
falls ber Sflitwtffenfchaft an ber sBerjchwörung befchulbtgte , in ein
#tofter unb jwang fie, ben Soleier $u nehmen. Das ®orpS ber
Streli^en würbe ooüftäubig aufgehoben.
3m folgenben 3ahre (1699) hatte $eter ben Schmer^, feine
beiben bemährteften greunbe unb thätigften Mitarbeiter, £efort unb
borbon, rajch Ijintereinanber ins brab finfen 511 fehen. Sein be=
Digitized by
224 Stufetonb unter <ßcter bem ©rofeen.
borzugter föathgeber hmrbe jefct SRencjif om, ein üKann bon
ittcbcrcT §erfunft, mahrfcijeinlich ber ©ofjn eine* dauern au* ber
©egenb bon SRoSfau. Sefort hatte benfelben als $aftetenbäcfer=
jungen auf ben ©tragen bon 9)to*fau getroffen unb itm megen
feine* flugen , lebhaften 28efen* unter feine $ienerfcr)aft aufge*
nommen. $aburrf) r)atte ir)n and) $eter rennen gelernt, unb bo er
gro&e* Gefallen an ir)m gefunben, r)atte er Um für feinen eigenen
Tienft auSbtlben laffen unb it)n fpäter 5U feinem Slbjutanten er=
nanut. $a er in biefer ©teöung unauSgefefct um ben Sparen mar,
gelang e* bem ehrgeizigen jungen Sftanne, ftet) in ber ©unft be*=
felben fo feft ju fefcen, baß nach üefort* Xobe beffen ganzer <5in»
flufe ir)m jufiel. ©o ftieg er bon ©tufe zu ©rufe bis jum ©taat**
minifter unb gelbmarfdjall empor unb würbe bon *ßeter, ber Seicht*
ofme feinen Statt) unternahm unb i^n in allen fingen zu feinem
Vertrauten gemacht , in ben gürftenftanb erhoben , roa* jeboct) ben .
Sjaren nict)t berrjinberte , it)n bt*n>eilen bur(t)juprügeln. Veram
taffung baju gaben it)m befonber* bie häufigen Veruntreuungen, ju
benen 3Kencjifom fiel) buret) feine fdjmähliche ^>abfuct)t berleiten lieg,
bie jebodj ben (Jjareu nict)t beftimmen fonnten , fict) gänjlidj bon
feinem (Mnftüng lo*zufagen. Xro$ biefer Veruntreuungen , bie
einen fdjrueren ©Ratten auf ÜKenczifow* (£t)ararter unb Sieben
werfen, famt nict)t in &brebe gefteHt roerben, bog er ein tüchtiger
©taat*mann unb Sdbtjerr unb ein äufcerft tfjätiger SJfttarbetter
^ßeter* mar unb bafe Shifclanb bie Vegrünbung feine* $lnfer)en* im
2lu*lanbe jum großen Xfjeile ic)m berbanft.
$ic ©inbrüefe, bie $eter bon feiner Steife jurüdgebraetjt, hatten
feinen (Sifer für bie Umgeftaltung Stujjlanb* berboppelt, unb er be*
trieb biefelbe mit ebenjo bieler 9iücfficht*lofigfeit als Xt)atfraft.'
SJcefjr jeboef) noch, al* feine Reformen, befa)äftigte ir)n 31t jener 3ett
fein Siebling*plan , an ber Oftfee feften gufc 511 faffen unb an ber
SHfinbung ber Sceroa eine jpafen* unb £anbelSftabt ju grünben;
benu zum ©rmerb ber im Vefifce ©chroeben* befinblicr)en öftlidjen
$üftenlänber ber Oftfee fduenen it)m gerabe bamal* bie Vertjälrniffe
befonber* günftig, ba ber im 3at)re 1697 eingetretene Xob #arl* XI.
bon ©djroeben einen fünfzehnjährigen ßönig auf ben fct)tt>ebif4en
Il)ron geführt hotte unb SDänemarf unb sßolen fict) geneigt zeigten,
fid) mit ihm zu einem gemeinsamen Kriege gegen ©chroeben zu ber«
binben. Vebor mir zur ^arftellung biefe* Kriege* übergehen,
müffen mir einen ©lief auf bie brei übrigen bei bemjelben betheilig*
ten ©taaten merfen.
Digitized by Google
I
$olen in ber arocitcn fcälfte be$ ftcfyefmten 3a$rfjunber». 225
IX.
^öfeit in 6er weiten «Aäffte be* fie^nten gaWnnbett*.
TO SBlabiSlam IV. , ber im Kriege gegen ben ruffifc^en
©jaren 3J?tcr)acI III. geoborottritfd) bie 3ntegrität be$ polnifäen
SReia)e3 aufregt gehalten (f. 83b. Vr ©. 323), im 3a(jre 1648
ftarb , . war bie SRejmbüf fdjroer bebrof)t bura) einen Slufftanb ber
Äofofen , bie feit bem fünfzehnten Safjrhunbert ben Königen öon
*ßo(en , toenn audj meljr bem tarnen als ber Ifyat nad) , unter*
luorfen unb burd) einen SBefc^htg beS polnifdjen SReidjätagS im
go^re 1638 be3 bid bafu'n öon ifmen geübten föedjteä , ifjren
£>etman felbft ju roäf)Ien, beraubt roorben roaren. Obgleich unter
biefen Umftänben bie fofortige SBieberbefefcung be3 Xfjroneä bringenb
geboten erfaßten, fonnte fidj ber jur 2Saf)t eines neuen Äönigä zu*
fammengetretene Slbcl erft nadj fünfmödjentlidjen ©treitigfeiten über
bie (Srrfjebung go^ann ® a f i m i r 8 , be8 jüngeren SöruberS
SSMabiälams , auf ben polnifdjen %f)xon einigen (20. jttoö. 1648).
£a e3 bem neuen $önig an ben nötigen 9Jcitte(n jur erfolgreichen
Jöefämpfung ber aufrüljrerifdjen ®ofafen fehlte, fnityfte er mit bem
gü^rer berfelben , bem tapferen 5ö o g b a n , Unterljanblungen an,
unb fdjon roaren biefelben i^rem Stbfa^luffe naf>e, aU ein öerrät^e*
rtfdjer Ueberfall beä Äofafenlagerä bura) eine Slnjatyl potnifdjer
(Sbetleute ben ®ampf aufa 9ßeue entjünbete. 55er tum bem ®fmn
ber Xataren unterftüfcte Söogban fd)Iug bie $oten in mehreren ®e*
fechten unb $roang ben $omg Qo^ann $afimir ju einem grieben,
in meiern ben ®ofafen ifjre frühere SBerfaffung unb ben Xataren
ein järjrüc^cr Xribut jugefagt mürbe. 9M)rfad)e Verlegungen biefeä
Vertrags oon ©eiten ber $ofen roaren es, roaS bie ®ofaten beroog,
fid) im 3a^re 1654 unter ben ©d)itfc beä (Sparen Sttefei aftidjaelo*
roitfd) ju fteHen, unb biefem Verantaffung $u einem Kriege mit
*ßolen gab (f. S. 216).
Qvl ber gleiten Seit tourbe *ßo(en burdj ben bereits o6en
(©. 8) ermahnten #rieg mit $arl ÖJuftaö öon ©djroeben an ben
Stanb beS SöerberbenS geführt. Qm Qa^re 1655 rücfte ber ©djroe*
benfönig, ber fid), öon $Ruf)mbegterbe unb (SxoberungSluft Derart,
bie Aufgabe gefteßt Ijatte f ÖJuftaö SlbolfS $läne ber Unterwerfung
ber Cftfecfüften jur ttoüftänbigen 2lu3fütjrung ju bringen unb ba*
burd) ©a^mebenS Hegemonie im Horben für immer ju befefttgen,
mit einem ja^reia^en ^)eere öon Bommern auö in ©ro^^olen
ein unb fafj fia), bura) bie Unjnfriebenfjeit öieler polnifa^en ©ro&en
mit bem ®önig 3o^ann Äafimir in feinen (£roberung*ülänen untere
ftüftt, batb im ©efifce oon SBarfa^au. 2(ua) trafau, mo^in 3o^ann
^afimir t)attc fliegen müffen , ergab fict) , nad)bem ber gleichzeitig
^oIa»art^ SBeligcföicfcte. VI. 15
Digitized by Google
226 $olen in ber jwetten fcftlfte beS fiebaeljnten gahrhunbertS.
öon bcn ©djwebcn unb bcn Muffen bebrohte ftönig, bcr Uebermacht
weic&enb, bcn 93oben feinet föeicheä oerlajfen fyittc r um in ©chle*
fien ©<hufc ju fuchen. Unaufhaltfam rücftcn bic Schweben öor,
unb in wenigen Monaten war Äarl ©uftaö $err öon ganj <ßolen.
$a& cd ihm nicht gelang, ba& (Stöberte im Kampfe gegen $olen*
83unbe3genoffen, ben ftaijer Seopolb, ben Äurfürften griebrich 2Bil*
heim öon Vranbenburg unb ben Äönig griebrich III. öon Xäne*
marf, ju behaupten, fyabtn wir bereits oben (©. 8) gefehen.
91ach bem Slbfcf)luf$ befc griebenä öon Oliöa , burch welken
holend ©elbftftanbtgfeit gerettet mürbe, bouerte ber ftrieg mit föufc
lanb noch fieben Sa^re fort, bi* er im 3ahre 1667 burch ben
brriaeJmjäljrigen SBaffenftiüftanb öon Slnbruffow $um ißort^cil 9tufc
lanb$ beenbigt würbe (f. ©. 216).
Rotten bie ©ertrage öon DUöa unb Slnbruffow bem polnifchen
9ietdt)e bie SRutje nach 2lu&en wieber gegeben , fo würbe bagegen
bie innere Serriffcnr>cit öon Qahr $u J3ahr größer. ©d)on im
$ahre 1652 hatte ber ^Reichstag, bcr nach unb nach nicht nur ade
gefefcgebenbc ©cmalt, fonbern auch ba$ Stecht an fid) geriffen, $uf*
lagen ju ergeben, ftrieg an^urunbigen unb grieben unb ©ünbniffe
ju fchltefjen, ba$ fogenannte »Liberum Veto« eingeführt, nach wel»
djem jebem einzelnen Sanbbotcn ba$ Stecht juftanb burch bic Söortc :
„3$ will nicf>t," alle ©efchlüffe ber Verfammlung aufzuheben. Db*
gleich biefeä Liberum Veto alle Ötefefogebung unb jebe geregelte
©taatööerwaltung unmöglich machte, würbe ed öon ber 3)^er)r^at)I
ber (Großen für baä Sßallabtum ber greüjeit erflört unb, trofc ber
burch baSjelbe unaufhörlich hrcöorgerufenen Verwirrungen, öon ben
öerblenbeten Slriftofraten £um Verberben beä ßanbeS mit bcr fyavt*
näcfigftcn (£ntfct)iebenr)eit aufrecht gehalten.
Johann Äafimir far) fia) burch biefen neuen ©taatSgrunbfafc,
beffen öerhängni&öotte golgen er oergebenS bcn ^ßolen in prophe*
tifchen äöorten öor klugen geführt, fowie burch bit immer weiter
gehenben Slmnajsungen beö 5lbel£ fo fehr an jebem erfolgreichen
ÄUrfen gehemmt, baß er am 19. Sluguft 1668 bie Ätone nieber-
legte. ©r 50g fich nach granfreich $urücf, wo er im Qahrc 1672
ald 3lbt be3 ÄlofterS beä ^eiligen Martin $u 9leüer3 ftarb.
3)ie SSaht eines neuen ftöntgS führte fo heftige ©treitigfeiten
herbei , bafc mehr als einmal baS 2Baf)lfelb in ein förmliches
©djlachtfelb auszuarten brohte, unb nur bem energifchen Auftreten
beS $honf elbhcrrn 3ohann©obieSfi, ber eben öon einem fieg*
reichen gelbjug gegen bic rebetti)chen Äofafen jurüefgefchrt , fyattt
man cd $u öerbanfen, baß öerjehiebene blutige Auftritte fich ™fy
in allgemeine kämpfe öerwanbeltcn. (Srft am 19. %üni 1669,
fedjä SBochcn naa) ber Eröffnung bed SBahltagS , würbe ein pol-
nifchcr ©belmann, Michael SBidnowieafi, als Sßachfomme jened
Digitized by Google
$oIen in ber jroeitcn §älfte be3 ficb^cfjntcn 3a^r^unbcrt*. 227
littf)auifdjen gürfteu ßorübut , ber wäfjrenb ber $ufitenfriege eine
,3eitfang über Siemen gefjerrfcfjt (f. Öb. IV, 6. 433), $um £önig
gewählt. $)a er fclbft füllte, bag er ber feiner fjarrenben Aufgabe
in feiner Söeife gemadt)fen war, weigerte er fidj, bie Jerone angu*
nehmen; man brang jebod) fo lange in ifm, bid er nachgab.
Unter 2Hid)ael3 fd)Wad)er Regierung , bie $u feinem eigenen
tuie $u dolens ÖJIücf nur oier Qatyre bauerte , ba er fdjon am
10. Ücoüember 1673 ftarb, f)errfd)te nidjt nur imSnnern bie jügel*
Iofefte Anordne , fonbern ba$ Üieicf) mar audj t>on 2lu§en burd)
ben ©ultan 9ttol)amineb IV., beffen (Efcfmfc ber empörte ®ofafen*
Häuptling SJorojenfo angerufen, auf ba3 ©djmerfte bebrängt. ©0)on
hatten bie Staaten bed ©ultanS ben $olen ^ßobolten mit ber
widrigen, für unüberwinbltd) gehaltenen S^ftung ®aminiec$ ent-
riffen unb ftanben im begriffe, in ba8 3nnere be3 Sanbeä einju*
bringen, als ©obieSfi ilmen bei ©fjoejim eine blutige Sfticbcrlage
bereitete, burd) welche fie 511m 9*ücf$ug genötigt mürben. 2)er
dlufym btejeS $age3 mar eä ^auptiäa)lia) , was bie SBafjl ber
Magnaten auf ben l)elbenmütf)igen ©obieöfi leitete; am 21. Sttai
1674 mürbe berfelbe als 3o^ann III. jum &önig öon *ßolen
aufgerufen.
5ßon bem SSafjlfelbe eilte ©obieöfi fogleidj auf ben ®rieg$=
fdmuplafc jurücf unb cr^ötjte ben ©laitj feines Ramend burdj eine
SHeilje neuer glorreicher Siege. Slber Langel au SebenSmitteln,
fomie baS Ausbleiben ber erwarteten Skrftärfungen unb bie geraak
tigen £>eereSmaffen , bie ber ©ultan Ujm ftetS aufs SReue entgegen
warf, nötigten ifm im 3ahrc 1676, mit ber Pforte einen Vertrag
ab$ufdjlie&en , traft beffen ^obolten mit ber Seftung ftaminiecj in
ben £änben ber iürfen blieb.
9tad)bem fcd)S galjre lang bie SSaffen geruht Ratten, rief bie $3e=
brangniö SSienS burd) bie Xürfen ben ^oa^^erjigen ©obieSfi ju
neuen %fyattn. Dbmofjl er fidj nad) ber Einnahme öon ®ran
(f. <S. 19) öon ben $aif erliefen getrennt, fefcte er ben Stampf
gegen bie dürfen fort; bod) ^tnberten ilm bie Sftänfe einer oon
Üubwig XIV. gewonnenen Partei , fowie ber vJleib öieler (SJrojjen
an bebeutenben Unternehmungen. Um bie Unterftü&ung sJiuf$lanbS
gegen bie Xürfen $u gewinnen , ging er im 3at)rc 1686 auf
&erwanblung beS SBaffenftiflftanbeS öon 5Tnbruffow in einen befind
tioen grieben ein (f. ©. 218). $ie ifrat oon Sftujjlanb juge jagte
£tlfe blieb jeboet) aus, unb fo gelang es if)m bei ber ÖJeringfügig=
feit ber mm bem 9teid)Stag bewilligten Öclbmittel nicht , fidj , wie
er gehofft , burd} Eroberungen an ber türftfehen (iJrenje für ben
23erluft ber bauernb an SKu&lanb übergegangenen polnifa^en (Ge-
biete ju entfajäbigen. ®o gering jebod) aua) bie ©rgebniffe feiner
testen &elb3üge gegen bie Ungläubigen im Vergleiche ju ben früheren
15*
Digitized by Google
228 $olen in ber jmcitcn $«ftc beS ftcbjc^ntcn 3af)rljunbert3.
glänjenben (Srfotgen feiner SBoffen waren, fo gemährten fte bod>
bem $aifer ben ©ortfjeil, ba§ burd) biefetben ein %\)t\l ber türfifdjen
©treitfräfte befdjaftigt mar unb inSbefonbere bie Xataren fid) ba*
burdj an einem @infaß in Ungarn ge^inbert fafjen.
Qm 3nnern beä 9leid)e§ fjatte ©obieäft mit ben gleiten
©djwierigfeiten ju fämpfen, tüte fein Vorgänger. Xrofc ber uner-
mübtichften 2(u3bauer in feinem (Streben, bie entfdjwunbene ©runb*
läge eine« georbneten ©taatöwefenS ^aufteilen, gelang eä il)m
rndjt, mit ben öon ifmt beabfidjtigten Reformen burcfoubringen ;
benn Wenn auch einmal ein ^Reichstag nach enblofen SBerhanblungen
in feine SBorfchläge einwilligte, fo t)atte ber folgenbe nichts (Eifrigere«
ju thun, als bie gemachten SuQcftanbniffe jurücfjune^men. ©benfo
erfolglos wie feine SJieformbeftrebungen blieben ©obteäfi'a ©e^
mühungen, bem älteften feiner brei ©öfme nod) bei feinen Sebaei*
tcn bie Thronfolge fidjern ju Iaffen , theilö weil ber Slbel barin
eine Beeinträchtigung feine« freien SBahlredjtS erblitfte, tf)eite weil
ßubwig XIV. ihm insgeheim entgegen arbeitete.
(£3 war bem ebien ©obieäfi nicht belieben, ben 2lbfd)lu& be&
grtebenä öon ®arlowifc $u erleben , ber *ßolen baä oerlorene *ßo*
bolien mit ^aminiecj juriidgab: er erlag am 27. Quni 1696 im
Hilter oon gWeiunbftebjig Söhren einem ©d)laganfall.
9cad) bem $obe ©obieSfi'S erneuerten fid) bie SSahlunruhen,
unb fo fefjr wichen bie Meinungen unb 3ntereffen ber polnifchen
©rofjen öon einanber ab, baß ber SBahltag erft am 15. Sftai 1697
eröffnet werben fonnte. SSon ben oerfdnebenen Bewerbern behielt
bcr Äurfürft Sriebrich Wuguft II. oon ©achfen, wegen feiner uttge*
wöfmlichen ®örperfraft „ber ©tarfe" genannt , ber ^weite ©ofjn
be« Äurfürften ®eorg III. unb ber ©ruber be« im 3a^re 1694
oerftorbenen Shtrfürften ©eorg IV., bie Dber^anb, weit er fid) am
greigebigften in ©elbuerfprechuitgen gejeigt. $5a§ bie ©öhne ©o=
bie$fi'3 umgangen würben , hatte feinen (Drunb ^auptfä^Uc^ in
ber Abneigung ber Sßolen gegen bie oerwittwete Königin, bie efyr-
geijige ättaria ®afimira b'3trquien, eine granjoftn, bie mit SDcarta
oon 9koerä unb ÜRantua, ber (Bematjlin 2Slabt3law$ IV., nad) ^o-
len gefommen unb burd) ihre föänfefudjt unb £errfchbegierbe nicht
wenig baju betgetragen, ©obieSft'3 ©tetlung ju erfd^weren, wie fie
fid) auch burd) ihren ©tolj unb it)re Slnma&ungen bie &erjen ber
ebelften $olen entfrembet hatte.
9iad)bem bcr Jhirfürft Sluguft II. burd) feinen Uebcrtritt jur
fatholifdjen Sirdje baä lefcte $)inbcrnig hinweggeräumt, ba« feiner
(£rt)ebuttg auf ben polnifa^cn i^ron nodj im Segc geftanben, würbe
er am 28. 3m" 1697 Jum Äönig oon s$oIen gewählt unb am
15. ©eptember ^u Pratau gefrönt. Qu feinem eigenen wie $u
^otcnS llttglücf hatte er bei feiner 38a(j( bie Verpflichtung über^
Digitized by Google
2){inemarf unter griebndj III. unb (Eljriftfan V.
229
nommen, bic an ©djmeben abgetretenen polmfchen *ßroöinjen jurücf
^u erobern — eine Verpflichtung , bie ihm felbft baä üeben öer*
bittern unb ^olen mehr unb mef)r feinem Untergang entgegen*
führen fottte.
X.
<P<mematft unter $thM$ III. (1648-1670) ttttb $)xift\au V.
(1670-1699).
Mi (Xfjriftian IV. , ber fdjon im Hilter öon elf Sauren ben
Ifyxon beftiegen, im 3at)re 1648 nach fedföigjähriger , öielbemegter
Regierung ins ÖJrab gefunfen mar, Ijieft fid^ ber SIbel, in golge
ber öon ihm ausgegangenen (Erhebung grtebrichä I. gegen (£hri*
ftian IL, jur 2Baf)l unb ©eftätigung be3 neuen Königs berechtigt;
bat)er mußte griebrich III. , ber 6ofnt ©hriftianS IV. , ehe er ben
Ifyton befteigen burfte, eine SSahttapttulatton unterzeichnen , in
welker bem 2lbel fo bebeutenbe Vorrechte $ugeftanben mürben , ba§
bie fonigttche ©emalt jum Mögen ©Ratten herabgebrüeft mar.
Xrofc ber ©rfdjöpfung , bie (£hriftian3 IV. Kriege für $äne*
ntarf jur golge gehabt, glaubte griebrich III. ben Slugenblicf, mo
fein länberfüchtiger Watybat $arl ©uftaö öon ©chmeben s$olen
mit ftrieg überwogen, ju einem $erfud>e ber SBiebereroberung ber
an ©chmeben öerlorenen Gebiete benufcen ju müffen; er fanbte
t>egr)alb ber öon $arl ©uftaö blocfirten ©tabt S)anjig feine glotte
gu £üfe unb lieg jugleidj ein £>eer in ba3 ben ©chmeben ge-
hörige ^perjogthum ©remen einrüefen. 9luf bie ®unbe öon biefem
feinblidjen Vorgehen be$ Königs öon $)änemarf brach ®arl ®uftaö,
ber eben in ßitthauen ftanb, fogleidj mit bem größten Xhcile feines
Speeres ju einem 9iachejuge gegen griebrich auf (3uni 1657).
Söährenb fein gelbfjerr ßarl ©uftaö Sörangel bie $)änen aus
ben fchmebifchen SBefergegenben öertrieb , brang er felbft fiegreidj
in bie bänifche ^palbinfel ein unb $mang ben geinb $um Sftücfyug
nach ben Qnfeln. S)ie SRatur felbft fdnen feine (SroberungSpläne
begunftigen $u motten; benn ber SBinter brachte eine fo unge*
tuöhnlicfje £ alte , bafj bie beiben 93cltc jufroren , fo baß man ju
gufce auf bem (£ife öon Qütlanb nach günen unb öon bort nach
©eelanb hinüber gehen fonnte. 2ftit einem Speere öon jmölftaufenb
SJtonn unternahm ber üermegene $riegShelb im Januar 1658 ben
3wg über baä GiKS, mobei jmei öottftänbige Kompagnien einbrachen
unb ertranfen, bemächtigte fid) ber 3nfeln günen, £angelanb unb
Digitized by Google
230
$änemarf unter griebridj III. unb (Sfjriftian V.
fialanb unb erreichte ©eelanb, nadjbem er ben deinen auf bem (£ife
ein treffen geliefert.
$a griebrier; III. bei ber ©eringfügigfeit ber ©treitfrafte, bie
ifjm jur SBertljeibigung ber §auptftabt ju (Gebote ftanben, an Söiber-
ftanb nict)t benfen fonnte, mußte er fid) jum grieben entfließen,
ber naa) furzen Unterljanblungen am 26. gebruar 1658 gu 9toe3*
filbe gefefjloffen rourbe. $änemarf trat in bemfelben an ©djroeben
bie sßrotnnjen ©dwonen unb Fleringen mit ben umliegenben Snfeln,
bie normegifdje Sanbfdjaft ©a()u3 unb ba3 ©tift $rontf)eim, fonne
bie Qnfel Söornfjolm ab unb leiftete für immer auf £aflanb SBerjidjt.
Sugleidj mürbe für ben $>erjog griebrid) III. üon £oflftein*$ottorp,
ben ©djttriegcrbater ®arl ©uftaoä, bie Aufhebung be3 ßef)en3ber*
f)äftniffe3 $u SJänemarf auSbebungen.
$er griebe oon 9toe$filbe mar jebodj nur ein furjer Soffen*
ftiOftanb; benn faum mar berfelbe gefdjlojfen, als #arl ©uftat« bei
bem ©cbanfen, baß er aus ber oollftänbigen ftilflofigfeit £äne«
marfS ungleich größere Sßortfjeite t^ättc jieljen fönnen, SReue über
feine Uebereilung empfanb. föafd) entfdjloffen, baS Skrfäumte naa>
juljolen, ließ er feine Gruppen auf ben bämfcfjen 3nfeln ftct)en
unb erfeffien unermartet am 8. STuguft 1658 mit einem ja^reia^en
£eere jum anberen Wlak auf ©eelanb. 2tlö griebridj III. üjn
fragen ließ, ttrnä iljn gu biefer SBerlefcung be3 SSötfcrrccfjtä berea>
tige, ließ if>m ber lönbergierige ©djmebentönig bie Hntmort §u*
fommen: roenn er Eänemarf erobert tjabe, roerbe e3 if)m nia)t
ferner merben, feine iRccr)te barauf ju beroeifen.
3nbeffen Ijatte bie (Jntrüftung über ben SBortbrucf; #arl
©uftaöä unter ber Söeöölferung oon ßopentyagen ben einmütigen
©ntfc^luß roadjgerufen, bem ®önig, ber meber öon gluckt noefj oon
Ergebung reben tjören nMte, mannhaft jur ©eite ju ftef)en unb
für bie SBertfjeibigung ber $auptftabt ©ut unb 33lut ein$ufefcen. ©o
fonnte griebrid), als $arl ©uftaü gegen ftopenlmgen fyeranrürfte,
bie Wufforberung beSfelben $ur Ucbergabe ber ©tabt mit ber Grr*
flärung jurüefmeifen : er roerbe ifjm an ber ©pifce feiner Unter-
tanen entgegen gefjen unb fein Seben treuer öerfaufen.
Wie cinft ^artfyago unb ßonftantinopel, fo rüftete ftcfj bie
bänifdje ^auptftabt jum SBerjmeiflungafampf für ifjr eigenes unb
be3 ßanbeä SJafein. Sittel griff ju ben SBaffen, unb ?Rcicr)§rätf)cr
£of!eute, ©eiftlidje, ^aufteilte, ^anbroerfer unb ©tubenten mett*
eiferten mit einanber in ben angeftrengteften Arbeiten auf ben 2S allen ;
felbft SBeiber unb &inber beteiligten fid) an benfelben. 3)er $önig
bot feinerfeitä 2llle$ auf, um bie Dpfermifligfeit feiner Untert^ancn
jit erljö^en. (£r ermeiterte bie ^Srioilegien ber ©tabt, erteilte ben
löürgem ba« 9ied)t, abelige ©üter ju ermerben, geftattete ifynen ben
Zutritt ju allen öffentlichen Slcmtern, Wenfte ben ©runbftütfcn ber
Digitized by Google
$«nemarf unter gricbrtrf) III. unb (Sfjrifticm V.
231
•
Bürger abelige greiheiten unb öerfpracf) ben Sapferften öon ihnen
bic Srfjebung in ben 2Ibet3ftanb.
3n$mifdjen fyattt föaxl ©uftaö bic roidjtige gefrung Urenberg
erobert unb mar baburd) in ben Bcfi$ bebeutenber $rieg3üorräthc
gefommen. er entlia) am 6. (September bie Belagerung Don
Kopenhagen eröffnete, fanb er ben Ijartnätfigften SBtberftanb; bie
belagerten matten überbieä häufige Sluäfälle unb jerftörten babei
roieberhott bie öon ben ©djmeben angelegten Batterien. $er 9J?utfj
ber Belagerten ftieg, als es im 9*oöember 1658 einer hoflänbtfdjen
§tff3fIotte nad) einem ^artnarfigen ©efed^t mit ber fdm)cbifd)en ©ee*
macfjt gelang, bie $urdjfafjrt burd) ben ©unb ju erfämpfen unb
äflannfebaft unb fiebenämittel in bie ©tobt ju bringen. SBäfjrenb
beS ©intern entftanb jmar in berfelben neuer Langel unb Slotr)
mandjerlei &rt; bie Bürger blieben jebodj unöerjagt unb fähigen
am 9. unb 11. gebruar 1659 bie ^eftigften ©türme ber ©djroebeu
mit ber rufjmmürbigften Xapferfeit jurütf.
Unterbeffen Ratten audj bie Ütorroeger, benen ber König gfeidj*
faH3 gro§e Belohnungen für ihre Beteiligung an bem Kampfe in
9lu3fid)t geftellt, bie SBaffen gegen bie ©djtoeben ergriffen. Xie
(Sinroohner öon $rontheim unb ber 3«fet Bornhotm toarfen ba3
öerha&te fdjmebifd)e 3°$ öb unb öertrieben bie fremben Beamten
unb Kriegäleute. 2(ud) I)atte ber ^elbenmütbige SBtberftanb ber
$>auptftabt ben ©egnern ©djroebenS, bem Kaifer, bem Kurfürftcn
öon Branbenburg unb bem König 3°^ann Kafimir öon $o!en,
Seit üerfdwfft, bem König öon 5>änemarf, ber fidj in feiner Be*
brängnifj an fie getoanbt, ju £>iffe gu fommen. (SHn auS Bran~
benburgern, £5efterreid>ern unb ^oten befteljenbeS £eer öon jtoeU
unbbretjjigtaujenb Sftann, Da$ unter ber gührung beä Kurfürften
öon Branbenbnrg in £>olftein erfaßten, öertrieb bie ©djmeben au»
bem bänifchen geftfanbe unb mürbe ohne 3mcifel öoflftänbige
Befreiung $änemarf3 bemerfftefligt ^aben, ptte nid)t bic etnge-
tretene ftrenge Kälte bie Ueberfa^rt ber Xruppen nadj ben Snfeln,
ju melier grtebrich III. ihnen feine glotte gefanbt, unmöglid) ge*
madjt. Qm folgenben 3°^rc Wng *w branbenburgifcb'-polnifd)eö
Korps, baS auf h°öänbifdjen ©Riffen nad) günen übergefefct, im
Bereine mit fedjätaufenb £änen bei Ukeborg eine fdjroebifrf)c
£>eere$abtheUung fo ooflftänbig, ba& nur SBenige entfamen. $a
jebodj bc !Rut)tcr , ber Befehlshaber ber hoflänbifdjen glotte, fict)
weigerte, bie ©ieger nadj ©eelanb überzufahren, inbem bic ^ottänber
nur SJänemarfS üoüftänbige Bemidjtung fnnbem, ü)m °btt
§u einem öortheilhaften grieben verhelfen toollten, fonnte ^ar(
©uftao, tro^ beS ungünftigen Berlauf«, ben injnrifdjen ber ^rieg
in s$oIen für ihn genommen, bie Belagerung öon Kopenhagen fort=
fegen. @rft nachbem er am 23. gebruar 1660 ju Rothenburg im
Digitized by
232 $nnemavf unter ftriebrich III. imb dljrtftian V.
•
Hilter öon fcd&^unbbrcigtg fahren einem bösartigen gieber erlegen,
r)attc bie 93ebrängni& ber bänifdjen £>auptfiabt ihr ßhtbe erreicht.
2Cuf feinem ©terbebette hatte er fetner ©emahlin, melier bie r»or*
munbfchaftliche Regierung für ben merjährigcn X^ronerben Karl XI.
jufiel, bringenb anempfohlen, nach feinem Xobe einen rafdjen grie*
ben mit 5)änemarf ju fdjlie&en. $)erfelbe fam am 27. 9ttai 1660
nt Kopenhagen ju ©tanbe unb mar im ungemeinen nur bie
Söeftätigung beS griebenS öon föoeSfilbe; bie einzige für $>änemarf
gunftigere ©ebingung war bie 2kr$tdjtleiftung ©chwebenS auf ben
Söefife öon 3>rontheim unb Söornholm.
3)er $elbenmuth unb bie ©ntfchloffenbeit, bie griebrich III.
Wäljrenb beS fchwebifchen Krieges an ben Xag gelegt, falten i^m
in fahem ©rabe bie Siebe unb baS Vertrauen feiner Unterthancn
erworben. 3nSbefonbere §eigte ftdj bie ©ürgerfchaft , bie in ben
ferneren $rangfaten biefeS KtiegeS ben in fchläffer Unthätigfeit
öerharrenben 2Tbet burch bie aufopfernbfte Eingebung an König unb
Söaterlanb befdjämt hatte, öon biefen ßtefühlen bura^brungen. da-
gegen mar ber Slbcl unöorfichtiq genug, nicht nur feinen Unwillen
über bie SBergünftigungen, welche ber König ber 53ürgerfchaft mäh'
renb ber Belagerung öon Kopenhagen bewilligt, offen ju jetgen, fon*
bem fogar Sßcrfuche ju machen, ihr biefelbeu $u öerfürsen unb ju
öerfümmern. $aburch war jmifchen beiben ©täuben eine ©pan*
nung entftanben, bie ju einer gänzlichen Umgeftaltung ber bänifcf>en
SJerfaffung Skranlaffung gab.
2luf bem Reichstag, ben ber König $ur Beratung über bie
Befeitigung ber burch ben Krieg erzeugten ginanjnoth auf ben
10. (September 1660 nach Kopenhagen jufammenberufen, fefcte ber
Söürgerftanb unter Sflitwirfung ber (JJetftlichfeit, trofc beS anfäng*
liehen 2ßiberfpruchS ber ©belleute, nicht nur bie Aufhebung ber SBahl*
fapttulation burch, o"f welcher bie #errfchaft beS SlbclS beruhte,
fonbern jwang auch *>en lefcteren burch feine entfehiebene Haltung,
ju ber Söertoanblung $änemarfS in eine (Srbmonarchic feine 3u-
ftimmung ju geben. 91m 13. Dftobcr 1660 erflärten fämmtliche
©tänbe, ben föeichSrath an ber ©pifce, in einer öom König ge*
gebeneu Wubienj baS Sahireich für aufgehoben. Sei ber $e*
rathung über bie grage, was an bie ©teile ber bisherigen SBaht*
fapitulation §u fefcen fei, führte bie Beforgniji öor einem heftigen
Kampf jmifchen bem $lriftofratiSmuS unb bem S)emofratiSmuS ju
bem bie urfprüngliche 21bftcht ber Bürgerfdjaft weit übetfehreitenben
Söcfchug, WUeS öoH ©ertrauen in bie #anb beS Königs ju legen.
9iachbem bie KapitulationSurfunbe feierlich öentichtet worben, nahm
griebrich III. am 18. Dftober öon ben ©tänben bie neue $ul*
bigung als erblicher ^errfcher entgegen. Um jeben Bwctfel über
bie SRechtmäßtgfeit beS ®ejchehenen ju befeitigen, erliefen bie ©tänbe
Digitized by Google
$änemctrf unter griebridj III. unb Gfjrifticm V.
233
eine Srflärung, in melier fie bie öottc unb unumicfjränfte Gemalt
ber ftrone auäbrücflid) anerfannten.
©o mar griebridt) III. burd) bic fogenannte „bänifdje föebo*
lution" abfoluter #errfd)er geworben; aber er jeigte fid) be$ $er*
trauend feinet SBolfe* nidjt unmürbig. Um ber Söieberfeljr älwUdjer
Gefahren boraubeugen, mie ber Icfcte $rieg gegen ©djmeben fie für
$änemarf fjeraufbefdjmoren, errichtete er ein fteljenbe* $eer oon
trierunbjmanaigtaufenb Mann. $te bem ßanbe nadjtf)eiligen Mbelä*
öorredjte Imb er auf; bod> ging er babei mit großer ©ajonung §n
Söerfe, hrie er aud) in feinen übrigen Reformen s)hd)t$ überftürjte.
$et föeic&äratl), ofme beffen guftimmung er früher meber ftrieg be*
ginnen nod) grieben fließen, nodj ©ünbniffe eingeben, ja felbft
nidjt einmal außerhalb be3 SReidjeä reifen fonnte unb beffen S3e=
fdjlüffe aud) olme föniglidje Genehmigung Giltigfeit gehabt, mürbe
in eine beratt)enbe S3c^orbe oermanbelt, ber feinerfei ©ntfdjeibung
^uftanb. 2)a nunmehr alle 9tegierung3getoalt auSfdjließlid) in ben
Rauben beä $öntg& lag, fo baß er Gefefce geben unb aufgeben,
$rieg erflären unb grieben fließen, Steuern auflegen unb über*
fjaupt Med im fianbe nad) feinem alleinigen SBiöen regeln fonnte,
mar bon einer 3ufammenbcrufung ber ©täube feine 9tebe mefjr.
2)ie bon griebridj III. im Qafjre 1665 erlaffene neue Ster*
faffungäurfunbe, ba§ fogenannte „®önig£gefefc1', ba3 jebod) erft bei
ber Krönung feineä ©ofme3 ßfjriftian V. publicirt mürbe, ber*
tnüdjtete bie Könige, bei ber 2(ug§burgifdjen CSonfeffion, als bem
Glauben be3 Sanbeä, ju beharren unb ifjre Untertanen ju berfel*
ben anzuhalten.
griebridjS III. ©ofyn unb Üftadtfolger , (£ fj r i ft i a n V.,
(1670 — 1699), ein länberfüa^tiger gürft, geriet^ megen ber feit
bem 3a^re 166? erlebigten Graffdjaften Dlbenburg unb Deimern
fjorft, bie fein SBater in Söeftfc genommen, in einen ©treit mit
bem £er$og (Sfjriftian $Hbred)t oon $olftein=Gottorp , ben ber
lefcte Graf oon Clbenburg $um Sttiterbcn emgefefct. S)a ber
$>er$og ein Söünbniß mit ©djtoeben gefdjloffen, nafjm tt)n (Efjri*
ftian V. bei einer gufammenfunft Leiber gefangen unb gtoang
ifm, i^m in bem fRenbäburger Vertrag (10. 3uli 1675) feine
geftungen abzutreten unb auf bie buref) ben grieben oon 9ioe$filbe
erlangte ©oubetänttät ju Oermten. Srft im 3al)re 1689 erhielt
Gfjriftian Sllbredjt buret) ba3 $a$mifd)entreten (SnglanbS, $oflanb$,
©dnrebenä, SranbenburgS unb ber braunfd)meigifdjen £>er$oge in
bem Slltonaer SBergleidj feine 93efifcungen nebft ber ©ouoeränität
jurücf. S3on bem olbenburgifdjen @rbe oerblieb bie &älfte bem
Äönig oon $änemarf.
2Bät)renb beä jmeiten Sroberungäfriegeä Submig« XIV. fd)loß
fic^ e^riftian V., wie mir oben (©. 74) gefeljen, an ben ^ur=
Digitized by Google
234
Stfnemarf unter frriebricf) III. unb Sfjrifticm V.
fürften Sriebrid) SBilhelm öon Söranbenburg ju gemeinfamet SBe-
fämpfung bcr ©djmeben an, in bcr Hoffnung f fich für bic in ben
griebenSfcfjlüffen öon SRoeSfilbe unb Kopenhagen erlittenen SBerlufte
fdjabloS galten }tt tonnen, unb errang in ber Xfyat nicht unbebeu*
tenbe (Erfolge ; boch würbe er nach beut $lbfchlu& beS griebenS öon
SRnmmegen burdj einen Einfall fran^öfifchcr Xruppen in fein olben*
burgifdjeS (Gebiet ju bem Vertrag öon ß u n b gejmungen , in mel^
djem er ben ©djmeben olle feine Eroberungen jurücfgcben mußte.
(Sbenfo erfolglos , tt>ie feine Unternehmungen gegen ©chmeben, blie*
ben feine Bemühungen , bie ©tabt Hamburg , in beren 9ßäf)e fein
SSater jur 93efcf)ränfung beS Hamburger $anbelS bie <5tobt 211 =
t o n a angelegt , burdj SBaffengemalt $ur 5(nerfennung ber bänifdjen
^errfdjaft ju jmingen.
3n feinen erften föegierungSiahren ftanb (£f)riftian V. in bem
öon ihm jum trafen öon ®reifenfelb erhobenen $eter ©chuh*
madjer, bem ©ohne eines SBeinhänblerS in Kopenhagen, ein treffe
lia)er Sftinifter jur ©eite. tiefer h^üorragenbe Wann , ber fidj
burdj feine feltcnen ®eifteSgaben unb reiben Kenntniffe fchon bie
®unft gricbricfj« III. ermorben f)attt unb unter Ghnftian V. öon
einer ©hrenftefle jur anbern emporgeftiegen War, mürbe öon feineu
zahlreichen Leibern beS SflifjbrauchS ber ihm übertragenen ®emalt
befdjulbigt unb bem^ufotge unter ber Slnflage beS £>ochöerrathS
öerhaftet. Obgleich feine ©chulb nicht crttriefen merben fonnte, lau-
tete ber (Spruch ber dichter auf ben $ob , unb ber König beftä*
tigtc baS Urtheil. ©dion ftanb ber ®raf auf bem SBIutgerüfte, unb
baS ©chmert beS £>enferS mar über ihm gefchnnmgen, als ihm Oer*
fünbet tourbe, ber König h<*&e aus (SJnabe bie XobeSftrafe in le=
benSlängücheS ©efängnig öermanbelt (1676). Smciunbsmanaig 3ahre
lang fchmachtete er, jebeS Littels ber SBefchäftigung unb 3er*
ftreuung beraubt, in enger #aft auf bem Stoffe äJtuittyofat, bis
ihm im 3af)re 1698 bie greifet jurücf gegeben mürbe, ©djon im
folgenben Qahre ftarb er, fur$ öor bem König, ber ben Solgen einer
auf ber Qagb erhaltenen Söunbe erlag.
Qn feinen legten 9tegierungSjahren mar Shnftian V. mit bem
$erjog Sriebrich IV. öon £>olftein=(5Jottorp , bem ©ohne (£hriftian
Wibrechts unb ©chnriegerfofme Karls XI. öon ©cfjmeben, in einen
3mift gerathen, in melchem bcr $>er$og bei feinem ©chmiegeröater
unb nach beffen Xobe bei feinem ©chmager Karl XII. ©eiftanb
gefunben. $)tefe Unterftüfcung, fomie ber SBunfch, bie an ©chmeben
oerloren gegangenen ^roöin^en mieber ju erobern , bemogen &)xi'>
ftianS V. ©ofm, griebrich IV., ber am 25. Muguft 1699 ben
bänifchen Xhron beftiegen, im Sftooember beS gleichen QahreS mit bem
(Sjaren $eter unb Muguft II. öon ©achfen unb ^ßolen ein SBünbntB
$u fliegen, in melchem bie brei ättächte fia) ju einem gleichseitigen
Digitized by Google
cdjmeben unter arl XI. u. in b. brei erfien ffiegierungSjahren tfarlS XII. 235
Angriff auf Schweben unb ju gegenteiliger Unterftüfcung in ber
Durchführung ihrer ©roberungSpläne üerpflidjteten.
XI.
SQwbm unter &axt XI. (1660-1697) unb in ben bxei
erfien '♦ttegterungojafiren /tarfs XII.
yiaä) bem $obe Karls X. ÖJuftao, beffen ganje SRegicrungS*
$eit in (SroberungSfriegen berftrichen war, gab feine SSittwe, £>eb*
wig Eleonore tum £>olftein, bie im Vereine mit ben fünf f)öd)ften
Kronbeamten für ihren vierjährigen Sohn Karl XI. bie oormunb*
fcrjaftliche Regierung führte, burd) bie Vertrage bon Dlioa (f. S. 8)
unb öon Sopcnfyagen (f. S. 232) bem Sanbe ben langentbehrten
grieben wieber. Seitbcm blieb bie auswärtige ^olitif Scr)webenS,
wie bieS bereite feit bem beginne bcS ftebjcrjnten 3ahrhunbertS
ber %aü gewefen , fowoljl unter ber töegentfchaft als unter ber
felbftftänbigen Regierung Karls XI. au baS Qntereffe granfreichS
gefnüpft. Sftur im 3a*)rc 1668 Ö^ang eS ber anti=franjöfifcr)eri
Partei, eine Störung bcS jwifchen ben beiben dächten beftel)enben
freunbfcr)aftlichen SBerhältniffeS f)txbc\^n^xtn unb ben Slnfdjluß
Sd)WebenS an bie Xripte^ütana $u bewirfen. ßubwig XIV. mußte
jeboch balb burdj S8eftccr)ungcn unb crt)öl)te Qahrgelber bie frühere
SBerbinbung h^ufteßen unb Schweben trofc aller au« feiner 53e*
Heiligung an ben franjöfifchen Kriegen if)m erwacfjfenben Wafy
theile im Schlepptau granfreichS ju erhalten, Wogegen er aller*
bingS auch Sorge trug, feinen bemährten SBunbeSgenoffen bei bem
griebenSfchluß mit feinen öerfchtebenen Gegnern oor jeber Gebiets*
einbüße ju bemahren.
Snbeffen hotte ber junge König aus ben Erfahrungen, bie er
im Saufe biefeS Krieges 51t macheu Gelegenheit gehabt, bie lieber*
jeugung gewonnen , baß Schweben nur burch eine frieblichc föegte*
rung auS feiner Erfcfjöpfung geriffen unb auf ber $5$e erhalten
werben tonne, auf welche eS unter ©uftaü Slbolf unb Karl X.
emporgeftiegen ; batjer befdjloß er, baS nicht unbebeutenbe friege*
rifche latent, baS er im Kampfe für bie Steffen granfreidjs
an ben Sag gelegt, ruhen gu laffen unb, im ÖJegenfafoe ju feinem
eroberungSlufrigen Sßatcr, feine gan$e Sorge ben inneren Slngclegen*
heiten feines fianbeS jujuwenben.
|>ier galt eS oor 2Wem, ben Slbel, ber wahrenb ber Üttinber*
jährigfeit beS Königs nicht nur nahezu aHeS, waS ber Krone Don
Romanen noch scblie&eu , an ficrj ju bringen , fonbem auch feine
Digitized by G
236 ©djroebeit unter Ratl TL u. in b. bret erften 9?egierung3jaf)reii ßarlS XII.
ohnebin fdjon fo bebeutenben Siechte nodj tucitcr au^ubehnen ge*
wufjt hatte, in [eine ©renjen jurücfjutücifen, wa£ um fo nothwenbiger
erfdjien, als bte Sftitgricber ber ^öc^ften ^bel^ftaffen bic errungene
9J?ad)t öielfad) jum SRa^t^eU be£ SanbeS mißbrauchten. Um biefen
TOiöftänbert ein (Snbe ju machen unb ben überWiegenben ©infuifj
be£ Mbete ju brechen, berief ber ßönig im 3uli 1681 bie Staube
be3 fReic^cö unb fanb bei ber ©eiftltchfeit tote bei ben ©urgent
unb Sauern für feine 9teformpIäne bie gemünfehte Unterftüfcung.
Uladjbem eine jur Unterfuc^ung ber Amtsführung ber bei ber 9te-
geutfefjaft beteiligt gemefenen ®ronbeamten eingefefcte ®ommiffion
biefe ber ©rpreffung unb Sßcrfchwenbung für fdjulbig erflärt unb
äum Scbabenerfafc öerurtfjeilt hatte, erfannte ber ^Reichstag bem
$önig bie gefefcgebenbe ©ewalt in it)rem ganzen Umfange ohne
Sftttmirfung ber Stänbe ju. ®arl XL, ber fidj auf bieje Söeife
mit einer ähnlichen Sttachtfülle betreibet fat) , wie fie bte bäutfehen
Könige feit ber 9teöolution öon 1660 befa&en, öerfügte hierauf bie
ein^te^ung aller berjenigen Domänen, bte fett ben legten (junbert
3a^ren öon bem Slbel Wtberrechtlich in SBefifc genommen ober bem=
felben öon ber fhone öerpfänbet worben, inbem er erflärte, ba&
feine Vorgänger fein Stecht gehabt, ßrongüter anberä als auf ße*
ben^eit ju öerleiljen. ftur biejenigen oon bem 2Ibe( angefauften
öüter , für welche ber öolle SSertl) gejagt worben , foUten ben
Käufern öerMeiben. 2luf biefe SSeife famen äetjn ©raffdjaften unb
fiebjig Saronien an bie ®rone jurücf , maä in Skrbinbung mit
ben öon bem Äöntg eingeführten finanziellen Reformen eine fo be*
beutenbe ©rfjöfmng ber königlichen (Sinfüufte jur golge fyattt, ba&
$arl fiel) in ber £age fat) , nicht nur bie aufgehäuften Schulben
abzahlen, fonbern auch Sftanufafturen unb $>anbel ju unterftüfcen,
bte im legten Kriege öemichtete glotte neu heraufteilen unb neben
ben ftehenben Xruppen, bie in bie beutfehen SBeftfcungen Schweben«
unb beffen übrige Dftfeeproöinjen öerlegt mürben, jur löertr)ei-
bigung beä £auptlanbe£ eine fianbwehr ju fchaffen.
$>a bie ©tänbe au3 eigener Qnitiatiöe jebem Slnfpruch auf
93etf)eiligung an ber ©efefcgebung entfagt hotten, war nicht mehr bie
SRebe öon „be§ fdjwebifchen 9tcid)e3 Statt) unb Stänben", fonbern
öon „be3 Königs SteicbSrau) unb Stäuben", unb wenn $arl XI.
auch femer noch Stcidjatage berief, fo gefchafj bie£ nur aus $lug*
heit unb weit er fie in feiner Söeife meljr fürchtete ober ju fürchten
Urfache I)atte.
$a $arfö XI. ©rjiehung öoüftänbig öernachläffigt Würben,
inbem feine Sftutter auf wiffenfdjaftliche SBilbung feinen 28ert()
legte unb bie StegentfcbafUräthe ber Slnficht gewefen, ba& ein un*
unterrichteter ®önig Weber für bie ÜBergangenheit Siechenfchaft forbern,
noch in ber 3ufunft ihren (Sinflufj bejehränfen werbe , fyattt er
Digitized by Google
©chroeben unter ßarl XI. u. in b. bret erftcn 9?egterung3jcu)ren ßarlS XII. 237
wenig ©inn für fünfte unb SSiffenfchaften , meßfjalb ftcfj biefelben
auch feiner befonberen Unterftüfcung öon fetner ©eite ju erfreuen
Ratten. 5)en ©uchhanbel lieg er burch einen Senfor ftreng über-
wachen, ber jährlich ein Sßcrjcic^ntg aller gebrueften unb eingeführ-
ten 93ficher einreiben mußte, unb bie '^rofefforen würben angemte*
fen, ben SReichStagSbefchlüffen gemäß ju lehren: bie ®önig£gemalt
ftamme unmittelbar öon ©ort unb fei unbefchränft.
SBie unter feinen Vorgängern, fo blieb auch unter ®arl XI.
baS Sutt)ert^um bei garten ©trafen auSfchließliche Religion, unb
mer öon bemjelben abmict), mußte auSmanbern. $(13 nact) ber 2Tuf*
t)ebung beS (£bift£ öon Nantes fran$öfifcr)e Üieformtrte in ©cr)me*
ben einmanberten, mürben fte unter forgfältige Slufficbt geftellt unb
angehalten , nierjt nur ben lutherifchen ©otteäbienft ju befugen,
fonbem auch tyxt ßinber im lutr)erifcf)cn (Glauben erziehen $u laffen.
$f)e°f°9iW)e ©treitigfeiten mürben auf 9teicr)3tagen unb ®ircr)enüers
fammlungen mit ber größten Setbenfehaft öerhanbelt unb jur ©r*
t)öt)ung ber bem Söolfc öoflftänbtg abt)anben gefommenen „grömmig=
feit" allerlei $ircr)enbußen eingeführt. 9Bie es jeboct) babei mit ber
„^ufttärung" befteöt mar, jeigt ber großartige ^efenprojeß $u
9Jcora, beffen mir oben (©. 46) gebaut fyaben.
#arl XI. ftarb am 15. Slpril 1697, erft einunboierjtg 3at)re
alt. Obgleich e$ feiner SRegierung nicht an mancherlei Ungerech*
tigfeiten unb SBißfürhanblungen gefehlt, bleibt ihm ba£ große ißer*
bienft , ©crjmeben aus ber S3ahn milber ©robcrungSluft auf bie
einer frieblichen ©ntmieflung htngejmungen unb einen mohlgeorbneten
Staatshaushalt begrünbet ju haben.
®arlS XI. ©or)n unb Nachfolger ®arl XII. säfjlte bei bem
£obe feineä SBaterS erft fünfzehn 3at)re. SBiS ju feinem* ftebenten
3at)re mar ber begabte ®nabe ber auSfchließlidjen Leitung fetner
frommen Butter Ulrife ©leonore, ber Tochter griebrtchS III. öon
©änemarf, überlaffen geblieben, bie ihn burch SBort unb Jöctfptel
an ©anftmuth, ©erechtigfeit unb SBohltljätigfeit &u gemöhnen unb
inSbefonbere in feinem empfänglichen |>er$en eine innige grömmig*
feit unb ein tiefet ©efütjl für bie hohen Pflichten feinet fünftigen
£errfct)erberufeS $u meefen geflieht unb bis ju feinem elften Safjre,
roo fie ihm burch ben Xob entrtffett murbe, auch feinen Unterricht
Übermacht tyattt, ber il;m öon trefflichen fiehrem ertfjeilt murbe.
Sie beutfehe Sprache , bamalS bie $offprache in ©tocfholm , hatte
er neben ber fdjmebijchen erlernt; baS Öateinifcfje betrieb er mit
(Sifer; bagegen mar ihm bie franjöfifche ©pracr)e öerljaßt, unb als
man ihm bemerfte , baß er biefelbe öerftehen müffe , um fich mit
ben franjöfifchen ©efanbten ju unterhalten, antwortete er: „Ißknn
ein franjöfifcher ©efanbter hierherfommt , fo ift es fehief lieber , baß
er um meinetmillen fchmebifch lernt, als baß ich um fcinetmiden
Digitized by Google
238 Sdjroeben unter Äarl XI. u. in b. brei erften SRegierungSjaljren ßarl* XII.
franjöfifd) lernen foffte." Unter ben SSiffcnfdjaften jog if)n Ijaupt*
fädjlid) bie 9Watf)ematif an, in welcher er ftdj ntdjt unbebeutenbe
#enntniffe erwarb. 9iidjt* fagte if)m meljr ju, al* ritterliche
Uebungen. <£in füfmer 9titt, eine verwegene 3agb mar feine l)öd&fte
£uft. ©efonber* jog it)n bie SBärenjagb an, weil e& babei wirf*
lidje ©efafjren $u beftefjen gab. ©d)on im Süter üon brei$efm
Sauren f>atte er mehrere ©ären erlegt, toic er in bem gleiten
Stlter aud) alle Hebungen ber ©olbaten mitmadux unb babei, gleidj
einem ergrauten Ärieger, junger unb $urft unb alle ©trapajen
ofjne SJcurren ertrug. Ueberfyaupt geigte er öon feiner frästen
SHnbljeit an eine ungewöfjnlidje Seftigfeit be* SBtllen*, babei jeboa)
einen großen ©tarrfinn, ben nur bie Siebe $ur 9ttutter unb bie
3urcf)t öor bem SBater mitunter $u beugen oermodjten, unb einen fo
entföiebeuen #ang jum SBiberfprud), bog man iljm oft ba* (Negern
tljeil oon bem rietfj, wa* man öon if)m erlangen wollte.
9*ad> ben SBefrimmungen feine* SaterS foflte ftarl XII. erft
nad) feinem noüenbeten ad^eljnten ßcbenSjafjre bie Regierung an*
treten unb biefelbe bi* balnn oon feiner (Sro&mutter, ber Königin
£ebmig (Eleonore, im Vereine mit fünf 9teidj*rätl)en geführt wer-
ben; auf ben ^Betrieb be* ©taatäratt)* trafen $iper, bem ftart
bei einer Xruppenfdjau feinen 9Jftßmutlj barüber auSgebrütft tyaben
foü, baß man ifm unter bie Söormunbfdjaft einer grau geftetlt, er«
Harten Ujn jebodt) bie 9fteidj*ftänbe fdjon am 15. 9loüember 1697
für münbig unb festen, trofo be* SBiberfprudjS ber SRegenrin, feine
Krönung auf ben 24. Xe^ember beäfelben Qafyre* fcft« ©ebeu*
tungäöoll erfdjien e* Stelen, baß ber junge Äönig bei biefer Seiers
lidjfcit bem (Srjbifdjof oon Upfala bie Jerone au* ber £anb nafym
unb fie ftd) felbft auf* £>aupt fefcte. Snbeffen ging bie burd) bie-
fen 3^9 oon ©tolj unb ©elbftbemußtfein gewedte Erwartung, baß
er fofort als felbftftänbiger ^errfa^er auftreten werbe, nid)t in (£r*
füllung: ®arl überlieg öielmet)r bem ÖJrafen $iper alle SRegic*
rung*gefd)äfte unb fdjien für nidjt* Slnbere* ©tnn ju t)aben, al*
für söärenjagben, ©djlittenfafjrten, SRaSferabcn unb anbere berartigen
Serftreuungen. $er £>of oon ©torfljolm erhielt ein ooßfommen Oer*
änberte* Slnfe^en, unb fa^on im Qafyre 1700 war ber oon bem
fparfamen &ar( XI. gefammelte ©cfyafc ganjlia^ erfcfjöpft; ja mau
ijatte fogar bereit* wieber $u Slnlefjen feine Sufluc^t nehmen müffen.
$lHe* bie* tonnte natürlich an ben auswärtigen $>öfen oon bem
jungen ©djwebenfömg feine befonber* günftige Meinung erweefen;
bafyer gelten and) bie brei Sftadjbarmädjte, SRußlanb, sßolen unb
2>änemarf, ben 3c^pwuft für gefommen, wo c* il)ncn leicht fein
werbe, ©tfjweben biejenigen ^rooinjen ju entreißen, nad) welken
fie Öuft trugen. 9cur ju balb foüten fie erfahren, wie jetjr fie fid)
in bem jungen ßönig gctäufdjt Ratten.
Digitized by Google
3>er bäniföe Jfrieg unb bic Schladt bei Stoma.
239
XII.
(1700-1721.)
2er bomfdje ffrteg (flug. 1700) unb bie Schlacht bei Karton
(30. »ob. 1700).
2113 bie SRadjricfjt üon ben Lüftungen ber brei 9cad)6arftaaten
unb bem bereite erfolgten (Sinfatt ber ©achfen in fiiotanb nach
Stod^olm tarn, ctitftanb im fc^n>ebifcr)eu 9tetch3rathe große föt*
ftür^ung. Jöiele waren ber Anficht, man müjfe fofort Unter fjanb*
lungen anfnüpfen unb ben grieben um jeben $reid aufregt ju
galten fudfc)en; aber ber junge König erflärte mit einer geftigfeit,
bie Slfle in ©taunen oerfefete : er werbe nie einen ungerechten Krieg
anfangen, einen geregten jebodj nur mit bem Untergang feiner
geinbe beenben. ©ofort mürben bie nötigen Slnorbnungen ge*
troffen, um £>eer unb glotte in friegStuchtigen ©tanb $u fefcen,
wobei ber König ben lebhafteren ©eift jeigte unb eine fieberhafte
2t)atigteit entfaltete.
3uerft fodte ber König oon $)änemarf, ber im SJcarj 1700
Xruppen in ba3 bebtet beä £>erjog$ griebridj IV. oon $ottftein*
©ottorp, be$ demahlä ber ^ieblingäfchwefter Karlä XII., fjatte
einrüefen laffen, für biefen grtebenabruch gejüchtigt werben. ÜKach*
bem Karl bie nötigen SInorbnungen bezüglich ber Regierung fei*
neä £anbe$ getroffen, begab er fich oon ©tocffjofai, ba3 er —
gleich wie einft ®uftaü Slbolf unb Karl X., als fie $u ihren (5r=
oberungäfriegen auäge$ogen — nicht wteberfehen foüte, nach Karte*
frona, wo er fich am 3. Stuguft mit fünfjehntaufcnb Ütfamt auf
bretfjig Sinienfchiffen unb üielen anbern Heineren gahrjeugen nad)
ber 3nfel ©eelanb einjehtffte. Üftachbem er am folgenben 2age ein
fruchtlofeä ©ombarbement gegen bie bänifdje £auptftabt eröffnet,
befchtog er, noch am nämlichen Xage in ber 9cafje oon Kopenhagen
feine fianbung ju bemer(fteüigen. (£$ gejehah gegen fedjä Uhr
2lbenb3 unter bem ^efttgften geuer ber $änen. $a bie Kähne
nicht rafch genug anä Ufer fommen tonnten, fprang Karl felbft mit
bem S)egen in ber $>anb iu3 SBaffer unb brang, oon feinen jubeln*
ben ©olbaten gefolgt, mutlng gegen bie fetnblichen Batterien oor.
SKafch waren biefelben erftürmt unb bie bänifchen ©olbaten hinter
bie Stauern oon Kopenhagen jurücf gebrängt.
£>em König oon 3)änemarf blieb bei ber Ueberlegenheit ber
jehwebifchen Stacht unb ber Unmöglichfeit, oon feineu entfernten
240
$cr norbtfcfje Äricg.
BunbeSgenoffen $ilfe ju erholten, 9citf)t3 übrig, al§ mit &arl
Unterhanblungen ansufnüpfen, bic am 18. Muguft $u bcm grieben
öon Xraöenbaf)l führten. bemfelben trat griebrid) IV. öon
bcm Bünbnifc mit bem Goaren unb 5fuguft II. jurücf, entfagte
allen Slnfprüchen auf bie ßänber be8 £>erjogä öon j£>oIfteitt=(5Jottorpf
erfannte beffen ©ouöeränität an unb üerpflichtete fich $ur 3^^ung
einer $rieg£entfd)äbigung an ©chroeben. $arl XII. fjätte ohne
3roeifel feinem gebemüthigten ©egner Martere Bebingungen fteüen
fönnen; aber bie ©efafjr, bie feinen öftlichen ^roötnjen brofjte,
unb ber SSunfd), balbmöglichft ju beren 2d)\\{\ aufbrechen ju fönnen,
bemogen ir)nr öon ädern ab$uftehen, roaä baä griebenämerf ptte
ftören fönnen.
©o ^atte ber achtzehnjährige ®önig innerhalb öier$et)n Xagen
feinen erften $rteg ruhmüoll beenbigt. Unöerroeilt fet)rtc er nach
Schweben jurücf, um bie nötigen ^Inorbnungen jur Sinfchiffung
feiner Gruppen nach Siölanb }it treffen, roo bereits im ^ejember
1699 ein fächfifcfjcä £>ecr jur Belagerung öon 9ttga erfchienen mar,
nachbem ein öon ®arl XI. ferner gefränfter liölänbifcher @bel=
mann, 9teinf)olb SßatfuI, &uguft II. ba3 Besprechen gegeben,
ben gefammten liölänbifchen 5Xbcl auf feine ©eite ju bringen. S)ie
Hoffnungen, bie Sluguft auf biefed Besprechen gefe|t, ermiefen fich
jeboch aU trügerifch: ber Uülänbifche s2lbel erhob fich nicht für ihn,
unb ber fchmebifche Befehl$ha&cr 0011 ^Ö0» Dcr fünfunbjiebjigjährige
(Venera! Vahlberg, Iciftctc bem fächfifchen Belagerung^hcere fo tapferen
Söiberftanb, bajj fich baäfelbe $urücf$iehen mußte. Vergeben« er*
neuerte Sluguft perfönlich nach ber ©innahme öon 3)ünamunbe
(26. 9Jcärj 1700) bie Belagerung öon 9üga: auch er mußte fich,
nach mehrmaliger erfolglofer Befdne&ung ber ©tabt, im ©eptember
1700 jum diücf^ug entf abließen.
©chon ftanb $arl im Begriff, fich 5« #arlähantn mit feinen
Gruppen einjuf Riffen, als er, gleichzeitig mit ber ®unbe öon ber
Aufhebung ber Belagerung öon 9tiga, bie Nachricht erhielt, ba&
ber (£$ar $eter mit einem Speere öon achtjtgtaufenb Sttann in @fth=
lanb eingerüeft fei unb sJcartua belagere, ©ofort befchlofc er, fich
junächft gegen biejen geinb jii menben. Nachbem er am 17. Dl tober
mit einem £>cere öon achtjehntaufenb SDfynn im £>afen öon Bernau
gelanbet, eilte er mit breitaufenb Weitem unb fünftaujenb SDcann
gu&öolf bem ^auptheere öorauS unb ftanb am 29. SKoöember öor
vJcarma. 2)a ^eter eben baä Belagerung^hecr öerlaffen hatte, um
neue Xruppen herbei 51t siehen, bejchlofc Start, bie Wnfunft feiner
übrigen sJ)cann|chaft nicht abzuwarten, fonbern gleich am folgenben
Xagc in „®otteä Hainen" ben ihm minbeften« fünffach überlegenen
geiub anzugreifen. 2113 er gegen bie feinblichen ißerjehanjungen
oorrüefte, mar bie Suft burd) ein fo bidjteä ©chneegeftöber Oer*
Digitized by Google
3)cr bttmfdje Äricg unb bie Sdjtodjt bei Warroa.
241
bimfelt, baß bie Muffen ben Seinb erft bemerften, att er nur nodj
gc^n ©dritte meit bon tt)nen entfernt mar. „©ort, ber baS fRec^t
Beföüfct unb baä Unrcdjt (traft mirb und beiden!", rief Äarl
ben ©einigen ju. „3$ merbe eud) ein SBeifpiel geben, bem ifjr
nachfolgen fönnt; mer aber nidjt fämpfen null, mag jurürf bleiben. •
©inftimmig riefen Höe: fie trollten mit U)m leben unb fterben.
w@leid) im Anfang be3 ©efed)teä mürbe bem $önig fein *ßferb er-
icfjoffen. „$ie Muffen motten mid) reiten lehren," fagte er falt-
blütig unb beftieg ein anbereS. ©leid) barauf berlor er in einem
SIKorafte, burd) ben fein 2Beg if)n führte, fein jmeiteä *ßferb, unb
einer feiner ©tiefet blieb im ©umpfe fterfen; aber biel ju unge=
bulbig, um ftdj mit bem SBieberanäie^en beSfelben aufjulmlten,
jagte er auf rafdt) gemedifeltem $ferbe im ©trumpfe meiter. 3u
meniger als brei ©tunben mar ba$ ruffifrfje $>eer jerfprengt unb
ba3 feinblidje fiager erobert, in meinem bie ©ieger außer ber
föriegäfaffc einfjuubertfünfunbfünfaig ©efd)üfce unb ungeheuere $or-
rätfje erbeuteten. Sldjtäeimtaufenb SRuffen Ratten tt)eilä im Kampfe,
tfjeilä in ben Stützen ber Sftaroma ben £ob gefunben. Su ben
jafjlreidjen (befangenen, bie mä^renb ber ©d)lad)t ben ©djmeben
in bie #änbe gefallen, fam am folgenben Sage nod) ein ganjeä
ßorpä tum adn^efjntaufenb sD?ann, bie fid) bem $onig freimittig er-
gaben, ba fie gehört, baß berfelbe bie (befangenen mit großer 2)älbe
be^auble.
Unter bem Bonner ber Kanonen 50g ®axt in ba8 befreite
Starma ein, beffen Söcüölferung U)n mit ftürmifdjem Qubel empfing,
©ein erfter ©ang mar in bie ßirdje, mo er fnieenb @Jott für ben
errungenen ©ieg banfte. ©0 midjtig biefer ©ieg inbeffen auc$ für
ben 2(ugenblid für ir)n mar, gereifte er ifjm bod) infofern 511m
9ßad;tf)cile, al£ er ir)n öeranlaßte, bie SRuffeu al£ feige ju Der*
achten unb it)re 9ftad)t für üemicfytet 511 galten, bie feinige bagegen
ju übcrfd)äfcen. gür ben ©jaren aber Ijatte bie erlittene SWe»
berlagc, }o empfinblid) ü)n aud) ber ©ebaufe berührte, oon einem
ad)tjef)njäf)rigen $önig mit fo geringen ©treitfräften befiegt morben
ju fein, ben großen iBortbeil, baß er bie 9iotf)menbigfeit erfannte,
in ber Sortfefcung be$ Äriegeä alle feine Gräfte aufzubieten unb
burd) SBorfid)t $u erfefcen, ma$ ben Muffen an $rieg$erfafjrung
abging. „$ie ©djmeben merben uns nodj oft fd;lagen", fagte er;
„aber sulefct merben fie und aud) fiegen lehren."
£>olstoatt$, Sßkltgeföidjte. VI.
16
Digitized by
242
3)cr norbifdje Äricg.
2er p o l ii i f d) c ßrieg.
(1700—1706.)
Üladjbem Äart XII. im grül)jaf>r 1701 anfefjnlidje SBer*
ftärfungen au$ @d)roeben an fia) gebogen, bind) er am 17. Quni
non 3)orpat und) SRiga $um Kampfe gegen 2luguft II. auf. Unter»
Imlb biefer ©tabt fefcte er am 8. Quni im 3lngefid)te eineä fädtfifö«
ruffi{ct)en £>eereä über bie 2)üna unb griff ben Jeinb an, nod) efje
baä fd)n)ebijd)e ökjdjub üollftänbig au£ ben .Kalmen fjerauägefyoben
tuar. Xic Sadjfen leifteten anfangs tapferen SSibcrftanb; ba je*
bodj bie Muffen, öon einem panifdjen ©Breden ergriffen, alabalb
bad SBeite fugten, gerieten aud) fic in Unorbnung unb mu&ten
unter Surütflaffung iljreS ganzen ÖJepädeä unb aller iljrer Kanonen
baä Sdjladjtfelb räumen. SBäfjrenb fie fid) in« ^rcu&ijdje jurütt-
jogen, befehle Sari $urlanb, baS auf 2luguft3 II. «Seite getreten
toar, unb brang bann in ßittfyauen ein. 2Ud hierauf bie $o!en
tfm burd) einen ökfanbten um ©djonung ifjreä ©ebieteä bitten
liegen, ba bie CRepubltf feinen 2lntfjeil an bem Kriege Ijäbe, ben
iljr Gültig als ®urfürft öon Saufen gegen ©djroebcn füfjre, gab
er bem ©efanbten bie s21ntroort: er fyegc feinerlei feinblidje Stbfidj*
ten gegen bte Siepublif, fonbern rooüe im QJegentfjeil bie üerle(jte
2Bar)lfreit)eit berfelben fycrfteHen, ben $önig Sluguft, beffen roißfür*
lict>e Regierung jeben freien Sßolen erbittern muffe, jur Slbbanfung
jrotngeu unb eine beffere Verfaffung begrünben; bcg^alb fyege er
audj bie fixere (Erwartung, bafj er überall günftige Slufnafyme,
willigen SBeiftanb unb eine freie Verpflegung finben werbe. Dljne
eine weitere (Erflärung be3 polnijdjen $Rei$atageä abzuwarten, lieg
er nidjt nur Lieferungen aller Vitt, fonbern auaj t)ol)t Sfriegäfteuem
beitreiben, unb ba er babei feine (Generale $ur Strenge ermunterte,
^atte ba* Lanb unter 2Btüfurlid)feiten unb ©rprefjungen ferner
$u leiben.
Um bem Sdnoebenfönig ben Veweiä $u liefern, ba& bie *ßolcn
mit bem Kriege s2luguft$ SfadjtS au fdjaffen fjaben wollten, unb itjn
baburd) jur Schonung be3 (5)ebiete3 ber töepublif ju belegen, üer=
weigerte ber polnifa^e föeidjätag bem ftönig s2luguft II. jebe Unter*
ftüfcuug unb geftattete Weber bie Vereinigung beS fä^fiföen £>eere*
mit bem polnifa^en Stron^eere, nodj bie Verwenbung be$ lederen
gegen bie ©Sweben. $er auf« s2leufeerfte bebrängte Sluguft fua^te
grieben 511 fliegen um jeben tßrei^ unb fanbte ju biefem ©nbe
feine beliebte, bie ebenfo fdjlaue ati fdjöne ©räfin Aurora öon
#önig3marf — bie SJcutter bcS nadjmalä io berühmt geworbenen
ÜJcarfdjallä üHorifc öon Saufen — eine geborene ©dnoebin, in ffortt
Säger ; ber junge St önig lieg fie jebodj nidjt einmal öor ficr). 2lud)
Digitized by Google
$er polnifdje ftricg.
243
bcr ©efanbte, ben Sluguft nach biefem mtßglücften SBerfuche mit
griebenSoorfchlägen au ihn abfdncfte, mürbe abgeroiefen. Vichts
öermodjte bcn haläftarrigcn ®önig bon feinem (Sntfchluß abjubringen,
nic^t eher grieben ju fließen, bis er feinem öcrhaßten ©egner bie
polnifdje ftrone entriffen Ijabcn werbe.
©anj öon biefem ©ebanfen erfüllt, orbnete $arl für ben gelb*
$ug beä folgenben Jahres bie umfaffenbften Söorfefjrungen an. (Sr
felbft mar babei raftloS tt>ätig unb freute meber 2lnftrengungen
nod) 23efchmerben. Rift ein abgejagter geinb jeber Söeichtichfeit,
bejog er ben ganzen SSinter lnnburd) fein £>au3, fonbern blieb in
feinem öon ©troh umflochtenen $elte, in meinem er fich, roenn bie
#älte gu heftig mürbe, burdj glühenbe Stöhlen ermärmte. ©eine
Sebenämeife mar bie cinf ac^ftc : er tran! meber SBetn noch 33rannt*
mein unb begnügte fich mit ber allergemöhnlichften ®oft. ©eine
Reibung beftanb au3 einem für unfern ©efehmaef höchft unjier^
lidjen ©olbatenroef mit großen meffingenen knöpfen, unb auä gel*
ben Unterfleibern ; baju trug er große föeiterfiiefel unb leberne
#anbfchuhe, beren mächtige ©tulpen bis an bie ©ttenbogen hinauf*
reichten. 9cur an bem furchtermeefenben ©rnft im ©lief, roelcher
©tol^, ©igenfinn unb Kühnheit zugleich auSbrücfte, erfannte man
ben Äönig. $)iefe ©igenfehaften jeigte er jeboct) nur bem geinbe;
gegen feine Offijiere unb ©olbaten mar er ein milber unb leut*
feiiger §err, melier iStfykv, menn fein böfer SBiße $u ©runbe lag,
gern entfdmlbigte, nie bulbete, baß üon Äbmefenben SBöfeS gefpro-
chen merbe, unb treue $5ienfte föniglid) belohnte, ©elten braufte er
auf; nur ein finftereä Sufammen^tehen ber $lugenbraunen oerfünbete
feinen Qoxn ober fein SJcifjfaflen.
SBäfjrenb Sluguft SlHeS auf6ot, feine ©treitfräfte ju erhöhen,
30g ®arl am 24. 9Jcai 1702 in SSarfdwu ein, ba3 fich auf
feine erfte Slufforberung ergeben ^atte. 9cad) einem toiermöchent*
liehen Aufenthalte in ber polnifchen |>auptftabt, mährenb beffen ihn
bie polnifchen Magnaten »ergebend megen ber Abfe^ung ÄuguftS
auf anbere ÖJebanfen ju bringen fuchten, brach er nach ©üben
auf, um feinem öon ßrafau tjerait^ie^enben ÖJcgner eine ©chladjt
anzubieten, ©ie fanb ©tatt am 19. 3uli 1702 bei fHifforo
unb enbete mit einer öollftänbigen 9cieberfage ber ©achfen, bie mit
einem Serlufte fcon mehreren taufenb Xobten unb $errounbetcn
ba3 3d)iacf)tfelb räumen unb außerbem ihr ganjeä Öepäd, fomie
bie $rieg3faffe unb ben größten beS ©ejchüjjeä in bcn Rau-
ben ber ©icger jurücflaffen mußten. Unter ben ©efangenen befan*
bcn fich auch einige Ijitnöcrt Dffijierabamen, bie ®arl foglcich burdj
einige SReitcrfchmabronen an bie fchlefifche ©renje bringen unb
bort in Freiheit fefcen ließ. Sluguft biefe .'pöfltchfcit burch bie
Sfreilaffung eines gefangenen jehmebifchen ^ittmeifter* ermiberte,
16*
Digitized by Google
2)cr norbifche ßrtcc].
fanbte ihm ®art, ben biefcr SBetteifcr oerbroß, fünfunbawanaüj
fächfifdje Cffijiere jurücf.
Stach bcr Schlacht bei $UffoW jog f?arl in Eilmärfchen gegen
Pratau. 2IIS ber polnifche 93cfc^I»f)abcr fid) weigerte, bie Schweben
cinjuloffen, oerfefete ihm $arl, ber felbft an baS ^alb geöffnete
äußere £f)°r getreten, mit feiner Oieitöcitfche einen fo heftigen $kb
ins ©eftcht, baß er betäubt jurücf taumelte, worauf ber ftönig rafd>
mit feinem ©efolge in bie Stabt einbrang unb fich beS SchloffeS
bemächtigte. S)ie beftürjtc Söefafcung ergab fid) ofjne Söiberftanb
unb würbe burch eine fchwebifdje erfefct.
$a Sluguft, bcr bisher ben $ricg au^fd&Iicßlicr) auf Soften
feines fturfürftenthumS geführt, feine SDcittcl mehr unb mehr Der*
fiegen fat), fuctjte er eine Bereinigung ber polnifdum ©roßen 51t
feiner Unterftüfcung 511 Staube ju bringen; allein bie gu biefem
3wecfc 5U Senbomir Deranftaltete SBerfammlung beS polntfchen
SlbclS geigte aufs 9ccue baS traurige SBilb beS ^artcifjaffcS, beS
Leibes unb beS $(rgmolmeS. McS, Worüber man fid) einigen
fonnte, mar bie nochmalige Slborbnung einer griebenSgefanbtfchaft
an $arl. Aber auch biefer Stritt hatte feineu Erfolg. „Unb
wenn ich fünfzig gafjrc in <J>olen bleiben müßte, " erflärte ber ftarr=
finnige ®arl, „fo werbe ich nic^t eher Derlaffen, bis ich t>icfen
ßönig Dom Zfjvont geftoßen fyabc." Vergebens fegte ihm fein
TOnifter <ßiüer, bcr fein ganjcS SSertraucn befaß, in einer eigenen
£enffchrift auSeinanber, wie er burch bie Entthronung beS StönigS
Don $olen nicht nur fich felbft unfägliche 9flühen unb SBerbricßlic^
feiten bereiten unb ohne jeglichen Söortr)cU für baS eigene Sanb bie
5ölütt)e ber fdjwebifcheu Nation aufopfern, fonbem auch ben aflge--
meinen £>aß auf fid) laben werbe, wäljrcnb er burch bie Sinnahme
ber SriebcnSoorfchläge SluguftS biefen an fein 3ntercffe fnüpfen unb
an ihm einen nüflichen SBuubcSgenoffcn gegen ben Ejaren gewinnen
würbe — itarl blieb taub gegen alle $orftellungen unb bef)arrte
felbft bann noch auf ber Jortfcfcung beS Krieges, als bie ättchrl)eit
bcr polnifchen ©roßen auf einer &crfammluug 5U fiublin bie Don
ihm oorgefdjlagcnc Entthronung SluguftS DerWorfen unb Öefchlüffe
jur itnterftüfcuug bcSfclbcn gefaßt hatte.
SSährenb bie herrfchenbe Uneinigfeit ber Ausführung btefcr
S3efchlüfje hiubernb in ben SScg trat, blieb baS ÖHücf bem Schweben^
fönig treu. 21m 1. üDcai 1703 trug er bei ^ultuSf über bie
Saasen einen abermaligen Steg baoon, brachte balb barauf $au$ig
unb Elbing in feine ©ewalt unb jwang am 15. Oftober 1703 Zfyoxn
burch ein heftiges S3ombarbcment $ur Ergebung.
llnterbcffcn war Sluguft $ur iöefchaffuug neuer ÄriegSmittel
und) Sadjfen gegangen, unb ber ®arbinal^rimaS Don $olen, baS
4>aupt unb bie Seele ber Don 5TarI gewonnenen Partei, benufctc
Digitized by Google
$cr polmföe tfrieg.
245
feine 5J6tuefenf)eit jur Berufung eines SReidjStagS nach SSarfchau,
ber am 30. 3anuar 1704 jufammentrat unb am 6. gebruar ben
polnifchen X^ron für erlebigt erflärte, roeil Muguft frembe ©olbaten
ins Üteich geführt , ben Krieg ohne 5Öcfc^tuß ber Sftepublif untere
nommen , ein nachteiliges Bünbnijj mit SRufjlanb gefdjloffen unb
bie Qutereffen SßolenS auf jebe Söeife gefchäbigt ^abe. Qax SBaf)l
eines neuen Königs füllten ftcfj faic polnifchen (trogen am 12. Quli
tüieber ju SBarfajau jufammenfinben.
Karl , ber felbft feine Stift trug , bie polnifdje Krone anju*
nehmen, inbem er, roie er bem ÖJrafen $iper bemerfte, „lieber
Königreiche geben als nehmen tüoflte", ^atte anfangs bie 91bfid)t,
einen ber @öf)ne ©obieSfi'S auf ben polnifchen Xfjron ergeben $u
laffen; allein 5lugnft, ber üon biefer 91bfidjt Kenntniß erhalten,
lieg bie beiben Ölteften ©obieSft, bie fich in ber ©egenb üon BreS*
lau aufhielten f burd) fächfifche Leiter aufheben unb als ©efangene
uadj ber $(ei§enburg bringen, unb ber jüugfte lehnte $u Karls
58erbru§ bie Krone ab. Karl fcf)lug hierauf oeu polnifchen Großen
ben fiebenuubjmanjigjährigeu (trafen ©taniSlauS Öeöcin^ft,
2Bojett>oben üon $ojen, ber burd) feine fdjöne, männliche ©eftalt,
fein lebhaftes unb bodj befd)eibcned SSefen unb feine genrinnenbe
Berebtfamfett fein befonbereS 2S ohlgefallen erregt hatte, jutn Kö*
nig üor unb erjroang beffen SBaf)! gegen ben SötHeit beS Karbinal*
^JkimaS, inbem er an bem Söarjltage mit feinem ganzen Speere üor
SBarfdjau (Stellung nahm unb ben 2öal)Iplajj mit fa^mebifa^en
Gruppen befefcen liefe- 2ll£ ber neue König am anberen Xage in
bem fdjnjebifdjen Sager erfdjien, um feinem Befchüfcer ju banfen,
empfing ihn Karl aufs £>erjlichfte unb fagte ihm feinen nadjbrücfs
lichften Bciftanb jur Behauptung feiner Krone ju.
Qnjmifchen war Sluguft nad) $olen juriiefgefe^rt unb ha*te
$u <Senbomir nicht nur üon bem Sparen burch einen (SJefanbten,
fonbern auch üon einem großen Xf)eile ber polnifchen Magnaten
bie 3u\aqt Fräftiger llnterftüfcung erhalten. Qn ber Xhat gelang
cS ihm, roährenb Karl jur Eroberung üon Semberg ausgesogen
luar, fich ber #auptftabt SBarfdjau ju bemächtigen unb (Stanislaus
3itr Slucfjt ju ^mingen. Mein Karl, ber unterbeffen Semberg er*
fturmt hatte, eilte herbei, um feinen ©djüfcling nadt) SBarfchau $u*
ruef^uführen , unb Sluguft fat) fich t nachbem er fich Vergebens be*
muht hotte, ihm ben Uebergang über bie SBeidjfel ftreitig ju machen,
^um föütfang nach ©achfen genötlngt. $er feierlichen Krönung beS
neuen Königs fteüten fich ieboch fo üiele $inberniffe entgegen , bog
Karl biefelbe erft im Dftober beS folgenben Jahres burchfefcen
fonnte.
55a unterbeffen ein ftarfeS ruffifcheS £eer in Sitthauen einge*
rücft unb ein fejehfifches jur Bereinigung mit bemfelben im 2ln$uge
Digitized by Google
246
35er norbifdje #rieg.
mar, brach ®arl mitten im SSinter (11. Januar 1706) borten
auf, um bcn geinb $u überfallen. Obgleich #unberte bcr ©einen
ber furchtbaren falte erlagen, brang er, unbefummert um ©crjnee
unb (Si«, raftlo« meiter bi« öor ÖJrobno. SBöfjrenb er $roifchcn
biefer ©tobt unb SBilna ©tellung nahm, griff fein Jelbherr
9?h™ffiölb am 13. gebruar ba« vereinte ruffifcö^fäc^fifc^c £ecr
unter ©dmlenburg bei 3 r a u ft a b t mit folgern (Srfolge an , baft
Don bemfclben nur menige Xrümmer übrig blieben. SRadjbem
herauf ber größte Xfjeit be« Ittthauifchen «bei« ©taniälau« at«
fönig anerfannt, brang fori unter unfäglidjen 53efchmerben unb
©efafjren bi« tief in SBolhönien ein , toolnn bie SRuffen ftd) jurücf=
gebogen , unb erjmang auch bor* bie 3(nerfennung feine« ©chüfc*
ling«. $ann manbte er fidt) nach ©chleften , um t»on bort nach
©achfen öorjubringen unb bem Shtrfürften in feinen (Srblanben
ben Stieben ju biftiren. $5en ©chreefen , ben ba« ©rfcheinen ber
fchn)ebifchcn ©chaaren in ©achfen hervorrief, fchlug er ^mar burch
frrenge 9ttann«jucht nieber, bebrüefte aber ba« Sanb burch b*e ®rs
preffung Don ©elbjahlungen unb Lieferungen aller 2lrt. Sßachbem
er bis in bie Stahe üon Seip jig borgebrungen, bejog er bei $( 1 1 r a n*
ft ä b t ein fefte« Säger , mährenb er einen Xfyeil feine« $eere«
gegen Bresben oorrüefen lief}. $u fcfjmacr) &um SBiberftanb , far)
fich Sluguft genöthigt, 5rteben«unterhanblungen mit ihm anju*
fnüpfen, bie am 24. ©eptember 1706 jum Slbfchlufj famen. 3n
bem an biefem Xage in ®arl« Hauptquartier unterzeichneten 21 lt*
ran ft äbter trieben leiftete Sluguft auf bie polnifdje frone
Sßerjicht, erfannte ©tani«lau« £e«cin«fi als fönig öon ^olen an,
entfagte allen ißerbinbungen gegen ©ergeben unb öcrfprach , bie
33rüber ©obie«fi frei$ugeben, feine Gruppen au« bcn noch t>on ihm be-
festen polnifchen ©täbten jurücfjujiehen unb bie SReichSfleinobicn,
ba« f riegSgeräth, bie (befangenen unb bie fchroebifchen Ueberläufer,
fottrie ben in rufpfchen $tenften ftehenben unb öon 2luguft öölfer=
rccr)töroibrig gefangen gehaltenen Siölänber ^ßatful anzuliefern. Qn
ber SBeftrafung be« Sefcteren ließ f arl feinem unüerföhnlichen £>affe
in einer SSeife Sauf , bie feinem tarnen einen unau«löfchlichen
gierten angeheftet. $)er Unglücf liehe , ber fchon im Sager bei s2llt--
ranftäbt brei Monate lang in Letten an einen $fafjl gcfchloffen
hatte ftct)en müffen, mürbe am 10. Dftober 1707, nachbem ihn ein
Kriegsgericht al« SanbeSöerräthcr $um Xobe öerurtheilt , bei bem
Softer f afimierj, acht Steilen oon $ofen, öon unten auf geräbert,
roobei feine Dualen bura) bie Ungefcf)icflichfett be« genfer« in fo
grauenerregenber SSeife cr^ör)t unb öcrlängert mürben , ba§ man
ihm julefct auf fein flehentliche« bitten ba« $aupt abfdjlug.
Digitized by Google
$ie ©rünbung Don ©t «Petersburg. 247
Sie ©rünbung tum St. ^eterSburß.
(1703.)
SBäfjrenb ®arl XII. in feinem öerblenbeten ©tarrftnn feine
ganje Seit nnb #raft an bie Entthronung 9Tuguftä II. gefefot, nur
um feinen perfönlichen $aß ju beliebigen, chatte ber E$ar bie Er;
oberung§smecfe , für meiere er baä ©chmert gegen ©darneben in bie
£anb genommen, nahezu erreicht unb babei bie Sehren, bie er au3
ber 9lieberfage bei ftarroa gebogen, auf 3 Söefte öermerthet. SBic er
feitbem in feiner Kriegführung mit ungleich größerer 93orfid)t ju
SBerfe gegangen, fo Ijatte er auch bie ®rieg3tüchtigfeit feiner Xruppcn
bebeutenb erhöbt unb inSbefonbere ba3 ©elbftgefühl feiner Srieger
baburch gehoben, baß er aflen in ba8 $>eer eintretenben ßeibeigenen
bie Sreiheit öerlicr).
2)a ®arl, einzig mit feinen planen auf $olen befdjäftigt, jum
«Schule feiner £>ftfeeproöin$en r)öcr)ften^ jehntaufenb Sftann , ein*
fdjließlich ber SDftlij, jurürfgelaffen, mar e$ bem Ejaren nicht fcfjmcr
geworben, ben ©chroeben ganj Qngermantanb hinroegjunehmen unb
fich in einem %ty\U öon Siötanb unb ©ftrjlanb feftjufcfcen. 9taa>
bem er am 22. Dftober 1702 ba3 am Enbe beä ßabogafec'3 ge=
legene SRöteburg erobert , bem er nach einer bebeutenben Ermeite*
rung ber geftungätoerfe ben paffenben tarnen ©djlüffelburg
gab , jtoang er im 3aljre 1703 ba$ eine 9Jceile öom finnifa^cn
9tteerbufen liegenbe fcr)tt>ebifc^c gort 9tienfd)anj jur Ergebung unb
fah fict) baburch im Söcfifce eines freien unb bequemen £>anbel§=
plafceS am Auspuffe ber SKema. 3n ber fixeren 3l^erftd(|t, baß
ihm bie ©chtoeben ba$ eroberte Qngermanlanb nicht mehr mürben
entreißen fönnen, fo furchtbar fia) auch ihr rriegerifchcr $önig biä
bahin ju machen gemußt, traf er fogleich 5(nftalten, an biefer
©teile eine fefte ©tabt ju erbauen, meldje bie erftrebte engere Sßer*
binbung jmifchen SRußlanb unb bem übrigen Europa h^ftetten unb
jugleidj als fünftige $auptftabt ein ©tüfcpunft ber ruffifdjen £>err*
fcfjaft auf bem baltifdjen 2tteere merben foHte. $en ©runbftein ju
biefer neuen ©tabt , bem jefcigen ©t. Petersburg , legte er am
27. 2tfai 1703, unb jmar juerft 311 ber #ütte, bie er felbft be=
mohnen mollte. Es mar ein ungeheueres SBerf, auf biefem moraftigen
Söoben, ber erft burch aufgetragene Erbe befeftigt unb erhöht merben
mußte, eine ©tabt ju erbauen; aber $eter fdjrecfte öor feiner
©chmierigfeit jurfief. 2lud) öerfdjaffte ihm bie ritffifdje ßeibeigen*
fchaft SSerfleute in Spenge: £unberttaufcube öon ßeibeigenen, auf
jmeihunbert Steilen meit sufammengeholt , arbeiteten unter $eterS
eigener Slufftcht Xag unb 9lacr)t. £ie meiften famen in 33ettler=
lumpen gehüllt, in welchen fie auch, ™ Ermangelung öon ©d)itb=
Digitized by Google
248
$er norbticf)c tfricg.
farren, bic $ur (Erhöhung beS 93obenS nötige (£rbe ^crbcitrugcn.
SBiele ftarben in golge bcr übermäßigen SInftrengung , bcr elenben
Nahrung unb ber ungefunben fiuft; aber bie Abgegangenen mürben
immer neu erfefct unb ju biefem Qrotdt felbft ftalmücfen unb Xu*
taren herbeigetrieben.
Sei folgern (Srifer waren bie SeftungSroerfe in unglaublich
fur$er 3tit öoüenbet unb auch ber SBau ber SBofmhäufer, bie an*
fangS nur aus ftolj errichtet rourben , rücftc fo rafd) öoran, ba&
bie ©tabt fdjon im jmeiten 3at;re betoohnt roerben fonnte. $a
jebod) ber Aufenthalt in jenen SJcoräften roeber angenehm noch
fieser mar, glaubte ber (£$ar, um bie neue ©tabt $u beüölfern, $u
«SmangSmafjregeln feine 3uflua^t nehmen ju muffen. ©ine grojk
Qal)l öon ©bedeuten, Äauffeuten unb $anbroerfern auS 9ttoSfau
unb anbern ©täbten erhielten ben ftrengften 5öefe^l , untrüglich
mit ihren gamilten nach Petersburg überjufiebcln, unb au« Surdjt
cor PeterS Qoxn magte 9ciemanb , ftd) biefem befehle ju nnber*
fcfcen. Salb r)attc auch ber Gjar bie Jreube , ein f)oßänbifa>e3
Schiff in bie 9ceroa einfahren ju fer)en r um ben 93emof)nern ber
neuen ©tabt feine ßabnng anzubieten. $)a allmählich öielc ruffifd)en
©rofjen, um fid) bei ihrem öeherrfcher beliebt ju machen, fid) in
Petersburg niebcrließen unb neue ©tabttheile anlegten, ttmchS PeterS
©chüpfung fchon gu feinen fiebjeiten $u einer bebeutenben ©tabt
heran; 3U bem pradjtöollen (^arenfifc, als meiere fie jefct baftetjt,
haben fie jebod) erft bie folgenben ruffifchen Jperrjcher gemacht.
$a bem Goaren bie geftung ©djlüffelburg juin ©dmfce ber
neuen ©tabt nicht genügenb erfchien, lieg er im 3af)re 1704 unter
9Jcenc$ifoms ßeitung auf ber nahen Qnfel föetufaii eine gtoeite
geftung, baS nnchtige ftronftabt, erbauen. 3n bemfelben 3ahre
gelang eS ihm auch, $orpat unb 9carma nach längerer Belagerung
jur Ergebung $u jmingen.
2er rufftfdic Ärieg.
(1708-1709.)
Obgleich in bem Altranftäbter ^rieben für bie fehroebtfehen
Gruppen nur bis jum grühjahrc Quartiere in ©achfen ^ugeftanben
roorben , bet)nte $arl unter mancherlei SBortuänben feinen Äufent*
halt in biefem ßanbe über ben größten Xheil beS ©ommerS aus.
Grft 311 (£nbe Auguft 1707 brach er mit einem £>eere öon öierunb=
t)ier$igtaufenb äJcann, baS jum Xfjeile aus angeworbenen X)eutfd»en
beftanb, aus feinem Säger öon Altranftäbt auf, um auch feinen leg-
ten unb mächtigften ÖJegner, ben Goaren Peter, ju ©oben $u merfen.
Digitized by Google
$er mffifäe tfrieg.
249
Statt jeboch aunächft nach bett OftfeeproDtttjen ju stehen, um burch
bereu ,3urücferoberung bie unentbehrliche SBerbiubung mit Schweben
herjufteüett , wanbte er fich , ba er burchauS feinem Gegner beu
Srieben in ber alten (Sjarcnftabt StfoSfau öorfc^reiben wollte, im
blinbeit Vertrauen auf feine Uttbeftegbarfeit oftwärtS, um burch <ßo=
tett in baS innere föußlanbS oorjubringen , ofme fich jeboch babei
einen beftimmten gelbjugSptau entworfen ju haben. 9tad)bem er ju
Slnfang beS SahreS 1708 bie SBeichfel Übertritten, nahm er am
28. Öebruar ©robno unb fefcte bann, ba bie 9tuffen überall öor
i^m jurücfwtchen , feinen 3"9 btä nach SBilna fort , mo er fein
&eer fo lange raften lieg, als bie bort üorhanbenen Vorräte aus*
reichten. Qm Quni brach er gegen bie Söereftna auf, bie am
18. bei Soriffott) überfchritten mürbe, befiegte am 13. ^uli bei
|> 0 1 0 w c $ i m am gluffe Söibitfdt) ben bort oerfchanjten rujfifchen
General Scheremetew, überfchritt balb barauf ben QDniepr unb brang
bis in bie 9lar)c öon SmolenSf oor.
$er SBcg nach SfloSfau ftanb bem ®ömg offen; aber unge-
ahnte Schmierigfeitett traten feinem weiteren Vorbringen in ben
28eg. $a bie Muffen bei ihrem Surücfweichen in baS Snnere beS
SanbeS , um ben nachjiehenben Stfinb aushungern , 2WeS auf
ihrem Sßege oerwüftet, bie SDcagajitte jerftört unb bie Dörfer nie*
bergebrannt hatten, fehlte es ben Schweben balb an ben nötigen
Lebensmitteln, unb ber immer fühlbarer werbenbe Langel erzeugte,
t)erbunben mit ben übermäßigen SKnftrengungen , bie $arl feinen
Eruppen jumuthete, #ranfheiten, Unjufriebettheit unb SDcutfjlofig*
feit, $iper unb Slnbere aus ßartS Umgebung, tueldje bie (gefahren
ber Sage mof)I erfaitnten, boten Med auf, um ben ®önig öon weU
terem Sorbringen abzuhalten unb ihn §u beftimmen, fich burch eine
rücfgängige Bewegung mit bem ©eneral &öwenl)aupt $u bereinigen,
ber mit einem £>eere üon jwölftaufenb SJcann aus Siolanb hcrons
50g unb bebeutenbe Vorräte oon £ebenSmitteltt unb ®riegSbebarf
mit fich führte. Statt jeboch biefen Sftath ju befolgen, ließ fich
&arl ju feinem Unglücf burch bat ftofafeuhetman 9Jcajeppa be-
wegen , fich fübmärtS nach ber Utraine §u toenben unb fich auf
biefe SBeife immer weiter öon feinen Hilfsquellen ju entfernen.
3wan aKajeppa (geb. um baS 3ahr 1645), ber Sofm
eines mitteüofen polnifchett ©belmannS, ^atte an bem £>ofe 3ohanu
ÄafimirS , Wohin er als *ßage gefommen , mit ber ©attiti eines
polnifdjett ®ro&en ein fiiebeSöerhältttifj angefnüpft , wofür berfclbe
fich baburdj an ihm rächte, ba& er ihn naeft auf ben Üiücfen eines
^ßferbeS binben lieg unb biefem bie Freiheit gab. 35aS <ßferb
eilte mit ihm in bie r)eimatr)Iic^en Steppen ber Ufraine , Wo ber
bem £obe nahe Wlapppa , ber mit bem erfchöpften ^ferbe 511
©oben geftürjt, bon dauern aufgefunben unb (oSgebunben Würbe.
Digitized by Google
250
$cr ncrbifd)c $ricfl.
(5r fdtfofc ftd) ben bortigen Äofafen an unb erttmrb fidt) Bei ben-
f ctbcti balb burdj ©etuanbtfjett unb Xapfcrfeit, foluie burdj feinen
Sßerftanb unb feine Äenntniffe ein fo h°^3 ^Infe^en, bafs fie if>n
im Saljre 1687 nach bem lobe ihre« #etman3 ju beffen 9lad^-
folget toasten. *ßeter ber CBroßc, beut er in feinem Xürfenfriege,
befonberfc bei ber ^Belagerung t>on $foro , wichtige Xtenftc geteiftet,
ernannte ihn jum gürften ber Ufraine ; aber bteS genügte bem ehr*
geizigen 2Rajeppa niebt: fein ©treben ging auf tjottftänbige Unab*
Fjängigfeit toon bem Sparen. $a er biefeä Stet am ftdjttften bnref)
tfarlS xn. 3Rititnrfung gu erreichen Ijoffte, bot er ihm ein #ilf«*
beer bon breigigtaufenb ftofafen, fonrie Sebenämittel in Ueberfluß
für feine Xruppen an, roenn er, anftatt geraben SBegS nach 2Ro3=
fau ju geben, ben Umroeg burch bie Ufraine machen unb ftd) bort
mit ihm bereinigen rooHe. ®egen ben 9latr) aller ©ad)t>erftänbtgen
im febroebifchen §eere, beren ®intoänbe nur umfomehr be3 Äönig*
©tarrftnn reijtcn , ging Äarl auf biefen SBorfdjtag ein unb trat,
nadjbem er bem General Sön>en!jaupt ©efe^t gefanbt, ihm nadj^u*
folgen, ben Su9 DC* Ufraine an.
Sttit ebenfo großer SBefriebigung als SBerttmnberung fab ber
ß^ar ben ©djroebenfönig fübroärtö gießen; benn er burfte fieb ber
Hoffnung Eingeben , baß berfelbe feinem SBerberbcn entgegengehe.
§n ber X^at erlagen Eaufenbe ber fdjroebifcben Srieger in ben
enbfofen SBälbem unb roüften ©teppen, in welchen man Weber be*
wofmte Orte noch ßeben&mittel fanb, bem £mnger, ben 2fnftrcngungen
unb ben burch bie anfjaltenbe 9läffe unb bie mangelhafte 93eflei-
bung erjeugten Ätanfheiten, unb eine äflenge Kanonen blieben in
ben SKoräften fteefen. ®tc einzige Hoffnung ber fcbwebtfdjen ©ene*
rate ftanb auf ßöwenbaupt unb SJcajeppa; aber feiner bon ©eiben
ließ fid> bliefen. (Snbltcr) r am 23. Dftober, erfa^ien ber @rfterer
bod) nur mit fedj3taufenb Sftann unb ofme jebwebe 3ufu^r : wieber*
holte Kampfe mit überlegenen ruffifcfjen £>eere8abtheilungen hatten
ihm bie 4>älfte feinet £eere3 unb fein ganjeS ©epäcf gefoftet. $lud)
SÄajeppa, ber balb nachher eintraf, führte bem ®ömg, ftatt ber Der*
fproebenen breißigtaufenb Äofafen, nur einen ^eerhaufen bon fünf-
taufenb Sflann ju unb braute Weber fiebenämittel noch ©etb mit.
2>ie 9cad)rid)t , bog ber (£jar mit einem furchtbaren £>eere tyxan*
rüde, \)aitt alle feine ^Bemühungen, bie ®ofafen jum Mbfatt bon
bcmfelben ju bringen, fruebttoä gemacht.
SBährenb ®ar(3 Dffijiere ihrem Unmutb über Üttajeppa freien
fiauf liegen, gefiel fidj ber ftönig barin, feinen SBerbruß ju öer=
bergen unb bem feetman fein unfreunblichcS SBort ju fagen. Unter
unaufhörlichen ^Beunruhigungen burch bie Muffen, beren #eerhaufen
ben ©chroeben immer gur ©eite ftreiften, nmrbe am 22. SRoüember
SBaturin, aj^jcppa^ Wohnort, erreicht, wo man SRaft ju hatten gc-
Digitized by Google
$er raffte ^rieg.
251
backte; aber SKcncjtf ow , ber fürs öorljer bort gewefen, hatte bie
©labt in einen Slfdjenhaufen öerwanbelt , äRajeppa'3 Bilbm& an
ben ©argen gelängt unb einen anberen #etman ernannt. 5luf bem
weiteren SKarfche ging ba3 ©cpätf meift öerforen; ein groger
ber ^ferbe erlag bem junger, unb bie SJcenfdjen Ratten jur SRaf)*
mng nur trodeneS, meift üerfchimmelteä Brob unb Sftirjeln; benn
bie Hüffen , bie unter 9Jcenc$ifow bie ©egenb burchftreift , fyatttn
21üc^ niebergebrannt. 5)aju fam bie ungeheure ®alte, bie ben
SBinter öon 1708 — 1709 ju einem ber benfmfirbigften beS Qahrs
fjunbertä gemacht. $)ie Reiterei mußte abfifcen, um nicht gu er=
frieren, unb baä gu&öolf ftetö in öoüem Saufe fortjtehen. $ennoa>
erlagen an öiertaufenb 2Jccnfdjen, tfjeitö ber &älte felbft, theilS bem
burd) biefelbe erzeugten (Slenb.
9co<h immer märe e$ für ben ßöntg Qtxt gewefen, nach $olen
jurüdjufe^ren, unb Sßiper befdjwor ihn, im Vereine mit SRaaeppa,
öon einem wetteren Vorbringen abftitftehen unb ben SRüdweg einju-
fragen; aber ber ftarrftnmge ftönig founte Weber burdj biefe
333arnung3ftimmen noch burdj ben ^Inblicf beä gren$enlofen (£lenbe&
feiner ©olbaten ju einem ©abritte bewogen werben , ber ihm al3
3urd)t tjätte gebeutet werben tonnen ober einer Sludjt ähnlich gc=
fefjen ^aben mürbe, (ährft müffe man , meinte er , bte SRuffen au£
ber Ufraine oertreiben unb ftd) in ber ^auptftabt ^ultama feft-
fefcen; bann fönne man noch immer tljun, waä man wolle.
(Snblich würbe, nachbem ba$ eingetretene Xfwuwetter in ben
faft ungangbar geworbenen SSegen unb ben ju ©trömen angefa^wefl*
ten Bächen neue ©djwierigfeiten gefdjaffen, ju SInfang 2lprtl 1709
Sßultawa erreicht. $arl traf fogleid) Slnftalten jur Belagerung
ber fefteu, mit Lebensmitteln rctcr)licr) üerfehenen unb öon einer
adjttaufenb SDcann ftarfen ruffifdjen Befafcung öertheibigten ©tabt;
aber bei feinen ungenügenben ©treitfräften — fein £>eer jaulte faum
mehr noch jwan$igtaufenb ÜRann — unb ber geringen Qai)l ber
ihm gebliebenen ©efd)ü&e ^atte bte Belagerung umfomemger 2lu3*
ficht auf (Srfolg, al3 baä jum (Sntfafc ber ©tabt Ijerangerüdte £eer
öon funfunbfe^igtaufenb SJcann, bei welkem ^ßeter fid) perfönüa)
eingefunben, bereite gan$ in ber sJcäfje ftanb.
Stach mehreren f leinen Borpoftengef echten fam e£ am 8. Quli
öor ben dauern öon $ultama $ur (Sntfcheibungäjchlacht. $)a $arl
in einem ber legten ©charmüjjcl an bem Knöchel be£ linfen gufje£
eine gefährliche ©djufjwunbe erhalten l)atte unb baher nidjt ju
$ferbe fteigen fonnte, füfjrte ber ©eneral Sfi^enffiölb ben Dberbe*
fc^l über baS fd)Webifdje £>eer ; boa) lieg fia) äarl, um bte Xapfer^
feit ber ©einigen $u entflammen, in einer ©änfte auf bem ©c^lacht^
felbe ^rumtragen. £er SluSgang beS ungleichen Sampfed fonnte
nicht jweifelhaft fein, unb in ber 2;hat genügten jwei ©tunben,
Digitized by Google
252 $er liorbifdje Jhteg.
um baS fdjmebifdje #eer faft gan^lia? $u Dernidjten unb ben bis*
fjer nie belegten @d)mebenfönig jum ärmften glüdjtling ju madjen.
sIRel)r als neuntaufenb ©djmeben unb $ofafen fanben im Kampfe
ben £ob, unb mehrere fdjmebifdjen (Generale, unter ifjnen Styenffiölb
felbft, tyiptx unb ber ^ßrinj SJcajimilian Immanuel Don SBürttem*
berg, mürben gefangen genommen. 5)aS gan$e ©epärf mit ber
reiben, fteben Sttillionen Xfjaler entfjaltenben ihriegSfaffe fiel ben
©iegern in bie £>änbe. $)em Könige l)alf man auf ein ^ßferb unb
braute ifm bann glütflidj in eine fealefdje , in melier er eiligfr,
Don einer ©djaar fdjmebifdjer Leiter unb einigen Rimbert ftofafen
begleitet, gegen ben $niepr ^in cntflot) (8. Quli 1709).
$>er (General ßömenf)aupt, bem es gelungen, bie SRefte beS
äerförengten &eere3 $u fammeln, ergab ftd), bie Unmöglidjfeit ein*
feljenb, eS mit bem übermächtigen geinbe aufzunehmen, an ÜÄencjU
fom unter ber SBebingung, ba§ baS gan$e $eer roäfjrenb ber 6)e=
fangenfdmft anftänbig befwnbelt unb nadj bem griebenSfdjluffe frei
ausgeliefert merbe. $iefe öebingung mürbe jebod) nidjt erfüllt.
SBon ben gefangenen ©djmeben fa!)en nur einige menigen bie &eU
matfj roieber; bie übrigen mürben burd) baS ganje ruffifdje 9teid>
äerftreut, unb Diele ftarben in ben fibirifdjen öergmerfen.
$er (S^ar, ber, obgleich felbft fein ^eroorragenber gelbljerr,
in ber ©djladjt bei ^ßultama gro&en perfönlia-jen Hßlutf) unb bie
faltblütigfte @ntfd)loffenl)eit gejeigt, feierte bei feiner föücffefjr nadj
9ttoSfau ben errungenen ©ieg, burdj melden baS ©cfurffal beS 9cor*
ben* entfdueben unb SRufclanbS ^errfdjaft Dom (SiSmeer bis jur
faSpifdjen @ee unb Don ginnlanb bis jum fajmaqen Ütteere aus*
gebebt mürbe, burd) einen Xriumpljjug, bei toeldjem ber ©raf
^ßiper finnbilblicf) Don Marren umgeben mar unb immer ein SRuffe
mit Derbunbenen klugen je $ef)u jufammengefoppelte ©djmeben ein-
^erfü^rte.
ffarl XII. in ber Surfet.
(1709-1714.)
9lad)bem $arl XII. mit feiner berittenen ^Begleitung unter
9ftajeppa'S gfifjrung glücfüct) ben $niepr erreidjt fjatte, fefcte bie
flüdjtige ©d)aar ityren SRitt unter ber brennenbften ©onnentjifoe
burd) unberooljnte SBüfteneien, fortroäijrenb mit junger unb 3)urft
fämpfenb , nad) ber bamalS burd) ben 93ug gebilbeten türfifefieu
ÖJrenje fort, bie am 15. 3uli erreicht mürbe. 3)ie Xürfcn mad)*
ten anfangs ©djnrierigfeiten , ber bewaffneten ©djaar bie lieber*
far)rt über ben SBug ju geftatten; ber $afd>a Don SBenber gab je*
boc§ SBefefjl, bem Äönig unb feiner Begleitung, benen ein nadj*
Digitized by Google
Sari XII. in ber Sürfci.
253
fefccnber ^almürfcnfchtoarm fmrt auf ben gerfen mar, $u ber=
felben bc^ifflic^ ju fein, unb fanbte if)m jugleich einen 9Iga mit
einer türfifdjen 9reiterfct)aar entgegen, um lfm nach ©enber 511
geleiten, roo er it)n mit großer (Jfjrerbietung empfing unb it)m ein
ftattlidjeS .f>au3 aur SBolmung antoieä. $a jebod) ®arl fict) nur
im Shißcrgctoöhnlichen gefiel, fdtfug er bor ber ©tobt ein Sager
auf, baä balb burd) ben Umbau bcr Seite in SBaracfen ba3 $ln*
fehen einer förmlichen ©tabt getoann, toie auch ÄarlS Begleitung
burct) neu huigugtfommene Schieben unb <ßolen ju einem Meinen
§eere ^erantouch«, mit meinem er täglich militärifche Uebungen
^elt. $er (Sultan Sldjmct III. öerfaf) it)n rcidjlirf) mit Sebent
mittein unb lieg tfjm baneben täglich fünfhunbcrt Zfyakv auszahlen.
Slußerbem nat)m ßarl große «Summen gu l;of)en 3infen auf, nur
um Öklb unter feine fieute nue unter bie Sanitfdmren auSfrreuen
unb feine greunbe in ben ©tanb fefcen ju fünnen, mit fürftlicher
bracht ju leben, toährenb er felbft feine geroohnte einfache Sebent
meife fortfefcte.
Unterbeffen l)atte ®arlä attißgcfchirf ade feine früheren 3einbe
mieber unter bie SGBaffen gerufen. ©cr)on öor ber ©d)lad)t bei
^ßultatoa fjatte Sn^rich IV. oon $)änemarf bei einem Bcfuche, ben
er auf ber 9Jüdfet)r öon einer italienischen 9icife am $ofe öon 2)rc3*
ben gemacht, fein frühere^ Bünbniß mit 2luguft II. erneuert. Qejjt
erflärte biefer ben 5lltranftäbter grieben al3 einen errungenen für
null unb nichtig unb rüdfte mit einem £cere öon breijehntaufenb
SUtann in s$olcn ein. £ier erlangte er balb ein fo bebeutenbeS
Uebcrgemicht, baß Stanislaus nach Bommern entfliehen mußte, oon
tt?o er fich fpäter ju #arl XII. nach Benber begab, ber ihm ju
feinem Unterhalte bie Ginfunfte be3 £>er$ogthum£ ßrocibrüdeu an*
tüieä. 2lm 7. Df tober erneuerte auch Der §5ar fe*n Bünbniß mit
Süiguft II., mit roclchem er ju biefem ßiuccfe in Zfyoxn jufammen^
gcfommcn, unb balb barauf erfolgte bcr 2lbfd)luß eines neuen $er=
tragS jmifchen bem Goaren unb Jricbrich IV. $er Sefctere erflärte
am 28. ßftober an (Schieben ben ®rieg, unb am 12. Sftoöcmber
lanbete ein bänifcheS £ecr öon öierunbjioan^igtaufenb SERamt unter
ben (Generalen SReöenllotu unb 9tanjau in ©dponen. s2(ber nod)
toar ©crjtoebeng ftraft nicht gebrochen, groar ftanbeu nur achttau fcnb
SERann regulärer Xruppen im Sanbc ; aber mit bcnfclben oercinigten
fich ä&er ätoölftaufenb Bauern, unb obgleich btefe ungeübt unb nur
fdjlecht bewaffnet maren, gelang eS boch bem erfahrenen (General
©tenboef, mit ihnen unb feinen eigenen Gruppen am 10. 9)car$ 1710
bem geinbc in beffen Säger bei £elfingborg eine fo öollftänbige
Sfticberlage fttt bereiten, baß fich °ie bäuifchen gelbherren auf ihre
©d)iffe äurürf^ichen mußten, (^lürflichcr toareu bic tief in (Sfthlanb
unb Siolanb eingebnutgenen Muffen, gegen bereu llcbermacht fich Die
Digitized by Google
254
25er norbtfdie $rtcg.
fleinen fdjwebifdjen öefafcungen nidjt lange galten tonnten: fdjon
$u ©nbe bcS QaftreS 1710 fafj fidj ^ßeter im Sefifo beiber £änber,
fowie Kardien* imb eines 2 r)eileä öon ginnlanb.
93ei biejer bebenflidjen Sachlage wäre für ßarl XII. bie fdjleu*
uigfte SRücffefjr in feine Staaten nidjt nnr baS erfte ©ebot ber
$lugf)eit, fonbern audj eine unabweisbare SRegentenpflidjt gewefen,
unb ber 2Beg baf)in ftanb itym burd) Ungarn unb 2)eutfdjlaub offen ;
aber fein Stolj fträubte ficr) gegen ben ÖJebanfen, fid), nacfjbem er
bie SBelt burd) feine SBaffentljaten mit bem Sftuljme feinet Samens
erfüllt, feinen Untertanen als ein gelbfjerr ol)ne #eer wiebcrju*
geigen unb als ein [Jlüdjtlmg burdj t)alb Suropa ju reifen. 9cur
auf einem einzigen Stege glaubte er mit @t)ren jurücf fchucu $u
fönnen, uämlid) burdj eben biefeS iftußlanb, in meinem er jum
erften Sftale befiegt worben, unb jwar an ber Spifce eines türfifdjen
#eereS, baS öon iljm ftegen gelernt. ®anj oon biefem abenteuer*
liefen sßlane erfüllt, bot er s2lllcS auf, bem Sultan Sldjmet begreife
lid) ju machen, baß bie Sicherheit beS türfifdjen Steides ein £>erab=
brüefen ber rujfijajen sMad)t ert)eifd)c, unb ifm baburd) ju einer
fofortigen $riegSerilänmg gegen 9tu&lanb $u bewegen, wobei er fid) *
it)m als SBunbeSgenoffe anbot. Qn feinen Bemühungen arbeitete
i^m jebod) vJteter, bem reifere ®elbmittel jur ©efteetyung ber Um*
gebungen beS Sultans ju (Gebote ftanben, fo erfolgreich entgegen,
ba& ber oon i^nt nadj Üonftantinopel entfanbte, ebenfo fajlaue als
gemanbte ®raf ^oniatowsfi, oer SBater beS nachmaligen Königs oon
$ofcti, erft nad) brei$el)nmonatlid)en ocrgebltcften Bemühungen jum
ijicle gelangte. flcadjbem er burd) bie feinften biplomatifdjen föänfe
unb ftunftgriffe bie Slbfefcung $meier oon SRußlanb gewonnenen
©ro&oeaierc bewirft hatte, jeigte ftdj enblidj ber britte ben SBünfcfjen
ftarlft günftig.
ttm 17. ftoüember 1710 erflärte bie Pforte an ftu&lanb ben
&rieg, unb im 3rüf)jahr 1711 rücfte ein türfifcheS #eer oon ameimal*
hunberttaufenb 2Jtann unter ber 5ür)rung beS ®ro&be$ierS gegen bie
ruffifche örenjc üor. <ßeter, ber bemfelben mit einem anfetjnlidjen,
oon bem (General Sdjeremetem geführten Speere eutgegen^og, lieg
fid} burdj bie $oSpobaren ber ÜDcolbau unb SBalladjei, bie ihm heim*
lid) oerfprochen hatten, oon ber tibüffien £errfchaft abzufallen, fo*
balb bie Muffen auf ihrem (Miete erschienen fein würben, in bie
Dölbau locfen, wo eS ihm balb, ba bie SRolbauer fein £>cer nur
unaureic^eub mit ÜSkfj üerforgten unb bie auä ber SSaüacbei erwärm
teten ßufu^ren gänjlia) ausblieben, an ben nötigen Lebensmitteln
fehlte. Unter großen iöefajwerben, bie burd) junger, Xurft unb
eine brennenbe Jpifc cr^ö^t würben, jogen bie Muffen ben s^rutt)
hinunter bis jum ^Dorfe Salcji, wo fie fic^ plöjjlich burc^ ben
injWifdjen über ben ^rut^ gezogenen ©roöoejier fo üollftänbig einge*
Digitized by Google
#ari XII. in ber Xürfet.
255
fchtoffen fa^en, ba& feine 3ßöglidjfeit be* (Sntfommen* Dorfjanben
war. $a bei ihrer gänzlichen (Erfchöpfung an einen erfolgreichen
#ampf mit bem weit überlegenen feinblichen £eere faum gebaut
»erben fonnte, festen ben Muffen nicht $lnbere* übrig ju bleiben,
al* bie SBaffen 511 ftreefen. Schon chatte ber Sjar ein ©abreiben
an ben Senat nach'SJcoöfau entlaubt, mit ber SJcelbung, ba§ er
ot)ne befonbere göttliche jpilfe nichts Slnbere* öor Hugen fefje, al*
eine gänzliche 9cieberlage, unb mit 58erhaltung*maBregeln für ben
gall feiner ®efangenfchaft ober feine* £obe*, al* e* feiner ®e*
mahlin Katharina1), bie ilm in ben Ärieg begleitet fyattt, unter
SJcitmirfung mehrerer höheren Offiziere gelang, buret) s}ket*gebuug
ihrer Quwelen ben fjabfücfjtigen unb überbie* be* Kriege* oollfom»
men un!unbigen ©rogoejier junt Slbfchlug eine* grieben* $u be*
wegen, ber am 2. $uli 1711 nach furjen Unterhanblungen $u
©tanbe fam. Qn bemfelben würbe bem ruffifa^en Jpeere freier s2Xb*
jug bewilligt, wogegen s£eter öerfpraa), tffom f)erau*$ugeben, feine
geftungen an ber türfifchen ©renje ju fdjleifen unb ber SRücffehr
be* fönig* üon Schweben in feine Staaten fein ^inbernifj in ben
SSeg jn legen.
Vergeben* fyattt $oniatow*fi 2lHe* aufgeboten, um ben s#b=
fdjlufi be* grieben* ju hintertreiben; auet) fein ^roteft gegen ben--
felben würbe nicht beamtet. (Sbeufowenig öermochte £arl felbft, ber
herbeigeeilt war, um ben Triumph $u geuiejjen, feinen gefährlich*
ften (Gegner al* befangenen $u feheu, ben grieben rücfgängtg ju
machen. 511* er ben ©ro&üeaier mit Vorwürfen überhäufte, aut*
wortete ihm biefer: „©Ott befiehlt un*, bem geinbe ju oerjeihen,
ber fich üor un* Demütigt unb um ©nabe bittet. 2Ber follte sJtufc
lanb regieren, wenn ich tf)m feinen £>errfcher nähme?" SBei bem
SIb$ug ber Muffen erbot fich ßarl, mit einer türfifchen £eere**
1) $eter* jioette ©emaf)lin Katharina mar nach ©inigen bieXoduer eine*
fatholifchen ©auern au* iUttbauen, tarnen* (5faroon*fi; nadj Slnbern war
itjr eigentlicher Sßame SJcartfja 9tabe unb ihr $ater fd)roebijcher Cuartiermeifter.
litt bie fehr junge grau eine* fdjroebifdjen Dragoner* mar fie im %a\)xc 1702
nach &cr Eroberung bc* Iiulftnbtjcfjcn 6tttbtd)cn* Hiarienbura ben sJtuffcn in
bie Mdnbc gefallen unb bem ruffifct)cn QJcnerat SBauer al* Üoeuteantheil ^uer*
fannt roorben. 3)iefer trat fic an 3Rencjitoro ab, beffen 9lufmcrf)amfeit fic
burd) ihre Schönheit unb ihren SSerftanb erreat t)atte. 911* $eter fie in
^encjiforo* $au* fat), entbrannte er in heftiger Öeibenfdjaft ju ihr unb jroang
ben tfürften, fte ihm $u überlaffen. Wad) ihrem Uebertritt jur gricchifdjen
Äircbe, bei welchem fte bie tarnen $atlmrina ^tlcrejerona annahm, uermnljltc
nd) ber (isar im ^ahvc 1707 heimlich mit ihr, unb am Xage feine* Slud^ug*
flegen bie 'iürfen (,17. ^Äd« 1711) erflärte er fie öffentlich für feine ©cmaljlin.
3)urd) bie ©ebulb, mit welcher fte alle feine Jaunen, foioie feine jeitroeiligen
3KiBhanblungen ertrug, fomie burd) ihr Fluge* Gingehen auf ade feine ^becn,
roufete fte fich ihm unentbehrlich ju madjen unb jid) bi* an feinen $ob im
«cfi^e feiner 3uneigung ju erhalten.
Digitized by Google
250
35er norbifdjc Äricg.
abtt)eilung anzugreifen unb zu befiegen; ber Großoezier üerfagte
jebod) ^icrju feine (Einwilligung, unb fo Blieb bie lefcte, oon ihm
auf fo fdjmadjöofle SBeife ocrfaufte Gelegenheit, ba3 türfifdje SRcief)
gegen ben gewaltig machfenben Machbar ju befeftigen, unwieber*
Dringlich oerforen.
2113 £arl öott Sttißmuth nach SBenber zurucffam, fanb er fein
ßager burd) eine ftarfe SluStretung be3 2)niepr fo ooflftänbig
unter SSaffer gefefct, baß er fict) entfließen mußte, ba&felbe einige
9Mlen weiter hinauf nach SBarnifea zu üerlegen, wo er für fitf)
unb bie ©einigen feftcre #äufer bauen lieg. $a e3 *ßoniatoW3ft
gelungen mar, bie s2lbfefcung be3 GroßoezierS burchzufefeen, gab er
fid) ber Hoffnung hin, baß ber triebe öon galcji nicht oon langer
$auer fein werbe, unb in ber Zijat machte e3 $eter felbft burd)
bie Nichterfüllung ber eingegangenen ©ebingungen *ßoniatomafi
möglich, öon bem ©ultan eine neue StiegSerfTärung gegen 9tuß-
lanb $u erlangen. $urcf) baS ©a^wifchentreten (SnglanbS unb
#oflanbS Würbe jebod), noch cl)c bie geinbfeligfeiten begonnen
hatten, ber 511 galc$i abgefdjloffene triebe auf fünfunbzwanzig
gahre verlängert.
Xrofc bicfeS abermaligen gehlfdjlagen feiner Hoffnungen gab
®arl biefelben nicht auf, unb in ber Xfyat brachte eS ^ouiatowäfi
nach bem abermaligen ©turje eines GroßoczierS bahin, baß am
12. 9£ooember 1712 eine brttte $riegSerflärung gegen SRußlanb
erlaffen würbe; aber auch bicämal ^atte biefelbe feine Solgen, ba
bie rufftfdjen Unterhanbier burch Gelb unb SBorfpiegctungen SflleS
wieber auszugleichen mußten. 3hrcm ©influffe gelang es auch,
ben ©ultan bahin 51t bringen, baß er an $arl bie ^lufforberung
ergehen ließ, bie Xürfei ju oerlaffen. tiefer erflärtc jebod), er
bebürfe, um mit (Shren abreifen 31t fönnen, einer halben SDhöion
Xfjaler jur ^Bezahlung feiner ©chulben, unb als ber ©ultan ihm
hierauf jmölftaujenb SBeutcl — fechSmalhunberttaufenb ZfyaUx — auS=
jahlen ließ, ocrlangte er, um einen neuen Söormanb zu längerem
bleiben 3U finben, noch heitere taufenb Söeutel. Qe^t cnbtict)
war bie Gcbulb beS ©ultan» erfd)ityft. @r oerfammelte ben
$ioan, um bemfelbcn bie Sragc ju unterbreiten, ob er nun wohl,
ohne bie Pflichten beS Gaftred)teS 31t Derlefccn, ben grembling aus
feinen ©taaten jagen bürfc, unb nacf)bem fämmtliche Ütäthe biefe
grage bejaht, ließ er an ben Sßafcha oon SBenber unb beu ®han
ber Xataren ben fehriftlichen Söefehl ergehen, ben dortig mit Gemalt
3U oertreiben.
2US ber ^Safdja oon 93enber $arl XII. biefen Söefehl oerfün*
bete unb \{)n fragte, ob er nicht lieber als grennb abreifen motte,
antwortete ihm ber $önig mit zornfunfelnbem ©lief: „Gehorche
deinem £>errn, wenn $>u baS $erz bazu ^aft ; aber geh mir aus
Digitized by Google
ftarl XII. in ber Xürfei.
257
ben klugen." ©ogleid) mürben alle bcm ®önig bcttiifligten Siefen
mngen eingeteilt unb bie $olen unb $o)afen, bie btäfier nodj um
benfelben gemefen, bura) ben *ßafdja bemogen, fid) nad) SBenber
$urütf,5U3tef)en, fo bafc farl mit feinen Offizieren «nb etwa merzet^
lunbert ©djmeben allein blieb. Obgleid) fid) allmäljlid) breizeljn»
toufenb Xürfen unb Xataren um SBarnifca aufammenaogen , mar
Äarl tollfüfjn genug, an ©egenme^r zu benfen, unb gab 53efel)f, baä
Sager mof)t zu berfdjanzeu. Vergeben* boten feine Beamten unb
Offiziere im Vereine mit ben im Sager anmefenben ©eiftlidjen 5lüe3
auf, um tyn zum 9cad)geben ju bemegen: er blieb taub gegen i^re
SBorftellungen mie gegen iljre bitten unb gebot if)nen, fortzugeben,
toenn fie nid>t mit iljm fämpfen mollten.
9cad)bem ber *ßafd)a am 12. gebruar 1713 normal* einen
öergeblidjen SBerfud) gemalt, ben ®önig zur Vernunft ju bringen,
gab er am folgenben Xage Söefeljl jur ©rftürmung beä fdjtuebifdjen
ßagerS. £)ie um baäfelbe aufgepflanzten Kanonen mürben abge*
feuert, unb in menigen Slugenblicfen maren bie SBerfäanzungen er*
ftiegen unb bie meiften Käufer in ©raub gefteeft. $ie ©djmeben,
bie nur ©abritt für Schritt zurürfgemidjen, ergaben fict) ber lieber^
madjt; nur ftarl jog fidj mit etma fünfzig ber ©einigen in fein
nod) unberfefyrteä £au3 zurfief, oerrammelte bie Xfyüren unb lieft
au* bcn genftern feuern. 2U3 enblidj baä bon ben Xürfen in
Sranb gefteefte $ad) über ben ßämpfenben zufammen ju frühen
brofyte, befdjlofi ®arl auf ben 9tat^ eines Xrabanten, fid) nad>
einem anberen fefteren £aufe burd)zufd)lagen ; er jebodj mit
feinem bidjt gebrängten Häuflein unter einer guten ^ßiftolenfalbe auf
bie Xürfen au* ber Xfnlre f)inau£ftürmte, bermidelte er fid) in feine
Sporen unb ftürjte zu SBoben, morauf er bon ben Qanitfdjaren nid)t
ofme grofje SÄülje entmaffnet mürbe. 2Jton braute ifjn in baä gelt
be* ^ajdja'*, ber üjn mit (Jfjrerbietung empfing unb ifm zum ©ifcen
einlub, „meil er motyl mübc fein roerbe."
SRadjbem Marl nod) einige rfeit in 93enber zugebracht, moljin
ber s$afd)a ifm l)atte führen laffen, mürbe Ujm 2)emotifa bei Slbria*
nopel zunt 2lufentf)alt3orte angemiefen, roo man Ujm, mie früher,
9taturallieferungen, jebod) fein ÖJelb bemißigte. 9tod) immer nährte
er bie Hoffnung, e3 bei bem ©ultan zu einer neuen $rteg$erflärung
gegen Äufjlanb zu bringen, unb fdjränfte fid), um nur bleiben zu
fonnen, auf ba* Sleu&erfte ein. Um in feiner ärmlichen 2Bof)nung
feinen Söefud) annehmen zu müffen, ftetlte er fid) franf, blieb oft
ganze SBodjen in feinem Seite liegen unb fam z^)« Sttonate lang
gar nidjt au* bem Limmer.
Snztoifdjen befanb ftd^ ©d)tueben in ber traurigften Sage. (£3
fefjlte zur gortfefcung be$ Stiege* an ©elb, mie an ©olbaten unb
Sriegäbebarf; ber $>anbel ftodte, ba* fianb feufzte unter ber fiaft
Digitized by Google
258
SDcc norbtjdje $rieg
unerfchnringücher s2I6gaben, unb bic unter aßen ßlaffen ber 53c*
üölferung ^crrfc^cnbe Unjufriebenheit trat immer mehr in lautem
2Jhirren ju £ag. $abei Ratten bie oerbünbeten ©egner ÄarlS
nach unb nach alle fct)tt)ebtfcrjen ^efifcungen in $eutjchlanb btö auf
Stralfunb , SBiSmar unb bie Qnfel tilgen in 53efi(j genommen.
£er ©eneral Stenbocf erfocht jroar am 20. 5)e$ember 1712 bei
® a b e b u f dj über bie SDänen einen oollftänbigen Sieg , mu&te
fid) aber, naa^bem er am 9. Qanuar 1713, um bie tljeilroeife Qtt-
ftörung oon Stabe burd) bie Oerbünbeten ju rächen , baä ööllig
toehrlofe Altona niebergebrannt , oor einem ^eranrüdenben ruffifd)*
fäc^fifc^en £>eere in baä fefte Höningen prucf^ie^en , in roelchem er
oon ben SBerbünbeten fo ootlftänbig ausgehungert tourbe , ba§ er
fich am 16. 9Jcai gc$nmngen faf), fidj mit feinem ganzen Speere 511
ergeben. $)ie Üftadjt ber Schweben mar bamit in biefen ©egenben
gänzlich bernichtet ; Schleimig aber würbe bem jungen $er$og ®arl
griebrich üon |>olfteuu©ottorü, ftactö Neffen, beffen Steter griebrich IV.
in ber Schlacht bei Älifforo ben Xob gefunben , abgefunden unb
mit Sänemarf Dereinigt.
Xrofc biefer oerhängnifjöollen Söenbung bcr 2)inge wollte $arl
üon (einem grieben hören unb erflärte 3^^n, ber ba$u ratlje, für
einen Skrrätljer. S)abei beftanb er mit feinem gewohnten Starr*
finn barauf , OTeä üon ber Xürfei aus regieren ju wollen , unb
al3 im 35ejember 1713 bie föeidjäftänbe jufammen getreten waren,
um über bie troftlofe Sage beS Sanbeä unb über bie Herbeiführung
be£ griebenS 511 beratfjen, erflärte er bie£ für einen freüentlid>en
(Singriff in feine töedjte unb fanbte ben sJteia)Sftänben ben Befehl,
fofort auäeinanber 511 gehen. Sie gehörnten, fanbten aber $u
gleicher Seit ben ©eneral Siemen au ben $öntg ab, um iijn
bringenb $ur unoerjüglichen föütffefjr aufauforbern. $ie Schübe*
rung , bie Siewen bem ftönig öon ber Sage beä Sanbeä unb ber
allgemein hcrrfa^enben Unaufrtebenheit machte, unb beffen unum=
munbene ©rfläruug, ba§, falte $arl noch langer mit feiner sJtücf*
fe^r jögere , bie sJteich3ftänbe ohne it)n grieben fajüegen unb ben
$l;ron aubermettig befefeen mürben, riffen enbltch ben ftöuig auä
feiner ©tftarrung. (Sr orbnete eine gläujenbe <&efanbtfd)aft , ju
bereu Sluäftattung er fich nur unter ben ejorbitanteften iöebingungen
baä nötljige ®elb hatte üerjdjaffen (öunen, nach Äonftantinopel
ab, um bem Sultan bie Ütttttheilung machen §tt laffen, bajj er ent*
fchloffen fei, nach Schweben jurücfaufehren. sJiachbem ihm Vldjmet III.
noch ein prächtige^ , mit ®olb gefttcfte« Seit, einen Säbel mit
btamantenem ÜJriffe, acht fchöne arabifche s^ferbe mit filbernem
ÖJefchirr unb Steigbügeln unb fedjjig äöagen mit Sebendmitteln
3um ©ejchenf überjanbt, brach er am 1. Dftober 1714 oon £emo*
tifa auf, unb ein jahlreidjeä türfifct)ed ©hrengefolge gab ihm ba*
Digitized by Google
$arl3 XII. «uSgcmg. — ©nbc beS norbtfdjcn tfriegeä. 259
(Geleite biä jur ÖJrcnjc. 3n bcr SBafladjei trennte er fich oon
feinen fchwebifchen Begleitern unb behielt nur bie beiben Dberften
SRofen unb Düring bei fid), mit benen er unter bem tarnen eineä
fchwebifchen Hauptmanns grifch bie föeife burdj Ungarn unb S)eutiaj=
Ianb fortfe&te. ©o unaufhaltfam ftürmte er üormärtS, baß ber
erfdjöpfte SKofen fdwn nach ben brei erften Xagen §urücfbleiben
mußte, ßfnu SRaft unb 8tuf)e ging bie Steife fort, am $age $u
^ferbe unb bei 5Racr)t $u SBagen , bi« enblid) am 22. SRoöember
Nachts um ein ill)r ©tralfunb erreicht mürbe. Snnerhalb üier*
^ehn Sagen Ratten ßarl unb Düring äWetfmnbertachtaig beutle
«Weilen jurücfgelegt.
3n ©tralfunb rief bie Nachricht öon ber Nücftehr be3 ®onig3
eine allgemeine unb aufrichtige greube herüor. 2llä er am folgen*
bat Sage bie Straßen ber ©tabt burchritt, brängte fid) Sllleä um
ihn, unb üon allen (Seiten begrüßte if)n fetter Subelruf. Um ber
Bürgerjchaft feine Sanfbarfeit ju bemeifen, erließ er ber ©tabt
auf $efm 3af)re alle Abgaben uub erhob bie öornefjmften !Ratr)S*
Herren in ben s2lbelftanb.
StaxU XII. »uätjana,. — gnbe be$ norbtfdjcn ftrießeS.
(1718-1721.)
2113 ßarl XII. ftc^ jur ftürffehr nach ©djtoeben entfloß,
glaubte er nur gegen feine brei früheren Berbünbeten ben $arnpf
trrieber aufnehmen müffen; bie Safyi feiner (Gegner oermehrte
fia) jeboch balb um jmei neue. ßuerft trat griebrich SBilhelm L
oon Greußen, griebrich^ I. ©ot)n unb Nachfolger (feit 1713), ber
einem mit ©achfen unb Nußfanb gefchloffenen Vertrage gemäß
einen großen Zfyzii oon ©chwebifdj5$ommem befefet fyattt > ocm
Bünbniß gegen ©chweben bei, weil ®arl fich weigerte, bie oon ihm
als ^ßreiä ber Räumung ©tettinä geforberte Ünifchäbigung oon
öiermalhunberttaufenb Xijaltxn ju §al)len. hierauf fdjloß ÖJeorg I.,
$Önig oon (ämglanb unb ®urfürft oon ^pannooer , am 26. Quni
1715 $u Kopenhagen mit griebrich IV. einen Vertrag, in welchem
ber Öefctere für bie ©umme oon achtmalhunbertjiebenunbfiebjigtau=
fenb X^aletn bie ben ©chroeben entriffenen £>er$ogtf) unter Bremen
unb Serben an £annoüer abtrat unb ©eorg I. ftd) bagegeu
^ur Betheiligung an bem allgemeinen Kriege gegen ©chweben Oer*
pflichtete.
Obgleich ©ehwebenä Sfräfte ooUftänbig erfchöpft waren , nahm
$arl ben $ampf mit feinen übermächtigen Gegnern auf unb er-
öffnete bie geinbfeligfeiten bura) bie Befefcuug ber 3ufel Ufebom;
17*
Digitized by G
260
$er norbifc^c Jhieg.
er mürbe jeboch burd) ein preußifd)eS £>eer, baS, burdj bänifchc,
fädjfifche unb hcmnöüerifdje Xruppen berftärft, gegen ©tralfunb unb
SSiSmar heranrüdte, roieber aus berfclben bertrieben. 2lm 15. 9to=
üember festen fünfjehntaufenb Greußen, £änen unb ©achfen unter
ber güfyrung beS dürften Leopolb bon $)effau r\ad) ber Qufcl 9tügen
über, unb ein bitter Diebel erleichterte ihnen bie Befcftung berfel-
6en. Söet bem bergeblichen SÖerfuche , bie Qnfel gu bertheibigen,
gerietfj ®arl nid)t nur felbft in Lebensgefahr , fonbern berlor auch
feinen SReifegefährten Düring, ber im Kampfe ben Xob fanb. v2luch
©tralfunb, baS bon einem aus Greußen, $)änen unb ©achfen bt-
ftehenbeu Speere belagert mürbe f bermochtc $arl, trofc ber r)elben=
müthigften SBertheibigung nicht ju galten. S2US bie s2lußenmerfe
genommen maren , fchiffte er fid) , bie ömcdlofigfeit eines längeren
SBiberftanbcS cinjehenb , am 21. £e$ember 1715 fyeimltdj nach
©choonen ein, worauf bie ©tabt am 23. ben Belagerern übergeben
unb bon ben £änen befefct mürbe. ÜJiit SBiSmar , baS fich im
folgenben Qahre, burdj junger bezwungen, gleichfalls bem preußifch=
bänijdjen BelagerungShecre ergeben mußte, büßte ©ehweben ben
legten SReft feiner beutfehen Befijjnngen ein.
%xo% aUebem berlor ®arl ben Sftuth nidjt. Er befaß in bem
in feine Xienfte getretenen Ijolfteinifdjen Baron ® ö r $ einen treff=
liefen ginanjminifter , ber bem gänjlid) zerrütteten ©taatshöi^h0*1
burch bie Einführung bon ^apiergelb unb fupfernen ^t)alern mc*
nigftenS für ben Slugenblid aufhalf unb baburch ben föönig in ben
©tanb fefctc, für bie unabmeisbarften Bcbürfniffe beS £>eereS, baS
fich im elenbeften äuftanbe befanb unb nicht einmal gehörig be-
treibet mar , ©orge ju tragen. Um bem geinbc feine 3eit $ur
Erholung §u gönnen, unternahm $arl 51t Anfang beS 3al)rcS 1716
einen SSinterfelbjug nach Norwegen , bei meinem er jmar aufs
sJteuc glänjenbe groben beS SftuthcS unb einer burch Vichts 51t er*
mübenben 2ütSbauer gab unb im SRärj 1716 baS bon feinen Be^
mohnern berlaffene (£f)rifriama befefcte , aber bennoch bem geiubc
feinen erheblichen ©chaben jufügte , inbem feine glotte , bie bem
.peere frifche Lebensmittel unb ftriegSbebürfniffe jufüljren füllte, im
jpofeu bon gricbrichShall oon bem Wbmiral iorbenfdu'lb überfallen
unb berbrannt mürbe, fo baß er fich Qenötfngt faf), fein bon s2lllem
entblößtes £>eer fchleunigft nach ©chtoeben jurürfjuführen , worauf
er ben SBinter ju Lunb in ©choonen jubrachte.
Unterbeffen ^atte GJorj, um ©djmebenS gefunfene 2Kad)t aufs
sJceue $u heben, $läne bon ungewöhnlich füfmer, bod) mohlberechneter
Sragmeitc entworfen, bie $arlS bollfte guftimmuttg erhielten. $)urch
bie Ueberlaffung bon Qngermanlanb unb Efthlanb follte ber Ejar,
^arlS gefährlicher ÖJcguer , auf ©chroebenS ©eite gebogen unb für
bie Unterftüfcuug ftarlö im Kampfe gegen beffen übrige geinbc,
Digitized by Google
tfarld XII. Ausgang. — (£nbe beS norbifrfjen Kriege*. 261
fotoie für bic Betfjeiligung an ber 28iebereinfe|}ung ©taniälauS
£c3cin3ri'ä getuonnen roerben; bagegen foüte fid) $arl für bie au
ftußfanb abgetretenen Sänbcr gunädjft burdj bie (Eroberung öon
9cortoegen entfdjäbigen , bann öon bort nad) <3djott(anb überfein,
um ©eorg I. ju (fünften be£ *ßräteubcnten 3afob III. Dom Xfjrone
ju frühen, unb fid) baburrf) uidjt nur beu SBieberermerb ber öon
£>annooer angefauften Herzogtümer ©reinen unb Serben , fonbern
audj bie Bereinigung öon |>annooer mit ©cfjmeben fiebern. $)er
^ar , mit meinem fid) &öx% bereite ine ©inöcrnefjmen gefegt,
geigte fid) umfo geneigter jum ?(b[d)Iuß eineä <5eparatfricben3 mit
©djroeben , foroie jur Unterftüjmng ber öon bem fdjmebifc^en üflU
nifter entworfenen Richte, als er nicfyt nur erreicht Imrte, maä er
gettjoßt, fonbern aud) auf $>änemarf3 £jerrfd)aft im ©unbe unb
fenglanba Befitjnafjme öon Bremen unb Berben eifcrfüd)tig mar, unb
fdjon fjatte man fidj bei einem im 9M 1718 auf ßofoc, einer ber
$llanb3infcln, eröffneten Kongreß über fämmtfidje £>auptpunfte ge-
einigt, aU ein uneriuarteter Xob ber ftürmifdjcn ßaufbafyn be3
fed)3unbbreifiigjäfjrigen <5d)mebenfönig§ ein Siel fefctc.
Um bie Eroberung öon Sftorroegen §11 bemerfftcHigen , f>atte
$art im 5Iuguft 1718 ben Baron Slrmfelb mit einer £>eere$ab*
tfjeihmg öon jefjntaufenb ÜRann über bie Violen nad) S)rontl)eim
entfanbt unb mar bemfelben im ftoöember mit bem £>aupt()eerc auf
füblidjem SBege über bie normegifdje ©renje gefolgt, morauf er am
4. £ejember bie Belagerung ber geftung gricbric^Ä^all er*
öffnet Imtte. 9ßad)bem er felbft am 9. mit bem Xegen in ber
4>anb eine £>auptfd)anje erobert Ijatte, begab er fidj am 11. —
einem (Sonntage — föät 2lbenb3, trofc ber fdjneibenben ^aa^thtft,
mit bem Dberingenieur 9flegret unb bem ©encralabjutanten ©iquier,
^meien gran^en, tyinauä, um $u feiert , mie meit man mit ben
Arbeiten in ben ©räben gefommen. 2BäI)renb er, über eine ©ruft*
wefjr ^ingelet)nt f ben $opf auf beibe Slrmc geftüfct, beim Sidjt ber
Sterne ben Arbeiten jufab, entfernten fidj feine beiben Begleiter,
fo baß er allein jurücfbUcb. 2113 fie nad) Berlauf einer ©tunbc
mit einigen anbern Offizieren jurürffamen , fanben fie ben ®ömg
tobt, föütfmärtä gegen bie Brufttoefjr gelcfmt, Ijieft er bie rechte
£anb am $5egen; $opf unb $mnbfd)uf)e maren mit Blut bebeeft.
Äße maren beftür$t unb tief erjdjüttert; nur bie beiben gran$ofcn
geigten feine Ueberrafcfmng , unb Sftegrct fagte faltbtüttg: „$a3
<Bpid ift au«; mir moüen nad) £>aufe gefjen." Um ba3 Unglücf
geheim $u galten , füllten bie Offiziere üaxtä £etdje in einen
SRantel unb trugen fie inä Hauptquartier. $)er bei bem $>eere
dnroefenbe s-ßrina griebridj öon Heffen^affel , ber ®cmal)l ber
fdjmcbifdjen ^ßrinjeffin Ulrife (Eleonore, ftarlä jüngerer ©djroefter,
i)ob fofort bie Belagerung öon griebrid)$lmll auf unb führte baä
Digitized by QßOgle
262
$er norbifdje Äricg.
fteer nacf) ©chmeben zurficf. SBon tlrmfelbS §eer f baS jtuar
$rontheim nach unfäglichen SBefdjmerben erreicht f ober bie ftarfc-
unb roohl öertfjetbigte geftung nicht ju erobern öermodjt , far)cit
faum fünffmnbert HJcann bie £>eimath roieber; alle Uebrigen maren
bei bem mitten im SSinter angetretenen 3tficfzuge auf ben ©Sfel=
bern ber #iölcn ber $älte, bem junger unb ben Slnftrengungen
erlegen.
Unftreitig r)attc ®arlS XII. (£harafter eine cble ©runblage.
(Seine grömmigfeit mar eine aufrichtige, unb feine ©ittenreinhett,
feine (Einfachheit unb SJcafiigfeit bilben einen mcujltfmenbcn ©egen*
fajj ju ber ©ittenöcrberbnifc , ber $runtfud)t unb Ueppigfeit , bie
an ben meiften gürftenl)öfen jener Seit hnx unbefchränften £>err*
fdjaft gelaugt maren. $abei mar er ein abgefagter geinb oon fiug
unb Xrug unb Schmeichelei unb fein ©inn öon Anfang an auf
baS ©ro§e gerichtet. Slbcr mit feinen guten ©igenfehaften öerban-
ben fich fchmermiegenbe gehler. $er ©tarrfinn, in welchen bic
geftigfeit feinet SBillenS ausgeartet mar , machte ihn nicht nur
unzugänglich gegen jeben guten SRatfj, felbft menn fich bcrfelbe auf
bie triftigften unb einleuchtenbften ©rünbe ftfifete, fonbern auch wn=
empfinbltch gegen bie ßeiben feines SBolfeS. ©eine gurchtlofigfeit
unb helbenmuthige Xapferfeit mürbe nicht feiten zur Xoflfühnheit,
unb baS ©eroufjtfcin, für fein gutes Stecht baS ©chroert gebogen 51t
haben , rijg ilju zu blinber 9tacf)fucht hin. E)a§ er burdjauS fein
herborragenber gelbt)err mar, geht fchon aus ber ööfligen $lan*
lofigfeit feiner gclbjüge, fomie aus ber gänzlichen $ernachläffigun$
auch gemöhnlichften unb nothroenbigften SBorfichtSmaöregeln bei
benfelben tyrtiox. SBährenb baS llnglücf ihn nicht ju beugen ber=
mochte , berleitete ihn baS ©lücf jur Ueberfchäfcung ber eigenen
®raft unb }u unöerzeihlichen Xhorheiten. ©0 üergeubete er burch
ben SKi^brauch feiner reichen ©aben nufeloS bie Gräfte feine*
ßanbeS unb fturjte ©chtneben tum ber £>öfje unb politifchen 93ebeut*
famfeit tyxab , zu melier cS burch ©uftaü Slbolf unb ftarl X.
emporgehoben morben.
Obgleich cS im haften ÖJrabe unmahrfcheinlich erfchien , ba§
eine feinbliche ßugel ben $Önig gelobtet habe , unb baS allgemeine
©erücht bie beiben granzofen fo ungefcheut als feine 9ftörber bc*
Zeichnete , baß ber Ucame ©iquier in „©icaire" oermanbelt mürbe,
gefefmh nicht baS äftinbefte jur SHarftcUung ber näheren Umftänbc
beS traurigen ©reigniffeS. 9J?an ließ es als ausgemacht gelten,
baß ber ®önig öon einer auS ber geftung he™&ergefommenen bä=
nifchen ®ugel getroffen morben. (Erft achtunb^manzig 3at)re fpäter,
am 11. Quli 1746, mürbe bie Seiche ärztlich unterfucht, mobei fidr>
herauSgeftcllt haben foß , bog ber $ob beS Königs nur burch eine
Sßiftolenfugcl herbeigeführt morben fein fönne, bie ihn an ber rech*
Digitized by Google
ßctrlS XII. KuSgcmg. - Gnbc bcS norbifcben Stiege«. 263
tcn ©d)läfe getroffen Ijabe unb an ber linfen «Seite be« ©djäbclS
ttrieber Ijerauägebrungen fei. SBenn inbeffen ftarl, wie faum ju
beameifeln, burd) SO^euc^etmorb gefallen, fo ift er ftcfjer nidjt ba3
Dpfer einer ^riüatradje geworben, fonbern bem $mffe be3 mit feiner
unumfdjränften Regierung Iongft unjufriebenen 2lbel3 erlegen, unter
meldjem ertoiefener 9Haßen eine Skrfdjmörung gegen fein Seben be=
ftanben r)atte.
$er fdjmebifdfje Slbel berfäumte aud| nidjt, ben $ob beS ®ö=
nigS in ber auSgiebtgften SSetfe au$aumtfcen. 2Rit Umgebung beä
jungen ^erjogS ®arl Sriebridj üon $otftein*®ortorp, ber als ber
©ofm ber älteren, im 3a^re 1708 ju ©totfljolm öerftorbenen
©djmefter $arl3 bie nädrften föedjte auf ben erlebigten Xf)ron ju
^aben fdjien, obgleict) nad) ben oon ben oorljergefyenben Königen
bejügltcr) ber (Erbfolge getroffenen 53efttmmungen S^eifel barüber
obmalten fonnten, entfdjieb fidj ber SReidjaratf) für #arl$ jüngere
©djmefter lllrtfe Eleonore, bie ®emaf)lin SriebridjS oon Reffen,
nadjbem biefelbe ju ©unften beS $Ibetd auf bie unumfa^ränfte $önig3*
gemalt ücrjicrjtct unb bie SBiebereinfüfjrung ber alten ^egierungä-
roeife jugefagt. SDttt .ßuftimmung ber 9tei($8ftänbe übertrug fie im
3a§re 1720 bie ^Regierung iljrem ©emaljle.
Sflit ber Xfyronbefteigung ber Königin Ulrife Eleonore mar aud)
ba3 ©djtdfal beä 93aron3 ®ör$ befiegelt, ber als Sluälänber unb al£
ber oertrautefte 9tatf)geber ®arlä für ben fjerrfdjfüdjtigcn $lbel längft
ein ÖJegenftanb be3 bitterften &affe$ geroorben. Mea Unheil, ba$
feit Qaljren burd) ®arl3 SBiflfür ober burd) ben $)rang ber Um-
ftänbe über ©d)meben gefommen, mürbe ifjm $ur ßaft gelegt unb
eine fReir)e oon Slnflagen gegen iljn erhoben, ju bereu SBtberlegung
man ifjm meber einen SRedjtSbeiftanb nodj eine ftf)riftttdje S8ertr)ci*
bigung bemittigte. Dbgleid) iljm fein ein$ige3 ©taatäoerbredjen nadj*
gemiefen merben fonnte, mürbe er, mit ber gröblid)ften SBerlefcung
oder 9led)t3formen, uad) einem einzigen $8erl)öre jum Xobe oerur=
tfjeilt unb am 2. Stfärj 1719 Ijingeridjtei.
3)er norbifdje ®rieg mürbe jmifdjen ben Qafjren 1719 unb
1721 burd) eine SReilje oon grieben3fd)lüffen beenbet, bie ©djmeben
burd) mefjr ober meniger große Dpfer erfaufen mußte, ©tatt ftd),
bem Gebote ber Älugfyeit gemäß, juerft mit bem (£$arcn, alä bem
mädjtigften unb gefäfjrlidjften ©egner, abjufinben, bradj ba3 fdjme^
bifdje $abinet, ben £a| gegen ÖJorj aud) auf beffen politifc^eS
©uftem übertragenb, bie Unter^anblungcn mit 9iußlanb ab, in ber
Hoffnung, naa^ ber £erfteHung be§ SriebenS mit ben übrigen
2Räd)ten gegen ben ©jaren leid)tere3 ©piel 51t ^aben. Suerft
erfolgte am 20. SRooember 1719 ber Slbfdjluß be^ griebend mit
©eorg I. oon ©nglanb unb £annoöer, ber Bremen unb Serben
behielt unb bafür an ©a^meben eine Million X^aler jaulte; bann
Digitized by Google
264
^cterä beS ©rofjen ^Reformen unb lefcte Sebenäjahre.
tourbe am 5. Qanuar 1720 ein 9(bfonimen mit $Tuguft II. getroffen,
traft beffen Schieben ihn als $önig üon Sßolen anerfannte gegen
bie oon ihm übernommene Verpflichtung, an (Stanislaus SeScinSfi,
bem ber föniglidje Xitel oerbleiben fottte, eine Million Xtyaler ju
jaulen. Sftit 5ricbricr) SBilfyelm I. oon ^ßreu&en einigte man fich
unterm 1. gebruar 1770 bafjin, baf? bemfelben baS üon ihm befehle
Stettin, fohrie Vorpommern bis an bie $cene nebft ben Qufcln
Ufebom unb SßoHin gegen bie an Sdjroeben ju leiftenbe 3^^u^g
öon jmei Millionen X^alent oerblieben. $)änemarf behielt in bem
am 14. 3uni 1720 abgefdjloffenen ^rieben ben ©ottorp'fchen 2lntf)ctl
öon Schleswig unb erhielt aufjerbem oon Schtoeben eine Summe
oon fcchSmalhunberttaufenb %^aitxn, wogegen eS bie bemfelben ent»
riffenen Eroberungen Verausgab unb auf bie bisher genoffene 3oH=
freir)eit im Sunbe Verjidjt leiftete.
Xiefe oerfdu" ebenen griebenSf rfjlüffe brauten ben (Sjaren gegen
bie ihm ohnehin toerha&te fchtoebifche Regierung fo fehr auf, bag
er fid) ju rächen unb Schweben jum grieben $u jmingen befdjloß.
Sftuffifche Gruppen rücften in Upfanb ein, plünberten unb Oer brann-
ten bort zahlreiche Stäbte, Dörfer, abelige (Süter unb 2ttühlen, leg»
ten ganje Strecfen fdjöner Salbungen in Slfdjc, jerftörten ©ifen*
werfe unb Äupfergruben unb jdjleppten SDcenfchen unb Viel) mit
ftd| fort. 3)iefe ^Barbareien ^Wangen enblich bie Schweben, fid) ben
Sorberungen beS (Sparen ju fügen, unb fo fam am 10. September
1721 ber griebe oon Ucoftäbt ju Stanbe, in welchem Schweben
an SRußlanb, gegen bie Zahlung oon jroei 2Jciflionen XfyaUvn unb
bie SHüdgabe Oon ginulanb, bie s$roüinjen Qngermantanb, ©fthlanb,
ittolanb unb ben größten Xf>eil oon Kardien abtrat. SRach bem
§lbfa)Iu6 biefeS griebeuS, ber SchwebenS Üftacht für immer Oeraich5
tete, nahm ^ßeter am 22. Df tober 1721 ben $aifertitel au, unb ber
Senat erfaunte ihm bie Ehrennamen „ber ©ro&e" unb „ber Vater
beS VaterlanbeS" $u.
XIII.
"gtttts bc$ §ro£en Reformen unb fe|fe ^eflensjafke.
(1721-1725).
So fehr auc^ Meters beS ©roj$en Xt)äti9feit burdj feine ©r*
oberungSpläne, bie nicht auf ben Erwerb ber fchtoebifchen Dftfee*
prooinjen bejehränft blieben, fonbent auch bie Vereinigung SßolenS
mit föufjlanb jum ©egenftanbe Rattert, in Slnfprud) genommen mar,
üerlor er boch ju feiner 3eit bie Sorge für bie innere UmgeftaU
Digitized by Google
$eter« beS ©ro&cn Reformen unb icfcte 2eknSjal)rc.
265
tung feine* Meiches aus ben klugen. 3)er #auötgegenftanb feiner
Slufmerffamfeit blieb baS £eermefen, baS mehr unb mehr nach
euroöäifchein dufter eingerichtet mürbe. Slufcer bem ftcr)enbcn $>eere,
in melchem er bie ftrengfte SJcannSjucht aufrecht !jiett, fachte er auch
eine 2lrt ßanbroehr ju btlben, unb ein im 3afn*e 1713 erlaffeneS
®efefc verpflichtete ben gefammten Slbel jutn ShriegSbienfte. gür bie
£>ebung ber ©eemacht gefdjah fo tuet, bafj bei ^Seterö Xob bie
ruffifdje glotte a^tunböierjig Sinienfchiffe unb acfjtfjuubert fleinere
ihriegSfahrjeuge mit einer Bemannung tjon ac^tunb^manjigtaufenb
©eelcuten jählte.
Dteben bem $>eermefen lag bem (Sparen befonberS bie Hebung
beS £>anbelS unb beS ©eroerbflctSeS am £erjen. Qux Erleichterung
beS inneren SSerfehrS nnirben Sanbftraßen unb Kanäle angelegt unb
burdj bie $8erbinbung ber inneren <Sdt)ifffa^rt mit bem 9)ceere neue
£anbelSroege eröffnet. Qvix SBcreblung ber ©chafjucht mürben ©djäfer
unb ©djafe aus $olen unb ©djlefien ocrfdirieben unb jur Anlegung
oon Seinroanbmanufafturen, Scberfabrifen, Papiermühlen, (Glashütten
u. bergl. 5ar)lreicr)e SluSlänber inS Sanb gebogen. ©ef)r nüfclich
ermiefen fief) für bie Hebung ber ©croerbethätigfeit in SRufjlanb
bie burd) baS gan^e SReidf) jerftreuten fdjroebifdjen Kriegsgefangenen
Dom 3af)re 1709, benen nach bem Slbfdjluß beS griebenS üon 9cü=
ftäbt üiele ihrer fiaubsleute freimillig nachfolgten. Eine ganj be=
fonbere (Sorgfalt üermanbte $eter auch auf ben 93ergbau. Er lieg
in Sibirien unb im Ural jal)lreicr)e Sßergmerfe anlegen unb errich-
tete im Safjre 1718 eine eigene Söergfdmle.
Um bem $lbel jeben (Stnfluß auf bie Regierung ju entjiefjen,
hob ^eter ben „93ojarenf)of auf unb errichtete im 3al)re 1711 als
oberften Gerichtshof beS SRcicheS einen ©enat, beffen Sftttglieber
üon ihm ernannt mürben. 28er bie ©ifcungen beSfelben oerfäumte
ober au benfelben ju fpät fam, oerfiel in ©träfe. $em ©enate,
in welchem ber E$ar gemöhnlich fclbft ben 33orfifc führte, ftanb,
aufjer ber Entfdjeibung über Sragcn ber Gefe^gebung unb ber
oberften 9(ufficf)t über ben iöoüjug ber Gcfeje, baS föcd)t ju,
Stangftufen ju ertheilen unb in ben 9lbelftanb ju erheben. Sitte
tum bemfelben auSgchenben Erlaffe — Ufafe — hancn GefefceSfraft,
menn ber Ejor fie nicht auSbrücflich aufhob, gür bie einzelnen
3meige ber ©taatSüermaltung maren Kollegien, jelm an ber Qafyl,
eingefefct, beren 9töthe unb 93eififcer Dom ©enate ernannt mürben,
mäbienb bie Ernennung ber Präfibenten unb SBiceoräfibenten üon
bem Ejarcn ausging. Eine europäifer) organifirte ^olijei machte,
im Vereine mit ber geheimen ^nquifitionSfanjlei, über bie öffentliche
©icherheil unb über baS Xretben uujufriebener Muffen. 5)ie ©e-
rect)rigfeit mürbe ftreng unb ohne Hnfehen ber Perfon gehanbhabt;
bie r>öc^ftert ©taatsbeamten mufjten begangene Ungerechtigkeiten burch
Digitized by Google
26G
^clcrö bcä ©rofecn «Reformen imb lefrte SebenSjafnc
Verbannung nach «Sibirien büßen. VefonberS fudjte Peter mit
großem (Trufte ba3 Volf öor Vebrücfungen unb Wxülüx öon ©ei*
ten ber Beamten unb ©bcHente ju fchüfcen ; e3 gelang üjm bieä je=
bodj nur in fehr befchränftem Sflaße, ba ba& Uebel attju rief einge*
murjelt mar.
$en alten Srbel teilte Peter in brci klaffen — Surften,
trafen, Varone — , ben mit gemiffen Remtern unb SBürben öer*
bunbenen fftangabel in öierjehn, öon benen acht mit bem erblichen,
fedjS mit bem perfönlichen 9lbel, alle aber mit Priüilegien öerbun*
ben maren, ben Vürgerftanb in fcchä klaffen mit entfprechenben
Priöitegien. $ie ©ifchöfe mürben ben ^o^cn militärifd)en Sftang-
flaffen jugetheilt.
Um fich ber fchiämatifch-griechifchen $ir<he gegenüber, meldje
in föußlanb bie allein Ijerrf^enbe mar, eine unbefchränfte ÜKacht
SU fidjern, lieg Peter nach bem Xobe beS Patriarchen Mbrian II.
öon SHoäfau (1700) beffen Stelle unbefefct unb ernannte mährenb
ätuanaig 3af)ren nur Vermefer be3 Patriarchats, bie über «Richte
felbftftänbig beftimmen tonnten, fonbem über 2llle3 mit ben ©i*
fdjöfen Dörfer beraten unb bann ben CSjaren um Genehmigung
ihrer Verfügungen bitten mußten. 2(18 im 3a()re 1721 bie ©eift*
lichfeit um bie (Stnfe&ung eines neuen Patriarchen bat, fdjlug fict>
ber G^ar auf bie «ruft mit ben Korten: „£ier ift euer Pa=
triarch!" Sin bie ©teile beS abgerafften Patriarchats trat, als
höchfte firc^liape Vehörbe, bie am 25. gebruar 1721 errichtete
„heilige, birigircnbe ©önobe", beren SJcitgUeber bem (Sjaren „als
ihrem natürlichen unb mahrhaften Dberherrn" Xreue unb ®ehor*
fam fdfjfoören unb babci befennen mußten, baß ber $aifer aller
Reußen ber fjödrfte [Richter in geiftlichen Angelegenheiten fei. $5ie
©tmobc, beren bie föeinerhaltung ber ßehrc, beS ttuItuS unb ber
XiScipltn umfaffenber ©efchäftSfreiS auf baS ©enauefte öorge$eich5
net mar unb bie ifjre 3nftruftionen öon bem Sjaren felbft empfing,
erließ alsbalb aufPeters Vcranlaffung eine SReifje öon 93orfc^riftcri
für ben SBcIt* unb DrbenSflcruS , meiere einen (Sinblicf in ben
traurigen guftanb ber rnffifchen ftirche ju jener Seit eröffnen unb
inSbefonbere ben ungeheueren Hbftanb jrotfehen bem öcrfommcncn
ruffifchen unb bem in fyofytx Vlüthe ftehenben abenblänbifchen
2Jconcf)thum erfennen laffen. 8ln bie Aufhebung beS Patriarchats
reihte fid) bie ©instehuug aller ©rjbisthümer, mit alleiniger 5luS~
nähme öon ®iem unb 9comgorob. Xic erlebigten ©tühle mürben
mit ©ifchöfen befe&t; boct) behielt fich ber (£$ar öor, öerbienftöoHe
SRänncr burch bie Verleihung beS Xitel« eines GrräbtfchofS ober
Metropoliten auszeichnen, peter hatte fich jroar eine Zeitlang
öon bem Siefen ber fatfjolifchen Kirche fo fehr angezogen gefühlt,
baß er bem Zapfte ©lernen* XI. bie Verficherung fyattt geben
Digitized by Google
s3?eter$ be§ QJrofjcn ^Reformen unb Ietyte 2cben8jaf)re.
267
laffen: er roerbe im ganzen Umfange feinet SRcidjeS bic freie unb
öffentliche Ausübung be$ fatfjolifchcn #ultu3 geftatten; feine fat^o-
lifenfreunbliche (Stimmung mar jeboch fpäter in baS ©egentr)eil um*
gefchlagen, unb nach ber Aufhebung be$ Patriarchats trat er nicht
nur entfehieben feinblich gegen bie fathotifche Kirche auf, fonbern
fd)ien e8 fidj fogar jur befonberen Aufgabe gemacht ju fyabtn, bie
päpfttiche SBürbe auf jebe SBeife ju öerhöhnen. $ie bamal« ge*
grünbete 6t. Petersburger Scitung erhielt als möehentlidje ©eilagc
öerfchiebene in« SRuffifche überfcfcte Vrochüren, in melden bie fatho-
Hfdje SHrdje öerläumbet unb öcrfpottet mürbe.
5ür bie £>ebung ber VolfSbilbung forgte Peter burd) bie 3ln=
(egung üon ©deuten, für roelche er Sefebücher unb ®ateduSmen aus*
arbeiten ließ, ©oroohl bic ©bctleute mic bie Veamten maren ge*
halten, ir)rc ©öfme t?om je^nten bis jum fünfzehnten 3ahre in biefe
©dmlen ju fehtefen. 3ür bie roeitere gottbilbung ber ©öfme beS
SlbelS mürben befonbere SriegSfchulen errichtet. «8"* allgemeineren
Verbreitung ber Vtlbung ließ Peter $rucfereien anlegen unb frembe
©chriftmerfe in« Sluffifche überfein, gu meinem Qmdt er latent-
üofle junge Muffen ins SluSlanb fanbte. 5ür höh*** Vilbung, für
fünfte unb SBiffenfchaften fehlte bem ftaifer ebenfomohl ber ©tnn
als baS Verftänbniß, mic überhaupt nur baS für ihn SBertt) hatte,
ttjaä für baS praftifche Seben ©eminn bringen fonnte. @i* legte
jmar ein anatomifchcS Üftufeum, SRaturalienfammlungen, Vibliothe*
fen unb ©emälbefammlungen an, für roelaV lefctere er befonberS
©eeftücfe unb ÖJemälbe hoUänbifdt)er ®üuftler anfaufte, unb errid)5
tete fogar im 3af)re 1725 nach einem Don ßeibnifc entmorfenen
Plane eine $lfabcmie ber SBiffenfdjaften ; aber bieS $WeS gefdjal)
meift nur beS äußeren PrunfeS megen.
Sludj baS gefcHfdwftliche ßeben ber Muffen fudjte Peter ju
reformiren. Um fie an bie £öflichfeitSformen unb bie gefelligen
Vergnügungen beS eimlifirten (furopa'S ju gemöfmen, ^ielt er bic
2Bol)lf)abenberen baju an, ju gemiffen Reiten $lbenbgefcüfcf)aften ju
geben, mobei fie gelabene mie ungelabenc ®äfte freunblich empfangen
unb menigftenS mit Xfjee bemirtl)en mußten. 55er (£jar felbft cr=
fcfjien btemetlen gau$ unermartet in biefen ©efeflfehaften. Sluch gab
er mitunter einen #ofbafl, ber buref) Xrommelfchtag in ben ©traßen
angefünbigt mürbe, unb mufterte, am ©ingang beS PalafteS ftefcenb,
bie SInfommenben. £erren unb tarnen jogen aus Urnen bie 9tum*
mer, melche ihnen angab, mit mem fie fich mährenb beS ©alle« ju
unterhalten hätten. $ic ÖJroßfürftinnen reiften ©rfrifchungen : %tyt,
3Jceth, Vier unb Vranntmein.
$amit bie Muffen auch in ber äußeren ©rfcheinung ben übrigen
Europäern ähnlich mürben, öerbot Peter bei fernerer ©träfe baS
fragen langer Värte unb SRöcfe. S)ie lederen burften nur fo lang
Digitized by Google
268 $cter« be8 ©roßen Reformen unb lefcte SebcnS jähre.
fein, baß fie beim ßnicen eben ben 93oben berührten. 5tn fämmt=
ticken Stabtthoren oon SJcoSfau maren beutfdjc unb ^ofldnbtfc^c
Nöde ausgehängt, bie in biefer SBejieljimg sunt 9ttufter bienen fott*
ten , unb mer fich mit -einem längeren Nocfc geigte , bem mürbe er
ohne SBeitereS auf ber Straße unten abgcfcr)nittcn. $icfe Neuerung
bedeute inbeffen baS Narionalgefühl ber Muffen fo fer)r , baß fie
überall auf offenen SBiberftanb ftteß. 9llS ber Statthalter bon
Wftratfjan biefelbe mit ©emalt burchführen mottte, fam eS ju einem
förmlichen Slufftanbe , bei meinem er felbft mit einer großen Qaf)l
bort anfäffiger gremben erfragen würbe. SlngefichtS biefcS ent*
fcr)iebcncn ©iberftanbes 50g es *ßeter oor, baS erlaffcne Verbot
mieber anzuheben , belegte aber bafür baS Xragen langer ©arte
unb Nöcfe mit einer fjoljen Steuer, welche bie Reiften willig $ahl*
ten, um nur bie £rad)t iljrer SSätcr beibehalten ju fönnen.
23?ie folgenreich aber auch Meters Neuerungen für Nußlanb
geworben finb unb in hüe Oorttjeiltjafter 2Seife inSbefonbere bie Um*
geftattung feine« deiche« in eine Militärmacht bie ganje Stellung
beSfelben ju bem übrigen Ghiropa öeränbcrt r)at , fo war boch ber
Ghrfolg feiner cioilifatorifchen SBirffamfeit faum mein; als ein
äußerer, weil er ben SRuffcn eine fertige, ihrem SBefen frembartige
SBilbnng mit gewaltfamer Untcrbrücfung ihrer nationalen ©igen*
thümlichfeiten burd) 3wang 1 Xrucf unb Mißhanblung aufbrang,
ftntt fie burch wahre innere ©tlbung unb burch ©rweefung ihres
©hrgefüfjlS für feine Neuerungen ju gewinnen. (Sben baburet) er*
hielt auch feine ganje Schöpfung baS Gepräge eines inneren SBiber*
fprudjS , ber bis auf ben heutigen Xag in ben .Huftänbcn beS
ruffifchen NeidjeS unb SBolfeS fortlebt.
$eter felbft mar in feiner ßcbenSWeife wie in feiner Äletbung
höchft einfach, unb fein ganzer .£>ofhalt foftete jährlich faum fcchjig*
taufenb Silberrubcl. (£r befaß fein Silbergefdjirr ; Keffer unb
©abeln hatten hölzerne Stiele. 3m (Sffcn war er mäßig, bagegen
aber bem Xrunfe, bem Nationallafter ber Muffen, bem SBeiber unb
Männer in gleichem Maße fröhnten, in ber auSfchweifenbften SBcife
ergeben. Sein ßiebltngSgetränf mar ber ^Branntwein , ben er fich
mit großer Sorgfalt felbft bereitete. Huer) über bie Notzeit feines
SBolfeS öermodjte fich $cter nicht 511 erheben. Sßie er nicht feiten
feine ÜHtnifter unb ©ünftlinge, felbft ben gürften Mencjifow, burch»
prügelte unb fogar feine (Gemahlin Katharina mitunter thätlid}
mißhanbelte , fo fdjeute er fich etuet) nicht , in anberer SSeife Sitte
unb Slnftanb in ber gröbften Seife $u »erleben. So riß er ein*
mal in Xanjig währenb ber ^Srebigt bem neben ihm fifcenben
Bürger meifter bie $erücfc öom $opfe unb fcfcte fie fich felbft auf,
meil ihm ber ®opf falt geworben, ©in anbermal ftopfte er bem
©encral QJolowfin , ber feinen Salat effen fonntc , bei einem öon
Digitized by Google
«ßeterS beä ©ro&en Reformen «nb le&te SebenSjafjre. 269
bem öftcrrctc^ifcfjcn QJcfanbten gegebenen geftmahl mit ÖJeroalt
Salat in ben 9Hunb unb go& ihm ben @ffig in äftunb unb sJcafe,
6i« ber Ijeftigfte Ruften unb SRafenbluten eintrat, ©inem oornehmen
Beamten, bem ber Ungarroein jurotber mar, jroang er, fo lange
baoon ju trinfen, bi« er betüußtlo^ ju Boben fanf; bann ließ er
ihn üon leinen Bebienten au*$ie$en unb in ben tiefften Schnee
roeryen.
3n ungleich fyötyxm ®rabe noch unb in ir»afjrf)aft efelerregen*
ber SBeife trat $eter« Slo^eit in ben feftlichen Slufougen ju Xage,
bie er nach ber Aufhebung be« Matriarchat« jur Berbücjnung ber
^apftroal)! abgalten lieg. Söci benfelbcn fpielte fein Hofnarr So*
toro, auf einem gaffe reitenb unb gefolgt öon zahlreichen Be*
trunfenen, bie at« $omimfaner, granjiöfaner unb berglcitfjen öer-
mummt waren, ben neu gemalten s}$apft, roährenb ben berüd)tig*
ften Branntroeintrinfern bie Sollen öon $arbinälen jugemiefen
waren. $a« öJanje enbete mit einem jfcrinfgelage, ba« fid) fchliefj*
lieh unter ber Beteiligung be« al« ÜDcatrofen öcrfleibeten (Sjaren
$ur roibrigften Orgie fteigerte. s2lud) bei ber SBaffcrroeihe im
Januar unb in ber fogeuannten „Butterrooche" öor ben großen
gaften fanben gefte Statt, bie ein Slugenjeuge als roaf)re Bacdja*
nalien ber fcfjlimmften 2lrt bejeichnet.
$aum minber ftreng nal)m e« ber (£§ar mit ber Beobachtung
be« Slnftanbe« unb ber guten Sitte* bei ben geftlichfeiten, $u benen
bie fremben ©efanbten gelaben mürben. 2113 er im Quni 1715
fein neu erbaute« £uftfd)lo& ^ßetcrr)of etnroeil)te , famen bie Bot*
fdwfter jmei Sage lang au« bem SKaufdje nidjt fjerau« ; baaroifchen
mußten fie in GJemeinjchaft mit itjm einen etroa ^unbert Stritt
langen Baumgang ausbauen, bann auf elenben Bauernpferben
ofme Sattel unb 3«9^ «inen fteilen Berg Ijinanreiten unb enbltd)
ben e^aren im furdjtbarften Sturm unb <ßla®en 511 SBaffer
nach tronftabt begleiten, fo ba& bie gefttichfeit für Sitte mit einem
heftigen gieber enbigte. Mitunter trat bei folgen Gelegenheiten
auch oie rohe ©cfü^l^roeife bc« Goaren in ber empörcnbftcn SBeife
äu Sage. Bei bem erften ©aftmafjle, ju meinem er ben ©e*
janbten griebrich« I. öon ^reufjen einlub , lieg er , rote griebrid)
ber ®ro§e in feinen SBerfen erzählt, ju feinem Bergungen äroanjig
gefangene Streiken t;er&cifcr)leppen unb l)\tb bei jebem ©lafe
Branntroein, ba« er teerte, einem berfelben ben ®opf herunter;
ja er lub fogar ben ©efanbten ein, an biefem Bergnägen Zf)t\i
5U nehmen , uub mar fet)r ungehalten , als berfclbe bie« mit ber
©rflärung ablehnte, ba§ bergleichen in feinem £anbe nicht Sitte
fei. $iefelbe SKoljheit, bi« $ur entfc&lichften Stttenlofigfeit ge*
fteigert, geigte $eter in feinem Umgang mit bem rocibltchen ÖJe*
Digitized by
"270 $eter8 bcS ©rofeen ^Reformen uni> lefcte SebenSjafjre.
fdjledjt; bod) gab aud) feine ©emaljlm .Katharina if>m in ©e$ug
auf bie SSerlefcung ber eljelidjen Xreue 9cid)t3 nadj.
9^oa) toäljreub be$ norbifdjen Krieges unternahm $eter eine
^roeite große SReife burd) einen ifjeil oon (Suropa, auf toeldjer ifjn
feine ©emaljlin ftatljarina begleitete. 3" Anfang beä 3°^rc* 1716
begab er fidj über Dan^ig nadj Stettin ju einer Söefpredjung mit
bem ^önig oon Greußen unb oon bort nati) Jpamburg, mo er eine
Sufammenfunft mit griebridj IV. oon Dänemarf Imtte. SSon fjier
reifte er weiter nad) ^Ormont, oon mo er jum 58efudje feiner mit
bem £erjog oon Üftedlenburg oermäfylten sJtid)te $atljarina , ber
Xodjter SroanS, nad) Sdnoerin jurütffefjrte. Da er in Hamburg
bem Äönig Oon Dänemarf feine Unterftüfcuug ju einer ßanoung in
Sdjoonen jugefagt, r)attc er in$roifd)en eine bebeutenbe Druppcn*
madjt oon SRoftocf au* nadj Seelanb überfein lafjen , unb am
17. Quli begab er fid) felbft mit feiner GJcmaiJlin nad) Kopenhagen,
mo er mit großen fö^renbejeigungen empfangen mürbe. Die Öanbung
in Sdjoonen unterblieb jebod) in golge eine* jroifd)en il)m unb
Sriebridj IV. eingetretenen 9Ktßüerf)ältmffe3.
Wati) feiner 9iüdfef)r oon Kopenhagen fefete $eter feine 9teife
nad) JpoHanb fort unb fam am 16. Dezember in Slmfterbam anf
mo Wlle3 aufgeboten ttmrbe, ü)n angenehm ju unterhalten. SBalb
naefi feiner ^nfunft befudjte er aud) Saarbam mieber , um feiner
Gemahlin baS £>auS ju geigen , in meinem er als Sd)iff3$immer*
mann gewohnt. (Srft im $lpril*1717 oerlieg er ftoflanb, um fid),
ttäfjrcnb feine ©ema^Iin in Wmfterbam jurüdblicb , über &nt*
merpen, Trüffel, GJent, ©rügge unb Dünfird)en nad) s$ariS 511 be=
geben. Sein Jpauptjmed mar , ben ^er^og oon Orleans , ber ba=
mala für ßubmig XV. bie 9iegentfcf)aft führte , ju einem «ünbnijj
gegen (Snglanb 31t beroegen. Dies gelang ihm jmar nid)t; bod)
lieg man es an 3uoorfommeuf)eiten unb tfufmerffamfeiten nid)t
fehlen. söon ber Wabemie mürbe ihm eine öobrebe gehalten, unb
in ber 2flünse , mo er baS ©elbprägen mit ansehen gemünfa^t,
fdjlug man ihm $u @^ren in feiner ©egemuart eine Denfmünje mit
feinem mofjlgetroffenen SBilbnijj. 5lttc SehenSmürbigfeiten nahm er
mit bem lebhafteren Sntereffe in Slugenfchein. iöei bem 2lnblirf
*eä marmorenen DenfmalS Dtidjelieu'ä rief er auS : „©rojjer Üttann,
bie plfte metner Staaten mürbe id) begeben, fimuteft bu mid)
bie anbere regieren lehren!" Den fiebenja^rigen Submig XV. na^m
fr auf ben Htm unb füßte ifjn mit ben Söorten: „3a^ münfcfje,
baß ©uere sJDiajeftät moljl aufmadjfen unb löblia^ regiereu mögen;
oielleidjt merben mir einauber mit ber 3eit brausen fönnen."
sJlud) bie grau oon Üftaintenon befugte er unb brang , um fie 511
fcl)cn , faft mit ÖJemalt in i^r 3"nmcr , mie er es überhaupt audj
i)ier mit ber ^öeobaa^tuug beS ^InftanbeS unb ber feinen Sitte fo
Digitized by Google
Meters be« ©ro&en Reformen unb lefrte SebenSjaljre.
271
tt>enig genau nat)m, ba§ er fict), abgefeiert bon mancfjem anberen
Anftö&igen in feinem $Benel)men, bei einer (Sinlabung in gontaU
nebleau bi« jur öoüftänbigen 8eWu&tlofigfeit betranf.
Wad) einem zweimonatlichen Aufenthalte in ^ßarU fet)rte ber
<5$ar p feiner ®emat)lin nact) Amfterbam jurücf , oon wo SBcibc
Zu Anfang ©eptember über Berlin unb S)anjig nact) Wujjlaub $u*
rürfreiften.
©ei feiner £eimfet)r t)arrte feiner bie fei)were unb bebenftidje
Aufgabe, über feinen eigenen <Sot)n Alejei, ba« einzige ®inb au*
feiner (Sl)e mit (Suboijia öapudjin, ju ©erict)t ju ftfcen. s}kter t)atte
bie Abneigung , bie er gegen Alefei'« Butter empfanb , auä) auf
biefen übertragen ; bat)er toar fdjon früt)e zwifct)en iöater unb Sofm
ein 9Wf}üert)ältmjj entftanben , ba« öon ber altruffifd)en Partei
bazu benufct worben , ben geifttg wenig begabten Qüngling , für
beffen @rjiet)ung $eter taum irgenb meldje ©orge getragen , mit
SRigtrauen gegen feinen S3ater 311 erfüllen unb it)m einen entfdjie*
benen SBibermiflen gegen beffen Neuerungen einzuflö&en. ^ßetcr,
ber buret) bie offen jur ©dwu getragenen ©efinuungen feine«
©ot)ne« feine ganze ©djöpfung gefät)rbet fat), glaubte it)n burd)
bie S3ermät)lung mit einer beutfa^en 3ürftentocr)ter für europäifci)e
Anfdmuungen gewinnen ju fönnen , unb feine 953at)l fiel auf bie
©djmefter ber @Jemat)lin $atfer ®arl« VI., bie ^rinjeffin Gt)ar*
lottc (£t)riftine oon $raunfdjmetg*2Bolfenbüttel , mit melier Alejei
im 3at)re 1711 bei einer Weife be« ^aren nact) <Saa)fen ju $or=
gau getraut mürbe. Allein bie Hoffnungen , bie ^ßeter auf biefe
SBermäfilung gefefct, fdjlugen fet)l. Ale? ei , ber fxd) fd)on früfje
bem Xrunfe ergeben , überlieft fict) ben größten Au«fct)meifungeH
unb mi6r)anbelte feine eble unb lieben«mürbige ÖJematjltn in fo
rot)er SSeife, baß ber ©ram barüber fdjon im 3at)re 1715, fur$
nact) ber (Geburt it)re« zweiten ®iube«, be« nadjmaligen s$eter IL,
tt)ren Xob t)erbeifüt)rte.
$er auf« ^>öc^fte erzürnte Sjar ermahnte feinen 6ot)n, ber
fict) franf [teilte, um feinem Sßater au«zumeia)en , in einem Sct)rei=
ben, feinen ßcben«wanbel zu änbern unb fia) ber Xt)ronfolge wür=
big ju jeigen, iubem er il)n fonft oon berfelben au«fct)lie&en werbe.
SRtt erc)euct)elter 5>emittt) antwortete it)m A(e;ei, er füt)le feine
Unfäi)igfeit jur Regierung unb wünfci)e in ein fölofter einzutreten.
AI« l)ierauf ber ßjar , ber eben im begriffe ftanb , feine zweite
Weife anzutreten, it)m noa) einmal perfoulict) bie Öefferung feine«
£eben«manbel« an« |)erj legen unb zugleidj öon it)m Abfa^ieb
nehmen wollte, fci)ü|jte er abermal«, um it)n nia^t fet)en ju muffen,
eine $ranft)eit öor, wohnte aber glekt) nact) be« ilaifer« Abreife
einem wüften Xrinfgelage bei. 2öal)renb sßeter« Abwefenl)ett ent*
flot) er nact) SBien 511 feinem ©a)wager ®arl VI. unb üon bort
Digitized bv Lrf^ogte
272
^etcrä bcä ©rofjen Reformen unb lefcte ScbcnSja^re.
nach Neapel, in her 2(6fidjt, im 2(u$lanbe ben Xob feinet &ater$
abzuwarten , nach welchem er mit §ilfe feiner Anhänger ofme
Schmierigfeiten ben Thron befteigen 311 tonnen fjoffte. 2(13 $eter
üon feiner Slucf)t $unbe erhielt, fd)icfte er ÖeöoHmädfjrigte an Um ab,
bie it)n unter ber 3"fage ber Sßerjeifmng beä (Sparen jur SRücffehr
aufforbern füllten. Sllejei leiftete Solge unb liefe fidj, nachbem er
im gebruar 1717 mieber in 9J?o*fau eingetroffen , $ur feierlichen
$erätd)tleiftung auf bie 2^ronfoIge bewegen, worauf fein im oor=
hergehenben Qafjre geborener Sticfbruber s,ßeter, Katharinens ältefter
Solm, jum Thronfolger ernannt mürbe.
Qnbeffen ergaben fich balb gewichtige ÖJrünbe für bie 2In*
nähme, baß e3 Mlejei Weber mit feiner Thronentfagung aufrichtig
gemeint, noch bei ben ©cftänbniffen , bie fein SBater als unerläj^
liehe Öebingung feiner Skr^eihung üon ihm öerlangt hatte , aUe
ÜRitwiffer unb öegünftiger feiner glucht unb fonftigen Xh^nehmer
feiner gegen ^eterä Neuerungen gerichteten kleine genannt höbe,
unb ba zugleich ©eweife einer meit bezeigten SBerfchwörung oor=
lagen , an melier auch bie gefchiebene $aiferin ©ubor. ia , 8Uc{ ei'3
Butter, beteiligt mar, überwog bei bem Sparen bie Sorge um
feine Schöpfung alle übrigen 9tücf fiepten : er übermied feinen Sof»t
einem auä hwnoertoierunbjman^ig getftlichen unb weltlichen 2Bür*
benträgern aufammengefefcten Berichte, mit bem auSbrücf liehen 53e=
fehl, über benfelben ohne jebmebc 9tU ficht auf feine *ßerfon baS
Urtl)eil au fpredjcn, ba3 feine Vergehen öerbienten. $er Sprua)
ber dichter lautete auf ben Tob. ^11^ berfelbe bem (SJrofjfürftcn
oerfünbet mürbe, öerfiel er auä Schrecfen in Krämpfe, unb balb
erfchicu fein guftanb ^offnung^tod. Site ber h«^«8«ufene (£$ar
mit ben S8omef)mften feine* $>ofe3 ju ihm fam , befannte er ihm
unter r)eigen Xhränen feine ganje Sdjulb unb bat ihn flehentlich,
ben gluch aurücf^nnehmen, ben er über ihn ausgesprochen, unb ihm
feinen Segen $u erteilen. Tief ergriffen willfahrte sJ$eter feinem
ÜBunfche unb nahm bann Slbfdneb oon ihm (18. 3uli 1718).
GJegen Slbenb lieg ihn s2Ilejei nochmals 511 fich bitten, boch fanb ihn
sßeter nicht mehr am £eben.
Gegenüber biefer auf ben officieUen Berichten beruhenben T)ar-
fteöung beS «erlaufe« ber Sache haben Biele ben natürlichen Tob
s2llerä'S in Slbrebe geftellt unb behauptet, er fei im ©efängniffe
getöbtet morben , unb jmar nach ben Einen burch Enthauptung,
nach oen Mnbern burch <W; biefc Behauptungen, für melche aller*
bingä gewichtige ©rünbe $u fpredjen fcheinen, ftnb jebod) niemals
ermiefen morben. Bon Mtejei'S aflitfdwlbigen mürben oiele, jum
Tljeil unter graufamen Üflartern, Eingerichtet.
3m Sahre 1722 unternahm ^eter $ur Sicherftellung beä
ruffifchen §anbel3 auf bem faSpifchen äReere einen 3ug gegen
Digitized by Google
<ßcter§ beS ©rofjen Reformen unb lefrte £ebcn§jaf)re. 273
Werften, ber im (September 1723 burd) einen ©ertrag beenbet
mürbe, burd) meldten Nußlanb, außer ben Stäbten Verbeut unb
33afu , bie brei perfiden ^rooinjen 9ftafanberan , 2lfterabab unb
ba3 feibenreidje ®hilan erhielt. $iefe brei ^roöinjen mußten je*
botf) fdjon unter <ßeter II. mieber an <ßcrfien jurüefgegeben merben.
$etet3 le&tc ßebcnäjahrc mürben theils burd) fdpere forper*
Kche fieiben , bie folgen feiner Huäfdjmeifungen , tfjeilä burd) bie
Sorge um ben gortbeftanb feiner Schöpfung getrübt. 5)aju fam
ber ©c^mers über ben Xob ber beiben Söhne, bie fatfjarina if)m
geboren. Schon im 3af)re 1719 ftarb ber oon ihm jum Xtjxon*
folger eingefe&te vierjährige *ßeter unb brei 3af>re fpäter auch
beffen jüngerer ©ruber ^aul. ©on feinen Sinbern blieben bem
Sparen jefct nur nod) bie beiben Töchter s#nna unb Süfabett) , öon
benen bie ©rftere im 3aljre 1725 mit bem #erjog $arl griebrtdj
öon |>olftein=®ottorp , bem Steffen ®arlä XII. oon Schmeben , öcr=
mahlt mürbe. Nach bem beftehenben (£rbredjt mürbe bie Xf>ron=
folge *ßcter$ gleichnamigem (Snfel, bem Sohne Sllejei'S, jugefatten
fein; ba berfclbe jeboch oon fielen alä ber fünftige Vertreter alt*
ruffifcher Anflehten betrachtet mürbe , erließ ber (Sjar im gebruar
1722 eine neue (£rbfolgeorbnung , nach mclcher ihm felbft , fomie
nach bem jebeSmaltgen SBeherrfcher Nußlanbä baä 9iec^t %u*
fte^en foHte , ofme Nütfficht auf ben ®rab ber SBermanbtfchaft ben
Söürbigften jum Nachfolger $u ernennen. 3(m 18. 9)?ai 1774
fefcte er felbft feiner Gemahlin Katharina bie Mjerfrone auf unb
fchien baburch ausbeuten , baß er fie 31t feiner Nachfolgerin be=
ftimmt fyabt ; boct) brach balb barauf jmifchen ben beiben Gegarten
ein Üftißoerhältniß aus, baä ben $aifer befrimmte, ihre (Ernennung
3u oerjögem.
Qnbeffen oerfiel Cetera ©efunbljeit mehr unb mehr , unb mit
feinem junehmenben fieiben mud# fein Srübfinn. „(5:3 ift er*
ftaunenb", ^eigt e3 in einem *8erid)t bcS fächfifchen ÖJefanbten £e*
fort, „mie jener (ber (^ar) oeränbert ift, ma3 er auch tyne, um e3
■ju oerbergen. %ix Schmerj ift fo auf feinem ©efichte auSgebrürft,
baß ein 3cber ihn beflagt." @ine heftige ©rföltung, bie er fich
burch einen Sprung ins 2Baffer juge^ogen , inbem er ein geftran=
beteS Schiff retten Reifen moüte, befchleunigtc fein Crnbe. (Sr ftarb
am 8. gebruar 1725 unter furchtbaren Schmerjen, nach einem
fechsefmftünbtgen XobeSfampfe , ohne über bie $hrt™folge irgenb
meldte ©eftimmung getroffen ju höoen.
fcolatoartlj, SeltQefdjttfjt*. VI. 18
Digitized by
274 SRujjlcmb unter ben oiec erften Nachfolgern Meters beS ©roßen.
XIV.
3tn|£fanb unter ben viex etßeu ?Ia 4 f of gern 3Me*s bes 6 r o fteu.
(1725-1762.)
Katharina L (1725-1727), $cter U. (1727-1730) im* Buna
(1730-1740).
Sla^ bcm Xobe $eterS gebaute bic altruffifdje Partei bcn
©ot)n Sttejei'S auf bcn %f)xon 5U ergeben unb bic SBormunbfchaft
ber Äaiferin unb bcm ©enate ju übertrogen; oUcin 2tencjifon>,
ber Katharina bic unumfdjränfte #errfchaft 511 ocrfcf)affen ttmnfchte,
fam ihr juöor. Sftachbem er bic Seibgarbe auf bic Seite ber $ai=
ferin gebogen r)attc unb mit bcn oornehmften Offizieren zugleich eine
große 3ahl anberer einflußreicher Scanner burdj $atharina'S SBer*
fidjerung, baß fie ben Ztyxon bem ®roßfürften <ßeter erhalten merbe,
für ihre ©r^ebung gcroonnen morben maren, liefe er fic als Äatha*
rtna L sur „©elbftherrfcherin aller Steußen" aufrufen, ot)nc baß
bic überrafdjten ©roßen oon ber altruffifchen Partei bagegen (£in=
fpruch §u ergeben tuagten. Qnbeffen ließ bic ßaiferin, theilS frei*
ttuüig, tt)eilS geamungen, alle StegierungSgeroalt in ben £>änben
2tencjifon>S, mährenb fie felbft fict> ihrer Neigung jum Xrunfe in
fo aügeflofer SSeije Inngab, baß ihre ©efunbheit öoUftanbig unter*
graben mürbe unb fic mit rafdjen ©abritten ihrem @nbc entgegen
ging. 3ie ftarb am 17. SJcai 1727 nach faum ameijähriger Regierung.
Um fia? and) nach bem Xobe ftathartna'S bic gortbauer fei*
ncr ^errferjaft $u fiebern, ^atte SKencjifom bic faiferin bewogen,
in baS Xeftament , burch roclcheS fie bcn ®roßfürften <ßeter $u
ihrem Nachfolger ernannte, bie SBeftimmung aufjune^men , baß ber*
felbc mit atencjifoms ältefter Xochter ÜJiaria oermätjlt roerben
fotte. 2luf biefeS Xeftament geftü&t , ließ 2tencaiioro gleich nach
bcm Ableben ber ftaiferin bic Verlobung beS jungen (^aren mit
feiner Xodjter oodjiet)en unb leitete augleich , um bic Skrbinbung
feiner Samilie mit bem $aiferhaufe unauflöslich ju machen , bie
Verlobung feine« SolmeS mit Meters II. ©chroefter Natalie ein. $er-
^erjog oon £>olftein*©ottorp, ber unter ber Regierung feine« Steffen
eine einflußreiche 9toüe fmelen ju rönnen gehofft hatte, obgleich i^m ju
berfelbcn jebe Befähigung fehlte, fat) fich fo fehr bei ©eite gefegt,
baß er fdjon im Qahre 1727 mit feiner Gemahlin oon Petersburg
abreifte.
Qnbeffcn ertrug ber junge (£jar ben Despotismus, ben Stencji*
foto auch gegen ihn ausübte, nur mit Söiberftreben , unb bic $at)l5
reichen geinbc beS aügetoaltigen ÜttinifterS crmangelten nicht, feinen
Unmiüen über bcnfelbctt auf jebe SBeife ju fchüren. 3n*befonbere
Digitized by Google
Äatyarina I., $eter IL unb %xma.
275
geigte fid) bie angefef)ene gamilie $olgorucfi eifrig bemüht, ben
©turj 9^cnqifotü^ ^erbetjufü^ren, unb biefer beföleunigte felbft bie
®ataftropf)e burdj feine $reiftigleit. Slld ber Äoifer ein ®efd)enf
üon neuntaufenb Rubeln , ba3 if)m öon Slbgeorbneten einer ßanb*
fdmft überreizt morben, feiner ©dmjefter überfdjitfte, naljm SJcencji*
fort ba3 (Mb bem Voten ab unb behielt eä für fidj. $cr aufä
Sleufjerfte erzürnte Äaifer lieg if)n t>erf)aften unb einen ^rojeS gegen
ifm einleiten, in golge beffen er toegen saf)lreid)er Veruntreuungen
unb onberer ifjm jur Saft gelegten Vergeben feine* ganjen Ver*
mögend oerluftig erflärt unb mit feiner gamilie nad) bem fibirifdp
©täbtdjen Verejoro öerbannt mürbe. 3m ©eptember 1727 reifte
er mit feiner ®emaf)lin, feinem ©of)ne unb feinen beiben Södjtero
borten ab. ©einen jetyen ©turj öon fdjttrinbelnber $öl)e in bie
Xiefe be3 (Slenbeä ertrug er mit ©lanbljaftigfeit unb SBürbe unb
fanb feinen Xroft in bem Vau einer flehten fernen ®irrf)e, ju
meinem er firf) bie Littel ton bem Saggelb üon jelm föubeln er*
fparte, ba3 ifjm ju feinem unb feiner gamilie Unterhalt angemiefen
morben. 2llä jebodj ber ÖJram juerft feine ®cmaf)lin, bann aud)
feine ältere, einft jur ®aiferin beftimmte Xodjter töbtete, uerfanf er
in tiefe ©djtuermutf) , fprad) fein SBort mein: unb nafym nidjtä
Slnbered ju fid), al$ Söaffer unb Vrob, bi£ er am 2. 9couember
1729 feinem Kummer erlag, ©einem ©of)ne unb feiner jüngeren
<£ocr)ter mürbe fpäter bie Sftücffeljr nadj SRuftfanb geftattet, mo man
ifmen einen Keinen %fyt\l ifjrcd öäterlidjen Vermögend flurüefgab.
Sßadj bem ©tur^e SRencjifomd führten bie Xolgorutfi ben
jungen (£jaren nad) 9fto3fau unb trafen Slnftalten jur Vejeitigung
ber Reformen ^ßeterd bed ©rofjen unb jur ^erfteöung ber altruf*
fifdjen Verfaffung. Vor Slüem aber waren fie beftrebt, beu stuölf*
jährigen ®aifer ganj ton ber Regierung fern ju galten, um felbft
bie Stolle SKenc^tforna fortjufpielen , unb bicä gelang ifynen aud)
öoflftänbig. $er letbenfdjaftlidje junge .^errfcfjer gab fid) ber lau-
nenlmfteften SBißfür t)tn unb überließ fid) suglcid) , in ÖefcHjdjaft
feines ßieblingd Qroan 5)olgorucfi, bem auäfdjmeifenbftcu ^eben.
Um fict) im Vcfijje il)rc$ ©influffed ju fid)ern, bemogen bie $olgo=
ruefi $eter II. , ficr) mit Qtuanä ©djroefter ^at^arina $u oerloben,
unb fcfmn mar ber Xag ber Vermahlung feftgefeftt , al£ ber ßjar
üon ben Vlattern befallen mürbe, bie ilm am 30. Qanuar 1730
im Hilter öon fünfje^n Qa^ren ^inmegrafften. Wit ifym crlofa) ber
3J?anndftamm bed £>aufeä Romanow.
Obgleia^ bie Äaiferin ®atfwrina in i^rem Jeftamentc bie 23e*
ftimmung getroffen, ba§ im Salle beä finberlofen s2lbfterbend ^ße^
ter§ II. bie ©rbfolge an iljre Xörfjter unb bereu Ücac^fommen über*
gefjen foüc, bemogen bie 5)olgorucfi, im Vereine mit ben übrigen
SHttgliebcrn bed ©taatdrat^d , ben ©cnat unb bie ©rofeeu , bie
18*
Digitized by
276 föufclanb unter ben üicr erften ftadjfofgcrn ^eter3 be§ ©rofeen.
jüngere Xocfjtcr beä blöbfinnigen 3roan, bie fiebenunbbrcifjigjäfjrtge
üerttuttwete £>erjogin 51 n n a öon Kurlanb , jur Sljronerbin $u er=
Hären, tneit fie fjofften, ba§ biefe Sürftin, bie öon allen GHiebern
ber 9?omanonyfdjen gamilic alä bie Söenigftberedjtigtc erfducn, au£
£anfbarfeit für ben ifjr gegebenen Vorzug fid) baju bcrftefjen
Werbe , in bie üon iljnen für notfjmenbig erhärten ©efdjränfungen
ber faifcrlidjen Ütfacfjt 511 willigen. Qn ber Xf)at unterzeichnete
Slnna olme öebenfeu bie Kapitulation, bie U)r burd) brei tfbgeorb*
uete beä <3taat3ratf)3 , be3 Senate unb be$ 2lbcl3 überfanbt wor*
ben, vorauf fie am 15. gebruar 1730 in 3Jco3fau atö Kaifcrin ge*
frönt würbe.
Snbeffen harrte $erer, bie im Sntereffe ifjrcr eigenen 9tfacf)t=
ftellung bie 2Baf)l Sfmta'S betrieben Ratten, eine bittere (Snttau=
fdjuug. $ie lange Sauer ber 5iaetnrjcrr)cr)aft unb bie fraftooüe 21rt,
in weldjer biefeibc gefjanbhabt worben war, hatte bie Nation bergeftalt
an biefe Staatäform gewöhnt, ba& ber bloße 9tame be$ ©ebicter*
ba* G5cfüf)l unb ben Xricb blinber Unterwerfung ermetfte. Unter
biefen SScrhältniffcn fonnte c» ber neuen Katfcrin, ber mehrere ent=
fdjloffenen sJtatf)gcber 5ur Seite ftauben, nid)t ferner faflen, {ich eine
Partei 51t btlbcn, bie bereit War, fie in ber Behauptung ber unbe*
fdjränftcn £err (Obergewalt §u unter ftüfcen. Sdjon am 25. gebruar
erfchtenen über fed)tfhunbcrt ©bellcute mit einer tHnjal)! öon Söiidjö*
fen, (Generalen unb Senatoren im Kreml , um ber Kaiferin eine
Jüittfcbrift 311 überreifen , in weldjer fie erfucfjt würbe , „bie feit
unbenfltdjen Briten beftchenbe unb bem ruffijdjen 9ietchc allein an-
gemeffene imbefdjräntte Regierung fjer^uftcllcn." Sie erflärtc, fie
Ijabc, in ber ^Dichtung , bamit bem 2Bitlcn ber Nation 31t entfpre-
eben , eine Schrift unterlief) net , bie if)r entgegengefefete Verpflich-
tungen auferlege , unb befaßt bicfelbe 511 holen unb ber ißerjamm^
lung uorjulcjen. 9cadjbcm auf ifjre bei jebem einzelnen fünfte
tutcbcrfjolte grage, ob bie£ ber Sötllc ber Nation gewefeu, ftetö mit
einem lauten 9cein geantwortet worben, ocrrifj fie bie oon ü)r un=
terjetchnete Kapitulation unb üerwicä bie Solgorudi nebft ben übri-
gen fjcrüorragenbftcn Urhebern ber bie Kaifcrgcwalt befebränfenben
Urfunbe auf ihre (Hilter, hierauf verlegte fie ben Sifc ber Regie-
rung wieber uad) s^eter3burg unb richtete fid) einen neuen, au3 ein*
uubjtoanjig ^erfonen befteljenben „birigirenben Senat," foroie einen
geheimen Kabineteratfj ein. 3n bem lefcteren erhielt D ft c r m a n n ,
ein s$rebigcr»fot)tt auä SBcftfalcn, ber fdjon unter Sßeter bem ®ro*
fccu nad) sJtufslanb gefommen unb unter Katharina unb ^Setcr II.
eine f)e*öorragcnbc sJioHc gcfpiclt , al^ Kanzler ben Vorfife. ^ie
obere Leitung be^ Krieg^wefenö, ba^ feit bem Xobe ^eter^ beö Öro-
Ben feljr oernafläjfigt iporbcu, würbe bem talentvollen, jum 5e(b-
marfchall ernannten olbenburgijd)eu (trafen fßlünnid) übertragen,
Digitized by Google
$atf)arma Lt $eter II. unb Slnna.
277
ber im fpanifdjen Crrbfolgefrieg in Qtalien unb ben 9lieberlanbcn
unter bem ^rin^en ©ugcn nnb SJcarlborough bie $rieg3fuuft erlernt
hatte unb gleichfalls fd)on unter ^cter bem ©roßen in ruffifdjc
$5icnftc getreten mar.
$en bebeutenbften (ärinfluß aber übte auf alle ©taatSangele*
genheiten Slnna'S ©ünftling Söiron — er fjiefj eigentlicr) $8üf)rcn,
hatte aber tarnen unb SBappen ber alten franjofifchen |)erjoge
r-on Söiron angenommen — , ein SÜcann üon geringer £>erfunft, ber
fid) burch fein einnehmcnbcS SIeußere bie ©unft ber .^erjogin Don
$urlanb in fo tjo^em ©rabe ermorben , baß er fie öoflftänbig be-
herrschte. SSaS ihm an gebiegener SBilbung abging, crfejjte er burch
Schlauheit , ©emanbtheit unb ®ütmt)eit. (Uegen bie auSbrürfliche
©ebingung be$ ©enateS , baß er in ®urlanb jurürfbleibe , mar er
ber Äaiferin jur Krönung nach SttoSfau gefolgt, unb balb fyerrfdjte
er, ba Slnna, felbft ofync Neigung jum Regieren, ihm bie oberfte
ßeitung ber ©taatSgefchäfte ubertrug , über ba£ ganje fianb mit
l>e^potifcr)er (bemalt. SIfle, bie ihm entgegenzutreten magten, muß*
ten feine 3^acr)c im üoüften DJcaße fühlen. 5ll£ bie Solgorucfi
einen SSerfuch matten, bie ©unft ber ®aiferin mieber ju erlangen,
verhängte er über bie gange Samilie ein furchtbarem (Strafgericht.
3man $oIgorucfi, ber befonbere Siebling Meters II., rourbe gerä*
bert, unb fünf anbere ©lieber feiner Samilie fanben gleichfalls nad)
unb nach ben Xob burd) ^pcnferShanb; bie übrigen mürben nach
Sibirien oerbannt unb ihre ©üter confiSctrt. ©elbft ber ehema*
ligen SBraut beä ®aifer£ ließ man faum bie nothtoenbigfte $lei*
bung. 2lud) auf bie Anhänger ber $>olgorudi erftrcdfte fich bie flache
SBironS: Saufenbe berfelben mußten in bie Söerbannung nach @i3
birien manbern. ©elbft bie bitten ber ®aiferin, bie fich fogar ihrem
übermächtigen ©ünftling unter %fyxäntn 5U Süßen gemorfen haben
foö, öermochten nicht, bie Unglütflichen oor feinem Qoxnt ju fdjüfcen.
SBie bie ®aiferin felbft , fo überhäuften auch frembe gürften
ben ftoljen (Smporfömmling mit (5f)ren unb ÖJefchenfen. ®aifer
Äarl VI. ernannte il)n jum Üteid)ögrafen unb überfanbte ihm fein
mit brillanten befefcteS bilbniß , baä einen Söerth öon breißigtau^
fenb Xhalern hatte , unb STuguft III. öon ©adjfen unb ^olen be*
lehnte ihn im 3ar)re 1737 , nach ocm SfaSfterben beS in ®urlanb
regierenden ®etteler'fchen £aufe$, auf ben SSunfdj ber ®aiferin, bie
ihm jur Erlangung ber polnifchen $rone behilflich gemefen, mit bie*
fem ^erjogthum.
S)a bie ruffifchen Machthaber ihre roichtigfte Aufgabe in ber
^Behauptung ihrer £>errfct)aft gegenüber ber altruffifchen Partei er*
blichen, gefcr)ar) unter 2lnna'S Regierung menig öebeutenbeS meber
nach Qnnen noch na(h 2lußen. 9cur ba£ $riegSmefen nahm unter
9Jcünnich3 Leitung einen neuen Sluffchtrung. 3m 3ahre 1731 mürbe
Digitized by Google
278 SRufelcmb unter ben bier erften Nachfolgern $etcrä beS ©ro&en.
ju Petersburg eine fianbfabettcnfchule errichtet unb im folgenben
Qo^re ber 93au eines ®riegSf)ofenS bei Sxonftabt begonnen. 2tudj
unternahm ber fü^ne Qütlänber 93 erring, ber bereits im Qaljre
1728 bie 9>lorbrufte Sibiriens befahren unb bie nach ihm benannte
Straße entbeeft Jjatte, im Stuftrag ber ruffifchen Regierung weitere,
auch naef) bem Xobc Slnna'S fortgefefcte (SntbecfungSreifen, bei roet*
djen er im 3a^re 1741 öon Dchojjf aus an ber Sftorbweftruftc tton
Slmerifa lanbete.
$aS wichtigfte auswärtige Unternehmen unter SInna'S SRegie*
rung war ein im 3at)re 1736 begonnener ßtieg gegen bie Xürfei,
ju Welchem berfchiebene berfjeerenbe Streifereien ber unter türfifdjer
^por)eit ftefjenben Notaren in baS (Gebiet ber ruffifchen $ofafen ben
$orWanb boten. 55er ßrieg nahm unter SJcunmdjS umftdjtiger ßei-
tung einen für SRufjlanb günftigen Verlauf. SBäfjrenb ßaSct), ein
feit 1697 in ruffifchen Eienften ftefjenber irifcher ©raf, 9lfow ero-
berte, brang Sftünnich, nach ber (Einnahme ber Scftung *ßerefop, in
bie ®rim ein, bemächtigte fich ber Stabt $oSlow, beS bebeutenbften
£>anbelSplafceS ber £>albinfel, fowie 93agbfd)eferai'S, ber 9lepbenj bc£
$lf)anS ; bod) jroangen ir)n ®ranfl)eiten in feinem $eere jur 9tücf*
fehr nac§ ber Ufraine. Qm folgenben 3at)re (1737) erftürmte er
baS wichtige Ccjafow, baS jebod) wegen SttangelS an SebenSmitteln
unb einer im ruffifchen ,§ecre auSgcbrodjenen peftarttgen $ranfheit
nic^t behauptet werben fonute, wcf^alb Tännich fich jur Schleifung
ber SeftungSwerfe entfc^Iog. 9J?inber glüeflich toar für bie SRuffen
ber Selbjug bon 1738. dagegen erfocht 9)Jünnich am 28. Wuguft
1739 bei bem £orfe Stawutfchane in ber SRähe ber ©egenb, wo
einft ^ßeter ber ©rofje am ^ßruth eingefchloffen worben war, über ein
ungleich ftärfereS türfifdjeS .f>eer einen entfeheibenben Sieg, welcher
bie Uebergabe ber Seftung (Shocjtom jur Solge hatte. $ie glänjen=
ben Hoffnungen, $u benen biefer Sieg ben ruffifchen gelbherrn be=
rechtigte, würben jebodj burch ben ^rieben vereitelt, welchen Ocfter-
rcich, baS feit bem $ahre 1737 an bem Kriege iiieil genommen,
nach einer am 7. $uli 1739 bei ®ru$fo erlittenen ferneren lieber*
läge gefdjloffen ^atte. Qn bem ^rieben, ju welchem fich nun auch
bie fatferin Slnua genöthigt f at) , erhielt föu&lanb nicht einmal bie
freie Schifffahrt auf bem fchwarjen unb ftfow'fchen ÜHeere unb Slfow
nur mit gereiften geftungSWerten.
(£in Qahr nach 93eenbtgung beS SürfenfriegeS, am 28. DU
tober 1740, ftarb bie ftttiferi« s2(nna, naa)bcm fie, felbft finbcrloS,
ben einjährigen 3wan, ben Sohn ihrer mit bem $>er$og Slnton Ul*
rieh *">n öraunfchwetg Gebern bermählten Richte Huna bon Httecflen-
bürg, ber Softer ihrer älteren Schwefter Katharina, au ihrem $aa>
folger ernannt hotte.
Digitized by Google
<E!ifa*et$. 279
1 1 i f t » e U.
(1741-1762.)
Sftach ber oon ber ®aiferin 5lnna auf ihrem Sterbebette ge-
troffenen 23eftimmung foKte mäfjrenb ber SJftnber jährigfeit ^Wanä
Viron alä Regent be8 SReicheS bie öormunbfchaftliche Regierung fühs
ren. Staburch fügten fich jeboct) bie (Sltern beä jungen (Sparen in
ihren $Recfjten öerle(jt , unb bo fich and) äRünnich oon bem ^erjog*
Regenten, ber fich oon bem ©enate ben Xitel „$aiferliche |>oheit"
hatte oerleihen lajfen, juräefgefc^t fah, oerbanb ftdj berfelbe mit
bem ^erjog unb bcr #erjogtn oon SBraunfchweig jum Sturje ©i-
ron£. 9(n ber ©pifce ber oon if)m gewonnenen ^ßreobrafchenäfoi-
fdjen ©arbe überfiel er ihn in feinem ^ßalaft unb ließ ihn gefangen
nach ©chlüffelburg bringen, wo eine Unterfudjung gegen Ujn einge*
leitet würbe, bie feine Verbannung nach (Sibirien jur Solge r)artc.
hierauf erließ bie ^erjogin 2lnna ein üttanifeft, in Welchem fie er*
Harte, baß fie ate ©roßfürftin oon SFlußtanb bie Regierung für ihren
unmünbigen ©of)n übernommen Jjabe. 3h* Gemahl würbe jum
Dberfelbherrn unb ajtttregenten unb SRünnich jum erften 2Rinifter
ernannt. $ie ßeitung ber auswärtigen Angelegenheiten behielt
Dftermann.
Snbeffen fam e3 balb jmifchen ber SRegentin unb ÜRünnich 51t
3erwürfniffen , inbem ber fiebere ben £>erjog oon SBraunfcfjroeig,
bem er bie Dberfelbherrnwürbe nietet gönnte, in wegwerfenber SBeife
behanbelte, unb ba bie SRegentin ftcfj burdj Dftermann, ber feiner*
feitä auf SRünnich etferfüdjtig mar, bewegen lieg, in ihrer Stellung
junt Muälanbe eine ben Wnfidjten 9#ünnich8 entgegengefefcte *ßolitif
ju befolgen, forberte biefer feine (Sntlaffung , in ber SRcinung, baß
er unentbehrlich fei unb man ihm gugeftänbniffe machen werbe, um
ihn jum Verbleiben in feinem tote ju bewegen. $n biefer (Srwar*
hing jah er fich jeboch getauft: bie SRegentin, bie fiofj war, fich
oon einem läftigen Xheilnefmier an ber Regierung befreit ju fct)cnr
entliefe ihn ohne Sägern.
$ie Entfernung be3 thatfräftigen ©rafen SJcunnich ermuthigte
bie ^rinjeffm ©lifabeth, ^eterS be§ ®ro&en Softer, jur 8hi8*
führung be3 längft genährten planes , fich fclbft auf ben %t)xon ju
fchtotngen. ©ie hotte bi$h?r, fcheinbar unbefümmert um bie fRegie*
rungäangelegenheiten , aber nichtäbeftoroeniger oon bem oorfichtigen
HJcünnich Wohlbeobachtet, feinerlei ehrgeijige SBeftrebungen an ben
Xag gelegt, babei jeboch nicht öerjäumt, fich ourch große ßeutfetig*
feit bei bem Volfe, ba3 ohnehin mit SBiberWiHen Xeutfdje über fich
herrfchen fat) , beliebt ju machen , gan$ befonberö aber burch fluge
§erablafiung fich We ®unft ber ©olbaten 51t erwerben. 3h*
trauter unb bie eigentliche ©eele ihrer ^läne war ihr fieibarjt S e -
Digitized by Google
280 föujjfonb unter bcn tricr crftcn Nachfolgern $eter3 be8 ©rofjen.
ftocq. Much ber franjüfifcfje ©efanbte Sa ßfyetarbie muffte um bie=
felben, unb ba er Defterreid), auf beffen «Bette bic 9iegentin getreten
mar, eine* trächtigen 93unbe3gcnoffett $u berauben münfd)te, oer=
fdjaffte er ber ^rtnaeffin bic nötigen ©elbmittel. $ie ©efanbten
OefterrcichS unb SnglanbS, bie aus feinem 58erfet>r mit ber $rin*
jeffin SSerbact)t geköpft, marnten bte SRegentin; btefe lieg fidj je*
bod) burdj bie Jöerficherungen, bte ihr (SUfabctt) unter frönen öon
ihrer 2In^ängttd)fctt unb Xreue gab, boflftänbig beruhigen.
$a (Slifabethä Vertraute ber Slnficfjt waren, bag e3 Slngeftd&tä
beä ermatten Slrgmolmä gefärjrlicr) fei , mit ber Ausführung be£
bcfchloffenett Unternehmend länger ju jögem , begab ftch bie ©roß*
fürftin in ber 9cacr)t jum 6. $ejember 1741, bon fieftoeq unb ihrem
®ammerjunfer Söoronjom begleitet , in bie ßafeme ber <Preobra=
fchenSfoifchen ©arbe unb trat , ein ©eroehr in ber £anb f)altenbf
bor bie ©renabiere mit ben SBorten : „3h* hri&t, mer id) bin, $e*
tcrS be£ ©rofjen Sodjtcr unb eure rechtmäßige ßaiferin; mollt it)r
mir folgen ?** 2113 fidj sMe ba$u bereit erflärt, erhob fte ein $reuj
unb forberte bie ©renabiere auf, ju fchmörett, bafj fte cntfd)loffen
feien, nötigenfalls mit ifjr unb für fte ju fterben. Uiachbem alle
Slnmefenben biefen ©djttmr geleiftet, brach fie mit brcir)unbert 9#ann
ganj in ber ©tille nach bem Sßintcrpalaft auf , mo fid) ir)r bte
Söache gleichfalls anfchlog. Ohne irgenb melden SBiberftanb ju fin*
ben, brang fte in bie ©emächer ber großfürftlichen Samilie ein unb
ließ biefelbe gefangen nehmen. Qu ber gleichen Seit mürben auch
bie ©rafen SDcunnich nnb Dftermann in ihren SBofmungcn über*
fallen unb t>err)aftct.
2US am anberen borgen bie Vorgänge ber Stacht befannt
mürben , brach baS SSolf in lauten Qubel aus ; bie Vornehmen
brängten fich glücfmünfchenb $u ber neuen ftaifertn , unb Üftilitär
unb Siml leifteten ihr ben @ib ber Xreue. Sitte , bie bei bem
©taatsftreiche mitgenrirft , erhielten reiche Belohnungen. Seftocq
mürbe in ben ©rafenftanb erhoben unb jum roirfltchen ©eheimen^
rath mit einem ©ehalt bon fiebentaufenb Rubeln ernannt; auch
fchenfte ihm (Sltfabetf) ih* «ich tn diamanten gefaßtes 83tlbniß im
SSerthe bon jmausigtaufenb Rubeln. 5Die breihunbert ©renabiere,
melche ben SSinterpalaft befefct hatten, erflärte bie neue ®atferin für
ihre Seibgarbe; bie ©erneuten erhielten ben 9tang ton SieutenantS,
bie Korporale bcn bon ^auptleuten unb üttajorS, unb bie Offiziere
rourben $u ©cneralmajorS unb ©enerattieutenants beförbert. $)age=
gen berfufjr Glifabett) gegen Sitte , bie bei bem vorausgegangenen
^hronmechfcl betheiligt geroefen, mit empörenber ©raufamfeit. $>er
unglncfliche Qman, ber faum ins jmeite ßebenSjahr getreten, mürbe
in bic Scftung ©chlüffelburg etngefchloffcn, mo er in troftlofer @in*
famfeit ohne jebmeben Unterricht aufmuchS unb in ftetcr £obeägefat)r
Digitized by Google
Gliiabctl).
fcfjroebte , ba bcr madjtljabenbe Offizier Söcfc^I fjatte , if)n fogfeidj
nteberauftedjen , faß« ein SBerfud) $u feiner Befreiung gemacht mcr-
ben fottte. Seine ©Item lieft (£Iifabetfy nadj Äolmogori, einer Snfel
in ber 2)roina am weiften Speere , bringen , roo §(nna im 3?af)re
1746 nadj harter SöefjanMung ftarb. 3l)r ©emaljl erhielt bon
Äat^artna II. bie ©rfaubnift $ur 9Hücffel)r in fein SBaterlanb; bodj
machte er bon berfelben feinen ©ebraudj nnb ftarb im Qofyct 1776
an bem Orte feiner Verbannung ; ifjre bier jüngeren ^inber mur^
ben im Safjre 1780 nad) $änemarf gebracht, roo fie fämmtlidj ofyne
SRadjfommen ftarben. SDcunnidj unb Dftermann mürben mit mehreren
anberen (befangenen jum Xobe berurtfjeitt, aber auf bem 93(utgerüfte
begnabigt unb nadj Sibirien bertotefen. 2U« Sflünnid} auf ber Steife
bortljin burtt) bie Vorftabt bon ®afan fufjr, begegnete er bem £er*
50g 93iron, ber mit Kielen anbern unter ber borigen Regierung md)
Sibirien SBernriefenen bon (Slifabetl) begnabigt morben. Sie blieften
fic§ ftarr an unb fuhren , ofjne ein SBort ju medjfeht , aneinanber
borfiber. Qm Raffte 1762 mürbe Sflünnidj bon $eter III. au« ber
Verbannung flurüdföerufen unb in feine früheren SBürben toieber
eingefefct. dagegen mar e« Dftermann nidjt befdjieben, au« ber SBer*
bannung gurürfjufe^ren : er ftarb im 3af>re 1747 in bem fibirifdjen
Stäbtdjen SBereforo.
Unter ben au« Sibirien Surücfgef ehrten befanb fidj auäj 93 e *
ftudjero, einer ber SJftnifter ber ftaiferin Slnna, ber als ein befon*
ber« eifriger 2(nf)änger SBiron« in beffen Stur$ berroicfelt morben.
2Cuf Seftocq« Vermenben ernannte if)n (SUfabetf) jum SSicefaitiler
unb ertyob Um in ben ÖJrafenftanb. 9ftd)t«beftoroeniger mürbe er in
ber golge fieftoeq« gefä^rltdjfter geinb unb bie Urfad)e feine« Stur*
je«. $>a nämlid) Seftocq für ^reuften Partei genommen, mäljrenb
er felbft ju Defterreidj f)ieft, bemog er bie ®aiferin, it)rc £>anb bon
bem Spanne abjujietyen, ber ba« erfte unb t^ätigfte SBerfyeug iljrer
ßrrfjebung auf ben Xtyron gemefen, unb tf>n bem £>affe feine«
(Gegner« preiszugeben. Unter ber 2tnf(age auf §odjberratl) mürbe
Seftocq beruftet unb , nadjbem il)m burd) ®nutenljiebe ba« ®e*
ftänbnift feiner angeblichen Sdjufl) entriffen morben , jum Ver*
lüfte feiner ®üter unb $ur Verbannung nad) Sibirien berurt^eUt
(1748).
Von ba an mar 83eftuä)eto bie Seele ber ruffifdjen <ßotttif
unb ber borjügltdjfte ßeiter afler Staat«gefdjäfte, bi« ifjn im Qafjre
1758 ba« gleite Sdjicffal traf, ba« er Seftocq bereitet Ijatte. diu
fabetl) felbft Ijatte ben X^ron nur gefudjt, um if>rem Vergnügen
(eben $u fönnen. SBäfjrenb fie bie Regierung ifjren ÖJünftlingen
fiberlieft , gab fie fia) ben jügettofeften §lu«fa)meifungen ^in unb
fanb i^rc Jöefriebigung in bem niebrigfteu Sinnengenuft unb $u*
gleia) in einer fo beifpieöofen $u6fua)t, baft man nad) i^rem Xobe
Digitized bj/jJi)OgIe ^
282
Schweben unter griebridj I«
in ihrer Gtorberobe nicht meniger al3 breigigtaufenb Kleiber gefun*
ben haben fo0. $abei trieb fie jebodj eine abergläubische gurcht
$ur ftrengften Beobachtung aller fira)Iic^en (Gebräuche. SBährenb ihr
£>of ber ©chauplafc ber fchmacrpollften ©ittenlofigfeit unb ber nieo*
rigften Nänfe mar, herrschten im ganzen ßanbe Unorbnung unb
SBillfür, unb eine geheime 3nquifttion oermanbelte oft bie Pflege
beä Necf)t& in bie Ausübung ber fcrjreienbften Ungerechtigfeit.
w@3 ift rtidt)t ber geringste ©Ratten mehr übrig oon $reue, (Ihre,
Vertrauen, ©cham ober ©iöigfeit", fo Reifet ed in einem Berichte
be3 ^ottönbifc^en (Sefanbten öom 3a^re 1777 ; „man ficht Nichte,
ate unbefc^reiblic^e ©itelfeit unb Berfchtoenbung, rodele jum Unter*
gange führen. £ie alten gamilien unb ba£ gemeine iöolf finb
aufä ©raufamfte unterbrüeft burch alle biefe auä bem Nichts empor-
gehobenen Seute."
3n melier SBeife Nuglanb unter (SUfabet^ in ben ÖJang ber
übrigen europäischen Angelegenheiten eingriff, merben mir fpäter
hören. AIS bie ßaiferin am 5. Januar 1762 nach längerer
ßranffjeit einem 93lutftur$ erlag, beftieg ihr Neffe #arl $eter
Ulrich üon ^olftein^ottorp, ber ©ofm ihrer üerftorbenen älteren
©chroefter Anna, ben fie fdmn im 3af)re 1742 jum Nachfolger
ernannt unb nach Petersburg hatte fommen laffen, als $eter III.
ben ruffijchcn tyxon.
XV.
Sdimeben unter ^riebrid) I.
(1720-1751.)
Noch ehe ©ergeben fich burch ben Abflug beä Nnftäbter
griebenä üoUftänbige Nufje üon Augen üerfdfmfft hatte, mar bie
üon ber Königin Ulrtfe Eleonore als ^reiS ihrer Erhebung auf
ben Zfyxon jugeftanbene Umgeftaltung ber inneren Berfaffung in*
Sßerf gefegt morben. Nach berfelben mar bie gefefcgebenbe ©e*
malt bei ben NetchSftänben, benen auch bic (Sntfcheibung über ®rieg
unb grteben, fomie baS Necbt ber Steuerung unb beS SSorfchlagS
ju ben erlebigten NeichSrathSftellen üorbehalten blieb. $ie Negie*
rung füllte üon ber Königin unb bem NeichSratlje gemeinfam ge*
führt roerben, unb in bem lefcteren, ber aüe Angelegenheiten nach
Stimmenmehrheit entfehieb, mürben ber Königin jmei ©timmen ju*
erfannt. AIS Ulrife Eleonore im Qahre 1720 bie Negierung ihrem
©emahl griebridj I. überlieg, erhielten bie Nechte ber $rone neue
58cfcf)ränfungen, burch melche bie ©ouüeränität üoflftänbig an bie
Digitized by Google
©cfjwcbcn unter griebrid) I.
283
SRctchäftänbe tarn. Alle ©ehörben würben ihnen oerpflichtet, alle
Stetten int föetdjäratfje tote im #eere, öom Oberften aufwärtl, burd)
fic befefet ; jeber Singriff auf bie Unabhangtgfeit ber föeichlftänbe
würbe für ein iWajeftätloerbrechen erüort.
3nt ©choo&e ber Ijerrfdjenben Ariftofratie enrftanben balb
jtoei Parteien, bie ®tjllenborg'fche unb bie £orn'fd)e, bie,
nach bem Aulforuch #önig ®uftaoi III., au« ber Nation jtDct
oerfdnebene SSötfer matten, meiere gemeinfam nach bem SBerberben
bei &aterlanbel ftrebten. $ie ®t)ßenborg'fcf>e gartet ftanb im
©otbe granfreid)!; bie ©orn'fche ^atte ftch an SRu&lanb »erlauft,
unb je nad^bem bie eine ober bie anbere im SReidjltage bie £)ber=
fjanb behielt, trat ©djweben für bie 3ntereffen granfreichl ober
9tuf,lanbl in bie ©chranfen. Statt fich mit ben Angelegenheiten
bei $anbel ju befdjäfttgen, toaren beibe Parteien nur barauf aul,
fia) auf ben SReichltagen möglidjft öiete ©ttmmen $u üerfdjaffen,
wobei fie mitunter in fo heftigen Streit gerieten, bajj SBlut Oer«
goffen würbe. Stuf bem 9teid)ltage beä Qahrel 1738 brachte bie
ÖJtjlleuborg'fche Partei, ben öon granfreid) erhaltenen ^nftruftionen
gemäß, einen ®rteg gegen fRu&Ianb in JBorfdjlag, unb ba bie
£om'fd)e bie Aufredjthaltung bei griebenl befürwortete, würben
ihre Anhänger öon ben (Gegnern ©djlafmüfcen genannt, ©eitbem
erhielten bie beiben Parteien bie tarnen ber fi (j e n unb ber
4> ü t e. $a bie £>üte burdj (Srfaufen ber ©timmen bie Dberhanb
behielten unb el ihnen gelungen war, burd) ben £>inweil auf bie
im 9tyftäbter grieben erlittenen SSerlufte unb auf ben Umftanb,
baß föu&lanb eben in einen ®rteg mit ben dürfen oerwicfclt unb
bafjer ber Augenblicf für bie SBiebereroberung ber oerlorenen $ro=
trinken günftig fei, bie ßampfluft ber Nation aufjureijen, mürbe
am 4. Auguft 1741 ber ftrieg an 9hif$lanb erftärt, obgleict) bal-
felbe in ber Swifdjenjeit mit ber Pforte grieben gefd)lofjen.
£er unftug unternommene $rieg nahm einen für ©djweben
öußerft ungünftigen Verlauf. $ie ruffifct)cn Generale ®eith unb Öalcty
brangen in ginnlanb ein unb f djtugen bie ©dj weben am 3. ©eptem?
ber 1741 bei SBiHmanlftranb. jJUdjtlbeftoWeniger fteHte bie fdjwe*
bifdje Regierung, nachbem if>r bie Äaiferin (Süifabett) einen 3Baffen>
ftiflftanb angetragen, in ber SJceinung, SRußtanb müffe um jeben
^ßreil grieben fc^liegen, unannehmbare gorberungen unb oerfäumte
babei zugleich, für bie gortfefcung bei ßxiegel bie nötigen Lüftungen
anzufallen. 35ie Muffen rücften hierauf aufl 9teue in ginntanb ein
unb trieben bal fd)webifche £eer oon einem Soften jum anbern bil
nach £>elfingfor3, wo balfelbe eingefchloffen unb am 20. Auguft
1742 jur drgebung gezwungen würbe.
Sum ®lüd für ©chweben, bal fich in ©efafjr fah, ben gric*
ben burch bie Abtretung oon gan$ ginnlanb erlaufen ju müffen,
Digitized by
284 granfrcid) unter ber Dtegcntldjaft bcS $er3ogS üon CrlcanS.
fanb ftd) ein minbcr foftfpieligeS bittet $ur SluSgleidmng. $a
®önig griebria) I. finberloS mar, lag bic gragc öor, wer ifmt auf
bem fd)tt)ebifd)en $bron folgen folle. 211S ber nädtftberedjtigtc (£rbe
erfduen ber $erjog *ßetcr Ulrich öon $olftein=©ottorp , ber ©nfel
beS bei ßltffom gefallenen £>erjogS griebridj IV. unb ber älteren
©djmcfter ßarlS XII. 2>a berfelbe jebod) bereits als ber @nfe(
Meters beS GJrofjen jum 9tad;folger ber ®aiferin (Slifabetf) auf bem
ruffiferjen STIjrone befrtmmt mar, braute biefe, um föujjlanb einen
bauernben (Sinflufj auf 6d)meben 511 fiebern, beffen mütterlidjerfeitS
gleichfalls mit bem £aufe 28afa öcrtoanbten Setter 21bolf grieb*
rief) in $orfd)lag, inbem fie fiefj im galle ber Slnna^mc bcSt'etben
als Sljronerben ju einem billigen grieben bereit erflärte. $er
2lbcl ging auf biefen 5ßorfd)Iag ein, unb fo fam im Qa^re 1743
ber griebe üon 21 b 0 5U Stanbe, in meinem fid) bie ftaiferin mit
ber Abtretung einiger finnlönbifa^en (BebietSftrcden $ur ©id)erung
it)rcr ©renken begnügte. Obgleid) bie erlittene Sinbuge in feinem
S8erf)ältnii3 ju bem Sßerlufte ftanb, öon meinem fid> ©djroebcn be*
brofyt gefefjen, mußten bie fd)tuebifdjen Generale öubenbrod unb
Sömenhaupt für ben nachteiligen Ausgang beS Krieges, ben ber
9teidjSrath ilmen allein beimaß, mit ihren köpfen büßen. 2ldjt Qafjre
fpäter (1751) ftarb $önig griebrid), unb ber ju feinem Nachfolger
ertoählte $>erjog Slbolf griebrich öon £>olftein = ®ottorp be=
ftieg ben fd)tr>ebifdjen i^ron.
XVI.
$tan&tei$ unter bet fUflenffdJaft be* cfictjofl$ von
(1715-1723.)
Obgleich Subroig XIV. ein Xeftament lunterlaffen, in meinem
er feinem natürlichen ©ofme, bem £er$og öon 9flaine, nid)t allein
ben Oberbefehl über baS £eer, fonbern auch bie ©r^ie^ung beS
jungen Königs, unb feinem Neffen Philipp II. öon Orleans bie
fltegentfdjaft, öon melier er ifjn nicht gänjlich ausfließen fonnter
nur bem Flamen nach übertragen l)atter inbem berfelbe an einen
SRath öon öier$efm SERännern gebunben fein unb nur bei ©timmen*
gleid)f)eit baS SRecht ber ©ntfdjeibung fmben follte, tourbe ber $>erjog
öon Orleans öon bem Parlamente, baS er burd) feine (Schmeicheleien
gu geminnen gemußt, ohne SRücfficht auf SubmigS teftamentarifc^e
Söeftimmungen in alle Siechte eines Regenten eingefefct unb ifjm $u=
gleich ber Oberbefehl über baS $eer juerfannt, roäfjrenb fich ber
Digitized by Google
5ranrreicfj unter ber 9icgcntfcfiaft bc* $er$og* oon Otiten*. 285
.5>eraog oon 9Mne mit einer untergeorbneten ©tettung im Regent«
fcr)aft*rathe begnügen mufete.
s.ß^ilipp II. oon Orleans, ber bamal* im einunboierjig*
ften £eben3jaf)re ftanb, mar ein 9)cann oon angenehmem 3(eu6eren
unb in jeber Begehung öon ber 9iatur mit reiben ÖJaben auäge-
ftattet. mt einem fcharfen SBerftanb unb einer leisten Auffaffung
öcrbanb er ein glütfliche* (SJebächtnijj unb ein richte* Urtfjeil; auch
hatte er fid) in ber 9)cathematif, ber (Shemie, ber ©rbfunbe unb ber
03efd)ichte nicht unbebeutenbe tfennrniffe erworben unb oerftanb fid) auf
SMerct unb 9ftufif. $abei mar er liebeu*Würbig int Umgang,
Reiter unb milb, ooll 3Jiutr) unb Sapferfeit unb bod) jugteich ein
Sreunb be* grieben*. Aber alle biefe guten @igcnfdmften mürben
oerbunfelt nid)t nur burch bic äußerfte 3nbolen$ unb ben oollftän*
bigften Sttangcl an religiösen unb fittlichen ©runbiä&en, fonbern auch
burch bie tieffte moralijehe Benommenheit, bie golge einer fehlest
geleiteten Crrjiehung unb eine* in ben jügelloicften &u*fd)Weifungen
hingebrachten £eben*, unb in allen ©tüden bemährtc fid) bie SSahr*
heit be* fchmer^lichften ÖJeftänbntffe* feiner Butter, ber pfälsifchen
s$rin$effin ©lifabeth Ghötlotte: „2>ie geen fyabtn meinem ©ohne
alle Talente gegeben, nur nicht ba*, einen guten Gebrauch baoon
ju machen." Seine (Sharafterfdjwäche mar fo grofj, bafj er, ob-
gleich $um £>errfd)en berufen, fid) öoQftänbig oon Knbern unb felbft
oon ©otogen bcf)errfcf)en ließ, benen er fich weit überlegen fühlte
unb bie er mit Stecht verachtete. Um fich ungeftört feinen nieberen
£eibenjd)aften Eingeben ju fönnen, ha*te er fich gänjlich oon bem
(Stauben an ©Ott unb an bie Sugcnb loSgcfagt; aber mährenb er
bie Wahrheiten be* ©hnftenthum* al* leeren 253al)n ocrjpottetc,
mar er bem graffeften Aberglauben oerfallen: er fuchte sJtatf) bei
Söahrfagerinnen unb bact)te allen ©rnfte* barau, mit bem Xeufcl
einen Bunb ju fd)lief$en.
Xro(j feiner tiefen fittlid)cn Söerfunfenhcit fchien e* ber $>er$og
Anfang* mit ber (Erfüllung feiner ^egentenpflichten ernft nehmen
mollen, unb feine erften 9tegierung*hanblungcn waren geeignet,
ba* Vertrauen ber Nation ju ermeden. (Sr entlieft einen
be* Speere* unb gab bem Parlamente ba* 9ied)t jurüd, Bor*
ftellungeu 51t machen. Auch mürben bie Oerhaßteften 2Jcinifter au*
ihren ©teilen entfernt unb in bie ©taat*oerwaltung oerfchiebene
^wertmäßige Reformen eingeführt. Aber balb übertrug ber jeber
Anftrengung abgeneigte Regent bie gejammte ©taat*oerwaltung fei-
nem ©rjieher, bem unwürbigen, aber tatcntooüen Abbd 2) u b 0 i *,
einem Wanne, ber trofc feiner Glaubend» unb ©ittcnlofigfcit nach
bem sßurpur ftrebte. 2)er apoftolifchc ©tuht wie* lange #eit biefe*
Anfinneu jurürf, bi* e* enblich ben oereinten Bemühungen be*
Regenten, be* $aifer* unb ber Könige oon ©nglanb unb ©oanien gc*
Digitized by Google
286 gfranftetdj unter ber töegentfdjaft be$ &erjog$ üon Crlean«.
lang, $apft 3nnocenj XIII. ju bewegen, bcm Verlangen ^uboia'
willfahren. SSährenb bicfcr über granfreich ^crrjc^tc , überließ
fich bcr ^crjog^cgcnt ben jügellofeften SluSfchweifungen. Ällabcnbs
lieh üerfammelte er im $alaiS=9ioüal einen ®rei$ ber lafterhafteften
Sttänner unb grauen, mit benen er ben größten Xljeil ber Stacht in
Ueppigteit unb ©chwelgcreien ücrbrachte. $)abei ließ er jeboch ben
(Senoffen feiner nächtlichen Söacdjanalien feine üolle Verachtung fühs
len; benn er nannte fic nicht anberS, als feine Rouäs (©eroberte),
weil fie nach it)ren nächtlichen (Belagen wie geräbert emfyerfcfjlicfjen,
ober roeil fie, ttrie er fagte, üerbienten, auf bem SRabe ju fterben.
©o bot unter ber 9tegentfchaft beS £>er$ogS üon Orleans ber fran^ö*
fifdje ,§of ein 93ilb üon Safterrmftigfeit unb Verworfenheit bar, baS
an bie fcf)limmften Qtittn ber römijcfjen ^aifcrtjcrrfc^aft erinnerte.
$ie (£r§iehung bcS jungen Königs hatte ber $erjog * Regent
bem ebenfo anmaßenben als geiftlofen 3Äarfcf)att Villeroi übertra*
gen , bem als ßefjrer beS föniglichen Knaben ber ehrmürbige
§ I e u r o , ©ifchof öon grejuS, jur ©eite ftanb. SSährenb ber ßefcs
tere burch 5Ktlbe unb ©anftmuth auf baS ©emüth feinet SöglingS
ein$umirfen fudjte unb in ber Xf)at beffen üollfte Zuneigung ge*
wann, flößte ber 2JtorfchalI bemfclben fcfjon friitjc eine höh* sD*eU
nung üon ber föniglichen 9JtodjtüoHfommenl)eit ein. Söenn er mit
ihm ausfuhr unb baS Volf ben &uf erfchatten tieg : „@S Übt ber
ftönig!" pflegte er ihm ju fagen: „Sehen ©ie, gnäbigfter §err,
alle biefe ßeute gehören 3hncn , ftnb 3t)r ©igenth.um ; ©ie finb ber
#err öon Mem!" $a ber £nabe wegen feiner fchwächlichen ÖJe*
funbheit möglichft gefchont werben follte , mürben feine geifttgen
Anlagen wenig entwickelt, unb er Wuchs heran ohne föuhmbegicrbe,
aber auch ohne Suft jur Arbeit unb s2lnftrengung unb ohne bie rief)*
tige Vorftctlung üon ber hohen Aufgabe, bie feiner als §errfcher
harrte.
$ie größte ©chmierigfeit ücrurfadjte bem Regenten ber troft^
lofe Snftanb ber ginanjen. ©tatt jeboch burch eine weife ©par*
famfeit baS ungeheuere SJcißüerhältniß $wifchen ben @infünften unb
ben Ausgaben beS ©taateS auszugleichen, fcheuten fich bie 2Jcimfter
nicht, ^u ben ungerechteren SUtoßrcgeln $u greifen. Söiclc gorberun=
gen an bcn ©taat mürben mit ber größten SBiüfür für ungiltig er*
flärt, bie 2ftün$en ücrfct)tccf)tcrt unb zahlreiche Einnehmer unb ginanj*
Pächter wegen angeblicher Unterfd)leifc üor ein befonbereS peinliches
(Bericht gejogen, baS fie ju großen ©traffummen üerurtheilte. 2)aS
burch biefe Gewaltmittel gewonnene ÖJelb würbe jeboch nicht gum
Vorteil beS ©taateS üerwenbet, fonbern floß in bie Xafdjen bcS
Regenten unb feiner ÖJünftlingc. ©o ftieg bie 9coth üon Xag ju
^lag, unb fchon war, wenn auch unter bem hcftigften S93iberfpruct),
bcr ÖJcbanfe in Anregung gebracht worben, bie beiben fteuerfreien
Digitized by Google
ftranfretdj unter ber föegentfdjaft bc8 ^erjogS r»on Orleans. 287
Stänbe, ben 21M unb bie ®eiftlicr)f eit , ju ben Abgaben §eran$u=
3iehen, ate jtdj bem Regenten ganj unerwartet* bie 2lu3}icht auf eine
rafdje unb üollftänbige Abhilfe aller ginanjnoth $u eröffnen f^icit.
©in (Schotte, Johann San), ber ©ohn eine« (SolbfchmiebS ju
(Sbinburg, ber ftdt) feit längerer Seit öielfadj mit bem 9tedmung3=
unb ginangmefen befdfjäftigt hatte , überreizte nämlich im Slpril
1716 bem Regenten einen $lan, burdj roetchen nicht nur, roie er
toerfprach , bie ganje ungeheuere ©taatäfchulb in roenigen Sauren
getilgt, fonbern auch ber Nation eine unöerfiegbare Duelle ber S8e*
reicherung erfchtoffen roerben foHte. tiefem $lane gemäfi erteilte
i^m ber Regent bie Ermächtigung jur Errichtung einer 3ettelbanf
— Banque d'escompte — , bie am 3. 2Jcai 1716 mit einem
2lftienfapital öon fechS 2JciHionen £iüre3 eröffnet rourbe. $ie 9toten
biefer 93anf fanben balb gro§e3 Vertrauen unb mürben überaß um
fo lieber ftatt baaren ©elbeS angenommen, als baS ®olb $u jener
Seit umgeprägt unb im SRennroerthe erhöht mürbe, roät)renb bie
Söant ü)re Noten nadt) ber alten Söäfyrung einjulöfen öerfpracr).
Um baS in bie öanf fliegenbe baare ®elb ju oerroerthen unb
5ugletcr) für baS *ßublifum eine neue Socffpeife ju fd-affen , rourbe
eine mit ber Söanf oerbunbene £anbelSgefetlfchaf t , bie „abenblän*
bifche ©efeüfdjaft" ober „bie 9Jciffifippi*®ompagnie" genannt , er*
rietet, melier ber ßönig baS ©ebiet oon ßouifiana mit bem $riüi*
Iegium abtrat, Sänbereien ju laufen unb ju oerfaufen, ©täbte ju
bauen , geftungen anzulegen , ©teilen $u befefcen , $rieg ju führen,
grieben ju fchlie&en u. bergl. S)a man bort bebeutenbe ÖJotb-
unb ©ilbergruben ju entberfen hoffte , erfdjien baS Unternehmen als
ein äu&erft geroinnöerfprechenbeS ; ba^er beeilte fidj sMe3 , ftet) bei
bemfelben buret) ben Slnfauf öon $ftien ber ©efedfa^aft ju betei-
ligen , für roelche auger ben feftgefe^ten oier ^rojent 3infen eine
bebeutenbe ©ioibenbe in 2lu3fid)t geftedt rourbe. 3)ie ganje Nation
roar roie ton einem ©chtoinbel ergriffen. §eöer fürchtete, ju fpät
^u fommen, unb jo roar SaroS Eomptoir oom frühen SJcorgen bis
in bie fpäte 9cacr)t bon einer SJcenge öon SDcenfcfjen umlagert , bie
ficr) mit Lebensgefahr hc^ubrängten , um ihr ©elb gegen 'ilftien
umjutaufchen. 2)iefe ftiegen benn auet) balb jo fct)r im greife,
ba& fie tchliefjüch um ba$ Qtfytfafyt ihres NennroertheS oerfauft
rourben.
3)er ginanjminifter NoailleS unb ber $an$ler b'^gueffeau,
bie ihre Stimmen gegen Saro» Neuerungen erhoben , rourben ent*
laffen, unb als auch baS Parlament gegen biefelben Sin(prache er*
hob, öerbot ber Regent bemfelben im #uguft 1718 in einer fönig*
liehen Sifcung jebe ©iumifchung in ginanj' unb ©taatSangelegeu*
heiten. hierauf rourbe im S)ejcmber 1718 bie £aro'icr)e iöanf in
eine foniglicr) öerroanbclt unb $ugleict) bie Errichtung üon öanf=
288 ftranfreid) unter ber JKegentfchaft bcS ^cr^ogS uon Orleans.
comptoirS in berfcf)iebencn ^roüinjialftäbten oerfügt. 9Hcht jufrie*
ben, burch alle Littel ber SBcrlocfuug Xaufenbe oeranlaßt ju höben,
nidtjt allein it)r baareS (Selb gegen iöanffcheine ^injugeben, fonbem
auch ihr Söefifcthum ju üerfaufen , um für ben (SrlöS beweiben
Slfticn ber SBanf ju ermerben, fucr)te nunmehr bie Regierung bem
Umlauf beS *ßapiergelbes burd) 3roangSmaßregcln noch eine toei=
tere SluSbchnung ju geben, ©o burftc nach einem @bift oom 2)c~
jember 1719 feine 3flh*un3 üo^r jefyn SiorcS mel)r in Silbergelb
unb feine über breifjunbert £ioreS in ÖJolb gemalt merben, unb
im gebruar 1720 mürbe ein (£bift erlaffen, nach meinem Üiicmanb
mcf)r als fünfljunbert Stores in gemünztem ©olbe in feinem £>aufe
behalten unb feine ÄuSjahümg über fjunbert Stores anberS als in
Söanfnoten gemalt merben burftc. %a, eS mürben fogar alle bei
ben (Berichten hinterlegten (Oelber, eingezahlte löürgfdjaften , baS
ißermögen unmünbiger Söaijen u. bergl. , mit Ötemalt eingezogen
unb in Söanfnoten uermanbelt.
$iefe 3)caßrcgeln crioecften inbeffen nicht nur Unzufricbenheit,
fonbem auch Mißtrauen. 9ftan fing an, bie Srage 511 ermägen, ob
es ber 93anf bei ber ungeheueren 2Jcenge ber ausgegebenen ftoten
möglich fein merbc , biefclben jemals toieber cinjulöfen , unb bie
barüber auftauchenben 3meifel mürben erhöht burch bie geringen
(£rgcbniffc ber in üouifiana begonnenen vJ(nficblungen. nun
gar ber Regent , ber felbft bie Unmöglichfeit einfah , bie auSgege=
benen SBanfnotcn in ihrem ooflen SBerthe jurücf^ugahlen , am
21. äftai 1720 ben Söerth berfelben, trofc ber töcgenoorftetlungcn
£an>S , auf bie ipälfte hcrabfcfcte , in ber Hoffnung , baburch ein
rechtem 8et$ältniß herzuftcllen , mar mit einem Silage aller
(Srcbit beS s#apiergelbeS oernichtet. SBie üorbem jum Slnfauf ber
Slftten, fo bräugte fich jefet 2lücS zur ©inlöfung ber Acoren an bic
$anf heran, unb ba ihr bic Littel fehlten, ben maffenhaften ?ln=
forberungen §u genügen; mußte fie ihre 3ah*un9cn einftetlcn. 3>ie
Nation ermatte bei bem plötzlichen 3ufammenfturj beS Suftgcbäu*
beS roic aus einem Traume. $cr ganze SBermögcnSzuftanb hatte
fich öcränbert. SSährenb einzelne burch ben geroinnreichen 2öiebcr=
oerfauf ihrer Mfticn ungeheuere 9leict)thümer ermorben hatten, fahen
fich an jtoanjigtaufenb gamilien an ben öettelftab gebracht unb
über fmnbcrttaujenb bes größten Zweite ihres Vermögens beraubt.
«§anbel unb ©emerbe lagen ooüftänbig bamieber. Üftur bie aüge=
meine ßhrfcrjlaffung , bie auf ben finnlofen ©djroinbel gefolgt mar,
oerl)inberte ben Ausbruch eines offenen WufftanbeS. $er Regent
befahl jtoar, ben sßerfäufem ber Slftien jum heften ber 51t QJrunbe
gerichteten gamilien ihren ÖJeminn mieber abzunehmen; aber biefe
Maßregel ließ fich um f° weniger burchführen, als bie meiften ber^
fclbcn baS gemonnene (Mb bereits über bie GJrenjc ju Raffen
Digitized by Google
frrcmtreid) unter ber ategentfehaft beS ^erjogS Don Orleans. 289
getrugt. Satt? felbft mar gleich nach bem Sufammenftur^ ber Jöanf,
um ber 9Rad)e beS SBolfeS $u entgegen, aus granfreich geflüchtet
unb ftarb 1729 ju Stenebig in Eürftigfeit. $on ben brei&igtaufenb
9tti£lionen ^apiergelb , bie ausgegeben morben , mürbe ein drittel
öeraichtet, baS Uebrige in einprocentige (Staatsrenten öermanbelt.
$>er SRegierung überbrüffig, beeilte fich ber Regent, ben ftönig,
fobalb berfelbe fein breijefjnteä SebenSjahr öoflenbet r)attc, für mün-
big erflären ju laffen , vorauf Shibmig XV. bem tarnen nach bie
Regierung felbft antrat (16. gebruar 1723). 2)ieS änberte jeboch
Vichts in ber ©taatSöerroaltung, ba ber $arbinal $uboiS in feiner
©teile als erfter 2Rinifter öerblieb. Qum ®lücf für granfreia) ftarb
berfelbe im Sluguft beS gleichen 3af)reS. $lucr) ber £>erjog öon
Orleans, ber fich nach $uboiS' $ob auf bie «itte beS ßönigS ba$u
t»erftanben t)atte, bie ßaft ber ©efcf)äfte ttrieber p übernehmen, er*
lag am 2. ^ejember 1723 ben folgen feiner SluSfchmeifungen.
SRach bem Xobe beS $>er$ogS öon Orleans übertrug ber
nig auf ben föath gleurr/S bie Seitung ber (StaatSgefchäfte bem
merunbbreifjigjährigen ^erjog öon 33ourbon*(£onb<$ , als bem näa>
ften «ßrinjen öon ©eblüte. tiefer ftanb jeboch fo fefjr unter bem
(Sinflufc feiner 93uhlerin, ber Sftarquife öon <ßrie, ba& biefelbe bie
eigentliche 93et)crrfcherin granfreid)S mar. 9Iuf ihre SSeranftaltung
mürbe bie jur Gemahlin fiubnrigS XV. beftimmte achtjährige fpa=
nifcf)e 3nfantin SKaria Slnna, bie ju ihrer ©rgiehung nach granf*
reich gebracht morben , nach SJcabrib jurüefgefchieft unb ber $önig
am 16. öuguft 1725 mit 2Karia fiouife ßeScinSfa, ber Xodjter beS
bamalS in granfreid) lebenben entthronten ^olenfömgS Stanislaus,
öermählt.
$aS (Streben ber attarquife üon $rie , ben Söifdjof be gleurrj
aus ber 9^ät)e beS Königs ju entfernen, bemog ledern, bem £erjog
öon 23ourbon im Safjre 1726 bie Seitung ber (StaatSgefchäfte $u
entziehen unb biefelbe bem breiunbfiebjigjährigen gleurtj felbft ju
übertragen, bem ^ßaöft SBenebift XIII. im folgenben Safere ben $urpur
öerliet). $ie fteb5et)nj[är)rigc bis ju feinem $obe (1743) fortgefefcte
(StaatSöermaltung gleurr/S mar eine 2öot)ttc)at für baS erfchööfte
granfreich, inbem er öor 2Wem barauf bebadjt mar, bem Sanbe
ben grieben ju erhalten, burch toetfe ©parfamfeit bem jerrütteten
(Staatshaushalte aufzuhelfen, burch görberung beS £>anbels, beS
^cferbauS unb ber SÖcanufafturen , fomie ber fünfte unb Sßiffen--
fchaften ben SBohlftanb unb baS Slnfehen ber Nation ju erhöhen
unb jugleict) bureb bie £>ebung ber Sanb- unb Seemacht bem deiche
bem SluSlanbe gegenüber bie gortbaucr einer achrunggebietenben
Stellung $u fiebern.
^oIjtDttrt^ ©eltßef^te. VI. 19
Digitized by
290
Spanien unter W^PP V.
XVII.
Spanien unter TfQMpp V.
(1700—1746.)
^Ijtfipp V. befaß bei Dieler natürlichen ©urmütt)igfeit burdjauS
nicht bie G£igenfchaften eines #errfcherS. 9cur im Stolje feinem
(SJroßöater Submig XIV. ähnlich, mar er trägen ©eifteS, unentfdjloffen,
unfähig $u jeber Anftrengung unb aller Arbeit abgeneigt. j$n ocr
erften Qtü fetner ^Regierung ftanb er gan§ unter ber $errfdjaft
feiner Gemahlin äRaria fiouife üon Saootyen; boct) mar nicfjt fte
eS, meldtje bie Angelegenheiten beS fianbeS leitete, fonbern it)re Dber*
hofmeifterin, bie $rinjeffin Urfini1), bie buret) bie Ueberlegenheit
it)reS ÖJeifteS einen fo bebeutenben (Sinfluß auf baS ÄöntgSpaar er*
langt hatte, baß bie £errfd)aft über Spanien thatfächtich in ihrer
£mnb lag. Sßad) bem Xobe ber Königin nährte fic, trojj ihres bor=
gerüeften Altert — fie ^atte bamals fcf)on baS fiebjigfte SebenSjahr
überfchritten — bie Hoffnung, bie SJcaintenon öon Spanien ju mer*
ben ; ba $hUtpp V. jeboch, obgleich jur SBieberöermähtung entfdjloffen,
feine fiuft trug, bem ©eifpict feinet ßkoßoaterS *u folgen, fud)te fte
ihm eine Ökmaljlin 31t oerfdjaffen, oon roelcher fte feine Sdjmälerung
ihres (SinfluffeS ju befürchten fyabt, unb benahm fkh barüber mit
bem (SJefchäftSträger beS $er§ogS öon *ßarma am fpanifchen #ofe,
3uüuS 9L l b e r 0 n i, ber fid) ihr öotfeS Vertrauen ju ermerben gemußt.
tiefer reichbegabte 2ftamt, ber Sohn eine* ©ärtnerS in ber
9cähe öon ^Siacenja, ^atte fich, nachbem ihm burdj ben ©tfchof öon
^iacenja ber (Eintritt in ben geiftlichen Stanb ermöglicht morben,
burch ©eift unb GJemanbtheit bie ®unft beS £>erjogS öon SBenbome
ertoorben, ber ihn als Kaplan unb Sefretär in feine 3)ienfte nahm.
Stach bem Xobe Venbome'S, ben er nach Spanien begleitet ^atte,
mar er üon bem $er$og öon $arma $u beffen ÖJefanbten am £>ofe
$u üUcabrib ernannt unb in ben ©rafenftanb erhoben morben. Aber
fein @hr9eU ftrebte nach einer einflußreichen Stellung in Spanien
felbft ; bat)er fdjlug er ber $ßrin$e|fm Urfini jur ©emahKn SßhiUppS
bie Richte beS ^er^ogS üon Sßarma, ©lifabett) Sarnefe, üor,
unb ba er ihr biefelbe als eine geiftig befchränfte, anfpruchslofe unb
lenffame Sürftin fdjilberte, bie feinen ©hrgeij renne unb nur Sinn
habe für $ufc unb Xänbeleicn, fnüpfte fte fogleich mit bem $>ofe
öon Marina Unterhanblungen an, in golge beren bie Vermahlung
1) 3)iefe merfmürbiae ^xau &>ar eine ftran^Öftn aus bem $aufe %xt-
mouiue unb bie SBittroc grlat>iu Orfini'S, ^erjogS tum Araccano, mit meinem
fte fid) nach bem im Saljre 1675 ju Korn erfolgten £obe ihre« erften ®e*
maljleS, eine» grinsen üon £()alai3, üenuüfjlt tjatte.
Digitized by Google
Spanien unter Wtipp V.
291
Klipps v mit ^(tfabet^ garnefe am 17. September 1714 burdj
Ißrofuration tjottjogen mürbe.
2)ie neue Königin mar inbeffen in allen Stödten ganj baS
<$egentf)eil t»on bem, maS bie Sßrinjefftn Urfmi nadj Sllberoni'S
Sdnlberung ermartet r)attc. <ftad) bem SluSfprudje 3ricbricr)d beS
(Srofjen „ftolj mie eine Spartanerin, fmrtnädig mie ein (Englänber,
fein mie ein Qtaliener unb lebhaft mie ein granaofe", öerbanb fie
mit einer ungemeffenen ^errfäfudjt ben unbeugfamften ©igenftnn
unb eine ungemöfjnlidje m ühntieit. %U bie Sßrinjeffin Urfini, beten
(Entfernung oom fpanifdjen £ofe bei ifjr bereits befd)loffene Sadjc
mar, fte in ©uabalajara, moljm fie it)r entgegengereift, in ber
fixeren (Srmartung begrüßte, in Ün* eine bantbare unb fügfame ÖJe«
bieterin gu finben, fing (jlifabetfj obne aßen <&runb Streit mit ifjr
an unb befahl fcr)lte^ücr) bem 2lnfüf)rer ber ßeibmadje, fie Don ber
„alten Xrjörin" ju befreien. Qfyrem S3efef)le gemäjj mürbe bie
^ßrinjeffin, trojj ber minterlidjen $älte unb iljrer leisten $leibung,
fofort in einen SBagen gepadt unb über bie fpanifdje ©renjc ge-
bracht, ©anj (Europa ftaunte über biefe 93ef)anblung einer 3rau,
meiere Spanien fo lange nid)t ofme (Einfidjt regiert r)atte. Sub*
mig XIV., ben man, unb üielleidjt nid)t o^ne ÖJrunb, befdjutbigte,
bei ber gangen Sadje bie #anb im Spiele gehabt ju Ijaben, meil
bie ^ßrinjeffin fidj nidjt in allen Stücfen feinem Sßiflen gefügt, em-
pfing fie ju $ari3, gmar falt, aber ad)tungSt»oII, unb mieS il)r einen
jgatyrgeijalt öon bierjigtaufenb ßiöreS an. Sie felbft ertrug ifjren
Sturj mit mürbeooller Saffung unb mar nod) im SBoHbeftJe ifjrer
geiftigen JJrifdje unb fiebEjaftigfeit, als fie am 5. $ejember 1722
3u föom im Hilter öon aerjt^ig Qaijren ftarb.
3nbeffen fjatte bie Königin (Slifabetlj alsbalb über iljren
fdjmadfen ®emaf)l, bie gleite ©emalt erlangt, mie feine erfte ©e*
maf)linr unb rjetrfcr)tc bafjer audj über Spanien, mie öorbem bie
Urfini. ®a iljr jebod) für bie fieitung ber StaatSgefdjäfte bie nö*
ifjigen Äenntniffe festen, überlieg fie biefetbe gang bem Hftanne,
ber ben erften ©runb ju if)rer (Srfjöljung gelegt. 2(n bie Spifce
ber Sermaltung geftellt unb jum fpanifa^en QJranben ernannt, bot
Sflberoni, meinem $apft Siemens XI. bie ®arbinalsmürbe öer-
licr) , SllleS auf , um baS 2lnfef>en Spaniens mieber ju ber frü*
Ijeren $>öl)e emporjufjeben, unb feiner Xfjatfraft unb Umfielt ge*
lang eS, Drbnung unb Sparfamfeit in baS gemittete Staatsmefen
gu bringen, 9lcferbau, ÖJemerbe unb §anbel neu ju beleben unb eine
anfe^nliaje Seemaa^t gu f Raffen. 2)abei nal)m er jeboer) nicr)t bie
geringfte SRürffidjt auf bie 9ftedf)te unb Sreifjeiten beS 23olfeS; t»on
einer ^Berufung ber Portes mar feine Siebe mef>r, unb bie Sßro*
oinjen, bie im Grrbfolgefrieg ju Äarl III. gehalten, mürben mie
eroberte fiänber be^anbelt. Wudj blieb Sllberoni'S S^rgeij bei ben
ic
292
Spanien unter ^tyilipp V.
in ber Skrmaltung eingeführten SScrbefferungen nidjt fielen. Spa^
nien füllte nierjt nur innerlich neu erftarfen, fonbern aud) bie SluS*
beljnung unb bie pofttifdje ©ebeutfamfeit mieber erlangen, bie eS
unter ®arl V. unb ^iüpp II. befeffen. Xrofc ber entgegenftefjen*
ben SBeftimmungen beS lltredjter griebenS narrte er, im $tnblicf
auf bie fdjmadje (55efunbt)eit SubmigS XV., bie für benfelben fein
langet fieben ermarten lieft, in $r)Uipp V. bie Hoffnung, ben %^xon
feines ©rofcöaterS $u befteigen; ber Königin (Sli)abet^ aber, bie
ü)re Söfme mit fremben gürftentljümern auSgeftattet ju fe£)en
münfdjte, meil jmei ^rinjen aus Sßfjüippa erfter (Slje ifmen bie SluS-
ficr)t benahmen , auf ben $fjron Spaniens felbft ju gelangen , öer*
fpradj et, ju btefem Stüecfe bie an Cefterreid} übergegangenen ita*
licnifc^en $ebenlänber Spaniens jurücfjuerobern , auf meldje $fji=
lipp bis balnn noefj ebenfomenig förmlid) SBerjidjt geleiftet, nrie
Sari VI. auf Spanien felbft.
Um bie $crmirflid)ung btefer ehrgeizigen $länc anjubafjnen,
näherte Sllberoni fid) ben Secmädjten unb fudjte junäc^ft ben ftö*
nig ®eorg I. öon ©nglanb, ben Sftadjfolger SInna'S, buref) bas $Kn*
erbieten , bie ©efdn*änfungen beS cnglifdjen #anbeIS mit Spanien
ju ermäßigen, bie nod) ftreitigen fünfte beS «ffiento (f. S. 211)
auszugleiten unb mit Snglanb einen bortfjeüljaftcn $anbelSöertrag
ju fdjiicfjen, für ein ©ünbntfj mit Spanien ju gewinnen. $ie eng*
iifdje Regierung hielt es jebod) für mistiger , bura? ben SInfdjhig
an granfreidj bem ^rätenbenten Safob III. bie Unterftüfcung bc&
Regenten ju entgehen ,. unb ba biefer felbft bura) bie $läne Silbe-
ront'S fein ©rbredjt auf bie franjöfifdjc #rone gefä^rbet faf) , fam
es , ftatt JU einem fpanifaVenglifa)cn Söünbnig , ju einem folgen
Smifc^en Snmfreid) , (Snglanb unb £>ottanb , baS am 4. Januar
1717 gefdjlofien mürbe. $er Regent öcrfprad) in bemfetben, ben
$rätenbenten über bie 3(Ipen ju Raffen; bagegen Ieiftete ©nglanb
©ernähr für bie ©eftimmung beS Utrerfjter griebenS , nadj melier
für ben gatl *>er ©rlebigung beS franjofifdjen %f)xon& bura) ben
Xob SubmigS XV. bem £>aufe Orleans bie 9*ad)fofge $ugefidjert
mar. $effcnungead)tet öer$id)tete SUbcrom ntd)t auf feine $(äne;
er befdjlofe öielmet)r, aflein ju ben SBaffen ju greifen, unb fanbte
im 3uli 1717 eine glotte öon amölf ftriegSj Riffen mit einem Sanb-
heere öon nenntaufenb 9)fann öon Barcelona naa? ber Qnfel Sar=
binien ab, bie nad) furjer ©egenmefjr erobert mürbe. $en gleiten
(Srfolg hatte ein im nädtftcn 3af)re unternommener Angriff auf bie
3njel Sicilien.
$>ie golge biefeS griebcnSbrudiS mar ber 2lbfdm§ eines gegen
Spanien geridjteten SöünbniffeS jtüifctjen bem Scaifer , (Snglanb unb
granfreid), ba« am 2. ^uguft 1718 jn Staube fam unb mit 9tücf^
fidjt auf ben fidjer ermarteten beitritt £oüanbS, bie Ouabrupek
Digitized by Google
(Spanien unter WtipP V.
293
Sniiana genannt mürbe. Sßadj ben äWifcf)en ben SBerbünbeten üer=
rinbarten SBefttmmungen foUtc ber Äaifcr in aller gorm auf bie fpa=
nifdfje 9Jconarcfne SBerjicfjt leiften unb Philipp V. aufgeforbert werben,
baS ßtfeidje bejüglicrj ber an ben $aifer übergegangenen fpanifd)en
Scebenlänber ju tlmn, Saöorjen baS if)tn im Utrea)ter grieben p
er!annte Sicilien an Defierrcid) abtreten unb bagegen Sarbinien
erhalten , bem älteften 6o£)ne ^fu'ftypS unb ©lifabetl)* aber bte
Tuartfdjaft auf SoScana, Sßarma unb $iacen$a juerfannt werben,
ba in biegen fiänbern bie männlichen fiinten ber Käufer SERebict unb
garnefe bem SluSfterben nahe waren.
SBäljrenb ber fterjog öon Saöoüen auf ben öon ihm öerlang>
ten unüortheilhaften Xaufdj ofme SBiberfpruch einging, üerweigerte
Spanien bie 2lnnaf)me ber tlmt gemalten SSorfdjläge, weil bie bem
fpanifdjen ^rinjen in SluSficht gefteüten fiänber Weber SÜberoni
noc§ ber Königin (Slifabeth genügten.
Um ben gorberungen ber Duabrupel^Hianj Sftachbrucf ju ge=
ben, fanbte ©nglanb eine glotte unter bem Slbmiral Song nach bem
SJcittelmcere, unb am 11. Jluguft 1818 tarn eS beim Gap $ äff aro
einem Xreffen , in meinem bie fpanifdje glotte eine üoüftänbtge
9cteberlagc erlitt. Sllberoni, ber baS Vorgehen ©nglanbS für einen
SBrud) beS S8öIferrcct)tS erflärte, obgleich er felbft burch bie Eroberung
ton ©arbinten unb Sicilien ben grieben gebrochen, öerlor trofcbem
ben 9Jcutfj nicht; benn er fefcte große Hoffnungen auf ben öon bem
fchwebifchen SKinifter ©örj entworfenen unb öon ihm unterftüfcten
^ßfan eines Singriffs ßarls XII. auf Schottlanb , jum ©e^ufe beS
Sturzes beS r)annööerifdjen %fyxontä unb ber Söieberetnfefcung ber
Stuarts (f. S. 261 f.). $(ucr) foHte Defterreid) burd) einen neuen
Slufftanb ber Ungarn in SBerlegenhett gebracht, ber ^erjog=9tegent öon
granfreich aber burdj eine öon Sllberoni gewonnene Partei am fran=
^öftfehen £ofe feftgenommen unb an Spanien ausgeliefert werben.
35te ©ntbetfung biefer öon bem fpanifchen ÖJefanbten Seßamara in
IßariS geleiteten Söerfdjwörung, fowie ber unerwartete Xob ÄarlS XII.
burchfreu$ten bie s$läne Sllberoni'S, unb als granfreich unb (£nglanb
am 9. 3anuar 1719 eine förmliche HriegSerflärung an Spanien ab-
ge^cn ließen, mußte er erfennen, baß fein (Sfjrgeij fich §öi)tx öerftie*
gen, als bie Gräfte Spaniens reichten. SBon einem franjöftfchen
$UfSforpS unter bem (SJeneraflieutenant (trafen Söonneüal unterftüfct,
eroberte ber faiferliche (General ÖJraf 9Jcercü im Qa^re 1719 Stci=
lien jurüef, unb ju ber gleiten 3eit überfct)ritt ein franjöfijcheS
$>eer öon bretßigtaufenb 2ttann unter SBerwicf bie fpanifdje ©renje,
befefcte ©uipujcoa unb brang ftegreidj in Katalonien ein.
SBäfjrenb bie Sage ^Iberoni'S fich unter biefen SSerfjältniffen
immer Schwieriger geftaltete, würbe jugleicr) an bem £ofe üon
Sttabrib ber ©oben untergraben , auf welkem baS ©ebäube feiner
Digitized by
294
Spanien unter W^PP V.
2ftadjt errietet mar. Um bie Königin ©ttfabetl) für bie ©eftimmungett
ber DuabrupekSWianj ju genrinnen, fteflte ifyr ber $>eraog=$Regent
als $ret3 ber 2lnnal)me berfelben bic SBermäljlung tf)rer Xod&ier
mit Subtüig XV. in «u*fu$t, unb biefeS SRittet führte $um 3ielc.
$em Verlangen ber SBerbünbeten entfpredjenb , 30g ©lifabetf) ifjre
£>anb öon bem 9Kanne ab , meldjer ber |>erftellung beS grieben«
im Sßege ftanb, unb am 5. ftejember 1719 erhielt Sltberoni ein
föniglia^eä ©abreiben, baS iljn aller feiner ©teilen entfette unb iljm
aufgab , binnen öierunbjmanjig ©tunben Sttabrib unb innerhalb
acfjt Xagen ba3 ®önigreid) ju öerlaffen. (£r feljrte nadj Stalten
jurücf, mo er, naa^bem er längere Seit in 9lom gelebt, öon ^apfir
Siemen^ XII. jum ßegaten öon föaöenna ernannt mürbe, ©eine
9teidjtf)ümer öertoenbete er meiftenS jur ©rünbung verriebener
2öof)ltf)ätigfeit3anftalten unb jog fid> autelt nadj ^iacenja jurürf.
£ier ftarb er 1752 im 2llter öon gmeiunbneunjig Qabren.
Wad) ber Entfernung TOeroni'3 fam am 26. Januar 1720
im §aag ein triebe ju ©taube , in mettfjem , ben urfprünglidjen
Söefttmmungen ber Quabntpet^llliana gemäfe, ber flatfer auf bie
fpanifefte 9tfonard)ie unb ?f)ilipp V. auf bie italiemfäen «Rebenlänber
berfelben Serjidjt leiftete , bem fpanifajen Infanten (£arlo3 , bem
ätteften ©ofmc ber Königin ©lifabetf), bie Slnmartfdjaft auf
fana, *ßarma unb ^iacenja bei bem Wu&fterben beä 9tfanne3ftamme3
ber SRebici unb garnefe juerfannt unb bem &erjog öon ©aöonen
für ba3 an Defterrcid) abgetretene ©icilien bie 3nfel ©arbinien mit
ber ®önig3toürbe äugefprodjen nwrbe.
2ln 2Ubcroni'3 ©teile trat ber fpanifdje ®raf föipperba, ber
nadj bem Aufgeben beä $rojeft3 bejüglid) ber $8ermäf)lung £ub*
mig« XV. mit ber fpanifdjen Snfantin Don ©eiten granfreidja
(f. ©. 289) einen 2lnfcf>lu& ©panien« an Defterreidj benrirfte.
9laa)bem er im Saljre 1726 in golge feiner Unfctyigfeit entlaffen
morben, mürbe ber genuefifäe ©raf ®rimalbi ber 9iatf)geber ber
Königin <Sltfabetf>. W^PP V. felbft, ber im 3af)re 1724 in
einem Unfall öon ©c^mermut^ unb ©enriffenäangft bie trotte ju
(fünften feine« ätteften fiebjefinjäljrigen ©ofyneä fiuburig nteberge-
legt, nac§ beffen ba(b barauf erfolgtem Xobe aber ben Xfjron auf*
9*eue beftiegen, 50g fidj in golge feine« madjfcnben SrübfimtS, ber
fid) jeitmeife ju öoflftänbtger ®eifte3jcrrüttung fteigerte, mef)r unb
mefjr öon aßen ÜlegterungSgefdjäften , nrie überhaupt öon ädern
S3erfefjr mit ber 2Bclt jurücf. Dft fonnte er Monate lang nia^t
ba^u bemogen merben, ju SBcttc ju ge!)en; bann ftanb er mieber
SKonate lang gar nia^t auf, liefe ©art unb S^ägcl maa^fen unb
fonnte nur mit großer 9ttulje baju gebraut merben, bie Söäfa^e ju
mea^feln. @« famen mofjl auc^ mieber 3«iten, mo er fia) etma*
reger jeigte; bod) maren fie immer nur öon fur$cr X)aucr. Qnk^t
Digitized by Google
(gnglanb unter ®eorg I. unb ©eorg II.
295
tonnte man nur nod) burdj fiift für bie micfjtigften ©rfaffe feine
Unterfcfjrift erlangen. 2(uä feinem langen geiftigen ©ied)tf)um er*
löfte ifm ber Sob am 9. Quli 1746.
xvra.
gttflfanb ititfer $eotfl I. (1715—1727) unb $eotg II.
(1727-1760).
$ie Königin Slnna überlebte bie ©eenbigung be£ foanifdjen
©rbforgefriegeS , ber ben #auptmoment iljrer föegierungägefdjidjte
bilbet, nur um menige Monate: fie ftarb am 1. Shtguft 1714. gür
bie inneren SBerfjäftniffe beS brttifdjen SReidjeä mar itjre Regierung
befonbera mistig burdj bie am 1. 2Rai 1707 oottjogene SBer*
einigung (£nglanb& unb ©djottlanbS gu bem ®önigreidj <3Jro&*
britannien. $a bie 9flet)rf)eit ber ©Rotten mot)I erfannte, bafc
buref; biefe Union baä felbftftänbige ßeben it)re3 fianbeS oernicfjtet
unb ba3 ®önigreid) ber S)uncan3 unb äftalcolmS 511 einer <ßroöina
beS mäajtigen 9tad)barftaate3 Ijerabgebrücft merben mürbe , mar eä
ben englifcfjen Sftiniftern nur mit Üttü^e gelungen , bie lättgft be*
fc^Ioffene 9Jcagregel burdfoufefcen. £>ie Parlamente beiber föeidje
mürben oerbunben unb bie befonberen Siechte ber ©djotten aufge*
Ijoben. 9tur bie fdmttifdje ftirdje behielt itjrc eigentümliche 23er*
faffung unb mit berfetben ber bifd)öflid)en ®trcf)e (Snglanbä gegenüber
i$re öotle ©elbftftänbigfeit.
W\t mir oben (©. 169) gefetyen, mar burdj bie auf SBeran*
laffung SSilfjelmä III. im 3a^re 1701 oon bem Parlament er*
laffene ©ucceffionSafte bie Xfyronfolge in berart feftgefefct roorben,
bajj nur biejenigen SIbfömmlinge be3 £>aufe3 ©tuart , bie fid) $ur
proteftantifcfjen Üirctye befannten ober befennen mürben, in ben S8e*
fifc ber $rone Gmgfanbä gelangen foflten. 5)aburd) mar , ba oon
Slnna'S breijefm Sftnbern feines am Seben geblieben , bie t)ocrjbe*
tagte oermittmete ®urfürftin Sophie oon $annooer, als bie (Snfelin
Jtafoba I. üon beffen £ocf)ter, ber ^pfaljgräfin ©lifabett), bie näd)ft*
berechtigte Xt)ronerbin gemorben. ^nbeffen münfdjte bie Königin
2Inna, ba fie bie Sluäfdjliefiung it)re$ 93ruber$ 3afob oon bem eng-
lifcfjen Xtjrone für eine unredjtmäBige hielt, eine $lenberung ber
feftgefefcten £t)ronfoIgeorbnung ju ÖJunften it)reä Neffen, be$ $tö>
tenbenten Qafob III., t)erbeijufüljren , unb fettbem bie bem $>aufe
©tuartd geneigten Xorieä mieber anä SRuber gefommen, fcr)icn biefeS
©treben größere $lu3fid)t auf (£rfolg ju t)abeu. Xod) noch et)e
etma$ ©ntfcr)eibcnbcö in biefer SBejiefmng t)attc gefdjcfjen fönnen.
Digitized by
296
Gngtcmb unter ©eorg L imb ©corg II.
machte bcr £ob ber Königin bcit Veforgniffen ber 2Sf)ig3 bezüglich
bcr föücffehr ber Stuarts ein (Snbe.
$a bie Shtrfürftin ©ophie am 8. 3uni 1714 geftorben mar,
ging baS Erbrecht auf ihren ©olm, ben bereits im fünfunbfünfsig=
ften fiebenSjahre ftehenben Äurfürften ®eorg Submig über, unb als
berfelbe am 18. ©eptember 1714 in ©reenmidj lanbete, mürbe er
freubig empfangen unb beftieg ofme SBiberiprud) als ® e o r g I.
ben 2f)ron, morauf er bie bisherigen SJänifter entliefe unb ein
neues SJcmtfterium auS entfduebenen SSljigS bilbete.
Cftne ^ö^ere geiftige SBilbung unb djeroanbthett unb ber eng*
lifdjen ©prache nicht mächtig, überliefe ®eorg I. bie Regierung öott*
ftänbig feinen SJciniftern , unter benen Robert SB a l p o l e , ein
frtebliebenber , einfidjtSüolIer , aufeerft u)ätiger Staatsmann unb ge*
manbter parlamentarifcher Kämpfer, als ®anjler ber ©chafcfammer
ben meiften (Sinflufe erlangte. $er nad) (Snglanb jurüdgefehrte
Sttarlborough erhielt aufs 9ceue ben Oberbefehl über baS £eer;
bagegen mürben bie brei £>äupter beS aufgelöften EorüminifteriumS,
©olingbrofe , Ormonb unb Dfforb , megen beS Utrechter griebenS
unb roegen SBegünftigung beS Sßrätenbenten in SInttagcftanb öer=
fefct. ©olingbrofe unb Drmonb entjogen fid) ber ifmen broljenben
58er^aftung burch bie gludjt nach bem geftlanbe, mährenb Dyforb
in ben Xomer gefefct mürbe, mo er öerblieb bis im 3at)re 1717
feine gretfprea^ung erfolgte, Volingbrofe erhielt im 3=ahre 1723
bie (Srlaubnife jur 9tudfehr nach ©nglanb unb befajäfttgte fid) feit»
bem, ba man i$m feinen ©i& im Oberläufe nicht jurüefgab, haupt*
fächlich mit Wriftfteflerifchen Arbeiten (f. ©. 177).
Unterbeffen hatte ber <ßrätenbent 3afob III. , ber fidj feiger
in Lothringen aufgehalten, ermutigt burch bie Unjufriebenheit ber
©Rotten über bie Union mit ©nglanb, ben (Sntfchlufe gefaßt , nach
©djottlanb überaufefcen, um ben Verfud) §u machen, menigftenS bie
fdjotnfche ®rone §u erlangen. 3n ber %fyat erhoben fidj, nachbem
ber ®raf 9Jcar bie gähnt ber Stuarts aufgepflanzt unb ben *ßra=
tenbenten ju (Saftletomn als Qafob III. jum $önig ausgerufen,
gasreiche SJafeöergnügte für ihn; bie englifchen SJanifter trafen
jeboch , öon bem Parlamente auf baS ftachbrücfuchfte unterftü^t,
fofort energifche ©egenmafercgeln. Nachbem auf ben ®opf beS
$rätenbenten ein SßreiS öon einmalhunbcrttaufenb $funb gefegt
roorben, mürbe bie §abeaS*(£orpuS*$lfte fuSpenbirt unb ber ^erjog
öon 5lrgöle mit einer ftarfen Xruppenabtheilung nach ©djottlanb
gefdudt. 2Bäf)renb biefer einen Xheil ber Safobiten unter bem
©rafen 9tfar bei S)umblain jurücffchlug unb baburd) ihre Vereinigung
mit benen im ©üben öerhinberte, mürbe ihre übrige Sftacht burch
ben ©eneral Sarpenter bei ^refton jerfprengt. ©o fanb ber $rä=
tenbent bei feiner fianbung in ©chottlanb feinen ganjen Slnfmng §er*
Digitized by Google
©nglanb unter ©eorg L unb ©eovg DL 297
0
ftreut unb falj fich nach einem furjen Aufenthalt ju Pertf) genötigt,
nach granfreich jurüefpfehren. £>rei fiorbS unb eine große Slnjahl
geringerer Anhänger ber ©tuartS büßten it)re $8etf)eiligung an bem
tmßglücften Slufftonb mit bem ßeben.
(Sine mistige Neuerung aus ber Regierung (UeorgS I. mar
ber (Srlaß ber fogenannten „©eptennial3$8ill," burdj roeIcr)c bie bis*
herige breijährige $)auer beS Parlaments in eine ftebenjährige ber-
toanbelt mürbe , fo baß fortan nur alle fieben 3a^re 9kuroa!jlen
vorgenommen mürben. Unter bem (Sinfluffe biefer in beiben #äu*
fem mit großer Majorität burchgegangenen 2krfaffungSänberung
entmicfelte ftdt> in bem gleiten (Srabe , in meinem burdj biefetbe
bie 3Kaa)t ber SBolfSüertretung gehoben mürbe, für baS neue §err=
fcfjcrhauS eine größere Abhängigfeit üon ber ©emalt nationaler
Anfcrjauungen unb Sntereffen, fo baß eä im Saufe ber Seit für bie
Könige öon (Snglanb immer fernerer mürbe, in ber Regierung if>re
eigene Perfönlicftfeit geltenb ju machen , unb fie immer mehr als
bloße SSürbenträger eines öon innem Gräften bemegten unb im
®ange erhaltenen ÖJemeinmefcnS erfdjienen.
Unter ÖJeorg L taufte in (Snglanb ein ähnlicher ©djhrinbel
auf, nrie ilm baS Sam'fche gman$füftem unb bie ©rünbung ber
9fttffifippi*$ompagnte in granfreich erzeugt Ratten, ©in gemiffer
Slount '^atte ber Regierung einen Plan öorgelcgt, nach welchem
bie gefammte ©taatsfchulb auf bie neugegrünbete „©übfee*$om*
pagnie" übertragen unb biefe baburdj jum alleinigen ©taatSgläu*
biger gemacht merben foHte. ©o gemicfjtige ©timmen fief) auch
gegen biefen Plan erhoben hatten , faub berfelbe boer) bie ®cnehs
migung beS Parlaments, unb ba bie ÖJefeÜfchaft ungeheuere $or*
theile in Ausfielt fteUte , beeilte fid) 3<*>ermann , feine ©dmlbf orbe*
rangen an ben ©taat auf bie Kompagnie ju übertragen. $8alb
barauf entftanb baS ©erficht , bie Regierung beabftdjttge , üon ©pa*
iuen mehrere piäfce in Peru gegen Gibraltar unb Port äKahon
einjutaufchen , unb ba man fich barauS für bie ©üb)ee=® ompagnie
einen unberechenbaren ©eminn öerfprach , ftrömte Alles , ©taatS*
männer unb ©ciftlic^e , 2Bf)igS unb XorieS, Geräte, 8aufleutc unb
®emerbtreibenbe, felbft ©paaren öon grauen, $u bem ßomptoir ber
Kompagnie, um Aftien einjufaufen. Alle anberen Söeftrebungen
unb ©cfcfjäfte mürben öernachläf figt : man fannte nur ben einen
©ebanfen , als Af tionär ber ©übfee5©efellfchaft in furjer Seit reich
ju merben. ©o ftiegen innerhalb meniger Monate bie Aftiett ber
Öefeüfchaft meit über ihren toahren SBerth- Sluct) entftanben , ba
üuuij
te, über hundert anbere ähnliche Unternehmungen, bie
meift auf ben ftnnlofeften $orauSje$ungen beruhten, nichtsbefto*
weniger aber miliige Xh«tnehmer fanben. Sie ©ummen, meldje
Digitized by Google
298 gnglanb unter ©eorg t unb Gtorg II.
für alle biefe ©cfjroinbeleien erhoben ttmrben, Beliefen ftdj nad) einer
ungefähren Slofdjäfcung auf brethunbert Millionen $funb Sterling.
Qnbeffen trat balb ber unausbleibliche SRücffchlag ein. S)ie
Slftien ber ©übfee=Kompagnie, bie auf achthunbertneunjtg ^Srojent
geftiegen roaren, fanfen auf einfjunbertfünfoig Sßrojent herab ; bie ber
übrigen Unternehmungen mürben jum Xfjeil öoflftänbig ttjcrt^lo*.
$5ie Solgen beS 9Ifricnfcr)toinbcIä traten jeboefj in ©nglanb in minber
fehredfenerregenber SSeife ju Sage, als in granfreich, ba SSalpole, ber
öon Anfang an bem ganjen Xreiben mit GHnfidjt unb 9kchbrucf
ttriberfprochen ^attc, fofort jtoecfmäßtge Maßregeln ergriff, um ben
angerichteten ©chaben auf baS geringfte 9flaß ju befcöränfen.
2luf SBalpole'S Borfdjlag mürbe jur ©rünbung eines XilgungS*
fonbS für bie auf fünfzig Millionen (Sterling angeroachfene (Staate
fdjulb ber SinSfuß öon fünf auf bier ^rojent herabgefefet. tiefer
SonbS mürbe jmar fpäterhin nicht auSfchließlich ju feinem urfprüng=
liehen ßroeefe oerroenbet; bennoch trug er roefentüch jur Hebung
beS KrebitS unb baburch zugleich $ur weiteren (£ntroicflung beS ge=
fammten SlnleihemefenS bei, baS für fönglanb eine um fo größere
SBichtigfett hotte, als bie im 3ntereffe beS in immer großartigerer
SSeife fidj entfaltenben englifchen $anbels= unb ©eroer bfleißeS für
nothroenbig erachtete Behauptung ber ©eeherrfdjaft ftets neue
Kämpfe erforberte, tt)clcf)c große Summen oerfchlangen.
35a ©eorg I. bie SSerhältniffe feiner beutfehen (Srblänber mehr
am §erjen lagen, als fein Königreich, fo mürben biefelben oor*
jugsroeife maßgebenb für feine auswärtige Sßolitif. ©o mar feine
Betheiligung an bem norbifchen Kriege lebiglich eine Solge beS
SlnfaufS ber ben ©chroeben burch Xänemarf entriffenen $>er$og*
thümer Bremen unb Serben für fein Kurfürftentlmm £>annooer.
3n roelche Berbinbungen ©nglanb unter ihm mit ben übrigen
europäifchen dächten trat, haben mir in ben oorhergehenben SIb*
fchnitten gefehlt.
QJeorg I. ftarb am 22. Quni 1727 ju DSnabrücf, auf einer
Steife, bie er in feine beutfehen (Srbftaaten gemacht, unb hinterließ
ben englifchen Xhron nebft bem Kurfürftenthum £annoöer feinem
©ohne ©eorg II. 35a biefer SBalpole als erften 9Kinifter beibe*
hielt unb bemfelbcn öoflftänbig freie $anb ließ, führte ber %^xon-
roechfel in ber innern mie in ber äußern Sßolitif (SnglanbS feiner*
lei 9lenberung tyxbti. 3n ben erften jroölf 3ahrcn ber neuen
^Regierung genoß ©uglanb bie ©egnungen eines ungeftörten 3rie=
benS; bagegen mürbe im 3ahre 1739 ein Krieg mit ©panien
begonnen, angeblich megen Beeinträchtigungen beS englifchen $an*
bels in ben amerifanifchen Speeren oon ©eiten ber ©panier, tfyaU
fächlich aber, roeil biefe ben öon ben ©nglänbcrn nad) ben fpanifdjen
Kolonien getriebenen großartigen ©djleichhanbel nicht bulben roott*
Digitized by Google
eitglcmb unter Gfeorg I. unb ©corg II
299
ten unb baher bic $urd)fuchung ber englifchen Schmuggelfchiffe an-
georbnet Ratten. Vergebens Ijatte ber friebliebenbe Sßalpole bic*
fen #rieg burd) einen mit Spanien gefdjloffenen Vertrag ju Oer*
hinbern gefugt; feine ^Bemühungen waren an bem (Sntgegenmirfen
feiner geinbe, bie eine Gelegenheit ju feinem Sturje ^erbeijufü^reu
toünfchten, fowie an bem ftürmifdjen Verlangen ber Nation ge*
feheitert, burch SBaffengewalt bie ßöfung aller Seffeln herbeiju*
führen, burch welche Spanien noch ben britifdjen Raubet in feinen
amerifanifchen Kolonien einengte. 2)er Serlauf beS Krieges ent*
fpradj jeboch ben oon ben ©nglänbern gehegten Erwartungen nicht,
unb bie allgemeine Unjufrieben^eit wanbte fich gegen SBalpole, ben
man befdjulbigte, bie $anbeläintereffen (£nglanb3 nicht genügenb
gefchüfct ju höben. $a auch ber *)3rin$ oon SBaleä fich ber Oppo*
fition analog, erhielt biefelbe ein foldjeS Uebergewidjt , ba&
®eorg II. feinen Efliuifter nur burch fofortige ©ntlaffung öor
einer öffentlichen Anflöge fchüfcen fonnte (gebr. 1742); boa) be=
funbete er ihm feine perfönlicfje Bufriebenheit burch feine (£r*
nennung jum ©rafen öon Dsforb. SBalpole ftarb am 10. 3Jcär$
1745 unb nahm ben 9tuhm mit inä ®rab, feine langjährige
Verwaltung in feiner SBeife jur eignen Vereiterung ausgebeutet
ju ^ben.
fturj nach bem Ausbruch ber geinbfeligfeiten mit Spanien
fat) fia) ©eorg II. auch in ben nach bem Xobe ßaifer $arlä VI.
aufgebrochenen öfterreichifchen @rbf olgef rieg ücrwicfelt, in
welchem er auf ber Seite Defterreich* ftanb, währenb granfreich
ein Vünbnig mit beffen (Gegnern, Spanien, Vaiem unb Sachfen,
gcfchloffen hatte, unb bie großen Dpfer, Welche bie Vetheiligung an
biefem Stiege ©nglanb auferlegte, fteigerten bie Unjufriebenhett ber
Nation unb mit berfelben bie SDcacht ber Dppofirion im englifchen
Parlamente.
£ie Verlegenheiten ber englifchen Regierung mürben erhöht
burch einen neuen Verfudj ber Stuarts, ba3 ^annööerifcr)e $>auä
öon bem englifchen Xhron $u ftoßen. Von granfreich unterftüfct,
lanbete ber Stuart'fche ^rinj Äarl ©buarb, ber Sohn beä $rä*
tenbenten Qafob III., nachbem ein erfter Verfud), mit einer bebeu*
tenben Sanbmadjt oon fcünfirchen auf nach Schottlanb überju*
fefcen, burch Stürme unb baä ©rfcheinen einer englifchen glotte
oercitelt morben, am 27. Quni 1745, währenb ©eorg II. in
$eutfd)lanb mar unb ber größte Zfytil feine* Speeres unter bem
£>er$og oon (Sumberlanb, feinem brüten Sofjue, in ben 9fteberlan*
ben ftanb, mit einem einzigen Schiffe unb nur wenigen Begleitern
bei 9tfoübart an ber meftlidjen ®üfte oon Schottlanb. $er Anfang
be£ Unternehmen* fchien glücfoerfprechenb ; benn bie Häuptlinge ber
fchottifchen £ochlänber fchloffen fief) fogleidj bem ritterlichen Sprö&=
Digitized by Google
300
(Snglanb unter ©eorg I. unb ©eorg II.
linge ihres alten KönigShaufeS an, unb mit ihrer #tlfe gelang e3
bem Sßrinjen, einen oon ©binburg gegen tlm entfanbten £>eer*
Raufen jurücfjuf^lagen unb Sßerth jur ©rgebung $u swin^en,
worauf ihm am 19. September and) (Sbinburg bie Zfyott öffnete.
9lad)bem er ^ier feinen SBater als König unb fleh felbft als Stegen*
ten ber brei Königreiche ^atte ausrufen laffen, fdjlug er am 21.
September bei $refton*$anS ein englifdjeS Korps oon oiertaufenb
URann unb führte bann, als $o<hlänber gefleibet, feine betreuen,
beren &a§l ftd) burd) ben Anfchtufj oieler alten greunbe feines #aufeS
bebeutenb üergrößert l)attep über bie englifdje ©renje. Sdjon war
er bis $)erbtj oorgebrungen, als baS Ausbleiben beS erwarteten
3ulaufS, fomie ber Langel an ©elb unb ©efchüfc it)n nötigten,
oor ben mittlerweile aus ben Sfeieberlanben ^erübergerufenen unb
Oon bem fterjog oon GSumberlanb geführten englifchen Xruppen nach
Schottlanb jurücfyuWeichen, wohin ihm ber ^erjog nachfolgte. £ier
erfocht er jwar am 23. Januar 1746 nod) einmal bei galfirf mit
feiner Keinen Schaar einen Sieg; allein bie unter ben fa)ottifdjen
Häuptlingen ^errfajenbe Uneinigfeit, ber er nicht #err ju werben
oermochte, fowie bie gänzliche (Srfdjöpfung feiner ©elbmittel be*
reiteten if)m fo groge Schwierigfeiten, baß er fid) nach ben $och*
lanben jnrütfjie^en mu&te. Am 27. April 1746 wagte er bei
<£ u 11 o b e n eine entfajetbenbe Schlacht ; aber bie tobeSmutljige
Xapferfeit ber £ochlänber oermochte 9UchtS gegen bie ©ajonette
unb baS ©efcfjüfc beS übermächtigen geinbeS. (Sbuarb, beffen 9fte*
berlage oollftänbig mar, oerlieg als glüchtling baS Schlachtfelb unb
irrte mehrere üftonate in ben SBilbniffen beS $ochlanb*S umher.
Obgleich ©eorg II. einen SßreiS Don breifeigtaufenb *ßfunb Sterling
auf feinen Kopf gefefct ^atte unb englifdje Später jeben SBinfel
beS ©ebirgeS burd)fud)ten, erreichte er, burd) bie Xreue unb Anfang«
lid)feit ber £od>länber gefchüfct, glücfüc^ bie Küfte; boef? gelang eS
i^m erft nach fünfmonatlichem gefahrvollen Umherirren auf ben
weftlichen ©ilanben, ein franjöftfcheS Schiff $u finben, baS ihn nach
Sranfreich jurüefbrachte. *Rad)bem er üon bort in golge beS ben
öfterreidjifchen (Srbfolgefrieg beenbenben griebenS oon Aachen (1748)
auSgewiefen worben, begab er fta) nach Italien, wo er fta) nach
bem Xobe feines SBaterS (1766) mit einer ©räfin Stolberg Der*
mahlte. ®r ftarb im3ahre 1788 $u 9tom, ohne Kinber $u hinter*
laffen. 2Rit feinem trüber, bem Karbinal oon ?)orf, erlofch im
3ahre 1807 bie männliche Sinie ber Stuarts.
Ueber ©buarbS Anhänger lieg bie englifdje Regierung ein
fchwereS (Bericht ergehen. Sttachbem bereits nach ber Schlacht oon
ßuöoben baS fiegreiche £>eer gegen bie SBermunbeten unb ©e*
fangenen in fdt)aucrlicr)er SBeife gewütet unb bie 93eft(jungen unb
ÖJüter ber ju (SbuarbS Anhang jählenben fchottifchen ©rofeen Oer*
Digitized by Google
Gnglcmb unter QJeorg I. unb ©eorg II.
301
ljeert fiatte, würben olle gefangenen ^äuptfinge, fottrie m'ele anberen
^eröorragenben Än^anger ber Stuarts, unter ifjnen ber ©raf #il=
ntamof unb ber fiorb Söatmerino, jum Xobe öerurtfjeilt unb fjmge*
rietet, mafjrenb jafjlreiaV anbere im Werfer ftarben.
$en ®att)oIifen brachte ber Uebergang ber englifdjen ®rone
an baS fjannööerifdje £auS feinertei ©rleidjterung, roeber in ©ng=
lanb nod) in 3rlanb. ©in im 3afjre 1737 im engufa)en Sßaria*
mente gefteHter Antrag, bie Xeftafte aufgeben, nutrbe mit bebeu*
tenber Majorität abgelehnt, „meit jeber ©taat einer ©taatsfirdje
bebürfe unb bie befte^enben ©efefce pr #eru)eibigung unb Huf=
redjtfjaltung berfetben noujmenbig feien; es aud> red)t unb gefe(jlia)
erfdjeine, §eben, ber biefe 2lnfid)t nidjt tfjeile, öon allen Remtern
auSjuf abliefen." 3n Srlanb mottte man nia^t einmal baS 2>afein
ber #atf)ottfeu gefeilter) anerfennen, unb gegen bie Söebrütfungen
unb 2Jftf#anblungen ifjrer proteftantifdjen ®utsl>erren gemährte fein
©eridjt ifjnen ©dmfc. Xrofc i^rer Slrmut§ mußten fie niajt nur
if)re ^riefter fctbft unterhalten, fonbern aud) bem Ijeerbenlofen angli*
fanifdjen IHeruS, bem über jmei TOHionen ÜKorgen SanbeS über*
nriefen morben, ben Befjnten entria^ten unb ftdj unbarm^erjige 2lu3*
faugungen gefallen laffen.
@eorg II. ftarb am 25. Dftober 1760, im Sllter öon fieben*
unbpeb5ig Qa^ren, mitten unter ben SBirren beS fieben jährigen
Krieges, an meinem er als SöunbeSgcnoffe feines Neffen griebridjS
beS (SJrofjen Xrjcil naf)m, unb eines gleid^eitigen ©eefriegeS @ng=
lanbS gegen granfreidj. $a fein ältefter @o!m griebria) Submig
bereits im 3af>re 1751 geftorben mar, folgte ifjm auf bem Sfjrone
fein ©nfel als ©eorg III. (1760—1820).
$ie englifd)e Siteratur, auf bereu gortentttrirflung ber £of, im
(Segenfafce ju bem franjöfifdjen, oljne (Sinflug blieb, weil folooffl
©eorg I. als ©eorg II. faum mit ber 6pradje beS SanbeS Oer*
traut maren, trieb im adjt$efmten Safjrfyunbert auf bem (Gebiete
ber ^oefie fmuptfädjlitf) nur in ben untergeorbneten (Gattungen:
ber (Satire, bem Vornan, ber befdjreibenben, bibaftifdjen unb reflef*
tirenben SHdjtung, reifere ölfitfjen ; $rama unb @poS maren, gletcr)
ber lörifdjen ^oefie, nur bura) öereinjelte, im Allgemeinen menig
bebeutenbe (Srfdjeinungen oertreten.
25er geiftreieftfte unb barum audj ber gefürajtetfte 6atirifer
mar 3onau)an ©roift, geboren 1667 in Dublin als ber ©olm
eines bort anfäffigen (SnglänberS. 3)urdj bie Sßott) ju bem ©tubium
ber Geologie getrieben, für roeldje er als falte, fjod>müu)ige unb
negatioe 9tatur burdjauS nidjt geeignet toar, geriet^ er auf oiel-
fad^e Slbmege, mifajte fic^, unter häufigem SBedjfel ber ^arteiftel*
Digitized by Google
302
(Englanb unter ©eorg I. unb ©eorg II.
lung, in bie ^olitif unb ftarb, nadjbem er ftcfj nadj allen Seiten
fnn Dermalst gemalt, im Qafjre 1745 im SBaljnfum. Unter feinen
fatirifct)cn Söerfen fyabtn, neben feinem „2ftärdjen Don ber Xonne,"
in »eifern er bie berfdjiebeuen (Sonfeffionen al3 feinblidje ©cgen*
fäfoe ju bem magren (£fjriftentlmm barjufteßcn fudjt, „(Mlliberä
Reifen/ eine Satire auf ba3 politifdje unb nriffenfdjaftlidje Seben
<£ng(anb3 t>od §a6 gegen bie 9Renfd$eit unb falter 2Renfd)ent»er*
ac^tung, am meiften iöerüljmtfjeit erlangt.
Unglei^ ebler gehalten ftnb bie Satiren 3°fetf) SlbbifonS
(geb. 1672, geft. 1719), ber mit einem unüermüftlidjen £umor unb
einer unerfcfjöpflidjen (Erfinbungägabe einen ungemein gemanbten
unb anjieljenben Styl oerbinbet. 3m Vereine mit feinem 5*eunbe
3*ict)arb Steele (geb. 1671, geft. 1729) grünbete 2Tbbifon ben
„Spectator / eine fpäter unter bem Xitel „Xfje ®uarbian" bon
Steele allein fortgefefcte SBodjenfdjrift , meiere fu$ bie Aufgabe ge*
ftellt, bie Ijerrfcfcenben Xljorfjeiten unb SBerfeljrtljeiten balb mit
tuürbeboHem <£mft, balb mit Spott unb fdjarfer JJronie an« SHdjt
$u jieljen unb in treffenben GHwrafterbitbern ein Sittengemalbe jener
3eit ju liefern. ®ro&en 93eifaU fanb audj Slbbifonä Xrauerfpiel
(Xato, baä nadj feinem (£rf djeinen im Qaljre 1717 einen ganzen
Sftonat lang Xag für Xag unter ungeheuerem Sudans beä *ßubli--
fumä jur STup^rung gebraut unb bon Voltaire für „bie erfte ge*
niefjbare Xragöbie, bie ein (Snglänber gebietet/ erflärt mürbe,
nidjtäbeftomemger aber ben Seroeiä liefert, baf$ eä bem SScrf affer
bei allem fonftigen fajriftfteDerifä^en latent an matjrljaft poetifd&er
Begabung burdjauS fehlte.
Stuf bem (Miete be8 föomanS ift junädjft Daniel $efoe
(geb. 1661, geft. 1731), ber SBerfaffer beS bielgelefenen, auf einer
magren Gegebenheit beruf)enben S3olf3budje& „SRobinfon (Srufoc," $u
ermähnen. Samuel 9Ud)arbfon (geb. 1689, geft. 1761) fdjrieb
gamilienromane in Briefform, bie bon großem fittlidjem (Srnft, fo*
mie bon untrennbarem Xalent für tä)axattn> unb Sittenfdjilbe*
rung jeugen, jebod) $u fet>r in bie ©reite gebogen finb unb bie
Slbftdjt be« SRoraliftrenS attju beutlid) h«öortreten (äffen. (Sine
meifterf>afte Scbilberung beS fcf^licr)ten gamilienlebenS gibt Dliber
Oolbf mitt) (geb. 1728, geft. 1774) in feinem „SBicar of SBafe*
fielb," einem Fontane, ber trofc mand)er Mängel im *ßlane unb ein*
feiner Unma!jrfd)einiid)feitcn ein Sieblingdbuct) nia)t nur ber (£ng*
länber, fonbem aller Nationen gemorben ift.
211« SBerfaffer fomifajer unb ljumorifnfdjer Romane berbienen
(Srmäfmung: £enri Siel bing (geb. 1707, geft. 1754) unb Xobia«
Smolett (geb. 1721, geft. 1771), bie SBeibe , im ©egenfafce ju
SRidjarbfon , ganj nad) ber 9latur malen , babei jebod) in il)ren
Säuberungen btemeilen jur gemeinen 9Catägticl>feit tytabfinUn, bor
Digitized by Google
©nfllaitb unter ©eorg I. unb ©eorg II.
303
OTen aber fiaurence ©terne (geb. 1713, geft. 1768), ber in ber
SRegettofigfett, in ber Unerfdjöpflidtfett ber ßaune, in ber griffe be*
©efityl*, im Stadium be* Söifce* tnelfad) an Sean «ßaut erinnert,
bemfelben jeboa) an 9icinr)cit nadjftef)t.
2öie ber töoman, fo ttmrbe auc§ ba* $rauerfpie( bürgerfid),
tuefftalb aud) an bie ©teile ber metrtfajen Sonn bie ungebunbene
9lcbc trat; badfelbe fanb jebod> feinen einzigen fjeröorragenben SQt*
arbeiter. dagegen braute ber berühmte ©djaufpieler $amb ® a r r i tf
(geb. 1716, geft. 1769), ber ftaj audj al* ßuftfptelbicfjter einen
tarnen emmrb, bie Xramen ©fjafefpeare'* bei feiner Nation nneber
Hnfe^en. Unter ben ja^rei^en ßuftfpielbidjtern nimmt SRidjarb
©$eriban (geb. 1751, geft. 1816), beffen „ßäfterfd)u(e — the
chool for scandal — ju ben beften fiuftfmeten ber neueren geit
gehört, bie erfte ©teile ein.
2tuf bem GJebiete ber bibaftifdjen ^3oefie genoß befonber*
211er. anber $ o p e (geb. 1688, geft. 1744), ber „Surft be* Steinte*"
unb „ber große SBerftanbe*bid)ter," roie iljn bie ©nglänber nodj
tyeute nennen, eine* f)oI>en 2(nfel)en*. 2Iud> feine ©djäfergebidjte,
foroie fein befdjreibenbe* ®ebid)t: „ber 2Ba(b üon Söinbfor" unb
fein fatirifdj-'fomifdje* @po* „ber fiodenraub" trugen bem eljrgeU
$tgen SDidjter reiben Söeifall ein.
£>of)en 9tul)m erwarb ftdj al* Sefyrbidjter aud) (Sbtoarb ?) o u n g
(geb. 1721, geft. 1770) burd) feine „ftaajtgebanfen," bie megen ber
2iefe unb SBafyrljeit ber barin au*gebrüdten ©efü^Ie nidjt nur in
(Snglanb, fonbern aud) in grranfreid), $eutfd)Ianb unb Qtalten gro*
gen Entlang fanben.
3m befdjretbenben ©ebidjte glänjt befonber* 3ame* Xfjomf on
(geb. 1700, geft. 1748), beffen faft in alle ©prägen (Suropa'* über*
fe&te „3a^re*jeiten" al* ein SRuftcrbilb in biefer Gattung gelten.
2lud) in ber bramatifdjen Eidjtung öerfudjte fict) Xfjomfon mit ®lüd,
unb ber ©djlu&gefang feine* 2Ka*fen)>iel* „2tlfreb" ift wegen be*
ftol$en Refrain* : „Rule Britannia, rule the waves — Britons
never shall be slaves" ein Siebling*lieb ber ©nglänber getoorben.
2tt* elegifajer $idjter ragt befonber* Sfjoma* ®rag (geb.
1716, geft. 1771) §erüor, beffen „ ©legte auf einem ^Dorffird^rjofc"
ju ben fdjönften perlen ber englifdjen SHdjtung jäljft. ®a* £>öd)fte
leiftete jeboef) auf bem (Gebiete ber lorifd)en 5>idjtung ber Sdjottc
Stöbert SBurne, ein unbemittelter ®ärtner*fo!m, ber im %af)vt 1796
nad) einem rocd)felöoflen, aufreibenben ßeben im Hilter oon 37 3af)ren
einem gieber erlag, aber trofc feine* frühen Xobe* auf bie SBer-
jfingung ber Xidjtuug feiner .frcimatl) einen tiefgreifenben ©influfj
au*geübt t>at , weil er in feinen ben Döllen «Sauber ber ^ßoefie
atfjmenben Biebern nur ©elbftgefuf)lte* au*fpraa}. GJötfje jäfjlt ifjn
Digitized by Google
304
Äaifer ffarl VI
ben crftcn 35ichtergeiftern , welche baS adjtjefjnte 3ahrfmnbert
herüorgebra<f)t.
Söon großem ©influfe auf bie Hebung ber englifdjen Sßocftc mar
bic genauere Söcfanntfd&aft mit ben alten ©aöaben unb SBolfSliebern,
üon benen ber Söifdjof %fyomtö ^ßercü im 3ahre 1765 unter bem
Xitel „The reliquies of anciens english poetry44 eine reichhaltige,
mit großem öeifall aufgenommene (Sammlung Verausgab, burch
meldje jahlreidje Nachahmungen öeranla&t mürben. Ungeheuerem
Sluffehen erregten bie im 3a^re 1762 oon bem ©Rotten 3ameS
äftac&herfon als ©efänge beS bermeintlichen altfa^ottifajen 93ar~
ben Dffian herausgegebenen Sichtungen, beren Unäd)theit auf baS
(Soibentefte nachgemiefen ift.
Unter ben profaifchen ©djriftftellern QtnglanbS aus ber 3eü
©eorgS I. unb ®eorgS II. finb bie namhafteften bie Ö5efc^ic^tfc^rci=
ber £aöib Jpume, ein (Sporte auS einem roenig begüterten 3meig
ber gamilie ber trafen oon^ome (geb. 1 7 1 1 r geft. 1776), ber eine
©efchicfjte (SnglanbS gef abrieben; SSifltam 9iobertfon (geb. 1721,
geft. 1793), ber SSerfaffer öerfchtebener ©efdjichtsmerfe, unter anbera
einer ©efdjichte ÄarlS V., unb (Sbroarb ©ibbon (geb. 1737, geft.
1794), beffen „QJe)'and)te beS SBerfaßS unb Untergangs beS römi*
fchen Meiches" oon äflandjen für baS befte SBerf über biefen ©egen*
ftanb gehalten mirb. 2(üe brei roaren Reiften — Ülobertfon unb
(Gibbon Schüler SBoltaire'S. Qnbeffen mar feit bem^ahre 1740 baS
Slnfehen ber Sreibenfer in Gmglanb gefchmunben , unb bie offenen
Angriffe auf ben Offenbarungsglauben mürben feltener, ba man bie
cngltfche Sretfjeit für gefiajert tytit unb jum Kampfe gegen ben
$etyotiSmuS nicht mehr beS HnftürmenS gegen ben als fein ü8ofl=
merf betrachteten Elitär ju bebürfen glaubte. $te englifchen grei*
benfer jogen fidt) nach unb nach in bie geheimen ÖJefefljchaften, ins*
befonbere in bie Sogen ber greimaurer jurücf, beren erfte im
3a(;re 1717 in Sonbon eröffnet mürbe.
XIX.
£aifex &axt VI.
(1711-1740.)
ftarlä VI. erfter 2ürfen!rieg.
(1716-1718.)
2ludj nach DC* öcenbigung beS fpanifchen <£rbfolgefriegeS mar
ber erfchöpften öfterreichifchen Monarchie feine Seit ber föufje be*
fchieben. $aum mar ber griebe üon SRaftabt gefa)loffen, als neue
Digitized by Google
Äarl« VI. elfter 2ürfenfrieg.
305
SBetterrooIfcn oon Dften herauf fliegen. $)ie Domänen , bie burd)
ben Srieben öon ®arloroifc aus bem größten Xfjeile öon Ungarn
öerbrängt unb auf SemeSroar unb Jöelgrab juruefgeroorfen roorben,
formten bie erlittenen Sterlufte nidjt öerfdnneraen , unb ba bic
SBenetianer per) auf ber in irjren SBefifc übergegangenen £albinfel
Üftorea buret) t>iclfacr)c SBebrücfungen ber ©rieetjen öerfja&t gemacht,
glaubte bie Pforte biefelbe mit leidster 9ttüf)e jurüeferobern $u
fönnen. ©ie erflärte barjer im Qafjre 1715 ber föepublif ben
ßrieg , inbem fie gleichzeitig eine ©efanbtfdjaft an ben ftaifer ab*
orbnete, um benfelben burdj bie SBerficrjerung ber freunbfcfjaftlidjften
©efinnungen gegen Defterreitf) öon einer (Sinmiföung ju (fünften
ber SBenetianer ab^ubalten. SBäfjrenb $arl VI. ben Auäbrua) be3
öon ber Pforte geplanten Krieges burdj baä Anerbieten feiner ©er*
mittlung jur Herbeiführung eine« gütlichen Abfommenä mit ben
SBenetianern ju öerrnnbern fua)te , mar bereits ein jafjlretajea tür-
fifdjea £>eer über bie ßanbenge öon Forint!) nad) SDcorea öorge=
brungen , unb balb mar ber of)nef)in nur fdjroad)e SBiberftanb ber
oenetianifdjen Xruppen auf ber ganjen £>albinfel niebergeroorfen.
3Me Senetianer roanbten fief) hierauf an ben $atfer mit ber Sitte
um feinen ©eiftanb jur Aufredjtrmltung ber Stipulationen beä ®ar*
toroifcer griebenS, unb ba ber öon ber Pforte begangene Vertrags*
brud) nicfjt nur ba3 Qntereffe beS d)riftltd>en ©laubena ferner ge*
fäfprbete, fonbern auefj für ben öfterreidnfdjen Staat neue ©efafjren
t)eraufbefd)roor , inbem jeber öon ber Pforte errungene Sflad^u*
ttmdjä für ben ©rofcfjerrn ein ©porn roerben fonnte , bie SBieber*
eroberung ber im grieben öon ®arloroifc an Defterreia) jurütfge*
fommenen ©ebiete ju öerfudjen , fd)lo& ber ftaifer, auf ben föatf)
be$ ^ringen (Sugen, am 13. April 1716 mit ben «enetianern ein
©djufc unb Xru&bünbmfj unb lieg jugleid) an bie Pforte bie Auf*
forberung ergeben, bie SBeftimmungen beä ftarlotoifcer griebenä ju
refpeftiren unb ber Sftepublif SSenebig ben ir)r jugefügten ©ajaben
$u öergüten, nubrigenfallä er fofort feinen ©cfanbten Don ßonftan*
tinopel abberufen roerbe. ©tatt biefer Aufforberung nadföufommen,
erflärte bie Pforte, beraufd>t bura) bie auf üJcorea errungenen (Sr*
folge unb im Vertrauen auf öefterreidj* (Srfdjöpfung, an ben ßaif er
ben ftrieg, für melden fofort bie umfaffenbften Lüftungen angefteUt
rourben.
Snbeffen roar auefj ^rinj (Sugen, bem als bem ^räfibenten beS §of*
fricgäratrjä ba3 gefammte öftcrrcict)ifcf)c £eerroefen unterftanb , nidrt
mü&ig geblieben, unb alä ber (Uro^oejir ju Anfang Auguft 1 7 1 6 mit
einem §eere öon jroeimal^unberttaufenb 9Jcann oor $ e t e r ro a r b e i n,
bem ©ammelplaje ber öfterreicfjifcfjett Gruppen, erjagen, fanb er ba*
felbft ein $eer üon fünfunbfea)aigtaufenb 9J^ann, baä, oon unbebing*
lern Vertrauen auf feinen bemäfjrten gü^rer erfüüt unb mit allem
fcolatoartf), ©cltgcf^te. VI. 20
Digitize
306
äatfer Jtarl VI.
9^ütf)tQcn auäreichenb öerfeljen, öor Söegierbe brannte , bem treu»
brüchigen geinbe ber (Shriftenheit ein ^roeited $enta $u bereiten. $>ie
Slufforbcrung beä (Skofcoejirä, bie Seftung gegen freien 21b$ug ber
Söefafcung $u übergeben , mürbe feiner Antwort getoürbigt, unb als
hierauf bie dürfen SJftene matten , $ur Belagerung berfelben ju
fchreiten, befch!o& (Sugen, ofme Berjug $um Angriff gegen baä un-
gleich ftärfere fernbliebe £>eer öorjugehen, unb fteüte ju biefem (5nbe
am 5. s2Iuguft feine Xruppen in Sdjlachtorbnung auf.
9tad) einem fünfftünbigen feigen Kampfe, in fteldjem bie faU
ferliche ffieiterei öon Anfang an bebeutenbe Bortheile errungen, mäh*
renb ba& gu&öolf mehrmals öon ben Qanitfdjaren jurüefgemorfen
tuorben, lüften fich bie türfifchen Siethen. Vergebend fudjte ber ©rojj*
öe$ir, ber bie Saline be& Propheten entfaltet ^attef an ber Sptfcc
feiner ßeibgarbe bem ftürmifchen Vorbringen ber Kaiferlicfjen (Sin*
fjalt $u tljun unb ilmen ben faum mehr jmeifelhaften Sieg ju ent*
reißen: öon einer Sauget burd) bie Stirn getroffen, ftürjte er öom
^Pferbe. ©ein Xob machte bie Bertoirrung in bem gefdjlagenen tür*
fijchen £>eere öoHftänbig : in regellofer Slucfyt eilten bie $erfprengten
Schaaren , in ihrem öcrlaffenen £ager ben Siegern eine unermeß*
liehe Beute an©efchüfcen, Sahnen, Sterben, Kameelen unb Koftbar=
feiten aller 2(rt juriicflaffenb, ber Satte ju.
(Sugen orbnete für ben glorreichen Sieg, ber ben Kaiferlicheu
an Xobten unb Bernmnbeten breitaufenb Üttann gefoftet, mahrenb
ber Berluft ber Xürfen fich auf ba$ doppelte belief , einen feier*
liefen $)anfgotteäbienft an, unb ber ftürmifdje 3"bel, mit melchem
bie SiegeSbotfchaft in SSien begrüßt mürbe, fanb in ganj (Suropa
begeifterten Söiberljall. $)em fiegreichen Sßrinjen (Sugen fanbte $apft
(Siemens XL, ber öon Anfang an baä lebt)aftefte Qntereffe für ben
Krieg gezeigt unb bem Kaifer jur leichteren Beftreitung ber Soften
berfelben ben Reimten a^er gciftlichen (Sinfünfte in beffen ©rblän-
bern bemiQigt ^atte , einen gemeinten $ut unb 2)egen , ba3 übliche
Reichen ber Slnerfennung heröorragenber friegerifcher Berbienfte um
bie gefammte (£f)riftenheit unb bie fatholifche Kirche.
Um ben errungenen Sieg mögüchft ausbeuten, fchritt (Sugen
ohne Berjug 5ur Belagerung öon Xemeamar, bie am 1. Septem*
ber eröffnet mürbe. 2)a ber Kommanbant ber geftung, ber tapfere
SKehemeb 2lga, ficher auf balbigen (Srfafc rechnen burfte, totes er bie
Slufforberuug ©ugenä jur Uebergabe be$ Sßlafceä mit ©utfehiebenheit
jurücf; naa)bem jeboch baä am 23. September erfchienene (Sntfafc*
heer burch einen energifchen Angriff öon Seiten ©ugenä jum 9tucf*
$ug über bie XemeS gelungen unb am 1. Df tober bie ftarf befe*
ftigte Borftabt öon Xeme&mar öon ben Kaiserlichen erftürmt mor*
ben, entfehlog fich ÜJcehemb Slga am 12. Dftober $ur Kapitulation,
unter ber Bebingung freien 2lbjug3 für bie öon achtaelmtaujenb
Digitized by Google
ÄarlS VL ctfict «Efirfcnfrieg.
307
<mf gtoölftaufenb Sftann gufammengefajmolgene ©efafeimg, fottrie für
bie türfifdje ©eöölferung ber ©tobt.
$urd) bie (Eroberung Don XemeStoar, ba3 ljunbertbierunbfedfgig
3afjre lang ununterbrochen in ben $>änben ber dürfen geroefen,
gelangte ba8 fiegreidje fatferüdje £>eer in ben SBefifc be3 ganzen
Öanatö. SRadjbem (Sugen ben (General ber Kaöaflerie, trafen
HKercö, gum Oberbefehlshaber biefeS £anbe$ befteQt unb ©treifgüge
nad) ©oSnien, Serbien unb ber 2Ballad)ei angeorbnet, beren ©e-
t>ölferung burdj bie Befreiung be$ SBanatS öon ber Xürfenfjerrföaft
mit neuen Hoffnungen auf bie enbltdje (Srlöfung öon bem Sodje ber
Ungläubigen erfüllt toorben , feljrte er gur £eitung ber nötigen
SJorfefjrungen für ben gelbgug be3 fommenben 3at)re3 nadj SBien
gurüd, tt)o ihm ein glängenber Empfang gu ttmrbe.
Unterbeffen ^atte bie Pforte , burd) bie bebeutenben Erfolge
fcer faiferliajen SBaffen au3 bem ©iegeätaumel geriffen, in melden
fie burdj bie rafdje Eroberung öon 9Horea öerfefet toorben, an ben
Kaifer gricben&üorfdjläge gelangen (offen; ba btefelben jebod) in
feinem SBerhälhuß gu ben Slnfprüdjen ftanben, gu lueldjen bie be*
reitS errungenen Sortierte ben faiferlidjen £of berea^tigten , wur-
den fie gurfitfgenriefen unb bie nadjbrüdftdjfte gortfefcung beä Krieges
befölojfen.
SRachbem fich (£ugen am 14. Sftai 1717 öon feinem faifer-
litt^en Kriegsherrn öerabfdjiebet hatte, um auf ben Kriegäfdjauplafc
aurütfjufefjren, gog er bie einzelnen Xruppentheile bei ^etertoarbein
^ufammen unb brach öon bort am 9. 3uni mit bem gangen #eere,
baä auch bieSmal wieber fünfunbfechgigtaufenb Üftann gäf)lte, gur
Ueberfdjreitung ber $onau auf, an beren rechtem Ufer er am 16. Quni
im Singefichte öon Seigrab (Stellung nahm. 9Son bem SBunjche
getrieben, unter bem größten gelbherrn ihrer Seit im ru^müoüen
Kampfe gegen ben (Erbfeinb ber ßhriftenheit bie erften ßorbeeren gu
erringen, Ratten fich gasreiche beutfdje gürftenföhne, unter ihnen bie
beiben ©ohne be$ fturfürften SRarhniltan Immanuel öon SBaiern mit
fed)3taufenb 2Rann baierifcher Xruppen, fottrie ber *ßring Immanuel
öon Portugal unb groei lothringische ^ringen nebft einer großen
©djaar frangöfifajer (Sbetteute bei bem faiferlia)en #eere eingefunben.
Cbgleid) fia) ber Belagerung öon 93elgrab bei beffen Sage
buf)t am (Sinfluß ber ©aöe in bie $)onau unb ber ttmten 2lu3beh*
nung ber trefflich angelegten Söefefttgungätoerfe , inSbefonbere bei
ber Ungugängltchfeit ber fteil abfaüenben (JitabeHe, bie größten
<Sd)ttrierigfeiten entgegenftettten unb überbieä ein $cer öon groeimal*
fjunbertfunfgefmtaufenb üßann gum (£ntfa&e ber geftung tyiantüdtt,
war Sugen feft entfajtoffen, ben Kampf um ben Öefty berfelben gu
toagen. sJcachbem gur ?Iufrea)t^altung ber SSerbtnbung mit ben
faiferlidjen Sänbern fotüo^t über bie $onau, aU oua) über bie 8aoe
20*
Digitized by
308
tfcujer Äarl VI.
93rücfcn gefdjlagen unb jum Sdju(je be$ faiferlichen SagerS gegen
einen Singriff be3 türfifchen @ntfafchcere$ bebeutenbe SBerfchanjungen
angelegt morben, begonnen bie eigentlichen ©elagerungSarbeiten, bie
fo rafcf) an (5nbe geführt mürben, baß fchon am 22. Quli, fünf
Xage nach einem fiegreidj jurücfgefchlagenen SluäfaH ber breißtg*
taufenb 9J?ann ftarfen türfifchen SBefajjung , $ur SBefdueßung ber
Stabt gefchritten werben fonnte. Schon nach menigen Sagen mar
ber größte Xtjcil ber eigentlichen Stabt in einen Trümmerhaufen
oermanbelt. Auch bie geftungSmerfc hatten fo fct)r gelitten, bog bie
Söelagerer ihrem Siele nahe ju fein fchienen, als am 31. Quli ba&
oon ber 93efafcung fehnlichft ermartete Crntfafcheer anlangte unb im
Singefichte bc£ faiferlichen Sager 3 eine befefrigte Stellung nahm.
Set ber gemaltigen Uebermacht be3 SeinbeS unb ber Gx=
fdjöpfung ber faiferlichen Xruppen, unter bcncn überbieS bie unge=
heueren Slnftrcugungen ber lejten Seit, fomie bie SöelagcrungSfämpfe
unb aufgebrochenen föranfheiten bebeutenbe Sücfen gefchaffen, mar bie
Sage bcä faiferlichen .§eere3 eine äußerft bebenfliche; bennoch öer-
lor (£ugen ben 9Jhith nicht. $a ein SRücfgang über bie SBrücfen
im 31ngefichtc beS JJeinbeS nicht möglich mar unb ein längeres SUs
marten bie Sage be£ faiferlichen $eere$ nur oerfchlimmern fonnte,
befdjloß er, ohne Sögern $um Angriff auf baS türfifche §eer 511
fehreiten, für melden er ben 16. Sluguft feftfcfcte.
Schon um SJZitternacht oerließcn bie faiferlichen Söölfer in
lautlofer Stille ihr Sager, um fich außerhalb ber Verfchanaungen in
Schlachtorbnung aufstellen. 9113 ber iag anbrach, breitete fiety
über bie gan$e ©egenb ein bitter Sftebel auf, ber jmar bem Jeinbe
bie Annäherung ber faiferlichen eine Seitlang öerbarg , juglcich
aber auch ben 83emegungen be3 faiferlichen £>eere£ bie nöthige
Sicherheit raubte. £a§ plöfclidje Grrfchcinen ber öflerrcichifchen
Reiterei be£ rechten glügelS üor einer frifch aufgemorfenen türfifchen
SReboute brachte SBemegung unter bie Xürfcn, unb in menigen Tlu
nuten mar baS gan$e feinbltche Säger in Schlachtbercttfchaft.
$a bei bem rafch auf ber ganjen Sinie entbrannten Kampfe
ber fortbauembe Jeebel jebeS georbnetc Sufantmengehen öerbinberte,
gefchal) eS , baß ein XtyH beS faiferlichen gußöolfeS im Slnfchluß
an bie öemegungen ber beiben glügel ju meit nach rechte ober nach
linfS abfcfjmenfte, unb als gegen acht Uhr enblich ein frifcher 9flor=
genminb ben bid)tcn 9iebelfd)Ieicr jerriß , gemährte (Fugen mit
Sd)rccfcn, baß, mährenb feine beiben glügel fiegreich üorgebrungen
maren unb ben geinb aus feinen Verfchanäungcn jurüefgemorfen
hatten, bie faiferliche Schlachtlinie auSeinanber geriffelt morben unb
baä türfifche giißoolf in ooücm Vorbringen in ben entftaubenen
Stoifchcnraum begriffen mar, fo baß für bie faiferlichen bie (Gefahr
üorlag, im föücfcn unb in ber Slanfe überfallen $u merben. Üiafch
Digitized by Google
Aar» VI. crfter Xürfenfrieg.
309
<ntfd)loffen , ftellte er fleh felbft an bie ©pifce beS jroeitew treffen«
unb fiürmte mit füt)ner Xobeäöeradjtung ben oorbringenben Qanit*
fdjaren entgegen. SSa^renb feine ©Goaren mit begeiftertem Unge*
früm mit ben 3anitfcharen rangen, bie fla? ben errungenen Bortheil
nicht entreißen laffen wollten , entfehieb Gsugen burch einen an ber
©öifce einiger Äüraffierfdjroabronen aufgeführten glanfenangriff ben
tlutigen Äampf ju (fünften ber #aiferlicf)en. $)ie ton jroei ©etten
angegriffenen 3anitfa)aren miauen jurücf, unb nachbem bie laifer*
lidje ©djlachtlinie Ijergefteflt roorben, fat)en fidfj bie dürfen al&balb
au£ ihrer ganzen ©tellung öerbrängt. üßur eine einzige türfifche
Batterie bon achtzehn ferneren @efdjü$en teiftete im Zentrum be3
t$einbe8 , ton ben ©pahte gebetft , noch Oer jweifelten SSiberftanb ;
l>ocr) auch fle mürbe burch eine ©turmfolonne oon jefjn ©renabier*
fompagnien unb oier Bataillonen Infanterie , bie , einer ÜKauer
gleich , bis ju ber feinblichen Batterie oorbrangen , ofme ba8 ber*
|eerenbe Seuer betfelben mit einem einzigen ©dmffe ju erroibem,
unb fidj bann mit gefaßtem Bajonett auf bie Scinbe fttirjten, nad)
einem fjeißen fingen erobert. 3n nnlber £>aft oerließ ba3 ge*
fdhlagene türfifche $>eer fein Säger unb fuchte, bon ben faiferlia^en
£ufaren berfolgt , fein ©eil in einer regeflofen Sludjt , mehr aU
ämanjigtaufenb lobte unb Berrounbete auf ber Mutgetränften SBahl*
ftatte jurücflaffenb. $en flegreichen Äaiferlidjen, bie nur fünfeefmhun*
i>ert Xobte unb breitaufenbfünfhunbert Berrounbete jählten, fiel aud)
"bie^ mal in bem oerlaffenen türfifdjen fiager eine unermeßliche Beute
in bie £>anbe.
groei Xage nad) ber ©djlacht fapitulirte Beigrab, unter ber
Bebingung beä freien STbjugS ber Bejahung unb ber türfifcfjen Be*
Dölferung ber ©tabt, unb am 22. 5luguft nahm (Sugen bon ber
tJeftung Befu). 9Jtft berfelben fielen ü)m fe^^unbert ©cfdnifce unb
ungeheuere SRunitionSborräthe ju; auch Öanäc $onauflotifle
würbe eine Beute ber ©ieger.
3n SBien rief bie Sßadjricht oon bem glorreichen ©iege bei
Beigrab , ber legten großartigen 2Baffentt)at be3 ^rin^en (lugen,
einen unbefchreiblichen Jfubel h^röor. $aum bermochte ber lieber*
bringer berfelben, ber (SJeneralfelbtuachtmeifter Hamilton , fein $ferb
burch bie jaudjjenbe Spenge nach oct faiferlidjen Burg ju bringen,
unb bis in bie fpate Stacht erfdjoll in ben ©tragen ba& Bibatrufen
t)er begeifterten Söiener. 3för fanb auch bieSmal in allen
Säubern (Suropa'S ben freubigften SBiberhatt , unb bon bielen ge*
frönten ©öuptern erhielt @ugen bie ehrenöollften Beglüchoünfchung^
fchreiben. 2)lit unauSlöfcfjlichen Bügen aber tyatte ber ruhmgefrönte
^ürfenbejtoinger burch ben glorreichen ©ieg bei Beigrab feinen
Flamen in ba$ ©erj beS beutfehen Botted eingefchrieben , unb ba^
Sieb bon $rtnj ©ugeniu«, bem „eblen bitter/ bad (Sugenä
Digitized by
310
tfatfer ßarl VI
tapfere Krieger in bem naffen gelblager bor 93elgrab mährcnb ber
griebenäunterhanbtungen gebidjtet Rotten, würbe ein Eotfälieb in beä
SBorte« mettefter SBebeutung.
Mach bem Salle oon 93elgrab machte ber (Sultan bem ßaifer
neue 5rieben«üorfchtäge , unb ba £arl VI. fchon toegen ber burd>
SUbenmi'ä enttoürfe herbeigeführten politifchen Sertoicflungen toün*
fd^ert mugte, batbmögtichft freie §anb ju gewinnen, ging er bereit*
tüiöig auf biefelben ein. ©o fam am 21. Quli 1718 in bem
ferbifchen ©täbtdjen $a ff ar o m i ba« auf ben öorfälag (Sugen&
3um ßongre&orte beftimmt morben, ein für Defterretct) äufjerft oor=
tf)cilr)aftcr Sriebe ju ©tanbe. $>er ®aifer erhielt burd) benfelben
Sklgrab mit bem nörblichen Xbcile oon ©erbien, fotoie £eme«toar
mit bem 93anate, bie SBaCfad^ei bi« an bie Sltuta unb einen Xfjeil
oon Kroatien, ©laoonien unb ©o«nien unb au&erbem ba« ©dm&*
recht für feine auf türfifdjem 53oben lebenben Untertanen , fotoie
bie Ermächtigung, jur ©idjerung be« öfterrcic^ifct)cn #anbel« mit
ber Seöante ®onfu!n unb Agenten an^tifteHen.
Sie *ragtnatifd)e Sanctton.
©chon im^a^re 1713 hatte ber bamal« noch finberfofe #aifer
#arl VI., um bie öfterreidufdje 3)bnara)ie für ben 3au\ ba& er
ohne männliche 9tacf)fommen fterbe , gegen ähnliche Gefahren ju
fchüfcen, toie fie ber Xob ®arl« II. für ©panien tyeraufbefdjmoren,
ein neue« @rbf otgegefefc , bie fogenannte pragmatifche ©anc*
tion1), errietet, nad) meinem bie gefammten öfterreidufchen ©taaten
in Ermangelung eines männlichen (Srben ungeteilt an feine %öfy
ter unb beren 3>e«cenbenten nach bem 9lecr)tc ber ©rftgeburt über*
gehen, für ben gaH feine« fmberlofen Slblebenä jcboct) ben Xödjtem
Sofeph« I. unb beren ftacfjfommen, gleichfalls nach bem fechte ber
(Srftgeburt, ^fallen foaten. $a fein einziger, am 13. Slpril 1716
geborener ©of)n Seopolb fdjon am 4. SJcooember be« gleiten 3ahre&
geftorben mar, lag ihm Vichts mehr am $erjen , aU ber älteften
feiner brei Xödjter, flftaria % heref ia, ben ungefchmälerten unb
unbeftrittenen SBefifc be« öfterreicfnfchen Staate« ju fidlem. 3" biefem
(Snbe liefe er nicht nur bie beiben Xöchter 3ofeph« I. , oon benen
bie ältere bie ©emahlin Sluguft« III. oon ©achfen, unb bie jüngere
bie be3 ®urfürften ®arl Ulbert oon üöaiern mürbe, bei ihrer SBer*
1) $er Sftatne „praamatifrfje (Sanctton" tft eine fef)r alte, fdjon Oon
ßaifer ^uftinian gebrauste ©e^eidjnung für ©efe&e oon umoiberrnflitf)er 9*as
tUT, burd) welche rotdjtige 93erf)ältniffc bauernb georbnet toerben füllen. 6o
nannte auch äatl VII. oon granfreiä) ba« ©efe^, tooburd) er im %af)vt 1438
bie gaflifanifche Kirche orönete, pragmatifche ©anetion.
Digitized by Google
$ie pragmati^e Sanction.
311
mäljfang eiblidj auf ifyr Grrbredjt SScrjtc^t leiften, fonbcrn ^olte audj,
um jebweben Slnfpntdj, bcr öon trgenb einer anberen ©eite auf bie
gefammte öfterreidjifdje Sftonardjie ober einzelne Sfjeile berfelben
nadj feinem Xobe erhoben werben fönnte, 511m ©orauä unwirfjam
$u madjen, für bie pragmatifdje ©anctton bie au$brücflid)e Slner*
feitnung ber ©tänbe feiner fämmtlidjen Grrblänber ein, worauf baä
neue §au3gefefe am 6. $)ecember 1724 feierlid) prottamirt würbe.
Um bie pragmattfdje ©anetion gegen jebe SInfedjtung fieser 511
fteüen, fud)te ber ®aifer für biefetbe bie SInerfennung unb (Bewähr*
leiftung fowofyl beä beutfdjcn fReic^d aU aud) ber auswärtigen
SKädjte ju erlangen. ©ergebend bemerfte ifjm ber ^rinj ©ugen,
ber bie «rglift unb SBUIfür ber bamaligen ©taatäfunft beffer bura>
fäaute, als ber ftaifer, ba& ein fampf bereite« #eer öon jwcimal*
fmnberttaufenb 2ftann unb ein wofjtgefütlter Staat»fct)a^ eine fidjerere
Söürgfäaft für bie Slufredjtljaltung feinet .§au3gefe6e3 fein würben,
alt aCe nur benfbaren ©ertrage : ®arl VL, ber fclbft öon bem
ftrengften 9*ect)tdgefü^I erfüllt war unb babei einen gro&en SScrtt)
auf görmlidjfeiten legte, fonnte ftd) nidjt öon bcr Ueberjeugung lo&
reiben , bafe unter bem ©djufce ber urfunblidjen Slnerfennung unb
GJewäfprleiftung feines £>au3gefefce3 öon Seiten ber übrigen 2Käd)te
ba$ erbrecht feiner Sodjter {einerlei Slnfecfjtung leiben werbe, unb
glaubte bafjer fein Opfer freuen ju bürfen, um biefe ju erlangen.
$ie erfte Stfadjt, bie fid) jur Slnerfennung ber pragmatischen
©anetion bereit finben lieg, war ©panien. SBie wir oben (©. 294)
gefef>cn, war ber ©treit jwifdjen ber £tuabrupel*2lHian$ unb bem §ofe
öon SDcabrib im 3at)re 1720 burd) ben im $aag abgefd)loffenen grie*
ben beigelegt worben. £abei War jur öollftänbigen 2lu3gleidning
einselner bejüglidj ber burd) bie ©eftimmungen ber Quabrupel* Kilians
geföaffenen ©erfjältniffe jWifäen Defterrei^ unb ©panien nod) ob*
fdjwebenber ^ifferenaen ein Kongreß üereinbart worben, ber im
3ar)re 1722 $u ßambrat) eröffnet würbe. $te öermittelnben SMdjte,
©nglanb unb <po£(anb , führten jebodj auf bemfelben eine fo an*
magenbe ©pradje, bog ber ®aifer unb ber $önig öon ©panien fid)
baburd) in gleicher SBeife üerlefct fügten. £ifr luerbur$ gwifdjen
beiben 9Jcad)ten bewirfte Slnnätjerung würbe geförbert bura? ba£
3erwürfni(5 , baä in golge ber Surüdjenbung ber jur ®emal)lin
Subwigä XV. beftimmt gewefenen fpanifdjcn Qnfantin nad) Sflabrib
jwifdjen ©panien unb granfreid) entftanben war. $er öon ber
Königin (Stifabetf) nad) SSien gefanbte ®raf 9ttpperba (f. ©. 294),
ber Sftadtfolger 2llberoni'3 in ber Seitung ber fpanifdjen v2lugelegen=
Reiten, braute, nadjbem ber Kongreß öon ßambraö refultatloä Oer*
taufen, ot)ne jebwebe frembe (SHnmifc^ung eine öoßftänbige KuSfö^
nung jmifdjen Cefterreic^ unb ©panien ju ©tanbe , inbem er am
30. SfprU 1725 mit bem ftaifer einen ©ertrag fdtfofi, in welkem
Digitized by
312
£aifer Äarl VI.
bie SBeftimmungen ber BuabrupekHUianj bcftätigt unb alle nodj
obfehwebenben Differenzen ausgeglichen würben.
Sugleidj gelang e3 9itpperba, ben ftaifer nicht nur für ba& t>on
ber Königin (jltfabeth entworfene *ßrojeft einer SÖermählung ihrer
beiben ©ohne mit ben beiben älteften Xöchtern $arlS ju gewinnen,
fonbern ihn auch trofc ber ©egcnöorfteHungen (£ugen£ ju einem
Vertrage $u beftimmen, in welchem ®arl VI. (Spanien wieber jum
Söefifce oon Gibraltar ju oerhelfen oerfpradj unb beibe SDMdjte für
ben Sali eines Krieges mit Sranrreich unb (Snglanb einanber nach*
brüeflichen bewaffneten SBeiftanb jufagten. Obgleich ber befinitioe
2lbfchlu§ ber projeftirten SSerlobungen einer fpäteren Seit öorbefmt*
ten blieb, übernahm Spanien bie ©ewährleiftung ber pragmatifdjen
©anetion unb bewilligte überbicä bem ®aifer für bie öon bemfelben
$u Oftenbe errichtete oftinbifdje $anbel3gefetlfchaft in einem am
1. Sftai 1725 gefchloffenen £anbeteberrrag bie gleichen SBorrechte
unb Sreibeiten bezüglich beS SSerfehrS mit ©panien unb 3nbien,
Welche früher bie oereinigten 9lieberlanbe genoffen Ratten.
Ungeachtet ber ®aifer bezüglich beä awifdjen ihm unb ©panien
abgesoffenen SBünbniffeS bie ftrengfte Geheimhaltung auSbebungen,
fam baSfelbe burdj bie Unoorficf)ttgfeit beS (trafen 9tipperba jur
ß'enntnig C£nglanb$ unb Srantreidjä, unb ba fidj ju ber gleichen
Seit baS Gerücht Verbreitete, ba& auch bie Äaiferin Katharina oon
SRu&lanb bemfelben beigetreten, fdjloffen beibe dächte ihrerfeitS ein
Söünbniß unb bewogen auch ben ®önig griebrich SBilfjelm I. Oon
Greußen jum beitritt, inbem jte ihm oerfprachen, ihn bei bem Xobe
beä finberlofen ®urfürften oon $fal^9teuburg in ber Geltenbmachung
feiner Sfnfprüche auf Jülich unb Söerg ju unterftüfcen. Sludj #ol!anb,
$)änemarf, ©chmeben unb ©arbinien fcfjloffen fid) ihnen an. 93ei
ber erften feinblichen Bewegung Oefterreichä foHte ein gleichseitiger
Eingriff auf Neapel, 9JcaiIanb unb ©chlefien erfolgen.
Qnbeffen gelang eä bem (Einfluß be3 $rinjen (Jugen, bie
$olitif be3 ®aifer3 ohne übereilte Söjung beS mit ©panien ge*
fchloffeuen SBünbniffeS oon ben Jöanben ber fpanifchen s2lbhangtgteit
äu befreien unb wieber eine entf Rieben beutfdje Dichtung ju
geben. $ie nächftc golge baüon war ber 9lücftritt beä Königs oon
Greußen oon bem *8ünbni& mit (Snglanb unb granfreich- 2lm
12. Oftober 1726 fdjlofe berfelbe mit bem ju biefem Speere nach
SBerlin entfanbten Grafen ©eefenborf, ber fchon bei einer früheren
•äfliffton be3 Königs öoflfteä SBertrauen ju gewinnen gewußt, ben
Vertrag oon SBufterhaufen, in Welchem ber $önig fich gegen bie
Suficherung ber Unterftüfcung beS $aifer3 jur Geltenbmadmng
feiner bergifchen (Jrbanfprüche bereit erflärte, bie pragmatifche ©anc==
rion ju gewährleiften. Qxoü 3ahre fpäter, am 23. 2)c$ember
1728, würbe biefer Vertrag burdj ben „berliner Xraftat" in ein
Digitized by Google
3)ic pragmatifäe ©anctum.
313
förmliche* 6dmfc unb $rufcbünbni& öermanbelt, in metdjem bcr
Kaifer unb bcr König einanber bcn 93cfife if>rer Sauber oerbürgten
unb ber ßefctere nid)t nur bic pragmatifdje ©onction in oller gorm
gemäf)rteiftete, fonbern aua? bem fünftigen (Sfcmaljle 3ttaria Xfjerefta'*
feine (Stimme bei ber ftaifermafjl jufagte, jeboet) unter ber au**
brücflidjen ©ebingung, „baf? berfelbe meber ein (Spanier, nodj ein
tJranjofe, fonbern ein $)eutfdjer fei." 2lud) mit sJtu&lanb mar fd)on
im 3aljre 1726 ein $Bunbe*öertrag ju ©tanbe gefommen, in mel*
djem bie Kaiferin Katharina gleidjfafl* bie pragmatifdie ©anetion
anerfannt f)atte.
2)ie ©efaljr eine« allgemeinen Kriege«, ben bie ausfertigen
Lüftungen in fufjere 2lu*fidjt ju fteffen fdjienen, rourbe abgemanbt
burd) ba* bermittelnbe SJajnufdjentreten be* päpftlidjen tfhintiu*
©rimalbi in SBien, bem e* gelang, amifdjen ben ftreitenben Wläfy
ten einen 93ergleid> ju (Stanbe ju bringen, beffen #auptpunft in
ber toon bem Kaifer bettrißigten <Su*penfion ber oftinbifdjen |>an*
bet*gefeflfdmft beftanb. $ie übrigen Streitfragen foüten auf einem
Kongreß unterfudjt unb entfd)ieben merben, ber in ber $(jat in
<Soiffon* abgehalten mürbe, bie gehegten ©rroartungen jebod) nidjt
erfüllte.
Snjroifdjen mar ba* Sßrojeft ber SBermäfjlung Üttaria Xfjerefia'*
mit einem fpanifdjen $rinjen befinititi aufgegeben morben, inbem
bie Kaiferin iljre Xodjter mit bem §erjog granj (Stephan öon
Sotfjringen ju Dermalen münfdjte unb bieje SBerbinbung öon bem
^ßrinjen (Sugen auf ba* SBärmfte befürmortet mürbe. $>ie Ijier*
burdj tief gefränfte Königin (Slifabctr) fdjlojj fjinter bem 9tüden
be* Kaifer* am 9. Sßoöember ju (Seöiöa mit Crngfanb unb granf*
retdj einen Slßianjöertrag, in meinem bie (Sntfenbung üon fedj**
taufenb ÜERann fpanifdjer Xruppen nadj Italien $ur (Sidjerfteßung
ber bem fpanifrfjen Infanten Karlo* jugefagten Erbfolge in £o*fana,
tßarma unb Sßiacenja öereinbart mürbe.
$ie greunbfdjaft jroifcöen Spanien unb ben beiben SBeftmädj*
ten mar jebod) üon nod) fürjerer $auer, al* ba* s«8ünbni& ber
Königin (Slifabett) mit Karl VI. Sil* ber ^rinj ßugen Flamen*
be* Kaifer* ben iöerbünbeten bie öon entfpredjenben Lüftungen
begleitete ©rflärung juge^en ließ, bafj Defterreid) ba* (Srfdjeinen
eine* einzigen fpanifdjen Solbaten in Stallen al* einen Kriegsfall
anfefjen merbe, üerfagten ©nglanb unb grantreid) ber Königin dlifa*
betf) iljre SDfttmirfung ju ber projeftirten Ueberfüfjrung fpanifd)er
Gruppen nadj 3talien, morauf (Spanien audj feinerfeit* fidj meigerte,
bie ifmen in bem Xraftat üon (Sem'Ha bemiHigten §anbel*öort^eile
einzuräumen. $ie näc^fte golge ber 2luf^ebung btefe* Xraftat* mar
bie 2lnnä^erung (Snglanbä an ben Kaifer, bie am 16. Sttärj 1731
jum Slbfc^lufe eine* Vertrag* führte, in meinem (Snglanb unb ^oüanb
Digitized by G
314
Äaifcr ftori VI.
bie pragmatrfdje Sanction geroäfjrleifteten unb fori VI. feinerfeits
üerfpradj, bcn Untertanen beiber ©eemäd)te freien §anbel nad)
©icilien $u geftatten unb bie £anbel3gefellfa)aft ju Dftenbe bauernb
aufeufyeben.
$ie s2lnerfennung unb ÖJemäfjrleiftung ber pragmatifdjen @anc*
tion öon Seiten be$ beutfdjen Steide« erfolgte, trofc ber Sßroteftation
ber furfürften öon ©adtfen, öaicrn unb ber *ßfal$, im 3af>re 1732.
Ser poliiif cfjc IHjronfolgcfricg.
(1733—1735.)
SRadjbem Sluguft II. burd) ben Ausgang be« ruffifdjen 3elb=
jug« farls XII. bie polnifaje frone wieber erlangt tyatte, war
fein (Streben öor Sltlem barauf gerietet, burdj bie SBemtdjtung ber
unbef$ränften «perrfdjaft be$ 9lbel3, ber, obgleid) er nur ben
äioanaigften Sfjeil ber SBeüölferung bilbcte, bod) fo fefjr aüe ftaat*
liefen Siebte an fid) geriffen, bafj er allein bie Nation barfteßte,
eine rpirflict)c f önigSgemalt fjersufteHen. $iefeä 3icl I)atte ifjm
fdjon bei ber oerfua^ten Eroberung Siölanbä öor Hugen gefdnoebt;
ba er e3 jebodj auf biefem 2öege nia^t batte erreichen tonnen, Oer*
folgte er jefct eine entgegengefefcte ^olitif: er fnüpfte Unter^anb=
hingen mit föu&lanb unb Greußen an, um beibe 3J?äd)te burd) bie
Abtretung beträdjtlidjer polnifdjer ©ebiet&ftretfen $u bewegen, ifmt
$ur Serwanblung beä Ucberrefteä in ein ouoeräneä ©rbfönigtfjum
befulflid) ju fein. Slber inbem er jum ämetfe ber $urd)füf)rung
feiner *ßläne bie fäd)fifd)e 5lrmee in <ßolen aurütfbefjielt, ofjne in
ber Sage ju fein, berfelben ben nötigen Unterhalt ju oerfdmffen,
braute er befonberS ben nieberen 9lbel, ber burdj bie üon ben
fäd)fifd)en Gruppen oerübten ©rpreffungen ferner gefd)äbigt mürbe,
fo fef>r gegen fid) auf, ba& berfelbe ju ben SBaffen griff, SBalb ent*
ftanben jafjlreidje „(Sonföberationen" — au&erorbentlidje Serbin*
bungen, ju meinem ber Slbel feine ßuflua^t naf)m, um burd) ©e=
malt $u erreichen, maä auf gefefclia)em SBcge nidjt §u bemirfen mar,
— unb ba aud) bie ÖJrofeen, auf meldje Sluguft gejagt, fidj ber
allgemeinen ©emegung anfdjloffen, blieb bem fönig nidjts Slnbereä
übrig, als bie Vermittlung beS Goaren in s2lnfprudj ju nebmen.
liefern gelang es, am 3. ftooember 171G einen Vergleid) ju ©tanbe
}il bringen, nad) meinem Sluguft feine Saasen entlaffen, gleid^cirig
aber aud) bie ftationalarmce meit unter bie Hälfte if)re3 führen
«eftanbeä f)erabgefefct werben füllte, wa3 ber f önig nadj bem juri*
fcJ>en ujm unb ber Nation befteljenben miberfinnigen $Berf)ältni& als
einen oon iljm errungenen Vorteil anfar).
Digitized by Google
315
£a Sluguft aur bcr ileberjeugung gelangt war, baß ber 25eg
bcr ©ewalt ifjn nia)t ju bcr erftrebten SBieberfjerfteflung bcr fönig-
ticken 9Had)t führen werbe, filmte er ju$ ben polnifdjen s2lbcl burd)
beffen ©ewölmung an eine er^ö^te <ßrunf* unb ©enußfudjt p eigen
3U madjen, ju welchem Enbe er an feinem £ofe ju SBarfdmu
bie äußerfte $radjt unb Ueppigfeit entfaltete. &ber aud) biefe*
SKittet führte üjn nu&t junt Siele, unb at* er am 1. gebruar
1733 mäfjrenb eine« SReid&atageS ju SBarfdjau ftarb, war eS il)tn,
trofc ber eifrigften 93emüf)ungen, nodj nidjt einmal gelungen, feinem
©ofme bic Wadjfolge auf bem pofoifdjen Xfjrone ju fiebern.
$ie ©liefe ber ^olen wanbten fid) bei ber neuen MmgftDaty
fjauptfädjtid) auf ©taniätauS SeäcinSfi, unb ber franjöfifdje £of
betrachtete e« all eine Efjrenfadje, feinen ganzen Hinflug ein^u*
fefcen, um bem ©djwiegeröater ßubwigä XV. wieber ju ber ber*
torenen polnifd>en Ärone ju üerfjelfen. 3n biefem ©treben unter-
ftüfcte ifm befonberä bcr $rima3 Sßotodi, ein eifriger Slnljänger
fieScinSfi'a, unb nadjbem berfeibe auf bem gteidj nad) bem Sobe
2(uguft3 II. auägefdjriebenen „GonbocationSreidj&tage'' — fo wur*
ben in $o(en bie föeid)3tage genannt, auf Welmen geir unb Ort
ber ßönigäwafjl feftgefefct Würbe — ben ©efdjluß burdjgefefct, baß
jeber auswärtige gürft öon ber 2Saf)l auägefdjloffen fein unb nur
ein $iaft, b. f). ein Eingeborener, gewählt werben fotle, fduen bie
9lücffer)r SeäcinäfVä auf ben pofaifcf)en Sfpron um fo meljr gefiebert,
aU ber franjöfifa^e ©efanbte Sttonti burd) (Selb unb 93erfpred)ungen
faft bie ganje Nation für benfelben gewonnen fjatte.
$en SBemü^ungcn granfreidja waren jeboer) Reifer $arl VI.
unb bie ®aiferin 9(una Don föußlanb entgegengetreten, wetdje ben
neuen fturfürften öon ©adrfen, Shiguft III., Wuguftä II. ©ofm, auf
ben pülnifcrjcn Xf)ron ju bringen fugten, weniger nod) um 9ßoIen
bem Einfluß granfreid)& ju entstellen, al3 au£ perfönlid)en (Mxnn*
ben. Sfuguft III. t)artc nämlid) bem ßaifer als tyxtii feines Sei-
ftanbeä jur Erlangung bcr polnifdjen $rone bie 5Inerfennung ber
pragmatifdjen ©anetion unb bamit jugletdj bie SSerjidjtlciftung
auf bie Slnfprüdje jugefagt, welche er als ®emafyl bcr älteften Xodj-
ter Qofcpf)^ I. auf bie öftcrreid)ifd)e Sftonardjie etwa geltenb maajen
tonne, unb bie ßaiferin $Inna war oon bem $urfürften burd) ba£
SBerfpredjen gewonnen worben, faö^ er ®önig öon ^ßolen werbe,
iJ)rem ©ünftüng Söiron bie Söelefjnung mit bem erlcbigten $erjog=
tf)um Änrlanb gu erteilen. 33eibe 9)cad)te erttärten, baß fie, ba
©taniälauä burd) einen früheren SBefdjIuß ber Nation für immer
»on bem polnifdjeu $f>rone auägefdjloffcn worben, beffen SBiebercr-
t)ebung auf benfelben aU eine $8erle$ung ber polnifdjen JBcrfaffung
betrauten müßten, bereu 2(ufred)tf)alhmg ju überwachen fic^ burd)
ältere Verträge üerpfliajtet feien.
Digitized by
316 ffmfer Statt VI.
Unterbeffen mar ©taniälau« Se«cin«fi fetbft fjeimftdj , al«
Kaufmann öerfleibet, burtf) $eutfdjlanb nad) $o!en gereift unb er-
festen am 12. ©eptember 1733 auf bem 2Baf)ltage ju SBarfdjau,
mo er mit 3ubel empfangen unb äugleidj mit großer Majorität $um
König gemäht mürbe, dagegen rief eine fa)toad)e Gegenpartei, an
beren ©pifce bie 93ifdt)öfc öon Krafau unb $ofen ftauben, am 5. QU
tober 1733, unter bem ©djufce eine« über bie Grenze gefommenen
ruffifdjen |>eere«, auf einem bei bem $orfe Komief gehaltenen 2Baf)l*
tag ben Kurfürften öon ©adjfen al« Sluguft III. jum König au«.
$a 2e«cin«fi fidj in Ermangelung eine« fampf6ereiten |>eere«
gegen bie rufftfct)e Krieg«mad)t in SBarfdjau nidjt behaupten ju
fönnen glaubte, flo!) er nad) $>anjig , mo er bie Slnfunft ber fran*
äöfiföen £ilf«öölfer ju erwarten gebaute. $er Sttagiftrat erflärte
fid& im ©ereine mit ber gefammten Bürgerfdjaft fofort für iljn ; bie
©tabt mürbe jebodj burdj ein rufflfdje« £>eer unter 2ttünnidj , ba«
alsbalb ju ifjrer Belagerung erfduen, naa? einem ameimaligen oer*
geblichen Berfud&e ber öon $ünfird&en nad) ber Oftfee entfanbten
franaöfifa^cn glotte, ben Belagerten Verhärtungen unb Lebensmittel
jujufüfjren, am 9. guli 1734 jur Ergebung gezwungen, ©tani«»
lau«, ber felbft, öon ber Wufclofigfeit eine« längeren SBiberftanbe«
überzeugt, bie ©tabtbefjörben $u Kapitulation«unterI)anbIungen öer*
anlagt fjatte, entflog al« grud)tf)änbler öerfleibet, au« $anjig unb
erreidjte, nadjbem er mehrere ÜMe in Gefahr gefdjtoebt, bem Seinbe
in bie $>änbe ju fallen , bie preu&ifdje ©tobt 9flarienmerber , öon
too er ftdj nad) Königsberg unter ben ©dm& Sriebrid) SBilljelm« I.
von Greußen begab, ber anfang« auf ber ©eite Deftcrreidj« unb
fltußlanb« geftanben r)atte , aber burd) bie Steigerung 5Iuguft«, if>m
bie öerlangten gugeftänbniffe ju madjen, unb öerfdjiebene UM*
fid)t«lofigfetten öon ©eiten föuglanb« ber ©adje ber Berbünbeten
entfrembet worben mar. £)ie ©tabt £an$ig mürbe, nadjbem fie
Stuguft III. gefjulbtgt , im Befifce it)rer grcir)citcn unb Berfaffung
belaffen, mußte aber an föu&lanb eine ©elbbu&e öon jmei 2JUHio*
nen Malern entrid)ten. $ie polniftfjen ©roßen , bie ifjren König
nad) $an$tg begleitet Ratten, erfannten bie SBa^l Sluguft« III. al«
eine rea)tmäßige an; auch ber $rtma«, ber mit bem fran$öfifdjen
<5Jcfanbten gefangen in ba« ruffifdje Sager geführt morben , unter-
warf fidj bemfelben.
Unterbeffen $atte Sranfreid) öon ber Söafjl Sluguft« III. jum
König öon <ßolen Beranfaffung genommen, an ben Kaifer ben Krieg
31t erflären, obglcia) berfelbe fein |>eer nad) ^olen entjanbt, fonbem
nur Xruppen in ©djlefien aufammengejogen fjattc, unb bem Bei*
fpiele be« franjöfifdjen |>ofe« maren and) bie Königin öon ©panien
unb ber König Karl Emmanuel öon ©arbinien gefolgt, jene meil
fie ben Slugenblicf für günftig cradjtete, in 3taft*n weitere ©e*
Digitized by Google
3>er pomifche Sljronfolgefrieg.
317
bietäerroerbungen $u machen, unb biefer f meil audj er au3 ben
neuen Skrmicflungen SBortheile für fein £au3 jtehen ju fönnen
hoffte. 9cach bem jWifd^en ben brei dächten gefd)loffenen 93unbe3*
vertrage follte ber ®aifer oller feiner italienifchen SBefifoungen be*
raubt werben, ber fpanifdje Infant $on ®arIoä auf $o$fana,
<ßarma unb ^iacenja ju fünften feines jüngeren ©rubere WftW
Oermten unb bafür Neapel unb ©teilten, ber #önig oon ©arbi*
nien aber bad SMlänbifche erhalten unb bafür ©arbinien an granf*
reia) abtreten.
Unmittelbar nach erfolgter #rieg3erflärung lieg granfretd) brei
$eere in3 Selb rücfen. $a3 eine unter bem 9Jcarfchaü 93ern?icf über^
Jchritt ben 9lr)ein bei ©trafjburg unb jtoang am 28. Oftober 1733
bie SReiä)3feftung $ e h 1 naa) mehrtägiger Belagerung jur Ergebung ;
baä jmeite befefcte Lothringen , unb ba3 britte unter ißiöarg ging
naa) Statten , mo e3 fid) mit bem oon ®art (Immanuel felbft ge*
führten farbinifd^en |>eere üereinigte. SBährenb bie beiben lederen
Speere mit leidster 2Jiüt)e ba£ nur mit einer fd)toad)en SBefafcung
öerfeljene SDcailanb eroberten unb hierauf bie gange fiombarbei be=
festen, 30g ein fpanifcc)e3 $eer, baä in $oöfana gelanbet, unter
bem gnfanten Barlos, ben ber kaifer im Qahre 1731 bei bem
$obe be& legten #erjog3 oon $arma auä bem £aufe garnefe mit
biefem ^erjogtlmm belehnt t)attc , gegen baS oon faiferlichen $rup=
pen faft gänjlich entblößte Neapel, unb in furjer Seit mar aud)
biefeä Königreich ®arl VI. entriffen.
Am $ofe 5U SSien herrfajte bie größte Seftürjung , unb $u
fpät erfannte ber $atfer, mie richtig ber <jkin$ <£ugen bie Sage ber
$>inge beurteilt ^atte, als er oon jeber (Stnmifdmng in bie polni=
fdjen Angelegenheiten abzuhalten gefud)t. Vergebens bemühte er
fich, bie Seemächte , bie beibe feine ©etheiligung an ben polnifdhen
SSahlhänbeln mißbilligt fetten, ju fid) ^txnbcx^k^tn : foroohl £>oI=
lanb als (Snglanb oerfagten ihm ihren SBeiftanb. Selbft baä beutjehe
Meid) zögerte, trofc bcö oon granfreid) burch bie Eroberung oon
$et)l begangenen offenen gricbenäbrucheS , fid) ihm anschließen,
unb nur mit üftühc gelang e3 ihm, bie beutfdjen 6tänbe ju einer
fdjmachen Unterftüfcung ju bemegen.
Obgleich bie körperhaft be3 ^rinjen @ugen burch Saft ber
3at)re unb mehr noch burch bie 9Jcühen unb Anftrengungen feinet
thatenreichen* ßebenä gebrochen mar, übernahm er noch einmal ben
Oberbefehl am 9*hein ; boch mar e3 ihm bei ber ©cringfügigfeit ber
Streitfrage, bie er gegen ben übermächtigen geinb inä gelb 511 füh*
ren hatte — ficbenuubbretßigtaufenb SJcann, t^eüd ftaiferliche, theilä
9teia)3truppen, gegen einmalhunbcrttau(enb granjofen — nicht mög*
lieh, ben gortfehritten beäfelben einhält 511 fytlt. 2)ie feften Sßläfec
Girier unb Trarbach mürben gleich ju Anfang beä gelbjug^ oon
Digitized by^jC^oogle
318
ffaifer Äarl VI.
1734 burd) bie Sranjofen erobert, unb am 18. Quli mußte fid)
if)nen aud) bie SReidjSfeftung SßlulippSburg ergeben, obmofjl ber Sftar*
fdjall SBermuf bei ber Belagerung berfelben ben £ob gefunben fjatte.
3m folgenben 3ab,re fehlen baS #erannab,en eines ruffifdjen
4c>ilf^6ccrc5 unter bem Öteueral ÖaScu ben ^aifertidjen etmaS gün=
ftigere 9luSfid)ten ju eröffnen ; altem bie 3lnfunft biefeS feljnlidj er=
marteten #orpS mürbe burdj bie Sdjmicrigfeiten oerjögert, bie ber
#urfürft oon SBaiern bem Xurdjmarfdj beSjelben burd) bie Dberpfalj
in ben 28eg legte , unb als baSfelbe enblidj auf bem ftriegSfdjau*
ptafce anlangte, roaren bereits auf ben Antrag beS ®arbinalS gleurü
geheime SriebenSunterfjanblungen jnrifdjeu Defterreidj unb 3ran!reic^
angefnüpft morben. Xer Umftanb, ba§ feit ber Grinnafjme oon 5>an*
$ig burdj bie töuffen bie polniidje Xtyronfolgefrage tfjatjädjlid) erle-
bigt mar, inbem biefelbe bie Slnerfennung SluguftS III. als $önig
t>on $olen aud) oon Seiten ber früheren Anhänger ScScinSfVS $ur
Solge gehabt, ^atte granfreid) $u einer SSerftänbigung mit bem
$ai)er geneigter gemalt, unb jmar umfome^r, als bemfetben eine
entfpredjenbe (Sntfdjabigung für feinen @d)üfcling SeSctnSfi unb mit
berfelben jugleid) ein groger eigener SBortfyeil in s2luSfia)t gefteöt
morben. $iefe (£ntfd)äbigung follte in ben $>er$ogtf)ümern Sotfjrin*
gen unb 33ar befteljen , auf meldje ber jum ®emaf)l Ovaria S^ere*
fia'S, ber ätteften Softer ®arlS VI., bestimmte £>erjog granj Stephan
gegen bie tf)m jujuerfcnnenbe 2lnmartfdjaft auf loSfana $u fünften
beS entthronten s$olenfömgS SBerjidjt $u leiften bereit mar, unb
meld)e nad) bem Xobe ßeScinStVS als Ürbtljeil ber Ötemafjlin ßub-
migS XV. an Sranfreid) fallen foQten. $a jebod) XoSfana bereits
bem fpanifdjen Infanten Barlos jugefagt morben, follte berfelbc im
Jöcfifce oon Neapel unb ©icilieu oerbleiben, bagegen aber nidjt nur
auf XoSfana, fonbern aud) auf ^arrna unb ^tacenja ju (fünften
beS ÄaiferS Oermten. $er ftonig oon ©arbinien follte burdj bie
oon bem §er$ogtl)um 9#ailanb $u trennenben (Gebiete oon Xortona
unb 9tooara jufrieben geftellt merben , baS beutfd)e Üieid) bie oon
ben granjofen eroberten geftungen jurütfer^alten unb granfreid)
au&erbem bie pragmatifche ©anetion gemä^rteiften.
sJiadjbem biefe ©auptbebingungen smtfdjen bem ®aifer unb
granfreidj oereinbart morben, mürben am 3. Dftober 1735 inSBien
bie griebenSpräliminarien unter5eid)net. Spanien metgerte fid) an*
fangS, bem trieben beizutreten, meil bie Königin (Slifabetf) außer
Neapel unb Sicilien aud) XoSfana, ^arrna unb ^iaeenja behalten
$u f önnen gehofft Imtte ; ba jebodj bem £>ofe oon 9)*abrib bie Littel
fehlten, feine gorberungen burdjjufefcen , oerftanb er fid) baju, am
21. ftoüember 1736 feinen föchten auf $arma unb <ßiaccn$a ju
fünften beS ffaiferS unb feinen 5lnfprüc^en auf XoSfana jum
heften beS £aufeS Lothringen ju entfagen. dagegen übertrug ber
Digitized by Google
$er polnifcf)e X^ronfolgcfneg.
319
Äaifer am 11. $>ecember beS gleichen 3aljreS Neapel unb ©icUien
an bcn Qnfantcn Barlos.
Stanislaus SeScinSfi , bcr als £ömg öon Sßolen anerfamtt
morben unb hierauf am 28. Januar 1736 ju ßimigSberg feierlich
feine SRedjte auf bie polnifdje ®rone an Sluguft III. übertragen
hatte, nahm am 3. Wpxil 1737 öon feinem neuen Sanbe 33eftfc unb
tuählte ßuneoille ju feiner SUcfibenj. Xa bie ihrem alten |>errfd)er*
häufe treu ergebenen Sot^ringer ihren fterjog mit tiefem ©ebauern
Ratten fcheiben fehen, hatte bcr neue Surft, ber ben tarnen eines
Königs öon tßolen fortführte, anfangs einen ferneren ©tanb; bodj
ermarb er fich balb bie öolle guneigung feiner Untert^anen burd)
feine fieutfeügfeit unb greigebigf eit , fomie burd) bie SJcilbe unb
SBetSljeit feiner Regierung , burd) meiere er bcr 2öot)Itt>äter beS
£anbeS mürbe, ©o mar feine Stellung ungleich beneibenSmerther,
als bie feines föiöalen Sluguft III., ber in $olen felbft ohne 2Kad)t
unb 2lnfef)en unb nach 2lußen bcr ©flaöe föußlanbS mar.
9cad) einer neununbgmanjigja^rigen fegenSreidjen Regierung
fanb ber öielgeörüfte SeScinSfi im $Ütcr öon aajtunbaa^t^ig fahren
burd) einen Unfall ben Xob. 2lm Kamine fifcenb, fam er bem geuer
$u nahe; bie Rammen ergriffen feine Leiber, unb er erhielt baburd)
fo fdjmere Söranbmunben, baß er benfelbcn erlag. (23. gebr. 1766.)
$er $crjog granj (Stephan öon Sothringen , ber (£nfel jenes
$arl V., bcr unter ßeopolb I. fo rufjmüotl gegen bie Xürfen ge*
fämpft, üermählte fich am 11. Wpxii 1736 mit #arlS VI. 2od)ter
9ftaria X^erefia unb hielt, nad)bem baS ihm $uerfannte GJroßher*
äogthum XoSfana am 9. 3uli 1737 burd) ben Xob beS ©roßher*
*ogS Sodann ÖJafton feinen legten #errfd)er aus bem ^ebieeifdjen
Jpaufc öertoreu, am 20. Qanuar 1737 mit feiner jugenblidjen ©e*
mahün feinen feierlichen (Sinjug in glorenj. 23ic Sothringen unter
(Stanislaus, fo erfreute fidj aua) XoSfana unter feinem neuen
$errfd)er einer milben unb fegenSreidjen Regierung.
SRiemanb hatte ben s2lbfd)luß beS SBtener griebenS mit größerer
33efriebigung begrüßt , als bcr $rinj (Sugen , ber bei ber abfoluten
finanziellen £ilflofigfeit bcS ftaiferS unb beffen nahezu öoßftänbiger
3folirung in einem raffen griebenSfchluß baS einzige föettungS*
mittel für bie öfterreichifdje Monarchie erblicft unb für biefelbe
nodj ©d)limmereS als ben Eerluft öon Neapel unb ©icilien be=
fürchtet hatte. $ro| feines junehmenben SöruftleibenS fefcte er feine
gefd)äftlid)e Xt)ätigfeit mit unermüblidjem <£tfer fort, unb bcr ®aifer
faßte auch jejjt nod) feinen entfeheibenben (Sntfdjtuß, ohne beS ^rin^en
©utadjten eingeholt $u haben. $ie te^te Slngelegenheit, bei welcher
(Eugen als 9lathgeber $arlS mitgemirft, mar bie i8ermäf)lung SJcaria
Xherefia'S, $u bereu Söefchtcunigung er ben faifer bringenb auf=
geforbert , „bamit allen übrigen 33emcrbungen ein für allemal ein
Digitized by
320
Haifa ffari VI.
3ic( gefefot unb baS GJlücf feiner Xoc^ter , fomie bie 9tuc)e feiner
(Srblanbe gefiebert werbe." (Sugen felbft überlebte biefe Berbinbung,
burdj njeldje baS £auS ^pabsburg'ßothringen begrünbet tourbe,
nur um furje Qtit. Sßachbem mit bem herannahen beS 5rüf)lingS
fein 3uftonb fich merflich ju beffern gefduenen , fanb man ihn am
borgen beS 21. 9lpril 1736 tobt in feinem Bette. Sine ßungen*
lä^mung Ijatte feinem ßeben ein (Snbe gemacht, unb feine ruhige
Sage, foroie ber milbe ^uSbrudf feines ®eftchteS befunbeten, baß
fein Eingang ein fanfter unb fdjmerjlofer gemefen.
Sßrinj (ämgen oon ©aüoijen — bon griebrich bem Großen,
ber im polnifchen X^ronfotgerrieg als Bolontair in bem preußtfehen
9teichScontingente eine Qeit lang unter ihm gebient, mit Sftedjt „ber
Schufcgcift DefterreidjS" genannt — jäfylt unftreitig ju ben größten
gelbfyerren ber SBeltgejchichte. ©eine ©chlachtpläne, bie er inmitten
beS ^ampfgemühleS je nach ben Umftänben trefflier) ju mobificiren
mußte, finb mar)re SJiciftcrftücfc ber föriegSfunft, unb ber Genialität
beS SnthmrfS entfpradj bie tufme ©ntfchloffenheit ber Ausführung.
$>abei befaß er in hohem Grabe baS auch Napoleon I. eigene
Talent , bie ©tegeSauoerficht , bie ilm felbft erfüllte , auch feinen
©olbaten einzuflößen, }o baß fie, unter feiner güfyrung fict> für un*
übernrinblicfj ^altenb, it)m öotl Begeiferung folgten, merfn er ftct>
an ihrer ©pifce mit fühner 2obeSüerad)tung mitten in baS bidjtefte
©chlachtgetümmel ftürjte.
2Wit feinem ungcmöhnlichen gelbherrntalent oerbanb (Sugen
auch eine feltcne ftaatSmännifche Begabung, burch welche er gleich-
falls bem Äaiferfjaufe bie nridjtigften SMenfte leiftete. $)abei mar
er, maS höhe* anjufchlagen ift als aHeS Rubere, ein burdwuS ebler
unb hochherziger 2Jcenfch, ber bie Pflicht jur einigen 9lic^tfd^nur
feines SebenS nahm , bie unbermeiblichen SJrangfale beS SfriegeS .
nac^ Gräften ju milbern fud)te unb mit ebler ©elbftoerleugnung
ben eigenen Bortheil gern bem 2Bof)Ie 2lHer jum Dpfer braute.
2Bie ferjr er fid) aua) in feiner ftaatSmännifcfjen Xhätigfeit öon
allen SHänfen unb biplomatifc^en SBinfeljügen fern $ielt, obgleich er
biefelben bei Slnbern flar burchichaute unb mit Gefcf)icf $u oereiteln
mußte, bemeift ber SluSfpruch BillarS über bie Spaltung beS $rin$en
bei ben 9taftabter Berhanblungen. „Vichts fyat mir", fo fagt er,
„in meinem Seben fo oicle Üttühc gefoftet, als bie SKeblichfeit SugenS
nicht JU bclctbigen ; fein ©harafter flößt 3ebem (S^rfurd^t ein."
(SugenS aufrichtige unb tiefe SReligiofität bemährte fich ebenfo*
mohl in ber entjduebenen Slnhänglichfeit unb Xreue, bie er bei aller
3)ulbfamfeit gegen bie Ueberjcugungen AnberSgläubtger fein ganzes
iieben hinburch feinem fatholifdjen (Glauben bewahrte , als in ber
gemiffenhafteften Erfüllung feiner fird)lid)en Pflichten. „(Eugen
lmßte", fagt ber Qejuit s#eifhart, „bie ilebertretung ber göttlichen
Digitized by Google
$er polnifdje Shronfolgefrieg. 321
©ebote. galfdje fiehrgrünbe unb ©äfce bcr ©ottloftgfeit, oon melden
fich bie ^cronrcifenbc 3«9^ in«gemein anhauchen lägt, f)at er
oerachtet. Smeier geiftiidjcr 93ücf>er, meiere Oon bcr ©h*e ©orte«
unb ben Pflichten be« (^riften hobeln, bebiente er ficf> foft täglich,
uttb toer mit ihm in Angelegenheiten ber Religion fprechen rcoUte,
fonb ftet« ein geneigtes ©ef)ör. £cn Gebrauch ber heiligen ©afra*
mente ^at er $u gebotener Seit niemal« übergongen. ©etoöhnlich
mar, noch beoor er in« gelb sog, bie 9(u8fö$nuttg mit ©ort fcfjon
öorgenommen, obgleich biefelbe auch mitten im .Kriege nicht unter*
blieb. Unb fo liefe er fich benn auch noch sroei Süochen üor feinem
Xobe mit ben ^eiligen ©aframenten oerfefjen."
211« ein eifriger greunb ber ßünfte unb SBiffenfchaften Oer*
roanbte ^rinj ©ugen einen großen Styeil feiner (Sinfünfte unb feines ©er*
mögen« jur Slnfammlnng öon Jhmftroerfen unb jur Anlegung einer
äußerft reichhaltigen ©ibliothef, beren SBerfe für ihn ber ©egen*
ftanb be« emfteften ©tubium« maren. Sluch ftanb er mit ben |er=
öorragenbften flünftlern unb ©elehrten feiner 3eit tt)eil« in perfön*
liebem, tffeil« in brieflichem SBerfehr, unb fein $au« mar ben
Srägern ber ©Übung jeberjeit gaftfreunblich geöffnet. 2Rit Seibnifc,
ben er roährenb be« legten Aufenthalte« be«felben in SBien fennen
unb fct)äfeen gelernt, öerbanb it)n bte innigfte greunbfehaft, bie ihren
9(u«brucf in einem immer reger fich geftaltenben ©rieftoechfel fonb.
Qn be« ^rinaen öertrauteften greunben gehörten auch ber geiftreiche
unb funftfinnige flarbinal Alberto Albani , ein «Reffe (Siemen« XI.
unb in noch höhcr^ ©rabe ber $arbinal 25ominico ^affionet, ber
ebenfo gelehrte al« eifrige ©orfämpfer für bie fechte ber Strafe,
ber ol« üäpftlicher ©eöollmächtigter ouf ben ßongreffen öon Utrecht
unb ©oben fich (Sugen« öoUfte Hochachtung erworben t>atte.
©ei aller feiner ©röße mar @ugen öon f eltener ©efdjeibenheit
unb ftet« geneigt, ben SBerbienften Anberer öolle ©erect)tigfeit hriber*
fahren ju laffen. „Sßiemal« fyabt ich", fdjreibt ber franjöfifche
Styrifer Qean^aptifte föouffeau, ber, au« feinem ©aterlanbe Oer*
bannt, öon (Sugen mit SBohlthaten überhäuft toorben mar, ihm aber
nicht«beftotoeniger mit Unbanf lohnte, „in einem Spanne fooiel
©röße mit fooiel Einfachheit oereinigt gefet)en. ©ein Urtr>etl ift
öon einer rounberbaren Sttichtigfett, unb in Allem ift er unterrichtet.
@r ift ein friegerifcher ^ptjitofopr) , ber feine SBücbe unb feinen
SRuhm mit ©leichgiltigfeit betrachtet unb bie gehler, bie er gemacht
hat, mit berfelben Offenheit erjählt, al« ob oon einem Anberen bie
föebe märe; falt bei ber erften Begegnung, äußerft oertraulich bei
längerem Umgange, ein weit größerer ©emunberer ber Xugenben
Ruberer, al« feiner eigenen."
$olatoart$, IWiflfHmf. Vi.
21
Digitized by
322
ä alfer flarl VI.
Üaxtt VI. satter Sfirfenlricg.
(1737-1739.)
»
Üttit bem $>infcheiben be« ^rinjen (Sugen hotte ber öftcrrcidt)ifc^c
©taot fein eigentliche« leitenbe« £>aupt oerloren. gortan rourbe ber
roohlmeinenbe , ober frembem (Hinflug aflju jngängüc^e $aifer meift
öon üttiniftern nnb Generalen geleitet, bie theil« be« richtigen 93er*
ftänbniffe« für bie Sage ber Xinge entbehrten , theil« ben eigenen
$ortheil mehr als ben be« Staate« im Sluge hotten. Unglüdlicher*
roeife brachten fie ihn auf ben Gebauten, fich burch bie SBethetligung
an bem im Qahre 1736 öon SRufclanb gegen bie Pforte eröffneten
Kriege (f. ©. 278) für bie im polmfdjen it)ronfotgcfricfl erlittenen
SSerlufte entfehäbigen. 211« SSorroanb $um beginne ber geinb-
feligfciten , ju welchen bie Pforte bie«mal feinerlei SBeranlaffung
gegeben , rourbe bie feit bem polnischen Xhronfolgefrieg jroifchen
Deftcrreich unb föufelanb befteljcnbe SlHianj gebraucht, traft beren
man fid) für verpflichtet erflärte, an bem Kampfe ber 93unbc«ge=
noffen Xfjcil iu nehmen.
Sftachbem am 9. Januar 1737 ba« öfterreichifch^ruffifche 33ünb*
nif? burch ben Gefanbtcn be« ftaifer« in Petersburg mit bejonberer
^öe^ugnahme auf ben öon nun an gemeinfam ju führenben $rieg
gegen bie Xürfen erneuert roorben, lieg $arl VI. ber Pforte grie*
benSbcbingungen übermitteln, in welchen er für Defterreich foroohl
nrie für Sftu&lanb Gebietsabtretungen verlangte , unb ba biefe öon
ber Pforte öerroeigert würben, erfolgte im Quli 1737 bie ihieg«*
erflärung Defterreich« au ben ©ultan. 3« ber gleichen Qtit rüdte
ein üftcrreidnfche« $>eer unter bem Grafen ©edenborf, einem fränfifchen
(Sbelmanne, ber fich in fädjfijchen unb faiferlichen ftriegSbienften '
herüorgethan unb fpäter als Gefanbter ®arl« VI. am £>ofe ju
Berlin mit großer biplomatifcher Geroanbtheit bie 3ntereffen Ocfter-
reich« üertreten hotte, in bie Söallachei ein, um juuächft bie Seftung
9ttffa ju erobern.
$er Anfang bc« Unternehmen« fct)ien glüdöerfprechenb ; benn
fdjon am 2. Sluguft mu&te fich ^iffa ergeben. 2lud) ein ©treifjug
be« Dberften Sentuhi« in ba« fübroeftücr)e Serbien hotte guten
Erfolg : SRoöUöaffaf rourbe genommen , unb bie (£f)riften ber Um=
gegenb fchöpften neue Hoffnung auf bie enbliche Befreiung öon bem
türfifchen Qochc. 9lber balb roanbte ba« Glüd ben faiferlichen ben
föüden. 55ie Xürfen hotten bebeutenbere ©treitfräfte aufgebracht,
al« man in SSicn erwartet, unb fo mißlang ber Angriff ©eden*
borf« auf Söibbin; auch Sentulu« fonnte fich i« ^n öon ihm be=
festen GebietSftrichen nicht behaupten. $a man in SBieu bie *8e*
fürchtung ^egte , ba& bie Surfen burch Bosnien in ©teiermarf,
Digitized by Google
ÄarlS VI. jmcttcr Xürfcnfrieg.
323
Äärntfjen unb Üxain einbringen möchten, erhielt Secfenborf ©efel)l,
fofort jur 3)ecfung ber Sinie an ber <Saöe aufzubrechen. 2)ie golge
baöon mar ber gall öon Niffa, in meinem nur eine fcfjmache Söe*
fafcung ^atte prücfgelaffen werben fönnen. 211S ber ^afd)a öon
Numelien, Sldjineb Äöprili, mit einem £>eere öon einmal^unbert-
$manfttgtaufenb äftaun jur SBiebereroberung biefer geftung ^eran*
rücfte, üerlor ber Äommanbant berfelben, ber ©ehmeijer 3)ojatf fo
fefjr ben Sfluth, ba& er ber Slufforberung jur (Ergebung gegen freien
Slbjug ber Vefafcung fofort golge leiftete. (£r würbe bafür öon
einem Kriegsgerichte 511m $obe öcrurtr)ei(t unb baS Urt^eit öom
ßaifer beftätigt. 2(ud) gegen ©cefenborf , ber am SSiener £>ofe
Zahlreiche (Gegner ^atte f mürbe unter ber Anflöge einer mangelhaft
ten güfjrung ein gerichtliches Verfahren eingeleitet, in golge beffen
er als (befangener auf bie geftung ÖJrafo abgeführt mürbe.
Qnbeffen mar ©ecfenborfS Nachfolger im Oberbefehl, ber ®raf
$önigSegg , im gelbjuge beS Sahred 1738 nicht glücflidjer. (5r
mußte nicht nur bie öon ihm eroberte geftung ÜJcefjabia mieber
räumen , fonbern tonnte auch bit ©innahme öon 9teu*Drfoma unb
Semenbria burch bie Xürfen nicht üerf)inbern unb far) fich genötigt,
fich bis nach Velgrab zurücf zuziehen. Äud) er mürbe abberufen unb
baS Äommanbo bem (trafen SöalliS übertragen. Unter biefem neuen
gelbherro nahmen bie $)inge eine noch fchlimmere SSenbung. (Sr
erlitt am 22. Quli 1739 bei ®rofcf a gegen ben ©roSüejier eine
fo öoüftänbige Nieberlage , baß er nichts VeffereS thun zu fönnen
glaubte, als eitigft einen Unterhänbler mit griebenSanträgen in baS
türfijche Sager ju fenben. tiefer bot bem Öko&öezier SBelgrab als
s$reiS beS ju bemifligenben griebenS an, unb ber ®raf Neipperg,
ben ber töaifer auf bie Nachricht öon bem bebenflichen ©tanbe ber
$inge fofort mit Vollmachten p griebcnSunterhanblungen in baS
Sager beS (JJroBöejierS entfanbt hatte, lieg fich burch ben 2)rang ber
Umftänbe bemegen , nicht nur btefeS Anerbieten , öon meinem ber
(ÄJroöoejier nicht mehr abgehen moUte, aufrecht ju halten, fonbern
auch mit bemfelbcn unter ber Vermittlung beS im türfifchen Sager
anmefenben fran^öfifchen ®ejaubten Villeneuoe, ber nicht menig baju
beigetragen, bie Verlegenheiten NeippergS ju üermehren, einen $rä*
Uminarfrieben abzufließen, burch mclchen bie geftungen Velgrab
unb ©abaq nebft (Serbien, ber öfterreich ifchen äßallachei unb ber
3nfel unb geftung Orfoma ben dürfen juerfannt mürben. $a ber
öon bem Äaiferl)ofe abgefanbte Äurier, ber ben Abjchluß eines über»
eilten griebenS oerhinbern follte, nach feinem Eintreffen im öfter«
reichijehen Sager öon SöattiS nach Siebenbürgen abgefertigt morben mar,
famen bie 3)epefchen erft in NeippergS £änbe, nachbem berjelbe be*
reitS am 18. (September 1739 ben befinitiöen gricbenSöertrag, ben
jogenannten „grieben öon Velgrab," unterzeichnet hatte. $ie ÖJrafen
21*
Digitized by
324
Äaifer Statt VI.
fteipperg unb SBatliä nmrben jur Strafe tyreS Verhaltens ju
längerer geftungShaf t berurtheilt ; aber bie fiänber, bie burdt) SugenS
©iege bem Äatfer gewonnen unb burdj ir)rc llngefdjicftidjfett in bie
#änbe ber dürfen jurüefgebracht morben, blieben für Defterreidj
oerloren.
Xer Ihimmer über ben unglücflidjen ©erlauf biefea Krieges
nagte an $arl3 VI. geben. 9cacf) längerem Sränfeln ftarb er am
20. Oftober 1740 in feinem fedjSunbfünfjigften SebenSjahre. (5r
mar ein milber, roofjltuoHenber Sürft oon feltener lierjenägüte, ba=
bei melfeitig gebilbet unb toll be« beften SBiflenä, feinen SRegenten--
pflid)ten $u genügen; aber ifnn fehlte bie nötige £errfd)erfrafi,
unb ber mit (Styre unb Xreue fmelenben ^olitif beS 3ahrl)unberte
mar feine flüchte föedjtlicfjfeit nicht gemachten.
Sa8 beutle »et« unter Staxl VI.
Unter ßarl VI. fanf bie £ai ergematt ju noch größerer SBc*
beutungäloflgfeit fyxab, als unter einen beiben Vorgängern. $a$
SKetcf) t)attc fitt) tfmtfächlich aufgelöft in einen ©taatenüerein bon
mehr als breifjunbert ©liebern — größeren unb Heineren, befcf)ränf=
ten unb unbefchränften , geiftlidjen unb meltltchen dürften unb
Herren unb einer großen 3a^l theilä ariftofratifet) , tyetl* bemofra*
tifd) conftituirter ©tabtgemeinben — , in melden ber nationale ©inn
gänzlich erftorben mar unb bor ben Qntereffen be3 ©injelnen bie
SRücffic^t auf baä ©efammtmol)! boüftänbig in ben ^intergrunb trat.
Von ber früheren ßaiferherrlichfeit mar nicht« SlnbereS übrig ge*
blieben , alä bie Sßrunfformen ber Krönung , bie gteiet) ben Jörnt*
lidjfciten ber ftaiferroaljl genau nad) ben Safcungcn ber golbeneit
VuHe beibehalten mürben.
SBäljrenb bie ®efammtfraft ber Nation unb mit berfclben bcS
föcichcä ©l)re unb Slnfe^en ihrem boüftänbigen Verfalle entgegen
gingen, metteiferten bie SReidjSfürften in bem Vcftreben, nicht nur
an $)lad)t unb föegierungägemalt $u madjfen, fonbern auch in föang
unb liteln fidj ben mädjttgjten Potentaten gleich $u ftellen unb an
bracht unb ©fanj beä £offtaateä einanber ju überbieten. <$ür bic
meiften berfelbcn mar ber prunfooHe $>ofhalt Submigä XIV. 9ttufter
unb Vorbilb geworben, unb mit ben blenbenben formen unb ber
oerfdjmenbcrifdjen Einrichtung beä £ofe3 oon VcrfaiUcä ^atte auch
ba£ an bcmfelben hcrrftf)cnbe ©ittenöerberbniß an ben bcutfdjeu
#öfen ©ingang gefitnben.
$er glanjoollfte unb juglcich ber übpigfte unter ben beutfehen
5ürfteuf)öfcn mar ber fächfifchc. Schon ber fturfürft Qohanu
©eorg II. (1656—1680) hatte bura) feine prachtltebe unb «er»
Digitized by Google
2>a3 beutfäe m$ unter Äarl VI. 325
anügungSfudjt feinem ßanbe bie fd)merften Saften aufgebürbet, unb
fein (ämfel unb jmeiter Sftadjfolger Qoljann ©eorg IV.
(1691—1694) mar in biefer ©ejteljung ganj in feine Sufeftapfen
getreten. SBeit fdjlimmer jebodj noa) mürbe eS unter bem ©ruber
unb Stadjfolger beS fieberen, Sluguft II. bem Starfcn, ber niajt
nur burd) feine alles 9fla§ überfdjreitenbe <ßrunffud)t unb $er=
fdjmenbung ben ofmef)in burdj feine Kriege fdjmergefdjabigten 2Bol)l*
ftanb ©adjfenS boUftänbig ju ®runbe richtete , fonbern audj ftdt)
felbft unb baS ßanb burd) Sudlerinnen befjerrfdjen lieg, an meiere
er 9KiHionen öerfdjenfte, mährenb baS SSolf im tiefften (Slenbe
fcufjte.
$ie gleite Sßerfdjmenbung ^errfa^te an bem fädjfifdjen $>ofe
unter 5luguftS II. ©ofm unb *Rad)folger 21 u g u ft III. , ber jinar
feine anbere ßeibenfd)aft fannte, als bie Qagb, aber aus ©eroohn*
rjeit feinem SBater in bem t»erfdjmenberifd)en <ßnmt ber Hofhaltung
itadjahmte unb, mie biefer, ungeheuere (Summen für bie 2lnfamm=
lung öon Ihmftfdjäfcen , mSbefonbere foftbarer (SJemälbe , berauS*
gabte. D^ne jebmebe GJeifteSfraft unb gclangmeilt burcr) alles, maS
bie Regierung feines ßanbeS betraf , überliefe er bie Seitung ber
<StaatSgefd)äfte öoUftänbig feinem ©ünftling , bem trafen $einridj
t)on © r ü h l , ber eS meifterhaft öerftanb, feinen £>errn in öoflftän*
bigfter Slbhängigfeit oon feinem eigenen SBiHen unb babei $ugleid)
in bem Sßalme $u erhalten, bafe er 2WeS felbft entfcr)eibe. 3n ber
tßrunffudjt metteiferte ber allgemalrige SRiniftcr mit feinem £errn,
unb fein $offtaat , ber ungeheure ©ummen öerfchtang , blieb an
<3*lan$ faum hinter bem föniglidjen jurüd. Stufeer einer Liener*
fdjaft öon jmeihunbert ^erfonen unterhielt er eine (£h*enmadje öon
Slbeligen, bie höh« befolbet waren, als bie föniglia^en Cammer*
jitnfer, unb ber SujuS fetner Xafel mie feiner fjäuSlidjen ^inrict)*
tung unb feiner SHetbung äberftieg alles üftafe. „SBriÜjl", fagt
Sricbrict) ber ©rofee, „mar ber 2tfann biefeS QahrhunbertS, ber bie
meiften Kleiber, Uhren, ©ptfcen, ©tiefein, @^u^e unb Pantoffeln
Ijatte. (£äfar mürbe ifm ju jenen fdjön frifirten unb parfümirten
#öpfen gewählt fyabcn, bie er nidjt fürchtete." $a fein ©ehalt öon
^meiunbfünfjigtaufenb %$akxn jur ©eftreitung feines mafelofen Stuf*
manbeS bei SBeitem nid)t ausreiste, liefe er fid) oon bem Könige
bie reichten ©efifcungen fdjenfen unb flimmerte fid) menig barum,
bafe baS fianb burdj feine SBerfdjmenbung ju ©runbe gerietet mürbe
unb bie ©djulbenlaft beS ®urfürftenthumS unter feiner SBermaltung
auf baS günffadje anmudjS.
Sieben bem fächfifetjen $ofe tr>at fid) aud) ber baierifd&e unter bem
ganj an 3rantreidj hingegebenen föurfürften 9ttajtmtlian @m*
manuel (1679—1726) burd) bie Entfaltung eines maglofen $run!eS
l)croor. 2)er $of, ben fid) SKajimilian Immanuel als Statthalter
Digitized by
326
ÄQifcr Äarl VI.
ber Nieberlanbe in SBrüffcI eingerichtet, mar ein treues STbbilb bes
franjofifc^cn, unb um bie Soften beSfelbcn aufjubringen, mürbe Katern
eine foft unerfchmingliche ©teuerlaft aufgebürbet. 9luch unter 2)car>
milian Emmanuels ©ofm unb Nad)f olger $arl Ulbert bem nach*
maligen ftrifer ®arl VII., jäfjtte ber baierifdje $of ju ben glänjenb*
ften in $eutfd)lanb unb trug in feinen prunfoollen geftlidtfeitcn
ein entfd)ieben fransöfifdjeS Gepräge.
93on ben fteineren beutfehen gürftent)öfen geigte befonberS ber
toürttembergifchc unter bem $erjog Sber^arb fiubmtg (1693
bis 1733) unb beffen jmeitem Nachfolger #arl (1737—1793),
bem ©of)ne beS jur fatt)oIifcfjen Kirche übergetretenen £>er$ogS ®arl
SUeranber, ber feinem SBetter, bem finberloS oerftorbenen (£bert)arb
Submig, in ber Regierung gefolgt, neben einem bie Gräfte beS San*
beS oerjehrenben $runf baS traurige SBilb einer großen (£ntfitt=
lidnmg; boer) flickte ber $>erjog ®arl in feinen legten NegierungS*
jähren burdj größere ©parfamfeit unb eine unwichtigere ©taatSüer*
maltung ben feinem Sanbe jugefügten ©c^aben möglidrft gut ju
machen.
Einen roofjfthuenben ©egenfafc ju ben meiften übrigen üoüftän=
big franjöfirten gürftenböfen SeutfchlnnbS bilbete ber $of ju 28ien,
ber fich toie unter fieopolb I., fo auch unter ®art VI. burdj ©in»
fachheit unb ©ittenreinheit auszeichnete, ®arl VI. hielt jtoar an
bemfelben bie Etiquette aufregt, an toelche er fich ol$ ßönig oon
©panien gemöfmt hotte; bodj ließ er feinertei fran^öfifcfje Unfttte
auffommen. ©eine SieblingSerhoIimgen toaren ©cheibenfehteßen,
Sagb unb Eoncerte, bei meld)' lefcteren er, felbft ein großer Kenner
ber 2Ruftf, oft perfönlid) mitmirfte. 93ei befonberS feftlichen ©e*
legenheiten entfaltete jeboer) auch ber $>of §u Söien eine mahrhaft
faiferliche bracht.
Neben bem faiferlichen $>ofe jeichnete fich auch °er branben=
burgifche unter bem großen #urfürftcn burch eine mürbige Haltung
aus. SlnberS mürbe es aüerbingS, jum großen Nadu^eü bes San*
beS, unter griebrid) SöilhelmS ©ohn unb Nachfolger griebrid),
bem erften ßönig Oon Greußen, unter melchem auch ber .frof oon
Berlin einen OöHig franjöfiföcn Wnftrich erhielt, ot)ne baß jeboch
an bemfelben mit ber bracht unb ©itte beS $ofeS oon SßerfaiöeS
auch baS franjöfifdje ©ittenoerberben ©ingang fanb. 3u melcher
Einfachheit bagegen ber preußifche $>of unter griebrichs I. ©otju,
griebrid) SSilhelm I. jurüefgeführt mürbe, merben mir
fpäter hören.
Digitized by Google
Italien Dom roeftfälifdjen Rieben bt3 in bie SRittc bed 18. 3af)rf). 327
XX.
haften vom weftttttfQeu Stieben tos in bie ?8itte bes
adStjeßnfen ^aßrßuuoerts.
Sic $a>jle *on 1655-1758.
5)lac^ bem Sobe 3mtocena' X. (f. 93. V. @. 665) öerabgerte
ftdj bie 2Bteberbefe&ung be£ ^apftlid^en ©tuhleä, in Solge beä öon
bem Äaifer foroie öon bem ®önig öon ©pauien erhobenen Wn*
fprua)3 auf baä nirgenba urfunblich jugeftanbene SRedjt ber „(£rriu*
ftöe", b. f>. ber Sluäfchlicfcung einer ilmen mißliebigen ^erfönlichfcit
öon ber ^apftmahl, bis $um 7. Slprit 1655, an mcldjcm Xage ber
Äarbinal gabio CShigi öon ©iena aU 5llejanber VII. ben papft*
liefen $f)ron beftieg. $a feine mohlbefannte 2Bei3f)eit, grimmig*
feit unb (Einfachheit $u ben beften Hoffnungen für fein ^ontififat
berechtigten, mürbe feine 3öaf)l öon ben Römern mit Subel begrü&t.
3n ber Sfjat rechtfertigte ber Anfang feiner Regierung öoüftänbig
bie öon berfelben gehegten ©rmartungen : er lieg feinen feiner 9ccpo*
ten noch 9tom fommen unb traf öieie treffliche Mnorbnungen. s2tf$
ihm jeboa) öon üerfchiebenen Seiten öorgeftellt mürbe, bafj er in
atti&heüigfeiten mit bem toSfanifchen $ofe gerathen fönne, menn er
feine SSermaabten aU einfache Surger in ©iena leben laffe, unb
bafc überbieä bie fremben ©efanbten grö&ereä Vertrauen in einen
SRinifter fefcen mürben, melier ber gamilie beä ^apfteS angehöre,
berief er, nacf}bem baS (Sonfiftorium feine grage, ob er fich feiner
SBermanbten jum 2)ienfte beä aöoftolifchen ©tufjleä bebienen bürfe,
bejaht hatte, feinen ©ruber Sflario mit beffen Sohn glaöio nach
Mom unb übertrug bem (Srfteren ben Oberbefehl über bie päpftUcfjen
Xruppen, mährenb er ben Sefeteren junt ftarbinal erhob, ohne ihm
jeboch einen afl$u großen Einfluß einzuräumen. (Sin anberer feiner
Neffen, toguftin @^tgi, mürbe mit einer farnefifchen *ßrin5e|fin
öermähtt, unb ©iena, bie SBaterftabt beä Sßapfteä, erhielt jahlreiche
©unftbejeigungen.
SBelche fchmeren Unbüben SUeranber VII. öon Öubroig XIV.
$u erbulben hatte, t)a&cn ^ir oben (©. 62 u. f.) ge)et)en. ©inen
Sichtblicf feines $ontififatft bilbete ber Uebertritt ber Königin
©hripine öon ©chmeben jur fatholifchen Kirche (f. 33. V. ©. 673).
$er Nachfolger Süeranberä VII. mar ber ©taatäfefretär 3uliuä
ftofpigltoft, melier am 20. 3uni 1667 „ati ber befte, gütigfte
SKann, ber fia) nur finben laffe," auf ben päpftlichen Xhron crf)o=
beti mürbe unb ben tarnen Siemen« IX. annahm, ©leid) feinem
Sßorgänger bichterifch begabt unb fenntnijjreich, mar er ntchtabefto*
Digitized by
328 stalten Dom toeftfftlifc&cn grieben bi* in bie Witte be« 18. 3ahrh.
weniger äußerft beweiben, in allen fingen gemäßigt unb babei oon
groger ©tttenftrenge. Söäljrenb er feinen eigenen SSerwanbten feine
befonberen SBergünftigungen ju werben lieg, bemied er ben
SBerwanbten feine* Vorgänger* große* SBohltoollen. Obgleich er
nach allen ©eiten f)in SSofyUfyaten fpenbete unb bie Söenetianer in
ihrem Kriege gegen bie Xürfen (f. 58. V. 6. 668) mit großen ©elb*
fummen unterftüfcte, gelang e* ihm burdj weife ©parfamfett für
ftd) felbft toie für ben ®taat*hau*halt, bem unter feinem Sorganger
in Verfall geratenen Sinanjwefen be* $irchenftaate* wieber auf*
$uljelfen. ßr Oermittelte im 3at)re 1668 ben ^rieben üon dachen
jwifchen Spanien unb granfreich unb fudjte Subwig XIV. oon
feinen <£roberung*plänen abzubringen, ©roße* SBcrbicnft erwarb er
fid> um bie auswärtigen 2Jciffionen, in*oefonbere auch baburch, baß
er ben TOfftonären alle £anbel*gefchäfte oerbot. 5)er ©chmerj über
ben unglücklichen ©erlauf be* oenetianifcfctürftfchcn Krieges, burch
welken $anbia ber djriftlidjen #errfchaft entriffen würbe, befehlen*
nigte feinen Xob. ©r ftarb am 9. $e$ember 1669, im <er oon
ueununbfedjjig Sauren.
Nach fünfmonatiger (ährlebigung be* päpftlichen (Stuhle* be*
ftieg benfelben ber achtzigjährige Gemittan zitiert al* Siemen* X.
(1670—1676). ©ei feinem hohen «Iter mußte feine Xf)ätigfeit
eine befchränfte bleiben; bodj trat er ben oielfadjen $lu*fchreitungen
fiubwig* XIV. mit ©ntfehiebenhett entgegen, unterftüfcte bie $olen
in it)ren dampfen gegen bie Xürfen unb erwarb ftch bie Siebe feiner
Untertanen burch feine ÖJerechtigleit unb Sttilbe.
2(uf (Siemen* X. folgte am 21. September 1676 ber eble
föarbinal Dbe*caldji au* (£omo al* 3«nocenj XI. ©od (Sfifer
für bie Erfüllung feiner hohen SßfCic^ten, wachte er in*befonbere über
bie ©tttenreinheit be* #leru*, ging bei ber Vefefcung ber geiftlicfjen
©teilen mit ber größten Vorficht ju SBerfe unb erließ üiele tyiU
famen SBerorbnungen. ©eine* Äonjttfte* mit ßubwig XIV. wegen
ber gaHifanifdjen Slrtifel unb be* bom $apfte abgerafften Slfülrecht*
ber &efanbtfdjaft*quartiere in 9iom haben wir oben (©. 97 unb 99)
ausführlich gebaut. $)a* benfwürbige (Shreigniß au* feinem Sßonti*
fifat war ber glorreiche ©ieg ber chriftltchen SBaffen ü6er ba*
türfifche 93elagerung*r)eer üor ben üttauem oon SBien, ju beffeu
Herbeiführung er felbft burch bie Vermittlung be* ©ünbniffe* ßeo*
polb* I. mit bem helbenmüthigen ©obte*fi fo wefentlich mitgewirft.
Von bem römifchen Volfe wie ein ^eiliger oerehrt unb felbft oon
ben öroteftantifchen #öfen hochgeachtet, ftarb Snnocenj XL, nach
einem breijehnjahrigen reich gefegneten ^ontififate, am 10. 2Iu*
guft 1689.
3nnocenj' XI. Nachfolger, ber hochbetagte $arbinal tßictro
Dttoboni au* Venebig, ber ben Namen Sllejanber VIII. an*
Digitized by Google
Sie ^äpftc öon 1655-1758.
329
nahm, leitete bie Angelegenheiten ber Kirdje nur jwei 3at)re
(1689—1691), wät)renb Welver er bie ©Bulben be3 ßirchenftaote«
berminberte, bie ©ibtiothef ber öerftorbenen Königin (Ehriftine öon
Schweben für ben SBatifan erwarb, feine Eaterftabt in bem Kriege
gegen bie Surfen mit bebeutenben ©ubftbien unterftüfcte unb öon
granfreid) eine theilweife ©enugthuung für bie bem apoftoftfdjen
<Btu\)l zugefügten öeleibigungen erlangte.
Stach bem lobe Stteranber« VIII. (1691) würbe ber Karbinal
STnton Sßignateffi au« ber 3amilie ber ^erjoge öon ÜKonte Öeone
atö gnnocenj XII. auf ben päpftiiehen Stuhl erhoben, ©ütig,
teutfelig, Wohltätig unb fparfam wie Snnocenj XI., ben er fleh
$um SBorbilb genommen, mar er gleich biefem ein entfehiebener
(Gegner be« 9lepoti«mu«, gegen welchen er eine eigene, mit ben Kar«
binälen vereinbarte Suffe erlieg. Sfadj bem bamal« nod) in föom
wie in "btelen anberen europäifchen Staaten beftehenben @ebraudt)e
be« SSerfauf« ber Remter machte er ein (Snbe unb gab ben Käufern
ben Kaufpreis jurücf. 3)urch feine öäterliche gürforge für SIrme
unb SBaifen, fottrie burd) ben ©rtaß öieler trefflichen ®e)efce für bie
$ered)tigfcit«pftege unb ba« 9krwattung«wefen würbe er ber befon=
bere Sß3ol)Itf»ätcr be« Kirch enftaate«. 3)a§ unter ihm bie Surücfnafjme
ber gciflifanifchen S3cfc^Iüffc burd) ßubwig XIV. unb bie Untermer-
fung ber miberrec^tltc^ erwählten franko filmen ©ifdjöfe unter bie
Autorität ber Kirche erfolgte, \)aben Wir bereit« oben (S. 98) ge=
fehen. $a bie grieben«fchlüffe öon 8ty«wid unb Karlowifc ber euro-
pätfehen SBett, wenn auch nur auf furje ben grieben jurüd*
gegeben, tonnte Qfnnocenj XII. ba« grofje Jubiläum öon 1700 an*
fünbigen, $u welchem unzählige Sßilger herbeiftrömten. Söäfyrenb ber
^auer be«felben ftarb ber fünfunbachtjigjährige $apft am 27. ©ep=
tember, tief betrauert öon ber ganzen ©fjriftenheit.
5)er Nachfolger Snnocenj* XIL, granj Älbant, ein gelehrter
$he°I°9e u^b eifriger $rebiger, ber ben tarnen Siemens XI.
annahm, trat ganj in bie gufcfiapfen feine« Vorgänger«, beffen
Ißertrauen er in h°§em ®*öbe genoffen l)atte. 2tf« £'ird)enfürft
wanbte er feine gürforge ganj befonber« ber £>ebung ber SDftffionen,
ber Steinerhaltung be« ©lauben« unb ber SBahrung ber fechte be«
apoftolifchen ©ruhte« ju. 3ft ba« $ontififat (Siemen«' XI. fielen,
auger ber (£rhc&lU!9 Greußen« ju einem Königreich, gegen welche
er öergeben« proteftirte (f. @. 82), ber fpanifche (Erbfolgefrieg unb
ber erfte Xürfenfrieg Karl« VI. $a& er in bem lefcteren, für
welchen er ba« regfte Qntereffe an ben Xag legte, ben Katfer burch
bie Ueberlaffung eine« Sheitc^ be« Kirchenjehnten in ben öfter-
reichifchen Sanben unterftüjjte, würbe bereit« mügetheilt. SDa er in
bem Kampfe ?ßhiKpl>3 V. unD Karl« III. um ba« fpanifche @rbe
beiben Ihc^cn gerecht $u werben fuchte, würbe er öon granfretdj
Digitized by
330 Italien Dom meftfältfäcn Uneben bis in bic Witte beS 18. 3a^.
tüte oon ßefterreidj als gctnb angefefjen unb ber $irdjenftaat burd*
bnö oftcirrcidjifd&c £>eer , baS nad) ber Sdjladjt bei £urin unter
$aun jur Eroberung Neapel* aussog, auf 53efcf)I ®aifer Sofcp^ I.
mit ferneren 93ebriitfuna.cn f>eimgefua)t. 9ladjbem if)n fcerßaifer im
3afjre 1709 ju einem Vertrage gejmungen, in meinem er ftarl III.
als ®ünig oon Spanien anerfannte , oerbot ^ß^itipp V. aücn $er*
fefjr Spanien« mit 9fom, bertrieb ben päpftlidjen SfcuntiuS aus
SNabrib unb fperrte beffen Xribunal.
2lud) in Stalten felbft ^atte ber otelgeprüfte *ßapft fernere
kämpfe ju beftefjen. £er £er$og Victor SlmabeuS II. oon Sa=
oouen, ber burdj ben Utredfter grieben $ömg öon Sictlien geworben,
erlaubte fidj fo melfaaje Eingriffe in bie föeajte ber ttrdje unb
naf)nt gegen ben $lernS eine fo fetnblidje Haltung an, ba& Sie*
mens XI. über baS ®öntgreta) Sictlien, beffen ©eoölferuna ftdj nur
gejtoungen ber faoomfajen £>errjd)aft gefügt, baS 3nteAi(t Oer*
Ijängte. *TCad)bem Sicilien burd) ben griebenSbrudj Sllberoni'S unter
bie £>errfd)aft Spaniens gefommen, mürbe, nadj borauSgegangenen
Unterf>anblungen beS fpantfäen §ofeS mit bem päpftlid)en Stuhle,
baS Qnterbift aufgehoben, bod) bauerte ber Streit mit Victor $lma=
beuS fort. SBäfjrenb über bie ^Beilegung beSfetben unterljanbelt
nmrbc, ftarb Siemens XI. am 19. gflärj 1721 im Hilter bon jmeU
unbfiebjig 3af>ren , nadjbem er in feinem bielbemegten ^ontiftfate
faft unauSgefefct ben Sdjmerj gehabt, bie Sftedjte beS apoftolifd)en
Stüdes , für meldje er f>od)|erjtg gefämpft , bon allen Seiten Oer*
fürst unb beinahe alle feine Stritte oon ben tocltltajen 3Häd)ten,
bie, unbefümmert um bie föedjte ber ßirdje, nur ifjrcn eigenen &or*
t^eil oerfolgten, mtbbeutet unb angefeinbet ju fe^en.
3um ftadtfolger Siemens' XI. mürbe ber ftarbinat Sttidjael
2lngelo Sonti aus einer oorneljmen römtfdjen Samilie ermäfjlt, ber
unter bem tarnen 3 n n o c e n 5 XIII. ntdjt oolle brei 3af)re
(1721-1724) ben päpftltdjen Stubl inne r)atte. SSäfjrenb feines
furjen <ßonttftfatS mürben bie 3ted)te ber ßirc&e btelfad> beriefet,
inSbefonbere buref) bie Uebertragung ber £erjogtf)ümer ^arrna unb
$iacen$a an ben fpanifa)en Qnfanten Barlos, mobei oon ber ur*
alten papftüdjen DberlefjcnStyerrlidjfeit (einerlei Sßotij genommen
mürbe. 2>aS 2Bol)l ber fttrdje förberte Snnocenj XIII. burd) bicl*
faaje f>eilfame SBerorbnungen. ©ro&en Kummer bereitete if)m bie
gebieterifaje gorberung beS franjöfifdjen «fjofeS, bem unmürbigen 2lbb<5
$uboiS ben Purpur ju berleüjen, unb nur gelungen unb unter
Xfjränen unterjeiajncte er beffen Ernennung 311m $arbinal.
2luf Snnocenj XIII. folgte am 29. 3ttai ber gelehrte , bem
$omintfanerorben angcfjörige Äarbinal ötncenj 9ftaria Orfini als
©enebift XIII. Dbgleidj fein <£ifer oor 2Iüem ben hra^li^en 21^
gelegenl)eiten unb inSbefonbere ber Hebung beS geiftlta^en StanbeS
Digitized by Google
S>ie Jfipftc öon 1655-1758.
331
unb bcr wiffenfdjaftlid)en Seftrebungen beSfelben galt, berfäumte er
nid)t, §anbel unb Qnbuftrie im #irdjenftaate förbern. Sludj war
er bemüht, mit ben oerfduebenen £>öfen ein gutes ©inüernefjmen
herstellen, wobei er jebod) ben 9fti6griff beging, bem oon if>m jum
ftarbinal erhobenen unmürbigen flhfolauS (EoScta bei ben mit ben*
felben geführten Unterfjanblungen aflju freie £anb ju laffen, wobura)
ben welttidjen üftädjten meljr bewilligt ttmrbe, als mit ben ^ntereffeu
ber ^irc^c berträgltdj war. *Ria)tSbeftoweniger erfuhr ber *ßapft oon
ben meiften £>öfen nichts als ßtänfungen.
ftad) bem £obe öenebifts XIII. (21. gebruar 1730) wägten
bie #arbinale ben fünfunbftebjigja^rigen ßoren$ (£orfini aus glo=
renj, ber ben tarnen (Siemens XII. annahm wnb wäf>renb feinet
$ef)njäljrigen <ßontififatS feines fjofjen SlmteS in würbiger SEBeife
waltete. 3n richtiger (Srfenntnifj ber (Gefahren, welche ber ju $ln*
fang beS adjtjefmten QaWunbertS in ©nglanb entftanbene gret*
maurerorbeninft^ barg, oerbot er im Saljre 1738 bei Strafe
beS Sannes ben eintritt in benfelben. SKitten unter ferneren ©or*
gen, bie if>m buraj geinbfeligteiten oon ©eiten ©panienS unb ©ar*
binienS bereitet tourben, ftarb (Siemens XII. im gebruar 1740, im
Süter Oon adjtjig Sauren.
9laä) einem fedjSmonatlidjen ©onclaoe Würbe am 17. Sluguft
1740 ber fünfunbfet^jigjä^rige Äarbinat ^roäper fiorenj Samber*
ttni als Senebift XIV. auf ben päpftlidjen ©tuf)l erhoben. 2IuS*
gejeidjnet burd) eine ebenfo grünblidje als umfaffenbe ©elefjrfamfeit,
förberte Senebift XIV. bie Söiffenfdjaften, tljeilS burd) eigene SSerfe,
tljeilS burd) bie (Srriajtung mehrerer geteerten ÖJefeKf djaften, fowte
burd) bie Anregung, bie er $u $af)lreidjen fdjriftfteüerifdjen Arbeiten
gab. SefonberS groß war er als firdjlidjer (Sefefogeber. ©eine
Süden waren oft gelehrte $lb(janblungen ; aber U)r ^nfjalt jeugte
Oon f)oljer Umfidjt unb SSeiSljeit. S)en erfdjöpften ginanjen beS
fiHrdjenftaateS fudjte er ljauptfädjlidj burd) große ©parfamfeit auf-
jufjelfen ; aud) trug er ©orge für bie $ebung beS SlrferbaueS unb
ber Qnbuftrie, fowie für bie Sefdjränfung beS ßuruS unb für eine
geeignetere Drganifation ber $8ef)örben. Son ber Ueberjeugung aus*
geljenb, bafj ber ©treit jwifdjen ber geiftltdjen unb weltüdjen ©ewalt
nur ben geinben ber Religion (Gewinn bringe, glaubte ©enebift XIV.
in feinen 93e$iefwngen ju ben weltlichen SQiöc^tcn bis an bie au&erfte
©ren^e ber Sugeftänbniffe getjen ju müffen ; aber wenn eS iljm aud)
babura) gelang, mit ben in ifjren gorberungen immer weiter ge=
f)enben £öfen einen jeitwciligen grieben tyerbeijufüfjren , fo würben
boef) burd) bie bielfa<|en, nur für ben $lugenblicf beregneten XranS-
aftionen bie obfd)webenben 3)ifferenjen nidjt bauernb befeitigt, unb
bie oft ju weit getriebene 9>tad)giebigfeit beS päpftlidjen ©tuljleS
biente nur baju, bie auf bie förmliche Unterjod)ung beS firdjlid)en
Digitized by Google
332 Qtalicn Dom lueftfälifdjen ^rieben bis in bie Witte beS 18. 3ahrt).
Gebiete« auSgehenbe weltliche Wlafy $u immer fühnerem Auftreten
$u ermutigen.
2(uf ben SBnnfch mehrerer fatholifchen ^Regierungen öermin»
berte SBenebift XIV. bie Safjl ber firdjUchen Sfefttage. 35en 3ürft*
abt öon gulba erhob er im 3a^rc 1752 5um Öifdjof. (5r mar ber
erfte ^ßapft r ber baS preufjifdje ftömgtlntm anerfannte unb in fpä*
tcren (Srlaffen ben preußifchen ©ouüerän als fönigliche SJcajeftat
bezeichnete. 3)er tefcte (Srtafj öenebifts XIV. mar ein 93reöe öom
1. Slpril 1758, in welchem er, bem fich gegen bie Sefuiten öorbe*
reitenben ©türme nacfjgcbenb , eine SBifitation ber Kollegien unb
übrigen Käufer beS DrbenS in Portugal anorbnete. ©inen Sftonat
föäter, am 3. 3Jcai 1758, ftarb ber gefeierte Sßaoft im Sllter öon
bretmtbaa)tjig Sauren.
%ozlana, ©aöogcn, ajenebig unb ©cnua.
Söäfjrenb fich % o S f a n a unter ber Regierung SoSmo'S II. unb
SerbinanbS II. (f. S3b. V. ©. 665) noch auf ber #öl)e beS fünft*
lerifdjen unb roiffenfdjaftttdjen iRuhmcS erhalten hatte, $u meldjem
eS fett ben erften gelten ber SJcebiceer emoorgeftiegen, fanf eS unter
SerbinanbS ©ohn unb Nachfolger ßoSmo III. (1670—1723)
gänzlich öon berfelben herab, unb ba (£oSmo fein anbereS ©treben
fannte, als fich in ber @unft SubmigS XIV. ju erhalten unb an
bem §ofe öon Sforenj bie bracht unb öerfa^menbung öon SBerfaifleS
nachzuahmen, öerfdjmanb mit ber geiftigen SBebeutfamfeit feines ©rofc
herjogthumS jugleich ber lefcte SReft feines ©influffeS auf bie 83er*
hältniffc ber £albinfet. 9ÜS mit GoSmo'S III. ©ofm Sodann
©afton im Qafjre 1737 baS $auS ber üttebieeer auSftarb, befanb
fich baS £anb in bem 3«Panbe äu&erfter @rfd)ööfung unb 3errüt*
tung. @rft unter granj öon Sothringen unb beffen jmeitem ©ohne
2 e o p o I b, ber nad) bem Xobe feines SkterS baS ©ro&her jogthum
SoSfana als eine öon Deftcrreidj getrennte „©ecunbogenitur" er=
^ielt, fe^rten für baSfelbe befferc Reiten jurütf.
SBie SoSfana unter GoSmo III. öon SDcebici, fo mar auch
©aüotjen feit bem ötyrenäifchen Srieben ganj an baS franjöfifche
Sntereffe gefettet, bis ber ©erjog öictor toabeuS IL (1675 bis
1730) fidj, junächft im britten (SroberungSfriege SubmigS XIV. unb
föäter im föanifchen (Srbfofgefriege, aufs Neue an bie (Gegner granf*
reichS anfdjto&. Victor StmabeuS , ber , mie mir oben gefehen , im
Utrea)ter ^rieben ©icilien mit ber ftönigSmürbe erhalten, im 3ahre
1718 jeboch genöthtgt roorben, biefeS fianb gegen ©arbinien an ben
flaifer abzutreten, unb feitbem als Victor SlmabeuS I. ben Xitel
eines Königs öon ©arbinien führte, gab feinem Sanbe eine ftreng
Digitized by Google
XoSfona, ©aöo^cn, SSenebig unb ©enua. 333
müitarifdje (Einrichtung, mobei ihm bie be* üreufjifchcn Staate* jum
SBorbilbe Diente, unb legte im ©eptember 1730 bie Regierung ju
fünften feine* ©ohne* #arl (Emmanuel nieber. 211* er im folgen*
ben 3afjre bie STbfidjt ju erfennen gab , ben %fjton nrieber ju be=
fteigen , mürbe er auf ©efefjl feine* ©offne* üerfmftet imb auf ba*
Schlo§ Hiüoli gebracht, too er bi* ju feinem £obe (1732) al*
(Staatsgefangener lebte.
flarl (Emmanuel I. (1730-1773) ftellte bie TOlitärfraft
feine* Sanbe* , ba* er im 3ntereffe feiner friegerifdjen Smecfe mit
ben fdjmerften Abgaben brüefte, in ben $ienft frember SÜcächte, mo-
bei er oft , ber <ßolitü feiner ^eit Qttxtn , mitten im Kampfe bie
*Bunbe*genoffenfchaft mechfelte, menn ber s2lnfchlu& an ben ©egner
größere SBort^eile in 2lu*fia}t fteflte.
58 e nebig, ba* burdj ben unglücf liefen Verlauf feine* üier*
unbamanjigjä^rigen Eürfenfriege* bie 3nfel ftanbta üerloren (f.
93b. V. 8. 667), fanb al* öunbe*genoffe ftaifer ßeopolb* in beffen
im 3a^re 1783 abgebrochenem Xürfenrriege für biefen fdjmer em=
pfunbenen SBerlujt einen (Erfafc burd) bie (Eroberung ber £albinfel
SJcorea, bie burd) ben früheren ^elbenmüt^igen Sertf/eibiger üon
Äanbia, ben 2)ogen 3france*co SHorofino, im 3al)re 1687 nach f)ti*
gen kämpfen ben Surfen entriffen unb im grieben üon ®arlonri&
ben SSenetianern juerfannt mürbe. Xie Unjufricbenheit ber gried)i=
fchen Seüölferung ber #albinfel über ben üon ben üenetiamfdjen
Sanbpflegern geübten ferneren S)rucf erleichterte ben Xürfen bie
SBiebereroberung SÄorea'* , unb im grieben üon ^affaronnfc mufjte
fich ^Benebig $ur Serjichtleiftung auf ba*felbe gegen bie Abtretung
ber gelfeninfel (Eerigo üerftehen. ©eitbem blieb ber Sefifcftanb 23e=
nebig* feft normirt, unb bie fjin unb nrieber auf* 9leue beginnen*
ben geinbfeligfeiten gegen bie Xürfen bienten nur baju, ber in
immer größere (Erfdjlaffung üerfinfenben SRepublif $emüthigungen
aller 2lrt ju bereiten.
Ö)enua, ba* feit ber ihm im 3<*hrc 1684 burdj Subttrig XIV.
auferlegten ferneren ,£>eimfudmng mit granf reich in Sieben gelebt
hatte unb üon ben SBirren be* fpanifchen (Erbfolgefriege* unberührt
geblieben mar, fyatte. feit bem 3ahrc 1729 har*e kämpfe gegen bie
3nfel ®orftfa ju befielen r in beren Söefifc e* im 3ahre 128&
gefommen. iftachbem bie Dorfen fich fchon in ben üorhergeljenben
Sohren nueberholt in üereinjelten Slufftönben gegen bie brücfenbe
genuefifche £>errf djaft aufgelehnt hatten, ohne bafj e* ihnen gelungen mar,
ba* üerha&te 3o<h abschütteln , erhob fich im 3ahre 1729 *>k
ÖJefammtbeüöKerung ber Qnfct jum gemeinfamen Kampfe gegen ihre
Söebrücfer, unb erft im 3ahrc 1733 Solang e* ben (SJenuefen, unter
ber Üftitnrirfung üon achttaufenb 9ttann öfterreichijeher Xruppen, bie
ihnen ®aifer ftarl VI. ju #ilfe gefanbt, ihre £err jd)aft auf forfifa
Digitized by
334 Stalten botn toeftfälifdjen ^rieben bis in bie SRittc be« 18. 3<rf>rfj.
Ijerjuftellen. $>er ®ampf brad) jebod) aufs 9teue aus, als im 9ttär$
1736 ein beutfäer Gbelmann aus Söeftfalen, Xtyeobor fteuljof,
ber fidj längere 3e^ als politifd)er Mbenteuerer an oerfd)iebenen
£öfen untergetrieben , mit einem ©djiffe unter englifdjer Slagge,
baS retrf)lid) mit #riegSbebarf üerfeljen war, an ber forfifdjen ftüfte
erfd)ien unb ftdj ben Dorfen jum Befreier anbot, wenn fie ifm $u
ifnrem dürften wählen wollten. 3n ocr ^fat nuirbe er im Slpril
beS gleiten QafjreS als X f) e o b o r I. jum Äönig öon föorfifa aus*
gerufen unb, in Ermangelung einer wirflidjen ftrone, mit einem
^orbeerfranje gefrönt, worauf er $al)lreid)e $ofämter erridjtete, ben
Vornehmen beS fianbcS Xitel unb SBürben öerliel), ben Drben beS
©rtöfers ftiftete unb aWünjen fdjlagen ließ.
Qnbeffen bilbete fid) balb unter ben Dorfen eine Partei gegen
ben neuen ®önig, unb ba fid) berfelbe überbieS in ©elboerlegenljeit
befanb, inbem bic öon if)m auSgefdjriebenen Steuern nur mangel*
r)aft eingingen, begab er fid) im üftooember 1736, nadjbem er für
bie Xauer feiner 9lbwefenf)eit eine Sftcgcntfdjaft eingefefot, nadj $lm*
fterbam, wo ifjn ein Xfjeil ber ®aufmannfd)aft gegen baS S3erfpre=
djen gewiffer $anbel^oort^eile auf ftorfifa mit ©elb unb neuem
$ricgSbebarf öerfaf).
Unterbeffcn Ratten fidj bie (SJcnuefen um £ilfe an granfreUf)
gewanbt unb uon bem fransöfifdjen jpofc bie Qu)a$t bewaffneter
tlnterftüfcung $ur ^Bewältigung beS forfifdjen WufftanbeS erhalten,
unb als X^eobor im September 1737 mit brei fyollänbifdjen .Kriegs*
fdnffen nadj ®orfifa jurüdfam, fwtte fid) ein Xtjcil ber 93eöütferung
bereits burdj ben Sütjrcr ber injwifdjen auf ber Qnfel angelangten
franjöfifdjen Xruppeu $u einem Sertrage mit <&enua beftimmen
laffen, in weldjem biefcS ben Dorfen als <J*reiS i^rer 9lüa*fe^r unter
feine :perrfcf>aft eine toollfommene Slmneftie unb eine eigene Regie-
rung bewilligte, tföä^renb feine 2lnf)ängcr ben $ampf fortfefcten,
öerliefe £l)cobor, auf beffen ®opf ein $retS gefegt worben, aufs
SKeue bie $n\tl, fetjrte jebod) im Qa^re 1743 jum anbern 9)tole
batyin jurütf, bieSmal mit englifdjen ^riegSfdjiffen , 511 wefdjen if)m
ttonboner Äapitaliften öerfwtfen; aber baS fSoit war fo feljr ent*
müßigt, baß er alsbalb, an feiner ©adje oeraweifelnb, fid) wieber
nadj Bonbon etnfdjiffte, wo er am 11. $>ejember 1755 in ber
äu&erften £)ürftigfeit ftarb.
$a bie ©enuefen bie ben Dorfen gemalten SitgcftanbntfTc
niajt erfüllten, griffen biefe aufs 9ieuc ju ben SBaffen, unb ber oon
i^nen jum Oberbefehlshaber ernannte eble unb l)elbenmüthige $ a S*
cal $aolo, bem aiigleid) bie Verwaltung beS fianbeS übertragen
worben, führte eine Seitlang ben ®rieg gegen bic ©enuefen mit fo
cntfajiebenem öJlürf, ba6 biefe abermals bie ^ilfe SranfrcidjS in
silnfpruch nehmen mußten. 2ln ber SDiögliajfeit oerjweifelnb , fia)
Digitized by Google
3)a3 ftöntgr. $reufcen unter griebr. I. u. griebr. $Biu). I. — griebr. I. 335
im SBeftfce ber 3nfef ermatten ju fönnen, traten fie im 9ttai 1768
i^rc föed)te auf bicfclbc gegen eine bebeutenbe ®eibfumme an granf*
reid) ab, beffen Gruppen fid) inattufdjen auf einem X^eile oon ®or=
pfa feftgefefct Ratten. $ao(o legte auf einer ^erfammlung ber
Dorfen in ©orte öor ganj Europa gegen ba3 Unrecht, baä granf*
reia} unb ©enua an ftorfifo begangen , fcicrlidt) SBcrtoahrung ein
unb begeifterte feine Sanbaleute jum äufeerften Sötberftanb ; nadjbem
jebod) jebe Hoffnung auf ben erwarteten SBeiftanb ©nglanbä ge*
fctjtounben , gab er im folgenben 3a^re , naa) einer bei $ o n t e
9i u o b o erlittenen ftieberlage, ben auäfidjtölofen Äampf auf unb
fduffte fid) am 11. Qult nadj v#ifa ein, t»on too er fid) fpäter nad)
(Jnglanb begab. 9cad) bem Muäbrua) ber frausöfifa^en töeöofution
würbe er jurn (Statthalter feiner ^eimat^Uc^en Qnfel ernannt, bie
am 12. 3uni 1769 — jwei Monate bor ber ©eburt Napoleon
SBuonop arte'S, beä größten tfjrer ©öfmc, ber burd) bie 58er*
ttid)tung ber genuefifdjen SRepubfif unb bie Unterjochung grantreid)*
ber föädjer feinet Rottes werben foüte, — befinittb in ben 93eft&
granfreidjä übergegangen war; er hntrbe jebodj im %af)xe 1793 ate
(Gegner ber SRepublif geästet, worauf er, ber Slufforberung ©eorgS III.
uon (Snglanb folgenb, naa) fionbon jurürffe^rte. $ier ftarb er im
3at>re 1807.
XXI.
J>az ^ottigtetd) Igteufau untet gfriebrta) I. unb £frietotd>
(1688—1740.)
9f r i e b r i $ L
(1688-1713.)
9tact)bem ber ju Anfang bed fieb$ef)nten Qafjrljunberta burd)
ben £eimfafl be§ £er$ogtf)um§ Greußen an ba£ branbenburgifd)e
£auS eniftanbene preußifüVbranbenburgi)d)e Staat unter bem fdjroadjen
tfurfürften ®eorg SBilfyelm (1619 — 1640) mö^renb ber <5türmc be&
bretfjtgjährigen ®riege§ in bie tieffte 3errüttung unb Olmmadjt ber*
funfen mar, Würbe berfelbe burd) bie fraftootte Regierung beä
„großen ®urfürften" griebrid) SBilfjelm (1640 — 1688), be£
€>ohneS unb 9cad)folger3 ®eorg 2Bill)elmä, ju einer ungeahnten
Sölütfje emporgehoben.
griebrid) SBilfjelm war ein ^errfajer bon t)od)ftrebenbem ©eifte,
fettenem @d>arfbtitf unb raftlofer Xhätigfcit , babei eine burd) unb
Digitized by
336 $aö Jtomgreid) Greußen unter ^nebridj I. unb griebrid) SBil^elm I.
bunt) majeftatifche (Erfcrjeinung. „Biegfam tote bie SBeibe unb hart
wie ber ©tafjl, je nachbem e* galt, fein Siel $u erreichen," war
er ebenfo gewanbt unb befonnen in Unterhanblungen , al* rafet)
unb fühn jur Xfjat. ©einer Beteiligung an ben oerfchiebenen
politifchen SBerwicMungen unb friegerifchen (Eretgniffen feiner 3rit
haben wir bereits früher gebaut. Befonber* bebeutfam für bie
Sufunft feine* £>aufe* war ber am 19. September 1657 watjrenb
be* fchwebifch-polnifchen Kriege* jwifchen ihm unb bem $önig 3o*
hann $afimir öon ^ofen abgesoffene Bertrag ©on Söclau, burefj
Welchen bie ßefyenSabfjängigfeit be* £>erjogthum* Greußen oon $olen
aufgehoben Würbe.
2Bie Sriebrich SBiIr)elm* erfte Sorge bei feinem Regierung*«
antritt barauf gerietet mar, Orbnung in ben gänjlich zerrütteten
3inaitjöerf)ältniffen be* branbenburg*preußifchen ©taate* ju fcr)affen
unb beffen (Einnahmequellen ju erweitern , fo blieb auch *n ocr
3olge bie ^ebung be* SBohlftanbe* feine* Sanbe* ein beoorjugter
©cgenftanb feiner SRegententhätigfeit. 3U biefem (Enbe nahm err
wie wir oben (©. 100) gefehen, jwanjtgtaufenb audgemanberte Huge-
notten in bie buret) bie berheerenben $hrieg*ftürme jum größten Xheile
oeröbeten ©tobte ber 9Jcarfen auf unb führte baburdj in benfelben
ein rafdje* Söieberaufblühen ber (bewerbe unb eine errjö^te $unft*
tfjätigfeit herbei; auch S°Ö cr bux Sörberung be* 2lcferbaue* zahl-
reiche £>oflanber in bie |>aöellänber unb nach bem SBarthebruch unb
erleichterte ben inneren 33crfct)r burch bie Einlage be* bie Ober mit
ber ©pree oerbinbenben 5riebrich*9ßilhetni**®anal* unb bie (Ein-
führung regelmäßiger $oftfar)rten. ®anj befonber* lag ihm bie
(Erweiterung unb 3$erfcr)önerung t»on Berlin am £>crjen. Sluch für
bie Hebung ber ©Übung forgte er burch bie ©rünbung berfdnebener
höherer Unlerricht*anftaltcn.
$a* ^pauptaugenmerf griebrich Söilhelm* mar jeboer), bem in
ber Dichtung ber Seit Iiegenben ©treben naa) fiänberermerb unb
9ttacht$uwach* entfprecr)enb, auf bie Hebung ocr SRüitärfraft feine*
£anbe* burch bie Söilbung eine* ftehenben Heere* gerichtet. Um
baju bie nötigen üttittel ju gewinnen, führte er, unbefümmert um
ben SBiberftanb ber ©taube, außer mehreren anbern neuen Abgaben
eine allgemeine Sßerbrauch*fteuer , bie fogenannte 91 c c i f e , ein.
(Ebenfo wenig wie bei biefer Beranlaffung ließ er ftcr) in anbern
gäüen burch °*c (Einmenbungen ber ©tänbe in feinen (Entfct)ließungen
hemmen ; benn er war ber Anficht , baß ber fürftliche SSifle burch
bie ftänbifchen fechte nicht befchräntt werben bürfe, wenn ber ©taat
nach Snnen unb Mußen erftarfen unb machtiger werben fotte.
$iefe* ßiel, auf welche* äße feine ©abritte gerichtet waren,
erreichte er in ber X(;at; benn bei feinem Sobe (29. 2TpriI 1688)
war fein Sanb um ein Eritthei! gewachfen unb bie ©eüölferung
Digitized by Google
griebrich I.
337
beSfelben in bem gleichen Sftaße geftiegen, roährenb bie ©innafnnen
beS <&taattö fidt) üerffinffacht Ratten. König Sriebridj II., für meldten
er in üielen Stücfen 9Jhtfter unb SÖorbüb gemorben, fteflt feinem
öon ihm f)oc^öere^rten Slfmherrn baS glänjenbe 3*ugniß auS:
„2)urch feine SSeiSheit ber SBieberherfteller eines üerroüfteten SanbeS,
burch feine Sßolitif unb Klugheit ber Grrroerber neuer Sßroüinjen,
burch feine Xapfcrfeit eine ©tufce feiner SunbcSgenoffen , ein 93er*
tr)etbigcr feiner Untertanen, ift er immer gleich groß in allem, maS
er unternimmt."
grie brich III., ber ©ofm unb Nachfolger beS großen Kur*
fürften, mar förderlich mie geiftig gan$ baS ©cgentfjeil feines
SBaterS. SJon ©eftalt Kein, fchmädjlich unb üermachfen unb babei
öon burchauS gemöfmlicher ©efichtäbilbung, mar er als Regent, nach
bem HuSfpruche griebrichS beS ©roßen , „groß in allen Keinen
fingen unb flein in ben großen." ©eine (£ttelfeit unb maßlofe
*ßrunffucht öerleiteten it)n $u einem Slufmanb, ber bie Kräfte feines
SanbcS meit überftieg unb Auflagen nötfjig machte, burd) meiere
baö 93olf ferner gebrüeft unb ber (Staatshaushalt öollftänbig 5er*
rfittet mürbe. 5>abei mar griebridj III. öon fo fdjroacfjem (Sharaf*
ter, baß er, jebem (Einfluß nadjgebenb, ber ©pielbaH feiner ©ehmeief)*
ler mürbe, bie, öon it)m mit einflußreichen Slcmtern unb fyotyn
SSürben 6ebacht, im fianbe nach SMfür fchalteten unb burch ihre
$abfud)t bie Unter thanen auSf äugten.
Qnbeffeu fehlte es bem neuen Kurfürften auch nicht an lobenS*
werben ©tgenfehaften. @r mar im höchften ©rabe leutfelig, gut*
herjig unb mohltooHenb, babei öon unüerbrficf)licher Xreue unb 00H
Grifer für bie ©adje ©eutfchfanbS. SBie er im %a1)xt 1689 an bem
ReichSfriege gegen ßubmig XIV. perfönlid) Xheil nahm (f. ©. 88),
fo unterftüfcte er im Qahre 1691 ben Kaifer in beffen Sürfenfrieg,
fomie fpäter im fpanifchen ©rbfolgefrieg aufs Racf)brücfltchfte , unb
mir hoben gefetjen, meld) heröorragenben Slntheil feine Gruppen an
ben ©iegen üon $öchftäbt unb Xurin gehabt.
SBenn auch griebrict) III. nicht gleich feinem Vorgänger auf
(Eroberungen ausging, fo fehlte es ihm boch nicht an ©hrgei$. ©eit*
bem fein Setter SBilhelm öon Dranien König öon dnglanb unb
fein Machbar Sluguft öon ©adjfen König öon $olen gemorben, ließ
ihm ber SSunfch , feinem Sanbe bie gleiche Rangerhöhung $u er*
merben, feine Ruhe mehr, unb mir 1)abzn obtix (©. 31) angegeben,
in melier SSeife er ju biefem 3iele gelangte, Kaum ^attc er bie
Nachricht üon bem am 16. Roöember 1700 erfolgten 2lbfd)luß bcS
„KontraftatS" erhalten, ber ihn ju ber Sinnahme beS föniglichen
Titels ermächtigte, als er mitten im SBinter mit feiner gamilie unb
feinem ganzen ©ofe nach Königsberg eilte , um feine unb feiner
©emahlin Krönung ins äßerf §u fefcen.
fcclamarif), ffleltfleicfjidjte. VI. 22
Digitized by Google
338 tfönigreid) ^reufeen unter ftrtebricf} L unb griebrich fBttyelm L
tftadjbem bie nötigen Vorbereitungen gu ben Krönungäfeier*
lichteten getroffen toorben, riefen am 15. Qanuar 1701 reichgefleU
bete , berittene £>erolbe in ben Strafen oon Königsberg unter
(Stfodfengeläute unb Kanonenbonner bie Qrrfjebung be3 Jperjogtfmma
Sßreujjen ju einem Königreiche aus, unb jtoei Xage fpäter grünbete
grtebrich, $um ewigen ©ebächtnifj bie(eä Wichtigen (Sreigniffeä , ben
f ch w a r j e n ^Iblerorben, mit meinem fogleich bie ljudjften
Söürbenträger beS 8anbe3 gefchmucft mürben. 2lm folgenben Xage,
bem 18. Qanuar, fefcte griebrich III., in bem 2lubiengfaale be3
©chloffeä auf einem reich gefchmücften Ztycont fifcenb unb bebecft
mit einem carmoifinrothen , mit golbgefticften Slblern unb Kronen
überfäten 9ftantel, in (Gegenwart aller (trogen beä Steidjä unb ber
fremben (SJefanbten guerft fich felbft, bann feiner öor iljm fnieenben
©ema^lin bie KönigSfrone auf, toorauf fein ©ohn unb feine Vrib
ber i tnieenb ir)rc {mlbigung barbrachten. Xaruad) begab fidt)
ber gange §of in bie Kirche, too ber König unb bie Königin fich
auf $wei, ju beiben Seiten be3 Mltareä errichteten prachtoollen
X^ronen nieberlie&en. Sftachbem Veibe oon gmei Dberhofprebigern,
bie griebrich eigens $u biefem Qtotdt $u Vtfchöfen ernannt ^atte,
in Kreugeöform auf bie ©tirne gefalbt toorben, würbe baä ©elbft*
auffegen ber Krone noch einmal oor bem Oerfammelten Volfe oor*
genommen. $en ©chlu& ber geierlichfeit bilbeten ©efänge, *ßrebigt
unb ©penbung beä s2lbenbmahl3.
Um ben $runf be3 gefteä oollftänbig ju machen , fehlte eä
auch an ben bei ben Kaijerfrönungen üblichen ©penben für ba3
Sßolf nicht: ein ©pringbrunnen fprubelte mei&en unb rothen SBein,
unb ein ganger gebratener Ochfe tourbe ber Üttenge preisgegeben,
©in ÖJnabenaft, burch welchen allen (Befangenen, Xobtfchläger unb
©chulbenmacher aufgenommen , bie greifet gurürfgegeben würbe,
befchlofi ben f eftlichen Xag; bod) bauerten bie £uftgelage faft un*
unterbrochen fort bis gum 8. 9ßärg. Slm 6. 2M ^ielt ber neue
König feinen feierlichen <£ingug in Berlin bura) bie ©trage, bie
feitbem ben tarnen „Königäftra&e" trägt.
S^ach bem Vorgänge ber übrigen Kurfürften, bie ohne ©djwierig*
feit ber bieäbegüglkhen Slufforberung beä Kaiferd golge leifteten,
erfannten bie meiften ©taaten Suropa'ä bie preu&ifche Königäwürbe
fofort an; oon Seiten Spanien* unb granfreidjä gefchah bie£ erft
im Utrechter grieben. Xafj bie ©infpradje beä $apfted gleich oer
be3 ©rojjmeifterS bed beutfehen 9litterorben3 wirfungäloä blieb,
haben toir oben gefehen. gür $reuf}en£ ^ufunft mar bie erlangte
Rangerhöhung oon eminenter Vebeutung. ©ie mar nach bem 2lud*
fpruche König griebrich^ IL: „eine Üocffpeife, welche griebrich
. allen feinen Nachfolgern hinwarf unb woburdj er ihnen gu fagen
Digitized by Google
griebricS L 339
fdjien: „äfladjt eudj beS Xitel« mürbig, ben tdj eudj oerfdjafft; oo(*
lenbet ben SBau, beffett ©runbftcin ia) gelegt §abe."
Slufjer ber ® önigSmürbe oerbanft ber prcußifc^c Staat grieb*
rief) I. audj einen nid)t unbebeutenben Sänberjumad)3. SBie il)m
als bem Solme ber oranifdjen ^rinjefftn Souife Henriette, ber
älteften Softer beS ©rbftattfjalterä griebridj #einrt4 , burdj ben
$ob 2Bifljelm& III. öon Dranien bie (Sraffdjaften fiingenä unb 2ttör3,
fomie bie gürftentf)ümer Sfteuftfjatel unb Söalengin (J8a(enbi&) juge*
fallen maren, fo crmarb er burd) ßauf bie ©raffdjaft Xecflenburg,
bie (Srbfdnrmbogtei über baä «Stift Oueblinburg, bie 9teid)3bogtei
$u *Rorbf)aufen unb bie 2lnroart)d)aft auf ©aireutf).
$er belebenbe SDUttetyunft beä glanjöoöen ^Berliner Äöntg«*
f)ofe3 mar griebrid)3 I. ©ema^lin Sophie (£ fj a r t o 1 1 e , eine
Softer bcä £>erjog3 unb nadjmaligen ®urfürften (Srnft Sluguft bon
§annober. Dbgleidj bie ebenfo liebenStoürbige als geiftreidje unb
^oa^gebitbete Königin $öfjere GJenüffe fannte , als bie prunfüoHen
geftlidjfeiten, in melden griebricfc I. fein ©lüd fanb, entzog fie fidj
benfelben au3 SRüdfidjt für iljren ©emaljl nidjt , fonbern bemühte
fidj, beren föeij burdj ftnnreidje unb gefdjmadüolle tfnorbnungen ju
crimen unb $u berebeln, unb mit föedjt fagt grtebrid) ber ®rofee
bon if)x : fie fjabe ben ©eift feinerer ©efeHigf cit , bie mafjre föiU
bung unb bie Siebe ju ben fünften unb ben SBtffenfrfjaften in
Greußen fjeimifa) gemadjt. Sie felbft fanb tyr ©lüd in ber 93c=
djäftigung mit ®unft unb SBtffenfdjaft unb berbradjte ifjre 9flufe*
tunben am liebften in bem üon ifjr erbauten Sdjloffe $u ßüfeoro —
päter nadj i()r Sfjarlottenburg genannt — mo fte einen
$rciS geiftreia^er unb gelehrter Banner um fidj berfammelte. 3ljre3
58cr!er)rd mit Seibnifc unb ber burtfj fte beranlafjten ©rünbung ber
berliner „Societät ber 2Biffenfdmften" ift fdjon oben (S. 39) ge*
barfjt morben.
%ud) griebridj I. §atte Sinn für bie ftunft, mobon auger ber
üon üjm gefrifteten 9Mer* unb öilb^auerafabemte ju Söerltn jaf)l*
reidje fjerbarragenbe Söauroerfe 3e«9ni§ ablegen , burd) metdje er
feine #auptftabt berfdjönerte. 2)aä bortige föniglidje Sdjlofj lieg
er ju einem s$raa)tbau umgeftalten unb ben größten %f)til ber
griebridjftabt , fonrie baä großartige $eug!)au& unb bie „lange
SBrüaV erbauen , bie mit ber bronzenen sJteiterftatue beä großen
Äurfürften, bem aReiftermerfe beS berühmten ©aumeifterä unb ©üb*
^auerS Schlüter, gefd&mütft mürbe.
gür bie SBiffenfc^aften ttmrbe bura) bie ©rünbung ber Uni*
öerfität $ a 1 1 e eine neue ^jlegeftätte gefc^affen , toela^e , ba bie
tf)eologif<|en ße^rftü^Ie auSi^Iießlia) mit greunben unb Sln^ängern
SpenerS (f. S. 37) befefct mürben, jum toiffcnfajaftliajen WlitttU
punfte ber metifti)a)en 9iia)tung bcS ^ßroteftantiSmuS ^eranmua)«.
22*
Digitized by
340 3)a* JBnigreia) «ßrcufjen unter griebvid) L unb griebria) 23iü)elm I.
Qu ben oon griebridj I. nad) $atte gesogenen Seffern ber Geologie
gehörte aud) ber oon ben ortfyobojen Lutheranern au* Seiojig Oer-
triebene Sluguft ^ermann granfe, ber ©rünber be* $>aflifc^cn
SSaifenljaufe*.
$)er heröorragenbfte unter ben bamaligen ^ßrofefforen ber neuen
Uniüerfität mar inbeffen ber $f)ilofopf) (£f>riftian SSolf. (£r
mar ber ©ofm eine* ©erber* in 93re*lau unb ljatte früfje fdjon,
neben ber 2J?atf)ematif, bie ©Triften öon $e*carte* unb ßcibnifc
jum $muptgegenftanbe feiner ©tubien gemadjt. $on Seipjtg, too
er juerft eine &nftettung al* ßeljrer ber s$l)ilofopfjie erholten, ttmrbe
er im Saljre 1706 al* <ßrofeffor ber 9ttatf)ematif unb ftaturlefyre
nadj $alle berufen unb erwarb fidj fner balb burdj bie ftlarfjeit
feine* Vortrag* unb bie ©rünblidjfeit feiner Unterfucfmngen gro&e*
S(nfe^en. ©eine ^ßlulofoplne, ioeldjer 2eibni|jeu* ©oftem ju ©runbe
lag, baftrte jmar nod), glcidj biefer, auf c^riftlidjen Qbeen, ftellte
aber nid)t*beftotoeniger bie pofitioen djriftlidjen Dogmen oor ber
„natürlichen 9teligion" in ben ©Ratten unb öermodjte ba^er aud)
nid)t, bem Umfidjgreifen ber in (Snglanb unb granfreid) laut üerfün*
bigten neuen 9fleinungen ju fteuem. ©eine freieren ?lnfidjten öer-
roitfclten ifjn in einen «Streit mit ben £afltfdjen ^ietiften, loa* bem
9tadjfolger griebrid}* I., griebridj 2Bilf)elm 1., Skranlaffung gab,
if)n im3af)re 1723 al* Qrrle^rcr feiner ©teile ju entfefcen unb ifjit
„bei ©träfe be* Strange*" au* ben preujjifdfen Öanben ju oerroeifen.
(Sr begab fidj naa? Harburg, too ber Sanbgraf $arl oon Reffen-
taffei iljm eine *ßrofeffur angetragen tjatte. 3m 3af)rc 1733 erfielt er
Don grtebrid) SBilfjelm, ber injmifa^en ju feinen ©unften umgeftimmt
morben, eine el)renoolIe ©inlabung jur 9tütff erjr nadj §atte ; er lehnte
biefelbc jebod) ab unb fiebelte erft im 3a^re 1740 nadj feiner Qu-
rütfberufung burdj griebric§ II. mieber bal)in über, $on ßaifer
$arl VII. in ben 9kid)*freil)errenftanb erhoben, ftarb er im 3aljre
1754 al* ^icefansler ber Unioerfität £aUe.
griebrtd) I. erlag am 25. gebruar 1713 im Hilter oon fed)**
unbfünfaig Sohren einem Söruftleiben, an meinem er feit längerer
3eit geträufelt hatte.
griebn« 28il()elttt I.
(1713-1740.)
griebridj SBilfjelm I., ber einzige ©ofm griebrid)* L,
jaulte oierunbjtoansig %ai)xzf al* ityn ber Xob feine* SBater* jur
Regierung berief. SSebcr üon bem freien SBcfen feiner r)ocr)gebil^
beten Butter unb ber Vorliebe berfelben für $unft unb SBiffen*
Digitized by Google
frricbritf SSityclm I. 341
fchaft, noch öon bcr öerfchmenbcrifdjen $runffucht feine* Vater* mar
ba* (SJcringfte auf ilm übergegangen: eine burdj unb burdj berbe
Ratur öon unbeugfamer SSiUenöfraft unb mafjlofer |>eftigfeit, mar
er ein abgejagter geinb aller £>offormen unb jebe* öerfchmenberifdjen
$runfe* unb ein entfdriebener Verächter aller ©elchrfamfeit. Rur
ba* $ra!tifc^e Ijatte SSertfj für ir)rtr unb ©parfamfeit, ©trenge unb
Xr)ätigfeit galten ifjm, befonber* im §inblirf auf bie öollftänbig $er*
rüttete gtnan^tage be* fianbe* unb bie mannigfachen Unorbnungen,
bie burch feine* Vater* Sdjmädje in ber ©taat*öermaltung r)erbct=
geführt morben, al* bie erften feiner Regentenpflichten.
Von ber fieidje feine* Vater ^inmeg eilte griebrich SMfyelm I.
in fein $abinet, um ungefäumt burch bie meitgehenbfte Rebuftion
feinet $>offtaate* allen meiteren unnüfcen 2lu*gaben ju fteuern.
Von ben jjunbert Äammerherren feine* Vater* behielt er nur öicr,
tjon ber zahlreichen fofttyieligen §ofbienerfchaft nur jmei $agen,
^mei ®ammerbiener, einige Reitfnechtc, einen &au*hofmeifter, jtoei
Äellermeifter unb jtüei Äöct)e bei. 51uc^ feiner QJemafjIin, ber Königin
©opfne ©orothea, einer Tochter ©eorg* I. öon (Snglanb, gemattete
er nur bie afferaotf)tt)enbigftc Vebtenung. Von ben öerabfd)iebcten
#ofbeamten erhielten öiete gar feinen, bie übrigen nur einen fet)r
geringen Ruhegehalt, unb bie im Xicnfte Verbleibenben mußten fich
eine bebeutenbe Verringerung ihre* ©ehalte* gefallen laffen. Xte
aufgehäuften ©chäfcc öon (Sbelfteinen unb perlen, bie foftbaren
SBeine au* bem ©chloßfeßer unb bie 8u{ u*pferbe au* bem SKarftall
würben öerfteigert, bie funftöotlen ®olb* unb ©ilbergeräthe in
bie äRünje gefdntft unb eingeschmolzen. S)en ganzen ^of^alt
richtete ber ®önig fo einfach ein , baß er einen burchau* bür*
gerüchen Slnftrich erhielt. Sludj Übermächte er bie 5lu*gaben be**
felben mit ber größten ©enauigfeit; fogar bie IHidjenrechnungen
ließ er fich öorlegen unb rügte e* auf* ©trengfte, menn ihm nur
ein Pfennig ju öiel öerau*gabt $u fein feinen, ©eine £eben*meife
mar ganj bie eine* einfachen fianbebelmann*, unb feine 2ttahl$eiten
beftanben au* §au*mann*foft : meber Sudermerf noch franjoftfehe
unb fpanifche SBeine burften auf feinem Sifch erfcheinen. SSie er
felbft feine anbere ßleibung trug, al* bie DberftemUniform be*
<ßot*bamer ©renabierregiment* , fo bulbete er auch f^nen
Umgebungen feinerlei ftlciberaufmanb. $ie ©chaufpiele, bie unter
griebrich I. am ^Berliner £of eine fo heröorragenbe Rolle gefpielt,
ftellte er fofort ab, üerabfdjiebete bie Capelle unb bie Dper unb
ließ bie ©arberobe unter bie SIrmen öertheilen. $en Berlinern
blieben im Allgemeinen jur Unterhaltung nur ©ciltänzerfünftc unb
^uppenfomöbien geftattet.
griebrich 2Bilf)elm felbft fanb fein Vergnügen unb feine (Sr*
holung in ben rohen ^arforce^agben, bie in bem öon ihm ange*
Digitized by
342 $aS Königreich ^reufcen unter Sriebricf) I. unb ftriebrid) SBil^elm I.
legten, mehrere teilen umfaffenben „$arforcegarten" bei SBufter*
häufen abgehalten würben, in feinen Xruppeninfpeftionen unb bem
©piete feiner £autboiften, ganj befonber* aber in feinem meltbe*
rühmten „SabafMolIegium." fiu bemfelben toerfammelte er aHabenb*
Ii$ in einem gimmer beä berliner ©chloffeä feine „guten greunbe",
©enerale, SHinifter u. 9t., $u ungezwungener Unterhaltung. Sttan
fa& auf hölzernen ©tüf)len, tranf 33ier unb raupte Zabal, Wobei
man bie «Pfeife nach hoHänbifcher SBeife mit einer Xorffohte an*
jünbete, bie ju biefem Swecfe in einem ©eefen bereit gehalten mar.
SSer nicht raupte, mußte wenigftenS eine pfeife in ben SJhmb
nehmen, £abei mürbe txfifyt, gelacht unb nicht feiten auf Soften
einiger ©infaltigen ober ©utmüthtgen , bie jtch baju hergaben , um
feiner ©djerj getrieben ; boef) blieben auch emfte ©efprädje über bie
mia)tigften Staatsangelegenheiten nicht au&gefchloffen , unb ba bie*
felben in ber gorm jmangtofer Unterhaltung gepflogen mürben,
benufcten bie fremben ©efanbten , bie gleichfalls Zutritt ju bem
XabafSfodegium hatten, gern biefe ©clegenheit , um ftd) über bie
Stimmung be3 Königs unb beffen Sßläne ju orientiren.
$>te gleite ©parfamfeit, mie an feinem £ofe, führte ber fönig
auch in ben Staatshaushalt «in. $ie ©ehalte ber meiften Beamten,
befonberS ber höhten, bie unter feinem Jßater einen fürftlichen
Slufmanb hatten treiben fönnen, mürben bebeutenb herabgefefct unb
manche ©teilen ganj eingebogen. $ie Wfabemie für bilbenbe fünfte
lieg ber fönig fofort eingehen , unb mit ber ©ocietät ber SBiffem
fchaften gebaute er baS (bleiche ju thun ; boer) ließ er ftet) burdj bie
$orftet(ung, bafj fte ihm gute SBunbörjte für fein $eer bilben
fönne, bon biefem ©ebanfen jurürfbringen , entjog ihr aber nichts*
beftomeniger bie meiften ihrer ©infünfte.
$eS fönigä Sürforge für bie Slufbefferung beS öollftänbig
jerrütteten SmanamefenS befchränfte fidj inbeffen nicht auf bie
SRebuftion ber SluSgaben: es füllten auch neue (Einnahmequellen ge*
fdjaffen unb bie bereit* beftct)enben ergiebiger gemalt merben. Qu.
biefem Grube mürben bie abeligen Sehengüter, bie bisher faft fteuer*
frei gemefen unb nur im Kriege fogenannte „Sehenpferbegelber" ftatt
beS pcrförtlicf) ju leiftenben ßticgSbienfteS ju entrichten hatten , in
freie (Erbgüter oerroanbelt unb nach ißa&gabe ber Safjl oer W*-
terpferbe, mit melden fie öeranfchlagt waren, fteuerpflichtig ge*
macht. Sluch mürbe für alle gefchäftlicfjen unb gerichtlichen Urfun*
ben, für Eingaben u. bgl. , ©tempelpapier eingeführt. $or 9lHem
mar ber fönig barauf bebaut, burch bie görberung beS SlcferbaueS,
ber ©emerbe unb beS £anbelS ben SBohlftanb feine* SanbeS ju
heben unb bamit jugleich beffen ©teuerfraft ju erhöhen, unb fdjeute,
mo es biefem 3wecfe galt, felbft bebeutenbe Ausgaben nicht, ©o
lieg er oiele burch ©ranbfehäben herunter gefommene ©täbte wieber
Digitized by Google
343
aufbauen, oollenbete bie oon feinem SSater begonnene griebridjSftabt
in ^Berlin unb erweiterte baS ju jener Seit nodj wenig bebeutenbe
sßotSbam &u einer ber anfefmlidjften ©täbte beS SanbeS. ©omofjt
fjier als in ©panbau liefe er burd) ijollänbifdje ©djwertfeger unb
33üdjfenmad)er ÖJemeljrfabrifen anlegen, auS benen fetbft auswärtige
$eere ifjre SBaffen belogen, unb in Berlin baS fogenannte »Sager*
fmuS" erridjten, worin baS $ur ©eftetbung beS gefammten #eereS
nötige Xud) in öor$üg(idjer Dualität oerfertigt würbe. 3n bie
üeröbeten (Segeuben Greußens nafjm er $aljlreidje arme Samilien
auS ber ©djweij unb oerfdnebenen ÖJegenben DeutfdjlanbS als 9Tn*
fiebler auf unb oerfalj fie mit bem nötigen SReifegelb, fowie mit
©aumateriat unb $ltfergerätl)e. Dabei übermalte er fetbft aufs
ÖJenaucfte bie 9IuSfüfjrung aller bon ifym getroffenen Wnorbnungen,
liefe ftdj über SttleS bis in bie fTeinften Details töedjenfdjaft ablegen
unb bestrafte aufs ©trengfte felbft bie geringfte ^flid&toerfäumnife
ober SBeruntreuung bon ©etten ber ^Beamten.
2TIS eine burdj unb burdj beSpotifd)e Statur unb im tfyatfäaV
lirfjen SBefifce jener unumfdjränften fierrf Obergewalt , ju welker fein
©rofeöater burdE) bie öollftänbige Ünterbrürfung aller ftänbiftfjen
Siebte ben ©runb gelegt, ©erlangte griebridj 2Bitf)eftn bon feinen
Untertanen blinben QJefjorfam unb berfuljr babei in bieten ©tütfen
mit einer wa^r^aft ttyrannifdjen SftüdfidjtStofigfeit unb SBitffür. ©o
wies er wot)If)abenben ßeuten ober Ijofjen Beamten in ben ©täbten,
bie er empor bringeu wollte, namentlio) in Berlin unb *ßotsbam,
©auptäfce an unb jwang fie, auf benfelben anfe!mlid)e Käufer ju
errieten, audj wenn if>r Vermögen barüber ju ÖJrunbe ging. Um
bie inlänbiftfje Seinenweberei unb SSoöenfabrifation ju heben, erliefe
er ein ftrengeS Verbot beS SerbraudjS bon ©aummoflftoffen unb
orbnete ^auSfutfjungen an, um bie Suwiberfjanbelnben jur ©träfe
ju jiefjen; ja er liefe fogar ben SBürgerSfrauen auf offener ©trafee
ifjre Äattunfleiber bom Seibe reifeen. Sludj berbot er bie Äornein*
fuf)r, felbft wenn Sttangel war, unb nötigte feine Untertanen,
ifmt baS in feinen SKagajinen aufgehäufte betreibe ju einem bon
ifjm felbft beftimmten greife abzulaufen.
^irgenbS trat ber rütffidjtSlofe Despotismus beS Königs in
fdjrofferer unb empörenberer SEBeife ju Xage, als in ber ©ererf)ttg*
feitspflege. (£r führte aöerbingS in baS 8fterf)tsmefen berfdjtebene
fjeilfame Reformen ein, inSbcfonbere baburd), bafe er bie SRedjtS*
formen oereinfaa^te unb für eine rafdjere (Srlebigung ber SRed^tS*
fadjen ©orge trug, als eS bei bem bamaligen fdjleppenben GJeria)tS-
gange ber SaH war; audj fcr)affte er bie £e£enJ>rojeffe ab: aber er
griff bafür auf bie wiüfürlidifte SEBeife in bie ®riminaljufti$ wie in
bie ©efefcgebung ein, oerorbnete, ofjne 9tütffia)t auf frühere ®efefce
ober auf baS #erfommen, ja felbft auf bie gorberungen ber 2Kenfa>
Digitized by Google |
344 2)a3 Äömgreid) $reugen unter $riebricf> I. unb Sriebrid) BfQdm I.
lidjfeit, toaS er felbft im Slugenblicfe als baS 3n>ecfmägigfte erachtete,
öerfc^ärfte bie üon ben Richtern ©erhängten ©trafen, roenn fie ihm
ju milb erfdjfcnen , unb führte neue ©trafarten forote bie grau*
famften Torturen ein. ftinbSmörberinnen tourben in ©äcf en , bie
fie felbft nähen mußten, in* SBaffer geworfen; §auSbiebe ohne
weiteren ^ßrojeg bor ber Xljüre beS $>aufeS, in Welchem fie ge*
ftofjlen Ratten, aufgehängt; junge ßeute, bie ihr Vermögen oer*
fct)tücnbctcn# nach ©panbau ober in ein anbereS Sud^auS gebraut.
SBer in irgenb einer Söeife, fei eS burch X^aten ober burd) SBorte,
baS Sfligfallen beS flönigS erregt hatte, mugte bei perfönlicher löe*
gegnung feinen ©toef füfjlen ober mürbe ju ben fjarteften ©trafen
tjerurtt)eiÜ. Auf ber ©trage fuä)te man ihm möglichft auszuweichen,
weil er bie SBorübergehenben, wenn fie irgenbwie feine Aufmerffam*
feit auf fiä) jogen , anzuhalten unb auszufragen unb bei nicht be*
friebigenben Antworten auszuweiten ober gar burd&znprügeln pflegte,
©elbft auf bie ättobe erftreeften ftcfj feine polizeilichen #or fünften,
bei benen eS ihm hanptfächluh barum ju tfmn fear , ber ^guf fucr)t
eine ©djranfe ju ziehen unb inSbefonbere bie franzöfifchen Erachten
$u oerbannen , benen er , wie allem franzöfifchen SBefen , einen un=
öerföfmlichen $ag gefchworen.
XeS Königs ^i^ige ©emüthSart unb fein unermübltcher §aug
Zur X^ätigfeit trieben i!)n an, überall felbft nad)jufef)en unb mög*
tict)ft ötel felbft p t^un. Alle wichtigen Berichte las er felbft unb
fdjrieb an ben föanb einen furzen, bestimmten, oft berben iöefcheib,
bei Ablehnungen mitunter nur baS SBort „ftarrenpoffen." $en
©jungen ber Hammer wohnte er pufig perfönltch bei. ©einem An*
fefjen burfte ftiemaub ju nahe treten; entfehiebener SBiberfprudj,
oon tvefc^cr ©eite er auch kommen mochte, rig ihn nicht feiten 511
$f)ätltchfeiten hin, unb ein heftiges, in abfehreefenbem Xone heröor*
geflogene« : „föaifonnir @r nicht!" fchuitt alle (Smwenbungen ab.
$a U)m jebe freie Aeugerung über ©taatsfadjen als ©taatSüer*
brechen galt, burfte anfangs in feinem Sanbe gar feine 8ettung er-
feheinen; erft als feine Armee fich im Kampfe gegen bie ©ergeben
hohen SRuhm erwarb , geftattete er baS 28iebererfcf)einen ber 93er*
Iiner Leitungen, bamit bie ©rogtljaten feiner Xruppen allgemein
befannt mürben. $abei blieben fie jeboch einer fo ftrengen (lenfur
unterworfen, bag, toer wtffen wollte, was in *ßotSbam oorging, bie
fietjbner ßeitung falten mugte.
Qn ber gleichen beSpotifchen SBeife, wie in weltlichen fingen,
fchaltete griebrict) Söilljelm auch in ben firchlichen. 3n bem fal=
oinifchen iöefenntitiffc geboren unb erlogen unb bemfelben mit grogem
ßifer jugethan, jwang er ber lutherifcfjen ÖJeiftlichfeit bie reformirte
Hirchenorbnung auf, oerbot bei ben Söegräbniffen ber Sutheraner
bie 93ortragung beS HrujiftjreS, als eine auS bem ^apfttl)um übrig
Digitized by Google
grtebrtd) SBilfjehn I.
345
gebliebene „ärgerliche ®etoohnf)eit," unb unterfagte auf* ©trengftc
jebe anbere gorm be* @otte*bienfte* , al* bie in <ßot*bam uub
in ber ®arnifon*firche $u SBerlin übliche; auch fdjrieb er ben
Oetftttdjen t>or, bei einer an bie Äirdjenfaffe ju entridjtenben
©träfe öon jtuet Xfjalern , an allen ©onn* nnb geiertagen ge*
nau eine ©tunbe lang ju prebigen unb in jeber ihrer ^rebigten
it)rc Qnfydxtv mit gehörigem (Sifer ju öden Stiftungen ju ermahnen,
welche bie Pflicht ber Xreue unb be* (Sefjorfam* ben Untertanen
betn fönige gegenüber auferlegten. $a er bie beiben proteftantifct)en
fonfeffionen au öerfchmeljen münfehte , wobei bie ßutfjeraner ju
(fünften ber 3^eformirten alle Ueberrefte ber aftfirdjfidjen gormen
unb (Gebräuche aufgeben follten, unterfagte er ben ®eiftfidjen beiber
öefenntniffe bei ©träfe ber 2lmt*fu*penfton , bie unter Umftänben
noc^ in willfürlicher Sßeife öerfc^ärft werben follte, alle Streitfragen
über bie SScrfc^icbcn^cit ber beiben $ onfefftonen auf bie fanjel
3U bringen.
®egen bie fatfjolifen bauerte unter griebrich SBilljelm I. , ber
allem fatholifchen Sßefen in fjofym ®rabe abgeneigt mar, bie Un*
bulbfamfeit ber früheren branbenburgifchen ^errfcher fort, ©er
fönig lieg jtnar au* fRücffic^t auf bie öielen fatljolifen , bie fid)
in feinem £eere befanben, im 3afjre 1738 in $ot*bam eine fatijo*
lifdje firche erbauen, in melier ein ©ominifaner au* #alberftabt,
ber ben Xitel „apoftolifdjer 9fliffionar beim fatholifdjen SeibregU
ment" führte, ben ®otte*bienft fyttt, unb geftattete in Serltn,
©tettin unb ©panbau bie Sfnroefenfjeit ähnlicher 9ttiffionäre für
feine ©olbaten; auch bilbeten fich in ©tenbal unb granffurt a. b.
£)ber roieber fatf)olifche ©emeinben: allein bie öffentliche Sieligion**
Übung blieb ben ßatholifen unterfagt, unb ihre ®eiftlichen burften
feine ^farrfjanblungen bornef)men. X)er Uebertritt jur fatholifchen
Kirche mar nicht geftattet, unb noch Weniger mürbe „auswärtigen
firchenobern" irgenb melcher (Sinflufc jugeftanben.
Xer beöor^ugte (SJegenftanb ber Sftegententhätigfeit griebrich
SSilhelm* blieb ba* £>eermefen, für Welche* er fchon in frühfter
3ugenb eine entfdjiebene Vorliebe an ben Xag gelegt. Xa er in
einem jahlreidjen unb gut gefchulten £>eere bie fidjerfte SBürgfdwft
für $reu§en* ©elbftftänbigfeit unb Üftachtftettung erblicfte, erhöhte er
feine ©treitfräfte öon breijjigtaufenb auf achtjigtaufenb 9)lamt, bie
burch ben „alten Xeffauer" unter be* fönig* eigener Sttitluirfung
in trefflicher SBeife, aber mit empörenber ©trenge eingeübt mürben
unb baburch eine berounberungsmürbige ©chlagfertigfeit erlangten.
Sludj auf ba* Sleugere far) ber fönig bei feinen Xruppen mit
unerbittlicher ©trenge: Wie in ber Haltung, fo raufjte ber ©olbat
in Lüftung unb ßleibung bt* auf 3opf unb fnopf im tabcllofeften
Digitized by
346 <Dqs tfönigretch Reußen unter Sricbrich I. unb $riebrich Siedln I.
Suftcmbe fein, Wenn er nicht fernere ^rügetfrrafe gewärtigen
haben wollte.
S3ei ber Gfrgänaung unb SBermehrung be« $>eere« mürbe mit
ber rficfficht«tofeften SBillfür $u SBerfe gegangen: alle btenftfähigen
jungen fieute würben mit ®ewalt in bie Regimenter eingereiht unb
diejenigen, bie fidj burdj bie gtucht bem Krieg«bienfte ju entziehen
fugten, al« S5eferteure nach ber ganjen Strenge ber Krieg«gefefce
beftraft. Xa jeboch bie 3af)l ber 3at)nenflüchtigen immer größer
mürbe, führte ber König, ber eine aagemeine (Sntoölferung feine«
fianbe« $u fürchten Begann, im Saljre 1733 bie „Kantonoerfaffung"
ein, burch Welche ba« ganje fianb in ©ejirfe eingeteilt mürbe,
oon benen jeber au« ber jungen 9Jcannfdwft ber nieberen @tänbe
ben if>m jugetheilten Regimentern ben nötigen ©ebarf an Refru*
ten liefern mußte. Sluch würben 2Iu«länber in großer 3af)t für
ba« $>eer gemorben.
3u ben größten SßiHfüraften unb ber öottftänbigften Äußer*
adjtlaffung aller Pflichten ber ©erechtigfeit oerleitete ben König
feine fieibenfehaft für $odjgetoacl)fene ©olbaten. Um ftd> in ber
„*ßot«bamer ©arbe" ein fieibregiment oon lauter Riefen ju Bitben,
ließ er nicht nur in feinem eigenen ßanbe OTe, bie ftdj burch
Körpergröße auszeichneten, ohne jebwebe Rücffidjt auf £eben«öer*
hältniffe, ©tanb unb ©efa)äftigung geWaltfam aufheben, fonbern
auch im SluSlanbe burch feine ©erbeoffi^iere einen förmlichen 9flen>
fdjenhanbel unb SRenfchenraub ausüben, ©olbaten, bie in frem*
ben $ienften ftanben, mürben entführt, Reifenbe in ben 2Btrth«=
Käufern, ©tubenten, Künftler, Kaufbiener, Jabrifarbeiter auf ben
©traßen aufgegriffen unb gefangen nach *ßot«bam gebraut. 2Ber
aber einmal in bie <ßotabamer ©arbe eingereiht mar, ben fonnte
feine SSermenbung üon Seiten be« ©efanbtcn feine« Sanbe« mehr
au* berfelben loßreißen. Rieht feiten brohten bie ©ewalrthättgfeiten
ber preußifajen SBerbeoffijiere emfte SBerwtcflungen mit ben fremben
Regierungen herbeizuführen. 3n Saufen mürbe ein foldjer $um
Xobe öerurtheilt unb nur auf bie Drohung Sriebria) SBilhelmS,
baß er im Salle ber SBollftrecfung be« Urteil« ben fächfif<hen ©e*
fanbten hängen laffen merbe, mieber frei gegeben, dagegen ließen
bie §ollänber einen anberen preußischen SBerbeoffijier, ber mehrere
ihrer ©olbaten $ur Fahnenflucht herleitet hatte, in SJcaftricht erfchießen,
ma« ben König in fo heftigen 3^m berfefcte, baß ber Ausbruch
eine« Kriege« nur burd) ba« öermittelnbe dajWifchentreten be«
Kaifer« abgemenbet merben fonnte.
gnbeffen fuchten Diele fremben gürften ben König burch bie
Ueberfenbung „großer Kerle" in ihr Qntereffe ju ziehen. 2Bie fie
hierbei über ihre Untertanen mit empörenber SBillfür öerfügten,
fo blieb hierin auch Snebrich SBilhelm nicht jurücf. $em (£jaren
Digitized by Google
griebrich SBühelm L 347
$eter, ber ihm wieberholt IanggeWachfene Muffen $um ®efchenfe
machte , fatibtc er bagegen ©tahlfchmiebe aus bcr ©rafföaft Wart
in Söeftfalen, bie ofme SBeitereS aufgegriffen unb gleich Verbrechern
öon 9Jttlitarpoften ju 9Kiütärpoften bis jur ruffifdjen ©renje tranS=
portirt mürben, um bort ben Muffen jur Einrichtung it)rer gabrifen
übergeben ju werben,
gär bie (Spielerei mit ber *ßotSbamer (Sterbe fcöeute ber fonft
fo fparfame König feine Soften, ©injelne GJrenabiere erhielten eine
tägliche Söhnung öon jWei Xhalern unb bie geringften eine folche
Don einem Bulben; mancher ^atte ihn bei ber Anwerbung Xau*
fenbe öon Xhalern gefoftet — waren ihm bocf> einmal für bie An*
Werbung eines SrlänberS 12661/8 $funb Sterling, alfo beinahe
8500 Xhaler, beregnet worben — , unb im ©anjen f ollen wäljrenb
ber Sa^re 1713—1735 an SBerbegelbern jwölf TOUionen Xhaler
in baS AuSlanb gegangen fein, Sur Veftreitung biefeS Aufwan*
beS hatte griebrich 2öiII)etm eine eigene Kaffe, bie fogeuannte
„ftefrutenfaffe", eingerichtet, in welche, außer aßen ©trafgelberu
unb fämmtlichen ©portein für bie Ausfertigung ber AnfteHungS*
biplome, ber Ertrag beS VerfaufS ber ©teilen unb ber Xitel flog,
ber bei ber allgemeinen SRang* unb Xitelfud>t jener 3eit ein fehr
bebeutenber mar. $a ber König aus feiner Verachtung beS ge*
fammten föang* unb XitetmefenS, fowie überhaupt alles Eeremo*
nielS unb jeber Etiauette fein ^et)I machte, öielmet)r biefelbe
bei jeber Gelegenheit gefliffentlich an ben Xag legte, fanh er in
feiner SBeife als ber Urheber ober görberer beS Stti&brauchS,
SRang unb Xitel ju faufen, angefehen Werben; er beutete einfach
bie Xhorheit feiner Unterthanen im Sntereffe feiner eigenen thörich*
ten Siebhaberei auS. SSeit fchärferen Xabel, als ber Verfauf
ber Xitel öerbient ber im auSgebehnteften 2flaße betriebene 93er*
fauf ber ©teilen, ber freilich bamals in ben meiften beutfehen
Staaten gebrauchlich war. 2Bie weit biefeS Unwefen in Greußen
ging, beweift ber Umftanb, bafj fogar ©aefträger für ihre ©teile, bie
nicht mehr als $ef)n Xhaler monatlich eintrug, fechShunbert Xhaler
gezahlt ijdbtn follen.
Xrofc feiner leibenfehaftlicheu Vorliebe für baS Sftilitärwefen,
war griebrich SBilhelm fein friegerifcher gürft, unb bei ber bebeu*
tenben (Erhöhung feiner Kriegsmacht hattc er ölS S^ecf weit mehr
bie (Srhafomg °ic Erweiterung feiner Stacht im Auge. An bem
norbifchen Kriege, ber ihm ben öon bem großen Kurfürften öer=
gebenS erftrebten Veftfc öon Bommern öerf Raffte, nahm er faft wiber
SBillen Xheil.
35ie gleiche beSpotifche ©trenge, burch welche fjriebrict) SBil*
heim feine Unterthanen in gurdjt unb Sutern h^lt, beobachtete er
auch 9e9cn fc™c gawilie,' öon ber er in allen ©tücfen bie abfo*
Digitized by
348 5)a8 JBmgreia) ^reu&en unter griebriä) L unb griebrich 2öil^clm I.
tutefte Unterwerfung unter feinen SBttten oerlangte. #uf bic 9cei*
gungen unb Siebhabereien feiner Kinber nahm er nicht bie geringfte
9ftücffid)t. ©eine ©öhne, bie in ihrem Eafchengelb äugerft fnapp
gehalten würben, mu&ten fdjon als Knaben ben ©otbatenbtenft öon
unten auf erlernen. $en Kronprinzen Sriebrict) trieb er burdj feine
ma&lofe ©trenge fo fct)r jur Serjweijiung, ba& btefer ftdj burd) bie
gluckt ber bäterttdjen Xtjrannei ju entziehen fud)te, Wa3 ihn in
(Befahr brachte , fein fieben auf bem ©djaffot ju beenben. ©eine
ättefte Softer SBilhelmine, bie nachmalige ®emahlin be3 Erbprinzen
oon ©aireuth, war einmal nahe baran, bon it)m erftochen &u »er*
ben , weil fte e8 gett>agt , it)m ju miberfprechen. $)er König war
baher auch für feine Kurier weit mehr ein ©egenftanb ber gurcht,
als ber Siebe.
Obgleich in ber ©rjiehung griebrich SBilhelmS , befonberä öon
©eitert feiner 2Jcutter, Lichta öerfäumt werben, um feinen ©inn für
Kunft unb SBiffenfchaft ju werfen, Rotten bic ^Bemühungen feiner
Sehrer nur geringen Erfolg gehabt , woju aflerbingS ihre feinem
ganzen SBefen wiberftrebenbe pebantifa^e Unterrichtämethobe wefent*
lidj beigetragen haben mochte, ©eine wiffenfdjaftlidje SBilbung war
bafjer eine fet)r befdjränfte geblieben : öon Sßoefie unb ^^ilofop^ie
ober bem, was bamit öerwanbt ift, r)atte er feinen begriff ; nur in
benjenigen SBiffenfchaften , bie für ba3 praftifche fieben SSerth I)at*
ten, r)atte er fidt) einige Kenntniffe erworben. 9ttd)t einmal feine
SJcutterfpradje öerftanb er grünblich; benn er fchrieb biefelbe ebenfo
ungrammatifd), alä unorthograpt)ifch. 3>a3 ßateinifa^e, ba§ bamalS
bei ber Unterweifung ber fjöljeren ©tänbe in $eutfd)lanb jur ®runb*
läge biente, war ihm fo oerhafjt, bafj er ben Erziehern be3 Kron=
prinjen auf baä ©trengfte oerbot, feinen ©ofm in bemfetben z«
unterrichten. $er franzöfifdjen ©prache bagegen war er öoUfommen
mächtig unb bebiente fich berfelben auch, wenn ber Slnftanb bteä bei
frembem S8efuct)e erforberte, wie er auch feine Kinber, bem ©ebote
ber ftothwenbigfeit fich fügenb , barin unterrichten lieg ; bagegen
fpradj er, ber f>errfd)enben Soffitte juwiber, mit feiner gamilie unb
mit ben (Sfcfanbten beutfdjer 9Jiäcr)tc nur beutfd) unb bulbete auch
in feinen ^benbjirfeln feine anbere ©prad)e.
SBie griebrich SBithefmä ganze ftatur, fo war audj feine poli*
tifche ©efinnung eine burdj unb burd) beutfdje. Zxoi mehrfacher
Serwurfniffe mit bem Kaiferf)ofe hing er mit unöerbrüchlicher Xreue
an Kaifer unb Bleich unb an ber ganzen beftehenben 9lcchtÄorbnung,
aaerbtng« Wohl mit au§ bem ©runbc, weil er in berfelben zugleich
bie fiajerfte ©runblage feinet eigenen ©taateä erblicfte. „$egcn unb
^iftolen," fagte er einft ju bem öon ihm hochverehrten ^rinjen
@ugen, „Witt ich meinen Kinbern in bie ©iege legen, bamit fie für
ben Kaifer fämpfen lernen/
Digitized by Google
griebridjö n. Sugcnbia^re,
349
Sieben ber äd^t beutfdjen ©efinnung griebrtch SBilhelmä Oerbient
inSbefonbere feine ©ittenreinheit unb ©ittenftrenge rü|menbe 2lner*
fennung, toenn es ftdjer auch nicht ju billigen ift, bog er unter bem
preufcifchen SBolfe burd) ©totffd)läge eine beffere Sucht herbeizuführen
fudjte. £atte er oon feinem #ofe mit jeber fürftlidjen bracht auch
alle feineren ©enüffe beä Sebent öerbannt, fo fanb fich bagegen an
bemfelben auch feine ©pur ber an ben meiften anbern #öfen herr=
fchenben tiefen fittticfjen Entartung.
griebrich SBilhelmS oft in ©eij auSartenbe ©parfamfeit fefete
üjn nicht nur in ben ©tanb, alle bon feinem SSater bem ßanbe auf=
gebfirbeten ©Bulben abzutragen, fonbern auch für fünf Millionen
neue Sfrongüter unb für jtuei 9ftilIionen Sanbgüter für feine jüngeren
©öfjne anjufaufen, anbertfjalb 9Mionen in ©ilbergerätt)e aller 2lrtf
al3 einem ntdjt fo Icict)t anjugreifenben , im gaHe ber 9totf) jeboa)
unfehtoer toieber in ®elb umjufefcenben Kapitale, anzulegen unb ba*
bei feinem Nachfolger eine baare ©umme bon ad)t üfliHionen fieben*
malhunberrtaufenb X^altxn ju hinterlaffen. tiefer bebeutenbe ©taata*
fct)a^ fowie bie oon griebrich SBilhelm L in ba3 gefammte ©taat^
tt>efen eingeführte Drbnung unb baä trefflich gefällte $eer oon
aajtäigtaufenb 2Hann, baä bei beä ftönig* $ob (30. äJcai 1740)
unter ben SSaffen ftanb, matten eä feinem ©ohne griebrich II.
möglich, bie günftige ®onjunftur $u benufcen, bie ihm fed)3 Monate
nac§ feiner X^ronbefteigung ber £ob ®atfer ®arl3 VI. für bie 2lu3=
fü^rung feiner längft genährten (Sroberungäpläne gcfct)affen.
gfriebri^S II. 3uöcnbiajre.
(1712-1740.)
griebrich IL— tn ber Xaufe ®arl griebrtd) genannt, ba
neben feinem ®ro&üater griebrich I. ber ®aifer &arl VI. fein Sauf*
patlje mar — , geboren ju Berlin am 24. ganuar 1712, oerlebte
feine erften ®inberjaf)re unter ben Slugen einer reformirten, burd)
bie Aufhebung be3 (Sbiftä üon Nantes nach ©ranbenburg gefomme-
neu franzöftfehen SDame, ber bernritttoeten Dbrifrin oon SRocouHeS,
bie aua) föon feine$ *Bater3 ©rjieherin getoefen. $urd) fte erhielt
er mit ber erften ®ennrnij3 ber franjöfifdjen ©pradje auch ieitc en*s
fctjicbene Vorliebe für biefelbe, bie ihn $ur atti&adjtung unb gänj*
liefen Semachlöf figung feiner ÜUhttter [prache oerleitete.
Sflit bem Eintritt in fein fiebenteS Sebenäjahr mürbe griebrich
unter männliche Seitung gefteHt. Qvl feinem Dberhofmeifter ernannte
ber ®önig ben fechsigjährtgen ©eneraßieutenant trafen oon ginfen-
ftein, ber ftcr) im fpanifdjen ©rbfolgefrieg, befonberä bei 9Mplaquerf
Digitized by Google !
350 3)ciS tfönigreid) Greußen unter griebrich I. unb griebrich SBil^clm I.
ausgezeichnet hatte, zum Untergouoerneur bat OSerften oon ®alfftein
unb übergab if>nen eine oon if)m feibft aufgearbeitete ausführliche 3n*
ftrufiion, an roelche fic fidj in ber Erziehung beS Kronprinzen frreng
ZU galten Rattert. Qn berfelben mar ilmen als Hauptaufgabe cor*
geschrieben, in bem Sßrinjen eine roahre c^rifttic^e grömmtgfeit unb
Gottesfurcht, infonberheit aber bie falDinifc^e „SRechtgläubtgfeit" $u
tueefen unb ju nähren, bagegen ihm „t>or ber tatr)oIifcr)en Religion,
fo oie( als immer möglich, cm Mjcheu ju machen unb bereit Un*
grunb unb 5lbfurbität oor 2Iugen ju legen unb wohl $u imprimi=
ren," ihm Ehrfurcht unb ©ehorfam gegen feine ©Item einzuprägen,
auf baS ©trengfte über feine ©ittlichfeit ju machen, feinen ©tolj
unb ^ochmuth in ihm auffommen ju laffen unb ihn jur ßeutfelig=
feit unb 2)emuth, zur 9#äßigfeit, ©parfamfeit, Drbnung unb einem
rooht geregelten gleiß anzuhalten, Bezüglich beS miffenfehaftlichen
Unterrichte maren nur bie praftifch zu bertoerthenben ßenntniffe in«
Sluge gefaßt. $aS ßateinifche mar auSbrücfüch auSgefchloffetv Qn
ber beutfehen unb franzöftfehen ©pradje follte ber ^ßrinj hauptfäa>
lieh W ourch Ucbungen einen fließenben ©tnl anzugemöhnen fudjen ;
bagegen follte er in ber SRechenf unft , 9ftathematif , Slrtiacric unb
Oefonomie grünblich unterrichtet merben. „$ie alte $iftorie", ^ieg
es tueiter, „fann ihm nur obenhin, biejenige aber oon unfern Seiten
unb öon hnnbertfünfzig Qahren her muß ihm aufs ÖJcnauefte bei*
gebracht merben, roie auch 9totur* unb Sölferrecht, Geographie unb
roaS in jebem Sanbe merfmürbig, bie ©efdjichte Greußens unb ber
benachbarten ßänber." $abei foöte auch in geeigneter Seife für eine
tüchtige förperlidje SluSbilbung unb Abhärtung beS Prinzen ©orge
getragen merben. „Slbfonbcrlic^'4, fo fließt bie 3nftruftion, „haben
©ie iöeibe fich äußerft angelegen fein zn laffen, 9fteinem ©ofme bie
mahre Siebe zum ©olbatenftanbe einzuprägen unb 3hut 3U impri*
muten, baß, gleich Nie Vichts in ber SBelt einem Prinzen 9hthm
unb @hre zu 9C0^n öermag, als ber 3)egen, dr in ber SBelt ein
verachteter aftenfdj fein mürbe, menn @r folgen nicht gleichfalls
liebte unb bie einzige ©loria in bemfclben fuchte."
5)en bebeutenbften Einfluß auf bie geiftige Sntmicftung beS
Prinzen gemann fein ßehrer $uhan be 3anbun , ein auSgemanber*
ter granzofe, ber ihn nach u"° na$ *» oie franjöfifc^c ßiteratur
einmeihte unb ihm für biefelbe jene Begeiferung einflößte, bie ihn
bis in fein fpätefteS SUter mit ©eringfehäfcung auf bie inzttnfchen
gleichfalls zu Wer ^31ütt)e gelangte baterlänbifche Literatur herab-
bliefen ließ.
£>a ber König, fo menig er auch im Allgemeinen oon ben
fünften hielt, eine gemiffe greube an ber SKufif hatte, ließ er
feinen ©ot)n , ber feibft einen regen «Sinn für bie elbe an ben Xag
legte, burch einen $omorgamften im Älamerfpiel unterrichten, ©eit*
Digitized by Google
gricbrid)« II. 3u0*nt>jGl)rc.
351
bem jebodj ber $rinj im Qafjre 1728 bei einem mit feinem Sater
am 3)re3bener £ofe gemachten SBefudje ben berühmten Xonfünfiler
Buanfc auf ber glöte gehört, l)atte er fidj mit entfdnebener Vorliebe
biefem Qnftrumente $ugeroanbt, unb auf ba$ Sßerroenben feiner
Butter erhielt Duanfc oon Äuguft II. bie (Srlaubnig, jmeimal im
ga^re auf eine Zeitlang nach ^Berlin $u reifen, um ben lernbegie*
rigen üfronprinjen , natürlich olme SSormiffen be8 SBaterd, im 3lö*
tenfpiele ju unterrichten , in meinem e3 griebrich befanntlidj ju
einer grofjen Dtteifterfchaft braute.
$er Unterricht in ber Religion mürbe bem Kronprinzen burch
jttiei §ofprebiger erteilt ; bod) l)atte berfelbe nict)t ben öon bem
König ermarteten ©rfolg, roeil er bec- Sßrin$en §er$ falt lieg unb
bie reformirten Dogmen ib,n meber anzogen noch befriebigten. ®a$u
fam bie fiangemeile, bie i^m ba£ üorgefchriebene häufige 2lnf)ören
langer, geiftlofer ^rebigten öerurfadjte. 2luch bie 2Ba|rne^mung,
bag beS Königs grömmigfeit unb falöimfche föedjtgläubigfeit feinerlei
Ginflug auf beffen rauhe ®emüth$art unb fein törannifche3 halten
au^uüben öermochte, mar roenig geeignet, ben religio feit ©inn be8
$rin$en ju beleben. SSoflftanbig entfrembet mürbe er bem ©(jriften*
tfmm buref) bie «Schriften ber franjöfifdt)en föeligionäfpötter, bie ilm
fdmn frühe auf bie Sahn be£ Unglaubens führten.
55a ber Kronprinz bor allen fingen $u einem tüchtigen Sol*
baten ^erangebilbet merben foUte, Ijatte ber König fetjon im 3ahre
1717 gu feiner Uebung im Keinen SBaffenbienfte eine fronprinjliche
Kabettenfompagnie errietet , bie fpäter ju einem ganjen Bataillon
erweitert mürbe; auch mugte ber $rin$ fd)on im jarteften Knaben*
alter bie Kinberfleiber gegen eine militärifche Uuiform öertaufd)en.
3n feinem bierje^nten Safjre mürbe er 5um Hauptmann, im fünf*
je^nten $um äftajor unb im fiebje^nten jum Dberftlieutenant er*
nannt. Qn allen biefen ©teilen hotte er, mie jeber Slnbere, ben
regelmäßigen S)ienft $u tljun. Sagte bieä fdjon an fidt) bem lebfmf*
ten ©eifte be£ ^Srin^en roenig ju, fo mürbe ihm ber militärifche
$)ienft öoUftänbig öerleibet, feitbem er nach feiner Ernennung jum
Dberftlieutenant an bem unabläffigen ©inejerciren ber Gruppen
tljeilneijmen unb baburdj 3tü$t ber unmenfa)lid>en #ärte fein mugte,
mit melier bie beflagenSroerthen Solbaten babei öon feinem SSater
unb bem gurften öon $)effau bef)anbelt mürben. 3e meniger er aber
fein Sttigfaflen barüber $u öerbergen mugte, befto mehr Jan! er in
ber SMnung feinet Skterfc, ber it)n für einen $u einem redeten
Solbaten untauglichen 2öeia)ling tytlt. S3eibe maren grunbüerfchie*
bene Naturen, bie einanber mehr abftiegen als anzogen; gleich
maren fie nur in ber (Sntfdnebenheit beä SBiHena, unb je eigen*
artiger fia) be3 Kronprinzen d^axattn unb ganzes Söefen entmicfelte,
befto mehr rouchä beS SBaterS Abneigung gegen ihn.
Digitized by
352 3?a8 tömgreid) ^reufjen unter griebrid) i. unj) ^nebricr} SStl^clm I.
2(n Serantaffungen gur Unjufriebenfjeit fehlte c« bem ftßnig
nidjt. 3" Kummer, ben er über bie religiöfe (IJleidjgUtigfeit
be« föronprinjen empfanb, gefeilte fidt) ber Unmutt) über beffen ent*
fdnebene Sorltebe für tüiffenfc^aftlic^c Sefctjäftigungen, für fran-
jöfifcfje fieftüre unb fran$öfifct)en ßuru«, foroic über feinen Langel
an ©parfamfeit unb fjäu«lict)en Sinn. &uct) oerbroß e« ben Sater,
baß ber s?rinj toeber an ben rot)en sßarforcejagben im ^ßarfe oon
SBufterfjaufen, nodj an ben berben ©olbatenfpäffen im Xabaf«foIIe=
gium (Gefallen fanb, in toeldje« er al« roirftirf)e« Sftttgtieb aufge=
nommen roorben; baß er ernft blieb, mo ber Sater lachte, unb fid>
bi«tt)eilen im ©efüt)Ic feiner geiftigen Ueberlegent)eit eine fpotteinbc
Semerfung über 3)inge unb *ßerfonen erlaubte, bie bem Sater roertt)
maren. dr befdjulbigte Um be« ©tol$e« unb ber £>offart unb r)ielt
e3 für nött)ig, ifjn in um fo ftrengerer gucr)t $u galten, dr über=
toactjte alle feine Schritte, oerbot, al« er in @rfat)rung gebraut,
baß ber ^ßrinj ©Bulben madje, bei fernerer ©träfe einem 3Kinber~
jährigen, „unb menn e« ber $ronprinj märe," irgenb Stroa« ju
borgen, unb jroang it)n, täglich oom frühen 9Jcorgen bi« jur Sttittag«*
tafel auf bem ©jrercierplafc $u bleiben, fo baß ber $rinj feinen Sieb*
Iing«befd)äftigungen nur bie 9tad)mittag«ftunben mibmen fonnte. 211«
er ifm einft beim glötenfpiel in einem golbbrofabenen ©djlafrotf
überragte, fnett er ifjm eine bonnernbe ©trafprebigt, ließ it)n fofort
feine Uniform mieber anlegen, marf ben ©djlafrocf in« geuer unb
fanbte bie fran5öftfct)en SBerfe, bie auf be« ^rinjen Xifdje lagen,
ju bem Sucfjfjänbler jurücf.
9coct) größer mürbe be« IBnig« Erbitterung gegen ben ftnnu
prinjen, al« er erfuhr, baß berfelbe, feitbem er bei bem oben er=
mahnten Sefudje in Bresben bie große SBelt mit it)ren oerfüljrerifdjen
föeijen rennen gelernt, fidj an $lu«fcr)roeifungen getüör)nt r)abe. 3u
melden 2Butt)au«brüct)en fict) ber leibenfct)aftlict)e Sater bei biefer
©elegentjeit Innreißen ließ, erhellt au« einem ©riefe griebrict)« an
feine Butter oom Qatyre 1729. „%<fy bin", fo fdjreibt er, „in ber
größten Sersroeifiung ! 28a« icf) immer befürchtete, ift mir enblict)
begegnet. $er Äönig t)at gänjlia^ üergeffen, baß ict) fein ©ot)n
bin, unb mict) mie ben niebrigften 2ftenfct)en befwnbelt. Qct) trat
biefen borgen roie gerüör)nlict) in fein 3intmer. ©obalb er mict)
faf), ergriff er mict) unb fct)lug mict) mit feinem ©toefe auf bie grau*
famftc §lrt ber Söclt. Sergeben« fudjte tet) mict) ju üertf>eibtgen ;
er mar in einer fo furdjtbaren Aufregung, baß er fict) nietjt met)r
rannte unb nur au« (£rmübung toieber aufhörte. Qd) bin auf«
Sleußerfte gebraut, t)abe juütel (St)rgefüt)l, um foldje Sct)anblung
311 ertragen, unb bin entfdjloffen, auf eine ober bie anbere 2lrt ber
©acr)e ein ©nbe 511 machen. "
X)er buret) bie Xt)rannei be« Sater« getoeefte 2Biberftanb«geift
Digitized by Google
griebrid)8 n. gugenbjafjre. 353
beS $rinjen ttmrbe erhöht burd) ben Hinterhalt, ben griebridj an
feiner SJhitter fanb. ©tatt nadj ber einen Seite hin begütigenb,
nad) ber onbern abmafmenb ein junrirf en , ließ fia) bie Königin
burch baS eigene Unbehagen an bem glanjlofen preufcifdjen £>of,
too fte SftidjtS als (Entbehrungen unb Un^uträglia^teiten gefunben,
unb buref) bie untoürbige ©ehanblung, bie aurf) fie mitunter Don
Üircm teibenfe^aftü^en unb argroöhnifdjen üknmblc $u erbulben
^atte, baju öerleiten, in beS $ronj>rin$en klagen über feinen Vater
einjuftimmen unb feine Neigungen fynttt beffen SRütfen ju begün*
ftigen, toobureb, fie nid)t menig jur görberung beS beftehenben Üftifc
öerhältniffeS beitrug. 2lud) griebridjs ©d)h)efter SBU^cItntne, bie
entfdjteben auf beS föronprinsen ©eite ftanb unb in beren, bie (£r~
lebniffe ihrer 3u9cn0 frfjtfberaben äftemoiren fid) eine bis jum $af3
gefteigerte, baS (Gefühl beS SeferS tief bertejjenbe Vitterfeit gegen
i^ren Vater auSfprid)t, oerfäumte nid)t, baS geuer ju fajüren.
$ie ©pannung in ber föniglidjen gamilie erreichte ben hödjften
@Jrab im ©ommer 1730, als bie fdjon feit längerer Seit biSfutirte
grage ber Vermählung beS föronprinjen jur ©ntfdjeibung gebraut
toerben foHte. (SS mar ein SieblingStounfch ber Königin, ihre %ofy
tcr SSilhelmine mit ihrem Steffen, bem ^rinjen üon SBaleS, unb
ben Äroityrinjen mit beffen ©djtoefter, ber frönen englifchen
^Prinjeffin Amalie, ju öermäb,Ien, unb bie Steigungen ihrer $tn*
ber ftimmten mit biefem SSunfa^e überein. 2tua) ber ftönig
mar anfangs biefem VermählungSprojeft , mit welchem nicht nur
ber ®öntg ÖJeorg II., fonbern aus (SJrünben ber s$olirif auch
baS englifche Parlament unb S8otf öollftänbtg einoerftanben roaren,
nicht abgeneigt; als aber fpäter bie öon feinen Söerbera in
|>annober oerübten unb oon ü)m in ©djujj genommenen Ungebühr*
Itdjfeiten ein ernfteS Sermürfnig jnrifchen ihm unb feinem ©djum*
ger herbeigeführt, moflte er üon ber geplanten $>oppelheirath 92ict)t^
mehr ttriffen, unb als er erfuhr, baß griebrich felbft bie ©ache
eifrig betreibe unb bereits bieferfjalb heimlia) nach (Snglanb gefd^ric-
ben f)abt, gerieth er in fo heftigen 3orn, ba& er ben Spritzen
öffentlich mit ©torff ablägen aufs ($röblid)fte mi&hanbelte unb fidj
babei an bie Slntoefenben mit ben SBorten roanbte: „SBäre id) oon
meinem Vater fo behanbelt toorben, fo hätte id) und) tobtgefdjoffcn ;
aber er lägt fid) SlHeS gefallen; benn er hat feine (Ehre im ßeibe
unb ift ein geigling."
3)iefe fdjmachöolle Vef)anblung braute ben oon bem Sßrin$en
Iangft genährten $lan, fidj bura) bie glud)t nach (Snglanb ber
Xurannei feines VaterS ju entziehen, jur rajdjen Steife. $uv 2luS^
fuhrung biefeS planes, in melohen er nur feine ©chtoefter SSilrjet-
mine unb bie beiben Sieutenants oon ®eith unb oon ^atte, feine Oer*
trauteften greunbe, eingemeiht hatte, gebaute er bie Steife ju benufcen,
^olatoatt^, MWffl&t. VI. 23
Digitized by Google
354 $a3 Äönigreid) «ßrcufcen unter griebridj I- mt& gnebnd) Wltylm I.
bie fein ©ater mit iljm im 3ufi 1730 burdj ©adjfen, grauten
©djmaben unb bie Sftfyeintanbe machen moflte. Obgleich bem föönig
@erüd)te öon biefem glud)tplan, tua^rfc^etnlic^ burd) eine llnöorfid)-
tigfeit &atte% ju Dljren gefommen, nafmt er beu ^ßrinjen mit,
erteilte aber brei höheren Dffijievcn, bie mit bemjelben in bem
nämlichen SBagen fuhren, ben geheimen Auftrag, if)n nid)t au* ben
Äugen ju (äffen.
9tadjbem ber ^ßrinj mehrere 9ftale ben ©erfudj gemacht, ju
entfliegen, aber immer baran berfjinbert morben, mürbe bem $önig
in granffurt ein ©rief jugefteHt, ben ber ßtonprinj Don 31n*badi
aud an ben Lieutenant Don föatte gefdjrieben, auf beffen Mbreffe
er jebodj in ber ©ile ben ©eftimmung*ort anzugeben oergeffen. $)a
biefer ©rief bem $cnig über feines ©ofme* äbfidjten ooäftanbige
®en)i8()eit gab, lieg er benfelben fofort üerljaften unb auf ein ©$iff
bringen, ba* iljn nad) SBefel führen foQte. 211* er am folgenden
Sage gleidjfall* ba* ©djiff beftieg, Ioberte fein 3orn bei bem 2ln*
blid be* $rin$en fo heftig auf, bafj er if)n bei ben paaren ergriff
unb if)tn mit feinem ©todfnopf ba* ©eftdjt blutig fdjlug. 3n
SSefel liefe iljn ber $önig auf* Sfteue bor fia) bringen unb brang,
al* ber $rin$ tfjm auf feine grage, roarum er t)abe befertiren
motten? jur ftntroort gab: „er f)abe nur getfjan, ma* fein ©ater
felbft an feiner ©teile getljan fjoben mürbe," mit gezogenem $)egen
auf il)n ein, um if)it $u burdjboljren. Stur ba* $>ajnnfd>entreten
be* ©eneral« 9^ofel, ber bem ftönig mit ben SBorten : „Xöbten
©ie midj; aber öerfdjonen ©ie 3#ren ©o^n!" in ben 2lrm fiel,
rettete be* $rinjen Leben.
©ergeben* fud)te ber ®raf ©edenborf, ber ben #onig auf
feiner Steife begleitete, benfclbeu milber gegen feinen ©ofm ju ftim*
men, inbem er ifmt be* $rin$en gludjtoerfua) al* einen üerjeüj*
lidjen Qugenbftreidj barftellte: griebriet) SBil^elm fa^ien jmar einen
Slugenblid geneigt, ber gurfpradje be* (trafen golge ju geben; al*
er jebodj erfuhr, ba& ber in SBeiel fte^enbe Lieutenant öon $eitl),
ben ber $rinj rechtzeitig burd) einige 3c^en hatte warnen fönnen,
fia) burd) bie gludjt ber ihm augebaajten ©träfe entjogen, feljrte
feine öolle Erbitterung jurüd, unb er fpraa) ben feften @ntfd)luj}
au*, fomoljl gegen ben ftconprinjen, al* gegen ben Lieutenant oon
flatte, ber injunfdjen auf einen nadj ©erlin abgegangenen geheimen
©efefjl behaftet morben, nad) ber ganzen ©trenge ber ftriegagefefee
borjugefjen. „3a) habe", fdjrieb er an feine GJemafjlin, „ben ©d)ur*
fen, ben grijj, feftnef)mcn taffen unb roerbe üm belmnbeln, mie e*
feine ©erbrechen unb feine Seig&eit öerbienen. Ein fola)er (Slenber
öerbient niajt me^r ju leben."
Sur bie t öniglidje gamilie famen fernere Xage ; benn griebria)
SBil^elm üermut^cte geheime (Sinoerftanbniffe ber Königin unb ber
Digitized by Google
grtebrirfja n. Sugenbjahre.
355
3ßrtn$effm Söilhelmine mit bcm ftronprinaen. $11« er nach jetner
SRücffehr in bie #auptftabt ber fieberen anfichtig mürbe, rief er
it)r mit jornglühenben ©liefen ju: „3nfame (Sanaide, hue, bu
toagft es noch, bich üor mir ju seigen? ©eh' unb Iciftc beinern
©Surfen ton «ruber ®efellfchaft!" $abei gab er ihr fo heftige
Sauftfchläge in« ®eficht, baß fie ohnmächtig sufammenfrürate. 3^re
iörüber unb ©chmeftern marfen fidj ihm ju Süßen, umflammerten
feine ftntee unb baten ihn fchluchsenb um ©dmnung für bie <ßrin*
$effin, mährenb bie Königin öerjmeifelnb bie §änbe rang unb feine
anberen SBorte finben fonnte al«: „HJ^cin ©ort, mein ©ofm!"
Söeim s2lnblicf be« Sieutenant« üon Äatte, ber eben gefangen nact)
bem ©ct)loffe geführt mürbe, rief er : „3efct roerbe i<f> ben ©Surfen
grifc unb bie GanaiHe SSilhelmine überführen fönnen, unb ict)
roerbe hinreichenbe ©rünbe finben, um it)m ben #opf oor bie Süße
$u legen !" 211« ber unglüefliche ®atte in einem leinenen ©enbar*
menfittel öor it)m erfaßten, riß er it)m ba« Drben«freua Dorn $alfe
unb gab it)m fo heftige ©tocfljiebe unb Ohrfeigen, baß it)m ba«
«Blut über ba« ©efict)t frvömte. 3" ben Süßen be« Königs meber*
fallenb, beteuerte berfelbe, baß ber ^ßrinj feine anbere 21bficr)t ge*
^egt, al« nach (Snglanb §u entfliegen unb fic^ unter ben ©ct)u& biefer
Krone $u freHen, nie aber ben geringften <ßlan meber gegen bie <ßer*
fon be« König« noch gegen ben ©taat entworfen habe. $er König
hegte nämlich ben Wrgroohn, baß e« bei be« $rinjen Sludjtplan §u=
gleich auf fein Seben abgefehen gemefen. „ütttch gebachten fie Oer*
muthlid) ju öergifren," äußerte er im Vertrauen 511 ©eefenborf.
„$>ärte mir fjrife in SBcfel ehrlich OTe« gefranben, fo hätte ich e«
in ber ©tiüe mit ihm abgemacht; aber nun muß bie ©act)e ihren
Sauf nehmen, unb bie SSelt fott rieten jmifchen und."
S)e« Königs leiben fd)aftüdt)c^ SSüthen bet)nte fict) auf OTe
au«, bie feinem ©ohne nahe gefommen. üftehrere Herren unb
tarnen com £ofe mürben t>err)aftet ober fortgejagt. $>er s3ftinifter
^ntjpr)aufen, ber im Serbachte ftanb, bcm ^ßrinjen <35etb geliehen
$u haben, erhielt feinen ^Ibfcfneb. griebrich« Sehrer Xurjan, beu
ber König befchulbtgte , bem ^ßrinjen ba« ©ift be« franjöftfchen
©eiftc« unb be« Unglauben« beigebracht ju haben, mürbe nach
Stemel öerbannt, ber erfte Kammerbtener be« Kronprinzen ju
3mang«arbeit öerurtheilt, bie fechjehnjährige Xodjter be« föeftor«
in ^ot«bam, bie ein ©efcr)enf öon bem ^rin^en angenommen, öon
bem genfer burdj bie ©trafen ber ©tabt gepeitfeht unb $u leben«*
länglicher $aft in ba« 3uct)thau« noc^ ©panbau gebracht, mährenb
ihre unglüeflichen (Altern bie ©träfe fct)impfltcher £anbe«oerroeifung
traf. Xen Berlinern, unter benen eine fo große Aufregung herrfchte,
baß ba« S3olf ba« ©chloß umbrängte unb bie 23acf)c au«rüdfcn
mußte, um baäfelbc ju oertreiben, mürbe bei ©träfe be« 21u«*
23*
Digitized by
356 $ct3 Jtönigretdb ^reufeen unter ftriebria) I. unb ftriebrid) 29Ul>clm I
reigenS bcr ßungc Oerboten, über bic ganje Angelegenheit ju fpre*
d)en, unb ber englifdje ©efanbte erhielt bie SSeifung, feinem $ofe
ju melben , ba& an eine $>eiratl)Süerbinbung mit bemfelben nid^t
mef)r ju benfen fei.
Unterbeffen t)attc ber König ben Kronprinzen nadj bem brei
SDceilen ton öerlin entfernten 3)ftttenmalbe bringen loffen unb }n
feiner Jöerneljmung eine äRilitärfommiffion niebergefefct. 5)er s$rinj
legte ein äfmlidjeS ©eftänbnifj ab, tuie Karte; als jebod) ber baS
SBerljör lettenbe gelbmarfc^atl unb 9Jcinifter bon ©rumbfom, ber
ju feinen persönlichen ©egnem jäfjlte, fid) bamit nicfjt begnügen
wollte unb itjm mit ber Anmenbung ber golter brof)te, verweigerte
er in ben ftarfften AuSbrücfen jebe weitere Antwort, als mit feiner
SBürbe unvereinbar. @r würbe hierauf nadj Küftrtn gebraut unb
in bem borligen ©Stoffe, wo in ber SBofmung beS Kammerpräfi*
benten oon äRündjow ein Limmer für il)n in eine ©efängnifeelle
umgemanbelt worben, als Staatsgefangener in ftrengftem ©ewa^r*
fam behalten, ©eine Uniform mufete er gegen bie gemöfmlidje
©träflingSfleibung auä grobem blauem Xud) öertaufdjen , unb ba£
@ffen , baS man iljm aus einer Gtorfüdje , 2JftttagS für fedjS unb
AbenbS für m'er ©rofdjen, holte unb baS er auf einem hölzernen
©d)emel oer^ren mufjte, mürbe üjm aerfdjnitten gebracht, weil er,
wie ein jum Xobe iöerurtt)eiltcr , toeber Keffer nod) ©abel tjaben
foHte. Xinte unb geber, fowie bie glöte waren i^m verjagt unb
$ur ßeftüre nur bie Jöibel unb einige AnbadjtSbücher geftattet. 9cie=
manb burfte ju ifjm gelaffen werben, unb feinen SBäc^tern war aufs
©trengftc oerboten mit ifjm $u fpredjen. Alles fdnen barauf be=
rennet, Um mit bem ©ebanfen an ben fdjlimmften Ausgang Oer*
traut ju machen.
Qn ber Z$at r)attc ber König bem Kriegsgerichte, baS er im
Oftober 1730 jur Aburteilung griebrid)S unb Katte'S nad) Köpc*
nif berufen, Jöefeljl gegeben, über ben „Dberftlieutenant gri&" wegen
ber oon il)m beabfia)tigten $efertion, of)ue irgenb weldje 9tücffid)t
auf feine (Geburt, naa) ber ganzen Strenge ber KriegSgefefce 9tc$t
}tt fpredjen , unb fdnen entfdjloffen , baS Urteil , baS naa) bem
JBudjftaben beS ©efe&eS nur auf ben Xob lauten fonnte, ootlftrccfcn
3U laffen. $te gürjpradje , weldje bie cinflugreie^ftcn femer ©ene=
rale für ben ^rinjen einlegten , wies er mit (Jntfdu'ebcnfjeit ju^
rüd; bagegen geigte er fictj ben oon bem faiferlidjcn ©efanbten
©rafen ©eefeuborf aufs ^aa)brücflia}fte unterftüfcten gürbitten oer=
fcfyebcner £öfe gegenüber minber feft. (Sntfdjeibeub für feinen fönt--
fcfjlufc war baS bringeube JBerwenben beS KaiferS für fein ^at^eiu
finb. „öitrcr Kaiferltajen ^ajeftöt lebiglia^", fc^rieb er an Karl VI.,
uaa^bem er i^m ben Kummer über baS betragen feines ©offnes
gefa)ilbert, ,,^at er eS in gebüfjrenber @rfenntlia)feit 3U bauten, baft
Digitized by Google
Sriebric^ II. gugenbja*«. 357
©ie $ero gürmort ihm ^aben angebenden laffen; bcnn nur ba*
burch bin ich bewogen morben, ihm ju beleihen."
Snbeffen foßte bem ^ringen ber ©chmerj nid^t erfpart biet*
ben, feinen unglücflichen Sreunb Karte um feinetroiHen ben Xob er*
leiben ju fehen. £a* öon betn König eingefefcte Kriegsgericht
twtte benfelben, ben Umftanb, baß er fich nüfjt oon feinem 9tegt*
ment entfernt §atte unb feine öeTbredjerifd&e Slbficht nict)t jur
Sfjat gemorben , al* 2JciIberung*grunb annehmenb , nur jur
Kaffation unb mehrjähriger 5cftung*haft berurtheilt; biefe* Ur*
theil mar jeboch bon bem König al* biel ju milb ^ödt>ft un*
cjnäbig aufgenommen morben. (£r t)attc ba* Vergehen Katte'*
für ein 9)<ajeftät*t)erbrcchen erffärt unb bie über ifm verhängte
©träfe au* eigener aflachtboHfornmenhett in bie ber Enthauptung
toermanbelt, mit ber auSbrücflid&en Veftimmung, baß biefelbe üor
ben Slugen be* Kronprinzen an bem Unglütflidjen ooHjogen mer*
ben fotte. Vergebens flehten ber Vater be* Verurteilten , ber
@eneraüteutenant oon Katte, unb fein ©roßoater, ber greife, Oer*
biente gelbmarfdjatl üon 2Barten*Ieben , fugfättig mit ben rührenb*
ften Söorten für ihren ©ofm unb (Snfel: ber König mar unerbitt*
lieh unb erffärte, er ermeife fich gegen ben Verbrecher noch fehr
gnöbig , ba berfelbe für fein Vergehen glfit)enbe Sanken unb ben
©algen oerbient habe.
2)em föniglichen Vefehle gemäß mürbe Katte, ber fein Urtheit
mit großer Saffung öernommen unb nur bittere SReue über fein
frühere* leichtfertige* Seben unb über feinen (S^rgeij, burch melden
er ben ©einen fo fchmeren Kummer bereite, au*gebrücft hatte, am 5. 9co*
öember nach Küftrin gebracht unb in ber ftxtyt be* folgenben
9Jcorgen* jur Einrichtung geführt, bie auf bem SBaöe hinter bem
©djloffe ftattfinben follte. $)er $rinj ftanb am genfter, at* ber
Unglückliche, bon jmei ®eiftüdjen begleitet, borüberfchritt. „2Jcein
lieber Karte", rief er ihm unter %i)xänen ju, „bergeben ©ie mir,
baß ich ©ie in biefe* Unglücf geftürjt habe!" — «Neffen bebarf
e* nicht, Roheit" antmortete Karte ; „menn ich taufenb ßeben hätte,
mürbe ich ftc m^ Sreuben für ©ie hingeben." Vom ©chmerj über*
mältigt, fiel ber lißrinj in Ohnmacht, unb al* er mieber $ur Ve*
finnung fam, mar 2IHe* borüber.
Xer getbprebiger 9Jcutler, ber ben Slbgefdjiebenen jum Xobe
Vorbereitet , überbrachte bem ^ringen mit ber legten Vetheuerung
feine* greunbei?, baß er ihm feinerlei ©djulb megen feine* Xobe*
beimeffe , eine ©d)rift , in tuelctjcr Katte ben ^ßrinjen in ben ein*
bringlichften SBorten bat, fein £er$ ben Söahrheitcn be* chrift*
liehen ÖJIauben* jujumenben , ju melchen er fich fefbft in feiner
Kerferfmft befchrt hatte, unb fich in a^er SJemuth a(* gehorfamer
©ohn feinem Vater ju untermerfen. $iefe Ermahnungen eine*
Digitized by Google
358 $a§ ffönigrcid) Greußen unter griebrid) I. unb griebrtc^ SBityelm I-
greunbe«, ber um feinetnnHen ben Xob erlitten, motten ouf ben
t»om ©cf)mer$ gebeugten ^rinjen einen fo tiefen ©inbrurf, bog er
ben SSunfdj auSfprad), ben ^rebtger Sftüller nod) einige Qtxt bei
fidj behalten ju fönnen, unb ben 53emüf)ungen beäfelben gelang eä,
ba« ptx% be« ^rinjen für ben djriftlidjen ©tauben ju erwärmen
unb i^n ju reuiger ilntertuerfung unter bie üäterlidje Autorität ge=
neigt ju madjen.
$ie Vertäte, bie ber *ßrebiger über bie ©inneSänberung be£
$rin$en nadj Berlin fanbte, betrogen ben ljodjerfreuten ®önig, ber
no<$ immer fortbauemben ©orge griebridj« um fein Seben ein
(£nbe $u machen. @r rerföradj if)m ©egnabigung , toenn er eiblidj
gelobe, fidj nie an irgenb gemanbem megen be« Vorgefallenen ju
rächen unb ifjm fünftig in allen ©tücfen ein gefjorfamer ©olm ju
fein. <ftarf)bem griebricr; bieten (£ib am 19. «Roöember in ber öon
feinem Vater üorgefdjriebenen gorm öor einer ftommiffion t>on
9Jiiniftern unb Generalen abgelegt, erhielt er Drben unb $egen
jurücf unb tuurbe au« feiner ftrengen $aft enttaffen.
Qnbeffen fyiett ber ftönig jur gehörigen Dämpfung be« IjoaV
fatyrenben ©tnne« feine« ©oljne« notf) eine Verlängerung feiner
©trafen, trenn aud) in gemilberter gorm, für nöujig. @r rerorb*
nete baf)er, baß ber *ßrinj nod) einige 3afjre in Süftrin bleiben,
ein $>au« in ber <StaU bejiefjen, Gitritfleiber tragen, niajt au« ben
©tabttf)oren fommen , bei ber $rieg«* unb 3)omänenfammer Dom
Sftorgen bi« jum §(benb arbeiten unb fidj tneber mit Sftufif nod)
franjöftfdjer Seftüre befd)äftigen , aud? feine anbern ©riefe fcfjreiben
fotle, al« oon Seit ju Seit an feine (fltcrn. SBenn per) ber $rin$
audj ber it)m auferlegten Arbeit nur au« ©efjorfam gegen feinen
Vater unter jog , fo ^atte fie boer) für iljn ben großen Vortt)eil,
baß er fid) burdj biefelbe eine grünblia^e ®enntniß ber tnidjtigften
Vertr»altung«$tueige ertrarb.
9lm 15. Sluguft 1731 faf) ber ®önig bei feiner 2Intoefent)eit
in ®üftrin jum erften äftale feinen ©ofjn tnieber. Anfang« über=
Raufte er ifjn mit Vortnürfen; al« jebod) ber $rinj it)n fnieenb
um Ver$eilmng bat unb Me« aufzubieten gelobte, um be« Vater«
Sufricben^eit tnieber ju erlangen, geigte er fid) milber unb erflärte,
er trolle, ba er feine SReue für aufrichtig fyalte, ifmt ettua« größere
greiljeit getnäljren. Gr erlaubte il)m, bie geftung ju oerlaffen
unb bie bcnadjbarten Wemtcr ju bereifen; aud) foßten if)m ^ßferbe
unb Söagen jur Verfügung geftetlt tuerben. 3w9^i4 ert)ielt ber
$rtnj ©ifc unb ©timme in ber $>omänentammer. dagegen blieb
i^m nod) jebe 3erfrreuu"9 bura^ franjöfifa^e 33üa)er, Sflufif, ©piel
unb Xanj unterfagt, roie aua^ bie ftrenge Vorfctjrift regelmäßiger
SBctftunben am borgen unb Slbenb aufregt gehalten mürbe.
Unterbeffen t)atte ber ^önig, naa^bem bie englifdjen Vermä^
Digitized by Google
griebridj« n. gugenbjafjre.
359
hmgSprojefte befinitiD aufgegeben worben, ben Söefchluß gefaßt,
feine Zoster SBilhelmine mit bem (Erbprinzen Don ©aireuth ju
öermäfjten, unb ben Söibcrftanb ber ^ßrinjeffin burdj bie 3ufage ge*
brodjen , baß er, falls fie gutwillig fid) feiner Slbftcht füge, aücö
(9efcfjehene Dergeffen unb bem Kronprinzen geftatten werbe, ben
$ermäljlungsfeierltd}feüen beizuwohnen. 3n ber %f)at burfte ber
^rin$ am 23. SRoDcmber 1731, bem SBermählungStage ber s£rin=
Zeffin, nach 93erlin jurürffe^ren. ÜRan fanb ihn nicht nur in feiner
äußern (Jrfdjeinung , fonbem auch in feinem SBefcn bebeutenb Oer*
änbert: bie garten Erfahrungen ber legten Seit Ratten ben neun*
Zehnjährigen ^ßrinjen zum Sttanne gereift.
Einige Xage nach griebrichS Wnfunft begaben fich fämmtliche
in ©erlin anwefenben Generale unb Dberften, an ihrer (Spi^e ber
Surft fcon $effau, 51t bem König, um Don ihm bie 3Bieberaufnaf)me
beS Prinzen in baS £>eer ju erbitten. $er König fagte biefelbe
ju; boer) fanbte er ben ^rinjen nach Küftrin jururf, bamit er noch
einige Qdt <w ber 3)omänenfammer fortarbeite.
Qm gebruar 1732 melbcte ber König bem Kronprinzen, er
§abe i^m bie $rinjeffm ©lifabeth (Hjriftine ö^n ©raunfehweig*
93eDern , eine SRic^tc ber (Gemahlin Kaifer Karls VI. , jur grau
gewählt , „ba er fie Wohl aufgewogen unb mobeft gefunben , wie
grauen fein müßten." griebrid) antwortete ihm, baß er fid) ganz
feinem SSiUen unterwerfe , unb Derfidjerte ihn zugleich , »baß ihm
nichts SiebereS gefchehen fönne, als wenn er (Gelegenheit habe, fei*
nem aHergnäbigften SBater feinen blinben ®ef)orfam ju bezeigen."
3u ber gleichen S^it fchrieb er jebodj an ben SKinifter Don
©rumbfow : man möge um ©otteSWitten ben König enttäuschen unb
ihm ju bebenfen geben , baß er fich nicht für ihn , fonbem für fich
felbft oerheirathe ; benn bie ^rinzeffin fönne er unmöglich lieben
nnb motte fie nicht. Schließlich fügte er fich ohne SBiberrebe bem
SBitten feines SBaterS, worauf ihn biefer zur geier ber Verlobung
t>on Küftrin aurürfberief. Wachbem biefelbe am 16. 2flat 1732
ju ©erlin ftattgefunben, würbe am 12. Quni 1733 zu ©alzbahlum,
einem Suftfchloffe beS Herzogs Don ©raunfehweig , bie Vermählung
Dottzogen. $aS ßooS ber liebenSWürbigen unb reichbegabten Krön*
prin$effin War nicht beneibenSWerth ; kenn wenn auch ber König
ihr ftets bie zuDorfommenbfte greunblichfeit bewies unb felbft bie
ihr urfprünglich fo wenig gewogene Königin ihr balb eine warme
^heilnahme bezeigte, fo ließ bodj griebrich, bei aller Slnerfennung,
bie er ihrer #erzenSgüte, ihrer ©anftmuth unb ihrem eifrigen SBe*
frreben, jebem feiner SBünfche zuDorzufommen , zu hoUtn genötigt
war, in feinem ganzen benehmen beutlich merfen, baß er zur @hc
mit ihr gezwungen Worben. (£r ließ ihr z^ar Dolle greifjeit, ihren
Neigungen gemäß zu leben; aber er hatte fein #erz für fie unb
Digitized by Google
360 3)a8 £3mgretdj Greußen unter griebrtcf) L unb griebrid) SBtfljefot I.
glaubte feiner ^ßflidjt ÖJenüge geleiftet ju fmbenf menn er ftd) mit
ber SBeaeigung einer füllen Hortung gegen fie abfanb. Sftadj bem
Xobe feine* SBater* festen fie überhaupt für ihn nicht mehr $u
erjftiren.
Unterbeffen fyttte fid) ber $um Dberften beförberte Äronprinj,
bem ber ®önig ba* ©täbtdjen föuopin jum fBohnorte angemiefen,
burd) ben (Sifer, mit freierem er feinen niUitärnaVu Sttenftpflichten
oblag, foroic burch bie unbebingtefte Untertoürfigfeit in ber ©unft
feine* SBater* immer f efter $u fefcen gemußt. 3m 1734
fanbte Uju ber Mönig mit ben Xruppen, bie er in bem polmfdjen
X^ronfolgefrieg ju bem faiferlidjen $>eere ftoßen lieg, an ben Schein,
um unter bem ^ßrinjen (Sugen ba* #rieg*hanbmerf ju erlernen,
roogu ber gelb$ug jene* 3af)re* Jhm jeboch roenig ©ctcgcnr)eit bar*
bot. griebrid) benrie* bem ruhmgefrönten faifertidjen gelbberrn bie
aufria^tigfte SSere^rung unb ertlärte fpäter oft, baß er ftolj barauf
fei, fid) al* beffen ©d)üter anfeljen $u bürfen. 9cadj feiner 9tü<f*
ferjr bejog er mit feiner ÖJema^ün ba* ©djloß $h*in*berg,
ba* ber ®önig für if)n angefauft unb mit einem ®oftenauftt>anb
öon fünf$igtaufenb Xfjalem t)attc umbauen unb ertueitern laffen.
$er ftrengen 33eauffia)tigung feine* SBater* entjogen, ber ihm
überhaupt je&t nicht mehr bie gleiten SBefdjränfungen auferlegte,
hrie früher, überließ fidj griebrich in 9l^ein*berg ganj feinen fiieb*
ling*neigungen, ber Pflege ber SBiffenfdmften unb ber SRuftf unb
ben ©enüffen eine* öerfeinerten gefeUfdjaftlidjen ßeben*, unb in
einem aufgerollten Greife talentooller unb geiftreicher Scanner ge=
ftaltetc {ich fein bortiger Aufenthalt $u feiner glütflichften Qtit
„2öir haben", f abreibt er an ben fädjfifdjen (Sefanbten oon ©uljm,
ber oft in 9^^ein*berg »eilte, „unfere 93efa)äftigungen in jloei
Staffen, in nüfclidje unb angenehme, eingeteilt. Qu ben mißlichen
rechne id) ba* ©tubium ber ^^ilofoö^ie, ber ©efdndjte unb ber
©prägen; bie angenehmen finb bie äRufif, bie £ufi* unb Srauer*
fpiele, bie mir aufführen, bie !Dca*feraben unb ©aftmähler, bie mir
geben, (Srnfthafte SBefchäftigungen behalten inbeffen ben SBorjug."
3n ben (Soncerten, bie ber ^ßrinj allabenblid) in feinem «Salon ber=
anftaltete, trug er nicht feiten eigene ©ompofttionen auf ber glöte
öor, auf melier er e* bereit« ju einer roirflidjen 2#eifterfchaft ge*
bracht hatte.
lieber bie Pflege ber SSiffenfdwften unb ber SJcufif bergaß
griebrich feine*roeg* bie ®rieg*funft. @r ftubierte mit großem
(Sifer bie gelbjüge ber berühmteren gelbljerren unb fudjte feine
$enntniffe in biefem gad>e burd) eingehenbe ©efprädje mit ben
älteren unb erfahreneren ber in 9lhein3berg anroefenben Dffijiere
ju ermeitern. Um biefer SBefdjäftigung einen poetifa)en 5Reij $u
verleihen, ftiftete er eine 2Irt ftitterorben oon 5tt>ölf 9JWgliebem,
Digitized by Google
griebritf)« II. Sugenbjatjre.
361
$u benen, auger Ujm felbft, feine beiben ©rüber, ber $erjog gerbi--
nanb üon ©raunfcfjroeig, ber ^erjog SBtHjelm öon ©eöern unb feine
üertrouteften mUitärifdjen greunbe gehörten. $er ©dmfcpatron
biefer ritterlichen ©erbinbung war ©aöarb unb baS ©innbilb beS
DrbenS ein auf einem Sorbeerfranje Iiegcnber $egen mit ber Um*
fdjrift: Sans peur et sans reproche. Qüm ©rogmeifter beS
OrbenS fjatte griebridj ben toon if)m befonberS fjoajgefdjäfeten Üflajor
öon gouque* ermaßt. ©on tf)m erhielten bie jtoölf bitter, an tf>rer
©pifce griebrid) felbft, ben 9tttterfd)lag, nadjbem flc in feine $änbe
baS CrbenSgelübbe abgelegt, baS fic ju ritterlichen X^aten unb
inSbefonbere jur ©eröollfommnung ber ShiegSfunft unb ber §ecr*
füljrung verpflichtete. 2)te IRitter trugen als DrbenSjeia^en einen
föing, ber bie gorm eines runbgebogenen ©djmetfeS hatte, mit ber
Snfa^rift: „®S lebe, mer ftc^ nie ergibt. * (Viye le sans-quartier)
unb führten altfranjöfifche ©unbeSnamen. grtebrich f>ie& Le Con-
8tant, gouque* le Chaste, ber &erjog gerbinanb le Sobre, ber
jperjog mm ©eoern le Gaillard u. f. ». Sluch fdjrieben pe fia?
©riefe in altfranjöfifchem Sftitterftüt.
3m 3>af)re 1739 liefe fid) griebrich bei einem ©efudje in
©raunfehmeig in ben greimaurerorben aufnehmen, beffen aller pofi*
ttoen ^Religion feinbliche Xenbenj feiner eigenen ©eifteSrichtung ju
feljr entsprach, als bag er nicht bem öerlocfenben Üteije beS geheimen
Tuntels bereitmittig hätte folgen fotlen, in roelcheS biefer Orben
fidj füllte. $)a ber Äöuig ein entfduebener Gegner ber gretmaurer
mar, fanb bie Slufnabme beS $rinjen insgeheim $u nächtlicher ©tunbe
ftatt; nach bem iobe griebrich SBtlhelmS jebod) erflärte fid) grieb*
rieh als ßanbeSherr offen jum ©rogmetfter ber $u ©erlin eröffneten
Soge „Qu ben brei SGBeltf ugetn. "
SBäfjrenb feine* Aufenthalts in följeinSberg fnüüfte griebrich
einen eifrigen ©riefroechfel mit ©oltaire an, ber für feine religiöfe
©nttüicflung entfdjeibenb mürbe. Diefer SJcann, bamals ber ge*
lefenfte unb einflugreichfte ©chriftfteller granfretdjs, ber burdj eine
feltene ©ielfeitigfeit unb (Sefchmeibigfeit beS Reifte* bie ihm
fe^lenbe Xiefe unb ©rfinbltchfeit ju öerbeefen ttmgte, ^atte burdj
bie befiedjenben (Sigenfdjaften feiner ©chrtftmerfe : bie fliegenbe
©pradje, ben leichten ©djer^, bie feine ©arire, ben treffenben SBifc,
bie ©eftimmtheit beS 5luSbrucfS, bie gütle anmutiger ©ebanfen
unb geiftreicher SBenbungen, inSbefonbere aud) burch bie in feinen
Xragöbien jur ©djau getragenen erhabenen ©efinnungen grieb^
ric^S ©emunberung in fo ^o^ern ©rabe erregt, bag er i^m nia^t
nur als ber öoflenbetfte ©c^riftfteller feine« 3a!jrl}unbert§, fonbern
aud^ als einer ber grögten ÖJeifter aller Reiten erfaßten, beffen ©ei*
fall, mie er i^n in feinen ©riefen öerfidjerte, ifym me^r galt, als
ber beS falben menfajliajen ©efdjleajtS. „©e^en ©ie", f abreibt er
Digitized by
362 $a* Äömgreidj ^reufcen unter $riebricf) I. unb ftriebrid) Sil^elm I.
ifnu, „meine ftanblungen fünftig al* bie Srüdjte 3*jrer fielen an.
Tmrd) biefe ift mein jperj gerührt roorben, unb idj fjabe e* mir junt
unöerbrüdjüdjen (Uefefc gemalt, fte mein ganje* ßeben Ijmburd) ju
befolgen."
$>er SBerfefjr mit btefem fjeroorragenbften Vertreter ber mate=
rialiftifdjen 9tict)timg be* bamoligen ©djriftfteHertfmm*, ber fid) bie
Vernietung be* (Sl)riftentl)um* burcr) Verleumbung, ©pott unb £of)n
jur £eben*aufgabe gefreHt,. öoöenbete in griebrief) II. ben bauern*
ben Vrucfj mit aflen djriftlidjen Anfdjauungen , melden ber t»on
feiner früt)ftcn ßinbljett an iljm auferlegte religiöfe Stoang unb ba*
au« ben SBerfen ber franjöfifdjen 9Religion*fpötter gefogene ©ift
längft in irmt vorbereitet. (Sine 3«tlang fdnen e« jroar, als foHe
ba* Stubium ber „attetapfjrjfif'' Don SBolf, bie er fiefj bura) ben
fädjfiföen ®efanbten öon ©ufjm in* granjöftfcfje fmtte überfein
laffen, »eil er fid) in feiner Voreingenommenheit gegen feine 2fturter*
fpradje nia^t baju entfließen fonnte, beutferje Sßerfe ju lefen, i^n
mieber $u djriftliaVn gbeen aurütffüfjren ; benn er brürftc in einem
Briefe öom 23. 2Rai 1740 bem gelehrten Verfaffer feine tooffe An*
erfennung au«: aber balb fefjrte unter bem (Sinfluffe Voltaire'*
feine Bmeifelfucfjt in if)rer ganzen ©tärfe jurücf, um fortan in Ver=
binbung mit einem ftarren, bis jum gatafttmu* gefteigerten $rä*
befttnation*glauben bie bauembe ©runblage feiner pf)ilofopf)ifd)en
Aufhaltungen §u bilben.
2>er cbrgeijige $>rang naefj fdjriftftellerifaym ffiu^nte trieb ben
$rinjcn mäfjrenb feine* Aufenthalte« ju Reinsberg ju literarifcfjen
Verfudjen an. $>urdj bie ©cfnneicfjeleien Voltaire'« angeregt, ber
if)tn fein ©umliefen über bie ©ntbeefung au*briicfte, „ba| e* in
biefer Söclt einen ^rinjen gebe, ber al* 9ftcnf# benfe, einen pf)ilo*
fopfufdjen Surften, ber bie Sttcnfdjen glüdflid) machen merbe unb
bem bie ganje äHenfd)l)eit öerpflicfjtet fei für bie 9flüf)e, bie er fief;
gebe, feine jum #errfd)en geborene ©eelc ju bilben," fcfjrieb er
feine „Vetrac|tungen über ben gegenwärtigen guftanb Europa'*,"
in melden er fiefj, um fid) ber Sobfprü^e Voltaire'« mürbig ju jet*
gen, offen ju ben ©taat*grunbfäfccn ber neueren englifdjen unb fran*
^öfifd)en ^Ijilofopfjen befannte, nad) benen ber gürft nur ber erfte
Liener be* ©taate* ift. Auf biefe erfte grö&ere Arbeit folgte im
Satjre 1739 fein „Anti;9Jtacdjiaöet,'' eine Art Politiken ©lauben*=
befenntniffc*, in meinem er, ofme ba* SBerf be* berühmten Sloren*
tiner* „Dom gürften" mit Unbefangenheit unb miffenfcrmftlirfjer
©c^ärfe ju roiberlegen, ber in bemfetben entnricfelten ©taatsfunft
ba« gbeal eine* gürften im ©inne ber neueren Seit entgegenftettt.
^er ©nglanbcr 9«acaulat) nennt biefe* SBud), ba* im 3af)re 1740
bura) bie Vermittlung Voltaire'* oljne tarnen bc* eigenUia^en
Autor* in ^oflanb im ^ruef erfaßten, „eine crbau(ia>e ^rebtgt gegen
Digitized by Google
Oriebrtdja II. 3ugeubja&re.
363
föaubfucht, £reulofigfeit , SBißfürfjcrrfc^aft unb ungerechte Kriege,
fu*Z gegen faft alles, megen beffen ber SBerfaffer im Anbenfen ber
2Jcenfd)en fortlebt."
Unterbeffcn mar baS Jfahr 1740 ^erangefommen , unb baS
Seben griebrict) SBilbelmS ging jur Neige. Nachbem er bereits
feit bem Noöember 1739 gefränfelt, begab er fid) am 27. April
1740, im Vorgefühle feine« nahen ^infcfjetbcnö, nach^otsbam, mo
er ju fterben münfehte. £>ier bereitete er ftd) ernftlich auf ben Xob
üor; boct) hatte ber $robft Noloff, ben er ju fid) berufen lieg,
große Wltyt , it)n ju überzeugen , baß er burd) bie $ärte feiner
Regierung, burdj ben errungenen £äuferbau in ©erlin, burch
tTJt£ffärUct)e ©traffchärfungen unb öerfchiebene ungerechte £inrich=
hingen mehr ©ünben begangen hübe, als er felbft mahnte, Sur
fein ßeid)enbegängniß , baS äußerft einfach gehalten merben füllte,
traf er felbft bie nötigen Anorbnungen bis in bie fleinften ©in*
jelnbeiten ; auch ließ tt ficc) fchon bei feinen Scheiten einen eiche*
nen ©arg anfertigen. $)er Kronprinz, ben bie Königin am 27. üttai
öon 9tb*in8berg nach ^otSbam berufen, jeigte große Zfytilnafymt an
ben fieiben feines SSaterS, mie fieh überhaupt baS SBert)äItm6 jmi*
fchen SBeiben feit beS Prinzen Nütffehr öon Küftrin , menigftenS
äußerlich, öon Qahr zu Qahr frcuublidjer geftaltct ^atte. $er
^önig befprach fich mit ihm nrieberholt längere Qzit unter öter
Augen über bie Angelegenheiten beS <5taatt% , unb fein AuSruf :
„SJcein ©ott, ich f*er&c aufrieben, meil ich einen fo mürbigen ©ohn
Zum Nachfolger höbe!" bemeift, baß ihn griebrichS 2Xnftct)ten befrie»
bigt hatten.
Hm borgen feines XobeStageS -- 31. 2Jcai 1740 — ließ ber
König bie hieven Offiziere unb 2ftinifter ju fich kommen, um Ab*
jcfjieb öon ihnen ju nehmen. S)a er bem dürften öon $)effau unb
mehreren Anbern s$ferbe zum Anbenfen beftimmt hotte, mußte man
ihm feinen ©effel an baS genfter rüden, bamit er fie ihnen jeigen
fönne. AIS er fat), baß bie ©taflfnechte, roeldie Söefer)! erhalten
hatten, bie ^ferbe herauszuführen, benfelbcn falfche ©ättel aufge*
legt, ermachte noch einmal feine zornige Natur. „Sich, menn ich nur
gefunb märe ,u rief er , „ich wollte bie ©dmrfen berb abprügeln !
6Jef)e boch einer hinunter unb haue fie tüchtig zufammen." |>ierauf
übergab er feierlich baS Neid) unb Regiment bem Kronprinzen,
empfahl bemfelben bie Königin unb ermunterte feine jüngeren Söhne,
braöe ©olbaten zu werben unb ihrem älteren ©ruber treu unb ge*
horfam zu fein. $)ieS Alles r)otte ihn jebodj fo fet)r angegriffen,
baß er fich in fein Söett zurüdbringen laffen mußte. SRehrere ©tun*
ben fpäter gab er mit bem Ausrufe : „$>err Qefu , bu bift mein
©enrinn im Seben unb im ©terben!" ben ÖJeift auf. (£r ^atte ein
Alter öon zweiunbfünfzig Saferen erreicht.
Digitized by
364 tönigreich ^reugen unter griebrich I. unD griebrich Silhetm I.
Srriebridjg II. Steöterunöäantritt.
(81. SRai 1740.)
$a8 eifrige Streben nach fchriftftetlerifchem Sftuhme, in roel»
djem griebrichS ganjeS SBefen auf jugehen festen , unb feine auSge*
fproebene Vorliebe für fetteren SebenSgenug Ratten, öerbunben mit
ben Slnfichten , bie er in feinem 2Inti*9Hacd)tac.et über bie Pflichten
ber gürften auSgefprodjen , ju ber allgemeinen ©rtoartung ©eran*
(affung gegeben, bag er al« ®önig burch eine milbe, friebliche SRe*
gierung fein ©olf ju beglüefen fudjen unb augerbem fein anbereS
Streben rennen merbe, at3 ben §of oon ©erlin $u einer Pflege*
ftätte ber #unft unb SBiffenfdjaft unb einer prunfboHen ©efeUigfeit
$u geftalten, unb bie erften ©abritte beS Königs fduenen in ber
%f)at biefe (Erwartungen ju rechtfertigen. $a in golge be3 borauS*
gegangenen ftrengen SBinterS große Neuerung entftanben mar, lieg
griebrich bie föniglid&en SSorrat^^äufer öffnen unb berfaufte ba3
barin aufgehäufte Stoxn ju billigen greifen. $ie gotter, foroie bie
bon feinem Später eingeführten, baS nötige 9flag überfchreitenben
Strafbeftimmungen fyob er auf unb forgte für eine unparteiifche
^Rechtspflege. $en Offizieren empfahl er eine menfchlic&ere 93c»
fjanblung ber Solbaten. $a3 ans lauter liefen beftehenbe <ßot8*
bamer ©renabierregiment f baS feinen Sßater fo groge Summen ge=
foftet, mürbe aufgelöft unb aus bem ©ubget ber Hofhaltung bie
SluSgabe für bie fönigtichen Hofnarren geftrichen. S)er bon feinem
©ater nur in berftümmelter gorm gebulbeten Slfabemie ber SStffen*
fdjaften gab ber $önig ihre frühere ©ebeutfamfett jurücf unb über*
trug bie Sfteugeftaltung berfelben bem bon ihm $u ihrem ^röftben^
ten ernannten franjöfifdjen Sftathematifer SJcaupertuiS, ber fich
burch ein äugerft fct)meic^et^Qfted Schreiben griebrichS jur lieber^
ftebtung nach ©ertin hotte bewegen laffen. 3)en ^Sr)Uöfopt)cn SBolf
berief er nach #atle jurücf unb ernannte ihn jum ©icefanjler ber
Uniberfität mit einem ©ehalt öon breitaufenb Xtjalcrn. Um fich
auch in religiöfer ©ejichung als ^ß^ilofo^»^ auf bem Xhrone ju
bewähren, berfünbete er, bag in feinen Staaten 3eber nach fciner
eigenen gac;on feiig werben fönne" ; auch überrafchte er bie SBelt
burch bie greigebung ber treffe. 3)em #ofe gab er eine prunf^
tjotterc (Einrichtung unb entfehäbigte inäbefonbere feine SJcutter für
fo manche frühere (Entbehrung burch einen glänjenben $>offtaat. 3n
©erlin mürbe ber ©au eines OpernhauJeS begonnen , unb ber ®a=
peümeifter ©raun erhielt ben Auftrag, in SftaUen eine Capelle ju
werben.
Qnbeffen jeigte fich balb, bag ber franjöftfche ©efanbte in
©erlin richtig geurtheilt, wenn er bereits bor bem Xobe griebrich
Digitized by Google
griebricf)S II. Regierungsantritt. 365
SEBtHjelntf bezüglich beS fiebenS unb treiben« griebriehS in fR^cin«-
berg an ben frans bfifdjen §of berietet hatte: „ber eigentliche ©e*
genftanb feinet StrebenS fei ber föuhm unb zmar ber ftriegSrurjm ;
er brenne bor Segierbe, in bie gußftapfen feines Slfmherrn, beS
großen fhtrfürften, ju treten." Srofc ber bebeutenben Stärfe, roelctje
bie preußtfehe Kriegsmacht fd)on unter griebrief) Söilhefm L erlangt
hatte, erhöhte griebrief II. biefelbe balb nach feiner £r)ronbefteU
gung um töeitere jmanzigtaufenb 9Bann. #atte man ftdj im Steide
über feines SBaterS Kriegsmacht Iängft beruhigt, ba beffen friebfer*
tiger Sinn fo allgemein befannt mar, baß man Don ihm ju fagen
pflegte: „er fpanne jmar ftetS ben $>ahn, brüefe aber niemals loa,"
fo mußten bie öon griebrich II. angeorbneten Werbungen um fo
größere ©ebenfen erregen, als berfelbe fd>on im erften SJconate feU
ner Regierung beutltch ju erfennen gegeben, baß er in SRetcfjafadjen
feine anbere Grntfcfjeibung anerfenne, als bie ©emalt. 2US bei ber
(Jrlebtgung ber <5Jraffct>aft #anau ber Shirfürft öon 9Jcain$
fprücfte auf bie #errfdjaft Stumpenheim erhob, manbte fidj ber
fianbgraf öon #effen4hiffel , bem bie (Uraffdwft zugefallen, an ben
neuen ßönig öon Greußen unb erhielt öon bemfelben fofort bie
3ufage, bog er it)n mit ©emalt im Söefifee öon SRumpenheim fdjfifcen
merbe.
3n ä^nli^er SBeife trat griebrich gegen ben ©ifdjof öon 2üU
tief) auf. 21uS bem oranifdjeu ©rbe mar feinem Sater bie #err*
fcfjaft £erftaf an ber äRaaS zugefallen, über meldje bem SBifchof
öon fiüttich bie £ehenSf)errlichfeit juftanb. $iefeS SBerhältniß , fo*
mie ber öon griebrief) SSil^elmS Söerbern auf bem (Miete beS
3öifcf)ofS getriebene Unfug Ratten ju Streitigfeiten geführt, bei roel=
chen ber ftönig bem SBifdjof ben SBorfchlag gemalt, ihm bie £>err*
fdjaft $erftal abzulaufen; bie Sache mar jeboct) zu griebrief) 2Bil*
helmS ßebjeiten nict)t mehr zur (Srlebigung gefommen. 2llS nun
nac^ griebricf)S 2hr°nbefteigung bie #erftaler ©c^toierigfeiten mach*
ten, ihm ju fjulbigen , beoor er öon bem Söifdjof belehnt morben,
befchulbigte ber Äönig ben Sefcteren ber Slufreijung ber SBeoolfe*
rung unb liefe Gruppen in baS SBiSthum ßüttid) einrüefen. $er
Sötfcfjof flagte über ßanbfriebensbrucf) unb brachte bie Sache öor
ben $aifer. tiefer richtete am 4. Df tober ein ab mahncnbeS Schrei-
ben an griebrich; er erhielt jeboch öon bemfelben eine Slntroort,
bie beutüch erfennen ließ, baß ber Äönig feine Stellung als Geichs*
fürft üoöftänbig üergeffen habe. Ohne irgenb melche 9tuefficf)t auf
föaifer unb Steicf) , stoang er burch brücfenbe (Einquartierung ben
Söifcfjof jum Slnfauf ber jperrfchaft £erftal ju bem öon ihm felbft
beftimmten greife.
gu ber gleichen Seit ließ er, um bei bem ju erhmrtenben Xobc
beS achtzigjährigen fturfürften öon *ßfalz*9leuburg feine Crrban^
Digitized by Google
366
2>er oftcrrcidjtfdje (Srbfolgcfvieg.
fprüc^e auf %üüd) unb 33crg geltcnb $u machen, unbefümmert um
bie ©afcungen be* föeichä, bei $überich, SBefel gegenüber, 3elboer*
fdjanaungen anlegen. $odj noch ehe bie fraglichen Sänber jur (Sr=
lebtgung gefommen, gab ber Xob #aifer $arl3 VI. feinen friege*
rifcr)en belüften eine anbete Dichtung. $aj} er biefe bereit* längft
im s2luge gehabt , erhellt au« einem Briefe , ben Suhrn , bamalS
fäc^fifc^cr ©efanbter in «Petersburg, bei biefer Gelegenheit an ir)n
richtete. „9flein lebhafte* Qntereffe an bem ©lanje uub ÖHücfe ber
Regierung, roelche 6ie 3^ren treueren Untertanen öcrfjei§en", fo
feftrieb ihm biefer Vertraute feiner geheimen (£roberung3pläne , „er*
laxibt mir nicht, oon biefem (Sreigniß ju fpredjen, ohne im Boraus
©urer äRajeftät ®lücf $u roünfct)en wegen ber großen $onjunfturen,
roelct)e 3^nen nun bie (Gelegenheit barbieten, 3h«n Hutyn ju Der*
mehren, inbem ©ie arbeiten für bie 3ntereffen unb ba3 ®lucf
3^cr Staaten."
XXII.
Per Iftetfei#tf4< ^ tBf of j efttieg.
(1740-1748.)
»laria Sherefta'ä »egterunggantritt.
(26. Oftober 1740.)
9cact) bem Xobc Statt* VI. trat feine ältefte $od)ter, bie brei*
unbsiuanatgjäfjrige 9^ariaXhcrefiaf traft be$ oon ifjxem SBater
crlaffcnen unb oon fämmtudjen dächten ©uropa'3 gemahrleiftercn
neuen fymftgef efet* , ber pragmatifct)en «Sanction, unter bem Xitel
einer Königin oon Ungarn unb Söhnten bie Regierung über bie
öftcrreia^ifd)en ©rblänber an. $ie neue £>errfcr)erin , oon welcher
ber üenetianifa)e ©efanbte goScarini an feine Regierung berichtete :
„2Jcan mürbe fie oft @rbin beä $aufe* Defterreict) berufen , roenn
unter allen grauen ber SSelt bie 28af)l frei ftünbe", oeretnigte,
nact) bem frönen SluSfpruct) oon 23ei& , „bie glänjeuben (5igen=
fdjaften oteler Xräger be$ mit ihrem Sater erlogenen ha&*s
burgifdjen tarnen«: bie Klugheit, Klarheit unb gefttgfeit be3 erften
SRubolf; bie ©ct)cmheit feine« önfela griebrict}; bie öabe, bie $er*
$en ju bezaubern, toelche ber erfte 3Jcarjmilian befeffen ; bie tiefe
fteltgiofität, toelche $arl V. fo oiele fchtoeren ©ct)tcffale mit Stühe
ertragen unb einer äBeltherrfctjaft entfagen ließ, um grieben in
Ö)ott ju finben." 9cacr)bem fie, crfäöt oon tiefem @cr)mcrj über
Digitized by Google
SR aria StjereficfS ^Regierungsantritt.
367
ben Eingang ifjreS SBaterS , beffen Siebling unb Xroft fte gemefen,
unter fronen unb ©djluchien bie |mlbigung bcr SJcinifter unb
ber ©pifcen bcr 33c^örbcn empfangen , ernannte fte ihren ©ernaf)!
tjranj ©teptjan öon Lothringen , nunmehrigen Öro&herjog öon
^XoSfana, jnm TOttrcgentcn unb ihren ©chmager .tart ton Lothringen
^um getbrnarfchafl. Xicf burdjbrungen öon bem Söenm&tfein it)rer
,v>errfcherpflic{)ten unb burdjglüf)t öon (Sifer für beren gennffenhaf=
tefte Erfüllung , traf fte fogleid) oerfc^tebene heilfame Vlnorb*
•nungen jur Slbfteßung ber bringenbften SDci&ftänbe, bie fich mährenb
ber Regierung ihres SkterS in bie 8taatSöermaltung eingefetteten.
(So würbe jur kufbefferung ber gänjltch zerrütteten ginanjen ber
^pof^alt öereinfacht unb ben öielfachen Unterfchteifen im Staats-
unb £>ofhauShaIt gefteuert, unb bie tnegen beS unglüeflichen iöer=
laufS beS legten SürfenfriegeS in geftungShaft gehaltenen ®ene*
rate ©eefenborf, 2Battiö unb SReipperg erhielten nicht nur tfjre gm*
heit jurikf, fonbern mürben auch in if)rc ^mter unb Söürben
tnieber eingefefct.
2)a bie meiften $öfe (Suropa'S SJcaria £t)erefia als bie recht*
mä&ige (ärbin ber öfterreichifchen SWonarchie anerfannt unb beglücf*
toünfcht hatten, fchien bem ruhebebürftigen Defterreidj unter bem
milben ©cepter feiner ebenfo umfichtigen als thatfräftigen jungen
^errfdjerin eine Sutunft öott grieben unb ®lücf beöorjuftehen unb
ber hochherzigen Königin feine anbere Aufgabe ju harren, als bie
görberung beS SSohleS ber üerfduebenen ihr entgegen jubelnben
SBälfer itjred grofjen Meiches. 216er eS fam anbcrS: nicht baS
®lücf einer frieblichen Regierung im unangefochtenen SBefifce ihrer
©rbftaaten mar ber Xodjter #ar!S VI. befdjteben, fonbern in fchme*
ren ftriegeSftürmen foHte fich bie ©tat)lfraft ihrer ©eele mie bie
$ähe Äraft unb bie unverbrüchliche Xreue ihrer SBölfer bemähren.
©leid) in ben erften Xagen nach bem Regierungsantritt Sflaria
Xfjerefia'S gab ber baierifche GJefanbte am Sötener §ofe, ber ®raf
^ßerufa, bie (Srflärung ab, ba& fein §err, ber ®urfurft ftart 2(1=
bert (ber ©ofm beS im 3af)re 1726 öerftorbenen sJftajimilian
Immanuel) bie £>er$ogin öon Lothringen unb ®rof$her$ogin öon
XoSfana nicht als (Srbin ber öfterreichifchen Monarchie anerkennen
fönne, ba er felbft nähere fechte auf biefelbe habe, unb jroar nicht
nur als 9cachfomme ber älteften Xoajter gerbinanbS I., fonbern
auch unb hctuptfächUch in golge einer teftamentarifchen SBeftimmung
biefeS $aiferS, fraft beren nach bem ShtSfterben ber männlichen
Linie beS habsburgifdjen JpaujeS bie Erbfolge in fämmtlichen öfter-
reichifchen Länbern an bie 9caa)fommen biefer Softer übergehen
folle. Obgleich nach bem SBortlaut beS fraglichen XeftamenteS,
beffen in SBien aufbewahrtes Original 2Karia Xherefia am 3. 9co*
öember in ©egentoart aller frembeu Oefanbten oerlefen lieg r ben
Digitized by
3G8
Der öfterretd)ifd)e ©rbfolgefrieg.
Sftachfommen bcr älteften Xocfjter gerbinanbä I. bic (Erbfolge nur
für ben Sali be8 2lu«fterben3 bcr eh elidjen, nic^t aber ber
männlichen 35e3cenbenten ber ©öt)ne biefeä Reifer« oorbermlten
worben , öerliefj ber baierifche Oefanbte am 20. SRoüember SBien
unter 3urücflaffung e*ncr 0011 DCm ^urfürften aufgeteilten (ürrflä=
rung, in Welcher berfelbe feine angeblichen 9tcct)tc auf bie öfter«
retcfufcfje 2Jconarchie im üoHften Umfange aufrecht hielt mit bem
©emerfen, bafc ber öon feiner (Gemahlin, al3 einer iodjter $aifer
Qofeph« I. ty*« Vermählung ju (fünften ber pragmatifchen
©anetion geleiftete SBerjicht biefen befonberen , bei bemfelben gar
nicht ermähnten fechten feinen Abbruch h°&c ^un rönnen.
Sei ber augenfälligen ©runblofigfett ber öon bem #urfürften
erhobenen Slnfprüdje tytlt man eä in SBien für unbenfbar, bafi
auch anbere dächte, welche bie pragmatische ©anetion nicht nur
feierlich anerfannt, fonbern auch gewäijrleiftet hatten, bie @iltigfeit
berfelben anfechten mürben, dennoch gefchah bie«, unb ftWar ju*
nächft öon Seiten be3 fran^öftfehen ^>ofeö. $)ort mar e$ einem
ebenfo- gemanbten als öerf erlogenen *ßolittfer , bem (trafen öon
93eIIeiöter ber fich burdt) bie Zertrümmerung ber öftcrreict)ifcr>cn
Monarchie um granfreichä 9Jtaa)tfteHung befonberS öerbient ju machen
unb fich felbft einen unsterblichen tarnen $u ermerben hoffte , trofc
ber djegenbemühungen beä friebliebenben ®arbinal3 Sleurn gelungen,
mit bem öon ihm entworfenen $lane ber Ungiltigfeitäerflärung ber
pragmatischen ©anetion burchjubringen. SSenn auch granfreich felbft
feine ©rbanfprüche erheben fonnte , fo füllten im Qntereffe ber ge*
planten 3ertrümmerung ber öfterreidjifchen SJconarcrn'e bie angebe
liehen Sftechte anberer Wächte unter Sttitwirfung granfreich« mit
SSaffengemalt jur ©eltung gebracht werben. 3mwd)ft mürbe ber
£of öon SJcabrib üeranlaßt, mit ber (Srflärung herüorjutreten, bafj
bic öon ihm ausgegangene Slnerfennung unb ©emährleiftung ber
pragmatifchen ©anetion ungiltig fei, weil biefelbe bie unüeräujjer*
liehen fechte ber fpanifchen ßrone auf bie öfterreichifche Monarchie
üerlefce , welche fechte man au« bem Umftanbe ableitete , ba& bie
Könige öon ©panien au« bem öfterreidnfehen $aufe unb bie nach
©panien ücrmählten öfterrcicf)ifcr)cn ^rinjeffinnen fich Da^ 9^ect)t ber
Erbfolge in ben SBefifcungcn ber beutfehen Sinie für ben gaH be£
©rlöfchen« beS 2Rann3ftammä berfelben oorbehalten hätten.
9lachbem mit bem £ofe öon Sftabrib bie nötigen SBcreinba*
rungen getroffen Würben, begab fich 93cllei3le, ber jum SJtorfchall
öon granfreich unb jum 93otfct)aftcr biefer ®rone bei bem jur
Söicbcrbefefcung beS erlebigten $aiferthrone3 auäjufchreibenben 28ahl*
conöent ernannt Worben war, pr Befürwortung ber SBatjl beä ®ur=
fürften ®arl Ulbert öon «aicrn jum beutfehen ®aifer an bie £>öfe
ber fturfürften öon ftöln, Xrtcr, 3Jcaina unb ©achfen unb fudjte
Digitized by Google
3)cr crfte jd)lefijd)e Äricg.
369
boitn bat neuen König oon Greußen, ber tnanrifdjen bereit« bie
Waffen gegen aRaria X^erejta ergriffen, um ©Rieften ju erobern,
in feinem ßager $u Vrieg auf, um mit ihm einen »ertrag über
bie Teilung ber öfterrei^ifd^en SRonarchie ju öerabreben, ber je*
bodj bamal* noch nicht jum befinirtoen «bfc^luffe fam. Von Vrieg
reifte er nach SRünchen , mo if>n ber Kurfürft Karl Ulbert auf*
(SHänjenbfte empfing unb ihm in bem ßuftfchloffe SRömphenburg
eine SBofjnung annrie*. #ter mürbe am 22. üttai 1741 jnufchen
Sranfreuf), Spanien unb Vaiern ein 93unbe*oertrag gefchloffen, in
meinem Sranfreia) unb ©panien fia) verpflichteten, bie 2Baf>l be*
Kurfürften Karl Ulbert $um ^aifer bunh ©elb unb Gruppen $u
unterftüfceu, Karl Ulbert bagegen bie fajmaajoofle Verpflichtung
übernahm , bem König oon Spanien jur Erwerbung ber öfter-
reic^ifct)en Vejtfcungen in Italien in jeber SBeife behilflich ju fein,
bie ßänber unb ©tobte aber, toelche bie Sranjofen am dltyin be>
kfcen mürben , als Kaifer niemal* $urücfjuforbern. 9cadj ben in
betreff ber geplanten $heifong ber öfterretchifchen Sttonarchie ge*
troffenen Vereinbarungen foHten Söhnten, ßberöfterreich, Xörot unb
Vrei*gau an ©aiem, Dberfchleften unb ÜJcahren an ©achfen, Biebers
fd)lefien an Greußen, bie ßombarbei, ^arrna unb ^iacenga an ben
®Öntg ton ©panien , al* ben HbfÖmmling Karl* Y. in geraber,
wenn auch weiblicher ßinie fallen, bie belgijdjen Sßrooinjen an
Sranfreich fommen unb ber Königin SJcaria Xherejta nur lieber*
unb Qnneröfterreich nebft bem Königreich Ungarn oerbleiben.
2)er erftc fthlejtfche ffrieg.
(1740-1742.)
«Kit bem Xobe Karl* VI. mar für griebrich n. ber Slugen*
blicf gefommen, bie <£roberung*pläne in* SBerf ju fefcen, für toelche
er, nach feinem eigenen ©eftänbniß, feine Kriegsmacht in fo anfefjn*
licher SBeife erhöht hotte. (S* galt für ihn, feine angeblichen fechte
auf © ch l e f i e n mit Söaffengemalt geltenb ju machen.
©4on ber große Kurfürft hotte, in golge eine* im 3afjre 1537
jnrifchen bem Kurfürften Qoadnm II. oon ©ranbenburg unb bem
^erjog griebrich H. öon Stegnifc , Vrieg unb 2Bof>lau abgefchloffe*
nen, öon Kaifer gerbinanb I. jebodj für ungiltig erflärten (Srbber-
trag 2lnfprüche auf biefe brei ^erjogthümer erhoben ; er hotte jeboct)
auf biefelben, rote mir oben (©. 84) gefehen, in einem mit Katfer
Seopolb oereinbarten Vertrage gegen bie Ueberlaffung be* ©chroie*
bufer Greife* Verzicht geleiftet. 9ctcht*beftomeniger nahm griebrid) n.
biefe Slnfprüche roieber auf, roeil ber ©chtoiebufer Krei* öon Srieb*
$oi$toart$, SßeltflefäWe. VI. 24
Digitized by Google
370
$er ofterreid)ifd)e Grbfolgefrieg.
rieh L micber an Dcfterreich jurücf gegeben worben war. SBelche
neuen 2Infprüdje jeboch auch Greußen immerhin au§ biefem tlmftanbe
hätte tjerleiten fönnen, fo waren bieielbcn, abgefehen baoon, baß
griebrich Söilhelm I. it)rer nie (Erwähnung gett)an, burdj ben ge*
Reimen berliner Vertrag Dom Xesembcr 1728 förmlich unb feier-
lich befeitigt. Vluch tonnte üon Seiten Defterreichä mit bollern 9tedjte
jeber Slnfpruch Greußens für üerjäfjrt erflärt werben. „3ft e3 nidjt
ööHig flar," fagt ber englifche Staatsmann unb (5)efdt)ic^tfc^rcibcr
Sftacaulaü, „baß bie SSelt nie einen Xag lang griebcn ^aben wirb,
wenn cä geftattet ift, toeraltete 21ufprüdje gegen neue Verträge unb
langen Sßefife gelteub ju machen? £ie ötefefce aller Wülfer ^aben
bie weife (Zurichtung einer SBerjährungäjeit getroffen, fo baß ©e*
fifctitel, wie unrechtmäßig fie auch begonnen Ijaben mögen, nach
einer gewiffen grift nicht mehr angetaftet werben bürfen. $ie Qbt-
fammtheit ber Bürger barf forbern, baß eä für jeben Streit ein
@nbe gebe."
griebrich II. bie 9tadjrid)t oon bem 2obe tfarlS VI. er*
^telt, lag er fieberfranf in 9if)einäberg barnieber. ®egen ben föatt)
ber Werlte nahm er ftarfe 3)ofen Slunin, „ba er", wie er erflärte,
„ Wichtigere $)inge ju tl)un fyabt, aU feinem Sieber abzuwarten."
@ntidt)loffen, fofort Schlefien jurücfjuforbem unb, falls eS it)m Der*
weigert werbe, ben Sortheil, ben bie eigene $rieg£bereitfchaft unb
Oefterreichä jerrüttctea £)eer~ unb ginanjmefen ihm gewährten, $ur
gewaltfamen Söefijjergreifung ber fchlefifchen ^crjogt^ümcr $u be»
nufcen, berief er ben gelbinarfchall ÖJrafen Schwerin, einen bewähr«
ten gclbherrn auä (Sugcnä unb SttarlboroughS Schule, unb ben
3Jcmifter ^ßobemilä, ben Schwiegerfolm beä im 3<*hrc 1739 öerftor*
beuen ©rumbfom, ju fich, um fie in feine ^ßläne einzuweihen. Söeibe
riethen ihm bringenb ab : bennoch blieb er bei feinem Sntfchluß
unb ließ fofort an feine fämmtlichen ^Regimenter ben Befehl ergchen,
fich marfchbereit ju galten ; boch blieb ba£ 3iel oe^ beabfichtigten
gclbäugS noch ®ehcimmß.
3n ber grühe be3 13. 5)ejember reifte gricbrkh, nachbem er
Währenb beä größten XfydUZ ber 9Zadt)t einem ^ofbaüe beigewohnt,
öon ©erlin ab, um fich an bie Spifee feines Speeres ju ftellen, ba£
fich bereite in ber Stärfe öon breißigtaufenb ÜDtonn nach Schlefien
ju in Bewegung gefegt hatte. Sei fehlem s2luS$uge aus ber $auptftabt
rief er bem fraulichen ©efanbten $u: „3$ fte^cf glaube ich, *m
SBeßriff, 3h* ®Pic* 5U fpiclcn. Söenu mir bie #ffen zufallen, fo wer*
ben Wir feilen." 2lm 16. überfällt baS preußifche £>cer bie föteftföe
©renze, unb an bemjelbcn Sage öerfünbete ein öom 1. Dezember
batirteä SJfanifeft ben ©chlcfiem, baß ber ftönig oon Greußen nur
in baä fianb gerüeft fei, um bei ben gefährlichen Weiterungen, welche
beim ©rlöföen be^ öfterreichifchen 3JZanndftamm^ fich aum
Digitized by Google
$er erfte fc^Icfifc^e Ärieg. 371
fdjon geäufcert, jum in Dollen flammen ausbrechen im
begriff ftünben, ba* ^erzogtlmm ©Rieften, meines bcn SKeichSlan*
ben beS Königs jur Vormauer biene, gegen diejenigen ftdjer
ftellen, bie an bie (Srblanbe be3 JpaufeS Defterreich einige ^rätenfion
Zu hoben oermeinen fönnten. „9ciemanb möge baher", f)ieg e$ in
bemfelben meiter, „irgenb rocldje Sfcinbfcligfcit befürchten; öielmehr
bürfe %t\>tx, mc6 StanbeS unb melajer Religion er fei, fid) feiner
Stechte unb beä föniglichen Schuftes üerfic&ert galten."
(Gleichzeitig mit feinem Aufbruch öon SBerlin ^atte gricbrich
ben trafen ÖJotter als befonbercn 93eüoflmäd)tigten nach SBien ge*
fanbt, um ber Königin bie branbcnburgifche ®urftimmc für bie 2Sat)l
it)reS GJemahlS jum Äaifer, fomie ben Öeiftonb feiner ganzen £üiac^t
für bie Slufredjtfjaltung ber pragmatischen Sanction unb einen ©aar*
»orfdmB öon amei Millionen X^alem anzubieten, falls fte geneigt
fei, ihm Schlesien freiwillig abzutreten, der ®raf ^atte zugleich
Vollmacht, für ben öorauSgcf efjenen gaH ber Ablehnung feinet Sin*
tragS an Defterreich ben ftrtcg ju erflären.
griebrichS feinblicheS Auftreten traf ben SSiener £of boll*
ftänbig unüorbereitet ; benn trofc ber Reibungen beS faiferlidjen
©efanbten in Berlin öon Slnjcid^cn eines ficf> aufammenjiet)enben
©eraitter* Ijarte man an bie Sftoglidjfeit eines fo unerhörten ÖruchcS
beS 9teajteS unb ber dreue nicht glauben f önnen ; nichtSbeftomcniger
lehnte Wlaxia Xfytxtfia ben Antrag griebrichS mit höflichen, aber
feften SBorten ab. „Sie erfenne", fo lautete ü)re Slntmort, „ben
öollen SBertfj ber greunbi'chaft Seiner aJcajefiät beS Königs öon
Greußen unb höbe fidt) feinen Vorwurf zu machen, irgenb ßtroaS,
rooöon beren Erhaltung abhängig fei, öerabfäumt ju haben; fie fei
jeboch nicht SßitlcnS, ihre Regierung mit ber Berftücflung ihrer
Staaten anzufangen, ba @hre unb ©eroiffen ihr bie Pflicht aufer-
legten, bie pragmatische Sanction gegen alle mittelbaren unb un*
mittelbaren Angriffe $u öertheibtgen, unb fönne baher zu feiner
Veräußerung SchlefienS, meber beS Manzen noch eines %f)tiltä, ihre
.ßufttmmung geben. 23aS ben öon bem ftönig angebotenen 53eU
ftanb zur Slufrechthaltung ber pragmatischen Sanction betreffe, fo
glaube fie bemerfen zu ntüffen, ba§ fchon baS *8anb, baS alle
©lieber beS beutfchen Meiches öereinige, foroie bie auSbrücfliche Ver*
orbnung ber golbeuen Söutlc jcben 9teich$ftanb ücrpflichte, dem*
jenigen beizuftehen, ber in einem X^eüe feiner zum deiche gehört*
gen Staaten angegriffen merbe, unb ba& biefe allgemeine üBerpflidj*
tung burch bie oom ÜicichSförper auSbrüdlich übernommene (Garantie
ber Sanction üerboppelt merbe. SSegen ber angebotenen Stimme
3ur Äaifermabl fühle fte fich bem ftönig unenbltch üerpflichtet ; bie
Jlaiferroahl müffe jeboch frei fein unb nach ben Vorschriften ber
flolbenen VuHe geschehen, die angebotenen stpci 9Jcillionen Zfyakx
24*
Digitized by Google
372 $cr öftcrreicf^ife^e (grbfolgcfrieg.
i
mürben nicht fynxtifyn, bcn oon ben preußifdjen Xruppen in
©djleften angerichteten ©chaben $u erfefcen. 8ux (Erneuerung auf*
richtiger greunbfdjaft mit bem Könige fei fie beffenungeadjtet noch
immer bereit, menn bieS ohne Verlegung ber fRec^tc eine« dritten
gefdjehen fönne unb ©chtefien ungefäumt oon ben preußifdjen
Xruppen geräumt merbe."
dbenfo überrafcht, nrie in SBien, mar man im gefammten
Teutfdjlanb über griebrichS unerhörtes Vorgehen, unb überaß fpradj
ftd) gegen baffelbe bie entfehiebenfte Sftißbilligung au«, bie ber König
auf ben Sfteib ber übrigen Surften über bie oon ihm erftrebte Ver-
größerung feines SanbeS jurücfyuführen fucf)te. ©elbft oon ©eiten
feiner Untertanen erfuhr griebrich fcharfen Xabel, maS bie fofor^
tige Unterbrüdung ber oon ihm jugeftanbenen greit)ett ber treffe
jur golge hatte, ben eroberungsluftigen unb ruhmbegierigen König
jeboct) in ber Verfolgung feiner $Iäne umf omeniger irre machte, als
er mof)I mußte, baß ber Crrfolg, ber if)m nach ben bereits errungenen
Vorteilen jroeifeüoS fdjien, nicht verfehlen merbe, bie allgemeine
(Stimmung $u feinen fünften umjumanbeln.
$a in ©chlefien bei bem (Einbruch griebrichS nur fiebentaufenb
Sftann öftemidufcher Gruppen ftanben unb bie meiften geftungen
DerfaHen toaren, fonnte oon einer nachhaltigen Verttjeibigung beS
SaubeS faum bie Nebe fein; ber öfterreichifche gelbmarfchafl ®raf
Vromne, ber ben Cbcrbefc()l in ©chlefien führte, 50g fich bafjer, naa>
bem er bie ©arnifonen in ben feften sßläfccn möglichst üerftärft hatte,
mit ben ihm oerbleibenben Gruppen ^intcr bie Neiße jurücf. 60
tourbe noch üor Ablauf beS SafjreS ber größte Xr)cil beS offenen
SanbeS üon ben Greußen befefct unb Siegnifc burdj Ueberrumpelung
genommen. SSährenb griebrich bie geftung ®logau burch ben (5rb*
prinjen Seopolb oon $cffau einfließen ließ, rücfte er felbft oor
Breslau, baS ihm, oon Gruppen gänjlich entblößt, gegen bie 3ufag,e
ber Neutralität unb unter Vorbehalt beS eigenen VefafcnngSrechteS
am 4. Qauuar 1741 feine Zfyoxt öffnete. $ie öfterreichifchen Ve*
hörben mußten bie ©tabt oerlaffen, unb bie oon Qefuiten geleitete
Unioerfität tourbe gefchloffen; auch belegte ber König bie öfter*
reichifchen Waffen mit Vefchlag. 91m 6. Januar ergab fich Chlau
gegen freien 5X65119 ber fchtoaa)en ötornifon ; baS bleiche tr)at Ott*
machau, nachbem bie flcine Veiafcung oon ameihunbertfechSunbfünfaig
©renabieren Oicr Xage lang ben muthigften SStberftanb gcleiftet.
NamSlau erlag bem ferneren preußifchen Gtefchüfc. $ie geftung Neiße,
toelche bie Slufforberung $ur Kapitulation jurüefgemiefen, mürbe nach
oergeblichem brettägigem Vombarbemcnt blocfirt ; baS (bleiche gefchah
mit Vrieg. ©logau mürbe am 8. SJtärj burch ben ©rbprinjen oon
2)cffau erftürmt.
Unterbeffcn mar eS ber Königin 9tfaria Üt)ercfia möglich
Digitized by Google
2>er erfte ffileftfche ßrieg. 373
toefen, größere Streitfräfte jur Vertheibigung ©djlefien« ju fammeln,
unb im 2Rär$ 1741 rücfte ber gelbmarf djaH 9ceipperg mit einem
#eere öon fünfeehntaufcnb Sttann au« 9fläfjren in Cberfdjlefien ein,
um flceiße ju entfefcen. Um bie« $u öerffinbem, jog ihm griebrich,
Halbem er fidj burch bie £Belagerung«truppen öon ©rieg öerftärft
unb mit bem SelbmarfdjaH Schwerin bereinigt hatte, in ©ilmärfdjen
entgegen, unb bei bem Eorfe Sttollwifc, unweit SBrieg, fam e« am
10. VTpril ju einer blutigen ©d^acht, beren ßeitung griebricr) bem
erfahrenen ©chwertn überließ. $ie öfterreichifche ®aöallerie er*
öffnete ben k ampf mit einem fo ftürmifchen Angriff auf bie preußifche,
baß biefe atibalb, öoflfiänbig jeriprcngt, ba« SBeite fuchte unb öon
ben fedjaig Äanonen, roelcrjc bie Greußen gegen fedjjeljn öfterreichifche
in« treffen geführt, öiete bem getnbe in bie #änbe fielen. $a
©djwerin an bem günftigen Ausgang ber ©d)Ia<|t p öcr^wetfeln
begann, rieth er bem ßönig bringenb, ficfj ju bem bei ©treten ftehen*
ben fbrp« be« &er$og« öon #olftein-93ccf $u begeben, um mit bem*
felben für ben fdjlimmften Satt ben 9tücfaug be« preußifdjen #eere«
$u unterftüfcen unb jugleich Dfjlau ju becfcn. SBährenb ber ®ömg,
biefem Statte fotgenb, mit geringer Begleitung nach Oppeln eilte, ent*
riß bie preußifche Qnfanterie, bie ber feinblichen an3a^ weit über*
legen mar, ben Defterreicfjern ben bereit« f)alb errungenen ©icg.
211« ©chwerin am 2lbenb feine £tnie $u einem legten Angriff ju*
fammenjog, trat Sßeipperg ben SRücfjug an.
Sit nächfte golge be« ©iege« ber Greußen bei 2flolIwifc war
bie Uebergabe ber geftung SBrieg. SBichtiger jeboc^ mar für griebrich
ber flbfehfaß be« Sftmnphenburger SBünbniffe«, gu beffen .ßuftanbe*
lommen bie ©rfolge ber preußifchen SBaffen, nrie ohne .Steifet aud)
bie jwifchen ihm unb 23e(Iei«te getroffenen geheimen Vereinbarungen,
wefentlid) mitgewirft.
«Reipperg r)atte fidj nach ber ©flacht bei 2RoHwifc hinter Steige
äurütfgejogen. 9cad)bem er tjicr eine S^itlang eine beobachtenbe
(Stellung eingenommen, brach er plö&Iid) auf, um ba« preußifche
£eer $u umgeben unb fid) in ben SBeftfc öon SreSfau $u fe£en.
griebrich fam ihm jeboch $uöor, inbem er, naajbem ber Sflagiftrat
ben geforberten $)urd>marfch eine« preußifchen ®orp« jugeftanben,
bemfelben anbere Gruppen folgen unb fo bie ©tabt befefcen lieg,
worauf er ben gefdjloffenen *fteutralität«bertrag für aufgehoben er*
flärte. 25a SRetpperg ftc^ in eine ©teuung jurüdgejogen, in welcher
i^m niajt beijufommen war, mußte ber ©ebanfe, ihn nochmal« an*
zugreifen unb wo möglich ganj au« ©djlefien hinau«jufchlagen, auf*
gegeben Werben.
Unterbeffen war in golge ber ju ülömphenburg getroffenen
Vereinbarungen ber ^ampf um ba« öfterreia)ifche @rbe burch einen
erfolgreichen (SinfaH be« ^urfürften öon ©aiern in ba« &c$txw
Digitized by Google
374
2>er öfterreidjiföc Grbfolgcfrieg.
tljum Cefterreid) eröffnet morben, unb bie fdjmerbcbrftngte Wlavia
X^erefia erfannte bie Unmöglicf)feit, bei tfiren geringen ©treitfräften
ben äxieg nad) ^roei (Seiten f)in mit &u§fid)t auf (Erfolg $u führen ;
fie entfloß fief) bafyer, bem 9^atl>c Ghtglanbä, fidj junorf)ft grieb-
rict)^ al£ ifjre« gefäbrlidtften ©egnerfc burdj eine öon ben Umftän-
ben gebotene SRadjgiebigfett ju entlebigen, golge ju leiften, unb ba
griebricfi, ber in^roifc^en bem 9tympf)enburger ©ünbnife beigetreten,
pdj bem Slbfdjlufj eine« geheimen grieben« niefit abgeneigt geigte,
mürbe am 9. Dftober 1741 bei einer Sufammcnfunft beä fieberen
mit ben öfterreicfjifcfjen Generalen Weipperg unb SentuIuS auf bem
©tarf)embergifcf)en ©d)loffe ®letnfcf) nellenborf unter 2ttitmirfung
beä engltfcfjen (SJefanbten am preußifäen ,$ofe , Sorb £>t)nbfort, ein
Sßertrag vereinbart, traft beffen jnrifcfKHt ben Defterreicfjem unb
Greußen ein geheimer SBaffenftiflftanb eintreten, bie geftung SReifee
naa) einer jum ©djeine geführten Belagerung ben fieberen über=
geben merben unb 9teipperg fief) nadj 9ttäf)ren $urücf$iet)en, im fünf-
tigen trieben aber ganj SRieberfcfjlefien nebft einem Xt)eile öon Dber*
fc^teften an Greußen überlaffen merben fottte.
Unmittelbar naef) bem 2tbfcf)lu6 be« SHeinfdmeHenborfcr SBer*
trag« jog fief) Weipperg nad) SWäfjren jurücf, unb am 21. Dftober
übergab ber SFommanbant öon Steige nad) einem furzen ©djeinmiber*
ftanb bie geftung ben Greußen, dagegen mürbe ber gefd)loffene
Vertrag üon Srtebrict) ttic^t gehalten, ©d)on am 4. Woöember fdjloß
berfelbe mit bem ®urfürften üon SBaiern ein ©d)it&; unb %xn^
bünbnig, in mcldjem er btefem gürften ©öfynen, Defterreid) unb
$nrol unb $arl Ulbert tt)m bagegen außer ©cftlcficn auch bie ju
Böhmen gehörige Gkaffdjaft ®lafc gemährleiftcte. liefen «ertragt
brach fucrjte ber ®önig jmar burd) ben $rang ber Umftänbe unb
inäbefonbere baburdj ju entfdjulbigen , bag ba3 bei ber getroffenen
Uebercinfunft audbebungene ®eheimniß öon Seiten Defterreichä nicht
gemaf)rt morben; boef) ift SIrneth ohne 3meifel im üoflen föedjte,
menn er fagt : „griebrich fdjloß ba« Ucbereinfommcn nur ab, um
Weiße ohne ©futöergiegen in feine (Semalt ju befommen, um Weip-
pergä $eer nict)t mefjr gegenüber ju hebert, ftcti in aller SRuIje a\i&
breiten ju fönnen unb feinen burd) einen elfmonatlichen gelb^ug
erfct)öpftcnf fdjon miggeftimmten Xmppen ©r^olung 51t gönnen. (£r
fdjloß e3 ab in ber Slbficht , bie Königin öon Ungarn $u hinter ^
gehen." tiefem Urteil fdjeint auch ber <ßreuße ©teujel öoüftänbig
beizupflichten, menn er fagt: „(53 fei baä beim ©fliegen unb S3rc
djen be3 ßleinfchnetlcnborfer SBertragS beobachtete Verfahren nicht
ju rechtfertigen ober auc^ nur einigermaßen ju entfc^ulbigen : baä
müffe man ben baju beftimmten eigentlichen unb unetgentlichen
Staat«', $>of= unb ^au8hiftoriograpt)en überlaffen. u
Xrei 2age nad) bem «bfchluß beä 33ünbniffe§ mit bem ^ur-
Digitized by Google
$ct erfte fc^Ieftfcf^c 5hicg.
375
fürftcn öon ©atern, am 7. SRoöember 1741, lieg ftcfj griebrich ju
Breslau öon ben nieberfchlefifdjen ©tänben als fianbeäherr hui»
bigen. $er SDliitiftcr ^obewttS fejjte benfefben in einer längeren
$ebe auSetnanber , baß ber Schaben , ben baS §auä Branbenburg
burdj bie lange (£nt$iehung ber toter fdjlefifdjen gürftenthümer er*
litten fyabt, ben SBertf) beS ganjen SanbeS ©djlefien überfteige,
wobureh bem Könige baS 9lecht öinbicirt werben foflte, aus bem*
felben ©ummen in beliebiger £öf)e ju jiehen. griebrich felbft, ber
bei ber geiertichfeit in einer abgenufcten Uniform erfducn, Derzeit
fich öoflftänbig fchweigfam. SRachbem er bie £ulbtgung ber fatho*
lifchen ©eiftlidjfeit fifcenb unb bebeeften £aupteä entgegengenommen,
ftanb er beim herantritt ber föitterfdjaft auf unb nahm ben £mt
ab, in welcher (Stellung er auch bei ber (SibcSleiftung ber ©täbte
öerblieb. SBic burdj fein prunflofeS Sluftreten im einfachen ®rteg^
roef , fo gab griebrich auch burd) fein berebteS Schweigen feinen
neuen Untertanen ju erfennen, baß er ihr unumfehränfter $>err
unb baß, wie bie gftHe ber 3Jcajeftät allein in feiner $erfon, fo
bie ßtaft berfelben allem in feinem Degen enthalten fei. SKit bem
ftönbifchen SBefen hatte es in ber Sljat feitbem in ©chlefien ein
<£nbe.
Sur gortfefcung bcS Kriege« gegen SJcaria Xtyrtfia lieg grteb*
rieh ben gelbmarfchall Severin in Fähren einrüden, unb wä'hrenb
berfelbe am 27. $ejember Dlmüfc eroberte unb in ber Umgebung
biefer Stabt bie SBiuterquartiere nahm , bemächtigte fich ber (£rb*
prtnj Seopolb öon Xeffau im Januar 1742 ber ©tabt unb G*raf*
fdjaft ®lafc unb führte hierauf feine Xruppen jur winterlichen SRuhe
nach Böhmen.
Unterbeffen mar griebrich nach Bresben gereift, um Stuguft III.,
ber ftd) in$mifchen gleichfalls bem Bünbnijj gegen Oefterreich ange*
fc^toffen ^atte unb beffen Eruöpen burd) einen glücfltc^ auSgcführ*
ten Ueberfatt in ben Befi& öon $rag gelangt waren, jur nach*
brücfltchften Unterftüfcung feiner friegerifchen Operationen aufju*
forbern, bie auch öon bem ©rafen ^rü^( jugefagt würbe. Bon
Bresben eilte er nach $rag, um auch mit ben bort ftefjenben baie-
rifdjen unb franjöfifchen gelbherren bie nötigen Vereinbarungen
in betreff beS beöorftet)enben gelb$ugS ju treffen, «Rachbem er am
25. 3anuar 1742 wieber ju feinem #eere jurüdgefehrt war, fdjritt
er, öon fächfifchen Xruppen unterftüfct, jur Belagerung öon Brünn,
baS öon bem öfterrcid^ifc^en General 9loth aufs Saöferfte öer*
tfjeibigt Würbe.
3n$mifchen fyattt 3Raria Ifyerefia ben ungarifdjen Heerbann
aufgeboten, unb mit ben in SWaffe ju ihren gähnen geftrömten
Ungarn waren auch m% ^rcn übrigen ^ßroöinjen zahlreiche SDcann*
fchaften herbeigeeilt , um für ba8 gute Stecht ihrer geliebten $>err-
Digitized by
376
Ter öfterretd)ifcf)e Grbfolgefrieg.
fc^erin in ben Äampf ju Riehen. So war eS ber Königin möglich
gewefen, jwei neue $eere ins Selb $u fenben, unb Wäfjrenb baS
eine unter bem Qkafen ß^cöcn^tßer , bem bie (Generale Bärenflau,
Xrencf unb Sftenjel unterteilt waren, bie Baiern unb granjofen
auS Defterretcr) üertrieb unb fiegreicf) in baS baierifche (Gebiet ein-
brangr rütfte baS anbere unter ®arl öon ßothringen in Böhmen
ein, um $rag jurütfjuerobern unb bie Aufhebung ber Belagerung
öon Brünn ju ergingen, griebrich $og bemfelben entgegen, unb
bei ber öon ben Defterreidjem befefcten Stobt (£ $ a S l a u fam eS
am 17. 9Hat 1742 ju einem blutigen Xreffen. SBeibe |>eere waren
ungefähr gleich ftarf; boch gab eine ungleich größere 3ah* fdjwerer
(Sefchüjje ben Greußen über bie Defterreidjer ein Uebergewidjt, baS
burd) feine Sapferfeit ber* Vetteren ausgeglichen werben fonnte.
*ftach einem üierftünbigen Reißen Kampfe — öon 7 bis 11 U!)r
SttorgenS — entfdjieb griebrich burdj eine unerwartete, geflutt
ausgeführte Scbwenfung bie <Scr)lacl)t ju feinem Bortheil ; boch
jogen fich bie Oefterreicher in fo guter Drbnung jurüd, ba& öon
einer erlittenen SRieberlage faum bie 9tebe fein fonnte. $ie Qafyl
i^rer lobten unb Berwunbeten betrug breilaufenb, bie ber Greußen
öiertaufenb.
2)er STuSgang ber Schlacht bei ©jaSlau — öon bem Steden
©fjotufifc, bem HKittelpunft ber preu&tfchen Stellung, auch bie
Schlacht bei ßfwtufifc genannt — befchleunigte ben SIbfct)fu6 bcS
griebenS , für beffen 3uf*anbefommen auch bicSmal (Snglanb mit
aller Sttacht thätig mar; benn wie ERaria %§txtf\a bie 9cotbmen=
bigfeit erfannte, fich mit einem öom ©lüde fo entfdncben begünftig*
ten (Gegner ju oertragen, um ihre ganje Streitmacht gegen ihre
übrigen getnbe öerwenben ju fönnen, fo mar aud) griebridj ju ber
Ueber^cugung gelangt , baß Defterreich nicht fo leidet ju Boben ju
werfen fei, als er geglaubt.
9tachbem Sorb |>rmbfort, als Beöollmädjtigter SDtoria Xfjcrefia'S,
unb ber preu&ifdje 2Jctnifter ^SobewilS ju Breslau bie jwifdjen
ihnen öereinbarten griebenSpräliminarien unterzeichnet hatten, fam
am 28. 3uli ju Berlin, Wohin ber #önig am 12. jurüefgefehrt,
ber befinitiüe griebe $u Stanbe. 3n bemfelben trat Sftaria Xherefia
Ober* unb üftieberfchfefien, mit Ausnahme bes gürftenthumS Xefdjen
unb eines %ty\k% ber gürftenthümer Xroppau, Qägernborf unb
9cei&e, , beSgleidjen auch bie ©raffefjaft ®lafc , an ben $ömg öon
Greußen unb beffen (Srben unb 9cad)fommen beiberlei ©efchlechtS ab,
Wogegen griebrich fidj jur 3ah^un9 ciner Summe öon einer SJftllton
fiebenmalhunberttaufenb XfyaUxn, welche bie ©uglänber unb £>oHänber
pfanbmeife an Oefterreich auf Schlefien geliehen hatten, fowie jur
fofortigen 3u^5iehung aller feiner Xruppeu auS ben Sänbem ber
Königin unb §um föücftritt öon bem 9cumphenburgcr Bünbniffe Oer*
Digitized by Google
S5er dfteneUtyMe (Stbfolgerrieg bis jimt Xobc Itaifer ßarlS VII. 377
pflichtete unb fein toeitereS ©ünbnife mit ben geinben CefterreidjS
einzugehen oerfprad). gür bie fattjolifc^c Religion in ©djlejien mürbe
fcofle greifjeit unb Slufredjtfjaltung iI)reS SBefifcftanbeS , jebodj ohne
^Beeinträchtigung bcr Religionsfreiheit ber s$roteftanten unb ber bem
©ouöerän beS SanbeS juftehenben ©erechtfame jugefagt.
SSaljrenb griebria) über baS Belingen feines ©roberungSplaneS
triumphirte , burd) melden ber preu&ifche ©taat um fiebenhunbert
Cluabratmeilen mit einer 2Jciflion üiermalhunberttaufenb ©intoohnern,
atfo um ein üotleS Erittheil , öergröfjert unb beffen jährliches @in*
fommen , nach griebricf)S Berechnung , um brei SRiütonen fechSmal*
hunberttaufenb X^aler erhöht mürbe, empfanb Flavia Xljerefia über
ben SSerluft ©chlefienS, beS „fünften ©belfteinS ihrer ßtone," ben
herbften ©chmer^. „ßorb £>ijnbfort," fdjrieb bcr englifdje ©efanbte
in SBien an feine Regierung, „fann in ber gerne leicht baöon reben,
bog eine Imputation nöthig mar ; menn man aber einer focfjen £)pe=
ration beiroofmt, fo leibet man mit bem Traufen unb burdj ben
ßranfen. $er ©djmerä ber Königin ift fel>r grog. 2We Uebel
feinen ihr gering gegen bie Abtretung ©djlcfienS; fie öergifct bie
Königin unb bricht mie ein SBeib in Xfjränen auS , menn fie einen
©chlefier fleht."
2>er öfterreid)tfd)e erbfolgefrieg bt§ $um 2obe ftaifer
Staxtt VII.
(1741-1745).
SBäfjrenb baS einzige $eer, baS SKaria Sfjerefia jur 2(ufrecht=
Haltung ihres SBefifcftanbeS ins gelb ftetten tonnte, in ©chlefien
gegen griebrich II. fämpfte, festen fich toon aüen ©eiten Gruppen
gegen Defterreich in ©emegung. ©en ftrteg eröffnete ber ßurfürft
Don SBaiern burdj bie Ueberrumpelung üon Sßaffau unb ber in ber
SRähe liegenben mistigen geftung Obernaus. 25urch ein franjöfis
fdjeS #eer öon gmanjigtaufenb 9#ann unter bem 9ttarfdjall SBetleiSle
öerftärft, baS am 15. Stuguft bei gort SouiS über ben R^ein ge=
gangen unb burd) ©chmaben nach SBaiern öorgebrungen , rücfte er
im ©eptember 1741 in Dberöfterreich ein, nahm am 16. ßinj ofme
©djmertftreich unb lieg ftd) am 19. öon ben bort öerfammelten
©tänben als (5r$herjog öon Defterreich fmlbigen. 2ln bem gleiten
Sage trat auch Sluguft III. oon ©adjfen unb ^olen bem ftmnphen*
burger 93ünbni& bei unb lieg ein £eer Oon amanjigtaufenb 27cann
aur SBefifcergreifung ber ihm juerfannten S^arfgraffajaft SRähren in
Böhmen
* m j
\4\
Digitized by
378
$er Öfterreicfjtfdje örbfolgefrieg.
SSon Seiten be$ föeidjä Ijatte Sttaria Üfjerefta feine £>itfe ju
erwarten; benn ber ®urfan$Ier erflärte, bie ganje Sacfje gefje nur
bie £öfe öon Sttündjen unb SSien an, unb bie ^urfürften öon $ötn
nnb ber <ßfalj ftanbcn , a(3 nalje SBermanbte ®arl Ulberts öon
SBaiern, auf bcffen Seite. 9tur $eorg II. öon ©nglanb r)attcf al£
$urfürft öon £annoöer , ein £>cer öon breißigtaufcnb SGRann jur
llnterftüfcung Sftaria Xfyerefia'ä in feinem Stammlanbe jufammen^
gebogen unb ftanb im ©egriffe, mit bcmfelben in bie preufjifdjen
Staaten einzubringen ; er mürbe jebod) burd) ein fran$öfifd>e$
£eer, baö unter bem Üftarfdjaö 9ftaifleboi3 bei Xüffelborf über ben
SRfjein gegangen, öon ber einen unb burd) ein an ber @lbc ftefyen*
be3 preufjifdjeS £>eer öon ber anberen Seite eingefdjloffcn unb fafj
ftet) baburdj genötigt, auf einen Vertrag einjugcfycn, in meldjem
er fid) burd) ba$ 23erfpred)en, ber Königin öon Ungarn feinen mei-
teren Söeiftanb 511 leiften unb bei ber faifermafjl bem Äurfürften
öon SBaiern feine Stimme ju geben, Neutralität erfaufte. £er
Königin Sparta Xljerefta blieb fomit fein anberer ©unbeägenoffe
aU 9hi&lanb; aber bie £ilfe, bie fic Don bort erwarten burfte,
mürbe if)r burd) ben $rieg entzogen, ben Sdjmeben im 2Iuguft 1741
auf granfrcidjä betrieb an bie föegentin Wnna erflärt tyatte (f.
S. 279 u. 283).
So ftanb üflaria Xijerefia if)rcn aaljlretaien ÖJegnern üoflftän--
big ifolirt gegenüber, unb bei ifjren ungenügenben Streitfräften
unb bem traurigen ßuftanbe ber öfterreidjifdjen ginan$en festen iljr
faum irgenb meldje Hoffnung auf Rettung übrig ju bleiben. 2Ibcr
bennod) öer^agte fie ma)t : fic fefcte it>r Vertrauen auf ®ott unb
ifjr gutc£ 9ted)t, unb biefe* Vertrauen foüte nidjt ju Sdjanbeu
roeroen.
3unädjft mürbe ir)re ©ebrängnifj burd) bie genfer ifjrer ©eg=
ner oerminbert. SSäre $arl Ulbert öon &n$ aus geraben 2Beg£
gegen SBtcn öorgerüdt, an beffen SBertfjeibigung bei bem clenben
Ijuftanbe ber borrigen geftungStoerfe unb ber fdrtoadjcn ©efafcung
öon fiebentaufenb sJCRann faum fjätte gcbad)t merben fönnen, fo
bürfte bie öfterreid)ifd)e Sftonardjie üerloren gemefen fein. Slber bie
©eforgnifc, ba& Sluguft III. mit bem ©ebanfen umgeben fönne,
burd) feine in Sööljmen eingerüeften Gruppen biefeä £anb für fidj
erobern ju laffen, ba aud) er mit Slnfprüdjen auf bie gefammte
öfterreidnfdje 9ttonardue tjeröorgetreten , bemog Um, fidj gegen ben
Statf) griebriajS II. gleid)fafl3 nad) SBöljmen ju menben. Mm 26.
9looember 1741 bemäd)tigten fid) bie Saufen burd) einen nad)U
liefen Ueberfall ber £auptftabt $rag, unb am 19. ^ejember empfing
®arl Ulbert, ber inattnfdjen ben Xitel eines ftönigS öon ©öfjmen
angenommen, nad) erfolgter Krönung, auf bem <ßrager Sdjtoffe bie
Digitized by Google
Ter SftencictyMe ©rbfolgefrieg bis aum 2°*>« toif« Äarl« VII. 379
#ulbigung bon meljr at« merfjunbert $erfonen au« bcn bier ©tön*
ben be« tfönigreid)«, bic fid) auf ein oon Ujm erlaffene« Wu«fd)rei*
bcn au biefem Sitte eingefunben.
SSofyrenb ®arl $Tf6ert ftd) in bcm Sßrunfe feiner #önig«roürbe
gefiel unb an feine 9ftöglid)feit eine« Umfdjrounge« backte # fyatte
Ataxia Xfjerefia Seit unb Littel gefunben, ba« @rbe iljrer SBäter
ju retten. 3 m Suni 1741 tjatte fie fid) jum (Smpfang ber unga*
rifdjen Ärone nadj Sßvefjburg begeben unb fd)on bei biefer Gelegen-
fjeit forooljl burdj bie Slnmutfj ifjrer (Sirfdjeinung , al« burdj ifjr
roürbeoofle« unb $ugleidj fluge« Auftreten bie $)erjen ber Ungarn
gewonnen. 9ßad)bem fie fid) am 7. September mit ben bomeftmften
Magnaten über ben 9totf)ftanb ber Sflonardjie beraten , berief fie
auf ben 11. bie ungarifrfjen ©täube nad) ^refeburg, um ifpre $>ilfe
jur Rettung berfetben in Stnfprudj ju nehmen.
3n ungarifdjer Xrauerfleibung , bie ®rone be« fjeiligen Ste-
fan auf bem Raupte unb fein Sd)tt>ert an ber (Seite , trat fie in
bie SSerfammlung ein unb f abritt langfam unb majeftätifd) burdj bie
Steigen ber Großen jum Sfjrone. 9ßad)bem ber ®au$ler $öattf}t)ani
bie Sage ber $)inge gefd)ilbert unb bie Gefahr betont, bie nid)t
nur gegen bie öftemidjifdje ftauptftabt, fonbern aud) gegen Ungarn
tyeranjiefye , erfyob ftdj bie Königin unb richtete an bie SÖerfamms
lung eine Stnfpradje, in meiner fie in ebenfo rü^renben al« mürbe-
Döllen SBorten ben Hoffnungen Äu«brurf gab, bie fte, Don Slllen
berlaffen, für fid> unb ifjre fönber mie für bie Sufunft ber Ütto*
nardne auf bie Xreue unb Dpferroilligfeit ber Ungarn unb ben alten
§elbeugeift ber Nation fefce. Sit« fie ityrer SHnber gebaute, brad>
fie in frönen au« unb mar eine Solang unfähig, meiter ju reben.
$er SInblirf ber fdjönen, unglürflidjen $>errfd)erin riß alle Slmoefen*
ben $u begeifterter X^eüna^me f)in. 3m Sluflobern be« ritterlidjen
•Sinne« unb be« ^elbensorne« entblößten bie ungarifdjen ©bedeute
ifjre Säbel unb fdjmangen fie empor mit bem 2lu«rufe : „Seben unb
23lut für <£ure 9tfajeftät ! 2Bir rooüen fterben für unfern ftönig
SWaria $f>erefia!"
Sluf ben SBunfdj ber Königin ernannten bie ungarifdjen Stäube
am 20. September if)ren Gemafjt, ben Grofifjerjog gran$, jum 9J{it*
regenten, unb am folgenben Xage legte berfelbe al« foldjer cor Urnen
ben (Sib ab. Sei biefer Gelegenheit, nidjt, roie gemöfmlid) erjäljlt
mirb, bei jener erften SBerfammlung ber Stänbe am 11. September,
xvax e« , mo Sftaria $ljerefia ifjren bamat« fedj« SKonate alten
Sofm, ben nadjmaligen ß'aifer Qofep^ II., ber am oorfyergefjenben
Xage nad) Sßreßburg geflüchtet morben unb nad) ben SBorten eine«
Augenzeugen „mie ein ($id)l)ömdjen auf ba« in gemaltiger SRenge
^er^ubringenbe 58olf ^erabblirfte ben Stänben jeigte unb baburd)
Digitized by Goc
380
2>er öfterreidjifdjc ©rbfolgefrieg.
aufä üfteue unter ifjnen einen ©turnt ber ©egeifterung toadjrief, ber
in einem hrieberfjolten ©d)tour , für bie Königin unb ifjre Samilie
$u fterben, SluSbrucf fanb.
&m 29. Df tober fdtfof? SJtoria Xfjerefia ben ungarifdjen Sanb*
tag, nadjbem fie burdj umfaffenbe 3ugeftänbniffe ben Söünfdjen ber
Wation SRedmung getragen unb ben ©tänben ba& iöerfpredjen gege*
ben, öfter« in Ungarn gu refibiren. Qnattrifdjen mar burd) eine üon
ben ©tauben eingefefcte ®ommiffion eifrig an ber Organifirung ber
üon ber Königin üertangten ©treitfräfte gearbeitet unb im ganjen
Sanbe, in ben Kütten »nie auf ben ©dtföffern, auf ben ©ergen mie
in ben Ebenen , jum $rieg gerüftet toorben , unb nodj üor bem
©bluffe be« SanbtagS Ratten ftdj fünfjeljntaufenb berittene ©bei*
leute in Sßregburg eingefunben, mit benen fidj jaljlreidje 3flann=
fdmften auä allen (Somitatejt oereinigten. Sludj über bie anberen
öfterreidu'fdjen ©rbfänber ergofj fia? tote ein (Blutfjftrom bie in
Ungarn ertoadjte 93egeifterung für bie ©adje ber fdjtoer bebrängten
Königin, unb fo fal) fidj 2flaria £f)crefta in furjer Seit im ©efifce
$meier neuen £>eere, burdj meld>e bie Rettung ber öfterreidjifd)en
SKonardjie bemerfftelligt loerbcn fottte. SBäbjrenb baä eine btefer
Speere unter bem «ßrinjen ®arl oon ßotfnringen in 93öf)men^ein=
rüdte, eroberte ba3 anbere unter bem ©rafen ®f)eüenluller Ober*
Dcfterreid) junid unb brang im 3anuar 1742 fiegreidj in ©aiem
ein (f. ©. 376).
Unterbeffen mar ber Shirfürft ®arl Ulbert fdjon in ben Testen
Xagen be3 Sa^re« 1741 oon $rag über Bresben nad) Sflündjen
äurürfgcfeffrt, roo er nidjt bie günftigfte ©timmung gefunben, ba man
fein Unternehmen nie gebilligt unb für baSfclbe feinen glüdüdjen
Ausgang ertoartete, unb tyatte fidj üon bort nad) 2J?annljeim, ber
bamaligen fRefibenj feinet Detters ®ar( ^tfipp oon ber$ßfafy, be*
geben, too er feine (£rmäf)lung jum S?aifer abmarten ioollte.
Obgleich bie 2Baf)t ®arl Hlbertä nadj ber Sage ber 2>inge
feinem Qtoeifel unterliegen fonnte, ba fturpfatj fdjon burdj einen
im 3af)re 1724 abgefdjloffenen §auSöertrag jum engften ^fam*
menge^en mit SBaicrn üerpflidjtet mar, ®öln, ©adjfen unb 93ran=
benburg auf SBaiernS ©eite ftanben, ber ßurfürft oon £>annoüer in
bem sJleutralität3üertrag oom 17. ©eptember 1741 bem $urfürften
$arl SUbert feine ©timme jugefic^ert unb bie $urfürften üon 2Mn$
unb $ricr burdj bie $rofyungen SBelleiale'ä genötigt toorben, ein
®k\d)c% ju tljun, Ratten bie SBafjIbotfdmfter bereits jmei 2J?onate
getagt, ofjne ju einer ©ntfdjeibung gefommen ju fein, ba fie, nadj
ber fpöttifdjen öemerfung griebrid)3 II. , „ftatt ein Oberhaupt ju
toäljlen, fidj über golbene granjen ober ©pijjen ftritten, meta^e bie
ÖJefanbten üom jmeiten 9tange ebenfomo^I ju tragen üerlangten,
Digitized by Google
$er BfterreuWcge (grbfolgcfricg biä jum 2obe Äaifcr flarl« VII. 381
aU bie üom erften SRange." ©nbtidj braute baä drängen grieb*
rid>3, ber bic ©adje balbmöglicf)ft erfebigt ju feljen münfdjte, bie
i8erljanblungen in etmaä rafdjeren ®ang. Um bic 28al)t burdj 93c-
feitigung jebmeben 2Biberfprud)S §u einer ganj cinftimmigen ju
machen, würbe burd) einen SBefajluf? beS $ur*$oöegium3 bie böf)*
mifdje fhtrfrimme, welche 9Jtoria £l)erefia für ifjren ©ema^ in 2ln*
fprud) genommen , mäfjrenb ®axl Ulbert fic alä iljm gebü£)renb be*
trottete, für bieämat au&er fhaft gefefct nnb in golge beffen ber
93otfct)aftcr SKaria £fjerefta'3 üon bem 2Baf)lgefdjäfte auSgef hoffen.
*ftacf)bem ber Antrag, ben fhxrfürften öon ©aiern in ber 2BaI)tfaüi=
tulation als ®önig üon Sööfjmen nnb (Srjfjerjog öon Defterreidj an=
juerfennen, abgelehnt morben mar, erfolgte am 24. Qanuar 1742 bie
einftimmige SBa^f $arl Ulberts jum beutfdjen äaifer , morauf ber*
felbe am 31. Qanuar feinen GSHnjug in granffurt fjtelt unb am 12.
gebruar atä ®arl VII. feierlich gefrönt mürbe.
SBäfjrenb $arl VII. fiefj in granffurt im Ötfanje ber ®aifer=
frone fonnte, bie er Iwuptfädjlid) ber ©nabe granfreicf)8 $u Oer*
banfen {jatte, jogen bie Defterretdjer unter SBärenflau unb 9Kenje(
in Sflündjen ein, ba£ fidj if)nen am 13. gebruar gegen bie 3ufage
ber ©idjerfjeit ber ^erfou unb be3 (£igentljum& , ber Sldjtung ber
ftäbtiföen greifjetten unb ber ©c^onung ber furfürftlidjen Sd)Iöffer,
of)ne SBerfucf) jum SSiberftanbe ergeben fmtte. <Bo fa§ ®arl VII.
in granffurt, auf bie geringen Erträge beä ®aifertf)um3 unb ben
Söeiftanb granfreidjä unb $reu&en3 befdjränft ; benn ebenfomenig
nrie ba3 9kid) atö foIdjeS für bie 2lufrecf)tljattung ber üon ifrni ge*
roäfjrleifteten pragmatifdjen ©anetion eingetreten, naljm eä an bem
Kriege be3 neuen ®aiferä gegen Defterreid) $f)etf, unb ber perma*
nente 3teid)3tag, ber feinen ©ifc öon 9legenäburg nadj granffurt
üerlegt ljatte, üermodjte nidjt einmal, bie SBcrabfoIgung be§ in SBien
befinblidjen , 3ur gortfüfjrung ber 3teid)3gefdjäfte unentbef)rttd)en
9ieidj3ard)iüa an ba$ neue Dber^auüt ju bemirfen, ba 9ttaria
Xf)ercfia bie 3Baf)I ®arl$ VII. megen ber 5luäfd)tte&ung 93öljmen&
üon bem 2Bal)Igefd)äfte für ungiltig erftärt rjattc. $ie 2(nfunft
eines neuen franjöfifc^en $>eere£, ba$ unter bem Sttarfdjaß £ar*
court jur Vertreibung ber Defterretdjer in Söaiern eingerüeft mar,
fomie bie 6iege ber preu§ifd^en SBaffen in 9ttaf)ren unb ©öfjmen
hielten jmar noef) eine 3c^an9 Äarfö VII. Hoffnungen aufrecht ;
aber ber griebe, ben ber ^önig Oon Greußen nad) ber 6c^Iaa^t üon
(£ja3lau mit 2Waria X^erefia fa^lo§, unb bie barauffolgenbe s2IuS-
föf>nung ©adjfenä mit Defterreia) fc^tugen biefclben gänjli^ bar*
nieber.
55a§ Uebergemit^t, ba§ biefer grieben§fa^(u6 ben öfterreic^ifc^eu
Staffen üerlie^ , jeigte fia^ junöc^ft in Sö^men. ^ie franjöfifcfjc
Slrmee, bie in ber ©tärf e üon üier$ef)ntaufenb 33?ann unter ©etleiale in
Digitized by Google
382
Set ö|"terrctd)ifcf)e Grbfolgcfrteg.
biefem Sanbe ftanb, faf) fid) genötigt, ftd) nach $rag jurücfjujic^cn,
unb würbe bort oon ben Defterreichern unter bem dürften Sobfo*
wifc eingefroren. 9Kan ^ielt fie für gefangen unb jweifelte nicht
baron , ba§ ber junger fie jur (Ergebung jwingen werbe. 2lber
SBelleiSle fa&te, um biefer Schmach ju entgegen, einen oer$weifelten
(Sntfchlug. Qn einer finfteren SBinternacht — e§ war ber 17. $e=
aember 1742 — jog er Ijeimltd), unter Snrücflaffung einer fdjwachen
Söefa^ung öon taufenb QnöaUben , au* $rag , um fich nach (Sger
$urücf$uäiehen , ba3 noch oon einem fraujöfifdjen £>eere unter bem
yjlaxfäaü ©roglto befefct mar. 9113 bie Defterreicher bie in ber
©tabt oorgegangene Söeränberung wahrnahmen, festen fie fogleidj
ben ^bgejogenen nach; biefe Ratten jebod) bereit« einen ju großen
SSorfprung gewonnen unb erreichten (Sger nach einem elftägigen
mübeooUen SHarfdje , jeboch mit einem iöerlufte oon fedjätaufenb
SQcann , bie ber Äältc , ben Slnftrengungen unb ben Angriffen ber
nadjfefcenben öfterreicr)ifc^cn #ufaren erlegen waren. $)ie in $rag
äurücfgebliebenen Qnoaliben , beren $ahl öon Sobfowifc bebeutenb
überfchäfct worben, fapitulirten gegen bie Bewilligung freien 2lb$ugä
nac^ Söaiern.
gnjmifchen mar e3 bem gelbmarfchall ©eefenborf , ber au*
öfterreidufdjen in baierifche $ienfte getreten, in ben legten Söodjen
be3 3a^re« 1742 gelungen, bie öfterreid)ifdjen unb ungarischen
Gruppen, bie Baiern noch befefet hielten, über bie ören^e ju treU
ben, fo ba& bie au« Böhmen fommenben Sraujofen in bem baierifchen
GJebiete fixere Ouartiere fanben unb Barl .VII. felbft am 19. Slpril
1743 nach München jurüeffehren fonnte. ©eefenborf, ber bie Sage
ber $inge flarer burchfehaute , alä ber ®aifer , unb inäbefonbere
überzeugt mar, baS e« ben Sranjofen mit bem Kriege fein rechter
(Ernft mehr fei, bot ade feine Berebtjamfeit auf, um $arl VII. ju
einem griebendfehluffe mit O efterreich ju bewegen; biefer fonnte ftch
jeboeö nicht baju entfdjlieöen, fich friebefuchenb ber Softer ®ar.l3 VI.
^u nähern, nachbem er erft fur$ oorfjer beren fronen als fein ©igen*
thum in Slnfprudj genommen.
2Bät)renb ®arl VII. noch immer feine Hoffnung auf ben fran*
äöfifdjen $of fefote , au welchem feit bem fur$ üorher (29. Januar
1743) erfolgten Xobe be3 ®arbinalä gieurü jebe einheitliche <ßolitif
aufgehört hatte, würbe eine baierifche |>eere«abtheilung oon fiebert*
taufenb Sttann, bie unter bem (General 9Jttnujjt bei Simpad) unweit
Braunau ftanb, oon ben Defterreichern unter Äh^nhitter unb bem
s$rin$en $arl oon Lothringen angegriffen unb faft gänzlich aufge^
rieben. 2>a Broglio 511 ber gleichen 3eit, ftatt $um ©dmfce beä
$aiferä herbeizueilen , oon (Sgcr nach oem Cheine aufbrach , ftanb
Baiern ben Defterreichern offen , unb fo blieb ftarl VII. Wicht*
übrig, alä auf« 9ceue feine §auptftabt $u oerlaffen. Söährenb er
Digitized by Google
$er dftenricfttfdp (grbfolflcfvicg bis 311m lobe Äaifer ftarld VII. 383
$uerfi in 2lug«burg , bann jum anbern 9#ale in granffurt eine
.Bufluc&täftätte juckte, fchloß ©eefenborf am 27. guni 1723 in feinem
Auftrag mit ben öfterreidujrfjen gelbr)errn , beren Vorbringen in
Vaiern er mit feiner Keinen £ruppenmacht üon jefmtaufenb 9#ann
nicht §U ^inbern oermochte, einen 9täumung«üertrag, fraft beffen ba«
baierijehe £>eer beftimmte Cuartiere be$og unb ba« Sanb ben Defter-
reifem überlaffen mürbe.
Unterbeffen fjatte granfreich in bem im 3ahre 1739 au«ge=
brochenen englifdHpanifchen Kriege (f. ©. 298) Partei für ©panien
ergriffen unb baburdj ba« englifche Parlament bemogen, bem ®önig
®eorg II., ber längft au« ber ihm aufgezwungenen Neutralität herau«;
jutreten genmnfdjt hatte, bie nötigen (Selbmittel jur nachbrüeflichen
Unterftüfcung Defterreich« ju bewilligen, Nachbem e« bem tönig ge-
lungen mar, bie ©eneralftaaten jur Beteiligung an bem Stampfe für
bie s2lufrechthaltung ber auch üon Urnen getoährleifteten pragmatischen
©anetion ju geminnen, ruefte er im gebruar 1743 mit einer in ben
Nieberlanben gefammelten Slrmee üon fünfjigtaufenb 9flann , bie
ihre« Qtotdrt roegen bie „pragmatische" genannt mürbe, ohne 9ftücf=
ficht auf bie oon bem ftatfer unb bem ftönig oon Greußen erhobene
<Jkoteftation , burch ba« gülich'fche unb Shirfölnijche ©ebiet jur
Vereinigung mit ben Defterreichern in bie Httyin* unb 2ftaingegen*
ben ein. (Sin fofort oon granfreich nach $eutfchlanb entjanbte«
unb oon bem #erjog üon Noaifle« geführtes £eer oon fechjigtau*
fenb Üftann fuchte bem ftöntg bei Dettingen, unmeit Raffen*
bürg, ben SSeg ju oerfperren, mürbe jeboch oon bemfelbcn am 27. guni
1743 gefchlagen unb jum IRücf^ug über ben 9tf)ein genötigt.
3m Sluguft führte ®eorg II. bie pragmatische Slrmee , bie in*
^mifa^en burc| atoanaigtaujenb $oüanber Oerftärft morben, gleichfall«
über ben ^ein , unb im ©eptember folgte ihm ber s$rinj $arl
üon Stahringen mit einem öfterreic^ifc^en #eere oon adjtjigtaufenb
SJcann auf ba« linfe 9lf)«nufer naa). 55er ßefctere tuuufchte , ben
Ärieg im Vereine mit ber pragmatifdjen 2lrmee nach granfreich
hinüber ju tragen; er fanb jeboch ben ®önig ®eorg menig geneigt,
fich an biefem Unternehmen, ba« ihm aHju gemagt fchien, §u bethei-
ligen, unb ba granfreich insmifchen 311 umfaffenben Lüftungen Seit
gefunben, blieb ben Verbünbeten Nicht« übrig, al« ihre Xruppen in
bie SBinterquartiere 51t üerlegen , bie oon ber pragmatischen #rmee
in glanbern unb Oon ber mieber über ben Schein jurüefgefehrten
öfterreichifchen in ©chmaben unb Vätern genommen mürben.
SBährenb auf biefe SBeife ber mit fo glänjenben (Srmartungen
begonnene gelb$ug ohne irgenb meldje« militärische G£rgcbm& blieb,
hatte berfelbe ben 2Tbfc^Iu& eine« förmlichen Vünbniffe« jmifchen
£)efterreich , (Snglanb , §ol!anb unb ©arbinten jur golge , ba« am
23. ©eptember 1743 ju SBorm«, bem Hauptquartiere ÖJeorg« II.,
Digitized
384
3)cr öfierrcicfyfc^e (Srbfolgcfricg.
ju ©tanbe fam unb bcr Königin Sttaria X^erefia aHeS baSjenige
gcmäfyrleiftete, tt>a£ fie üermüge ber pragmarifdjen ©anctton befifcen
foHte. Xiefem Söünbniffe trat am 21. Eejember 1743 aucf>
Shiguft III. üon ©adjfen unb Sßolen bei.
i)cr Ucbcrgang ®eorg& II. unb bed $rinjen üon Sotfjringen
über ben SRtjctn gab bem ®ömg üon granfreid), bcr bis bafun nur
als ©unbeSgenoffc ber <ßrätenbenten beS öftcrrcict)ifc^en @rbeS an
bem Kampfe um baäfetbe Xfjeil genommen, Sßeranlaffung, als felbft*
ftänbige friegfüfyrenbe Sfladjt aufzutreten , $u welchem (£nbe er am
26. Slpril 1744 ber Königin 2Jfaria X^erefta unb am 15. 2Hai
beSfelben 3afyreS an Sngtanb ben ftrieg erftärte. 2113 groeef be3=
felben mürbe bie Eroberung ber öfterreidjifdjen Wieberlanbe in£
2luge gefaßt.
£a bie £>er$ogin ton (£f)ateaurouj, bie bamalige beliebte 2ub=
roigS XV., biefen üom SticgSrufyme umftrafylt ju fetjen münfdjte,
beroog fic ben ®onig, fid) perföntidj ju ber Slrmee $u begeben, ma£
griebrid) II., ber in$nnfd)cn feine ^erbinbung mit granfreid) ftitnt
5öct)ufc neuer geinbfeligfetten gegen Ocfterreid) erneuert Ijatte , für
eine fo großmütige, ja ^erotfdje Üfmt üon Seiten ber Herzogin er*
flärte, „bie für granfreid} bie Sntereffen ifjreä ^er^enS unb üjreS
GHürfeS geopfert," baß biefelbe in ben 3a^rbüa}ern ber ©ef^te
aufgezeichnet $u merben Oerbiene.
$ie Operationen ber franjöftfa^en 2lrmee in ben öfterreidufdjen
Sftieberlanben beftanben ^auptfäd)lid> in ber Belagerung ber feften
<ßtäfce , unb ba biefe meift fduoad) befejjt maren unb überbieä oon
bem in ben Wieberlauben ftetycnben englifdjen £>eere jef)ntaufenb
9flann jum ©dmfce ©ngtanbS gegen bie ©cfa^r einer franjöfifdjen
itonbung ober einer Srfjebung ber Qafobiten in bie $eimatij ju^
rütfberufen roorben, r)attc baS franjöfifdje #eer in furjer 3eit nic^t
unbebeutenbe Erfolge aufaumeifen , an benen jebod& bcr fönig
feinerlct 9IntI)eil tjatte r ba er einen müßigen 3ufcf)auer abqab unb
fief) barauf befdjränfte , täglict) Beriete über bie friegSereigniffe
entgegenzunehmen, ßourtraü ergab fict) am 18. 2Bai, SWcnin am
12. 3uni, gpern am 25. 3uni, $nofe am 29. Quni unb gurneS
am 11. 3uli.
Unterbcffen §attc ber ^rin$ fori öon ßotfjringen am 3. 3uli
in ber Wälje üon StalSrufje mit einem zahlreichen öftcrrcid)ifd>en
Speere ben dtyein überfchritten unb mar in ba« (Slfaß eingerüeft.
©S mar fein müitärtföe* 9ttcifterftüd, ber #öljepunft feines 3iuf)meS ;
benn mäfjrenb ©erfenborf mit achtzehntaufenb Sflann fogenannter
„fatfertitf)er Xruppen" bei ^^ilippsburg ftanb, ^atte fid) ein ja^l-
reifes franzöfifdjeS $eer unter Soignü längs bed ©tromeS auSge*
breitet, unb beibe gelbfjerren toaren mit fa)arfem Stuge aflen 33e=
toegungen bcS ^rin^en gefolgt, um i^m an jeber ©teile, mo er ben
Digitized by Google
$er Öfterreidjifdje ©rbfolgefrteg bis jum 2obe #aifer $ad8 VII. 385
SRfyeinübergang ju beroerfftelligen fudjen roerbe , bcn 2Beg ju üer*
legen, Unauffjattfam brangen bie Defterreidjer im ©(faß üor, unb
balb ftanben ifjre SBorooften in Sabern. (Stanislaus SeScinSft ent<
flof) aus fiuneüiöe; benn mit bem gefammten (£lfaß fd)ien aud)
Stahringen aufs (£rnftlidjfte bebrof/t.
3Iuf bie 9tad)ridjt üon bem erfolgten Sftfycinübcrgang beS $rin-
$en üon Sotfjringen mar ßubroig XV. mit bem größten %\) eile fei=
neS öeereS aus ben 9lieber(anben nad) bem ©(faß aufgebrodjen,
um bie SBiebereroberung ber bem beutfd)cn 9teid}e entriffenen über»
rf)etmfcf)en Sanbfdjaften burd) bie ftegreidjen öfterrcid)i(d)en Sd)aa*
ren ju üerfyinbern. 2)er beabftdjtigte Angriff auf $ar( üon Sotfjringen
mürbe jebodj burdj eine heftige (Sxfranfung beS Königs üer$ögert,
bie benfelbcn längere Qeit in 9ftcfc jurüdljielt, unb als er genefen,
maren bie Defterreidjer mieber über ben 9^^ein jurütfgegangen ;
benn neue geinbfeligfetten üon ©eiten griebrid)S II. Ratten SRaria
Xfjerefia genötigt , ben ^rinjen oon ßotfyringen fdjleunigft jum
Sdmfc beS [d>mer bebrofytcn ©öfymenS juriitfauberufen. 2Sie ber
erfte Stfyeinübergang beS ^ßrinjen, fo mar aud? fein Stüdaug ein
Sfteifterftüd , unb ebenfo rafdj unb glüdlidj führte er fein #eer
burdj ©djmaben, granfen unb Saiern nad) 93öf)men jurüd, bas
jmar in$mifd)en oon ben Greußen üollftänbig erobert morben mar,
aber nod) in bcmfelbeu Qaljre (1744) oon iljnen mieber geräumt
werben mußte.
£er 2lb$ug ber Cefterreicfjer aus Dberbeutfdtfanb r)attc es bem
®aifer möglid) gemalt, am 23. Cftober 1744 mieber in feine
<pauptftabt SKünc^en etnjujie^en; aber audt) bieSmal fd)ien er nur
bafjin äurüdgefefjrt }n fein , um ftdj jum anbern äftalc genötigt
fef>en, feine 3uflud)tSftättc in granffurt mieber aufjufudjen;
benn bei ber Söenbung , meldje bie £inge in ©binnen genommen,
mußte er, ba er ein neues SBünbniß mit griebrid) II. gefdjloffen,
barauf gefaßt fein, abermals üon ben fiegreidjen Defterreidjcrn aus
feinem ttanbe üertrieben ju roerben. SSor biefem ©efdjid bemalte
ifm ein unermarteter Xob, ber am 20. Qanuar 1745 in golge
einer jurüefgetretenen gußgidjt feinen förderlichen unb geiftigen
Seiben ein Qid fefete. ©terbenb ermahnte er feinen ©ofjn unb
9iad)folger Sttarjmilian Sofepf) , fidj üor bem (Efjrgeij ju fjüteu,
burc§ melden er felbft fo ferneres Unglücf über fid) unb fein ßanb
gebracht, unb ftd) fein ©eifptel jur SSarnung bienen ju laffen, „ba
eS bitter fei, aus feinem Sanbe fliegen unb üon ber ^armljer$igfeit
Slnberer leben 51t müffen."
^olatoart^, SSeltöef^te. VI. 25
Digitized by
386 $er öfterreid)tföe (Srbfolgefrieg.
*
Xcr Ivette frfjlcitfdjc ftrteg.
(1744-1745.)
Xic (Srfolgc ber öftcrrcic^ifc^cn SBaffcn im Kampfe gegen
SBaiern unb granfreich beunruhigten ben ftönig üon Greußen um=
fomcfjr , alä er annehmen ju muffen glaubte , baß bem jroifchen
SJcaria Xherefia , Cfriglanb , $oHanb , Sarbinien unb «Sachfen jur
2lufred)tf)altung ber pragmatifchen ©anetion gefchlofienen Söünbniß
bie Slbjicht ju ÖJrunbe liege, ifjm @d)Iefien mieber ju entreißen.
S)tcfe Söeforgniß, fonne ber Sßunfd), roeitcre SBortheile gegen Defter*
rei^ au erringen, beroogen ilm, ju ©unften Äarte VII. aufä 9ceue
in bie 5lftion einzutreten. 3" biefem @nbe fdjloß er am 22. ÜKai
1744 mit bem ßaifer, bem ftonig griebrich I. üon ©chroeben, als
£anbgrafen üon £cffen-£affcl , unb bem $urfürften $?arl X^eobor
üon ber «ßfalj, bem 9cac£»folgcr ftarl ^ilippft- (feit 1742), ein
öünbniß, bie fogenannte „granffurter Union", alä beren Qrotd bie
Haltung beS ftttfert unb ber sJtetch3üerfaffung bezeichnet mürbe.
„$a aber $u beforgen ftehe" , fo f)ie& eä in ben getroffenen Skr*
einbarungen, „baß gütliche WuSfunft ofjne SBirfung bleibe, jo fönne
eä nothmenbig merben , baß man ju ben SBaffen greife , in meinem
traurigen galle bie ^erbünbeten fudjen moüten, außer ben baierifdjen
®urlanben für ben ftaifer baä Königreich Böhmen als eine ange=
meffene Sluäftattung für baS SReichSoberhaupt $u erobern ; bod) foHc
ber Äönig üon Greußen alä ßofm für feine 9)cühe bie an ©chlefien
grenjenben böhmifchen Greife ®öniggrä&, ©unjtau unb Seitmerifc
erhalten. fteine ber üerbünbeten dächte bürfe für fic^ allein grie*
ben fchließen, fonbern alle müßten ju gemeinfamer $)emüthigung be£
£>auje$ Cefterreich ftanbhaft jufammenblctben."
SDlit granfreich föloß griebrich am 6. 3uni ein befonbereS
iöünbniß, in meinem er üerfprach, fallä bie Defterreidjer *ur ©robe*
rung be$ ©Ifaffeä unb Sothringen3 über ben sJthcin rücfen foflten,
mit einem Jpeere üon aa^tjigtaufenb aKanu in Böhmen einzubrechen,
um bie Königin oon Ungarn ju jmingen, ihre Xruppen auä bem
(Slfaß jurücfjuberufen , wogegen Üubmig XV. fich oerpflichtete , bie
£cfcteren über ben iRfydn hinaus »erfolgen ju laffen , um fie ruo*
möglich bn öernichten, unb jugleich burch bie (Sut)enbung eineä £>eere£
nach SBeftfalen $annoüer 511 bebrohen. Um Äußlanb bauerub üon
Defterreich fem 511 galten unb bem preußischen Qntereffe bienftbar
3U machen, fyattt er eine Vermahlung beä Thronerben $eter üon
£olftein=(4Jottorp mit ber $rin$effin Sophie üon Slnhalt'ßerbft l)
1) ©et ihrem am 9. 3ult 1744 erfolgten, Ucbertritt $ur griechitchen ffirc&e
nahm btefelbe ben Hainen Katharina an, unter meinem fte fpäter al$
Äaiferin eine fo heroorragenbe SRofle fpielen fottte.
Digitized by Google
3)er jiocttc fd)leftfcl)e $rieg.
387
vermittelt, bcrcn Skter ©eneral in preujjifchen $)tettften uttb ihm
fehr ergeben tvax. 9luch ©cfm)cben mar buret) bie JBermählung beS
$um Thronfolger ermahnen £>eraogS Slbolf griebrich öon #olftein=
(Sottorp (f. ©. 282) mit griebrichS ©cfjtüefter Ulrife (Slconore auf
Greußens ©eite gebogen morben.
91 m 7. 9Iuguft 1744 liefe griebrief) burch feinen ©cfanbten am
SSiener |>ofe, ben ÖJrafen $ohna, ber Königin öon Ungarn eröffnen :
er fönne als ®urfürft nicr)t mit gleichgültigem 2luge anfehen, bafe bie
SSürbe beS $aiferS unterbrüeft, bie SBerfaffung beS beutfcfjen Meiches
umgeftürjt unb beffen ©tänben ©emalt angethan merbe ; ber SBiener
£of habe feine bisherigen SBarnungcn unbeachtet gelaffen unb ir)n baburd)
gejhnmgen, mit bem tfaifer unb einigen Surften eine Union abzufchliefjen
unb bem (Srfteren einige feiner Gruppen als $ilfSöölfer ftit überlaffen.
SBährenb fich ju ber gleiten Seit achtjigtaufenb Greußen, bie
als „faijerlichc ^ilfSöölfer" bezeichnet mürben, gegen 33öt)men in $3e*
toegung festen, crfct)ien ein 9Jcanifeft, in meinem griebrich erflärte:
„Me feine Bemühungen für ben grieben in 3>eutfcf)tanb feien üer*
geblich gemefen ; 3Jtarta $herefta dQDC °ie griebenSanträge beS
ÜatferS ^oct)müt^ig öermorfen; fie fd)lage aus unbegrenztem @f)t*
cjetj bie beutfehe Freiheit in geffcln unb fpiele mit breite unb
(Glauben. SSie aber bie alten ©ermatten burd) Qahrhunberte ihr
SBaterlanb unb ir)re greifet gegen bie gan$e ^>crrlicr)fctt ber 9tömer=
luelt befchüfct, fo mürben auch it)rc Ücachfommen bie bebrorjtc greU
heit beS SBaterlanbeS öertheibigen. $arum ergreife auch er jefct
.bie SSaffen für bie greiheit beS Meiches, für bie Söürbe beS ftaiferS,
für bie Stühe Chiropa'S; er höbe babei nicht baS geringfte perfön*
liehe 3ntereffe unb tierlange für fich gar nichts. • $rofo biefer hoch5
tönenben Söorte bezeichneten fclmn bamals SSiele bie brei böhmifchen
Greife als bie alleinige Urfache beS Krieges.
S)ie jur Eroberung Böhmens auSrücfenbe Xruppenmacht be=
ftanb aus brei £>eerfäulen, öon benen bie eine unter Schwerin öon
©chlefien aus unb bie gmeite unter bem (Srbprinjen öon £effau
burch bie Saufifc heranä°9f nmhrenb ber ftönig felbft mit ber britten
ben 28eg burd) ©achfen nahm. s2ln bem gleichen Xage, an welchem
er „im 9camen beS IfatferS" freien Xurchjug burch baS ®urfürften*
thum öerlangte, überfchritt er auch fchon bie fächfifche GJrenje, fo
bafj ber ^roteft beS 5)reSbener £ofeS, ben ber ffönig für Geichs*
feinbfehaft erflärte, feine SBirfung mehr hoben fonnte unb bie mehr*
lofe fächfifche Regierung fich gelungen fah , ben burchjiehenben
preu&ifchen Gruppen Lebensmittel ju liefern unb ihnen bie nötigen
©djiffe ju ftellen, um über bie @lbe ju fefcen.
9cachbem fich bie &rei Äolonnen am 2. ©eptember bei *ßrag
öercinigt hotten unb innerhalb acht Xagen baS fernere ©efchüfc jur
©teüe gebracht morben, mürbe am IL baS Öombarbement ber
25*
Digitized by Google
388
$er öfterretd)ifd)e ©rbfolgefrieg.
Stabt eröffnet. $ier Xage lang letftete ber 93efef)lSfjaber $arfdj
mit ber fd&toadjen SBefafcung Don fedjjeljnljunbert Wann, Don ben
Stubenten matfer unterftüfct, ben Belagerern tapferen SBibcrftanb ;
als jebodj am 16. bie ^ßreu&en ÜJiicnc machten jum Sturme ju
f freiten, pflanzte er, bem ungeftümen Verlangen ber Söürgerfcfyaft
nadjgebenb, bie mei&e galme auf unb übergab bie Stabt am
folgenben Jage ben Sßreufcen, naapbem er fiefj ocrgebenS bemüht fjatte,
für bie SBefafcung freien Slbjug ju erlangen, griebrid& ließ bie*
felbe nad) Sdjlefien abführen unb in Derjdnebene geftungen Der*
tfjeilen. 83on ben Stubenten ftetfte er Diele unter feine ^Regimenter,
„roeil fie 5um ftriegSljanbwerf meljr Suft gezeigt Ratten, als ju ben
mtyxn."
$luf bie ©inna^me ber böfjmifdjen Jpauptftabt folgte nod) im
sJD?onat September bie Don Xabor, SBubmeiS unb grauenberg, unb
beöor ber Don Sftaria Sfjerefia fd)leunigft aus bem @lfa§ jurücfbe*
rufene ^ßrinj Don ßotljringen bie böfjmi[d)e ©renje erreia^en fonntc,
mar faft baS ganje roef)rlofe ßanb Don ben Greußen befejjt.
So r)atte griebridj feinen gelb^ug glänjenb eröffnet; aber mit
ber SRürffefn* ßarlS Don Hötzingen erfolgte ein jäljer Umformung,
griebrid) fjatte eS, inbem er feinem SiegeSraufd)e $u rafd) nadj
bem Säben SööfymenS Dorgebrungen, bem aus $toiern jurücfbe*
rufenen öfterreid&ifdjen gelb^errn ©attfjtjani möglich gemalt, eine
Stellung $u nehmen, burd) toeld)e er nid)t nur mit Saufen in
SBerbinbung blieb, fonbern aud) bem Sßrinjen Don Sotfjringen bie
jpanb reiben tonnte. Sßadjbem baS £cer beS Hejjteren fidj am
1. Oftober mit bem Storps $Battl)Dani'$ Dereinigt fyatte, fugten beibe
gelbfjcrren ben fäönig Don ^ßreujjen, unter S&ermeibung eines 3Us
jammenftofjeS, burd) gefd)irfte SWärfdje unb gut gemähte Stellungen
mefjr unb mefyr in bie (Snge ju treiben unb ifym bura) ifjre leisten
Gruppen bie nötigen #ufuf)ren ab$ujd)neiben, bamit bie Sftotl) ifm
jur Räumung SöötnnenS jtoinge. Qn biefen ©emüfjungen mürben
fie burd) bie allgemeine Abneigung ber SBöfjmen gegen bie Greußen
trefflid) unterftufct. £ie Hanbleute gogen fid) überall mit allen Sebcnö*
mittein Dor ben preujjijdjen Xruppen auS it)ren Dörfern in SBälber
unb Sd)luc^)ten jururf unb unterrichteten baS £>eer ifjrer Königin
Don allen iöemegungen beS geinbcS, mäljrcnb bie ^ßreufjen über
bie Cefterreidjer nidjt baS 2Janbefte erfahren fonuten, ba alle Don
ifmen auSgefanbteu &unbfd)after aufgegriffen mürben. Um fid) in
bem SBeftfc oon ^ßrag ju fiebern, bradj griebrid) nrieber nadj bem
Horben auf, roorauf Sabor unb ÖubroetS, in melden er ftarfe Soften
5urücfgelaffen, burd) bie ßefterreidjer nrieber erobert mürben.
9tad)bem baS £eer beS ^ßrinjen Don ßottjringen burd) jroan$igs
tauj'enb Sad) jen, bie am 21. Dftober $u ifym geftofeen, auf fieb^ig--
taufenb iD^ann err)ür)t toorben, burfte berfelbe hoffen, ben $Önig aus
Digitized by Google
$er jiucitc fdjlcftfrfjc Äricg.
389
einer fefteit Stellung nacfj ber anbern öerbrängen ju fönnen. Qn
ber Zfyat fafj fid^ grtebridj, beffen Sage ntdjt nur burdj madjfenben
Langel, fonbern aitcf) burdj $afjfretcf)e $efertionen unter feinen
Gruppen öon Xag ju Sag bebenflicfyer nmrbe, nadj öcrgeblidjen 93e=
inübungen, ftdj burd) eine entfdjeibenbe Scr)tae^t ßuft 31t machen, jum
tRücf^ug über bie @lbe genötigt, um ber ÖJefafjr §u entgegen, öon
<3cf)Ieften abgefdjnitten ju roerben. Wit großem Serlufte unb unter
unauffjörtidjen Angriffen ber letzten öfterreidnfdjen Reiterei erreichte
er in ben legten Xagen beS Sßoüember bie fcf)lcfifd)e ©renje, bie
er am 1. $)ejember in ber traurigften Söerfaffung übertritt. $>cr
löerlnft feine* gefammten ferneren ®efd)üfce$, ba* bie preugi[cr)e
SBefafcung öon $rag bei i^rem fdjleunigen STbjug fyatte jurücflaffen
muffen; ein auf bie ©älfte 5ufammengefd)mol$ene8, bemoralifirte*
£>eer unb eine öollftänbig erfd^öpfte ®affe — ba3 war ba$ einjige
<£rgebniß beä mit fo großer Suöerftdjt unternommenen gelbjugS.
„$aä große Sriegäljeer, toetcfjeS SBöfmten berfdjlingen unb felbft
Oefterreid? übcrfdjmemmen fofltc/' fo geftebt griebrid^ felbft in
feiner Sdnlberung jene* gelbjugS, „hatte baä 6d)icffal jener
glotte, bie ben tarnen ber unüberminblidjen Slrmaba führte." (£r
erfannte, baß ber fixieg ton ©eiten ber öfterreid)tfd)en gelbljerren
meifterfyaft geführt toorben, mäfjrenb er felbft große geiler be*
gangen; ganj befonberä fcfjricb er jebodj feine Sflißerfolge bem
ifeortbrudj ber granjofen ju, bie, ftatt bem au8 bem (Slfaß ab*
3ief)enben #eere ®arl8 öon Sotfjringen ju folgen, um baäfclbe öon
Winnen fern 51t fjalten, ftd^ auf bie Belagerung öon greiburg im
SöreiSgau befefcranft Ratten, »eil c$ fidj für bie bamaligen Senfer
"ber (Sefdjicfe granfreid)3 öor 2Wem barum fjanbelte, bem ®önig,
"ber fortmäfyrenb perfönlidj bei bem $eere anroefenb mar, leisten
Scriegaruljm ju üerfdmffen unb i^n baburd) in rriegeriföer Stuf*
regung ju erhalten.
griebrid)* Sage mürbe erfdjroert burd) ben Xob $aifer
$arfä VII., ba üjm burd) benfelben nidjt nur jeber SBormanb jur
gortfefcung be£ Striegel gegen Flavia $f)erefia entzogen, fonbern
<tud) bem ®roßfjeräog granj öon Xoäfana bie 2Iudfid^t auf bie
$aiferfrone eröffnet mürbe , inbem ber adjtjefynjäljrige föurfürft
liDtorunilian Qofepr) öon SBaiern nodj nidjt ba« öon ber golbenen
SBulIe für bie 2öar>Ifä^tgfctt öorgefdjriebene Mter tjatte. $er
franjöfifaje $>of fud)te jmar bem ®emaf)le 5ftaria Xf>erefia'3 in
Sluguft III. öon ©adjfen unb s£olen einen Nebenbuhler in ber 53e=
merbung um bie ®aiferfrone 51t ertoeefen — ein *ßlan, bem gricb=
rid) II. umfo bereitwilliger sugeftimmt, atä er in bemfelben ba*
fi^erfte bittet erblidte, ©ad^fen mit Defterreic^ bauemb ju öer«
feinben, — unb bemühte fidt) ju biefem (Snbe eifrig, eine 5lu§fö^
ltung jmiföen ben ^öfen öon 5)re«ben unb ©erlin au ©tanbe 5U
Digitized by
300
$er öfterrctcf)ifcf)e Grbfolgcfrieg.
Bringen; bie Abneigung ?luguft3 III. unb befonberS be« (trafen
53rüf)l gegen eine SSerbinbung mit Greußen, ba3 burch fein (5mpor*
fteigen ©achfen in eine niebere ©tettung herabgebrüeft , mar jebodj
fo groß, baß fte felbft burch ba3 Angebot ber $aiferfrone unb ber
nötigen #ilf3gefber für fechjigtaufenb 2J?ann nidjt überwunben
werben fonnte. Wudj fjatte ©achfen bereite in einem am 8. Januar
1745 ju 2Barfd)au mit (Snglanb , £ol!anb unb Defterreich gc*
fc^Ioffenen ©ünbniß bie Verpflichtung übernommen , bem ®emahle
TOario Xtjerefia^ bei ber ßaiferwaf)! feine ©timme ju geben unb
jur ©efämpfung griebrich« auf ba« Wachbrücflichfte mitjumirfen.
©in harter ©djlag für griebrich mar e3, baß ber junge #ur-
fürft Sftarjmilian 3ofeph öon ©aiern fich burch bie ooflftänbige
SluSficfjtalofigfeit feiner Sage beftimmen ließ, am 22. Hpril 1745
mit 9flaria Xtyxtfxa ben grieben t?on g ü f f e n abjufchlteßen , in
meinem er gegen bie SHütfgabe ber oon ben Cefterreidjem in fet»
nem fianbe gemachten (Eroberungen allen ftnfprüchen auf baS öfter*
reichifche ©rbe entfagte unb bem ®roßher$og granj feine ©timme
jur $aiferwaf)l jufidjerte; benn nun ftanb ber $önig im Kampfe
gegen Defterreidt) allein, unb nadjbem er felbft ben SBreSlauer ©er*
trag gebrochen, in Welchem Sttaria ^t)crcfta if)m ©chleften abgetreten,
fonnte er nicht baran jweifcln, baß auch fie fich ihres SSorteS für
entlebigt erachtete unb entfchloffen mar, ihm feine (Eroberung mieber
$u entreißen. 3n ber %l)at fprach Sflaria Sherefia biefen <5nt=
fdjluß offen in einem an bie ©etuohner ©djlefienS unb ber ®raf=
fchaft ®lafc gerichteten Aufruf an«, in welkem fie alle Slnfprüche
griebrichä auf biefe fiänber al£ burch feine vielfachen S3crtrag*öer=
lefcungen unb inäbefonbere burch *>en in bem Angriff auf SBöhmcu
begangenen griebcn&bruch für Verwirft erflärte.
3nbeffen mar griebrich entfehtoffen, ©chlefien um jeben $rei£
ju behaupten, unb bot 31t biefem ßmeefe ade Gräfte feine« SanbcS
auf. @o brachte er ein $eer von einmalhunberttaufenb gußgängern
unb fünfunboieraigtaufenb Weitem jufammen, mit welchem er auf
bie Nachricht, baß ®arl von Lothringen, mit beffen fünfunbachtäig*
taufenb 3Hann ftarfem $eere fich &ei Xrautenau breißigtaufenb
©achfen vereinigt hatten, von bort gegen bie fchleftfcfje ©renjc heran*
rücfte, am 1. 3uni 1745 awifcfjen ©chroeibnu) unb ©triegau ein
fefteS Sager bejog, obgleich injWifchen ftarfe ungarifche SReiterfcfmaren
in Cberjdjlefien eingerüeft maren unb am 27. SOiai bie wichtige
geftung ftofel erftürmt hotten. 9113 ber in feinem ßager anmefenbe
franjöfifche ©efanbte Valori ihm fein (Erftaunen barüber auSbrücftc,
baß er afle <ßäffe offen gelaffen, entgegnete er ihm : „9flem greunbr
wenn man bie 2Jcau3 fangen miß, mad>t man bie Salle nicht §u."
©ein *ßlan mar, oon feiner gut gewählten ©teHung au«, bie wegen
ber vielen Anhöhen jener ©egenb ben ©liefen beä geinbeS faft per*
Digitized by Google
$er jroeitc fchlcfii'cfjc Ärieg.
391
borgen blieb , bem ^eranjie^enben öfterreichifchen £>eer burd) einen
unerwarteten Angriff ben Untergang ju bereiten.
2US fid) baS #eer beS Sßrtnjen Don Lothringen am 3. 3uni
an ber Sanbftraße oon $auer nach SanbShut jeigte, ließ griebrich
in ber SRacht jum 4. baS {einige in aller ©title gegen £>ob,en*
friebberg oorrüefen, um ben afjnungStofen geinb ju überfallen,
unb beim erften Morgengrauen erbröbnten bie (Gebirge ringsumher
oon bem Bonner ber preuSifchen ©efchüfce. Roch ehe baS öfter-
reid)tfd)e $eer fich üoflftänbtg gefammelt, waren bie ©achfen, beneu
ber erfte Angriff galt , oon aüen ©eiten umringt ; nach längerem
tapferen SBiberftanb mürbe ihre Reiterei jerfprengt, unb um peben
Uhr war baS ganje fädjfifche ÄorpS jurücfgefcblagen. 3)er Sßrinj
oon Lothringen , ber auf bie Radjricht oon bem (Srfdjeinen ber
Greußen mit SBHfceSfchneÜ'e au* feinem Rachtquartier in ^auSborf
herbeigeeilt mar, um fein £>eer in ©chlachtorbnung 51t ftellen, far)#
nachbem bie ©achfen bem ftürmifcfjen Angriff ber Greußen erlegen,
auch feine öfterreidnfehen Regimenter im Störten unb in ber fronte
3ugleicr) gefaßt; bennod) fyitlt er bem geinbe noch öoüe jwei ©tun-
ben ©tanb: erft als beim fedjfren Anlauf beS geinbeS bie öfter*
reichifdje Reiterei geworfen worben unb auch baS gufjoolf fich nicht
mehr ju haften oermochte, gab er 93cfet)t 311m Rücf jug, ber in befter
Orbnung oor fich Ö^n9- $cr ^crluft ber Defterreicher unb ©achten
betrug an Xobten, Verwunbeten unb (befangenen fünfecfjntaufenb
Wlann ; baneben waren fed)Sunbjechäig it)rcr Kanonen unb fiebenunb*
fcchjig Sahnen bem geinbe in bie #änbe gefallen.
$er $rinj oon Lothringen jog fich, öon griebrtcr) gefolgt, nach
Söhnten jurücf, too er bei Üöniggräfc ein unangreifbares Säger be*
jog, währenb griebrich juerft bei (£hlum, bann bei ^aromirj eine
nicht minber günftige ©tetlung nahm. $a beibe Xheite fich buxti)
Xruppenentfenbungen gefdjwächt hatten — griebrich in ber SIbficht,
bie Ungarn aus Dberfdjlefien ju oertreiben , ßarl , um ein unter
(£onti hcranjiehenbeS franjofifcheS $eer oon granffurt abjuhalten,
wo eben bie ®aiferwaht begonnen r)atte — fam eS jwifchen ihnen
wafjrenb eines Vierteljahres nur }U fleinen ©efecf)ten, burch welche
man fich gegenfeitig Vortheile abzugewinnen fudjte.
ilnterbeffen fyattz ®önig ÖJeorg II., ber, burch b*c ©djilberhe*
bung beS ©tuart'fchen ^rinjeu ®arl ©buarb (f. ©. 299 f.) mit 23e*
forgniffen für feinen Xhron erfüllt unb eine fianbung ber granjo-
fen in (Snglanb fürdjtenb, ben ©treit jmifchen Greußen unb Oefter*
reich beenbigt $u fehen wünfehte , bamit SRaria Ztyttfia ihre ge*
fammten ©treitfröfte gegen granfreid) oerwenben fönne, mit grieb*
rieh N. Unterhanblungen angefnüpft, bie am 26. 3luguft 1745 in
bem „Vertrag oon #annooer" ihren Slbfchlufc fanben. $n bem=
jelben oerfprach griebrich bem ©emahle üflaria Xherefia'S bei ber
uiQitizeo D
392
£er öt'terrctcfjifdjc (Srbfolgefricg.
ftaiferwaljl feine Stimme 311 geben, wogegen Georg II. fidj an*
heifdn'g machte, bie Königin t>on Ungarn jum grieben auf ©runb
beS SreSlauer Vertrags ju beftimmen «nb bem #önig toon ^reuöen
bie Gewäljrleiftung ber übrigen 2Rädjte für ben öeftfc SdjlefienS
3U erwirfen. äRaria X^erefta mar jebod) umfoweniger baju ju
bewegen, auf bie eintrage beS ÄönigS bon (Snglanb etnjugefjen,
als if)r Gemahl bereit« am 13. September 1745 unter SluSfdjlufc
ber branbenburgifd&en unb furpfäljifdjen Stimmen jum Äaifer er*
wäfjlt lüorben mar. 9Jftt ruhiger ©ntfiieben^eit erflärte fie bem eng*
lifd&en ©efanbten: fie fönne auf Sdfleften nidjt freiwillig 93er$t<f)t
leiften unb fei entfdjloffen , ben SluSgang einer neuen Sdjladjt ab*
zuwarten. $en eigentlichen ©runb jebod) , ber fie jur Slbleljnung
ber englifdjen SriebenSborfdjlage bewog, tb, eilte fie in einem bertrau*
Tieften ©efprädje bem benetianifdjen (Sefanbten mit. „Sie fyabc
fid)" , fo fagte fie, „über ben SBertuft bon Sdjlefien bereits be=
rulpigt gehabt unb niemals baran gebadet , ben ©reSlauer ^rieben
ju brechen. $)er offene Xreubrud) beS &önigS bon ^ßreufcen aber,
weither fie ofme jebe Urfadje in bem Slugenblicfe angegriffen Ijabe,
in wettern fie fjoffen fonnte , ba& if>r am SRljetn fteljenbeS $>eer
i§r eine SdjabloSljaltung für ben SBerluft SdjlefienS erfämpfen
werbe, Ijabe fie mit ber Ueberjeugung erfüllt, ba§, fo lange biefer
Sürft fo mädjtig bleibe, fie in fteter öeängftigung fdjmeben müffe
unb fid) niemals beS ruhigen ©efifceS iljrer Staaten erfreuen
fönne. (5:S fei bafjer nidjt CStgenfinn bon tl)r, fonbern ein Gebot
ber Sftotljwcnbigfeit , wenn fie in bem gegenwartigen $(ugcnblicf bie
$anb $um trieben nidjt biete. Sie erfenne eS als Ujre ^flic^t, in
biefem fünfte unbeugfam ju bleiben; benn fie fei überzeugt, baß
ber ®önig bon Greußen nur an ben trieben benfe, um fie etnju*
frf)läfern unb fie neuerbingS ju überfallen, wenn fid) eine günftige
Gelegenheit ba$u bar bietet
3)a 37toria Ztyxtfia bie auf ben 4. Dftober feftgefefcte ®rö*
nung ifyreS Gemahls burd) einen Sieg über gfriebric^ berfjerrlidjt
ju fetyen wünfdjte, forberte fie iljren Schwager bringenb auf, bem*
felben eine Sdjlacftt $u liefern. Obgleich ber $rin$ eS borgejogen
l)ätte , bie Äräfte feines Gegners burd) ben Keinen , ermübenben
$rieg ju erfdjöpfen, brad? er, um bem SBunfäe 9Jtoria X^erefta'^
nad^ufommen, nadj ber fdjlefifdjen Grenje auf, in ber fidjeren (5hr=
Wartung, baß ber ßönig if)m baljin folgen werbe, griebridj fudjte
ifnn juöorjufommen unb fdjtug, bon ben Defterreidjern gefolgt,
feinen 23eg in ber SRidjtung nad) Xrautenau ein. Xer $rinj üon
Lothringen fanb i^n am 30. September bei Soor in einem unge?
beefteu fiager, baS er eben abbrechen ju laffen im ^Begriffe ftanb.
©in rafd^er Singriff ber Oefterreic^er Würbe ofjne Streifet für i^n
eine entfd;eibenbe 9iieberlage jur golge gehabt ^ben; ber ^ßrina
Digitized by Google
$er jrocite f c^Ieftfc^c $rieg
393
ftögerte jebodj mit bemfelben, roahrfcheinlich in bcr Meinung, baß
"ber $önig fogleic^ ben SRücfyug antreten roerbe , auf melchem er
beffen $eer boflftänbig bernichten fönnen hoffte , unb ließ fo
feinem (Segner Seit, fcfbft $um Angriff ju {abreiten, ju welchem fid)
griebrid) , obgleich er ben fünfunbbreißigtaufenb Defterreichem nur
^meiunbjmanjigtaufenb äftann entgegen fteöen (onnte, rafd) entf hoffen
rjatte, roeil er e& für minber gefährlich r)ielt , ben ®ampf mit bem
geinb ju roagen, als in beffen Slngeficht ben 9tücfjug burdt) (£ng*
paffe anzutreten.
griebridj eröffnete bie ©chlacht, inbem er fein ©eer fogleidj eine
SBiertelfchmcnfung nach recht« machen ließ, um ber gronte ber Defter-
reicher eine parallel laufenbe gronte entgegenjuftetten. SSic er burd)
biefe Hflaßregel eine glänjenbe <ßrobe feinet gelbherrntalente« gab,
fo lieferte bie Dfafdjheit, mit meiner biefelbe mitten unter bem Ijef*
tigften feinblidjen geuer ausgeführt mürbe, einen nicht minber glänzen*
ben SBemei« Don ber trefflichen #rieg3jud)t unb £apfer(eit feiner
Gruppen. $urdj biefe 2lrt be« Angriffs entzog ber ftönig ben
Defterreichern auf bem engen Xerrain, auf meinem bie ©djlacht au«*
gefönten mürbe, ben S3ortf)eU ber numertfehen Ueberlegenheit , unb
fo blieb naefc bierftünbigem Reißen fingen ber ©ieg ben *ßreu&en.
2Bät)renb fid) ®arl bon Lothringen in ba« ©ebirge jurücfaog,
hielt griebrich bei ©oor, um bie (£f)re be« «Siege« ju matjren,
noch eine fünftägige SRaft unb trat bann ben 9tücfn>eg nach ©chle*
fien an, iueil bie ganje ÖJegenb fo boflftänbig auägefogen mar, baß
tx feinen Unterhalt mehr auftreiben fonnte. £a er ben bie&jährigen
gelbjug für beenbigt hielt, legte er fein £eer jmifchen ©chroeibnifc
unb ©triegau in bie SBinterauartiere unb (ehrte am 28. Dftober
nach Berlin jurücf. ®aum mar er jebodj in feiner ftauptftabt an=
gelangt, al* er burch ben fchmebifchen (Sefanbten am $re«bener
§ofe bie ®unbe erhielt, baß feine (Gegner nach einem bon bem
trafen 93rüt)I entmorfenen *ßlane einen Einbruch in feine (£rb*
ftaaten aufführen gebachten. $on bem öfter reichten $>eere, ba«
unter bem ©rafen Sraun am $tf)tint ftanb , foHten äclmtaufenb
Sftann unter bem General ©rünne gegen Seidig rücfen , um bon
bort im Vereine mit einem fächftfdjcn ßorp« in bie ßurmarf ein*
aufaßen, unb ber $rinj öon ßothringen ju ber gleichen Seit bon
Böhmen au« burch bie Saufifc gegen ©agan unb troffen siehen,
um bie ^reufcen im föütfen ju faffen.
Um biefen <ßlan ju bereitein, fer)rtc griebrich fofort nach
©chlefien jurüdf, jog rafd) feine Gruppen jufammen, befefcte alle
Ißäffe nac| ©öhmen unb ber ßaufifc , bamit feine (Segner (eine
ihtnbfchaft bon ihm erhalten (önnten, unb rücfte am 23. Sßobember
tn aller ©rille gegen ©örlifc bor. S3ei #atholifcfr#enneräborf fttef?
er auf einen fächfifdjen £eerhaufen, melier bie Vorhut beS $rin$en
Digitized by Google
394
$er öfterreicfyfdjc ©rbfolgefricg.
t>on ßothringen bilbete unb burdj baS unerwartete (Srfcheinen ber
Greußen überrafdjt, natf) furjem Kampfe jerfprengt tourbe. ®axt
fetbft, ber ben ganjen $lan öerrathen fah, jog ftdj rafdj nadj
Söhnten prücf, um Don bort über Sßtma jum Sdjufee $reSbenS
nach Sachten ju jtefjen. tluct) ber ®raf (Srünne, ber fich bereit*
ber branbenburgifdjen ÖJrenje genähert fyattt, ^ieU eS für geraden,
umjufehren, um ficf) mit bem fächfifcöen £>auptheere ju Bereinigen,
baS unter bem (trafen NutoroSfy bei Bresben ftanb.
Nachbem griebridj in ©Örlifc eingerücft, fanbte er bem alten
Sürften oon 5>effau SBefehl, mit feinem bei $alle oerfammelten
$eere in baS furfächfifche (Gebiet einjurürfen unb bie Sachfen bei
Bresben anjugreifen. tiefer nahm juerft Seipjig burd) ®apitu*
lation ein unb erfchien, nachbem er fid) am 13. 5)e5ember mit bem
au* ber ßaufifc herangezogenen ÖJeneral fiehtoalb oereinigt ^atte, ben
Srriebricf) gu feiner SBerftärfung abgeorbnet, am 25. üor ber fädjfU
fchen #auptftabt, aus melier Sluguft III. mit bem (trafen SBrüfjI
nac^ $rag entflogen mar.
Obgleich ber alte Tcffauer baS fädjfifche £eer mit bem ®orpS
beS ©rafen ®rünne auf einer 5lnf)öhe bei föeffelsborfin treffe
lieber Stellung oerfcfyanjt fanb, fcrjritt er, burd) ben SSormurf ju
großer fiangfamfeit, ben ifjm griebrich toährenb beS SBormarfcheS
gegen Bresben brieflieb, gemacht, in feiner gelbberrnehre fchroer
öerlefct, um jtoei Uhr Nachmittags sunt Angriff auf baSfelbe. SNit
füf)ner XobeSöerachtung trotten bie preu&ifdjen (JJrenabiere bem
geuer beS geinbeS; bennoch mürben fie jurüdgetoorfen, unb bie
©djlacfjt würbe für bie Ttffaucr oerloren getoefen fein, hätten nicht
bie Sachfen unb Dcfterreidjcr, in ber 9)teinung, ben Sieg bereits
errungen ju höben, ihre Skrfdjanjungen üerlaffen, um ben geinb
ooöftänbig in bie gludjt gu fragen. Sofort erneuerte ber preußijche
gelbherr ben Angriff, unb feine Xapferfeit ber Sachfen unb Cefter-
reidjer öermochte ben begangenen Sehler toieber gut $u machen.
Söährcnb ÄeffelSborf, in meines ber dteneral Sehroalb eingebrungen,
in SÖranb gerietf), erftieg ber preußifche linfe glügel bie Slnhöfje,
unb beim (Einbruch ber Nacht befanb fich baS aufgelöste fächfifefc
öfterreichifchc $>eer auf bem fluchtartigen Nütfjuge, breitaufenb Xobte
unb fedjStaufenb befangene mit achtunboierjig Kanonen auf bem
®ampfplafce jurücflaffenb. $cr Sßrinj oon fiothringen, ber bis in
ben ^lauen'fchen ®runb oorgebrungen, ging nach ber Nieberlage
feiner S3unbeSgenoffen über bie böhmifche ©renje §urütf.
griebrich erhielt bie Nachricht oon bem Siege bei ®effelSborf
in SJcei&en, loohin er an bem gleichen Sage mit bem §auptheere
aufgebrochen, um ben Ausgang ber Schlacht abjutoarten. 2tm
folgenben Sage lieft et feine Xruppen ju benen beS Surften oon
25effau fto&en, unb am 18. ^ejember h^It er feinen (Sinjug in
Digitized by Google
2>er aroettc fchleftfche tfrieg.
395
Bresben , baS if>m ofme SBibcrftanb bic X^ore öffnete. 3n gan&
(Saufen mürben fernere 93ranbfd)a|jungen erhoben; bagegen be*
fat)l ber ®ömg feinen Gruppen ftrenge SJcannSjucht an unb fudjtc
bie SBeöölferung ber £>auptftabt burd) ein J)erabIoffenbe§ benehmen
5u genrinnen.
2luguft III. erflärte fich öon $rag aus brieflich jum grieben
bereit. sÜ\id) Wlaxia X^crfia erfannte bie SRothtoenbigfett, fid) mit
griebrich jn öertragen; fie fanbte bat)er ben Statthalter öon 33öh*
men, ben trafen ^mrradj, mit Vollmachten ju griebenSunterhanb=
fangen nach Bresben. $a griebrid)S finanzielle Gräfte öottftänbig
erfdjöpft maren — in feiner ®affe fanben fid) nur nod) fünfje^n=
taufenb %fyaUx — unb er überbieS muftte, baö bie ®aiferin*$önigin
jmifa^en bem grieben mit it)m ober mit granfreidj ge[chmanft hatte
unb mit ber (enteren Stacht bereite in Unterr)anblungen getreten mar,
^ütete er fid) roof)l, baS griebenSmerf burch meiter gehenbe gor--
berungen als bie in bem Vertrage öon $annoöer enthaltenen ju
gefät)rben, unb fo fonnte fd)on am 25.$ejember ber griebe öon
Bresben unterzeichnet roerben. gn bemfelben öcrzidjtete Sftaria
Ztyxtfw junt anbern Sftale auf ©d)lefien, wogegen griebrich ihren
©emarjl als ®aifer anerfannte. ©achfen verpflichtete fich gur 3ahlung
einer ÜftiHion %f)akx an ben ®önig öon $reu&en unb geroährleiftete
bemfelben ben SBefifc öon ©d)lefien; and) leiftete bie @)emar)lin
SluguftS III. auSbrfitflieh auf alle Slnjprüche «erficht, bie fie als
Xodjter ®aifer QofephS I. an biefeS ßanb haben fönnc. &er $ur=
fürft öon ber sßfatj mürbe in ben grieben eingcfcf)loffen unb aner=
fannte granj I. als ®aifer.
£te öter legten 3a|re beä äfterretdnfdjen erbfolgefriegeS.
(1745—1748.)
9cadj bem £obe ®arls VII. brangen bie Cefterrcia^er unter
SBärenflau unb Söatt^r^ani in Söaiern ein unb öertrieben foroohl bie
baierifchen als bie franjöfifchen Gruppen aus bem ganzen fianbc,
fo ba& ber junge Surfürft SJcajimilian Sofeph fu$ aus feiner föefi*
benj nach SlugSburg flüchten mu&te. s2Iuct) baS franzöfifche $eer,
baS unter bem SRarfchatt 9JcailleboiS an ber Sahn ftanb unb 93e*
fehl hatte, nöthigenfatts in Söaiem Z« fünften SKarimitian 3ofept)S
einzuschreiten, mürbe burch ben aus ben Sftieberlanben h^anjiehen*
ben faiferlichen gelbherrn Aremberg jurüefgebrängt. S3ei biefer
Sachlage blieb bem Ihirfürften, ber anfangs beftimmt erflärt
hatte, bem $8ünbni§ mit granfreid) unb ^reugen treu bleiben 511
motten, Vichts übrig, als fich mit Defterreict} auSjuföhnen, moju
Digitized by Google
396
$er Bfierreidjtfdje Grbfotgefricg.
if)m nidjt nur ©etfenborf, bcr furj bor bcm Xobe ®arlä VIT. bcn
Oberbefehl über baä baiertfefte #eer niebergelegt, fonbern audj feine
eigene 9ftutter bringenb rietfjen. ©o (am am 22. SIprtf 1745 ber
griebe bon Hüffen ju ©tanbc, in meinem Hftarjmitian Sofepö
allen Stnfprüdjen auf ba3 öfterreidn'fdje (Srbe entfagte, ber bon bem
#teid)e übernommenen ©emäfjrleiftung ber pragmatifdjen ©anetion
beitrat unb feine Stimme bei ber beborftefjenben ®aifermaf)I bem
<&emaljle Sftaria Xljerefta'a juftcf)erte, mogegen biefe ifyrn unter 2kr*
ätdjtteiftung auf alle @ntfdjäbigung$anfprüdje feine fämmtftdjcn ßänber
äurüdffteHte unb bie ®aifernmrbe feinet Sßatera anerfannte.
(£ine $auptforge SKaria Xfjerefia'S mar bie ©idjerung ber
Höar)I ifyreä (Stemaljte jnm ®aifer, roofür iljr außer ber baierifdjen
®urftimme bie ber brei geiftlia^en ®urfürfien, fomie bie bon ©aefj*
fenf ftannober unb 93öf)men gemiß maren. $a Submig XV. grieb*
rtdj IT. auf ba3 SBeftimmtefte jugefagt fjatte, baß er ftdj, felbft mit
©efa^r einer ©djladjt, ber (Srmäfjlung be3 ©roßfjer§og3 bon Xo3*
fana tmberfefcen merbe, galt e£ bor 5(Hem, baS franjöfifdje £>cer,
ba$ in ber ©tärfe bon fünfjigtaufcnb SRamt unter bem ^rinjen
(Sonti ben föfyein überfdjrttten unb jmifeften 3>armftabt, Wfdjaffcnburg
unb (ließen ©teßung genommen, mieber bon bem 3ieid)3boben ju
vertreiben, bamit berfelbe für bie auf ben 2. ^uni anberaumte (Sr=
Öffnung be$ SBaljltageä frei fei. Qu biefem (Snbe führte ber öfter-
reidjifdje Setbmnrfdjall Xraun, ber im üorfyergefjcnben 3aljre unter
$arl bon Sotfjringen an ber Vertreibung Sriebridjä aus 33öf)men
einen ^eröorragenben $lntf)eil gefjabt, bie nodj in SBaiern ftefjenben
Oeftcrreidjer an ben 9ftain, mäfyrenb Aremberg mit einer §eere$=
abtfjeilung aus ben Sftieberlanben fyeranjog. Sftadjbem beibc gelb=
Ijerren tfjre Xruppen in Orb bereinigt, übernahm ber ©roßljerjog
Sranj ©tepljan felbft ben Oberbefehl über biefetben. Xie granjofen
ließen c§ jebod) $u feiner eigentlidjen ©djladjt fommen, fonbern
3ogcn fitt) unter (leinen ®efedjten unb fteten SSerluften über ben
sJtf)ein jurürf.
©o mar bie ^aifermaf)! jebem fremben ©influß entzogen, unb
ba bie gegen bie SEBafjlfyanblung erhobene ©infpradje beä branben*
burgifdjen unb be8 (urpfäljifdjen ©cfanbtcn (eine Söcrürfjidjtigung
fanb, mürbe am 13. ©eptember 1745 „bcr burdjlaudtfigfte §err
granjiSfu^ ©tepfjanuS, £>erjog bon fiotfjringen unb 93ar, ©roß=
^er5og bon Xoäfana unb föönig bon Qerufalem" mit ben peben
übrigen ©timmen a(8 Sranj L sunt $aifer gemault. Xie feier*
lia)e Krönung be^ neuen ^aiferö, beffen 2öar)I bon bem S8ol(e mit
3ubcl begrüßt morben, erfolgte am 4. Cftober in ÖJegenmart 9J2aria
Xfjerefia'8, bie eä fta^ nic^t {jatte berfagen (önnen, fia^ ^u berfelben
nadj gran(furt ju begeben, unb auf ifjrer fReifc über SRegenäburg,
Dürnberg unb Slfajaffenburg aller Orten mit begeiftertem %ubd
Digitized by Google
$ie oter Ickten 3af)re be$ öfterreidjifdjen (SrbfoIgefrtegeS. 397
empfangen worben fear. ber ®rönung8jug fid) oom $)ome iu
ben Börner jurüdbewegte, gab fie oom öalfon eine* nafjen $aufe&
tyerab, auf weldjem fie bemfelben aufbaute, burdj ben 9tuf : „SSioat
ftaifer gran$!" baä $eid)cn 5U jaudfoenber ^Begrüßung be$ neuen
®aifer$. ©ie felbft fonnte jebodj burd) (ein Sureben bewogen wer-
ben, fid) $ur ftaiferin frönen $u laffen; bennoa) fährte fie fortan
ben Xitel $aiferin*®önigin.
SDiit bem 2lbfd)lu| be£ $reäbener griebenS, burd) weldjeu
bem ©trett unter ben oerfduebenen $ftei<f)$g(iebem ein Ski gefegt
ioorben, fyatte ber öfterreidjifdje (Srbfolgefrieg auf beutfdjem ©oben
fein ßnbe erreia^t; nur in ben SRieberlanben unb in Italien fowie
jur See bauerte er nodj $wifd)en Defterreid), $oßanb, (Snglanb
unb ©arbinien einerfeitS unb granfreid) unb ©panien anberer*
feit* fort.
3n ben Sßieberlanben, woljin Subwig XV. im 2lpril 1745
jum anbern Sftate mit einem £eere oon adjtjigtaufenb SRann auf-
gebrochen mar, oerfajaffte ber in franjöftfdje Xienfte getretene unb $um
aj^arfa^aH oon granfreid) ernanute ®raf 9ftorifc oon ©ad)fen,
ein natürlicher ©ofm Sluguftä II. (f. ©. 242), feinem $ater wie
an Äörperfraft fo aud) an ©ittenberberbnifj äfmlidj, aber babet
ein auägejeidfneter gelbfjerr, ben Sranjofen burdj eine Steide glän*
jenber 3Baffentf)aten ein entfduebeneS Uebergewidjt. ©ei bem 3)orfc
gontenoi, unweit Xournai, erfodjt er am 11. 9Kai 1745, in
einem ber blutigften Xreffen be3 ganjen Krieges, über bie oon bem
$ersog oon Sumberlanb unb bem öfterreidnfdjen gelbmarfa)all ftönigS*
egg geführte pragmatifdje 2lrmee einen ©ieg, ber aufcer ber lieber*
gäbe ber oon ben granjofen feit längerer Qcit oergeblidj belagerten
geftung Xournai ben gall oon ©rügge, Dubenarbe unb mehrerer
anberen widrigen <ßläfce jur golge Ijatte.
9tod) ungünftiger geftalteten fid) für bie SBerbünbeten bie $er^
fjältniffe in ben SRieberlauben, nao^bem ber #er$og Don (£umber-
lanb mit einem XfjeUe be3 engtifajen £eere& jur ©efämpfung be&
3afobitenaufftanbe& naa) CSnglanb abberufen worben (f. ©. 300).
Sluf bie (Eroberung ber £auptftabt ©rüffel (20. gebruar 1746),
in welaje Subwig XV. am 4. Sttai feinen (Sinjug fjtelt, folgte
rafa) naa) einanber bie oon aWeajeln, ßöwen, Antwerpen, ÜftonS,
ßfyarleroi unb SRamur, unb nad) bem blutigen ©ieg, ben 2Rori&
oon ©adjfen am 11. Oftober bei föaucour. über ben Ißrinjeu
ßarl oon ßotfjringen erfodjt, würben bie gefammten öfterreityfdjen
«Rieberlanbe bi* auf ßujemburg unb Himburg oon ben granaofen
befefct.
Ilm bie ©eneralftaaten jum grieben ju jwingen, ließ öub-
wig XV. im Slpril 1747 feine Xruppen in bad ^ottönbija^e Ge-
biet einrüefen unb gab baburd) Seranlaffung ju einem ä^nliajen
398
$er Öfterrcicf)i)cf)e gv&folgcfrieg.
Umfdjmung in bcn SBerhäftniffen ber föepublif, tote bteS ßub*
toig XIV. burcfj feinen (Einbruch im 3flhrc M>7% gethan (f. S. 68).
9iad} bem Xobe SBilhelmS III. , ber auch als Äouig oon (Englanb
bie Statthaltermürbe beibehielt , ^atte in ben Sfcicberlanben bie
ariftofratifche Partei über bie oranifdje baS llebergemicht erlangt
unb im Jfaljre 1703 bie Slbfdjaffung ber (Erbftatthattermürbe burch*
gefegt, bie SBilfjelm III. oergebenS feinem Detter Qo^ann Wilhelm
t)on 9caffau*Dranien aus bem £>aufe Sfcaffau^tefo, bem Statthalter
Don grieSlanb unb ©röningen, $u fiebern gefugt. So mar bie obere
£eitung ber gefammten nieberlänbifchen $olitif mieber an ben ©roß*
ober SRatfj&penfionär jurücfgefommen. $er ungünftige Serlauf beS
Kriege*, in meieren fidj bie SRepublif als BunbeSgenoffe Defterreid)3
«mgelaffen, fyattt jebodj baS SSolf gegen bie ^errfct)cnbc ariftorra*
tifdje Partei erbittert, unb ba bie Anhänger beS $>aufeS Oranien
nic^t ermangelten, biefe (Erbitterung ju frören unb bie SBieberher*
ftellung ber (Erbftatthalterfchaft als baS einzige SJftttel $ur Rettung
ber SRepublif ju bezeichnen , mürbe ber $rin& SBtlhelm oon Dra*
nien, ber Sohn beS obengenannten 3°hann Söilhelm unb gleich
fem Statthalter oon JjfrieSlanb unb (Kröningen, am 2. Wlai 1727,
unter eifriger SRitmirfung ©eorgS II. oon (Englanb, feines Schmie»
<jeroaterS, oon fämmtlichen ^rooinjen als SBilhelm IV. $um
ÖJeneralftatthalter , (Keneralfapitän unb Oberabmiral oon £>ouanb
ernannt unb im 3öhre 1748 bie Statthaltermitrbe auch in meib*
licher Sinie für erblich erttärt, woburch bie SRepubltf thatfächlich jur
(Erbmonarchie mürbe.
3nbeffen mar auch ocr neue Statthalter — ein leutfeücjer, reb=
licher ÜWann , ber Vichts oon ber ©emanbtheit unb Sßerfdjloffenhett
beS erften, noch oon ber Lauheit unb Derbheit beS britten SBil*
heim, aber auch Vichts oon ber ftriegStüchtigteit Leiber befaß —
nicht im Stanbe, ben Sortfehritten ber granjofen (Einhalt ju thun.
Hm 2. 3uli 1747 erfocht 2)?ori^ oon Sadjfen bei bem 5)orfe ßattM
f e 1 b einen neuen großen Sieg über ben .peqog oon (£umberlanb,
beffen sJfteberlage ben granjofen ben 2Beg zur Belagerung oon
2Kaftricht bahnte, baS ihnen im üttai 1748 in bie £änbe fiel. Sluch
baS wichtige Bergen op Qoom mürbe in ber flacht oom 5. auf
ben 6. September 1747 burefj ben franjöpfchen gelbherrn ßömen»
thal erftürmt.
3n ^tnlicn mar ber ftrieg jmifchen Spanien unb Defter*
reia) feit bem $ahre 1742 mit abmechfelnbem ®lücf gefuhrt mor*
ben. $a es ftd) babei für Spanien junädrft um bie Befi&ergrei*
fung oon $arma unb $iacen$a hobelte, bie ihm in bem Sfcom*
phenburger Bünbnijj als Söeuteantheil an ber ju jerftücfelnben
öfterreieftifchen Monarchie juerfannt morben, mar baS nörbliche
Italien in ber erften Qt\t ber #auptfd>auplaj beS Krieges, Jöon
Digitized by Google
S)te bier legten 3al)rc be* öfterreidjif d>en (Sr&folgefriege*. 399
entfd)eibenber 2ßid)tigfeit erfdjien bic Stellung , bie ber ßönig $arl
Immanuel oon Sarbinien ju ben beiben Parteien nehmen merbe,
ba er nic^t nur über breijjigtaufenb Sttann gutgefdjulter Xruppen
verfügte, fonbern audj bte Sdjlüffel $u Qtalten in feiner £>anb
r)atte ; für ifyn felbft aber mar nidjt* Rubere* ma&ßebenb al* ber
grö&ere 93ort^cil , unb ba er biefen auf ber Seite Defterreid)* ju
finben glaubte, fd)lo& er, nadjbem er fid) Anfang* Spanien genä-
hert, am 1. Sebruar 1742 mit SDfaria $l)erefia einen Vertrag, in
lucldjem er gegen bie Abtretung atte* meftlid) uont Xeffino gelegenen
Sanbe* bie Operationen be* öfterreidjijdjen Speere* , ba* unter bem
©rafen ©raun in Qtatien erfdnenen mar, mit feiner gefammten
®rieg*madjt ju unterftüfcen oerfprad). 55a ber £>er$og oon 9ftobena
fid) in*gefjeim an Spanien angefeftfoffen tyatte, befefcten Xraun unb
$arl Immanuel beffen (Gebiet, worauf ber £>er$og fid) nad) SBenebtg
jurüdjog. 3" btx gleiten Seit (Sluguft 1742) mürbe ber ®ömg
$arl IH. oon Neapel, ber bereit* jmölftaufenb Sttann 511 bem im
$ird)enftaate ftefyenben fpanifdjen |>eere unter bem*.jper$og Sttonte*
mar (jatte ftofjen laffen, burd) ein engttfdje* ©cfdnoaber , ba* uner-
martet in ber Söudjt uon Neapel crfct)icn unb bie Stabt mit einem
Söombarbement bebrof)te, jur Surüdberufung fetner ©ruppen unb
$ur 3ufid)erung unbebingter Neutralität gejmungen. dagegen brofjte
®arl Emmanuel üon Sarbinien im folgenben 3afjre, burd) glän=
jenbe Slnerbietungen oon Seiten granfreid)* unb Spanien* berlorft,
oon Defterreid) abjufaflen, unb fonnte nur burdj neue ©ebiet*ab*
tretungen, 511 betten 9#aria ©l)erefta fid) auf ba* ©rängen Eng*
lanb* entflog , jur Erneuerung be* eingegangenen iöünbniffe* be*
mögen merben.
3m 3af>re 1744 führte ber öefdjt, ben 9ttaria ©fjerefia bem
Sürften Sobfornifc, bem SRadjfolger ©raun* im Dberfommanbo über
bie in Stefan fteljenben öftcrreidjifdjen ©nippen, jum Sinrütfen in
ba* Äönigreid) Neapel gegeben fjatte, ben #önig $arl III. auf ben
#rieg*jd)aupla|j jurütf, worauf im mittleren Statten ernfte kämpfe
ftattfanben, bi* ftd) fiobfomifc im Huguft 1744 genötigt faf) , fidj
mit ber öftemidufdjen ^pauptmaajt nad? bem Horben jurüdjujie^en,
um bem ton Spaniern unb granjojen ferner bebrängten $önig oon
Sarbinien $u £ilfe ju fommen.
©er Selbjug be* 3af)re* 1745 öerlief für bie oerbunbeten
Defterreidjer unb Sarbinier nod) ungünftiger, ba nid)t nur granf*
reid) unb Spanien im Söunbe mit Neapel unb Sttobena bebeuten*
bere Streitträfte in ben $ampf führten, fonbern aud) ©enua fidj
ber SUttanj gegen Defterreid) angefdjlojfen Ijatte. 2Bäf)renb ber
Äönig oon Sarbinien burd) ben 9JtarfdmlI üRaiUeboi* bi* nadf)
©urin jurüdgebrängt mürbe, befefte ber Snfant $on ^^üipp mit
äner fpanifa^'franjöfifc^en i>eere*abtfjeilung nia)t nur ^arrna unb
Digitized by Google
400
$cr 5fteaei$tf{$e (5rbfoigerrieg.
^iacenja, fonbern auch einen großen Xfjeil beS toSfanifchen unb
matfänbifchen ©ebietc^ , unb In'ett am 19. ^ejember feinen ©injug
in SKailanb, too ihm ttrie bem rechtmäßigen $>errfdjer get)ulbtgt
mürbe.
Statten festen für Ocfterreidj oerloren unb jroar um fo fidjerer,
als ber ®onig öon ©arbinien abermals burd) bie £>öfe Don SBer-
faitleS unb ÜKabrib in ber Xreue gegen feinen bisherigen 23unbeS=
genoffen manfenb gemacht toorben mar. Qnbeffen bemog bie ©eforgniß,
nacr) ber Vertreibung ber Cefterreidjer anS Italien in öoüftänbige
^(b^ängigfeit Don ben Söourbonen ju geraden , ben ®ömg ®arl
©mmanticr, fein 53ünbniß mit Sttaria X^erefia aufregt ju galten,
unb ber ©ieg, ben bie £)efterreid)er unter bem gürften ßidjtenftein
am 16. Quni 1746 bei ^iacenja über baS fpanifd)*fran$ö*
fifct)e $cer unter QJageS unb üttailleboiS erfochten, entriß ihren
(Gegnern bie meiften ber im oorf)crgcr)enben Qafyxt errungenen S8or-
tt)etlc. Öfenua fclbft fiel am 5. ©cptem6cr in bie $änbe ber Qefter*
reifer , unb fcfjon ftanben biefclben im begriffe , burd) einen @in=
fall in bie s$rooence ben ßxieg nach granfreid) hinüber ju tragen,
als pe burd) einen SBolfSaufftanb roieber aus ©enua oerrriebert
mürben.
Unterbeffen r)atte ber Xob ^htfippS V. oon ©panien (9. Quli
1746) in bem Verhalten beS £)ofeS oon Sftabrib eine für Defter*
reich günftige Slenberung herbeigeführt, inbem ber neue ®önig,
gerbinanb VI. (1746—1759) feine Öuft trug, bie Gräfte feines
ÖanbeS noer) mehr ju erfd)öpfen, um feinem ©ttefbruber ^p^itt^»p
(Gebiete in Italien ju erobern, unb bafjer ben $tieg in biefem
£anbc mit ungleich geringerem (Sifer betrieb, als cS feine ©rief=
mutter getfjan, beren §crrjcf)aft mit bem Xobe ^3t)Utppö V. ü)r (Snbe
erreicht rmtte.
2lucf) jur rareren Herbeiführung beS griebenS mirfte ber
Xhronmccx)feI in Spanien mit, inbem Serbinanb VI. buref) feine
(Gemahlin, eine portugiefifdje ^ßrinjeffin, ju einer Slnnäherung an
©nglanb bemogen mürbe, tiefer Umftanb , oerbunben mit bem
©chaben, ben bie ©nglänber ber ©eemad)t unb bem $>anbel ber
granjofen buret) erfolgreiche Angriffe auf bereu Kriegs* unb $auf=
fahrteifchiffe zufügten, unb- ber immer fühlbarer roerbenben (£r*
fchöpfung, marfjte auch oen §of üon VerfailleS jum grieben geneigt,
unb ba bei ben übrigen friegführenben dächten baS griebenS*
bebürfmß nicht minber groß mar, trat im 2ttär$ 1748 $u dachen
ein griebenSfongreß jufammen. ©chon am 30. 9lpril hotte man
fief) über bie Präliminarien geeinigt ; ber bepnitioe griebe mürbe
jeboch erft am 18. £f tober — hunocrt 3°^ oem toeftfäü*
fehen grieben — unterzeichnet. $ie GJrunbfage beSfelben bilbete
bie gegenfeitige SSiebererftattung aller gemachten Eroberungen, mit
Digitized by Google
Ocftcrr. u. ?reuß. nad) b. öfterr. (Srbfolgetricfl. — SRar. 3^ct. als ftegentin. 401
alleiniger Ausnahme bon $arma unb $iacen$a, bicr nebft bcm
Keinen, feit bem 3af)rc 1746 burch ben lob beS finberlofen ptx*
&og3 3<>fa>h au& einer Seitenlinie be3 £>aufe* ©onjaga erlebigten
^ersogt^nm ®uaftada , als ein neuer, felbftftänbiger ©taat bem
fpanif^en 3nfonten X>on $^Uipp , bem ©ohne ber ©(ifabeth SJar*
nefe, juerfannt würben. $em Äönig bon ©arbinien öerblieb ber
toeftUd) bom Xeffino gelegene Xheil be3 #erjogthumä SRatfanb.
X)iefe Gebiete maren , nebft bem größten Xheile bon ©Rieften unb
ber ©raffäaft ©lafc, bie «erlufte, mit welchen SKoria Xherefia au*
bem großen, jur 3crtrümmemng ber öfterreic^ifc^en SRonarchie
unternommenen Kriege hervorging.
xxin.
©efferreta) unb ^freuten naa) bem ofterretdiifefiett grö-
fofgeftriege.
(1748-1756.)
SDtaria 2fjerefta al$ ftegentin-
£aben mir bie fjo^erjige Xodjter #arl$ VI. im Kampfe um
ihr bäterlidjcä Srbe mit männlichem SDtuthe ihren jahfreichen <£eg*
nem bie ©tirne bieten unb auch inmitten ber gcfät)rticr)ften ©türme
bie 5afme Defterreich$ f)oc$t)alten fefjen, fo jeigt fie fich nach bem*
felben nict)t minber groß unb bewunberungSWürbig in ihrem frieb*
liehen SSMrfen für bie Hebung ber inneren ftraft ihres Meiches unb
für bie SBeglücfang ihrer Sölfer. „$er ©rfotg," fagt SSetß, chatte
9ftaria Xherefia nicht geblenbet, ber 3ubel ber Änerfennung fie
nicht übermütig gemacht. $er STnfer, ber fie fefthielt, wo fo SBiete
geftrauchelt wären, blieb il)r tiefe* Pflichtgefühl, gern bon fträfUdjer
3ut)erftd^t, mar fie immer bor jid) felber auf ber #ut unb fürchtete,
auf ihrer ferneren ßaufbahn ju wanfen unb nach «ficnb einer
©eite hin Unrecht ju thun."
$ie SRaßregeln, burch welche SJtoria Xherefia bie innere
Kräftigung ber öfterreichifchen STconardue ju bewerfftelligen unb
ba$ SS?ohl ihrer Unterthanen gu förbem ^offtc , beftanben in einer
größeren (Eentralifation ber SBerWaltung mit möglichfter ©chonung
alter gormen unb Ueberlieferungen , in ber STufbefferung ber (£toü*
unb ©trafredjtSpflege , beS ßriegS*, ginanj* unb Unterricf)t3wefenS
burch he^fame un° seitgemäße Reformen, wobei fie jeboch mit
großer SSorfidjt unb ruhiger Ueberlegung ju SBerfe ging unb bem
„guten ^erfornmen" öietätbott Rechnung trug, fomie in ber eifrige
$olatoait$, SSeltfle^tc, VI. 26
Digitized by Gpogle
402 Defterreidj unb ^reufeen nadj bcm öftcrreid)ijd)en (Srbfolgefriege.
ficn Sürforge für bic Hebung beä #anbel« unb bcr Qnbuftrie unb
für bic Crrletdjterung be3 üoofcd bcr Sanbbeoölferung burd) bic
2)ftlberung bcr grofmbienfte.
$)er Ijeröorragenbfie 9tatt)geber bcr ®aiferin in bcr $urd)=
füt)rung bcr mciftcn bicfcr SJca®eln mar bcr ®raf $ a u g m i |j,
ein ©djlefter, bcr unter ifjrem sBater SRatt) bei bem Cberaintc in
Jöreälau gemejen unb in beffen 6taatäflugt)eit ftc Iwuptjädjlid} befc
I)alb ein unbebtngteä Vertrauen jefote, »eil bic )öorfid)t, bic er tt)r
nadj bcm 8bfd)lui beä griebenä oon Söreälau gegen roeitere ©robe*
rungSpläne be3 ÄönigS oon <ßreuf$en anempfohlen, ftd) als notlj*
roenbig ^erauägeftellt Imtte unb alleä, toaä er it)r barüber oorau**
gejagt, in (Erfüllung gegangen mar. s2ludj jefct mahnte er fie auf
baä (Einbringlidjfte, fid) burd) bie (Erdung itjrer Streitfräfte unb
eine angemeffene föeorganijation beä §cermefenS für bie ©oentualität
eine« neuen Ifriegeä bereit $u galten. 2)ic ßaijerin befolgte biejen
9latr)f unb ba man es in Söicn nid)t für eine (Srniebrigung Inelt,
aud) oon bem Seinbe $u lernen, mürben oiele (Stnriaptungen be$
prcuBifajen ^eermejenä in baä öfterreidjijdje aufgenommen. )8ejon»
ber3 mürben t)aufigc gelblager abgehalten, ba man barin ba3 befte
■Drittel jur §eranbilbung friegStüdjtiger Gruppen erfanntc. £>abei
Ijielt bic ftaiferin, bie biejen Uebungcn perfönlid) beijumo^nen pflegte,
ftrenge barauf, baß it)re ©olbaten menjdjlidj befmnbelt mürben, unb
erjjö^tc babura) beren Slnt)anglid)feit au it)re $errjd)erin. „$art
märe eä," fo meinte fie, „menn man joldje ßeutc ate mic Sflaoen
hielte, ©in oöüig ber SKeinung, ba& jemefjr 3reit)eit gelaffen mirb,
befto metjr man auf jolcfje ^eute trauen fann." 3n jeber öe^ieljung
mar fie bemüht ben ©olbatenftanb au3$uäetdmen unb ju einem et)ren*
Collen ju machen ; bod) bulbetc fie nidjt bic geringste (Erhebung bed=
jclbeu auf Soften frieblict)er ^Bürger.
Um ein tüchtige» Dffijicrforp* t)eransubilben, grünbete 2Raria
Sj&erejia im Qaljre 1752 bic 3Jcilitärafabemie ju SBtener^leuftabt,
mit einer ißorfdmle für fmnbert arme abelige Knaben ober ©ötme
oon Offizieren, unb im 3at)re 1754 aud) in Söien eine 2Hilitär=
afabemic. Selbft it)r (Gegner griebrid) II. fonnte nia^t umfun,
it)rem erfolgreichen SSirfen für bie £ebung beä bfterreidHjdfcn
äftilitärmefend QJeredjttgfeit roiberfatjren ju laffen. „Xie ftaiferin",
jagt er, „t)atte im öorigen Kriege bie 9tott)menbigfeit einer befjeren
&ricg$jud)t eingejefyen. 6ie mäfylte tljätige ©enerale, meldje ge-
jdjirft maren, ilriegdjua)t unter ben Xruppen einzuführen ; bie alten
uub für ben 3)ienft i^rcr ©teUeu untüa^tigen Offiziere mürben auf
^enfion gefegt unb an it)rer 8tcüc junge ücutc oon 'Staube ange>
(teilt, bie oofi @ifer unb ooll Üiebc jum ßtiegäbienft maren. 3lüc
Qat;rc mürben itager in ben ^rooinjen errietet, in melden bic
Gruppen oon 3njpeftionä*!8eöoUmädjtigten , bie mit ben großen
Digitized by Google
Waxia Sherefta als Rcgentin.
403
#riegSmanöüern fet)r mohl befannt waren, geübt mürben; bie
fi-atferin begab fia? felbft oerfduebene Sftale in bie £ager bei $rag
unb Olmüfc, um bie Xruppen burd) ihre ©egenmart unb ihre Srei*
gebigfett anzufeuern. Keffer als irgenb ein ftürft öerftanb fie eS,
jene (Sljrenjeidjen, auf meldte man einen fo h°h*n SBerth legt,
geltenb ju machen ; fte belohnte bie Cffijiere, meiere ihr bon ihren
(Generalen empfohlen maren, unb fo ermetfte fte überaß SSett*
eifer. Unter ber Seitung beS Surften Siajtenftein bilbete fta) eine
eigene ©djule ber Slrtifleric ; er brachte btefeS #orpS auf fedjS Ba*
taillone, ben (Gebrauch ber Kanonen aber ju einem bisher gan$ un*
erhörten ©rabe."
Um bie einnahmen beS (Staates bem gefteigerten Bebürfnif?
entfpredjenb ju erhöhen, mürben bie abeligen Orunbbefifcer, bie bis
bafun fteuerfrei gemefen, in ber gleiten Söeife mie bie Bauern,
menn auch $u einem anbern ^rocentfafc, ju ben Abgaben herange*
sogen unb aufeerbem in baS gefammte Sinan^mefen, auf ben Bor*
fdjlag beS ©rafen #augmi(j, fo treffliche Reformen eingeführt, baß
bie ©taatSeinfunfte unter Üftaria Dherejia, trofc beS BerlufteS bon
©djleften unb ber italienifchen Jper$ogtl)ümer, noch einmal fo oiel
betrugen, als unter $arl VI.
Die Rechtspflege mürbe unter üflaria £f)ercfta bebeutenb ge*
hoben burch bie Trennung berfelben öon ber Bertualtung unb burch
bie (Einführung einer neuen, für fämmtliche beutfehen ©rblänber
giltigen ®erichtSorbnung , burch meldte inSbefonbere eine rafchere
(Srlebigung ber ^rojeffe ermöglicht mürbe. 3ur Durchführung ber
neuen RegierungSgrunbiä(}e mürben bie ®reisämter ins Seben ge*
rufen. Den ÄreiShauptleuten lag nach ber ^nftruftion ber ®ai*
ferin, bie Pflicht ob, „ein forgfältigeS Slugenmerf $u richten auf bie
reine Beibehaltung unb Sortpflanzung ber fatholifdjen Religion unb
auf ^Ibftedung alles ärgerlichen unb lafterhaften ßebenS; bie reifere
3ugenb junt Befuch ber (Sljriftenlefjre anzuhalten unb namentlich
für bie chriftliche unb ehrbare (Erziehung ber 3ugenb emfige ©org«
falt ju tragen ; ©tragen unb 253ege in gutem ©tanb ju galten unb
bie Beüölferung oor ©törung ber Ruhe, oor Betrug burch fal)d)eS
9)ca6 unb ©emicht unb oor Bergeroaltigung burch ^errfc^aftlic^e
Beamte ju frfju^en."
Die in baS UnterrichtSmefen eingeführten Reformen belogen
fich ebenfomohl auf bie Boltefchulen, bei melchen bie $aiferin be*
fonberS auf bie Slnfteöung „anftänbiger unb genugfam erfahrener
©chulmeifter" braug, als auf bie höheren BilbungSanftalten. Bei
ben Sftittelfchulen f)\tU bie $aiferin »befonberS auf grünblicheS
SBiffen im Satein unb fehlerlofen ©ebraud) ber beutfehen ©prache;
nufclofe ©ebächtni&übungen fottten unterbleiben, bagegen bie ©chü*
ler an felbftftänbigeS Denfen gemöhnt merben. 3ur #cranbil=
26*
Digitized by Google
404 Cefterreid) unb «ßreufeen nach bem öfterrcidjifdjat (JrbfolgeFriege.
bung cincS tüchtigen ©emerbftanbeS würben Slnftalten gegrünber,
für welche, in ähnlicher SBcifc wie für unfere ftealfchulen , 8ritt>
metif, Geometrie, ?^pf, 2flechanif, Seltnen, Buchhaltung unb
Äorrefponbenj, #anbelswiffenfchaft , ÖJefchichte unb ®eograpfne als
£et)rfächer bejetc|net waren. Um bem weniger bemittelten Slbcl
(Gelegenheit ju bieten, feine ©öfjne ju üerwcnbbaren Staatäbienern
auäbtlben ju laffen , grünbete bie ßatferin in ihrem fiuftfchloffe
gaöorita baS fogenannte „Xherefianum" unb §ur Sörberung be£
biploinatifchen SBerfehrS mit ber Xürfei bie „orientalifche Wabemie",
511 melier fte burch ben Qefuiten 3ofcpö granj ben $lan f>arte
entwerfen laffen. 2Cuc^ bie #ebung ber UniöerfttätSftubien lag ber
ßaiferin fcr)r am £er$en; inSbefonbere harte fte fic^ bie Aufgabe
geftellt , bie juriftifche gafultät $u folajer SBlüttje $u bringen r bafj
feine $ochfchule ©uropa'S fidt) ^croorragenberer föechtSgelehrten
rühmen bürfe.
$rofc it)rer wahren unb innigen Srömmigfcit lieg ftd) SKaria
I^erefia burdj ben fpäter (1764) in ben gürftenftanb erhobenen
©rafen $ a u n i , ber auf bem SriebenSfongrefj ju Slawen bie
igntereffen DefterreichS mit CrHfer unb ©ewanbthett »erfochten unb
nac^ oem SriebcnSfchluß Don 3Jcaria %fyttt[ia $um StaatSminifter
ernannt warben, fowie burdj ihren £eibar$t, ben .£>ollänber oan
Swieten, unb anbere, gleich biefen Reiben ber materiellen SRid)5
tung beS «S^alterS ^ulbigenbe Beamten ju üerfchtebenen Schritten
oerleiten, bie ben fatholifchen Qntereffen unb ben päpftlicfjen 9Jecr)-
ten gleichmäßig nachtheilig waren, unb gerieth baburdj in ein ge=
fpannteS SBcrhältnifc ju bem apoftolifchen ©ruhle; baSfelbe würbe
jeboch unter SÖenebift XIV. wieber öollftänbig ausgeglichen. (Segen
bie ^ßroteftanten bewies ftch bie föaiferin bulbfam ; fie ficherte ihnen
ben JÖottgenuß ihrer fechte ju unb geigte fich allen gegrünbeten
iöcfchwerben öon ihrer Seite jugänglich ; bod) oerbat fie fich i&t
iöerwenbung frember ÖJefanbtcn für fte.
3u ber 2Bat)l ihrer öertrauten ?Rätr)e war Sftaria Xherefia
immer glüeflich; feiten würbe fie getäufcht. Qnbcffert gewann feiner
ihrer Sftinifter einen überwiegenben Einfluß auf fte: fie liefe fich
überjengen , aber nie in einer il)re @elbftftänbigfeit beeinträchtigen*
bett 28ei)e leiten. 3n ihrer unermüblichen Xhätiateit, wie in ihrem
raftlofen (Stfer für baS 2Bol)l ihrer Untertanen blieb fie fich *hr
gatt$eS £eben lang gleich- 3m Sommer ftanb fte fchon um fünf,
im SBinter um fcd)3 Uhr auf, fleibete ftch m$ ihrem Üftorgengc*
bete ooQftänbig an, wohnte in ihrer Capelle einer ^eiligen QJicffe
bei , frühftücfte unb wibmetc bann ben größten Ityxi 5e8 XageS
ben ©efchäften. 3cbcn SRorgen um 10 Uhr fonnten Sitte, bie eine
s8ittfd)rift 311 überreichen hatten» bei ihr 2(ubien$ erlangen, unb ba*
bei geftattete bie leutselige ®aiferin ben ©ittftettern , ihr ganzes
Digitized by Google
SRaria Xljercfia als 3*egentin.
405
£>erj bor ihr auS juf djütten. ©o Behielt fte ftetS gühlung mit
ihrem Softe unb blieb für baSfelbe ber ©egenftanb ber Ijödrftctt
Verehrung rote ber unerfd)ütterlid)ften oertrauenSoollften Slnhäng*
lichfeit.
Obgleich HRaria X^crcpa ihren ®emahl jum OTtregenten er*
nannt $atte, nahm berfelbe an ben föegierungSgefchäften feinerlei
Slntheil, mie er auch als ßaifer in bie verfahrenen 93erhältniffe
t>eS SRcic^cö in feiner Seife entfdjeibenb eingriff. Sem üon jebem
(Sfjrgeia unb ohne jebmebe Neigung, fich in bie ©taatSangelegen*
Reiten rinjumifchen , babei jugleich , im (Begenfafce ju ben lefcten
$absburgera, ein entfehiebener geinb aller ©tiquette, gefiel er ftd)
fogar barin, öffentlich $u aeigen, ba& er fich am SBiener &ofe nur
ülS ^rioatmann betrachte. 2llS eines XageS bie ßaiferin eine
feierliche 2Iubien$ erteilte , 50g er fich in eine (Scfe beS ©aale«
äurücf , too er fich neben jn?ei tarnen nieberlief?. 2>iefe mollten
fogleich auffielen; er fu'ri* ftc i&od) jurücf mit ben ©orten:
„Achten Sie nicht auf mich ; ich »itt hier bleiben, bis ber $of fich
juriicfjieht, unb mich ön ocm Ablief ber Spenge ergöfcen." 2llS
«ine ber Damen ihm bemerfte, ber #of fei ba, too ©eine faifer*
liehe SRajeftat fich befinbe, ermiberte er ladjelnb: „©ie irren ffch;
tue Äaiferin unb meine SHnber machen ben $of aus ; ich bin hier
■nur ^riüatmann."
UebrigenS mar bie <£he ber ßaiferin eine feljr glüefliche, unb
nie tuurbe baS gute ©nöernehmen jroifchen ben beiben (Batten burch
t>ie SSerfchiebenheit ber ©haraftere unb Slnfdjauungen geftört. Unb
lme über ben häuslichen g rieben, fo machte Sflaria Ztyxtfia mit
ihrem feinen ©efühl für alles ©ittlidje unb ©ittige auch über bie
&%xt beS ®aiferhofeS, ber unter ihr baS gleiche ©Üb ber ©itten=
teinheit unb SBürbe barbot , nrie in ber guten alten Qtit £aS
©djaufmel unb bie Xonfunft mürben an bemfelben ebenfo gut ge=
pflegt, mie an bem #ofe griebrichS II. SnSbefonbere roar bie
$aiferin , bie felbft eine mohlflingenbe , gut gefchulte ©timme be*
fafj, eine greunbin unb Sennerin ber SDßufif, mefchalb fie auch an
Goncerten ein großes Vergnügen fanb. 3;nbeffcn famen glän$enbe
gefte am SSiener £ofe , namentlich in ben fpäteren fltcgierungS*
jähren Hftaria %$ettf\a'$ , nur bei befonberen (Gelegenheiten oor.
5J)ie Äaiferin fühlte fein 93ebürfni6 nach geraufchöoflen 3erftreuungen
unb fanb ihre (Erholung im gamilienfretfe. $uch toar ihr ©inn
faft auSfchliefjlich auf bie SRegierungSangelegenheitcn unb bie (£r=
giehung ihrer ßinber gerichtet , benen fie jmar eine järtliche , ju»
gleich aber auch eine ftrenge SKutter mar.
Sftaria XhcrePa fßnnte feine anberen perfönlichen geinbe, als
bie beS ©taateS. Sine enti'riji ebene Abneigung liegte fie gegen
griebrich TL, unb $roar nicht nur aus poUtifchcn ©runben, fonbem
Digitized by Google
406 Oefterreiß unb Greußen naß "bem öfterretßifßen (Srbfolgefriege.
meil fein ganzes SBefen, baS ju bem irrigen einen fßarfen ®on^
traft bilbete, Ujr antipatfn'fß mar unb feine polittfßen mie feine
religiöfen 5lnfßauungen unb ®runbfäfce if)re eigenen tief tarierten.
3n ßrer £ebf)aftigfeit unb i^rem tiefen ©ereßtigfeitSgefüfjl war jie
leicht aufgebraßt, aber ebenfo leißt lieber befänftigt; eine ger-
jtörcnbe Seibenfßaft hat fte nie gefannt. ^erfönliße ©ßmeißelei
fanb bei if)r feinen ©oben , mottf aber mürbe fie bismeilen burß
#eußelei gctäufßt. ©eletftete 2)ienfte toergafc fte niemals, unb ifjre
2Sof)ltf)ätigfeit fannte feine ©renjen. „2Ran fann", fagt it)r treff=
lißer Söiogröpr) SBolf, „tiefer benfen öon ben gormen ber (Sefeff*
fcr)aft , bon ben ©eftaltungen beS ©taatSlebenS , öon ben föätljfeltt
ber ®efßißte; aber man fann nie fjodjfjerjiger hanbeln für baS
23olf unb baS fianb , nie tiefer überzeugt fein toon ben Sßflißten
beS ßebenS, als SKarta Xfjerefia. SKiemanb l>at fie je gesagt ;
ftiemanb fonnte fte beraßten. gijre Snbibibualität übte auf Me,
bie ßr nä^er geftellt maren, einen unmiberftehlißen 3auber aus."
grriebridjä n. »egentent^ättöfeit unb Privatleben.
Stoßt minber eifrig, als 3Raria Xfjerefta, jeigte ftet) grieb*
riß II. naß bem miebergefefjrten ^rieben bemüht, bie SBunben ju
feilen, melße bie beiben fßleftfßen Stiege auß feinem Sanbe ge*
fßlagen, bie ber ©taatSbermaltung anflebenben Mängel $u befei-
tigen, burß jmetfentfpreßenbe Sftaßregeln bie Einnahmequellen beS
<5taatz% ju erweitern unb fiß baburß in ben ©tanb ju fefoen,
neuen frtegerifßen Eüentualitäten bie ©tirne ju bieten unb fiß im
SBcfifce ber gemaßten Eroberungen ju behaupten. 2)aß er fyaupU
fäßliß biefen 3roecf im Auge tjattc , berrtetfj er felbft burß ben
2luSfpruß: „5)ie STmeifen fammeln im ©ommer, bamit fie im
SSinter ju berühren haben." tiefer SBinter mar für ihn ber
Stieg, ben er noß einmal gegen Oefterreiß führen §u müffen feft
überzeugt mar. „©ißeißeit gegen Oefterreiß" mar ber (Urunbge-
banfe feines gefammten SStrfenS , X^unS unb (Strebend , tote ber
gegen biefe 9ttaßt baS ©Aftern feine? ©taateS mürbe.
©einem SftegierungSprogramme getreu, naß melßem nur ber
©taat mof)l regiert ift, in melßem ber ©ouberan felbft als oberfter
SRißter, ©eneral unb ©roßfßafcmeifter bie Soften ber erften S5e*
amten ausfüllt unb feine SJänifter nur bie ©erzeuge in ber $>anb
eines meifen unb gefßicften SfleifterS finb, mollte griebriß mit fei*
ner Xljätigfeit SlfleS umfaffen unb Alles burßbringen unb fiß in
ber Seitung ber inneren Angelegenheiten feines ©taateS in ber
gleißen glanjenben SBeife bemähren, mie er eS als ^olitifer unb>
in ben fßlepfßen Kriegen als gettßerr getf)an.
Digitized by Google
griebric&S II. SRegcntent^fittgtett "nb ^rtoatleben. 407
griebridjS Xfjätigfeit war in SBtrHtdjfeit eine ftaunenSWertlje.
günf bis fed&S ©tunben ©chlaf genügten ihm; im ©ommer ftanb
er gewöhnlich fdjon um öier, im SBtnter um fünf Uljr auf, fteibete
ftch ofme frembe ©eifjitfe an unb lad bie mistigeren ber einge*
gangenen ©riefe unb ©eridjte ber ©ehörben burdj , wahrenb ihm
bie ßabinetSräthe öon ben übrigen fur$e SluSjüge machen mußten.
$ann erfdjien ber Stbjutant jur ©erichterftattung unb jutn Empfang
feiner ©efehte. 9cad)bem er gefrühftücft, ergriff er feine fjtötc, ber
er oft jroei öolle ©tunben wibmete, wobei jebod)r wie er erjagt,
feine (Sebanfen weniger beim (Spiele, als bei ben öffentlichen 2In=
gelegensten weilten. !Radt)bem er fein Spiel geenbet , tag er bie
öon ben fabinetSrätben gefertigten 2luS$üge burd) unb gab an, WaS
auf bie eingelaufenen ©riefe unb (Eingaben ju antworten fei. 9lad)
ber ©eenbigung ber ®abinetSgefchäfte laS ober fcfjricb er bis um
^wölf Uhr, wo er jur ÜJHttagStafet ging, für welche er fich, als
ein großer greunb cutinarifcher GJenüffe, fdjon früh SttorgenS ben
^üa^enjettel jur durchficht hatte bringen taffett. 9cach ber £afel,
an welcher er einen Ähreid geiftretcfjer Scanner um ftch öer*
fammelte , blies er wieber eine Ijalbe ©tunbe auf ber gtöte,
unterzeichnete bann bie in^wifchen im Kabinette abgefaßten ©riefe,
tranf ßaffee unb befaf) feine Anlagen. $)ie ©tunben öon öier
bis fed)S waren gewöhnlich feinen fchriftfieüerifchen Arbeiten ge*
wibmet; bann folgte öon fechs bis fieben Uhr ein Soncert, in wet*
ehern er felbft mehrere ©otoS ju fpielen pflegte , unb r)icrauf bie
Slbenbtafet, bie unter anregenben ober wiegen ©efprächen über bie
neueften (Srfcheinungen ber Literatur — mit StuSfdjtuß ber beut*
fcfjen, bie ber König nicht ber ©eadjtung Werth hielt — ober über
gragen ber ^ß^ttofop^ie unb ©efdnchte oft bis Mitternacht öer*
längert Würbe.
©inen ©taatSrath fyattt griebrich II. nicht; ber ©erfefjr mit
feinen ÜDciniftern war ein fdjriftticher : auf eingereichte ©ericf)te er-
hielten fie bie öon bem ßönig getroffenen ©erfügungen fefpriftüch
aus beffen Kabinet jurücf. Auf fein eigenes Anfehen war grteb=
rieh fo eiferfüchtig , baß fetten ein , Wenn auch noch fo trefflicher
©orfchtag ©erüeffichtigung fanb, wenn er ihm nicht in ber gorm
einer befcheibenen Anfrage ober Anbeutung unterbreitet worben;
boch fam er gewöhnlich auf fotehe ©orfchtäge jurücf , um fie als
feine eigenen (Sebanfen jur Ausführung ju bringen.
griebrichS £auptforge war auf bie ©erftörfung unb ©eröoff*
fommnung feiner Kriegsmacht gerichtet, gür bie föefrutirung würbe
bie öon griebrich SBilhelm I. eingeführte Kantonoerfaffung betbe*
hatten unb bei ber SftefrutenauShebung mit ber gleichen Strenge
unb SSiltfur öerfahren , wie unter biefem. 3ur Erhöhung beS
friegerifchen (SeifteS , ben ber fönig in brei Singe : Drbnung, ®e*
408 ßefterreidj unb ^rcunen nad) bem öftcrrcic^ifc^en erbfolgefricgc.
fjorfam unb Eapferfeit, fegte, würben große gelbübungen gehalten;
auch fdjrieb ber #önig für feine (Generale eine „Xaftif, b. h- eine
©ammlung militärifcher <3runbfäge, bie fie bor bem geinbe geheim
galten mußten. $a griebrich ber Anficht war, baß bem Bürger*
ftanbe mit geringen &u*nahmen ba* militarifche Xalent unb bad
©efüht ber (S^re fremb feien, würben bie Dfftjierftellen, einige
t>erein$elte , faft nur in Ärieg*$eiten borgefommene gälle abge=
rechnet, au*fchltefjlicf) mit Abeltgen befegt ; ba* £>öchfte, wa* ber
^Bürgerliche, ber freiwillig ober gezwungen in ben 2Kilitärftanb trat,
erreichen fonnte, war ber UnteroffoierSgrab.
ÜRächft ber $ebung be* #eerwefen* (ag bem $dnig cor Ättem
bie Aufbefferung ber burch feine beiben Kriege fdjwer gefdjäbigten
ginan$en am |!erjen. 3wtfdjen (Sinnahmen unb Ausgaben mürbe
ba* richtige ©erhältniß ^ergeftellt unb in ber gefammten ©taat**
berwaltung bie gleite ©parfamfeit beobachtet, wie unter griebrich
2SUt)e(m I. 2Iudt) in ber größtmöglichen 8u§nufcung ber Sirbett««
fräfte ber ©eamten, tute in ber ftrengftcn öeauffichtigung berfelben,
Wationalreic^um unb baburd) zugleich bie ©taat*einfüufte ju er*
höhen, toanbte er feine befonbere (Sorgfalt bem gabrifwefeu unb
bem $anbel ju, für Welche er eine eigene öehörbe errichtete, lieg
Sammet* unb ©eibenarbeiter au« Stölln unb gabrifanten bon
$rapb'or au« grantreich fommen unb berförieb $ur Gewinnung
feinerer SBoüe SWerinofchafe au* Spanien; auch würben, bamit für
Keffer unb ©cheeren fein ©elb in* Au*lanb gehe, ©d>miebe au*
föuhla unb ©chmalfalben jur Ueberftcblung nach Greußen bewogen.
Sur Erleichterung be* inneren #anbel*berfehr* liefe griebrich mehrere
Kanäle anlegen : ben $tauen'fc|en jwifd)en ber Elbe unb ber #abel,
ben ginoro'fchen awifchen ber #abel unb ber Ober unb ben ©rom*
berg'fchen jwifchen ber ©rahe unb ber ÜRege.
dagegen Würbe ber SBerleljr mit bem &u*lanbe burch ba* öon
griebrich eingeführte Sßrohibitibfoftem in fehr enge ®ren$e einge*
äWftngt. „$ie preußifchen fianbe", fagt $)ohm, ein jüngerer Qtit*
genoffe griebrich*, ber im 3ahre 1779 au$ lurheffifchen in preu*
fnfehe $)tenfte trat, „waren fähig, ber ©ig eine* blühenben unb
bie Untertanen bereichernben ^anbel* $u werben; aber griebrich
wie* biefen £>anbel gefliffentlich jurücf. 5)ie I^ofyen Abgaben, welche
frembe SBaaren beim Eintritt in ba3 ßanb ober bei ber durchfuhr
bejahten mußten, noch mehr bie mannigfachen ?ßlacfereien unb ber
Aufenthalt, bem man bei ber Unterfuchung burch bie 3°Bföebienten
au«gefegt war, h^en bit guhrleute unb ©a)iffer bon ben preu*
ßifd)en ©renken jurücf. 2Jcan fchug alle SBege ein, um nur ben
preußifchen ©oben nicht ju berühren. 9ftan $og einen weiteren
Digitized by Google
i
giiebvicf)« II. töegententt)ättgfctt unb ^riöatleben. 409
foftfyietigeren 2Beg öor, roenn man nur nicht an bte ^reugifc^e
©rcnjc fam."
Um ben Dberbrudj unb anberc noch unbebaute @Jebiet«ftrecfen
urbar ju machen unb juateid) im Qntereffe feiner friegerifchen 3toecfe
bie ©ebölferung feine« Sanbe« $u bermehren, 309 griebrich, gleich
feinem SBater unb Urgrogöater, zahlreiche Jhrtoniften in« ßanb, bie
mit allem gum Snbau be« ©oben« unb ju ihrer 2lnfieblung Sftoth*
menbigen reichlich berfehen unb, um weiteren 8^hH anjulocfen, für
eine föeifje bon Sauren bon Abgaben unb 2Rilitärbienft befreit nmr*
ben. 2Bä§renb biefe Hu«länber auf jebe SBeife begünftigt mürben,
blieb ber eingeborene ©auernftanb unter bem »ollen $rurf ber
Seubaluntert^änigfeit, bie in feinem anbern Staat* fo ferner auf
ber fianbbebölferung taftete, mie in ^reugen.
2(ua) bie SBerbefferung ber föecht«bflege, bie noch fet)r im
2Trgen lag, lieg griebrich fich angelegen fein; bodj mürben bura>
greifenbe Reformen auf biefem (Miete erft in feiner fuäteren
sJlegierung«$eit eingeführt.
lieber ben ©efdjäften blieben fünfte unb SBifienfdmften nicht
bergeffen. (Sine ganj befonbere 2Iufmerffam!eit ttmnbte ber ®ömg
ber bon ihm hergeftettten SIfabemie ber SBiffenfdjaften ju, beren
^raftbium er nach aHaubertui«' Sobe (1759) felbft übernahm, ba
ber berühmte 9ftathematifer b'STlembert bie ihm angetragene
^rapbentenftefle abgelehnt hatte, ©roge ©ummen mürben für ©auten
berau«gabt, bie ber ßönig theil« in Berlin, theil« in <ßot«bam au«*
führen lieg. 9cadjbem im 3aljre 1748 ba« groge, für taufenb *Jkr=
fönen eingerichtete Qnbalibenhau« eingemeiht morben, mürbe ber
ÖJrunb ju ber neuen $omfirche gelegt, bie fortan al« romgliche«
(£rbbegräbnig bienen foHte, unb $u ber gleiten Seit ber Sau ber
fatholifchen £>ebnrig«firche begonnen, ju melier ber $önig jeboct)
nur ben $lafc fetjenfte, mährenb ba« für ben ©au nötige (Selb
buret) Sammlungen unter ben ®atholifen Don ganj ©uropa jufam*
mengebradjt mürbe.
©cr)on mährenb ber Vorbereitungen jum jtociten fct)Iefifchen
Kriege hatte griebric^ felbft ben $lan $u einem Öuftfchlog eutmor»
fen, ba« er ftet) auf einer eine fjatbe ©tuttbe oon $ot«bam ent=
fernten 3lnhöt)e erbauen laffen moHte, unb bie Ausführung be«
SBaue« bem berühmten Slrdjiteften greiherrn oon ®nobel«borf über-
tragen. 2lm 1. Sttai 1747 mürbe ba« neue Suftfdjlog bura) ein
fröhliche« geft eingemeiht unb blieb fortan unter bem tarnen
€>an«fouci be« kernig« 8iebling«aufentr)alt. $>ter fuctjte er, ge-
trennt oon feiner <$emaf)ün, ber er gleich naa) bem $obe« feine«
Vater« ba« Sctjtog Sdjönfmufen jum SBolmfifc angemiefen, mo er
fte nur ein einzige« SJcal befudjte, mährenb fie felbft nie nach
@an«fouci fam, feine (Erholung in einem Greife oon Äünftlern unb
Digitized by Google
410 Cefterreid) unb ^reufcen nad) bem öfterreicbjfchen erbfolgefriege.
(Gelehrten ober geiftretdjen unb mifcigen 3Kännern. SBon leiten, bie
ihm cinft ju SRheinäberg naf>e geftanben, waren mehrere geftorben,
roäfjrenb Rubere fich oor be3 Königs wechfelnber ©timmung jurücf*
gebogen Ratten, um nur au« ber gerne in brieflichem ©erfehr mit
üjm flu bleiben ; nur SBenige gehörten noch bem Greife öon ©anSfouci
an, ber meift au« AuMänbern beftanb.
(Sine beoorjugte ©teile nahmen in bem Vertrauen unb ber
(Gunft beä Königs amei ©Rotten ein, bie trüber (Georg unb 3afob
k t i t h , bie wegen ihrer ^Beteiligung an bem 3a^00^cnauf^an^
Dom 3a^re 1745 auS ihrem SBaterfanbe fwttcn entfliegen müffen.
$er jüngere «ruber, Qafob $eitfj, ben Sriebrich jum preufjtfchen
gelbmarföaa ernannt ^atte, ftarb in ber ©chlaajt bei $odßf*4
(1758) ben $elbentob, mährenb ber anbere, (Georg fleith, ber als
(£rbmarfchall öon ©chottlanb gewöhnlich ber wÖorb=3Rarfa)alIw ge=
nannt mürbe, bem tönig, welcher fich feiner befonberS ju wichtigen
biplomatifchen äflifftonen bebiente, bi3 in beffen fpätereä Sebenäalter
erhalten blieb.
$en höhten ffieij erhielt für ^riebria) baä ßeben in ©ans*
fouci buraj ba& ©rfcheinen Voltaire' 3. ©djon lange ^atte ftdj
ber ®önig vergeben* bemüht, ben gefeierten $idjter, ben (Gegen*
ftanb feiner begeifterten ©emunberung, in feine Stahe ju jiehen:
erft im Qafjre 1750 lie§ fich berfelbe fjerbei, ber bringenben (£in*
labung beä Königs fjolßc ju leiften, weil ihm gerabe bamate ber
Aufenthalt in $ari$ unb Sßerfaillea burdj oerfchiebene 3Ät6^cIIig^
feiten oerleibet worben mar. bereitwillig ^atte ihm ber fonft fo fpar-
fame tönig ba3 geforberte föeifegelb oon üiertaufenb ifyältm fluge-
fanbt unb ihm, auger freier 2öo|nung unb Xafel fomie einer (£qui*
page, einen Qahrgehalt oon fünftauf enb Xfyaltxn jugefagt. Äl£
SBoltaire enblich am 10. Quli 1750 in ©an^fouci eintraf, ging ihm
ber ftönig bi3 an ben Söagen entgegen, umarmte ifm unb führte ihn
felbft in bie für ibn bereit gehaltenen Sintmer, worauf ber gan$e
£>of fich beeilte, bem (Gefeierten bie Aufwartung ju machen. Um ihn
bauernb an feinen £of ju feffeln, fanbte ihm ber ®önig ben ®am=
merherrenfa^lüffel unb ba£ Sfreuj beä SBerbienftorbenS mit einem
©chreiben, morin e3 unter Anberem fytb: „©ie finb ^5t)ilofop^ ;
id) bin es auch: was ift natürlicher, aU bau jwei s$liilo)oplKu,
gemacht, mit einanber ju leben, burch gleiche ©tubien, gleichen (Ge-
fehmaef unb gleiche 3)enfart oerbunben, ftd) biefe (Genugtuung
geben? Qch achte ©ie als meinen ßefjrer in Söerebtfamfeit unb
SSiffen ; ich Wc ©ie al3 meinen tugenbhaften greunb. — Qch haDC
nicht bie thörichte Anmaßung, §u meinen, ba& Berlin $ari3 auf»
wiegen fönnc. SBenn SReichthum, (Gröfee unb bracht eine ©tabt
liebenämertf) machen, fo treten mir gegen $ari3 jurücf. Söenn ber
gute ©efehmaef an einem Orte ber SSelt feinen ©ifc fyat, fo geftehe
Digitized by Google
$friebrt<f)§ IL JRegentcntfjätigfett uitb Privatleben.
411
ich, e« ift in <ßari«. Slber bringen fte biefen ®efebmad benn nid>t
überaß hin, wo ©le ftnb ? 2Bir haben $änbe, 3h«en »eifafl ju
Hatten, unb wa$ ba* (Skfüht betrifft, fo räumen wir feinem Orte
ber 2Mt ben Storrang ein. ©ie werben hier glüeflich fein,
fo lange ich lebe. ©ie werben als ber JBater ber tBiffenfiaft unb
beS ©efehmads angefehen werben unb in mir ade bie Xröftungen
finben, bie ein SRann öon Syrern ©erbienft öon einem anberen er»
warten fann, ber ihn ju fdjäfcen weiß."
$ie Sfnwefen^eit SBoItaire'S öerboööette ben <£ifer beS ßönigS
für feine eigenen fchriftfteümfchen Arbeiten, bie er üjm jur ©eur*
tfjeilung unb jur Slbrunbung beS ©tyls übergab. Unter Voltaire'*
SRitwirfung würben bie beiben erften Xheile ber „©efd)i(f)te meiner
«Seit* unb ber „SWemoiren $ur ©efc^td)te beS £>aufe3 öranbenburg"
öottenbet. 3n bem erfteren ©erfe, in welkem ftriebrich öon ftd)
(elbft in ber britten ^ßerfon fpridft unb fich furjweg ben Äönig
nennt, tritt fia^tüa) baS ©eftreben heröor, fein Auftreten im günftig*
ften fitste ju jeigen; fogar ber Xabel, ben er fyin unb wieber fid>
felbft ausbricht, öerbirgt im <5Jrunbe nur bie Sorberung ber $lner*
fennung öon ©eiten Önberer. ©eine Xenfwürbigfeiten be$ bran-
benburgtfcfjen §aufe£ tragen, troj feiner feierlichen Sterfidjerung,
baß er fich über ade ©orurtheüe erhoben unb OTeS mit unpar«
teiifajem unb wp^ilofop^ifc^emM 3Cuge betrautet ^abe, ba& Gepräge
beä unöerföfmlichften $affe$ gegen baS ftaiferhauS. ©o fagt er
öon bem $arbinal SRichelieu, nachbem er beffen ©totj unb $taty
fudjt mit f djarfen SBorten gegeißelt: „3ch erfenne ihm ben Xitel
eines erleuchteten SJcinifterS nur infofem ju, als er fich mit ©chwe*
ben oerbanb, um in $eutfa)lanb ben öfterreidnfehett Despotismus
nieberjufd>Iagen.#'
äußer biefen beiben Sßerfen würben öerfdjicbene ©eböc^rniß*
reben, bie griebric^ auf feine Sreunbe unb anbere Scanner öon
Sßerbienft für bie Sttabemie öerfaßt hatte, forote eine SReihe öon ihm
öerfertigter ÖJebichte mannigfacher 2lrt: Oben, gereimte ©riefe, ein
£ef)rgebid)t über bie StiegSfunft u. f. w., an benen nichts 9(nbereS
poetifch ift, als bie Sorm, öon SBoltaire reöibirt unb unter bem
Xitel: „23erfe beS ^^ilofop^en öon ©an&fouci" in einer $radjt*
ausgäbe gebrueft. Sriebrich fmtte $u biefem Qwede in bem Xfjurme
beS berliner ©chloffeS eine eigene $ruderei eingerichtet; baJjer
führen jene SBerfe auf ihrem Xitel bie Ortsangabe: *Au donjon
du ch&teau" (Qm Xhurme beS ©djtoffeS). Stuf bem Xitetblatt ber
ÖJebichte fteht außerbem nodj: „Avec le privil&ge d'Apollon" (üttit
bem $riöilegium Slöoflo'S).
$ie Slnfunft SBoftaire'S ha^e unter ben ©chöngeiftem in
©anSfouct einen wahren SGBetteifer gewedt, bei ben glanjenben
^benbmahtjeiten, an welchen ber gan$e ÄreiS X^eit nahm, einanber
Digitized by Google
412 Oefierrcicf) unb ^reufecn nacf) bem öfterreidjifdjen (Srbfolgefriege-
in fprubelnbem SStfee ju überbieten. Sludj bei ber Aufführung ber
dragöbten be* dichter* mar 3^ber eifrig bemüht, in ber durchfüh*
rung ber it)m jugetheilten 9?oüe allen Slnforberungen S3oltaire'* *u
genügen.
Qnbeffen untergrub SBoltaire felbft balb burdj bie fterrfchfudjt
unb SRifegunft, bie neben bem fämufcigften ©etje bie ^erüorftec^enb*
ften güge feine« S^araftcr« bilbeten, bie glanjenbe Stellung, bic
ihm be* ^önig« ungetoöhnliche ©unft in San*fouci gefdmffen. 2Bie
t>er oiel georiefene dichter fich nach einer allgemein geglaubten
terjählung nicht fdjeute, heimlich in ben Sälen bon San*fouci bie
halb abgebrannten 2Bacb*ferjen einjufteefen , um fie Oerraufen $u
laffen, unb wegen eine* if)tn jur Saft gelegten betrügerifchen §an*
fcel* in einen feanbalöfen ^ßrojefe mit einem berliner 3uben gerieth,
ber ifm offen ber Jälfchung oon Dutttungen befdjulbigte, fo fiel er
mit ber SButf) eines eiferfüdjtigen SBeibe* auf Sebcn lo*, ber fict)
neben ihm ber ©unft be* Königs ju erfreuen fyatte, unb oerläfterte
mit ber fyämifdjeften 5öo*heit diejenigen, bereu moralifchen Söerth
nicht auf$utoiegen er per) bemufet mar. 3n ben Wbenbunterhaltungen
toollte er atiein neben bem $önig ba* Söort führen unb ftfjlug nicht
feiten, toenn 9We* in ber fyeiterften Saune mar, ben einen ober ben
anbern ber difchgenoffen, ber e* toagte, eine anbere Meinung au**
lufpredjen, al* bie fetnige, auf fo oerlefc enbe SSeife nieber, bafe ber
feünig felbft barüber unmillig mürbe.
der #auptgegenftanb feine* neibiferjen ©rode* toar Dttauper-
tui* , beffen Stelle al* ftanbiger *ßräfibent ber berliner Slfabemie
er gern felbft befleibet ^ätte. (Sine oon 2Jcauoertui* üeröffentliajte
Schrift, bie neben einzelnem QJuten oiel Söerfchrobene* unb tyfyan--
tafttfehe* enthielt, gab ihm eine ertoünfajte Söeranlaffung jur &b=
faffung einer cbenfo mifcigen, al* bo*haften Satire, bie er trofc be*
au*brücflichen Verbote* be* ®önig* in dre*ben bruefen liefe, um
feinen öerhafeten Nebenbuhler oor ber ganzen SBelt lächerlich ju
machen, der auf* Sleufeerfte erbitterte Üönig liefe biefc Schmäh*
fdjrift ju Söerlin auf öffentlicher Strafee bura) ^enferÄhanb Oer*
brennen , toa* Voltaire ihm fo übel nahm , bafe er ihm fofort fein
3a!)rgef)alt*bcfret, fotoie ben flammerherrenfchlüffel unb ba* Drben**
ireuj surüdfduefte. 3nbeffen bereute er balb biefen Schritt unb
fuct)re benfelben burc| einen an ben ßönig gerichteten 53rief mir*
fung*lo* ju machen, in toelapem er bem(clben bie ©efüfjle ooUftän*
biger Xroftlofigfeit über bie erlittene Stäntuug, jugleia) aber auch
feinen tiefen Sdjmer$ barüber au*brücfte, „ba& er ba* Unglücf ge-
habt, bem $önig ju mißfallen." diefer «rief ocrfehlte feinen Stoecf
nicht : noch an bemfelben dage erhielt Voltaire bie Reichen ber f ö*
niglichen ©nabc jurücf.
Digitized by Google
griebrid)« Jl. Kcgentcntfiatiflfcit imb $rit>atleben. 41 a
Jfnbeffen erfannte SBoftatre balb, baß baS alte SBerbältniß
jnrifchen it)m unb bcm ®önig nicht ttueber ^erjuftcUcn fei; er 50g.
eS ba^er oor, ben £of griebrichs $u oerlaffen. Unter bem 93or-
toanbe , baß feine gefdjtoäcfjte ©cfunbheit einer SBabefur in $Iom*
btereS bebfirfe, reifte er am 26. SRärj 1753 mit äuffamnung beS»
Königs oon SßotSbam ab, entfdjloffen , nicht mehr baljin jurücf$u=
febren. er nichtSbeftoroentger bem ftöiüg baS SBerfprechen ge*
geben, im ©eptember nrieber ju fommen, ^otte er fein DrbenSfreuj
nnb ben ®ammerherrenfchlüffel, fonrie einen SBanb oon Sßoefien, bie
ber ®önig nur in jtoölf (Sjemplaren für feine öertrautefien greunbe
r)attc bruefen Iaffen , mitnehmen bürfen ; als er jeboer) , ftatt nach
granfreich ju reifen, nach Seidig ging unb bort eine neue ©chmäh*
fchrift gegen SftaupertuiS bruefen liefe, fanbte griebrier) nach granf*
furt am SJcain ben Söcfet)! , ben dichter bei feiner Shtrcfjreife fo-
lange gefangen galten ju Iaffen , bis berfelbe ben ßammerherren*
fdjlüffel nebft bem DrbenSfreuj unb ben ©ebidjten herausgegeben
^aben »erbe. SBoItatre, ber am 31. 9ttai in granffurt anfam,
lieferte fofort ©djlüffel unb Drben ab; ba jebod) bie ®ifte, in xotU
d)er fidj bie ©ebia)te befanben, noch ßeipjig mar, burfte er erft
nach beren Eintreffen feine Steife fortfefcen. Qum $anf für alle
©unft, mit melier grtcbvirfi t&u überlauft r)atte , überietjuttetc er
benfelben in feinen nach feinem Xobe gebrueften 2ttemoiren mit ben
niebrigften ©Chinahungen.
Unter ben franjöfifchen ©chöngeiftem unb frioolen Sßertretern
ber alles Uebcrfinnlict)c leugnenben w1ßr)iIofop^ic ber Slufflärung,"
bie außer Voltaire am £ofe griebrichS lebten, nahmen ber 2lr$t 2a
9Jcettrie unb ber SJcarquiS b'&rgenS in ber ®unft beS Königs bie
erfte ©teile ein.
Sutten 2a SWettrie (geb. 1709 §u ©t. 9Mo als ber ©ohn
eines reichen Kaufmanns) , ber geiftig unbebeutenbfte , zugleich aber
auch ber frioolfte unb frechfte ber bamaligen SReligionSfpötter , ber
mit ber größten Unnriffenheit bie Unöerfchämtheit üerbanb , frembe
3been für feine eigenen auSjugeben , brachte bie ©pöttereten unb«
SSifceleien SSoItaire'S unb Slnberer in ein förmliches ©nftem boben*
lofer ©ittenlofigfeit unb gottlojer ©innlichfeit. SBte in granfreief*
bie fatholifche ©eiftlichfeit, fo erhoben fich in £>oflanb , lüot)in er
nach fetner Verbannung aus feinem SBaterlanbe auSgemanbert , bie
reformirten ^rebiger gegen ihn, fo baß er auch biefeS Sanb Oer*
Iaffen mußte, nachbem in Serben, toie oorfjer in ^aris, feine ©chrif-
ten burch ^enfcrStjanb oerbrannt toorben maren. griebrich, ber
in ihm nur ein Döfer religiöfer Unbulbfamfeit fah , berief ihn nach-
^Berlin unb behielt ihn , burch feine unoertoüftliche heitere Saune
gefeffelt, nicht nur bis an fein SebenSenbe als SBorlefer unb ©paß*
macher an feinem £ofe, fonbern fdjrieb fogar nach Sa 3ttettrie'S>
Digitized by Google
414 Ccfterretd) unb <|keufeen nadj bem öfterreid)tj<$en erbfolgefrteg.
2obe (1751) eineßobrebe auf iljn, bic er in bcr berliner Stfabemie
burdj feinen Scfretär öorlefen lieg.
$er SHarquiS borgen 3 (geb. 1704 ju Slir. in ber ^ro*
toence) mar, natf>bem er fid> burcf} $lu3fött>eifungen unb ©c&ulben*
madjen mit feiner gamilie entjmeit r)attc, nad) £ottanb übergefiebelt,
too er fid) als SdjrtftfteHer ju ernähren fudjte. $ie $reiftigfeit, mit
melier er in feinen oberflächlichen , öon §a& gegen baS Triften*
tf)um bnrd&brungenen SBerfen — fölfipfrige Romane, ©riefe in bcr
$Irt ber „Lettres persanes" uon Montesquieu unb eine Sufam--
menftettung feiner pfulofopf)ifdjen §(nfidjten unter bem £ite(: tyfo
lofopfyie be& gefunben 9#enfdjenöerftanbe$ (philosophie du bon
sens) — gegen alles #öf>ere ju gelbe jog unb bie Öeljren ber
neuen <ßl)ilofopf)ie öerfünbete, berfdjaffte tym bie befonbere (Uunft
SBoltaire'S, auf beffen Smpfef)lung üjn griebrid) II. an feinen #of
30g. £rier mürbe er balb burd) feine £ebf)aftigfeit , feinen SBtfc,
feine feinen 9Kanieren unb feine Sebenäerf aljrungen , bie er in ber
Unterhaltung in geiftreidjer SBeife ju ücrmertt)en mußte, ber beoor-
jugte ÖJefellfdjafter be& ^önig« , ber üjn aud) in mistigen s2(ngele=
genfjeiten ju föatfie 50g unb in beffen Vertrauen er fidj bis ju
feinem $obe (1771) §11 erhalten mußte.
Unter bem (Sinfluffe biefer unb anberer fran$öfifd)er Sdjön=
geifter bilbete fidj an grtebrid)* .'pofe jene frioole 9teligionSfpötterei
$um „guten Xone" aus, bie baS ^eiligfte in ben ©taub 50g unb
bereu öerfyängnißüolle 9tadjroirfungen balb in ganj $eutfdj[anb,
befonberä in ben fyöljeren Steifen ber QJefellfdjaft , in einer immer
tiefer gefyenben (£rfd)ütterung beS religiöfen öemußifeinS ju Jage
traten. 3nbeffen mar eS bem Röntge öorbeljalten, bie ücrberblidjen
grüßte beS unter feineu klugen unb oon ü)m felbft auSgeftreuten
Samens ber 9teligionSoerad)tung junädtft in feinem eigenen Sanbe
reifen $u feljen. (£r, ber in feinen Schriften bie fjeiligften Behren
beS SfjriftentfjumS mit £>ofnt unb Spott überfd)üttet unb fogar
93la$pl)emtcn gegen bie s$erfon beS (SrlöferS unter baS SBolf ge=
bradjt, äußerte einmal in feinen legten ßebenSjaljren gegen feinen
(SJroßfanjler (Earmer: wÖ)laub' mir, meine f fünfte Söataiöe
tooHte td) barum geben , menn id) Religion unb Sfloralität unter
meinem Bolfe toieber ba fjaben fönnte, 100 idt) fie bei meiner Xfyron*
beftetgung gefunben."
yioi) bor bem beginn beS jmeiten fd)leftfd)en Krieges fjattc
griebridj DftfrieSlanb in öefifo genommen, beffen Bereinigung mit
bem branbenburg-preu&tfcf)en Staate burd) ben großen $urfurften
oorbereitet morben. Qu ber Qtit, a^ b\t 9ticberlänber gegen 8pa=
nien für i^re llnabf)ängtgfeit fämpften, lagen bie oftfriefifc^en gurften
mit i^ren Stänben im Streit, unb ba fie, gleidj allen übrigen lutlje=
rifc^en gurften beS $Reic^S, fpanifa) geftnnt maren, jdjlugen fic^ bie
Digitized by Google
griebricfjS II. diegententljftttgfeit unb s^nuat leben. 415
$eneralftaaten auf bic Seite ber oftfriefifdjen ©tanbe. «ftachbem fie
fidj ben gürften als Vermittler aufgebrungen , warfett fie Gruppen
inS Sanb unb erzwangen für bie @tänbe eine für bie gfirften
äugerft brücfenbe SBerfaffung, beren ®etuäf)rleiftung fie übernahmen.
2US fpäter bie finfenbe Wlafy ber ©ollänber bie oftfriefiföen gär*
ften ju bem öerfudje ermutigte , bie öerha&ten geffeln $u brechen,
bot ber Kurfürft griebrich SBilhefm, ber fid) mit meitauSfchauenben
planen auf 2Beltf)anbeI unb Kriegsflotten trug unb bafür bie treff*
liefen $>äfen oon OftfrieSlanb ju benufcen gebaute, ben oftfriefifdjen
©tänben feine #Unterftü&ung gegen ihre SanbeSherren an unb lieg
ju biefem (Snbe Xruppen in OftfrieSlanb einrüefen; auch erroarb er
öon Kaifer Seopolb I. bie Slnroartfdwft auf btefeS Sanb beim 2luS*
fterben beS fürftlidjen #aufeS, worauf bie ferner gefränften oftfrie*
fifchen gürften mit bem ftammoertoanbten £>au)e £>amtouer eine
(£rbüerbrüberung fajloffen.
(bleich nad) feiner ^^ronbefteigung fnüpfte griebrich II. Unter*
fjanblungen mit bem Sftagiftrate üon (Smben an unb erlangte üon
bemfelben, gegen bie Sufid^unQ ber SBeftätigung aller fßribilegien
ber (Stabr, baS SBerföredjen fofortiger £>ulbigung nad) bem Xobe beS
noch jungen Surften, ber feine männlichen (Shrben t)atte. tiefer ftarb am
13. äftai 1744, unb am folgenben Xage fanbte ber König oon Greußen
Xruppen in baS £anb unb oerlangte aller Orten bon ben erftaunten
(Eintüofjnern bie ^pulbigung. Sftachbem in bie bebeutenberen Orte
preugtfcr)e Söefafcungen eingerüeft toaren, erfannten bie oon bem
preu&ifchen KriegSminifter ©occeji nach Slurich jufammenberufenen
oftfriefifdjen Stänbe am 6. guni 1744 ben König als ihren gürften
unb .pernt an unb gelobten ihm, auf ®runblage ber alten Verträge,
Xreue unb ®el)or}am, ioorauf ber König ihre sßrioilegien beftätigte.
griebrich begnügte fid) jebod) nicht mit bem eigentlichen Oft-
frieSlanb, auf melcheS er traft ber bem großen Kurfürften ertf) eilten
faiferliajen s2lntoartfchaft $lnfprudj ergeben burfte, fonbern nahm auch
bie beiben Remter beS £>arlinger fianbeS , eines befonberen $Befifc=
tfmtnS ber fürftlidjen gamilie, melajeS in ber Urfunbe ber s2lntoart=
fdjaft auSbrüdlia) auSgefd)loffen mar , in 93efi(j , unb bie oon ben
übrigen öemerbem bei bem Reichsgerichte erhobene Sßroteftation blieb
toirfungSloS, ba griebrich II. ftärfer mar, als bie OteichSgeridjte.
2Bie oodftänbig fich griebrich bereits bamalS oon bem Reiche
loSgelöft hatte, befunbet ber Umftanb, baß feit bem 3af)re 1750 in ben
preu&ifchen Kirchen auch übliche fonntägliche ÖJebet für ben Kaifer
aufhörte.
Digitized by Google
416
3)er ficbcnjä^riflc (britte fd)le[ifäe) ßtieg.
XXIV.
Per fietenjaSrifle (britte ftfeßMe iutea, I
(1756-1763.)
Seranlaffung unb »itäbnidj bes ftriegcg.
£er triebe oon Hachen , ben bie allgemeine ©rfchöpfung jur
gebieterifchen iRothmenbigfeit gemacht, ^otte bic Streitfragen, meldte
p bem achtjährigen ftriege Seranlaffung gegeben, nicht bauenib
ausgeglichen unb mürbe in ber Xfmt oon ben meiften betheiligten
dächten nur al« ein SBaffenftiOftanb angefefjen, ben man gefchloffen,
um ben befinitioen 3lu«trag be« Streite« auf einen günfttgeren
Seitpunft }it oertagen. 2lm menigften mar auf einen bauernben
grieben amifchen Gniglanb unb granfreich $u reinen, ba bie 58e=
üoHmöchtigten beiber dächte bei bem grieben«fchluffe $u dachen
oerfäumt hatten, bie ©renjen be« englifdjen unb franjöfifchen ©e*
biete« in SRorbamerifa , bie fchon bei bem Utrechter grieben in un-
genügenber Sßeife feftgefteflt morben, fo genau §u beftimmen, ba&
fein .ßmeifel mehr barüber übrig bleiben tonnte.
SBic in biefen ungeniigenben ©renjbeftimmungen bie Äeime
unausbleiblicher neuer germürfniffe gtoifchen ßnglanb unb granf*
reich lagen, fo mar in $eutfchlanb ber triebe burch bie fortbauembe
Spannung jmifchen Oefterreich unb ftau&en bebroht. Söenn einer-
feit« SDcaria X^erefia ben Schmerj über ben öerluft Schleften« nur
ferner oerminben unb ju bem eroberungSfüchtigen Machbar fein
Vertrauen mehr faffen tonnte, fo fah anbrerfeit« griebrich II. mit
machfenber iöeforgnijj ben oerhaßten öfterreidufcfjen Staat unter ber
umfichtigen fieitung feiner thatfräftigen £>errfcherin ju neuer innerer
Staft unb Sölütlje emporfteigen ; benn nur bei ber fortbauemben
Schmäche Defterreich« feinen ihm ber SBefu) Schlefien« gefidjert.
$iefe Spannung führte naturgemäß ju bem ©eftreben , fich
beiberfeitig burch SBünbniffe $u ftärfen. 5)ie ©emetnfamfett ber
3ntcreffen mie be« $affe« gegen Oefterreich fchien auch bie«mal
granfreich unb Greußen jufammen führen $u müffen , unb in ber
ifyat glaubte griebrich auf bie fortbauembe öunbe«genoffenfchaft
be« <£)ofe« oon *BerfailleS jählen ju fönnen, mie auch biefer feiner*
feit« fich al« bie unentbehrliche Stüfce ber rafa) emporgemachfenen
preußifchen Stacht anfaf). (Sbenfo erfefnen nach ben SBerhältniffen,
in melden ba« £>au« ^pannoüer feit feiner (Srfjebung jur furfürft*
liehen SBurbe 511 bem ftaiferhofe geftanben , unb nach ber Atolle,
bie Äönig ©eorg II. im öfterreichifchen (Srbfolgefriege gefpielt, Sng-
lanb al« ber natürliche $Bunbe«genoffe Oefterreich«, unb jmar um-
Digitized by Google
SBercmlaffung unb HuSbrucf) be* Kriege*.
417
fomeljr, al* ©eorg II. über ben ßönig oon $reu§en wegen ber
SBefifcergreifung bon Dftfrie*(anb tief erbittert war.
2lber roiber alle* ©rroarten geftalteten fid) bie $>inge anber*.
$er öfterreidufdje SWiniftcr ©raf ftaunifc mar ber Slnfiajt, bog bie
nädjfte Aufgabe ber ^olitif be* $aiferf)aufe* barin beftefje, bem
ßönig üon Greußen ben Söetftanb granfreid)*, al* ber bebeutenb*
ften europäifdjen £anbmad&t, ju entfliegen unb ben $>of bon 2kr=
faille* für ein $8ünbni& mit Defterreid) ju geroinnen , ba* er für
weit mistiger ertfärte, al* ba* bisherige mit (Snglanb, ba ba*
lefctere für ben 'Sali eine* Kriege* ungleich geringere SBortyeüe ge*
mäfjre. Obgleid) 2ftaria Sfjerefia ba* gute (£inbernef)men mit
©eorg II. aufregt p galten münzte, mar fic bod) mit ben 2In*
fdjauungen ifjre* Sftinifter* einberftanben , unb fo fanbte fie ben*
felben nad) Söerfaifle*, um ba* erftrebte SBünbuifj anjuba^nen.
ftaunifc t) arte anfang* am franjöfifdjen jpofe fein leiste*
©piel, ba $reu§en in*gefjeim feinen Söemüfmngen entgegen arbeitete
unb überbie* nidjt nur bie aflgemeine Stimmung einem SBünbmjj
entgegen mar, ba* mit allen polttifdjen Xrabitionen be* fianbe*
im 2Siberfprud)e ftanb, fonbem audj bie geroiegteften ©taat*männer
fict) gegen ein 3ufammengef)en mit Defierreidj erflärten; allein ber
©influf ber 9D?arquife bon ^ompabbur, bie ben fdjroadjen ßub*
roig XV. boUftänbig befjerrfdjte unb bie ®aunife in fein 3nterefje
ju fliegen gemußt fjatte, braute aümäfjlid} bie fdjleppenben Unter*
fjanMungen in rafdjeren Wang.
Unterbeffen mar e* jmifc^en ©nglanb unb granfreid) megen
ber ftreitigen ©renjfragen in ifyrcn norbamerifamfd)en ©ebieten $u
fo ernften SBerroitflungen gefommen, ba& ber $rieg jroifdjen beiben
3ftätf)ten al* unbermeiblid) erfduen. $>a ju ermatten ftanb , ba&
bie gran^ofen benfelben mit einem Angriff auf &annober eröffnen
mürben, roobei bie Haltung griebrid)* II. für ober gegen granfreid)
ferner in bie SBagfdjale faden rnu&te, fuelt e* ber $önig bon (Smg*
lanb für geraten, feine perfönlidje Abneigung gegen feinen Neffen
jum ©d)tueigen ju bringen unb bemfelben ein Söünbnijj anzutragen.
3u ber gleiten 3eit bemühte fid) aua) granfreid), ba* SBünbnifj mit
griebrid) II. $u erneuern, „©d)mben ©ie Qfjrem Könige," fagte
ber franflöfifdje Süttnifter ©ouiüd ju bem preußifdjen ©efanbten
Snöpfjaufen, bog er un* gegen £amtober beifte^en foöe. @* gibt
babei (Stroa* ju plünbern. 5)er ©djafc bc* englifdjen Äönig* bort
ift gut gefüllt. 25er preufcifdje $önig brauet if)n nur f)inmeg$u»
nehmen unb tljut babei einen guten gang." griebrid) mar eine
Seitlang im Smeifet barüber, auf melier ©eite ifmt ber größere
SBort^eil roinfe ; bie (Srmägung , bag er burdj bie Unterftü Jung
eine* franjöfifc^en Angriff* auf |>annoöer fia^ nia)t nur bie Sng=
länber, fonbem aua) bie Defterreia^er unb bie mit (Snglanb in ben
^oliroart^ SMiflefdjidjte. VI. 27
Digitized by Gü^jgle (
418
2>er ftebenjäfjrige (britte fcfjlcftfc^e) flrieg
beften ^Beziehungen ftefjenben Muffen auf ben $alS Riehen werbe,
burch ben Slbfchlug eine* SöünbniffeS mit (Snglanb bagegen wahr*
f€r)cinüc^ ben öon granfreief) geplanten ©infafl in ,£>annoöer öerfnn*
bem fönne unb fomit freie #anb in ^eutfdjlanb ^aben werbe, be-
weg ihn jeboer), bie Anträge ®eorgS II. anzunehmen, unb fo fam
am 16. 3anuar 1756 ber Vertrag öon SBeftminfter ju ©tanbe, in
meinem beibe äftächte fidj verpflichteten, nict)t ju geftatten, bafj
eine frembe 2flacht Gruppen in 55eutjd}tanb einrüdfen laffe.
$)er ^T6fc^lu§ biefeS Vertrags, ber in VerfaifleS aß ein befU
nitiöer Abfall griebricf)S öon granfreidjS betrautet würbe unb bie
natürliche Abneigung SubmigS XV. gegen Greußen auf* ^öc^ftc
fteigerte, mar entfeheibenb für bie öon ftaunifc mit bem franjöfifc^cn
£ofe gepflogenen Mianaöerhanbtungen : am 1. 9M 1756 fchloffen
granfretch unb Defterreich ju VerfailleS ein $>efenfiobünbni&, in
welchem fie fidj öerpflichteten, einanber in ber Vertheibigung ihrer
in (Suropa gelegenen Staaten mit einer Sruppenmacht öon öierunb-
jwanjigtaujenb Sttann beijuftehen. Xer Slbftcht eines Angriffs auf
griebrich II. War in bemjelben in feiner SBeife gebaut.
2lufjer bem Vünbnifj mit granfreidj hatte Äaunifc, bem bie
$atferin nach feiner 9iürffef)r öon $ariS bie oberfte Leitung ber
öefchäfte übertrug, auch eine engere Verbinbung mit SRufjlanb
bringenb befürwortet, Schon im 3at)re 1746 war $toifc$en ben
£öfen öon öerlin unb Petersburg ein Vertrag ju gegenfeitiger
^ilfeleiftung im galle eines Angriffs gejchloffen worben, unb in
einem btefem Vertrage beigefügten geheimen Slrtifel ^ottc bie ftaife*
rin (Slifabeth bie fpejielle Verpflichtung übernommen, für ben gatt,
baß griebrich IL ben $)reSbener grieben breche, ber $aijerin*$ö=
nigin ihren Veiftanb ^ur SBiebereroberung öon Schlefien unb ber
$raffchaft (3Ha{j ju leihen, Scitbem war baS Verhältnis jwifc^en
ber (Sjarin unb bem ®önig öon Greußen ein immer gefpanntereS
geworben, theilS weil griebrich IL unauSgefefct gegen ben Sölden
ber ®aiferin ruffifdje Unterthanen für ben preufeifchen $)ienft an=
werben liefe r theilS wegen ber bei&enben ©pöttereien, bie ftch ber
®önig über (£UfabethS unfittlichen ßebenSWanbel erlaubte unb bie
berfclben öon bienftbefliffenen äwifchenträgern hinterbracht würben.
Much fat) baS rufftjehe Volf felbft baS (Smporfteigen ^reujjenS mit
großem Stti&trauen, unb ber Senat ju Petersburg ftellte im 9Jeai
1753 ben ©runbfafc auf, bajj man fich einer ferneren 3nnahmc
ber preufjifchen Sftacht wiberfefcen unb bie erfte paffenbe (Selegem
heit ergreifen müffe, um baS £auS Vranbenburg wieber tyrabw
brüefen.
Qn biefen ÖJefinnungeu war föujtfanb burch ÖJeorg II. beftärft
worben, fo lange berjelbe noch preufjen für ben Verbünbeten granf*
reichs gehalten ; ja es war fogar jwifchen beiben dächten ju einem
Digitized by Google
SJeranlafiimg unb SJuSbrud) bcö Kriege«. 419
Vertrage gefommen, ber offenbar auf einen ®rieg gegen Greußen
jiette. (Slifabetf) mar bafjer über ben 2Ibjd)iu& beä preu&ifa>eng=
lifdjen 93üubniffe3 aufs |>öd)fte entrüftet unb brüefte, fobalb fic oon
bemfelben #enntniß erhalten, bem öfterreidnfajen öJefanbten efter^ajo
ifjre ©ereitmiaigfeit au«, bem feinem Stbfdtfuffe na^en ©ünbntffe
DefterreidjS mit Sranfreidj beizutreten.
2Bie föugtanb, fo ftanb aud) ®urfadjfen entfdjieben ju Defter*
reiefj, ntdjt nur megen beä perfönlifen ^paffeö 93rül)te gegen grieb*
ridj IL, fonbern audj meil ba3 fädc>fifrf)e Sßolf bic in bem legten
Kriege öon ben $reu&en in Saufen oerübten ®emalttf)ätigfeiten nia)t
oergeffen tonnte. $ie (Erbitterung be3 $re£bener |>ofe$ tjattc in
einem eifrigen ©djriftmedjfel SBrüf)lä mit ben leitenben ^erfonen an
ben $>öfen oon Söien unb Petersburg einen Ieibenfdjaftüd)en &u3*
brutf gefunben ; bodj mar eä nod) $u feinertei Vereinbarungen jmifdjen
ben brei 2J?ädjten in Söejug auf ein gemeinfame« feinblidjeS Vor*
gefjen gegen $reu&en gefommen.
3n$roifdjen mar griebrid) burdj einen beftodjeneu ©efretär ber
öftcrreict)ifcr)eri ®efanbtfd)aft in ^Berlin unb burd) einen gleidjfatts
in feinem ©olbe ftefjenben fädtfifdjen ftabtnetäjefretär in ben 93c-
fifc oon Sfbfdjriften geheimer Rapiere gelangt, au« melden er,
laut einer nad) bem öuÄbrud) be« $r#ge« oon feinem SOcintfter,
bem (trafen £>er$berg, $u feiner SRedjtfertigung oeröffent(id)ten
€>taat«fdjrift, bie Ueberjeuguug gefajöpft, bafj Defterreia), föu&Ianb
unb ©ad&fen übereingefommen feien, ifjn im fommenben griUjjafyre
anzugreifen, um ficr) in feine ßänber ju tfyeüen. Dbgteid) in ben
fragltdjcn papieren, mie ^erjberg fpäter offen befannte, nidjt« 2ln*
bere« enthalten mar, al« mefjr ober minber heftige SluäfäHe gegen
ben #önig unb eoentueöe Xtyetfungaoorfdjtäge für ben in ben ge-
heimen Slrtifeln be« üorermäfjnten öfterretdnfaVruffifd)cn 55efenfio=
oertrag« 00m Qaljre 1746 oorgefefjenen gaü eine« grieben«brua)«
oon Seiten be« ®önig« ton ^ßreufjen, befd)(o& griebria) bie ifjm
geworbenen „(Smtfnlüungen" ju einem fof ortigen Singriff auf ©adjfen
unb £)efterteidj $u benufcen, ba biefclben für ben 2(ugenblirf nodj
attein ftanben unb nidjt gerüftet maren, mafjrenb er fetbft fid) in
oofler ®rieg«bereitfdjaft befanb.
Qnbeffen erfannte griebridj, ba§ er 5ur Eröffnung ber geinb*
feligfeiten irgenb eine« Vormanbe« bebürfe, unb baju mujjten ü>m
Xruppenanfammlungen bienen, bie eben in Siemen unb 2Räf)ren
ftattfanben. (£r liefe burd) feinen ©efanbten am SBiener £>ofe ber
ilaiferin eine $cnffd)rift überreifen, morin er öon ityr unter bem
£nnmei« auf bie „itym jugefommenen juöedäifigcu 9tad>rtd)ten oon
einem jmifdjen i^r unb ber ®aiferin oon SRufelanb gejdjloffenen,
gegen i^n geria}teten Angriff «bünbnig" , fomie auf Öcfterreio)«
Lüftungen eine förmlid) e s-8erfia)erung barüber üertangte, bafj fie
27*
Digitized by
420
Scr ftebcni^rigc (brittc Weftfdp) flricg.
auf feine 2Irt gefonnen fei, iljn Weber in biefem nod) im folgen*
ben Sa^re feinbiid) anzugreifen, tiefer gorberung mar bie (5r=
' flärung beigefügt, bajs ber König eine ungemiffe unb unfdjluffigc
Antwort als ein ©ingeftänbnig feinbfeliger ^bfic^ten unb fomit für
einen Kriegsfall anfeuert werbe. $)ie Kaiferin lieg Ujm ermiebern:
„3>ie if)r übergebene $enfförift fei nad) 3nfmlt unb SluSbrurf
eine berartige, bafj fie gar nidjt barauf antworten fönne, ofjne bie
©djranfen ber Mäßigung ju über f abreiten, ©ie fmbe jebod) be*
fohlen, bem ©efanbten ju eröffnen, ba§ bie 9*ad>rid)t oon einem
jwifd)en ifjr unb SRufelanb gegen ©eine preufjifdjc sUtojeftät ge=
richteten 2TngriffSbünbni& fowie alle Angaben in betreff ber babei
getroffenen Serabrebungcn oöllig falfd) unb erbietet feien, unb
ba& ein berartiger Xraftat gegen ben König oon ^reufjen nid)t
efiftire, nodj jemals erjftirt fjabe. UebrigenS fönnten bie oon \f)x
getroffenen militärifd)cn Söorfe^rungen ben König umjo weniger be=
fremben, als er ja felbft fa)on längft mit bebroljlidjen Lüftungen
beschäftigt fei."
$iefe Antwort würbe oon griebrid) für ungenügenb erflart
unb bemgemäfj gleict) am $age naa) bem Eintreffen berfelben, am
26. Sluguft 1756, ben Gruppen 9^arfd)befe^l erteilt, $er erfte
Angriff galt ©ad)Jen, baS ber König burd) eine rafdje ©efefcung
entWeber oon bem angeblidjeu ©ünbnifj mit Defterreid) loszureißen
unb ju feinem eigenen SJunbeSgcnoffen ju madjen ober, was ifjm
als baS S3ort^eüt)aftere erfdnen, für feine friegerifd)e ^werfe aus-
zubeuten gebaute.
2lm 29. Sluguft erflärte ber preujjifd)e ©efanbte in Bresben:
„$er SBiener £of jwinge ben König, nad) Söhnten §u marfdnreu,
unb ber 2Seg müffe burdj ©ad)fen genommen werben," unb an
bemfelben Xage überfdjritt ein preufjifdjeS £eer oon fed^igtaufenb
Timm bie fädjfifdje ©renje. Wittenberg, Xorgau, fieipjig unb Diele
anberen ©täbte mürben ofyne ©djwierigfeit befefct, unb fdjon am
9. ©eptember ftanb griebrid) oor ben dauern oon Bresben. $)a
bie ©tabt nid)t oertfjeibigt werben fonnte, inbem baS £anb ofme alle
Kriegs bereitfa^aft war, entflof) 2(uguft III. mit bem ©rafen ©rüljl
nad) $ima, wo fein gelbmarfdjall ÖJraf föutomsfn mit einem in
ber Eile jufammengebrad)ten £eere oon fiebjc^ntaufenb 9#ann ein
fefteS fiager belogen l)atte.
©o fonnte griebrid) oljne ©d)Wierigfeit in bie fäd)fifdje #aupt-
ftabt einjie^en. £)ier lieg er baS Wrdjio im furfürftlidjen ©djloffe
gewaltfam öffnen, obgletd) bie in Bresben jurütfgebltebene Kurfürftin
ben Eingang ju bemfelben mit ifyrem Sftürfen 51t betfen judjtc, unb
aus bemfelben alle für if)n widrigen Urfunben fjerauSnefymen, aus
welchen bann fein 2)ünifter ^perjberg ben ©toff ju ber oben erwähn*
ten, fpäter oon if)tn felbft jum größten Xfjcile bementirten ©taats*
Digitized by Google
SBcranlaffung unb Ausbruch be« Kriege»
421
fefprift: „(SJrünbliche Nachricht öon ben gefährlichen Sftftchten ber
£öfe gu SBien unb ju Bresben" fchööfte.
$a ftuguft DL ba« öon griebridj ihm angetragene SBünbnifc
ablehnte unb fich nur jutn Slbfchlu§ eine« 9ieutratität«öertrag« be*
reit erflärte, würbe ©achfen wie ein eroberte« £anb behanbelt. $te
«geughäufer ju Bresben, 28eißenfet« unb Beij würben ausgeräumt
unb bie SSaffen fammt bem ©efdjüfc nach 9ttagbeburg gerafft, bie
öffentlichen Waffen, fomie bie Söergwerfe, bie SJcunje unb bie ^orjet-
lanfabrif mit SBefdjlag belegt unb bie $anjteien öerftegelt. 3n
Xre«ben errichtete grtebrich, nachbem er ba« fächfifche Sonferen^
minifterium auger $f)ätigfeit gefegt, eine preufnfehe ßanbeSöerwat*
tung unb in Xorgau ein ßriegSfommiffariat, welche« burdj s2IuS=
fchreiben allen Einnehmern furfürftlict)cr ÖJefäHe gebot, biefelben
nicht mehr an ben SanbeSherrn, fonbern an ben Äönig öon Greußen
311 entrichten.
Unterbeffen hotte SfriebrichS unerhörte« Vorgehen gegen ©achfen
im beutfehen deiche allgemeinen Unwillen hwborgerufen, unb
bergS NechtfertigungSfchrift fanb wenig (Glauben. 2ln jriebrich er-
ging ein fatferliche« TOanifcft, worin er aufgeforbert würbe, bem
«föönig öon Sßolen aßen ihm jugefügten ©chaben ju erfefeen unb feine
Gruppen unüerjüglich au« ©achfen jurücfjujiehen. ©tatt biefer
Slufforberung golge 5U leiften, fdjritt 3rriebrich $ur Einfchüefjung
t>e« fächfifchen Säger« bei $irna, ba« ihn an ber Ausführung feine«
beabfichtigten Einbruch« in ©ohmen t)inbertc. 3>a ba« fächfifche
£eer fich in einer unangreifbaren Stellung befanb unb in fidlerer
Erwartung eine« balbigen Entfafce« burch bie Defterreidjer jum
äugerften SBiberftanb entfehtoffen mar, blieb ihm nicht« anbere« übrig,
<il« ba«felbe auszuhungern.
Qn^mifchen ^atte ber öfterreichifche Selbmarfchatl ^Browne in
Böhmen fünfunbbrei&igtaufenb Sftann jufammengebracht, mit welchen
<r gegen bie fächfifche (Ürenje öorrücfte, um ben eingefchloffenen ©ach*
fen Öuft ju machen, grtebrich 50g ihm fogleich mit breijjigtaufenb
SDtonn entgegen, unb bei bem böhmifchen ©täbtehen ßowofifc tarn
e« am 1. Oftober ju einer ©djfacht, bie öon fteben Uhr borgen«
bi« brei Uhr Nachmittag« unentfdueben §in* unb h^wogte, ba bie
gebirgige ©egenb, fowie ein bidjter Nebet, ber fich erft $ur 9JHttag«=
^cit ju jerftreuen begann, bie Bewegungen beiber £>eere erfchwerten.
Nachbem ein öon bem Jperjog öon SBeöern mit bem ttnfen preufji*
fchen Slügel gefchieft ausgeführte« SRanööer bie STuflöfung be« rechten
faiferlichen glägetö herbeigeführt, trat Söromne ben Nücfyug nach
Söubin an. Snebrich, ber fiebentaufenb iobte auf bem ©chla<f)tfelbe
äurücftiefj, währenb ber SSertuft ber Defterreicher nur ^weitaufenb
SNann betrug, fonnte nicht umhin, feinem (Gegner ba« Seugnifj ber
einficht«öottften unb taöferften Söertheibigung au«juftellen. ,,E«
Digitized by^OOQle
422 $cr ftcbenjd^rigc (brittc föleftföc) Ärieg.
finb nid)t mef)r bic alten Defterreidjer , bic icf) bei ßomofifc fanb",
f abrieb er an ben ©rafen oon ©djroerin. „Sic ftnb meit flügcr
als fonft , unb , glauben ©ie mir auf mein SBort , eS wirb un=
jä^Iige äftenfdjen foften, fte ju fragen, menn mir ifjnen anbcrS
ntd)t eine übermicgcnbe SRaffe öon grobem ®efa)ü& entgegenstellen
oermögen."
Sriebrid) eilte naa) ©a^fen jurücf, um baS eingefdtfoffeue
fädjfifdje $eer , in meld&em injmifa^en bie Wotl) aufs £ödjfte gc*
ftiegen , jur Kapitulation ju jtoingen. 9laa) einem üergeblidjcn
$er{ud)e, p nädjtlidjer ©tunbe über bie ©Ibe ju ge^en unb ftcr)
burdj bie Greußen burdf^u föfagen , um ftdj mit ©romnc $u t>er=
einigen , ber ifjnen bereits bis ©rfjanbau entgegengefommen , blieb
ben üoüftänbig erfcf>öpften unb bem Söerfjungcrn nafyen fädöflfc^en
Xruppen 9HdjtS übrig, als fidj ju ergeben. Slm 14. Öftober mürbe
jmifdjen bem (trafen sJtutomSfn unb bem preu&ifajen ®eneraflieute*
nant oon 2öinterfe(b , gricbrirf)S oertrauteftcm 9tatf)geber unb bem
£auptanftifter beS Krieges, ein $apitulationSt>ertrag gefdjloffcn, naa?
meinem fid) baS ganje, nod? aus oierje^ntaufenb Sftann befteljenbe
fäd)fifcf)c £ecr mit allen SSaffen unb $riegSoorrätl)en , bod) ofyne
bie gafjnen unb ©tanbarten, gefangen geben mußte. 3)ie Offiziere
mürben auf iljr (Sfjrcuroort, nict)t gegen Greußen }it bienen, frei*
gelaffen , bie Gemeinen bagegen , in benen 3riebrid) nur millenlofe
SBerfyeuge ju erblicfen getoofjnt mar , jum Eintritt in baS preu=
ßi)tf)e $eer gejroungen. %\t fädjftfdjen ©olbaten jeigten jebod) eine
f)öl)ere (Sefinmutg, als Sriebrid) ifjnen jugetraut: bie meiftcn ber-
felben beroafjrten ifjrem Shirfürften bie iljm jugefdijroorene Xreue
unb entminen, ben ifjnen abgerungenen gafjneneib für nidjt öer=
binblidj eradjtenb , fdjaarenrocife nadj ^ßolen , rooliin Sluguft III.
ftcr) mit feinen beiben ©öfjnen unb mit feinem SHinifter SBrüfjt
begeben fjatte.
SSäljrenb bie Defterreidjer fidj in baS innere SBöfjmenS $u*
rücfjogen , nahmen bic Greußen ifjre SBinterquarticre in ©djleften
unb ©adjfen. 3riebridj fclbft oerbradjte ben Söinter in Bresben,
roo er, feine Seit jmifrfjen meiteren $riegSoorbcreitungen , jdjrift=
fteücrifcrjcn Arbeiten unb ftunftgenüffen tfjcilenb, bie Ütotle beS ge*
btetenben SanbeSfjerrn fpielte.
Digitized by Google
$ie (Schlachten bei <ßrag, Äollin, ffiofebaef) unb Seilten. 423
Sic Sdtfadjten bei $rag, «ollin, Koftbad) unb «cuthen.
(1757.)
35er griebenabruch, ben ber ®önig oon Greußen burch feinen
Einfall in ©Ockfen begangen, fjatte in ganj (hiropa ba3 größte
Sluffeben unb eine allgemeine (Sntrüftung erregt. 35ie ®aiferin
Oon SRu&lanb ließ bem $urfürften oon Sachfen bie Sterficfjerung
jufommen, baß ftc baä Unglücf, ba$ ihn betroffen, aufrichtig mit-
fühle unb ed für tt)re befonbere Pflicht erachte , i^m megen ber
gegen feine (Srbfraaten geübten ©emalttbätigfeit eine ÖJenugthuung
ju oerfebaffen, bie weniger nach Maßgabe be3 jugefügten SchabenS
ju beftimmen fei, ate nach ber ^bfcheulicbreit beä burch ben ®önig
Oon Greußen rücffichtaloS begangenen griebenäbruebea. Um }U
jeigen , baß eä ihr mit biefer Verfidjerung ©rnft fei , orbnete fie
fogleich bie umfaffenbften Lüftungen an.
3)ie gleichen ©eftnnungen jetgte Submig XV., beffen ältefter
Sohn, ber Dauphin fiubtotg, mit einer Xocfjter Muguftö III. Oer*
mahlt mar. (£r gab SBefef)!, bei SD^eft ein fteer oon oierunbamanjig;
taufenb 3ftann jufammensuäieben, unb als griebrich bem fran^öfifchen
©efanbten am Sreäbener £ofe, bem ÖJrafen 93roglio, bie ©rlaubntß
oermetgerte, bem bei $tma eingefchtoffenen fturfürften perfönlicb ein
Schreiben feinet Königs ju überbringen, mürbe ber fran^öftfehe ©e=
fanbte oon ^Berlin abberufen, moranf griebrich feinem Ötefanbten
in *ßari£ gleichfalls ben ©efcbl ftur fofortigen Slbreife jufommen
liefe. $>er jmifeben granfreieb unb Cefterreich gefcbloffene £efen5
fiooertrag mürbe burch ben am 1. Sftai 1757 unterzeichneten
bireft gegen Greußen gerichteten fogenannten „fetten Vertrag üom
SSerfaiQe^" ergänjt, in welchem fidj Submig XV. oerpflichtete, bie
®aiferin^ömgin in ihrem Kampfe gegen griebrich II. mit einer
Xruppenmacht oon einmalfjunbertf ünf 5 ebntauf enb Üftann unb namf)af=
ten i>ilf3gelbern ju unterftü&en, mogegen ihm 2Karia ^r)erefia für ben
Satt ber erftrebten SBiebereroberung oon ©cblefien unb ber Grafschaft
Glafc bebeutenbe Gebietsabtretungen in ben ftieberlanben jufagte.
$er Reichstag ju SRegenSburg fprach au Anfang bcS 3at)re3
1757 über griebrich toegen beS oon ihm begangenen, bie 9teuf)3;
oerfaffung oerlefcenben griebenSbrucbS bie Mchtäerflärung au£ unb
orbnete ju beren SBollftrecfung bie Slufftellung eines 9ieicbabeere3
an. Sluch ©chtoeben mürbe burch franjöfifcheS ©elb unb ben @in=
fluö ber ®aiferin (Elifabetb , fomte burch bie Hoffnung auf ben
SBieberermerb oon Vorpommern für bie 93etl)eiligung an bem Kriege
gegen Greußen gemonnen.
So fat) fich griebrich einem 99unbe gegenüber, beffen ©trete
fräfte bie feinigen, einfchlieglicf) ber oon feinen 23unbe3genoffen
Digi ^ ,
424 $er fiebenjityrige (brüte fdjlefifdX) tfrieg.
(£ng(anb, |>ef}cn^affe( , Söraunfctyweig unb ©otlja ju erwartenben
Verhärtungen, bei SBeitem nuf)t geWadjfen waren. Xennod) er-
uliten feine Sage für ben Slugenblid nidjt allju ungfinfhg; benn
wät)renb er burdj bie auägiebigfte ©enufcung ber reiben Hilfs-
quellen, bie ba£ oon ifjm befefcte €>ad)fen i^m gewährte, für ben
gclbjug bed fommenben Qa^rea bie umfaffenbften Vorbereitungen
t)attc treffen fönnen, waren bie Lüftungen feiner (Gegner nod) lange
nidjt beenbigt, unb fiberbieS war e& i|m gelungen, ben ruffifc^cn
ÖJrofjfanjIer ©eftudjew burdj bebeutenbe (Selbfummen bafjin 511
bringen, bafj berfelbe bem ^bmarfdj ber ruffifdjen Gruppen auf ben
$rieg$fd)auplafc afle nur erbenflidjen £inberniffe in ben 2Beg legte ;
audj bie 2öat)I beä burdjaufc unfähigen (trafen Slprarjn jutn Dber*
befefjtSljaber be§ rufftfdjen $>eere3 befunbete, ba& Jöeftudjem öoCU
ftänbig für griebridt)3 3ntereffe gewonnen mar.
9tad) bem bon griebrich für ben getbjug be3 3at)re3 1757
entworfenen $tane follte feinen SöunbeSgenoffen bie 2tbwet)r ber
granjofen überlaffen bleiben unb gegen bie Muffen, Don melden
er für ben Slugenblirf wenig ju fürchten t)atte , ber alte gelbmar*
fdmU ßefjwalb mit jefmtaufenb Sftann entfanbt werben, bie preufjifdje
Jpauptmadjt aber in 83öt)men einfallen unb $rag erobern, nad>
beffen einnähme ber $önig in ber Sage ju fein f)offte , ben ftrieg
in baä 3nnere Defterreiä)* $u öerpflanjen unb ber #aiferin-®ö*
nigin in SBien felbft ben grieben $u biftiren. $en mit feinen gelb*
fjerren getroffenen SSerabrebungen gemä&, über meldte ba8 ftrengfte
®et)eimniB bewahrt würbe, rücfte ba3 preu&ifdje #eer im Sfprit in
oier Slbtljeilungen öon öier berfduebenen ©eiten t)er in $Böl)men
ein, nafmt überaß, ba ber (Stnbrudj ben Oefterreia^ern öööig uner*
wartet gefommen, bie 9flaga§ine funmeg , fo bafj e3 für längere
Seit reid)lid) mit ädern Nötigen berfet)en war, unb ftanb am 6. 9Äai,
bem jur Bereinigung ber oerfduebenen Jpeerfäulen beftimmten Xage,
oor iß rag, wo unterbeffen baä öfterreid)ifd>e $eer unter bem
^rinjen $arl oon Kötteringen unb bem gelbmarfdjafl ©rowne
Stellung genommen.
Dbgleid) ber alte getbmarfdjaH Schwerin bem #önig bringenb
riet!) , bebor er jum Angriff fdjreite , ba« Serrain genau ju er*
funben unb feinen ermübeten Xruppen einen Xag §Rut)e ju gönnen,
beftanb griebriä) auf einem fofortigen Angriff unb orbnete felbft
fein £>eer jur ©djladjt. Slbcr fdjon beim Slufmarfdneren ftiejj
man in bem fumpfigen unb bergigen (Srbreidj auf unoorljergeietjene
©cbwtertgfeiten , fo bafj ber Angriff erft um ein Ut)r Nachmittags
beginnen fonnte. $ie $reu&en würben bei bem 2krfucf>e , bie
$>öl)en ju erftürmen, au3 ben woljl angebrachten öfterrctdt>ifc^cn
Batterien mit einem fo mörbcrifchen geuer empfangen , ba& ganje
Regimenter nieberftürjten unb i^rc Üiei^en fict) ju (Öfen begannen.
Digitized by Google
$ie ©djladjfen bei $rag, Äount, töoßbad) unb Scut^cn. 425
2)er breiunbftebäigjäfjrige ©ajmerin, ber einem fliefjenben Säfjnrid) m
bie galjne aus ber fyanb geriffen unb an ber @jnfce feine« 3uß*
üotls aufs Sfeeue gegen bie berberbenfprühenben femblidjen Batterien
borgebrungen mar, fanf, Don bier tfartätfdjenfugeln burdjbofjrt, tobt
ju ©oben. 3mmer größer mürbe bie ©ntmuthigung im preußifajeu
Speere , unb fdjon fdnen ber ©ieg für bie Defterreid&er gefiebert,
als ber gelbmarfchall ©romne burd) eine fetnblid>e £ugel töbtlidj
bermunbet mürbe unb bemußtloS aus bem #ampfgemfif)le fortge*
tragen merben mußte. Sto ber $nnj bon Öot^ringen faft ju ber
gleiten Seit , mäljrenb er in ^öc^fter Erregung ben in ber $luf*
löfung begriffenen öfterretdjtfchen regten ftlügel $um ©teilen ju
bringen fudjte, burd) einen plöfclidjen heftigen öruftframpf ber ©e-
ftnnung beraubt mürbe, geriet!) baS öfterreidjtfd)e jpeer in bollftän*
bige ißermirrung, unb nad)bem eS bem ftönig gelungen, baS feinb*
Iict>c Zentrum ju burdjbredjen , mar ber ©ieg für il)n entfa^ieben.
51ber e£ mar ein treuer erfaufter @ieg; benn mel)r als fed^ehns
taufenb Greußen lagen tfjeilS tobt, tljeilS bermunbet auf ber blu-
tigen SSaljlftätte , unb ber SBerluft ©ajmertnS mog, nadj bem 9luS*
fprudj 5riebrid)S, fernerer, als menn er je^ntaufenb üftann mein;
eingebüßt ^atte.
$a ber $rin$ bon Böhringen fidj mit bierjigtaufenb SRann
hinter bie Stauern bon $rag jurüefge^ogen unb überbieS ein $mei*
teS öfterreidjtfdjeS £eer unter bem Sfelbmarfd^aQ 3)aun bei Hutten*
berg ftanb, mürbe bie Sufforberung jur Uebergabe ber Stabt jurütf*
genriefen, unb fo faf) ftdj Sriebridj genötigt, jur Belagerung ber*
felben ju fdjretten. $iefe Hufgabe übernahm er felbft, mäfjrenb er
ben £er$og bon SBraunfa^meig^Bebem mit jmanjigtaufenb üflann
jur ©eobadjtung 5)aunS gegen Äuttenberg entfanbte.
Untcrbcffen mar ein franjöfifdjeS Jpeer bon fyunberttaufenb
SDtonn in Söeftfalen eingerütft, unb ein gleich ftarfeS ruffifdjeä §eer
jog gegen Greußen Ijeran. ÄlS griebrid) ^ierbon Äunbe erhielt, be*
fd)loß er , nachbem er bereits fünf SEBodjen lang bie böhmifdje
£auptftabt erfolglos Ijatte begießen laffen, felbft bem fteere $aunS
entgegenjujie^en , in ber Hoffnung , baß ein ©ieg über baSfelbe,
woran er bei feiner geringen Meinung bon 2)aunS gelbherrntalent
nicht gmeifelte, eine (ofortige güufttge Söenbung beS Steges für ifm
jur Solge ^aben merbe. 2Jftt jmeiunbbreißigtaufenb SJcann brach er
am 13. ^uni jur Bereinigung mit Gebern bon $rag auf unb traf
mit bemfelben am 15. bei $aur$im jufammen. $a $)aun in-
^mifajen bon SBien Befehl erhalten, $WeS gum (Sfntfafce bon Sßrag
aufzubieten, ^atte er feine Xruppen jum SBormarjO) gegen baS
preu§i)d)e iÖelagerungS^eer bei Ä o 1 1 i n jufammengegogen , mo er
auf bie 9iadjrid)t bon g^^^i^^ heranziehen eine treffliche ©tel-
lung na^m. £ier griff i^n griebria) am 18. 3uni um ein U&r
Digitized by Google
426
$er ficbcnj«f)rigc (brittc föleftfdje) tfrieg.
RndmtittagS an. $ie Schlacht tourbe, nach bcm öon bem äönig
entmorfenen *ßlane , burd) bcn rechten preußifchen glügel unter
bcm General Sythen eröffnet, ber bie Oefterreidjer öon ber Seite
angriff unb ihnen trofc ber ^eftigften Gegenroehr ntc^t unbebeutenbe
Sortheile abgetoann. SIber roährenb 9ltte* fidj aufs Günftigfte für
bie Greußen ju geftalten festen , änberte griebrid) plöfclich feinen
Sdjlachtplan , inbem er mehreren Qnfanterieregimentem , bie &ur
Berftärfung beS regten glügelS heranrückten , Befehl erteilte, ben
geinb in ber gronte anzugreifen. Vergeben« machte U>n ber $rin$
9Hori$ öon 3>effau, ber biefe Regimenter befehligte, auf bie unauS=
leiblichen golgen biefer 9lenberung aufmerffam : ber finnig, ber fia>
fchon feit längerer Seit in einer fo geregten Stimmung befanb, baß
er auf feinen Rath hörte, mieS ihn mit heftigen SBorten jurücf unb
fprengte enblid), als ber <ßrinj feine (Sinmenbungen ju ttrieberhoten
magte, mit entblößtem $egen auf ir)n ein, inbem er ihn fragte, ob
er gehorchen »olle ober nicht? $er $rinj fügte fich; aber maS
fommen mußte, fam: bie preußifchen Generale fonnten fteft nia)t fo*
fort in bie neuen Slnorbnungcn finben, unb fo gingen mehrere auf
eigene Gefahr öon ben ursprünglichen Befehlen grteDridjS ab. $ie
baraitS für bie Defterreidjer ertoachfenben SBortyeite mürben öon
Xaun, bem griebrich felbft baS Scugniß auSftellt, fich bei biefer
Gelegenheit als „großer Heerführer" bemüh** ju haben, aufs $reff=
tiefte ausgebeutet, unb fo blieb ber Sieg ben Defterreidjern. 2Rit
einem Söerlufte öon oiergehntaufeub äRann an lobten, Bertounbeten
unb Gefangenen, barunter brcihunbertfechSunbatüanäig Offiziere, unb
unter 3urü<flaffung öon fünfuuböterjig Gefchüfc en unb jmeiunbsmanjig
gähnen unb Stanbarten mußte ber $önig ben Rücfyug antreten.
W\t ber Rieberlage Don S'ollin mar grtebrichs hodjfahrenben
Plänen ein Qiti gefefct: oon bem Singriff mußte er jur Berthei*
bigung übergehen. Rachbem er bie Belagerung öon ^rag aufge*
hoben, orbnete er bie allmähliche Räumung Böhmens an. Sein
trüber Sluguft SBilhelm, ber ben Auftrag hatte, einen Xfjeil beS
£>eereS nach ber fiaufity jurücfyuführcn, erlitt bei bem Ausgang aus
ben böhmifdjen $äffen empfinbüche Berlufte, morüber griebrich ihn
mit fo öerlefcenben Bortoürfen überhäufte, baß ber Kummer barüber
bcn trefflichen , allgemein oerehrten ^Srinjen , ben ber ®önig fchon
längft als feinen Rachfolger mit Wrgroolm $u betrachten fich gc*
möhnt hötte, in ein frühes Grab frürjte.
SBährenb griebrich nach Dcr öoUftänbigen Räumung Böhmens
ein fefteS £ager bei Görlifc be$og, nahm baS öfterreiduiche .peer,
baS il)m unter bem ^rinjen Oon fiothringen unb $>aun gefolgt
mar, an ber Reiße eine fo treffliche Stellung, baß ber ®önig, ber
üor Begierbe brannte, bie bei ftollin erlittene Scharte burch einen
Sieg auSjutoe&en, oon einem Eingriff auf baSjelbe abftehen mußte.
Digitized by Google
$ie <Sd)la<t\ttn bei $r<tg, tfoUin, SRofebach unb Seutf)en. 427
Unterbeffen waren bon ollen leiten Unglfictebotfchaften ringe*
laufen. $5ie Muffen maren in Greußen eingebrochen, Ratten am
5. 3ult SWemel erobert unb plünberten unb bewerten bie bon ihnen
burdjjogenen Oegenben in grauenboller SBeife. $ie granjofen
Ratten griebrichs rhetnifche unb meftfälifche Sänber befefct, bie fie
mit ferneren SBranbfchafcungen fjeimfudjten, unb ba« öon griebrtcha
beutfdjen ©unbeSgenoffen aufgebraßte unb bon bem iperjog oon
(Sumberlanb geführte £>i(f8heer mar am 26. ftuti bei #aften6etf ,
unweit Jameln, öon bem franjöfifchen SWarfiafl b'Str^eS boflftän*
bi<l gefchlagen morben, morauf bie gfrangofeit fich über gan$ lieber?
fachfen berbreitet Ratten.
$a3 .$eran$iefjen eine* jroeiten franjöfifcften, bon bem ^ßrinjen
Soubtfe, einem (Uünjtling ber 90?arquife öon Sßompabour, geführten
#eere£, ba$ im Vereine mit bem unter bem Oberbefehle be3 $rin=
$en bon £ilbburgfjaufen ftefjenben SReidjSEjeere bie Greußen au$
föurfachfen bertreiben fottte , bemog ben $ömg , ba3 Sager bon
®örlifc bem ©erjog üon Vraunfchmeig*Vebern ju überlaffen unb fief)
fclbft im Wuguft mit jmölftaufenb Sftann nach Treiben ju begeben,
bon mo er feine Truppen in Keinen (Schaaren bis nach £alberftabt
hin bertheilte.
Söäfjrenb griebridj in@achfen ftanb, erlitt ber fech^unbftebjtg*
jährige gelbmarfchall fiehmalb am 30. $(uguft bei ©rofcjägern*
b o rf , unmeit Sßelau, gegen ben ruffifdjen gelbherrn Slprarjn, beffen
£eer bem preußifdjen um baS Vierfache uberlegen mar, eine lieber*
tage, bie ohne Broetfel ben Verluft bon ganj Greußen jur golge
gehabt h°ben mürbe r märe ntcr)t Slprajin unermartet mit feinem
£>eere burdj Veftucfjem abberufen morben. 35er ©runb baoon (ag
in einer plöjjlicfjen gefährlichen Crrfranfung ber Äaiferin ©lifabetf),
nach beren ficher ermartetem Tobe Veftuchem fich be$ #eere3 jum
©turje be8 jum Thronfolger ernannten ßJroßfürften $etet bebtenen
moHte. $)ie dtenefung (SltfabethS unb bie ©ntbeefung fetner 5lbfichten
führten feine Verbannung nach Sibirien herbei.
9cach bem Hbjug ber Sftuffen manbte fich Dcr gelbmarfchall
fiehmalb gegen bie ©djmeben , bie in ber ©tärfe bon jmeüurt^man*
$igtaufenb Sflann in Bommern eingefallen maren, unb brängte fie
bis nach ©tralfunb unb ber Snfel SRügen jurücf.
ÜJtinber günftig als im Dften hatten fich injmifcfjen im Söeftcn
bie $inge für griebrief) geftaltet. Nach ber Schlacht bei $aftenbecf
hatte fich ber £>erjog bon ßumberlanb bon bem ^er^og bon fRtc^e-
lieu, bem Nachfolger b'@tr£e£, fo fehr in bie @nge treiben laffen,
bajj er fein £>eer nur bnreh ben am 8. September unter ber Ver-
mittlung T)änemarf3 gefchloffenen Vertrag bon ®lofter*@eeben
cor firiegSgefangenfdjaft retten fonnte. tiefer Vertrag, in meinem
er fich berpflidjtete , alle Truppen feine* $>eere3 mit Sluänahme ber
Digitized by
428
2>er fteftenjtyrige (brittc fdjlcfifc^c) ffrieg.
.fSannoöeraner auSeinanbergefjen ju laffen , mit bicfen fidj über bie
(SIbe jurücfjujic^en unb ben granzofen btc bi« jefct oon tym befe&*
ten Sänber einzuräumen, mürbe jmar öon ®eorg II. nidjt rotificirt;
ober bie Sranjofen blieben beffenungead)tet nidjt nur im ©efifc be3
&nrfürftentf)um3 £annoöer, fonbern befefcten audj Bremen, ©raun*
ftfmeig unb SBolfenbüttet , fomie ba3 Gebiet be3 ßanbgrafen öon
<£>effem$affel, ber fiaj naefc Hamburg zurüefzog.
Unterbeffen war griebrief) öon Bresben nadj Arfurt aufge*
brocken, um ©oubife unb ben ^rinjen öon ftilbburgljaufen öon
©adjfen abzuhalten. 3n feiner madjfenben ©ebrängnifj ^atte er e3
ntdjt unter feiner SBürbe gehalten, ber öon ifjm fo ötel gefdjmäfjten
tötorquife öon ^ompabour als $rei3 ber Vermittlung eine« für tf)n
tjortfjeilfmften griebenS juerft fünfmalljunberttaufenb Sfjaler unb
bann fogar baä gürftentf>um 9ceua)atel nebft ©alengin anzubieten :
feine Anträge maren jebodö in ©erfaiHeS entfdjieben zurutfgemiefen
morben. Sludj bie ©emüfjungcn be3 burd? fdjmeidjetyafte ©riefe
gricbridjS ünb bebeutenbe ©elbfpenben in ba$ preugifdje pntereffe
gezogenen $erzog3 öon 9hd)elieu, £ubmig XV. jur fiöfung be3
©ünbniffeä mit Defterreid) zu belegen, maren erfolglos geblieben;
boa) r)atte griebrid) burd) föidjelieu ben 9Ibfcr)tu6 eine* fedjämonat*
lid)en SBaffenftiflftanbeS erlangt, ber e3 i^m möglid) madjte, einen
2£)etf feiner Xruppen auä 9Keberfac§fen znrürfzuzie^en.
@bcn im ©egriff, gegen ©oubife unb ben Prinzen öon $tfb*
burgt)aufen öorzurütfen, erhielt grtebrid) bie flcadjridjt , ba& ber
öfterreidufdje (General §abbtf mit einer Hbttyeilung Kroaten in bie
•Dcarf eingefallen unb bis ©erlin öorgebrungen fei. ®r bradj fo-
gleidj mit einem Steile feines $eere3 öon (Arfurt auf, um nad) feiner
£auptftabt z" eilen; £abbif ^atte fid) jebod) bereite, nadjbem er
©erlin mit einer ©ranbfdjafcung öon zroeimalfjunbertfünfzigtoufenb
Xfjalern Ijeungefudjt , öor bem mit fieben Regimentern fjeranrütfen*
ben 2Horifc öon $)cffau mieber zurüdgezogen.
Qnzmifdjen Ratten ©oubife unb ber $rinz öon £>übburgf>aufen
bie ©aale überfdjrttten unb bie ©täbte SBei&enfelä , Berleburg unb
platte befefct. ©ogleidj z°Ö griebrid) aüe feine oerfügbaren Xruppen
Zufammen unb rüdte an ber ©pifce eines £>eere£ öon adjtunbzman*
Zigtaufenb Mann gegen bie ©aale öor, mo er bei bem $>orfe SR o & =
badj, unroeit Sfterfeburg, einßager bezog. 2)a baS üerbunbete Jpeer
bem feinigen um ba$ Stoppelte überlegen mar, zweifelten bie gran*
Zofen nid)t baran, ba& e$ ifmen ein SeidjteS fein roerbe, i^n zu öer«
nieten ; Üjrc einzige ©orge mar nur , baß ber ^önig i^nen entrin-
nen fönne. Um bied zu öer^inbern, brauen fie fdjleunigft auf unb
begannen am äßorgen be* 5. 9loöember baä preugifa^e Sager zu
umgeben, griebrid», ber mofjl mußte, baö er öon bem bunt zufam*
mengemürfelten, unbiäciplinirten Reic^S^eere menig zu fürchten fyabe,
Digitized by Google
S)ic @<$Iad)ten bei $rag, floflin, föofebach unb fieutfjen. 429
unb bon bem gelbfjerrntalent be$ *ßrin$en bon Soubife eine feljr
geringe Meinung hatte, blieb ruhig in feinem $tü ; erft nachbem er
unter ben klängen ber f r an jöfifchen gelbmufif ba$ SDcittagSmahl
eingenommen, gab er ©efefjf, bie 3^te abzubrechen, unb in wenigen
21ugcnblicfen war, jum ©rftaunen be3 geinbe«, ba& preußifdje $>eer
in Sdjlachtorbnung aufgeteilt. Seim erften Slnftürmen ber bon bem
©eneral Senblifc geführten preußifcfjen Reiterei löfte fich bad Geichs*
heer in bermorrene 3f(uc^t auf, unb nach faum anberthalbftünbtgem
Kampfe waren auch bie granjofen boflftänbig jerfprengt. $ie früh
einbrechenbe SJunfelheit rettete bie gliehenben bor ber gänjlichen
$Bemicf)tung ; bodj fielen an fiebentaufenb bcrfcl6en , barunter neun
(Generale unb breit)unbert$wanäig anbere Offiziere, ben nadjfefcenben
Greußen als (befangene in bie #änbe. 9Iuf bem Sdjladjtfelbe, auf
welchem ba3 gefchlagene ,£eer ftebenfjunbert $obe unb jweitaufenb
SBerwunbete jurüefließ, würben bon ben (Siegern breiunbfechjig ®a*
nonen unb jweiunbjwanjig gähnen unb Stanbarten erbeutet. 5)en
Greußen foU ber leicht errungene Sieg, ber bei ber allgemeinen Er-
bitterung über bie 9taubfudjt unb ßu^tlofigteit ber granjofen in
ganj $eutfcf)lanb großen Qubel fjerborrief, nur fjunbertfea^jig Wann
gefoftet haben.
Xie nächfte golge beS Steges, ben griebrich bei Roßbach er-
rungen , mar bie Ungiltigfeitöerflärung be3 SBertragS bon Softer-
Seeüen , §u melier ber neu ernannte englifche Staatäminifter
SBilliam $ i 1 1 ben ®önig ©corg II. bewog, nachbem ba£ engltfdje
Sßolf , ba8 bie ^Rac^ric^t bon ber Stieberlage ber granjofen mit
lautem Qubel begrüßte, bie nachbrücflichfte Unterftüfcung beä fieg=
reiben ^reußenfönigS geforbert t)atte. 2)en Oberbefehl über ba£
neugebilbete berbünbete £>eer erhielt , nach griebridjS eigener , bon
(Snglanb eingeholter SBahl , ber s#rinj gerbinanb bon 83raun*
fchweig.
9iachbem griebrich fich burch ben Sieg bei 9io66acr) im Söe-
fifce SachfeuS gefichert hatte, brach cr m& feinem §eerc nach Sdjlefien
auf, mo bie Sßerhältniffe fich injtoifc^cn für ihn äußerft ungünftig
geftaltet ha^cn- Schon am 7- September hatten bie Defterreicf)er
unter bem (Seneral 9caba$bi einer preußifdjen £>eere3abtheilung,
bie unter SBinterfelb bei bem $)orfe ÜJcobS , unweit ®drlifc , Stel*
lung genommen , burch einen Ucbcrfatl fernere Söerlufte zugefügt,
unb in bem Gefechte war SBinterfelb felbft, ju griebrich^ großem
Schmerle, burch einen Schuß in bie Jöruft getöbtet worben. 5)er
£>erjog bon öebern war hierauf mit feinem gefammten Storps nach
Schlesien aufgebrochen, um biefes ßanb gegen bie Deftcrreicher ju
beefen, unb hatte bei SBreSlau Stellung genommen. £ier gebachtc
griebrich fich m^ bem SÖebern'jchen $orpd $u bereinigen. Schon
in ÖJörlifc erfuhr er, baß ber ®ommanbant bon Schwetbnifc biefe
Digitized by
430
Ter fiebenjftljrige (brüte fchlcfifchcj ffrieg.
wichtige geftung, meiere bic böfjmifdjeit <ßäffe beefte, am 1 1 . Wooem*
ber bem (General SRabaabi, ber nad) oierjehntägiger ^Belagerung
berfelben jum ©türme gefchritten war, mit aßen bort aufbewahrten Sßor=
ratzen unb ber Söefafcung oon fechstaufenb ÜÄann übergeben ^abc.
2luf biefe yiatyity folgte fd)on in ben nächften lagen eine nod)
nieberfchlagenbere : SBeüern mar am 22. Slooember bei ©reälau
ton einem ungleich ftärferen öfterreichifchen $eere unter #arl oon
Lothringen unb bem gelbmarfchaH $aun gefangen worben , unb
$wei Xage fpäter hatte ber Jöcfc^I^^obcr öon Breslau in ber erften
iöeftürjung bie fdjlefifche £auptftabt , ohne irgenbwelchen Serjudj
$ur Sertheibigung berfelben, ben Defterreidjern übergeben, öeoern
felbft war an bem gleichen läge bei einer ffiecognoäcirung ben
Cefterreichem in bie #änbe gefallen. Stele glaubten, er fyabt fidt>
abftchtlia) gefangen nehmen laffen, um bem Sorne griebricha ju
entgehen, ber ihn für bie Behauptung ©chlefienS mit feinem Äopfe
oerantwortltch gemacht.
griebrich erfannte, bog Sdjlefien für ihn Oerloren war, wenn
es ihm nicht gelang, noch in biefem gelbjug bie Defterreicher au*
bemfelben $u oertreiben : er bcfct)Iog baber , trofc ber bebeutenben
Ueberlegenheit bed öfterreichifchen jpeercS eine ©flacht ju wagen,
obgleich er fich wohl bewußt war , ba& er babei Slfleft auf e i n e
ftarte fefce. Wachbem ihm Siethen am 2. $e$ember in Sßardjwifc
bie SRefte beä SBeoern'fchen tforpä augefüt)rt hatte, oerfügte er über eine
Xruppenmacht oon brei&igtaufenb aftann, währenb baS öfterreichifche
Jpeer acht^igtaufenb SRann jählte. $ie gehobene Stimmung beS
#ecre$, baä er oon 9tofjbach herbeigeführt, oerfcheudjte balb bie ©nt*
muthigung ber fchlefifchen Struppen , unb ba ber $önig Sllleä auf-
geboten, fein Meines £eer mit ©tcgedjuoerficht $u erfüllen, harrten
Vllle mit Ungebulb bed SBefehtä jum Aufbruch-
Äm 4. jUe^ember führte griebrich fein Jjpeer oon ^ßardjwifc nach
^eumarft. 5)a er hier erfuhr, ba& ber Sßrinj oon Lothringen ihm
entgegen fliehe, brach er am folgenben äWorgen noch ^n oer Tuntel-
heit auf , um feinen ©egner auf jujudjen , unb jehon nach wenigen
©tunben erbliche man in ber QJegenb beä 5)orfe3 ß e u t h e n baä
öfterreichifche Lager. $er Äönig, ber ben Sortheil einer fehr ge-
nauen Drtafenntnifj für {ich hatte, entwarf einen meifterhaf ten , ben
<£igenthümlichfeüen bed Xerrain* oollfommen angepaßten <5d)iad)U
plan, ber oon feinen fampfbegierigen Xruppen ebenfo meifterhaft
au&geführt würbe. 2)ie ©runblage beSfelben bilbete bie fogenannte
„fdjräge ©djlachtorbnung," nach welcher bie ganje 2Bud)t bed 2ln*
griffe auf ben Unten öfterreichifchen glügel unter DcabaSbi gerichtet
war. Ülachbem berfelbe, in ber gronte, in ber glanfe unb im dürfen
jugleich gefaßt, nach turpem tapferen SBiberftanb jerfprengt worben,
gerieth bie ganje öfterreichifche ©djlachtlinie , bie ben gehler einer
Digitized by Google
$ie ©djlatyen bei «ßrag, Staffln,- SRoßbaa) unb Seutfjen. 431
oHju wetten SluSbehnung hatte, in Verwirrung, unb alle Bemühungen
ber gührer, bie fich auflöfenben Regimenter neu $u formtren, blieben
fruchtlos. 3n bem furzen Zeitraum oon brei Stunben — oon ein
bis oier Uf)r föachmittagä — war eine ber blutigften Schlachten beä
3aljrf)unbcrt3 gefcijlagen unb für griebria) einer ber wichtigsten Siege
errungen. $ie Deftcrreicher Ahlten je^ntoufenb Xobte ober Verwun*
bete, barunter fiebjefm ©enerale unb faft alle Offiziere, unb $wölf*
taufenb ©efangene, bie Greußen fechätaufenbbreihunbert Xobte unb
Verwunbete. Beinahe baä ganje öfterreic^ifc^e ®efchü&, fjunbertein*
unbfechaig Kanonen, war mit emunbfünfaig gähnen ben Siegern in
bie $änbe gefallen.
X)a bie ^ereinbrec^enbe 9lact)t bie Verfolgung bcd geflogenen
öftcrreicr)ifcr)en Speeres unmöglich machte , Inelt ba£ ermattete preu-
ßifdje pttv auf bem Schlachtfelbe eine fur$e 9taft. griebrich felbft,
bem Diel baran lag, baä Abbrechen ber bei 2 i f f a über ba3 Schweif
nifcer SBaffer füfjrenben Vrürfe $u oerhinbern, über meiere bie
Defterreidjer fict) jurürfge^ogen, brach nod) an bemfelben 21benb mit
einem Xrupo £>ufaren nach biefem Drte auf. TO er, bort ange-
fommen, mit nur wenigen Begleitern über bie 3uöbrücfe in ben
Schloßhof einritt, fah er ftd) plöfclich oon einer großen 21njahl öfter*
reichifetjer Offiziere umringt, bie ihm mit Lichtern entgegentraten.
$ie Ueberrafdmng mar auf beiben Seiten gleich groß; griebrich
oerbarg jeboct) bie feinige unter ber anfdjetnenb oollftänbig ruhigen
Begrüßung: „Bon soir , messieurs.* Sie hoben mid) liier wohl
nic^t erwartet? ®ann man benn noch mit unterfommen ?* (Sin ehr=
f urcht3üolle3 W) ! War bie cinjige Antwort , unb Keiner wagte bie
Jpanb an ben #önig ju legen. 211* jeboa) balb barauf griebrich^
©enerale eintraten, bie bem mittlerweile gleichfalls gegen Liffa auf*
gebrochenen preußischen Speere oorangeeilt waren, ließ er bie öfterrei*
c^ifcr)en Offiziere gefangen nehmen.
$er ^rin§ oon Lothringen war unterbeffeu mit feinem oou%
ftänbig entmutigten |>eere nach Sdjweibnifc jurütf gefetjrt , oon Wo
er feehjelmtaufenb Sftann nach Breslau entfanbte; mit bem tiefte
feines #eere3 — nur noch fiebenunbbreißigtaufenb ÜTcann — jog er
fich nad) Böhmen jurücf, wo er aläbalb ben Oberbefehl nieberlegte,
um als Statthalter nad) ben 9cieberlanben ju gehen. Jpier ftarb er
im $ahre 1780, nachbem er fich ourc§ fane miIoc Verwaltung beä
Lanbeä ben 9camen be3 „guten ^er^ogS" erworben.
Stach bem 2lbjug beä öfterreichifdjen £eereä war griebrich un*
oerweilt jur Belagerung oon Breslau geichritten, ba$ fich ihm nach
oier^ehntagigem SEBiberftanb mit allen feinen Vorräten, einer wohl-
gefüllten JRfriegäfaffe unb feiner achtjehntaufenb äßann ftarfen Be*
fajung ergeben mußte. Von gan$ Schlcficn blieb ben Defterreichem
nur noch Schweibnifc.
Digitized b^Google
432
3>er fiebenjcü)rige (Dritte fdjlefifäe) tfrieg.
£ie Sdjladjt bei 3ontborf unb ber UeberfaH bei Oodjftrd).
(1758.)
Ser ©ieg bei Seut^en fmtte griebric^ au« ber äußerften SBc-
brängniß gerettet unb ifjm für ben Slugenblirf ben gortbefife öon
©dtfefien gefiebert: aber er mußte fid) auf neue fernere kämpfe
gefaßt galten; benn feine ©cgner üerboppelten tyre sünftrengungen,
um ifjm bie errungenen Sortierte toieber ju entreißen. ©dwn im
SBtnter fefjrte ba« ruffifaje $eer, bie«mal bon bem ©rafen germor
geführt, nad) Greußen juruef; granfreidj fanbte bebeutenbe Ber=
ftärfungen unter bem 511m 9cadjfotger be« abberufenen $erjog« oon
föiajelieu ernannten ©rafen oon SIermont naaj 9fteberfad)fcn gegen
gerbinanb oon Braunfa^toeig, unb in Böhmen mar Saun eifrig
bemüht, bie Süden ju ergäben, bie ber Sag üon Senden in bem
öfterreid)ifd)en £eere gefdmffen l)attc.
griebrid)« erfte ©orge mar, bura) bie SBiebereroberung Oon
©a)tt)eibm& bie Defterreidjer gan^lid) au« ©Rieften ju oerbrängen.
ftadjbem biefe geftung am 18. Styril nadj längerer tapferer Ber*
t^eibigung mit ©türm genommen toorben, erwartete Qebermann,
baß ber ftönig in Warnen einfallen werbe, um Saun eine ©d>Iad)t
anjubieten. ©tatt beffen bradj er jeboef) in SJfäljren ein unb er*
öffnete am 3. 9M bie Belagerung oon Clmnfe, nadj beffen oon
ifjm nidjt bezweifelter Eroberung er rafa^ gegen SBien üor$ubringen
gebaute, um 9#aria Styerefta jum grieben $u jtoingen. «ber ber
ganje $lan fdjeiterte an bem Ijartnätfigen SBiberftanb, ben tfjm bie
mit ädern «Röthigen reidjüd) oerfetyene unb oon einem ebenfo unu
fidjttgen als entfdjloffenen Befehlshaber oerttyeibigte geftung leiftere,
unb als U;m ber öfterreidufd^e ÖJeneral Soubon (fpr. Saubon) mit
großem Ötefdjitf eine Sn^x oon breitaufenb SSagen weggenommen,
jmang ifm bie 9cotf) jur Sluf^ebuug ber Belagerung unb jur fd)leu=
nigen Räumung 9ftäl)ren«. SRadjbem er burdj fingirte Slnorbnungen
bie öfterretd)tfd)en gelbfjerren Saun unb ßoubon in ber SDceinung
beftärft, baß er fict) bireft mieber nad) ©djlefien wenben werbe, unb
jie baburd) oeranlaßt tjatte, ifjre ©treitfräfte nadj biefer ©eite $u
werfen, um if)m ben Diütfaug abjufdmeibeu, brad? er in ber SRadjt
jum 2. Quli nad) ber böfjmifdjen ©renje auf. Ser 9tücfjug burdj
biefe« Sanb gehört &u griebridj« rufjmoollften ßrieg«tf)aten. Unter
fteten $cfcd)tcn mit bem nad)$ief)enben öfterreidufdjen Speere erreidjte
er mit feinem gejammten ®efd)ü$ unb Ötepärf am 14. Quli ftöniggräfc,
oon wo ber ^üdjug naa) ©d)lefien olme weitere ©efaljr bewerf*
fteUigt werben fonnte.
Saum hatte griebridj in ßanb«hut ein fefte« ßager belogen,
in meldjem er bie Bemegungen Saun« abjumarten gebaute, al«
Digitized by Google
35ic <3$lacf)t bei Bomborf unb ber Ucbctfatt bei $o$rirc$. 433
ifm ba& immer »eitere SBorbringen ber SRuffen, bie fdjon im
3amiar ganj Greußen befefct unb in Königsberg bie {mlbigung für
bie Katferin (SUfabety errungen Rotten, jum fofortigen Slufbrudj nad)
ber Sßeumarf jtoang, bie gleich Bommern oon ben morbbrennerifdjen
ruffifdjen ©paaren mit gräuelüoHen SBertuüftungen fjeimgefudjt
ttmrbe. SBci jjornborf ftieg er am 25. Sluguft auf baS ruffifdje
£eer, baS eben bie ©tabt Küftrin, mofun bie umtoofmenben ßanb*
befifcer i^re £abe geflüdjtet , nad) öergeblicfjer ©cfduegung ber
SeftungStoerfe, bis auf brei Käufer in Slfdje gelegt hatte. Obgleich baS*
felbe bem feinigen bebeutenb überlegen ttjar — germorS |>eer jaulte
anjeiunbfünfoigtaufenb, baS preugifdje £eer jnjeiunbbreifeigtaufenb
Warm — unb fid) in einer burd) ©umpf unb SBatb unb einen
Reinen glug gebeeften 2Jcoornrilbnig trefflich t>erfdjan$t t)ai\t, fdjritt
er fofort jum Angriff. $a er, aufs ^>öc^fte erbittert über bie Don
ben Muffen üerübten ©räueltfmten, befohlen hatte, feinem Muffen
Karbon ju geben, geftaltete fldj bie ©djlacht öon Anfang an $u
einem ungeheueren ©emefcel, baS öon neun Uf)r 9ftorgcnS bis jum
fpaten s2lbenb unter ftetem SBedjfel beS KriegSglüdeS fortbauerte.
3ben enblidjen Sieg oerbanfte griebrich, nrie furj öor^er bei 9cog-
bad), f)auptfäd)Iid) bem unermüdlichen ©etiblifc, ber an ber ©püje ber
preugtfdjen 9teiterei, ftetS ben regten Slugenblicf erfaffenb, balb
ber jurürfgemorfenen preugifchen Qnfantcrie Suft fdjaffte, balb
in ftürmifchem Anlaufe bie rufftfdje Kaoallerie jurüefbrängte unb
in SBertoirrung bradjte. Qukfy fämpfte nur nod) SJcann gegen
Hftann ohne jebmebe Drbnung. SRuffen unb Greußen, Qnfanterie
unb Kaoallerie, $Tded mar in bieten Knäueln bura^einanber ge*
brängt. Kein Ztyil blieb hinter bem anbem an SJhtth jurücf; bie
beffere KriegSjucht allein üerfc^affte ben Greußen baS Uebergeroicht.
211S bie finfenbe 9£ad)t bem furchtbaren fingen ein @nbe machte,
waren bie Muffen Dom @d)ad)tfelbe jurüefgebröngt. S)er fehreef*
liehe Kampf, ber mörberifchfte beS ganzen Krieges, hatte ben
Greußen an Xobten unb SBerttmnbeten elftaufenb 3Jtonn gefoftet;
bie Muffen liegen naheju bie boppelte Sa^l auf ber grauenvollen
SBahlftätte jurücf.
Slm folgenben SJcorgen fudjte gerinor, ber roöljrenb ber Stacht
feine jerftreuten ©djaaren toieber gefammelt hatte, ben ^ßreugen ben
errungenen ©ieg noch einmal ftreitig ju machen ; bie beiberfeitige (Sx*
fchöpfung lieg es jeboch 51t feinem ernftlichen Kampfe mehr fommen,
unb nac^ einer mehrftünbigen Kanonabe öerlieg baS rufftfdje §eer
baS ©d)lad)tfelb, um balb barauf ben föürftoeg nach SanbSberg an
ber 2Bartf>e anzutreten. Üftad) einer oergeblichen Belagerung öon
Kolberg ging germor über bie 2Beid)fel, um in ^reugen unb ^olen
bie SBinterquartiere ju net)men.
Unterbeffen mar ffriebrich, mit Surücflaffung einer #eere£ab*
^olanjait^, 3SeItflcfcf)i^te. VI. 28
Digitized t
434
$er ficbcnjä^rigc (brittc fc^Icftfc^c> tfrieg.
t^eilung unter bem (trafen Xofyna jur 5l6tt>c^r ber Muffen unb
Sdjroeben, nad) Sadjfen aufgebrochen, um feinem ©ruber Heinrich
$u $ilfe ju fommen, ber in feinem Säger bei 5)re3beu oon Xaun
auf baS ©rnftlichfte bebvolit mar. $luf bie NJtndirid]t Don bem
£>eranrütfen bc3 ftönigä 50g fiel) Staun , ber bereit« 2lnorbnungen
jum Ueberf freiten ber @lbe getroffen t)atte, um ben Sßrinjen £einridj
au§ Sadjfen $u oertretben, in ein fefteS Säger bei Stolpen jurücf.
iBon ^ier au3 befefote er alsbatb bie Mühen Don Äittltfc, um bem
Äönig ben Sfäcfmeg naef) Sd)lefien abjufdjneiben , mo bie C efter*
reicher eben Sßeifie unb ftofel belagerten, griebrid}, ber rafd) ben
28eg über ©aufcen unb (Sörlifc geminnen moHte, hatte ihn um*
ge^en tonnen ; auf ben 8d)veden feine» Ramend unb auf £ aund
befannte Unentfct)Ioffent)cit üertrauenb , mar er jebodj unoorfichtig
genug, mit feinem ungleich fchmädjeren |>eere trofc ber 2lbmahs
nungen feiner erfahrenften (Generale bei bem $orfe § 0 ch f i r dj
im Ängefid)te feinet ®egner3 in einer leicht angreifbaren Stellung
ein Sager aufschlagen. 9lachbem er h^r brei Xage lang ruhig
geftanben, befchlofj er, bem drängen feiner Jelbherren nachjuge*
ben unb am folgenben borgen, bem 14. Oftober, ben gefährlichen
Soften ju oerlaffen. Allein £aun, ber injmifchen feinen Angriffs*
plan entmorfen, fam ihm juüor. SBährenb ber Stacht näherten fich
bie Oefterreicher in oder Stille bem $)orfe ^ochfirch, unb mit bem
Schlage fünf Uhr borgend mürben bie ^reufjen, nachbem ihre
SBorpoften überwältigt morben, burch ftriegSgeichrei unb ®eroet)r*
feuer au* bem Schlafe gemeeft. Sie ftürjten aus ihren Stitm,
aber bie SJunfelheit ber Stacht lieg fie Richte erfennen : fie hörten
nur ben hcranftürmenben 3*inb. Sofort entfpann ftch ein mör*
berifcheä Gefecht, beffen Schrecfen burch ben Umftanb erhöht mur»
ben , ba& man greunb unb geinb nicht ju unterfcheiben oermochte.
Liethen, ber in ber ©eforgnifj eine« UeberfatteS feiner SReiterei
ohne SSormiffen beS Königs Söefet)l gegeben, gerüftet ju bleiben,
griff fogleich in ben $ampf ein; auch bie übrigen gührer, fomie
ber $önig felbft, ber anfangs nicht an einen allgemeinen Angriff
ber Oefterreicher hotte glauben motten, boten 2Meä auf, um bie
Regimenter in Sd)lachtorbnuug auf aufteilen , unb in ber Xfyat be*
mährte fich ^ie mufterlmfte £>i3ctplin beä preufcifchen §eereä auch
biefer SdjrecfenSnacht aufä ÖJtänjenbfte. Snbeffen gelang e3 ben
Oefterreichern , fich einer bei bem $orfe <pochftrch aufgepflanzten
großen preu&tfchen Batterie öon fechSunbjmanjig Oefc^ufeen ju be*
mächtigen, bie nun auf bie in ben engen ©äffen beäfelben jufam*
mengebrängten <ßreujjen gerichtet mürbe unb furchtbare Verheerungen
unter ihnen anrichtete. Öalb ging ba3 $orf in glammen auf, bie
meithin bie (Brauel beä furchtbaren nächtlichen Kampfes beleuchteten.
Lim bie SBatterie mieber $u geminnen, brang ber gelbmarfchall
Digitized by Google
3)ie ©djladjt bei ^omborf unb bcr UcbcrfaH bei ©odjftrd). 435
fHitf) an ber ©pifce mehrerer Bataillone bon ber (Seite in ba$
brennenbe Dorf ein ; aber gleidj barauf fanf er , üon jwei ßartät*
fdjenfugeln burdjbofyrt, entfeelt $u ©oben. Dem tapferen ^ßrinjen
granj üon ©raunfdmmg , ber mit neuen Druppen herbeieilte , riß
eine feanonenfugel ben ®opf Ijinweg ; audj ber $rinj Sftorifc üon
Deffau würbe töbtlidj üerwunbet aus bem ®ampfgewüljle fortgetragen.
@nblid) bradj ber Dag an ; aber er änberte 9ttd)tS an ber
Sage ber Dinge ; benn ein bidjter SRebel bebeefte ben $ampfplafc.
Bis gegen neun Uljr fudjte fid) ber ^önig in feiner Stellung ju
behaupten; bann gab er Befehl jum SRürfjug, ber trofc ber erlitte*
nen ferneren Berluftc in foldjer Drbnung ausgeführt ttmrbe , ba§
bie Defterreicber ifm nidjt ju ftören wagten, tbifct fedjstaufenb
Dobten unb Berwunbeten, bie ber ®önig auf ber blutigen SBa^I-
ftätte jurütfliefj , mar fein fämmtlidjeS (§efd)ü& unb fein ganjeS
®epäd üerloren. Qnbeffen Ratten audj bie Öefterreid)er fernere
Berlufte erlitten ; bie &a1)l ifjrer Dobten unb Berwunbeten betrug
fünftaufenbfedjSfjunbert.
SSäfjrenb Sfriebrid) fofort auf ben £>öf)en üon Baufcen ein
neues Sager aufjajlug, jetgte ftdj Daun in ber Benufcung beS er*
rungenen ©iegeS fo fäumig , ba§ eS bem ^rinjen #einric| möglidj
mar, feinem ©ruber fiebentaufenb 9ttann nebft frifdjem ftriegSüor*
ratf) jujufü^ren. Da eS üjnen gelang, baS Daun'fdje Sag er ju um*
gefyen unb QJörlifc ju erreichen, üon wo bem Äönig ber Eintritt in
©d&lefien ntdjt mef>r üerweljrt werben fonnte, far) fidj Daun um bie
Srüdjte feine« ©iegeS betrogen. grtebrid) lieg feinen ©ruber mit
einer |>eereSabtf)eLlung bei SanbSljut ftefjen unb eilte felbft nad)
©djlefien, wo er alSbalb bie Aufhebung ber Belagerung üon Steige
unb #ofel erjwang.
Unterbeffen war Daun jur Befreiung ©adjfenS aufgebrodjen,
wo er ftd) mit bem föeiajSljeere, baS bereits bis ßeipjig üorgebrungen
war, ju gemeinfamer Slftion ju üereinigen gebaute ; baSfelbe würbe
jebod) , nodj ef)e er felbft bie fädjfifrfje ©renje Übertritten fjatte,
üon bem ©rafen Dofma, ber tnawifd)en aus ber Heumar! jurücf*
gefeljrt war , jum Stücfjug nad) fronten genötigt , wo es bie
Winterquartiere na^m. 211s Daun enblidj mit feinem #eere üor
DreSben erfd)ien unb Slnftalten jur Belagerung traf, lieg ber
$ommanbant ber ©tabt, ©raf ©djmettau, einen Dljeil ber frönen
Borftäbte berfelben abbrennen, bamit bie Defterretdjer ftd& nidjt
barin feftfefcen tönnten, unb wies bie Slufforberung jur Uebergabe
mit ber Antwort ab : er werbe fid) üon ©trage $u ©trage Derlei*
bigen unb fid) im äufjerften Satte unter ben Drümmern beS für*
ffirftfidjen ©ajloffeS begraben. Da Daun auf biefeS Sleu&erfte
eS niajt aufommen laffen wollte unb überbieS bie 9iad)rid)t er§al*
ten Ijatte, bag griebrid} wieber oon ©ajlefien ^eranrüde, jog er
28*
Digitized b^toogle
436 fcer fiebenjtyrige (brittc föWtfd» ßrieg.
\\<fy tiac^ JBöljmen $urücf, um bort bie SBinterquartiere $u nefmten.
griebrtch, bcr in bcr %^at fdjon am 20. üRoöember in $re3ben
anfam, traf bort alle nötigen Wnorbnungen $ur SBertljeibigung
©ad>fen8, bic er abermals feinem ©ruber #einric$ übertrug, unb
fefjrte bann jur Ueberwinterung nad) 53rc3lau jurücf.
©o war aud) ber gelbjug be* 3al)reS 1758 für griebric$,
trofc ber Unfälle öon Dlmfifc unb £>odjfir4 oljne wefentlidjen 9cad>*
tf)eü $u @nbe gegangen. 2luf bem Weftlief)en JrriegSfdjauplafc Ratten
fpgar bie £>inge für Um eine günftigere SSenbung genommen,
gerbinanb öon ©raunfdjweig war über ben föfjein gegangen unb
fjatte am 23. Quni bei Ärefelb über ben trafen öon (Vermont
einen öoflftänbigen ©ieg erfochten. $a& Eintreffen bebeutenber
Verhärtungen für bie fran}öfiföe 9tyeinarmee unter bem tüchtigeren
SOtorqui* Don (SontabeS , ber an SlermontS ©teile trat , fonrie ber
©inbrudj eines jweiten franjöfifdjen #eere$ unter ©oubife unb
SBroglio in baä Ijeffiföe ©ebiet fjatten il)n jwar $um SRücfyug auf
ba* redjte Üt^einufer genötigt; fjier hatte er jebodj an ber Sippe
eine fo trefflief) gewählte (Stellung genommen, ba& bie franjöfifcijen
gelbl)erren ihre beabpa^tigte Bereinigung nicht bewerfftelligen fonn*
ten , fonbern SontabeS feine SBinterquartiere jwifchen bem fltyein
unb ber 2Jtoa$ nehmen unb ©oubife Reffen wieber räumen mu&tc,
worauf gerbinanb fein #eer für ben SSinter in bie weftfäliföen
©isthümer öerlegte.
2)ie Schlacht bei ffuneräborf,
(12. Huguft 1759.)
$>er gelb$ug be8 3ahre3 1758 hatte ben unglüclfeligen Ärieg
feiner (Sntfcheibung um feinen ©chritt näher geführt; bad (£rgebni&
beSfelben War, nach griebrichS eigenem ÖJeftänbnif} , fein anbereä,
als „ber Jöerluft öieler braöen ßeute, baä Unglucf öieler auf immer
öerfrüppelten armen ©olbaten , ber ftuin einiger ^ßroöinjen , bic
SSerwüftung, Sßlünberung unb ber *8ranb einiger blühenben ©tobte."
SSon allen ©eiten würbe baher für ben neuen gelbjug mit ber
größten Slnftrengung gerüftet.
gür griebrich würbe e$ inbeffen immer fdjwerer , bie Soften
beä Krieges ju beftreiten , obgleich (Snglanb ihm nach bem am
1. Sfyril 1758 abgesoffenen ©ubfibienöertrag für bie Erhaltung
unb JBermehrung feiner ©treitfräfte jährlich öier Millionen Zfyakv
jaulte. Um bie fehlenben ©elbmittel beizubringen , öerfctjlcchterte
er nicht nur bic SJcünsen in immer työljerem ©rabe , fonbern beu^
tete aua^ bie öon ifjm befefcten ßänber in ber unbarmfjerjigfteu
Digitized by Google
$ie ©d)Iad)t bei ÄunerSborf.
437
SBeife auS. ©o mußte ©achfen für ben gelbjug beS SafjreS 1759
<m ßieferungen unb baarem (Selbe neun Millionen XfyaUx — nach ber
^Berechnung ber ©achfen fogar elf Millionen — entrichten unb jtoölf-
taufenb SRcfruten fteflen. $n S^PiU* würben bie reiften Kaufleute
f eftgenommen ober mit ber Sßegfüfjrung unb SBerfteigerung aller ihrer
löaaren bebroht, bis bie ber ©tabt aufgebürbete Kontribution öon
t>reunaUjunberttaufenb Xfjatern erpreßt mar. Sftecflenburg mußte $ur
©träfe bafür, baß eS fehmebtfehem KriegSöolf ben Xurdföug geftattet
hatte, jmei Million öiermalt)unberttaufenb Xfjaler jaulen.
SBefonberS ferner lag beS Königs £anb auf ben Katfjoltfen,
namentlich in ©chleften. 2lm 19. ^ejember 1758 erhielt bie fatfjos
ftfdje ©eiftlic^feit Söcfe^I , ben je^nten i^rcö (SinfommenS an
bie Sftilitärfaffe abzuliefern, „meil eS eine retchSfunbige ©adje fei,
t>aß ber SBiener §of jur gortfefcung beS Krieget öom Zapfte bie
5BoHmacf)t erlangt habe, öon ben fatfiolifchen ©tiftern unb ber ganjen
Klerifei in ben gefammten 9teichSlanben ben ahnten Xhetl it)rer
(Sinfünfte ju beziehen." 35a häufig tatholifche ©djlefier fahnenflüd)5
tig mürben, entftanb bei bem König mie bei Dielen preußischen SBe*
fehlSlmbem bie Meinung, baß biefe ©olbaten öon ben fattjoltfc^en
©eifttichen, als geheimen Serbünbeten DefterreidjS , $ur 3)efertion
öcrleitet mürben. (£S mürbe baher bem fatholifchen Klerus für ben
Satt biefeS Vergehens mit ber ganzen ©trenge ber KriegSgefefce ge*
!>roht, nach welchen, traft einer öon bem König erlaffenen SBerorb*
nung, 5llle, bie einen ©olbaten jur $>efertion öerletten ober ihm
baju behilflich fein mürben , ohne mettläufigen $rogeß ohne QJnabe
unb ohne Sulaffung eines (Seiftlichen neben bem $5eferteur aufge-
hängt merben füllten. $iefe ©träfe traf einen ©eiftlichen, SlnbreaS
gaulhaber , meil er nach ber 2luSfage eines eingefangenen 3luS*
reißet , ber fidj baburch öegnabigung ju erfaufen hoffte , biefem
in ber ^Beichte gejagt haben foßte, bie Sahnenflucht fei jroar eine
fernere ©ünbc, boer) fönne man für biefelbe Sßerjeihung öon (Sott
erlangen. SBäfjrenb ben Xeferteur, ber in$mifchen feine 2luSfage
tüiberrufen hatte, füäter aber ju berfelben jurüefgefehrt mar, nur
t>ie ©träfe beS (SaffenlaufenS traf, mürbe ber ^riefter auf ©efehl
beS Könige am 29. ^ejember 1758 an einem Ötolgen aufgehängt,
an melchem bereits ein Xeferteur hing. (£r ftarb mit bem äftuthe
unb ber greubtgfcit eines 9ttartörerS.
W 9kd)bem griebridj feine Lüftungen beenbei hatte, bejog er mit einem
J£>eere öon fünfunböierjigtaufenb Sftann bei ßanbshut ein fefteS £ager,
entfdjloffen, bieSmal ben Singriff feiner geinbe abjumarten. ©achfen
mar bura) ben $rin$en Heinrich unb Oberfchlefien burch ben ©eneral
Souqu^ gebeeft. ßängS ber böfmtifchen ©renje ftanb ein öfterreichifcheS
$eer öon breiunbachtjigtaufenb Sttann unter $>aun unb Soubon. \\ :,
2luf bie Nachricht, ;baß baS ruffifche £eer, baS unter bem
Digitized by
438
Der fiebcnjäfrige (brittc fdjlefijcfe) Äricg.
(trafen Soltiforo, bem 9tacf folger germor* im Cberbefeft, bereite
@nbe Slpril bie SSeidjfel überfefritten ^atter gegen bie Ober öorrücfe,
um fidj mit einem öfterreidn'fcf en ®orp* öon jroanaigtaufenb Wann $u
öcreinigen , ba* if m unter Soubon entgegenliefe , fanbte 8riebrid>
bem ©rafen $ofna, ber eben bie Scfrocben in ©tralfunb belagerte,
SBefefl, fofort naef ^ßolen aufjubredjen , um roomöglicf bie Muffen
in einjelnen £>eerfaufen gu fcf lagen unb baburd) it)rc Bereinigung
mit ben Defterreicfern ju öerfinbern. $)ofna tonnte biefem 33efef l
nieft nadtfommen, ba er fid) in $olen ber öan5cn rufflfd&cn &rmee
gegenüber fal) , unb mußte fid), ofne eine paffenbe ©elegcnfeit ju
einer (Skflacft gefunben ju faben, bi* jur Ober jurücfjiefen. £er
ßönig rief ifn mit allen geilen feiner Ungnabe jurücf unb fanbte
an feine Stelle ben (trafen öon 23ebel, ber fid) bereit* im jroeiten
fcflefifdjen Kriege ben (Jfrennamen be* preufjifcfen Seoniba* er-
roorben unb aud) bei fieutfen fid) auf* SRüfmlidjfte feröorgetfan,
mit bem Site! unb ber SöoHmadjt eine* Siftator* unb bem ©efcr)Ie,
bie Muffen ju feftagen , too er fie finbe. tiefem 93efet)Ie gemäß
griff SBebcI am 22. 3uli bei bem $orfe ® a U , unweit Söllichau,
ba* ifm an ßaf I breifad) überlegene unb in einer äu&erft öortf eil*
faften Stellung öerfdjanjte ruffifefe £eer an; er mürbe jebodj mit
einem SBerluft öon adjttaufenb Sobten, Berwunbcten unb (befangenen
unb öon fünfunbjwan$ig ©efdjüjjen jurütfgcfcflagen. £ie S3er=
einigung ©olttfow* mit Soubon war nun nidjt mef r $u öerfinbern ;
fie erfolgte am 3. 21uguft bei troffen.
§(uf bie ßunbe öon ber Sftieberlage feine* Xiftator* befdjlo§
Sriebricf , felbft unöerweilt ben Muffen entgegenliefen. @r rief
feinen ©ruber #einrid) au* Saufen ferbei, wo berfelbe ben Gene-
ral 5inf mit neuntaufenb Wann aurüdliefj, unb übertrug ifm ben
Oberbefcf l in Scflefien. 9lur öon einem Xrupp £>ufaren begleitet,
ging er am 30. Quni nad) Sagan ab, um ftdj an bie Spu)e be* ge=
fcflagenen SSeberfcfen £>eere* $u fteHen. Wit adjtunbüierjigtaufenb
Wann überfefritt er am 11. Sluguft bie Ober unb fat) fid) balb bem
öereinigten ruffifdjen unb öfterreief ifd) en $eere gegenüber, ba* fief in
ber Stärfe öon fed^igtaufenb Wann — jweiunbbierjigtaufcnb Muffen
unb aef tjcf ntaufenb Defterreid)er — unweit granffurt a. b. D. auf ben
Slnföfen öon $uner*borf oerfefanst f atte. Cbglcicf er bemfelben
an 3af) 1 nieft gemaeffen mar, befcf Io& er, am folgenben Sage, bem
12. 5(uguft, gum Singriff ju fefreiten. berfelbe erfolgte um 11 Ufr
Vormittag*. $ie $i&e mar brücfenb unb ba* ben Greußen nidjt
genügenb befannte Serrain au&erft fefwierig; auef fprüften bie
jafflofen geuerfeflünbe, mit benen bie s2lnföfen befeft maren, Sob
unb SSerberben auf bie anftürmenben $reu|en ; bennoa) brangen fie
unauffaltfam öor, eroberten bie ©atterien, bie ben linfen Slügel
ber Hüffen bedten, unb warfen biefen felbft in öoHer Sluflöfung jurüd.
Digitized by Google
$te ©cfjfodjt bei ShmerSborf.
439
©ei ber Verwirrung ;, bie in bem fernblieben Öager $u fjerr*
fc^en fdjien , unb im Veftfce bon fiebjtg erbeuteten Äanonen , Ijtelt
griebric$ bie SRieberlage beä ruffifdjen £eere$ für entfdjieben unb
$ögerte baljer nidjt, einen Kurier mit ber ©iegeSbotfdjaft naef) $er=
lin abzufertigen. 2tber feine ©iegeäfreube mar berfrütjt. SRod)
ftanb ber rechte gtügel ber SRuffen unerfcf) üttert , unb bie Deffcer*
reifer waren nodj gar nia^t in3 (Uefedjt gefommen; audj fammek
ten fid& biete glüdjtige be3 linfen ruffifcfjcn glügetS Wieber, Weil
ber #önig in feiner @iege3$uberfid}t Vefefjt gegeben , wäfjrenb ber
&ö)la$t granff urt $u befefcen , bamit ben föuffen , bie er burdjauä
gan$Iicf) bernidjtet wiffen wollte, ber SRücfjug abgefcfcnitten fei.
$ie meiften Generale rieben bem ftönig bringenb , tum ber
gortfe&ung beä flampfeä abauftefjen , ba feine Xruppen erfdjöpft
feien unb bie Stoffen ficf> tooc)I fidjer wäfjrenb ber 9^act)t jurütf-
jieljen würben; aber griebridj, ber bie ©adje um jeben $rei3 bofl-
ftänbig entfdjieben feljen Wollte, beftanb auf ber Erneuerung be3
2lngriff3. &aum fjatte jeboer) ber ßampf mit bem regten ruffifdjen
glügel begonnen, alft ba$ ®lücf bem #önig entfdjieben ben föücfen
wanbte. $ie Greußen fonnten bie erbeuteten rufftfdjen Kanonen
nia)t benufcen , weil für biefelben feine Sttunition mefjr borljanben
war, unb waljrenb fie ftdj bergebenä bemühten, bie eigenen in bem
fanbigen ©oben boranjubringen , wütfjete ba§ geuer ber fernblieben
©efdjüfce in furchtbarer SBeife in iljren föeit)en. griebrid& fafj fein
anbereä bittet ber Sftettung , alä feine Reiterei gegen ben getnb
auftürmen $u lajfen. ©enbtifc, ber ben Untergang berfelben bor
2fagen falj, erfjob (Sinwenbungen; als jebod; ber ®önig feinen Ve>
fefyt mit jornigen SBorten Wiebertjolte, ftürmte er gegen bie ruffifdjen
©djanjen* bor. Slber bon ben mörberifa^en #artätid>enfugeln wur=
ben äftann unb SRofc ju ©oben geriffen, unb ©etyblifc fclbft mufjte
fd)Werberwunbet auä bem ®ampfgewüf|te fortgetragen Werben. 2hicf)
ben Xapferften entfanf ber 9Jhitl). SRodj einmal orbnete griebridj
felbft bie gelitteten SReiljen feines gu&bolfS unb führte fie bon
Beuern inä geuer. 3n biefem 2lugenbtio? erfcf>ien iebodj Soubon,
ber, bon ben Greußen ungefefjen, mit feinen Sfteiterfdjaaren eine
tiefe ©djludtf, feitbem ber ßoubonägrunb genannt, burdfoogen Ijatte,
in ber glanfe unb im 9tüdfen be£ preugifct)en $eere3 unb bollen*
bete beffen grauenbolle Sftiebertage. Von einem paniftf)cn ©d&recfen
ergriffen , wanbte ftd) 2We8 jur gluajt. Vergeben« fudjte ber
#ömg, ber noa) immer ben ©ieg an fiefj reißen ju fönnen ^offte,
einige Bataillone gum ©tefjen ju bringen, gwei $ferbe würben
ifym unter bem fieibe erfefjoffen, unb aU er ba« britte befteigen
wollte, jerfa^metterte ifjm eine SRuäfetenfugel fein golbene? Stui in
ber SBeftentajdje. ^)a« 9^u^lofe fetner ©emüfiungen erfeunenb, rief
er boü Verzweiflung: „^ann mic^ benn feine berwünfdjte S'ugel
440
$5er fteben jahrige (brittc fchleftfdje) tfrieg.
erreichen!4' ©djon fc^toebte er, faft bon allen feinen Xruppen öer-
laffen, in (Gefahr, öon einer (Schaar ^eranfprengenber Sofafen ge*
tobtet ober gefangen genommen ju werben, al* fein 2lbjutant, ber
Stittmeifter ^ßrittrotfe, mit einem Xrupp $mfaren herbeieilte unb üjn
in ©icherheit brachte. SBdhrenb ber Stuckt fdjrieb er auf bem
dürfen feine* Mbjutanten mit Söleiftift an feinen TOnifter ginfen*
ftein in SBerün bie befannten SBorte: w5lHc^ ift oerloren; retten
©ie bie föniglidje gamilie. Hbieu für immer l" Hufjer achtjefjn*
taufenb Xobten unb SBemmnbeten fyatte Ujn ber oerf}ängni§öoHe
Äampf fein ganje* ©efdjüfc gefoftet, unb ber Sfteft feine* $eere*
mar jerfprengt. dagegen jagten bie Defterreidjer nur jtoeitaufenb
Xobte unb Sßcrrounbete , bie Hüffen atlerbing* ungleich mehr; ihr
Söerluft foH fich auf oierje^ntaufenb 9ftann belaufen Ijaben.
Sriebrich braute bie yiad)t in bem Meinen $orfe Der*
fdjer a. b. D. in einer oeröbeten ©auern^ätte ju. -£ner fdjrieb
er, ba bie an feiner ©eele oorüber^ie^enben Silber einer fdjretf*
liefen Sufunft ilm nicht fchlafen liegen, einen ©rief an ginfenftein,
ber einen furzen Bericht be* Verlauf* ber ©flacht enthielt unb
mit ben SBorten fd)lo&: „3dj fyabt feine Hilfsquellen mehr, unb
um bie SBafjrheit ju fagen, ich halte 2llle* für verloren, lieber*
leben »erbe ich ben Untergang meine* SBaterlanbe* nicht, fiebert
©ic mot)l auf ewig!"
Xer Äönig fchten fich entfdjieben mit ©elbftmorbgebanfen $u
tragen, ©djon nad) ber ©flacht bei oll in hatte er in einer an
ben 9Karqui* b's2lrgen* gerichteten poetifdjen (Spiftel bie Slbftdjt
au*gefprochen , fich ba* Seben 511 nehmen, unb X^atfaa^e ift, bafj
er toäljrenb be* ganzen Kriege* (SHftpiUen bei fidi trug, bie man
nach feinem % obe noch eingepaeft fanb. 3)ie fragliche Üptftel , bie
mit einer Wnfpielung auf eine ©teile au* einem Xrauerfpiele %$oU
taire'* fdjloß *) , fyattt er biefem Sedieren jugefanbt , unb ber er*
fd)rocfene dichter hatte nicht ermangelt , feine gan$e SBerebtfamfeit
aufzubieten, um ihn oon ber ausgesprochenen Hbficht, „bie feinem
9tuhme nachtheilig unb eine* ^inloiopben unmürbig fei, 41 $urücf$u=
bringen. Sftichtöbeftoroeniger fam Sriebrict) im Verlaufe be* Kriege*
mieberholt auf biefelbe jurücf. ©frörer meint jeboct) : toer fich eine
&ugel burch ben ®opf fliegen motte, fpredje nidt)t auf offenem
l) Merope, Acte II., Scene VII.
Qaand on a tout perdu, quand on n'a plus d'espoir,
La Tie est un opprobre, et la mort un devoir.
(SBenn 91 He* un* üertäfet, bie Hoffnung felbft aerbridjt,
2)ann ift ba* Seben ®cf)mad), unb Sterben wirb un* Pflicht.)
Digitized by Google
$te (Scf>lad)t bei ßuneräborf
441
2Karfte baöon; jene (Epiftet fei nur ouf (Effert beregnet gemefen
unb fmbe bie Söelt in Staunen fefcen foßen.
2(m 13. STuguft 50g griebrid) in aller grülje mit ben 2rüm*
mern feineä $eere3, bie ftd) wafjrenb ber ftadjt in ber Starfe öon
fünftaufenb 2ttann lieber um if)n gefammelt , über bie Ober nadj
föeitmein, wo ftd) norf) aaljlreidje glüdjtttnge bei if>m einfanben, unb
wanbte ftd) öon bort, nadjbem er einige in ber 9taf)e fte^enbe
Sruppenabtfjetlungen an fidj gebogen unb ®eftf)üfc aus Berlin unb
ftüftrin fjatte Ijerbeifdjaffen laffen, nadj gürftenmalbe. <pier ge*
badete er bem bereinigten #eere ber Dcfterreidjer unb Muffen ent*
gegen ju treten, öon benen er einen Angriff auf Berlin mit Stdjer*
beit erwartete. Eiefe (Erwartung erfüllte ftd) jeboc^ nidjt. Solti=
fow, ber of>nef)in feine Smnpatfjien für bie Defterreidjer ^atte unb
e3 im £>inblicf auf bie prcufjenfreunblidjen ©efmnungen be3 rufft*
fdjen £f)ronfolger3 für geraden eraajtete, ben ßönig nidjt alläufeijr
inS ©ebränge ju bringen, erwiberte auf ein ©treiben $)aun3,
worin biefer i(m ju gemeinfamem Weiteren Borgeln gegen grieb*
ridj aufforberte: „Qd) fjabe jwet Sdjladjten gewonnen unb warte
nur nod) , um weitere Bewegungen ju machen , auf bie 9iad)ridjt
jweier Siege öon Qfmen ; benn es ift nidjt billig, ju öerlangen, bafj
bie Xruppen meiner ®aiferin allein agiren." $a fidj 2)aun hierauf
nad) Böfjmen wanbte , fefjrte Soltifom burdj 9Ueberfdjlefien nadj
$olen jurfirf. So Chatte fia) bie SBetterwolfe öerjogeu, bie ben
®önig mit gänjlidjcr Bernidjtung bebrof)t t)atte.
.Unterbeffen fmtte baä 9ieid)3f)eer , baS unter bem $er$og öon
3weibrücfen in baä öon preujjifdjen Gruppen faft gänjlidj entblößte
Sadjfen eingebrungen war, nad) ber Eroberung öon Xorgau unb
Wittenberg bie Belagerung öon Xreäben begonnen, unb ba ber
$ommanbant ber ©tabt, ber tapfere ©raf Sdjmettau, unmittelbar
nad) ber Sd)ladjt öon ®uner8borf öon bem ftönig ben söefct)! er*
galten , e3 nidjt bis aufä 2len§erftc fommen ju laffen , inbem er
auf feinen (Ent)afc ju rechnen Ijabe , fonbem nur bie föniglidjen
Waffen ju retten, r)atte er am 4. September fapitulirt. 51m folgen*
ben Xage erhielt er öon griebrid) ben fdjtiftlidjen Befehl, £re»ben
auf jebe möglidje 2öeife $u behaupten , ba öon Xorgau aus , ba»
m$mifd)en gleidj Wittenberg öon bem ©eneral Söunfd) jurüeferobert
worben , ein (Entfcfcfjeer ^eranjie^e ; biefer Befehl fam jebod) ju
fpät. 3)em ÖJrafen Sdjmettau aber, ber nur budjftäblid) ber Drbre
griebrid)3 naebgefommen war, entzog ber burdj ben Berluft öon $re3*
ben gänjlid) außer Raffung gebraute ®öntg nicr)t nur für immer
feine £mlb, fonbern entließ irjn aud) au3 feinen 3)tenften.
Qnjwifd^en war ber ^ßrinj £>einrid) mit öierjigtaufenb 9ftann nadj
Saufen ^urücfgefe^rt, worauf fic^ 35aun, ber bei Bresben ein fefteS
Säger belogen ^atte, ängftlic^ unb unentf^Ioffen wie immer, nac^ Söite*
Digitized by GopQle
442 $er fiebenjfthrige (britte fc^Icfifc^c) Sfcrieg.
bruf jurücf^og. Slm 13. Sflooember traf griebrich fcIBft in ©adfc
fcn ein. hocherfreut über $aunS SRücrjug , erteilte er fofort fei*
nem ÖJeneral ginf ©efehl , mit jmölftaufenb ÜRann nach %R a 5 e n
aufzubrechen unb bem im flauen' ferjen (SJrunbe ftehenben $>aun in
ben föücfen ju faden, um bemfelben ben SRücfyug nach Böhmen
abftufdjneiben — ein SBefehl, ben Napoleon für einen unbegreif-
lichen unb unoer glichen Segler griebrichS erflärt, ba SRichtS auf
bie 9Ibfid)t S)aunS gebeutet , ©achfen , beffen £>auptftabt er befaß,
burdj einen SRücfjug nach ^Böhmen bem geinbe preiszugeben, ginf,
ber bie Unausführbarfeit beS ihm geworbenen Auftrags erfannte,
oerfuchte Qkgcnoorfteflungen $u machen; griebrich fchnitt biefclben
jeboch mit ben barfchen SBorten ab: „Grr meiß, ich fann bie $iffi-
fultäten nicht leiben. SttaaV er, baß er fortfommt!" ginf gehorchte;
er fah fich jeboch, nachbem er faum bei ÜJcayen angelangt, oon ber
gefammten öfterrcichifchen Stacht eingefchloffen unb nach einem oer=
geblichen SSerfuche , fich burchjufchtagen , ju einer Kapitulation ge=
imungen, traft beren er fich mit feinem ganjen Storps ben Defter=
reichern friegSgefangen gab (20. Sßooember). 2Iuch ginf mußte fein
Unglücf als ein Vergehen büßen. !Racr) einem SluSfpruche be£
Kriegsgerichts mürbe er feiner ©teile entfefct unb erhielt biefelbe
auch fpäter oon fjriebrict) nicht jurücf.
Qnbeffen ^atte ber „ginfenfang bei 2Ra£en", ber in SBien
mit umfo größerer greube begrüßt mürbe , als er fo toenig SBlut
gefoftet, nicht, mie Üttaria %f)txt\\a hoffte, bie Räumung ©adjfenä
burch bie Greußen jitr golge. Obgleich baS preußifche $eer bur$
ben Unfall bei 9Ra;en auf Oierunbjmanjigtaufenb SKann rebucirt
morben mar, be^og griebrich bei SBilSbruf, $aun gegenüber, ein fefteS
Sager , in melchem er trojj ber fürchterlichen Kälte , bie in feinem
£eere Xaufenbc funmegraffte , bis über ben QahreSroechiel hinauö
auSl)ielt, nur bamit $aun auch in bem feinigen feftgehalten merbe
unb bie gleichen Sßerluftc erleibe. (£rft am 10. Januar 1760 ließ
er, nachbem ihm gerbinanb oon SBraunfchmctg eine Sßerftärfung oon
gehntaufenb SRann gefanbt hatte, feine ©olbaten bie Winterquartiere
beziehen, mobei er baS Hauptquartier nach greiberg oerlegte.
$luf bem meftlichen KriegSfchauplafc hfltten bie granzofen ben
gelbjug oon 1759 mit ber iöefefcung oon granffurt eröffnet, in
mclchcs ber $rin$ Oon ©oubife am 3. Qanuar unter bem SBormanb
eines einfachen $urchmarfcheS eingerüeft mar. Um fie mieber auS
biefer ©tabt $u Oertreiben , bie ihnen als £>aupttoaffenplafc biente
unb bie SBerbinbung beS am Dberrhein ftehenben SlrmceforpS mit
ber 2lrmee am SRieberrhein fomie mit ber SReichSarmee in granfen
berite, unb fie über ben 3flain jurücf jubrängen, brach gerbinanb oon
©raunfehmeig mit breißigtaufenb ÜJcann aus feinen Winterquartieren
auf; er erlitt jeboch am 13. 2lpril bei Sergen gegen ben in fcr>r
Digitized by Google
$ie Sdjlctdjtcn bei fiicgm^ unb £orgau.
443
oortfjeilfjafter Stellung öerfc^anjten $>erjog Don SBroglio eine 9£ie*
berlage , bie tfyn sunt 9tücf $ug nötigte unb bie SBieberbefefcung
$>effen3 burcf) bie gran$ofen, fomie ben Serluft oon 9#inben unb
SKänfter jur golge fj atte , bie im %imi unb oon (£ontabe£
erobert mürben. Sllle errungenen S8ortr)ciIc mürben jebocr) ben
granjofen burdj ben ©ieg roieber entriffen, welken gerbinanb oon
SBraunfdjweig am 1. Huguft bei 9fttnben über ben tf)m faft um
bie boppelte Xruppen$al)l überlegenen SontabeS erfocht.
£ie Sri)lad)ten bei Sicpifc unb Sorgau.
(1760)
9^act) ben in bem abgelaufenen $rieg3jaf)re erlittenen ferneren
©inbugen unb ben gewaltigen Lüftungen feiner ©egner tonnte
griebrid? ben gelbjng beä Qafyreä 1760 nur mit geringen £>off=
nungen auf eine günftigere ©eftaftung ber $5inge beginnen. SBäfjrenb
Defterreicr) unb SRufclanb über jroeimal^unberttaufenb ÜRann gegen
iljn tnö gelb ju führen Ratten, war eä if>m mit &nftrengmtg aller
Gräfte nid)t möglid) gewefen, mefjr als neunjigtaufenb 9flann ju=
fammen ju bringen, unb überbieä fonnten bie neu eingeteilten $e*
fruten, bie mit £ift unb ©ewalt ju feinen gähnen gefct)Ieppt worben
waren , bie alten ®emfdmaren nidjt erfefcen , mit benen er feine
früheren ©iege erfodjten t)atte. Süidj feine finanzielle 93ebrängnifj t)atte
ftd) bebeutenb gesteigert, unb nur burd) bie fcfjranfenloiefte
beutung ber befefcten Sanber , namentlidj @ad)fen3 , wo fogar bie
SSälber auägefjauen mürben, um ba$ $>ol$ in fltngenbe 9ftünje um=
jufefcen, fonnten bie nötigen ©elbmittel jur gortfefcung be3 Sfriegeä
befdjafft werben.
|>atte eä griebrid) im borfyergeljenbett $al)re ber SHugfjeit an=
gemeffen erachtet, fia? beim beginne be3 gelbjugS auf bie $efen*
fioe 51t befdjränfen , fo zwangen ifjn in biefem Safere bie S3erplt-
niffe ba$u. SieSmal wollte er feibft mit öierjigtaufenb ÜKann bie
SBertfjeibigung ©adjfenä übernehmen, wo $>aun bei Bresben ein öer=
fdjanäteä Sager belogen r)attc. gouqucS foflte mit fünfje^ntaufenb
Wann ©ajlefien beefen unb ber $rin$ ^einrtet) mit fünfunbbrctBtg*
taufenb 9ttann bie Muffen öon ber Sttarf abgalten. 2113 jebod) im
3uni auä ©Riepen bie Sfladjridtf einlief, ba§ ber öftcrrcict)ifct)e ©ene*
ral £>arfd) baä wichtige ©lafc eingefcf>loffen Ijabe unb gouque in fei-
nem fiager bei Sanb^ut oon Soubon fdjwer bebröngt werbe, überließ
griebrid) bie SBertfjeibiguug Sarf)fen3 feinem ©eneral hülfen unb bradj
nad) ©Rieften auf, in ber Hoffnung, baburdj audj $aun aus ®ad^
fen f)erau3$ujief)en. tiefer folgte il)m in ber £f)at auf bem gu&e
Digitized by Google '
444
$cr ftebenjftyrige (brittc fc^Icftfc^c) Jfrieg.
nach, unb eine 3«tlang jogen beibe £eere unter beftänbigen ©djar-
müfceln bidjt neben einanber fyer.
211$ griebrich bei 93au$en bie ©pree Übertritten hatte, erhielt er
bie 9ßadjrid)t, baß Sfouqud'S $>eer gefchtagen unb ber JJü^rer felbft
gefangen fei. ßoubon ^otte benfelben am 23. Quli mit bebeuten*
ber Uebermacht angegriffen unb nach mehrftünbiger berjmeiflungS*
boller (Gegenmehr ber Greußen unb ber (Gefangennehmung 3ouqu6'$
ben (Bieg errungen. Xa« Jußboll mar theilä getöbtet, tt)eil* zur
Ergebung gejmungen roorben, mährenb bie Reiterei fict) §um größten
Steile burchgefchlagen r)attc.
(Statt feinen SBeg nach ©chleften fortjufefeen, manbte ftdj
griebridj rafcf» um unb fefyrte nach ©adjfen jururf, mo er Bresben
burd) Ueberrafchung ^inmegjune^men Ijoffte, bebor £)aun itm ein*
holen fönne. $)a ü)m bteö nicr)t gelang, inbem ber ®ommanbant
bon Bresben mot)l auf feiner $mt unb jur nachbrücflichften %b*
mehr be3 geinbeö entfdjloffen mar, ließ er gegen bie ©tabt ein
furchtbares Sombarbement eröffnen, buret) melcheS fünf Kirchen unb
Zahlreiche $aläfte, fomie bierr)unbertfechzehn Käufer in 9lfd)e gelegt,
Diele (Simoofmer getöbtet unb unzählige anberen an ben 93ettelftab
gebraut mürben. $ie s2Infunft $)aunä unb bie SRachridjt, baß (Glafc
am 26. 3uü in bie £>änbe ber Defterreicher gefallen fei, bemogen it)n,
bie ^Belagerung bon Bresben aufzuheben unb zum ©dmfce bon ©refc*
lau unb ©chmeibnifc nach ©djlefien aufzubrechen. Xaun jog ihm
nac^, um it)m ben 2Beg ju berlegen, unb nachbem fich berfelbe mit
bem u)m entgegen $iet)enben Soubon bereinigt ^attc, fat) ftch ber
ftönig in (Gefahr, bon ber öfterreic^ifc^cn Uebermacht erbrüeft zu
merben. £a3 (Gefährliche feiner ßage mürbe erhöht burch ba3
heranziehen ©olttfoms, ber mit fechjigtaufenb Muffen bereit« in ber
9cäl)e bon Breslau ftanb unb beffen Bereinigung mit bem öfter*
reichlichen §cere bisher nur burch feine ©iferfucht auf $aun ber*
zögert morben.
Um feine (Gegner irre ju leiten, roechfelte griebrich bon Xag ju
Xag feine ©tellung. ©o zog er fich in ber Wacht bom 14. 2(uguft
ganz in ber ©tille auS feinem bon ben öfterreichifchen (Generalen
genau erfaßten Sager bei gefdtfenborf, oberhalb ßiegnifc, auf
bie unterhalb biefer ©tabt gelegenen Anhöhen bon $faffenborf
Zurücf, mo er feine SJcannfchaft bie ganze Stacht hinburd) in botler
$ampfbereitfchaft hielt. (Gegen $mei Uhr Borgens mürbe ihm ge=
melbet, baß ber geinb heranziehe. (SS mar Soubon, ber bie 2Tb*
ficht hotte, gleichfalls bie £öhen bon ^faffenborf ju befejjen, ba
bie öfterreichifchen gelbherren bem ®önig einen ähnlichen Ueberfall
mie bei ^pocr)fircr> zugebaut hatten. Sriebrid) ließ fogleich fein £>eer
in ©chlachtorbnung auffteHen, unb fo mürbe ßoubon, ber feine
Ahnung bon ber Stnroefenheit ber Greußen r)atte, mit einem t)efs
Digitized by Google
2)ic <5d)lacf)ten bei iMegnifc unb $orgau.
440
tigen ©efd)üfcfeuer empfangen, föafch gefaßt fußte er feine Druppen
in ©c^la^rrei^en ju orbnen, bodj ^inberte baS ungünftige Xerrain
eine genügenbe Ausbreitung bevfelben; auch bermocfjte er im Däm=
merli^te beS borgend nicht, ben mahren ©tanb beS 3einbeS ju
erfennen: bennocf) feuerte er bie ©einen au mutigem SBorge^en
gegen benfelben auf unb ga6 ihnen felbft baS SBeifpiel ber fühn*
ften DobeSöerachtung. Als er jeboch beim öoüftänbigen Anbruch
beS DageS erfannte, ba& er nicht, mie er öermutfjet $attc, nur
einem I^eile beS preufjifchen £eereS, fonbern ber ganzen Wla6)t
beS Königs gegenüberftanb, unb Daun, ber öon ber anberen Seite
ben geinb t)atte angreifen follen, ftch nicht bliefen lieg, trat er um
fecfjS Uf>r, unter 3urücflaffung öon fedjStaufenb Dobten, SScrnutnbeteii
unb befangenen unb jttjeiunba^tjig Kanonen, ben föücfyug an, ben
er in fotdjer Drbnung ausführte, ba& griebrich feiner Umgebung
öoll Semunberung jurief: „Da fef)t ben ßoubon! SBon bem fanu
man retiriren lernen; er räumt baS Selb toie ein ©ieger!w Daun
hatte fid) jmar jur beftimmten 3eit auf ben in ber 9caa)t öon ben
Greußen öerlaffenen $tycn eingefunben; aber ein ttribriger Söinb
hatte ilm öerljinbert, ben Donner ber Ökfchüfce öon bem entfernten
ßampfplafce ^er $u üemefjmen.
©leid) am SWorgen nach ber ©chladjt trat griebrich ben 2öeg
nach $ard)nrifc an unb erreichte ungefäljrbet 93reSlau, ba$ injmi^
ftf)cn öon Soubon öergeblid) belagert tnorben mar, aber burd) bie
ftattgefjabte SBefchtefcung bebeutenb gelitten hatte. Da Daun Üftiene
machte, ihn öon ©chroeibnifc abjufchneiben, mußte er ifym in biefer
Dichtung folgen. SBeibe lagerten fich fdjlieglicr) in ber 9läfje öon
DittmannSborf ; boch fam e$ jmifc^en ihnen nur ju Keinen ©cfjar*
müfceln, ba feiner öon Reiben baS SBagnifc unternehmen tooHte, ben
Anberu in feiner trefflichen ©tellung anzugreifen.
Unterbeffen mar e$ ben öfterreic^ifcr)en gelbherren gelungen, ben
gelbmarfdjatl ©oltiforo, ber fich, ofme jebmeben (Sifer für ben ^rieg
unb aufgebraßt über Dauns fiangfamfeit, öon SBreSlau lüieber über
bie Ober jurüefgejogen t)atter für ein gemeinfameS Unternehmen gegen
^Berlin $u gewinnen. Am 3. Dftober erfchienen fünfjehntaufenb
Cefterreid)er unter SaScti unb jroanjigtaufenb Muffen unter (Sjernit*
fasern oor ber preujjifchen £>auptftabt, unb ba ein herbeigeeilter preu*
ßifcher ^cerhaufen fich ju ihrem (ämtfafce ju fc^roact) eroieS, ergab
fich btefelbe am 9. Df tober. Der ©tabt mürbe eine ÄriegSfteuer öon
einer Sftillion füuffntnberttaufenb Dhalcrn unb jmethunberttaufenb
Xfyakx als ®efd)enf für baS £eer auferlegt.
Die 9tachrid)t öon ber SBefefcung feiner ^auptftabt burß bie Sftuffen
unb Cefterreicher bemog ben ftönig, fofort in ©ilmärfchen bahin aufju»
brechen ; er erfuhr jeboch ichon in (iJuben, baß SaScij unb Sjemitfchett)
am 12. Dftober auf bietunbe oon feinem herannahen Berlin mieber
Digitized by Google
446
2>er ftebeniäfjrige (brittc f c^lcfifcfjc) tfrieg.
geräumt Ratten. Slnftatt nach ©chlefien jurücf jufc^rcn, roanbte er fich
nach ©achjen, mo unterbeffen ba* 9teich*h«r ßeipzig erobert unb £>üt*
fen* Keinen $eerb,aufen jur Räumung öon Xorgau unb Wittenberg
gejtoungen hatte. £>ier ^orte fich 3)aun, ber gleichzeitig mit Sriebrich
t)on ©chlefien aufgebrochen mar, auf einer ^>ügelreir)c bei Xorgau,
ben Siptifeer £>öhen, in faft unangreifbarer ©tellung oerfdjanjt. 2Bähs
renb ber ©eneral hülfen ßeipzig unb Wittenberg jurüeferoberte
unb ba* >"Hcicr)ötjccr jum Stücf^ug gegen Umringen jroang, ging
griebrid) am 26. Dftober bei $)effau über bie (Slbe, um 3)aun
anzugreifen. (£r t>er^e^lte ftd) nicht, bafj er bei biejem Angriff
2We* auf* ©piel fefoe, ba für ben gatt eine* ähnlichen s2(u*gang*
roie bei ®uner*borf, ber bei 3)aun* numerifcher Ueberlegenheit unb
beffen trefflich gewählter ©tellung nicht ju ben Unmöglichfeiten
gehörte, nicht nur ©achfen für ihn verloren mar, fonbern auch bic
Jöejefcung ber 9flarf burch bie fiegreichen Defterreicher unb bie bei
£anb*berg an ber SBarthe ftehenben Muffen nicht mehr öerhinbert
roerben !onnte; aber er mar, mie er an ben SRarqui* borgend
fchrieb, entfdjtoffen, „in biefem Jelbjuge Sitte* ju magen unb bie
öer^roeifeltften $>inge ju unternehmen, um ju fiegen ober ein ehren-
öotte* @nbc ju finben."
sJcach bem öon Sriebrich enttoorfenen ©djlachtplane foUte ber
Angriff auf ba* öfterreichijehe #eer am 3. Nooember gleichzeitig
öon jmei ©eiten au* erfolgen, im Horben burch ihn felbft mit ber
Hauptmacht unb im ©üben burch 3ictheit mit einem getrennten
$orp*. ©ein veer zahlte öterunböierzigtaufenb, ba* öfterreich ijehe
oierunbfechzigtaufenb SRann. ©a)on in ber frühften äRorgenftunbe
fefcte fid) ber ®önig mit feinen Regimentern, bie in öier Kolonnen
getheilt roaren, in $emegung; ba er jeboch einen Weg öon mehreren
©tunben zurücf zulegen tjatte, mürbe e* ein Uhr Nachmittag*, ehe
er im Singefichte be* öfterreichifchen Speere* anlangte. &aum hatte
er begonnen, fein £>eer in ©chladjtorbnung aufzustellen, al* gegen
3toei Uhr öon ber entgegengefefcten ©cite ein heftiger $anonenbonner
herüberbrang. griebrid) ^rocifelte nicht, ba& Siethen bereit* ben
Kampf eröffnet f)G&e, unb ba er nur oon einem gleichzeitigen 2ln*
griff einen günftigen 3lu*gang ermarten zu bürfen glaubte, führte
er fogleich, ohne bie öollftänbige Slufftettung feiner Regimenter ab*
^umarten, einige ^Bataillone gegen ben geinb. Slber $aun, bem
ber Angriff nicht unerwartet fam, hatte feine iöorfehrungen zu einem
furchtbaren (Smpfange getroffen: au* mehr al* zwc^unoert ®&
fchüfcen ergoö fich &&cr bie Slnftürmenben ein Seuer, ba* ganze
Regimenter nieberfchmerterte. „(£* mar" , erzählt ber ^reujje
Slrcgenholfc, ber al* junger Offizier an bem blutigen Ireffen
nahm, in feiner ©efduchte be* fiebenjährigen Kriege*, „ein !öilb
ber |>ötte, bie fich bn öffa«i ih«n ^au& ju empfangen.
Digitized by Google
35te 6djlad)ten bei Siegnifc unb £orgcm.
447
Die älteften Krieger beiber .§eere Ratten nie eine foldje geuerfeene
gefeben; fctbft ber ®bnig bracb roteberbolt gegen feine Äbjutanten
in bie SBorte au3: ,2Belcb' fdjrecflicbe ®anonat)e; ^aben Sie je
eine äfntücf)e gehört?4 2Iucb mar bie SSirfung über alle SBorfteflung
grä&lict). 3n einer falben @tunbe lagen bie fünftaufenbfünfbunbert
©renabiece, roelcbe ben Singriff matten, tobt ober oerrounbet auf
bie 3Bat)Iftatt geftreeft, grö§tentbeil3 nodfc) ebe fie ifyre Ötemebre Ratten
abfeuern fönnen; nur fed)£f)unbert maren am anbern Xage wod)
• $um Dienfte übrig. (5& regnete ftarf; allein ber Bonner be$ %t*
fcbü(je3, ber fo gemaltjam unb ununterbrochen bie ßuft jerrifc, jer*
feilte bie SBolfen in ber Legion be3 si ampfplafeeS, unb ber £>imntel
mürbe etmaä Weiterer, 9Jctttlermetle rücfte bie |>auptfolonne aus bem
SBalbe an. 9cocb ebe bie Sßreujjen ben geinb in£ Äuge faffen
fonnten, fielen bie SBtpfel ber üöäume, öon ben kugeln jerfebmettert,
auf iljxc Mänpter. Da« prüden ber Kanonen miber^aUte gräßlich
burdj ben 28alb; e3 maren gleicbfam ^ofauuen beä Xobeä. Unb
nun beim 2lu3gang fa^en bie neu anrüefenben s$reu&en, bie fid^ in
SBogen bureb ben ^ulüerbampf fortfcblängelnben, feine fiegoerfpre*
d)enben @cenen, fonbern eine 28af)lftatt oofler lobten unb gra&üd)
öerftümmelter Körper, bie fid> feudjenb in ihrem SBlute maljten."
9cur mit unfäglicber SJcübe brauten bie s$reu&en ihre Kanonen
öorroärta, ba ^ferbe unb gfit)rer niebergefapffen unb bie Safetten
zertrümmert mürben, griebrieb ftanb. mitten im fjeftigften geuer.
Stents unb linte fdjlugen bie fernblieben kugeln in bie (£rbe, fo
ba§ fein $ferb in beftänbiger ©emegung blieb. Äudj traf ein
©treiffebufj feine ©ruft, ber it)m bie ©eftnnung raubte. SautloS
fanf er Dom Sßferbe; bod) balb fam er mieber ju fieb; benn bie
SBerrounbung mar feine fernere, ba ein $elj unb fein 6ammtrocf
bie SBirfung ber Jcugel gefdjmäcbt (jatten. W\t ben SBorten: „Än
meinem ßeben liegt beute am menigften. 3eber tf)ue feine Pflicht,
unb met)e Denen, bie jte nicht t^un!" fa)mang er fieb mieber aufä
^ßferb unb ftürmte öon Beuern in ben #ampf. ftttd) Daun, ber an
ber ©pifce feines gufcöolfä auf bie ^reufcen eingeftürmt, banc e*nc
SBunbe erhalten, bie er fieb mitten im ftampfgemübl, auf bem ©oben
fifcenb, uerbinben lieg, ohne feine Jöefc^lc ju unterbrechen.
3nbeffen mar ber Angriff ber ^reujjen bereite breimal $urud*
gefcblagen morben, unb mit jeber Siertelftunbe fanf grtebricb&
Hoffnung mehr; benn ber ®ern feiner Infanterie lag auf bem
Sölutfelbe bingefcblacbtet, unb noeb ^atte man fid) ber fernblieben
SBerfdjanaungen niebt bemächtigt, ©nbltcb nötbigte ibn bie früb ein«
breebenbe Stacht, SBefetjl jum Äücfjug in bie (Sbene ju geben, mäb-
renb Daun, ber ftd) feiner SBunbe megen nad) Xorgau ^attc bringen
laffen müffen, einen Äurier mit ber Siegeabotjcbaft nacb SBien
entfanbte.
Uigitizecl by
448
S)er ficbenjft^rige (brüte fdWtfäe) #™g.
$odj wie im üorljergefjenben 3af)rc bei Äuneräborf, fo trat
aud) f)ier ein unerwarteter Umfdjmung ein. gießen fmtte nämlidj,
nadjbem er längere Qtit burdj einen öfterreidufd)en SSorpoften auf*
gehalten worben, gegen weldjcn er Kanonen fjatte aufführen laffen
muffen, ben Angriff üerjogert, um ben feiner Meinung nadj üon
bem $önig fiegreidj jurütfgemorfenen Defterreidjern beim $erabfteü
gen üon ben $öf)en ben Kucfjug abjufdjneiben. Srfl als er bic
Ueberjeugung gewonnen, ba& griebridjä Angriff abgeflogen Wor*
ben, warf er fidj mit aller SJcadjt auf bie Cefterreidjer, unb ba if>m
bie glommen beS in ©raub gefteeften $orfe§ Siprifc $ur Seudjte
bienten, gelang eä Ujm, an einer unbefefcten Seite bis auf bie 2ln=
fyöf)e oorjubringen. #ier entfpann fidj aldbalb ein heftiger $ampf,
in meinem Siethen bura) oerjd)iebene jerfprengten Regimenter, bie
auf griebrid)3 Seite gefämpft unb fic^ tn$mtfd)en wieber gefammelt
Ratten, aufs *Rad)brürflid)fte unterftüfct würbe. $a ben burdj ben
unerwarteten Angriff ofmeljin in Verwirrung geratenen £)efterret=
djern bie 9)cumtion ausgegangen , fanbte $aun üon $orgau aus
©efef)l, ben SBütfjug über bie (£lbe anzutreten.
griebrid) braute, wäfyrenb feine Gruppen fid& auf ber Sorgauer
jpaibe an unjaftfigen SBadjtfeuern gelagert, bie 9cad)t in ber flcinen
JÜirdje beä Dorfes (JlSnig ju, weil ade 23auernf)äufer mit SBerwnn*
beten angefüllt waren, üftit fieberhafter Ungebulb erwartete er ben
Slnbrudj beS XagcS, um fein £>eer aufs SReue in Sdjladjtorbnung
aufstellen. Qn ber erften SJcorgenbämmerung warf er fid) auf
fein ^j$ferb unb ritt jum $orfe f)inau$, um fid) ©ewißfyeit über ben
Staub ber $ingc ju ücrfdjaffen. 55a erblidte er in ber gerne einen
Xrupp £mfaren, unb atebalb fprengte Siethen ü)m mit ben ©or-
ten entgegen: „(Eure üßajeftät, ber geinb ift gef djlagen ; er jieljt
fidj jurüd." griebrid) umarmte tr)n nnb brürfte tl;m tief bewegt
feinen 2)anf aus.
$cr tjeige Xag fjatte auf beiben Seiten fernere Opfer gefoftet.
s-Bou ben fßren&en lagen jelmtaufcnb äftann tobt ober üerwunbet auf
ber blutbebedten SS3af)lftätte unb üiertaufenb waren als befangene
ben Defterreidjern in bie £änbe gefallen ; baä £eer $aunS jäfjlte
ad)ttaujeub Xobte unb ißerwunbete unb ebenfo Diele befangenen.
Obgleid) griebrid) feinen äwetf, bic Cefterreidjer aus Saufen ju
oertreiben, nid)t erreidjt fyatte, ba £aun feinen Ütüdjug auf Bres-
ben genommen, fo fyatte er burd> ben Sieg bei Sorgau bod) fo Diel
getDonucn, baß Soltifow Don einem (£inbrud) in bie Wlaxt abgefjal--
teu Würbe unb er felbft bie Winterquartiere uoa^ einmal in Sadj-
jen nehmen tonnte , wo er btedmal fein Hauptquartier in fieipjig
auffd)lug. ^te Ütuffen jogen fic^ al^balb naa^ 3ßolen jurüd, mä^--
reub ^oubou fein .peer in ber ©rafjc^aft 6Jla(j bie Winterquartiere
bejieljeu lieg.
Digitized by Google
$ie a»ci Ickten #riea3jaf)re unb bet ftubcrtSburger triebe. 449
3nnftf)en ben franjöfifdjen Slrmeen unb ben berbunbeten %vup*
pen unter bem s$rinjcn gerbinanb öon SBraunfömeig mar es in
biefem Selb$ug ju feinem bebeutenben (Sreigniß gefommen, obgleich
bie erfteren einmaHjunbertawanjigtaufenb Üflann jaulten unb ber
$rinj gerbinanb ad)tunbneunjigtaufenb Wtaxin unter feinem ®om*
manbo fjatte ; nur ber Keine ®rieg mar eifrig geführt worben. 2Jton
t)attc beiberfeitig ©täbte genommen unb ebenfo fdjnell wieber öer*
loren, unb am (Snbe beS 3af)re$ befanben fi$ bie beiberfeitigen |>eere
ungefähr wieber in ber gleiten Stellung, wie am Anfang beSfelben.
Sie jwei legten ftriegäja&re unb ber £ubert3burger triebe.
(1761-1763.)
Qm fiaufe beS SSinterS waren öon öerfdjiebenen ©eiten 3rie*
benSnnterfianblungcn in Anregung gebracht worben, unb bie meiften
ber am Kriege beteiligten 9JMc|te Ratten fid) für bie Slbfmltung
eines griebcnSfongreffeS entf dneben, ber im 3uü 1761 5U SlugS-
bürg eröffnet werben fotlte ; ba jebod) bie ©egner JriebrtdjS Dör-
fer noef) größere 93ortr)ciIc über if)n ju erlangen hofften, fyatte ber
f?rieg feinen ungefyinberten gortqang. $er ®önig fonnte in ber
Xfyat bem neuen Selbjug nur mit ber größten SBeforgniß entgegen*
fe^en; benn feine Sage mar eine immer bebrängtere geworben. $>ie
jafjlreidjen Süden in feinen beeren würben $war burd) bie im
ganjen 9ieict)e angefteHten unb burdj jebe nur erbenflidje öift unter*
ftüfcten SBerbungen wieber ausgefüllt ; aber bie neuen ©olbaten
mußten erft wäfyrenb beS Sieges einejercirt werben , unb auf bie
(befangenen, bie man, ofyne fie ju fragen, ob fte unter beS Königs
gafjnen bienen wollten , mit (Semalt unter bie preußifdjen Sftcgi*
menter fteefte, war fein SÖerlaß. $5a$u fam bie SBanblung, bie in
ber ^olitif (SnglanbS feit bem Regierungsantritte (SeorgS III., beS
(£nfels (SJeorgS II. (f. ©. 301) eingetreten war unb bie bem ®önig
öon Greußen ntc^t nur eine minber eifrige Söetfjeiligung ©nglanbä
an bem Kriege, fonbem aud) ben Abgang ber englifdjen ©ubfibien
in SluSfidjt fteflte. Qu ber ©efdjaffung ber nötigen ©elbmittel
reichte bie fortgefefcte SBerfdjledjterung ber 2ttünjen nidjt auS, unb
wie bie Ihräfte feiner eigenen fiänber öollftänbig erfct)öpft waren, fo
öerfiegten audj bie Hilfsquellen, bie if)m bisher in Saufen ju ©ebot
geftanben, me^r unb mefjr.
föadj bem jwifdjen ben $öfen öon SBten unb Petersburg öer*
einbarten gelbjugSplane foflten Soubon unb ©uturlin, ber an ©ol=
tifows ©teile getreten, ©djlefien öollftänbig erobern unb bie 2flarf
befefcen, $aun bagegen ben Äönig in ©adjfen bejdjäftigen. Sriebrid)
&ol4toari$, S&Ugef$i<$t*. VI. 29
Digiti
450
$er [tebenjftyriöe (britte fc^lefif(±»c) tfrieg.
überliefe jebodj bcn €berbefel)l in bicfem Sanbe feinem ©ruber
£einrid) unb brad) nad) ©Rieften auf, um bie Bertf>eibigung biefer
^jßroüinj in $erfon ju übernehmen. $5rei Monate lang fud)te er
burdj fünftlic^e üftärfdje unb äRanööer bie Bereinigung fioubonS
mit bem oon ber polnifdjen ©renje ^eranjie^enben Buturlin $u
öcrhjnbern ; beffenungeadjtet erfolgte biefelbe am 17. 2luguft bei
Striegau. Um nid)t oon ber feinbüc^en Uebermadjt erbrüeft $u
merben — baS berbünbete #eer jaulte einmatlmnbertbreigigtaufenb
2)cann , baS feinige nur fed^igtaufenb — oerfdjanjte er ftdj bei
JBunjcltt>if , untueit Sdjmeibnifc, fo feft, bag fein £agcr einer geftung
glia). $ennod) mürbe er oerloren gemefen fein , ^ättc nid)t Butur*
lin, ber ben Krieg ebenfo läffig betrieb, nrie fein Borgänger, fiefj
bem oon Soubon geforberten Angriff auf baS preugifc^e £ager ent=
{Rieben miberfefct. 911S ßoubon fdjlic&Iid) ju Bortoürfen gegen
feinen 2)citbcfci)iSf)aber überging, 50g fid) biefer, nadjbem Bcibe baS
preujjifdje §eer jroanjig Sage lang etngefdjloffen, am 9. September
nneber hinter bie Ober unb üon bort nad) $olen aurfid, inbem er
nur jroölftaufcnb SDcann bei bem öfterreidnfdjcn Speere jurütflie&.
Um if)m bie 9tücffer>r oon bort für bie nädtfte 3"* unmögltd) $u
machen unb baburd) bie 2Jcarf gegen einen (äHnbruA oon feiner Seite
311 fdn't&en, ließ griebrid) burd) ben iljm nadjgefanbten (Seneral
s$laten afle in feinem föütfen bcfinblidjen BorratfjShäufer nieber^
brennen.
Um Soubon aus bem Gtebirge in bie ©bene ju lotfen unb if)n
buraj einen Ueberfall jur Sd)lad)t ju fingen, oerliefc griebrid)
fein fefteS Sager unb manbte fidj gegen Steige ; er gab jebod) ba*
burd) bie geftung Sdjmeibnifc feinem (Segner preis, unb Öoubon
beeilte fid) , aus biefer Unoorfidjtigfeit feine« ÖJegnerS Bortljeil $u
jie^en. @r bradj in aller Stille gegen Sa^mcibni^ auf unb nafjm
biefe midjtige geftung in ber föadjt 311m l. Dftober burd) einen
qlücflid) ausgeführten UeberfaQ. l'cit ber fdjroadjen Bejahung oon
breitau jenb äftann, bie fich ihm ohne Kapitulation ergeben mu§te,
fiel ihm ein reidjer Borrath oon aßen möglidjen Kriegs bebürfniffen
in bie £)änbe.
ds mar ein fernerer Schlag für griebrid), ber anfangs gar
nicht Daran glauben wollte unb ben 2Ibjutanten , melier ihm bie
UnglurfSbotfchaft überbrachte, mit ben SBorten anfuhr: „3dj fag'
if)m aber , es ift nicht wahr ! Sdjeer er fid) ^um Xeufel !" $tn
eine Bertreibung ber Dcfterreidjer aus Sa^leften fonnte er jefct nicht
mehr beuten ; er mufjte nur auf bie Rettung ber £auptftabt unb
ber übrigen gfeftungen bebadjt fein. Qu biefem (Snbe lieg er feine
Xruppen in ben Dörfern bei Strehlen lagern unb na^m felbft in
bem ®orfe SBoifelmife, in ber 9cäl)e biefer Stabt, fein £>auptquar*
tier. ,J>ier blieb er bis $um 10. ^ejember, mo er fein |>eer langS
Digitized by Google
$ie jioet legten tfriegSjcihre unb ber §ubertäburger griebe. 451
ber Ober jnnfäen s-örieg unb GJlogau in bie SBinterquartiere legte,
mahrenb er fetbft feine Söofmung in Sörealau nahm. &aum bort
angefommen, erhielt er bie Nachricht, bafj ba£ wichtige Dolberg,
ba£ feit bem 20. Sluguft öon einem ruffifdjen |>eer^aufen unter
bem trafen SRomanjoto mit £>ilfe einer ruffifc^-fc^tDebifc^en flotte
belagert unb öon bem ®ommanbanteu ber Jcftung, £5berft £>eoben,
mit Umfielt unb ©ntjc^Ioffen^eit öertfjeibigt roorben mar , fid) am
16. $e$ember au3 Langel an Lebensmitteln unb ©chiefrbebarf hatte
ergeben muffen.
2Bie in ©Rieften , fo mar e£ auä) auf ben übrigen Sl ricgS*
fchaupläfcen mäfyrenb be3 gelbjugä öon 1761 ju feinem irgenbmie
entfa^eibenben (£reigni& gefommen. $ie Schweben, beren $hatfraft
burd) baä auf bie Sfonee jurürfroirfenbe Sßarteigetriebe be3 im
Sltleinbefije ber Sftadjt befinbltchen Slbela gelähmt nnirbe, maren
burd) ben ©eneral Petting mit üerhältni&mä&ig geringen Streit-
fräften im Schach gehalten roorben. Qu Saufen hatte $)aun, trofo
feinet bebeutenben Uebevmac^t, ben s^rinjen Heinrich nicht au3 feiner
Stellung ju üerbrängen oermocht, mä^renb bie flteichSöölfer bura)
ben mieber genefenen Seöblifc hinter ber Slfter jurücfgehalten mor-
ben maren. säm sJ*hein unb an ber SSkfer Ratten bie franaöfifchen
Speere, obfehon fie auf bie Stärfe öon einmalhunbertöieraigtaufenb
2Rann gebraut morben unb öon $ampfluft erfüllt roaren, gegen ben
ebenfo umfiajtigeu als entfchloffenen £>eraog öon s«öraunfa)meig sJli<fytä
auarichten fönnen, weit eä bem £>erjog öon iöroglio, ber bie Slrmee
be3 Obergerns befehligte, bei all' feiner fonftigen Xüdjtigfeit an
iöefonnenhett, unb bem ^rinjen öon Soubife, bem Dberanfüfyrer
ber silrmee beä sJtieberrhein* , an X^atfraft fehlte unb iöeibe über*
bieä burd) 9ceib unb ©iferfucfjt an einem einmütigen Sujammen*
gehen ge^inbert mürben.
So hatte auch ber gelbjug beS Saljreä 1761 dlifytt entfe^ie-
ben, bie Sage SriebrichS aber bebeutenb öerfchlimmert. Üttit Sduöeib*
ni& hatte er bie $>älfte öon Scf)lefien unb mit Dolberg bie Hälfte
öon Bommern üerloren , unb in betben Sänberu hotten feine ©eg*
ner jum erften 30iale bie Söinterquartiere nehmen tonnen. SBon
Sachfen hatte er nur einen Xheil inne, unb feine gefammten Streit*
fräfte in biejem Laube , lote in Schleften , beftanben nur noch au3
ettuaä mehr als fedföigtaufenb 9Jcann.
Söeiche Hoffnungen tonnten bem ftimig unter biefen Verhält*
niffen für ben 3*lb$ug beS fommenben 3ahre3 bleiben? „$er
größte %f)tü ber ^roDin^en," jagt er fetbft , „mar erobert ober
oerheert; man fat) nicht mehr ab, moher man Siefruten nehmen,
reo man sßferbe unb (Sefdurre befommen, »o man Lebensmittel
ftnbeu follte, noch mie mau mit Sicherheit bie &rieg£bebürfniffe
jur s2(rmee f Raffen fönnte." 3n feiner 9loth öerfchmahte er eä
29*
Digitized by Google
452 $er rieben jfUjrige (britte fd)lefi|d)e) Jtttcg.
nidjt, ben tfirfifdjen Sultan unb ben ®fian ber Xataren jum Kriege
gegen Defterreid) unb SRufjlanb aufjuftadjeln ; gfänjenbe ©eferjenfe
mürben nad) #onftantinopel gefanbt, um ben (Sultan £)*man III.
ju einem (Einfall in Ungarn ju beftimmen. 511* aud) biefe* erhoffte
$Rettung*mittel fef)l fdjlug, ttne* griebrid) feinen ÖJefanbten in Öon*
bon an, 5llle* jum ©turje be* neuen Sttinifter* ©ute aufzubieten,
burdj beffen (Einfluß ifnn bie früher gejagten ©ubfibien entzogen
tüorben maren ; aber feine $epefd>en gelangten $ur Äenntrtifc
©eorg* III., unb fo würbe ba* ^Bcrtjältnig jroifdjen tf>m unb G£ng*
Ianb nur um fo gefpannter. Qn ben Wugen Don ganj (Europa galt
feine ©adje al* eine verlorene. „Üftan fann jefct brei gegen eins
roerten," fdjrieb Voltaire an ben franjöftfajen sJftmifter (£f)oifeut,
„ba§ ßue (biefen ©pottnamen r)atte er bem $önig gegeben) mit
feinen Herfen, ©paffen unb SBefdjimpfungen unb mit feiner ^ottrif,
bie afle jufammen gleich fcr>tccr)t ftnb, öertoren tft." $)odj al* bic
SRotf) für griebrid) auf« £>öd)fte geftiegen, eröffnete ftd) iljm in
bem £ t) r o n m e d) f e l in SR u ß l a n b bie fixere >2lu*fic$t auf
Rettung.
?(m 5. Qanuar 1762 erlag bie ®aiferin ©lifabetl) nacr)
längerer #ranfl)eit einem ©lutfturj, unb iljr SReffe peter öon $ol*
ftetn=(5Jottorp , ber nod) an bemfelben Xage al* $ e t e r III. ben
ruffifajen Xfjron beftieg, mar ein fo fdjmärmerifajer SSerefyrer grieb*
rid)*, ber il)m al* ba* Qbeal eine* gürften galt, ba& er einen
SRtng mit beffen 93ilb ftet* al* r)öcr)fted ftleinob am ginger trug
unb biefe* Eilb oft öor ben Muffen mit Eegeifterung fügte. ©leid)
nadj feiner Sfjronbefteigung gab er allen preußifdjen befangenen,
beren 2(u*löfung (Slifabcttj be&arrlidj toermeigert tyatte, ofjne fiöfegelb
bie greifet jurüd, öerbot ba* fernere 9lu*f>auen ber preußifdjen
halber, fdjenfte ben öerarmten pomraer'fdjen ©tänben bebeutenbe
©elbfummen unb räumte tynen feine 2Hagaaine in ©targarb ein.
griebria} fanbte if>m herauf gleidrfaH* bie ruffifd)en ©efangenen
jururf unb öerorbnete bie Söiebererftattung aller au* bem gürften*
t§um §tn^alt--3crbft , bem ©eburt*lanbe ber neuen ftaiferin ftatfja*
rina, beigetriebenen SBranbfdjafcungen unb Sief erungen. Arn 16. 9Jiära
mürbe ju ©targarb ättnfdjen betben Sttädjtcn ein SSaffenftiÖftanb
gejdjloffen, unb am 5. 2Hai erfolgte ju Petersburg ber 2lbfd>luß
eine* grteben*, burd) meld/en griebrid) alle öon ben Muffen ero»
berten preußifdjen ©ebiete jurürferluelt. tiefer griete mürbe am
8. Quni in ein förmliche* Jöünbniß üermanbelt , worin ber (£jar
bem ftöntg ade feine ©taaten nad) ben grieben*fd)lüffen öon *8re*lau
unb $)re*ben garantirte. Qu ber gleiten Seit erhielt ber nod) in
Polen ftet)enbe ©jcrnttjcfiero 33efe^l, mit jmanjigtaufenb 3^ann ju
bem preulifc^en Speere ju ftojjen.
2)ie nöa^fte golge ber Jperftellung be* grieben* jmifa^en dlufc
Digitized by Google
$ie gmci legten ÄriegSjafyre unb ber $ubcrtSburfler ftviibt. 453
lanb unb Greußen toar ber Abfdjluß eines SBaffenftillftanbeS $roi«
fcfyen Greußen unb ©dnoeben, ber am 7. April burdj bie Sßermitt*
lung beS Goaren 51t ©taube fam unb am 22. 2Rat ju Hamburg
in einen befinitioen grtebeu ocrmanbelt nntrbe. ©djmeben fagte fidj
in bemfelben oon bem 33unbe mit ben (Gegnern 3riebri($S Iodr unb
beibe Xfjeile oerpflidjteten fid) jur gegenfeitigen greigebung ber @Je*
fangenen, foroie jur £>erfteflung ber ©renjen , nrie fie öor bem
Kriege geroefen.
3friebrid)S fd^roerfte Sebrängnifj tuar üorüber, unb er (onnte
nun alle feine Gräfte gegen Defterreid) roenben, roo$u er unöerjüg*
lid) bie nötfngen Anorbnungen traf. $er auS Bommern jurütfge*
Teljrte (General Söefling würbe $ur Sßerftärfung beS Prinjen $>ein*
ridj nad) ©ad)fen gefanbt, roäfjrenb griebrid) mit #ilfe (Eternit*
fdjeroS bie JJeftung ©djroeibnifc roieber ju erobern unb bie Oefter*
reicher gänjltdj aus ©djlefien $u oerbrängen gebaute. Ilm $)aun,
ber roieber an ßoubonS ©teile ben Dberbefefjl in ©djlefien führte
unb jum ©djufce oon ©diroeibnift ^erdnjog , ben (£ntfafc biefer
?¥eftung unmöglich $u machen, griff er ben bei Abelsbad) fteljenben
tinfen ftlügel beS öfterreidnfdjen $mt% an, unb ba er gegen ben*
felben SßtdjtS auszurichten t>ermod)te, befd)loß er, feinen Angriff
gegen ben auf ben Pütjen oon SöurferSborf oerfdjanjten regten
ftlüget 3)aunS ju rieten, ®aum I)atte er jebod) baju bie nötigen
Anorbnuugen getroffen , als © jernitfe^en) au* Petersburg S3efef)l
erhielt, mit feinen jmanjigtaufcnb HÄann fofort nadj föuglanb $u*
rudaufefjren.
(Sin neuer Xfpnroedjfcl fmtte bort Alles umgeftaltet. ^ßeter III.,
ber ftdj burdj mißliebige Neuerungen oerfjaßt gemadjt, mar auf
Anftiften feiner ©emaf)lin geftürjt unb balb barauf ermorbet roor*
ben, unb biefe fetbft Jjatte als $at Marina II. ben ruffifdjen
2f)ron beftiegen. S)a fie nidjt nur bie Steuerungen ü)reS ÖJemaf)lS,
fonbern audj beffen unroürbigeS SBeneljmen gegen fie fetbft bem
CSHnfluffe griebridjS jufdjrieb, Ijatte fie unmittelbar nadj i^rer
X^ronbefteigung ein Üttanifeft erlaffen, in meinem Greußen als ber
Sobfeinb föufjlanbS bejeidmet unb atkS für nichtig erflärt mar, toaS
jnrifdjeu ^eter III. unb griebrid) vereinbart morben; nadjbem fie
jebodj aus öerfdjiebenen , unter PeterS papieren oorgefunbenen
«riefen bes Königs bie ©eroij^eit geköpft , baß griebrid) oie)-en
cor allen unoorfid)tigen Steuerungen gemamt unb ü)m eine toürbU
gere SBefjanblung feiner ©ema^liu bringenb empfohlen, nafjm fie bie
gegen Preußen erlaffenen $Befd)lüffe jurüd, bod) blieb eS bei ber
Abberufung (£aernitid)eros.
$!iefe Abberufung mar für $riebridj ein 5)onnerfa^lag ; er
verbarg jebod) feine ©eftürjung unb bat ben ruffifdjen gelb^crrn
nur, ifm niajt üor ber SBeenbigung ber ©d^laa^t ju oerlaffen. 3)a$u
Digitized by Google
454
2>er ftebenjffftrige (brittc fölefifte) flrieg.
ließ fiel) ^emitfc^cm benn audj bewegen unb trug baburdj roefent=
lid) ju einer für griebrid) günftigen ©ntfdjeibung bc£ Greffens bei,
inbem 2)aun, ber bie SRuffen nodj immer für fteinbe In'elt , ftdj ge-
nötigt falj, bem in ©dtfadjtorbnung aufgeteilten ruffifdjen £orp»
eine entfpredjenbe $ruppenaat)l gegenüberstellen , unb baburd) an
ber Skrtoenbung feiner gefammten Xruppenmadjt gegen ba£ preu-
fcifdie £eer oerfn'nbert mar. Sftadjbem ber oon griebridj angegriffene
redjte öfterreid)ifd)c ^Jlüget mehrere Stunben lang mit Sömenmutlj
gegen bie preufjifdje Uebermadjt gefämpft, mußte $)aun mit einem
S3erlufte üon na^e^u breitaufenb SJcann ba3 Sd)lad)tfelb räumen
(21. Quli 1762). Sßäfjrenb er ftdj nad) ber bofnnifdjen ©renje jurücf-
jog, fa^Iug (£$emitfcb,em ben 9tücfmeg nad) SRuftfanb ein.
Sftadj bem 5Ibjuge ber Defterretd)er traf griebrid) fofort $8or-
fetyrungen jur Belagerung üon Sctjtoeibnifc, bie am 8. 9luguft eröff=
net mürbe unb neun üoüc Söodjen bauerte. Nadjbem ein Sßerfud*
£aun$, bie geftung $u entfefcen, fefjlgefrfjlagen mar, ergab fidj biefelbe
am 9. Dftober nad) bem fyclbenmütfjigften Söiberftanb, ber ben 33e-
lagerten breitaufenbfünffjunbert unb ben Belagerern breitaufenb
Sttann gefoftet Ijatte.
äftit bem galle üon Sdjmeibnifc mar ber ßrieg in Sdjlefien
beenbet ; in Sadjfen, mo es injmtfcrjen nur ju üerfdjiebenen flehten
®efed)ten gefommen, bauerte er noct) bis jum 29. Dftober fort, an
meinem Sage $rinj £>einrid) beigreiberg über bie 9icid}3armce
unb bie Defterreid)er unter bem Surften üon Stolberg einen ©ieg
erfodjt , ber ben $ampf auf bem gefammten öftlicfyen $rieg3fdjait;
plafce abfdjloß, inbem am 24. 9coüember ein SBaffcnftiUftanb 3roifd)eu
Defterreid) unb Greußen ju ©tanbc fam, bem balb ber erfefjntc
griebe fotgen foßte.
$)a bie 9kid)3truppen in ben gefdjloffcncn SBaffenftillftanb nidjt
einbegriffen maren, ließ griebrid), ber feine Xruppcn oon Xfyüringen
burd) Saufen unb bie Saufifc ^inburd) bis Sdjleficn in bie 2Öinter=
quartiere üertbeift unb fein Hauptquartier in Seipjig genommen,
ben Dberften ftleift mit jefjntaufeub Üftann in granfen einbrechen,
um SBranbfdjafcungen beijutreiben unb jugleid) bie bortigen 9icid)a=
ftänbc jur Neutralität ju jmingen, melier ßroeef aud) bei ben $ur-
fürften oon Baiern unb 9}?atn$, fonüe bei ben Bifdjöfen oon Bam=
berg unb Sßürjburg erreidjt mürbe.
2(uf bem meftlid)eu ßriegäfdmuplafce hatte gerbinattb üon Braun -
fdjmeig, ber auch in biefem gelb^ugc rübmlidt) gegen bie Rranjofcn
gefodnen, am 1. Sftoüember Gaffel erobert, unb ba jmei 4age
fpätcr, am 3. 9coücmber, bie griebenäpräliminarien amifdjen ©ng--
lanb unb granfreich unterzeichnet mürben, l)ürte aud) in biefen ÖJe---
genben ber lange üerfjeercnbe ÄMeg auf.
«So ftanben Ovaria X^evefia unb griebria) einanber atiein
Digitized by Google
$ie jroei Ickten $rieg8jabre unb ber ftitbertsburßer griebe. 455
gegenüber, unb ba ber ®önig mein: als je entfcfjloffen mar, nidjt
baS ©eringfte öon bem aufzugeben , roaS er in ben oorfjcrgeljenben
Kriegen geroonnen, unb trofc ber gänjlidjen (Shrfdjöpfung feinet San*
beS 23 orf errungen ju einem neuen gclbjuge traf, blieb ber ®aiferin
feine anbere 2Baf)l , als ben ®rieg mit bem Aufgebote aller Gräfte
if)reS 8ietd)eS allein fortjufejjen ober burdj bie nodjmaltgc unb beft-
nitiüe Veräidjtleiftung auf ©Rieften unb ©lafc ben Stieben ju
erfaufen. ©ie entfdjieb fiel) für baS Severe im .ftinblicf auf bie
geringe 9Bafjrfd)einlid)feit , mit ifjren alleinigen Gräften meljr ju
erreichen, als im Vereine mit fo Dielen mächtigen VunbeSgenoffen,
fonrie mit Sftütffidjt auf bie ©efjnfudjt ifjrer Golfer nadj grieben
unb auf bie bebenflidje £>öl)e , ju tneldjer bie öfterreid)ifd)e ©taatS-
fd)ulb mäfnrenb beS Krieges angcroadjfen mar. Sftadjbem pe bem
®önig burd) ben Kronprinzen oon ©aefifen bie ©rflärung fmtte ju*
fommen laffen, „baß fie ju einem balbigen billigen unb Dauerhaften
grieben maljrfjaft geneigt fei/' miüigte griebrtd), beffen griebenS-
bebürfuiß nid)t minber groß mar, als baS ifjrige, in bie Mbfjaltung
eines ßongreffeS, ber am 31. ^ejember 1762 auf bem fädjfifdjen
3agbfd)toffe £>ubertsburg, jroifdjen beißen unb SBurjen,
eröffnet mürbe. Deftcrrcid) mar auf bemfelben burd) ben £>ofratfy
öon $offenbad), Greußen burd) ben ®ef)eimen SegationSratf) öon
^erjberg unb ©ad)fen burd) ben (SJefjeimenratf) gritfet) öertreten.
S)a man fid) öon allen (Seiten über bie griebenSbebingungcn jum
Boraus flar gemorben, fließ baS griebenSroerf auf (eine ert)eblid)en
©djroierigfeiten. 9cad) einem öergeblidjen SSerfucfjc beS Vertreters
Defterreid)3 , griebridj II. jur Verzidjtleiftung auf bie ÖJraffdurft
®laft ju bemegen, fam am 15. gebruar 1763 ber griebe ju
©tanbe. $)ie .(lauptbebingung beSfelben mar bie aßfeitige 3lner=
fennung bcS VefifcftanbeS ber brei Staaten, mie er öor bem Kriege
gemefen. Slußerbem fagte griebrtd) II. bem älteften ©ofme bei-
ftaiferin, bem ©r^erzog Qofeplj, feine ©timmc ju ber römifdjen
Ä'önigsmaljl ftit. gn ben grieben mit Cefterreid) mürbe aud) baS
beutfdje föeid) aufgenommen. $)ie 3urütfzicf)ung ber preufii)d)cn
Xruppcn aus ©adjfen unb ber bftcrreiajifdjen aus ©djlefien erfolgte,
ber getroffenen Vereinbarung gemäß, brei 9Boa)cn nad) bem 5lbfa)luß
beS griebenS.
©o ging griebrtd) aus bem langen, fa)lad)tenreid)en Kampfe
als ©ieger fjerüor unb l)attc erreicht , maS er erftrebt: bie ©tel*
hing Greußens als einer europäifdjen ®roßmad)t mar gefidjert,
unb ber ©lanj feiner Xfjaten fjatte baS ^nbenfen an bie 9tccf)t^=
mibrigfeit feines VorgefjenS in ben $>intergrunb gebrängt. $>ie
traurigen golgen beS öerfjängnißüollen Krieges aber traten in ben
meiften ber An bemjelben beteiligt gemeienen ©taaten in idjretfem
erregenber SBeife ju 2age. granfreid) unb ©djmeben maren bem
Digitized b;
456 $ie atoei legten tfriegSjaljre unb ber JmbertSburger triebe.
93anferotte nafje; bie engltfa^e 9cationalfdmlb f>atte ftdj oerboppelt,
bie öfterreidjifdje mar um (mnbert Millionen ©utben gemad>fen;
baS bon greunben unb geinben auSgefogene ©adrfen berechnete
feinen #riegSfcfjaben auf fiebrig bis adjt$ig 3JiiIIioncn X&aler. 3n
Greußen mar nad) gricbridjS eigenem ^eftänbni6f ber neunte Xfjeü
ber ©eoölferung tljeilS in Sdjladjten, tljeilS burd) ftrantyeiten ju
Omnbe gegangen; einzelne ©täbte maren gänjlidj jerftört, anbere
lagen $ur $älfte in Krümmern; $at)lreid)e Dörfer maren fammt
tfjren ©emoljnern oerfdjmunben ; bie Selber lagen bradj, meil eS
an ©aatforn, an 5öie^ unb an |>anben $ur SBebauung fehlte.
Ueberau Ijerrfdjte 9^ott) ; ber Jhebit mar oernidjtet, bie Drbnung
untergraben, ber 9tid)terftanb zerrüttet unb bie SfriegSäuajt gelocfert.
5lm Xraurigften faf) eS in benjenigen ßänbern aus, in melden bte
Muffen unb bie granjofen gekauft. $n ^ßreu&cn, jammern unb
ber 9ceumarf maren ganje Oegenben öollftänbig oeröbet ; an breißtg*
taufenb meljrlofe 9Jcenfd)en follen bort öon ben milben #ofafenfd)mar*
men niebergemefcelt morben fein, ©in faft nod) fdjltmmereS Slnbenfen
Ratten bie granjofen in SBeftfalen, Sfteberfadjfen unb Reffen aurücf*
gclaffen. 6elbft im fränftfd>en Greife, mo fie nidjt auf feinblidjem
©oben geftanben, Ratten fie bergeftalt gebranbfdjafct unb geplünbert,
ba& ein franjöfifdjer Offizier nad) ber ©djladjt bei 9to&badj an einen
greunb fdjrieb: „$aS fianb ift auf breifhg Steilen in bie föunbe
geplünbert unb oerljeert, mie menn geuer Dom Gimmel gefallen
märe. $aum Ijaben unfere flcad^ügler unb SttarobeurS bie Käufer
ftefjen laffen."
Die fajlimmfte gotge bcS un^eilöoflen Stiege* mar jebod) bie
©eftegelung beS burd) griebrtd) II. begrünbeten Dualismus in
Deutfdjlanb. „Der #önig griebrid) II.," fagt Onno mopp, „fat
bie (£tnl)eit eines beutfa^en föcidfjeS unb einer beutfajen Nation un*
möglich gemacht. 9cid)t bie ftirdjenfpaltung beS fedfoelmtcn 3a^r-
ljunbertS f)at baS oermodjt, nid^t ber breifngjäfjrige Krieg unb ber
meftfälifdje griebe. (Sie tonnten baS föcid) lodern. Der entfefc*
tict)e $tieg unb ber traurige griebe fonnten 2öot)(ftanb unb bür-
gerliche greif)eit jertrümmern, bie ©tänbe unb Korporationen bem
SBiücn ber Derritorialfürften opfern, baS Stecht unb bie 9Jcadjt beS
oberften 9ftd)terS im föeidje oerfümmern bis auf ein (Geringes ;
aber nodj blieben bie gormen, bie unter günftigen Umftänben ein
neu ermadjenber flcationalgeift mieber erfüllen unb beleben tonnte.
Sflit bem Auftreten griebrid)s II. mar baS oorbei. 2BaS öon
einem beutfcfyen 9ieid)e nodj oorljanben mar, baS opferte biefer
SÖcann, beffen Seele früfje ftcb, getöft b,atte üon aÖen Zeitigen ^Ban*
ben ber Pietät, bem Phantome feines Ijoljlen 9tu^meS. @r aflein
jertpaltete baS 9ieid). (kv fc^uf ben Dualismus. Denn baS mußte
aud) ifmi flar fein, bag felbft im günftigften gatle, menn eS ifjm
Digitized by
S)cr ftebenjäf>r. engUfa>franaöf. Jfrieg auf bem SReere u. in ben Kolonien. 457
gelang, ©djlefien md)t bloä ju geminnen, fonbern audj $u behalten,
ein fjeralidjer griebe mit bem $ aiferf)aufe niemals mieber möglich
fein merbe, Weniger nod) bon jener (Seite, als bielmetyr bon ber
peinigen. ®a3 mar md)t bloä meljr ein ßttnefpalt, eine ©tfcrfudjt
bon ^toei fürftlidjen Käufern im föeidje, tute cä borbem gemefen
mar, etma jmifdjen ^otjenjollern nnb SBelfen, über Indexen au3glei*
djenb unb bermittelnb ber beutfdje Reifer ftanb, fonbern e3 mar
ein ©palt beä Steides fclbft. Verblieben autf) bem $aifer redjtlidj
bie Söefugniffe bc£ ftaiferä : fo mußten biefelben tf)atfäd)lid) Reitern
an bem SStbcrftrcbcn griebridjä, ber nidjt mein; fid) nnterorbnen
moüte. @in Eingriff auf baä ftaifcrfjauS, jumal wenn er gliieflid)
mar, jerrig bie beutle Nation. 9Iuct) in ber alten loderen gorm
mar fie fä^ig gemefen, ben ©türmen bon Oft unb SBeft ju mtber=
ftefyen, meil jur Seit nod) bie gan^e ®raft bem 9iufe beä (Sincn
folgte. Serfpalten unb griffen, mar fie gelähmt nad) Dft unb
Sßeft ; benn bie Heineren ©plitter müffen nad) bem ÖJefejje ber ÖJra=
bitation bem ©emidjte ber fdjmereren Staffen folgend
XXV.
Per Reßenjafirtge entfiftyfxautöfifQe <$(xie$ auf bem £fteere
nnb in ben ytofouini.
(1756-1762.)
3)ie unmittelbare Skranlaffung ju biefem Kriege gaben, mie
mir oben (©. 416) gefefyen, bie ungenügenben ÖJrenjbefttmmungen,
bie im Utredjter unb im 2ladjener grieben bejüglid) ber englijcfyen
unb franjöfifdjen öefifeungen in 9iorbamerifa getroffen morben. ©er
bieferfjalb entftanbene ©treit be^og fict) einerfeitä auf 21 f a b i e n,
ba§ granfreid) im Utredjter grieben an (Snglanb abgetreten unb
bon bem bie ©nglänber behaupteten, bajj eä fid) bis an ben
Sorenjoftrom erftretfe, roafyrenb bie grau^ofen barunter nur bie
£>albinfel 9ceufdjottlanb berftanben miffen mollten, unb anbercr)ett3
auf bie ©renken bon Souifiana, meiere bie granjofen bid $u ben
großen ©een auäaubefjnen fugten, roäfyrcnb bie ©nglänber alle jen*
feitS beä 2lllegf)ani=(5tebtrg3 gelegenen tüfteulänber al» bon ifmen
entbeeft in Slufprud) nahmen.
$iefe testete ©treitfrage mar für beibe Xljcile bon umfo
größerer 3Sid)tigfeit, alä granfreief), menn e3 mit feinen gorbe*
rungen burdjbrang, fidt) in ber &agc befanb, eine Sßerbinbung jtuU
fd)en üouifiana unb ßanaba fferjufteHen, moburdj bie ^ntereffen
Gmglaubä fdjmer gefäfyrbet morben mären. $5ie (Snglänber beeil*
ten fid) bafyer, in ben ftreitigen (Stegenben Slnfieblungen anzulegen,
Digitized b^-€bogle
458
$er fiebenjityriße englifa>fran5öftfd)c £ rieg
unb als bie granjofen bic« burch ®emalt ju öerhinbern fugten
unb fiel) babei jugleich in ifjren eigenen 9cteberlaffungen befeftigten
unb berftärfien, mürbe ber 9Jcajor 20 a f h i n g t o n, ber fpäter in bem
norbamerifanifdjen greiheitsfampfe eine fo ^eröorragenbe Stolle
fpielen füllte, üon SSirginien auS an ben fran^öfifdjen öefe^t^^aber
abgefanbt, um bemfclben $orftellungen gu machen unb jugleicij
einen michtigen $unft am Df)io ju befehlen; ba jebodj bic gran=
jofen bereits an berfclben Stelle ba« gort bu OueSne angelegt,
mußte Söafhington unoerrtchteter Tinge jurüeffe^ren. Tie eng^
lifdje Regierung fanbte hierauf ju Anfang beä 3af)re3 1755, noch
üor erfolgter SricgSerflärnng, ben 9lbmiral SBoScamcn mit r>ier=
unbjmanjig ßriegSf Riffen nad) ben ßüften bon SRorbamerifa, um
baS franjöftfche (&efd)maber aufzufangen, baS oon 93reft mit 58er-
ftärfungen nach bem Sorenjoftrome abgegangen mar. Ter Angriff
auf baSfelbe mißlang jebodj, unb ebenfomcmg Chrfolg Ratten bie
Unternehmungen be£ englifchen (Generals ©rabbod gegen bic fran=
jöfifdjen 9lnfieblungcn am Df)io. dagegen gelang es ben ©nglän=
bem im folgenben %afyxt, ben granjofen zmeihunbcrtunbfünfjia,
^auffatjrtcifcfiiffe hinmegzunehmen.
Um fief) für biefe ®cmaltthat $u rächen, fanbte bie franjöpfa^e
Regierung eine glotte, bie jtt)ölftaufenb Üflanu unter bem Oberbefehl
bcS $>erzogS oon ^tctjclieu an 93orb fjatte, nad) ber Qnfel fSJti-
norfa, unb nadjbem eine jum Schufte berfelben herbeigeeilte eng--
liidje glotte üon einer jmetten franzöfifdjen jurütfgcftftfagen mor-
ben, mn&te fid) bie $anptftabt ^ort a)carjon am 28. 3uti 1756
ergeben.
Ter fortbauemb ungünfttge Verlauf be$ Krieges in 9corb-
amerifa, fomie bie Wnftalten, bie in granfreid) zu einer Sanbung
in (rnglanb getroffen mürben, fteigerten bie Aufregung unter bem
englifchen $olfc, baS ohnehin mit ben ®runbfäfoen ber Regierung
unjufrieben mar, in fo hohem ®rabe, baß ber ®önig Öeorg II.
fid) genöthigt fal), im Tezember 1756 ein neues 9ftimfterium 511
btlben, in meinem ber üolfsbcliebte SSilliam ^ßitt eine tjtxvox*
rageube Stelle erhielt. Tiefes TOmfterium mar jebod) nur oon
furzer Tauer, ba bie perfönliche Abneigung beS Königs gegen
<ßitt burch beffen Söibcrfpruch gegen feine unb beS $>erzogS oon
(£umbcrlanb Wnfichten über ben Srteg auf bem gcftlanbe erhöht
mürbe: fchon am 5. 3(pril 1757 fah fict> ^fitt genötlngt, feine
Stelle nieber^ulegen. Tic allgemeine Unjufriebcnhcit über feinen
jRürftritt, fomic bie SBittjchriftcn, bie Oon allen bebeutenben Stäbten
unb $örpcr(d)aften bcS Raubes für feine SSicbcranfteHung an ben
ftötiig gerietet mürben, befttmmten biefen jebod), >ßitt noch in bem=
fclbcu 3«hre mieber in baS Ecinifterium aufzunehmen, beffen eigent-
liche Seele er fortan blieb.
Digitized by Google
auf bem 9Rcere unb in ben Äolonien
45^
Unter ber umfidjtigen unb tfjatrräftigen Seitung $ittS, beffen
Verwaltung für (Snglanb eine neue 9(era ber Stacht unb beS 2ln-
fchenS herbeiführte, nahm ber Stieg für (äfnglanb eine anbere
S&enbung, lote in Xeutfct)Ianb, fo auch in fleorbamerifa. SBährenb-
engltfdje (Sefchwaber bie Kfiften granfreichS burch fianbungen beun*
ruhigten, bie SBerfe ton (Efjerbourg jerftörten unb bie für (Sanaba
beftimmten Verhärtungen in ben franjöfifchen Häfen jurütfhielten,
führte ber 2(bmiral VoScaroen jroölftaufcnb Sftann Sanbrruppen unter
bem ©eneral 9(mfjcrft nach Halifaj, roetc^e fich, burch bie amerifa-
nifdje ßanbroehr terftärft, terfdjiebener franjöfifcher geftungen be*
mädjtigten unb fich baburdj ben 28eg ju weiteren Unternehmungen
auf CEanaba bahnten.
3m 3ah^c 1759 rücften brei englifche HeereSabtheilungen ton
brei öerfchiebenen fünften au* in Ganaba ein, um fich tor ber
Hauptftabt Ouebecf ju tereintgen; boch erreichte nur bie ton bem
(Venera! SBolf geführte ihr SM- SRachbem biefer treffliche güfjrer
ade ©chroicrigfeiten feines 3nge$ übernmnben, nötigte er am
13. (September baS tor Ouebecf ftehenbe franjöfifche Heer 51t einem
Xreffcn, boch mußte er ben Sieg mit feinem £eben erfaufen.
Unter 9ttitnrirfung ber englifchen glotte rourbe Ouebecf erobert unb
im folgenben Qahre, nachbem ein Verfud) ber granjofen, bie Stabt
roieber ju gewinnen, vereitelt worben, burch oie Eroberung ton
Montreal bie gänjliche Vertreibung ber granjofen aus ©anaba
ooöenbet.
SBährenb bie ©nglänber in SRorbamerifa bie 9Jiacht ber gran*
jofen öermchteten, vereitelten fte auch in Europa bie Hoffnungen,
bie granfreich auf bie geplante Sanbung in ©nglanb gebaut. Xie
glotte ton Xoulon, bie fich 8« biefem Qlotdz mit ber ton Vreft
oereinigen foflte, um bie in ber Bretagne gefammelte Kriegsmacht
nach ©nglanb ober Urlaub überjufefccn, mürbe am 18. Sluguft
1759 bei bem (Sap ßagoS, an ber Sübfüfte öon Portugal, burch
ben Slbmirat VoScawcn, unb bie ton Vreft am 20. Wotembcr
bei Ouiberon burch ben Slbmiral H^feS gänjttch gcfchlagen. ©in
HeineS ®efd)nmber, bem bie Ausfahrt auS $)ünfirchen geglüeft,
lanbete jmar -an ber Küfte ton Urlaub, fiel jeboch, ohne bort etttmS
ausgerichtet ju ha&en, am 28. gebruar 1760 ben ©nglänbern in
bie $)änbe.
$iefe Unfälle machten ben H°f ton VerfaifleS jum grieben
geneigt; aber mährenb er jur Herbeiführung beSfelben Unterhanb-
lungen mit (£nglanb angefuüpft hatte, leitete er ju ber gleichen 3eit
um für ben gall, bog bie englifche Regierung 51t hohe gorbe^
rungen pellen foüte, ben Krieg mit terftärften Kräften fortführen
ju fönnen, ein VünbniB mit Spanten ein, beffen neuer König
Karl III., ber frühere König ton Neapel, fich oen SOßünfct>eu be*
Digitized by £
460
S)er ftebenjäfjrige engltfa>franäöfifa> Sfrieg
franjöfifcfjen <pofeS geneigter jeigte, als fein im üorfjergebenben
Sa^rc geftorbcner Stiefbruber gerbinanb VI., ber, bcm ©influfc
feiner @temaf)Iin nadjgcbenb, in bem Stiege granfreid)S mit (£ng=
lanb üollftänbig parteilos geblieben mar.
SBäfJrenb bie Unterfyanblungen üon $itt abfidjtlid) in bie
Sänge gebogen mürben, meil bcrfelbe burd) bie (Eroberung ber
3n|el SBetletSle an ber franjöfifdjen fiüfte ein 91uSgleidMngSobjcft
für baS Verlorene Sftinorfa in bie $anb ^u befommen münfrf|te,
flelong es bem franjöfifc^en SWinifter Gfjoifeul, am 15. $uguft
1761 ben fogenannten „bourbonifdjen gamiltenpaft" mit (Spanien
Staube ju bringen, burd) meldten eine fo enge ©erbinbung bcr
£>öfe üon JßerfatfleS unb Sftabrib fjergeftetlt merben foHte, ba& beibe
SHeidje fortan bem SluSlanbe gegenüber nur eine SDcadjt bilbeten.
«3u biefem ©übe erflärten bie Könige üon granfreid) unb «Spanien,
ba& in Sufunft jebe 2ftad)t, meiere bie Seinbin beS (£inen merbe,
aud) als bie geinbin beS 51nberen gelten foüe, unb gemäfjrleiftcten
cinanber ifjre gefammten ©efifungen, meiere Ötemäfjrleiftung audj auf
bie ßänbcr beS Königs öon Neapel unb beS §erjogS üon Marina
auSgcbelntt mürbe. 3n einem geheimen ©ertrage üerpftidjtete fid)
(Spanien, am 1. ÜRai 1762 an Gnglanb ben $ricg ju erflären,
falls bte bafyin bcr griebe jnnfdjcn granfreid) unb (Snglanb nidjt
$u Staube gefommen fein foflte; bagegen üerfprad) bcr $önig üon
granfreid), biefen grieben uidjt eljer abaufdjlie&cn, bis (Spanien öon
©nglanb für alle feine $8efdj)merben üolle ©enugt^uung erlangt fjabe.
3)te gorberungen, bie bicferfjalb oon bem franjöfija^en jpofe an bie
cnglifdje Regierung gcftetlt mürben, führten, ba (Snglanb biefclben
auf baS Crntfcfytebenfte jurürfmieS, ben fofortigeu s#bbrud) ber gric=
benSunterfjanblungen fyerbei.
$>a s$itt eine ®rtegScrfIärung oon Seiten (Spaniens üorauS-
faf), brang er barauf, bajj man bcm £>ofe üon TOabrib barin ju*
üorfomme, bamit man in bcr Sage fei, bie fpanifdje Silbcrflotte
fjintüegjuuefjmcn , beüor btefclbe in Sidjerfyeit gebraut merben
fonttc ; er ftie§ jebod) bei bem ®önig, ber fid) ganj üon Sorb
Sitte, einem Spotten üon gebilbetem ÖJcifte unb unbeftrittener
(Sfurenfjaftigfeit, ober unbeliebt megen feines falten unb fto^cn Sc-
nefjmenS, leiten liefe, auf SBiberftanb, unb als er hierauf feine ßnt^
laffung forberte, bemog 5öute ben ftönig, biefelbe an^uncl^men. So
erfolgte alfo bie ÄriegScrflärung nid>t üon Seiten (SnglaubS, fon^
bcm oon Spanien. 2>a bie portugteftfrfje Regierung fidj meigerte,
bem ©erlangen Spaniens gemäß ben (£nglänbcrn ifjre £>äfen $u
üerfdjlieBen, erflärten «Spanien unb granfreid) aud) an Portugal
beu $rieg.
Ziq§ ber ©etljetligung Spaniens an bem Kriege gegen (£ng=
lanb, blieb biefeS nad) tote üor im ©ort^eil. Xie'ganje ÖJruppc
Digitized by Google
auf bem SBeere unb in bcn Kolonien.
461
ber Antillen, öon bcncn ®uabe(oupe unb Dominique bereite früher
öon ©nglanb erobert morben maren, ging für granfreich öerloren, unb
am 11. Shiguft 1762 mußte ftdj §aüanna, bie #auptftabt öon
(Suba, bie ben TOttcipunft be* fpanifch*meftinbifchen Raubet« bübete,
nach längerer tapferer Skrtheibigung mit ber in ihrem #afen liegen*
ben Jlotte ben ©nglänbern ergeben. #mei SRonate fpäter, am
6. Df tober, eroberten biefelben auch Manila, bie $auptftabt ber
$f)iüüptnen. $)ie an beiben Orten gemalte ©eute öon fünf WliU
lionen <ßfuhb Sterling mar inbeffen nur ein Heiner Beitrag jur
Eecfung ber ®rieg*foften ©nglanb*, roetdje bie Scfmlbenlaft be*
Sanbe* bereite öon achtzig auf etnhunbertöieraig TOttionen $funb
Sterling geftetgert Ratten.
3n feinen Hoffnungen auf einen günftigeren Verlauf be*
Kriege« getäufdjt, machte granfreich auf* <Reue grieben*öorfchläge,
unb ba ber heftige ^arteifampf, ber jmifchen ben Slnhängcrn <ßitt*
unb benen be* Sorb ©ute ausgebrochen, bem engüfchen SRinifterium
große Verlegenheiten bereitete, jeigte fidj ba*felbe entgegenfommenb.
So famen am 3. SRoöember 1762 511 gontainebleau bie ^rieben**
Präliminarien ju «Staube, bie am 10. Februar 1763 ju <ßari* in
einen befinitiöen grieben öermanbelt mürben. 3)urch benfelben er*
^ie(t ©nglanb Ganaba nebft ber Qnfet (Jap Breton, bie Heineren
unter ben eroberten HnriHen, bie |>albinfel gloriba fotoic ba* Sene*
galgebiet in Slfrifa; auch mürbe ihm SJcinorfa jurüdgegeben. gür
ba* abgetretene gtoriba mürbe Spanien, ba* feine ©efifcungen auf
(Euba forote Manila jurücfer^ielt, burch Souifiana entfchäbigt, auf
roeld)e* granfreich ju feinen ©unften Söerjtcr)! tetftete. 3n ber 93e*
nufcung be* einträglichen gifchfang* an ber Stufte öon 9ceufunblanb
mürben ben granjofen bebeutenbe iöcfdjränfungen auferlegt, unb auf
ben i^nen abgetretenen Qnfetn St. ^ierre unb 9JctqueIon burften
fie feine geftung*roerfe anlegen.
Portugal, beffen Xruppen unter ber unwichtigen gucjrung be*
öon (Snglanb mit Verhärtungen borthin gefanbten (trafen öon Schaum*
burg^Sippe bie Angriffe ber Spanier jum größten %$t\it ju öereiteln
gemußt, büeb in bem ©efifcftanbe, in meinem e* fidj öor bem Kriege
befunben hatte.
2lud) in Dftinbien, mohin fict) ber ®rieg ^mifchen (Snglanb unb
gfranfreich gleichfall* öerbreitet fyattt, (Snglanb im 93ortr)cil.
Qm 3ahre 1758 fanbte bie fronjöfifdje Regierung ben (trafen £aHn
Xolenbal (eigentlich XuÜt)-5)aIe), ben Slbfömmling einer mit ben
Stuart* nach grantreidj au*gemanberten irifchen gamilie, al* ®ouöer-
neur mit bebeutenben Verhärtungen nach ^onbidjerö, ber ^auptftabt
ber franjöfifchen Sftieberlaffungen in Dftinbien. 9tttt großer perjbn*
licfjcr Sapferfeit, burd) meldte er fich befonber* in ber Schlacht bei
gontenoi heröorgethan, öerbanb berfelbe einen glühenben CStfer für
Digitized by (google
462
$er ftebenjftfjrifle cngltfcf)=fran^öfifc^c $rieg
tue ©efämpfung bcr engtifchen SJcadjt in Dftinbien; aber it)m fehlte
nicht nur jebe politifdjc Klugheit , fonbern auch bic ju einer er*
folgreichen Kriegführung nötige Kenntnis be« (£harafter« unb ber
(Sitten ber Snbier. Söährenb er einerfeit« burch ba« rütffichtölofefie
t5infrf)reiten gegen bie in bie SSermaltung ber franjöfifd^oftinbifdjen
Kompagnie eingeriffenen Sföiftbräuche bie gefammte ©eamtemoelt
gegen fich aufbrachte , $og er fich jugleieh ben £aft ber Singe*
borenen burch bie gänjliche Nichtbeachtung ihrer nationalen unb
religiöfen SSorurtheile ju. ^nbeffen fchien ber Anfang feiner friege*
rifchen Unternehmungen glücf öerfprechenb ; benn er eroberte ba«
$aoib«fort, ba« er bem (Srbboben gleich machen tieft, dagegen
mifttang fein Angriff auf SJcabra«: bie im $ejember 1758 begon*
neue ^Belagerung biefer ©tobt muftte im gebruar be« folgenben
3ahre« bei bem ©rfdjeinen einer englifdjen (Srfafoflotte aufgehoben
tuerben, unb fo groft mar bie ÜJciftbefiebtheit Satin'« bei feinen
eigenen £anb«Ieuten, baft bie Nachricht oon feinem ?Ibjug oon
SJcabra« in ^onbichern mit Subel begrüßt mürbe. $a Salin jur
Unterftüfcung biefer Unternehmung ben (Senerat ©uffn au« ben
wörtlichen 23efifcungen ber granjofen h^beigerufen fyattt , gingen
auch biefe für granfreich üerloren , inbem bie (Jnglänber fich Don
Bengalen au« barin feftfefcten. Nachbem bicfelben im Qahre 1759
sJJcaffulipatam erobert, mürbe am 22. Qanuar 1760 in einem treffen
bei SBanbiroafh bie frau$öfifche TOac^t gänzlich aufgerieben. 3h*
lefcter Kampf galt ber Erhaltung oon s^onbichern ; bodj auch biefe
©tabt mußte fich am 16- 3<*nimr 1761 nach tapferer SSerthetbigung
ben (Snglänbern ergeben, unb ehe ba« Qatjr ju ©übe ging, toaren
bic granaofen gänzlich au« Dftinbien oertrieben.
Wl« Salin, ber (rieg«gefangen nach ©nglanb gebracht morben,
erfuhr, baft man ihm allein ben iöerluft ber fo hoch gehaltenen
inbtjchen öefijuugen jur Saft legte unb ihn offen be« Herrath« be*
fchulbigte, ermirfte er fich ü°n &er englifchen Regierung bie (Sr*
laubniö, $u feiner Rechtfertigung nach $ari« ju gehen. (£r mürbe
fogleich in bie öaftitle gebracht unb nach einer neunjehnmonat*
liehen hatten ©efangenfehaft jur söefchmichtigung ber leibenfehaftlich
erregten öffentlichen Meinung oon bem Parlamente jutn lobe Oer*
nrtheitt. 2Jcit einem Knebel im sJJcunbe auf einem fehmufcigen
Karren jur Nichtftätte geführt, ftarb er am 9. 3Jcai 1766 auf bem
Ölutgerüfte.
Obgleich ^onbidjero, im grieben oon $ari« an granfreich ju*
rücfgegeben mürbe, mar bie Stacht bcr granjofen in Dftinbicn burch
bie ©eftimmung gebrochen, baft fie bort feine geftung«merfe mehr
errichten bürfteu, unb im %af)xt 1770 ging bie oftinbifchc Kom*
pagnie öotlftänbig $u GJrunbe. dagegen gemann bie englifche £>err*
jehaft in Dftinbien immer fefteren *8oben unb eine immer meitere
Digitized by Google
auf bem 9Reere unb in ben Kolonien.
463
StuSbefmung, wogu ber GSifer unb bie ®efchicfttchfeit beS fpäter
öon ®eorg III. gum ßorb klaffet) ernannten Dberften (£ 1 1 b e ,
ber fd)on im 3ahre 1756 burdj glängenbe Unternehmungen gegen
bie eingeborenen Surften, bie „NaboW, ben ©runb gu ber Unter*
werfung öon gang Bengalen gelegt, baä ÜMfte beitrug. ßatcutta,
baS fd)on früher ein SlnfteblungSptafc ber (Snglänber gewefen,
würbe, nad)bem eS bauernb in ihren Sefifc übergegangen, bie £>aupt*
ftabt eines großen, ber englifch;oftinbifchen Öefettfchaft gehörigen,
wenn aud) bem tarnen nad) öon ben abhängig geworbenen gürften
beherrfchten 9teicheS, gu meinem außer ben SBefiJjungen oon $Ben=
gaten bie gange üfttiche ftüftc, öon (Jutta! bis gum (Jap (Somotin
geborte. Sludj Ratten fic in ber oon ihnen geübten Sßormunbfchaft
über ben ©rofjmogul — ben ehemaligen, jefct auf baS ©ebiet
öon SeHn' befchränften Söeherrfcher oon ^pinboftan — baS Sttittel
in Rauben, ihrem Vorgehen gegen bie inbifdjen Sürften, bie früher
beffen SöafaHen gewefen , einen ©cfjein beS Rechtes gu leiten unb
fich felbft bie erworbenen ^roöingen gu £eb,en geben gu laffen.
$)aS ÖJefammtgebiet ber oftiubifchen Kompagnie umfajjte gehn
Millionen (Einwohner unb trug einen Üteingewutn oon minbeftenS
fieben SHiflionen X^alertt ein. tiefer gerrann jeboch in ben £>änben
ber $irettoren in Europa unb ber fyabfüdjtigen ^Beamten in ^nbien,
beren Verwaltung ftch überbieS weber burch 3ttenfchlichfeit noch
burch ©erechtigfeit empfahl.
©inen wefentlidjen SBeftanbtheil ber £eereSmacht, auf welche
fich bie £>errfchaft ber ©ngtänber in Dftinbien ftüfcte, bilbeten bie
<S e p o ö S , inbifche SRefruten , benen fie europäijche 3ucht unb
Slbrichtung beibrachten, ohne fie mit ber europäischen ftriegSfunft
öertraut gu machen.
SBa'hrenb beS norbamerifanifchen SreiheitSfriegeS erftanb ber
englifchen Jperrfdjaft in Dftinbien ein gefährlicher Seinb in £tyber
VLli, bem Surften beS in bem füblicheu Xtjeile ber $atbinfet ge»
legenen SReicheS Üttnfore. 3)aS ©lücf , mit welchem berfelbe feit
bem 3al)re 1767 bie ©ngtänber bekämpfte, regte auch anbere öon
ben zahlreichen (Staaten ber ^albinfel gegen fie auf, unter benen
bie ber a h r a 1 1 e n — eines aud ber alten inbifchen Krieger*
fafte h^röorgegangenen SBolfeS , baS fich beS gangen 9corbenS ber
^palbinfel bemächtigt hotte — bie gefährüchften waren. 9cur bem
ungewöhnlichen ©ejctjicf unb ber unermüblichen SluSbauer beS neuen
Statthalters Marren £>aftingS , ben bie englifche Regierung im
3ahre 1774 nach Dftinbien fanbte, fyattt ©nglanb ben unge*
jehmälerten gortbeftanb feiner £>errfchaft in jenen ©egeuben gu
öerbanfen; boch bauerte ber burch £>nber erregte ßampf über
beffen Xob (1782) hinauf fort. (Srft mit bem neuen SBeherrfdjer
öon 3)tyfore, Xippo ©aib, 2Ui #nberS ©ohn , würbe im
Digitized by
404
ftranfreidj unter Subroig XV.
3afjre 1784 ein Sriebe gefdjloffen, ber bie oftinbifche Kompagnie
im ©eftfce ihres gefammten Gebiete* beließ.
XXVI.
Stanßretrß unter £ut>n>%$ XV.
(1715—1774.)
gubata? XV. Privatleben.
2113 Öubnrig XV. im 3ahre 1726 bem #erzog oon ©ourbon
bie Settung ber (Staatsangelegenheiten entzogen, hatte er (f. @. 289)
auf gleurü'S ^Rat^ erftärt , bog er fortan felbft regieren merbe;
er nahm jebod) an ber fieitung ber föegierungSgefchäfte faum
irgenb melden ^tnt^cil „ meil es ihm baju cbenfomohl an ßuft,
als an ber nötigen einfielt fehlte, fonbern überließ biefelbe, zum
©eile granfreichs, üoflftänbig bem jum ©taatSminifter ernannten
#arbinal gleurto. dagegen gab er feinen Untertanen baS öei*
föiel eine« burchauS fittenreinen Sebent. 2ln feiner ebenfo liebend
mürbigen als frommen Gemahlin hing er mit rüfjrenber, marm
unb treu ernriberter gärtlic^fcit f unb bie (Stye beS ÄönigSpaareS,
baS am 8. $ejember 1728 burdj bie heiß erfefmte Geburt eines
Thronerben erfreut mürbe, nad)bem bie Königin bereits am 14. $luguft
1727 ihrem Gemahle ßnullingStödjter geboren , fdnen für baS
ßanb baS 93orbilb häuslicher Xugenb unb f)äu$(idjen GlücfeS wer-
ben gu fotten.
$ber nur ju balb mürbe eS anbcrS. $>a bie ben #önig um*
gebenben Höflinge nicht nur ihren (£influfi auf benfelben burd) ben
ber Königin gefäfjrbet faljen , fonbern auch öon einer geregelten
ficbcnSrocife beS $>errfd)erS ben SSerluft oder Gelegenheiten jur
^öefriebigung ihrer tfjeilS ehrgeizigen , theilS genrinnfüchtigen ®e-
gierben fürchteten, fugten fie ilm burd) bie Aufreizung feiner Sinn*
l ichfeit in bie 93afm beS fiaftcrS hineinzuziehen. Anfangs fträubte
fich SJubroigS beffere Statur gegen biefe Bemühungen, bis enbltch
feine ©abmache ben ®unftgriffen ber Verführer erlag. Xer Gräfin
öon 9)?aiüu, bie man ihm jnr ©uhlertn auSermählt, meil man oon
ihr feine aü^u ehrgeizigen ©eftrebungen befürchten zu müffen glaubte,
gelang eS , ihn feiner Gemahlin ooüftänbig zu entfremben ; boch
mürbe fie felbft balb burch bie SCBittme beS SttarqutS be la Xour*
neüc , bie ber in leibenfehaftlicher Üiebe zu ihr entbrannte Äönig
Zur $alaftbame ber Königin unb zur Herzogin Don dfyattavL*
rouj erhob , aus SubmigS Gunft üerbrängt , worauf fie bura)
Digitized by Google
SubmtgS XV. Privatleben,
465
ftrenge SBufjübimgen unb einen btä an il)r Sebenäenbe fortgelegten
mufterhaften Söanbel ifrre SBergeljungen $u fühuen fucfjte. $)er
£önig aber mar für fein ganjeS Seben bem Softer öerfaüen unb
fanf immer tiefer in einen 2Ibgrunb bon Unfittlichfeit, auä meinem
er ficr) trofc jeitmeife roieberfehrenber befferer Regungen nicht mefjr
emporzuarbeiten permochte.
Um fid) in öoKer greifet ber ungebunbenften ©tnnlidjfeit t)in=
geben ju tonnen, normt Subroig feit bem Qa^re 1738 feinen 2lufent=
rjatt oorjugätoeife in bem ©djloffe ©hoifu , ba$ er mit ber Oer-
fdjroenberifcf)ften bracht r)atte au8fcf)mücfen unb mit allem oerfehen
laffen, ioaä bie üppigfte ^fjantafie jur SBerrrielfältigung unb 23er*
feinerung aller ©innengenüffe nur erbeuten fonnte. £rier mürben
nächtliche Seftgelage gehalten, bie in 9hcr)t8 ben berüchtigten 93accr)a=
nalien be$ §erjog3 oon £>rlean8 nachftanben.
Unterbeffen lag bie ganje Saft ber Regierung auf ben ©cfmt*
tem gleurr/3; ber #önig mo^nte nur ben atferroidjtigften 93e*
ratt)ungen im ©taatSrathe bei. 3n ben erften Seiten legte er
babei nodj ein geroiffe£ 3n*ereffe f^r b*e 9tegierung^gefcrjäfte an
ben $ag, unb roenn er, roa$ jeboch bei feiner angeborenen ©djüdj*
temrjeit nur feiten geferjarj, eine eigene SJceinung auafpradj, fo be=
funbete biefelbe gewöhnlich ein richtiges unb fdjarfea Urtheil. Qe
tiefer er jeboch in ben ©trubel ber SluSfdjmeifungen oerfanf, befto
mehr erftarb in ifjm aller ©inn für emfte Söefcfjäftigungen, unb fo
befümmerte er fief) fdjliefjlich faum mehr um bie Qntereffen be§
©taateS.
SBährenb ber SBirren be£ öftcrrcicr)tfcr)en (SrrbfoIgefriegeS , in
roeldjen granfreicr) toiber ben Söiüen beä friebliebenben ftarbtnats
gleurt) oerroicfelt roorben , ftarb biefer umfichtige ©taatömann im
Hilter oon nahezu neunjig fahren, ohne roährenb feiner fiebje^n-
jährigen fegenäreidjen ©taatsoerroaltung roeber ficr) felbft noch feine
iöertoanbten irgenbroie auf Soften be3 ®taate3 bereichert ju fja&en.
Wad) bem Xobe gleuru'ä (1743) fdn'en ftch Subroig XV. au$
feiner (£rfcfjlaffung aufraffen $u wollen; benn er fprach ben (Snt-
fdtjlufe au3, felbft bie Seitung ber ©taatSangelegenheiten in bie £anb
ju nehmen; aber fct}on nach wenigen Sagen roar fein ©ifer für bie
®abinet3arbeiten oerraucht , unb 2We3 blieb ben 9ttiniftem unb
feinen ^Büfflerinnen überlaffen. JJnbeffen gelang e3, roie mir oben
(©. 384) gefehen, ber $erjogin oon (£hateaurouj , ben öollftänbig
in i^ren ©anben liegenben ®ömg jur perfönlicfjen %$ülnaf)mz an
bem Kriege in ben Stoeberlanben ju bewegen , mohin er fich am
3. 2Rai 1744 begab. $ie ^erjogin h^^e gehofft, ihm bahtn fol^
gen ju bürfen; aber ber äRarineminifter SKaurepaS fyattt ben
nig burch bie SöorfteHung, bag ihre Hnmefenheit bie burch fein (&r~
fcheinen unter bem Speere gemeefte S3egeifterung nieberfchlagen roerbe,
eoljtoart^, «Beltaef^te. VI. 30
Digitized byf£i)Ogle
466
ftranfreicfj unter Cubtmg XV.
bemogen, ifjr bie* unterlagen. Unbetummert um ßubmigä 9kr=
bot reifte fie ifmt nad) unb erfuelt bafär unfdjtoer SBeraeifmng.
2)ie Siege, bie unter Submigä Slugen tum ben franjöftfdjen
Xruppen in ben föieberlanben erfaßten mürben, begeifterten bie
franjöfifdje Nation, unb ba biefelben allein bem (SHnfluß be£ $tö*
nigä jugefdjrieben mürben , meeften fte auf« fteue bie nod) immer
nidjt erftorbene Siebe beS SßolfeS ju feinem ^errfdjerfyaufe. 211$
SJubmig auf feinem Quge nad) bem (Slfaß ju 2fle$ ferner errranfte,
mar gan$ 93ari$ in ber bangften SBeforgniß; bie s$oft, ba3 Sdjloß
unb bie ^aläfte ber SBornefjmen maren Xag unb 9cad)t oon 3flen=
fdjen umlagert, bie mit Ungebulb auf 9tadjrid)ten über ba$ 33efin-
ben beä Königs darrten , unb bie föirdjen maren mit Slnbädjtigen
gefüllt, bie fyeiße ©ebete für bie (Spaltung feinet SebenS ju ©ort
emporfanbten. $)ie ftunbe oon fetner ©enefung rief in ^ßariä einen
foldjen Sreubentaumel fjeroor, baß ber (Eilbote, ber bicfelbe über-
brad&t , faft erbrütft mürbe unb ba$ SBolf fogar fein $ferb unb
feine ©riefeln fußte. $ie Sünfte oeranftalteten feftlidje Slufjüge
unb religiöfe Seierlidjfeiten , unb mehrere Söodjen lang !am s$art$
gar nidjt auä ben fiuftbarfeiten Ijerauä. 9ttdjt3 glidj bem $ubcl,
mit meldjem ber $önig bei feiner Sftütffefjr in bie £>auptftabt bt-
grüßt mürbe, unb bem glänjenben (Smpfang, ben man ü)m bereitet
^atte. (Sr felbft mar baoon fo tief ergriffen, baß er in bie SBorte
auSbrad): „D ©ott, momit ljabe idj fo oiele Siebe oerbient!" 55ret
Xage blieb er in bem ^ßalafte ber Xuilerien, mo 3ebermann ifyn
fefjen burfte; aud) naljm er eine (Sinlabung ju einem 3ttal)le auf
bem 9iatf)f)aufe an.
Söä^renb ßubmigS fernerer Stanfbeit, bie 5lüe3 für fein ße=
ben fürchten ließ , fjatte ifjm fein Söeidjtöater , ber Sötfdmf oon
©oiffonö , ertlärt , baß er ifjm bie ©terbeiatramente nur fpenben
tonne, menn er feine Öu^erin, bie .Iperjogin oon Sfmteaurouj, au$
feiner S^ä^e entferne, mit aufridjtigem ^erjen jebem ferneren 9kr*
fefjr mit if/r entfage unb in ©egenmart be3 ganjen £>ofe£ ©ort
megen be$ gegebenen 2lergerniffe3 um $erjeif)ung bitte. Sötüig mar
Submig biefer gorberung nadjgefommen, unb auf feinen SSefefyl t)attc
bie Jperjogin fofort oon äftefc abreifen müffen ; feiner ©emafjlin aber,
bie auf bie erfte 9tad)rid)t oon feiner (frfranfung, aller erlittenen
ftränfungen oergeffenb, nadj äftefc geeilt mar, um felbft feine Pflege
$u übernehmen unb ifjm Xroft ju fpenben, t)atte er unter Reißen
Xfyränen Abbitte getf)an unb it)r gefdjmoren, oon nun an t^r allein
$u leben. Aber mit ben legten ©puren feiner $ranffyeit mar aud)
bie (Erinnerung an alle guten 93orfäfce öerfdjmunben. $ie fdmm*
lofen ©elage im ©djloffe ju (£f)oifto mürben mieber aufgenommen,
erft jmar nur ^eimli^, balb aber ganj ungefa^eut. 2)ie Sfmteau*
rouj fe^rte an ben £of jurüd , unb auf i^r Verlangen erteilte
Digitized by Google
SubroigS XV. ^vtoatleben.
467
ber ßönig feinem Beichtöater Befehl , fich in feinen ©örengel gu
Begeben. Steffen tonnte bie #ergogin fich nicht lange ü)reS
XriumpheS freuen : fie ftarb fdjon im folgenben 3aljre eine« ölöfc
liehen XobeS.
©inen nodj ungleich größeren unb öerberblidjeren ©influfe , als
bie (Hmteauroiij f erlangte auf ben fa^madjen tönig bereu ftaa>
f olgerin , bie mit bem ginangöächter b'StioleS öerheirathete 3eanne
^oiffon , bie natürliche Softer eines nieberen Beamten , ber megen
Betrügereien hatte flüchtig merben muffen. 3ung , fdjön unb öon
ihrer fittenlofen üttutter, beren Siebter, ber reiche Generalüäa>
ter 2 enormanb , ihr eine forgfältige SluSbilbung t)attc geben (äffen,
in allen fünften ber Verführung unterrichtet , fannte fie lein an*
beres Streben , als in ber Gunft ßubnrigS an bie Stelle ber |>er»
gogin öon (Sfjateaurour. gu treten, unb fie erreichte bieS Siel, nadt)s
bem ein öon ü)r beftoct)cner Äammerbiener beS Königs it)r Zutritt
gu bemfelben r>crfct)afft hatte. Submig erhob fie am 6. Üftai 1745
unter bcr Verleihung beS 2itelS Sftarquife öon ^ompabour in
ben Slbclftanb , unb in furger «Seit hatte fie fid) feines SßiHenS fo
öoQftönbig bemächtigt, bafj alle Höflinge eS für rathfam erachteten,
fich um ihre Gunft gu bemerben. 3ebe ihrer Caunen mürbe be=
friebigt, unb ber Glang ihrer SebenStoeife , bie Spenge ihrer Sanb*
güter unb £uftfd)löffer, bie ©umme ihrer (Stnfünfte ftieg öon 3ahr
gu 3ahr- $urch bie Slufmerf famf eit , meldte fie ben (Srfcheinungen
ber geitgenöffifchen Siteratur gumanbte, unb bie Unterftüfcungen, bie
fie neuen Berühmtheiten auf biefem Gebiete gu Xheil loerben lieg,
gog fie auch bie hcröorragenbften ©chriftfteKer in ihr 3n*ereffa-
9ßachbem ihrem Verlangen, unter bie G££)renbamen ber Königin auf*
genommen gu merben, Genüge geschehen, obgleich gu biefer Stellung
nur bie Gemahlinnen ber ^ringen unb $airS berechtigt maren,
fefcte fie auch *hrc (Erhebung gur ^ßalaftbame burd). ©eitbem
empfing fie felbft ^ringen unb ^ßringeffinnen nur bann, toenn fie
um Slubieng gebeten hatten ober toenn fie ihnen Vertoeife geben
tpofltc. 9llle mußten ftehen bleiben, toährenb fie felbft auf einem
Stuhle faß, funter meinem ihr ^pauShofmeifter , ein bitter öom
SubmigSorben, ftanb.
Obgleich beS Königs ßeibenfdjaft für bie $ompabour fich atl=
mählich abfühlte unb er felbft biStoeilen bie |>errfchaft, bie fie über
ihn ausübte, brücfenb empfanb, fehlte ihm boch ber äftuu), ihr 3och
abgufchütteln. ©ie blieb bie unbefchränfte Gebieterin SrantreichS,
unb bie Leitung ber äußeren ruie ber inneren Angelegenheiten lag
gang in ihrer £>anb. 3n ihrem ^ßalafte gu VerfailleS mürbe ©taatS*
unb TOiniperratr) gehalten; fie entnahm nach Belieben Gelb auS
ben ©taatsfaffen , fefcte bie SJftnifter unb Generale ein unb ab,
empfing bie fremben Gefanbten unb ftanb im Briefmechfel mit ben
30*
Digitized by Qpogle
468
ftrantreidj unter Subtoig XV.
tneiften auSmärtigen §öfen. $ie UnglüctefäCe be3 Reben j adrigen
fianb* unb Seefriegea, buict) welche bet innere SSerfaH granfreicH
unb in$befonbere bie finanzielle äettüttung oe3 ßanbeS bebeutenb
oermehrt mürben, fallen houptfächlich if>r jur Saft, ba fie ju ©ene*
ralen unb Slbmiralen nur ihre jum großen X^etle burdjau3 un-
fähigen ©finftlinge ernannte.
Um fid) bem ®önig unentbehrlich ju machen unb feinen ©e
bauten an eine felbftftänbige Regierung bei tr)m auffommen ju
laffen , ftrengte bie ^Sompabour alle it)rc (Erfinbungägabe an , unt
ftetS neue 3e*ftreuungen fur ^n iu erfinnen. Sie fiteste fein JJn-
tereffe für bie Söaufunft ju toetfen, errichtete ju 3Mncenne3 bie be-
rühmte, fpätcr nach S&brc3 oerlegte ^orjeflanfabrif unb oeranlaßte
ihn, biefelbe öfter ju befugen ; auch ließ fic burd) rett^ bezahlte
Xicfjter unb äRufifer neue Cpern unb Scbaufpiele für ben £of Der*
faffen , bei bereu Aufführung fie felbft mitroirfte , unb führte jur
(Ermunterung ber 2)caler unb SBilb^auer jäf;rlicr)e öffentliche ftunft*
auäfteHungen in ben ©ölen be£ fiouore ein. $a jebodj btefer an»
ftänbige Qeitoertreib r ju meinem noch baS Vergnügen ber 3agb
fam, bem Submig leibenfdjaftUch ergeben mar, bem ®Önig nicht ge*
nügte , fo trug fie fein ©ebenfen , ihm auch für ben niebrigften
Sinnengenuß Gelegenheit gu oerfchaffen.
©inen fcharfen Äontraft mit bem unmürbigen Seben beS Kö-
nigs , melcher fich wenig um feine Samilie fümmerte , bilbete ba$
ftille, ber Xugenb unb Srömmigfeit getoeihte fieben feiner ©emahlin
unb feiner ®inber. 5>ie Königin , bie nur ju gut mußte , baß ihr
$>ater ganj Don ber ©nabe Sranfreich^ abhing , ertrug bie
föränfungen, mit benen fie fich überhäuft fah, mit einer an Schtoädje
grenjenben (Sebulb. $er mit einer Tochter 9tuguft3 III. t>on
Sachfen t>ermäf)lte Dauphin ßubroig, melcher mit einer gebiegenen
33tlbung bie aufrtdjtigfte Srömmigfeit unb ein tiefet ^fltcf>tge-
fühl oerbanb, feuf$te im StiHen über ba3 unmürbige Seben feinet
Sßaterä , beffen oerhängnißöolle Solgen er t>orau$far) , unb mibmete,
üon ber Regierung gänzlich fentgehalten , feine Seit auäfrfjlic<d)
feiner SJcutter , feiner (Gemahlin unb feinen ßinbern , bereu (Er*
jiehung unb Unterricht beibe (Ehegatten felbft mit ber gemiffenhaf*
teften Sorgfalt leiteten.
Qu Anfang bc$ 3ahre* 1657 mürbe ein Sittentat auf ben
ftönig gemacht. 2113 er am 5. Qanuar, einem falten unb trüben
©intertage, um fechä Uhr 2lbenb3 au3 ber HJcarmorhalle be&
Schloffen ju 93erfatllea trat, um in ben eben öorgefaljrenen Sßagen
$u fteigen , ber ihn nach irianon bringen foQte , erhielt er einen
Stoß in bie (Seite , unb als er mit ber $anb nach ber getroffenen
«Stelle fuhr, bemerfte er an bem herabtraufelnben Sölute, baß ihm
zugleich ein Stich oerfefet morben. $)en Xhäter hotte SRicmanb
Digitized by Google
fiubwig« XV. $rfoatleben.
469
flcfef)Cti ; bodj erfannte Um bcr ®önig an bcm Umftanb , baß ber*
felbe in bcr Aufregung ben #ut abziehen öergeffen fjatte unb aU
bcr allem Sebecfte baftanb. Wit ber £>anb auf ilm hinbcutenb,
rief er feiner Umgebung ju: „$er TOenfcr) ba fjat mid) üermun*
bet! ftehmt ihn feft; aber fügt ifmt fein 2eib au!"
$er Vorfall erregte ungeheuerem Sluffehen. 9ftan bermutyete
eine Serfchmörung jum Umfturj beä %t)xo\\t$ ober ju fünften be3
Dauphin; aber Don ber Aufregung unb Z$eifcta$mc , bie Submigä
(Srfranfung in SHefc unter ben ^arifern ^eröorgerufen , jeigte fict)
feine ©pur. $er Verbrecher, ber fogleicr) unter ftarfer ©ebeefung
nac^ $ari3 gebracht unb einem Verhöre unterzogen mürbe, $ie§
Sranj $>amienä unb mar 93ebienter bei mehreren Parlamentär
räthen gemefen, moburet) er oft Gelegenheit gehabt, oon ber flech-
ten SSermaltung beS Staate* unb oon ber ©orglofigfeit bc8 Sönigä,
fomie öon beffen au3fchmeifenbem fieben $u fyöxtn. 9cachbem er
lange barüber nachgebacht, mie man ben ®önig feinen fiüften ent=
reißen unb ihn jur (Srfenntniß feiner Pflicht bringen fönne, mar
er ju bcm (£ntfct)lufi gefommen, ihn burch eine ungefährliche 23er*
munbung an ben Xob $u mahnen. 2für bie SSahrheit biefer 2Iuä-
fage fpract) ber Umftanb , baß er fich bei bcm Attentat auf ben
$önig nur eine* 3ebermeffer3 mit ganj furjer Glinge bebient fyattc.
$luch mar bie Sßermunbung fo unbebeutenb , baß ber $ömg fct)on
nach menigen Xagen üoflftänbig genefen mar.
Obgleich bei biefer ©act)lage an feine Sßerfchmörung , beren
UBcrfaeug $)amien3 gemefen, gebaut merben fonnte, fonbern e§ flar
am Xage lag, baß cd fich nur um bie %f)at cinc* SBahnmifcigen
t)anbelte, mürbe ber ilnglücfltche ben fchauerüchften Solterqualen
unterroorfen , um Don ihm bie Angabe öon 2Jfttfcr)ufbigen ju er-
treffen, meil fomohl ba3 Parlament, al$ auch bit Qanfeniften unb
bie Sßompabour SBemeife für bie Söetfjetligung ber ihnen OTen gleich
öert)aßten Sefuitcn an bem Attentate beizubringen münfdjten; er
beharrte jeboer), fclbft unter ben furchtbarften Martern, bei ber sKufc
fage, baß ÜRiemanb um fein Vorhaben gemußt fut&e. $a£ Parlament
Derurthcilte ihn jur ©träfe SRaüatHac'S , unb am 28. 2ßärz 1747
tuurbe biefeloe auf bem Gräoeplafc an ihm üottjogen. sDJachbem
ihm bie rechte £anb abgehauen , bann ber Körper mit glühenben
fangen gejmieft unb fiebcnbeS Del in bie Söuuben gegoffen mor*
ben , mürbe er burch öier Pferbe in ©tücfe jerriffen , mad erft ge=
lang, nachbem man ihm bie ©er)nen burchgefchnitten. 2)er stumpf
mürbe mit ben abgeriffenen ÖMiebern oerbrannt unb bie 5Ifc^c in
bie ©eine geftreut. tiefer barbarifchen Einrichtung , bie fünf
SMertelftunben lang bauerte , fahen auä ben genftern unb oon ben
abgebeerten £act)ern ber ben ©r&ueplafc umgebenben Käufer , mo
bie ^läfce $u hohen greifen öermiethet morben maren , oiele Xau*
Digitized by Gopgle
470
Sranfveirf) unter fiubroig XV,
fenbe, barunter bic öornehmften §erren unb $amen, mit gekannter
Aufmerffamfeit $u.
Am 15. April 1764 ftarb bic 9ftarquife ton *ßompabour in
ihrem brciunböierjigften SebenSjahre, nach langer Abzehrung. Xrofc
be$ beifpieüofen ©lanjeS, ber fie umgab, war ihr, nach ihrem eigenen
®eftänbniß, baS Seben jur fiaft geworben, ba fie ftet) ber allgeinei*
nen Verachtung preisgegeben fah , bic fich in jahllofen anonymen
©pottgebichten auSfprach, unb ber £aß gegen fie fid) fo feljr gewei-
gert r)atte, baß fie eS nicht mehr wagen burfte, fid) ohne ftarfc S3e=
beefung an einem öffentlichen Crtc fel)cn 51t laffen. Sie hinterließ
ihren ißerWanbten öiele attillioncn, unb bie Verweigerung ir)rcd Waty
laffeS, ber eine Sülle ber feltenftcn $unftwerfe unb ftoftbarfetten
enthielt, bauertc ein öolIeS Qahr.
Sic »ufhebung bc§ 3efuitenorben8 in 3rranfrcidj.
(1764.)
3>urch bic ausgezeichnete SBirffamfcit ihrer TOtglieber (jatte bie
®efellfchaft 3efu in allen fatljolifdjen £änbern einen Ijeroorragenben
(Sinfluß erlangt; eS fehlte it)r jebod) auch nicht an mäd)ttgen ®eg*
nern, ju benen , außer ben *ßroteftanten afler Vefenntniffe unb ben
3anfeniften, fowie ben oon biefen gewonnenen SDcitgliebern ber fran*
jüfifetjen Parlamente, ganz bcfonberS bic Vertreter ber neuen , mit
ben 28aorf)citen beS ShnftenthumS zugleich alle firc^lic^e unb ftaat«
lidje Drbnung befämpfenben ^ßrjüofopfjic gehörten.
Qu biefen ©egnern gefeilten fid) in ber zweiten £mlfte beS acht-
zehnten 3ar)rt)unbertS bie burch ihre franzöfiferje SBcltbilbung mit
ber mobernen SBelt* unb ©taatSmeiShcit befreunbeten TOmfter, bie
ju jener Qtit in fämmtlichen bourboni)d)cn ©taaten am SRuber ftan*
ben unb fich in ihren SBcftrebungen , ben ®runbfä{jeu eben biefer
2Betöt)cit gemäß bie Dmnipotenz beS ©taateS auch über alle furch-
liehen Angelegenheiten au3jubef)nen, burch °en ©influß ber Qefuiten,
als ber entfehiebenften Verthcibiger ber föed)te unb Qntereffen ber
Kirche, beengt fal)en. Alle biefe haßerfüllten Ötegncr ber ^cfeüjchaft
Qefu Oer einigten fich 3U einem großen VernichtungSfampfe gegen
bicfclbe, inbem fie bic fchänblichftcn Verleumbungen gegen bie Qcfuü
ten erfannen unb burch ü)re bezahlten Helfershelfer in allen Greifen
ber ©efeflfehaft oerbreiten ließen. QnSbefonbere befchulbigten fie bie
3efuiten einer lajen 3!)coral , bcS SftißbrauchS ber ©eichte , bcS
©trebenS nach Weltlicher <pcrrfd)aft unb ber ©inmifdmng in bie
Digitized by Google
$ie Sluföcbung beS SefuitenorbcnS m ftranfreid).
471
Politif , bcr 9tf i&adjtung bcr öifäöfe , beS ©to^eS unb bcr §ah~
fliegt , ofjne für äße biefc Auflagen anberc ©emeife beibringen $u
fönnen, als öereinjelte , tfjeilS fefjr übertriebene, tfjeilS gänalid)
erfunbene Stjatfadjen.
3n granfreid) Ratten bie ^onfeniften öorjugSmeife in bem
Parlamente oon Paris einen mächtigen SRücffjalt gefunben, ba baS=
felbe, oon jcr)er gaüifanifd) gefinnt, bie 3efuiten als Vertfyeibiger
ber päpftlidjen ©eroalt mit bitterem |>affe oerfolgte. $>anb in £mnb
mit ben Qanfeniften nnb bem Parlamente gingen in ber Vefämpfung
ber Qejuiten einerfeits Voltaire nnb feine (SefinnungSgenoffen , bie
mit ber Ausrottung beS DrbenS bie Vernichtung beS (£f)riftentb,umS
anbahnen roollten , unb anbererfeits bie Sftarqmfe oon Pompabour,
bie eS ben Qejuiten nid)t öer$eif)en fonnte, ba& feiner berfelben if)r
33ctct)tt)ater fein moflte, fo lange fte bie 93uf)lerin beS Königs fei,
foroie if)r ©djüfjltng, ber SJiinifter (Jfjoifeul, ber eS, abgefeljen öon
feiner perfönlicr)en Hinneigung ju ben Anfiajten ber Jreibenfer unb
Sd)öngeifter, feinem Qntereffe angemeffen fanb , ben $a§ beS Par*
lamentS gegen bie Qefuiten ungeftört malten unb jur offenen Ver-
folgung roerben ju laffen, um mit bemfelben in gutem (Sinöernefjmen
ju bleiben. 3m Publifum mürbe eine Waffe oon ©djmäfjfdjriften
gegen bie Sefuiten oerbreitet, in meldten biefelben für alles oerant«
ruortlicrj gemacht mürben, roaS jemals Scftroärmer unb Vöferoidjtcr
XfjöridjteS, VerroerflidjeS ober greoetyafteS getyan, unb ber €rben
balb als Söortrebner, too nid)t als Urheber beS Despotismus ber
Könige unb beS grobfinnlidjften Aberglaubens, balb als Verfünbiger
ftaatSgefäfjrlidjer £el)rcn unb als Anftifter aller jemals an Königen
unb TOniftern oerübten ober oerfudjten ©etoalttfyaten bargeftellt
mar. Söetl ber fpanifdje Qefuit 3ftariana jmei Qa^rljunberte öor-
fjer in feinem Söerfe: „de Rege et de Regis Institutione" bie
iöbtung eines Sttrannen unter gemiffen VorauSfefcungen für erlaubt
erflärt r)atte f fottte S)amienS bura) bie 3efuiten $u feinem 2#orb*
anfatl auf ben föönig Oer leitet morben fein , obgleid) berfelbe mit
Qei'uiten gar nid)t in Verbinbung geftanben, üielme^r ben 3<mfe*
niften angefangen fyatte. Aua) bie Vorgänge in Portugal, roo, toie
mir meiter unten 1) ören merben , ber 9Jänifter P 0 m b a l eine an«
geblidje Ver(cfyroörung gegen ben Sfönig $ur Vertreibung ber 3efui*
ten ausgebeutet fjatte, mürben als SBaffe gegen bie 3c)"uiten benufct
$>iefe Verlcumbungen öerfeflten ifjren Qmd nid)t: baS Publifum
mürbe oielfaä) irre geführt unb tfeilmeije gegen ben Drben ein«
genommen.
3nbeffen fanben bie 3efuiten in Sranfreid) marme Vertfyeibigcr
an ber 2J?ef)r$al)l ber Vifdjöfc ; aud) ber Dauphin, fomie bie Königin
unb bie Prinjeffinnen ftanben entfdjieben auf ir)rer ©eite, unb felbft
Digitized by w)OQle
472
ftrcmfretdj unter Subtoig XV.
ben fdjmadjeu #önig oermodjte bic Pompabour nic^t ju einem
f einbüßen SBorgctjen gegen bie 3efuiten ju bewegen. (Snblid) bot
ein 9ied)t«ftreit bem Parlamente eine erwünfdjte $anbrmbe ^um
(Sturje be« Drben« in granfreid). (Sin gemiffer Sa Palette, ber
al« Profurator be« Drben«f)aufe« auf ber Qnfel Martinique buret)
grogartige $>anbel«fpefulationen bie franjöftfc^en Kolonien in Slor
gebraut fyatte , aber bem Drben nia^t meljr angehörte , mar buret)
ben Serluft mehrerer reicrjbelabenen Skiffe, bie ma^renb be« Krieges
oon ben ©nglänbem meggenommen movben waren, in SBanferott ge^
ratzen, unb ein §anbel«ljau« oon SttarfeiÜe, ba« üon ifjm au«gefteüte
2Bed)fel im betrag üon üier Sttillionen Siüre« aeeeptirt fjatte, üer=
langte (Sntfdjäbiguug üon bem Drben; biefer üerweigerte jebod) bic=
felbe, meü 2a Palette öon ifjm nietjt $um $>anbel beauftragt , üiel-
mel)r be&ljalb frrenge gerügt unb fdjlie&lid) au«gefto&en morben mar.
Qnbeffcn gemann ba« $anbel«l)au« ben üon ifmt angeftrengten Pro*
^eß nic^t nur üor bem ßonfulate in SJkrfeiHe, fonbern aud) üor
ber großen Cammer be« Parifer Parlament«, unb biefcö lefctere
madjte, üon (Sfjoifeul ju weiterem Vorgehen gegen bie Sefuiten
ermutigt, au« bem (Sioilprojeß einen $riminalprosc&, iubem e« am
17. Slpril 1761 bie Vorlage ber (Sonftitutionen unb Priüilegien be*
Drben« üerlangte unb jur Prüfung bcrfelben eine jum Xljeil aus
3anfeniften beftefjenbe (Sommijfion einfette.
$a« ©rgebniß ber üorgenommenen Prüfung mar bie (£rflä=
rmtg, baß einzelne ber in ben Souftitutionen enthaltenen Sä(je auf*
rcijenb unb gefäfyrlid), bie Siegeln in ifyrer ©efammtfjcit aber, gleicr)
ben bem Drben oon ben päpften erteilten priüüegien , fdjäblicr),
ben Staat«gefejjen unb ben gaüifanifdjen greiljeiten entgegen unb
barum nichtig feien. Obgleich ber ®önig bem Parlamente am
2. 3luguft üerbot, oor 2lblauf eine« Qaljrc« irgenb melden ^efcfyluß
gegen ben Drben ju faffen , erließ ba«fetbe fcfwn am 6. 2luguft
mehrere betrete, morin c« ütele ©djriften älterer Qefuiten jum
geuer üerurtljeilte unb allen gran$ofen ben SBefudj ber 3efuiten=
faulen fomie ben Eintritt in ben Drben oerbot.
Um auch bie öffentliche Meinung für bie SBernidjtung be«
Drben« $u gewinnen , mürben burdj eine parlament«fommiffion fo*
genannte „Wu«süge" au« ben 8d)riften ber Qefuiten angefertigt,
burdj meldte ilmen unmoralifdje unb ftaat«gefährlid}C 2)oftrinen
nadjgewiefen werben füllten. SBäljrenb biefe« elenbe , in föom ent»
(Rieben üerbammte unb aud) oon mehreren franjöfifdjen ©ifefpfen
in Hirtenbriefen cenfurirte 9ftadjmerf, ba« ©teilen au« ben SBerfen
üerfdjiebener Qefuiten au« bem 3ufammenr;ange riß unb 3rrtf)ümcr
(Sinjelncr bem ganzen Drben jur Saft legte, in ganj granfreid)
verbreitet würbe, orbnete ba« Parlament bie öffentliche Verbrennung
Digitized by Google
$ie Aufhebung beS SefuttenorbenS in ftranfreich.
473
bcr Apologien beS DrbenS an unb fdmitt bemfeloen jebeS bittet
bcr Sßertheibigung ab.
$er Äöntg , ber bic 3efuiten gu retten münfehte , aber im
Strubel fetner Vergnügungen ber gangen Angelegenheit eine Diel
$u geringe Aufmerffamfeit fchenfte , lieg ftc& Dura) bie Verftcherung
beruhigen, bog es nicht auf eine gänzliche Aufhebung beS DrbenS,
fonbern nur auf eine SSerbefferung feiner (Einrichtungen abgefehen
fei. Um biefe herbei ju führen , beantragte Subnrig , obgleich eine
t>on ihm jufammenberufene Verfammlung öon mehr als fünfzig
SBifdjöfen im Sßoüember 1761 in ihrer überttriegenben Mehrheit bem
Drben in Vejug auf SBanbel unb Xüchtigfeit fetner Sttitglieber baS
glänjenbfte S^ugnig auSgefteflt unb bie öon bem Parlamente gegen
benfelben erhobenen Anflagen öoüftänbig entfräftet hatte , bei bem
Zapfte ©lernen« XIII. eine Umgeftaltung ber DrbenSöerfaffung,
inSbefonbere bie VeftcHuug eines ©eneralöifarS für Jranfreich.
$iefe gorberung tourbe jeboe^ , unter ausführlicher Darlegung ber
bagegen fpredjenben nächtigen QJrünbe öon Seiten beS ©eneralS
föicci tote beS PapfteS , abgelehnt , mobei Klemens XIII. nicht er-
mangelte, bem ®önig ju fchreiben, „ber ©türm gegen bie 3efuiten
fei öon ber Art, baff er Altar unb $hr01t jwö^ich bebrohe, bie
befttmmt feien, bem Unglauben als Schladjtopfer ju fallen." $>aS
Parlament hob hierauf unterm 6. Auguft 1762 bie ®efellfa)aft
Qefu auf, „roetl biefelbe in ihren fiehren gottlos unb fafrilegifa)
unb in ihrem SBirfen ber Kirche unb bem Staate öerberblidj fei
unb ber fdjroache ®önig fonnte fidj nicht ju einem energifchen Auf=
treten gegen biefeS AufhebungSbefiet entfchlie&en , obgleich nicht nur
ber gange franjöfifche (SpiSfopat gegen baSfelbe Proteft erhob, fon*
bern auch Der P^pft am 3. (September ben bie Aufhebung beS
DrbenS öerfügenben 33efchlu& beS Parlaments für null unb nichtig
crflärte. Ucachbem ein öon bem ©rgbifchof oon Paris §ur 93er-
theibigung beS CrbenS unb ber Stechte beS päpftlichen Stuhles cr=
laffener Hirtenbrief auf Anorbnung beS Parlaments burch £enferS~
hanb öerbrannt unb ber Ghrgbifchof öon bem $ouig auf öierjig
Steilen öon Paris öernriefen roorben mar, üerfügte ein neuer Paria*
mentSbefchluß bie Verbannung aller berjentgen Qejuiten, bie ftch
roeigern mürben, ihren Drben für öerberblich unb ftaatSgefährlich gu
erflären, tuaS öon Xaufenben faum einer t^at. 3)er ÄÖnig fanetio*
nirte unterm 1. $egember 1764 baS öon bem Parlament erlaffene
AufhebungSbetret ; boch geftattete er ben Sftitgliebern beS DrbenS,
als Sßeltpricfter unter ber ©ertchtSbarfeit ber Vifchöfe in granf-
1) 3n Portugal nmrben bie ^Mutten öertrieben, ruetl fie, „oon bcr §eU
ligfeit ihres gnftituteS" abgefallen feien. 2)aS eine war fo unroahr wie baS
anbere.
Digitized by
474
ftrctnfreid) unter finbroig XV.
reich §11 bleiben ; auch rief er ben ©rjbifdjof bon $ari« au« feinem
(5rU jurücf.
£ie Ücachthetle, meiere bie Aufhebung be« Qefuitenorben« für
granfreich jur golge fyattt, traten junächft in bem SRücfgang ber
Spulen ju Sage, in melden befonber« ber Unterricht in ben alten
©prägen in ben flaglichften Verfall geriet!).
gubtoigg XV. leite ftegtertmgSjeit.
(1764-1774.)
$er Xob ber ättarqutfe bon ^ompabour, ber ben fönig boBU
ftänbig falt gelaffen, r)attc feinerlei Slenberung in ber Regierung
herbeigeführt, ba ber Don it)r $um StaatSminifter ernannte £er$og
bon d t) o i f c u 1 (früher ©raf ©tainmtte) ganj in ihrem ©eifte
fortmirfte. Wucf) be« ® öuig« auäfchnieifenbe ßebcnäroetfe blieb unoer=
änbert. 55er Dauphin, on beffen Seben ber ©ram über feine« Vater«
fernere Verirrungen nagte, ftarb am 20. Tejember 1765, unb fdjon
am 13. 2Eai 1767 folgte ihm feine eble ©emahlin in« ©rab. flalb
barauf, am 25. 3uni 1768, ftarb auch bie bon ihrem ©emahl fo
fchmählich bcrnacf)läjfigte unb fo fehler gefränfte Königin.
fiubmig blieb bei biefen $obc«fäHen nicht gleichgiltig : wie er
feine Schwiegertochter bei bem 2obe be« Dauphin mit r)crjlicr)cn
SBorten ju tröften gefugt hatte, fo umarmte er ben ßetdmam feiner
©emahlin mit allen Reichen ber föeue unb Führung. Slber biefe
befferen Regungen maren nicht mehr im ©tanbe, bauernb auf fei-
nen Söiüen einjumirfen; er führte bielmehr fein fünbfjafte« fieben
fort, unb e« feinen faft, al« lege er e« barauf an, bem throne
alle Achtung gu rauben unb ben Umfturj be«felbcn boraubereiten.
SKach bem Xobe ber «ßompabour gerieth ber untoürbige fönig ganj
in bie ©ctualt einer gemeinen Vuhlerin, bie er mit bem ber-
fommenen ©rafen $ubarru bermählte. ©ie erlangte einen
foldjen (Sinfluf, auf ßubnrig XV., baß fich balb alle Höflinge, auch
ein Xhcil be« Mbel« unb bie OTnifter, außer Shoifeul, ber oergeben*
ihre @rr)i)r)uttg $u hintertreiben gefnct)t unb fich nic^t enthalten
fonnte, ihr feine Verachtung §u geigen, in niebriger Kriecherei oor
ihr beugten.
Unterbeffen rjattc (£f)oifeul im (Sinbernehmcn mit faunifc eine
Vermählung be« fech$ehnjährigen Dauphin gubroig mit ber um ein
Qafjr jüngeren ©rjherjogin Üftaria s2In totnette oon Cefterretch,
ber jüngften Tochter ber faiferin SJtoria X^crefia r eingeleitet,
meldje £e$tere ihre Uinmiüigung jit biefer Verbinbung in ber
fixeren ©rtoartung gab , baß baburch ba« für ben grieben
Digitized by Google
ßubnugS XV. lefcte gfcgienmgSjeit. 475
(Suropa'S erfpriefjliche TOnbnig OefterreichS unb granfretchs ouf
längere Seit fict)cr geftedt fein toerbe. «Tuf bie Sßermählung beS
fünftigen ßönigSpaareS, bie am 16. HRai 1770 $u SBerfailleS ootl*
jogen tourbe, toarfen inbeffen üerfchiebene Vorfälle einen bunflen
Schatten, gleichfam als Vorboten beS tragifdjen ©efdn'cfeS, bem bie
Weuüermählten entgegengingen. SBähreub ber ©infegnung tobte ein
furchtbares ©eroitter, unb öierjehn Xage fpäter entftonb bei einem
geuertoerf, baS bie ©tabt Paris jum ©chlnffe ber SBermählungS*
feierlichfeiten auf bem Plafc ßouiS XV. Oeranftaltet hatte, in golge
mangelhafter SBorfehrungen ein fo furchtbares ©ebränge, bafe über
taufenb Perfonen ju ©dmben famen unb über breihunbert erbrüeft
ober vertreten mürben.
£$nbeffen fah ftdj CHjoifeul in ber Hoffnung getäufdjt, burch
biefe Ü8erbtnbung fein Slnfehen unb feine Stellung für immer be-
feftigt ju haben. £ie ©ertngfchäfcung, bie er nach bor gegen
bie $ubarrtj an ben Sag legte, mürbe oon ßubmig hö# übel auf*
genommen ; baher fanb ber #an5ler Sftaupeou, ein perfönlidjer ©eg^
ner CHjoifeulS, ber bem ®önig barjuthun fudjte, bafj ber SJftnifter
ben DppofitionSgeift ber ihm befreunbeten Parlamente im ©rillen
begünftige unb nähre, für feine ©inflüfterungen ein geneigtes Dhr.
S)aS Parlament üon Pari« hatte nämlich aus bem (Gebrauche, bafr
ihm bie föniglichen ©bifte jur (Sinregiftrirung jugefertigt mürben,
bie Solgerung gejogen, ba§ bie ©tltigfeit berfelben oon biefer (£in=
regiftrirung abhänge unb baß ihm baS Stecht juftefje, biefelbe gu
oertoeigern, falls feine gegen mißliebige ©bitte erhobenen SSorftcI-
lungen fein ©ehör fänben. 3)iefeS oermeintliche Siecht, baS bem
Parlamente als einem einfachen (Gerichtshöfe gar nicht $uftel)en
fonnte, mar bemfelben im Qafjre 1766 oon bem $önig in einem
fogenannten „lit de justice" — einer im ©djloffe ju SBerfailleS abge-
haltenen feierlichen SBerfammlung, in welcher ber #önig perfönlich
bem opponirenben Parlamente bie (Sinregifrrirung eines (SbiftS be=
faf)I — burch bie Ghflärung abgebrochen toorben, bafj eS ju feinem
Söiberfpruche berechtigt, fonbern jum ©inregiftriren oerpflichtet fei,
weil er feine ftrone allein oon ©ort habe. Sftichtsbeftoroeniger
bauerten bie ©treitigfeiten fort unb mürben befonberS heftig, als ber
£'imig im 3at)re 1770 einen oon bem Parlamente ju Lennes gegen
ben früheren ©ouoemeur ber ^Bretagne, ben $erjog oon Sliguitton,
angeftr engten ^riminalprojeß caffirt unb ben .frerjog bei einem neuen,
am 7. Stejember abgehaltenen lit de justice, bei toelchem baS par=
lament Oon Paris einen fcharfen SßcrtoeiS erhielt, feinen ©ifc unter
ben PairS hatte nehmen laffen.
©rmuthigt burch ben föücffjalt, ben baS Parlament bei bem
allgemeinen £mffe gegen bie $ubarro unb ber Un^nfricbenheit über
ben auf bem $8olfe laftenben Slbgabenbrucf in ber öffentlichen 3ttei=
Digitized by Google
476
ftranfreid) unter fiubroig XV.
nung fanb, fchritt baSfelbe, nach roieberholten oergeblichen SBor*
fteßungen gegen ein neues ©teuerebift, ju bem gemohnlidj oon ihm
gebrauchten Sftittel beS SöiberftanbeS, ber (Sinftellung aller gericht-
lichen ^anblungen. 35iefe entfd^iebene Söiberfefcüdjfeit beS Parla-
ments führte ben ©tur$ ©hoifeulS herbei. S)er $ünig entließ
ihn am 24. 3)ejcmber 1770 mit allen Seichen ber Ungnabe, in-
bem er ihm Söefer>I erteilte, fidj innerhalb öierunbjmanjig ©tun*
ben nach feinem ßanbfifc (5t)anteIoup ju begeben, mo er fortan $u
bleiben habe.
Xa bie zahlreichen Gegner beS £ofeS nicht oerfäumten in
9ftaffe nach bem £>otel beS geftürjten SJcinifterS $u eilen, um bie*
fem ihre $hetfnahme ju bezeigen, erhielt feine SBerabfduebung baS
Slnfehen eined XriumpheS. $ieS bemog ben ®ömg ober bielmehr
feinen Jfanjlcr Sftaupeou, mit um fo größerer ©ntfdnebenheit gegen
baS in feiner SBiberfefclichfeit oerharrenbe Parlament öorjugehen.
3n ber 9cadjt jum 20. Januar 1771 mürben ÜftuSfetiere in bie
SBohnungen ber ParlamentSräthe gefchieft, um benfclben ben ©efet)I
beS Königs $um Söieberbeginn i^rer gerichtlichen Arbeiten ju über*
bringen unb oon ihnen eine beftimmte Slnttuort barüber ju öerlangen,
ob fie bemfelben 3olge leiften mürben. 3m erften ©djrecfen erflär-
ten ftch 5lHe bereit; am anbern Xage nahmen fie jebodj nach einer
gemeinfamen öerathung ihre bejahenbe Antwort jurücf. 3n ber
folgenbeu Stacht mürbe ihnen burch GcrichtSbiener ein SBefdjlufj beS
Staatsrates bef)änbigt, ber fie ifjrer Slcmter entfette unb nach *>er=
fchiebenen entlegenen Drtcn üernneS.
Ohne föücfficht auf ben SBibcrfpruct) ber Prinzen oon Geblüt
unb mehrerer PairS mürbe baS Parlament oon Paris für aufge=
hoben erftärt unb an feiner ©teile ein neuer Gerichtshof unter
bem tarnen beS „großen SRatheS" — grand conseil — gebilbet.
$aS Gleiche gefdjah bezüglich ber Parlamente in ben Probien, an
beren ©teile fogenannte „DbergerichtShöfe'' — cours supörieures
— traten. Sur feierlichen Söeftätigung ber neuen Drbnung ber
2)inge hielt ber ®önig am 11. Slpril 1771 abermals ein lit de
justice, in melchem er an bie Sßerfammelten eine Siebe richtete, bie
mit beu Söorten fchlofe: „3$ oerbiete euch jebe ©erathfchlagung,
bie meinen 2BiüenSmctnungen entgegen ift, unb alle ÖorfteHungen
$u fünften meines gemefenen Parlaments; benu ich werbe niemals
eine Slenberung treffen."
Sa ber ©taatSgcmalt auSrcichenbe ütfilitärrräfte *u Gebote
ftanben, um jeber ihrer Slnorbnungen 9cachbrucf ju ocrlcijjen, unb
fie in ben geheimen #erhaftSbefef)len, ben fogenannten Lettres de
cachet, ein leichtes Littel hatte, fich ohne jebe föechtsform aller
mißliebigen Perfoncn burch °eren Ueberfüfjruug in bie Werfer ber
SaftiHe $u entlebtgen, fam eS ju feinem ernften SBerfuche beS SBiber*
Digitized by Google
SubmigS XV. lefcte ftegierungSjeit.
477
ftanbeS; bic oerbannten Üftttgtieber beS Parlaments beeiden fict) öiel=
mef)r, nac^bem bie opponirenben Prinzen unb <ßairS burdj (bunftbe*
jeigungen unb ÖJelbfpenben aufrieben gefteüt worben waren, fid) burdj
ooflftänbige Unterwerfung bie (Srlaubniß jur 9tütffef)r unb (£nU
fdjäbigung für tr)rc oedorenen Remter ju erfaufen.
*8on ber Dppofition ber Parlamente befreit, übcrKeg fidt> ber
Äönig mit ber 3)ubarrn. unb ityrem Slnfjang ofjne jebwebe ©djeu
ber fdjranfenlofeften S8erftf)Wenbung. $ie bittet baju fonnten nur
burd) eine ftete Steigerung ber Abgaben befdjafft werben, unb ber
ginanjmintfter Verrat) trug fein SBebenfen, baju in ber getoiffen-
(ofeften SBeife bie £anb ju bieten. $>ie Qitftn ber ©taatöfdjulb
würben ljerabgefefct, oon ben ginanjpädjtern ©trafgelber erpreßt
unb bie brüdenbften ©teuerebifte erlaffen. 2US einft eine $epu*
tation ber ©eiftttdjfeit bem Sftinifter bie offenbare Ungeredjtigfeit
eines foldjen (SbiftS barftcUtc, erwiberte er mit ber größten ÖJelaffen*
ljeit: „Slber wer fagt benn, baß baS (Sbift geregt fein fofl? SBoju
wäre itf) benn ba?"
SBäfjrenb Xerratt, ber $er§og oon Sliguiflon als 9JMnifter beS
Auswärtigen, ber ^anjler Sftaupeou unb bie ShtbarrU, bie ben
^önig ooflftänbig wiQenloS gemacht Jjatten, nur auf ifjre eigene
Vereiterung bebaut waren unb fidj Sftiflionen um Millionen an*
eigneten, fjerrfdjte im ganzen ßanbe eine fo furdjtbare fRott), baß in
ben $iftriften ßamardje unb fiimoufin allein an öiertaufenb 9Eften=
fdjen bem junger erlagen. Xabei ftieg bie ©dfulbenlaft $u einer
fdjredenerregenben $>öfje. 25er ®önig fefbft geigte fid) gegen baS
(SIenb beS SBolfeS ebenfo gleidjgtftig, als gegen beffen mad)fenbe
Unjufrieben^eit. @r fonnte fuf> jmar nidjt Oermten, baß fein Xfyron
auf einem untergrabenen SBoben ftanb ; allein er pflegte, wenn S3e-
forgniffe barüber in feiner Umgebung laut würben, mit apatf)ifd)er
Sfhifje ju fagen: „$>te 2Ronard&ie Wirb wofjt galten, fo lange wir
(eben. Apr&s nous le däluge."
3m 2ftai 1774 erfranfte ßubwig XV. an ben $inberb(attem,
bie bei feinem öollftänbig jerrütteten Körper balb einen töbtlidjen
(£f>arafter annahmen. @r felbft a^nte anfangs feine (SJefaljr, unb
feine Umgebungen fudjten ifym biefclbe fo lange als mögüd) ju Oer*
ljeimlirf)en. siUS enbliaj ein treuer $ammerbiener if)m bie Augen
über feinen Suftanb öffnete, ließ er ber ©ubarrto ben $8efel)l jugefjen,
fid) auf tf)re ©üter ju begeben, weil er, wie er fagte, nidjt wollte,
baß bie Auftritte Oon 2ftefo fict) Wteberfyolten. ©ie zögerte nia^t,
biefem Söefefyle nadjjufommen, um für ben faum ju bejwcifelnben
gatt beS XobeS SubwigS fid) felbft unb bie bem ©taate geraubten
Sftillionen üor bem |>affe beS 5ÖolfeS in ©i<f)ert)eit ju bringen.
Söä^renb bie Gtefafyr ber 5lnftecfung bie meiften Höflinge oon
beS Königs Säger öer)djeud)te, gelten feine brei fo fefjr oon i^m
Digitized by Google
478
ftranfreicfj unter Suörotg XV
uernachläffigten Xödjter in ber aufopferobften Siebe bei ifjm auä.
(Seinem 53eic^toatcr , ber it)n mit ber größten (Sntjduebenfjeit ju
ber ernftlichften SReue ermahnte, geftanb er bie Wngft, mit melier
er im #tnblicf auf fein lafterhafteS Seben ber ©migfeit entgegen*
ging. Huf bie SSerftdjerung aufrichtiger Sfteue mürben ihm bie
©terbefaframente gefpenbet. ©ein (Snbe mar fchrecflich; benn mäh=
renb it)n ÖJemiffenäbiffe unb Xobeäfurcht oerjehrten, mußte er noch
lebenb feinen Körper in gäulniß übergehen fehen. SRach furd)t=
baren Seiben ftarb er am 10. 2ttai 1774, im TOer üon jmeiunb*
fedföig Sauren.
©leich nach bem Xobe SubmigS XV. berließ ber #of Ser*
faifleS, um bem $u (S()oifu meilenbcn Dauphin als Submig XVI.
$u hulbtgen; nur einige Liener blieben bei ber Seiche be$ ®önig3,
bie fein Wrjt einjubalfamiren fich entfc^Iießen fonnte. Än eine
anftänbige SBeftattung berfelben backte SRiemanb. *8on mer^ig
öardes du Corp8 unb einigen $agen mit gacfetn begleitet unb
gefolgt öon ben tauten SBermünfchungcn be£ 93olfe3, mürbe ber
©arg in einer gemüfjnlidjen Qagbfutfdje , auä mefcher er ju beiben
(Seiten heröorragtc, in t^Hem Xrabe nach ber ®önig3gruft ju ©t.
SemS gefahren. $aS ganje Sanb att)mete erleichtert auf, unb ber
Seiname be3 „(Srfehnten" — le dfoinS — , mit meinem ber neue
®önig bei feinem Regierungsantritt begrüßt mürbe, befunbete bie
froren Hoffnungen, bie man auf ben jmanjigjährigen ernften unb
befcheibenen £>errfcher fefcte. Wber e3 mar ein trofttofeS (£rbe, baä
Submig XV. feinem (Snfet r)intcrlaffen hatte. $er ©taatahauähalt
befanb ft$ im 3«ftanbe ooflftänbigfter Scrrüttung ; ba3 Sßotf feufjte
unter ber Saft unerschwinglicher Abgaben; sMerbau, ÖJemerbe unb
£>anbel lagen gänjlich bamieber ; Qrreligiüfttät unb ©ittenlofigfeit
hatten namentlich unter ben höheren ©tänben in fchrecfenerregcnber
SBeife um fich gegriffen unb alle ©runblagen ber firchHchen unb
bürgerlichen Drbnung untergraben; bie oon ben ÜJtachthabern felbft
mit Süßen getretenen ©efejje genoffen feiner Haftung mehr, unb
ber burch Submig XV. entehrte Xjjron mar tief erfchüttert. Sub*
mig XVI. mar ooß be3 beften 2SilIen3, biefen unheilöoUen Suftän*
ben ein (£nbc gu machen; aber $u ber gänzlichen Erneuerung bed
tief gefunfenen ©taatöroefend , burch tuelctje allein bie Monarchie
hätte gerettet merben fünuen, fehlte ihm oielfach bie nötfnge @in=
ficht unb Sfraft.
Digitized by Google
3)ic franjöfifcfje Sitcratur im ad^nten Safjrfjunbert. 479
XXVII.
Pie frttttjöpf^e ^itexatux im a^t^nien gaWuubett.
Unter ber Regierung ßubnrigS XIV. fyattt bie franjöfifche
^ßocfic il)re reidtften Stützen entfaltet; mit bem beginne beä acht*
ahnten Qahrlmnbertä fanf fte mehr unb mehr oon ihrer glänjen*
ben Jpöt)c herab, unb menn bie SJidjter jener Qtit noch immer ju
ben franjöfifchen Älaffifern gejagt merben, fo hat biefer 9*ame für
fte nur infofern Berechtigung , als er ben ®egenfafc 31t ber neuen
„romanttjdjen — richtiger mobern en — Schule" bezeichnet, bie
in Sranfretcf) roäfjrenb be3 ®aiferretch3 vorbereitet unb mäljrenb ber
föeftauration hauptfächüch burdj Victor £ugo jur allgemeinen
£>errfdjaft gebraut mürbe; — flaffifd) im magren Sinne bei
SBorteS, b. h- muftergiltig , waren bie Schöpfungen ber fran*
jöfifchen $ichtfunft im achtsehnten 3a$r$tsnbertf mit jefjr geringen
2luänahmen, in feiner Söeife.
2)er heroorragenbfte unter ben franjöfifcfjen Richtern be3 acht*
aefmten 3ahrfmnbert3 , ber eigentliche föepräfentant ber gefammten
®eifte3richtung f einer Seit ift 33 o 1 1 a i r e, oon roeldjem Bretten *) ein
öortrefflicheS (Sharafterbilb entmorfen hat, baä un$ ben gefeierten
s3^itofopt>cn unb dichter in feiner ganzen Srbärmlichfeit erfennen
lögt, gran<joi3 2ttarie 2lrouet — bieä mar ber eigentliche 9ßame
be3 $ichter$, ben er au$ unbefannten ÖJrünben , nach ber ^h^up*
tung feiner Gegner megen beä ominöfen ÖHeichflangä mit ^Trouer
($u räbern), gegen ben tarnen Voltaire üertaufchte, — mar am
21. Sßoöember 1694 $u $ariä ald ber Sofm eine* SportelfaffirerS
an ber föechnungäfammer geboren unb erhielt feine (Srjiehung in
bem Kollegium £oui3 Se (Sranb, ba3 öon gefutten geleitet mürbe,
beren Unterrichtämethobe er fpäter, trofc jeineä töbtlichen Jpaffeä
gegen ben Drben, gerechte toerfennung joüte. Wad/bem er fta)
fchon in biefer Slnftalt, ju beren begabteften Schülern er gehörte,
mit ®lücf in ber Sichtfunft öerfucht, fchrieb er im tffter oon ftc£>=
aehn Sohren fein erfte* Xrauerfpiel „DebipuS" , in welchem er bie
erjehütternbe Einfachheit beä griechifchen Urbilbeä bura) ben glänjeri-
ben ttad einer conoentionellen ©leganj unter #in$ufügung einer übel
angebrachten fiiebeäintrigue $u erfefcen fudjte. gür ba$ gehlfchlagen
feiner Hoffnung, bura) bieje Xragöbie ben öon ber s2lfabemie au3=
gefegten ^ßrei$ $u erlangen, rächte er fidj burch beifjenbe Epigramme.
Um feinen hierüber roie über feinen anftöfjigen ßebenSroanbel heftig
erzürnten SBater $u oerföhnen, rotbmete er fia), nach beffen SBunfch,
bem Stubium ber ftechtannffenfehaft ; boch gab er baSfelbe aläbalb
toieber auf, um auöjdjlie&lich ber ftichtfunft $u leben.
1) »oltaire, (Sin Charafteritlb. Biburg. 2. ftufl. 1886.
480
$ie franjöiifcfje Literatur im nd>tsef)nten Sahrfnmbcrt.
Wad) bem Xobe SubmigS XIV. würbe ber junge Arouet megen
einer ©atire, bie er auf benfelben gebietet, als befangener in bie
SaftiHe gebracht, mo er nabeju ein toofleS 3ahr blieb. #ier entwarf er
ben <ßlan ju feiner „£enriabe\ einem £>elbengebidjt in jetm ©efängen
jur Verherrlichung £einrtch3 IV., unb fdjrieb baoon bie beiben erften
©efänge. Waty feiner (Sntlaffung aus ber Söaftittc gelang e3 ihm, feinen
DebipuS auf bie S3ühne ju bringen, ber fünf unbmerjigmar nach einauber
mit ungeheurem ©etfafl gegeben mürbe, tiefer Xriumph, ber ihn jum
gelben be3 $age§ machte, föt)ntc feinen Vater DoUftänbig mit ihm aus.
Voltaire mar in feinem (demente: fein ßhrgeij mie feine ©itelfeit fan=
ben reiche Vefriebigung, unb jugleich eröffnete fid? ihm bie Ausfielt auf
ein glänjenbeS Sortfornmen in ber SSelt, auf SRcidjtljum unb Einfluß.
Snbcffen braute ben dichter im 3af>re 1726 ein (Streit mit
bem mächtigen ^erjog oon SRohan, bem er für eine fdjmere Velei*
bigung eine £erau£forberung jugefanbt r)attcr jum anbern 2ftalc in bie
Vaftifle, au« melier er $mar nach für jer 3cit mieber entlaffen mürbe,
aber mit ber SSeifung , in ba3 Auälanb au geben. (£r begab fich
naa^ (Srnglanb, mo er brei Qa^re blieb. 55er Aufenthalt in biefem
Sanbe mar entfeheibenb für feine ganje ®eifte3richtung unb bem ent-
fprechenb für feine ganje Sufunft. Söar er fchon in ^ßartö feit fct=
nem Eintritt in bie SBelt burch ben Umgang mit ungläubigen unb
fittenlofen jungen ©betteuten feinem cbriftlidjen (Stauben entfrembet
roorben, fo mürbe er in Öonbon burch ben Verfehr mit ben eng*
üfchen greibenfem jum ooflenbeten Reiften, gortan fannte er feine
anbere ^5r)Uofopt)ie, al£ ben ©enfualiämuS, unb feine anbere Sttoral,
al$ ba$ roohlberftanbene eigene Sntereffe. 3m Saufe ber Seit mürbe
feine 3rrcligiöfität jum leibenfchaftlicbften 9^c(igion^r)ag. £>ie Religion
mar für ihn nichts Anbere$ mehr, als Aberglauben unb ganatiS-
mu3; mo fie r)errfct)te , mar „brücfenbe Ö5ciftc^fflat>crci*'# unb nur
Vöfemicf)ter ober $ummföpfe fonnten fie noch gegen ben „Sicht*
glan$" ber gefunben Vernunft oertheibigen.
9cad) einem bretjährigeu Aufenthalt in Sonbon , mo er feine
injmifdjen üoHenbcte Jpenriabe im $)rucf erfreuten lief} unb im Ver*
fe(Jr mit ben h^röorragenbften Scbrtftftcllern, felbft al$ dichter hoch-
gefeiert, fich fomoljl mit ber mifienfchaftlichen aU ber befletrifrifchen
Literatur önglanbS oertraut machte, burfte er nach Sranfreidj jurücf=
fetyren. £ier mar er oor Allem barauf bebadjt, feine in (Snglanb ein=
gefogenen religionäfeinblichen 3beeu bem franjöfifchen Volfe zugäng-
lich bn machen. $u biefem (£nbe fchrieb er feine „p^ilofop^ifc^en
©riefe", bie jeboch megen ber barin enthaltenen offenen Angriffe auf
baö (£hriftentl)um unb bie fran$üfifchen ©taatSeinrichtungen im 3ahrc
1734 in 3olge eine* $arlament3befchluffe3 burch £>enfer$hßnb bw>
brannt mürben. Valb barauf erfaßten feine fchamlofe ^arobie Ja
Pucelle (TOrleans*, bie fchmachooUfte Verfilmung ber ebelften ®&
Digitized by Google
$te fronaöfti^c Siteratur im ad^ntcn 3af)rf)unbert.
481
ftalt in ber franjöfifdjen ©efdjicf)te, ber Sungfrou oon Orleans, bie
in biefem oerabfd)euungSmürbigen 2ftadjmerf in ber empörenbfteu
SBetfe fjerabgemürbigt mirb. (5S ift ein trauriges Seidjen ber fitt=
liefen SÖerfommentyeit in ber I)öf)eren franjöfifdjen (Sefctlfdjaft , baß
biefeS fdjmufcbelabene (Sebidjt, baS juerft in jafjlreidjen VIbfärtften
oerbreitet mürbe, bei gürften unb Sßrinjeffittnen reiben SBeifatt fanb.
3nbeffen mar ber Mnftoß, ben baSfelbe in maßgebenben Greifen er-
regte, fo groß, baß SBottatre fidj oon einem neuen $aftbefe!j( bebrofjt
fa§. Um berufenen ju entgegen, entflog er nadj ber Kampagne, mo
er brei 3af)re bei feiner ©eüebten, ber oon if)rem Spanne getrennt leben*
ben Üftarquife oon ©Ijatelet, feiner „göttlid^en ©milie", jubradjte unb
oerfd)iebene pfulofopfufdje SSerfe, fomie mehrere feiner Xragöbien fdjrieb.
9ßadj $aris jurüdgefefyrt, erlangte Voltaire burd) bie Vermittlung
ber Sftarqnife oon ^ßompabour, beren ©unft er burd) niebrige ©djmeidje*
leien gemonnen, bie Iängft erftrebte Slufnafjme in bie Stfabemie, fomie
feine Ernennung jum $ammertjerrn unb ^iftortograpr)cn oon granf*
reid). $er im 3afyre 1749 eingetretene Xob ber 2ftarquife oon (£fjate-
let, fomie oerfdjiebene 9Jttßf)eHig?eitcn mit bem £ofe bemogen Um im
3a£)re 1750, ber bringenben ©inlabung griebria)S II. jur Ueberfieb*
lung nad) ©anSfouci gofge ju teiften, unb mir §abeu oben (©.410 ff.)
gefefjen, meldje 9toÜe er bort jpielte. 9ßad)bem er fidj mit feinem
föniglidjen Verehrer entjroeit unb beffen £of oertaffen ^atte, fiebette
er, nadj einem furjen $(ufentfjalt in oerfdjiebenen ©täbten granfreidjS,
nad) ber ©d>raeij über, mo er fid) bei bem $)orfe 5 e r n c o , unmeit
@enf, ein pradjtoolleS ©d)loß erbaute. £>ier oerlebte er, mit einem
3afjreSeinfommen &on einmal^unbertoierjigtaufenb SiüreS, inmitten
eines fürftlidjen ^ßrunfeS feine legten jmanjtg jjafjre, in regem brief-
liebem Sßerfefjr mit oielen bebeutenben ^rfönlidjfeiten, inSbefonbere
mit griebrtd) II. unb ber (Starbt ®atf)artna IL, bie Üjm ir)rc 5öer=
efjrung burd) bie lieber fenbung ifjreS reidj mit brillanten befefcten
SBUbniffeS unb eines f oftbaren $e^eS befunbete. ©eine fdjriftfiellerifdje
$£)ätigfeit mar, trofc feines fyofjen SltterS, eine ganj ungemöfmlidje.
(£r fdjrieb roedjfelsmeife Xragöbien, Romane unb j>fjiIofopJ)ifdje
SBerfe. S)abei mudjS fein #aß gegen baS (£fjriftentf)um oon 3afjr
§u %a1)T. Söic et fdjon früher, nad) feiner eigenen ©rjä^tung,
bem ^olijeilieutenant grault in 9ßariS auf beffen Söemerfung,
baß eS üjm trofc feiner Slnftrengungen nid)t gelingen merbe, baS
(£f)riftentf)um ju jerftbren, bie furje Hntmort gegeben: „2)aS met-
ben mir fefjen!" unb bei einer anberen (Gelegenheit ertlärt ^atte:
W@S ärgere if)n, beftänbig frören ju muffen, baß $mölf Männer
^ingerei^t gärten , um baS (Sfjriftentfmm 5U grünben ; er ^offe , ju
bemeifen , baß nur ein einziger nöt^ig fei , um eS ju jerftören,4'
— fo förieb er am 25. gebruar 1768 an b'Süembert: w3a)
fdjtieße aöe meine ©riefe mit ben SBorten: Ecrasez rinfAme!"
feolatoart^, SBeliflefWe. VL 31
Digitized by
482 ${C franäöftjcf)e fiiteratur im adjtaefmten Sa^unbcrt.
— eine onbcrc ^Bezeichnung fyattt er für baS Ghrtftenthum ittc^t
mehr — „9Jteiu Abfdjeu üor bcmfelben ift größer bemt je." Schon
unterm 3. 2Rai 1767 hatte er an griebrich II. geschrieben: „@in
mutiger unb meifer Surft , ber ©elb , Xruppcn unb ©efefce hat,
bebarf, um ju regieren, ber Religion nicht, bie nur $um betrüge
Qcfcr)affcn ift. $)ie unferige ift bte a&furDefte unb blutbürftigfte,
bte je bie SSklt ücrgiftet fjat. Sure 2ftajeftät roerben ba^er bem
menschlichen ©efchlccht einen eroigen $)ienft erroeifen, roenn Sie bie-
fen infamen Aberglauben oernichten." $3i£ $u melier roahnfinntgen
SButb, fein £>a§ gegen ba$ S^riftent^nm {ich gefteigert, jeigt ber
in einem feiner ©riefe ausgekrochene SBunfch: „auf einem £>au*
fen frommer4 $u fterben, bie ju feinen güßen niebergemefcelt
roorben."
3m Sa^re 1778 begab ftch ber „Patriarch oon gernel)," nrie
feine ißere^rer ihn nannten, trofe fetner üierunbacht$ig Qahre , mit=
ten im SSintcr nach ^SariS, um ber Aufführung feiner neuen Xra=
göbien „3rcnc" un^ »AgathofleS" beijuroo^nen ; aber roäfnrenb er
hier im Ucbermaß ber £>ulbigungen fduuclgte, bie U)m öon allen
Seiten bargebracht rourben, trat ber $ob an ihn heran. $ie Auf-
regung unb bie ungewohnten Anftrengungen, ju benen feine SiteTfeit
u)n antrieb , Ratten feine ®raft erfchöpft : er ftarb ju $ariS , nach
furjem #ranfenlager, am 30. Wlai 1778. $a ber Pfarrer oon St.
Sulpice ihm ein firdjltcheS ©egräbniß öerroeigerte, lieg feine gamilie
ben £eicf)nam ^eimlid^ in bem breißig SfteUen oon $ariS entfernten
SDorfe Sellt&reS beifefcen, roo fein 9leffe QJeiftlidjer mar. 9kch bem
Aufbruch ber franjöftfc^cn SRebolution mürben feine ©ebeine roieber
aus gegraben unb unter großem ©epränge in ber in ein Sßantfjeon
üerroanbelten SHrdje oon St. Sulpice beigefefct.
Unter S3oltaire'S bictjterifchen SSerfen finb in erfter ßinie feine
Xragöbien ju erroälmen, auf meiere er unter allen feinen Arbeiten
ben metften gleiß oerroanbte, roeil bie bramatifche föunft nicht nur
in grantreid) baS ^öc^fte Anfehen genoß, fonbern bie franjofifchen
Iragobien auch im AuSlanbe als unübertreffliche 2Jcufterroerfe gak
ten unb er bafjer auf biefem (Gebiete ben pc^ften 9tuf)m ju er*
ringen t)offcn burfte. £atte bisher baS franjöfifche $rama feinen
Stoff meift ber alten ®efdud}te entlehnt, fo braute Voltaire in
feinen Xragöbien, nach oem Vorgänge ShafeSpeare^ — ben er
übrigens burd)auS nicht öerftanb unb in feiner einfeitigen SBoretm
genommenheit einen „plumpen ©auern" nannte — aud) ©eftalten
auS ber neuem ©efdndjte auf bie Sülme. S)abei backte er jeboch
nicht baran, bie Schranfen 5U burchbrechen , in roelche bie Siegel
Oon ben brei (Einheiten bie franjöfifdje Xragöbie eingeengt hatte, unb ba
baS $)rama fortfuhr, £ofbelufiigung ju jein, fo blieb auch *n ^°^s
taire'S Stücfen bie (Ettquette baS höchfte ßunftgefe^. Aüe feine
Digitized by Google
$ie frcmzöfifcfje Sttcratur im acfyiefjnten Safjrfmnbert.
483
Xragöbien finb Xenbenzftücfe , unb fotoo^I bcg^olb als aud) wegen
feiner fentenzenreichen ©pract)e, wegen ber Seibenfchaftlichfeit ber
Siebe unb wegen feiner $unft , ju jpannen , ^at man U)n nicht
ganz mit Unrecht ben (Suripibefc ber franjöfif^en Xragöbie ge=
nannt. 2Bie er fchon in feinem „Cebipuä" bei ben Rieben, bie er
ben ^eibnifc^en *ßrieftern öcrfcftt , .bie fatholifche ©eiftüdjfeit im
2luge fyattz , fo tönt ber £a& gegen baä S^riftent^um auch an*
aßen feinen fpäteren Xragöbien tyxaitä , obgleich er in zweien ber*
felbeh gerabe auä ber ct)rifttic^en Religion bie größten (Schönheiten
50g. ©einen „Sftahomeb," in welchem er ben religiöfen gana*
ti3mu$ geigelt , fyaxtc fogar bie Kühnheit , bem $apft $ene*
bift XIV. zu bebiciren , inbem er ihm fdjrieb : „<$x wibme bem
"ijßapft , afö bem Raupte ber wahren Religion , eine ©djrift gegen
ben ©tifter einer falfdjen unb barbarifchen." $)aj3 biefe SBorte
nur Heuchelei waren, beweifen zahlreiche ©teilen au3 SSoltaire'3
gleichzeitigen Sßrtüatbriefen. ©eine Xragöbien „SBrutuS" unb „ber
Xob ©äfarä" finb, trofc einzelner ©chönheiten in ber ©haratter*
fdjilberung, falt unb leblos wie 2lbbifon3 „(lato,44 mit welchem fie
Mieles gemein liaben. Ungleich tjöl^cr ftcben al$ Äunftfchöpfungen
„Wläfyomtb," „SOterope," „©^miramiS," „Xancreb" unb „Qäixt,"
fein befiel ©tücf. Slber bei allem ^lanje ber Xsiftion laffen fßoU
taire'd Xragöbien falt, weil ben beflamatorifchen Xiraben , ben auf
(Sffeft berechneten Herfen bie innere SBahrheit fehlt unb feine (£ha-
raftere nicht ber 28trflichfeit entfprechen , fonbern eben nur Söol*
taire'jche ^r)antafiegebilbe finb. JBoltaire'3 iiuftfpiele , Opern unb
geftfpiele, bie faft ade für ben ,£>of gebichtet würben, finb burdjau*
unbebeutenb.
Xic gleiche SRuljmfucht, bie ben Dichter bewog, fein glänjenbed
Xalent öorjugS weife auf bem (Gebiete ber Xragöbie ju oerwerthen,
trieb ihn an, fich auch un ®P°3 iu öerfuchen, weil, wie er fagte,
granfreich noch folc^ed befifce ; allein feine „§enriabe," burch
welche er nach feinen eigenen SBorten „ unfterblich" zu werben hoffte
unb öon welcher Sriebrich II. fagte: „ein einziger ©ebanfe berfel-
ben wiege bie ganze QUabt auf," ift trofc be$ ©lanzefc ber$arftel*
lung, ber SBollenbung be3 93er$bau$ unb öieler fchönen Sentenzen,
eine falte Dichtung ohne allen epifchen ©eift.
S3oltaire'£ Romane unb Grzäljlungcn, burch welche er gleich-
falls feine „philofophifchen" Slnfchauungen zu öerbreiten fuchte,
Zeichnen fich, au*e feine SBerfe, burch c^ncn leichten, gefälligen
Stil unb eine feffelnbe $arfteHung aus unb fprubeln meift Don
2Bi(j unb £aune, gemifcht mit beiftenbem ©pott; üiele berfelben
öerlefcen jeboch burch ihren 3nhalt ben Slnftanb unb bie gute
©itte.
2llä Politiker dichter feierte Soltaire , bejonberS in feinen
31*
Digitized by
484 $ie fransöftfdie fiiteratur im acf)t$ef>nten ^aljrfnmbert.
jüngeren Safjren, bie 3been bon 3reiljeit unb ©leidfteit , mtfyx je=
bod) , um ber Seitftrömung ju hulbigen unb aus $a& gegen baS
Parlament, als aus Abneigung gegen ben §of unb bie höhere ©e=
fetlfdjaft, in beren Streifen er ftd) toolu* füllte, tuet! er ft$ in ben*
felben betuunbert unb gefeiert fal?, unb nid)t mit Unrecht ffat if>n
beftyalb bie föeoolution als i^ren Vorläufer gepriefen. ©r felbft fal>
biefe flteüolution öorauS. „sMeS, toaS id) ring* um mid) fcr)cr"
fd)rieb er fdjon im 3af)re 1764, „nrirft ben $eim ju einer 9teoo=
lution, bie unfehlbar eintreten nrirb, oon ber id) jebodj nidjt tnef)r
baS Vergnügen fjaben toerbe, 3eugc ju fein. $aS Sidjt t)at fic^ fo
fetyr ausgebreitet , ba& man bei ber erften Gelegenheit losbrechen
nrirb, unb bann nrirb es einen $>öHentärm geben. ©lüa*lid& bie
jungen teilte ; fie toerben fd)öne $>inge fe^en!"
£ie ©efdn'aitsmerfe Voltaire'« feffeln burd) eine getoanbte, an-
fd)aultd)e unb getftreidje $arftellung unb burd) eine gütte intereffan*
ter Details, burd) roeldje biefelben ju lebensvollen Vübern werben ;
eS fefjlt benfelben jebodj jebe tjiftorifcftc Xreue ; benn Voltaire fdjrieb
ofme alle ftritif unb mad)te ftdj fein ©croiffen barauS, bie %f)at)atyn
feinen ©runbfäfcen ober feinen Striefen anjupaffen. ©eine „®efdjidjte
$arlS XII., " mit melier er fidj fdjon mabrenb feines Aufenthalts
in Gnglanb als f)iftorifdjer ©djriftfteller einführte, ift ein 3Reiftertt>erf
feffclnber $)arfteHung. Qn feiner „©cfdjidjte beS QafjrfjunbertS Sub*
nrigS XIV./ 6ei toeldjer er bie oorfyanbcnen Duetten mit größerem
Jleiße benu&t fjat, als in irgenb einer anbern feiner fuftorifdjen
Arbeiten, beleud)tet er in einer $et£)e glänjenb ausgearbeiteter ©d)il-
berungen bie Regierung bicfeS Königs nadj allen SRidjtungen f)in,
jebodj mit fo entfdnebener Voreingenommenheit, ba& er beffen Sp-
alter als baS „glorreidjfte ber Söeltgcf du* djte" bejeia^net. ©eine ganj
im 3n*creffe SRuilanbS unb mit ber Llnterftüfcung ber ruffifdjen 9&e=
gierung gef abrieben e „®efdnd)te Meters beS ®ro§en" ift, gleidj bem
„2lbri& ber Dtegterung fiubnrigS XV.," ein ©etoebe lügnerifdjer
©djmcidjelcien — fteUte er bod) bei ber Abfaffung berfelben ben
©runbfafo auf , ba§ man bie ©d)roädjen ber {jürften nia^t fo feljr
unter bie ßeute bringen burfe unb bafj eS 2>inge gebe, roeldje bie
©efd)id)te oerbergen muffe. s$fl\t feinem „Verfudje über bie ©itten
unb ben ©eift ber Nationen," bttxat Voltaire bie Vafjn ber ptylo*
fopfnfdjen ÖJefdndjte; feine ^^°f°P^cf °ie überall nur bie Ober*
flädje ber $>tnge berührt aus 5urd)t, in ber Xiefe unliebfame SBa^r*
Reiten ju finben, beftanb jeboa^ audj tytx nur in ber SBefämofung
unb ^erabmürbigung aller a^rifttia^en $(nfa^auungen.
s2lu&er Voltaire fyai bie bramatifdje ^oefie im aa^tjehnten
3a^rl)unbert in granfreid) nur n?enige nennenSioerthen ^Bearbeiter
aufjunjeifen. 5)ie Xrauerfpiele d r e b i 1 1 o n ' S (geb. 1674 , geft.
1762), ber (Somettte unb Racine nad>$uafmten fudjte, baS SBefen
Digitized by Google
3>ie fran$öftfd)e fiiteratur im a^tjc^ntcn 3af)rljunbert. 485
ber Eragöbie jebodj nur in bic Earfteflung bcS ©rä&üdjen unb
©djrecfenerregenben fejjte, tjaben baS adjt$cf)nte 3a(jr!junbert nidjt
überlebt. 2lud) baS ßuftfpiel fonnte fid) nid)t nueber ju ber &öf>e
ber Vollenbung ergeben, ju melier eS burdj SMtere emporgehoben
luorben. 2US Suftfpiclbidjter oerbienen nur ©rroälmung MlerjS
<ßiron (geb. 1689 , geft. 1773), 3ean Söapttfte ©reffet (geb.
1707, geft. 1777) unb ber originelle (£aron be $8eaumarcf)at3
(geb. 1732, geft. 1799), ber aus feinen fcon SBi(j unb bei&enbem
©potte fprubelnben Äomöbien eine politifdje SBaffe machte , inbem
er in feiner Xritogie: „ber ©arbter oon ©etritta," „bie ^>ocr)jcit be*
gigaro" unb „bie ftrafbare Butter" ben Slbel perfiflirte unb für
ben burd) bie Geftalt gigaro'S repräfentirten „brüten Staub" in bie
©cfjranfen trat.
2Iuf bem Gebiete bcS SRomanS unb ber <£r$äljtung ift junädjft
ber 2lbb(5 öart^I^mu (geb. 1715, geft. 1795), als «erfaffer
ber „Reifen beS jungen s2lnad)arfiS in Griedjenlanb," 51t nennen,
eines SBerfeS, baS unter ber S$orm beS SRomanS eine gütle öon
(Meljrfamfeit entnricfelt. (SlairS be glorian (geb. 1758, geft.
1794) fudjt in feinem „9htma *ßompüiuS" ein Gegenftütf $u36n<5*
lonS „ielemadj" aufstellen , ofme jebodj fein Vorbilb audj nur
annäfjernb ju erreichen. Gelungener finb fein „Gonfaloo be (£or*
boöa" unb fein „2Bilf)elm %tü ," ganj befonberS aber fein „Xon
Cluifote/ eine freie Uebcrfefcung beS fpanifcfjen UrbilbeS. £aS Sefte
jebodj, baS glorian gefdjrieben unb baS ifjm ben meiften 9tuf)m ein-
getragen, finb feine gabeln. 2HS Verfaffer moralifajer (5rjäf)lungen
toerbient aud) gran^oiS be SKarmontel (geb. 1728, geft. 1799)
(£rtoäfmung, ber in feinem „$8eltfar" gleichfalls g^n&onS Xelemad)
nachzuahmen fud)t, ofme babei glüeflicher ju fein, als Slorian. Un*
gleich bebeutenber als bie (benannten ift SBernarbin be © t.
^ßierre (geb. 1737, geft. 1814), ber fdjon ju ben Vorläufern ber
romantifd)en ©djule gehört, ©ein £>aupto)erf, „$aul et Sßirginie,"
eine tnunberltebliche, burch (Einfachheit unb ßebenbigfeit ber $5arftel*
lung, nne burd) 3ar*^e^ uno Einmuth ber (££)araftere ausgezeichnete
ib^flifc^e SRoücÖc , fanb einen folgen Seif all , bafi fie über üierhwu
bert Auflagen erlebte.
2llS fyrifche dichter öerbienen (Srnjd^nung: 3ean-$Baptifte
SRouffeau (geb. 1670, geft. 1741), beffen Dbcn ficr) jebodj nur
burch einen getuanbten Versbau auszeichnen unb ber wegen feiner
bei§enben ©atiren für immer aus granfreidj oernnefen mürbe (f. ©.
321); ber lothringer Saurent Gilbert (geb. 1751), ein äufcerft
ialentootter dichter , ber im Hilter öon neununb^njan^ig Qafyren bem
(Slenb erlag unb im SBatmfinn ftarb, unb Stnbre (5 genier (geb.
1762), ber in ber franjöfifdjen 6c^recfenS5eit auf bem Vlutgerüfte
enbete (1794).
Digitized by Google
486
$te frcm$öftföe fittcratur im achtzehnten 3ahrt)unbcrt
9luf bcm Gebiete ber bibaftifdjen unb befchreibenben SHdjtung,
bercn Ucbermuchern am bcutlic^ften ben SScrfoß ber ^oefie in granf*
reich fennjeichnet, ermarben fidj befonbcrcn SRubm Qcan Racine
(geb. 1692, geft. 1763), ber @ofjn be« berühmten Xragöbienbitf*
ter«, beffen heröorragenbfte« ßehrgebicht , „bie Religion," bie Setjre
non ber Sünbe unb ber (Smabe, Dorn Xafein ®otte« unb ber Un*
fterblichfett jum ©egenftanb hat; partes graneoi« be @t. Sam =
bert (geb. 1716, geft. 1803), ber burd) feine nad) bem SSorbUbe
Slmntfon« geblatteten „3ahre«aeiten" bie befchreibenbe ^oepe in
granfreid) einführte; 3ean Wntoine SR ou eher (geb. 1745), ber im
Qahre 1794 mit Slnbre* ©linier Eingerichtet mürbe, unb ganj be*
fonber« Qacque« $ elille (geb. 1738, geft. 1813), ber megen
feiner forreften ©prache, feinet fließenben $8er«bau« unb feiner
9Jceifterfdjaft in ^aturfdnlbernngen trofc be« geringen poetifchen
behalt« feiner Dichtungen ^oa) gefeiert unb ben gepriefenften
tern be« Sllterthum« glcict)gcftcllt mürbe.
Unter ben fran^öfifc^en ^rofaifern be« achtzehnten 3ahrfmn=
bert« ^aben, neben Voltaire, in«befonbere bie © ncöf lo p äbtften
— bie SJtftarbeiter an einem äußerft umfangreichen Sonöerfationl*
Ierjfon, ba« unter bem Xitel : „EncyclopeMie ou dictionnaire rai-
sonne* des sciences, des arts et des mdtiers/ ba« gefammte
menfdjlidje SBiffen com Stanbpuufte ber neuen $f)ifofopl)ie au*
erfdjöpfenb unb in allgemein faßlicher SSeife barfteüen follte — ba«
<5>ift be« Unglauben« au«geftreut. $ie einflußreichften unter benfelbcn
maren Eiberot, b'Sttembcrt unb ber SBaron Solbad).
$eni« $)iberot (geb. 1712, geft. 1784), ber ©rünber ber
„Crncnflopabte,'' hatte fchon früher in feinen „Pensfos philosophi-
ques," bie er ben berühmten Pensfos <ßa«cal« entgegenstellte , bie
SBunber al« SBcmcife für bie 2Baf)rheit ber chriftlichen Religion an*
gegriffen unb ben 2ltf)et«mu« für beffer erflärt, al« ben 2lbcrglau=
ben. 9codj feinbfeliger trat er gegen ba« ©hnftenthum in feinem im
3af)re 1749 oeröffentlichten „<5enbfd)reiben eine« Olmben junt
9hi$en ber ©chenben" auf, in meinem ber (Glaube al« Sölinbtjeit
unb bie boti il)m unb feinen Srcunbcn öerfünbete neue <ßf)ilofophie
al« Sehen bargefteüt mirb. Dtcfc« Senbfchrctbcn brachte ihn al«
(befangenen in ben Xr)urm öon $incenne« ; feine §aft, bie übrigen«
eine fehr milbe mar, fdntdjtcrtc ihn jeboch fo menig ein, baß er
gleich nat$ feiner greilaffung fid) in feiner „Interpretation de la
natureu offen jum 5lthei«mu« befannte. $)ie SOiateric erflärte er in
btefem SSerfe für emig, oon feinem ©otte erfchaffen noch erhalten,
ben freien SBiüen be« 9J?enfct)en für ein leere« ©ort unb bie per*
fönliche Unfterblichfeit für einen iraum. Obgleich Xiberot« Angriffe
hauptfächlich gegen ba« dhriftentfjum gerichtet mareu, uerfchonte er
mit feinem $>affc auch oa^ ftönigtlmm nicht; fprach er boch einft
Digitized by Google
Sic fronüWWe Siterahtr im achteten Safchunbcrt.
bcit SBunfcfj au« : „mit ben ®ebarmen beS Ickten ^riefterS ben
Ickten ®tfnig erbroffett flu feben!"
$er erfte SBanb ber (£nct)fIopäbie, gtt roetcher 35iberot im 3<tf>re
1750 ben $Ian entworfen, erfchten im %crt)Tt 1751 unb erregte
ungeheueres 9luffeben. C?S mürbe aroar anfangt gegen biefeS SSerf,
befTeit Xenbenj Mar am Xage tag, Don Seiten beS ^Parlaments ein*
gefchritten ; ba jeboefj ber $>er$og oon GTboifeuI baS Unternehmen
begünftigte, nahm eS einen ungefjtnberten Sortgang, $m Raffte
1766 mar baS ganje SBerf öoflenbet. ©S jäfift smetunb^man^tg
Soliobäube unb mar in oiertaufenbfünfbunbert (Jjemptaren gebrueft
morben; biefelben maren jebod) fo rafd) Vergriffen, baß atSbalb ju
einer jmeiten 9Iuf(age gefd&ritten roerben mußte. $ie legten @yem-
plare mürben ^u etntaufenbacbtbunbert SiöreS üerfauft.
S5?ie Voltaire, fo fanb auch $)iberot, ber ftch oergeBenS um bie
Aufnahme in bie Srfabemtc Bemühte, eine ©önnerin unb SBerebrerin
in ber ®aiferin Katharina IT., bie ifjm, um fetner (Mbnottj ab ju-
Betfen, feine 93tBIiotbef für fünfftebntaufenb ftrancS aBfaufte, unter
ber SBebingung, baß er biefetBe für fie fiBerroacfje unb bafür als ihr
SBiBfiotheFar einen 3abrgebatt oon taufenb SioreS anneBme, melden
©ehalt fie ihm auf fünfzig ^abre t>orauSBe$af)len ließ, (üruter fdjmei-
djetbaften ©intabung ber ^arin folgenb , reifte er im Jfahre 1773
nach Petersburg, mo er mit großen (Ehrenbezeigungen empfangen
unb öon ber (£jarin reich Befchenft mürbe, Natürlich ermangelte er
nicht, Bei feiner SRütffefjr nach $ariS baS ©üb feiner ©önnerin mit
ben fdöönften Farben auszumalen.
3ean b'SHembert (geb. 1717, geft. 1783), einer ber Bc=
beutenbften ajeatbemattfer feiner Seit unb febon feit feinem m'er=
unb^man^igften SebenSjabre TOtgfteb ber Sttabemie , mar Withe*
grünber ber (£nct)ttopäbie , für meldte er eine metfterbaft ftififtrte
(SMeitung fdjrieb. SRubiger, nüchterner unb politifefier als ber
teibenfdjaftliche $>iberot, fud)te er beffen ungefrümen G£ifer für bie
Söefämpfung ber ebriftndjen Jfbeen ju mäßigen , um oott ber
(SncotTopäbie ben (Schein beS ooflenbeten Unglaubens fem ju hat-
ten, ©eine $btf°fopbte mar ber ©enfuattSmuS , ber *roar nicht,
mie ber 2J?aterialiSmuS, baS $>afein Rottes unb bie ©uBftan^ialität
ber ©eele, b. b- ihre ©jriftenj afS felbftftänbigeS, ben Körper über*
bauernbeS 3Sefen, leugnet, aber alle SSorfteHungen aus finnfteben
dinbrütfen herleitet unb baher nothroenbtg jum Materialismus fübs
reu muß.
$aul griebrtcb 33aron öon .ftolbacb (geB. 1723 in bem jefct
jum dJroßher^ogthum 93aben gehörigen pfätjifcben ©täbtd&en fteibers*
heim, geft. 1789 p $ariS) mar fchon als mnb nach $ariS gefom-
men, mo fein SBater, ein ^mporfömmltng, ftch ein bebeutenbeS $er=
mögen ermarb, oon meinem ber junge Golbach ju fünften ber
Digitized by
488 3)ie franjöfifdje Sitcratur im ad^nten ga^r^unbert
„^ß^ilofop^cn" einen berfdjroenberifdjen ©ebraudj machte. $a er in
feinem £oteI $u $ariS ober auf feinem Sdjloffe ©ranbbal, ben S3er=
fammlungSorten ber greibenfer unb ©djöngeifter, zweimal tbödjent*
Iidj für biefelben offene Xafel hielt, rourbe er ber „Maitre d'hotel
de la Philosophie*4 genannt. @r felbft fdjrieb unter bem ^feubo-
ntjm Sftirabaub baS „Systeme de la nature,44 ein boflftänbigeS
Sehrbuch beS 2ltheiSmuS, in meinem ber troftlofefte unb jugleidj
abfurbefte ÜftaterialiSmuS geprebigt unb alles ©ro&e, (Sble unb
Sßahre mit bem graffeften ©uniSmuS in ben Staub gebogen wirb.
XaS 93uch erregte baS größte 2luffet)en. bieten graute bor bem
Qn^alt, unb fogar Voltaire war beftürjt. (Sowohl er als grieb-
ridj II. fugten baS Söerf $u wtberlegen; allein fie bermod)ten e3
nicr)t ; benn ber SBerfaffer beS „©bftemS" ^atte nur ihre eigenen
®runbfäfce bis in bie äufierften (Sonfequen$en burdjgeführt.
Um ben ©rgebniffen ber neuen Sßf)Uofopt)ie bie weitefte S8er*
breitung ju ftdjern unb fie inSbefonbere auch bem großen Raufen
munbgerecht $u machen, fdjrieb Golbach einen furjen 2luS$ug feinet
„StyftemS" unter bem Xitel „Le bon sens44 — ber gefunbe SJten*
fdjcnberfianb — , bon Welchem b'Sllembert meinte, „man muffe Um
nod) mefjr jufammenjie^en, bamit er nur fünf SouS fofte unb aud)
ben ©ebienten unb Köchinnen jugänglicf) werbe."
Unter ben Schriftftellern , bie , ohne 2JKtarbeiter ber ©ncbtfo*
päbie ju fein, bodj ganj im ©eifte ber (SncüHopabiften fdjrieben, ift
befonberS (Haube Slbrien £elbetiuS (geb. 1715, geft. 1771),
ein reicher ©eneralpädjter unb ©utsherr, ju erwähnen, ber in feu
nem *Bucf)e „de r Esprit,44 §u meinem er bie 3been au« feinen
Unterhaltungen mit ben $u feinem Xifdje gelabenen ^^ilofop^en
geköpft hatte, als ber Slpoftel beS gröbften üflaterialiSmuS auf*
trat. SRad) $elbetiuS unterfct)cibet fid) ber üflenfdj bor bem Xlnere
nur burdj eine größere SBolIfommenheit feiner förperlidjen Drgane
unb l)at bei jetnen $>anblungen feine anberen Xriebfebern, als baS
eigene 3ntereffe, bie Siebe jum ÖJenufj unb bie gurcht bor bem
Unbehagen , bor (Entbehrung unb ©a^merj. gür £>elbetuiS ift bie
Xugenb nichts SlnbereS, als ber wohlberftanbenc (SgoiSmuS, unb
Safter nur, was eigenen Schaben bringt. Xrofc ber (5rbärmltcr)fctt
feines QnljalteS erlebte baS SBudj fünfjig Auflagen unb würbe in
bie meiften Sprachen ©uropa'S überfejt — ein trauriges 3cuÖn$
für ben <&eift ber Seit.
SBäfjrcnb JBoltaire unb feine ©epnnungSgenoffen it)re Singriffe
me^r gegen baS ßf)riftcnthum als gegen bie Staatsgemalt rieh*
teten , tyclt fid) 3can 3acqueS & o u f f e a u für berufen , bie
2lyt an bie Söurjcl ber ftaatlidjen unb gefeüfchaftlichen Skrhältuiffe
SU legen, ©eboren $u ©enf am 18. 3uli 1712 als ber Sot)n
Digitized by Google
S)ie franjöfifche ßttcratur im achtzehnten 3af)rf>imbert. 489
eine« getieften, aber wenig bemittelten Uhrmacher«, r)atte Stouffcau
fchon al« $nabe mit Söegeifterung ^lutarch« £eben«befchreibungen
gelefen, unb tüte biefe Seftüte U)m eine entfduebene Vorliebe für
rc^ublifanifcr)c ©taat«einrichtungen eingeflößt , fo Imtte fie in Ujm
auch jenen unbeugfamen Ütepublifanerfinn entwufelt , ber neben
einem au«gefprochenen #ang zur Sentimentalität unb 9*atur*
fchwärmerei einen ^auptjug feine« ßharafter« bilbete. $a fein
Skter nicht in ber Sage mar , ihn ftubieren ju laffen , würbe er
Gehilfe ehteS ©tabtfehreiber« ; biefe SBefchäfrigung fagte ihm jeboch
fo wenig ju, baß fein SBater fich entflog, ü>n ju einem ßupfer--
ftec^er in bie Seljre ju geben. ®och auch ^icr mar feine« Ölet*
ben« nicht ; er lieg ftd) $u jugenblichen Unbefonnenheiten hinreißen,
unb bie gurcht üor ber ©träfe beroog ihn jur gludjt nacb ©a*
ooöen. $ier empfahl ihn ein menfehenfreunblicher ^riefter einer
frommen (£onöertitin , ber ju Annecö lebenben grau öon SBaren«,
unb biefe oerfah ilm mit bem nötigen Gelbe jur SBeiterreife nach
Xurin, wo er in einer üttiffion«anftalt $ur fatyoftföen $ird)e über*
trat, ohne jeboch bei biefem ©chritt buret) eigene Ueberjeugung ge*
leitet 5U fein. 9tach mancherlei Abenteuern unb Skrirrungen fct)rte
er ju feiner Gönnerin jurücf, bei welcher er währenb eine« mehr*
jährigen Aufenthaltes Gelegenheit hatte, nicht nur feine ©tubien
mit Erfolg fort^ufefen, fonbem auch fcin mufifaltfche« Talent au«;
äubilben.
3m 3ahre 1742 fam föouffeau nach $ari«, Wo ihn ber fram
äöfifche Gefanbte in SBcnebig al« ©efretär in feinen $)ienft nahm,
©ein ungebänbigter greil)eit«fiun fonnte fich jeboch in biefe ab=
hängige Stellung nicht finben, unb fo fetjrte er nach s,ßari« jurücf,
um bort feine fchrifrftetierifche Xhätigfcit ju beginnen, ©er trau=
rige gefeflfehaftliche unb politifa)e 3"ftonb granfreich« unb in«be=
fonbere ber fehlere 3)rucf, ber auf bem iöolfe laftete, fteigerte feine
Abneigung gegen bie monarchifche SRegierung«form unb erfüllte ihn
mit |>aß gegen bie reicheren unb r)öt>eren ©täube, bie inmitten be«
öffentlichen @lenb« im Üeberfluß fchtoelgten , unb ba er fah , baß
fie al« Gönner unb 93eftt)ü6er ber fünfte unb SSiffenfchaften au«
biefen felbft nur eine neue SBürje ihrer üppigen gefeüfchaftlichen
greuben jogen, erfd)icn it)m bie gefammte Gcifte«bilbung al« eine
CueHe be« Unglücf« unb ber ©ittenoerberbniß. 33on biefen Ge=
fühlen bewegt , fchrieb er , al« Antwort auf bie oon ber Afabemie
3U 5)ijon gefteüte $rei«frage : „Db bie SBieberhcrfteUung ber fünfte
unb SBiffenfchaften (im fünfzehnten unb fedj^etjiiten Qahrhunbert)
jur Sßerbefferung ber ©itten beigetragen habe?", eine Abhanblung,
in welcher er, ber fjerrfchenben Anficht entgegen, bie fünfte unb
SBiffenfdjaften al« bie Urfachen alle« menfchlichen S3erberben« bar^
ftcllte. ^kht«beftoweniger gewann er ben ^rci« burch ben tauften*
Digitized by Google
490 $ie franaöftfdie Literatur im achtzehnten So^imkrt.
ben ©lanj feiner ©erebtfamfett unb burch bie Neuheit ber oon ihm
entmitfelten Anfichten.
©alb barauf jog fid) föouffeau burch bie Veröffentlichung feinet
„©riefet über bie franjöftfdje SÄufi!", morin er bie geiftlofe ixodtn-
heit unb falfdt)e (Melehrfamfeit bcrfelben tabelte, bie Ungunft ber
^Sarifer in fo hohem ©rabe ju, ba§ er fid> genötigt fat)r bie
franjöfifche .§auptftabt ju oerlaffen. @r begab fid) nach ©enf, n>o
er, um ba£ burch feinen Uebertritt jur fatbolifchen Äircbe t>er=
mtrfte ©ürgerrecht roieber geroinnen, öffentlich unb feierlich *ur
reformirten Kirche aurüdfehrte. (Sin Streit mit ©oltaire, beffen
theatralische Aufführungen in Semen ihm jumiber maren unb ber
feinerfeita eä ihm nicht Derlen fonnte, baß er in einem ©riefe
an b'Alembert bie Abschaffung be£ $beater3 für eine 9cothroenbig*
feit erflärt ^atte, verbitterte ihm jebod) ben Aufenthalt in feiner
©aterftabt fo fehr, baß er ihr *um anbern SRale ben dürfen manbte,
um fich nach (sSbambcrt) ju begeben, mobin bie greunbin feiner
Qugenb, grau öon SBarenä, übergefiebelt mar. $>ier fd)rieb er,
gleichfalls in ©eantmortung einer öon ber Afabemie ju Xijon ge*
ftcüten Preisfrage, feine „Abbanblung über bie llrfachcn unb ben
Urfprung ber Ungleichheit unter ben Httenfchen", morin er bie ©e^
hauptung aufftellte, baß bie gefeüfchaftlicbe ©erbinbung unb bie barau»
hervorgegangene ©iüilifation, inbem fie ba3 ©igenthumSrecht ge*
fchaffen unb jur ©infefcung oon Cbrigfeiten geführt, bie Sftenfchen
uuglütflich unb ju ©erbrechern gemacht, unb baß Xugcnb, gretheit
unb ©lütf nur unter ben SSilben 311 ftnben feien. Cbgleid) er in
biefer (Schrift bie GJrunböerhältniffe ber bürgerlichen ÖJefeöfchaft an=
griff, mürbe ihm auch bieämal ber $rei3 juerfannt.
$a fich tnjmifchcn bie Stimmung ber $arifer mieber günftiger
für ihn geftaltet fjattc, fehlte er nach granfreich jurütf, nahm je=
boch feinen Aufenthalt nicht in ber £>auptftabt, fonbern in einem
fianblmufe ju Üftontmorench, ber fogenannten „(Sinfiebelei", mo er,
auger feinem Oielgelefenen, mit ungewöhnlicher ©prachgetuanbtbeit
unb glühenber ^t)aittafte in ©riefform getriebenen, aber bie Sittlich*
feit fefnoer öerlefcenben Romane, ber „neuen $c!oife\ beffen glänjenbe
Aufnahme in ber öornehmeu SSclt ©oltairc'ä ©iferfudtt" in hohem
®rabe erregte, feine beiben einflußrcichftcu SBerfe, feinen „Contrat
social44 (©efeüfchaftÄoertrag), unb feinen „Smil, ober über bie ©r=
jichung", öerfaßte.
3n feinem „Contrat social", ber im 3af)re 1762 erfduen unb
mit ben Söorten beginnt: „£er SJcenfch ift frei, unb überall liegt
er in Ueffeln, " fteüt SRouffeau, nad) bem Vorgänge ber englifcheu
©taatöpfulofophen #obbe3, Algernon ©ibnen unb ßode, baä ge=
fammte ©taatätoefen als auf einem ©ertrage berufjenb bar, burch
roeldjeu bie SÖcenfdjen im 9tatur5uftanbc (Jinigen au« ihrer Stritte
Digitized by Google
3Mc frait$i5flfd)e ßtteratur im adjtjebnten galjrljimbert. 491
jur $anbf)abung bcr bürgerlichen Drbnung bie obrigfeitlidje ©e~
Walt übertrogen hätten, unb jieht barauS ben ©chluß, bog ber
©efammtwille beS *8olfeS, Welcher bie Dbrtgfeiten mit ber $luS=
Übung ber ©ewalt um beS gemeinen 9tufcenS willen betraut habe,
fortwähreub ber (SKgenthümer btefer (Gewalt unb folglich ber eigent*
liehe Dberherr fei, bem bie ©errfdjaft unter allen Umftänben öer-
bleibe, unb baß fomit bem SBotfe baS Recht juftehe, bie mit ber
SBoflftrecfung feines SBittend beauftragten Regenten als feine Liener
nach belieben ein* unb abjufefoen. Obgleich biefeS SBerf im $111*
gemeinen wenig oerftanben mürbe unb Rouffeau felbft bie barin
ausgekrochenen 9(nftcr)ten für praftifdj unberwerthbar erflärte, fanb
es bei ber fjerrfchenben Stimmung unb wegen ber blenbenben £>ülle,
mit roelc^er ber fttlgewanbte, für feine SBeltoerbefferungSibeen be~
geifterte SGerfaffer feine ebenfo irrigen als oerberblichen $lnfict)ten
$u befleiben mußte , ungeheueren SBeifall unb bahnte ben SBeg ju
ber gewaltfamen Umwälzung, bie fiebenunbjwanjig 3afjre fpäter
$um Ausbruch fam.
Qn feinem gleichzeitig mit bem „Contrat social" tocröffcntUd^*
ten „©mil", einem SBerfe, baS jroifchen Vornan unb fiefjrbuch bie
Sftitte hält, ftetCt Rouffeau, ber feine eignen fünf Sinber ohne
jebeS Seichen ber SBtebererfennung in baS SinbeltjauS fduefte,
©runbiäfce ber ©rjiehung auf, in benen SBat)r^eit unb Srrthum
aufs SBunberlichfte gemifcht finb. Rouffeau'S burajweg reöolutio-
tiare SrjiehungSlehre, bie jroar manchen belebenben unb befruch-
tenben ©ebanfen enthält, aber bie ©efdjichte wie bie Erfahrung
gänzlich öerfennt unb mißachtet, bejwecft bie £eranbilbung beS
ÄinbeS 511 einem reinen „Raturmenfchen", für Welchen er in bem
gelben feines $8uct)eS ein SDßufterbilb aufftettt, ohne babei ju be*
benfen, baß fein (Smil in baS wirfliche ßeben gar nicht paßt.
Sieben allen äußeren 3u<ht™üteln will er auS ber (srrjiehung auch
ben Religionsunterricht oerbannt fehen, „ba ein ®inb, baS an ©ott
glaube, notr)roenbig ein ©öfcenbiener fei." 2Bie ber S^gling aus*
fdjließlich burch bie (Sntwicflung feiner Vernunft auf ben SSeg beS
©uten geführt werben foll, fo fofl er auch oon ©ott unb ben
chriftlichen ®laubenSwahrt)etten erft bann StmaS erfahren, Wenn
fein Serftanb bie nöthige Reife erlangt hat, um fich für ober wiber
baS ©hriftentfmm ju entfeheiben unb im erfteren gaHe jwifchen
ben beftehenben CSonfeffionen ju wählen. 83iS bahin foH in bem
$inbe nur bie (£ntwicflung einer „^erjenSreligion" begünftigt, b. I).
fein 6inn auf bie £errlichfeit ber Schöpfung gelenft werben, bamit
eS in berfelben ©ott ahnen lerne.
Obgleich Rouffeau Sftitarbetter an ber @ncl)f(opäbie war, für
welche er bie Slrtifcl über bie Sttufif lieferte, unb mit SHberot,
b'&lembert unb £eluetiu3 in ben freunbfchaftlichften ^Beziehungen
Digitized by
492 3)ie franaöfifdje Stterotur im ad^efinten 3(ü)rljunbert
ftanb, war er Weber 9ltt)eift nodj ein erflärter (Gegner be3 Triften*
tt)um3; in feinem „©mil" fpridn" er fogar oon ber d)riftlid>en 9te=
ligion unb it)rem göttlichen (Stifter mit einer 2lrt begeifterter 3Ser*
eljrung: aber er beftreitet nid)t nur bie 9lotl)menbigfeit, fonbern
fogar bie 9tföglta)feit trgenb weldjer Offenbarung unb fiefjt in ber
9catur bie einzige Duette ber ®otte3erfenntni&.
Sowohl ber „(Smil" als ber „Contrat social" mürben auf
93efet)l be3 Parlaments burdj §enfer3t)anb öerbrannt — jur großen
greube Voltaire'*, ber in einem «riefe ben Sorfatt mit bem foöt*
tifdjen 3ufafc erjagt: „ba* fommt baoon, wenn man bie $f)ito*
foppen unb bie ©djaufm'ele anbettt" — , unb SRouffeau felbft entging
ber ©efangenfdjaft nur bura) bie gludjt nad) ®enf. 2lber audj t)ier
fanb er feine &ufnaf)me, ba fein „@mil" unter ber bortigen refor^
mirten (SJeiftlidjfeit bie gleiche ©ntrüftung fjeroorgerufen hatte, wie
unter ber fatfjolifdjen in granfreid). (£r begab fidj nadj Sern,
unb ba er aud> bort nid)t gebulbet würbe, nadj fteudjatel, wo er
eine Zeitlang in einem $orfe unter bem ©d)ufce 3riebrid)3 II.
lebte, bis it)n bie feinblidje Stimmung ber oon bem Pfarrer be3
DrtS gegen tfm aufgcreijten Säuern jur gludjt auf bie $eter3*
infel im Sieler See bewog. 2lud) oon hier burd) bie Serner
Regierung auägewiefen, folgte er einer ©inlabung £>ume'ä nad)
(fttglanb, wo er oon ben greibenfern mit Segeifterung aufgenom*
men würbe. Stber fein argmöl)mfd)e3 unb reijbareä ©emütt) Der*
trug fidj nia)t lange mit bem falten (Reifte $>ume'ä, unb er Oer*
lieg ©nglanb, beloben mit bem Sormurf ber Unbanfbarfeit. 3m
Safjre 1766 nad) $ariä surüdgefctjrt, entzweite er fid) mef>r unb
mehr mit Sitten, bie ihm nahe ftanben, unb festen nur bemüht,
burd) ein auffattenbeS, einfieblerifche& Seben bie öffentliche Slufmerf*
famfeit ju feffcln. $a er SRiemanben eine Serbinblichfeit fdjulbig
fein wollte, lehnte er bie oon ÖJeorg III. bon (Snglanb ihm ange*
botene Unterftüfcung ab unb begnügte fidt> mit bem, maS feine Söerfe
it)m eintrugen unb waä er burd) 9cotenabfchreiben erwarb. Seine
lefcte Arbeit war bie Sottenbung fetner „Sefenntniffe", in welken
er mit groger Offenheit, jebodj nicht ofme burd)fd)immernbe Selbft*
gefälligfett feinen ganjen Sebenälauf mit allen feinen Serirrungen
fdulbert. Sottftänbig mit fich felbft unb mit ber SBelt jerfatten,
ftarb er am 3. Quli 1778 ju (SrmenonOitte, wo ü)m ber SJcarquiS
oon ÖJir arbin, einer feiner befonberen Sercfjrer, auf feinem Sanb=
fifce ein Slful angeboten, eincö plö(jlichen Xobeä, nach (Jinigen an
einem Schlagflufj, nach 2lnbern an ©ift, woburdj er freiwillig fei»
nem Seben ein ©nbe gemacht.
2öic SRouffeau, fo fyattt aud) (£fjarle$ be Seconbat, Saron be
la Sr&be unb be 9Jconte3quieu (geb. 1689, geft. 1755), in
feinen beiben £auotmerfen: „lieber bie Urfadjcn ber ©röße unb
Digitized by Google
$ie franaBfifdje Sitetatur im a^tjc^ntcn ^a^unbcrt.
beS Verfalls ber föömer", unb „©eift ber ©efefce\ burch toelcbc
er bic ©taatSttuffenfchaft jur SieblingSbefchäftigung feines VolfeS
erhob , bie allgemeine Aufmerffamfeit auf bie 9ttä'ngel ber $aat*
liehen SBerfjältmffe granfreichS gelenft; boer) waren feine 93e*
mühungen nicht auf bie Herbeiführung einer getoaltfamen Umioäl=
jung, fonbern nur auf bie Anbahnung ber t»on ihm für notfyroen*
big erachteten ftaatlichen Reformen gerietet, tuobei ihm bie eng-
lifcfjc Verfaffung, bie er roährenb eines jroeijäljrigen Aufenthaltes
in ßonbon jum (Segenftanbe eingef>enber ©tubien gemacht, als
Vorbilb öorfchtoebte. Auch er mar als auSgefprodjener $eift ein
Verächter beS GThriftentlmmS ; boct) nahm er feinen Anteil an ben
offenen Angriffen auf baSfelbe, obgleich er in feinen geiftreierjen,
mit grofjem VeifaH aufgenommenen „Lettres persanes", feinem
erften SBerfe, morin er einen Werfer in granfreich reifen unb an
feine greunbe in ber £eimath berieten läßt, nrie er ben £of unb
baS 93oIfr bie $riefter unb bie (Mehrten unb baS Seben in ben ge-
fettigen Greifen gefunben, mit ben (Srgfiffen feines ©potteS bie 9fte*
Iigion ebenforoenig oerfchont, als bie gefettfcfjaftltdjen unb ftaatfierjen
Verhältniffe feines ßanbeS.
3u ben fran$ öfifdjen greibenfern gehört auch ber berühmte
Sßaturforfcher Qean ßouiS Seclerc, (Uraf oon Vuffon (geb. 1707,
geft. 1788), beffen aus fecr)Sunbbrei&ig Vänben beftehenbe „Histoire
naturelle, generale et particuliere" toegen ber unleugbaren Vor-
züge ber $)arfteHung, ber lebhaften unb anfdjaulichen ©cr)ilberangen
unb beS pittoreSfen ©tilS, allgemeine ©erounberung erregte unb in
ben roeiteften Greifen ben ©tnn für bie 9taturnriffenfdjaften roecfter
zugleich aber auch roegen ber bem SBerfe ju ©runbe liegenben
anticr)riftücr)ett Anfdjauungen, nach melden ©ort nicht als ©cfjöpfer
über ber 9tatur fteht, fonbern i n berfelben als fdjaffenbe ®raft
aufgebt, biel jur Verbreitung ber f)errfd)enben religionSfeinblid^en
Qbeen beigetragen f)at.
©egen alle biefe offenen unb oerfteeften geinbe t)attc bie djrifU
liehe 2Bar)rr)eit feinen ©chufc. 3n bie Afabemien rourbe fein djrift*
lieh gefinnter 2Jcann mehr jugelaffen : bie (ractjflopäbiften allein
fa&en in benfelben ju (Bericht über äße (£rf Meinungen ber treffe;
auc^ oer ©chulen Rotten fie fidj ooHftänbig bemächtigt. $>ie öffent-
liche Sfteimtng unb burch fie bie äujjerft fchtoache Regierung ttmrbc
ganj oon ber neuen „Aufflärang" beherrfcht. Vichts fruchteten
mehr bie roarnenben ©timmen ber ^ßrebiger, bie gehaltoollften
©chriften ber fircr)Iict)cn Apologeten, bie an ben %i)xon gebrachten
klagen unb Alarmrufe beS uerfammelten ÄleruS unb oieler anberer
einfichtSooüer 9Jcanner. Alle ©chriften mit einigermaßen fatt)o=
Ufchem Gepräge würben oon ben Gractjflopäbiften unterbrfieft, unb
baS Verbrennen einzelner ftaatS* unb reügionSfeinblicher SBerfe burch
Digitized by
494
Portugal unter $ombal$ Sknoaltung.
£enfer3f)anb ^attc feine ©cbeutung. $ie ©ottlofigfeit unb bie
tfnardjie in ben ©eiftern machte fdjrecfenerregenbe Sortf^ritte; VL\u
glaube unb Unftttlidjfeit mürben immer allgemeiner: — %fki mar
reif für eine furchtbare Ummaljung.
XXVIII.
^ortugaf unter ^famßafs ^crroaltung.
(1750—1770.)
Unter ben Königen au4 bem #aufe ©raganja, ba8, wie mir
oben (53b. V. S. 651) gefefjen, mit Johann IV. ben portu=
giefifd)en Xfyron beftiegen, hatte Portugal feine frühere ©ebeutfam*
feit nicht nrieber erlangt, foubern mar mefjr unb mehr in ein ab-
hängiges 33err)altnig ju (£nglanb gefommen.
3ohann3 IV. Sohn unb Nachfolger Alfons VI. r mährenb
beffen SJcmberjährigfeit feine Butter £ouife ©ujman bie Siegte*
rung führte, mar ein geiftig fdjmacher Surft, ber fid) fd)on früljc
ben milbeften 2lu$fchroeifungen unb Seibenfchaften Eingab. Sftach-
bem er im igaljre 1662 im Hilter oon neunzehn 3a^rcn f^ne
SJcutter gejmungen, üjm bie Regierung &u übergeben, bie er burch
ben trafen ßaftelmelhor führen ließ , mürbe er im 9cooember
1667 oon feinem älteren ©ruber $ebro gefangen genommen unb
jur ©erjichtleiftung auf bie Regierung gezwungen , morauf ftdj
N^ebro felbft oon ben jufammenberufenen <£orte3 alä Regent beftä*
tigen lieg. $)er entthronte Äönig mürbe als Staatsgefangener auf
eine ber $t$oren gebracht; nach einiger &tit gemattete man ihm
jeboa) bie 9tücf fet)r nach Portugal unb mied ihm ein fleineS £anb«
haus 5U Sintra , in ber 9cahe oon Siffabon, an, roo er im 3a^re
1683 ftarb. (Srft nach feinem Xobe nahm fein ©ruber ben ßo*
nigStitel an.
Obgleich Spanien in bem Stieben oon ßiffabon (f. ©b. V.
8. 656) bie Unabfjängigfeit Portugals anerfannt ^atte , oermochtc
sß e b r o II. nicht , bem oon ihm beSpotifch regierten {Reiche einen
neuen ^luffa^mung $u geben; Portugal fam oielmehr unter ib,m
immer mehr unter baä Schlepptau ber englischen Sßolitif. X)tc
braftlianifchen ©efifcungen , meiere ben Sßortugiefen jum größten
X^cilc oon ben Jpottänbern entriffen, unter 3ofjann IV. jeboch $u*
Tücferobert morben maren, mürben $roar bis jum Sa $Iata-Strom
erweitert, unb bie SJeiffionen ber Qefuiten brangen bis jum 9Äa-
rannon oor; bagegen gingen jeboch bie portugicfifcr)cn ©efiftungen
in Dftinbien bis auf ®oa an bie #oflänber Oerloren.
Digitized by Google
Portugal unter tßombaW SScrwaltung. 495
<ßebro II. ftarb im Qahre 1706 mährenb beS fpanifdjen Crrb*
folgefriegeS , an »eifern er feit bem 3af)re 1703 als HJfttglieb ber
großen OTianj %f)til genommen (f. ®. 190), nnb ihm folgte fein
©of>n Qo^ann V. (1706 — 1750), unter meinem bie Regierung
in bem gewohnten ©eletfe fortgeführt mürbe. $)eä ®önigä ©orge
mar fmuptfachltch auf bie Ausführung öon Prachtbauten gerietet;
auch tmffenfchaftliche Jöefrrebungen fanben bei bem £ofe Unter*
ftüfcung; babei ging jebodj bie portugiefifd)e 8anb* unb ©eemadjt
immer mehr ihrem Serfalle entgegen.
Johanns V. ©of)n unb Nachfolger, ber fchtoache unb mottüftige
3ofept) (Emmanuel I. (1750—1777), überließ bie Regierung
gänzlich feinem HJcmifter 3ofe be Garualfjo, ben er fpäter jum
Marquis oon *ßombal erhob, ^em nieberen $lbel angehörenb,
liatte CSaroalho burch bfe £>eirath mit einer reichen unb oornehmen
SBtttme ein bebeutenbeS Vermögen unb 3utrttt bei $ofe erlangt;
boch ha*ten ihn bie ^rinberniffe , bie feiner ^peiratt) burch mehrere
ber erften gamilien be3 Sanbefc in ben 2Beg gelegt morben , mit
einem glühenben £>affe gegen ben gejammten höheren Slbel erfüllt.
5(13 <$efanbter in £onbon unb 28ien hatte cr ebenfomohl bie ^runb-
jä|e ber neuen ©taatsmetöheit, bie in ber Sörberung be3 materiellen
si8ohl3 oa* einzige $>eil ber ©taaten far), als auch bie ürchenfeinb-
lichen ^tnfehauungen ber Stuf (lärer in fid) aufgenommen unb fudjte,
nachbem bie @)unft beS $öntg8 ihn als aQgebietenben HJcinifter an
bie ©pige ber Sermaltung gefteüt hotte, bie im ÄuSlanbe gewonnenen
Anflehten mit bem fchroffften 2lbfoluti£mu8 in ber gänzlichen Um*
geftaltung Portugals jur (Geltung ju bringen. Sur Hebung be*
gefuntenen £>anbel$ führte er ba£ in ben meiften ©taaten (£uropa'3
beliebte Sßerbotö* unb 3l°ang3mefen ein , unterfagte , nrie griebrich
Göllheim I. oon Greußen , bie ©enujjung auSlänbijcher gabrifate
unb liefe , mie biefer , $)enen , bie auSlänbifcheä Xudj trugen , auf
offener ©traße bie Kleiber Dom ßeibe reißen. Ilm ben Sieferbau
$u beförbem , orbnete er bie SluSrobung ber 2Beinpflan$ungen in
ber ^ßrooinj Sllemtejo an, an beren ©teile ÖJetreibefelber angelegt
mürben. 2Bät)renb er auf biefe SBeife ben (Srtrag be& Sobenä be*
beutenb oerminberte, richtete er zugleich bie SBeinbauer ju (SJrunbe,
inbem er ben ge[ammten SBeinhanbel, nm bie Sortheile beäfelben
ben (Sngtänbem ju entziehen, einer Kompagnie übertrug, bei roel*
eher er felbft .bettjeiligt mar. $em Abel entriß er im 3af)re 1753
bura) "ne gemaltfame föebuftton ben größten ber auSge*
behnten SBefifcungen in Amerifa, welche betreiben in früheren 3ei=
ten öon ber $rone $ugettjeilt morben, unb brachte babura) bie«
fen ihm ohnehin roenig geneigten ©tanb nur umfo mehr gegen
fich auf.
Neben ber görberung ber materiellen gntereffen be« SanbeS
Digitized by Google
496 Portugal unter ^ombalä SBerroaltung.
lag bcm SRimfter bcfonberS bie Umgeftaltung beS UnterricfjtSroefenS
nad) ben ©runbfäfcen bcr „Slufflärung" am $er$en. 3>ie Uni-
oerfitat oon Soimbra erhielt eine neue ©tnridjtung unb ttmrbe burd)
bic §crbcijie^ung mehrerer auSlänbifdjer Se&rer in eine ^flanj*
ftättc beS SreimaurertlmmS ocrmanbelt; aua? würbe bie ©uerjer*
cenfur bei ©eiftlidjfeit entzogen, $a ben Neuerungen beS 9JciniftcrS
auf biefem ©ebiete befonberS bie 3efuiten im Söege ftanben, bie
als $eid)toäter am $ofe unb als tet^cx ber ©öfme beS leeren
SlbelS eines fjof)en 2lnfef)enS genoffen unb in Portugal, tüte in
allen anberen Säubern, als bie eifrigften S8crtc)ctbigcr ber Qntereffen
beS fatfmlifdjen ©laubenS auftraten, umreit fie ber befonbere
©egenftanb feinet £affeS. Um ifjren ©turj oorjubereiten, ber bei
ifjm befdjloffcne ©adje mar, fudjte er if)r ^nfe^en bura) "ißampfjlete
5U untergraben unb üerfcfjmäfjte fein Littel ber SBerleumbung, um
fie bei bem fd)hmdjen ®önig ju oerbäcfjtigen unb baburd) öom
£ofe 51t üerbrängen. ©in 2lufftanb $u Cporto gegen bie jum auS--
fcfjlic&lidjen SBeinfmnbel berechtigte Kompagnie foflte oon ifmen an=
gebettelt roovbcn fein; felbft baS furchtbare (Srbbeben, baS am
1. ftooember 1758 faft bie ganje ©tobt ßiffabon in einen Xrüm*
nterlmufen oertoanbelte, unter mcfdjem an breifeigtaufenb ÜJcenfdjen
iljr ©rab fanben, füllten fie als ein SDättel jur Slufreijung beS
SSolfeS benufct fmben, inbem fie baSfelbe als ein ©trafgeridjt ©otteS
für bie Sreoel ber Regierung InngcfteHt. 2lud) ber Oon ben Qefuiten
in ^araguau gegrünbete Sftufterftaat (f. 93b. V. ©. 336), üon
meinem ein grofjer Xljeil im 3a^rc 17 50 Dur($ einen m^ ©panien
gefdjloffenen Vertrag an Portugal gefommen mar, mürbe oon $ombal
als eine ^anbfmbe ju feinbltdjem SBorgcfjen gegen ben oon it)m fo
fefyr gefaßten Orben benufot. 9cad)bem er bie ^abfudjt beS ®ö=
nigS auf bie angeblich öon ben 3cfu^eu in ifyren 9Jebuctioncn an=
gehäuften 9teid)tf)ümer unb bie in jenen ©egenben oermutfc)eten be-
beuteuben ©olb= unb ©ilberminen gelenft fyatte, orbnetc er, um biefe
legieren jum ißortfjcil beS ©taateS ausbeuten ju fönnen, bie 21uS*
manberung aller bort roofjnenben Qnbianer an, unb als ftd) bie-
fei ben biejer SJJca®el miberfetjten, legte er ir)re Wuflefmung ben
3cfuiten $ur Saft. s2ludj bcfdntlbigtc er biefe, am 3Jcarannon ein
grojjcS, bis jefct unbefannt gebliebenes ÜReid) gegrünbet ju f)aben,
oon too auS fie ganj Sübamerifa ifjrer #errjc§aft ju unterwerfen
bcabfidjtigten.
9cad)bcm es ^ombal burc^ alle biefe oerleumberifa^en Anflogen
gelungen mar, ben .Honig $um (Srlag eines ^efe^lS 5U beftimmen,
Oer alle Rennten aus bem föniglicb.en ^alafte oerbannte, erpreßte
er burd) einen und] 9iom gefanbten lügnerifa^en Bericht, ber ben
gönilia^en Verfall beS DrbcnS nactjmeijen follte, oon s^apft ^ene=
Oift XIV. ein sBreüe, bura^ meines ber ganj unter bem föinflufc
Digitized by Google
Portugal unter $ombal§ SScrtoaltung. 497
??ombafe ftehenbe ftarbinal ©albanha mit bcr SJifttQtion bcr portu*
giefiföen Drben$haufer bcr 3efuiten betraut würbe. Dfme bie Wtt=
geflagten nur gehört ju ha&en, erflärte ©albanha bicfelben für ftraf*
bar unb ben Drbeu einer Serbefferung bebürftig unb erwirfte bon
bem ^atriardjen bon ßiffabon bie ©u»penfton ber gefuiten bon bem
Söctd^tftu^I unb bem ^rebigtamt, woburdj i!)r ©nflufj in Portugal
gebrochen Würbe. 3u ihrer gänjlichen SBermchtung fanb ber TOnifter
balb feinen erwünfehten SBortoanb.
83ei einer WuSfahrt, bie ber ®önig am 3. ©eptember 1758
$u nächtlicher ©tunbe machte, würbe auf feinen SSagen gefdjoffen
unb ber SRonard) fetbft leicht berwunbet. Obgleich bie ©adr)e un=
geheuere» Sluffeljen erregte, bestrichen mehrere Üflonate, efje eine
Umerziehung barüber eingeleitet würbe. STber bie töaehe brütete
im ©tiflen, um ihre Opfer um fo fixerer erreichen ju fönnen. 2lm
13. ^ejember Würben in ber Srütje be» Borgens fämmtliche ©tie*
ber ber mit bem f?önig»haufe berwanbten unb bem 9Jctntfter befon»
ber« berha&ten gamitie bon Sabora, fowie ber #erjog bon Slbeiro
t)tx1)a\Ut unb bie Käufer ber ^efuiten befefct, unb am 7. Januar
1759 erflarte ein au» mettlichen unb geifttichen 3Jcttgliebern jufam*
mcngefejter aufjerorbentficher ©ericht»hof, nach einem mit ber em*
pörenbften gormloftgfeit unb Ungerechtigfeit geführten ^roseffe, bei
welchem einzelnen STngeflagten burdj bie golter ©eftänbniffe erpreßt
worben, ben #er$og bon Slbeiro, ben STcarqui» bon Xabora, fowie
bie ©emafjKn, bie beiben ©ohne unb ben Sd)Wiegerfol)n be» ßefcteren
für fchulbtg be» beabfichtigten #önig»morb», bie Sefuiten aber für
bte Urheber be» SKorbanfchtag», unb berurt^eilte bie ©rfteren aU
#ochberräther $um 2obe.
Obgleich biefe» Urteil bei ben meinen Slngetfagten nur auf
Mögen Serbacht Inn erfolgt war unb fogar behauptet würbe, Sßom*
hai felbft habe jene« näcr)tltcr)c Sittentat beranftatter, um fowohl bie
angejehenften feiner Gegner au» bem hohen Slbel, al» auch bie
3efuiten in» Eerberben $u jtürjen , Würben fämmtliche SBerurtheit*
toi am 13. Januar 1759 auf fchauertidje SBeife hingerietet.
SCuf einem hohen, bor bem (Stoffe *u ©etem erbauten ©erüfte
würbe juerjt bie SHarquife bon Xabora enthauptet; bann Würben
ihre betbe ©ohne, tt)r ©djwiegerfohn unb brei ihrer £au»bebten*
ten nach einanber auf ein eiferne» foeu* gelegt unb erbroffett unb
hierauf i^re ©ebeine mit beulen aerfdjlagen, unb enbtich ber alte
^arqut* bon Xabora unb ber £ersog bon 2lbeiro tebenbig geräbert.
3>te Xorfjter be3 ßünig», bie nachmalige Königin SKaria Sfabelta,
gerieth bei bem 3ammergefa)rei ber ihr fämmtlich genau befreun*
öeten Unglücfhctjen, ba» bi» in bie Simmer be» fümgltcfjen ^alafte»
brang, tn eine fo heftige ©emüth»6ewegungr bag fie fti niebt mebr
bon ber erlittenen ©rfchfitterung erholen fonnte unb fpäter in SSahtu
^olatoart^, SScItgcf^. VI. 32
Digitized by
498 Portugal unter $ombal3 Serroaltung.
finn üerficl. SRachbem julefct noch ber ßammerbiener beä $cr$og3
t>on Stoeiro, ber, in einem SBintel be$ ®erüfte* an einen <ßfat)l ge=
bunben, ben Einrichtungen ^attc fcufehen muffen, an feinem Pfahle
mitten auf ba3 beruft gefegt morben, mürbe baäfelbe mit allen
hingerichteten Körpern unb ben gebrausten 2)cartermerrjeugen t>er*
brannt unb bie 2lfdje in3 SReer geworfen. 5)ie Sßaläfte beä Jperaogä
oon $loeiro unb ber gamilie tum Xaüora mürben niebergeriffen,
ihre GJüter eingesogen , ihre tarnen auägelöfcht unb alle ©puren
ityreä $afein3 tjertügt.
28on ben angesagten 3efu^en i 9*9?" lucld^e and) niclit bie
leifefte ©pur eined ©emeifeS ber SJtitfdmlb fyattt betgebracht mer=
ben fönnen, mürben brei, unter ilmen ber ameiunbfiebjigjätjrige, im
Stufe ber #eiligfeit ftehenbe $ater SMagriba, burd) baS 3nqui=
fitionägericfjt, meinem ^ombal in feinem ©ruber einen neuen 9&räfb
benten gegeben ^atte, als Sefcer jum Xobe oerurtheilt unb am
20. ©eptember 1761 öffentlich Eingerichtet.
©erpn oorher, am 3. ©eptember 1759, mar ein kehret er-
Iaffen morben , burch meines ber Drben ber ©ejeüfchaft Qefu in
allen Sänbern ber portugiefifchen Ärone aufgehoben unb bie @in^
jiehung feiner fämmtlichen ©üter für ben ©taat öerfügt mürbe.
s2lüe in Portugal anmefenben ©lieber beS DrbenS mürben, mit 2IuS=
nähme ber (befangenen, ju ©chiffe gebracht unb an ber ßüfte be*
ftirchenftaateS „als ein ©eferjenf für ben h^ttgen $etruS\ mie
^ßombal höhntfeh bemerfte, an* ßanb gefejjt. Von ben hunberroier*
unbiman^ig (befangenen mürben fechäunbbrei&ig fpäter gleichfalls
nach 3tali*n 9*brad)t ; fiebenunbbrei&ig ftarben hochbetagt im Äerfer ;
bie übrigen erhielten nach bem ©turje ^ombals bie greitjeit jurücf.
Söte ^ombal fchon bei feinem Verfahren gegen bie Scfuiten
ade SBorfteÜungen unb (Ermahnungen bes ^ßapfteS Siemens XIII.
ooQftänbig unberüeffichtigt lieg , fo feinen er es auch 111 anberen
Beziehungen förmlich barauf anzulegen , ihn ju tränten , um eine
Skranlaffung ju finben, Portugal gänjlich bem (Sinflufe beä päpft*
liehen ©tuhleS ju entreißen. SBon ber burch ocn TOinifter beran^
ftalteten Vermählung ber Snfantin SWaria Sfa&eua, ber @rbin beS
portugiefifchen X\)xon&, mit ihrem betagten Oheim 3)on ^ebro er-
hielt unter allen fremben ©efanbten ber päpftliche 9iuntiu$ allein
leine 2ln$eige, unb als er in golge beffen an ber $ur geier berfelben
ueranftalteten S^nmination teinen ^ntljctl nahm, erflärte ^ombal
bieS für eine fehlere SBeleibigung beS portugiefifchen $>ofe* , lieg
ben Nuntius unter militärifcher (EScorte an bie fpanifche ©renjc
bringen unb hob bie Nuntiatur auf. vJiudj mürben mit bem portu
giefifchen ©ejanbten in 'Horn alle bort lebenben $ortugiefen jurüd
berufen , unb bie in Portugal lebenben Untertanen beS ^ßapfteS
erhielten ©efehl , fofort baS fianb ju oerlaffen. <£rft unter (£le=
Digitized by Google
Portugal unter ^om&al* 93erroaltung. 499
menä' XIII. 9iadjf olger, Siemen« XIV., würbe ber SBerfef)r jtt)t-
fdjen Portugal unb bem römifdjen Stufjle mieber ^ergeftettt.
$a Combat in {einem (£ifer für bie inneren m Reformen" bie
bewaffnete üftaajt öollftänbtg öernadjläffigt hatte, braute ber ftrieg,
in Welmen ^ortugal im 3af)re 1762 al3 23unbeSgenoffe (Snglanb«
mit granfreid) unb Spanien öerwicfelt mürbe (f. S. 460), ba8
Sanb in bie äu&erfte ©efahr, unb nur ber Umfidjt unb bem tyx-
öorragenben 3elbherrntalent be3 trafen öon ßippe^ücfeburg f ben
G£nglanb ben Sßortugtefen als güf)rer gefanbt, hatte e3 feine Rettung
au* berfelben $u öerbanten. tiefer ftrteg gab bem ÜKinifter 93er*
anlaffung, aud) bem fceermefen feine Sorge au$uwenben, woburd)
baSfelbe unter ber SKitwirfung beS trafen öon ßippe-öuefeburg
auf einen befferen 3u& gebracht mürbe.
^ombalä <Sa^re(fenÄ^err[a)aft enbete mit bem lobe be3 fdjma*
djen, öon if>m geleiteten #önig&. 2)te ^nfantin 2Raria 3}abeUa,
bie ihrem 93ater auf bem Xfjron folgte, begann ihre Regierung mit
s4$ombal3 (Entlaffung unb ber Anorbnung einer föeöifton be3 $ro-
jeffeS ber angeblichen ftönigSmörber. ftaajbem baä über biefclben
gebrochene unb in fo grauenerregenber SBeife jur SMftredung ge*
braute Urteil für ungerecht unb ungiltig erflärt , ba* Anbenfen
ber beiben gamilien Aöeiro unb Xaöora ^ergefteflt unb bereu einge*
5ogene3 Vermögen ihren 93erwanbten jurüdgegeben worben mar, würbe
^ombal felbft wegen feiner Amtsführung jur töed)enfa)aft gebogen
unb öon bem jur Unterfudmng berfelben eingefejten ®erid)t£bofe
für fdjulbig befunben; bod> mürbe ihm bie „ejemplarifche Strafe",
bie er nach bem Ausbruch ber dichter öerwtrft hatte, mit ttütfftcht
auf fein hohe* Alter erlaffen. (Er blieb im ©efi&e feiner fteöenüen
unb ftarb 1783, im Alter öon öierunbaa)t$ig 3a^ren.
Xrofc ber be£potifa)en SBiHfür unb #ärte, womit Sßombal über
Portugal fa)altete — bei feinem Sturje fanben ftd) in ben Werfern
be* Sanbe* gegen jefmtaufenb StaatSöerbrecher — mürbe er öon
ben SBortführern ber Aufflärung unb ihren Anhängern, befonber*
in granfreia), al* ein Sreunb ber 9flenjchf)eit gepriejen, unb er felbft
mar öerblenbet genug, fid) in einer Schrift, in welker er naa) fei*
nem Sturje feine Verwaltung ju öert^eibigen fudjte, bem berühm-
ten Su£ty an bie Seite $u fteUen ; für Portugal jeboch fyat bie öon
ihm auögeftreute Saat leine anberen Srüdjte getragen , als 93er»
wirrung ber Anfielen unb ftttlia)e Auflösung.
32 *
Digitized by
500
Spanien unter $ari III.
XXIX.
Spanien unter S t a r f III.
(1759-1788.)
#arl III., ber frühere ®önig oon Neapel, ber im 3o^rc
1759 feinem finberlofen , im SBafmftnn geftorbenen |>albbruber
Serbinonb VI. auf bem fpanifdjen Xfjxont gefolgt mar, hatte fdjon
in Neapel bie ÖJrunbfäfce ber StaatSmeiSheit beä Sarjrfmnberte in
ftdj aufgenommen unb fucfjte bie benfelben entfpredjenben „Reformen"
auch in Spanien einzuführen; bod) nmrbe babei ungleich meniger
geroalttbätig ju SBerfe gegangen, al3 bieä in Portugal burdi Com-
bat gcfrfiarj. 3)e8 ®önig3 näc^ftc Sorge mar Darauf gerietet, feine
(Sinfünfte au§ ben fpanifcfjeu ©efifcungen in Omenta ju erhöhen;
bie (Einrichtungen, bie $u biefem «ßmeefe in benfelben getroffen rour^
ben, ftie&en jeboef), bejonberS in Duito, auf einen fo bebenflidjen
Sßtberftanb, ba& bie Regierung aus ©eforgniß oor bem gänzlichen
Slbfatt biefer fiänber bie beabfichttgten Neuerungen aufgab.
3n Spanten felbft fafj man e3 mit Necht ungern, baß ber
$öntg bie oberfte Seitung ber Staatsangelegenheiten einem NeapolU
taner, bem 9Jcard)efe Squillace, einem Parteigänger ber jreU
maurer, übertrug. £ie Abneigung ber ©panier gegen biefen $lu£=
länber fteigerte fieh jum auSgefprodjenen $affe, als berfelbe im
(£ifer bc£ NeformtrenS auch folche Serfügungen traf, bie tfjetU brücfenb
unb läftig roaren, theils bie ©emohnheiten be$ SBolfeS oerlefoten, mie
bie Uebertragung ber Sterforgung öon Sttabrib mit ben nothtoenbig*
ften ficbenSbebürfniffen an eine Kompagnie , rooburch eine erhebliche
Steigerung ber greife herbeigeführt nmrbe , unb ba$ Verbot beS
Fragens langer Mäntel unb breitfrämpiger ^mte, toorin ber 9Jcrnifter
eine Ötefährbung ber öffentlichen Sicherheit fah, toeil bie breiten
Stümpen ba£ (SJeficht oerbeeften unb unter ben langen Banteln leicht
SSaffen oerfteeft roerben fönnten.
Sil« am 23. SDiärj 1766 ein junger Sftenfch, ber im langen *
Hantel unb mit niebergeftapptem .\>ut an bem föntglidtjen ^ßalafte
öorüberging, oon ber SHadje feftgehalten mürbe, fam e$ ju einem
SSolfSaufftanb, ber fo broheube Proportionen annahm, ba& ber ®ö*
nig fid) ju förmlichen Unterhanblungen mit ben Slufrührern ge=
jmungen faf). Nur buref) bie (Sntlaffung be£ SttarqitiS oon Squtl*
lace unb burch bie 3liröcfna^me ber mifjliebtgften feiner Skrorb=
nungen fonnte bie Nuhe hergeftellt merben,
(£ine Solge biefcS x2lufruhrd roar ber Sturz ber Qfefuitcn, bie
$arl III. bis bal)tu gegen alle SInfetnbuugen in Sd)ufc genommen.
S)er Nachfolger beä entlaffenen 3JlinifterS, ber ®raf oon Slranba,
Digitized by Google
(Spanien unter ßart III
501
ein unoerföfmlicher ©egner beS DrbenS, ftcllte nämlich, im herein
mit anbern Seinben ber Kirche , bem König bte 3efuiten als bie
Sfnftifter beS STufruhrS bor unb bemog ir)n forootjC baburd), als
buref) bie Süge öon einer groften , angeblich oon ihnen angeftif*
teten, auf ben Umfturj beS X^roneS abjietenben ^erfärnörung, am
2. Sfpril 1767 ein GSbift $u unterzeichnen, burd) meldjeS ber
Qefuitenorben auch in Spanien aufgehoben unb bie Verbannung ber
3cfuiten aus ben fpanifrfjen Territorien „auf einige Scttcu11, foroie
bie Konfiskation aller ir)rer Öüter üerfügt mürbe. 9coct) e^e biefeS
<£bift befannt gegeben mar , mürben bie Qefuiten $u nächtlicher
©tunbe in ihren Käufern überfallen unb ofme jebmebe SRücfficht
auf Kranfhett ober ©ebredjlidjfeit an bie ©eefüfte gebracht, um in
ben oerfdjicbenen £>äfen nach bem Kirchenftaate eingefchtfft ju mer*
ben. Sitte 93orftettungen unb ^rotefte beS ^ßapfteö gegen btefcS
Verfahren, beffen (Srünbe Karl III. „in feiner königlichen ©ruft
unentbeeft zurückhalten ju motten" erftarte , blieben mirfungS*
loS: ben 3efuiten mürbe bie fRü(ffet)r nach Spanien bei XobeS=
ftrafe tierboten.
2ßie fein Vorgänger , fo fucfjte auch Slranba ©panien burdj
bie (Einführung ber oon bem ßeitgeifte geforberten Neuerungen
^u Verjüngen; feine Reformen ließen jeboch in biefem Sanbe,
mit 2luSnac)me einzelner , für ben ^Bergbau unb anbere Kultur^
aroeige eingeführten Verbefferungen unb ber SBefdjräufung ber ®e*
richtsbarfeit ber Qnquifition, ebenfomenig bauernbe Spuren zurück,
als bie feines GJefinnungSgenoffen ^ßombal in Portugal, $er burd)
feine gemaltthätigen (Eingriffe in bte kirchlichen ^Öer^ältniffe er=
regte linnritte ber ©panier führte im Qafjre 1773 feine (Entfernung
ton bem SJcinifterium t)erbei, morauf er als ®efanbter nach s.ßariS
ging.
Unter Slranba'S Verwaltung fefcte fich $)on $abto Dlaüibe,
ber if)m als Mitarbeiter jur ©eite ftanb, burch bie Anlage beut*
fcher unb fchnjeijerifcher Kolonien auf ber menfdjenleeren ©ierra
2ttorena ein bleibenbeS Denkmal, mobei er jeboch burch bie befon=
bere Vcgünftigung ber ^roteftanten große Unzufriebenheit fytxvox*
rief, ©ein offener VoltairianiSmuS braute ihn in Konflikt mit ber
3nquifition , bie it)n im 3af)re 1776 öerhaften lieg unb ifjn ju
achtjähriger ©efangenfehaft öerurtfjeüte. 2ÜS ihm ber König im
Qahre 1780 eine Steife nach Katalonien jum (Gebrauch ber bor=
tigen ©aber geftattet t)atte f entfloh er nach Sranrreich. $urd) bie
franjöfifche 9teooIution über bie Konfequenzen feiner religiöfen unb
politischen ©runbfäjje betehrt, miberrief er Öffentlich feine früheren
Stnfkhten unb erhielt in ftolge beffen im 3ahrr 1796 bie (Srtaub»
ni& jur Rückkehr nach TOabrtb, mo er im Qahre 1803 ftarb.
Söäfjrenb Slranba feine Stetigkeit mehr ben inneren 2lnge*
Digitized by Google |
502 %ta\\tn in ber jweiten #älfte be« adjtjehnten Sahrfjunbert«.
legenheiten ©panien« jugemanbt fyattt, fudjte fein Nachfolger, ber
neapolitanifche SRatchefe © r t m a l b i , Spaniens 9(nfc^en natf}
klugen ju heben, inbem er im %ofyxt 1745 eine (Sjpebition gegen
Algier ueranftattete , bie jebod) trofc ber bebeutenben, baju au3ge=
rüfteten Kriegsmacht — ftebenunbfed)3ic} größere unb tteinere ©d)iffe
unb ein #eer Don fech3unb$man$igtaufenb 3Wann — nichts &nbcre&
jur gotge fjatte, als ben SBerluft oon ffinftaufenb SRenfc&enleben.
Gin toegen ber Kolonie ©an ©agramento mit Portugal entftanbener
Stieg mürbe im 3a^re 1778 unter ©rimalbi'Ä SRachfofger, bem
(trafen 31oriba©lanca, burch ben ^rieben oon $arbo beenbigt,
in meinem Portugal ©an ©agramento gegen ein (Gebiet an ber
©ren$e oon SBraftlien an ©panien abtrat. 93on ber ©etheüigung;
©panien« an bem norbamerifanifdjen SreiheitStriege, ju meinem e$
burd) ben bourbonifdjen Samilienoertrag gejtoungen mürbe, merben
mir fpäter fjören. SRadjbem biefer Krieg im %a1)xt 1783 burch ben
grieben öon SBerfaiHeS beenbet morben , fefcte ber ©raf (£ a m p o *
m a n e i, ber legte ÜJftnifter Karls III., bie oon feinen Vorgängern
begonnenen Reformen mit Umfielt unb ©efdjicf fort unb fudjte in$=
beionbere burd) Srfparniffe in ber ©taatSoermattung ben burch ben
Krieg jerrütteteu ginanjen aufzuhelfen.
Karf III. ftarb im Qahre 1788 unb f)tnterüe& ben X^ron
feinem ©olme Karl IV. (1788—1808.)
XXX.
statten in ber jroetfen MtfU bes achtzehnten 3*0*-
{htnbert*.
Neapel, $arma, SoSIana unb Sarbimen.
TO König Statt III. burcr) ben $ob feine« finberlofen £alb;
bruberS gerbinanb VI. auf ben fpanifcfjen Ifyxon berufen mürbe,
übergab er baS Königreich beiber ©icilien feinem britten ©ohne,
bem a^tjä^rigen gerbinanb, ba fein ältefter ©ofm blöbfinnig
unb fein $rociter ©ofm Karf präfumtioer Thronerbe oon ©panien
mar, baS traft eine« öon ihm erlaffencn SReidjSgefefceS nie mit
Neapel unter einem ©cepter bereinigt merben foßte ; boef) behielt er
fid) eine 2lrt SBormunbfdwft über ben jungen König oor. £ie
SRegierungSangelegenheiten leitete mä^renb ber Sflinb er jährigfett
gerbinanbS IV., ber oon 1759—1825 bie neapolitanifche Krone
trug, ber 9Warcf)cfc Xanucci, ber fct)on Karl III. als Sttmifter
Sur ©eite geftonben unb bie ©runbfäfce ber neuen ©taatStoetSheit
in ber Regierung Neapel« jur ©eltung gebraut hatte.
Digitized by Google
9?eapcl, <ßarma, XoSfana unb Sarbmien.
503
3tt 93ejug auf bie Qefuiteu folgte Xanucci, ber audj über bie
OTnberjäfjrigfeit beS Königs fjinauS btc ocr Regierung in
imnbcn behielt, ba gerbinanb IV. in golge feiner gan^lid) oernadj*
läffigten ©rjie^ung jur perfönlicften Seitung ber ©efdjäfte burdjauS
unfähig fear unb foum für ctroaS 2(nbereS ©tun l)attc , als für
3agb unb 5ifd)fang, bem Vorgänge ©panienS. Qn ber %lad)t jum
21. 9ioüember 1776 mürben bie Qefuitenfollegien gemaltfam ge=
öffnet unb fämmttidje ©lieber beS DrbenS burd) fönigtidje Beamte
mit Sftilitärgemalt nad) ben ©eef)äfen gebracht , um gleichfalls auf
Kriegs Riffen nad) ber ®üfte beS ^trct)enftaateö geführt unb bort
anS Sanb gefegt $u merben. 3)ie SSorfteHungen beS <ßapfteS fanben
bei bem neapolitanifdjen £ofc eben fo mentg ®ef)Ör, als bei bem
oon Sftabrib. $ie ©emalttfjatigfeiten beS ÜttinifterS befdjränften
fidj ntd)t auf bie SluSmeifung ber Qefuiten, fonbem beljnten fid) auf
bie gefammte firdjfidje Drbnung unb QuriSbiftion aus , beren gän$-
lidje 3erPör"nfl Da* Siel feines ©trebenS mar.
9cad)bem gerbinanb IV. fein adjtjef)nteS 3a^r erreicht ljatte,
mürbe er mit ber (Sr^er jogin 2)J a r i a Carolina, ber jroeit=
jüngften Xodjter SJcaria Xf)erefia'S, öermäfjlt, bie balb einen be=
beutenben (Sinfluß auf bie Regierung erlangte. Stadlern fie im
Qatyre 1776 einen Xljronerbeu geboren, erhielt fie, ben ©ripu=
lationen i^reS (5f)eoertragS gemäß, ©ifc unb ©timme im ©taats*
ratlje, motauf Sanucci, ber fid) öergebenS bemüht fjatte, ifjrem
Uebcrgeroid)t bie Söagfdmle ju galten, entlaffen mürbe.
ianucci'S 9cad)folger mar ber SDtardjefe ©ambuca aus $a*
lermo ; bodj mürbe berfelbe balb burd) ben (Snglänber 21 c t o n
öerbrängt, ber aus beut ©eebienfte beS ©rof^erjogS oon XoSfana
in ncapolitanifdje $>ienfte gejogen morben , um baS für baS $önig=
reid) fo mistige ©eemefen neu ju organiftren, unb fid) ba« SB«*
trauen ber Königin in fo Kobern ®rabe erroarb, baß er bie ©eele
ber ^Regierung mürbe. Unter feinem Otegimente naljm bie äußere
^ßolitif eine unfreunblidje Haltung gegen ©panien unb Sranfreid)
an, um fid) mefjr auf bie ©eite dnglanbS unb DefterreidjS 511 nei*
gen; in ber inneren Sßermaltung, bie im (Reifte innucci'S fortge*
fufjrt mürbe, trat baS ©treben nad) ber ^erftetlung eines ©taatS=
firdjentfjumS immer entfd)icbcner ju Sage. S3ei Strafe ber 33er*
bannung mürbe für jeben SRefurS nad) 9iom bie ©infjolung ber fönig=
liefen @rlaubni& oorgefdprieben , unb bie SInfprücfje beS §ofeS auf
bie SBerleifjung ber SöiStfjümcr unb polieren ©eneficien gingen fo
meit, baß ^apft $iuS VI. fie lieber erlebigt ließ, fo baß im 3af)re
1784 über breifeig $8ifd)ofSftül)le unbefefct maren. ©ogar bie alte,
oon *ßapft £eo IX. im elften Qafjrfjunbert über bie Normannen er=
morbene unb oon Siemens III. bei Ueberrraguug beS Königreichs
Neapel an baS £auS 3Tnjou erneuerte £cr)cn^oberr)errIicr)feit beS
Digitized by Google j
504 Italien in bcr ^loeiten $älftc beä achtzehnten 3ahrlmnbert§.
apoftolifdjen ©tuhleä, als bereit Reichen bie Könige oon Neapel
am ©t. SßeterStage bem $apfte einen toeijjen Qtlttx unb eine
©umme öon fiebentaufenb ÖJolbthalern überfanbten, mürbe oom
neapotttanifdjen $ofe nicht mehr berüefftc^tigt. 3m 3a^re 1788 er*
flärtc berfelbe bem päpfttic^en ©tuhle, er roerbe jtoar fortfahren,
bie übliche ©umme aU ein fretnnlligeS Opfer feiner grömmigfeit
unb STnbacht gegen bie ^Ipoftel ^ßetruS unb v$aulu3 an bie apofto=
lifdje Cammer jaulen laffen, ben Setter jebodj nicht mehr über=
fenben.
$en Maßregeln ber übrigen bourbonifchen §öfe gegen ben
3efuitenorben fajloß fich auch ber junge $erjog gerbinanb öon
$arma unb ^iaeenja an, ber im 3a^re 1765 feinem $ater
bem fpanifdjen 3nfanten ^P^iltpp, in ber Regierung gefolgt roar
unb für ben ber granjofe b u X i II o t bie ©taatSgefchäfte leitete.
2luch er erlieg ein 58erbannung3befret gegen bie 3efuitcn» oic 9Cs
toaltfam aus bem Sanbe oertrieben tourben. 3>a er zugleich ju ben
fdt)on üon feinem SSater getroffenen ftrehenfeinblichen Serorbnungen
neue fügte, burefj melche bie 9luffid)t über ba3 ftirchenroefen weit*
liehen SBehörben übertragen, Jßermachtniffe an Kirchen unb Ätöfter
unterfagt ober befdjränft, bie 9tecurfe nad) föom aufgehoben, ju
getftigen ^frünben nur Eingeborene für fähig erflärt, pdpftlicrje
öuüen, Treben, Sleffripte unb 3nbulben bon ber (anbe^^errliajen
Genehmigung abhängig gemalt mürben, erließ Siemens XIII., ber
fich nicht nur als ^ßapft, fonbern auch als DberlehenSherr in \tu
nen fechten berlefct fat), gegen ben |>er$og ein 3flomtorium, gegen
meines fich fofort jämmtliche bourbonifchen |>öfe erhoben, inbem
fie nic^t nur beffen 3urücfnahme, fonbern auch bie ^Inerfennung
ber ©ouoeränität beS £>erjogthumS Marina unb bie Aufhebung beS
3efuitenorbenS gebieterifch oerlangten. Um btefen Sorberungen
größeren 9ka)brucf $u üerleihen, lieg granfreich Slbignon unb iöe*
naiffin, unb Neapel bie ©nclaöen SBeneüent unb $onte Sorbo bc^
fefcen. Siemens XIII. nahm alle biefe «ebrängniffe mit ber un-
crichütterlichften ©tanbhafttgfcit hin unb begnügte fich bamit, öffent-
liche ÖJcbete für bie äirdje anjuorbnen. £er fpantfehe §of fuchte
auch oie ftaiferin 9Jcaria Xherefia ju gemeiuiamem feinblichen
Vorgehen gegen ben apoftolifchen ©tuht ju gewinnen; fie lehnte
jeboch bie Sinmifchung in biefe „©taatSfachen" mit ber Srflärung
ab: fte habe feineu ©runb, bie Unterbrücfung ber 3efuiten ju for*
bem unb ben s4$apft gemeinfam mit ben ©ourbonen ju bebrangen.
Srft nach Siemen*' XIII. Xobe rourbe ber ©treit mit <ßarma burdj
(Siemens XIV. beigelegt.
3n SoSfana regierte feit bem lobe granj' I. (1765) beffen
Stociter ©ohn <ß e t e r Scopol b. ©eine Xh™nbefteigung mar üon
feinen Untertanen mit umfo lebhafterer greube begrüßt morben,
Digitized by Google
Neapel, Sßarma, £o«fana unb ©arbmien.
505
al« fte burdj btefelbe mieber einen in ihrer 2fiitte refibirenben
gürften erhielten. $)er neue (Broßherftog traf in ber SBertoaltung
feines ßanbe« mehrere treffliche Einrichtungen: er reformirte ba«
©erichtömefen burdj bie Aufhebung pribilegirter ©ericht«ftetten unb
burdj bie STbfchaffung mancher TOßbräuche in ber Rechtspflege, fo*
tt)ie burch flflilberung ber ©trafgefefce, §ob ben Stcferbau burch 9^
eignete Stfaßregeln gum befferen Stnbou be« 93oben«, bie ^nbuftrie
burd) bie Abschaffung befäränfenber $emmniffe, erleichterte ben
SBerfefjr burch neue ®ommunifation«mittel unb fuchte feine Unter*
tbanen an größere $hätigfeit unb erhöhten Shmftfleiß gewönnen,
dagegen folgte er in 93e*ug auf bie firc^ttc^cn SÖerhältniffe gan*
ber firchenfeinblichen Seüffrüntung, obgleich er bei feinen bic«be*
täglichen Neuerungen mit größerer SBorftdjt ju SBerfe ging, al« fein
©ruber Sofeph O. Rachbem er bereit« feit bem 3ahre 1780
mehrere fogenannten Reformen eingeführt, bie ebenfooiele Eingriffe in
bie fechte ber Kirche tuaren, lieg er im Söhre 1786 feinen ©ifehöfen
einen au« fiebenunbfünfjig Wrtifeln beftehenben „Reformplan" jur
Prüfung unb Annahme unterbreiten, ber ganj auf janfeniftifchen
2(nfcf)auungen beruhte. $ie meiften oberfjirtlichen Gutachten fpradjen
ftch mit aller Entfdjiebenheit gegen bie beabfichtigten „Reformen" au«;
nur brei Sifchöfe erfldrten ftch für biefelben : bennoch hoffte öeopolb,
feinen $tan mit §ilfe be« ganj auf feiner Seite ftehenben SBtfdjof«
©eipio 9t i c c i öon Sßiftoja unb $rato ju oernrirflichen, ber fchon in
feiner Qugenb für ben 3anfeni«mu« gewonnen roorben mar.
Ricci berief im Qahre 1786 eine ^iöjefanfönobe nach ^iftoja,
unb ber antifirchliche ©eift, ber in ihren SBerorbnungen gu Sage trat,
fdjien bem (Sroßberjog ba« (Mingen feine« ^lane« ju öerbürgeu. Er
öerfammelte im Qaljre 1787 feine fämmtlichen Sifdjöfe in Slorenj,
um mit ihnen bie Abhaltung einer Rationatftmobe jum ber
Einführung feiner Reformen ju oercinbaren ; aber auch jefct fchei*
terte fein Reformprojeft an bem firchüchen ©inne be« to«fanifcben
Epi«fopat«. ßeopolb enttiefe bie SSerfammlung mit bem v2lu«brucf
feine« Mißfallen« unb begann nun feine Reformen eigenmächtig ein-
zuführen. 2)urch biefe« Verfahren untergrub er jeboet) bie Zuneigung,
mit welcher bie Xo«faner ihm bei feinem Regierungsantritt entgegen
gefommen, fo üoflftänbig, baß man froh t°a*» a^ er m 3ahre 17 90
bei bem Xobe feine« 33ruber« Sofeph II. ba« (Sroßherjogthum feinem
jmeiten ©ohne Serbinanb übergab, um fclbft bie Regierung ber
öfterretchifchen Erblänber $u übernehmen, (Degen Ricci mar bie
Erbitterung fo groß, baß er ftch nach ocr Greife fieopolb« ge*
nöthtgt fah, feine ©teile nieberjulegen.
SBeit weniger firchenfeinblich, al« bie bourbonifchen |>öfe unb
ber ©roßherjog oon $o«fana, geigte fich ber $önig Victor
Slmabeu« II. üon ©arbiuien (1773—1796), ber ©ohn unb
Digitized by Google
506 Stalten in bcr $roetten §älfte M achtzehnten gahrfumbert«.
Nachfolger ßarl Immanuel«, obgleich auch er in feinem (Gebiete
Mieles ttriHfürftch orbnete. $er ftauptgegenftanb feiner Regenten*
tfjätigfeit mar ba« £>cem>efen, ba« er ganj nach bem SJtufter be«
preußifchen einrichtete. Obgleich felbft nicht ohne miffenfchaftliche
93tlbung unb im (Sanken gegen bie (Mehrten feine« Öanbe« freunb-
(ich gefinnt, mar er bodj fo fehr öon feinen militärifchen ßieb&abereien
erfüllt unb fdjtug beren SBichtigfeit fo f)od) an, baß er nrieberholt
äußerte: „©in Xrommetfchläger fei ihm mehr tuerth, al« ein ©e*
lehrter." 9ftcht«beftoroeniger beftonb ba« öon U)m unterhaltene %cü)V
reiche #eer, beffen Soften bie Gräfte feine« ßanbe« weit überftiegen,
feine <ßrobe fchfec&t, a[« e« in ben Stürmen ber franjöfifchen föeöo*
lution jtmfdjen ihm unb granfreich sunt Kampfe fam.
Tic brei legten Ränfte be3 anlehnten 3ahrhunbert3.
(1758-1799.)
Wach bem Xobe Benebift« XIV. (f. S. 332) beftieg ber
Surbinal ÜJejjonico au« ©enebtg, ein 9Wann be« ©ebete«, öon
beiligmäßigcm £eben«manbcl unb öoß ber reinften SCbftdjten, al&
Siemen« XIII. (1758—1769) ben päpfttichen fyxon. Sein
<ßontififat mar für ben apoftoltfchen Stuhl eine 3eit fehlerer $e-
brängniß; benn öon aßen Seiten lehnte fich ber glauben«Iofer
firchenfeinbliche ©eift be« 3afjrf)unbert« gegen benfelben auf. Qn
S)eutfd)Ionb trat ber %Beic>bt)c^of öon $rier, gohanu Wtfolau« öon
Hontheim, al« Wortführer bcr antipäpftlichen Partei auf, inbem
er im Safere 1763 unter bem erbichteten Warnen gebroniu«
ein SBiict) veröffentlichte, ba« angeblich bie SSieberoeretnigung ber
Protestanten mit ber £Hrcf>e anbahnen foHte, thatfächlich aber
©runbfäfce unb Sorberungen jur ©eltung &u bringen fuchte, bie
auf bie Vernichtung ber ©emalt be« päpftlichen Stuhle« jielten.
Sebroniu« geftcljt nämttch bem *ßapfte nur ben Primat bcr (5 h *
nicht aber ben Primat ber Ö$ericht«barfeit ju. Wach feiner
EarfteClung nimmt bcr Papft ben SBifchöfen gegenüber nur bie Stelle
eine« Sßorfijjenben in einem Parlamente ein. $ie ÖJefammtheit ber
©ifchöfe fteht über bem Papfte, unb er fann ohne beren 3"ftintmung
meber ©lauben«entfcheibungen geben, noch Srrlehren öerroerfen, noch
9Inorbnungen für bie ÖJefammtfirche crlaffen, ober eine ©cricht«=
barfeit in ben einzelnen 93i«tf)ümern au«üben. Ter „römifchen
ßurte", erflärte Sebroniu« roeitev, müßten baher bie fechte, bie
fie fich im Saufe ber Seit angemaßt, um be« ^rieben« miücn lie-
ber entzogen roerben, unb fall« ber Papft fich toeigere, freinrilltg
auf bicfelben Verzicht ju leiften, fei e« bie Aufgabe ber SBifdjöfe,
Digitized by Google
$tc brei lefcten ^äpfte be« acfjtsehnten gahrfmnbert«.
507
ir)n unter SJcitmirfung ber meltlichen Surften baju gu jmingen unb
buret) bie Abhaltung öon Nationalconcilien bie $erftellung ber „ur=
fprüngtichen" 58erfaffung ber Kirche ju bettrirfen.
Obgleich ba« SSerf Hontheim«, ba« fetbft Seffmg „eine etenbe
©djmeidjelei ber Surften1' nennt, nur ein au« proteftanttfehen,
janfeniftifchen unb gaflifanifdjer ©Triften jufammengetragene« 9Jtadj=
iuerf rjotl innerer SBiberfprüche ift unb allen logifdjen 8wfammen*
hang« entbehrt, ttmrbe ba«felbe, tocil öon einem geiftlichen SBürben*
träger au«get)enb, öon ben Anhängern ber „$uf Körung" mit 3ubct
begrügt, öon allen antidjriftlidEjen ©chriftftellern gepriefen, in öer=
frfjiebene ©prägen überfefct unb öon ben firct)enfeinblichen Regte*
rungen ju ben roeitgeheubften Eingriffen in bie Rechte be« apofto-
Iifchen ©ruhte« ausgebeutet. Siemen« XIII. fpract) im 3al)re 1764
ba« SScrbammungSurtheit ü6er ba« gefährliche SBuch au«, unb öiele
fjerüorragenbe ©clct)rtc miefen in trefflichen ©egenfcr)riften bie 3rr=
t^ümer unb ^nconfequenjen be« Sebromu« fdjlagenb nach; aua>
n;urbe Hontheim fetbft im 3at)re 1778 burch feinen Srgbifchof ju
einem teiber unaufrichtigen SBiberruf beroogen: — bennoct) fuhr
ber au«geftreute böfe ©ame fort, in ber roeiteren Sntmicftung ber
neuen firchticr>polirifchen ©taat«grunbfäfce feine öerhäugnifeöolleit
fruchte $u tragen.
(Steide) ben hcrüorragcnbften Prälaten feiner Seit ein entfehie*
bencr ®önner ber Qefuiten, bot Siemen« XIII. 5(fle« auf, um ben
fdjtoer bebrohten Drben gegen bie ungerechten Angriffe feiner mäcfc
tigen (Segner $u fct)ü&en; er hatte jeboch ben ©duners, ihn in ben
meiften fathotifchen ßänbern: in Portugal, 5ranfreict), Spanien,
Neapel unb *ßarma, ben fchmachooüften Verfolgungen erliegen 511
fehen. $>er Kummer über bie nach bem Srtaffe feine« 9Jconitorium«
gegen ben |>er5og öon $arma öon ben bourbonifdjen ^öfen bem
päpftlid)en ©ruhte angefügten Unbilben, fomie über bie machfenbe
SBebräugnig ber Kirche unb bie immer mehr überhanb nehmenbe
(Sorrlofigfeit beschleunigte ben £ob be« fchmergeprüften tapfre«: er
ftarb am 2. gebruar 1769, ohne äußere« Reichen einer ftranfheit,
im 2Hter öon fech«unbfiebgig Sahren.
Siemen«' XIII. Nachfolger mar ber ßarbinat ßoreng (Sanganetti,
ber am 19. 9flai 1769, nach «nem breimonatlichen Sonclaüe, in
toclchem bie ben bourbonifcr)en £öfen ergebenen f arbinäle eine un=
gemöhnliche Xt)äticjfett entfaltet hatten, al« Siemen« XIV. auf
ben päpftlichen ©tnhl erhoben hnirbc. Sr galt für milb, gemäßigt
unb freifinnig unb ging in feiner 9cact)giebigfeit gegen bie meltlichen
Regierungen noch meiter al« ©enebift XIV., ben er fiel) flum #or=
bilb genommen. £a& unter il)m ber ©trett mit *ßarma beigelegt
unb ber SBerfet)r mit Portugal ^ergefteüt mürbe, haben mir bereit«
oben (©. 499 f. u. 504) gefetjen.
Digitized by Gopgle \
508 3talicn in *>cr jtücitcn §älfte beS adjtjefinten 3al>rlwnbert3.
®aum Chatte (Siemens XIV. ben päpftftdjen Stuf# beftiegen,
als bie bourbonifdjen $>Öfe ifm mit $)enffcf)riften über bic 9cotf)=
menbigfett ber Aufhebung beS 3«f"itcnorbcnS beftürmten. @r fagte
biefelbe bebingungSmeife $u , Verlangte jeboet) , ba& man if)tn 3ett
(äffe, SlfleS 511 prüfen, unb fudjte inghufdjen burdj eine bebeutenbe
$cfd)ränfung ber SBirffamfett beS DrbenS bie brangenben £>öfe ju
befcfyrouijtigcn unb bie ftataftroplje abjumenben , bie if)tn öor ber
fatf)olifd)en SBelt fdjmer aur Saft fallen mußte ; als jeboeb, bte bour*
bonifdjen £>öfe mit ber Ausrottung aller geiftlidjen Orbcn unb bem
Slbbrud) ir)rer ^Beziehungen ju $om brofyten, gab er feinen SBiber*
ftanb auf unb unterzeichnete am 21. Quü 1773 baS SBrcbe, burdj
mclcheS ber Orbeu , „ba er feiner ©eftimmung nidjt mehr entfpre--
a)cn fönne unb öon Dielen fatt)oüfcr)en gürften bereits unlerbrücft
loorben," fraft apoftolifcher Wnorbnung, „$ur SBieberherftellung beS
grtebenS" in ber ganzen S^riften^eit aufgehoben unb für bie ein*
feinen Sflitglieber, bie als Söeltpriefter fungiren fönnten, Sorforge
üerheifjen mürbe. fciefeS örcöe mürbe am 16. 9ruguft ben Sefuiten
in 9iom öerfünbet unb it)r Venera! 9ticci mit mehreren feiner
^fftftenten gefangen in bie SngelSburg gebraut, mo er fpäter ein-
gehenbe ©erhöre gu beftefjen ^attef burd) meiere jeboch nicht baS
ÖJeringfte $u feinem unb beS DrbenS ftachtheil ju Xage geförbert
mürbe. Somohl er als fämmtlidje Oberen erflärten bemütljig ihre
Untermerfung unter bie päpftlidjen s2lnorbnungen , unb ihrem ©eU
fpiele folgten bie meiften Sftitgtieber beS DrbenS ; nidjtSbeftoroeniger
erhoben bie bourbonifa^en $>öfe SBiberfpruch gegen bie Srcigebung
ber gefangenen 3efuiten unb bie ©elaffung mehrerer befonberS
ausgezeichneter SBäter im Sehramte. Siemens XIV. erhielt jmar
Nöignon unb SBenaifftn fomie bie ©nclaoen im 9ceapolitanifchen
Sitrürf; boa) erfuhr er oielfadje iMnfungen oon Seiten ber bour*
bonijchen £>üfe , bie burdjj feine ftachgiebigfeit nur gu immer meiter
ge^enben eingriffen in bie fechte beS apoftolifa^en Stuhles ermu*
tf)igt mürben.
$a* päpftlidje SlufhebungSbefret erregte überall, mo bie $efui*
ten bis baljin noch unangefochten gemirfl, gro&eS s2luffef)en : nichts*
beftoroeniger fam baSfelbe in allen fatt)olifdt)en Sanbern jur %oü*
Ziehung, dagegen miberfefcten fidj jmei außerhalb ber $ird)e ftefjcnbc
^errfa^er, griebrich II. oon ^reugen unb bie (Xjarin Katharina II.,
ber iöerfünbigung unb Ausführung beS päpftliajen Söreoe'S. Öeibe
moHten fich bie SBortheile eines gebiegenen QugenbunterridjtS mat)-
ren, bie ber Drben i^nen in ifjrcn Staaten gemährte, unb oerlangs
ten öon ben in i^ren (Gebieten lebenben 3efuiten bie ^lufrcc^t^ol*
tung ttjrcr Soüegicn gegen bie Slnorbnungen beS ^ßapfteS. 3rieb=
ri4 II. oerftänbigte fia^ im Qa^re 1776 mit bem apoftolifdjen
Stuhle bat)in, ba& bie preuBifa^en 3efuiten fid) jmar gleichfalls
Digitized by
$ie brci legten $ftpftc be« achtzehnten 3ahrhunbert«. 509
auflöfen unb it)r Drben«fleib ablegen , aber unter bem Kamen
„^ßrtefter be« föniglichen €>chuteninftitut«" it)re ßec)ranftalten fort-
begatten foflten. 3tt biefer Verfajfung beftanben fte in <ßreu6en
auch unter griebrich« II. Nachfolger, griebrich SSityelm IL, fort;
erft im 3<*hre 1900 mürben burd) griebrich SBilfjelm III. bie Sehr*
anftalten ber 3efuiten auf meltlichen gug gefegt unb it)re ©üter ju
einem ©chulfonb Dereinigt.
Sftinber geneigt ju einer SÖerftänbigung mit SRom, at« grieb^
rieh II., jetgte ftd) bie Sjarin. £rofc ber SBorftellungcn be« päpft*
liehen SRuntiu« $u 2Barfd)au oermeigerte fie entf Rieben bie $tuf*
Hebung be« Drben« in bem bei ber erften Xfjeüung $olen« in ihren
sikfi& getaugten „SBetSrujjlanb," roo ftcr) in ben SBoimobfdjaften
ißolocf unb Wlofyikto zahlreiche £>rben«nieberlaffungen befanben, unb
orbnete im 3af)re 1778 bie (Einrichtung eine« Kom'jiat« für biefel*
ben an , metche SBerorbnung *ßapft $iu« VI. ftillfchmeigenb genet)3
migte. 3m 3af)re 1801 autorifirte $iu« VII. förmlich bie lieber-
laffungen be« Drben« in töuglanb. (£rft bann liefe bie Vorfehung,
mie $ergenrötf>er mit 9tedjt ^eröor^ebt, bie Vertreibung be« im
geuer ber Verfolgung neu bewährten Drben« au« Ku&lanb ju, al«
bie fatholifchen fiönber ttrieber nach feiner Aufnahme »erlangten.
(Siemen« XIV., ber öielc lieben«roürbigen (ftgenf haften befafc
unb nur burdj fein meichc« , $ur gurcht geneigte« ®emüth herleitet
morben, bem drängen ber bourbonifchen #öfe jur ilnterbrücfung
eine« um bie f iraje fo ^oajöerbienten Drben« gegen feine eigene
Ueberjeugung nachzugeben , öerfiel balb nach bem (Srla& be« uf*
hebung«bret>e'« in eine an Xieffinn grenjenbe ©chroermuth , bie
roefentlid) $ur öottftänbigeu Untergrabung feiner fd>on feit längerer
Seit gefdjmädjten ®efunbheit beitrug. (Sr ftarb am 22. September
1774, im Hilter bon neununbfe^ig 3at)ren. $a« Dielfach öerbreitete
©erficht, bog er oergiftet morben, entbehrt, nach ben oottgiltigften
3eugniffen, jeber ©egrünbung.
$a ba« (£onclaoe burdt) bie Umtriebe ber #öfe große Vermöge*
rungen erlitt, erhielt Siemen« XIV. erft am 15. gebruar 1775
einen Nachfolger unb jmar in ber $erfon be« achtunbfünf jigjährigen
Äarbinal« Sodann Slngelo Vra«chi, ber ben Kamen $i u« VI. an*
nat)m. $er neue $apft, ein frommer unb milber, aber bennodj in
feinen (Srunbfäfeen fefter aflann , ber fein fjofjeä 2lmt nur au« ®e*
nriffen«öflicht al« eine fernere Sürbe übernommen , mißbilligte ba«
gegen bie unterbrächen Sefuiten eingehaltene f)arte ©erfahren, in
njela^em er ba« Söerf religton«lofer SKinifter unb ben Srtumpt) ber
©ottlofigfeit erblicfte. @r orbnete fogleich bie fchleunige (Srlebigung
be« $ro^effe« gegen bie in ber (£ngel«burg gefangen gehaltenen
3efuiten an unb oerfügte, ba fid) burc^auö nicht« ©trafbare« gegen
biejelben ergab, beren greilaffung. 3)er ©encral Kicci erlebte bie*
Digitized by Google
510 Italien in ber feiten $älfte be* achtzehnten 3ahrhunbert*.
felbe nicht met)r: er ftarb am 19. Nooember 1775, nachbem er üor
bem (Smpfang ber Sterbefaframente eiblich unb oor $tü%tn erflärt
hatte, ba& bic oon ihm geleitete ©efellfchaft feinen GJrunb ju ihrer
Unterbrücfung gegeben ^abe unb er felbft feine fyavtt öefangenfcEjaft
nicht oerbient ju haben glaube. 2)er 2lu*jpruch: „Xie 3efuiten
fotten fein, mie fie finb, ober gar nicht fein" — sint ut sunt, aut
non sint — ift itrni fälfdjlich jugefa^rieben morben. Xrofc be* oon
bem fpanifchen ©efanbtcn gegen bie Sreilaffung ber gefangenen
3efuüen erhobenen anma&enben <ßrotefte* lieg $iu* VI. bem sBer*
ftorbenen eine glänjenbe Xobtenfeier abgalten unb ihn in ber $ro»
fe&firdje be* Drben* an ber Seite feiner Vorgänger ehrenooU be*
ftatten. Sluch bie Öage ber (Srjefuiten, beren gefammte* SBefi&thum,
felbft bis auf ihre SRanuffripte, eingebogen toorben, fudjte er nach
Gräften $u milbern.
3n ber erften, ruhigeren 3eit feine* ^ontififat* t^at <ßiu* VI.
fefjr oiel für ben tirchenftaat. @r förberte nicht nur ben 2Icferbau
unb bie 3nbuftrie, fonbem nat)m auch bie fchon oon mehreren feiner
Vorgänger betriebene, fett Si£tu* V. jebod) aufgegebene 2lu*trocf:
nung ber pontinifchen Sümpfe toieber auf unb liefe, nachbem bie*
felbe in einem Zeitraum öon jehn Sahren mit oieler 2Rut)e unb
einem bebeutenben $oftenaufroanb ju ©nbe geführt toorben, burdj
biefe öben (Segenben eine treffliche Jpcerftrage , bie £inea <ßia,
anlegen, burch meiere er fich ein bleibenbe* fcenfmal ftiftete.
2lud) unter $iu* VI. hatte ber pfipftliche Stuhl oon Seiten
ber hrdjenfeinblidjcn weltlichen TOäc^tc oiele Unbilben ju erleiben,
unb in ben meiften ßänbern blühte mehr ober weniger ba* Staat**
firchenthum, ganj befonber* in Neapel (f. S. 503). ®ro&en ftum*
mer bereiteten bem sßapfte bie firc^ltc^en Neuerungen , bie $aifer
Sofeph II. nach tont Xobe feiner Butter in ben öfterreidHichcn
ßrbftaaten oornahm. $a feine einbringlichen brieflichen >Borftel*
lungen oon bem faifer nicht berüefftchtigt mürben, ging er felbft
im 3alp 1781 nach SBien ; bod) hatte auch biefer Stritt nicht
ben geringften (Srfolg. Sludj bie brei, öon aufgeflärten ^rofefforen
unb unfirchlichen Käthen irre geleiteten geiftlidjen tfurfürften 5neb*
rieh #arl 3ofeph oon 3Jcain$ (1774—1802), (Siemen* 2Bence*lau*
oon Xrier (1769—1812) unb SRajimiltan jranj oon Äi)ln,#aifer
3ofeph* II. ©ruber (1784—1801), fugten, im «erein mit bem
^rjbijchof £ieronnmu* oon Salzburg, fich oom apoftolifdjen Stuhle
unabhängig $u machen unb bie geiftliche (£Jericht*barfeit, meldte bie
päpftlichen Nuntien in ihren Sprengein ausübten, tt)eil* ein$u*
jehränfen, theil* gänzlich aufgeben. 3u biefem (Jnbe ließen fic
oon ihren ©eooümächtigten im Sluguft 1786 $u (5m* bie berüct)
tigte, au* bretunbjtoanjig Slrtifeln beftehenbe „(£mfer ^ßunftation"
entwerfen, bura) meldte bie „ursprünglichen" erjbifchöflichen fechte
Digitized by Google
ßaifer Sofeph II. — $a3 beutfäe SKeid) unter ^fofc^^ IL 511
hergeftellt werben füllten. Xrofc beä öeiftanbe«, ben bie öier (5t$*
bifdjöfe bei Qofc^^ II. fanben, fcheiterte ihr Vorhaben an bem 2öiber=
fprudje ber SBifchöfe, welche für bie Stechte beS ^ßapfteä eintraten.
SBelche ferneren Prüfungen bem Ijodjbetagten $iu$ VI. in ben
©türmen ber fran^öftfajen föeöolution vorbehalten waten, bis er
am 25. Sluguft 1799 im Hilter öon ^meiunba^t^ig 3<*hrcn fein
Seben als franjöfifdjer (Staatsgefangener im @rüe befdjlofj, werben
mir fpäter hören.
XXXI.
gaifex ^ o f e |i 9 II.
(1765—1790.)
2>a3 beutf^e Reift unter 3ofep^ n.
©o bebeutungSlofc auch bie ®aiferwürbe in Solge ber immer
weiter fortgerittenen Muflofung beä beutfdjen deiche« geworben
war, bemühte fia) bennodj Sparta Xfjerefia eifrig, ihrem #aufe mit ber
$aiferfrone bie alte Stellung ju ben Sleichäfürften unb ben erften
9tang unter ben europäischen $errfchern ju bewahren. $af>er hatte
fie auch bei ben griebenäunterhanblungen ju £ubert3burg große«
®ewid)t auf bie Erlangung ber branbenburgifdjen fturftimme für
bie 28ahl ihres älteften ©ohne* 3 ° 1 e J> h jum römijdjen ftöuig
gelegt. $iefe SBahl erfolgte ju granffurt am 27. 2Kai 1765 mit
©timmeneinhelligfeit , in ©egenwart be* ®aifer3 granj L, unb am
Xage barauf fanb unter ben üblichen Grundformen bie feierliche
Krönung beS fünftigen ftaiferä ftatt.
Slm 18. Sluguft be« folgenben Qatjreä ftarb ftaifer granj I.
$u 3nn§brucff wot)in fid) ber £of $ur geier ber Vermählung beä
(£r$her$og3 SJeopolb mit ber füantfcfjen 3nfantin SJtoria ßouife
begebeu ^attc, ganj unerwartet an einem ©chlaganfall. £)ie #ai*
ferin blieb ihrem bahingefa^iebenen hatten bid an ihr ßebenSenbe
in unwanbelbarer Siebe unb Xreue $ugethan. 2ln jebem 3ahre2tage
feine« Xobeä ftieg fie in bie Üaifergruft bei ben tfaüujinern ju
SBien hinab, um in ftiflem ®ebete unb ernften Betrachtungen fein
©ebächtniS $u faern. legte fie bie Xrauerfleiber nicht mehr
ab ; eine fchwarje giorljaube bebeefte fortan baS glattgeftrichene unb
leicht gepuberte #aar.
$er römifche ®önig 3ofep^ II., an welchen nunmehr auch bie
ßaiferwürbe überging, war am 13. 2Rär$ 1747 unter ben ©tür*
men beS erften fchlefifchen Kriege« geboren unb jählte fomit bei
Digitized by Gpogle
512
feiner Xfjronbefteigung üierunbjtüaniig 3at)re. 3n ber SBafyl feiner
Erzieher mar bie $aiferin nicht glüefüch gemefen , unb fo mar ber
junge (£r$fjetgog, beffen tüelöerfprechcnbe Anlagen beS GeifteS unb
£>erjenS bie ®aiferin $u ben fdjönften Erwartungen berechtigt Rat-
ten, unter ben un^cUooUen Einflüffen ber materialiftifchen Slnfdjau*
ungen, bie bamalS bie europäifdje SBelt befjerrfdjten unb mit bem
chrtftlichen (glauben zugleich bie ÖJrunbfagen ber ftaatliajen Drbnung
untermühlten, in jeber S8e$iefjung $u einem $inbe feiner Seit fjeran=
gemachten. 2llS ilm feine Butter nach bem Xobe feines SBaterS jum
Sftitregenten für bie öfterreidjifdjen ©taaten ernannte, mar it)m auch
fdjon feine ßebenSrichtung unb RegierungSmcthobe gegeben , unb ba
bie lefclcrc mit ber RegierungSart Ataxia i^erefia'd im öollften
SBiberfpruche ftanb, geftattete it)m biefelbe nur einen bcfdjränften
(Sinflufi auf bie ©taatSgefchäfte , fo baß er fich faft auSfchliefjlich
auf bie ßeitung beS TOUtärmcfcnS angemiefen fafj. $a fein un-
ruhiger ÖJeift auf biefem Gebiete feine genügenbe SBefdjäftigung fanb,
befchlofj er, feine Xfyätigfeit junächft bem beutfa^cn Reiche jujumen-
ben, mobei er fich mit ber eitlen Hoffnung trug, ba§ eS ihm ge-
lingen merbe, bem abgeworbenen Reia)Sförper burdj tjeilfame Refor=
men ein neues ßeben einzuhauchen.
Einer ber £auptfdjäben beS Keines lag in ben fummelfdjreienben
Uebelftänben, bie fid) in bie Rechtspflege eingefc^Iic^en galten. $ie
RcichSjuftij mürbe burdj jmei, öon etnanber unabhängige Gerichtshöfe,
ben Reichs hofratl) in SBien unb baS ReichSfammergericht in SBefclar,
öermaltet, bie in ben jahöofen ©treitigfeiten jroifchen ben einzelnen
©tänben beS Reiches unb jmifchen biefen unb ihren Untertanen im
Ramcn beS $aiferS Recht fprachen. Obgleich biefe Reichsgerichte
3ufluchtSftatten ber ©chmächeren gegen bie ©tarieren fein foHten,
maren fie meit entfernt, biefer Aufgabe 51t genügen, unb fdjon feit
einem 3aWunDert maren oon aßen ©eiten bittere klagen über
biefelben laut gemorben. $ie s$ro$effe fchleppten fich an beiben Ge-
richtshöfen burch gan^e Generationen hindurch, ohne ba& eine (£nU
fcheibung erfolgte , unb in ben meiften Sailen fonnte fich ber ®nfcl
glüeflich preifen, menn er bie (Srrlebigung einer Rechtsfache erlebte,
bie ber Grojjüater anhängig gemacht. Dabei gab feiten baS Recht
allein ben 2luSjchlag; benn bei ber geringen ©efolbung ber Rothe
unb ihrer Verpflichtung $u ftanbeSgemä&em Slufmanb mar ber ©e*
ftechuug %l)üx unb Xtmr geöffnet.
Um biefen Uebelftänben junächft bei bem unmittelbar unter
feiner Leitung fteheuben Reichshofrath abzuhelfen, richtete ftofeph
an beufelbeu unterm 21. Dftober 1767 einen fcharfen fabinetS*
befehl , morin er ihm bie Annahme oon Gejchenfen ober Regalien
uuterjagte , „bie unter allerlei SSormänben angeboten , auch öfters
angenommen morben;" boch beging er babei ben üHi&griff, üon
Digitized by Google
3>aS beutfdje SReld) unter 3ofcj>h II.
513
„fixeren Erfahrungen großartiger Scftechlichfeit" 51t fpredjen, ohne
in ber Sage $u fein, X^otjac^en anzuführen. Da er bei bem
9leicf)3fanvmergerid)te meniger eigenmächtig einschreiten tonnte, brang
er angelegentlich auf bie Spaltung einer SBifttation biefe« Gerichte«,
bie feiern im 3«^e 1654 burch einen 8tach«tag«abfchieb angeorbnet
morben, aber niemal« $ur Ausführung gefommen war, unb braute
e« in ber $f>at ba^in , baß ber 9teid)3tag §11 biefem Gefaxte eine
Deputation ber 9fteich«ftänbe ernannte; allein er fämofte fner, nrie
in Söien, gegen einen ©chlenbrian, bei bem fidj fo m'ele ©tänbe unb
^erfonen unenblid) mof)! befanben unb ber, burdt) taufenberlei 3n=
tereffen geftüfct, jur unfiberminblichen ^flauer gemorben. „3m (San*
jen," fagt ©oorfchil, „blieb bie ©ache beim Alten, unb 3ofeph
hatte burch feine ©dritte jmar benriefen, bafe er Steinzeit unb
©dmettigfeit ber föeidjSgeredjtigfeitäpflege motte , baß e« ihm aber
an Sttacht fehle, feinen SBiflen burchjufefcen."
Die SJtocht be« ßaifer« im beutfchen föeidje befäränfte fleh in
ber %f)at faft nur mehr auf ©tanbe«erhöhungen, 2lbel«öerteihungen
unb bie Gemährung unbebeutenber ^rirnlcgien , nrie beifmel«metfe
bie ber '-üudihänblcr, bie jeboch, gleich ben ©tanbe«erh Ölungen, in
ben 8tetch«ftaaten erft bann Giltigfeit erhielten, roenn bie Sanbe«*
Herren fich bamit einoerftanben erftärt Ratten. Ueber alle nridjti*
geren Angelegenheiten l)atte ber föeich«tag ju entf Reiben , ober e«
mürbe über biefelben öireft t»on ben $öfen untereinanber oerhan*
belt. Die Ernennung be« $Reid}«iricef analer« fomie bie ber übrigen
^Beamten ber 9teich«fan$let gefchat) rttcf)t burch ben vtaner, fonbern
ging oon bem Äurfürften öon SJcainj, al« bem JReia^derjfanjter,
au*. Die Sinfünfte, bie ber ttaijcr au« einigen 8teich«ftäbten unb
bem „3ubenjoll" bejog, mürben auf t)öc^ftend breijehntaufenb Gut*
ben gefchäjjt. Dagegen ging ba«, ma« ber $aifer an bie Reinen
3ürften unb beren Anhang bei ben öerfduebenften Gelegenheiten
fchenfen mußte , jährlich in bie Jpunberttaufenbe. 28a« bei 3*cict)S-
belehnungen an Dajren eintief, mürbe jur (frlialtung ber sJieictj*
fandet unb be« 9^etcf)dr)ofrat^ed oertoenbet. SSBoHte ber ttatfer in
#rieg«fällen oon ben Heineren gürften Gelb unb ®rteg«oolf erlan*
gen, fo mußte er unterhandeln unb förmlich flachem, unb ohne
bie Gemährung oerfchiebener SBortheile ober minbeften« barauf be=
jügliche $ufagen fam er gar nicht an« ßiel.
2öie meit bie einerfeit« burch Sftouffeau unb anbererfeit« burch
Jßoltaire unb feine Gefinnung«genoffen oertretenen fiaat«* unb fir*
chenfeinblichen Anfdjauungen auch in Deutfchtanb um fictj gegriffen,
bemeift in«befonbere ber im 3<*hrc 1776 öon Abam 333 ei«hanpt,
s#rofeffor be« ftirchenrecht« in Qngolftabt, gegrünbete Drben ber
3 Hu min a te n. Anfang« mar biefer Drben nur eine geheime
©tubentenöerbinbung, burch welche ber ©tifter bie ftubirenbe 3uÖeno
fcolitoartfc, IBeltgefötgte. VI. 33
Digitized
514
ffaifer 3ofe^ II.
bem Hinflug bcr 3efuiten ju entziehen unb biefe felbft ju frühen
beabsichtigte ; balb aber erhielt berfelbe eine neue, bic gefammte
ftaatltche unb ftrehüche Drbnung bebrohenbe SBefttmmung. £urch
baS einmütige 8ufammenmirfen „aufgeflärter" unb mächtiger 2Jcit*
glieber, bic SBeiShauot für feinen ©eheimbunb ju gewinnen fuchte,
foHte baS Regiment beS Staate« unb bcr Kirche ben „unfähigen
weltlichen unb geiftlidjen ^Rechthabern, an Welche eS ber gufall ge=
bracht ^abe," entriffen unb in bie $änbe ber „(Sinfidjtigen unb
SBohlgefinnten" gelegt werben, benen bie Aufgabe jugebacht war,
alles, was bem Stifter als politifdjer unb kirchlicher SBahnglaube
erjagen, ju befeitigen unb bie bürgerliche ©efeflfehaft nach ben
©runbfäfcen beS SeitgeifteS umjugeftalten.
tiefem 3wecfe gemä& gab SBeiShaupt feinem ©eheimbunbe
eine neue Drganifation, für toeIct)e ihm bie Sßcrfaffung beS gefuitem
orbenS jum SBorbilbe biente. 5Die 9Jcitglieber würben berpflichtet,
ben Oberen in allen Stücfen unbebingten ©ehorfam $u leiften,
allenthalben angefehene ÜJcänner an fict> ju jiehen, cinanber jur ©r=
langung wichtiger Stellen unb Remter behilflich $u fein, bamit bem
Drben ein entfeheibenber ©influg auf bie öffentlichen Angelegen*
heiten gefiebert werbe , unb nicht nur über ihre eigenen fittlichen
unb geiftigen gortfehritte monatliche Berichte einzureichen, fonbern
auch über SBefannte unb greunbe Beobachtungen anjuftellen unb
beren <£rgebni§ einjufenben, um baS mit "bem Sittenamt befletbete
ßoflegium, oon welchem alle (Dnabenfachen , öeförberungen unb
$ienftoerleil)ungen abhingen, in ben Stanb $u fefcen, über bie
2Bürbigfeit unb Brauchbarkeit ber Bewerber ju urtheilen unb alle
untauglichen *ßerfonen ju entfernen. 9cad) bem SJcufter beS grei*
maurerorbenS würben geheime ÖJrabe eingeführt, ju Welchen bie
SJcitglieber unter 2lufnahmeceremonien , bie gleichfalls bem grei*
maurerorben entlehnt waren, ftufenweife emporfliegen. SRachbem fie
auf ben Borftufen als „9)cinerüalen" unb „ftlerifer" beS DrbenS
mit oorbereitenben Stubien beschäftigt unb auf jufünftige <Sröff=
nungen über bie eigentlichen gmeefe ber Berbinbung hutgetoiefen
worben , erfuhren bie erprobten auf ben höheren Stufen , in ben
fogenannten „2Jcüfteriengraben", als s#riefter, iWagier, Regenten unb
Könige, „ba& baS Unglücf beS SJcenfchengejchlechtS oon ber 9le*
ligiou unb ber jperrfchaft ber Mächtigen herrühre unb ba&, gleia>
Wie bie Religion aus SBafm unb Sßrieftertrug entfprungen , fo auch
bie Sonberung ber ERenfchen in Hölter unb Staaten burch Sift
unb (Gewalt oon glücklichen $lnma&ern bemerfftelligt worben fei,
bajj aber bie *Borfehung bittet jur bereinftigen (£rlöfung ber
33cciiid)l)cit auS bem Stanbe ber Unterbrücfung unb drniebrigung
aufbewahrt habe." £a*u feien bie geheimen SBeiSheitSfchulen be
ftimmt, burch °e*cn SBirfen gürften unb (Gewalthaber oon ber @rbe
Digitized by Google
$a8 beutfäe SRctc^ unter Sofepf) II.
515
öerfchminben unb bic SJcenfchen nach Aufhebung ber gefettfehaft*
liefen Söerfdjiebenheit unter bem ©chufce ber Sßernunft , als beä
otteinigen ©efefobucheS , ot)ne Surften unb ^riefter parrianhalifch
gufammenleben mürben. $)a$ fei auch ber geheime ©inn ber Sefjre
beä gro&en ÜJceifterS öon 9cagareth gemefen, ber ba3 (Geheimnis be£
Himmelreichs feinen greunben offenbart, ben §Inbem nur in (Gleich*
niffen angebeutet §abe. $ie $)ogmen öon bem Salle ber Sftenfchen,
toon ber ©rbfünbe unb öon ber SBiebergeburt unb ber (Gnabe hat*
ten feine anbere SBebeutung, als bog ber 2Renfdj auä bem ©taube
ber urfprünglichen greifjeit unb 9lctnr)cit burch bie SDcadjt ber Xriebe
unb Seibenfehaften in ben ßuftanb ber SBilbfjeit geraten unb auä
biefem burdt) ^ßrtefter, ©taatSmänner unb (Gefefcgeber gu ber jefeigen
unöollfommenen SBilbung geführt morben fei, burd) bie Staft ber
aufgeflärten Vernunft jeboch gum Semufctfein unb freien (Gebrauch
feiner angeftammten 2Bürbe mieber erhoben unb in baS föeich ber
(Gnabe öerfefct roerben folle. $aä ©tjmbol be$ ©unbeä mar ein
flammenber ©tern mit bem iöuchftaben G., ber bie (Gnabe, Gratia,
b. h- bie 2luff(örung bcjcic^nctc , meldte bie öon Ü)r (Erfaßten unb
(Geleiteten gu Qlluminaten, (Erleuchteten, madt)e.
Qnnertjalb meniger 3at)re gählte ber ©unb, ber urfprünglidj
nur au* ^rofefforen unb ©tubenten ber ©tabt Qftgolftabt beftan*
ben , Xaufenbe öon OTtglicbern , 'barunter üiele angefehenen unb
einflußreichen Sßerfonen , bie ben übrigen SBunbeSbrübern gu roic^=
tigen ©tetten in ©taat unb ®irdje üerfjalfen unb fie inSbefonbcre
gu ^ringenergiehern , ©tubtenrätfjen unb ^ßrofefforen gu machen
fucf)ten. $ie Orte unb ßanbfdjaften, in meiere ber söunb fid) (Ein*
gang öerfdjafft hatte, erhielten Wanten au$ ber alteren unb mitt-
leren Qtit, unb ebenfo nahmen bie 3JcitgIieber beä DrbenS bebeut*
fame gefchichtliche tarnen an. 2Bei§houpt felbft nannte fich ©par*
t a f u $ , um angubeuten , ba§ er bie ©flaöenfetten ber SGBelt gu
fprengen beabfichtige. 3m nörblichen ©eutfdjtanb mar ber hannööe*
rifche Sreiherr öon $ n i g g e , ein melterfahrener , mit bem grei*
maurermefen oertrauter Mann unb gemannter ©chrtftfteller , ber
ben Warnen *ß 1) 1 1 o angenommen , bie £>auptftü$e bed DrbenS.
Um bemfelben im fatholifchen $5eutfchlanb einen nachhaltigen (Sin*
fluß gu fidjern, füllte gu äHaing unter bem $rote(torate be3 ftoab*
jutorä ftarl öon Balberg, ben man für ben Drben gu intereffiren
mußte , eine s2lfabemie ber SBtffenfchaften gegrünbet merben , gu
melcher ein Pfarrer SBrunner in Diefenbach ben $lan entmorfen.
(E3 fehlte jeboch ben jpäuptern beä OrbenS ber sibel ber (Geftn*
nung unb bie .straft ber Uebergeugung. SBei^haupt felbft fpottete
über bie proteftantifchen IfytoloQtn, bie in bem JJttuminatiSmuS
ben wahren ©inn ber Sefjre $efu gu fmben glaubten unb öon bem*
felben ba3 $eil ber SBelt ermarteten. „©ie fönnen nicht glauben",
33*
Digitized
516
flaifcr Sofcpfj II.
fd)rie6 er an einen feiner Jöertrauten, „welches 2luf* unb 2lnfehen
unfer ^rieftergrab bei ben ßeuten erweeft, fo ba§ grofce proteftans
tifdje unb reformirte Geologen, bie Dom Drben finb, glauben, ber
barin erteilte Religionsunterricht enthalte ben wahren (Helft unb
ächten (Sinn ber chriftlichen Religion. D Sftenfchen, $u was fann
man euch bereben! Jpatte ich boch nicht geglaubt, bafj ich noch ein
neuer ©laubenSftifter werben foQte."
Qnbeffen fonnte bie $errfa)aft eines ©unbeS, ber über feine
anberen Machtmittel oerfügte, als über SBerfpredmngen unb $)rofmngcn,
auf bie Xauer feinen SBeftanb Ijaben. Ueberau traten ber ©igen-
nufc unb bie ©elbftfucht ber (Einzelnen ftörenb unb berwirrenb ju
Xage. $ie felbftbenfenben SJcitglieber wollten ntcr)t ©erzeuge,
fonbern SBerfmcifter fein; Rubere fafjen ficr) in ihren Hoffnungen
auf einflußreiche Stellen getäufdjt, weil $uuäd)ft 3eber felbft beför*
bert fein ober bie bon ihm (Empfohlenen beförbert jehen wollte,
unb bie an bie SHitglicber gefteflten ÖJelbforberungeit blieben in
ben meiften Säflen unbeachtet, fo baß man fchliefjlich nur noch
aus bem (Ertrag gebrnefter Sdjerj* unb Schmähbücher unb bon
möglichen fiottcriegewinnften Slblnlfe ber eingetretenen ®etbnoth er*
wartete. So geriete) ber ganje, auf unhaltbarer ÖJrunblage aufge*
richtete Sau ins Schmanfen, um nach fnrjer Stauer in ftd) felbft
51t jerfaHen.
flcadjbcm bereit* 511 (Enbe beS 3ahreS 1783 mehrere baie*
rifche 2)iitglicber au* bem Orben ausgetreten waren , entzweite
{ich im folgenben Qafjre SöeiShaupt mit ftnigge, was bie (Entlaffung
beS üefeteren aus bem SBunbe jur JJolge hatte. SöetSfjaupt war
unborfichtig genug, feine Streitigfeiten mit ben ausgetretenen ober
entlaffenen DrbenSgliebern burch 3)rutffchriften in bie Deffentlichfeit
ju bringen unb babitrcf) felbft bie Slufmerffamfeit ber baierifchen
Regierung auf ben Drben unb beffen Xreiben $u lenfen. $)ie Sotge
babon War ber (Erlag einer furfürftlichen Sßerorbnung bom 22. Quli
1784, burch welche alle ohne laubeSherrliche Genehmigung errich*
teten Vereine oerboten unb beren äflitglieber jum Austritt aufge*
forbert würben. $a bie 3lluminaten fich um biefe 93erorbnung
nicht fümmerten unb ber aus bem ©unbe ausgetretene Qofepl)
Llfcfchnetber, Sefretär ber ^erjogin SJcaria $lnna, bem föurfürften
ßarl $hcooor {ctbft ausführliche SJcittheilungen über ben Crben
gemacht fyattt, 6C&°* berfelbe unterm 2. 9Warj 1785 burch ein
fcfyarfeS (Ebift bei fchwerer Strafe bie $luflöfung ber ^lluminaten
unb ber Freimaurer, wobei bie Üe|teren als eine „bon ihrer ur«
fprünglichen Stiftung allzuweit abgewichene ©efeUfchaft" bejeict)-
net würben. SöeiShaupt, ber furj Dörfer feiner Sßrofeffur entfetyt
worben war unb ben bon ihm unter 3urüdroetfung ber ihm ange*
botenen ^ßenfion geforberten Slbjrfneb als ein „ho^^üthiger,
Digitized by Google
$a§ beuHdfje »tetch unter 3ofeph II.
517
renommirter Sogenmeifter" erhalten hatte, hielt eS für geraten,
fich weiteren Unanneimtlichfetten burch bie Sludjt ju entziehen.
Radjbem bic Xenbenj beS DrbcnS burch eingeleitete Unterredungen
noch flarer an ben Xag gelegt Worben, würbe ein $reiS auf bie
Ergreifung SBeiSfjauptS tute auf bie eines Verbrechers gefegt ; er fanb
jebodj in ötotfja bei bem ^erjog Srnft gaftliche Aufnahme unb eine
fixere BufluchtSftätte. Von hier liefe er, tuöfjrcnb in Vaiern mehrere
feiner ©enoffen mit Slemteröerluft unb ©efängnifj beftraft mürben,
öerfcrjiebene ausführliche VertheibigungSfäriften ausgeben, in rocl*
djen er feine unb beS DrbenS Verfolgung lebiglid) bem #affe ber
^rieftet gegen bie öon ihm öerbreitete „9lufflärungM auftrieb. $a=
gegen gaben mehrere ber guerft ausgetretenen 9Jcitglieber umfaffenbe
Erörterungen über bie gefährlichen Stoppten beS VunbeS in 2)raef ;
auch würben bie mit Vefcfflag belegten Rapiere zahlreicher gUumi*
naten auf Vefet)l beS turfürften öon Vaiern in München öeröffent*
licht. $>ie Erwartung, baß biefe *ßublifationcn gro&eS Sluffehen er*
regen unb auch anberen Regierungen Vcranlaffung $u emften üflaf}*
regeln gegen bie gUuminaten geben mürben, ging jeboch nicht in
Erfüllung, thetlS meil bie veröffentlichten ©eheimlehren beS VunbeS
über Religion unb Staat im Söefentlichen nicht« SlnbereS enthielten,
al« was bie gefeiertften Schriftfteller unter bem SBeifatt ber meiften
Sürftenfjöfe in allen Xonarten vorgetragen hatten, tfjeilS auch meil
Diele (Staatsmänner unb Beamten $u bem öJeheimbunbe in enger
Vejiehung ftanben. ®ein gürft öon Vebeutung hielt eS ber 9)cuhe
Werth, öon bem Vorgang irgenbmie ®enntnifj ju nehmen ober in
feinem Sanbe Rachforfdmngen nach giluminaten anpeilen 511 laffen,
unb fo fonnten bie 9Jcitglieber beS VunbeS in anberen Sänbern im
Verborgenen ungeftört ihr SBefen forttreiben, mobei fte fich nur
grö&erer Verficht unb Surücfhaltung befleißigten; öiele berfelben
Zogen eS jeboch oor, ben gretmaurerlogen beizutreten.
2Bie bie StaatSummälzungSibeen Rouffeau'S, fo fanben auch
feine päbagogifchcn ©runbfäfce in ^eutfdjlanb Slnflang, namentlich
im proteftanttfehen Horben, mo ber bumpfe *ßcbantiSmuS beS in
gciftlofen gormen erftatrten Unterrichts* unb ErziehuugSWefenS baS
Vebürfnifj einer Reform befonberS fühlbar gemacht. Qm Qahre
1774 grünbete 3ofjann Vernharb V a f e b 0 m , ein proteftantifetjer
Xheologe (geb. 1723 p Hamburg, geft. 1790 ju Eeffau), nach
einem öon ihm entworfenen, im SBefentlichen auf Rouffeau'S 51n*
fichten beruhenben Sßlane, ber neben ber 9luSbilbung beS ©eifteS
burch eine rationellere Unterrichtsmethobe auch bie Entwuflung ber
$örperfraft burch angemeffeue, hauptfächlich auf Abhärtung jielenbe
Uebungen, nrie Schwimmen, Vaben u. bgl., im Sluge hatte unb
fich babei, bem (Steifte ber Qtit entfprechenb, bie Aufgabe fteHte,
ben Högling öor SlHem für bie irbifche SBelt heranjubilbcn, ju
Digitized by
518
Äatfer 3ofepf> II.
$effau eine SJhifteranftalt , ba3 fogenannte h i * a n t r o p t n",
baä jebodj im 3af)rc 1793, nachbem SBafeboto fetbft fdjon im
3al)re 1776 burdj S^rroürfniffe mit feinen SJcitarbeitern oeranla&t
toorben , bie ßeitung ber Mnftalt nieberjulegcn , au* SJcanget an
©elbnütteln mieber einging.
Obgleich oon mehreren ©dmlmännern, bie ffa$ in bem tyfylan*
tropin mit SBafebotoS ©runbfäfcen oertraut gemalt, üerfchtebene
ähnliche 2(nftalten in* fieben gerufen mürben , unter benen befon*
ber* bie burch ©aljmann $u @djnepfentha( gegrunbete längere
3eit eine« bebeutenben SRufeS genofj, ^atte boch ber „^fulantropi*
niamuS" feine Xauer , meil bie ^fnlantropiniften bei ber ©e*
fämpfung ber früheren Unterrichtämethoben in baä entgegeugefefcte
©ftrem oerfielen unb burch finbifche (Spielereien beim Unterricht
ihren Möglingen ftatt eine* gebiegenen SBiffenS eine feilte Siel»
mifferei unb einen oerberblidjen Xünfel beibrachten. Qnbeffen
bleibt bem ^t)Uantropini*mu* ba* SBerbienft, jur Wbfteüung maiu
eher oerjät)rten SJci&ftänbe im (Srjiehung3= unb UnterrichtStoefen
be* proteftantifchen XJeutfchlanbS beigetragen unb inabefonbere $u
toefcntlichen Serbefferungen im ©oltefchulmefen SBeranlaffung ge-
geben au ^ben.
2)te lefcte »egieningSjeit Waria Xherefta'S.
(1763-1780.)
©i* ju bem Xobe Sfran^ I. mar ba* «erf)ältniß 3ofeph* $u
feiner Sftutter ba* h^jüchfte unb järtlichfie gemefen; auch ™d)
bemfelben bauerte ba* gute (Sinoernehmen jmifchen Reiben noch
eine 9icit)c oon fahren fort, obgleich bie ®eringjchä&ung , mit xotU
eher 3ofeph feine jtoeite (Gemahlin Sofepha , eine Xochter ®aifer
#arl3 Vü., behanbelte , meil fie ihm minber fompathtfeh toar , aU
feine erftc ÖJemahlin gfabeöa oon ^arrna , bie ihm im 3at)re
1762 nach Jtoetjahriger glütflicher ©f)e burch eine ©latternepibemte
entriffen morben, ber $ai[erin gro&en Kummer bereitete. Allmählich
jeboch entftanben Reibungen jmijchen bem faifer unb feiner 9Jcutter,
bie ihren OJrunb auäfchlie&lich in ber SBerfdnebenheit ihrer fiebenS*
anfehauungen unb SRegierungSgrunbfäfee hotten, unb bei bem Starr*
finn, mit toelchem 3°feph on ben SJcarjmen ber moberneu Staat3=
toei&heit, befonber* in Söejug auf rcligio&politifche Sragen, feft*
hielt, unb ber gereiften (Stimmung, bie er in ber Söertheibigung
berfelben feiner Üttutter gegenüber oft an ben Xag legte, geftaltete
fich ba3 SBerhältnifc jmtfdhen Reiben , namentlich in ben lefcten ße*
bendjahren ÜHaria Xherefia'3 , $u einem immer traurigeren; boch
Digitized by Google
$ie le|tc SRegierungSaett Sßarta fcherefia'S. 519
blieb baS nicht mehr auSaugteichenbe Sermürfnig, in metdjeä befon*
berS eine Stnjaht erft in neuefter Seit burdj ben ©oron Neroon in
Srüffet aufgefunbener unb oeröffentlichter ©riefe ber ftaiferin an
ihre intime Sreunbin, bie oermittmete Sflarquife b'^erjeae, einen
tieferen ©inblicf gemähren , burch baS Sartgefüht ber ßaiferin ben
Augen ber SBelt berborgen, unb menn bie tief befümmerte 9Hutter
bisweilen in ©riefen an erprobte Sertraute ihrem bebrängten
$erjen Suft machte, fo bat fte ftets am ©djtuffe berfelben bringenb,
ihre ©riefe fofort ju bernidjten.
©dmu öor ber Xljronbefteigung Sofep^* II. ^atte ber im
Qahre 1763 erfolgte Xob AuguftS III. oon Saufen unb $olen
föufjtanb unb Greußen ©eranlaffung ju einer erneuten ©inmifdmng
in bie Angelegenheiten dolens gegeben, bie, roie mir meiter unten
hören merben, im Qa^re 1773 $u einer erften gemaltfamen Xtyu
lung biefeS SanbeS führte. äftaria X^erefia mieS anfangt bie
Aufforberung jur ©etheiligung an biefem (Uemaltafte mit ©ntfdjie*
benfjeit $urücf ; nachbem jeboef) alle ihre ©emüfmngen $ur Verhütung
ber beabfichtigten Qerftücflung dolens erfolglos geblieben unb ein
jmifchen SRußtanb unb Greußen gefdjloffener X^eilungSoertrag bem
SBiener £ofe bte ©eroi&heit gegeben , baß bie Anfdjtäge ber beiben
2Räct)te auf $olen nur burd) SBaff engematt vereitelt merben fönn*
ten, gab fie auf baS drangen 3ofeph& unb beS gürften ®aumfc
ihren SBiberftanb gegen ben beitritt }U bem oon 5riebrich unb ber
(Ejarin entmorfenen EheilnngSplane auf. Allein pe fdjrieb an Äaunifc :
„Als aOe meine Öänber angefochten mürben unb ich gar nicht
rnctu" mu&te, mo id) ruhig nieberfommen foQte, fteifte ich mich auf
mein gutes 9ted)t unb ben ©eiftanb ÖJotteS. Aber in biefer ©adje,
mo nic^t allein baS offenbare 3ted)t t)immelfc^reict miber unS, fon*
bem auch ööe ©iHigfeit unb bie gefunbe Vernunft miber uns ift,
mufj ich befennen , ba§ ich mtc§ Seitlebens nicht fo beängftigt ge=
funben unb mich fehen $u laffen fcf)äme. ©ebenf ber Sürft, maS
mir aller SBelt für ein (Stempel geben, menn mir um ein elenbeS
©tücf oon $olen unfere @hre unb Deputation in bie ©chanje
fchlagen. 3dj merfe mof)! , ba& ich <&*'w bin unb nicht mehr en
viguenr; barum lag' ich ©ödjen, mieroof)l mit meinem größten
©rame, ihren 2Beg gehen."
©ereitä oor ber erften Xhe^u"9 Motens ^atte bie 3urd)t öor
bem brohenben Anmadjfen ber ruffifdjen Stacht burd) einen glück
lieh geführten Xürfenfrieg griebrid) IL ju einer Annäherung an
Oefterretct) bemogen, unb ba 3°ffPh IL fcinerfeitS fdjon lange
münfehte, ben $önig, oon beffen Degentengröße er eine hohe 9ttei*
nung hotte , perf önlich fennen ju lernen , mürbe jmifchen beiben
Monarchen eine Sufammen!unft oerabrebet , bie am 25. Huguft
1769 ju 9lei§e ftattfanb. ©eibe brüeften einanber bie größte $och*
Digitized by Google
520
tfaifer Sofetf II.
fchäfcung au* unb unterzeichneten einen geheimen SBertrag , in roel*
ehern ftc fiel) verpflichteten , ben jttuföen <ßreugen unb Defterreid)
glüeflich jjergefteflten grieben mit aller Xreue aufregt $u halten
unb bei etwa eintretenben politifchen Sernncflungen bie Dollfom*
menfte Neutralität in Slnfefmng ihrer beiberf eiligen Seftfcungen $u
beobachten.
$)ie $u 9eeifje jnrifchen beiben 9Jconarct)en au&getaufchten Sreunb*
fd)aft*oerficherungen hmrben im fotgenben Safere bei einer jtüeiten
Sufammenfunft berfelben ju SReuftabt in ÜJcäljren (3. September)
erneuert, unb bie ©etheiligung Deftcrreic^d an ber gcrftücfelung
^olen* festen ba* annfehen ben beiben 2Jconard)en beftehenbe gute
(Sinüernefjmen für bie $auer ficher $u fteHen. 9cicht*beftott)eniger
mürbe ba*felbe balb geftört, inbem Sriebrich au* ben SReformbeftre*
bungen be* ßaifer* im beutfdjen föeiche unb au* angeblichen Ser*
cinbarungen be*felben mit ber (Saarin bie «bficht Qofeph* folgerte,
nicht nur bie frühere 9Jcacht be* ftaiferthum* h^ftellen , fonbero
auch ba* öfterreichifche ©ebiet bebeutenb ju erweitern, unb entfehtoffen
mar, ber 2lu*ffihrung beiber Richte mit allen ihm ju ©ebote ftehen=
ben TOitteln entgegen ju treten.
SlHerbing* lag e* in ber Wbftcht Qofeph*, feine §au*macht in
2)eutfchlanb ju üerftärfen, aber nicht auf bem SBege ber ©roberung,
fonbern auf bem be* Vertrag*. $>a ber fturffirft SRayimilian 3o=
feph oon ©atern feine ©ohne hatte, fiel ba* baierifche fianb nach
feinem Xobe an feinen Setter , ben fhirfürften Äarl Xheobor oon
ber $falj, unb ba biefer gleichfalls ohne erbberechtigte ftachf ommen
mar, fnüpfte Qofeph H- nttt bemfelben Unterhanblungen megen ber
Abtretung eine* großen XheilS »on Saiern an, auf welchen er
ohnehin ade ©rbanfprüche geltenb machen ju fönnen glaubte. ®arl
Xheobor mar ju biefer Abtretung gegen bie Sufage bebeutenber
perfönlicher SBortheile bereit; boch noch ehe bie 3"ftimntung feine*
eigenen (£rben, be* $>er$og* Äarl öon $falj 3meibrücfen , gu bem
jmifchen ihm unb bem $aifer bereinbarten Sertrage hatte eingeholt
merben fönnen, ftarb ber Jhirfürft SJcarjmilian Sofeph öon Saiem
am 30. ^ejember 1777 unerwartet an ben Äinberblattern. Db*
gleich Sftaria Xljerefia menig mit ber ganzen 6ad)e einüerftanben
mar unb ju berfelben nur mit SBiberftreben ihre (finmilligung ge*
geben hatte, befefcte Sofeph fofort , auf ©runb be* mit $arl $he°5
bor am 3. Qanuar 1778 jum Slbfchlug gefommenen Vertrag*, ba*
in 9tebe ftehenbe baierifche Gebiet.
Snjmifchen hatte griebrict) II. gleich nach bem Xobe be* #ur*
fürften SJcarimilian Sofeph oon SBaiern ben trafen ©ör§ an ben
#erjog oon $fal$*3meibrücfen entfanbt, um benfelben jur ©eltenb*
machung feiner (Sxbanfprüche unter *ßroteft gegen ben jttrifchen bem
Älaifer unb bem neuen fturfürften oon Söaiern gcfchloffenen Vertrag
Digitized by Google
2>ic lefrte flegterungfyeit TOaria Sherefta'3.
521
ermuntern unb Um zugleich aufforbern ju laffen, bei Greußen #ilfe
zu fucben. Obgleich ber ©erzog ben 2lft ber äufrimmung ju bem
fraglichen Vertrage bereits unterzeichnet r)attc , liefe er ftd) bereben,
ben Jetben jurücfju^alten unb mit bem ®önig bon Greußen am
8. 3Rärj 1778 einen Vertrag ju stießen, in melc&em ber ßefetere
fich oerpflichtete , bie föedjte be* $>aufe* ^fata^meibrücfen auf bie
Nachfolge in ©aiem „gegen bie ungerechten Slnfprfiche be* SBiener
$ofe8" mit feiner ganzen SRadjt gu öertheibigen.
©chon im ßaufe be* 3flonat3 Januar ^atte griebrtch ju bie*
fem gmecfe im ©ritten eine Sttobilmachung angeorbnet. £a in*
Ztoifchen auch üon fturfadjfen unb aflecftenburg s2lnfprücr)c auf ein=
Zelne $heile be* baierifchen Gebietes erhoben morben maren , trat
er in ber ©igenfchaft eine* ©achmatter* auf, obgleich feine 93e*
recbtigung baju oon Defterreich beftritten mürbe unb ßaunifc bie
©rflärung abgegeben hatte : ber faifertiche £>of merbe nicht jugeben,
baß ein föeichsftanb fich jum SBormunb unb dichter feiner 9)(itftänbe
auftoerfe ; um jeboch 3eit $u gewinnen, bie (Sefinnungen ber großen
dächte ju erforfchen unb ju erfahren, auf toeffen SBeiftanb er
jahlen fönne, jog er bie gange ©ache gcfliffentlich in bie Sänge.
2ln eine (Sinmifchung ©nglanbS in biefe Angelegenheit mar megen
be* im 3ahre 1775 aufgebrochenen Krieges biefer Ütfacht mit ihren
norbamerifanifchen Kolonien nicht ju benfen ; bagegen zählte grieb*
rieh, wenn nicht auf bie frilfe, fo boet) auf eine entfd&iebene 9ieu>
tralität granfreich*, ganj befonber* aber auf bie 2Ritmirfung feiner
getreuen ©unbeSgenoffin , ber ®aiferin Katharina, faß« nicht etma
ein ftrieg SRußlanb* gegen bie Xürfet , ju meinem äße Anzeichen
üorhanben maren, bie Gräfte ber ßjarin auSfchlteßlich in Anfpruch
nähme. SBährenb er felbft in ©etymen etnzufaßen gebachte, hoffte
er bie (£jarin beftimmen ju fönnen, burch ©alijien unb Sobomerien
ein #eer in Ungarn einrüefen ju laffen, um fomohl ijitt al* in
Kroatien, im öanat unb in Siebenbürgen bie fcht*matifchsgriechifchen
Unterthanen Defterreich* gegen ihr ©errfcherhau* unter bie SSaffen
ju bringen.
Unterbeffen hatte 3ofeph feinerfeit* im grühjahr 1778 auf
Ungarn, Qtalien unb glanbern Xruppen nach ©öhmen gezogen
unb baburch bem #önig öon Greußen SBeranlaffung gegeben, feine
ifriegöborbereitungen ju befct)teunigen. 3mei preußifche ©eere, jebe*
öon achtjigtaufenb 2Jcaun, fefoten fich, &a* eine öon Berlin, ba* an*
bere oon ©cfjlefien au* , gegen bie böhmtfehe ©renje in SBeroegung.
Wit bem lefcteren bezog griebrich felbft, ber fidt) am 4. April oon
öerlin nach ®re*lau begeben, ein öerfdjanzte* ßager in ber ®raf=
fdmft (SJlafc. S3on hier au* unterhielt er, um ben beginn be* Stiege*
bi* 5 um (Eintreffen fixerer Nachrichten oon bem gleichzeitigen 58or*
marfch Stoffen oerzögern ju fönnen, mit 3ofef>r) II. einen leb*
Digitized by
522
Äaifcr $ofepl) II.
haften ©rieftoechfel , ben er mit ber Cftflärung beenbete, er toerbe
bie längere SBeigcrung DefterreichS , feine Xruppen au* ©aicm
äurücfyujiehen, für einen #rieg3fafl anfehen. $a Sofeph bei feiner
Steigerung beharrte, rütfte Sriebrid) fofort in ©ö^men ein.
9kd)bem eS hier gtt einigen flehten ©dwrmüfceln gefommen,
fanbte Hftaria Xfjerefia , bie fehnlichft ttriinfdjte , ben ^rieben herge-
fteHt gu fehen, im Äuguft 1778 ifjren 9tfinifter Xfmgut in baS
Säger SriebridjS bei ^Braunau, mit bem Auftrag, hinter bem dürfen
3ofeph$ mit bem $ömg über ben grieben unterhanbeln, unb in
ber $hat jeigte fich ber £önig, beffen $eer fich bieSmal in burdmuS
ungenügenber SBerfaffung befanb , meil griebrich feiner ©emohnheit
gemäfj ade Anorbnungen felbft hatte übermalen moüen , ohne bei
feinem üorgerütften Alter biefer Aufgabe genügen ju fönnen,
einem gütlichen Ausgleich geneigt ; allein 3°feph> ber in feinen frie*
gerifchen (belüften burch $aunifc beftärft mürbe, mar fehr ungehalten
über bie gepflogenen Unterhanblungen unb fdjrieb an feine Sflutter :
menn fie grieben fchlie&en mofle, fo merbe er nie mieber einen gufj
nad) SBien fefcen.
Obgleich in golge beffen ber $rieg fortgefefet mürbe , fam e&
ju feinem irgenbmie nennenSmerthen Unternehmen , unb fdmn im
September 50g {ich griebrich, ber e3, ohnehin nicht mehr ber Alte,
nicht magte, baä öfterreidufche |>eer in feiner trefflichen Stellung
anzugreifen, unb beffen Xruppen überbieä an allem Röthigen Langel
litten, nach ©djlefien 5urücf. S)ie Defterreidjer rücften hierauf gleich5
faüä in 0berfd)lefien ein ; boch blieb eä auch hier °ei einigen unbe*
beutenben QJefcchten, in melden fich bie öfterreichifche Reiterei im
Allgemeinen ber preufiifchcn überlegen jeigte.
griebrich felbft, ber fich in feinen auf granfreid) unb SRuftfanb
gefegten Hoffnungen getäufcht fah unb bei ber immer meiter um
ftch gretfenben $emoraltfirung feines £eereä auf feine bebeutenben
SBaffenerfolge hoffen fonnte, münfdjte jefct fehnlich ben trieben,
unb ba Qofeph II. fich Duwh oie Abneigung feiner Sflutter gegen
bie gortfefcung be$ Kriege* in feinen Unternehmungen gleicbfallä
gehemmt fah, nahmen beibe Sftächte bie üon granfreid) unb föufc
lanb auf ÜÄaria Xherefia'd ^Betrieb angebotene griebenaüermittlung
an. Sftachbem im 2flärj 1779 ein SBaffenftiüftanb gefchloffen toor*
ben, mürbe am 13. Sftai ber „baierifche ©rbfolgefrieg" — üon ben
©olbaten megen feiner unbebeutenben ©reigniffe fcherjmeife ber
„ßartoffelfrieg" genannt — burch &en oon granfreid) unb 9tu&=
lanb »ermittelten grieben üon % e f d) e n beenbigt , in meinem
3ofeph gegen bie Ucberlaffung beä üon ben glüffen 3)onau, 3nn
unb Salja umfa&ten baierifchen (Gebietes, be* fogenannten „3nn*
üicrtclS," allen meiteren Anfprüchen auf ©aiern entjagte, mährenb
ber $urfürft oon ©adjfen für bie üon ihm erhobenen Anfprüche
Digitized by Google
3)ie lefcte SRegierungSsett SRaria £herefta'ft. 523
fed)3 2RilIionen Bulben erhielt unb bem #erjog oon SRecflenburg
für bic {einigen ba£ *ßrioilegium de non appellando — bie 93e*
freiung öon ber Verpflichtung , bie (Sntf Reibungen feiner ©eridjta*
r)öfc ben Reichsgerichten ju unterwerfen — jugefprodjen würbe.
£a ber griebe oon Xefchcn nicht nur oon granfreich, fonbern auch
bon ber (Sjarin geroär)rteiftet Würbe, fo War burrf) benfelben für
föußlanb bie 93af)n jur ©nmifchung in bie inneren Angelegenheiten
$)eutfchlanbS gebrochen.
SJcaria i^erefia überlebte bie #erfteHung beä griebenS nur
anbertfjalb 3af)re. @in SBruftfatarrh , ber fie am 20. SRooember
1780 befallen, entwicfelte fid) balb $ur ausgekrochenen ©ruft*
Wafferfucht. £ro|j ber fteigenben AthmungSbefchwerben, bie fte mit
frommer Ergebung in Den Sßillen ©otteS ohne £aut ber ®lage
unb ot)ne jebe Regung ber Ungebulb ertrug, wibmete fie ben ©taats*
gefchäften fortwährenb bie regfte Xt)eilnaljme. «ftachbem fie bie
^eiligen ©terbejaframente empfangen , nahm fie oon ihren in SBien
anwefenben Sfrnbern Wbfchieb , fegnetc fie unb empfahl bie ©r^
herjoginnen ber befonberen gürforge beä ÄaiferS. Als am Abenb
beS folgenben XageS bie Söcflemmungen junahmen , bat fie , bie
genfter $u öffnen, unb machte einen SBerfuch, fich au$ bem £efm=
ftul)I ju erheben, in welchem fie bie lefcten 2age augebracht; Sofeph,
ber fie fchmanfen f ah , fprang hetau , boch in bemfelben Augenblicf
fanf fie entfeelt aurücf. ©ie ^attc ein Alter oon bierunbfechjig
Sahren erreicht.
$ie Nachricht bon bem $infcheiben ber aEtoerehrten ftaiferin
rief in aflen Sänbern ber öfterreichifchen Monarchie bie unge*
heucueltfte Xrauer h«öor. 3eber fühlte, baf? ein gro&cä, bebeu*
tungSooüeö, ruhmwürbigeS ßeben erlofchen mar, unb bie @rinne=
rung an bie Sfraft unb 2Jcilbe ihres SBefenS , an ben ©egen , ber
oon ihr ausgegangen, lebte fort in Dielen Saujenben banfbarer
#erjen. „2)ie Wohlthöfen Söirfungen ber SJca®eln , welche
2ftaria %i)txi\\a ergriff", fagt Arneth, nachbem er bie §aupt*
momente ihrer fegenSreichen SBirffamfeit herborgehoben , „mürben
balb allgemein fühlbar, unb noch jefct wirb bie Seit ihrer SRegie*
rung nicht nur in ben ^robinjen, Welche ben ®ern ber Monarchie
bilben, fonbern auch in ben bamaligen öfterreichifchen 9cieberlanben,
in ber Sombarbei unb in Ungarn als biejenige ber fchönften SBlüthe
biejer ßänber einftimmig gepriefen
1) 93on ben feeb^ehn tfinbern, roeldje Waxia £f)erefta geboren, überlebten
fte $eljn: 3ofeph Äatfer unb (Srbe oon Defierreidj; Seopolb, ©rofc
fjerjog oon !£o$fana, Mter #aifer; gerbtnanb, burd) bic SSennft^lung mit
Ataxia Beatrix, oon ©fte, öerjog oon 9flobena; SR ajtmüi an gran*,
©rofemeifter beS beulen Drben«, fpftter floabjutor oon fünfter unb Wurf ürft
Digitized by
524
Saifer Sofetf II.
£er beutfche ftürftenbunb.
(1785.)
$er Xob SEaria X^crcjio^ mecfte auf« 9fteue bie ©eforgniffe
ftriebrichS II. bezüglich ber Sttachtttergrö&erungSplöne beS ÄaiferS.
„SJcaria X^etefta ift nicht mehr! (Sine neue Drbnung ber 5)tnge
beginnt!" färieb er auf bie erfte SRadjrtdjt oon bem £)infd}eiben
ber $aiferin an fein ÄabmetSminifterium. Seine ©eforgniffe fdjie*
nen jebod) unbegrünbet; benn in ben erften Seiten feiner Mein*
regierung toanbte Sofept) feine ganje Äufmerffamfeit ber inneren
Skrroaltung feiner öfterreidufchen ©rblänber $u, bereu ooUftänbige
Umgeftaltung fd)on Iangft bei it)m befdjloffene Sache gewefen. $aS
$rojeft ber Erwerbung $aiernS tyatte er jeboch nicht aufgegeben,
unb im 3a^re 1785 machte er, im ©inoerftänbnifj mit ber Sjarin,
mit welcher er fidj feit bem Srteben oon Xefchen $um großen 33er*
bruffe grtebrichS mehr unb mehr befreunbet hatte, unb bem gleich*
falls mit ihm berbünbeten franjöjtfchen £>ofe, bem fturfürften #art
I^eobor oon Sßfal$=©aiern ben SSorfchlag, bem £>aufe Defterreidj
gegen bie Abtretung ber öfterreichifchen ftieberlanbe , mit 9lu8fchlu&
oon ßujemburg unb SRamur, unter bem Xitel eines Königreichs
93urgunb unb bie «ßahlung einer Öaarfumme oon brei üWittionen
Bulben baS fterjogthum ©aiern, bie Dberpfalj, bie gürftent^ümer
SReuburg unb ©ufybach unb bie ßanbgraffdjaft ßeudjtenberg ju
überlaffen.
®arl Xljeobor, ber mit feinen baierifc^en Untertanen auf ge*
fpanntem gufje lebte unb für ben ©lang einer ÄönigSfrone fefjr
empfänglich toaxt ging bereitwillig auf biefen Sorfajfag ein. Um
bie 3uftimmung beS ixrjogS oon Sßfat^Smeibrücfcn ju erlangen,
mürbe ber ruffifdje ©efanbte am oberrt)einifa)en Streife, ®raf ffto*
manjow, beauftragt, benfelben öon bem getroffenen Slbfommen in
Äenntnig ju fefcen unb it)m babei ben beabfidjttgten £aufd) als
eine feft betroffene ©ad)e barjuftellen , bie, oon föu&lanb unb
granfreidj gebilligt , unter allen Umftänben $ur Ausführung ge-
langen werbe. 5)er ^er^og üerweigerte nichtSbeft omeniger bie oon
ihm geforberte Einwilligung uub beeilte fich, bem #ömg oon Greußen
oon ben ihm geworbenen Eröffnungen 9Rittheilung ju machen.
Sriebrich fchrieb fofort an bie Ejartn unb befchtoor fie, „bei ihrer
tum Äoln; 3ttarta Anna, «ebtiffin in «rag unb fltaflenfurt; SRaria
Ghrifttne, ber befonbere fiiebting ber Sfaijcrin, oermfth» mit bem |)e^og
91 ( bert oon 6achf en*£ef djen ; 9Raria@lifabeth, Äcbti jfin in ^nnSbrucf ;
Sftaria Amalie, ©emaljlm beS £>erjofl8 fttrbinanb oon $artna; 9Jcaria
Caroline, oermählt mit bem tönige fterbinanb IV. oon Neapel, unb
9Rarla Slntoinette, ©emahlin ßubnrig* XVI. oon grontreich.
Digitized by Google
$>er beutfdje prftenbunb,
525
alten greunbfchaft unb Slflianj, bie er noch nicht gan§ erlogen
glaube/ bie ?lu«führung eine« fo gefährlichen (£nrttmrf«, ber tf)r
eigene« glorreiche« SBerf, ben grieben Don Steffen, gänzlich ju jer=
ftören brohe unb bem er felbft fid) mit allen feinen Gräften nriber*
fcfcen muffe, ntcr)t zuzugeben. Heimliche SBorfteüungen fanbte ber
Herzog t>on Smeibrücfen nach $eter«burg. $)ie (Sgartn erflarte:
„<Sie fei meit entfernt, einen 3wang ausüben ju tuoflen. 6ie fyabt
geglaubt, bog ein freinrifliger unb billiger Xaufdj mit bem Srieben
bon lefchen fcr)r roof>l beftefjen fönne, unb bafj ber oon bem beut*
fcr)cn ®aifer oorgefchlagene Xaufdj nach ben üon bemfelben gefteßten
Söebingungeu bem jjfäljifd)en £>aufe nur S3ortr)eitc gemahre. $cr
Herzog öon Sroeibrücfen möge jebodj ganz nach feinem Qntereffe
ffanbeln, unb roenn er bem $aufche feine Suftimmung öerfage, fo
tocrftecjc e« ftcr) öou felbft, bog bamit bie ©acfje erlebigt fei". 2)a granf*
reic^ bie gleiche ©rflörung ab^ab, ftanb ber $aifer oon feinem Sßlane
ab, inbem auch er errTärte, bafj er nie baran gebaut fyabt, ben be*
regten 2lu«taufch erjmingen ju motten.
5Dtc ganze ©acfje mar fomit erlebigt, unb griebrich f)arte feiner*
tet (Srunb ju meiteren ©eforgniffen. 9licf>t«beftotoemger benufcte er
ben SBorfaü jur SBerurirflichung eine« längft entworfenen *ßlane« burch
welchen jeber Üftacfjtoergröfjerung Defterreich« oorgebeugt unb bem
®aifer bie 2Köglichfeit benommen iuerben foßte, in bie beftehenben
9teid)3öerl)ältniffe irgenbroie reformirenb einzugreifen, ober nach grieb*
rieh« SluSbrucfStoeife, „bie föeichSoerfaffung zu üerlefcen." Um biefen
Stoecf 5U erreichen, foDten bie 9ieichSfürfteu ju einem Söunbe zu*
fammentreten, ber jebem Eingriff be« ßaifer« in bie fechte be«
einen ober be« anbern ber beutfehen ©tänbe mit oereinten Gräften
entgegenzutreten ftetS bereit fei.
2)ie 3bee ju biefem „gürftenbunb" mar in bem ®önig er*
macht, al« ber Üatfer im Qahre 1780 bie (Stooählung feine« SBru«
ber«, be« Shrzherzog« äRarunilian granz, jum Soabjutor be« $ur*
fürften oon ftöln unb SBifdjof« oon fünfter, 3ttajimilian griebrich,
burch bie betreff enben $5omfapitel burchgefejjt fyattt. „Unfer $8ünb-
m&", r)eigt e« in bem (Sntnmrf, ben griebrich am 24. Dttober
1784 feinen $abinet«miniftera ginfenftetn unb £>erzberg jugefchieft,
„fofl nur bie Söefifcungen eine« Seben ftchern unb oerfunbern, bog
ein herrfchffichtiger unb unternehmenber Reifer einmal bie ganje
beutfdje iBerfaffung umftürjt, inbem er fie ftücfmeife zerbricht. SBenn
man nicht in fetten borfet)rt, fo mirb ber ®aifer alle feine 93et*
tern mit beutfehen ©isthümern, @rjbi«thümern unb Äbteien Oer*
forgen, biefelben bann föcularifiren unb auf allen Reichstagen
burch bie Stimmen feiner Oettern ba« Uebergetoicht behaupten. X a»
märe für bie geiftlichen dürften. $lber auch toeltlichen (jabcu
ein ^ntereffe, einem ©ünbniffe beizutreten, melche« ben ftaifer in
Digitized by
526
Äaifer ^ofe^ II.
allen Slnfprfidjen fjemmen mürbe, bic er auf ifjre ©taaten machen
fönnte, ttrie mir neuerlidj in ©aiern gefetjen fwben. (£in nidjt
minber mistiger ©egenftanb ift ber SReidjStag in SRegenSburg unb
baS ftammergeridjt ju SBefelar. Stimmt man nidjt bei geiten gute
Sfta®eln, biefe alten @inrid)tungen jii erhalten, fo nrirb ber ®atfer
fie benufcen, um feinen Despotismus in ganj Deutfdjlanb geltenb
ju machen. m
Sftadj bem ©Reitern beS oon 3ofep§ entworfenen Xaufdjpro*
jefteS fefcte fid) griebrid) junadjft mit ben Äur^öfen Don Bresben
unb §annooer in* (Stnoerneljmen, unb ba biefelben feine ©eforg»
niffe megen ber ©ergrögerungSpläne beS ÄaiferS teilten, fanb er
bei itjnen für feinen $lan ein geneigtes Df>r. Dfme föüdfidjt auf
bie ÜKatjnungen beS ®atferS, ber oon ben angefnüpften Untertjanb*
lungen ftunbe erhalten, „gefjäffigen (Srbtdjtungen unb fallen ©or*
ftellungen oon bebenflidjen $bftd)ten beS #aifert)ofeS feinen ©lauben
beijumeffen unb fid) nid)t ju oerbünben gegen Äaifer unb SReid),"
fdjloffen bie brei fturljäufer ©ranbenburg, ©adjfeu unb $annooer
ben „beutfd>en gürftenbunb." 3n bem am 23. 3uli 1785 öon
ben ©eoollmäctyigten berfelben jit ©erlin unterjeidmeten ©unbeS*
vertrag oerptüajteten |taj Die zoerounDeten, „gemeinjam über Die
(Spaltung ber beutfdjen föeidjsoerfaffung ju madjen, jeben 9teid)S*
ftanb in ©efifc feiner ßänber unb ©ercajtfame $u fluten unb fidj
allen unerlaubten 2fla&rcgeln in bem Söege ber Drbnung ju toiber*
fefcen." Slujjerbem gelobten fte in ben bem ©ertrage beigefugten
geheimen Wrtifeln, bem ÄuStaufdje öon ©aiern nadjbrütflidtft ent«
gegen ju toirfen, unb fteüten für ben gall eine» bieferfwlb aus»
breajenben Krieges bie Xruppen$af)l feft, toeldje jeber ber brei ©er*
bünbeten für benfelbcn ju fteflen t)abe.
Der (Sinlabung ber brei Shirljöfe $um Slnfdjlug an ben Surften*
bunb folgten balb bie £>erjöge öon ©raunfdjtoeig, oon ©adnen*©ott)a,
öon SBeimar, öon jjtocibrücfen unb oon äRecflenburg, bie SJcarfgrafen
oon s2liiSbad> unb oon ©aben, ber Sanbgraf oon Reffen Gaffel, ber
©ifdjof oon DSnabrücf unb brei gürften oon Slnfjalt, julefct fogar
ber im 3afjre 1774 burd) öfterretc^ifc^en @influ| gemähte tfur*
fürft Oon iücainj, griebrid) Äart Sofept) Oon ©rtyal, ber fid), fo
lange 2Raria Xfjerefia lebte, als treuer «ntjänger beS (Sr^aufeS
gejeigt chatte.
Drofc ber feierlichen ©erfic^erung griebria^S, baS ber ©unb
feinen anberen gmeef ^abe# als bie (Spaltung unb ©id^erftellung
ber beutfdjen SReia^Soerfaffung, erhoben fta^ $at)lreid)e ©timmen ge*
gen benfelben, unb felbft ber preuSifa^e ÖJet)eimeratt) Doljm, ber
bei bem ^(bfc^Uig beSfelben eine ^eroorragenbe 9lolle fpielte , be*
rietet, ba6 nic^t nur 2lnt)änger Oefterreia^Sf fonbern and) rooljl*
gefinnte Patrioten fic^ mt^billigenb über ben ©unb auSgefprod>en
Digitized by Google
3«>fep$» II. ftaatH^e Reformen in feinen @r6tänt>em. 527
unb bic grage aufgeworfen hätten: „worum man bic ©ebenfen,
bic man Imbe, nidjt bem föeidjoberfmupte felber üortrage, ba$ fidt>
ja ju einer SBerbinbung mit aüen föeid)Sftänben erboten, weldje bie
SBerfaffung in ©efa^r glaubten, unb was überhaupt gefd)ef>en fei,
um fo oiel SDcißtrauen fjeroor ju rufen? $er ßatfer Imbe bem
pfäljifdjen #aufe einen Xaufdj angeboten unb auf bie Steigerung
eine« aNitgliebeä biefeä #aufe3 fofort fein Angebot fallen laffen, —
in feinem Vorgehen liege fidjer nichts Unrechte* unb ©ewaltfame«,
nod) irgenb welaje SBebrofmng für ba3 töedjt unb bie Srei^eit 2ln»
berer." 2>en geheimen ßmeef aber, melden Srtebrid) bei ber ®rün*
bung be3 gfirftenbunbeö im Sluge ^atte, Derrtetf) $ofmt felbft, inbem
er fd)rieb : „(£3 ift für baä ©leidjgemiajt ßuropa'S öon ber äußerften
3Bta)tigfeit, baß granfreidjS <Waa)t gegen Defterreiaj niajt aO>fe()r
gefdjmädjt werbe. 5X0cu 9ftärf)ten muß baran gelegen fein, baß
Defterreidj feine fdjWadje Seite bura) ben SBefifc ber Weberfanbe
nia)t oerliere unb burd) ben Erwerb Don ©aiern nid)t granfreid)
für immer außer ©tanb fefce, im beutfdjen Steide 93unbe$genoffen
ju f)aben unb, wenn unter biefen, wie natürlid), ber Regent ©aternS
fid) befinbe, burd) ben ^3eft^ ber $onau geführt, bis ins ^erj ber
öfterreidufcfjen (Staaten einzubringen — ein in ber Xf)at fajon mefjr
ab einmal entworfener unb fet)r einfacher $fan."
3ofepl)g II. jtaatUdje Reformen in feinen erblanbern.
(1780-1790.)
3e mefyr fidj 3°fcPf) H- bei Seibjeiten feiner Butter in fei-
nem (Einfluß auf bie Verwaltung Defterreidj befdjränft gefefjen fjatte,
befto größer war naa) iJjrem Xobe fein (Stfer für bie S)urd)füf)rung
ber Don U)iu für not^wenbig erachteten ^Reformen. Sine Steife, bie
er im Qaljre 1777 unter bem tarnen eine« trafen öon 3alfen=
ftein nad) fjranfreid) madjte, wo brei Safjre früher ßubmig XVI.,
ber ©emafyl feiner ©djwefter SRarta Slntoinette, ben Xfjron beftte*
gen, fjatte ifjm (Gelegenheit oerfdmfft, bie SBortfüfjrer ber Slufflä*
rung unb ber neuen <5taat3mei3()eit: b'2llembert, SRouffeau, *8uf=
fon, ben ginanjmann üfteefer, ßubmtgS XVI. ÜRinifter Xurgot — baä
Jpaupt ber „s4tyiifio traten1', bie in ber £) ö rieten iölüttjc be*üanbbaueö
bie ergiebigfte Guelic be3 xBolföreicr^ttjuniö unb be» ©taatäwof)le3
faf)en — u. perfönlid) fennen ju lernen unb im eifrig gepfloge-
nen SBerfefjr mit Urnen, ben er ber ^Beteiligung an ben üim $u
CStjrcn oeranftalteten Jpoffeften oorjog, jidj eingefjenb mit üjrcu
3been oertraut $u madjeu, unb mit bem feften (£ntf$tuß, it)rc
©tifteme in feinem ©taate ju üermertfjen, war er in feine £>eimatl)
Digitized by
528
flaifer gofepf) II.
jurücfgefehrt. 9lber nrie feine öerfef)lte (£r$iehung feinen hochfah*
renben ©inn, anftatt it)n ju öerebeln, nur $urücfgeftofjen, fo harte
it)n ber mangelhafte Unterricht, ben er in feiner Sugcnb genoffen,
nic^t ju einem grünblichen SBiffen, fonbem nur ju einer einseitigen
unb oberflächlichen Sluffaffung ber Dinge geführt. EIS „erfter Die-
ner beS ©taatcS,* als melden er fich, gleich griebrich H.# ben
©runbfäfcen ber h^rrfchenben ^hüofophie cntfprechcnb , anfah , Jidt
er es für feine Pflicht, audfe^tiegtidt) für baS SBohl feiner ©ölfer
$u leben; aber baS fogenannte „©emeintuohl", baS ju förberu er
als feine erfte unb hödrfte Aufgabe betrachtete, faßte er nicht nach
ben Söebürfniffen beS unter ben mannichfaltigften SBerhältniffen im
©taate lebenben SWenfchen, fonbem nach einem ganj abftraften
begriffe oom ©taate auf ; baher gerieth feiner reformatorifcheu
Xhötigfeit überall mit ber SBirflichfeit in «onflffl unb fonnte für
feine ©djüpfungen nur burch baS Sertrümmern ber beftehenben
Serhältniffe ©oben genrinnen, öeblenbet burch bie Erfolge, bie
griebrich II. bei feinem fülmen Durchbrechen alter NechtSfchranfen er*
rungen hatte, unb oon ber Ueberjeugung erfüllt, baß feine beabftchtig*
ten Neuerungen ebenfo Diele ©erbefferungen feien, hielt auch er fich an
bie in feinen ©taaten beftehenben NechtSjuftänbe nicht gebunben unb
riß mit unerbittlicher NücffichtSloftgfeit alles nieber, maS ihm im
SBege ftanb.
2Bar fet)on burch bie Unjufriebenheit, bie biefe jerftörenbe
SBtrffamfeit unter ben baoon betroffenen h^borrufen mußte, bie
Dauer ber Neuerungen 3ofepf)S in grage gefteflt, fo trug bie lieber*
ftürjung, mit melier er in feinem ruhelofen Dhatenbrang bei ber
Umgeftaltung beS öfterreidufchen ©taatSmefenS ju SBerfe ging, nicht
weniger baju bei, ben ©oben feiner Schöpfungen ju untergraben,
unb jo hatte er nicht nur ben ©chmerj, für feine guten Sibfichten,
nrie er glaubte, Nichts als Unbanf ju ernten, fonbern er far) fich
auch genötigt, üerfchiebene feiner bermeintlichen Reformen felbft
fturücf ju nehmen.
3ofepf)S reformatorifche Dhötigfeit erftreefte fich über alle ©e=
biete beS ©taatSlebenS : über Sieferbau, $anbcl unb gnbuftrie,
über bie Rechtspflege, baS ginanj= unb ÄriegSmefen, über bie ©d)u*
len unb bie fachlichen ©erhältniffe. Dabei wollte er, als ©elbft*
herrfcher im Reifte griebrichS, ben er fich nach feiner eigenen aus*
brüeflichen (Srflärung jum ©orbilbe genommen, öon feinem tabi*
nette aus, in roelchem er mit feinen ©efretären öom früheften
9)corgen bis jum fpäteften s2lbenb raftloS arbeitete, nicht nur ton
Mem eingehenb ßenntniß nehmen, fonbern auch 9Iöed felbft lei*
ten unb alle (Sntfcheibungen bis ins $leinlichfte felbft treffen, ohne
ju bebenfen, baß baju toeber feine ftraft, noch f«ne ©inficht auS=
reichte. Die ©Reiben beS ©taatSorganiSmuS burchfehaute er jmar
Digitized by Google
Sofe^S II. ftaatlidje Reformen in feinen Grbtönbern.
529
mit fcharfem ©liefe; ober in ber 2Bat)l ber Heilmittel beging er
bie öerhängmfeüollften Mißgriffe.
Unter ben SRathgebern QofephS ™§m *>er «" 3*$« 1764
öon Sranj I. in ben föeichäfürftenftanb erhobene GJraf SSenjel öon
® o u n i | , ber auch nach bem $obe Flavia $herefta% unter 3o--
feph EL, wie unter beffen ©ruber unb Nachfolger ßeopolb IL,
£of.- unb ©taatäfanjler blieb, bie erfte Stelle ein. %ti Staate
mann ganj ein ßinb feiner 3ett, mar f aunife jugleid) ein ©emunberer
Voltaire'«, ber it)m trefflich $u fdjmeicheln mußte, unb feine Wn*
fchauungen über ba3 ©taat3* unb IHrchenleben übten auf ben ßaifer
einen bebeutenben (Sinflufe au«. Sieben ftaunifc genofe ba3 f)öa^fte
©ertrauen beä ftaiferS fomie beffen befonbere greunbfehaft , ber
®raf Sfo^ann Wlipp öon Sobenjl, ben 3ofeöl) befonberS $u
mistigen 9#iffionen gebrauchte. Sluch bie $äupter ber SBiener
gretmaurer: ber greifen; öon tfrefel, ber befonberS bie geiftlüfjen
Angelegenheiten ber Monarchie leitete, ber Seibarjt öan ©mieten,
ber $>ofratf> öon ©onnenfelS u. 21., hatten fich im SRatlje be*
$aifer$ einen fdjmerroiegenben Hinflug ju öerfchajfen gemußt, ob*
gleich Sofeph felbft nicht greimaurer mar, öielmehr in feiner fpä*
teren Slegierung^eit gegen ba3 übermächtig geroorbene 9Kaurer*
thum, öon beffen gaben er fich ringä umfponnen fah, einfdc)ränfenbe
SHaferegeln ergriff.
Um bie einheimifdje Qnbuftrie ju heben, führte JJofeph* nöt§
bem ©organge griebrichä II., ba3 ©perrföftem ©olberta ein. %m
3at)re 1784 erliefe er im ©inne biefca ©Aftern* fein „äoflpatent"
unb fperrte feine ©taaten burdj einen ßofleorbon ab. $ie (Sin*
fuhr aller fremben ®unftmaaren fomie berjenigen ÜRaturprobufte,
bie ber öfterreichifdje ©taat felbft erjeugte ober erzeugen fonnte, mürbe
nicht nur auf ba3 ©trengfte öerboten, fonbem bie Äaufleute mufeten
auch flfle in ihren SJcagajinen noch üorhanbenen prohibirten Söaaren
in ein grofeeS ©orrathähau$ bringen laffen unb bafelbft innerhalb
einer gemiffen grift öerfaufen; neue nachfommen ju laffen, mar
ihnen unter feiner ©ebingung geftattet. 9cur ^riöatleute, benen
etma einzelne au3länbifchen ^anbelSartifel unentbehrlich gemorben,
burften, nach oorher eingeholter ©rlaubnife, auf einen ihnen einge*
hänbigten *ßafe bie fraglichen Söaaren gegen Erlegung eine* SoHeS
öon fedföig Sßrojent be£ SBertheS jum eigenen Gebrauche einführen.
Söurben haaren öorgefunben, bie ohne $afe unb ©rlaubnife ein*
geführt morben, fo liefe ber #aifer fie in ben meiften gäHen ohne
2Beitere3 oernichten. ©o mürbe öerfchiebene üttale eine grofee
Spenge eingefchmuggelter Xafchenufjren öffentlich jerfdjlagen unb
am 6. 9Iuguft 1785 ein SBagen mit fremben ßleiberftoffen aus ©eibe,
SBolIe unb Sinnen, bereu (Sefammtmertf) fich auf breifeigtaufenb
©ulben belaufen hoben fott, auf einem öffentlichen Sßlafce jmifchen
&oIatoart$, SöeUßelc^idjte. vi. 34
Digitized by Google
530
Äaifer 3ojcpf) II.
bcr ©urg unb bcm ©djottentfjor jum abfdjrecfenben 93eifpiel Der-
brannt. Xie SBorfdjriften be3 oon 3°fcP*) angenommenen preujjifäen
3ofl- unb Sftautfjföftema mürben auf baä ©trengfte gefjanbfmbt, unb
ba bie Beamten fid) felbft bei bem geringften SBerfeljen einer fd)o*
nungälofen £>ärte auägefefct fafjen, bejubelten fie bie SReifenben,
meldje bie öfterreidnfdjc ©renje paffirten, faft wie SBerbredjer.
Um feinen Untertanen bezüglich ber (Entbehrung auälänbifdjer
<ßrobufte mit gutem SBeifpiel ooranjugefjen , oerfdjenfte 3ofeplj ade
in (einem ftoffeUer befinblidjen auälänbifdjen Söeine an ba& ßtanten-
l)au& unb geftattete auf feiner Xafel nur öfterreidufdje unb unga=
rifdje SBcine. 9ftd)t8beftomeniger mar bie Unjufriebenljeit unter ber
ÄaufmannSroelt , wie unter ben fonfumenten, eine allgemeine, unb
trofc ber beleljrenben patente, burd) roeldje ber $aifer feinen Unter*
tränen bie Söofylt&ärigfeit feiner Sftafjregeln einleucfftenb ju mausen
fudjte, erfdjoflen üon allen ©eiten bie lauteften flogen. 3n ber
Hiat 50g SRiemanb au£ bem bind) ba& ^olipatcnt gesoffenen
2J*onopole $Bortf)eil , als bie in Stoffe in Defterreid) einmanbernben
SluSlänber, ©nglänber, granjofen unb ©dHuei^er, bie in ben nad)
ber ßlofteraufqebung in großer 8a$l bon üjnen um einen ©pott-
preiä angefauften äloftergebäuben gobrifen anlegten unb meift
fd>led)te Söaare für fjofje greife oerfauften, moburd) oielc oon ilmen
in furjer ßeit SRiflionäre mürben.
$ie immermä^renben £ ämpfe unb ©orgen um baä gufammen*
galten unb ben gortbeftanb be3 öfterreidnfdjen £änbercomple|e3
Ratten ben ©efjerrföern Defterreid)* menig 3eit gclaffen, ben üßro*
buften= unb SBaarenüerfeljr ju Ijeben unb baburd) ben oon ber
sJiatur reid) gefegneten Zaubern großartige SrioerbSqueUen ju er*
fälie&en; batjer fanb Sofepf) auf biefem Gebiete SBielcÄ nod^u*
holen unb 511 oerbeffern. ©eine Bemühungen maren oor Mem
barauf gerietet, ben (Srjeugniffen feines £anbeS neue Slbfa&mege
3U eröffnen. Sßachbem er im 3ahre 1783 feinen burdj bie «er*
binbung mit föu&lanb gemonnenen (Sinflujj auf bie Pforte jum 2lb*
fajlufe eine« oortheilhaften ftanbelaoertragS mit berfelben benufct
hatte, burd) melden bie Eonau als #auptoerfehräftra&e erft ihre mahre
SBebeutung für ben §anbel Defterreichä erhielt, fua)te er burch einen
©emaltaft bie geffeln ju fprengen, bie bem nieberlänbiföen #anbel
burd) bie im meftfälifdjen grieben üon £>ottanb burchgefe&te ©per»
rung ber ©chelbe angelegt tuorben.
©<hon im 3a^re 1781 hatte 3ofeph bei einer SRcifc nach ben
ftieberlanben mit eigenen klugen gejehen, mie bie §oüänber, ge*
fa^ütt burc^ bad bei bem Utred)ter grieben in bem fogenannten
„Söarrieretraftat" erlangte ^ea)t ber öefe&ung oon ac^t nieber*
länbifajen fteftungen, fia) buraj i^ren $>anbel auf Soften ber vJlie*
berlänber bereicherten, unb bic* ^atte i^n ju bem Grntja)lug ge*
Digitized by Google
3ofej)f)S II. ftaatli^e Reformen in feinen (SrbWnbern. 531
fcradjt, ber föepublit bie ihr au« bem SBarrierentraftat erwachten*
t>en SBort^citc burd) bie Schleifung ber betreffenben geftungen jit
*ntreifeen , was er umfo leichter ausführen zu fönnen fjoffte , als
(Englanb im üorhergehenben 3ahre an #oflanb ben #rieg erflärt
r)atte. <$r lieg bemgemäfe an bie ©eneralftaaten bie 2lufforberung
ergeben, it)rc Söefafcungen aus ben nieberlänbifchen geftungen zurücf
^u jiefyen , ba er ftch bei {einer neulichen 91nwefenheit in ben 9he*
berlanben überzeugt, bafc eS auS Dielen ÖJrünben nicf)t zuträglich fei,
ade geftungen in benfelben beizubehalten, unb bähet bie ©djleifung
ber meiften berfelben angeorbnet habe. $ie ©eneralftaaten erhoben
^war @tnfprad)e gegen biefen ©ruch ber Verträge; fie fügten ftch
jeborf) , ba itjrc SBorftellungen oon ftaunifc für unbegrünbet erflärt
tourben , bem faiferlicheu SWachtfpruch , inbem fic ftch mit einer
biplomatifdjen SRechtSoerwahrung begnügten.
ßrmuthigt burd) bie £>ilfloftgfeit ber £>otIänber unb im Ver*
trauen auf ben SRucftjalt, ben er bei bem mit ifjm öerbünbeten
granfreich ju fhtben f>offte, befc^tog Sojeph, weiter ju gehen. *Rachs
bem er eine SReifye unbegrünbeter Sorberungen an bie RtyuHtl ge*
fteflt, liefe er im 3af>re 1784 ben ®eneralftaaten eröffnen, bafe er
bereit fei, biefelben inSgefammt gegen bie Aufhebung ber ©chelbe*
fperre fallen zu Iaffen. 25a bie $ollänber , bie in ber Deffnung
ber ©d)elbe ben Sftuin ihres £>anbclS erblichen, ftch weigerten, auf
biefen Vorfdjlag einzugehen, unb fich babei auf ihr oerbriefteS Stecht
beriefen, liefe er ihnen bie (Srftärung zugehen: „(£r betrachte bie
verlangte greiheit ber ©djelbe als eine bereits entfdjiebene ©ache
unb werbe jebeS $inbernife, baS man ber ©djifffahrt feiner Unter*
tränen auf biefem ©trome entgegenfefcen werbe, als offene geinb*
feligfett unb förmliche f riegSerflärung anfefjen unb ahnben."
Um bie SBirfung feiner Drohung $u erproben , berorbnete
3ojepb, bafe eine Brigantine Don Antwerpen bie ©djelbe hinunter
unb ein anbereS faiferlicheS ©dnff oon Dftenbe aus nach Slntmcroen
hinauf fahren folle, um in bie ©djelbe einzulaufen. ÖJcgen bie
Brigantine liefeen bie £>oflänber feuern unb nötigten fie zum fftud-
$uge; ba« anbere ©djiff aber brachten fie nach Vlieffingen auf.
3ofeph war jum Kriege entfchloffen ; aber bie öffentliche SJteinung
ergriff fo entfefneben für bie §ollffnber Partei, unb ßubwig XVI.
riett) feinem ©chwager fo bringenb zur ÜJcafeigung , bafe er ttorgog,
fid) mit ben ®eneralftaaten zu oerftänbigen , wozu granfreich feine
Vermittlung anbot, ©o f am ber Vertrag oon gontainebleau zu
©taube, in welchem 3<>feph Öc9cn ©umme oon zehu SWUüoncn
Bulben, bie zur £>alfte oon granfreich bezahlt würbe, unb bie N2lb*
tretung einiger hoflänbifchen ©renzftriche, fowie bie greigebung eine*
unbebeutenben X^cile* ber inneren ©djelbe auf alle anberen gor*
34*
Digitized by
532
ffaifcr Sofeph II.
berungen, inSbefonbere auf bie »erlangte ganjliche Aufhebung ber
©chelbefperre, Sßerji^t Iciftctc.
$5te gleite SSiUfür unb Ueberfrürjung, wie in ben jur Oförbc*
rung ber Snbuftrie unb beS <panbels getroffenen Maßregeln , trat
auch in ben Reformen 3ofephS bezüglich ber ©eredjtigfeitSpflege }U
$age. 3n ben oerfduebenen ^rooinjen OefterreichS hatte fi<h bic*
felbe nach ben jeweiligen 93ebürfntffen oerfdnebenartig geftaltet, unb
wenn auch in ben bieSbejüglichen GJefefcen unb Gepflogenheiten, wie
bieS ja bei allen menjchlichen Qnftitutionen ber Satt ift , manche
Langel lagen, fo war bod) jeber vjkooina ihr ererbtes 3uftijwefen
ef)rmürbig; man war baran gewinnt unb fanb fid) barin auredjt.
3o(epf)S £auptftreben war jeboch üon Anfang an auf bie ^erftel-
lung eine« (SinheitSftaateS gerietet, in welkem SlUeS, ofme
irgenb welche föürfficht auf bie (Sigentfn'imlichfeiten ber öerfdnebenen
Xrjetlc ber Monarchie, auf Slbfunft, (Spraye, Sitten, ®ulturtoer*
hältniffe unb bürgerliche SBerfaffung, oon einem gemeinfamen Littel*
pnnfte aus unb in oöUig gleicher SBeife, mit alleiniger Senufcung
ber beut(d)en Sprache als Gerichts* unb SBerwaltungSfprache , ge-
leitet werben folltc; batjer würben bie alten tfommunaloerfaffungen
in ©täbten unb Warften oernichtet unb #ürgermeifter , Richter,
Rathsherren unb ©tabtfehreiber , bie alle früher oon ber Commune
frei gewählt würben, burd) Regierungsbeamte erfefct. ©o War jebeS
©elbftgouüememcnt aufgehoben unb bie ®onftitution ber Sauber
unb ©täbte mit einem ©abläge gemaltfam gebrochen.
$urcf) bie Reformen , bie in bie peinliche GeridjtSorbnung
2ttaria J^crefia'S eingeführt würben , erwarb fid) 3°!cPh 9*°&e>
unleugbare SSerbienfte , inbem er aus berfelbcn bie garten unb
graufamen ©eftimmungen entfernte, bie als ein trauriger fRcft aus
barbarifchen 3ahrhunberten Don Dcr Äaifertn , wie oon allen
übrigen beutfehen Regierungen , noch beibehalten worben waren.
Söährenb betfpielsmeife nach btt ^hcrcPanM^n GerichtSorbnung
jebe oor faßliche unb wohlbebac^te Gotteslästerung mit bem
$luSretfjen unb Slbfdmeiben ber Bunge ober mit bem Abhauen ber
£anb, in beiben gäüen aber mit gleich barauffolgenbem Seuertobe
beftraft würbe , h*c& *S in bem Sofephiniföcn Gefejjbud) über
GotteSläfterung : „(Sin biefeS Verbrechens ©dmlbiger ift als ein
SBahnfinniger in einem Xoüfjaufe fo lange feft^uhalten , bis man
feiner Öefjerung oerfichert ift." $)ie ©trafgerichtSpflege würbe in
allen (Srblänbern , mit Ausnahme oon Ungarn , fechSunbfedjjig
^rimtnalgerichten übertragen , bie unter fecfjS SippeHationSgerichten
ftanben , oon welchen ber ißerurtheilte noch an bie oberfte 3uf^is
ftetle appefliren fonnte.
3nbeffen war 3°feP() xn feinen humani^rcn ©eftrebungen
nicht fonfequent. @r hatte bie XobcSftrafe abgerafft — ben ein*
Digitized by Google
3ofeph« II. ftaatlidje Reformen in feinen (Srblänbera, 533
jigen gaö beS öffentlichen 2lufrut)rS ausgenommen, auf melden bie
©träfe beS ©trangeS gefefct mar — unb bafür Gefängntgftrafen
eingeführt, bie burch ©tocffchläge unb QmangSarbetten oerfchärft
mürben. S)ie teueren beftanben ^auptfäc^Uc^ in bem ©djiffeieljen
auf ber $)onau unb in bem öffentlichen ©tragenfehren , mobei bie
©träflinge beiberlei GefchledjtS, jmei unb jtoei aneinanber gefettet,
in groben Kleibern unb mit furj gefchnittenen paaren bie ©tragen
tum SBien fäubern mußten. 3« &icfcr 3mangSarbeit mürben, nad)
bem Grunbfa&e gofcp^« r bag t>or bem Gefe&e Hße, ohne Unter*
fdjteb beS ©tanbeS, gleich feien, felbft ^erfonen öom r)öc^ftcn Stange
herangezogen, bie fich oft mit ben gemeinften Verbrechern jufammen*
gefettet faljen; eben baburd) fyMt jebodj bie mir fliehe Gleichheit
ber ©träfe auf, inbem bie äußerlich gleiche ©träfe bie höhten
©tänbe ungleich fernerer traf, als bie nieberen.
$)ie Unjufriebenheit , melche biefe Steuerung in ben höheren
unb mittleren ©tänben hervorrief, mürbe burch ben Umftanb ge*
ftetgert, bag 3ofeph, ftatt öon bem ihm juftehenben fechte ber $Be*
gnabigung ober ber ©trafmilberung Gebrauch ju machen , nicht
feiten fogar baS öon ben Gerichtshöfen feftgefefcte ©trafmag eigen*
mächtig üerfchärfte. texfytlt fcr)on baburch fein Sorgehen einen
ausgekrochenen Slnftrich oon Btllfür, fo mar bieS in noch meit
höherem Grabe ber gaH, als Sofeph, burch bie ßunahme ber fchme*
ren Verbrechen erfchreeft unb in feiner Anficht üon ber Entbehr*
lichfeit ber XobeSftrafe umgeftimmt, biefelbe plö&lich mieber ein*
führte unb jmar mit rücfmirfenber ftraft , fo bog bie Serbrecher
nach einem anberen Gefe&e gerichtet mürben, als bemjemgen, unter
melchem fte gefreoelt hatten.
SJcit mahrhaft lanbeSöäterlicher ©orgfalt nahm fich Sofept)
beS noch immer ferner gebrüeften VauernftanbeS an, unb bie &uf*
hebung ber Seibeigenfdjaft , bie er bei feiner Xhronbefteigung noch
in ben meiften öfterreichifchen Sßroötnjen oorfanb, bleibt fein un*
vergänglicher Stuhm. 5)aS faiferliche patent, baS ben Vauern bie
persönliche greiheit oerlieh , erfchien für fämmtliche öfterreidjifche
Ißroöinjen, mit Ausnahme üon Ungarn, im 3af)re 1782, für baS
le&tere Sanb brei Qahre fpäter. $urch biefeS patent mürbe ben
Don ber Seibeigenfchaft befreiten dauern zugleich baS Stecht juer*
fannt , über ben Grunb unb ©oben , ben ihnen bie Gutsherren
gegen angemeffene ®auffummen abtreten mugten, als über ihr recht*
mägigeS (Sigenthum frei ju oerfügen, ©cfmn im Qahre 1781 t)atte
er burch fein für bie öfterretchifch;böhmtfchen Sßroüinjen erlaffeneS
„Unterthanenpatent" ber SBiHfürherrfchaft ber Gutsherren über bie
dauern ein CSnbe gemalt, inbem er burch baSfelbe ben Sefcteren
baS Stecht juerfannt, ihre ©treithänbel mit ben fterrfchaften bor
Digitized by
534
Äaifer 3ofep$ II.
bic ftreisämter $u bringen, olme beren 3ufttmmung and) feine oon
ber (StotSfjerrfcfcaft »erhängte Strafe öottjogen merben burfte.
3ur |>ebung be3 2Bof)iftanbe3 unter ber ßanbbeöölferung führte
Sofepl), feinem ©runbfafce oon ber (5Keia)f)eit aller ©tänbe öor bent
(Sefefce getreu, eine gleidjmäfjige Steuerung be* ®runbe« unb
SBobenä ofme 9tücffia)t auf ben ©tanb beä ©efifcerS ein, $u melc&em
(Snbe er eine allgemeine Sermeffung ber <$runbftücfe unb eine ge*
naue 2lbfd)äfcung tfjreS (Ertrag* anorbnete, eine Arbeit, beren große
©djttrierigfeiten burd) bie @ile cr^ö^t würben, mit meldjer ber äaifer
bie ©ad>e burcfcgefütjrt miffen mollte. $a e* übertue* öielfaa) an
rüstigen unb re^tlia) gefinnten fieuten jur 9lu*fül)rung biefer Arbeit
fehlte, fiel fomot)l bie SÄeffung be* ©oben* al* aud) bie ©ajäfcung
be* Ertrags be*felben meift unrichtig au*, unb fo führten be* ®ai*
ferS toofjlmeinenbe 2lbfid)ten faum ju etma* Slnberem, al* ju ©treit
unb 9Ki6üergnügen, felbft bei ben SBauem, bie mitunter nad) bem
neuen ©uftem met)r jaulen mußten, al* nact) bem früheren.
$ie Unjufrieben^eit be* Slbel* über alle biefe, feine «ßrioile*
gien beeinträdjtigenben Neuerungen be* äaifer* mürbe erfjötjt burdj
bie Aufhebung ber gibeicommiffe, inbem babura) ber Neic&ttjum
ober boa? bie 2Sof)lImbenf)eit unb ba* Slnfefjen üteler gamilien jer*
ftört mürbe. ©in am 15. 9ftai 1785 über bie Snteftaterbfolge er*
laffene* ÖJefefo be^nte bie ©leid^eit be* (£rbred>t* für fämmtltdje
ÜJefdjmifter audj auf ben 2lbel au« für ben gaü, baß ber Srblaffer
entmeber gar fein ieftament ober ein ber gorm nad) ungiltige**
f)interlaffen t)abe.
Sludj ba* bi* baf)in Don ben abeltgen <5Jut*befifcern geübte SRcdjt,
auf ifjrem 23cfifctf)um ba* Nidjteramt $u oermalten, gleidwiel ob
pe juriftifdje ©tubien gemalt unb hierüber eine Prüfung btftmu
ben Ratten ober nidjt, mürbe ifjnen entzogen. Nur menn ber abelige
©runbbeftjjer ftubirt unb ein Giganten gemadjt fjattc, burfte er auf fei*
nem ©eftfctt)um Nedjt fpred&en; im anbern Sötte mußte er fid) ei-
nen geprüften Qufrijiär galten, ber jebodt) in feinen Urtfjeil*f prüfen
nidjt mefjr it)m, fonbem bem faiferlia^en 2lppetIation*gerid)te Oer*
antmortlid) mar.
3ür bie ^ebung be* 93olf*unterrid)te* forgte 3°fcP§ mit bem
anerfennen*mertf)eften (Sifer , f)auptfäd)lid) burdj eine bebeutenbe
SBermefyrung ber $olf*fd)ulen. $cr .pauptjmecf, ben er babei im
Sluge t)atte, mar bie Hebung be* Wtferbaue* unb be* ®emerbfleif}e*
burdj crt)ö^tc SBilbung, unb fomit bie görberung beffen, roa* if)tn
al* ber f)öa)fte ©taat*jmecf erfduen: SBermeljrung ber ^robuftion
unb $8olteaaf)f, (Erdung ber ©teuertraft unb in lefcter 3n^a"5
bie Sßerme|rung be* materiellen S8olf*mot)le*.
5)ie Einrichtungen, meiere ben t)öf)eren Set)ranftalten, haupt^
fäcf)lia} naa) ben ^at^fa^lagen be* greif)errn oon ©onnenfel* unb
Digitized by Google
Sofcph« II. ftaatltdje Reformen in feilten (Srbtanbem. 535
»an ©mietenS, gegeben mürben, berriethen ben redjnenben ©eift,
ber auch anf bem Gebiete ber ©ilbung für roenig ©elb mögftdjft
biel ju erlangen fudjt. Sie ßefjrer mürben, roic bie Semenben, burdj
frrenge Sontrole jum ©tubiren angehalten, Serien faft gar nicht
geftattet unb bermtttelft unabläffig mieberfchrenber Prüfungen bie
(£rgebniffe beS erteilten Unterrichts $u $uch gebraut.
Sa ©djule unb SBiffenfdjaft nach beS ßaiferS 2Tnftc^t nur
ba roaren, um bem (Staate brauchbare ©ubjefte ju Hefern, fanben
in ber Sorge, bie auf bie Pflege ber SBiffenfchaften bertoanbt mürbe,
nur biejenigen Steige ©erüdfichrigung, bie für ben ©taat einen
praftifdjen unb in bie STugen fpringenben SRufcen bringen tonnten.
Sie fpefulatiben unb bie frönen SBtffenfchaften gingen leer aus.
33ci ben Untoerfttäten, beren Qaty Sofeph auf brei — bie §u SGBien
unb ju $rag unb eine in ©alijien — rebucirt miffen mottte, mürbe
baS (SHaubenSbefenntniß unb ber bem apoftolifchen ©ruhte ju UU
ftenbe @ib beS ©ehorfamS abgefdjafft, melden teueren ©onnenfelS
in einem 23erid)te an ben $atfer für „ein Ueberbleibfet auS ber
Seit ber Sinfternifj unb ber römifcfjen Ufurpatton1' erWärt tjattc,
„baS nicht nur ben SSerftanb, fonbern aud) ben bürgerlichen ©e*
horfam beteibige." Ottern, maS für baS (Smporbringen ber Uniber*
fitäten gefc^ar), lag nur bie Mbjtdjt ju ©runbe, ben SanbcSfinbern
feinen 5(nla& ober SBormanb ju geben, auSmärtS $u ftubiren unb
baburch ©clb aus bem Sanbe ju fdjleppen.
Sie munberlichfte TOifcr)itng miberfprechenber ©runbfäfce jetgte
fich in Sofcp^S SBerorbnungen über bie greifet beS SBüchermefenS.
Sie ©efchränfungen, benen baS (Einbringen ausmärtiger unb baS
Druden ein^eimifc^er $8üd)er tro§ ber bon 9Waria Sfjerefia ge=
fchaffenen (Erleichterungen noch immer untertag, erfdjienen bem
®aifer hauptfächlich beßrjatb bermerfttch, roetf baburd) ein bebeuten*
ber S^eig beS 93erfef)rS beeinträchtigt mürbe ; auch münfehte er bem
bon ben SBortfüfjrern ber „Shtfflärung" gestellten Serlangen nach
ßefe* unb Srudfreit)eit Genüge ju teiften : um aber ju ber hüten,
baj? burch ben Slnfauf auswärtiger 33ücr)cr afljubiel baareS ©etb
aus bem ßanbe gehe, mürbe ber 9tad)brud berfelben geftattet, ob-
gteich Sofeph fetbft als SReichSoberhaupt bieten Tutoren ober 93er-
tegern ©chufcbriefe gegen ben 9fcachbrud berliehen t)attc. HtS bie*
felben über bie SBerlefcung biefer ©chufcbriefe 93cfd)merbe führten,
erhielten fie ben SBefcheib, ba§ bie faif erliefen ^ribilegien ftch nur
auf bie nichtöfterreichifchen fiänber belögen unb in biefen aufrecht
erhalten merben fottten. Qnbeffen mürbe, um baS *ßublifum bor
fchäbtidjer Seftüre ju fdjüfcen, unter Aufhebung ber bisherigen
(Eenfurfommtffionen in ben $robin$en, eine „$üchercenfur*|)aupt~
fommiffion" in SBien gegrünbet, meldjer alle SBerfe bon eini*
ger S3ebeutung jur Prüfung unterbreitet merben mußten. Sagegen
Digitized by Google
536
ftaifer 3ofeph II.
foHten ®ritifen, wenn fte nur feine eigentlichen ©chmäh fünften
feien, nicht oerboten fein, befonberS wenn ber 93erfa(fer feinen 9ca=
men baju bruefen loffe unb fich alfo für bie SBahrheit ber ©aetje
berbürge , „ba e$ Sebent , ber bie SBahrheit Hebe , eine greube
fein müffe, wenn fte ihm auch auf biefem SBege aufomme."
3ofeph hatte babei bie fcbftcht, über feine Beamten aller klaffen
eine ©ontrole einzuführen, bie er nicht ju bejahen brause, unb
gab ftcr) fetbft, um fein Oefccjrei hierüber auffommen ju laffen, ben
iöücherfchreibern preis, in ber fixeren Grrmartung, bafi man an
ir)it ftd) nicht wagen ober an ihm 9eid)tS ju tabeln finben werbe.
3n biefer (Erwartung far) er ftdj jeboch getaufa^t, unb bie Ungebun*
benheit, mit melier bie SBiener treffe fid) gegen it)n fetbft wanbte,
üeranlafjte it)n ju oerfduebenen ©egenmafjregeln , bie jeboch wenig
(Sxfolg Ratten.
Obgleich 3ofcpt) auf bie beutfdje Siteratur triebt mit ber glei-
chen ©eringf^äfeung fjerabblitfte, wie Sriebria^ II., unb baS $5eutfche
ungleich nötiger fpradj unb fdjrieb, als biefer, fo fdjenfte boer) auch
er bem ®eiftesleben feiner Nation , baS fidt) gerabe ju feiner &tit
immer bebeutfamer entfaltete , faum irgenb welche Wufmerffamfeit,
nicht nur, weil es ihm baju an Qtit gebrach, fonbern auch, e*
ihm jur SBürbigung beS beutfdjen ©cbrifttlmmS an allem ©inn für
$oefie unb $unft fehlte, ©teilte er bod) einmal ben gefammten
©uchhanbel in feinet ©chäfoung unter ben ßäfehanbet, »eil biefer
mehr (Selb inS £anb bringe.
93et feinem SBeftreben, alle feine Untertanen ju nützlichen
Staatsbürgern ju machen , mußte ber Äaifer mit feinen Reformen
notrjwenbigerweife auch an bie Quben fytxanixtUn , gegen welche
SJcaria %tyxtf\af nicht au* 9teligtonSb,a6, ber ihrem eblen $er$en
burdjauS fremb mar, fonbern mit föücfficht auf bie foctale ©teHung
berfclben ben (Jhnften gegenüber, berfduebene befdjränfenbe SSerfü*
gungen erlaffen hotte. $iefe ©efchranfungen hob 3[ofeph burd) eine
SReirje bon ©eftimmungen auf, burd) welche bie 3uben bem ©taate
als SJcitarbeiter an bem materiellen ®efammtwohl einberleibt wer=
ben füllten. @S foöte ben 3uben fortan geftattet fein, ihre S'inber
in bie öffentlichen ©chulen ju fcr)icfcn , fie ju öffentlichen Remtern
heranbilden ju laffen , Sabrüen anzulegen unb Sanbgüter ju pach-
ten ; bagegen würbe ihnen jeboch bie Verpflichtung auferlegt, beutfdje
tarnen anzunehmen, in ihren ©unagogen fich ber beutfehen ©pradje
$u bebienen, SJcilitärbienfte ju thun unb bei ber ßanbwirthfchaft
unb in ben gabrifen nur jübiföe Arbeiter anzunehmen, bamit baS
ber £>anbarbett abgeneigte jübifche 93olf mehr unb mehr für biefelbe
gewonnen werbe, tiefer lefctere 3wed, ber bem $ai}er bor Willem
am ^erjen lag, würbe jeboch in feiner SBeife erreicht: bie 3uben
blieben bei ihren alten Jöefchäftiguugen , brängten fich <*&er überall
Digitized by Google
3ofepf)8 II. Krdjlidje Steuerungen. 537
bor unb fudjten ftdj oder letzteren CrtDerbdquellett ouf Soften ber
(Sfjriften fo fehr gu bemächtigen , bog ber ßaifer fich veranlagt fah,
in tuclen 3äü*en gegen ba» Ueberwuchern be» jübifchen Elemente*
einjufchreiten.
$ie #umanität»anft alten, bie 3ofej>h II. bei feiner Keife nach
granfreich in $ari» fennen gelernt, Ratten in feinem eblen $er$eri
ben ©ebanfen angeregt, in SBien ö^nltc^e ©djöpfungen in» Seben
ju rufen, unb mit feinem gewohnten (£ifer legte er rafcb 4>anb an»
SBerf. ©o errichtete er, nach bem SBorbtlbe be» $arifer Hötel-Dieu,
ein allgemeine» ftranfenhau», mit welchem ein X^urm für ®eifte»*
franfe, ber fogenannte „Narrenthurm," fowie ein Siefens uitb ein
gtnbeihau» oerbunben würbe. Äudj grünbete er eine ^ochfdjule für
TOIttarärjte, bog fogenannte „gofepfunum," woburch er ber SBohl*
tr)ater ber im Kriege oerwunbeten ober fonft erfranften ©olbaten
Würbe, bie früher ben fogenannten „gelbfdjeerern" überlaffen ge*
blieben waren, unb im 3al)re 1784 ein Xaubftummeninftitut , für
Welche» ihm ber Srfinber be» Xaubftummenunterrichte» , ber be*
rühmte Wbb6 be V&p6t, ben er perfönlich in $ari» fennen gelernt,
in ber $erfon be» SBeltyrtefter» 3°§ann e^nen tüchtigen 2)i*
reftor au»gebilbet hatte.
3ofe*>f)3 II. ftrdfcjltthe Neuerungen.
£atte Sofep^S reformatorifche X^ätigfeit fchon auf bem <$e*
biete be» ftaatlichen unb gefeüfchaftlichen 8eben3, trofc einzelner
burch biefelbe gesoffener unleugbarer SBerbefferungen , mehr ©dm»
ben al» Nufeen geftiftet, fo waren feine Neuerungen auf firchlichem
Gebiete für ben öftemidjifchen ©taat gerabeju Derberblich. 3)er
®aifer war jwar fein fjeinb ber Kirche, wie bie SEBortführer ber
Slufflärung , auch fein S3eräd)ter be» S^riftent^um» , wie Stieb«
rieh II. ; aber ber (Sinflufi ber Seitftrömung , unter welcher er auf»
gewac^fen war, r)atte fein Urtheil getrübt, unb bei feinem gänzlichen
Langel an tieferer JBilbuug waren it)m bie eigentlichen QitU ber
ftrdjenfeinbticften ^ß^ilofop^ie unb ©taat»funft, bie er jur Ü^ic^tfc^nur
feiner Negententhätigfeit nahm, oerborgen geblieben. (£r wät)nte
burch feine ftrcr)Iicf)en Neuerungen nur Stäben zu tytien unb 9Äi6=
brauche auszurotten , bie mit bem SSefen ber Religion Nicht» ge-
mein hatten, aber ba» SBohl be» ©taate» beeinträchtigten, unb beß*
hulb hielt er fich für berechtigt, eigenmächtig unb mit ber rücf ficht»*
lofeften (Sntfchiebenheit in bie firc^Iic^en SBerhältniffe feiner ßänber
einzugreifen.
©djon unter SNaria Xherejxa hatten bie JJbeen be» gebroniu»,
burch £aumfe, oan ©wieten unb anbere Anhänger ber Slufflärung be*
Digitized by Google
538
ffaifer Sofeph II.
günftigt, in Defterreich (Singang gefunben; bie fachliche (Sefinnung
bcr ßaiferin mar jebodj jebem offenen Angriff auf ben apoftolifchen
©tuhl ^emmenb in ben SBeg getreten, #aum war inbeffen Qofept)
in ben Söcftfe ber Sjerrfcfmft gelangt, als er feine föegententhatigfeit,
bie nach feinem eigenen SfaSfprudje junächft in „ber (£rf>ebung ber
^{)ilofop^ie jur <S>efefcgeberin feiner «Staaten" beftehen foöte , mit
ber ooUftönbigen Umgestaltung be« fttrchenmefenS nach ben ©mnb=
fäfcen ber falfdjen Reformer eröffnete, ©eine Neuerungen auf bem firch=
liefen (Miete, bei benen er nicht nur burch bie religionSfeinblichen
©chriftfteller unb inäbefonbere burch bie Freimaurer , fonbem auch
burch einjelne ber IHrdje entfrembete ©eiftliche geleitet unb unter=
ftfifct mürbe, galten ber #eranbilbung be3 £leru&, bem Serhältniffe
Defterreichä jum päpftlichen ©rut)le, bem ßloftermefen, ber einriß
tung be£ GJotteSbienfteS unb ben firchlichen Gebräuchen.
Um einen ben b,errfa^enben sInfid)ten bienftbaren Klerus heran*
jubilben, mußten bie tfjeologifdjen Sehranftalten gänjlich ber bifdjöf*
liehen Slufficht entjogen merben. 3" biefem <£nbe mürben bie bifchöf*
liefen ©eminarien aufgehoben unb fogenannte „(Beneralf eminarien"
gegrünbet , bie aufcfchließlich ber Seitung unb Slufficht be« ©taateS
unterftanben unb beren ganjer Sehr* unb SrjiehungSplan fwupt*
fächlich barauf gerietet mar, bie Alumnen ju guten „©taat36ürgern"
heranjubilben. $ei ber SBa^l ber föeftoren unb ^ßrofefforen, meldje
in benfelben bie (Sraiefjung be3 ßleruä leiten foQten, waren öan
©mieten unb ber greifen: oon Jfreßl bie einflußreichen 9latr)geber
beä ÄaiferS , unb 93eibe machten menig 4>et)l barauS , baß e3 in
ihrer Slbficht lag, bie Ideologen nach ben ©runbfäfcen öon 9touffeau'ä
„Contrat social a erziehen §u laffen.
2lu3 bem ganzen Sehrplan ber (Seneralfeminarien ging beutlich
heroor, baß biefelben be* fatholifchen ©fwrafterä ooKftanbig ent*
fleibet merben unb nichts Wnbereä fein füllten, als $lbricf)tung3*
anftaltcn für ben ©taatäjmecf. ©o ^eißt eä in einer ©teile beS
^Reglements, in roeldjer oon „ber Religion beS (EfjrtftuS" bie SRete
ift : „$)ie 2)iencr biefer Religion müffen oor s211Iem nach ben magren
©runbfäfcen beS ©ofrateS erjogen merben." S)ie Sieftoren unb
^rofefforen maren angemiefen: „bei ber $)arftellung ber ftufenmeife
gefdjebennt SBeröolIfommnung beS gef eHf d^af tlic^en bebend befonberS
auf bie f. f. ©taaten bie Slnmenbung ju machen unb ben Alumnen
ba£ ©lucf, in biefen ©taaten ju leben, anS #erj ju legen unb ben
3öglingen feine anberen Set)ren unb Pflichten aufzubringen, als
meldte aus ber ^eiligen ©djrift, ben Sötern .unb anberen lanbeS*
herrlichen unb firdjlidjen SBerorbnungen hergeleitet merben." 9lHe
Sehr* unb Sefebücher mürben oom ©taate oorgefchrieben unb bie
SBahl fiel üorjugSmeife auf proteftantifche. 2ftit SRedjt bemerft
Ih^iner : „$ann es befremben ober jmeifelhaft fein, baß eine (Er*
Digitized by Google
Sojcp&S II. ftrdjltdje Neuerungen.
539
jiehung ber fatfjoltfchen Qugenb nach foldjen ÖJrunbfäfcen jum $ajj
gegen bie fatfjolifdje Kirche, jur Vernichtung alle* pofitiöen Triften*
tfmm* unb §um Unglauben führte?"
35amit biejenigen Alumnen, bie ben in ben ©eneralfeminarien
gepflegten ©eift nicht öoflftänbig in fich aufgenommen, öon ben firdj*
liehen Remtern fem gehalten würben, burften bie SBifchöfe nur foldje
ftanbibaten ju ^rieftern meinen, bie ihnen jugefchieft mürben.
SBte bei allen anbem SRegierungSangelegenfjeiten, fo wollte ber
$aifer auch in ^Betreff ber ©eneratfeminarien Alle* fclbft leiten unb
überwachen, obgleich it)m für bie ganje Angelegenheit jebe* Ver^
ftänbnifj abging. 2Bie fct)r er fich babei in ®leinlichfeiten öerlor,
beroeift bie nachfolgcnbe , öon it)m felbft getroffene ©eftimmung :
„233a* ba* ©arbieren anbelangt, foflen alle ©emtnariften fich felbft
barbieren unb alfo bafür ÜRicht* gejagt werben; ber ungefchieft ift,
ba§ er e* nicht erlernt, foU ben SBarbier au* feinem ©äcfel be=
johlen."
Um ben päpftlichen (Sinflug auf bie firc^Iic^cn Angelegenheiten
im 3ntereffe ber Dmnipotenj be* Staate* $u öernichten, würbe
nach ben öon Sebroniu* aufgeteilten ©runbfäfcen ein ßirchenrecht
au*gebilbet, nach welchem ber Verfehr ber ©ifchöfe mit bem römi*
fchen ©tuttfe tt)eil* gänzlich öerboten , tfjeil* einer ftaatlidjen (£on>
tote unterfteflt würbe , öermittelft beren in jebem beliebigen Salle
bie ©inwirfung be* Zapfte* abgefchnitten werben fonnte. Alle
päpftlichen Süllen, SBreöen ober fonftigen Srlaffe mußten öor ihrer
SBerfünbigung ber weltlichen £anbe*behörbe öorgelegt werben, unb
ihre 39efanntmachung burfte nur nach erfolgter afterhöchfter ©eneh*
wigung gefchehen. Auch für bie SBerfünbigung öon «Hirtenbriefen
unb bischöflichen Verorbnungen jeber Art mufjte bie ftaatltdie CSr-
laubnijj eingeholt werben. Xie ben SBijdjöfen öon bem päpftlichen
©tuhle erteilten $)i*penfation*red)te würben für aufgehoben erflärt ;
bagegen füllten bie Söifchöfe gehalten fein, öon ben firchlichcn @hCs
hinberniffen , beren geftftedung ber $aifer al* ein au*fchließliche*
Siecht be* ©taate* in Anfpruch nahm, au* eigener 93^act)t gegen
eine mäfjtge Xaje ju bi*penjtren. Qu ben 93tfchof*ftühlen würben
nur Solche jugelaffen , beren unbebingte Unterwerfung unter bie
bereits erlaffenen ober noch ju erlaffenben ftaatlichen Verorbnungen
in firchlichen Angelegenheiten jum Vorau* erprobt worben war, unb bie
Verleihung öon *Bi*thümern würbe au*brücflich als eine ^Belohnung
öon ©eiten be* ftaifer* bezeichnet. Vor ihrer (£onfefration muß*
ten bie neu ernannten Vifchöfe in bie &änbe be* 2anbe*präfibenten
ben £mlbigung*eib ablegen. Tic Annahme eine* öom $apfte öer*
liehenen Xitel* ohne öorau*gegangene lanbe*herrliche Genehmigung
war auf ba* ©trengfte öerboten. £ie Verwaltung, be* IHrchenöermögen*
Digitized by
540
ffaifer %o\tpf) II.
jog bcr ©taat an ftdt), ohne
u aeftatten.
• min
•
Im'
tent
bcn ©ifcfjöfen noch irgenb meldje
3ofeph« greller ju Xage, al« bei feinen iHofterauft)ebungen. SBenn
bem ^atfer bie 3aftf ber Älöftcr in Defterreich alft eine $u große
unb eine föebuftion berfetben ihm toünfchen«merth erfduen, fo mußte
er feine beßfallfigen SBünfche bem Dberhaupte ber ftirdje öortragen
unb bie ihm nott)menbig fcheinenben Seränberungen burdj ba«felbe
vornehmen Iaffen. Sugteich mußte auch auf bie rechtmäßigen 33cftfecrf
fomie auf bie Stifter, toeldje biefe STnftalten teftamentarifch gegrün-
det, unb auf bie ©ttftbriefe, in melden biefelben it)ren SBillen für
t>ie ftacfimelt niebergeregt , gebüt)renbe fRücfftc^t genommen ioerben.
Son aUebem gefchat) jebodj 9hcht« : ben gorberungen ber ©ereefc
tigfeit mürbe ebenfomenig ^ea^nung getragen, als benen ber Billig*
feit ; ba« Sorget)en 3ofept)3 war einfeitig , gehmttfara , rücfficht«lo«
unb in einzelnen gäflen fogar graufam, menn aud) Siele«, ma« in
biefer Beziehung bei ben fflofteraufgebungen gefaxt), nicht fomohl
Um tfaifer felbft, al« feinen tt)etl« fanatifchen , theit« ^abfüdjrigen
Beamten jur Saft gelegt merben muß. 2Tn fünfeigtaufenb ^erjonen,
bie in ber 6titte ber IHofteraefle einem felbft gemähten Berufe
lebten unb in bemfelben tt)re Sefriebigung fanben, mürben au« ben
aufgehobenen Älöftern mit einem fpärlich jugemeffenen 3at)re«ge!jatt
in bie SBelt prüdfgeftoßen, ber Siele oon it)nen ooflftänbig entfrem*
bet maren. $)ie ßobrebner ber Reformen 3ofcPh& fugten jmar ba«
®et)affige biefer ÜJtoßregel burdj bie Set)auptung ju befeitigen, baß
bie meiften Sftömhe unb Tonnen froh feiert , ben büfteren Softer*
mauern entriffen ju fein; bie 2luft)ebung«urfunben bemeifen jeboch
«ntfehieben ba« ©egentt)eil.
$em ftaifer lag jmar ber ©ebanfe fern, au« bem Serfaufe ber
$Toftergfiter irgenbmie eigenen Sortt)eiI ju jiet)en; ber (£rlö« ber*
felben mürbe öielmehr jur ©rünbung eine« fogenannten „Religion«*
fonb«" üermenbet, ber $u ftrc^(idt)eri unb oermanbten Qwtdtn : jur
(SJrünbung neuer Pfarren unb befferer $)otirung ber ärmeren , jur
(Srridjtung oon ^ßriefterfemtnarien, «Schulen, 2Bohtthätigteit«anftalten
u. bgl., benufct merben foüte. Slber eine«theit« mürbe ber mirfliche,
Iiegenbe, reale Sefifc burch bie Ummanblung be« größten ZfytiU ber
erhielten ftauffummen in ©taat«fchulbenpapiergelb ferner gefchäbigt,
unb anbererfeit« famen bei ber Seräußerung be« ftloftergute« fo
foloffale Serfdjleuberungen unb 5)efraubationen üor, baß ein großer
be« ®lofteroermögen« baburdj Oerloren ging.
Su biefer fchmermiegenben ©djäbigung ber materieflen 3ntereffen
ber ©cfammtheit fam ber nicht minber fchtoermiegenbe Serluft fo
oieler Sortheile, melche bie aufgehobenen Älöfter in«befonbere ben
ärmeren Solteflaffen gemährt hatten. 2Sie oon einer IHofterpforte
Digitized by Google
Sofeph« IL fir<f)Hdje Neuerungen.
■
541
fein #ungernber ungefättigt fortgefdjicft mürbe, fo Ratten zahlreiche
unbemittelte ©Item in ben ßlofterfdjulen (Gelegenheit gefunben , bie
Xalente ihrer ©öhne für einen höheren ÖebenSberuf ofme Soften
ausüben laffen, mie auch anbererfeitS bie grauenflöfter fixere
3uflucf>t«ftätten für unoerheirathete Softer be3 ehrbaren chriftüchen
SBolfeS gemefen maren.
$aä am 12. ganuar 1782 erlaffene ®lofteraufhebung3berrct
3ofepf)3 II. traf ade biejenigen geiftltdjen ©enoffenfehaften , „bie
jum heften beä SRächften unb ber ©efellfchaft nichts SitfjtbareS bei*
trügen," alfo alle befdjaulidjen Orben. diejenigen ®löfter, meldje
megen ihrer unüerfennbaren 9^üfclic^feitf befonberS für bie ftranfen»
pflege, nicht mofjl ju entbehren maren, blieben jum grö&ten
bon ber Aufhebung öerfchont; boc^ mürbe auch ihnen ber Sebent
nero burchfdmitten, inbem nicht nur aller 3ufammenhang ber öfter*
reidjifcfjen Softer mit benen beS SluSlanbeS aufgehoben, fonbern
auch bie Aufnahme neuer SJcitglieber tum ber jebeSmaligen ©eneh5
migung ber Regierung abhängig gemalt unb burch bie SBeftimmung,
ba§ bie Obern nur für eine befchränfte Qtit gemäht merben burf*
ten, bie £anbhabung ber Drbnung erfcr>tDert unb ber Verfaß ber
flöfterlidjen Sucht ftoftematifch borbereitet würbe. durch alle biefe
SKa®eln mürbe nicht nur baS S^ec^t ber Kirche, ÖJefellf haften ju
bilben, bie ihrem ©eifte unb ihren ©efefcen entsprachen, gemaltfam
bemühtet, fonbern auch bie bürgerliche 5rcir>ctt beeinträchtigt f fraft
beren Qebem bie SSafjl einer feinem Sebenäjroecfe entfpredjenben
SebenSmeife juftehen mufj, infofern burdj btefetbe bie fechte Slnberer
nicht berffirjt merben.
3m3ahre 1783 erlieg Sofeph eine ausführliche „(BotteSbienft*
orbnung," an meldte fich fämmtliche ©eelf orger in allen Grrblanben
bei ©träfe galten mu&ten. durch biefelbe mürben alle gotteS*
bienftlichen (Gebräuche bon ©taatsmegen geregelt, (lebete, Sitaneien
unb lieber auf ba$ (Genauefte borgefchrieben , alle Kongregationen
unb 33ruberfd)aften aufgehoben, bie ^ßrojefftonen verboten unb bie
Wallfahrten tfjcüi gänzlich unterfagt, theilS burch befchränfenbe
SBeftimmungen fehr erfchmert. der ©lan$ beS ÄuItuS mürbe au*
©parfamfeitSgrünben auf ba£ geringfte 3tta& befct)ränft unb fogar
bie Slnjahl ber ^er^en beftimmt, melche auf bem Slltare angejünbet
»erben burften, auch ocr Abbruch bon Elitären unb Wallfahrte
Ürchen oerfügt.
SRoct) größere Unjufriebenheit , als biefe tief in baS religiöfe
Seben beS SBolfeS einfdmeibenben Neuerungen , erregte Qofepr)^
„öeerbigungägefejj," nach melchem feinerlei Söegräbniffe in SHrchen
unb Prüften mehr geftattet fein unb ju möglichfter SBefchränfung
beä SöebürfntffeS größerer griebhofSraume , „bie tobten Körper, um
fie befto gefchminber ber SSermefung aufführen, mit #alf gleich *n
Digitized by Google
542
Äoifcr SofeM II.
ben Xobtentruhen genugfam beftreut »erben fottten." &1* Don aßen
Seiten Berichte über ben Unfeinen einliefen, ben biefe jebe ffifirf*
ficht auf bie djriftlidje <ßietät außer «cht laffenben SBeftimmungen
herborgerufen , berfchärfte ber heftig erzürnte flaifer ba* erlaffene
©efefe noch burdj bie Verfügung, ba& fortan bie tobten Körper,
olmc föücfficht auf ben ©tanb ber SBerftorbenen , in ßeinmanbfäcfe
eingenäht unb ohne Iruhen in fed>3 ©a^ub, tiefe ©ruben gelegt unb
attba mit ftalf beworfen »erben foHten.
$iefe neue Öerorbnung rief in allen $robinjen einen folgen
©türm ber @ntrfijrung t)erbor , ba& Sofeph bie ftotfjwenbigfeit beä
QHnlenfen3 erfannte. (5r nafjm bie getroffene Verfügung jurücf,
tonnte jeboch nicht umtun, in bem bieäbeöügtidjen (£rla& feinem
Unioiaen burch bie fpöttifaje Söeinerfung Suft ju machen: „(Srmotle
feinen SDfenfchen jttungen, vernünftig ju fein, unb fo möge ein
3eber, wa* bie Iru^e anbelange, frei tlnm, maS er für feinen
tobten Körper im S3orau3 für baä «ngenehmfte halte." $er ©runb,
ber Hm §u ber Slnorbnung ber neuen öegräbni&art beftimmt hatte,
lag allein in feiner ©udjt, bie herrfchenben Sßrinjipien ber SfcahonaU
öfonomte nach öden Dichtungen hin jur ©eltung ju bringen. $)urch
bie SBefchränfung ber griebhofäräume follte bem gelbbau weniger
#oben entzogen unb burch bie (£rfparni& beS für bie ©arge
ttötfugen $ol$e3 eine größere Schonung ber SBalber herbeigeführt
toerben.
Söährenb 3ofeph bei allen biefen Neuerungen gegen bie fatho*
lifcfje #trd)e bie äu&erfte 3ntolerana an ben Xag legte, machte
<x au« ber $ulbung aller c^riftüc^en 93efenntniffe in feinen
©taaten einen feiner oberften sJtegierung$gruub)äfce unb bet^ätigte
biefen ÖJrunbfajj burdt) ein am 22. 3uni 1781 erlaffene* „Xolerana*
«bift," burd) welche« ben Anhängern be3 lut^crifc^cn unb refor*
mirten SBefenntniffeä fotoic ben nicht unirten ©rieben bie freie
Uebung ihres ©otteäbienfteS , bie Erbauung oon ©ethhäufern , bodj
o^ne %$\vtmt unb ÖJlocfen, ber ©ib nach ber Jöorfdjrift ihres S8t~
fenntnijfeS, bie Erlangung bon ^Bürger* unb ÜJcetfterrechten unb
ber Sutritt ju allen bürgerlichen unb militärifchen Remtern juge*
fagt mürbe, öilbete biefeS Xoleranjebift fdjon einen feltfamen
(Xontraft mit ben in proteftantifdjen Öänbern bamals noch beftefjen*
ben SroangSgefejjcn gegen bie Sl atljolifen , jo mürbe es au&erbem
noch vielfach jur 4>erabroürbigung ber Hüdje ausgebeutet. (Sine
nicht geringe «njahl oon Slfatholifen erblichen in ber oon 3ojeph
proflamirten ©eiuiffenSfreiheit einen Jreibrief 3U 3njulten aller Slrt
■gegen bie $atholifen unb gingen barin fo roett, baö 3ojeph bie
NJiott;tucnbtgfcit erfannte, ein auSbrücflidjeS Verbot gegen jolche
«uSjchreitungen $u erlaffen. ©elbft ber $roteftant sJtam*t)om
fagt : „Öeiber rntjehte fidj nur ju balb ^u ber h^h^n 5«ube, welche
Digitized by Google
3ofej>f>3 II. finfjlicfje Neuerungen.
543
mit Recht bie SIfatholifen über bic ilmen jugeftonbene greiheit an
ben Xag legten, 2lnma&ung unb Uebermutt), ber fogar in bie un*
anftänbigften ©eleibigungen gegen bie ©efenner ber bominanten Re»
ligion (bie Statholifen) ausartete unb eine 9Jcenge höchft ärgerlicher
Auftritte herborrief. nun aber ber faifer aurf) hiergegen eiferte
unb alsbalb auch mehrere fein erfte« Xoteranjpatent ergänjenbe 93er*
orbnungen erliefe, mobura) fcheinbar ben Slfatholtfen erft gewährte
greiheiten unb Vorzüge theilweife wieber genommen ttmrben , fo
fchrien auch fie wieber über Unbulbfamfeit unb Ungeredjtigfeit."
©ine anbere oon bem #aifer nicht oorhergefehene golge be«
Xoleranzebiftä log barin , baß Viele , bie ihrem Glauben längft
entfrembet waren, fich offen oon ber Äira^e loäfagten, in ber SfleU
nung, fid) baburch ber faiferlichcn @nabe ju empfehlen, eine 9M*
nung, gegen welche 3ofeph fid) öffentlich unb nachbrücflichft zu Oer*
wahren für nötyig fanb.
Von bem Xoleranzebifte ausgenommen waren afle ßonfeffionS*
lofen, namentlich bie böhmifchen „Reiften* ober „Slbrafjamiten",
eine au« Ueberreften beS alten ^ufitentfjumä ^vorgegangene Re*
ligionäpartei , welche baä ÖJeheimnifj ber fjciligftcn $reieinigfeü
läugnete, 3efum für einen gewöhnlichen ÜJcenfdjen erflärte, bie
ßeljre oon feinem Verföhnungätobe oerwarf unb oon Saufe unb
S(benbmat)l als unnötigen Zeremonien Richte miffen wollte. Sin
faiferliche* (Sbift öom 19. ttuguft 1786 oerfügte, bafc alle Seiften,
bie fiel) weigern mürben, $u einer ber gebulbeten Religionen über*
zutreten, i^r Vermögen oerlieren unb nach bem Vanate übergeführt
werben füllten.
3)ie meiften öfterretd)ifct)en Prälaten waren fchwadj genug, bie
fird)Uct)en Neuerungen 3ofeph3 fa)n)eigenb hinzunehmen ; einige
liegen fich fogar herbei, biejelben zu oertheibigen ; nur wenige, wie
ber Äarbinal ÜJcigazji , <£rz&ifä°f oon SBien , ber Surft <£ fter^ajo,
(Sr^bifchof oon Slgram, ber (Srzbifchof Vatt)üani oon ©ran unb ber
©raf ©bling, ©rzbijchof Oon ©örZr hatten ben 3Hulh, al4 S3ertc>et*
biger ber Rechte ber ftHrd)e aufzutreten unb bem tfaifer bie ein«
bringlichften Vorftellungen ju machen; ihre ^Bemühungen, bem Ver*
ber ben (£iu halt zu tt)un , hatten jeborf) nicht ben geringfte« (Erfolg
unb gaben nur bem Äaifer Veranlaffung zu einer äufcerft unwür*
bigen Veljanblung ber proteftirenben Vijchöfe. (Sbenfowenig iöcrücf =
fichtigung, ald bie Vorstellungen ber öfterreichil'chen Prälaten, fanben
bie entften SBarnungen bed ihirfürften Ziemend 2Sence3(auä oon
Xrier, eines Sohne* 2luguft£ III. oon @ad)fen, bie oon bem $ai?
fer fet)r übel aufgenommen unb in einer ben 2lnftanb oerlefcenben
Sfleife zurüdgemiefen würben.
Sa auch bie nadjbrüdlichcn Ermahnungen unb Vorftellungen,
bie Sßapft $iuä VI. in mehreren eigenhänbigen Schreiben an ben
Digitized by Google
544
Jfaifer %o\cpf) IL
föaifer gerichtet, bicfcn nid)t jur Burücfnahme feiner fird)enfeinb=
liehen (Srlaffe ^atte bewegen tonnen, entfc^Iog fid) berfelbe, trofc
feinet öorgerücften 9llterS unb feiner fdjwadjen ©efunbheit, felbft
nad) Söien ju reifen, in ber Jpoffnung, burd) eine perfönlict)e 93e
fpredmng mit Qofeph beffere drfolge ju erzielen. $)er Äaifer, bem
biefer (£ntfchlu& beS SßapfteS äu§erft ungelegen tarn, fudjte ber
Ausführung beSfelben burd) bie Anbeutung üorjubeugen, ba& er
felbft in ber &ür&e nad) SRom ju tommen beabfid)tige ; allein
$iuS VI. beharrte bei bem, maS er als oberfter $irte ber ©Triften*
heit für feine Pflicht hielt, unb traf, nadjbem er auf feiner ganzen
9leife öon bem fatholifdjen SBolfc mit bem begeiftertften 3ubel bt-
grü&t morben, am 22. Sflärj 1782 in ^Begleitung beS ßaiferS, ber
ihm mit feinem ©ruber, bem Grrjherjog SJtarünilian, einige leiten
weit entgegen gefahren, in ber öfterreidnfehen ©auptftabt ein, wo
in ber ftofburg bie früher öon 3Raria X^erepa bewohnten äimmer
für ihn ^ergeriajtet morben waren.
3n 2Bien waren aus ber ganzen Umgegenb bis auf weite
(Entfernungen J>in fo öiele 3ttenfchen jufammengeftrömt, baß bie
3at)i derjenigen, bie in ben ©tragen unb auf ben Ißläfcen ber An*
fünft beS ^ßapfteS darrten, auf mehr als jmeimalhunberttaufenb gefdjäfct
würbe unb man wegen ber nötigen ßebenSmittel für bie ungeheuere
9flenfd)enmenge bejorgt mar. vJ*ad)bem <ßiuS VI. unter bem nicht
enben mollenben Qubel beS JBolfeS in bie &ofburg eingefahren mar, be=
ga6 er fich alsbalb nad) ber ehemaligen gefuitenfirdje am £ofplafce,
öon beren ÖJaöerie aus er ber bidjt gebrängten Spenge ben papft*
liehen (Segen erteilte.
lieber ben öierwöchentluhen Aufenthalt beS SßapfteS in ber
öfterretduichen Jpauptftabt berietet ein <ßroteftant baS Solgenbe:
„£ic Söirfung ber Anwefenheit beS $apftcS in SBien ift au&er=
orbentlid). 3d) war oft zugegen , wenn $iu* bem Bolle in ber
$aiferftabt feinen Segen gab. 3d) gehöre nicht $ur fatholifdjen
Religion, auch nicht ju ben weinerlichen ßeuten; aber ich öerfidjere
Sie, ich nmrbe heftig erfchüttert unb bis $u Zfyamn gerührt. Sie
formen eS nicht glauben, Welmen (Sinbrucf eS macht, über achtzig*
taufenb Sflenfdjen auf einem «ßlaftc oerfammelt ju fer)en unb bie
ganje grofje Spenge in einem Momente $u überblicfen, wo ber AuS*
bruef ber frömmften Gefühle au« allen Rhenen leuchtet unb wo bie
©efmfucht , ben Segen für baS bieSfeitige unb jenfeirige ßeben in
fich aufzunehmen, ihnen eine Anbaut , ich möchte fagen , einen
(SntlmfiaSmuS einflößt, ber fie unempfinbiid) macht für bie unbe-
schreiblichen SBefdnuerben, bie fie in bem erftiefenben ©ebränge aus*
juftehen hatten. 2)ian benfe fich nun &aS ©rfcheinen beS $apfteS
mit bem ganzen ^ompe, ber biefen SBater ber (£hriftent}eit umgibt,
bie breifache ftrone auf bem Raupte, in feinem heißen Ornate, oon
Digitized by Google
Sofeph* II. fird)lid)c Neuerungen.
ben Äarbinälen unb fjofjen Sßfirbenträgern umgeben, nrie er fleh
gegen bie @rbe neigt, bann feine 2lrme gegen ben Gimmel ergebt,
in einer (Stellung , toeldje bie oolle 3nbrunft eines Cannes aus*
brüeft, ber baS ©ebet eines gangen JBolfeS ber ©ottheit barbringt
unb mit feinen ©liefen bie ©rljörung ^erabfle^t; man ftette fid)
bor , ba6 biefe ^anblung burd) einen ©reis geflieht , beffen ein»
nehmenbe ©eftalt unb eble ©ejichtSsüge unfere £>erjen feffefn , unb
nrie nun bie Xaufenbe in bem Stugenbftcfe , roo er in ber at^em*
lofen , feierlichften ©titte bie SBorte beS ©egenS auSfpridjt , auf
ihre Äniee fturjen unb Don berfelben $lnbacht unb Snnigfeit er*
griffen toerben , oon ber pe ben fegnenben 93ater ber (£f)riftenfjeit
ergriffen fefjen — roahrlich ein übertoältigenber , ^inreiBenber Än*
blief."
$rofc beS tiefen (SinbrucfS , ben baS (Srfchetnen beS SßapfteS
unb beffen gange ^Serfönlichfeit in allen Greifen ber ©eoölferung
SßHenS ^eröorgebraa^t , unb ber begeifterten SBerefjrung , bie i|m
Don allen (Seiten ertoiefen rourbe , erreichte ^PtuS VI. feinen ßtoeef
nicht. %tx ®aifer lieg eS jttjar an (einer ber (ätyrenertoeifungen
festen, bie einem folgen ©afte gebührten, unb geigte bem liebend
roürbigen ©reife eine adjtungSootte , tüte eS fa^ien auch aufrichtige
3uneigung; aber er nnch allen ^Bemühungen beS SßapfteS, mit üjm
über bie (irchlichen Angelegenheiten ju unterhanbeln, ber mit #au*
ni$ getroffenen SSerabrebung gemä§, mit bem ©intoanbe auS: „(£r
fei (ein ifieologe unb öerfte^e gu wenig oom (anonifc^en SRechte,
um münblia) hierüber üerljanbeln ju (önnen. SBenn ©eine £eilig*
feit gegen bie oon ihm gum SBohle feines IBoKeS getroffenen (irch*
liefen SSerorbnungen Erinnerungen gu machen i)abt, fo bitte er,
ihm biefelben fdjriftlich oorlegen gu motten , bamit er pe burefj fei«
nen Rangier ausführlich beanttoorten laffen fömte." ©dwn oor ber
5lnhmft beS SfapfteS hatte er an bie gefammte öfterreidn'fche ©eift-
licfjfevt, inSbefonbere an bie ©ifdjöfe, ein ftrengeS Verbot ergeben
laffen, fich toegen irgeitb meiner fir^tid^en Angelegenheit fcfjriftndj
ober münblid) an ben ^eiligen SSater gu toenben, fo lange berfelbe
in SBien roetlen toerbe , unb SßiuS VI. würbe roäfjrenb ber ganzen
®auer feines ©efudjeS fo genau btivafy, bafj er 9Uemanben unbe*
mer(t empfangen (onnte.
3m ©egenfajje gu bem ßaifer ließ ®auni$ in feinem beneh-
men gegen ben $apft nicht nur bie bem Dberbaupte ber Kirche
fdjulbige (Sh^furcht , fonbern fogar bie Regeln beS conoentionetten
AnftanbeS ooflftänbig außer Sicht. 211S $iuS VI., bem er nicht
einmal einen ©fjrenbefuch abgeftattet , fi<h gu ber 53efichtigung ber
©efjenötoürbigfeiten feines SßalafteS gu ber üon bem Surften be*
ftimmten ©tunbe bei ihm einfanb , empfing er ihn im Sftorgenan*
jug, fchüttelte bie ihm jum Äuffe bargebotene ^anb mit ungejie*
^oljtoart^, 3Bcltflef(|t«te. VI. 35
Digitized by Google
546
flaifer II.
menbcr Sßcrtraulidjfeit unb fefcte, mit bcr (£ntfdjulbigung , baß fein
®opf bic $älte nid^t oertrage, im 3immer ocn ^ut auf.
Aud) Ätänfungen anberer Art blieben bem $apfte roäffrenb
feine« Aufenthalte« in ber öfterreidnfdjen $>auptftabt nidt)t erfpart.
Unter feinen Augen erfaßten $u SBien eine glutl) oon glugfdjriften,
bie fid) ungefnnbert in ber $erabnmrbigung unb iöerfpottung be«
Primate« ergingen. $er ganj ben neuen Qbeen ljulbigenbe Abt
föautenftraud) , 4>ofratf) an ber böf)mifa>öftemia}ifd>en ^offanjlct,
oeröffentlidjte unter bem Xitel: „SBorftettung an feine päpftlidjc
£eiligfeit," eine glugfdjrift , in meldjer er ben «ßapft aufforberte,
ädern loeltltdjen Aufe^en, aller jeitUa^en Wlafyt unb £errföaft frei*
mittig ju entfagen, „roeil ber Söefife berfelbcn ton ßfjrifto förmlich
»erboten toorben fei." $n nod) unoeridjämterem Xone abgefaßt
mar bie ©d)mäl)fajrift be« #offanoniften (Subel: „2öa« ift ber
$apft?\ in melier bie ©runbfäfce be« gebrouiu« in ber fdmeibenb*
ften gorm unter ba« S&olt gebraut mürben.
AI« $iu« VI. am 22. April bon SSien abreifte, mo er nid)t«
Anbere« erlangt hatte, al« bie Stfatf be« ftaifer« , baß feine föe*
formen üftidjt« gegen bie Xogmen ber IHrdje unb bie SBürbe iljre«
Dberfjaupte« enthalten füllten, gab if)m Qofcp^ ba« (Meite bi«
jum Softer SRariabrunn. ®leidjfam al« motte er ber SBelt jei*
gen , mie menig e« bem Zapfte gelungen fei , Um umjuftimmen,
{Job er einige ©tunben nad) ber Abreife feine« fyotyn ®afte« biefe«
Älofter auf.
SBie bie föeife nad) SBien , fo geftaltete ftd) aud) bie Md-
reife be« Zapfte« nad) 9ftom $u einem magren Xriumphjuge. $)ie
anbad)t«öolle Eingebung , mit melier aller Orten bie fatljolifdje
SBcoölferung ihrem Dberfjirten entgegenftrömte, feilte fid) felbft oie*
Ken ^roteftanten mit. Qn Sttündjen brängte fid) bie ©emahlin be«
englifdjen (^efaubteu mit bemalt burd) ba« U>olf , um öor bem
Zapfte nieber ju fnieen unb ihm bie $>anb ju füffen. 3n Aug«*
bürg ^atte fidb ber proteftantifdje It)cil be« ftiatlje« unb ber ©ür*
gerfd)aft mit bem fatholija)en jur Ueberreidmng ber an burdjrei--
fenbe gürften hertömmlidjen ^^rengefc^enfe oereinigt, mofür $iu« VI.
feinen $)anf mit bem ©ebete begleitete, „baß ©ott diejenigen, roeldje
feine Bürger unb £au«genoffen feien, im (Sifer feine« $)ienfte«
maxien laffen, bie ©äfte unb 3u^mmlinge aber mit bem ÖJeiftc
feiner Klarheit erleudjten unb auf ben 2Bcg be« £cile« führen
motte, bamit er (ber s$apft) fie Alle mit gleicher Siebe ju umfaffen
fid) freuen bürfe." Seim 93efud)e ber Söibliothef begrüßte if)n ber
93ibliotr)cfar unb SReftor be« luthertfdjen (£umnafium« , Anbrea«
Herten« , fnieenb mit einer Anrebe , in toeld)er er fein breifadje«
©lud prie«, „ben $apft $iu« VI., bie SSonne be« menfchlia^en ©e=
fa)lea)t«, ben ^ciligftcu S3ater , ba« Oberhaupt ber djriftlidjen 9le*
Digitized by Google
$ic Stcüolution m bcn ^icbcvlanbcn.
547
ligion, denjenigen, ber geboren fei, atteä Ungemach toon ben 6terb*
liefen ju entfernen, mit innigfter Bewegung bon 2lngeftdjt ju fefjen
unb feine ^eiligften 5ü&e ju tuffen."
2lm 23. dejember 1783 erfdjien 3°fa>lj unerwartet jum
öegenbefndje in SRom, tt)o er glänjenb empfangen mürbe. 2Hä er bem
fpanifdjen diplomaten W$axa feinen *ßlan ber bölligen ßoSrei&ung
ber beutfeheu $ird)e non föom eröffnete , rieth ihm biefer entfe^ie*
ben ab. Qux Skrmeibung größerer Uebel entfc^log fidj ber Sßapft,
tf)tn in einem am 30. 3anuar 1784 abgefdjlojfenen flonforbate ba3
©menmtngSredjt für bie ©tetlntmer in ben £erjogthümern aMlanb
unb SJcantua jujugefte^en. der ftaifer jeigte fid) feitbem $mar in
feiner £>anblung3tt)eife cttoaS rücffichtSüoller gegen ben Sßapft , atä
früher, fchritt aber nichtöbeftoroeniger auf ber $Baf)n feiner fachlichen
Neuerungen mit unüerminberter SBittfür fort unb liefe auch bie oon
ihm felbft erbetenen päpftüdjen Hutten über neue SBiäthümer nur
mit feinem $lacet üerfünbtgen.
Sie »ebolution in ben Weberlaitben.
(1788-1790.)
die nieberlänbifchen $roöinjen DefterreichS — feit 9Jcar>
milian« I. Qtit ber „burgunbifche ftretö" genannt — erfreuten fid),
feitbem bie Kriege jroif^cn granfreich unb Cefterreich aufgehört
hatten, einer behaglichen Stühe. 3h« SBerfaffung , bie Joyeuse
entr£e ober Blyde Inkomste (frör)lid^cr (Sinjug), — fo genannt,
toeil bie Urtunbe berfclben im 3ahrc 1423 bei bem erften (Sinjug
be3 ^erjogS Philipp beä ©uten in Druffel auägefteflt roorben —
fieberte ihren ©tänben , aufjer bem fechte ber ©teuerbemiöigung,
triele anberen greiheiten unb SBefugniffe , in beren ©enuß fich ba3
33olf äujjerft tuohl fühlte. 2lderbau, <$erocrbe unb $anbel blühten,
unb im ganjen £anbe herrfdjte ein früh(ia)er, tyittxtx (Seift fetbft*
bemühter Freiheit, dabei funfi bad iBolf mit unverbrüchlicher Xreue
an feinem fatholifdjen Glauben unb fanb feine työtytt grenbe an
ben frrchlichen geften unb Wufeügen, bie als wahre SBoltefefte mit
altertümlichem ^ßrunt unb reichen $1 unten jpenben gefeiert mürben,
die in h°^cm 21nfet)en ftehenbe ©eiftlichfeit ^atte roährenb be3
fiebeujährigen Krieges bem Äaiferhaufe ihre (Ergebenheit burch außer*
orbentliche $ilfdgelber unb darlehen öon fyofytm ^Betrage bethä*
tigt. S(n ber ©pifce ber SBermaltung ftanb eiu ©eneralftatthalter,
welche ©teile feit bem dobe be3 $>er^og§ #arl öon Lothringen bie
©rjherjogin SJcarie ©hrifrine, eine ©chtuefter Sofeph^r gemeinfehaft*
lieh mit ihrcm ©ernaf)! , bem £er$og Gilbert öon ©achfen=dcjchen,
35*
Digitized by
548
Äaifcr 3ofej>^ II.
befleibete. $em ©eneralftattfjalter mar als SRat^gebcr ein 9ftinifter
beigegeben, ber ifm im galle ber Slbtüefcn^cit ju oertreten Ijatte.
£ie aus bem 9tbel, ber ©eiftlidjfett unb ben ©ürgerf Soften be*
ftefjenbcn @tänbe übten jeboef), tf;ei(3 felbft, tfjeite bnrd) $u$fd)üfye
einen großen (Sinfluß am, inbem mdit nur bie .v>öbc, fonbern and)
bie (Erhebung unb SSermenbung ber Abgaben öon ifmen angeorbnet
nwrbe. $ie meiften fianbfdmften Rotten if)re eigenen Cbergeridjte,
unter benen ber „ große 9iat(jM oon Sörabant ba§ pdrffe 21nfef>en
genoß.
Cbgleid) Sofcp^ bei feiner Sfnronbefteigung nicr>t nur alle
föchte, Sreifjeiten , ©efefee unb ^rioüegien ber #er$ogtl)ümer
©raffdjaften, ©täbte unb Korporationen ber Niebedanbe beftätigt,
fonbern aud) bie Joyeuse entr^e öffentlich unb feierlid) befdjmoren
ijatte, griff er aläbatb in bie nieberlänbifebe Skrfaffung mit ber
rütffidjtalofeften (£igenmäd)tigfeit ein, beren ©etoeggrunb umfomem*
ger in einer lanbeäoätcrlidjen gürforge für ba3 SBofyl biefer ^ro*
öinjeu gefugt »erben fonnte, a(3 er biefelben furj Dörfer an ben
ftutfürßen oon ber *ßfatj gegen SBaiern fjatte oertaufc^en motten.
(£r teilte baö gan$e £anb, olme Nücffidjt auf bie Wbgrenjung
unb bie befonberen SBerfyältniffe ber einzelnen ^rooinjen, in neun
Greife, ernannte ®reiäl)auptleutc, \iatt ber ton ben 8tänben ein*
gefegten f aftcüaue unb Dberamtfeute, f)ob bie beftcfyenben Dberge*
rid)t3f)öfe, ben großen Natfy öon Trabant unb bie geiftlidjen ©e=
ricfytSftellen auf unb Oereinigte äße biefe Söcfyörben in einem fyödjften
©eridjt^ofe, ber feinen in ©rüffel erfjielt. ©benfo lüfte er
bie brei mit ben 6tänbcn jufammenfjäugenben fliatljSfoflegien nebft
ben ftänbtjrfjen WuSfdn'iffen auf unb übertrug bie gefammte *Ber-
maltung beS tfanbeS einer unter ber Seitung eine« bevollmächtigten
9)cutiftcrä fteljenben Negterungäbefjörbe , moburd) bie SBirffamfeit
ber ©eneralftattlmlterfcf)aft auf bie einfache ftepräfentation befdjranft
mürbe.
2flit ben ftaatlidjcn Neuerungen gingen bie fird)litf)en £anb
in £>anb. ftofepf) (job mehrere ftiöfter auf unb fe&te in anberen,
bie er fortbewegen ließ, eigenmädjtig ^ommanbatar^Üebte ein, öer=
bot burd) ein eigenes (Sbift jebe Berufung an ben $apft, nafjm ben
Sbifdjöfen bie ©ntjdjeibung in ben ^eangclegentjeiten , unterfagte
bie Wallfahrten, befdjränfte bie ^rojejfionen , üerfümmerte ben
©dmiucf ber ftirdjcn, t)ob bie bifd)öt"lid)en Seminarien auf unb er*
richtete in fiömen unb ihirnnburg ©eneralfeminaricn, in melden
für alle angeljenben ftlerifer beä JianbeS bie Xljeologie oljne jeb-
tuebe bifdjöflichc ftontrolc burd) ^rofefforen gelefjrt merben foüte,
bie üon bem tfaifer ernannt mürben.
$iejc Neuerungen, gegen Welche fomoljl bie belgifdjen 53ifd)öfe,
an iljrer 6pifce ber «arbinal üon S r a n f e n b e r g , (Sr^bifd^of
Digitized by Google
$ie SRefcolutton in ben Ktebcrlanben.
549
t>on ÜKec^cIn, als aud) bic ©täube energifdjen Sßroteft erhoben,
riefen im ganjen ßanbe eine bumpfe (Safjrung fyerüor, bic im sJco=
fcember 1786 in fiöroen nadj ber Eröffnung be3 ®eneralfemtnar3
in offener 28iberfefclicf)fcit ju Sage trat. bie ©eminariften ge-
gen bie Sriüolität unb Unfirdjlicfjfeit ber öon bem ftaifer ernannt
ten ^ßrofefforen proteftirtcn unb bafür öon biefen eine fctyimpflidje
SBeljanbhtng erfuhren, fam e3 &u ifyätltcfjfctten, bie ben $5ireftor
ber STnftalt öeranlaßten, ftd) nad) 93rüffet ju begeben, um militä*
rifdje £ilfe $u reqtitriren. Xer ®arbina( öon granfenberg ermahnte
bie ©tubtrenben burd) ein ©djreiben $ur Nutye ; ba jebodj bie 58ür*
gerfdjaft öon ßöroen für biefeffeert Partei ergriff, bauerten bie
Nufjeftörungen fort. 3)em öon ber Regierung entfanbten SDlilttär
gelang eä ^mar, bie Orbnung f)er$ufteüen ; aflein bie ©eminariften
jogen, mit 2lu3naf)me einiger wenigen, öon bannen, um iljre ©tu-
Sien in einem anberen fianbe ju matf)en.
5)er fjeftig erzürnte ®aifer öerroieS ben päpftlia)en Nuntius,
ben er befdjulbigte, bie ©eminariften aufgereiht ju $aben, au&
Sörüffel unb berief ben S?arbinal öon granfenberg nad) SBien, mo
er Lfm mit ben SBorten empfing: „$)a ©ie öon bem jefcigen
©üfteme ber Geologie unb ben Einrichtungen ber ©eminarien feine
regten begriffe ju haben fcheinen, fo Ijabe ich groci Seifiger ber
geiftlichen $ommiffion beauftragt, 3hncn herüber baä nötige ßidjt
ju oerf Raffen." (Sntfchloffener benn je, bie Neuerungen beä Äaiferä
ju befömpfen, fefnrte ber ftarbinal nach Belgien jurüd, roo fidj
baä über Sofepfjä ©taatäfirchenthum erbitterte iöotf immer fefter
um feine Söifdt)öfe fdjaarte.
3u abermaligen Nuheftörungen tarn e3, als im Slpril 1787
bie neue Einrichtung ber SBertoaltung unb be$ (SerichtBtoefenS in*
ßeben treten foüte. 5)ie ©tänbe öon Trabant öerfagten, öon bem
ihnen öerfaffungStnäßtg pfteljenben 9fced)te Gebrauch madjenb, bie
öerlangten £Uf3geIber, bid bie 93efd)tt)erben beä ßanbefc abgcfteHt
feien, öerboten ben ©teuereinne^mern bie 2ftachtöollfommenheit ber
ueuen ^Beamten an^uerfennen, hoben ba3 ©eneralfeminar ju Soften
auf, entboten bie übrigen ßanbfdjaften ju einer allgemeinen 93er*
binbung unb richteten bringenbe SSorfteflungen an ben (5teneral=
ftatthalter. $)te SBerljaftung eine* 33 rüffeler SBürgerä, ber, in einer
fiieferungöfaa^e be3 ^Betruges befchulbigt, ben üerfaffungämäfjigen
9lec^ten beä ßanbeS entgegen jur Unterfudjung nach SBien abge-
führt merben foöte, öeraulagte einen Xumult, ber balb in anberen
©täbten Nachahmung fanb. ©trohpuppen, benen ber Xitel ®rei3*
Hauptmann angehebt mar, mürben buref) bie ©tragen gefd)Ieift unb
öerbrannt unb bem faiferlichen TOnifter Söelgiojofo, toefcher für
bcn hauptiädjlidrften Urheber ober ©eförberer ber Neuerungen galt,
bie Senfter eingeworfen.
Digitized by Google !
550
Äaifer Sofeft II
$a Niemanb mefjr ben faiferlidjen Beamten get)ord)en mollte,
hielten eä bic ®eneralftattt)alter für geratt)en, eine (Srflärung ju
erlaffen, welche bic Surürfnafnne oller eingeführten Neuerungen unb
bie Entfernung aller mißliebigen ^erfouen au* bem Natlje ber
©tatt^alterei $ufagtc. $icfe (£rflärung rief in Trüffel einen unbe*
fdjreiblidjen 3ubel tyrtoox, ber im ganjen fianbe Nad)t)all fanbr
tfanonenbonner unb Öloefengeläute ertönten; ba« SSolf fpannte fid)
öor ben ©agen beS gürftenpaareS , unb im X^eater würben bie
©rjherjogin unb tyr GJematjl mit ftürmifdjem tfpplauft als bie 2öic-
bert)erfteUer ber öffentlichen 2Sot)lfat)rt unb greit)eit begrüßt.
3ofept) , ber bie Nadjridjt üon biefen Vorgängen in (£f>erfon
erhielt, mof)in er fid) ju einer 3ufammcnfunft mit ber (£jarin be*
geben, mar meit entfernt, mit ber Nadjgiebigfeit feiner Vertreter
etnoerftanben ju fein. ©obalb er nad> SBien jurücfgefef)rt mar, be*
rief er bie ®eneralftattt)alier unb ben 9flinifter ©elgiojofa auä ben
Nieberlanben ab unb forberte bie belgijdjen Stänbe auf, u)m burd)
Slbgcorbncte it)re ©efdjmcrben oorlegen $u laffen, „bie aflein auf
Sftifjberftänbniffen unb fallen SluSlegungcn feiner nur auf ba&
2öot)l ber Nieberlänber jielenben Slbfidjten berufen fönnten." So
fetjr er aud) münfdjen mochte, feine Neuerungen aufredet ju fjaltcn,
nött)igte ifjn bod) ber Umftanb, baß er eben im begriffe mar, ge*
meinfam mit Nußlaub einen Selb^ng gegen bie dürfen ju unter*
neljmen, ju einiger Nad)giebigfcit. (5r fagte ben Mbgeorbneten ber
nieberlänbifa^en Stäube bie ^erftettung iljrcr alten £anbe$öerfaffung
bi$ auf einige menigen, noci) nä^er ju unterfud)enben fünfte ju,
fanbte bie ßkncralftattfjaltcr, beren §(brei(e bie Belgier gar nidjt
Ratten äugeben moflen, nad) ben Nieberlanben $urürf, ernannte an
ber ©teile SBelgiojofo'ä ben ©rafen üon Xrautmann^borf $u feinem
bevollmächtigten SNinifter unb erfefcte ben gleichfalls mißliebigen
©eneral 2fturrau, ber ben Dberbcfefjl über bie in ben Nieberlan*
ben ftefyenben Xruppen führte, burch ben ©eneial b's2Uton; ba er
jebod) auf ben meifteu feiner firchlidjen Neuerungen beftanb, bauerte
bie Unjufriebent)cit ber Belgier fort. Xie Stänbc oon ^ennegau
unb oon Trabant üermeigerten aufä Neue bie 3a^un9 oer $Öf**
gelber, bid üollftänbige s2lbt)ilfe aller geregten Söcfdnoerbcn gefdmf*
ten morben. 25a fie in it)rer SSiberfetjlidjfcit oert)arrten, ließ ber
aufä §leußerfte gereifte Äaifer, nachbem er fluerft bie ©tdnbe oon
$ennegau, bann and) bie oon Trabant burd) SBaffcngetoalt hatte am-
eiuanber treiben laffen, am 18. Quni 1789 bie Joyeuse entree
für aufgehoben erflären.
$iefe unfluge Üttaßregel fteigerte, in $8erbinbung mit ben
gleid)jeitigen öerhängnißoollen @reigniffen in granfreid) — ber
©rftürmung ber Söaftiöe unb ber ©rljebung ber Nationalöerfamm-
lung über ben 2t)ron — bie allgemeine Währung ju einem fold)en
Digitized by Google
2>ie SReüolurion in bcn 9?icbcrIonbcn
551
ßkabe, baß toeber bic ?(uSgleid)ungSöerfudje XrautmannSborfS nodj
bog fdjroffe Auftreten beS ©cneralS b'Sllton bcn 9luSbrucf) eines
allgemeinen 2lufftanbeS berfnnbern fonnte. SBäfjrenb ber an ber
(Spi^e ber Dppofttion fteljenbe Slntoalt Dan ber 9toot mit $reu*
ßen unb ben ©eemäajten unterfjanbelte, bie als S8eftf)üfcer ber Xürfei
ju Cefterrcid) in einem gefpannten $8erf)ältniffe ftanben , jogen
Xaufenbe oon Unjnfriebenen über bie fjoflänbifdje (JJrenje unb
fammelten fid) ju SBreba, roo Ujre $eereSmad)t balb ju jnjolftaufenb
Sflann antoudjS. 3n ©ruffei mürben am 19. Dftober in golge
entbeefter SSerbinbungen mit ben 2luSgetoanberten eine große 2ln*
jaljt ^erfonen aus allen ©tänben oerfjaftet. $a fidj audj auf
bem fianbe unruhige SBemcgungett geigten, erließ b'Sllton eine $8e*
fanntmad)ung, in toeldjer er alle Dörfer, in benen bie 3fafync beS
SlufrufjrS aufgepflanzt toerbe, in SBranb ju fteden broljte; als je*
bod) bie unter ber güfjrung eines ehemaligen öfterreidufdjen Offi*
jierS, Dan ber Sttarfdj, über bie ÖJrenje gerüeften SluSgeroanberten
am 26. Cftober eine bei Xurnfjoot ftefjenbe 9lbtf)eilung faiferlidjer
Gruppen mit bebeutenbem SBerlufte jurütffdjlugen, oerlor ber ru^m»
rebige b'?llton fo fef)r ben ®opf, baß er ber immer roeiter um fidj
greifenben Empörung ratf)loS gegenüberftanb. $te ©täbte @ent,
Dftenbe, Sörügge, 2HonS mürben öon iljren 93efafcungen geräumt,
unb öon ben in ben ^roöingen üertfjeilten Xruppeu gingen ganze
©djaaren, öon ber gretgebigfeit ber über bebeutenbe ®clbmittel Oer*
fügenben (Gegner üerlocft, ju ben Patrioten über.
3u (Snbe Dftobcr erließ öan ber 9ioot, als ber beöoffmäcfc
tigte Slgent beS belgifdjen EolfeS, ein ÜJtonifeft , in meinem ber
ßaifer feiner #eraogStoürbe für öerluftig unb Belgien für unab*
gängig erflärt mürbe. SrautmannSborf ließ jmar am 3. <fto*
öember biefe (Schrift in ©rüffet burefj <penferSf)anb oerbrennen ; bie
ßage ber ©auptftabt feinen jeboefc balb burd? bie gortfdjrittc ber
Patrioten fo fefjr 6cbrof)t, baß bie ®eneralftattf)alter eS für ge*
ratzen erad)teten, mit bem $ofe abjureifen. 9tad)bem aud) bellten
am 12. 5)ejember 1789 in 3olge eines burd) bic Selcibigung
eines Bürgers oon (Seiten eines Offiziers erregten SlufftanbeS
©rüffel geräumt, unb ^oar mit einer folgen #aft, baß brei «Willio*
nen baaren (MbeS jurütf blieben, proflamirten am 13. bie 6tänbe
bie Unabfjängigfcit ber SRieberlanbe unb conftituirten fia) als
„großmögenbe Staaten üon Sßteberlotljringen, Trabant unb $nt*
toerpen." $ie bemofratifdjen Elemente, bie ftdj in bie SReoolution
eingej'djlid)en, unterlagen balb bem Uebergetoidjte bcS SlbelS unb
ber ©eiftliaifcit, meldte in ber ben ©tänben übertragenen @ou*
üeränität bie fia^erfte ©ürgf^aft für bie Slufredjtljaltung i^rer
alten SHedjte unb §erfömmlia^feiten erblirften. 5)ie am 7. ganuar
1790 unter bem SBorfifce beS ß'arbinalS oon granfenberg ju Sörüffel
Digitized by Google
552
ßaifer 3ofej)$ IL
eröffnete ®eneratöerfamntlung ber ^Srotrinjen fanftionirte bie Unab*
fjängigfeit Söclgien* unb fefcte, nadjbem fte eine au* jwötf ftrtifeht
beftefjenbe ©unbe*afte entworfen, am 11. Sanitär einen föntgrejj
ein, an »eichen alle poütijdje ©ewalt überging.
©ergeben« Ijatte 3oje^f nadjbem bereit* Xrautmann*borf am
20. ÜRooember bie ©iebcreinfefcung ber Untoerfttät ßömen in alle
ir)re ©eredjtfame jugefagt, am 26. 9lobember eine $rofIamatioit
erlaffen , in melier er , unter Surücfnatyme afler feiner ftaatlidjen
unb ftrdjlictjen Neuerungen, bie SBieberfjerftettung ber Joyeuse entr^e
nad) tfyrem ganjen Umfange, bie SBiebereinfe&ung be£ grofjen Ütatfy*
oon Trabant, bie (Einberufung ber ©tänbe unb eine allgemeine
Hmnefrie oerfunbete. 3" feiner ©ebrängnifj rief er bie ©ermitt*
lung be* ^ßapfte* an; al* jebod) $iu* VI. bie alle föedjte ber
ftircfye ^erfteüenben ßufagen be* ßaifer* ben ©ifdjöfen mit ber Suf*
forberung übermittelte , in oerfötmlidjem @inne ju mirfen, erflarten
fte ifmi: „$ie ©elgier fönnten, nadjbem fte fo oft in iijren £>off*
nungen getäufdjt morben, ben Zerreißungen if)re* feittyerigen ©e*
Ijerrfdjer* fein ©ertrauen mefyr fdjenfen, unb ba bereit* eine neue
Regierung eingefefct, fei faum mefjr auf eine Srütffefjr unter ben
©efjorfam be* ftaifer* §u Ijoffen."
3ofel>lj8 II. »entrungen in Ungarn«
$en gleiten Unwillen, wie in ben SRieberlanben , riefen bie
Reformen be* ®aifer* in Ungarn ljertoor, unb audj Ijier mar ber
SÖiberftanb gegen biefelben ein fo heftiger unb brol)enber, baji
3ofep^ nur burrfj redjtjeittge* (Einlenfen einer äljnlidjen S'ataftropfje
borbeugen tonnte, wie fie in ©elgien jum 5lu*brud) gefommen.
Ungarn fjatte bamal* in bielen ©ejieljungen 2lelmltcE)fett mit
$olen; benn wie bort, fo bilbete aud? t)icr ber friegerti^e, Oer*
fd)Wenberifd)e , 5um Uebermuttje gegen bie ©djmädjern unb jum
Ungcfjorfam gegen bie flrone geneigte STbcI bie eigentliche Nation
unb ftanb aud) in ©ejug auf ben unbänbigen 9tationalftol$ , ber
bie polnifdjen ÖJro&en jur Qtit tyrer 9Raa)tfüHe befeelte, hinter
biefen nid)t jurüd. $)er 2lbel war ftcuerfrei ; ber ©auer allein
trug alle haften f mejjfjalb aud) ba* gemeine ©olf in ber ®efd)äft**
fprad)e offiziell bie „misera contribuens plebsÄ — ba* arme
fteuernbe ©olf — genannt mürbe, ßubem mar bie ©eoölferung
be* Sanbe* eine bunt gemtfd)te : Sftagijaren , ©laben berfd)iebener
©tämme, ©riechen (Rumänen) unb $eutfd)e Rauften, burd) bielfadje
Seinbjeligfeit gehalten , neben* unb burdjeinanber. Ungarn fonnte
balp aud) al* ber am wenigften au*gebilbete ©taat be* ganzen
c^rift(icr)en (Suropa'* gelten.
Digitized by Google
3ofep1)8 II. Weiterungen in Ungarn. 553
$)af? f|ier Reformen 9loffy traten, mar nidtjt ju beftreiten ; aber
ftatt bei ber Äbfdjaffung fo Dieter beralteter unb tief rourjetnber
2ftt§ftänbe mit boppelter SBorftd)t 51t SBerfe ju gelten unb bor Eitlem
bie §ur $Tnbafmung befferer ßuftänbe nötigen <$runbfteine ju legen,
ging ber Äaifer audj fyier mit feiner gewohnten Ueberftür^ung bor,
unb inbem er mit einem ©djlage Sittel änbem rooüte, bereitete er
fidj unüberftei gftcfje £>inberniffe.
©Icid^ beim beginne feiner {Regierung tyatte 3ofcp^ bie Ungarn
baburd) erbittert, baß er, ftatt ftdt), toie e$ baS £erfommen erljeifdjte,
jum (Smpfange ber Slrone be3 fjeiftgen ©tepljan nad) Sßreßburg ju
begeben, bie Ueberfüfjrung berfelben nad) SBien anorbnete, rooburdj
er anjubeuten fdjien, baß er all (£rbe ber IjabSburgifd&en üftonardtjie
bereits #önig bon Ungarn fei. $(jatfädjtidj fjatte er bie Krönung
nur beßfjalb umgeben motten, roeit er burd) bie Hblegung be8 ®rö-
nungSeibe« an bie ungarifdje ©erfaffung, bie umjuänbern er ent*
fdjloffen mar, gebunben gemefen fein mürbe.
Sofepfj eröffnete feine Reformen in Ungarn burd) bie (ährlje*
bung ber beutfdjen ©pracfje jur allgemeinen ©efc$äft§tyracf)e , mo*
bei er ben ©eamten jur Erlernung berfelben eine breijäfjrige grift
jugeftanb. 2Ber fte bis ba^in nidfjt erlernt fjaben werbe , foEte
fein 2Tmt berfieren. hierauf mürbe baS gefammte ©eridjtsmefen
umgeftaltet unb bie ©ermaltung jum größten %ty\it föniglic^en
93eboßmäd)tigten ober ftoramiffarien übertragen. Kroatien, ©la*
bonien, baS ©anat unb Siebenbürgen erhielten eine neue (SKnttjei*
lung, moburd) in bem lefcteren ßanbe ber bisherige SBerfaffungS*
unterfdfjieb ber brei Stationen : Ungarn , ©$etter unb ©adjfen
aufgehoben ttmrbe. Um bie für ben ®rieg3bienft nadjt^eiügen
Werbungen einftellen ju tonnen, führte ^ofepfj bie (Eonfcription
ein , unb lieg $u biefem Smecfe eine allgemeine JBotlöjd^ung bor«
nehmen.
Söäljrenb atfe biefe Neuerungen unter bem ungarifdjen ißotte,
beffen nationale SBorurtfjette unb ©emoljnfjeiten fie beriefen , eine
tief gefjenbe Unjufriebenfjeit fjerborriefeu , bie burd) bie i$m au*
ber tfuffjebung ber Seibeigenfajaft unb ber in 2(u8ftcfjt fteljenben
gleichförmigen ©efteuerung ermadjfenben ©rteidjterungen nio$t be*
fdjnridjtigt merben tonnte , toax ber Slbel über bie ©eeinträajtigung
feiner ©tanbe3borred)te tief erbittert ; audj bie ungarifdp öifööfe
jeigten ben firdjtidjen Neuerungen SofepljS gegenüber eine ungleich
entfcfn'ebenere Gattung, als bie ber beutfefcen (Srbtänber. ©0 faty
fidj ber Äaifer bon allen ©eiten mit klagen unb <&egenborfteflungeu
beftürmt, bie if)re3 ©mbrueta um fo roeniger berfefjlen tonnten, aß
einerfeitö Ungarn ber ©djauplafc beS Krieges mar, ben Sofepf) im
©imbe mit ftußlanb gegen bie Pforte führte unb beffen anfänglich
für bie ©erbünbeten menig günftiger ©erlauf bie Ungarn in i|rer
Digitized by
554 Äaifer gofetf II.
SBibcrfc^tic^feit nur beftärfen fonnte, unb anbererfeit* Greußen
eine immer brohenbere Haltung annahm unb bereit* Xruppen an
ber föleftfdjen (Drenje aufgeteilt ^arte. $)a unter biefen Umftän*
ben bie in Ungarn l^errföenbe ©ährung leicht in offene Empörung
umfragen fonnte, tytlt 3*>f*Ph e* für geboten, bem ftürmifchen
Verlangen ber ©efammtbeüölferung nach ber £erftellung ber früheren
Suftönbe nachjufommen. SJcit 2lu*nahme beS Soferanaebift* , fo*
mic ber für bie Seelforge getroffenen Einrichtungen unb ber 21uf*
Hebung ber £eibeigenfrf)aft , toiberrief er am 28. Januar 1790 alle
für baS Königreich Ungarn erlaffenen 93erorbnungen unb jagte bie
Einberufung beS ^Reichstage* ju , ber feit ben erften Regierung**
jähren SJtoria Ityxtfia'Z nicht mehr abgehalten morben. „Er habe,"
fo erflörte er ben ungarifdjen Stänben, „mit ben in einigen QmU
gen ber SSermaltung getroffenen Slenberungen nur bie görberung
ber 2öot)Ifar)rt be* itanbe* bewerft ; ba fie jeboch ben früheren 3u*
ftanb öorjögen, fo nehme er feinen Slnftanb, benfelben mieber h«s
aufteilend Sluch bie frone be* ^eiligen Stephan frfnefte er nach
Ofen jurücf. 3« allen Orten, burdj melche fie tarn, maren
Sriumphbögen errietet, unb in Ofen mürbe ihre föücffehr burdj
eine glänjenbe 3ö"^nation gefeiert. 3*1 0an8 Ungarn fyerrfd)te
ein 3ubcl, al* ob bie Wation au* parier ftne^tf^aft crlöft morben
märe.
3ofeplj8 II. ftuSgang.
3ofep^ II. Ijatte bei ber oben (€>. 550) ermähnten ßufam*
menf mtft mit ber Malierin Matlmvina oon SRufclaub ju LSt)erfon mit
berfelben ein SBünbnifj gcfdjloffen, in Solge beffen er fich genötigt
fah, an bem im 3öhrc I707 aufgebrochenen ruffifch*türfijchen
Kriege, über melden mir meiter unten ausführlicher berichten mer*
ben, auf Seiten SRuölanbS hn nehmen. Obgleich er nach ben
Stipulationen be* s-BunbeSüertragS nur jur Stellung eine* £>ilf*s
heere* oon breiöigtaujenb 9)tonn berpflichtet mar, gemann in feinem
9iatf)e bie Anficht bie Oberhanb, bog e* beffer fei, fich mit allen
verfügbaren Gräften an bem Kriege ju betheiligen, um oon ben al*
unjmeifelhaft betrachteten Eroberungen einen grögeren Slntheil für
fich nehmen ju bürfen. £emgemä& ging, nachbem am 2. gebruar
1788 bie förmliche ftriegSerflärung Oefterreid)* an bie Pforte erfolgt
mar, ein £>eer öon jmeimalhunberttaufenb 9ftann unter bem ©encral
*Ja*ct), ber fich in biefem Kriege al* ungefdnefter gelbherr ernrieS,
nach bem SBanate ab unb nahm in fünf $lbtheilungen in einer meit
au*gebefmten Strecfe üon ber maflachifchen ÖJrenje bi* 311m abriati*
fchen Speere Stellung. $er Kaifer felbft begab fich im Srühjahre
Digitized by Google
Sofcph« II. ÄuSgang.
555
$u bem bei Sittof ftefjenben #auptheere, um im Vereine mit 2a3clj
bie Leitung bc£ JelbjugeS übernehmen.
55er Verlauf beSfelben mar in golge bc$ burcbauS öerfehlten
*ßlaneä ein für Defterreich unglüeflieber. $>ie dürfen burdjbrachen
ben öfterreidnfeben (jorbon unb richteten bie fc^roac^en Xruppenab*
Teilungen , bie ihnen entgegen geftellt roerben fonnten , fcfjmadjöoff
&u (Srunbe, roährenb bie größeren $orp3 in funftöott eingenomme-
nen Stellungen müßig ftanben ober in miffenfehaftlich berechneten
SJcarfcben hin* unb herzogen, mobei Langel unb ftranfbeiten mehr
©olbaten i)inrafftcn r alä eine bebeutenbe ©(flacht gefoftet haben
mürbe. Sofeph» ber bei großem perfönlichen Sftuthe bennoeb fein
fjeröorragenber Selbberr mar, entfdjloß fid) enblidj, bem allgemeinen
Verlangen nachzugeben unb ben Oberbefehl bem hochbetagten , aber
noch immer tüchtigen fioubon §u übertragen, ber bem $rieg aläbalb
eine anbere SBenbung gab unb baä ©lücf $u ben öfierreidufeben
SBaffcn gurüefführte.
Sofeph f elbft fehrte im ^Dejember 1788 mißmutig unb ohne
ben erhofften Selbbcrrnrubm nach SEBien jurücf. $)te Slnftrengungen
be£ £agerleben$, in meinem er mit feinen ©olbaten ade Söefchmer-
ben unb Entbehrungen tbeilte, hatten ihm, oerbunben mit ben Ein*
mirfungen eines heißen ©ommerä, bürrer SBüften unb moraftiger
9lu3bünftungen , bie für ba3 ganje £eer eine ungetuöbnlicbe ©terb-
licftfeit $ur Solgc hatten , ein fdjmereä fiungenleiben zugezogen,
bejfen Entnncflung burch ben nagenben ©chmerj über bie Erfolglos
figfeit aller feiner 33eftrebungen befcbleunigt mürbe, ©chon bei feiner
Slnfunft in SEBien erflärten bie 2(er$te feinen 3uftanb für bebenflich.
2öie er trofc feiner fhchenf einbüßen Steuerungen nie aufgehört hatte,
burch ben Empfang ber ©aframente fein Schalten an ocm fatr)o»
lifchen (Glauben 51t befunben, fo ließ er fich auch, nachbem er ben
2lu3fprucb ber Werlte öernommen, um oon feiner fatholifchen ©e*
ftnnung noch einmal öffentlich 3^9«i6 abzulegen, am 16. $ejember
in ber ShtrgfapeHe oor einer zahlreichen SBerfammlung baä tyiiiqt
3Ibenbmahl reichen. 21n ben ©tufen beS Slltareä fagte er mit lauter
©timme: „5$or bem t)kx gegenmärtigen ®ott, ben ich baib als
meinen dichter ermarte, betheuere ich, baß ich alles, maS ich roä>
renb meiner neunjährigen Regierung gethan , nur in ber 21bficbt
angeorbnet habe, baä SBohl meiner Untertanen ju beförbern. ©oüte
ich gefehlt haben, fo toirb ©ott in föüdficbt meiner SIbficbt unb ber
menschlichen ©cbmäche , oon ber fein ©terblidjcr frei ift , mit mir
©armherjigfeit haben.
SofephS Enbe mar inbeffen fo nahe noch nicht, als er felbft
glaubte ; cä trat m'elmehr in feinem Suftanbe eine merfliche ©effe*
rung ein , unb ber ©ommer fd)ien ihm Polle ÖJcnefung bringen ju
mofien. «Hein er fonnte ber fcheinbar mieberfehrenben ®cfunbheit
Digitized by
55G
Äaifcr gofcrt H.
nid)t frolj werben; benn alljufdjmer laftctc auf feiner ©eele ber
Kummer über bie bitteren, felbftoerfdmlbeten (Erfahrungen ber testen
3a^re , über bie gänjlia^ auä ben (^ugen getretenen SSer^ältittffe
feiner (Erblänber, über bie ©efafyren, bie benfelben bei ber mad^en?
ben getnbfa^aft ^reußend audi Don Stoßen broljten, gan$ befouberfc
aber über ben Söerluft ©elgten*. „$)ie Räumung SBrüffeU ift mein
£ob," fagte er &u bem nieberlänbifdfen ^rinjen öon Signe. „Ja?
fterbe; id) müßte fonft Don §0(3 fein." llnb ein anbered ERat
äußerte er: „Qdj roünfdpte, man f triebe auf mein @rab: $>ier
rufjt ein gürft, beffen Äbfidtfen rein waren , ber aber ba$ Unglücf
tyatte, ade feine $(&ne fctyeitern ju fetyen."
$aß eä in ber Xf>at troftloS in ben öfterreidjifdjen (Srbftaaten
aufcfafj , erfyeöt au* ber nad)folgenben ©c&ilberung 3ftöcr* : „3m
Snneren ber öfterreidjifdjen ßänber Jjerrfdjte an einigen Orten
Doße $(nard)ie, in allen 9)?t fjuergnügen unb Aufregung. Belgien
mar bereit* oerloren, Ungarn baran, feine eigenen SBege ju gcfjen,
Xtjrol faft im Wufftanbe megen ©djmälerung feiner öerfaffungä*
magigen 9ted)te unb megen aW ber politifdjen unb firdjlidjen 9ieue»
rungen , in ben üorberöflerreidHfdjen ßänbern tfyeilmeife 53auero*
aufftänbe; <&alt&ien, ©öljmen, Ober= unb Unter ofterreid) , ©teier*
marf, ftärntfjen unb bie ßombarbei Doli klagen, 33efd)n>erben unb
©djnriertgfeiten , tljeilS wegen ber Steuerungen , tfyeild megen beS
©teuerbrudfö , am atlermeiften aber roegen ber ©efdjränfnng ober
gänjlidjen ©efeitigung ber oerfaffungämämgen Organe ber fiänber,
ber $rot>injial«Sanbftänbe.i'
W\t bem beginn be* SBinterft fefjrte ba3 Uebel bed &aifer$
in berboppetter ©tärfe $urü(f , unb balb unterlag e$ feinem Qtoti*
fei mefjr, baß e$ mit ifun $u ©nbe ging, ©eine toadjfenben förper*
liefen fieiben ertrug er mit ber gleichen ftanbtjaften (Ergebung, mit
melier er bie garten (Erfahrungen fetner legten £eben$jafjre tyn*
genommen, ©eine unermübltdje Xtyätigfeit erlofdj erft mit feinem
£eoen: nodj am Xage üor feinem Xobe biftirte er feinen ftabinetä*
fefretären bi* flefjn Uljr 9lac^td. 9tad»bem er am 13. unb am
15. gebruar 1790 bie heiligen ©aframente empfangen, entfdjltef
er am 20. gebruar, in ber grülje be* SttorgenS, o^ne Xobe&fampf,
im neununbbierjigften 3al>re feine* Sllterfc. ©ein X)enfmal in SBien
trögt bie Qnfdnrvft: „Josephus II. qui rei publicae non diu sed
totuB vixit — 3ofeph II., welker für ben ©taat nid)t lange, aber
ganj lebte."
®on ben bieten oerfdjiebenen Urzeiten, bie über 3ofepI) II.
gefällt roorben, bürfte ba3 nad)fteljenbe öon Säger ba3 §utreffenbfte
fein. „<E3 nrirb 9ttemanb aud) Dom ©tanbpunfte feiner fubjeftiöen
Ueber^eugung bem Äaifer bie eble 2tbftcf)t abfprea^en fönnen , nur
baä ©lücf feiner Söölfcr gemottt unb angeftrebt ju fwben. 5)aß i§m
Digitized by Google
3ojepf>3 II. Ausgang.
557
ber traurige §lnblicf nicr)t erfpart tourbe , feine (Smtroürfe fdjeitern
§u fefum, r)atte feinen ®runb jum %\)tii in ber §lrt, nrie er bie*
felben ausführen ju müffen glaubte, jum X^etl in ber Statur fei*
ner @ntmürfe. SBieleS oon bem , roaS Qofept) anftrebte , ptte als
Samenforn in bie (ährbe gefät unb beffen ©nttoieflung unb ©ebenen
ber Seit überlaffen merben fotlen. 3ofcpt) aber moflte fdjon in bem
$lugenblicfe, als er ben ©amen auSftreute, fjrüchte pflüefen; barum
gebier) felbft baS, roaS ßebenSfraft in fidj gehabt, in ber Treibhaus*
hifce feiner SBerorbnungen nur ju einem fdmeU oergänglichen 55a*
fein. 3ofepl), ber bem mirflichen fieben ba, tuo eS feinen ifjeorien
im SBege ftanb, feine ^Berechtigung juerfannte, mußte mit bemfelben
in notfrtrenbigen Streit unb $ampf geraden unb eS erleben , baß
feine i^eorien unb $>oftrinen gegen bie SJcacfjt ber hriberftrebenben
Ueberjeugungen , (Sitten unb fRechtSanfprüche ber SBölfer felbft mit
Despotismus nicht gefchüfct werben tonnten."
Qn Uebereinftimmung mit biefem Urteile fagt ®. $f. SWenjel:
„ Seine (QofephS) menfehenfreunbliche Sorge für baS SBohl ber
dhrenjbetoohner , bie ifm ben bon ßaSct) öorgefchlagenen Sorben ge-
nehmigen ließ, unb ber plöfolidje SBibermifle gegen Sölutoergießen,
ber if)n im entfa^eibenben SJcomente eines fjalb errungenen Sieges
gum Surütftoeicfjen oor ben Xfirfen beftimmte ; — bie Qnfchrift, bie
er auf baS GingangSthor beS öon ihm bem SBotfe geöffneten 2Iu*
gartenS fefcen ließ : „eitlen äRenfchen geroibmet öon ihrem Sdjäfcer",
— unb bie ifnttuort, toomit er ben SBorfchlag, einen Ztyil beS
(Martens ficr> unb ben f)öf)eren Stänben üorjubeljaUen , jurücfttncS :
,2öenn ich nur unter meines (bleichen fein moüte, fo müßte ich mein
fieben jnrifchen ben Särgen meiner Vorfahren in ber ^aifergruft
jubringen' — maren ber HuSbrucf einer SDenfungSart, ber eS nicht
fehlen ju fönnen fcf)ien, bie Zuneigung beS VolfeS in ihrer ganzen
güHe ju geminnen. $>aß baS ©egentheü eintrat unb ber öolfS*
freunbliche ®aifer bei feinen ßebjeiten roeit mehr gehaßt als geliebt
tourbe , mar abet nicht bloß ber gewöhnliche £of)n , melden (&üte,
ofme fingen SRücfhalt gefpenbet , ton ber ungenügfamen Spenge er*
^ält; eS entfprang auch nicht allein aus ben jahlreichen JBeeinträaV
tigungen unb Verlegungen, melche feine Reformen ben Siechten unb
Qntereffen ber ©inieinen brauten , fonbem eS mar gum größten
Ztyil SBirfung ber £ärte, mit meldjer er burd> fchonungSlofe 2ln*
tuenbung ber im materialiftifchen Sinne aufgefaßten begriffe: ©e*
meinmohl unb Rechtsgleichheit , ben VolfSfitten unb VotfSgefüf)len
£ofm fprad)."
Digitized by
558
Äaifer SJeopolb II.
XXXII.
Si a i f c x £eop o f b II.
(1790—1792.)
$5a 3ofepty II. feine ®inber fyinterlieS — aus feiner erften
<5fye r)atte er nur eine Xodjter gehabt , bic im SUter oon fieben
3a§ren geftorben mar ; feine jroeite @f)e mar finberloS geblieben —
ging bie öfterreidu'fdje Sflonardjie an feinen SBruber , ben ÖJro^er-
jog Seopolb öon £o3fana, über, ber junädjft ben Xitel: *®önig
t>on Ungarn unb 93öf)men annahm. $ie Aufgabe, bie biefem 5ür*
ften in feinen ©rManben jufiet, mar feine leiste; bennod) gelang
e8 iljm, fte burd) Mäßigung unb fteftigfeit löfen. 2Ba£ ifym
näe^ft am $erjen lag , mar bie 3urürffü^rung ber SRieberlänber
unter ben ©eljorfam feine« $>aufe3. Um fid) bafur bie 3uftimmung
unb eöentuefle SKitroirfung $reuj3en$ unb ber ©eemädjte ju fiesem,
fnüpfte er Unterfyanblungen mit bem ®önig Sriebrid) SBÜfjelm II.
t)on Greußen, bem Steffen unb *Rad)foIger SriebridjS II., an, bie am
27. 3uli 1790 $u bem Vertrag t>on Sftetdjenbadj führten. Qn
bemfelben öerpflidjtete fid) Seopotb , ben 53ctgicrn tr)rc alte öer-
faffung , unter öennfligung einer ollgemeinen Slmneftie , jurüd ju
geben unb ben 33arriereüertrag fjerjuftellen , mit ber Pforte aber
fofort einen SBaffenftiflftanb ju fdjftejjen, unb mit berfelben über
einen Stieben auj @Jrunb beä $3efij}ftanbe£ öor bem Kriege ju unter*
f)anbeln, wogegen ber $önig tum Greußen if)tn im (Jinüernebmen
mit ben Seemödjten feine guten 3)tenfte jur Herbeiführung einer
friebliajen SRütffetjr ber belgifdjen ^romnjen unter bie öfterrcidnfdje
£errfd)aft jufagte.
Sßadjbem auf biefe Söeife baS gute (Smüernefymen jimfdjen
Defterreid) unb $reufjen fyergeftettt mar, begab fid) Seopolb nadj
granffurt, roo er am 30. ©eptember jum ftaifer gemalt unb am
9. Dftober gefrönt würbe. Hierauf erließ er au bie Sftieberlänber
ein SRanifeft, in meinem er fie unter ber 3ufage einer allgemeinen
Sümneftie jur Unterwerfung aufforberte unb ifjnen unter ber ©e*
wätyrleiftung öon (Snglaub, £>ollanb unb Greußen baä SBerfpredjen
gab , bie nteberianbifd)en ^roöinjen nadj ben #onftttutionen unb
s$rtöUegien $u regieren, bie fie jur Seit ber Äaiferin 3Haria Xtjerefia
befeffen, audj alle* $u befeitigen, wa3 unter ber legten Regierung
gegen ben Snfyalt biefer $onftitutionen gefdjefjen fein fönnte. sÄu&er*
bem enthielt ba& SRanifcft bie vi(nfunbtngung , bafj bemnädjft ein
faiferlid>e3 £eer fcon bret&igtaufenb SWann in ben ftieberlanben
erfajeinen werbe.
Xer nieberlänbifdje Äongreg war jwar anfangt entfajloffen,
Digitized by Google
ßatfer fieopolb II.
559
feine Unabhängtgfett ju behaupten; allein bie ®raft beS Sötber-
ftanbeS war, in Sofge ber SBiebererftarfung ber bemofratifchen $ar*
tei, burch innere Uneinigfeit gelähmt. 211S (Snglanb, ^oöanb unb
Sßreu&en jur Unterwerfung rieben, ergriffen bie ©täube ben s2luS*
weg, ben britten ©ohn beS ^aiferS, ben (Srjherjog ®arl, jum erb-
liefen ©rofcherjog öon Belgien ju ernennen; ber SBeöoflmächtigte
beS ®aiferS , ©raf SDcerctt b'Slrgenteau , unb ber gelbmarfdjall
Söenber, ber güfnrer beS faiferlichen £>eereS, nahmen jeboct) öon biefer
Ernennung feine 9coti$. Sßachbem fich bie faiferlichen Xruppen in
Sujemburg gefammelt, rfiefte SBenber mit benfel6en am 20. Wo*
öember über bie SJcaaS in ^Belgien ein unb fanb nur fdt)tt>achen
SBiberftanb. SSan ber 9coot unb bie übrigen £>äupter ber bemo*
fratifdjen Partei entflohen, unb am 3. $ejember 1790 gelten bie
Cefterreia^er ihren ©injug in Trüffel. 9coct) öor Ablauf beS Qa^red
waren fammtliche ^roöinjen , gegen bie ©eftätigung ihrer SBer*
faffungen, *ßriöilegien unb ©ebräuche, nrie foldtje ihnen burcf> bie
£ulbigungSafte föarlS VI. unb 9ftaria $hcrcfta'S pgefichert wor-
ben, unter ben ©ehorfam beS ftaiferhaufeS jurüdgefefyrt.
©leichjeitig mit ber Unterwerfung ^Belgiens erfolgte bie öott*
ftänbige ^Beruhigung Ungarns. $)ie ungarischen ©tänbe fugten
$war bem ®aifer eine ©efdjränfnng ber ®ömgSgewalt burch einen
neuen ÄröuungSeib aufzwingen; it)rc Bemühungen {Vetterten je*
boch an SeopolbS gefttgfeit. 9cach fetner Krönung vereinbarte ber
ftaifer mit ben ungarifchen ©täuben auf einem ^Reichstage bie @r=
lebigung afler aus ber ^cit 3ofepf)3 noch ^errüf)renben SBefchwer*
ben , namentlich bie Slbfchaffung ber befonberS mi&liebigen ©runb-
fteuer, bie auch in ben übrigen ©rblänbern öon ßeopolb aufgehoben
mürbe. 3n ben fird)lichen ükrhältniffen ftellte ber ftaifer gleichfalls
einige ber ftörenbften 9)cajjregeln ab, wenn er aud) im Allgemeinen
baS öon feinem Jöruber eingeführte ©uftem aufregt fyitlt. 2Jftt ben
dürfen mürbe am 4. Auguft 1791 ju ©$iftowa ein griebe ge*
fcf)loffen, in meinem Defterretd) baS Gebiet öon s2Ut-Drfowa erlangte.
Obgleich Seopolb II. ftd) mit bem ftönig gfriebriet) mtyüm II.
oon Greußen bei einer 3ufammenfunft Leiber $u ^illnifo im Auguft
1791 über gemeinfame ©dritte ju ©unften feines unglücf liehen
©chwagerS ßubroig XVI., ber injwifchen in golge eines fel)lge*
fotogenen gludjtöerfuchs ber befangene feines *BolfeS geworben,
beraten unb geeinigt hatte, fam eS $u feinem feinblichen Sorgehen
beiber Sttonarchcn gegen granf reich , inbem bie Annahme ber neuen
ßonftitution öon ©eiten ßubmigS eine (Sinmifchung in bie franjö*
fifajen Angelegenheiten noch nicht als rathfam erfa^einen lieg. —
fieopolb II. ftarb am 1. 2Rärj 1792, nach einer furjen, burch
einen 55)iätfcr>Icr herbeigeführten Äranfheit , im Alter öon öierunb*
öierjig fahren.
Digitized by Google
560
Katharina II. oon 3*ufelanb.
XXXIII.
a t fi a r i n a II. von ^itUanD,
(1762-1796.)
Iftronbcftciflmtß ber ffaiferin flat&arina.
(9. 3uli 1762.)
9cad)bem bie ßaiferin (Elizabeth am 5. Qanuar 1762 nacr)
furjer Iftanfhcit einem ©lutfturj erlegen mar , beftieg , fraft ber
üon ihr getroffenen ©eftimmung , ihr Neffe , ber ©roßfürfi «ßeter
Ufrict) aus bem $aufe 4>oIftein=©ottorp , als *ßeter III. ben ruf*
fifd)cn X^ron. (Sine fetner erften NegierungShanblungen mar, Wie
mir oben (©. 452) gefcfjen haben, bie ©inftellung aller geinbfeligfeiten
gegen <ßreufien, worauf alsbalb ber 5lbfchlu& beS SriebenS unb
ein förmliches $8ünbni& mit griebridj II. folgte, ©eine fd)Wärme=
rifaje SBerehrung für ben ^reu&enf önig trieb ihn an , beffen Negie*
rungSmcife in jeber JBcjtcljung jum SDhifter ju nehmen, freiließ
mehr ben augeren gormen als bem Reifte nad), unb bis ins SHeinfte
alle preufjifdjen (Einrichtungen in feinem Neiche nachzuahmen. Nicht
nur baS £eerwefen, fonbern bie ganje ©taatSüerwaltung würbe,
ohne Diücffic^t auf bie nationalen (Sigcntl)ümlid)feiten NufjlanbS,
fooiel als möglid) auf prcu&ifchen 3u& gefegt unb babei mit einer
£>aft ju SSkrfe gegangen , bie Nichts ju gehöriger Steife gelangen
unb felbft biejenigen Neuerungen beS ftaiferS , bie wirfliche 33er=
befferungen waren , als 2lfte ber #aune unb bcSpotifcher SSiUfür
erscheinen lieg.
Vilich bieS er^ö^te bie SJcißftimmung , welche burdj ben plöfr
liehen Uebergang oon einem langjährigen Kampfe jur SBunbeSge*
noffeufd)aft mit bem {eiterigen ©egner in Nufclanb heröor9crufcn
worben. $ie dauern grollten bem ftaifet über bie üon ihm einge*
führte föopfftcuer , bie ©eiftlichen über feinen geringen (Sifer für
bie (Gebräuche ber ruffifchen $tird)e unb über üerfchiebene firchliche
Neuerungen. $ie ©olbaten waren erbittert über bie SBertaufchung
ihrer alten bequemen bracht gegen bie engen preufjifchen Uniformen
unb bie (Einführung ber ftrammen preu^ifchen $)iSciplin unb mehr
noch über bie ißorliebe beS ßaiferS für feine holfte inif d)en Xruppen,
bie er in ber augenfälligften Söeife beoor^ugte. 3)teS Ellies fümmerte
jeboch ben Clären wenig ; er trug trielmehr gefliffentlidj eine fo auS-
gesprochene Verachtung feines Golfes jur ©djau, bafc ber ihm ganj
Digitized by Google
Xbronbefieigung ber ffatferüt töatbnrina. 561
ergebene englifdje @efanbte ^cttt) bie Steigerung tyat: „$er @aifer
fdjeine feine Regierung mit bem <£ntfa)lu§ angefangen 51t fjaben,
fein SBolf ju hänfen , unb werbe bamit enben , für baSfelbe ein
©egenftanb ber SBeradjtung ju fein."
$)ie Unäufrieben^eit erreichte ben f)öd)ften ®rab, als $eter III-
93orfef)rungen 511 einem getbjuge gegen 3)änemarf traf, um an bem
bortigen ftönigSljaufe 9tad)e ju nehmen für bie Ungebühr, bie baS*
felbe feiner gamilie , inSbefonbere feinem ®ro&bater griebridj III.,
jugefügt. Vergebens futf)te ifm griebridj II., ber bon einem Um*
fdjlag in SRufjlanb bie fdjlimmften golgen für fid> felbft ju fürchten
tyatte, bon feinem Söorljaben abzubringen : Sßeter erflärte eS für eine
ßhmiiadje , firf) Don ben Xäncn ©enugtfjuung ju berfdjaffen , unb
als ber preu&ifd}e ©efanbte nochmals barauf jurütffam unb i§n jur
SBorfitfjt mahnte, ermieberte er: „SSenn ©ie mein greunb fein wollen,
fo berühren ©ie biefe Sad)e nidjt mdjr!"
(Sin Umfturj mürbe allgemein erwartet , unb am ®atferljofe
felbft, in Meters unmittelbarer 9*äf)e, mürben bie gäben $u bem
Sftefce gefponnen, baS Um umftritfen unb ju galle bringen follte.
$ie ftaiferin ftatlmrina (geb. am 2. 3Härj 1729 ju Stettin, wo
if>r SSater, ber preufnfdje gelbmarfdjatl S^riftian Sluguft, gürft bon
Slnfjalfcäerbft, als ©ouöerneur ftanb), bie am 1. September 1745
auf bie SSeranftaltung griebric^S II. mit bem bamaligen rufjifdjen
X^ronerben s$eter bermäfjlt morben (f. ©. 386), lebte mit ijjrem
©ernafjl in einer nichts weniger als glücflidjen @f)e. Xrofc ifirer
feltenen ©djönljeit unb i^rcr reiben geifttgen Begabung fafj fie fia)
bon iljrem (£emal)le $urüdgefefct, weil fia) berfelbe anberen Neigungen
Eingegeben fjatte, unb felbft bie im Safere 1754 erfolgte ©eburt eines
Xljronerben bermodjte nidjt, ein beffereS Söerfjältnifj jmifdjen beiben
©Regatten fjetbeiaufüljren. sJtad) feiner Xfjronbefteigung lieg *ßeter III.
fogar bie s2lbfidjt burtfjbltcfen , fid) bon feiner ©emaljlin, bie er auf
bie unwürbigfte SBeife bejubelte , fdjeiben unb fie in ein IHofter
fperren $u laffen , um fid) mit feiner bamaligen beliebten , einer
©räfin SBoronjow, 5U oermä^len.
$ie allgemeine Xijeilnaljme , bie fid) ber ßaiferin in um fo
leerem ©rabe suwanbte , als <ßeter HL fic§ bon Xag $u Xag
beräd)tlid)er unb berlja&ter madjte, bradjte in i^r ben <ßlan jur
SReife, fid) burdj ben ©turj ifjreS ®emal)ls ben SBeg jum Xf)rone
ju bahnen, als beffen (Srben s$eter, mit Umgebung feines eigenen
©olmeS, juerft ben unglücflidjen ©ro&fürften Qroan (f. ©. 278 u.
280), bann einen feiner ^olfteinifa^en Settern in ^uSfia^t genommen
^atte. 2luS ben gestern ifyreS ©ema^ls iBort^eil jie^enb , bewies
fie ber ruffifdjen ©eiftlia^feit baS entföiebeufte siöo^lwoHen, wohnte,
obgleich längft als eifrige S3ere^rerin Soltaire'S alles d)riftlid)en
^oljtoart^, Skligef^te. VI. 36
Digitized by Google
562
Katharina II. Don SRufelanb.
©tauben* baar, mit grojjem (Sifer bcm ©otte*bienfte bei unb beo*
bac^tetc auf ba* Strengfie alle ©ebräuße ber ortrjobojen ftirße;
auß getoann fic ba* $olf burß leutfelige* (Sntgegenfommen, mäh*
renb ba* $eer burß ifjrc guten greunbe auf ihre Seite gejogen
tourbe.
gür $eter* Stur^ unb Katharinen* ©r^ebung roirfte befon=
ber* bie eigene Sßroefter ber ©räfin SSoronjoro, bie neun$ef)n=
jährige, burß fjcrtorragenbe Talente, toeibliße Anmutf) unb eine
gtüfyenbe 93atcrlanb*liebe gleich au*ge$eißuete Sürftin $ a f ß*
fort), oon welcher ^perjen fagt : „3n it)rcr perfon (ei ba* ruffifße
Söetb , aufgetuedt oon ber reoolutionären ÜBeroegung unter ^Seter
bem Großen, $um erften SJtale au* ber früheren SBejßränfting
herüorgetreten unb habt feine gärjigfeit jur X^eilna^me an ben
öffentlißen Angelegenheiten, an ber Üteorganifation be* Staate*,
an fünften unb SSHffenf ßaften gezeigt.- Xurß fie rourbc junädjft
ber einflujjreiße ©raf $ a n i n , ein ftaat*fluger SBeltmann, für
Katharinen* plan geroonnen. Sieben biefen Reiben entfaltete bie
rührigfte Xptigfeit für bie (Erhebung Katharinen* © r e g o r Drlott),
ber (Snfel eine* üon Peter bem ©ro&en roegen feiner ferfen Xobe*=
oeraßtung begnabigten Streiken unb faiferlißer ©arbeoffyier, ber
burß feine auBcrgcroöhnliße Sßbnhett unb feine herfulifdje ©eftalt
Auffegen erregte unb al* ber beoorjugte ©unftling ber Kaiferin
Alle* an ba* (Belingen ihre* plane* fefcte.
3m Vereine mit feinen beiben SBrübern Alefei unb Seobor
getoann ©regor Orlom ber Kaiferin $ahlreiße anbere Offiziere ber
Artillerie unb ber ©arbe, bie ohnehin gegen ben Katfer megen fei-
ner militärifchen Neuerungen aufgebraßt roarcu. 2>a* oon ben
58erjßtoorenen an bie Xruppen gefpenbete ©elb, ba* ©regor Orlom
ber oon ihm oerioalteten Kaffe ber Artillerie entnahm, üerlieh ben
©erüßten oon ben unheilooUen planen be* Kaifcr* unb oon ber
feiner ©emahlin brohenben ©efahr ein größere* ©etoißt. #on
ben höheren Offizieren felbft begünftigt, griff ber ©eift ber Meuterei
unter ber Öefafcung oon Peter*burg immer toeiter um fiß.
Ohne Ahnung oon ben gegen ihn gefßmiebeten planen, Oer*
lie§ Peter III. Petersburg, um fiß naß Öranienbaum ju begeben,
too er feine Ijolfteinifc^eu Solbaten ejercirte unb bie Abeube in
©efellfßaft leichtfertiger grauen im Xheater ober an einer reißbe*
festen Xafel jubraßte. $ie burß eine unoorfißtige Aeujjerung
oon Seiten eine* ber SBerfßroorenen üeranlafjte Verhaftung eine*
Offizier* befßleunigte bie Kataftrophe, inbem fie bie greunbe ber
Kaiferin ju ber Ueberjeugung braßte, bafc nur bie unoerjügliße
Ausführung be* entworfenen plane* ba* Belingen be*felben fißern
fonne. SBährenb bie Surftin $)afßforo ihren brannten bei ber
Digitized by Google
X^roiibeitcißung ber Äaifcrin tatfjarina.
563
33mailon/fcf)en (Sarbe bie SBeifung jufommen lie&, 2We£ für bic
folgenbe ftadjt (9. 3uti 1762) bereit 51t Ratten, eilte s2llerä Drlom
ju bet in bem Suftfdjloffe Peterfyof roeilenben $aiferin, um fie üon
ber 8age ber 3)inge in ®enntniß 511 fefcen unb iljre unüerjüglicf)e
SKütffefyr naef) Petersburg ju üeranlaffen, ju welcher fie fid) fofort
bereit erflärte. s2llS fie in ber ®a)eme ber 33mailon/frf)en ®arbe
erfd)ien, ftnrjten ifjr bic Solbaten entgegen, fugten ifjr bie £>änbe,
bie güfje, baS ®leib unb nannten fie ifyre Retterin. 9ftit bem
gleichen (EntfjufiaSmuS rourbe fie in ber $aferne ber ©emenoros*
ftje^en @Jarbe empfangen, tootym fie fidj unter bem (Meitc ber
33ntaUou>'fcf)en (Uarbe begeben fyatte, unb als fid) ber ötm b°r*
nad) ber $afanfira)e roaubte, fameu ifyr aud) bie PreobrafdjenS*
foi'fdjen (Sarben, üon ifyren Offizieren geführt, mit lautem 3ubel=
ruf entgegen. $n ocr ÄWJc fyarrte ber (5r5bifd)of üon SRomgorob
mit ben popen, um ber neuen £>errid)ertn, bie i^ren @of)n paul
511111 Ifyronfolger hatte aufrufen laffeu, bie religtöfen Leihen 511
erteilen, 9tadjbem bic $aiferin hierauf friegerifdje %xad)t nad)
ruffifajem ©dmitt angelegt, ließ fie bie Xruppen an fid) üoruber=
jie^en unb begab fid> bann nad) bem SBintcrpataft , roo fie i^ren
28o!)iififc nafym.
(Sin alsbalb üeröffentlidjteS SPiauifeft , in meinem fidj bie
neue £>errfd)erin „ßatfyarina II , üon (Rottes ©naben tfaiferin unb
©elbftljerrjdjeriu aller Oieuöen" nannte, üerfüubetc ber rujfi(d)en
Nation, baß fie, bem ungeljeudjelten Verlangen üjrer Unterbauen
nadjgebenb, ben Xfyron beS geliebten SBaterlanbeS beftiegen Ijabe,
um bie ortfyobofe Religion oor ber ®efa£)r, burd) einen fremben
(Glauben Derbrängt ju werben, ju fdjüfcen, bic burd) ben mit bem
argften geinbe beS 9ieid>eS gefdjloffenen grieben ferner ge*
fd)äbigtc StaatSefjre Sftn&lanbS ju retten unb bie üon bem gän$'
lidjen Umfturj bebroljte innere ißerfaffung, auf melier baS iiBotjl
unb bie ©runbüefte beS SBaterlanbeS beruhe aufrecht ju galten.
35ie SReoolution, bie bem ruffijajen 9teid)e eine beutjdje Sürften-
todjter jur £errfd)erin geben follte, mar innerhalb ber rujjijdjen
£auptftabt üollenbet, unb ganj Petersburg fdnüelgte im igubel. Vlm
fiadjinittage brad) bie $ai)erin, in ©arbeuniform unb ju pferbc,
an ber ©pifce üon jmanjigtaujenb Sftann, unter benen fid) üiele
greiroilligen befanben, gegen Oranienbaum auf. Qfyr jur Seite ritt,
gleichfalls in ber alten Uniform ber öJarbe, bie gürftin $afd}fom.
3nin)ifc^en Ijatte Peter III., bcr fia) oon Dranieubaum uad)
bem ©aploffe ^eter^of begeben, um bie legten ^norbnungen ju
einem bort abjulmltenben gefte ju treffen, üon ben Vorgängen in
Petersburg ihmbe erhalten. fWünnia^, ben er gleich naa) feiner
X^ronbefteigung mit ben meiften übrigen ^erüorragenbeu Verbann*
ten aus Sibirien jurüefberufen unb in feine Remter unb SBürben
36*
Digitized by Google
564
Äat^arina II. oon SRu&tanb.
mieber etngefefct hatte, rietf) ihm, fogletch nach bem nat)en ftronftabt
überzufahren, um fidj bcr bortigcn glotte z« oerfichern unb an bcr
©pifce bcr ja^Ircic^cn ©efafcung bcr Seftung gegen bic aufrührerifdje
#auptftabt oorjurüefen. ©djon war Me« $ur ©injduffung bereit,
al« ber Kaifer burd) ben Slnmarfdj feiner I^olfteinifdjen Xruppcn
auf ben ©ebanfen gebracht würbe, fich in Weierhof $u bertljeibigen,
ba ihm bie (£Ijre oerbiete, ju entfliegen, SBährenb hierzu bie
nötigen SBorfehrungen getroffen Würben , raubte bie Nachricht oon
Katharinens heranziehen bem faifer ben SHutlj. (£ilig iourbe jefct
bie Ueberfahrt nach fcronftabt bettjerfftcUigt ; allein bie Äaiferin
hatte in ber «gwifchenzeit ben bortigen , ihrem ©emahl ergebenen
ftommanbanten abgefejjt unb bie ©arnifon für fid> in ©ib unb
Pflicht nehmen laffen , unb fo mürbe bem ftaifer unb feinen öe*
gleitern bie fianbung oerweigert.
ajiünnict) brang in ben ftaifer, nach SReoal zu fahren unb fidj
auf einem ©chiffe ber bortigen giotte nach Greußen bringen zu
laffen, um mit $Ufc ber bort ftehenben ruffifa^eu N2lrmee oon ad^ig*
taufenb 9Jcann feine Jpauptftabt zum ©ehorfam jurücfjuführen.
©tatt biefem föathe ju folgen, liefe fich $eter burch bie grauen unb
Höflinge überreben, einen ißerfudj bux MuSföhnung mit feiner ©e*
mahlin zu machen, ju welchem (£ube er fich nach Dranienbaum z"s
rücfbringeu liefe. itfon bort entfanbte er einen Äammcrhcrrn an
bie tfaiferin , um ihre Verzeihung Zu erflehen unb ihr bie XtyU
lung bcr &errfchaft anzubieten, ©tatt aller Antwort liefe ihm
Katharina eine (£ntfagung«urfunbe jur Unterzeichnung jufteaen.
Vergeben* bat ihn sJttüumd), fich lieber an bie ©pifce feiner 4>ol=
fteiner ju ftetten , um al* Äaifer ju fterben : bcr in Zrunl unb
SSohtleben üerfommene ©jar mar feine« mannhaften ©ntfchluffe«
fähig. Dhnc äöibcrrcbc unterzeichnete er bie Urfunbe feine« ©tur*
Ze«, worauf ber Ueberbringer berfelben bie $>olfteiner entwaffnen
unb einfperren , ben entthronten ftaifer aber nach btm &mbhaufe
Sftobfchaf bringen liefe.
sJll« Katharina in sßetert)of bie Jpulbigungen ber Umgebung
beä ftaifer« empfing, wanbte fie fich an 9K&nnt$ mit ben SBorten:
M©ie hoben gegen mich kämpfen wollen?" — „konnte ich", erwieberte
er, „weniger thun für einen Surften, ber mich au« ber (befangen*
fdjaft befreit hatte? 3c(jt ift e« meine Pflicht, für (£ure ilJcajeftät
Zu fämpfen, unb ich werbe biefelbe mit ber gleichen Xreue erfüllen. "
3)ie ilatfcrin übertrug bem achtzigjährigen, um dtufelanb Ijocljoer-
bienten (Drei« bie Leitung be« ^iabogafanalbaue« unb hielt ihn bi«
an feinen Xob (10. Oft. 1767) in hohen ©hreu.
©0 grofe auch ber 0 11 bei mar , mit welchem Katharina bei
ihrer iKütffehr nach Petersburg oon ber Vcoölferung begrüfet würbe,
trübte boch ber ©ebanfe, bafe bie wanbelbare Jöoltegunft fich bcm ent*
Digitized by Google
X^ronbcftcißung ber Äoiferin #atharina.
565
thronten Gmfel ^ßctcrö beS (Großen lütcbcr $utoenben unb bie faum
errungene ftrone U)r uneber entrifjen luerben fönne, i^rc tt)ie ihrer
greunbe SKuhe. $)en geftürjten ®aifer unfdjäblid) $u machen , gab
eS , nach ber Anficht ber Verfchtoorenen , fein anbereS SJcittel , als
feinen Xob; benn aus bent 21uSlanbe fonnte er mit ^eercSmacht
jurüeffehren, unb im Qnlonbe fdjien feine Seftung ftarf genug, um
bei einer ju feiner Befreiung geplanten Verfchroörung ftdjeren
SBiberftanb ju leiften. 3)a$u fam bie Hoffnung DrlotoS , baß bie
#aiferin fid) mit ü)m oermählen merbe , fobalb bie nach ben
ruffifchen ©efefcen unlösbaren Vanbe ihrer (5^e mit $eter III. ge*
fprengt fein mürben, ©o mürbe bie ©rmorbung beS Goaren be*
fchloffen, unb OrlomS ©ruber 2llerei übernahm bie Ausführung beS
freoelfjaften Vorhabens. SIm 17. Quli er fdjien er mit mehreren
anberen Offizieren , bie er in baS ©eheimnifj beS beabficf)tigten
Verbrechens eingemeiht, ju SRobfdwf in ben ©emädjem beS ®aiferS
unb geroann beffen Vertrauen burdj bie 3ufaQc feiner batbigen Ve*
freiung. Vci bem SDctttagSmahle , baS bie Verfdjroorenen mit bem
Äatfer einnahmen , mürbe bem Sefcteren oer gif teter Vurgunbermein
gereicht, ©dwn nach bem erften ®Iafc fdjöpfte er Verbacht unb
lieg i'irf) OTlcf) bringen, um bie SSirfung beS ©iftcS 311 lahmen;
bie Verfrorenen überfielen ihn jeboch unb warfen tt)n nad) oer*
zmetflungSöolIer GJegenroehr ju Voben , morauf ihm mit einer
©Glinge ber £>als jugefdjnürt mürbe.
©0 enbete $eter III. im Hilter oon trierunbbrei&ig Qafjren
unter Sttörberhanben. $)ie Vefanntmadjung feines XobeS enthielt
bie (Srflarung f baß ber geroefene Äaifer einem heftigen ÄolifanfaH
erlegen fei. Damit SKiemanb an feinem £>in)d)eiben §rocifcIn fönne,
tourbe bie ßeidje, obgleich fie beutliche ©puren eines gemaltfamen
$obeS trug, üor ber feierlichen Veftattung in ber $ird)e beS 911eran=
ber 9cemsfi*ßlofterS auSgefteflt.
Ob <ßeter III. mit SBiffen unb SBiHen ber ftaiferin ermorbet
morben , ober ob bie Verfchmorenen bie oerbrecherifche Xfyat auS
eigenem Antrieb ausgeführt, barüber mirb bie ©efe^id^tc mohl nie
ein öottgiltigeS Urteil fällen fönnen. %üx baS (SHne mie für baS
5(nbere fjat man Veroeife beizubringen gefugt; bie größere SBahr*
fcheinlidjfeit fprtdjt jebod) für eine birefte SKitfdmlb ber ßaiferin.
3ebenfaHS befunben bie Belohnungen, bie allen denjenigen ju Zfytti
mürben, meldje bei bem Verbrechen mitgemirft hotten, ba& baSfelbe
minbeftenS ihre nachträgliche Billigung gefunben.
Digitized by Google
560
tfatöarina II. von SRußtcmb.
Äatftortna II. bcljamrtct ben ruften Ifjroit.
Nachbem burdj bie (Srmorbung <ßeter« III. nicht nur bic nachfte
©cfahr, bie bem Xf)rone bcr $aiferin brobte, fonbem aud) ba«
4>inbcrni& bcfeitigt morben, ba« ber Vermählung Katharina'« mit
Tregor Drlom im SBegc geftanben , bot ber Severe Me« auf , um
ju bicfem 3idc ju gelangen, unb ber Don ßatbarina au« Sibirien
jurüdbernfene SBeftucbem braute , um fic^ nicht nur bei bem mäa>
tigen (Mnftling, fonbem aud) bei ber ®aiferin bauernb in ®unft
ju fefcen, zahlreiche Unterfcbriften für eine 93ittfdjrift |U fammcln,
in melier flatbartna im tarnen bc« ruffifdjen $olfc« befdjmoren
tnurbc, ihr „glorreiche«" SBerf buref) iljre Vermählung mit einem
Muffen ju frönen unb ju ihrem ÖJcmable denjenigen ju roäfylen,
ber if)r als ber 2l;ürbigfte erfebeinc. $a« ^ßrojeft fcfjeiterte inbeffen
an bem cntjdnebcnen SS?iberfprud)e "SJkmn« , ber ba«felbe für eine
SBeleibigung bc« gefunben SOtcnicbcnücrftanbe« erflärtc , unb ®atba=
rina felbft mar flug genug , bem trafen $anin auf feine ©egcn=
oorftcHungen 511 erflären: „3dl b°be ben alten Nänfeicbmieb nie
ermächtigt 511 bem , ma« er jefct getrau t)at, unb roa« Sic betrifft,
fo jcf)e ich in ber $reue unb Offenheit Qtjred ^Benehmen« zu üiel
2(nbänglid)feit an meine ^erfon , af« baß id) jemals bie Söeroeg*
grnnbe be«felben mißbeuten fönnte."
3m September 1762 Iic& fid) ftatfjarina, nachbem fie, um fid)
in ber Qhtnft be« Soltek ju befeftigen, alle mißliebigen Neuerungen
^Jkter« III. aufgehoben f>atter ju TOodfait mit großer ^runfentfattung
feierlichst frönen ; ber Mbcl jeigte jeboeb bei biefer (Gelegenheit eine
fo referöirte unb ba« Volf eine fo fühle Haltung, baß fie mit crn=
ften söeforgntffcn erfüllt mürbe. Nicht nur in ihrem Sohne $aul,
ben ba« Volf, mo cd ifm erblicfte, mit lautem ftreubenruf begrüßte,
fonbem auch in bem unglüdlid)en Qroan, ben ^ßeter III. au« feiner
ftrengen £>aft in Sd)lüffelburg befreit fyatit, fa() fie einen gefäf)r=
liehen Nebenbuhler, ba e« ihr nicht entgangen mar, baß bie ©liefe
öiclcr Un$ufriebenen auf ihn gerichtet maren.
Um ber (Erhebung 3*üän« oor^ubeugen, ließ fie ihn in bie
®afcmatten öon Sd)lüffelburg jurüdbringen unb übertrug feine
tlebcrmachung zweien juoerläffigen Offizieren, benen fie ben fchrift=
liehen Befehl einhänbigte, ihn zu tobten, fobalb irgenb Qcmanb
einen s«8erfuch ju feiner Befreiung machen merbe. Wit auffaüenber
^tanlofigfeit that bie« am 20. 3uni 1764 SBaftl SJctromitfö au«
bcr Ufratnc, Unterlieutenant bei einem Infanterieregiment in ber
geftung Sdjlüffelburg. Wit brei Unteroffizieren , bie er für feinen
$lan gemonnen, begab er fid) in bcr Nacht ju ben 28ad)tpoften unb
Zeigte ihnen einen untergefchobenen Ufa« bc« Senate«, be« Chatte«,
baß bie Äaifcrin, entfchloffen, ba« ruffifche Neid} ju oertaffen, bem
Digitized by Google
Äatljarma II. behauptet ben rufftfthen Thron
567
®roßfürften 3man als bem rechtmäßigen 2f)roncr6cn bic trotte
jurärfjugeben bcabfichtige unb ber Senat bafjer beffen ^Befreiung unb
Ueberführung nacf> Petersburg angeorbnet habe. $on ben jubelnben
Solbaten begleitet, brang er gegen baS (Befängniß 3toanS üor; bie
Pächter beS Prinzen bertneigerten ihm jebod) ben ©nlaß , unb als
er 2tticne machte, baS %f)ox mit ®emalt p öffnen, ftießen fic ihren
befangenen, ber fieft bergebenS jur SBefjre 51t fefcen fuchte, mit $e*
gen* unb ©ajonettftichen nieber.
2llS 2Riromitfdj feinen Plan bereitclt faf) , gab er ftch ohne
Sßiberftanb gefangen. <£r rourbe, nadjbem man vergeben« bie 9ln*
gäbe bon üttitfchulbigen bon ihm ju erpreffen gefugt, am 28. ©ep*
tember 1764 enthauptet, dagegen erhielten bie beiben Offiziere,
bie ben unglürflid) en 3man getöbtet , eine Belohnung ; boer) mußten
fie auf einige 3ett nach $änemart flüchten, um bem Unnrillen beS
Öolfe« flu entgegen , baS in fötaler Sflenge unb mit fo fichtbaren
Seichen ber Sfjeitnaljme ju bem fieichnam beS in SWatrofentrac^t
bor ber Stirdje ju ©chlnffelburg auSgcftcöten 3man Ijerbeigeftrömt
mar, baß ber SBefehl gegeben roorben , ben ©arg ju fchließen unb
ihn eiligft nach einem jroeihunbert SSerfte Don Petersburg entfernten
Softer ^u bringen.
$urd) bic (Srmorbung 3^^^ btx SBeforgniß befreit, ihren
X^ron an einen SRäfyerberedjtigten $u verlieren, atljmete Katharina
freier auf, unb bie ©idjerheit ihres Auftretens, ic)rc Allen fühlbare
geiftige Ueberlegenheit, ir)r Salcnt, Qeben ju ihren Steeden ju ge*
brausen unb ©inen burd) ben Anbern in ©chranfen ju galten, unb
enblid) auch baS Vertrauen, baS fie gegen ihre Untert^anen $ur
©djau trug, bannten allmählich ben ®cift ber Auflehnung. $abei
fcffelte baS ebenfo jroanglofe uub freie als glänjcnbe Seben, baS
fidt) an ihrem $ofe entfaltete unb beffen ^Rci^ burdj bie feltenc söe*
roeglichfeit ihres ÖJeifteS unb bie Anmuth ir)rcr (Shrfehcinung erhöht
tt)urbe, bie feinere ©cfeUfdjaft, mährenb ihre auswärtige Politif ben
untemehmenberen ©eiftern reichliche (Gelegenheit $ur JBefriebigiuig
ihres XhötenburfteS bot.
(£lf Qahre lang hatte Katharina ben inneren ^rieben in ihrem
deiche aufrecht $u falten gemußt, als fie imQahre 1773 in (Gefahr
gerieth, alle fjrüc^tc ihres ehrgeizigen ©trcbenS an einen 2ftann
öon nieberer £>erfunft ju verlieren. (£tn bonifcher $ofaf, Pugat*
f d) c to , ber im fiebeujährigen Kriege unter (Slifabeth gegen bic
Preußen gefämpft unb fpäter an $atharina'S erftem Sfirfenfricge
Xheil genommen hatte, mar, weil er feinen Ab|d)ieb nicht hatte erhalten
fönnen, nach Polen entflohen, unb bort ^atte ein burchreifenber Df*
fixier ihm bie SBemerfung gemacht , baß er eine auffaHenbe Aehn-
lichfeit mit bem beworbenen ftatfer peter III. höhe, ©ofort ent-
warf Pugatfchem ben plan , fich bei feinen fianbsleuten für biefen
Digitized by Google
568
Katharina II. oon SRufjlanb.
auszugeben , ba er überzeugt mar , baß fte ihm in Maiic jufaHen
würben. Tiefe Ucberjeugung grünbete fid) auf ben Umftanb, baf$
bie ftofafen meift Anhänger einer im ftebjehnten 3ahrf}unbert ent*
ftanbenen griedufchen ©efte waren unb als SRaSfolnifen (©djiS*
matifer) üielfache Verfolgungen oon ©eiten ber orthoborat (Seiftlidj-
leit ju erbulben Ratten, mäljrenb fte unter $eter III. unbehelligt
geblieben waren.
3n ber Xfyat fanb ^ßugatfdjew bei ben ftofafen am Qaif, $u
benen er fich im ©eptember 1773 begab, bie befte Aufnahme, unb
iftiemanb jtoeifcltc an ber SBaljrheit feiner Ch^äblung , bafj er ber
Äaifer ^ßeter fei, ber fich aus ben Rauben feiner Verfolger gerettet
^abe, währenb an feiner Stelle ein ihm ähnlicher ©olbat ber ßeib=
Wache getöbtet Worben. 2Bie Um bie fchiSmatifchen ßofafen als ben
Söcfc^ü^cr i^rer religiöfen greiheit fweh gelten, fo gewann er bie
ruffifdjen Jöauern burch baS Verfprechen, fte burch bie Ausrottung
beS Abels oon ber Seibeigenfcfjaft ju befreien, unb balb fah er fich
an ber ©pifce eines zahlreichen, meift aus ®ofafen beftehenben $eereS,
mit welchem er mehrere gegen ihn auSgefanbte Xruppenabtheilungen
fiegreich jurüeffchlug unb bie ©täbte Drenburg unb ®athartnenburg
belagerte. $a& ber Aufftanb auch *>on anberen ©eiten begünftigt
unb unterftü&t mürbe, bewiefen bie burch ganj föufclanb oerbreiteten
attanifefte , welche ber ruffifchen Nation bie föücffehr Meters IU.
unb baS @nbe ber $errfcf}aft featharina'S oerfünbeten , fowie neu*
geprägte ÜJcünjcn mit bem Vtlbniffe Meters III. , bic in gro&er
beenge im Sanbe in Umlauf gefegt würben.
Qnbeffen würbe ^ugatfehew, bem ber glüefliche (Srfolg feines
Unternehmens feine anfängliche Vefonnenheit unb 2Jcafjigung geraubt
unb ber überall feinen SSeg mit Vranb , SRaub unb SJcorb bezieh*
nete, burch ben oon ber ftaiferin jum Kampfe gegen ihn aufgeru*
fenen Abel oon ®afan unb ben benachbarten ^rooinjen , ber felbft
burch ben Aufftanb fchwer bebroht war, jur Aufhebung ber Vela*
gerung Oon Drenburg gezwungen unb erlitt in ber sJlähe biefer
©tabt gegen ben gürften ©alifcin, ben gührer beS 3fcegterungSf)cereS,
eine fo bebeutenbe Sheberlage, ba§ er fich zum Sfcücfjug in bie ©e=
biete beS Ural genötigt fah ; boch fam er balb an ber ©pifce eines
neuen £eereS jurücf unb fchritt zur Belagerung ber alten unb gro*
fcen $>auptftabt fafan, bie fich ih™ ergeben mufjte. SBährenb er
bie abgefonbert oon ber ©tabt liegenbe (SitabeHe belagerte, würbe
er burch ben Dberften Sftidjelfon angegriffen unb nach einem hei&cn
tampfe genötigt, mit einem fchwachen Ueberrefte feines £>eereS in
bie ©teppe ju fliehen, dennoch oerlor ber gro&e §aufe beS VolfeS
baS Vertrauen ftu feinen Verfpredmngen nicht, unb balb fah er fich
aufs 9ceue an ber ©pifee eines zahlreichen £>eereS oon Hofafen,
ßalmucfen, Vafchfiren unb Bauern.
Digitized by Google
2>ie erfte Teilung $olen«.
569
3njtinfdjen hatte Katharina mit bcr Pforte, mit meldjer ftc
feit bem Safere 1768 ftrieg geführt, grieben gesoffen, unb fo
fat) fidj Sßugatfdjett) oon bem burdj ben ©rafen töomanjom aus
bcr Surfei jurücfgefüfjrten £eere im föücfen bebrofjt. Er manbte
ftdj ba^er nadj ber SBolga , um in bie europäifchen ^rooinjen unb
befonberä gegen HJcoöfau öorjubringen ; eine ruffifdje #eere8abtf)eU
lung unter bem Dberften STRic^cIfon oerlegte iljm jebod) ben 2öeg
unb fc^Iog ihn, als er im begriffe ftanb, bie fteftung Sari^in ju
belagern, in eine SBüfte ein, in melier bie 27cehrsahl ber &uf*
rubrer, bie Don feiner Ergebung hören moöten , theil* im Kampfe,
tbeilS in Slbgrünben unb jttriföen Seifen ben Xob fanben. <ßugat*
fchem fetbft rettete ftch, inbem er burdj bie SBolgau fömamm; bodj
ualjte feine ßaufbalm ihrem Enbe. ©ein Anhang fchmolj immer
mehr jufammen, unb jule&t liegen ftch feine nächften Sreunbe baju
herbei, ihn auszuliefern. Er ttmrbe nach SJcoSfau gebraut unb bort
am 21. 3anuar 1775 mit mehreren feiner ©enoffen enthauptet.
Um bie Erinnerung an ben jroeijährigen blutigen 2lufftanb §u ttl*
gen, ber eine gro&e 3af)l oon ©täbten unb Dörfern jerftürt unb
mehr als einmalcmnberttanfenb 9#enfchen baS Seben gefoftet, erlieg
bie ftaiferin einen UfaS , burch melden ber Warne 3 a i f für ewige
Seiten abgerafft unb biefem gluß ber Warne Ural öerlieljen
ttmrbe, roährenb bie an bemfelben gelegene ©tabt 3a6^i , in roel*
djer ^ugatfeheto juerft bie Salme ber Empörung aufgepflanzt, ben
tarnen UralSf erhielt.
2)ie erfte Stellung $olen§.
(1772.)
£a3 Söcftrebcn, SRufjlanbS ©renken ju erweitern unb zugleich
burch glönjenbe friegerifaje Erfolge bie ©eroalttfjätigfeiten , burd)
welche fie jum X^rone gelangt mar, fomie baS ämeifel^afte 9ted)t ihrer
$errfd)aft in SBergeffenheit ju bringen, führte Katharina auf bie
Saint ber Eroberungen. $toti Wacbbarftaaten , o l e n unb bie
% ü r f e i , boten ü) r für biefen ä^erf our(h ^)rc innere Schwäche
unb SBerroirrung einen trefflichen Spielraum, unb in beiben gelangte
fie burch bie Entfaltung ber perftbeften, burd) gemaltige ©treitfräfte
unterftüfcten ^ßolitif ju bem erftrebten Siele.
3n $olen tjatten bie Einrichtungen, burch meiere ber feit ber
SBerWanblung beS ErbfönigthumS in ein 9Bahlfönigthum jur abso-
luten ^errfc^aft gelangte s2lbel bie Sreihett beS ßanbeS ju fiebern
geglaubt , in ber -1 ijat aber nur feine eigene , mit Unterbrücfung
aller magren 58oIföfrci^cit errungene greifet bis in* ©djranfen*
Digitized by G
570
ftatyartna II. t>on JRufelanb.
lofe erweitert ^atte, bie ©runblagen aller ftaatlidjen Crbnung unter =
graben. SBie baS Don bcn ocrblenbeten 9lriftofraten als ba$ eigent*
liehe ^ßallabium ihrer Jreiheit gepriefene Liberum Veto (f. S.
226 f.), iitbcm e$ jebcm einzelnen fianbboten baS Stecht oerlieh,
burd) feine oerncinenbe Stimme ade iöcfc^lüffc be£ ^Reichstags un=
giltig ju machen, jebe ©efe|gebung unb jebc geregelte ginanjoer*
waltung unmöglich machte, jo lag in ber SBefugniB beä 2lbel£, fid)
$au£tritppen in jeber beliebigen Starte ju galten unb ju bewaff=
neten #onföberationen jufammen treten, um in Qeiten befon*
berer Uneinigfeit unb Verwirrung burd? Stimmenmehrheit baS
burchjufefcen, was auf bcn Reichstagen, wo Stimmeneinheüigfeit er-
forberlid) mar, nicht burchgefefct werben fonnte, bie Cuclle fteter
Unruhen, bie nicht feiten in blutige kämpfe ausarteten, ba oft $u
gleicher Seit mehrere ftonf Operationen entftanben, bie fcr)r öerfa^ie-
bene Bwecfe verfolgten.
SBäbrenb baS Liberum Veto unb bie Äonföberationen alle
Eintracht unter bem s2lbcl aerftört fjatten, fehlte bem oon einem
©djattenfönig regierten Staate zugleich bie Stüfce eine* fräftigeu
unb opferwilligen ©ürger* unb vijauernftanbeS ; benn alle Jrei^ei^
ten biefer beibeu Stäube waren in ben Vorrechten beS &belS unter;
gegangen. $ie meiften Stäbte waren auf abcligem ©runb erbaut
unb ftanben ol)ne allen fliechtsfehufc unb ohne forporatioc Selbft=
ftänbigfcit ju ihren ÖhitSberren in einem oöüig abhängigen 5Öcr*
i)ältni6 ; in ben wenigen freien ober föniglichen Stäbtcn aber war
ber SBürgerfchaft burd) ben 21bel jeber 9(ntl)ctl an ber gefefcgebett;
ben unb richterlichen ÖJeroalt entzogen Worben. Xaljer befanben
ftd) auch ©anbei, ©ewcrbfleijs unb SBoblftanb in bem 3»ftanbe
gänzlichen Verfalles, währenb fich ber SuruS unb bie VergnügungS=
fucht beS WbclS immer mehr gefteigert hatten.
3e foftfpieltger aber mit bem wachfenben ÖUJU* unb ber §it*
nehmenben Vergnügungssucht bie ÖebenSweife beS 9lbelS mürbe,
befto brüefenber würben aud) bie bem leibeigenen Vauernftanbc
aufgebürbeten Abgaben unb grohnben ; benn bie leibeigenen Jauern
hatten, obgleich fie fünf Sechftel beS ganzen Golfes bilbeten, feine
einige gefcfclichc Garantie unb fein anbereS Üiecht, als baS beS
$afeiuS, unb ftanben ben Üeibenfchaften ihrer ©utsherren umfo
fchnfclojer gegenüber, als nach bem polnischen ©efe^e ber Xobt*
fchlag eines porigen burch feinen £errn nur mit einer (Mbbufje
öon sehn aicarf, b. h- ungefähr oier Zfyakxn, beftraft würbe.
@S fehlte nicht an warnenben Stimmen, welche bem Slbcl
über bie unausbleiblichen Solgen feiner ÜDctfiberrfchaft bie Slugen
&u öffnen fliehten. „(£S wirb eine Seit fommen," fo oerfunbete ihm
fchon im 3af)re 1605 ber gro&e Äanjelrebner *ßatcr Sfarga,
„wo ihr ohne Könige fein werbet, ohne Vatcrlanb, oerbannt auf
Digitized by Google
2)ic erffc X^cilung ^olcnS
571
frember (£rbe itnb terachtet ton $enen, bie ehebem aus gurdjt
euch Hochachtung betoiefen." Unb bcr eble Köllig 3or)ann $afimir,
bcr tergebltch im 3af)re 1655 in bcr ®athebrale ton Scopol bic
anroefenbcn großen befchrooren, bic ©trafen beS Rimmels über
$olen baburch abjuroenben, baß fie „bie armen Sanbleutc auS
fflatifcher $ienftbarfcit erlöftcn," fprad) im 3at)re 1661 tor bem
öffentlichen Reichstage bie prophetifchen Söorte: „Bei unferer
inneren 3nrietraeht fjaben mir bic Angriffe beS SlnSlanbeS unb bie
X^eilung ber SHepublif ju fürdjten. $er SÄoSfomiter — tooüe
©ott# baß ich ein falfdjer Prophet fei — hrirb und fRnffifc^-^Soten
unb Sitthauen entreißen; Branbenburg roirb fid) ©roßpolenS unb
SöcftprcußenS bemächtigen, unb auch Cefterreich mirb bei biefer
Serftütfelung bie (Gelegenheit benufcen mollen unb fidj $rafau an*
eignen."
Slber bcr Hbel fpottete biefer Befürchtungen, „geben SCiigen*
btief bereit, ©nt unb ©tut für* »aterlanb ju opfern/' fagt 3anffen,
„unb toH jenes ritterlichen £clbengeifteS, bcr im übrigen Europa
Iängft fchon untergegangen, fprach er (ber potnifche Slbel) nur mit
Verachtung tom SluSlanb, fat) in bcr (Sinmifchung beSfelben bic
©aupturfache aller inucren SBirren unb UnglütfSfäHe unb machte
gleichzeitig felbft immer toieber baS fianb gu einem meiten Schau*
plafc auSlänbifcher Sntriguen. 9Han benfe nur an bie bei bem
$obe eines jeben Königs immer roieberfehrenben terhängntßtoßen
Reiten ber Interregnen, bie ber Slbel terfchulbcte, toeil er bem
$önig nicht einmal baS Recht juerfannte, bei feinen £eb$citen au
bic SBahl eine« Nachfolgers ju benfen unb ber Nation einen geeig*
neten ftanbibaten in SBorfdjlag §ii bringen."
211S gohann $afimir im 3af)rc 1661 bie ermähnte <ßrophe=
jeihung auSfprach, backte man im 5luSlanbe mirflich bereits an
eine Xh^hMÖ Motens. 3>aS erfte berartige s?rojcft ging oon bem
©ehmebenfönig ®art ÖJuftao aus, ber im $al)Tt 1656 bem ®ur=
fürften griebrich SBilhelm ton ©ranbenburg ©orfchläge ju einer
^heituug dolens machte, bei roelcher auch ber beutfehe ®aifer unb
Rußlanb, fotoie ber gürft (Georg Ragoqi) oon «Siebenbürgen be-
bacht roerben füllten. ©S fam in ber $hat $roifchcn ©chtoeben
unb ©ranbenburg ju mehreren bieSbejügUchen Verträgen ; bcr Shir-
fürft oon Söranbenburg trat jebodj Oon benfelben jurücf, nachbem
bnreh ben Vertrag oon Söclau baS ^erjogthum Greußen oon ber
polnifchcn SehcnSabI)ängigFeit befreit unb für fouuerän erflärt toor*
ben. RichtSbeftotoeniger blieben feit jener Qüt bie ©liefe bcS
Berliner |)ofeS auf bic ©rmerbung oon ^olnifch=$reußen ge*
richtet.
SBahrenb bcS norbifchen Krieges mnrben oon $eter bem
(Großen unb griebrid) I. ton Greußen neue $länc ju einer 3crs
Digitized by Google
572
Äatljarina II. bon Shiftlanb.
frücflung $otcnS entworfen, unb ber potnifebe 23abtfönig 9Ingitft II.
bot fogar fetbft, roie mir oben (€>. 314) gefeben, ben beiben 9tto-
nareben als $rei3 ibrer TOtmirfung ju feiner ©rbebung jum Crrb*
fönig bte Abtretung eine* XbetfeS bon $o!en an. $tefe neuen
^betfungSprojefte fdjeiterten jebod) an bem energifdjen SBiberftanbe
DefterreicbS nnb ber (Seemädjte, unb ate fester griebrieb 28tts
beim I. bon *ßreu&en nrieberbolten Waren auf biefelben $urücf=
tarn, roollte $eter ber ®roße bon einer 3^f^^ung *ßolen3 WicbtS
mebr toiffen, metl er bereit« ba« ganjeßanb al« eine ftdjere ©eute
SRu&IanbS betraebtete.
STucb nacb bem Xobe *ßeter3 be$ (Großen blieb ber (Srroerb
$oren3 ba3 näcbfte Siel ber rufftfeben ^otittf. $iefeS giet füllte,
ben oon ^Beter in feinem politifdjen Xeftamente gegebenen 93or*
fünften gemäß, bor OTem erreicht werben „burdj bie STufrecbtbal*
tung ber etenben potnifeben Stafaffung , bureb bie Wnjettetung
innerer ©irren unb ^arteiungen unb burdj ©eftedjungen unb
^ntrtguen aller 2Irt." $)ie rufftfeben $täne mürben geförbert burdj
ben nnbeilboHen polnifcben Xbronfolgefrieg, ber bem beutfeben föeidje
bte *ßrobtn$ Sotbringen foftete, ba« potnifebe ®ebiet rufftfeben
Xruppen ju beliebigem Statten preisgab unb ben biSberigen pol*
nifeben SebenSftaat fturlanb rufftfeben Sefeblen bienftbar machte
(f. 6. 277).
9fm ftebenjäbrigen Kriege arbeitete bie ftatferin ©fifabetb an
ber ?Tu8fubrung be8 polirifefjen Xeftamente$ ibreS SBaterS, tnbem
fte ben beutfeben SBruberfrieg au* aßen Gräften ju berrängern
fuebte, bamit bie beutfeben Sfläcbte befto mebr fidj abfebmäcben unb
bie ruffifdje (Suprematie über ^olen niebt bebtnberten, bereu 9(uf*
reebtbattung ba3 etgentlicbe SJcottb ber Xt)eitnabme ffiu&Ianb« an
bem Kriege mar. Dbgteia) ba3 unglüeflidje ^olen mäbrenb jener
&rieg3jabre niebt nur bon ruffifeben, fonbern aueb bon preu&tfcfjen
Xruppen mit ferneren ©ranbfdjafcungen fjetmgefucbt mürbe unb bie
preumfeben ^eerfübrer potntfe^e SRefruten mit (Gewalt jura Stiegt
bienfte fangen, betraebteten bie $oten Greußen als eine ©dmfe*
roefjr gegen föußlanb, unb im ganzen Sanbe fjiett man ftriebrid) II.
für ben ©innigen, bon metebem $oten feine Befreiung bon ben
übermütbigen 9htffen unb bte 5(btoebr noeb fdjfimmerer fünftiger $e=
brängniffe bon tyrer ©eite ermarten bürfe.
9htr flu balb füllten bie betörten $o!en erfabren, toie febr
fte ftd) in bem sßreufjenfönig getäufebt batten ; benn al& fte enbttd)
ju ber ©rfenntniß gehirnnen, baß ber fteigenben 9lott) be« SanbeS
nur burdj innere Reformen abgeholfen merben fönne, unb ju biefem
Chtbe bon einer mäcbtigen Partei bie $ermanblung beS ©afylfänig*
tbumS in ein (Srbfönigtbum, bie SIbfcbaffung be* Liberum Veto,
bie SBerleifmng po!itifdt)er 9lec^tc an ben ©ürgerftanb unb bie miU
Digitized by Google
2>ie erfte Teilung Polen«.
573
berung ber fieibeigenfgaft in SBorfglag gebracht würbe, trat grieb*
rig II. in ©emeinfgaft mit SRu&lanb allen biefen SReformoerfugen
mit Entfgiebcnl)eit entgegen, inbem er mit Peter III. bei bem
2lbfglu& grer Cffenfiö* unb Xefenfiöallianä t>om 8. Quni 1762
(f. @. 452) eine fliege geheimer Krtilel üereinbarte , in »eigen
beibe Kontrahenten fig öerpfligteten, jebem SBerfuge, ba3 polnifge
ßöniqtljum crblict) ju magen, mit aßen Mitteln, nötigenfalls mit
SBaffcngeroalt, entgegen jn treten, bei bem Xobe MuguftS III. nur
einen piaften jum polnifgen Xljrone jujulaffen unb fig über ben
paffenbften 2gron=ftanbibaten ju oereinbaren unb enbltg ben pol*
nifgen $tffibenten (fgiSmatifgen ©rieben, föeformirten, ßutye*
ranern u. f. to.) in religiöfer unb politijger 93e$iel)ung alle dje*
maligen Privilegien unb Prärogatiöe toieber ju oerfgaffen. 2Sa£
bürg biefc lefctere SBcreinbarung bejmecft mürbe, geftefjt griebrig
(elbft, inbem er in feinen Memoiren auSbrficflig fagt: „3)ie $i|>
bentenfrage fei bie §aupturfage aller jpäteren inneren Unruhen unb
Kriege gerne jen."
$ie Statififation btcfeS öölferregtännbrigen Vertrags mürbe
jroar bürg bie Entthronung PeterS III. üerfjinbert ; aber $aga=
rina II. beftätigtc, objgon fie in grem erften ÜKanifeft griebrig II.
als ben ärgften geinb SKußlaubS unb ben mit bemfelben gefgloffe*
nen Sieben als ein oon grem ®emal)t an ber ruffifgen Nation
üerübteS Söerbregen be^eignet f)atte, fgon am 2. Stooember 1762
baS üon Peter III. oon preufjen gefglofjene 93üubni&, unter Sei*
beljaltung ber be$üglig Polens vereinbarten geheimen Vlrtifel.
Sägrenb jebog griebrig ju Sebjeiten peterS III. bei beffen
unbegrenzter Eingebung an feine Perfon ju ber gegrünbeten
Hoffnung berechtigt geroefen, in Polen roie im ganzen nörb*
ligen Europa, einen bominirenben Einfluß ausüben 311 tonnen unb
im $ofe oon Petersburg einen getreuen unb gefügigen 2Wiirten
unb gorberer feiner Pläne $u finben, mufjte er fig nag ber 2gron*
befteigung $atfjarina'S, menn bie SBerbtnbung mit ir)r Sauer Ijabeu
füllte, nigt nur in bie Saunen unb Entmürfe feiner SBunbeSge*
noffin fügen, fonbern felbft $ur görberung grer perfönligen efjr*
geizigen ^meefe mttroirfen. kannte gn bog ber ruffifge Sftinifter
©raf Panin fpäter in feinem Uebermug „eine ruffifge ©gilbmagt",
bie aufrieben fei, bie jmeite fliotle $u fpieten , bamit bie Kaiferin
bie erfte übernehme.
NillS Kagarina II. ben ruffifgen 51) von beftieg, galt SRufelanb
nog fo menig für eine europäijge ÜDtogt, bafc griebrig II. im
3aj)re 1770 an feinen in Petersburg roeitenben ©ruber ^peinrig
fgrieb: „er fgitfe gm 9togrigten au» Europa", unb bajj bie
Polen auf eine Qnteroention ber meftligen «Staaten ju gren (fünften
gegen bie 2HoSfon)iter oorjüglig befgalb äfften, toeil eS gnen
Digitized by Google
574
tfatfjarina II. oon ftufjlanb.
unbenfbar festen, baß biete Staaten bie Srfjebung SRußlanbS „ju
einer europätfd)en $Jlad)t" sulaffen mürben. „Mber eben biefe (£r*
Hebung, bie nur bind) bie $8et)errid)ung Polens erreicht werben
tonnte/ fagt Qanffen, ,,faf) ftatbarina als ifjre SebenSaufgabe an.
2>urd) Polen beredte fie, mic fie in einer geheimen Qnftruftion
an ifjre ÖJefanbten in Söarfajau beutiid) auSfpridjt, bie ganje euro*
päifdje Politif ju beeinfluffen, unb fdjarf blidenbe iöeobadjter er*
rannten, ba& fte polen nidjt nur feiner felbft megen fi$ bienftbar
madjen mollte, fonbern um es als Srü&punft für bie £ebel ju ge=
brauchen, mit benen fie SDeutfct)lanb ju erfdnlttern l>offte. SBar aber
bie altruffifdje StaatSmapme, ,burd) Polen nad) Seutfdjlanb' er«
reietjt, fo mar bie rujfifcfje $tftatur über Mitropa gefiebert."
Unmittelbar uact) tyrer X^ronbeftetgitng fd)rieb ftatljarina an
ben polnifa^en trafen Stanislaus Puniatomsfi, ber als
©efanbter SluguftS III. in Petersburg ifn* beuorjugter ©ünftliug
gemefen: „3dj f Riefte fofort ben trafen $anferlingf nad) polen,
um Sie bort nad) bem Xobe SluguftS III. $um König 511 madjen."
ßinftmeilen follte Kauferlingf bafür Sorge tragen, ba& ber polnifd)e
£ef)enSftaat tturlanb, ben Muguft III. nad) bem Sturje öironS
feinem jüngeren Sof)ne Karl oerlieljen, bem bon Peter III. be=
gnabigte SBtron, ber bnret) niebere Sd)meict)eleicn bie ÖJunft ber
<£$arin erlangt, jurüdgegeben unb baburet) aufs sJkue unter ruffifdje
SBotmäSigfeit gebraut merbe. 9iad)bem griebrid) II. am 22.
Sebruav 1763 burd) feinen ©efanbten fein @inoerftänbni& mit bie*
fer neuen Interpretation beS SBölferredjtS tjatte auSfpredjen laffen,
rüdte ein ruffifdjeS £>cer oon fünf^e^ntaufenb sJKann in Kurlanb ein,
um oon bem £>er$og Karl bie Räumung beS £anbcS ju erzwingen,
tiefer mar Anfangs 511m SBiberftanb entfdjloffen , gab benfelben
jebod) alsbalb auf ben 93efef)l feines Katers auf. So febrte Jöiron
nad) Knrlanb utrüd, in beffen s43efi$e ifjm nad) feinem Xobe (1772)
fein Sot)u folgte. sJ£aa)bem bie Sjarin auci) ijittfjanen burd) ü)re
Gruppen t)atte befe^en laffen, ging fie in ifjrer N2lnma§ung fo meit,
bajj fie an ben König oon Polen baS Slnfinnen ftellte, u)r über
bie bisherige SBermaltung feines Königreid)S 9tcd)enfd)aft abju=
legen.
$a($ aud) griebridj II. Polen bereits als ein abhängiges ilanb
betradjtete, bemeift bie Söifltur, mit melier aud) er bort auftrat.
9tad) einem 33erict)te beS engüjdjen ®ejanbten in 2Barfd)au lieg er
ganje gamilien aufgeben unb mit (bemalt nad) Preußen unb
iöranbenbitrg bringen, um biefe t)aI6 ju ©runbe genuteten £anb*
fdmften ju beöolfern, unb trieb nad) einer Söeredjnung beS pol=
nijdjen KronfefretärS SfierSfi in ben beiben Palattnaten Pofcn
unb ^alifct) Kontributionen im betrage oon $met üttiüionen Kro=
nen ein.
Digitized by Google
3)tc erfte Xfjeüung <ßoIen$
575
Slm 5. Dftober 1763 ftorb ftonig Sluguft III. unb fein Sol)it
griebrich S^rtftian, ber ihm als fturfürft nachfolgte, erflartc fic^
jur Annahme ber polnifchen Stone bereit, falls fie ihm angetragen
werbe unb bie benachbarten dächte bamit einoerftanben feien ; allein
er ftarb fdjon am 13. $ejember beSfelben 3ahreS mit ftinterlaf*
fung eine« minberjährigen Nachfolgers. So fjatte bie (£$arin in
ber SSieberbefefcung beS polnifchen ^t)rone« öoUftänbig freie §anb.
Schon öor^er, am 6. ftooember, i>atte fie ihrem ©efanbten Äanfer*
lingf unb bem Surften $t e p n i n , ben fie bemfelben jur Unter*
ftüfcung jugefedt, eine Qnfrruftion jufommen laffen, meiere ü)re
perfibe ^ßolitit gegen $olen oollftänbtg enthüllt unb beß^alb ju ben
bemerf enSmertheften geheimen Wttenftüden ber 3^* gehurt. 9ftuß*
lanbs 3ntereffe, fjeijjt eS barin, oerlange gebieterifeh , baß $olen
niemals $u einer erblichen ÜJcouardjie erhoben werbe ; benn bie
(S:rblid)feit ber Srone wäre bei erfte unb ficherfte Schritt „ju allen
anberen Reformen, bie ben rujfijchen 3ntereffen fd)äblid) feien."
5)aS fächfifche SürftenfjauS müffe oom polnifchen X^rone üerbrängt,
bie Mrmee beS SanbeS bürfe nicht oerftärft, unb oor sMem muffe
baS Liberum Veto, b. h- bie Anarchie holend, aufrecht erhalten
Werben, weil SRußlanb barin feinen größten üftufcen unb „bie oor»
äüglichfte ©runblage feines bireften (SinfluffeS auf bie europäifdje
s#olitif" erfenne. 9cur ein $iaft, ber ben rufftjehen ^meefen bienft*
bar fei, bürfe ben polnifchen X^ron befteigen , unb Stanislaus
^oniatowsfi fei ber für föußlanb geeignetfte ®anbibat. Sr müffe
aber noch bor feiner $8af)l beftimmte Garantien geben, baß er auS
3)anfbarfeit gegen bie ©jarin alle $läne berfelben $u jeber Qtit
burdjführen unb bie Qntereffen föußlanbs ftetS als feine eigenen
betrachten werbe.
3ur SBeftecfjung ber Sanbboten auf ben ßanbtagen im Qntereffe
ber 2öaf)l SßoniatowSrVS ftedte Katharina ihren ©efanbten unge*
heuere ©elbfummen jur Verfügung; auch ertheilte fie ihnen ben
Auftrag, bafnn ju mirfen, baß ber Reichstag allen polnifchen $)ifft*
benten eine unbefchräntte Xoleranj bewillige unb bie rujfijche 3 ns
teroention unb (Garantie für alle ®efege , $rioi(egien unb
Freiheiten nachfuche. 5)aburch gewinne fie, bemerft bie (£$arin,
einen „p l a u f i b l e n 2$ o r w a n b" , (ich in bie polnifchen 2(nge=
legenheiten einjumifchen, unb tonne bann mit ^Bequemlichkeit ade
£ebel, bie fte für paffenb erachte, in Bewegung fefcen. Schließlich
fpricht Katharina ihren (Sefanbten bie Hoffnung aus, baß fie ohne
fö^ö jum 3iele ihrer SBünfdje gelangen werbe. Sollte aber, fügt
fie ht"ä"/ wieber (Erwarten ihr ftronfanbibat nicht gemäht werben,
fo fei fie entfchloffen, im (ärinoerftänbniß mit bem Äönig üon <ßreu*
ßen ohne alle oorauSgegangene SfriegSertlärung gleichseitig alle
polnifchen ^rooinjen mit ihren Xruppen ju überfchwemmen, ade
Digitized by
576
ffatfarina II. Don Shifelanb.
i^re ©egner als Slebeflen ju betrachten unb bercn ©üter mit Jener
unb Schwert $u oert)eeren , unb fte werbe bie SBaffen nicht et)er
nieberlegen, bid baS gange polnifche ßiolanb oon ber Slepubltf ge*
trennt unb bem rufftfdjen Bleiche etnoerleibt fei.
3m oollftänbigften SBiberfpruch mit biefer it)re Sßläne unum-
Wunben enthütlenben ^nftruftion ltcn bie (S^arm mehrere Söochen
fpäter ben *ßolen burch ben gürften Slepntn a m 1 1 i $ bie eibliche
unb feierliche sBerfidjerung geben: eS fei ein lügenhaftes ©erücht,
ba& jfe polntjchcS Gebiet an fich ju reißen beabfidjtige ; fte benfe
an feine ©roberungen, fonbern wolle lebiglict) „burch ©erechtigfeit,
9ftenfchlichfeit unb ©ro&muth" ihre Untertanen beglüefen; fte werbe
Weber felbft fich jemals an bem Öefifcftanbe dolens »ergreifen, nod*
jugeben , ba& berfelbe burch irgenb eine anbere Wlaty irgenbwie
graben erleibe. ©ine ähnliche (Jrflärung würbe am 24. Januar
1764 burch ben preu&ifchen ©efanbten in SSarfchau abgegeben.
„$er £önig", fo lieg fich berfelbe oernehmen, „fei mit Siecht barüber
inbignirt, bafi man il)in jutraue, er beabfichtige im (Sinöerftänbniffe
mit Slufjlanb eine Sheilung holend; jolche Sßläne feien feiner
ganjen XenfungSart entgegen , unb er wolle oielmetjr Ellies thunf
um baS polnifche ©ebiet unoerlefrt ju erhalten."
Um bie übrigen europäischen dächte ju täufchen , fieberten
Slu&lanb unb $reu&en ben $olen in öffentlichen Srlaffen eine ooU*
ftänbige 2Bat>lfreir)eit ju; gleichseitig aber lieg Katharina, „um bie
Freiheit ber ftonigsmahl ju fidjern," ein £eer oon fünfjehntaufenfc
SHann in *ßolen einrüefen , unb als bie <ßolen tytxübtx , als über
einen S3ruch beS VölferrechteS , ftlage erhoben , gaben ihnen bie
rujfifchen ©efanbten bie höfmenbe Antwort: „$ie fo freie unb
große polnifche Nation fönne boch nicht mahnen , ba& fo wenige
Muffen im Stanbe mären, irgenb (£twaS gegen ihre Siechte $u
unternehmen."
Stufjig jähen bie übrigen europäifchen flächte biefen ruffifchen
Vergewaltigungen in sJ$olen ju; benn Defterreich war nach ocm
blutigen fiebenjätjrigen Kriege erfdjöpft unb bie Pforte burch °ic
ruffifchen Vorfpiegelungen in oollftänbige Xäufdwng eingewiegt;
granfreich aber würbe burch tur^fichtige $oliti! beS £>er$ogS
oon IÜuukuI, ber auf nichts MnbereS fann, als auf bie Schwächung
GrnglanbS, unb überbie» bie polnifche Anarchie als einen SÖortr)eiI
für bie franjöfifchen Sntereffen anfaf), oon jeber (Stnmifchung ju
©unften dolens abgehalten , unb Ghtgtanb gab für ben ©ewinn
eines oortljcilljaften £anbelSocrtragS mit Slu&lanb ber ßsarin nicht
nur $olen, fonbern auch Schweben unb 2)änemar! preis, wofür es
oon Seiten ber ruffifchen SJlinifter nur Verachtung einerntete. v2luch
auf Sraufreich nahm Katharina fo wenig Slücfficht , ba& fie ben
fraujüfijchen ©ejanbten, ©rafen iöreteuil, auf beffen Anfrage, ob
Digitized by Google
$ie erftc Teilung Polens.
577
fte fidj nic^t mit bem £ofe oon SßcrfaiHc^ über einen polnifdjen
Äronf anbibaten oerftänbigen motte, mit ben SBorten abfertigte: „$ie
fianbfarte mirb Sfmen jeigen , ob eS einem Ruberen als mir ju*
fömmt, ben Polen einen flönig ju geben."
SRadjbem Äat^arina II. unb griebria) II. lange mit einanber
eine geheime $orrefponben$ geführt Ratten, fdjloffen fie am 11. Slpril
1764 einen neuen "Miau ^ertrag, bem baS jnuirfjen ^riebrict) unb
Peter III. unterm 8. 3uni 1762 vereinbarte ©ünbnij? als ©ruub*
läge biente. Straft biefeS XraftateS füllten bie Polen burd) ®e*
malt gejnmngen merben, auf alle Reformen Söerjtdjt ju leiften: bie
SBafjlmonardjie foHte beftetyen bleiben, baS Liberum Veto beibetjal*
tenf ber fatfjolifdjen Äira^e polenS bttrdj Söegünftigung ber Xifft*
beuten ber SebenSnero burdjfdjmtten unb bie $iffibentenfrage als
nnrffamfteS Littel ber Aufregung unb als bequemer SBormanb 51t
fortgelegter ©inmtfdmng benufct merben. @S mar baS XobeSurtfjeil
Polens , baS bie betben 9J?onara)en mit biefem Xraftate unter
jeidmeten.
Unterbeffen Iwtte ber BteidjSprimaS SttbienSfi , ©rjbtfdjof öon
©nefen, bem polnifdjen 2lbel nod) einmal alle ©efa^ren oor klugen
geführt, bie ber tnnerlidj jerrütteten SRepublif öon bem SluSlanbe
breiten, uub tf)n mit feurigem Patriotismus ermahnt, bei ber be*
öorftefyenben ®önigsmal)l alle 3nrietrad)t rutjen $u laffen unb mit
mannhafter Xljatfraft ju SBerfe ju gelten. Slber fo ferner aud)
fdjon bamals baS frembe ^od) auf polen laftete , fdjenfte bennod)
ber potnifdje Slbel ben SRafmungen beS PrimaS fein ©efjör : fd>roff
unb gemaltfam, mie faum je Dörfer, traten bie inneren parteieu
bei ber neuen ÄönigSma^l gegen einanber auf. $er ÜReformpartei,
an beren ©pifce bie mäd)tige gamilie ber ©jartoröSft'S ftanb,
gelang eS jmar, auf bem am 7. 3Rai 1764 eröffneten „$onuo*
cationSreid/Stage" nad) getoaltfamer Entfernung ifjrer ©egner mel)*
rere fjeilfamen ©efefce burd^ubringen , burd) meiere bie föniglidje
9Jtod)t eine nia)t unbebeutenbe (Srmeiterung erhalten mu&te; als fte
jeboa), um bie 2lnardjie mit ber SBurjel auSjurei&en, bie ^luföebung
beS Liberum Veto ju bewirten fudjte, legten bie ©efanbten SRufc
lanbS unb preufjenS im tarnen tyrer ©ouoeräne bagegen fo ent*
fduebenen Proteft ein , baß bie Partei fid) gezwungen fal) , biefeS
midjtigfte 9*eformproje{t fallen ju laffen.
dagegen liegen föu&lanb unb Preu&en, um bie modrige Par>
tei ber GjartoroSri'S , beren fte ftd) $ur föegulirung ber Königs*
maljl in iljrem ©inne ju bebienen münjd}ten, nidjt aUjufe^r gegen
fidj aufjubringen , ben föeiajStag in ber (£infül)rung mehrerer
mefentlia^en Söerbeffcrungen in ©etreff ber JÖermaltung beS ßanbeS
unb beS GJeridjtSmefenS , namentlich ju ©unften beS gebrüeften
SBürger* unb ©aueraftanbeS, ru^ig gemä^ren; — mußten fie boa),
^oliteart^, ©cltflef^te. VI. 37
Digitized by Google
578
ßatfyarma II. »on SRufolanb.
ba& eä in ihrer 9Jcacht lag , bereit ?(uäführung jeberjeit ju Oer*
hinbern.
3Wit Jptlfe ber SReformpartei tourbe am 7. September 1764
bie Sr^ebuug beS ruffiid^preu&ifdjen Sfronfanbibaten Stanislaus
^oniatom^fi , eine* Neffen ber Gjartoruäfi'd , auf ben polnifdjen
%i)von $u Staube gebracht. Söenn jeboer) bie ßefcteren gehofft
Ratten , auf biefen charafter* unb fittenlofen SDcenfchen einen be=
ftimmenbeu Einfluß ausüben unb ilm für bie politische SBiebergeburt
beS #anbeä begeiftern ju fönnen , fo fafjen fte ftdj in biefer £>off*
nung fdjmäfjlid) getauft; benn ber neue ftönig (jatte oor fetner
SBa^l gegen SRuftlanb unb ^Sreufeen geheime Verpflichtungen etnge*
gangen , burch welche er fich öon üornherein $u einem bloßen ©e=
fdjöpfe biefer dächte erniebrigte.
fleachbem Katharina burch bie Söaftl $oniatott>3fi'3 ihren nädj=
ften 3toecf in ^ßolen erreicht hatte , fteflte fte , um bie SRepublif in
ooflftänbigfter ?(bl)än gigfett ju erhalten unb fte in alle ben pol*
nifdjen Qutereffen fernlicgenben rujfifchen @roberung3friege hinein-
Riehen ju fönnen , an ben fogenannten „ftrimungäreichstag'' bie
Sorberung, mit 9tu&lanb ein Sd)ufo= unb Xru(jbünbni& $u fchlieBen,
mofür fie bie Verhärtung ber polntfchen Slrmee auf fünfjigtaufenb
SDcann geftatten moHte. Slber bie SBitlfährigfeit ber CSjartorndfi'3
gegen bie (^arin l)atte ihr ©übe erreicht : bie vilbfid)ten $atharina'd
burchfehauenb , festen fie auf bem Reichstage bie Verwerfung beS
oerlangten VünbniffeS burch, matten fich aber baburch bie ©jarin
$u il)rer unoerfölmlichen geinbin.
Qnbeffen fetnen mit bem beginne ber Regierung beä neuen
ßönig« , ber balb Don allen übrigen dächten Europa'* anerfannt
tourbe, für baS unglüefliche $olen eine beffere Seit anbrechen ju
tooüen ; benn bie ©eifter beruhigten fich allmählich , unb mit bett
(^artornsfrs , betten, als ben jpäuptcrn ber Reformpartet , bie üBe-
fugnijj eingeräumt toorben , für bie Durchführung ber erlaffenen
neuen ©efefce unb Verorbnungen Sorge §ti tragen, föhnten ftch öiele
ihrer früheren (Gegner au*.
Slbcr biefe SBenbung sunt Vefferen reijte ben 3orn ber Sjarin.
Sie fefcte alle £ebel in Bewegung, um ben ftönig bem (SinfluB ber
(XäartoruSfi'S ju entziehen, unb unterftüfcte aüe (Gegner berfelben.
Ungeftraft burften bie in v$olen ftehenben rujfijchen Xruppen uner*
hörte Barbareien oerüben, unb als bie auf bem ÄrönungSreichStag
im Anfang beS 3ahreS 1765 jur Schlichtung einiger jmijchen SRufc
lanb unb v£olen objehmebeuben (Skenaftreitigfeiten eingelegte Äom^
miffion toegen biefer MuSfchreitungen ben Beginn ihrer Arbeiten Oer*
jögerte, nahm fie felbft bie „Örenjregulirung" in bie £>anb, inbem
fie burch mehrere neuen , ju biefem Qmdt nach $olen entfanbten
Regimenter bie ören^en bahin „berichtigen" UeB, bafc fte ber ftepu*
Digitized by Google
3>U crftc Xfjeihmg ^olenS.
579
blif in ben öftlidjen <ßroOiitäen einen Sanbftrid) Oon fünfzig Cuabrat*
meilen mit einer SBeoöfferung oon einmalig uubertfechäigtaufenb ga*
milicn entriß. $abei Ratten bie ruffifdjen Gruppen *8efcf)l , alle
£anbroerfer unb ftünftler, welche bie poliiifd&cn Wbeligen mit großen
Soften auf ir>rc (Mter gebogen, unter militärijcher Pforte nad) Ruß*
lonb p bringen.
$a Katharina in ber Verführung dolens jum Schisma nicht
nur baS ficherfte 9Jcittel jur Verschärfung beS für ihre äroede noth=
menbigen <ßarteihaberS, fonbern aud) ben geeigneten Vorroanb jur
fortgelegten Dccupirung beS polutfchcn Gebiete« erblitfte, Rotten bie
(Sefanbtcn RußlanbS unb Greußens gleich nach ber Söahl ^onia»
tomSfi'S an ben Reichstag bie gorberung geftellt, baß alle $üfiben*
ten bollfommene Religionsfreiheit ersahen unb ju allen ©t)rcnftetlcn
unb Staatsämtern augelaffen werben (oQten.
$hötfäd)lich genoffen bie polnifchen 35ifftbcnten oller Stänbe
üofle religiöfe greifjeit unb ben gleichen Schuft ber $efefoe, wie bie
ßatfyolifen , unb ber afatl)olifche s21bel befaß nid)t nur alle (Xiüil-
red)te beS fatfjolif d)en , fonbern fonnte auch ebenfo gut wie biefer
alle sJJ<agiftratSWürbeu unb $erid)täämter , ja fogar bie fjodjfteu
Stellen in ber Mrmce bcfleiben ; eS lag ba^er am Xoge , baß bie
gorberung ber QnteroentionSmädjte feinen anbeten Qmcd hatte, als
bem biffibentifdjen 21bel , ber nur einige ljunbert gamilien 5äl)lte,
bie SouüerämtätSrechte beS fatholifchen VlbclS , b. f). Sifc unb
Stimme im Reichstag unb Zutritt ju ben Ijofjen Ehrenämtern, ju
ncrjdjaffcn, bamit ber CSjariu im Senate unb auf ben Reichstagen
eine ifjr ftets gefugige politifdje Partei p (Gebote ftelje; ebenbeß*
halb ftieß jeboch biefe gorberung bei bem Reichstage auf ben out
fduebenften SBiberftanb. RichtSbeftoroentger gab $anin ben $iffi*
benten bie Verfidjerung : an ein 3utütf$ieheu oer rujfijchen Gruppen
auS sßolen fei nicht eher }ii benfen , bis feine £>errin mit ihren
SBünjchen burchgebrungen fei, unb bem englifdjen ©ejanbten bemerfte
er : wenn ber polnifchc Reichstag bie gorberungen wegen ber 2)ijft-
beuten nicht gutwillig benüüige , fo mürben oon ber einen Seite
oierjigtaufenb Ruffen unb oon ber anbereu oier^igtaufenb Greußen
in $olen einrüden, unb mären bie 3)inge einmal ju biefem Weußer*
ften gefommen, fo halte er fich oon allen Stipulationen entbunben
unb ööüig frei, weitere gorberungen ju ftetlen.
Sluf bem Reichstage üom 3ahre erneuerte Repnin bie
gorberungen für bie Xiffibenten , inbem er im Rainen ber ßjarin
erflärte: Rußlanb unb bie übrigen afatholifchen sDcächte feien Oer»
pflichtet, für bie „Ruhe ber Republif" ju forgen, unb bie (£$arin,
bie fich bereits um s$olen unenbliche Verbienfte erworben , ba fie
großmütig unb uneigeunüftig eine freie ÄönigSwahl ermöglicht
|abe, werbe il)r glorreiches SBerf erft Hwn für oolleubet erachten,
37 *
Digitized by
580
tfatljarma II. oon SRufelanö.
toenn burdj bie ©ehufligung beffen, tt>a& [\t für bie $)iffibenten Oer*
lange, atte Urfachen innerer Unruhen gehoben feien.
Xem drängen SRu&lanbS unb *ßreu&en3 ju fünften ber $ifft*
benten, für roelche auch bie ©efanbten (SnglanbS, Schtoebenfc unb
Xänemarfö „im tarnen ber Humanität" ihre Stimme erhoben, ob-
gleich in allen brei fiänbern bie ßat^olifen nicht bie geringfte
ioterauj unb noch oiel weniger irgenb toelche politischen fechte ge*
noffeu , trat auf bem Reichstag am entfduebenften ber eble Jöifdjof
Soltif oon Ifrafau entgegen, unbefümmert um bie 2)roljung
SRepninS, ba& er it)n nach Sibirien bringen iaffen merbe, falls er
ber Gjarin toiberftrebe. «IIS ©ifchof, fo erflärte er, müffe er
über bie Reinheit beS GJlaubenS machen , als Senator barauf ^tn*
toeijen , bafe RtchtS ber inneren Ruhe eines Staate« oerbcrblidt)er
fei, als eine SBielfjeit oon Seften mit gleiten Rechten unb gleicher
8rei()Ctt. 3ubem toiberfprächen bie JJorberungcn ber Sttffibentcn
ben ®runbgefe(jcn ber Republif unb ben abgcjchloffenen Üraftaten.
Üflan folle ben Stffibenten ihre bisherigen Rechte getoährleiften,
aber feine neuen Rechte jugeftehen, unb ihnen burd) ein beftimmteS
(äJefejj unter Strafanbrolmng oerbieten , in ßufunft ähnliche 2ht*
fprüche , mie jefct , ju erheben unb burd) bas Anrufen ber $ilfe
frember Üttächte bie innere Ruhe ber Republif ju ftören. Obgleich
nicht nur bie Söifc^öfc, fonbern auch bie meiften Sanbboten fich mit
biefem Sßorfdjlage etnoerftanben erhärten, fefctc ber ftömg eS burd),
baß bie Xijfibentenfrage einer au* ben öifchofen gebilbeten ftom*
miffiou jur Prüfung übermiefen unb bie ©ntjdjeibiing barüber bis
$um Schaffe beS Reichstag* oertagt rourbe. $abei erflärte er
jeboaj, ba& er für bie Religion feiner iöäter leben unb fterben
tooüe, unb oerfidjerte bem päp tlic^en RuntiuS, er habe ber ©jarin
gemeibet, ba($ er auf ihre Mnforbcrungen für bie Ssijftbenten nicht
eingehen fönne.
„Db ber ftönig", fagt Qanffen, „in feinem SBiberftanbe gegen
Ru&laub bamals ernfte Wbfichten üerfolgt höbe, ober ob er, im Ge-
heimen mit Repnin eiuoerftanbcn , nur eine ,orthoboje 2RaSfe< oor*
gehalten , um bie Nation $u täujehen , ift bei bem burdmuS unju»
oerlaffigen (iljavaftcr beS Spanne* fdjroer $u entfeheiben. So oiel
aber ftef)t feft , bajj es ber S^arin geringe ffltyt f oftete , feinen
SBibcrftaub $u brechen. "
s)lad) ber Vertagung ber 2)ijfibentenfrage legten bie ß \axto-
röSft'S bem Reichstage einen neuen GJeietjentrourf oor, ber bie Muf=
hebung beS Liberum Veto $um ÖJegenftanbe liatte ; bie ©efanbten
Ru&lanbS unb Greußens erflärten jebod): bie „polnifche Freiheit"
bilbe ben foftbarften Schafc ber Nation , ben ihre Monarchen in
ihrer gürforge für biejclbe ihr nicht oerfümmern laffen fönnten ;
fie müßten baher auf einer uugejchluächtcn Wufrechthaltung be£
Digitized by Google
SMe erftc Teilung polen«
581
Liberum Veto befielen unb Würben bic Annahme be$ fraglichen
ßtefefcentwurfä für eine ®rieg3erf(ärung anfehen. Um biefer Orr*
flärung größeren SRachbrucf ju geben, mürben fechstaufenb Muffen
in ber 9cahe Don SBarfdjau einquarttrt unb äffe Slbeligen , bie fidj
bem SBiffen SRußtanbS unb Greußen* wiberfefcen würben , oon
föepnin mit ber ScrWüftung ihrer (Mter bebroht.
$urch biefe SKaßregetn erlangten jwar SRußtanb unb Preußen
bie SBerjidjtleiftung ber (Eaartortoaft'S auf ihre SReformpläne , nicht
aber bie (Sntfdjeibung ber $)iffibentenfrage in ihrem ©inne. 9cach
langen SBerbanblungen befchloß ber 9teic|$tag , baß bie bisherigen
©taatSgefefce $u fünften ber fatholifchen Kirche in #raft bleiben
unb ben $)iffibenten nur einige neuen Privilegien ertheilt werben
füllten, liefen ©efebtuß be3 Reichstags erftärte ffiepnin für einen
SBerratf) an Polen unb fünbtgte ber Republif im tarnen ber
(£jarin einen „9tache^rieg,' an. Xen $önig aber befchulbigte ®atl)a*
rina beä 53rudje8 ber bei feiner X^ronbefteigung bezüglich ber $)ifft*
benten übernommenen SBerpflidjrung unb brof)te ihm mit (Smtthro*
nung, fatld er feine ©eftnnungen nicht änbere. 8« ber gleiten
Seit würben bie ritffifdfjen Xruppen in Polen öerftärft unb bie
$ifftbenten aufgeforbert , ju einer bewaffneten fonföberation $u*
fammen^utreten. $er eingeflüsterte fönig verpflichtete ftch in
einem eigenhänbigen ©riefe an bie (£$arin von Beuern , bie ©adje
ber $ifftbenten $u ber feinigen ju machen, mit bem Beifügen, baß
er ftch felbft beS X^rone« für verluftig erflären werbe , wenn er
biefe ©adje nicht ju einem glücklichen Ausgange führe. $ur voll*
ftänbigeu ^erfteffung feine« guten (Einvernehmens mit feiner £errin
beburfte es jeboch ber ©efräftigung feiner 3ufagen burch einen
vor Repntn abgelegten förmlichen unb feierlichen (Stb.
2tuf Wnftiften ber Muffen unb unter bem $rucf ber in Polen
fteljenben ruffifchen Xruppen bifbeten fid) im 9Jcär$ 1767 unter
bem biffibentifchen s2lbel jmei bewaffnete $ onföberationen ; bodj tra*
ten benfelben, trofc aller von ben Muffen angewanbten SJcittel ber
Ueberrebung unb Drohung, nicht alle $iffibenten bei. Biete warn*
ten ihre ®laubenSgenoffen vor ber Betheiligung an bem öon Ruß*
lanb »erlangten bewaffneten Borgehen , ba es bie ©runblagen do-
lens erfchüttern unb bie ffiepublif in ben Slbgrunb ftür^en werbe.
§luch liege , fo erf (arten fie , für bie $ifftbenten feinerlei Beran*
laffung ju klagen vor, ba bie Xolerauj, bie fie genöffen unb bie
auf bem legten Reichstag burch neue Privilegien erweitert worben,
«bic größte fei, bie es in (Europa gebe." RichtSbeftoweniger er*
Härte Katharina in einem jur Rechtfertigung ihrer Polittf er*
(offenen 9Jcanifeft : bie $ifftbenten befänben ft<h in Polen in einem
Suftanbe ber Äuechtfchaft, unb ba ade ihre bisherigen Bemühungen,
fie berfelben 31t entreißen, vergeblich gewefen, Ratten bie 5)iffibenten
Digitized by
582
ßatlmrma II. üon Rufelanb.
ficfj genötigt gefehen , oon ihrem oerfaffungSmäßigen fRcc^tc ®e*
brauch $u machen unb eine $onföberatton bilben, um bie Unge*
red)tigfeit abschütteln unb fid) gegen bie Verfolgungen §u fdjüfcen.
3m „3ntereffc ber Humanität" nehme fie biefe Shmföberation in
Schuft, um als aufrichtige Srcunbin ^ßolenS bie 5rcif)cit unb <3Jleidjs
heit aller ^ßolen für aüe 3u'unft fieser ju fteflen. Um aber etroaige
Unorbnungen $u oerhinbern, bie burd) bie $iffibenten entfielen
tonnten, habe fie in hochherziger ©efinnung ifjre £>eere in $olen
oerftärft , ba eS ihr mütterlid) fii()Icnbeö Jperj höchlidjft betrüben
mürbe, menn ein $ole bas Vlut eines anberen s$olen oergöffe.
Slfle ^ßolen fönnten fid) ihr mit vollem Vertrauen anljeim geben ;
benn fie erftrebe in ifn*em ganzen Ifyuu nur bie Achtung (hiropa'ä
unb ben füßen $roft, baS OJIücf einer benachbarten Nation geför-
bert $u haben. $aS Sflanifeft fdjloß mit ber Verfidjerung : fie ver-
lange gar Vichts von v$olen unb toerbc niemals irgenb einen Wu=
fprud) auf polnifcheS QJebiet ergeben; ja fie merbc bie Qntegrität
beS ßanbeS fidjern, tuenn fid) irgenb eine anbere SJtacht je an $olcn
©ergreifen foüte.
9flit ben beiben Äonföberationen ber Eijfibenten vereinigten
fich im 3uli 1767 mehrere gleichfalls burch bie Muffen ins £ebcn
gerufenen ftonföberationen beS fatholifchen Abels ju ber großen
©eneralfonföberatiou Don Rabom, welche bie SSahrung ber fechte
ber „verlebten Nation" unb bie Vlufrcchthaltung ber „altpoluijchcn
Freiheit" auf ihre Sahne ichrieb.
Sur rareren ftörberung ihrer Sroetfc $wang bie G^orin ben
®cmig Stanislaus jur Snfammenberufung eines „außerordentlichen
Reichstags," ber am 4. Cftober 1767 ju 3öar|"chau beginnen jollte.
Vor ber ©röffnung beSfelben legte Repnin, ben Katharina $um
^tftator über alle in ^ßolen ftehenben Iruppen ernannt hatte, ben
Verfammeltcn einen Revers zur Unterfchrift vor, ber bie (Srflärung
enthielt, „baß fie fich nie unb in feiner SScife bem Verlangen bcS
rnffifcheu VotjdmfterS luiberfef cn unb, falls fie bieS Verjprecben
nicht hielten, fid) ber Strafe beS Verluftes beS WbelS unb ber ©in*
Ziehung ihrer (Mter, ja felbft ber XobeSftrafe unterwerfen würben."
28er fich weigerte , biefen Revers ju unterzeichnen , fat) fid) ben
graufamften Verfolgungen preisgegeben ; bie ^aläftc ber „renitenten
Vlbeligen" mürben von ben ruffifdjen Gruppen in Vranb gefteeft
unb ihre fiänbercien verwüftet.
£em Vifchof Soltif ließ Rcpnin mit ber Verbannung nach
Sibirien brohen, falls er auf bem Reichstage irgenb (StroaS jpre*
d)en ober Hjun merbe, was bem Hillen ber (£jariu zumiber laufe.
?luch mürben, um ben freimütigen Vertheibiger ber Rechte feines
VaterlanbeS „$ur Vernunft zu bringen,- ruffifche Xx Uppen in baS
Digitized by Google
Xic erfte Teilung dolens.
583
SöiStfjum ftrafau Qcfanbt r bie alles bewegliche unb unbewegliche
SBermögen beS SBifcfjofS mit 93efdilag belegten, bie auf feinen (Su-
tern anfäfftgen 33auern megfe^teppten unb felbft bie $irdjengerät()e
raubten. 9(lS trofc aOebem ber bocfit)erjige Patriot bie gorberung
ber ßjarin, baß ber Reichstag mit it)r einen Vertrag fcf)Kef$e, in
Welchem bie burch eine bon SRepnin eingefefcte Äommiffton urnjuar*
beitenbe polnifche Sßerfaffung unter ruffifdje ©arantie gefteOt werbe,
alö eine SBerlefcung ber greiheit holend mit aüer (£ntfd)iebenf)eit
befämpfte unb feine feurigen Söorte auch Slnbere $um Söiber-
ftanb hinriffen, fannte RepninS SSuth feine ©renjen mehr. 3u ber
Stacht öom 13. auf ben 14. Oftober mürbe ber 33ifd)of Soltif
mit ben übrigen freimütigen Sprechern gewaltfam aufgegriffen
unb unter SRi&hanblungen afler $Irt in baS 3nnerc öon Ru&Ianb
gefchleppt.
©anj Sßarfchau War über biefc OölferrechtSWibrigc ©ewaltthat
mit Trauer unb Scfjrecfcn erfüllt. $)ie Repräsentanten ber Nation
eilten ^it bem $önig Stanislaus, um oon ihm einen ^roteft gegen
bie SBillfür RepmnS ju verlangen. Sie fanben ihn an feinem
Sdjreibtifche im 9ftaleranjug, umgeben öon garbetöpfen unb befdjäf=
tigt, eine neue Sienertracht für ben QahreStag feiner Krönung ju
entwerfen. Qhvem ftürmifchen drängen nachgebenb, ließ er ben ruf*
fifcheu Öotfchafter, mit welchem er ööflig einöerftanben war, 311m
Schein burch brei Senatoren jur Rechenschaft über feine greoelthat
aufforbem ; als jeboch Repnin ihm bie Antwort jufommen ließ : er
fei nur feiner Souöeränin Redjenfchaft fäulbig, blieb bie Sache auf
fich beruhen. $ie S^arin aber wies bie Söitte um greigebung ber
befangenen mit ber ©rflärung aurücf: „$)ie uneigennützige unb
reine ßiebe, bie fie bem eblen ißolfe ber <ßolen juwenbe, ertaube
ihr nicht, bem ©ejuche ju wiüfalpn, fonbern gebiete ihr, auf bem*
felben SBege , auf wettern fie feiger baS ipeil beS fiaubeS erftrebt
habe, confequent fortjuwanbeln. 3hr Sotfchafter in 2Barfcf)au tyabt
nur ihre befehle bott^ogen , als er bie Aufwiegler aus bem Sanbe
entfernt habe, unb biefe geinbe ber Ruhe unb ©cfefclichfett in
greifet fefcen, r)ieße baS £anb ihren oerberblichen v2lnfd)lägen ge*
wiffenloS opfern." Repnin aber erflärte ben ÜDatgliebern ber Don
ihm eingelegten ßommijfion: bie $oleu hätten nicht mehr baS
Recht ju benfen, fonbern nur ju fmnbeln, unb jwar fo ju hans
beln, wie feine gnäbige (Mieterin eS üertauge. SSer auch
murre, ben werbe er als Rebell behanbeln. Seine Unberjdjämthcit
ging fo weit, bag er in bie Elften beS Reichstags bie Grflärmg
eintragen ließ: „SSknn man ber (£$arm ntd)t gehorche, fo werbe
er Söarfchau ber Sßlünberung preisgeben , baS Sanb oerwüften unb
allen SBiberfpenftigen baS £>aupt auf bem iölutgerüftc abfragen
laffen." Ruififdje ©renabiere umftanben, in Schlachtreifen aufge*
Digitized by Google
584
ßau)arina II. öcm 9hi&Ianb.
ftellt, bie ©tfcungafäle, immer bereit, auf ben erften SBinf föepnin*
einzubauen.
$urch biefe ®etr»altma®eln fam bie (£jartn $um S^tc. $er
Don föufclanb bezüglich ber ^teic^fteüung ber polnifchen 2)iffibenten
btftirtc Xraftat ttmrbe unterzeichnet ; ade burch bie C^artortoSfr*
unb ihre $artei feit 1764 eingeführten Reformen würben bemichtet
unb bie oon ber fommiffton mit ftepnin bereinbarten neuen Staate»
gefefce unter ber auSbrficflichen ©anetion be* Königs in ber gornt
eine* für aQe Seit unabänberlich giltigen Sertrog* unter bie ®a*
rantie ffiufjlanb* gefteüt. $a* Unglücf <ßolen* war befiegelt: bie
Hepublif mar „faftifä unb restlich" ein rufpfcher SafaHenftaai
geworben.
Aber bie $läne ber Gjorin gingen noch weiter. @ie wollte
*ßolen nicht nur ftaatlich ruffifteiren, fonbern bie polnifchc Sftationa*
Iität burch bie Ausrottung ber fotholifchen Kirche $olen* für alle
Sufunft ju Orunbe richten. Sßachbem fie burch bie erwirfte politifche
©leicbfteHung ber $iffibenten mit bem fotholifchen Abel ber fatbolt*
fdjen Kirche in $olen ben ÖebenSnerb burchfehnitten hatte, trat fte offen
mit ber Abficht beroor , burch bie ©trichtung einer p o l n i f ch e n
SNationalfnnobe nach bem SRufter ber „heiligen ruffifchen
©rmobe" *ßolen bon SRom ju trennen, moju ber fönig ©tani*lau*
ihr fchon im Söhre 1764 feine SWitmirfung jugefagt hatte.
®egen biefe* Vorhaben proteftirten bie polnifchen öifchöfe in
einer an ben fönig gerichteten ausführlichen $enffchrift, worin fte,
unter bem §tnwei* auf ben feierlichen <£ib, burch welchen ber
fönig fich bei feiner Krönung jutn ©dHtfce ber fotholifchen f irdje
berpflichtet habe, au*cinanber festen , wie bie bon ber Sjarin ber*
langte ©ünobe ein bollftänbige* ©dn*ma <ßolen* unb einen enblofen
Sürgerfrieg herbeiführen Würbe. 3h« Sorftellungen Wie ihr <ßro*
teft blieben wirfungSlo* ; als jeboch bie Aufregung ber ©emüther
im gonjen ßanbe ftch in bebenflicher Söetfe fteigerte unb fchon oon
einer neuen £ onföberation bie föebe war, bie ftch „für bie Freiheit
be* Sater lanbeS unb bie Religion" bilbe, gab bie G^orin , bie es
nicht für gerathen erachtete, bie nationale Ser$tt>eiflung auf* Aeu*
fcerfte ju bringen, ihrem ©otföafter bie Söeifung, bie ©ünobe bor*
läufig fallen ju laffen.
gn^mifchen war jeboch unter ben polnifchen Patrioten ber <ßlan
ju einem bewaffneten SBiberftanbe gegen bie öon föepnin im tarnen
ber Gjarin ausgeübte GJewaltherrfchaft jur Steife gefommen, unb am
29. Sebruar 1768 oereinigten fta) alle eblen <ßolen ju ber beroaff*
neten f onf öber att on oon Sar, umpolen oon bem ruffifchen
3od)e ju befreien. Qu ber gleichen 3eit proteftirte auch $apft Sie-
men* XIII., ber in dtom einen allgemeinen Sittgang für bie (ihr*
haltung ber polnifchen $ irct)c angeorbnet , gegen bie ©ewaltfchritte
Digitized by Google
2)ic erfte Xhetluna 3Solen$.
585
bcr rufftfchen $errfcherin. föepnin oerböhntc biefen *ßroteft, nrie bic
9Jcaf}regeln bcr polnifcben Patrioten. SSBibcrftonb gegen feine $errin,
fagte er, fei fruchtlos, ©eine #errin fei allmächtig.
SRachbem fidj juerfi bie 99ebö(ferung ber buret) bie türfifche
ÜRachbarfcbaft gebeeften Sßrooinj <ßoboIien gegen bie ruffifebe Xtjran«
nei erhoben, bilbeten ftcb in allen ^romnjen bewaffnete <Scr)aaren,
unb fchon im 2lprU 1768 begann ber #ampf mit ben im Öanbe
jtehenben SRuffen, mit meldjen ber oerrätherifche flönig <Stani3lau&
aurf) feine fironöölfer oereinigt f>attc. Katharina felbft tiefe am
29. ÜJtoi buret) ihren ©otfehafter bie Äonföberirten, an beten ©pijje
neben 3ofepf) ^ulanröfi , bem eigentlichen Urheber ber SBerbinbung,
ber 05raf ^otoeft, ber Sürft SRabjinul unb biete anberen angefehe«
nen potnifchen Großen ftanben , für „ftrafmürbige Stebetlen unb
Seinbe ihres JBaterlanbeS" erflären, $u beren SBerniehtung pe in
ifjrer uneigennützigen JBorforge für ^ßolen neue Xruppen abfenben
toerbe. 2fucr) Sriebridj II. ließ ben $oten am 9. Quni eröffnen:
(£r betraute bie ftonföberirten öon $8ar ate „©törer ber öffentlichen
föube," bie unter bem falfchen Vorgeben, Religion unb Sreiheit
ju fdjüfcen, tr)r SBatertanb in bie größte 9cot§ ftürjten, unb beharre
una6änbertich bei ben SWa&nahmen, bie er im ©unbe mit SRu&lanb
jum SBohle ber SRepubüf getroffen.
Söäfjrenb ber s-Öifrf)of Don Äaminiec bie ®onföberirten bringenb
ermahnte, ftdt) jeber (SJemaltthätigfeit gegen bie 5)iffibenten $u ent*
Ratten , bamit ba$ burrf) föufjlanb betrogene Suropa erfenne , ba§
ihr ßrieg fein SRettgion&frieg fei , rief Katharina am 20. Quni bie
roilben Horben ber S^poreger ®ofafen unb ber $aibamafen jum
Kampfe gegen bie ^ßoten auf unb entfeffefte beren religiöfen Sana*
tiämuS burd) ein gräftfidjeö 9Jcorbebift, in roeldjem ftc ben ^Tnfüt)*
rem berfelben SBefeljt gab, „im Qntereffe ber oerfotgten ^eiligen
Religion mit £>ilfe (Stotteä ade $olen unb Hubert auszurotten unb
nieberjume^eln." 2Bte rei&enbe SBölfe fielen bie 3&P°rc0cr unb
£>aibamafen in $oIen ein, brannten $HIe3 nieber unb ermorbeten,
öon ruffifdjen $open angefeuert, Xaufenbe oon grauen unb ®inbern,
©reifen, Sttöndjen unb Tonnen, bie nicht jur fchtSmatifchen Kirche
gehörten. 3)ie in Sßoten ftehenben rufftfchen Xruppen überboten fte
unmöglich noch in entfejjenerregenben ©raufamfeiten. mürben
fogar befonbere *8orfdjriften gegeben, nrie bie gefeffetten, ungfücftichen
6a)Iaajtopfer (angfam ju erbroffeln, ju erbolcr)en ober burch anbere
furchtbare lobeSqualen $u martern feien.
Vergeben* riefen bie ®onföberirten in oerfdjiebenen berebten
SWanifeften alle SJcädjte ©uropa'* um ^ilfe an „für it)r arme«, jer^
treteneS iöaterlanb, bad bie (Ijarin unter lügnerifdjen Sorfpiegetun*
gen ööttig ju unterjochen fich anfehtde" : — bie europaifdjen älcdchte
hatten fein #er$ für bie Seiben ^olen*. 9cur smei berfelben tra*
Digitized by
586
Katharina II. bim IRu&lanb.
ten für bic gefnechtete Lotion ein: ber ?apft Siemen« XIII. burch
bic traft be* apoftolifcfjen SBorte* unb ber Sultan 9ttuftapha III.
burch bic Entfaltung t>on Söaffengeroalt.
$ie «ßfortc, bie fich lange 8«* Du*<h bie SBorfpiegelungen
föußlanbS nnb s£reu&ena, ba& man „nur jum Sdjufce ber pol-
niföen greiheit Gruppen in« fianb gefdueft ^abe unb gar nicht
baran benfe, bort Eroberungen ju machen," I)attc tauften laffen,
tourbe burch ba$ entfefcenerregenbc ©lutbab , ba£ bie ruffifchen
Xruppen bei ber «erfolgung ber $ onföberirten auf türfifcheä be-
btet in ber Stabt 93atta angerichtet, im Oftober 1768 jur Srieg^
erflärung an föu&lanb betoogen. „Erröthen Sie nicht", fagte ber
©ro&beaier ju bem ruffifchen ©efanbtcn in Sonftantinopel , „oor
G*ott unb oor ben 3ttenföen über bie Brauel, melche bie ruffifchen
Xruppen sunt $>ofm aller göttlichen ÖJejefce unb jur Schmach ber
SJeenfehheit in ^ßolen begangen, in einem Öanbe, ba3 euch nicht
gehört?" Um ßefterreich für bic 93ethciligung am Kriege $u ge*
»innen, bot bie Pforte bem Liener ftof jur SHtebereroberung
Sdjlefien3 unb jur Erhebung beS fturfürften oon Sachten auf ben
polnifdjcn X\)ton alle mögliche Unterftüfcung an; aber ber SBiener
£>of mar nicht jum Stiege &u bewegen. Cefterreich, fo ließ ber*
fclbe in Sonftantinopcl erttäreu, fei gewohnt, fein gegebene« SBort
ju Ijnltcn, unb wolle be0t)al6 Weber ben mit bem Sönig oon $reu*
§en oor einigen fahren abgefchloffencn ftriebeu brechen, noch gegen
ben oon ihm anerfannten ttönig Stanislaus v$ontatowäfi oon ^So-
len auftreten.
Katharina erliefe ihrerfeitö gegen bic türfit che SriegSerflärung
am 18. 9cooember 1768 ein s)Jcanifeft, in welchem fie alle %f)at*
fachen entftellenb, auch ocn Stieg gegen bie Pforte als einen 9te*
ligionäfrieg proflamirte. Sic tyabt , fo erflärte fie, "flUe« auf-
geboten, um biejen Sricg ju oerhüten ; ba fie aber ju bemfelben
gejmungen worben, jo erflehe fie oom Jpimmel ben Sieg für ihre
$>eere, „weil c$ fich ja um bic Ehre beä ^eiligen göttlichen tarnen«
unb um bic «ertheibigung ber ^eiligen orthobojen Kirche ^anble,
bamit ber Xobfeinb be3 chriftlichen tarnen« $u ©oben gefchmettert
werbe."
llnterbcffen bauerte in $olen ber erbitterte sJtationalfampf
gegen eine frembe revolutionäre llebermacht fort, unb feine Schrecfcn
mürben erhöht burch eine oerhecrenbe $eft, burch SSiehfcnchen unb
$mngcrdnotl). Unzweifelhaft fochten bie tyotew mit bcmjelbcn
Spechte, mit welchem fpäter bic £uroler unb bie Spanier gegen bie
Jraujofen fämpften unb mit welchem bic ^eutjehen in ben 3rci-
heitäfriegen fich flogen bic franjöfijchc $)iftatur erhoben. „Moer
ber polnifche 9cationalfampf", fagt 3anffcn, „mar nicht, mie ber
ber Xnrolcr, Spanier unb beä gefammten 2>cutichlanb«, ein Sampf
Digitized by Google
$te erfte Teilung $olen*.
587
be« ganzen 93oIfe^f fonbern nur ein ®ampf jene« ©tanbe«, ber fid>
bisher in $olen allein für bie Lotion gehalten, ein ®ampf be«
${bel«. Unb barin log feine ©djroäd)e unb ber ©runb feinet Wifc
lingen«. $)ie ©ärger blieben ruhige Sufdmuer, unb nodj weniger
trotten bie gefned)teten Bauern für bie abeligen ®ut«f)erren jum
©djmerte greifen : Bürger unb dauern beteiligten fid) in $olen
an bem tampfe nur burd) grauenhafte« Seiben. 9ßur ber ifolirte
2lbel fodjt unb lernte in feiner Jffolirtfjeit fennen, roa« in Reiten
ber Sftotl) bie Unterbrütfung bc« ^Bürger* unb Söauernftanbe« be-
beutet. 216er ber 2lbel fodjt mit einem TOutr), einer 9lu«bauer
unb einer Dpferuritligfeit, bie unfere öolle ©umpatljie oerbient. (£«
mifdjten fid> in feine kämpfe aüerbtng« fct)r Diele uneble (£le*
mente ein, e« fanben gegen bie Dhtffen graufame SRepreffalien Statt,
e« Ijerrfdjte Uneinigfeit aroifdjen ben Sötern; aber im 9lllgemei*
neu gebüljrt ben $onföberirten ba« Sengniß, baß fie inuerlid) größer
mürben, je grüßer bie fie umgebenben ®efaf)ren, baß fie fiel) , öon
OTen Derlaffen, oon ifyren Seibcnfdjaften ju reinigen fugten unb
äugleid) ben Politiken ßJrunb ifyrer S$roäd)e erfannten. SSäfjrenb
ir)r SBlut auf ben ©djladjtfelbern für bie Befreiung $olen« in
Strömen floß, gingen fie bie tüdjtigften ©eifter (Suropa'« um 9tat(j=
fernläge an, meldje SSerfaffung fie bem Skterlanbe geben follten, menn
üjncn beffen ^Befreiung gelungen."
Qnjmifdien roaren in 2Sarfd)au burd) bie ©jartort)«^« unb
ben eblen ©rafen 3°m°töft> ber 9ieformpartei beigetreten, neue
SReformpläne entmorfen morben, nad) melden bie polmfdje S8er-
faffung nad) bem 9)hifter ber englifc^eu umgebilbet merbeu füllte.
$>a ju ber $urd)füf)rung biefer $lane bor Willem bie $actfifation
^Solenö nötfng mar, fteöte bie SReformpartei öm 29. September
1769 in bem (Senate ben Eintrag, bie Vermittlung (Snglanb« unb
£>oflanb« nadjjufudjen, um einerfeit« bie Pforte jur 5luff)ebung-
ber gegen ben $önig bon $olen erlaffenen ®rieg«erflärung ju bc*
megen unb anbererjett« uon ber ßjarin bie Sreigebung ber ge-
fangeuen $Mfd)öfe unb (Senatoren, fomie bie 3urüa*5iet)ung ifjrer
Xruppen au« $olen unb bie 2luff)cbung ber burd) 3tepuin auf
bem legten 9teid)«tagc er$mungenen Stipulationen ju erlangen.
9?ad)bcm ber Senat biefe $orfd)läge am 6. Dftober 1769 juin
53efd)luß erhoben, mürben brei (Sefanbte nad) ©nglanb, SRußlanb unb
Sranfreid) abgefdjirft. $er ®önig , ber f)tcrju feine Suftimmung
gegeben, erlnelt bafür oon ^ßanin im Tanten ber S^artn eine ftrenge
|(ured)tn)cifung mit ber $)rolmng, baß, faß« er fid) nidjt beffere, bie
C^arin jum Vleußerften fdjreitcn merbe; bie (£$artorl)«fi'« unb an*
bere Sttitglieber ber SReformpartei aber mürben für ir)re „(Empörung"
burdj bie 23efd)lagnafjme ir)rer ©üter beftraft.
£a ber $önig, um bie öolle ©unft feiner 58efd)üfcerin mieber
Digitized by Google
588
Äatfarina II. üon föu&lanb.
jii erlangen, feinen Sifer gegen bie $onföberirten oerbopöelte , er
Härten ifjn biefe am 9. Slpril 1770 (einer SBörbe öertuftig. $ett
legten ©djein oon Sftacht unb Shtfehen oerlor er in Sßolen nach
bem geheimnifcoollen „Attentat" Dom 3. Wooember 1771. Site ber
&ünig am 9lbenb btcfcd Xage$ jroifchen neun unb $ehn Uhr ba§
£au3 feinet Dhcim$, beft ®ro&fanater« Don ßitthauen, oerlie&,
rourbe er oon jmölf bid fünfzehn Männern überfallen, bie ihn au§
bem SBagen riffen, feine Begleitung jerftreuten unb ihn felbft au3
ber ©tobt roegführten, wobei er burch ein jmeimalige* ©türmen
feine* Sßferbeä eine Duetfa^ung an ber Unten (Seite erhielt. ®a
feine (Entführer brausen im ©e^ölj baä herannahen ruf fif eher
Gruppen ju hören glaubten, jertreuten fte fich; nur ein einziger,
Äofinäfö, blieb bei bem $önig unb braute Um, gegen bie 3ufage
DoUftänbiger 93egnabigung, in ber grühe beS 9ttorgen$ nach 2Bar*
fdt)au aurücf.
Obgleich ba3 angebliche Sittentat, als beffen Stnftifter *ßulan>aft
bezeichnet mürbe, aller S3ahrfcheinlich?eit nach Don ben Gegnern
ber ®onföberirten, mit ober ofme SBornriffen be8 Königs, in Scenc
gefegt morben, um biefetben als ®önig3mörbcr ju branbmarfen,
unb bie ftonföberirten in mehreren ^enffc^riften feierlich
theiligung ober SÄitmiffenfchaft an bemfelben in Slbrebe ftellten,
hatte baSfelbe boch bie gemänfehten Jorgen. Än ben au&roärtigen
£öfen fanben bie $arftcllungen ber Agenten SRu&lanbS unb <ßreu=
&en3 (Glauben, unb bie #onföberirten galten feitbem im StuSlanbe
als „2Känner be* ©chrecfenS", bie meber #ilfe noch TOtfttb üer*
bienten. $)er ßönig ©taniSlauS aber warf fid) öottftanbig ben
Muffen in bie ftrme.
Unterbeffen hotte ber #rieg ®atharinaf3 gegen bie Xürfen, in
metchem fte üou griebrich II. burch reiche ©ubfibien unterftü&t
mürbe, einen günftigen Verlauf genommen. 3h* Selbherr SRo*
manjom hatte bie Eflolbau unb bie SBadachei erobert, unb ®atha*
rina fchien entfchloffen, beibe Sänber bauernb ihrem deiche einju*
Derleiben. $)iefe (Erfolge erhöhten burch föufjlanbS bominirenbe
©tellung in ^ßolen gemeeften SBeforgniffe 3riebrich& für bie Unab*
hängtgfeit feine« eigenen ©taateS ; er nahm baher ben alten ^ßlan
einer Xheilung *ßolenä oon Beuern auf, in ber Hoffnung, baburch
bie C^ann *u einem billigen ^rieben mit ber Pforte beftimmen ju
fönnen unb auf biefe SBeife meiteren Eroberungen SRu&lanbS im
©üben öorjubeugen. ftach bem oon ihm entworfenen Xheilungä*
projefte foHte föujjlanb ihm felbft ^olnifch^reuSen, ©rmelanb unb
baS ^roteftionärecht über Stonjig überlaffen, bem SBiener £>of für
beffen öeiftanb gegen bie dürfen bie ©tabt ßemberg unb ihre Um=
gebungen anbieten unb für fkh felbft, als (Sntfchäbigung für bie
gegen bie dürfen aufgemanbten IhtegSfoften, biejenigen X^ctlc oon
Digitized by Google
5>ie erftt Teilung $olcn3.
589
Polen anneftiren, bic if>m paffenb fduenen. XiefeS Xf)cUung«projeft
fanb jcboc^ in Petersburg feinen Slnflang, ba Katharina bereit*
ganj Polen als if>r geftcherte« ©igenthum betrachtete.
9Ra<h bem Sehtfölagen feine« X^eilungdplond fc^Iog fich
JJriebrich ber Politif Defterreich« an, ba» oon Anfang an anritten
föußlanb unb ber Pforte §u ©ermitteln gefucht. Um ein öoflftän*
bigeä 3ufammengef)en mit bem SBiener #ofe ju erzielen, ^atte er
am 3. September 1770 bie oben (6. 520) ermähnte Sufam*
menfunft mit $ofeph II. ju fteuftabt in Fähren, ©chon bei ber
erften 3ufammenfunft beiber üttonardjen ju Steige im Auguft 1769
hatte 3ofeph bem ftönig erflärt, meber Sttaria X^erefia noch er
mürben je julaffen, baß bie Muffen im Befifce ber 2Mbau unb
ber SBaflat^ei blieben, unb biefe ©rflärung mieberholte jefct ber
bei ber 3ufamnienfunft in gfouftobt anmefenbe SWiniftcr Äaunifc,
inbem er lebhaft bie (Gefahren Gilberte, meldte für Europa au&
bem Uebergetoichte föußlanbs ju ertoarten feien. Xem Antrage
einer öftemichifch-preußifchen Kilians, bie töaumfc als beu ein j igen
$)amm bezeichnete, ben man gegen ben „überfchtoellenben ©trom"
errieten tonne, welcher ganj (Suropa ju überfluten brofje, mich grieb-
rief) and ; bagegen f am jjütfcr)cn ihm unb 3ofep^ eine Vereinbarung
über eine gemeinfame Qnteröention in bem rufftfcfctürfifdjen Kriege
ju ©tanbe, unb nadjbem noch mäf)renb ber 3ufammenfunft beiber
Üftonarchen ein Kurier auä Äonftantiuopel bie Nachricht gebracht,
baß bie Pforte bie preußtfeh-öftemichifche Qnteroention annehme,
bot Sriebric^ s2We3 auf, um bei ber G^orin baä (Bleiche ju er-
langen.
Tie polnifdjen Angelegenheiten mürben $mar auch 5U Sfauftabt
$ur Sprache gebracht; boch muß bie Behauptung, baß bort bereit*
über eine Xheilung Polend oerhanbelt toorben, aU irrig bezeichnet
merben. SRichtäbeftomeniger befehlen bie Defterreicher, fur$ nach
ber 3"fömmenfunft in Stteuftabt, in ber $i$\tx ©efpannfdmft brei*
jehn Üftarftflecfen unb einige fmttbert Dörfer, meldte Äönig 6igi3*
munb oon Ungarn im 3at)re 1712 an Polen ücrpfänbet hatte.
3u ber gleichen $eit ließ audj Sriebrich IL, angeblich um ©renj*
oerlefcungen gu beftrafen unb fein Sanb gegen bie in Polen au£»
gebrochene peft ju fdjüfcen, feine Xruppen in Polnifch5Preußen
einrüefen unb, außer (Srrmelanb nebft einem 2 heile ber palatinate
oon ihünt unb Polnifch*Pommern, bie läng* ber fchlefifchen ©renje
gelegenen Xiftrifte ber Palatinate oon Äalifdj unb Pofen befefoen.
Xabei jmang er bie jungen polnifchen s-önrjd)en §um Eintritt in
ba* preußifc|e £>eer, maijrenb bie heiratsfähigen Xödjter, melche
bie (Altern mit ißieh, ©elb unb ©erätfje nach SBorfd)rift auäfteuern
mußten, nach {nnterpommero gebracht unb bort an Scanner öerhei*
ratzet mürben, bie ihnen bis balun gang unbefannt gemefen.
Digitized by Google
590
5hit^arina II. Don SHufrlanb.
Obgleich Defterreidj in$roifd)en eine immer brofjenbere &aU
iung gegen SRußlanb angenommen Ijatte, unb ber Ürieg jmif^en beiben
dächten unDermeiblidj fd^ien, gelang ei bem $önig Don Greußen
nic^t, bie (£$arin jur £>erabfefcung ifjrer übertriebenen griebenäbc=
bingungen ju bemegen; er fat) ftd) fogar felbft Don tt)r mit einem
Uebcrmuth bebanbelt, ber if)u tief oerlefete. 9*id)tabeftomeniger gab
er {einem ©ruber $einrtd), ben er im Dftober 1770 mit neuen
©crmittlungSDorfdjlägen $ur Herbeiführung eine« griebenä mit ber
Pforte nad) Petersburg gefanbt hatte, bie SBeifung, mit Sobfprüchen auf
bie (Sjarin nic^t )U geilen, unb oerichmenbete felbft in ben jum
©orjeigen beftimmten ©riefen eine güUe ber au*gefuchteftett Schmeiche*
Ieien gegen biefelbe. Deffenungea^tet lieft fid) tatfmrtna mit bem
^rinjen Heinrich, ben fte übrigens mit großen ©hrenbeaeigungen
empfangen, in (einerlei ©erhanblungen bejüglid) be* griebenä ein,
unb ate griebrich brängte, fteHte fte ©ebingungen, bie ber Hönig meber
in SSien noch in ftonftantinopel mitjutheilen magte unb bie tym
felbft wie ein Spott gegen Greußen erfdueuen.
3nbeffen mürbe bie ^axiw auberen Sinne«, nachbem fie Don
ber ©efefcung ber Sipfer ®efpannfchaft burdj bie Oefterrei^er $unbe
ermatten, unb am 8. Januar 1771 gab fie bem ^rinjen jpeinridj
$u üerftetjen, baß fte e* nach bem Vorgänge DefterreUh* natürlich
ftnben werbe, menn auch griebrich jugreife unb (Srmelanb in ©eftfc
nehme. f?riebricr), bem fein ©ruber fofort Don ber mit ber Sjartn
gehabten Unterrebung Nachricht gab, ichrieb bemfelben anfangt, er
halte ben $rieg $mijchen SRußlanb unb Dcfterreid) für unoermeib*
lieh unb ^offe, größere 5öortt)ciIc 51t erlangen, menn beibe dächte
ftch im Kriege erfd)öpft haben mürben; ba* ©iäthum ©rmelanb fei
$u unbebeutenb, „um ihn für baä ÖJcfchrei }tl entfehäbigen, baä bie
Sache erregen werbe." 9tadj ber SRüdfehr feinem ©ruber* nach
©erlin änberte er jeboch feine Anficht unb ließ bureb, feinen
fanbten in Petersburg, ben (trafen Solms, ber Gjarin auf* 9ieue
ben ©orfdjlag machen, fict> bie ($ntfd)äbigung für bie ShricgSfoften,
auf meiere fte mit :>ied)t ftnfprudj ergeben tonne, bind) poluifche
(&ren$proüinjen $u Derfchaffeu, ba ja ohnehin polen bie eigentliche
©eranlaffung beS Krieges gemefeu. 2luch er müffe bann, fo erflärte
er, jur itufrec^t^altung beS ÖHcichgeioichtS gegen Defterretch üd;
einiger polnifdjen (Gebiete bemächtigen, bie ihm ebenfalls $ur Gnt-
fchäbigung für bie ber Malierin geilten Subfibien bienen wür*
ben; bodj merbe er fid) mit bem palatiuate Don Hülm ober bem
(Gebiete Don Sftartenburg unb bem ©idtt)um (Jrmelanb begnügen,
fall* SRußlanb für bie übrigen Don üjm beanfpruchten (Gebiete
Schnrierigfetten mache, ©e^üglich ber ©erhanblungen mit ben Xürfen
merbe er Vilich aufbieten, bamit ber grtebenSjchluß für 9tußlanb
ein glorreicher merbe. 2luf bie s2ltttmort beS (trafen pauiu, Daß
Digitized by Google
$)ie erfte Teilung $olenS.
591
man über baS oon griebrich oorgelegte X^cilung^projeft feine &nU
fcheibung treffen tonne r bebor man beftimmt ttnffe, mie ftch ber
Söiener &of ju bemfelben fteüen werbe, fitste griebrich btefen
buret) bte $ermittelung beS öfterreidufchen ©efaubteu Dan ©mieten
in Söerlin für ben Xljctfungäplan ju gewinnen; biefer erhielt jebod)
auf feinen nact) SBien gefanbten Bericht oon launig bie Antwort:
eine X^eilung dolens fei mit ju großen ©chmierigfeiten unb &t--
fahren oerbunben unb mürbe unberechenbare Vermittlungen mit ben
übrigen europäifdjen dächten t)erbetfü^ren; et rathe bafyer öon
einer folgen ab unb berfpredje , bag Defterretcr), obgleich es nur
ein ihm jugehörigeS Territorium befefet habe, feine Xruppcn aus
Polen aurücfjie^en werbe, fobalb fRuglanb unb <ßreugen bie irrigen
iurücfjögen.
©tatt biefe Antwort in Petersburg mitjut^eilen, liefe griebrid)
ber (Ssariu feine Suüerficht auSbrütfen, bag Defterreich ftet) ben
ruffifc^preugifchen Slnnerwnen in Polen nicht mit ben SBaffen in
ber £anb miberfefeen unb bag, wenn SRuglanb auf bie SMbau unb
bie SßkUadjei oer^te, Meä olme ©tutoergiegen ablaufen merbe.
SRuglanb möge mit Defterreid) bezüglich be$ mit ben Xürfen }U
fcr)tiegenben grieben* in Unterhaltungen treten unb ftct> mit
Preugen über bie Erwerbungen Oerftänbigen, bie man rufjiföcr
unb preugifcherfeita in Polen machen wolle. TO ftafttaitb mit ber
Antwort jögerte, mürbe ber ©raf ©olmd ermächtigt, bem trafen
Panin $u erMaren: ber Äönig taffe oon feinem bezüglich Polens
gefugten Plane nict)t mehr ab, unb menn sJiuglanb feine beftimm*
ten gufic^erungen gebe, fo fönne er nicht bafür fteüen, me(ct)e par=
tei berfelbe auf eigene gauft ergreifen merbe. 3)iefe brohenbe
©pradje bemog bie Q^arin jum Nachgeben. 3)a bie mUitärifdjen
mie bie finanziellen Gräfte i(jre§ deiche* burch ben Xürfenfrieg er*
fdjöpft maren unb überbieä eine furchtbare Peft, bie fich öon ber
9Mbau unb ber polnifdjen Ufraine au« über ben grögten Xr)cil oon
SRuglanb oerbreitete unb ungeheuere Verheerungen anrichtete, fomie
bie maffenhafte s2luäroanberung ber ftalmücfen unb bie brohenbe Jpat=
tung ber ftofafen ihr groge Verlegenheiten bereiteten, tydt fie e3
Slngeficht« ber fortgefejjten ftrtegärüftungen DefterreichS für bebenf*
lieh, b\c treue Vunbeägenoffenfchaft griebrich^ auf* ©piel ju fefcen ;
fie ermächtigte baher ben (trafen ©olmä unteim 1. 3uni 1771,
feinem ftönig $u melben, bog fie $u ber Xheilung Polens ihre 3"=
ftimmung gebe unb beffen bieSbesügliche näheren Vorfchläge erwarte.
2Bär)renb über biefelben jmifchen Stuglanb unb Preugen öerfwnbelt
mürbe, gab Katharina aufs Weite, 511m ftebenten äRale feit ihrer
Xhronbefteigung, bie feierliche (Srflärung ab, bag fte nie eine jpanb
breit polnijchen (Gebietes fid) aneignen merbe.
Unterbeffen hatte Defterreich, baS im Qntereffe feiner eigenen
Digitized by
592
tfatf)arina II. i?on SHufelanb.
Sftadjtftclhmg bie 35onaufürftentf)ümer nidjt an SRujjfanb fomtnen
laffen burfte, unterm 16. 3uli 1771 mit ber Pforte einen geheimen
Snbfibienoerttag jur bewaffneten griebenduermittlung gefcfyloffen,
in meinem beibe ättädjte fid> jugleicfy gegenfettig bie Buiage gaben,
baß bie Unabfyängigfeit unb greiljeit $o!en£ , meldjefc ben ftrtcg
öeranlaßt Ijabe , {einerlei (Einbuße erleiben fotte. 9tad> bem §lb=
fcf)(u6 biefefc ©ertragt erneuerte SWaria Xtyerefia iljre öemüfmngen,
ben mit tf)r öerbünbeten $of oon SBerfaille* ju energifdjen 9fta&s
regeln im Qntereffe ber ^acipfation $olen& ju üeranlaffcn, für
meldje fie einen etngeljenben $(an entworfen fmtte, ber geeignet
gemefen märe , bie Integrität unb innere ffiulje ber töejmbltf 511
fiebern; im SRobember 1771 mürbe ifjr jebod) burdj ben franjöfi)d)en
(Uefanbten in SBien bie (Eröffnung gemalt, ba& jtdj ber ftonig
öon granfreid) meber unmittelbar nodj mittelbar in bie polnifdjeit
Unruhen ober in ben firieg jmifa)en ben SRuffen unb dürfen ein*
mifdjen motte.
9taa) meljrfaajen &ergeblid)en ©emüljungen griebria)*, ben
Liener ^>of für bie beabfidjttgtc Xfjeilung dolens 511 genrinnett,
braute enblitty bie am 17. $e&ember 1771 Don ber (£$arin abge*
gebene (Erflärung , ba& fie auf bie Xonaufürftentyümer $er$id)t
leifte , bie ßabinette öon SBien unb Petersburg einanber nätjer.
ßaunifc erflärte paj bereit , bei ber Sßforte einen ©affenfriUftanb
jum ©efmfe beS 3ufammentritte3 griebenSfongreffeS in SBor*
fdjlag $u bringen, unb ging, naajbem ein neue« ruf|*ifa>3 jpeer öon
öier jigtaufenb SRann in Polen cingerüdt mar, auf ben ©ebanfen
einer Xljeilung Polen* ein.
Unterbeffen mar jmifa)en fflußlanb unb Greußen tbejüglid) ber
oon beiben 9Käajten in Söefty $u nefjmenben polnifajen ÖJebtetc ein
öoUftänbigeS (Einberneljmen ju ©tanbe gefommen, unb am 17. gebruar
1772 mürbe ber Xf>eilung3t>ertrag olme «Sujtelmng Oefterreidj*
unteraeiajnet. $)ie ©eftfrergreifung ber fraglichen ©ebiete fottte im
aflonat SRai ftattfinben unb erft bann ber Söiener £of jur X&eil«
nannte eingelaben merben, ber Vertrag, über melden vorläufig ba&
ftrengfte ©efjeimnif} gewahrt mürbe , jebod) aitdj in bem gaUe in
Uraft bleiben unb ausgeführt merben, menn Defterreid) bemfelben
nia)t beitrete. 3n einem geheimen Wrtifel oerpfliajteten fia) beibe
2Jtäd)te ju gemeiufamem bewaffneten SBorgefjen gegen Defterreia) für
ben goß , bog fid) baSfelbe ber HuSfüljrung i&reä XfjeilungSöer*
trag* miberfe&en foflte.
Qu einem SBiberftanb oon Seiten Defterreidj* fam e* jeboa)
niajt; Defterreiaj trat melmefjr, in golge be* feit bem SRonat
2>e$ember 1771 in ber Stimmung be* Liener #ofe* eingetretenen
Umformung*, bem £[jeilung3öertrage bei. gür Sötoria X^erefta
mar ber beitritt ein SBerf ber ftotij, baö i^r bie ^erbften Seelen*
Digitized by Google
3>te erfte Teilung ^olenS.
593
fämpfe foftete. «Roch groeimal ^attc fic im Anfang beS $ahreS
1772 ben #of bon öerfaitteS ba|in gu bringen gefugt, gemeinfam
mit ihr ber flerftücflung SßolenS entgegenzutreten; ober fie fyattt
bie Antwort erhalten: Sranfreia) nehme an ben polnif^en Ange*
legetthetten nur infofern Xheil, als fte fich auf eine freie ®önig3=
Wahl belögen, unb begnügte fia) im Uebrigen mit einer „paffioen
föolle." Übenfomenig mar auf ein (Sinfchretten bon ©eiten (£ng*
lanbs gu hoffen; hatte boa) baS englifche $abinet feinen ©efanbten
ht SBarfdjau bahin tnftruirt, „baß ©eine Sttajeftät ber föönig nicht
geneigt fei, ftd) mit ben polnifchen Angelegenheiten gu beläftigen."
©o ftanb Defterreich gänglich ifolirt groeien 2Jcachten gegenüber, bie
bertragSmäßig übereinkommen, ihren föaub an Sßolen nötigenfalls
mit SBaffengetoalt aufzuführen, ©ei biefer €>arf)lage ^ielt eö $aumfc
für geratener , bie für Defterreia) bei bem XheilungSprojefte in
9lu£ficf)t gefteHten 93ortf>ciIc gu ergreifen , als ber Xurdtführung
beSfelben mit bewaffneter #anb entgegen gu treten ober bie beiben
9iacf)6armäd)te allein ihre Staaten in einer bie 9Wad)tftelIung Defter*
reidjS bebrofjenben SBeife üergrößern gu laffen.
Snbeffen machte äJcaria Xherefia noch einen legten SBerfuch,
baS gange XljeilungSprojeft gu hintertreiben, inbem fte für Defter*
reich mehr verlangte, als fte glaubte, baß man ihr bereinigen
werbe; ihre h°*)c gorberung ^atte jeboch feinen anberen (Erfolg,
als baß aud) bie beiben anberen -ättädjte einen größeren (&ebietS*
antheil, als ben in bem XheilungSoertrag fttyulirten, in Aufbruch
nahmen.
SJtoria Xherefia unterzeichnete ben XheilungSentwurf mit ben
SBorten: »Placet, weit fo triele große unb gelehrte SWänner eS
motten. SBenn ia? aber fa)on längft tobt bin, wirb man erfahren,
Was aus biefer Verlegung bott allem , was bisher unb ge-
recht mar, herborgehen wirb." Aua) fpäter beteuerte fte wieber*
holt, baß, wenn fte Shtßlanb unb Greußen gur 3urücfgabe beS pol»
nifdjen ©ebieteS bewegen fönne, fie ifjrerfeitS bon gangem $ergen
SllleS gurüefgeben unb ben lag ber föücfgabe für einen ber glück
licfjften i^reS SebenS h^ten werbe.
üftach bem beitritt Defterreichö gu bem gwifdjen föußlanb unb
Greußen gefchloffenen XheilungSoertrage festen bie brei dächte bie
übrigen europäischen $öfe oon ber Xljeilung Motens in Äenntntß,
unb fein einziger £>of proteftirte gegen bie oölferred)t3wibrige ®e*
waltthat. s.ßapft Siemens XIV. allein erhob feine (Stimme für baS
niebergetretene $olen ; aber fie oer^attte ungehört.
$a fia) bie Sßolen gegen bie ßumuthung ber XheilungSmächte,
auf einem ^Reichstage ben XheilungSaft gu beftättgen , mit aller
Stacht fträubten unb ber &önig bie Sufammenberufung beSfelben
öon einem Xermine gum anbern oerfchob , fünbigten i|m im 9ßo*
Öolatoart^, Söcltgc^tc VI. 38
Digitized b
594
Äatfjarina II. bon Hufelanb.
bember 1772 bic ©efanbten ber brei SRächte an, bog fie, wenn
nicht er unb bic Republif bie geforberten *ßrobin$en gutwillig ab*
träten, baS ganje ßonb unter fid) teilen würben, unb ein unterm
14. $5e$ember bon ftatfymna an ben Äönig genuteter ©rief ent=
r>iclt bie gebieterifche gorberung ber unberjüglichen Einberufung beS
Reichstages, ber bis ©nbc Slpril 1773 ade SBer^anblungen mit
ben Iljeilung3mäd)ten abgetroffen ^aben müjfe, mibrigcnfaflS fie
fict) jeber früheren „»eraichtleiftung* für entbunben galten unb fich
mit allen bon if>r für paffenb erachteten SRittcln „®crechtigfeit"
berfdjaffen mürbe.
SBoUftänbig eingcfcr)ücfttert burd) biefe unb anbere Drohungen,
berief enblich Stanislaus ben Reichstag auf ben 19. 2Rai 1773
naa^ SBarfchau jufammen. gür benfclben burften au* ben bon ben
XheilungSmächten abgeriffenen <ßrooinjen feine Vertreter gemault
werben, unb in ben übrigen gingen jmeiunbbrei&ig fianbtage au**
einanber, ohne ßanbboten gewählt ju haben , ba fie jtdj an ber
„nationalen Selbftfcbänbung ^olenS" nidtjt betheiligen wollten. Rur
cinhunbertelf ttanbboten, öon benen bie meiften burdj bie fremben SRächte
beftodjen worben waren, famen in SBarfchau jufammen, ba* roätjrenb
ber $auer beS Reichstags ganj bon Xruppen ber brei 2Rächte über*
fchwemmt mar. Sd)on oorfyer r)atte fich bie Äonföberation öon
SBar, oon ber Uebermaajt ber berbünbeten SHächte erbrüeft, nach
bem wohlüberlegten $lane *PulamStV* aufgelöft, .um ftch für befferc
Reiten aufaufparen." 5)ie ©enehmigung beS Xh«fongSbertragS oon
Seiten beS polnifchen Reichstags erfolgte am 13. September 1773.
$urcf> benfelben oeilor $olen nahezu ben brüten Ztyil feines bis*
herigen (Gebietes unb jwar feine reichften unb fruchtbarften $ro*
binden. $on ben ber Republif entriffenen ©ebieten nahm Ru&lanb
ben ßöwenantheil : bie öftlichen *ßrobinjen jwiföen ber $üna unb
bem Eniepr; Sßreujjen erhielt baS jefcige SGBcftpreu&en mit &uS*
fdjlu& oon Xanjig unb %f)OTr\ , bie bei Sßolen oerblieben ; Defter*
reich ©alijten unb fiobomerien.
V Inf bem Reichstage, ber ben Raub ber XheilungSmächte fanftio*
nirt hatte, würbe ben $olen auch bon ben brei $öfen eine neue
iBerfaffung befretirt, bie baS poIntfct)e $önigthum ju einem mefen*
lofen Schattenbilb unb Ru&lanb, als ben (Garanten berfelben, jum
thatfachlichen iöel)erv)rf)cr SßolenS machte. Tic Sache ber Xiifiben
ten, burd) Welche Rufjlanb unb Greußen ben inneren Streit in
sßolen angefacht unb baS fianb in geuer unb glammen gefegt,
würbe, nachbem man erreicht, was man gewollt, einfach faflen ge*
laffen. S)ie ®ijfibenten, fo würbe feftgefe&t, follten auch in 3uhmft
oon bem Eintritt in ben Senat unb in baS SJcmifterium auSge*
f du offen bleiben unb jum Reichstag nur brei ßanbboten feinden
bürfen. Katharina bejeidjnete bieS als einen ©eweis ihrer 9)cafjigung ;
Digitized by Google
Sfatfjarina'S erfter Xürfenfrieg.
595
bagegen flagten bic $ifjibenten laut über SBerratlj oon ©eiten be**
jenigen $ofe3, meiner am leb^afteften für fie gartet ergriffen unb
fte $u ©dritten beranla&t fmbe , bie fielen ba8 Seben unb ben
meiften ber Uebrigen i^r Vermögen gefoftet.
SBä^renb aber bie ^avin bie ^ifftbeuten aufgab , lieg fie in
ben anneftirten Sßroöinjen bie blutige Verfolgung gegen bie griedjifaV
unirte IHrdje fortfefcen, unb mefyr als jmei Sttiflionen ßatfjolifen
mürben burd) ©emalt $ur fdHämatifd)=rufftfd)en Äirdje „befeljrt".
„35ie Verfolgung ber fatfjolifdjen #ird)e holend burefj SRu&Ianb",
jagt Qanffen mit föedjt, „iß ein 9cadjtftüdf in ber ©efdndjte be*
neueren Ghtropa'S.4'
ftat&arina'i erfter Sürfentrieg.
(1768—1774.)
Dbgleidj bie &rieg$erftärung ber Pforte an SRu&lanb bereits
im Dt tober 1768 erfolgt mar, rürfte ba3 türfifd)e $>eer unter ber
Süfjrung be3 (5ho&oejier$ erft im 9D?är$ 1769 gegen bie SRuffen
tn$ gelb, nad)bem biefe bereits fidj ber Seftung Sfjoqim genähert
Ratten, erleid) oon Anfang an blieben bie Xürfen gegen bie uu=
gleiö) meiter üorgefdjrittene föriegdfunft ber Muffen unb bie feine
töürfjidjt auf SRenfdjenleben nefjmenbe Xaftit ber ruffifdjen 5clb=
berren im 9la$tf)eil. 3)er fjürft ®ali|tn erfodjt am 17. ©eptember
1769 oor ben SRauern oon (Efjocftim einen ©teg über baä türfifdje
,<peer unb befefcte öier Xage fpater bte oon ben Surfen oerlaffene
Seftung.
9lod) toeit bebeutenbere (Erfolge oerfdjaffte ben SRuffen ber
getb^ug be3 Saljre* 1770. 55er ©raf ffiomanaom, ©alijinä Waty
folger im Oberfommanbo , eroberte nadj einem am 18. 3uli am
'43 r u 1 1) erf odjtenen Siege bie Dölbau , unb nadj einem jmeiten
größeren am Alagul (1. Sluguft) nucrj bie Söaüadjei. ©inen SRonat
fpater nahm ber ©raf $anin buret) einen nädjtlidjen ©türm, ber
Xaufenben ber ftürmenben Neuffen ba$ Sieben foftete , bie Seftung
Jöenber, worauf bie ©ieger bie ganje Veoölferung ber ©tobt er»
barmungSloä nieberme&clten unb biefe felbft in einen Xrümmer*
Raufen oermanbelten.
Unterbeffen roaren bie ©riedjen bind) rufftfdje (Smijfäre ,uir
(Srljebung gegen baä türfifdje Qod) gereift morben , unb eine ruf*
ftfct)c Slotte , bie in (Snglanb auSgcbeffert morben unb in $ort
sJ#af)on überwintert fyatte, mar unter bem Oberbefehle Mlejrei £)r*
loms in ba$ ägäifdje Mtcx eingelaufen, um ben VefreiungSfampf
ber ©rieben ju organifiren. Vet i^rem (£rjd)einen erhoben fid)
38*
Digitized by
596
Äau)arma II. Don SRufelanb.
bic (kriechen im ganzen ^ßeloponneS ; allein bic Hoffnungen, bte pe auf
ben ©eifianb SRu&IaubS gefefct Ratten, würben grau (am getäufcht. 3Bät}*
renb ber Statthalter oon SÄorea jur Üftcberwerfung beS 2lufftaubeS
beffere Mnftalten traf, als ©riechen unb SRuffcu erwartet Ratten, jefete
bie ruffijd)e glotte nur eine geringe Xruppenjahl ans £anb, unb
Süerei Drlow jeigte fid) in feiner SBeife feiner Aufgabe gewadj)en.
9?ad)bem er eine ^ätlaua, Mo ran oergebenS belagert fwtte , flog er
fid) in ben $afen tum Dtooarino ^urücf , unb als bie bon ben Xürfen
überall jttrücfgcfchlagenen ©riechen bor ber Stäche ber Sieger bei
ihm @d}ufc fudjten, bermeigerte er ihnen benfelben. 58alb barauf ber*
lieg er mit ber gefammten rufpfeben 2Rad)t ben ^eloponneS, bie
unglücklichen ©rieben ihrem Schuf fal preiSgebeub.
gurdjtbar mar bie Stäche, welche bie Xürfen für ben mt&glücf*
ten 9lufftanb an ben bon ihren angeblichen Söefreiern oerlaffenen
©riechen nahmen, unb mit il)nen wetteiferten bie in großen ©paaren
in ben ^ßeloponneS eingebruugenen Mlbancfen in Staub- unb HJcorb=
luft. 9tur ein Heiner Xheil ber grieefufchen ©ebölferung tonnte (Id)
in bie ©ebirge retten, um fpäter ben $ampf gegen ihre Söebrücfer
aufs 9ceue, bod) ohne befferen Srfolg, aufzunehmen.
Qnjmiphen mar bie ruffiphe Slotte mit ber bon ihr aufgefuaV
ten türfifdjen bei ber Qnfel Sfio jufammen getroffen, unb hier fam
es am 8. guni 1770 ju einer Schlacht, in welcher baS türfipbc
SlbmiralSpbiff bon ber ^Bemannung beS rufpphen in Söranb gefteeft
würbe , in feinem Aufliegen aber aud) bicfcS mit fortriß. X)ie tür*
fifd)c Slotte flüchtete fich in bie enge iöai bon XfcheSme unb mürbe
hier burch ben ru(pfa)eu Mbmiral (Slpluuftone, einen in ben Xienft
ber ©jarin getretenen Snglänber, mit einem Xheil ber rufpjd)en
Slotte eingephloffen. 3n ber Stacht brang Xugbalc, ein anberer
(Snglänber , mit einer Vlnjaljl bon iBranbem in bie SBucbt ein unb
befeftigte einen berfelben, trofe beS heftigen SeuerS ber Xürfen, an
ein türfifcheS Schiff, morauf er fich, m^ sahireichen ©ranbrnunben
bebeeft, ins 9#ecr ftür$tc unb 511 ben Seineu jurücf fchwantm.
(gleich barauf ertönte ein furchtbares ©etöfe, baS bis in Althen
gehört mürbe, unb balb ftanb bie gan$e türfifd)e SJlotte in Stammen.
JsBiS nach Smbrna \)'\\\ erbebte bie (£rbe, unb bie rufpfdjen Schiffe,
bie in einiger (Entfernung 3*ugcn beS fchauerlichen SchaujptelS
waren, mürben wie bon einem heftigen Sturme hin unb f^* getrie*
ben. Xie türfijche 3Jtanufd)aft rettete fich bxm Qröfetcu Xfjeile burch
Schwimmen unb auf Schaluppen au bte apatijcbe töüfte, wo pe an
ber griedpphen Söebölferung furchtbare Stäche nahm.
Stach ber gerftörung fcer türfiphen Slotte brang ©Ipfnuftone,
Welcher ber (Sjariu baa JÖerjprecheu gegeben, bie Xarbanellcn $u
burchbredjeu, auf bas 3tod)brü<flid)fte barauf, bafj bte rufpfd)e 3lottc,
ben in ftonftantinopcl herrjeheubeu Schrecfen benufteub , ungefäumt
Digitized by Google
ßatharma'S crftcr Xurfenfrieg.
597
borten aufbreche ; allein Ortom miberfefcte ftch biefem Borfdjtag,
entmeber aus (Siferfudjt auf ben ihm überlegenen Wbmiral ober mit
föürfficht auf ben fchted)ten 3uftanb bcr ©d)iffe , beren Bemannung
faft nur nod) aus $ranfen unb Bertounbeten beftanb.
Um ber ©jarin ju zeigen, bog bic Söfung feines BerfprechcnS
möglich getoefen märe, brang (£lpf)tnftone mit einem einzigen 3ahr*
jeug in bie EarbaneHen ein, marf bort feine 9lnfcr aus, tiefe feine
Trompeter btafen unb eilte mit £ilfe ber gtutf) hrieber jurücf. Salb
barauf Oertieg er, mißmutig unb unbetotmt, ben rufjtfdjen ©ee*
bienft. SHejei Drtom ober, ber fidj nach Petersburg begeben, um ber
$aiferin pcrfönltcr) feine ©ntmürfe für bie gfortfefcung beS Kriege*
äu unterbreiten, mürbe üon feiner #errin mit ben größten (Sfjren*
bejeigungen empfangen unb burd) ben Beinamen „XfcheSmenSfoi"
belohnt ; aud) erhielt er bie Ermächtigung, mit ber ihm untergebenen
gtolte jebe Unternehmung ju roagen, ofme jemals irgenb metchc
Beranimortlichfeit baffir fürchten ju bürfen.
Crloms ©liefe maren suuächft auf 9tegüpten gerietet, roo ftdt)
ihm bie 2luSfia)t auf eine mächtige BunbeSgenoffenfdjaft eröffnet
hatte. $ort tjatte nämlich 2tti ©et), ein Georgier, ber fich ju
einem jener Üttamelurfenhäupter emporgefdjroungen , melden bamalS
bie .£>errfd)aft über 2tegl)pten unter ber Sluffidjt beS türfifdjen <&tatU
balterS gehörte , ben türfifchen $afd)a vertrieben , bem ©ultan ben
ÖJeljorfam gefünbigt unb nach geroaltfamer Unterbrücfung aller
übrigen Bety'S bie .<perrfchaft üoöftänbig an ftch geriffen; auefj mar
er bereits in Patäftina eingebrungen unb ^atte ftdt) , ba ber ßtieg
mit SRuftfanb bie Pforte an einem nachbrücflichen Vorgehen gegen
ihn oerbinberte, öerfajiebener piäfce in ©ürien bemächtigt, ©egen
feine 3"fa9Cr feine ßufuljr nad) ßonftantinopet gelangen $u Iaffen,
unterftüfcte ihn bie ruffifa^e Slotte bei ber Belagerung oon Qaffa.
Mein bie großen Hoffnungen, bie Drtom auf baS 3ufammcngehen
mit 9tli Bei) gebaut ^attc , blieben unerfüllt; benn fdjon im Safjre
1771 mürbe ber fühne (Smporfömmling oon feinem ©chtoiegerfohne
aus ®atro oertrieben , unb im folgenben 3a^re fanb er in einer
©djtadjt ben Xob.
3m (Jansen richtete bie niffifcr)e Statte im SRittelmecre menig
aus. $ie Belagerung oon ®anbia führte ju feinem &kU, unb Oon
SemnoS mürben bie Muffen burd) ein füfjneS Unternehmen eines
türfifdt)en $eerfüt)rerS mieber oertrieben ; bie einzige %n\zl, bit fie im
2lrd)ipel befefct fetten, mar ParoS.
2lud) ber Öanbfrieg mar für bie SRuffen nach ocn Öro&cn ®ts
folgen beS 3a^rc* 1770 8U einem BertheibigungSfriege an ber
$)onau he™bgefunfen. dagegen gelang ihnen unter ber Rührung
^olgorucfi'S im 3ahre 1771 bie Eroberung ber #atbiufel ftrim,
bie SKohammeb II. im 3<*hrc 1471 unter türfifche £>errfchaft ge*
Digitized by
598
bracht hatte unb bic feitbem unter If^anen au* bcm (Sefchlcchte Xfchin**
giS^^an« geftanben, welche al* VafaHen bcr Pforte oon ben o*ma*
nifchen £errfd)ent ein* unb abgefegt worben. iRachbem Dolgorucfi
bic Dberhäupter bcr tatarifchen ©eöölferung ftur Unterwerfung unter
bie rufftfäe #ot)eit bewogen hatte, begab fidj ber neue, oon ifjm
eingelegte Ä^an nach Petersburg, um ber <£$arin feine §ulbigung
barjubringen.
©chon im 3at)rc 1769 Ratten ft<h, tpic wir oben (©. 589) ge*
fcr)en, Greußen unb Defterreidj, in gleicher SBeife beunruhigt burch
bic 2lbficf)t Katharina'*, bic Eonaufürftenthümer bauernb ihrem
SRcicr)c einjuoerleiben , §u gemeinfamer 5rieben*oermittlung geeinigt,
unb naeöbem in bcr erften Teilung $olen* ein Littel gefunben
toorben mar, bie (Sjarin jur Verjichtleiftung auf bie Dölbau unb 2Bal*
ladjci $u bewegen, würbe jum ©ehufe ber Einleitung oon Srie*
ben*unterhanblungen ju ©ufareft ein SBaffenftiUftanb gefcbloffen,
ber biä §um 1. Slpril 1773 bauern fofltc. £a jeboch Tregor
Drlom, ben bie (Sjarin ju ihrem Veüoflmächtigten ernannt, nicht
nur al* öorläufige 5rieben*bebingung bic Unabbängigfeit ber #rim
oerlangte, fonbern auch auf bie Sorberung ber Abtretung bcr $onau*
ffirftenthümer jurücf fam, jerfchlugen fich bic angefnüpften Unter*
tjanblungen, unb nach bcm Slblauf be* SBaffcnftiflftanbe* nahm ber
ßrieg feinen Sortgang.
£ie Muffen, bie unter fltomanjom abermal* über bic $>onau
gegangen waren, griffen ©Utfrria an; fie würben jeboch oon ben
Xürfen gefd)lagen unb mit großem iBerluft über bie $onau jurücf*
getrieben. $a bie ju biefer Seit au*gebrochene Empörung ^ugat=
fdjew* ber &}>axixi eine rafdje Söeenbigung be* Krieges wünfdjenSwerth
machte, ließ fic bcr Pforte ben Srieben antragen; allein ber neue
(Sultan Slbbul £amib , ber au* ben Verlegenheiten bei rufftfdjen
£>ofe* 9hifcen jtet)en wollte, wie* tt)re 2frieben*oorfchläge jurücf.
Snbeffen wanbte fid) ba* ®rieg*glücf , ba* ben Xürfen auf
einen Slugenblicf gelächelt, balb wieber ben Muffen ju. SBährenb
in Äonftantinopcl große Vorbereitungen getroffen würben, um mit
brei Speeren über bie $>onau get)en, überfchritten bie Muffen im
©ommer 1774 auf* SReue biefen gluß unb brangen bi* in bie
9tät)e oon ©cfmmla oor, wo fie ben ©roßoejier in feinem öager
bergeftalt einjchloffen , baß ifmt ber fRücf^ug nach Slbrianopel abge=
fd)nttten War. $)ie* bewog ben ©ultan, jefct feinerfeit* ber (£$arin
gricben*üorfcf>lägc ju macheu , unb ba ba* 3frieben*bebürfniß auf
ihrer (Seite fortbauerte, ftellte fie annehmbare Vebingungen. ©o
fam am 22. 3uli 1774 $u $utfd)uf-$ainarbfche, unweit
©iliftria, ein 5rieben*fchluß $u ©tanbe, in welchem bie Pforte ben
SRuffen freie ©dnfffahrt auf allen tfirfifchen ®cwäffern einräumte,
in bie Unabhängigfeit ber ®rim willigte unb Sftußlanb ba* ©chuj}*
Digitized by Google
Äatfarina II. alö fflegentüt.
599
redjt über bie ber griec^tfe^en ®irdje angeljörigen Untertanen be«
©ultan« juerfannte, wogegen bie ßjarin alle bon ifjr gemalten
Eroberungen , mit 2lu«fdjluß ber ©täbte Äertfdj unb Qenifale in
ber Stirn unb ftinburn an ber lUiünbung be« 3/nicpr, ber Pforte
jurücffteflte. 3für bie unglürflidjen ©rieben, bte fia) im Vertrauen
auf SRu&lanb« 3ufagen für bie SSiebererlangung iljrer ©elbftftänbig*
feit erhoben, ljatte bie Sjarin fein ®ebädjtnif} me^r.
©o gering aud) bie Sortierte , bie ber griebe bon &utf$uf*
Äainarbfdje ber ©jarin gemährte, im Sergleia) ju bem maren, ma«
fie erftrebt fmtte, fanb fic bod) in ber ^Xudfi^t auf ben fpäteren
^efifc bei ßrim, ber für fie nadj ber Unab!jängigfeit«crflärung ber*
felben feinem gmetfel mef)r unterlag, reiben (£rfnfc für ade«, ma«
xf)x für ben Slugenblia* noa) entgangen mar ; benn biefe« Sanb erfduen
tyr als ein fixerer ©tüfcpunft, bon meinem au« fie in einem jmei*
ten Kriege gegen bie Pforte ba« türfifdje töeia) au« feinen Ingeln
f)eben $u fönneu hoffte.
©leidt) griebrid) II. unb Qofcpt) II. entfaltete aud) $atfjarina II.
in ber SBermaltung ifjre« weitläufigen föeidje« eine ungewöljnliaje,
Slüe« umfaffenbe unb TOe« mefjr ober weniger umgeftaltenbe Xfä
tigfeit, an melier üjre SRufjmfudjt ebenfo großen ^iitt>cil fmtte, al«
il>r gntereffe für ba« S5?ot)I ifjrer ©ölfcr.
Um al« ®efe$geberin ju gtänjen unb jugleidj öon ben „pljtlo*
fopl)ifcbenM ©timmfütjrern Europa'« al« ,,*ßl)ilofopf)in auf bem
Xijrone" gepriefen ju werben , befd)loß fie , iljrem 8teid)e naa)
borau«gegangenen Verätzungen mit Slbgeorbneten aller ^rooinjen
be«felben ein neue« ®efefcbudj nad) ben ©runbfäfcen ber bon ben
franjöftfdjen ©taat«pf)ilofopl)en unb ©djöngetftern berfünbtgten
2Bei«t)eit ju geben. Qu biefem Smetfe berief fie im Qaljre 1767
eine „©tänbeöerfammlung" au« Sßertretern oon jwanjig SBölfer*
fdjaften ifjre« SReidje« : ©fjriften , Anbetern be« 3>alai=£ama unb
$8erefjrern ber ©onne, nadj 9tto«fau jufammen unb legte U)nen eine
üjrem 3nljalte nad) mörtlid) au« 9ftonte«quieu entnommene, aber
unter i^rem eigenen tarnen beröffentlidjte unb auf if)ren $8efe§I in
äroanjigtaufcnb Exemplaren oerbreitete Qnftruftion öoH ber liberal*
ften ©runbfäfce oor , gegen meldje ir)r fdjranfenlofer ®e«pott«mu«
unb ba« r)errfd)enbe Regiment ber (Sünftlinge einen grellen 9(bftidj
bilbeten. 3>a« ©an^e mar, wie Qanffen mit SReä)t bemerft, nur
eine lügenhafte, auf ba« berel)rung«füd)ttge s2lu«lanb beregnete
„garce bie für ben beregten Qtotd nidjt ba« geringfte föefuttat
ergeben fonnte. $Bemerfen«mertl) mar bie Erflärung, weld)e bie
600
tfatljarina IL öon Shifelanb.
2I6georbneten bcr Samojeben burdj tljre $olmetfdjer abgeben lie&en.
„2Sir ftnb gcnügfam unb geregt," fo lautete biefelbe; „mir treiben
frieblidi unfere SRenntf)iere unb Brausen fein neues ©efefcbudj;
aber mad)t ©cfcfebüc^cr für unfere Wadjbarn, bie Muffen unb für
bie ©ouöemeure, bie it)r ju unä fdjicft, bamit fte ü)re Zaubereien
einfteflen."
ftatfmrina benufcte ben fluäbrucf) beS erften Sürfenrriegeä all
SSorroanb jur »uflöfung it)rer „Stänbeüerfammlung\ unb biefe er»
teilte, beöor fte auSeinanberging , ber ftatferin bie ©einamen ber
®ro&en, ber SBeifen unb ber 9Jcuttcr be* Saterlanbe*. 3)ie „be=
fdjeibene" (£$arin nafjm nur ben legten biefer @t)rcntitcl an. „28cnn
fte fidj beS erften mürbtg madje", fagte [\tf „fo fomme e& ber9cac§*
tue« $u, Um iljr $u erteilen ; bie 2Bei3t)eit fei eine ®abe be* £im=
meld, bem fte bafür banfbar fein müffe, bodj mage fte nidtjt, biefe
©igenfdjaft ftd) jum Serbienfte anjurec^nen; ber JBeiname: 2Jcutter
be3 SBaterlanbeä fei iljr ber mot)ltt)uenbfte ; it)n fefje fte alä bie
rühmliche ©eloljnung für bie Arbeiten unb Sorgen an, benen fie
für ifjr geliebtes $otf fid> unterzogen tjabe."
$a8 neue GJefefcbud), ba3 fatfwrtna nunmehr allein auSar*
bettete, hatte junäcfrft bie innere 93ermaltung beä Staates jum ©egen*
ftanb. Sdmn öorfjer Ijatte fte ber oberften föeidjsbetjörbe für bie
inneren STngetegenfyeiten , bem Senate, eine me^r geglieberte, bie
Ueberfidjt erleid&ternbe gorm gegeben; an biefe Neuerung reifte fte
jefct eine jroeite, inbem fte bem föetdje felbft eine beffere ©liebe*
rung gab. $ie Stattftaltereten, öon benen einige an Umfang man*
djem ßönigreicfje gleid) famen unb beren ©ouoerneure fo au3ge=
behüte 93efugniffe Ratten, bafj fie baburd) felbft für bie $rone ge=
far)rlic^ »erben tonnten, mürben nidjt nur an Umfang öerringert,
unb jmar fo, baß jebe ungefähr öiermalt)unberttaufenb ©erootjner jaulte,
fonbern audj mieber in mehrere Greife toon circa oierjigtaufenb See»
len eingeteilt. $en SWittelounft ber ganjen Statthalter fdjaft bilbete
bie ÖJouoernementSftabt, ben jebeS einzelnen ®reife3 bie ÄreiSftabt.
Qn biefen Stäbten Ratten bie ÜBerroaltungSbehörben ihren Sifc. 2)en
©ouoerneuren, benen früher außer ber ®erid)täbarfeit unb ber
^ßolijei auch bie ©r^ebung ber ©intunfte unb noch öieleS Hnbere
oblag , mürbe nur nodj bie allgemeine Wiiffidjt gelaffen. Xie
bürgerlichen unb peinlichen SRechtSfachen mürben getrennt unb ge=
fonberten 33et)örbeu jugemiefen. s2Iud) mürbe in jeber Statthalter*
fdjaft ein fogenannteS w©emiffen^geridt)tw eingefe(jt, ba& bie Streit«
hänbel in Wüte ju fcr)Iict)ten fudjen foÜte. ^odftanbig auSgefchlof=
fen oon ber „mütterlichen" Jür Jorge ber ©jarin blieben jebodj bie
leibeigenen, für meldte fie au$ JNüdjidjt für ben 2(bel utd)t bad
ÖJeringfte tt)at. $He Statthalter mürben jmar angemiefen, fte öor
aflju Rätter SBiUfür üon Seiten it)rer @ut*t)erren 511 fdjüfcen; ein
Digitized by Google
Äat&arina II. al* ttegentm. 601
au bcr gleichen Qtxt Don ber Äoifcrin erlaffener Ufa«, morin jcber
Setbetgene, ber auch nur eine Älage gegen fci«cn ©u«^errn ju er*
heben möge, mit ber Ihmte unb ber Verbannung nach Sibirien be*
brot)t mürbe, lieg bieS jebodj faft mte einen ©pott erfebeinen.
(5ine 3oIge ber oeränberten (Eintheilung beä ruffict)eu deiche*
mar bie (Entftet)ung mehrerer neuen ©täbte, in meldjen ftdj, ba
toerföiebene neu errichteten ©ehörben in benfelben ihren ©ifc er*
hielten, ein regerer ©erfefjr unb ein größerer SBohlftanb entmirfetten,
als in bieten ber alteren, beren (Einmofmer in mannen ^Beziehungen
ben ©auern gleich ftanben, ba nur menige ruffifäc Stäbte burd) <ßeter
ben ©rogen unb (Elifabett) eine 8rt freier ©erfaffung erhalten Ratten.
Um einen SRittelftanb mit ftaatöbürgerltchem ßeben unb be*
ftimmter ©teHung in ber (Sefeüfchaft $u grünben, erlieg Katharina
eine neue ©täbteorbnung , burch meldte mit ber &ai)l ber ©täbte
auch bie greiheiten berfelben öerme^rt mürben. 3)ie ©ürger mur*
ben nach ihren © ef Sättigungen unb ihrem ©ermögenäftanbe in ge*
miffe SRangorbnungcn geseilt, Don meldjen bie höhcrcn befonbere
©orrechte erhielten; auch mürbe ber ©ürgerfdjaft baä föecht juer*
fannt, ihre obrigfeitlichen ^erfonen felbft ju mahlen.
$te Vorreite be3 $lbelä, bie hauptjächlich in gänzlicher ©teuer*
freitjeit unb in bem SRechte, Seibeigene $u befifcen, üon benen fte
nach ©elieben Abgaben unb Sttenfte forbern fonnten, fomie in ber
Sreifjeit bon allen fieibe&ftrafen beftanben, mürben Don Katharina
burd) einen befonberen faijerltchen Freibrief neu betätigt.
Um ben Jjpanbel burd) bie (Erleichterung bed inneren ©erfefjrS
ju ^eben, lieg Katharina neue ©tragen unb banale anlegen; auch
(job fie bie £anbel3m onopole auf, meldte fomofjl bie fixone al& ein*
jelne ©rogen noch befagen, unb gab gegen (Erlegung einer beftimm*
ten Abgabe ben $anbel mit inlänbifdjeu (Eraeugniffen frei, fomie
auch 3ebermann bie (Erlaubntg erhielt, Sutferfiebereien, Kattun*
fabrifen unb anbere SDtanufafturen anzulegen. 3m 3ahr 1781
gab Katharina ber Äaufmannfchaft ein ©eeredjt unb eine ©d)iffs
fahrtSorbnung unb lieg anfehnliche SBerfte für ftauffahrteifdnffe
bauen. (Einen rafchen Sluffdjmung nahm ütöbefonbere nach bem
erften Xürfenfrieg ber £>aubel auf bem fchmarjen Speere, an beffen
®üfte bie (Ejarin im 3°hre 1793 an ber ©teile eines im Sahre
1789 mährenb be3 jmeiten lürfenfriegeä eroberten türfifchen gortä
bie ©tabt Dbeffß grünbete.
(Eine ganj befonbere ©orgfalt öermenbete Katharina auch auf
bie görberung ber SBiffenjchaft unb ftunft, bie in SRuglanb, trofc
ber Bemühungen $eterd be$ (trogen, noch feinen ©oben gemonnen
fjatten. ©ie errichtete eine (Erjiehungäfommiffton , melche neue
Unterrichtäroeifen angeben unb Slnftalten jur ©Übung bon ßehrern
fomie ÜRormalfchulen im ganzen deiche anlegen follte. gür bie
Digitized by
602
Äatfjarina II. Don JRufelanb.
SluSbilbung ber ruffifdjen ©pradje grünbete fte eine eigene Wta*
bemie nadj bem Sttuftcr ber franaöfifdjen unb lieg burd) biefclbe
ein rufftfdjefc SBörterbudj aufarbeiten. $a& rufftfdje ©djrifttfmm
folltc burd) Ueberfefcungen wiffenfdjaftlid&er unb bid)terifd)er fßerfe
geförbert werben, bei weldjen ftd) bie djarin perfönlidj beteiligte,
wie fie aud) ©djaufpiele für bie rufftföe ©üfme fdjrieb, bie jebod)
einen feljr untergeorbneten SBertl) fjaben unb nteift polttifdje Xen*
benjftürfe ftnb. 3fce ©cmütjungen für bie Hebung ber rufftfa)en
SBoltebilbung blieben jebodj oljne nennenswerten Crrfolg, tfyeila weil
fte ber naturgemäße« Sntwidlung bcrfelben ju fefyc borgriff, tfjeife
auef) Weil SBieled Wieber aufgegeben Würbe, nacfjbem e« !aum be=
gönnen worben. UebrigenS fdjwanb üjr SSfer für SBolfSbilbung
nadj bem &u$brud>e ber franjöfifdjen föetoolution, weil fte bicfelbe
ber Äufflärung be3 SBolfeä auftrieb.
SBie fef)r jebod) ßatfjarina felbft ben ©runbfäfcen fyilbtgte,
weldje bie franjöfifdje SRebolution in« Seben gerufen baben, jeigt
uns nidjt nur ifjre begeifterte SSere^rung für bie franjöftfdjen $f)tlo»
foppen unb ©djöngeifter , inäbefonbere für ©oltaire, ber fie baffir
feinerfeitö „feine ^eilige" nannte, unb für Diberot, fonbern auc§
iljre burdjweg revolutionäre ^olitif. „®atf)arinaM, fagt 3anjfen,
„war bie erfte gefrönte 3afobinerin in (Suropa unb befolgte in üjrer
<ßolitif alle jene beftruttiben , revolutionären ©runbfä&e, bie wir
gewöfynltdj al$ (Srjeugmffe ber franjöfifa>n Revolution betrauten.
Sie franjöfifdje Revolution Ijat lebiglid) biefelben ^rinjipten pro*
flamirt, welche bie ,ncnc ©emtramis unb 9)?cffalina be$ Horbens4
ein 3Kenfdjenalter fjinburd) beftänbig im ütfunbe geführt unb burd)
bie fie alle RedjtSberlefcungen, ^ertrag&brüdje unb Eroberungen ju
legitimiren gefugt r)orte."
2Bte ftatfyirina bie bon bem ©eifte ber Seit au* Snbifferen*
tiSmuS geforberte religiöfe $ulbung Ijanbbabte, Ijaben wir in ber
©efa)itf)te ber erften Xfjeilung dolens fattfam erfahren, $ie ffic*
ligion War für fie nur eine ©anbfjabe jur drreid^ung politifdjer
3werfe, unb wenn fie, wie wir oben (©. 509 f.) gefefjen, ben ber=
folgten 3efuiten eine fixere guflud)t3ftätte gewahrte unb fict) iljrer
Sluftebung in Rufjlanb mtberfefcte, fo gefdjaf) bieS eben nur, weil
fte tljr nüfclid) waren, ©elbft mit ber ortfjobojren £irdje, gegen
welche fie bie unbebingtefte Eingebung an ben Xag legte, trieb fie
ein f)eud)lerifa)e3 ©piel, inbem fie baä SBefifctljum ber Äirdjen unb
ßlöfter einbog — woburd) fte ifjre jäfjrlidjen (Sinfünfte um jwanjig
SWiflionen granfen erljöfyte — unb babei bem ruffifdjen #leru3 er*
Härte : fie tljue bie« lebiglid) au« S3orf orge für bie ftirdj e, bie fie
bon ben „wiberredjtltdjen Slnmaßungen be$ Reid>3eigentf)umä" be-
freien unb ju ber bon ©ort gewollten primitiben (£infad$ett jurürf=
führen müffc.
Digitized by Google
603
$ o t e m Ii n ber Saurier.
(1776-1791.)
Xrofc tt)re« männlichen tyaxatttx* unb ber furdjterWecfenben
äußeren Roheit, womit pe OTe« in ben ©chranfen ber Unterwür*
figfeit ju halten Wußte, ftanb Katharina, gleich ihrer Vorgängerin
(gtifabetr) f mit welcher fte toic in ber üppigen $rad)t unb Ver>
fchwenbung it)red orientaüfdjen #offtaate«, fo auch in it)rem aßen
fittlichen ©efütjlen hohnfpredjenben <ßriüatleben wetteiferte, in ^o^em
©rabe unter bem (Sinfluffc it)rer jahlreichen ©ünftlinge; bod) t)at=
ten ftdj bie meiften berfelben it)rer Neigung nur öorübergehenb ju
erfreuen, ©ine &u«nahme mochte junächft ©regor Drlom, ber fid),
üon ber (Jjarin mit ®lan$ unb SReidjthum überfct)ürtetf $ehn 3&hre
lang bie nädjfte ©teile an ihrem %§xont ju Wahren mußte; bod)
erhielt auch er feinen Äbfdjieb, al« bie (Sunft Katharina'« fich
einem Slnbern jugemonbt, bem e« gelang, fid) nicht nur jum doCU
ftänbigen ©ebieter ber ^axin emporschwingen, fonbem auch feine
©teUung bi« an fein ßeben«enbe $u behaupten.
tiefer mädjtigfte unter ben ©ünftlingen ber (Sjarin mar (Tre-
gor $ o t e m f i n , ber ©ot)n eine« oerabfehiebeten Offizier« au« bem
nieberen ruffifdjen s2lbel. (geboren im3at)re 1736 auf bem Keinen
ßanbgute feine« Vater« in ber« 9^ät)e Don ©molen«f, ^atte er, ba
it)n fein Vater jum geiftlichen ©tanbe beftimmt, feine Sugenb in
einer (£r$iet)ung«anftalt für ©eiftliche oerlebt, wo er fid) eine ober^
flächliche Vilbung angeeignet, mar jeboeb, fpäter in bie berittene
fieibroadje ber Äaiferin (Slifabetb eingetreten unb t)atte e« in ber-
felben bi« jum SBaajtmeifter gebraut. Vei ber (Srmorbung ^Pe-
ter« III. mürbe er öon Orlom ju £ilfe gerufen, unb feine Betei-
ligung an biefer grcoelthat berfdjaffte ihm ben Slang eine« Offi*
jier« unb bie ©teile eine« $ammerjunfer«, al« welcher er balb auch
Zutritt $u ben £>offreifen erhielt.
3m Vertrauen auf feine $örperfdjönt)eit glaubte ^ßotemhn e«
erreichen ju fönnen, ber <&ünftling ber ßaiferin $u werben; allein
Drlow, bem feine ehrgeizigen 2Ibftct)tcn nicht entgingen, fdnefte u)n
ju bem $eere nach ber Xürfci. $iex nahm er an mehreren ©djladj*
ten ofme fid) jebodj burd) befonberen friegerifchen (SKfer fjer*
oorjuthun, weil feine ©ebanfen au«fdjlie&üdj auf ba« $\tl gerietet
blieben, ba« fein (ä^rgeij fiet) gefteeft hatte. v2ll« er im 3at)re 1772
in Erfahrung brachte, baß ©regor Drlom burd) feine Anmaßung
unb fein rohe« Venehmen ber ®aiferin läftig ju werben beginne,
wußte er e« bat)in ju bringen, baß ihm eine sDftffion an ben $aifer=
t)of übertragen würbe, unb bamit war ber erfte ©abritt ju feiner (Er-
hebung gethan. Katharina war balb fo feljr für ihn eingenommen,
Digitized by
604
töatfjarina II. öon Stußlcmb.
baß er feinet ©iegeS über ben nodj immer mächtigen Drloro ge-
wiß fein burfte; bodj öerftrtdjeit noch öier 3ah*e, che eS it)m ge=
lang, benfelben gänzlich aus ber ÖJunft ber Saiferin unb bamit $u=
gleich au$ beren Stölje $u berbrängen.
SRadjbem Katharina ihren neuen ©ünftling in ben ®rafenftanb
erhoben hatte , berlteh fie ihm ein Ehrenamt nach bem anbern unb
übertrug ihm nicht nur baS ffriegsmefen , fonbern nad) unb nach
auch bie obere Seitung aller inneren unb äußeren StaatSangelegen^
Reiten. Um ber (^arm $u gefallen unb ftd) ben einflußreichen
(Sünftling geneigt gu machen, überhäuften it)n auch auswärtige
dürften mit öemeifen ihrer §ulb. Sofeph II. »erlief ihm bie Söürbe
eines beutfdjen föeichSfürften unb Sriebrich II. bot ihm feine guten
$ienfte an, falls er $er$og oon turlanb ju werben mfinfehe. SRe*
ben bem @fjrgei$ mar bie ©elbgier <ßotemnnS öorherrfchenbe Sei*
benfdjaft , unb aud) biefe Würbe burch bie ®unft ber ®aifertn im
boflften 2ttaße befriebigt. 9Iußer bem hohen Schalte, ben er für
feine öerfdn'ebenen Remter bejog , unb ben reiben ©infünften ber
auSgebelmten ®üter, bie Katharina ihm gefajenft hatte, erhielt er bon
it)r an jebem 9leujahrStage einmalfjunberttaufenb föubel unb eben*
fooiel an feinem ®eburtS; unb 9tamenStagSfefte. ©ine noch weit
ergiebigere Duelle jur Vermehrung feiner (Sinfänfte lag in ber ihm
eingeräumten Vcfugniß, auf feinen bloßen tarnen jebe beliebige
©umme auS ben faiferlichen Soffen $u entnehmen; benn er trug
fein Vebenfcn, biefe Vefugniß ju feinem Vortheile in ber gemiffen=
lofeften SSeife auszubeuten.
2öie fich ^otemftn barin gefiel , feinen föeidjthum in ber 23e=
friebigung ber feltfamften ßaunen einer überfättigten ©innlidjfeit
jur (Schau ju tragen, ohne baran ju benfen, bie üeute ju befahlen,
bie für ihn arbeiteten ober ihm Sieferungen machten , fo jeigte er
in bem Uebermuth , toomit er diejenigen behanbelte , bie in f fla*
btfeher Unterwürfigkeit um feine ÖJunft buhlten, fowie in ber föücf-
fichtslofigfeit , bie er gegen bie $aiferin felbft an ben Xag legte,
inbem er nicht nur ihrem 2Biüen Xrofo ju bieten wagte , fonbern
fogar oft abfichtlich baS ©egentheil bon bem that, was fie wünfdjte,
baß er fich fäner SflachtüoQfommenheit als unbefchränfter ©ebieter
SRußlanbS bewußt mar.
S2ÜS (Staatsmann mar $otemfin befonberS auf bie (Srwette*
rung ber ©renken beS ruffifchen Meiches bebaut, unb ber $lan
gum llmfturj beS türfifchen Meiches mar ^auptfac^licb fein SBerf.
2luf ben Xrümmern beSfelben fottte ein neues griechifcheS SRetch
für $atharina'S ^weiten, im 3af)re 1779 geborenen (Snfel errichtet
merben, ber beßfjalb ben alten Kaifernamen Konft antin erhalten
hatte. Qvlx Sörberung biefeS planes mar $otemfin eifrig bemüht,
eine engere Verbinbung jwijchen fflußlanb unb Oeftcrreich ju ©tanbe
Digitized by Google
^otcmfin ber Xaurier.
605
ju bringen, roäfjrenb baS üon $anin aufrecht gehaltene 93ünbni&
mit griebridj II., ber im StiÜcn bcr Sßergröfjcrung SRußfanbS
entgegen arbeitete, immer locfercr mürbe. VUS Waffen- unb JpanbetS-
pläfce gegen bie Xürfen mürben bie ©täbte ®atbarinoSlaro, 9Äorio=
pol unb (Styerfon errichtet, unb über einem Xfjore ber festeren las
man bie bebeutungSüolIe ijnfdjrift: „SBeg naef) $ty$an$."
Um bie Söernnrflidjung beS orientalifdjen planes anaubaljnen,
mürben ©dritte jur ^Bereinigung bcr ®rim mit 9tu&(anb getrau,
bie mit (Shrfolg gefrönt toaren. 9Zad)bem ber ruffifdjc §of ben öon
ifmt eingefefcten ®f)an ©djaljin ©tjerai oollftänbig auf feine ©eitc
gebogen fjatte, machte ^otemfin im 3afjre 1782 eine Steife nadj (Sfjer*
fon , um burdj 93erfpredmngen unb ©elbfpenben fomof)( if)n , als
aud) anbere Häupter ber Xataren für bie ruffifdjen $Iäne ju ge*
minnen , unb in ber %f)at gelang eS ifytn , ben ®f)an jur Öborb=
nung einer ©efanbtfdjaft nad) Petersburg ju beroegen, burefj me(d>e
er ber (£$artn feine Untertfyänigfeit erMären liefe. 3>ie ©rüber
beS ®§anS miberfefeten fitf) jmar, unter bem ©eiftanb eines XfyeUeS
ber SBeoölferung ; ifjr 2Biberftanb rourbe jeboef) burcr) ruffifcfjeS 9ttiÜ*
tär ntebergemorfen, baS fogleicf) in baS ßanb einrürfte unb $aufenbe
ber ©egner beS ®f)anS tfyeüs töbtete , tfjetfS §ur Seibeigeufdmft
nad) SRujjlanb fcf)Ieppte. 5)er ®f)an trat im 3a§re 1783 feine ober=
fjerrlitf)en 9ted)te gegen bie 3ufa9e cine$ QafjrgelbeS für fidj unb
einige ©lieber feiner Samiüe, beffen 3luSjaf)lung jebodj batb ein*
geftetlt mürbe , an Stußlanb ab unb tocrlicß bie $rim , bie fofort
oon ben Muffen in Söefifc genommen mürbe. $)ie Söeoitfferung er*
fjob fief) jmar in 9Jcaffe gegen bie ruffifdje $err[dwft; aber ifjre
Sluflefmung r>attc nur ein fdjauerüdjeS ^ötutbab jur golge, bei mel*
djem auf 33efe!jl $au( ^otemfinS, eines ©ermanbten beS 3ürften,
breißigtaufenb Xataren, Männer, SBeiber unb ftinber , nieberge*
me&ett mürben.
®atf)artna fuct)te bie gemaltfame SBefifcergretfung ber ^rim
burdj bie ©rftäruug ju rechtfertigen: „$ie Xataren feien nidjt fäfn'g,
baS ©lücf ber Unabpngigfeit ju genießen, baS fte ifjnen bei bem
legten grieben oerfdwfft f)abe; fie finbe fid) ba^er bemogen, jur
$erfteflung ber SRuf)e in ber Shim , fomie jur ©idjcrf)ett ifjreS
eigenen Steides unb $u einigem (£rfafc ber bereits für baS SBofjt
ber Tataren aufgemanbten jtoülf Millionen tftubel bie #atbinfel
®rim nebft $uban unb ber 3nfcl Xaman unter il)re $errfc^aft ju
nehmen. S)ie üon atten curopaifc^cn SCRäcr)tcn oerlaffene Pforte
fa^ ftet) genötigt, nict>t nur bie #errfdjaft 9tu6(anbS über bic
®rim, ®\iba\\ unb laman anjuerfennen , fonbern auc^ bem über-
mächtigen ^cac^barftaate einen oort^eil^aften ^anbelsoertrag ju ge*
mähren. (1784.)
gür bie mit SRitßlanb oereinigte ^rim, mit me^er ^att)arina
Digitized by
606
ben fixeren ©djlüffel jum o«manifchen deiche in $änben $u hoben
glaubte, würbe ber alte ttame X q u r i e n erneuert , unb ^otemfin
erhielt mit ber Statthalterfchaft über ba* neugewonnene öonb ben
Huftrag, baafelbe ju einem ©liebe be* rufftfehen SReiche* um^uge*
ftalten. (Sr öou>g biefen Auftrag in ber ihm eigenen fdjonung**
lofen SBeife, inbem er bie beftehenben (Einrichtungen gewaltfam
öernicfjtete unb babei jugleich ba* ßanb jur ©efriebigung feiner
#abfud)t in ber fchmachootlften SBeife audfaugte.
Um bie hierüber oon feinen (Siegnern oor ben Xfjron gebrach»
ten Slntlagen ju entfräften, bemog <Potemfin bie flatferin im 3at)re
1787 $u einer Steife nach laurien, $u Welver fie fich um fo leicfc
ter entfdjlofi , att ber Xob ihre* ©ünftling* Sandfoi fie W»«*
mütlng geftimmt ^atte unb Ujr baher eine 3erftreuung erwünfebt
war. SRit einem jahlreidjen glän$cnben (befolge, unter welchem fich
auch bie ©efanbten mehrerer fremben $öfe befanben, brach fie oon
Petersburg auf, unb &efte, Schmeicheleien unb #ulbigungen aller
2lrt geftaltctcn ir)re Steife, für welche äße bracht be$ Orient* auf*
geboten worben, ju einem Xriump^ug.
3n #iero, bi* wohin wätjrenb ber ganzen gafjrt bie langen
dächte burch unzählige Scheiterhaufen erhellt worben waren, fdjiffte fich
®att)arina , na et) einem mehrmonatlichen , burd) ben (SiSgang be$
Xniepr oeranla&ten Aufenthalt, auf einer Keinen glotte oon fünfzig
JJahrjeugen nach ben neu erworbenen äänbern ein. 2(13 fie fid)
benfelben näherte, wu&te ^otemfin fie burd) ein ölenbwerf ju tau
fct)en , ba3 il)r bie menfehenteeren , oeröbeten ®egenben im Sichte
einer ungeahnten !ölütr)e geigte. xHuf oterjig Steilen weit waren
große SBoltemaffen jufammenget)ott worben, um bie oerfdnebenen
Orte, an welchen bie ftaiferin borüberf utjr , alä reichbeoölfert bar*
aufteilen ; wenn fie biefen Stotd erfüllt tjatten, lieft man fte bor
junger umfommen. Tic nämlichen $iet)t)eerben würben beä 9iad)t3
oon einem Ort junt anbern getrieben, um ber ftaiferin balb hier,
balb bort ben SSotjlftanb in ber gerne fdnmmernber gemalter $)ör=
fer ju berfünben. 3n bie (Srbe getriebene 9Waftbäume mit wet)en-
ben Söimpeln gautelten it)r ba3 iöilb eine* lebhaften £>anbet$ auf
Slüffen unb banalen oor. 3n bem .ftafen oon Sebaftopot jeigte
ftet) tlir bei einem prächtigen Jeuerwcrfe ba3 Xrugbilb einer gan*
$en fttiegSflotte. 5Öon neuem Vertrauen in ^ßotcmfinä fct)öpferifc^en
(SJeift erfüllt , oerlieh ihm bie getäuföte Maiionn ben Beinamen
„ber Xaurier" unb ertheilte bem Senate Befehl, eine 9lu^mfcr)rift
auf ihn $u berfaffen unb biefelbc im ganjen fianbe befannt ju
machen.
2Bic bie Steife ber $atferin nach Xaurien SßotemnnS Hnfehen
neu befeftigte, fo brachte fie auch feine s$länc bezüglich ber Xürfei
ihrer s2(u*führung näher; benn wäljrenb berfelben fam jwifchen ber
Digitized by Google
607
(£jarin unb Sofeph IL, bcr mit ihr in (Eherfon aufammentraf unb
fic oon bort auf ihrer »eiteren föeife begleitete , ba* längft oon
^otemfin erfrrebte Vünbni& ju @tanbe, ba* ihr ben »eiftanb Defter*
xtify ju bem geplanten neuen Xürfenfriege ftcherte.
Äatharina'S stoeUer iürfenfrteg.
(1788-1792.)
(seit ber Sufantmenhmft ber (J$arin mit 3ofeph IL unterlag
e£ für bie Pforte , toie für ba3 gefammte äbrige (Suropa , faum
mehr einem Stoeifel, bag jtoifchen Reiben ein auf bie Vernichtung
be3 türfifdjen SReicbeä jtelenber ftrieg Oereinbart morben; benn ber
rufftfe^e $of feinen e$ gefliffentlich barauf anzulegen , burch neue
unberechtigte Sorberungen unb ©efdrtoerben aller Slrt bie türttfdje
Regierung $u reijen. Tiefe befchlofj baljer, im Vertrauen auf bie
Unterfinning Gnglanbä , $reugend unb ©gebend , bie ade mit
föujjlanb au& oerfd)iebenen GJrünben auf gefpanntem gujje ftanben,
auf Örunb ber zahlreichen feit bem Äb[chlu& ber Vertrage Don
1774 unb 1784 oon SRu&lanb erlittenen Äränfungen ber (Sjarin
ben Krieg ju erfroren. $)ie* gefchah am 24. Sluguft 1787, unb an
bem gleichen Xage mürbe ber rujfijdje ©efanbte Vulgafoio in baä
©chlo| ber peben Xhürmc gefperrt.
Katharina beantwortete bie türfifche &rieg$erffärung burch ein
33ianif eft , in toelchem fic r unter Verficherungen ihrer friebliebenben
(Sefinnungen unb unter Verroünfchungen gegen ben 3fleineib unb
bie Xreulofigfeit ber Pforte, bie gefammte cbriftlidje SBelt auffor-
berte, ihre ©ebete unb ihre 9Waa)t jur Vernichtung be« (SrbfeinbeS
ber (Shriftenheit $u oereinigen.
Söäijrenb Qofepf) II., toie mir oben (@. 555) gefehen, nach
bem $lane ßaäcü'S mit einem jpeere oon jtoeimalhunberttaufenb
ÜHann burch baä Vanat einen toeit audgebehnten (lorbon pichen
lieg, rücften jtoei Oon töoinanjoro unb Sßotemfin geführte ruffifche
.peere gegen bie türfiferje Örenje oor. Much mürben bie (kriechen
3U einer erneuten @rhc&unÖ aufgeforbert, unb trofe ber bitteren Qx-
fahrungen, bie fie im erften Xürfenfriege ju machen gehabt, leifteten
Viele biefer Slufforberung So Ige.
Tic* mal fchten bie Xürfei, bie ftch in ihren (£rtoartungen auf
Unterftüfcung oon Wunen getan jd)t jat), ihrem Sdjirffale nicht ent-
gehen ,yi fönnen; allein ber Verlauf be3 erften &riegdjahred recht-
fertigte in feiner SBeife bie Hoffnungen , toelche bie oerbünbeten
dachte auf ihre gemaltigen ©treitfräfte gefegt. SBährenb bie
Defterreicher in Solge be3 oerfehlten gelbjugäplanä £adct)'a , ftatt
Digitized by Google
608
Äattjarma II. t>on Sfcifjlanb.
ju einem erfolgreichen Angriff auf bie Xürfei freiten $u tonnen,
fich mit ferneren Verluften in baä 3nnere be* ©anatS jurürfge*
worfen unb ju einem einfachen Sßertfjcibtgung&frieg gezwungen fahen,
oerf)inberte ein im 3a^re 1788 begonnener #rieg Öuftao* III. öon
©chweben gegen föußlanb bie 2lbfenbung ber Dftfeeflotte nach bem
Sftittelmeere , fo baß bie flotte im fchmarjen ÜReere es ollein mit
ber türfifcfjen Seemacht unb ihrem tapferen flapuban $afcha auf-
nehmen mußte.
Much bie beiben L'anbheere unter SRomanjorn unb ^otemfin
befanben fich in einem nichts weniger al* glänjenben 3uffcanbe ;
benn bei ber burdj bie beitpieflofe iöerfchwenbung ber ©ünftling$=
regierung herbeigeführten ©rfdjöpfung ber rufftfehen ginanjen fehlte
es ben Gruppen am SRöthigften. ©ech* Monate lang lag $otemftn
unt^ätig öor ber ÖJrenjfeftung Dfjafom, burdj welche fich bie
Muffen im Söefifce ber Ärim bebroht fahen, unb nadjbem bie burdt)
bie ©ommerhifce unb Langel aller Wct erzeugten ftranfheiten öiele
Xaufenbe feiner ©olbaten hinweggerafft hatten, brohte bie (Strenge beä
SBtnterS ihnen noch größere ißerlufte ju bringen. STm 17. 2)ejem=
ber 1778 entfcfjloß fich enblich ^otemfin, ber für bie Verpflegung
feiner Xruppen nicht bie geringste Sorge getragen, ju bem oon ben
©olbaten felbft gewünjchteu ©türme , unb nach einem furchtbaren
Kampfe mit ben jum äußerften Söiberftanbe entfchloffenen Xürfen
brangen bie Muffen über bic mit Seichen angefüllten ©räben in bie
©tobt ein, in welcher fie nicht nur bic ganje türfijche SBcfafcung
niebermefcelten, fonbern auch unte* Der sBeoölferung ein fdjauerlichea
iölutbab anrichteten.
Stuf bie erfte Nachricht oon ber (Srftürmung öon Dfyafom
fanbte Katharina bem fiegreidjen $otem!iu mit einem foftbaren
3)egen baä längft gewünschte große iöanb beä ®eorg3orben8 , ba&
fie ihm bioticr nicht hatte oerleihen fönnen , weil e$ nur derjenige
tragen barf, ber eine ^auptjehtacht gewonnen ober eine $aupt*
feftung erobert fyat. Sßoch größere Wu^eidmungen harrten feiner
in ^eteräburg, wohin er fich alabalb begab. Mehrere föchte hin*
burch ließ bie (£$arin, in ber oergeblichen Erwartung feiner x'ln-
fünft, mit großen Soften brei teilen weit ben 2öeg erleuchten, auf
welchem er eintreffen mußte, waä jeboa) ben übermütigen (Sünft*
ling , ber baoon Äunbe erhalten , nicht jjur ©efchleunigung fetner
flieife bewegen fonntc, unb als er enblich augefommen war, machte fie
ihm felbft ben erften SBefuch. s2lm Dfterfefte, an welchem fich ber
rujfijche £of um Mitternacht in ber $apeße be3 SBinterpalafteS
jum ÖtotteSbienfte $u oerjammetn pflegt, umarmte fie ihn unb
banftc ihm, unter Ucberreichung eine* mit ben merth&oUften $ia=
manten reichbefefoten Crben^eichenä, mit erhobener ©timme für bie
wichtigen £tenfte, bie er ihr unb ihrem deiche geleiftet. 2ftit bem
Digitized by Google
alleinigen Oberbefehl über beibe #eere betraut, reifte er am folgen*
ben Xage wieber bon Petersburg abf nadjbem er bie Äaiferin gc*
$wungen, ihm $ur Sortfefrung bet ffrieget fecht SRilltonen Kübel au
bebänbigen.
$)er gelbjug bet fahret 1789 brachte ben SBerbünbeten un*
gleich größere (Erfolge, alt ber oortjergeljeube. ^otemfint Unter*
felbherr ©uwarow erfocht am 1. Sluguft, im herein mit ben Defter*
reihern unter bem Sßrinjen Don Coburg, bei 5 o f f <fy a n tj Aber ein
tfirfifdjeS #eer Don fünfunbbreißigtaufenb Tlaxm einen glän^enben
©icg, an welchen fidj am 22. September ein noch größerer bei
a r t inj efti am fflimnif reifte, wo bie beiben gelbljerren ein bon
bem ©roßbegier felbft befehligtet $ttx bon aweiunbneun$igtaufenb
9ftann faft gänjlich bernichteten unb beffen reichet £ager erbeuteten.
53alb barauf, am 8. Dftober, eroberte ber alte ßoubon, ber fidj
bereit t 9ieugrabetfa't bemächtigt hatte, nach einer benf würbigen ©e*
(agerung bat wichtige Söelgrab unb warf bie Xürten bis hinter Sttffa
3urücf. Qu ber gleichen Qtit fielen ©alaq, 9lffierman unb SBenber,
bat lefotere burch Serrath, in bie bemalt $otemfint.
tiefer trug fid) unterbeffen mit bem ehrgeizigen $tane, bie bon
ben Defterreichern unter bem ^ßrinjen bon Coburg eroberte Dölbau
tiebft ber SBafladjei bei ber bemnächftigen Xheilung bet türfifchen
deichet alt unabhängige Sfürftenthümer für ftch ju behalten r unb
bat geben, bat er in Qaffy führte, befunbete, baß er fid) bereit*
alt beren £>errfcher betrachtete. Um bie bornehmen SDcolbauer für
{ich &u gewinnen, umgab er fid) mit einem föniglichen $runt , rieh*
tete eine fürftliche Itapelle ein, berfchrieb ©chaufpieler unb Xänjer
aut $arit unb ließ aut granfreich bie toftbarften Schmucfgcgen*
ftänbe fommen, für welche ber (nicht bezahlte) &oü allein $wölftau»
fenb Kübel betrug.
Wit ber Verwirf lichung feiner £errfchafttbläne ging et inbeffen
io rafch nicht, alt er gehofft; benn ber Sultan Selim, ber feinem
am 7. $tprit 1789 berftorbenen Dheim Slbbul fyamib auf bem
Xhrone gefolgt war, jeigte fich, burch °*e feinbliche Haltung ©nglanbt
unb Sßreußent gegen SKu&lanb ermutigt, jum äußerften SBiberftanb
entfchloffen, unb ber nach htm Xobe Sofepht II. bon beffen Nach-
folger ßeopolb II. mit ihm gefchloffene SßaffenfäUftanb, auf welchen
am 4. Wuguft 1791 ber Sriebe bon ©iftowa (f. ©. 559) folgte,
gemattete ihm, ben ftampf gegen föußlanb mit berboppelten Gräften
fortjufefcen.
Unterbeffen hotte Katharina am 14. Äuguft 1790 mit Schwe*
ben ^rieben gefd)loffen unb fonnte baher ihre gefammten Streit«
fräfte nach bem ©üben richten , wo ihre Zruppen altbalb neue
^ ortheile errangen, öefonbert wichtig war bie (Eroberung ber
Seftung Stmael, bie am 22. ©ejember 1790 burch Suwarow
$ o I a w a r t f), 3B«Itßefäi$te. VI. 3 9
Digitized by Google
610
£aü)arina II. tum Stufelanb.
crftürmt tuurbc. Um fid) für bie bei ber Belagerung unb tuäbrcnb
be* ©turmed erlittenen SBerlufte $u rädjen, lieg ber erbarmungSlofe
Sieger in ber erftürmten ©tabt öierjigtaujenb 3Jcenfdjen meber-
me()eln. ©alb nad) ber ©innatyme oon 3dmail Übertritten bie
Muffen bie Ton au unb fälligen bie Xürfeu bei SDfacfht.
Xrofc biefer Erfolge erfannte bie Gjarin bie Kotljmenbigreit,
\\d) mit ber Pforte ju »ertragen ; benn (Snglanb unb Preußen ml)--
men eine entfdueben brofyenbe Spaltung gegen fie an, unb bie Polen
geigten fid) entjdjloffen, ben Xürfenfrieg jur 21bfd)üttelung ber ruf«
fifdjen ^tutngt)crr jdjaft ju benufcen ; audj roaren SRu&lanb* $>ilfd*
quellen erfdjöpft : eä fehlte an (Mb unb an CXrcbit. Obgleich Po*
temfin felbft nad) Petersburg eilte , um feinen ganzen ©injluß $ur
gortjeftung be$ irtieged ein$ufefcen, erreichte er bteämal fein Siel .
nidjt : in ber Hoffnung, fid) jum anberen 9Jcal an Polen fd)ablo&
galten ju tonnen, fuüpfte bie £$arin 3riebeu§unterl)anblungen mit
ber Pforte an, unb am 11. äuguft 1791 tarn ju ©alacj ein Ver-
trag ju Staube, ber am 9. Januar 1792 ju 3 a [ i i) in einen befi*
nitiöen grieben oermanbelt mürbe. SRufjlanb leiftete jum anbern
SJcale auf bie Xouaufürfteuttuuncr iüer^idjt unb begnügte fid) mit
bem (Gebiete oon Df jaforn btä an ben $niefter, ber fortan bie (SJrenje
5toifdjen beiben Steigen bilben foUte.
sJcod; öor bem Äbfajluß bed gfriebend oon 3affu hatte ber Xob
ber glanjöollen Üaufbafm potemfiu« ein &itl gefegt. 6a)on feit
einiger Seit mar feine Sebendfraft burdj eine .strauf tjeit untergraben,
bie er bura) Öcradjtung aller SBorfidjtämajjregeln unheilbar gemadjt.
Sßon innerer Unruhe getrieben, mottle er fid) oon 3aff9 naa) Dfya=
fom bringen laffen, mo er (Erleichterung $u finben hoffte; auf ber
Weife bat)iu öerfa)limmerte fid) jeboa) fein ^uftaub fo fefjr , bafj er
fid) mitten auf ber ßanbftra&e auä feinem SBagen (jeben unb auf
lepmdjen, bie man unter einem Baume ausgebreitet, nieberlegen
laffen mu&te. $>icr üerfdueb er in ben Keinen feiner 9tt$te, ber ool*
nijdjen Gräfin Öranicfa (18. Oft 1791).
Sie jmette unb brüte Ifjcünng polen*.
(1793 unb 1795.)
$)urd) bie naaj ber erften 2$etfung Polen* oon ben brei
9ttäd)teii ber SRepublif aufgezwungene neue 5ßerfaffung tyatte fid)
bie Gjarin bie bauernbe £>errfd>aft über Polen gefiebert. $er au*
bem «bei ber SB oimobf duften getollte „immermä^renbe Waty,"
ber ftatt be* abgerafften ©enatä mit unb neben bem £önig für
bie SBottaieljung ber ©efefce Jorgen follte unb ber eigentliche 3n*
Digitized by Google
3)ie jtoeite unb britte Teilung $olen«.
611
fyaber ber föniglidjen (Seroalt mar, ftanb ganj in ifjrem $5ienfte
unb geljordjte ben SBefefylen ifjrer (Sefanbten r roäljrenb ifjre Xrup*
pen, bic im Sanbe blieben, „um bie 9tu^c SßolenS unb beffen na*
tionale greifjeiten $u fdntfcen," ba3 S8olf mit ben fdjroerften ©e*
brfiefungen fjeimfud)ten. $ie ©eljnfudjt naef) ^Befreiung oon biefem
Trncfc unb biefer Scfjmad) ttmdjS Don gafjr ju 3al)r unb bradj
mit unnriberfteljlitf)er (Setoalt Ijerüor, als $atl)artna'3 jmeiter %üt*
fenfrieg unb bic ruffenfeinblidje Haltung (SnglanbS, $reu($enS unb
SdjroebenS für ben Skrfud) , ba$ gefnedjtete Sanb öon feinen gef*
fein au befreien, einen glücflidjen Ausgang in Sluafidjt ju fteflen
fdjien.
@8 fehlte jroar nidjt an Soldjen, bie tfjeilS auS gurdjtfamf eit,
tfjeilS aus (Sigennufc ben Strom ber nationalen SBegeifterung ju Ijem*
men fugten; allein ber im Qafyre 1788 jufammengerretene SReidjStag
lieferte ben ©etoeiS, bajj ber üaterlänbifcf) gefinnte Xljeil ber Nation,
ber bie Sßernidjtung be£ ruffifct)en (StnflufjeS öerlangte, ber bei 2Bet*
tem ftärfere mar. $>a3 öon ftatfyarina angetragene SBünbnifj gegen
bie iürfei mürbe jurüefgenriefen unb ber 93efd)lu& gefaßt, baä pol*
nifdje $eer auf feeffötgtaufenb 3ttann ju erljöfyen, um ber an SRuß-
lanb geftellten Jorberung, feine Xruppen au* Sßolen ^urücf^u^ie^en
unb baS (Gebiet ber Slepubli! mit bem oerfjeerenben $)urdj$iig ber
nadj ber Xürfei entfanbten ^peermaffen ju oerfefjonen , burd) eine
brofjenbe Haltung ben nötfngen üftadjbrucf oerlei^en $u fönnen.
5ftad)bem bie ©jarin, burdj ben $oppelfrieg mit ber Xürfei unb
Sdjtoeben für ben Mugenblicf jur SRadjgiebigfeit gelungen, ifjre
Xruppen aus *ßolen jurüefge^ogen unb bie Sufage Gegeben f)atte, bie
©renjen beSfelben fortan nid)t mefjr 51t überfdjreiten , fjoben bie
Sßolen ben „immermafjrenben SRatt)" auf unb fdjritten, ermutigt
burdj ben SöeifaQ SnglanbS unb Greußen*, bie ilmen Sdmfc unb
Unterftüfcung in 21u3fid)t ftellten , ju einer burdjgreifenben Reform
tyrer SSerfaffung, als bem einzigen Littel, bie berlorene Selbftftän*
bigfeit dolens ^erjufteHen unb feine ßufunft ju fiebern.
Xrofc ber ©egenbemüfjungen ber ruffenfreunblidjcn Partei
natym baä SBert ber inneren Degeneration s$olen£ feinen ungern*
berten gortgang, unb nadjbem am 29. ÜÄärj 1790 mit sßreufien
ein 93ünbni| ju gegenfeitiger 93ert§eibigung gefd)loffen roorben mar,
festen bie Häupter ber patriotifd) gefinnten Partei, ber 3Rarfct)aII
9flalad)oroSfi, ber Stfdjof $raftn£fi oon Äamimecf, ber ©ifd^of
<3olti? oon itrafau unb bie ©rafen Qgnaj unb Stanislaus ^otodi,
am 3. 9J*ai 1791 in einer ftürmifa^en Skrfammlung bie s2(nna^me
ber neuen SSerfaffung bura^. 21uc^ ber ^önig, ber lan^e unent*
fc^loffen ^in unb f)er gefc^manft, erflärte fic^ offen unb nad)brüa%
lia^ für biefelbe. sJlad)bem er oon feinem Xf)rone ^erab mit lauter
Stimme bie neue SBerfaffung befc^moren ^atte, begab er ft$ mit ber
39*
Digitized by Google
612
flatyarina II. Don SRufelanb.
ganzen Verfammlung nadj ber ßaüjebrale, mo unter bem Bonner
beä ©efdjüfceS unb bem ftürmifd)en 3ubel ber Stabt SSarfdjau ber
im ganzen Sanbc begeifterten sJtad)f)aH fanb, bic SibeSleiftung er*
neuert nnirbe.
Xurd) bie neue Verfaffung mürben alle biejenigen 3nftitutionen
beseitigt, aus meldjen bic innere 3errüttung $olen* fjeroorgegangen :
baä Liberum Veto, bie $onfoberationen unb bie SBäfjlbarfeit bcS
IBnig*. Sur ben 9leid)ätag , ber mie früher au« ber Cammer ber
üanbboten unb ber ©enatorenfammer befielen unb alle jtoei Saljre
jufammenberufen merbcu joüte, mürbe baä Sflajoritätsootum einge*
füt)rt unb ber Üfjron, bei ber Äinberlofigfeit beS fönigS ©tantö*
lau«, in ber gamilte bc$ Äurfürften oon ©adjfen für erblich er-
Hart. Xen f ewiglichen ©tobten mürben föchte jugefprocfjen , bie
eine aflmäfjlidje SBerfchmeljung be3 VürgerftanbeS mit bem Slbel
anjubafjnen geeignet maren. ©ie erhielten nicfjt nur bie SBefugnifj,
ifnre 3)fagifrrateperfonen felbft ju roäfjlen, fonbern e£ follte aud)
ben ©ärgern bad Sttedjt jufteljen, abelige (Mter 311 ermerben, unb
jeber Bürger, ber ein ganzes $)orf faufe ober ein S^renamt im
^eere ober in ber Verroaltung befletbe p in ben Vlbelftanb erhoben
merben. gür ben Jöaueutftanb blieb jmar bie Seibeigenfdjaft in
Staft, bod) tnurbe berfelbe unter ben ©cfmfc ber ©ejeje unb ber
ßanbeäregierung geftellt.
SSäfyrenb alle moc)lgefinnten ^ßolen in ber neuen Verfaffung ein
fixere* Üuterpfanb fünftigen QHücfeä fafjen, rief bie ruffijdje Partei,
an beren ©pifce ber Surft gelij: Sßotocfi, ber ßtongro&felbljerr Vra*
niefi, ber Vifdjof ftoffafomdft unb ber ßkaf 5)tyemuSfi ftanben, ben
lÖeiftanb ber (Ejarin jur Vernichtung ber oon ü)r aU baä ®rab
ber pohüfetjen greiljeit bejeidmeten neuen Verfaffuug unb ber 9Bic-
bereinfüfjrung ber alten an. Söereitmiflig fagte ihnen Matlianna, bie
eben mit ben dürfen ^rieben gefd)loffen, ityre £ilfe ju, inbem fic
eine (£rflärung erlieg, in melier fie fidj in klagen über ben sJieidj3=
tag erging, ben fie bed Unbanfd gegen fie unb ber 9ftd)tad)tung ber
„üon ben Vorfallen jum Jpeile s$olenä erlaffenen sBeftimmungen"
befdmlbigte. Sie motte jmar, fügte fie fun^u , oergeffen , baß man
fie felbft beleibigt unb iure QkoBmun) unb ilneigennüfcigfeit Der*
idjinahr Ijabc; aber fte fönne uutt gleidjgiltig bleiben gegen bie
s$olen, bie il)ren ©djufo anflehten. 3)ie ruffijdjc Partei fdjloß hierauf
$u I arg dum c j eine onf oberation, \w beren Unterftüfcung bie au*
ber Sürfci jurücffct)renben Speere in ber ©tärfe oon einmal fmnbert*
taufenb SJfann gegen bie polnijdje Ö)ren$e Ijeranrürften.
3m Vertrauen auf bie £ilfe vJkeu§enö jaljen bie $olen rutjig
bem iljrcr Ijarrenbcu Kampfe entgegen; aber fie hatten bie eoenfo
perfibe , als jelbftjüdjtige ©taatefuuft beä 3aWunbertä nidjt in
iöetrac^t ge$ogeu. £er Äönig griebria) ©itl^elm II. moüte i^nen
Digitized by Google
$>ie jroeite unb brittc Teilung $olen3.
613
feine #ilfe nur um ben $rei3 ber Abtretung öon $an$ig unb
£f)orn oerfaufen, unb ba fic ftdj ju berfelben nidjt oerftefjen fonn*
ten, fd)Io& er ftdj an bie ©sarin an. Vergebens riefen bie <ßo(en
Defterreid) , Saufen unb bie Xürfei um #ilfe an : ©ad) fen war ju
fdjmad), bie Xfirfei erfdjöpft unb Defterreid) mit ben granjofen im
stampfe.
©o fatjen fidj bic $o(en auf iljre eigene ®raft befdjränft, unb
fiberbieS wirften geheime Wnbänger ber SRuffen, bie ber ßönig in
feinen Staatsrat^ aufgenommen tjatte, oerrätljerifdjer weife ber tlufc
füftrung beffen entgegen, was ber SReidjStag in 33e$ug auf baS £>eer be=
fd)Io&. $)ennod) oerjweifelte bie patriotifdje Partei nidjt an ijjrer ge*
redjteu ©adje, unb aud) ber ®önig erneuerte öor ©ort unb bem
ganzen Solfe fein (Stelübbe, für bie Söertfyeibigung ber 93erfaffung
unb beS SBatertanbeS mit ©ut unb SBlut einjufteljen.
Snbeffen betrug bie ganje Xruppenmadjt ber $o(en, bie in jwet
fteere geseilt, bem geinbe entgegenjog, nur fünfunbbrei&igtaufenb
HJcann. $ie $auptfüf)rer berfelben waren 3ofepf)$oniatow3fi,
ein 9ceffe beS Königs, unb XtyabbäuS föoSciuSfo, ein pohtU
fct)er (Sbelmamt, ber im norbamerifamfdjen greiljeitsfampfe unter
SBaffjington feine ftriegSfdjute gemalt. SBeibe §eere würben nadj
oielen jwar rüfjmlidjen, aber ungtütflidjen ©efeccjten bis an ben ©ug
jurücf gebrängt. £ier fam eS am 7. ^ejember 1792 bei $5ubienf a
ju einem blutigen Xreffen, in meinem ber f>elbenmütf)ige floSciuSfo
an ber Spifce t>on fed)Staufenb $o!en einem ruffifäcn fteere öon
adjtjelwtaufenb 2Jcann ben Sieg ftreitig machte , bis ifm bie Umge*
6ung feinet regten SlügelS burdj bie auf baS neutrale öfterreidnfdje
Gebiet übergegangene ruffifdje ßaoatlerie jum SRütfauge smang.
Qnjwifdjen liatte ber SReidjStag baS gefammte $8off \u ben
SBaffen gerufen , unb ber Äönig erflärte aufs üßeue , baß er ber
£apferfeit ber Nation mit bem Sdn'dfal beS Staates jugieid) fein
eigene* anheimgebe , ba er entfdjloffen fei, ben Untergang beS IRci-
cfje* unb ben Sieg ber ©Öfen nidjt $u überleben. 916er Wäfyrenb
baS Söotf fidj um bie gähnen feiner tapferen Süfyrer fdjaarte, würbe
ber feige ®önig an bemfelben jum Serrätfjer. Dcadjbem bie Sjarin
if)m in einem brofjenben Briefe befohlen, ber Sargowicjer ®onfö*
beration beizutreten, erflärte er am 23. Quli 1792 feinem Staats*
ratf>e: ba bie brei benachbarten |)öfe fid), wie er in ©rfatjrung
gebradjt, gegen Sßolen oerbünbet r)ätten, fönne man bie bro^enbe
$efaf)r nur burdj inniges Slnfdjliefien an 9tu&lanb abwenben, wo-
rauf i^m bie im ruffifdjen @olbe fte^enben 2Ritglieber beSfelben
i^ren 55anf bafür au3fprad)en, wba6 er baS SSaterlanb felbft um
ben ^ßreid ber ©djmälerung feines eigenen Dlu^meS 511 retten fudje."
Sofort erging an baS §eer ber Sefe^l, aüe geinbfeligfeiten einju-
Digitized by Google
614
Äat^arina II. Don SRufelanb.
ftettett. Poniatoroftfi uttb ftoSäuäfo legten ihre ©teile nieber unb
©erließen mit Dielen anbeten Patrioten ihr SBaterlanb.
9lachbem bie fro^locfenben Xargouricjer ftonföberirten ?We« mit
©eroalt $um Beitritte gelungen Ratten, mürbe mit duftimmung be«
^önigd bie neue ©erfaffung für aufgehoben erttärt unb auf Söefer)!
ber Sjarin ein SRetdjStag nach ©robno ausgetrieben, um über eine
neue, bie alte polnifdje Freiheit ftdjernbe ftonftitution ju beratfpn.
Söafjrenb biefe* 8tetch«tag3 übergaben bie ©efanbten föußlanb« unb
Preußen^ eine (Sxflärung ihrer #öfe, be« jfafalte«, ba& ber in
Polen eingebrungene ©eift be« 3afobiniÄmu« fte jroinge, bem
fianbe, im gntereffe ber baburdj bebrohten 9cad)barftaaten, engere
©renjen ju gießen unb bie SRejmblif ju einer 9Jctttclmacht ^erab»
jubrürfen. 3u fpät erfannten bie Xargotoicjer flonföberirten,
hin ber ruffifdje ©djufc geführt, ben fte in ihrer SBerblenbung ange*
rufen Ratten, gclir. Potodft eilte nach Petersburg, um bie ©eredjtig*
feit ber Gjarin anjufle^en; aber feine ©emfihungen Ratten feinen
(Erfolg.
Anfang» ttriberfefcte fich ber B^cicr>^tag ber »on föu&lanb unb
Greußen geforberten neuen Leitung; al* jebodj ber ruffifa^e ©e*
fanbte ©ieoer«, ber zahlreiche Xruppen in bie ÜRähe ber @tabt ge*
jogen hatte, ©efehüfce gegen ba« Skrfammlung&hau* auffahren unb mcr
ber mut^igften ßanbboten gefangen nehmen ließ, erlahmte ber SBi*
berftanb. SRaehbem am 17. «uguft 1793 föu&lanb bnrdj bie 8btre*
tung flleinpolen« unb ber Ufraine aufrieben geftetlt roorben roar, nmrbe
am 3. ©eötember auch ber ©ertrag unter jeidjnet, burch melden
Preufcen mit ben beiben ©tdbten $>an$ig unb X^orn ba« groifajen
©djlefien unb bem #erjogthum Preußen gelegene ©ebiet erhielt,
toelche« feitbem „®übpreu&en" genannt wirb.
Stach ber jtoeitcn X^eilung Polen* er$nxing bie <£jarin bie
SBiebereinfü^rung be« „immerroährenben föathe«", forote ben flbfchlufe
eine« neuen ÖunbeSüertrag« mit ffiu&lanb, ber bie ©eftimmung ent*
^ielt, baß ohne Genehmigung be« ru(ftfa)en #ofe« feinerlei ©eränbe^
rung in ber SBerfaffung borgenommen, feinerlei SBerbinbung mit au«*
»artigen SJtacbten eingegangen unb ben rufftfdjen Xrupüen ju feiner
Seit ber $urchjug burch ba& polmfaje ©ebiet öerroehrt »erben
bürfe. Um ben Polen ba* öolle ©enricht be« rufftfc^cit Xörannen*
joche* fühlbar ju machen, nmrbe ber fibcrmüthige ©raf 3gelftröm
jum ©efanbten in SBarfdjau ernannt unb ber 3. SJcai, berühre«*
tag ber Proflamation ber neuen Serfaffung, oon ber bie Polen bie
SBiebergeburt ihre« Sanbe« erhofft hatten , jur ^ulbigung in ben
abgetretenen Proöinjen beftimmt.
5)a« Ueberma& be« Unglücf« unb ber ©darnach trieb bie Po«
len $u einem legten, berjroeiflungäüoflen SBerfuch, ba« unerträglich
getporbene 3oa) abjufchütteln. 3m X)unfel be* tiefften ©e^ctm*
Digitized by Google
$te jweite unb brüte X^etlung $olen«.
615
wiffeS bilbete ftdj übet eine baS ganje Sanb verbreitete SBerfdjwö*
rung, an beren ©pifce ftoSctuSfo ftanb, ber mit mehreren gletd^ge-
ftnnten greunben außerhalb beS SBaterlanbeS eine SufludftSftätte
gefunben. $er Slufftanb fam jum 9lu3brudj, als in golge ber bon
Ötußlanb unb Greußen befretirten £erabminberung beS polnifdjen
#eere2 auf fedjjetyntaufenb ÜKann baS ju ^ultuSf fte^enbe ®orpS
beS ©eneralS 2flabalinSft aufgelöft »erben füllte. (24. 9Rärj 1794).
3RabalinSft weigerte fidj, bem bieferfyalb an iljn ergangenen ©efeljle
nadjjufommen, unb führte feine 93rigabe burd) bie neuen preu*
ßifa^en ©eftfoungen nadj förafau, wo alsbalb aud) ber bon ben
Patrioten jum $iftator ernannte ftoSciuSfo erfdjien. $ie $8ürger>
fdjaft toon ftrafau trat fofort, gleidj bem SIbel ber ganjen 2Boimob=
fdjaft, bem 2lufftanbe bei, unb ein 9ftanifeft, baS bie SBieberfjer*
fteflung dolens für ben einzigen groeef ber ©r^ebung erflärte unb
jebe SBerbädjtigung jafobinifdjer SBeftrebungen mit Sntfd)iebenf)eit
fcurfitfwieS, forberte bie ganje Nation jum Kampfe gegen bie 93e*
brürfer beS SBaterlanbeS auf.
@in ©ieg, ben ßoSciuSfo am 4. STpril 1794 bei SBracla*
Wice mit öiertaufenb meift nur mit ©enfen bewaffneten s£olen ofync
alles ©efcf>üfc über jwölftaufenb Muffen erfodjt, wirfte burdjfdjlagenb :
baS ganje ßanb fdjloß fta) bem Slufftanbe an. ta 17. Slpril erljob
ftd) SBarfdjau. 3m Vereine mit ben polnifdjen ©olbaten fiel bie
93ürger[a)aft über bie rufftfdje ©efafcung Ijer, unb nad) einem fed)S=
unbbreißigftünbigen mörberifdjen Kampfe würbe biefelbe, trofe beS
ifjr ju Gebote fteljenben ja^lreicben ©efdjü&eS, überwältigt. $)er
©eneral Sgelftröm rettete fidj burd) bie 3lud)t, unb mit iljm ent*
ging nur ein fleiner £f>eil feiner Struppen ber ©efangenfdjaft.
$önig «Stanislaus wollte fidj, als er fid) oon feinem gefürdj*
teten ©ebieter befreit falj, ben Patrioten anfdjließen; allein biefe
liegen if)m, obgleid) fte feine ®önigSmürbe burd) eine anftänbige
©e^anblung ehrten, feinerlet SRadjt. $oSciuSfo, ber auf bie 9iadj=
ridjt bon ber Befreiung ber $>auprftabt nadj SBarfdjau geeilt war,
f)ob, traft ber tf>m übertragenen SJtftatur, ben „immerwäfjrenben
SKatl)" auf unb fefcte eine neue Dberbefjörbe ein; aud) traf er 2Raß=
regeln, um ben 2Kißbraudj ber großen Bewegung burd) geinbe ber
Drbnung ju oerf)inbern ; bodj mußte er jugeben, baß öier ber öor=
ne^mften 5lnl)änger ÜtußlanbS §um 2obe burc^ ben ©trang oetur-
t^eilt unb am 9. aflai gelängt würben.
Unterbeffen wat griebrid) Söil^elm II. Don Greußen mit einem
Jpeere öon öierjigtaufenb 9Kann in $olen eingerürft. ftoSciuSfo jog
i^m entgegen unb Wagte e3, i^m mit feinem ungleidj fa^wäc^eren unb
fd^le^t bewaffneten Raufen am 6. guni bei ©Cjefojun eine ©(^laa^t
anjubieten, bie jum 3^aa)t^eil ber ^ßolen ausging. #on ben ^ßreu=
ßen »erfolgt, jog er ftc^ nac^ S3arfa)au jurürf, baS jWei Monate
Digitized
616
Äatfjarina II. Don Shtfelanb.
long oon einen preugif4^rufftfc^en &eere belagert ttmrbe , bis ber
burch Xombromsfi in ben an 9$reu6en abgetretenen ®e6ieten erregte
Slufftanb, burch welken fich baä prcufeifd^c $eer im dürfen bebroljt
fafj, bie Aufhebung ber Belagerung herbeiführte.
$ie Befreiung ber $>auptftabt tourbe üon ben Patrioten als
ein fidjereS Unterpfanb für bie Befreiung beS ganjen BaterlanbeS
mit Qubel gefeiert. SWein ihre ©iegeajuoerftcht ermieä ftd) al*
eine trügerifche. SRit föu&lanb unb Greußen oerbanb fid) auch •
Defterreich jur Bcfämpfung befc polnifdjen ÄufftanbeS, meil man in
SBien ber Anficht mar, baft baS ©djicffal $olen3 bodj nicht abge*
menbet merben fönne unb e$ ber Klugheit angemeffen fei, ba* bem
Untergange gemeinte Steich ben beiben übrigen dachten nicht allein
511m SRaube ju (äffen.
SBährenb Defterreich ©ali$ien befefcen liefe, fanbte bie,(£jarin
i^ren gefürdjtetften gelbherrn ©umarom, ber eben mit ber @nt*
maffnung ber Sßolen in ber Ufraine befchafrigt mar, mit zahlreichen
©treitträften nach bem Qnneren ^olenä. Vergebens fuchte ©iera*
foroafi, ber mit einem §eerf)aufen öon jefjntaufenb 3Rann am Bug
ftanb, feinem Vorbringen (Sinhalt ju tf)un : er erlag in jmei blutigen
(Gefechten ber Uebermacht.
Um bie Vereinigung ©utoaroma mit bem ruffifdjen (General
Scrfen ju oerhinbern, ber an ber Belagerung öon SBarfdjau Xheü
genommen unb noch jenfeitö ber SBeichfel ftanb, brach Äoäciuäro
gegen biefen auf unb griff ihn am 10. Oftober 1794 bei HR ade*
jomice an; abe^r meber fein herborragenbe3 Selbfjerrntalent noch
feine helbenmüthige Xapferfeit oermochte bem ubermächtigen ®eg*
ner ben ©leg ju entreißen: fein Keiner ^eerftaufe erlag, unb er
felbft fiel, nachbem er, mehrfach oerttwnbet, mit bem lu&rufe : Fi-
nis Poloniae ! 00m $ferbe geftürjt mar, alfc befangener ben Muffen
in bie $änbe.
Wachbem ©umarom äffe in <ßolen ftehenben ruffifchen $>eer*
häufen an fich gejogen unb oerjehiebene Heineren polmjchen ©chaa*
ren oernichtet hatte, rücfte er gegen Söarfchau oor unb fchritt am
4. SRooember $um ©türme auf bie Borftabt ^raga. 3n meniger
al3 einer ©tunbe maren bie Berfchanjungen ber $olen erftiegen,
unb mit milbem ©iegeägefchrei brangen bie rohen ©chaaren in bie
Borftabt ein, in melcher ber tyxtfofc ©umarom bie Brauel oon
3^mail erneuern liefe- SRadj ©<SgurS Angaben mürben breifeigtaufenb
aflenfehen ohne föücfficht auf Älter unb ©efcfjlecht b*™ «nter
fchauerlichen SRartern, oon ben ©iegern ntebergemefrelt.
2Rit bem Salle oon sßraga mar ba3 Vollmert SBarfchau'S
oernichtet, unb ber unglüeflichen Bürgerfchaft ber §auptftabt blieb
feine Hoffnung mehr; fie fnüpfte baher mit ©umarom ilnterhanb*
lungen megen ber Uebergabe an. tiefer oerlangte, au&er bem un»
Digitized by Google
$te a»citc unb britte Teilung $olen3
617
bezüglichen Slbjug ber potmühen Vefafcung, bic ©elaffung. beS
nigS Stanislaus in feiner SBürbe, allgemeine Entwaffnung unb
greigebung ber ruffii'djen befangenen unb fagte bagegen Sicherheit
beS ßebenS unb beS Eigentums ju. $ie Bürger nahmen bie ge*
ftellten öebingungen an; bodj gelang eS ihnen nur mit 9ftüf)e, bie
pofaifche öefafcung Bei ihrem &b$uge jur 3urücHaffung beS Königs
unb ber ruffifdjen befangenen $u bewegen.
SRachbem bie potnifdjen Xruppeu SSarfcfwu geräumt, Ijielt
Suwarow am 9. 9lot>ember 1794 feinen feierlichen Einjug in bie
Stabt, wäljrenb bie testen Xrümmer ber bewaffneten ÜJcacht ?o*
lenS burch einjelne ruffifchen unb preujjtfchen ^eerljaufen gerftreut
unb über bie ©renje getrieben würben. Obwohl Sumarow im Wa-
rum ber Sjarin eine allgemeine Slmneftie jugefagt, Heg Katharina
ben gürften 3gna§ Sßotocfi unb Sfnbere gefangen nehmen unb ihre
©üter fonfiSciren. ßoäciuSfo erhielt erft nach ihrem Xobe bie grei*
r)ett jurücf.
S(m 25. fRottember 1795 erging an ben ftönig Stanislaus ber
$efef)l, feine &rone nieberjulegen. $)ie gänjlichc Vernichtung beS
Königreiche Polen war im SRathe ber brei SRächte befchfoffen wor>
ben. lieber bie Xfjeilung beS SanbeS \)aittn fid) btefelben fchon feit
längerer Seit geeinigt. 2)er bebeutenbfte Xheit fiel auch bieSmal
SRujjlanb $u: eS erhielt jweitaufenb Duabratmeilen mit anberthalb
Sfftllionen Einwohnern ; Greußen nahm neunhunbert Quarbratmeilen
mit einer SRiHion Einwohnern unb Defterrekh achthunbert Ouabrat*
meilen mit ber gleichen Seelenjaht in ©efifc. $er ©euteanthetl
SRuftfaubS, ber SBarfchau in fich fc^Iog r war burdj ben ©ug Don
Defterreich unb burch ben Siemen öon Greußen getrennt, währenb bie
Söeichfel bie brenje jwifchen Greußen unb Oefterreid) bilbete.
2lm 15. 3Rär$ 1795 oereinigte Katharina auch .fturtanb mit
ihrem deiche, nachbem bie furlänbifchen Stäube bewogen worben,
fich am 1. 9Jcar$ burch c^c „freiwillige unb unbebingte" Unter-
werfungSafte für Unterthanen ber Ejarin ju ertfären. 2)er nach
Petersburg berufene £er$og Peter SBiron, ber Solm unb 9cadjfot=
ger beS im Qaljre 1772 beworbenen ©ünftlingS ber Äaiferin ^nna
(f. S. 574), leiftete ber ^ufforberung jum Verzicht auf feine SBürbe
gegen bie Sufacje eine« Salzgehaltes Solge unb lebte feitbem, gleich
bem $i)mg Stanislaus, in Petersburg, wo ber Sefctere am 12. ge*
bruar 1798 ftarb.
Xrofc beS entjcfjiebenen SSerbammungSurtheilS, baS Katharina
gegen bie fran&öftfche SRebolution ausgebrochen, nahm fie feinen
ityü <m ber SBetämpfung ber frans öftren SRepublif. dagegen
traf fie im 3ahrc *?96 Vorfehrungen ju einem Kriege gegen Per*
fien, um ben Schah 3Rohammeb für bie Vertreibung beS alten gär*
ften #erafliuS bon ©eorgien, eines Vafaflen SRugfonbS, aus XifüS
Digitized by Google
618
OrriebrtcSS IL Iefcte 9tegierungSaett.
ju aüdjtigen. ©djon mar ein £jecr Don breifjigtaufenb 9Kann jum
Hufbrud) bereit, als bie Sjarin am 17. ftoöember 1796 im Hlter
oon fiebenunbfedjjig Sauren unermartet einem ©djlagfluffe erlag,
©ine ber erften $Regierung3fmnblungen iljreä ©ofjneS unb ftadtfolger*
*ßaul L# ber ben #rieg gegen Werften aufgab, mar bie Steige*
hing #o3ciuäfo'3. (£r fefbft begab fid> mit feinen beiben ätteften
Söhnen in beffen ©efängnig, um u)m feinen $egen jururfjugeben.
ftoäciuäfo mieS benfelben mit ben SBorten jurüd: „34 bebarf
feinen Eegen mehr, meil idj fein SSaterlanb me^r habe."* <£r ging
nad) ©nglanb unb bon bort nadj Hmerifa. 3m %df)xt 1798 nadj
Europa $urfidgefef)rt , lebte er anfangs in granfreidj unb julefct
in ber ©djroeia, mo er ftdj in ber 9ca> bon ©olonjurn ein Keines
ßanbgut gefauft Imtte. #ier ftarb er am 18. Dftober 1817 an ben
ijoigen eines vs?tur$e$ mtt oem ipteroe, im alter ton einuno)ieojig
Sauren, ©eine Seiche mürbe nach tfrafau gebraut unb in ber ©ruft
ber polnifchen Könige beigefefct.
•
XXXIV.
SFrtebrtdi* II. fefcfe ^tegienmgsjeif.
(1763-1786.)
fleach bem Slbfchluffe be* #ubert$burger ^rieben* mar 3rieb*
rieh oor TOem barauf bebaut, ben ferner gefchäbigten 2Bof)iftanb
feiner ^rooinjcn ^erjufteflen unb bem jerrütteten ginanjmefen auf*
juhetfen. 2)abei oerfäumte er jeboch nicht , auch feinen gefunfenen
ftriegöfianb neu ju fräftigen, um für jebe ©öentualität gerüftet ju
fein, meldte bie bem preu&ifchen ©taate errungene 9ftadjtfteflung
bebrohen ober Gelegenheit gu neuen ©rmerbungen bieten fönnte.
$en Sorfdjlag äJcaria i^erefta^ , jur SBerbürgung eine* bauern*
ben griebenä ben ©tanb ber beiberfeitigen |>eere in oöttig gleichem
SÖerhaltniffe ^erabjufe^en unb fidj über einen bauemb beijubehal*
tenben SJrmeeftanb gu öerftänbigen , aus leicht begreiflichen ®rün*
ben jurücfmeifenb , brachte er fein $eer mieber auf einmalhunbert»
funfunbncungigtaufenb SJcann, oon benen ungefähr ber fünfte Xfjeil
an» angeworbenen SluSlänbern beftanb. Um bie Süden anzufüllen,
bie ber Stieg unter ben Offizieren gefdjaffen, meiere griebrich, ttrie
bereit* früher bemerft, faft auänaf>m$Io3 bem $bel$ftanbe entnahm,
mürbe nicht nur ba3 für bie militärifdje 2lu8bilbung ber jungen
©bedeute beftimmte Sabettenhau* in ©erlin bebeutenb oergrö&ert,
fonbern auch jur Anlegung jroeier tteineren ftabettenfeemten ju ©tolpe
in Bommern unb ju tinlm in 2Beftyreu§en gefchritten. Vhid) er*
richtete griebrich in ©erlin nod) eine befonbere 2Jcilitärafabemie, für
Digitized by Google
griebricfc* IL lefrte SRegierungSgeit. 619
welche er bie ßefirer au* grantreiefc berfdjrieb. Sin ber #erftettung
be* burdj ben ®rteg fef)r herunter gefommenen gelbgerät|e* mürbe
mit einem (£ifer gearbeitet, al* ftebe Greußen am SBorabenbe eine*
neuen ßriege*. Slud> mürben bie SlrtiHerieregimenter bebeutenb ber*
mef>rt, bie geftungen in befferen ©tanb gefefct unb alle 93orratlj*>
Käufer gefüllt.
Um bem gängltd) bamieberliegenben Slrferbau aufguljelfen , lieg
griebrid) ba* betreibe, ba* bereit* für ben nädrften gelbgug ange*
fauft morben, al* ©aatforn unter bie gang oerarmten Sanbleute
t>ertf)eilen unb gab bie für bie Artillerie unb ba* ©epäd beftimmt
geroefenen Sßferbe ber ßanbmirtfrfdjaft jurüd. 3n benjenigen $ro*
Dingen, meldje am meiften burdj ben firieg gelitten Ratten, mürbe ein
Steuererlaß bewilligt, in ©Riepen auf fe<$* Monate , in Greußen
unb ber Heumar! auf gmei 3af)re; audj lieg ber #önig öiele ger*
ftörte SBofmungen auf feine Soften lieber aufbauen unb t)alf ben
am fdjmerften gefääbigten gamilien burdj ©elböorfdjüffe auf. ©ang
befonber* mürbe jebod) bei biefen Unterftüfcungen ber Slbet berüd-
fidltigt. $)en tyeruntcrgefommenen abeligen gamilien fdjenfte ber
ßönig bebeutenbe ©ummen gur 93egaf)lung üjrer ©Bulben unb gur
$erftellung unb Slufbefferung iljrer ©üter. 5lud> füfjrte er in ©djle=
fien, Bommern unb Greußen ba* nod) je|t beftefjenbe ftrebitfuftem
ein, nad) meinem jeber 3ftittergut*befifcer Anlegen auf fein ÖJrunb-
ftücf bi* gu einer beftimmten $öf>e be* SBertlje* , unter ©ernähr*
leiftung ber ^romngialftänbe , bie gu biefem Qmdt fogenannte
w*ßfanbbriefe" au*ftellen, gu einem äu&erft geringen 3in*fu& auf5
nehmen fann.
$m Allgemeinen mar ba* ©nftem, ba* griebrid) in ber 93er*
roaltung feine* Sanbe* befolgte, nadj bem fiebenjäljrigen Sfrieg ba*
' gleite, mie öor bemfelben. Ungleich meljr , al* für ben s2lcf erbau,
für beffen SBürbigung al* ber mid)tigften materiellen 2eben*frage
feiner Untertanen bem #önig ba* Sßerftänbniß fehlte, gefdjaf) für
ba* gabrifroefen; boa^ mürbe aud) fjier feiten ba* Süchtige ge*
troffen. $ie Seinenmebereien in ©d)lefien unb Söeftfalen, fomie Sic
metatlifdjen gabrifen unb bie Söoöenmanufafturen in ber Sftarf, in
Sftagbeburg unb in ©djlefien erhielten fia) ohne ©taat*unterftüfcung
in SBlüttje unb gogen ÖJelb in* Sanb; bagegen fofteten bie prtöile*
girten neuen Sabrifen, burd) roeldje bie (£infuf)r frember ®unftpro*
bufte öcrfjütct merben foöte, im (fangen bem ©taate ungleidj mefjr,
al* fie i^m einbradjten. gür bic öon bem ®önig felbft in Berlin
gegrünbete sßorgeHanfabrif mürben bie ^uben tributpflidjtig qc
maetjt , inbem ilmcn bie $8erpflid)tung auferlegt mürbe , bei ifjrer
J8erljetratf)ung für einige f)iinbert 3f)ater $orgeOan gu taufen,
unb gmar nia^t naa^ eigener 2lu*ma^l, fonbern naef) ber jenigen ber
SBermaltung.
Digitized by Upogle
620
ftriebrich* II. lefrtc 9teßierunfl«ieit.
Um bcn |>anbel möglic^ft nufcbringenb für ben Staat ju machen,
mürben öerfdjtebene £>anbcl«artifel monopolijirt , ma« megcn bcr
baburd) entftefjenben Verteuerung berfeiben große Un$ufriebenheit
erregte. So mürbe im Qa^re 1765 ein SWonopol für ben Zabalfc
uerfauf au ©unften eine* Sranftofen gefdjaffen , ber bafür eine
SJKÜion Xfialer $adjt jar)Ite. Später ging ba«felbe, ba ber <ßäd&s
ter feine SBerbtnblidjfeiten nid)t erfüllte, an bie berliner Xabaf«=
fabrifanten ü6er, unb enblid) übernahm ber ®önig felbft bie Sodje
für SRedjnung be« Btaatti. *ftod) belaßter mar ba« ffaffeemono*
pol , ba« bem <5taat bebeutenbe (Summen eintrug , augleid) aber
audj ben Slermeren ben ©enuß be« Kaffee'« na^eju unmöglich
mattete. „2lrme Seute", meinte ber #önig, „brausten feinen Kaffee
%vl trinfen; fte fönnten ftdj an ©ierfuppe galten." 9hir mer jmansig
^funb auf einmal faufen tonnte, ftatte ba» föecfjt, ben Kaffee felbft
$u brennen, unb erhielt ju biefem Crnbe einen ©rennfa^ein ; geringere
fieute mußten gebrannten Kaffee faufen , öon meinem ber $önig
fid) ba« <ßfunb mit einem Xfaler bellen liefe, mäfjrenb ber unge*
brannte nia^t halb fo öiel foftete , immer aber naf>e$u hoppelt fo
treuer mar, als in Hamburg. $>a« ftaffeebrennen ohne Stenn*
fdjein mürbe mit breijäfjriger geftung«haft beftraft. 5fuc§ ber Sucfer,
ba« Salj unb ba« Sörennfjolj mürben monopolijirt.
3fnbeffen mürbe ber ftufcen, ben ber Äönig au« allen biefen
Monopolen fid) fjerau«geredjnet hatte, bebeulenb üerfürjt burdj ben
immer mehr überfmnb nehmenben Scöleichbanbel , ber, burch bie
zahlreichen ©renken be« preußifdjen Staate« begünftigt , in einer
2lu«bef)nung beirieben mürbe, öon melier man fich gütigen Xage«
faum eine SorfteHung machen fann.
Schon unter griebrieft SBilhelm I. maren bie inbireften Steuern
mit ber größten Strenge beigetrieben morben; bennodj mar grieb=
rieh II. ber tlnftcht, baß bei einer noch fdjärferen Uebermadjung bie
Quelle biefer Abgaben für ben Staat ungleich reichlicher fließen
merbe. (£r jog barüber ben eben in Berlin meilenben franjofifchen
SchriftfteHer $>elöetiu« &u 9tat^c , ber al« G>eneralpad>ter ber fran*
jöfifdjen ginanjen in biefem Jache mohl bemanbert mar, unb ber*
felbe trat nicht nur tooHftänbig feiner &nfidjt bei , fonbern fanbte
ifjm auch fünf Sranjofen, au« melden ber $önig im Qahre 1766
eine befonbere, ganj nach franjöfifchem SKufter eingerichtete „®ene*
ral* Qott* unb &ccife=2lbminiftration1' — gemölmlidj „föegie" ge*
nannt — bilbete. Sur Durchführung be« neuen Softem« mürben
noch einige fmnbert anbere, im SoH- unb s2lccifemefen mofjl geübte
Sranjofen in« Sanb gebogen , um al« Slccifebeamtcn in bie ^ßro*
öinjen oertheilt ju merben. SSelchen (Sinbrucf biefe Steuerung,
beren fernerer $rucf nur ben Bürger* unb SBauernftanb traf, ba
ber ^öntg au«brüdüch erflärt Ijattc, baß er ben s2lbel, al« gefefclich
Digitized by Google
ftriebrid)3 n. lefrte SRcßicrung^cit.
621
fteuerfrei, bon bemfelben aufgenommen wiffen wollte, unter bem
SBotfc machte, crt)cflt auf ben SB orten eine« begeisterten Seitgenoff en
unb Anfjängerf bef .Honig*.
„Vielleicht1', fagt $of)m, „ift fein ©ebanfe griebric^* für fein
ßanb je öerberblicher gewefen, unb mir glauben bie ^ßeriobe, wo
bie Aufführung beffelben begann, alf bie traurigfte ber Regierung
bef Hönigf anfefjen ju fönnen. Suoerläffige 3)fänner, bie bief er*
lebten, fjaben und ben furchtbaren (Siubrucf nicht ftarf genug fcrnl*
bem fönnen, alf bie anfangt faum geglaubte, aber balb alf wahr
fia) bewährenbe Nachricht erfchoE : ef foUten ganj ungewohnte, harte
Abgaben eingeführt unb biefelben burd) eine folcfje Söefchränfung
aller natürlichen Freiheit unb burd) einen folgen Swang bei ben
unfdjulbtgften ©anbtungen beigerrieben werben, ba& ber Äönig ficr)
nicht getraue, fykxbti eigene Untertanen ju gebrauchen, weil er
bei ihnen ju üiel menfehlichef Gefühl öorauffefce, fonbern unbarm*
h^jige gremblinge fommen laffe , benen er fein Söolf jur grau*
famften afti&hanblung überliefern unb benen er hierfür jum Sohne
erlauben wolle, fich mit beffen ©chwei&e §tt bereichern. S)iefer er*
flärte fönigliche SBille empörte alle ©emüther unb raubte bem
Könige felbft einen guten ber Siebe unb Achtung feiner Unter*
thanen, beren er bisher in fo fyotym ®rabe genoffen hatte, unb bie
burch bie 2Bunbertl)aten bef ftebenjährigen Krieges bif $ur haften
©ewunberung unb gärtlichften 2tnt>ängUcr)feit erhoben waren, Viele
Unterthanen fahen üon nun an in ihm nicht mehr ben gütigen
ßanbef oater , fonbern einen burch ben langen blutigen ftrieg abge*
härteten Snrannen, ber immer auf neue Entwürfe ber Vergrö&e*
rung finne unb nun baf *u beren Aufführung nötige ÖJelb üon
feinem Sßolfe burch grembe erpreffen laffen wolle."
s)lod) ungleich fdjlimmer, alf bie bebeutenbe (Erhöhung ber in«
bireften Abgaben, war bie Art ihrer Erhebung. $erfelbe ©egen*
ftanb, fo oft er in eine neue gorm gebracht, ju einem neuen ©e*
brauche zugerichtet war , oft auch mnn man lt)u nuv ani nucr
*ßrooinj in bie anbere ©erführt hatte, würbe wieberholten Abgaben
unterworfen. Qu allen Xagefjeiten brangen Soll* unb Accifebe*
bienftete in baf ©auf jebef ehrlichen Sttannef unb burchfuchten
Allef . gür jeben ©egenftanb , ber einer Abgabe unterworfen war,
forberten fic ben Söeweif, ba& biefe Abgabe entrichtet worben.
konnte berfelbe nicht beigebracht werben, fo nahmen fie ben ($egen*
ftanb weg unb oerwiäetten ben Gigenfijumer, wenn ef ihm an ben
nöthigen Mitteln fehlte , um fid) mit ihnen ab$ufinben , in einen
oerbriefjlichen $ro$ef$. ÜJcan fyitU bie Accifeangeftellten , bie ber
©egenftanb bef allgemeinen £>affef waren, jeber Sßerruchtheit fähig.
SRicht feiten würben fie befchulbigt, felbft ftontrebanbe eingefchleppt
Digitized byGoogle
622 fcrtebrio)* II. lefrte NegierungSaett.
unb bann behauptet ju Ijaben , jtc Ratten fte in ber betreffenben
Söo^nung gefunben.
AIS bic klagen über bic toerfduebenen 3inanama®eln ^
fönigS immer häufiger unb bringenber mürben f befahl ber fönig
bem ©eneralbireftorium , eine Unterfudjung barüber anjufteflen, in
miefern biefelben begrünbet feien. $ie TOnifter ©lument&al unb
£agen überreizten iljm ein ©utadjten, in meinem feine IjanbelS*
politifdjen Neuerungen einer eingcfjenben f ritif unterzogen unb bie
meiften berfelben als bie Urfadje beS nid)t Innmeg ju leugnenben
Verfalls beS ftanbeiS unb ber ®emerbe bejeidjnet mürben. $er
fönig naljm bie ©pradje ber SSafjrfjeit jebodj t>öc^ft ungnäbig auf.
„3d> erftaune über ber impertinenten Delation, fo ©ie mir Riefen, "
fajrieb er eigenfjänbig unter baS eingereihte ®utac&ten; „idj ent*
fdnitbtge bie SfliniftreS mit it)re 3gnorancer aber bie 9Mice unb
Korruption beS doneipienten mujj ejemplarifd} beftraffet merben,
fonften bringe id) bie (Eanaiflen niefymalS in ber ©uborbination."
'Die „e£emplarifd>e ©träfe," meiere ben SBerf affer beS ©utadjtenS,
ben geheimen ginanjratf) ÜrfinuS, traf, beftanb in £ienftentlaffung
unb JeftungSljaft in Spanbau.
%\t ©eredjtigfeit rourbe unter Sriebrid) II. im Allgemeinen
ftreng unb unparteiifd) gefmnbfmbt: audj bie ärmften Untertanen
maren gegen ©ebrüdung unb ungeredjte UrtfjeilSfprüdje gefdjüfct.
<5d)on lange r)atte fidj ber fönig mit bem ®ebanfen getragen, burd)
ein flareS, bünbigeS ÖJefe&bud) bie oermicfelten Oformen beS ©eridjtS*
oerfafyrenS ju oereinfadjen. 5)ie Ausarbeitung biefeS (SJefefcbudjeS,
beS fogenannten „preu§ifd)en ÖanbredjtS," übertrug er bem ©ro§*
fan^ler Sarmer ; bod) mürbe baSfelbe erft nad) feinem Xobe
ooflenbet.
Obgleich audj baS Sdjulmefen oon SriebridjS Sürforge nidjt
auSgef djloffen blieb, befdjränfte fidj biefelbe im SSefentlidjen bodj auf
ben roiffenfdjaftlidjen Unterridjt ; für baS ©olfsfdjulroejcn gefdmfj
unter üjm, nad) bem 3eugniffe $5of)mS, nur fefyr menig. „$)er größte
58orrourf," fagt berfelbe, „ber bem fönig griebridj II. in Abflaut
ber fittlidjen ©Übung feines iÖolfeS gemalt merben fann, ift un*
ftreitig ber, ba§ er für bie (£r$ief)ung ber 3ugenb fo menig getljan
imt. S)a& biefe unb gute UnterridjtSanftalten öon fyödjfter 3öicr)-
tigfeit finb unb bie aufmerffamfte ©eförberung ber Regierung Oer»
bienen, barüber f)at Jriebrid) fotoof)! in feinen Söerorbnungen , als
in ©djriften unb ©riefen fid) mit folgern Nadjbrutfe erflärt, ba&
man au feiner lleber^eugung oon biefer 2Ba()rf>cit mcfjt jroeifeln
fann. Allein er fwt nietyt biefer Ueberjeugung gemä& gefjanbelt. 3)ie
©Ovulen, befonberS biejeuigen für ben Sanbmann, waren oon ber
jd)letf)teften S8ejd)affenl)eit, unb ber fönig fwt äufjerft menig, eigent*
ltd) gar nichts für fie getrau." $en ©runb baoon finbet $ol)m
Digitized by Google
5riebric$8 II. lefcte RegierungSaeit.
623
tf)eü3 in bcr Überwiegenben Stiftung bcr Xfjätigfett beS ÄönigS auf
bic äufcere ^olitif , theils borin , ba& bei ben Dielen fonftigen SluS*
gaben üon ben ©infünften beS Staate* nicht genug jur grünblichen
SBerbefferung ber ©chulen übrig geblieben fei.
SBon ber beulten ßiteratur nahm ber #Ömg in feinen fpäteren
ßebenSjahren ebenf owenig Roti§, als er bic« in feiner 3ugenb ge=
t^an. Df>ne Wfmung oon ber ^o^en s-8oflfommenheit, ju welcher fidj
bie oaterlänbifche ^ßoepe emporgefchwungen, fdjrieb er in feinen lefcs
ten Seben&jahren in franjöfifdjer ©prache eine Wbhanblung über bie
beutfdje ßiteratur, worin er fie aus ben Erinnerungen feiner Swcjenb
f Gilbert unb bie beutfehe Spraye eine „barbarifche" nennt, „bie in
fo titele oerfduebene $ialefte geteilt fei, als Xeutfdjlanb Sßrotrinjen
jähle, fo ba& eS auch bem reichbegabteften ©chriftfteller phhfifch un*
möglich fei, biefe rohe Spradjc in überlegener SBeife ju hanbhaben."
$iefe ©djrift fdnefte er im 3ahrc 1781 an b'Sllembert mit ber
SBemerfung: „Sie werben über bie SJcuhe fpotten, bie ich mir gege*
ben h&be, einer Nation, bie bisher RidjtS berftanb, als effen, trinlen
unb jicf) fcfjlagen, einige begriffe üon ®efd)mad unb atttjdjem 8aljc
beizubringen. 3nbeft man miß boef) gern nügtidj fein, unb oft feimt
ein SBort, welches man in einen fruchtbaren S3oben fät, unb bringt
grüdjte über Erwartung."
griebria) fmtte, wie wir oben (©. 364) gefehen, bei feinem
Regierungsantritt erflärt : in feinen ©taaten fönne 3eber nach feiner
Jason feiig werben. Tiefe Sorte, burd) welche er feinen Untertha*
nen eine unoertüqte Religionsfreiheit jujufichem festen, lüelt er ben
Matt)oltfen gegenüber infofern aufregt, als er fie in feinen ©taaten
bulbete unb ihnen geftattete, an benjenigen Orten iUrdjcn ju bauen,
wo fie bis baf)in feine folgen Ratten. Gleichberechtigt mit ben -[>ro*
teftanten waren fie jeboa) in feiner Söeife; felbft in ben überwie*
genb faüjoltjdjen Gegenben feines ©taateS fchlofj ihr ReligionSbe*
fenntnife fie ber Regel nach öon ben öffentlichen SlnfteHungen im
©taatsbienfte aus.
2ftan würbe fehr irren, wenn man in biefer 3urücffe|jung ber
Äatholifen gegen bie ^ßroteftanten eine Hinneigung griebridjs $u bem
proteftantifa)en iöef enntiu jj erblicfen wollte : bem glaubenSlofen Moutg
war bie eine &onfef jton an fich ebenfo gteichgiltig , wie bie anbere.
SBenn er aber nichtsbeftoweniger baS proteftantifche üBefenntnig in
feinen ©taaten entfehieben beoorjugte, fo r)atte baS feinen Grunb
einjig unb allein barin, ba& nach feiner 2lnfchauung bie abfolute
Allgewalt beS Königs nicht mit bem ÄatholictSmuS , fonbem nur
mit bem ^roteftantiSmuS befterjeu tonne. 3)ieS war auch ber £>aupt-
grunb , me&hulb er auf ben Religionsunterricht ber 3ugenb einen
SBerth legte. „3)a& bie ©dmlmeifter auf bem £anbe," fagt er, „ben
jungen beuten Religion unb SJloral lehren, ift recht gut, unb müffen
Digitized by Google
G24
/\I LüriCTI^' 1 l'RIC ./t t U C 1 III Ul >i 1 1
fie baoon nicht abgeben , bamit bic ßeute bei ihrer Religion ^übfcö
bleiben unb nicht $ur fatboüfchen übergeben; benn bic eoangelifcbe
Religion ift bic befte unb weit beffer als bic fatholifche. fcarum
muffen bie Schulmeifter fich ÜKühe geben, ba& bie Seute «ttachement
ftur Religion behalten, unb muffen fie fo weit bringen, baß fte nic^t
fte^en unb morbeu."
21m menigften unter aßen ©lauben*oarteien hatte fich bie ber
3uben ber ©unft griebrich« II. ju erfreuen. Schon unter griebrich
EJübelm I. waren bie 3uben in Greußen in mancher öe^te^ung
hart befjanbelt morben ; unter griebrich II. geftaltetc ftch jeboch ihre
Sage noch ungleich trouriger. Sin hn %afyxt 1750 iur ßrbnung,
ihrer Angelegenheiten erlaffene* Reglement unterfagte Urnen alle
gewöhnlichen bürgerlichen (Bewerbe, fowie bie Erlangung beS $ür*
gerred&ts unb ben Bnfauf öon Orunbbefty. $a« f>üchfte, wa* fte
erreichen tonnten, war „Schnaube" $u fein. $cr Sdni& , ber ent-
weber ein perfönlicber ober ein erblicher war, im lederen gafle
aber nur auf ein ßinb fibergehen tonnte, mußte burch febwere
Cofer erfouft »erben , bie tbeil« in ber 8at)lvm$ einer gewiffen
©aarfumme an ben ftönig, tbeilS in ber Uebemahme mm äBaaren
au« ben föniglichen 9Ranufatturcn nach ber SBahl ber dermal*
tungen beftanben , welche außerhalb be« SanbeS öerfauft werben
mußten. sMen 3ubcn, bie ben föniglichen Sdjufc nicht hatten, war
ba« $eiratben unterfagt. 2lu3 bem eigentlichen groeefe aller ben
3uben auferlegten Saften machte ber Sronig fein Jpeht ; er wollte
nicht , baß bie 3at)l ber 3uben junehme. 3" biefem (Enbe erließ
griebrich im 3ahre 1^62 einen $3efel)l, traft beffen bie Scbu^juben
nicht mehr nach gamilien, fonbern nach Äöpfen gejault unb, faß«
fie bie beftimmte 3abl überfttegen, bie ärmften aus bem Sanbe ge*
fc^afft werben foütcn.
3n feinem ^rioatleben behielt griebrich bis an fein Sebent
enbe bie gleiche Drbnung unb 3citeintbeüung bei, bie er ftd) bei
feinem Regierungsantritt feftgefefct, unb Weber bie Saft ber 3af>re,
noch junehmenbe &tänflichteit — er litt namentlich Diel an ^obacjra
— fonnten ihn abhalten, feine eiferne ärbettsfraft in ber gewohnten
Söetfe auszubeuten, ©einen perfönlichen Slufwanb hatte er feit bem
.frubertsburger grieben auf baS geringfte 9Raß befchränft, unb es ift
It)at jache, baß feiten ein gfirft fparfamer gelebt hat, als griebrich
s-8on ber Summe oon einer 5J?iüion ^weimalhunberttaufenb Xhalem,
bie er fich jährlich auSgefe&t, verbrauchte er für feine s#riöatbebürf*
niffe nie mehr als jWeimalhunbertjwan^igtaufenb Ztyakx. £>atte er
früher für franjöfifche ftänjer, Sanger unb Scbaufoielcr bebeutenbe
Summen oerausgabt, fo ließ er hierin große ©efchränfungen eintre-
ten unb geftattete fich imr noch °aS Scbaufpiel. Sine eigentliche £>of*
haltung hatte er nur in öerlin ; boch brachte er bort nur einen % heil
Digitized by Google
griebrid)$ H. Iefcte Sfcgientngdjcit.
625
beä SBinterS ju. ©ein gemöhnlidjer Hufentfmlt blieb ©anSfouci, mo
er eine 2lrt ©tnfieblerleben führte unb fidj befonberS an ben greuben
ber Xafel unb ber SRufie ergö&te. $ie 3al)l feiner SDiener hatte er
auf baä roirfIict)c ©ebürfnife bef^ränft. 2)ie ©ernadjläffigung feiner
*ßerfon artete jule&t in <£tmi3mu3 auä. ©eine Reibung, bie <ßotg*
bamer ©arbeuniform , mar meift abgetragen ; bie fdjlaffen ©tiefei,
bie er beim $lufftel)en anjog unb erft beim ©djlafengef)en abftreifte,
maren faft rotf) unb fingen unorbentlidj herunter. $er ft>anifd)e
Xabaf, öon bem er ftetä jmei gefüllte $>ofen bei fiaj trug, entfteHte
mehr unb mehr fein Slngefidjt.
$er #rei3 , ben ber Äönig öor bem fiebenjä^rigen Stieg in
©anäfouci um ftd> öerfammelte , r)attc fid) im ßaufe ber Seit faft
gänjlich aufgelöft. 3m Söhre 1769 mar ber SHarquiä b'Slrgenä
in fein ©aterlanb jurüefgefehrt unb sroei %a$xt foäter $u Xoulon
geftorben; im Safjre 1774 mar ihm gouqu<5 unb 1778 ber ßorb
aKarfajall öon fteith in& ©rab gefolgt, ©o mürbe e$ immer ein*
famer um ben finberlofen ftönig , ber bie greuben beä gamtlien*
freifed fein ganjea Seben Ijinburd) beharrlich öon fich abgemiefen.
9Jttt feiner ©emahlin, bie er nur feiten mehr fafj, unterhielt er
einen formellen ©riefmethfel, ber faum etroaS 2lnbere8 jum ©egen*
ftanb t)atte , als fein Jöefinben. S)en Sronprinjen griebrich SBil*
heim , auf ben er baä ÜDü&trauen übertragen ^atte , burdj meiere*
er beffen im 3ö§re 1758 öerftorbenen Später, feinen ©ruber Sluguft
Söilljelm, fo rief gefränft, t>ielt er, mie öon allen SRegierungägefdjäf*
ten, fo auc^ öon feiner $erfon möglichft fern ; auch mit feinen ©rü*
bem Heinrich unb gerbinanb pflog er feinen öertrauten Umgang, fo
fcl)r auch ©eibe fich feine franjöfifaje ©Übung unb ©eifteSridjtung
angeeignet Ratten.
dagegen mürbe ber getoohnte ©riefmechfel mit Voltaire btö ju
beffen £ob (1778) , fomie mit b'&lembert auf baä Sifrigfte fortge*
fefct, bis auch biefer im 3aljre 1783 inä ©rab fanf. ©eibe unter-
hielten ben Äönig nicht nur über bie neueften ©rfc^einungen ber
fran^öfifchen Siteratur, fonbern ergö|ten Um auch burdj 9Keuigfeiten
öon bem §ofe öon ©erfailleS, mogegen griebrichS ©riefe an fie öon
ben übertriebenen Schmeicheleien überfloffen. „3$ habe," fo fdfjrieb
er im 3<*hre 1777 <m ©oltaire, „in ©erlin eine öffentliche ©iblio*
tfjel bauen laffen. ©oltaire'3 SBerfe Ratten bortjer eine 511 unan*
ftänbige SBohnung." Unb an b'Sllembert: „©djladjten fwben öiele
9Jienfa)en gemonnen; öiele Imben Sßrobinjen erobert: aber menige
^aben ein fo öoHfommened SBerf mie bie ©orrebe jur ©ncuflopäbie
getrieben."
Snbeffen mürbe bie SBeltanfdmuung beä ßönig* , ber ftd) in
feiner felbft gefa)affencn ©ereinfamung immer me|r auf fein eige*
ne^ 3^ jurürf^og unb fia) nur no(^ ben „©infxebler öon ©an**
Golste ar tf), »eltgef^te. Vi, 40
Digitized by Google
626 8rriebri($* II. le&te 9?c9ienmg»idt
fouci" nannte, eine immer trübere. £>atte er fid) in feinen früheren
Saferen nod) einigen ©laubcn an eine fittlkfje Äraft be* 2Renjd>en
bewahrt, fo fdjwanb in feinen lefcten £eben*jaf)ren aud> biefer, unb
ber natfte 2Rateriali*mu* gewann ooüftänbig bie Dber&aub. „3$
betraute-, färieb er unterm 18. 9Rat 1782 an b'SUembert, „ben
SKenfa^en wie ein *D*af dunen wert , welche* ben ©ewidjten unb 9tä=
bern, burd) bie e* geleitet wirb, notfjwenbig folgen muß. SBa* man
SBei^eit unb »ernunft nennt, ift nur bie gruajt ber (Jrf^ning,
weldje auf bie Surt&t ober bie Hoffnung wirft , auf biefe beiben
großen Xriebfebern unferer ftanblungen. Sur unfere Eigenliebe ift
bie* freilid) ein wenig bemfitlugenb; aber unglüdlid>erweife ift e*
nur ju walu*."
SBäljrenb fid) ber Sönig oon ben SHenfdjen immer meljr ju=
rü(f jog, blieben feine SBinbfpieie bU an fein fieben&enbe feine un*
jertrennltajen ©efäljrten. ©ein ßiebtingSljunb, bem bie übrigen jur
©efeüfdjaft bienten, lag ftetd auf einem befonberen Stuhle an ber
Seite feine* $erm unb fd)lief be* «Ract>t* in beffen ©ette. ©in
ßafai führte bie ganje 4>nnbcfd)aar täaüd) fpajieren , unb wenn
ber ftönig fid) $u ben ÄarnebatefeftlidJteiten nactj Berlin begab,
würbe fie iljm in einer fed)8fpänmgen fhitfdp nadjgefafjren , wobei
ber fie begleitenbe ßafai feinen $lafc auf bem föütfftfc netraten
mußte. Starb einer biefer £>unbe , fo würbe er im ©arten oon
Sanäfouci begraben, unb eine mit feinem Warnen oerfefyene Sföarmor*
platte bejeidmete feine ©rabftätte.
Rriebrid) ^atte in feinen testen id eben 8 ja l) reu feine fonft fo
fräftige ©efunbtyeit ooüftänbig baburd» untergraben , baß er iüd)t
fierr feine* (Baumen* war. Dtyne SRüdftdft auf bie Tarnungen fei-
ner Merkte gab er bem ©elüfte nad) fetten , ftart gewürzten unb
ferner oerbaulidjen Speijen in fo jügeüofer SÖeifc nad) , baß er
\\d) baburet) eine allgemeine SBerberbniß ber Säfte jujog , bie mit
SBafferfudjt enbete. Stadlern er ben ffiinter Don 1785 auf 86
unter großen JBefdjmerben in $ot*bam jugebradjt, begab er fid) am
17. XHpril 1786 nad) Sanfcfouci , Wo er im ©enuffe ber frifdjen
Sanbluft Grrleidjterung $u finben tyoffte. 5)iefe Hoffnung erfüllte
fid) jebod; nidjt; feine Mräftc fdjmanben oiclmel)r jufe^enb* , unb
im 3uni würben bie iöruftbeflemmungen in golge ber junefymenben
Gfeförnulft fo heftig, baß er nidjt mcljr liegen tonnte unb bafyer ben
größten iljeil ber Wadjtc auf feinem gefmftufjle in oorwärt* ge-
büefter Stellung jubringen mußte. 3)ennod) ermattete feine Xljätig*
feit nid)t : bi» $u feinem legten Xage ließ er fid) jeben borgen bie
$abinet*fac§en oorlegen, biftirte feine Gfrlaffe unb fdjrieb and) felbft
n od) einige ©riefe. lUadjbem am 16. Sluguft in feinem Quftanbe
eine bebenfliaje JBerfajlimmerung eingetreten unb in ber barauf«
folgenben 9taa)t ^alboerftänblia^e qtyantafien mit einem ruhigen
Digitized by Google
^reufecn unter 3rriebrid) ©tlfjelm II.
627
Schlummer abgctoedjf elt , entfchlief bcr #önig am 17., jtoet ©tun»
bcn nach Mitternacht , ohne ftchtbaren Xobe*fampf in ben Armen
feinet ßafaien. Äußer biefem tuaren nur fein Ärjt unb jtoei
Äammerbiener Seugen feine* Xobe*.
$urd) ben SRinifter Don $>erjberg unDerjüglicfj Don bem §in*
Reiben be* #önig* in ftenntnife gefegt r eilte ber Xtjronfolger
f^riebnef) SBtltjclm II. fofort naef) San*fouci, um bie nötigen s-3er*
fügungen ju treffen. Obgleich Srtcbrict) im (Marten Don San*fouci
beerbigt ju merben gettünfcfjt, hielt e* ber neue &önig für ange-
meffener , Um in ber @arnifon*firche ju $ot*bam an ber Seite
Sricbrict) 2Bilf)elmS L beifefcen 311 laffen.
XXXV.
Brenken nutet 3rteoridi ptfßerm II.
(1786—1797.)
grie brich SBilfjelm II., ber im Alter Don jmeiunbDierjig
Sauren ben preufcifchen X^ron beftieg, mar ein Surft Don gutem
natürlichen SSerftanbe unb mohltnoflenbem #er$en. SBon ber Ueber»
Beugung burchbrungen , bafj ba* 2Bot)l be* Staate* mit ber 2Bohl=
fahrt be* SBolfe* meljr in Einf lang gebracht merben fönne , al* e*
unter feinem üielberounberten Vorgänger ber 3fafl gemefen , befchlofc
er , bie brücfenbften Einrichtungen be* herrjehenben SSermaltung**
H)ftem* 511 beseitigen, Sunächft nnirbe bie Derfm&te Plegie anfge--
hoben unb ber an ber Spifte berfelben fteljcnbe Jranjofe be la
£at)e be Sannau in Anflageftanb Derfefct; ba jeboch bie Unter»
fuchung feinen Unterfdjleif oon feiner Seite ergab, erhielt er al*balb
bie greiheit jurücf. 55er Xabaf= unb Äaffeehanbel mürbe mieber
freigegeben unb baburch ein großer $t)eil ber läftigften SBerfehr*be*
fchränfungen unb ber gehäffigften Sfcachforfcfmngen unb Quälereien
befeitigt.
Anbete (Erlaffe unb Einrichtungen be* neuen &öntg* bejmeef»
ten eine menfchlichere ©ehanbtung ber Solbaten unb eine Erleichte»
rung be* fdmjer auf bem fianbe laftenben SRilitärbrucf*, unb wenn
auch h*er xn bem gefammten iBermaltung*mefen nur Einjelne*
geänbert mürbe f ba* Softem griebrich* II. im Allgemeinen aber
fortbeftanb, fo hatten boch bie Don Sriebrich SBiltjelm II. getroffenen
Aenberungen einen Auffchmung be* SBerfehr* unb be* gemeinen
SBohlftanbe*, fomte ein freiere* Aufatmen ber Nation jur golge.
Aber in bem Eharafter be* neuen ftönig* Dereinigte fidj ®üte
mit Schwache. «öährenb er fty fernhielt Don bem be*ootifchen
40*
Digitized by Google
628 $Teufeen unter griebria) »ilfclm II.
Eigenwillen griebrid)* IL, ließ er fid) öon unwürbigen ^erfonen
leiten, unb wenn fein Vorgänger jufammcngefd)arrt an allen ©den
unb (Snben unb ftid)t* üerbraudjt fürte für feine s#erfon, fo jeigte
griebrict) 2Bilf)elm II. eine öerfcr)wenberifd>e greigebigfeit gegen
®ünftlinge, bie ber OJegenftanb ber allgemeinen Veradjtung waren.
9lud) bübete feine Vergnügung*fuct)t ju ber nie ermattenben Srjätig*
feit feine* Vorgänger* einen fd)arfen ©egenfafr. 2We* bie* jiu
fammengenommen mußte, nadjbem einmal bie (Erinnerung an bie
burdj griebriet) II. gefdjaffenen unb burd) feinen vJtad)folger befei»
tigten brüefenben ^uftänbe in ben jpintergrunb getreten, bei bem
Vergleiche ber s£erfönlicf>feit beiber £errfct)er ben Slu*fcr)lag $u
©unften griebrict)* II. geben.
2lm fdjärfften trat bie Verfduebentjeit ber fRegterung*mcife
griebrid) SBilfjelm* II. t»on ber feine* Vorgänger* auf bem re-
ligiösen öJebiete ju läge. SBätjrenb ber natjeju ein fjatoe* $afy*
fmnbert umfaffenben Regierung griebrict)* II. t)atte man fid) in
Greußen, befonber* in ben teeren ©täuben, baran gewöhnt, nad)
bem Vorgang be* ßönig* auf ba* (£r)nftentt)um mit ©eringjct)äfcung
r)erabjublitfen. Unter bem ©ci)u|je biefer jum guten %on gemor*
benen religiöfen ©leidjgütigfeit mar auf bem ©ebiete ber öroteftan*
tifdjen X^eologie jene bem pofttioen S^riftent^um fetnbltcr)c sJüd)-
tung jur $errfd)aft gelangt, welct)e, geftüfct auf ba* buret) bie De-
formation fanftionirte ^rioilegium ber „freien gorjdmng", bie ÖJlau*
ben*mat)rr)eiten bem Urteile ber Vernunft unterworfen wifjen will.
Söärjrenb griebrict) II. biefe rationaliftifdje Sttict)tung fiel) ungefnn-
bert (jatte entfalten laffen, f)ielt e* griebrid) 28ilt)elm II. für feine
Äönig*pflict)t, bie orttjoboje Ürcr)enler)re, oou beren 52Ba()rr;cit er
überzeugt mar, in feinen 5d)iifc ju nehmen. (£r erlieg barjer, naa>
bem er ben ehemaligen sßaftor Söößner, einen eifrigen Vertt)eibiger
ber alten gormen, jum ftuttu*minifter ernannt r)atte, am 9. 3uli 1788
ein t»on biefem entworfene* (Sbift, ba* ben (&eiftlid)eu, Mer)reru unb
Sßrofefforen bei ©träfe ber ¥lmt*entie(jung oerbot, fid) auf ber ®an*
gel unb bem #atr)eber Abweichungen oon bem £et)rbegriff unb ben
Vefenntnijjfdjriften ber eüangelifcr)en fftrdje ju erlauben, wobei je*
bodj au*brücflicr) t)croorgcl)oben Würbe, baß ber ftönig (einerlei %t*
mifjen*§wang au*üben wolle unb Meinen wegen feiner perfönlictjen
Ueber$eugung jur ©träfe $ief)en werbe, fo lange biefe innerhalb it)rer
©djranfen gehalten werbe.
$)iefe* (Ibift Würbe fofort in $at)lreict)eu ©djriften auf ba*
£>eftigfte angegriffen. 3Bät)renb bie meiften proteftantifd)en ^ßre*
biger bie Verpflichtung jur Verfunbigung einer tkfyxt, an welche
fie nidjt mehr glaubten, für eine Aufforberung jur .peuerjelei
erflärten, wiefen bie Söortfutjrer be* 9cationali*mu* barauf bin,
bafj ba* ©lauben*ebift mit ber üet)rfreir)eit , au* welcher bie
Digitized by Google
Greußen unter griebrich SBilljelm II. 629
proteftantifche ^^cologic unb Kirche hervorgegangen fei, im SBtberfprudj
ftehe unb bog für bic ttriffenfchaftlidje Söehanblung ber X^eologic
unb ben afabeimfdjen Sehroortrag nicht bic gleiten Sdjranfen ge*
fe^t werben fönnten, tüte für bie $rebigt unb ben Sdjuluntemcht.
$a griebrich SBilhelm «Rieh** öon ber burdjgreifenben Energie fei.
ne« Vorgänger* befaß, ber fidj bei öden feinen Verfügungen, un«
befümmert um ba* ©erebe ber 3Benfd)en, GJehorfam &u ergingen
mußte, unb ber $hiltu*minifter unb feine 9tätt)e meber burdj irjrc
geiftige fi^aft noch burch ih« 9lmt*gemalt ben Schmierigfeiten ber
Soge gemachten maren, blieb ba* ©bift, trofo ber mit groger Strenge
gehanbhabten ©üdjercenfur , ohne irgenb melden (Srfolg für ben
Smecf, $u meiern e* erlaffen morben mar.
Obgleich griebrich SSilhelm II. mcber ben ©^rgeij noch bie
(£roberung*fucht feinet Vorgänger* befaß, tyclt er fidj bod) für
berufen, nicht nur bie «Stellung Greußens al* ©roßmacht $u magren,
fonbern auch bie SRoöe feine* £>heim* al* Oberhaupt be* beutfehen
gürftenbunbe* fortjufpielen ; bafjer blieb bie äußere *ßoIitif $reu-
ßen* im ungemeinen in ben gleichen Valmen, in meldje grieb=
ruh II. fie gelenft hatte.
3)a* erftc friegerifdje Unternehmen griebrich SSHlhelm* II.
mar gegen £>oUanb gerietet. Qn biefem ßanbe beftanben noch
immer jmei Parteien : bie „oranifche", meldje bie 2J?ad)t ber im
Jfafjve 1747 unter (Snglanb* (Einfluß ^ergefteOten unb erblich ge-
matten Statthalterfchaft &u erhalten unb wo möglich noch ju er«
meitem fudjte, unb bie bem regierenben ^aufe abgeneigte „patrio'
tifche" ober „ftänbifche" , beren $>auptftüfce bie angelesenen ®auf*
leute ber größeren Stäbte maren unb bie mäljrenb ber fraftlofen
Vermaltung be* förbftatthalter* SBilhelm V. ein entfehiebene*
Uebergemicht erlangt hatte. Sic mar e*, meldte bie Vethciligung
^ollanb* an bem oon granfreid) al* Vunbe*genoffen be* norb»
amerifanifchen greiftaate* gegen ©nglanb geführten Kriege bemirft
^atte; nicht*beftomentger legte fie ben für §oOanb nachteiligen
2lu*gang biefe* Änege* bem ©rbftatthalter jur Saft, inbem fie ben=
felben befdmlbigte , au* greunbfdwft für (£nglanb jmedroibrige
SJcaßregeht getroffen unb abfid)tlid) ben Verfaß be* Seemefen* hcr*
beigefü^rt ju haben. S)ie burd) bieje Vefchulbigungeu unter ber
SBeüölferung h^oorgerufene Währung mürbe burd) rede .Bettung**
fdjreiber unb eifernbe Äanaelrebner fo feh* gefteigert, baß e* im
3ahre 1786 ju einem allgemeinen Slufftanbe fam, in meinem bic
Truppen be* (£rbftatthalter* gegen bie überall gebilbeten patriotifchen
SBürgermilijen ben $ür$eren jogen. 3)er ©rbftatthalter felbft fat)
{ich, nadjbem er feiner Remter unb SBürben öerlufrig erflärt mor*
ben, jur gludjt au* bem jpaag genöthigt. @r 50g fid; nach ber
geftung 9iömmcgcn jurüd unb rief t>on bort bie |)ilfe griebrid)
Digitized by Google
630
Greußen unter ftriebrich Scheint II.
SBtthelm* II. öon Greußen an, mit beffen Sdjwefter er öer*
mählt war.
Anfangs jögerte ber ftönig, aus 9?ücffic^t auf baS mit ben
Patrioten öerbünbete Sranfreich, fleh in bie Sache einjumifchen ; ein
wahrfdjeinlich abftc^tlict) herbeigeführter Vorfall, ber feinen ga*
milienftolj tief »erlebte, machte jebod» alsbalb feinem Sägern ein
©übe. $ie Gemahlin beS (5rbftattr)aIterÄ war nämlich plöfclich
öon föömmegen abgereift, um nach bem £>aag jurüdjufehren ; fie
war jeboch auf ber föeife öon ben Patrioten angehalten unb burdj
©ürgermilijen wie eine Gefangene nach ^Umwegen jurüefgeführt
Würben.
Um biefe bem föniglichen #aufe augefügte ©eleibigung ju rä-
chen, lieg ber tföntg fofort in SBeftfalen ein #eer oon öterunb$wan*
äigtaufenb 9Jcann unter bem #erjog ftarl Serbinanb oon ©raunfehweig
jufammenjiehen, baS im September 1787 über Wömmegen unb Arn*
heim in baS boHänbifche Gebiet einrüefte. $a fich bie fcäupter ber
patriotischen Partei feige unb fopfloS jeigten unb ber «erfuch, baS
fianb burch Deffnen ber Sdjleufen unter SBaffer ju fefcen, wegen
SaffermangelS fehlfdjlug, fanben bie Greußen faum irgenb welchen
SBiberftanb. $ie geftungen ergaben fich faft ohne (Gegenwehr, unb
nach Verlauf öon üier SBochen war baS ganje ßanb oon ben preu*
gifchen Xruppen befefct. (£s war ein SchicffalSmoment, ber $reu«
ßen Gelegenheit bot, ein ju £eutfchlanb gehörige* unb in Wiber*
natürlicher Söeife oon bemfelben loSgeriffeneS ßanb unter $wecf-
entfprechenben Sonnen wieber in bie rechte Stellung ju ber beut*
fchen Nation ju bringen unb ben föheinftrom oon feiner fchimpfli*
chen Sperre ju befreien; allein Greußen liefe biefe Gelegenheit,
fich bxm wahrhaften 9Jcef)rer unb Vertreter beS deiche« &u machen,
unbenufct oorübergehen. $em tfönig genügte eS, bie ©h« f«ne*
£aufeS gewahrt $u hoben, unb fein 9Jiinifter $er$bcrg , ber bie
auswärtigen Angelegenheiten ber 9)<onarchie leitete, ha*tc nur oa*
(£ine im Auge, #oflanb als ©rüde &u gebrauchen, um $u einer
engeren SBerbinbung Greußens mit ©nglanb ju gelangen, auf welche
er ein SdjiebSr ichteramt Greußens über ba& mittlere (Suropa ju
grüuben gebachte. So hatte ber ebenfo glüeflich ausgeführte, als
füc)n unternommene 3ug 'ein anbcreS (Srgebniß, als bie SBieber-
einfejjung beS GxbftatthalterS in feine Aemter unb Stürben unb
ben Abfchluß eines ^ertheibigungSbünbniffeS mit ber föepublif, baS
am 15. April 1788 ju Stanbe fam. Anftatt bie Freiheit ber
9^ ^einf dt)iff f al>rt ju f orbern , begnügte fich Greußen mit ber geft-
fefcung, baß bis gum Abfchluß eines £>anbelSt>ertragS beibe Staa--
ten cinanber in ^Betreff beS §anbelS unb ber Schifffahrt auf bem
guß ber am meiften begünftigten Stationen behanbeln wollten. 25er
jweibeutige ßiiegSruhm aber, ben baS preußifche #eer aus bem
Digitized by Google
^reufeen unter ftriebrich ©ü^lm II.
631
unblutigen Setbjug jurücfbrachte, fyattt für ba*fclbe bic fchlimmften
gotgen; benn er beftärfte e* in bem burch griebrich* II. (Siege
begrünbeten SBa^ne öon ber abfoluten Unnriberftefjüdjfeit ber preu*
fttfchen SBaffen.
2(uf ba* iöünbnift Preu6en* mit $ottanb folgte am 13. gunt
1788 ein ähnliche* mit (Snglanb, in tuetdjetn jtcfj beibe Staaten
jur gegenfeitigen SBefdjüfjung aller ihrer Söefifcungen mit einer be*
frimmten Xruppenmacht im gatlc irgenb eine* feinbltdjen Angriff*
verpflichteten. Tiefe* üöünbiiiö mar fjauptfädjlid) gegen Stuflanb
gerichtet, mit roeldjem (ämglanb megen SBefc&ränfungen feinet £an*
bei* ent$meit mar , roährenb griebrich SBil^cIm II. fich burd) bic
enge Verbinbung 8tu§lanb* mit Ocftcrreic^ beunruhigt füllte unb
fiberbte* mit ber (S^arm in einem au* pcrfönlic^er Abneigung f>er=
üorgegangenen gefpannten Verhältniffe lebte.
Um Defterreidj eine nachbrücf liehe ©etheiligung an bem jroei=
ten Türfenfriege Katharina'* unmöglich ju machen, unterftüfcten
bie SBerbünbeten bie Unruhen in ^Belgien; auch nährten fie anbe*
rerfeit* bie Währung in Polen, um bie Befreiung biefe* fianbe*
oon bem ruffifchen 30Chc f>erbei^ufül)ren. Ter günftige Verlauf be*
ßriegeS für SRu&lanb unb Defterreich im 3ahre 1789 bemog bie
beiben ÜÄächte, entfehiebener für bie Slufrechthaltung be* türfifcheu
Meiches im Qntereffe be* europäifcf>en ©letchgenncht* einzutreten, in
meinem §er$berg bie ÖJrunbbebingung ber 9ftachtfteßung Prenfjcn*
erblicfte. Tie feinbliche Haltung, meldte bie preufjifche Regierung
in golge beffen gegen Cefterreich annahm, führte nach bem Tobe
Sofeph* II., roie mir oben (©. 559 f.) gefefjen, ben Slbfchlufj eine*
SSaffenjtillftanbe* jmifchen Defterreich unb ber Pforte unb fpäter
ben grieben oon 6iftoma herbei. ®egen SRufjlanb fdjlofj Greußen
am 31. Januar 1790 einen $Bunbe*öertrag mit ber Pforte, in ber
ficheren ©rmartung, ba§ ©nglanb ba* (bleiche thun merbe. Tie*
mürbe jeboch burch bie Dppofttion*partei im englifchen Parlamente
oerhinbert, unb fo fat) fid) Preufcen, nachbem ber grieben*fchluf3
ber (5§arin mit ÖJuftaö III. uon Schmeben ben Hüffen freie $anb
gegen bie Türfen oerfdjafft r>attc, jur 3ufammen$iehung bebeuten*
ber ©treitfräfte läng* ber ruffifchen ÖJren^e genötfngt, um feinen
gegen bie Pforte eingegangenen Verpflichtungen ju genügen. 3n
einer bireften ©inmifchung Preufjen* in ben ruffijch5türfifchen ®rieg
fam e* jeboch nicht, inbem bie ©jarin am 9. (September 1792 mit
ber Pforte grieben fd)lo§.
SBte fich griebrich ^BU^elm II. für bie im Qntereffe ber Stuf*
rechthaltung be* türfifchen deiche* gebrachten Cpfer burch feine 93e*
Heiligung an ber atoeiten unb brüten Theilung Polen* fchablo*
hielt, ha&en wir oben gefehen; auch feiner 3ufammenfunft mit
Äaifer ßeopolb II. in Pittnifc §af>tn mir @. 560 gebaut. Von bem
>
Digitized by
632 Die beutfay ßtferoiur hn acfjtie&nten ga^unbert.
getbaug, ben er im 3a^rc 1792 im 93unbe mit flaifer granj II.
gegen granfreich unternahm , um fiubhngS XVI. Befreiung unb
SSiebereinfefcung in feine SRedjte ju erjUiingen, fottrie öon feiner
$öctt)eiligung an bem erften Koalitionäfrieg gegen ba$ repubüfanifche
granfreich wirb fpäter bie «ebe fein.
XXXVI.
Die »euUiSe Literatur im auflehnten 3a6rfiunoed.
3m ©egenfafe ju ber franaöftfehen ßiteratur, bie ir>rc 3«fpis
rationen öom #ofe unb ber öornefjmen SBelt erhielt, entnricfelte fid)
baS beutfehe Schriftthum , Wie im fiebjehnten , fo auch im aefttgehn»
ten Sa^unbert, in einem felbftftänbigen, mehr bürgerlichen ©eijte,
nicht unterftüfct, aber auch nicht beeinflu&t öon ben faft aufnahm**
loft bem franjöfifchen ©efehmaefe hulbigenben gürften, unb roährenb
au* bem serriffenen Körper be3 deiche* jeber ftationalgeift ent*
wichen war p fanb er eine Jpeimftäite in ben @ch öpfungen ber ju
immer reiferer SBlüthe 04 cntfaltenben Didjtfunft.
Sßachbem fdjon *u <£nbe beä fiebjehnten 3at)rhunbert8 bie Un*
natur unb ÖJcfc^macflofigfctt ber jweiten föleftfdjen S)ic^terfc^ulc
(f. 6. 36) eine föeaftion ^eröorgerufen , bie jebodfc) ju feinem §eile
führen fonnte, rocil ihre Xräger in baS entgegengefef te ©jtrem Der»
fielen unb toon bem ©chwülftigen jum SBäfferigen übergingen, ent«
ftanben in ben awanjiger Sauren beS achtzehnten 3at)rtmnber&r
gleichfalls jur ©cfämpfung ber ßohenfteinifchen ©runbfäfce , jwei
neue Dichter faulen , bie ßeipjiger unb bie f d)W eijerif che,
jene gegrünbet Don bem gelehrten , um bie s2luäbilbung ber beut*
fdjen Sprache ^oetüerbienten, aber pebantifchen unb burdj unb burdj
profaifdjen 3°*>ann Sftriftopt) ®ottfd>eb (geb. am 2. gebruar
1700 unweit Königsberg, geft. 1766 ju ßeipjig al« ^rofeffor ber
l^ilofop^ie unb Dichtfunft) , biefe ton ben beiben 3ürid)er $ro*
fefforen 3ot)ann Safob «obmer (geb. 1696, geft. 1783 in 3ürich
als SJcitglieb beä gro&en SRatheS) unb 3o!)ann 3afob 5ör ei tinger
(geb. 1704, geft 1776 in 3"rich).
Ötottfdjeb, ber fid) jum Diftator auf bem Gebiete ber Dicht*
fünft aufwerfen wollte, bie ^Soefie jeboch jur äu&erften 9lucbtemheit
herabzog, inbem er aflen SBerüj berfelben in bie Klarheit beä 2luS=
brutfs unb in bie Feinheit ber poetifetjen gorm fefetc , lehnte fict)
in feinen Dichtungen, bie nichts $nbereS finb als gereimte Sßrofa,
an franjöfifct)c Eftufter an , währenb bie ©rfinber ber ©chwei$er=
(Schule , üon benen ©obmer ihm an bidjterifdjem Dalente überlegen
war , ihre SBorbilber in ©nglanb fugten unb babei jugleich bie
Mufmerffamfeit auf bie Dichtungen ber Httinnefänger hinIcn^cn-
Digitized by Google
$te beutfdje Sitcratut im achtzehnten ^ahrlmnbert. 633
Stützen bcn „©ottfchebtanern" unb bcn „SBobmertanern" fom e$
ju einem heftigen geberfrieg über bie ©runbfäfce ber Dichtfunft, in
welchem bie ©chtoeijer, »eil öon richtigeren ©efichtSpunften au*»
gefjenb, bie Dberljanb behielten.
SBährenb biefeS ©treite«, ber burch bie Klärung ber 9Inftcf)ten
unb bie ©djärfung be$ UrtheilS über baä SBefen ber Sßoefic bte
Degeneration ber beutfdjen $id)tfwnft anbahnte, traten jroei Dichter
auf, bie, feiner ber beiben Parteien ftc^ anfchliefcenb , ihre eigenen
SBege gingen unb ungleich öejfereä leifteten , als ©ottfdjeb unb
SBobmer fammt ihrem Anhang. Dtefe Dichter maren Snbrecfjt öon
Roller (geb. 1708 $u 33ern, geft. 1777 als Direftor ber ©al§*
werfe ju ©ej), ein ©tern erfter ©röfce in ber beutfdjen (Mehrten*
Welt, faft in allen SBtffenfdjaften , wie in allen ©prachen GSuropa'3
bewanbert, unb griebrich öon #ageborn (geb. 1708 ju §am*
bürg, geft. ebenbafelbft 1754), jener ein emfter, tiefer Dichter, beffen
Sehrgebicht „bie Älpen" in bem $llpenüolf im ©egenfafc ju ber be*
reit« überfeinerten SBelt ba« ©lücf ber ©itteneinfalt barfteCCen foll,
biefer ein leichter, gefälliger Dichter öon trefflichem, liebenSWürbigem
Sharafter unb glüeflichem, mehr bem ^eiteren jugeroanbten Xalente,
ber eigentliche ©chöpfer be3 leichteren ßiebe«.
Sftachbem ©ottfeheb burch bie Angriffe ber ©chroeijer öon bem
Sßiebeftale feine« SRuhmeS ^crabgcftürjt morben, bilbete ftch in 8eip*
jig ein ^weiter Dicbteröerein , bte „fächfifdje Dichterfchule", beren
9)tttglieber ihren SBereinigungSpunft in ber oon ihnen gegrünbeten
Seitf djrift : „Beiträge jum Vergnügen be3 SBerftanbe« unb SBifceS,"
gewöhnlich nach bem (fcheinbaren) 93erlag8orte „93 rem er 93 c t *
träge" genannt , fanben. Der beliebtefte dichter biefer ©djule,
bie im OTgemetnen noch ganj bem franjöpfchen ©ejehmaefe \)\x\*
bigte , mar ber fdjftchte , fromme ©hnftian gürdjtegott © e l l e r t
(geb. 1715 $u Hainichen im Königreich ©achfen , geft. 1769 als
Sßrofeffor ber ^ßfjilofophie in ßeipjig) , unftreitig eine ber liebend*
mürbigften (Sxfcheinungen be8 öorigen QabrfjunbertS unb ber ein-
zige beutfehe dichter , bem griebrief) II. einige Slufmerffamfeit
fchenfte. §1(3 9ftenfch mit Stecht hochgeachtet wegen feiner aufrtch*
tigen grömmigfeit, feine« milben, menjehenfreunblichen ©tnne« unb
feine« mufterhaften Sieben« , mürbe ©cflert al« dichter öon ben
ßeitgenoffen , bie ihre Verehrung für feine ^erfon auch auf f^ne
28erfe übertrugen, über Gebühr gepriefen; benn feine Dichtungen
jeidmen fich Weber burch ^iefe ber Slnfchauungen noch burch einen
hohen ©ebanfenflug au* unb ftehen jum %tyü noch ganj auf ©ort*
fcheb'fchem ©oben. 5(m gelungenen ftnb feine gabeln unb feine
öoetifdjen (Stählungen , burch welche er hauptfächlich ber ßiebling
be« SBolfe« mürbe, ©eine geiftlichen ßieber, öon benen öiele in ben
proteftantijchen ßtrehengefang übergegangen finb, öerherrlichen öor*
Digitized by
634 2>ic beutj^e fiiteratur im ahnten 3a$rf>imbert.
SugSroeife bic Oröße unb ©üte be3 Sd)öpfcr3, ttntrjeln aber, bem
(Deifte ber Seit entfprec&enb , mefor in ber natürlichen , als in ber
pofttio=cf)riftlicf)en Religion. ©ellert* bramatifd)e Sphingen, 8ufl*
unb (Sdjäferfpiele, ftnb f)ö<f)ft unbebeutenb.
3u ber fäcfeftfc^cn (Schute gehörten auet) Oottficb SBitfjelm
ftabener (geb. 1714, geft. 1771 $u $re*beu), ber ft<$ at* @a*
tirifer einen unoerbienten SRufun erworben ; Srtebridj SBilWm
gadjaria* (geb. 1726 ju Sraufenfmufen, gefl. 1777 al* ^rofeffor
$u ©rauufebtoeig) , ber ©erfaffer tomiföer (Epopöen , für meiere er
ficfj ben engUfctjen $trf)ter ^ope $um SJhifter genommen; ber
Styrifer 3 o bann «bolf (Stieget (geb. 1721 $u SEetffen, geft.
1793 als fbnftftoriatratf) in #annooer), ber SSater ber berühmten
SRomontifer Sfaguft Wilhelm unb griebrid) »on ©^(cgel , unb fein
©ruber 3ofjann (Sliafc ©Riegel (geb. 1718, geft. 1749), ber
fiefj nicf)t ganj obne ©lücf in ber bramatifeben ^Dicfttfimft oerfudjte;
ber ßptgrammatift 8braf>am ©ottfjetf Ä offner (geb. 1719, geft.
1800) u. «.
Ötfeidjjeitig mit ber ßeipjiger $id)terfcl)ule bilbete fid) J« #aße
ein SMdjteroeretn , ber ftd> befonber« ber tyrifdjen fßoeftc juroonbte,
baneben aber audj ba& ßebrgebia)t, bie 3bttfle unb bie befdjreibenbe
$idjtung pflegte. $a3 ö^Dorrogenbfte SRttglieb biefe« „ijaüifajen"
ober „preufctfifjen ^icfjteroereinS" war ffiwalb ©ljriftian oon pfeift
(geb. 1715 $u göblin bei ßöStin, geft. 1759 ju granffurt a. b.
Öbcr an ben Solgen feiner in ber €d)Iaajt bei #uner$borf ert)a(*
tenen SBunben), ein fünfter, inniger, fentimentater , befonberft für
bie Statur begeiferter Siebter , beffen £>auptgebidjt : „Xer Stfib*
ling", toobl ba8 befte befdjreibenbe (JJebiajt ber $eutfdjen, fid) bura)
liebltdje, jarte unb warme ©emälbe au$ bem Iänblio^en ©tittleben
aii£$eid)net.
(£in ungleich geringered poetifdjefc Xalent , a(ft ßfeijt , befaß
Sodann SSilljenn Subttrig ©leim (geb. 1719 ju (£rm&(eben bei
|>alberftabt , geft. 1803 in $atberftabt) , ber in feinen „ÄriegÄlie-
bem eine« preußtfdjen ©renctterS", bie Solf&tieber fein fottten,
aber com SBolfe nie gefungen roorben ftnb , bie ©roßt!)aten Srieb*
rid)8 II. oerfjerrlidjte. $en gleiten ©egenftanb roö^lte #art ©il*
beim Garnier (geb. 1725 ju Dolberg, geft. 1768 in ©erlin) für
feine oielgeprtefenen Oben, bie ftd) jroar burd) eine ^otje Sonn«
oottenbung auszeichnen, aber nur müfyfam jufammengetragene @e*
bauten enthalten. Ungleich höh** fte^en in biefer ©ejie^ung bie
Oben oon Sßeter Sodann Uj (geb. 1720 ju 2ln$bacb , geft. eben*
bafelbft 1796) ber, im <$egenfa$e ju Garnier unb ©leim, Don bem
fiebenjä^rigen Kriege in jürnenbem ©roüe fingt: w2Bie lang 5er*
fleifd)t mit eigner $)anb ©ermania üjr (Singeroeibe ?u
®ie eigentliche ©lüüje ber beutfd)en 5)ia^tung, ju toeld)er bie
Digitized by Google
2)ie beutfdje Literatur im ad)t$efynten ^afyrfyunbert.
635
gutgemeinten, aber feljlgefdilagenen ©erfudje biefer oerfcfjiebenen
$)id) terfdmlen , burdj bie Sftadjalmtung auSlänbifdjer Jöorbilber ber
beutfd)en $oefie neue« Seben einjuf>audjen , toenigftenS ben ©oben
borbereiteten, beginnt mit bem Auftreten ßtopftodS. griebriet) ©ort*
Heb Älopftod mar am 2. 3uli 1724 ju Dueblinburg geboren,
»o fein SSotcr bie ©teüe eine» $ommifftonSratf)eS befleibete. 9fcadj=
bem er feine SBorbilbung juerft auf bem ©^mnafium feiner S3ater*
ftobt, bann auf ber berühmten ©dmlpforte erhalten, bejog er im
3a!)re 1745 bie Untoerfität 3ena, um Ideologie ju ftubieren, ging
jebod) fd)on im folgenben ^ahxc md) ßeip$ig, too er mit ben
Herausgebern ber „Wremer ^Beiträge" einen innigen greunbfd)aftS=
bunb fdtfofj. *ftad) ber SBeenbigung feiner ©tubien nafjm er bie
©teile eine« §au%U1)xtx$ in fiangenfalja an, lebte bann eine Seit=
lang bei SBobmer in Sflria^ unb ging im 3a^re 1750, ber Sluffor-
berung beS bäntfdjen ÜRinifterS ©ernftorff folgenb, nad) ßooenfjagen,
roo er üon bem ®öntg Sriebrid) V. einen Qaljrge^alt oon m'er*
fmnbert Xfjalern erhielt. 3m Qafjre 1756 oerma^lte er fid) mit
einer ^amburgerin, ber fpäter oon if)m unter bem tarnen „(Sibü"
befungenen Sfteta Spoiler , bie üjm jebod) fdjon nad) brei Sauren
burd) ben Xob entriffen tourbe. ÜRad) ber (£ntlaffung feinet ©önnerS
©ernftorff fiebelte er im 3afjre 1771 mit bem Eitel eines bänifdjen
ßegationSratljeS nadj Hamburg über, too er am 14. 2flär$ 1803
im SUter üon neununbfiebjig Qa^ren ftarb.
Älopftotf toar ein $>id)ter im toafyren unb öoHen ©inne beS
SBorteS, erfüllt oon ben fd)önften unb ebelften Qbealen, unb babei
beutfd) in feinem gangen ©inn unb SBefen, beutfd) in feinem (£rnfte,
toie in feiner ©emütljSinnerlidjfeit , beutfd) in ©itte unb ßeben,
bciit(d) in feinen ©eftrebungen , lote in feinen (Erinnerungen unb
Hoffnungen. Sfttt füfjner (Sntfd)loffenf)eit befreite er bie beutfaje
*ßoefie öon ben Ueffeln ber 9£acr)af)mung unb ■ fjob jugleidj feine
SHutterfpradje burd) eine freie unb glfitflidje 33ef>anblung ju unge^
tDör)nlicr)cr $raft unb SBürbe. S)em beutfdjen ©inne ftlopftorfS ent*
fprang fein tiefes ©efüf)l für ßiebe unb greunbfdjaft , fotoie jene
fd)toärmerifd)e greiljettsliebe , bie ifm in ber franjöfifd^en SReöo*
lution bie Sflorgenrötlje einer neuen Hera beS SBölferglücfeS erblicfen
ließ, bis ir)rc nrilben ©räuel i^n aus feinem SEBafyne riffen. Wxt
feiner glüfjenben SSaterlanbSliebe oerbanb ftlopftod eine begeifterte
Hingebung an baS C£hriftcntf)umf bie ifm antrieb, ben ©rlöfer gum
©egenftanbe feiner erften unb gro&artigften Sttdjtung, ber „Sttef*
fiabe", $u mahlen , ju melier er fd}on auf ber ©dmlpforte ben
$lan enttoorfen. SBaS ilm ju biefer S)ia)tung begeifterte , war je-
bodj nidjt ein feftgetouraelter , lidjtooller © l a u b e , fonbern ein
tiefes, djriftlidjeS © e f ü f> I ; ba^er ift aud) feine SWeffiabe ntd)t eine
in bem ©oben beS (SoangeliumS tourjelnbe, in ein poetifc^eS ®e*
Digitized by
636
roanb geffeibete £eben«gefcfucbte Qefu , fonbcrn eine bortoiegenb \ty
rifche Dichtung, bic auf ben tarnen eine* <5po* faum Hnfpruch
machen fann. Den GJegenftanb berfclben bilbet ba« (£rlöfung«roerf,
tüte e« in ber überirbtfdjen, unücfjtbarcn SBelt fich boüjogen, in ben
SRathfcblüffen be« Sater« unb ben (Sntfchlüffen be« ©ohne« fich
entfaltet hat, burdj fnmmlifche ©eifter borbereitet unb geförbert unb
burdj bie #ölle bergeben« befämpft Horben, HUerbing« ift biefe«
fehr gemagte $f)antafiegemälbc bofl ber erhabenften ©ebanfen , ber
jarteften ©efüble unb ber üeblicbften ©chilberungen , $uglei<h aber
auch boll 3Biaffirlia)feiten unb Ueberfchmängüchfeiten, in »eichen fich
jebe ©pur be« feften, emften (Shriftenthum« ju berlieren broht.
Dabei fet)(t bem SBerfe, an toetchem ftlopftocf na^eju fünfunbjn)anjig
3ahrc gearbeitet — bie brei erften ©efänge crfchicncn fdjon im
3a^re 1748 in ben „Wremer ^Beiträgen bie fünf lefcten im
3abre 1773 — ein f efter , «arer $lan unb bamit bic fünftlerifaje
Ginheit.
Die eigentliche bichterifebe #raft tflopftotf« liegt in feinen, $um
großen X^eile toahrhaft flafftfehen Oben, bie fich meift burch
hohen (Sebanfenflug, (Srbabenheit be« 2(u«brucfd unb große Sollen*
bung ber bem ®riedufdjen nachgeahmten ftorm au«jeichnen; boch
ftcr)cn feine fpäteren Oben, in benen er burch fünftlich berfdjlun*
gene formen unb Äonftruftionen mitunter böllig unberftänblich
toirb, ben früheren bebeutenb nach- S3on ftlopftocf« gciftlidjen Sie*
bern, in benen fich ein rein fubjeftioe« ©efühl«chriftenthum au«*
f priest, finb feine 2luferftehung«lteber : „2Benn idj einft bon jenem
<5d)tummer, welcher Xob hei&t, auferfteh'," unb: „&uferfteh'n, ja
auferfteh'n roirft bu , mein ©taub , nach furjer Stuf?," fotoie fein
Unfterblicbfeit«lieb : „©elig finb be« Gimmel« drben/ unftreitig bie
beften.
$lopftocf« bramatifche Dichtungen, $u benen er ben ©toff t^eitd
bem alten Xeftamentc („ber Xob Slbam«," „©alomo" unb „Da*
bib"), tbeil« ber germanifchen Urjeit (,^ermann« ©chfacht," „$>er*
mann unb bie Surften" unb „^ermann« Dob") entlehnte, finb burd)s
au« mifcglücfte ©ct)öpfungen. Die lefcteren gaben, in Serbinbung mit
$lopftocf« berfehltem Serfuche, ftatt ber griednfehen Anthologie bie
nebelhafte norbifrfje in bie beutfebe ^ßoefic einzuführen, Seranlaffung
$ur Grnttouflung ber Möglichen „Sarbenbtchtung," bie balb ein ©e*
genftanb be« ©efpötte« mürbe.
(Stnen fd)arfen ©ontraft ju bem Dichter be« SJceffta« bilbet fein
• Scttgenoffc ©ottholb öphraün ßeffing. ©eboren am 22. Januar
1729 ju &amen£ in ber ßaufifc al« ber ©ohn eine« frommen unb
gelehrten $rcbtger« , mibmete fich Öefjing gleichfaß« bem ©tubium
ber Xhc°l°8«f 8" melchem @nbe er im 3afjre 1746 bie Uniberfttät
Seipjig bejog ; er befchäftigte fich jeboc^ mehr mit ben fchönen S33if*
Digitized by Google
3Me bcutfdje fiiteratur im ad)t$efmtcn Safjrfmnbert.
637
fenfdjaften unb manbte fid) mit großer Sorliebe bem Xfjeater $u, für
meldte* er fdwn bamal* $u bieten anfing, ftadjbem er fid) auf ben
SBunfd) feine* Sßater* in ©Ittenberg ben SHagiftertitel erworben,
lebte er, au*fa?lie&lid) mit fdjriftftellerifdjen arbeiten be(d>äftigt, ab*
wedjfelnb in ßeipjig unb ©erlin, bi* er im 3af>re 1767 bie Sei*
hing be* Xfjeater* in Hamburg übernahm. Seit 1770 £ofratf> unb
©ibliotyefar in SBolfenbüttel , ftarb er im 3af)re 1785 auf einem
Hu*fluge nadj SBraunfdjmeig.
3n ßeffing* Dichtungen finbet fid) feine Spur Weber oon ber
nationalen unb religiöfen Söegeifterung , nod) Oon bem fjoljen @e-
banfenflug unb ber ©efü£)l*fa)wärmerei, bie un* au* f lopftod* Oben
unb feinem Sfteffia* entgegenwefjen ; ebenf omenig finb biefelben (Srgüffe
eine* müfjelo* fdjaffenben unb geftaltenben Didjtergeifte* , fonbern,
wie er felbft fagtr Schöpfungen, „bie nur burd) Üritif unb 9caaV
afjmung ermöglicht unb ^eroorgebraa^t worben." Dafür befaß jebod)
fiejfing ba* p l a ft i f d) e (Element ber poetifdjen Begabung in ungleich
[) oberem $rabe al* lopftod , unb wenn ü)m and) bie geftaltenbe
Durchführung feiner Qbeen 3Jcü£)e foftet unb nur unter fteter Qu>
ratt)e^iet)nng ber ilritif gelingt , fo fte^en bod) feine ©eftalten Har
unb ooll uor bem bellen Spiegel feiner Seele.
öejfing* bielfeitiger Greift t)at fictj in üerfchiebenen Gattungen
ber ^oefie oer(ua)t ; fein eigentliche* (Gebiet mar jeboa) bie brama-
tifche Didjtfunft, bie bura) Ujn in neue Öahnen gelenft morben.
Wadjbcm er in feiner „Hamburger Dramaturgie" bie franjüfijche
Wejd]macfvrid)tung mit bem glängenbften Erfolge betämpft , bie «He-
geln oon ben brei (Einheiten richtig gefteUt unb eine tief burrf)baa)te,
menn and) nid)t jnftematijdje xUcfttjctit be* Drama'* gc jdjaffen hatte,
gab er in feiner „©milia ©alotti," worin er ben Xob, ben bie Römerin
Virginia uon ber £anb ihre* iöatcr* §ur Rettung ihrer Unfdmlb
erlitt, in moberne £>ofoerhältniffe üerjefct, ein SJcufterbilb ber magren
Dragöbie. Schon früher hatte er in feinem ßuftjpiel „3Jttnna oon
Marnheim," ba* jeboa) etjer ben tarnen eine* Sdjaufptel* oerbient,
mit entfdjtebenem ©lüd einen ©riff in ba* OoUe Üeben getfmn unb
babei ben un^eilooHen ftebenjährigen Ärieg, bem er ben Stoff $n
feinem Stüd entlehnt, fo gejdjirft behanbelt, baß ©örtje fpäter bie
geiftreid>e söeinerfuug machen tonnte: H Lintia oon Marnheim Ijabe
nach bem polirifd)en grieben jmtfehen Greußen unb Saasen and)
ben grieben jmijcfjen ben ©emüthern bewirft , wenigften* im ©Übe
bewirten wollen. "
Die bebeutenbfte bramatifa^e Dichtung Reifing* ift fein „yiatfyan
ber SBeife," ein % enbenjftüd , ba* feine (£ntftetmng einem theolo*
giften Streite be* ©erfaffer* mit bem §auptpaftor ©ö(jc in Ham-
burg oevbanft. Diefe* SBerf , beffen ^e^etdjnnng „bramati)a)e*
©ebia^t" fajon barauf ^inmeift , baß ber Dichter ba*felbe nia)t in
Digitized by
638
*;te ocut]aj€ XMteratnr im acprjegitien yaijrqunoen.
bie üblt^en bramatifchen Kategorien ein$uregiftriren mu&te, ift mc*
niger ein £rama , al£ ein auf bie golie einer ^Begebenheit aufge*
trageneS pbilofophifchsbialeftifche8 Shmfrroerf. Der ©runbgebanfe iffc
bie Vereinigung ber brei monothetftifchen Religionen auf bem ©oben
ber Humanität; bie eble Xoleranj, bie ba3 ©anje burdjiuefjen fofl,
fommt jcbocf) am attermenigften bem Sljriftcnttjum $u ®ute. SBenn
aber ber Dichter in ber bem Italiener SBocracio entlehnten SrjätV
lung üon ben brei Ringen , bie JJrage , toelc^e ber brei Religionen
bie roabre fei, aU unentfdneben r>inftcttt unb ben ©croci* für ben
ächten Ring atiein in beffen bie ,§anblungen be8 SRenfchen beftim=
menbe Kraft fefct, fo überfielt er, ba§ bie (SJefchichte biefen VetoeiS
taugft ju fünften befc (Jbrtftentbumä geführt bat. Ter jambifche
Sünfffiiler, ben ßefftng in feinem Rathan ftatt be& bis bahin ge«
bräuchlichen OTef anbrinerS eingeführt, ijt feitbem bie beborjugte gorm
be3 beutfdjen Drama'3 geblieben.
Unter ßeffingS profaifdjen SEÖerfen, bie ben ©runb ju einer
gebiegenen ^rofa gelegt hoben, ragt befonberä fein burch 3BinfeI=
mann« „®e{chi<hte ber ftnttft be* Hlterthum**' h«t)orgerufener wßao-
!oon ober über bie ©renjen ber Walerei unb $oefie" fytttot , ein
SBerf, baS fieffing* ganje SWeifterfdjaft im profatfdjen ©tile ent»
hüllt, fieffingfc eigentlicher Veruf mar bie Kritif, bnreh luclcfje er im
Döllen Sinne befc SBorteS ber Reformator bc8 Wefchnmcte geroorben,
inbem er biefelbe mit ebenfobiel ©djärfe als unbeweglicher , rü<f*
ficht&lofer Unpartetlichteit geübt. — Durch feine theologifchen SBerfe,
unter melden bie „(Jrjiehung bei Wenf c^engef c^lec^td " ben erften
Rang einnimmt, ift ßefftng ber Vater beS fonfequenten, rationaliftU
fd)cn ^ßroteftantiSmuS gemorben.
Ratten ftlopftocf unb öefffng bie beutfct)e Literatur üon ben
Ueffeln bei franjofifchen Öejcranacte befreit, fo mißbrauchte ber geift«
reiche SBielanb fein h^toorragenbeS bidjterifcheS Xalent jur Verbrei-
tung ber (SncQflopäbiftenroeiftheit unb jur gurütfführung ber beut
fchen $oefie auf bie Vafm ber Radjahmung franjöfifchen SBefenS.
Gfmftopb ÜRartin SBielanb, geboren 1733 ?,u Oberbolheim
bei Viberach, roo fein Vater $rebiger mar, fühlte {ich anfangs
burch ftlopftoctS Dichtungen angezogen unb gab feiner burch biefel*
ben gemeeften nationalen Vegeifterung in feinem (5p „ftrminiuö"
2lu*brutf. Tiefe Dichtung berfchaffte ihm bie ©unft VobmerS, ber
ihn ju {ich nach äürich einlub. SBäfjrenb feine« jtoei jähr igen
Aufenthaltes im £>aufe VobmerS bietete er in ber Sftanier ber
©chtpeijerfchule ein religiöse« (SpoS „ber geprüfte Abraham," fomie
eine grö&ere Slnjahl bon $>erotben, — Briefe bon Verftorbenen an
hinterlaffene Sreunbe — $>umnen, Oben u. bergl., in »eichen er
ber ftreng gläubigen Richtung hulbigte. ©alb jeboch lenfte er in
eine anbere ©ahn ein, unb nachbem er im 3ahre 1760 Äanalei*
Digitized by Google
2)ic beutfcfye fittcratur im ad^tje^ntcn 3af)tf)unbert.
639
bireftor in ©tberadt) geworben, fdjlug feine retigiöfe ©djtoärmerei in
ba$ entfdnebene ©egentljeil um. 3m $erfe1)r mit bem Greife fran*
jofifd) gebilbeter Männer unb Stauen, bie ber ehemalige furmain*
jifdje 9#inifter ©raf öon ©tabion auf feinem in ber SRälje Don
SBiberad) gelegenen (SJute SBartfjaufen um fid) »erfammelte , mürbe
SSielanb mef)r unb metyr nic^t nur für bie (Senüffe bei verfeinerten
©efeflfdjaf trieben* , fonbern audj für franjöfifdje Hnfäauungen ge=
Wonnen, unb feitbem trat feine ÜDcufe in ben $ienft ber franjö*
fifdjen SJretgeifterei unb einer frivolen ©umlief) feit. (Er gefiel fid)
barin, lüfteme ©cenen mit t>erfü$rerifd)er ©erebtfamfeit auSju*
malen, franaöfifdje ©alonwei&ljeit auSjuftamen , bem auslief**
liefen Streben nad) irbifcfyer (SJlücffeligfeit ba$ SBort )u reben unb
Steracfytung äße* £>Öl)eren unb Qbealen jur ©djau ju tragen. 5)ieä
2IUcö tlmt er junädjft in feinen „tomifdjen @r$<u)lungen," fowie in
feinem Vornan „3)ie Abenteuer beä 5)on ©tilüio von Sftofaloa ober
ber ©ieg ber Üftatur über bie ©c^wärmem," einer febmadjen %lafy
a|mung be$ $on Duirote , unb in feinem „$lgatfjon ," worin er
ba& griedufdje geben in bem frivolen (Reifte bei mobernen granjo*
fenttjuntö befjanbelt. $)a3 ©efte, wa$ er in profaiföer Sorm ge-
trieben, ift fein fatirifd)er Vornan „©efdjidjte ber Slbberiten,1' in
meinem er in fjödjft ergbfclidjcr SBeife bie fleinftabttfdjen %i)oxf)ti*
ten geigelt. SBielanb$ |>auptwerf ift fein romantifa)e$ (£po3 „Dbe*
ron," ju meinem ü)m ein al tfr an^ ö f i f er) er sJtitterroman ben Stoff
geliefert, ben er übrigen* me$r in ironifdjer SBeife be^anbelt. ßeidj*
tigfeit ber Spraye , Sßottenbung im $er&bau , Srrifdje unb Slnmutt)
ber Säuberungen verleiben biefem <&ebid)te, bad ©Öu)e „ein Üftei*
fterftücf poetifdjer ®unft" nennt, einen eigentümlichen Sauber unb
fiebern u)m für bie 3)auer eine eljrenoolle ©teile in ber beutföen
Literatur.
9*ad)bem SBielanb im 3afjre 1769 einem Kufe als ^rofeffor
ber ^ßcjilofopfjie nad) Arfurt gefolgt mar, mürbe ü)m im 3at)re 1772
von ber verwittweten £>er&ogin Amalie von ©ad)ien*2öetmar bie
©teile eine* ©rjiefjer* i^rer beiben ©oljne übertragen. 2lm 3öei*
marifdjen $ofe , mo er mit $erber , ®üu)e unb ©djüler in JBeuu)*
rung (am , unb auf feinem in ber 9t<w)e ber ©tabt gelegenen ©ute
Ddmannftäbt, ba$ er von bem (Ertrage einer C&efammtaudgabe fei*
ner SBerfe angefauft ^atte, verbrachte er bie lefete #älfte feine*
£eben&, nod) vierzig forgenfreie 3a^re. (Er ftarb ju Söeimar am
24. Januar 1813.
$a& Auftreten $lopftocfö, SefjlngS unb SBielanbä tjatte, befon*
berd unter ber beutfdjen 3ugenb , eine gemaltige ©ätjrung t)eroor=
gerufen, unb ba3 mächtig angeregte S^ationalgefü^l trat junäc^ft in
einem mafjlofen Umgeftaltung^brang ju Xage. sMii attem ^pergebra(J«
ten follte aufgeräumt werben ; 2lHe* foüte urfprünglic^, genial origi*
Digitized by
o^u scte oeutjcpc AMtercitur im aa)t$eqntcn yngrgunoert.
ncö fein. SRan nennt bafjer biefe Seit , bic ber rcidtften ©ntfal*
tung oer Dcuticgen -iiajttunit oorangwg , Die jpenooc Der „«Taft*
genieß4' ober, nac§ einem Don 9ftaj Jünger, bem leibcnidjaftlidjfteit
unb ungebunbeuften biefer „ßtaftgenieS" geblatteten Xrama , bie
„©turm= unb $)rangperiobe." SDie ©efafjren, bie biefeS anfangt
regeHofe jugenblidje Streben für bie ©ntwitflung ber beutfdjen Site»
ratur in firf) barg, würben abgewenbet burd) ba3 mebr unb meljr
fld> Vafjn bredjenbe öofle Vcrftänbnifj ber alten ßlaffifer, fomie
bura? bie (£rfenntni& ber Wotfjwenbigfeit, $ur alten VolfSpocfte $urü(f*
jufeljren unb auf ben ©puren $omerS unb ©tyafcSpeare'S ju wanbeln.
$cr ®rfte , ber biefe «a^n mit glänaenbem Erfolge betrat,
mar Sodann ©ottfrieb £ er ber, geboren 1740 ju Körungen in
Oftpreufjen. $a$bem berfelbe in Königsberg X^eologie unb ijtyilo*
fopf)ie ftubiert unb eine Scitlang bie ©teile eine* SefjrerS an ber
Xomfdjule ju föiga befleibct tyttte, Würbe er SReifeprebiger be£
^rinjen öon ftolftein, lebte fpäter als ©uperintenbent unb Kon=
fiftorialratlj am $>ofe ju SBücfeburg unb fam im 3a$re 1776 burd)
bie Vermittlung ©ötlje'S , ben er in ©trafjburg fennen gelernt , in
ber gleiten ©igenfdjaft naa) SBeimar, wo er im 3a^re 1801 in
ben Slbelftanb erhoben würbe unb 1803 als Vicepräfibent beS Ober-
fonfiftoriumS ftarb.
©ajaffenbes poctifdjcS Xalent war Berbern nur in befdjeibenem
9fla&e ju Xfjeil geworben ; bagegen befa& er, neben einer burdj unb
burd> Haffifdien Vilbung, nidjt nur baS feinfte poetifdje ©efüfjl, baS
ifjn in ben ©tanb fefcte , bidjterifdje (£rfd)einungen jeber $lrt ju
würbigen, fonbern aua^ bie (SJabe, bie öcrfdjiebenartigften Sßrobufte
bcS bicr)tcrifct)cn üebenS frember Völfer in ben anjiefjenbften SRaaV
btlbungen auf beutfdjen ©oben ju Derpflanjen. ©o entftanben feine
„©timmen ber Völfer in ßiebern", in welchen er in meift ge*
lungenen llebertragungen „l}icr in bie SreifyeitSluft alten ©rie*
djenlanbS , bort unter bie M aftanien jdjatten ©paniend , jefct in bie
Varfen ©icilienS jum Wbenbgrufc ber ^eiligen Jungfrau, bann an
granfreidjS fangeSreic&en Jpof, über ben Kanal ju ben Reliquien
SlltenglanbS unb in bie -Webelwelt ber ©Rotten, ja fogar über baS
weite ä^eer und? ©rönlanb unb Sapplanb füljrt unb felbft ben
wilben SRabagaffen unb Peruanern einzelne Xöne abgelaufa^t bat."
(Srft narf) feinem Xobe erfduen fein w(Jib", ein SticluS fpanifa^er
S^omanjen, ju einem romantifa)en (Spo4 ^ufammengetragen , baS
fictj jwar , weil und) einer fran$öjtfd)en ^Bearbeitung ber (i ib ^Ko
mannen ausgeführt, nidjt aQ^u treu an bie jpanifdjcn Driginalbia)*
tungen anfa^liefet, bennoa) aber bad (5igent^ümlia)e beS füblia^en
VolfSgefangeS trefflidj wiebergibt.
äftit befonberer Vorliebe fa^weifte Jperber hinüber in ben Orient,
ju ber SBiege bed 9Kenfa>engefa)le4teS unb ber $oefte, unb brachte
Digitized by Google
2)ie beiitfäe ßtteratur im adjtaelmten ^o^unbert. 641
ton bort befonberS bic Parabel* unb $aram9thien*Dichtung jurücf,
bic auch in feinem ©emfithe am reichten fprofete. 2luch baS s2ln*
benfen an bie mittelalterliche <ßoefie frifdt>tc er auf unb übertrug
ben ®eift berfelben in feine Eegenben unb chriftlidjen #nmneu.
Sßie Seffing, fo ttrirfte £erber für bie Hebung ber beutfehen
ßiteratur auch burch bie Äritif , bie er befonberS in feinen „ grag=
menten über bie neuere beutföe ßiteratur" unb in feinen „fritifdjen
Kälbern ober Betrachtungen, bie ©iffenjdjaft unb ®unft beS
Schönen betreffenb", in geiftooHer, amar ftrenger unb mitunter felbft
bitterer, immer aber burdmuS unparteiifcher SBeife übte. 93on ben
übrigen profatfcr)en Sßerfen #erberS finb befonberS feine berühm*
ten „Sbeen aur ^l>Uofop^ie ber ©eföicfjte ber ünenfcr)^cit" au er=
mahnen, in melden er jeboch baS Ghriftenthum, baS er überhaupt
nur öon feiner oft^ctifc^cn Seite ins Sluge ju faffen fid) gewöhnt
hatte, feines übernatürlichen (SharatterS entfleibet unb als eine ein*
fache „Religion ber Humanität" barfteflt , bie als ©ache beS ©e*
mütf)S gar feiner Dogmen bebürfe , ba fic nichts SlnbereS beatuerfe,
als bie harmonifche SluSbilbung beS natürlichen menfehlichen SBefenS.
Dem ©türmen unb drängen nach gänjücher Erneuerung ber
beutfehen $oefie im Reifte ÄlopftocfS unb $omerS entfarang auch
ber „ÖJöttinger Dichteroerein" ober ber „$ainbunb", au welchem
im 3ahre 1772 mehrere 2flufenföhne ber ©eorgia Stugufta aufam*
mentraten. Die h«*orragenbften ©lieber biefeS BunbeS »aren
©ottfrieb STuguft Bürger (geb. 1748 au SBolmeräwenbe im £al*
berftäbtifchen , geft. 1794 au Güttingen, nach einem burch eigene
©chulb oergifteten Seben) , ber dichter ber „öeonore" , einer Bai*
labe, bie ©Riegel „ben golbenen föing" nennt, „mit welchem ber
dichter ftch ber BolfSbichtung ©ermählte'', ein reichbegabter , form«
gewanbter dichter, beffen haKlofeS ßeben iebodj in feinen Dich*
hingen nachgingt, in »eichen er balb au h^er Begeiferung empor*
fteigt, balb in ben Don eines BänfelfängerS ^crabf äUt ; ber früh
verstorbene fromme, biebere unb tieffühlenbe , boch mitunter attau
fentimentale tfubmig ©hriftoph £öltö (geb. 1748 au SJcarienfee
im 4>annöt)erifchen , geft. 1776); ber geniale, für Baierlanb unb
©lauben begeifterte ©raf Sriebrich ßeopolb au ©tolberg
(geb. 1750 au Bramftäbt, geft. 1819 au ©onbermühlen bei DSna=
brücf) , ber nach feinem Uebertritt aur fatholifchen Kirche eine treffe
liehe, leiber nicht boflenbete „<&efchuf|te ber Religion Sefu" fdjrieb,
unb fein ungleich weniger genialer ©ruber (SJraf (£h**iftian au
©tolberg (geb. 1748 au £annober, geft. 1821), Beibe üor*
herrfchenb tyrifche Dichter; Sohann Heinrich Bo§ (geb. 1751
au ©ommerSborf in SKecflenburg, geft. 1826 als babijdjcr $ofrath
unb Slfabemifer au #eibelberg), ber (ich burch feine Ueberfefcungen
mehrerer alter Älafjtfer, befonberS bie beS Jpomer, bei welcher er
fcolatoartö, «Beltflef^tc VL 41
Digitized by
642
für bic beutfche 9Rf)fytf>mif, namentlich für bcn ^ejometer, &uerft bic
Regeln gefunben , ein ungleich grögere* ©erbienft um bic beutfche
fiitcratur erworben, al* burch feine atoar öielgepriefenen, ober afl$u
fct)r im SWaterieflen ftch oerlierenben Sbtotlen , unb ber unter bem
felbftgemählten dornen be* „SBonbSbecfer SBoten" betonnte SBolf**
bitter 3RAtf»a& Glaubiu* (geb. 1740 ju fflfjeinfelb im §oV
fteinifchen, geft. ju Hornburg 1815), ber mit acht beutfeber ©emütt>
lichfeit unb einem lieben*roürbigen §umor einen mormen (Sänften*
glauben oerbanb.
$er ©türm« unb Drongperiobe gehört au* bie erfte Qtit ber
bichterifdp SBirffomfeit ber beiben $eroen unferer ßiteratur, <8ött)e
uno ^cptuei an , mit oeren oereintem roetteifernoen otreoen am
£ofe ju SBeimor bie eigentliche GUanjperiobe ber beutfajen $icht*
fünft anhebt.
3ot)onn SBolfgang ®öthe mar om 28. «uguft 1749 $u
granffurt o. 9H. geboren, n>o fein ©ater al* $>oftor ber 9ted)te
unb faiferlicher SRath in angefet)enen SBerhältniffen lebte, 9cachbcm
er im elterlichen $aufe eine äu&erft forgfältige @r$iehung genoffen,
bejog er im 3at)rc 1765 bie Unioerfttät ßeiojig, um bie fechte ju
ftubieren. 3m 3ot)re 1768 burch fitanfheit jur SRütffehr nach
granffurt genöthigt, oerblieb er bort anberttjalb Jalnc unb ging
bann im Wpril 1770 jur Öeenbigung feiner ©tubien nach Siran
bürg, bon mo er 1771 mit bem Xoftortitel in fein iBaterhau* ju«
rütffefjrte. Qn ben beiben folgenben Qahren mar er al* Äbbofat
bei bem 9tetch*fammergerichte ju SBeJlar thätig. §ier bietete er
feinen „®öfc bon ©erlidungen*, ein unübertroffene* SRufterbifb ber
oaterlänbifchen föitterfchaufpiele, unb feinen auf einer %\)at\aty be*
ruhenben Vornan „SBerther* Seiben", in melchem er, um fich felbft
bon einer hoffnungdlofen Siebe $u feilen, bie ©eelenqualen eine*
jungen SHanne* fchilbert, ber burch eine unglücflidje Seibenfehaft
$um Selbfrmorb getrieben toorben.
3m 3ahre 1775 ftebelte @öthe, einer Sinlabung be* fterjog*
#arl Sluguft folgenb, nach SBeimar über, too er 1776 jum gehei*
men £egation*rath , 1779 gum mirf liehen ©eheimerath unb 1782,
unter (5rh*&ung in ben 9Ibel*ftanb, jum Äammeroräfibenten ernannt
mürbe. SRachbem er bereit* im %at)Tt 1779 mit bem $erjog bon
SBeimar bie ©chweij bereift ^atte , unternahm er im $afyxt 1786
eine Steife nach Italien, mo er jioei Jahre lang ben ernfteften
Äunftftubien oblag, feine, urfprünglich in $rofa gefchriebene „3Phi*
genie in Zaurid" in harmonifche Sßerfe fleibete unb feinen „Torquato
Xaffo" bietete. s3cach feiner föüdfeljr nach XBeimar ooüenbete er
feinen bereit* früher begonnenen „(Sgmonf unb ben erften
feine* grofeartigen 9Heiftermerfe* „gauft". SRit bem 3ahre 1794
beginnt bie Qtit feine* 3ufflmmenmirten* mit Schiller, melier neben
Digitized by Google
3)te bcutfdje fiiicratur im ac^tjc^nten 3al)rljimbert.
643
oieten feiner fdjönften Heineren 5)idjtungen : ©atlaben, fyrifdjen unb
bibaftifdjen ©ebia^ten, fein „SReinecfe gud)&" nnb ba$ ibnflifdje (Epo8
„^ermann unb $>orotf)ea", foroie fein SRoman „SBtffjetm SReifterfc
ße^rjo^re" unb feine für bie öon i^m unb ©djifler gemeinfam rebi«
girte «Seitfdjrift »bit $oren" tterfafjte gefdjidjtlidje ©ftjje „*Ben*
üenuto Gelltni" angehören. Warf) bem Xobe ©dnllerS, ber in
©ötije'a Seben eine unauäfütlbare Sücte gesoffen , entftanben fein
Vornan „bie SBatyloermanbtfdjaften" unb feine ©elbftbiograptyie
„2luS meinem Sieben, Söatjrljeit unb $5u$tung", an toelc^c fid) fpä*
ter „TOtyetm SJceifter« SBanberjaljre'' unb ber jtoeite X^eil be«
„Sauft" anfötoffen.
3m Qabre 1815 würbe ©ötf>e jum erften SBeimarifdjen
©taatäminifter ernannt; er jog ßd| jebod) im 3a*>re 1828, nadj
bem Xobe be3 $>erjog8 #arl ?(uguft , öon allen ©taat&gefdjäftcn
jurütf, um au$fd)Iief}lidj feinen fdjriftfteUerifdjen Arbeiten $u leben,
unb ftarb am 22. SJcärj 1833, im Hilter Don breiunbadjtjig 3ab,ren.
®ein £)tdjter ber neueren Qdt fjat auf bie (Sntrouflung ber
beutfdjen Literatur einen tiefergeljenben unb uad)f)al tigeren Gin
flu & ausgeübt, atd 03ütbe. 6r öoHenbete bie ^Befreiung ber beut«
fdjen Sßoefie öon ttnflffirlidjem ©efe$e3jmange unb ifyre 3urücfffif)s
rung jur 9tatur unb 2BafjrI)eit unb erfdtfofj berfelben, inbem er fte
mit bem fieben oerflodjt, eine unerfdjöpflid)e Cuefle be3 mannig«
faltigften Stoffe*. SBenn aud) nid)t alle feine $>idjtungen feiner
roürbig finb, fo bat er bod) in allen Gattungen ber $id)tfiinft
9Jcuftergi(tige3 gefrfjaffen: im einfachen ßiebe mie in ber erhabenen,
fdjmungöollen Dbe, in ber Plegie, ber Stoman^e unb ber Söallabe
tüte im Epigramm unb in ber ©atire , in ber ®omöbie mie in
ber Xragöbte, im (Spoä mie im Romane. 2)a6et trägt jebe feiner
$id)tungen ein inbimbueHeS (Gepräge, in golge rein objeftioer 91uf*
faffung unb Jöefmnblung be8 ©toffs. Slber nidjt mitten im ©türme
ber fieibenfdjaft, nid)t in ber unruhigen (Srregtfyeit be£ klugen*
Miete fdmf er bie fünftlerifd)e gorm für bie Um brängenben ©e*
füfjle; ba^er bie plaftifdje SRulje, bie Weitere, befriebigenbe £>ar=
monie ber gorm unb be* 3nfjaiie3, bie feinen $idjtungeu einen fo
Ijofjen SRetj oerleifjen.
2)er glanjootten ßidjtfeite ber ©ötlje'id)en 9Jcufe fefjlt jcbo<§ bie
©djattenfeite nid>t. $er Naturalismus, in meinem @ött)c'd <£l)ri*
ftengtaube untergegangen, mar für ifm nict)t nur baS $>öd)fte, fon*
bem (Eines unb 2ÜIeS. „$aS Sebcn ber «ölfer", fagt ßinbemann,
„muffte er md)t in ben redeten 3ufammenf)ang ju bringen ; öon
SBaterlanb&Iiebe ift faum eine ©pur; bad ^olitifc^e ^ielt er fid),
tote fein eigener üorneljmer 3ludbrud lautet, ,oom ßeibe'; #älte
unb ÜKi^trauen fe^te er ber begeifterten (£rf)cbung ber beutje^en
Nation entgegen. 5)er religiöfe 3ug fanb in btejer ©eele feine an«
41*
Digitized by
644 $ie beutfcbe fitterahrr im ncfftjefmten Sahrfmnbert.
flingenbe Seite; bic gürfttn ®alifein ocrmoc^tc fein naturaliftifdjea
(£rebo nicht ju erfchüttern: glcichgtltig nat)m er ihren SlbfcfnebS*
Wunfch f)in, ihn, wo nicht fner, boch bort mieberaufehen. $ie eige*
nen ©lauben3genoffen waren nach biefer Seite f)in ohne aflen (£tn=
fluß auf ilm. (Sine 9caturreligion r)atte bereit« ber &nabe für ben
#au$bebarf fich entworfen; fpäterc 3aln*e führten fogar jur ent=
fduebenen geinbfehaft gegen ba3 S^riftent^um 1).m
griebridj ©filier (im 3a^re 1802 öon bem $er$og öon
SSeimar in ben Slbelaftanb erhoben), ber mit @Jött)e um ben t)ö*
fjern fßrett ber beutfehen Sprache uub SHchtung ringen foüte, war
am 11. Wooember 1759 ju SKarbach geboren. 3)er Stellung fei*
ne3 $ater$, eine« Württembergifchen $auptmann3, oerbanfte er feine
Aufnahme in bie fpäter unter bem tarnen „$arl3fchule" $u einer
Slfabemie erweiterte unb nach Stuttgart »erlegte Wttitärfc^utc auf
bem Schlöffe ©olitube, wo er Anfangs bie fechte, bann SKebijin
ftubierte. Wach beftanbenem ©ramen Würbe er im Safjre 1780 als
«Wiütärarjt angeftellt. ©chon auf ber Startäfdjule, wo bie Strenge
ber XtSciplm feinen Dppofitiondgeift , unb etngcfämuggeite fieftüre,
befonberä ber ©öfc bon Söerlichingen, feine ^egcifteruug für baS
Ityattx werfte , hatte er feine „SHäuber" gebietet , bie im Saljre
1783 in 9flannt)ctm jur Aufführung famen. $a er biefer SöorfteU
lung ohne Urlaub beigewohnt, erhielt er einen meraehntägigen Sir*
reft unb mürbe aujjerbem mit Seftungör)aft bebroht, falls er noef)
etwas fct)rcibcn werbe, was nicht in fein gach gehöre, $teS bewog
ihn, fetner £>eimath ben Ütürfeu ju menbeu. (Sr entfloh nach SJcann-
heim unb öon bort nach Fauerbach bei 9)ceiningen, einem ©ute
ber grau oon SBoljogen, mo er freunbüd) aufgenommen mürbe.
4>ier ooüenbete er ben „gieSco" unb „Kabale unb Siebe", jmei
Xragöbicn, in benen noch, mie in ben „Stäubern", bie regellos auf*
ftrebenbe Sraft unb bie auSfchmeifenbe ©mpfinbung in üielfa^en
Uebertreibungen unb ilnwahrfcheinlichfeiten $u Xage treten.
3m 3at)rc 1783 erhielt ©etiler in aHannheim bie Stelle
eineä StjeaterbidjterS ; ba Lt)m jebod) fein bortiger Aufenthalt burch
mancherlei llnannel)mlic^feiten herleitet mürbe, fiebelte er im 3ahre
1785, ber ©inlabung mehrerer greunbe folgenb, bie feine SBerfe
ihm gewonnen hatten, nach Seidig unb öon bort nach Bresben über.
3n bem nahegelegenen $orfe ttofchmifc, auf bem ©ute feine» greunbeS
Börner, beS iBatcr^ Stjeobor ftörnerS, oollenbete er feine bereit*
in 2)fannt)eim begonnene Xragöbie „$on IfarloS", in welcher er
ben geiftig wie forderlich üerfommenen ©ofm ^ßt)ilippd II. jum
Xräger be» eigenen politifdjen unb religtöfen SiiberaliSmud machte.
1) (£inc meif Jerhof te, auf ben ciugehenbften Cuellenftubicn beruhenbe ©io^
grnpt>ic unb G^arafteriftif ööthe'« gibt Baumgartner, ©öthe, ©etn iJebcii
unb feine Söerfe. 3 ©Änbe. greiburg 1885.
Digitized by Google
SMe beutfcfa fiitercttur im ad)t$elmten $af)n)unbert.
645
3m 3af)re 1787 lernte er auf einer föeife nadj Söeimar Sperber
unb SBielanb unb im folgenben 3a&re bei einem ©efudje in 9tu*
bolftabt O&ötye fennen, auf beffen SBeranlaffung er im 3af)re 1789
außerorbentlidjer <ßrofeffor in ber p^itofopf» ifd&en gafultät ju Qena
mürbe. #ier befdjäfttgte er fia? faft auSfd&ließlid) mit bem Stubium
ber ®efc|idjte unb ber $f)ilofopf)ie, bie fortan bie beiben fieitfterne
für fein bidjterifdje« Staffen würben, unb fdjrieb auger mehreren
Heineren, burdj l)olje gormüollenbung fjerüorragenben, aber $um
Xfy'il ganj bon f)eibnifd)en Slnfdjauungen burdjbrungenen bibaftifa>
refleftirenben ©ebbten („9iefignation\ „bie ©ötter GJriedjenlanbä",
„bie ^ünftler" u. a.), feine beiben, bur$ unleugbare öorjüge in
ber £arftellung beftedjenben, aber nad) feinem eigenen ÖJeftänbniß
(f. öb. V. <3. 521) üoUftänbig un$uöerläfftgeu <&efdndjtämerfe, ben
„Sfbfall ber ftieberlanbe" unb ben „breißigjäljrtgen ®rieg" , foroie
feinen unöoüenbeten Vornan „ber (SJeifterfe^er".
35ie reidjfte unb Ijcrrlidjfte Dtdjterperiobe ©c^UIcrd beginnt mit
feinem im 3a^re 1794 mit ®ötl)e gefdjloffenen Sreuubföaftäbunb,
ber einige Qafyre fpäter, 1799, feine Ueberficblung nad) SBeimar jur
5oIge ljatte. 3n SSeimar fdjuf ©djifler außer feinen fdjönften lürifa>
bibaftifdjen 2)idjtungen (bie „©loaV, ber „Spaziergang" u. a.),
Söaßaben unb föomanaen („föubolf öon $>ab3burg", „ber $ampf mit
bem 2)radjen", „ber ÖJang nad) bem @ifenf)ammer" bie alle ein
burdmuS d)riftlidje3, fpejietl fatfjolifdjeä (Gepräge tragen, „bie ®rauid)e
beö 3bt)fu3" u. a.), feine öoüenbetften, unübertroffenen bramatifdjen
$idjtungen: bie SBaHenftein-Xrilogie — „2ßallenfiein3 £ager", „bie
beiben $iccolomtni" unb „SBaüenfteinS Job" — (1799), feine groß-
artige ©djöpfung: „Üttaria Stuart" (1800), in melier ber $)id)ter
bie fdjönften unb ergretfenbften ©teilen au$ ber $oefie beä $atfjolici$*
muä fliefjt ; „bie Qungfrau r»on Orleans" (1801), roorin er ber £>elbin
3ranfreid)3 bie Glorie jurütfgtbt, bie ber fridole Voltaire ihr ju ent-
reißen gefudjt; „bie iöraut r»on TOeffina" (1803), eine Xragöbie, in
roeldjer Schiller ben verfehlten Söerfud) madjte, bie antife 2d)tcf jaUtbee
unb mit berfelben ben altgrtedjifdjen (£f)or in bie Sragöbie roieber
emjufüfjren, in ben ljerrlidjcu G^orgefängen jebodj ftdj $u bem ^pöa^ften
unb Qtbelften in ber refleftirenben Surtf emporgefdjnmngen fjat, unb
„SBtüjelm SelT' (1804), ©dnllerS ©djtoanengefang, mortn erbieQbee
ber 3frctr)ett, für roeldje er fett fetner frü^eften 3ugenb geglüht, in
ber rennten unb objeftioften SBcifc barfteflt unb bad üon ifjrn uie
gcfefjeue <5d)n)ei$erlanb mit einer Xreue unb Sebenbigfeit fdnlbert,
baß, roie ©djroab fagt, 3eber, toeldjer ben „$efl" früher, alä er in
ber Sdjinei} mar, gelefen Ii a t , roemt er nun biefe ©egenben fielit, fie
fdjon einmal im üerflärenben Iva um geflaut $u haben meint.
2ln ber JßoHenbung einer weiteren Iragöbie, für roelc^e er
baä tragifa^e ©cfa^td be^ ruffifc^cn ^ronpratenbenten Demetrius
Digitized by
646
$ie beutfdfc fiitcratur im ödjtjefmten 3af>rf)imbett.
jum ©egenftanbe gemäht, würbe ©djiller burdj feinen frühen Xob
oerfunbert. ©on einer ^Reifc nad) ©erlin, wo ifjn #önig Srieb*
rid) 2Büf>elm III. vergeben» jurüdjufjalten fudjte, fränfelnb nadj
SBeimar jurücfgefefjrt, fiedjte er rafd) bafnn unb ftarb am 9. 9Wai
1805, im Hilter oon fedjSunbbterjig Sauren.
„©djifler", fagt Sinbemamt, „ift oor ©ötlje ein Siebting ber
Nation, öor 5111cm ber SteMing ber 3ugenb unb ber grauenmelt
geworben. 3n ber fdjwungfjaften, fdnflernben $rad)t ber 5>arfte(*
lung l)abcn Utadmfjmer ifm ju erreichen gefugt ; mehr als ba*
mußte bie $ofjeit, ber Slbcl feine* SBefenS feffeln, bie feine SBerfe
über bie ©ötf>e'S fteden. 3n feine religiöfe ©efinnung bürfen mir
nur einen fd)üd)ternen ©lief werfen: er fud)te ein (Sljriftentfjum
of)ne (Sfjriftufc ; ba« äftfjettfdj ©diöne , ba& er in bie Legion be£
etf)i}d) ©uten erfjob, mar feine Religion, mit ber er fein ©olf Bit*
ben unb ergeben wollte. $ie lefeten Lebensjahre jetgen ben gort*
fdjritt, baß er baneben bie ©ebeutung ber pofitioen Religion er*
fannte, jum ©erftänbniß ber djriftlidjen ©ergangenfjeit borbrang,
eine fittliaj^riftlia^e SBettanfdjauung in feinen SSerfen ausprägte
unb bafjer gewiß aud) wo^I im 3"wem djriftlidje Hnflänge oernaljm.
SBie weit fein ftrebenber ©eift auf biefer ©af)n gelangte, baS Uegt nur
öor ben Wugen beä OTmiffcnben offen; oon einer ,(Sonöerfionl beS
$td)ter3 fpre^en unb ifjm feit 1792 ,feiner innerften Neigung, ©e=
ftnnung unb ©eftimmung nadj als (Styrift unb ßattiolif4 ^inftetten, baS
Reifet boaj ben ©riefen unb 2leußerungen ©duflerS miberfpredjen."
©on ber großen Qaty oereinaclter Srtd&ter, bie fid) in ber
jweiten #ätfte beä aa^tje^nten 3al>rf)unbert3 auf ben oerfdnebenen
©ebicten ber $oefte öcrfudjten unb tfjetls nod) ber früheren ©e*
fd)tnacf3rid)tung ^ulbigten, tf)eil& fid> mit einer äußeren s:ftaa>
a^mung ©ötfje'S unb ©dnHerS begnügten, feien t)tcr nur nod) furj
erwähnt: ber elfäffifaje gabelbic^ter $feffel (1736-1800); ber
geniale, aber üerfommene Lörifer ©d)ubart (1739-1794), ber
feine s2luSfd)weifungen mit ^einjähriger ftrenger |>aft auf bem
©d)loffe £ot)enaaperg büßen mußte ; ber gewanbte, aber aüju ele*
gifdje SKaturmaler 9}Utt^iffon (1761 — 1831) unb fein ©elfte**
Oerwanbtcr Sali* (1762—1834); ber rl)ctorif*e Siebge
(1752—1841), ber ©erfaffer beä oielbewunberten, einer pofitiö
djriftiiajcn ©runblage jebodj entbetyrenbeu £cf)rgebid)te$ „Urania" ;
ber fenttmentate 3bt)flenbid>ter £o fegarten (1758—1818); ber
bramatifdje $itf)ter Sffianb (1739—1814), beffen nur auf föü>
rung beregnete ©d>aufpiele ihren ©toff bem bürgerten Leben
entnehmen, unb ber frioolc Luftfptelbichter ftofcebue, ber, 1761
in SBeimar geboren, nad) einem oielbcwegtcn Leben im 3ah™ 1819
511 ^Naunheim oon einem fd)Wärmerifd)en ©urfa^enfa^aftler, bem
Äanbibaten ber Ideologie Sari 6anb, ermorbet Würbe.
Digitized by Google
2)te beutfdje fitteratur im ad&t$e^ntcn $al)rf)unbert.
647
Auf bcm ©ebiete bcr beutfdjen $rofa , bic burch ßeffing,
©ötfje unb £erber $u ihrer ^öc^ftcn Stoflenbung geführt nmrbe,
ragt befonberS bcr um bic Verbreitung eine* richtigeren Verftänb*
niffeS ber antifen #unft hochtoerbiente 3oljann 3oad)im SB i n l e U
mann ^eröor. ©eboren 1717 511 ©tenbal in ber AIrmarf als ber
©ofm eines armen ©chuhmadjerS, ^atte er nur unter ftetem ßampf
mit Langel unb Entbehrungen aller Art $u §atte unb Qena bie
©tubien machen fönnen, $u benen fein S&iffenSburft ü)n brängte.
©ettbem er Gelegenheit gehabt, in DreSben bie reichen, bort ange-
fammelten ^unfrfc^a^e beä AlterthumS burd) eigene Anfdjauung
fennen ju lernen, mar jein fjeifeefter SBunfd), in SRom bie Äunft
ber Alten ju ftubieren ; biefer 2Bunfch ging jebodj erft im 3al)re
1754 naa) feinem Uebertritt $ur fatholifdjen Kirche in Erfüllung.
*Rad) einem bierjehnjährigen jehr glütflichen unb für feinen Smed
im reichten äflaße ausgebeuteten Aufenthalt $u föom, beffen Ergebnis,
außer mehreren Abhanblungen über einzelne gragen ber Äunft,
feine berühmte „©efdnchte ber Shmft beS Altertums" mar, moUte
er im 3af}re 1768 fein Vaterlanb noch einmal befugen ; bod> fchon
in lürol trieb ihn eine untoiberftehüche ©ehnfucht nach bem ©ü*
ben äurücf. Er reifte über SBien, mo er üon ber ßaiferin Sütaria
Xherefia aufs £>ulbt>ollfte empfangen unb reich befchenft mürbe,
nach $neft, um fich bort nach Ancona ein$ufchiffen. Allein er fam
nicht meiter: am 8. 3uni 1768 erlag er bem 3Rorbftahl eines
nach Hnen äunftfchäfceu unb ©olbmünjen lüfternen QtalienerS, ber
mit ihm in bem gleichen ©afihofe mofmte. lieber SBinfelmannS
blühenben, eleganten ©til fagt ©öthe: „$ie flaffifche SBürbc, bie
großartige 9iuhe ocrlaffen ihn im ()öc^ften ©chrounge ber Söegeifte*
rung nicht; mährenb feine ©ebanfen wie bie fchmerrouchtigen ©uieße
ber ^omerifchen gelben anbringen, treten fte bennoch ttar unb
fdjarf gefchnitten tytbox, mie bie giguren auf ben gried)ifchen
©emmen."
Unter ben ©efchid)tfchreibern beS achtzehnten SahrhunbertS
nimmt unftreitig S^h^nneS oon SRütler (geb. 1752 in©chaff*
häufen, geft. 1809 in Gaffel), ber fich °en $acituS jum üKufter
nahm , jeboch auch $crobot unb ^^ufrjbibud , fonne bie alten
©chn)eijer*(£hronifen auf fich einnrirfen lieg , bie erfte ©teile ein.
— Als UReifebefchr eiber oerbient Ermahnung ©eorg 5 0 r ft e r (geb.
1754 in Dftyreußen, geft. 1794 in SßariS, mohin ihn feine glü*
henbe SBegeifterung für repubiitanifche 3°*cn geführt), ber als acht*
zehnjähriger Qüngling ben englifchen Kapitän Eoof auf feiner 8fteife
um bie SBelt begleitet hatte, ©eine ©a)ilberung biefer Steife jeich*
net fich Durd) cinc geiftreiche, anfehauliche unb förnige SJarftettungS*
meife aus.
Auf bem ©ebiete ber bibaftifdjen $rofa finb als Nachfolget
Digitized b^j(
Sd)ti*ben unter ©uftaü III.
fieffing« jii ermähnen : bcr 93udjf)änMer (Sl)riftopl) Sriebridj SR i c o*
lai (1733—1811), bcr burd) feine bie gefammte ^riftU^e SBelt*
anfdmuung befämpfenbe „Allgemeine ©ibliotfjef ber frönen SBiffen*
fäaften" bie ©adje ber „«ufflärung* förbern fud)te ; 2H o f e «
SR c n b et if O 1) n (1729—1786), ber feinem Ofreunbe ßef jtng $u beffen
„SRatyan" mandje Büge geboten flauen foß; S^riftian ®aröc
(1742—1798) unb Sodann 3afob ©ngcl (1741—1802), bem e«
nidjt feiten gelang, bem ©tile ßeffing« nalje $u tommen.
SBä^renb 9Henbel«foIjn, ©aröe, (Sngel u. H. bie ^t)iIofopr)ic
burd* populäre £>arftellungen bem größeren <ßublifum pgängltcr)
ju machen fugten, führte ber König«berger <ßrofeffor Immanuel
Kant (1724—1804) fie mieber jur ftrengften ©iffenfdjaftlidjfeit
jurücf. Kant« pfulofopfjifdje« ©tjftem, bie fogenannte „fritifdje s£f)i=
lofopfjie", beruht auf bem ©ebanfen, ba& bie menfd)lidje Vernunft
jmar $ur (Srfenntnifj be« Ueberfumliajen unfähig fei, aber burcr)
ba« in ir)r fetbft fid) berfünbigenbe ©ebot ber $fü$t 5«nt GJlau*
ben an (Sott, Xugenb unb Unfterblidtfeit genötigt roerbe. $er
Glaube ftü^t fteft nad) Kant nierjt auf bie göttliche Offenbarung,
fonbern auf bie gorberung bcr „praftifdjen Vernunft", b. Ij. be«
©euriffen«, au« bem ftdj fein ganzer Qn^alt enttotrfeln Iaffe. $a«
Gf)riftentl)um ließen bie Anhänger ber Kanrifdjen ^Inlofopfne, bic
balb, toeil bem 3eitgeifte ganj entfpredjenb, bie ööUige Dbmadjt ju
erlangen fdnen, nur infofern gelten , al« e« burd) ben aufgef lärten
3eitgeift ju öerooflfommnen fei.
XXXVII.
weben nutet Quftav III.
(1771—1792.)
©uftabä III. StaatSurawaljung.
(1772.)
311« ber oon ben fdjmebifdjen ©tänben im ©inöernefjmen mit
ber (£jarin (Eltfabetfj jum SRadjfolger be« finberlofen König« grieb*
ridj I. beftimmte Jperjog Slbolf griebrict) oon #olftein*(3Jottorp
im Qafjre 1751 ben fdjtoebifdjen Xfyron beftieg (f. S. 284), mar
ba« Königtum bereit« jum blo§en ©djatten fjerabgefunten ; bennod)
fudjte ber in bie Parteien ber 9ttu$en unb |>üte gefpaltene, in fei=
ner $>errf(f)fud)t aber einige Slbel, ber alle ©eroalt an fid) geriffen fyatte,
bie 9ted)te ber Krone nodj mefyr ju befd)ranfen. Söci feinem jRegie»
rung«antritt mußte ber neue König nidjt nur eine SBerfidjerung«afte
Digitized by Google
©uftöü« III. (BtoatSumwälaimg. 649
über bic Unoerlefclichfeit bcr beftefjenben Sßerfaffung unterzeichnen,
fonbern auch ba* feierliche SSerfpredjeit geben, bafi er bie föeict}**
ftänbe ihre* ihm geleifteten ©ibe* für entbunben halten merbe, roenn
er jemal* gegen biefe föntgltdje Serfte^erung ober gegen irgenb ein
Don ben 9teich*ftänben erlaffene* ober noch $u erlaffenbe* ©efefc
hanbeln follte. <£* erfolgte nun eine SReihe neuer (Sefefee, bie bem
ftönig ben legten SReft oon üttacht unb Slnfehen raubten ; — Der*
fügte boef} eine« berfelben, bog in allen 9tegierung*erfaffen ber
Sßame be* £önig* burd) einen Stempel beigelegt werben fotte, wenn
bie Unterfchrift auf atoeimatige* Slnfuchen be* 9teid)*rath* nicht er*
folge, ©elbft in bie Angelegenheiten be* föniglichen $aufe* griffen
ber Slbel unb bie ©täube entfd)eibenb ein. (Sin SBerfuch ber öon
ben £>üten unterbrueften Sflü&en, ber föniglichen (SJemaft mieber
etma* aufhelfen, fdjeiterte an ber Unentfchloffenheit be* ftönig*
unb biente nur ba$u, bie 9flacht ber §üte $u befeftigen, inbem bie*
felben bie Einrichtung ber §aupturheber ber $8erfcr)mörung, be*
©aron* #orn unb be* trafen ©rahe, burchfefcten. $ie SRifjerfolge
ber fchtt>ebifchen SBaffen im fiebenjährigen Kriege, in melden ©chme*
ben burch bie $üte r)ineingerif(en morben, öerfcr)affte jtoar ben
9Jcüfcen mieber ba* Uebergeroicht ; be* Königs Sage mürbe jeboct)
baburdj in feiner SBeife öerbeffert, ba berfelbe nun mieber oon bie*
fer Partei töraunifirt mürbe.
Um auf bem 9Reich*tag eine SSeränber uug ber Sßerfaffung burch5
jufe(jen, forberte ber $önig im Qahre 1768, im (rmoernehmen mit
ben $üten, bie «Sufamnttn&^ufung oe* 9teich*ftänbe. $er SReid)**
rath roiberfetjte fich jtoar biefer Sorberung, gab jeboct), au* gurdjt
oor einem $Bolf*aufftanbe, nach, als ber $önig burch bie lieber*
legung ber Regierung alle SBehörben be* Sanbe* außer Xfjätig*
feit fefcte.
i>er auf ben 26. 2lpril 1769 nact) 9corföping jufammenbe=
rufene fReicr)ötag jog ben 9teich*rath megen feine* Verhalten* jur
Söerantmortung, unb bie meiften SDcitglieber berfelben mürben it)rer
©teilen oerluftig erflärt; nicht*beftomeniger fielen bie beabficr)tigten
93erfaffnng*änberungen buret), unb ber Sfteich*tag trennte fich mit
ber (Srttärung, bafi jebe Neuerung unjmecfmögtg fei.
2Ba* ber Äcmtg 5lbolf fjriebrict) nicht t)atte erreichen fönnen,
follte feinem ©oljn unb Nachfolger ®uftao III. gelingen, unb jmar
burch ba* fühne Littel einer oon bem Zf)xom felbft ausgegangenen
9teöolution.
© u ft a o III. , ein geiftreidjer , fcharf61icfenber unb füfjncr
3ürft, ber mit einer eblen Haltung eine ^er^gen^innertbe Sieben**
tuürbigfeit Oerbanb, hotte al* ^ronprinj ben Abel über feine $Be=
thciligung an ben Öeftrebungen feine* iöater* jur 2öiebert)erfteHung
ber föniglichen ©elbftftänbigfeit burch fcheinbare ©teichgiltigfeit gegen
Digitized by
G50
(Schweben unter ©uftat? III.
ade (Staatsangelegenheiten $u tauften gewußt. (£r war eben auf
einer föetfe nach granfretch begriffen, al« ber %o\> feine« SBater«
it>n im 3at)re 1771 auf ben fchwebifchen Xtjron betief. S)ie unbefchränfte
Äönig«gewalt , bie er am £ofe $u Verfaule« fennen gelernt t)attcr
mußte ilm bie tiefe |>crabwürbigung ber fchwebifchen ^rone nur um
fo fchmeralichcr empftnben laffen, unb ba ber Sftinifter ^oifeul, ber
im Sntereffe 3ranfreich« bie #erfteHung eine« abfoluten ftönigthum«
in Schweben wünfehte , ihm ju berfelben feine Unterftüfcung burch
#ilf«gelber jufagte, trat er bie ffiücfreife in feine £eimath mit bem
feften ©ntfehluffe anr Alle« an bie Ausführung feine« fülmen $la-
ne« ju fefcen.
Um ba« fäwebifche Volf für fein Unternehmen $u gewinnen,
bewie« GJuftaö gegen ba«felbe eine nie gefebeue Seutfeligfcit , wobei
i^m ber Umftanb trefflich ju Statten fam, baß er be« Sdjmebifchen,
ba« bie beiben legten Könige nicht oerftanben hatten , al« feiner
aJcutterfprache öottfommen mächtig mar, h)ie er fich überhaupt mit
groger ßeichtigfeit unb ©emanbtheit au«pbrücfen mußte. $iefe ©abe
ber Verebtfamfeit beutete er befonber« ben fchwebifchen Stänben
gegenüber mit großem ®efchtcfe au«. $cn erften 9fteich«tag eröffnete
er mit einer föebe, in Welcher er erflärte, er ftnbc feine ©hre barin,
ber erfte Bürger eine« freien Staate* ju fein. fcabei berftanb er
e« meifterhaft, feine Slbficfjten unter ber 2Ka«fe ber größten Unbe-
fangenheit $u oerbetgen unb ben Abel burch ben Schein einer abfo*
luten ©utheißung ber beftehenben Suftänbe ftcher ju machen. $11«
man ihm bie Afte, burch welche ihm bie gleichen Verpflichtungen
unb 3«faQcn auferlegt würben, Wie feinem Vater bei beffen 9tegie-
rung«antritt, jur Unterzeichnung üorlegte , unterfdjrieb er fie, ohne
fie gelefen ju hn&en, mit ber Vemerfung : man werbe ftcher bei ber
Abfaffung berfelben nur ba« Vefte be« Staate« im Auge gehabt
haben. Sein SBunfdj, in ber (£bene üon Upfala, bei ben 9Jloraftei=
nen , an ber Söahl* unb $rönung«ftättc ber alten 9cationalfönige
Schweben«, bie ®rone ju empfangen, fanb feine Verücffichtigung,
weil bie Artftofratie baoon einen ihre 3ntcrcffen gefährbenben (£tn*
bruef auf ba« fchwebifchc Volf befürchtete; bagegen würbe ©uftao«
Krönung ju Stocffjolm mit ungewöhnlicher bracht Donogen.
Stach bem Empfang ber$rone begab fich ©uftaü, unbekümmert
um bie noch fortbauernben Verathungen be« 9teich«tag«, auf feinen
ßanbfifc (Jeff) olmf unb , wo er nur ber Pflege ber fchönen fünfte §u
leben fchien. Unterbeffen waren mehrere oon ihm au«gefanbte $er=
fönen eifrig bemüht, in ben oerfdnebenen ^ßrooinjen Schweben«
unter bem Volfe Unjufriebenheit über bie beftehenbe Verfaffung ju
erregen, inbem fie eine im Sanbe herrfchenbe Neuerung ber fchlech1
ten Verwaltung jur Saft legten. 9ttehr jeboch noch, al« burch biefe
Aufreizungen, würben ©uftao« Sßläne burch oie fortbauembe Svoit*
Digitized by Google
(33uftaod III. StaatSumroälgung.
651
txaty jwifchen bcn aRüfcen unb bcn #üten geförbert , bic cinanber
auf betn ^Reichstage in einem erbitterten ffampfe ba3 Uebergemicht
ftreitig machten, bi« fich fcftlicglic^ bie unterliegenben .püte in ihrem
Unmuts über ben (Sieg ber 2Rüfcen, ber fte alles (£influffe& beraubte,
jum größten %f)tik auä bem Reichstage jurürfgogen.
Unterbeffen hatte ber für ©uftaöä $läne gewonnene Dberft
©prengporten über hunbertfünfeig Offiziere öon ber Söefafrung ber
^auptftabt auf bie ©eite beS Königs gejogen, wäfjrenb (SuftaöS
beibe ©rfiber ßarl unb griebrich in ben <ßroöin$en ©choonen unb
©othlanb , $u bereu Statthalter fie ernannt würben, für ben glei*
d)cn QtDtd erfolgreich thätig waren. 9cad)bem TOeS genügenb öor*
bereitet war, erhob ber bem Äönig warm ergebene Hauptmann §tU
lidnuS, ftommanbant ber gfefrung <£r)riftianftabt, ber ihm jugetheil*
ten Wollt gemäß, am 12. Huguft 1772 bie gafme beä SlufruhrS,
inbem er ein 3J?anifcft gegen bie Anmaßungen ber Slriftofratie erlieg
unb ben ©tauben ben ÖJehorfam fünbigte. Daburdj erhielt ber Sßrinj
ftarl einen JBorWanb jur 3ufammen$iehung öon Gruppen, mit wel*
djen er, angeblich jur ©tiflung beS aufgebrochenen 2lufftanbe8, ge=
gen GShnftianftabt aufbrach.
biefe Vorgänge in ©toefhotm befannt mürben, fchöpfte bie
herrfchenbe Partei fogleich Serbacht; ber $önig mußte jeboch, trofe
feiner leicht begreiflichen Aufregung, ben ©djetn ber Unbefangenheit
fo gut ju mahren, baß fte ihm nichts anhaben tonnte. Xcm trafen
Stibbtng, ber ihm bei einem 5(benbeffen bie 93emerfung machte : e$
fei auffaHenb, baß ber Wachthabenbe Dffijier am Zfyoxt ju (Etyrifttan*
ftabt auSgefagt habe, eä gefchehe SUIeS auf föniglichen 33efet)l, ant-
wortete er, ohne burch ben fdwrf beobachtenben ©lief beä ©rafen
auf ber Söffung gebracht ju werben : ,,©ic irren ; nach bem ^Berichte
an ben SReichärath, ben ich fclbft gefefen, mar es bie ©djilbwache
unb nicht ber Offizier." $a feine 9ttacht fo befchränft war, baß er
nicht einmal einem ©arberegiment nach feinem SBiöen 23efel)le erthei*
len fonnte, ^ielt er eS für nöthig, fid) um bie ©unft ber bewaff*
neten SÖürgerfchaft ju bewerben , unb jog ju biefem (£nbe mit ben
öon bem SReichSrathe angeorbneten ©treifroachen burch °ic ©traßen
öon ©tocfholm, währenb mehrere feiner Vertrauten mit ber ©arbe
unb ber Artillerie Unterhanblungen anfnüpften.
3njwifcheu hotte ber noch immer mißtrauifche SReichäratfj $rup=
peu nach ber ^auptftabt beorbert unb bem ^ringen ®arl ben ©efet)l
jugefjen laffen , bie öon ihm gufammengejogenen ©chaareu einem
anberen ^Befehlshaber $u übergeben : ber Üönig fah fid) alfo in bie
Sßothwenbigteit üerfefct, fofort ju hobeln, wenn nicht baS gange
Unternehmen fcheitem follte. AIS er am borgen beS 19. Auguft
nad) einer in banger ©orge burdjwachten Vlaty in ben öcrfammel*
ten 9teid>^ratt) trat, würbe er aufgeforbert , einen ©rief oorjulefen,
Digitized by
652
Sd)iocbcn unter ©uftaü III
ben er mätjrenb ber 9Ja*t üon feinem ©ruber erhalten Ijatte, unb als er
bie* at* ein ungcbüljrli*e* Verlangen üertoeigerte, fpra*en einige
ber 9ki**ratbe öon ber ftotlnoenbigfeit, ft* feiner Sßerfon fß Oer*
fiesem. 3n toirflic^em ober oerftelltem 3orne bie $anb an ben
$egen fegenb, oeriieß er fofort bie ©erfammlung. 9ta*bem er $u*
näc^ft an bie üor bem Seug^aufe aufgeteilte (SJarbe, bereu Offiziere
$um größten Steile für *n gewonnen waren, eine freunbli*e Hn=
fpra*e gehalten unb eine 2lb*eilung berfelben abgeorbnet, um bie
föei**rätf)e in ifjrem ©ifcung*faale feftjubalten , begab er fi* mit
mehreren Offizieren feine* Hnljang* na* bem 6*loffe, mo ft*
unterbeffen fotuo^I bie aufeief>enbe al* bie abaiefjenbe 2Ba*e Oer*
fammelt ^attc f berief bie anmefenben Offiziere in bie 2Ba*tftube
unb enthüllte *nen in begeifternben ©orten fein ©orbaben, bie au*
frembem ©olbe gef*mtebcten Letten $u brechen, mit benen ba* ©ater*
tanb gefnc*tet morben, unb bie uralte, gefefcmäßige greüjeit be*
tönigret** ^aufteilen. Huf feine grage, ob er hierbei auf ifjrc
linterftüfcung jäblen fönne, erf*olI oon allen ©eiten ein freubige*
3a. ÖJuftao banb herauf ein meiße* Xu* um feinen Mrm unb for*
berte 3eben, ber mit ifjm fein tooöe, auf, ba* <$Hei*e ju tfjun,
bamit alle feine ganger ft* an biefem 3ei*en erfennen möchten.
SBie bie Offiziere, fo erflärten fi* au* bie ©olbaten bereit, für ünt
ju fterben, unb ba* «olf, ba* auf bie abfi*tli* oerbrettete falf*e
$a*ri*t, ber ßönig fei gefangen, in großen ©paaren fjerbeige*
ftrömt mar, ftimmte in ba* freubige 3au*jen ein. 9to* größer
mürbe bie ©egeiftcrung , als (SJufiao, ber jeben zufälligen Umftanb
&u bemtfcen mußte, ausrief: „©ein;, meine greunbe, e* mef>t oon
Horben ! @in gute* Rieben . ^enn berfelbe Söinb blie*, al* (Uuftao
SBafa mit feinen Xb^männern aufbra*, um ba* fianb oon feiner
3ttHngf)errf*aft $u befreien!"
©ergeben* bot ber (Souocrneur oon ©tocfljolm, ber (General
föubbecf, Me* auf, um bie Xruppen mieber auf bie ©eitc be*
9tei**ratl)e* ju gießen, inbem er ba* Unternehmen be* ®önig* al*
ein Attentat auf bie greifjeit be* ßanbe* bezeichnete : (Buftao , ber
mit bem Xegen in ber £>anb bie Straßen bur*ritt , fanb größeren
(SJlaubcn für feine ©erfi*erung , baß er fi* erhoben habe , um bie
gre*ett be* ©aterlanbe* ju retten. $)a* SBolf brangte fi* jubetnb
um ü)ii unb ictmmr ihm Irene unb ©ehorfam. Hu* bie auf ba*
Storkau* ^ufammenberufene ©tabtobrigfett leiftete ohne SBiberfpru*
ben oerlangten (£ib. $)a* ($let*e ge[*at) oon leiten ber Slbmtra*
lität auf bem ©*iff*t)olnt. $ie beiben bur* ben SRei**ratf) na*
2tocft)oim beorberten ^Bataillone Uplanb unb ©übermanlanb , bie
bereit* bi* in bie 9täl)e ber Stabt gefommen maren, erhielten ©efefjl
zur llmfe^r, mährenb ihr Tvüljrer, ber bem 9tei**ratf) ganz ergebene
Oberftlieutenant (Seberftröm, in bie ^auptftabt berufen mürbe. $>a
Digitized by Google
©uftauS III. ©taatSunUüäljung.
653
bic Kunbe öon bcn Vorgängen in Stocffjotm noch nicht $u ihm ge*
brungen mar, Iciftctc er ofjne Söebenfen bem erhaltenen S8cfct)Ic golge.
©leid) ihm mürben öerfchiebenc anbere ^erfonen, bie $um ÜRachtheil
beS Königs Rotten mirfen fönnen , burdj ftrenge Ueberwadmng un*
fdjäblirij gemacht.
9cachbem ber König am folgenben Xage, bem 20. tluguft, bie
^ulbigung aQer Kriegs - unb Staatsbeamten empfangen unb aurf)
bie ©ürgerfchaft ihm bereitwillig bcn (£ib ber Xreue geleiftet fjatte, oer*
fammelte er am 21. bie ©tänbe in bem 9titterr)aufc , um ihnen bic
öon ihm beabfichtigten SßerfaffungSänberungen jur Genehmigung öor-
julegen, wobei er nicht tterfäumte, burch s2lufftellung öon Sftilitär
rings um baS DtitterhauS jebem gemaltfamen SSiberftanb Dorp-
beugen. 3n einer feurigen 9tebe jct)ilbcrtc er bie 9Jä&ftänbe ber
beftehenben SBerfaffung, fowie baS Unheil unb bie ©dunad), meiere
bie bisherigen sJMad)tlmber burch ir)rc geilheit unb iljrc beftänbigen
Swifttgfeiten über baS SReich gebraut Ratten, unb forberte Seben, ber bie
SBahrljeit feiner Söorte bestreiten fönne, auf, t)txt)QX%\xtxtttn unb $u
reben. 5)a &öeS fdmrieg, fchlofj er mit ber S3erfid)erung , bafj er
feinen ©chwur, bie greiheit unb baS Siecht $u fcr)ü^en # niemals
brechen werbe unb bie SBerfaffung nur $u bem Qtotdt ju üeränbern
beabfichtige, bamit bie gügcUofigfeit unb SSiüför in ber Verwaltung
ein (Snbe nehme.
hierauf mürbe baS neue 93erfaffungSgefe|j öorgelefen. $)aSfelbe
ernannte bem König freie Verfügung über bie gefammte Kriegsmacht
ju Waffer unb $u £anbe, über alle Staats* unb Kriegsämter, foroie
baS Stecht ju , grieben unb SBünbniffe ju fchliefcen unb einen SBer*
tfjeibigungSfrieg $u führen, mahrenb ju einem &ngriffsfriege bie
(Einwilligung ber Staube nothmenbig fein foQte. 3)ie SBeratfmngen
beS Reichstags, beffen 3ufammenberufung bem König allein oorbe-
halten blieb, fottten fich auf baS befchränfen, maS ber König bem=
felben öorlegen werbe. $er föeichSratf) rourbe in eine berathenbe
SBehörbe üermaubelt, ber feinerlei GEntfdjeibung juftanb.
jftachbem bie Verfammlung auf bie grage beS Königs , ob fte
biefe SSerfaffung genehmige, mit einem lauten 3a geantwortet, las
iht ©uftao ben auf biefelbe ju leiftenben @ib nor , ber oon Slüen
ohne SBiberfpruch abgelegt mürbe, hierauf jog ©uftao ein ÖJefang*
buch &uS ber Xafche unb intonirte, inbem er feine Krone ablegte,
baS Te Deum, in Weldas bie ganje Jßerfammlung einftimmte.
©benfomenig ©chwierigfeiten, mie in ber £>auptftabt, fanb ber
König für feine ©taatSummäl^ung in ben ^ßromn^en, in welchen
feine trüber baS SBolf unb bie Xruppen auf bie neue, ben Steiften
ganj unbefannte SSerfaffung öereibeten. ©uftao felbft befeftigte bie
bereits über bie ®emüther feiner Untertanen gewonnene ^errfdmft
bura) bie im folgenben SBinter unternommene „föifSgata" — bie
Digitized byjß
654
2cf)tucbcn unter Winten) II I.
altherfömmlidje töunbreife ber fchmebifdjen Könige — , bie er in ber
altväterlichen SBctfc ju ^ferbe machte unb bi« an bic ©renje oon
üRormegen auäbehnte. 933tc fidj bie ganje töeoolution olme SBlutüer*
fließen Donogen Iiatte, fo trübte aud) fein xUft ber Stäche ben er
rungenen Sieg. Uhemanb mürbe tt>egcn ber Vergangenheit jur SRe*
erjenfehaft gebogen, dagegen erhielten diejenigen, bie fictj burd) be*
fonberen öifer für bie Sache bed ÄönigS Ijeroorgethan , bie Der«
bleute Belohnung. Ten Hauptmann $ettidjiuä ernannte ©uftaü jum
Dberften unb öerlieh ihm ben etnenbeu tarnen (V) uft a o 3 f ch 1 1 b ;
ben Dberft Sprengporten erhob er $um Eljef beä ÖtarberegimentS,
beffen fämmtliche Offiziere um $mci Wrabc beförbert mürben, mäh*
renb bie Unteroffiziere denfmünjen unb Zulagen erhielten. Tie
mei&e ötnbe, bie ber Äönig am 19. 9Iuguft jum ErfennungSjeichen
feiner Anhänger beftimmt tjattc, foHte fortan baS fdpoebifdje .\Seered-
jeichen bleiben. Um jebe (Erinnerung an bie Qcit ber Schmach unb
3n)ierraa)t ju tilgen, mürben bie ^ßarteinamen „^üte" unb „SJcüfcen"
auSbrücflich oerboten.
Guftauö III. Staatsocrmaltung.
9cad)bem Ohtftau burch feinen unblutigen Sieg über ben f)errfcf)s
füdjtigen s2lbel bie oode $önig$gemaft ^ergeftedt hatte, geigte er ben
ernften Btifot, bie 3afagen $u erfüllen, mit benen er feine Regierung
angetreten, unb burch eine unparteiifehe ^anbfjabung ber (berechtig*
fett, burch eifrige Sorge für bie allgemeine SSoljlfafjrt unb burch bie
Erhaltung beS Stiebend fein SBolf 511 beglüefen. Tiefem löblichen
Söefrreben entfprangen in feinen erften föegierung&jaljren mehrere
treffliche Einrichtungen. 3" Da* zerrüttete Srinanjmefen mürbe
Orbnung gebracht, burch bie Anlegung oon Kanälen ber Sßerfehr
erleichtert , burch bi* Errichtung oon it raufen-- unb SBaifentjaufern
für bie £>ilfäbebürftigen Sorge getragen unb burch bie Einfefcung
oon öierunbjmanjig üaiibfer)aft^är,^teu eine leichtere unb beffere 93c*
hanblung ber ftranfen ermöglicht. 9ftit bem rühmlichften Eifer
forgte (iuftao für bie ftufbefferung beä ®eri<htsmefen*. die Softer
mürbe abgefdjafft, jeber 9Jiijjbrauch in ber ©erechtigfeitspflege auf
ba3 Schärf ftc geatmier, baö £>ofgericht §u Qönföping einer ftrengen
Unterfuchung unterzogen unb bie Veröffentlichung gerichtlicher #er*
hanblungen burch ben druef geftattet. OJanj bcfonberS lag bem
ftönig bie SBerbefferung ber fiage ginnlanb* am $er$en , ba* er
felbft bereifte, um fich einen genauen Einblicf in bie Sanbeäöcrfaffung
&u oerfchaffen unb beren oieljährigen ©ebrechen abzuhelfen.
So fehr inbeffen auch alle biefe SJcagregeln geeignet maren,
bic SBohlfahrt SchmebenS ju beförbern, 3eigte fich in benfelben
Digitized by Google
©uftab* III. StQQtöüenualtung.
655
fdjon ber $ang be* ßönig* ju Ueberftürjungen. (bleich 3ofept) II.
mollte auch er Srüdjte fet)en, nachbem faum bcr ©ante in ben 93o*
ben geftreut ruorben ; baher fprang auch er Don einer neuen fön«
ridt)tung jur anbem über, ohne ba* ^Begonnene gehörig 511 Snbc ju
führen, unb fo blieb Mieles unöottenbet liegen. $abei trat mehr
unb mehr be* ßönig* Vorliebe für eine glänjenbe Sleußerlichfeit
ju Xage, bie ihn ben inneren SBertt) ober Unmerth ber 5)inge über*
fet)en ließ, ©einen #ang ju äußerem $runf befunbete ba* öon
it)m oeranftaltete glängenbe lumier ju Ecfholmfunb , ju meinem
afle turnierfät)igen SRitter in üofler Lüftung mit ©treitfolben, SBurf*
fmeßen, 5)egen unb *ßiftolen fich einfinben mußten. 2hidfc) ber ©e-
banfe, eine allgemeine fdjnjebifdje 23olf*tracht af* äußere* Seichen
ber inneren (Eintracht einzuführen, entfprang biefer ©efinnung. $iefe
bracht, burd) meldte zugleich ber ^ufcfucht unb 93erfd)it>enbung ge*
fteuert werben foflte, fiel jeboef) fo bühnenmäßig au* , baß fid) bie
©chroeben in berfelben gerabeju lächerlich fanben.
Ungleich größeren &acf)theil, al* biefer öerfehlte Serfuch, brachte
bem fianbe ba* Streben be* k bnigS , ben (Slang be* £ofe* öon
iBerfaifle* nach ©tocf^olm ju berpflangen, inbem ber baju erforber*
lic&e Slufmanb bie Gräfte be* Staatsanwälte* meit überftieg. 2ludj
auf ba* %tyattx oertoanbte (Suftaü mehr (Srnft unb mehr 3ett, als
bie SBfirbe feine* Berufe*, unb mehr Weib, als bie ©taat*einrunfte
erlaubten. SSte fein Dfytim griebrich II. ein begeifterter 93eret)rer
ber frangöfifchen Sprache unb ßiteratur, errichtete er eine Sifabemte
nach frangöfifchem SRufter unb fnchte bie höhere 93ilbung , bie er
bem fchmebifchen SBolfe gu geben bemüht mar, gang nach ber ober*
flächlichen SBeltanfchauung gu geftalten, öon melier bie frangöfifche
ßiteratur beherrscht mar.
SBährenb ©uftaü burch aüe» bie* im gangen ßanbe eine große
SBerftimmung h^oorrief , brachte er burch oa& Verbot be* ©rannt*
mein*, ber ben Schweben burch (Semofmheit unb ßuftbejehaffenheit
gum ©ebürfniß gemorben, in*befonbere ben ©auernftanb gegen fich
auf. 9c ach ben auch öon it)m geteilten ftaat*ttrirthfchaftlichen ©runb*
fäfcen feiner Seit erfdjien ihm ba* (Selb, ba* für bie jährliche #orn*
einfuhr au* bem ßanbe ging, al* ein baarer SBerluft, unb um bem
felben auf ba* geringfte sD?a& 51t befchränfen , legte er ber Nation
eine Entbehrung auf, bie fie nur feiner SStÜfür jufchrieb. Soffen
mar, ba fich °^ ßanbbeoölferung ihren ©ebarf an iörannttueiu fetbft
ja brennen pflegte , ba* Verbot be* ®öntg* leicht gu umgehen ;
(Suftaö befchloß baher, ba*felbe mieber aufzuheben, aber bie SBer*
fertigung be* SBranntmein* gu einem ©taat*monopol gu machen.
E* mürben baher in ben oerfchiebenen ©täbten be* ßanbe* fönig*
liehe SBranntmeinbrennereien angelegt, au* melden bie dauern ihren
SBebarf beziehen füllten. SBar btefe Einrichtung fd>on an fich bti
Digitized by
656
8d)!t»cben unter ®uftaö III.
ber geringen Qafy t>on ©täbten für bie meift feljr entfernt wolmen=
ben fionbleutc äußerft unbequem, fo würbe fte wegen ber beftänbtgeit
$lufftd)t unb 9tad>fudjung , bie jur ^er^inberung alle* eigenen
©rennend geübt werben mußte, gerabeju üerfjaßt. $ie Unjufriebcn*
l)eit barüber war fo groß, baß in $alefarlten ein förmiger »uf=
ftonb ausbrach , ber jmar burd) bie bewaffnete 9Waa}t unlerbrürfr
mürbe, jeboa) eine fo bebeuflic^e ©äljrung ber (Semütyer Unterließ,
baß ber tfönig e$ für geraden erachtete, ba« Jöranntmeinbrennen
mieber frei 511 geben.
38te ©uftao unter bem ©auernftanb juerfl bur<$ ba$ ©erbot
beS 93ranntweiu$, bann bura) ba$ ©ranntweinmonopoi eine gereifte
©timmung ^erüorgerufen , fo Jjatte er ber Erbitterung be# Slbete
burdj bie auf bie Entfräftung biefe« ©tanbeS beregnete SBieber?
einfü^rung ber alten Einteilung beSfelben in trafen unb Herren,
bitter unb knappen, neue föafjrung gegeben, inbem fidj ber bei
Weitem größere Xfjeil ber (SbcÜeutc burd) bie SBerfefeung unter bie
knappen aße$ Einfluffeä beraubt faf).
Allgemeine Mißbilligung fanb e£, baß ber $öuig im 3afjre
1783, wäfjtenb ba$ fianb burd) TOfewadj» unb X^euerung heim*
gcfuajt würbe, eine Steife nad) Sranfreidj unb S^0^^ antrat, he
ren politifdjer 3rocc* : bie Erlangung ber 3"f^ ©*• $ angelernt)
in SBeftinbien unb bie Erneuerung be3 alten 3rcunbfd)aft3bünb*
niffeS jwifdjen ©djweben unb Sranfreid), bie bebeutenben Soften
berfelben nid)t im entfernteren aufwog. 3)er allgemeine äftißmutf)
über biefe föeife würbe erf)öfjt burdj ba3 öon ©uftattä (Gegnern in
Umlauf gefefcte ©erüdjt, baß er mäffrenb feine* Aufenthalte^ in
9fcom, wo er t>erfd)iebene Sflale mit^ßiufc VI. jufammen ge!ommen,
jur fatfwlifdjen $Hrd>e übergetreten fei unb bie Äbfidjt r)abe, biefelbe
wieber in ©djweben einzuführen.
3Bie fehr baS gute Einvernehmen jwifdjen ®uftaö unb feinen
Untertanen gefdjrounben war, jeigte fidj befonberS auf bem im
3af)re 1786 oou il)m juf ammenberufenen 9tetd)3tage, auf tueldjem
alle feine SBorjdjlflge auf einen fo entfdnebenen SSiberfprud) ftte*
ßen, baß er feinen einzigen burdjjufefcen t>ermoa)te. $efonber£
peinlia) war e$ ihm, baß fid) bie ©tänbe ber SBiebereinfühnmg
einer alten 9kich$tag,3orbnung wiberfefeten, bermöge beren bei ein*
tretenber SWeinungSoerfduebenheit unter ben ©tänben bie (Sntfctjei^
bung bem Könige $uftehen foflte.
Digitized by Google
©uftaü« III. Äricg gegen SRufelanb.
657
®ufta*g III. «rieg gegen »ufelanb.
(1788—1790.)
8113 ©ufiab bie s2(nl)änglid)fctt ber Schtoeben an feine Sßerfon
toanfen fah, erfchien ihm ein friegerifdjeS Unternehmen, ba3 bera
fömebigen ftationalgefühle fchmeichle, als ba$ fidjerfte Littel, bie
£et$en feiner Untertanen toieber §u gewinnen unb augleich fein
finfenbefc Slnfe^en neu ju befefrigen. tiefer ©ebanfe fagte ihm
um fo mehr $u, als ber ßriegSrufjm einen fyofytn SKeij für if)n be*
fafe unb bie ßanb* unb ©eemad)t ©ct)rocben3, auf beren Hebung er
grofee ©orge oermanbt hatte, if)m genügenb fa)ien, um feinem $önig*
reich bic oerlorene 9JcachtftetIung nneber ju »erraffen.
$er ßampf foOte föufefanb gelten, ba& fich im SKüftäbter Srte*
ben fo bebeutenb auf ©chmebenS Soften oergröfeert hatte, unb bie
SEBiebereroberung ber öerlorenen £ftfeeproöin$en mar ba$ Siel, ba3
©uftao fich geftedt. Sur Erreichung biefeS £iele3 fdjienen bie Um*
ftänbe giinftig ju liegen; benn föufelanb mar nia)t nur in einem
ftrieg mit ben Xürfen begriffen, fonbern fah fich aud) burd) bie
feinbliche Haltung Greußen* unb (Snglanbä mit neuen SernM--
Iungen bebro^t. 2üä SBorttmnb gu bem geplanten Kriege biente
bem Äönig ein feit bem Safjre 1730 $nrifcf>en ©chmeben unb ber
Pforte beftehenbeä ©ünbnife, ba3 jeber ber beiben 2Kädjte bie 93er*
pfliefitung auferlegte, ber anbern im Salle eines 2lngriffd oon ©ei*
ten föufelanbä ju #ilfe $u fommen, unb anbererfeitä bie angeblich
einbfelige ©efinnung beä rufjtfa)en £ofe&, ben ©uftaö befdmlbigte,
ich in bie inneren Angelegenheiten ©djmebenä ju mifajen, um bie
Injufrieben^eit be$ $lbel$ 511 narren unb Smietracht unb Aufruhr
$u beförbern, meil bie ©jarin bie Slbfidjt habe, ginnlanb an fich
$u reifeen. 5ll£ Sratharina biefe 53efa^ulbigungen in einer oon
ihrem ÖJefanbten in ©totfholm überreizten Erflärung $urfidttne3,
bie nicht nur an ben ßönig, fonbern aud) an ade bei ber SRegie*
rung beteiligten ©lieber ber Nation gerichtet mar, bezeichnete
©uftao bieS als einen SSerfud), Um öon feinem 58olfe ober oon
einem Xfjeile beäfelben ju trennen, unb liefe bem rujjtfdjen ©efanb*
ten ben 93efe^t $ugef)en, unoerjügltct} Stodljolm 311 oerlaffen.
£a ©uftao nad) ben Erfahrungen be3 legten Reichstags nicht
magte, benfelben jur Einholung ber für einen 5lngriffäfrieg noth*
menbigen ftänbifchen Genehmigung jufammen $u berufen, ging er
eigenmächtig oor, inbem er {ich am 23. 3uni 1788 mit feinem
£>eere nach Sinnlanb einfehiffte. ®aum Ratten hier bie geinbfeligs
feiten ihren Anfang genommen, als bie CSjarin ein SJcanifeft er»
liefe, worin fie bie fchmebifche Nation baran erinnerte, bafe ber
Äönig, inbem er ben ffrieg o|ne SinmiHigung ber ©tänbe begon*
nen, fidj einer a3erfaffungÄöerle^ung fchulbig gemacht fyobt.
Digitized by
^^d^tDCbCTl WTXlCT QJltftClt) XXX«
ftoch fytlt bic ©iegcSauberftcht beS ftönigS, bie burch bie Sage
föu&lanbS unb bic Geneigtheit ber (Efthlänbler, (ich ihm anjufchlie*
gen, gerechtfertigt fchien, bie fömebifäen Dffijtre , unter weisen
bereits tm A)untei ote tfaDen emer sc5er)cöroorung gesponnen woroen
waren, in ben Öanbcu beS <$ei)orfamd jurüd ; als jeboch QJuftao nach
einem erften, unentfdueben gebliebenen ©eetreffen bei ber 3nfel
#oglanb (17. 3uli 1788), ftatt geraben SBegeS gegen Petersburg
öorjugehen, jur ^Belagerung ber 3feftung SricbrichShamm fdjritt,
weigerten fie fid), in bem berfaffungSwibrigen Kriege weiter $u
fämpfen. Vergeben« wanbte fich ©uftab an bie ©olbaten : auch fie
legten bie 28 äffen nieber, mit ber (Srdärung, baß fie ohne Befehl
ihrer Dffijiere feinen ©chritt borwärts tf>un mürben.
Xte Verlegenheit beS ÄönigS mürbe erhöbt burch bie ÄriegS*
erttärung 5)änemarfS, ba* als ©unbeSgenoffe SRufclanbs in ben
ftampf eintrat, inbem eS ein $eer bou fünfaelmtaufenb äRann unter
bem bringen SXaxl bon Reffen non Norwegen aus in ©dwonen ein*
rücfen lieg. Sem Honig blieb ÜRichtS übrig, als nach Schweben
^urücf jufetjren, um bei bem fc^toebifc^en SBolfe bie £>ilfe ju fudjen,
bie baS |>eer ihm berweigerte. Tie ©ürgerfchaft t>on Stockholm,
bie ihm ohnehin befonberS anhanglich mar, erttärte fich einmüthig
p feiner Unterftüfoung bereit unb übernahm bie ^Bewachung ber
£>auptftabt. Söäfjrcnb er ade in ©djweben jurücfgebliebenen Grup-
pen gegen bie Säuen fanbte, eilte er felbft nach Salefarlien, um
bie bärtigen ^Bauern unter bie ©äffen ju rufen, unb fein (Srfcheinen
begeifterte fie fo fehr, bafj fich mehrere Xaufenbe fofort um feine
Sahnen fehaarten. Xa bie übrigen $robin$cn bem SBeifpiel ber
Xalcfarüer folgten, fah fich t>cr #öuig balb an ber ©öijje eines
$eereS, mit welchem er bem bon ben Säuen belagerten (Rothenburg
£U §ilfe eilen tonnte. (£he e* jebodt) 511 einem entfeheibenben
Kampfe mit bem bänifchen .freere getommen, bewogen Greußen unb
(Snglanb ben Äcmig Don Sänemarf burch ÄriegSanbrohung jnm
Slbjchlufc eines SBaffenftillftanbeS mit Schweben, ber im folgenben
8rühjahr in einen befinitioen Srieben bermanbelt mürbe.
©ebor Wuftao ben förieg mit 9tu§lanb mieber aufnahm, be-
rief er im gebruar 1789 ben Reichstag nach Stocftjoim jufammen,
unb ba er feit feiner 9tücffehr nach Schweben burch fein ganzes
Auftreten bie SJcaffe ber Nation wteber für fta) gewonnen fyatte,
feierte er auf bemfelben einen entfehiebenen ©ieg über feine abeti*
gen (Segner. 9cad)bem bie Surcht cor ben ehrgeizigen unb tjcrrjd)
jüchtigen Hbfichten beS SlbelS bie Slbgeorbneten ber ©eiftlichfeit, ber
iöürgerfdjaft unb beS iBauernftanbeS ausnahmslos auf feine ©eite
geführt, bewilligte ihm ber Reichstag nicht nur bie jur Sortfefoung
beS Krieges nötigen ©elbmittel, fonbern ertannte ihm auch, troß
bes §eftigften SBiberfpruchS bon ©eiten beS WbelS, bolle ©ouöcräni*
Digitized by Google
©uftaüä III. Ärieg gegen 9tu&Ianb.
659
tot ju. (£r erhielt bic freie Verfügung über alle Remter, fotuie
baS »recht, quc^ einen ftngrifföfrieg ot)ne vorhergegangene Anfrage
bei ben ©tänben 511 unternehmen. Xer föeichäratt) mürbe gänzlich
aufgehoben unb ftatt feiner ein r)üc^ftcr <&ericht&hof eingelegt. SDrcifjig
ber iiauprtüortfüfjrer bed XUbelö würben unter ber Anflöge beä Un=
gchorfamS, ber SSerrätherei unb beS Aufruhr« in .paft gebraut
unb bie 9tegtment3befehlahaDcr w SJinnlanb, bie injroifchen auf eigene
£>anb einen SBaffenftiöftanb mit föujjlanb gefdjloffen, alä Jpochoer*
rotier §um Xobe ocrurthcilt, oon bem Könige jeboefj, gleich ben ge=
fangenen SteichStagSmitgliebern, begnabigt.
SBähren0 au*cr biejer Vorgänge hotten bie Muffen Qtit gehabt,
fict) gegen ©chmeben ju rfiften ; ihr ßanbljeer mar oerftärft unb bie
Slottc in beften ©tanb gefegt roorben: e3 beburfte baher oon ©ei*
ten ©uftaos bei ber SBieberaufnahme be£ ®riegc3 ungleich größerer
Änftrengungen, als beim ©eginne beSfelben. $er Äamof, in wel-
chem bec ftönig ebenfo Diel ocrjünlichen SJhitt), aU Umficht unb
(Sntfchl Offenheit an ben Xag legte, mürbe Imupt jach lieh &ur See ge-
führt. $a8 Xreffen, baä ©uftaoS ©ruber, ber $>erjog $arl t)on
©fibermanlanb, unb ber ruffifche Wbmiral Xfchitfchagoro am 26. 3uli
1789 bei ber Jfnfel ©ornholm einanber mit ben #auptflotten liefer*
ten, blieb unentf Rieben ; Dagegen unterlag bie fdjtoebifche Scheeren
flotte am 24. ftuguft gegen bie ruffifche im ©roenSfafunb.
3m folgenben grühjahre mollte (JJuftao, um ben &rieg jn
einem rafdt)eren @nbe $u fuhren, nach einem fiegreia)en Gefechte
mit ber ruffifchen glotte bei griebrich^hamm Petersburg angreifen,
roat)renb fein ©ruber einen Vingriff auf bie glotte bei $ronftabt
machen foflte. Xie lefctere fanb jebod) Seit, ftch mit ber oon sJie=
oal ju oereinigen, unb oor ber baburch gefchaffenen feinblichen
Uebermacht mußte fich bie fchmebifche glotte unter bem £er$og
ftarl oon ©übermanlanb, mit welchem fich °ie ©cheerenflotte unter
bem ftonig oereinigt hatte/ na4 einem breitägigen mörberifchen
Kampfe in bie ©udjt Oon Söiborg jurücfjichen. pier mürbe fte
Oon ber ruffifchen glotte eingefchloffen, unb ba fte ohne alle Le-
bensmittel mar, blieb bem ftönig Wichte übrig, als fich Su ergeben
ober ben ©erfudj ju machen, fich burchjufchlagen. iiv mahlte ba3
lefctere am 3. 3uli 1790, unb bad töfme SSagntfj gelang; boch
erreichte ber tfönig ben ©roenäfafunb nur mit großen SBerluften. £>ier
fam eä am 9. 3utt jtoifchen ihm unb bem s$rin$en oon !sßaffau,
ber bie ruffifche glotte befehligte, $u einem Xreffen, in welchem
bie mit bem ÜEftuthe ber öerjweiflung tämpfenben ©chmeben einen
glänjenben ©ieg erfochten. Xie ruffifche glotte mürbe- beinahe 00H*
ftänbig oernichtet; fünfunbfünfjig Schiffe unb fechdhunbertbreiunb*
oier.^ig Kanonen fielen ben ©darneben in bie £änbe. 3)iejer ©ieg
fefcte ben ftönig, ber bie Unmöglichfeit einfat), mit ben erfchöpften
42*
Digitized b
660
Gräften feine« ßanbe* ba* Qitl ju erreichen , für meldte* er ben
ftrieg begonnen, in ben Stanb, bie #anb $u einem ehrenoollen 3rie*
ben 5U bieten , unb ba auch bie &aarin 9cid)t* fehnlicher tounföte,
al* fich mit (Guftab abjufinben, um freie $anb gegen bie Pforte $u
gewinnen, tarn am 14. Äuguft 1790 ber griebe Don SBärela am
ßumeneflufj ju Stanbe, in meinem bie ©renken ber beiben ^eic^e, toic
fie oor bem Au*bruch be* Kriege* gemefen, aufregt gehalten mürben.
Obgleich (Guftao* ftücffehr burch glänjenbc geftlichfeiten ge*
feiert würbe, fonnte er fich nicht oerhehlen, ba& bie Stimmung be*
Bolfe* eine oeränberte mar. 2)ie ungeheuere öermehrung ber
Sdmlbenlaft , bie ber übereilt unternommene ftrieg jur golge ge*
^obt, mürbe audfcr)lieglic^ feiner föuhmfucht jur 8aft gelegt, ber er
bas 3Bor>I be* SReic^cd 511m Cvfer gebraut haue, unb bie allgemeine
Unzufriedenheit burch ba* *8ünbni& erhöht» ba* ber Äönig im
Cftober 1791 mit ber Sjarin fchlofj, inbem man au* bemfelben bie
Abficht eine* gemein f amen friegerif djen Unternehmen* folgerte.
3n ber Xfmt trug fid) (Guftaü mit bem (Gebauten, in (Gemein*
fdjaft mit ber djarin bie in$mifchen ausgebrochene, oon SBeiben in
gleicher SBeife üerabjeheute franjöfifche 9teüolutton $u befämpfen unb
bie SJcacht iiubtoig* XVI. heraufteilen, — ein (Gebanfe, ber feinem
unruhigen ©hrgeifl um f° öerlocfenber erfchien, al* er in bem Kampfe
für ben unglücklichen ftönig oon granfreich eine (Gelegenheit ju neuen
ritterlichen %i)akn erblicfte. 2)ie Wittel $u biefem Unternehmen
jolltc ihm ber Reichstag üerfdwffen, ben er im Januar 1792 nach
(Gefle ^ufammenberufen. Auf bemfelben geigten [ich jebod) aOe Stänbe
einig in einer fo entfehiebenen Dooofüion , ba& (Guftao mit feinem
Eintrag, für eine Anleihe oon jerjn Willionen Hullern (Gemähr ju
leiften , bie bei SRufjlanb $ur Ausführung genuffer $läne aufge*
nommen merben foOte, nicht burchbringen fonnte. s.Uad) taum oier*
wöchentlicher Malier hob er am 24. gebruar 1792 ben 8teicb*tag
mieber auf, nachbem berfelbe jur Xilgung ber burch ben legten $rieg
entftanbenen Schulben einen Xermin oon jehn fahren gefefct hatte.
Unterbeffen mar unter bem fchtoebifchen Abel , beffen ©rbitte*
rung feit ber $)erfte(lung ber abfoluten &önig*gen>alt burch oen
9teich*tag dorn v^atjre 1789 auf* .v>ud;fto gefteigert morben , eine
SBerfchtoörung gegen ba* £eben be* ftönig* $u Stanbe gefommen,
an beren Spi(c bie trafen $ora unb ÜRibbing, ber greifen* Söielfe,
ber (General s}kchlin unb mehrere Anbern ftanben, unb 3a!ob oon
Anfarftröm, ein ehemaliger (Garbeoffijier , ber fid? oon (Guftao
ungerechter SBeife prüefgefefet glaubte, hatte bie Ausführung be*
SNorbolan* übernommen. X\c ocvbredjcriidje Hjat mürbe in ber
9cad)t oom 16. jum 17. 2)cär$ auf einem Warfen balle in bem
Augenblicke ooü^ogen, mo ber Äönig au* feiner £oge in ben Saal
trat. Söäljrenb eine gro&e Anzahl üon Wa*fen ihn oon allen Sei*
Digitized by Google
Stönemarf unter ©truenfee'« (Staatttoermaltimg. 661
ten umringte, traf Um ein töbtlidjer ©dju& in ben dürfen. @r ftarb
jmötf Xage fpäter, am 29. 2flärj 1762 r im SUter bon fedjäunb*
öierjtg fahren. $)ie Mnorbnungen , bie er öor feinem (£nbe jur
$lufrechthaltung be3 beftehenben 9tegierung8ftyftem8 getroffen , Der*
ettelten ben $(an ber IBerfcbmorenen jur ^erftellung ber früheren
SBerfaffung. gür ben bierjehnjährigen ©ofjn ®uftat>& III., ber ate
& u ft a ö IV. ben fdjtuebifdjen Xfjron beftieg, übernahm fein Oheim,
ber £>erjog $arl öon ©übermanlanb , bie 9f egentfdjaft , bie er bi&
$um 3öftre 1796 fortführte.
ÖJuftabS Üttörber SInrarfrröm, ber burch ein Sfteffer oerrathen
tuorben, ba& er im ©ebränge r)atte fallen lajfen, mürbe jum Xobe
Derurtljeift unb am 29. 9lpril 1793 enthauptet. $>a feine ftanb*
hafte Steigerung, feine SJcitfdfmlbigen ju nennen, beren Ueberführung
unmöglich machte, famen biefelben mit ber ©träfe ber ßanbeSöer*
loeifung baoon.
XXXVIII.
$änemax& unter gtxuenfee'* Sfaabtientmrtung.
(1770—1772.)
9cadfj ber ©eenbigung be$ norbifdjen ftriegeS genoß $änemarf
ficbjig 3ö^rc fang *ine3 ungeftörten griebenS. 2Bie 3 r i e b r i ch IV.
(1669 — 1730), fo Waren auch fane Bciben nächften Nachfolger
C^riftionVI. (1730—1746) unb griebrich V. (1746—1766)
n>of>Imeinenbe dürften , bie Don ber ihnen übertragenen abfoluten
&önig3gefralt im ©anjen einen gemäßigten (Gebrauch machten. Tcm
Setter en ftanb in bem trafen Wartung öon 53ernftorf ein tüchtiger
SJcinifter jur ©eite, welcher burch bie SBahrung be$ griebenä, fo*
ttrie burch eine umfidjtige unb einfichtöüolle ©taatsoerroattung bie
Ußohlfahrt be3 £anbe$ förberte unb juglekh für bie Unterftüfcung
öon #ünftfern unb belehrten ©orge trug.
Sluf griebrich V. folgte im Safjre 1766 fein ftcbjcr)njär)rigcr
©ohn (£hrtftian VII., ber noch *n bemfetben Satyre mit ber
englifchen Üßriitgeffbt Caroline SRathübe, ber ®cf)tuefter be8 ®önig$
©eorg III., öermähtt tourbe. 5)a bie ©eifteSfräfte be3 jungen ®ö*
nig3 burch ein jügeöofeS ßeben gefdjroächt maren , ließ ihn Sern*
ftorf, ber ade ®ematt in $änben behielt, in ben fahren 1768 unb
1769 eine Steife burch 5>cutfd)Ianbf £>oöanb, (Sngtanb unb Stauf*
reich machen , auf welcher ihn ein $eutfcf)er , Qofjann griebrich
©truenfee, bisheriger ©tabt* unb ßanbphijfUuä in Altona , als
SReifearjt begleitete. Qm 3ahre 1737 ju $>alle als ber ©ohn eine«
*ßrebigerS geboren , fjattt ©truenfee in bem bortigen SBaifenfjaufe
Digitized by^OOgle
662 $>3nemarf unter ©truenfee'3 (StaatSwitoaltung.
feine erften ©tubien gemalt, mar aber burd) bte pietiftifdie SRtaV
tung fetner ©Kern unb ßehrer auf ben entgegengefefcten SBeg beS
Unglaubens getrieben roorben unb jaulte feitbem ju ben eifrigften
Anhängern ber neuen fran^öftfer/en ^^ilofo^te. $em #ömg mußte
ftd) ber fdjöne , tebenSluftige , gemanbte unb geiffcretdje SWann fo
unentbehrlich ju maa^en, baß ilm berfetbe nadj ber SBeenbigung fei*
ner SReife aU Seibarjt an feinem $>ofe behielt. #ier erwarb er ftdj
balb audj bte ©unft ber Don ihrem ©emahfe mit großer ßälte be*
Baubeiten Königin buret) feine eifrigen unb mit drfolg gefrönten
Bemühungen, ein beffereS 93crr)ättni6 jttrifdjen ben beiben ©Regatten
herjufteflen. (£r mürbe unter bem Xitel eines ®onferenjrathe3 junt
JBorlefer beS Königs unb jum ®abinet3fefretär ber Königin ernannt
unb erlangte batb großen SHnfluß auf bie ©taatsoermaltung.
9tadjbem juerft ber bisherige ©ünftling beS Königs, ber ®raf
|>olf, ber r)auptfädjltrf)fte ©egner ber Königin, öom $ofe entfernt
morben mar, tourbe im (September 1770 auch ber ®raf SBernftorf ent*
laffen. $n bie ©teile be& ©rfteren trat, als ®efettfdwfter beS Königs
unb $ireftor ber $offeftlidjfeiten , ber junge, lebensluftige Grneoolb
©ranbt, ein Sreunb ©truenfee'S. $ie ©teile 93ernftorf3 blieb un*
befefjt, inbem bie Regierung oon nun an „au* bem Kabinette be£
ÄöntgS", b. h- burdj ©truenfee geleitet werben foHte. Um bte öffent*
Itcr)e Meinung über bie (Sntlaffung beS allgemein geästeten 5Ktnifter$
ju befchttridjtigen, oeranlaßte ©truenfee ben ®öntg, burd) einen ®abt*
net3befef)l bie SBüdjercenfur aufzuheben unb eine boflftänbige $reß*
freiljett einzuführen. Xa ftcf) ber ©taatSrath nidjt fügen moHte, mürbe
er aufgelöst unb ©truenfee am 14. Quli 1771 jum geheimen ®abi*
netSminifter mit fo auSgebefmten ©efugntffen ernannt, baß er ttjat*
fäcc)(tcr) ber unbefdjränfte £err be$ SanbeS mar. ®abinet3befehle,
üon ihm unterjetdmet unb mit bem föniglidjen ßabtnetsfiegel Oer*
feljen, follten aud) ofme bie Unterfdjrift beS Königs oolle ©tltigfeit
^aben. ©letdjaeitig mit ©trttenfee'd Ernennung jum geheimen Slabi*
netSmintfter erfolgte feine unb SBranbtS (Erhebung ™ ben ©rafenftanb.
Qm 93efifce einer abfoluten 2)cad)töotIfommenheit. begann ©truen*
fee bie Umgeftaltung $änemarf$ nadj ben ®runbfätjen ber neuen
' ©taat$met$heit burch eine roahre gluth oon ©rlaffen, bte in unglaub=
lidjer 9tafd)hett auf einanber folgten. Sunacr)ft hatte er bie Slbfdmffung,
totrflidjer SOttßbräucfje im $luge, unb eS laßt fid) nicht leugnen, baß
er ftet) in biefer ©ejiehung burdj mehrfache mirflicr) jmedmäßige 2ln=
orbnungen um 5)önemarf öerbient gemalt. Um bte fmanjieflett $er*
hältniffe be$ SanbeS burch heilfante ©rfparniffe günftiger ju geftal=
ten , mürben oiele überflüffigen ober als überftüffig angefehenen
©eamten entlaffen, jahlreia^e @totabengef)a(te hcrabgefc^t, bte ftaat*
Iia^en Unterftufcungen foId)er ffabrtfen , bie ficr> nia^t felbft ju er*
halten öermoajten , eingebogen unb bie Domänen nid)t mehr foft*
Digitized by Google
Stänemarf unter ©truenfee'S 6taat3t>ertt>altung. 663
foiettg Derwaltet, fonbcm einträglich bedachtet. $er #anbel mürbe,
gleich ben bewerben, freigegeben, bie Sanbrnirthfcrjaft oerbeffert unb
baS Srohnberoefen befcr)ranft , ber BolfSunterricht gehoben, baS
©teuerroefen bereinfadjt unb bie Abgabenlaft erleichtert, Gleichheit
öor ben Gerichten eingeführt unb ber NechtSgang befcfjleunigt.
©o fct)r jeboef) auch *>ie nteiften biefer Neuerungen geeignet
roaren, $änemarfS 28ohlfahrt ju förbern, erwarb ftcr) bennodj ©truen*
fee für feine umgeftaltenbe Xt)ätigfeit feinen $anf, weil auch er im
Eifer beS NeformirenS BteleS überftürjte unb babei mit einer Nücf*
fichtslofigfeit ju SSerfe ging, bie man it)m, als einem emporgefom*
menen AuSlänber , boppelt übel nahm. 2Bie er bie Beamtenmelt
burch bie Nebuftion ber ©teilen unb ©ehalte gegen ftch aufbrachte,
fo hofete ihn ber Abel, nicht nur »eil {ich berfelbe burch ihn alles
EinfluffeS beraubt fah , fonbem mehr noch toegen °er Bemühungen
beS SNinifterS, ihn öom §ofe ju entfernen unb jum Aufenthalt auf
feinen Gütern $u nötigen. 3>ie Bürger grollten ihm über bie
Aufhebung beS ßunftwefenS unb bie gabrifbefifcer fammt ihren
Arbeitern über bie Entziehung ber ftaattichen Unterftüfcungen.
$er allgemeine Unwille mürbe erhöht burch ben Umftanb, baß
©truenfee, ber beS $änifdjen nicht machtig mar, bei ber Auäfer*
tigung aller föniglichen Befehle bie beutfehe ©pradje eingeführt hatte,
bie bis balan nur für biejenigen Erlaffe in Gebrauch gemefen,
welche bie beutfehen <ßrobinjen betrafen, ©ährenb er burch btefe
Einrichtung feinen Gegnern in bem oerlefcten bönifchen Nationalge*
fühl einen mächtigen BunbeSgenoffen t>erfdt)afftc , gab er ihnen 51t*
gleich burch feine baS ftttlicfje unb religiöfe Gefühl tief berlefcenben
Neuerungen auf bem firdjlichen Gebiet: bie Abfchaffung bieler geier*
tage fomie ber rtrchenpoltjeilichen Aufficht über bie ©itten unb bie
Einführung äu&erft lajer Grunbfäfce in Bejug auf bie Ehe unb
bie öffentliche 9floral, woburdj er nicht nur bie Geiftlichfeit gegen
fich aufbrachte, fonbem auch ben Unwillen aller Beffergefinnten ber
bönifchen Nation erregte, bie fdjärfften SBaffcn in bie #anb, unb
balb fah er feine ©tellung bon allen ©eiten bebroht.
Su feinem Unglücf fehlten bem 9ttinifter biejenigen Eigenfdjaf*
ten, beren er beburft hätte, um ben £>af$ feiner Gegner burch bie
Surcht ju jügeln : in fchwierigen Berhältniffen jeigte er fich unent*
fchloffen unb fehwaetj. AIS am 10. September 1771 einige fmnbert
Sftatrofen bon ber Slotte, benen ihr ohnehin üerfürjter ©olb nicht
jur rechten Seit ausgezahlt worben, in brohenber Haltung bor bem
©chloffe oon £nrfchholm, ber Nefibenj beS Königs, erfchienen unb
bie Abstellung ihrer Bejchwerben oerlangten, flüchtete ber $of nach
bem eine halbe Sttetle entfernten ©chloffe ©Osenberg, unb nacrjbem
es bem Süt)rer eines gegen bie Meuterer abgefchieften $5ragonerregi~
mentS mit leichter 2ftüf)e gelungen mar, fie jur Nücffehr nach ber ©tabt
Digitized by
664 $änemar! unter ©truenfee'* StaatSöcroaltung.
au bewegen , lieg ©truenfee fte , ftott ihre Snfuborbination ju be*
[trafen, mit ©ranntwein bewirken unb bewilligte ihnen, au&er bem
fofort ausgezahlten rücfftänbigen ©olb, noch eine Sn^Qe. ermutigt
burch biefe ©chwädje bes SJcinifterS, jogen trierjehn Tage foäter
einhunbertawan$ig ©eibentoebergefeuen, welche burch bie ©infteflung
ber Arbeiten in ben föniglichen ©eibenfabrifen brobtoä geworben,
nach £>irfchholm unb forberten ©rob. $er einge(chüchterte 2Jcinifter
oerfpraä) ihnen , nicht nur bie Sabriten fortarbeiten ju taffen , bis
eine anbere ©efchaftigung für |te gefunben fein »erbe, fonbern gab
it)nen auch bier Xage fpäter ein geft f bei welchem fte mit Unren
grauen unb Kiubern reichlich bewirket würben.
X)te oon ©truenfee eingeführte $ref?fretyeU toerfchaffte feinen geht*
ben ©clegenheit, ben allgemeinen Unwiüen gegen ifm burch heftige
S)ni(ffc^riften $u fdjüren. 3nSbefonbere trat ber #a| gegen ihn in
ber gefliffentlich unter bem ©otte verbreiteten ©efchulbigung ju Xage,
baß er mit ber Königin ein ßiebeSöerhältniß unterhalte, ©ergeben*
fudjte er burch ^refebefchränfungen ben Angriffen feiner ®egner eine
©d)ranfe ju jie^cn : er erhöhte baburch nur bie allgemeine (Erbitterung.
3n$mifchen gab ber König immer beutlichere ©ewetfe oon ©e=
banfenlofigteit unb ©ciftc^fcr^mäc^e. (5r jtnang feine Siebtinge , ficr>
förmlich mit ihm herum ju balgen, unb als ©ranbt barauf nicht
eingehen rootttc , befdjulbigte er ihn ber geigbrit. 9luf ©truenfee'S
SRath gab ©ranbt am folgenben Xage bem ©erlangen beä Königs
nach unb brängte ihn, naebbem er ihn beim fingen bertefct, an bie
SBanb , wo er ihn fo lange fefthiclt , bis ber König felbft bat , ihn
loSjulaffen, worauf ©eibe als bie beften greunbe Rieben.
©truenfee verhehlte fich nicht , ba& eS ihm bei ber unöerfenn*
baren ©eifteS$errüttung beS Königs, ber üRiemanben liebte unb
beffen (Stonft nur auf gurdjt ober bem ©ebürfnifj nach öerftreuung
unb rinbifcher Unterhaltung beruhte, in feiner gefährlichen Stellung
an jeber fixeren ©tüfee fehle ; aber er fudjte bie fich ^m aufbrän«
genben bangen Ahnungen burch neue ©ewaltfcbritte ju betäuben,
benen nichts Ruberes 51t (Srunbe lag, als feine unüberwinbliche
SfceuerungSfucht. 9lm 21. $)e$ember 1771 erfchien ein KabinetS»
befeljl, welcher bie Sluflöfung ber föniglichen Seibgarbe ju gu§ —
einer angefet)encn, aus fünf Kompagnien Norwegern beftehenben
©chaar — unb bie ©ertheilung ber ÜHannfcbaft unter öerfchiebene
anbere Regimenter verfügte. §113 biefer ©efehl bem auf bem 2Karft*
plafce verfammelten Korps eröffnet unb hierauf bie gähne eingejo*
gen unb t)in weggetragen mürbe , entftanb ein allgemeiner 31 uf ruht.
Unter bem (Sefcbrei : ,,$ie gähne gehört uns ; mir haben $u ihr
gef Comoren. SGBir motten fie behalten ober oerlangen unfern $tb*
[tfu'eb !" jogen bie (Sarben nach bem ©chloffe, ftiefjen ba£ Xhor ein,
verjagten bie ©olbaten ber SBadje unb befefoten biefelbe.
Digitized by Google
Stönemarf unter ©truenfee'« Staatsverwaltung. 665
D&gletch bic Aufruhrer burdj herbeigeholte pflichttreue Xruppeu
umjingelt rourben, roagte eS ©truenfee nicht, mit üftachbrud gegen
fie öorjugehen ; er ließ trielmefjr förmlich mit if)nen unterhanbeln
unb benriüigte irrnen nicf}t nur ben geforberten Abfcfjieb, fonbem
gemattete ihnen auch, ihre Uniformen $u behalten, unb fagte aufeer-
bem jebem t>on ihnen ein ©efdjenf öon bret fReichSthalern ju. ÄlS
bie (Sterben am folgenben Xage ben SBeg nach ihrer ,§etmath ein*
fdjlugen, gaben if)nen zahlreiche SSoIfä^aufen ba& ©eleite, roobei ber
$öbel ©djimpfmorte , 31ücf;e unb $rofmngen gegen ©truenfee aus*
ftief?. $er ®ommanbant Don Kopenhagen, ber mit einigen Offizieren
herbeigeeilt mar , um bie 9flenge ju jerftreuen, rourbe oom ^ferbe
geriffen unb feine Begleitung öerhöfjnt unb mißhanbelt. gür ba3
©dndfal ber Königin beforgt, roarnte ber englifdje ©efanbte Dberft
^cttl) ben Sttinifter öor bem Abgrunbe , an beffen SRanbe er Inn*
ging, unb rietrj ihm, Kopenhagen ju oerlaffen unb ftet) nad) @ng--
lanb ju begeben ; ©truenfee mied jeboer) biefen Sftath mit ber (SrfTä*
rung jurücf, baß er auf feinem Soften ju bleiben entfchloffen fei,
unb lieg, um ju jeigen, ba§ er feine Surcfjt fenne, am 9. Januar
1772 ben 4>of nach ber Jpauptftabt jurüdf ehren.
£ier roaren unterbeffen bie gäben ju einem Ste&e gefponnen
roorben, burch roeldjeS ber SWtniftcr $u ©oben geworfen roerben foHte.
$ie öerroittroete Königin Suliane SWarie, ^riftian^ VII. ©tief*
mutter, eine braunfa)n)eig'fa)e ^ßrinjefftn, Ijatte fidj, erbittert über
bie Sernadjläffigung, bie fie am £>ofe erfuhr, fomie über bie 3urüd*
fe(jung il)re8 achtzehnjährigen ©ormeS griebridj, mit be3 fieberen
ehemaligem $ofmetfter, bem KabinetSfefretär ©ulbberg, fonrie mit
bem (General oon Ätanjau, bem Sriegäfommiffär ©eringSftolb, bem
Dberften Völler unb bem (Generalmajor oon (Sidftäbt jum ©turje
©truenfee'* unb ber oon it)r mit bem gleiten £affe oerfolgten Kö*
nigin öerbünbet , unb ber oon ben SBerfcfjtoorenen ju biefem Stoede
entroorfene tßlan follte nach einem für ben 17. Januar angefefcten
^ofbaö ftur Ausführung gebraut roerbeu. 21m SBorabenbe beäfelben
befam ber mit ©truenfee befreunbete Stanjau 9teue über feinen 93et*
tritt ju ber SSerfdjroörung, ju meinem ihn bie Nichtbeachtung feiner
Tarnungen oon ©eiten be3 ÜttinifterS , fonrie bie Ueberjeugung be=
mögen hotte, ba& ftdj berfelbe nicht lange mehr fyaitzn fönne. Um
ben ©ebrohten $u retten, befdjlofj er, ihm burch feinen Araber, ben
3uftijrath ©truenfee, ben ber SRinifter oon einer Sßrofeffur an ber
ßiegnifcer SRitterafabemie nach $>änemarf berufen unb im ginanj*
fache angeftcllt hatte, eine SBarnung jutommen ju laffen ; er fanb ben-
felben jeboa^ nicht ju §aufe , unb fein ber 5)ienerfchaft gegebener
Auftrag, ihrem £>erm ju melben , er laffe ihn bringenb bitten, fo*
gleich 8U 5U kommen, meil er ihm wichtige ütttttheilungen ju
machen fyabz, mürbe öon biefem nicht beachtet.
Digitized by
666 Dftnetnarf unter Strucnfee'Ä StaatSoerwaltimfl.
ftadjbem bcr £>ofbalI um jmei Ufjr HRorgenS &u ©nbe gc-
gongen, befefrte ©icfftäbt, ber bie SBad>e im ©djloffe fatte, äffe flu*
gange beäfelben , mäfjrenb bie übrigen SBerfdjmovencn burdj eine
gefjeime I^ure in ba« ©crjlafgemadj be* Äönig& orangen, um bem*
felben burdj 6infcr)ucr)terungen bie jur Stu&fuhrung ifyrefc ^ßlancä
nötigen Söefefyle ju entreißen, ©ie erflärten tfjm, fte feien gcfom=
men, um Um unb ba« ßanb au« einer grofjen ©efa^r ju retten,
unb legten i^m babei jmei Rapiere jur Unter jeieftnung öor , öon
benen ba* eine bie Ernennung CrtcfftäbtS jum Äommanbanten öon
flopenfjagen enthielt , unb ba* anbere ben Dberften ßöfler beöoll*
mäa^tigte , im Vereine mit (Sicfftäbt jebmebe jur Errettung be$
ftönig* unb be& ßanbeS notf)tt>enbige 2Ra®el ju treffen, «Radjbem
ber bcfrürjte flönig in feiner flngft beibe Rapiere, olme fle gelefen
ju fmben, untertrieben Imttc, mürbe er mit leic&ter SJtüfK baftn
gebraut, audj bie ton bem ^rinjen Sriebrid) aufgefegten SBerljaft«*
befehle für ©truenfee, ©ranbt unb brei^efm iftrer «nljänger $u
unterjeidmen unb an feine Gkmaljlin ein franiöfifebeä £>anbbiHet ju
treiben, beä 3nl>alt$: „$>a fte feinen guten 9iatf)f«lagen niajt
ijabe folgen motten , liege bie ©dmlb niebt an tym , wenn er ftcfj
öerpflid)tet ffiljle, fie naefj Bonenburg führen ju taffen." Götter
übernahm bie Serfmftnng ©truenfee'*, ©itfftäbt bie ©ranbt*. £er
©rftere ergab fict) obne SBtberftanb, ber fiebere fefcte fid) $ur SBefjr,
mürbe aber balb übermältigt. $13 bie Königin ba« jpanbbiHet be$
Sifönig« gelefen, ba$ SRanjau Ujr überbradjt, mollte fie ju i^rem
©emaf)le eilen ; fte mürbe jebod) jurürfge^alten unb nad) öer$roeif=
lungSöofler ©egenme^r ofmmädjtig in einen Söagen gehoben, ber fie
nad) Bonenburg braute.
$113 fidj am folgenben SWorgen bie ftunbe Don ben Vorgängen
ber SRadjt in Kopenhagen öerbreitete, ftrömte ba3 33olf unter lautem
3ubelgefdjrei nad> bem ©djlo§plafce unb brachte bem König, ber mit
feiner ©tiefmutter auf bem ©alfon erfdnen, ein frürmifaje« £ebe*
ijod). 9cod) größer mürbe ber 3ubel, als ber König, feftlidj geftet*
bet, mit feiner ©tiefmutter unb bem $rinjen Sriebrtdj in einem
feaj^fpännigen ©aöamagen burdj bie ©tragen fuhr. ÖtebanfenloS
fah er mit ftumpffinnigem Saasen auf ben $öbel, ber ben SBagen
jie^en rooGtc, mä^renb fein ©tiefbruber fia) nad) allen ©etten grü*
|enb neigte. SDttttagS um jmei U^r empfing ber ®ünig mit feiner
©tiefmutter unb feinem ©tiefbruber in feierlicher Sour bie 6Jlücf=
münfaje be& W>tU, unb am ^(benb mar bie §auptftabt mie naa?
einem errungenen ©iege glänjenb erleuchtet.
3n$ttrifd)en maren ©truenfee unb ©ranbt in bie ©itabelle gc*
bracht unb bort, mit ferneren Letten belaftet, an bie SBanb irjrcd
Werfers gefcbloffen morben. 3"^ ^Iburt^eilung be3 ©rfteren mürbe
eine Äommiffion öon je^n 9Jhtgliebern eingefe^t, öor meldjer er
Digitized by Google
Sfönemarf unter Strucnfec'« Stflatsoetttmlhmg. 667
nach fünfmöchentticher fernerer $>aft fein erfteS «erhör ju beftehen
hatte. Mngettagt war er eine« s2lnfcr>Iag« auf ba« Seben be« ftönig«,
fotoie ber 2lbft^tr benfelben $ur SUeberlegung ber ffrone $u jwingen,
femer eines ftrafbaren «erhältniffe« $u ber tfönigm, einer fehlechten
SBehanblung unb (grjiehung be« Ifronprinjen unb enblich be« 2Rtfc
brauch« ber burch Slnmafmng erlangten 2Imt«gewatt. $ie beiben
erften Anflogen Waren wiberftnnig, ba ja ©truenfee'« ganje 9Jcacrjt
allein auf beut ftönig beruht hatte ; ben Sronprinjen aber hatte er
nach 9touffeau'ö Hbhärtung«foftem erlogen, unb §war mit bem beften
Erfolge , ba er baburch be« «Prinzen fchwächlichen Körper fichtlict)
gefraftigt hatte, unb loa« ©truenfee'« ©taat«üerwaltung anbelangte,
fo ftüfctc ftdj biefe, wa« aud) immer gegen biefelbe mit Stecht öor*
gebracht werben fonnte, auf bie it)m bon bem ftönig übertragene
atfadjt. $ie einjige Slnflage, welche eine S3erurtf>eüung be« 2Rini=
fter« herbeiführen fonnte, betraf fein 9Sert)äItni6 jur Königin, unb
gerabe in biefem fünfte legte 6truenfee , roaf)rfd>einlid) burd> bie
2lnbrot)ung graufamer golterqualen gefajrerft unb wohl auch in ber
Hoffnung, burch bie SBerwtcflung ber Königin in fein ©c^ieffat fein
Seben ju retten, ein ®eftänbni& ab, welche« bie @hre biefer unglüd*
liehen gürftin ihren fchabenfrohen geinben prei«gab, obgleich fein
einziges B^ugniß für it)rc ©djulb beigebracht werben fonnte.
3m ©efifce be« fchriftlichen SBefenntniffe« ©truenfee'«, begaben
fta) bie Äommtffarien nach ßronenburg jur Königin. Obgleich man
fie burch bie oerfanglichften fragen ju oerwirren fuajte, wiberfpract)
ftc ber 2lu«fage ©truenfee'« auf ba« (Sntfdjiebenfte ; al« ihr jeboch
einer ber Äommiffarien, ber greiherr Don ©d)ad* föathlom, bemerfte,
bafj, Wenn fie bie 2Bar)rt>cit be« ÖJeftänbniffe« ©truenfee'« in tlbrebe
fteüe, biefen für feine fajmadjüolle Söerleumbung bie quafooßfte
Xobc«frrafe treffen werbe, erbla&te fie unb fragte, ob ein 93efennt=
ni& oon ihrer ©eite ben llnglüdlidjen retten fönne. 3)a fie in ben
SJcienen ber ftommiffarien bie Bejahung biefer Srage ju lefen
glaubte, ergriff fie bie geber, um bie ihr oorgelegte, ba« ©eftänbnifj
ihrer <Sct)utb enthaltenbe ©djrift ju unterjeichnen. ©djon hatte fie
bie erften Söuchftaben ihre« tarnen« gefchrieben, at« ein höhniferje«
Sädjeln ©chad« fie irre machte : fchaubemb warf fie bie Seber hin*
weg unb fanf ohnmächtig in ihren ©effel jurüd. ©d)ad aber legte
ber Söewufjtlofen bie Seber wieber in bie £>anb unb bollenbete, bie*
felbe führenb, ihre 9camen«unterfchrift.
Huf ©runb biefer Urttcrfct)rift würbe am 2. Styrit 1772 bie
@hc be« ßönig« burch eine h*cr5u ernannte ftommiffion gelöft, ber
©runb ber Trennung jeboch in bem Urteile öerja^miegen. @in
Weitere« Vorgehen gegen bie Königin mürbe burch 0*c Drohungen
be« englifchen ©efanbten oerrnnbert. dagegen erfolgte am 25. 2lpril
gegen bie ©rafen ©truenfee unb ©ranbt ber ©pruch, baß 93eibe
Digitized by CjQOQle
668
$>Qnemcirf unter 'StaatÄDcrwaltung.
ihrer (Sfjfen, SBürben unb ®üter entfefet, t§rc SBaffen jerbrochen,
t>ie rechte $anb, bann ber #opf ihnen abgehauen unb ihre Äörper
gebiertheilt unb aufs föab geflochten werben fotiten. Ä13 #aupt*
grunb mar bei ©truenfee ein „großem, tobeSWürbigeS ©erbrechen
gegen bie SRajeftät beS Äönig«," bei ©ranbt bie ©ettjeiltgung an
©rruenfee'S öerwerflicheu ©eftrebungen , fowie baS ©erbrechen ber
9J?ajcftät$beleibigung angeführt, „begangen baburä), baß er ftch an
be$ tfönig* geheiligter ^erfon vergriffen." SMefeS Urtt)cil würbe t>on
bem Äönig ohne 3°9crn unterzeichnet unb am 28. tfprtl 1772 in
feiner ganzen Strenge Donogen, ©eibe ©erurtheilten ha^en ftch
Wätjrenb ihrer fehleren ($efangenfchaft aufrichtig ju bem oon ihnen
Dorher öerleugneten d^riftenglauben befet)rt unb erlitten ben lob
mit großer ©tanbhaftigfeit unb frommer (Ergebung in ihr ©chicffal.
5)ie übrigen befangenen Würben tfjeilS mit ?lemteroerluft, tt)eil$
mit ßanbeSöermeifung beftraft Unter ben ßefcteren befanb ftch
©truenfee'S ©ruber, für welchen ftch Sriebrich n. öerroenbet hörte.
$)erfelbe fehrte in feine frühere ©teile nach ßiegntfc jurücf, würbe
aber fpäter bon griebrich II. mit mehreren wichtigen Remtern be-
traut unb ftarb 1804 als preu&ifcher ÜRtnifter.
$)ie geriebene Königin oerlief}, nach einer jwifchen bem bani*
fdjen unb bem engUfcf>en $ofe getroffenen Uebereinfunft, am 30. 2Rat
tfcänemarf unb begab fidj nach $>annooer, wo fte ba& Schloß (Seile
fcezog. $ier ftarb fie, hothberet)rt wegen ihrer werktätigen ERenfdjen*
liebe, am 10. Sftat 1775, im Älter oon breiunbjwanjig 3a^rcn» ora
gebrochenen $er$en.
3n 3)änemarf hatten ftch bie ©erfchworenen nach &€m ©turje
©truenfee'S auS eigener S)?achtDoQfommenheit ju einem geheimen
©taatdrath unter bem ©orftye beS ^rtnjen gfriebrich conftituirt unb
alle ©ehörben angewiefen, ©efcljle mit ber Unterfehrift be3 Königs
nur bann ju beachten, wenn fte oon ihnen gegengezeichnet feien. $)a
ber $rinj felbft ein unbebeutenber 2Kenfch war, würbe fein ehema*
liger $ofmeifter ©ulbberg bie ©eelc ber neuen Regierung. 3nbeffen
würbe oon ©truenfee'S Einrichtungen, infofern burch biefelben 3Äi§s
brauche abgefchafft worben, ©ieleS beibehalten.
©on ben sJQZitgliebem ber ©erfchwörung behaupteten ftch nut
(SJulbberg unb (Sidfftäbt eine 9ceit)e oon 3<*hrcn in ^rer neuen ©tel*
lung ; bie übrigen würben in Sfolge eingetretener «SerWürfntffe rafch
befeitigt. 5luch (Sicfftäbt unb Oulbberg erhielten im Slpril 1784
ihren Slbfchieb, als ber Kronprinz Biebrich, Dcr ©ot)n ber Königin
Caroline 9Jcati)ilbe, bie S^Ö^ ocr Regierung ergriff, bie er bis jum
3ahre 1808 für feinen ©ater, bann als ftöntg 3fr ieb rieh VI.
bis p feinem Xobe (1839) führte.
Digitized by Google
3>er norbamcrifanif^e 8frei^ctt8frieö. 669
XXXIX.
Per ttori>amerißamf<$e äftetyeifefttieg.
(1775-1783.)
SBäljrenb in Ghiropa bie alten ©taat3einrid>tungen Don oben
fjerab geanbert unb bie (Srunbtagen jeber ftaatlidjen Drbnung burd}
eine oon ben gürften felbft begünftigte neue ^Uofop^ie untergroben
Würben, bie fid) jugleidj bie SSernuttung ber geoffenbarten Religion
jum Siele gefefct , oofljog pcf) jenfeitä be3 DceanS , im Horben ber
„neuen SBelt," eine Umtoaljung, meiere auf bie alte SBelt mit nidjt
geahnter Sföadjt jurütfnnrfen foHte : — bie Kolonien ber (Snglänber
riffen fid) lo$ öon bem SJfutterlanbe unb bereinigten fid) ju einem
großen republifanifdjen ©taatenbunbe.
$ie erfte englifcfye Kolonie mar in fRorbamerifa unter ber Kö=
nigin (Slifabetf) gegrünbet tuorben, nacfjbem 2Baltf)er SRaleiglj im
3a§re 1586 ba3 Küftenlanb an ber (£f)efapeaf=*öai unter bem ta-
rnen SSirginien für bie tone (Snglanb in 53cfife genommen;
biefe Slnfieblung ging jebodj balb mieber ju ©runbe. (Srft unter
Qafob I., ber im %af)xt 1606 einer in £onbon jufammengetretenen
§anbelafompagnie ba$ fianb $nrifd)en bem 30. unb 40. ©rab nörb*
lieber ©reite (SSirginien) , baä jtoifdjen bem 40. unb 46. ©rab
(9^eu=@nglanb) bagegen einer £>anbelägefeß|dwft ju ^ßlnmoutf) jur
Kolonifirung öerlier) , führten §anbeläfpefulationen ju bauernben
Slnfieblungen in jenen ÖJegenben. ÜRadjbem foroofjl in 9teu=(£nglanb
als in SSirginicn fefie 9iiebertaffungen gegrünbet morben, naljm
3afob I. bie ben beiben £>anbel3gefeüfdwften ausgepeilten greibriefe
jurücf unb erteilte ben Änfieblern bie dichte freier (Snglänber.
Sßolittjdje unb religiöfe Unbulbfamfeit führte roäljrenb ber unter
Karl I. begonnenen inneren kämpfe ben norbamerifanifdjen Kolo-
nien eine große Qafy neuer Wnfiebler ju, bie jenfeitö be» £)cean£
Sdmfc fugten oor ben Verfolgungen, benen fie fidj in ber £>eimatlj
aufgefegt fa^en. 2)ie republifanifcb, gefinnten Puritaner manbten
fidj I)auptjärf)Ud) nad) ÜReu (Suglanb, wo bereite im 3a§rc 1621
oou ifjren @)lauben3br übern bie mistige Kolonie 9)2affaa)ufett§
gegrünbet tuorben mar, bie Königlichen unb .£>od)f irdjlidjen bagegen oor=
jugätueife nad) SBirginien. .frier grünbete ber jur f atfjoltfdjen Kirdje
übergetretene Sorb Baltimore, melier oon Karl I. ben nörb*
liefen Xljeil bon SBirginien als erbltdjea ©igentfmm erhalten Ijatte,
bie Kolonie SJcarölanb, in melier fortan bie oerfolgten englifd)en
Katfjolifen eine fixere 3uflud>t«ftätte fanben. 3m 3af)re 1 682 mürbe
burdj ben Duäfer SBifliam Sßenn (f. ©. 179) bie balb §u fjol)er
Sölütye emporfteigenbe Kolonie ^ennftolbanien gegrünbet.
Digitized by
I
SBä^rcnb ein %\>t\l ber «uStoanberer ftdj in ben am SReere gc*
grüubeten ©täbten nieberlie&, bic hauptiäd)lia} burd) ihren Serfe^r
mit ben glibufHern — Abenteueret au* allen Kationen, roclc^e
fich auf einigen ber Heineren toeftinbifchen 3nfeln fcftgefefct Ratten
unb im ftebje^nten Qahrfmnbert gegen bie fpanifäen ©djtffe unb
Kolonien einen großartigen SRäubcrfrieg führten — jiemlidh rafdfr \
emporblüf)ten, brangen VInbere tiefer in ba* Üanb hinein, um fidj
in ben Störungen ber Urtoälber anjubauen, wo pe große SBalb*
ftreden theil* bura) geuer, thcil* mit ber 2lrt au*robcten. SHcfe
fiefcteren Ratten fernere kämpfe mit ben ebenfo graufamen aU
lifttgen gnbtanern ju beftehen, für welche fie als bie »tauber ihrer
Sagbgrünbe ein ©egenftanb be* grimmigften $affe* waren, «ber
bie nur mit SBogen unb fleule bewaffneten inbianif^en Säger Oer*
motten Wicht* gegen ba* geuergewetjr ber SBeißen, mie gegen
beren überlegene pfjofifdK Itraft, Slu*bauer, Klugheit unb rütffidjtä*
lofe «nfprüche; bat)er bezeichnet ba* «orbringen ber englifchen
stoiontjatton in ycoroamenra ein jtete* ioertreioen uno xserniajten
ber 3nbiancr, bie in ©nglanb feinen gürfprecher fanben, ber it)re
<Sad)e oor bem Xfjrone oertreten hätte, wie ber eble ßa* (£afa* bie*
für ihre ©rüber im ©üben gett)an fyatte. SBäfyrenb bie 3nbianer ben
oorbringenben englifchen «nfieblern ba* gelb räumen mußten, wur* (
ben in ben fübltchen ^roüinjen, feitbem bie engltfche Regierung auf*
gehört hatte, bie $eportirten $ur ©flaoenarbeit in ben Kolonien Oer*
toenben $u (äffen, ftegerfflaoen eingeführt, mit welchen bie (Jnglän*
ber bamal* einen äußerft geminnreichen §anbel trieben.
3)ie englifchen Kolonien, beren 3al>l fich bei bem Sluäbruch
be* Unabhängigfett*friege* auf breijehn belie}1), toaren t^eild rein
bemofratifche, wie namentlich bic in 9ccu=(£nglanb, tt)eü* oon ber
m roue angelegte, in welche ba* in (Englanb ^errfa)enbe ariftofra*
ttfehe (Clement oerpflan^t worben (SMrginien, 9cew*$orf, bie beiben
Carolina, 9lew*3erfeö, Georgia) theil* aua^ ^runb^errenfolonien,
wie SRarntanb unb ^ennfoloanien. Vlüe Kolonien aber befagen
bad englifa^e 9fted)t, bie englifa^e freie (JJemeinbc= unb SBegirt&oer«
faffung, unb feitbem im Jaljre 1719 unter @eorg I. bie SB^ig«
Regierung bie (&runb()errenoer()ättniffe aufgehoben hatte, beruhte bie
Sßerfaffung fammtlia^er Kolonien auf bemorratifa)er (&runblage. VLn
ber ©pi^e ber Regierung ftanb in jeber Kolonie ein (Stauoerneur
1) Sirgintcn (1607); 9*e»»f)or! (1614 Don ben ^oaänbern aegrünbet,
1664 oon ben enalttnbern erobert; 9Ra[fac$ufett3 (1621); «cjo^ainpf^ire
(1623 toloniftrt, anfang* ein Xtpil oon S»affad)ufett«, feit 1679 felbftftftnbige
Äolonie); TOarolanb (1632), Äonncttifut (1635 oon SRaffadjufettS au# folo*
nifirt); ^obe=3«lanb (1638); ftorfejfarolina (1650); Süb^acolina (1670);
2)elan>are (1638 oon ben S^meben unb $onOnbem foloniftrt, 1662 oon ben
©nglftnbem erobert); Wero^erfeo (1623 oon ben §ottünbcrn tolonifirt, feit
1664 englifö); «ßenn|oloontcn (1682) unb Georgia (1733). I
Digitized by Google
*)er noroameruam|aje tfreityettörrteg.
al* ©tellberrreter beä flöntg* ; ba* Obernaus war burch einen Stath,
ba* Unterhaus burch eine bon ben ©ürgern gewagte SBerfamm*
lung öon Stepräfentanten oertreten. $ie föniglichen Remter wur*
ben jeboch meift mit eigentlichen (Snglänbern befefct. Sluch geftattete
Englanb, ben ©runbfäfcen ber alten Äolonialpolitif getreu, feinen
norbamerifanifdjen Kolonien nur mit bem SJiutterlanbe einen ööüig
freien 95crf c^r ; bie Ausfuhr öon Siohprobuften nach fremben ßän*
bern unterlag grojjen ©efchränfungen, unb bie Einfuhr öon folgen
aus fremben Sänbern mar gänzlich öerboten.
$a Snglanb ben fiebenja^rigen Ärieg mit Sranfreidt) ^anpt-
fäd)lich im 3ntereffe feiner norbammfanifdjen Kolonien unternommen
unb baS Ergebni& beSfelben — ber Erwerb Eanaba'3 — fie öon
ber gefährlichen Siähe ber ^ranjofen befreit hatte, tyttt ftet) bie
engüfct)e Regierung für berechtigt, bie Kolonien burch bie «ufer*
legung einer inbireften ©teuer in einem geroiffen SSerhältniffe ju ben
fefjr bebeutenben tfriegäfoften heranzuziehen, unb belegte be&fmlb im
3at)re 1764, mit 3uftimmung be* Parlaments, öerfdjiebene $an*
beläartifel mit einem Eingängen ; auch führte fie im folgenben
3at)re eine ©tempelfteuer ein. (Segen 93eibe3 proteftirten bie Pro*
üinjtal="$arlamente ber Kolonien, inbem fte bem Parlamente bed
SJcutterlanbeS, in welchem fie nicht oertreten waren, ba* Siecht be=
ftritten, eine neue ©teuer einzuführen, unb als Englanb auf bem
beftanb, wa3 e£ als fein Siecht anfat), befchloffen bie Stäube ber
einzelnen Kolonien auf einer SSerfammlung ju Siew^orf, fidj ber
©tempeltare nicht 311 fügen unb bie Einführung zollpflichtiger SBaaren
nicht zu geftatten.
Xurd) ben einmütigen SBiberftanb ber Kolonien gefdjrecft, zog
ba$ englifche Parlament im 3at)re 1766 bie Stempelafte zurüd,
erflärte jeboch babei audbrücflich, bafj ihm bad Siecht zur öefteuerung
ber Kolonien zuftcljc, unb belegte, um biefeS Siecht zu betätigen, im
Sahre 1767 ben Xhee, fomie @laä, Rapier unb Malerfarben mit
einem geringen Eingängen, beffen Ertrag für bie ftefolbung ber
englischen Beamten in ^merifa beftimmt mürbe. Xro| ber Oering«
fügigfeit be$ feftgefefcten Solle« fügten fich bie Ämerifaner nicht, weil
fie ertannten, bafj e3 bem englifchen Parlamente nur barum zu tt)un
mar, fein Söefieuerungärecht aufrecht ju galten, unb bie heftigen
Debatten, bie in bem englifchen Parlamente, befonberS im Unter*
häufe, über bie Siechtmä&igfeit ober #mecfma&igfeit ber ben #olo«
nien auferlegten neuen Steuern geführt mürben, fonnten fie nur in
ihrem SBiberftanbe beftärfen.
5)ie in ben Kolonien herrfchenbe gereizte Stimmung trat zuerft
in SRuheftörungen zu SBofton, ber #auprftabt öon 2Jcaffachufett3, zu
Sage. 2113 bie dotteinnehmer eine mit SDlabeiramein belabene Sdja*
luppe, bie einem fehr beliebten SJianne gehörte, wegen falfcher 2ln*
Digitized by
672 $cr norbamerüanifcfc 8rrcü>it3frteg.
gaben in ©efdjlag nahmen unb burdj bic ©efafcung eine« im #afcn
tiegenben SriegäfchiffeS unter bie Kanonen be8 gollhaufe* bringen
liegen, entftonb ein allgemeiner Auflauf, wobei e« öon ©eiten be*
SSolfeS ju ©ewaltthätigfeiten gegen bie Üotlbeamten fam. $ie$ gab
bem Parlamente $eranlaf[ung, ein partes ©trafgefefc £einrich3 VIII.r
nach Welchem $>ochoerrath, aufeertjalb beä deiche* begangen, in Eng*
lanb unterfucht »erben foflte, mieber in tfraft $u fefcen, obgleich
jahtreiche 9Jcitglieber barauf ^ingetniefen, ba& biefeS ®efefc auf bie
norbamerifanifchen Kolonien feine Anmenbung pnben fönne, inbem
ju ber Seit, in welcher ba$felbe erlaffen warben, noch gar feine
iiDer]eeiicöen viniteoiungen oe]tanoen natten.
#atte fdjon biefe SRa®el unter ben tfoloniften eine tiefe
Erbitterung wachgerufen, fo würbe biefelbe noch gefteigert burch bie
riitfficf)t3lofe ©eljanblung, bie ihrem ©efchäftaträger in fionbon, bem
in allen Kolonien h«"h angef ebenen ©enjamin granflin, $u Xr)eil
würbe, tiefer berühmte SRann (geb. 1706 ju ©ofton, al« ber
©ofm eine* unbemittelten ©eifenfieberS), ber 3nr)aber einer bebeu=
tenben ©uchbrueferei in tytylaMpfya, ber fich burch bie ÖJränbung
Dieter gemeinnüfcigen Anftalten, inäbefonbere auch burch feine ©e*
mühungen für bie £ebung be3 Solfäunterricht«, um fein Saterlanb
unb burch eifrige ©tubien, bie Um auf bie ©rfinbung be3 ©lifcab*
leiterS geführt, um bie SBiffenfajaft öerbient gemacht unb öon ber
englifa)en Regierung junt ©eneralöoftmeifter aller amertfamfehen
Kolonien ernannt worben, mar bei ben junehmenben WlifätüiQUittn
$nnfd)eii ben Kolonien unb bem üftutterlanbe Don SDcaffadmfettS unb
mehreren aubern $roöin$en nach fionbon gefanbt worben, um bei
ber Regierung bie fechte feine« SBaterlanbe* ju üertr)eibigen, wie
er bie« bereit« früher mit ebenjobiel (Sntfchiebenheit ati ®efd)id in SBort
unb ©djrift getfmn hatte, ftachbem ed ir)m gelungen mar, fich in ben
©efifc ber ©ertchte be« Statthalter« öon TOaffacr^ufettd ju fefcen, in
welchen ber englijehen Regierung (Bewaltmafjregeln gegen bie #olo*
nien empfohlen mürben, hatte er biefelben naa) Amerifa gefchuft,
worauf ber ©taat öon 2Haffadjufett3 in einer an ben ftönig gerich-
teten ©orfteßung um bie Abberufung be« Statthalter« gebeten hatte.
3n biefer Angelegenheit öor ben geheimen föattj geforbert, mar
Sranflin öon bem fltonanwalt als Aufruhrer behanbelt unb al« ber
erbittertfte unb gefährlichfic geinb ©nglanb« bezeichnet worben.
Snjwifchen hatte fich in golge be« (Sntfchluffe* ber Amerifa-
ner, feinen Ztyt mehr au* @nglanb ju begehen, in ben SBorrath«*
haufem ber oftinbifchen Kompagnie eine fo beträchtliche Dftenge bie-
fer SBaare aufgehäuft, bog bie ©efellfchaft ftch erbot, ben boppel-
ten 2lu*gang«joll ju §ahlen, wenn bie Regierung bafür ben ante*
rifanifchen eingang^oll aufhebe. 2)ie Regierung lehnte jwar
biefen Antrag ab, weil fie ihr ©efteuerungärecht burchfe^en Wollte,
Digitized by Google
$er norbamerifanifäe f>rci^cit«fricg.
673
hob aber bagegen im Safere 1773 burch bie fogenannte „X^ecafte"
für allen nach ben englifchen SRteberlaffungcn in Wmertfa ju fen*
benben %tyt bic Stuäfu^rjöae auf, in ber Hoffnung, burch bic grö*
§crc SBo^IfelQpeit beS 2lrtifelS bic Slmerifaner jutn Slnfauf beSfel*
ben -\u üerlocfcn unb auf biefem SSegc bic inbireftc Slnerfennung
if)reS VcfteucrungSrechteS jit erlangen. $ie Kompagnie fanbte
hierauf eine Wn^l bon $f)eefduffen nach Hmerifa. £ier hatte
man jebod) Sorge getragen, bie SluSfdn'ffung berfelben $u Dermin»
bern. ©urd) 3eitungen unb glugfchriften mar an alle #afenftäbte
bie Slufforberung ergangen, bie $fjeefd)iffe nicht einlaufen ju laffen,
„roeil fie mit ben Seffeln belaben feien, bie ©ro&britannien für bie
Kolonien gefchmiebet", unb Qeber, ber auf irgenb eine 2lrt ba^u
behilflich fein werbe, mürbe mit ber furdjtbarften föaaje bebroht.
2ÜS beffenungeachtet mehrere Sfjeefduffe unter bem Sdjufce ber eng*
lifdjen ^riegSfchiffe in ben £afen bon Vofton einliefen, brängte fiefj
eine Slnjahl bewaffneter £eute, bie als Ettofjarof^nbianer berflei*
bet waren, auf biefelbeu unb warf bic ganje Labung <tytz — adjt*
äefmtaufenb f funb — inS SBaffer. (18. $ej. 1773.) Die Solge biefeS
©emaltafteS, ber in (Snglanb eine ungeheuere Aufregung Ijerüorrief,
mar ber @rla& eines ParlamentSbefchluffeS, burch melden bie
Sperrung beS §afenS bon Vofton, foroic bic Vefchränfung ber ber*
faffungSmägigen Freiheiten bon SRaffachufettS berfügt mürbe.
2US biefe Parlamentsafte in ben Kolonien befannt gemorben,
befdjloffen fämmtüa^e Probinjen, allen $anbclSberfehr mit bem
Sttuttertanbe aufju^eben, bis biefelbc jurücfgeaogen fein merbc. Qnx
Herbeiführung eines einmütfngcn gufammengehcnS murbc bie SU*
bung eines aus ben Vertretern aller einzelnen Probinjen beftehenr
ben ÄongreffeS bereinbart, beffen burd) Stimmenmehrheit gefaßte
Vefdjlüffe allgemein giltig fein foOten. $ie ©rgebnifje ber 33c*
ratfjungen biefeS ftongreffeS, ber am 4. (September 1774 ju Phila*
belpfjia eröffnet mürbe, befunbeten nicht nur bie öoöftänbigfte @inig*
feit unter ben Kolonien, fonbem auch baS Vewu&tjein ber in biefer
©inigfeit liegenben $raft. 9iaa^bem bie Verfammlung ben Vejchlufc
gefaxt, baß bon einem gemiffen ßeitpunftc an fomohl bie Einfuhr
englijeher SSaarcn, als aua) bie SluSfufjr amerifanifcher Probufte
nach ©nglanb aufhören foüte, erliefe fie Sufchnften an ben $önig,
an baS englifchc unb an baS amerifanifche Volt unb an bie Probinj
(Sanaba, morin fie erflärte, bafj bic Kolonien feine anberen «ßweefe
berfolgten, als bie SBahrung ihrer alten, mohlcrmorbcncn fechte gegen*
über ben (Singriffen beS Parlamentes unb ber englifchen Regierung.
28ie in bem früheren, fo waren auch in bem $u Slnfang beS
3ahreS 1775 jufammengetretenen neuen Parlamente bie Stimmen
über baS gegen bie Kolonien einjufchlagenbe Verfahren gethctlt.
Viele riethen jur Sftäfjigung, inSbefonbcre ber alte SBUüam Pitt,
fcolatoartfc, SJeltgeidjidjte. VL 43
Digitized by
674
9>er norbamerifamfdje greiheit&frieg.
ber trofc feine« ferneren ©idjtleiben« beim ^Beginne ber norbameri*
fanifchen Unruhen im 3a^rc 1766 nochmal« bic 93ilbung eine«
üflinifterium« übernommen, feine ©rette al« ßorb-©tegelbemahrer
jeboch im 3af)re 1768 toegen junehmenber Ifräuftichfeit niebergelegt
unb nur {einen ©ifc im Dberfmufe behalten hatte, in melche« er mit bem
Xitel ÖJraf oon (£^atam eingetreten mar. 2luf eine ifrücfe geftüfct, er*
fchien er in ber $arlament«oerfammIung, um mit bem ganjen geuer
feiner Söerebtfamfeit bie Regierung oor oerhängnifjoollen abgriffen
ju roarnen. „9Jcülorb«," fprach er, „fo wenig, al« ich mir an=
maßen fönnte, ©ie mit biefer $rücfe öor mir her$utreiben, fo un*
möglich ift e«, Slmerifa $u erobern." Slber bie SJcinifter tooHten
Slmerifa &u ihren güfeen feljeu, unb ba« Parlament ging auf ihre
SBünfc^e ein. 9ta$bem eine neue $3iII ben brei^elm ^roöinjen allen
Söerfe^r mit (Snglanb unterfagt unb ihr ©igenthum al« oerfallen an
bie $aper — bie Beamten Oon ©einer Sflajeftät ®ricg«fchiffen —
erflärt hatte, mürbe im Dl tober 1775 ber SBefd>lu§ gefa&t, bie re*
bcKifct)cn f olonien mit SBaffengemalt jum ©ehorfam aurücfjuführen,
ju biefem ämeefe aber frembe Xruppen in ©oib ju nehmen, „bamit
bem engüjdjen (Seroerbfleifje nicht ju öiele #änbe entzogen mürben."
Slußer bei Regierung oon #annooer, bie ber englifdjen ein anfet)n*
liehe« Sruppenforp« jur Verfügung fteflte, liegen ftch bie gürften
oon ©raunfefnoeig unb £)effen;®affel bereit finben, fechaefmtaufenb
ihrer Untertanen an ©nglanb al« ©ölbner ju oerfaufen.
Unterbeffen Ratten in ben Kolonien bie geinbfeligfeiten bereit*
begonnen. 2ü« bie Nachricht eingelaufen mar, bajj ba« englifa^e Sßar(a*
ment eine ftfte erlaffen habe, burch meiere alle ©infu^r oon SBaffen
unb #rieg«oorräthen in bie brei^elm Kolonien oerboten mürbe, hatte
man fidj in ©rmartung eine« gemaltfamen Zugriff«, 511m beroaff*
neten Söiberftanb gerüftet. 3n äRaffachufett« maren jmölftaufenb
sJJcann, meift ajcilijen jufammengebra^t unb bei Soncorb große
$rieg«oorräthe aufgehäuft morben. Um biefe aufgeben, rücfte ber
S\im (Statthalter oon SDiaffadmfettö ernannte englifche ©eneral ®age,
ber ben^afen oon SBofton hatte bef eftigen laffen, gegen ©oncorb oor;
er mürbe jeboch am 18. Slpril 1745 bei Serington oon ben
amerifanifchen SRiligen angegriffen unb mit JBerluft jurücfgefchlagen.
5)iefer erfte ©ieg erhöhte bie allgemeine Jöegeifterung für ben
greiheit«fampf j felbft bie Ouäfer griffen ju ben SBaffen. Qvl ihrem
©l iiefe hatten bie $lmeritaner einen Sföann, bem fie mit bem oott*
ften Vertrauen bie ßeitung be« Kriege« übertragen tonnten. (£«
mar bie« ber bereit« früher (®. 458) ermähnte, burd) unerfchütter*
liehe töeMidjfeit unb glühenben greiheit«finn ausgezeichnete ©eorg
SS af hington (geb. 1732 ju ©nbge^Steef in ber ©raffcr)aft
Söcftmoorelanb in SBirginien, oft ber ©ohn eine« reiben ^ßflanjer«),
ber fich in bem fiebenjährigen Stieg ©ngtanb« gegen granfreich d§
Digitized by Googl
3>er norbamerifamfdje ftreif)eit3frteg.
675
tüchtiger 3üf)rer bewährt, ober nodj wäfjrenb ber 3)auer beafetben
bie militärifdje Saufbaljn aufgegeben unb feitbem auf feinem ©ute
9flount SBernon in SBirgtnien gelebt Ijatte, bi* er oon feinen 2anb**
Ieuten jum Vertreter SBirginien* auf bem Kongreß öon *ßf)ilabelpf)ia
ermaßt mürbe.
$8on bem Kongreß an bie ©pifce ber amerifanifa^en ®rieg3*
madjt gefteflt, entfaltete SBaffjington bie umfidjtigfte unb einftdjt**
üotlfte Xfyätigfett, junäcfjft in ber ^Bewältigung ber jafjtretdjen
©djwierigfeiten feine* 9lmte*. $)a ber 2)ienft im Äampfe für bie
SRedjte ber Kolonien ein freiwilliger war unb überbie* bie Sßro*
üinjiatoerfammlungen, um ben Bürger nidjt im ©otbaten aufgeben
ju (äffen , bie Xruppen in ben erften ®rieg*jaljren naefj Ablauf
einer gewiffen Seit wieber nadj £>aufc jurücffdjren ließen, war bie
Slufredjtfjaltung ber $rieg*ju<$t unb bie 2(u*bilbung eine« frieg*--
tü artigen £>eere* eine äußerft fdmnerige Aufgabe. $aju !am bie
93erfdjiebenf)ett ber jum Kampfe oerbunbenen SBölfer fünften , bie
einauber tfjeil* fremb, tt)eitd fetnb waren, unb bie Sftannigfaltigfeit
ifyrer s2(nfa^auungen unb Sntereffen, woburd) in*befonbere , ba ber
Kongreß feine Steuern au*fcf>reiben burfte unb fidj auf bie öu*gabe
öon ^ßapiergelb befdjränft fafy, beffen #rebit burdj feinen ©erneut*
finn aufredet erhalten würbe, bie ©efefjaffung ber nötigen ©elb*
mittel auf bie größten ©djwierigfetten ftieß. STud) fehlte e* nidjt
au einer föniglid) gefinnten Partei, bie überall $>emmniffe ju be*
reiten bemüht war.
£ro|j biefer ungünftigen SSerpltniffe gelang e* ber Umfielt
unb ©ef)arrlid)feit SBafljington* , ba* buntgemifdjte , ungeübte £>eer
fo rafdj in bie ©emofmfjeit be* Kriege* $u bringen, baß ber ©ene*
rat ©age bie auf ber 9lnl)öl)e öon 93unfer*fjiU bei SBofton Oer-
fdjanjten Äolonialtruppen erft nadj einem breimaligen oergeblidjen
Angriff, bei welkem bie (Snglänber mefyr at* taufenb 2ftann Oer*
loren, au* ü)rer Stellung oertreiben fonnte (15. Quli 1775).
Qnjwifdjen waren SBerftärfungen au* ©ngtanb unter ben ©ene*
raten $ome, SBourgotme unb Clinton in SBofton angefommen; fte
würben jebodj al*balb bort oon SBaföington eingefdjloffen unb
litten, ba bie Xruppen mit ädern 9cotfjwenbigen, felbft mit ^ßferbe*
futter unb ©teinfo^len , au* (Snglaub üerfef)en werben mußten,
wäljrenb be* SBiuter* oon 1775 unb 1776 ben fdjrecfüdrften Langel.
$ennorfj matten bie englifdjen Generale feinen i8erfudj , fidj au*
iljrer mißlichen Sage ju befreien; erft nadjbem ©enerat (Stege nad)
©nglanb $urücfgefefjrt war, befdjloß ber ©eneral £>ome, fein Sttadjfolger
im Oberbefehl, SBofton 311 räumen, unb braute biefen dntfdjluß
am 16. 2Rär$ 1776 jur 2lu*füf)rung. SReue 3ujüge au* (Snglanb
erljöfjten balb ba* englifc^e #eer auf bie ©tarfe oon breißigtaufenb
3#ann, unb ba ba*felbe nunmehr bem amerifanifdjen an 3af>l K>eit
43*
Digitized by QßOgle
67G
Ter norömnerifanifcfjc iVvcitjcit-Sfriefl.
übcrteflcn fear , errang e$ über ba* ledere mehrfache Sortheile.
£ie Wmertfaner mu&ten mit einem Serlufte oon breitaujenb üWann
Song 3^nb räumen r unb bie Stabt 9cem*?)orf mürbe Don ben
Qrnglänbern fcejefet. Xrofcbem oerlor ber Kongreß, ber feinen Si&
oon ^P^Uabelp^ta nach Baltimore oerlegt tyattt , ben 9fluth nicht;
er erflärte oielmehr am 4. 3uli 1776 bie norbamerifanifchen #olo*
nien für einen unabhängigen unb fouoeränen Staat. $tefe (5r-
flärung mar jmar urfprünglich nur oon fiebert ^roüinjen ausge-
gangen ; bie fedjS übrigen traten jebodj berfelbeu fdjon nach wenigen
lochen bei, unb am 4. Oftober 1776 erfolgte bie förmliche ÄonfrU
tuirung beö amerifanifchen Staatenbunbe*.
Unterbeffen tjatte ftch Söafhington, ber burch bie erlittenen
SRieberlagen in ber Ueberjeugung beftärft worben, bafe er mit fei=
nem jehwachen, fehlest organiftrten £eere nicht im Stanbe fei, bie
feinbliche Uebermacht ju bewältigen, unb ba& ber Sieg nur burd)
gebulbigeS 3lu3horren unb oorfichtigeä Qauberu ju erringen fei,
barauf befdjränft, ben geinb $u beobachten unb ihn burd) gefdnefte
Bewegungen irre $u fuhren, um ben Moment $u erfoähen, wo er
i^m burch Ueberrafchung eine töieberlage bereiten tonne. 3u ®nbe
^ejember 1776 ging er, als sporne fein Jpeer in bie ©interquar*
tiere audeinanber gelegt hotte, über ben zugefrorenen Delaware unb
nahm am 26. Dezember bei X r e n t o n eine Wbtheilung Reffen —
taufenb ©emeine mit breiunbjwanjig Offizieren — gefangen; zehn
£age fpäter, am 3. 3<miiar 1777 , gelang ihm baä bleiche mit
einer anberen Wbthetlung bei $rincetown.
Sticht minber glürflidjc Solgen, al* bieje mit ebenfooiel Kühn-
heit als Ueberlegung aufgeführten Unternehmungen, bura) welche
ber gefunfene 3ttuth ber Vlmerifaner wieber aufgerichtet würbe,
hatte bie Sludbauer , mit welcher äöajfnngton in einem befeftigteu
Siager ju 2)corri$town , ben Wufforberungen Jpowe'ä $ur Schlacht
wiberftehenb, mit achttaufenb SRann ein engtifched jpeer oon breijjig*
taufenb äNann in Unthätigfeit tyitlt. &13 £owe enblich gegen
s4$l)ilabelphia aufbrach, jah fich SBafhington genitttugt, ihm borthin
§u folgen unb ihm am Sluffe söranbnwine am 11. (September
1777 eine Schlacht anzubieten, bie jum 9tad)theil ber $lmerifaner
enbete unb bie (Sinnahme oon ^ß^itabelpr^ia bura) bie (Jnglänber jur
Solge hatte, dagegen Würbe ber englifche General sBourgoune,
ber oon (£anaba auf in ba$ 3nnere oon sJteW-Öorf bis jum ^>ub-
fon oorgebrungen war, nach einer am 7. Oftober 1777 gegen ben
(General (Stoteä erlittenen Sttteberlage, bei S a r a t o g a fo oollftanbig
eingejchloffen , bafj er fia) am 15. Dftober mit bem SRefte feine*
$eered gefangen geben mufjte.
2)iejer Unfall oerjehaffte ber Jriebendpartei im englifchen
Parlamente bie Oberhanb, unb bie englijehen sJ)ttnifter cntjchloffen
Digitized by Googl
$er noibamerifamfdje &reU)ett*frieg.
677
fidj um fo rafdjer , bie £anb jur 2lu*fül)nung ju bieten , al* bie
Spaltung ber fran$öftfd)en föegterung iljnen bte ernfteften ©eforg*
tuffe einflößte. 8eit bem beginne be* norbamerifanifajen Sreiljeit**
friegeö hatte bte ©aaje ber Slmerifauer in Sranfreicf) bie regften
©mnpatfn'en gefunben, weniger au* £>a§ gegen (Snglanb, al* au*
SBorliebe für bie feit mehreren Qafjrjeljnten oon ben mortfüf)ren*
ben ©djöngeiftern gepriefene republifanifdje <Staat*form. SBie bie
franjöfifdjen ©eeftäbte in*gehetm bie Slmerifauer mit SBaffen unb
®rteg*oorrätf)en unterftüfcten , fo eilten begeifterte Scanner , unter
ifmen ber äWonjigjährige , für bie €>ad)e ber greifjeit glüfyenbe
9flarqni* ton Safatjette, au* einem ber ebelften (SJefdjledjter Sranf*
reidj*, ber ®raf Sftodjambeau unb bie beiben (trafen #ametf), nadj
Slmerifa , um unter SBaffnngton* gafme für bie llnabfjängtgfeit
ber Kolonien $u fämpfen, ein ißeifpiel, bem audj bte Sßolen JÜo**
ctu*fo unb $ulam*ft unb bie beutfdjen Marone bon (Steuben unb
oon #alb nachfolgten. SGBenn audj bie fran&öfifdje Regierung bte
<&efinnungen ber Söeoölferung be* ßanbe* bejüglidj ber norbameri*
fanifdjen Kolonien nidjt tfyeilte, fo trat fie bod) ben Äunbgebungen
berfelben nidjt entgegen, weil fie in ber ©ajäbigung ber Qntereffen
Gmglanb* eine Sörberung be* eigenen SBortfyeil* faf).
©ajon im 3af)re 1776 war gvanflin mit unbefdjränften 33ofl*
machten be* Äongreffe* $um Slbfajluß eine* ©ünbniffe* mit ber
franjüfifdjen Regierung naa) ^ßari* gefommeu, unb ber fa)ltd)te
Slmerifaner, ber nid)t nur burdj fein offene*, gerabe*, mit amerifa*
nifd)er ©d)laul)eit gepaarte* Auftreten unb fein republtfanifdj philo*
fophifdjc* SBefen bie ©ntljufiaften au* SRouffeau'* ©djule entjürfte,
fonbern audj in feiner einfad&en £anbe*trad)t unb feinen ungepuber*
ten paaren ber oorne^men SBelt ein neue*, ungewohnte* ©chaufpiel
barbot, hatte in $ari* bte ehrenoollfte Aufnahme gefunben. 3)ie
franjöfifdje SRegierung trat jebodj au* ihrem ©djmanfen erft tyxatö,
a(* bie ämerifaner ihr burd) ben bei ©aratoga errungeneu (Srfolg
gleidjfam ein Unterpfanb für ben glütfltdjen 2lu*gang be* Kampfes
gegeben Ratten. s2lm 6. gebruar 1779 fam ju $ari* ein 23ünbni&
$wtfd)en granfreiö) unb Mmerifa ju ©tanbe, worin Subwig XVI.
)\d) oerpfliajtete, ben norbamerifanifdjen 3freiftaat fo lange ju unter*
ftüjjen, bi* (Snglanb beffen Unabhängigfeit anerfannt Imbe.
$er 2lbfd)luf$ btefe* SBünbutffe* bereitete alle 3lu*föf)nung*=
uerfua^e (Snglanb*: in bem Bonner ber Kanonen, womit in ben
Kolonien bie Jöerbtubung mit Sranfrcid) gefeiert würbe, ging ber
3rieben*ruf be* 2Wutterlanbe* unter. 3m englifdjen Parlamente
waren S3icie ber ^Infia^t, ba& e* ba* föatfjiamfte fei, bie Unab-
Ijängigfeit ber Kolonien bebingung*lo* anjuerfennen unb alle Xrup*
pen au* 2lmerifa jurürf^ujtehen ; ber bie*be5üglta^e Antrag würbe
jebod) auf ba* @ntfa)iebenfte oon demjenigen befampft, ber bi* ba*
Digitized by Google
678 $er norbamerifcmifdje frreihettSfricg.
hin immer mifben unb nachgiebigen 9Jcagregeln gegen Slmerifa
geraten hatte, oon SBifliam <ßitt. $er greife Staatsmann fonnte
ben ©ebanfen nicht ertragen, bag bie Kolonien, für beren ©e*
hauptung unb SBofjlfahrt er ben fiebenjährigen Stieg mit 3ranf=
reich mit fo meiern ftufwanb oon S3e^arrlid)feit unb ®efct)tcf ge=
leitet, für (gnglanb oerloren feien unb bem oon ihm fo fefpr ge*
jagten granfreid) ber Xriumph bleiben füllte, burd) fein ©ünbnig
mit benfelben biefen «erluft befiegelt $u haben. SBanfenben Schritt
teS, auf feinen Sibam unb feinen Sofm geftüfct, erfchien er am
7. 2lpril 1778 im Parlamente, um mit faft fterbenber Stimme
eine feurige Siebe ju galten, bie mit ben SBorten fdjlog: „Sluf,
lagt uns fampfeu, fallen, wenn es fein mug, unter ben Prummern
bcS EatcrlanbeS!" 2tl# er jum ^wetten Wale auffielen wollte, um
bem trafen 9tichmonb ju antworten, ber jenen Antrag gefteOt, fiel
er in Oljnmadjt unb mugte nach Jpaufe getragen werben. Grinen
SKonat fpäter, am 11. 2Rai 1788, ftarb er, in feinem fiebjigfteu
ßebenSjahre. 2öie wenig er in ber merjätjrigen ruhmvollen ßeitung,
ber englifchen (Staatsangelegenheiten auf feinen eigenen iöorttjeil be*
baa)t gemefen, beweift ber Umftanb, bag bie Nation nach feinem
$obc Gelegenheit fanb, ihm burd) bie ©ejahlung feiner ©Bulben
i^re £anfbarfeit ju bemeifen.
$em SSünbnig granfreicljs mit Wmerifa trat, auger Spanien,
baS burd) ben bourbonifdjen gamilienoertrag $um 2lufd)lug ge=
jmungen mar, auch Jpollanb bei, an meines dnglanb im 3ah*e
1780 ben ßrieg erflärt hotte, meil bie ©eneralftaaten fich ben
waltthätigfetten ber (Snglänber gegen bie neutralen Schiffe wiberfefct
hatten. $>ie willkürlichen llnterjuchungen, womit biefe Schiffe burch
bie (Sngtänber beläftigt mürben, bewogen auch Xänemarf, Sdnoeben,
$tuglanb unb Portugal, fich ju einer bewaffneten Neutralität gegen
©nglanb ju öerbünben. Der $ampf entbrannte nun auf allen
Speeren. 3n Elften unb Wfrtfa fachten fich bie friegführenben SJcachte
gegenfeitig ihre Kolonien ju entretgen, unb baS $riegSglüd fdnoanfte
hin unb her, bis enbtidj bie ©nglänber unter ihrem helbenmuthigen
5lbmiral SRobneö bie Cberhaub behielten. 2)er fpanifche QJcneral
(Eriflon entrig ihnen jmar bie 3nfel SÖctnorfa (Jebruar 1782);
bagegen behauptete fich ber $ommanbant oon (Gibraltar, ßorb (Slliot,
bret Qahre lang gegen bie Angriffe ber fpanifd)=fran$öfifchen 5lotte
unb rettete bie ihm anöertraute wichtige Seljenfeftung burch bie 3er*
ftörung ber fchmimmenben ^Batterien bes 3ngenieurS b'3lr^on.
SBeniger glüeflich als jur See waren bie ©nglänber in bem
fortgefefcten Sanbfriege tu Slmerifa, obgleich bie Slmcrifaner im
(5)anjen wenig töriegStüchtigfcit entwickelten unb ber s2(bfatl bes
burch Selbhcrrntalent unb grogen perfönlichen 2Jcuth hcr0orra9cll=
ben ©enerals Slrnolb, ber im 3<*h« 1780 öerrätherifcher SBeife
Digitized by Google
S>er norbmnerifanif^e ftreiheitSfrieg.
679
ju bcn (Snglänbern überging, ben jungen greiftaat in gro&e
fahr braute. 3>er englifdje General Clinton unterwarf jmar im
3ahre 1780 ©übfarolina unb fudjte hierauf Virginien unb bic
lüften üon Stendorf mit furchtbaren Vermüftungen heim, roäh=
renb bie füblichen ^ßroüinaen burch ben (General dornmatliS üer*
heert würben; allein eine (Sntfdjeibung mürbe baburdj nicht her-
beigeführt. 3" Anfang beS 3af)re3 1781 brach Söafhmgton, nach=
bem er eine unter feinen Xruppen auSgebrodjene 2tteuterei glüeflich
übermältigt hotte unb burch eine in granfreich contrahirte Anleihe
üon fechjefm SMionen SiüreS in ben ©tanb gefegt morben mar,
feine ©olbaten burch eine regelmäßigere Vejafjlung unb beffere
Verpflegung 5itfrieben ju fteöcn, im feereine mit einem ingtoifchen
angefommenen frangöfifa^en ^>ilf^r)ccrc , nach bem ©üben gegen
SornmalliS auf, ber tnjmifchen in jroei treffen gegen ben (Gene-
ral (Greene fiegreid) mar , fchlie&lich aber üon biefem bis auf
(SfmrieStomn jurüefgebrängt mürbe. Clinton jog ihm jroar nach;
eS gelang jeboch SBafhington, benfelben burch QeTe^idftc #emegungen
über baS 3^ feines 3"9C^ bn täufchen unb ihm baburch einen fo be-
beutenben Vorfprung abzugewinnen, baf3 beffen Vereinigung mit
SornroalliS nicht mehr berocrfftelligt merben tonnte. 5)en Sefcteren
fchlojj er, im Vereine mit Safatjette, ber am 14. ©eptember ju ihm
geftofien mar, am 19. Dftober 1781 in ?)orf toron fo üoOftänbig ein,
ba& fich berfelbe genöthigt fah, ftet) mit feinem ganzen £eere ju er=
geben unb ben kmerifanern feine fämmtlichen ®efchüfce unb alle
feine $riegSüorrätf)e auszuliefern.
SDJit bem Sage üon ?)orftomn mar ber norbamerifanifche grei
heitSfrieg im SBefentlichen beenbigt. 3n bem neuen Parlamente,
baS gu Anfang beS 3ahre$ 1782 jufammentrat, ^atte bie ben grie=
bcn befürmortenbe Dppofition fo entfdueben baS Uebergeroicht , ba&
ber ®ömg fich genöthigt fah, ein neues SJMnifterium im ©inne ber
griebenSpartei §u bilben, baS fofort mit ben Slmerifanern grtebenS=
unterhanblungen anfnüpfte. sMt bem Veginne berfelben hörten alle
geinbfeligfeitcn in Sftorbamerifa auf , mäfjienb ber $ricg (SnglanbS
gegen granfreich, Spanien unb ^oUanb trojj ber p ^ßariS gepflo-
genen griebenSunterhanblungen mit (Erbitterung fortgeführt mürbe.
55a bie ^artnäefigfeit, momit Spanien auf ber Verausgabe üon ®i=
braltar beftanb, ben Slbfdjlufj beS gricbcnS üerjügerte, fchloffen bie
Slmerifaner am 30. ^oüember 1782 mit (Snglanb einen üorläu*
figen befonberen Vertrag , in meinem biefeS ihre Unabhängigfeit
anerfannte unb ihnen t>ortr)ctlr)afte ÖJrenjen mit einem s2lntheil an
bem ©toeffifchfang bei Sßeufunblanb bemiüigte. $er befinitiüe triebe
jroifchen fämmtlichen triegführenben dächten fam am 20. Qanuar
1783 ju VerfatlleS $u ©tanbe. 3" bemfelben erfannte G£ng=
lanb in aller gorm bie Unabhängigfeit ber norbamerifanifchen ®olo=
Digitized by
G80
$er norbamertfoniföe ftretyeitsfrieg.
*
nicn on unb gab an bereit SBunbeSgenoffen ade toäljrenb beS Krieges
gemadjten Eroberungen jutürf, mit alleiniger $Tu3naf)me ber im
Süben ber ftüfte oon $oromanbel gelegenen Stabt ftegapatam, bie
ftoßanb ifjm abtreten mußte. 3ür bie befinitioe Serjia^tletftung auf
(Gibraltar erhielt Spanien Oft^Ioriba unb blieb au&erbem im 33e-
fifce oon SBefcSloriba unb TOnorfa.
ÜRorbamerifa ^atte feine Unabf)ängtgfeit erfömpft ; bodj blieb
if)m nod) bie fdntrierige Aufgabe, bie errungene Sclbftftänbigfctt
burdj eine georbnete SSerfaffung bauernb fidler gu fteHen. $a jmei
Parteien einanber gegenüber ftanben, bie $em o f r aten, meiere bie
politifdje ®emalt unter bie einzelnen Staaten oertfjeilt miffen , unb
bie göber aliften, bie einen Staatenbunb mit gemeinfamer 9te=
gierung grünben motlten , brofjte e3 *u cmften 3ermürfniffen §u
fommen; biefelben mürben jebod? burd) 2Baff)ington3 üermtttefnbeä
$aaroifd)entreten abgemenber. Eine oon bem Kongreß im 3at)re
1787 nadj $lulabelpf)ia jufammenberufene ©eneralüerfammlung oon
Teputirtcn ber breige^n Staaten einigte ftd) , nad) mannigfachen
Sdjmanfuugen unb Reibungen , über eine berfaffung, bie im 3af)re
1789 oon allen Staaten angenommen mürbe unb feitbem unoer*
änbert fortbeftanben r>at. Xura) biefelbe mürbe ba3 fianb unter bem
tarnen „bereinigte Staaten oon 9torbamerifa" für einen 93unbe§*
ftaat erflärt unb bie ootfyieljenbe bemalt einem <ßräfibenten , bie
gefefcgebenbe aber bem tongreffe übertragen , roeldjer au« jmei
tammern, bem „Senate" unb bem „$aufe ber ^Repräsentanten,"
befter>t. 3n ben Senat mäljlt jebe ^rooinj auf fedjä 3af)re jmei
ÜHttglieber, bie mtnbeftenS breifiig Qa^re alt fein müffen; in baä
^Repräsentantenhaus bagegen fenbet jeber Staat für bie $auer üou
jmei fahren auf je ftcbjigtaufenb ©intootyner einen toenigftenä fünf*
unb^mangig 3af)re alten ^(bgeorbneten. $5er ^räfibent roirb oon allen
ftimmberedjtigten bürgern auf Oier $af)re getoäl)lt, nad) bereu 9(b*
lauf er nod) einmal toiebergetoäfjlt merben fann, unb erbält einen
3af)rgel)alt oon füufunb^manjigtaufenb Dollar«. 6r ift jugleidj
£berbefcf)l$f)nber ber fianb* unb Seemadjt, fdjliefjt mit GHmotüigung
be3 Senats Verträge unb SBünbniffe, empfängt unb ernennt ®e~
fanbte, mie ifnn aud) bie Ernennung ber (Sioil* unb SRilitärbeamtcn
3iiftcr)t ; er beruft jäfjrlid) ben Kongreß unb ocrlciljt ben 93efd)lüffen
beäfelbcn burd) feine ©eftätigung ©efe(je3fraft. 93ermeigert er einem
Söefdjluffe feine Suftimmung, fo gefjt berfelbe an ben Kongreß jurüd
unb gilt bann bod) als ÖJefefc, menn fidj in jebem $>aufe jtoei Xrittel
ber Stimmen bafür erflären. llebrigenä fann ber 5ßräfibcnt in 5In*
flageftanb oerfefct unb megen Serratia, Söeftedjung unb anberer
fernerer iöerbredjen abgefegt merben. — lieber StaatSprojeffe unb
Streitigfeiten einzelner Staaten entfdjeibet baä ©unbeSgeridjt , ba$
3ugleid) bie työdjfte 21ppcHatiou8bel)örbe bilbet. $ie Religion ift frei,
Digitized by Google
$er norbamertfamftfje ftreü)ett&frieg.
681
infofern man nur einen ©ort befennt. An ber ©pifce jebeS einzelnen
6taate$ ftet)t ein (Souöerneur , ber im Vereine mit einer ©eneral*
öerfammlung bie inneren Angelegenheiten beäfelben leitet.
$)ie Aufgabe, alle SBerhältniffe bed jungen greiftaateS im ©elfte
ber SBerfaffung ju orbnen , fiel SBafhington ju , ber , nadjbem er
bereits am 23. 3)ejember 1784 feine Dberbefebläfmberftetle nieber*
gelegt, im Qa^re 1789 einftimmig jum Sßriifibenten ermahlt mor*
ben , unb er löfte biefe Aufgabe mit ber gleichen Eingebung unb
Umfielt, bie er als Selbherr bettriefen. (5r mürbe baber auch im
3al)re 1793 mieber gemalt ; boch verbitterten ihm öielfadje An*
feinbungen öon ©eiten ber $emofraten feine ©tettung fo feljr, baß
er ftch im 3ah*e 1797 gan$ au§ bem öffentlichen ßeben jurücfjog,
um feine Xage auf feinem öanbgute SDcount SSernon ju bcfc^Xiefeen.
£>ier ftarb er am 14. $ejember 1799 nadt) furjer ®ranfbeit. ©ein
9£ame lebt fort in ber im 3<*hre 1792 gegrünbeten SBunbe&ftabt
SB a f h i n g t o n , bie ben ©ifc be3 ®ongreffe&, be$ Sßräfibenten unb
ber (£entralbefjörben bilbet.
©djon neun Satjre öor SBafbington, am 17. April 1790, war
granflin in£ (Srab gefunfen. dreimal hatten it)nf feitbem er im
3af)re 1783 nach bem grieben Don SBerfaiUeä öon feinem ($efanbt>
fdjaftäpoften am fran^öfifchen $ofe jurücf gefebrt , feine Mitbürger
$um (Siouöerneur öon ^ennfolöanien gewählt, bis ihn im 3faf)re
1788 fein hohe* Alter unb junebmenbe ®ränflichteit genötfngt, fief)
öon jeber Xheilnabme an ben SRegierungSgefchäften jurücfjujiehen.
Unter bem (Geläute aller (SJlocfen unb bem Bonner ber Kanonen
rourbe feine irbifche ^>üde auf bem 3frtebt)ofc öon ^ßl^Uabelp^ia be*
ftattet, unb ber Kongreß ehrte fein Anbenfen burch bie Anorbnung
einer öiertoöchentlichen ßanbedtrauer. ©eine öon ihm felbft öerfafjte
(5Jrabfcf>rift lautet: „$er Sörper Benjamin granflinä , eine* Such*
brucfer3, liegt hier (gleich bem (Sinbanbe eine* alten Suche*, beffen
glätter jerriffen, beffen Xitel unb SBergolbung öermifcht finb), ben
Söürmern jur ©petfe. 3)a3 SSerf felbft aber wirb nicht öerloren
gehen ; benn e3 wirb (fo hoffte er) ttrieber erfcheinen in einer neuen
unb fchöneren Aufgabe, burchgefehen unb öerbeffert öom SBerfaffer."
$>ie norbamerüanifche Union bat fah fat jener 3eit mit bei*
fpiellofer SRafchheit $u einem SBcttreict) entroicfelt. ©chon im Qahre
1850 mar bie ©eelenjahl, bie im Qahre 1800 etroaä über fünf unb
ein Viertel 9tti£lionen betrug , auf breiunbjmanjig 2Kißionen geftie*
gen unb ift feitbem öon 3ahr ju 3at)r um mehrere ^mnberttau*
fenbe getoachfen. Acferbau, 93ieh$ucht unb Oeroerbfleijj habeu einen
bebeutenben Auffchmung genommen; inSbefonbere aber blüht ber
§anbel, nach 2lu§en geförbert burch eine £>anbel$flotte, bie an ®röfje
nur ber englifchen nachfteht, im Qnnern burch Kanäle unb Öanb*
ftra&en, bie nach öttc« Dichtungen ba3 ßanb burchfreujen, unb burch
Digitized by Google
682
3)er norbamerifcmifäe 3freifait«frieg.
ein auSgebeljnteS (Sifenbaljnnefc. SBic auf ben Volfäunterridjt große
Slufmerffamfeit öertoenbet ttrirb , fo ift aud) für bic nriffenfdjaftlidje
Vilbung burd) ja^Ircia^e fjöfjere ßefjranftalten geforgt, unb loctyrenb
öor bem Unabf)angtgfeit«frieg faum oon einer amerifanijdjen ßitc-
ratur bie SRebe fein fonnte, fjat fiefc feitbem auf aßen Gebieten be«
©djriftfteflertfjumä ein rege« Öeben entfaltet. Uebrigen« ift bei einem
großen XtjeUe ber Veöölferung ba« raftlofe Qagen nadj materiellem
öeminn fo fetyr in ben Vorbergrunb getreten, bag barüber jebe«
fjöljere Streben untergegangen, Selbft ber Kongreß ift baoon nidjt
unberührt geblieben : bie ©eftedjlicfjfeit fjat bei ben TOtglieberu beS-
felben in f^reefenerregenber SBeife ©ingang gefunben. Ueberljaupr
treten un« in ber norbamerifanifdjen Union, roic auf bem religiöfen
unb fittlidjen, fo audj auf bem gefeaidmftlidjen unb politifdjen
(Gebiete , bie fdjärfften Äontrafte entgegen , toie bie« bei einem
Staate, in toetdjem eine jo wcitgef>enbe greifet fierrfdjt , faum an=
ber« fein tann.
2)ie crfreulidjftc ©rfdjeinung in ber (Sntttncflung be« norb=
amerifanifdjen greiftaate« ift unftreitig ba« ungetuölmlidjc SBad)«>
tf)um ber fattjolifdjen IHrdje unb tyr fjerrlidje« , retd) gefeg=
netc« Söirfen für bie Hebung be« djriftlidjen ßeben«, für ben Unter*
riefet unb für SScrfe ber 2BoI)ltl)ätigfeit , mie für bie Verbreitung
be« a)riftlia)eu ©lauben« unter ben meljr unb mefjr bem £oofe ber
Vernietung anfjeimfatlenben 3nbianern. Seitbem ^apft $iu« VII.
im ga^re 1808 ba« ViStfmm Valtimore jur Sttetropole erhoben
unb Oier SuffraganbiStljümer errietet, ift bie 3af)l ber Metropoliten
auf ätoölf unb bie ber ilmen unterftetyenben Vtfd&öfe auf oierunbfünfjig
geftiegen, ju benen nod) einige apoftolijdje Vifare fommen, unb bie
fatljolifdje Vebölferung, bie ju (£nbe be« oorigen 3al)rljunbert* auf
breiunbjTOanaigtaufenb Seelen gefaxt nwrbe, beträgt gegenwärtig
meljr al« fed)ä Millionen. 5ür «rme unb Shanfe ift burd) bie
(£rria)tung Oon fiebenunbad)t$ig ,£>o«pitälern unb jnjei^unbertamanjig
anbern SGÖo^lt^atigfeit«anftalten Sorge getragen , bie meift oon
£5rbcn3fdjroeftem geleitet roerben. 3n ber Seelforge toie in ber
Seitung ber $af)Ireid)en Se^ranftalten nrirb ber feeleneifrige (Spiäfo*
pat oon einer großen Qaty öon £)rben«männern unterftüfct, bie, ben
öerfdjiebeuartigften geiftlidjen ©enoffenfdjaften ungehörig, in opfer=
freubiger Eingebung mit einanber wetteifern.
Digitized by Google
Inljaltowrjetdjmß.
9am vfitfälif^ri fmferi kie f«B ^B«lr«# fcfr frtififif^rM jttnlitifi.
(Einleitung
Seite
3
5
5
9
28
84
47
47
I. ffaifcr geoftolb I. (1658-1705)
geopolbfl äSafrl mtb etfte SRegierungSaeit
fleopolbfl £ür!enfriege. (1663-1699)
$a3 bent|cf)c SReicb unter tfeopolb 1.
IL 3)eutfd)lanbÄ Ihithtrauftanb im ftebjefjnten 3a$rljunbert
m. gubtoig XIV. oon %tanfreid). (1643-1715) .
ftranfreid) unter 9ftQ3arm3 Staatgtiermaltung. (1643—1661)
fliibtoiag XIV. erfte groberungSfriefle. (1667—1697) . . 01
fiubroiflg XIV. ©eroatttfrättgieiten gegen fteutjdjtanb, Spanien
unb tterfdjtebene italieniffle Staaten. (1679—1685) . . TL
gubmigg XIV. britter groberunggfricg. (1688-1697) . . 83
gubtoig XIV. als Regent . 93
SubraiflS XIV. ftof ■ . lül
$ic franaöfifcfre Literatur unter Subftng XIV. . . .107
IV. (Sngtanb in ber ^weiten fialfte be3 fle6aefrntcn ffafrrfjunbertS 124
Sie erften Seiten ber engtifflen fRepnbtü. (1649—1653)
(Sngtanb unter bem <Broteftorate (SrommettS. (1653—1658)
g>te Sieberfrerftefluno, beS fti3ntgtf)um3. (1660)
ftarl II. (1660—1685) .
ffafob II. (1685—1688) .
gSiltjetm III. (1689-1702)
V. $ie engtijcfye Siteratur im fcrf^efynten unb fieb^ctjnten $af)r
Rimbert
VI. $er fpatiifd?e Srbfotgcfrieg. (1701—1714)
Xie brei erften ftricflSjafrre. (1701 — 1703)
$te (Sdjtodjt bei ftttcftftäbt. (13. Muguft 1704)
3)ie bciben erften SRegicrunggjafrre SojepftS I. (1705 unb 1706) 195
124
136
144
149
161
IM
170
180
180
191
684 3n&alt3Derjcic$niij.
©fite
Sie 8djladjt bei Xurin. (7. September 1706)
198
Xie 3d)Iarf)ten bei Cubcnarbe (11. $uli 1708) unb bei
Sflalplaquet (11. Sept. 1709)
203
Xcr öturj 2)carlboroug,l)* (1711) unb ber Xob 3o|epi)S I.
(17. 9lprtt 1711)
207
Xie ^ r i c be n ä f d) 1 ü f ) e oon Utredjt, SRaftabt unb Reiben
211
VII. fiubiuigä XIV. Äu»gang
214
VIII. Wutilonb unter $eter bem Örofeen. (1682—1725) .
216
IX. $oIcn ut ber jmeiteu haltte beS ficbjeljnten 3al)rl)"nbertS
225
X. Dänemar! unter Sriebriä) 111.(1648—1670) unbStjriftianV.
(1670—1699)
229
XI. ©djtoeben unter Äarl XI. (1660—1697) unb in ben bret
erflen SRegterungSja&ren ftartft XII
235
XII. Xer norbtfetje ftriei]. (1700—1721) ....
239
Der bänifdie tfriea, (Wugujr 1700) unb btc (Bct)Iad)t bei
Warroa (HO. Woö. 1700)
239
Xer polmfaje Strien. (lriiO — 1706)
242
Xic ©rüntunn Don St. Petersburg. (1703)
247
Xer rufiürtje Sfrieg. (1708—1700)
248
Barl XII. tn ber dürfet. (1709—1714) ....
252
ßarlS XII. Ausgang. — Snbe beS norbt)"d)cit ftriegeS.
(1718-1721)
259
XIII. $eterft bei ©rojjen ^Reformen unb lefcte i*cbcn$jaf)re.
(1721—1725) 264
XIV. fliufjlanb unter ben nier erjtcn flfarfjfolgcrn pctcrS be3
®rofeen. (1725—1762) 274
ftatftarino I. (1725-1727), <ßeter II. (1727—1730) unb
Anna (1730-1740) 274
etifabetl?. (1741-1702) 279
XV. Scftroeben unter ftriebrid) I. (1720—1751) . . .282
XVI. ^rrantretcr) unter ber SRegentfduift be* fcerjog* öon Orleans.
(1715-1723) 284
XVII. Spanien unter flgitipp V. (1700—1746) . . .290
XVIII. (gnglanb unter ©eorg I. (1715—1727) unb ©eorg II.
(1727-1760) 295
XIX. ftotfer ftarl VI. (1711-1740) 304
3tart3 VI. elfter Xürfenfrtcfl. (1716-1718) . . .304
Xie pragmatiidK Sancrion 310
Xer polnijdK Xfrronfoifleirico.. (1733—1735) . . .314
ftnria VI. ^netter lürfentrieg. (1737—1730) . . . 322
Xn3 beutfdje Neid) unter ftarl VI. . 324
XX. Italien com roeftfnlif^cn ^rieben bis in bie fflittc beS
tt^ejntcn flaftrftunbertft 827
$n1)alt3t)eraei$m9.
685
Seite
Sie $dpfte t>on 1655—1758
327
So&tana, Saoonen, ©enebig unb ©enua
332
XXI. Sa3 Königreici) ^rcufjen unter ftriebrid) I. unb ftriebrid}
SBWjelm I. (1688—1740)
335
griebrt^ I. (1688—1713)
335
ftriebrid) SBilfjelm I. (1713-1740) ....
340
ftriebridjä II. Sugcnbiabje. (1712-1740)
349
ftriebrid)* Ii. SRegierungaantritt. (31. 3Kai 1740) .
364
XXII. Ser öfterreufciföe «rbfolgefrieg. (1740-1748)
366
SWorta Stjcrefia'S Regierungsantritt. (26. Oft. 1740) .
366
Ser erftc f^teftfc^e Ärieg. (1740—1742)
369
Ser öftcrreic^ifc^c ©rbfolgeftieg bis jum Zobt Kaifer
Äarl« VII. (1741-1745)
377
«Der weite fdjteftfäe Krieg. (1744—1745)
386
Sie oter legten %a1)vt be3 öfterreic^ifc^en ©rbfolgefriege«.
(1745—1748)
395
XXIII. Defterreid) unb ^reufcen nad> bem ö[terrcict)ifc^en (Erbfolge*
FrieflC. (1748-1756)
401
Sttaria Xljcrefia als SRegentin
401
ftriebridjS II. dtegentenifjätigfeit unb ^riüatleben .
406
XXIV. Ser iiebenjä^rtge (britte fd>(efifc^e Krieg.) (1756—1763) .
416
Skranlaffung unb WuSbrud) beS Krieges
416
Sie ©cfyladjten bei *ßrag , ftottin , SRo&bad) unb. fieuttjen.
(1757)
423
Sie ©ctjladjt bei 3«>mborf unb ber Ueberfafl bei #odtfirdj.
432
Sie Sdjladjt bei ÄunerSborf. (12. Huguft 1759) .
436
Sic Sd)lad)tcn bei ßiegnife unb Xorgau. (1760)
443
Sic jttjei legten KriegSjafyre unb ber §ubert3burgcr triebe.
(1761—1763)
449
XXV. Scr fiebenjäf)rige englijd)»fran^öfifdje Krieg auf bem SKeere
unb in ben Kolonien. (1756 -1762) .
457
XXVI. ftranfreief) unter fiubroig XV. (1715—1774) .
464
üubtm'gS XV. $riüatlebcn
464
Sie 9lufl)ebung beS ^fuitenorbenS in ^anfretcr). (1764)
470
fiubwigS XV. lefrte SRegierungSseit. (1764—1774) .
474
XXVII. Sie franjöfijdje Siteratur im acfjtacfynten ^aljrljunbert
479
XXVIII. Portugal unter ^ombalS «ermaltung. (1750—1770)
494
XXIX. Spanien unter Karl III. (1759-1788) .
500
XXX. Italien in ber aroeiten Hälfte beS ad)tjef)nten 3af)*f)unbertS
502
Neapel, s4$arma, XoSfana unb ©arbinien
502
Sie brei Iefrten ^äpfie be* adjtflefjnten SafcrljunbertS.
(1758-1799)
506
I
686 ^n^alttoeräeidjnift.
Seite
XXXI. «atfer Soitpt) II. (1765-1790)
511
55a3 beutle 9icid) unter ^ofep^ II
511
5E)ie lefete 9tegicrung«aeit Flavia $f)crefia'&. (1763—1780)
518
Xer beutjdje ftürftenbunb. (1785)
524
3o|epl)3 II ftaatlidjc Reformen in feinen (Erblänbern.
(1780—1790)
527
Sofep&S II. fird}lid)e Neuerungen
537
Die Steoolution in ben Nicberlanben. (1788—1790)
547
^ofeptj« II. Neuerungen in Ungarn ....
552
ftofept)* II. Stufcgang
554
XXXII. ftaiier ficopolb IL (1790-1792)
558
XXXIII. ßatfmrina II. Don Wufelanb. fl762— 1796) .
560
Xfyronbefteigung ber ßaiferin fiatfjarina. (9. 3uli 1762)
560
tfatfyarina II. behauptet ben ruffifcfyen I^ron
566
Die erfte Teilung ^olenS. (1772)
569
ffattjarina'S erfter lürrenfricg. (1768-1774)
595
Äottjarina IL a!8 Negcntin
599
^otemfin ber Courier. (1776-1791) ....
603
Katharina'« jweiter Xürfenfrieg. (1788—1792)
607
Die zweite unb britte Teilung $olen#. (1798 unb 1795)
610
XXXIV. ftriebric&i II- tefete «egierungSaeit (1768—1786) .
618
XXXV. Greußen unter Sriebricfc SBilfjelm II. (1786—1797)
627
XXXVI. Die beutle Sitcratur im atyaefmten ^fa^r^unbert .
632
XXXVII. ©Sweben unter ®uftao III. (1771—1792)
648
©uftaoS III. ©taatSumwälaung. (1772) ....
648
©uftao* HI. Staat#bertt>altung
654
©uftatj« III. ffrieg gegen töu&Ianb. (1788—1790) .
657
XXXVIII. Dänemarf unter ©rruenfee'« 6taat3t>ertealtung. (1770 bi*
1772) 661
XXXIX. Der norbamerifanijtfte greifreittiricg. (1775—1788) . 669
Digitized by Google
GENERAL LIBRARY • U.C. BERKELEY
Hill
BDDGDfl?Oelb