Skip to main content

Full text of "Sitzungsberichte / Philosophisch-historische Classe"

See other formats


SITZUNGSBERICHTE 
DER  BAYERISCHEN 

AKADEMIE  DER 
WISSENSCHAFTEN: 


Digitized  by  Google 


I 


Sitzungsberichte 


dar 


philosophisch -philplogischen  und 
historischen  Glasse 


dar 


k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  ]S£ünchen. 


Jahrgang  1880« 


München. 

Akademische  Boobdruckerei  von  F.  Straub. 

1880. 

U  CoMbdoD  bai  O.  Frass. 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


Digitized  by  Google 


Uebersicbt  des  Inhalts. 


Di«  ah  •  bowictortwi  ▼«rlriM  M  ekaa  A< 


O^entUehe  SUmmg  Mur  Vorfeier  des  Süßun^iiages 

am  20.  Mmra  IBdO. 

SMt« 

D511inger:  Ueber  die  Bedeotong  der  DjoasticD  in  der 
Weltgeeehichte  144 

y.  Prantl:  Nekrologe   •  144 

▼.  Gieeebrecbt:  Nekrologe  156 


Oeffeiitliche  Sitzung  eur  Vorfeier  des  Gehurts-  und  Namens* 
festes  Seiner  Majestät  des  Königs  Ludwig  II,  und  zugleich 
Mur  festlichen  Begehung  des  siihenkundertjährigen  Jubüäums 
des  WUidsbaeker  Fürsfenhauses  am  S^.  Juli  18B0. 

*T.  Do  1 1  i  D  ge  r :  Ueber  das  Haus  Wittelebecb  nad  aeiiie  Bedeatong 

io  der  deatecben  Geecbkbte   438 

Neowahlea  488 


Philosophisch -philologische  Classe. 
SÜMung  vom  3.  Januar  iBSO. 

Boriian;  Das  eogeiiannU}  poem»  alUiaum  dee  f MUnas  NoUnoi  1 
*TboBAtt  De  pueagiii  ia  terrvn  eaiietiüa  ^ 

Sitgung  vom  7.  Februar  IfiSO, 

T.  Cbi  i  8t:  Der  Gebrauch  der  griecUiecben  Partikel  T£  mit  be- 

eonderer  Bengnabme  aof  Homer  25 

8iiMung  vom  6.  MärM  t8&>. 
•IiAatb;  Ueber  die  Pbtoix-Periode  ,  .  143 


Digi^d  by  Google 


IV  ' 

Sitguny  vom  1.  Mai  1830. 

Sttito 


^Meyer:    Die  arbinatische  Sammlaog  von  SprodiTenen  des 

Menander,  Boripides  und  Anderer  166 

SiUmg  vom  5.  Juni  1880. 

Brano;  Troieebe  Hieoellen.  Dritte  AbfheUnng  167 

T.  Christ:    Die  WiederholuDgen  gleicher  uod  ähulicher  Verse  in 

der  Ilias  221 

G.  F.  Unger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demoaibenischen  ßeden  273 


SUeung  vom  3,  Juli  1880, 

Wdfflin:  Ueber  die  LatiniUt  des  Afrikaners  Cassios  Felii. 

Sin  Beitrag  sor  Qsicbicbta  der  lateiDischen  Spndie  .  .  881 

SUgtmg  vom  6,  November  1880. 

Brunn:  Znr  griecbiseben  KQnstleifesehiclite   435 

/  Hei  big:  tJeber  den  Pilens  der  alten  Italiker  (mit  swei  Tafeln)  487 

*3Iasrer:  Die  Waaserweihe  des  geimaamcbeu  Heidenthuma   .    .  555 

Alphon 8  Majer:  Waldensia   555 

*Thomas:  Das  Capitolare  dei  Consoli  dei  Mercanti    •  •  •  «  570 

SUgung  vom  4,  Ikeember  1880, 

Xonrad  Hofmann  nnd  Wilhelm  Mejer:  Die  Textkritik 

von  Lutwin's  Adam  und  Eva  Ö98 

*TTonipp:  Graromati:<che  Untersachongen  über  die  Sprache  der 

Brähma  (8.  Sapplement-Heft)  .  616 


Historische  Classe. 
Siimmg  vom  3.  Januar  1860. 

♦Moriz  Ritter:  Politik  und  Geschichte  der  Union  zur  Zeit  des 

Aosgiiuga  liudolfä  II  und  den  Anfanges  des  Kaisers  Matthias.  24 


Digitized  by  Google 


V 

S«ito 


Gregorovios:   Die  beiden  bayerischen  Residentflü  am  p&ptt- 

Uchfln  Hof  in  den  J&hr«n  1607—1659  380 

BUmmg  vom  7.  Februar  1880, 

T.  Loher:  Stellung  der  caiuurueheD  Inseln  in  dec  Bntdeckoogs- 

gMcbichte  •  77 


Sitzung  vom  6,  März  1880, 
Friedfich:  Ueber  Fnaiesoo  Pooei   •  111 


Sitzung  vom  1,  Mai  1880. 

^Wfirdinger:  BeitrSge  snr  Geeebkhte  der  GrUndang  and  der 
ersten  Periode  des  Hansritterordei»  Tom  hl.  Hnbertni 
1444-1709   '  166 

SiUung  vom  5.  Juni  1880, 

*ConieUiis:  Ueber  dM  Yerfailtiiiss  ron  Eirebe  und  Staat  in 

Genf  In  den  Zeiten  Calfin*«  881 


8ii£ung  vom  3.  Juli  1880. 

*8tieTe:  Ueber  den  Kalenderstreit  dee  16.  Jahrhonderts  in 

Dentecblaad  482 

voiH  6,  November  1880, 

Druffel:  Ueber  die  Aafnahme  der  Balle  „Exsurge  Domine' * 
—  Leo  X.  gegen  LaQm  fOB  Seiten  einiger  sfiddeutseben 
KsebOfe  571 


SUäung  vorn  4.  Deaember  1880, 

Wilboln  Heyd:  Üober  Ptnda  und  Fondaoo.  Zu  Diet*  etjmol. 

Warterbneb  der  lomaii.  Sj^raeben.  4.  Aufl.  1878.  &  148. 45L  617 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


S«iU 

^T.  Druffel:  Uober  Karl  V.  und  die  römische  Garie  im  Jahre 

1543    628 

*T.  Klackhobn:  Aas  Westenrieder's  handschriftlichem  Nachlasse  628 


EintendiuigeD  Ton  Dmckachrifken   106.  217.  377.  629. 


Supplement' Heft. 

Trmnpp:  Grammatisdie  UirtenodiQqgmi  Uber  die  Spnehe  der 
Biibnii. 


t 


Digitized  by  Google 


Bitznngsberichte 

der 

kOnigl.  bayer.  Akademie  der  Wisflenschafteo. 


Philosophisch-philologische  Glasse. 


Sitzung  vom  o.  Januar  1880. 


Herr  B  q  r  b  i »  n  trug  vor : 

„Das  sop^eiiunnte  poema  altimum  des  Pau- 
linus Nolanus/' 

Das  gewöhnlich  nach  seiner  Stellung  in  den  Ausgaben 
als  *poenia  ultimum'  bezeichnete  Gedicht  ,  in  welchem  Me- 
ropius  Paalinns  ans  Burdigala,  der  Schüler  des  Ausonius 
und  spätere  Bischof  von  Nola  in  Campanien,  welohen  die 
katholifiohe  Kirche  Hilter  die  Zahl  der  Qeiligeii  angenommen 
hat,  einem  nns  nicht  näher  bekannten  Antonius  gegenüber 
«eine  um  das  Jahr  390  erfolgte  Bekehrung  zu  einem  strengen 
christlichen  Leben')  rechtfertigt,  gehört  zu  deiijeuigen 
Denkmälern  der  altchristlichen  Litteratur,  welche  als  wich- 
tige Quellen  für  die  Kenutuiss  der  religiösen  Vorstellungen 
des  absterbenden  Heidenthums  in  einem  künftigen  Corpus 
mjrthographomm  latinorum  einen  Plats  Terdienen.  Im  An- 
schluM  an  frühere  Vorarbeiten  zur  Herstellung  eines  eolchen 

1)  VgL  baaond«»  Bbert  OeBchiehte  der  ehristlieh  -  Isteiniwhen 
Uiteratiir  von  ihren  Anfingen  bis  tarn  Zeitalter  Km,t\»  doi  Oroaien 
S.  288  ff. 

[1880.  LPhU.-phU.  bist  Cl.  Bd.1. 1]  1 


Digitized  by  GoOgle 


2        SUiunff  der  phOoBj-phiM,  Chme  wm  3,  Januar  1880, 

Corpus  will  ich  im  Folgenden  das  Gedicht,  deaaen  mit  Hülfe 
einer  bisher  nnbenatzteD  Handschrift  von  mir  reeensirten 
Text  ich  Toraasechicke,  einer  eingehenderen  Betrachtung 
▼om   Standpunkte    der   mythologischen   Forschung  aas 

unterziehen. 

Das  Gedicht  ist  zuerst  von  Lndovico  Antonio  Muratori, 
zugleich  mit  drei  früher  unbekannten  Gedichten  des  Pau- 
Unns  zur  Jahresfeier  des  Todestages  des  heiligen  Felix,  im 
ersten  Bande  seiner  'Anecdota  quae  ex  Ambrosianae  biblio- 
ihecae  codicibns  nunc  primum  eruii,  notis  ac  disquisitioni- 
bufi  äuget  L.  A.  M/  (Mediolani  1697)  p.  113  —  189  aue 
einem  Codex  Ambrosianus  saec.  X^)  veröffentlicht,  sodann 
in  der  ersten  vollständigen  Gesammtausgabe  der  Werke  des 
Paulinus*)  und  in  dem  Abdrucke  derselben  in  Migne's 
Patrologiae  cnrsua  completus,  series  latina  t.  LXI  (col.  689 
bb  710)  wiederholt,  endlich  auch  mit  einigen  theils  eigenen 
theils  von  Valerius  Vonk  in  seinem  Specimen  criticum  in 
Tariot  aoetores  (Trajecti  ad  Rhen.  1744)  aufgestellten  Ver- 
besserungen von  Fr.  Dehler  in  seine  Ausgabe  des  Minucius 
Felix  und  Firmicus  Maternus  (Bibliotheca  patrum  ecclesia- 
sticorum  latinorum  selecta— curanteE.  G.  Gersdorf,  Vol.  XIII, 
Lips.  1847)  p.  121  — 132  aufgenommen  worden.  Es  findet 
sich  aber  auch  in  dem  Cod.  Monae.  lat  6412  (Frising.  212) 
saec  X,  auf  dessen  Bedeutung  fQr  die  Kritik  der  Dichtungen 
des  Ptolinue  zuerst  Joseph  Zechmeister  in  seinem 

1)  Naeh  B^«nehflid  Bibliotheca  patr.  Ut  ital.  H,  p.  67  s.; 
Muratori  möchte  die  Handechrift  noch  dem  9.  Jahrfaimderfe  saweisen. 

2)  8.  PnitU  Heropii  Paallai  aeoatorie  et  consnlit  Borasai  deiade 
Nolani  episcopi  opera  ad  rase.  Codices  Qallicanoa,  Italieoe,  ADglicaoo% 
Belgico«  atqne  ad  editiones  antiquiores  eroendata  et  aoeta  aee  boq 
Tarionmt  ootis  ac  diaeertationibus  iUnstrata;  nunc  Tero  primam  qoataor 
integris  poematibui  quae  ex  Ainbrosiana  bibliotbeca  prideni  enitamodo 
secundis  caris  recog^DOTit  D.  L.  A.  Moratorium  auctiora  demum  at^ue 
absoluta.  Veronae  1736.  Typis  Dionysii  Ramanzini  bibliopolae  ad  S. 
Thomam.  —  Das  Poema  altimam  steht  hier  col.  693—714. 


Digitized  by  GoOglc 


Burnian:  Das  sog,  poema  ultimum  des  PauUnus  Nolanus.  3 

Aufsätze  *Kriti«che  BeitrSge  zu  Panlinns  von  Nola'  (Wiener 

Studien.  Zpitschrift  für  clasaische  Philologie.  Supplement 
der  Zeitschrift  für  österreichische  Gymnasien.  Verantwort- 
liche Redacteure :  W.  Härtel ,  K.  Schenkl.  Erster  Jahr* 
gVDg  1879.  Erstes  Heft»  3.  98  iL)  hingewieseD  hat.  Dnser 
Gedieht  begümt  auf  Fol.  110  Teiso  der  Handschrift  ohne 
üebersehrift  (vorher  ^ht  die  SnbscripHon ;  Explicit  liber 
duodecimus)  und  schliesst  auf  dem  letzten  Blatte,  Fol.  116 
recto ,  dessen  untere  Hälfte  nach  dem  leti^ten  Verse  des 
Gedichts  abgeschnitten  ist,  offenbar  am  das  leere  Pergament 
anderweitig  an  verwerthen;  die  Rückseite  dieses  halben 
Blattes  ist  unbeschrieben. 

Ich  lasse  nnn  den  Text  des  Oedichts  nach  meiner  Re- 
cension  folgen  und  bezeichne  die  A))weichungen  der  Frei- 
linger Handschrift  von  demselben  mit  F,  die  des  Muratori- 
scben  Druckes,  ^bezieheudlich  des  codex  Ambrosianus,  mit  M; 
wo  diesen  Lesarten  ein  *  vorgesetzt  ist,  habe  ich  die  Ueber- 
lieferang  dnrch  eigene  Conjectnr  verändert.  Die  viel&ch 
irrige  Interpnnction  der  firfiheren  Ausgaben  habe  ich  still- 
^hweigend  verbessert. 

Discnssi,  fiiteor,  sectas,  Antonius,  omnes; 

Plurima  quaesini,  per  singula  quaeque  cucurri, 
Sed  nihil  innen i  melius  quam  creilere  Christo. 
Haec  ego  dispoMii  leni  describere  uerau, 
5    Et  ne  displiceat  quod  talia  carmina  paugo, 
Danid  ipse  denm  modulata  ooce  roganit, 
Qno  noe  exemplo  pro  maguis  pama  eanemns 
Dicenteft  qnae  snnt  fngienda,  seqnenda,  colenda, 
Cum  tamen  iu  cuuctis  et  res  et  causa  probetur. 


4.  conscribere  M  —  5.  pando  F  M ,  verbessert  nach  ()ehler*8 
Vermutuntj  (carmino  paiiJo  ci.  Vtnik).  —  6.  ipso  diim  F  ipse  clielym 
M:  da^i  Jitchtige  hat  sdton  Vank  lermuthet.    Vgl.  itbrigem  Fauiin, 
c.  VI,  19  8. 


Digitized  by  Google 


4         Sitzung  der  philos.-pIiiIoL  Clas^e  vom  3.  Januar  JiftiO. 


10   Indaienm  primo  popnlnm  nec  gratis  monit 
Mira  dei ;  uam  tum  Faraoni  ereptus  iniquo 
Et  mare  transgressus  pedibus  lucente  columna, 
Oam  dace  qui  mergi  infestos  uidit  equestrefl 
Et  cai  desertia  nihil  mnqaam  defait  agris, 

15   Manna  cni  e  caelo  et  fons  de  rape  cncorrit, 
Post  haec  ipse  denm  praestantem  tanta  negauit 
Dumque  aliud  nunien  dementi  pectore  ({uaerit, 
Ignibus  iucensis  quod  misit  perdidit  aurum. 
Par  quoque  pa^anu«  lapides  qaos  scnlpit  adorat 

^   Et.  iacit  ipse  sibi  qaod  debeat  ipse  timere. 
Tum  slmnlacra  colit  qnae  sie  ex  aere  figarat 
üt  qnando  libitum  est  mittat  oonfiraota  monetae 
Aut  inagis  in  species  connertat  saepe  pudendas. 
Mine  miseras  mactat  pecude'^  meiitesniie  deorum 

20    Quos  pntat  irasci  calido  in  pulmoue  requifit 
Atqae  hominis  nitam  pecoris  de  morte  precatur. 
Qnid  petit  ignosd  neniam  qni  sangoine  poscit? 
nind  enim  qnale  est,  quam  stnltnm  qoamiie  notandnm! 
Cum  dens  omnipoteus  hominein  fornianerit  oHm, 

^0    Audet  lionio  forinare  deum ;  ne  criiniiia  dosint, 

Hunc  etiam  ueodit,  dominum  sibi  comparat  emptor. 
Philosophos  credam  qnioqnam  rationis  habere« 
Qni  ratione  carent,  qnibus  est  sapientia  nana? 
Snnt  Cynici  canibns  similes,  qnod  nomine  prodont; 

35    Sunt  et  sectantes  incerti  dogma  Piatonis 
Qaos  quaesita  diu  animae  siibstantia  turbat, 
Tractautos  Semper  nec  detinire  uolentes, 
Unde  Piatonis  amant  de  anima  describere  librnm 

11.  Pharaoni  ^^  —  \'^.  mersos  rermuth^t  MurnUtri,  ohne  Grund: 
Jlidtuji  cor  der  Cacsur  foulet  sich  auch  V.  lö.  44.  54.  201.  —  H. 
nihilam  quoque  M  —  19.  sculpait  M  —  21.  ei  aera  F  —  22.  conficta 
M  —  31.  dominus  M;  vgl.  Firmic.  Mat.  de  errare  pro  f.  rel.  c  15,  2, 

ci 

—  ;i4.  c/ni:  canibns  (d  vm  erster  UandJ  F  — •  37.  oalentes  M, 


Digitized  by 


Bunian:  Daa  aog,  poma  uUimwm  des  PauUnua  Nolanus.  5 

Qui  praeter  titalum  nil  certi  coutinet  intus. 

40    SuDt  eüam  Fjaki  naturae  nomine  dicti 

Qnos  antiqna  inoat  rodis  atqne  inoondita  nita. 
Namqiie  onus  bacnlom  qnondam  et  aas  fiotile  portane, 
Utile  qnod  solnm  solnmqne  patarat  habendnm, 
ülnd  ut  auxilii,  hoc  esset  caasa  bibendi, 

45    Cum  stare  agricolam  manibusque  haurire  supinifi 
Potaadas  uidisset  aquas,  oas  fictile  fregit, 
Quo  procnl  abiecto  remonenda  saperflna  dixit. 
RosticDs  hone  c^ocnit  quod  spemere  poeset  et  istnd. 
ffi  neqiie  nina  bibnnt  nec  uictn  panis  alnntar 

50   Nee  lecto  reenbant  nec  frigora  neetibos  aveent 
Ingratique  deo  »juae  praestitit  ille  recusant. 
Quid  dicam  diuersa  sacra  et  di^  at(jue  deabus 
Condita  templa  loqoar,  quae  sint  Capitoiia?  Primum 
His  dens  [est]  nzorqne  dei  ipsamqae  sororem 

h$   Esse  nolnnt  qnam  üergilins  notat  aactor  eomm 
Dioendo  'et  soror  et  ooniattx\  Plus  de  lone  fertur 
Et  natara  stuprasse  enam  fratrique  dedisse 
ütque  alias  caperet  propriaiu  nariasse  fignram : 
Nunc  serpens,  nunc  taurus  erat,  nunc  cjgnuR  et  anser 


40.  Pbjrid  M  —  42.  portu»  mm  ertter  Hand  in  Satur  F  ~ 
48.  pataiet  F  ~  44.  aniilü  atqve  boe  M:  osnn  lal  hier  wU  auch  F. 
115  troU  der  Kürte  der  gweUen  SSbe  ob  PräpoeUhn,  benehungeweiee 
PoelpoeiUon  arnfMufaseen;  das  a  ist  verkürrt  nach  Änatogie  der  Ad' 
terbia  poetca,  eontn,  sapia  «.  s,  w.:  vgl.  L.  MÜÜer  De  re  «efric« 
pneUurvm  laftnomiii  p.  341,  —  45.  Cum  staret.  ai,'ricola  F  —  47.  re- 
mooendo  F  —  51.  quod  M  —  illi  F  —  54.  Das  in  F  und  M  fehJende 
est  hn(>r  ich  nach  Muratons  Vermutung  eingefügt.  Im  Vorherr/ehendm 
ist  tielleicht  lu  lesen  loqaar?  Quae  üiuit  eapitalia,  primum  (Oehler 
iuterpuagirt  Coudita  templa?  Loqnar  quae  sint  capitolia  primum;  der- 
sübe  vermuthet,  dass  zu  lesen  sei:  Loquar  quae  sint  capitolia.  Primus). 
-  56.  coniux  M.  Cf.  Vny.  Aen,  I.  47.  —  5^.  Et  quae  alias  F  —  59. 
•cygnus  et  abro  F  ciguus  et  arbor  M  (der  et  aurum  vermuthet,  et 
ardor  cL  OehlerJ;  vgl.  Pseudodemenl.  recogn.  X  (p.  54,  ^(i  memer  Aus- 


Digitizea  by  LiOOglc 


I 
I 

I 

X 

%  • 

\ 

l 

6         SÜJBung  der  phäos.-philoL  Gasse  vom  3,  Januar  1880. 

60    Seque  immutando  qualis  fuit  indicat  ipse : 

Plus  aliena  sibi  quam  propria  forma  placebat. 

Tarpias  bis  aqailam  fiaxit  paeriqae  neiandos 

üenit  in  amplexns.   Qoid  didt  tarba  colentam? 

Ant  neget  esse  lonem  aut  foteatnr  dedecna  isiad. 
65   Nomen  habet  certe  quod  nec  ratione  probetor. 

Sacra  loni  fkeinnt  et  *Iappiter  optime'  dicant 

Haucque  rogant  et  *Iane  pater  primo  ordine  ponunt. 

Rex  fuit  hic  Tauus  proprio  qui  nomine  fecit 

laniculum,  prudeos  homo,  qai  cum  laulta  fatara 
70    Posset  respioere,  daplici  bunc  pinxere  figura 

Et  lannm  geminum  neteres  dixere  Latini. 

Hic  qaia  nanigio  Ansonias  adnenit  ad  oraa, 

Nnmmne  buic  priranm  tali  est  exeussns  bonofe, 

Ut  pars  una  Caput,  pars  sculperet  altera  nanem; 
75    Cuius  nunc  memores  quaecumque  nomismata  sigoaot, 

£x  ueteri  facto  'capita'  haec  'et  nauia'  dicuut. 

De  lone  quid  sperant,  qni  est  a  rege  seeaadus 

Qoique  sacrificüe  apponitar  ore  precantnm? 

Hic  babet  ei  matrem  captam  pastoris  amore; 
80   Nam  prior  est  pastor  quam  lappiter  aut  loais  ip.so; 

Sed  melius  pastor,  castum  seruare  pudor^'ra  ' 

Qui  uoluit  spreuitque  deam,  cai  saeua  uiriies 

gäbe  des  Ftrmicus  Mat.  de  err.  prof.  rel.)  und  weitere  Belegstellen 
bei  0,  Jahn  Archäologische  Beiträge  8.  3,  Änm.  6  und  8.  US,  — 
66.  Inpitsr  M  —  67.  et  Hör,  ep.  I.  16,  59.  —  70.  retpiMre,  haue 
dnpliei  M:  wdhrt(heinli^  iH  durch  ein  Versehen  des  Sehreibers  des 
Ärehetffpus  ewisehen  ponet  und  respipete  ein  Vers  ausgefallen;  dt« 
Stdie  mag  ungefähr  so  gelautet  haben:  Potset  [protpicere  nee  non 
tiantteta  soleiet  Sollen]  retpicere  etc.:  vgl.  Maereh,  sat.  J,  7,  20,  Fa- 
tara und  traasaeto  stellt  PohIunm  oucft  c.  VI,  198  f,  wnwMUr  gegenr 
A5er.  ~  7S,  esensos  Jlf  —  74.  scalperet  H  —  77.  «per.  aat  (twiet^en 
r  und  K  ein  Buchstabe  ausradirtj  F  (qalqae  eit  Oehler  nach  Vonl^s 
Venmitung).  —  78.  Quicque,  aber  da^  c  ausradirt  F  —  Bacrifaciis, 
erster  Hand  in  sacrificiis  veibessert ,  F  —  praecantam  F  —  79.  ha- 
beret  et  F  —  80.  Japiter  M  —  81.  melior  vermutet  Muratori,  ohne  Noth, 


Digitized  by  GoOglc 


Bmian:  Jku  $Off,  poema  nUimum  des  Päulinuf  Nolamu,  7 


Abscidit  partes,  ne  quanUo  taugeret  ille 
Alterios  ihalamom  qui  noluit  eius  adire* 

85   Hoc  tarnen  hoc  egii  sententia  iosta  deomm, 
Ke  fierefc  ooniiux  qni  non  est  fsetiie  adalter? 
Nunc  ({uoi^ne  §emimri  mysteria  tarpia  plangant 
Nee  desunt  homines  qnos  haee  oontagia  nertant, 
Intüs  et  arcanam  qaiddam  quasi  niaius  adorant 

90    Idque  uocant  sanctum,  quo  si  uelit  ire  padicus, 
Iste  profanus  erit.  Sic  castior  ipse  aaoerdos 
Femioeoe  nitai  coitoe  patiturque  uirilea. 
0  mens  caeoa  viram!  de  saerie  Semper  eorom 
Scaena  monet  rbos,  nee  ab  hoc  enore  recednnt. 

95    Saturnam  perhibent  louis  esse  patrern  huncque  uorasse 
Natos  aute  suos  et  mox  e  uentre  nefandas 
Euomuisse  dapes,  sed  postea  couingis  arte 
Pro  loue  snppositnm  mersisse  in  aiscera  saxum, 
Qaod  nisi  feeisset,  consomptos  Inppiter  esset 
100   Huncque  Cronon  dicnnt  ficteque  Ghronon,  quia  tempus 
Quae  creat  absumit  ruTsnsqne  absumpta  promittit. 
Cur  tarnen  oblique  uomen  pro  tempore  fingant? 
HuDC  etiam,  quod  saepe  sibi  de  prole  timebat, 

84  ohilsiDUii  F  —  85.  VidleidU  Nam  tsmen?  —  86,  ooaiu  M 
~  91.  pnpluuitii  M  —  *8ie  artior  F  M:  der  Diditer  hat,  wie  kk 
giambe,  m  die  wm  den  Sömem  eastna  genannien  Fastengebräuthe 
beim  Fette  der  Magna  Jfoler  am  3i,  Märg  gedadii;  vg^  Jrnob.  ado» 
tuU.  V,  16.  -  92.  Mwaiori  nimmt  nach  diesem  Verne  den  ÄtufaU 
eimet  Verees  an,  weU  die  VdttHändifjkeit  des  Gedankem  verlange: 
pafcitBrqae  nirilcs  abscindi  paitfls.  AUein  eu  uiriles  ist  einfach  a%i8 
dem  Vorhergehenden  coitus  zu  ergängen,  wie  achon  OeMer  erkannt 
hat.  —  05.  hunc  qnoque  F,  aber  das  qno  ist  ausradirt,  —  99.  Jupiter 
M  —  100.  Huncque  cbronon  F  M  (die  Buchstaben  ronoD  stehen  auf 
einer  Rasur  in  F):  dms  Cronon  zu  schrrihm  ist,  hat  sclion  Murnlori 
geethen;  vgl.  Macroh.  Sat.  I,  :2:i,S;  Amoh.  adr.  nat.  III,  29.  —  ch*ronon 
qüia  fzv'ixrhen  ch  und  r  ist  ein  Buchet ahc  ausradirt)  F  —  101.  ro- 
roittit  vermutet  Muratori,  irrig:  promittit  ist  =■  iu  Ittcem  esiittit^ 
vgl.  Plin.  ».  h,  XVi  26,  107. 


Digitized  by  Google 


I 


8         Sitzung  der  pIUlos.-phUoL  CUufHC  cum  3.  Janiuir  lö^. 

Ab  loue  deiectum  caelo  latuisse  per  agros 
105    Italiae  Latiumqae  ideo  tunc  esse  uocatum. 

Magnus  uterqne  deus!  terris  est  abditus  alter, 

Alter  non  potuit  terrarum  scire  lafcebras. 

Hine  Latiare  malnm  prisci  atainere  Qoiritea, 

Ut  maeUtas  komo  nomen  aatiaret  inane. 
110   Qaae  nox  est  animi,  qaae  simt  inproaida  oorda! 

Quod  colitur  nihil  est  et  sacra  cruenta  j/eruntur. 

Qnid  quod  et  Tnuictum  spelaea  sul)  atra  recondunt 

Quemque  tegunt  teuebris  audeut  buuc  dicere  solem? 

Quis  colat  occulte  lucem  aidnsqae  anpernani 
115   Celet  in  inferDis  nisi  rerum  oatua  malaram? 

Qaid  quod  et  Isiaca  sistramqae  capntqoe  cammun 

Non  magps  abaeondnnt  sed  per  loea  pnbliea  ponnni? 

Ncscio  quill  Corte  quaeruut  gaudontque  reperturu 

Kursus  et  amittunt  quod  rursus  quaerere  possint. 
1:20    Quis  ferat  boc  sapiens  illos  quasi  claudere  solem, 

Hos  proferiB  palam  propriorum  monstra  deoram? 

Qnid  äerapia  meroit  qni  aic  laoeratnr  ab  ipsts 

Per  narioi  tiirpeM|ne  looos?  Hie  denique  aemper 

Fit  fera  iitque  caais,  fit  pntre  cadaner  aselli, 

125    Nunc  homo  cum  pannis,  nunc  corpore  languidus  aegro. 
  # 

105.  cf.  Vergü.  Aen.  VIII,  322  s.  —  108.  staluare.  ron  erster 
Hand  i»  statuere  corrigirt ,  F  ~  rgl.  Mi  mir.  Frl.  Oct.  .'50,  4  und 
weitere  Belegstellen  bei  Marquardt  Ifn)i(lhu<-Ii  der  rami.scJten  Älter- 
thümer  Bd.  IV,  S.  442.  —  lü'».  iiianem  F  —  110.  improuida  M  ~ 
III.  et  fehlt  in  F  —  112  spelea  F:  üfjer  den  iSol  luvictus  Mithras 
vgl.  Preller  römische  Mythologie  S.  754  ff.  —  H  J.  Qüveque  F  M.  rer- 
bessert  von  Mitratori.  —  115.  nialorum  F  M,  reibes.sert  von  Muralori. 
—  116.  *  Isiacas  istruinque  Isiacura  aistruraque  3/;  man  könnte  auch 
Isiaci  schreiben;  doch  ist  die  Verlängerung  der  Kürze  vor  der  Caesttr 
ja  ganz  unbedtnlUich;  vgl,  V.  70  uud  L.  MüUer  De  re  metrica  poe- 
Uanm  loOmrum  p,  8St  $t,  117«  eb  portantt  —  119.  «dmittant  F 
m.  Qaii  JP  —  llii.  caoia  ü  fit  F  —  fit  ivpe  JT.  —  125.  «kooM 
aiine  paanli  F  homo  nuno  panis  Jf     langoidof  aogri  F» 


Digitized  by  Google 


Buri*inn:  Da»  HOff.  ^vtenm  uU'nnum  den  PaitJhuts  Nolnnun.  9 


Talia  dum  faciunt,  nihil  hunc  sentire  fatentiir. 
Quid  lo4|uar  et  Vestaui  quam  se  uegat  ipse  sacerdns 
Scire  quid  est,  imisque  tarnen  peneti-alibus  intus 
Semper  inextinctus  seruari  fingiiiir  ignis? 
I.W   Cur  dea,  non  deus  est?  cur  ignis  femina  fertur? 
Ista  qaidem  mulier,  sicut  coramendat  Hyginus, 
Stamiue  prima  nouo  uestem  contexuit  olira 
Noraine  de  proprio  dictam  quam  tradidit  ipsa 
Vulcano  qui  tunc  illi  monstrarat  opertos 
Vi^j   Custodire  focos ;  hic  rursum  munere  laetus 

Obtulit  hanc  Soli  per  quem  deprehenderat  ante 
Martis  adulterium :  nunc  omnis  credula  turba 
Suspendunt  Soli  per  Vulcanalia  uestes; 
Ütcjue  notent  Venerem  tunc  et  portatur  Adonis, 
140    Stercora  tunc  mittunt,  ipsum  pro  stercore  iactant. 
Omnia  si  quaeras  magis  et  ridenda  uidentur. 
Additur  bis  aliud:  Vestae  quas  uirgines  aiunt 
Quinquennis  epulas  audio  portar«'  draconi, 
Qui  tarnen  aut  non  est  aut  ai  est  diabolus  i]>.se  est, 
I4ö    Humano  generi  contrarius  antea  suasor, 

Et  uenerautnr  euui  qui  nunc  in  nomine  Cbristi 
Et  tremit  et  pendet  suaque  omnia  facta  fatotur. 
Quae  mens  est  hominum  ut  pro  ueris  falsa  loquantur, 
Qui  linquenda  colunt  contraque  colenda  relinquunt! 
150    lam  sat  erit  nobis  uanns  narrarc  timores. 

Haec  ego  cuncta  prius  darum  quam  lumen  adeptus 

127  et  de  Vesta  F  —  128.  imis  quae  F  —  1;'>0.  faemina  M 
—  l'M.  conimentat  rennutet  Vouk  ,  Vf/l.  Prisciati.  inst.  VIll,  25  (Vol. 
I  p.  :m  ed.  Hertz).  —  Noraen  F  -  dicta  F  —  135.  hinc  F  — 
l'C).  Pauliiittx  vird  wohl  depronderat  (frschriehoi  hal)eii ;  rrfl.  V.  207 
und  —  140.  ip8uni  proh !  stercore  iactant  Oelüer,  fidsch.  —  142. 
•hic  F  M  -  \\'.\.  audis  M  —  14">.  Humanl  (o  ron  ertiter  Hund)  F 
Humani  tcenerig  M  147.  pendit  F  —  fatentur  F  —  151.  •darum 
cum  lomea  F  'M:  Muralori  nimmt  eine  Lücke  nach  prius  (in.  schwer- 
lich mit  RedU ;  zu  Haec  egu  cuucta  prius  ist  aus  dem  Zusammi  nhaug 


10       SiUutig  der  phüosrphäol,  Clatme  vom  3,  Januar  1880. 

Meque  diu  incertum  et  tot  tempestatibus  actum 
Sancta  saiatari  suscepit  eclesia  portu 
Pbstque  uagos  Üuctns  tranquilla  sede  locaait, 

155   üt  mihi  iam  lioeai  deteraa  nabe  malornm 
Tempore  promiaeo  luoem  tperue  serenam. 
Iam  prior  illa  salus,  qaam  perdidit  immemor  Adam 
Tunc  uento  suadente  malo,  nunc  remige  Christo 
Eruta  de  scopulie  semper  mansura  rcBurget. 

160   Bector  enim  nosier  sie  andiqae  cuucta  gubernat, 
Ut  modo  qni  noble  errorem  mentie  ademit 
Hic  meliere  uia  paradiei  Umina  pandat. 
Felix  noefcra  fidee  nni  eerioque  dicaia. 
Uniis  enim  deoe  est,  enbetantk  filins  nna 

165    (Jnus,  in  utroque  est  unus  uigor,  una  potestus. 
Namque  dei  uerbum  patrio  de  pectore  Christus 
£micait  semperque  fiiit,  qui  uon  quasi  iiatus, 
Ore  sed  egressos  chaoe  iUad  inaue  remonit 
Et  tnlit  infbrmem  conteztae  noetis  hiatnm 

170   Oisfcribnitqae  loeie  mare,  tenras,  aera,  caelnm 
Hisque  dedit  genitnam  palea  caligine  Ineem. 
Ast  ubi  cuncta  nouum  stupuerunt  surgere  solem, 
Quattuor  baec  auxit  uarüs  exordia  rebus. 

ein  Verhuvi  irie  tiraebara  zu  ergänzen  (prius.  Clarutii  suin  lumeii  ad 

Oehler  mich  Vonk'.s  ConJcctnrJ.  —  l');!.  ceclcsia  (aber  das  erste  c  nus- 

radirt)  F  —  157.  immemorandain  F  —  lo8.  uontu  mn  erster  Hand 

m  oento  corrigirt  F  uero  M  —  164  a.  Ich  erkläre  dk  dunkeln  Verse 

w:  Denn        irt  Einer,  Ein  Sohn  ein  innd  dieielbe)  Wesenheit  (mit 

ihm),  in  beiden  eine  Kraft,  eine  Macht.   Fjjil.  die  iOinluAen  Vene  im 

dea  Ptmtinm  e.  XIX  Ce,  XI  in  8.  FdieemJ  «.  133  es.:  Nam  deos 

«ras,  I  YixtoM  trina  dens:  pater  mm  et  qdqb  in  ipio  |  Filins,  ei  ipso 

simnl  nnos  eom  patre  serbi  i  Spiritns:  baec  tria  sunt  dens  nnns  aomina 

Semper.  —  166.  peo*tore  Cein  Budtetabe  ewiedten  c  und  i  ammdkl)  F 

—  167.  foit  eUki  A6er  der  ZeiU  in  F  —  169.  tnUt  igi  Mer  im  Sinne 

wn  abstaut,  sostalit  an  faaaen,  wie  unten  F.  St4  und  F.  937,  —  173. 
k 

X  Quatuor  M  —  aasit  F:  bausit  M:  emendiri  von  V'onk  — . 


Digitized  by  GoOglc 


Bunian:  J)a$  sog,  poewta  tdHmum  äe$  PaMuu  Nöianus,  11 


Sunt  homines  terris,  sunt  addita  sidera  caelo, 
175  Aere  pendet  aois,  liqmdo  natat  aeqaore  pisois. 
Sic  elementa  suis  decoranit  singala  formis; 
Nexoit  baec  diaersa  licet  di8cret«qne  iunxit 

lunctaque  discreuit  quae  nunc  diuisa  cohaerent. 
Claadit  enim  Oceauas  terram,  aere  claaditur  ipse, 

]gO  Axe  sub  aeiheho  medius  conduditur  aer. 
Hoe  eüam  cadum  qaod  nos  sublime  mdemus 
Sex  aliis  infra  est  spaiio  rargentibiis  aequo, 
Poetqae  tbronoe  eeptom,  post  tot  caeleetia  regna 
Cetera  pars  omnis  quae  cuuctis  eminet  ultra, 

185   Quae  super  excedit,  quae  passim  teudit  in  altum, 
Quae  Rine  fine  paiei,  quam  oec  mens  colligit  ulla, 
Lucia  ioacoeBsae  domus  est  sedeeque  potenüs 
Sancta  dei,  nnde  procnl  quae  fecit  subdita  cernit. 
Omnia  sie  constant  dum  spiritne  omnia  cingit. 

liK)    Haec  item  quorum  nohis  conceditur  usus, 

Quae  polus  inferior  magno  complectitur  orbe, 
Cimcta  licet  distent,  una  cum  pace  teoentar, 
Denique  nomen  habent  unum,  sunt  omnia  mundus. 
Hunc  etiam  Graeci  cosmon  dizere  priores; 

195  Hine  ita  compoeitnm  distingnens  utraque  lingua 
Cosmon  ab  omatu,  mundum  de  lumine  dixit. 
Nam  qnod  sole  uitet  totum  sordebat  in  umbra, 
Ut  manet  exemplum,  qaotieus  uox  omnia  foedat 
Ei  docel  ex  tenebris  quae  sit  data  graiia  lucis. 

175.  PradeDt  aim  liqmdo  natuit  aeqaore  pisces  F  —  179. 
*tem  nare  F  temm  man  M  —  ipeo  vm  erster  Hand  in  ipso  oop> 
rigirt  F  —  180.  Mthereo  M  —  186.  patent  F  —  187.  oediiqae  F 
—  r»0  •idem  F  eadem  M  —  191.  poptüus  F  —  magna  M  — 
Vrbe  Jf  —  195.  Hunc  rermuM  Mnmfori.  —  197.  *Nain  qnod  sol 
wM  hoc  tunc  tntom  F,  N&m  quo  Sol  nitet  hoc  totom  M:  im  Arche- 
fand  gieh  wahrteheinlieh  eine  Dittograpkie :  Nam  qnod  aole 

Bttei  totooi.  —  198.  Et  manet  M. 


Digitized  by  Google 


12       SUMung  der  phUosu-phäol.  CloMt  «om  3.  Januar  1880, 

200    Tot  bona  qui  fecit,  qui  sie  (jperatus  ubique  est, 
Eic  deus  [est]  de  corde  dei,  bic  spiritos  oris, 
Saneti  fiermo  patris,  tautaram  fabriea  ramm. 
Nec  86  paganaa  landet  ei  qui  idola  pitat 
Ac  «ttis  erae  pntat  qnod  nomine  credai  in  nno. 

205    Qui  colit  ille  deum  qni  uerbum  non  coHt  eius, 
Qui  non  uirtutem  simili  ueneratiir  honore? 
Quique  iuuisibilem  incompreusibilemque  fatetur 
Esse  deum,  hic  etiam  Christum,  si  oogiiet,  idem 
Inneniett  qnoniaro  nerbam  oomprendere  nemo, 

210  Nemo  nidere  potest,  opera  eins  sola  nidentor. 
In  patre  natns  enim,  in  nato  pater  omnia  fecit 
Et  quidquid  uirtute  dedit  pietate  tuetur. 
Sic  fuit,  est  et  erit  uerus  saluator  in  aeuum, 
Qui  tulit  errores,  qni  fecit  aera  uideri 

215   Placatoque  patri  perenntem  reddidit  orbem. 
Nec  mirom  si  cnncta  regit  qui  cuncta  creauit, 
Qui  dedit  ex  nihilo  totum,  qni  luoe  tenebrae 
Reppnlit  atque  diem  iussit  snceedere  nocti 
QuodquL»  in  carne  fuit  carnis  peccata  reniittit; 

220    Cernit  enim  fragilem  faciles  incurrere  lapsus 

Corripieusque  tarnen  ueuiam  dabit  omuibujs  unam; 


201.  est  fcMt  in  F  M,  eimjefiigt  von  Muraturi  —  dl«  hic  F  (di 
tn  Rasur)  —  203.  landet  si  aitat  idola  Muratori  geyen  die  Godd., 
wmclitüj:  r<jl.  die  Meeaung  Sdeila  v.  153  ».  ö.;  tibysue  e.  XXX,  92; 
BSeb^aeeusle.X,236;  SSrajws  122  and  c.  XIX,  100  ti.  ä,  Änahge 
Beispiele  am  JPtudenime  gi^  A.  Dreeed  in  eevner  Äuagabe  (Lip«. 
1860)  p.  XVIll.  —  204.  DomiD«  F  M,  vetheeaert  wn  Munäori  ^ 
205.  «Quid  F  M  ^  Ml«t  ille  —  207.  inoomimhaitibiUqiie  F  in- 
eomprehansibUeiDqoe  Jf,  terbeeeert  von  OMer,  —  208.  Esse  dam  F  — 
■i  cogit  et  idem  F  —  209.  eomprefaendere  jP  M,  verb,  von  Odder  — > 
210.  nidetav  F  —  211.  patre  omnla  F  —  212.  qnldqnit  F  —  218. 

fuit  et  steterit  ueraos  M  —  215.  roddit  F  —  217.  *  totum  lucemque 
F  M.  -  tenebris  M  —  21^.  Praetulit  M 


Digitized  by  GoOglc 


Buman:  Jkta  iog.  poema  iiUmum  de»  PauKmu  Ndams,  13 

Remque  nouam  dicam  nec  me  dixisse^pigebit: 
Plasqne  pins  quam  meküft  erft.  81  deniqtie  msbas 

Esf^e  nelit,  nullus  fugiet  sine  criniine  poenam  : 
225    lustiis  enim  mala  coudemnat,  pius  omuia  donat. 

Hoc  £&cit  nt  rata  siiit  uenturae  munera  uitae 

Et  quod  culpa  tulit  rarsnin  indnlgentia  reddat; 

Qaae  si  non  fuerit  plebi  conoeesa  roganti, 

Tone  prope  nullas  erit  delicto  Uber  ab  omni. 
230   Qais  potent  meritas  promissa  Ince  potin? 

Tangere  tunc  Inetis  caelorum  regna  licebit, 

Tum;  poterit  mors  ip^^a  mori,  cum  tempore  toto  t 

Vita  pereuuis  erit,  quia  tunc  in  sede  beata 

NqUos  peccaDdi  locus  est,  ubi  nulla  cupido  est. 
235  Gloria  tanta  manet  populo  seroata  fideli. 

Amplius  hoc  trilrait,  mains  dedit  hoo  quoqne  mnnus, 

Qnod  peccatoretn  quem  paenitet  antea  lapsam 

Non  facit  in  uumero  turbae  peccautis  haberi. 

Quippe  satis  poena  est  cum  sit  sua  culpa  dolori ; 
240   änpplicium  propriam  timor  est;  tormenta  reatos 

lam  uehiti  patitur  qni  se  meruisse  faietiir. 

Qaid  poterit  melias  nel  quid  moderatios  esse? 

Indicat,  inqnirit,  castigat,  pardt,  honorat 

Omnia  qui  nincit  nec  ab  ipsa  uincitnr  ira. 
245    Quod  de  praesenti  iam  cernimus  esse  futurum  : 

Nam  cum  saepe  niinax  horrentia  nubila  cogit 

Et  terroxe  pio  rutilo  nimis  igue  corascat 


222.  Ebert  GeadudUe  der  chriaUicIhlateiniefAen  Literatur  S.  297  f. 
Amm.  3  häU  die»en  Vers  fSür  inierpoUrt;  tne  kh  gknibe  nut  UnredU, 
224.  Von  ftigiet  itdteu  die  BuAetäben  ugiet  auf  einer  Raewr  in  t 
—  pMfisiD  M  —  827.  reddat  in  Bantr  in  F  -  228.  *ftieriiit  F  M 
~  230.  Qni  poKit  üf  —  238.  qua  tone  F  -  237.  paeniteat  F  ^ 
289.  paaoa  M:  woArachcMieft  itt  poenae  eet  eni  lit  treiben,  — 
240.  est  /€A<f  Ml  F  —  241  •Tun  ^*  Tain  üf  —  244.  nin,  dann  £odk 
in  Pergament  F, 


Digitized  by  Google 


14      SHtuitg  der  phiUM.-phiM,  Claiue  wm  3,  Jmuar  1880. 

TriflÜbna  et  plmiiu  et  nubibns  intonat  atrü, 
Omne  genns  timet  interitiim;  sed  nina  potestas 

I    Desinit  et  pariter  caelum  mentesque  serenat. 

Hoc  quoque  tunc  sperare  iubet  qui  se  modo  cuucta 
Perdere  posse  probat  sed  perdere  uelie  recusat. 
Sic  iteranda  salus  uentnro  ostenditur  aeno 
Aetemiqae  dei  pietas  aeterna  manebit. 

Die  in  mjthographiscber  Hineicbt  intmsRanteete  Stelle 

des  ganzen  Gedichts  ist  die  Erzählung  von  der  Vesta  als 
der  Erfinderin  der  Kunst  Kleider  zu  weben  (V.  131  ff.), 
för  welche  Paulinus  ausdrücklich  den  Hyginus  als  Ge- 
wahrsmann citirt.  Mau  denkt  dabei  zunächst  an  das  im 
späteren  Alterthum  als  Schalbach  benatate  Werk,  welches 
Doatheos  im  Jabre  207  n.  Cbr.  als  'Hygini  genealogiam 
omnibns  notam*  beseicbnet  (Dosithei  Magistri  interpretamen- 
torum  über  III  ed.  E.  Böckiug  p.  65)  und  welches  auch  uns, 
freilich  in  vielfach  entstellter  Form,  durch  einen  jetzt  bis  auf 
wenige  BrachstUcke  verlornen  Codex  Frisingensis  erhalten 
worden  ist,  aas  welchem  es  Micjllus  unter  dem  Titel  'Hygini 
&balae'  aoerst  im  Druck  veröffentlicht  hat.  Das  dem  Dosi- 
tliens  Yorliegende  Werk  enthielt,  wie  wir  aas  dessen  aas- 
drücklieber  Angabe  (p.  67  ed.  Böeking)  wissen,  einen  Abschnitt 
*de  artiuiu  inuentione',  und  in  dem  uns  erhaltenen  Werke 
finden  sich  gegen  den  Scbluss  sogar  zwei  unter  diese  Riihrik 
geliörige  Abschnitte:  c,  GCLXXIV  ^Quis  qaid  iouenerit'  und 
G.  CCLXXVII  'Rernm  inoentores  primi*,  von  denen  der  erstere 
am  An&Dg,  der  aweite  am  Scblass  lückenhaft  ist,  so  dass 
die  Ton  Paalinos  angeführte  Notiz  reckt  wohl  in  einem  der 
beiden  gestanden  haben  könnte.  Allein  eine  nähere  Prfifang 
der  sonstigen  in  dem  Gedichte  des  Paulinus  enthaltenen 


249.  nita  polwtst  M  (diva  pot  e».  OMerJ  ~  250.  *  Desinet 
F  M  ^  252.  ni  perüere  M, 


Digitized  by 


Bitnian:  Da«  i*og.  poma  iitHmum  des  Patflmtw  Notamut.  15 

mythologiBobeii  Notizai  ISast  nirgends  eine  Berlllirang  der- 
treiben  mit  den  8ehriften  des  Hy^inun,  welcber  die  Genea^ 

logiarum  libri  (die  sogenannten  Fabulae)  und  das  sogenannte 
Poeticon  astronomicon  verfasst  hat^),  erkennen;  dagegen 
zeigt  wenigstens  eine  Stelle  des  Gedichts  eine  entschiedeoe, 
snm  Tbeil  wortliche  Uebereinstimmung  mit  einem  Frag- 
mente sns  einem  Werke  des  älteren  G.  Jniins  Hyginus,  des 
Freigelassenen  nnd  Bibliotbekars  des  Kaisers  Angnstas,  das 
nns  dnreb  Macrobias  erbalten  ist.  Dieser  beriebtet  nftmlicb 
tSaturn.  I,  7,  19  ss.  Folgendes:  'Eegionem  istam,  quae  nunc 
uocainr  Italia,  regno  lauus  optinuit  qui ,  ut  Hyginus  Pro- 
tarchum  Trallianum  secutus  tradit ,  cum  Camese  aeque 
indigena  terram  hanc  ita  partidpata  potentia  possidebant 
{lies  possidebat),  ut  regio  Camesene,  oppidnm  lanioalom 
nodtaretnr.  Post  ad  lannm  solnm  regnnm  redactnm  est, 
qui  oreditur  gerainam  faeiem  praetnlisse,  ut  qnae  ante  qnae- 
que  post  tergum  essent  intueretur;  quod  jtrocul  dubio  ad 
prudentiam  regis  sollertianKjue  referendum  est,  qui  et  prae- 
ter! ta  DOSset  et  fatura  prospiceret,  sicnt  Anteaorta  et  Post- 


1)  Vjfl.  über  diesen  meinen  Äufsutz  Zu  Hyginus*  in  den  Jfthr- 
bücbern  für  class.  i'hilolo|,'ie  1-^66,  S.  761  ff  Der  von  C.  Robert  (Era- 
toittieDif  catasterismomm  reliqaiae,  Berlin  1878)  am  Schltuiae  seiner 
trefiUdnn  UDtaranebiinsr  ttb«r  die  ton  Hjrgin  Itr  tein  aatrologuches 
Werk  beniitsten  QaeUen  (p.  236)  aufgestellten  Awiclit,  dsss  dfeeer  Hygls 
MiMr  den  Genealogien  und  der  Aatrologie  noeh  ein  drittes  Werk»  eia 
mjthologloebea  Hsndbock,  das  Tielleiekt  den  Titel  'fsbnlae*  geftbri 
▼eifurt  habe«  kann  ich  niekt  beistimmen;  niebt  ans  Beebtbaberei, 
aondm  weil  es  mir  allin  nnwshisdieinlieb  Torkemmt,  dass  denelbe 
Schriftsteller  wesenüieli  den  gleieben  Stoff  noebmals  In  einem  beeondeien 
Werke  behandelt  und  dass  disses  Werk  schon  am  Anfang  des  8.  Jahr- 
kanderts  unserer  Zeitrechnung  verachoUen,  betiehendlieh  fon  dem  ersten 
gesrisoemassen  absorbirt  worden  sei. 

2)  Vgl.  Qber  diesen  Ton  Steph.  Bji.  n.  d.  W.  'rirs^^^i«  für  die 
Wohnsitte  der  Hyperboiier  dtirten  Sehriflsteller  C  Mfiller  Piagmenta 
bist  gr.  IV.  p.  485. 


Digitizecrtf  CidÖQle 


16       Sitzung  der  ^lüos.-phUoI.  Ciasse  rom  3.  Jamtar  1880. 


uorta,  (liuiuifcatis  scilicet  aptissimae  comites,  apiul  Romanos 
coluutur.  Hic  igitur  lainis,  cum  Saturuiim  classe  peraectum 
excepisset  hospitio  et  ab  eo  edoctas  peritiam  ruris  ferono 
illnm  et  radem  ante  fruges  oognitas  uictom  in  melius  re- 
d^gisset,  regni  eam  sodetate  mnneranii.  Garn  primus  qno- 
qne  aera  sigDaret ,  sernanit  et  in  hoe  Satumi  reoereutiam 
ut,  quoniara  ille  naui  fuerat  adnectus,  ex  ima  quidiiiu  parte  - 
8ui  capitis  eftigies,  ex  altera  uero  nauis  expriineretnr ,  quo 
Saturni  memoriam  in  posteros  propagaret.  Aes  ita  fnisse 
ngpiatam  hodieqne  intellegitur  in  aleae  lasnm  (lies  losn), 
eam  paeri  denarios  in  sablime  iaetantes  capita  ant  nania 
InsQ  teste  netnstatis  exekmant.' ^)  Vergleichen  wir  damit 
die  Stt^lle  unseres  Gedichts  V.  G8  — 76,  so  finden  wir  aller- 
dings die  eine  Differenz,  dass  Paulinus  den  Saturnus  ganz 
aas  dem  Spiele  lässt  und  daher  den  Typus  des  Schilfes  auf 
den  ältesten  Münzen  auf  den  lanas  statt  auf  den  Satumas 
bezieht ;  allein  diese  Abweichung  erklart  sich  leicht  daraas, 
dass  Panlinns  Über  Satarnns  an  einer  sp&teren  Stelle  handelt 
(V.  95  ff.)  und  dass  es  hier  für  seinen  polemischen  Zweck 
besser  passte,  dem  lanus,  einem  sterblichen  Könige,  mög- 
lichst viele  Ehren  erweisen  zu  lassen.  Sehen  wir  also  von 
dieser  einen  Differenz  ab,  so  ist  die  Uebereinstiromnng  beider 
Stellen  eine  so  grosse ') ,  dass  mir  die  Annahme  onabweis- 
bar  scheint,  dass  beide  ans  der  gleichen  Quelle  geflossen 
sind,  einer  Schrift  des  C.  Julius  Hyginus,  sei  es  der  von 
Macrobius  auch  Sat.  V,  18,  16  citirteu ,  vou  Servius  in 
seinem  Gommentar  zur  Aeneide  vielfach  benutzten  über 
den  Ursprang  der  italischen  Städte'),  sei  es  der  Ton 

1)  km  dieier  Stelle  des  Maerobiiu  bat  wahnebeinlieh  der  Ver* 
ÜMoer  der  Origo  geotis  Bomaase  sdneo  Berieht  in  c.  3  geeebdpft. 

2)  Sie  wild  noch  Yollttiadiger,  wenn  man  die  Ton  mir  sn  V.  70 
Torgeeddsgene  Ergmnmng  annimmt. 

8)  Der  Titel  dieeee  Werkes  scheint  naeb  ICacrob.  L  1.  und  nach 
Serv.  ad  Aen.  VU,  412  nnd  678  und  sd  VIU,  5d7  *Ita1{eae  nrhes*  ge- 


Digitized  by  Googl 


Bunian:  Da»  90g,  poema  Mmum  des  Paulinus  Nolamu»  17 

Macrobios  Sat.  III,  8»  4  angefahrten  'de  propiietatibos 
^6orQni . 

Hai  aber  Pktnlmns  überhaapt  die  Schriften  des  alten 
CX  Jnfiaa  Hyginus  gekannt  nnd  benntat,  so  mSssen  wir 
aaeb  die  V.  131  ff.  gegebenen  Notizen,  för  welche  er  aas- 
drücklich  den  Hyginus  als  Gewährsmann  nennt ,  auf  eine 
Schrift  dieses  Gelehrten  —  wahrscheinlich  die  eben  erwähnte 
'de  proprietotibns  deomm'^)  —  znrackfnhren. 

Sehen  wir  ons  nun  diese  Notizen  selbst  etwas  naher 
an,  so  ist  es  klar,  dass  die  Beseiebnnng  der  Vesta  als  der 
Erfinderin  der  Knnst,  Kleider  an  weben,  znnachst  anf  einer 
etymologischen  Spielerei  —  einer  Verbindung  des  Namens 
der  Vebta  mit  dem  Worte  ueetis  ^)  —  beruht ;  allein  diese 
Spielerei  wäre  nicht  möglich  gewesen,  wenn  nicht  in  dem 
Wesen  der  Göttin  selbst  eine  Veranlassong  daan  gegeben 
Wim.  Diese  Veranlassung  gab  die  Verbindung  der  Vesta 
mit  dem  Fenergott  Voleanns,  dem  sie  im  römischen 
Caltns  in  ähnlicher  Weise  gesellt  ist,  wie  in  Athen  die 
yiS^t^vä  'E^ydyij  dem  Hephästos.  Vom  Vulcan  hat  Vesta 
gelernt,  das  Feuer  des  Heerdes  unter  der  Asche  glimmend 
SQ  erhalten  (opertos  cnstodire  focos  V.  134  s.);  zmn  Dank 
dafür  sehenkfc  sie  ihm  dn  Prodnct  ihrer  Kunstfertigkeit, 
das  Ton  ihr  gewebte  Oewand.  Was  dann  weiter  beriehtefc 
wird,  dass  Vulcan  dieses  Gewaud  dem  Sonnengotte  zum 

WCTgn  za  «ein  ;  Citate  wie  'ut  Hygi'''^^  ait  de  origine  urbinm  Italicarura* 
(SerT.  ad  Aen,  VIII,  6;?8)  und  'aecundum  Hyginum  qui  scripsit  do  situ 
nrbiaro  Italicaruiu'  (Soft,  ad  Aen.  III,  553)  sind  wohl  blosse  Uinschreib- 
imgen  dieses  Titels. 

1)  Bei  dm  engen  Betiehangen ,  welche  iwischen  Veite  und  den 
PenaitB  bflstahen,  könnte  man  anoh  sa  die  von  Haerobb  Sei  HI,  4,  13 
•afanivto  Sebilft  dM  Hyginni  De  dii  peasttbai'  taken  1  «ber  dagegen 
iprisbl,  dasi  ia  aBi«er  Stalls  von  dan  Peaataa  ndt  Icrfneni  Worte  die 

8)  Asflh  soBit  wird  der  Nias  Vesta  ndt  aettire  in  Zusmaiea- 
kaag  fihraslit;  ffL  PNnaar  HestiapVerta  &  145. 

[1880.  L  Phil-phil  bist.  CL  Bd.  L 1.]  2 


Digitized  by  Google 


18      SiUung  der  philo8,'philol,  Glosse  tom  3.  Januar  1880, 

Lobn  fBr  dessen  Mithfllfe  bei  der  Entdeckung  des  Ehe- 
brachs  des  Mars  und  der  Venns  abergeben  babe,  das  scheint 

eine  blosse  explicative  Legende  zn  sein,  erfunden  zur  Er- 
klärung der  Sitte,  die  gewalkten  und  gewaschenen  Ge- 
wänder auf  dem  alten  Volcaual  oder  der  area  Yolcani  o))er- 
halb  des  Comiiium  und  auf  anderen  an  Tcrschiedeneu  SteUen 
der  Stadt  Rom  befindlichen  dem  Volcan  geweihten  Plataen 
in  der  Sonne  zum  Trocknen  anfenbängen.  So  lübnlich, 
nicht  *  während  des  Vulcan  festes*,  glanbe  ich  die  Worte  'per 
Volcanulia*  (V.  138)  deuten  zu  müssen,  weil  das  Fest  der 
Yulcanalia  nach  dem  Zeuguiss  der  Kaiendarien  ^)  am 
23.  August  (a.  d.  X  Kai.  Sept.)  gefeiert  wurde,  irrend 
die  Vestolia  auf  den  9.  Jnni,  die  fieinigong  des  Vest»* 
tempels,  d.  h.  der  in  den  Ealendarien  mit  ^Quando  stereas 
delatum  fas*  bezeichnete  Tag,  auf  welchen  offenbar  die 
Worte  des  Paulinus  in  V.  140  'Stercora  tunc  mittunt*  zu 
beziehen  sind,  auf  den  15.  Juni  fallen^). 

Ans  der  Steile- des  Pkolinos  er&hren  wir  nun  femer, 
dass  nach  Einf&hrung  des  Adoniscnltus  in  Rom  dieTraner* 

Mer  flQr  den  getödteten  Adonis,  die  auch  in  Griechenland 
um  den  Beginn  der  heissen  Jahreszeit  abgehalten  zu  werden 
pflegte,')  mit  dem  alten  Reinigungsfeete  des  Ves-tatempels 
verbunden  worden  ist.  Die  yon  Oehler  missverstandenen 
Worte  ^ipsam  pro  stercore  iaotant'  (V.  140)  bedeuten:  man 
wirft  ihn  (den  Adonis,  d.  h.  sein  Bild)  anstatt  des  Unrathes, 
d.  h.  in  gidcher  Weise  wie  den  ünrath,  weg:  wahr- 
scheinlich ins  Meer ,  wie  dies  beim  Adonisfeste  in  Alexau- 
dria  geschah  (vgl.  Theocrit.  id.  XV  133  c.  schol.). 

Nichts  bestimmteres  wissen  wir  Aber  die  qninqaennes 


1)  Vgl.  J.  Marquardt  üandbaob  der  römiachen  Alterthümer  Bd.lV 
8.  456. 

2)  Vgl.  Marquardt  a  a.  0.  S.  290  f. 

o)  Vgl.  Preller  Griechische  Mythologie  I,  S.  27a  der  2.  Aoä. 


Digitized  by  Google 


Bursian:  Das  iiO(j.  yiema  ultimum  des  Paulimu  Ndanus.  19 

epniae,  welche  nach  \.  142  f.  die  Vestalischen  Jungfrauen 
einem  draco  zubriugen  Der  Ausdruck  lehrt,  dass  es  sich 
um  ein  aller  vier  Jahre  dargebrachtes  Opfer ,  sacra  quin- 
quennalia,  handelt,  wie  die  jedesmals  uaeh  Beendigung  des 
Censns  stattfindende  Instratio  populi  Romani,  wie  das  'ieiu* 
ninm  Gereri  qointo  qooque  anno  8eniandnin\  welches  nach 
Lnrias  XXXVI,  37  im  Jahre  191  Chr.  eingeeetafc  worden 
itt,  und  wie  der  von  Domitian  eingeführte  Agon  Capito- 
Hnus  ^) :  aber  von  einer  Betheiligung  der  Vestalischen  Jung- 
frauen bei  derartigen  Quiuquennalfeieru  ist  uns  durchaus 
nichts  überliefert.  Ueber  den  draco,  welchem  dieses  — 
doeh  wohl  aas  der  dreimal  im  Jahre  von  den  Vesialinnen 
bereiteten  mola  salsa*)  bestehende  —  Speiseopfer  darge- 
braeht  wurde,  weiss  ich  nichts  weiteres  beizubringen  als  die 
zwei  schon  von  J.  Lipsius  (de  Vesta  et  Vestalibus  syntagma 
c.  X  extr.)  und  damach  von  Muratori  und  von  Oehler  zu 
dieser  Stelle  des  Paulinus  und  vou  A.  Preuner  in  seinem 
Werke  über  Hestia  -  Vesta  (S.  337,  Anm.  1)  angeführten 
Stellen  aus  Tertallian  (I  ad  nxor.  c  6)  nnd  den  Acta  Sil- 
vestri  pontificis,  in  welchen  von  der  Pflege  nnd  FUtterong 
eines  draco  durch  die  Vestalinnen  die  Rede  ist,  nnd  das 
schon  von  Preunor  beigezogene  Relief,  welches  die  thronende 
Vesta  aus  einer  i^atera  in  der  Rechten  eine  grosse  Schlange 
tj-änkeud  darstellt  (Fabretti  Coiumua  Trajana  p.  339;  vgl. 
H.  Jordan  Vesta  und  die  Laren  auf  einem  pompejanischen 
Waot^gemälde,  Berlin  1865,  S.  6,  Anm.  8) 

1)  Die  ftbolieheB  sflhon  vea  frQberen  Kaisern  in  Born  eingerichteten 
Agonen  (Tgl.  L.  Friedlfinder  Dustellungen  ans  der  Sittengeschicbte 
Bomt  Bd.  II,  3.  843  ff,  d.  2.  Aufl.)  ftbergebe  ich»  weil  dieselben  dureb- 
giogig  aar  kuise  Zeit  bestsndeo  haben. 

2|  Vgl.  Serv.  ad  Yerg.  ecL  Till,  82. 

8)  Altfre  mit  Sehiaogen  sind  9fter  neben  der  Vesta  «of  pompeja- 
■Sieben  Wandgemälden  dargestellt;  s.  W.  Heibig  Waodgem&lde  der  vom 
Verav  vencb&tteten  StA'lte  Campantons  S.  lU  S, 

2* 


Digitized  by  Google 


20       Siiswuf  der  ^läos.-phüol.  Classe  vom  3.  Januar  1880.  . 

Weitere  interessante  Notizen  über  Cnltbrauche  enthält 
die  aoi  den  Cult  der  Isis  und  des  Serapis  bezügliche  Stelle 
V.  116  ff,,  welche  besonders  mit  der  des  Minucius  Felix 
c.  22  grosse  Aehnliohkeit  hat:  wie  es  dort  ?ou  der  Im 
heiBst,  daas  sie  ihren  Terlonidn  Sohn  (HoniB,  nach  anderen 
ihren  Brnder^-Gatten  Oeins)  'eom  Gynocephalo  sno*  snehe,*) 
•0  igt  aneh  das  capnt  eaninnm  in  unserer  Stelle  anf 
den  Annhis ,  den  (pvhx^  xort  d7taö6(;  der  Isis,  wie  ihn  Plu- 
tarch  de  Isid.  et  Osir.  c.  14  nennt,  zu  beziehen,  der  auf  , 
den  ägyptischen  Denkmälern  als  Schakal  oder  mit  einem 
Schakalkopfe,  von  den  Griechen  und  Römern  mit  einem 
HnndskopfSs  dargestellt  wird.  Völlig  übereinstimmend  sind 
in  beiden  Stellen  die  anf  das  jedes  Jahr  (in  den  ietaten 
Tagen  des  October  nnd  AnÜEtng  Noyember  nach  den  römi- 
schen Kaleudarien)  sich  wiederholende  Suchen  und  Finden 
bezüglichen  Worte :  'nee  desinunt  annis  omnibus  uel  perdere 
quod  inueninnt  uel  innenire  qood  perdunt*  (Oct.  c.  22,  1) 
nnd  'Nescio  qnid  certe  qnaemnt  gandentque  repertum  |  Ror- 
sns  et  andttnnt  qnod  rnrsns  qnaerere  possint'  (V.  118  f.). 
Wie  endlich  Minndns  Felix  den  getödteten  nnd  zerrissenen 
Osiris,  dessen  0Heder  nach  allen  Richtungen  hin  zerstreut 
werden,  mit  dem  Serapis  identificirt  (*et  ad  sparsis  membris 
inanem  tui  Serapidis  siue  Osiris  tumulum'  Oct.  c.  21  ,  12) 

—  eine  Identiiicirnng  die  schon  von  dem  Ausgangspunkte 
des  hellenistischen  Serapiscnltes,  von  Alexandria  her  datirt') 

—  so  lasst  Fi^alinas  V.  122  f.  den  Serapis  von  seinen  Ver- 
ehrern zerreissen  nnd  die  Theile  an  verschiedenen  nnan- 
standigen  Orten  nmherstrenen ;  denn  das  ist  offenbar  der  . 

1)  Vgl.  aucli  die  ähnliche  Stelle  des  Firmicua  Mat.  de  err.  prof. 
rel.  c  2,  wo  Isis  beim  Sachen  nach  dem  Leichnam  dea  Osiria  als  Be- 
gleiter nimmt  'Nephthuni  aororeni  et  Anabim  uenatorem  cui  ideo  cani- 
niim  Caput  inpoeitam  est  qoia  lacerati  corporis  partes  artificio  canis 
seatigso^  fanMoit*« 

2)  Vgl.  B.  Plew  De  Suapidt  (Königsberg  1868)  p.  21  s. 


Digitized  by  GoOglc 


Buwan:  Daa  tog,  poema  viMmim  des  Paiäimu  Nolaniiu»  21 

Sinii  dar  Worte  Maceratnr  ab  ipais  per  Yarios  tarpeeqne  loeos'^). 
Panlini»  weiss  aber  nocb  weiter  von  Verwandelongen  des 
Serapis,  der  als  wildes  Tbier,  als  Hund,  als  faulender  Leicb- 

nam  eines  Esels,  als  Mensch  in  Lumpen  oder  mit  kraDkem 
Körper  erscheine  (V.  123  ss.),  zu  berichten.  Nun  ist  es 
aber  bekannt,  dass  der  Esel  bei  den  Aegypteru  als  das 
Tbier  des  Setb-Tjpbon,  des  Feindes  des  Osiris-Serapis,  galt» 
daher  den  Verehrern  des  Serapis  yerhasst  war  (Plat.  de  b. 
et  Osir.  c  30  und  &  50;  Aelian.  de  nat.  an.  X,  28;  vgl. 
Parthej  in  seiner  Ansgabe  der  Plntarcbiseben  Sebriflb  Uber 
Isis  und  Osiris  S.  219).  Da  nun  von  Verwandelungen  des 
Osiris-Serapis  nirgends  sonst  die  Rede  ist,  wohl  aber  von 
Ver Wandelungen  des  Seth-Typbon,  durch  welche  dieser  sich 
der  Bache  des  Horas  an  entsieben  sncbte  (nach  Plntarcb 
de  Iside  et  Ob.  c.  50  Terwandelte  er  sich  an  diesem  Zwecke 
in  ein  Krokodil  nnd  zeigte  man  in  Hermnpolis  ein  Flnss- 
pferd ,  das  Symbol  der  Unverscbämtbeit  nach  ebds.  c.  32, 
als  Bild  des  Typhon) ,  da  ferner  die  Aegypter  alles  Häss- 
liche  and  Schädliche  in  der  Natur  auf  den  Typhon  zurück- 
führten (Flut,  a  a.  0.  c.  50:  navra  nai  ^akt  x«i  qfvtd  kuu 
na^il  %a  tfumhu  xai  ßlaße^d  Tvgwpog  enya  xai  fiif^rj  nai 
lu^ftata  notov/wHu),  so  scheint  es  mir  nnxweifelhsft,  dass 
Panlinns  hier  den  Osiris -Serapis  mit  seinem  Gegner  Seth- 
Typhon  verwechselt^),  d.  h.  die  auf  den  letzteren  bezüg- 
lichen Cultbräuchc  irriger  Weise  auf  den  ersteren  bezogen 
bat.  Wahrscheinlich  folgte  bei  der  mehrere  Tage  in  An- 
sprach nehmenden  Festfeier  des  Osiris-Seropis  auf  die  Zer- 
rmong  des  Gottes  nnd  die  Anfändnng  seiner  Glieder  die 
Daratellnng  der  Bestrafong  des  Typhon  dnreh  Horns,*  bei 

1)  Vgl.  über  dsn  distam  Cultbiaiieh  sa  Grunde  liegenden  Mythos 
Platardi  de  It.  tt  Oeir.  c  18. 

2)  Sebsn  Odder  bat  la  seiner  Anniorkang  zu  V.  124  f.  die  ?er> 
mataag  gsinsNrt  'plarium  Aegyptiorom  deomm  fftbalas  a  Panlino  coa* 
ftndi  et  sd  unum  Oiiriin  ael  Serapim  refenri'. 


Digitized  by  Google 


22      SUtung  der  pkUwrfhifdl.  Claime  wm  3,  Januar  1880. 


welcher  Verwanddimgen  des  Tjphon  in  TerschiedeDe  Ge- 
stalten vorkamen. 

Da  die  übrigen  auf  Mythologie  und  Caltus  bezüglichen 
Partien  unseres  Gedichtes  einer  besonderen  Erläuterung 
nicht  bedürfen,  so  bleibt  nnr  eine  Schwierigkeit  zn  erörtern 
flbrig,  welche  in  der  gegen  die  Philosophen  gerichteten 
Stelle  (V.  32  —  51)  Torliegi  Paulin  tu  nennt  hier  zuerst 
die  *den  Hunden  Shnlichen'  Kyniker,  dann  die  Anhänger 
des  Platou  d.  h.  die  neueren  Akademiker,  die,  weil  sie  über- 
haupt kein  Kriterion  der  Wahrheit  anerkennen ,  über  alle 
Dinge  hin-  und  herdisputiren ,  aber  sich  jeder  bestimmten 
Behauptung  enthalten ,  endlich  V.  40  die  Fysici ,  eine 
Bezeichnnng  die  jedenfalls  auf  die  Stoiker  als  die  Vertreter 
des  Principe  des  natnrae  convenienter  ninere  =  o/uoXo- 
yovfdviog  (fvaei  tijv^)  zu  beziehen  ist;  aber  was  er  yon 
denselben  berichtet,  das  passt  nicht  auf  die  Stoiker,  sondern 
auf  die  Kyniker,  wie  ja  auch  die  V.  42  fi".  erzählte  Anek- 
dote Ton  allen  sonstigen  Gowrihrsmännern  von  Diogenes 
Yon  Sinope  berichtet  wird.  Wir  müssen  also  annehmen, 
dass  Pänlinus,  wahrscheinlich  durch  eine  falsche  Auffassung 
des  'naturae  connenienter  uiuere'  irregeleitet,  die  Grunds&tze 
und  Lehren  der  Kyniker  den  Stoikern  zai geschrieben  hat, 
ein  Irrthum  der  um  so  leichter  zu  entschuldigen  ist,  als  ja 
in  der  römischen  Kaiserzeit  ein  principieller  Unterschied 
zwischen  den  Kynikern  und  Stoikern  (die  in  Bezug  auf  ihre 
ethischen  Lehren  von  Haus  aus  nahe  mit  einander  yerwandt 
waren)  kaum  liestand,  sondern  die  letzteren  sich  wesent- 
lich nur  durch  -die  grtaere  Blicksieht  auf  äusseren  Au- 


1)  Dass  der  V.  38  erwähnte  Uber  Piatonis  de  anima  der  Dialog 
PhaedoD  (der  ja  aach  den  NebcoUtel  9  nffti  ^XVe  trägt)  ist,  bat 
■ehon  Maratorijrichtig  bemerkt. 

2)  TgL  bewsdsiB  loan  StobsAOB  ecl.  II,  6,  6  (t.  II  p.  38  t.  sd. 
Meineke);  Cie.  de  fiiu  IV,  6,  14. 


Digitized  by  GoOglc 


BurtiaH:  Das  sog.  poema  ultimum  des  Paulinus  Nokmus,  23 

stand  und  Schamgeiiihi  von  den  Kynikeru  unterschieden.  ^) 
Wenn  also  Paulinus  neben  seinen  Fysici  als  von  dieses 
▼enehiedeD  noch  die  'Cynici*  nennt,  so  denkt  er  dabei  an 
jene  rohen,  allem  Anstandsgefühl  ins  Gesicht  schlagenden 
Gesellen,  wie  sie  Lakian  mit  so  abschreckenden  Farben  in 
verschiedeneu  seiner  Dialoge  geschildert  hat,  um  J.  Bernays' 
Worte*)  zu  gebrauchen,  *die  frechen  Marktschreier,  die  im 
Kynismus  uur  ein  Privilegium  sahen,  sich  öffentlich  ihrer 
üngeiogenheit  überlassen  zu  können^  während  er  die 
besseren  nnd^  edleren  Elemente  des  Kjnismos  mit  dem  Titel 
'Fysiei*  belegt. 


1)  Vgl.  luven,  sat.  XIII,  121  s.:   et  qui  uec  cynicos  nec  stoica 
do^matä  Icfrit  |  a  cynicis  tunica  distantia'. 

2)  J.  Bernaus,  Lucian  and  ciie  Kyuiker.    Berlin  1^7U,  S.  38. 


Herr  Thomas  1e)^  ein  Exemplar  der  aus  einem  Ve- 
netianer  Codex  heliotypisch  vervielfältigten  Schrift 

„De  passagiis  in  terram  sanctam** 

Tor,  welche  einen  Abschnitt  der  venetianischen  „Chronologia 
magna**  bildet. 


Digitized  by  Google 


24       SUtung  der  historigchen  Oasie  vorn  3,  Januar  IHdO, 


Historische  Classe. 


SitiOBg  vom  3.  Xaiimr  1880. 


Herr  Cornelius  legte  eine  Abhandlang  des  Herm 
Moriz  Bitter  vor: 

„Politik  und  Geschichte  der  Union  zar 
Zeit  des  Ausgangs  Rudolfs  II  und  des 
Anfanges  des  Kaisers  Matthia6^^ 

Dieselbe  wird  iu  den  „Abhandlungen"  veröffentlicht 
werden. 


Herr  GregoroTias  hielt  einen  Vortrag  über: 

„Die  beiden  bayerischen  Residenten  am 
päpstlichen  Hole  in  den  Jahren  1607 
bis  1609''. 

Derselbe  wird  später  in  den  Sitzungsberiohteii  vom 
Drucke  kommeiL 


Digitized  by  Güügl 


Philosophisch-philologische  Classe. 


tülniig  vom  7.  F«bnuur  1880. 


Herr     Christ  hielt  einen  Vortrag: 

„Der  Gebrauch  der  griechischen  Partikel 
TE  mit  besonderer  Bezugnahme  auf 
Horner/^ 

1.  Niemand  wird  heutzutag  noch  daran  zweifeln  ,  dass 
nur  mit  Hilfe  der  von  der  Sprachvergleichung  eingefübrien 
Methode  ein  Tolies  Verständnis  der  Laote  und  Formen  der 
Uassisehen  Sprachen  erreicht  werden  kann.  Aber  anch  die 
Einsioht  beginnt  allmfthlich  Boden  su  gewinnen,  daas  der 
Satsbao  nnd  die  Syntax  der  alten  Sprachen  nieht  minder 
von  den  vergleichenden  Sprachforschung  neues  Licht  und 
tiefere  Begründung  zu  erwarten  hat.  Denn  einerseits  hängt 
der  Gebranch  eines  Wortes  im  Sata  nnd  die  Gestaltung  der 
Satie  selbst  in  letiter  Linie  von  der  arsprttnglichen  Beden** 
tong  der  BsuehangswOrter  und  Fleinonselemaite  ab,  und 
anderseits  liegen  die  Anwtse  des  Satsbaus,  aus  denen  der 
Tollendete  Bau  der  griechischeu  Periode  hervorgegangen  ist, 
jenseits  der  speciellen  Entwicklung  des  Griechischen ,  so 
ds8s  dieselben  nur  mit  Hilfe  der  in  den  verwandten  Spra- 
chen zutagetretenden  Analogien  rerstanden  werden  können. 
Frsihch  moss  hier  die  Forschung  noch  weit  mehrt  als  dieass 


I 


26       Sitzung  der  jjhüos.-philol.  Clause  votn  7.  Febrtmr  1880. 

ftehon  bei  der  Laut-  und  Fonnenlelire  der  Fall  sein  mlii^ 

aüf  die  in  den  literarischen  Denknialorn  ausgeprägte  Sprach- 
form  und  auf  die  sprachliche  Individualität  der  ein/eluen 
Schriftsteller  Rücksicht  nehmen.  Der  Grammatiker  wird 
allerding«  sunäclist  aus  der  nreprfluglichen  Bedeutung  der 
einaelneD  Ansaageforroen  au  ermiiteln  haben,  welche  logiaehe 
Fanltion  ein  mit  einem  Infinitiv  oder  einem  Pariicipinm 
ausgedrucktes  oder  mit  wg  oder  et  eingeleitetes  Satzglied 
auszufüllen  berufen  war;  aber  dabei  wird  er  nicht  stehen 
bleiben  dürfen ,  er  wird  weiter  untersucheu  müssen ,  ob  der 
einielne  Schriftsteller  bei  jener  ?agen,  ich  möchte  sagen, 
etymologischen  AnfiGuaong  stehen  geblieben  ist  and  nicht 
▼ielmehr  schon  die  Beugungsfbrmen  und  Partikeln  zu  gans 
speeiellen,  von  dem  ursprünglicben  Gebrancb  mehr  oder 
minder  abweichenden  Funktionen  verwendet  hat.  Bei  dieser 
Art  von  Untersuchungen  kommen  natürlich  die  Sprachen 
am  meiaien  in  Betracht,  welche  eine  frfih  entwickelte  Lite- 
fatnr  anfaoweiaen  haben.'  Denn  wenn  sich  anch  einige 
Mal  in  Sprachen,  welche  erst  yerhiltnisroassig  spit  in  den 
Kreis  der  Literatursprachen  eingetreten  sind,  merkwürdige 
Reste  ursprünglichen  Sprachgutes  erhalten  haben ,  so  wer- 
den doch  im  allgemeinen  die  ältesten  Werk^  der  Literatur 
am  getreaesten  den  anfänglichen  Sinn  der  sjntaktischen 
Formen  wiederspiegeln.  Also  anch  in  der  Teigleichenden 
Syntax  der  arischen  Sprachen  sind  die  Veden  nnd  Homer 
die  erste  Rolle  m  spielen  bemibn.  Während  aber  bectlglieh 
der  Wortformen  die  ältere  und  bildnngsreichere  Sprache 
der  Veden  ungleich  wichtigere  Aufschlüssp  bietet,  dürfte 
im  Gebiete  der  Syntax  leicht  den  Homerischen  Gedichten 
der  Vorzag  gebühren.  Denn  bei  dem  grdsseren  Reichtum 
ihres  Inhaliea  nnd  bei  dem  grosseren  Wechsel  ihrer  Dar- 
stellnngsformen  bieten  sie  uns  eine  ungleich  grdssere  FfiUe 
syntaktischer  Wendungen  als  die  im  engen  Gedankenkreis 
sich  bewegenden  Lieder  des  Veda.    In  den  angedeuteten 


Digitized  by  Google 


V.  Chritt:  Ver  Gebrauch  der  griechieeMn  Partikel  TE.  2t 

Bahnen  bewegen  sich  denn  aach  die  Forschungen  derjenigen 
Männer  t  welche  sich  am  meisten  um  die  Ausbildung  dieaes 
Zweiges   der   Tergleichenden  Spraohwisseiuiehaft  Yerdient 
gemacht  haben,  die  Forschimgen  Delbrilck*8  und  Win- 
dieeVs.   Ich  Belhnt  gedenke  auf  den  folgenden  BlSttem 
nur  einen  einzelnen  kleinen  Punkt  mit  specieller  Beziehung 
auf  Homer  zu  Ijeleuchten.    Wie  nämlich  L.  Lange  in  den 
bekannten  Abhandliingen  vom  Homerischen  Gebrauch  der 
Partikel  El  (Abhdl.  d.  sächs.  Oes  d.  Wim.,  phil.-hiet. 
OL  Bd.  VI)  die  JSc-sätze  bei  Homer  einer  speciellen  Unter- 
sochnng  nntersogen  hat,  so  will  ieh,  freilich  in  viel  engerem 
Kähmen  und  in  hfirserer  F^ung ,  den  Gebranch  eines 
anderen  nicht  minder  wichtigen  Wörtchens,  der  Partikel 
TE,  behandeln.    Ich  bin  auf  dieses  Thema  zunächst  durch 
Untersuchungen  gekommen,  welche  sich  auf  die  Scheidung 
des  Sprachgebrauchs  der  einzelnen  Gesänge  Homers  bezogen. 
Unter  der  Hand  aber  wuchs  mir  der  linguistische  Stoff  so 
sehr  an,  dass  es  mir  geraten  schien  den  An^gangsponkt  der 
üntersnchnng  znrttckzndrängen  nnd  statt  der  literarischen 
Seite  die  sprachwissenschaftliche  in  den  Vordergrund  treten 
zu  lassen.    Der  Gebrauch  der  besagten  Partikel  ist  zwar 
Schoo  wiederholt  untersucht  worden,  teils  in  Commentaren 
la  Homer,  teils  in  besonderen  grammatischen  Werken^  ans 
welch*  letsterer  Klasse  besonders  Hartnng^s  Lehre  Yon 
den  Partikeln  der  griech.  Sprache  I,  &8— 118  nnd  Bftum- 
lein*8  Üntermiehnngen  über  griech.  Partikeln  S.  206—35 
hervorgehoben  zu  werden  verdienen       Dass  aber  der  Ge- 
genstand noch  nicht  erschöpft  sei,  und  dass  der  Gebrauch 
der  Partikel  tt  mit  schwer  eutwirrbaren  Fragen  der  Etymologie 
tnaammenhange ,  dafür  wird  die  nachfolgende  Abhandlung 
selfasi  Zeugnis  ablegen. 

1)  Das  Glogaaer,  von  Bäumlein  ci  tiefte  Proj^ramm  TOD  Dir. 
Wintzel,  über  den  Gebrauch  der  Partikel  if  bei  Homer,  iit  mir 
kider  mM  sagingUch  geweeeo. 


Digitized  by  Google 


Das  verbiudende  te  im  einfachen  Satze. 

2.  Aiugehen  werden  wir  paasend  Ton  deijenigen  Be- 
deotnng  der  Partikel  re,  welche  «ich  dieeelbe  in  dem  Verianf 

der  ganzen  Gräcitat  bewahrt  hat.  Es  gebrauchen  aber  die 
griechischen  Schriftsteller  aller  Zeiten  unser  rc  zur  Verbin- 
dung und  Anknüpfung  zusammengehöriger  Dinge,  welcbe.s 
Verhältnis  wir  mit  'und*  wiedersngeben  pflegen,  ohne 
daas  ach  deshalb  der  Gebrauch  der  griechischen  und  dmt- 
sehen  Partikel  Tollstftndig  deckt  Dass  diese  Bedeutong 
des  Wortes  nicht  die  ursprSngliehe  ist,  wenn  sie  aeeh 
schon  vor  der  Trennung  der  arischen  Sprachfamilie  unsereni 
Wörtchen  zukam ,  bedarf  für  den  Sprachkundigen  keiner 
weiteren  Begründung;  von  so  abstrakten  Begriffen,  wie  Ver- 
bindung des  Oleichartigen,  geht  die  Sprache  nicht  aus,  und 
schon  die  Stellung  der  Partikel,  welche  immer  dem 
baodenen  Worte  nachfolgt,  weist  uns  auf  eine  andere 
Griindbedeutuug  hin  Um  dieselbe  zu  finden,  müssen  wir 
etwas  weiter  ausholen. 

Jedermann  weiss  schon  aus  seinen  ersten  Uebersetzungs- 
Qbungen ,  dass  wir  das  lat.  et ...  et  ganz  gewöhnlich  im 
Deutschen  mit  einem  einfachen  'und*  wiederzugeben  genfitigt^ 
sind ,  wdl  ein  wiederholtes  'sowohl ....  ab  auch*  unsere 
liede  zu  schleppend  machen  würde.  Das  hat  aber  einen 
tietereu  Grund,  der  mit  unserer  ganztn  Denk-  und  Sprech- 
weise zusammenhängt.  Das  lat.  et  .  .  .  et  bezeichnet  eine 
Korrelation,  eine  Wechselbeziehung  der  verbundenen  Wörter 
und  Sfttae,  unser  *und*  knfipft  ein&ch  eioe  Sache  oder  eineD 
Gedanken  an  das  Vorausgehende  an.  Die  Lateiner  uid 
Griechen  liebten  es  nun  das  korrelative  Verhältnis  überall, 
wo  es  thatsächlich  bestund ,  auch  im  Geiste  festzuhalten 
und  in  der  Sprache  auszudrücken,  während  wir  uns  meistens 
mit  dem  blossen  Ausdruck  der  Kopulation  oder  Zugehörig- 
keit begnUgen.   Jene  Neigung,  die  Korrelation  in  dsr 


Digitized  by  Google 


«.  Ckrid:  Der  Mratuh  der  griethiadlen  PMüui  TE,  2i 

Sprache  za  bezeichnen,  ist  aber  schon  im  Altertam  in 
entschiedener  Ahnahme  begriffro  gewesen;  sie  tritt  weniger 
bei  den  spftteren  als  bei  den  filteren  Sehriftstellem  herror, 
sie  findet  sieh  nicht  so  hfinfig  in  den  prosaischen  als  in 

den  poetischen  Schöpfnngen  der  Griechen;  ganz  besonders 
aber  ist  es  Homer,  bei  dem  unendlich  öfter  die  Korrelation 
als  die  einfache  Kopulation  ausgedrückt  wird.  Ich  habe 
mir  die  langweilige  Mühe  des  Zählens  nicht  genommen, 
aber  et  vergleiche  einer  nnr  einige  Sdten  des  dophokles 
oder  Flato  mit  Homer,  nnd  er  whrd  sehen,  wie  s^r  sich 
Homer  vor  andern  Antoren  in  der  Beseichnong  des  Ver- 
hältnisses der  Zusammengehörigkeit  geföllt;  er  wird  aber 
auch  finden ,  dass  Homer  nur  ganz  selten  ein  einfaches  re 
gebraucht,  dass  bei  ihm  fast  regelmässig  ein  t£  einem 
«nderea  ts  oder  xai  entspricht.  Das  legt  uns  den  Gedanken 
nahe«  dass  die  kopnlati^e  Bedentnng  von  vb  erst  ans  dem 
korrelatiTen  Gebranch  von  n . . .  rs  hervorgegangen  isti 
dass  mit  anderen  Worten  es  die  einihche  Bedentnng  *jmt 
erst  dadurch  erhalten  hat,  dass  man  anfangs  nur  ausnahms- 
weise, allmählich  aber  in  iinnier  weiterem  Umfang  von  den 
beiden  t€  das  erste  wegliess  and  nur  das  zweite  beibehielt, 
nd  es  nun  weil  auch  ein  einzelnes  re  einen  leidlichen 
Sinn  gab,  sei  es  weil  sich  im  Maie  des  Sprechenden  schon 
die  äbstrskte  Vorstellnng  einer  verbindenden  Partikel  heraus» 
gefafildet  hatte.  Beseichnend  hiefBr  ist  so  allen  Zeiten  der 
Sprachgebrauch  in  negativen  Satzverbindungen  gewesen ; 
denn  hier  haben  bekanntlich  die  Griechen  sich  nicht  erlaubt 
das  erste  t£  einfach  auszulassen,  sondern  haben  vielmehr 
in  der  Regel  das  deutsche  'und  nicht'  nach  vorausgehendem 
dnfiichen  ov  mit  ovd«,  nicht  ovre  wiedergegeben.^) 

Ist  aber  der  kopulative  Gebrauch  der  Partikel  ts  ans 


1)  Ein  einziges  ovr  otty  steht  nach  voraoi^gtngenem  einfacbra 
f«  in  Homer  Od.  <  147. 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


30      BüMmig  der  ph4a8,'fltihl.  CUute  vom  7.  Febrttm-  1880. 

• 

dem  korrelatiTen  henrorgegangen ,  so  ist  damit  aach  die 
üTsprOngUche  Bedentnog  der  Partikel  gefunden;  te  war 
▼on  Hause  aus  ein  Besiebnogswort  mit  scliwaeber  deiktiscber 

Kraft,  te  .  .  .  Te  bedeutett»  'da  .  .  .  da',  uud  der  Sprechende 
wird  ursprÜDglich  uoch  mit  eiiuT  Handbewegung  oder 
Wendung  des  Kopfes  nach  rechts  uud  links  die  Bedeutung 
der  Spracblante  begleitet  und  unterstützt  haben  Es  dachte 
aieh  bei  te . ,  .ve  der  Sprechende  gleichsam  in  die  Mitte 
gestellt,  so  daas  er  durch  Wiederholung  der  gleichen  Par- 
tikel die  gleichmässige  Entfernung  der  beiden  Pnnkte  Yon 
der  gemeinsanieu  Mitte  bezeichnete.  Ein  ähnliches  Ver- 
hältnis drückte  die  Sprache  auch  mit  Te..,y.ai  *da .  .  dort 
aus,  nur  gab  sie  dabei  die  gemeinsame  Beziehung  auf  ein 
Drittes  auf  und  drückte  nur  die  Entfernung  des  sweiten 
Punktes  vom  ersten  ans.  Wie  geeignet  aber  das  %€u  im 
Gegensata  tou  vs  aur  Bezeichnung  dieses  zweiten  Verhält- 
nisses war,  ersiebt  man  namentlich  ans  dem  Gebrauch  des 
verwandten  xeivog  in  Stellen,  wie 

xsifOff  01J  oiT  aiotjMs  arrii^  or  oiO(t€&'  avtot 
Ij^evoi  ig  i^akaficv  165) 

xehog  o  ye    {)Oiiaqoil^e  vnoy  ofji^oxQatQdiuv 

iia%ai  odui^utiefog  ^toi^ov  g)ilov       344,  vgl.  F  39«  412) 

wo  wir  nahog  geradezu  mit  'dort,  dortbefindlich'  ubersetzen 
können.    Auf  der  anderen  Seite  ist  ftir  die  Uebersetzung 

von  le  .  .  .  le  mit  *da  .  .  .  du'  von  besoiulerem  Interesse  der 
Vergleich  des  ähnlichen  Gebrauches  von       *  •  *  ^ 
Verse  des  Hesiod  Scnt.  210. 

und  von  qua  ...qua  bei  Plantus  Trin.  IV.  3,  37:  mores 
antem  rapere  properant  qua  sacmm  qua  publicum. 

Wenn  ich  nnn  auch  weit  davon  entftsmt  bin,  die 
durchgängige  Uebersetzung  des  Homerischen  te  .  .  .  ze  uud 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Christ:  Der  Gebrauclt  der  griechkeken  Partikel  TC.  81 

te  .  .  .  xa/  mit  da  ...  da'  und  Mu  .  .  .  dort'  zu  empfehlen, 
weil  eben  unserer  Sprache  die  BeseicbouDg  des  korrelativeu 
Verbältnisses  nicht  geläufig  i^t,  so  wird  es  doch  der  Klar* 
stellüDg  des  ao^estellteD  Satses  dienen,  wenn  ich  einige 
Beispiele  am»  Homer  and  Hesiod  anführe,  an  denen  jeder 
leicht  heransfUhlt ,  wie  passend  mit  jenem  ve  .  .  .  ts  die 
verbundenen  Begriffe  zugleich  auseinandergehalten  und  zu- 
sammengeführt werden.  Es  sind  in  der  Regel  zwei  einzelne 
Wörter  und  zumeist  z\^ei  einzelne  Nopina,  die  durch 
,  ,%9  oder  TC  . . .  Ttai  derart  verbunden  sind ,  dass  wir 
gewiseermassen  unser  körperlichee  oder  geistigee  Auge  hieber 
und  dorthin  zu  wenden  gemahnt  werden,  wie  in 

lüLtflg  anoigyet  \  ts  or^^og  re  (B  326) 

unlo  re  ylovtovg  re  (B  340) 

ia.):/.(n   it  aiEQOui^v,  oVJvTag  r   (]XKv[dvovQ,  re  {yl  8*2  f.) 
IMvitviv  TC  tfitvcu  /iQfjxii^oa  ze  ftqyoiv  (f  443) 

^c/r^oc;  re  /i/ye'^Ov,'  t«  rpvTijr  t  ayj^tma  ftfoly,eiv  (B  .OS) 
t&  d*  olai  Jioi;  df.iffig  ^Aifijpfair^  tb  nat  ^Hq^]  ija^hp^  {B  444) 

(Hes.  theog.  848) 
andq  iffü  üneiadv      niov      oaov  ^«^eXe  thifiot;  (/  177) 

3.  Von  der  Verbindung  zweier  Verba,  wie  wir  sie  in 
dem  letzen  Beispiele  sahen,  war  es  nur  ein  kleiner  Weg 

«ür  (io5jr»'nnberstpllung  zweier  kleiner  Satze,  in  denen  mit 
dem  Verhum  noch  ein  bosonderes  ()))jekt  oder  Adverbium 
oder  selbst  Subjekt  verbunden  war,  wie  in 

(A  20) 

'mit  der  einen  Hand  gib  mir  aurfick  die  Tochter,  mit  der 
imdem  empfange  das  Ldeegeld*. 


< 


Digitized  by  Google 


32       Sitzung  der  jjhilos.-phüol.  Glosse  vom  7.  Februar  1880. 

dioBfo  V*  fl&iMg  muimro      naaai  ayvud  (o  471) 

'dort  am  Himmel  gin^  die  Sonne  unter,  hier  auf  Erden 
worden  achattig  die  Wege\ 

Hingegen  eignet  rieh  nnser  n  wenig  znr  Yerbindong 
langer  d&tae.  Homer  liebte  es  ebensowenig  mit  dem  ein- 
fachen Tc  einen  längeren  Satz  an  einen  voran^gehendext 
anzuknüpfen,  wie  mit  dem  doppelten  te  .  .  re  zwei  längere 
Sätze  zu  einander  in  Korrelation  zu  setzen ;  die  Verbinduii(|r 
aber  eines  kurzen  Satces  mit  einem  langen  mittels  ansers 
tB  war  ohnehin  aasgeschlossen ,  da  mit  zb  nnd  vs . . .  ve 
nor  Gleiehartiges  Terbnnden  werden  sollte.  Zwar  kommt 
%B  anch  in  ISngeren  Sitzen  Yor^  aber  dann  ^ritt  es  entwedw 
nur  in  accessorischer ,  fast  bedeutungsloser  Weise  zn  einer 
anderen  Partikel  hinzu,  wie  in  xa/  te,  de  re,  yag  tb,  ?j'  re 
oder  schliesst  sich  mit  korrelativer  Bedeutung  an  ein  Pro- 
nomen oder  eme  Konjunktion  an,  wie  in  ei  re  , , .  u  %^ 
9  T< . . .  j||  TS,  %  re . . .  T«^  ovvs .  • .  ou^e.  Auf  die  erste 
Art  von  Satsverbindnng  werde  ich  im  nichsten  Abschnitt 
noch  ausfiDhrlicher  zu  sprechen  kommen,  die  zweite  will  ich 
gleich  hier  durch  Anführung  einiger  belehrender  Beispiele 
erledigen : 

£     hii  de|i*  cWi  nfi^g  ijo»  t*  rfihw  ve, 

£  t*  in^  aQiareQa  toi  ys  ncfii  1^6q>ov  i^tgowra  (M  239  f.) 

iarafiWttt.  xQateQÖjg^  ij  r*  tßXTjt\     t'  i'ßaV  aHov  410) 

yvuiotai  f';r€/^\  ot;      lyspioviov  xaxo'c;,  og  ti  vr  Xaw>  {B  3G5) 

w  g)iXoi  \A(^üu)v  og  t'  t'^oxogt  og  t€  fieai^eis 

Sg  %$  xß^m€9(fog  (M  269) 

In  allen  diesen  Sätzen  dient  te  .  ,  .  vb  nicht  schlechthin  znr 
Verbindung  der  Sätze,  sondern  lehnt  sich  zunächst  an  die  • 
vorausgehenden  Beziehungswörter,  ctQif^  koyov^  wie  so 
passend  die  alten  Grammatiker  sagten,  an,  imi  mittels  ihrer 
die  Satze  in  diqunktive  Beziehung  zu  einander  zu  setzen« 
Am  deutUohsten  kann  man  dieses  bei  den  Sitzen  mit 


Digitized  by  GoOglc 


r.  Christ:  Der  Gebrauch  der  ijriedmclien  Partilei  TE.  33 


og  t€  ,  ,  .ag  tB  erkennen,  zumal  wenn  man  sieh  gegenwärtig 
hSit,  dass  og  ehedem  auch  demonstrative  Bedeutung  hatte, 
so  dass  der  Vers  M  261)  wörtlich  bedeutete:  *ihr  Freunde 
alle  zumal,  der  da  eine  hervorragende,  der  da  eine  mittlere, 
.der  da  eine  geringere  Stellung  unter  den  Argivem  ein* 
nimmt'. 

Wo  aber  ausserdem  in  Homer  längere  Sitae  mit  ein&chem 
V9  eieb  angeknüpft  finden,  baben  sie  ihre  besondere  Ent- 
schuldigung. Deuu  entweder  steht  dann  re  uicht  allein, 
sondern  in  Verbindung  mit  nachfolgciuleiu  a^a,  wie  in 
ui  251—4  (vgl.  r  398,  O  397,  ß  591.  703) 

arfj  d*  evi^S  aw  Sovqi  Xa&iav  ^Aya^lpvwa  dloVf 

vvBe  di  fiiv  xara  xelga  jniarjv  ayuwvog  EveQi/evy 

dyii/cgig  di  öuaye  (patirov  dovfjog  ax.djy.r' 

^tyiiaiv      a(f  bjiuia  pdva^  opö^wy  ^uiyafÄi^yiJv'^)^ 

oder  es  dient  in  einem  lang  ausgesponnenen  Vergleicbe  dazu 
die  Teile  des  Vergleiches  zu  einem  Gesammtbild  zusammen- 
zufassen, wie  in   Ii  41—47 

ios     ov^  av  eif  t6  xvpwai  xai  mtöffdai  ^i]^ijin[Qai 

oi?  Si  TB  nvgyiiöov  aq>iag  etdtotg  dgtvwxißtBg 
dviiov  'iaraviai  v.ai  n/.ovtuovai  ^a^Atiag 
aiyj*dg  i/.  ;r£/^wj''  zor  d'  ov  /loie  y.vöa)j{.tov  'Ar^q 
tt^ßti  ovdi  (foßeUai,  dyipfoglij  dt  iaiv  txia' 
taqqtia  %B  <nqiffm:ai  arlxag  dvdf^  Tretgrjwi^ßmp' 
t^mtjn  T*  i^0fl,      fBUomt  ati%Bg  ayd^cSy, 

Das  acceasorische  %b  im  parataktiscben 

Satzgefüge. 

4.  Im  vorausgehenden  Kapitel  haben  wir  Te  .  .  .  rs  als 
uQi^ga  oder  verbindende  Partikel  kenueu  gelernt,  geeignet 

1)  Zq  beachten  iet  {ndes,  due  Mar  in  eod.  Yen.  6*  nicht 

[18dO.  1. Fbil.-pliU.  Ui«t.  Cl.  Üd.  I.  l.J  8 


Digitized  by  Google 


34      äiUuiig  äer  rhäa8,'phtM.  CUme  vom  f,  P^bfuar  mö. 


nebeneiiMuidenteheiide  und  suMmmeiigeliörige  Satzteile  oder 
Sfttce  miteinander  zu  yerbinden.  In  dieeor  Stellung  bat  re, 

das  einfache  und  das  doppelt  gesetzte,  die  volle  Funktion 
einer  Konjunktion  (ain'deoiiui;),  indem  es  allein  für  sich  das 
Verhältnis  zweier  Wörter  oder  Sätze  zu  einander  ansdrückt. . 
Nun  kommt  aber  re  nnd  .  .  .  re  bei  Homer  ancb  in 
Satigefagen  Tor,  in  denen  das  VerbftltniB  der  Satcgtieder 
zu  einander  oder  des  einen  Satzgliedes  zn  dem  andern  schon 
dnreb  andere  Sprachmittel  ansgedrfickt  war.  In  dieser 
Stellung  macht  das  re  den  Eindruck  einer  überflüssigen 
Partikel  (avvöeofiog  jraqccjTXr^Qio^atiy.og).^)  Reines  Füllsel, 
bestimmt  den  Vers  auszufüllen,  ist  es  nun  natürlich  nicht; 
sonst  könnte  es  überall  und  in  allen  Satzarten  stehen ;  aber 
es  bat  doch  nicht  mehr  die  volle  Kraft  einer  Koi^nnktion, 
sondern  nnr  noch  die  Bedeutung  einer  aceessoriscben  ENir- 
tikel.  Unsere  Aufgabe  wird  es  nun  sein,  die  verschiedenen 
Arten  dieses  accessorischen  %e  festzustellen,  und  die  Bedeu- 
tung desselben  im  einzelnen  zu  eruieren.  Im  voraus  sei 
nur  noch  bemerkt,  dass  die  griechische  Sprache  in  ihrer 
fortschreitenden  Entwicklung  ebenso  wie  andere  Sprachen 
die  Neigung  zeigt,  mit  den  Konjunktionen  sparsamer  zu 
Bat  zu  gehen  und  sich  immer  mehr  auf  den  einÜMshen 
Ausdruck  des  SatzverhSItnisses  durch  einfiMshe  Mittel  zn 
beschränken.  In  Folge  dessen  ist  auch  das  accessorisclie  ih 
am  meisten  in  der  Sprache  der  alten  Epiker  vertreten  und 
verschwindet  in  der  Prosa  bis  auf  wenige  Fälle,  wie  oiare, 
£va,  oIo$  re,  in  denen  das  tb  seine  selbständige  Stellang 
ganz  an%0geben  hatte  und  mit  der  vorausgegangenen  Haupt- 

v'  ifp  steht;  aber  la  den  andern  Stellen  finde  ich  eine  solche  Variante 
nicht  vaneichnet 

1)  Dionysias  Thmz  c  25  stellt  alleidingi  dss  tt  nicht  m  den 
"  0w6$«fi0i  noQtmTaieiufMmmal,  sondern  sa  den  9vtf6,  ov^fflmnxo/,  aber 
nur  weil  tt  in  der  tpftteren  Sprache  fast  aosschliMslicfa  nnr  noch  in  der 
kopolativen  Bedeatnng  gebrftnchlich  war. 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Christ:  Der  Gehrauch  der  griechischen  Partikel  TE.  3ü 

Partikel  zu  einem  Wort  zusam  menge  wachsen  war.  Ja  viel- 
fach steht  schon  die  Homerische  Sprache  anf  jener  jüngeren 
Entwicklungsstnfe ,  indem  ja  auch  in  bre  n  (ni  aUcne  ovre 
rjvre  u.  a.  das  re  mit  dem  Element,  an  das  es  ursprünglich 
bloss  enklitisch  angefügt  war,  zu  einem  Worte  verschmol- 
zen ist. 

5.  Dem  im  vorausgehenden  Kapitel  erörterten  Gebrauch 
des  korrelativen  re  .  .  .  te  schliesst  sich  zunächst  der  Ge- 
brauch von  T£  .  ,  .  Te  hinter  /niv  ...  de  in  disjunktiven 
Sätzen  an.  Es  liegen  uns  im  Ganzen  9  Fälle  eines  der- 
artigen Gebrauches  vor: 

aC  fidv  t'  i'vi^a  fdlig  7[E7t(niqai:aiy  at  dt  %e  IV^a  (J3  90). 

tt^led^ouaa  qrvei  {Z  147) 

tat  i^iv  t*  iv  Tiedill)  vi(pea  ntwaaovoai  Xevzaiy 

ot  dt  T£  %ag  oXlxovaiv  hraX^evoi,  {x  304) 

ferner  E  139,  N  706,  Ö>  260,  ^  519,  t}  123,  Hes.  opp.  281. 

Die  Erklärung  dieses  Gebrauches  von  ^iv  xe  ,  .  .  dt  re 
lässt  sich  nicht  losreissen  von  den  zweigliederigen  Sätzen« 
in  denen  nur  die  eine  der  beiden  disjunktiven  Konjunktionen, 
entweder  nur  fttv  oder  nur  di  ein  re  bei  sich  hat.  Es 
steht  aber  fiiv  te  im  Vorderglied  mit  nachfolgendem  ein- 
fachen di  oder  d'  av  oder  uvrag  an  folgenden  Stellen: 

TOvg  fitv      ir^Qoi  noXuqxxQfianoi  dfxq>i7iivovTat 
VXxe*  dx.ei6/j€voij  av  d*  d^r^xctvog  tnXav  li^il^^  {TT  28  f.) 
ebenso  E  138,  /  5UÖ,  yi  64,  393,  0  464,  X  495,  ß  530, 
e  331,  I?  129,  k  220,      62,  93.») 


1)  Auch  die  Stelle  r  :i33 

tov         x(  xXiOf  fv(iv  6u(  ^ftroi  tpofiiovaiy 

nuyiag  iii*  f(yS(ftonovf,  noXXoi  di  fxty  ea&Xoy  spurtoy 

gebort  hieher,  wenn  man  mit  Bekker  TtoXXoi  6i  statt  des  äberlieferten 
TtoXkoi  Tt  liest. 

3* 


96       Siknm0  der  fMoBj^M,  dmte  wm  7.  FOtruar  1860. 


ftaiopiai  (d  102) 

ebenso  hymu.  I  141, 

d^wec  fiiv  XE  öuTQBoaVf  avTOQ  6  du7iTEi  (v/  481) 

ebenso  J  424,  E  141,  ^  476,  N  799,  a  215,  hymn.  II  11, 

He8.  iheog.  596,  opp.  233,  552. 

Dazu  kommen  dann  noch  diejenigen  Stellen,  in  denen 
f.ih  TS  in  Hauptsätzen  und  Relativsätzen  steht,  ohne  dass 
überhaupt  ein  Satz  mit  öi  oder  einer  anderen  Adversati?* 
pariikel  nachfolgt,  in  Hauptsätzen,  wie  in 

acfiioiv  fjiv  X*  tnioiyLt  fteia  jtQiüTOtoiv  iovrag 

eOTÖfißy  'qdi  fidxns  yuxva%eiQrjg  dvrtßokrjoai  {J  340  ff.) 

Atavte,  aqfta  ftip  tb  aasiaBXB  Xuov  !d%amv 

akmiig  fMjnfianim  lujdi  it^goB^lo  gtoßouf  {tf  47  f.) 

ij  tt  fiBzaatQiiffBtg;  ar^Bmat  fih  tB  gt^vBg  iadhöp  (O  203)^) 

ebenso  €  447,  ii  62,  t  333, 

in  RelatiTsätsen,  wie  in 

%u^^ri  S*  dyoQtj       xvfima  ficat(id  ^akaaarjg 
trivrov  *htaQiotOy  rd  /uev       Evifog  tb  Norog  vb 

o/QOQ^  InaC^ag  Trarqdg  Jwg  fx  veg^eXdiov  (B  144  fP.) 
7iQtaßa  Jiöq  d^vyarriQ  l4ccxr^ ,      jrctvzag  aarat 
ovlo^ivtjy      fiiv      djiOLkol  noÖBg  (T  91  f.) 

ebenso   J  486,  487,  %  388,  422. 

Unter  diesen  zuletzt  angeführten  Beispielen  müssen  die 
Relativsätze  von  den  Uauptsätsen  geschieden  werden;  denn 
bei  den  ersten  besteht  wenigstens  die  Möglichkeit,  das  tb 
▼on  fi^  7.n  trennen  nnd  siini  Relatavpronoinen  zn  ssiehen, 
bei  den  zweiten  aber  mnss  jede,  Erklimng  daTon  ani^hen, 

1)  Bekker  ■ehreibt  /»v^  tt,  m>  weit  leb  ftbeibliekMi  kann,  ohne 
bsodichiiftliehe  Grundlage;  hingegen  steht  naeh  La^Boebe  in  L  n.  8 
tM  statt  w. 


Digitized  by  GoOglc 


r.  Christ:  Der  Gebrauch  der  griechischen  Paiiikel  TE.  37 

dass  Te  nicht  der  BatzverbiDcluDg  dient ,  sondern  lediglich 
zu  fiiv  gehört.  Es  ist  aber  an  allen  Stellen  das  Wort, 
auf  welches  ^iv  je  folgt,  mit  entschiedenem  Nachdruck 
gesprochen,  so  dass  sich  das  zusammengesetzte  ftav  te  nicht 
viel  von  dem  einfachen  hervorhebenden  ^iv  unterscheidet, 
wie  dasselbe  z.  B.  in  iitel  oq  at  yt  ^fiog  otqvvbi  (tiI  vtjag 
ifido  fjth  ovx  e&elovarjg  (ß  289)  und  an  unzähligen  anderen 
Stellen  vorliegt.  Das  tb  dient  dann  dazu  die  hervorhebende 
Kraft  des  ^iv  zu  bestätigen  und  berührt  sich  nahe  mit  der 
beteuernden  Partikel  toi  ,  die  ganz  ähnlich ,  wie  z.  B.  in 
d}X  axewfAE^a  d^aoaov  dy.eaiai  toi  (fQiveg  ia&lojv  {N  115) 
gebraucht  wird  und  sich  auch  gerade  so  wie  tb  mit  dem 
hervorhebenden  f^ev  verbunden  findet,  wie  in  d  157  'abivou 
fiiv  TOI  od*  viög  trijTVjuov,  (og  ayoQBVBig. 

Es  ist  aber  gewiss  dieses  hervorhebende  fuev  ursprüng- 
lich identisch  gewesen  mit  dem  disjunktiven  ftiv ;  denn 
wenn  auch  das  erstere  öfters  mit  langem  ry  geschrieben 
wird,  so  darf  uns  doch  dieser  Umstand  nicht  bestimmen, 
die  beiden  Arten  von  ^itv  auf  verschiedene  Grundformen 
zurückzuführen;  wie  hätte  sonst  das  hervorhebende  fnen 
bald  mit  langem  ?/,  bald  geradeso  wie  das  disjunktive  mit 
kurzem  e  geschrieben  werden  können  ?  Es  kann  sich  daher 
nur  darum  handeln,  welche  von  den  beiden  Bedeutungen 
die  ursprüngliche  und  welche  die  abgeleitete  sei,  mit  anderen 
Worten,  ob  wen  ursprünglich  hervorhebende  und  versichernde 
Bedeutung  gehabt  habe,  und  erst  in  der  weiteren  Entwick- 
lung der  Sprache  dem  *zwar*  d  i.  *zu  wahr  ein  'aber*  gegen- 
öbergetreten  sei ,  oder  ob  umgekehrt  ^tv  von  vornherein 
mit  Bezug  auf  ein  nachfolgendes  de  gedacht  war  und  die 
bestärkende  Bedeutung  von  ju«y  sich  erst  daraus  eutwickelte, 
dass  zuerst  auf  das  erste  Glied  derartiger  disjunktiver  Sätze, 
ähnlich  wie  in  den  Sätzen  mit  rj  toi  .  .  .  r/,  der  Hauptnach- 
drack  gelegt  und  dann  der  mit  öd  einzuführende  Gegensatz 
bloss  im  Geiste  gedacht,  in  der  Rede  aber  unausgedrfickt 


3Ö      äUiwtg  der  fhä09.'pkiM,  Clobse  com  7.  Februar  ItiSO» 

blieb.  Von  dieser  Alternative  hängt  natürlich  auch  die  Ent- 
scheidung darüber  ab»  ob  das  beigefügte  te  verbindende  oder 
bekräftigende  Bedeutang  gehabt  habe.  Die  Terbindende  oder 
konrelatiTe  Bedeatang  erecheint  in  den  TollrtSndigen  dii- 
jnnktiTen  S&tien  mii  §iip  te . .  >di  t€  eehr  phrasibeL  In 
dem  SatB  e.  B.  ipvXUt  rd  pUv  avefiog  ya/nddig  yhh 
aX}ux  öt  tlt]  Tijled^oojoa  cpxBi  werden  mit  f^tv  .  .  .  de 
die  Blätter^  welche  im  Herbste  zur  Erde  fallen,  den- 
jenigen entgegengesetzt,  welche  die  laue  Luft  des  Lenzes 
hervortreibt,  mit  m  .  .  .  werden  die  beiden  Arten  von 
Blftttern  als  Blfttter  denelben  Waldes  beaeichnet,  wie  die 
alte  ttnd  neue  Qeneration  Ton  Menseben  der  Zeit  nach 
anseinanderliegen,  dem  Wesen  nach  aber  gleich  sind.  Aber 
in  den  einfachen  Sätzen  mit  ^uv  le  empfiehlt  sich  die  An- 
nahme eines  bekräftigenden  oder  beteuernden  re;  zur  Anf- 
bellung  dieses  Verhältnisses  aber  wird  es  von  Bedeutung 
sein,  die  anderen  Wendungen  ZQsammensustellen,  in  denen 
ein  ähnlicher  Gebranoh  der  Partikel  te  Torznliegen  scheint 

6.  Mit  ^iv  te  berührt  sich  am  nächsten  in  der  Be- 
deutung }j  T£,  wie  sich  beide  Partikeln  auch  darin  begegnen, 
dass  ihnen  eine  verwandte  Form  mit  toi,  fiiv  toi  und  r 
toi  aar  Seite  steht.  Es  kommt  aber  jenes  ^  te  teils  im 
Eingang  eines  selbständigen  Satzes,  teils  in  der  Apodoeis 
einer  Periode  yor;  in  erster  Stellong  in 

a>U'  iyiü  ov  TTid^ofiTjv'  t]      av  7iolv  ^iqdiov  r^ev  (X  103) 

ttUA  fiaXa  TQüteg  detd^fioveg'  rj  ri  ytev  ^di^ 

laivov  iaao  xß/rmHi  ncauhf  hfex'  oaaa  fifoqyag  (J  56  f.) 

k%      VW  Mtfvyeg  ^munotf,  xvoy  •  ij  ti  tm  ayx^ 

^l^e  xmcor*       alti  a*i(ivüato  0oißog  linolXtav  {A  362  f.) 

ebenso  in  F  365,  E  885,  A  39L  763,  N  631,  P  171.  236, 

5  13,  T  205,  r  449,  O  585,  i  228,  v  211,  v  194,  w  311, 

in  der  zweiten  Steiinng  in 

ei  Si  ov  /  ig  ftoXefiov  malqaeaii  ^  ti  a*6ua 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Chml:  Der  Gebrauch  der  griedmdten  ParHkei  TE.  39 

^«yijaeiy  Ttoke^ov  ye  (E  350  f.) 

ü  fiip  yä(f  Iii  ae  vvv  dnokvaofiev  r^e  fiei^wfiev, 

j  ti  nal  vattQOif  Aa&a  ^H>ag  ini  v^ag  ui%eMa¥  (K  449  f ) 

ebenso  in  M  69,  /7  687,  X  49,  ^  275,  a  288,  /9  219. 

Die  Annahme,  dass  re  hier  satzverbindende  Konjanktion 
sei  and  i|  %t  eoviel  als  'und  fürwahr*  bedenie,  werden  wir 
schon  deshalb  bedenklieh  finden,  weil  sie  nnr  fftr  die  erste 
Klasse  von  Beispielen  passie;  es  spricht  aber  anch  gegen 

sie  der  sonstige  Gebrauch  des  kopulativen  tc,  da«,  wie  wir 
oben  sahen ,  nur  selten  einen  längeren  selbständigen  Satz 
einleitet.  Mit  mehr  Becht  wird  man  in  ij  die  satzverbin- 
dende Partikel  erkennen,  so  dass  %b  ähnlich,  wie  in  yai^  %e 
and  6i  %%  bloss  aceessorische  fiedentang  hat;  aber  auch 
dann  bleibt  das  ^  ts  in  der  Apodosis  hypothetischer  Sätze 
anerUirt,  wenn  man  nicht  an  dem  t%  ^oStnixw  seine 
Zuflucht  nimmt.  Es  ist  daher  am  geratensten  anzunehmen, 
dass  TB  zur  Hervorhebung  des  ^  dient  und  r}  te  an  allen 
Stellen  '?eram  enim  ?ero'  bedeutet. 

Ebenso  scheint  ve  die  beteuernde  Bedeutung  %oi  in 
Verbindnng  mit  n>  an  der  einen  Stelle  a  60  an  haben: 

ovSi  w  aoi  TteQ 

Wenigstena  «pricfat  ebenso  der  Sinn  wie  das  Vorkommen 
▼on  w¥  voi  an  anderen  Stellen  des  Homer  (s.  Q  205.  521) 

für  jene  Aufifassung  von  vl  z\  Dasselbe  aber  zu  w  toi  zu 
ergänzen  und  die  Elision  des  Diphthongen  oi  anzunehmen, 
Terbieten  schon  die  anderen  Stellen,  an  denen  das  T£  von 
fih  %B  nnd  ^  ve  nnelidiert  vorkommt. 

Häufiger  kommt  das  bestätigende  ve  bei  dem  yer^ 
stärkenden       vor.  Wir  lassen  hier  alle  Stellen  hei  Seite, 
wo  niQ  TS  nach  einem  Relativnm  steht,  wie  9ve  ttsq  re 
259,  K  7)  c^ev  nsQ  le  {y  321,  q>  124)  olog  nid 


Digitized  by  Google 


40      üäzutiff  der  jthüot.-phihl.  Clane  vom  7.  Februar  liiSO, 


840) ,  da  hier  te  trotz  seiner  Stellung  hinter  7feQ  zara  Re- 
lativum  gezogen  werden  kann.  Aher  eine  solche  Erklarnn^ 
iet  aii^geBolilossen,  wenn  %9  in  Bedingnngsa&tien  hinter  u 
TttQ  steht,  wie  in 

wg  ^fietg,  u  nlq  le  nD.ag  /mI  relyog  l^/aiußv 

oi  %6an(ft  TTO^  vcniq>iv  iXevooiAByf  ctvta  yJlevifa  (M  233  'f.) 
^      ä  niq  T«  tvxsoi  /*ala  oxßßWt  ov  dvwawai 
Xt^ctiofieiv  {A  116) 

ov  tot  Irt  driqov  ye  (fih^g  imo  frcngldog  airjg 

taaeiaiy  ovö^  u  t^q  ze  aidi[Qea  dtouai'  tyjjöiv  («  203  i.)^) 

ferner  in  A  81,  J  160,  261,  K  225,  iV  288,  X  191,  a 
188.  204. 

Auch  hier  scheint  te  die  Bedeutung  einer  bestärkenden 
Partikel  gehabt  und  in  Verbindung  mit  >i£Q  soviel  als  *gar 
sehr  ,  *noch  so  sehr  bedeutet  zu  haben.  Doch  bietet  sich 
hier  auch  die  Annahme,  dass  n  in  altertümlicher  Weise 
Kur  Verbindung  der  Satze  diene,  eine  Annahme,  welche 
an  einigen  Stellen  (A  81,  K  225,  X  191)  durch  ein  ent- 
sprechendes Te  im  Nachsatz  unterstützt  wird,  weshalb  wir 
auf  diese  Stellen  uochmals  im  folgenden  Abschnitt  zurück- 
kommen werden. 

Nicht  80  notwendig  ist  es  das  re  hinter  cäiffa  in 

ov  jt^ijv  yuQ  TL  /.a'Kov  ßuoiXevif.itv'  ahtid  Tf  fot  Sat 
dq>VBi6v  fiiletai  i^al  TifiijtoreQog  avtog  (a  HU2  f.) 

TOI  fniTXr^tü)  yiQadhi  ixvl^oiaiv  hiAoiaiv 
m\pa  ZB  qwXintdog  nilefcu  xo^g  wiPi^noiat»  (T220  f.)') 


1)  An  letzter  Stelle  vermutet  Xauck  pt  statt  r/,  ohne  selbst  die 
unnütze  Conjektur  in  den  Text  aufzunehmen.  In  N  464  nif»  li  jt 
xr,6os  ixüvot  steht  passend  ti,  wo  auch  ein  xt  stehen  könnte. 

2)  Nauck  schreibt  mit  dem  syrischen  Palimpsest  ultpu  de.  lu 
Hesiod  tbeog.  86  t 


Digitized  by  GoOglc 


r.  Christ:  Der  Gebrauth  der  grkdiistshm  Partika  TE.  41 

in  bestärkendem  Sinne  zu  nehmen,  da  hier  zur  Not  auch 
ein  kopalatives  re  ^und'  angenommen  werden  kann. 

7.  Wir  kehren  sn  dem  Punkt,  von  dem  war  ausge- 
gangen  sind,  znrSek.   Wie  nftmHch  statt  des  volktindigen 

%%  .  ,  .  6i  %9  aneb  ein  ?  ereinseltes  fAiv  r«  yorkommt, 
80  findet  sich  auch  ein  öt.  re  nach  einfachem  fiiv,  wie 

and  noch  viel  hftofiger  ohne  dass  überhaupt  ein  Sats  mit 
fdr  Toranagefat.  In  letaterem  Fall  ist  ee  nicht  das  dis- 
janktiTe  di,  an  welches  sich  unser  ts  ansebKesst,  sondern- 

das  einfache  fortführende  ös.  Es  steht  aber  das  re  eben- 
sogut bei  dem  einfachen  fortführendem  öf  wie  bei  dem  ne- 
gativen ovd«  (Jii^i  nnd  (ii^e.    Als  Beispiele  mögen  dienen 

ifoliXag  Si  dgvg  atakiag,  noXldg  SS  re  frevuag 

latfiQtiai,  jtoXKov  d>'  x  '  atf  ioyeiov  eig  ala  ßa)XEi  {^1  494  f.) 
Tov  Y.ai  i::iaödeiaav  uu/.(XQeg  S^eoi  oiöe      i'drjOm'  (A  406) 
aük  tt^i  vvv  %ata  laov  ^%aixLv  fti^öi      i^oiei  (B  179) 
ig  oyaf,  (og  fiiit*  oq  Tig  XSf^  /i^t*      ts  va^aj^  (i2  337) 

Das  T£  hat  an  allen  diesen  Stellen  kopulative  Bedeufc- 
BDg.  Nach  unserer  Anschauung  zwar  war  eine  solche  ver- 
bindende Partikel  unnötig,  nachdem  bereits  mit  dem  ad- 
versativen 6i  das  Verhältnis  der  verbundenen  Sätze  zu 
einander  ausgedrückt  war ;  aber  wir  können  uns  doch  leicht 
m  die  Denkweise  der  alten  (rrieeben  hineinversetzen,  die 
liier  eine  doppelte  Verbindung  anbrachten.  Denn  ein  Sata, 
welcher  mit  re  angereiht  werden  soll ,  kann  zugleich  ein 
Wort  enthalten  ,  das  zu  einem  Wort^  des  vorausgehenden 
Satzes  im  Gegensatze  steht,  wie  wenn  A  403  dem  hundei^t- 
mnigen  Riesen  awei  Namen,  B(^QBtag  und  Alycduw  in  der 

luit  Göttling  wohl  mit  Recht  oLifut  mit  intataftififg  korrespondie- 
ren lassen. 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


I 


4^      aUtung  der  pkOoarphilol.  CUute  vom  7.  Fäfruar  1880. 

Art  beigelegt  werden,  dass  die  Götter  ihn  mit  dem  einen, 
die  Menschen  aber  mit  dem  andern  benennen :  w  Bqiaqenty 
Tuüdmngi  ^coi,  M(fBg,6i  n  tmtig  ^iyalunm,  Indee  ist 
nicht  flberall  in  gleicher  Weiie  die  Verbindong  Ton  Si  und 
Te  dnreh  die  Logik  des  Satzverhftltnisses  gerechtfertigt,  viel- 
fach ,  iiaiijeutlich  in  den  jüngeren  Partien  des  Epos,  dient 
das  T£  lediglich  der  metrischen  Bequemlichkeit,  und  ist  in 
der  Bedeutung  di  ire  ?om  einfachen  dt  kaum  verschieden. 

Wie  sn  6i  tritt  nan  aber  ein  solches  mitbestimmende 
oder  pleonastische  t<  auch  noch  tn  anderen  Verbindniigs- 

partikeln  hinzn,  die  ich  in  Kürze  aufzählen  will: 

dHa  TS 

äiXi  %9  mai  tw  mtX  agiat^tSrm  Us  nitiffj  (ja  62  f.) 

cktf  f  TS 

X^it^,  d%CLQ  te  poi  0^01  in  d-Kf^ozäx^ß  neq>vaaiv  (J  4ö3  f.) 
xai  Tfi 

puKBi  TMu  %4  fti  fijai  ftaxQ  Tdmaatv  d^yuv  {A  520  f.) 

yaQ  TS 

r^vTE  ßovg  dyiXr^ff  i  fiuy'  e'^oyog  STrletO  rtdwtay 

tttVQog'  6  ydq  tc  ßoeaai  fietajiQt/rei  dyQOfiivr^aiv  {B  480  f.) 

Der  Gebranch  des  vs  ^  diesen  Konjunktionen,  so 
denen  man  noch  das  zosammengewaohsene  aSte^  ans  a$  tc, 
und  ovroQ,  ans  ai  t*  ag,  fügen  kann,  hat  über  Homer  hinaus 

eine  sehr  verbreitete  Anwendung  gefunden.  Noch  Theognis 
gebraucht  dt  xe  (v.  148)  ^rfit  le  (v.  735)  xa/ (139.  662) 
yoQ  te  (660.881),  und  der  Dichter  den  lljmnus  auf  Aphro- 
dite hat  geradem  xa/  re  zu  seiner  Lieblingspartikel  er- 
koren  (s.  hymn.  lY,  3.  30.  36.  38.  51  ff.)  Es  fügte  sich 
eben  jenes  t<  gar  zn  bequem  den  Ocoetien  des  daktylischen 
Versmasses,  namentlich  dem  5.  Fuss  des  Hexameters,  wes- 


Digitized  by  GoOglc 


r.  Christ:  Der  Gebrauch  der  griechtachen  .Partikel  T£.  43 

halb  j^rprade  die  talentloseren  unter  den  alten  epischen 
Dichtern  ihre  Verse  mit  jenem  überschüssigen  te  überluden. 
Dus  aber  das  t»  jener  Verbindnngftpartikeln  kopalati?e 
Bedeotniig  bat,  macht  einerMits  die  Verbindiuig  dee  lat.  quo 
mit  den  Terwandten  Konjanktionen  nam  nnd  at  in  namqne 
ond  atque  (zend.  atca),  anderseits  der  ahnliehe  Gebranch 
von  y.al  bei  Homer  selbst  wahrscheinlich,  wie 

vor  de  xo«  !4qfiioi  i^sif  e^^eor  uatHtomzus  (H  214) 

wtf  di  mti  Xnnovg  läuf  Voat»  %hxsig  EÜvofffymog  (B  440) 

voufi  di       figrißBine  re^viog  hmifa  Nitnwq  (B  336). 
• 

Ancb  ist  ganz  wie  im  Lateinischen  das  te  so  sehr  mit  der 
Tomnsgebenden  Konjunktion  su  einem  Begriffe  zusammen- 
gewachsen ,  dass  das  snsammengesetzte  yoQ  re,  di  ts,  nud 
TS,  sowie  das  jUn^j^ere  re  yaq  rielfaeh  von  dem  einfachen 

yaq,  d*  ,  /.m  in  der  Bedeutung  nicht  unterschieden  werden 
kann,  so  wenn  yaq  %e,  nach  einem  Vokativ  steht,  wie  in  156 

aoi  TfOQ  %B  ftaXtmd  ye  laog  ^%at^ 

oder  wenn  das  einfache  ovde  neben  dem  zusammengesetzten 
ovde  t€  steht,  wie  in  W  621  f. 

av  yoQ  71      yt  iictyriatm  oidi  naXalaeig 

ovdd      cUoytiaivy  tadvaeai  ov6i  7i6deaaiy  |  ifevaeai, 

Anob  xo»  TS,  was  nrsprnnglicb  ^nnd  ancb'  bedeutete,  ist  all- 
milieh  snr  Bedeutung  ebes  ein&chen  nai  herabgesunken 
and  findet  sich  in  dieser  geschwächten  Bedentung  schon 

in  der  angeführten  Stelle  des  1.  Geaant^es  der  Ilias,  wo 
alle  Erklärungsversache  eines  steigernden  nai  an  der  Gleich- 
artigkeit der  verbundenen  Sätze  scheitern.  Es  ist  aber 
nicht  vs  allein,  weiches  in  diesef  accessorischen  Bigenschaft 
bei  Homer  vorkommt,  es  ist  in  ähnlich  abgeschwächter  Be- 
deutung auch  oif  und  selbst  dt;  zu  anderen  Konjunktionen 
gesdit.  Auch  schwindet  bei  einigen  Partikeln  der  Anstoss, 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


44       bitzuny  der  phüos.'i)liiloi.  Clcme  vom  7,  Februar  1860. 

den  wir  an  der  Häufung  der  Verbindungswörter  nehmen, 
wenn  wir  von  der  ursprünglichen  Bedeutung  derselben  aus- 
gehen, wenn  wir  z.  B.  erwägen,  dass  akld  ursprünglich 
acc  pl.  nentr.  ist  and  oiUo  demnach  'and  anderseiU* 
bedentei. 

Ich  reihe  echliessHch  hier  noch  den  Gebranch  von  %e 

.  .  .  T£  in  einem  participialen  Satz  K  224  an: 

avv  T€  dv^  igyofiivbj  xai  tß  jtQO  d  tov  ivoi^OBy. 

Das  V9  ist  hier  doppelt  gesetat,  gleichsam  als  ob  nicht 
ein  Participinm  mit  einem  Verbum  finitam»  sondern  awei 
Verha  finita  mit  einander  verbanden  wären.  Der  aaflPällige 

Sprachgebrauch  erhält  eine  teilweise  Beleuchtung  durch  den 
ähnlichen  Gebrauch  von  /.ai  in  cjg  (paf4tvtj  y.al  xeQÖoavvi^ 
i)yiqaaT^  li^ipni  (X  247).  Vergleiche  überdies  Classen, 
Beobachtangen  fiher  den  hom.  Sprachgebrauch  S.  136,  and 
die  von  Sonne  in  Knhn*s  Ztsch.  XII,  282  angef&brten 
Stellen  ans  Ulfilas  Math.  VIII,  14  jak  Mmands  .  .  .  jah 
gasahv  =  %at  iXx^wv  .  .  .  elSev^  Marc.  XIV,  66  jah  visan" 
din  Faitrau  ,  .  .  jah  atiddja  aina  =  oyrog  %ov  fLiiqov 
•  •  •  eQXß^w  lua. 

Das  Tc  im  hypotaktischen  Satzgefüge. 

8.  Wir  haben  bis  jetzt  den  Gebrauch  des  t€  in  ein- 
fachen nnd  parataktiach  verbnndenen  Sätzen  verfolgt.  Nnn 
kommt  aber  ein  %b  auch  in  hypotaktischen  Satcgefttgen 
vor,  zwar  nnr  an  wenigen  Stellen,  aber  an  solchen,  die  an 
weitgehenden  Hypothesen  in  nnserer  Zeit  Anlass  gaben. 
Von  vornherein  sollte  man  in  soicbea  Sätzen  ein  le  nicht 
erwarten,  da  ein  kopulatives  tc  geradezu  dem  Begriflf  der 
Hypotaxis  widerstrebt.  Findet  sich  nichts  desto  weniger 
in  hypotaktischen  Satsen  e^n  Ycrbindendes  ts,  so  kann  dieses 
nnr  als  Best  der  ehemaligen  parataktisclien  Konstruktion 
erklart  werden.  Es  kommt  aber  ein  %b  Tor  in  korrelativen 
Sätzen,  in  Konditionalsätzen  und  in  Perioden  mit  relatiyem 


Digitized  by  GoOglc 


r.  Christ:  Der  Oebraucfi  der  griechiaclmi  Partikel  TE  46 

VordeMtc  Wir  wollen  zQnafilwt  die  3  Arten  Ton  Bei- 
apieleu  kennen  lernen. 

Korrelatiye  Satze  mit  ve  .  .  .  re:' 

M  48 

Die  Gültigkeit  des  Beispiels  ist  zweifelhaft,  da  das  erste  r« 
auch  kopulative  Bedeutung  habeu  oder  zum  Relativuni  ge- 
sogen werden  kann ,  das  zweite  z  aber  von  Bekker  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  in  /  verbeaaert  wurde,  da  das 
Verbom  ux<a  ehemals  mit  einem  Digamma  anlautete. 

r  12 

Die  Riehtiglceit  der  Ueberlieibmng  ist  hier  nicht  anza- 
nreifeln,  aneh  wird  kein  Kundiger  daran  denken,  das  erste 

T«  kopulativ  zu  fassen;  aber  schwer  wäre  der  zu  wider- 
legen, der  hier  kein  korrelatives  te  .  ,  .  re  annähme,  sondern 
das  erste  te  mit  dem  ludefioitam  tiQ  ähnlich  wie  in  W  845 
nnd  <  249  verbände  nnd  das  zweite  mit  dem  Gebrauch  des 
tt  beim  RelatiTpronomen  in  Zusammenhang  brSchte* 

Ausserdem  kommt  noch  5fter  ein  te  in  Korrelativ- 
Ätzen  vor,  wie  in  H  148,  ^  124,  /  322,  Hes.  opp.  679, 
aber  immer  nur  ein  einfaches  tb  und  immer  nur  nach  der 
relativen  Konjunktion,  so  dass  dasselbe  zur  Klasse  der  im 
folgenden  Kapitel  zu  er5rtemden  zs  gehört. 

Konditionalsätze  mit  7e  .  .  .  i£: 
81  f. 

Ä  225  f. 

fiovvog  d*  iX  niq  z€  votjatj^ 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


46      SUtumff  äer  pkilo8.'phaol.  Claate  «om  7.  Feftmor  1890, 
X  191  f. 

J  IGO  f. 

Ix  ra  *M  oi/fi  ttküf  aiv  te  li^yah^  dnituga»,^) 

All  deu  drei  ersten  Stellen  ist  die  Ueberlieferung 
unzweifelhaft,  aber  auch  an  alleu  dreien  steht  im  Nachsatz 
nicht  ein  einfaches  t£,  sondern  ein  yerbundenes  aUA  zSf 
nnd  da  nun,  wie  wir  oben  sahen,  aXXa  re,  ydg  re,  di  re, 
*al  %9  ganz  wie  einfaches  oAXo,  yaq^  di,  xai  gebraucht 
wird,  80  bieten  die  drei  Beispiele  keinen  unanfechtbaren 
Bele^^  für  den  Gebranch  des  ve  im  hypothetischen  Nachsatz. 
An  der  vierten  Stelle  hat  Bekker  rcit  Zustimmung  von 
Nauck  und  Ameis-Hentze  fx  dt  vermutet;  es  lilsst  sich 
aber  auch  %e  mit  dem  nachfolgenden  ouv  in  Korre- 
lation setzen.  Auch  im  VordersaU  steht  nie  ein  %s  bei 
dem  einfachen  e»,  sondern  immer  nur  nach  dem  Terbundenen 
ä  neQf  so  dass  es  geratener  ist  das  ts  zu  ntQ  zu  ziehen 
und  nicht  als  satzverknüpfende  Konjunktion ,  sondern  als 
beki'äftigende  Partikel  zu  fassen.  Ueberdies  steht  im  ersten 
Beispiel,  ebenso  wie  in  J  261,  te  zunächst  bei  yÜQ  und 
braucht  nach  der  im  vorigen  Paragraph  gegebenen  Dar- 
legung nicht  Ton  demselben  losgerissen  zu  werden. 

Ausserdem  haben  wir  noch  mehrere  Konditionals&tze, 
in  denen  ein  einfSusbes  tb  steht,  ein  ^  rs  in  der  Apodosta 
oder  ein  ä  niq       in  der  Protasis,  aber  in  diesen  wird 

1)  Vielleieht  ist  aneh  JT  802  It  *t       yuQ  x*  .  .  .  ojf 

äntl^9S  fiifi^i^  statt  ya^  x\       ^*  m  lehreibeii.  Zun  y«r-> 

glsich  bieten  eich  auMerdem  noeb  die  EonditimialiitBe  mit  u  ,  .  ,  6i, 

nfmlieb  J  261  (iff  245,  II  263,  TgL  ^  137,  »  143) 

SO  wie  ein  Nacfasats  mit  uU»  tt  nach  einfachem  et       in  0  576. 


Digitized  by  GoOglc 


I 


V,  Ckrki:  Jkr  €h^ramk  der  grkMäm  ParHkel  TE.  4t 

riehi^er  wie  wir  oben  8.  40  darlegten,  n  in  beet&rkender 
Bedentnng  m  der  Torausgehenden  Konjunktion  ^  nnd  ;r«^ 
gesogen. 

Te  im  Nachsatz: 

^  216  If. 

Zur  leichteren  Erklärnng  des  re  im  letzten  Vers  schei- 
nen nach  den  Scholien  schon  im  Altert  um  einige  Granunar 
tiker  anf  den  Einfiill  geraten  an  sein,  den  letzten  Vers  mit 
den  beiden  Toransgehenden  zn  verbinden.  Das  war  jeden&lls 
'verkefart;  der  letzte  Vers  entkftlt  eine  Sentenz  ftlr  sich, 
und  das  t£,  wenn  e«  die  Bedentung  einer  Konjunktion  hat, 
dient  zur  Verbindung  des  Nachsatzes  mit  dem  Vordersatz, 
indem  es  die  völlige  Gleichstellung  der  beiden  nebeneinander 
gestellten  Sätze  ausdrückt :  'es  gehorcht  einer  den  Göttern, 
ihn  erhören  sie  gewiss*.  Doch  Yerdient  es  immerhin  Be- 
achtang,  daas  r«  nach  fialctf  also  einem  herTorhebenden 
ÄdTerbiam  steht  nnd  demnach  sich  dem  bestärkenden  n 
nach  ^  nnd  ne^  znr  Seite  stellen  lässt. 

» 

K  520  ff. 

opÖffog  T*  donaiqovTag  h  d^yaHrjai  (pov^oiv^ 

O  395  ff.  (vgl.  V.  198) 
cevidd  inei  dij  veixog  ijceaavfUpovg  ivat^w 
Tgüktgy  ataQ  Javauht  yivewo  ßlfoxi  ^<  ^pißog 
ffitaStp     oq'  ifwwa  mal  S  nmh^ytero  fn^* 

A  404  f. 

uvxctq  i;iti  Kaid  f^r^qa  Kcirj  xat  ajtXdyxvot  ndoavxOj 


Digitized  by  Google 


48      Skgung  der  phaot.'fhüol,  ClatRe  tarn  7,  Fi^ar  1880, 

An  allen  drei  äielIeD  bat  die  AnDabme,  dass  mit  aqa 
der  Nachsatz  eingeleitet  werde,  am  meisten  Wahrschein- 
liehkeit  für  sich,  wiewolil  sich  anch  die  Erklarnug,  dam 

das  TS  mit  dem  nachfolgenden  xai  korrespondiere,  nicht 

unbedingt  abweisen  lasst.  Ich  spreche  mich  aber  naraent- 
lich  deshalb  mehr  für  die  erste  Annahme  aus ,  weil  auch 
xai  in  ganz  ähnlicher  StelluDg  sich  gebraucht  findet, 
wie  in 

i]/iO$      ijQiytvaa  qavij  {jododay.zvXog  ^Hwg, 

xai  tot'  'tnuz'  dvdyovro  fietd  atQavov  ivqvv  !dxaif**v  (A  477  f.) 

femer  in  A  494,  9  69,  /  475,  X  209,  ß  108,  y  131, 
d  256.  415.  422.  461.  Denn  an  allen  diesen  Stellen  gehört 

nicht  xai  zu  tote  im  Sinne  von  auch  daun\  sondern  zum 
ganzen  Satz  im  Sinne  *zur  selben  Zeit,  wo  jenes  geschah, 
trat  auch  dieses  ein\  weshalb  dasselbe  auch  in  gleicher 
Siel  long  ohne  nachfolgendes  Tore  gebrancht  werden  konnte 
in  l  110 

tag  ei  ^tv  x'  daivtag  edt^g  voazov  te  juadijai, 

xai  x&>  tt^  eis  Ux^dxyv  x^nca  7ie^  jrdaxovtis  ^xoioiP^eJ) 

Ich  fesse  xnm  Schlnss  die  besprochenen  Falle  lensam* 

men,  indem  ich  zngleich  verwandte  Erscheinungen  zur  Anf*- 
helluug  der  Sache  heranziehe. 

Es  haben  die  Griechen  in  der  älteren  Zeit,  als  sich 
die  hypotaktische  Sataordnung  erst  aus  der  para taktischen 
an  entwickeln  begann,  snr  Verbindung  des  Nachsatzes  mit 
dem  Vordersatz  drei  Partikeln  angewandt: 

1)  Das  iMM  jotf  loheint  eine  Lieblingspartikel  des  Verfassen  der 
Telemachie  gewesen  zu  sein,  wie  *ai  r«  des  Verfassen  des  ^ylnn1ls  aof 

Aphrodite. 

2)  Vergleiche  auch  E  G22;  auch  noch  in  der  Prosa  knüpft  in 
der  beseichneten  Weise  ein  nui  den  Nachsatz  an  den  Vordersati  an  in 
dem  oft  citierteo  Beispiel  des  Tbacyd.  III  94,  3:  <»f      ido^fy  «vro^, 


Digitized  by  GoOglc 


r.  ChrxM:  Der  Gebrauch  der  griechischen  Partikel  TE.  49 

oder  avraq,  wenn  der  ganze  Satz  oder  ein  ein- 
zelnes Wort  im  Gegensatz  stund,  wie 

u  üi  x€  juij  diowoiv,  eytü  di  x£v  avrog  VXwfAai  (u4  324) 

^ ,  wenn  der  Nachsatz  einen  nach  dem  Zusammen- 
hang zn  erwartenden  Fortschritt  der  Handlung  ent- 
hielt, wie 

%6v  d*       ovv  iyotjoe  Koiov  dqiötiAtiog  viog 
nQiaßvyevijg  l4vTi]V0Qidi]g^  AQateqop      fe  uivd^og 
0(f^aXfiOvg  ixa'lvilfe  Tcaaiyvilzoio  jieoovzog  (yt  248  ff.) 
Te  oder  za/,  wenn  die  beiden  Sätze  gleichgestellt 
werden  sollten,  wie 
0$  'u  l>E(Jig  imnaii^i^taif  ftdXa      t'^Xvov  avrvv  {/i  218). 

Es  war  aber  jener  altertümliche  Gebrauch  einer  ver- 
bindenden Partikel  im  Nachsatz  schon  zu  Homers  Zeit  im 
Erloschen ;  nur  war  der  Ahsterbeprozess  nicht  ein  gleich 
rascher  bei  jeder  der  drei  Arten  von  Verbindung.  Noch 
am  häufigsten  findet  sich  bei  Homer  ein  im  Nachsatz ; 
das  di  dnodoviyLuv  begegnet  zwar  schon  seltener,  hat  sich 
dafür  aber  länger  bis  in  die  Prosa  des  Xenophon*)  hinein 
erhalten;  das  t€  war  schon  zu  Homers  Zeiten  ganz  im 
Absterben  und  findet  sich  nur  noch  an  einigen  wenigen 
Stellen,  und  da  nicht  allein,  sondern  in  Verbindung  mit 
einer  anderen  Partikel      dqa^  dlXd  te,  vielleicht  auch  ^dXa 

Uj  ij  TS, 

Ob  sich  aber  bei  Homer  auch  noch  Reste  der  korre- 
lativen Verbindung  des  Vorder-  und  Nachsatzes  mittels  des 
doppelten  t£  .  .  .  t£  finden ,  ja  ob  eine  solche  überhaupt 
jemals  bestanden  hat,  steht  nicht  ganz  sicher.  Die  2  Bei- 
spiele von  Korrelativsätzen  sind  hinfällig,  die  Beispiele  von 
Konditionalsätzen  lassen  eine  andere,  freilich  nicht  völlig 
gesicherte  Erklärung  zu.    Jedenfalls  werden   wir  zugeben 


1)  Siehe  Kühner,  Ausfuhr!.  Gramm.  2.  A.  §  ^S3. 
[\m.  I. PhU..phil.  hist.  Cl. Bd,I.  l.J  4 


50      Siteung  der  phih8,-pMM.  Olatse  vom  7,  FOtruar  1890, 

mossen ,  daw  Homer  ein  korrektiTes  f  «  .  • .  t<  im  Vorder- 
and  Naehsats  nur  dann  noch  an  gebrauchen  sich  erlaubte, 

wenn  dasselbe  sich  an  eine  andere  Partikel  anlehnen  konnte, 
also  insbesondere  in  Sätzen  mit  et  :reQ  re  .  .  .o}Mx  re. 

Zum  Schluss  mache  ich  noch  darauf  aoimerksam,  dass 
es  das  ältere  Epos,  die  Ilias,  ist,  welche  ans  die  Beispiele 
f&r  jenen  bereite  zn  Homers  Zeiten  im  Absterben  begriffenen 
Spraebgebraocb  bietet.  Von  Wichtigkeit  f&r  die  sogenannte 
Homerische  Frage  ist  dabei  der  Umstand,  dass  die  von 
Köchly  aus  den  alten  Iliasliedern  aii8gej«chlo8sene  JoXujveia 
noch  mehrere  P'älle  jenes  altertümlichen  Gebraachs  der 
Partikel  %6  aufweist. 

Das  %%  hinter  dem  Belatirnm. 

10.  Die  RelatiTsfttse  nehmen  eine  Mittelstellung  zwischen 

parataktischem  und  hypotaktischem  Satzgefüge  ein.  Im 
Griechischen  und  speziell  in  der  Sprache  der  älteren  epischen 
Poesie  und  des  jonischen  Dialektes  ist  jene  Mittelstellung 
schon  BOBserlich  dadurch  angedrückt ,  dass  auch  Formen 
des  schwachen  deiktischen  Pronomens  o  %oi  %ai  %6  %a  im 
Sinne  Ton  RelatiTen  Terwendet  werden,  and  dass  in  Folge 
des  gleichmässigen  üebergangs  der  schwachen  •Sibilans  nnd 
des  Halbvokals  y  in  einen  Spiritus  asper  mehrere  Formen 
des  Relativnnis  und  des  Artikels  oder  schwachen  Demon- 
Ntrativums  /usainmengtiallen  sind,  wie  >]  =  sä  nnd  =  yä, 
Ol  =  soi  und  o^'  —  yoi,  ol  =  sai  nnd  c&  =  yai,  sos 
nnd  tag  =  jos.')  Man  könnte  sogar  noch  weiter  gehen 
nnd  eSmmtliche  Formen  des  grieeh.  Fron.  rel.  aof  nreprnng- 
liehe  DemonstratiTa  mit  anlautendem  s  oder  sy  anrfickilihren, 

1)  Die  «ats^Mea  denoostritiTe  Form  der  VeigkiehiinOTartikel 
tms  war  schon  ra  Honen  Zeiten  im  Ansrterben.  Sie  steht  noch  in 
re»r  6k  tf*  ttffc/Me«,  «*c  »'vr  imayltt  ^Oofin  yC  415)>  lutt^  tSt 
uyoiftv^  (0  378  =  ir  48  =:  <r  271)  nnd  t^k  fup  fv'  (itAmit^c,  imfmgip 
6*  1»^  iiäU9c  £s  <r  884). 


Digitized  by  GoOglc 


9,  Christ:  Der  Qebrawh  der  griediiadten  ParHkd  TS,  51 


da  aolaateDdea  8  ganz  gewöhnlich  auf  griechischem  Boden  in 
dneD  Spir.  asp.  fibergeht,  der  gleiche  Uebergang  des  j 
aber  nur  dareh  wenige  Wörter,  wie  ^a^y  ccytog,  ifuiq^ 
urfilvrj,  belegbar  ist.    Doch  halte  ich  an  der  auch  von 

Windisch  in  seiner  berühmten  AbbaiuUuug  vom  Ursprung 
des  Kelativprcnomeus  (in  Curtius  ^!^tiul.  Bd.  Ilj  vertretenen 
Gleichstellnng  des  griechischen  und  indischen  Relativprono- 
mens  am  so  mehr  feiit,  als  die  üebereinstimmnng  der  griech. 
und  ind.  Conrelativa  {T^og  ^og  —  täTat  ySvat »  TvjXUog 
r^U%oq  =  tsdffas  yädr^as)  nns  bestimmt  zeigen,  dass 
die  Ausbildung  des  Relativpronomens  schon  der  Tienuimg 
des  Arischen  und  Griechischen  voranging.  Indes  wird 
doch  der  Umstand,  dass  im  Griechischen  die  Formen  des 
ilten  Belati?nm8  mit  anlautendem  y  und  des  alten  Demon- 
itratiTnme  mit  anratendem  s  in  einer  Form  znsammenfielen, 
dun  beigetragen  haben,  den  ohnehin  noch  nicht  recht 
befestigten  Unterschied  zwischen  Relatiynm  nnd  schwachem 
Demonstrativum  von  neuem  zu  verwischen  und  eine  ähnliche 
Zwitterstellung  des  [^roiiomens  herbeizuführen,  wie  sie  uns  im 
gotischeu  sa-h  vorliegt,  das  zugleich  'welcher'  and  'dieser' 
bedeutet. 

In  Bezug  anf  die  Formen  des  Relativpronomens  nnd 
die  demselben  angehängten  Partikeln  ist  es  yon  entscheiden- 
der Bedeutung  die  verschiedenen  Arten  der  Relativsatze  zn 

nntffrscheiden.  Es  unterscheiden  sich  aber  die  Relativsätze 
znnächst  durch  ihre  Stellung  im  Satze,  indem  sie  entwerler 
die  erste  oder  die  zweite  Stelle  einnehmen  können.  Satze, 
in  denen  der  Relativsatz  vorangeht»  gehören  der  reinen 
Hjpotaxia  an,  diejenigen  hingegen,  in  denen  der  Relativ- 
üts  dem  Torausgehenden  Satzglied  angefügt  ist,  schwanken 
swisehen  der  Oeltnng  von  hypotaktischen  nnd  paratakti.«ichen 
Sätzen.  Auch  ist  die  Stellung  des  Kelativsatzes  von  Ein- 
flii5«s  auf  die  Form  des  relativen  Verbindungswortes;  denn 
es  kommen  zwar  die  meisten  Relativa  in  gleicher  Weise  im 

4« 


Digitized  by  Google 


52      Sitzung  der  phüos.-pfüM,  Gasse  vom  7.  Februar  1880, 

Vorder*  wie  im  Nacbsatz  Tor ,  aber  einige ,  wie  %oL  tat  ti 

ti  tva^  haben  ihre  Stellung  nnr  im  zweiten  Glied,  während 
andere  wie  orrntj  aooa  häufiger  im  Vorderglied  vorkommen. 

Ein  zweiter  Unterschied  der  Relativsätze,  der  sich  viol- 
&eb  mit  dem  ersten  deckt,  besteht  darin,  dass  die  einoi 
allgemeiner  Nator  sind,  die  andern  dch  auf  einen  epexieUen 
einzelnen  VbXI  beeieben.  Die  ersfceren  bilden  meistens  das 
Vorderglied  der  Periode,  die  letzteren  können,  da  sie  sich 
auf  ein  bestimmtes  Wort  znrückbeziehen ,  nur  die  zweite 
Stelle  im  Satzgefüge  einnehmen.  Auch  dieser  Unterschied 
hat  Einflass  aoi  die  Wahl  der  RelaÜTa  nnd  der  denselben 
angefügten  Partikeln ;  denn  z.  B.  nnr  in  einem  allgemeunen 
BelatiTsatz  kann  im  Lat.  quicunque,  im  Grieeh.  Bartg  stehen. 

Von  minder  grosser  Bedeutung  sind  sonstige  Unter- 
schiede der  Relativsätze.  Es  kann  aber  mit  dem  Relativ- 
satz teils  eine  beiläufige  Beschreibung  gegeben,  teils  im 
Verlauf  der  Handlung  fortgefahren  werden ;  es  kann  in  dem- 
selben einfach  eine  Eigenschaft  angegeben,  es  kann  in  dem- 
selben aber  zngleicb  anch  teils  ein  Grand,  teile  eine  Ab- 
siebt, teils  eine  Ooncession  enthalten  sein;  ee  kann  endlich 
die  Aussage  entweder  schlechthin  auf  das  Subjekt  bezogen, 
oder  ausdrücklich  auf  das  im  RelatiTum  enthaltene  Subjekt 
beschränkt  werden. 

Da  auf  solche  Weise  der  Relativsatz  eine  so  mannig- 
fache Stellnng  nnd  Geltang  haben  konnte,  so  darf  es  ans 
nicht  wandern,  wenn  nun  anch  die  Sprache  die  Verschieden- 
heit des  Sinnes  durch  verschiedene  sprachliche  Mittel  ans- 
eiuanderhielt.  Eine  besondere  ünterscheidungskraft  bekun- 
deten aber  in  dieser  Beziehung  die  Griechen,  und  unter  i 
ihnen  zumeist  Homer,  was  offenbar  damit  zosammenbängt, 
dass  in  jener  Zeit  die  Belatiyaätze  noch  halbwegs  paratak- 
tiscber  Natnr  waren,  so  dass  neben  dem  anapborisehen 
Pronomen  noch  passend  andere  das  Satzverhältnis  genaaer 
be'4&eichnende  Partikeln  Platz  haben  konnten.    Die  Mittel 


Digitized  by  Google 


0.  Christ:  Der  Gtbrauch  der  griecimchcn  Partikel  TE,  53 

nämlich,  deren  sich  die  Sprache  zur  Unterscheidung  jener 
Sätze  bediente,  bestanden  teils  in  den  verschiedenen  Formen 
des  Relativpronomens  {os  oatig  oiog  oaog  oVrc/ig),  teils  in 
der  Wahl  der  Modi  und  Tempora  (Indikativ  nnd  Kon- 
jimktW»  Imperfekt  und  Aoriat),  teils  endlich  in  dem  Zusatz 
besonderer  Puükeln  wie  fteg  xe  ye  ^  ts.  Damit  ist 
uns  der  Weg  vorgezeiehnet,  auf  dem  wir  war  Feststellnng 
des  Gebrauchs  von  re  hinter  dem  Relatimm  gelangen  können. 
Elhe  wir  aber  zur  Lösung  dieses  Teiles  unserer  Aufgabe 
schreiten«  wollen  wir  zuerst  ein  Verzeichnis  jener  Relativa 
geben,  denen  sieh  ein  tt  angehängt  findet. 

Es  steht  aber  bei  Homer  und  den  Epikern  ein  %9  hinter 

1)  dem  relativen  Pronomen  og  ^  o  und  o  ^  %6f 

2)  den  rdatiTen  Konjunktionen  Z^t»       Srs  tm 

3)  den  Korrelativis  oZog  oaog. 

Kein  vs  findet  sich  hinter  i]/iog  ^yoca  %toq  Ztwfi  ojttae, 
wesentlich  wohl  deshalb,  weil  diese  Konjunktionen  fast  nur 
in  Vordersätzen  vorkommen.  Am  häufigsten  steht  le  hinter 
den  Korrelativen,  namentlich  hinter  dem  adverbielleu  log 
ola  oaov.  Hinter  inu^  das  aus  der  Reihe  der  eigentlichen 
Relativen  heraustritt,  sollte  man  weniger  ein  ts  erwarten; 
auch  kommt  in  den  meisten  Gesängen  ind  nur  mit  ^  ver- 
bünden vor,  doch  ist  inei  ts  an  3  Stellen  gesichert,  A  87. 
562,  M  393  *)  und  findet  sich  ausserdem  öfter  bei  Herodot, 
I  42,  VI,  43.  91.  102,  VII  56.  59.  Gar  nie  ist  das  finale 
tya  oder  eine  andere  Finalpartikei  mit  %e  verbunden 
worden. ') 

1)  Anch  in  y  62  cJf  «p'  inat'  liparo  xai  orriy  ndvra  riXtvra 
bat  Classen ,  Beobacht.  z.  Horn.  Sprachgebr.  &  31  dnH  tt  sn  lesen  vor- 
getchlai^en,  nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit. 

2)  D&g  if  hinter  7r(;/V  in  Theognie  281,  1016  ,  977,  1128,  1146 
Itat  eine  andere  Erklärung  zu. 


Digitized  by  Google 


54     SitMung  der  phäo8,-phÜol.  Clasae  vom  7.  F^ruar  1880, 


11.  Gehen  wir  nun  uuf  den  Gebranch  fies  re  hiuter 
dem  Relatiyam  näher  eiu,  so  muss  vor  allem  die  Annahme, 
als  ob  das  T6  erst  das  ▼oransgehende  Pronomen  zum  Rela- 
ürxm  erhebe,  abgelehnt  werden.  Denn  anoh  die  doppel- 
deutigen Formen  vol  tat  ro  ta  werden  im  relativen  Sinne 
eben  so  ^ut  ohne  nachfolgendes  rs  wie  mit  nachfolgendem 
TE  gebraucht ,  und  vollends  die  eigentlichen  Relativa  oc  oi 
etc.  bedürfen  zur  Ausfüllung  ihrer  relativen  Funktion  keines 
weiteren  Znsatzes.  Trotz  einiger  Aehulichkeit  ist  daher  das 
grieohische  n  nicht  dem  gotischen  ei  und  h  oder  dem  alt- 
bulgarischen  ie  ^)  gleichzQstellen,  welche  znm  demonstrativen 
Pronomen  gesetzt  der  verhnndenen  Eonjnnktion  relative 
Bedeutung  geben. 

Noch  weniger  genfigt  es,  wenn  einer,  wie  das  Am  eis 
zu  thnn  liebt ,  den  Sinn  des  te  beim  Relativum  durch  die 
üebersetzung  *da'  bezeichnen  zu  können  glaubt.  Denn  unser 
*der  da*  hat  zwar  eine  grosse  Aehulichkeit  mit  dem  griech. 

og  TB  *) ,  aber  nicht  bloss  ist  der  etymologische  Ursprung 
der  deutschen  und  griechischen  Partikel  verschieden,  sondern 
weichen  auch  im  Gebrauch  derselben  die  beiden  Sprachen 
erheblich  von  einander  ab.  Wenn  wir  z.  ß.  sagen  Mie  da 
glauben  so  legen  wir  dem  Relativum  eine  generalisierende 

1)  Im  Uebrigen  hat  das  altbul;,'aris(lie  ze  auch  darin  Aehnlicli- 
keit  mit  dem  griech.  r<,  dass  es  wie  das  »griech.  <Jf  if  auch  zur  Satzver- 
bindung gebraucht  wird.  S.  Schleicher  im  Gh'ssar  der  Indogermani- 
schen Chrestomathie  und  Miklo8ich,  Vergl.  Gramm,  der  slav. 
Sprach.  IV,  117. 

2)  Auch  das  Angelsächpisclu-  kennt,  wie  niicli  Dr.  Brenner 
belehrt,  eine  Partikel  the,  welclie  dem  vorausgehenden  I Vnionstrativum 
relative  Bedeutung  verleiht ,  wie  se-the  (jui .  thane-tlie  quan  lo. 
Ebenso  gebraucht  das  Ältsächsische  die  angehängte  Partikel  thär,  wel- 
cher im  Hochdeutschen  dar  entspricht,  zur  Verstärkung  des  Pron.  relat. 
TecgL  Tobler  in  German.  18  ,  244  und  in  Paul- Braune  Beitr. 
Y,  875. 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Christ:  Der  Gebrauch  der  grieehigchen  Fartikd  TE,  55 

Bedeutung  bei,  aber  gerade  diese  ist  dem  griechischen  og 
le  fast  ganz  fremd. 

Verlassen  wir  also  den  trügeriscben  Weg  der  Analogie 
fremder  Sprachen  und  halten  wir  not  an  die  znvor  erörterten 
Untenehi^e  der  BelatiTsätse,  so  lassen  sich  folgende  Be- 
atimmongen  über  den  Qebranoh  des  nach  dem  Belatinon 
anftlellen: 

1)  og  TS  hat  seine  Stellung  in  posterior ischen  Relativsätzen, 

2)  demselben  geht  in  der  Regel  ein  Nomen  Torans,  anf 
das  es.  sieh  rordckbesieht, 

3)  die  Sätze,  in  denen  es  steht,  bezeichnen  keinen  Fort- 
schritt in  der  Handlung,  sondern  enthalten  einen 
besehreibenden  oder  begründenden  Znsata, 

4)  in  RelaiiTsSiaen  dieser  Art  steht  das  Yerbnm  regel- 
mässig im  Indikativ,  meistens  des  PrSsens  oder 

Imperfekts. 

Von  dem  ersten  Satz  gibt  es  bei  dem  eigentlichen  Pron. 
rel.  und  den  damit  zusammenhangenden  Konjunktionen  gar 
kerne  Ausnahmen,  nur  einige  wenige  bei  dem  verallge- 
nonemden  Saaw^  nSmIieh  ^  124,  S  148  (Bekker  sehreibt 
Swor  6i)  Hes.  opp.  679  *),  und  bei  der  hat  zu  einem  Wort 
gewordenen  Vergleichspartikel  uig  76,  wie  B  474,  ^  67, 
M  278  u.  a.       '  • 

Bezüglich  Nr.  2  fuge  ieh  erläuternd  hinzu,  dass  nicht 
nur  dem  P^on.  rel.  in  der  Regel  ein  Nomen  vorausgeht, 
auf  welches  es  sich  zurUckbezieht ,  sondern  auch  den  rela- 
tiven Konjunktionen  ote  o'hv  oO^i  tva  evd-a ,  wiewohl  die- 
selben an  und  für  sich  mehr  allgemeiner  Natar  sind,  z.  B. 

fnta  dC  ^fupnxiawy  Srs  ^*  Judwüi»  ß^d  aUoi  {K  83) 


1)  Nicht  f^nz  lassen  sich  hiolieratcllen  <  322,  wo  das  korrelative 
roWoy  erst  nachfolgt,  aber  ein  einleitender  Satx  vorausgeht,  und 
y  845,  9  249»  wo  rt  n  nt  bezogen  werden  kann. 


Digitized  by  Google 


56      Süzung  der  philos.-philol.  Classe  com  7,  FAruar  1880. 


hf  ftatafi^t  o&i  t*  agSf^og  6<y  näv%W9i  ßgovoiai  521) 

levmxvir^^  tva      V^^'X^S  wmatog  olel^Qog  {X  325) 

In  eine  Terschiedene  Kaiegorie  von  Sätzen  gehören 
diejenigen ,  in  denen  stait  *  eines  Nomen  ein  Pron.  dem. 
Toranagelit,  &n  %U  Tor  <ii  t«,  ein  Toaaw  oder  rofor  vor 
oaaog  oder  olbg,  wie  in 

rjTTia  Sf^vea  fötSs'  ta  yoQ  fff^hig  a      iyto  nsQ  {J  361) 
aUC  oire  Toaaov  dnrpß^  haaoi^  re  yfsywvt  ßo^aag  (i  473) 
voloy  mjS^f  olov  te  ftchi%qvücv  ^cpQoditrjg  (Hes.  scnt.  8) 

ferner  /  380,  T  105,  ß  758,  i]  311,  0  161,  333,  Hes, 
theog.  395,  oder  in  denen  sich  das  Relativam  auf  ein  in- 
definites        bezieht,  wie  in 

tag  i*  cv*  ^  a»d(f  Sn^  Tewuv^  ^ßfit  oq     hl  nota^ 
qtCkct  Karanttelvag  aXUay  i^Uero  &rjfiOv  (H  480) 

vgl.  /  117.  521,  0  391,  T  79.  160,  hymn.  III  44,  IV  190. 
Noch  weiter  ab  liegen  die  wenigen  Relativsätze  mit  og 
tB*)^  TOT  denen  das  Demonstrativnm  bloss  im  Geiste  m 
ergSnsen  ist,  wie 

eaS-ie  vvvy  w  felve,  ra  re  d^ioeaoi  Tra^üttv  80) 

ähnlich  0  130,  hymn.  V  218,  Hes.  opp.  347,  Aeschylos 
Pirom.  1070,  Theokrit  XXII,  54 

Was^endlich  den  dritten  nnd  vierten  Pankt  anbelangt, 
so  ist  von  Interesse  der  Vers  £154 

ToXov  yaq  toi  tto/jttÖv  6:jaaao(X€.v  agyeiq)6vtrjv^ 
dg  a^Ei  riog  xcy  aywv  !dxikiiL  nelaaoij. 

1)  Häufiger  wird  so  gebraucht  tvS-a  r*,  örf  r^,  oiog  u  z.  B. 
n  481,  O  556,  A'  286,  17  365,  11  288,  /i  22. 

2)  ünter  wleheB  UuMtStideii  tnls^ülige  Idi  Bekksn  Vorgang  an 
Stellen  vie  x'^ofietfos  of'  &Qtoxov  *Axtamv  Mitf  frutat  244)>  feiner 
^  82,  £  831,  e  851,  ^  548,  JT  509,  P  628,  if  90,  366,  v  888  S  t*  statt 
Ol*  in  sehreiben.  Der  Gebraneh  von  t «  an  jenen  Stellen  ist  mindestens 
ebsoso  bedenklich  wie  die  Elition  des  SeUnasfoksls  Ton  er«,  oder  die 
Annshme  eines  sweiten  on  mit  der  Bedentnng  'dass'. 


Digitized  by  GoOglc 


9.  CkriH:  Der  Gebrauch  der  ffnechischen  Partikd  TE,  57 

Denn  da  hier  das  Metram  eine  lange  Silbe  im  Versanfang 
verkngt,  so  sollte  man  erwarten,  der  Dichter  habe  og  %* 
oSb»  stefct  o|ei  geschrieben.  Das  überlieferte  af|w  oder 
dis  Yon  Naock  yermatete  /  a£si  ist  aber  allein  richtig, 
da  %%  in  ketnem  Abnchtssatz  ond  nieht  bei  nachfolgendem 
Futurum  steht.  Auch  ein  Konjunktiv  wird,  von  den  Ver- 
gleichssätzen abgesehen ,  auf  deren  Sonderstellung  ich  im 
folgenden  Kapitel  zurückkommen  werde,  nie  nach  dem  er- 
läntemden      t€  gefunden.   In  T  265 

oaaa  dtdovaiv  o  Ti  wp^  Mxrfrag  ifioaaag 

nnd  ebenso  in  .«  40,  228,  v  188,  x  415,  ip  68  beruht 
der  Konjouktiv  auf  La-Roche's  falscher  Lesung;  Bekker 
und  Nauck  schreiben  richtig  im  engeren  Anschlofls  an  die 
handschriftliche  Ueberlielening  S  ttg  a^*  aUti^at.^)  Die 
Sftise  aber,  in  denen  dg  %b  mit  dem  KonjonktiY  wirklich 
vorkommt,  wie  /  117  nnd  $  85 

avcl  vv  Ttokhüv 

Xttioy  taiir  dvriQ,  ov  te  Z^vg  y.?]()£  g^iXt'jOtj. 

xot  fitjv  diO(.teviig  Kai  dvcidatoi,  oi      tni  yaiijs 

«>wie  B  522,  E  747,  0  301,  ^  .546  gehören  in  eine  andere 
Klasse  von  Relativsätzen,  auf  die  ich  im  nächsten  Abschnitt 
(siehe  S.  64)  zu  sprechen  kommen  werde;  die  Bedeutung 
des  Konjunktivs  in  ihnen  ist  richtig  gedeutet  von  Del* 
brftck  Forsch.  I  45. 

Die  den  mit  %e  eingeleiteten  RelativsStaen  zukommende 
Bedeutung  eines  begründenden  EigenschaftnatBes  findet  sich 
besonders  in  den  Vergleichen  und  nach  einem  Vokativ,  wie  in 

^tre  fivtaütp  ddivdutv  fi^h^sa  nolXd^ 

cäL  %9  na%d  cva^fiw  noifivi^top  t^laOTiiovat» 

i)  Auch  in  ).  21>< 

«Ä>-"  «ir»;  Jür;  t'aii  ß^jotüty,  ort  Klv  Tf  Sfiimny 

Terdieut  die  Vüxiautc  ön  tig  xi  ^Kcy^aiy  den  eutscUieUeueu  Vorsug. 


Digitized  by  GoOgle 


68     Sitzung  der  phüos.-phüol.  Claase  vom  7.  Februar  1680, 

&Qr^  tv  eiagivjj  uie  te  yXayog  ayyea  Ötvei  (B  469  fF.) 

Zev  TTateQ^  og  tc  &eoiai  /.ai  av^gionoioi  favdaaeigj 

^  fiBya^  ßqorsifiag  an'  ov((avov  wnai^o&^og  {v  112  f.)*) 

Gans   besonders  hänfig  steht  das  es  in  den  ad^er- 

verbiellen  Atisd rücken  wer  tSf  cjg  bte  rc,  tog  u  tc,  oia  xe 
und  oaov  le,  doch  ist  hier  das  te  wahrscheinlich  indefiniter 
Natur  und  steht  auf  einer  Stufe  mit  dem  von  bir«. 
Ans  der  Sprache  der  Prosa  ist  das  ts  hinter  dem  Relatiram 
so  gnt  wie  ganz  geschwunden,  so  dass  sich  selbst  bei.  He- 
rodot  nur  ein  sicheres  Beispiel  f&r  das  adverbielle  8«roy  vs 
(VII,  100)  findet. «) 

Da  auf  solche  Weise  nur  in  einer  bestimmten  Klasse 
▼on  Sataen  dem  BelatiTnm  angefügt  zu  werden  pflegt,  so  tritt 
es  in  Gegensata  zu  andern  Partikeln,  die  in  anderen  Arten 
Ton  Rehitiysataen  ihre  Stellung  haben.  Den  st&rksten  Gegen- 
satz bildet  x£v,  das  dem  Relatiysatz  eine  yerallgemeinernde 
Färbung  gibt.  Auch  ^a,  das  die  P>zählung  fortführt  und 
besonders  gern  mit  dem  Indikativ  des  Aoristes  verbunden 
vorkommt,  sowie  neq,  das  die  Gültigkeit  der  Aassage  auf 
das  durch  das  Relativurn  yertretene  Nomen  beschränkt  und 
daher  leicht  den  Satz  in  ein  ooncessives  Verh&ltnis  bringt, 
bilden  in  gewissem  Sinne  Gegensätze  zu  ts,  doch  ist  der 
Gegensatz  kein  so  ausgeprägter,  dass  nicht  Homer  und  die 
Epiker  und  re,  sowie  7i£q  und  te  verbunden  dem  liela- 
tivum  angefügt  hätten.  Namentlich  kommt  og  ^  re  sehr 
häufig  in  Vergleichsätzen  vor,  so  dass      den  Relativsatz 


1)  Noch  bei  Pindar  steht  nach  einem  Vokativ  häufig  6c  rf, 
OL  XII  2,  XIV  1,  Nem.  VIR  2,  XI  1,  fr.  87  n.  112. 

2)  Siehe  darüber  Ri eck  her  in  seiner  kenntnisreichen  Recension 
des  Bäumleinigchen  Baches  in  Jahrb.  f.  Phil.  Bd.  Hi")  (a.  1862)  S.  481. 
Indes  findet  sich  ol  rt  nuQuyfi  ofxfroi  BTtot^aftyro  noch  in  einer  von 
Kenner  Stzb.  d.  Wien.  Ak.  Bd.  71  S.  335  S,  herausgegebenen  äoliscben 
Inschrift  ans  dem  2.  Jahrb.  t.  Chr. 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Ckritt:  Der  Oebrmteh  der  griedtitdten  ParHkd  Xfi.  59 

mit  dem  angefangenen  Vergleichssatz  verbindet,  ga  die  Fort- 
föhniiig  des  Veigleiches  aasdrttckt,  wie  in  F  674  ff. 

nartoüB  rra^Taivoty^  wg  r*  alerog,  oy      %i  tpaauf 
O^vTttTov  dfQy.iÖLUti  vjrovQovuüv  jcererjvwv, 
ov  te  xal  vipöif'  eovta  nodag  layvg  oi;x  tlaO^e  7itw^ 
d^ftPi^  vn*  afjUfOLOtAiiJ  y.aTaY.eliJevog,  dXXd  t'  in  aC%(f 
iaavro  %ai  vi  f*af  Ctfxo  laßwv  i^Uevo  ^/iow. 

Vgl.  J  483,  E  137,  /  504,  ^  63.  790,  0  411.  631,  11  481. 
590,  P  134.  549,  2  319,  0  2H3.  494,  X  27,  0  361,  X  414, 
o  319,  X  ^03,  üee.  scut.  316,  hymn.  II  218. 

12. 'Fragen  wir  sehliesslich  nach  der  Bedeainng  unseres 

T£,  80  liegt  es  am  nächsten  dieselbe  mit  dem  kopulatiren 

%€  in  Verbindung  zu  bringen.  Wir  legen  dabei  kein  Ge- 
wicht auf  Stellen,  wo  dem  Relativsatz  ein  zum  selben  Nomen 
gehöriges  Adjelctiv  Torausgeht,  wie 

XQ€tvi(i)  ifiTiB^aai  (Q  83  f.) 

baoop      iütov  vi^og  iayioaoQOio  ftelaivijg 

ifOilviSog  evgufjg^  ^'  t*  ix/re^^  fAiya  laitfia  (i  322  f.). 

i>enn  thatsäcblich  steht  ja  doch  der  Relativsatz  mit 
dem  Adjektiy  nicht  auf  gleicher  Stnfe,  sondern  knüpft  an 
den  ganzen  Begriff  ax^  xo^g^,^po^ig  i^QBta  an.  Aber  tos 
entscheidender  Bedeutung  ist  die  Stellung  des  og  re,  das,  wie 

wir  gesehen ,  nie  in  priorischen  ,  sondern  nur  in  posteriori- 
schen  Relativsätzen  steht,  also  in  solchen  Sätzen,  die  an 
das  Vorausgehende  etwas  Neueä  anknüpfen.  Begünstigt 
wird  die  Annahme  der  kopulativen  Kraft  des  re  auch  da- 
durch, dass  dasselbe  weitaus  am  häufigsten  in  Vergleichen 
Torkommt,  wo  eben  durclT  das  te  die  einzelnen  Teile  des 
Vergleichs  au  einander  gereiht  und  zu  einem  Ganzen  ver* 
banden  werden,  wie  in  ^  473  ff. 


Digitized  by  Google 


60      Sitzung  der  pkilosrphüol.  Classe  vom  7.  Februar  1880, 

etfQOv  iVretT'  ^Oövarja  öuq>iXoVf  d^tfi      cr^'  avtov 
TqwBg  ^Ttovt^'  wg  u  te  datpoivqi  i^weg  oQtütpiv 
diiff)*  e?Mq>ov  xeQadv  ßeßlrjfiivov,  dv  t'  ißak'  a»^ 
dno  v9Vff^g'  tov  /Up     ijku§»  nodtaciv  x.  v.  A. 

Besonders  belehrend  sind  ira  gleichen  Sinne  auch  die- 
jenigen Sätze,  wo  neben  dem  t£  andere  verbindende  Kon- 
jttttktioneii  stehen,  wie  v  105  fL 

Xdivoiy  fv^a  d'  ETCBita  TL^atßMoaovai  fAtXiaaaif 
h  (Y  laiol  Xi^€oi  neQi^ijxeegy  tvd^a  xe  vv/n^i 

oder  wo  naoh  dem  BelatiT  in  gleicher  Bedeatong  fin  Mit 

steht,  wie 

€ov  mal  and  yhSaarfs  fiÜnwog  yhmUm  fh»  avd^  {A 248 £) 

Vgl.  B  827.  866.  872. 

Geben  wir  daher  auch  an,  'daes  das  re  nach  dem  Re- 
hitiv  sogleich  auf  das  Toraosgehende  Nomen  im  Sinne 
nnseres  Ma*  anrfickweise ,  so  werden  wir  doch  dasselbe  von 

dem  kopulativen  re  nicht  trennen  dürfen  ,  und  dieses  um 
80  weniger,  als  ja  auch  das  kopulative  %e ,  wie  wir  oben 
sahen,  ursprünglich  hinweisende  Kraft  hatte.  Jedenfalls 
aber  weist  das  re  nach  dem  RelatiTpronomen  aof  eine 
Epoche  der  SpraehentwicUnng  hin,  wo  das  Pronomen  8g 
^  S  noch  nicht  in  ansgesprochener  Weise  der  relativeh 
SatsTerbindnng  diente,  sondern  noch  die  ehemal^  demon- 
strative Geltung  durchblicken  liess. 

Das  indefinite  %b. 

13.  Das  indefinite  Pronomen  ttg  steht,  wie  man  dent* 
lieh  noch  ans  den  homerisch -jonischen  Formen  vie,  %itfi 
sieht,  mit  unserer  Partikel  %%  in  etymologischem  Zosanunen.- 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Chriti:  Der  Odmnuh  der  griet^4Mhen  ParHkd  TJS.  61 

bang.  Wie  nmi  so  gaiis  gewöhnlieh  zur  Verstärkung  und 
YenUgeoieinenuig  der  Bedeatnng  ein  Pronomen  mit  flieh 
selbüfc  Terhnnden  wird,  so  steht  hei  Homer  aneh  ein  ve  hinter 

Tig.  Da  aber  gerade  dieses  indefinite  te  bestritten  worden 
ist/)  so  wird  es  vor  allem  notwendig  sein,  eine  vollständige 
Zneammenetelliing  der  Beispiele  zu  geben: 

vig  T9  nach  yog: 
xat  yctQ  %ig  ^  Iva  fiijva  fiivfov  dno  fr^s  dhixoio 
dayaXda  ovv  vi)i  itolvLvyii)  (B  292), 
ähnlich  %  265,      IIS,  ües.  opp.  21, 

vis     nach  Tocroi»: 
rooaop  tig  t*  irtl  Xevaaei  ooov  t*  ini  ISop  injaof  (r  12) 
ähnlich  W  345,  €  249 ;  vgl.  S.  45 

%ig  t9  naeh  ef  «rs^: 

tuwijofi  ihm  (il  262  f.) 

tig  te  nach  tag  or<: 
t&g  d*  ore  tig  Te  dQcatovta  ftdw  naUiK»(faog  dniatt^  (F  33) 
ahnlich  J  141,  P  61,  ^  760, 

tig  TS  nach  tag: 

mal  xazineifve  i 
SeifTviaaag  Sg  rig  je  xarixTave  ßovv  Ini  (pasvQ  (d  534  f.) 
ähnlich  F  133.  542.  657,  k  411, 

lig  Tc  nach  xat  /iifv: 
Vfjhl^'  xai  ^i/v  Ti'g  TB  Y.aaiyvii]Toio  ^ovi^og 
nroinjv  ^  pov  ufuöög  idifavo  tßxh^ijdTog  {£  632  f.) 
ahnlich  v  45, 

tig  TB  nach  eiadxe: 

yiyveiai,  £ig  b  7ci  tig  te  ßaliov  kx  xh)fi6v  BapFOt  (M  149  f.) 


1)  So  von  Rieekbcf  io  Jabrb.  f.  Phil.  üd.  85  (a.  1862)  S.  482. 


Digitizcü  by  LiOpgle 


62      Sütung  der  pldlc»,-pkäol,  Cleuse  vom  7,  Februar  1890, 

rig  TS  nach  (.ir]: 
aiyay  fitj  zig  uixaiüv  %ov%ov  aKOvo^  fii^ov  (H  90) 

ähnUch  %  486, 

Tig  re  w\\q\\  Tjv: 
0%  T€  x^eolg  dyäauOe  .lag'  dvögcunr  evvcf^foO^ai 
äfiq>aöitp^9  i^v  zig  ze  qtikov  noi^aez'  duLoizip^  (e  119  f.) 

avtax^t  Si  yaiihaS-at 
x^,  ore^  ze  nazi^Q  yJXerai  /mI  favddvei  ai  rot  {ß  113  f.) 

jiäai  (fihog  xai  zifAwg  toiiv 
ttpd-Qiiinoig^  ozewy  ze  ndliv  nal  yaiw  IxijTot  (x  39  f.) 
cv  flo  Zi^v\  og  %ig  ve  ^mv  vnatog  %ai  äniatog  43). 

Zur  Erklärung  jenes  ze  nehmen  Nägelsbach,  Rieckher 
u.  a.  eine  Umstellung  des  re  an,  das  von  dem  Worte,  zn 
dem  es  eigentlich  gehöre,  weggedrängt  worden  sei.  Eane 
solche  freie  Stellnng  von  t«  ist  nun  allerdings  nicht  abzn- 
weisen,  de  wird  bewiesen  durch  Verbindangen,  wie 

nagd       oi  i'  nyol  dufii  (.levovnov  (W  160) 
dVC  aiu  ze  Jiog  Kgeioaiov  ruog  tJ*  7ceQ  dvÖQibv  (ii  688) 
^neif  dvd  fiV(iUipf,  ditXoif  d*  kui  a^fta      i^ipte»  (K  466) 

wo  doch  das  ze  nicht  zu  o\  oder  aie/,  sondern  zu  dt  oder 
dUd  gehört;  vgl.  J  259,  457.  Auch  würden  wir  uns 
vielleicht  hier  f&r  eine  solche  erklären,  wenn  es  sich  bloss 
nm  die  ersten  Stellen  handelte,  in  denen  das  tig  tb  nach 
ydg  ^op  (og  ore  steht.  Nnn  findet  sich  aber,  wie  die  Zo- 
sammenstellung  zeigt,  das  ztg  zb  nach  Konjanktionen,  welche 
nie  ein  te  zu  sich  nehmen ,  bei  denen  also  mit  der  An- 
nahme einer  Umstellung  nichts  geholfen  wird.  Ks  bleibt 
also  hier  nichts  anders  Übrig,  als  das  te  an  dem  Worte  zu 
besiehen,  hinter  dem  es  steht ;  dann  werden  wir  aber  auch 
an  den  anderen  Stellen  wenigstens  die  Möglichkeit  anfirecht 
erhalten,  dass  ts  an  tig  und  nicht  zn  ydg  .itg  zooog  etc. 


Digitized  by  GoOglc 


«.  Ckntt:  Der  Gdirmdk  der  griediiathen  FcarUkd  TE,  63 

gehAie.  Wir  werden  jxdb  aber  gegen  diese  Annahme  um 
so  weniger  sMnben  dürfen,  als  auch  im  Lateinischen  qne 

iD  indefiniter  und  verallgemeinernder  Bedeutung  sich  einem 
Pronomen  oder  einer  Konjunktion  angesohloasen  findet  in 
qaandoque,  ubique,  cunque,  «quisque,  und  ganz  ähnlich  im 
Sanskrit  und  Gotischen  das  znsammengesetate  ca-Da  ge- 
hrancht  wird,  wie  in  skt.  kim-cana  =  aUqnid,  got  hvas- 
hnn  =  aliqnis^)  Es  hat  aber  jenes  n  bei  ttg  offenbar  in- 
definite Bedeutung ,  wie  man  t,  B.  anek  reeht  hübsch  ans 
der  Vergleichung  von  Homer  ^  43  und  Aesehylus  Agam.  160 

ov  fMO         barig      ^stSy  tfcarog  »al  a^^unogy 
ZevQf  Satig  ttor*  hnl» 
enehen  kann« 

14.  Die  indefinite  nnd  fragende  Bedeutung  sind  in 
unserem  Sprachstamm  meistens  dnrch  die  gleiche  Prono- 
minalform vertreten,  nnd  zwar  so,  dass  die  Bedentnng  der 
nach  AnfklSrnng  yerlangenden  Frage  ans  der  ünentschieden- 

heit  des  Indefinit  ums  hervorgegangen  ist.  Es  ist  daher 
selbstverstiindlich ,  dass  wir  auch  das  tc  nach  xig  und  den 
verwandten  Fragewörtern  in  gleichem  Sinne  £as8en  wie 
nach  dem  indefiniten  ri^,  z.  B.  in 

tig  t'  ciQ  öifme  &£Ußy  Igidi  ^vir^yte  fiäxea&ai ;  8) 
tig  r'  Cf^'  od'  a^Xog  l^yaiog  dvrjg  t^vq  tl  ft^yag       C  220) 
tuiTe  t'  d^'  cid'  ^x'^^i  6Xo(ptQ€tai  vlag  ^Aynaiioy ;  {A  65G) 
nwg  t'  a^'  Xta  ^terd  fiuiXoy;  ixavai  di  tevxB'  ixeivoi  (2  188) 
JemtaUdt^f  nijj  7*      fiifiovag  mmaSvnu  bfulov;  (N  307) 

ebenso  in  B  7(11,  Ä  208,  M  401),  a  346,  y  22,  ip  264, 
y  417.  Vielleicht  ist  so  auch  ansere  Partikel  in  a  00 


1)  Vgl.  Bopp.  Vergl.  Gnun.  2.  Aufl.  II,  899,  Cartins  Gnmdi. 
d.  Et  5.  AaiL  8.  487,  wo  ush  Terwaadte  Fonnen  am  cUm  Iwltiwhen 
SpvMbftanim  beigebisebt  tiod,  Ueber  das  relative  qnisqiie  siehe 
A.  Speagel  FlaaM  Irin.  pnef.  Xt 


Digitized  by  Google 


64      SÜJtumi  der  phäoarphüol.  Clatge  vom  7.  Februar  1880, 

ov  VI  T  (Jovaaevg 

sn  erkfören,  Ton  der  wir  oben  8.  39  eine  andere  Deatnngr 

versucht  haben.  Beachtenswert  ist  auch  hier  der  gleiche 
Gebranch  von  xat  in  Hjmu.  II  350  ^nog  y.ai  viy  ßiöfieö^a; 

15.  Viel  deutlicher  aber  noch  tritt  die  indefinite  and 
TeraUgemeinernde  Bedeutong  des  hervor  in  den  Eon- 
jonktionen  S-tc,  ij-v-t«,  ev-rey  in  welchen  nnr  das  tc  mit 

dem  Pronomen  zti  einem  Worte  eng  verbunden  ist.  Das 
gleiche  le  hat  noch  eine  unabhängigere  Stellung  in  den 
wenigen  Fällen,  wo  es  in  priorischen  Sätzen  hinter  dem 
relativen  oaov  steht  {S  148,  ^  124,  Hes.  opp.  679;  vgl. 
S.  55  nnd  OTtn^  M  58,  ox<i»$  Uerod.  I,  108),  nnd  wo  es 
mit  dem  Relativpronomen  verbunden  den '  Konjunktiv  nach 
sich  hat  (F  66,  E  747,  /  117,  H  522,  |  85;  s.  S.  57). 
Ebendahin  gehört  das  üg  ts  nebst  (og  ots  te  und  wg  ei  tb 
der  Vergleichssätze,  da  dieses  wäre  nicht  bloss  ganz  ge- 
wöhnlich dem  demonstrativen  Nachsatz  mit  fLg  vorangeht, 
sondern  auch  in  der  Regel  mit  dem  Konjunktiv,  dem  Modus 
der  verallgemeinemden  Aussage,  verbunden  wird,  wie  in 

zovg  ö'  uig  x'  ahiüXia  nKari'  alyojv  ahrukui  avöqeg 

^la  öuoLqivuaw  (B  474  f.,  vgl.  ^  67,  M  167.  278,  P  434), 

und  selbst  in  dem  verbundenen  ReUtivsata  den  Konjunktiv 
hervorruft,  wie  in 

o^*  Sg  T€  üTilXr]  fiivet  efiTcedw,  §  r'  ^/rt  xvfißfft 
dvigog  katr^^fj  te^i^og      ywoMos  (F  434  f.). 

Mit  dem  waie  der  homerischen  Vergleichssätze  ist  das 
konsekutive  wote,  das  sich  bekanntlich  bei  Homer  nur 
selten,  um  so  häufiger  aber  in  der  spateren  Sprache  findet, 
etymologisch  nahe  verwandt.  Denn  dass  der  erste  Teil 
jener  Partikeln  ein  alter  Ablativ  im  Sinne  von  qni  oder 
quo  modo  ist,  liegt  auf  platter  Hand ;  dass  aber  anch  der 


Digitized  by  GoOglc 


V,  Christ:  Der  Qebrauch  der  t/riechischen  Partikel  TE,  65 

zweite  Bestandteil  des  konsekutiven  a  ore  nicht  mit  dem  kopu- 
lativen II  nach  dem  Helativuni,  sondern  mit  dem  indefiniten 
t€  in  oie  o.tote  u.  ä.  zu  verbinden  ist,  macht  die  zuerst 
von  Kenner,  Stzb.  d.  Wien.  Ak.  Bd.  72  335  ff.  pu- 
blieierte  nnd  nnl&ngsiTon  Beehtel,  die  inaehr,  Denkm.  d. 
iol.  Dial.  in  Beszenbergen  Beitr.  V,  112  f.  wiederbolto  In- 
«ehrift  Ton  Erythra  wahreeheinlich ,  in  der  das  iESKB  dee 
üolischen  Originals  zweimal  mit  jouischem  ii^TE  wiedergege- 
ben ist.  Indes  wird  mau  in  der  Umschreibung  richtiger  ii^TE 
in  2  Worter  zerlegen,  te  i/Taivsi>€ir^^  wg  t£  y&tqfai^  und. 
Stellen  des  Homer,  wie  f/  223  /m  tiv  dvottpfW  dfi^ 

ifiifi^am  ndtipigt  mm  Vergleiche  heranziehen.  Wenn 
aber  anch  das  konsefcntiTe  äaft  sehon  wegen  seiner  Kon- 
struktion mit  dem  Infinitiv  sich  am  meisten  dem  zusammen- 
gesetzten oiog  te  vergleicht ,  so  wird  doch  in  wate  so  gut 
wie  in  oiog  t£,  old  rc,  oaov  le  das  re  indefiniter  Natur  sein.') 

Dasselbe  indefinite  ve  hat  sich  nun  aber  anch  noch  in 
jrm,  ntni^  toti^  oiUors  mit  dem  Toranagehenden  Pronomen 
IQ  einem  Worte  vereinigt.  Denn  dass  das  re  dieser  Ad- 
verbien mit  dem  indefiniten  que  zusammenhänge,  lehren 
uns  die  doriseben  Formen  /roxa  nond  oau  oAAoxa  ^)  und 

1)  In  der  kyprischen  Inschrift  von  Idalion  bei  Deecke  unti  8iege«- 
raun.l  in  C'irtiua  Stml.  VII,  2r>ß  steht  opi  sis  ke  j^^anz  im  Sinno  von 
öruf  r^  '  80  dass  das  t*  von  o-i^  im  Kyprischen  pi  gelautet  zu  haben 
scheint.  Eine  solche  Vertretung,'  des  t  von  xf  durch  p  ist  nach  den 
Erläuterungen,  die  wir  im  letzton  Kapitel  geben  werden,  gar  nicht 
tDwahrscheinlich.  Doch  muss  ich  bemerken,  das»  G.  Curtius  a.  a.  S. 
ia  dsD  beigegebüMB  Bandglossen  die  Lesung  0-91  vorgeschlagen  and 
rieh  daf&r  svf  lateinitebes  nbi  belogen  hat. 

2)  iSiche  Apollonias  de  adverb.  in  Bekk.  Auecd.  gr.  p.  606  und 
Ahrena  de  dial.  der.  p  HIQ.  Zwar  führen  die  Grammatiker  nur  n6x« 
Smt  SXkaiM  an,  nicht  anob  toxa;  aber  nicht  bloss  gehört  das  indefinite 
wi,  wie  wir  es  bei  Honer  ^68,  A  11,  w  447  haben,  in  die  gleiche  Kate- 
forif ,  senden  es  liegt  «leb  Ar  das  demoutiitiTe  r^r«  ein  dmiaehei  t4Mm 
vor  bei  Theokrit  ond  in  doriaeben  Ineehriften  Hr.  38  C  15  nnd  Nr.  i>5, 

[1880.  t  PliU.-phU.  hiat.  CL  Bd.  1. 1.]  5 


Digitized  by  Google 


66       Sitzung  der  jphüos.'phüol.  Glosse  vom  7.  Februar  t880. 

die  diiTOii  iratreimbaren  Formen  des  gemeingriecbisehen 

rp'i-xay  onrjvi'Tia,  Trjvl-xOj  sowie  des  jonischen  jvQoyM.  Mög- 
licher Weise  sind  hieher  auch  noch  die  Adverbien  cz-ra, 
hrtei'TUf  d^-fa  vielleicht  selbst  TcaQ-ta  zu  stellen.  Das  ta 
mOsste  dann  auf  eine  Linie  mit  dem  ra  des  äolischen  ora 
nota  aUma  kri(juna  (s.  Abrens  de  diaL  I  74)  gestellt 
and  anf  die  ehemalige  nasale  Anssprache  des  Scblnssrokals 
zarl&ckgeföbrt  werden.^) 

Der  anomale  Gebranch  der  Partikel  re. 

10.  Ich  berühre  schliesslich  noch  diejenigen  Stellen 
Homers,  wo  n  in  ungewöhnlicher  Weise  gebrancht  ist 
oder  gebrancht  zu  sein  scheint. 

Hinter  iy/v&i  scheint  ein  re  zu  stehen  in  Z  317 

Aber  hier  nehmen  mit  Recht  die  Herausgeber  eine  freie 
Stellung  des  %^  au  und  bezieben  %e  xu  HQidfiOW, 

Nach  dem  vergleichenden  ^  nnd  dem  yerstärkenden 
xai  *ancb'  steht  ein  in 

^(Xaiov  öt  /.iyt(üg,  ddivu'neqov  ri  i:'  ouovoi  (/r216;  vgl.  ^  277) 
tavvtTKa  xai  te  ßQO^oioi  i^Eiüv  i'xx^iOTOg  widvzwv  (i  159) 

Hinter  dem  Artikel  nach  vorausgehendem  ha^  steht 
%6  q  358 


89  bei  Cauer,  del.  insc.  graec.,  so  dass,  wenn  daneben  ror/^  auf  einer  kre- 
tischen Inschrift,  Nr.  43,  50  Ca.  vorkommt,  dieses  auf  den  immer  mehr 
am  sich  greifenden  Einflass  des  Attischen  zurückgeführt  werden  muss. 
Es  scheint  aber  das  rc  des  demonstrativen  rorc  ans  dem  n  des  indeli- 
niteii  xvti  entstanden,  mid  dnreh  das  komlatiTe  YerbSltDiB  ra  Src, 
iluiUfih  wie  du  «ft  in  nvrixa  gegenüber  ^rixu,  geitfitst  worden  m  sein. 

1)  Für  ein  nasslierles  a  jener  Adverbien  spricht  die  von  Hngo 
Weber,  die  Partikel  nu  8. 21,  ans  den  Fhigmenten  der Ssppho d,  3 
naehgewieeene  Feim  onnt/tm^. 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Christ:  Jkr  CMmnuh  der  griei^isAen  ParHM  TJE.  67 

Aber  hier  hat  Lachmann  richtig  die  verderbte  Lesart  in 
iSog  doiSog  emendiert;  ygl.  Nauck,  Bull,  de  Pet.  VI,  20. 
In  y  238  und  o  484 

ovioj  zi^vde  ze  yaiav  iy<a  ßidov  6g>d^aXfio7aiv 

acheint  die  anstössige  Leaart  ans  der  Verwechselong  von 
wftf&B  mit  Tijy  di  %ß  entstanden  an  sein;  Bekker  und 
Nanek  wagen  die  allerdings  paläographisch  leicht  an  recht- 
fertigende Verbessemng  tijvde  ye  yalav. 

In  den  drei  Stelleu  £  29,  q  273,  V  483 
*^£^fisia,  cv  yoQ  avre  zd  r*  aXXa  tteq  ayyeXog-  iaaL 
^  iyHjgf  inü  cvSi  td  %*  aHa  rtdif  ioo*  d^aiQfu», 
udloPf  väüuig  Sifiare,  luauHpqMg^  aUa  re  nina 

hat  das  T£  in  td  t*  aXXa  nichts,  was  es  verbindet  oder 
worauf  es  sich  beziehen  könnte.  Wir  haben  hier  offenbar 
eine  formelhafte  Phrase,  herrorgegiangen  ans  der  Tollen 
Wendung     t  aHa  %at.  Zn  einer  ähnlichen  Erklamng  wird 

man  aDch,  die  Richtigkeit  der  Ueberlieferuug  vorausgesetzt, 
in  jB  280 

aiiOTt^  Xuov  dvtuyei 
tig  afut      ol  nqtikoi  ti  xai  vattnoi  vUg  jijifuiuv 

seine  Zuflucht  nehmen  müssen.  Doch  hat  hier  Naack  nach 
einem  bereits  von  Nägelsbach  gemachten  Vorschlag  Sfta  fot 
mit  Tilgang  von  geschrieben.  Nägelsbach  selbst  hat  frei- 
lieh spater  jene  Yermatung  wieder  sorückgenommen  unter 
Bemfnng  anf  die  freie  Stellung  des  re  nach  Sfia  in  i  403, 
/  519,  ^  417,  iV  85,  in  Folge  deren  ctfia  re  den  Sinn  des 
ein£ftcheu  o/4o  angenommen  haben  solL 

6* 


Digitized  by  Google 


68      SiUtutg  der  fihüot,-pkUoi,  Clasue  wm  7.  Februar  1880. 


Hedod  theog.  86  f. 

Hier  möchte  mau  beim  ersteu  Lesen  xai  im  Sinne  von 
'auch*  zu  fxiya  uehen;  dann  hatte  te  in  alxpa  ver- 
stftrkende  Bedeatoog,  wie  in  i}  r«,  fäv  %t;  doch  laset  sieh 
anch  mit  Odüling  al^  %b  wu  hmtnuiUnag  yerbinden. 

Spraehwissenechaf tlicher  Rnndblick. 

17.  Nachdem  wir  so  den  Gebrauch  der  Partikel  tB  im 
einseinen  Terfolgt  haben,  drängt  sich  uns  die  Frage  auf,  ob 
sich  die  verschiedenen  Bedentangen  des  %%  unter  einem 
gemeinsamen  Gesichtsponkt  vereinigen  lassen ,  oder  mit 

anderen  Worten  ob  den  verschiedenen  re  ein  und  dieselbe 
Wurzel  zu  Grunde  liege.  Dass  eine  solche  Frage  nicht  mit 
bloss  logischen  Deduktionen  beantwortet  werden  dürfen  und 
dass  ihre  Lösung  die  Heranziehung  der  verwandten  Sprachen 
erheische,  das  gilt  jetzt  als  feststehender  Sats  der  Sprach- 
wissenschaft. Gleichwohl  wird  es  gut  sein  nochmals  xnvor 
speEiell  im  Griechischen  Umschau  zu  halten  nnd  die  abwei« 
übenden  wie  die  gemeinsamen  Punkte  im  Gebranche  des  %h 
hervorzuheben. 

Das  Gemeinsame  im  Gebranche  des  %%  besteht  darin, 
dass  dasselbe 

1)  stets  als  Enklitikon  gebrancht  nnd  seinem  Worte 
nachgesetat  wird, 

2)  immer  entweder  selbst  Konjunktion  ist  oder  als 

Supplement  zu  einem  satzverbindenden  Worte  hinzutritt. 

In  letzter  Beziehung  macht  nur  der  Gebrauch  des  indefini- 
ten %B  eine  teilweise  Ausnahme ;  aber  in  n<ni  oXIotb  wurde 
%9  nicht  mehr  als  selbst&ndiges  Element  empfanden,  nnd 
das  indefinite  %lg  t9  lehnt  sich,  ebenso  wie  ni^  ts,  stets  an 
eine  yoran^igeliende  Konjunktion  derart  an,  dass  man  sogar 


Digitized  by  GoOglc 


9,  CMit:  Der  CMraudi  äer  grieMatMn  ParHM  TE.  69 

gnwdfrli  hat,  ob  das  V9  tn  rig  und  tt§Q  oder  niclit  wieU 
■ebr  tor  Sonjunktion,  sei  sie  nan  €#  oder  oaog  o^er  ijv^ 
gehöre.  Wichtijr  ist  dabei  namentlich ,  dass  wohl  y«  und 
niQ  häufig  in  hervorhebender  Betleutnng  hinter  einem  No- 
men  stehen,  das  bekräftigende  sich  aber  nur  hinter  einer 
nlirerbindeiiden  Partikel,  wie  ^  tc,  fih  tc,  ica/  t«,  findet 

In  Bezug  anf  die  Bedentang  haben  wir  vier  yerschiedene 

Ji  keunen  gelernt: 

das  kopolatiye  nnd  korrebtive  ts, 
das  indefinite  ^s, 

das  hinweisende  oder  bestärkende  T€, 
das      hinter  dem  Relativum. 

Ten  diesen  vier  Arten  kann  die  letzte  insofern  weggelassen 

werden,  als  das  re  hinter  dem  Relativum  doch  aller  Wahr» 
•jcheinlichkeit  nach  in  posteriorischen  Sätzen  aus  dem 
kopulativen,  in  phorischeu  aus  dem  indefiniten  te  her- 
Torgegangen  ist.  Am  schärfsten  tritt  der  Unterschied 
iviseben  dem  kopnlatiTen  nnd  indefiniten  ts  heryor, 
ji  es  hat  sogar  derselbe  im  Oriechisehen  selbst  einen 
lästeren  Ausdruck  gefunden.  Denn  während  das  re  'und' 
lu  allen  Dialekten  dieselbe  unveränderliche  Gestalt  hat, 
steht  dem  jonischen  nott  ote  akX<ne  im  Aeolischen  mna 
ota  aXXoTOy  im  dorischen  ttoxct  oxa  aXkona,  im  Kyp- 
risdien  o^t')  gegennber.  Ueber  die  Verschiedenheit  des 
Vokals  hätte  man  sich  frfiher  nnter  Bemfiing  anf  den 
gfeieben  Grnndvokal  a  leicht  hinweggesetzt;  jetzt,  wo  man 
f^lemt  hat ,  dass  sich  schon  vor  der  Trennung  der  euro- 
päischen Glieder  unseres  Sprachstammes ,  ja  wahrscheinlich 

1)  Siebe  S.  65  Anm.  1.  Wie  hier  ds^iD  indischen  k'a  auf  grie- 
lUKbeiD  Boden  ein  r  in  rf,  ein  k  in  ox«,  und  ein  ans  kv  entwickeltes 
« b  «lern  kjpriscben  ont  gegenüber  steht,  so  steht  in  derselben  Inschrift 
wn  Malion  rttian  rlau  von  der  Wurzel  k'i  uiul  «;t'ht  das  äoliscbe 
nUv^s  aad  geaieiogriechiiche  ÜQooQts  auf  skt.  k  atvaras  xorück. 


Digitized  by  Google 


70      SUzwug  der  jhiOot.'plM,  Claue  vom  7.  Februar  J880, 

schon  vor  der  Scheidung  der  arischen  und  europäischen 
Glieder  das  a  zu  drei  Lauten»  dem  reinen  a,  dem  za  e  und 
dem  va  o  sich  hinneigenden  a,  ^differenzierte,  nimmt  man 
eB  ancli  mit  dem  Wechsel  von  a  and  e  nicht  so  leicht; 
aber  doch  noch  erheblicher  ist  der  Unterschied  im  Konso- 
nantismns  zwischen  Srs  nnd  Tita.  Wiewohl  daher  bei  Homer 
die  kopulative  und  indefinite  Partikel  in  der  einen  Form  re 
zusammengefallen  ist ,  so  muss  man  doch  annehmen ,  dass 
noch  auf  griechischem  Boden  vor  der  Trennung  der  Dialekte 
das  kopulative  ts  und  das  indefinite  xo  als  TCischiedene 
Wörtchen  nebeneinander  bestanden  haben. 

18.  Wenden  wir  uns  hiernach  zu  den  verwandten 
Sprachen,  so  ist  das  kopulative  te  ein  griechisches  Gebilde 
nur  insofbm,  als  auf  griechischem  Boden  das  t  sich  aus 
dem  palatalen     herausgebildet  hai   Im  übrigen  existierte 

bereits  in  der  arischen  Grundsprache  eine  völlig  ausgebildete 
Partikel  k'ä  mit  der  Bedeutung  \md\  aus  der  skt.  k'a, 
zend.  ca,  gr.  re,  lat.  que  got.  h  in  nih  —  neque  hervorge- 
gangen ist.  Dass  das  a  dieser  Partikel  schon  in  der  Grund- 
sprache nicht  mehr  voll  lautete,  sondern  schon  eine  Hin- 
neigung zu  dem  schwächeren  e  hatte,  zeigt  dias  palatale  k', 
da  nach  den  Nachweisungen  J.  Schmidts  in  Euhn*8  Ztseh. 
XXV,  136  ff.  der  üebergang  einer  ursprünglichen  Gutturalis 
in  eine  Palatalis  durch  den  lautlichen  Einfluss  eines  nach- 
folgenden ä- Vokals  hervorgerufen  wurde.  Der  weitere  Üeber- 
gang der  Palatalis  in  ein  r  auf  griechischem  Boden  hat 
nichts  Befremdendes,  da  derselbe  durch  die  Analogie  von 
ticaa^  skt.  k'atvaras,  nhre  skt  panVa,  tig  zend.  eis,  viu 
skt.  k'ayatft  hinlänglich  geschützt  iriid. 

Wenn  nun  aber  auch  unsere  Partikel  schon  in  der 
Grundsprache  k'S  lautete,  so  ist  rie  doch  aus  der  Wurzel 

ka  hervorgegangen.  Das  beweist  schon  die  Sprachentwick- 
lung im  Aligemeinen,  da  es  einerseits  ursprünglich  im 


Digitized  by  GoOglc 


9.  Chn$t:  Der  Otbraui^  der  griediie^en  BarHM  TB.  71 

Arkeheo  nnr  ein  a  gab andrerseits  alle  palatalen  Laute 
BW  nnprünglichen  guttoralen  sich  abgezweigt  haben.  Man 
hat  daffir  aber  anch  einen  Beweis  an  dem  mit  gleichbe- 
deatenden  griechiscben  xof,  das  die  deklinierte  Form  und 

zwar  speziell  der  Lokativ  der  Wurzel  ka  ist. 

Anch  im  Gebrauch  stimmt  das  indische  k'a  mit  dem 
griechiscben  te  in  bemerkenswerter  Weise  überein.  Denn 
wie  bei  Horner  in  der  Begel  awei  mit  einander  korre- 
ipondieren,  so  pflegt  auch  —  ich  gebrauche  die  Worte 
des  Petersburger  Lexikons  —  k  a  im  Sanskrit  beiden  an 
▼erbindenden  Wörtern  oder  Satzgliedern  nachgestellt  zu  wer- 
den, 80  dass  sich  im  Rig-Veda  das  doppelt  gesetzte  ka 
häufiger  als  das  einfache  findet. 

Das  indefinite  ts  hatte  sich  nicht  schon  in  gleich  be- 
stimmter Weise  vor  der  Trennung  der  arischen  Sprachen 
aiMgelnldet,  doch  bestanden  auch  an  einem  indefiniten  k'ft 
neben  indefinitem  kam  oder  ka  schon  in  jener  alten  Zeit 
bestimmte  Ansätze.  Das  erkennt  man  daraus ,  dass  zwar 
kein  selbständiges  indefinites  k'ä  in  ähnlicher  Weise  wie  ein 
kopolatiTea  k'ä,  in  sammtlichen  arischen  Sprachen  Asiens 
Bsd  Europas  wiederkehrt,  dass  aber  dem  indefiniten  %b  ond 
«e  des  Griechischen  ein  Terwandtes  lateinisches  qne  und 
juaiii  in  quisque  quandoque  nsque  cunque  uterqne,  quis- 
ijuam  uf»<|uani  nnquam,  altirisches  ch  iii  ca-ch  =  quisque,  go- 
üsches  h  u.  hun  in  hvo-h  =  qnisquis,  hvas-hun  =  qaisqaam')| 
iadisches  k'ana  in  kin-k  ana  =  aliquid,  kada-k'ana  «  qqando- 
qae,  ?ed.  kam  in  mannigfeohen  Verbindungen,  wie  na-kam  ^ 
fi  v«p  hi-kam  =  yuq  te ,  gegenübersteht.   Ja  ffir  vlg  T9 

1)  Za  dissrn  Gfandiali  iMknuie  idi  mich  andi  heote  amh,  wssa- 
gleidi  «i  Dsdi  Piek  mit  dem  GrandTokal  a  ras  lein  eoU. 

2)  Siehe  Bopp,  VergL  Gianm.  II*  218,  Cartiae.  Graadi. 
5.  Aal  8.  487. 

3)  Dm  vedisehe  kam ,  aebea  dem  kha  aad  k'id  ia  Terwandter 
Bidiitiing  TeffkeomieB,  hingt  jedealslle  aiit  dea  ▼erglScbeaea*  Fenaea 


Digitized  by  Google 


72       Sitzung  der  phUos.-phUol.  Claane  vom  7.  Februar  1880. 

l&sst  sich  sogar  eine  gemeinsame  indogermaniscbe  Grandform 
kask'ä  mit  grosser  Walirscheiiilichkeit  autstellen.  Denn  nicht 
bloss  stimmen  das  griech.  te,  liit.  quiscjue,  /.end.  cis-ca 
=  quis,  ind.  kas-k'a  =  aliqais  in  der  Form  völlig  mit 
einaiider  ttberein  und  weichen  unr  dnrch  anbedeatende  Be- 
dentnngsmodifikationen  yon  enuuider  ab,  sondern  stellt  sieh 
anch  zum  homerischen  dimg  %9  (s.  8.  62)  das  ToUig  ent- 
sprechende yas  kask'a  im  Sanskrit.  Ausserdem  treffen  anch 
die  einzelnen  Sprachen,  namentlich  das  Lateinische  und 
Griechische  im  Gebrauche  unserer  indefiniten  Partikel  genau 
mit  einander  zusammen,  indem  sie  dieselbe  teils  an  Pro- 
nominalstamme hängen  znr  Bildung  von  Indefiniten,  wie 
7to-ti  qnando-qne,  to-tI  deniqne,  teils  aar  Bildung  Ton 
Relativen  mit  yerallgemeinemder  Bedeutung  verwenden,  wie 
o-T€  done-c  (altlat.  doni-cum),  teils  an  Präpositionen  nnd  Ad- 
verbia  anschliessen,  wie  /tqo-xü  l've-y.a,  abs-que  us-que,  skt. 
tiras-k'a  'quer  ,  uk'k'a  aus  ut-k'a  'aufwärts',  pa9-k'a  aus 
apas-ka  'hinter.  Vi  Im  üebrigen  gingen  die  einzelnen 
Sprachen  in  Entwicklung  des  gemeinsamen  Keims  ihre  be- 
sonderen Wege.  Das  Griechische  hat  dabd  in  den  Ad- 
verbien ftari  are  aXkote^  dor.  ftom  'ffiUoxa  die  beiden 
Partikeln  k'ä  und  kam  zusaiiuuenfullen  lassen.  Es  darf  uns 
dieses  um  so  weniger  befremden ,  als  ja  beide  Formen  aus 
gleicher  Wurzel  entstanden  sind  und  ka  nur  die  flexions- 
lose, kam  hingegen  die  neutrale  Form  desselben  Grund- 
elements reprSsentiert.')  Sonst  aber  hat  das  Griechische  k'i 

des  I«t,  and  Orieeh.  suammeo,  bat  jedoeh  niebi  indefinite,  aondeni 
hervorhebende  Bedeatnng;  Denfejr  im  Oloeiar  mm  Sama-Veda,  and 
Botb-B9htlingk  im  Petenb.  WSrterbaeb.  Wir  werden  daheir  auf 
dasielbe  bei  dem  dritten  ve  noeh  einmal  snrttckkommen  mHiwn. 

1)  Aaeb  in  ow  oad  /upt,  das  ktrtere  erhalten  im  sneimmenge- 
getiten  f<>g«-^»,  »teckt  die  gleiche  Partikel  xe,  Dieeea  leigt  daa  altir. 
na-eh  =  non  nnd  du  ved.  mS-klm  =  /<^. 

2VKoeb  naber  rtteken  aicb  die  beiden  Formen  ftrH*D.lIftUer, 


Digitized  by  GoOglc 


V,  CSInff:  Der  Gebrauch  der  griechischen  Partikel  TE,  73 

und  kam  Rtrengo  gescfaieden,  das  an«  k'n  entwikelte  r«  nur 

in  Verbindung  mit  dem  iiidefiniteu  uiul  fragendon  IVonoiiien 
in  ganz  abgeschwächter  Bedeutnng  gebraucht,  dem  aus  kam 
entwickelten  xey  xe  dor.  xav  )  xa  hiogegen  die  bestimmt 
und  scharf  an^geprägte  Bedeutung  einer  generalisierenden 
Fuiikel  gegeben.  Aach  das  Lateinische  bat,  wie  man 
Bftmentlich  ans  der  Gegenttberstellnng  von  asque  usquam, 
qnisqne  quisquam,  deniqne  donicnm  ersieht,  die  beiden 
Partikeln  diflfereuziert ,  dabei  aber  seineu  eigenen,  vielfach 
Tom  griechischen  abweichenden  Weg  eingeschlagen. 

Jn  solchem  Zusammenhang  wird  hoffentlich  anch  die 
Meinmig  durchdringen,  dass  das  angeUieh  gmndTerschiedene 
ay  •)  nichts  anderes  ist  als  eine  dialektische  Varietät  des 


der  in  seinem  hypothesenreichen  Bach,  der  indogermanische  Sprachbau  in 
seiner  Entwicklung  S.  H86  f.  in  dem  m  kein  Bedeutunj^elemont,  son- 
dern nar  ein  epitbetiscbes  Mittel  des  Silbenschlasses  findet,  wie  oeoer* 
dings  aadi  Oidike,  der  AeeoMtlT  im  Yeda  S.  18. 

1 )  Jenes  xuy  ist  jetzt  nrknndlich  bestätigt  darcb  eine  arkadische 
Inachrift  bei  Caner,  del.  inscr.  graec.  117. 

2'  Damit  erledigt  sich  auch  das  Hauptbedenken ,  das  Oorsien, 
Krit.  Beitr.  S.  ^•'«  der  Zusammenstellung  von  griech,  r^vixa  und  lat 
donec  entgegenhält.  Denn  so  gut  im  Griechischen  selbst  oxa  neben 
mi*  steht,  ebensogut  kann  griech.  xu  und  lat.  que  gegenüberstehen. 

3)  So  drückt  sich  Pott.  Etym.  Forsch.  P  4'2A  und  B*'ntey 
Grieth.  Wanelleifkon  II,  4><  aus.    Ob,  wenn  unsere  Meinung  sicli  als 
richtig  bewährt,  das  lat.  an  von  griech.  «V  getrennt  werden  müsse,  ist 
eine  andere  Frage,  die  ich  hier  xur  Seite  liegen  lasse     Der  Umstand, 
dass  fty  betont,  xf  enklitisch  ist,  den  Freund  Bursian  meiner  Zu- 
sammenstellung von  ay  and  xay  entgegenstellte,  «lurfte  von  keiner  grossen 
Brietttiiay  eeio,  da  ja  aocb      fast  aosnahmsloe  in  soleher  Stellung 
miiiiiiit,  da«  ss  den  Oisvif  itatt  des  Aevtat  hat,  also  säasr  sdb- 
•UMigss  Betoemif  benäht  ist,  Dess  aacfa  wm  dk  Gismstiker 
im  KMMstiv  itmitf,  den  OcaetiT  no66f  hetonlen,  so  wollte  des  wn 
MiBlia,  disi  der  NaMlsstlf  ndt  leiBer  herwomgesdes  tdbskiDdigni 
Steihwy  de»  fsPssAecert  srf  der  StwiMilbe  behielt,  dertoetir  Ua- 
Mi"*  d«  «h  Ib  dea  nsisleB  TerbiBdssfeB,  wie  m/pig  «sysAf,  Jtig 


igitizod  by  GoOglc 


74     Skzmig  der  phaoBrpMol,  Claste  wm  7,  Fttruar  1890. 

dorischen  xoy  und  jonischen  x«y,  mit  welchen  Wortchen  es 
in  dem  Gebranch  and  der  Bedentnni^  so  dnrcligebends  über- 
einstimmt. Der  Abfall  des  k  von  Jean  kaim  keine  schweren 
Bedenk*^!!  erregen,  \vcnn  wir  denselben  dnrcli  ein  älteres 
kvam^  worauf  uns  das  lat.  quam  in  usquam  qui8<|uam  führt, 
yermitteln  lassen.  Es  sind  dann  die  üebergangsstnfen  kam 
hvam  ffon  an  anzasetseen,  zn  denen  uns  analoge  Erschein- 
ungen in  den  enropiischen  Gliedern  unseres  Sprachstammea 
▼ollanf  berechtigen.  Im  Griechischen  steht  der  durch 
jene  Uebergangsstufen  vermittelte  Abfall  der  anlautenden 
Gattnralis  sicher  in 

iyst^i  ans  yfByeii^  skt.  g'agarti, 

WLfuvg^  lat  vermis,  skr.  kfmis,  lit.  kirniis,  aus  krennins, 

und  ist  wahrscheinlich  in 

SQtei  lat.  vcrrit,  skt.  karsati,  aus  kvarsati,  (vgl.  Curtius, 
Stnd.  VI,  275, 

&SXO  aus  kvene-ka,  yerwandt  mit  lat.  yenia  Venns,  zend. 
qauTant  'glänzend'. 

Ans  dem  Lat.  bietet  sich  znm  Vergleiche 

amare  amor,  verwandt  mit  skt.  kama  'Liebe*, 
ubi  neben  ne-cubi,  unde  neben  ali-cunde, 
aper  neben  gr.  xarr^o^, 

uteras  neben  skt.  g'atharas,  got.  quithus;  s.  L.  Meyer, 
Vergl.  Gramm.  I  38.* 

Auch  dem  hinweisenden  und  bekräftigenden  re  in  t] 
T€,  uiv  r£,  yr  re  steht  im  Lateinischen  mit  ähnlicher  Be- 
deutung ce  in  hic  aus  hi-ce,  nnnc  aus  uuü-ce,  sie  au.s  si-ce, 
und  im  Gotischen  h  in  sva-h  =  sie,  s6-h  =  hic  zur  Seite. 

xoo^  an  eiDsn  sndaren  Bogriff  aolehnt»  seines  seHMtindigeii  Aeoentes 
verliutig  ging. 

1)  Siehe  GraeimanB  in  Kuhns  Ztseh.  IX,  U  if,  Aieoli,  Vot» 
lesangen  &ber  vergl.  Lautlehre  8.  49  iL,  Coreeen  Krit.  Beitr.  rar  lat. 
Fomwolehre  8.  1  C 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Christ:  Der  Gebrauch  der  griechischen  Partikel  TE,  75 

Die  hinweisende  Kraft  des  lat.  ce  |^bt  nns  deun  mich  ein 
volles  Anrecht,  die  kopulative  Beileutung  des  te  aus  der 
korrelativen  t£  .  .  .  'da  .  .  .  da'  in  der  Weise  ah/uleiteu, 
wie  wir  oben  8.  30  getban  haben.  In  der  bekräftigenden 
Bedeotang,  die  aber  eelbstverrtandlicb  ans  der  demonstra« 
ÜTen  henrorgegangen  ist,  steht  dem  griech.  n  das  Tedische 
kam  (s.  8.  71  Anm.  3)  gegenüber.  Besonders  evident  ist  die 
üebereinstimmung  beider  Partikeln  in  ved.  nn  kam,  gr.  vv 
T€,  lat.  nnn-c.  Zugleich  aber  ersieht  man  auch  aus  dieser 
Zusammenstellung,  wie  nahe  sich  die  indefinite  und  die 
schwach  hinweisende  Bedeataog  noBerer  Partikel  mit  einander 
berllhxeD* 

Wir  könnten  damit  absohliessen  nnd  mit  dem  Resultat 

ansere»  sprachvergleicbenden  Umblickes  zafrieden  sein.  Denn- 
alle  griechischen  re  lassen  sich  darnach  auf  eine  (irund- 
wurzel  ka  mit  schwacher  deiktischer  Kraft  zurückführen, 
aas  der  sich  durch  die  Mittelstufe  des  korrelativen  ka  . .  k'a 
*da  .  .  da*  das  kopulative  sowie  das  indefinite  ve  ent- 
wickelte')i  ^9  anderen  Seite  ans  der  Grondform 
ka  dnreh  LantdiffiBrenEiemng  nnd  Beuguugsansatz  die  Formen 
ka  und  kam  hervorgegangen  sind. 

Wenn  wir  uus  nicht  ganz  hei  diesem  Resultate  be- 
ruhigen, so  geschieht  es  zumeist  wegen  der  Wörter  nahoi 
fUnot  ^01,  welche  auf  der  einen  Seite  von  xal  tb,  idv  re, 
\  %t  nicht  leicht  getrennt  werden  können,  und  anf  der 
anderen  Seite  anf  einen  Stamm  ta  snrüekznieiten  seheinen. 
Denn  dass  auch  die  Wnrvel  ta  zur  Bildung  Ton  enklitischen 
Partikeln  in  unserem  Sprachstamme  verwendet  worden  sei, 

1)  Pott  Et.  Forteh,  II*  866  bemerkt,  indem  er  seine  HerleitnDg 
te  TOD  Wurzel  k'i  'sammeln  aufrecht  erhält ,  dass  noch  niemand 
4m  Gebcimnis  tob  dem  gedanklichen  Uebergang  des  indefiniten  Prono- 
wm  qiii  sn  Tsrtiadendaa  ^  vanaten  habe.  Hoffentlich  laset  rieh  nseb 
den  gegebeaea  NaehwsiieB  nun  aneb  der  verdMe  Velsiaa  dtr  sfrseb- 
i<MessHnflHfbis  Feiseliaag  ui  «nitie  Hjrteriaa  «faiweOisa. 


76      aU£mt0  der  phQos.'pkiM,  doste  wm  7.  FArmar  1880, 

leigen  deutlich  Wörter  der  Iftteimschen  and  deatsehen  Sprache, 
alflo  soleher  Spraehen,  in  denen  ein  üebergang  der  Gnttonlit 

znr  Dentalis  nicht  nachweisbar  ist.  Im  Lateinischen  haben 
wir  ein  affigiertes  te  in  is-te,  tu-te,  an-te  (anted) ,  pos-t 
aa-t,  aa-tem,  und  mit  ra  verbunden  in  in-ter ,  prop-ter, 
prae-ter,  al-ter,  oon-t(e)ra,  ul-t(e)ra,  ci-t(e)ra,  an-ter-ior  *). 
Noch  schlagendere  Belege  aher  für  eine  dem  griech.  t9  ent- 
sprechende, Yon  der  W.  ta  abgeleitete  Partikel  bietet  die 
denteohe  Sprache ;  insbesondere  stellt  sich  das  angelsächsische 
the  in  se  the  =  qui,  thane  the  =  qoando,  thaer  the  = 
ubi  genau  zu  gr.  tb  in  ha  te,  oze  te  ,  o^i  t«.  Ich  halte 
es  daher  für  wahrscheinlich ,  dass  die  arische  Grandsprache 
zwei  Partikeln  ta  und  ka  mit  verwandter  Bedeutang  gehabt 
liat»  nnd  daas  auf  griechischem  Boden  altes  in  nnd  k'a  in  der 
einen  Form  re  xusammengetroffon  ist,  so  dass  man  in  dem  be» 
kräftigenden  re  von  rj  tc,  fiiv  re,  nig  tb  ebenso  gnt  die  Wurael 
ta  wie  k'a  tindeu  kann.  Beide  Wurzeln  scheinen  sich  ohnehin 
nur  dadurch  unterschieden  zu  haben,  dass  ta  den  Hinweis  in 
accentuierter ,  k'a  in  schwacher,  unbestimmter  Weise  aus- 
drückte. So  haben  sich  uns  also  auf  lautlich-etymologischem 
Wege  drei  te  eigeben: 

kopulatives  rs  =3  arisch  k'ft  'und* 

indefinites   re  =  arisch  k'&  und  kam  'irgend* 

deiktisches  le  ~  arisch  k'ä  und  tä  'da'. 

1)  Di«  alte  Form  pos-te  stellts  BitMhl  in  Ptoat  Men.  889  nach 
Spuren  der  haiidaeliriftlielieii  Ueberliefermig  her. 

2)  Aveh  tkt.  a^tra  =  ibi,  jr^-tia  =  ubi,  uta  =  et  («r J  te)  ge> 
hOres  Meher,  nnd  wie  ich  bereits  oben  angedeatet,  die  gsose  Cosipa» 
ntivendnng  tara.  Ben  letiten  Punkt  so  kon  abthon  ra  k^ttnen,  ftllt 
mir  aitttriieb  niebt  ein»  doeb  mag  ee  erlanbt  sein,  avf  die  Verbindung 
der  enklitisdwn  F^ikela  u  bei  Homer,  aaf  das  aneb  von  Aseoli 
(in  Cnrtius  Stadien  X  ^344)  mit  der  Soperlativendung  in  Verbindung 
geblachte  skt.  an-ta  nod  an-ta-roa,  sowie  auf  das  ta  nnd  ka  der  Kar- 
dinalsahlen sap-ta»  ak-ta,  paspk'a  biasaweisen. 


Digitized  by  GoOglc 


I 


Hi8tx)i  iöche  Classe. 


Herr  v.  Löher  hielt  eineu  Vortrag  über  die 

t^tellnng  der  can arischen  Inseln  in  der 

Entdeck  uug^geschich  te/* 

Als  im  Alterthum  uul)ekiiuiite  Seet"ulin*r,  durch  Sturm 
verechlagen  oder  umherirrend  auf  weiten  Meeren,  zuerst 
4ie  canarischea  Inseln  erblickten  und  die  Hochberge  sahen, 
wie  sie  kfihn  getackt  und  im  zierlichsten  ftothbrann  znm 
Uueo  Aether  emponagten,  am  Fasse  Ton  licbtgrüner 
WaUmng  amzogen,  ans  deren  Schlachten  krystallene  Ge- 
wisier   hervorbrachen ,    Alles   umgeben    von  zaul)eri8chem 
Farben.'jch immer,  Alles  voll  stiller  Pracht,  voll  Frieden  und 
Einsamkeit  mitten  im  fluthenden  Weltmeer  —  da  erschienen 
ditse  EUande  als  der  Site  der  Glückseligkeit,  und  ihr  Ruf 
fcrbreüete  sich  in  alle  Lander  des  Miitelmeere.  Sertorins 
4iekte  daran  sich  dorthin  cnrüeksnziehen ,  and  vor  Horas 
Bücken  schwebte  als  köstliche  Errettung  die  Auswanderung 
nach  den  gliick.seligen  Gestadt  u.  Man  tahelte  die  seltsamsten 
Dinge,  und  Plinins  trug  allerlei  Berichte  von  dem,  was  der 
ttfludisebe  König  Jnba  erforscht  haben  sollte,  zasaramen, 
•hie  jedoch  so  einer  Uaren  Voretellnng  so  kommen.  ^)  Nun 

1)  totsriM  im  Phrtaieh.  -  Horas  Bpod.  lib.  Y  od.  11  —  Plinlas 


Digitized  by  Google 


78         SUgung  der  hittor.  Glosse  vom  7.  Februar  1880. 

erzahlte  man  sich  zwar  auch  yon  schrecklichen  Hindermeeen 
nnd  Gefohreo,  welche  den  Schiffen  in  jenen  Gregenden  droheten, 
nnd  Knietet  wurde  allgemein  Seneca^e  Sehilderang  geglaubt, 
wie  dort  das  Meer  regungslos  stehe  in  träger  Floth,  das 
Tageslicht  ewig  sich  mische  mit  tiefer  Dämmerung,  nnd 
die  Gestirne  nirgends  oder  nur  unbekannte  zu  sehen  %  Allein 
der  Eindruck,  welchen  die  ersten  Schilderungen  Ton  den 
Inaeln  gemacht  hatten,  war  doch  so  machtig  gewesen,  dass 
ihr  Andenken  lenohtend  nnd  lockend  Aber  den  dunkeln  Qe^ 
wlrnrn  stehen  blieb. 

In  der  ganzen  Christenheit  fand  deshalb  im  Mittelalter 
Glauben  die  Sage  von  Brandanus,  dem  heiligen  Mönch  aus 
Irland,  der  zu  Ehoide  des  sechsten  Jahrhunderts  sieben  Jahre 
auf  den  Meeren  umher  irrte,  bis  er  auf  gewissen  Inseln  das 

irdische  Paradies  gefunden.    Noch  im  Jahre  1526  war  bm 

Engländern  nnd  Portugiesen  die  Rede  davon ,  in  welcher 
Richtung  Öt.  Braudans  Inseln  zu  suchen  seien. 

Eine  andere  Sage  erhielt  sich  von  sieben  Bischöfen  der 
Westgothen,  die  nach  der  unglücklichen  Schlacht  bei  Xeres 

de  la  Frontera ,  als  die  Araber  Spanien  überschwemmten, 
über's  Meer  nach  unbekanntem  Laude  getiüchtet  uud  dort 
sieben  Bisthümer  gegründet  hätten. ')  Die  sieben  Bisthümer 
lassen  sich  wohl  an  die  Siebenzahl  der  Inseln  anknüpfen. 

Vielleicht  gaben  diese  auch  Anlass  zu  den  Fabeln  von 
dem  untergegangenen  Welttheil ,  der  Atlantis,  deren  Plato 
gedenkt,  und  der  grossen  Insel  Autiglia,  die  irgendwo  in 
den  westlichen  Meeren  bald  hier  bald  dort  gesehen  wnrtle. 


1)  Lib.  Snasor.  ed.  Beekmaan  I  p.  2. 

2)  Jos.  de  Viera  y  Clavigo  Noticias  de  la  bistoria  geneial  de 
Isi  iaias  de  C^aaiia.  Madrid  1782.  I  78-112.  Haklmyt  Priadpal 
MsTigatioDs.  Londoii  1599.  Tome  II  pars  2  pag.  7. 

3)  Pedro  de  Modina  De  las  grandezas  j  cosaa  memorablea  de 
EapaSa  e.  52. 


Digitized  by  Google 


V.  Läiier:  Stellung  der  canariifchen  imeln.  79 

Die  canarischen  Inseln  lagen  ja  nur  achtzehn  Stunden  weit 
von  der  afrikanischen  Küste  entfernt,  so  nahe,  dass  im 
Ualeuort  Taiueje  auf  Faerteventara  ddn  Sprüchwort  geht ; 

De  Tnineje  en  Berberia 

Se  va  y  86  vuelve  en  un  dia 

d*  h.  Von  Tuineje  zar  Berberei  kommt  and  geht  man  in 
TigMzeii.  Das  Volk  aber,  welches  dies  benaehbarte  Fest- 
land bevölkerte,  waren  die  Nnmidier,  dn  altes  Ktdtarrolk, 
das  seit  der  RSmerzeit  smne  weit  ausgedehnten  Sitze  be- 
hauptet hat  und  heutzutage  den  Namen  Berbern  führt.  Wenn 
ein  Berbernschiff  sich  nur  wenig  von  der  Küste  entfernte, 
muBste  man  vom  Bord  aus  sehen,  wie  der  Pik  aof  Teneriffa 
und  alsbald  anch  die  Höhen  von  Palma  und  Gomera  hinter 
den  Wellen  emporstiegen.  Kamen  dann  Handelsschi£fo  die 
marokkanische  Kfiste  entlang,  —  and  von  den  Arabern 
wissen  wir,  dass  sie  um  die  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts 
nach  vier  Tagreisen  bis  über  Safi  hinaus  steuerten,  —  so 
mosste  die  Kunde  von  den  wunderbaren  Inseln  zu  ihnen 
gelangen.  Dies  konnte  anch  auf  Karawanenwegen  geschehen, 
die  zum  Mittelmeer  zogen;  denn  verwirrte  ^Berichte  der  Art 
pflegen  sich  leicht  mündlich  dnrch  weite  LSnderkreise  zu 
mbreiten,  ein  Reisender  erzahlt  es  dem  andern. 

Um  die  Inseln  und  Lande,  weiche  der  Ozean  verschloss, 
anszakundschaften ,  unternahmen,  langst  vor  Mitte  des  12* 
Jahrhnnderts ,  von  Lissabon  ans  acht  arabische  See&hrer, 
welche  den  Namen  Maghrurin  d.  i.  Wagehftlse  erhielten, 

«ue  Entdeckungsfahrt  und  segelten  die  Azoren  Madera  und 
eine  der  canarischen  Inseln  an.  Ihr  Bericht,  welchen  Edrisi 
seinem  geographischen  Werke  einverleibte,  trägt  durchaus 
nicht  ein  Gepräge  von  Erdichtung,  alles  ist  bis  ins  Einzelne 
naiv  geschildert,  läset  mit  Zeit  und  Oertlichkeiten,  wie  sie 
angegeben  werden,  sich  wohl  vereinigen,  und  stimmt  genau 
mit  Charakter  nnd  Sitten  der  Eingeborenen  der  canarischen 


Digitized  by  Google 


80 


aUitmff  der  hittor,  CUuh  vm  7,  F^bf^m  tSdO. 


Inseln.^)  Die  Berichte  ßdrisi'e  fanden  aber  wie  die  ErzSbl- 
ungen  anderer  arabischen  Reisenden  in  den  gebildeteren 
Kreieen  der  Christen  wenig  Beachtnng ,  und  bei  den 

Arabern  selbst  hiess  es  später,  wahrscheinlich  in  Folge  von 
Kr/ähluugen  von  Schiffern,  die  vergebens  die  Inseln  aufge- 
fiooht  hatten,  diese  seien  vom  Meere  verschlungen  und  keine 
Spnr  mehr  vorbanden. ')  Ohne  Zweifel  aber  pflanzten  sich 
die  arabischen  Nachrichten  in  den  europäischen  Seehäfen 
fort  hei  Bhedem  Espitöns  nnd  Matrosen  nnd  dienten  dazn, 
die  Sagen  des  Alterthums  zn  bestarken  und  die  Sehnsucht 
auf's  Meer  zu  locken. 

Sobald  daher  die  arabische  Seemacht  nicht  mehr  zn 
f&rehten,  fingen  —  nnd  das  gesdiah  bereits  im  dreizehnten 
Jahrhundert  —  Italiener  an,  über  die  »Säulen  des  Herkules 

suchend  hinaus  zu  steuern,  und  ihrem  Kiele  folgten  Portu- 
giesen und  Franzosen.  Das  nächste  Jahrhundert  bringt  eine 
Reihe  von  Berichten,  wie  die  canarischeu  Inseln  wieder  auf- 
gefunden, selbst  Ansiedlung  darauf  versucht  worden.^)  Im 
Jahr  1346  waren  sie  bereits  so  bekannt  und  besprochen, 
dass  der  Fabst  eine  förmliche  Belehnung  darüber  ertheilte, 
und  bald  daranf  auch  einen  Bischof  für  die  gluckseligen 
Inseln  ernannte.^)  Weder  Dieser  noch  der  fürstliche  Leheus- 
träger  sind  damals  hingekomuieu,  ni;m  wuaste  bereits,  dass 
die  Herrschaft  über  die  streitbaren  Bewohner  erst  blutig 


1)  R.  Dozy  et  J.  M.  de  Goeje  Description  de  TAfrique  et 
d'Espagne  par  Edrisi.  Leyde  1866.  p.  22.i— 225,  vgl.  ÜU— 61.  62-65, 
nebst  dem  arabischen  Urtext. 

2)  Dr.  Friedrich  Kunst  manu  Afrika  vor  den  Entdeckungen  der 
Portugiesen.  Festrede  der  Akademie.  Müuciien  1^5.3,  Seite  ;Jü. 

3)  Aboulfeda  Geographie,  ed.  ßeynaud.  Paria  I84S  I  2Q:i 

4)  K  Unat  mann  hat  a.  a.  0.  die  betreffenden  QneUeneteUea 

erörtert. 

5)  Joe.  de  V lern  y  Clavigo  Netieiae  Im  ielae  de  Gbaaria  IV,  11. 


Digitized  by  GoOglc 


V.  Löher:  Stellung  der  canarisdien  Imdn, 


81 


mfisse  erkämpft  werden:  die  Ausrüstung  kam  deshalb  nicht 
zu  Staude.  Um  so  mehr  richteten  jetzt  Kanfleute  uud  See- 
&hrer  ihre  Augen  auf  den  Gewinn,  der  sich  von  dort 
holen  liess. 

Es  gab  drei  besonders  werthTolle  Waaren,  an  denen 
die  Inseln  Üeberflnss  hatten.  IMe  eine  war  die  Orseille,  ein 

farbiges  Moos ,  das  hoch  oben  auf  nackten  Felsen  wuchs, 
die  andere  die  kostbare  Arzuei  des  Drachenblutes,  ein  Saft, 
welcher  aus  der  Rinde  des  Drachenbaums  bei  Einschnitten 
tnsfliesst  and  sich  leicht  verdickt:  beides  wnrde  von  den 
Eingeborenen  ftbr  Waffen,  Stacke  alten  Bisens  nnd  allerlei 
Tand  erworben,  in  Enropa  aber  beinahe  mit  Qold  aufge- 
wogen. Noch  grösseren  Gewinn  warf  die  Menschen waare 
ab.  Die  VVandschen  waren  schöngewachseue  kräftige  Menschen, 
dabei  gntwnllig,  von  frohem  Math  und  raschem  Begriff,  des- 
halb vorzugsweise  geeucht  auf  den  Sklavenmärkten  der 
christlichen  wie  der  mobamedanischen  Welt.  Man  lablte 
Ar  einen  solchen  Sklaven  bis  an  fUnfidg  Livres,  das  sind 
nach  damaligem  Geldwerth  gegen  boote  berechnet  an  tausend 
Francs  nnd  darüber.  Boote  näherten  sich  den  Inseln  bei 
dnnkler  Nacht ,  die  Mannschaft  versteckte  sich  am  Ufer 
zwischen  Gebüsch  und  Felsen,  und  kamen  die  Bewohner, 
wie  es  ihre  Sitte  war,  Morgens  früh  aus  ihren  Ortschaften 
nr  Feldarbeit,  so  wurden  die  Familien  dber&llen,  geflseselt, 
fortgeschleppt.  Oder  man  suchte  sie,  wahrend  Tauschhandel 
for  sich  ging,  in  die  Schiffe  sn  locken,  und  sobald  sie  neu- 
gierig und  arglos  in  grösserer  Zahl  au  Bord  gekommen, 
wnrde  das  Ankertau  gekappt  und  das  Fahrzeug  suchte  das 
Weite.  Häahg  aber  wurden  formliche  Menschenjagdeu  an- 


1)  F.  Pierre  Bontier  et  Jean  le  Verrier  Histoire  de  la 
pwmiere  descouverte  et  conqae.ste  des  Canaries.  Paris  16;iü.  c.  XI  p.  23: 
il  laj  dit  qa'il  preodroit  qaarante  hommes  des  ineillears  qni  fassent 
o  rille  Lancelot,  qni  valloieiit  dem  mil  francs. 

[im.  I.  Phil.-pbil.  biat.  Cl.  Bd.  1. 1.]  6 


Digitized  by  Google 


82  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Februar  ISüO. 

geetellt,  es  kam  zn  blutigen  €Mbehten,  in  welchen  die  Eu- 
ropäer trotz  ihrer  besseren  Waffen  oft  f?enug  unterlagen. 
Im  offenen  Kampfe  aber,  indem  man  das  eigene  Leben  aufs 
Spiel  setzte,  Gefangene  sa  erbeaten  und  sich  aus  ihrem 
Yerkanfe  ein  Vermögen  zn  naclieii,  galt  als  besonders  ehren- 
Yoll.  Jede  List  and  Verrfttherei  ediien  gegen  nnglanbige 
Meneeben  erlaubt,  dem  Looa,  wenn  sie  in  Grefangenechaft 
fielen,  nach  allgemeinem  Dafürhalten  ja  unendlich  verbessert 
wurde;  denn  nun  mussten  sie  sich  taufen  lassen  und  wurden 
der  Hölle  entrissen.  So  war  von  der  Insel  Ferro  V) ,  auf 
welcher  keine  hohen  Bergwälder  den  Flüchtenden  Scbuta 
boten,  beinahe  die  ganse  Bevölkerung  entfahrt. 

Dieeer  Bericht  Aber  Ferro  findet  eich  in  einem  höchst 
ansiehenden  Memoire,  welehes  die  beiden  Kapline  Johann's 
von  Bethencourt  verfassten,  eines  normaniscben  Ritters,  der 
eine  Kriegsfahrt  nach  den  amarischen  Inseln  ver;instalt<ft« 
and  anter  blutigen  Gefechten  in  den  Jahren  1402  bis  1406 
nach  nnd  nach  die  Herrschaft  über  Lanaarote  Fuerte- 
Tcntnra  und  Fem  erwarb  und  Gomera  wenigstens  dem 
Namen  nach  hinaufttgte.  Als  spanischer  Lehnskönig  er* 
schien  er  mit  fürstlichem  Glänze  im  Jahre  1406  zu 
Sevilla  Rom  und  Paris  unter  grossem  Aufsehen,  alle  Welt 
sprach  von  dem  oanarischeu  Königreich  des  letzten  Nor- 
mannen. 

So  war  durch  die  Gewinnsucht  und  Eroberungslusi, 
welche  die  Ganarier  auf  sich  lenkten,  das  Meer  der  Finster* 
nisact  wo  kein  Wind  die  Segel  echwelle  und  dicke  Sak- 
flnth  den  Kiel  hemme»  entschleiert.   Man  wusste  jetzt,  es 


1)  Daselbst:  Tiale  de  Per.  .  .  .  souloit  estre  bien  peuplee  de 
gens,  mais  ils  ont  este  prins  par  plusieurs  foia  et  menez  en  cherifuoison 
et  estranges  contreea:  et  y  sont  aojourd'huj  demooret  peu  de  gens. 
Dieter  Bericht  im  c  65  p.  122  stimmt  jedoch  nicht  ganz  mit  c.  84 
p.  177,  wo  Ton  der  treuloeen  VerloclniDg  tod  120  Menachen  too  der- 
selben iMd  bcridilet  «iid. 


Digitized  by  Google 


9 


9,  Löher:  8Mm0  der  eamaritdten  ImOn.  88 

jptb  kein  solchen  Meer.  Von  den  hohen  Bergen  dieser  Inaeln 
nkMieto  man  flberallhio  nach  Westen,  bis  in  die  weitesten 
Pcnen  erscliien  nor  helles  Gewisser.  Jetst  sollte  die  Lage 
4er  Inseln  nicht  wenig  dazn  beitragen ,  ein  anderes  geo- 
graphisches Märchen,  gegen  welches  schon  Albertus  Magnus 
aoigekämpft  hatte,  zu  zerstören.  Aristoteles  hatte  die  Lehre 
saugest  eilt .  unter  den  Wendekreisen  könne  kein  Pflansen- 
lebsn,  also  anch  kein  Thierleben  anfkommen,  weü  die  Glnth 
Makreeht  eilender  Sonnenstrahlen  'alles  ▼ersehre.  ^)  Nmi 
aber,  als  EorofiSer  davemd  anf  den  Canaren  angesiedelt 
waren,  richteten  sie  ihre  Blicke  auf  das  gegenüberliegende 
Festland,  über  welches  sie  jetzt  um  so  leichter  Nachrichten 
cinxiehen  konnten.    Bethencourt  stndirte  eifrig  das  Bach 
eines  spanischen  Bettehnönohs ,  eines  mhlosen  Weltiahrers, 
iet  in  den  nordwestlichen  Ländern  Afrikas  weit  nmher  ge- 
kommen nnd  Uber  das  Goldland,  die  Mondberge,  und  den 
Staat  des  Priesters  Johannes  allerlei  wunderbare  Dinge  er- 
tihlte.    Noch  jüngst  waren  Matrosen,  die  in  der  Berberei 
gewesen,  herüber  gekommen  und  hatten  erzählt,  wie  leicht 
äeh  dort  Tordringen  Hess.  Man  branchte,  so  kam  der  Nor- 
■anne  mit  seinen  Offizieren  snm  Schlnss,  nnr  hinübenni&hren 
md  snnSclMt,  nm  die  Kosten  zn  decken,  eine  grosse  Ranbjagd 
iO£Q>)telIen;  dann  liess  sich  an  einer  passenden  Stelle  der  Küste 
mch  ein  Fort  erbauen  und  den  umwohnenden  Völkerschaften 
Tribut  auferlegen;  darauf  öffnete  sich  der  Weg  zum  Gold* 
lasse;  endlich  trat  man  in  Verbindung  mit  dem  Tiehneichen 
Lmde  des  Priesters  Johann.   Als  im  Sommer  des  Jahres 
1405  Bethenconrt  durch  eine  glQckliche  Fügung  drei  Kriegs» 
idiiffe  and  eine  hinlängliche  Anzahl  Soldaten  beisammen 
h»tte,  gab  er  bei  dem  ersten  guten  Winde  den  Befehl  zur 
Abfüirt.     Die  drei  Schiffe  erreichten  die  Küste  in  der 


I)  Aristoteles  Meteorolog.  II  5,  ed. Bekker,  1308.  Albertus  M. 
Ik  aAtora  locorum.  Argentor.  1517.  Ub.  I  c.  6  p.  Ii. 


Digitized  by  Google 


84  SÜMung  der  hütor,  Classc  vorn  7.  Fdfruar  1880, 

Gegend ,  die  später  bei  den  Spauieru  los  Medanos  hiess, 
nicht  weit  vom  Kap  Bojador.  Alles  stieg  an's  Land  und 
begab  sich  sofort  an's  Werk,  Menschen  and  Habe  zu  er- 
greifen« Die  enteeUten  Bewohner  stoben  in  alle  Weiten, 
nimmer  hatten  sie  sieh  sohshen  Ein&lls  versehen  nnd  waren 
ein  nnkri^erisches  HirlenYolk,  das  nichts  berass  als  seine 
"Heerdeii.  Bei  der  hastigen  Flucht  Hessen  sie  Pferde  Rinder 
Schafe  und  mehr  als  dreitausend  Kameele  auf  den  Weiden 
anrück.  All  dieses  Vieh  wurde  erbeutet,  ausserdem,  ohue 
einen  Mann  zu  Terlieren,  eine  Menge  Menschen  erschlagen. 
Siebensig  jeden  Alters  nnd  Geschlechts  fing  man  lebendig 
und  brachte  sie  anf  die  Schiffs.  Mehr  aber  liess  sich  nicht 
beschafien.  Bei  jedem  nenen  Streifinig,  der  in*s  Innere,  kq- 
letzt  bis  zehn  Stunden  fern  von  der  Küste  angestellt  wurde, 
drängte  sich  die  Ueberzeuguug  auf,  das  Land  sei  weit  und 
breit  eine  Leere.  Vieh  und  Menschen  waren  Terschwuuden. 
tief  hinein  in  die  Wüsten.  Was  hätte  es  nnn  genützt,  ein 
Fort  in  banen  nnd  Besatanng  hinein  an  l^gen,  da  rings- 
umher kein  Volk  lebte»  das  man  hätte  behenschen  nnd  be- 
steuern können?  Nach  acht  Tagen  hiess  Bethencourt  alle 
sich  wieder  einschiffen,  und  weil  man  für  die  vielen  Kameele 
keinen  Platz  in  den  Schiffen  hatte,  so  wurden  sie  ge- 
schlachtet und  gehäutet,  ein  Theil  aber  wurde  mitgenommen 
nnd  auf  den  beiden  Afrika  am  nächsten  liegenden  Inseln 
angesiedelt  t  wo  sie  gediehen  nnd  noch  heutzutage  gute 
Dienste  thun. 

Dies  war  der  erste  kriegerische  Versuch,  an  der  West- 
kSste  Afrikas  Fuss  zu  fassen,  dem  alsbald  uoch  viele  andere 
folgten.  ")  Bethencourt's  Uuternehmen  hatte  gezeigt,  dass 
das  Eindringen  in  das  Festlaad  keineswegs  schwierig  sei, 
—  glanzende  Bilder  aber  von  dem  grossen  Goldlande  waren 


1)  Bontier  und  Leverrier  c.  55—58  p.  100  -108.  e.82p.  173. 

2)  Viera  I  481-486.  U  171-178.  272-273. 


Digitized  by  GoOglc 


V,  LSher:  SitMmmg  dar  canamdten  ImHn, 


85 


coubaI  ?or  den  Blicken  der  Meuscben  aufgezogen  und 
Kmmb  ihnen  fortan  keine  Ruhe  mehr.  Hatto  doeh  der  Papst 
n  Bethenoonri  gesagt:  ,Jhr  seid  mein  nnd  der  Kirche 
nehier  Sohn  nnd  werdet  Ursache  und  Aufaug  sein,  dase 
andere  Söhne  kommen  werden  und  noch  grössere  Erober- 
ungen machen;  denn  wie  ich  höre,  ist  das  Festland  nicht 
wmi  roa  da,  Guinea  nnd  die  Berberei  nicht  weiter  ent* 
ftmt  ak  sw5lf  8tnnden,  nnd  Ihr  seihet  seid  in  Gninea 
boeiti  leibn  Stunden  weit  hinein  gedrungen/' 

Jetzt  gewannen  die  canarischen  Inseln  noch  eine 
jfTÖssere  Bedeutung.  Sie  erschienen  als  Halte-  und  Berge- 
ftätte,  um  Ton  hier  aas  auf  weitere  Entdeckungen  auszu- 
kolen,  insbesondere  nm  das  gegenüberliegende  KüBteuland 
IS  erwerben  nnd  au  behaupten.  Ihre  Waldungen  etigaben 
vonOglichste  Schiflbhauholz,  ihre  Felder  nnd  Gftrten  in 
Menge  Waizeu  Wein  und  Früchte  aller  Art.  Aus  der  ein- 
geborenen Bevölkerung  aber  liess  sich  Schiffs-  und  Kriegs- 
volk ziehen .  das  behende ,  energisch  und  gelehrig  war  und 
öeo  Vortheil  hatte  der  Billigkeit  in  Anwerbnng  nnd 
ÜBterhalt. 

Um  sidi  einer  so  gewinn*  und  anssiehtsreichen  Stel- 

lonff  zu  yersichern,  entstand  nan  ein  langes  heftiges  Ringen 
zwischen  Spaniern  und  Portugiesen  um  den  Besitz  der 
eaiuhschen  Inseln.  Portugals  genialer  Infant  Heinrich, 
nbenannt  der  See&hrer,  schickte  ein  Geschwader  naoh  dem 
udan,  um  CSanaria  oder  Teneriffa  oder  Palma  an  erobern, 
^  Tergebens,  ihre  kriegerisehen  nnd  tapfom  Binwohner 
«arfen  alle  Angriffe  blutig  zurück.  Die  Spanier  rüsteten 
noch  ^^rüssere  Flotten  aus  und  setzten  all  ihre  Kraft  daran, 
die  Portugiesen  zurück  zu  schlagen  und  die  Cauareu  für 
•ieb  selbst  zu  erobern.  Durch  keinen  Unfall  irre  gemacht, 
nnnterte  In&nt  Heinrieh  seine  Ki^itans  immer  Ton  neuem, 


1)  Bontier  uud  Leverrier  c.  89  p.  197. 


Digitized  by  Google 


86  SUMung  der  Autor.  Clatae  wm  7.  Febmar  18S0» 

iu  die  westlichen  Meere  auszulaufen ,  eine  gute  Gelegenheit 
zu  erspähen  y  wo  sie  sich  auf  einer  der  Canareu  fcRisetzen 
könnten,  und  deren  Nachbarschaft  va  erforschen.  Während 
die  Spanier  ihre  Hanptkraft  stete  anf  diese  Inseln  aUein 
gespannt  liielt«n,  nntorsoehGen  die  portogiesischan  Seefcbrer 
aneh  die  Eflsten  des  Pestlandes  nnd  wagten  sich  jedes  Jahr  wei- 
ter vor.  Im  August  1445  verliessen  einmal  26  SchiflFe  die 
Häfen  Portugals,  um  auf  Privatkosten  Entdeckung,  Handel 
und  Eroberung  zu  versuchen.  Die  Folge  war,  dass  in  den 
nächsten  dimrig  Jahren,  yon  1418  angefangen,  erst  Porto 
Santo,  dann  Madera,  dann  die  Azoren  gefanden,  dass  nach 
einander  die  Kaps  Bojador,  Blanco,  Verde  nmfahren  nnd 
das  zwischenliegende  Kastenland  aufgedeckt  wurde.  Die 
Spanier  aber  hatten  zu  Anfang  der  achtziger  Jahre  des 
Jahrhunderts  nicht  nur  die  Inseln,  welche  Bethencourt  er- 
oberte, behauptet  besiedelt  und  angebauet,  sondern  auch 
nach  einem  langen  hartnackigen  Kriege,  in  welchem  der 
grOsste  TheQ  der  Eingebofenen  unierging,  das  grosse  üppige 
Gran  Canaria  hinangefügt  und  die  rauhe  kiaftige  Bevölker- 
ung von  Gomera  mit  blutiger  Hand  gebändigt.  Bloss  an 
den  beiden  schönsten  Inseln ,  Palma  und  Tenerifia ,  war 
noch  jeder  Angriff  gescheitert. 

Dureh  die  Schriften  des  portugiesischen  Geechichtschrei* 
bers  Azurara^)  und  des  spanischen  Bemaldex*),  noch  mehr 
durch  die  ansehanliehen  nnd  lebensheiteren  Berichte  des 

jungen  italienischen  Weltfahrers  Cadamosto,  die  1458  er- 
schienen^), wurde  die  Kunde  von  den  canarischen  Inseln 


1) .  Oomei  Eaanei  Aiarara  Chronica  do  descobrimcnto  e  con- 
qaiste  de  Onini.  Bdit.  Ourreim-SaiitaTeni,  Paris  1841.  e.  68.  69.  79  ~  85. 

2)  Asdr.  Bernaldez  Hist.  de  los  rejes  catolicos  D.  Fernando 
j  D.  Jsabel,  Sevilla  1870.  I  c.  3ä.  64—66.  II  c.  i;32. 

8)  6iov.  Batt.  Ramnsio  Delle  navigationi  et  viaggi  raccolti, 
Venetia  1613.  I  fol  97—98. 


Digitized  by  Google 


V,  Löker:  Stellung  der  canarischen  Imän. 


87 


und  ihrer  oigenthüin lieben  Bevölkerung  weiter  verbreitet. 
Das  CHuariscbe  Königreicb  lag  jetzt  da  im  Meere  wie  ein 
helles  Wunderland,  seine  berriicheu  Waldungen  darchrauscht 
TOD  erfrisehendeu  Strömen,  seine  Floren  voll  fippigen 
Wachathnms,  reich  besSet  mit  Zucker^  and  Weinpflansangeot 
aetne  £iu geborenen  yon  europäischer  Sitte  and  Haatferbe,  ein 
Volk,  welches  für  das  Christenthnm  eine  innige  Empfäng- 
lichkeit bekundete,  seit  es  die  Waffen  aus  der  Hand  gelegt. 
Wer  also  etwas  von  fernen  Ländern  und  Meeren  erfahren 
wollte,  suchte  vor  allem  nach  den  Canarischen  Inseln  zu 
kommen.  0  Hierher  kam  der  Nfimberger  Patrizier  Michael 
Behaimb,  der  die  Weltkarte  entwarf  Hierher  kam  anoh 
Christoph  Colambas,  als  er  von  den  Inseln,  welche  der 
atlantiscbe  Ozean  an  der  europäischen  Seite  bespült,  eine 
nach  der  andern  besuchte,  rastlos  forschend  und  fragend 
nach  sichtbaren  Spuren  und  Beweisen  für  die  Gewissheit, 
die  fest  and  klar  vor  seinem  rnhelos  arbeitenden  Geiste 
siand,  die  Gewissheit,  dass  hinter  dem  westlichen  Oaean 
groflse  Landgebiete  ISgen.  Er  war  im  Jahre  1477  in  Island 
gewesen,  wo  er  Ton  den  Fahrten  naeh  dem  amerikanischen 
Weiuland  hörte  %  hatte  sich  bald  darauf  mit  Felipa  Muüiz 


1)  Sehr  richtig  sagt  Viera  II  166:  Quantos  han  lefdo  la  historia 
<k  las  rcvoluciones  del  mundo  saben ,  que  el  conocimieiÄo  de  noestraa 
ifila5 ,  >a  conquista .  y  su  fama  sirviü  coiuo  de  antorcba  para  abrir  loa 
ojos  a  los  bombres  de  ingenio,  y  allanar  el  Camino  ä  otros  descubrimi- 
tntos  y  iiavegaciones  orientalee.  El  infante  Don  Enrique  de  Portugal 
debia  ä  sa  obstinada  ambicion  de  las  Cauaras  aqoel  conato  herojco, 
coD  que  qneriendo  compensar  eate  perdida,  aniiuö  sas  pUotos  a  qae  se 
tb«iuai6D  en  el  oceano ,  j  acqniriesen  el  credito  de  hsber  dilatsds  los 
tcfBdaos  del  nsiTeno  por  eite  parte. 

2)  Oskar  Peschel-  Geschichte  des  Zeitalters  der  Entdeelraiigen, 
Stuttgart  und  Augsburg  1858  S.  108  —  hat  die  Ansicht  gefasst,  Colum- 
\>Ms  habe  „nichts  TOit  einem  Contiiiente  im  Südwesten  Islands  gewaast." 
Es  wäre  aber  doch  ansMi  aller  Begel  gewesen,  dass  die  Kunde  foa 
4en  amerikaoiaefaai  Entdeeknngea  M  etami  eselihniideB  Teils  sieht 


88 


SitMung  der  histor,  Claate  vom  7.  Febniar  1880» 


in  Perestrellü  anf  Porto  santo  vermählt ,  und  nachdem  er 
dort  eine  Zeitlang  im  Haus  seiner  öchwiegernmtter  gewohnt  • 
hatte,  sich  mit  seiner  jungen  Fran  auf  der  kleinen  Insel 
Oomero  bei  Teneri&  angekanft  nnd  hanslich  niedergelassen. 

Warnm  anf  Gomera?  Wamm  nicht  anf  Lansarote 
oder  Fnerteventnra ,  wo  mehr  gebildete  Leate  verkehrten? 
Warum  nicht  insbesondere  in  der  Hauptstadt  der  Inseln, 
der  aufblühenden  Palmenstadt  auf  Gran  Canaria,  bei  wel- 
cher alle  Schiffe  anlegten?  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  er 
Verbindungen  angeknüpft  hatte  mit  der  Mutter  des  Fürsten 
von  Gomera ,  Dofia  Jnea  Perasa»  die  auch  sp&ter  aeme 
Gönnerin  war,  dne  Fran  von  energischem  Charakter,  f&r 
welche  es  eine  Sache  der  Religion  war,  halbwilde  Ungläu- 
bige zu  unterwerfen  und  zu  Christen  zu  machen  ^).  Gewiss 
gab  es  auch  andere  Gründe,  welche  den  schlichten  vermö- 
genflAosen  Seefahrer  bestimmten,  Gomera  zum  Wohnsitz  zu 
wfthlen.  Es  war  hier  billig  zu  leben.  Die  eingeborene 
Bevölkerung,  die  in  ihrer  alten  rauhen  Sitte  und  Gewöhn- 
ung verharrte,  hatte  keine  Lust,  die  Erzeugnisse  ihres 
Landes  in  den  Handel  zu  bringen.  Auf  Gomera  fand 
Colombus  auch  ungestörte  Einsamkeit  und  Stille,  wo  nichts 
ihn  in  seinen  Berechnungen  und  Gedanken  störte.  Wohl 

noch  irare  lebendig  gewesen,  nnd  dass  Colnmbus  nichts  davon  gehört 
hStte ,  der  doch  selber  sagt:  er  habe  Zeit  seines  Lebens  wi»>sbegierig 
alle  Welt  aasgefragt,  a  desear  de  saber  los  secretos  deste  mundo. 
M.  F.  de  Nayarrete  Coleeion  de  loa  visges  y  deacabrimientos, 

Madrid  1825,  II  262. 

1)  Bernaldez  T  c.  fif)  ,  p.  1S2.  ColiimbuR  nennt  in  seinem 
Schiffstagebuch  Jnez  au  hcrvorratjonder  Stelle.  Da  sie  zwanzic^  Jahre 
lang  in  Sevilla  als  Wittwe  lebte,  1494  aber  dort  für  die  Eroberung 
Teneriffas  sich  thätig  bewies  und  in  hohem  Alter  starb,  so  ergicbt 
sich,  dass  Columbus  Aufenthalt  auf  Gomera  in  die  Jahre  1477  bis  14s4 
fallt;  denn  im  letztgenannten  Jahre  machte  er  bereits  dein  portugiesischen 
Hofe  seine  Anträge.  Zu  vergleichen  damit  die  Urkunde  vom  Ib.  Aug. 
1493  bei  Navarrete  II  93. 


Digitized  by  GoOglc 


9,  LSher:  8UUung  der  cofMimdbeii  Inteln. 


89 


aodite  Om  dabei  di«  e^enihfUnlich  grosaartige  Natur  an- 
lielieD,  denn  Gomera  steigt  wie  eine  gewaltige  grnne  Wald- 

imd  PVlspyramide  aus  dem  blauen  Ozean  empor.  Auf  I*alma 
iHpr  oder  Teneriffa ,  deren  Xaturherrlichkeit  noch  viel 
grösser,  sich  anzusiedeln,  daran  war  damals  noch  gar  nicht 
so  denken,  beide  Inseln  gehörten  noch  den  gefnrchteten 
omihmbaren  Wandechen. 

Hier  auf  Gomera  sanmielte  Golnmbns  Zeichen  nnd  Be- 
weise, dass  seine  Ansichten  von  Ländern  jenseits  des  Ozeans 
richtig  wären.  Er  selbst  bemerkt  im  Schitistagebuch  seiuer 
ersten  Reise:  dass  Fiele  der  angesehensten  Spanier,  die  auf 
Ferro  angesessen  nnd  damals  mit  ihrer  Fürstin  Jnez  auf 
Gomera  waren,  und  nicht  minder  Bewohner  von  Gomera 
m  mit  einem  Eide  bekrSftigten ,  dass  sie  jedes  Jahr  Land 
im  Westen  erblickt  hätten.  Wahrscheinlich  suchte  Co- 
lurabus  damals  auf  den  Gipfel  des  über  fünftausend  Fuss 
hoben  Gomerabergs  zu  kommen,  um  sich  selbst  in  weiter 
iiiMicht  von  der  Richtigkeit  der  Erscheinung  zn  über- 
seogen.  Ohne  Zweifel  beruhete  sie  in  einer  blossen  Lnfb- 
^iegelnng. 

Colnmbus  soll  aber  auf  Gomera  noch  viel  triftigere 
Beweise  für  das  Dasein  der  überseeischen  Laude  erhalten 
haben. 

Ein  aadalusischer  Seefahrer,  heisst  es,  Namens  Alonso 
SaDches  ans  CKieWa»  der  mit  seinem  Schiffe  Handelsreisen 
mschte  zwischen  den  canarischen  Inseln  nnd  Madara,  wurde 

dnrch  heftigen  andauernden  Sturm  bis  an  die  Küste  von 

Amenka  verschlagen  und  entdeckte  dort  bisher  unbekannte 
Lander.    Als  er  endlich  nach  Europa  die  Rückkehr  fand, 

1)  Nava  rette  I  Dice  A  ahnirante  que  duraban  machos 
borabr<»s  honradoa  e8)»anoles  que  on  la  Goraora  estaban  con  Donna  Jnes 
Penua.  madre  de  Guillon  I'eraza .  que  despue  fae  cl  primer  condc  de 
la  Gomera,  que  cada  ano  vian  tierra  al  oueste  de  las  Cauariae ,  que  es 
il  ponieote;  j  utros  de  la  Gomera  afinnaban  otro  taoto  oon  jaramento. 


Digitized  by  Google 


90 


aiUung  <fer  Aittor.  CUmt  wm  7,  FetmUtr  1880, 


landete  er,  yenebrt  von  Hunger  und  Mfihsal,  an  der  Insel 
Gomera.  Nur  drei  Ton  adnen  Leuten  waren  noeh  am  Leben. 

Colnmbas  uahm  die  üiiglücklichen  in  seinem  Hause  anf, 
dort  starben  sie  wenige  Tage  darauf  in  Folge  der  ausge- 
standenen Leiden.  Sancbez  aber  vertrauete  Columbus 
sterbend  alles,  was  er  über  seine  Fahrt  und  Entdeckung 
wnsste  oder  auf|geschrieben  hatte.  Nunmehr  seiner  Sache 
gewiss,  begab  .sich  Columbus  nach  Europa  und  suchte  an 
den  Höfen  zu  Portugal ,  England ,  Spanien  nach  einem 
Fürsten,  der  ihn  mit  Scliiffen  und  Mannschaft  ausrüste,  um 
hinzufahren  und  jene  überseeischen  Länder  in  Besitz  zu 
nehmen. 

So  erzahlt  Viera  in  seiner  Geschichte  der  canarischen 

Inseln.  *)    Bekanntlich  ist  die  Nachricht  von  Fahrten  nach 


1)  Yiera  II  167^168.  Este  srior  de  nueTu  nayegaciooes  no 
hsTiera  teoido  oonseqneneist  tan  rapidas,  si  la  casualidail,  madre  de  los 
giandes  snoeios,  no  hafieie  Tenido  a  darles  una  inereible  perfeodoii.  Consta 
por  clasicof  aatores,  y  relaeionea  fidedignsi,  qne  Alonso  Saaches 
de  Guelva,  piloto  Andaloz,  qne  con  so  embarcacion  hacia  el  comercio 
en  las  Iilaa  de  Canaria  y  de  la  Madera,  haTiendo  sido  arrebatado  de 
QD  temporal  redo,  y  continuo,  se  propasb  hasta  los  Mares  de  la  America, 
en  donde  deecubriö  aqaella  tierra  incognita.  Estan  verosimil  este  acon- 
tecimiento,  qae  pocos  aSos  hace  se  vio  repetido,  y  confirmado.  Cierta 
nave  del  trafico  de  las  islas  havia  salido  de  Lanzarote  para  Tenerife, 
cargada  de  trigo,  y  con  algunos  pasageros  ä  su  bordo;  pero  corno  ex- 
perimentase  en  su  transito  una  grau  terapestad,  })erdiö  la  altura,  y  sin 
poder  tomar  ninguna  de  las  Canaria«,  hallt»  forzada  a  segair  el  iui- 
pulso  de  viento  daran te  inncbos  dias ,  hasta  que  recali)  sobre  las  costas 
de  Caracas,  en  donde  la  favoreciö  nn  navio  lugles,  ministrandole  agoa, 
y  viveros,  y  dirigiendola  al  puerto  de  la  Guayra. 

El  piloto  Sanchez  de  Guelva  tuvo  modo  de  retroceder  äcia  ol  anti- 
gno  Continente,  y  de  aportar  ä  la  Isla  de  la  Gomera,  con  solos  tres  de 
SU  equipage :  todos  tan  maltradados,  y  moribundos,  qae  ä  pocos  dias  de 
8U  arribo  fallecieron  cu  la  casa  de  Christovul  Colon ,  que  se  hallaba 
aTecinda<lo  uUi,  despue»  de  haverse  ca^sado  en  la  de  la  Madera.  Nadie 
ignora»  que  Christoval  Colon  era  natoral  de  Coguretu,  aldea  de  la  repablica 


o.  Loher:  Stellung  der  canarischen  Inseln.  91 

Amerika  vor  Coliimbiis  in  mehreren  Schriften  seiner 
Zeitgenossen  verbreitet ,  ihre  Richtigkeit  aber  jetzt  viel- 
fach bestritten.  M  Nun  finden  wir  bei  zwei  der  vor- 
ligUehsteD  Gesehiohteehreiber  jener  Zeit,  Gomara^)  und 


de  GenoYa,  c  hijo  de  un  gardador  de  laiia;  que  desde  muy  joven  haria 
tbrazado  la  carrera  de  la  marina ;  que  tenia  hechns  notables  progrrsos 
en  ia  j^eografia,  y  cienoia  nautica ;  y  que  su  ardiento  deseo  de  instruirse 
en  las  navegaciones  de  las  costas  del  Africa,  y  de  las  Canarias,  le  traxo 
i  Boestru  isUa,  donde  consiatiö  su  fortiina  en  haver  hospedado  ä  aqael 
fflslo  Andalux.  En  efecto  se  afirma,  que  antes  de  morir  le  co- 
■üdeb  aste  Im  oWenraciones  qoe  havia  becho  daianto  m  extravio ;  Im 
■twe  paiaee  qua  havia  visto;  y  el  derrotero  qoe  hatia  Ikvado:  ad 
Orion  €011  an  joicfo  eomUnador ,  y  gotrwalionta  inteügeiMia  en  k  eoi- 
Hgnifin,  inflriö,  qne  signiendo  aquellas  memoriaa,  podria  baoer  mocho 
■ti  qoe  los  Peitqgaeifls,  y  oenpado  de  la  idea  de  tralngar  en  naa  ex- 
feficka  ieia  el  Oeeidente,  no  perdlö  tismpo  en  trasladaise  a  las  eostas 
^  Baiepa.  —  Vi^,  damit  den  Berieht  bei  P.  A.  de  Castillo  Dsserip- 
M  Inst  7  geogr.  de  las  islas  de  Canaiia,  Santa  Cras  de  Tsnerife  1848, 
^284  bis  2a5. 

1)  NamentUdi  von  Pesebel  Seite  186  mit  sondeibanr  Hsitigkeit, 
m  Bsnat  die  Gegner  engrossrnflfbig,  striUlieb,  scbamlos,  dme  sidi  aof 
imm  Widerlegnng  einmlasaen,  die  wobl  bei  einsm  Oesebiebtsforacber 
Mäg  gewesen  wim,  dem  es  Seite  109  Note  1  bsgegnet,  tpfittiseh  und 
ttfiiabig  ananrofrn  «Bin  alter  Pegel",  weil  Colombna  Sobn  Diego 
iaeb  im  Alter  Aber  swaaiig  noeb  als  Edelknabe  aaligefittirt  wird,  was 
itcb  nsdi  dunaUgsm  Hof  braosb  blosser  Ehrentitel  sdn  honnte. 

2)  Fr»neiseo  Lopes  de  Gomara  flistoria  general  de 
hs  iadiaa,  Medina  del  Oampo  1553,  foL  10.  Nafegaado  naa 
mnvda  por  nnsstio  msr  Oeeano,  taro  tan  lör^oeo  riento  de  lerante 
j  hm  eentiniio,  qne  Arn  a  paiar  en  tienra  no  sabida  ni  pnssta  en  el 
■sfa  0  earta  de  marear.  fioWio  de  alle  en  mveboe  maa  diae,  qne  Ine. 
T  qeaade  aea  Hege  no  tiaya  mas  de  el  ploto,  7  a  otros  ties  0  qnatro 
■ariasfos,  qne  eomo  venian  enfbrmoe  de  bambre  7  de  trabajo,  se  mn- 
rieron  dentro  de  poco  tiempo  en  el  poerto.  E  aqoi  eomo  se  dascabrieron 
Im  Indiae  por  deodicha  de  qnien  primäre  las  Tie,  pnet  acabo  la  vida 
■a  gaear  dellas,  y  ein  dem,  a  h>  maaos  sin  aver  memoria  de  eomo  se 
.  QuaTan,  ni  de  donde  era,  ni  qne  aüo  lae  hallo.  Bien  qne  no  fne 
ciipa  sqpa,  aino  malicia  de  otiee,  0  inridia  de  la  qne  Uaman  fi»rtnna. 


Digitized  by  Google 


92  SUßuHg  der  hitfor,  Gat^  vom  7.  FAruar  1880. 


Mariana')  weder  den  Namen  jenes  nnglücklichen  Entdeckers, 
nocb  auch  eine  bestimmte  Angabe  Aber  sein  Heimatheland. 
Hier  bei  Viera  ersebeint  beides,  er  bekräftigt  ansdrQcklich  die 
l^atsaebe  und  setst  hinzu:  die  Er^hlnng  von  Guelva's 


T  no  me  maravillo  de  las  historias  antigiu»,  qne  ciienten  hechos  gran- 
diaiimos  por  chicos,  o  escuros  principios,  paes  no  sabemos  quien  de  poco 
aca  hallo  las  Indias,  que  tan  senalnda  y  nuova  cosa  es.  Qaedaranos, 
si  quiera,  el  nonibro  de  aquel  piloto,  jiues  todo  lo  al  cou  la  mucrte 
fencBCo.  Unop  hazen  Andaluz  a  este  piloto,  que  tratava  cn  Canaria,  y 
en  la  Madera,  quando  le  aconteacio  aquella  larga,  y  mortal  navi^acion. 
Otros  Biscayno,  que  conti utava  cn  Inglaterra  y  P'rancia,  y  otros  Porta- 
gues,  que  yva  o  venia  de  la  Mina  o  India.  Lo  qual  quadra  raucho  cou 
el  noinbre,  qoe  tomaroD  y  tienen  aqaellas  naevas  tierras.  Tambien  ay 
quien  diga  que  aporto  la  «aniTela  a  Portugal,  y  qnien  diga  qne  a  la 
Haders,  o  s  otrs  de  Ist  bbs  de  los  Aforea.  Kmpero  ninguno  sflnns 
nsds.  Solomeate  ooncserdan  todes  en  que  üslleido  aquel  piloto  en  eaaa 
de  ChristoTsl  Colon,  en  onjo  poder  qnedsron  Iss  eocriptniss  de  Is 
csravels,  j  Is  relseion  de  todo  aquel  Isengo  vi^je  oon  Is  msres  j  sltnra 
de  las  tierrae,  nneTsmente  Yistss  j  haDsdsa. 

1)  Juan  de  Msrisns  Hittoria  genersl  deEapsSs,  l£sdridl616| 
n  Hb.  XXVI  esp.  8  p.  502.  Ls  empreaas  msa  memoiaUe,  de  rntjat 
honra'  y  provecbo,  qne  jamsa  ssoedio  en  Bapsfls,  füe  el  desesbiimiento 
de  Ist  Indiss  oecidentales:  las  qnales  (oon  raton)  por  an  grsadess  lla- 
msn  el  nuevo  mnndo:  cosa  msrsvillosa,  j  qne  de  tantoa  siglos  eatava 
reeenrada  para  esta  edad.  La  ocadon  7  prindpio  dests  nneva  nave- 
gacion  y  descubrimiento  fne  en  eata  manera  Cierta  nave  desde  la 
oosta  de  Africa,  do  andava  ocnpada  en  los  tratos  de  aquellas  partes, 
arrebatada  con  un  rezio  temporal,  aportö  ä  ciertas  tierras  no  conocidas, 
Passados  alguiios  lias  y  sosseijada  la  tempcstad,  coiiio  diesso  la  boelta, 
muertos  de  liainbr»'  y  mal  passar  casi  to^os  los  i)a8sagero9  y  niarineros, 
el  inaestie  con  tres  ö  <|iiatro  coiupaneros  ultimanicnt«'  logö  ä  la  isla  de 
la  Madera.  Ha  Ilavase  a(  aso  en  aquella  isla  Cliriatoval  Colon ,  (3inove8 
de  nacion,  que  ostava  casado  en  Portugal,  y  cra  niuy  -  xercitado  en  cl 
arte  *h'  uavegar:  persona  de  gran  corayon  y  altos  pensaniientos.  Este 
alvergo  en  su  posaila  al  niaestre  de  aquel  navio,  y  vomo  falleciesse  en 
breve,  dexd  en  pod^  de  Colon  los  memoriales  y  aviaos,  que  trala  de 
tods  aquella  nsTegadon.  Con  eata  ocssion,  ora  sya  eldo  ls  verdsders, , 
0  ses  por  h  satrologis,  en  qne  era  eiereitado,  0  eomo  otros  diseo,  por 


Digitized  by  Google 


V.  Löher:  Stellung  der  canarischen  Imdn. 


93 


Seefahrt  nach  Amerika  sei  wolil  glaublich*,  habe  sie  doeh 

wenige  Jahre  später  sich  wiederholt.  Ein  Haiulelsseliitt' 
der  canarischen  Insphi  mit  einer  LafUing  Waizen ,  das 
»nch  einige  Reisende  an  Bord  gehabt,  habe  von  Lauzarote 
aaeh  Tenedffit  wollen,  sei  aber  durch  groAsea  Unwetter 
nrfiekgeworfeD  nnd  yiele  Tage  lang  weiter  getrieben  bis 
nr  Kfiüte  Ton  Oaracas,  dort  habe  es  ein  englisches  Schiff 
jfefwnden .  von  welchem  es  Wasser  und  Lebensmittel  und 
nach  dorn  Hafen  von  liagnayra  Richtung  bekommen. 

V'iera  ist  ein  Geachicbtschreiber,  welcher  das  Lob  ver- 
dient, das  ihm  Navarrete  wegen  seiner  Wahrhaftigkeit  und 
guten  Kritik,  Berthelot  aber  noch  mit  Tolleren  Hftnden 
itreiiet  ^)  Er  sammelte  fleissig  ans  Quellen  die  geschieht* 
liehen  Nachrichten  und  prüfte  und  verglich  sie  ruhig  und 
Kpsonnen.  Er  beruft  sich,  ausser  auf  Gomara  und  Mariana, 
aar  auf  Francisco  Pizarro.  ^)  Wie  sorgfältig  er  aber  haud- 
«hriftliche  nnd  gedrackte  Nachrichten  durchforschte,  geht 
duans  herTor,  dass  seine  Angaben  über  die  verschiedenen 
Landungen  des  Admirals,  als  dieser  seine  Fahrten  nach 
Amerika  nntemahm,  auf  den  canarischen  Inseln  genau  mit 
*ieu  im  Schiffstagebuch  augegebiMien  Tajjfen  übereiustiminen, 
nnd  dass  er,  um  des  Columbus  Geburtsort  zu  <>rmittelu, 
die  Akten  des  Prozesses  einsah,  welchen  die  Ferrarcser 

ifiia  qoe  le  «lio  on  cierto  Marco  Polo,  me  lico  FlorentiB,  el  se  resolvio, 
es  qne  de  la  otra  parte  del  mundo  descabierto,  j  de  sqb  terminos. 
kttk  do  fe  poDe  el  sol,  avia  tiorni!:  nraj  grandcs  y  espaciosER. 

1)  Navarrete  I  6  Note,  liarker - W e b b  und  Sabin  Berthe- 
lot Huit.  naturelle  des  iles  canaries,  Paria  18;U>,  I.  prem.partie  p.  T"».  Hi- 
itöri'-'n  acrupuit'ur  sur  la  precision  des  dates  et  des  citations,  Viera  a  relcve 
<l*j  erreurs  importantcH :  bien  <jue  reserv«-  dans  ses  eloges,  il  a  rondti 
bnnma^e  a  »»'s  devanciers  et  a  coniniente  leurs  travaux  par  une  savanto 
fntiqae.  A  nadie  se  elogia  con  nientira,  ni  se  critica  sin  verdad,  dit-il 
lui-rnr-me  dans  un  de  ses  prol..;tju.'s .  et  cet  osprit  de  justice  a  constam- 
■eot  gnide  sa  plurne  dans  le  cours  de  aa  redaction. 

2)  Uisi.  de  lud.  c.  3. 


Digitized  by  Google 


94       <  Skmmg  der  kitlor,  Claa»e  vom  7,  Febntar  1880, 

Familie  Cqcbio  gegen  CoInmbiiB  Naehkommen  f&hrte.  Wabr- 
scheinlicfa  fknd  Yiera  in  den  ArcbiTen  der  Stifte,  StSdte 

und  Landsitze,  die  er  auf  den  canarischen  Inseln  befragte, 
Nachrichten  über  den  Aufenthalt  des  Columbus  auf  Gomera 
und  was  ihm  dort  begegnete.  Bis  diefie  Archive  sämmtlich 
von  kundiger  Hand  neu  durchgegangen  sind,  wird  man 
wohl  ihnn,  die  leiste  fintecheidung  der  Frage,  ob  West- 
indien sehon  ror  Golombn«  entdedEt  war,  nocb  anszn- 
setaen. 

Sein  Aufenthalt  auf  Gomera  wurde  ihm  noch  in  anderer 
Beziehung  nützlich.  Während  er  dort  sorgfältig  alles  er- 
wog nnd  ansforschte,  was  von  den  Landern,  die  seinem  Geiste 
fem  hinter  den  Fintben  des  Ozeans  anftchimmerten,  Kunde 
gab,  jeden  Zweig  and  jede  Fracht,  welebe  von  den  Welleo 
an  den  Strand  getrieben  wnrde,  nnterenchte  nnd  mit  gldeb- 
artigen  verglich,  hatte  er  auch  das  Wandschenvolk  kennen 
gelernt.  An  ihm  hatte  er  die  Beweise  vor  Augen,  wie  die 
reinen  frischen  Gemüther,  wenn  sie  unter  den  Lichtstrahlen 
des  Ghristenthums  anfthaueten ,  sich  in  kindlicher  Verehr- 
ung, in  seligem  Herzenaglück  Gott  nnd  seiner  heiligen 
Kirohe  anwendeten,  ohne  dnznbtbaseB  an  der  freudigen 
raaeben  Tbatkrafb  nnd  ihres  Willens  Stablbirte.  So  dachte 
sich  Ootnmbns  die  L&nder  drOben  im  Westmeer  von 
grossen  Völkern  besetzt,  von  denen  er  sich  für  Kirche  und 
Paradies  die  herrlichsten  Aernteu  versprach.  Darin  aber 
lag  in  jenen  gläubigen  Zeiten ,  namentlich  im  religiös  be- 
geisterten Spanien,  das  eben  den  letzten  Maurenkrieg  führte, 
ein  machtiger  Antrieb,  jene  Völker  anfeusachen  nnd  zn  be- 
kehren. Die  Schildernng  des  Charakters  der  Oanarier  nnd 
ihrer  natfirliohen  Hinneigung  znm  Ghristentfanm  konnten 
nicht  anders,  als  auf  die  herzensfromme  Königin  Isabella 


1)  Navarrete  h&lt  sie  f&r  tu.  Colambas  Gaosten  entschieden, 
I  7  Note. 


Digitized  by  Google 


r.  Löher:  Stellung  der  canarischen  Inseln.  95 

Eil. druck  machen :  waren  ihr  doch  in  Spanien  selbst  viele 
Eingeborene  von  den  Inseln  zu  Gesicht  gekommen ,  fiir 
welche  sie  stets  warme  Fürsorge  an  den  Tag  legte.  Aber 
auCii  der  Gewinn,  welchen  der  Handel  von  den  canarischen 
Inseln  zog,  das  schöne  Getreide,  das  sie  in  Masse  hervor- 
brachten, die  Zuckermühlen ,  die  dort  so  rasch  in  Tbätig- 
keit  kamen,  die  ganze  üeppigkeit  der  Natur  —  das  alles 
musste  sich  in  vergrossertem  Mass  in  den  Neuländern  wieder- 
holen ,  nach  denen  Columbus  segeln  wollte.  Nicht  gering 
auch  war  die  Erregung  anzuschlagen,  welche  die  canarischen 
Inseln  auf  die  deicht  erregte  Phantasie  des  Genuesen  und 
auf  Andere  ausübten ,  denen  er  vortrug ,  was  er  bereits  im 
Geiste  leibhaft  vor  sich  sah.  Verführerisch  und  ein  locken- 
des Geheimniss  war  der  wunderbare  Reiz  an  Duft  und  Licht- 
fttfben  und  hochgewaltigen  Bergumrissen,  der  diese  Inseln 
umweht.  Kurz,  sie  gaben  nicht  nur  lebhafteren  Anreiz, 
auf  neue  Entdeckungsfahrten  auszugehen,  sondern  auch  ein 
Unterpfand,  dass  diese  gelingen  würden. 

Einige  Jahre  später ,  als  Columbus  die  canarischen 
Inseln  verlassen  hatte,  war  auf  diesen  Alles  in  Aufregung, 
Eingeborene  wie  Ansiedler.  Palma  war  inzwischen  erobert, 
and  man  rüstete  aus  allen  Kräften,  um  dem  siegreichen 
Feldherrn,  Alfouso  de  Lugo,  neue  tausend  Mann  zu  stellen, 
mit  denen  er  die  letzte  freie  Insel  unterwerfen  sollte.  In 
dieser  Zeit ,  während  der  geplante  Angriff  auf  Teneriffa 
jeden  andern  Gedanken  verschlang,  kam  ein  unscheinbares 
Geschwader  herange fahren,  drei  sehr  kleine  Schiffe,  zwei 
davon  nicht  einmal  mit  Verdecken  gebauet,  ihre  Namen 
wie  Nina  und  Pinta  für  ihre  kleinlichen  Verhältnisse  passend. 
Die  ganze  Besatzung,  Matrosen  und  Soldaten  zusammenge- 
rechnet, zählte  nicht  mehr  als  120  Mann.  Man  hatte  sie 
theilweise,  als  doch  verlorenes  Volk,  aus  Gefangnissen  zu- 
nmmeiigeholt.  Wie  gering,  kaum  beachtenswerth  erschien 
das  gegen  die  grossen  Rüstungen,  die  nach  den  Cauareu 


Digitized  by  Google 


4 


96  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Februar  18S0. 

gingen!  Der  aber  die  drei  kleinen  Schiffe  befehligte,  war 

eben  jener  Mauu  von  seiteuer  Geistesgrös.se ,  Christoph 
Colunibus. 

Eigentlich  Niemand  glanhte  wohl  an  ihn.  Keiner  der 
Armadores  zn  Sevilla,  Gadix,  oder  San  Lncar  de  Barrameda, 
die  damals  so  manches  Schiff  ansrüsteten«  das  auf  Menschen* 
fang  oder  gewinnreichen  Handel  anslief,  hatte  «ein  Geld  in 

das  Unternehmen  des  Fremdlings  stecken  mögen.  Auch 
Königin  Isabella  hatte  das  Wenige,  was  sie  für  Columbus 
tliat,  offenbar  zuletzt  nur  geleistet,  weil  ihr  der  gute  Mann 
leid  that,  und  weil  sie  in  ihrem  Gewissen  sich  Terbiinden 
hielt,  doch  nicht  ganz  die  Aussicht  zu  verwerfen,  die  ihr 
der  Italiener  auf  die  Bekehrung  weiter  heidnischer  Land- 
striche eröffnete.  Columbus  aber  trug  das  Bewusst^ein  seiner 
hohen  Sendung  wie  leuchtenden  Krjstall  in  seiner  Seele. 

Columbus  stieg  am  11.  August  1492  in  Gran-Canaria 
an*s  Land.  Hier  verweilte  er  nicht  weniger  als  zwanzig 
Tage,  in  welchen  seine  schlecht  segelnden  Schiffe  besser 
hergerichtet  wurden,  während  er  auf  Oomera  Einkaufe  be- 
sorgen Hess.  Denn  er  wusste  aus  Erfahrung,  wie  billig  dort 
die  Lebensmittel,  wie  leicht  andere  Schiffsausrüstung  sich 
beschaffen,  und  wie  vortheühatl  sich  der  anstellige  und 
kraftvolle  Eingeborene  gehrauchen  Hess,  wenn  es  gelang, 
ihrer  eine  Anzahl  zur  Mitfahrt  zu  bewegen.  Am  4.  Sep- 
tember sah  er  seinen  alten  Wohnsitz  in  Gomera  wieder, 
und  nahm  anf  dieser  Insel  Proviant,  sowie  Wasser  und 
Brennhol'/,  ein.  Am  7.  stach  er  wieder  in's  Meer,  um  die 
wichtigste  Öeereise  zu  vollenden,  die  bisher  noch  auf  diener 
Erdkugel  gemacht  war.  Wagelustige  Wandschenkri^r  be- 
gleiteten ihn. 

Noch  dreimal  sah  Columbus  die  canaritchen  Insefai 
wieder.  Schon  ein  Jahr  nach  setner  ersten  Entdeckungs- 
fahrt segelte  er  wieder  heran,  diesmal  als  Admiral  eines 
Geschwaders  von  siebzehn  Öchiil'eu.  Es  war  am  2.  Oktober 


Digitized  by  Google 


r.  Loher:  Stellutuj  der  canarischen  Inseln. 


97 


1493,  während  Alfouso  de  Lugo  Doch  auf  Teneriffa  im 
hoffnoiigsloseu  Kampfe  lag.  Columhns  blieb  diesmal  iinr  drei 
Tage  auf  Gran  Canaria  und  war  am  ö.  Oktober  schon  wieder 
in  Gomera,  wo  er  nicht  bloss  Schiflfs-  und  Kriegsvolk  und 
Lebensmittel  einnahm,  sondern  auch  viele  Sämereien,  Pflänz- 
linge verschiedener  Bäume ,  Ziegen  Schafe  Schweine  und 
Hühner,  die  er  nach  Amerika  überführte,  und  welche  dort  den 
ersten  Stamm  für  Pflanzungen  und  zahlreiche  Heerden 
ibgaben. 

Am  19.  März  1499  kam  Colurabus  wiederum  nach  Go- 
mera,  und  da  er  hörte,  dass  in  dessen  Gewässern  ein  fran- 
lösiscber  Korsar  zwei  Schiffe  aufgebracht  hatte,  stach  er 
sofort  in  See  und  nahm  dem  Räuber  die  Schiffe  wieder  ab. 
Von  Gomera  segelte  er  diesmal  nach  Ferro  und  hier  theilte 
er  seine  Flotte:  drei  Schiffe  sandte  er  nach  Hispaniola,  mit 
(kn  andern  lief  er  ans  auf  neue  Entdeckungen. 

Noch  einmal ,  drei  Jahre  später  und  zwar  wiederum 
am  19-  Marz,  begrüsste  Columbus  die  canarischen  Küsten. 
Welche  Veränderung  war  in  den  Jahren  erfolgt,  seit  er 
zuerst  den  Fuss  auf  diesen  Strand  setzte,  seine  junge  Frau 
ao  der  Seite,  aber  ein  armer  Abenteurer !  Jetzt  war  Spanien 
das  mächtigste  Reich  der  Welt ,  Granada  gefallen ,  der 
»narische  Archipel  erobert,  Columbus  selbst  ein  grosser  und 
berühmter  Herr,  sein  Name  unsterblich  für  alle  Zeiten. 

I>as  Beispiel  des  berühmten  Admirals  fand  allgemeine  Nach- 
ahmung. Es  wurde  Regel  für  Kriegsschiffe,  welche  nach  Amerika 
fpngea,  bei  den  canarischen  Inseln  anzulegen,  Wasser  Holz 
bhI  Lebensmittel  ein-,  vorzüglich  aber  soviel  Eingeborene 
mitzunehmen  als  man  durch  Vorstellungen  in  Güte  oder 
durch  List  und  Gewalt  bekommen  konnte.  Denn  diese 
Wandschen  waren  drüben  die  besten,  redlichsten  und  genüg- 
samsten Arbeiter,  die  ehrgeizigsten  und  ausdauerndsten 
Krieger.  In  der  That  Hessen  sich  Wandscheu  fast  immer 
[\m.  I.  PhiL-phU.  hUt.  Cl.  Bd.  I.  l.J  " 


98  SUMung  der  Imtor,  (^aue  vom  7.  Februar  1880, 

bereit  finden.    Oelber  meldeten   sie   sicli  ecbaarenweiee 

zur  Auswanderung ,  fanden  sich  auch  wohl  heimlich 
auf  Schiffen  ein,  die  absegeln  wollten.  Als  die  Nach- 
kommen des  Eroberers  von  Teneriffa,  die  Adelautados 
Logo,  nach  Afrika  Weetindien  Südamerika  Eroberang»- 
nnd  Annedlnngassnge  yeranstalteteu ,  branehten  rie  nnr 
ZQ  winken  nnd  ibre  Schiff»  bef5lkerten  sieb  mit  Binge- 
borenen ,  die  in  den  fremden  Ländern  lleldenthaten  ver- 
richteten und  für  die  spanischen  Eroberer  die  sicherste 
Stutze  waren. 

Dies  Ausströmen  der  canarischen  Urbevölkerung  dauerte 
die  ganze  erste  Hälfte  des  sechszehnten  Jahrhunderts  hin- 
durch. Ausser  den  Eroberungskriegen  selbst  und  ihrem 
Gefolge,  den  verheerenden  Krankheiten,  hat  nichts  die 
canarischen  Inseln  so  sehr  entvölkert,  als  die  freiwillige 
oder  geswongene  Answandemng  nach  Amerika. 

Die  Ursachen  lagen  auf  der  Hand. 

Jedesmal  wenn  nach  einem  Kriege  mit  den  Spaniern 

die  canarischen  Eingeborenen  Frieden  und  Christenthum 
annahmen,  hielt  sich  noch  nine  Menge  längere  Zeit  im 
wilden  Gebirge  auf.  Erat  uach  und  nach  kehrten  die 
Meisten  zurück,  bewogen  durch  nagende  Sorge  um  die 
Ihrigen,  die  der  Nährer  und  Wehrer  beraubt  Hunger  nnd 
Kummer  und  Verfolgung  erlitten,  oder  durch  den  uner> 
triglicben  Sfangel,  der  auf  den  kahlen  Bergrücken  herrschte,  vor 
allem  durch  das  milde  Wort  der  Glaubensboteu  bewogen,  die 
zu  ihnen  hinaufstiegen.  Viele  jedoch  hielt  Stolz  und  unbezwing- 
lioher  Widerwille  gegen  die  fremden  Herren  in  der  Wildniss 
zurfick.  Heimlich  brachten  ihnen  Freunde  und  Angehörige 
Nahrung,  aber  Hass  und  Hunger  trieb  sie  an  zu  raubnri" 
sehen  Einfallen  auf  die  Güter  der  Spanier  und  in  die  Ort- 
schaften fremder  Gaue.  Dann  entspannen  sich  Fehden,  die 
weiter  und  weiter  sich  ausdehnten. 


Digitized  by  Google 


V.  JUher:  Stdhmg  der  canaHsi^en  Inseln, 


99 


And«re  endlich,  die  voll  Vertrauen  nch  den  Spaniern  an- 
l^aiehkMBen ,  worden  naeh  and  nach  empört  dnrch  deren 
bariselies  Aoftreten.  Sie  erkannten,  wie  wenig,  was  folgte, 
dem  glich ,  was  man  ihnen  bei  den  Friedensverliandltingen 

zngeschworeu,  wie  das  Edelste  ihrer  alten  Freiheit  zerrissen 
und  zerstört  zu  Boden  lag. 

IHe  Spanier  waren  nnr  ssa  sehr  gewöhnt,  die  ESnge- 
boRoeD  als  nnterjochte  Leute  zu  betraehten ,  die  sich  aHes 
mOnten  gefallen  lassen.  Man  konnte  sich  von  der  An- 
«chanung  nicht  losmachen ,  dass  mit  dem  eroberten  Grund 
imd  Boden  seine  Eingeborenen  miterworben  seien,  gleichwie 
daa  fiigenthümer  des  Waldes  das  Wild  darin  gehört.  Die 
boten  Gnter  nnd  Landereien  hatten  die  Eroberer  unter 
fldi  TertheQt,  nnd  die  Wandsehen,  welche  anf  diesen  ihre 
Heimath  hatten,  wurden  einfach  wie  Hörige  behandelt.  Aber 
aach  von  den  Hofen  und  Ortschaften ,  die  frei  und  selbst- 
itändig  blieben,  sachte  man  durch  Frohaden  und  Abgaben 
allerlei  Nutzen  zu  ziehen«  Anlass  dazu  gaben  die  Nen- 
baoten  Ton  Kirchen  Strassen  und  Festungen,  die  als  all- 
gemeine Landesangelegenheiten  betrieben  wurden. 

Nur  die  eingeborenen  Fürsten  and  ihre  Verwandten, 
denen  man  ihre  alten  Besitzungen  gelassen  oder  als  Preis  ^ 
des  Medens  neue  zugetheilt  hatte,  wurden  Ton  den  apani- 
seilen  Herren  als  Ebenbfirtige  betrachtet.   Jedoch  auch  sie 

nicht  vollständig,  auch  sie  litten  heimlich  unter  einer  ge- 
wissen Missachtung,  als  wären  sie  unedler  Herkunft.  Man 
^te  naoilich  auf  der  pyrenaischen  Halbinsel,  neugetauften 
Mauren-  and  Judenfamilien  gegenüber,  eine  £hre  darin,  ein 
ilter  Christ  zu  sein.  Altes  Ghristenthum  gab  einer  Familie 
eb  Ansehen  gleichwie  Ton  besserer  Herkunft.  Die  Wandschen 
•ber  waren  sammt  nnd  sonders  Neuchristen. 

Dieser  religiöse  Gegensatz,  Trotz  und  Verachtong, 
lelelie  die  Betroifenen  den  üttheilMi  der  Gerichte  und  der 

7* 


Digitized  by  Google 


100  SUzuny  der  histor.  ChuiHc  com  7.  Februar  ItüiO. 

Inquisition  entgegensetzten,  und  viele  anderen  Misshellig- 
keiten,  wie  sie  nicht  ausbleiben  konnten  ,  als  ein  freiheiU- 
stolzes  Volk  sich  auf  einmal  herabgewürdigt  sah  unter  treu- 
lose and  grausame  Eroberer,  hatten  ananfhdrliofa  Verwick- 
longen nnd  Zusammenstösse  zur  Folge,  die  gewöhnüch 
damit  endigten,  dass  die  Manner  in*s  Gebirge  flohen.  So 
fiind  sieh  bier  ^rt  nnd  fort  eine  Menge  Friedloser  bei- 
sammen ,  denen  das  Herz  brechen  wollte  über  der  Heimath 
Schmach  und  ihre  eigene.  Wie  wilde  Thiere  wurden  sie 
verfolgt  und  erlagen  hier  und  dort  den  Kugeln  der  spani- 
schen Gerichtsleute  und  Soldaten. 

Kamen  nnn  Schiffe,  die  anf  weiter  Fahrt  zu  nnbekami- 
ten  Ländern  waren,  oder  wnrde  gar  Amnestie  iBr  Kriegs- 
dienst TerkUndigt,  dann  folgten  die  Verbannten  dem  Znre* 
den  der  Blutsfreunde  oder  der  eigenen  Nöthigung  und 
sagten  der  Heiniath  Lebewohl.  Die  Spanier  leisteten  allen 
Vorschub,  dass  andere  Unzufriedene  und  ihre  Familien  sich 
anschlössen. 

So  ist  das  streitbarste  Volk,  welches  seit  Ende  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  Enropaeer  auf  ihren  Eroberung^ 
zugen  angetroffen ,  ein  Volk,  das  zugleich  wie  kein 
anderes  ausserhalb  Europa  fnr  Christentbum  und  Kultur 
empfanglich  war ,  in  dem  kurzen  Zeitraum  von  fünf- 
zig Jahren ,  welche  der  Eroberung  folgten ,  uuterg^angen. 
Im  Jahre  1541  konnte  Benzoni  auf  Palma  nur  noch  einee 
Einaigen  ansichtig  werden,  und  Thevet  berichtete  1555, 
dass  noch  anf  den  Höhen  des  Pik  von  Teneriffii  Eingeborene 
lebten,  die  keinem  Christen,  der  zu  ihnen  hinauf  wollte, 
die  Rückkehr  gestatteten.^)  Nur  solche  Einzelheiten  sind 
berichtet,  wir  wissen  auch  nicht,  wohin  die  zahllosen  Aus- 
wanderer sich  verloren,  und  ob  einige  zurückgekommen. 

1)  Benzoni  Medtolan.  Novao  novi  orbis  hiatoriae,  Genf  ir>78, 
p.  142.418.  A.  Tbevet  Coonagnphie  aniTerselle.  Paria  1575,  fol.  83 


Digitized  by  Google 


V.  Löher:  Stdlu9>y  der  eanariächen  Insdu,  101 

Die  Geschichte  verzeichnet  bei  dem  Untergänge  eines  Volks 
nur  die  Schicksalsschläge  im  Grossen:  für  die  LeiJen  und 
das  Hinsiechen  der  vielen  Handerie  und  Taneende,  die  in 
Folge  dieser  Ereignisse  su  Grande  gehen,  nothwendig  an 
Grunde  gehen  mfissen,  giebt  es  keine  Annalen.  Ihr  Wehe- 
mf ,  ihr  letzter  Senfeer  verhallt  so  nngehört  wie  das  letzte 
Seufyen  des  verwundeten  Wildes,  das  sieb  in  die  Oede  des 
Berg  Wald  es  geflüchtet.  — 

Nehmen  wir  nun  einen  Rückblick  über  die  Thatsachen, 
die  hier  zosammengestellt  wurden,  so  bezeugten  sie,  dass 
sich  an  den  canarisoben  Inseln  eine  £r£Ahmng  bewahrte, 
die  sich  nur  bei  einigen  bevorsngten  Stellen  anf  der  Erd- 
kugel zn  erkennen  gibt.  Diese  Plfttze  ragen  nicht  herror 
durch  ihre  Grösse  oder  durch  die  Kostbarkeit  ihrer  Natnr^ 
gaben  oder  die  Leistungen  ihrer  Bewohner:  gleichwohl  be- 
sitzen sie  eine  dauernde  weltgeschichtliche  Bedeutung,  die 
wesentlich  in  ihrer  Lage,  d.  h.  ihrer  Ötellnng  zn  den  übrigen 
Lindem  beruht  nnd  deshalb  dnrch  alles,  was  sie  an  Natnr^ 
gaben  dem  grossen  Verkehr  darbieten,  begünstigt  wird.  So 
traten  in  der  Geschi<ihte  der  Entdeckungen  nnd  Erobernngen, 
die  von  Europäern  ausgingen,  in  neun  Punkten  die  cauari- 
schen  Inseln  in  eigenthtimlicher  Helligkeit  hervor. 

Zuerst  sind  es  Sagen  und  Vorstellungen  von  ihrer 
Gluckseligkeit,  die  selbst  dann  noch  im  Andenken  der  Men- 
sehen haften  bleiben,  als  die  Inseln  selbst  schon  wieder 
hinter  dem  dunkeln  Schleier  unbekannter  Meere  Tersehwunden 
sind.  Sobald  der  Name  der  glfickseligen  Inseln  ertönt, 
wandert  die  Sehnsacht  der  Menschen  in  das  grosse  West- 
meer hinaus,  und  dieser  Name  hindert  es,  dass  jemals  zwi- 
schen den  Säulen  des  Herkules  sich  eine  Scheidewand  er- 
hebt, welche  für  immer  die  Gedanken  an  Reisen  ^  darüber 
hinans  abschliesst. 

Zweitens,  als  die  Canaren  wieder  entdeckt  werden, 
finden  sieh  auf  ihnen  in  reicher  Menge  und  Güte  gerade 


102         SUiung  der  histor.  Claaae  vom  7,  Februar  1880. 

solche  Artikel,  die  auf  allen  Markten  als  kostbare  Waare 
geschätzt  und  bezahlt  werden.  Die  Gowiimsuclit  richtet 
daher  ihre  Segel  nach  diesen  Inseln,  die  Fahrten  werden  im 
letzten  Drittel  des  vierzehnten  Jahrhunderts  immer  häafiger« 
nnd  68  wsehwindet  die  Furcht,  welche  die  Babeln  von  den 
Schrecken  des  finstern  nnd  trSgen  Meers,  das  diese  Inseln 
bespült,  Terbreitet  habm. 

Drittens.  Gleich  im  Beginn  des  nächsten  Jahr- 
hunderts erobert  sich  ein  abentenernder  Normanne  auf  den 
canarischen  Inseln  ein  Fürstenthum.  Nun  richten  die  beiden 
nächsten  Staaten,  Spanien  und  Portugal,  ein  leidenschaft- 
liches Begehren  dorthin,  die  canarischen  Inseln  werden  der 
Kamp^reis  eines  Umg  «ndanemden  Wettkampfe,  der  Kräfte 
nndUntemehmnngslnst  der  Spanier  wie  der  Portugiesen  stahlt 
nnd  ihre  Flotten  nnd  Kriegsvftlker  befähigt,  Eroberungs- 
fahrten in  ferne  Länder  zu  unternehmen.  Es  geben  die 
canarischen  Inseln  wieder  Anregung  zu  Kolonialideen  ,  wie 
sie  fast  alle  Staaten  des  Alterthums  hegten.  Wenn  solche 
Gedanken  aber  im  A.lterthum  sich  auf  die  Ufer  des  Mittel- 
meers  beschränkten,  so  streiften  sie  jetst  die  Küsten  des  at- 
lantischen Ozeans  entlang.  Die  Yorstellnngen  Ton  Über- 
seeischen BesitcnngeUf  welche  von  den  eigenen  Volksange- 
hörigen besiedelt,  von  der  eigenen  Regierung  bewirthscliaftet 
und  ausgebeutet  werden,  traten  wieder  in  den  politischen 
Gesichtskreis. 

Viertens.  Insbesondere  ist  das  afrikanische  Festland, 
das  den  Canaren  gegenüber  liegt,  die  Stelle,  anf  welche  sich 
die  begehrlichsten  Blicke  werfisn.  Anf  den  Insehi  sammeln 
sich  die  Nachrichten  ^on  den  getrftnmten  Goldfltoen,  den 
fiftbelbaften  Mondbergen ,  den  üppigen  Reichthümern  im 
Reiche  des  Priesters  Johannes,  —  hier  aber  erfahrt  mau 
auch  am  ersten ,  wie  es  in  Wirklichkeit  drüben  aussieht. 
Die  canarischen  Inseln  werden  Bergestätte,  Arsenal  und 
Ausgangspunkte  fOr  die  Flotten,  welche  die  afrikanische. 


Digitized  by  Google 


r.  hoher:  Stellung  der  canarischen  Inseln, 


103 


Koste  inlanfen.  Die  Inselu  gewinnen  dadurch  gegenüber 
der  afrikanischen  Westküste  eine  ganz  ähnliche  Stellung, 
wie  sie  io  den  Kreuzzügeu  Cypern  einnahm  gegenüber  den 
£jlil0ii  Ton  A€gjpten  83rt'ien  and  dem  südlichen  Eieinanen. 

FSnften«,  Die  «frikiinisehe  Aufgabe  föllt  nament- 
lieli  den  Portogiesen  so.  Denn  da  all  ihre  Angriffe  aof  die 
eamuriflchen  Inseln  hier  von  den  Spaniern,  dort  von  den 
Eingeborenen  blutig  abgewiesen  werden,  sehen  sie  sich  auf 
das  gegenüber  liegende  Festland  angewiesen,  als  auf  ein  an- 
deres und  swar  nahes  Feld  für  ihre  Unternehmungen.  Ehr- 
^pBBg  Terkmgend  und  suchend  nach  gewinnreichen  Lindem, 
gleichwie  jene  Inseln  es  sind,  dringen  die  portugiesischen 
Kapitäns  schrittweise  an  der  afrikanischen  Küste  vor,  ent- 
decken ein  Stück  nach  dem  andern,  umsegeln  ein  gefürch- 
te;«« Kap  nach  dem  andern,  bis  sie  endlich  das  letzte,  das 
Vorgebirge  der  guten  HofiPhung,  errdchen  und  den  Weg 
■ach  Indiens  Sebätien  einschlagen. 

Seehstens.  Unterdessen  bleiben  die  canarischen 
Insrio  der  Platz,  nach  welchem  kühne  und  geistvolle  Welt- 
fahrer hinstreben,  um  Beobachtungen  und  Studien  zu  machen 
nnd  alles  za  hören,  was  sich  in  Seehäfen  an  Berichten  und 
Sigen  über  die  Westlande  nmhertreibt.  Die  lange  Fiusterniss, 
Uber  diesen  lag,  yerwandelt  sich  allmahlig  in  eine  Dftm- 
■enmg,  dureh  welche  die  ersehnten  Eflsten  in  dunkeln 
Umrissen  hindurch  schauen.  Nachdem  man  Tom  Welttheil 
im  Westen  zum  erstenmal  im  zehnten  Jahrhundert  auf  dem 
nordischen  Island  gesprochen  hatte,  erscholl  diese  Kunde 
Tom  zweitenmal  wahrscheinlich  zuerst  wieder,  fünf  Jahrhan- 
4«ie  spiter  und  36  Grade  südlicher,  auf  den  canarischen 
Lydn. 

Siebentens.  Die  Erfahrungen,  welche  man  nun  auf 

diesen  Inseln  machte,  waren  ganz  dazu  angethan,  den  Durst 
nach  Eroberungen  überseeischer  Länder  zu  steigern.  Sie 
«iNB  bewohnt  you  einem  so  streitbaren,  freiheitsstolzen, 


Digitized  by  Google 


104 


Sitzung  der  histor,  Glosse  com  7.  Februar  1880. 


Iteldenbaften  Volke,  als  es  irgendwo  eines  anf  Erden  gab. 
Als  dieses  Volk  endlich  besiegt  nnd  unterworfen  war,  wel- 
ches andere  sollte  den  spauischeu  Waffen  noch  widersteh u  I  (Ge- 
rade in  der  Zeit,  als  Colnmbns  seine  amerikaDischen  Fahrten 
nntemahm,  wnrde  das  letete  nnd  schwierigste  Erobemng»- 
werk  anf  Palma  nnd  Teneriffa  Tollendet.  Keinen  grdsseren 
Rnhm  aber  gab  es  damals  in  den  ebristlicben  L&ndern,  kein 
, grösseres  Verdienst  für  den  Himmel,  als  uugliiubige  Völker 
zum  Christeuthura  zu  bekehren ,  einerlei  ob  in  (TÜte  oder 
mit  Gewalt.  Die  Bewohner  der  canariscben  Inseln  aber 
zeigten  vom  Anfiuig  an,  als  sie  mit  den  Spaniern  in  Be- 
rfihmng  kamen,  vor  dem  Gbristenthnm  Ehrerbietung  nnd 
nahmen  es  später  an  mit  kindlich  lanterem  Gemtith.  Unab- 
sehbar erblüheten  da  himmlische  Saaten  vor  den  Augen 
glaubeusfeuriger  Spanier ,  wenn  sie  an  die  vielen  Völker 
jenseits  des  Ozeans  dachten.  Endlich  alle  europäischen  und 
tropischen  Gewächse  brachten  anf  den  canarisehen  Inseln 
so  reiche  Fmcht,  nnd  die  Ansfhhr  wnrde  so  bedeutend,  dasa 
man  hier  eine  Probe  machte»  welche  Einkünfte  Qberseeiaehe 
Besitzungen  abwarfen.  Der  Regiernug  gehörte  von  aller 
Handelswaare ,  die  in  canariscben  Häfen  verladen  wurde, 
ein  Fünftel,  kein  geringer  Zollertrag  bei  der  Fülle  und  Kost- 
barkeit Yon  Drachenblnt  und  Orseille  und  bei  der  massen- 
haften Ausfuhr  Yon  Zucker  Wein  Getreide  Talg  und 
Häuten. 

Achtens.  Dieser  Reichthum  an  Nahrungsmitteln 
auf  den  canariscben  Inseln  ,  wie  ihre  vorgeschobene  Lage 
erleichterten  nicht  wenig  die  Schifffahrt.  Flotten  und  Eän- 
zelschiffe,  die  nach  Westindien  nnd  bald  auch  nach  Ost- 
indien gingen,  legten  dort  an  um  sich  zu  YerproTiantiren 
und  neue  Matrosen  einznnehmen. 

Neuntens  war  auch  die  Hülfe,  welche  die  Wand- 
schen  bei  der  Eroberung  von  Amerika  leisteten,  nicht  ge- 
ring anzuschlagen.   Sie  allein  konnten  es  an  Behendigkeit 


Digitized  by  Google 


V,  Lökeri  StMuttg  der  eanariadt$H  Jmeln, 


105 


nnd  Kriegslist  mit  allea  Indianern  aufnehmen.  Da  .sie  in 
Freiheit  nicht  mehr  in  der  Heimath  leben  konnten,  k}inipft<'n 
sie  am  Kriegeluet  oder  Verzweiflong  wie  die  Löweu  für 
die  AnshreitQiig  der  Herrschaft  ihrer  ünierdrflcker  nnd  ver- 
loren sieh  in  die  Urwälder  and  Prairien  der  nenen  Welt. 

Die  hier  bezeichnete  Bedentting  in  der  Weltgeschichte 
hüssten  aber  die  canarischen  luseln  eiu  mii  Milte  ues  sechs- 
zehnteu  Jahrhunderts.  Von  da  au  traten  hiv  mehr  und 
mehr  zurück  in  die  Stille  spanischen  Provinziallebens  und 
hatten  ihren  Theil  zn  tragen  an  den  üblen  Folgen  spani- 
scher Verwaltnng.  Nor  der  Fmehtbarkeit  des  Bodens  und 
dem  gescheidten  Fleiss,  der  Bravheit  nnd  Gedold  der  Be- 
wohner ist  es  «n  danken,  dass  nackte  Armnth  heutzutage 
sich  nicht  trauriger  noch  ausbreitet  an  deu  glUcktfeligen 
Gestaden. 


Digitized  by  Google 


1 


Verzeiehaiss  der  eingelaufenen  B&chergesclienke. 


Vm  Vurem  ßtr  hamburffU^  OtBdMi»  m  Hmtämtg: 

Zeitschiift.  N.  F.  Bd.  IV.  1879.  8^ 

Vam  Verein  ßr  naeemmche  AUerthumakmde  in  Wiesbaden: 
Annalen.  Bd.  15.  1879.  gr.  8^ 

Von  der  Gcsdkchafl  für  Salzhurger  Landeskunde  in  Salzburg: 
MitiheümigeD.  19.  Jahrg.  1879.  8^ 

7<Mi  der  Amerieain  AssoMum  for  the  oimmommA  ef  eeknoe 

tfi  Saiem: 

Proceedings.  27. Meeting  held  atSt.  Louiä,  Auguätlb7b.  1879.  8^ 

Von  der  Universidad  de  Chile  in  Santiago: 

s)  Anales  4»  la  ünivenidad  do  Chile  de  1877.  Seoeion  1  y  2- 
1877.  4*. 

b)  Seeionee  de  la  camara  de  Senadoree  ea  1877.  Nr.  1.  2. 
con  DocomenteB.  1877  foL 

c)  Seeionee  de  la  camara  de  dipatadoe  en  1877  Nr.  1.  2. 
1877.  foL 

d)  Ouenta  de  las  entrados  i  yastos  fiscales  de  la  Bepublica 
de  Chile  en  1877.    1878.  fol. 

e)  Memoria  del  Ministro  del  Interior  en  1878-     1878.  4". 

{)  Memoria  del  Ministro   de  justicia,   culto  e  inätmccion 
publica  en  1878.    1878.  4^ 


Digitized  by  Google 


Einsendungen  von  Druckschrißen. 


107 


g)  Memoria  del  Ifmistro  de  hadenda  en  1878.    1878.  4^. 

h)  Memoria  del  Ministro  de  guerra  i  marina  en  1878.  1878.  4". 

i)  Memoria  del  Ministro  de  relaciones  esterioreö  en  1878* 
1878.  4^ 

k)  Estadistica  comercial  de  la  Bepüblica  de  Chile »  aüo  de 

1877.  Valparaiso  1878.  8^. 

1)  CertAmenes  cieotificos ,  literarios  i  artisücos  del  mes  de 

Setiembre  de  1878.    1878.  8^ 
m)  Composiciones  premiadas  el  29  de  Setiembre  de  1878* 

1878.  8°. 

Von  der  archiklUigUcken  OeseUachaß  i»  AUtm: 

/tx^  haiQiag  1837  —  1879  t^iro  Bd^fdov  KamtQX'j. 

1879.  8*. 

*Foii  der  fiMndMm  QeteUadiafl  der  Wieeemdk^ften  in 

HeMnfffors: 

Oefyersigt  af  Finska  Vetenskaps-Societetens  Förhandlingar.  Bd. 
XXL    1878-79.    1879.  8^ 

Yen  der  h  ungarieti^  Akademie  der  WieaenedutfUn  in  Bndapeai: 

Literarische  13erichte  aus  Ungarn  von  Paul  Hunfalvy.    Bd.  II 
Heft  1-4.  Bd.  m.  Heft  1-4.    1878-79.  8". 

Von  der  Äccademia  dei  Lincei  m  Born: 
IVauimtL     VoL  IV.    1880.  4*. 

FoM  k.  $iaMie(Mapogn^)hiaaien  Bureau  in  Shtttgari: 

a)  Würitembergische  Vierteljahrshefte  für  Landeegeechichte. 
Jahrgang  II.  1879.    1879.  4^ 

b)  Württembergische  Jahrbücher  für  Statistik  und  Landes- 
kunde. Jahrg.  1879.  Bd.  I.  2.  HäUte  Bd.  U.  2.  Hälfte. 
1879.  8«. 

c)  Beichreibiuig  des  Ob^ramte  MergeBUMim.    1880.  d*'* 


Digitized  by  Google 


108  Binaendningen  ihm  DruduchrifUn. 

Von  der  Jtedaction  des  Äihenaion  in  Athen: 
li9ipfWJO¥,    Toft,  i{  tevxos  d*.    1880.  8*. 

Von  ekr  k,  Akademie  der  Wiseenschaften  in  SloMoim: 
Handlingar.    Bd.  17.    1879.  4"". 

Von  der  AcadMe  Sejfale  des  sdenees  in  BtAsmI: 

Bulletin.  Tom.  4Ü.    1880.  8**. 

Von  der  kaiserl,  Akademie  der  Wissenschaften  in  St.  Petersburg: 
Hemoir68.  Tom.  27.    1879.  4^. 

Von  der  balaviiiosch  Gmootsdmp  van  Künsten  en  Welenschappen 

in  Balavia: 

a)  Verhandlingen.   Deel  40.    1879.  4^ 

b)  Notiüen.   Deel  XYIL    1879.  8^ 

Von  der  ardtäologischen  GeseUschaft  in  Agram: 
Viesinik.   Bd.  DL    1880.  8<*. 

Von  der  Sociäe  HoUandaise  des  scienees  in  Hartem: 
Arcbives  Nöerlandusee.   Tom.  14.    1879.  8^ 

Von  der  Promneiaal  ü^ecktseh  Qenooist^aap  in  WecM: 

a)  Jaanreral^g  1877  u.  1878.    1877-78.  8^. 

b)  SeetieTeralag  1877  a.  1878.    1877-78.  8<>. 

c)  Abbandlnng  über  das  sogenannte  „ Flandrische  Steingat* 
des  XVI.  u.  XVn.  Jahrh.  Ton  J.  B.  DombaBch.  1878.  8*. 

Von  der  M.  Accademia  deUe  scienze  in  Turin: 
Memorie.   Ser.  IL  Tom.  31.    1879.  4^ 


Digitized  by  Google 


BÜMsendungen  von  DruckwtwifUn* 


109 


Vom  kgL  hhtHtuiU  voor  de  Tool-,  Land-  m  VolkmkufHk  vm 

Nederlandsch  Indie  im  Haag: 

i)  Bydragen  tot  de  taal-»  land-  eo  yolkeDkimde  van  Keder- 
landflch  Indi«.   IV.  Yolgreeks.  Deel  H.    1879.  8^ 

b)  Reizen  naar  Nederlandsch  Nieuw-Guinea  in  de  jarea  1871, 
1872,  1875  —  76,  door  P.  J.  B.  C.  Bobid^  Tan  der  Aa. 
1879.  8*. 


Vom  Herrn  Ä.  Spengd  in  München: 

Di#  Comödien  des  Terentios  erklärt  TOD  A.  SpengeL  2*  Bdcb. 
Addlphoe.   fiedin  1879.  8^. 

Vom  Herrn  Drang  Ludwig  Bamnanm  m  Bonaneeekmgen: 

Die  Gaugrafschaften  im  Wirtembergischeo  Scbwaben.  Stattg. 
1879.  8°. 

Vom  Harm  H  Kern  im  LeUkn: 

Lex  Salica,  the  ten  Texts  with  thc  GIosses  ed.  bj  J.  H.  Hessels. 
Witb  Notes  bj  H.  Kern.    London  1680.  4*. 

Vom  Herrn  WOl  Meifer  im  MBmekem: 

Pnblilü  Sjri  Mimi  sententiae  rec  Gaü.  Mejer.  Lips.  1880.  8*. 

Vm  Herrn  L,  K  Lwmdm  im  Bmdapeei: 

Sammlnnjj  kiemer  S<brifl^n.    Ein  Beitrag  xur  .S<;bilderuiig  aer 
lit^raridchen  Zur-iÄüde  onberer  ZwU    Wien  1880.  8''- 

Vom  Herrn  Wilk.  JP^rUeh  m  (iidkm: 


Die  wnAmAm  Hjuadeehnft«  der  beixogl.  tkWiMA  m  QolW. 
Bd.  DL  Heft  2.  h*. 


HO  Mnsendumgen  von  Druckschrißen, 

Vom  Herrn  JtUio  Jfirmino  Judice  Biker  in  Lissabon: 

Snppiemento  &  Collec9ao  do«  tratados,  coBven^OeB  eic.  Tomo 
•20.    1879.  8». 

Vom  Herrn  Ck^eian  Kossowicz  in  St,  Petersburg: 

Oantieiim  Oantioomm,  ez  hebraeo  eonTertit  et  ezplicaTit  Caje> 
taiiiis  EoBBowiGS.    1879.  8^ 


/ 


Sitzungsberichte 

der 

könial.  bayer.  Akademie  <ler  AYissenschaften. 
Historische  Claas e. 

SitzuAg  vom  6.  Man  1Ö80. 


Herr  Friedrich  hielt  einen  Vortrag : 
,,üeber  Francesco  Pncci/^ 

Gegen  Ende  des  16.  Jabrhnnderto,  als  Samnel  Hnber 

in  der  ScLiw«  i/.  uml  in  Dentschland  gegen  die  Prädestination 
auftrat  *)i  ^^^ud  dessen  Üuivensalismas  bei  einem  Italiener 
Francesco  Pucci  oder,  wie  er  gewöhnlich  genannt  wird, 
Pnodiie,  Anklang,  welcher  seit  langer  Zeit  schon  eich  mit 
den  religiösen  Streitigkeiten  be&sst  hatte  nnd  in  allen  Tom 
Protestantismns  ergriffenen  Landern  eonferirend  nnd  die- 
potir»'ud  hernmgereist  war.  In  älteren  prote8tanti.-cben 
Werken  fand  er  immer  eine  besonder^-  ii^-rücksichtigang, 
die  theologiscbe  Facultät  in  Leipzig  glaubte  Anfangs  des 
\H,  Jahrhunderts  geradesn  ron  einem  Poccianismns 
ipfeehen  zn  dftrfen  nnd  im  damaligen  Natnralismns  nnd 
bdifferentismos  nichts  andern  als  ihn  crbfieken  xn  kdnnen. 

1)  Sehweiser,  AkL,  die  |«ot  CetnMsgiwB  in  ikier  Sstwidr- 
lof  isBcrhalb  der  rafimniteB  Crahe.  IM.  I,  $01  C  —  Doraer, 
Ottekiehte  der  prot  TMegicu  8.  ^  C 
ri880.I.PhiL-phiLkirt.aBd.L2.]  H 


Digitized  by  Google 


112 


Sitzung  der  histor.  Classe  vom  6,  März  1880, 


Ittig  schrieb  damals  de  Puccianismo  und  in  einer 
Schrift:  Puccius  iu  Natunilistis  et  ludift'erentistis  redivivüs, 
Lips.  1712 f  heisst  es:  die  Zahl  der  Naturalisten  und  In- 
differeniisten  sei  bereits  so  gross,  dass  die  Prophezeimig  des 
Pooeins  in  Erföllung  gegangen:  „Wir  sind  sicher,  dass 
diese  Interpretation  (der  Gnade  Christi)  überall  die  Ober* 
band  erhalten  werde ,  wie  sie  schon  jetzt  Vielen  iu  Eujsf- 
land,  Deutschland,  Polen,  Frankreich  und  allerorten,  wo 
wir  darüber  conferirteu,  gefiel'*,  ^eine  Lehre  definirte  man 
kurz  dahin :  er  meine,  dass  „alle  Menschen  in  ihrer  Religion 
selig  werden  können,  wenn  sie  sich  nnr  eines  ehrenhidten 
Lebens  befleissigen^^.  Noch  später  beschnidigte  man  Adam 
liorel ,  seine  Lehre  ausser  aus  Öeb.  Frank  u.  a.  auch  aus 
Puccius  geschöpft  zu  habeu.^) 

Mau  hielt  jedoch  schon  zu  seineu  Lebzeiten  seine 
Schrift:  de  efficacitate  Serratoris  Christi  in  omnibns  et  sin- 
gnlis  hominibns  qnatenns  homines  sont  1592  —  für  so 
wichtig,  dasa  Lucas  Osiander,  Franz  Jnnins  nnd  Nicolaos 
Serrarins  Widerleguugen  derselben  schrieben.  Gleichwobl 
kannte  man  sein  Ende  nicht.  Osiander  berichtet  von  einen» 
Gerüchte,  dass  er  im  Salzburgischen  gefangen,  nach  liom 
abgeführt  und  dort  verbrannt  worden  sei.')  £ine  ganae 
Reihe  Ton  Gelehrten  stimmte  ihm  darin  an,  ohne  aber,  wie 
es  scheint,  irgend  welche  näheren  Anhaltspunkte  su  haben. 
Dem  widersprachen  aber  Eipping  und  Arnold:  nach  ihnen 
wäre  er  zu  Prag  gestorben.  Man  glaubte  nämlich ,  dass 
die  erstere  Nachricht  desshalb  nicht  richtig  sein  könne, 
weil  Puccius  sich  1586  in  Prag  mit  der  römischen  Kirche 
wieder  ansgesöhnt  habe;  allein  man  entgegnete,  es  sei  eben 
so  riditig,  dass  er  Yon  Prag  wieder  nach  Belgien  ging  nnd 


1)  Hersog  and  Plitt^  Kealencjclopidie  der  Theol.,  s.  BoreL 

2)  Lac.  Ofisiider«  Epit  big»,  ecd.  Cent.  XVL  Ub.  4.  e.  46.  p.  1099. 


Digitized  by  Google 


Friedrieh:  ü^ber  Francesco  Pucd, 


113 


1592  seine  $:chon  erwähnte  Schrift  Yoll  Schmähungen  auf 
den  Papii  und  die  rÖmiBche  Kirche  erscheinen  lieas. 

Di«  Gerücht,  das  Oslander  berichtet,  ist  allerdings  in- 
sofern  richtig,  als  Pnccins    wirklich    gegen  Ende  No- 

Tembers  1592  auf  seiner  Reise  nach  Rom  gen  Salzburg 
küiu.  Du  seine  Schriften  und  Papiere  im  Salzburger  fürster/- 
bischöftichen  Archive  liegen,  so  kann  dessen  letzte  Ge.schiehte 
auch  danach  noch  angeheilt  werden.  Ich  sah  jedoch  die 
Hinterlsssenschaft  nicht  selbst  ein,  sondern  kenne  sie  nur 
nach  den  Anszügen  nnd  der  Verarbeitnng  des  Johannes 
de  Gas  pari s  in  seiner  Historia  Lutherianismi  in  Salis- 
bargensi  Archiepiscopatu,  welche  er  1738 — 1741  ausarbeitete. 
Diese  Geschichte  hatte  ein  eigenthümliches  Geschick,  das 
bb  jetst  noch  nicht  yollständig  bekannt  ist,  nnd  ich  glaube 
daher  fiher  dieselbe  Einiges  yoransschicken  zn  dorfen. 

De  Oa:iparis  ans  Trient  war  in  Salzburg  Hofmeister 
des  adeligen  Erziehungshauses,  als  gerade  1731/2  die  Ans- 
wauderung  der  prote.stantisch  gesinnten  Salzburger  statt- 
fand. Dieselbe  erregte  bekanntlich  das  grösste  Aufsehea, 
■nd  das  Ver&hren  das  Fürsterzbischofs  Leopold  Anton 
fon  Firmian  erfuhr  die  heftigste  Anfeindung.  In  dieser 
Lage  sah  er  kein  anderes  Mittel  seiner  Vertheidigung  als 
die  Darstellung  der  Geschichte  des  Lntherthums  im  Erz- 
bisthum bis  /um  Jahre  1733.  Den  Auftrag  erhielt  1738 
de  CWiparis ,  wie  aus  einem  Schreiben  desselben  an  den 
Fftrsterzbischof  heryorgeht.  Zu  dem  Behufe  wurde  ihm 
du  enbisehöfliche  Archi?  geöffnet  und  manches  Interessante 
konnte  er  ans  demselben  schöpfen,  namentlich  aber  beruht 
leine  Geschichte  des  Protestantismus  im  Erzbisthnm  Salz- 

auf  den  Akten  desselben.  Die  Geschichte  wurde  von 
U«pans  zuerst  italienisch  gesehrieben  und  dann  in*s  La- 
tebiiche  übersetzt.  Gleichwohl  erschien  sie,  nachdem  sie 
rolkodei  war,  nieht  Man  sagte  neuestens,  der  Ersbiscbof 
hAe  gel&rehiet «  durch  die  Veröffentlichung  derselben  die 


Digitized  by  Google 


lU  SUtung  dar  lUUor.  Classe  vom  6.  Mm  1880. 

Protentauten  zu  reizen,  und  deshalb  die  gelehrte  Arbeit  in 
sein  Archiv  hinterlegen  lassen.^)  Das  ist  jedoch  sicher  uu- 
ricbiig.  Vielmehr  liess  die  Sakburger  Censur,  der  sich  de 
Gasparis  durchaus  nicht  fögeo  wollte,  die  Qeechichte  oicht 
paasiren. 

Ich  fand  nämlich  das  gesammelte  Material,  die  italie- 
nische Bearbeitung  und  die  lateinische  Uebersetzung  der 
Geschichte  Casparis'  bis  auf  den  letzten  Theil,  die  Geschichte 
der  Emigration,  handschriftlich  in  5  Foliobänden  in  der 
Bibliothek  des  hiesigen  Georgiannm  (Hist  eocl.  251*  and 
251**),  nnd  da  steht  an  der  Spitze  des  ganzen  Werkes,  de- 
monstratiT  offenbar,  der  oben  erwähnte  Brief  Oasparis*  an 
den  Er/bischof,  worin  er  seineu  Plan  und  seine  kritischen 
Grundsätze  auseinandersetzt,  darauf  aber  folgt  auch  eine 
Abschrift  der  Censnr  des  Buches  zogleich  mit  der  defensio 
des  Ver&ssen  und  der  daranf  erfolgten  subjectio  des  Oensors. 
Der  Oensor,  ein  Franziskanermönch,  nimmt  es  sehr  fibd 
auf,  dass  gegen  den  sonstigen  Branoh  bei  der  kirchlichen 
Censur  dem  Verfasser  eine  Censur  der  Censur  gestattet  sei ; 
Keiner  von  Beiden  gab  aber  nach. 

Wenn  die  Kirchengeschichtsforschung  innerhalb  der 
katholischen  Kirche  nicht  gedeihen  wollte,  so  wird  es  be- 
greiflich I  wenn  man  die  Censnr  dieses  Franziskaners  näher 
ansieht.  So  f3hrt  Gasparis  eine  Salzbnrger  Synode  um 
das  Jahr  1456  an  Sie  enthält  dem  Censor  eine  zu  grosse 
Uebertreibung  der  Laster  der  Geistlichen  und  kann  desshalli 
nach  seiner  Meinung  ohne  grosses  Aergerniss  und  Anstoss 
nicht  Teröfifentlicht  werden.  Die  Synode  stand  aber  schon 
bei  Hansiz  gedrackt,  and  Casparis  weigert  sich  deshalb 
entschieden,  sie  in  seinem  Werke  zn  streichen,  woranf  der 
Franziskaner  replicirt:  bei  Hansiz  seien  es  uur  advisameuta 


1)  Claras,  die  Auswaadenuig  der  prot.  gestontea  Sslslmrgsr  in 
dn  Jahna  17B1  oad  17d2.  1864,  8.  24. 


Digitized  by  Google 


fWedricA;  Ueber  Francesco  Pucci. 


115 


fdr  eine  künftige  Synode,   man  könne  darom  aus  ihnen 
nicht   folgern ,  dass  die  darin  berührten  Punkte  auch  er- 
wiesene Thatsacheii  seien.    Am  meisten  erregt  aber  den 
Zorn  des  Franziskaner-Censors,  dass  Oasparis  so  viel  Naoh- 
theiliges  von  der  römischen-  Kirche,  dagegen  Günstiges  von 
Luther  schreibe.  Es  war  nämlich  damals  schon  die  Tendens 
horsehemd,  das  Anfireien  Luthers  nnd  die  Reformation  nnr 
als  eine  grandiose  Auflehnung  zn  behandeln,  wocn  durchaus 
keine  Berechtigung  in  der  Corruption  der  Kirche  vorhanden 
war.    Zu   diesem  Zwecke  sollte  darum  geleugnet  werden, 
dass  die  römische  Kirche  sich  in  einer  so  grossen  Verwahr- 
losung befunden  habe;  denn,  sagt  der  Censor,  die  Kirche 
sei  makellos  und  wenn  es  auch  in  ihr  Laster  und  Bfiss« 
biiuche  gebe,  so  treffs  das  nicht  die  Kirche,  werde  dadurch 
nieht  sie  missgeetaltet  und  reformationsbedfirfiig ,  da  sie  ja 
nie  Laster  und  Missbränche  billige  oder  gestatte,  sondern 
stet«?  durch  ihre  Canones  strengstens  verboten  habe.  Um- 
sonst verweise  Casparis  daher  auf  das  Concil  von  Pisa,  welches 
das  Schisma  nicht  hob,  sondern  vermehrte,  anf  das  Concil 
Ton  Constanz,  das  in  seinen  Reformationsartikeln  nur 
«nsere  Dinge  im  Auge  hatte,  oder  auf  das  yon  Basel ,  das 
sehismattsch  und  deshalb  ohne  Bewdskraft  sei.   Die  Laster 
d«  Clerus  und  Volkes  mögen  der  Häresie  allerdings  einen 
leichteren  Eingang  gestattet   haben ;   die   primäre  Ursache 
«lerselbeu  waren  sie  gewiss  nicht.   Vielmehr  sei  nach  seiner 
Meinung  die  Haoptursache  theils  die  Gier  der  Fürsten  und 
Städte  nach  dem  KirchengntCf  theils  die  Rohheit  und  Trag* 
heit  des  Glems,  theils  die  Verhaastheit  des  Clerus  nnd  die 
Sinnlichkeit  des  Volkes.   In  das  Sakliuigisehe  aber  sei  der 
l^testantisinus  nur  eingeschleppt  worden  durch  hiretische 
i^hreiben  und  Schriften  und  durch  die  Bergwerks- Arbeiter 
ans  fremden,  von  der  Häre5.ie  angesteckten  Provinzen.  Ganz 
und  gar  unerträglich  aber  war  dem  Onsor ,  dass  e«  auch 
■V  dsB  Schein  hatte,  Gbspwis  wolle  Luther  als  VottEsoMMin 


Digitized  by  Google 


116 


SiUung  der  histor.  Claue  iom  6,  Man  1880, 


(genium  populärem)  und  als  dem  Hasclien  nach  Ehren 
fremd  diurstelleii.  Das  GegeiUheil  sagen  ja  die  katholischen 
GoniroTersiBteii,  nameotlieh  Conrad  Andrea  in  seiner  «lAnft- 
tomia  Lntheri**  ans,  in  der  man  den  Eleformator  nach 
seinem  Leben  geschildert  finden 

Am  köstlichsten  wird  aher  die  Censur  da,  wo  sie  bei 
Gasparis  auf  die  Darstellung  des  Wegganges  Lntherä  ans 
Augsburg  stösst  Er  hätte  nach  dem  Gensor  durehans 
sagen  sollen,  der  Teufel  sei  Luthers  Führer  gewesen;  denn 

man  könne  den  Katholiken  nicht  zuniutlien,  dass  sie  wegen 
der  Aötorität  eines  Seckendorf  die  öffentlichen,  allerdings 
zur  Indignation  der  Lutheraner  vor  Aller  Augen  zum  Gre- 
daehtniss  der  Sache  dastehenden  Monumente  wegwerfen, 
wenn  er  auch  nicht  entscheiden  wolle,  ob  der  Führer 
Luthers  ein  Bauer  oder  ein  Teufel  unter  der  Maske  eines 
Bauern  gewesen. 

Weiterhin  er&hren  wir  aus  der  Oensur,  dass  man  nicht 
einfach  „Reformation  Luthers**  ohne  ein  Epitheton,  das 
die  ünrechtm&ssigkeit  derselben  ausdrücken  sollte,  sagen 
durfte.  —  Auf  protestantische  Schriftsteller  sollte  man  sich 
überhaupt  nicht  berufen ,  denn  sie  verdienen  gar  keinen 
Glauben,  sondern  haben,  wie  orthodoxe  Polemiker  liin  und 
wieder  bemerken,  nur  die  Absicht,  die  römische  Kirche,  den 
Clerus  und  die  Mönche  zu  verleumden.  Stehe  aber  ein 
solcher  Schriftsteller  gar  auf  dem  Index  der  verbotenen 
Bücher,  und  zwar  unter  den  Autoren  erster  Klasse,  so 
dürfe  man  sie,  ohne  in  die  grosse  Excommunication  zu  ver- 
fallen, nicht  lesen,  also  auch  in  seinen  Schriften  nicht  be> 
nützen. 

Die  Richtschnur  eines  katholischen  Geschichtsforschers 
sollten  überhaupt  die  Schriften  der  katholischen  Polemiker 
oder  Coutroversisten  sein.  Da  Casparis  sagte,  Luther  ad 
nicht  der  Urheber  des  Bauemkriegee  gewesen,  so  verwebt 


Digitized  by  Google 


Driedirieh:  üiber  FVameueo  Pueei» 


117 


ihm  dies  der  Censor  nicht  blos  mit  Berufung  auf  das  Edict 
¥00  Worms  f  sondern  aneh  anf  den  „Friedsamen  Xnther^^ 
fon  Conrad  Andrea. 

Caspans  liatte  aber  in  sein  Werk  auch  eine  ausführ- 
liche Geschichte  des  Puccius  aufgenommen,  von  welcher 
der  Geosor  gar  nicht  einsehen  wollte,  was  sie  mit  der  (Je- 
sdilehte  des  Protestantismus  im  Erzbisthnm  Salzburg  zu 
thon  liaben  solle. 

Wenn  man  noch  die  Heftigkeit  der  Sprache  des  Gen* 
•ort  und  Gasparis'  g^gen  einander  beachtet,  so  kann  gar 
kdn  Zweifel  mehr  sein,  dass  einerseits  diese  Gensur  anderer- 

kHb  der  Maugel  an  Bereitwilligkeit  des  Autors,  der  Gensar 
sich  zu  fügen ,  da8  Erscheinen  des  Werkes  in  Druck  ver- 
hinderten. Und  dazu  konuut  noch,  dass  Casparis  zu  gleicher 
Zeit  als  Freimanrer  und  wegen  der  Anrufung  der  Heiligen, 
er  mit  Anderen  gegenfiber  einer  Predigt  als  zum  Heile 
siebt  noth wendig  erklarte,  in  Verruf  gekommen  war  und 
fieh  in  einer  anonymen  Schrift:  Vindiciae  adversus  Sjeo- 
pl:ant«'s  Invavienses,  Coloniae  1741,  vertheidigen  nuisste. 
Die&elbe  entwirft  daä  Bild  einer  merkwürdigen  Versumpfung. 

Erst  nach  seinem  Tode  gab  sein  Bruder,  Lazarus  de  Gas- 
paris, den  ersten  Tlieil,  aber  ohne  die  Geschichte  desPnccins 
bei  Zatta  in  Venedig  unter  dem  Titel  heraus:  Archiepisco- 
ponira  Salisburgensinm  res  adusque  Westphulicos  conveutns 
in  LotberaniBmum  gestae  (1779).  Im  Jahre  1790  veröffent- 
fiebte  dann  Fr.  X.  Huber  den  letzten  Theil  des  Werkes  in 
Bratscher  Uebersetsung :  Aktenmäesige  Geschichte  der  be- 
rihmten  salzbnrgisehen  Emigration,  Salzburg.  Der  dritte, 
^ijrentlich  der  mittlere  Theil ,  den  Lazarus  de  Casparis 
unter  dem  Titel :  De  Protestantium  Gernianorum  in  Catho- 
licos  Gestis,  herausgegeben  haben  soll»  ist  im  Druck  weder 
Haber  noch  mir  bekannt  geworden.  Bs  ist  jedoch  nur  ein 
ttMfenti&dniss  Huberts,  dass  der  Anadruck  des  Uzams 


Digitized  by  Google 


118 


Sitswig  der  histor.  Classe  vom  6.  März  1880. 


de  Casparis,  welcher  sich  in  der  Handschrift  nicht  findet  : 
de  qnibtts  paulo  accuratius  egimus  in  Opere  inscripto  „De 
Protestatium  etc." ,  sagen  soll ,  dieser  Tlieil  sei  schon  im 
Druck  erschienen;  denn  in  der  vorgedrnckten  Widmunf?" 
an  den  Erzbischof  Johann  Hieron.  Oradonico  von  Udine 
sagt  der  Herausgeber  ausdrücklich,  dass  er  diesen,  von  dem 
Erzbischofe  gebilligten  Theil ,  ebenfalls  zu  ediren  die  Ab- 
sicht habe.  In  der  mir  vorliegenden  Handschrift  ist  der- 
selbe enthalten  und  behandelt  die  Geschichte  des  westrälischen 
Friedensschlusses  und  der  Zeit  bis  zu  der  Auswandernnj^ 
der  protestantisch  gesinnten  Salzburger.  Nur  die  Verhand- 
lungen über  den  westphälischeu  Frieden  und  die  der  Aus- 
wanderung vorausgehenden  Bewegungen  im  Salzburgischeu 
bieten  jedoch  Neues,  der  grösste  Theil  beschäftigt  sich  mit 
der  Geschichte  des  Protestantismus  in  allgemeinen  Zügen. 

Dagegen  erschien  ebenfalls  noch  nach  seinem  Tode  die 
von  seinem  Bruder  weggelassene  Geschichte  des  Puccius  in 
der  sogen.  Nuova  raccolta  calogeraua  oder  Nuova  raccolta 
d'opuscoli  seien tifici  e  filologici,  Band  30,  Venedig  1776, 
unter  dem  Titel;  de  vita ,  fatis,  operibus  et  opinionibus 
Francisci  Puccii,  welche  Veröffentlichung  jedoch  nicht  weiter 
bekannt  oder  beachtet  worden  zu  sein  scheint. 

Nach  dieser  Bearbeitung  Casparis'  und  seinen  Ex- 
cerpten ,  unter  denen  insbesondere  Pucci*s  Brief  an  P.  Cle- 
mens VIH.  vom  5.  August  1592  reich  au  biographischen 
Notizen  ist,  will  ich  nun  Einiges  über  denselben  mittheilen. 

Puccius  war  1540  in  Florenz  geboren  und  stammte 
aus  einem  vornehmen  Geschlechte.  Von  Jugend  auf  der 
Frömmigkeit  und  der  heiligen  Literatur  ergeben ,  hat  er 
nebenbei  auch  nach  dem  Beispiele  seiner  Eltern  und  Ver- 
wandten sich  mit  Dante,  Petrarca  nnd  Savonarola  beschäf- 
tigt. Fromme  Männer  meinten,  dass  Gottes  Wille  ihn  zu 
grossen  Dingen  in  der  Kirche  ausersehen  habe.  Da  kam 
er  in  seinem  27.  Jahre  nach  Lyon ,  um  sich  dem  Handel 


Friedrich:  Ueber  Francesco  Pucd,  119 

zn  widmpii.  Allein  dort  erfasste  ihn  plötzlich  die  Liebe 
zu  den  göttlichen  Dingen ,  er  gab  den  Handel  auf  und 
wart'  sich  auf  das  Studium  der  religiösen  Fragen,  um  in 
dem  Widerstreit  der  Meinungen  sich  selbst  zn  orientiren. 
Er  nahm  die  lateinische  Sprache,  welche  er  schon  froher 
gelernt  hatte,  wieder  vor,  las  die  hl.  Schriften  und  dispu- 
Mrte  6ber  die  religiösen  Fragen.  Der  leichteste  Weg,  die 
Wahrheit  zu  finden,  sei  aber,  meinte  er,  wenn  er  die 
Meinungen  .'iller  Parteien  kennen  lernte  und  /u  dem  Be- 
hufe  ganz  Europa  durchreiste.  Nachdem  er  jede  vorgefasste 
Meinung  abgelegt,  ging  er  1571  nach  Paris  und  blieb  dort 
ein  Jahr,  nicht  ohne  yon  den  protestantischen  Lehren 
einigermassen  ergriflfon  sn  werden.  Von  da  ging  er  nach 
Britannien.  Nach  Socinus  wäre  er  einige  Zeit  in  Oxford 
gewesen  ,  aber  seine  pannloxen  Anschauungen ,  über  die  er 
in  Oxford  und  London  disputirt,  hätten  ihm  keinen  be- 
sonderen Ruhm  eingetragen.  Puccius  selbst  sagt  iu  seinem 
Briefe  an  Clemens  Vlil. :  er  habe  bei  den  englischen  Doc- 
toren  nur  liebloses  und  stolzes  Wesen  gehinden.  Inzwischen 
hatte  er  sich  dem  Römer  Franz  Pettns  in  Basel  brieflich 
genShert,  und  da  ihm  dieser  mittheilte,  es  halte  sich  einer 
»einer  FVennde,  8ocinns  nämlich,  in  Basel  anf,  von  dessen 
Verkehr  er  viel  Vortheil  werde  ziehen  können,  kam  Puccius 
nach  Basel.  Die  Ansichten  des  Socinus  konnte  er  aber 
nicht  theilen;  zwisclien  beiden  war  daher  beständiger 
Streit.  Schon  damals  stellte  er  übrigens  in  Basel  dieThesis 
aof:  De  fide  natnra  nobis  insita,  hominibnsqne  nniversis 
eommnni  Er  mnsste  deswegen  Basel  verlassen  und  kehrte 
nach  England  zurück,  wo  er  auch  jetzt  keinen  besseren 
Anklang  fand.  Er  wurde  sogar  in's  Oefängniss  gesetzt. 
Daraus  entlassen,  ging  er  nach  Belgien,  wo  er  mit  anderen 
der  KeligioQ  wegen  flüchtigen  Personen  Zusammenkünfte 
gehalten  zn  haben  scheint,  die  er  Concil  nannte;  denn 
einen  Brief  an  Socinus  datirte  er  „ans  der  35.  Sitzung  des 


Digitized  by  Google 


120  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  6,  Märe  1880. 

Concils  der  pilgernden  Christen".  Kr  verkehrte  mit  dem 
daujiils  noch  nicht  zur  katli.  Kirche  übergetretenen  Justus 
Lipsius  und  lud  sogar  Sociuus  dahin  ein,  wartete  aber  die 
Ankunft  desi^elben  nicht  ab,  sondern  reiste  selbst  naeb 
Polen.  Es  ging  ihm  jedoch  in  Krakau ,  wo  er  zuerst  eine 
Bemfung  auf  die  hl.  Schrift  nicht  solasflen,  sondern  nnr  die 
Vernunft  alldn  als  entscheidend  anerkennen  wollte,  nicht 
besser,  als  einst  in  Basel.  Auf  einer  Synode  lasen  die  Soci- 
nianer  nicht  einmal  die  Schriften  des  Paccius,  in  denen  er 
seine  Anschauung  vertbeidigte. 

Um  diese  Zeit,  schreibt  er  an  den  Papst,  habe  er  ein 
himmlisches  Gesicht  gehabt  und  gesehen »  wie  Himmel  und 
Erde  erzitterten  und  beim  Klang  der  Posaune  zusammen- 
stürzten. Daraus  schloss  er,  dass  der  Tag  der  Ankunft  des 
Herrn  nicht  ferne  sei,  und  verfasste  ein  Bnch:  De  occiusis 
bibliis ,  deque  Elia ,  qui  eas  aperitnrus  est ,  worin  er  be- 
hauptete, die  hl.  Schritten  seien  für  diese  Zeit  unverständ- 
lich und  deshalb  für  die  Entscheidung  der  religiösen  Con- 
troversen  unbrauchbar;  es  inüssten  dazu  erst  Elias  und 
Henoch  kommen.  Die  1260  Jahre  aber,  welche  bis  zu  ihror 
Ankunft  vorllbergehen  müssten,  seien  Tom  Concil  von  Nicaa 
an  zu  rechnen,  so  dass  also  dieselbe  nahe  bevorstehe.  Er 
glaubte,  dass  ihm  selbst  ein  Theil  bei  der  Sendung  beider 
zufallen  werde. 

Während  dieses  in  dem  Geiste  des  Puccius  vorging, 
kamen  die  beiden  damals  berühmten  Gaukler  Johannes  Devos 
und  Eduard  Keilaus,  die,  wie  es  seheint,  Tischräcken  und 
Magnetisiren  nebst  anderem  Schwindel  mit  einander  ver- 
banden, denn  ein  Tisch  und  ein  Erystall  spielen  bei  ihnen 
eine  Rolle,  —  nach  Krakau.  Puccius  trat  mit  ihnen  sofort 
um  so  mehr  in  Verbindung,  als  sie  vorgaben,  mit  Engeln 
zu  verkehren  und  von  Gott  zur  Hesserung  der  Welt  be- 
stimmt zu  sein.  Er  ging  mit  ihnen  auch  nach  Prag  und 
hing  ihnen  so  lange  an,  bis  er  glaubte,  der  englische  Qeist, 


Digitized  by  Google 


Driedrkh:  lieber  Francesco  Fucd, 


121 


welcher  seinen  Genossen  die  Antworten  gab ,  mahne  ihn 
zur  Rückkehr  zar  römischen  Kirche  (1585).  Von  dieser 
Verbindung  sagt  übrigens  Puccius  in  seinem  Brief  an  den 
Pi^st  nichts,  sondern  nur:  seit  1571  habe  er  14  Jahre  lang 
nnablfisaig  mit  den  Doctoren  aller  Parteien  dispotirt,  sich 
weder  dnrch  Belohnungen  noch  Verspredinngen  znm  üeber- 
tritt  zn  einer  Secte  yerleiten  lassen  und  sei  nie  von  irgend 
einem  Dograa  der  katholischen  Kirche  abgefallen.  Dagegen 
habe  er  die  Feindschaft;  sehr  Vieler  der  Wahrheit  wegen 
auf  sich  nehmen  müssen,  alle  Schriften  derselben  durchge- 
gangen, mit  ihnen  gekämpft  und  den  Sieg  davon  getragen. 

Die  angebliche  Mahnung  des  Engels  bewog  Puccius 
(15SÖ),  sich  an  den  päpstlichen  Nuntius  in  Prag  zu  wenden. 
Dieser  ertheilte  ihm  die  Firmung  und  Puccius  versicherte 
spftter  dem  Papste,  dass  er  durch  diese  Salbung  neue  Kräfte 
und  den  Creist  .empfangen  habe,  welcher  sum  richtigen 
VmtSndnisse  der  hl.  Schriften  und  der  Prophetien  noth- 
wendig  sei.  Der  Nuntius  aber  habe  ihm  damals  vorausge- 
sagt: der  <  Jeist  des  Thomas  von  Aquin  werde  in  ihm  wieder 
aufleben,  und  seitdem,  setzt  er  bei,  habe  es  ihm  geschienen, 
die  Schriften  des  Aquinaten  stimmten  mit  seinen  Mein- 
ungen überein. 

Im  Jahre  1586  zerfiel  auch  Devus  mit  Puccius,  den 
jener  wegen  Verraths  im  Verdacht  hatte.  Alles  Bitten  des 
Puccina  half  nichts;  Devus  verweigerte  ihm  eine  weitere 
Verbindung.  Als  aber  Devus,  den  der  Papst  wegen  gott- 
loser Neuerungen  vom  Kaiser  nach  Rom  ausgeliefert  wissen 
wollte,  aus  dem  Reiche  verbannt  wurde  und  nach  Erfurt 
reiste,  kam  auch  Puccius  dahin.  Er  wollte  das  Versprechen 
Ton  dem  Nuntius  Malaspina  haben,  dass  sie  in  Rom  sehr 
hiHiian  empfangen  und  behandelt  werden  sollten.  Devus 
and  KeUäus  gingen  aber  nicht  darauf  ein  und  entUessen 
Paecius  unTerriehteter  Dinge. 


122  tiitiUHg  der  histor.  Classe  vom  6.  März  1880. 

Paccias  scbeint  einige  Jahre  in  Prag  sich  anfgebalteii 

zn  haben,  da  er  dem  Papste  j^e^r^uüber  rühmend  erwShnt, 
dass  er  von  den  Nuntien  Malaspina,  Sega  und  Puteo  iu 
Prag  human  buliandcU  worden  sei.  Er  hielt  sich  überhaupt 
jetzt  wieder  sehr  eifrig  zu  den  Katholiken  und  empfing  die 
Sacramente,  ohne  jedoch  seine  frühere,  schon  in  Basel  ans- 
geeprochene  Aneehaanng  anfzugehen.  Er  habe,  sagt  er, 
Gott  gebeten,  ihn  Heber  sterben,  als  etwas  Wahrheits- 
widriges lehren  zn  lassen;  sei  aber  nnr  von  Tag  m  Tag 
geschickter  geworden,  seine  Lehren  zu  verbreiten  und  die 
Tntriguen  der  Feinde  zu  überwinden.  Er  glaubte,  dass 
seiner  Lehre  nur  noch  Kines  fehle,  um  ihr  den  allgemeiueu 
Sieg  zu  verschaffen,  —  die  Uillignng  des  heiligen  Stahles, 
weshalb  er  schon  gegen  die  letzten  80  er  Jahre  daran  dachte, 
nach  Rom  zu  reisen ;  allein  der  Geist  Gottes  habe  ihn  stets 
anderswohin  abgerufen.  Darunter  verbirgt  er  die  Motive, 
weiche  ihn  veranlassten,  Prag  zu  verlassen  und  wiederum 
sich  auf  Reisen  zu  begeben.  Man  weiss  auch  anderswoher 
niclit,  warum  er  Prag  verliess ,  aber  es  scheint,  je  mehr  er 
auf  seine  früheren  Anschauungen  zurückkam,  desto  grossere 
Entfremdung  zwischen  dem  neuen  päpstlichen  Gesandten 
und  namentlich  den  Jesuiten  und  ihm  eingetreten  zu  sein. 
Denn  Aber  jenen,  den  Vicecomes,  klagt  er  bitter:  er  sei 
ein  zommfithiger  Mensch,  der  Jedem  ranh  entgegenkomme; 
die  Jesuiten  in  l'rag  aber  bekämpften  zuerst  katholischer- 
seits  die  Meinungen  des  Puccius,  Es  war  so  weit  gekommen, 
dass  ihm  der  junge  Legat  I  j  to  nicht  einmal  einen  Geleits- 
brief  zu  einer  Reise  nach  Horn  ausfertigte,  sondern  den 
Puccius  wie  seine  Schreiben  abwies. 

Puccius  ging  nunmehr  von  Prag  wieder  nach  Paris 
und  stellte  dort  am  22.  Not.  1591  zwei  Thesen  auf:  die 
eine,  dass  alle  Völker  der  Seligkeit  theilhaftig  werden,  auch 
ohne  die  Taufe,  oder  von  der  Gnade,  welche  Allen  von 
Natur  aus  gegeben;  die  andere,  dass  nach  der  Besiegung 


Digitized  by  Google 


Friedricli:  Ueber  Francesco  l*ucci. 


123 


des  Teufels  die  Seligen  1000  Jahre  auf  Erden  mit  Christus 
ref^ertfn  worden.  Puccius  hat  über  diosen  Pariser  Auteot- 
halt  eine  Relation  hinterlassen ,  welche  im  Salzborger  Ar- 
eliiv  lag.  Er  provocirte  Katholiken  wie  Galvinisten  zu  einer 
Diafmiation ;  allein  die  letzteren  antworteten  ihm,  es  sex 
ein  CapitaWerbrechen,  ohne  Erlau bniss  des  Königs  über  die 
Rflij^ioii  zn  di^^putiren  ,  und  sie  könnten  deshalb  auf  seine 
Provocation  nicht  eingehen.  Damit  er  aber  nicht  fortführe, 
iuit«^r  dem  Volke  auszustreuen,  die  Calriuisten  disputirten 
nicht  mit  ihm^  weil  sie  ihm  nieht  gewachsen,  so  yerdffenU 
lieble  Dr.  Honor^  eine  Kritik  seiner  Thesen:  Orthodoza 
explicatio  ad  priorem  et  posteriorem  thesim  Francisci  Pnccii. 
Nach  ihm  richtet  sich  die  erste  These  mehr  gegen  die 
römischen  Katholiken  als  gegen  die  Calvinisteu ;  was  aber 
aufiiaierhalb  ihres  Kreises  vor  sich  gehe,  kümmere  sie  nicht. 
ÜM  sei  aber  lediglich  eine  Täusehnng,  entgegnete  Paccins; 
denn  die  römischen  Katholiken,  mit  Ausnahme  gewisser 
Scholastiker  nnd  der  Jesuiten,  yerabschenen  die  harte  Mein- 
ung von  der  Prädestination.  Er  kclnnt-  deshalli  frei  be- 
baapten,  die  römisch-katholische  Kirche  folge  der  von  ihm 
vorgelegten  These.  Er  habe  dieselbe  in  Prag  lauge  festge- 
lialten  nnd  g^en  die  Jesuiten  yertheidigt,  ohne  dass  ihm, 
dam  sonst  genng  Angefeindeten,  vom  apostolischen  Nuntius 
die  Saerwnente  verboten  oder  dies  von  anderen  Theologen 
verlangt  worden  sei;  denn  er  habe  bewiesen,  dass  ihm,  mit 
Ausuahrae  des  Augustinus,  das  ganze  Alterthum  -  er 
oeont  die  Recognit.  IIb.  b  sub  fiu.;  Justin.  Mart.  apol.  1. 
2.;  Ambroa.  snper  cap.  5  ad  Rom.  —  günstig  sei,  dass 
Thomas  Ton  Aquin  (Part  3.  qn.  1.  art.  4 ;  qu.  96.  3  ad  3.) 
üiQ  nnteratfitzo  und  die  Offeubarnngen  mehrerer  Heiligen 
(Bevel.  s.  ßrigitt.  lib.  5)  das  nämliche  lelirtni;  dass  Hierou. 
Oijorius  (de  justit.  coel.  lib.  0.  in  princ),  Georgius  Siculiis 
nnd  andere  berühmte  Doctoreu  jenes  Jahrhunderts  ebenso 
lehr  Ai^^nstuins»  als  Luther  nnd  Calvin  widersprechen.  Er 


Digitizedby  Google 


124 


Sitzung  der  Mstor,  Classe  vom  6.  Märt  1880. 


wolle  es  jedoch  entschnldigen,  dass  die  Calviuisteii  ungefähr 
20  Tage  zögerteu,  bis  sie  ihm  geantwortet.  Umsonst  be- 
rnfe  man  sich  aber  darauf,  dass  eine  Disputation  über  die 
Religion  ohne  Erlaubniss  des  Königs  ein  Oapitalverbrechen 
sei:  der  König  sei  unbefangen,  erwarte,  aus Sehnsncht  nach 
der  Wahrheit,  längst  ein  Concil,  und  ziehe  und  rufe  des- 
halb die  Leute  zu  sich  ,  welche  von  gleichem  Eifer  beseelt 
seien  und  etwas  zur  Beseitigung  der  Zwietracht  unter  den 
Menschen  beitragen  können;  asn  jenen  gehöre  aber  durch 
Gottes  Gnade  er  nnd  er  sei  auch  in  der  Lage  etwas  darin 
zn  yermögen.  Er  müsse  sich  aber  ansserdem  wnndem,  dass 
ein  solcher  Einwurf  von  Leuten  komme,  welche  bisher 
wenig  Scheu  hatten,  gegen  soviele  königliche  Befehle  zn 
handeln,  Unzählige  der  kath.  Kirche  zu  entziehen  und  nicht 
blos  mit  Fremden  zu  disputiren,  sondern  auch  der  Idolo- 
latrie  nnd  des  Antichristenthnms  Könige  nnd  Ffirsten  zn 
beschnldigen,  welche  seit  1000  Jahren  in  Europa  den  Titel 
der  Heiligkeit  nnd  christlichen  Frömmigkeit  behaupteten. 
Der  hl.  Justinus ,  der  Philosoph  und  Martyr ,  verdamme 
ihr  Dogma  und  trage  kein  Bedenken  ,  mit  Abraham  ond 
den  übrigen  Heiligen  Socrates,  Heraklit  und  diesen  ähn- 
liche sasammenznstellen,  welche  der  Vemnnft  nnd  Natur  ent- 
sprechend gelebt  nnd  in  gewissem  Sinne  mit  Christo  überein- 
gestimmt haben.  Der  nSmIichen  Meinnng  seien  nicht  bloss 
jene  unbekannteren  Katholiken  gewesen,  welche  sie  nennen, 
sondern  unzählige  andere  berühmte  in  di  'sem  und  den  anderen 
Jahrhunderten,  ja,  ihr  Zwingli  selbst.  Was  er  sage  sei  daher 
nicht  nen ;  wohl  aber  sei  ihr  ganz  gräulicher  Irrthum  von  den 
Temflnftigeren  Deutschen  auf  dem  Mömpelgarder-Golloquium 
(1586)  ferworfSsn  worden,  und  es  wäre  wunderbar,  wenn  er 
von  den  Franzosen,  welche  an  (reist,  Gelehrsamkeit  und  hu- 
maner Bildung  keiner  Nation  nachstehen,  länger  l>eibehalten 
würde.  Doch  wolle  er  gestehen,  dass  die  Juden  und  Türken, 
welche  «nnter  Christen  wohnen  und  das  Studium  der  evan- 


Digitized  by  Google 


Friedrich:  Ueber  Francesco  Fucd.  125 

j^Hscheu  Wahrheit  veruachlässigen ,  ehendaruni  schwere 
Strafen  erfahren  werden ;  deuu  diese  seien  keine  einfache 
ÜDgläabige,  sondern  Verächter.  Uebrigens  sei  anch  unter 
den  Christen  der  lebendige  Glanbe  und  jener  glfibende  Geist 
«rkaliet,  in  dem  die  Hanptsaebe  unserer  Religion  bestehe; 
selten  seien  heute  taugliche  Diener  des  Neuen  Testaments: 
man  müsse  daher  Gott  bitten  ,  dass  die  Spaltungen  unter 
OOS  gt'hoben  und  die  verdorbenen  Sitten  gebessert  werden, 
weiche  die  Juden  und  Türken  so  sehr  abstossen;  dass  ein 
grgsocroo  Licht  diesem  Jahrhundert  aufleuchte,  welches  die 
besehnittenen  Nationen  zu  unserer  Religion  heranziehe. 
Er  wfinsche,  dass  seine  Hoffnung  sich  erfülle:  es  beginne 
dies  in  den  Tagen  des  tapfersten  Königs  von  Frankreich 
and  Navarra  und  dieser  sei,  nach  Oeifoong  des  ersten 
Siegels  des  der  jüdischen  Nation  so  lange  yerschlossenen 
Boches,  der  Reiter  auf  weissem  Rosse  mit  dem  Bogen  in 
der  Hand,  dem  Tom  Himmel  eine  Krone  gegeben  wird,  der 
als  Sieger  ausgehe  und  siege. 

Anf  die  zweite  These  hatte  Honore  geantwortet:  sie 
besage  nichts  anderes,  als  den  so  alten  und  grässlichen  Irr- 
ihum  der  Chiliasten.  Allerdings  seien  durch  die  Bibelstellen, 
welche  Paceius  för  seine  These  anführe,  einige  alte  V&ter 
getäuscht  worden,  durch  Augustinus,  wie  er  selbst  frei- 
mftlhig  eingestehe,  der  aber  später  nach  besserer  Ueberleg- 
nng  der  Sache  diese  Häresie  wieder  aufgegeben  hal)e. 
pQCcius  erwiderte  darauf:  er  denke  keineswegs  mit  dem 
H&retiker  Gerinth,  sondern  mit  den  heiligsten  und  gelehr- 
testen Vätern,  welche  Gerinth  ▼erabscbenten;  denn  die 
Meinung  von  dem  1000 jährigen  Reiche  habe  Papias,  der 
Zoh9rer  des  hl.  Petrus»  festgehalten  and  Terkfindigt,  ebenso 
Irenaus,  Justiuus,  Victorinus,  Apollinaris,  Tertulliuu,  Lac- 
tautius,  Sulpitius,  der  Schüler  des  hl.  Martinus,  und  später 
der  Dichter  Petrarca ;  aber  auch  zu  den  Zeiten  des  hl.  Hier o- 
aymos  hätten  nele  Heilige  und  Märtyrer  so  gedacht 


Digitized  by  Google 


• 


126  Sitzung  der  hialar.  Classe  vom  6.  März  1880. 

Näher  betrachtet,  haben  jedoch  aneh  die  hl.  EUeronymus 

und  Augustinus  vielmehr  die  Gottlosigkeit  des  Cerinth  oder 
die  Berechnung  der  Zeiten  und  die  nnzeitgeniässe  Erwart- 
iiug  jenes  Reiches ,  woriu  in  der  I  hat  viele  Heilige  und 
Orthodoxe  geirrt  haben,  bekämpft  und  widerlegt,  aU  jene 
Meinung,  wenn  sie  dem  Gesiebte  des  hl.  Johannes  gemäss 
heiligen  and  frommen  Sinnes  anfgefasst  werde.  Dasn 
konnne ,  dass  die  Sibyllinisehen  Orakel  seiner  Meinung  an 
verschiedenen  Stellen  günstig  seien,  also  auch  die  Römische 
Kirche,  welche  jeue  Orakel  nicht  verachte,  and  es  frei  lasse, 
so  ssu  denken;  denn  noch  auf  keinem  allgemeinen  Concil 
sei  diese  Meinung  erörtert  oder  gar  verdammt  worden. 
Dass  die  Jesuiten  dieselbe  meist  tadeln,  verschlage  nichts 
gegenüber  dem  hl.  Johannes  und  so  vielen  Heiligen  und 
Märtyrern:  sie  wis.s«Mi  ohnehin  uieiits,  als  ihre  Einlalle  und 
Meinungen  entgegenzusetzen.  Wenn  die  Jesuiten  auch 
sonst  um  die  Kirche  verdient  seien,  so  gross  sei  ihre  Au- 
torität doch  nicht,  dass  sie  so  heiligen  Zeugen  den  Glauben 
derogiren  könne.  Er  habe  in  Prag  mit  ihnen  fiber  dieses 
Dogma  disputirt,  aber  sie  wagten  es  nicht  gegen  dasselbe 
zu  schreilien  oder  «s  zu  verd;ininien.  Und  das  sei  auch  diis 
Urtheil  anderer  Theologen  gewesen;  weshalb  sie  mir  weder 
die  Sacramente  untersagen  Hessen,  noch  mit  mir,  nach  Be- 
stellung eines  Schiedsgerichts,  darüber  disputiren  wollten. 
Doch  unterwerfe  er,  schliesst  er,  Alles  dem  ürtheile  der 
heiligen,  katholischen,  apostolischen  ui  1  rJuuisclien  Kirche. 

Dieser  Streit  mit  ilen  Calvini.- ten  tallt  auf  den 
21.  Februar  1592.  Puccius  brachte  es  aber  doch  iu)ch  da- 
hin ,  dass  er  im  Louvre  unter  dem  Vorsitze  des  Cardinais 
Bourbon  über  seine  Thesen  disputiren  durfte.  Duret  war 
dabei  sein  Gegner  und  vertheidigte  den  Satz:  Christum 
horaines  nniversos  s n f fi cienter,  non  autem  efficaciter 
redeiuisse.  Puccius  machte  dagegen  viele  Gründe  geltend  ; 
allein  am  dritten  Tage  hob  der  Cardinal  die  Disputation 


Digitized  by  Google 


Friedrich:  lieber  Francesco  Pucci. 


127 


iif.  Es  wurde  ihm  Terboten,  über  seine  Nenerungen  weiter 
zu  reden;  dann  aber  wnnle  er  aus  Paris  ausgewiesen,  was 
er,  wie  aus  spiitereu  Briefen  desselben  hervorgeht,  dem 
Cardinal,  dem  er  es  aber  wegen  seiner  Jugend  nachsehen 
volle,  dem  Secretar  dee  Königs  Revol  und  dem  Herzog  von 
BoidUon,  der,  wie  alle  Orosse,  von  seiner  ümgebnng  ge- 
tiaieht  worden  sei  nnd  deshalb. Ifiileid  verdiene,  sehr  Ter- 


Von  Paris  ging  Pucci us  wieder  nacli  den  Niederlanden 
und  Hess  nun  in  Gouda  1592  sein  Buch  „De  Christi  Serva- 
ioris  efficaciiaie''  erscheinen.  Er  wollte  seiner  darin  ans- 
ge^roehenen  Meinung  überall  Eingang  Terschaffen  und 
MHidie  m  mit  Begleitschreiben,  Ton  denen  noch  eine  An- 
xahl  vorhanden  ist,  nach  allen  Seiten:  au  den  Papst  Cle- 
mens VIII.,  den  König  von  Frankreich,  den  er  öfters  ge- 
iprocbeu  zu  haben  scheiut,  an  die  Königin  von  England, 
an  den  Cardinal  Bonrbon,  den  Erzbischof  von  Bonrges,  den 
Henog  von  Bonillon,  an  Jostns  Lipsins,  den  er  sogleich 
wegen  seiner  Rfickkehr  zur  r5misch-katholischen  Kirche  be- 
glückwünscht,  und  an  alle  Universitäten,  Akademien  und 
'"^chuleu  mit  einem  encyclischen  Schreiben  an  dieselben  etc. 
Er  macht  von  der  Annahme  seiner  Meinung  natürlich  das 
Wohlbefinden  der  Welt  abhängig;  denn  durch  sein  Buch, 
•direibt  er  an  die  Königin  von  England,  lasse  Gott  die 
Welt  erkennen,  wie  er  in  diesen  Zeiten  die  Erde,  welche 
foll  Ungerechtigkeit  sei,  wieder  reinigen  nnd  die  drei  Na- 
tionen, welclie  denselben  Gott  kennen,  die  christliche,  die 
bebräiäche  und  die  ismaelitische  oder  mohammedauische^ 
veiebe  zu  ao  grossem  Schaden  der  Welt  unter  sich  getrennt 
■den,  Tminigen  woMe«  Sein  Buch,  das  er  ihr  schicke,  sei 
ton  Gott  dietiri  und  die  Reiche  werden  glücklich  sein, 
welche  es  annehmen.  Wie  aus  einem  Briefe  an  einen 
Freund  vom  5.  Januar  1593  hervorgeht,  hatte  er  auch  au 
die  Judeu  geschrieljen. 


fifaeHe. 


UöOO.  1.  FbiL-plul.  kist.  Cl.  Üd.  1. 2.J 


9 


Digitized  by  Google 


128  SUiung  <ler  histor.  ülaue  vorn  6,  Märe  1880, 

Diese  Schrift  war  e^,  gegen  welche,  wie  ich  sclioo  obeu 
bemerkte,   Lucas  Osiauder,   Franz  Junios  und  der  Jesuit 
Serrarios  schrieben.    Wir  sehen  jedoch  nur  noch,  dass  er 
gegen  die  Jesuiten,  sunächst  gegen  die  sa  Prag,  zn  pole- 
misiren  yersuchte.    Die  Jesuiten  hielt  er  überhaupt  für 
«kr  geföhrlich  der  richtigen  Denkweise.    Deshalb  sehrieb 
er  ein  eigenes ,  aber  ungedruckt  gebliebenes  Buch  an  Hell- 
arm  in :  De  praedeatinatione  1501,  ind»Mn  er  glaubte,  wenn 
er  ihn  gewänne,  würde  wohl  auch  seine  ganze  Gesellschaft 
seine  Doctriu  annehmen.  In  Prag  ht^tte  der  Pater  Aquenais 
behauptet»  die  Pucci*schen  Doctrinen  seien  häretisch  und 
schon  vom  Concil  von  Trient  rerdammt;  bezüglich  seiner 
Berufung  auf  den  öfteren  Empfang  der  Sacramente  in 
jedem  Monate,   die  er  durch  die  Zeugnisse  seiner  Beicht- 
väter belegen  könne,  iiusserte  aber  der  Jesuit:  diese  Zeug- 
nisse könnten  auch  gefälscht  sein.    Puccius  hatte  kaum 
Ton  diesen  Angriffen  gehört,  schrieb  er  Ton  Nürnberg  an 
einen  Freund  in  Prag  (1592):  er  möge  ihn  bei  dem  Nuntius, 
dem  Bischof  Spedano  tod  Cremona,  gegen  solche  Angriffi» 
yertheidigen.  Als  er,  Puccius,  in  Prag  gewesen,  habe  weder 
dieser  Pater  noch  die  anderen  Jesuiten  ihm  zu  antworten 
vermocht,  und  wenn  er  sie  zu  einer  Confereuz  autforderte, 
hiitten  sie  die  Flucht  ergriffen.    Er  sei  jetzt  50  Jahre  alt 
und  habe  nunmehr  22  Jahre  davon  aus  reiner  Nächstenliebe 
damit  zugebzaeht,  die  religiösen  Controversen  kennen  zu 
lernen.    Der  Pater  könne  sich  nicht  rühmen,  die  Gabe  zu 
besitzen,  die  Prophetien  zu  interpretiren;  Jemanden  aber 
als  Häretiker  zu  benrtheilen,  sei  sehr  schwer,  wie  dies,  ab- 
gesehen von  den  Alten,   auch  Alfonso  di  Castro  gestehe. 
Die  hl.  Schrift ,   die  Väter    der   alten  und  neuen  Zeit,  be- 
sonders Thomas  von  Aquiu  seien  ihm  günstig;  das  Concil 
von  Trient  aber  habe  seine  Propositionen  weder  geprüft 
noch  rerdammt.   Die  hl.- Kirche  könne  jederzeit  grössere 
Klarheit  haben  und  es  sei  unrichtig,  dass  ein  früheres 


Digitized  by  Google 


Fnedrich:  Ueber  Francesco  Pucci, 


129 


Coueil  so  die  Regel  sei,  dass  der  Papst  oder  AiKicif  die 
lieili^ru  Gehelmiiis^^j'  nicht  deutliclier  erklären  kinmteu. 
Der  Papst  und  die  Kirche  seien  mehr  auf  Seite  der  tho- 
mistischen  Doctrin,  die  auch  die  seinige  f;ei,  als  auf  Seite 
der  aogiutinischen.  Die  Zeognisee  fteiner  Beichtväter  aber 
in  Zweifel  zo  ziehen,  sei  eine  schwere  Injurie.  Er  verlange 
daher  von  dem  NnnHns,  dass  er  ihm  Recht  nnd  Genng- 
thuQDg  verscbaÖe;  denn  der  Pater  Aqueusis  sei  ein  Ver- 
leumder, ein  Priester  von  schlecliteni  Gewissen,  uuwürdig 
die  Sacramente  zu  verwalten  und  das  Wort  Gottes  zu  ver- 
kündigen. Diesem  Brief  fugte  er  dann  einige  seiner  Propo- 
sitionen bei:  die  Jesuiten  und  Scholastiker  werden,  indem 
sie  leugnen,  dass  Christus  den  hl.  Geist  allen  einzelnen 
Gläubigen  versprach  und  gab,  mehr  Yom  Fleische  als  vom 
Geiste  geleitet.  Das  Goncil  von  Trient  yerdammte  nhr  die 
Auabaptisteu  ,  nicht  aber  den  Thomas  v(;ii  Aquin  und  die 
anderen  Katholiken,  welche  dafür  halten,  die  ^anze  mensch- 
liche Natur  sei  durch  das  Verdienet  Christi  versöhnt  und 
von  der  Makel  der  Erbsünde  gereinigt  worden.  Die  Ent- 
scheidungen der  früheren  Concilien  schliessen  weder  dem 
hl.  Geiste  den  Mund,  noch  den  von  ihm  Inspirirten,  so  dass  sie 
nichts  Besseres  antworten  können ;  weshalb  man  auch  nicht 
durch  diese  Entscheidungen  die  göttlichen  Gedanken  be- 
schränken dürfe,  welche  dem  Papste  oder  Anderen  zu  Theil 
werden,  indem  die  Kirche  von  Tag  zu  Tag  grösseres  Licht 
empfangen  könne  und  müsse.  Das  Concil  von  Constanz 
habe  angeordnet,  dass  alle  zehn  Jahre  ein  allgemeines 
Coneil  zu  halten  sei,  um  die  Geister,  welche  die  Christen- 
heit beunruhigen,  zo  zügeln,  die  zahlreichen  Missbränche  zu 
ferbessern  und  den  zahlreichen  Bedrängten  Genugthuung  zu 
verscliart'en.  KndliL-h:  die  gelehrtesten  Protestanten  stinnnen, 
gegen  die  Calvinisteu  disputirend,  darin  übereiu,  dass  Christus  ^ 
fnr  alle  Menschen  ohne  irgend  eine  Ausnahme  gestorben  sei, 
wie  man  aus  den  Thesen  des  Samuel  Huber  sehen  könne. 


Digitized  by  Google 


J 


130  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  6,  März  1880. 


Puccius   hatte   schou   in  seinem   Begleitschreiben  au 
Clemens  VIII.,  das  er  zugleich  mit  seiner  Schrift  durch  doii 
Cöluer  Nuntius  nach  Rom  schicken  liess,  gesagt,  er  wollt* 
nach  Rom  kommen,   der  Papst  möge  ihm  Zutritt  zu  ihm 
gestatten   und  Sicherheit  für  diesen  Fall  gewähren.  Wie 
hoch  er  sich  schätzt«,  geht  ans  den  weiteren  au  den  Papst 
gerichteten  Worten  hervor:  wenn  er  nach  Rom  komme, 
dürfe   er  von  dem  Papste  nicht   nach  gewöhnlicher  Sitte 
empfangen   werden ;  denn  er  gehöre  zu  der  Schaar  jener 
Krieger,  welche  mit  den  Feinden  öfter  im  Kampfe  standen. 
Dies  könne  man  aber  von  den  italienischen  Theologen  nicht 
sagen,  sie  seien  nur  Besatzungsmannschaft,  welche  das  An- 
gesicht der  Feinde  nie  gesehen.    Ausserdem  müsse  er,  da 
er  von  Gott  zu  einem  so  grossen  Werke  besonders  beraten 
sei,  durch  die  Autorität  des  Papstes  vor  den  Insulten  seiner 
Feinde  und  der  Thoren  sicher  sein. 

Dem  Nuntius  in  Cöln  hatte  er  geschrieben,  dass  er  im 
September  1592  in  Frankfurt  sein  und  dort  die  Antwort 
aus  Rom  erwarten  werde.  Diese  kam  jedoch  nicht ,  und 
so  entschloss  sich  Puccius,  die  Reise  nach  Rom  dennoch 
anzutreten.  Von  Nürnberg  aus  erinnerte  er  sich  noch  des 
Socinus  und  schickte  einem  Freunde  handschriftliche  und 
gedruckte  Bücher,  darunter  auch  einen  Tractat  des  Socinus, 
welchem  er  Randbemerkungen  hinzugefügt  hatte.  In  Nüru- 
berg  war  es  auch,  wo  er  sich  Torrigiauische  Wechselbriefe  an 
die  Capponi  in  Venedig  ausstellen  liess  und  einen  Brief  au 
den  Commendatore  Pucci  in  Rom  schrieb.  Von  da  schlug 
er  den  Weg  nach  Salzburg  ein.  Als  er  sich  aber  diesem 
Ende  Novembers  1592  näherte,  fiel  er  vom  Wagen,  luiirte 
sich  das  Bein  und  brach  das  Schienbein  des  linken  Fusses. 
Ein  Salzburger  Chirurg  nahm  ihn  zu  sich  und  liess  ihm 
liebevolle  Pflege  zu  Theil  werden.  Am  ö.  Januar  1593 
schrieb  er  an  einen  Freund ,  dass  er  schon  6  Wochen  das 
Bett  hüten  müsse  und  die  Besserung  nur  langsam  voran- 


Friedrich:  Veber  Francesco  Pucci. 


131 


schreite.  Zum  Glucke  sei  er  in  der  Lage,  dass  er  Nie- 
awnden  za  iiicommodiren  brauche,  denn  sonst  könnte  er  an 
difsem  Orte  weuig  Hospitalität  und  Liebe  erwarten.  Auch 
Jer  Erzbischof  habe  von  seinem  Unfälle  gehört  und  seinen 
Chirargen  zn  ibni  mit  allgemeinen  Auerbietungen  nach 
flofart  geschickt ;  er  seinerseits  habe  ihm  aber  sein  Buch 
gesendet,  bei  dessen  Anblick  derselbe  sagte,  es  sei  werth, 
Jws  es  die  Grossen  lesen  und  erwägen  ;  der  Erzbischof  habe 
dann  aoch  die  Thesen  des  Samuel  Huber  sehen  wollen. 

Die  Heilung  Pucci's  zog  sich  immer  mehr  hinaus.  Aber 
er  Üess  diese  Zeit  nicht  uuthätig  verstreichen.  Am  5.  Januar 
«breiht  er  an  einen  Freund  in  Prag,    dem   er   von  Nürn- 
berg aas  Bücher  zugeschickt  hatte,  er  möge  dem  Socinus 
•üe  Refutatio  mit  den  Randbemerkungen   senden   und  zu 
Terstehen  geben,  dass  er  nie  sein  Argument  aus  der  üeber- 
eiastimmang  der  Väter  aller  Jahrhunderte  in  der  Interpre- 
tation der  hl.  Schrift  und  von  dem  immerwährenden  Bei- 
stände der  Kirche  seitens  des  hl.  Geistes  widerlegen  konnte. 
Socinos  sei  zwar  ein  bescheidener  und  höflicher  Mann,  aber 
«loch  fern  von  dem  Glauben  der  Gutgläubigen;   er  müsHC 
'^:hämen  ,  ohne  Gemeinschaft  mit  irgend  einer  Kirche 
m  leben,  denn  die  Anabaptisten  und  Fotinianer  Hessen  ihn 
schon  nicht   mehr  in  ihre  Synoden  zu  und  kaum  hielten 
ae  ihn  mehr   für  erträglich    in   ihren  Zusammenkünften, 
»reiche  übrigens  schon  voll  Uneinigkeiten  und  dadurch  so- 
gir  infam  seien,  weil  sie  einzelne   ihrer  hervorragenden 
Männer ,  welche  verschieden  von  ihnen  dachten,  zum  Tode 
»emrtheilten ;  aber  darin  glichen   sie  den  anderen  partei- 
lichen Richtern,  welche  sich  mehr  auf  die  Gewalt,  als  auf 
dit  Religion  stützen.  Zugleich  wollte  er  von  diesem  Freunde 
«ch  eriabren,  wie  die  Juden  sein  Schreiben  an  sie  autge- 
nommen und  ob  sie  seine  Anschauungen  gebilligt  haben. 
Offenbar  benahm  sein   Leiden    ihm   die  Aussicht  in 
bter  Z..it  von  Salzburg  weiter  reisen  zu  konn.n, 


I 


132  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  6.  März  1880. 

denn  er  entsehloss  sieh  nnn  seinen  Anbäuger  Claude  de 

Renoi,  einen  jungen  Mmiu  aus  Delft,  von  dem  er  j^rosse 
Erwartungen  liegte,  nach  Rom  voraiis/nsemlen.  Er  schrieb 
eine  eigene  Instruction  für  ihn.  Darin  weist  er  ihn  an,  ia 
Venedig  bei  dem  Baukbause  Capponi  50  Scudi  tu  erheben 
und  ein  Empfehlungsschreiben  an  Robert  Capponi  abia- 
geben.  Mit  diesem  war  Puccius  schon  ans  frfiherer  Zeit 
bekannt,  denn  er  erwähnt  ausdrücklich,  daas  jener  schon  von 
Ragnsa  ans  au  ihn  «geschrieben  liabe  und  dass  die  Krniahnnugen 
Capponi  8  bei  ihm  nicht  unnütz  gewesen  seien.  Ehe  aber 
Renoi  von  Venedigs  wo  er  sich  nnehrenhafter  Praktiken 
enthalten  möge,  abreise,  solle  er  ihm  schreiben.  Dann  habe  er 
einen  Brief  von  einem  Ancelius  bei  einem  Mgr.  Volcos,  Abb^ 
von  Belpre,  zn  Padua  abzugeben,  von  dessen  Einfluss  in 
Rom  er  Vortheil  erwartete.  In  Rom  selbst  mnsste  er 
zuerst  bei  dem  päpstlichen  Geheim-Cavaliere  Gio.  de  Bardi 
Yorspiechen,  den  Puccius  in  einem  eigenen  Briefe  ersucht, 
er  möge  Renoi  bei  dem  Papste  einführen  und  in  seine 
Protektion  nehmen;  dann  setxt  er  ihm,  wie  in  allen  Em- 
pfehlungsschreiben kurz  sein  System  und  dessen  Bedeutung 
auseinander  uud  bemerkt,  er  habe  den  jungen  Mann  geschickt, 
um  schon  im  Vorau3  dem  Papste  sein  System  vorzutragen,  und 
zu  erfahren,  ob  er  von  diesem  gebort  werden  und  ob  aeine 
Ankunft  in  Rom  ihm  überhaupt  angenehm  sein  würde. 
Ein  anderes  Schreiben  sollte  Renoi  zu  einem  Oratorianer- 
pater  bringen ,  der  einst  der  Theolog  des  jetzigen  Papstes, 
als  er  die  Nuntiatur  iu  Polen  bekleidete,  war  und  den 
Puccius  in  Prag  kennen  gelernt  hatte.  Ausserdem  hatte 
Renoi  noch  ein  Schreiben  seines  Lehrers  an  den  Comraenda- 
tore  Pucci  in  Rom :  er  habe  ihm  zwar,  heisst  es  darin,  von 
Nürnberg  aas  geschrieben ,  aber  keine  Antwort  darauf  Ton 
ihm  erhalten ;  dennoch  hoffe  er,  dass  er  seinen  Abgesandten 
begünstigen  werde.  Er  wisse,  dass  der  Bruder  des  Oommen- 
datore,  Ascanio  Puccii  zwar  sein  Gegner  sei;  allein  er  hoffe 


Digitized  by  Google 


Friedrich:  üeber  Francesco  Pticci. 


133 


■of  Gott  anfl  nicht  auf  menscbliche  Hülfe ,  wolle  aber  die 
Gelegenheit  nicht  vorübergehen  lassen ,  seinen  Theuersten 
»einen  Gedanken  mitzutheilen ;  möge  es  dann  kommen,  wie 
es  wolle,  so  habe  er  doch  seinem  Gewissen  genügt.  In  der 
Instruction  für  Renoi  sagt  er  aber ,  er  solle  diesen  Brief 
erst  bei  dem  Commendatore  abgeben,  nachdem  er  bei  anderen 
Freunden  Erkundigungen  eingezogen  habe.  Dann  enthält 
die  Instruction  Weisungen  für  sein  ferneres  Handeln  in  Horn. 
Komme  er  bei  dem  Papste  vor,  so  solle  er  für  ihn  den 
päpstlichen  Segen,  ein  Breve  und  Sicherheit  für  seine  Reise 
und  seinen  Aufenthalt  in  Rom  erbitten ;  aber  nicht  ver- 
gessen, dem  Papste  vorzutragen,  was  er  schon  für  die  all- 
gemeine Kirche  gethau  habe ;  wie  er  den  Häretikern  in 
Holland  und  Deutschland  entgegengetreten  sei  und  das 
Mittel  besitze ,  die  Häretiker  zur  Kirche  zurückzuführen 
und  die  Judeu  und  Heiden  zu  bekehren.  Erhalte  aber 
Renoi  keine  Audienz,  so  solle  er  dem  für  diese  Angelegeu- 
heiteu  bestellten  Secretär  die  Bücher  übergeben  und  ihm 
aoftragen,  dem  Papste  die  Wahrheit  und  Bedeutung  der  Ange- 
legenheit vorzustellen.  Er  wolle  vom  Papste  als  dem  freiesten 
nnd  universalsten  Richter  unter  Allen  gerichtet  werden;  denn 
der  Papst  sei  am  geeignetsten,  über  eine  neue  Doctrin  und  Inter- 
pretation, die  ihm  vom  Himmel  geworden,  zu  urtheilen.  Doch 
Termuthete  Puccius,  man  konnte  in  Rom  die  Sache  einfach  da- 
mit abzumachen  suchen,  dass  man  ihn  als  Häretiker  bezeichne 
and  behandle.  Dann  solle  aber  Renoi  antworten,  das  sei  auch 
Christus,  den  Aposteln,  vielen  alten  Vätern  und  in  neuester 
Zeit  dem  Mirondola  begegnet;  die  Haltung  des  Puccius  sei 
»her  der  der  Häretiker  ganz  entgegengesetzt,  wie  dies  schon 
■ein  Eifer  für  die  römisch-katholische  Kirche  beweise; 
dagegen  würde  ein  solcher  Verdacht  der  Häresie  ein 
Kreuz  sein ,  das  dem  Christi  weit  ähnlicher  sei  als  dem 
der  Räuber.  Frage  mau  aber  wie  er  sich  so  lange  habe 
iQttentiren  können ,  so  solle  er  entgegnen :   Puccius  habe 


134 


SÜMung  der  hiäor.  Claese  vom  6,  Mim  1880. 


ans  einer  Erbschaft  von  Italien  einige  Tausend  Scadi  mit- 
genommen; nachdem  sie  aufgezehrt  waren»  habe  er  bei 
diesem  nnd  jenem  Freunde  100  Scndi  aufgenommen,  in  der 

Hoffnung   sie  ans  seinem  Patrimonium  zurfickzahlen  zu 
können,  ausserdem  hoffe  er  auf  Gottes  Unterst üt/,uug. 

Doch  auch  au  den  Papst  selbst  führte  Renoi  ein  vom 
25.  Januar  1593  datirtes  Schreiben  mit  sich,  worin  sich  Puccius 
auf  sein  früheres  Schreiben  an  Clemens  bezieht  nnd  an- 
zeigt, dass  er,  da  er  krank  in  Salzburg  liege,  statt  seiner 
Renoi  schicke.  Der  Papst  möge  seine  Lehre  prüfen;  er 
selbst  wolle  jede  Strafe  tragen,  wenn  sie  missbilligt  werde. 
Kr  erklärt  sich  ferner  auch  bereit,  öffentlich  und  in  con- 
tradictorio  zu  disputiren  und  beim  Unterliegen  die  festge- 
setzte Züchtigung  zu  tragen.  Wenn  aber  der  Papst  den 
Geist  der  Scholastiker  nnd  den  seinigen  prüfen  würde, 
müsste  es  sich  herausstellen,  dass  seine  Sache  eine  gute  sei. 
Lasse  aber  Clemens  seine  Doctrin  zn,  so  werde  alle  Dunkel- 
heit aus  der  Theologie  hinweggenommen.  Sogar  auf  den 
Armen  würde  er  sich  nach  Rom  tragen  lassen  ,  falls  der 
Papst  seine  Reise  dahin  genehmige;  jedoch  könne  er  die- 
selbe nur  auf  das  Wort  und  mit  einem  Breve  des  Papstes 
antreten.  In  würdigem,  aber  einfachem  und  bescheidenem 
Gewände,  wie  es  seinem  Berufe  gezieme,  würde  er  erscheinen; 
höre  ihn  der  Papst  und  nehme  er  den  ihm  anvertrauten 
Schatz  an,  dann  werde  er  ihm  eine  ziemlich  leichte  Art 
^  zeigen,  den  in  der  Christenheit  durch  die  Prediger  nnd 
Theologen  angefachten  Brand  zu  dämpfen;  seine  Doctrin 
werde  aV)er  auch  allen  Völkern  ,  wt-lche  Religion  sie  auch 
haben  mögen,  gefallen.  Nochmals  aber  versichert  er,  er 
wolle  sich  jeder  Unehre  und  zeitlichen  Strafe  unterwerfen, 
wenn  der  Papst  sein  Mittel  als  schlecht  und  unwürdig,  « 
Yorgeschlagen  zu  werden,  beurtheile. 

Die  Bücher,  welche  er  an  den  Papst  schickte,  waren: 
Quatuor  libelli  de  eÖicacia  Christi  Servatoris;  8unmia  trac- 


Digitized  by  Google 


Friedrich:  Utber  Frane»900  Pued, 


135 


Utu8  de  praedestinatiooe ;  Summa  tractatus  de  ßegno 
Christi;  I  dae  primi  canti  del  reguo  di  Cristo  in  ottaTa 
riflUL  Daso  waren  gefügt  Samnel  Haber 's  Thesen:  Tbeses 
Chrisimn  esse  morfconm  pro  peoeatis  totins  generis  hamani 
Ssnmelis  Hnberi  He1?eHi. 

Von  deiy  Erfolg  dieser  Sendung  ist  nichts  mehr  be- 
kannt. Fast  möchte  man  aas  der  Ueberschrift,  welche  der 
Fsseikel  mit  den  far  den  Papst  bestimmten  Büchern  trägt 
Tsrnnitlien,  diese  nnd  also  auch  Renoi  seien  von  Salzburg 
gir  nicht  abgegangen.  Wie  dem  aber  sei;  sicher  ist,  dass 
TOD  R»'iioi  so  wenig,  als  von  Rom  Antworten  nach  Salz- 
barg kamen. 

Gs  entsteht  non  die  Frage,  ob  Pnocins  Salzburg  wieder 
miassen  habe  oder  dort  gestorben  sei.    Ich  erwähnte 

schon  das  Gerücht,  welches  ging :  er  sei  von  Salzburg  nach 
Rom  ansgelinfert  und  dort  verbrannt  worden.  Allein  das- 
selbe ütützt  sich  auf  keine  zuverlässige  Nachricht.  Dagegen 
dürfte  es  doch  höchst  wabrscheiDlich  sein,  dass  er  in  Salz- 
burg gestorben  ist.  Ich  finde  es  nämlich  im  höchsten 
Grade  nnwahrscheinlich ,  dass,  wenn  Paccins  von  Salzburg 
wieder  abgereist  oder  gar  nach  Rom*  ausgeliefert  worden 
wäre,  seine  sämmilichen  handschriftlichen  und  gedruckten 
.Schriften,  sowie  seine  Briefe,  welche  die  Aufschrift  tragen: 
Schriften  des  „Häretikers'*  Pnecios,  in  Salzburg  geblieben 
Hren.  Oazn  kommt,  dass  das  Salzbniger  Archiv  keinen 
Befehl  ans  Rom  enthSlt,  Pnccins  dahin  abzniiefem.  Da 
iber  auch  sonst  nichts  mehr  über  Puccius  in  dem  Archive 
ffich  findet,  so  geht  aus  Allem  wohl  hervor,  dass  ihn)  in 
^ialzbarg  kein  Process  gemacht  wurde,  sondern  er  ohne 
Zweifel  entweder  an  seinem  Leiden  starb  oder  aus  Noth  zu 
Grande  ging,  woranf  seine  Papiere  oonfisdrt  nnd  im  Archiv 

1)  Oiital<^  libionm  qai  eootinentar  ia  boe  fiudenb  ad  Saiie- 
tiateiB  Domianm  Dobl  nostrim  Clemeiitem  OetaTom. 


Digitized  by  Google 


186 


SiiMung  der  JUftor.  Qam  fom  6,  MSn  1880. 


hinterlegt  worden  sind.  Zu  letzterer  Yemrathung  komme 
ich  auf  Grand  von  Puccins  Aeaaserang  in  seinem  Briefe 
▼ora  5.  Januar  1593  an  einen  Prager  Freund:  er  habe 
Freunde  nötliig,  da  seine  nächsten  Verwandten  in  Florenz 
ihm  feindselig  seien,  um  ihn  seines  Erbgutes  m  beraaben. 
Und  auch  in  seiner  Instruction  für  Renoi  sagte  er  ja,  daes 
er  Ton  seinen  Freunden  und  Gottea  Hfilfe  lebe. 

Nach  der  Nonvelle  Biographie  generale  s.  y.  Paed 

wäre  Puccius  allerdings  noch  nach  iioni  gekommen,  hätte 
1595  eine  Retractation  seiner  frülieren  Meinungen  gegeben, 
wäre  dann  noch  Priester  und  Secretär  des  Cardiuals  Pom- 
pei  geworden  und  hätte  als  solcher  in  Frieden  seine  Tage 
beschlossen.  Für  sein  Grab  h&tte  er  ein  Distichon  ge- 
'  macht: 

Inveni  portum:  spes  et  fortuna,  valete, 
Nil  mihi  vobiscum,  ladite  nanc  alios. 

Leider  ist  für  diese  Angaben  gar  kein  Nachweis  ge- 
.  geben,  und  es  liegt  darum  die  Vecmuthung  nahe,  dass  hier 
ein  anderer  Poccius,  deren  es  ja  in  Rom  gab,  mit  dem 
ansengen  verwechselt  wurde. 

Handschriftlich  waren  aar  Zeit  Gasparis*  in  Salsbnrg 
Yorhanden:  De  regno  Christi  et  de  Praedestinatione  ad 
Robertum  Bellarminum  I\:)litianum  8.  J.;  Disputatio  in 
Duretum  et  Honoratuui  Parisieusem  und  De  reguo  Christi 
in  rohen  italienischen  Versen. 

Unter  diesen  Schriften  ist  namentlich  die  an  Bellarmin 
adressirte  De  praedestinatione  interessant,  aber  nicht  gerade 
deswegen,  weil  sie  an  diesen  berahmten  Jesuiten  gerichtet 
war  und  Paccius  glaubte,  ihn  für  sich  gewinnen  zu  kdnnen, 
sondern  weil  sie  mit  einer  ganz  besonderen  Klarheit  des 
Puccius'  Anschauungen  ausspricht.  Wenn  man  früher 
seitens  der  protestantischen  Theologen  auf  ihn  recurrirte 
und  neue  Erscheinungen  auf  ihn  zurückzuführen  suchte,  so 


Digitized  by  Google 


Friedridi:  Ueber  Francesco  Pucci. 


137 


kSnDte  dies  ebenso  gnt  katliolisebei^ts  geschehen.  Denn 

seiu  <iraudgp(lai)ke  ist  kein  anderer  als  der  des  Abbe  FiR- 
meniiais.  Wie  dieser  gegenüber  der  individuellen  Vernunft 
em  Gesammtvernanft  oder  einen  sens  conmum  statnirte, 
M  Meh  Pnocins,  und  auch  in  der  DorohfÜhrung  dieses 
Gnmdgeclankens  haben  sie  manche  Berfihningspnnkte.  Nur 
ferwendet  Lamennais  seinen  Grundgedanken  dazu,  die  In- 
faüibilitat  dos  Papstes  als  des  Repräsentanton  der  Gesaiiuut- 
Ternunfl  zu  postulireu ,  während  Puccius  denselben  dazu 
beofitzt,  die  Prädestination  zu  bekämpfen  and  seine  Lehre 
TOD  der  allgemeinen  Gnade  zn  begründen,  wie  aus  dem 
Anbange  herrorgebt.  Doch  trifft  Puodus  auch  insoferne 
Bit  Ltmennais  znsaninien ,  als  er  in  seinen  letsten  Jahren 
nicht  nur  lehrte,  die  j/öttlicbe  Vernunft  müsse  mit  der  all- 
gemeinen menschlichen  oder  uatiirlicheu  zusammenstimmen, 
londern  auch  dasUrtheil  der  wirklich  heiligen,  katholischen, 
aposloiischen  Römischen  Kirche  sei  ein  göttliches,  also 
diese  die  Repräsentantin  der  göttlichen  Yenranft. 


Anhang. 

Bi  capite  34.  libri  de  PitedflstiDatione  Dsi  Frandiei  Pocdi. 

Vides,  opinor,  Bellarmine  doctiBsime,  quanta  faeilitate 
doetrina  christiana  Hnat,  si  iusistamus  hisce  priucipiis  com- 
munis ratiouis  et  tidti,  quibus  hactenus  catholicam  veritatem 
defendimus  atque  adversarios  confutavimus ;  et  intelligis, 
nid  fallor,  hanc  esse  eipeditissimam  rationem  primum  satis- 
beieadi  nostris  popularibus  et  auditoribns,  qni  mirifice 
oSenduntur  Augustiniana  sententia;  et  addueendi  ad  Chri« 
rtnm  gente« ,  quibus  nomen  ejus  et  doetrina  nondum  expli- 
cita  fuit:  deindc  exagitandi  et  urgendi  harreticos,  ut  ipsi 
doetores  ei  roagistri  obmutescant»  et  discipuli  ab  eis  obdu» 


Digitized  by  Google 


138 


SiUung  der  histor.  Claaae  vom  6,  Märt  1880. 


cantur«  explosis  impiis  et  absurdis  dogmatibus,  quae  ali- 
qaateDns  defeuduntur ,  dam  sub  hoc  praejodicio  adversus 
commanem  rationeni  dispatatar,  et  auditores  confasi  ad  sua 
redeant,  ac  mnlta  ntrinqae  desiderant;  nam  ingenuis  et 
candidis  hominibti«  plaeere  non  possant,  qaae  com  Henau 
coDimuni  et  cum  natura  pugniint.  Ac  profecto  uon  dubi- 
tarem,  quin  hanc  doctrinam ,  foniiain  et  sumiuam  probares, 
si  tibi  liberum  et  integrum  esset,  hoc  modo  tua  studia  in- 
stitaere  et  adversarios  redarguere,  easqne  controTenias  di- 
rimere,  in  qnibns  tarn  diu  laborasti  et  sndasti  Sed  quia 
mnltnm  est  consenuisse  in  aliqna  forma  di&ciplinae:  anctoritas 
8.  Augustini  multos  horret:  opinio  inultorum  scholasticorum, 
ab  ipso  pendentiura ,  non  parum  potest:  ecclosia'<ticorum 
deBnitiones  et  interpretationes  interdum  a  nobis  diäcrepant, 
et  in  nonnnllis  majomm  conciliomm  canonibus  eontrodictio 
▼ideretar,  nisi  dextere  exponerentnr.  Fateor  hand  modieam 
difficoltatem  saperandara  esse,  ut  persnadeatur  scbolis,  haoe 
esse  gernianani  puramque  veritatem,  et  nescio  quid  sperem 
de  judiciü  tuue  vSocietatis,  quam  (pace  v^tra  dictum  sit) 
plus  aequo  addictam  iaveni  scholaeticis  illis  defiuitionibus 
et  distinctiauoolis,  qnibns  creduli  discipnli  prius  imbnuntnr, 
quam  nsnm  rationis  et  sacraram  litteranim  babeant,  et  ante- 
quam  libere  eonferre  ac  dellberare  de  tantis  rebus  queani 
Tarnen  non  dr'spero  de  fructu  luijus  laboris,  ([uia  diviua  et 
humana  ratio  exigit ,  ut  in  deliberando  et  judicaudo  plus 
moveamur  solidis  orgumentis  matura  aetate  nobis  propositis, 
quam  prima  impressione,  aeoepta  in  juvenili  aut  puerili 
illa.  quae  judido  caret  et  temeritati  atque  inoonsiderantiae 
est  obnozia.  Augustini  autoritas,  ipsomet  judiee,  nulla  est, 
cum  destituitur  ratione  testimouioque  diviuo ;  et  conside- 
ratio  ejus  nuMidosi  codicis  et  iguorantiae  antipodum  eura 
potius  benigne  excusandum,  quam  secure  imitandum  docet. 
Scbolastici  eum  secnti,  sine  oerta  ratione,  aequum  est,  ut 
oedant  antiqnissimis  sanctissimisque  martjribus  et  th6olo|(is 


Digitized  by  Google 


Friedrich:  Ueber  Francesco  Fucci. 


139 


recentioribas,  qni  cum  ratioiie  ab  eo  disseuseruut.  Defini- 
tiones  et  interpretationes  ecclesiasticornni  minus  rationales 
et  couseutaneae  contextui  sacro,  necesse  est  ut  locum  dent 
aptioribus,  quae  coutextui  et  ratioui  cousouaut;  et  cunones 
omciliorum  ita  conciliandi  et  interpretaudi  sunt,  vel  ipsis 
aotoribus  et  testibus,  nt  majestas  s.  scripturae  etdivinae  rationis 
non  laedatur.  neque  coelestibus  revelationibus  Christi  Domini 
inirisentis  8uam    ecclesiam  posterioribus  et  prioril)Us  sae- 
colis  saus  honor  adimatur.  Itaque  te  tuosque  socios  ceteros- 
qoe  omnium  ordiuum  tbeologos  et  spirituales  oratos  et  ob- 
><ecratos  volo  per  charitateni  illam,  quam  Dominus  testatus 
est  benefaciendo,  juvaudo  et  docendo,  obsiguavitque  ferendo 
saevisAimam  mortem ,   nt  haue  veritatem  uon  coutemuatis, 
neque  praeoccupati  vestris  opiniouibus  et  studiis  invideatis 
haoiano  generi  praeclaram  ratiouem  iuterpretaiidi  et  intelli- 
gendi  sacras   boras  [litteras].    Nam  si  adversaremiui ,  illa 
{«ine  dubio  iiihiiomiuus  obtineret,  et  vos  iguomiuia  uota- 
remiui ;  neque  alii  deesseut,  qui  eam  coustanter  defeudereut, 
et  Dominus  ipse  qui  hoc  saeculo  curavit  eam  propoui ,  nou 
patietur  eam  diu  mauere  ingloriam  et  iuultam.  8ed  ne  quem 
oitnis  terreat  species  aliqua  coutradictiouis,  quae  in  cauonibus 
coDciliorum  et  iu  scholasticis  definitionibus  occurrere  posset, 
operae  pretium  videtur  explicare,  quomodo  judicenius  dis- 
cernenda  pretiosa  a  vilibus^  et  retinendam  fidem  auctoritatem- 
qoe  ecclesiae,  conciliorum  et  canonum  ,  suumque  honorem 
daiidum  scholis,  illaesa  tarnen  ratioue,  qua  uitimur. 

Ex  cap.  .'^5.  ejusJem  operis. 

Cet^nim  ue  quis  putet,  nie  os  teraere  aperire,  et  non 
cogitasse  diu  multuraque  de  hac  summa  doctrinae  et  inter- 
pretiitionis  scripturarnm ,  sciat  nie  ante  anuos  viginti,  con- 
«ideratis  dissensionibus  et  puguis,  quae  religiouum  caussa 
inter  homines  sunt,  devovisse  caput,  fortuuas  et  singuhi 
mea  pro  veritate  et  postbabitis  onmibus  aliis  uegotiis  et 


f 

Digitized  by  Google 


140  SUxung  der  histor,  Ckuse  vom  6,  März  1880, 

curis  tum  publids  tarn  pmatis,  sine  nllo  praejiuHciu  prae- 
occopatarum  opiuionntn  aut  patriae  educationis  et  legis, 
sine  ullo  studio  partium,  suiiinia  übertäte,  exaiuinaiida 
caepisse  prima  religiouum  principia  et  fuudameuta,  ac  sin- 
galta  pariicalares  gententias  snb  incadem  rationis  et  veri- 
tatis  revocasse.  Peranastis  enim  pium  Deam  esse  ei  sai 
siadiom  javare  eoque  oon&iu  speravi  fore,  nt  mihi  Deam 
quaerenti  enraque  consuleoti  de  singnlis,  quid  credendam 
ac  facieudum  esset,  veritatem  rete^eret,  in  qua  animus  se- 
cnre  qaiescere  et  aliis  veritatis  studiosis  satisfacere  posset. 
Nec  spes  me  fefellit,  nam  licet  in  evolveadis  et  scrutandis 
divenonim  antonim  librls,  in  confereodo  com  maitia  doc- 
toribus  catbolid  vel  haeretiei  nominis,  in  audiendis  Jndaeia 
et  paganis  diversarum  sectarum  et  opiniouum,  et  in  pere- 
grinando  per  multa  regna  haud  paruni  conflictatus  fuerim, 
nec  potuerim  vitare,  quin  haereticorum  et  scbismaticorum 
▼ocee  adveraas  Rom.  Poutifieem  me  ab  illa  sede  nimis  alienatam 
aliqnandin  retinerent,  paratnm  tarnen  mntare  sententiam,  com 
melius  docerer,  obtinui  tandem  haue  interpretationem  scrip- 
turae  et  discretionis  spiritam,  in  quo  quievi  et  quiesco.  Video 
enim  in  hoc  sensu  proprietates  et  notas  divinae  veritatis, 
et  iuyeuio  aquas  extiugueutea  sitim  terrenaram  reram, 
fontes,  inqnam,  aquae  salientis  in  vitam  aeternam,  et  requiem 
illam  animi  ac  snavitatem  jngi  Christi,  quam  ipse  suis  dis- 
cipnlis  promittit,  et  seio  neminem  consulto  huic  interpre- 
tationi  contradicere  posse,  quin  naturae  et  spiritui  sancto 
repugnet.  Tum  percipio,  miiltuin  disputatimi  esse  hoc  sae- 
culo  de  religione,  sed  potius  occasione  certaminum  et  iiae- 
resum,  quam  simplici  et  libero  studio  yeritatis,  itaqne  sub 
prindpiis  concessis  et  minima  probatia  multa  «involuta  et 
obscura  manent,  ut  in  aestu  certaminis  contigit.  Video 
eonsentaneum  esse  nt,  patefacto  novo  orbe,  patefiat  quoque 
scripturae  sensus  ad  illum  illustrandura  aptissinuis.  Nec 
solom  me  defeudere  queo  apud  aequos  arbitros  vel  judices» 


Digitized  by  Google 


JVtedneft:  ITefter  Franeeaeo  Pined. 


141 


W  adferaarios  redargnere  nt  haesitantes ,  tiiabantes  atque 
ttr»ntes  proprietatibns  divinae  ac  coelentis  informationis. 

Pos><uiu  lue  subjicere  jnraineiitis ,  tonneiitis  aliisque  experi- 
raeutis,  qiiibus  coiitroversiat?  de  divinis  lumiauisque  rcl^ns 
ister  homiues  ftniontur,  et  os  obiurari  maltis  iion  iutiuiae 
notaa  homioibus,  qoi  verbis  ?erba  oppooere  facile  poterant, 
aed  Terba  ^iritni  et  ratioDi  longa  imparia  videbant.  Nec 
me  admodam  moTet  dissentieDtiam  doctornro  mnltitudo. 
Longe  eniiii  nüuus  absurduin  est  credere  iuterpretes  esse 
hallucinatos  in  interpretaiidis  niultis  locis  scripturae  parum 
ooovenieuter  ratioui,  quam  concedere,  aut  credere,  quod 
Semtor  Deas  aalntis  benefido  excloserit  innomeros  inno- 
XHw  bomines.  Nam  perftiginm  illnd  ad  occulta  Dei  ja- 
dida  et  abditam  volantatem  Dei  eet  niinw  commane  et 
aphini  ad  excusanda  quaevis  absurda  et  talsa  do^j^nuita,  et, 
ut  aliquid  valeat,  uteniur  eo  ad  excusaudum  errorem,  qui 
üi  acbolis  reteutas  diu  fiiit,  potia»  quam  ad  persuadeudum 
nobit  aliqnid  inbnmaniim  de  mitissimo  et  dementisBimo 
Domino  nostro  Jeen.  Tarnen  non  vereor  me  et  hanc  scrip- 
tvnun  snbjioere  jndido  sanetae,  catholicae,  apodtolieae  et 
Romanae  ecclesiae,  uaiu  imilta  satis  bene  dicta  suut,  quae 
melius  tarnen  dici  possunt ,  et  judicium  ecclesiae  dignae 
epithetia  illis  sine  dubio  diviaum  erit. 

Ad  iiuem  libri  „De  regno  Christi'*  haec  habet: 

Yidee,  Bellannine  doctiseime,  a  capite  ad  caicem  con- 

Tenientiam  divinae  sapientiae  vel  rationis ,  quae  est  Jesus 
rhriütus  f)oniinu8  et  Salyator  noster,  non  minus  communi 
naiojraiique  rationi  nontrae  conseutaueaui  qaam  adniiral)ilem 
faine;  ae  Daum  et  Ghriatiim  Semper  dbi  lumileia  abique 
apparcR«  in  damnanda  iniqnitate  et  aeqaitate  probanda, 
cum  in  inoonadpao  tarn  in  conspicno  ronndo.  Itaqoe  nostri 
generis  nobilitatem  amplitndinemt|uo  haereditatiH  paratae 
püi,  qui  uon  degeueraot  a  suu  praeclara  origiue,  tautam 


Digitized  by  Google 


142  SUtung  der  hittor.  Gaste  vom  6,  Märe  1880. 

6806  perspeximas ,  ut,  nisi  prorsas  iusensati  pervereive 
simus,  amore  Snmmi  Pairis  fratri8qa6  Dostri  Cbnati  acoen- 
damar,  et  gnstata  hujus  docirinae  snmina  in  gratlarain 

actiones  proruiupamos  et  Spiritnin  ülnm  aanettiin  novi  teeta- 

nienti  proprium  cuiieipiamus,  aut.  jani  conceptum  exciteiiius 
et  suaviter  nos  erutlienteiii  atteiite  aiulianms,  quod  aequis 
lectoribus  aut  auditoribas  hujus  eTaugelii  eveuturum  cou- 
fidimus.  Ceteris  yero  iniqais  partium  studiis  abjectas  me- 
Horem  mentem  piecamur.  Nam  dum  plus  mbi  ipsis  quam 
summo  Deo  Student  et  fidunt,  talem  reliiponis  doctrinaeque 
foruiam  sibi  fingiint,  quales  ipri  sunt,  et  factionibns  human 
phis  quam  ecclesiae  I)ei  serviunt.  Iccirco  mirum  iioii  est, 
nos  ipsi  non  satisfacere;  nam  nec  ipsimet  sibi  in  aequis 
oomparationibns  et  sub  aequis  artibus  satisfacere  possnnt. 
Quapropter  naturalem  rationem,  commnnem  jndicem,  ferre 
nolunt:  collationes  pares  fugiunt:  scripturae  sensum  suis 
praejudiciis  subjiciunt:  in  prophetarura  oracuHs  caeci  sunt: 
secum  non  ranj  pugnaut:  passim  titiil)ant  et  liaerent:  rati- 
onibus  verba  aut  vim  opponuut:  tide  ad  miraculum  usque 
efficad  destituuntur:  revelationes  coelestes  timent  et  contem- 
nnnt:  propriis  notts  sanctornm  testinm  earent  et  terrena 
passim  sapiunt  ae  spirant.  Ego  tarnen,  licet  expertua  rim 
nonnullos  e  tuis  sociis  non  satis  aequos  erga  me  resque 
meas ,  nolui  de  te ,  Bellarmiue ,  nisi  beue  mihi  promittere, 
donec  ipseniet  mihi  aliter  persuaseris.  Öed  Uetruscum  cuui 
Hetrusco  (cujus  nationis  religio  Semper  celebris  fnit),  Ter- 
satum  in  controTersiis  cum  Tersato,  studioeum  cum  atudioeo 
D.  Jesu  Christi  secum  aroice  oonferre,  sub  communi  jndice 
ecclesia  sancta  Dei,  operae  pretium  jadicavi.  Idem  suinmns 
omnium  l^ater  et  ejus  unigenitus  D.  Jesus  Christus,  Pontifex 
et  iiex  uosier  aeternus ,  qui  jam  novit  et  videt  siugulos 
plus  a  carne  et  sanguine  quam  a  Deo  pendentes,  propediem, 
pro  spiritualtbus  suis  discipulis,  eas  yooes  ezdtabit,  quae 
fitctiosos  in  fugam  Tertent  et  pios  rcTelabunt;  in  qua  ez* 


Digitized  by  Google 


Friedrich:  lieber  Francesco  Pticci. 


143 


pfftatione,  mcnt  opto  sie  spero,  te  potius  mihi  socinm  quam 
3<irorsarium  ,  quanivis  uon  tiiiierem  mihi ,  sed  dolerem 
tuam  vicem ,  sed  huic  spiritui  dipcretionis  reflisterea.  Ipsi 
Deo  Patri  nostro  et  Domino  Jeou  Christo,  qnonim  aniis  est 
«■etw  «piritas,  sit  honor  ei  gloria  in  saecnla  Raeenlonim. 
Amen. 

Omnia  nnbjiciuntar  jiidicio  sanctae,  catholicae  aposto- 
Ucae  et  Rotuauae  ecclesiae. 


Phüosophisch-phüologische  Claase. 

Sitrang  Tom  6.  März  1880. 

Herr  Lanih  hielt  einen  Vortrag: 

„üeber  die  PhÖDix-Periode". 
DerMlbe  wird  in  den  f,Abbandlmigen'*  TerdiFentlieht 


p880i  L  PbU-pbiL  biit.  Ci.  Bd.  1. 2.J 


10 


Oeffentliche  Sitzung  der  k.  Akademie  der  Wissen 

Schäften 

zur  Vorfeier  des  121.  Stiftungstages 
MD  20.  Hiri  188a 


Der  Herr  PrSnclent  t.  Döllinger  erdflfneie  die  Sits- 
ang  mii  einer  Rede 

„üeber  die  Bedeutung  der  Dynastien  in  der 
Weltgeschichte/^ 


Der  Glaawneecret&r  Herr  t.  Prantl  sprach  in  kanem 

Aamsnge: 

Die  pbilos.-philol.  Classe  verlor  im  abgelaufenen  Jahre 
durch  den  Tod  vier  anewartige  Mitglieder:  Gg.  Friedr. 
Schömann,  Gottfr.  Semper,  Imm.  Hernu  Fichte, 
Jon  SigardsBon,  und  das  oorrespondirende  Mitglied 
Andr.  DaT.  Mordtmann. 

Oeorg  Friedrieh  SehSmanii 

aus  einem  schwedischen  Gescblechte  stajiimend  geboren  am 
28.  Juiii  1793  in  Stralsund,  wo  sein  Vater  Advoeat  war, 
hesnchte  das  Gymnasium  zu  Anklam  und  bezog  18Ü9  die 
Umyersität  Greifewald,  wo  er  sein  erstes  and  sein  letztes 
Semester  sahnushte,  wahrend  er  inzwischen  anderthalb  Jahre 
in  Jena  sfcndirt  hatte;  1813  wurde  er  Conrector  am  Gym- 
nasinm  zn  Anklam,  am  10.  Mai  1814  promoyirte  er  in 
Greifswald,  wo  er  noch  im  gleichen  Jahre  das  Courectorat 


Digitized  by  Google 


V.  ProHÜ:  Nekrolog  auf  Georg  Friedrich  Schömann,  145 

des  GymDasinras  übernahm  und  1818  zum  Prorector  he- 
f^)rdert  wurde.  Nachdem  er  am  20.  Oct.  1820  sich  als 
Pmatdocent  an  der  Greifswalder  Universität  habilitirt  hatte, 
wurde  er  1821  daseibat  Unterbibliothekar ,  1823  ausser- 
ordentlicher ond  1827  ordentlicher  Professor,  1844  Ober- 
bibtiothehar,  1838  Mitglied  ond  18d2  Vorstand  der  Prfif- 
nngB-Oommisnon.  In  dem  Jahre  (1856),  in  welchem  die 
Universität  ihre  vierhuiidertjährige  Jubelfeier  begieug,  führte 
er  das  Rectorat  und  entledigte  sich  der  ihm  zufallenden 
Aufgabe  in  glänzendster  Weise.  Seit  1865  war  er  in  Folge 
wankender  Gesundheit  genöthigt ,  sich  von  der  Bibliothek 
ond  allmalig  «neh  von  den  Vorlesungen  xurüoksuaiehen ; 
er  starb  am  25.  M&rs  1879. 

Angeregt  durch  die  mftchtige  Bewegung,  welche  in  der 
claasiscLen  Philologie  durch  G.  Hermann  und  Bdckh  her> 
vorfifenifen  worden,  arbeitete  Schümann  zunächst  in  selb- 
ständiger und  gründlichster  Forschung  auf  dem  Gebiete  der 
hellenischen  Staats-  und  Hechts- Altertbümer  und  eröihiete 
seine  liierarische  Laufbahn  mit  der  Schrift  „De  oomitüs 
Atfaeniensium**  (1819),  womit  die  zur  Habilitation  dienende 
Abhandlung  „De  sortitione  iudicum  apud  Athenienses** 
(1820)  snsammenhieng ;  dann  folgte  die  gemeinschaftlich 
mit  seinem  damaligen  Collegen,  dem  nachmaligen  Hallenser 
Meier  verfiisste  und  von  der  Berliner  Akademie  gekrönte 
omtassende  Arbeit  „Der  attische  Process"  (1824),  durch 
welche  eine  bleibende  Grundlage  für  alle  späteren  ein- 
schlägigen Untersuchungen  gegeben  war.  Auf  die  Tezt> 
ausgäbe  der  Reden  des  Isaus  (1831),  welcher  eine  deutsche 
Uebersetzung  derselben  (1830)  Torangegangen  war.  folgte 
««odann  das  höchst  schätzbare  Werk  „Antiquitittes  iuris 
publici  (rraecorum'*  (l.s3>s;  und  die  Ausgabe  der  plutar- 
chischen  Biographien  des  Agis  und  des  Kleomenes  (1S89), 
hierauf  ..Die  Verfassnngsgeschichte  Athen*s  nach  G.  Grote*s 
history  of  Greece  kritisch  geprüft**  (1854);  «inen  dankens- 

10» 


Digitized  by  Google 


1 


146  OeffenOidte  SitMung  vom  J».  Jför'ir  1880. 

werthesien  Abaehlnai  aber  gab  er  dieeem  Stadienkreiae 
dnrcb  das  zweibändige  Werk  „Griecbiscbe  Alkertblbner'* 

(1855—59,  2.  Aufl.  1871—78).  Aasserdem  sncbte  er  aucb 
mit  feinem  Oefühle  in  den  tieferen  Sinn  des  hellenischen 
Mythus  einzudringen  und  veröffentlichte  auf  diesem  Gebiete 
als  Ergebnisse  seiner  einlasslicben  ForschungeB  zanächst 
seine  mit  einer  Einleitang,  einer  Ueberseteung  and  einem 
Gommentare  begleitete  Aasgabe  des  ftsobyleiseben  Prome- 
tbens, wozu  er  in  selbsteigener  Dichtung  den  gdiSsten  Pro-, 
metheos  beifügte  (1844),  dann  eine  ebenso  erlfinterte  Ueber* 
Setzung  der  Eumenideu  (1845),  ferner  in  mehreren  Univer- 
sitäts- Programmen  mannigfaltige  Studien  zur  Theogonie 
des  üesiodos,  wovon  er  später  die  Elesultate  zusammen- 
fasste  in  der  Schrift  „Die  besiodisclie  Theogonie  aasgelegt 
and  benrtheilt**  (1868),  sowie  er  alsbald  folgen  Hess  „Hesiodi 
qnae  fenmtor  canninam  rdiqniae  com  oommentatione  cri- 
tica^*  (1869);  aneh  mit  Homer  beschäftigte  er  sieb  nach 
seiner  scharfblickenden  Weise  theils  in  einzelnen  Pro- 
grammen theils  in  einer  höchst  beachtenswertheu  Receusiou 
über  Nitzseh's  Sageupoesie  der  Griechen  (Jahrb.  d.  Philo- 
logie, 1854).  Desgleichen  führte  ihn  dieser  Zweig  seiner 
Forschangen  anch  anf  die  theol<^che  Speoalation  der  Alten, 
nnd  biednrdh  entstand  seine  Aasgabe  der  Sehrift  (Soero's 
De  natnra  deomm  (1850,  4.  Anfl.  1876).  Bin  drittes  Ge> 
biet  seiner  fruchtreichen  Thätigkeit  lag  in  geschichtlichen 
Untersuchungen  über  die  antike  Grammatik ,  wie  durch 
seine  Schrift  „Die  Lehre  von  den  liedetheilen  nach  den 
Alten  dargestellt  und  beartheilt*^  (1862)  und  duroh  die 
„AnimadTersiones  ad  Teternm  grammaticornm  doebrinam  de 
articnlo"  (Jahrb.  f.  Philol  1864)  bazengt  ist  Seine  &nsserst 
zahlreichen  Programme  n.  dgl.  finden  sich  yereinigt  abge- 
drnckt  in  seinen  „Opuscula  academica^'  (4  Bände,  1856 — 71). 
Eine  wohl  begründete  Anerkennung  wurde  seinen  wissen- 
schafUicheu  Verdiensten  zu  Theil,  indem  er,  —  abgesehen 


Digitized  by  Google 


V.  i^ranil:  Nekrolog  auf  Gottfried  Semper,  147 

▼on  mehrfachen  Ordens- AuszeichnuDj^Rn  — ,  ▼on  der  Ber- 
liner Akademie  untl  von  der  Göttinger  8ocietät  als  Mitglied 
gewählt  wurde;  uui<erer  Akademie  gehörte  er  seit  1855  au. 
(Näheres  über  Scbömann  s.  Anzeige  -  Blatt  zu  Bar§ian*8 
Jahrflsbericht  üb.  d.  Fortachr.  d.  class.  AiterÜraiiiBwiaseiuch. 
1879,  Nr.  2). 

Gottfried  Semper 

geboren  am  29.  Novbr.  1803  in  Altona,  Sohn  eines  Woll- 
Fabricanten,  studirte  am  Gymnasium  seiner  Vaterstadt  und 
besog  dann  (Oct.  1823)  die  Universität  Göttiugen,  wo  er, 
obwobl  zum  Juristen  bestimmt,  doeh  bei  GansB,  Heeren 
nnd  Ofctfir.  MfiUer  Vorletnngen  hörte.  Indem  er  nun  unter 
•ehUeeslieher  Binwilligmig  seines  Vaters  sich  der  Civilban* 
knnst  widmete,  begab  er  sich  (1825)  über  Berlin  nach 
München,  wo  er  einige  Zeit  unter  Gärtner's  Leitung  ar- 
beitete;  nach  einem  ktirzeren  Anfenthalte  in  Regensburg 
gieng  er  nach  Paris  nnd  nahm  dort  an  dem  lebhaften 
Streite,  welcher  zwischen  Classikem  nnd  Romantikern  ge- 
führt wurde,  xn  Gunsten  der  ersteren  Theil.   Nach  der 
Juli-Rerolution  trat  er  eine  grtaere  Reise  an,  welche  ihn 
mnSchst  Aber  Oenua  und  Verona  nach  Venedig,  sodann 
nber  Florenz  nach  Rom,  Sicilien  und  Griechenland  führte. 
Mit  genialem  Blicke  hatte  er  allerorts  Eindrücke  gesammelt 
and  reich  beladen  mit  Ergebnissen  des  tiefsten  Studiums 
kehrte  er  nach  Deutschland  zurück,  wo  er  1834  auf  Schinkers 
fimpfehlung  als  Direetor  der  Bauakademie  zu  Dresden  an- 
gesteUt  wurde.   Bei  den  Mai-Ereignissen  des  Jahres  1849 
betheiligt  fluchtete  er  zunächst  nach  Karlsruhe  und  begab 
sieb  dann  über  Paris  nach  London,  von  wo  er  1853  einem 
Rufe  an  das  Zürcher  Polytechnicum  folgte.  Künstlerische 
Aufträge  führten  ihn  von  dort  1871  nach  Wien.   Seit  1877 
an  asthmatischen  Anfällen  leidend  lebte  er  bald  in  Venedig, 
bald  am  Gomersee,  bald  in  S&dtirol,  suletit  in  Born,  wo  er 


Digitized  by  Google 


148 


OeftenUUhe  SiUwiig  wm  90,  Uän  isao. 


am  15.  Mai  1879  starb  und  an  der  Pyramide  des  Cestine 
beerdigt  wurde.  W&bread  ibm  als  dem  bedeutendsten  Ar- 
chitekten der  Neuzeit  und  als  genialstem  Vertreter  der 
italienischen  Renaissance  seine  Bauwerke  an  zahlreichen 
Orten  ein  bleibendstes  Andenken  aaf  einem  anderen  Ge- 
biete sichern  *),  ragte  er  7Aigleich  vermöge  einer  wahrhaft 
seltenoi  Mischnng  geistiger  Begahang  auch  dorch  wissen- 
BchaftHche  Leistungen  heryor.  Schon  in  seiner  Brstlin^^a- 
Schrift  „Vorläufige  Bemerkungen  über  bemalte  Architektur 
und  Plastik  bei  den  Alten*'  (1834)  hatte  er  fdrderlichst  in 
die  Frage  über  die  Polychromie  antiker  Kunstwerke  einge- 
griffen ,  und  nachdem  er  später  ,,l)ie  vier  Elemente  der 
Baukunst*^  (lööl)  veröffentlicht  hatte,  worin  die  Grund- 
Ideen  einer  vergleichenden  Baukunde  enthalten  sind,  ent- 
stand in  London  veranlasst  durch  Auftrage,  welche  ihm  der 
Prinsregent  Albert  gegeben  hatte,  die  Schrift  „Wissenschaft, 
Industrie  und  Kuost,  ein  Vorschlag  zur  Anregung  nationalen 
Kunstgefühles''  (1852),  in  welcher  bereits  ein  Vorläufer 
des  nachmaligen  Hauptwerkes  vorliegt,  indem  ])e/,nglich  der 
gewerblichen  Kunst  und  ihres  Stiles  die  örtlichen,  die  ge- 
schichtlichen und  die  persönlichen  Einwirkungen  mittelst 
gründlicher  Forschung  und  feinster  Beobachtung  erörtert 
werden.  In  einem  gleichartigen  Gedankenkreise  bewegte 
sich  neben  mehreren  Anfsätien  in  Eggers.  Kunstblatte  die 
Studie  ,,Ueber  die  formale  GesebEmSssigkeit  des  Scbmnckes^^ 
(1856),  worauf  eine  Monographie  ,,Ueber  die  bleiernen 
Schleudergeschosse  der  Alten''  (1859)  folgte.    Ein  höchstes 

1)  Seine  haaptsächlichsten  Üaiit«n  sind :  in  Altona  das  Donner*sche 
MoBeum;  in  Bautzen  eine  Caserne;  in  Dresden  ein  Hospital,  Hie  Syna- 
gope,  der  Cholerabrunnen,  Oppenheim's  Pulais  und  Villa,  das  Museum 
und  das  Theater  (nach  dem  lirande  zum  zweit'-n  Male);  in  Zürich  die 
Sternwarte  und  das  eidgenössische  Polyteolinicum ;  in  Winterthur  das 
Rathhaus;  in  Wien  unter  theilweiser  Mitwirkung  Anderer  der  Umbau 
der  Musteu,  der  Burg  uud  des  iScbauöpieluauses. 


Digitized  by  Google 


V.  PraMl:  Nekrolog  auf  ImmamuH  Hermann  v,  If\cht§,  149 

Verdienst  aber  erwarb  er  sich  dnrch  das  zweibändige  (leider 
onvollencU't  gebliebene)  Werk  „Der  Stil  in  den  technischen 
and  tektonischen  Künsten  oder  praktische  Aesthetik** 
(1860—63,  2.  Aufl.  1878  f.)«  in  welchem  er  den  inneren 
Entwiokliittgaguig  der  knngtgewerblichen  Riehinng  in  den 
GerStben,  den  Waflfen,  dem  Schmncke  nnd  den  Geweben 
doreh  den  Naehweis  jener  elementarsten  Typen  darlegte, 
welche  in  volksthümlicher  Kunstthätigkeit  den  monnmen- 
talen  Werken  vorhergehen  ;  dieser  mit  umfassendem  Wissen 
und  feinstem  künstlerischen  Verständnisse  gegebene  Nach- 
weis geordneter  Motive  nnd  gesetzmässiger  Ausfübmng 
jener  Eneogniase  eröffnete  nicht  nor  eine  Einsiebt  in  den 
Zosanunenbang  des  Hellenismns  mit  der  Knnst  des  Orientes, 
sondern  mnss  ancb  fiberbanpt  eine  bedeutende  Wirkung  anf 
die  antiquarisch  forschende  nnd  ebenso  auf  die  philosophische 
Behandlung  der  Geschichte  der  künstlerischen  Cultur  aus- 
äbeu.  Das  letzte,  was  Semper  veröffentlichte,  war  ein  in 
Zürich  gehaltener  Vortrag  „Ueber  Baustile''  (1869).  Seit 
1866  hatte  er  unserer  Akademie  als  auswärtiges  Mitglied 
angehört.  (Näheree  über  ihn  gab  Hettner  in  Westermann*s 
Monatsheften,  1879,  Deoember,  Ibmer  Pecht  in  einem  am 
Schlosse  des  2.  Bandes  der  2.  Aufl.  des  Werkes  über  den 
Stil  aas  der  AUg.  Zeitung  wieder  abgedruckten  Nekrologe, 
hauptsächlichst  aber  der  Sohn  des  Verstorbenen ,  Hans 
Bemper  (Professor  in  Innsbruck)  in  Bursian's  Jahresbericht 
flb.  d.  Fortschr.  d.  class»  AlterthumswisMiisebaft,  Bd.  XVI, 
8.  49-83).   

laiiBaaael  fl«niiaon  t.  Flehte 

geboren  in  Jena  am  18.  Juli  1796,  stndirte  in  Berlin,  wo 
♦»r  auch  promovirte ;   1822  erhi^^lt  er  eine  Lehrstelle 

am  Gymnasium  za  Saarbrücken,  von  wo  er  bald  nach 
Dfiseeldorf  als  Gymnasial  Director  (ibergieng.  Nachdem 
m  bereits  mehr&eh  rieb  im  Gebiete  der  Philosophie  literarisch 


Digitized  by  Google 


150 


Oeffentliche  Sitzung  vmn  20.  März  1880. 


bethätigt  hatte,  wurde  er  1836  zum  ausserordentlichen  Pro- 
fessor an  der  Universität  Bonn  ernannt,  wo  er  1840  zum 
Ordinarius  vorrückte;  1842  erhielt  er  einen  Ruf  nach  Tü- 
bingen, 1867  aber  nÖthigte  ihn  ein  Augeuleiden,  sich  vorn 
Lehramte  zurückzuziehen,  und  er  lebte  fortan  in  Stuttgart, 
wo  er  am  8.  August  1879  starb.  Als  Schriftsteller  zeigte  er 
eine  wahrhaft  staunenswerthe  Fruchtbarkeit ;  abgesehen  von 
der  Herausgabe  der  Werke  seines  Vaters  (1834  ff.  u.  1845  f.) 
und  den  biographischen  Mittheilungen  Über  denselben  (1830, 
2.  Aufl.  1862),  sowie  von  seiner  Betheilignng  an  der  „Zeit- 
schrift f.  Philo»,  und  speculative  Theologie"  (seit  1837,  mit 
verändertem  Titel  seit  1847  „Zeitschr.  f.  Philos.  n.  philo«. 
Kritik")  veröffentlichte  er :  „Sätze  zur  Vorschule  der  Theo- 
logie" (1826),  „Beiträge  zur  Charakteristik  der  neueren 
Philosophie"  (1829,  2.  Aufl.  1841),  „Ueber  Gegensatz, 
Wendepunct  und  Ziel  heutiger  Philosophie"  (1832  —  47, 
wovon  der  2.  und  3.  Theil  die  „Grundzüge  zum  System 
der  Philos.,"  nemlich  „Ontologie"  1836  und  „Speculative 
Theologie"  1846  f.  enthalten),  „Das  Erkennen  als  Selbst- 
erkennen" (1833),  „Religion  und  Philosophie  in  ihrem 
Verhältnisse"  (1834),  „Die  Idee  der  Persönlichkeit  und  die 
individuelle  Fortdauer"  (1834,  2.  Aufl.  1855),  „Ueber  die 
Bedingungen  eines  speculativen  Theismus''  (1835),  „Ueber 
das  Verhältniss  des  Form-  und  Real-Princips  in  den  gegen- 
wärtigen philosophischen  Systemen"  (1838),  „De  principi- 
orum  contradictionis ,  identitatis  et  exclusi  tertii  dignitate" 
(1840  zum  Antritte  der  ordentlichen  Professur),  ,, Ueber  die 
christliche  und  antichristliche  Speculation  der  Gegenwart" 
(1842),  „Ueber  den  gegenwärtigen  Standpunct  der  Philo- 
sophie" (1843),  „Grundsätze  für  die  Philosophie  der  Zu- 
kunft" (1847  als  Eröffnungsrede  bei  der  in  Jena  stattge- 
fundenen Philosophen- Versammlung),  „Grundzüge  zum  Ent- 
wurf der  künftigen  deutschen  Reichsverfassung"  (1848), 
„Die  Republik   im  Monarchismus"  (1848),  „System  der 


r.  Pranti:  Nekrolog  auf  Immanuel  Hermann  v,  Fichte.  151 


Ethik*'  (2  Bde.  1851—53),  „Anthropologie^' (1856,  3.  Aufl 
1876) ,  „Ueber  den  Unterschied  zwischen  ethischem  und 
Mtoralistischem  TheiRmos''  (1857),  ,JLnr  Seelenfrage'*  (1ÖÖ9), 
JVjehologie''  (2  Tbeüe  1864—73),  .,Die  Seelenfortdaner 
ud  die  Weltetellang  des  Menschen*^  (1867),  „yerraisehte 
Schriften  zur  Philosophie,  Theologie  und  Ethik**  (1869). 
„Die  nächste  Aufgabe  für  die  National- Erziehung  der 
<iegenwart  mit  Bezug  auf  Fröbers  Erziehuugssystem"  (1870), 
•«Die  iheistische  Weltansicht  and  ihre  Berechtigung'*  (1873), 
Jhugm  und  Bedenken  über  die  nächste  Fortbildung  dentsoher 
Speedation;  Sendschreiben  an  Prof.  Dr.  E.  Zeller'*  (1876), 
„Der  neuere  Spiritualismus,  sein  Werth  und  seine  Täusch- 
ungen" (1878)  Während  er  in  der  ersten  Hälfte  dieser 
reichhaltigen  schriftMellerischeu  Laufbahn  noch  häufig  die 
geaehicbtiiche  Entwicklung  der  neueren  Philosophie  zum 
G^gHMtande  seiner  Erörterungen  gemacht  halte,  waren 
ssine  spiteren  Schriften  hanptsSchlich  der  Darlegung  seiner 
pigenen  Ansichten  gewidmet,  wobei  ihn  der  eigenihümliche 
^tedanke  Iniwegte,  eine  Versöhnung  zwischen  Glauben  und 
Wissen,  zwischen  Teleologie  und  Mechanismus,  zwischen  Ab- 
■olitem  und  Persönlichkeit^  zwischen  Theismus  und  Panthe- 
ioras,  zwischen  Transcendenz  und  Immanenz  herzustellen 
und  die  Philosophie  schliesslich  in  einen  ethischen  Theismus 
luaiberzu wenden.  werden   all  diese  Leistungen  stets 

eine  sehr  verschiedene  Beurtheilung  tinden,  je  nachdem  die 
£ioeD  den  Idealismus  überhaupt  nur  in  einer  bestimmt  Tor- 
gcseiehneten  theologisirenden  Wendung  und  Färbung  aner^ 
ktnnen  wollen,  während  Andere  neben  mancherlei  Bedenken 
tiicr  die  Richtigkeit  der  geschichtlichen  Auffassung  darauf 
Uoweisen  mögen ,  dass  der  in  solcher  Weise  angestrebte 
Ausgleich  der  (iegensätze  nur  durch  eine  naive  Vermenguug 
snd  Verwechslung  völlig  disparater  Anschauungsweisen  ge- 
WMuen  werde,  und  dass  alle  Theosophie  ausserhalb  des 
Oitetas  der  Philosophie  li^.  Jedenfalb  war  er  selbst  Ton 


162 


OeffenOieke  StUung  vom  SO.  Mänt  1880, 


dw  Riohiigkeit  seines  Staadpnnctes  ao  tief  und  innig  über- 
zengi,  daw  er  es  sohmenlich  emp&nd,  wenn  er  nicht  als 
der  eigentliehste  Bef^nder  einer  kthiftigen  Philosophie  he- 

zeichnet  wurde  (das  erwähnte  Sendschreiben  au  Ed.  Zeller 
beantwortete  Letzterer  in  der  Vierteljahrsschrift  f.  wissensch. 
Philosophie,  Bd.  I,  1877,  S.  267  fif!)  Dafür  aber  fand  er 
fQr  i^ein  Streben  allmälig  in  immer  h&herem  Grade  eine 
befriedigende  Beetätignng  im  Spiritisnins. 


Jon  Signrdsson 

geboren  am  17.  Juni  1811  in  liafnseyri  im  Nordwesten 
Islands  als  Sohn  eines  Pfarrers,  welcher  aus  einem  alten 
und  höchst  angesehenen  Geschlechte  stammte,  wurde  aus- 
schliesslich Ton  seinem  Vater  unterrichtet,  trat  dann  1829 
in  ein  Handelsgeschfift  sn  Beykjayik  ein  nnd  arbeitete 
hierauf  drei  Jahre  lang  als  Ammannensis  des  Bisohafes 
Steingrirar  Jonsson;  im  Jahre  1883  bezog  er  die  ünirmitSt 
Koperrtiagen,  wo  er  im  folgenden  Jahre  die  Magisterwürde 
erwarb  und  1835  Stipendiat  der  arna-magnäauischen  Stift- 
ung wurde,  d.  h.  der  von  Ami  Magnasson  im  18.  Jahr- 
hondert  gegründeten  Bibliothek  isländischer  Manuscripte. 
Hiednrch  war  seine  wissenachaftliche  Laofbahn  bsstimmt, 
indem  er  sich  mit  gröastem  Eifer  dem  Studium  der  nor- 
dischen Literatur  überhaupt  und  insbesondere  der  Geschichte 
und  Archäologie  Islands  hingab.  Scheu  lb36  trat  er  als 
Mitglied  in  die  isländisch-literarische  Gesellschaft  ein,  welche 
ihn  1840  als  ihren  Secretär  nnd  18öl  als  ihren  Präsidenten 
wählte;  auch  war  er  seit  1841  Mitglied  und  von  1847  bis 
1866  Archivar  der  nordisch -antiquarischen  Gesellschaft. 
Behuls  der  Katalogisirung  der  islandischen  Handschriften 
hielt  er  sich  1841  in  Stockholm  und  in  Upsala  auf,  behielt 
aber  dann  seinen  eigentlichen  Wohnsitz  in  Kopenhagen, 
während  er  regelmässig  jedes  zweite  Jahr  sein  Geburtsland 


Digitized  by  Google 


«.  I*ra*Ul:  Nekruloy  auf  Jon  SigurdaaoH. 


153 


besuchte.  Er  war  uemlich  seit  1840  ein  eifriger  Vorkämpfer 
der  politi^clu'u  Hechte  Islands  und  seit  1845  das  aiH'rkannte 
Oberhaupt  der  dortigen  Patrioten ;  an  dem  lange  dauernden 
ond  zuweilen  heftigen  Streite  mit  Dänemark  nahm  er  theiU 
in  der  d&nischen  ond  islindischen  F^reese,  theils  in  Ver- 
sammhingen  oder  Adressen  n.  dgl.  den  lebbaftesten.  An- 
iheilt  erfnbr  aber  anoh  schHeBslicb  die  Genngtbnnng,  daee 
hn  Jabre  1875  die  tod  ihm  vertretenen  Wünsche  seiner 
Landsleute  ihre  Verwirklichnng  fanden.  Förmlich  ange- 
betet von  seinen  Anhängern,  aber  auch  geachtet  von  seinen 
Gegnern  starb  er  in  Kopenhagen  am  7.  December  1879; 
die  Leicbe  wnrde  nach  seiner  Heimats-Insel  überführt,  wo 
aehon  seit  lange  im  Althing-Hanse  seine  fifarmorbSsie  an^ 
gestellt  war. 

Neben  der  politischen  Wirksamkeit,  neben  den  manig- 
faltigen  Ansprüchen,  welche  der  Geschäftsgang  der  erwiihiiton 
gelehrten  Uesellschaft<Mi  an  ihn  erhöh,  und  npl)en  einer 
publicistischen  Tbätigkeit,  welche  sich  auch  auf  das  iSchnl- 
wesen,  den  Handel,  die  Landesprodncte  and  die  Fischerei  n,  s.  w. 
erstreckte»  erwarb  sich  Sigurdsson,  welcher  seit  1866  nnserer 
Akademie  angehörte,  durch  ssahlreicbste  wissenschaftliche 
Leistnugen  den  Rnhm,  an  den  ersten  AntoritSten  im  Ge- 
biete der  nordisch -germanischen  Alterthiniisknude  gezählt 
zu  werden.  Er  veröftoiit licht t- :  ,,Islendinga  Sögur'' (2  Bände, 
1843 — 47,  woselbst  im  1.  Baude  die  erste  kritische  Aus- 
gabe der  Landnama),  femer  „Trojnmanna  Saga**  (1848), 
„Breto  Sögnr'*  (1849),  „JatTaidar  konnngs  Saga*'  (1852) 
und  „Osfalds  konnngs  Saga^  (1854);  sogleich  war  er  be- 
theiligt bei  der  Heransgabe  der  isländischen  Annalen  (1847) 
and  bei  der  Ansgabe  der  Snorra  Edda  (2  Bände,  1848—52), 
sowie  au  dem  3.  Bande  der  Grönländischen  Ueschichtsdenk- 
mäler  (1845)  und  an  dem  von  der  Kopenhagener  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  herausgegebenen  Regenten- Werke 
aar  dinisriien  Geschichte  (1847  nnd  1870)«  dergleichen  an 


Digitized  by  Google 


154 


OeffenUiche  SüzM^g  vom  20.  März  1880. 


den  von  der  antiquarischen  Gesellschaft  publieirten  ,,Ailti- 
quites  rnsses"  (1850  und  1858);  gemeinschaftlich  mit 
Grnndtvig  besorgte  er  eine  Ausgabe  der  alt-isländischeo 
Volkslieder  (1854—59);  hierauf  folgten  das  „Diplomatarium 
islandicom''  (1857—62)  und  eine  sam  Tbeile  gemeinsam 
mit  Oddgeir  Siephensen  yeranstaltete  Sammlang  isländischer 
Gesetze  (17  Bünde,  1853  —  77),  ferner  ein  Verzeicbniss  der 
isländischen  Bischöfe  und  Lögnüluuer,  endlich  inhaltsreiche 
Vorreden  zu  den  isländischen  Wörterbüchern  des  Sveinbjöm 
EgilMon  (1860)  und  des  Eirikr  JonsM>n  (1863).  Ein  fach- 
kundigstes Urtbeil  beieidinet  die  Schriften  Siguidsson^s  als 
unentbehrlich  f8r  den  Betrieb  der  nordisch-germanisehen 
Philologie  und  rühmt  an  denselben  ebenso  sehr  die  Gewandt- 
heit wie  die  Besonnenheit  der  Forschung,  die  Feinheit  des 
Sprachgefühles  und  den  Scharfblick  paläographischer  ünter- 
suohung  (s.  K.  Maurer  in  Allg.  Zeitung,  1880,  Beilage 
Nr.  41).   

Andreas  David  Mordtmann 

geboren  am  11.  Febr.  1811  in  Hamburg  als  Sohn  eines 
Galanteriehändlers,  studirte  bis  1829  am  dortigen  Johan- 
neum  und  erwarb  sich  dann  durch  Priyai-Unterricht  die 
Ifittel,  um  Orientalia  su  studiren.  Von  der  ünirersitat 
Kiel  zum  Doctor  promovirt  trat  er  1845  als  Eanslist  bei 
der  hanseatischen  Gesandtschaft  in  Coustantinopel  ein,  wo 
er  sodann  von  Novbr.  1847  bivS  Juni  1859  als  Geschäfl«- 
träger  der  Hansestädte  und  oldenburgischer  Consol  thätig 
war.  Als  die  Hansestädte  jenen  Posten  aufhoben,  wurde 
er  (1859)  Mitglied  des  türkischen  Handelsgerichtes,  ans 
weleher  Stellung  er  durch  eine  Gewaltmassregel  Nedim 
Pasrha's  verdrängt  wurde  (1871).  Er  führte  nun  einige 
Znit  die  Redaction  des  Phare  du  Bosphore ,  widmete  sich 
aber  dann  völlig  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten  und 
bethätigte  sich  als  Lehrer  an  der  neu  gegrOndeten  Beamten«- 


r.  Prantl:  I^ekruioy  auf  Andreas  David  Mordtmann.  155 


scbole,  sowie  als  fleissiger  Berichterstatter  der  Allgemeinen 
Zeituug,  wozn  er  bei  seiner  genauen  Kennt niss  der  türkischen 
Verbältnisse  und  Personen  besonders  befähigt  war.  Er 
starb  in  Coustantiuopel  am  30.  Decbr.  1871).  Seine  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  sind :  Kurze  Beschreibang  von  Ma- 
grib  el  Akssa  oder  Schilderiing  der  Staaten  toh  Marokko** 
(1844),  eine  Uebersetzang  tod  Istachri,  das  Bach  der 
Länder  (1845),  ferner  ,,Erk1Srung  der  Münzen  mit  Peklewt 
Legenden*'  (1853),  „Belagerung  und  Eroberung  Constantin- 
opel's  durch  die  Türken,  nach  den  Orginalquellen  bearbeitet" 
(1858,  auch  ins  Neugriechische  übersetzt  1859)*  „Die  Ania- 
lonen"  (1862)  ,,StambuI  und  das  moderne  Türkenthuni'' 
(anonym,  2  Bde.  1877  f.)  Anaserdem  gab  er  die  Niebohr'sche 
üebersetcnng  des  Omar  el  Wakedi,  Gesebicbte  der  Erober- 
nng  Ton  Mesopotamien  und  Armenien  herans  (1847  in  den 
Schriften  der  Akademie  von  Harn)  nnd  lieferte  sahlreiebe 
Auf:<ätze  und  Abhandlungen  theils  in  die  Zeitschrift  der 
d.  morgenländ.  Gesellschaft  tlieils  in  die  Sitzungsberichte 
onserer  Akademie,  deren  correspondirendes  Mitglied  er  seit 
1869  war,  sowie  in  „Das  Ans1and'\  in  „Die  Gegenwart", 
in  Petennanns  Mittheilnngen  nnd  in  nnmismatiscbe  Zeit- 
sehrillen (ein  Verzeichniss  seiner  sammtliehen  Arbeiten  s.  in 
Borsian's  Jahresbericht  Bd.  XYI,  8.  47  IT.)  Seitens  der 
Fachkundigen  werden  insbesondere  die  Schriften  Uber  die 
Sav-aniden  Münzen  nnd  ü[)er  die  zweite  Keiischriftgattuug 
als  sehr  verdienstlich  bezeichnet. 


Digitized  by  Google 


156  (kfftn&iAe  SiUmjf  wm  90,  Man  1880, 


Der  ClasseDsecretär  Herr  y.  Giesebrecht  sprach: 

Am  10.  Februar  dieses  Jahres  starb  hierselbst  Ueiniieh 
Conrad  FdiiBger,  k.  Hofrath  ond  Oberbibliothekar  a.  D., 
eines  der  lUtesten  Mitglieder  nnserer  Akademioi  welches  sich 
um  dieselbe  manigfaeh  yerdtent  gemacht  hat. 

Föringer  ist  in  unserer  Stadt  am  14.  August  1802  aU 
Sohn  des  damaligen  Messners  am  Herzog  -  Spital  geboren 
worden  und  hat  hier  seine  gesammte  Schulbildung  genossen. 
Nachdem  er  die  GymnasiaLstudien  yollendet,  besog  er  die 
üniyersit&t  Landshnt,  um  sich  der  Rechtswissenschaft  zu 
widmen,  und  trat  nach  bestandener  Staatsprüfung  in  die 
richterliche  Laufbahn  ein.  Aber  bald,  durch  seine  Neigung 
zu  literarischen  Arbeiten  bestimmt,  entsagte  er  derselben 
und  suchte  um  eine  Beschäftigung  an  der  hiesigen  Hof- 
und  Staatsbibliothek  nach.  1828  wurde  sein  Wunsch  ei^ 
ftillt,  und  fttn&ig  Jahre  ist  dann  diese  Bibliothek  der  Mittel« 
punkt  seiner  gesammten  Thatigkeit  geblieben ;  den  gr&ssten 
Theil  seines  Lebens  hindurch  hat  er  arbeitsam  in  den 
Räumen  derselben  geschaltet,  so  <lass  seine  ganze  Existenz 
aufs  innigste  mit  den  Literaturschätzen  verwuchs,  die 
seiner  Obhut  vertraut  waren.  Im  Jahre  1835  wurde  er 
zum  Scriptor,  1835  zum  ersten  Sekretär.  1839  zum  Gustos, 
1855  zum  Bibliothekar,  1868  zum  Oberbibiiothekar  ernannt. 
Im  An&nge  des  Jahres  1878  trat  er  auf  seinen  Wunsch  in 
den  wohlverdienten  Ruhefikand.  In  angenehmen  Verhält- 
nissen, von  einem  glücklichen  Familienkreise  umgeben,  ver- 
lebte er  die  beiden  Ruhejahre,  die  ihm  noch  beschiedeu 
waren.  Die  Neigung  zu  literarischen  Arbeiten  blieb  ihm 
bis  an  das  Ende.  Einzelne  Forschungen,  die  er  wegen 
seiner  BemÜBarbeiten  früher  nicht  hatte  durchfuhren  können, 
brachte  er  noch  zum  Abechlnss,  aber  die  grösseren  Unter- 


Digitized  by  Google 


r.  Oietebntiä:  Nekrolog  auf  Enmtk^  Conrad  Fönnger,  157 

«■dnmgai,  welche  er  sich  noch  zur  Angabe  gestellt  hatte, 

Tcrhinderte  ihn  znnehmende  Altersschwache  zn  vollendeD. 
Mitten  in  den  Arbeiten  für  eine  umfassendere  Schrift  über 
Peter  und  Philipp  Apiau,  welche  als  Festgabe  für  das  be- 
Torstebende  Wittelsbacher  Jabilaam  bestimmt  war,  ereilte 
ihn  der  Tod. 

üeberaos  gleichn^ig  verlief  FÖringers  Leben,  aber  es 
iii  dsmm  dodi  kon  armes  gewesen.    Der  Gelehrte  pflegt 

die  Stuu<leu  als  besonders  glückliche  zu  rühmen ,  wo  er 
ganz  den  Büchern  leben  kann,  und  solche  Glücksstaudeu 
hat  onser  Terstorbener  Freund  im  seltensten  Masse  ge- 
BOML  Eine  lange  Reihe  Ton  Jahren  war  besonders  die 
m  reiche  Handschriftensammlnng  nnsrer  Bibliothek  ihm 
fiberfipeben ;  er  hat  sich  nm  die  Ordnung  nnd  Repertorisirnng 
derselben  grosse  Verdienste  erworl)en  und  hatte  sieh  in  der- 
selben so  heimisch  gemacht,  dass  er  in  jedem  Moment  ge- 
saoe  Aoskunit  zu  geben  vermochte.  Es  liegt  gerade  in  dem 
*Stadiom  der  alten  Handschriften  eine  ganz  besondere  An- 
aAuigskralt,  der  er  sich  gana  hingeben  konnte.  Seine 
giMe  Freude  war,  wenn  er  in  seinen  Handschriften  irgend 
etwas  fand,  was  zur  Aufhellung  der  Geschichte  seiner 
Ittyrischen  Heimat,  an  welcher  er  mit  ganzer  Seele  hing, 
tiieolicb  war. 

Föringer  hat  an  grösseren  Schriften  wenig  reröffen^ 
hebt.  Er  gehörte  sn  den  nicht  seltenen  Gelehrten,  die 
•Ids  trbeiten,  aber  schwer  cum  Absehluss  kommen.  So 

hst  er  sich  lange  Zeit  mit  einer  neuen  Ausgabe  der  Chronik 
des  Aveutin  l)escliäftigt ;  er  hatte  sich  dieselbe  gleichsam 
to  seiner  Lebensau%abe  gestellt,  und  doch  blieb  die  Arbeit 
n  den  Anfängen  stecken.  Es  bedurfte  gewöhnlich  eines 
itawreu  Anstosses , .  wenn  er  etwas  drockfertig  herstellen 
aollte.  Daher  sind  alle  seine  Schriften  in  den  Publicationen 
<ler  gel»  iirten  Gesellf^chaften  ,  deren  Mitglied  er  war.  oder 
is  ioiiereu  i^aumelwerkeii ,   erschienen,   wenn  »ie  gleich 


158 


OetfetUUdia  SUgtmff  vom  »,  Män  1880. 


später  auch  zum  Theil  selbstständig  veröffentlicht  wurden. 
Sie  siDil  meist  nicht  von  grossem  Umfange,  aber  sebon 
dnreh  das  nene  Material ,  welches  sie  der  Forschnng  sa- 
ffthrten,  tod  erheblichem  Werthc^ 

Bei  weitem  mehr,  als  fSr  seine  eigenen  literarischen 
Productionen ,  ist  Föringer  für  die  Unterstützung  der  Ar- 
beiten Anderer  thätig  gewesen  Mit  der  liebenswürdigsten 
Zuvorkommenheit  und  grösster  Aufopferung  unterzog  er 
sich  jeder  Arbeit ,  durch  welche  er  ein  wissenschafUichea 
Unternehme»  fördern  an  k&nnen  glaubte.  Von  den  Ter- 
sehiedensten  Seiten  ist  dies  dankbar  anerkannt  worden; 
namentlich  hat  Perts  riel&ch  die  bedeutende  UnterRtatanng 
hervorgehüheu,  welche  Föringer  der  Herausgabe  der  Moun- 
menta  rTerinaniae  historica  hat  angedeiheii  hv^sen. 

Es  konnte  nicht  fehlen,  dass  die  wissenschaftlichen 
Vereine,  die  ihre  Aufgabe  in  der  Erschliessnng  neuen  hi- 
storischen Materials  sehen,  sich  einen  so  hfllfireichen  Ge- 
lehrten fester  sa  verbinden  suchten.  Bald  nachdem  sich 
der  historische  Verein  Ton  und  fSr  Oberbayem  gebildet 
hatte ,  fand  Föringer  in  demselben  Aufnahme  und  wurde 
dann  eines  der  thätigsten  Mitglieder  desselben;  von  1839 
an,  mehr  als  vierzig  Jahre,  hat  er  die  Redaction  des  Ober- 
bayrischen Archivs  und  der  Jahresberichte  des  Vereins  be- 
sorgt. 1S46  wurde  er  als  ausserordentliches  Mitglied  in 
unsere  Akademie  gewihlt,  der  er  von  1853  an  als  ordent- 
liches Mitglied  angehörte.  Als  im  Jahre  1858  durch  den 
hochseligen  König  Maximilian  IL  die  historische  Commission 
bei  unsrer  Akademie  g^ründet  wurde,  nahm  man  auch 

ij  Eiye  im  Ganren  vollständige  Aufzählung  dieser  Schriften  findet 
sich  im  Almanach  unserer  Akademie  1875  S.  '^2-344.  Hinzuzufügen 
ist  unter  Anderm  die  leiste  von  Föringer  selbst  veröffentlichte  Schrift: 
TJeher  die  fftr  venehellen  gebalteDe  Handsehrift  der  Annales  Weihen- 
stephanenset  in  den  Sitsuigsberiehtan  der  philosopliiaeh-phflologiaeheD 
and  UstorisebeB  Clssse  aniier  Aksdenio  1879.  Bd.  U.  S.  88  C 


Digitized  by  Google 


V,  Qienehrecht :  Nekroluy  auf  Ludwig  Adolf  S^h.  159 


sogleich  Föringers  Mitwirkung  in  Aussieht;  schon  hei  ihrem 
ersten  Zusammentritt  war  er  ausserordeullichey  Mitglied  der 
Commission,  die  ihu  dann  1863  zu  ihrem  ordentlichen  Mit- 
gliede  wählte.  Eine  lange  Reihe  historischer  Vereine  inner- 
halb und  ausserhalb  Deutschlands  sandte  ihm  £hrendiplonie 
als  Dank  für  die  bereitwillige  Hülfe,  welche  er  ihren  Be- 
strebungen geleistet  hatte.  Anch  anf  dem  Throne  wurden 
seine  wissenschaftlichen  Verdienste  gewürdigt;  König  Lud- 
wig I.  hatte  ihn  zu  seinem  Privatbibliothekar  erwählt  und 
im  Jahre  1857  verlieh  ihm  König  Max  II.  das  Ritterkreuz 
erster  Classe  des  Verdienstordens  vom  heiligen  Michael. 

Die  Verehrung,  die  Föringer  aller  Orten  fand,  galt 
ebensosehr  seiner  anziehenden  und  liebenswOrdigen  Penön* 
Hchkeit,  wie  seinen  Leistungen.  Die  höchst  stattliche  Figur, 
die  schönen  und  einnehmenden  OesichtssOge ,  die  Feinheit 
nnd  ZuTorkommenheit  seines  ganzen  Wesens  machten  auch 
uuf  solche  Eindruck,  welche  den  wissenschaftlichen  Bestreb- 
nngen  Foringers  lern  standen.  Schon  an  seinem  Aeussereu 
erkannt«  man  das  Wohlwollen^  das  Massvolle,  die  Bescheiden** 
heit,  die  fienensgfite,  welche  das  innerste  Wesen  des  theuren 
Mannes  waren.  Bei  Vielen  nahe  und  fem  werden,  wie  bei 
uns,  seinen  GoUcgen  in  der  historischen  Classe,  sein  Name 
und  seine  Person  in  frenndUcfastem  Andenken  bleiben. 


Es  wurde  sodann  der  beiden  verstorbenen  correapon- 
direnden  Mitglieder:  Ludwig  Adolf  Spach  in  Strassburg 
und  Willem  Moll  in  Amsterdam,  gedacht  und  fiesmg  auf 
die  nachstehenden  Nekrologe  genommen. 

Am  16.  October  1879  beschloss  an  Strassburg  sein 
Leben  Ludwig  Adolf  Sptehy  Vorstand  des  dortigen  Be- 
sirkarchi^s  und  Professor  honorarius  an  der  Universität, 
seit  1870  correspondirendes  Mitglied  unserer  Akademie. 

Spacb,  geboren  am  27.  September  1800  zu  Strassburg, 
war  der  Sohn  eines  dortigen  Kaufmanns.  Seine  erste  Bild- 
[im.  L  PbiL-phU.  hifti.  Cl.  Bd.  L  2.]  11 


Digitized  by  Google 


160  OeffenOkhe  SUgmig  vom  SO.  Män  1880. 

img  erliielt  er  ibeila  in  einer  fraBsosischeD  PenstonsaiuftftU 
seiner  Vaieretadt,  tbeils  in  einem  proteetantiechen  Pfiirrbanae 

in  der  Ümgegend :  so  haben  schon  Ton  frühe  au  deutsche 
und  französische  Kulturelement«  gleichmässig  ,Huf  ihn  ge- 
wirkt und  sich  in  seinem  Geiste  verbunden.  Im  Jahre  1812 
wnrde  er  dem  Strassburger  Gymnasium  fibergeben,  dessen 
Klassen  er  rasch  dnreblief.  Da  er  fttr  eine  tbeologieebe 
Lanf  bahn  bestimmt  war,  trat  er  1816  in  das  protestantische 
Seminar  zn  Strassbnrg  ein,  dessen  Gursns  er  absolTirte. 
Bald  aber  wnrde  ihm  der  Beruf  zum  geistlichen  Amte 
zweifelhaft,  und  im  Jahre  1820  wandte  er  sich  rechtswiswen- 
schaftlichen  Studien  an  der  Strassbnrger  Facultät  zu.  Doch 
auch  die  Laufbahn  eines  Beamten  zog  ihn  wenig  an,  während 
er  zn  freier  wissenschaftlicher,  namentlich  schön -wissen- 
schaftUober  Thfttigkeit  eine  nnbesißglicbe  Neigung  fühlte. 

Im  Jahre  1824  ging  Spacb  nach  Paris  und  übernahm 
hier  die  Stellung  eines  Erziehers  bei  den  Kindern  des 
Grafen  von  St.  Aulaire.  Er  kam  dadurch  iu  ein  Haus, 
in  dem  sich  die  feinste  Pariser  Gesellschaft  zu  ver- 
sammeln pflegte  uud  welches  ihn  mit  deu  Celebritäten  der 
damaligen  französischen  Literatur  in  Verbindung  brachte. 
Niebt  minder  tief,  als  die  Einflösse  des  Pariser  Lebens, 
waren  auf  seinen  fiberans  onpfangliehen  Geist  die  kllnsi- 
lerisehen  und  poetischen  Eindrttcke,  welche  er  bei  einem 
langereu  Aufenthalte  in  Italien ,  namentlich  in  Rom  ,  er* 
hielt,  als  er  dorthin  dem  Grafen  als  dessen  Privatsecretär 
im  Jahre  183  L  gefolgt  war.  Der  üble  Binfluss  des  italie- 
nischen Climas  auf  seine  sehr  nervöse  Constitution  nöthigte 
aber  Spach  schon  1832  Italien  zu  verlaasen.  ISr  fährte 
dann  mehrere  Jahre  ein  wechselToUes  Leben  in  der  Schweis, 
in  Paris  und  Strassburg,  besonders  mit  literarischen  Arbeiten 
beschäftigt.  An  mehreren  Journalen  war  ein  fleiasiger 
Mitarbeiter  und  verötlentHchte  unter  dem  augenommenen 
Namen  Louis  Lavater  die  Romane  Henri  Farel  (1034)  und 


Digitized  by  Google 


«.  GiewdurtdU:  Nekrotog  auf  Ludwig  AMf  Spadi.  161 

U  BOUfeMi  Candide  (1835),  deren  Stoff  den  Eisaeser  Ver- 
hiltBissen  entnommen  war. 

Eäne  andere  Wendung  gewann  Spaclis  Leben ,  als  er 

im  Anfange  des  Jahres  1840  die  neu^eschatfene  Stelle  eiues 
Archivars  des  Departement  du  Bas-Khin  übernahm.  Mit 
der  grössten  Hingebung  widmete  er  sich  dem  neuen  Amte, 
welcbea  ihn  mit  der  Geschichte  seiner  Heimat  in  die  nn- 
adttelbaisten  Beziehongen  brachte.  Für  die  Ordnung  und 
lafeDtarifbning  des  ArehiTS  hat  er  Ausserordentliches  ge- 
leitet. Das  in  38  Poliobänden  von  ihm  hergestellte  Haupt- 
inventar giebt  das  sprechendste  Zeugniss  für  seinen  uner- 
müdlichen Fleiss.  Kin  Auszug  aus  dieser  Arbeit  ist  unter 
dsB  Titel:  Inventaire  sommaire  des  arcbives  d^[»art6men- 
iües  da  Bta-Rhin  in  6  Banden  (Btraasbnrg  1863-1872) 
vsrOffentlicht  worden.  Nachdem  Spach  selbst  eine  fiber- 
sichtlicbe  Geschichte  der  Elsasser  bearbeitet  und  1858 
herausgegeben  hatte ,  wies  er  in  seinen  Lettres  sur  les  ar- 
cbiveä  departemeutales  du  Bas-Khin  (1862)  auf  die  wichtigen 
Hfilfsmittal  hin,  welche  in  dem  Archiv  für  die  gründlichere 
fietrbeitang  dieser  Gesehiehte  ▼orhanden  waren.  In  zahl- 
nidien  Monographien  sncbte  er  interessante  Einxelnheiten 
^  politischen  und  der  Cnlturgeschicbte  seiner  Heimat 
.'iutituklären.  Die  bedeutendsten  dieser  Monographien  sind 
Uk  den  Oeuvres  choisies  (5  Bände  1860—1071;  enthalten, 
to«D  beide  erste  Bande  die  Biographies  alsaciennes  ein- 
MhffleD,  Alle  diese  Arbeiten  haben  nicht  allein  ein  stoffliches 
laleresse,  sondern  zeichnen  sich  anch  durch  anmnthige  Dar- 
itellong  aus.  Denn  es  war  Spach  nnmöglich  etwas  sn 
poblicireu .  w()l)ei  nicht  auch  seiu  ästhetischer  Sinn  Be- 
friedigung fand. 

Ausser  durch  seine  archivalische  und  historische  Thätig- 
lUst  erwies  sidi  Bpaeh  anch  noch  in  vielen  anderen  Be- 
|tfihttngwi  ssiiintfiii»ia|til«i  nütsUch.    Lange  Zeit  war 
Mm  lugldch  als  Cabiuetssohef  des  PHUecten  thätig,  mehrere 


Digitizflgjy  Google 


162  OeffenUidte  SÜMnng  vom  20,  Märg  1880, 

Jahre  aoch  als  Sehriftfahrer  des  proteetantischen  Gonsistorimiis, 
vor  Allem  aber  machte  er  sich  als  Vorstaiid  der  toh  ihm 
gegründeten  beiden  G^llscbaften  verdient,  von  denen  die 

ein*»  sich  die  Erluiltnng  der  historischen  Denkmäler  des  El- 
sasses zum  Ziel  setzte,  die  andere  die  allgemeine  Förderung 
des  literarisch-wissenschaftlichen  Lebens  im  Elsass  im  Auge 
hatte.  Als  Vorstand  der  Soci^te  litteraire  verfolgte  Spach 
das  Ziel  einer  Vermittlnog  zwischen  dentscher  und  fran- 
zösischer Literatur,  und  keine  Persönlichkeit  war  for  die 
Lösung  einer  solchen  Aufgabe,  so  weit  sie  überhaupt  lös- 
bar ist,  mehr  geeignet  als  die  seine.  Neben  seinen  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  versuchte  er  sich  immer  von  Neuem 
in  poetischen  Compositioneu,  bei  denen  er  sich  anfangs  vor- 
nehmlich der  französischen,  später  mehr  und  mehr  der 
deutschen  Sprache  bediente. 

Die  tiefen  Schaden  des  französischen  Staatslebens  unter 
dem  zweiten  Kaiserreich  scheinen  Spach  mit  der  Zeit  immer 
klarer  geworden  zu  sein.  Schon  im  Jahre  1867  sprach  er 
vertraulich  aus,  dass  die  Zeit  nicht  mehr  fern  sein  dürfte, 
wo  Elsass  wieder  an  Deutschland  käme,  aber  er  wünschte 
diese  Zeit,  die  seiner  bisherigen  vermittelndeu  Thätigkeit 
nothwendig  ein  Ende  bereiten  musste,  nicht  mehr  an  er- 
leben. Sein  Wunsch  ist  nicht  in  Erfüllung  gegangen;  er 
hat  die  Ereignisse  des  Jahres  1870  noch  gesehen  und  wohl, 
wie  wenig  Andere,  geistig  darunter  gelitten. 

Nachdem  Spach  die  wichtigsten  Schätze  seines  Archivs 
während  des  Bombardements  von  Strassburg  in  Sicherheit  ge- 
bracht, verliess  er,  als  das  Schicksal  der  Stadt  schon  nicht 
mehr  zweifelhaft  war,  schwer  erkrankt  dieselbe,  kehrte  aber 
bald  nach  der  Oapitulation  zurück,  um  sich  den  deutschen 
Behörden  zur  Verfügung  zu  stellen.  Bs  konnte  nicht 
fehlen,  dass  ihm  dieser  Schritt  von  vielen  seiner  Landsleute 
zum  bittersten  Vorwurfe  gemacht  wurde,  und  die  Ver- 
düchtigongen ,  die  deshalb  ihn  trafen,  verletzten  seine  em- 


Digitized  by  Google 


r.  Gicsebrecht:  Nekrolog  auf  Wüiem  Moll, 


165 


pfinclsanie  Seele  auf  diis  Tiefste.  Er  zog  sich  seiUlem  von 
<!?ni  öff^'ntlicheu  Leben  der  Stadt,  in  welches  er  früher  so 
virksain  eingegriffen  hatte,  völlig  zurück;  Ton  den  sahlreicheD 
hmden,  die  nch  frOber  um  ihn  Teraamindt,  wandten 
odh  nicht  wenige  ron  ihm  ab,  nnd  die  nenoi  Freunde, 
«elclie  ihm  die  Teranderten  Verhältnisse  raflihrten^  konnten 
die  schmerzlichen  Lücken  nicht  ersetzen.  In  literarischen 
Arbeiten  fand  der  vereinsamte  (»reis  allein  noch  seine  Be- 
friedigung. Die  Poesien,  welche  er  noch  ver2)ffentlichte, 
httten  keinen  nennenswerthen  Erfolg,  dagegen  fiinden  seine 
cultmw  nnd  fiterargeschiehtlichen  Arbeiten,  „Moderne  Cnltnr- 
iMtinde  im  Elsas«''  (3  ^Bande  1873.  1874)  nnd  „Znr 
Geschichte  der  modernen  französischen  Literatur  (ls77) 
dankbare  Anerkennung  von  vielen  Seiten,  Er  blieb  hier 
in  der  vermiitelndea  Richtung,  die  er  immer  einzuhalten 
TcriQcht  hatte:  er  sachte  Deutschland  nnd  Elsato  geistig 
naher  zn  verbinden  nnd  die  Yomrtheile  an  ttberwinden, 
welche  in  Dentechland  gegen  die  moderne  Literatur  der 
Franzosen  bestanden. 

Neun  Jahre  hat  Spach  noch  in  dem  Deutschland 
wiedergewonnenen  Strassbnrg  gelebt.  Von  deutscher  Seite 
bst  man  es  dem  Tielfiush  verdienten  Manne  nicht  an  Ehren 
nnd  Aasaetdinnngen  fehlen  lassen,  aber  es  war  ihm  doch 

**in  trübseliger  Lebeusabend  beschieden.  Der  Tod  war  für 
ihn  ein  I^freier  von  langen  körperlichen  und  geistigen 
Leiden.^) 


Am  16.  Angnst  1879  starb  sn  Amsterdam  Willem 
Moll,  Professor  »ler  Theologie  au  der  dortigen  Universität, 
i^U  lö71  correspondirendes  Mitglied  unserer  Akademie. 

1)  Verf^l.  den  Nekrolog  von  F.  X.  Krm  in  der  Allgcineinen  Zeit- 
en; i(>79.  Nr  m,  307  und  den  Macbtnig  fon  Fr.  von  Uber  eben- 
4aMUit  Nr.  317. 


Digitized  by  Google 


164  OeffetUliche  Sitzung  vom  20.  März  1880. 

Moll,  geboren  am  28.  Februar  1812  sa  Dordreebi, 

sollte  für  ein  kaufmännisches  Geschüft  ansgehildet  werden, 
wandte  sich  aber  im  Alter  von  15  Jahren  aus  innerer 
Neigung  theologischen  Studien  zu.  Auf  der  lateinischen 
Schule  seiner  Vaterstadt  erhielt  er  durch  einen  tüchtigen 
Philologen  J.  W.  Grimm  eine  gnte  Vorbildnng.  Anck  auf 
der  UniTerritai  Leiden,  die  er  1880  beiog,  eetste  er  nach 
der  Sitte  seiner  Heimat  sneret  noch  eifrig  die  philologischen 
Stadien  unter  Peerlkauip  und  andren  Lehrern  fort  nnd  wandte 
sich  dann  den  theologischen  Discipliuen  7ai  ,  in  denen  be- 
sonders Kist  und  van  der  Palm  seine  Führer  waren.  Schon 
damals  zeigte  sich  seine  besondere  Begabung  für  kirchenge- 
schichtliche Forschungen. 

Nach  beendigten  Uniyersitfttsstndien  trat  Moll  in  die 
Seelsofge  ein,  snerst  in  der  Landgemeinde  Vnnrsche,  dann 
1844  in  Amhem.  Noch  in  demselben  Jahre  erschien  der 
erste  Band  seiner  Geschiedenis  vau  het  kerkelyke  leven  der 
Ghristenen  gedurende  de  zes  eerste  eeuweu,  dem  1846  der 
zweite,  abschliessende  Band  folgte.  Da  dieses  Werk  nicht 
geringe  Aufmerksamkeit  erregte,  erhielt  er  1846  einen  Ruf 
des  Gemeinderaths  von  Amsterdam  als  Professor  der  Theo- 
logie an  das  dortige  Athenäum,  welches  vornehmlich  dorch 
seine  Anstrengungen  1877  zn  einer  CTniversitat  erhoben 
wurde.  Als  er  im  Jahre  1859  als  Kists  Nachfolger  nach 
Leiden  berufen  wurde,  zog  er  es  doch  vor  in  der  ihm  lieb 
gewordenen  Stellung  in  Amsterdam  zu  Ter  harren  and  ist 
in  derselben  bis  an  sein  Ende  verblieben. 

Eine  sehr  ausgedehnte  und  fruchtbare  Thätigkeit  hat 
Moll,  dessen  Arbeiten  sich  bald  iast  ausschliesslich  der 
NiederlSndischen  KIrohengeschichte  suwandten,  in  Vorles- 
ungen, in  Schriften  und  in  der  Leitung  von  historischen 
Uebungen  entfaltet.  Seine  Hauptwerke  sind:  1)  Johannes 
Brugmaii  en  het  godsdienstig  leven  ouzer  vadereu  in  de 
Ajftiende  eeuw  (1854,  2  Bande).  Die  eigenthümliche  religiöse 


Digitized  by 


r.  OiesebredU:  Nekroloy  auf  Willem  MoU, 


165 


Erireckung  in  den  Niederlanden,  aus  welcher  Delprat  in 
dem  Buche  über  die  Brüder  des  gemeinen  Lebens  eine  her- 
fomgende  Erscheinung  herausgegriffen  hatte,  ist  hier  im 
ZMNDmenhange  behandelt  MoU  hat  in  diesem  Werke 
nahrhaft  achöpferisch  gewirkt,  das  Material  fiist  ganz  erst 
nlbet  ans  den  Rasten  alter  Kloaterbibliothekoi  an  das  Licht 
gwogen.  Auch  später  ist  er  in  zahlreichen  kleineren  Schriften 
auf  dieses  Thema  zurückgekommen  und  hat  so  selbst  seine 
grwsere  Arbeit  ergänzt.  2)  Kerkgeschiedenis  van  Neder- 
land  Toor  de  henronning  (1864 — 1871,  2  Theile  in  5  Bänden). 
En  hoehgesebitetes ,  vielbewnndertes  Werk,  wenn  auch 
odit  nach  allen  Seiten  erschöpfend,  doch  von  grosser 
Kraft  wissenschaftlicher  Anregung.  Durch  diese  beiden 
Werke  gewann  Moll  unbedingt  die  erste  Stelle  unter  den 
Gelehrten  seines  Fachs  in  den  Niederlanden. 

Nicht  minder,  als  dnrch  seine  eigenen  Arbeiten,  hat 
MoQ  die  kirehenhistoriaehen  Stadien  In  den  Niederlanden 
doreb  die  Grilndnng  einer  Schnle  yon  jüngeren  Gelehrten 
geft^rdert.  Mit  dem  von  ihm  begründeten  Verein  für 
niederländische  Kirchengeschichte^^  gab  er  längere  Zeit  einen 
Kalender  voor  de  Protestanten  in  Nederhmd  (1856—1865) 
hmiia,  in  welchem  die  durch  aeine  Anregung  entatandenen 
aad  fea  ihm  gebilligten  Schriften  aeiner  Schüler  ▼eröfiRmt- 
licht  waiden.0 


1)  her  oh\gc  Nekrolog  beruht  auf  der  von  W.  Rogge  verfasiten 
Bio^phie  Mölln ;  auch  eine  zweite  Biographie  von  Professor  Acqaoj 
iii  Leideo  ist  vor  Kanena  erschienen. 


Digitized  by  Google 


1 66    Sitzung  der  phUos.-phUol.  und  histor.  Classe  vom  1.  Mai  1880. 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  1.  Mai  1880. 

Herr  Wi'lhelm  Meyer  hielt  einen  Vortrag: 

„üeber  die  urbinatische  Sammlung  von 
»Spruch  versen  des  Men  ander,  Euripides 
und  Anderer". 

Derselbe  wird  in  den  „Abhandlungen"  veröffentlicht 
werden. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  1.  Mai  1880. 
Herr  W  urdinger  hielt  einen  Vortrag: 

„Beiträge  zur  Geschichte  der  Gründung 
und  der  ersten  Periode  des  Hausritter- 
ordens vom  hl.  Hubertus  1444  —  1709'*. 

Derselbe  wird  gleichfalls  in  den  „Abhandhingen"  veröffent- 
licht werden. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Sitzung  Tom  5.  Juni  1880. 


Herr  Brunn  hielt  einen  Vortrag : 
„Troische  Miscellen.   Dritte  Abtheilung". 

Sarpedon  oder  Memnou? 

Auf  mehreren,  unter  einander  verwandten  Vasenge- 
mätden  ist  eine  mannliche  Leiche  dargestellt,  die  von  zwei 
geflügelten ,  ebenfalls  männlichen  Gestalten  getragen  wird. 
In  den  letzteren  erkennt  man  jetzt  allgemein  Schlaf  nnd 
Tod.  Dagegen  streitet  man  ,  ob  der  Todte  Sarpedon  oder 
Memnon  zo  nennen  sei.  Bei  der  Publication  eines  Kraters 
de«  Mnseo  Campana  (Mon.  d.  Inst.  VI,  21)  hatte  ich  mich 
ßr  Memnon  entschieden,  wogegen  sich  schon  Jul.  Lessing 
(de  Mortis  apnd  veteres  figura  p.  37—41)  in  scharfen 
Worten  —  er  spricht  von  interpretandi  licentia  —  geäussert 
hatte.  Nicht  milder  urtheilt  C.  Robert  im  letzten  berliner 
Winckelmannsprogramm :  Thanatos,  1878.  Er  sagt  S.  7: 
„In  dem  Toten  wird  jeder  moderne  Beschauer  sofort  Sar- 
pedon erkennen ;  und  ich  möchte  glauben,  jeder  antike  Be- 
schauer auch.  Wenn  Brunn  dessenungeachtet  den  Toten 
ftir  Memnon  hält,  weil  Sarpedon-Darstelluugen  bis  jetzt 
noch  nicht  nachgewiesen  seien  und  als  Gegenbild  zu  der 


168       Sitzung  der  pkäo8.'phüol,  Clane  vom  5,  Juni  1880. 

Darstellaug  der  ;igeoiJeia  auf  der  Vorderseite  die  Ijeiche 
eines  dem  Achill  erlegenen  Heros  passender  gewählt  sei, 
als  die  eines  von  Patroklos  Getöteten,  so  wird  er  selbst 
dieser  Argumentation  irgend  welche  zwingende  Kraft  kaum 
beilegen  wollen.  In  der  Zusammenstellung  der  Scenen  ▼er- 
fuhren wahrlich  die  attischen  Vaaenmaler  nicht  mit  solcher 
mehr  als  alexandriuischen  Zuspitzung,  wie  Brunn  es  von 
ihnen  erwartet ;  der  Zusammenhang  ist  hinreichend  gewahrt, 
wenn  anf  jeder  Beite  der  Vase  eine  Scene  der  Ilias  darge- 
stellt ist.  Hätte  indessen  der  Vasenmaler  wirklioh  Meninon 
darstellen  wollen,  so  ist  Nichts  von  seiner  Seite  geschehen, 
um  dies  in  der  Darstellung  selbst  deutlich  zu  machen,  und 
seine,  nicht  unsere  Schuld  ist  es,  wenn  wir  seinen  Meoinon 
för  Sarpedon  halten ;  die  Möglichkeit  richtig  an  inteipretiren 
hört  dann  ein&ch  anf.^  Gegenüber  einer  solchen,  es  ist 
wohl  nicht  zu  viel  gesagt,  wegwerfenden  Kritik  wird  man 
es  mir  nicht  verargen  können,  wenn  ich  mich  mit  scharfen 
Waffen  zur  Wehre  setze  und  dem  Angriff  die  Behauptung 
entgegensetze:. die  Möglichkeit  richtig  zu  interpretiren  hört 
allerdings  auf,  wenn  man  Sbor  die  Schranken  einer  be- 
stimmten Methode  nicht  hinwegsehen  will  oder  kann. 

In  der  Philologie  scheidet  man  zwischen  einer,  an  sich 
nnd  bis  zn  einem  gewissen  Punkte  ja  vollberechtigten  nnd 
noth wendigen ,  sogenannten  niederen  und  einer  über  die- 
selbe hinansgehenden  höheren ,  mit  klassischem  Ausdruck 
als  divinatio  bezeichneten  Kritik.  Soll  diese  letztere  der 
Archäologie  etwa  yorenthalten  bleiben?  Fast  scheint  es  so. 
Allerdings  liegt  es  in  ihrem  Wesen  begründet,,  dass  sie 
nicht  bei  jedem  einzelnen  Falle  ihrer  Anwendung  den 
ganzen  Apparat  von  Schlussfolgerungen ,  auf  dem  sie  be- 
ruht, ausfuhrlich  darlegt,  ja  oft  sich  derselben  im  Angen- 
blick  kaum  klar,  d.  h.  verstandesmassig  bewusst  sein  mag. 
Sie  bemht  oft  anf  einer  Summe  Ton  allgemeinaa  oder 
spocieilen  Ansehannngeii  nnd  Erfidirnngen,  die  sieh  halb 


Brwim:  TM»che  Müeetten. 


169 


nnbewassi  zur  Lorang  einer  Schwierigkeit  Yereinigen  und 
ihr  Ziel,  meinetwegen  anch  mit  Ueberapringang  gewisser 
Biittelglieder  erreieben.  Um  einen  aolchen  Fall  handelt  ea 
aicb  bei  den  Abglichen  Yaeenbildem.   Wenn  man  nnn 

▼on  den  tieferen  Gründen,  die  mich  zn  meiner  I>entiing 
veranlasst  haben ,  keine  Ahnung  zu  haben  scheint ,  so  hin 
ich  freilich  genöthigt,  über  den  vorliegenden  Fall  weit 
hinauszagreifen  und  auf  Erörterungen  allgemeinerer  Art 
einrnngdien,  Ton  denen  ioh  mitUnreeht  Toranageaetat  habe, 
daaa  sie  jeder  fi&r  aich  aelbet  anatellen  werde. 

Aristoteles  lobt  in  einer  berühmten  Stelle  seiner  Poetik 
(c.  23)  den  Homer,  dass  er  nicht  den  ganzen  troischen 
Krieg  besangen,  obwohl  er  einen  Anfang  und  ein  Knde 
habe,  sondern  dass  er  nur  einen  bestimmten  Abschnitt  aus- 
gewählt und  diesen  dnrch  Episoden  fttr  die  besonderen 
Zweeke  des  Epoa  passend  erweitert  nnd  ungerichtet  habe: 
oi  d*aiUot  Tte^  IWa  noiovat  w»i  tg9Qi  IVo  xH^t^  xai  fiiav 
TtgaBtP  ftoXvfiegrjf  Jim  ^  ra  Kvrrqta  noir\aag  nai  tr^v  ^it'KQciv 
'ilidda.  TOf/aQOVv  fx  ufv  ^IXiadtK  '/mI  ^Odvaaelag  uia  iQa- 
yiltdia  :ioiütui  f  /.itrtQag  T  Svo  fiovaiy  de  KvjiqUov  jcoXkcti 
/Ml  TTjg  fii^Qäg   Ihaöog  nXiov 

*IUov  nd^ots  xoi  moftlovg  xai  JUmif  nai  T^t/iadeg.  Dass 
dieae  Stelle  nicht  blos  für  die  Literatur  der  Poesie,  sondern 
aoefa  Ar  die  Archiologie  ihre  tiefe  Bedeutung  hat,  kann 
eioe  etnfiiche  statistische  Beobachtung  lehren.  In  Orer- 
becks  Atlas  zum  troischen  Cyclus  beziehen  sich  auf  die 
Kjprien  9  Tatein ,  auf  die  Ereignisse  nach  dem  Hchlusse 
der  ilias  bis  zur  IHupersis  7,  anf  die  llias  5,  von  deneu 
aber  aehr  ak  eine  in  Absng  m  bringen  iat,  da  sich  gerade 
bisr  mmmShm  Ungehörige  eingeschlichen  hat.')  Spätere 

1)  flkher  edsr  stbr  wsImebsiaHck  basishsB  sieb  aaf  die  Kjprin: 
.  Ilw  2  tad  4;  18«  2;  20,  1;  saf  die  Astbiopis:  173;  MM  siebt  aaf  den 


Digitized  by  Google 


170       Sitzttng  der  philos.-philoL  Classe  vom  5.  Juni  1880. 

Entdeckungen  haben  an  diesem  Verhältniss  nichts  Wesent- 
liches verändert,  sondern  vertheilen  sich  etwa  in  gleichem 
Maasstabe.  Wenn  nun  die  aristotelische  Proportion  der 
Tragödien  gewiss  keine  zufallige  ist,  sondern  auf  bestimmten 
Gründen  beruht,  so  werden  wir  voraussetzen  dürfen,  dass 
auch  das  analoge  Verhältniss  der  Kunstwerke  seine  be- 
stimmten Ursachen  haben  wird,  oder  mit  andern  Worten: 
dass  die  Künstler  nicht  jede  beliebige  Scene  oder  Episode, 
selbst  wenn  sie  an  sich  für  künstlerische  Behandlung  ge- 
eignet war,  nach  individueller  Laune  auch  wirklich  zur 
Darstellung  brachten,  sondern  dass  sie  sich  ebenso  wie  die 
Tragiker  bei  der  Auswahl  von  bestimmten  Gesichtspunkten 
leiten  Hessen. 

Eine  summarische  Betrachtung  der  Monumente  wird 
dies  bestätigen ;  doch  wird  es  nicht  nöthig  sein ,  für  deu 
nächsten  Zweck  alle  Denkmälerklassen  in  gleicher  Weise  zu 
berücksichtigen.  Denn,  um  z.  B.  von  den  geschnittenen 
Steinen  ganz  abzusehen ,  die  sich  ans  besonderen  Ursachen 
mit  anderen  Darstellungen  wenig  berühren,  so  liefern  auch 
die  Reliefs  und  Wandgemälde  nur  ein  zerstreutes  und 
lückenhaftes  Material  und  fehlen  namentlich  für  die  ältere, 
hier  besonders  wichtige  Zeit  fast  ganz.  Dagegen  bieten 
die  Vasenbilder  eine  reiche  und  in  so  fern  auch  ziemlich 
in  sich  abgeschlossene  Masse  dar,  als  fernere  Entdeckungen 
wohl  eine  quantitative  Vermehrung  innerhalb  der  bekannten 
Darstellungskreise  versprechen,  aber  eine  relativ  weit  ge- 
ringere Aussicht  auf  eine  Erweiterung  dieser  Kreise  selbst 
eröffnen.  Die  Vasenbilder  sind  daher  hier,  wenn  auch  nicht 
ausschliesslich ,  doch  iu  ganz  überwiegender  Weise  in  Be- 
tracht zu  ziehen.  Ausserdem  aber  werden  wir  von  vorn 
berein  nicht  ausser  Acht  lassen  dürfen ,   dass  nicht  alle 


troischen  Cyclus:  16,  12,  13  und  17;  17,  7;  18,  4,  6  und  7;  eine 
FälBchung  ist  1(>,  11. 


Digitized  by 


Bnum:  Droudte  Mitedlen.  171 

troiscben  DanteUangen  auf  das  Epos,  wenigstens  nicht  auf 
das  Epos  als  directe  Quelle  zuHSckzafllhrea  sind.  Wie  be- 
deotend  namentlich  die  yielfachen  Umgestaltangen,  'welche 

die  Sage  durch  die  Tragödie  erfahren  hat,  anf  die  jüngere 
Kunst  eingewirkt  haben,  ist  allgemein  anerkannt.  Aber  selbst 
wo  der  Stoff  dem  Epos  entlehnt  ist,  kann  sich  doch  die 
Aaffa^nng  a.  B.  dem  Geiste  der  strengeren  cborischen  oder 
der  fireieren  mehr  subjectiv  gefilrbten  Lyrik  annftbem. 
Endlich  redet  anch  die  Knnst  ihre  eigene  Sprache  und 
bentltKt  daher  die  ^0«  ihr  selbstSndif^  fSr  gewisse  allge- 
meine Verhältnisse  aasgeprägten  Typen  auch  zur  Darstel- 
lung bestimmter  mythischer  Scenen  und  Situationen  ohne 
Hucksiebt  auf  den  Wortlaut  der  besoudereu  poetischen 
QneUa. 

Wir  beginnen  mit  den  Kyprien.  Reich,  ja  überreich, 
mehrfach  typisch  durchgebildet,  und  nicht  ausschliesslicb 
in  der  Vasenmalerei  vertreten  sind  die  Liebeswerbung,  die 
Hochzeit  und  da»  Beilager  des  Peleus,  sowie  das  ürtheil 
des  Paris.  Sie  sind  die  anerkannten,  durch  d^n  Katbscblass 
des  Zens  gewollten  Ausgangspunkte  des  gesammten  troischen 
Krieges,  und  flberragen  dadurch  an  tieferer,  ich  möchte 
hier  sagen,  epischer  Bedeutung  sogar  den  fketischen,  äusseren 
Aulass  zum  Kriege,  nemlich  die  Liebeswerbung  des  Paris 
und  die  Fhitführnng  der  Helena  Allerdings  erscheint  in 
einer  mehrfach  wiederholten  Reliefcomposition  aus  guter 
griechischer  Zeit  (Ov.  13,  2)  auch  diese  Liebesbegegnung 
%U  der  Ausflnss  eines  höheren  göttlichen  Willens,  etwa  in 
dem  Sinne,  wie  am  Kypseloskasten : 

Mildituf  'laaiov  yufUMi,  'Atkerai  ö^li^>qodi%a, ' 

Dieter  Auflassung  nähert  sich  die  Vasenmalerei  nur 
selten  in  Arbeiten  des  mittleren,  d.  h.  des  mehr  oder  weniger 

strengen  rothfignrigen  Styls.  In  scluvar/.ligurigen  Bildern 
fehlt  der  G^enstand  gauz^  in  deueu  des  malerischen  Stylb 


Digitized  by  Google 


172      Sitzung  der  phUos,-plulol.  Cltisse  vom  5.  Juni  1690. 

▼erflacbt  er  sich  mehr  und  mehr,  wie  iu  der  späteren  Poesie, 
zn  einem  blossen  Liebesabenteuer.  Der  Tragödie  und  der 
späteren  Lyrik  gebort  auch  die  selbstständige  Entwickeluog  . 
der  Vorgeechichte  des  Paris,  seines  Verhältnisses  xu  Oenone« 
sdner  Wiedererkennung  im  Hanse  des  Priamos  an,  und 
diesem  Verhältnisse  entspricht  der  Charakter  der  betreffenden 
Knustdarstellangen.  Es  folireu  die  Vorbereitungen  xum 
Kriege,  Abschiede,  Auszug  u.  s.  w.  Wollen  wir  hierher 
die  nicht  weiter  charakterisirte  Darstellung  des  Akamas  und 
Demopbon  neben  ihren  Rossen  (Gerhard  etr.  und  camp. 
Vasenb.  12)  ziehen,  so  hätte  der  Maler  dabei  wohl  weniger 
den  troisehen  Krieg  an  sißh,  als  die  Verherrlichung  sweier 
athenischer  Namen  im  Auge.  Der  Abschied  des  Aiaa  in 
einem  yereineelten  Vasenbilde  ist  gewissermassen  ein  Reflex 
der  späteren  tragischen  Entwickelung  seiner  Schicksale  und 
möglicher  Weise  erst  unter  dem  Einflüsse  der  Tragödie  ent- 
standen. Des  Odysseus  erheuchelter  Wahnsinn  ist  der  Vasen- 
malerei fremd  geblieben ;  er  hat  für  das  Epos  nur  den 
WerÜi  einer  Episode;  seine  künstlerische  Bedeutong  liegt 
auf  dem  Gebiete  einer  psychologischen  Entwickelung,  für 
welche  die  Vasenmalerei  ihrer  Natur  nach  weniger  geeignet 
war.  Von  entschiedenster  Wichtigkeit  fßr  das  Epos  ist 
dagegen  die  Theilnahrae  des  Achilles  als  des  Fiiiu})tliftlden 
des  ganzen  Krieges,  der  für  diesen  Krieg  ausdrücklich  ge- 
boren und  erzogen  wird.  Doch  hat  sich  auch  hier  die 
Vasenmalerei  auf  die  Erziehung  bei  Chiron  und  auf  Abschied 
und  Auszug  beschränkt.  Die  Darstellungen  der  Geburt, 
des  Aufenthaltes  unter  den  Töchtern  des  Lykomedes  sind, 
um  einen  kurzen,  hier  aber  wohl  yersttndliehen  Ausdruck 
zn  wählen,  aasserepiscb.  Die  Abfahrt,  die  Landung  iu 
Mysien  fehlen.  Im  Giebel  des  Temi>els  zu  Tegea  war  aller- 
dings die  Schlacht  am  Kai'kos  dargestellt,  aber  nicht  wegen 
ihres  epischen  Inhalts,  sondern  weil  Telephos  der  Sohn  der 
tegeatischen  Priesterin  Auge  war.   Dagegen  zeigt  uns  ein 


Digitized  by  Google 


Bnum:  Troische  Mischen, 


173 


VaBenbild  Patroklos  yerwiindet  und  vou  Achilles  YerbnndeDf 
nach  Welcken  schöner  Dentnn}^:  im  mysiscben  Feldenge. 

Hier  zeigt  sich  uns  zum  ersten  Male  recht  ofl'eu})ar  die 
Feinheit  der  Vaseiinialer  in  der  Wahl  scheinbar  oder  äusser- 
lich  nicht  besonders  hervorragender ,  aber  bezieliungsreicher 
Momente,  welche  den  Yasenbildern  oft  einen  über  ihr  formal 
knnsiliwisehes  Interesse  weit  hinausgehenden  tief  poetischen 
Werth  nnd  Reis  Tcrleihen.  Hier  verwandelt  sich  die  Jagend- 
freimdsehaft  der  beiden  Helden  in  eine  feste  Heldenhrnder- 
Schaft  nnd  Kampfgenossenschaft;,  aus  der  sich  die  Katastrophen 
im  zweiten  Theile  der  Uias  mit  moralischer  Nothweudigkeit 
entwickeln.  —  Die  Gegenwart  des  Telephos  im  Griecheu- 
lager wird  im  Epos  dadurch  moti?irt,  dass  er  nach  der 
ersten  Terfehlten  Fahrt  den  Hellenen  als  Wegweiser  nach 
Troia  dienen  soll :  eine  Thatsache,  die  freilich  f&r  die  weitere 
fioiwickelnng  poetisch  nicht  gerade  ins  Gewicht  fallt.  Die 
Anfange  der  TelephosTorstellungen  schon  tot  der  Zeit  des 
malerischen  Vasenstyls  sind  daher  wohl  schon  auf  den  Eiu- 
fluss  der  Tragödie  zurückzuführen ,  während  die  späteren, 
darunter  auch  die  zahlreichen  etruscischen  Urnen,  entschieden 
anf  denselben  zurückweisen.  —  Die  Opferung  der  Iphigenie 
hat  eine  tiefere  Bedentnng  weniger  fttr  den  troischen  Krieg, 
ab  fftr  die  Nostoi  nnd  die  Orestessage,  welche  an  ihrer 
glanzenden  Verarbeitung  erst  dnrch  die  Tragödie  gelangt. 
Vor  die  Zeit  derselben  fallen  denn  auch  keine  Kunstdar- 
stellungen ;  in  der  Vasenmalerei  erscheint  sie  erst  im 
malerischen  Styl. 

Mit  dem  Aufenthalt  in  Aulis  bringt  man  gewöhnlich 
das  Würfelspiel  des  Achilles  nnd  Aias  in  Verbindung,  freilich 
mit  zweifelhafter  Berechtigung.  Vielleicht  liegt  hier  einer 
der  Fälle  Tor,  in  denen  ein  kflnstlerischer  Typus  allge- 
uieiuerer  Art,  eine  Krage  an  das  Schicksal  durch  Würfeln 
oder  Brettspiel,  durch  die  beigesetzten  Namen  individualisirt 
wird,  um  das  allgemeine  Verhältniss  der  beiden  gewaltigsten 


Digitized  by  Google 


174      SUtung  der  pkOos.-pkiht.  CIomu  vom  5,  «Timm  1880. 


Helden  so  einancler  ohne  Beziehung  auf  ein  specielles  Factam 
snr  Anechanong  an  hringen.  Schon  in  der  mittleren  Vaaen- 
malerei  ist  der  Typus  im  Yerachwinden.  —  Auch  die  Ver- 

wundang  des  Philoktet,  der  erst  später  im  Kriege  eine 
wichtige,  aber  doch  nur  kurze  Holle  spielen  sollte,  begegnet 
uns  erst,  uud  immer  noch  spärlich,  iu  der  mittleren  Vasen- 
malerei. 

Der  Tod  des  Proietilaos  bei  der  Landung  in  Troas 
f&llt  för  den  Forlgang  des  Krieges  selbst  nieht  ins  Gewicht: 
die  wenigen  Kunsidarstellungen  gehen  auf  die  TragSdie 

zurück.  —  Wichtiger  ist  der  Kampf  des  Achilles  gegen 
Kyknos,  auch  dieser  freilich  weniger  für  den  Krieg  im  All- 
gemeinen, als  für  die  Heldenlauf balm  des  Achill,  uud  damit 
stimmt,  dasB  das  einzige  Vasenbild,  welches  ich  auf  diesen 
Kampf  in  einem  besonderen  Artikel  zurückzuführen  hoffe, 
dort  alsThetl  einer  ,^chillei8**  erscheint.  —  Anders  yerhält 
es  sich  mit  dem  ron  Welcher  so  schdn  nachgewieaenen  auf- 
gehobenen Zweikampf  zwischen  Achill  und  Hektor.  Es  ist  * 
natürlich,  dass  die  beiiien  Hauptlielden  der  feindlichen  l'ar- 
teien  vor  Begierde  brennen ,  ihre  Kräfte  mit  einander  zu 
messen,  und  dass  darum  der  Dichter  sie  so  schnell  als 
möglich,  wahrscheinlich  unmittelbar  nach  dem  Tode  des 
Kyknos,  einander' gegenfiberstellt,  aber  ebenso  natfirlich, 
dass  es  im  Interesse  heider  Parteien  liegt,  die  hosten  Kriifte 
nicht  sofort  beim  ersten  feindlichen  Zusammentreffen  aufs 
Spiel  zu  setzen,  sondern  für  die  letzten  ICntscheidungskämpfe 
aufzusparen.  So  wird  die  erste  Begegnung  bezieh inigsreich 
für  die  Folge,  und  die  Bedeutung  der  beiden  Helden  für 
die  letzte  Entscheidung  des  Krieges  tritt  gerade  durch  die 
gewaltsame  Verzögerung  derselben  in  das  hellste  Licht.  Es 
entspricht  dem  epischen  Grundcharakter  dieser  Soene,  wenn 
diese  erste  Begegnung  nidit  erst  in  einem  rothfigurigen, 
sondern  schon  in  älterer,  noch  drastischerer  Auflhasnng  in 
einem   schw arztig ur igen  Vaseubilde  (München  330;  Arch. 


Digitized  by  Google 


Brunn:  TrnisiAe  MitcdUn. 


175 


Zeit.  1854,  T.  G7)  dargestellt  wurde,  wie  von  W.  Kleiu 
und  UDabhUn^ig  von  ihm  auch  von  mir  vermuthet  worden 
ist  (Verh.  d.  PbilologenTersamml.  in  Innsbruck  6,  152 
imd  157). 

fii  bleibt  der  sBahlrnebe,  darcb  alle  Klassen  der  Vaeea- 
nalerei   hindmichgebende  Kreis  der  Troilosdantellungen. 

Beruht  ihre  Häniigkeit  anf  rein  könstlerischen  Gründen 
(xler  jt{ar  auf  blossem  Zufall?  Für  den  äusseren  Verlauf  des 
Krie;;es  bildet  des  Troilos  Tod  doch  nur  eine  Episode  ohne 
nachhaltige  Bedeutung.  Selbst  die  Angabe,  dass  das  Scliickaal 
Troja's  mit  dem  Tode  des  Troilos  vor  erreichter  Mannbar- 
keit auf  das  Engste  verknüpft  war,  würde  die  BevorangiiDg 
dieser  Soene  Ton  Seiten  der  Künstler  nnr  ungenügend  reebt- 
fertigen.  Das  tief  innerlieb  Entsebeidmde  liegt  Tiehnebr 
darin,  dass  bei  diesem  Aulass  Achilles  das  Heiligthuni  des 
lhvm})räiM.lu'n  Apollo  entweiht .  dass  er  sich  dadurch  die 
persönliche  Feindschaft  des  Gottes  zusieht,  und  dass  da- 
durch sein  späterer  Tod  als  die  Sühnang  einer  bestunmten 
äehidd  moralisch  begründet  wird. 

Gewiasermassen  als  künstlerischer  Scblnss  der  Kjrprien 
lisst  sieh  dae  friedHebe  Zosammensein  des  Aebillefos  und  der 
Briseis  etwa  nach  der  Rückkehr  von  einer  kriegerischen 
l  iiternehiiiun«jj  betrachten  (Gerhard  A.  V.  187).  Auf  ihrer 
TreoDung  beruht  der  ganze  Conflict,  mit  dem  die  lUas  be- 
ginnt. 

Wenn  Horas  den  Homer  preist,  dass  er  „nil  molitnr 
iaepte*\  so  darf  ein  äbnliobes  Lob  auch  den  Künstlern  wegen 
der  Answabl  der  obigen  Scenen  nicht  vorenthalten  werden. 

Namentlich  die  älteren  Vasen  maier ,  so  weit  «ie ,  von  der 
Wbendipen  Volkssage  abgesehen ,  noch  fast  ausschliesslich 
auf  die  epische  Poesie  als  Quelle  augewiesen  waren  ,  zeigen 
eine  beinahe  aofiallige  Zurückhaltung.  Eigentlich  nur  die 
drei  grossen  Gmppen  des  Polens  und  der  Thetis,  des  Paris- 
vtheils  und  des  Troilos  haben  sich  an.  typischer  Durch- 
[im.  I.  PliU.-pbil.  hif  t.  Cl.  Bd.  1. 2.j  12 


Digitized  by  Google 


176       Sitzung  der  phihs.-philol.  Classe  vom  5.  Juni  1880. 

bilduug  entwickelt.  Des  Paris  Liebeswerbuug  und  Flucht, 
des  Patroklos  Verwundung,  der  aufgehobene  Zweikampf 
des  Achilles  und  Hektor  sind  inhaltschwere  Momente  als 
Vorläufer  der  Zukunft.  In  den  Abschiedsscenen,  nament- 
lich denen  des  Achill  (vgl.  Sitzungsber.  1868,  S.  61)  gehen 
die  Künstler  von  der  allgemeinen  Typik  aus,  wissen  diese 
aber  in  sehr  selbständiger  Autfassung  zu  verwerthen  und 
aus  ihr,  dem  Gesammtinhalte  der  Dichtung  gemäss,  ganz 
neue  Reize  und  tiefgreifende  Beziehungen  zu  entwickeln, 
wie  denn  z.  B.  auch  die  Typen  der  Brautführung,  der  Rück- 
kehr in  die  Häuslichkeit  in  ihrer  Anwendung  auf  Menelao» 
und  Helena  (Ov.  S.  261  j,  auf  Achilles  und  Briseis  einen 
unerwarteten  Reiz  gewinnen.  Bei  weiteren  Darstellungen 
ist  es  nicht  mehr  das  Epos,  sondern  die  Entwickeluug  der 
Sage  in  Drama  und  Lyrik ,  von  welcher  auch  die  Kunst 
in  der  Auswahl  der  Scenen  bedingt  erscheint. 

In  den  Kyprien  überwiegen  die  Beziehungen  auf  Zu- 
künftiges; nach  dem  Ende  der  Ilia.s  drängt  alles  bestimmter 
zum  Abschluss.  Zunächst  erscheint  allerdings  noch  der 
Kampf  gegen  Penthesilea  als  eine  sehr  selbständige  Episode 
des  Krieges,  die  sich  eben  so  selbständig  auch  künstlerisch 
verwerthen  Hess  und  wirklich  verwerthet  wurde.  Dagegen 
soll  der  Kampf  gegen  Memnon  den  Achilles  vor  seinem 
nahen  Ende  noch  einmal  in  dem  vollen  Glänze  seines  Helden- 
thums zeigen,  wsls  nur  dadurch  erreicht  wird,  d&aa  ihm  ein 
au  Geburt,  Rang  und  Tapferkeit  durchaus  ebenbürtiger 
Gegner  gegenübersteht.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  ist 
denn  auch  die  Memnonsage  in  ihren  verschiedenen  Phasen 
besonders  von  der  Vasenmalerei  seit  früher  Zeit  behandelt 
und  reich  entwickelt  worden,  und  überragt  bei  weitem  die 
Darstellungen  vom  Tode  des  Achilles  selbst :  dsm  ruhmlose 
Dahinsinken  durch  einen  Pfeilschuss  aus  dem  Hinterhalte 
entbehrte  des  tieferen  poetischen  Reizes  und  erst  die  spätere 
Kunst  verschmähte  die  Darstellung  auch  dieses  Momentes 


Bfwm:  Trmscke  Miacellen» 


177 


oicbt.  Die  ältere  ^^ab  dem  Kampfe  iira  die  Leiche  den  Vor- 
zug. Auf  ihn  bezieht  sich  ein  berühmtes  statuariaches 
Werk,  die  eine  der  GiebelgrQppen  Ton  Aegina.  Von  Vasen- 
InUim  ist  das  des  Ezekias  nnbedentend,  während  uns  das 
Pemlnokesche  dareh  alteithfimliche  Lebendigkeit  der  tbat- 
siehlichen  Schilderung  anzieht.  —  Vereinzelt  finden  wir 
aof  der  typischen  Grundlage  der  Todtenklage  anch  Achilles 
auf  dem  Todt»'ubett  von  Nereiden  »ind  Mu^en  beklagt  (Anu. 
d.  L  1Ö64,  t.  OP;  vgl.  A.  Z.  löbü.  p.  JOO). 

In  einer  andern  Bilderreihe,  dem  Aufheben  der  Leiche 
mui  ihrem  Forttragen  durch  Aias,  ist  es  nicht  mehr  Achilles, 
sin  den  es  sich  in  erster  Linie  handelt,  sondern  Aias,  dessen 
Untergang  durch  diese  Scene  mit  dem  Tode  des  Achill  eng 
Terknfipft  werden  soll.  Mit  dieser  Andeutung  scheint  sich 
die  altere  Vasenmalerei  begnügt  zu  haben.  Die  Darstellung 
des  Kedekampfes  zwischen  Aias  und  Odysseus  auf  einem 
sehwarzfigarigem  Vasenbilde  (Ann.  d.  1.  1865,  t.  F)  zeigt 
eiiie  zu  feine  Ironie,  um  für  eine  ursprünglich  alte  £rfin- 
dmig  ni  gelten.  Bei  der  Darstellung  des  Conflictes  auf  swei 
Trinkschalen  übte  wenigstens  indirect  das  Drama  schon 
seinen  Einflnss  ans,  wie  schon  die  OompomtioBsweise  der 
eraen  andeutet,  die  mit  dem  dramatischen  Cuutiict  auch  die 
Losong  durch  die  Rückgabe  der  Waffen  au  Neoptolemos 
imlonenbilde  verbindet  (Philologeuvers.  in  Innsbruck  S.  157). 
Die  Darstellung  des  Selbstmordes  ist  einige  Male,  und  nicht 
snr  Ton  etruscischen  £flnstlem  versucht  worden,  aber  nicht 
ta  einer  wirklich  befiriedigenden  Lösung  des  fttr  die  Yasen- 
Bislerei  Sberhaupt  nicht  wohl  Idsbaren  Ph>blemes  gelangt 
(vgl.  ileydeinanu:  A.  Z.  1871  ,  »S.  60).  Verhältnissmässig 
üui  besten  gelungen  ist  das  eine  der  griechischen  Vaseu- 
bilder,  welches  indessen  nicht  den  Selbstmord,  sondern  die 
AaCFinduDg  der  Leiche  durch  Diomedes  und  Odysseus  dar- 
■tellt  und  wegen  der  Motivirung  dieser  beiden  Gestalten  für 

weniger  alt  au  halten  sdn  möchte,  als  es  den  Anschein  hat. 

12* 


17Ö       Süeung  der  filUlo8.-philol.  Classe  vom  ö.  Juni  1880» 


Die  BedeutiiD)^  des  Neoptolemos  als  Nachfolger  des 
Achilles  wird  duich  seinen  Abschied  vou  Lykomedes  iu 
der  bekannten  typischen  Auffassung  eingeleitet  (Ann.  d. 
L  1860,  t,  1.)  Dagegen  ist  es  wiederum  eharakteristisch, 
dass  weder  die  Sage  yon  der  Abholung  des  Philoktei, 
noch  die  Tom  Raube  des  Palladion  in  der  älteren,  ja  die 
erstere  überhaupt  nicht  in  der  Vasenmalerei  vertreten  sind. 
Die  einzige  Darstellung  des  Raubes ,  oder  vielmehr  des 
Streites  um  zwei  Palladien  aus  der  mittleren  Zeit  (M.  d.  I. 
VI,  22)  steht  poetisch  und  künstlerisch  durchaus  auf  einer 
Linie  mit  den  beiden  auf  das  Waffenuriheil  bezOglichen 
Trinksohalen.  Beide  Sagen- mnssten  erst  aus  dem  Zusammen- 
hange des  Epos,  in  welchem  sie  nur  episodische  Bedeutung 
hatten,  herausgelöst  und  namentlich  durch  das  Drama 
selbständig  ausgestaltet  werdeu ,  um  auch  iu  dem  Kreise 
künstlerischer  Darstelluug  Verwendung  zu  fiudeu.  —  Die 
Zimmerung  des  hölzernen  Kosses  auf  einer  rothfigurigeu 
Schale  kann  nur  als  ein  mislnngener  Versuch  beseichnei 
werden,  der  auch  in  andern  Kunstgattungen  nur  mit  ge- 
ringem Erfolge  wiederholt  worden  ist.  —  Laokoon  ist  der 
Vasenmalerei  fremd. 

Die  verschiedenen  Episoden  der  eigentlichen  Iliupersis 
sind  allerdings  in  der  Vasenmalerei  ziemlich  vollständig, 
aber  keineswegs  gleiclimässig  vertreten.  Abgesehen  von 
Andromuche,  welche  ganz  zurücktritt,  und  von  dem  etwas 
Kweifelhaften  Bilde  derHekabe  bei  Polymestor,  das  übrigens 
jedenfiEJls  von  der  Tmgddie  abhangig  ist,  erscheint  die 
Rlickf&hrung  der  Aethra  erst  in  der  mittleren  Vasenmalerei, 
wohl  durch  athenischen  Einfluss.  Die  eigentlichen  Ziele 
des  Krieges  werden  erreicht  durch  die  Rückführung  der 
Helena  und  die  Ermordung  des  Priaraos  und  Astyauax, 
während  die  Rettuug  der  Aeneaden  als  versöhuendes  £le- 
ment  eintritt.  Am  Schluss  dient  die  Opferung  der  Polyzens 
der  Erinnerung  oder  der  Erneuerung  des  Andenkens  an 


L/lLjlli^UG  by  CjOO' 


Brmm:  JMmM  JHtüieellsfi. 


179 


den  gewaltigsten  Helden,  an  Achilleus.  Der  Frevel  an 
KasModra  endlich  Tennschaolieht  tiietle  die  Greuel  der  Er- 
obemng  einer  Stadt,  theils  leitet  er  za  den  Nostoi  über, 
■of  welche  hier  nicht  weiter  einzugehen  n5thig  ist,  da  sie 

überhaupt  für  die  ältere  Vasenmalerei  gar  nicht  in  Be- 
tracht kommen.  Auch  die  Odyssee  geht,  von  dem  einzigen 
Polypliemabenteaer  abgesehen,  in  dieser  Denkmälerklasse 
leer  aas. 

In  der  Answahl  der  Soenen  treten  nna  also  auch  hier 
flbeiall  bestimmte  GeeidiiBpunkte  entg^g^,  die  es  genügen 
mag  nur  angedeutet  zu  haben,  um  dadurch  an  die  Be- 
trachtung der  Monumente  der  Ilias  einigermassen  vorbe- 
reitet herantreten  zu  können. 

Bei  diesen  werden  wir  die  Zeitfolge  der  Begebenheiten 
Torlänfig  ausser  Acht  lassen  und  einzelne  Gruppen  zunächst 
nach  besonderen  Gesichtspunkten  ausscheiden. 

Vor  allem  ist  der  Einflnss  des  Aescbjlus  herrorzuheben, 
welcher  der  epischen  eine  dramatische  Dias  oder  Achilleis 
in  trilogiflcher  Gliedernng  entgegenstellte.  Hierin  folgte 
ihm  die  VaJ»enmalerei :  die  Darstellungen  der  Wegführung 
der  Briseis,  der  (jesaudtschaft  an  Achill,  weiter  die  Dar- 
stellungen der  Waffenübergabe  an  Achill,  sowie  der  Lö- 
sung des  Hektor,  in  denen  die  tjpisclie  Gestalt  des  erzürnt 
öisitsenden  Achilleus  constant  wiederkehrt,  weisen  in  be- 
stimmter Weise  auf  Aeschjlus  als  Quelle  Idjft  (vgl.  Ann. 
d.  Insi  1858,  p.  366  sgg.). 

Sehr  vereinzelt  steht  das  Aussenbild  einer  Trinkschale 
da:  Diomedes  im  Kampfe  gegen  die  dem  Aeneas  zu  Hülfe 
kommende  Aphrodite  (Journal  of  Philology  VII,  215).  Der 
Kampf  selbst  trägt  in  der  Ilias  einen  durchaus  episodischen 
Charakter.  Betrachten  wir  aber  die  Trinkschale  weiter :  da 
finden  wir  im  sweiteo  Aussenbilde  Herakles  im  Kampfe 
gegen  den  seinem  Sohne  Eyknos  su  HtllfSe  eilenden  Ares, 
im  Innern  den  Ringkampf  des  Peleus  mit  der  Thetis.  Also 


180      aiUmng  der  pküos.-phäd.  Claete  wm  5.  Juni  1880. 

dreimal  siod  es  Sterblicbe,  welebe  den  Kampf  gegen  Un- 
sterbliche mit  Erfolg  anlnehmen.  Unter  diesem  Gesichts- 
punkte hob  der  Maler  die  Aeneasepisode  aus  dem  Zusammen- 
hange der  Ilias  heraus ;  dass  es  aber  gerade  die  Ilias  war, 
ist  vom  poetisch-künstleriachen  Standpunkte  reiner  Zu&U 
und  daher  gleichgültig. 

Eine  Epinode  ist  auch  die  Doloneia,  und  es  ist  aner- 
kannt, dass  sie  anch  dnrch  ihre  poetische  F&rbnng  mehr 
als  andere  Theile  sich  als  ein  selbständiges  Lied  ans  dem 
Znsammenhange  des  Ganzen  aussondert.  Es  ist  also  dieser 
romantische  Reiz,  der  in  der  Verkleidung  den  Dolon  dem 
Künstler  anch  eine  äussere  Charakteristik  darbietet,  welcher 
den  AnlasH  gab,  dans  die  Vasenmalerei  der  mittleren  und 
späteren  Zeit  sich  der  Darstellung  dieser  Episode  zuwandte 
.  (Ygl.  Ann.  d.  Inst.  1875,  p.  299  sgg.  Die  beiden  schwan- 
fignrigen  Bilder  bei  Ov.  N.  39  mid  40  stellen  ein&ch  einen 
BogensohtltBen  zwischen  awei  HopUten  dar).  Der  mit  der 
Dolonda  eng  verbundene  Raub  der  Rosse  des  Rhesos  ist 
nur  durch  ein  vereinzeltes  spätes  und  keiuesw^s  hervor- 
ragendes Vasenbild  vertreten. 

Ein  Glanzpunkt  poetischer  Schilderung  ist  Hektors 
Abschied  von  Andromache.  Allein  nur  ein  einziges  Mal, 
and  nicht  einmal  vdUig  Bicher,  finden  wir  die  Seena  auf 
einem  Yasenbilde  in  mehr  allgemein  schematisirter,  als  in- 
dividnalisirter  Auffassang.  Die  dichterische  Bedentnng  dieses 
Abschieds  fiir  das  Ganze  des  Epos  oder  vielmehr  fiir  den 
ganzen  troischen  Krieg  erfassten  die  Künstler  in  weit 
selbstständigerer  Weise,  indem  sie  Rüstung,  Abschied  und 
Auszug  des  Hektor  ohne  Rücksicht  auf  poetische  Einz^ln- 
schildenmg  anf  den  Grandlagen  kfinstlerischer  Tjpik  so 
darstellten,  dass  diese  Soenen  ans  als  die  geistigen  Gegen- 
stQcke  zn  dem  Abschied  des  Achill  entgegentreten  (vgL 
Sitzungsber.  1868,  S.  73). 

Einer  besonderen  Betrachtung  bedarf  eine  Reihe  von 


Digitized  by  GoogI( 


Brmm:  Troutht  Miaedkn* 


181 


efauelneii  KampÜMseiieii.  Wie  ein  kiudliohes  Gemfith,  welches 
ndi  in  der  Folie  der  Einxelnheiten  eines  Epos  noch  nicht 

inrecht  zn  finden  weiss,  sich  an  gewissen  allgemeinen  Vor^ 
Stellungen  genügen  lässt,  so  wird  sich  auch  die  Kunst  in 
ihrer  Kindheit  die  Dinge  in  ähnlicher  Weise  zurechtlegen. 
Sie  bildet  sich  gewisse  allgemeine  Schemata  des  Auäuarscbes, 
das  Zweikampfes,  des  Kampfes  nm  eine  Leiche ,  nnd^  sncht 
ihnen  eine  tiefere  Bedeutung  durch  HinznfQgnng  von  Namen 
beisQl^gen.  So  stehen  auf  einer  eehr  alten  Vaae  (A.  Z.  1864, 
T.  184)  Aehilleos,  Patroklos,  Pkoteeilaoe,  Palamedes  dem 
Hektor  und  Memnon  gegenüber,  sämmtlich  zn  Pferde,  aber 
ohne  jede  persönliche  Charakteristik  oder  aach  nur  BewaflF- 
nang:  Griechen  gegen  Troer,  und  es  wurde  thöricht  sein, 
hier  mehr  als  diesen  einfachen  Gegensatz  sehen  zn  wollen, 
unier  dem  eich  eine  kindliche  Anschauung  den  troischen 
Kri^  in  seiner  Gesammtheit  Torstellte.  So  finden  wir  bei 
twei  Kämpfenden  «wischen  zwei  Knappen  einmal  nur  den 
Namen  des  Aeueas  (Ann.  d.  I.  1866,  t.  Q),  ein  anderes 
Mal  den  des  Achilleus  und  des  Memnon  (Mon.  II,  38,  2). 
Dann  kämpfen  wieder  Hektor  und  Sarpedon  gegen  Achilleus 
and  Phoenix,  die  beiden  Aias  gegen  Aeneas  and  Hippoklee, 
wihrend  nebenbei  noch  die  yereinzelte  Figur  dee  Dolon  er- 
scheint (Ann.  1862,  t.  B);  oder  Aias  gegen  Hektor  und 
Aeoeas  (Mon.  II,  38,  1);  sowie  Hektor  gegen  Menelaoe 
ober  der  Leiche  des  Enphorbos  (Verb,  der  Philol.  in  Han- 
nover 1864).  Aber  es  würde  vergeblich  sein,  hier  eine 
Üebereinstimmuug  der  Bildwerke  mit  den  Worten  Homers 
nachweisen  zu  wollen  und  noch  thörichter,  auf  andere 
poetische  Quellen  als  Homer  zu  schliessen.  Dass  auch  noch 
^iter  als  in  diesen  alteithümliohen  Bildern  erheUiche  Un- 
geschicklichkeiten vorkommen,  wird  uns  nicht  Wunder 
nehmen.  Wir  werden  daher  einem  Kampfe  des  Diomedes 
gegen  Hektor  über  der  Leiche  eines  Skythes  (Gerhard  A. 
V.  192)  keine  Bedeutung  beilegen;  eben  so  wenig  einer 


182       Sitzung  der  phUos-phUol.  Clcmse  com  5.  Juni  1880. 


Krtmpfscene ,  in  welcher  nacb  der  Stellung  der  Inschriften 
Aias  und  Hektor  einem  Tydys  und  Genossen  gegenüber- 
stehen (München  N.  53).  Wir  erkennen  vielmehr  an  diesen 
Ausnahmen ,  welche  an  verwandte  Bestrebungen  ans  der 
Kindheitszeit  der  Archäologie,  jede  beliebige  Kampfscene 
mit  mythologischen  Namen  auszustatten,  erinnern,  wie 
wenig  die  Malerei  geneigt  war ,  rein  episodische  Sc«nen  in 
den  Kreis  ihrer  Darstellungen  aufzunehmen. 

Fragen  wir  jetzt  nach  den  Scenen  der  Ilias,  welche 
nach  diesen  durch  besondere  Gesichtspunkte  motivirten 
Ausscheidungen  als  ihrer  Auffassung  nach  speciell  oder  spe- 
cifisch  episch  übrig  bleiben,  so  tritt  uns  sofort  die  äusserst 
charakteristische  Erscheinung  entgegen,  dass  die  ersten 
vierzehn  Gesänge  der  Ilias,  auch  in  andern  Denkmälerklassen 
schwach  vertreten,  in  der  Vasenmalerei  völlig  leer  ausgehen. 
Ja,  selbst  unter  den  ausgeschiedenen  Kategorien  begegnen 
wir  nur  in  jenen  halb  verstandenen  Kampfscenen ,  sonst 
nirgends  einem  schwarzfigarigeu  Vaseubilde.  Erst  mit  dem 
15.  Gesänge  ändert  sich  das  Verhältnis^.  Noch  vereinzelt 
steht  auf  einer  Vase  von  provinciell  etruscischer  Technik 
(roth  auf  schwarz  aufgemalt)  der  Kampf  Wi  den  Schiffen, 
mit  dem  auf  der  Rückseite  als  Gegen bild  der  Besuch  des 
Priamos  bei  dem  (zürnenden)  Achill  verbunden  ist.  Hier 
steht  also  dasjenige  kriegerische  Ereigniss ,  welches  den 
ersten  Aulass  bietet,  die  f.trlvig  des  Achill  zu  brechen,  der 
dadurch  eingeleiteten  Schlusskatastrophe  der  Ilias  gegen- 
über. —  Die  nächste  Folge  dieses  Kampfes  ist  der  Tod 
des  Patroklos.  Trotz  seiner  hohen,  ja  entscheidenden  Be- 
deutung für  die  Entwickeluug  der  Ilias  finden  wir  nur 
einige  Male  den  Kampf  um  seine  Leiche:  das  erste  Mal 
(s.  F.)  in  oberflächlicher  Schematisiruug,  bei  der  ausserdem 
noch  entweder  die  Inschriften  oder  der  phrygische  und  der 
griechische  Bogeuschütz  vertauscht  sind ,  das  andere  Mal 
(s.  F.)  nicht  eben  besser  als  Pendant   zum  Kampfe  um 


L 


Brunn:  I^viache  MisMen, 


183 


die  Leicbe  d6B  Achill,  vom  driUen  Blale  (r.  F.)  in  Yer- 

bindung  mit  dem  kmmfte  des  Achill  mra  Kriege,  w  dass 
der  Tod  des  Patroklos  gewieserniassen  als  der  Aufaug  des 
Eudes  auf  das  uuu  schueller  uaheade  Verhäugoiss  des 
Achilles  hinweist.  Ueber  ein  viertes  Bild  s.  u.  —  Ver- 
einzelt steht  wieder  ein  Bild  (r.  F.)  der  Thetis  in  der 
Schmiede  dee  Hephaestoe,  bei  dem  wir  nicht  flbertehen 
dnrüen,  dass  diesem  Innenbilde  einer  Trinkschale  aossen  die 
Darstellnng  einer  Ersgiesserei  entspricht,  die  Scene  der  Ilias 
also  nicht  wegen  ihres  epischeu  Inhaltes,  sondern  aus  Rück- 
sicht auf  die  hier  hervortretende  Kuustthätigkeit  des  Gottes 
gewählt  ist.  —  Für  die  Darstellung  Waffen  tragender 
Nereiden  scheint  nicht  selten  noch  mehr  als  der  poetische  In- 
halt, die  Verwendbarkeit  eines  Nereidenxnges  fQr  decorative 
Zwecke  ansschlaggebend'  gewesen  sn  sein. 

Der  Zweikampf  des  Achilles  nnd  Hektor  mag  in  einem 
■chwarzfigtirigeii  Bilde  erkannt  werden;  häutiger  ist  er  in 
rothti^rigen  guten  Styl-^,  in  denen  er  mehrere  Male  durch 
die  Hiudeutnng  auf  die  Rache  Apollos  eine  bestimmte  Be- 
ziehung auf  den  eigenen  Tod  des  Achilles  erhält.  Die  ältere 
Vasenmalerei  hat  als  eine  weit  drastischere  Scene  die  Schleifiuig 
des  Hektor  darsnstellen  geliebt*);  die  anaserdem  nnr  ein- 
mal im  nnteritalischen  Style  vorkommt  (Heydemann,  Ne- 
apel N.  3228).  VereinsEelt  findet  sich  das  Wagenrennen 
bei  der  Leichenfeier  des  Patroklos  auf  der  FraiK^oisvase. 
Die  Wahl  ist  hier  wahrscheinlich  durch  den  Zusammenhang 
mit  andern  troischen  äcenen  auf  derselben  Vase  bedingt, 


1)  Auf  einer  diassr  Darstellnngan  (0?.  10,8}  findet  sieh  Uber  einer 
MQgelten  Oeetslt  jenseits  der  Reese  der  Nsme  Koy§gog,  der  sn  'der 
Annahme  eines  wundersamen  Dämons  der  Bestäubung  Anbas  gegeben 
hat.  Allein  er  ist  riickl&nflg  geschrieben  und  offenbar  nur  bei  der 
Uebertiafpuig  des  Hildos  von  der  Rundung  der  Vase  auf  das  glatte 
Papier  roro  Kopfe  des  Wagenlenkers  abgerückt  worden ,  fär  welcbM  er 
ebenso  pnseend,  wis  tür  einen  Dimon  nnpaeeend  erscheint 


184      SiUtung  der  phüos.-phUoL  Qati«  vom  6.  Jwu  1880, 

aaf  den  im  Einselnen  einsngehen  hier  zn  weit  führen  würde. 
Sonst  begegnen  wir  der  Leichenfeier  nnd  epeeiell  der  Opferung 
der  troischen  Jünglinge  anf  einem  grossen  unteritalieehen 

Vasenbilde  (Mou.  d.  Inst.  IX,  32)  und  ausserdem  öfter  in  etwa 
gleichzeitigen  italischen  Bildwerken,  wie  C'isten,  etrnscischen 
Wandgemälden  und  Urnen.  Es  bleibt  noch  die  Schlusseceue, 
der  Besuch  des  Priamos  bei  Achilles.  Hier  erscheint  einmal 
PriamoB  eich  snr  Anefithrt  rüstend  (BnlL  d.  L  1843,  p.  75); 
aber  es  ist  eme  der  öfter  in  typischer  Gestaltong  Tor- 
kommenden  Darstellnngen  der  Anschirrong  eines  Vier- 
gespannes, der  man  durch  Naniensheischrift  eine  bestimmte 
Beziehung  zu  geben  gesucht  hat. ')  In  der  Schilderung  des 
Besuches  selbst  stehen  neben  den  schon  erwähnten,  an 
Aescbylus  sich  anschliessenden  Bildern  diejenigen,  in  denen 
Achill,  dem  Epos  entsprechend,  beim  Mahle  ansrofat,  nnd 
zwar  sowohl  in  scihwars*,  wie  in  rothfigurigem  Styl.  ~ 
Typische  Geltnn«,'  auf  dem  (Gebiete  der  Vasenmalerei  haben 
also  aus  dem  ganzen  Kreise  der  Ilias  als  Epos  eigentlich 
nur  in  älterer  Zeit  die  Schleifung  und  die  Lösung  des 
Hektor,  etwas  spater  der  Zweikampf  des  Achilles  und  Hektor 
erlangt 

Durch  diese  Statistik  erhalt  also  die  am  Anfange  ans* 
gesprochene  Voranssetznng  eine  fast  über  Erwarten  glänzende 

Bestätigung:  nicht  jede  beliebige  Scene  des  troischen  Krieges 
stellten  die  Vasenmaler  dar ,  selbst  wenn  dieselbe  an  sich 
in  der  Schilderung  eines  epischen  Dichters  die  Elemente 
für  eine  künstlerische  Conception  darbot,  sondern  in  ähn- 
lichem Sinne  wie  die  Tragiker  wählten  sie  mit  Umsicht 
und  im  Hinblick  anf  die  Gksammtentwickeliing  des  Sagen- 
kreises dasjenige  ans,  was  über  die  ftnssere  Gestaltung  der 


1)  Ich  erinnere  mich  von  flüchtiger  Betrachtung  her  nur  noch  den 
Namen  Tlagif  gelesen  zu  haben.  Die  Vase  kam  im  Anfang  der  sechi- 
siger  Jahre  in  den  Besitz  des  spanischen  Baoquiers  Salamanca. 


Digitize<j  ^ 


Brunn:  Troische  MisceUen.' 


185 


Darstellung  hinaus  der  Phantasie  eine  reichere  Anregung 
bot.    Spricht  sich  nun  schon  in  der  Wahl  der  einzelnen 
Soenen  ein  feiner  poetischer  Sinn  aus,  so  werden  wir  den- 
selben in  der  Verbindung  verschiedener  Scenen  auf  einem 
aod  demselben  Gefässe  gewiss  in  nicht  geringerem  Maasse 
Toraussetzen  müssen.    Gegen  einen  so  banausischen  Stand- 
ponkt ,  wie  der  ist :   dass  der  Zusammenhang  hinreichend 
gewahrt  sei,  wenn  auf  jeder  Seite  einer  und  derselben  Vase 
eine  Scene  der  Ilias  dargestellt  sei,  lässt  sich  schon  ganz 
äuBserlich  der  Umstand  geltend  machen ,  dass  ja  die  Ver- 
bindung zweier  Scenen  aus  der  Ilias,  ja  nicht  einmal  aus 
dem  ausgedehnteren  troischen  Cjclus  keineswegs  Regel  ist, 
sondern  dass  vielmehr  eben  so  oft,  wenn  nicht  öfter  Scenen 
aas  verschiedenen,  von  einander  ganz  unabhängigen  Sagen- 
kreisen mit  einander  verbunden  sind.    Wollen  wir  darin 
nicht  reine  Willkür  sehen ,  wozu  wir  uns  doch  wenigstens 
bei  den  sorgfältiger  ausgeführten  Gefässen  nicht  leicht  eut- 
schliessen  werden,  so  werden  wir  den  Zusammenhang  nicht 
in  dem  Stofflichen  des  Inhaltes,  sondern  in  poetischen  Be- 
ziehangen  anderer  Art  zu  suchen  haben.    Einer  mehr  als 
alexandrinischen   Zuspitzung   bedarf  es  dabei  keineswegs. 
Aus  einer  auch  nur  flüchtigen  Leetüre  pindarischer  Sieges- 
lieder oder  auch  tragischer  Chorgesänge  wird  es  sich  leicht 
ergeben ,  dass  es  sich  zumeist  um  dieselben  einfachen  Ge- 
setze der   poetischen  Analogie  handelt ,   nach   denen  die 
Dichter  derselben  die  Thaten ,  Schicksale  und  Situationen 
ihrer  Helden  durch  verwandte  Thaten,  Schicksale  und  Si- 
toationen  anderer  Heldengestalten  in  ein  helles  Licht  zu 
setzen  lieben.    Einiges  ist  bereits  im  Vorhergehenden  kurz 
angedeutet  worden.  Anderes  denke  ich  im  Anhange  zu  diesem 
Anfsatze  zur  Sprache  zu  bringen.    Auf  eine  systematische 
Behandlung  verzichte  ich  vorläufig,  um  mich  endlich  dem 
diesmaligen  Hanptthema  wieder  zuzuwendeu. 

Die  Besorgung  einer  Leiche  durch  zwei  geflügelte  Da- 


186       BUiung  der  phOo^^^mol.  CUsh  vom  A.  Jmd  1880, 

monen  ist  nicht  nur  einmal  dargetfeellt,  sondern  hat  in  der 
Siteren  •  nnd  mittleren  Vasenmalerei  eine  tjpisdie  Geltong 

erlanj^rt,  wie  sie  nur  den  Kern-  and  Knotenpunkten  d«r 
Sage  /u  Theil  geworden  ist.  Ist  aber  der  Tod  des  Sarpedon 
ein  solcher  Knotenpunkt  V  Er  ist  eine  rein  poetivsche,  epische 
Episode  zur  Verherrlichung  des  Patroklos,  welche  dessen 
Gesehi^  nnr  ftlr  einen  Angenblick  aufhält,  aber  ohne  entr 
scheidende  Bedeutung  f&r  den  Fortschritt  der  Handlung. 
Wenn  nun  schon  der  um  so  Tiel  bedeutsamere  Tod  des 
Patroklos  zu  einer  sehr  schwachen,  last  nur  durch  die  Be- 
ziehung auf  Achill  bedingten  künstlerischen  Entwickelung 
gelangt  ist,  so  ist  für  den  Tod  des  Sarpedon  eine  stärkere 
Betonung  in  der  Kunst  sicher  nicht  zu  erwarten.  Nur  eine 
besonders  seharfe  Charakteristik  in  den  Bildwerlcen  aelbet 
könnte  diese  Annahme  nmstossen. 

Unter  diesen  war  bisher  am  besten  charakteri^irt  die 
Schale  des  Pamphaeos  (Ov.  22,  14).  Nach  Robert  (S.  9) 
acheint  Iris  ,,den  Zug  begleitet  zu  haben  und  nun  durch  die 
ausgestreckte  Linke  den  geflügelten  Trägern  den  Befehl  zum 
Niederlsgen  der  Leiche  zu  geben.  Die  rechts,  deren  Be- 
wegung  Schrecken  nnd  Trauer  kund  giebt,  ist  als  eine  dem 
Toten  Nahestehende,  sei  e«  Mutter,  sei  es  Gattin,  nicht  zu 
verkennen;  auch  das  ist  deutlich,  dass  sie  erst  in  diesem 
Moment  durch  den  Anblick  der  Leiche  ihren  Verlust  er- 
fahrt** Mit  Nichten!  Die  Bewegungen  dieser  Figur  ent- 
sprechen durchaus  denen  der  . Iris;  sie  sind  nicht  etwa  t«^ 
schieden,  wie  die  der  Eos  und  der  Thetis  auf  derselben 
Tafel  bei  Ov,  N.  3,  4,  7  und  13.  Also  wird  auch  ihre 
Thätigkeit  die  gleiche  sein ;  nicht  kommt  die  eine  erst  an; 
sie  sind  gleichzeitig  zur  Stelle  und  beide  ordnen,  eine  wie 
die  andere,  das  Niederlegen  an.  Das  schickt  sich  wohl  för 
Eos  neben  der  Iris,  nicht  aber  für  die  so  gut  wie  unbe- 
kannte Mptter  oder  Gattin  des  Sarpedon.  t"  Gar  an  ober- 
flächlich hat  Robert  auch  das  Gegeubild  der  Schale  ange- 


Digitized  by  Google 


Bnmn:  Troitche  MisuUen. 


167 


sehen  (Gerhard  A.  V.  221),  in  dem  man  .,ohnp  alle  Be- 
rechti^ung^^  Amazooeu  habe  erkennen  wollen.  Wenn  ihm 
aus  blossem  könstlerifidiem  EmpfindeB  der  weibliche  Cha- 
rakter der  Kimpferinnen  niobt  klar  wurde  (Tgl.  a.  B.  Ger- 
hard A.  y.  103),  80  bfttte  er  doch  die  deutiicb  angegebene^ 
weibliche  Brust  wenif^stens  einer  der  Gestalten,  der  dritten 
von  rechts,  nicht  übersehen  dürfen.  Wir  haben  es  also 
hier  wirklich  mit  einer  Rüstung  von  Amazooeu  zu  thuu, 
die  in  einem  nahen  historiechen  Zusammenhange  nicht  mit 
dem  Tode  des  Sarpedon,  wohl  aber  mit  dem  des  Memnon 
steht.  Abslehilieh  sind  beide  Bilder  nicht,  als  durchaus 
gleichwerthig  behandelt:  die  Rüntnogssoene  in  allgemeiner 
Charakterisirung  als  Einleitung  der  Aethiopis,  um  die  Be- 
stattung des  MemuoUi  wie  sie  den  Höhepunkt  des  (le- 
dichtes  beaeichnet,  so  aoch  hier  als  Hauptbild  bedeutender 
hcrtortreten  su  lassen. 

Aber  Robert  selbst  liefert  teir  noch  weitere  Waffen 
gegen  seine  eigene  Meinnng.  Auf  einer  von  ihm  S.  17 
abgebildeten  flüchtig  gemalten  attischen  Triukschale  neigt 
sich  eine  geflügelte  Frau  mit  vorgestreckten  Armen  liebe- 
voll über  die  von  Schlaf  und  Tod  getragene  Leiche.  Hier 
kann  Bobert  selbst  nicht  umhin,  Eos  und  Memnon  eu  er- 
kennen. Er  nennt  die  Vase  redites  Beispiel  fftr  die 
gerade  in  Athen  so  häufige  Klasse  von  Vasen,  in  denen  die 
alte  schwarztigurige  Teclinik  während  der  Blütezeit  der 
rothfigurigeu  noch  bis  tief  ins  4.  Jahrhundert  hinein  fort- 
lebt, und  schwerlich  älter  als  die  Mitte  des  genannten 
Jahrhunderts/'  und  baut  darauf  (S.  18)-  die  Folgerung,  dass 
„in  der  Tfaat  die  Wegführung  und  Bestattung  durch  Tha- 
natos  und  Hypnos,  die  einst  ein  späterer  Vertreter  des 
jonischen  lOpos  als  höchste  dem  Zeus- Sohn  Sarpedon  er- 
wiesene Ehre  sich  erdacht  hatte,  auch  auf  einen  andern 
Heros,  den  Sohn  der  Eos  übertragen  wurde,  freilich  aber 
in  einer  Zeit,  wo  derselbe  Zug  sogar  bereits  auf  gewöhn- 


Digitized  by  Google 


188       Sitzung  der  ^iios.-jjhüol.  Ckuse  vom  5.  Juni  1880, 

liehe  Sterbliche  übertragen  war''.  IJ^  ber  den  letzten  Punkt 
später !  Aber  wenn  auch  die  Ausführung  spät  ist ,  worüber 
sich  ja  Robert  mit  grosser  Zuversicht  ausspricht,  wie  lässt 
sieh  behaupten,  dass  die  weit  ältere  Conoeption  in  einem 
«übertragenen,  nieht  in  dem  nrsprflnglichen Sinne  verwendet 
war?  Bisher  galt  es  als  Grundsatz  in  der  Archäologie,  dass 
eine  in  gewissem  Sinne  unvollständige  Composition,  wie  die 
des  am  Aufauge  genannten  Campana'scheu  Krater,  nach  der 
vollständigeren,  hier  der  attischen  Schale,  zu  deuten  sei, 
nicht  umgekehrt. 

Wenn  also  der  Todte  nrsprflnglich  als  Memnon  ge> 
dacht  war,  so  erklftrt  es  sich  auch  leichter,  wie  auf  einem 
sicilischen  Lekythos  (bei  Benndorf  Gr.  u.  sie.  Vas.  42 ,  2) 
der  Maler  die  Figuren  von  Schlaf  und  Tod  in  zwei  Mohren 
übersetzen  konnte.^)  Damit  ist  indessen  noch  keinesw^ 
znangeben,  dasb  auf  einem  tou  Robert  (8.  16)  erwähnten, 
noch  unedirten  Bilde  ein  von  zwei  Kriegern  fortgetragener 
nackter  und  Ton  seinem  gewaffneten  Eidolon  begleiteter 
Todter  ebenfalls  für  Memnon  zu  halten  sei ,  weil  auf  der 
Rückseite  derselben  Vase  Eos  mit  der  Leiche  des  Memnon 
dargestellt  ist.  Im  Gegentheil:  wenn  es  auch  nicht  gerade 
unerhört  ist,  dass  die  Scene  der  einen  Seite  die  fast  an- 
mittelbare Fortsetaung  der  andern  bildet  (?gl.  Tioilos  bei 
Ov.  16,  5  u.  6),  so  gehört  dies  doch  zu  den  Ausnahmen. 
Man  liebte  es,  weiter  auseinander  liegende,  oft  nicht  einmal 
durch  die  Einheit  der  Person ,  sondern  nur  durch  die  ein- 
heitliche poetische  Idee  verbundene  Momente  zu  wähien. 

1)  Ueber  dem  Todten  fchwebt  «ins  kleine  geflügelte  Figor,  wie  sie 
einige  Male  auch  auf  AlkyoneoB-YsaeD  Torkommt.  Robert  bemerkt: 

..Heydenmnn  irrt  gewiw,  wenn  er  diese  Pigar  auf  den  Alkyoneos-Vasen 
fttr  mioolich  liält  und  Thanatos  benennt".  Aber  ist  es  nicht  ein  weit 
schwererer  Irrtbum,  diese  einige  Male  völlig  nackt  gebildete  und  nicht 
weiss  colorirte  Figur  f&r  weiblich  la  erkUuren  und  an  der  Bene&nuig 
Ktr  festnibalten? 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Troische  MUeelUn. 


189 


Nehmen  wir  an,  dass  hier  einer  Seits  (nach  II.  17,  719; 
vgl.  meine  Urne  etrusche  p.  76)  Patroklos ,  der  Freund, 
anderer  SeitB  Memnon,  der  Feind  des  Achill,  ans  dem 
Kampfe  getrageo  wird,  so  finden  wir,  dass  durch  die  beiden 
Bilder  der  Anbng  vom  Ende,  d.  h.  der  Anfiuigf  der  zum 
Wiedereintreten  des  Aebilles  in  den  Krieg  den  Anläse  bietet, 
und  der  letzte  siegreiche  Kampf  vor  seinem  eigenen  Ende 
an  unserer  Phantasie  vorübergeführt  wird.  Der  Ideengehalt 
entfipriebt  also  ziemlich  genau  dem  des  Campana'schen 
Krater,  nnr  dass  dort  an  die  Stelle  des  Todes  des  Patroklos 
die  Gesandtsehaft  des  Odysseus  bei  Aebilles  getreten  ist, 
die  an  der  Hartnackigkeit  des  leteteren  scheiterte  nnd  da^ 
durch  den  Tod  des  Patroklos  zur  ersten,  fast  uumittelbaren 
Folge  hatte. 

Doch  zurück  zu  Sarpedonl  Wenn  der  neuere  Zuwachs 
7<Hi  Vasenbildern  keine  nenen  Momente  für  Sarpedon, 
sondern  ?ielmehr  fnr  Menmon  ans  Licht  gebracht  hati  so 
mnss  ich  Robert  noch  besonders  dankbar  sein,  dass  er  auch 

das  Gewicht  der  poetischen  Quellen,  welche  er  und  Andere 
für  Sarpedon  geltend  gemacht,  bedeutend  abgenchwächt 
hat.  Hören  wir  ihn  selbst  (Ö.  5):  ,,Lachniann  hat  die 
beiden  Abschnitte,  in  denen  von  der  Entfiihmng  der  Leiche 
des  Saipedon  die  Rede  ist,  das  GesprSch  des  Zeos  mit  Hera 
(/7,  432—458)  nnd  seinen  Befehl  an  Apollo  (JJ,  666—683) 
für  den  ausschmückenden  Zusatz  eines  späteren  Dichters 
erklärt ;  wenn  er  Recht  hat  —  und  ich  vermag  nicht  ein- 
zusehen, was  man  seinen  Gründen  entgegenhalten  kann  — 
so  liegt  die  Möglichkeit  immerhin  vor,  dass  die  Parallel* 
Episode  der  Aithiopis,  die  EntflBhrung  der  Leiche  des 
Memnon  durch  seine  Mutter  Eos,  welche  andernfalls  fBr 
eine  Nachahmung  des  homerischen  Liedes  gelten  müsste 
und  auch  gemeiniglich  gilt,  vielmehr  das  Vorbild  ist,  nach 
welchem  der  Nachdichter  seinen  schönen  und  ergreifenden, 
aber,  wie  mir  daneht,  nicht  allzu  genan  in  den  Vorstellnngs- 


Digitized  by  Google 


190        Sitzung  der  phüos.-phiJ^J .  Classe  vom  5.  Juni  1880. 


kreis  der  Ilias  passenden  Zug  erfand  Mau  wird  sogar 

zugeben  müssen ,  dass  die  Episode  in  der  Aithiopis  viel 
inniger  dem  Zusammenhang  der  Erzählung  sich  anschmiegt, 
als  in  der  Ilias,  wo  sie  ein  ziemlich  loses  Anhängsel  ist 
und  sich  auch  äusserlich  leicht  als  späteren  Zusatz  zu  er- 
kennen giebt'*.  Nun  aber  erfolgt  eine  plötzliche  Wendung : 
die  Concession  wird  auf  die  Rettung  der  Leiche  des  Meninon 
durch  Eos  beschränkt;  dagegen:  „Thanatos  und  Hypnos 
kommen  —  man  weiss  nicht  woher' %  und  sie  sollen  daher 
nun  wieder  dem  Erweiterer  der  Ilias  als  dessen  personliche 
Erfindung  vindicirt  werden. 

Dass  Schlaf  und  Tod  Brüder  sind ,  dass  sie  im  Tar- 
taros wohnen ,  als  Kinder  der  Nacht  bezeichnet  werden 
und  Aehnliches,  das  sollen  nach  llobert  (S.  6)  mehr  reli- 
giöse als  poetische  Vorstellungen  sein,  die  nichts  enthalten, 
wozu  es  der  schöpferischen  Erfindungskraft  eines  Dichters 
bedürfe,  nichts,  was  nicht  von  Vielen  and  an  vielen  Orten 
unabhängig  gedacht  und  erfunden  sein  könne.  Anders  im 
Sarpedonliede :  da  werden  sie  nicht  etwa  gerufen,  um  zu 
tödten  oder  einzuschläfern ,  sondern  um  eine  Leiche  fort- 
zutragen; dieses  Motiv  könne  nur  einmal  und  von  einem 
bestimmten  Dichter  erfunden  sein.  Die  EntfÜhrnng  der 
Leiche  des  Sarpedon  durch  Schlaf  und  Tod  gehöre  nicht 
dem  Mythos,  sondern  der  poetischen  Behandlung  an.  Wo 
uns  immer  dieselbe  Vorstellung  in  späterer  Zeit  begegne, 
müsse  sie  stets  als  aus  diesen  Iliasvcrsen  hervorgegangen 
betrachtet  werden ,  ohne  dass  freilich  der  Dichter  oder 
Künstler  sich  dieser  Abhängigkeit  immer  klar  bewusst  zu 
sein  brauche.  So  sollen  denn  auch  die  von  Robert  später 
besprochenen  Bilder  attischer  Lekythoi,  welche  die  Bestat- 
tung nicht  mythischer  Personen  ,  sondern  gewöhnlicher 
Menschen  durch  Schlaf  und  Toil  darstellen,  in  ihrer  letzten 
Quelle  auf  das  Sarpedonlied  zurückgehen ,  ,,und  zwar  un- 
mittelbar, ohne  dass  eine  poetische  Bearl)eitung  den  n«'lu>r-' 


Brutm:  JMache  Jfisceßeii. 


191 


gang  vermittelt  oder  der  Volksglaube  einen  Anhalt  dafür 
geboten  hätte;  denn  nach  dem  früher  Bemerkten  bedarf  es 
wohl  kaoni  noch  des  besonderen  Hinweises  darauf,  dass  es 
nie  eine  attische  Volksrorstellung  gegeben  hat,  nach  welcher 
die  Bestattung  der  Toten  die  Aufgabe  des  Schlafes  und 
des  Todes  war,  zumal  da  weder  diese  beiden  Gestalten  selbst 
der  Volksphantasie  besonders  geläufig  waren,  noch  diese 
Thatigkeit  sich  aus  den  Begriffen,  welche  beiden  zn  Grunde 
liegen,  ohne  Weiteres  oder  nor  mit  besonderer  Leichtigkeit 
ergiebt''  (S.  25). 

Die  XJebertragung  einer  rein  dichterischen  Episode  oder 
man  niik-htc  noch  mehr  sagen:  einer  ganz  zufälligen  dich- 
terischen Erfindung  auf  Darstellungen  so  allgemeiner,  ge- 
nereller Art,  wie  die  der  attischen  Lekythoi  sind,  wird 
wohl  nicht  mir  allein  bedenklich  scheinen;  nnd  gewiss 
wird  daher  die  Frage  gestattet  sein,  ob  nicht  die  ganze 
Annahme  durch  eine  ungenügende  Vorstellung  von  der 
Beileutung  des  Thauatos  (und  Hypuos)  veranlasst  ist.  lieber 
diese  herrscht,  wie  mir  scheint,  nicht  nur  bei  Robert, 
sondern  überhaupt  eine  grosse  Unklarheit,  die  dahin  geführt 
hat,  dass  man  dem  Thanatos  den  Charakter  einer  mytho- 
logischen PerRÖnlichkeit  fast  so  gut  wie  ganz  hat  absprechen 
wollen.  Allerdings  ist  in  Literatur  und  Poesie,  besonders 
in  späterer  Zeit  Thanatos  als  Begrifl"  und  als  Person  nicht 
immer  streng  geschieden  ,  und  wir  dürfen  daher  nicht  er- 
warten ,  dass  es  bei  jeder  einzelnen  Erwähnung  gelingen 
müsse,  dieses  begriffliche  und  persönliche  Wesen  streng 
auseinander  zn  halten.  Das  schliesst  indessen  nicht  ans, 
dass  nicht  ursprünglich  —  die  Poesien  Homers  und  Hesiods 
legen  dafür  Zeuguiss  ab  —  Thauatos  wirklich  als  Person 
aufgefasst  wurde,  und  wir  werden  uns  mit  dem  Nachweise 
begnügen  dürfen,  dass  auch  in  späterer  Zeit  die  ursprüng- 
liche Bedeutung,  wenn  auch  oft  verdunkelt,  doch  nie  ganz 
▼erMshwonden  ist 
um  I.  PbO.-pbil.  biit  a  Bd.  1. 2.]  13 


Digitized  by  Google 


192      SiUung  der  pkäos.-pkilol.  Glaste  vom  5.  Juni  1880, 

Die  gröflste  Schwierigkeit  «cheint  es  geboten  zu  haben, 
die  Figor  des  Thanatos  von  der  des  Hades  loszaldsen,  mit 
welcher  sie  mehrfach  ineinander  zn  fliessen  scheint,  and 
zwar  so,  dass  Hades  als  der  Gott  von  mniassenderer  Be- 
deutung den  Tluinatos  gewissermassen  in  sich  absorbirt. 
Hier  ist  es  gewiss  nicht  nur  sachgemäss,  .sondern  das  na- 
türlichste Verfahren,  die  erste  Frage  an  die  bildende  Kuus^t 
zu  richten,  welche  ja  Hades  und  Thauatos  nur  in  persön- 
licher Gestalt  darznstellen  Termag.  Sie  aher  lehrt  uns 
sofort  klar  nnd  deutlich,  dass  hier  die  heiden  Gestalten 
durchaus  selbststiindig ,  ohne  sich  zu  berühren  oder  auszu- 
schliessen,  neben  einander  stehen.  Kassen  wir  nun  die 
Darstellung,  welche  ans  bis  jetzt  beschäftigt,  sowie  die  von 
Robert  veröffentlichten,  aaf  die  Bestattung  Sterblicher  be- 
züglichen attischen  Lefcythoi  ins  Auge,  so  muss  hervor- 
gehoben werden,  dass  Schlaf  und  Tod,  obwohl  sie  beflügelt 
sind  und  obwohl  sie  in  der  Sarpedon-  und  Memnon-Sage 
den  Todten  von  Troja  nach  Lyki^n  oder  Aethiopieu  schaflen 
sollen,  niemals  fliegen ,  sondern  nur  beschäftigt  sind ,  den 
Leichnam  an  der  Gruft,  was  wohl  bedeuten  soll,  in  die 
Gruft  niederzulegen.  Mit  Rficksicht  hierauf  bemerkt  Robert 
(8.  !26):  „in  jener  lliasstelle  ist  die  Ueberfnhrung  des  im 
fremden  Laude  Gefallenen  in  seine  Heiniath  der  erste  und 
wichtigste  Theil  der  Aufgabe,  an  den  sich  das  Niederlegen 
der  Leiche  nur  als  li'olge  auschliesst.  Auf  den  attischen 
Lekythen  ist,  so  scheint  es,  dieser  zweite  Theil  zur  Haupt- 
sache geworden,  ja  vielleicht  selbst  aus  dem  Niederlegen  — 
im  Widerspruch  zur  ursprünglichen  Erfindung  —  die 
eigentliche  Grablegung  geworden ,  während  der  erste  Theil 
des  dem  Thauatos  und  Hypnos  ertheilten  Auilrags  ganz 
vergessen  zu  sein  scheint''.  Ich  glaube,  wir  werden  viel- 
mehr zur  Klarheit  gelangen,  wenn  wir  umgekehrt  als  das 
Ursprüngliche  und  zwar  als  etwas  von  der  besonderen  Be- 
ziehung auf  Sarpedon  oder  Memnon  ganz  Onabhiiugiges  im 


Digitized  by  Google 


193 


Weeen  des  Thanatos  gerade  in  seiner  Beaiehcuig  zur  Be- 
stattung, zar  Orableguug  finden.    Er  hat  nichts  vn  tbiin 

mit  den  Seelen  der  Abgeschiedenen  im  Hades,  sondern  nur 
mit  den  Leichen ,  die  er   unter  di.'  Erde  zu  bringen  und 
dem  Hades  zu  übergeben  hat.    Er  tührt  das  Schwert  (Ear. 
Ale  73;  ygl.  Serv.  ad  Aen.  IV,  694),  nicht  um  damit  zu 
tfidten  nnd  so  morden,  sondern  nm  das  dem  Tode  bestimmte 
Opfer  va  weihen,  gerade  wie  Ealehas  oder  Agamemnon  die 
Iphigenie.    Darum  nennt  ihn   Apollo  (Kur.  Ale.  25)  i^Q^j 
i^avoYiutv^   welcher  die  Alkestis  el^  '^löov  dufioug  fu?J»ei 
}U3trdS/uy\  vgl.  v.  47:  yLccTta^onai  ye  va^i^v  vno  yO^ovu. 
Damm  heisst  es  von  Alkestis  (v.  871),  dass  sie  '-^t^ 
vatog  na^dwLWf  nnd  Alkestis  selbst  ruft  (t.  259),  es  fQbre 
sie  jemand  (der  Tod)  ywvoiv  ig  avlay.  So  erklärt  es  sieb, 
das«  Herakles  (v.  843)  ihn  araxja  top  ^e'lafijienlov-  ve/.QÜiv 
hayaiov  nennt  und  davon  twp  x  a  t  w  Koqiq  ava/.iiK  r. . . 
dvi^Uovg  dofAOvg  (v.  851)  unterscheidet.  Er  trinkt  von  dem  Blute 
der  Opfer  an  der  Graft  (¥.  84d),  und  an  der  Graft  ist  es,  wo 
Hermkies  mit  Thanatos  nm  die  Alkestis  ringt  (r.  1 142).  lüt 
dieser  Anflassnng  steht  es  dnrohaas  nieht,  wie  J.  Lessing  ({>.  Js) 
nieint,  im  Widerspruch,  sondern  im  besten  Einklänge,  wenn 
der   enripideische  Thanatos  den  Körnern  (Macrob.  8at.  V, 
19;  Senr.  ad  Aen.  IV,  694)  nicht   zur  weiblichen  Mors, 
sondem  smn  Orcns  wird,  bei  dessen  Namen  „die  heutige 
Etymologie  gewdbnlieh  an  das  griechische  li^xog  in  der 
Bedeotang  eines  Versehlosscs  denkt^*  (Preller,  gr.  Mytb.' 
453  und  454).    Auch  die  Kömer  scheinen  also  den  Orcus 
als  den  eigentlich  vollziehenden  ,   in   die  Gruft  bannenden 
(iott  des  Todes  von  Dis  pater  o<ler  Ditis  pater  als  dem 
Forsten  der  Unterwelt  geschieden  za  haben.') 

1)  Sollte  nidlt  die  weder  für  Ploto,  noch  für  Chiron  recht  pasfiende 
Pigir  auf  dem  neapelt-r  Pretwilaomrkophage  'Mon.  d.  I.  Ol,  40  sls 
Oreoi  ihre  richtige  Erkliroog  finden?  -  Von  HoUrt*«  Deutung  einet 
psunwisaiKhsn  WsndgmaiMw (Beibig  N.  i:iObi  ZakmU,  61)  als  AdsMt. 


Digitized  by  Google 


194      Sitgtmg  der  pMht.-pkiUl,  Gaue  wm  5.  Jum  1880, 

,  Auch  andere  ErwSbniiDgeii  treten  ons  jetst  in  einem 
weit  bestimmteren  Lichte  entgegen.  So  ist  es  bei  Eiuipidee 
(Medea  1109  —  11):  el  6i  xvQr^aai 

öaifiüiy  ovTOgf  g>^ot  öog  ig  *^iöi]v 
Qovaxog  nfufHpiqtinf  Oiaficera  zinvw 

Thanatos  wieder  der  Kmon,  der  sich  der  Leichen  bemSphtigt. 
Als  Person  werden  wir  ihn  femer  anlassen  dürfen ,  wenn 
in  der  Ilias  24,  132  Thetis  den  Achilles  mahnt: 

ä}Xa  %6i  tjdrj 

oder  wenn  in  einem  Epigramm  des  Leouidas  (Anth.  Pal. 
"VII,  731)  ein  Alter  sagt:  y.a?J€i  /u'  elg  cu'öt^v  Guratog.  Er 
steht  und  harrt,  bis  es  Zeit  ist,  dass  er  seines  Amtes  warte« 
—  keineswegs  immer  ein  nnerw&nschter  Gast: 

fiovog  yaQ  bI  ov  tCjv  dyrjx,tOT(ov  xaxwv 
icciQogy  aXyog  d^ovdiv  anteiai  vbkqov 

l&sst  Aeschjrlos  den  Philoktet  ausrufen  (fr.  250  N.);  und 
ebenso  rufen  bei  Sophokles  Philoktet  (y.  797)  und  Aias  (854) 
den  Tod  als  Erlöser  an.    Denn  er  ist  keineswegs  ein 

rächender,  strafender  Dämon,  ja  wir  dürfen  vielleicht  sogar 
sagen,  überhaupt  kein  ethisches  Wesen ,  sondern  der  Ver- 
treter des  Sterbens  als  eines  physischen  Vorganges,  des 
Loslösens,  aber  auch  Erlösens  Tom  Leben.  Darum  lässt 
sich  wohl  möglicher  Weise  Eore,  selbst  Hades  erbitten  (Bur. 
Ale.  85S) ;  Thanatos  dagegen  ist  unbestechlich :  juAifog  &eßr 
yad  Bdvctvog  ov  dw^tov  igiji:  Aesch.  fr.  156  N.  Er  ist  un- 
erbittlich, weil  er  ohne  eigenen  Willen  nur  vollzieht  wa8 
seines  Amtes  ist.   Nicht  ihm  verdankt  Admet  sein  Leben, 


Alkestis  und  Orens  eifsbre  ich  erst  während  des  Dmekes  durch  die 
kans  Notiz  in  der  A.  Z.  1880,  S.  42.  Es  mag  yorl&afig  genügen,  auf 
■Mine  Bemerkungen  Uber  dieiea  Bild  bei  fiibbeek  (die  rOmiMbe  Tra- 
gödie» 8.  679)  bimawsiasD. 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Troische  Miacellen. 


195 


sondern  der  THUSchung  der  Moiren  durch  Apollo  (Eiir. 
Ale.  13  Q.  33).  Darum  soll  ihn  Apollo  nicht  eines  zweiten 
Leichnams  {Smii^v  vmnov:  i.  43)  berauben,  nnd  ApoUo 
selbst  Yersncbt  es  kaum,  ihn  sn  überreden  (y.  49): 

ov  yag  old'  Sv  ei  Treiaat^l  oe, 

Nor  mit  (jewalt,  durch  einen  Herakles,  ist  er  so  über^ 

winden,  oder  durch  List,  wie  es  darch  Sisyhos  geschah, 
der  ihn  zeitweilig  fesselt;  oder,  uro  zu  zeigen,  wie  diese 
Idee  auch  spater  noch  fortwirkte,  durch  Demokrit,  von  dem 
ea  in  einem  Epigramm  (des  Diogenes  I^ifirtina:  Anth.  PaL 
VII,  57)  heisst: 

S$  Qavarov  JiaQtovra  tqi  r^fiata  dio^aoiv  eax9» 

Hier  mag  anch  noch  der  Beflügelung  gedacht  werden, 
für  die  sich  jetzt  leicht  eine  passende  Erklärung  finden 
lässt.  In  einer  von  Robert  8.  34  citirten  metrischen  Grab- 
schrift (  Kaibel  epigr.  gr.  89),  die  nach  Kobert  sicherlich 
betrachtlich  junger  ist,  als  das  5.  Jahrhundert,  heisst  es 
ftUerdings  Ton  Hades :  l^tdi^  oi  axoviag  äfifißalt»  nici^p/yag. 
Offenbar  ist*  aber  hier  Hades  irrthümlieh  an  die  Stelle  des 
Thanatos  getreten:  diesem  kommt  es  zu,  dass  er  die  Sterbenden 
„in  die  dunkelen  Flügel*'  einhüllt.  Hier  mögen  wir  uns 
erinnern,  dass  Homer  sich  den  üjpnos  noch  in  einen  Nacht- 
Togel  Terwandeln  lasst  Erst  weit  später,  etwa  in  prazi- 
ielischer  Zeit,  lernt  ee  die  Kmiat,  das  Herabsanken  des 
Schlafes  anf  die  Augen  dnreh  ans  den  Schlftfm  hmna-> 
wachsende  Flügel  zum  vollendeten  künstlerischen  Ausdruck 
ZQ  bringen  (vgl.  Ann.  d.  Inst.  1868,  p.  356).  Das  Zwischen- 
»iadium  bildet  die  einer  mehr  allgemeinen  Typik  angehörige 
Beflügelnng  der  Scholtem.  Jenes  Einhüllen  in  die  donklen 
FUlgel  ist  eben  andi  nichts  andern,  ab  das  SchHessen,  das 
Yerhmien  nnd  Bededren  des  Angea  mit  Dunkiel  hn  Moment 


Digitized  by  Google 


196       Sitzung  der  phüos.-jjhilol.  Clcume  vom  5.  Juni  1880. 


des  Einschlafens,  wie  des  Sterbens.  ÜRraaf  beruht  es,  dus 

in  der  Sage  Schlaf  und  Tod,  d.  Ii.  der  Dämon  des  Eoi-i 
Schlafens  and  Sterbens  su  Brüdern  geworden  sind. 

Endlich  aber  yertrfigt  sich  die  hier  vertretene  Aof- 
fiussnng  Yom  Wesen  des  Thanatos  nnd  Hypnos  anf  das 
Beste  mit  ihrer  gansen  Stellnng  in  der  Barpedon-  nnd 

Memnonaage.  Sind  sie  es  etwa,  welche  die  Leiche  des 
Sarpedon  den  Händen  der  plündernden  Feinde  entreissen  ? 
Nein,  sondern  mit  diesem  Amte  beaoftragt  Zeos  den  Apol- 
Ion.  Erst  nachdem  Apollo  dann  am  Flnsse  den  ESrper 
gereinigt  nnd  gesalbt,  flbergiebt  er  ihn  den  bmden  Brüdern, 
nm  ihn  naoh  Lykien  fibersnflElhren  —  asor  Bestattung: 

Iv^a  e  va^x^ovai  %aatyvi]Toi  te  erat  re 

Jetzt  verstehen  wir  es  auch,  weshalb  wir  das  eine  Mal 
den  Memnon  in  den  Händen  der  Eos,  das  andere  Mal  in 
den  Händen  der  beiden  Brüder,  sei  es  allein  sei  es  in  der 
Begldtnng  der  Eos  nnd  der  Iris  oder  des  Hermes  sehen. 
Eos  entrafft  den  Memnon  vom  Schlachtfelde,  die  beiden 
Dämonen  besorgen  die  üeberführung  zur  ({ruft,  unter  der 
Leitung  und  nach  der  Anweisung  der  begleitenden  Götter, 
gerade  wie  auch  auf  einem  der  attischen  Lekythoi  (bei  Ro- 
bert S.  27)  Hermes  gegenwartig  ist,  um' die  Bestattong  sn 
überwachen. 

Thanatos  ist  also  kein  rein  begriffliches  Wesen,  dem 
jede  mythologische  Substanz  abgehen  soll,  und  es  entspricht 
gewiss  einer  alten  religiös- volksthümlicheu  Anschauung» 
wenn  bei  der  Versenkung  in  den  „Todesschlaf'  nnd  bei 
der  Bestattung  Thanatos  mit  Hypnos  yerbnnden  wird.  Ea 
ist  also  znm  mindesten  nnnSthig  anzunehmen,  dass  die  Maler 
der  attischen  Lekythoi  die  Idee  ihrer  Darstellaugen,  sei  es 
einem  einzelnen,  nachträglich  der  Ilias  eingefügten  Liede, 
sei  es  der  Aethiopis,  entnommen  haben  sollen.  Gerade  um- 


Digitized  by  Google 


Brunn:  IVoweAe  MiseeUen, 


197 


gekehrt  schöpften  die  Dichter  aus  der  allgemeinen  Volks- 
vorstellnDg.  In  ihr  war  die  Bethätignng  der  beiden  Dä- 
monen bei  der  Grablegung  ond  Bestattung  das  Ursprftng- 
liche,  Gegebene.    Wenn  nnn  ansnahmsweise  die  Bestattnng 

in  weiter  ICiitternung  von  der  Stätte  des  Todes  stattfinden 
soll,  so  ist  es  gewiss  nichts  Absonderliches,  sondern  ein- 
fskch  and  nat&rlich,  dass  ihre  Thätigkeit  schon  früher,  bei 
der  Ueberfdhrang  der  Lieiche  nach  ihrem  Bestimmongsorte 
beginnt. 

Es  geschieht  nicht  selten,  dass,  wenn  in  einer  wissen- 
schriftlichen  Frage  erst  einmal  der  richtige  (rnindgedanke 
aufgestellt  ist,  derselbe  auf  gewisse  Erscheinungen  benach- 
barter oder  verwandter  Gebiete  ein  unerwartetes  Licht  wirft 
und  seiner  Seits  Ton  dort  her  wieder  eine  nachträgliehe 
BestäHgong  erhält.  So  boten  sich  mir  erst  nach  Abschlnss 
der  vorhergehenden  Er5rterungen  noch  folgende  weitere 
Krwäguugen  dar.  Nachdem  Hektor  gefallen,  erscheint  in 
der  Nacht  dem  Achill  (^e  Psyclie  des  Patroklos  und  fordert 
T<'n  .hm  ein  baldiges  Begräbniss,  um  unbehelligt  von  den 
andern  Schatten  in  die  Thore  des  Hades  eingehen  an  können 
(II  23,  79).  Eben  so  tritt  in  der  Odyssee  (11,  60),  noch 
ebe  die  Schatten  von  dem  Blnte  der  geschlachteten  Thiere 
trinken ,  die  Psyche  des  Pilpenor  an  Odysseus  heran  ui  d 
bittet  (lio84>n,  nach  der  Hückkehr  auf  die  Oberwelt  ihm  die 
Tersänmteu  Ehren  der  Bestattung  an  gewähren.  In  der 
Sisyphossage  ferner  verbietet  dieser  seinem  Weibe  ihn  zn 
bestatten,  und  benfitzt  dann  die  ihm  angeblich  verweigerten 
Orabesehren  als  Vorwand,  nm  von  Pluh>n  die  Rfickkehr 
auf  die  Oberwell  zu  erwirken:  eine  List,  die  freilich  nur 
e'inon  vorülHTgt'hcnden  Erfolg  hat  (vgl.  Preller  gr.  Myth.* 
11«  76).  Acutserdem  ist  ja  der  Hrauch  bekannt  genug, 
einem  wegen  irgend  welcher  Umstände  unbeeidigt  geblie- 
benen Leichnam  durch  Bewerfen  mit  einer  Hand  voll  Erde 
wenigstens  eine  symbolisdie  Bestattung  an  Tbeil  werden 


Digitized  by  Google 


198      SUiung  der^phüos-phüol,  ClatBe  wm  8.  Jvm  1880, 

m  lassen,  oder  auch  nicht  aufenfindenden  Leichen  Keno- 

tapbien  zq  errichten.  Allen  diesen  Erzählungen  and  Ge- 
bräuchen liegt  eine  und  dieselbe  allgemeine  Vorstellung  /.u 
Grunde,  dass  der  Todte  zwischen  dem  Momente  des  Sterbens 
nnd  dem  bleibenden  Eintritte  in  die  Behausungen  des  Hades 
in  einem  nnhehaglichen  Zwischenznstande  sich  befinde»  der 
erst  dnrch  die  Vollziehnng  der  Begrabnissfeierlichkeiten 
sein  Ende  erreiche.  Bringen  wir  nnn  damit  die  Anflassung 
der  Persönlichkeit  des  Thanatos  in  Verbindnng,  wie  sie 
sich  uns  in  den  obigen  Erörterungen  herausgestellt  hat,  so 
ergiebt  sich  leicht,  dass  gerade  dieser  Zwischenzustand  das 
eigenste  Gtobiet  ist,  welches  dem  Wirken  nnd  der  Thätig- 
keit  des  Thanatos  anheimf&llt,  dass  sich  aber  anch  sdn 
Wirken  über  dieses  Gebiet  hinans  nirgend?«  erstreckt.  Wir 
erkennen  aber  daraus  von  Neuem ,  wie  Thanatos  nicht  das 
Erzeugniss  einer  poetischen  oder  phih  sopbischen  Reflexion 
war,  sondern  wie  seine  Persönlichkeit  mit  den  Vorstellungen 
des  Volksglanbens  in  engster  Beziehung  stand.  ^) 

1)  Einer  besondereu  Unterauchung  würde  die  Fra^'e  bedürfen,  ob 
eben  diese  Vorstelluogeu  von  Sclilaf  und  Tod  auch  in  Altitalien,  nament- 
lich in  der  so  reich  entwickelten  Dämonologie  der  Etmsker  Eingang 
gefanden  haben.  Um  wenigstens  die  Berechtigung  dieser  Frage  dana- 
thun ,  mag  tat  dU  Gmppe  einei  tsrqQinieniiich«ii  GimbgemSldeB  (bei 
KicaU  sat.  ment  t.  75}  hingewieNii  werden,  in  der  eine  naek  Arl  der 
Schatten  yerhtUlte  Gestalt  auf  einem  iweiiSderigen  Eanen  ?  on  swel 
gefl&gelten  Dimoaen,  einem  hirtigen  eehwaisea  and  einem  onhirtigeB 
▼on  hellem  Colorit  weggeführt  wiid.  Die  Vennnthnng,  in  ihnen  Tod 
nnd  Sehlaf  in  erkennen,  eeheint  hier  nahe  genug  tu  liegen.  —  Aneh 
die  h^en  geiOgelten  JtngUngegeetalten  auf  der  A^ew-Ciste  (Mon.  d. 
Inei.  Yin,  8)  haben  hiernach  anf  den  Namen  too  Schlaf  nnd  Tod  viel- 
leicht gerechteren  Ansprach,  als  ich  frfther  glaubte  sogehen  sn  dfirfsn.  — 
Dentiich  sind  Schlaf  nnd  Tod  mit  einem  Leichnam  beechiftigt  anf  dem 
Belief  einer  kleinen  Terraoottahaaie  von  altitalischer  Form  ans  Rom  in 
den  80  eben  erschienenen  Mon.  d.  Inst.  XI,  1 10,  3.  Ist  der  Stjl  anch 
nicht  echt  archaisch,  so  weist  er  doch  anf  filtere  Vorbilder  hin,  in  denen 
die  beiden  Dfimonen  von  der  Ssipedon*  oder  Hemnonnge  nnabhiagig 
erichienen. 


Digitized  by  Google 


Brunn:  JVoisdke  MiaeOlw.  199 

Hiernach  werden  wir  uns  nur  noch  die  Frage  vorzu- 
legen haben,  welche  Stelle  die  Episode  von  Schlaf  und  Tod 
10  der  itoetiechen  Motivimng  der  Sage  des  einen,  wie  des 
andern   Helden   einnimmt.     Es   ist   schon   oben  bemerkt 
worden,  wie  die  Meinnonsage  zur  Verherrlichung  des  Achilles 
in  dem  Sinne  dient,  dass  diesem  in  der  Person  des  Memuon 
hier  ein  völlig  ebenhärtiger  Gegner,  der  Sohn  einer  Un- 
sterblichen, wie  er  selbst  ist,  gegennbergestellt  wird.  Darum 
hat  dieSeelenwaguug,  die  in  derllias  beim  Tode  desHektor 
nnr  liurz  berührt  wird,   hier  eine  weit  tiefere  Bedeutung: 
bei  dem  crl eichen  Werth  der  beiden  Helden  vermag  nnr 
das  Schiksal  zu  entscheiden.    Unterliegt  aber  der  eine,  so 
darf  er  darnra*  an  Ehren  dem  andern  nicht  nachstehen. 
Nun  wird  Achill  bei  seinem  bald  nachher  erfolgenden  Tode 
von  Thetis  und  dem  Chor  der  Musen  und  Nereiden  beklagt 
und  dann  nach  der  Insel  Lenke  versetzt,  wo  ihm  göttliche 
Linreu  zu  Theil  werden.    Darin  darf  ihm  Memuon  nicht 
Bsefast^en  und  dadurch  wird  seine  Rückführung  nach 
seiner  Heimat  an  einer  poetischen  Nothwendigkeit  Gegen- 
Qber  dem  Chore  der  Musen  und  Nereiden  aber  genügt  es 
Dicht,  das>  l^os  allein  den  Leichnam  des  Sohnes  vom  Schhicht- 
felil  »^nt führt  oder  gewissermassen  nur  heimlich  entwendet. 
Auch  hier  bedarf  es  einer  breiteren  poetischen  Kntwickelung. 
Wenn  nun  hier  zuerst  Eos  den  Leichnam  dem  Kampfplatze 
eDtrflckt,  dann  aber  die  beiden  Dämonen,  vielleicht  auf  das 
Gebeiss  des  Zeus  durch  Hermes  oder  Iris  zur  Stelle  ge- 
rufen,  die  L^eberfiihrung  nach  Aethiopien  besorgen,  so  ist 
dsmit  nicht  nur  eine  äussere  Verhorrlichnng  des  Helden 
g^ben,  sondern  wir  sind  durch  das  Wunderbare  dieser 
Errettung  auf  das  Weitere,  noch  Aussergewöhnlichere  vor- 
bereitet, dass  Zeus  auch  dem  'Memuon  die  Unsterblichkeit 
Terk'iht.    Hier   ist   also  Alles   auf  das  Beste  TOotivirt,  ra 
sich  abgerundet  und  abgeschlossen.  —  Für  Sarpedon  fehlen 
lUe  diese  Nothwendigkeiten;  eine  Vergleichung  lässt  sich 


Digitized  by  Google 


200      SUzung  der  phäo8.'phUol.  aaste  vom  5,  Jwu  1880, 

mir  an  d«n  einen  Punkt  anknüpfen ,  dass  auch  fcJarpedou 
ein  Göttenobn  war.  Gerade  dieser  Umstand  wird  <*«  ge- 
wesen Rein,  welcher  den  Anlara  zu  der  Erweiiemng  des 
nrsprflnglichen  Textes  bot:  anch  ibni  sollten  habere  Ehren 

zn  Theil  worden.  In<lP!n  aber  hier  der  letzte  Zweck  fehlt, 
dem  die  wiinderl);iro  ITeberführnug  des  Meninon  wie  i\es 
Achill  nur  als  Mittel  dient,  nemlich  die  Verleihung  der 
Uosterblicbkeitf  verliert  eigentlich  der  Beistand  der  gött- 
lichen Wesen,  die  'nichts  thnn,  als  den  Leichnam  in  I<ykien 
niederlegen,  nm  dann  —  zn  versehwinden ,  seine  tiefere 
BcTechtif^'ung.  Pur  eine  einfache  Bestiittung  in  der  Heimath 
hätte;  das  Geleit  trauernder  Kampfgenossen  nicht  nur  ge- 
nügt, sondern  vom  Standpunkte  menschlicher  Rührung  aus 
betrachtet  vielleicht  sogar  den  Vorsng  verdient. 

Behaupte  ich  nnn  hiemit,  dass  die  Sarpedon-Episode 

direct  aus  der  Aethiopis  des  Arktinos  entlehnt  sei?  ,,Es  ist 
ja  leider  (sagt  Robert  S.  5)  hei  der  Spärlichkeit  und  Un- 
zoverlässigkeit unserer  Nachrichten  über  die  sog.  kyküschen 
Epen  nnr  selten  möglieh  in  Fragen  der  Priorität  ein  einiger- 
massen  sicheres  Urtheil  zn  fallen,  nnd  auch  das  nnr,  wenn 
man  die  Hypotheseis  riohiig  zn  behandeln  versteht  nnd"  zn- 
giebt,  dass  in  diesen  Epen  ein  gut  Theil  ächter  Volkspoesie 
steikt^*.  So  mag  es  vielleiclit  (Gründe  geben,  ül»er  welche 
mir  ein  Urtheil  nicht  zusteht,  nach  denen  die  Episode  der 
Ilias,  obwohl  nicht  ursprünglich,  doch  immer  noch  für  älter 
zn  halten  wäre,  als  das  Gedicht  der  Aethiopis.  Aber  war 
anch  Arktinos  der  VerfiEisser  des  Gedichtes,  so  war  er  doch 
nicht  der  Schöpfer  des  in  demselben  behandelten  Stoffes 
Zwar  die  llias  erwähnt  den  erst  nacli  Hektors  Tod  in  den 
Kampf  eintretenden  Memuou  noch  nicht.  Aber  die  Odyssee 
(4,  188)  kennt  den  Besieger  des  Antilochos: 

tov  QHoig  tAitivt  (^tivi^i  dylaog  i^'tog^ 

nnd  indem  (11,  522)  Odyssens  im  Gespräche  mit  dem  Schatten 


Digitized  by  Google 


201 


des  Achill  diV  Schönheit  des  von  Neoptolemos  getödteteu 
BnrjpyloR  mit  der  des  Memnon  Tergleicht: 

i«i  dort  eine  nur  leise  Terdeekte  Hinweisnng  auf  den  leteten 

Kampf  gegeben,  in  dem  sich  Achill  knrz  vor  seinem  eigenen 
Ende  nochmals  unsterblichen  Ruhm  erwarb.  So  mochte 
damals  die  Sage  Ton  dem  Ende  und  der  Verklärung  des 
Memnon  in  der  Volkspoesie  bereits  so  weit  entwickelt 
sein,  dass  die  Episode  von  Sdilaf  und  Tod  schon  Yor  Ar- 
ktinoB  ans  dieser  Qnelle  anf  8arpedon  übertragen  werden 
konnte,  wahrend  sie  ihre  abgernndete,  harmonische  dich- 
terische Ausgestaltung  erst  in  der  Aethiopis  erhielt  und 
von  hier  aus  in  den  Kreis  künstlerischer  Darstellungen  auf- 
genommen wurde. 


Eine  Achilleis. 

In  einem  früheren  Aufsatze  (Sitznngsber.  IHfls,  8.  226) 
hatte  ich  die  Schwierigkeiten,  welche  die  Deutung  der  lliu- 
persis  anf  einer  Trinkschale  des  ßrygos  darbot,  dadurch  zu 
lösen  Tenncht,  dass  ich  die  Inschriften  als  misverstandlioh 
kinsngel&gt,  gänalieh  ansser  Betracht  Hess  nnd  den  Inhalt 
der  Darstellungen  einzig  ans  den  wirklich  znr  Anschauung 
gebrachten  künstlerischen  Motiven  zu  entwickeln  unternahm. 
Dieses  Verfahren  mochte  allerdings  noch  gewagier  ert>c)ieinen, 
als  es  wirklich  ist,  so  lange  es  nnr  an  einem  vereinzelten 
Visenbilde  gefibt  wurde,  wahrend  es  eine  weit  grössere 
äussere  Berechtigung  erlangen  mnss,  sobald  sich  noch 
weitere  Beispiele  einer  gleichen  irrthnmlichen  Anwendung 
von  Inschriften  nachweisen  lassen.    Kin  solches  bietet  sich 
in  einer  schönen  Trinkschale  des  Doris  dar,   welche  mir 
bisher  ihre  richtige  Deutnng  noch  nicht  gefunden  zu  haben 
scheint  (Frdhner,  Choiz  de  vases  du  prince  Napoleon  pl.  2 
—4;  auch  in  Conie's  üebnngsblittem  Ser.  VI,  7)-  ^ 


Digitized  by  Google 


202      SÜJBung  der  phHoa^-fhäol,  Classe  vom  5.  JutU  1880. 

Iiinenbild  ist  richtig  auch  durch  die  luschrifteu  als  die 
Aufhebung  der  Leiche  des  Meninon  (MEMl^ON)  durch 
Eo8  (HEO$)  bezeichnet.  Auf  dem  einen  Aussenbilde 
eittrmt  ein  Krieger  gegen  seinen  bereits  verwundeten  und 
rückwärts  stürzenden  Gegner  ein :  der  Angreifer,  dem 
Athene  (A0EAIA)  beisteht,  soll  Aias  (AlAl)  sein;  der 
Unterliegende,  hinter  dem  Apollo  AFIOOI^UON)  erscheint, 
ist  als  Hektor  (HEKPOR)  bezeichnet.  Auf  dem  zweiten 
Aussenbilde  wendet  sieb  ein  Krieger  vor  dem  ihn  an- 
greifenden Gegner  zur  Flucht.  Dem  Letzteren,  hinter  dem 
eine  weibliche  Gestalt  (ohne  Namen)  mit  einer  Blnme  in 
der  erhobenen  Linken  steht,  ist  der  Name  des  Menelaos 
(MENE^EO^)  beigeschrieben,  der  Fliehende,  auf  dessen 
Seite  uns  Artemis  (ARTEMIS)  entgegentritt,  heisst  Ale- 
zandroe  (AI^EX^ANARO^).  Wir  haben  es  allerdings  nach- 
gerade verlernt,  in  den  Vasenbilderu,  und  besonders  in  viel- 
fach unter  eiuander  verwandten  Kampfscenen  die  Illustration 
eines  Dichters  in  strenger  Uebereiustimmung  mit  seinen 
Worten  zu  erwarten.  Hier  sind  aber  die  Unterschiede  der 
Schilderungen,  die  wir  yon  den  Zweikämpfen  des  Aiaa  mit 
Hektor  und  des  Menelaos  mit. Paris  bei  Homer  finden,  so 
bedeutend,  dass  es  auch  bei  der  Aunuhme  des  grossten 
Maasses  künstlerischer  Freiheit  nicht  mehr  möj^licli  ist,  in 
den  beiden  Bildern  eine  Darstellung  der  durch  die  In* 
Schriften  bezeichneten  homerischen  Scenen  anzuerkennen. 
Anderer  Seite  kommen  wir  immer  mehr  davon  zurfick,  wo 
eine  solche  üebereinstiniiimiig  fehlt,  zu  dem  Auskanfts- 
mittel  zu  greifen ,  dass  etwa  der  Maler  einer  andern ,  wub 
nicht  mehr  zugänglichen  „Version'^  des  Mythos  gefolgt  sei. 
Denn  diese  andere  Version  würde  hier  im  Grunde  einer 
Vernichtung  der  Substanz  der  homerischen  Dichtung  gleich 
kommen.  Das  f8r  den  vorliegenden  Fall  im  Einseinen 
nachzuweisen ,  halte  ich  für  überflüssig :  genug ,  dass  eine 
Deutung  der  Bilder  auf  Grundlage  der  Inschriften  nicht 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Troische  Miscelleth 

0 


203 


möglich  ist.  So  werden  wir  aaf  denselben  Standpnnkt  ge- 
drängt ,  auf  den  wir  uns  (S.  228)  hei  der  Deutung  der 
Iliupersis  des  Brygos  stellen  mussten :  „In  ciiuMii  Kunst- 
werke mns8  in  erster  Linie  das ,  was  sich  in  den  künst- 
lenacben  Motiven  klar  ausspricht,  für  die  Erklärung  be- 
stimmend sein,  nnd  kein  beigefügter  Name  vermag  die  Be- 
dentang einer  in  klaren  Zügen  dargestellten  Bandinng  zn 
verändern''.  Betrachten  wir  also  auch  die  Schale  des  Duria 
einmal  für  sich  allein,  ohne  uns  um  die  beigeschriebeuen 
Namen  zu  kümmern. 

Deber  die  Deutung  des  angeblichen  Zweikampfes  swiechen 
Aiaa  und  Hektor  wurde  ohne  die  beigefügten  Inschriften 
niemand  im  Zweifel  sein.  Auf  mehreren,  in  allem  Wesent- 
lichen übereiustiinnienden  Vasenbildern  (Gerhard  A.  V.  2ü2 
nnd  204;  Overbeck  troisch.  Cvcl.  19,  1^  und  4)  sehen  wir 
den  Kampf  des  Achilles  gegen  Hektor:  Achill  unter  dem 
Schntae  der  Athene,  Hektor  schon  im  Niedersinken,  obwohl 
auch  zu  seinem  Beistande  ein  Gott,  Apollon,  zur  Stelle  ge- 
kommen war.  Mit  diesen  Bildern  stimmt  das  Gemälde  der 
Schale  des  Huris  bis  auf  ein  einziges  Motiv :  in  diMu  ersteren 
uemlich  verlässt  Apollo  den  Kampfplatz  und  erhebt  rück- 
wärts blickend  in  seiner  Rechten  den  Pfeil,  welchem  später 
Aehillee  erliegen  soll  (vgl.  1868,  S.  77);  bei  Duris  untere 
•eheidet  sieh  sein  Auftreten  kaum  oder  im  Grunde  gar 
nieht  von  dem  der  Athene:  er  assistirt  mit  lebhaft  erregter 
Geberde.  Sollen  wir  aber  wegen  dieser  Abweichung  die 
Deutung  der  ganzen  Scene  aufgeben?  Schwerlich;  denn 
Apollo  war  doch  immer  bis  zu  diesem  Moment  der  Öchutz- 
gott  des  Hektor,  wie  Athene  Schützerin  des  Achilles.  Man 
konnte  also  höchstens  sagen,  dass  Duris  durch  nicht  strenges 
Einhalten  des  Momentes  einen  feinen  Zug,  die  Hinweisimg 
auf  das  spätere  Geschick  des  Achill,  aufgegeben  und  die 
ur.«»prüugliche  t<)mposition  ,  die  er  hier  benutzte,  verflaclit 
habe.    Und  ?ou  einem  solchen  liuiitirteu  Tadel  glaubte  ich 


Digitized  by  Google 


204      SUgwug  der  phOos^-phOol*  Ctane  vom  6.  Juni  1680. 


allefdiiigs  Dans  nicht  gftnsslicb  freisprechen  sa  dfirfen.  Die 
Art  jedoch,  wie  ich  mich  nxm  einmal  gewöhnt  habe,  gate 

Vaseiibikler  anznseheu,  lässt  noch  im  letzten  Moment  während 
des  Niederschreibens  bei  mir  das  Beileuken  entstehen ,  ob 
denn  selbst  ein  aolcber  Tadel  seine  Berechtigung  habe,  ob 
die  Veränderung  nicht  eine  absichtliche,  nicht  mit  foHem 
Bewnsstsein  nnternommen  sein  könne.  Seine  Erledigang 
wird  jedoch  dieser  Zweifel  erst  finden,  nachdem  wir  nns 
über  das  zweite  Aussenbild  der  Schale  eine  bestimiute  An- 
sicht gebildet  haben  werden. 

Wenn  in  dem  ersten  Hektors  Besiegang  durch  Achill, 
in  dem  Innenbilde  der  von  Achill  getödiete  Memnon  darge- 
stellt ist,  so  liegt  gewiss  der  Gedanke  nahe,  dass  es  sich 
auch  bei  dem  noch  übrigen  dritten  Bilde  um  einen  von 
Achill  besiegten  (Gegner  handele.  Neben  einem  Achill  Hndet 
sofort  die  ihn  begleitende  weibliche  Gestalt  als  Thetis  eine 
nngesuchte  Erklärung.  Der  Gegner  aber  kann  keine  mbm- 
oder  namenlose  Persönlichkeit  sein.  Ans  der  Aethlopis 
kann  neben  Memnon  Penthesilea  wegen  ihres  Geschlechts 
nicht  in  Betracht  kommen.  Die  llias  bietet  neben  Hektor 
keinen  nenuenswerthen  Gegner.  So  werden  wir  auf  die 
Kyprien  zurückgewiesen.  In  diesen  wurde  allerdings  be- 
richtet, dass  Achill  den  Telephos  verwundete,  aber  wie  es 
scheint,  nur  in  auem  Vertheidiguugskampfe ,  wahrend  in 
dem  Vasenbilde  der  Gegner  unverwundet  zurückweicht.  Z« 
den  vollständig  überwundenen ,  Ijesie^ten  und  getiWiteten 
G^uern  des  Achill  gehört  Telephos  nicht.  Wohl  aber 
heisst  es,  dass,  als  bei  der  Landung  in  Troas  Proteaüaos 
von  Hektor  getödtet  war,  Achill  die  Troer  in  die  Flucht 
jagte,  nachdem  er  Kjknos,  den  Sohn  des  Posmdou,  getödtet 
Dieser  Kyknos,  König  von  Kolonae  in  Troas,  ein  Göttei- 
sohn  und  unverwundbar,  war  ein  gewaltiger  Gegner,  und 
erst  seine  Besi^ung  ermöglicht  die  Festsetzung  des  grie- 
chischen Heeres  auf  troischem  Boden.    So  wurd  denn  diese 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Tnitche  Miwdlen.  206 

Besiegnog  unter  den  Hauptihaien  des  Achill  bis  in  spate 
Zeiten  herab  gepriesen  (vff\.  Welcker  ep.  Cycl.  IF,  104  und 

145;  gr.  Trag.  I,  Auf  des  Kyknos  stol/es  Auftreten 

weisen  die  Fr^uieiite  der  ,,Hi»'^en''  des  Sophokles  hin.  Eine 
Schildt^rung  des  Kampfe«  .«selbst  besitzen  wir  nur  noch  bei 
0?id  (Metain.  XU,  76  sqq.).  Dort  bekämpft  Aobill  den 
Kyknos  znerst  yergeblich  mit  dem  Speer,  dann  ebenso  mit 
dem  ächwert,  drangt  ihn  aber  dennoch  rftckwärts  nnd 
rennt  ihn  um  (v.  134j: 

cedentiqne  sequens  instat,  turbatque  ruitcjue, 
attonitoque  negat  requiem.  Pavor  oceupat  illuui. 
Dann  kniet  er  auf  ihn  und  erwürgt  ihn  mit  dem  Helm- 
riemen. Ovid  kann  natürlich  nicht  die  Quelle  fflr  einen 
Vasenmaler  sein ;  aber  seine  Schilderung  entspricht  durchaus 
der  in  der  ünverwundbarkeit  des  Kyknos  gegebenen  (iruud- 
lage  des  Mythos  und  ist  in  den  Hauptzügen  gewiss  älteren 
Quelleu  entlehnt.  Betrachten  wir  jetzt  das  Vasenbild,  so 
unterscheidet  es  sich  von  der  Masse  ähnlicher  Kamp&oenen 
in  einem  sehr  wesentlichen  Punkte,  nemlich  dadurch,  dass 
der  Angegriflfene,  ohne  verwundet  zu  sein  und  ohne  sich 
wenigstens  im  Umdrehen  noch  zur  Wehre  zu  setzen ,  wie 
z.  B.  Hektor  gegen  Achill  (Overh.  19,  1),  feige  zurück- 
weicht Yor  dem  mit  Ungestüm  vordringenden  Angreifer: 
paTor  oceupat  illum.  Hierin  liegt  oifenbar  das  besondere 
kflnatlerische ,  für  die  Deutung  entschddende  Grundmotiv; 
und  darin  stimmt  das  Bild  mit  Ovid,  während  sich  fttr  das 
gleiche  Motiv  schwerlich  ein  passenderer  Name  darbietet. 

Artemis  wird  bei  Ovid  nicht  erwähnt;  und  vergebens 
habe  ich  gesucht,  ob  sich  nicht  etwa  in  Kolonae  oder  sonst 
in  der  Umgebung  von  Troja  ein  Tempel  oder  ein  Heilig- 
tiimn  nachweisen  lasse,  welches  ihre  Gegenwart  bei  dem, 
Zweikampfe  des  Kyknos  rechtfertige.  Aber  auch  bei  dem 
Zweikampfe  des  Menelaos  »ind  Paris,  auf  den  sich  die  In- 
schriften bezieheU|  wird  ihr  Erscbeiueu  nicht  nur  nicht  er- 


Digitized  by  Google 


206       SUiunff  der  pfUlos.'phiM,  Clam  vom  5,  «Tum  1880. 


klart,  sondern  sieht  mit  der  üeberliefemng  sogar  in  directem 
Widerspraeb.    Und  Sberhan])t  wird  sieb  bei  keinem  der 

troischen  Kämpfe  für  ilire  Dazwisclieiikunft  ein  directes 
Zeagniss  beibringen  lassen.  In  der  Ilias  wenig^stens  tritt 
sie  durchaus  in  den  Hintergraud.  Bei  dem  Streite  der 
Götter  im  21.  Gesänge  wird  sie  von  Hera  in  handgreiflicher 
Weise  zurechtgewiesen  480  sqq.).  Ansserdem  erscheint 
sie  nnr  noch  bei  der  Pflege  des  Aeneas  im  Tempel  ihres 
Bruders  .betheiligt  (5,  447).  Der  Kampf  des  Kyknos  nun 
findet  in  weiterer  Entfernung  von  Troja,  als  die  späteren 
Kämpfe,  au  der  Meeresküste  bei  der  Laudung  statt.  Damit 
steht  es  wohl  in  Verbindung,  dass  in  der  Tragödie  des 
Sophokles,  in  welcher  auch  der  Tod  des  Kyknos  behandelt 
wnrde,  der  Chor  ans  Hirten  bestand,  nach  denen  das  StBck 
benannt  wurde;  und  so  läge  vielleicht  der  Gedanke  nicht 
fern  ,  dass  ,  wie  Apollo  als  Schützer  der  Stadt  und  ihrer 
näheren  Umgebung  erscheint,  nun  Arteiuis,  da  sie  doch 
jedenfolls  anf  der  Seite  der  Troer  stand,  wiegen  ihres  länd- 
licheifCharakters  als  Schfitaerin  der  entfernteren  Umgebung, 
▼on  Flur  und  Wald  gefssst  wnrde.  Doch  gehen  wir  yiel- 
1  eicht  mit  Erwägungen  solcher  Art  schon  />u  weit.  Der 
Maler  brauchte  aus  künstlerischen  Gründen  eine  Götterge- 
fltalt.  Den  Poseidon,  den  Vater  des  Kyknos,  konnte  er, 
da  dieser  anf  der  Seite  der  Griechen  stand,  nicht  wohl  ein- 
fahren. In  dem  Farallelbilde  war  Apollo  dnrch  Sage, 
Poesie  und  Kunst  bestimmt  gegeben,  und  so  bot  sich  ihm 
Artemis  gewissermassen  von  selbst  dar,  um  so  mehr,  als 
diese  auch  zu  der  Thetis  auf  Seiten  des  Achilles  ein  durch- 
aus passendes  Gegenstück  bildete. 

Die  Hauptsache  bleibt  immer,  dass  zum  Kampfe  gegen 
Hektor  und  gegen  Memnon  kein  dritter  sich  besser  fugt, 
als  der  gegen  Kyknos.  Die  Verherrlichung  des  Achilles  in 
seinen  drei  berühmtesten  Kämpfen  ist  also  das  Gruudtheiiia. 
Wollte  aber  der  Künstler  diesen  und  keinen  anderen  Ge- 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Jroitdte  MiseeUen. 


207 


danken  ansdrfloken,  so  «rgiebt  sich  wohl  daraus  der  Ghrond, 
weshalb  er  im  Bilde  des  Hektor  von  der  fSr  andere  Zwecke 

so  feinen  Motiviruug  des  Apollo  hier  Gebrauch  zn  macheu 
Anstand  nahm.  Die  Hinweisung  auf  den  Tod  des  Achill 
lag  seiner  Auffassung  nicht  nur  fern,  sondern  sie  hätte  deu 
eingehen  Grundgedanken  zerstört,  der  sich  in  seiner  weiteren 
Motirining,  aber  immer  ganz  kurz  so  snsammenfiusen  iSsst : 
drei  gewaltige  Gegner  besiegte  Achill,  obwohl  jeder  Ton 
ihnen  sich  des  besonderen  Schutzes  einer  Gottheit  zu  er- 
freuen hatte.  Diesen  Grundgedanken  entwickelt  er  gewisser- 
massen  in  trilogischer  Gliederung,  oder ,  wenn  wir  in  Be- 
tracht zidien,  dasR  nach  den  ranmlichen  Bedingungen  der 
Vase  nnr  zwei  Bilder  sich  genan  entsprechen,  das  Innenbild 
dagegen  anderen  Compositionsgesetzen  unterworfen  war,  so 
dürfen  wir  wohl  sagen,  dass  er  zu  den  beiden  Anssenbildern 
als  Strophe  and  Autistrophe  das  luueubild  als  £pode  hin- 
ftufügte. 

Wird  man  mir  anch  hier  wieder  mehr  als  alezandri- 
nische  Znspitanng  vorwerfen?  Auf  einen  vollständigen 
Chorgesang  freilich  vermag  ich  mich  nicht  zn  bemfen.  Aber 

was  den  Gesammtinhalt  anlangt,  so  kann  ich  mich  eines 
Gewährsmannes  rühujen,  dem  Niemand  den  Vorwurf  des 
Alexandrinismos  machen  darf.  Pindar  (Ol.  2,  14ö)  preist 
den  Achill: 


Briseis  and  Peleas. 

Bei  der  oben  erwähnten  Besprechnng  der  IlinperRis 

auf  der  Trinkschale  des  Brygos  hatte  ich  das  Innen l)ilil 
nnberncksichtigt  crelawsen.    Auf  demselben  steht ,  durch  In- 
schritt  bezeichnet,  Brisein,  mit  einer  Kanne  in  der  halb  go- 
Uöb0.i.rhU.-phü.hisi.Cl.Bd.I.2.j  14 


208       Sitzung  der  philos.'piiüol.  Classe  vom  5.  Juni  I8d0, 

li()l)enen  Kechten,  die  Ijink«?  siniieiul  oder  nachdenkeiul  dem 
Gesichte  iiiiherud,  vor  einem  sitzeudeu  groiseu  Köuige,  der 
ihr  eine  Schale  entgegenstreckt,  um  sie  von  ihr  gefallt  zu 
erhalten.  Schild  und  Schwert  als  Ausfüllung  des  Raumes 
zwischen  den  Figuren  dienen  zur  Andeutung  eines  Innen- 
raumes und  weisen  auf  die  Icrir'gerische  Tüchtigkeit  des 
Köuigs  in  seinen  t'rüli<'ren  Jahren  hin.  (Gewiss  richtig  be- 
hauptet der  erste  Herausgeber,  flejdeinunn  (S.  '11),  das8 
hier  Niemand  anders  als  der  greise  Peleus  dargestellt  sein 
könne,  dem  Briseis,  bei  seinem  Anblick  yielletcht  in  sin- 
nender Erinnerung  an  den  za  früh  gestorbenen  herrlichen 
Sohn  befangen,  die  hingehaltene  Schale  fSllen  will.  Aber 
was  veranlasste  den  Maler,  gerade  dieses  Bild  in  das  Innere 
der  Schale  zu  setzen  V  Heydenianu  hat  gewiss  sorgfältig  den 
Nachrichten  der  Alten  über  die  späteren  Schicksale  der 
Briseis  nachgeforscht;  aber  auch  er  vermag  nichts  weiter 
beizubrmgen ,  als  dass  Neoptolemos,  der  Sohn  und  Erbe 
des  Achill,  sie  wie  eine  Mutter  ehrte.  Nicht  einmal ,  dass 
er  sie  nach  Beendigung  des  Krieges  mit  sich  in  seine  Hei- 
math führte,  wird  in  den  uns  erhaltenen  schriftlichen 
Qaellen  ausdrücklich  berichtet,  sondern  kann  nur  ab  selbst- 
verständlich angenommen  werden ;  und  noch  weniger  er^ 
iahren  wir  Von  besonderen  Ereignissen,  die  sich  etwa  zwischen 
ihr  und  dem  alten  Pelens  zugetragen.  Und  doch  wird  Nie- 
mand in  diesem  Zusaninienseiu  etwas  Auüiilliges  finden; 
auch  Heydemann  erklärt  es  für  gleichgültig,  ob  Brygos 
aus  bestimmten,  ihm  überlieferten  Sagen  geschöpft  habei 
da  jedenftdls  eine  innere  Berechtigung  für  die  Verbindang 
der  beiden  Gestalten  in  den  allgemeinen  Zügen  der  Sage 
gegeben  sei.  Je  mehr  wir  also  die  Selbstöndigkeit  des 
Künstlers  in  der  Wahl  und  Behandlung  seines  Bildes  aner- 
kennen, um  80  mehr  werden  wir  erwarten,  ja  sogar  von 
ihm  verlangen  dürfen,  dass  er  mit  der  Wahl  enien'  be- 
stimmten Gedanken  verband;  und  wir  dürfen  vermuthen. 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Troiaclie  Mi:scdlen. 


209 


^in  bei  der  Allgemeinheit  und  der  durchaus  typischen  lie- 
haudlüu^  der  iliirgestellteu,  fast  actiousloseu  Situation,  dieser 
Ge«lanke  io  einer  Beziehung  des  Innenl »Ildes  zu  den  Aussen- 
büdern  liegen  wird.   Das  bat  auch  Heydemann  gefühlt, 
ojid  er  sagt  deshalb:  „der  troische  Krieg  ist  langst  vorüber, 
die  Helden  sind  in  ihr  Vaterland  heimgekehrt;  die  Gefan- 
genen aber,  welche  der  Tod  verschont  hat ,  geniessen  die 
tcboue  Milde  dt.'r  Sieger;  dies  ist  der  Grundgedanke  des 
Innenbildes''.  Aber  weshalb  wählte  der  Künstler  zn  diesem 
Zweeke  die  Briseis?  Gerade  sie  dnrffce,  sofern  dieser  Ge- 
danke  ausgedrückt  werden  sollte,  nicht  mit  einer  der  nach 
der  Fannahnie  Ilions  als  Beute  verMieilten    Frauen,  einer 
Andrumache,  einer  Kassandra  auf  eine  Linie  gestellt  werden. 
Sie  lebte  mit  Achill  in  einem  thatsächlicheu  eheliclieu  Wr- 
haitniss,  man  möchte  sagen,  in  einer  Gewissensehe,  für 
welehe  eine  spätere  Legitimimng  in  Aussicht  gestellt  war 
(n.  19,  298).  Wenn  sie  also  Neoptolemos  mit  sieh  in  das 
j^TosRväterliche  Haus  fuhrt ,   so  ist  dort  ihre  Stellung  dem 
Wesen  nach  die  der  Wittwe  des  Achilles.  Neoptolemos 
aber,  obwohl  er  sie  wie  eine  Mutter  ehrt,  ist  doch  nicht 
ikr  dgen«:  Sohn;  ja  noch  mehr,  wir  dürfen  in  unserer 
Phaatasie  ergänzen,  dass  sie  auch  dieser  Stütze  bald  beraubt 
wurde,  da  Neoptolemos  noch  vor  Peleus  vom  Tode  ereilt 
wurde.    Peleus ,  der  Ueberleheude ,  ist  allerdings  der  Gatte 
der  ThetiA,  die  als  Unsterbliche  ihm  nicht  im  Tode  voran- 
gehen kann.    Aber  nachdem  der  aus  dieser  widerwillig  ein* 
gegangenen  Ehe  entsprossene  Sohn  dem  Schicksal  Ter&llen 
wir,  was  konnte  da  die  G5ttin  noch  an  den  greisen  Peleus 
fesM'lnV    Sie  ist,   wenigstens  vom  poetischen  Standpunkte 
aa>,  wieder  die  Unsterbliche,  die  Nereide.    So  bleibt  dem 
l:*ekus  uur  Hriseis,  die  Geliebte  des  Sohnes,  der  Briseis  nur 
PeUoi,  der  Vater  des  Geliebten.    Schon  so  betrachtet  ge- 
^       «imt  das  Bild  des  Brygos  einen  wehmüthigen  Inhalt.  Doch 

V^vnt  nodi  nicht  genug !   Die  HoÜnuug  auf  eine  freudige 
... 


Digitized  by  Google 


210       Sitzung  der  philos.-philol.  Cla^ise  vom  5.  Juni  1880. 

Zukunft  ist  der  Briseis  nicht  weniger  als  dem  Peleus  abge- 
schnitten. Um  so  enger  leben  sie  vereint  in  der  Erinnerung 
an  die  Vergangenheit.  Oft  mögen  beide  laut  geklagt  haben 
über  das  Schicksal  des  Sohnes,  des  Geliebten.  Aber  auch 
dieser  laute  Schmerz  wird  gemildert  durch  die  Zeit.  Von 
der  geliebten  Person  als  dem  Mittelpunkte  der  Erinnerung 
wendet  sich  die  Aufmerksamkeit  auf  weitere  Kreise  der  Um- 
gebung, auf  die  Folgen  der  früheren  GrosvSthaten ,  auf  das 
Ganze  des  Krieges,  in  dessen  Mittelpunkt  die  Persönlichkeit 
des  Achilles  stand.  So.  tritt  nun  Briseis  vor  Peleus  als 
liebevolle  Pflegerin  seines  Alters ;  sie  bietet  dem  Greise  einen 
stärkenden  Trunk  ;  aber  auch  Geist  und  Gemüth  soll  von 
Schmerz  and  Kummer  zwar  nicht  befreit,  aber  doch  er- 
leichtert werden,  und  darum  erzählt  Briseis  dem  Pe- 
leus die  Geschichte  von  Ilions  Untergang.  Was 
sie  erzählt  das  sehen  wir  in  dem  Ausseubilde  wirklich  dar- 
gestellt ;  und  da  Briseis  es  ist,  welche  es  schildert,  so  tritt 
zugleich  vor  unsere  Phantasie  die  Gestalt  des  Achilles,  der 
zwar  an  dem  Schlüsse  der  Katastrophe  nicht  selbst,  sondern 
nur  durch  seinen  Sohn  Theil  nahm,  aber  das  Ende  durch 
seine  früheren  Thateu  vorbereitet  hatte.  So  erweitert  sich 
die  Darstellung  der  Schale  des  Brygos  von  einer  Uiupersis 
zur  Idee  einer  ganzen  und  vollen  Ilias. 

Wenn  sich  der  Gedankeninhalt  des  Ganzen  in  einer  ein- 
zigen Zeile  zusammenfassen  lässt,  so  wird  sich  meiner  Deutung 
wenigstens  Einfachheit  nicht  absprechen  lassen.  Wie  ich  aber 
bei  der  Erklärung  der  Schale  des  Duris  mich  direct  auf  Pindar 
berief,  so  mag  es  mir  gestattet  sein  ,  bei  der  Iliupersis  des 
Brygos  die  Autorität  keines  Geringeren  als  des  Homer  selbst 
wenigstens  indirect  für  mich  in  Ansprach  zu  nehmen.  Mau 
preist  es  als  eine  der  sinnigsten  Erfindungen  des  Dichters, 
dass  beim  Mahle  der  Phäaken  im  achten  Gesänge  der  Odyssee 
die  Erzählung  von  Ilions  Fall  und  von  der  hervorragenden 
Betheiliguug  des  Odysseus  au  demselben  dem  Sänger  Demo- 


Brunn:  Dmtdie  Mtaedlen. 


211 


dokns  in  den  Mand  gelegt  wird.  Denn  indem  wir  wissen, 
dase  nnter  den  Hörem  Odyssens  selbst  sich  befindet,  ver« 
doppelt  sieb  nnsere  Theiluahme;  es  sind  nicht  mehr  fremde 
Ereignisse ,  von  denen  wir  hören ,  sondern  Ereignisse ,  an 
denen  wir  selbst  gewisserniasseii  persönlichen  Antbeil  baben, 
insofern  wir  die  Empindungen,  die  den  Odjssens  beim  An- 
hören dee  Gesanges  bewegen  mnssten,  nnwillkührlieh  anf 
ans  selbet  nberiragen.  In  verwandtem,  dnrehaus  homerischem 
Geiste  sind  die  Malereien  des  Brygos  erfunden.  Wir  sehen, 
oder  sagen  wir  einmal :  wir  vernehmen  die  Schilderung  von 
nions  Untergang.  Aber  indem  es  Briseis  ist,  von  der  die 
Erzählung  ausgeht,  nnd  Peleus  derjenige,  an  den  sie  ge- 
richtet ist,  Ternehmen  wir  nicht  nur  die  Thatsachen,  sondern 
wir  theilen  die  Empfindungen  derjenigen,  deren  eigenes 
Schicksal  mit  jenen  Thatsachen  auf  das  Engste  verknüpft  ist. 


L'ar  iburtheil  und  Apollons  Ankunft  iu  Delphi. 

Anf  den  beiden  zuletzt  betrachteten  Trinksehalen  waren 

e?  überall  troische  Seenen,  welche  durch  eine  poetisch-künst- 
lerische Idee  einheitlich  mit  einander  verbunden  wurden. 
Dass  zu  demselben  Zw^ke  aber  auch  Seenen  aus  verschie- 
denen Sagenkreisen  zusammengestellt  werden  konnte«,  lehrte 
s.  B.  die  S.  179  erwähnte  Trinkschale,  auf  der  zu  dem  Ringen 
des  Peleus  und  der  Thetis  und  zu  dem  Kampfe  des  Dio- 
medes  j?t*gen  Aphrodite  als  drittes  Bild  der  Kampf  des 
Herakles  ^egen  Ares  gesellt  war.  Hier  bedurlte  es  keiner 
langen  Erürterung^n ,  nm  den  allen  drei  Darstellungen  ge- 
meinschaftlichen einheitlichen  Grundgedanken  als  das  erfolg- 
reiehe  Kämpfen  dreier  Sterblicher  gegen  Unsterbliche  nach- 
zuweisen. Die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  lasst  sieh  viel- 
leicht nicht  besser  erproben,  als  wenn  wir  einmal  versuchen 
wollten,  au  die  Stelle  des  Aeneas  die  künstlerisch  so  gut 


212      SUMung  der  phäos.-phiM.  Clasae  wm  5.  Juni  1880, 

wie  ^loichwerthige  Sceue  der  Errettung  des  Paris  diKch 
Aphrodite  zn  seteen :  es  genügte  ja  fast,  aar  die  Inschriften 
sa  yertaasohen.  Allein  der  geistige  Zusanmieiihaiig  wäre 
gelöst.  Wenn  nun  auch  die  wechselseitigen  BenehuDgen 
nicht  immer  so  offen  darliegeu,  so  sind  «e  doch  daram  oft 
genug  nicht  weniger  vorhanden.  Unter  diesem  Gesichts- 
punkt möchte  ich  zum  Schlüsse  noch  eine  ausgezeichnete 
Vase  betrachten,  deren  zweites  Bild  ohnehin  seine  richtige 
ErklSrnng  noch  nicht  gefunden  zu  haben  scheint.  Es  ist 
dies  der  Krater  der  Petersburger  Eremitage,  der  von  Ste- 
phani  im  C.  R.  1861,  T.  3  und  4  pnblicirt  ist.  (Die  Vorder- 
seite ist  wiederholt  in  meinen  üebungsblättern  T.  lO**;  die 
Rückseite  in  den  Con/e'sclien,  Ser.  II,  T.  7  ;  letztere  ausser- 
dem in  der  A.  Z.  1866,  T.  211).  Die  Vorderseite  enthält 
das  durch  die  Gegenwart  von  Themis  und  Eris  ansgeaeich^ 
nete  Parisurtheil,  Aber  welches  ich  meine  Ansichten  in  den 
Sitzungsber.  1868,  S.  52  flf.  dargelegt  habe.  Auf  der  Rück- 
seite erblicken  wir  in  grösserer  Umgebung,  welche  auf  Delphi 
als  Local  hinweist,  Dionysos,  in  dessen  Rechte  Apollo 
jugendlich  und  halb  schüchtern  die  seinige  legt.  An  einen 
Zusammenhang  der  beiden  Bilder  dachte  allerdings  schon 
Stephani  und  er  fasst  das  Resultat  seiner  langen  Er5rte- 
rungen  S.  114  in  folgenden  SStzen  zusammen:  „Wir  haben 
oben  grellen ,  dass  sie  (Dionysos  und  Apollo)  hier  als 
O^iofiioi  oder  d^eo(Aoq6()oiy  als  Inhaber  des  delphischen  Orakels 
und  Repräsentanten  des  Antheils  gedacht  sind,  welchen  die 
Alten  diesem  für  alles  gottliche  Recht  maassgebenden  Orakel 
auch  an  dem  ürtheile  des  Paris  zuschrieben.  Demnach  er- 
«eheint  e.  mir  oUbnlmr  «.  «ei»,  d».  die  Mden  S5hi>e  des 
Zeus  durch  den  Handschlag,  durch  welchen  sie  sich  mit 
einander  verbinden ,  nichts  Anderes  als  ihre  Einigkeit  in 
Bezug  auf  den  eben  von  Paris  zu  fallenden  Urtheilsspruch 
bezeugen  wollen,  dass  sie  sich  dadurch  verpflichten,  auoh 
ihrer  Seite  dem  Ausspruche,  dass  Aphrodite  die  schönste 


Digitized  by  Google 


Bi  uHii:  Iromdie  MUcellcn,  213 

der  (lotfinuen  sei,  in  iler  «^esannnteii  lielleniscben  Welt  all- 
genj»'iiii'  Gültigkeit  zu  ver.schaöeii  niul  /u  erhalten/*  Allein 
die  in  den  letzten  Worten  aasgesprocheue  Auffassung  des 
PArisortheils  ist  bereits  früher  you  mir  abgewiesen  worden. 
Wenn  femer  aooh  Stephani  (S.  67)  einige  entfernte  Be- 
neliDn^en  des  delphischen  Orakels  zum  troischen  Kriege 
const.'itirt ,   so   fehlt   doch   in   denselben  jede  bestimmtere 
Hiüweisung  ebeu  auf  das  Parisurtheil.    Aber  selbst  wenn 
wir  eine  Beziehung  desselben  zu  Apollo  gelten  lassen  wollten, 
in  welchem  Verbäliniss  zn  dieser  Scene,  ja  überhaupt  znm 
troiiehen  Kriege  sollen  wir  uns  den  Dionysos  vorstellen? 
j*o  weit  es  sich  also  um  die  Ansicht  Stephanies  handelt, 
ist   Wenitjer    (im  Text  zur  Tafel  der  A.  Z. )  durchaus  im 
Recht,  wenn  er  eine  Beziehung  der  beiden  Bilder  auf  ein- 
ander in  Abrede  stellt.    Doch  scheint  mir  auch  Weniger 
die  Bedeutung  der  delphischen  Scene  nicht  richtig  erkannt 
n  haben.    Er  stellt  sich  hei  seiner  Erklärung  su  einseitig 
«nf  einen   r  e  1  i  g  i  ö  s  -  mythologischen  Staudpunkt,  dessen 
Berechtigung,   namentlich  bei  der  Erklärung  von  Vasen- 
bikiern,  in  neuerer  Zeit  auch  anderwärts  einer  mythologisch- 
poetischen  Betnchtungsweise  hat  weichen  müssen.  J eden - 
&Ib  haben  wir  Ton  dem  Bilde  selbst ,  Ton  der  im  Bilde 
dwgestellten    Handlung   auszugehen.     Hier   hat  nun 
Weniger  richtig  den  Charakter  jugendlicher  rifhiichternheit 
m  dem  Auftreten  des  Apollo  hervorgehoben.    Er  bemerkt 
ferner  richtig,  dass  Apollo  eben  angekommen  zu  sein  scheine. 
^nm  er  aber  dann  hinzufügt:  eine  freundliche  Begrüs- 
rouggscene  finde  statt ,  so  ist  damit  sen  wenig  gesagt  Die 
feierliche  Handreichung  bedeutet  mebr:  es  bedarf  nicht  der 
ganz. Ml  \fa«^e  des  von  Stephani  angehäuften  ,   aber  wenig 
gesichteten  Materials,  um  xu  bebaapien,  dass  hier  die  Hand- 
loehimg  eme  enge  Verein^iiiig,  das  Eingehen  eines  Ver- 
nwebeos,  ebes  Bfindnuses  beseiebnei.  Dionysos  hatte  die 
öipfcl  des  Pamasß  bert^it*  früher  in  Bewt*  gcnommeD;  er 


Digitized  by  Google 


214      Sitzung  der  phüasj'pkUol,  Claue  vom  5.  Jum  1860. 


steht  hier  umgeben  yon  seinem  Thiaeos,  der  bei  musika- 
lischer  Unterhaltung  der  Buhe  pflegt.  Da  erscheint  als 
Fremdling  ApoUo.    Es  wird  ihm  ein  Sitz  an  dieser  Stätte 

gewillirt :  durch  feierlichen  Vertrag  wird  er  Inhaber  des 
Orakels  in  Delphi  (Welcker  gr.  Götterl.  I,  430;  Eurip.  Iph. 
Taur.  1234;  Argum.  Pind.  Pyth.).  Dargestellt  ist  also  die 
Besitsergreifüng  des  delphischen  Orakels  durch  ApoUo  unter 
dem  Bilde  einer  Sfiovoia  (ygl.  Stephani  S.  86).  Den  Gegen- 
sähe  zu  Sftivoia  bildet  tndaig:  wrl  Si  rrivweg  ^  o/noXoyri- 
ocuTt  ofloroiai'  ^ilyioiov  ctyul^ov  urai  nokei ,  araoiv  de 
TtdvTwv  -Aaxwv  ahiav  (Lysias  or.  18,  17).  Eine  solche 
aTcrrr/c,  Ursache  der  grössteu  Uebel,  ist  der  Schönheitsstreit 
der  drei  Göttinnen,  den  auf  der  andern  Seite  der  Vase  Paris 
schlichton  soll. 

Gegen  die  Annahme  eines  solchen  Ideenzusammenhanges 
zwischen  den  beiden  Bildern  Hesse  sich  vielleicht  einwenden, 
dass  die  beiden  Begriffe,  nni  die  es  sich  handelt,  doch  gar 
zu  allgemeiner  Art  seien  und  dass  es  schwer  sei  einzusehen, 
weshalb  der  Kunstler  zu  ihrer  Verauschauliohung  gerade 
die  beiden  Scenen  ge?rShlt  habe,  die  mr  wirklich  darge- 
stellt sdien.  Aber  auch  darfiber  hat  uns  der  Kflnstler 
nicht  im  Unklaren  gelassen ,  sofern  wir  nur  unsere  Augen 
öffnen  wollen.  In  der  Umgebung  des  Dionysos  belinden 
sich  drei  Silene,  eine  Bacchantin  mit  dem  Tympanon,  eine 
zweite,  welche  für  Apollo  den  Sitz  bereitet,  ausserdem  aber 
noch  eine  dritte  weibliche  G^talt  gerade  hinter  Dionysos. 
Diese  jedoch  unterscheidet  sich  nicht  nur  von  den  beiden 
andern  durch  verschiedene  Bekränzun^^  durch  edlere  Be- 
kleidung und  den  Schmuck  der  Armbiiudcr,  somlern,  indem 
sie  in  nachdenklicher  Stellung  seitwärts  angelehnt  nach  der 
Mitte  sich  umblickt,  wendet  sie  der  Hauptsceue  eine  so 
scharfe  und  gespannte  Aufmerksamkeit  zu,  dass  sie,  obwohl 
ihrer  äusseren  Stellung  nach  dem  Dionysos  und  Apollon 
untergeordnet,  doch  fiir  die  tiefere  Motivirung  des  Ganzen 


Digitized  by  Google 


BnmM:  Twische  MiscelUn. 


216 


eioe  besondere  Bedeutung  haben  nram.  In  keinem  Falle 
also  darf  si»'  für  eine  gewöhuliche  Bacchantin  gehalten 
wenieii.  IKt  Kreis  aber,  in  welchem  wir  einen  anMem 
Namen  für  sie  zu  suchen  haben,  ist  ein  sehr  beschränkter. 
Fragen  wir  nur,  wer  anemr  Dionyaoe  in  Delphi  schon  an- 
wesend war,  ehe  Apollo  ankam,  so  tritt  nns  in  enier  Linie 
Tbemis  entgegen,  die  Inhaberin  des  Orakels  tot  der  Än- 
knntt  des  Apollo:  niemand  also  kann  näher  ab  sie  durch 
sein  Erscheinen  berührt  werden.  Bei  Aeschylus  (Enm.  4) 
heiest  es  allerdings,  daes  Themis  das  Orakel  (h'v  Phoibe 
Sbergiebi  nnd  erst  diese  es  wieder  dem  Apollo  nberlasst. 
In  solehen  Einaelnentwiekidnagsn  der  Sage  ist  die  Uebcr- 
liefernng  selten  eonseqnent;  nnd  wenn  bei  Bnripides  (Ipb. 
Tanr.  1259j  Gaea,  die  Mutter  der  Themis,  dem  Apollo 
zürnt ,  dass  ihrer  T^K^hter  die  Ehren  d**=  Orakeln  geraubt 
worden,  so  werden  wir  anch  diesem  ^lebenumslaode  eine 
geringe  fiedentauig  beilegen  gsgeaSbcr  der  HanpttliaNiche» 
da«  Apdlo  der  S^dilblgar  der  Tbons  in  MpU  ist  VgL 
anch  Aignm.  Find.  INrtk  5adi  delpUsefamr  ücMieieroag 
endlich,  die  un-  PausÄCia-  «X.  o.  6j  mitdieiH.  ü^M^lvam 
Themis  ihren  Antl^l  am  <>rakel  dem  ApolVj  aU  G**€hieDk. 
Im  Vasenbilde  nun  z«igt  Themis,  wie  beoKrkt,  eine 
spannte  Anftnerk— krit  aber  nidiia  vaiilb,  daai  sie  dnrdi 
die  Ankunft  dm  Apollo  etwn  kssumkis  ibsujeebt  w9gm, 
Naeh  ihrer  Rsrhei— ng  könnte  es  nicbi  mdbilm^  wmm 
UDS  irgendwo  berkbt-e?  w^tIt.  dö.*^*  '^i*:  i^YfM.  *U  S«rbfrin 
und  Prophetin  ä:^  A^xucft  :ir*?t  N^^  '-foi^^rf  Tf>riv>;;»^*a^rt 
oder  roraa.<'j«^vTif«t  hatte.    Wie  a.uth  sisn  mag:  die 

klbistlerisehen  Hodre  dm  Geaoalii«  erkÜiw  sack  gswim 
am  besten  imfA  die  Asnalme.  dms  xwnr  al*  im  AsigOH 
bück  handsU  Dicmme  nxid  Ayj.jy  im  Voidapustde  sUfbea, 
dass  aber  an  ^^-  i  lrxs^r  «»'S  V*rj:.t ' :  f uiij;  c*t  '/»'j^k^.  ^'^ 
Fäden,  welch*-  ua  '-.•*ji**t  Hau..c. •s'ir  ft-r*"—  7'i**«u>  *f-:üßf-L  -j^r- 
vorragendem,  wcsn  mmaA  mm  ^aamimäim/öm  äüüM  htL 


216       SiUumj  der  pMott.-phUul.  CUme  cum  ö.  Juni  lööO. 

ünd  nnn  wenden  wir  nns  zurdck  sn  dem  Bilde  der 

({e^«'iiNeite !  Da  erblicken  wir,  tlas  einzige  Mal  auf  den  so 
zalilreichen  Darstellungen  des  Parisurtheils,  im  Uinkerg runde 
<]rr  Scene  Tbemis  in  Berathnng  mit  Eris ,  nicht  nach  dem 
Wortlaute,  aber  durcbaos  in  dem  Sinne  jenes  berfibrnten 
Einganges  der  Kyprien,  in  dem  Zens,  um  die  Erde  von  der 
üeberlast  der  8terblicfaen  %n  erleicbtern,  sich  mit  Tbemis 
über  den  troir^chen  Krieg  heräth  Auch  hier  steht  Themis 
uicbt  im  Vordergrunde  der  besonderen,  äusseren  Handlung; 
um  80  deutlicher  aber  tritt  sie  hervor  als  geistige  Lenki^nn, 
wenn  es  auch  durch  die  Gegenwart  des  Zeus  ausgesprochen 
i^t,  dass  sie  nicht  nach  dgenem  Gutdünken,  sondern  nach 
dem  Willen  eines  höheren  Herrschers  thätig  ist. 

80  erscheint  die  Gestalt  der  Tbemis  in  beiden  Bildern 
als  ein  durchaus  gleicliwertbiger  Factor ;  und  der  Gegensatz 
von  Streit  und  friedlicher  Vereinigung ,  den  wir  zuerst  in 
der  äusseren  Handlung  erkannten,  wird  jetat  wieder  durch 
das  Eintreten  der  Tbemis  zu  einer  inneren,  ideellen  Einheit 
verbunden.  Denn  mag  sie  nun  hier  ,,die  grosse  Eris  des 
troiscben  Krieges''  auf  die  Erde  schleudern,  oder  dort  bei 
der  Aufnahme  des  Apollo  in  Delphi  gewisserniassen  eiu 
ethisches  Centrum  für  das  gesanmite  Helleneuthum  begründen 
helfen,  immer  ist  es  nur  das  Walten  der  ewigen  Weltge> 
setse,  einer  höheren  Weltordnung ,  deren  Erkenntniss  sie 
auch  zur  Seherin  macht,  welches  in  diesem  ihrem  doppelten 
Wirken  zum  sprechenden  Ausdrucke  gelangt. 


Digitized  by  Google 


YeneieliniM  der  eingeUufenen  Bfichergeflehenke. 


Vom  kirchUch-huUtruchen  Verein  in  Freiburg  i.  Br.: 
Frtibarger  Diöeflsan-ArehiT.    Bd.  13.    1880.  8^ 

Von  der  mührisch-schhsischrn  Orsellschafl  zur  Beförderung  des 


Katalog  der  Bibliothek  des  Fnineiis-Miiseimis.  *  2  TUe.  1868 
bis  1879.  8". 

Vom  kularitdkem  Verem  im  GaSUn: 

a.  ürkündenbnch  der  khim  St.  Gallen.    Theil  IIL    Lief.  6 
und  7  hsg.  v.  H.  Warimaim.     1'579-  4*. 

b.  I' a<  hini  v.  Watt  (VadUn)  deulbcbe  bwtflviadie  Maiitm, 
Bd.  lU.    1879.  gr.  h\ 

Fom  FerM«  /är  6eM*ieAfe  Ar  XMkAmi  im  Bükmm  tu  Jhrag: 

a.  Miltheilimgen.   Jahrg.  XVII  u:A  XWIL    yrlh    "»'i  H*. 

b.  17.  Jahwabcridit  t  d.  J-  1-7^5— 7X    1^57%  ij*. 

c.  Die  Chronik  der  Stadt  EIVbfw  mil  —  l^Mf  ^'m  U 
Schleongv.  1%79. 


AckerltGucs  in  Brünn: 


Tm  Ar  Muimuf  m  MUU: 
Memoures.   Aue«         11-77-^7^.  1^:71^. 


218  Fümendungen  van  DmckMitnfteH. 

Vom  hisiariachm  Verein  ßr  St&ermark  in  Gtom: 

Uikundenbuch    des    Herzogthums   Steiermark    bearbeitet  von 
J.  V.  Zahn.    Bd.  U.    1Ö79.  8^ 

Vm  der  h,  Gesellschaft  der  Wiseensehaßen  in  Qöttingen: 
Abhandhmgen.    Bd.  25.  1S79.    1879.  4^ 

Vom  Verein  für  iMmUurgiscitc  GesclUdUe  in  Mamburg: 
MiHheUnngen.  1880.    1880.  8®. 

Vom  BenedikHneretift  ».  BomfoB  Mer: 

Die  Schriftsteller  de«  Beuediktinerordens  in  Bayern  von  Aug. 
Lindner.    2  Bde.    ßegensburg  1880.  8^. 

Vom  Verein  für  GeschicMc  und  Naturgeschichte  der  Baar  in 

JOonaueachingen  : 

Schrifteii.   Heft  3.    1880.   Tttbmgen  1880.  8^. 

Von  der  süäelavisclien  Akademie  der  WtsscnscJuiftcn  */»  Agram: 

a.  Rad.    Bd.  49.    1879.  8*. 

b.  Sterine.   Bd.  11.    1879.  8*». 

Von  der  Aeodhme  impMaU  des  ecienee»  in  8L  JPeter^mrg: 
Bulletin.    Tom.  XXVI.    1880.  4^ 

Von  der  Section  kietoriqne  de  V Institut  B/Oj/aü  Grand- Ducal  in 

Luxembourg : 

Pnblications.    Ann^e  1879  Tom.  33.    1879.  8^ 

Von  der  üociete  d'histoire  de  la  Suisse  romande  in  Lausanne: 
M^moiree  ei  DocnmentB.   Tom.  32.    1880.  8^. 

Von  der  American  oriental  Sodetp  in  New-Ha^en: 

Proceedings  1878—79.    1879.  8". 


Digitized  by  GoogI( 


£msendungen  von  Druckschriften.  219 

Von  der  lioyal  Asiatic  Society  in  Lotidon: 
The  Jotunal.  XII,  1.    1879—80.  8^ 

FoM  der  ERsfoHseh  GenotAachap  m  ülireekt: 
Bijdragen  en  Mededeelingea.    Deel  III.    I8ö0.  6^. 

Ton  der  AcadMe  Boyale  des  sdeneea  in  Brüssel: 
Aoniiaire.    40*=  unnüe  18ö0.    1880.  8^ 

Van  der  archäoloyisciten  Gesellschaft  in  AÜten: 
k^rauw.  Tom.  i/  e\    1880.  8^ 

V&n  der  SmiUmman  InsiUiUkm  in  Wat^nyUm: 

Introduction   to   the   Study  of  Sign  Laaguage,  by  Garrick 
Mallery.    1880.  4^. 

Van  der  UniversUiH  in  Upsala: 

UpiUila    Universitets     t'yrahundra&rs    Jubeltest.     Sept.  1877. 
Stockholm.    1679.  8°. 

Von  der  lieai  AcademUi  de  la  Hisioriu  in  Madrid: 
Bdetin.   Tomo  I  cnad  5.    1879.  8^ 

F<m  der  BOtlioteea  naci&näl  in  Bio  de  Janeiro: 
Anna«.   VoL  I— VI.    1876—79.  8*. 

« 

Von  der  UniversiU  caihcUque  in  Louwiin: 

a.  Revue  eathulique.    Tom.  21.  und  22-     1879.  b". 

b.  Aanuaire.    43"  anuee  1879.    1879.  8". 

Von  der  Ästor  Library  in  New-Yorh: 
31.  tnnnal  Report  for  the  year  1879.    Albany  1880.  8®. 


220  Eintendmgen  von  JDntckaeiirißen. 

Vom  Herrn  Alexander  Comte  in  Berlm : 

a.  Peiyaraon.     1S,S().  S^. 

b.  Archiiologisclie  Untersuchungen  auf  Samothrake.    Hd.  2. 
Wien  1880.  i'oiio. 

Vom  Herrn  Wük,  Heyd  in  StuUgart: 

a.  Geschichte  des  Leyantehandels  im  Mittelalter.    Eine  freie 
Anzeige.    München.    1880.  8*^. 

b.  lieber  die  angeblichen  Münzprägungen  der  Yenetianer  in 
Aocon,  Tyrus  und  Tripolis.    1879.  ö". 

Vom  Herrn  Carl  EUter  v.  Mayerfels  in  M-MeerOurg  am 

Bodeneee: 

Der  Wittelsbacher  Stamm-,  Haus-  nnd  Geschlechtswappen. 
Konstanz  1880.  8^. 

Vom  Herrn  JJfired  v.  Beumont  in  BwrUeheid: 

König  (iu.-tav  III.  von  Schweden  in  Aachen  178U  und  1701. 
Aachen  1880.  8^ 

Vom  Herrn  Constanim  v.  Höfler  in  Jh  ag: 

Abhandlangen  aus  dem  Gebiete  der  slayischen  Geschichte.  I. 
n.  m.  Wien  1879—80.  8»- 

Vom  Herrn  J.  F.  J,  B(ker  in  Lissabon: 
Supplemento  &  collec^äo  dos  tratados  elc.  Tom  21.  1879. 

Vom  Herrn  H,  Girard  in  Paris: 
La  Philosophie  scientifique.    18ÖC).  8". 


Digitized  by  Google 


Sitzimgsberichte 

der 

köDigL  bayen  Akademie  der  WisseDSchaften. 

Piiiiotiophiäch-philologiäche  Classe. 
Sttiang  Tom  5.  Juni  1880. 

Herr  v.  Christ  hielt  einen  Vortrag  über: 

„Die  Wiederholungen  gleicher  aud  ähu- 
licher  Verse  in  der  Ilias/^ 

Die  thuikleu  l'iaiie  der  Untersuchung  über  den  Urt^prung 
uud  das  allmähliche  Wachstum  der  homerischen  Gedichte 
erhalten  von  keiner  Seite  mehr  Licht  als  Ton  der  Beobacht- 
ong  gleieher  Verse  nnd  ähnlicher  Soenen.  Solche  wieder- 
kehrende Stellen  haben  sn  aller  Zeit,  seitdem  man  sich 
Oberhaupt  eingehender  mit  den  Dichtungen  Homers  be- 
schiift.igte,  ihre  Beachtung  gefunden,  wenn  auch  von  ver- 
schiedeneu Gesichtspunkten  ans.  Die  alexandrinischen  Ge- 
lehrten berührte  mehr  die  kritische  Seite  der  Sache,  indem 
an  Tielen  Stellen  die  wiederholten  Verse  so  schlecht  in 
den  Znsammenhang  zn  passen  schienen,  dass  sie  den  Ver- 
dacht der  Entlehnung  uud  spateren  Zufüguug  wach  riefen. 
Die  neueren  Forscher  beschäftigte  nielir  die  literarische  und 
ä.<<thetische  Krage  nach  Original  und  Kopie,  da  jeder  durch 
öftere  Wiederholung  snr  formelhaften  Phrase  gewordene 
Vers  an  einer  Stelle  ursprünglich  nnd  dort  ganz  passend 
[1880. 1.  Phii-pbO.  Mit  Cl.  Bd.  1. 3.]  15 


Digitized  by  Google 


222       Sitzung  der  pküos.-philol.  Clasae  i)om  5.  JutU  1880. 

und  angemessen  gewesen  sein  nniss,  Partien  hingegen,  in 
denen  formelhaft  wiederholte  Verse  gehäuft  sind,  den  ko* 
pierenden  und  nachahmenden  Dichter  Terraten.  Anaeerdem 
verdient  aneh  fAr.die  firklfirnng  einzelner  Stellen  die  Frage 
nach  der  Wiederhohing  des  Verses  oder  der  Phrase  sorg^ 
same  Beachtung.  Denn  an  der  Originalstelle  ist  man  he-' 
rechtigt  jede*?  Wörtchen  auf  die  Goldwage  zu  legen,  an 
den  nachgeahmten  Stellen  darf  man  selbst  in  Ilias  und 
Odyssee  vor  der  Annahme  einer  formelhaften  ^  halb  ge- 
dankenlosen Phrase  nicht  znrackschrecken. 

Die  Wichtigkeit  der  Sache  f&hrte  denn  anch  in  nnserer 
Zeit  zu  einem  eingehenden  Studium  derselben  und  zunächst 
zu  einer  sorgfiiltigeu  Zusamnienstellnng  des  Materials. 
LnschingtoD  Pr  ender  gast  hat  nach  dem  Vorbild 
der  biblischen  C!onoordanzen  eine  Ooncordanoe  of  the  Ilias 
a.  1875  geschrieben  0 ;  I  m  m«  Bekker  hat  in  seiner 
Bonner  Homeransgabe  J.  1868  die  wiederholten  Verse 
und  Halbverse  im  Commentar  sämmtlich  verzeichnet,  dabei 
aber  leider  nur  rückwärts,  nicht  auch  vorwärts  verwiesen ; 
unter  den  neueren  Herausgebern  haben  sich  besonders  Ameis 
nnd  La  Roche  die  dankenswerte  Mühe  gegeben  mit 
peinlicher  Genauigkeit  vorwärts  nnd  rfickwarts  die  fiberein- 
stimmenden Verse  nnd  Wendungen  anzumerken.  Das  lelatere 
Verfahren  ist  deshalb  das  allein  zweckmässige,  weil  es  ja 
bei  Homer  von  vornherein  gar  nicht  feststeht,  ob  der  an 
späterer  Stelle  eingegliederte  Gesang  wirklich  auch  der  Ent> 
stehung  nach  der  jfingere  und  nicht  viehnehr  umgekehrt 
der  ältere  und  originellere  ist. 

Ich  selbst  habe  in  dieser  Abhandlung  die  Wiederhol- 
ungen lediglich  auf  die  Frage  hin  untersucht,  wo  das  Ori- 
ginal und  wo  die  Nachbildung  zu  erkennen  sei.  Auch  von 
dieser  Seite  ist  die  Frage  schon  behandelt  worden,  aber 

1)  leh  habe  das  Bach  leider  nicht  selbft  n  G«sieht  bekenunco, 
sendeni  nur  durch  sweito  Hand  Kenntais  tob  demielbflD  erhalten. 


Digitized  by  Google 


* 


r.  Ouritl:  Wiederholungen  gteidt/er  «.  «ftnl.  Vene  in  der  Iliae.  223 

nicht  in  znsammenhäDgender  and  selbitandiger  Weise, 
mdern  lediglich  sii  dem  Zwecke,  um  das  Verhältnis  eines 
Gesanges  sn  einem  andern  fesbrastellen.^)    Ja  ich  wage 

sogar  zn  behaupten ,  dass  Lachmann  nnd  Köchly,  die 
vorzugsweise  auf  diesen  Punkt  ihre  Aufmerksamkeit  richteten, 
nicht  in  einer  so  viel  Widerspruch  herausfordernden  Weise 
die  homerische  Frage  verwickelt  hätten,  wenn  sie  nnab- 
hingig  Ton  ihrer  anf  anderer  Gmndlage  gewonnenen  Lieder- 
theorie das  Verhältnis  der  übereinstimmenden  Verse  sn 
einander  nntersneht  hüten.  Ich  'werde  natürlich  nicht 
leugnen,  dass  auch  mir  bei  diesen  Untersuchungen  die  Klär- 
ung der  homerischen  Frage  als  fernes  Ziel  vorschwebte; 
aber  ich  kann  mir  doch  das  Zeugnis  geben,  dass  ich  mit 
▼oller  Unbefangenheit  an  die  Vergleichung  der  Stellen  heran- 
getreten bin  nnd  mich  Torerst  mhig  yon  dem  Strome 
tragen  liess.  Im  Gegensatz  indes  sn  meiner  früheren  Ab- 
handlung über  die  Interpolationen  bei  Homer  vom  metrischen 
uud  sprachlichen  Gesichtspunkte  (ötzb.  v.  J.  1879  Bd.  I 
Heft  2)  habe  ich  mich  dieses  Mal  auf  die  Ilias  ausschliess- 
lich beschränkt;  die  Odyssee  wird  hoffentlich  einer  meiner 
jnngen  B^rennde,  angexogen  dnrch  die  von  unserer  Fakultät 
io  diesem  Jahre  gestellte  Preisauigabe,  nach  den  gleichen 
Gesichtspunkten  durcharbeiten. 

Schon  an  und  für  sich  hat  die  Wiederholung  der 
gleichen  Verse  nnd  Wendungen  etwas  Autfülligea;  sie 
sieht  aus  wie  ein  Plagiat,  was  freilich  in  einer  Zeit,  wo 

1)  Gsoi  in  omerein  Sinne  hat  einen  Teil  der  Frage,  das  Verhältnis 
der  Odyssee  sor  Ilias  betreffend,  H.  Düutzpr  behandelt  in  dem  Aufsatz, 
die  liedeatnng  der  Wiederholungen  für  die  homerische  Kritik  in  Jahrb. 
f.  Phil.  1H(>M  S.  72U  ff.,  jetzt  Homerische  Abhandlungen  S.  4U  ff.  In 
grösserem  Umfanj^e,  aber  in  unitarischem  Geiste  ist  die  Frage  besprochen 
Ton  (J.  W.  Nitzsch,  die  Sagenpoesie  der  Griechen  S.  150  und 
Beiträge  i.  (iesch.  <1.  epischen  Poesie  S.  325  -7.  Speziell  das  24.  Buch 
der  Ilias  hat  mit  Bezug  auf  unsere  Frage  imtersucbt  Peppmüller 
in  seinem  Commentar  p.  XYII  sqq. 

15* 


Digitized  by  Google 


I 


224       Sitzung  der  philosrphUoL  Classe  votn  5.  Juni  18b0\ 

noch  nicht  der  einzelne  Dichter  eifersüchtig  über  sein 
Eigentum  wachte,  wenig  zu  bedeuten  hatte;  sie  sieht  aber 
auch  aus  wie  ein  Armutszeagnts,  indem  der  Dichter  der 
genialen  Schöpferkraft  Neues  zu  gestalten  entbehrt  so  haben 
und  deshalb  an  bereits  Gesagtem  snrOckgekehrt  an  sem 
scheint.  Die  Aesthetiker  wissen  sich  zu  helfen ,  indem  sie 
diese  \V  iederhnhingen  für  eine  chanikteristische  Eigenschaft 
der  epischen  Poesie  erklären  und  ans  dem  Wesen  dersell}en 
abzuleiten  suchen.  In  anschaulicher  Weise,  sagen  sie,  lässt 
der  epische  Dichter  die  Handlung  Schritt  för  Schritt  an 
unseres  Geistes  Ange  ▼ornberziehen  und  lasst,  wenn  ein 
zweiter  Held  vom  feindlichen  Speere  getroffen  danieder- 
sinkt, zum  zweiten  Mal  auch  die  Rüstung  am  Leibe  des 
fallenden  Helden  erklirren,  ohne  nach  des  Dramatikers  mler 
Redners  Art  die  beiden  zeitlich  anseinanderliegenden  Hand- 
lungen in  einem  Satze  znsammenznfassen.  Gewiss  ist  daran 
etwas  Richtiges,  gewiss  reicht  der  Hinweis  auf  die  epische 
Objektivität  und  auf  die  thatsächliche  Wiederkehr  gleicher 
Handlungen  vollkommen  aus»  um  die  Wiederholung  ein- 
zelner Verse,  wie 

dovrctjOtv  di  TrsaaV,  ddaßt^aa  di  rev^s*  iu*  aät^ 

oder 

iy  T*  oQa  foi  (fv  x^iQ^  fi^tog  t*  ^qxtc*  Ix  ovofÄO^ep 
zu  erklären.  Aber  wenn  nicht  ein  einzelner  Vers  oder  eine 
kleine  Satzwendung  wiederholt  wird,  sondern  eine  ganze 
Gruppe  von  Versen,  oder  wenn  da,  wo  eine  andere  Fassung 
und  namentlich  ein  anderer  Vergleich  möglich  war,  die- 
selben Worte  in  eintöniger  Weise  wiederkehren,  wird  man 
sich  nicht  bei  dem  Hinweis  auf  die  epische  Treue  der 
Erzählung  beruhigen  dürfen.  So  schön  auch  der  Vergleich 
des  zum  Kampfe  eilenden  Kriegers  mit  dem  edlen  Rosse 
ist,  das  das  fesselnde  Baud  abgerissen  hat  und  mutig  durch 
die  Ebene  hinstürmt,  so  muss  es  uns  doch  befremden,  dass 
der  gleiche,  durch  6  Verse  fortgesponnene  Vergleich  an 


Digitized  by  Google 


r.  Christ:  Wiederholungen  gleicher  u.  ähni,  Verse  in  der  Ilias.  225 

twei  Stellen  desselben  Gedichtes  (Z  506—11  =  O  263—8) 
wiederkehrt.')  Auch  wird  jedermann  zogeben,  dass  es  des 
Guten  zu  viel  ist  ,  wenn  die  Achäer  von  Agamenmou  drei 
Mal  (B  111-8,  /  18-25,  H  65  -81)  und  zum  Teil  mit 
denselben  Worten  auf  die  Probe  gevStellt  werden,  und  dass 
es  ans  besser  gef&llt,  wenn  derDiehter  bei  der  Schilderang 
▼on  der  Rüstung  des  Agamemnon  16 — 45)  und  Achilles 
(T  369  — -Gl)  zum  Teil  wenigstens  neue  Farben  wählt,  als 
wenn  er,  wie  bei  dem  Anlegen  der  Watfen  des  l^itroklos 
(H  131—9),  die  ganz  gleichen  Verse  wie  in  T  330— 8  ge- 
braucht. Noch  befremdender  ist  es,  wenn  die  eschene 
Lanze  des  Achilles  zwei  Mal  (il  141—4  =  T  388—91) 
und  zwar  mit  ganz  denselben  Worten  beschrieben  wird,') 
oder  wenn  wir  gar  dieselbe  Notiz,  wie  die  von  der  Her- 
kunft des  Medon  zwei  Mal  (O  333-6  N  694  —  7)  vor- 
gesetzt erhalten.  Und  ist  es  nicht  läppisch  und  ein  Zeichen 
Ton  Unbeholfenheit,  wenn  in  ganz  kurzen  Zwischenräumen 
dieselbe  Uebergangsformel  wiederkehrt,  wie  das  ei  oq* 
o|i'  vörjife  in  O  91  und  132*),  oder  wenn  in  demselben  Ge- 
sang (  Y  200—2  =  431—3)  der  ohnehin  etwas  triviale  Ge- 
danke 

Ihjleidrj  ^n]  dil  fte  fLreooi      vt^jiVTiOv  ojg 
elTteo  deidi^toi^at,  f.rd  aatpa  fOtda  mal  ctikog 
iqfiip  Mi^Ofiias  ^d*  atcvla  fiv^aaa&ai 
zwei  Blal,  Ton  Aineias  und  Hektor,  ausgesprochen  wird^ 

1)  Dea  liutots  der  Wiaderholiuig  dnes  tweiten  weit  mgmftmmm 
Tcrglflidis,  obendrein  in  iwei  usba  stehenden  Geftingen  N  38S^  -ff:*  m 
B  482—6  hat  Köclily  dnreh  Ausscheidong  der  letzten ,  sscL  mm^ 
vMmgen  Stelle  beseitigt.   Es  bleibt  noch  vi  r.r.O   5  ~  P 

2)  Ein  ähnliches  Beispiel  von  aafTälli^ster  Wiederb<^Uiaf  kuMkr 
0.]T<i<$ee  mit  der  doppelten  Beschreibung  des  Misclikrngf  4  Hl .  - 
e  113—0;  s.  Hermann,  de  itentit  apnd  H<>m.  Opusc.  Vü'  i 

Weniger  anstöesig.  wenn  aneh  gerade  nicht  »cMa  jr  u.  ^ 
Wieierholang  eines  erlinierndeo  Venee  in  £  316  f.  »4;^ 


Digitized  by  Google 


226     aUMumg  dar  pkOoB.'fhiUil  (nasse  vorn  5.  Jwm  1880. 


Solchen  Wiederholangen  gegenüber  genfigt  nicht  die 
Entsehnldigung  der  epischen  Objektivität;  hier  maes  man 
teils  com  Seeiermeeser  greifeu,  wie  ich  nnbedenklieh  in 

0  333 —  8  thue ,  wo  die  Erwähnuog  der  a^euischen  Bu- 
koliden  uns  auf  den  Ursprang  der  Interpolation  deutlich 
hinweist,  teils  muss  man  sich  nach  anderen  Erklärungs- 
gründen  nmschanen.  Einen  hauptsächlichen  Erklämnge- 
gmnd  finde  ich  aber  mit  G.  Hermann,  der  zuerst  in 
seiner  Abhandlnng,  De  iteratis  aped  Homernm  (Opnse. 
VIII,  15  ff.)  diesen  l^unkt  eingehender  beleuchtet  hat, 
in  der  Vortragsweise  der  homerischen  Lieder;  hinter- 
einauder  hat  selbst  in  später  Zeit  nur  selten  eine  Ver- 
sammlnng  alle  Gesänge  der  llias  gehört;  in  alterer  Zeit, 
selbst  als  schon  die  poetische  Kraft  über  die  Periode  des 
epischen  Liedes  hinausgegangen  war  und  mehrere  Lieder 
zu  einem  epischen  Gedicht  zusauinienzuweben  begonnen 
hatte,  wurden  immer  nur  einzelne  Rhapsodien  oder  kleinere 
Cyklen  von  Gesängen  vorgetragen.  Nie  oder  doch  nur 
änsserst  selten  mochte  es  in  der  Zeit  des  epischen  Heklen- 
gesanges  Torkommen,  dass  neben  den  "O^ta  nnd  der  sich 
daran  anschliessenden  Jtofii^deia  (PJE)  anch*  noch  die 
yiqiaieia  ^ya^ifivovO(;  [yt)  oder  neben  dem  Mauer-  und 
Schiffskampf  (M  N  S  O^)  auch  noch  die  IlaTQoxleta  (0' 
n  F  zum  Vortrag  kam.  Es  darf  daher  weniger  An- 
stoss  erregen,  wenn  Eampfesscenen  nnd  Gleichnisse,  welche 
sich  in  den  Gesängen  T— H  finden ,  in  ^  oder  in  A — 0 
wiederkehren,  oder  wenn  Verse  nnd  selbst  mehrere  Verss 
der  Patrokleia  und  Achilleis  au  bekannte  Stellen  der  älteren  » 
Gesangsgruppen  anklingen.  Umgekehrt  gab  es  Schilder- 
ungen Ton  Kampfesmnt  und  Kampfesnot,  die  so  sehr  ge- 

1)  Mit  dem  in  O  31^  erwähnten  Athener  BoixoUStj^  hängt 

wohl  (Ifts  sogenannte  BoixoXfloy  in  Athen  zusammen.  Ben  ick en  in 
Jahrb.  f.  Phil.  CXV,  III  bat  umgekehrt  die  Verse  in  A  zq  verdioli- 
tigen  gesacht, 


t)igitized  by  Google 


t 


r.  Chrial:  WiedeHuiungen  ^ekkir  u,  ähtU.  Vene  m  der  BUu.  227 

fieleo,  da»  man  sie  gerne  wieder  bei  anderer  Gelegenheit 
und  in  anderer  ümgebong  Tortragen  hörte.  Daim  stimmt 
«  sehr  gut,  dass  thatsächlich  auch  in  dem  alten  Kern  der 
Ilias  innerhalb  derselben  Gesänge  und  Gesangesgruppen  sich 
meist  nur  einzelne  Verse  und  iialbverse  wiederholt  finden, 
die  grösseren  Wiederholungen  aber  sieh  auf  di^  Terachie- 
denen  Cyklen  yerteilen.  So  kommen  s.  B.  von  längeren 
Furtieo  des  Gesanges  Z  folgende  wieder  in  den  Sehilder- 
migen  des  dritten  Schlachttages  vor:  Z46-5Ü  =  uil31 — 5, 
Z  73  —  4  =  P  319—20.  Z  103—6  =  ^  211-4,  Z207— 8 
=  ^  783—4,  Z  506—11  =  0  263-8,  und  entsprechen 
sieh  die  beiden  gleichmassig  durch  Alter  und  originelle 
Kraft  auifgeseiehneten  Aristeiai  in  folgenden  grösseren  Vers- 
gnippen  B  40-2  =  ^  447—9,  E  309-10  =  855-6, 
£4'J4— 7  -^211-4,  £652—4  =  ^  443—5,  /i  739— 42 
=  ^  36—7. 

Bei  den  Wiederholungen  dieser  Art  ist  es  meistens 
sehr  schwer  an  sagen,  an  welcher  der  zwei  oder  drei  Stellen 
die  Verse  besser  angebracht  seien.  Denn  die  filteren  Par- 
tien der  Ufas  sind  so  geschickt  entworfen,  dass,  wenn  sich 

Verse  wiederholen ,  sie  jedesmal  gleichgut  in  die  Situation 
pa-osen,  oder  durch  kleine  Modiiikationen  erst  recht  gut  den 
feräuderten  Umständen  angepasst  sind.^)  Ein  belehrendes 
Beispiel  der  lefcaten  Art  bieten  die  Verse  E  652—4  = 
ji  443—  5,  anf  die  wir  weiter  unten  eingehender  an  sprechen 
kommen  werden.  Verschieden  daron  sind  diejenigen  Wieder- 
holmigeu ,  welche  ganz  offenbar  in  der  Nachahmung  einer 
Originalstelle  bestehen.    Vorzüglich  sind  es  die  Rhapsodien 


I)  Auch  zwei  junge  fliaingfi  K  and  ü  haben  mehrere,  ton  Pepp- 
müller  p.  XXYII  sqn.  znsaromengestellte  Verse  mit  einander  gemein, 
(▼gl  beronders  *:  83  und  1^6  =  Si  363,  k  III  =  i2  70,  K  384 
und  405  =  ü  380  und  H56),  die  kber  an  beiden  Stellen  so  gut  panen, 
d&A8  man  eher  an  den  gleichen,  sich  selbst  wiederbolnden  S&ngw  aU 
an  Ongisaldiehtor  nad  Nacbsluner  dsnksn  mOehte. 


Digitized  by  Google 


228      SUjsung  der  tMosrfhüol,  dimt  wm  5,  Jufd  1880. 

B  T  Yy  welche  an  derartigen  Nachahmangen  reich  sind; 
aber  auch  andere  GeaSnge  der  Aohilleis  and  Pairokleia  and 
selbst  einige  filtere  Ehapimdien  bieten  vereinzelte  Beispiele 

solcher  Kopien.  Es  ist  teils  die  grammatische  Form,  teils 
die  Umgebung,  teils  die  Veräuderuug  eines  einzeluen  Wortes, 
welche  die  Kopie  verrät  und  znr  Auffindung  des  Originals 
führt  Auf  den  nächsten  Blättern  wollen  wir  sanädiBt  die 
hauptsächlichsten  Beispiele  dieser  Tersehiedenen  Arten  von 
Naehahmnng  kennen  lernen. 

Nachahm  uugenmitgrammaiischeu  Anständen, 
ö  538-41 

et  yccQ  iyiov  mg 
uipf  ai^avctrog  xoc  ay^^tag  r^fictra  nana^ 
ttoifur^v  i*  nig  rier^  liS-t^vai^  nai  j^ftoXkuiv, 

(og  vt  v  TiiuiQrj  r^de  xcrxo»'  q^iQEi  ^^Qyeioiaiv. 

Das  Pronomen  ^'de  muss  hier  ge^en  alle  Grammatik 
von  dem  nachfolgenden  Tage  verstunden  werden ;  in  der 
Stelle,  welche  der  unserigen  zum  Vorbild  diente,  iV  825— 8, 
bezieht  sich  das  ^f*i^  ijÖB  der  Regel  entsprechend  auf  den 
gegenwärtigen  Tag. 

P  453-5 

Irl  yoQ  atpiai  xvdog  o^ffoi 
■AteivBiVj  Big  o  xc  y^ag  HOtJ^'AfWig  dcflxijtaif 
SvT]  T*  ijtXiog  xai  tVf  /.rtqug  tEQOv  tk^ij. 
Die  Stelle  stimmt  mit      192 — 4  überein,  nur  dass  es 
dort  im  Eingang  mit  einer  kleinen  Modifikation  heisst 
tote  foi  xifdtog  iyyvallSm,   Aber  während  in      das  Pro- 
nomen foi  seine  vollständige  Erklärung  hat,  müssen  in  P 
unter  a(plai  die  Troer  verstanden  werden,  obwohl  unmittel- 
l^ar  zuvor  von  den  Pferden  des  Achill   die  Rede  ist  und 
anch  in  den  weiter  rückwärts  liegenden  Versen  nur  der 
Priamide  Hektor,  nicht  die  Troer  im  allgemeinen  genannt 
sind.') 

l)  Ueber  4ie  Tenchi^dene  Stellung ,  welche  di^  Gelehi-ten  sa  den 


Digitized  by  Google 


I 


r.  Cknst:  Wiederholung  Richer  u.  ähtU,  KerM  m  der  Jlia$,  229 
il  58  f. 

i^TQ^idtig  tag  u  ftv'  dti^tflw  ftncnmatiiv. 
Der  AkkosaiiT  figtavamjif  läast  sioli  inr  Not  damit 

erklären,  dass  man  mit  den  Anslegeru  sagt  &ift  x^tQ^ 
tUio  sei  so  viel  als  dfpti'ltio^  uIhm*  uuch  nur  /,»ir  Not; 
viel  einfacher  und  unbehimierter  ist  die  Coustrvutioii  in 
I  647  f.  (og  iu'  daiq>9jlüp  kv  ^{^yMioictv  «i^e£<y  J^iiQtidiig 

^  22 

XQvaea  ^aqf.taiqovta  leveixcciai  a(f!}iia  aal. 

Der  Vers  ist  entstellt  durch  einen  HiatnK,  d<;n  duroh 
ein  dngescliobenes  t*  wegemendieren  wollen  die  Kraft  des 
Amdmeks  scb wachen  heis^t.  Vielmehr  ist  der  Hiatus  n^hr- 

scheinlich  entstanden  durfh  Nacliahinniij^  den  anstandBloMim 
Versausgangs  a(ft>itov  ahi  in  B  lf>.  1 4<i,  B  23H.  Khciino 
Terhilt  sieh  der  Versausgang  teteX^fiäm  i^w  2  4  zu 
fm2sir^€n»^^212;Tgl.Hoffmann,  Qnasst liom«  1  93. 
y  198  £ 

tinia  9* 

a^OLJv  flioi  oa  uttayyüjog  r^Xt}*  avffAOiaiv. 
Auch  hier  niuss  der  metrische  pVhler  im  V^T-^au-gaag, 
aäabch  di«  VemacbU^^igung  des  Digammas  von  '/^i^f 
all  die  Xadiahmang  des  f^lerlosen  Versansgangs  wUa 
^kßi  im  A  195.  210,  O  168  znrfickgeAÜirt  werden. 

#  225 

7fcj  eltfoi  iAxia  fdoii  luu  'Etlioqi  tui^i/fr^wui, 
tte  CoMinctMm  tob  .Tcifr.^^wii  out  de»  Daitv  wird 
WB  La  Rocke  lediglidi  mH  der  VemSligoDg  eBtodtal- 
d^rt:  Tkküg«  wird  man  da«  der  liia6ge  VonK 

^^■Mar  »  Uli  ifiw  nr,  M 1 


Digitized  by  Google 


230      SHtgung  der  fhUo8,'fhiM.  Oatu  wm  5.  Jum  1880. 


den  Dichter  xn  der  kAhnen  Gonstmctioii  ''ExroQi  «"«^i^nu 
Terleitet  bat. 

0  397  =  y  198 

Die  Vernacklässigniig  des  Digammas  Ton  S  wird  am 
fdglioheten  snrflckgefttlurt  auf  die  nngescliiokte  Nachahm- 
ung von  Äf  162  dri  ^  xiff^  tpftta^ev  [te]  mai  fta  ftwXi^ 

yero  fur^Qiu,  wie  ich  bereits  in  meiner  Abhandlung  über  die 
Interpolationen  bei  Homer  S.  29  gethan  habe.  Ebendaselbst 
habe  ich  aoch  gewagt  die  Vemachlassiguug  des  Digammas 
in  B  162^)  und  E  204  ans  der  Nachahmniig  tob  P  551 
und  ^  230  an  erklaren;  diesen  Stellen  darf  vielleicht  noch 
beigefügt  werden  neQiaaelopwo  d*i«^ei^  T  382  wSiftt^a- 
adovzo  ßilfBiqaL  X  315. 

352 

Natürlich  ist  zu  iveßdlovro  hinzuzudenken  ein  Dativ, 
wie  YLwlfi.  Dass  aber  diese  Ellipse  so  ganz  ohne  Anstand 
hingenommen  wird,  kommt  doch  wohl  daher,  dass  die 
Leser  and  Hörer  an  das  an  ergänzende  Objekt  gewöhnt 
waren  durch  die  vorausgegangenen  Verse  Hl 76  h  d'ißalw 
i4yanifivovog  !^tQ€iSao,  und  F  316,xir^ot^  h  wvifß 

X  400. 

Wer  hier  unter  w  zu  venteben  sei ,  darüber  kann 

kein  Mensch  im  Zweifel  sein ;  aber  auffällig  ist  es  doch, 
dass  in  X  der  Pferde  zuvor  gar  nicht  gedacht  ist,  während 

1)  Bentley  nahm  an,  dass  in  S  162        ii  fot  atar«  ^/M»t^ 

nglütri  cpaivfio  ßovX^  ikdififv  (ig  "Ihfi'  iv  i¥tv¥auay  t  avt^v  01^ 
sprüngltch  das  Diganima  von  gar  nicht  vernachlässigt  gewesen 
sei,  indem  der  Dichter  mit  einer  kühnen  SinncoDstroctioo  den  Nomina^ 
tiT  c.  infin.  ivivwaoa  fk  avt^p  geseilt  habe. 


Digitized  by  Google 


f.  Mti:  Wieäerhektngm  gleicher  u.  SM.  Verse  in  der  Iliaa,  231 

n  der  PmllelsteUe  E  366  einige  Zeilen  myor  die  Snr^OA 

Mch  wirklich  geuauut  sind. 
Jß  220  f. 

6i  ftiv  yan  vig     äXkog  htix^ovitav  IxiXevf»^ 
ipBvSog  x<y  ^tfiEv  \al  vooq)tCoift9&a  fioXkov, 
Wer  eind  die  Wir?  der  König  Priamoi.  Aber  wie  nn* 
p«80end  ist  bier  der  pinralis  maiestafeis  in  einer  Rede  des 

Königs  an  seine  Frau  Hekabe  nnd  nach  yoraasgegaugencm 
SiügDlar  fit?  Hingegen  ganz  in  Ordnung  ist  der  Plural  in 
der  Originalstelle  B  80  f.,  wo  unter  den  'wir'  die  Greise 
rentanden  werden.  Diaees  grammatische  Verhältnis  hat 
bereits  riehtig  erkannt  B&nmlein  im  Philol.  7,  232.  Es 
iit  aber  die  Vergleiobnng  der  beiden  Stellen  besonders  deshalb 
wichtig,  weil  die  Originalstelle  in  der  viel  angefochtenen 
Bovh]  yBQOitwv  steht.  Dieselbe  scheint  demnach  doch  vor 
dem  letzten  Gesang  der  llias,  den  bekanntlich  Köchly  sogar 
unter  die  alten  IliasUeder  anfiaabm,  gedichtet  sn  sein, 
II  229  ff. 

Siodtxa  d'  iftlotdag  x^^^og,  toaaovg  Si  %anrjftagy 
tooaa  di  (pdqea  xaAa,  roaovg  d'  Lii  toiai  x'^'*«'«^* 
XQvaov  de  otrjaag  ig)eQ£v  di%a  fcdyfa  talovra^ 
he  di  dv*  aX^iuvag  T^odag,  niavQos  di  lifir/tag. 
Da  mit  dem  in  des  letaten  Verses  der  erste  Teil  des 
GoiBpositQms  wieder  angenommen  wird,  so  erregt 

der  Torletzte  Vers  mit  seinem  Simplex  €g>€Qe  mit  Recht 
Anstoss,  während  der  gleiche  Vers  in  T  247  ganz  ohne 
Bedenken  ist.  Doch  möchte  ich  lieber  als  an  eine  Nach- 
ahmung an  eine  Interpolation  denken  nnd  den  Vers  U  233 
in  Klammem  setsen. 
T182  1 

ov  fiiv  yag  n  vBfieaarjfiov  ßaaiXrja 
Der  6atz  ist  wahrhalt  auf  Schrauben  gestellt,  so  dass 


Digitized  by  Google 


282       Sitzung  der  jihiloa.-phäol.  CUusiC  vom  5.  Juni  1880. 

69  einer  Sphinx  bedarf,  nm  uns  zn  belehren,  «lass  ßctüäija 

nicht  Snbjekt  zu  a  ictQtaoaö&at  sei,  soiiflem  mit  civSQa  einen 
Hej^riff  bilde.  Auch  gelieii  in  der  That  die  Erklärer  iu 
der  Deutung  der  dunklen  Worte  verschiedene  Wege.  Der 
Grand  des  Anstosses  liegt  aber  zumeist  in  dem  indefiniten 
Pronomen  das  ungeechiekt  gesetzt  bleibt,  mag  man 
ßaoilija  mit  avdga  verbinden  oder  nicht.  Wie  klar  und 
eben  ist  hiupegen  alles  in  368  f.  orr'  avrog  v(og  loaiy 
ytqviv  dt  luL  oi  Tog  ojiriöel,  avÖQ^  d;i u/u(  veOxfai^  vi  t  iic  .iQO- 
tiQog  x<xXenr^rr^?  Diese  Stelle  wird  also  das  Vorbild  für  den 
Dichter  von  T  182  f.  gewesen  sein,  wenn  man  dasselbe 
nicht  mit  Friedlftnder,  Anal.  hwn.  in  Jahrb.  f.  Phil. 
8nppl.  III  481,  in  den  Versen  der  Odyssee  n  71  t  finden 
will.») 

Schwerer  fallt  die  Entscheidung  an  anderen  Stellen,  so 
bei  der  Yergleichung  von  E  827 

und  H  342 

"H^y  filmte  ^m»  %6  y$  detdi^i  fi^s  %ty*  d»Ö(jm  o^ffM^m, 

Die  grammatische  Constraction  der  letzten  Stelle  ist 
allerdings  weit  einfacher  als  die  der  ersten,  an  der  der  un- 
gewöhnliche Gebrauch  des  doppelten  Akkusativs  bei  öetöti^t 
und  die  Wiederholung  der  Partikel  ye  auffallt.  Aber  trotz- 
dem kann  man  zweifeln,  ob  der  Diehter  von  E  die  Sals- 
▼erbindnng  verwickelt,  oder  umgekehrt  der  gewandte  Dichter 
der  Apate  die  Härte  der  Construction  ansgeglättet  habe. 
Nach  dem  ganzen  Charakter  der  beiden  Gesänge  scheint  mir 
das  letztere  die  grössere  Wahrscbeiolichkeit  für  sich  ta 

1 )  P>iedlftDder  hat  ausserdem  den  Anstoss  id  nnserer  Stolle  (T 183) 
sa  mindern  gresncht,  indem  er  ort  fny  statt  ortnc  in  lesen  Vorschlag; 
aber  dann  entsteht  eine  nene  Unklarheit,  da  es  wiederum  nicht  auf  den 
ersten  Blick  klar  ist,  ob  bei  an  den  ßaoAtvg  oder  an  den  «W^  lo 
denken  sei. 


Digitized  by  GoogI< 


r.  ChrUi:  Wiederholungen  Reicher  u.  ähnil,  Verse  in  der  Ilias,  233 

haben.  Das  doppelt  gesetzte  ye  war  ohnehin  durch  die 
Parallelstelle  £  258  and  287  Tollauf  geschtttst 

E  590 

A  343 

"EsLxuHi  d'oSv  voifie  umd  aiixctg,  cu^o  d*  in^  avzovg, 

MiaBverstanden  ktuin  keine  der  beiden  Stellen  werden, 
wenngleich  in  avtovg  sich  in  E  leichter  als  in      an  das 

Voriiiisgehende  anschliesst,  mag  man  nun  die  Verse  Ii  528  — 589 
beibehalten,  oder  mit  Kociily  als  spätere  Zudichtuug  ver- 
werfen ^j.  Denn  in  dem  elften  Gesang  beherrschen  wohl 
an  dar  fraglichen  Stelle  die  Ueldenthaten  des  Odysseos  und 
Diomedes  die  gfinze  Scene,  aber  unmittelbar  zuvor  V.  336 
^2  ist  doch  nur  von  Diomedes  die  Rede.  Aber  auf 
der  anderen  Seite  stossen  wir  uns  in  H  an  der  stilistischen 
Härte,  daas  zwei  Veerse  nach  einander  mit  demselben  An- 
fange tovs  beginnen.  Wenn  wir  ferner  auch  mit  Bernbardy 
die  Verse  ^  335—42')  streichen,  so  passt  doch  der  nach- 
folgende Vers  top  6i  pidtav  ^iy/jae  ß(yqv  aya^og  Jio- 
}trfir^<;  (E  596  —  A  345)  ungleich  besser  in  B  als  in  A. 
Denn  vor  dem  mit  Hektor  verbnndenen  Ares  konnte 
aoich  ein  Held  wie  Diomedes  zasammeuscli recken  ,  gegeu- 
3ber  dem  Hektor  allein  war  eine  solche  Angst  nicht  an  der 
Stelle,  zumal  gleich  nachher  Hektor  die  Ueberlegenbeit  des 
Diomedes  b5se  fühlen  muss. 
0  208-10 

dUjd  zoS*  aivov  a^o^  'A,Qadu^f  vLui  i^v^iov  <xam, 

1)  SdioD  der  Umstand ,  dias  der  wieder  aufgerichtete  Ainetaa  doch 
aack  ctww  thui  mnss,  nimmt  mich  gegen  Köchljf'8  AuMcheidnng  ein. 
Ml  hüte  leb  deshalb  aa  der  üeberliefemng  nicht  fest  and  erkläre  mich 
j«dcB&Us  gegen  Vera  589  rotV  ^'<>«r«f  «.  r.  aof  den  nicht  ein  nener 
Ten  mit  x^ig  4i  folgen  konnte. 

fl  Veiglekhe  Uber  diesen  und  ferwandte  Voraetil&ge  Hentte  An- 
hi^  BT  lliaa  IT,  55. 


Digitized  by  Google 


234      Sitzung  der  phüos,'phiU)l,  Clatae  vom  5.  Juni  1880, 
n  52—4 

dHa         aWov  axog  HQaötrjv  xat  ^fiov  ixoyeiy 

Bei  dem  Dunkel^  welcbee  Uber  das  VerhSltniB  der  Aptle 
tm  Pkirokleia  herrsehtf  wire  es  sebr  wtehtig  festcnstelleii, 

welche  von  den  beiden  augetührten  Stellen  Original,  und 
welche  Kopie  8ei.  Doch  ist  es  schwer  darüber  in's  Klare 
zu  kommen.  Höchstens  kann  man  sagen,  dass  die  generali- 
sierende Bedeutung  des  Gonjunctivs  wenig  zur  Stelle  der 
Patrokleia  passt,  wo  anf  eine  ganz  bestimmte  Tbat  des 
Agamemnon  binge wiesen  wird. 

e  19\  —  W  414 

Der  Dual  erklärt  sich  in  ohne  alle  [Imschweife  von 
den  zwei  Wagenpferden,  in  &  btularf  es  der  Annahme,  diisf 
die  vier  Pferde  des  Hektor  zu  je  zwei  Paaren  zusammea- 
gespannt  waren.  Doch  «rgiebt  sich  auch  diese  Deutung  des 
Duab  aß  einfech  und  ungezwungen ,  dass  ich  damit  den 
Beweis  der  Nachahmung  nicht  erbracht  halten  kann. 

Die  Nachahmung  aus  dem  Zusammenhang 

erwiesen. 

E  648—54 

iS  ified^ty  revSea&M^  ifju^  ö'vtio  dov^  dafteyta 


Digitized  by  Google 


V.  Christ:  Wiederholimgen  fßtieker  u.  ähnL  Vene  t»  der  Ilias,  235 


^  441  —  5 

f[toi  fih  f  ifi.*  ^tavaag  ini  TQtaeaai  fwixßa^ac 
Qcl  &iyü)  hf^de  (ft^fdl  (pww  nun  fiilcuvav 

evyog  fuoi  dioaeiv^  ^t^X^^  *L4idL  Kkvro/iiüXi^. 
Die  drei  leUtea  Verse  stimmen  im  Weseutlicheu  aa  deu 
beiden  Stellen  miteinander  fiberein ;  in  der  kleinen  Ab- 
weichung seigt  sidh  eine  nnganein  feine  Hand.  In  ji  hatte 
km  ZQTor  Y.  431  der  Troer  Sokos  geprahlt:  ai]fie^  ij 
dwiUtw  htevfeai  *irtnaaldfjüiv  ^  nu»  ifi^  ^6  dovgl  tv^reig 
u.io  &v^6v  oXtaar^q*  deshalb  lässt  Odysf?eus  iu  seiner  Knt- 
gegunug  den  Gegensatz  zwischen  den  Personen  zurücktreten 
und  antwortet  auf  das  arjfieQov  mit  i^/ior«  vt^e.  Damit 
«ind  die  drei  Verse  in  ui  dem  ZuBammenhang  ao  gut  ange- 
pent,  dass  der  Verdacht  einer  Nachahmnng  xnrfiol^gedrangt 
wird.  Eher  könnte  d»  Fkurtikel  hSaÖB  zn  Üngnoften  dee 
11.  Gesanges  ausgebeutet  werden,  da  dieselbe  sehr  ^ut  in 
E  poeet,  wo  dem  Tiepolemos  gewissermassen  als  Antwort 
auf  seinen  Hohn  *tig  %oi  avdyitij  nrwoaeiv  ivi^aö'  iovti(V,  634)' 
ron  Sarpedon  der  Tod  fem  Tom  Vaterlande  hier  anf  troi- 
acher  &de  angekfindigt  wird  nnd  die  Worte  trjlo^ev  rilStw 
Qttd  aoi  d"*  iy(o  h&adt  einen  schönen  Gegensatz  bilden.  Doeh 
gibt  die  Partikel  auch  in  vi  einen  guten  Sinn  und  enthält 
eine  wirksame  Ergänzung  zu  dem  nachfolgenden  a^fie^v.  Es 
wird  daher  hier  die  Entscheidung  der  Fnge,  welche  der 
beiden  Stellen  den  Anepmeh  anf  höheres  AHer  habe,  nicht 
vom  Texte  der  entsprechenden  Verse,  sondern  yon  anderen 
weiter  greifenden  Betrachtungen  abhängig  gemacht  werden 
DiQssen. 

Im  Anschluss  daran  will  ich  gleich  noch  zwei  andere 
FarallelTerse  berfihren,  die  mit  dem  Verhältnis  von  E  nnd 
-^t  nm  das  sich  wie  nm  einen  Angelpunkt  die  bomeriadM 
Frage  dreht;  in  Besiehnng  stehen.    Die  Verse  ia€tf  yrvi 


236       Sitzung  der  plUlus.-pliüol.  Clause  vorn  5,  Juni  1880. 

yv^  txakvil'tv  kehren  in  iiHOO  und  355  wieder;  dort  siiul  sie 
von  der  schweren  Verwundung  des  Aineias  au  der  Hüftplauiie, 
hier  von  dem  betäubenden,  aber  keinen  Körperteil  verletzenden 
Lanzenwarf  auf  Uektors  Helm  gebraocht.  Den  alten  Gram- 
matikern  und  insbesondere  'Aristarch  schien  an  der  zweiten 
Stelle  Ursache  nnd  Wirkung  so  wenig  in  Einklang  zn  stehen, 
dass  sie  die  beiden  Verse  mit  dem  Obelos  notierten  oder 
ganz  wegliessen.  Das  ist  aber  nicht  statthaft,  da  das  nach- 
folgende iroy^*  *'/ixTüj^  ilfinvi  to  (V.  359)  sich  auf  sie  znrnck- 
bezieht;  es  wird  also  nur  die  Annahme  unpassender  Nack- 
ahmnng  bleiben. 

Umgekehrt  passt  in  der  Schilderung  des  Schild- 
schmuckes  das  Wort  faTeffctiiuiai  in  E  730  besser  als  iu 
yi  36  zur  beigesetzten  Präposition  (jieQi  in  /i",  sni  iu  y1), 
obscbou  an  beiden  Stellen  die  Plastik  der  Beschreibung  zu 
wünschen  übrig  lässt.  Von  neueren  Gelehrten  wird  der 
Ahsdiniit  Yon  der  Wappnung  des  Agamemnon  im  Anfiing 
?oa  yt  teils  ganz,  teils  in  der  betreffenden  Partie  als  jüugere 
Zudichtung  angefochten. 

B  1  f 

akloi  fAtv  (ja  ö-eoi  tb  xal  avägeg  irr itimoijvatai 
evdcv  ftcnnfvxtotf  Jia  d' oön  ix*  ftfivuog  wtpog^ 
K  1—4 

dXX'  ovK  yiiQeiöifV  yiyafit/APüya  itoiniva  Mxwv 
tVrfOg  e'xe  x^orrc^og. 
In  ß  passen  die  Worte  trefflich  in  den  Zusammenhang, 
in  K  stehen  sie  in  Widerspruch  mit  dem  gleich  nachher 
Erzählten.  Denn  nicht  blos  Agamemnon  kann  nach  dem 
Unglück  des  Tages  nicht  schlafen,  auch  von  Meuelaos  heisst 
es  /C  25  ovdt  ydq  aviiij  rjirog  f.il  (ilttfccijoiaiv  t(fl^ave,  und 
zu  Nestor   spricht   Agamemnon   A  U6  itru  ovdi  ai  '/ 


Digitized  by  GoogI< 


c.  Christ:  Wiederhol utigeti  gleicher  u.  iünU.  Verse  in  der  Ilias.  237 


inioc  i/Miei.    Das  ist  keine  maskierte  Nachahmung  mehr, 
'«onileru  eine  gedankenlose  Wiederholung.  Wo  möglich  noch 
gpüsser  ist  die  Gedankenlosigkeit  des  Nahahmers  in 
Y  413—6 

varra  TraQataaovTogy  U&i  tioairjQog  oxr^eg 
yoioLioi  OL  veyov  /.ai  diTvXoog  ijiTeto  ^coQTj^' 
ch'Ti/.^vg  6i  öieaye  naq  6^(faX6v  tyx^og  alyßi]. 
Die  Natur  der  Sache  brachte  es  mit  sich,  dass  man 
den  Gart  Tom  aof  der  Brost  mit  Schnallen  oder  ineinan- 
dergreifenden Spangen  znsammenband,  wie  man  b.  B.  hier 
im  Antiqaarinm  an  der  trefflich  erhaltenen  Bronsertfstnng 
eines  grossgriechischen  Grabes  beobachten  kann.  Dass  es 
zur  Zeit  Homers  nicht  anders  war  ,  ersieht  man  aus  der 
Originalstelle  ^  132  f.,  wo  der  den  Feinden  zugekehrte 
Menelaos  Yom,  wo  die  Spangen  des  Gürtels  zosammengreifen, 
durch  des  Pandaros*  Pfeil  verwundet  wird.  Hier  in  Y  soll 
rieh  dieselbe  Stelle  am  ROcken  befinden,  so  dass  von  da 
die  Lanzenspitze  zu  dem  Nabel  des  getroffenen  Kriegers 
durchdringt.  Gar  nichts  zu  der  Stelle  zu  bemerken,  heisst 
blind  sein  gegen  sachliche  Schwierigkeiten ;  anzunehmen, 
dsas  der  Dichter  nicht  die  Stelle  selbst,  sondern  die  Gegend 
gegenüber  in  gleicher  Höhe  gemeint  habe,  hdsst  k  tont 
prix  den  Dichter  Tor  dem  Vorwurf  der  gedankenlosen  Nach- 
alunung  schützen  wollen. 
0  367—9 

(Lg  Ol  /4iv  Ttaqa  vrjvaiv  BQtjcvovro  fAivorteg^ 

Die  gleichen  Verse  lesen  wir  B  345—7,  nur  ohne  das 

einlfriT.-nde  iog  ;  aber  gerade  dieses c5g  verrät  den  ungeschickten 
Nachahmer,  da  dasjenige,  was  in  den  vorausgehenden 
Venen  Yom  siegreichen,  alles  vor  sich  niederwerfenden  Vor- 
tagen des  Gottes  gesagt  ist,  in  keiner  Weise  zn  der  mit 
[18nLLFkiL-flnLliirt.GLfid.L8.J  16 


288      Sitzung  der  phüos.-jMail.  Clasae  vom  5,  Jwni  1860, 

äg  eingeleiteten  Schlnssfolge  berecbtigt;  vgl.  La el) mann, 

Betr.  59.  Ausserdem  hat  in  0  das  oi  ftey  seinen  ganz 
passenden  Gcgeui^atz,  aber  nicht  so  in  0.  Denn  den  Achäem 
ist  an  der  eraten  Stelle  der  feindliche  Hektor  gegenüberge- 
stellt, an  der  zweiten  der  greise  Nestor.  Damit  man  aber 
nicht  aus  dieser  offenbaren  und  nngescbickten  Nachabmang 
der  KoXog  ftayi^  auf  den  ganzen  Gesang  O  einen  ungünstigen 
Schhiss  ziehe,  bemerke  ich,  da>!.s  die  ' l:rän^  unmittelbar 
zuvor  mit  Vers  36G  abschliesst,  und  das  was  zunächst  nach- 
folgt zu  den  jängsten  Interpolationen  der  Ilias  gehört 

Y  415—450 

tqig  ^iv  t/c€iv^  i/coQOvoe  noöao/.ijg  dios  -^;(<AA«t's 
tyyei  x«^>'£'V»         S^iqiQa  rvif'e  ijctlteiav, 
okk*  Sve  df/  TO  rira^w  itriacwo  daiftwi  ftaogf 
deiva  d'  o^oxXi^aag  finea  Tneqo&rta  nqoorjida* 

at  vtv  tfpvytg  ^dvcnov^  y.vov.    Ji  ti  toi  ayyi 
i]li}^£  xaxuy,  vif  alxi  a'  i^Laoato  Ooißog  ^.loÄXcuv. 

An  deipi  zwei  andern  Parallelstellen  E  436—8  und  n 

702 — 6  tritt  effektvoll  beim  vierten  Anstürmen  ein  Gott 
zürnend  dem  übermütigen  Helden  entgegen ;  an  unserer 
Stelle  wird  in  abgeschmackter  Weise  der  gleiche  Apparat 
des  dreimaligen  Anstnrmens  aufgeboten,  damit  beim  vierten 
Mal  der  Held  selbst  absteht  und  sich  in  drohender  Fluch* 
rede  ergeht  Die  Stelle  yerliert  auf  solche  Weise  so  an 
aller  Krait,  dass  man  sieb  schon  im  Altertum,  wie  mau  aus 
dem  handschriftlichen  Apparat  bei  La  Roche  sieht,  mit  dem 
Ausscheiden  des  Verses  447  zu  helfen  suchte.  Aber  Aristarch, 
der  nach  der  Ueberliefernng  des  cod.  Yen.  A  an  schliessen 
den  Vers  beibehielt,  folgte  auch  hier  einem  ganz  richtigen 
Urteil.  Denn  es  musste  der  Moment  bezeichnet  werden, 
wo  Achill  in  die  Worte  ausbrach  f  ?  or^  vvv  e'tjvyeg'  es  wird 
doch  nicht  der  Held  jedes  Mal  bei  dem  dreimaligen  An- 
stürmen jene  Worte  gesprochen  haben.   Hier  heisst  es  also 


Digitized  by  Google 


It.  Ortif WiedeMmMgen  gleidker  ml  äMrf.  Vene  m  der  ITmi«.  939 


incht  Ttaaof  nai  tifiwuv,  sondern  einsehen«  dass  Horas  nicht 
K»  Unrecht  hatte  mit  seinem  t^guandoipie  honus  dormiiai 

A  498  i.  ^  E  753  f. 

e  2  f . 

Einzig  schön  iSsst  der  Dichter  in  ^  und  E  den  Vater 
der  Götter  in  erhabener  Majestät  einsam  sitzen  anf  des 
Berges  höchster  Spitze.   In  B  flberhommt  einen  nnwill« 

kfirlich  das  (lefübl  der  nnbehaglicheii  Knge,  wenn  man  die 
versammelten  Götter  auf  dem  schmalen  Räume  einer  lierg- 
spitze  zosammensitzen  denken  soll. 

B  79  =  /  17, 

In  B  werden  mit  jenen  Prädikaten  ))asseud  die  Fürsten 
imd  Geronten  angeredet ;  in  /  wird  die  gleiche  Anrede  nn- 
geiebißkter  Weise  anf  das  in  der  ^yo(jd  anwesende  Volk 
fibertragen. 

Ii  333  f.  ^  ii  276  f. 

afu^aXäoy  xopaßi^actp  avawtta»  vn'  !dxauav* 

In  B  dröhnen  die  Schiffe  wider  yon  dem  Beifallsmf, 

ia  Tl  Ton  dem  Kriegsgescbrei.  Leicht  könnte  einem  das 
letztere  angemessener,  das  erstere  hingegen  etwas  übertrieben 
za  sein  scheinen ;  aber  bei  näherem  Zusehen  stellt  sich  die 
Sache  umgekehrt.  Das  Wort  'Ayaiiuv  ist  in  i^,  wo  es  sich 
vs  dcB  Bei£sll  des  gesammten  Volkes  handelt,  gans  an 
«ineBi  Halze ;  in  17,  wo  von  dem  Kriegsgescbrei  der  Myr- 
Mdoaen  allein  die  Rede  ist,  erwartet  man  ein  Wort  von 
fagfiiuu  ümiange. 

16* 


240      Sitzung  der  pluios.-j^hikl.  Clause  vom  5.  Juni  1880, 
0  427  f. 

aAA'  vta  KXvtloio  aawaatej  fA"^  (.iiv  'Axaioi 
n  498  fP. 

aoi  yag  f/w  xal  Bttetra  mar  reifen:  y,ai  oretdoci 

Die  letzten  Worte  sind  ^nz  an  ihrer  Stelle  in  0,  dt 
in  der  That  Klytios  bei  den  Sehiffsn  fallt;  von  Sarpedon 
aber  kann  es  nur  in  tineigentlichem  Sinne  heissen ,  dass  er 
im  Kreise  der  Schiffe  gefallen  sei,  da  schon  zuvor // .JGG  ff. 
die  Troer  mit  ihren  Bundesgenossen  ans  den  Öcbiti'en  ge- 
trieben nnd  über  den  Graben  in  das  offene  Feld  gedrängt 
worden  waren.  Der  Vera  ist  in  U  aber  nm  so  auffälliger, 
als  es  zuvor  in  M  403  von  Sarpedon  geheissen  hatte  Ztvi 
xil^g  a^vve  TcaiSog  hov,  fit]  vtpah  tn$  7tQifiv^(ji  dafiaiij. 

E  791  -  N  107 
ißvv  di  ßhuxg  noXiog  itoÜLgg  ini  vtpHfi  /ic^ovrac 

Hier  haben  wir  ein  ganz  ähnliches  Verhältnis.  Die 

Worte  passen  unstreitig  besser  zur  Sachlage  in  iV,  da 
dort  die  Troer  wirklich  bei  den  Schiften  kämpfen  ;  um  sie 
in  E  zu  verteidigen,  muss  man  zur  Annahme  einer 
Uebertreibnng  seine  Zuflucht  nehmen.  Doch  beachte  man, 
dass  einerseits  auch  in  E  700  (vgL  J  247)  die  Troer  nahe 
den  schwarzen  Schiffen  gedacht  werden ,  und  andersmts 
Haupt  zu  Lachmanns  Betrachtung  S.  108  die  ganze  Partie 
711^92  und  907  —  909  ausgeschieden  hat.  Ich  ziehe  es 
daher  vor  hier  mein  Urteil  vorerst  zu  suspendieren. 

N  683  f. 

«7x0?  idtdu}.TO  yßaftaltSrarov,  fif&a  pmkuna 
LaxQtjüc,  yiyvovio  fiaxf]  ccviol  re  ycai  hviroi. 
Mit  Recht  hebt  Friedländer,  die  homerische  Kritik 
Yon  Wolf  bis  Grote  S.  53  hervor,  dass  die  Vorstellung  Ton 


Digitized  by  Google 


r.  Clmst:  WUderholufyjen  gleicher  u.  ahtd.  Verse  in  der  Utas,  241 

den  am  Graben  zurückjxcliisseiien  Wagen  (M  80—85)  der 
Eoablung  iu  den  drei  folgenden  Büchern  zu  Grunde  liegt, 
imlem  nicht  nur  die  Troer  (ausser  Asios  N  385,  400)  über- 
all za  Fuss  erseheinen ,  sondern  anch  die  zurückgelassenen 
Wagen' ansdrflcUioh  erwähnt  werden  N  536,  S  430,  0  3. 
Nor  swei  Stellen  widerstreiten,  die  oben  angegebene  nnd 
.Y  748  f. 

lag  (faio  llovli  dauctL:,  cade  (V  ' E/.iOin  jiirO-og  ajiijfiUJV, 
aiV/xa  d'      Iv/hov  aiiv  tevxsoiv  oXio  ;fa/*a^€. 
Die  zweite  darf  uns  nicht  Yiel  aufhalten,  da  der  Vers 
749  sonder  Zweifel  ans  iU  81  ungeschickter  nnd  unnötiger 
Weise  wiederholt  ist  und  schon  yon  Aristarch,  wie  man 
aus  dem  Fehlen  des  Verses  im  cod.  Ven.  schliessen  muss, 
aus  dem  Texte  entfernt  wurde.    An  unserer  Stelle  N  G84 
hat  sich  Fäsi  durch  Betouuug  des  Imperfektes  yiyvoviu  zu 
helfen  gesneht,  indem  er  bemerkt :  „die  Kämpfenden  über* 
baupt,  nicht  nur  die  Troer,  nnd  anch  in  früheren  Kämpfen^*. 
Ja  wenn  das  ,,auch*'  der  Erklärung  seine  Richtigkeit  h&tte, 
dann  wollten  wir  uns  eine  solche  Wegräumung  der  Hchwie- 
rigkoit  gefallen  lassen.   Aber  von  einem  'auch  an  früheren 
Tagen'  kann  scheu  deshalb  uicht  geredet  werden,  weil  au 
jenem  Tage  sicher  die  Pferde  gegen  den  bezeichneten  Teil 
der  Maner  nicht  anstürmen  konnten,  abgesehen  daton,  dass 
wir  Ton  früheren  Kämpfen  an  der  Maner  des  Schi&lagers 
mehts  wissen  ,  diese  vielmehr  selbst  nach  H  436  erst  zwei 
Tage  zuvor  hergestellt  worden   war.    Aber  auch  die  An- 
nahme, dass  die  berufenen  Verse  erst  von  einem  interpo- 
lierenden Dichter  spater  zugefügt  worden  seien ,  hat  keine 
Wahrscheinlichkeit,  da  niemand  einen  Grnnd  absehen  kann, 
dsr  die  Interpolation  veranlasst  hatte.   Hingegen  darf  ich 
wohl  auf  die  Zustimmung  unbefangener  Kritiker  rechnen, 
wenn  ich  d^u  Fehler   sron   einer  unbedachten  Nachahmung 
des  gleichen  oder  ähnlichen  Yersausgangs  in      525  Tf^w^g 
•ftwrroi  bftfti^  %ntiOi  ts  xai  aitoi  herleite. 


242      SUzung  der  phOosrpkäol,  C/osse  vom  5.  JutU  1690. 
B  45  heisst  es  von  Agamemnou 

In  A  29  lesen  wir  vom  gleichen  Schwert  dee  Aga- 

ixieinnon :  ^l(fog,  tv  dt  coi  rjXoi  yQvaeioi  ^ic  fiffairov.  Die 
Abweichung  der  beiden  Stellen  berührt  nur  eine  unterge- 
ordnete Nebensache,  und  es  fällt  mir  nicht  ein  dieselbe 
znm  Au8gang8ponkt  weitgehender  Schlfisee  tn  machen. 
Immerhin  wird  es  aber  doch  erlaubt  sein  sn  bemerken,  dass 
der  gleiche  Vers  sich  auch  bei  der  RQstnng  des  Paris  r  334, 
und  ausserdem  noch  au  zwei*  anderen  Stellen  //  135  uud 
T372  lindet,  ohne  daselbst  irgend  einen  Anstoss  zu  erregen. 
In  ß  steht  obendrein  der  Vers  an  einer  Stelle,  die  schwer- 
lieh einen  Bestandteil«  der  alten  jiyoqa  bildete. 

e  530  f.  =  X  303  f. 

vijvaiv  ini  y?Mq)LQ^oiv  lyeiqo^ev  o^vv  '^Qija, 

In  0  passen  die  Verse  durchweg  in  den  Zusammen- 
hang; inS  hingegen  sind  die  Worte  vfjvaip  irel  yXaffT^^aif 
matt  und  bedeutungslos,  da  dort  bereits  den  ganzen  Tag 
über  bei  deu  SchiiTen  gekämpft  worden  war. 

S  440  f. 

iiQyuot  d*  (ig  ovr  fidov  ^Entvoiia  vooft  xtopTa, 

e  251  f. 

Ol  d'  ojg  ovv  ectöovir  ur'  ccq  fx  ^idg  ]jXv&ev  OQvigf 

In  S  hat  der  Comparativ  (laXkov  seine  Tolle,  durch  den 
Znsammenhang  gerechtfertigte  Bedeutung,  in  9  ist  er  sur 

leereu  Formel  herabgesuukeu,  da  nichts  vorausgeht,  worauf 
er  sich  beziehen  könnte. 

Ebenso  sind  in  T  65  f.  die  Worte 


Digitized  by  GoogI< 


t.  Chria:  WiedefMungen  gleieher  u.  äktU,  Verse  in  der  lUae.  243 

nr  bedentiiDgsloseD,  oder  iloch  ganz  ungenus^nd  moimerten 
Terbinduugsformel  geworden,  während  sie  in  ^112  f.  und 
noch  mehr  in  FI  60  trefflich  zum  Vorausgehenden  stimmen. 

lu  äliulicher  Weise  stehen  die  eiuleiteudeu  Worte 

oqiQ'  ci/rcci  ta  fie  %h;^6g  ivi  ati^&eoai  xelevet> 

in  0  5  f.  iu  Einklang  mit  der  Wichtigkeit  des  crteilteu 
BelL'hles ,  während  man  sich  in  7'  101  f.  u'Ji^villküriicli 
fragt,  quid  dignum  tanto  tulit  hic  promissor  hiatuV 

Wiederum  ist  der  mit  den  pomphaften  Worten  ey^o 
u  lotyog  hj¥  %ai  äfitfXfxya  fi^a  yivovto  310  =  0  130) 
angekündete  Umschlag  des  Schlachtenglückes  in  A  gut  und 
ausreichend  motiviert,  während  in  0  die  einzige  That  des 
Üioniedes  (0  118-23)  in  keinem  Verhältnis  steht  zn  der 
daran  geknüpften  Folge,  liier  also  und  in  V.  66— 8  scheint 
der  magere  Dichter  der  K6h)q  fidxt]  den  Stoff  zu  den  Um- 
rissen seines  Bildes  dem  glanzenden  Schlachtgemälde  der 
U^axda  i^yauifivovog  entlehnt  zu  haben. 

Und  um  gleich  noch  ähnliche  formelhafte  Uebergänge 
zusammenzustellen,  so  vergleiche  mau  nur 

ov6*  aXcMxntomrpf  äxB  x^etW  *Eifooi%i^(a¥ 
in  iV^  10  und  iC  515, 

farrm  viv  fioi^  Movaai  ^OUfirtta  dtofiot*  exovaat^ 

oaitg  örj  ;iQ(otog 
in  ^  218,  //  112  und  x  oOb, 

ox^oag  d'  a^a  fiiicev  kov  fieyakijioQa  O^vfiov 

io  ji  403  und  0  53,  um  sich  zu  überzeugen,  wie  der  Ge- 
balt der'Worte  an  den  nachahmenden  Stellen  abgeschwächt 

und  abgegriffen  erscheint. 

Nicht  so  entschieden  möchte  ich  bezüglich  des  Verses 
BovMaita ,  av  fiiv  ovtux*  ifioi  gtHa  ayo^ug 
M  231  =  IT  357  =  S  285  über  den  formelhaften  Ge- 
brauch vou  üLAtii  urteilen.    Allerdings  kann  das  Wort  an 


2i4      SiUung  der  phOoB.'fhUol,  dam  vom  5.  Juni  1890, 

der  ersten  der  drei  SieUen  gtiix  wörtlich  gedeutet  werd^ 
da  die  Toraiugebende  Bede  des  Pnlydamas  den  ^ikll  d« 
Hektor  gefunden  hatte,  während  eine  solche  wdrtlidis 

Deutung  an  den  beiden  andern  Stellen  nicht  möglich  ist. 
Aber  vielleicht  darf  man  auch  in  M  231  keine  Bezugnahnje 
auf  die  frühere  Rede  I\l  80  suchen,  sondern  muss  auch  hier 
ovx^i  so  deuten,  dass  die  letzten,  den  entschiedenen  Miss- 
iall  heransfordemden  Worte  der  Bede  im  Gegensats  sn 
dem  gleicftgiltigen Eingang  derselben  gedacht  werden;  vgl 
1  164. 

Ich  wende  mich  wieder  zu  anderen  Stellen,  wo  nicht 
sowohl  der  formelhafte  Wortgebraach  als  die  YerschiedeD* 
heit  der  Situation  den  Nachahmer  verrät. 

ji  776  f. 

<r^i  fiiv  dft(fl  ßoog  UrtBiww  y,Qta,  vm  Mitutct 
ovijijev  EVI  7rQod^vQoior  luifwv  d'  dvoQoiaev  ^)^i?J^vg. 

Die  letzten  Worte  stehen  schon  in  l  193.  Während 
aber  dort  die  Erwähnung  des  Aufstehens  ganz  den  Um- 
standen angemessen  ist,  da  zuvor  Achiilens  sitsend  (s.  i  190 
nnd  194)  die  Bnhmesthaten  der  Helden  besingt,  begreift 
man  in  A  nicht,  wie  denn  Achilleus  beim  Schlachten  des 
Opfertieres  und  beim  Zerhacken  des  Fleisches  gesessen  haben 
soll;  hatte  er  aber  zuvor  nicht  gesessen,  so  hatte  es  auch 
keinen  Sinn  vom  Aufsteigen  zu  reden.  Uebrigens  beachte 
man,  dass  die  Stelle  nicht  in  der  alten  Aristeia  steht,  sondern 
in  der  jüngeren  Fortsetzung  derselben,  welche  die  nach- 
folgende Patrokleja  einleiten  sollte. 

^  453  f .  =  /I  230  f. 

i^fiiy  d/}  Tcot'  ifi€v  iiciQog  erlieg  ev^ai^iivoto, 
tlfirjoag  ftiv  fjuc,  (^liya  d'  Ltjmo  lotdv  uixaim, 

In/u^  steht  das  ev^afievoto  mit  Bezng  auf  das  Toraos- 
gehende  Gebet  des  Ghryses  Y.  35  ff.,  so  dass  das  Wort 
seine  volle  und  ganze  Bedeutung  hat;  in  IT  lasst  sich  zwar 
auch  das  et'la^iVoiu  erklären,  aber  doch  nur  auf  Umwegen; 


Digitized  by  GoogI< 


r.  Christ:  Wiederholungen  gleicher  u.  ähnl.  Verse  in  der  Ilias.  245 

denn  direkt  hatte  Achill  zum  Vater  Zeus  nicht  gebetet, 
sondern  sich  nur  an  seine  Mutter  Thetis  gewandt ,  damit 
diese  bei  Zeus  für  ihn  eintrete. 

^  362  f.  =  r  449  f. 

av  vvv  t'tpvyeg  O^avaiov,  auov  tj  li  tot  ayxi 

In  ^  war  dem  Hektor  der  Tod  wirklich  nahe  ge- 
treten; denn  vom  Schlage  betäubt  war  er  zu  Boden  ge- 
sunken ;  in  Y  war  wohl  Achill  dem  Hektor  zu  Leibe 
gegangen,  aber  ohne  ihm  ein  Leid  anzuthun;  denn  nur  die 
Luft  hatte  er  mit  den  Schwertstreichen  getroffen. 

X  326  =  0  327 

Tg  ^'  iiti  foi  /Ae(.tawta  ßaXev  Xi&u)  ox^toevre. 

In  A'  stürmt  Hektor  in  des  Kampfes  heisser  Enischeid- 
nngsstuude  mit  dem  Schwerte  auf  Achilles  ein;  von  ihm 
heisst  es  daher  gut  und  treffend  ijtl  pol  ^Buaoha.  Aber 
kaum  passt  das  Wort  auf  den  Bogenschützen  Teukros,  der 
in  0,  ohne  sich  vom  Platze  zu  bewegen,  den  Pfeil  auf 
Hektor  richtet.  Weniger  ungünstig  für  eine  der  beiden 
Stellen  fallt  der  Vergleich  von  A  98  und  M  186  aus; 
doch  steht  auch  hier  das  öa/jaaae  dt  f4iv  fiefAaioja  in  A  besser 
in  Einklang  mit  dem  vorausgehenden  i  6v    lOit;  fiefiawra  (95). 

M  84  f.  =  ^  47  f. 
t]vi6x(it  (iiv  inena  hi»  tJcttMe  ft/MOzog 

In  M  sind  die  Verse  ganz  am  Platz  und  stehen  mit 
dem  Rat  des  Pulydamas,  die  Wagen  am  Graben  zurückzu- 
lassen (M  61—79),  gut  in  Einklang.  In  A  aber  begreift 
man  gar  nicht,  warum  die  in  die  weite  Ebene  hinaus- 
stürmenden Achäer  die  gleiche  Vorsicht  beobachten,  und 
noch  weniger ,  warum  sie  gleich  nachher  trotzdem  die 
Wagenlenker  nachkommen  lassen  (A  51  —  2).  Denn  die 
Gefahr  bei  einem  Rückzug  in  dem  Graben  mit  dem  Wagen 


Digitized  by  Google 


246       Sitzung  der  phUos.-phüol.  Clause  vom  5.  Juni  lööO. 


zu  stürzen,  die  dem  Pulyiluiiiiis  den  klui^en  Rat  eingegeben 
hatte,  war  ja  auch  nachher  Uxe  gleiche  geblieben.  Korx 
die  Verse  sind  in  M  ebenso  pnssend,  wie  in  ^  unnfliz. 
Doch  möchte  ich  deshalb  nicht  den  genialen  Dichter  der 
uiqunua  iiyafiifivovog  %a  einem  Nachahmer  der  Teicho- 
maehie  degradieren ;  der  gan%e  Abschnitt  ^  47 — 55  ist  so 
wenig  originell  und  leidet  an  zu  grosser  Unklarheit,  als 
dass  er  von  einem  alten  Sänger  herrühren  konnte;  er  sieht 
mehr  Wie  die  späte  Zudichtung  eines  ungeschickten  Nach- 
*  dichters  aus.^) 

Eher  sind  die  Verse  ^211—3 

^'Bttwg  d*  oyäitjv  avv  vevxBdr  Skzo  yauaZt, 
7iaKhov  ()'  o^ta  doiQU  y.aid  argarov  fii'/iTO  ;tdiii^, 
orQii'fjy  ftayjüaoi^ai,  tyuQe  öt  (fvKo.uv  ah'ijV 
eine  alte  Nachahmung  von  E  494  fi'.  oder  Z  103  ff.  Denn 
während  Hektor  in  E  nach  der  Aneiferang  der  Genossen 
sich  dann  auch  selbst  mutig  am  Kampfe  beteiligt ,  nnd  in 
Z  die  Schlacht  nnr  yerlSsst,  um  den  Greisen  und  Frauen 
in  Troja  einen  Auftrag  zu  erteilen,  bringt  er  in  ^Z,  gleich 
nachdem  er  die  andern  angefeuert,  seine  eigene  Person  in 
Sicherheit.  Daran  wird  nun  zwar  nichts  geändert,  mag 
die  eine  oder  die  andere  Stelle  Original  sein;  aber  schwer- 
lich wird  doch  an  der  primären  Stelle  ein  so  anstdssiger 
Widerstreit  zwischen  Wort  nnd  That  bestanden  haben.  Es 
hat  daher  wohl  der  Dichter  von  jene  Verse  aus  einem 
anderen  Liede  wiederholt;  ob  man  dabei  aber  eher  an  die 
Stelle  in  Z  als  in  E  zu  denken  habe,  ist  eine  zweifelhafte 
Sache,  zu  deren  Entscheidung  noch  andere  Umstände  her* 
beigezogen  werden  müssen. 

1)  Die  Vene  Ji  47—55  werden  anefa  von  H.  Dtlntser,  die  Inter^ 
poUtionen  im  eilften  Buche  der  Hins  im  3.  Soppl.  d.  Jahrb.  f.  PhiL 
8.  836  iL,  als  InterpolatioD  eines  nngescbickteD  Bhspaoden  Terworfen. 
Dem  tritt  hn  weeentliehen  auch  Wold.  Bibbeck  bei  in  der  Aoiüge 
Ton  K9ohl7*t  kleiner  Iliis,  in  Jabrb.  f.  PhU.  1892  8.  82. 


Digitized  by  GoogI< 


t.  Ckrid:  WieieH»dmm§em  ^«jdkr     AmL  Vtr*e  im  4tr  IKwe.  347 


^  131  f. 

T  i.-^r.  f. 

rr^aiiag  or^7€  rrQOTi  *'lXiOr  vla^  J//oiC(ir 

MH  Ttt^  wird  ein  coneessive^,  anf  einem  Ge^nnti  be- 
ruhendes Satzverbältni*^  au>gedriu'kl ;  «Mn  sololior  iio^onsjit/. 
liegt  auch  Tor  zwischen  aya^vg  uiul  xh'  i  it.  Was  liat  uhor  an 
der  zweiten  Stelle  der  Adel  der  Gesinnung  damit  /.w  ihuii, 
ob  die  Lente  nüchtern  oder  nach  gntem  Imbias  in  den 
Kampf  geführt  werden? 

r  442—6 

ov  yccQ  :n'j  noi^  u    loöh  y^  tQU^;  ipQnrt;;  fr/i«|>cx«Al'l/'€l', 

äg  ato  yvy  inafiai  xai  fte  ylimvg  wrvog  ixciyei. 
S  315—28 

ov  yuQ  .1(0  jzuit  /<'  uSe  'Ua^^  loo^  ov<)^  yrrnixo^ 

tag  aio  PVP  k'i^fiai  xai      ykvKvg  wcyog  ixom. 

Man  braucht  nnr  die  beiden  Stellen  nebeneinander  tu 
•teilen,  nm  sofort  zu  erkennen,  wie  eich  in  der  Prftciiion  des 

Gegensatzes  oi  :roit.  und  vk  oto  vlv  cli<*  Orij^iiiulitiii  der  «'rKton 
Stelle  kund  gibt.  An  der  zweiten  Stelle  würdo  inuti  an 
and  för  eich  nichts  Erhebliches  auszn^^telien  haben;  aber  mit 
der  ersten  Terglichen  zeigt  sie  dch  doch  elf  die  minder 
gelangene,  als  die  gnte  Kopie  einen  besseren  Originals. 

N  2b  =  e  43 

X^vaog  d'  avtog  tdvve  7U(^i  y,qou. 

Die  Scbildemng  Tom  Aufbrach  des  Zens  tnm  Ida  steht 
pmllel  mit  dem  Aufbruch  des  Poseidon  zum  achftisehen 

Lager;  welche  toq  den  beiden  Stellen  Origioal  Sif|  wire 


248       Sitzung  der  phäos.'^Uol.  CUiase  vom  5.  Juni  1880.  * 

ecbwer  zu  sagen,  gäbe  nns  nicht  der  ansgehobene  Yen 
eineu  Fingerzeig.  Zeus  schaut  aus  nicherer  Ferne,  von  der 
Warte  des  Ida,  dem  Schlachtengewühl  zu;  was  bedarf  er 
da  des  schützenden  Panzers?  aber  den  Panzer  konnte  Po- 
seidon nicht  entbehren,  da  er  sich  selbst  in  den  Kampf 
mischte  nnd  seine  Brust  dem  Lanzen  wurf  der  Troer  ans- 
setste. 

yt  825  f.  =  II  23  f. 

ot  fiiv  yaQ      tidvteg  daoi  noQog  iiaav  o^ioiroi 
iv  vvjjvai»  xiatai  ßeßXijfiivoi  ovtafiepoi  te. 

Heide  Stellen  gehen  auf  die  schweren  Verluste  der 
Achäer  am  dritten  .Schlachttage.  Aber  zwischen  und  II 
liegt  jetzt  1 — 152,  379  —  81,  worin  uns  erzahlt  wird,  wie 
die  verwundeten  Könige  die  Zelte  verliessen  nnd  anfangs 
hinter  der  Schlachtlinie  die  kämpfenden  Achäer  zur  matigen 
Ausdauer  aneiferten,  dann  die  Scharen  der  Kämpfer  ord- 
neten. In  //  konnte  also  nicht  mehr  im  strengen  Sinne 
gesagt  werden  iv  vi^vaiv  ^iatai  ßeßh^ftevoi.  Aber  ich 
furchte,  es  ist  hier  etwas  mehr  als  die  blosse  Ungeschick- 
lichkeit des  Nachahmers  im  Spiel.  Der  Anfang  von  S 
selbst  erregt  schwere  Bedenken. 

X  183  f.  =  0  39  f. 

^a^u  T^Toytveta,  ^IXov  rexog*  ov  vv  Ti  ^ft^ 

Mit  diesen  Worten  nimmt  Zeus  seinen  Rat  und  Be- 
fehl zurück  und  lässt  seine  Tochter  gewähren.  Das  passt 
in  X,  wo  Zeas  nicht  fest  entschlossen  war  den  Hektor  zu 
retten,  sondern  nur  die  Frage  angeregt  hatte,  ob  es  nicht 
besser  sei  ihn  zu  retten  als  vom  Peliden  bezwingen  zn 
lassen.  In  B  aber  ist  dieses  anders;  da  hatte  Zeus  einen 
strengen  Befehl  erlassen  und  hält  an  demselben  ent- 
schieden fest,  so  dass  es  fast  lächerlich  ist  ihm  die  Worte 
w  vi  %i  &vfi<p  n^q)i^i  fivS-iofiai  in  den  Mund  zu  legen« 


Digitized  by  Google 


V.  Christ:  WiederlMlungen  gleicher  u.  (üinl.  Verse  in  der  Bin».  249 

Doch  darf  ich  nicht  unberührt  lassen,  dass  in  0  die  ganze 
Partie  V.  28 — 40  als  späte  Nacbdichtung  angefochten 
worden  ist. 

Auf  der  anderen  Seite  ist  der  dritte  Vera  in  der  Bede 

des  Zens  A'  185 

tQS,ov  o:ii^  dij  TOI  i'ooQ  f  TrXeto  ftt]di  tQHjei 
gewiss  nur  eiue  Nachbildung  von  B  179 

akk'  Xy^i  vv¥  xerro  Xaov  !t4xaiiav  ^ufii  kqfiu. 

Denn  so  rascb  hätte  sieb  doeb  niebt  das  Wohlwollen 

des  Zens  in  das  Gegenteil  verkehren  sollen,  dös«  er  nnn 
^ar  die  Atiu  iie  zur  Be.schleanigang  des  Todes  seines  frühereu 
Lieblings  auiforderte. 

Aus  dem  gleichen  Grund  passen  anch  die  zwei  folgenden 
Verse  X  186  f. 

tJg  ftiitfo»  är^we  noQog  ueucnnav  l4i}i]vrpr 

weniger  znr  Lage  der  Dinge  in  X,  während  sie  sehr  ange- 
messen sind  in  der  Originalstelle  J  73,  nnd  anch  gnt 
passen  in  T  349,  nnr  dass  an  der  letzteren  Stelle  die 

weitere  Verwandlung  der  Athene  in  einen  Vogel  weniger 
zur  Einfachheit  der  Ilias  als  zum  Wunderreicbtum  der 
Odjssee  stimmt. 

J  46-9 

tatav  (froXeMv)  ftoi  ft£Qt  x^qi  Tiioxsro  ^ßUog  iQt'j 
xal  TIqiaf.iog  'Aal  Xaog  ivfifueXuo  Tlqia^oio' 
Ol  yaq  fiol  7ioie  ßio/^og  iSeveio  dcxirdg  Hotjg 

Die  zwei  letzten  Vene  sind  hier,  wo  Zens  seine  Vor- 
liebe für  die  heilige  Hios  ansdrfiekt,  ganz  in  Ordnung; 

nicht  so  in  ß  69  f.,  wo  mit  denselben  Zeus  seine  Vorliebe 
für  den  Priamiden  Hektor  begründet,  und  zwar  im  (Gegen- 
satz zu  den  andern  Bewohnern  Ilions.  Denn  es  gab  nnr 
einen  Altar  der  Stadt,  anf  dem  die  Stadt  oder  der  Vertreter 


Digitized  by  Google 


250       SUMung  der  phüoa.'phM.  Classe  vom  B.  Juni  1860, 

der  Stadt,  der  K5nig  Priamoe,  opferte;  von  einem  Ham- 
altar  eines  Einzelnen,  wie  hier  des  Hektor,  weiss  das  he- 
roische Zeitalter  nichts. 

/  315—7 

ovt'  tfu  -/  ^iQeiöir  l4'/au^ivova  TtetaifU»  ota> 
Ott'  äHovg  Jowttovgy  ind  cvx  aqa  ug  xciQig  ^t» 
ftagvaad'ai  Srjloiaiv  ift*  ävdf^ai,  vtaXtfiig  aUl, 

Die  Worte  passen  hier  vortreli'lich  im  Munde  des 
Achill,  wie  er  von  beiaseudem  Ingrimm  üher  den  schweren 
Undank  des  Agamemnon  sieh  fortreissen  lasst  Wenn  aher 
in  &hnliehem  Sinne  P  147  Glaokos  an  Hektor  sagt 

ov  ydg  ng  yir/.iwv  ye  uayeooo/nEvog  Jarauioiv 
€101  7r bqI  /iioXiog'  inü  or/.  aqa  tig  x^Q^S 

so  schiessen  die  Worte  oberes  Ziel;  denn  ein  eigentliches 
Unrecht  hatten  ja  die  Lykier  von  Hektor  nicht  erlitten; 
es  Hess  es  bloss  Hektor  an  mannhaftem  Mut  in  der  Ver- 
teidigung  der  Leiche  des  Sarpedon  fehlen. 

Ebenso  ist  es  weit  mehr  begründet,  wenn  <Z>  373  der 
Flna^tt  in  ansserster  Bedrängnis  cum  Schwnre  sich  her* 
beilfisst,  nie  den  Troern  Hilfe  zn  leisten, 

%aiofiiyr^j  '/Miiooi  (5'  aq^ioi  vitg  .Ayauov, 
als  wenn  1313  Here  ohne  ähnlich  zwingenden  Anlass  sich 
auf  den  gleichen  Schwur  bernfl.  Auch  beachte  man,  wie 
die  zwei  ausgeschriebenen  Verse  gewisser  Massen  dem  Flnss- 
gott  anf  den  Leib  geschrieben  sind,  da  ja  er  bei  einem  Brand 
das  Wasser  zum  Löschen  hergeben  musste. 

il  822 

An  diesen  Worten  nahm  Na  her,  Qnaest.  Horn.  p.  188, 
weil  nach  dem  heutigen  Texte  Patroklos  zuTor  seiner  Rüstung 
entkleidet  worden  sei,  so  sehr  Anstoss,  dass  er  jene  Veerse 


Digitized  by  Google 


f.  Christ:  Wiederholungen  gleicher  u.  ähiü.  Verse  in  der  Bios,  251 

m\hst,  n  800 — 4,  a]s  junge  Interpolation  za  streichen  em- 
pfahl. Aber  abgesehen  davon ,  dass  doch  auch  der  blo5»se 
Fall  des  schweren  Körpers  einen  dnnipfen  Ton  hervor- 
bringen konnte  f  echeiueu  die  Worte  douitjoev  6i  /leawy 
Bor  eine  formelhafte  Phrase  zu  sein,  die  allerdings  an 
•öderen  Steilen ,  wie  J7  599.  401 ,  0  578  etc. ,  wo  der 
Krieger  mitsamt  der  Rfletnng  zn  Boden  fallt,  besser  passt*' 

In  ähnlich  formelhafter  Wendung  wird  F  328  vom  An- 
legen der  Rüstung  gesagt 

uiiaq  o  '/  ctiKf'  vjuoiaiv  iduoeio  iBv^sa  y,ald' 
nod  dann  gleich  fortgefahren 

wihrend  passender  in  den  Parallelstellett  A  16,  J7  130» 

T  364  eine  allgemeinere  Wendung,  wie  Hvaewo  vtoQOfta 
•/a'/./.üy  vorausgeht.  Doch  scheint  mir  die  Sache  nicht  be- 
deutend genug  zu  sein ,  nni  die  Schlussfolgerung  zu  recht- 
fertigen, dass  entweder  F  328  £f.  eine  Kopie  der  anderen 
Stellen,  oder  die  8ebildernng  der  Rfistnng  im  Einselnen, 
r  330—8,  eine  spätere  Interpolation  sei. 

Nachahmungen  mit  Variationen. 

Mit  den  Stellen,  deren  nachahmender  Charakter  aus 
dem  Zosammenhang  erkenntlich  ist,  berühren  sich  nahe 
jene,  in  denen  der  Ansdmck  nnd  Gedanke  eine  kleine 
Variation  erlitten  hat,  nicht  aber  zu  seinem  Vorteile.  Ich 

stelle  unter  denselben  voran  die  berühmte  Wägnng  der 
Todenlose  iu 

X  208—13  und  Ö  68—75. 
Längst  hat  man  bemerkt,  wie  weit  passender  die 
Keren  zweier  Helden  als  die  von  iwei  feindlichen  Heeren 
in  die  Wagschalen  gelegt  werden,  nnd  wie  die  Worte  ^ttb 

i*(uai^iOv  r]//a^  ^4yauov  in  0  72  schon  deshalb  nicht  an- 
gemessen sind ,  weil  ja  nicht  alle  Achiler  an  jenem  Tage 
dem  Tode  (xi^^  lavi^yiog  ^ctvoioto)  verfielen.    Aach  die 


Digitized  by  Google 


252      SUtung  der  fHOos.-phäol.  Cloise  vom  5.  Juni  2890. 

Uebergangaform,  mit  der  ia  X  die  Wägang  der  Lose  an 
daa  Voransgehende  angeknüpft  wird, 

•oilA*  St«  Srj  t6  zira^ov  hti  HQOwovg  aq^UovtOy 
X a  i  i  üT E  Sr^  yQuaeia  TTorrjQ  FTtraive  Takavva 
lässt  uns  in  X  das  Original  und  in  0  die  Kopie  erkennen. 
Allerdings  sieht  man  aus  dem  Ausdrack  yvw  yog  Jiog 
ToXavta  n  658  and  ini^v  xXiwfiai  valoerra  Zevg^  dass  die 
Vorstellang  von  dem  das  Sehlaebtenglnd^  abwSgenden 
Vater  Zens  ^ne  frfih  nnd  weit  verbreitete  war;  aber  das 
ändert  nichts  an  dem  Verhältnis  der  fraglichen  Stellen 
in  O  und  X,  legt  vielmehr  die  Vermutung  nahe,  dass 
auch  der  Dichter  von  il  and  T  von  der  Stelle  in  A'  oder 
richtiger  in  X  und  &  ansgegangen  sei.  £s  konunt  sehr 
darauf  an  fiber  dieses  Verhältnis  mit  sich  völlig  ins  Klare 
zu  kommen,  da  es  einen  Angelpunkt  in  der  homerischen 
Frage  bildet  und  den  Forscher  in  grosse  Verlegenheiten 
bringt.  Es  gibt  natürlich  auch  Auswege,  um  sich  dem 
zwingenden  Zirkel  der  Beweisführung  zu  entziehen;  am 
wenigsten  darf  anter  denselben  die  Aasrede  ver&ngen,  dass 
schon  irgend  ein  alterer  nnbekannter  Dichter  das  Bild  vom 
Abwägen  der  Todeslose  zweier  Helden  gebrancht  nnd  dem 
Üicliter  unserer  Ilias  zum  Vorbild  gedient  habe.^) 
0  502  =  /  65 

dXV  ri  TOI  vvv  fiiv  7cei,i^ti(Ai^a  vv%%i  fiekaiptj 

1)  0.  Hermann,  de  iteratis  apnd  Horn.,  Opnsc.  VIII  16  bemerVt 
über  die  Verse  in  0  zuversichtlich:  praeclaros  illos  versus  Iliad.  XXII 
200  Achivia  aptavit,  qui  istam  carminis  partem  ex  Honiericis  versibus 
composuit.  quae  qui  accurate  conaideraverit,  quid  aliud  quam  ornaraenta 
esse  ex  antiquiorum  poetarum  carminibus  decerpta  fateri  cogitar? 
Ebenso  bestimmt  urteilt  Köchly,  de  Iliadis  carminibus  dissert  VII, 
18,  nur  dass  er  durch  die  Conjectur  rruTriQ  exXtvf  TaXarra  die  Stolle 
selbst  zu  retten  sucht.  Nitzsch  {Sagenpoesie  d.  Gr.  S.  l'^)  freilich 
will  auch  hier  die  Wiederholung  als  eine  stehende  Formel  entschal* 
digeu. 


Digitized  by  Google 


r.  Gmst:  Witderholmtgen  gUicker  u.  ähtd,  Verse  in  der  lUas,  253 

^  48 

aXk'  iq  toi  vvv  fih  atvy^^  Jtii^ta^t^a  daitif 

Es  wird  wohl  niemand  daran  «weifein,  dam  die  Wend- 
ung iieitHü^ai  rixTi  die  angemessenere  und  ursprüngliche 
sei,  zumal  mau  ja  auch  ^ur  nicht  einmal  dem  Mahle,  sondern 
nur  dem  Appetit  oder  der  zum  Mahle  bestimmten  Zeit  ge- 
borehen  kann. 

X  106 

fifj  jtwi  T<g  fdnrfli  xcntuneQog  alkog  ifielo, 

575 

An  der  zweiten  Stelle  verbot  der  Zusammeuliiiug  den 
Vemnagang  xmtiiweQOg  aUos  i/ieiV  aber  was  Menelaos 
dafür  setzt  läxam»  %akM%i%fa¥bf¥  ist  eine  verblasste  Allge- 
meinheit, nnr  dam  da,  den  Vers  cn  föUen. 

-ri  796 

II  38 

dXl'  ffii  7i9q  Ti^eg  tix\         d*  law  orraaaov. 

Die  Veränderung  des  Ansdrncks  ist  dadurch  bestimmt, 
daas  in  ^  Nestor  an  Patroklos,  in  il  Patrokloa  selbst  zu 

AehilleDS  spricht.  Also  rnnsste  die  Form  der  dritten  Person 

■HMn^fiü  geändert  werden;  al)er  di«' Ungeduld,  die  aus  /f(>(>6\; 
üT/a  spricht,  stimmt  gut  zur  Grösse  uud  Nähe  der  Gefahr 
in  n, 

T  218  f. 

fyiu  di  xe  aelo  ro^ftaoi  TtQoßaXoififi^ 
TTcAXSv.  inet  nqmBqoq  ye^o^ifV  mal  rrXeiova  polda. 
Der    erfahrene  (Jd^sseus   kann   »chon   dem  Achilleus 
ge^enüher  seine  grössere  Einsicht  geltend  machen  ;  aher  zu 
iAgen,  dass  er  weit  {hMjov)  üherlegen  sei,  ist  doch  eine 
nnscbiekliche ,  fast  verletzende  Prahlerei,  die  den  Ange- 
fwleten  sebier  zu  einem  dummen  Jungen  herabdrOckt.  Das 
[1880. 1.  PbiL-pbU.  hiit  Cl.  Bd.  L  a.]  17 


Digitized  by  Google 


1 


254       tSUzuny  der  phiios.-phüol.  Cltuise  tum  6.  Jutii  ISbÜ. 

ÜnscliickHche  kam  erst  von  dem  Znsatz  noXkov^  der  aber 

auch  nicht  stellt  in  den  y.woi  Parall«;lstellen ,  weder  iu 
N  3 ;■);■},  noch  in  dem  unserer  Stelle  noch  näher  kommenden 
Vers  0  440,  und  offenbar  nur  der  metrischen  Not  eines 
ungewandten  Nachahmers  seinen  Ursprang  verdankt. 

B  42 
235 

Auch  wir  pflegen ,  wenn  wir  autgewacht  sind ,  uns 
antznrichten  und  aufrocht  nitzend  die  Strümpt'o  anzuziehen; 
aber  wenn  jemand  uns  zn  so  früher  Morgenstunde  sprechen 
wil],  so  machen  wir  es  uns  nicht  so  bequem  im  Bette  sitzen 
zu  bleiben,  sondern  gehen,  wenn  uns  nicht  Krankheit 
hindert,  dem  Eintretenden  entgegen.  Homer  hatte  ein  so 
feines  Anstandsgefühl,  dass  er  es  gewiss  gerade  so  machte 
und  seine  Helden  machen  Hess ;  nnr  liier  hat  den  Dichter  die 
Wiederholung  des  Verses  aus  B  zu  einer  etwas  unge- 
schickten Darstellung  verleitet. 

0  20  f. 

TVfrre         larQOffddrjVj  iujv  di  orovog  ojqvcz^  deui^g 
K  483  1 

Ktthe  d*  ifuun^oqfaötjv  twv  de  avovog  w^yvr^  asixi^ 

Düntzer,  Homerische  Abhandlungen  8.  470  spricht 
sich  ohne  weiteres  für  die  Priorität  der  eisten  Stelle  aus. 
Mir  scheinen  an  beiden  Stellen  die  Worte  so  gut  den  Um- 
standen angepasst  zu  sein,  dass  ich  mich  nicht  mit  gleicher 
Zuversicht  auszusprechen  wage.  Allerdings  ist  das  Verbom 
ivnit  neben  ^JiiuigtHpidt^v  signifikanter,  greifl)arer  als  das  * 
abstraktere  xTfcTi'c,  das  in  K  nicht  bloss  durch  die  liaiul- 
schrifbliche  Ueberlieferuug,  sondern  auch  durch  das  voraus- 


Digitized  by  Google 


r.  Christ:  Wiederlwlungen  gleidier  u.  ähni.  Verse  in  der  Utas.  255 

gehende  /jt  ov  /  «vd^as  truiQe  geschützt  wird.')  Auch 
acheint  jenes  Tvme  mehr  in  Einklaiif^r  zu  stehen  mit  dem 
nachfolgenden  aoqi  ^eivofiäviov.  Aber  der  zweite  Vers  ist 
in  K  gans  anstandslos  ^  w&hrend  wir  nns  in  0  an  dem 
Hiatus  fäfiOTi  vSioQ  stoesen.  Doch  dürfte  dieses  Bedenken 
untergeordneter  Natar  sein,  da  der  Hiatns  nach  der  Dativ- 
endnng  öfters  bei  Homer  vorkoiiuut  und  seine  beson^lere 
JilatschuldigQng  hat;  s.  Härtel,  hom.  btadien      b.  Ö8, 

In  0  165  f.  heisst  es  einlach 

ovdi  dtuTtijo 

In  y  21)7  tf.  hingegen  lesen  wir  ausführlicher 
OLÖi  tot'  ^IvHuo  öaifp^vo^  o^qi^ov  tyxog 
Qrj^e  aoTKog-  XQvadg  yoff  iqiiiuxKe,  dw^a  d-eolo- 
diiXd  diüi  fih  i^Laaoe  Sid  mv^agy      d*  o^'  iti  v^tg 

tag  düo  %ahLdag,  övo  d*  ivdox^i  xaaoitiQOiO,  ^ 
trjv  di  fiiav  XQ^^^- 

Hatte  der  Dichter  nns  sagen  wollen,  dass  Ton  den  5 
Lagen  des  Schildes  2  von  Erz,  2  von  Zinn,  eine  nnd  zwar 
die  oberste  Ton  Gold  war,  so  hatte  er  uns  das  gleich  bei 

der  Fertigung  des  Schildes  —  4SI  gesjigt.  Denn  diese 
Suche  gehört  sicher  nicht  v.u  den  jenigen ,  von  welchen 
Horazsagt:  pleraqne  differat  et  praesens  iu  tempus  omittat. 
l^er  verschiedenen  Metalle  hatte  allerdings  der  Dichter  in 
S  474  f.  Erwähnung  gethan:  x<tAxdy  iv  nv^  ßdllw 
OTM^o  xotfcr/Te^  TS  xof  x^iHJov  Tij.ttjvTa  utal  aQ/vQov,  Aher 
«eben  wir  näher  zu,  so  hatte  das  Gold  und  Zinn,  das  He- 
philstüs  in  die  Esse  warf,  in  der  lloplopoiie  eine  ganz 
andere  Yerweuduug ;  es  diente  nicht  dazu,  um  damit  ganze 


I)  In  den  twei  paraUeUn  Stellen  der  OdyMee  steht  rvnror  x 
hingen  xut^oy  m  184,  so  aber  dan  auch  hier  das  rvnro»'  wegen  des 
MgeideD  ttgatw  rvnrofiiyw  als  das  nnprOngliehere  eraeheint. 

17» 


'^56      Sitzung  der  fMosrpkUol,  Oasse  com  5,  Juni  1860. 

Lagen  des  Schildes  zu  fertigen,  sondern  nm  Farbe  und 

Abwechsln  Dg  in  die  knnstvollen  Metallarbeiten  zu  bringen, 
indem  einzelne  Figuren,  wie  Pallas  und  Ares,   von  tiold 
(-^517),  der  Zaun  von  Zinn  (^564),  die  Pfähle  von  Silber 
563)  gefertigt  wurden.    Die  in   Y  zugefügten  Vene 
enthalten  daher  eine  nicht  bloss  ungeschickte,  sondern  ge- 
radesu  Terfehlte  Erklftrung  des  xng^^  7^  i^vwau  äü^ 
&Boio  der  einfachen  Vorlage,  die  eben  deshalb,  weil  sie  Yer-  I 
fehlt  und  falsch  ist,  auch  nicht  einmal  dem  Homer  in  einer  ^ 
unglücklichen  Stunde  entschlüpft  sein  kann,  sondern  uot- 
wendiger  Weise  von  einem  anderen  Dichter  oder  Dichter- 
ling herrühren  muss,  so  dass  nur  ein  Zweifel  darüber  be- 
stehen kann,  ob  sie  dem  Dichter  des  Gesanges  Y  oder,  wie 
die  Alexandriner  wollten ,  einem  späteren  Interpolator  m- 
zuschreiben  seien. 

Das  sind  die  Hauptstellen,  in  denen  sich  dss 
Verhältnis  Ton  Original  und  Kopie  kundgiebt;  einige 
weitere  werde  ich  einfach  in  dem  Verzeichnis  aufFühren, 
weil  ich  zur  Begründung  derselben  nichts  Wesentliches  hinsn- 
zufügen  habe.')  Andere,  bei  denen  ich  Ijezüglich  der  Prio- 
rität zu  keiner  festen  üeberzeugung  gelangen  konnte,  habe 
ich  ganz  bei  Seite  gelassen.  Bei  fortgesetzter  Forsch  ung 
wird  es  vielleicht  gelingen  noch  andere  Beispiele  au  finden 
und  neue  Gesichtspunkte  für  Erkenntnis  des  Prioriiätsver- 
hältnisses  aufendecken.^  Aber  auch  schon  das  hier  Gebotene 


1)  Bezüglich  H  79  f.  =  X  H4l' f.  verweis.-  icli  auf  Düntzer,  Honi. 
Abb.  292.  Doch  halte  ich  die  Sache  nicht  für  entschieden ,  da  aller- 
dings in  //  der  Gegensatz  zu  n'ixtcdf  schärfer  hervortritt,  aber  auch  d<^r 
Ausdruck  in  X  vollstündii]:  verständlich  ist  Die  Entscheidung  wird 
daher  noch  von  andern  Erwägun^ren  abhängen. 

2)  Manches  habe  ich  absichtlich  übergangen.  Wenn  z.  B-  Pepi>- 
ra  ulier  in  seinem  Couuiientar  zu  II.  XXIV  p.  XXI  in  ii  6"57  iiaof^ouiv 
otlut-  z'  üyu&r,y  xui  fxvSot'  uxoviur  an  deul  nachschb-pponden  ^iJ'*'"' 
iixoiiüty  AoHtoss  nimmt,  so  pflichte  ich  ihm  voUstündig  bei;  weun  er 


Digitized  by  Google 


e.  Chrisi:  Wiederholungen  glekher  u.  ähnl.  Vene  in  der  J/mu.  257 

gibt  hds  Terlassigen  Au&ehluBs  Uber  Dinge,  deren  £rmiitel- 
QDg  Grote  und  FriedlSnder,  die  hom.  Kritik  S.  28, 
for  anmöglich  hielten ;  es  zeigt  ans  unzweideutig,  dass  Grote's 

Achilleis  Teile  enthält,  welche  nach  dem  Vorbild  solcher 
(Jesäuge  ( H — H)  gedichtet  sind ,  welche  nach  Grote  erst 
in  die  ältere  Achilleis  eingeschoben  sein  sollen,  dass  also, 
wenn  man  sich  überhaupt  auf  jene  Weise  die  Ilias  ent- 
standen denken  dOrfte,  das  Verhältnis  der  Teile  eher  nmzu- 
k»hren  wäre. 

Ausser  den  einzelnen  Pärallelsielleu  sollten  hier  auch 
noch  die  Piirallelscenen  in  Betracht  gezogen  werden.  Denn 
es  giebt  auch  ganze  Partien ,  welche  nach  dem  gleichen 
Plane  angelegt  sind,  wie  die  Beratung  der  Götter  vor  dem 
Fall  des  Hektor  (X  166  -87)  nnd  Yor  dem  des  Sarpedon 
(U  431—61),  die  Beratung  der  Troer  am  Ende  des  ersten 
(H34.j-80),  zweiten  (0  489— 542)  nnd  dritten  (^243-313) 
Schlachttages,  die  Rüstung  des  Paris  (r  328—39),  Aga- 
memnon 15  —  46),  Patroklos  (/Z  130—54)  und  Achilleus 
(T  364  —  98),  der  Zweikampf  des  Paris  und  Menelaos  in  F 
nnd  der  des  Hektor  und  Aias  in  die  Qötterschlaeht  in  E 
und  die  in  0,  die  Beratung  der  Geronten  in  B,  /,  S,  die  Ein- 
legunp  einer  seelenvollen  Familienscene  in  die  Schilderung 
der  blutigen  Kämpfe  am  ersten  und  am  dritten  Schlachttag 
{^pd(^Ofiax»i<;  öfAikia  und  ^wg  071  atr^) ,  der  dramatische 
Soenenwechsel  im  Eingang  (O*  il)  und  am  Schluss 
(2^)  der  Patrokleia,  die  KlaggesSnge  (^^^Oi)  über 
Hektors  Fall  im  22.  nnd  im  24.  Buch.  Aneh  hier  ist 
es  zum  Teil  möglich  Anzeichen  von  Original  und  Kopie 
nachzuweisen ,  doch  habe  ich  es  vorgezogen  diese  weiter- 

dann  aber  sich  nach  einer  Stelle  ninschaat,  aas  der  der  Dichter  jeneo 
Vertaasgang  Monte  entlehnt  haben ,  so  arteile  ieh  über  dieae  Yoistell- 
aiig  von  der  AnBieligfceit  des  thigtorten  Dichten  gerade  so  wie  smIb  ' 
Fieoad  Börner  in  dsm  Prognunm,  Bin  Dichter  vid  ein  Kiitiker  vor 
des  BicfatentoU  des  Herrn  PeppmfiUer. 


258      SUsung  der  phOas^-phiM,  Ckuse  vom  6,  Juni  1880. 

gehenden,  yerwiokelteren  Untersnehungen  hier  vorläufig  bei 
Seite  za  lassen  nnd  mich  anf  die  znTorli&ssigere  Vergleich« 
ung  der  Einzelstellen  zn  beschränken. 

Auch  auf  die  Erörterung  der  Frage,  ob  der  Dichter 
Dicht  blos  aus  Unvermögen  und  der  epischen  Treue  zu  lieb, 
sondern  manchmal  auch  in  bewusst^r  Absicht  den  gleichen 
Vers  oder  das  gleiche  Bild  wiederholt  habe,  bin  ich  hier 
nicht  eingegangen.  Ich  bezweifle  zwar  nicht,  dass  es  solche 
Stellen  gibt'),  nnd  dass  ihre  Betrachtung  fttr  das  ToUe 
Verständnis  der  homerischen  Kunst  vou  grosser  Bedeutung 
ist,  aber  in  Bezug  auf  die  Prioritätsfrage  ist  es  gleichgiltig, 
ob  der  Dichter  an  der  späteren  Stelle  in  bequemer  Nach- 
ahmung oder  in  kunstgerechter  Absicht  einen  früheren 
Vers  wiederholt  hat. 

Um  aber  auch  nur  aus  dem  hier  gebotenen  Material 
richtige  Schlüsse  auf  die  frühere  oder  spätere  Abfassung 
der  einzelnen  Teile  der  Ilias  zu  ziehen,  kommt  es  sehr  darani 
an,  in  jedem  oinzelnen  Fall  zu  ermessen,  wie  weit  die  Trag- 
weite der  nachgewiesenen  Nachahmung  reicht.  Kann  die  Nach- 
ahmung als  eme  Interpolation,  als  ein  nachtragliches  Einschieb- 
sel erwiesen  werden,  so  beweist  sie  natürlich  gar  nichts  för 
die  Abfassuugszeit  des  Gesanges  oder  auch  nur  der  kleineren 
Partie,  in  die  sie  eingeschoben  wurde.  Aber  selbst  wenn 
kein  Verdacht  einer  späten  Interpolation  vorliegt,  hüte 
man  sich  in  der  Schlussfolgerung  zu  weÜ  zu  gehen.  Vor- 
sicht thut  namentlich  in  den  Fällen  not,  wo  durch  die 


1)  Auf  eine  solche  Stelle  weist  z.  B.  Lach  mann,  Betrachtangen 
S.  7  hin.  Ich  selbst  will  nur  bemerken ,  dass  es  jü^ewiss  nicht  Zufall 
ist,  wenn  der  Vergleich  der  Thn'inen  des  Fürsten  mit  dem  schwarzen 
Quell  im  Eingang  von  /  und  //  wiederkehrt,  und  dass  man  an  der 
Wiederholung  des  Verses  aitj  6i  fitraar^iKf&fig.  tnn  i«ro  pii^io^ 
hni^y  in  A  595  und  0  591  den  alten  Schluss  der  Afjiajtiu  '.4ytt- 
f4ifiyoyof  und  den  Ausgang  der  erweiterten  Jiog  arfuiii  erkennen 
kann* 


Digitized  by  GoogI< 


r.  Christ:  WiederholMigen  gUicher  u.  ähtU,  Verse  m  der  lUaa.  25U 

iiiclit  immer  pjlückliclie  Abteilung  unserer  jetzigen  24  BücIkt 
(l*  r  Ilia8,  die  ohnehin  in  einer  neuen  Ausgabe  des  Jlomer 
durch  eine  bessere  ersetst  werden  sollte,  zusammeohängende 
Partien,  wie  der  Schloss  von  0  und  der  Anfimg  Ton  Jl  aus- 
einander gerissen  sind,  oder  wo  schon  in  früherer  Zeit  an 
einen  alteren  Kern  eine  jüngere  Partie  angedichtet  oder 
zwischen  selb-tüiulige  ältere  Ge.sänge  f^ine  vermittelnde 
Partie  eingelegt  wurde,  wie  dieses  zum  Beispiel  in  -ö,  ^  und 
S  der  Fall  ist.  Auf  alle  diese  Punkte  bin  ich  aber  nicht 
angegangen,  ich  wollte  hier  nor  darauf  hinweisen, 
damit  einer  nicht  durch  nnbesonnene  Benfltssnng  des  ge- 
botenen Materials  die  homerische  Frage  statt  zu  lösen,  noch 
mehr  verwirre.  In  dem  Verzeichnis  habe  ich  blos  durch 
Klammern  oder  einen  Htern  die  unechten  Verse  und 
spateren  Zudichtungen ,  durch  ein  Fragezeichen  aber  die- 
jenigen Stellen  beseichnet,  bei  denen  es  fraglich  ist,  teils 
ob  ttberhanpt  eine  Nachahmung  anznnehmen  sd,  teils  welche 
der  beiden  Stellen  /um  Vorbild  gedient  habe.  Dass  die 
Zahl  dieser  letzten  Art  von  Stellen  noch  bedeutend  ver- 
mehrt werden  könne,  namentlich  wenu  man  auch  noch  die 
gleichen  Scenen,  wie  Yon  der  gransamen  Tötnng  der  um 
Gnade  Flehenden  in  Z  37—65  und  122— 47,  henmaiehen 
wollte,  ist  mir  nicht  entgangen;  aber  ich  habe  mir  hier« 
om  den  Umfang  der  Abhandlung  nicht  allzu  sehr  anwachsen 
za  laÄ^en ,  eine  gewisse  Beschränkung  auferlegt  und  Miuac 
die  Leser  bitteu  sich  mit  dem  Gebotenen  zu  begnügen. 

Verzeichnis  der  Nachahmungen  in  der  Ui»^ 


A 

254  it  i 

(  H  124  £ 

ahmt  nach:  keine  Stelle, 

3G3  : 

:  n  19 

Wird  nachgeahmt: 

411  f. 

:  n  2T6  t 

131  f.  :  T  155  f. 

453  f.  < 

?  176  f.  :  E  890  f. 

493 

;  Q  31 

212    :  :r  4 

499 

260      aUMung  der  philo»,'phiiM.  Clane  wm  5,  Jum  1880, 


528  :  P  209 
567      :  0  105 

?  r>86      :  E  382 
607  f.  :  uilß  f. 
B 

ahmt  iiBoh: 
?  45      :  r  334 

?  73      :  /  33 

wird  uacbgt'uhint : 


1  f. 

:  K  1—4 

42 

46 

79  =  ^276  : 

i  17 

81 

:  Ä  222 

179 

X  185 

333  f. 

:  i7  276  f. 

453  f 

M  13  f.] 

r 


ahmt  nach:  keiue  Stelle, 

wird  oachgeahmt: 
34  :  ü  170 

39  =      385  :  ^^  769 
?'334  :  B  45 

442-6        ;  S  315—28 
J 

ahmt  Dach:  keine  Stelle, 

wird  nacbgeabrot: 

48  f.   :  n  69  f. 
73  f.   :  X  186  f. 
132  f.  :  Y  413  f. 
B 

ahmt  nach: 
?204      :  ^  230 


?  382      ;  AI  586 
?  590  ff.  :      343  ff. 

?  052  ff.  :  ^  443  ff. 
?706      :  M  140 

753  f.  :  A  498  f. 
?791      :  N  107 

?890  f.  :  A  176  f. 

wird  uacbgeahmt: 
?  7       :  P  205 
273      :  B  196 
309  f.  :  A  355  f. 
366     :  X  400 
436  ff.  :  Y  445  ff. 
494  ff.  -  Z  103  ff.  :^  211  ff. 

603       :  Y  98 
?  739  tf.  :  ^  36  f. 
?  827      :  3  342 
▼gl.  471  ff.  n.  JP  142  t. 

Z 

ahmt  nach:  keine  Stelle, 
wird  nachgeahmt: 
103  ff.  =  B494  ff. :  ^211  ff. 

506-  11  :  O  263-68 

vgl.  37-  65  u.  ui  122-147 

H 

ahmt  nach: 

124  ff.  :  A  254  ff. 
V357      :  M  231 

wird  nachgeahmt: 
?79  f.  :  X  342  f. 
162  ff.  :  e  261  ff. 

176       :  ^  352 
273  f.  :  F  530  f. 


Digitized  by  GoogI< 


r.  Chriiit:  Wiedel holungen  gleicher  u.  cüuU.  Verse  in  der  Utas.  261 


e 

ahmt  uach: 
3      :  ^  499  ^  ü  754 
♦39  f.  :  X  183  f. 
43     :  ^  25 
68  ff.  :  X208  ff. 
130  f.  :  ^310  f. 
196      .  E  273 
?251  f.  :  B  440  f. 
261  ff.  :     162  ff. 
327      :  X326 
541      :  N  828 
wird  nachgeahmi: 
5  f.  :  T  101  f. 
141  =  P  ÖÖ6  :  [0)  ö7Uj 
345  ff.  :  0  367  ff. 
502      i  65   :  48 
?530  f.  :  :S  303  f. 
1 

ahmt  nach : 
17      :  ^  276  ~  ^  79 
?403      \  X  156 
wild  naebgeahmt: 
m      :  B  73 
65  =  9  602  :  >F  48 
193       :  ^  in 
253       :  ^  766 
316  f.  :*P  147  f. 
517      :  ü  297 
?647  f.  :  17  58  f. 
K 

ahmt  nach: 
1  ff.  :  -ß  1  f. 
?483     :  0  20 


515 


N  10 


wird  naehgeahmt: 
298     :  806 


A 

'    ahmt  nach: 
[13  f.]  :  B  453  f. 

?36  f.  :  E  739  ffr 
[47  f.]  :  Ii  84  f. 
76  f.   :  ^  607 
211  ff. :  £494  ff.  =Z103ff. 


355  f. 
766 
777 


E  309  f. 
/  253 
1  193 


wird  nachgeahmt: 


98 

M  186 

192  ff.  : 

:  F  453  ff. 

195 

V  198 

218  f.  : 

E  508  f. 

?  230 

:  E  204 

310  f. 

:  0  130  f. 

?  343  ff.  ; 

E  590  ff. 

362  t 

:  r  449  i 

385  ^ 

r  39  :  N 

403  : 

<P  53 

?  443  ff. 

:  E  652  ff. 

525 

:  xV  684 

534  ff.  : 

r  499  ff. 

573  i  - 

0316i:^ 

669 

;  12  359 

?  675 

:  31306 

796 

:  il  38 

826 

:  n  24 

ifgl  122-47  o.  Z  sr? — 


Digitized  by  Google 


202       Sit  zung  der  philos.-jMA»  Classe  vom  5;  Jmd  1880. 


?20 
♦175 

186 
?306 


M 

ahmt  nach: 
0  314 
O  414 
^  98 

675,  61,  296 


wird  nachgeahmt: 

84  f.   :  \yt  47  f.] 
?  140      :  E  706 
162      :*0  397 
?231      :  Hdö7  =  ^  285 
504  f.  :  [n  614  f.] 
N 

ahmt  nach: 
22       :  ß  46 
684      :  525 
769      :      385  =  r  39 
wird  nachgeahmt: 
10      :  K  515 


25 

46 
107 
504  f. 
808 
828 


40 
?162 
315  ff. 
342 
508  f. 


e  43 
*n  555 
E  791 
[n  614  f  ] 
a  40 
e  541 

ahmt  nach: 
N  808 
P  551 
r  442  ff. 
B  827 
^  218  f. 
wird  nachgeahmt: 
?440  f.  :  e  251  f. 


507     :[JT  283] 
O 

ahmt  nach: 


^  5Ö7 

n  52  ff« 

Z  506-11 
X  24 
e  345  ff. 

M  162 
wird  nachgeahmt: 
?12  :JI431 
:*n  677 
:*M  175 
:  n  499  f. 
:♦//  562 

n 

ahmt  nach: 
^  363 


105 
?  208  ff. 
263—68 
?  269 
♦367  ff. 
»397 


237 
414 

427  f. 

565 


19 
24 

38 
?58  f. 
236  f. 
273  f. 
276  t 
[283] 
?  431 
♦  440  ff. 

499  f. 
♦555 
♦662 
[614  f.] 
♦677 
wird 

?52  ff: 


A  826 

A  796 
/    647  f. 
A  253  f. 

411  f. 
B  333  f. 
8  507 
0  12 
X  179  ff. 
O  427  £. 
N  46 
0  565 
M  504  f. 
O  237 
nachgeahmt: 
0  208  ff. 


Digitized  by  Google 


t.  Christ:  WiederJtolunyen  yleidier  u.  lüuU.  Verse  in  der  Ilias.  263 


♦60  f.  =  ^112  f.:  reo  f. 

P 

abnit  uacb: 
♦147  f.  :  1  316  f. 

205      :  E  7 

209      :  A  528 

384      :  ^  279,  A  472 

453  ff.  {yl  192  ff. 

530  f.  :  H  273  f. 
wird  nacbgeabint : 
?  551      :  S  162 
Tgl  142  ff.  und  E  471  ff. 

ahmt  nach: 
4  :^212 
?  303  f.  :  8  530  f. 

wird  nachgeahmt: 
112  f.  =  JI  60f.  :  T  65  f. 
T 

ahmt  nach: 
65  1  :  /I  60f.=^112f. 
101  f.  :  e  5  f. 
155  f.  :  ^131  f. 
182  f.  :  Q  368  l 
219      :  (I)  440,  N  355 
382      :  X  315 
wird  Dachgeahmt: 
?220     :  ^  591 

r 

ahmt  nach: 
98      :  E  603 
267  ff.  :  O  165  f. 
313  ff.  :  (D  374  ff. 
356  t  :  iU410  f. 


413  f.  :  J  132  f. 
445  ff.  :  E  436  f. 
449  f.  :  ^  362  f. 
499  ff.  :  ^  534  ff. 

wird  nachgeahmt: 
? 164      :  ß  572 

0 

ahmt  nach: 

53      :  403 
167  f.  =  0  316  f.  :      573  f. 
225  :  E  220,  ^  386 
[570]  :  P  566  =  e  141 
wird  nachgeahmt: 


f. 


V2Ü 
165 
314 
374  ff. 
440 


185 
186  f. 

?  342  f. 
400 


A  483 

Y  267  ff. 
17  29 

Y  313  ff. 
T219 

X 

ahmt  nach: 
B  179 
^  73  t 

H79  f. 

E  366 


wird  nachgeahmt: 


?24 
106 
?156 
179  ff. 

183  f 
208  ff. 
315 
326 


O  269 
y575 
/  403 
♦/T  440  ff. 

e  39  f. 
0  68  £ 
T  382 
B  327 


Digitized  by  Google 


^64       Sitzung  der  phüosr^üiA,  Clasac  vom  5,  Juni  lööO. 


ahmt  nach:  • 


48 

:  /  65  ^  O  502 

198 

.  ji  195 

235 

:  B  42 

352 

:  H  176 

575 

:  A'  lOG 

?  591 

:  T  220 

806 

:  K  298 

wird  nachgeahmt:  nirgends 


ahmt  nacli: 
31      :  A  493 
69  f.  :  J  48  f. 
170      :  r  34  =  J?  506 
222      :  B  81 
[232]      :  T  247 
297      :  /  517 
359      :  669 
?  572      :  Y  164 
wird  nacbgeahmt: 
368  f.  :  7  182  f. 


Die  Bezugnahmen  in  der  Ilias. 
Im  Anhang  nnd  gleichsam  als  Ergänzung  des  Ver- 

zeichnisse-s  der  Nacliahmungen  will  ich  noch  eine  Zuaammeu- 
stellung  der  Verse  geben  ,  wo  der  Dichter  sich  auf  früher 
Gesagtes  zurückbezieht  oder  im  voraus  auf  das,  was  nach- 
her erzählt  werden  soll,  hinweist.  Direkte  und  ausdrück- 
liche Bfickbeziehungen  finden  sich  nur  selten  i  was  teils  im 
Wesen  der  Dichtkonst  selbst  begrflndet  ist ,  teils  sich  aus 
der  selbständigen  Stellung  der  einzelnen  Gesänge  des  ho- 
merischen Epos  erklärt.  Doch  finden  sich  solche,  wie  z.  B. 
in  n  61  ri%oi  i'^ijv  ye  ov  n^iv  fiijvii^fidv  mnaTtavaifisVf 
oXk^  bnox*  av  dr  v^ag  ifiag  dffUtjzai  avrij  te  ftvokmog  ts. 
Denn  ofienhar  bezieht  sich  hiemit  Achill  auf  seine  Worte 
in  /  650  ov  yaq  Ttqiv  noXifioio  ftedi^aofdai  aifunooftogf 
nqiv  /  v\üv  TlqiafAOio  datipQOvogf  ^'EKTOQa  dlov^  MvQfiidovtap 
t  ii  te  xXiaiag  xai  vrjag  \y.tai>aiy  etwas  was  durch  keine 
VVinkelzüge  der  Erklärung  weggestritten  werden  kann.') 

1)  Dsts  naii  aieht  i<pnv  (11 61)  mit  FEti  in  dem  vagsn  Sinn  "ich 
gsdackte,  batte  beichloBsen*  nsbrnsD  dflife,  itigt  nsmsntUdi  auch  die 
Veigleiehong  Ton  qTro»  in  2  280.  YersebiedeD  ist  nw 

E  478,  wo  durch  den  Znaati  Ton  nop  die  Stehe  ins  Unbeetimmte  ge- 
wendet wird. 


Digitized  by 


r.  Christ:  Wiederholuuyc»  yleidter  u.  ähnt.  Vene  m  der  Uiae»  265 

Häufiger  finden  sich  indirekte  RCtekbeziehnugen,  indem  der 
Dichter  auf  dasjenige  anspielt,  was  in  frObereu  Gesangen 

erzählt  war,  wie  weun  er  6>  lU^  mit  'i/i.rovg  otg  /iot'  ct^r' 
y^irttav  tkofn^y  aiul  ^  mit  /'////o/\;  o\'\;  /foi'  UAi^vqa 
^ivtiav  anf  die  in  i:  '2G0 — 327  erzählte  üeldeutbat  des 
Diomedtfs  zurttckweist.  Hier  ist  die  Zurückweisung  noch 
mit  dem  unbestimmten  inni  gegeben;  es  gibt  aber  auch 
solche  Formen  der  Rttckbeziehnng ,  welche  scbon  die  enge 
Zusamiiienziehung  der  ganzen  Erzählung  voraussetzen,  wie 
T  1H4  dü^u,  (iaa'  ^/yih]i  x^'?^'  i  Jiioiiif,iBv  diootiv  ^  doch 
scheinen  sich  Beispiele  der  letzteren  Art  nur  in  ganz  jungen 
Gesängen  oder  interpolierten  Stellen  zu  finden. 

In  den  bis  jetzt  angeführten  Versen  nimmt  der  Dichter 
auf  eine  ganz  bestimmte  einzelne  Thatsache  Bezug.  Wir 
haben  aber  auch  einige  Stellen,  wo  der  Dichter  im  alljife- 
meineu  die  ganze  vorausgegangene  Erzählung  rekapituliert, 
oder  die  künftige  Entwicklung  voraussagt.  Die  wichtigsten 
dieser  zum  Teil  in  hohem  Grade  der  Interpolation  Terdäcb* 
tigen  Stellen,  welche  in  dem  Verzeichnis  selbst  keinen  Platz 
finden  konnten,  sind: 

B  175—83,  470—6  Zeus  sagt  die  Zukunft  voraus, 
*Ö  535— b    Hektor  kündet  die  Ereignisse  des  fol- 
genden Tages  au, 
M  216 — 29  Pulydamas  prophezeit  da«  kommende 
Verhfingnis, 
*0  Zeus  sagt  die  Zukunft  Torans, 

P  201—8    Zeus  Terheisst  dem  Hektor  Sieg  und  Tod, 
—   440  —  61  Thetis  erzählt  dem  Uephaistos  das  Ge- 
schehene, 

0)  29:S  -7    Poseidon  erteilt  dem  Achill  Auftrag. 
Von  Bedeutung  ist  hierbei,  dass  in  drei  Stellen  O  70, 
^  277 ,  *X  358  die  Hindentuug  auf  die  Zukunft  Aber  den 
Kreis  der  Utas  hinausgreift  und  die  WechsetfÜlle  der  Aetbiopis 

und  IliuperHis  berührt. 


Digi 


1 

I 


266       SUäung  der  pkUos^-phOol.  aasae  wm  6,  Juni  1880. 

liaue  andere  Art  von  Bezagimhme  besteht  darin,  dass  der 
Dichter,  ohne  sich  direkt  auf  etwas  Erzähltes  zarockzaheaieheD, 
das  bereits  Erzahlte  zurVoraossetzang  seiner  neaenErzählnng 
nimmt,  wie  wenn  in       T  Achill  vom  Kampfe  fem  bleibt, 

uufl  ciuch  Agamemnon,  Diomedej?  und  Odjsseus  nach  ihrer- 
Verwundung  in^  vom  Schauplatz  der  Kämpfe  verschwinden. ') 
Feinerer  Art  sind  die  versteckten  Verknüpfungen  früherer 
and  späterer  Gesänge,  wie  die  ^OfoXia  ^dvdftofuixfjs  xoi  '!ßc- 
toqog^  dnrch  welche  Pbris  wieder  in  den  Kampf  znrückge- 
fohrt  wird,  nnd  der  Hanerban  in  H,  durch  den  die  Teicho- 
machie  eingeleitet  wird. 

Wie  bei  den  Nachahmungen  so  fühlen  wir  aber  auch 
hi»'r  nur  zu  oft  den  Boden  unter  unseren  Füssen  wanken. 
Es  fragt  sich  vielfach,  wie  weit  die  Tragweite  der  RQckbe- 
ziehnng  im  Einzelnen  auszudehnen  sei,  ob  die  bezugnehmende 
Stelle  echt  oder  interpoliert  sei,  endlich  ob  man  überhanpt 
mit  Recht  eine  Bezugnahme  in  den  Worten  des  Dichters 
finden  dürfe.  Namentlich  die  letzte  Frage  ist  an  vielen 
Ötelieu  äusserst  schwer  mit  einiger  Zuversicht  zu  beant- 
worten. Wenn  z.  B.  Teukros  in  O  409  sagt  pev^  s^i^^^e 

amoffTag  of<rrovg,«so  haben  darin  bereits  die  alten  Erklftrer, 

darunter  Aristarch ,  eine  Bezugnahme  auf  den  Unfall  des 
Teukros  am  vorausgehenden  Tage  finden  wollen,  bei  dem 
ihm  durch  den  Stein  des  Rektor  die  Bogensehne  zer- 
schmettert worden  war  {&  328).  Aber  abgesehen  dayon, 
dass  Zenodot  nicht  f^uw^  sondern  n^t^  las,  scheint  doch 
auch  die  Bezugnahme  auf  das  früher  Erzählte  eine  äusserst 
gesuchte  zu  sein,  zumal  der  beigefSgte  Grund  o^*  dvtxoiTo 

1)  Lach  mann,  Betracht.  47  lässt  es  unentBchieden,  ob  schon 
in  M  die  Verwundunf^  der  drei  iHelden  als  geschehen  gedacht  werde. 
Aber  bei  solch  einer  entscheidenden  Wendung  des  Kampfes,  wie  «■  die 
Binnabme  der  Maner  istt  konnte  doch  der  kr&ftigäte  oder  sweitkiiftigate 
der  Äehier»  Diomedee,  nleht  fehlen,  aoieer  er  wsr  hon  de  combat. 


Digitized  by  Google 


f.  Chriat:  U  iedtrholuntjtn  (flacher  ii.  dh}ü,  Verse  in  der  llias.  267 

^afia  ^Qdiaxovtag  6i<notg  gan«  allfifeineiiier  Natur  ist  und 
eWr  tlarauf  biuzu  weisen  solieint ,  das-^  der  Bogensclii'itze 
aus  Vorsicht  früli  uiorgeus  eiue  neue  Sehue  eiuge/ogen 
hatte.  In  ähnlicher  Weise  kann  wohl  der  Vers  H  282 
'pvS  4*  teli&er  dyadov  xai  wxti  Tti^ioy^m  eine  An- 
spieliing  enthalten  auf  B  386  ot  yaq  navawXi]  fieriaaetm 
ovd^  rjiiaiot'y  ei  «ij  vv§  ikS-ovca  ÖtcntQiviBt  ^evog  avd^tav. 
Aber  die  W(>rt<i  in  tl  sind  doch  ganz  wohl  verständlich, 
auch  wenn  man  die  Annahme  jeder  Uückbeziehuug  aus- 
««chliesst;  und  bei  Homer  zumal  pflegt  immer  die  einfachste 
£rklarang  ancb  die  richtigste  zu  sein. 

Mehr  begrfindet  scheint  die  Annahme  zu  sein,  dass 
das  leichte  Verstandniss  von  N  185  ff.,  wo  Amphimachos, 
der  Sohn  des  Kteatos  Aktorion,  ein  Enkel  des  Poseidon 
heisst,  die  Kenntnis  von  ui  700  voraussetze,  wo  die  beiden 
Aktoriones  als  Söhne  des  Poseidon  bezeichnet  werden.  Aber 
was  uns  Spatlingen  zu  den  abgelegenen  und  erklärungsbe- 
dQrftigen  Partien  der  Sage  zn  gehören  scheint,  konnte 
Homer  leicht  bei  seinen  ZnhSrem  als  bekannt  Toranssetzen, 
znmal  wenn  wirklich  damals  schon,  wie  Hermann  und  mit 
ihm  Nitzsch  und  Bergk  vermuten,  ein  altes  Lied  von  den 
Thateu  JNestors  in  Umlauf  war.  ^) 

Erschwert  wird  die  Untersuchung  ancb  noch  dadurch, 
dass  an  einigen  Stellen  die  Bezugnahme  zwar  zweifellos  ist, 
es  sich  aber  fragt,  ob  der  Dichter  bei  der  zweiten  Stelle 
die  W8te  oder  umgekehrt  bei  der  ersten  die  zweite  vor 
Augen  gehabt  habe.  So  stimmt  .1/  5 — 33  so  sehr  mit 
H  442  64  überein,  dass  die  Uebereinstimmuug  keine  zu- 
HiUige  sein  kann,  sondern  der  Dichter  der  einen  Stelle  die 

Ii  FritMiländer  Anal.  Horn.  (Jahrb.  f.  IMiil.  Suppl.  III,  MV.X) 
nimmt  an ,  dass  in  iV  selbst  <lurcli  einen  ausifofallenen  Vers  das  Ver- 
lan.ItHcliaftsvc'rliältniy  tlcs  Äinpliiniarlios  zu  l'oseidon  aus^'osprochen 
war;  Kchatlc  nur,  dasa  ilor  Auslall  geraUc  ciiifa  solchen  Verses  tlaa  AUer- 
inwahischcinlichste  der  Welt  ist. 


Digitized  by  Google 


268       Sitzung  der  jjhUo8.-philul.  Classe  vom  ö.  Juni  lö60. 


andere  bereits  Torgefnnden  haben  mnss ;  aber  wahrscheinlich 

hatte  nicht  der  Dicliter  des  Eingangs  der  Teichoniachie 
den  zweiten  Teil  von  H  vor  Augen,  sondern  wurde  umge- 
kehrt der  letztere  erst  hinzugefügt,  nm  die  bereits  ge- 
dichtete Teicbomacbie  eiosnleiten.  Äehnlich  wird  auch  da» 
Verbaltnis  swiscben  B763— 7  und  *F288  ff.  gewesen  sein. 
Ich  begnüge  mich  in  einem  aolchen  Fall  damit,  in  Am 
Verzeichnis  bloss  mit  'vergleiche'  auf  die  Wechselbeziebuug 
der  beiden  Stellen  aufmerksam  zu  machen. 


Verzeichnis  der  Beza 

wird  Torausgesetat  in  B — Jß, 
speciell  in  /  /T — ferner 
in  B  4.  ♦239-42.  375—80. 
686-94.  769—79,  ^512  f., 
£788—91,  Z99f.,  tf  113f., 
228  -  30,  S  473  f.,  K  106  f. 
M 10,  W  1 13. 324.  ♦347—60. 
746  f.,  550.  139—42.  Sfif)  f., 
0*63—77.  *402.  598.  ♦613, 
insbesondere 

3  in  *^  54  f. 
232  in  *B  242 
408  ff.  in  S  75—7 
500  if.  in  0  370-2 
528  ff.  in*(9  75—7, 

nimmt  Bezug: 
vergl.  ^  5  und  B  5 
B 

wird  vorausgesetzt  in 
11  —  5  in     I  18—20 
685  in  *n  16ö  ff. 
knüpft  an :  an  ^ 


gnahmeu  in  der  Ilias. 

vergl.  B  5  und  ^  5 
763—7  und  V  288  ff. 

r 

wird  vorausgesetzt  in  .«^  £| 
knüpft  an : 
1  an  B  476  nnd  815 
J 

wird  yorausgesetzt  in  £-  H, 
insbesondere  in  U  69  —  72. 
351  f,  ferner 

370-400  in  i  34  f. 
86  - 152  in  E  207, 
knüpft  an:  an  F 
E 

wird  vorausgesetzt  in  ff, 
insbesondere  in  ^  382  f., 
femer 

260—327  in  S  108  nad 
V291 

825-  63  in  0  396—  8, 
knüpft  an :  an  J,  insbesoiulere 
207  an  J  80  152 
vergl  674  f.  nnd  il 


Digitized  by  Google 


r.  Chnst:  Wiederholungen  gleicher  u.  ähnl.  Verse  in  der  Iliaa.  269 


Wird  Toraosprefletzi  im  Ein- 
gang von  H, 
knüptt  an :  an  £ 
H 

wird  vorausgesetzt  in  Q — 0, 
iiubesondere  436—41  in  B 
177  if.,  i  349  f.  ond  S  66—8, 
leitet  M  ein, 

knüpft  an:  an  T— Z,  insbe- 
sondere 69 — 72.  II.  351  {  an 
vergl.  442  -  64  und  M  5—33. 
0 

wird  vorausgesetzt  in  /  Ä, 
inabesondere  in  *N  745, 
75,  133,  170  in  i  236 
182-2  in  /  241-3 
u.  5  45-7 
328  in  0  470 
530  ff.  in  /  240—3 
Ö53  £  in  i  77  und 
232—4, 
lelEt  Yorans  A^H^ 
insbaBOndere  geht  • 
108       auf  E  323  flf. 
370  ö'.  auf  A  500  ff. 
▼ergh  453—  5  u.  iC  11  £ 

1  -  29  u.  623—6 
12-16  n,  0  117  ff. 
/ 

wird  Torausgesetzt  in  II — T, 
insbesondere 

81-  3  in  Ä  lOG 
260-70  in  T  140f.a,194f. 
650—  3  in  II  61—3, 

P880.  L  Pba-pUl.  bist  d.  Bd.  1. 8.] 


knfipft  an:  an      speciell  be- 
zieht sich 
18—20  aufB  11  —  5 
34  f.      auf^  370—400 
77  a.  232  ff.  auf  8  553  ff. 
236        anf  e  76.  133.  170 
240  ff.    anf  9  180—2  nnd 

530—41 
349  f.      aufH  436—41 
vergl.  i  und  A  609 
i  83  nnd  N  478.  541.  576. 
K 

wird  vor aoagesetat:  nirgend«, 

knüpft  an;  an  speciell 
196  an  i  Öl  — 3. 
A 

wird  Taransgeaetat  in  JU — JC, 
insbesondere 

?84  ff.    in  n  777  ff. 
191  ff.     in  m  236 
248        in  T  53 
577  E     in  P  347  ff. 
624        in  5  1 
604        in  JI 

knüpft  an 
382  f.  an  E 

[543J    an  ki  288  ff.  u.  III, 
▼ergl.  609  n.  / 

192—  4  n.  P  463—  6 
794—803  u.  n  86—45 

823—    7  u.  il  22-  9 

m 

wird  Toran^geaetst  in  iV— O, 
inabeaondere 

18 


by  Google 


270      SUzufig  der  philos.-jihildl,  Clasw  wm  5.  Jim»  18SO, 


1  f.  in  *0  390-  4 
116  f.  in    N  384—401 

387—91  in  *JI  509—  12 
397  in  */T  558 

knttpft  an:  an  l)esoader8 

236  an  A  191  ff. 
▼ergl.  5—33  n.  H  442—64. 
m  96  f.  a.  JI  717  f. 
N 

wird   vorausgesetzt  in  H  O, 
insbesondere  in  O  696,  ferner 
?329        in  P  612 
518—25  inO  110—2, 
knSpHan:  an  M,  besieht  sieb 
insbesondere 

384  ff.  auf  M  116  f. 
701  auf  m  344—70 
»745  auf  e 
▼ergl.  411  f.  n.  P  347  f., 
523-5  n.  ©  1-29 
*6öl  f.  u.  ü  705.  il  286 

wird  vorausgesetzt  in  O, 
insbesondere 

?  516  in  P  24, 
knfipfb  an :  an  N,  insbesondere 

1  f.  an  ^  624 
45—7      an  0  180—  2 
66—8     an  H  436—41. 
vergl.  128—34  n.  *379— 81. 
O 

wird  Torausgeeetet  in  17, 

iushesoudere 

?  O  420  iu  X  374, 


hangt  zusammen  mitH,  ins- 
besondere bezieht  sich 

75-7  auf  A  528  ff. 
696       auf  N 
110—2  auf  N  518-25 
»390—4  auf  A  Schluss 
?470      auf®  32S 
▼ergl.  117   f.  u.  e  12  ff. 
212  ff.  u.  Y  33  ff. 
515    f.  u.  P  306  f. 
705       u.  iV  681  f. 
JI 

wird  ▼orauflgesetzt  in  F— 'F, 
insbesondere  in  0  100 

87       in  13 
?  122       in  X  374 
663—5  in  ^  800, 
knüpft  an  an  O,  im  einzehi 

61  ff.    an  /  650  ff. 
*168  ff.    an  B  685 
286        an  O  705 
509  ff.     au  M  387  ff. 
558        an  M397 
777  ff.     au  A   84  ff. 
▼ergl.  £  674  f.,  insbesondere 

85  f.  und  T  140-^302. 
22  ff.,  36  ff.  u.  u^823  ff.,  794  ff. 
717  f.  u.  M  96  f. 

P 

wird  vorausgesetzt  in  -2— 
insbesondere  in  Cl>  4  f., 
hangt  zusammen  mit  II, 

insbesondere  bezieht  sich 
?24  ff.    auf  E  516 


Digitized  by  Google 


9.  CAruf  •*  Wiederholungen  gleicher 

Hl  E  auf  ^  577  fiP.  uod 

N  411  f. 
?612      auf  N  329, 
fwgl.  453—5  u.  ui  191—4 
306  f.    a.  O  515  f. 

V 

wird  vorausgesetzt  in  T, 
iusbe.sondere 
249  flP.  in  X  100  ff. 
334  ff.  in  ^  20  ff.  175  ff. 
481      in  Y  270 
612      in  T  383  n.  X  316 
kiinpft  an :  an  insbesondere 
13  an  //  87 
449  an  /    121  u.  515 
75—  7  an  ^  408  ff. 
T 

wird  YoransgefletEt  in 
kuHpft  an :  an  ^  und  /, 
iusbesoudere 

53    an  v/  24S 
140  f.  u.  194  f.  an  i  260—75 

383    an  S  612 
▼«gl.  140—302  n.  il  85  f. 
23—  31  n.  ^ 
Y 

wird  vorausgesetzt  in  X, 
insbesondere 
19-40  in  0  229  -  32  n.  290 
407-18  in  X  46—  8, 
knüpft  an :  an  T,  insbesondere 
270  liu  4H1 
▼«gl.  73       u.  U)  332 

5  ff.  u.  T  42  ff. 


u.  ähtU,  Veerse  in  der  Ilias.  271 
0 

wird  vorausgesetzt  in  X — 
insbesondere 
26  ff.  in  ^    20  ff.  175  ff. 
34  ff.  in  X   46  ff. 
139  ff.  in  V  808, 
knSpft  an:  an  F,  insbesondere 
4  —  5  an  P 
90    f.  an  Y  407-18 
100       an  n 
396      an  E  825  ff. 
vergl.  332  nnd  Y  73 

X 

wird  vorausgesetzt  in  H*'  ii, 
hängt  zusammen  mit  0), 
insbesondere  beuefat  sich 

46— 8anf  r407—  18 
n,0  34-  135 
100—2  auf2 '  240— 313 
?316      auf -2  612 
331U.386  aufil 

374      anf  O420  nnd 
17122  ff. 
yergl.  X  336  386  und  V 
41G  ff.  nnd  Ü, 

wird  Toransgesetat  in  12, 
knüpft  an:  an  X,  insbesondere 

20  ff.  u.  175  ff.  an  :yM\\\ 

u.  0)  20  ff. 
291  I.  au  E  260—327 
800     an  il  663—  5 
18» 


272      mtMwnt  der  pkOos.-phiM.  Chuse  wm  6,  Juni  1890. 

808     an  0 183  Ü 
T«rgl.  T  23 — 31  ondX  336.    wird  vorausgesetzt :  nirg^ends, 

386     knüpft  an :  au  insbesondere 
an  X  416  £ 

Zum  Schlüsse  will  ich  nur  noch  die  Bemerkung  liei- 
fiigen,  dass  die  Verzeichnisse,  wie  sie  hier  stehen,  Wider- 
sprüche euthalteu.  Spätere  Gesänge,  welohe  sich  auf  frühere 
besiehen,  enthalten  binwiedenim  Vene,  welche  in  früheren 
Gesftngen  naobgeahmt  wurden;  namentlich  sind  es  die  Ge- 
singe E  und  ji,  n  und  F,  0  nnd  X,  die  nach  dieser  Seite 
Bedenken  erregen.  Mir  sind  natürlich  jene  Widersprüche 
nicht  verborgen  geblieben,  vielmehr  erst  gerade  durch  diese 
Untersuchungen  lebhaft  zum  Bewusstsein  gekommen.  Auch 
habe  ich  meine  Gedanken  Aber  die  Losung  der  .Widerspruche; 
doch  davon  ein  ander  Mal!  nnr  so  yiel  sei  hier  schon  ge- 
sagt, dass  ich  in  den  Venseichnissen  nnr  die  ofienbar  inter- 
polierten Stellen  iiusserlich  gekennzeichnet  habe,  damit  aber 
meinem  Urteil  über  andere  Stelleu  nicht  vorgegriffen  haben 
wiU. 


Digitized  by  Googl« 


Der  Clftssensekret&r  legi  eine  Abhuidlniig  dee 
Herni  6.  F.  ünger  tot: 

„Zeitfolge  der  Tier  ereien  demostlieiiiBelieii 
Reden«'' 

Die  in  unserD  Handschriften  und  Ausgaben  eingehaltene 
Aufeinanderfolge  der  drei  olynthischen  Reden  des  Demoethenes, 
ihn  Stellung  an  der  SpitM  der  gansen  Sammlung  nnd  die 
der  enten  philipiiieclien  am  vierten  Platae  rQhrt  wie  die 
Anordnung  der  ganzen  Sammlung  überhaupt  von  Kallimachos 
her  und  ist  also  kaum  ein  Jahrhundert  jünger  als  die 
fieden  selbst;  aber  noch  unter  Augnstus  stand  es  keines- 
wegs fest,  daii  er  das  Riohtige  getroffen  habe.  Oaecilioe 
TOB  Kaiakte  hielt  es  flir  ndthig,  dieee  Anordnung  gegen 
DioDjeiot  Ton  HaKkamaetoe  zn  Tertheidigen ,  weleher  die 
irrte  olynthische  Rede  für  jünger  als  die  zweite  und  dritte 
erklärt,  die  erste  Pbilippica  aber  in  zwei^Redeu  zerlegt. 
Diesem  haben  sich  in  Bezug  auf  die  olynthischen  Reden 
Tlnrlwall  und  Holzinger  Tollstandig,  St&Te  und  Grote  in- 
toSm  angeechloeaen ,  als  sie  die  sweite  der  ersten  ?oravs- 
gehen  lassen  ;  seine  Ansicht  über  die  erste  Pbilippica  tbeilt 
Betbeck.  Die  aiulfru  neueren  Forscher  erkennen  die  Richt;ig- 
Iceit  der  kallimachischeu  Ürdnang  für  die  olynthischen 
Men  and  die  von  ihr  voransgesetzte  Einheit  der  ersten 
ptnhppiaehen  so  einhellig  an,  dass  seit  dem  Erscheinen  des 
ipodiemachenden  Werkes  von  Arn,  SphAfNTf  Demoflthenes 


Digitized  by  Google 


274      aUgung  der  phih»,'ph»M.  Clasn  wm  5.  Juni  laso. 

und  seine  Zeit.  1856,  diese  Fragen  fast  gar  nicht  mehr  dis- 
cutlrt  werden. 

Die  Datiru^g  der  einzelnen  Reden,  wie  sie  uns  in  dem 

ersten  Schreiben  des  Dionysios  an  Aniumios  vorliegt,  beruht 
keineswegs  auf  alter  Ueberlieieruug  sondern  auf  den  Unter- 
suchungen und  Ansichten  dieses  Kritikers ;  doch  hat  er  mit 
ihr  bei  den  Neueren  mehr  Glück  gehabt  als  mit  seiner 
Anordnung.  Seit  Schäfer  wenigstens  wnrde  bis  in  die 
neueste  Zeit  allgemein  mit  Dionysios  den  drei  olynthiscben 
Reden  Ol.  107,  4.  340/8  v.  Chr.  und  der  ersten  philippischen 
(mit  Ausnahme  des  Epilogs,  den  Dionysios  als  besondere 
Rede  in  Ol.  108,  2.  347i()  setzt)  107,  1.  352/1  als  Datum 
zugewiesen;  erst  W.  Härtel,  Demosthenische  Stadien.  Akad, 
Sitsungsberichte,  Wien  1677  (Juli)  und  Demosthenische 
Autrage.  Oommentationes  in  honorem  Theod.  Mommseni  1878 
p.  578  ff.,  hat  es  unternommen,  die  olvntlii^chen  Reden 
nach  dem  Vorgang  von  Hoehnecke  und  Grote  in  Ol.  107,  3. 
350  zu  verlegen.  Nach  der  Ansicht,  welche  in  vorliegender 
Auseinandersetzung  begründet  werden  soll«  föUt 

Olynth«  II  Vorsommer  352  (cap.  IV) 

Olynth.  I  Februar  351  (cap.  III) 

philipp.  I  Anfang  Oktober  351  (cap.  V) 

Olynth.  III  um  Anfang  August  349  (cap.  I), 
Die  Grundluge  aller  bisherigen  Untersuchungen  über 
Zeit  und  Folgf  dieser  Reden  (der  Philippica  wenigstens  in 
mittelbarer  Weise)  bildet  das  Zeugniss  eines  der  bew8hrteBten 
attischen  Chronisten,  des  um  260  Ohr.  gestorbenen  Philo- 
choros  bei  Dionys,  ad  Amni.  I  19,  dass  am  Anfang  des  Ar- 
chontenjahres  107 ,  4  (welches  um  28.  Juli  349  anhob) 
Athen  mit  Olynth  ein  Bündniss  geschlossen  und  sogleich 
ein  Hilisheer  abgeschickt,  in  demselben  Jahre  aber  diesem 
zweimal  Verstärkungen  zugesandt  hat.  Jeder  Ton  diesen 
drei  Hülfesendungen  Iftsst  Dionysios  eine  der  drei  olyntbisehen 
Reden  Toraufgeheu  und  wenn  die  Neueren  ihm  hierin  auch 


Digitized  by  Google 


Ünger:  Zeitfolffe  der  tier  ertien  demotiheniadien  Beden.  275, 

■ 

nicht  ganz  gefolgt  sind,  so  haben  sie  doch  in  der  Zeitbe- 
gÜminiiiig  ihm  Rechfc  gegeben.  Was  ihr  im  Wege  steht, 
ist  die  ans  Dmnosthenes  gegen  Meodias  §  16  !•  197  und 
gegen  Neaira  4  bekannte  Thatsaehe,  dass  schon  im  Anfang 

des  bei  Tamynai  auf  Enboia  geführten  Krieges  eine  Hülfe- 
sendung nach  Olyuthos  abgegangen  ist,  im  Frühling  eines 
«eher  vor  349  Uzenden  Jahres,  nach  Schäfers  allgemein 
gebilligter  Annahme  350 ;  eine  HSlfesendang  setst  aber,  wie 
Härtel  Dem.  Studien  p.  25  ff.  darthnt,  das  Bestehen  eines 
Bündnisses  voraus.    Harteis  eigener  Ansicht  freilich,  dass 
der  letzte,  mit  der  Zerstörung  der  Stadt  beendigte  olynthische 
Krieg  vor  349  begonnen  habe  und  das  Bündniss  dem  An- 
fang, die  erwähnten  Hülfesendnngen  sammt  den  drei  Reden 
dem  Laufe  des  J.  350  angehören,  steht  wiedemm  das 
Zeugniss  des  Philochoros  entgegen  und  wenn  er  Dem. 
Studien  p.  11  und  Dem.  Antrage  p.  351  verrauthet,  dieser 
habe  in  entschuldbarer  Ungenuiiigkeit  die  Ereignisse  mehrerer 
Jahre  unter  einem  einzigen  zusammengedrängt,  so  ist  das 
eine  Ausflucht,  welche  einer  ernsten  Prüfung  keinen  Stand 
halten  kann.   Die  Atthis  des  Philochoros  war  gleich  den 
Atthiden  anderer  Schriftsteller  dn  Jahrbuch,  welches  unter 
jedem  Archonten  die  Ereignisse  seiner  Regierungszeit  ver- 
zeichnete :  eine  Ungenauigkeit  obiger  Art  ist  bei  dieser  Ein- 
richtung von  vornherein  ausgeschlosaeu,  sie  wäre  weder  zu 
entschuldigen  noch  zu  erklären;  aber  auch  angenommen, 
dass  er  eine  Digression  habe  geben  wollen  (woku  in  diesem 
FUle  em  Anlass  nicht  erfindlich  ist),  so  hätte  er  noth- 
wendig  das  anzeigen  und  Dionysios  es  erkennen  müssen. 
Dieser  aber  citirt  die  einzelnen  Meldungen  des  Philoclioro.s 
wörtHch,  gibt  bei  den  späteren  an,  dass  sie  an  einer  späteren 
Stelle  der  Jahrbeschreibung  stehen  (t.ietra  öu^e/.^fjv  oUya 
to  fietc^  ye^OfitHt  ti^ijai  t€tvti  und  e/f  si^*  vtts^  t^n^ 
ouftfioxiag  Xiyu  tavri)  und  die  erste  hat  folgende,  jeden 
ZweifBl  über  das  Jahr  ausschliesseuden  Anfang :  KaUdfiaxog 


Digitized  by  Google 


I 


276      SiUufig  der  pMhsrphOol,  CUuse  vom  6,  Jum  1890. 

JJsQyaa^^ev  (Archont  Ton  107,  4.  349/8).  ^nt  vovtov 
*OXwd^ioig  noXefiOv^dvoig  vno  Q^tkinnm)  utai  ngloßiig  l4^7pfatt 
7ihf.i\paoiv  ü\l4lhivaioi  ov^if-taxiav  re  ejiun'^aavro  (folgt  eine 
leere  halbe  Zeile  in  der  masagebendeix  Haudscbrifi,  Härtel) 
nun  ßorj&eittv  eTtefÄipa^, 

Hienach  scheint  es  als  h&tten  wir  nur  die  Wahl 
•  zwiseheii  zwei  gleich  nnataithaften  Annahmeii ,  der  eines 
Ziizuge8,  welchem  das  Bündniss  erst  1 V«  Jahre  spSter  nach- 
folgte, und  der  Verwerfung  eines  unantastbaren  Zeugnisses 
über  das  Zeitverhältniss  dieser  zwei  Ereiguisse;  ein  Dilemma 
dieser  Art  kann  aber  nur  entstehen,  wenn  entweder  die 
Ueberliefemng  getrübt  oder  die  Forschung  nicht  snm  Ab- 
sehlnss  gebracht  ist.  Dass  letzteres  der  Fall  ist,  Itat  sich 
beweisen.  Beide  und  überhaupt  alle  bis  jetzt  in  dieser 
Frage  ausgesprochenen  Ansichten  gehen  von  der  Voraus- 
setzung aus,  dass  das  einmal  von  Athen  mit  Olynth  gegen 
Philippos  geschlossene  Büodniss  ununterbrochen  fortbe- 
standen habe  bis  snm  Untergang  jcDer  Stadt;  sie  sieben 
zonächst  die  Möglichkeit  nicht  in  Bechnnng,  dass  das  von 
der  froheren,  vor  349  geleisteten  Httlfb  vorausgesetzte 
Bündniss  durch  den  für  Olynth  unglücklichen  Ausgang 
jenes  Krieges  kraft  einer  von  dem  Sieger  gestellten  Friedens- 
bedingang  aufgelöst  und  erst  später,  im  Sommer  349  wieder 
erneuert  worden  ist  Ausserdem  sind  auch  noch  andere 
FSlle  denkbar.  Olynth,  der  Vorort  und  das  Haupt  ton 
mindestens  32  Btadtgemeinden,  fShlte  sich  so  gut  als  Gross- 
macht wie  Athen ;  es  gieng  mit  dieser  Stadt  kein  evnges, 
kein  Verfassungsbündniss  ein ,  welches  derselben  in  ähn- 
licher Weise  ein  Hegemonieverhält niss  verschafft  hätte  wie 
▼orher  in  den  Zeiten  des  zweiten  und  noch  früher  des  ereten 
Seebundes;  das  Btlndnias  Athens  mit  Olynth  gehdrt  in  die- 
selbe Kategorie,  wie  die  zu  verschiedenen  Seiten  in  oft 
kurzen  Zwischenräumen  geschlossenen  und  oft  bald  ^vieder 
aufgelösten  Bandesverträge  mit  Sparta,  Theben  und  anderen 


Digitized  by  Google 


ünger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  denmihenischen  Beden,  277 

Gro.<«8taaten.  Es  war  ein  Waffenbund  für  einen  bestimmten 
Zweck ;  nach  dessen  Erreichung  oder  Missliugeu  oder  dnrch 
irgend  einen  neuen  Zwischenfall  konnte  er  ein  Ende  nehmen, 
durch  einen  anderen  wieder  zum  Aufleben  kommen. 

Dass  der  zuerst  aufgestellte  Fall  wirklich  eingetreten 
iit,  dass  der  frühere  Krieg  mit  einem  die  Olynthier  de- 
mSthigenden  und  ihren  Bund  mit  Athen  auflösenden  Friedens- 
schlnss  geendigt  bat,  welcher  beim  Wiederaiisbruch  der  Miss- 
beHigkeiten  den  Abschloss  eines  neuen  Bundesvertrags  mit 
den  Athenern  nöthig  machte,  wird  unten  (cap.  lU)  gezeigt 
werden;  die  Ursache  aber  der  bisherigen  Yerkennung  dieses 
Ssehverhalies  liegt  vor  allem  in  der  Zeit  bestimm  nng,  welche 
dem  Feldzug  von  Tiimynai  und  damit   auch  der  ersten 
Hnlfesendung  Athens   nach  Olynth  gegeben  worden  ist. 
Indem  diese  in  das  J.  350  gesetzt  wurde,  verengte  sich  die 
Zat  zwischen  dem  Ende  jenes  Krieges  und  dem,  wie  ans 
Phflochoros  oben  citirten  Worten  *Enl  %cvtcv  X)hoif&iotg 
nolBfiOifidvoig  vtto  0tXlim€v  «tA.   hervorgeht,  spätestens 
Mitte  349  eingetretenen  Anfang  des  späteren  und  dazu  kam 
noch .  dass   unter  dem  Einfluss  derselben  Zeitbestimmung 
des  fröheren  Krieges  anch  über  diesen  die  Untersuchung 
nicht  zum  rechten  Ziele  gelangt  ist.  Der  Zug  nach  Tamynai 
und  die  früheste  Hfllfesendung  nach  Olynth  &nd  nicht  1 
sondern  2V«  Jahre  ror  Mitte  349  statt,  eine  Zwischenzeit 
von  ansreichender  Dauer,  um  die  Auflösung  und  Wieder- 
anknnpfuug  des  Bnndesverhältnisses  zwischen  beiden  Staaten 
xo  begreifen. 

I.  Die  dritte  Rede. 

l>ie  letzte  olynthische  Rede  setzt  Schäfer  Demosth.  II 
153  in  die  erste  Hälfte  de.s  J.  84.S,  zwisch^^n  die  zweite, 
gleich  der  ersten  bloss  aus  Söldnern  bestehende  Hülfesendung 
hei  Pbilochoros  und  die  dritte,  welche  ein  Bürgerheer  brachte: 
denn  ^die  Sdldner  haben  zwar  einmal  ein  glfiekliches  Treflbn 


Digitized  by  Google 


278       Sitzung  der  phUün.-jihilol.  Clause  com  5.  Juni  1860. 

])t'stiiiul(ui  (§  35.  36),  aber  selber  sind  die  Atlioner  noch 
Dicht  ins  Feld  gerückt,  trotz  der  dahin  zielenden  Beschlüsse, 
weil  68  au  Geldern  zur  Mobilmachung  fehlte  (§  10.  20.  36)'. 
Diese  Grunde  und  bis  zn  einem  gewissen  Grad  auch  ihre 
Gonsequenzen  erkennt  Härtel  (Dem.  Studien  p.  10  ff.)  an: 
die  dritte  Rede  scheint  ihm  nicht  sehr  lang  nach  der  ersten 
und  /weiten,  welche  er  sehr  nahe  aneinander  rückt,  aber 
Ol.  107,  3.  350  gehalten.  Wir  sind  (wovon  unten)  mit  jeuer 
Begründung  Schäfers  nicht  einverstanden ;  über  die  Zeit  der 
Rede  aber  spricht  sich  Demosthenes  selbst  in  einer  Weise 
aus,  welche  för  das  Datum  des  Philochoros:  Ol.  107,  4  in 
unwidersprechlicher  Weise  entscheidet. 

In  g  4  erinnert  der  Redner  daran ,  das«  früher  einmal 
eine  gute  Oelegeuheit  versäumt  wordeu  sei:  fiif^yi^ai^e  oi 

novti  ^Hqalw  %Bi%og  ftahoqi^uiv'  voivw  fmifiOKTi^tay  ^ 
(§  5)  xof  ftm^a  tavta  duld-ovrog  %ov  iruwvov  hunofißmw 

f4€Tayeirpiwv  iiui^SQOjuiwr;  erst  zu  Ende  dieses  Boedromion 
habe  mau  den  Charidemos  mit  zehn  leeren  Schiffen  und 
fünf  Talenten  ausgeschickt,  weil  Philippos  inzwischen  krank 
oder  todt  gemeldet  worden  war.  Vom  fünften  Monat  des 
J.  107,  1  (27.  NoY.  bis  26.  Dec  352)  bis  in  die  erste 
Hälfte  von  107,  3  (die  zweite  von  350),  wohin  Härtel 
Stud.  p.  31.  41  die  drei  olynthischen  Reden  setzt,  das 
vierte  Jahr  zu  zählen  ist  uiiniöglich ;  daher  erklärt  er  p.  28 
tttagior  für  einen  unächteu  Zusatz:  eine  beiläufige  Be- 
zeichnung des  Jahres  bei  genauer  Angabe  des  Monats  sei 
um  so  unangemessener  als  sich  der  Redner  eine  Menge  De- 
tails ans  jenen  Monaten  zu  entsinnen  wisse.  Dieses  Argu- 
ment beweist  zu  viel:  der  unbestimmte  Charakter  der  Jahres- 
bestinimung  wird  durch  den  Abstrich  von  rj  rhafJTov 
keineswegs  beseitigt;  wenn  eine  bestimmte  Bezeiclinung  gleich 
der,  welche  im  Monatsnamen  Yorliegt,  vom  Redner  beab- 
sichtifj^t  gewesen  wäre,  so  würde  er  auch  dem  Jahr  seinen 


Digitized  by  Google 


Üng4r:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demoathemaiihen  Redete  279 

Namen,  d.  L  den  des  eponymcn  Arclionten  gegel)eii  haben; 
auch  hei  tqltov  allein  bleibt  dem  Zuhörer  die  Unfiicherheit 
einer  Wabl  zwischen  zwei  Archonten,  so  dass,  wenn  k.  B. 
die  Rede  Ol.  107,  3  gehalten  wurde,  er  nicht  wnsste  ob 
107,  1  oder  106,  4  gemeint  war.    Dom  Redner  ist  es  aber 
gar  nicht  um  das  Datum  dos  Jalires  soii  !eru   um   die  Be- 
zeichnung des  Zeitraums  zu  thun ,   welcher  seit  der  ver- 
säumten Gelegenheit  verflossen  ist.    Bei  den  Monatsnamen 
ist  dnrch  ihre  jährliche  Wiederkehr  nnd  feste  Ordnung  die 
Diner  des  Zeitraums  von  einem  Monat  bis  zum  andern  Ton 
Tomherein  bestimmt;  dies  war  bei  der  Datirung  der  Jahre 
nach  Arclionten  nicht  der  Fall.    Wollte  der  Redner  ausser 
der  Entfernung  auch  das  Datum  bestimmen,  so  musste  er 
i^mmtliche  Archouten  angeben,  also  in  ähnlicher  Weise  wie 
bei  den  Monaten  sich  ausdrucken;  aber  darum  ist  es  ihm, 
wie  schon  bemerkt,  nichfc  zu  thun.  Dass  er  r^Toy  ^  thaf^- 
TO»  anstatt  tqhov  oder  rhaQrov  setzt,  ist  nicht  mit  der 
Mehrzahl  der  Ausleger  auy  Anwendung  /.wei  verschiedener 
Jahrformen,  des  Kalender-  und  des  Naturjahrs,  /u  erklären 
sondern  daraus,  dass  die  Rede  am  Anfang  des  Arehonten- 
jzhres  gehalten  worden  ist   Nach  wahrer  Zeit  waren  es 
2  Jahre  8  Monate  (tqltw  etog);  weil  aber  seit  ein  paar 
Tagen  ein  neuer  Archont  im  Amt  ist,  so  hat  Demosthenes 
da.s  Hecht,  auch  von  einem  vierten  Jahre  /u  sprechen. 

Davon  dass  Athen  schon  eine  oder,  wie  von  Härtel  be- 
hauptet wird,  zwei  Hülfeseudungen  nach  Olynth  habe  ab- 
gehen lassen,  ist  in  der  Rede  kein  Anzeichen  zu  entdecken; 
warn  der  Redner  verlangt,  dass  die  Httlfstruppen  aus  Bürgern 
bestehen  sollen,  so  ist  damit  keineswegs  gesagt,  dass  bisher 
schon  Hülfe,  aher  nur  durch  Söldner,  geleistet  worden  sei. 
Vielmehr  spricht  gerade  die  ötelh-,   welche  für  das  Voraus- 
gehen von  Sölduersendungen  angeführt  wird,  dafür,  OiasR 
solche  von  Athen  noch  nicht  ausgegaugeu  sind,  S  35  £g. 


Digitized  by  Google 


280       Sitzung  der  phüos.'phädl.  Glosse  vom  5.  Juni  1880, 

Sri  di  Ol  %(jv  Seivog  vnnwai  Sivo$,  vavwa  mjp&Avw^av 
Talia  yag  iTVi  yiyvetai  .  xttt  ovx*^  ft^fjcpouai  rov  iioioiiTa  ri 
tojv  deovzwv  iTiiq  v^wv  %xX.  Die  4000  Peltasten  und  150 
Reiter,  aus  welchen  die  zweite  der  107,  4.  349  abgegangenen 
Hfilfeeendmigen  nach  Philochom  bestand,  standen  gleich 
den  snerat  unter  Ghares  abgeschickten  ICiethstmppen  im 
Brod  und  Sold  des  Demos  von  Athen ;  ihr  Anführer  Chari- 
denios  von  Oreos  war  nicht  bloss  vor  mehr  als  13  Jahren 
mit  dem  attischen  Bärgerrecht  beschenkt  sondern  seit  vier 
Jahren  in  Athen  sesshaft  geworden  and  wie  schon  OL  107, 
1.  352/1  so  auch  jetxt  als  Stratege  ein  Beamter  des  Demos: 
wie  h&ite  ein  attischer  Redner  dazu  kommen  sollen,  vom 
Volk  angeworbene,  ausgeschickte  und  bezahlte  Landsknechte 
Söldner  eines  Anderen  als  der  Athener  zu  nennen,  welchem 
Sturm  in  de^  Volksversammlung  würde  er  sich  mit  ol  xot 
dehfog  fivoi^  ausgesetst  haben.  Diese  Worte  belehren  uns 
vielmehr  dahin,  dass  Athen  noch  gar  keine  Hfilfe  geschickt 
hat:  der  Redner  will  einer  Einrede  begegnen,  durch  welche 
andere  die  ünterstntzung  Olynths  als  unnöthig  zu  erweisen 
suchten ,  dem  Einwand ,  dass  ja  schon  die  Söldner  eines 
anderen  Kriegsherren  Hülfe  leisten  und  sich  als  ausreichend 
zum  Erringen  von  Erfolgen  bewiesen  haben.  Man  darf  an 
Prätendenten  denken  wie  s.  B.  die  Stiefbruder  Philipps, 
deren  AuiDahme  in  Olynth  den  Anlass  zum  Kriege  gegeben 
hatte  (Justin  VIII  3,  10,  vgL  VII  4,  5):  der  eine  von 
ihnen,  Menehu)8,  welcher  351  unter  dem  Titel  eines  attischen 
Hipparchen  die  nördlichen  Besitsrangen  der  Athener  Ter- 
iheidigte»  wird  phiiipp.  I  27  in  ahnlicher  Weise  erwähnt 
wie  der  Ungenannte  an  unsrer  Stelle.  Derselbe  hatte  sich 
laut  inscr.  att.  II  55  schon  363  durch  Kriegs-  und  Gelti- 
hülfe  um  Athen  verdient  gemacht,  vgl.  Böhnecke  Forsch- 
ungen II  207  ff. ;  er  heisst  dort  ein  Pelagone,  oifenbar  war 
ihm  Pelagonien  ron  Amjntas  oder  einem  Nachfolger  des- 
selben Terliehen  worden* 


Digitized  by  Googl 


Ünjfer:  Zeitfolge  der  vier  ersten  deinosthenischen  Reden.  281 

Dfiss  Olynth  von  den  Athenern  noch  keine  Hülfe  er- 
halten hat,  geht,  wie  L.  Speugel  Akad.  Abhandl.  I8r»0.  IX  72 
erkannt  hat,  schon  aus  §  10  on  titv  öet  ßatj^dt^^ 

tcvfo  Idft  mit  Sieherheit  hervor.  Eine  Mahnung  an  die 
Pffieht  sn  helfen  setet  Torans,  dass  noch  nicht  geholfen 

worden  ist;  die  Einrede,  dass  auch  die  Krneuerinig  der 
Unterstützung  eine  Hült'e  sei,  ist  durch  die  Art  der  Auf- 
ioiderang  ansgeschlossen  In  diesem  Falle  müsate  der  Redner 
diTon  genproehen  haben,  dasR  awar  bisher  schon,  aber  in 
nngenügender  Weise  Hdlfe  geleistet  worden  sei;  hier  da- 
gegen wird  eingewendet:  ^aber  das  Wie?  Das  gib  an*.  Wer 
noch  nicht  weiss,  wie  er  die  Hülfe  einrichten  soll,  der  hat 
sie  überhaupt  noch  nicht  geleistet.  Wir  stehen  also  am 
Aafiuig  de«  letsten  oiynthisehen  Krieges:  im  Prindp  ist 
sehon  das  Waüenbündniss  nnd  die  Hülfesendang  beschlossen 
{(ynSutttfit»  a.  a.  0.),  die  Olynthier  heissen  daher  bereits 
Verbündete  '§  2  oVrfoc  rorg  otuf^tayoiQ  awdo^/ev);  über  die 
Art  der  Hülfe  aber  ist  noch  nicht  entschieden  und  der 
Bandesrertrsg  noch  nicht  abgeschlossen.  Aus  dem  Text 
des  Phflochoros:  ÜCoiLU^oxog  lUqfcaiti&w.^Eni  %o6%ov 
Hotq  —  av^^axiav  «  htotr^actvto  geht  hervor,  dass  dies 
am  Anfang  des  Jahres  107,  4  geschehen  ist:  regelmässiger 
Termin  der  Volksversammlung  im  ersten  Monat  war  der 
11.  Hekatombaion  (im  J.  349  etwa  der  7.  Angpist),  Reusch 
de  diebns  concioiiam.  1880  p.  95 ;  möglich  wäre  aber,  dass 
man  an  eiser  so  wichtigen  Angelegenheit  eine  ausserordent- 
liehe  yersammlnng  sehon  vor  diesem  Tage  anberaumt  hätte. 
Der  Antrag  das  Demosthenes  wurde  nur  zur  Hälfte  ange- 
nommen: das  Büudniss  nnd  die  Unterstützung,  wie  dor 
Redner  schon  im  Voraas  wnsste»  genehmigt,  aber  kein  Bürger, 
Binr  ein  Söldnerheer  ausgeschickt. 


Digitized  by  Google 


282      SUgung  der  pfOos.-phiM,  aasse  vom  5.  Jwn  1880, 

m 

II.  Die  erate  Rede  Jünger  als  die'zweite. 

Zur  Begründung  der  herrschenden  Ausicht  von  ilt  ni 
Zeitverhiiltniss  der  ersten  olynthischen  Rede  zur  /.weiten 
wird  von  dem  besten  Vertreter  derselben  lediglich  darauf 
hingewiesen,  dass  das  Bündniss  Ol.  I  10  in  nächste  Aus- 
sicht genommen,  II  2  dagegen  schon  ahgeschlossen  sei 
(Schafer  11152  ff.).  Beide  Stellen  werden  aber  von  anderen 
im  entgegensetzten  Sinne  verstanden:  ob  mit  Recht  (ulor 
Unrecht,  kann  vorläufig  dahin  gestellt  bleiben;  es  erhellt 
daraus  so  viel,  dass  die  einaige  Grundlage  der  herrschenden 
Meinung  eine  schwankende  und  unsichere  ist.  Um  diese 
besser  zu  Dützen,  beruft  sich  v.  Klebeisberg,  Progr.Trie8tl868 
darauf,  dass  bei  höherem  Alter  der  zv^eiten  Rede  man  in 
dieser  die  Hauptsache,  den  näheren  Erweis  der  nöthigeu 
Hülfe  vermissen  würde.  Demosthenes  ist  aber  weder  der 
erste  noch  der  einzige  Redner,  der  in  dieser  Sache  das 
Wort  ergreift  (vgl.  phil.  Ii);  er  kann  sich  sowohl  anf  die 
Darlegung  im  Probuleuma  des  Raths  als  auf  die  der  anderen 
Redner  beziehen;  die  Ausführung  im  Einzelnen  zu  besprechen 
überlässt  er  diesen,  für  ihn  ist  der  Beschluss  zu  helfen  die 
Hauptsache,  II  10  (pi]ini  delv  Tolg'Olvp^^iotg  ßot^w  %al 
on(og  ttg  liyei  tal  xcrAAiora  xai  %ixunu^  oStwg  d^inu  fiOi, 
Diese  Stelle  spricht  zugleich  sowohl  gegen  die  herrschende 
Meinung,  welcher  zufolge  diese  Rede  vor  der  zweiten  Hülfe- 
senduug  gehalten  worden  ist  (während  die  andere  der  ersten 
Sendung  vorausgegangen  sei),  als  gegen  die  Behanptong 
Harteis,  beide  seien  kurz  nach  einander  zwischen  der  zweiten 
und  dritten  HQlfesendnng  des  Philochoros  gesprochen:  dieses 
fpi]^i  deiv  ßorjd^elv  xal  07twg  ttg  Ityei  Y.aXkiOTa  agiaxei  fnoi 
beweist  gleich  dem  c.  I  besprochenen  oii  dti  ßotii)^üv  «yvoJ- 
xafAsy,  ro  o/ttügj  tovTO  Aiyc,  dass  in  diesem  Kriege  noch 
keine  Hülfe  geleistet  worden  ist;  die  Stellen,  welche  Härtel 
ans  der  ersten  Rede  anführt  (§  11.  14),  kann  man  ebenso 


Digitized  by  Google 


Ufiger:  Zeitfolge  der  omt  enten  demaatheniae^n  Reden,  283 

got  ge^en  wie  f&r  die  Vorauasetziiiig  schon  geleisteter  Hftlie 

verwenden. 

Die  zweite  Rede  fnr  die  älteste  der  olynthischen  zn 
balteo,  veranliv^ist  zunächst  der  Umstand^),  dass  sie  den 
Krieg  erst  in  die  Znkanft  legt,  während  die  erste,  ebenso 
wie  die  dritte,  ihn  schon  im  Gange  weiss,  o1.  H  l  z6  tovg 
nole^ii^aovTag -)  0iXlfrmi)  yeyevrja&ai  daiftovitf  Ttvi  ¥otKep 
HLQ'/eaia,  vgl.  mit  I  5  di]/Mi'  ro/c  *OXw^i'oi<j:  ort  vvr  ;ct(jl 
lüi^ovs  x^Q^S  ^oXsfiovoiv;  7  ei  vif  vftüip  jteio^tyTeg  dvdXovto 
tov  ffoXefiOV^  a^ttXe(^i  avfifiox^i  Up  rjoav  lawg;  21  ovt'  av 
ifqys/xa  tw  ftolBfiW  %ovTO¥;  einige  StSdte  werden  schon 
Ton  ihm  belagert,  §  17.  18. 

Einen  zweiten,  von  Holzinger,  Grote  u,  a.  bereits 
geltend  gemiicht<*n  (irund  liefert  die  liesprechung  der  Ver- 
hältnisse von  Magnesia.  Nach  dem  Abzug  der  Tyrannen 
Ostthessaliens  hatte  der  König  die  Hafenstadt  Ton  Pherai, 
Pigasai,  fär  sich  behalten  und  die  Magneten  waren  m  ihtn 
in  dasselbe  AbhängigkeitsTerhaltniss  getreten,  in  welchem 
sie  sich  bisher  zu  den  Tyrannen  befunden  hatten.  Die 
Hegemonie  über  die  Thessaler  hatte  er  dann  darch  das 
Verspfechen  erhalten,  den  heiligen  Krieg  fflr  sie  zn  fuhren 
and  Magnesia  ihnen  zn  überlassen,  II  17  BmcJißvg  vw 
{tvifianto  rrQoaayayofievov)  ttTi  Mayvr^alav  net^Siiouv  vtco- 
axtoi^ai  y.ai  i6v  Wor/.tnov  7i6}^lwv  noXeur^aeti'  vntq  avzutv 
ayadt^aai^ai.  An  dieses  Versprechen  wollen  sie  in  Bezug 
auf  Magnesia  znr  Zeit  der  zweiten  Rede  ihn  erst  mahnen, 
§  11  vvp  üaiv  hln^uifiivoi  Ilayaaag  anm%ti»  nai 
JUttypr^lag  loywg  aoiua^tu;  die  erste  weiss,  dass  es  bereits 

1)  Aoner  den  hiar  angefahrten  OrOnden  werden  in  eap.  III  und  IV 
Mch  andere  tor  Sprühe  konnieiL 

'1\  So  die  inoisttMi  un<l  besten  Hanilschriften  nnd  alle  Herausgeber 
■■ler  RehHantz;  rroXt^ijararai-  ist  ein  «lunli  di'*  Rücksicht  aof  die 
iWriieferte  Ordnung  der  Roden  liervorgerufener  Bessermigaverencli  dee 
>|il«(ni  Mittelalters. 


Digitized  by  Google 


284      SUiung  der  phSha.-phaol.  CUuse  wm  S.  Jmd  1880. 

geaehehen  ist  and  wenigstens  dazu  geföbrt  hat,  dass  er  die 
beabsiobtigte  Festnngsanlage  ~  einstollte  nnd  dadurch  die 
Botmassigkeitsfrage   offen  liess,  S  22  Uayaaag  mamh 

ctvTov  eiatv  ii!>r^(fiOf.itvoi  ')  y.ai  Mayvt-olcn>  xeyi(oh'/.aoi  ui- 
X'tiß*'^*  Diese  Verhinderung  ist .  wie  die  Ausleger  richtig 
bemerken,  anf  dem  Wege  der  Verhandlung,  durch  Vor»tel- 
Inngen  bewirkt  worden;  die  Xoyoi^  welche  in  der  sweiten 
Rede  noch  bevorstehen ,  gehören  in  der  ersten  schon  der 
Vergangenheit  an.  Von  den  Anhängern  der  herrschenden 
Ordnung  wird  über  dieses  gegen  dieselbe  sprechende  Arj?i»- 
ment  theils  mit  Stillschweigen  theils  mit  uichtssageudeu 
Bemerkungen  (z.  B.  der,  dass  II  11  znr  hirklarong  Ton  I  22 
diene)  hinweggegangen. 

EHe  in  den  zwei  Reden  vorausgesetzte  Situation  ist 
keineswegs  die  gleiche;  in  den  Machtverhältnis8eu  und  der 
LyCf  in.  den  Anssichton  nnd  BefOrchtnngen  der  drei  sn- 
nSchst  betheiligten  Staaten  ist,  wie  besonders  Grrote  hervor- 
gehoben hat,  ein  grosser  Umschwung  eingetreten,  welcher 
dazu  nöthigtf  in  der  ersten  die  spätere  zu  erblicken. 

Olynth  erscheint  in  der  ersten  Bede  schon  schwer  be- 
'droht:  Phiiippos  hat  den  Krieg  eröffnet  (§  13),  er  bekgert 
einige  Stadto  derOlynthier  (18. 13);  ein  Theil  ihres  Gebiets 

steht  auf  dem  Spiel  (5).  Gehen  diese  Plätze  verloren,  dann 
handelt  es  sich  für  die  Olynthier  selbst  um  Sturz  und 


1)  Die  BllekfoideniDg  von  Pigaaai  mOgen  die  Tliesssler  aafiseidielpeB 
haben ;  so  lange  ein  nener  Vereneh  der  mclit  bloee  mit  den  Pbokern 
sondern  aneb  mit  dem  michtigsten  Seestaat  rerbfindeten  l^yiaanen,  sieb 
wieder  in  Pbersi  festsnsetsen,  befUrehtet  werden  mnsste,  konnte  der 
Beschfttser  der  theasalischen  Freiheit  und  Heerfohrer  ihres  Bundes  das 
Besatsnngarecht  in  der  Hafenetadt  yon  Fberai,  welche  logleicb  der 
wichtigste  Kfistenplatz  von  gast  Thessalien  war,  in  Anspruch  nehmen; 
dem  Zweeke  des  Redners,  welcher  die  Möglichkeit  eines  Abfalls  der 
Thessaler  nahe  legen  will,  dient  es,  jenen  Bseeblnss  als  noch  in  Kraft 
stehend  sa  beieiehnen. 


Digitized  by  GoogI< 


ünger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demosthemedten  Seden,  285 

Koeehtniig  (5  /rc^  dvaavaa&ag  xa«  dvdnanodiOfiov  noXe- 
fdei»).  So  schwach  wasste  sie  Pbilippos  von  Torn  herein, 
4s  er  gar  keinen  Widerstand  sondern  sofortige  Ergebung 

erwartet  hat  (*J1);  mau  miiss  eilen  liülfe  zu  bringen,  sonst 
werten  sie  sich  ihm  in  die  Arme  (3).  So  weit  ist  es  in  der 
zweiten  Rede  noch  lange  nicht  gekommen.  Znm  grossem 
Glöek  for  Athen  haben  sich  -die  Olynthier  entschlossen, 
Krieg  mit  Philippos  m  fSbren^l) ;  sie  brauchen  und  wünschen 
hm  die  Hülfe  Athens  (10);  eine  Anssöhnuug  mit  ihm 
wunle  ihre  Existenz  zunäclist  nicht  bedrohen ,  aber  eine 
Unsicherheit  der  Beziehnngen  bewirken,  welche  schliesslich 
doch  wieder  zn  Krieg  und  dadurch  zu  ihrem  Falle  führen 
klonte  (1  vag  dujüiXayag  7tijw%w  fiiv  dniarovg  äxa  xifi 
Utttuv  frocrqidog  vu^ttLetv  avcunaaiv). 

Die  Macht  des  Könitrs  erscheint  in  der  zweiten  Hede 
nicht  sehr  l)edeutend.  Viele  von  seinen  Erfolgeu  verdankt 
«T  dem  Glück  (22),  andere  seiner  Rührigkeit  und  Unter- 
nehmongslust  (15),  das  beste  hat  die  Beihülfe  starker 
T5lker  gethan,  welche  er  mit  Lng  und  Trug  seinem  Interesse 
dienstbar  zu  macheu  gewusst  hat,  der  Athener,  Olynthier, 
Tbesjtaler  (5  —  8).  An  sich  ist  Makedonien  nur  eine  Macht 
zweiten  Ranges  /rQoad^xi^g  fiigei) ,  welche  erst  durch 
die  Verbindung  mit  einer  grossen  ein  bedeutendes  Gewicht 
ia  die  Wagschale  zu  werfen  befähigt  wird,  während  es  selbst 
kraftlos  und  mit  Schvi^hen  aller  Art  behaftet  ist  (14);  es 
ll«st  sich  Vjeweisen,  dass  Philipj)os  ein  verächtlicher  Gegner 
i«*!  ('»  \|«r Aoy  (f  aipeoO^ai  j  wie  Rhod.  libert.  24  WiXtJi  Jt  oi 
tiiv;  otdevog  d^iov  oXiyojQOvvtag  gleichbedeutend  mit  dem 
folg.  TOT  fih  ius  qtctikov  ovn  dfwvovfM%^a)i  die  nächste  beste 
Heblappe  wirft  das  Kartenhaus  seiner  Macht  Uber  den 
Haufen  (9—10.  21).  Die  erste  Rede  hat  einen  ganz  andern 
Bejfrifl'  von  ihm:  er  ist  so  stark  und  mächtig  wi«;  kein 
König  Makedouiens  vor  ihm  der  Anfangs  so  schwache 
i«t  jetzt  gross  und  gefürchtet  (12);  seine  Rührigkeit  und 
tÜllLL  UbiL-pliü.  hirt.  Cl.  fid.  I.  a.]  19 


Digitized  by  Google 


286       Sitzung  der  phüos,-phiUjl,  Vituse  vmn  ö.  Juni  IböO. 


Rastlosigkeit  wird  auch  hier  hervorgehoben,  aber  nicht  zur 
Erklärang   der  Erfolge   eines    an  Macht  unbedeatendeu 
'Herrschers  sondern  als  Fingereeig  dessen  was  weiter  noch 
Ton  ihm  za  hefürchten  steht  (12 — 15). 

Die  zj^eite  Rede  spricht  mehr  ron  dem  eigenen  bis- 
herigen Krieg  der  Athener  mit  Philippos  als  von  dem  be- 
Torsteheudeu  der  Oljnthier.^)  Letzterer  ist  für  Athen  Mittel 
znm  Zweck:  Amphipolis  und  die  andern  yerlorenen  Besiti- 
nngen.  im  Norden  sollen  wieder  gewonnen  werden  durch 
den  Beitritt  der  Olynthier.  Wenn  die  Athener  jetzt  ihre 
Schuldigkeit  nicht  thuu,  so  verzichten  sie  ehrvergessen  auf 
die  Aussicht,  mit  Hülfe  Olynths  dieselben  wieder  /u  be- 
kommen (2.  24.  25).  Von  solchen  Aussichten  ist  in  der 
ersten  keine  Andentang  mehr  zu  finden,  obgleich  die  ver- 
lorenen Orte  erwähnt  werden;  dasGlflck,  welches  auch  hier 
in  dem  Beitritt  der  Olynthier  gefunden  wird,  besteht  nur 
darin ,  dass  diese  einen  Ersatz  für  Amphipolis ,  Potidaia, 
Pydna  und  Methoue  bieten  (10);  was  dagegen  zu  befürchten 
steht»  wenn  den  Olynthiern  nicht  geholfen  wird,  das  ist 
nicht  der  bleibende  Entgang  dieser  Btadte,  sondern  dass  der 
K5nig  Athen  thnn  wird ,  was  er  jetzt  jenen  thnt :  nichts 
wird  ihn  mebr  hindern  zu  niarschiren  wohin  er  immer  will (12): 
die  Athener  werden  sich  bedroht  finden  im  eigenen  Laude  (1.')); 
sie  haben  gar  keine  Wahl,  ob  sie  in  den  olynthischen  Krieg 
ziehen  wollen  oder  nicht:  weder  die  Thebaner  noch  die 
Phoker  werden  ihn  abhalten  Attika  selbst  anzugreifen 
(25-27). 

Die  Anstrengungen ,  welche  dem  Volke  zugemuthet 
werden,  sind  dem  bisher  geschilderten  Unterschied  beider 


1)  Von  diesem  ist  bloss  zweimal  die  Rede,  §  11  yjf«'  «5«'»'  '^o^'f 
*OXvy&tot(  [iotjO^fiy  und  1  roiV  rto'^turjaoyrug  «^»XtTrrroi  ycyfrr^n^ai.  Die 
Behauptung,  dass  der  bestehende  Kriog^,  von  wolchein  ausserdem  ge- 
prochen  wird,  Olynthos  betreffe,  entbehrt  jedes  Anhaltes  im  Texte. 


Digitized  by  Google 


Unger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  denmiheniichen  Beden.  287 

Reden  entsprechend  in  der  ersten  weit  grösser  als  in  der 
iweiteDf  und  doch  geht  diese  auf  ein  höheres  uud  wie  man 
denken  konnte  schwerer  zn  erreichendes  Ziel  ans  als  jene. 
Die  iweiie  Rede  spricht  nar  Ton  Hfllie  schlechthin;  in 
leieher  Weise  sie  am  besten  nnd  schnellsten  geleistet  wird, 
iBfilgeben  überlässt  sie  anderen  (11);  mau  lasse  nur  ein- 
mal eine  Leistang  sehen,  damit  die  Thessaler  und  Olynth ier 
Yertraaen  zuAtl^en  bekommen  (12);  die  bisherige  Unthätig- 
kcit  soll  aufhören,  es  mnss  gezahlt,  ansgerfickt,  Eüfer  an 
dsnTag  gelegt  werden  (13.  27.  31);  wenn  man  nnr  einiger* 
nuneu  seine  Schuldigkeit  thut,  wird  sich  das  Blatt  schnell 
wenden  (22),  Philippos  bald  bezwungen  werden  (13).  Statt 
jener  an  bestimmten  und  allgemeinen  Rathschläge  eutwiri't 
die  erste  Rede  einen  bestimmten  ^riegsplan,  auszufahren 
Ton  zwei  Heeren  und  Flotten  (17—18);  nicht  bloss  die 
g^ohnlichen  Beistenem  werden  hier  in*8  Ange  gefiisst 
sondern  ausserordentliche  Massregeln  (6) ,  die  Schaugelder 
Milien  wieder  zu  Kriegsgeldern  erhoben  werden  ( 1 9).  Gleich- 
wohl verfolgt  de,  wie  Grote  bemerkt,  ein  bloss  defensives 
Ziel,  die  Bettung  der  olynthischen  Städte  und  durch  sie 
die  Sicherung  Athens  (28) ,  während  die  zweite  Rede  die 
ferloreuen  Besitzungen  Athens  wiedergewinnen  uud  den 
König  von  ieiner  Höhe  herabstürzen  will  (ö). 

Beide  Reden  kommen  darin  überein,  dass  sie  das  Volk 
zur  Unterstützung  der  Olyuthier  gegen  Philippos  ))ewegen 
wollen;  wie  kommt  es,  dass  sie  za  gleichem  Zweck  ver- 
sehiedene,  ja  geradezo  entgegengesetzte  Mittel  anwenden, 
dasi  die  erste  dem  Volk  Schrecken  einjagen,  die  zweite  es 
■ut  Selbetrertrauen  erf&lfen  will? 

Zwischen  den  zwei  Reden  liegt  keine  lange  Zeit,  kaum 
ein  ganaea  Jahr:  denn  beide  ermhnen,  dass  die  Thessaler 

deu  Besehlnss  gefjisst  haben  Pagasai  zurückzufordern,  woraus 
beide  die  Folgerung  ziehen,  dass  j^m  mit  dem  Gedanken 


Digitized  by  Google 


288       Sitzung  der  phäosrphäol,  Clasae  tom  5,  Juni  1880. 

uiiigelien  von  ile||)  Küuig  abzui'alleu.  Wcnu  trotzdem  die 
Macht  des  Philippos  in  der  zweiten  als  geringfngig  io  der 
ersten  als  furchtbar  dargestellt  wird,  wenn  die  zweite  mit 
spielender  Hand  die  DemQthignn^  des  Königs  zn  erreicben 
hofft,  die  erste  dagegen  ausserordentlicbe  Finanzma8sre<relu 
.  verlaugt  und  doch  nur  auf  Rettung  des  dermal  igen  Besitzes 
bedacht  ist,  so  muss  in  der  Zwischenzeit  die  Macht  des 
Königs  einen  bedeutenden  Zuwachs  oder  die  seiner  zw« 
Gegner  eine  wesentliche  Einbusse  er&hren  und  die  ganze 
Situation  einen  solchen  Umschlag  erlitten  haben,  dass  aueb 
den  vertrauensseligsten  Athenern  die  Augen  über  die  Ge- 
fährlichkeit dieses  Gegners  aufgegangen  sein  kounteu. 

Worin  die  Ereignisse  bestanden ,  weiche  einen  so 
grossen  Umschwung  hervorgerufen  hatten,  lasst  sich  schon 
durch  eine  Vergleichnng  der  zwei  Reden  miteinander  ohne 
Schwierigkeit  erkennen.  Die  spätesten  in  der  zweiten  er- 
wähnten Vorgänge  sind  der  Sturz  der  Tyrannis  von  Pherai  (141. 
das  Bündniss  der  Thessaler  mit  dem  König  als  ihrem  Selmtz- 
herrn  (8)  und  der  Beschluss  derselben,  die  Herausgabe  Ton 
Pagasai  und  Magnesia  zu  verlangen  (11);  sie  fidlen  in  die 
erste  Hälfte  von  352.  Die  erste  Rede  fügt  in  der  Ueber- 
rncht  der  Leistungen  Philipps  nach  der  Unterordnung  Thes- 
saliens noch  den  grossen  thrakischeu  Feldzug  des  Königs 
im  Spätjahr  352  und  seinen  Angriff  auf  die  Olyntbier  in 
den  ersten  Monaten  von  351  hinzu.  Die  aweite  Bede  kennt 
letzteren  noch  nicht :  sie  spricht  bloss  davon,  dass  die  Ol3rn- 
thier  hald  Krieg  mit  Philippos  führen  werden ;  auch  der 
thrakische  Feldzug  Philipps  ist  ihr  nicht  bekannt:  denn 
nach  diesem  war  eine  so  veyj^trauensvoUe  Rede  nicht 
mehr  mdglich.  Diese  Unternehmung  ist  es,  welche  den 
grossen  Umschwung  in  der  Lage  und  den  gewaltigen  [Tin-' 
schlag  der  Stimmung  hervorgerufen  hat.  In  den  thrakischen 
Gauen  nördlich  von  Thasos  und  Saniothrake  setzte  »^r 
Könige  ab  und  ein  (cap.  III);  mit  dem  einen  der  drei 


Digitized  by  Google 


ümger:  ZeUfolge  der  wer  ersten  demoähems^en  Beden,  289 

mSchiigen  Odiysenfnrsten ,  Amadokos,  welcher  die  Länder 
uu  Sgaiechen  Meer  öatHch  von  Maroneia  bis  über  den  He* 

bro8  hinaus  beherrschte,    im  Bunde  bekriegte  er  dessen 
Vetter,  den  ilurch  seine  Herrschaft  über  die  Tliraker  hinter 
der  Chersonesos  und  an  der  Propontis  für  Athen  höchst 
wichtigen  Kersobleptes  nnd  demüthigte  ihn  so  tief,  dass 
derselbe  seinen  i^ohn  als  Geisel  nnd  Unterp&nd  der  Unter- 
werfbng  stellen  mnsfrte;  mit  den  zwei  grössten  Colonien 
jener  Küste,  Perinthos  und  Byzuution,  schloss  er  ein  Bünd- 
maa  und  die  Stadt  Heraion  in  der  Nähe  der  ersteren  be- 
gann er  zu  belagern  (Schäfer  Dem.  I  402  ff.).    Das  ganze 
thrakisohe  Küstenland  von  Amphipolis  bis  Byzantion  und 
die  meisten  griechischen  Colonien  daselbst  standen  nnnmehr 
theils  mittelbar,  theils  unmittelbar  unter  seiner  Botmässig- 
keit:   die  ( 'her.sonesos,  das  bedeutendste  Besitzthum  Athens 
im  Norden,  war  jetzt  beständig  bedroht «  schon  jener  Feld- 
sng  selbst  wird  phii.  I  17  eine  Untemehmong  gegen  die 
Ghersonesos  genannt  nnd  ebend.  41  heisst  es  mit  Bezng 
hieranf:  ^erst  wenn  ihr  ihn  in  der  Ghersonesos  b5rt,  be- 
schliesst  ihr  dorthin  Hülfe  zu  senden';  seine  Flotte,  verstärkt 
durch  die  Schifte  von  Abdera  und  Maroneia,  von  Perinthos 
aod  Byzantion  konnte  im  Herbst  den  Kornzufuhren  ans 
dem  Pontns,  Yon  welchen  die  Emährong  der  Beyölkemng 
Attikas  abhieng,  den  Weg  verlegen  oder  sie  abfangen,  jeder- 
«eit  al)er  über  die  attischen  Inseln  Thasos,  Lemnos,  Samo- 
thrake,  Imbros  u.  a.  hertallen.    Die  Lage  Athens  war  jetzt 
auf  einmal  eine  andrere  geworden,  nicht  mehr  vom  Wieder- 
gewinn der  früheren  Besitzungen,  nur  noch  von  der  Be-  * 
biaptang  der  noch  übrigen  konnte  die  Rede  sein  nnd  anch 
tan  war  der  Hinzutritt  eines  irgend  bedeutenden  Bundes- 
genossen von  hoher  Wichtigkeit.  Dieser  Sachlage  entsprach 
auch  die  Wirkaug,  welche  die  Nachricht  von  der  Belager- 
nng  von  Heraion  im  Nov./Dec.  352  za   Athen  hervor- 
bmehte.   Viele  Reden,  sagt  Demosthenes  ol.  III  4t  wurden 


Digitized  by  Google 


290      Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Juni  1880. 

in  der  VolInTersammlung  gehalten ,  Lärm  und  Verwirrung 
herrschte,  zuletzt  beschloss  man  40  Triereu  iiuszuseudeu, 
die  ganze  wafifeu fähige  Mannschaft  vom  20.  bis  zum  45.  Jahre 
in  Dienst  zw  stellen  nnd  60  Talente  Eriegsaiener  zn  er- 
heben. Die  Anaf&hnmg  nnterblieb  TorUlnfig,  weil  die  Nach- 
richt von  der  schweren  Erkrankung  des  Königs  kam,  über- 
dies war  es  Winter;  gleich  nach  seiner  Genesung  aber, 
noch  vor  dem  Frühling  351  zog  der  König  wieder  ins  PVld, 
diesmal  gegen  Olynthos.  Und  jetzt  wurde,  wie  im  nächsifln 
Gapitel  sich  bestätigen  wird,  die  erste  oljnthische  Rede  ge- 
halten. 

III.  Die  erste  Rede. 

Die  erste  olynthische  Rede,  wie  meist  geschieht,  dem 
Mitte  349  geschlossenen  Bündniss  und  der  ersten  Hnlfe- 
sendong  des  Pbxlochoros  unmittelbar  vorausgeben  zu  lassen, 

verbietet  der  von  Härtel  Dem.  Anträge  p.  529  treffend 
hervorgeliobene  Umstand,  dass  zur  Zeit  der  Rede  sich  k»Mue 
olynthische  Gesandtschaft  in  Athen  befunden  hat,  I  2  ton 
ta  ifiol  dmovvta  \lnjg>iaaa^ai  fiip  ijdfj  %^  ßot^BW»^ 
7t^ßua¥  di  fvififtet»  ^tg  tovv*  if^ei,  vgl.  mit  Pbilochoros 
b.  Dion.  ad  Amm.  I  9  ngtoßetg  li^va^e  Ttifxxpam  ifvfifia- 
xlcci'  TB  htoiriaavxo  /.cd  ßoi\^eiav  uref-nfjai'.  Aus  demselben 
Grund  kann  sie  aber  auch  nicht  bei  den  Verhandlungen 
nber  die  zweite  oder  dritte  von  Philoch  eres  erwähnte  Hülfe- 
sendung gehalten  worden  sein:  denn  bei  diesen  waren  eben- 
falls olynthische  Botschafter  anwesend,  Philocb.  nQBoßev- 
oa/ntvcüv  liBrivaCe  und  naXiv  ök  riov  ^OXvvi^iiov  Ttqiaßuc, 
duoateiXavviov.  Gegen  Harteis  Ansicht,  dass  sie  zwischen 
die  zweite  und  dritte  Sendung  falle ,  und  tiberhanpt  g^n 
die  Meinung,  dass  sie  dem  letaten  olynthischen  Eri^  ange- 
bdre,  spricht  ferner  der  Umstand,  dass  nicht  bloss  keinerlei 
Angabe  oder  Andeutung  über  bereits  geleistete  Hülfe  vor- 
kommt sondern  §  10  (s.  oben  p.  281)  die  Annahme  einer 


Digitized  by  Google 


Unyer:  Zeüfolye  der  vier  ersten  demosthenisclien  keden.  291 

solchen  ausschliesst.  Dem  gegenüber  kann  es  nicht  in'g 
Gewicht  falleiif  dass  nirgends  von  den  Bündnissbedingimgeii 
gesprochen  wird :  Demosthenes  war  ja  nicht  der  ente  oder 
fliiizige  Redner,  welcher  das  Wort  ergriff;  ganz  unbegründet 
akr  ist  die  Behauptung,  dass  die  Anträge  der  Rede  rieh 
nur  auf  die  Mobilisirung  imd  auf  Operatioueu  beziehen: 
worin  dieselben  eigentlich  bestehen,  sagt  §  10  ioii  ötj  ta 
y  f^ioi  doxovvta  tfn]g>iaaa%^ai  fUv  ijdtj  zijv  ßoii^ua»^  ttf^ 
oßumf  6i  nifiTtH»  xtX, 

Die  Rede  ist  demiiaeh  yor  Ol.  107 ,  4  (28.  Jnli  349 
beginnend)  gehalten  und  da  zu  ihrer  Zeit  ein  Krieg  zwischen 
Pliilippos  und  den  Olynthiern  bereits  im  Gange  war,  so 
niiiss  sie  entweder  in  den  Anfang  des  letzten  (Mitte  349 
oder  früher)  oder  in  die  Zeit  des  früheren  (erste  Hälfte 
Yon  351)  iatten.   Für  letzteres  entscheidet  zunächst  der 
Umstand,  dass  die  Rede  das  Verlangen,  die  Theorika  zum 
Kriege  zu  verwenden ,  nur  schüchtern  und  behutsam  an- 
deutet, während  doch  nach  Dem.  g.  Neaira  3  schon  bei 
Gelegenheit  des  ersten  oljnthischen  Erltes  Apollodoros 
den  darauf  bezüglichen  Antrag  gestellt  und  durchgesetzt 
hatte;  die  Rücksicht  auf  das  spatere  Schicksal  des  Antrags 
und  seines  Vertreters  kann  den  Redner  nicht  bestimmt 
haben :  er  hätte  wenigstens  Anlass  gehabt ,  daran  zu  er- 
innern, dass  ein  solcher  Antrag  bereits  einmal  angenommen 
worden  war.  Der  Zusammenhang  der  damaligen  Ereignisae 
iit  aber  yerdunkelt  und  Terkannt  worden  unter  dem  Em» 
ilan  eines  alten  Vomrtheils  über  die  nemeischen  8|ndie. 
Die  Rede  gegen  Neaira  erinnert  a.  a.  O. ,  dass  Apollodorus 
jenen  Antrag  stellte,  als  man  damit  uingieng,  da»- 
Heeresaulgebot  nach  Euboia  und  Olynth  zu  schicken ;  »tmaam 
erwähnt  die  Bede  gegen  Meidias  161.  197 ,  das« 
dee  Feldsuges  yon  Tamynai  eine  Hfllfeseudung  naek  '>^nv 
abgieng.    In  diese  Zeit  fällt  die  Beleidigung  6m  liWui  > 
durch  Meidi^  an  den  grossen  Dionysien   (im  Lyr.:  ^ 


Digitized  by  Google 


292       SitJktng  der  pluios.-philol.  Clause  vom  5.  Juni  lö60. 

Anfang  des  einen  der  zwei  Arebonienjahre,  in  welche  ndi 

der  von  Demosthenes  dess wegen  eingeleitete  Process  hinüber- 
zog, also  im  Suniiiier  entweder  jenes  jnliunisclien  Jahres, 
iu  welchem  die  Beleidigung  stattgefunden  hatte  und  die 
zwei  erwähnten  Kriege  spielten,  oder  in  dem  des  folgenden 
gieng  der  Redner  als  Architheore  zu  den  nemeischen  Spielen. 
Von  diesen  glaubte  man  bisber  allgemein,  dass  nnr  die 
in*s  vierte  Jahr  jeder  Olympiade  fallende  Feier  dem  Somni«r 
angehört  habe,  also  die  der  Jahre  35.S  ,S40  345,  während 
man  die  von  Fausanias  erwähnten  Winteruenieien  d^ni 
ersten  oder  zweiten  Jahr  der  Olympiade  zuwies.  Hiedorcb 
wnrde  Schäfer  (Dem.  II  103  if.)  veranlasst  die  nemeiscbe 
Architheorie  des  Demosthenes,  weil  von  953  und  345  keine 
Rede  sein  kann,  an  den  Anfang  Ton  Ol.  107,  4.  Sommer  349 
zu  verlegen  ;  der  Anszng  nach  Tamynai  und  Olynth  und 
die  That  des  Meidias  als  im  Frühling  eines  der  zwei  vonin- 
gegang<Mien  Archontenjahre  geschehen,  konnten  nur  ent- 
weder 107,  2.  Frühl.  350  oder  107,  3.  Frühl.  340  stattge- 
funden haben  und  da  das  spätere  dieser  zwei  Data  durch 
andere  Grunde  angeschlossen  ist,  so  hat  Schäfer  diese  Kr- 
eignisse  dem  Frühjahr  350  zugewiesen.  Dies  war  die  noth- 
wendige  Gonseqnenz  der  seit  Oorsini  herrschenden  Theorie 
über  die  Nemeien  und  desswegen  hat  die  eben  erwähnte 
Zeitbestimmung  nngetheilte  Zustimmung  gefunden.  Die 
Wahrheit  ist  jedoch,  wie  ich  im  Pliilologus  XXXIV  50  ff. 
XXXVIII  524  tf.  und  in  d.  Äkad.  Sitzungsberichten  1879. 
II  164  ff.  bewiesen  zu  haben  glaube,  dass  die  Wintern^ 
meien  erst  unter  E.  Hadrian  eingeführt,  die  grossen  ne- 
meischen Spiele  aber  immer  am  gleichen  Termin,  dem 
18.  Hekatombaion  des  2.  und  4.  Archonten  jeder  Olym- 
piade, also  im  Juli  oder  .\ugu8t  aller  vorchristlichen  Jahre 
ungerader  Zahl  gefeiert  worden  sind,  und  im  vorliegenden 
Fall  lägst  sich  die  Unrichtigkeit  der  Corsinisohen  Lehre 
daran  erweisen,  dass  sie  ?iele  schlimme  Conseqnensen  nflh 


Digitized  by  Google 


Unger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  iiemoathemed^  Beden,  293 

■dl  geMgen  hat.  Von  dieaen  sollen  drei  sogleioh  besproehen 
ittden. 

Durch  die  Verlegung  der  An8/.i'i^('  nach  Tamynai  und 
Olynth  in  das  Fröhjahr  350  wird  1 1  der  letztere  in  eine 
Z^it  ^ehracht ,  in  wcK  Ikt  schlechterdings  keinerlei  Anlass 
io  einer  Hiilfesendnug  nach  Olynth  erfindlich  ist ;  Schäfer 
lieht  sich  II  115  genötbigt  anzunehmen,  der  Ausbruch  des 
kkten,  erst  im  Sommer  349  eröffiieten  Eri^es  habe 
bmts  damals  bevorznetehen  geschienen;  die  athenischen 
Reiter  hatten  wohl  die  Bestimmung  gehabt  znr  Feldwacht 
mitzuwirken  (11  108).  Bei  unserer  Datirung  der  in  der 
Meidiiisrede  erwähnten  Neineien  (Sommer  351)  entfallt  die 
iinlt'e^eudung  in  das  Frühjahr  351,  in  welchem  uachweislich 
und  anerkannt  die  Olynthier  von  Phiiippos  angegriffen 
«wden;  bei  dieser  wirklichen  Gefiihrdang  mnss  Schäfer 
1153.  114  umgekehrt  annehmen,  dass  Olynth  •  von  den 
Athenern  im  Stiche  gelassen  worden  sei.  Also  351  ein 
HUHsbedürfnisH  ohne  Hülfe  und  350  eine  Unterstützung 
ohuH  ersichtlichen  Anlass.  2)  Nicht  zu  Anfang  de.s  dritit'u 
ȟudern  des  zweiten  der  drei  Archontenjahre,  durch  welche 
«ich  der  Prozess  des  Meidias  zog,  wurde  die  Nemeienfeier 
Abgehalten  nnd  von  Demosthenes  besucht,  wie  ans  §  110  ff. 
der  Rede,  worauf  Schäfer  keine  Rfieksicht  genommen  hat, 
mit  Sicherheit  herrorgeht.  Waren  die  Spiele  von  349  ge- 
meint, 80  müsste  dem  entsprechend  der  Auszug  nach  Euboia 
und  Olynth  vielmehr  in  das  Frühjahr  34'J  verlegt  werden; 
was  bei  jenem  gegen  alle  Wahrscheinlichkeit ,  bei  diesem 
aber  gegen  die  bestimmten  Zeugnisse  streitet,  welche  die 
frihflste  Hälfesendung  dieses  Jahres  nach  Olynth  erst  im 
Hochsommer  vor  sich  gehen  lassen.  3)  Demosthenes  nennt 
ndi  zur  Zeit  der  Rede  gegen  Meidias  32  Jahre  alt  (§154); 
geboren  war  er  nach  Schäfer  im  ersten  Viertel  von  Ol.  1, 
i^pathonimer  oder  Herbst  3J^i.  Hienach  wäre  die  Ilede, 
wenn  mit  Schäfer  ihre  Kütstehong  in  die  ersten  Monate 


294       SUiung  der  ^iüosrphUtd,  ClMse  vom  5,  Juni  1880, 


des  attischen  Jahres  gesetzt  und  das  uftenhar  möglichst 
niedrig  berechnete  Alter  des  Redners  zu  fast  33  Jahreu 
genommen  wird,  OL  107,  2.  351  verabfasst,  der  Zog  nach 
Ettboia  und  Olynth  also  nicht  nach  352  geschehen.  Da 
4ie8  onmSgHeh  ist,  so  sieht  sich  Schifer  zn  der  Vermnth- 
ung  yeranlasst,  die  Zahl  32  sei  aus  34  verdorben;  dadurch 
kommt  die  Rede  zwar  in  107,  4.  349  zu  stehen ,  aber  die 
Zahl  32  ist  aufs  Beste  bezeugt,  Plutar^h  Demosth  12 
citirt  sie  und,  wie  Schafer  sdbst  nachweist,  schon  der 
.  Rechnung  des  Dionjsios  liegt  dieselbe  zu  Grunde.  In  den 
Akad.  Sitzungsberichten  a.  a.  0.,  wo  diese  Fragen  ausführ- 
liclier  erörtert  sind ,  wird  gezeigt ,  dass  die  (von  uns  dort 
bestätigten  und  verstärkten)  Argumente  Schäfers  den  Spat* 
Sommer  383,  nicht  384,  als  Geburtszeit  des  Redners  er- 
geben; mit  &st  33  Jahren  von  da  kommt  die  Rede  in  den 
Anfang  von  Ol.  107,  3.  Sommer  350,  das  zweite  Archonten- 
jahr  des  Processes  wird  107,  2.  351/0,  in  dessen  Beginn 
die  Nemeien  fallen,  und  das  erste  107,  1.  352/1;  der  Feld- 
zug Ton  Tamynai  und  die  Hülfesendung  nach  Olynthos  ge- 
hören demnach  der  ersten  Hälfte  von  351  an,  der  Zeit  also, 
in  welcher  diese  Stadt  wiridich  von  Philippos  beikri^ 
wurde. 

Dass  auf  diesen  Krieg  sich  die  erste  Rede  des  Denio- 
sthenes  bezieht«  ist  bereits  in  cap.  II  erkannt  worden;  zu  den 
dort  angef&hrten  Grfinden  kommen  noch  andere.  Der  An- 
griff aaf  Olynth  351  ist  nicht  bloss  das  spateste  in  der 

Rede  (§  13)  erwähnte  Ereigniss  sondern  überhaupt  die 
späteste  Unternehmung  des  Königs  welche  der  Rodner 
kennt,  ^)  und  da  sie  derselben  Stadt  gilt,  welche  gegen  den 


1)  Der  Aorist  'OXvy^iois  i7itxn\)r,aty  von  der  jüngsten,  mit  ihren 
Folgen  in  die  Gei,'enwart  reichenden  Vergangenheit  wie  ol.  II  H  uu7fi^ 
Tovidii'  r;\fx^ij  /uiyag,  ovtujs  offiiXti  6ta  jwy  avuör  lovtfoy  luci  ««" 


« 


Digitized  by  Google 


ünger:  Zeitfolge  dw  Vitt  ersten  deuuMenM^en  Beden.  295 

bereits  begonnenen  Angriff  des  K&nigs  zn  antentütKen  in 

der  Rede  verlangt  wird,  so  mass  dieser  mit  dem  861  ge> 
machten  identisch  sein.  Der  Redner  gibt  §  12  fg.  einen 
Ceberblick  der  Thateu,  durch  welche  der  König  seine 
jetdge  Macht  begründet  hat:  ^Erwägt  und  beachtet 
oner  von  ench»  wie  es  kommt,  dass  der  Anfangs  sohwadie  - 
Philippos  so  gross  geworden  ist?  isnerst  gewann  er  Amphi- 
polis  (358/7  V.  Ch.),  nachher  Pydna  (357/6),  weiter  Potidaia 
(356),  später  Methoue  (354/3),  dann  zog  er  nach  Thessalien 
(353);  nachdem  er  dann  (352)  Über  Pherai,  Pagasai,  Mag^ 
oesia  gans  nach  feinem  Belieben  TeHagt  hatte,  erschien  er 
sof  einmal  in  Thrake,  setzte  dort  Könige  ab  nnd  ein  nnd 
erst  eine  Erkrankung  steckte  seiner  Thätigkeit  Schranken 
(November  oder  Deceniber  352);  wieder  genesen  gönnte  er 
i^ich  keine  iiuhe,  sondern  ^riff  sogleich  (Febr.  351)  die 
Olynthier  an.  Anf  seine  Feldznge  gegen  Illyrier  (359.  358. 
356),  Paaoner  (359.  356),  Arybbas  *)  und  gegen  wen  sonst 
immer  gehe  ich  gar  nicht  ein'.  Wäre  nach  dem  letzten  in 
chronologischer  Folge  aufgezählten  Ereigniss ,  dem  Angriff 
auf  die  Olynthier  noch  ein  zweiter,  znr  Zeit  der  Rede 
q»ielender  anf  sie  erfolgt,  so  hätte  dieser  dem  Zweck  der 
Stelle  entsprechend  mit  ermhnt  werden  müssen;  denn  dass 
BF  gilt,  die  rastlose  Thätigkeit  des  Kdnigs  tot  Augen  zn 
stellen,  lehren  die  darauffolgenden  Worte  §  13:  ^ Warum 
nun,  könnte  jemand  sagen,  hältst  dn  uns  diese  Dinge  vor? 
Aaf  dass  ihr  zweierlei  euch  zn  Herzen  nehmt,  das  Verderb- 
liche eurer  Fahrlässigkeit  bei  den  einzelnen  Unternehmungen 
Qod  die  Phitippos  innewohnende  Rührigkeit,  welche  üim 
nicht  gestatten    wird    auf  seinen   Erfolgen  auszuruhen'. 


1)  Miebt  351  aondern  sw.  356^354,  wie  ans  dem  eimigeD  ZeagniM 
is  dieeer Saehe,  JoetiD.  Vn  6>  12  so  sehlieeaen  ist:  dort  wird  die  Nieder- 
lage dee  Moloeeerktaigs  nach  der  TermiUsog  mit  Ol^nipisB  und  for 
d«  Beligeniiig  tob  Hethone  erwähnt. 


Digitized  by  Google 


t 


296      SUsung  der  phüos,-i»hüol,  Clawe  vom  6,  Juni  1880, 

UehiTdiess  müssk'  mau,  weim  der  §  13  erwähnte  Augrift 
aaf  Olynth  von  dem  jetzigen  verschieden  wäre,  einen  beide 
nnfcerscheidenden  Zusatz  erwarten,  welcher  die  eben  wegen 
eines  solchen  Vorganges  zur  Berathang  ▼ersammelten  Za- 
horer  vor  Verwechslnng  behütet  haben  würde.  Die  nur 
beiläiitijj!;  angedeuteten  ünternehniuugen  sind  desswegen 
ausgeschieden,  weil  sie  bloss  biunenläudische  Bar  baren  Völker 
im  Norden  and  Westen  betreffen  und  mit  den  Interessen 
Athens  in  geringem  Znsammenhang  stehen ;  am  so  weniger 
Iftsst  sich  annehmen ,  dass  der  jetzige  .Krieg  gegen  Olynth 
unter  ihnen  versteckt  wäre. 

Die  Erkrankung  des  Königs  im  Lager  von  Heraion 
hat  seine  damaligen  Unternehmungen  zum  StüUtaud  ge- 
bracht; sonst  würde  Demosthenes  gesagt  haben:  ^trotz  seiner 
Erkrankung  setzte  er  den  Krieg  fort';  dasselbe  ergibt  sieb 
daraus,  dass  die  Athener  anf  die  Nachricht  von  seiner 
Krankheit  ihre  Rüstungen  eingestellt  haben:  denn  sie  be- 
wiesen sich  in  Sachen  der  Chersonesos  und,  ihrer  im  Nordeu 
spielenden  Interessen  keineswegs  so  gar  saumselig,  wie  der 
Redner  ol.  III  4  es,  geleitet  ron  einem  rhetorischen  Inter^ 
esse,  scheinen  lasst.  Nicht  auf  dem  Rückmarsch,  wie 
Schäfer  II  114  (der  den  bei  ihm  isolirt  und  von  Athen 
unbeachtet  erscheinenden  ersten  Krieg  gegen  Oljntl^  uoth- 
gedrangener  Weise  möglichst  alrzu schwächen  und  zn  einer 
nicht  sehr  ernst  gemeinten  Bedrohung  herabzndrncken') 
sacht)  annimmt,  griff  er  die  Olyntbier  an;  das  verbot  ihm 
schon  die  Krankheit.  Da  diese  ihn  hinderte,  die  Belagerung 
von  Heraion  und  seine  ganze  Thätigkeit  in  Thrake  fort/u- 
setzeu ,  und  es  schon  Winter  war ,  so  lässt  sich  nur  an- 
nehmen»  dass  er  sich  in  die  Heimat  hat  bringen  lassen; 
der  Zug  gegen  die  Olyntbier  war  ein  nenes,  von  seinem 
Reicbe  ans  ins  Werk  gesetztes  Üntemehmen,  wie  pbil.  1 17 

1)  V^U  hierüber  cap.  IV. 


Digitized  by  Google 


fJnger :  Zeitfolge  der  vier  e rieten  deimsthenisclten  Reden.  297 

idi;  e^a/cp^tjc  zavxai;  d;i6  ZTjg  oi'/.elai;  x<oQa<;  avzov  azQaveiag 
JJv'JMg  xai  XeQQoi't^öüv  xal  'Oh  vO^ov  y.ai  mioi  (iovKerat 
ausdrücklich  anjijegeben  wird :  denn  dass  Xeqqoviioov  xal 
''ü).vvt^ov  zusammen  nur  ein  einziges  Glied  dieser  Aufzähl- 
ong  bilden,  wird  Niemand  wahrscheinlich  finden.  Auch  der 
Grand,  aus  welchem  »Schäfer  ihn  au  den  Anfang  von  3ol 
sptzt,  seine  Erwähnung  in  der  ersten  Philippica,  wird  hin- 
fallig, wenn  diese  Rede  später  als  Frühjahr  351  gehalten 
worden  ist;  doch  gibt  es  andere  Gründe,  welche  ihn  jenem 
Zeitpunkt  nähern.  Ein  Theil  der  Reiterei,  welche  Phokion 
am  12.  Anthesterion  107,  1  (c.  7.  März  351)  nach  Euboia 
mitnahm,  war  für  Olynthos  bestimmt  und  gieng  einige 
Wochen  später  dahin  ab.  Dem.  g.  Meid.  161.  197.  Die 
erste  olynthische  Rede  setzt  voraus,  dass  bis  dahin  noch 
keine  Hülfe  abgesandt  oder  auch  nur  beschlossen  worden 
ist  (oben  p.  280),  sie  ist  also  vor  dem  12.  Anthesterion  ge- 
halten. 

Genaueres  erfahren  wir  aus  der  Rede  gegen  Neaira, 
ii«ren  hieher  bezügliche  Angaben  bei  der  bisher  herrschenden 
Chronologie  des  olynthischen  und  euboiischen  Krieges  un- 
verständlich oder  unrichtig  erscheinen  mussteu  und  daher 
vielfach  verkannt  worden  sind.  Dort  heisst  es  §  3  fg. :  ^als 
ein  entscheidender  Moment  und  ein  Krieg  eingetreten  war, 
iu  welchem  ihr  entweder  siegend  an  die  Spitze  von  Hellas 
treten ,  euren  Besitz  wiedergewinnen  und  den  Philippos 
niederwerfen  oder  mit  der  Hülfe  zu  spät  kommend  und 
die  Bundesgenossen,  deren  Heer  in  Folge  Geldmangels  aus- 
Hnanderzugehen  drohte,  preisgebend  sowohl  diese  ins  Ver- 
derben stürzen  als  das  Vertrauen  der  andern  Hellenen  ver- 
scherzen und  den  Rest  eurer  Besitzungen,  Lemnos,  Imbros, 
Skyros,  die  Chersonesos  verlieren  musstet,  als  ihr  im  Be- 
griffe wäret  euer  ganzes  Aufgebot  sowohl  nach  Euboia  als 
nach  Olynthos  zu  schicken,  damals  beantragte  Apollodoros 
die  Umwandlung  der   .Schaugelder   in   Kriegsgelder*.  Die 


I 


298      SUtimg  der  philoB.-phOa.  CUuse  tom  5.  JM  1880. 

hier  besprochenen  Zustände  und  Vorgänge,  welche  biaber 
flammt  dem  in  der  Blidiana  erwähnten  in  Ol.  107,  2.  350 
verlegt  worden  sind,  gehören  mit  diesen  and  den  der  ersten 

olynthisclien  Rede  ^)  zu  Grund  liegenden,  meist  in  107,  4. 
349  gestellten  zusammen  dem  J.  107,  1.  351  au;  sie  alle 
erhalten  ihr  rechtes  Verständniss  erst  unter  dieser  Voraus* 
setsung.  Der  grosse  Wendepunkt,  von  welchem  gesprochea 
wird  (or^tßaviog  xaiQOv  tfj  nolBi  TOlOVTOv  %at  mlifiov  h 
xrA  ),  ist  Dank  dem  durch  Philipps  Erkrankung  iu  seinen 
Eroberungen  eingetretenen  Stillstand  noch  dersell)e  -)  wie 
im  NoY./Dec.  352,  als  die  Schreckensbotschaft  ¥on  Ueraion 
gekommen  und  ebenfalls  der  Anssug  der  ganzen  waffen- 
fähigen Mannschaft  bis  zum  45.  Lebensjahr  beschlossen 
worden  war  (olynth.  III  4) ;  Olynthos  '  bedeutete  an  sich 
mehr  als  lleniion ,  aber  dieses  lag  an  der  wichtigsteu. 
Athens  vitalste  Interessen  berührenden  Linie;  die  (jefahr 
ist  gleich  gross:  wie  dort  so  stehen  hier  die  im  Norden 
noch  Torhandenen  Besitzungen  auf  dem  Spiel.  Erst  jetst 
begreift  man  Tollsföndig,  wamm  Demosthenes,  der  doch  den 
schmählichen  Ausgang  der  euhoiischen  Unternehmung  nicht 
voraussehen  konnte,  sich  derselben  so  entschieden  wider* 
setzt  hat:  er  erkannte,  dass  es  vor  allem  darauf  ankomme, 
im  Norden  das  schwer  bedrohte  Interesse  des  Staates  zu 
wahren.  Die  Bundesgenossen,  deren  Geldquellen  zu  ▼sr- 
siecheu  drohen,  müssen  dieselben  sein,  welchen  mau  Hülfe 


1)  Die  Nichterwähnnnir  der  eaboiiMheo  Angelegenheiten  in  der 
selben  erkhirt  sich  claraas,  dass  Demosthenei  diese  in  einer  eigeDen, 
gegen  die  Absicht  ihretwegen  einen  ITeldsug  in  nntenefamen  goricbteten 
fiede  besprochen  hatte. 

2)  Es  ist  denelbe  «oi^V,  von  welchem  in  derMlben  Zeit  ol.  I  2 
o  na(ftSy  »m^g  ft6ww  ov/i  Uyt^  ip^ini»  dipgfls  biaS  o»  <f«c  mvrer 
noKvnmtmUt«  xm^V  a^äpa$  mit  Anwendung  anf  die  Untentntsing 
Olynths  besprochen  wird. 


Digitized  by  Google 


Unger:  Zeitfolge  der  Pter  ertten  detnosUtenisehen  Beden,  299 

bringen  soll  und  will,  die  Olyuthier  :  weil  die  östlichen 
dialkidischen  Städte  sich  ihrem  Abfall  Ton  dem  Bfiodniss 
mit  Philippos  nicht  angeschlossen  haben  (cap.  IV)  and  sie 
isLsi  anf  sich  allein  angewiesen  sind,  wenn  Athen  nicht  zn 
Hülfe  kommt,  haben  sie  vernmthlich  gleicli  beim  Abfall  ein 
Söldnerheer  angeworben  und  ernähren  es  bereits  ungefähr 
dreinertel  Jahre. 

Die  erste  olynthisohe  Rede  ist  vor  dem  Antrag  des 
Apollodoros  auf  Verwendnng  der  Sehangelder  zum  Krieg 
gehalten:  denn  sie  wagt  nur  schücliterii  und  verstohlen  auf 
diese  hinzuweisen;  der  Antrag  selbst  aber  muss  noch  vor 
dem  12.  Anthesterion  gestellt  worden  sein,  weil  zn  seiner 
Zeit  der  AnsEOg  noch  nicht  geschehen  war;  yielleicht  am 
8.  Anthesterion,  einem  «gewöhnlichen  Versanunlnngstag 
(Ren.«s .  de  diebiis  p.  99) ;  fiir  die  liede  kann  man  den 
letzten  d.  i.  30.  riaiiieliou  (c.  23.  Febr.  351)  oder  einen 
der  nächst  yorhergehenden  Tage  annehmen.  Der  |}und  mit 
Olynth  ist  noch  nicht  geschlossen,  §  10  Ttegnpfimi  uv^  i^iy 
mififioxiop  tovtüiv  ävtiaqwtop^  av  ßovhiiu^a  xgriadtiii  er 
Jiat  sich  dargeboten,  vgl.  coron.  190  twv  g>aivoftiviov  nai 
tvuynüv  ta  /.QaTioi^'  Mollai.  Der  iiediier  will,  dass  man 
ihn  schliesse  und  dem  entsprechend  sich  für  Uülfesendnng 
entscheide.  Dies  ist  geschehen.  Anch  das  Verlangen  des 
Demosthenee,  ein  Bftigerheer,  nicht  bloss  Söldner  anszu- 
tthicken,  wnrde  erfdllt;  aber  zuerst  mnsste  es  nach  Enboia 
gehen  und  als  sich  dort  der  Krieg  in  die  Länge  zog  und 
immer  grössere  Anstrengungen  nöthig  machte,  giengen  vor- 
läufig bloss  150  Reiter  nach  Norden  ab.  Die  Olynthier 
tthen  sich  schliesslich  nicht  mehr  im  Stande  anszahalten: 
■e  mnssten  weil  sich  die  Dinge  in  Bnboia  für  Athen 
8clilinuu  gestalteten,  die  lioti'uuug  au^ebeu,  dass  ihnen  von 


1)  Darauf  dAU  es  Griechen  sind,  fahrt  roiV  iXkoi^  "BSOnaty;  beim 
OtgwMiti  n  Athen  wOide  roit  "Ekk^u^  la  erwarteo  sein. 


Digitized  by  Google 


300       tiitsuHij  der  jtlülos.-phiUü.  CUmse  com  ö.  Jum  1680. 

diesem  vStaute  noch  eine  ansgiebige  UutHrstütznnf?  /ukommen 
werde;  das  Söldnerheer  konnten  sie  nicht  mehr  hahen  und 
es  traf  ein,  was  der  Redner  (ol.  i  3)  befürchtet:  sie  machteu 
ihren  fVieden  mit  dem  König,  vielleicht  noch  im  Frühjahr  351. 

Welches  die  Bedingungen  waren,  zu  denen  sie  sich 
verstehen  mnssten,  lässt  eich  znm  Theil  wenigstens  ans  der 
Nachricht  dee  Phüochoros  fibei^  den  zweiten  Znzng  der 
Athener  im  letzten  olynthischen  Kriege  erschlieseen.  Dieser, 
ans  4000  Peltasten  und  150  Reitern  unter  Charidenios  be- 
stehend, verband  sich  mit  den  Olynthiem  zur  Verwü^jtuug 
von  Pallene  und  Bottiaia.  Die  grosse,  mit  vielen  helle- 
nischen, meist  eretrischen  Golonien  besetzte  Halbinsel  sod* 
lieh  nnd  das  allezeit  eng  mit  Olynthos  verbanden  gewesene 
Bottiaia  we8tlich  dieser  Stadt  waren  also  jetzt  Feindesland; 
wären  sie  erst  im  Lanf  des  letzten  Krieges  dem  König  in 
die  Hände  gefallen,  so  würden  sie  schwerlich  mit  Verheer- 
ung heimgesnoht  worden  sein.  Da  Bottiaia  von  Pallene 
nur  durch  das  Gebiet  von  Potidaia  getrennt  war,  so  mnss 
auch  dieses  im  J.  349  schon  makedonisch  gewesen  sein^ 
als  makedonisch,  nicht  olynthisch  erscheint  es  phil.  1  4 
(vgl.  44),  s.  Böhnecke  I  242.  Ii  194;  bchäier  II  G7,  7. 
Diese  Rede  ist  aber  nach  der  unsrigen,  im  Herbst  351  ge- 
halten. Potidaia  sammt  Anthemus  hatte  er  den  Olynthiem 
abgetreten  als  Preis  ihres  Bundes  mit  ihm');  die  noth- 
wendige  Folge  ihres  vertragswidrigen  Friedensschlusses  mit 
Athen  musste  die  Forderung  Philipps  sein,  ihm  diese  Plätze 
zurückzugeben,  die  ihrer  Weigerung  und  des  dadurch  her» 
beigefnhrten  Krieges  aber,  dass  sie  dieselben  herauflgebeo 
mussten.    Am  Abfall  von  Philippus  hatten  sich  die  west- 


1)  Die  abiretretenen  Stidte  waren  «•  wohl,  mit  derro  Belagenmg 
ar  den  Krieg  eröffnete;  ol.  I  17  tue  nokag  totf  ^oXvrSlot/g 
psMt  nicht  avf  verbündete  sondeni  nnr  anf  abli&ngige  Orte. 


Digitized  by  Google 


ünger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demosthenüchen  Beden.  301 

liehen  Städte  des  clialkidischeo  Bundes  betbeiligt  (cap.  IV); 
(iaher  ünden  wir  349  Pallene  nnd  Bottiaia  in  Abhängig- 
keit Ton  Philippos  Dnd  in  dieses  Verhaltoiss  waren  wahr- 
sehsinlich  noch  andere  Nachbarstadte  Ton  Olynthos  ge- 
kommen. Der  erste  olynthische  Krieg  des  Phi- 
lip p  o  s  überlieferte  i  Ii  ni  die  <4  a  n  z  e  Westküste 
der  Chalkidike:  im  thermaischeu  Busen  ist  seitdem  er 
allein  Herr;  Ton  hier  and  nnr  von  hier  aus  begreifen  wir, 
wie  flieh  Demosthenes  phil.  I  44  den  Einwand:  not  otv 
n^OQ^iov^B^a;  machen  nnd  als  Operationsbasis  gegen 
Philippos  nur  eine  weit  von  seinem  Hauptland  entfernte 
Insel  wie  Leranos,  Thasos  oder  Skiathos  (§  49)  wählen 
kami.  Die  Olynthier  konnten  nuter  den  damaligen  Um- 
standen  noch  sehr  Unfrieden  sein,  dass  ihrer  Stadt  das 
Sdiiekwl  einer  Belagerung  und  Eroberung  erspart  blieb: 
TO  erkauften  diesen  Uewinn  mit  der  Lossaguug  vom  Biinde 
mit  Athen.  Dies  ist  an  sich  von  vornherein  wahrschein- 
lich: denn  wenn  den  Anlass  zum  Bruche  nnd  zum  Kriege 
der  Friedens-  nad  Frenndschafksschlnss  mit  Athen  gegeben 
hstie,  so  war  die  selbstTerstSndliehe  Bedingung  des  Friedens 
mit  Philipp,  dass  sie  in  das  frühere  Bundesverhältniss  zn 
ihm  zurückkehrten.  Olynth  trat  351  in  Ahhängig- 
keit  von  Makedonien,  insofern  es  gehalten  war,  die- 
ielben  Freunde  nnd  dieselben  Feinde  zn  haben.  Dass  dem 
wirklich  so  war,  geht  eben  aus  jenem  ^roi  ttifoaoif/uovfiB&a 
berror:  sie  durften  Handelsyerkehr  mit  Athen  pflegen,  aber 
kein  Kriegsschiff  dieses  Staates  einlaufen  lassen.  Dass  sie 
'lieses  Joch  wieder  abzuschütteln  suchten,  unter  der  Hand 
init  Athen  wieder  anknüpften,  seine  feindlichen  Stiefbruder 
bei  sieh  aufnahmen,  endlich  offen  sich  auflehnten,  sind 
Gegenschlage,  welche  dieser  Vorgang  nach  sich  zog;  die 
SsÜiehen  Chalkidier  aber  sahen,  dass  jetzt,  wenn  sie  sich 
uicht  aufrafften ,  auch  ihre  Unterwerfung  nur  noch  eine 
Krage  der  Zeit  war:  im  letzten  olyntbischen  Krieg  sind  sie 
[im.  I  Pha-pbil.  hiat  Ol.  Bd.  I.  d.]  20 


I 


302       Sitzung  der  ithUm.-phUol.  Clmse  vom  5.  Juni  J8S0. 

mit  Olynth  ^egen  Philippos  rereiiiigt;  in  den  zwei  endeo 

handelt  es  sich  bloss  um  ^die  westlichen  Chalkidier',  in  der 
letzteu  um  alle. 

IV.  Die  zweite  Rede. 

Dass  «nr  Zeit  der  zweiten  Rede  den  Olynthiern  noch 
keine  Hülfe  wenigstens  in  dem  Kriege,  welchen  sie  im 
Auge  hat,  geleistet  worden  war,  beweist,  wie  p.  282  gezeigt 
warde,  §  10;  dass  sie  der  ersten  voransgegangen  ist,  haben 
wir  in  cap.  II  gesehen  und  das  ans  dem  InmiHeliegen  des 
lifrossen  thrakischen  Feldzngs  erkiftrt,  welchen  der  K5nig 
im  Spätjahr  352  führte.  Nicht  gar  lauge  vorher,  jedenfalls 
im  J.  352  muss  sie  gehalten  worden  sein,  weil  sie  die  Er- 
werbung von  Pagasai  und  Magnesia  durch  Philippos  er- 
wähnt. Dass  diese  nnd  der  Beitritt  Thessaliens  die  letzten 
Ereignisse  sind,  welche  die  Rede  kennt,  beweist  der  Ueber- 
blick  <ler  Leistungen  und  Erfolge  des  Königs,  welchen  aoch 
die.se  llede  anstellt.  Sie  leitet  denselben  §  b  mit  den  Worten 
%6  Ttaviy''  oaa  nojjiot'  «Vr^a^c  di^wyz'  ^(f'  anaot 
vovTOig  iHyxuv  xai  ßaaxiog  Hyov  öüwi  xai  dvoh  ht% 
iqyovfiat  av(iq>iQeiv  d^Oxf'ai  und  erwähnt  §  6 — 7  die  Vor- 
gänge von  Amphipolis  (357),  dann  das  BSndniss  mit  Olynth 
und  die  Eroberung  von  Potidaia  (356),  zuletzt  den  Gewinn 
von  Thes^ien  (303 — 352),  bezeichnet  diesen  §  7  durch 
yvv  vilevtaia  (ebenso  §  14  durch  vvvl  GirraXolg  axaai* 
äCfivat  xm  nstaqtv^iihous  ißor/^ij<re)  ausdrücklich  als  Er- 
eignisa der  jüngsten  Vergangenheit  nnd  der  Schluss  §  8 
AaiQOv  fiiv  dl]  nQog  lovro  jn'tQtaii  Ö>/Ä/>t7H^  va  jTQayfJiXTa 
zeigt  au,  dass  der  durch  diese  Thaten  eiv.ielte  Umfang 
seiner  Macht  der  jetzt  bestehende  ist.  Die  Eroberung  von 
Pydna  nnd  Methone,  die  Siege  Uber  Bpeiroten,  PaioDer, 
Blyrier  nnd  andere  Barharen  durfte  er  als  weniger  wichtig 
und  bedeutend  übergehen ,  aber  den  thrakischen  Feld/.ug 


Digitized  by  Google 


ünger:  Zeitfoige  der  ner  ersten  demosthenisdten  Beden.  303 

fon  352,  durch  dessen  Wirkongen  der  ganze  Athen  im 
Norden  gebliebene  Besitz  nnd  die  Getreideversorgung  der 
Stadt  bleibend  gefährdet  wurde,  ein  Ereigniss,  welches  die 

Geriiiither  der  Bürger  noch  hin f^o  Zeit  nachher  in  AufVegii ng 
erhielt ,  hätte  er  n^cht  verschweigen  können :  es  wäre  ein 
eiUes  Dnterfengen  gewesen  dadurch  ihre  Sorge  hinweg- 
tinachen  zu  wollen.  Auch  wäre  es  eine  gar  zu  grobe 
üebergehnng  gewesen,  wenn  er  alles  was  der  König  je  ge- 
leistet hatte'  durchnehmen  wollte,  eintni  Keld/.ug  zu  üher- 
gpfaen,  welcher  die  ganze  thrakische  Südküste  von  Ainphi- 
polis  bis  nach  Byzantion  und  mit  Ausnahme  fast  nur  der 
Cbersonesos  auch  die  dortigen  Hellenenstadte  in  Abhängig- 
ksits-  oder  Bnndesverhältniss  zu  ihm  gebracht  hatte.  Eines 
bstte  er  allenfalls  thun  können,  wenn  die  Rede  nach  diesem 
Kriege  g«'li;ilt«'n  wäre:  die  Krt'olge  desselben  <ler  Hülfe 
eines  starken  Verbündeten ,  des  Odryseuköuigs  Amädokos 
beimessen;  aber  §  13  werden  in  solcher  Beziehung  nur  die 
Olynthier  und  die  Thessaler  genannt. 

Was  in  cap.  Tl  angeführt  ist,  um  das  Vertrauen  und 
«Üh  sficliere  Hoffnung  auf  den  Sturz  des  (legners  aufzu/eigen, 
welche  in  der  Rede  zu  Tage  tritt ,  das  alles  setzt  voraus, 
dass  PhilippoA  den  thraki8<||[ien  Feldzug  zur  Zeit  noch  nicht 
bi>gonnen  hat;  charakterisch  ist  in  dieser  Beziehung  auch, 
wis§2ri  gesagt  wird:  aller  Besitz  ist  leichter  zu  behaupten 
tl«  tn  gewinnen  ;  jetzt  aber  l]al)«Mi  wir  in  Folge  des  Krieges 
mit  ihm  nichts  mehr  von  unsern  alten  Besitzungen  zu 
bebaapten  ;  wieder  g»»w innen  müssen  wir  sie*.  Zu  einer  Zeit 
also,  wo  Athen  im  Norden  noch  die  Cbersonesos  und  die 
Inseln  Thasos,  Lemnos,  Samothrake,  Imbro«,  Skyros,  Skiathos 
beius,  wird  die  ungefährdete  Fortdauer  ihres  Besitzes  als 
«0  weihst  verständlich,  ihr  Verlust  als  so  undenkhar  voraus- 
g*^tzt,  d.iÄ>  wegen  des  Entganges  der  andern  gesagt  werden 
krtna,  man  hal)e  nichts  mehr  zu  ▼erlieren.  Eine  solche 
Aeossemog  war  seit  dem  thrakischen  Feldznge  nicht  mehr 

20» 


304      SU  zung  der  piiilosrjiJiäol.  Glosse  atm  6.  Juni  1S80,  I 

möglich,  von  <la  an  <ralt  e.^.  wie  g.  Nfaini  1  vou  den  auf  I 
ihn  folgenden  Zustünden  gesagt  wird,  Aiydtveveiv  ntqi  im  1 

QOpffOOV,  I 

In  der  Bede  gegen  Aristokrates,  welche  im  Sommer  352, 
nach  der  Unternehmung  Philipps  gegen  Thermopylai  ünd 
vor  seinem  grossen  thrakischen  Feldznge  gehalten  ist 
(Schäfer  1  399),  wird  §  109  erwähnt,  dass  Olynth  mit 
Athen  Frenndschaft  geschlossen  hat  nnd  ein  Bündniss  zwischen 
ihnen  zn  erwarten  steht.  Znr  Beantwortung  der  Frage,  ob 
nnseirer  Rede  dieses  schon  vorausgegangen  ist,  besitzen  wir 
bloss  eine  Stelle  derselben,  §  2  fort  zojv  uioyiatiov  liij  jwo- 

fiftoiefuvovg  aHd  xai  zdhf  in 6  r^c;  ivyiiQ  .taQaaxevaai^truüf 
(fvftftaxuv  xoe  huu^kop;  welche  sowohl  für  als  wider  die  ^ 
Ansicht,  dass  schon  ein  Bnnd  besteht,  in  Anspruch  ge- 
nommen wird.  Die  beschränkende  Bedeutung,  welche  da» 
Particip  durch  die  Stelhing  zwischen  Artikel  und  Substantiv 
bekommt,  spricht  dafdr,  dass  Demostheues  die  Olynthier 
nicht  als  schon  erworbene  Bondesgenossen  ansieht,  sondern 
als  zn  hoffende,  deren  Waffenbrüderschaft  vom  Glück  bereit 
gestellt,  aber  erst  durch  selh||tthätige  Ergreifung  dieses 
g()ttlichen  (leschenkes ,  d.  h.  mittelst  Vertrages  herbeizu- 
führen ist.  Wäre  dieser  schon  abgeschlossen,  so  hätten 
wir  nicht  den  mindestens  zweideutigen  Zusatz  vfio  ti^ 
tvxijs  fca^^OBOiMvaa^hfttav  zu  erwarten,  dieser  wäre  auf 
xoi^cSy  beschrankt  nnd  avfifiaxtav  würde  entweder  alleiii 
stehen  oder  mit  einem  Zusatz  wie  agti  yByevrj^iimw  ver- 
bunden sein,  nemosthenes  räumt  aber  dem  Wirken  de« 
Glückes,  d.  i.  der  Götter  in  allem  menschlichen  Thun  einen 
entschddenden  £influ8S  ein,  vgl.  ol.  II  22  fieyaXi^ 
ftalXov  6i  Sitoy  ^  zvxrj  nan''  iati  ra  ziöp  w^^tanm 

n^dy^ara;  v.  Frieden  8  di'  tVTvyJm\  T^v  ovftTKaotjg  iyto  ^rjQ 
iv  dv^^jioi^  o'voi^g  deivotijtog  nui  aog>iag  ö^iu  AQatovoav; 


Digitized  by  Google 


I 


ünger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demosthemuhen  Bsden.  30Ö 

da  dies  auch  vom  Gewinn  eines  Bündniases  gilt,  so  muss 
die  Hervorhebung  der  Tbätigkeit  des  Glückes  in  dieser 
Verbindnng  einen  besonderen,  empbatischen  Sinn  haben 

und  dieser  liegt  eben  darin,  dass  nur  vom  Glück,  aber  noch 
nicht  von  den  durch  dasselbe  begünstigteu  Menschen  bis 
jetzt  das  hiesu  Nöthige  geschehen  ist. 

Die  Olyntbier  smd  snr  Zeit  noch  nicht  im  Kriege  be- 
griffen, dieser  ist  erst  zo  erwarten,  §  1  rd  vovg  nolefifj- 
aonag  (Ddircno)  yeyevrjai^ai ;  die  «cbnelle  und  gute  Hülfe 
aUo,  welche  §  11  verlangt  wird,  soll  sie  in  Stand  setzen, 
dem  in  nächster  Zeit  za  befiirohtenden  Angriff  des  Königs 
kräftig  zu  begegnen  oder  demselben  durch  Ergreifung  der 
(Mfenrive  suvorznkommen.  Ob  Philipp  schon  im  Jahre  352 
eben  Krieg  gegen  Olynth  unternommen  hat?  Nach  dem 
thes^alischen  Kriege  folgt  bei  Justinus  VIIl  3  ,  6  ein  Zug 
des  Philippos  in  Chalcidicam  (wie  bisher  meist  gelesen  wurde), 
welchen  Schäfer  II  114  mit  dem  Dem.  ol.  1 13  erwähnten  An- 
M  auf  die  Olyntbier  im  Anfang  361  verbindet^  um  dnroh 
Benehung  der  Angaben  Justins  auf  denselben  eine  Ab- 
sr.hwächung  dieses  vermeintlich  von  Athen  unberücksichtigt 
gebliebenen  Angriffes  zu  erzielen  (vgl.  oben  p.  2ÜG) :  der 
König  habe  auf  dem  Rückweg  von  Heraion  einen  Einfall 
in  Bisaltien  (ygi.  Theopomp  fr.  136)  gemacht  und  sei  bis 
IQ  dem  olynthischen  Bundesgebiet  Torgedrungen ;  aber  sein 
Angriff  habe  nicht  so  sehr  den  hellenischen  Städten  als 
den  Fürsten  der  angrenzenden  Völkerschaften  gegolten, 
welche  er  gefangen  nahm  und  tödtete.  Indem  Schäfer 
weiter  die  für  uns  zeitlose  Nachricht  über  die  Fabel  von 
BokmoB  und  Hybris,  welche  der  König  den  Gesandten  der 
Chükidier  erzählte  (Theop.  fr.  139) ,  und  die  Angabe  bei 
Dem.  phil.  III  11  von  den  heuchlerischen  Freundschafts- 
verbicherungen  desselben  gegen  Olynth  verbindet,  gewinnt 
er  schhesslich  das  Ergebnisse  dass  es  351  zu  gar  keinem 
Kriig  iwiaehen  Philippos  und  dieser  Stadt  gekommen  sei. 


Digitized  by  Google 


306      SiUung  der  phMloa.-phaol,  dam  wm  5.  /ttm  1680. 


Wie  Demosihenes  Ton  einem  derartigen  Kriege  ^Okw^ioi^ 
ImxEiqfiaev  sagen  kann,  ist  ans  nnbegreiflicb.    Es  wurde 

imless  schon  p.  297  bemerkt,  dass  der  Angriff  auf  OIyntb351 
eiuo  neue  Unternehmunj^  vou  Makedonien  aus  war;  bei 
Jusiiuuä  aber  schreibt  Jeep  nach  den  Uaodschrit'teu ;  in 
Gappadociam  traidt:  ubi  hello  pari  perfidia  gesto  capüs- 
que  per  dolom  et  oocisis  finitimis  regibns  nnirersam  pro» 
vinciam  imperio  Maoedoniae  adinngit.  Dass  hinter  dem 
verdorbenen  Nanion  nicht  Chalcidicam  versteckt  ist,  geht 
aus  der  Nennung  vou  Königen  hervor;  man  kann,  da  Ju- 
stin us  nachher  von  den  auch  in  der  ersten  Philippika 
l^Uerbst  351)  erwähnten  Festangsbauten  and  dann  dem 
letzten  olynthiscben  Kriege  spricht,  kein  anderes  Unter- 
nehmen verstehen  als  den  grossen  thrakischen  Feldzuji^  im 
Spätjsihr  352;  ausserdem  kennen  wir  au.s  die.^^er  Zeit  nui 
den  ersten  olyuthisclien  Krieg  (Anfang  3öl).  Wa«  die  be- 
deutendste Leistung  des  thrakischen  Feld/.ngs  war,  gibt  Dem. 
ol.  I  13  an:  ixe»  %üvg  fiiv  ixßahaif  tovg  de  xoraonjoo^ 
Tc5v  ßaoiXtiov  (rJi7^«V/j(J€»') ;  womit  sich  Justin^s  captis  per 
düluni  et  occisis  regibus  leicht  vereinigen  lässt  Die  Frage, 
wie  der  Name  des  Landes  bei  diesem  zu  verbessern  ist, 
veranlasst  uns  zu  einer  durch  die  Noth wendigkeit,  gewisser- 
massen  erst  die  Existenz  desselben  nachzuweisen,  sich  er- 
gebenden Abschweifung. 

Ein  vor  einigen  Jahren  aufgefundener  attischer  Volks- 
beschluss  (inscr.  att.  II  105)  aus  der  ersten  Prytanie  des 
Arch.  Elpines  (Sonnner  356),  welcher  ein  Büüdniss  mit  deui 
thrakischen  Fürsten  Ketriporis  and  seinen  Brüdern,  mit 
Lyppeios  von  Paionien  and  dem  lUyrier  Grabes  betrifii, 
verspricht  diesen  eidlich  Freundschaft  und  Theilnahme  am 
Kriege  gegen  Philippos,  dem  Ketriporis  insbesondre,  dessen 
einer  Bruder  nach  Athen  gekommen  zu  sein  scheint,  deu 
Rückerwerb  von  Krenides  und  andern  in  makedonischen 
Besitz  nbei^^ngenen  Orten.   Bian  hat  sogleich  erkannt, 


Digitized  by  Google 


ünycr:  Zeilfvlye  der  vier  traten  deniostheniachen  Heden.  307 


dM8  68  Sieb  ntn  das  von  Diodor  XVI  22  aas  01.  106,  1. 

S'if)  t(eineliU»te  üntrnichDien  eines  thrakischen  ,  eines  juiio- 
ui-^chen  und  eines  illyriscben  Fürsten  handelt,  welche  er 
einzeln,  ehe  sie  mit  ihren  Rüstungen  fertig  waren,  angriff 
und  unterwarf.   Es  war  nloht  das  erste  Mal,  dass  diese 
Pünten   von  ihm  besiegt  wurden  {yrQo^]rTi]iitevoi);  einen 
früheren  Krieg  mit  Thrakern  meldet  ausserdem  nur  Artenii- 
iloros  bei  Steph.  Byz.  WiMjtJCOi]  to  rtahxiov  KQi]vidEg '  lolg 
di  K^ftjpizatg  Tcolsfiovfiivoig  vno  Ö^^xwv  ßoY]&i]Oai;  6  <Z>i- 
lutnog  0tUn7tovg  topofiaoev;  was  nach  Diodor  XVI  8  im 
Jahr  der  Einnahme  Ton  Amphipolis  und  Fydna,  also  357 
geschehen  ist  und  offenbar  dieselbe  Völkerschaft  betrifft. 
Der  Fürst  Ketriporis  war  schon   vorher  aus  Münzen  be- 
kannt; die  thasischeu  Typen  derselben  weisen  gleichfalls  in 
die  Gegenden  an  der  Ostgrenze  Makedoniens  in  der  Nähe 
der  Meeresküste;  ebendesswegen  war  Ketriporis  für  Athen 
der  wichtigste  Ton  jenen  drei  Fürsten ,  vgl.  Weil  in  Bnr^ 
siairs  Jahresb.  1876.  III  453.   In  ihm  und  seinen  Brüdern 
glaubt  A.  Hoeck  Neue  Jahrbb.  1877.  GXV  837,  welchem 
Ditten berger,  Hermes  1879.  XIV  298  zustimmt,  die  Söhne 
daaBerisades  zu  erkennen,  des  einen  der  drei  Theilherrscher 
des  grossen,  früher  in  einer  Hand  rereinigten  Odrysen- 
reichs,  welcher  mit  Amudokos ,   nach  dem  300  erfolgten 
Tode  des  Kotys  den  Sohn  desselben,  Kersobleptes  aus  seinem 
£rbe  zu  verdrängen  suchte.    Der  Antheil  des  Kersobleptes 
lag  in  der  Nähe  der  Propontis  und  hinter  der  Ghersonesos, 
welche  zeitweilig  ihm  gehört  hat;  der  des  Amadokos  reichte 
von  da  nach  Westen  bis  an  die  Grenze  des  Gebietes  von 
Maroneiii  (Dem.  g   Arist.  183);  daraus  folgert  lloeck,  dass 
das  thrakische  Land  von  Maroneia  westlich  bis  zum  Strymon 
den  Theil  des  Berisades  gebildet  habe.   Er  übersieht,  dass 
die  von  Kersobleptes  und  Amadokos  regierten  Gane  von 
onterworfenen  Stammen  bewohnt  waren;  das  eigentHohe 
Odrjsenland  bestand  aus  dem  Flussgebiet  des  oberen  Hebros 


Digitized  by  Google 


I 


308      SUMutig  der  pkOos^-phikL  Clauß  vom  5,  Juni  1880. 

fRoehnecke  Forsch.  LI  542)  und  dort  suchen  wir  daher 
den  Berisades  nnd  seine  Söhne;  Philippos  unterwarf  das- 
selbe erst  34 1  ^  und  die  Stadt  Philippopolia,  welche  er  dort 

jirriindete,  war  noch  unter  den  röiuisclien  Kaisern  die  Re- 
sidenz der  Odrvsenkönige  (Tac.  ann.  III  38). 

Eine  wesentliche  Förderung  unseres  Wissens  Ober 
Ketriporis  hat  Dittenberger  a.  a.  O.  durch  eine  evidente 
Textrerbeseernng  geliefert.  Bei  Aristot.  hiet.  anim.  IX  36  (24) 
ftchrieb  man  bisher  in  üeberdnstimmung  mit  Antigouos 
luirab.  28   «V  (oder  nach   Sy Iburgs  Conj.  BQ^r/.i^g) 

zff  AoXovfiivr^  TTore  KeöqemoXuy  während  die  meisten  Hand- 
schriften KedifUHolutg  geben,  die  zwei  aber  welche  iCcd^- 
noku  aufzeigen,  auch  sonst  in  Fehlern  zusammenatimmeiL 
Dittenberger  stellt  mit  geringer  Aenderung  ^i^  6^'//; 
viaXovfÄiyij  7C0ti  KeSginoXiog  her,  ebenso  bei  Theü[)hrHst 
odor.  2,  4  ai  y.Qi^Na  ai  ex  r^g  KedQi/ioliog  (statt  Kiöqo- 
Ttoliog)  und  weist  so  an  beiden  Stellen  das  ehemals  von 
Kedripolis  d.  i.  Ketriporis  *)  beherrschte  Land  nach.  Er  ver- 
gleicht die  römischen  Benennungen  Alpes  Cottiae,  Pontos 
Polemoniacus ,  hergenommen  von  dem  Namen  des  lettten 
lli-rrschers;  doch  i.st  es  möglich,  dass  Aristoteleö  und  Theo- 
phraut  einen  Gewährsmann  ausgeschrieben  haben,  der  zu 
den  Zeiten  des  Ketriporis  schrieb.   Entschieden  bestreiten 


1)  Aua  diesem  Gninde  geht  es  auch  nicht  an ,  ol.  I  13  unter  den 
abgesetsten  Königen  mit  Schäfer  1 404  die  Söhne  des  Berisadet  sa  f•^ 
stehen. 

2)  Dieser  aneh  in  Basenporis  Basenpolis  ersehfineBde  Weehsel  ist 
schwerlieh  ans  dem  Streben»  den  Bhotaeisnins  in  vermeiden,  oder  su 
dem  Binflnss  von  Namen  wie  Enpolis,  Agesipolis  in  erklären;  er  findet 
sich  aneb  in  Sale  Berod.  Vü  59  =  Sare  Liv.  XXXVIU  41  nnd  hingt 
wohl  mit  eigenthamlicbor  Aosspradie  der  Liqaida  insammen.  Befaumt 
ist  die  Identität  des  tbrakiscben  —  para,  —  bria  in  Drasipara,  Beesa- 
paT%  Heoambria,  Selymbria,  Poltyobria  mit  noXtg  nnd  dem  indisebea 
pnram,  pari. 


Digitized  by  Google 


« 


Unger:  Z&Ufoltje  der  vier  ersten  dentoathenischen  Heden.  309 

mSssen  wir  aber  die  Ansicht,  dasa  die  Ortsbestimniun;^  hei 
[Arist.]  iniriih.  huscuU.  11>^  (cin.T  Parallelstelle  zu  Arist. 
bist.  an.  IX  36)  ntQi  irjv  QQijcxi^p  %rpf  vJttQ  ^fi^iri  oliv, 
welche  Plinius  hifit.  X  23  in  Tbraeiae  parte  super  Amphi- 
polin  QbersetKtt  im  Monde  eines  Hellenen  nur  die  Gegend 
ostlieh  Ton  Strymon  (also  das  sich  nach  Maroneia  hin  er- 
streckeude  Land)  bezeichnen  könne;  für  Seeanwohner  wie 
die  Griechen  bezeichnet  Uber'  bei  dem  Namen  einer  dem 

c 

Meere  nahen  Stadt  das  hinter  derselben  gelegene  Binnen- 
kiid,  hier  also  die  Gegend  n5rdlieh  von  Amphipolis.  Haben 
Ketriporis  and  seine  Brnder  einen  einzigen  Stamm  beherrscht, 

so  ist  entweder  an  die  Ivloiien  oder  an  die  Odonianten  zu 
denken;  jene  bewohnten  das  Flussgebiet  des  von  O.sten  her 
in  den  grossen  strymonischen  See  mündenden  Angiies: 
Enneahodoi,  das  spätere  Amphipolis,  hatte  ihnen  früher  ge- 
bart, Myrkinos  am  See  gehörte  noch  424  ihrem  König 
Pittakos  (Thuk.  IV  107);  Drabeskos,  wo  465  die  ersten 
attischen  Ansiedler  von  ilinen  aufgerieben  wurden,  big  wenig 
nördlich  von  Kreuides.  Ihre  nördlichen  Nachbarn ,  die 
Odomanten,  im  J.  422  Ton  Polles  beherrseht  ('£iiak.  V  7), 
Intten  snm  Hanpiort  die  zn  allen  Zeiten  bedeutende  Stadt 
Siris  (Herod.  VIH  115)  oder  SirraS  (Liv.  XLV  4),  j.  Seres. 
Die  Edonen  sind  nach  dem  peloponnesischen  Kriege  politisch 
Terscbollen,  die  Odomauteu  werden  ?on  Herodot  V  16. 
Ylli  115  als  Paioner,  erst  von  den  Späteren  als  Thraker 
angesehen;  diese  Umstände  and  die  Herrschaftstheilang 
nnter  mindestens  drei  Brüder  nnterstStsGen  die  Vermuthnng, 
aof  welche  uns  die  eigenthümliche  Bezeichnung  des  Landes 
nach  dem  Namen  seines  Herrschers  führt,  dass  Ketriporis 
im  Verein  mit  seinen  Brüdern  über  mehrere  Stämme  re- 
giert hat.  Insofern  liesse  sich  auch  die  oben  bestrittene 
tfeinmig  anfirecht  erhalten :  man  dürfte  nnr  annehmen,  dass 
•Bin  Reich  aach  das  Land  von  Krenides  (später  Philippi) 
hii  Maroueia,  so  weit  es  nicht  hellenisch  war,  in  sich  be- 


Digitized  by  Google 


310      Sitzung  der  phihs.-phikil.  Glaste  vom  5.  Juni  1880. 

griffon  habe;  aber  das  wird  dorcb  die  Vorgänge  des  J.  356 
uicht  sebr  wahrscheinlich.') 

Den  Kt^triporis  hat  l'hilippos,  nacli(l«Mii  er  znni  zweiteu 
Mal  mit  ihm  hatte  Krieg  fahren  müssen,  wohl  iu  so  strenge 
Abhängigkeit  zn  bringen  gewusst,  dass  es  kanm  zn  Yer- 
muthen  steht,  er  habe  nach  yier  Jahren  schon  wieder  gegen 
ihn  oder  seine  Nachfolger  einsehreiten  mtlssen.  üm  so 
wahr.«!cheinHch(}r  ist  e^J,  dass  er  jetzt  in  dem  Küstenland  zu 
tliuu  hatte,  weiches  man  ohne  triftige  Gründe  dem  Ketri- 
poriß  zuweisen  will:  er  zog  nach  der  Einsetzung  neuer 
Forsten  in  die  östlich  an  dasselbe  grenzende  Herrschaft  des 
ÄraadokoB  nnd  mit  diesem  zur  Propoutis;  dazu  stimmt  die 
Meldnng  des  Justinus,  dass  er  das  Land  der  getödteten  oder 
gefangen  genommenen  Könige  seinem  lieiche  ein  verleiht 
habe.  Das  Küstenland  von  Philippi  bis  zum  Vorgebirge 
Serrion  östlich  Maroneias  war  zu  einem  besonderen  Gebiete 
gut  geeignet:  die  vom  unteren  Nestos  und  zahlreichen 
Küstenflüssen  durchströmten  Ebenen  scheidet  vom  inneren 
Lande  ein  (tehirgskranz ,  welcher  die  Grenze  gegen  das 
Flussgebiet  des  iStrymou  und  das  des  Hebros  bildet:  die 
grosse  Völkerstrasse,  welche  längs  der  Küste  hindurchfübrte, 
beherrschten  am  Eingang  und  am  Aasgang  desselben 
schwierige  Pässe,  welche  in  der  Geschichte  oft  eine  Rolle 
spielen,  die  wichtigste  im  römischen  Hürgerkrieg  des  J.  42 
(Appiau  b  civ.  IV  87—106).  Dort  werden  die  Pässe  des 
Isroarosgebirges  bei  Tempyra  und  Serrion  nach  den  Kor- 
pilen,  die  nach  Neapolis  nnd  Philippi  fahrenden  (dtfsAkon- 
tisma  der  Kaiserzeit)  nach  den  Sapaiem  benannt,  offen- 

1)  Ww  dafür  spricbi  ist  lediglich  der  Umstaiid,  dän  ebe  Hdir- 
sabl  gletebidtiger  Ffinten,  wie  sie  Demosthenes  und  Jnitinns  YOfMr 
seilen,  sieb  in  Ketriporis  ond  seinen  Brüdern  nachweisen  laset;  doch 
finden  sich  solche  Theiloogen  eines  mehrere  Siamnie  nmfaseenden  Ge- 
biete aneh  sonst  in  der  tbiakischen  Gescbicbte,  z.  B.  bei  den  OdfTScn, 
Uid  die  Sapaierbensebaft  war  auch  im  J.  42  unter  swei  Brüder  getheÜt 


Digitized  by  Google 


Onger:  ZeU folge  der  vier  ersten  deiMsOtemeiAen  Seden.  311 

bar  desBwegeD,  weil  Brutus  und  Cawius  aui  ihrem  nach 
Westen  gehenden  Zuge  vor  jenen  Pässen  die  Korpilen,  vor 
diem  die  Sapaier  sesshaft  fanden.  Die  thrakischen  Stönime, 

(leren  Gaue  480  Xericps  vom  Ilebros  bis  zum  Strynion 
durchzog,  werden  von  Herod.  VII  110  Jlaiioi  Ki/.oveg  Bi- 
otovig  ^jiaioi  Jeqaaioi  *H(hovoi  genannt.  Die  Faitoi,  an 
deren  Stelle  wir  spater  die  Korpilen  finden,  wohnten  öst- 
lich, die  Edoner  westlich  dieses  Küstenlandes.  Die  Dersaier 
sind  wenig  bekannt ,  die  Kikonen  um  Ismaroa ,  Maroneia 
nnd  Xaiithfia  (Herod.  Vll  r)*j)  und  die  Bistonen  nin  I)ikaia 
und  AMera  (Herod.  VII  109  Strab.  VII  fr.  44j  frühzeitig 
venchollent  Tennathlich  in  Folge  politischer  Vereinigung 
mit  einem  mächtigeren  Stamme.  Im  J.  394  rerlangten, 
jedenfalls  an  einem  der  zwei  I%s8e,  die  Tralleis  Ton  dem 
ht'imziehenden  Agesilaos  als  Preis  des  l)urclila.s.ses  100  Ta- 
lente und  100  Frauen,  worden  aber  durch  eine  Schlacht 
nun  Nachgeben  genothigt:  jenen  Tribut  hatte  Xerzes  ihnen 
estrichtet  (Plut.  Ages.  16);  den  Ostpass  machten  188  die 
Traesi  dem  ManHos  beim  Heimznge  streitig  (Lir.  XXXVTII 41). 
Wie  diese,  so  werden  atich  die  Priantai .  von  welchen  die 
piQ^  vir  BQturii/.t]  Herod.  VU  10'^  —  Lir.  a.  a.  O.  cam- 
\m  Priaticus  zwischen  Serrion  nnd  Maroneia  den  Namen 
hatte,  nnr  selten  (Pbnius  liii>t  iV  41)  genannt  Bedeotend 
ond  EU  allen  Zeiten  namhaft  ersefaetnen  nur  die  Sapaier: 
tnrtatt  der  Kikonen  and  Bijitr>nen  nennt  sie  Strabon  als 
Nachbarn  von  Maroneia  ^VH  fr.  44;  and  Abdera  XII  20). 
anderswo  gibt  er  ihc^n  daji  Land  gegenöber  .^riamothrake 
znm  Wohnsitz  (X  2,  17;;  im  Inneren  erstreekten  sie  aidi 
bii  tu  den  Bessoi  der  Gebirge  Rhodope  nnd  Fsoh^bma 
{^knh.  VII  fr.  4e).  Im  rorr.j.t/h^  Borg^kri^  gehörte 
das  Land  zwischen    i^-r.  f'ä.-^^n   n^n  hr^  '-'-m  HaAko* 

nnd  Raskuporis,  von  weUi.^  f-^aore^iHer  >U»en  d-r  »Hne 
mit  3000  Reitern  zo  Brit**  CasKW,  ^'T  aiukre  mit 
der  gleichen  Zahl  za  ifxu  Tfinafini  stiess:  ftaaknporis 


Digitized  by  Google 


312     Süsimg  dar  phäo8.-phiiM.  CHasae  tfo»  5.  Jmii  1880. 

hatte  frnher  dem  Pompeins  200  Reiter  ,au8  Macedonien' 

zugeflihrt  (Ciiesar  b.  civ.  III  4);  eine  Benennung,  welche 
sicli  <lar;ius  erklärt,  dass  168  das  Küstenland  zu  dieser  Pro- 
vinz geschlagen  worden  war  (Liv.  XLV  29).  Diese  zwei 
Brüder  halten  wir  for  Sapaierförsten.  Der  Thraker  Abm- 
polis,  welchen  Persens,  angeblich  weil  er  nach  dem  Tode 
des  Philippos  (179)  die  Bergwerke  am  Pangaion  Qberfallen 
(fVdyb.  XXII  22  a)  und  Ostmakcdonien  bis  nach  Aniphi- 
polis  verbeerend  durchzogen  hatte  (Liv.  XLII  41),  bekriegte 
und  seiner  Herrschaft  beraubte,  wird  von  Pausanias  VII 
10  König  der  Sapaier  genannt ;  die  eine  Tochter  des  letzten 
pontisehen  Herrschers  Polemon  unter  Angnstns  heiratete 
der  Sapaier  Kotys  (Strab.  XII  3,  29).  Nach  dem  Aus- 
sterben seines  Hauses,  wie  es  scheint,  wurde  das  Land  zur 
Provinz  Thracien  geschlagen :  in  dieser  findet  sich  bei  Ptole- 
maios  geogr.  III  11,  9  ^gog  MaMÖwiq  luu  ^lyaufi 
neläy»  die  av^f^yia  Matducq  (am  mittleren  Strymon) 
Jffoatxfj  KotXfjttyir]  (beide  in  der  Rhodope)  Stmah^  Ko^il^ 
liAi)  KctiviAi]  (am  Hebros) ;  die  Sapaike  bezeichnet  also 
wieder  das  Küstenland  von  Philippoi  bis  Maroueia.  Hie- 
nach  Termutben  wir,  dass  Cappadociam  bei  Jostinas  ans 
Sapaacam  verdorben  ist.^ 

pQr  die  Frage,  welche  m  dieser  AuseinandersetKung 
geführt  hat ,  erhellt  aus  derselben  so  viel ,  dass  sich  eine 
thatsächliche  Bedrohung  der  Olyuthier  durch  Philippos  im 
J.  3Ö2  nicht  nachweisen  lässt;  und  die  Bede  selbst  lehrt 
nicht  nor,  dass  ein  Krieg  mit  ihm  erst  in  Auasicht  stand, 
sondern  auch  dass  sie  vor  dem  Unternehmen  gegen 
Tbermopjlai,  also  in  der  ersten  Hälfte  jenes  Jahres  ge- 


1)  AoMor  Ptoltnisios  bezeugt  den  Msmen  Steph.  Byz.  Iii- 

sofern  umii  snneliiiMii  dsrf^  dsss  wegen  »ngtatop  m  XanaJhit^  dsa  Sobst. 
X*h^  (wie  ^  ImtaDtor)  n  erginien  ist. 


Digitized  by  Google 


t 

Unger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demostheuMchen  Beden,  313 

halten  ist.  Philippos  hat  in  jüngster  Zeit  das  Versprechen 
für  die  Thessaler  den  heiligen  Krieg  in  Phokis  zu  führen 
gegeben,  es  aber  noch  nicbfc  erföllt,  §  7  Bmalovg  vvv  %d 

vnig  avtior  dvaSt^ao&at.  Mit  dem  Zug  nach  Thcrniopylai 
unternahm  er  es  zu  erfüllen;  derselbe  miaslaug  zwar,  aber 
den  Anfang  zn  der  Fübrnng  jenes  Krieges  bat  er  damit 
gemacht,  es  war  kein  blosses  Versprechen  mehr  wie  das 
nnerfallt  gebliebene,  welches  Magnesia  betraf.  0  Diese  Aof- 
fassnncT  bestätigen  die  Vorwürfe,  welche  der  Redner  dem 
Volk  wegen  seiner  bisherigen  Unthätigkeit  macht.  Unter 
Nansikles  fahren  4000  Mann  Fnssrolk  nnd  400  Reiter, 
com  grSssten  Theil  Bflrger  nach  Thermopylai,  die  Kosten 
betrngen  über  200  Talente  mit  Einschlnss  der  von  den 
ausgezogenen  5?elbst  gebrachten  Opfer  (Schäfer  11  4G1);  das 
blosse  Erscheinen  dieser  Heeresmacht  veranlasste  den  König 
zor  Umkehr.  Konnte  einige  Wochen  oder  Monate  nachher 
Demosthenes  sagen:  lasst  einmal  auch  eine  That  sehen, 
indem  ihr  ansxieht  nnd  dem  Namen  der  Stadt  Ehre 
macht  (§  12)?  konnte  er,  wie  von  §  22  bis  §  31  geschieht, 
ihnen  vorhalten,  dass  sie  noch  gar  keine  kriegerische  Thätig- 
keit  entwickelt  haben,  sie  ermahnen,  endlich  die  träge  Hube 
ao&ngeben,  Geidopfer  an  bringen,  selbst  in  den  Krieg  zn 
sieben  nnd  nicht  das  Beste  von  andern  sen  erwarten?  Alle 
diese  Yorwnrfe  nnd  Mahnungen  waren  nnr  möglioh  vor 
jener  glänzenden  Leistnng  der  Bürgerschaft.  Andrerseits 
hätte  der  Absicht  des  ersten  Theils  der  Redl',  dem  Volk 
Math  an  machen  nnd  die  nach  der  Ansicht  des  Redners 
geringe  Leistungsfiihigkeit  des  Philippos  anf  ihren  wahren 


l)  Von  aus p«' führten  Zusagen   wird  a.  a.  0.  ainl»»«;  ^Mprochen 


Digitized  by  Google 


314       SiUung  der  phäoH,'philol.  Classe  rom  5.  Juni  1880. 


Stiiud  /.urückzuiuhrcn,  nichts  besser  iu  die  Häude  gearbeitet, 
als  ein  Hinweis  darauf,  wie  gleich  die  erste  wahre  Kraft- 
ent&ltnng  der  Athener  seme  Schwache  offenbart  nnd  ihn 
vollständig  eingeschüchtert  hatte. 

l)aniit  rückt  die  Rede  dem  Zeitpunkt  sehr  nahe,  in 
welchem  Athen  mit  Olynth  F'riedt'n  geschlossen  hat.  Weuu 
wir  der  Zeittafel  Schäfers  (III  B.  880),  wflclie  diesen  Ver- 
trag an  den  (nm  1.  Angnst  352  fallenden)  Anfang  tob 
Ol.  107,  1  setat,  folgen  wollten,  so  würden  wir  mit  der 
Rede,  da  sie  vor  dem  Zug  nach  Thermopylai  gehalten  ist, 
iu  eine  iiot  li  w<'nigstens  einige  V\^>ch«'n  vor  dem  FrifMlens- 
schloss  liegende  Zeit  kommen,  denn  ,j<'ne  KriegsunterDehui- 
nng  geschah  nach  Dionys.  Deinarch  13  irrl  SovSt^/MH* 
XWtog^  vgl.  Schäfer  I  398.  462,  d.  i.  vor  Ablanf  von  106,  4, 
Spatestens  Mitte  352.  Besser  ist  das  von  SehSfer  II  114 
dem  Vertrag  gegebene  Datum  P]nde  Ol.  106,  4;  aber  die 
den  zwei  Zeitbestimnnmgen  des  Vertrags  zu  (lirund  liegemle 
Voraussetzung,  dass  er  nach  jenem  Zuge  abgeschlossen 
worden  sei,  steht  mit  Libanios  Einleit.  z.  d.  oljnth.  Keden 
p.  7,  14  dnodt^fiOvvTa  de  tr^Qi^aavTeg  ai%w  nifi^fom^ 
l4^vp߀iiovg  TLctreXvaetpTO  rov  TTQog  avTOvg  ftoXefiOv  in  Wider- 
spruch :  die  Olynihier  schlössen  ihn  ,  während  der  König 
ausser  Landes  war,  d.  i.  als  er  sich  noch  in  Tbessalieu 
aufhielt.  Der  Friedens-  nnd  Frenndschaftsvertrag  fallt 
demnach  spätestens  knrz  vor  Ende  106»  4,  in  d.  Juni  352: 
denn  nach  dem  yergebliohen  Versuch  anf  Thermopylai  zog 
der  König  unverweilt  luich  Hause.  \)'\od.  XVI  8S  /tQoijyef 
Lil  lag  IlvXag  ;i(j).€urjO(i)y  zoig  (I^or/.eioi,  y.w/AiJQrtwr  di 
tvjv  !AO^t^vaiwv  dit'Ai>Eh>  zag  jraQodovg  tnavri'f/JEv  elg  Ma- 
ludovuMv.  Für  dieses  Datum  (Ol.  IOC,  4)  wird  sich  unten 
auch  eine  urkundliche  Bestätigung  finden. 

Dass  jener  Vertrag  auch  nicht  viel  früher  abgeschlossen 
worden  ist.  folgt  aus  dem  (Jrnnde,  der  die  Olyuthier  <l:izn 
bewog:  weicher  laut  dem  Zeuguiss  des  Uemosthenes  in  der 


Digitized  by  Google 


» 


Unger;  ZeU folge  der  cier  ergten  demmlhemsüken  Heden,  315 

352  durch  den  Sturz  der  Tyrannis  von  Pherai,  die  Erwerb- 
ung von  Magnesia  und  Pagasai  und  das  Bündniss  mit 
Theasalien  herbeigeführten  Machtzanahme  des  Königs  ge- 
fanden  wird.^)  Somit  f&llt  die  zweite  oljnthische  Rede  in 
dieselbe  Zeit  wie  der  Abschlnss  des  Friedens  «wtseben  den 
zwei  Städten.  Damit  ist  auch  gefunden ,  w:i<^  ilir  Hede 
ei;;entlich  will:  sie  ist  gehalten  bei  den  Verhandlungen, 
welche  sn  Frieden  nnd  Freundschaft  führten,  ihr  ist  aber 
dies  nicht  genug;  sie  will  einen  Kriegsbnnd  mit 
Olynth,  ohne  Zweifel  entsprechend  dem  Wunsche  dieser 
Suult  seibat.  Aus  Dem.  g.  Aristokr.  109  r/teidij  di  etSov 
luiiui  yiyvofAevov,  Ifiäg  (fikovg  ;rE;coiijVTat'  (faol  di  /.ui 
avfi^tayovg  jzoi'qatai^ai  geht  nicht  hervor,  dasa  sie  Anfangs 
noch  nicht  um  ein  Biuidniss  angehalten  hätten:  denn 
JKHr^aw&ai  kann  auch  heissen,  dass  es  ihnen  später  ge- 
tiugen  werde,  dasselbe  abznschliessen.  Die  Dinge  standen 
^o,  dass  den  Olynthiern  alles  daran  liegen  musste,  es  /u 
erlangen.  Jene  Botschaft  nach  Athen  hinter  dem  Rücken 
des  Königs  abzusenden  und  einen  einseitigen  ohne  Wissen 
und  Willen  desselben  verhandelten  Frieden  zu  schliessen, 
konnten  sie  nicht  ohne  offenen  Vertragsbruch  nnd  Mein-  ' 
eid  unternehmen:  denn  es  war  ausbedungen,  dass  die 
Friedensverhandlungen  eljonso  gemeinsam  wie  der  Krieg 
gefuhrt  werden  sollten,  Libanios  a.  a.  0.  7,  17  owe^^O^eivio 

xoiy^  onUaaa^m,  Sie  hatten  also,  sobald  der  Koni ^  Kunde 

davon  erhielt,  einen  Angritf  zu  gewärtigen,  einen  Kriepf 
in  welchem  sie  viel  aufs  Spiel  setzten  und  auch  im  Vereiu 
mit  dem  ganzen  chalkidischen  Bund  bei  der  jetzigen  Macht 
des  Königs  nur  geringe  Aussicht  auf  Sieg  gehabt  hätten, 


1)  Aristokr.  lOX  (o/  'oXvyftun)  rfot<:  f4ir  fu'iniot'  levrof  rrjXiytii' rot-. 


Digitized  by  Google 


816       SiUung  der  j^hUos.-philol.  Glosse  vom  5.  Juni  1880, 


bei  dem  angenblieklicben  Stande  ihrer  Kriegsmittol  aber« 

von  welchem  gleich  zu  reden  sein  wird,  ohne  einen  macli- 
tigeu  Bundesgenossen  wie  Athen  von  vorn  herrin  vfrloreu 
waren.  Der  König  hatte  ihnen  die  Mark  des  mit  dem  Blut 
seiner  Krieger  und  ansehnlichen  Geldopfern  eroherten  PoU- 
daia  geschenkt  (Dem.  ol.  II  7.  phil.  II  20),  ihnen  die  ▼od 
Hanse  ans  makedonische  Landschaft  Anthemns  abgetreten 
(phil.  II  20),  beides  nm  das  Bnndniss  mit  ihnen  gegen 
Athen  zu  erlangen.  Dass  ein  Staat  gutwillig  Städte  nnd 
ganze  Landschaften  nach  mehr  jährigem  Hesitz  wieiler  heraus- 
gibt, ist  ein  seltener  Fall ;  von  den  Olyuthieru  aber,  denen 
es  auf  einen  schnöden  Vertragsbruch  nicht  ankam,  werden 
wir  am  wenigsten  annehmen  dOrfen,  dass  sie  sich  zugleich 
entschlossen  hätten  Pottdaia  und  Anthemns  snrfickmgebeD; 
dieselbe  in  der  Aristocratea  den  Athenern  als  Muster  Tor* 
gehaltene  Staatsraison,  mit  welcher  sie  jenes  Vorgehen  ent- 
sclmldigten,  musste  ihnen  sagen,  dass  der  bereits  zu  mäch- 
tig gewordene  König  dadurch  noch  mächtiger  werden  wiini»'; 
die  Abtretung  von  Potidaia  würde  sie  überdies  von  d»^ 
Landverbindung  mit  Pallene  abgeschnitten  und  auf  beiden 
Landseiten  zwischen  feindliches  Gebiet  eingekeilt  haben. 

Die  zweite  olynthisohe  Rede  unterstützt  also  den  An* 
trag  der  olynthischen  Gesandten ,  der  nicht  bloss ,  wie  die 
andere  Partei  will,  auf  Friede  nnd  Freundschaft,  s(uidern 
auf  Bund  und  Watten brüderschaft  zielt.  Mit  dürren  Worten 
spricht  sie  es  nicht  aas;  aber  die  Gesandten  hatten  de» 
Antrag  schon  vorgebracht  nnd  Demosthenes  hat«  wie  au* 
der  über  ein  yolles  Jahr  spater  gehaltenen  ersten  Philippiks 
(§  1)  hervorgeht,  in  der  Yersammlung  anderen  Redners 


1)  Welche  sich  üliriifons  derselben  selbst  schon  gecren  Philippoo  be- 
dient hatten,  al«  ihr  Ffblherr  Mantias  den  Nebenbuhler  desselben  ontir 
«1er  Hrxml  nnter8tüUt4\  und  docli  über  Treulo.^igkeit  nnd  Verrath  ichrie«!« 
als  er  sie  bei  Amphipolia  mit  gleicher  Munse  besahlte. 


Digitized  by  Google 


Unger:  ZeUfiHge  der  vier  ersten  äemos^niadun  Seden,  817 

deo  Vortritt  gelassen.  Wenn  er  aber  Hülfe  nnd  Unter- 
ttntiang  im  künftigen  Kriege  '(§  1)  verlangt,  ohne  auf  das 
Nibere  einzugehen  (§  11),  nnd  wenn  er  die  Olyothier  §  2 
BandeKgenossen  neuut,  die  das  Glück  zur  Verfügung  gestellt 
habe  and  die  man  uicht  fahren  lassen  solle,  80  passt  das 
alles  nur  unter  der  Voranssetznng  zusammen,  dass  ein  Bund 
angetragen  worden  ist,  gegen  dessen  Annahme  einflussreiehe 
Stimmen  laut  geworden  sind:  vor  der  ünterstfltzung  eines 
noch  nicht  verbündeteu  Staates  rauss  erst  das  Büudniss  ab- 
geschlossen werden.  Demosthenes  erreichte  seinen  Zweck 
nicht;  die  Gegner  drangen  darch  and  es  kam  vorläufig 
nur  SU  eifiem  Friedens-  und  FrenndsohaftsTertrag.  Mit 
diesem  zusammen  setaen  wir  die  Rede  in  den  Vorsommer, 
in  die  zweite  Hälfte  des  Mai  oder  erste  des  Juni  352. 

Die  Antwort  auf  die  Frage ,  warum  die  Athtmer  sich 
nicht  du  zu  entschlossen  haben ,  sofort  ein  Kriegsbündniss 
mit  Oljrnth  einzugehen ,  entDehmen  wir  einer  Urkunde. 
Inscr.  att.  II  105  b^nnt  nach  Köhlers  Ergänzung  mit  den 
Worten  'Eni  SeiXkov  o^x)ov{Tog  ||  xdlq  XaX)xi{Si)anf  vü){v  \\ 
ini  &qaixTj)g  i{o)Tr€Qlotg  und  enthält  der  Ergänzung  von 
Z.  11  üTTwg  UV  an)oKaßu}o{L)  t(ov  \\  g  oqAOvg  zufolge  einen 
feierlichen  Staatsvertrag;  von  Strategen  und  Eiden  spricht 
auch  inser.  II  106,  welehe  nach  Köhler  mit  ihr  zusammen- 
gehört. Härtel  Dem.  Antr.  p.  533  rermuthet  darin  den 
BnndesTertrag  zwischen  Athen  und  Olynth,  der  nach  ihm 
unter  jenem  Archonten,  Ol.  107,  2.  Anfang  350  geschlossen 
worden  ist  Damit  können  wir  allem  bisherigen  zufolge 
nicht  ehaTerstanden  sein,  da  nach  unsrer  Ansicht  zwei 
Vertrige  geaehlossen  worden  sind,  der  eine  Ol.  106,  4. 
852  unter  Areh.  Thudemos,  welcher  Ol.  107,  1.  351  auf- 
gelöst wurde,  der  andere  wie  Philochoros  bezeugt  107, 
4.  349  unter  Arch.  Kallimacbos.  Köhler  ist  aber  zur  Er- 
gänzung des  Namens  Theellos,  wie  er  selbst  angibt,  dnreh 
die  Voraussetzung  gekommen,  dass  ein  Vertrag,  sei  es  auf 
[1880.LPIiiL-pliaUstaBd.La]  81 


Digitized  by  Google 


318      SUtung  der  fkHosrplUM.  Claase  vom  6,  Jum  1B80, 

Frieden  oder  auf  BUndniss,  nnr  Ol.  107  vorgekommen  sei, 
und  hiero  Teranhuste  ihn  Tielleicht  das  p.  314  erwähnte 
Dainm  fUr  den  ersieren  in  Schäfers  Zeittafel:  einen  so 

kurzen  Namen  wie  ihn  der  Ranm  der  Lücke  verlangt, 
gaben  ihm  die  drei  anderen  Archonten  dieser  Olympiade, 
Aristodenio!;,  Apollodoros,  Kallimachos,  nicht  an  die  Hand. 
Bereits  J.  G.  Droysen  im  Hermes  XIV  10  hat»  von  andern 
Erwignngen  ausgehend,  erinnert  dass  die  Ranmverh&ltnisse 
ehensogut  die  Ergänzung  *&ri  BovSifftov  vertragen  Asf 
diesen,  den  Archonten  von  106,  4.  853  2  passen  alle  Ver- 
hältnisse} insbesondere  aber  der  beschränkende  Zusatz  bei 
dem  Namen  der  Chalkidier. 

Das  bei  der  herkömmlichen  Aa£fiASBnng  befiremdliche 
hfrtiSQiotg  ist  es,  welches  die  Beweggründe  der  Bfiaioritit 
und  den  Misserfolg  der  demosthenischen  R«de  aufhellt 
Nicht  alle  Stiidte  des  chalkidischen  Bundes  waren  es,  welche 
an  jenem  Schritte  Olynths  theilnahmen,  soudern  nur  die 
ihnen  Örtlich  nächsten  und  daher  am  stärksten  ihrem  £in- 
flnsB  ansgesetsten;  wir  dürfen  vermnthen,  dass  es  so  siem- 
Hch  dieselben  waren,  welche  wir  im  letzten  olynthisehes 
Kriege  in  Abhängigkeit  von  Philippos  finden,  die  Bottiaier, 
die  Städte  auf  Pallene,  wohl  auch  Ötolos  und  andere  iu 
der  Nähe  von  Olynth.  Der  Ausgang  des  Krieges  im 
J.  361  brachte  Olynth  und  sie  anter  die  Botmassigkeit  d« 
Königs ;  der  Stola  führte  die  Olynthier  349  zum  Abfall  ond 
neuen  Bund  mit  Athen ,  dem  sich  auch  die  vorher  zurück- 
haltenden östlichen  Städte  anschlössen  ;  die  kleineren  west- 
lichen waren  durch  den  Ausgang  jenes  Krieges  gewitzigt* 
Die  Olynthier  hatte  derselbe  Stolz  352  zur  Lossagnng  von 
dem  zu  mächtig  gewordenen  König  veranlasst ;  die  östliches 
Städte  aber  hatten  den  Vertragshrnch  gescheut  und  zugleich 
eben  in  der  vergrösserten  Macht  Philipps  einen  starken 
Abhaltungsgrund  gefunden.  Derselbe  Beweggrund  aber, 
welcher  den  Olynthiem  Athens  Kriegsbeistand  dringend 


Digitized  by  Google 


ünger:  Zeit  folgt  der  vier  ersten  demosthenischen  Eeden,  319 


notliii,'  ersclipinon  lioss ,  Hfis  Znsnnniipn^clirumpfen  ilires 
Bandes  zu  eiuer  geriagcu  Anzahl  von  Städten,  musst«  um- 
gekehrt die  Athener  zur  Vorsicht  mahnen :  sie,  die  bis  jetzt 
ffir  ihre  eigenen  Interessen  so  wenig  nnd  so  schwach  ein- 
getreten waren,  hätten  sofort  fQr  einen  andern  Staat,  von 
den  sie  bisher  nnr  Feindschaft  er&hren,  mit  ihrer  vollen 
Ifaeht  eintreten  mfissen  ,  wenn  der  Zweck  erreicht  werden 
•ollte.  und  wer  Inirtrto  ihnen  daliir,  diiss  die  bereits  mein- 
eidif^  gewordenen  niclit  während  des  Krieges  die  Partei  noch 
einmal  wechseln  oder  nach  günstigem  Ausgange  desselben 
Dicht  anch  Athen  wiederum  zu  mächtig  finden  würden? 
Als  freilich  der  tbrakiscbe  Feldsng  die  Chersonesos  ge- 
fihrdete,  da  erkannte  man,  dass  Demostbenes  Recht  gehabt, 
md  iasste  Beecbifisse,  welche  durch  die  Erkrankung  des 
Königs  und  den  Winter  nur  aufgeschoben  und  erst  durch 
deu  unglückseligen  Zug  nach  Euboia  ganz  aufgehoben 
worden.  Die  ^zweite'  olynthiache  Bede  dürfte  gleichwohl 
nicht  ganz  wirkungslos  verhallt  sein :  nach  wenigen  Wochen 
folgte  ihr  die  glänzende  Leistung  Von  Thermopylai,  welche 
denn  anch  in  der  nächsten  Rede  (phiL  I  17)  gebfibrend 
markaant  wird.  -  « 

V.  Die  erste  Philippica. 

Die  erste  (den  Alten ,  welche  anch  die  olyntliisclien 
dazu  zählten,  vierte)  philippische  Rede  setzt  Hchäfcr  Dem. 
11  66  ff.  in  den  Frfihling  351.  OL  107,  1 ,  nnd  hat  damit 
iUgemeine  Zustimmung  gefunden;  erwiesen  ist  jeden&lls 
fcn  ihm,  dass  sie  nacb  852  nnd  Tor  Mitte  349  gehalten 
■t.  Letzteres  geht  daraus  hervor,  dass  zu  ihrer  Zeit  Philippos 
keinen  Krieg  mit  Olynth  führt,  §  17  di»'se  Vorkehrungen 
huhc  ich  fUr  nöthig  gegen  jene  plötzlichen  Augritie  auf 
Thermopylai,  die  Cliersonesos,  Olynthos  u.  a.*;  dor  nach 
§27  tor  Zeit  als  Uipparcb  der  Athener  im  Felde  stehende 
^daoM  ist  einer  Ton  den  Stiefbrüdern  des  Königs,  durch 

21» 


820      6itMung  der  phUoBrphüol.  Glosse  vom  5.  Juni  1660, 

deren  Anfnabme  die  Oljnthier  im  J.  349  den  Ktie^  henraf- 

beschworen.  Die  soelMU  aus  §  17  angeführte  Stelle  beweist 
ZQgleich,  (lass  die  Hede  jünger  ist  als  der  im  Frühjahr  351 
geführte  erste  olyuthische  Krieg,  und  auf  die  MeMang 
von  dem  Kranksein  oder  Tod  des  Königs,  welche  um  Ende 
852  die  Abrüstung  in  Athen  ▼eranlasste,  spielt  §  11  an: 
^ist  Philippos  todt?  nein,  aber  krank';  der  ebendcMrt  er- 
wähnte Zug  gegen  die  Ghenonesos  war  es,  welchem  sdoe 
Erkrankung  damals  «n  Ende  gemacht  hatte.  Die  Rede  iit 
also  jünger  als  die  zwei  ersten  olj'uthischen  und  älter  als 
die  dritte  derselben. 

Sie  in*s  J.  351  zu  setzen  wird  Schäfer  II  69  durch  die 
Erwähnung  des  raschen  Auszugs  der  Athener  nach  Eoboia 
(358  Chr.)  bewogen,  welche  §  17  in  solcher  Weise 
sehehe,  dass  offenbar  noch  kein  späterer  Zng  wie  der  toh 
Tamynai  dahin  unternommen  sein  könne.  Wir  m  Besten  das 
zugeben,  wenn  diese  Erwähnung  innerhalb  einer  den  Ange- 
legenheiten jeuer  Insel  gewidmeten,  das  in  Sachen  derselben 
bis  jetzt  von  den  Athenern  Geschehene  betreffenden  Aas- 
einandersetzung Torkäme ;  es  wird  aber  an  jener  Stelle  über 
Enboia  weiter  gSjir  nichts  gesagt,  dem  Redner  ist  es  Tiel- 
mehr  darnm  zn  thnn,  dem  Volke  glänaende  Beispiele  recht- 
zeitiger nnd  darnm  erfolgreicher  Wahrnehmung  des  Staats- 
interesses vorzuhulteu,  und  er  erinnert  zu  diesem  Behuf  an 
die  Züge  nach  Euboia  (358),  Ilaliartos  (395)  und  jüngst  (352) 
nach  Pylai.  Auch  der  nach  Haliartos  war  weder  der  ein- 
Bige  in  Sachen  der  boiotischen  Interessen  Athens  unter- 
nommene noch  der  jüngste :  der  Ansmarsch  des  Chabrias  878 
konnte  ihm  füglich  an  die  Seite  gestellt  werden.  Den  Feld- 
zng  Ton  Tamynai  aber  dem  Volk  als  ein  solches  Mnsler 
hinzustellen  konnte  Niemanden,  am  allerweuigst^u  unserem 
Redner  einfallen,  der  mit  gutem  Recht  sich  rühmt  von  der 
Unternehmunng  Jenes  ^unrühmlichen  und  kostspieligen* 
Krieges  abgerathen  an  haben  (y.  Fried.  5).   Es  war  der 


Unger:  ZeU folge  der  vier  ereten  demosiheniechen  Beden,  321 

grösste  aller  während  dea  Kriegs  mit  Philipp  begangeuen 
Fehler,  diesen  Zog  zu  nntemebmen,  zu  einer  Zeit,  wo  die 
Lage  der  Chersonesos  ecbnellstee  Eiosclireiten  ndthig  machte 
nnd  jener  sogleich  Olynthos  angriff:  in  Folge  davon,  dass 
die  Athener  jetzt  auf  Euboia  zu  thun  hatten ,  konnte  er 
Oljnth  zwingen,  vom  Bande  mit  Athen  zu  lassen,  und  die 
ganze  Ostküste  des  thermaischen  Meerbusens  8%pimt  Pallene 
rieh  nntertban  machen;  der  Peldzng  seihet  aber  endigte 
mit  der  Gefangennahme  des  athenischen  Heeres  nnd  seines 
Feldherrn  ,  dem  Abfall  der  ganzen  Insel  und  der  völligen 
Erschöpfung  des  Staatsschatzes.*)  Ein  solcliea  Unterneluaeu 
konnte  doch  nicht  zur  Nachahmung  empfohlen  worden. 
Dasselbe  war  aber,  wie  cap.  II  gezeigt  worden  ist,  gleich- 
zeitig mit  dem  in  der  Rede  §  17  erwähnten  Zog  des  Phih'ppos 
gegen  Olynthos ;  woraos  sieb  ans  ergibt^  dass  sie  frühestens 
in  den  Vorsommer  351  fallt. 

Etwas  weiter  herab  fährt  §  48  jon  uns  aber  geben 
die  einen  nmber  nnd  lassen  Philippos  im  Bnnd  mit  Sparta 
auf  den  Fall  Thebens  nnd  die  Zerreissnng  der  Veifiusangen 


1)  Woiaiif  sieh  §  87  fig  ro»#*  Sß^tmc  iXiXp^w  &n*  intatiKkHtP 
Svfiotpw  n^n  tomvruf  intoroXaf  hcsiebt»  ist  sieht  bekaimt;  die  Be- 
liMptvog  des  SeholiMten:  ^iXmnot  inimtJitp  Evßoivct  evfißotXtvmi^ 

tmi  c«iCi$r  ist,  wie  Schäfer  II  69  hcmerkt,  tos  Demoetbeoet  Worten 
heransgeleseii.  Die  vfiftf  geht  Tielmehr  die  Ettboier  an  (ta  der  Athen 
betreflEmdeo,  tob  weleber  in  §  3  gesprochen  wird,  Tergl.  $  9  amAtt 
s«A  Xoyot't  ^irfpq^parovf  Xc/««):  Tielleicht  bat  Umen  der  König  als 
Fertieter  ThoMaliens  im  heiligen  Krieg  Vorwfirfe  wegen  ihrer  Vcrbind- 
■ngea  mit  den  Teropelräabem  gemacht  i>i  Aischines  III  87  ist  das 
mit  gleichzeitiger  Unteistfitiong  der  Eaboier  dnreb  Fbninikoe  im  Krieg 
wn  Tamjnti  onTereinbara  nagu  ^iXtrtnov  Svyttfuy  fifTdTttfit^ufutyoe 
tKa}Ju'a(  6  XdündfvV)  von  Ferd.  Schnitze  Neue  Jahrbb.  XCIII  :tH 
10 f  Grund  der  nenen  Scholien  {Xaßoh'  nnQu  4'uXaixov)  in  nu^  'PaXai- 
wem  drr,  litt  v  rb'^^  rt  and  da!nrch  LVb''r<'iTmtimmang  mit  Aiscb. 
ik  a.  0«  tois  ^iMoit  iiroie  dmßtßu^at  tiergettelli  worden. 


Digitized  by  Google 


322      SUeung  der  pkHos^'^hilol.  Claaae  wm  5,  Jum  1880. 


hinarbeiten,  nach  andern  hat  er  Briefe  an  den  Grosskönig 
geschrieben,  andere  wollen  wissen,  dass  er  in  Illyrien  Feet- 
nngen  baut'.    Dies  waren  keineswe  gs     randlose  Gerachte, 

vgl.  Schäfer  II  7 1 ;  das  Seblimine  war  nur,  dass  die  Athener 
plauderten  anstatt  zu  handehi,  uud  dass  sie  von  den  Unter- 
nehmungen Philipps  sprachen,  als  hätten  ae  selbst  kein 
praktisches  Interesse  daran.  Auf  die  Bauten  in  lUyrien 
wird  mit  Recht  Justin.  VIII  3  bezogen :  deinde  ad  abolen- 
daiu  invidiae  famam  per  regna  niittit  et  opulentissinias 
civitates,  qui  opiuioiiem  serereiit  regem  Philippum  magna 
pecunia  locare  et  muros  per  civitates  et  faua  ac  templa 
facienda  et  ut  per  praecones  susoepiores  sollicitarent.  qui 
cum  in  Macedoniam  yenissent,  variis  dilationibus  frostrati 
vim  regiae  maiestatis  timentes  taciti  proficlscebantur.  Diese 
gehässige,  einen  oder  den  andern  parteiisch  gefärbten  Vor- 
gang in  den  Vordergrund  drängende  Darstellung  lässt  die 
Wahrheit  noch  deutlich  genug  durchblicken:  die  Masse 
nach  vollbrachten  ijlrossthaten  und  den  Gewinn  aus  erfolg- 
reichen Unternehmungen  benützte  der  König,  wie  es  in 
solchen  FüHen  von  jeher  üblich  gewesen  ist,  einerseits  zur 
Sicherung  des  dennaligen  Besitzes  durch  Anlage  neuer 
Schutzwerke  andrerseits  zu  Stiftungen,  durch  welche  er  der 
göttlichen  Gnade  danken,  sich  ihrer  auch  für  die  Zukunft 
yersichern  und  zugleich  seinem  eigenen  Ruhm  Denkmäler 
setzen  wollte.  lui  Osten  und  Süden  hatte  er  durch  mach- 
tige Bündnisse  die  Binnengrenzen  gedeckt,  im  Westen  be- 
fanden sich  gefährliche  Nachbarn,  die  kriegerischen  lUjrier, 
welche  durch  den  Verlast  einiger  Gaue  gereizt  waren:  diese 
durch  feste  Bollwerke  zu  sichern  war  eine  Aufgabe,  die  er 
in  der  Friedenszeit  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  olyn- 
thischen  Kriege  passend  ausführen  konnte.  Jnstinus  er- 
wähnt die  Bauten  nach  dem  thrakischen  Krieg  (Ende  352) 
und  vor  dem  letzten  olynthisohen  (Mitte  SV);  den  ersten 
übergeht  er);  es  erhellt  hieraus,  dass  Schäfer  II  26  sie 


Digitized  by  Google 


Uwfer:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demsthenin^ien  Beden,  323 

mit  Uiirechi  in  354  setzt;  das  richtige  Datum  351  (oder 
350)  gibt  er  II  115.  Die  früheste  Zeit,  in  welche  die 
Rede  fiiUen  kann,  ist  demnach  der  Sommer  351. 

Die  SpStgrenze  wird  nns   von  der  Erwähnung  des 

Menelaos  als  eines  attischen  Befehlsha])ers  geliefert.  Da 
seine  Autuahme  in  Olynth  den  letzten  Krieg  dieser  Stadt 
herbeigeführt  hat  (Just.  VI  IT  3,  10),  welcher  bei  Abschluas 
des  Bandes  mit  Athen  um  Ende  Juli  349  schon  in  vollem 
Gtnge  war,  so  lässt  sich  sein  Anstritt  ans  dem  Dienste 
Athens  kanm  später  als  in  den  Frühling  349  setzen;  znr 
Zeit  der  Rede  lag  er  noch  znm  Schutze  attischen  Oebietes 
zu  Felde  (§  27),  sie  ist  also  spätestens  im  Winter  350/49 
gehalten.  Wäre  die  von  den  Meisten  getheilte  Ansiebt, 
daas  sie  dem  Frühjahr  angehöre,  richtig,  so  müssten  wir 
sie  in  Frühj.  350  setzen;  aber  ans  der  fiinschlägigen  Stelle 
§  31—32  geht  das  keineswegs  mit  Nothwendigkeit  hervor. 
Weil  Philippos  es  liebt,  zn  seinen  Unternehmungen  Jahres- 
zeiten zu  wählen,  in  welchen  Athen  keine  Flotte  aassenden 
kauii.  den  Winter  uämlich  und  die  Etesienzeit,  so  verlangt 
die  K»Mle ,  dass  nicht  mehr  von  Fall  zu  Fall  ein  Zuzug 
ktatt&nde  sondern  ein  stehendes  Heer  im  Norden  gehalten  . 
werde,  das  den  Winter  anf  einer  der  dortigen  Inseln  zu- 
bringen könne.  Hieraus  lässt  sich  höchstens  schliessen, 
dass  die  Rede  (voransgesetzt,  dass  sie,  wie  wahrscheinlich, 
eine  sogleich  zu  verwirklichende  Massregel  im  Aage  hat) 
nicht  zu  einer  Zeit  gehalten  ist,  zu  welcher  man  für  ge- 
wühulich  nicht  im  liegritf  war  in  See  zu  gehen,  also  weder 
um  den  Anfang  noch  inmitten  des  Winters  oder  der  Etesien. 
B5hnecke  Forsch.  1 181  schliesst  aus  unserer  Stelle  geradezu, 
daas  Demosthenes  mit  einem  solchen  Plane  im  Herbst  her^ 
Totgetreten  sei,  als  der  Winter  im  Anzug  war:  weil  die 
Athener  für  Kriegsunternehmungen  von  langer  Daner  kein 
g<?D»^igte8  Ohr  hatten.  Seine  Vorau'^setzung  freilich ,  dass 
Utiuüslhenes  den  Zeitpunkt  iür  dum  Hervortreten  mit  jenem 


Digitized  by  Google 


324      SitMung  der  phUoß.-pMol,  Oaase  vom  5.  JWm  1880. 

Plaue  frei  gewählt  habe,  ist  ebenso  unerweislioh,  wie  die 
der  andern  Ansieht  sn  Ornnde  liegende,  dass  die  Berathong 

über  die  zu  ergreifeuden  Massregeln  im  Beginn  der  gaten 
Jahreszeit  vorgenommen  werden  musste.  Dies  würde,  wie 
Winiewski  wirklich  annimmt,  noch  passender  vor  Ablauf 
des  Winters  gesehehen  sein;  aber  nirgends  wird  gemeldeti 
dass  in  Athen  alljährlich,  wie  im  römischen  Senat,  Berath- 
nng  fiber  die  Massregeln  der  bevorstehenden  Kriegsjahresseit 
gepflogen  wurde;  eben  der  grosse  Fehler,  welchen  Demo- 
sthenes  in  dieser  und  andern  Reden  rügt,  die  üble  Sitte  der 
Zazüge  von  Fall  za  Fall  nnd  das  Nachhinken  der  Aossfige 
hinter  den  Ereignissen  würde  dann  Termieden  worden  sein. 
Die  Rede  ist  gehalten  in  Anlass  einer  Vorberathnng  des 
Senats,  das  Thema  war  von  diesem  vorgelegt  (§  1  TtQOvri- 
d'eto) ;  Demosthenes  entschuldigt  sich ,  dass  er  diesmal 
zuerst  das  Wort  ergreift  und  nicht  den  Vortrag  der  ge- 
wohnten Wortführer  abwartet;  es  ist  also  noch  kein  An- 
trag von  einem  Andern  in  der  Versammlnng  gestellt  worden. 
Den  Anlass  zn  dem  Probuleuma  des  Raths  aber  hatte  eine 
.  auf  miltel])are  Weise  deu  Athenern  zugekommene  Drohang 
des  Königs  gegebeu  (§  9  drteikel  nai  koyovg  ineQr^gxxvovgj 
Sg  gHxai,  keysi ;  3  vvp  vßQBi  tovrov,  di'  tjp  ra^orrc^e^), 
also  irgend  eine  Znmnthnng,  welche  er  ihnen  durch  Andere 
ankommen  liess. 

Wenn  die  Rede  im  Anfang  des  Zeitraums,  innerhalb  dessen 
sie  fallen  muss,  oder  wenigstens  noch  im  Jahr  351  gehalten 
worden  ist,  so  begreift  es  sich,  dass  Vorgange  der  J.  353  u.  352 
als  Ereignisse  der  jüngsten  Vergangenheit  behandelt  werden: 
so  die  Wegnahme  der  heiligen  Paralostriere  durch  make- 
donische Kreuzer  im  Munjchion  (April)  des  J.  35'2  (Schäfer 
II  27)  und  der  Verkehr  Philipps  mit  Sparta  (vgl.  Schäfer 
I  471).  Worauf  die  Drohungen  des  Königs  gegen  Athen 
sich  beziehen,  wissen  wir  nicht;  gewiss  ist  nnr,  dass  tnr 
Zeit  der  Bede  die  Dinge  schlecht  stehen :  das  Volk  ist  en^ 


Digitized  by  Google 


Unger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demoaUKnisdun  JiciUn,  325 

muthigt  (§  2) ,  die  gewölmliclien  Stimmführer  habon  mit 
ihren  Batbschlägen  voilstäudig  Schiffbruch  gelilteu ,  es 
rnftasen  andere  Wege  eingeschlagen  werden,  ihr  Qegner 
Demoathenes  ist  es,  der  jetat  anerat  aam  Wort  gelangt  (§  1) ; 
wihrend  am  AnÜBmg  des  Krieges  nooh  von  Bentrafiuig  de« 
Königs  die  Rede  sein  konnte,  handelt  es  sich  jetzt  bereits 
dämm  nicht  von  ihm  geschädigt  zu  werden  (43).  Der 
Redner  hat  also  jetzt  Aussicht  mit  seinen  Vorschlügen 
beoflcr  zu  ÜEihren  als  früher:  der  Ausgang  aller  EreignisM 
hat  ihm  Recht  gegehen,  seine  zwei  oljnthischen  Reden  und 
die  Abmahnung  gegen  den  Zug  nach  Enboia  hatten,  wie 
man  jetzt  erkannte,  das  angegeben,  was  Noth  that.  Im 
vorliegenden  Falle  haben  der  im  Probuleuma  niedergelegte 
Bericht  des  Rathes  und  die  vorher  schon  in  der  Stadt  ge- 
lehehenen  Kundgebungen  und  Besprechungen  ihre  Wirkung 
gethan:  daas  eine  rettende  That  geschehen  muss,  steht  be- 
reits fest,  es  handelt  sich  nur  um  das  Wie  der  Ausführung, 
§  13  ijjg  utv  dei  td  .rQOOiqy.ovra  iioulv  ti)thjviug  ijiuijytiv 

Ufm'tdv  di  T^nw  t^g  naQuimtv^  %al  TtX^xHig  Saw  mal 
ffsfovg  cSg^wig  xtd  tSXla  xoe  di|  fcttnaaofiai  ÜyeiP.  Daraus 
aehtiesm  wir,  dass  der  Rede  eine  kriegerische  Ünternehm- 
ung  gefolgt  ist,  sei  es  in  der  vom  Redner  vorgeHchlag'  nen 
oder  in  abgeschwächter  Weise.  Da  Philippos  im  Augen- 
blick nichts  gegen  Athen  unternommen  hat,  so  war  dies 
«BS  Muiregel,  welche  einmal  den  Ereignissen  nicht  nach- 
hinkte, scmdeni  ihnen  Toranseilte  und  ihren  Gang  bestimmen 
konnte.  Ehe  wir  dazu  übergehen ,  dieselbe  au^^findig  m 
machen,  sind  noch  zwei  Punkte  zu  besprechen,  welche 
eiasB  Anhalt  bei  der  Zeitbestimmung  gewähren. 

Die  cigeoibflmliehen  Worte,  welche  §  30  anf  die  Ver- 
ksi^g  4m  Finanzplanes  folgen:  a  lih  rffteigf  ä  SpS^ 
ji^tpmmj  Mvr^fu&*  tvQÜv ,  rcrvr*  lativ  haben  Dioojstoa 
V0&  E&iikarDa»«os  veranlasst,  die  neue  Rede,  welche  ihm 


Digitized  by  Google 


326      SUtung  der  phüos,'phQol,  Oaase  vom  5,  Jum  1680, 

hier  anhebt,  in  Ol.  108,  2.  347/6  za  sebseD,  weil  Demo- 
sthenes  in  diesem  Jahre  Rathsmitglied  war  (Schäfer  II  64. 

Büliiiecke  II  178).  Dieser  Ansatz  scheitert  an  der  Eiubeit 
der  Rede,  welche  die  Neueren  erwiesen  haben;  aber  seiue 
Voranssetzung  ist  anerkannt  höchst  wahrscheiulich.  Der 
Redner  gebraucht  von  sich  nirgends  den  Flnralis;  Schäfer 
gesteht  mit  Seebeck  za,  dass  es  am  nächsten  liegt  an  den 
Rath  7.U  (lenken;  er  Ijfkennt,  eine  bess«jre  Erklärung  nicht 
zu  wi.«sen,  und  wenn  VVeatermann  zu  der  Ausfliichtsver- 
matliuug  greift,  Demosthenes  habe  sich  vorher  mit  Finanz- 
beamten  benommen,  so  ist  zn  erinnern,  dass  wir  in  diesem 
Fall  eine  Aensserung  darüber  in  der  Rede  selbst  erwarten 
miissten.  Demosthenes  war  aber  vor  108,  2  schon  einmal 
Rathsherr  gewesen,  in  dem  zweiten  Archontenjahr  des  Meidias- 
processes,  zur  Zeit  als  er  an  der  Spitze  >ler  attischen  Theorie 
die  nemeischen  Spiele  besuchte  (g.  Meid.  1 14).  Dieses  J^r 
zu  finden  ist  man  durch  die  unrichtige  Behandlung  der 
Nemeienzeit  und  in  Folge  dessen  auch  der  Meidiasrede  und 
aller  damit  ziisiimmenliängenden  Ereignisse  verhindert  wonlcu; 
jetzt  nachdem  dies  Hinderniss  weggefallen  ist ,  steht  auch 
der  allein  statthaften  Erklärung  von  rn-iüg  a.  a.  0.  nichts 
mehr  im  Wege.  Jene  Spiele  wurden  ini  Anfiuig  des  Ar- 
ehonlenjahres  107,  2.  351/0  abgehalten  und  in  dieses  fiUli 
auch  dem  bisher  Gesagten  zufolge  aller  Wahrsoheinlichkät 
nach  die  erste  philippische  Rede.  . 

Sie  spätestens  in  die  Mitte  dieses  Jahres,  Winter  351/0 
zu  setzen,  empfiehlt  ein  anderer  Grund.  Der  Staatsschatz 
ist  leer,  §  23  ^eine  so  schwache  Macht  muss  genügen,  weil 
es  uns  jet'/t  nicht  möglich  ist,  ein  Heer  aufzustellen,  welches 
ihm  im  oileuHn  Felde  entgegentreten  kann;  wir  müsseu 
uns  auf  Plünderuugsunteruehmiingeu  verlegen:  denn  es  ist 
kein  Geld  zu  Sold  und  Verpflegung  da'  {h^axBvuv  amy^' 
ov  ydq  i'oTi  fiiad'dg  ovdi  t^o^).  Die  Unternehmung  nach 
Pylai  im  Sommer  352  hatte  dem  Staat  und  den  Knielnen 


Digitized  by  Google 


ünger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  (kuwuthcni^ichen  Beden.  327 


nsunmeii  mehr  als  200  Talente  gekostet  (Dem.  fals.  leg.  84), 

im  Schatze  war  damals  nicht  auf  einen  Tag  Vcrpflcguugs- 
geld  für  die  Soldaten  (g.  Aristokr.  20Ü.  Schäfer  II  €8); 
für  die  grossartige  Uuteruelnnung,  welche  auf  die  Nachricht 
Ton  Ueraion  im  November  oder  December  352  beschlossen 
wurde,  hatte  man  eine  Kriegssteuer  von  60  Talenten  in 
Ansneht  genommen  (ol.  III  5).  Zur  Änsftthmng  des  Be- 
tdiliuses  war  es  nicht  gekommen,  dafar  aber  za  dem  ebenso 
ferfehlten  wie  ko?t<jpieligen  Au.szAig  nach  Euboia,  dessen 
Anfwand  noch  durch  50  'i'alenle  Lösegeld  für  dius  gcliingene 
ilt-er  erhöht  wurde  (Schäfer  II  79).  Vom  Sommer  351, 
in  welchem  dieser  Krieg  endigte,  bis  zar  ersten  philippischen 
Bflde  kann  kein  ganzes  Jahr  verflossen  sein:  im  Laufe  des- 
sdbeu  wflrde  sich  der  Schatz  allmählich  wieder  gefüllt 
haben:  eben  in  dieser  Rede,  welche  über  die  völlige  Er- 
•ebdpfiing  desselben  klagt,  beisst  e*i  doch  §  40:  ihr  habt 
die  grös-^te  Macht,  die  meisten  Trieren,  noi)liten ,  Reiter 
aud  lu'ldeinkünfte*.  Im  letzten  olynthischen  Krieg  schickte 
Atljen  in  drei  Sendungen  nach  einander  73  Trieren, 
6000  Söldner  zn  Fuss,  2000  Burgerhopliten  und  450  Reiter 
nach  Oljnthos,  eine  Maehtentfaltung ,  welche  bedeutende 
Geldmittel  erforderte  und  nur  dadurch  möglich  war,  dass 
min  in  den  swei  Jahren  seit  dem  Sommer  351  nichts  Be- 
deutendes untemoniiiien  liiitte.  Wir  dürfen  dalier  die  Rede 
Uid  nach  dem  Ende  des  Krieges  von  Tamynai  setzen,  und 
2war  in  den  Herbst  351  :  die  Etegieuzcit  und  der  Winter 
lind  durch  das  p.  323  Gesagte  ausgeschlossen. 

Verbinden  wir  damit  die  Erwägnng,  dass,  wie  p.  325 
erinnert  wurde,  der  Rede  höchst  wahrscheinlich  eine  That, 
die  Aussendung  eines  Geschwaders  nach  Norden  gefolgt  ist, 
so  S]iricht  Alles  dafür,  der  Rede  den  Anstoss  zn  der  nach 
den  Mysterien  des    hofdroniion  107,   2  Boedr.  —  c. 

13.  Okt.  351.)  erfolgten  Sendung  drs  ('haridenios  beizu- 
m^nen,  welche  Demostbenes  ol.  III  5  als  die  kläglich  ver* 


328      SiUung  der  rhäos.-phiM.  ClasH  vom  5.  Jtifu  1880, 

Bpäteie  und  verkümmerte  Ausführung  jenes  zeHn  Mouaie 
Torher  gefassten  grossartigen  Beschlusses  bezeichnet.  Diei 
um  so  mehr,  als  das  Vorausgehen  einer  solchen,  Ton  keinem 
nenen  Angriff  des  Königs  veranlassten  Sendung,  wie  die 
des  Oharidenios  war,  dem  Re<hier  nicht  bekannt  ist.*)  Die 
Athener  haben  keine  Kriegsmacht  in  den  nördlichen  Ge- 
wässern und  Gegenden  stehen,  §  .10  ,wenn  euch  das  Glack 
Amphipolis  entgegen  hielte,  könntet  ihr  gar  nicht  einmal 
zugreifen,  weil  ihr  in  euren  Anstalten  wie  in  enren  Ge- 
danken euch  davon  zurückgezogen  habt* ;  §  5  ^den  auf  dem 
Platze  befindlichen  fällt  der  Besitz  der  Abwesenden  zu;  ein 
Fremder  wie  Menelaos  vertheidigt  die  Interessen  der  Stadt 
u^ter  dem  Titel  eines  Hipparchen  (27),  die  Athener  selbst 
sitzen  träge  zn  Hanse,  sammeln  Neuigkeiten  und  ihre  Be- 
fehlshaber befehligen  bei  den  festlichen  Aufzügen.  Was 
bis  jetzt  geschehen  ist,  besteht  in  Auszögen,  die  hinter  den 
Ereignissen  drein  kamen,  nach  Potidaia,  Pydna,  Methone 
(35.  39.  41) ;  die  übrige  Knegfuhrnng  g^en  Philippos  ge- 
schah in  Psephismen  und  in  amtlichen  Schreiben  (30);  die 
reichen  Mittel  des  Staates  sind  bis  jetzt  noch  gar  nicht  in 
einem  Bedürfnissfall  zur  Verwendung  gekommen  (40).  Das 
alles  konnte  nicht  gesagt  werden,  nachdem  die  Aussendong 
des  Charidemos  erfolgt  war,  so  dürftig  dieselbe  anch  au^ 
gestattet  worden  ist;  das  Wenige «  was  im  Frühjahr  351 
geschehen  war,  betraf  Oljmth,  nicht  den  Krieg  wegen  Amphi- 
polis mit  Philippos  selbst. 

Die  Abordnung  des  Charidemos  mit  zehn  leeren  Kriegs- 
schiffen und  fünf  Talenten  war  allerdings  erheblich  weniger 
als  Demosthenes,  obgleich  er  nach  seiner  Ansicht  sich  sehr 

1)  Viel  konnte  Charidemos  mit  seinen  beschränkten  Mitteln  nicht 
leisten;  das  Schweigen  jedoch,  welches  ol.  III  5  hierüber  beobachtet 
wird,  lässt  im  Hinblick,  auf  den  Zweck  dieser  Stelle  Termathen,  dass 
seine  Aussendnng  nicht  ganz  vergeblich  gewesen  ist,  um  so  mdir  als 
auch  die  PhiUppica  nur  ein  Xgntvfty  in*«  Aage  fasst. 


Digitized  by  Google 


ünger:  Zeitfolge  der  vier  ersten  demosthenischen  UetUn,  329 


gemässigt  hgtte,  verlangte;  aber  die  Folgen  tlos  eubüii«chcn 
Krieges  lasteten  zu  schwer  auf  dem  Einzelueu  wie  auf  dem 
Staate.  Sehon  in  der  Rede  belumpft  er,  wie  uns  scheint, 
die  auf  ein  schmeheree  ünternebmen  abaielende  Qegenan« 
sieht,  die  ihm  aas  der  Vbrberathnng  im  Senat,  ferner  ans 
Gesprächen  und  Mittheilmigon  Einzelner  bekannt  sein 
masste:  einige  auf  eine  solche  Ausführung  hindeutende 
Stellen  sprechen  in  Bedingungssätzen,  welche  auf  die  Za- 
boft  hinwoBen,  g  43  ^offenbar  wird  Philippe«  nicht  tone 
laHeo,  wenn  Niemand  ihn  hindern  wird.  Werden  wir  dat 
abwarten  und  glaubt  ihr,  es  stehe  alles  gut,  wenn  ihr 
leere  Trieren  und  die  Hoffnung  auf  irgend  eines  Fremden 
HQlfe  hinanssendet  (crV  duoateÜLtirt)?  werden  wir  nicht 
cbiteigen?'  45  ^wohin  immer  ihr  einen  Strategen  mit  einem 
kflren  Beschinas  nnd  den  Hoffnungen  Ton  der  Bednerhfihne 
Model  (S^ot  Sp  hcTiifitprjTe),  geschieht  nichts  Ton  dem  N5- 
thigen*.  Jene  Ansicht  drang  durch:  bloss  die  zehn  Trieren, 
welche  er  für  die  attischen  Besitzongen  verlangte,  giengen 
ib;  die  fünfzig,  welche  Makedonien  aelbet  bedrohen  sollten« 
nitte  er  nieht  durch,  wohl  auch  wegen  dee  Mangele  einea 
hefrendelen  Hafena  in  der  Nfthe  (vgl.  oben  p.  301).  Den 
Mjsterien,  nach  welchen  jene  aussegelten,  «i^^ng  die  Vfjlkh- 
fersammlnng  wahrscheinlich  voraus ;  die  Rede  mag  an  einem 
der  regelmässigen  VerBammlungstage ,  9.— 11.  oder  14.| 
aUca&Ua  aadi  cbbI  am  1&  Boedramion  107,  2  griialien 


Digitized  by  Google 


* 


liibturische  Clitöse. 


Nachträglich  zur  Sitzung  vom  '\  Januar  1860. 

Herr  Gregorovius  hielt  eiuen  Vortrag: 

„Die  beiden  CriTelli,  Residenten  der  Her- 
zöge und  KnrfSrsten  von  Baiern  beim 

heiligen  Stul  in  Rom,  von  1607 — 1659. 

I. 

Das  kgl.  Staatsarchiv  in  München  bewahrt  eine  an- 
sebnliche  Reihe  von  Bändeo,  welche  mit  der  Rubrik  ,fCri* 
Telli,  Corriepondenza  di  Roma**  bezeichnet  sind.  Was  die 
darin  snsammengefassten,  fast  durchaus  italienischen  Schrift- 
stücke der  Gescbichtsforschnng  an  Material  versprechen, 
deutet  schon  im  Allgemeinen  ihre  Epoche  an.  Sie  reichen 
vom  Jahr  1607  bis  1659.  Von  der  Zeit  tler  Entstehung  der 
protestantischen  Union  nnd  der  katholischen  Liga  in  Deutsch- 
land abwärts  begleiten  sie  den  ganzen  Verlauf  des  dreissig- 
jährigen  Erieges«  nnd  sie  gehen  sogar  noch  darttber  hinaus 
bis  zur  Zeit  des  pyrenäischen  Friedens  fort.  Sie  berahren 
innerhalb  dieses  grossen  Zeitraums  die  wichtigsten  Ereig- 
nisse Deutschlands  in  ihrem  Zusammenhange  mit  Rom,  so 
weit  dieselben  der  otlu  iellen  Stellunpf  nach,  welche  die  Cor- 
r&spondenteu  einnahmen,  und  dem  Bedürfuiss  des  baieriscben 
Cabinets  entsprechend,  hier  zur  Sprache  gekommen  sind. 
Von  vom  herein  bemerke  ich,  dass  sie,  so  viel  ich  die 


Digitized  by  Google 


Oregoroviu$:  Die  beiden  Crivflfi. 


331 


literarische  Durcharbeitung  der  Geschichte  jener  Epoche 
nbersehen  kann,  nur  selten  benutzt  oder  angeführt  worden 
sind,  wie  dies  in  der  schichte  MaximilianR  I.  nnd  seiner 
Zeit  Ton  Peter  Philipp  Wolf  nnd  seinem  Fortsetzer  Brejer 
geblieben  ist.  Dass  die  Cbrre8pondenzen>  seither  fttr  die 
6«8cbiebte  des  dreissigjährigen  Krieges  verwertet  worden 
sindf  ist  mir  nicht  bekannt  geworden. 

Als  ich  im  Sommer  1879  diese  Saninilung  zum  Zweck 
einer  Schrift  über  eine  merkwürdige  römische  Episode  des 
dreissigjährigen  Krieges  nntersnchte,  begann  ich  mich  für 
die  Persönlichkeit  der  Residenten  Baiems  in  Rom  En  in* 
ieressiren,  mit  deren  Namen  diese  SchriftstQcke  beseicbnet 
shid.   Bs  imponnrte  mir  das  halbe  Sföcnlnm  —  nnd  welche 
Ereignisse  unischliessl  nicht  diese  Hälfte  des  siebzehnten 
Jai/rhunderts  —  während  dessen  die  fortlanfenden  Corre- 
spoodenzen  einen  und  denselben  Namen  tragen.    Nun  er- 
sah ich  aber  auch,  dass  es  Vater  nnd  Sohn  Crivelli  gewesen 
sind,  welche  nachweislich  zwei  nnd  fttnfing  Jahre  hindurch, 
der  Sohn  dem  Vater  als  Erbe  im  Amt  folgend,  den  Posten 
des  Agenten  nnd  Residenten  Baiems  am  päpstlichen  Hof 
bekleidet  haben.    In  der  Geschichte  der  gpsnmmten  Diplo- 
mazie  ist  das  sicherlich  ein   seltener,   vielleicht  sogar  ein 
niemals  wiederholter  Fall  gewesen.    So  langjährige,  uner- 
mOdliche  Diener  eines  nnd  desselben  Fürstenbanses,  ja  bei- 
nahe eines  nnd  desselben  Herrn,  nämlicb  Maximilians  I., 
welcher  selbst  54  Jahre  lang  regiert  hat,  Terdienen  eine 
Braenerang  ihres  im  Stanb  der  Archive  bef^rabenen  6e- 
Ächtnisses.    Ich  glaube ,   dass   os  keine  passj'udere  Stelle 
dies  zn  thnn  gibt,  als  gerade  die  historische  Classe  der 
baierischen  Akademie  der  Wissenschaften. 

Beide  CriYelli,  Giambattista  nnd  sein  Sohn  Francesco, 
finden  sieh  hie  nnd  da  in  den  genannten  Correspondenzen 
•Ii  Bftmer  bezeichnet.  Ihre  Familie  gehörte  indess  nr- 
•prOnglich  einem  alten,  angesehenen  Adelsgeschlechte  in 


332    Nnchtr.  z.  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3.  Januar  1880. 

Mailand  an.  Schon  im  zwölften  Jahrhnndert  bestieg  einer 
ihres  Hauses  den  heiligen  Stul,  überto  Crivelli  ala  Papst 
Urban  III  genannt  (1185—1187).  Die  Crivelli  thaten  sich 
iu  ihrer  Vaterstadt  hervor,  in  mancherlei  Richtungen.  Leo- 
drisio  Crivelli,  der  Zeitgenosse  des  Filelfo,  glänzte  am  Hof 
des  ersten  Sforza  als  Humanist ,  Dichter ,  üebersetzer  und 
Geschichtschreiber.  Er  beschrieb  die  Thaten  des  Herzogs 
Francesco  und  seines  Vaters  Sforza  di  Cotignola :  sein  Werk 
haben  Muratori  und  Sassi  edirt.  Zu  seiner  Zeit  blühte 
als  ausgezeichneter ,  oder  doch  namhafter  Maler  Carlo  Cri- 
velli —  Gemälde  von  ihm  besitzt  die  Brera  in  Mailand. 
Dass  dieser  Künstler  derselben  mailänder  Familie  angehört, 
ist  wahrscheinlich,  obwol  er  zur  venetianischen  Schule  ge- 
zählt wird,  und  seinen  Sitz  in  Ascoli  nahm. 

Nach  Rom  kam  ein  Zweig  dieses  Geschlechts  von  Mai- 
land herüber  mit  dem  Cardinal  Alessandro  Crivelli,  nach 
der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts.  Dieser  angesehene  Mann 
wird  als  ein  Abkomme  vom  Stamm  Urbans  III.  bezeichnet, 
zugehörig  der  Linie  der  Grafen  von  Lomello.  Er  war  erst 
Senator  in  Mailand ;  unter  Carl  V.  nahm  er  Kriegsdienste 
und  befehligte  ein  Truppencorps,  in  welches  sich,  wie  man 
wissen  wollte,  nicht  weniger  als  400  seiner  Familiengenossen 
hatten  einreihen  lassen.  Sodann  war  er  nach  dem  Tode 
seiner  Gemalin  in  die  geistliche  Laufbahn  getreten  ;  Pins  IV., 
selbst  ein  Mailänder,  vom  Haus  Medici,  hatte  ihn  im 
Jahr  1561  zum  Bischof  von  Gerenza  und  Curiati  in  Cala- 
brieu  ernannt.  Später  wurde  er  Nuntius  in  Spanien,  und 
als  solcher  Cardinal.  Er  ging  nochmals  nach  Madrid  als 
Cardiuallegat.  Von  dort  zurückgekehrt,  stiftete  er  in  Rom 
ein  Collegium  zur  Erziehung  junger  Leute  des  Hauses  Cri- 
velli —  es  wird  nicht  gesagt,  ob  es  ihm  auch  dort  glückte 
ebensoviel  Familienmitglieder  bei  den  Büchern  zusammen- 
zubringen, als  er  einst  unter  der  Kriegsfahne  Carls  V.  ver- 
einigt hatte.    Am  22.  December  1574  ist  Alessandro  ge- 


(xregorovius:  Die  beiden  Crivelli,  333 

itorben:  sein  Grabmal  befindet  neb  in  seiner  ebemaligen 

Titelkirche  S.  Maria  in  Araceli. 

Es  sind  also  Söhne  nnd  Verwandte  dieses  Cardinais 
gewesen,  welche  in  Rom  wohnhaft  blieben,  nnd  hier  ein 
nenes  Geschlecht  bildeten.  Sun  geborten  anch  die  beiden 
baieriecben  Residenten  an,  ron  denen  ieb  reden  will.  Anf 
welebe  Weise  Giambattista  mit  dem  berxoglicben  Hanse 
Baiem  in  Verbindung  kam,  nm  dann  in  dessen  diplomatisoben 
Dienst  zu  treten ,  ist  mir  unbekannt.  leb  will  annehmen, 
dass  der  junge  Herzog  Maximilian  die  personliche  Bekannt-  • 
Schaft  dieses  Crivelli  machte,  als  er  im  Jahr  1593  Rom 
besuchte.  Dies  ist  nm  so  wahrscheinlicher,  als  die  Bezieh- 
ung der  in  Rom  angesehenen  Familie  Crivelli  snm  Hof  in 
Münehen,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  schon  Tom  CSardinal 
Akssandro  sich  herschrieb.  Es  waren  aber  nicht  nur  jene 
beiden  späteren  Residenten  Baierns,  sondern  anch  andere 
Mitglieder  ihres  Hauses,  ihre  Vettern,  welche  im  An- 
fang des  XVII.  Jahrhunderts  mit  dem  genannten  Hof  in 
Yerbindung  standen,  ihm  dienten,  oder  an  dienen  suchten. 

Oleich  im  ersten  fiande  der  Correspondenzen  findet 
sich  ein  ans  Rom  am  8.  Mai  1610  von  einem  Ifarchese 
Alessandro  CriTclli  yerfasstes  italienisches  Schreiben,  welches 
an  eine  fQrstliche  Person  des  Hanses  Baiem  gerichtet  ist. 
Ich  teile  es  hier  mit,  weil  es  uns  direct  in  diese  Verbind- 
ungen einführt. 

Durchlauchtigster  Herr  und  mein  an  Tcrehrender 

Patron: 

ich  komme  mit  diesem  mich  als  nntertftnigsten  Diener 
Seiner  Durchlauchtigsten  Hohheit  darzubieten:  denn  die 

Bereitwilligkeit  diesem  Durchlauchtigen  Hause  zu  dienen, 
habe  ich  von  allen  meinen  Vorfahren  geerbt,  ganz  be- 
sonders vom  Cardinal  Crivelli  meinem  Grossvater  glor- 
reichen Andenkens,  und  vom  Marchese  Crivelli,  meinem 
Vater.  Dies  zu  beweisen  bedarf  es  nicht  weiterer  Worte, 
[1880.  L  PluL-phtt.  hist  a  fid.1.  8.]  22 


ä 

Digitized  by  Google 


334  Aodblr.  b,  SUtMuig  der  hitlor.  Clame  9&m  3,  Jamtar  1880, 

denn  das  werden  der  Herr  Jnfios  CrivelU,  weleher  bei  Sr. 
Hoheit  rendiri,  und  der  Römer,  Herr  Oiunbattista  GriTeUi 
bestätigen.    Da  diese  beiden  bereits  im  Dienst  desselben 

Hauses  stehen,  so  bleibt  nur  noch  übrig,  dass  Se.  Hoheit 
auch  meiuem  grossen  Verlangen  ihm  zu  dienen,  Gehör  gebe, 
und  mir  recht  oft  Befehle  zukommen  lasse.  Ich  versichere 
Sr.  Hoheit,  dass  ich,  obwol  fttr  den  Dienst  eines  so  grossen 
Herrn  eine  viel  ta  geringe  Person»  dennoch  an  Znneigang 
zn  ihr  keinem  meiner  Vor&hren  naehstehe.  Ich  biete  Ihr 
mein  Leben  nnd  mein  Vermögen ,  was  immer  ee  sei,  an 
Dienst,  bitte  dringend,  diese  meine  Liebeserbietung  zu  Gnaden 
anzunehmen,  wie  ich  das  sehnlichst  wünsche,  und  mich  bei 
jeder  Gelegenheit  unter  Seiner  Protection  zu  halten;  denn 
solche  Terheisst  mir  die  weltbekannte  Liebenswürdigkeit  und 
Gfite  Sr.  Darchlanchtigsten  Hoheit  Ich  kOsse  derselben 
mit  aller  Reverenz  die  Hand  und  bitte  Gott  ihren  Staat 
zu  mehren  nnd  ihr  fflr  die  Daner  ein  wahrhaftes  Glncfc  zn 
schenken.    Rom,  am  8.  Mai  1610. 

Ihrer  Durchlauchtigsten  Hoheit 

untertänigster  Diener 
Marchese  Alessandro«Ckivelli.^) 

In  welcher  Weise  nnd  ob  fiberhaupt  das  Verlangen 
des  Marchese  Alessandro  nach  baierischeu  Diensten  befriedigt 
worden  ist,  weiss  ich  nicht  zu  berichten.  Da  er  nicht 
weiter  sichtbar  wird,  so  will  ich  annehmen,  dass  er  seine 
Zwecke  nicht  erreicht  hat.  Manche  Italiener  suchten  da^ 
mals,  wie  schon  lange  vorher  —  man  erinnere  sich  an  die 
Laufbahn  des  Aeueas  Silvius  Piccoloraini  in  der  kaiserlichen 
Kanzelei  zu  Wien  —  ihr  Glück  an  den  Höfen  Deutschlands. 
Italiener  nahmen  seit  Carl  V.  Dienste  im  deutschen  Heer; 

1)  Der  Herzog  wird  in  dieaeni  Brief  nicht  mit  Namen  genannt. 
Es  ist  aber  doch  wol  Maximilias  selbst,  au  den  sich  der  Bittende 
wendete. 


Digitized  by  Google 


Gregorovim:  DU  beiden  Crivelli. 


335 


es  ist  bekannt  genug,  wie  viele  ihrer  während  des  dreissig- 
jährigen  Kriegs  unter  den  Fahnen  der  Liga,  Wallensteins 
und  des  Kaisers  gedient  haben.  Die  lebhafte  Verbindung 
der  katholischen  Höfe  Deutschlands  mit  der  romischen  Curie 
konnte  dort  manchen  Italienern  als  Schreibern  and  Seere- 
t&ren  Beeehaftigang  bieten.  Die  Gorrespondenz  mit  Rom 
wurde  zwar  im  hScbtten  officiellen  Stil  latdniseh  geführt, 
aber  im  allgemeinen  in  italienischer  Sprache.  Das  Italienische 
war  in  jener  Zeit  eine  an  allen  katholischen  den  tischen 
Höfen  cultivirte  Sprache  des  Verkehrs.  Dass  Maximilian 
von  Baiern  ihrer  mächtig  war,  ist  eine  ganz  selbstverständ- 
liche Sache.  Er  schickte  auch  baierieche  Landeskinder 
nach  Rom,  sieh  dort  in  den  Studien  fiberhaapt,  nnd  be- 
sonders im  Italienischen  ansznbilden.  Dann  konnte  er  sie 
in  seinem  Eabinet  verwenden.  So  empfahl  er  einmal  seinem 
Residenten  in  Rom  den  Sohn  seines  Zahlmeisters,  Johann 
Kristopher  Kamerloher ,  der  dort  italienisch  lernen  sollte ; 
ein  andersmal  einen  Johann  Ludwig  Gailkirchner.  Solche 
Baiem,  welche  die  römischen  Verhältnisse  nebst  der  Landes- 
sprache kennen  gelernt  hatten,  gebrauchte  er  auch  in  di- 
plomatischen Missionen.  So  findet  sich,  im  Frtthling  1621, 
als  sein  Abgesandter  in  Rom  Peter  Mandel  ans  Neuhaasen 
beauftragt  neben  Crivelli  die  Unterstützung  der  katholischen 
Liga  beim  Papst  zu  betreiben.  Es  gibt  eine  Reihe  De- 
peschen in  dieser  Angelegenheit,  welche  beide  zusammen, 
Mandel  und  Crivelli,  unterzeichnet  haben. 

Nach  Baiem  selbet  kamen  manche  Italiener,  ihr  Glllck 
zu  suchen.  Sie  studirten  bisweilen  auf  der  üniTersitat 
Ingolstadt,  wo  noch  immer  Ausländer  sich  einfanden,  wo 
ehedem  der  Marschall  Bossurnpiere  studirt  hatte,  wo  Maxi- 
milian selbst  und  der  Kaiser  Ferdinand  II.  ihre  Studien  ge- 
macht hatten.  Sie  nahmen  dort  den  Doctorgrad.  Einige 
traten  als  Seoretäre  in  den  Dienst  des  Münchner  Kabinete. 

Rat  (conaigliere)  des  Herzogs  und  Kurfürsten  Mazi- 

22» 


Digitized  by  Google 


336   Nachtr.  g.  Sitzung  der  histor.  Gaste  vom  3.  Januar  1880, 

miliau  war  während  langer  Zeit  der  Doctor  Aurelio  Gigli. 
Welcher  Herkunft  dieser  Italiener  gewesen  ist,  weiss  ich 
nicht  —  es  gab  ein  Geschlecht  Gigli  in  Siena,  nnd  in 
Rom,  wo  im  17.  Jahrhaodert  Giadnto  Gigli  als  Yer&sser 
dnes  Diarinm  sieb  avsEeiclinete.  Unsre  Comspondenzen 
sind  erftllU  mit  Depeschen  beider  CriTelli  an  den  Bat  An- 
relio,  nnd  mit  dessen  oft  übermässig  breiten,  ja  geschwätzigen 
Berichten  an  jene  Residenten  im  jyelänfi^ten  Italienisch 
des  Seicento,  oder  mit  seinen  Bescripteu  aus  dem  Kabinet 
im  Auftrage  Maximilians. 

Ein  Bruder  dieses  Anrelio  Gigli,  Vittorio  mit  Namen, 
diente,  nachweislich  im  Jahre  1623,  dem  General  TiUj  alt 
italienischer  Secretar. 

Andere  Italiener  lebten  zu  Mfinch«!  als  Lehrer  tn 
Sprachen  und  Wissenschaften,  ein  Astorre  Leoncelli  hatte 
den  jungen  Herzog  Maximilian  im  Französischen  und  Ita- 
lienischen unterrichtet,  ein  Carlo  Detti  ihn  Mathematik  nnd 
Kriegswissenschaften  gelehrt. 

Im  Pienst  desselben  Herzogs  befiuid  sich  der  Baron 
Giulio  Gesare  CriTelli,  ein  Vetter  (cngino)  de»  Residenten 
in  Rom.  Er  war  am  baierischen  Hof  eine  angesehene  nnd 
beliebte  Persiinh'chkeit.  In  un>;eren  Correspoudenzen  er- 
scheint er  in  höfischer  Stellung  zuerst  im  August  1607, 
womit  nicht  gesagt  ist,  dass  er  dieselbe  erst  damals  be- 
gonnen hat.  Er  wird  titulirt:  Camerarins,  Cubicnlarins, 
Gonsiliator,  auch  Legatns  nnd  Ambasdatore  des  Herzogs 
Maximilian,  nnd  dieser  hat  ihn  mehrmals  mit  diplomatischen 
AnftrSgen  an  die  H5fe  Italiens,  nnd  ganz  besonders  an  den 
Papst  geschickt. 

Die  Correspoudenzen  enthalten  viele  italienische  Briefe 
dieses  Crivelli ;  dass  er  auch  der  deutschen  Sprache  mächtig 
geworden  war,  lehrt  ein  von  ihm  am  27.  Juni  1620  an 
Maximilian  in  gutem  Deutsch  geschriebener  Briet  Ginlio 
Gesare  war  damals  nebst  dem  Angsbnrger  Domdeehant 


Digitized  by  Google 


f 


Gregorovius:  Die  beiden  CrivellL  337 

Zacharias  Fortenbach  als  sasserordeiitlielier  Gesandter  nach 
Rom  geschickt  worden,  nm  von  Panl  V.  Snbsidien  f&r  die 

katholische  Liga  zu  erlangen.  Er  setzte  es  dort  beim  Car- 
diual  Borghese  durch,  diiss  der  bekannte  Fra  Domenico  di 
Gesü  Maria  die  Erlaubniss  erhielt,  nach  München  zu  reisen : 
es  ist  derselbe  Fanatiker,  welcher  in  der  Schlacht  am  weissen 
Berge  ein  wnnderwirkendes  Marienbild  in  den  baierischen 
Sehlachtreihen  einhergetragen  hat  —  ein  Capifitrano  des 
böhmischen  Kriegs. 

In  München  scheint  Giulio  Cesare  lange  Zeit  im  Dienst 
des  Herzogs  gelebt  zu  haben :  mehrere  Male  wird  er  in 
Tölz  idchtbar.  Seine  Lebensschicksale  sind  mir  unbekannt. 
Kenner  des  Landes  Baiern  und  seiner  Familiengeschichte 
werden  darfiber  Ansknnlt  geben  können,  ob  sich  hier  ein 
Geschlecht  des  Namens  CriTelli  noch  nach  dem  siebzehnten 
Jahrhundert  erhalten  hat.^) 


1)  Es  würde  von  Interesse  sein,  die  B'rage  n  erörtern,  ob  und  io 
welcher  Weise  im  16.  nnd  17.  Jahrhundert  It«Meiier  im  Dienst  deutscbor 
Diplomatie  und  deutscher  Eanzeleien  verwendet  worden  sind.  Für 
Baiern  lassen  sich  im  17,  Jahrh.  nachweisen  mehrere  CrivcUi ,  der  Rat 
Aorelio  Gipli,  Minotius  de  Minutiis  (Minucci)  aus  SerraTalle  (siehe  Felix 
Stiere  liriefo  und  Acten  zur  Geschichte  des  dreissitrjührii,'en  Krieges  — 
IV.  Band,  Die  Politik  Bayerns  1591 — 1G07.  I.  S.  12ü).  Im  diplomatischen 
Dienst  des  Erzlierzoj^s  Carl,  nml  dann  als  Rat  und  Secretär  des  Herzogs 
Wolf(?ang  Wilhelm  von  Ncuburj,'  findet  sich  seit  IV)'22  der  Toscaner 
GioTan  Francesco  Buunamici,  ein  Freund  des  Galilei  (siehe  Cesare  Gii- 
asti  Le  relasioni  di  Galileo  con  alcuni  Pratesi ,  arcbivio  storico  Italiano 
Teru  Serie  T.  XVU.  1873).  Bnooiiiiiel  wsr  erst  im  Oefolge  des 
Niwtiat  Gbnflk  Bseh  Denticlihuid  gekommen;  et  moehten  ftberliMipt 
•ef  diesem  Wege»  d.  b.  ans  den  Nantiatorkinieleien  manebe  Italiener 
als  Sehteiber  In  den  Dienet  deateeber  KanieleieD  getreten  sein.  Man 
mIMe  deren  Aeten  nntemehen,  am  Uber  die  oben  beseiobnete  Frage 
Anlseblsae  m  ecbalten.  Anf  meine  Bitte  bat  Herr  um  Ameth  donfa 
den  Komiplsteii  Dr.  Winter  im  ^ener  Staatearebi?  darUber  Untemeh- 
migea  anstellen  laeeeo;  ans  einer  gfitigen  Mitteilung  ¥on  dort  her  eni- 
nebsM  ich»  da«  die  Höfataatdisten  am  ToUatindigsteB  erhalten  sind 


r 

Digitized  by  Google 


338    NacJUr.  z.  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3.  Januar  1680. 

Nun  aber  wollen  wir  ans  mit  den  beiden  Crivelli  in 
Korn  selbst  beschäftigen. 

Giambatiista  erscheint  dort  als  bairiscber  Agent  zum 
ersten  Mal  am  13.  Januar  1607«  wo  er  an  den  fienog 
Maximilian  wegen  der  Angelegenheiten  Salsbaiga  eduieb. 
Es  findet  sieb  spSter  ein  Sebreiben  desselben  Mannes  an 
Maximilian  vom  1.  April  1623,  worin  er  sagt,  dass  er  dem- 
selben bereits  28  Jahre  gedient  habe:  also  ist  er  etwa  am 
das  Jahr  1595  in  seinen  Dienst  getreten,  wo  der  jnnge 
Herzog  nach  eeiner  Vennälnng  mit  Elisabeth  Ton  Lothring^ 
die  Mitregentsebaft  neben  seinem  Vater  Wilhelm  antrat 


für  die  Zeit  Ferdinands  1.;  aus  dem  17.  Jahrhundert  ist  diese  Quelle 
,,fast  versiegt",  erst  im  is.  wird  sie  wieder  ergiebiger.  Die  älteste  < 
dieser  Listen  von  c.  1491  führt  unter  der  Rubrik  „Canzler  und  doctores**  i 
15  Namen  auf,  darunter  Petrus  Bonohorao  Aus  dem  Ende  der  Regier- 
ungszeit Maximilians  I.  erscheinen  28  Namen  von  Secretären  und  Canzlei- 
schrcibern ,  alle  deutsch  bis  auf  Dr.  Jacob  CicoUin  und  Georg  Gadius. 
Gemäss  der  Hofstaataordnung  von  1527  gab  es  in  der  Wiener  Hofkanj- 
lei  neben  andern  Abteilungen  auch  eine  für  die  burgundischen  und 
französischen  Sachen ,  je  eine  für  die  spanischen  Angelegenheiten ,  die 
„lateinischen  Handel"  etc.  Die  Namen  der  Vicekanzler  sind  in  dieser 
Epoche  fsaec.  16)  mit  einer  einzigen  Ausnahme  deutsch.  Für  Italien 
ist  keine  besondere  Abteilung  in  der  Hofkanilei  sichtbar;  die  italienischen  j 
Angelegenheiten  wurden  wahrHcbeinlich  in  der  „lateinischen"  Abteilung 
besorgt.  Während  in  der  Regel  die  burgundische  (französische)  Kanzlei 
mit  Franzosen,  die  spanische  mit  Spaniern  besetzt  waren,  finden  sich 
in  der  lateinischen  nur  deutschnamige  Secretäre ;  unter  den  O^pisten 
aber  einzelne  mit  romanischen  Namen.  „Auf  die  vollständige  Durch- 
führung der  Aufgabe,  die  Angaben  der  Hofstaatslisten  aus  den  Emana- 
tionen der  Kanzlei  selbst  zu  erhärten  und  zu  ergänzen,  mnsste  bei  der 
colossalen  Masse  der  vorliandenen  Urkunden  und  Correspondenzen  ver« 
ziehtet  werden."  Die  mir  freundlich  gemachten  Mitteilungen  beziehen 
sich  also,  aus  dem  schon  angeführten  Grunde,  nicht  auf  die  Epoche  des 
17.  Jahrhunderts,  von  der  ich  hier  bandle.  In  derselben  Zeit,  als  der 
bairische  Hof  sieb  der  römischen  Crivelli  als  seiner  Residenten  beim 
Papst  bediente,  war  auch  ein  Römer,  der  Prinz  Paolo  Savelli,  kaiser- 
licher Botschafter  in  Rom. 


Digitized  by  Google 


Oregoroviua:  Die  beiden  Criveüu  339 

Es  findet  sich  in  Rom  noch  im  Jahre  1593  als  baie- 
riflcher  Bevollmächtigter  Ulrich  Speer,  von  dessen  Oorre- 
ipondeozen  Wolf  in  «einer  Geschichte  Maximilians  L  6e- 
Kraneh  gemacht  bat.  Anch  ist  in  den  Jahren  1590  bis 
1593  Minneeins  a  Minnoei  in  der  gleichen  Eigenschaft  eines 
Orators  in  Rom  gewesen.  Doch  habe  ich  Grtind  anzn- 
nehmen,  dass  weder  Speer  noch  Minncci  Residenten  Baierns 
am  päpstlichen  Hof  gewesen  sind,  dass  ps  übprbaupt  solche 
damals  noch  nicht  gegeben  hat,  dass  vielmehr  die  baierischen 
Angelegenheiten  in  Born  dnrch  zeitweilige  Agenten  besorgt  • 
wnrden*  Wenn  meine  Ansicht  richtig  ist,  so  hat  Giam- 
battista  CriTelli  die  Reihe  der  ständigen  Gesandten  Baierns 
in  Rom  begonnen,  und  das  macht  ihn  zn  einer  besonderen 
Respectsperson  fttr  Diplomaten  dieses  Landes  am  päpst- 
lichen Hof.») 

Zuerst  war  er  nur  Agent,  dann  erhielt  er  Titel  und 
Stellung  des  Residenten.  Zum  ersten  Mal  findet  er  sich 
ab  solcher  bezeichnet  in  einem  Beecript  des  Rats  Anrelio 
Gigli  Tom  16.  Jnni  1610,  worin  die  Zuschrift  lactet:  AI 
molto  HI"  Signore  il  Big.  OioTanni  Battista  OriTelli  Resi- 
dente del  Serenissimo  di  Bftviera  in  Roma.  Das  Prädicat 
Illustre  kam  einem  wirklichen  Residenten  zu.  Die  Formeln, 
deren  sich  Maximilian  selbst  in  seinen  Schreiben  an  Cri- 
▼elli ,  wie  später  in  denen  an  dessen  Sohn  zn  bedienen 
pflegte,  waren  immer  der  Ausdruck  achtungsvoller  Höflich- 
keit, wie  sie  die  officielle  Stellung  eines  Gesandten,  be- 
dingte. Die  Anrede  in  den  Briefen  lautet«  Illustre  Signore, 
und  am  Schlnss  etwa  Die  la  prosperi,  und  alli  piaceri  di 
V.  S'. 


1)  Bs  Win  ftr  die  Oeushickte  der  dsntaeben  Diplomatie  toh  Wert, 
Venn  man  erforMben  kSnnte,  in  welcher  Zeit  der  biierisetae  Hof  be- 
foaneii  hat,  Ageaten  inBom  sn  bslten,  und  wenn  mao  die  Liste  lolcker, 
wie  der  stiadigen  BesideoteD  dort  ftberbaopt»  sasammensteUte. 


Digitized  by  Google 


340  üToeMr.  ir.  aUtwig  der  hiOor.  Oasae  wm  3,  Januar  1890, 

Giambaitista  befand  sich  in  ßom  in  gatan  Verhäli- 
niaaen.  Er  besass  ein  Haas  am  Pasqnino,  abo  anf  dem 
Local  ,  wo  benie  der  Palast  Brascbi  atebt.   Dies  war  die 

Mitgift  seiner  Gemalin.  Die  Miete  des  Hanses  warf  jährlich 
400  Scudi  ab ,  eine  für  die  damalige  Zeit  so  ansehnliche 
Summe ,  dass  man  von  ihr  auf  eine  verbal tnissmässige 
iCäamlichkeit  schliessen  kann.  Am  3.  April  1621  gab 
Bfaximilian  seinem  Residenten  eine  jährlicbe  Zulage  Ton 
100  Scodi.  Wie  gross  der  Gebalt  Cri¥elli*s  fiberbaopt 
gewesen  ist,  weiss  icb  nicbt,  werde  aber  spftter  die  Besold- 
ung seines  Nachfolgers  nachweisen.  Die  Zulage  erhielt  er 
durch  Fürbitte  jenes  Fra  Donienico ,  mit  welchem  Maxi- 
milian fortdauernd  in  lebhaftem  Verkehre  stand ,  auch  als 
der  Mönch  nach  Beendigung  seiner  Wuoderthaten  in  Böhmen 
nach  Rom  zarUckgekehrt  war. 

Domenico  war  dort  wie  ein  zweiter  beiligw  Resident 
des  glanbenseifrigen  Herzogs  —  doreh  seine  Intercessioo 
bat  er  wol  mancbes  bei  der  Cnrie  darchgesetzt ,  was  sein 
weltlicher  Resident  vielleicht  nicht  erreichen  konnte.  Er 
schickte  einmal,  im  Mai  1628,  einen  seiner  Höflinge  Wil- 
helm llsung  mit  Pferden  und  einem  Reisewagen  zum  Ge- 
schenk für  den  Cardinal  Ludonsi,  und  mit  einer  kostbaren 
Gassette  Silberzeug  enthaltend  fftr  den  Cardinal  Cremona, 
nnd  da  schrieb  er  dem  Residenten «  dass  er  Ilsang  zugleich 
an  ihn  nnd  Fra  Domenico  weise. 

Manches  Andenken  wird  der  Wunderthäter  ans  dem 
böhmischen  Kreuzzug  mit  sich  genommen  haben ;  manches 
Ketzergut  wird  ihm  MaximiUan  aus  der  reichen  Beute  Prags 
Terehrt  haben;  von  dort  hatte  ja  der  Herzog  (nach  der 
Angabe  Dndiks  in  seinen  Forschnngen  in  Schweden  fnr 
Mihrens  Geschichte  8.  4)  1500  mit  Schätzen  jeder  Art 
beladene  Wagen  nach  Mflncben  mit  sieh  geführt  Viele 
lluude  streckten  sich  auch  in  der  Folge  nach  Spolien  der 
Ketzer  aus,   und  dass  anch  Fra  Üomenico  dabei  nicht 


Digitized  by  Google 


Qrtgoromwt:  Die  beiden  CriveUi.      '  341 


fehlte,  will  ich  sofort  zeigeu.  Am  30.  Augast  1622,  wo 
die  Unterpfalz  fast  gänzlich  erobert  ,  aber  das  unglückliche 
Heidelberger  noch  nicht  eingenommen  und  geplündert  war, 
schrieb  Maximilian  aus  München  an  Giambattista  Crirelli 
nach  Rom:  er  drückte  ihm  erst  seine  Freade  darüber  ans, 
dass  der  Padre  Domeoieo  gesimd  sei  und  ihm  seine  Liebe 
bewahre,  dann  fnhr  er  fort:  „Was  die  Spolien  betrifft, 
welche  Seine  Väterlichkeit  aus  solchen  begehrt,  die  in 
diesen  letzten  Siegen  in  der  Unterpfalz  den  Ketzern  abge- 
nommen worden  sind ,  so  habe  ich  an  den  Grafen  Tilly, 
meinen  Generallieutnant  Befehl  erteilt,  dass  er  zusehe, 
etwas  ansammenzubringen ,  (che  veda  di  mettere  insieme 
qnalche  oosa),  und  mir  es  zusebieke,  und  wenn  das,  wie 
ich  hoffe,  erfolgt,  so  werde  ich  daf&r  sorgen,  dass  es  auch 
nach  Rom  geschickt  werde.**  Es  befand  sich  unter  der 
Beute,  die  bald  darauf  in  Ueidelber^  gemacht  wurde,  auch 
die  Palatinische  Bibliothek,  und  sie  wurde  von  Maximilian 
dem  Fap.st  nach  Korn  geschickt.  Auch  über  diese  beklageus- 
werthe  Beraubung  Deutschlands  an  seinem  kostbaren  wissen- 
schaftlichen Material  enthalten  die  Gorrespondenzen  einige 
Briefe,  welche  die  Geschichte  dieses  unseres  nationalen. 
Verlnsts  TerTollstandigen  können. 

Es  hiit  aber  auch  Giambattista  CriveUi  seine  Hände 
nach  der  Beute  Heidelbergs  ausgestreckt.  Hier  ist  ein 
italienisch  geschriebener  Briet  Tilly 's  au  ihn ,  aus  Regens- 
burg  den  11.  Februar  1623: 

„Vom  Doctor  Aurelio  Gigli  und  von  Vittorio  seinem 
.  Bmder,  meinem  Secretar,  ist  mir  Ihr  Wunsch  mitgeteilt 
worden,  irgend  ein  kleines  Gem&lde  (qualehe  quadretto  di 
pittura) ,  oder  eine  andere  Galanterie  aus  dem  Schloss  zu 
Heidelberg  zum  Andenken  zu  erhalten.  Nun  aber  befand 
sich  in  dem  besagten  Öchloss  weder  ein  Gemälde  noch 
sonst  etwas,  womit  ich  als  mit  einem  Präsent  bei  Ihnen 
Ehre  eialegea  konnte.  Da  ich  Ihnen  durch  dieThat  meine 


Digitized  by  Google 


342    Nachtr,  a,  SUsung  der  hisior.  Glosse  vom  3.  Januar  1880, 

Ergebenheit  zu  beweisen  wünsche,  so  habe  ich  dem  oben 
genanuteD  Docior  Gigli  100  Kaiserthaler  einhändigen  lassen, 
nnd  deren  mögen  Sie  sich  nach  Ihrem  Wolgeiallen  be- 
dienen, wie  Sie  das  noch  genauer  Ton  demselben  Doeior 
vernehmen  werden.  Ich  bitte  Sie  dieselben  gütigst  antii- 
nehmen ,  und  nicht  auf  die  Gerin gfiigigkeit  des  Geschenlt« 
zu  sehen,  sondern  vielmehr  auf  meinen  geneigten  Willen 
Ihnen  gefällig  und  erkenntlich  zu  sein,  denn  ich  bin  mir 
meiner  Verpflichtung  gegen  Sie  bewnsst  wegen  der  Znoeig- 
nng,  die  Sie  mir  bei  ▼erscbiedenen  Oelegenheiten  bewiesen 
haben,  besonders  da  Sie  gleichsam  das  erste  Werkzeug  und 
der  sorgsamste  Fürsprecher  der  Geschenke  und  geistlichen 
Gnaden  gewesen  sind,  die  mir  Seine  Heiligkeit  Unser  Herr 
hat  zukommen  Uesen  ^  welchem  Sie  gütigst  mich  des 
Oefteren  empfehlen  wollen,  ihm  die  grosse  Freude  bezeugend, 
die  ich  Uber  die  genannten  Gnadengeschenke  empfanden 
habe.  Und  so  erbiete  ich  mich  Ihnen  mit  Bereitwilligkeit 
und  Gott  behüte  Sie.^j 

Nach  den  heutigen  Begriffen  von  Standesehre,  oder 
▼on  £hre  flbwhaupt,  würde  ein  Geschenk,  wie  es  Tilly  dem 
•  baieriBohen  Gesandten  zu  machen  wagte,  als  eine  Beschimpf 
ung  angesehen  werden  —  damals  aber  wurde  das  nicht  so 
empfunden.  Das  Austeilen  von  Geschenken  selbst  an  vor- 
nehme Personen  durch  Fürsten,  oder  von  stadtischen  Magi- 
straten war  etwas  ganz  gewöhnliches  —  man  schenkte 
nicht  nur  Kleiderstoffe  nnd  goldene  Ketten,  sondern  aueb 
baares  Geld.  Die  Denkwürdigkeiten  des  Ritters  TonSehwa- 
nichen  geben  einen  Begriff  von  dieser  Gewohnheit,  und  die 
Sitten  jener  Zeit,  die  er  geschildert  hat,  hatten  sich  im 
siebzehnten  Jahrhundert  nicht  geändert  Ich  wollte  das 
bemerken,  um  den  wackern  Baron  Giambattista  nicht  io 


1)  Molflll"  8ig"  mio  orrev<P»  —  Di  V,  S.  noHo  iVF*  lirtt"* 
per  Mrvir1aGio.Coote  deTiUj:  Die  Naiaenianterschrift  ist  eigenhiodtf» 


Digitized  by  Google 


1 


Gregüroviua:  Die  beiden  CriveUi,  343 

einem  andern  Licht  erscheinen  zu  lassen  ,  als  ihm  sein 
eignes  Zeitalter  gibt. 

Sein  Verhältniss  zum  Herzog  von  Baiern  war  ein 
dnrefaftos  Tertranliches.  Lange,  treue  Dienste  machten  ibn 
seiiiem  Herrn  persönlich  wert  Maximilian  hat  die  ganze 
Familie  GriTelli'a  fortdauernd  dnrcb  sein  Wolwollen  ansge- 
zeichnet.  Er  nahm  sie  nnter  seine  Protection  and  sorgte 
für  ihr  Fortkommen.  Ein  Sohn  Giambattista's,  Francesco, 
kam  im  Juni  1609  nach  München,  wo  er  am  Hof  mit  be- 
sonderer Freundlichkeit  aufgenommen  wurde:  dies  zeigen 
Briefe  sowol  Maximilians,  als  der  Herzogin  Elisabeth  an 
den  Vater  des  jungen  Mannes  in  Rom.  Die  letatere 
schrieb  ihm  am  22.  Jnni  1609,  dass  sein  Sohn  ihr  die 
Bmpfehlangsbriefe  Qberbracht  and  sie  ihn  empfangen  habe 
auf  Grund  der  Liebe ,  die  das  ganze  herzogliche  Haus  fSr 
ihn,  den  Vater,  empfinde.  Auf  einen  Brief  seines  Sohnes 
aus  Tölz,  wo  dieser  seinen  Verwandten  den  Baron  Giulio 
Cesare  besucht  hattp,  schrieb  ihm  der  Vater  erfreut  zurück, 
dass  er  durch  die  Nachricht  von  den  £hren,  Geschenken 
und  Gunstbezeugungen,  die  er  von  den  baierischen  Fürsten 
empfangen  habe,  ganz  verwirrt  sei:  all  dies  sei  die  Wirkung 
de.s  grossen  gütigen  Wolwollens,  welches  ein  solcher  Fürst 
und  liebenswürdiger  Herr  ihnen,  seineu  geringsten  Dienern, 
schenke. 

Der  junge  Crivelli  stellte  sich  in  Augsburg  auch  den  • 
Fugger  vor.  Er  bemühte  sich,  durch  solche  einflnssreiche  Yer^ 
bindungen  sein  Glfick  zu  machen.  Doch  schon  im  September 
kehrte  er  nach  Rom  zurück.  Da  sein  Vater  ihm  ein 
spanisches  Ritterkreuz  zu  verschaffen  suchte,  womit  eine 
Commende  verbunden  war,  so  schickte  ihm  der  Herzog  be- 
reitwillig Empfehlungsbricte  an  die  Königin  von  Spanien 
und  an  Don  Francisco  de  Castro. 

Im  Jahr  1610  kam  ein  zweiter  Sohn  des  Residenten 
nach  MfiBchen.   „Da  mein  Sohn  Gianangelo,  so  sehrieb 


Digitized  by  Google 


344    NacJUr.  z.  SiUutig  der  histor.  Glosse  vom  3.  Januar  1880. 

dieser  an  den  Herzog  am  10.  April,  dorthin  reist,  um  in 
Ingolstadt  die  Rechte  zu  studiren ,  und  das  auf  Rat  des 
Herrn  Giulio  Cesare  Crivelli ,  meines  Verwandten ,  so  em- 
pfehle ich  denselben,  wie  mich  selbst,  der  Gnade  und  Pro- 
tection Ew.  durchlauchtigsten  Hoheit,  wie  Ihnen  das  aus- 
führlich von  dem  genannten  Herrn  Giulio  Cesare  und 
meinem  eignen  Sohue  vorgestellt  werden  wird^^ 

Nun  erschien  auch  noch  ein  dritter  Sohn  Giambattistas 
am  baierischen  Hof,  Giampietro  mit  Namen ,  ein  Jesuit; 
Seine  Oberen  schickten  ihn  nach  Gratz,  dort  seine  Studien 
zu  vollenden;  und  auf  dieser  Reise  stellte  er  sich  dem 
herzoglichen  Hause  in  München  vor.  Später  erhielt  er 
durch  die  Empfehlung  Maximilians  einen  Canonicat  in 
S.  Maria  in  Trastevere.  ünterdess  hatte  der  junge  Gian- 
angelo  seine  Studien  in  Ingolstadt  beendigt,  dort  den 
Doctorgrad  erhalten,  und  war  nach  Rom  zurückgekehrt. 
Seine  Empfehlungen  hatten  ihm  eine  Stellung  als  Gover- 
nator  im  kleinen  Fürstentum  Sonnino  verschafft.  Da  nun 
sein  Vat^r  Giambattista  alt  wurde,  wünschte  er  noch  bei 
seinem  Leben  den  diplomatischen  Posteu ,  welchen  er  als 
baierischer  Resident  in  Rom  inne  hatte,  seiner  Familie  zu- 
zusichern, und  jenem  Sohne  zu  hinterlassen.  Eine  solche 
gleichsam  erbliche  Uebertragung  eines  Amts  nannte  man 
la  sopravivenza.  Am  18.  April  1618  wandten  sich  alle 
drei  Crivelli,  der  Vater,  und  die  Söhne  Francesco  und 
Gianangelo ,  mit  Bittgesuchen  an  den  Herzog  Maximilian. 
Francesco  versicherte  ihn,  dass  sein  Bruder  Gianangelo  für 
solches  Amt  viel  geeigneter  sei,  als  er  selbst,  und  er  bat  ihn 
dringend,  sie  alle  durch  die  Gewährung  dieser  Gnade  glück- 
lich zu  machen. 

Am  9.  Mai  1618  erteilte  Maximilian  in  einem  Schreiben 
au  den  alten  Crivelli  den  gnädigen  Bescheid  1  er 
seinem  Sohn  die  Sopravivenza  gewähre. 


Gregorovius:  Die  beiden  CriveUi, 


345 


In  F6\^e  dieses  officiellen  Verhältnisses  ist  dann  der 
Doctor  Giauangelo  nach  München  gegangen  und  in  die 
Dienste  des  Herzogs  getreten.  Er  begleitete  denselben  in 
tigend  einer  eivilen  Stellung  im  bdhmisohen  Feldzage,  nnd 
dort  stsrb  er  anf  der  Rückkehr  ron  Prag.  Wir  erfahren 
daa  ans  folgendem  Schreihen  seines  Vaters  an  den  Henog, 
dttirt  Rom  19.  December  1620: 

„Heate  erhielt  ich  den  lieben  Brief  nnsers  ehrwürdigen 
teoem  Vaters  Fra  Domenico  di  Gesu  Maria,  welcher  mir 
mit  seiner  gewohnten  sanften  nnd  liebeToIlen  Art  den  bittem 
Trank  zn  trinken  gibt,  mir  meldend,  das»  mein  Sohn 

Gianangelo  auf  der  Rückkehr  von  Prag  nach  München  da- 
hingeschieden ist.  Er  konnte  sein  Leben  nicht  besser  ver- 
wenden als  iin  Dienst  Ew.  Durchlauchtigen  Hoheit.  Ich 
bin  stolz  darauf,  dass  er  unter  solchen  Umständen,  nnd 
nachdem  er  so  grosse  Freude  erfahren  nnd  so  grosse  und 
herrliche  Thaten  Eurer  Hoheit  gesehen,  seine  Tage  he- 
schlössen  hat'*. 

Dem  Dienst  des  Herzogs  von  Baiem  hatte  also  der 
Resident  Crivelli  seinen  hoffnungSYollsten  Sohn  znm  Opfer 
gebracht:  nnd  das  musste  ihn  selbst  und  sein  Haus  fftr 
Maadmilian  noch  werter  machen.  Er  blieb  sein  Resident 
in  Rom,  auch  als  Paul  V.  im  Jahre  1621  gestorben  war. 
Maximilian  erhöhte  ihm  damals  seinen  (iebalt,  wie  wir 
schon  erfahren  haben.  Er  empfahl  ihn  und  seine  Familie 
an  den  neuen  Papst  Gregor  XV. ,  und  an  dessen  bald  all- 
mächtigen Nepoten  Ludovico  Ludovisi.  Er  that  dasselbe, 
ab  Urban  VIII.  im  Jahr  1623  den  heiligen  Ötnl  bestieg  — 
auch  da  blieb  GriTcUi  auf  seinem  Posten,  und  noch  be- 
sonders liess  ihn  der  Heraog  dem  neuen  Papst  durch  den 
Oardinal  Zollem  dringend  empfehlen. 

Der  alte  CriTelli  erlitt  in  demselben  Jahr  1623  den 
andern  Sohnes  Giampietro;  Ton  allen  seinen 

t 

Digitized  by  Google 


346   Nachtr.  z.  SiUung  der  hisior.  Ciasae  vom  3.  Januar  löiiO. 

Kindern,  sechs  Söhnen  und  drei  Töchtern,  waren  ihm  nnr 
übrig  geblieben  Francesco  und  eine  Tochter.  Er  bewarb 
sich  jetzt  für  diesen  letzten  Sohn  um  die  Sopravivenza. 
Francesoo,  welcher  nachher  32  lange  Jahre  der  BefoU- 
rnftehtigte  Baierne  in  Rom  gewesen  ist,  hatte  hisher  sein 
Fortkommen  in  verschiedenen  Stellnngen  gesucht.  Ln 
Jahr  1618  war  er  im  Dienst  des  Cardinais  Giambattista 
Deto,  eines  Florentiners,  gewesen.  Es  wirft  ein  etwas 
nnheimliches  Licht  auf  solche  DienstTerhältnisse,  wenn  man 
liest,  was  Francesco  darüber  am  21.  Jnli  1618  an  Anrelio 
Gigli  nach  München  berichtet  hat:  seit  zwei  Monaten  habe 
er  sich  aus  dem  Dienst  des  Cardinais  zurückgezogen ,  und 
sei  jetzt  wie  ein  Fisch  ausser  dem  Wasser  ;  der  Herr  Car- 
dinal sei  in  Wahrheit  ein  schöner  jnnger  Manu ;  wie  eine 
Sirene  habe  er  ihn  mit  Liebkosungen  an  sich  gezogen  und 
mit  Oesang  eingeschläfert :  'er  habe  bei  ihm  seinen  Ruf  sn- 
gesetzt;  mm  müsse  er  aus  Rom  für  einige  Zeit  fort.  Er 
erbitte  deslialb  von  Maximilian  Empfehlungsbriefe  an  deu 
Herzog  Ton  Parma,  tou  welchem  er  ein  Amt  in  dessen 
Staaten  in  den  Abmzzen  zu  erhalten  hoffe,  etwa  als  Gover- 
nator  in  Lionessa,  oder  GiTitä  di  Pefia,  oder  Gitta  Dacale. 
Anch  sein  Vater  ersuchte  den  Herzog  darum,  da  doch  sein 
Sohn  sich  vor  Jahren  ihm  iu  München  personlich  vorge- 
stellt habe. 

Maximilian  schickte  die  begehrten  Empfehlungsschreiben» 

und  schon  im  Nov.  1618  dankte  ihm  dafür  der  alte  Cri- 
velli  mit  der  Meldung,  dass  sein  Sohn  das  Amt  des  Richters 
(GiusUziere)  in  Civita  di  Peüa  erhalten  habe. 

Drei  Jahre  spSter  schrieb  Francesco  dem  Herzog  ans 

Bologna,  wo  er  eine  von  ihm  nicht  näher  bezeichnete 
Stellung  gefunden  hatte,  und  in  diesem  Brief  nanute  er 
sich  Oavaiiere, 

Im  Jahre  1623  bat  Giambattista  den  Herzog  Maxi- 


^ 


Digitized  by  Google 


t 


Qt€gofimiu:  Die  htidm  CrivetU,  347 

milian  seinem  letaten  Sohne  die  SopiaTivenza  zn  erteilen. 
Sein  GesQch  datirt  vom  1.  April;  er  meldete  darin  den 

Tod  Giampietros,  und  erinnerte  den  Herzog  daran^dase  er 
selbst  ihm  nun  schon  28  Jahre  lang  diene. 

Ee  findet  eich  das  Rescript  Maximilians  nicht  vor: 
wahrscheinlioh  hat  er  seinem  getreuen  Diener  alshald  die 
Bitte  gewährt. 

Der  alte  Crivelli  bekleidete  seither  sein  Amt  mit  Ehren 
and  grossem  Ansehn  noch  vier  Jahre  laug.  Daun  starb 
er  im  Jali  1627.  Die  oificielle  Meldung  seines  Todes  hat 
sich  nicht  erhalten,  aher  hier  sind  zwei  Briefe,  die  ihm 
als  Nachrnf  dienen. 

Am  IG.  September  1G27  schrieb  Maximilian  aus 
Manchen  au  Fraucesco  Crivelli; 

„Die  Nachricht,  die  Sie  mir  von  dem  Tode  des  Herrn 
Qiambattista  Ihres  Vaters  (Gott  habe  ihn  selig)  gegeben 

haben ,  ist  von  mir  empfangen  worden  mit  den  Gefühlen, 
welche  seinen  vorzüglichen  Eigenschaften  und  der  Liebe 
entsprechen,  die  er  mir  mit  fortdaaerndem  Eifer  und 
gleicher  Treue  in  Bezng  auf  alle  meine  Angelegenheiten 
bewiesen  hat.  Deshalb  betraure  ich  mit  Ihnen  solchen  ge- 
meinsamen Verlust,  und  indem  ich  das  WolwoUen,  welches 
ich  ffSr  den  Genannten  immer  gehegt  habe,  auf  Sie  selbst 
übertrage,  nehme  ich  gern  die  Erbietuug  Ihrer  Person  von 
Ihnen  entgegen,  und  werde  nicht  verfehlen  dessen  zu  seiner 
Zeit  eingedenk  zu  sein.  Unterdess  mögen  Sie,  bis  auf 
meine  weitere  bestimmte  Entscheidung,  mit  Sorgfalt  und 
£iliar  die  Erledigung  der  dort  noch  schwebenden  Geschäfte 
besorgen,  wie  es  im  Besondern  die  Angelegenheit  des 
Pladre  Bzo^ius  ist,  wegen  welcher  noch  zuletzt  einige 
Schriftstücke  abgeschickt  worden  sind ,  und  aucli  anderes, 
womit  ich  Sie  nach  Bedarf  von  Zeit  zu  Zeit  beauftragen 
werde:  denn  so  werden  Sie  mir  einen  willkommenen  Dienst 


Digitized  by  Google 


S4S   NaOitr.  t.  SUtwtg  der  Mor.  Claase  vorn  3,  Jamuar  1880. 

erweisen.   Scbliesslieb  erbiete  ieb  mich  Ihnen  mit  allem 

guten  Willeil,  und  Gott  behüte  Sie''.») 

Am,  6.  November  1627  schrieb  Tilly  an  denselben 
Francesco  aus  Lauenburg,  wo  er  sein  Hauptquartier  hatte: 
„Der  Tod  des  Herrn  GiambatUata ,  Ihree  Vaters,  ist  von 
mir  mit  besonderer  Empfindung  vemommen  worden  wegen 
der  Liebe,  die  ich  sn  diesem  Herrn  empfand,  und  wegen 
seiner  trefflichen  Eigenschaften ;  und  diese  machen  mich 
glaubeu,  dass  das  Ende  dem  guten  Leben  desselben  Herrn, 
entsproohen  bat.  Er  wird  znm  Himmel  angestiegen  sem, 
um  dort  den  Lohn  seiner  guten  Thaten  zu  gemessen.  leb 
trsure  mit  Ihnen  um  den  Verlust,  und  ich  bin  sicher,  dass 
Sie,  nachdem  Sie  dem  Gefühl  seinen  Teil  gegeben  haben, 
sich  voll  Weisheit  dem  Willen  Gottes  fügen  werden,  der 
uns  entzieht,  was  sein  ist*  Sie  bleiben  der  Erbe  der  Güter 
des  Vaters,  und  werden  augleich  auch  der  Erbe  der  Liebe 
sein,  die  ich  fttr  diesen  Herrn  empfunden  habe:  sie  wird 
Kusammen  mit  derjenigen ,  welche  ich  noch  im  Besondeni 
für  Ihre  Person  hege,  ein  Capital  bilden  gross  genug,  um 
Sie  zu  befähigen,  über  mich  bei  allen  Ihren  Bedürfnisseu 
zu  Terfugen,  und  so  erbiete  ich  mich  Ihnen  in  besonderer 
Zuneigung,  ktoe  Ihnen  die  Hand,  und  erflehe  von  Gott 
Trost  für  Sie.*) 

Was  die  diplomatischen  Dienste  betrifft,  welche  Giam- 
battista  Crivelli  fast  ein  Menschenalter  hindurch  dem  Herzog 
von  Baiern  geleistet  hat,  so  geben  die  gesammelten  Corre- 
spondenzen  davon  Zeugniss,  aber  kein  vollstand^^  Niebt 
alle  Berichte  von  Rom  her,  noch  alle  Besoripte  dorthin 
sind  erhalten.    Die  Sammlung  ist  Iftekenhaft.  Manehe 


1)  Sigre^  —  Da  Hootoo  Ii  16.  di  Settembre  1627.  Per  eoü- 
j^ioerla  II  Doea  di  BsYieia  Elettore. 

2)  Holte  Uloatre  sig.  mio  oai*  ~  Da  Laoeabnig  6.  Nerbfo  1687 
D.  y.  S.  ILIU"  Air-  iervitor  Oio:  Conte  de  TfUj. 


Digitized  by  Google 


Gregorovius:  Die  beide^i  Crivelli. 


349 


Jabre  sind  sehr  dflrftif^  yertreten.  So  babe  icb  ans  dem 
Jahr  1625  nur  einen  einzigen,  von  1626  nur  drei  Depeschen 
Crivelli's  vorgefunden  ;  vom  Jahr  1627  gibt  es  df^reii  nicht  eine. 

Die  Sammlung  enthält  übrigens  keineswegs  nur  ein- 
•nüg  die  Berichte  des  Gesandten :  Tieles  andere,  was  durch 
dessen  Hände  gegangen  und  von  ihm  befördert  worden 
war,  ist  dort  abschriftlich  oder  in  Minuten  an  einer  Eate- 
goHe  vereinigt  worden.  Da  sieb,  wie  wir  gesehen  haben, 
auch  Briefe  durchaus  privater  Natur  in  ihr  vorfinden,  so 
ist  wol  die  gesammte  Kun/elei  der  Crivelli ,  nach  deren 
Tode,  nach  München  gebracht  worden.  Die  genannten 
Correspondenzen  rereinigen  Depeschen  des  Residenten,  Be- 
fehle des  Herzogs,  Rescripte  des  herzoglichen  Rats,  Berichte 
desselben  an  CriTelli,  nm  diesen  über  den  Grang  der  Dinge 
in  Dentscbland  zn  unterrichten,  Briefe  des  Herzogs  und 
Kurfürsten  an  den  Papst  und  die  Cardinäle ,  wie  umge- 
kehrt ;  Briefe  des  alten  Herzogs  Wilhelm ,  und  anderer 
Mitglieder  des  herzoglichen  Hauses.  Den  Schriftstücken 
aus  der  £poche  des  zweiten  Crivelli  (im  Bande  A.  1630 — 31) 
ist  sogar  eine  Reihe  der  an  Maximilian  gerichteten  Brevia 
Apoatolica  vom  J.  1619  bis  1631  abschriftlich  beigefSgt 
worden,  also  der  Pftpste  Paul  V.,  Gregor  XV.  und  Urban  Vni. 
Es  finden  sich  ferner  mehrere  Briefe  Tilly's  und  seines 
Neffen  an  Crivelli.  Wir  sahen,  welches  freundschaftliche 
Verbältniss  Tilly  zu  Giambattista  unterhalten  hat.  Von 
seinen  Unternehmungen  machte  er  bisweilen  dem  Resi- 
denten Meldung.  Als  er  den  grossen  Sieg  bei  StadUoo 
fiber  Christian  Ton  Brannschweig  erfochten  hatte,  beauf- 
tragte er  Crivelli  in  einem  Brief  yon  dort  am  9.  August  1628« 
das  dem  Papst  knnd  zu  geben,  und  ihm  zu  berichten,  dass 
von  den  Feinden  6000  Mann  gefallen,  4000  gefangen  seien. 
Es  finden  sich  ferner  Empfehlungsbriefe  Miixiniilian'.s  fÖr 
nach  Hom  reisende  Deutsche ;  so  einmal  solche  an  den 
Papst  Paul  V.  und  den  Cardinal  Borghese  Yom  24.  April  1616, 
£l880.l«Phil.-pbiL  hlit.  Ol.  Hd.  L  8.J  28 


r 

Digitized  by  Google 


350  Nachtr.  s.  Sitzung  der  histor,  Claaae  vom  3.  Januar  1880, 

wo  dor  TTfrzofT  zwei  Yerwaiulio  Wallensteins,  die  böhmischen 
Barone  HudoU  und  Maximilian  dringend  empfiehlt.  Auch 
liegt  das  Breve  jenes  Papstes  Tom  26.  Juni  an  Maximilian 
bei,  worin  er  dem  Herzog  zn  wissen  gibt,  dass  er  ihm  so 
Liebe  die  beiden  BrQder  Wallenstein  gern  empfangen  habe. 

Auch  als  Aijenten  für  Aukäufe  von  Kunstgogeuständen 
hat  sich  Maximilian  des  Crivelli  bedient.  Die  Correspon- 
denzen  enthalten  darüber  hie  und  da  Nachrichten,  welche 
dem  Knnsthistoriker  in  Bezog  auf  die  Entstefanng  der 
mflnchener  Samminngen  von  einigem  Wert  sein  kSnneii« 
So  trug  Maximilian  seinem  Residenten  in  Rom ,  am  2.  Ja- 
nuar IG  13  aid',  für  ihn  Gemälde  von  Michel  Angelo, 
Rafael  und  ihren  Zeitgenossen  anzukaufen i  und  Crivelli 
schickte  ihm  eine  Liste,  worin  er  Bilder  toxi  Ghirlandi^o, 
Perngino,  Sebiastiano  dal  Fiombo,  Masaceio,  Andrea  del 
Sarto,  und  andern  Meistern  als  in  Betracht  kommend  aof- 
fiihrte.  Ein  anderes  Mal,  am  12.  Sept.  1613,  schreibt  ihm 
Maximilian,  dass  er  die  Zusendung  der  Statue  des  Bacchus 
erwarte,  ehe  die  kalte  Jahreszeit  eintrete. 

Bei  dieser  Gelegenheit  ist  auch  fnr  die  Geschichte  der 
Mnsik  am  herzoglichen  Hof  zn  München  die  Bemerkmg 
wertvoll,  dass  Maximilian  in  demselben  Jahre  1613  einen 
Nachkommen  des  berühoiteu  Orlando  di  Lasso,  welcher  als 
Kapellmeister  des  Herzogs  Wilhelm  am  14.  Jani  1594  in 
Manchen  gestorben  war«  in  Rom  stndiren  liess.  Dies  wu 
Ferdinando  di  Lasso.  Der  grosse  Tonsetzer  hatte  zwei 
talentvolle  Söhne,  Ferdinand  und  Rudolf,  beide  in  der 
Münchner  Capelle  angestellt;  da  der  erste  im  Jahr  1609, 
Rudolf  aber  1625  starb,  so  kann  der  in  den  Correspondenzen 
genannte  Ferdinando  nur  Orlando's  Enkel  sein,  welcher  im 
Jahr  1636  gestorben  ist.  Maximilian  hatte  ihn  nach  Bon 
geschickt,  um  unter  dem  Maestro  Suriano  sich  anszubildeiL 
Der  Herzog  forderte  ihn  nach  München  ab,  verlängerte 
aber  seinen  Aufenthalt  in  Rom  um  drei  Monate.  Dies 


Digitized  by  Google 


Gregorovius:  Die  beiden  CriveUi;  .  351 

geht  ans  folgendem  Schreiben  an  Crivelli  vom  24.  Juli  1613 
hervor:  „Aus  Ihrem  Brief  vom  6.  habe  ich  vernommen, 
welche  Fortschritte  dort  Ferdinando  Lasso  in  der  Musik 
macht,  und  dass  er  jetzt  im  Stande  ist  zurückzukommen 
und  Dienste  zu  leisten,  sobald  er  noch  drei  Monate  sich  in 
Rom  wird  aufgehalten  haben,  um  Allegro-Compositionen  in 
modernem  Stil  zu  machen ,  nachdem  er  bisher  sich  mit 
ernsten  beschäftigt  hat.  Ich  sage  Ihnen  deshalb,  dass  ich 
zufrieden  bin,  ihn  noch  die  genannten  drei  Monate  dort  zu 
lassen,  damit  er  sich  so  viel  als  möglich  zu  vervollkommnen 
suche  nicht  allein  im  Componiren,  sondern  auch  in  der 
Ausübung,  und  Concerte  zu  zwei,  drei  und  mehr  Chören 
zusammensetze.    Dann  mag  er  hierher  zurückkehren". 

Es  liegt  ein  Brief  desselben  jungen  Lasso  an  Conrad 
Buchler  vor,  den  Kammerdiener  des  Herzogs,  vom  23.  Au- 
gust 1613,  worin  er  um  Reisegeld  bittet. 

Im  Ganzen  bedarf  es  kaum  der  Bemerkung,  dass  man 
von  unsern  Correspondenzen  keine  Aufschlüsse  über  die 
wichtigsten  politischen  Ereignisse ,  ihre  Ursachen  und  ge- 
heimen Triebfedern  erwarten  darf.  Der  Resident  war  inner- 
halb seiner  amtlichen  Sphäre  in  sie  nicht  eingeweiht,  viel- 
mehr in  allen  Angelegenheiten  der  grossen  Politik  nur  der 
beim  Papst  beglaubigte  Vermittler  und  Depeschenträger. 
Er  führte  bei  ihm  ausserordentliche  Boten  seines  Herrn 
ein.  So  war  der  Baron  Wilhelm  Fugger  im  April  1623 
nach  Rom  geschickt  worden,  den  Papst  um  die  Bestätigung 
der  zu  Regensburg  auf  Maximilian  übertragenen  Kur 
za  bitten,  und  CVivelli  hatte  diesen  Abgesandten  in  sein 
eigenes  Haus  aufgenommen. 

Dafür  dankte    ihm  Maximilian  in  einem  Brief  aus 
München  am  26.  April.    Zuvor  hatte  ihm  der  neue  Kur- 
fürst aus  Regensburg  am  25.  Februar  geschrieben,  dass  er 
■  an  diesem  Tage  öfifentlich   mit  der  Kur  investirt  worden 
jei.   Er  gebe  davon  dem  Papst  und  dem  Cardinal  Ludovisi 

23* 


Digitized  by  Google 


352    Nachtr.  z.  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Januar  1880. 

Nacbricht:  diese  Briefe  solle  Crivelli  ihnen  mit  Compli- 
menten  überreichen  nnd  den  Dank  ausdrücken,  welchen  er, 
Maximilian,  dem  heiligen  Stül  für  alles  dasjenige  schulde, 
was  derselbe  in  dieser  Angelegenheit  gethan  habe.  Sodann 
solle  er  die  beiliegenden  Briefe  an  einige  CardinUle  abgeben, 
und  andere  noch  nicht  mit  Adressen  versehene  Schreiben 
an  solche  Cardinäle  adressiren,  von  denen  er  glaube,  dass 
sie  in  dieser  Sache  wol  gesinnt  seien.  Vom  1.  März  1623 
findet  sich  auch  ein  Brief  Aurelio  Gigli's  aus  Regensburg 
an  Crivelli  vor,  worin  er  die  Feierlichkeit  der  üebertragung 
der  Kur  ausführlich  beschrieben  hat. 

Dieser  eine  Fall  mag  für  viele  andere  von  ähnlicher 
Bedeutung  znm  Beweise  dienen,  dass  aus  den  Correspon- 
denzen  keine  wirklich  diplomatischen  Aufschlüsse  zu  ge- 
winnen sind.  Es  ist  selten,  dass  sie  in  dieser  Hinsicht  so 
viel  Licht  verbreiten,  wie  einmal  jene  Audienz  Crivelli's 
beim  Papst  in  Bezug  auf  die  römische  Königswahl  Ferdi- 
nands III.,  von  der  ich  in  meiner  Schrift  „Urban  VIII.  im 
Widerspruch  zu  Spanien  und  dem  Kaiser"  Mitteilung  ge- 
macht habe.  Es  findet  sich  auch  der  undatirte  Entwurf 
eines  Schreibens  Maximilians  an  Crivelli  vor ,  auf  Veran- 
lassung des  Todes  des  Kaisers  Mathias ;  der  Herzog  befiehlt 
seinem  Residenten,  Gerüchten,  die  entstehen  könnten,  dass 
er  nach  der  Kaiserkrone  strebe,  entgegen  zu  treten,  denn 
er  wünsche  nichts ,  als  die  Wahl  des  Königs  Ferdinand. 
Bisweilen  haben  die  Correspondenzen  ein  locales  und  zu- 
gleich chronologisches  Interesse;  so  gibt  es  drei  Briefe 
Maximilians  aus  dem  böhmischen  Kriege;  aus  Linz  vom 
21.  Aug.  1620,  aus  Greilenstein  vom  10.  Sept.,  aus  Bud- 
weis  vom  24.  Sept.;  aus  dem  Lager  vor  Pilsen  vom  24.  Oc- 
tober  1620.  Aus  Prag  findet  sich  keiner  vor,  nach  der 
Rückkehr  von  dort  einer  aus  München,  vom  16.  Dec.  1620. 
Alle  diese  Briefe  sind  ohne  politischen  Inhalt,  nur  jener 
aus  Linz  datirte  ist  merkwürdig,  weil  Maximilian  darin 


Greffonmm:  Die  beiden  CrineUi, 


353 


Crivelli  befiehlt,  dem  Papst  vorzustellen,  dass  die  über  ihn, 
dea  Herzog,  ausgespreogten  Gerüchte  falsch  seien,  wonach 
«r  so  den  Kriegskosten  nicht  den  dritten  Teil  dessen  bei- 
getragen  haben  sollte,  was  der  Bischof  von  Augsburg  ge- 
leistet habe.  Vielmehr  sei  sein  Beitrag  grosser,  als  dessen* 
ganzes  Bistum  wert  sei;  er  allein  habe  die  Munition  ge- 
liefert, uud  überhaupt  einen  ungehtjureu  Kostenaufwand  be- 
stritten. Er  kenne  die  Person,  welche  dergleichen  Gerüchte 
aussprenge;  es  sei  dies  Kemboido,  ein  Auditor  der  Rota. 

Es  gab  andere ,  zumal  viele  kirchliche  Beziehungen 
fiaiems  seur  rSmischen  Curie,  wobei  der  Resident  seine  amt- 
liehe  Stellung  toII  zur  Geltung  zu  bringen  hatte.  Nur 
hefläufig  erinnere  ich  auch  an  den  bekannten  Prozess, 
welchen  Maximilian  gegen  Bzovius,  den  Fortsetzer  der  An- 
nalen  des  Baronius,  auf  Grund  seiner  Verunglirnpfun^j  des 
Kaisers  Ludwig  des  Baiern  bei  der  römischen  Curie  be- 
trieben hat.  Die Correspondenzen  enthalten  über  diese  An- 
gelegenheit eine  grosse  Reihe  von  Rescripten;  sie  ziehen 
rieh  Tom  Jahr  1623  bis  1628  hin,  und  wurden  besonders 
lebhaft  geffihrt,  als  der  Sohn  Giambattista's  die  Stelle  des 
Rebideoten  erhalten  hatte. 

II. 

Francesco  Crivelli  wurde  der  Nachfolger  seines  Vaters, 
zuerst  als  diplomatischer  Agent;  in  dieser  Eigenschaft  hat 
ihn  der  ^  bairische  Kurfürst  durch  ein  Schreiben  vom 
11.  Kot.  1627  beglaubigt.  Die  stürmische  Zeit,  welche 
bald  darauf  Maximilian  selbst  in  die  geföhrlicbsten  Con- 
flicte  und  Katastrophen  verwickelte,  gab  der  Stellung 
Francesco's  in  Rom  eine  viel  grössere  Wichtigkeit,  als  sie 
diejenige  seines  Vaters  gehabt  hatte.  Ich  meine  die  mass- 
losen  Uebergriffe  des  Kaisers  nach  der  Besiegung  der  Pro« 
testanten  und  ihres  Führers,  des  Danenk&nigs;  die  Um- 
sturz-Plftne  Wallensteins  im  Reich ;  den  feindlichen  Gegen- 


854   Nachtr.  z.  Süzung  der  histor.  Glosse  vom  3,  Januar  ISSO. 

satz  des  Papstes  Urban  VIIT.  zum  Hause  Habsburg;  seine 
Verbindung  mit  Frankreicb,  in  welche  der  mit  dem  Kaiser 
gespannte  Kurfürst  von  Baiern  hineingezogen  wurde;  end- 
lich die  Inmioii  Gustav  Adolf  *8  mit  allen  ihren  die  Ver- 
hältnisse Dentschlands  und  der  andern  Machte  nmwiUsendai 
Folgen. 

In  dieser  Epoche  bat  Francesco  Crivelli  seine  Gescb'afte 
bei  der  Curie  mit  solchem  Eifer  geführt,  dass  der  Kurfürst 
ihn  als  einen  seiner  trenesten  Diener  geehrt  nnd  bis  za 
seinem  Tode  mit  Wolwollen  ansgezeicbnet  hat.  Als  BeToU- 
mSchtigter  desjenigen  deutschen  Fürsten,  welcher  das  Haupt 
der  kutboliscben  Liga  war  und  durch  sein  politisches  Talent 
fast  die  Bedeutung  einer  europäischen  Macht  erlangt  hatte, 
war  Crivelli  ein  sehr  angesehener  Mann  in  Rom.  Au« 
Schmeichelei  für  Maximilian  machte  Urban  VUL  diesen 
seinen  Agenten  an  seinem  Kammerer,  nnd  der  KnrHM 
dankte  dem  Papst  dafür  durch  eiu  Schreiben  vom  8.  Fe- 
bruar 1629. 

Aber  erst  im  Jahr  1632  erfolgte  die  Ernennung  Fran- 
cesco's  zum  wirklichen  Residenten  Baiems  am  papstlieheii 
Hof,  wie  es  sein  Vater  gewesen  war.  Diese  Erhebnog  Ter- 
dankte  er  der  FSrsprache  seines  besondern  Gönners,  des 

Staatssecretärs  Barberini.  Am  16.  Juni  schrieb  Maximiliau 
vom  Lager  vor  Regensburg  an  diesen  Cardinal,  ihm  kand 
zu  geben ,  dass  er  seiner  Empfehlung  wiUiifthre.  Mehr  als 
vier  Jahre  lang  hatte  also  der  Enrfilrst  mit  diesei*  Emeiui- 
nug  gezögert,  wol  eher  ans  Vorsicht  nndEluglicit,  als  wegen 
seiner  immerhin  Übeln  finanziellen  Lage  aus  Sparsamkeit 
Der  Resident  trat  jetzt  in  den  Rang  wirklicher  Gesandten, 
nnd  musste  fortan  seinen  Herrn  mit  entsprechendem  An- 
stand Tertreten* 

Am  10.  Jnli  1632  schrieb  er  an  Anrelio  Oigli:  er 
dankte  für  die  ihm  zugekommene  Ernennung:  jetzt  müsse 
er  ihr  gemäss  auftreten ,   und  eiuen  Palast  [halten,  & 


Digitized  by  Google 


Grefforovm:  Die  "beiden  Crwdli, 


355 


bnnclie  sechs  Bediente  (siafiieri),  deDn  so  yiel  habe  der 
Minister  eines  selbständi^^en  Fürsten  n5tig;  der  Gesandte 
des  Herzogs  von  Modena  halte  deren  noch  mehr.  Jährlich 
werde  er  200  Scadi  fUr  Livreen  ausgehen  müssen.  Er  be- 
üupmdie,  dass  man  fortan  in  Briefen  der  Titnlator  Vos- 
agnoria  das  lUostre  binKoflSge,  seines  Ranges  wegen,  wenn 
er  in  ihn  gerichtete  Briefe  vorzazeigen  habe.  Er  schrieb 
nochmals  an  deniselhen  Tage  dringend  nm  Unterstützung, 
da  er  als  Resident  eines  so  grossen  Kurfürsten  nicht  über 
die  Achsel  angesehen  werden  wolle.  Er  führte  als  Beispiel 
den  Besideliten  des  Erzherzogs  Albert  Ton  Flandern  an, 
wdeher  seines  grösseren  Aufwandes  wegen  mit  mehr  Ehr- 
erbietung behandelt  werde. 

Es  folgten  hintereinander  Briefe  desselben  Inhalts, 
dringende  Forderungen  um  Zaschuss;  er  werde  nicht  so 
oft  dämm  sollicitiren,  wie  es  sein  verstorbener  Vater  gethan 
babe  —  aber  er  brauche  Geld,  nm  seinen  Anfoog  (ingresso) 
als  Resident  zn  halten. 

In  München  fand  m;in  solche  Ansprüche  zu  hoch;  der 
Foisi  Ton  Zollern,  welcher  das  dortige  Cabinet  leitete, 
wies  sie  ab,  und  Crivelli  beklagte  sich  beim  kurfürstlichen 
Bai  Aorelio  Gigli,  dass  jener  ihm  den  gebarenden  Titel 
rnnstrissimo  nicht  gegeben  habe ,  den  ihm  doch  mehrere 
Owdinäle  in  Briefen  nicht  versagt  hätten.  Man  halte  sechs 
Bediente  für  Luxu-^;  es  gebe  aber  keinen  Cardinal,  der 
weniger  als  acht  habe;  der  Gesandte  Savoieus  halte  deren 
ng»  zehn«  Als  sein  Vater  Giambattista  znm  Residenten 
cnaut  wnrde,  habe  man  ihm  die  Livree  bezahlt,  nnd  noch 
Mann  eine  mit  Rammt  ansgeschlagene  Kutsche;  auch  habe 
er  dann  and  wann  vom  Hof  Zuschüsse  erhalten.  Der  Fürst 
Toa  Zollern  besitze  keine  Kenntniss  vom  Wesen  des  rö- 
■iuhm  wenn  er  die  Kleinigkeit  von  ein  paar  hundert 
Seaii  dem  Residenten  des  KnrfBxsten  Terweigere  nnd  dap 
hgA  6m  Ana^  seines  Gebieters  mindere.   Mein  Herr 


« 

356  Noihtr.  m.  SUmmg  dtr  Uttor.  Clam  wm  3,  Jatmar  1890, 

und  Gönner,  so  schrieb  Crivelli  an  Gigli,  die  Zeiten  sind 
vorüber,  wo  Bertha  8pann  (padron  mio,  non  d  pin  ütempo 
che  Berta  filava). 

Nach  vielen  eindringlichen  Vorstellungen  erfolgte  end- 
lich ein  Rescript  Maxim iliaua,  wodurch  seinem  Residenten 
der  bisherige  Gebalt  verdoppelt  vrurde:  er  erhielt  jährlich 
600  Scadi,  was  900  Gulden  gleichkam;  nnd  ansserdem 
100  Scndi  f&r  Livreen. 

leb  kann  leider  nicht  mitteilen,  in  welcher  Form  nnd 
mit  wie  viel  Pomp   der   wackere  Gesandte  seine  solenne 
Auffahrt  zum  Vatican  gehalten  hat.    Seinen  Rang  hat  er 
immer  mit  Festigkeit  zu  behaupten  gewusst,  und  das  war 
qicbt  leicht  in  jener  Zeit  der  peinlichsten  Etikette  nnd  des 
best&ndigen  Streites  nm  Rangan sprncbe  nnter  Diplomaten, 
Höflingen  und  Grossen.  Der  römische  Hof  bot  gerade  nnter 
Urban   VIII.   ein  weltbekanntes  Beispiel   davon  dar ,  in 
jenem  durch  lange  Jahre  nicht  nur  dort,  sondern  an  vielen 
^   Höfen  Enropa's  fortgesetzten  Streit  nm  den  Bang,  welchen 
des  Papsts  Neffe  Don  Taddeo  Barberini  als  Stadtprileefc 
beanspmchie.   Auch  nnser  Crivelli  kam  in  einen  Gonfliefc 
solcher  Art  mit  dem  Cardinal  Gasparo  Borgia,  dem  ordent- 
lichen Botschafter  des  Königs  von  Spanien  in  Rom,  welcher 
wegen  seines  bekannten  im  Consistorinm  gegen  den  Papst 
erhobenen  Protestes  mit  diesem  im  heftigsten  ZerwQifiiiai 
lebtet  und  schon  ans  politischen  Ursachen  den  Yertreker 
des  Kurfürsten  von  Baiem,  den  entschiedenen  Günstling 
der  Barberini,  geringscbätzig  behandelte.  Der  Brief,  welchen 
Crivelli  in  dieser  Angelegenheit  am  24.  Februar  1635  an 
den  Bat  Gigli  geschrieben  hat»  ist  angleich  ein  h5fischei 
Sittengemalde,  nnd  daram  der  Mitteilung  wert: 

Damit  Sie  bei  guter  Gelegenheit  den  DarehlanchtigsteD 
Kurfürsten  unsern  gemeinsamen  Herrn  von  dem  unterrichten 
können ,  was  zwischen  dem  Botschafter  des  Königs  von 
Spanien  und  mir  vorge&Uen  ist,  will  ich  Ihnen  alles  ge» 


Digitized  by  Google 


Gregorovius:  Die  beiden  Crivelli. 


357 


treuliebst  melden.  Als  ich  im  Namen  Sr.  Diirchl.  Hoheit 
das  erste  Mal  Se.  Eminenz  zu  begrUssen  ging,  kam  er  mir 
nicht  so  weit  entgegen  als  schicklich  war,  sondern  er  be- 
handelte mich  als  einfachen  Cavalier.  Im  Gespräch  nannte 
er  niemals  den  Durchlaucht.  Kurfürsten  als  solchen,  sondern 
er  sprach  immer  nur  schlechtweg  vom  Herzog.  Zum  Bei- 
spiel: wie  geht's  dem  Herzog  -  der  Herzog  hat  das  und 
das  getban  —  ohne  je  vom  Titel  Hoheit  Gebrauch  zu 
machen.  Beim  Hinausbegleiten  behandelte  er  mich  so  ge- 
ringschätzig, da«s  ich  sagen  kanu,  er  betrachtete  mich  aus-  ^ 
schliesslich  als  eine  Privatperson.  Ebenso  und  noch  schlimmer 
verfuhr  er  mit  mir  bei  meinem  zweiten  Besuch,  welchen 
ich  ihm  unter  der  mir  vom  Jesuitenpater- Assistenten  Por- 
tugals gegebenen  Versicherung  machte,  dass  der  Uotschafter 
ihm  erklärt  habe,  mich  meinem  Range  gemäss  zu  behandeln. 
Er  bat  mir  niemals  den  Besuch  erwiedert,  wie  die  andern 
Botschafter  des  Kaisers  und  der  Könige  so  zu  thun  ge- 
wohnt sind;  und  doch  habe  ich  trotz  solcher  Behandlung 
versucht ,  ihn  mit  allerlei  Beweisgründen ,  auch  mit  dem 
Beispiel  der  andern  spanischen  Bevollmächtigten ,  zur  Ver- 
nunft zu  bringen,  doch  das  hat  nichts  gefruchtet. 

Als  ich  Sr.  Eminenz  in  der  Stadt  begegnete  und  nicht 
anhielt,  hat  er  mir  durch  eine  dritte  Person  sagen  lassen, 
er  halte  es  für  schicklich,  dass  ich  bei  seiner  Begegnung 
anhalte.  Da  habe  ich  dem  Boten  geantwortet,  das  Anhalten 
sei  kein  Act  der  Pflicht,  sondern  nur  der  Artigkeit,  und 
ich  sei  nicht  in  der  Lage  solche  dem  Botschafter  zu  er- 
weisen, der  mich  misshandelt  habe.  Da  ich  vor  meiner 
Ernennung  zum  Residenten  nicht  gewohnt  gewesen  sei  vor 
den  Botschaftern  Spaniens,  Frankreichs  und  des  Kaisers 
stehen  zu  bleiben ,  so  dürfe  ich  solche  Complimente  jetzt 
um  so  mehr  unterlassen,  als  ich  meine  gegenwärtige  Stell- 
ung einnehme.  Der  Bote  fand  sich  von  meinen  Gründen 
nicht  nur  befriedigt,  sondern  er  wunderte  sich  auch  über 


r 


358    Nachtr.  z.  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Januar  1880. 

solches  Verfahren  mit  mir ,  ja  er  erbot  sich  mir  jede  ge- 
bührende Genügthüung  zu  verschafifen,  obwol  das  zu  nichts 
geführt  hat. 

Nun  aber  hat  mir  der  Botschafter  durch  einen  Andern 
wissen  lassen,  er  werde  mich,  wenn  ich  in  Zukunft  nicht 
vor  ihm  stehen  bleibe,  dazu  mit  Gewalt  nötigen.  Darauf 
habe  ich  geantwortet ,  das  sei  nicht  die  Art  mit  meines 
Gleichen  umzugehen;  ich  erkenne  in  Rom  niemand  über 
mir  als  den  Papst  und  den  Cardinal  Barberini ;  der  Bot- 
^  schafter  sei  Minister  seines  Königs,  wie  ich  der  meines 
Fürsten;  nur  die  Titel  Botschafter  und  Resident  seien  ver- 
schieden; ich  sei  dessen  sicher,  dass  er  wol  überlegen 
werde,  was  er  zu  thun  habe,  wonicht,  so  werde  ich  ihm 
gebührlich  zu  dienen  wissen.  (Wir  audern  nennen  das 
freilich  spanische  Bravaden ,  und  wissen  schon  was  man 
davon  zu  halten  hat.) 

Seither  sind  wir  einander  nicht  mehr  begegnet,  ausser 
in  der  vorigen  Woche  am  Dienstag  auf  dem  Corso,  wo  ich 
meinen  Platz  genommen  hatte,  das  Rennen  um  das  Palium 
Urbino's  mit  anzusehen.  Obwol  ich  dort  mit  meinem 
Wagen  hielt,  so  haben  doch  im  Vorüberfahren  die  Bot- 
schafter des  Kaisers,  Frankreichs,  Savoiens  and  die  Cardi- 
näle  alle  still  gehalten  um  mich  zu  begrüssen ;  als  aber  der 
von  Spanien  vorbeikam,  hat  er  nicht  allein  nicht  stillge- 
halten ,  sondern  nicht  einmal  meinen  Gruss  erwiedert. 
Freilich  war  er  unbedeckten  Hauptes  wegen  der  Grüsse, 
die  er  von  Andern  empfing;  doch  der  Cardinal  Barberini 
erhob  sich  so  bald  er  an  mir  vorüberfuhr. 

Zuvor  bin  ich  immer  mit  Geschicklichkeit  jeder  Ge- 
legenheit zum  Verdruss  aus  dem  Wege  gegangen.  Ich  will 
nicht  wiederholen ,  wie  eifrig  ich  mich  bemüht  habe ,  die 
Sache  mit  dem  Botschafter  auf  ehrenhafte  Weise  beizulegen, 
denn  davon  habe  ich  Sie  bereits  in  Kenntniss  gesetzt.  Als 
ich  dem  Cardinal  Deila  Cneva  die  Prätensionen  des  Bot- 


QngarmsiuB:  Di€  beiden  CrieeüL 


359 


«iiafters ,  der  mir  aaf  so  schöne  Art  gebieten  will ,  aas» 
wiiMiiT  setzte,  entgegnete  er  mir,  das  seien  Excesse,  die 
ihn  wighwblieb  sekienaL  Aber  der  Herr  Cardinal  Bar- 
beiiui  vBd  der  JesinteiigeBeral  mad  tob  der  Wahriieifc  meiner 
AMuagcn  ilbeneogt;  sie  nOgen  orteilen,  wer  Ton  uns  Ün- 
JwAt  bat.  üm  diese  Spanier  zufrieden  zu  st^'lI.Mi .  KHebe 
nichts  anderes  übrig,  als  tlie  AdoratioQ.  flier  wir-l  alles 
and  jedes  genau  abgewogen ,  and  besonders  von  ümea 
selbst ;  je  nach  der  Person  richtet  sich  die  Art  sie  an  be» 
inrndein.  Begehoi  nnn  die  Grossen  in  dieser  Hinsicht  eine 
OnliilnsBiiHg  t  80  Ibigen  ihrem  Beispiel  aneh  die  mUr 
ihrsB  Bange  stehenden;  imd  so  wird  die  Person  desjenigen, 
der  sicii  inis.shandeln  liisst .  Ton  allen  missachtet.  Wenn 
ich  so  extravagant  -ein  wollte,  wie  'iieaer  R^^i'lent  Lothringens 
hier,  welcher  beanspracht  mir  nicht  nachzustehen  and 
flftMfclich  behauptet,  dass  sein  Fürst  nnserm  DnrchL  Enr^ 
fiistes  giflieh  sei,  so  wttrde  ieh  Tadel  Terdienen,  aber  iek 
bin  ni—Mila  ans  den  mir  gebührenden  Schranken  heraus- 
getreten, leb  habe  nie  die  Rechte  überschritten,  die  mir 
znkomnien,  and  verweigere  sie  daher  auch  andern  nicht: 
ich  lasse  den  Residenten  Polens  und  rugarns  stets  den 
Vortritt.  Immer  habe  ich  alles  mit  dem  Herrn  Cardinal 
Bvbcrini  besprochen,  nnd  dieser  weiss,  ob  mdne  Ansprüche 
gendkfc  mod  oder  nieht.  Aber  fiir  mne  gewisse  Art  Yon 
üsnadien,  die  über  alle  hinans  sein  wollen,  ist  rnrechtthon 
in  ihrer  Weite  eine  Tugend,  tmd  R^fatthnn  nach  anderer 
Weise  eine  ^^ünde.  Damit  will  icn  memen  Discurs  schüessen; 
das  übrige  srhr^^ih^  irh  in  Ziffern*''. 

Die  Corresponi lenzen  Francesco  Criveili'i  umfatw^en 
die  Epoebe  fmn  Jahre  1628  bis  xmn  Jnni  165!).  ^ie  haben 
dnrAaoi  die  5l«tnr  jener  seines  Vaters  mid  yon^ngers, 
dsn  wie  diese  enthatten  aneh  sie  Tielerlet  Schriftstücke, 
weUe  durch  die  Hände  des  Residenten  sregangen  waren. 
Wenn  sie  aiich  dann  mit  dem  Charakter  jener  uberein- 


r 


Digitized  by  Google 


360  Naehtr,  «.  SÜMung  der  Mstor,  (Hasse  vom  3,  Januar  1880. 

stiminen,  dass  aus  ihnen  keine  An&ehlüeee  Aber  das  Ge- 
webe der  innersten  Politik  Ifaximilians'ond  seiner  Besieh- 

ungen  m  den  am  dreissigjäbrigen  Krieg  beteiligten  Maehten 
zu  erwarten  sind,  80  habe  ich  doch  schon  bemerkt,  dass  sie 
wegen  der  Epoche  selbst  mehr  diplomatische  Wichtigkeit 
haben  nnd  auch  reichhaltiger  sind,  als  die  Correspondenien 
aas  der  Zeit  Giambattista's. 

Um  von  ihrem  Inhalt,  wenigstens  in  ihren  ersten 
Partien  einen  Begriff  zu  geben,  will  ich  der  Reihe  nach 
Einzelne«  hervorheben.  ' 

Den  Anfang  macht  mit  dem  5.  Januar  1628  ein  Be- 
fehl des  Kurfürsten  wegen  Betreibung  des  Prozesses  wider 
Bzovius,  durch  Vermittlung  des  Gardinais  Gremona. 

Es  folgen  Tiele  Briefe  Maximilians  die  Reform  der 
Franziskaner  in  Baiern  betreffend. 

Es  folgen  Schreiben  you  Personen  des  kurfürstlichen 
Hanses  an  Griveili,  so  vom  Herzog  Albert,  dem  Bruder 
Maximilians,  nnd  von  der  Herzogin  BCathilde,  seiner  Ge- 
malin,  einer  Tochter  des  Landgrafen  Georg  Ludwig  tob 
Leuchtenberg.  Mathilde  verlaugte  50  Indulgeuzen  vom 
Papst,  wie  solche  vor  Jahren  ihr  Schwiegervater,  der  Herzog 
Wilhelm,  erhalten  habe,  zu  ihrem  eigenen  Trost,  nnd  qid 
^sie  an  ihre  Kinder  und  andere  Personen  zu  verteilen.  Die 
Sache  machte  Schwierigkeiten;  nur  20  bidnlgenzen  ver- 
mochte GrivelH  zu  erlangen ,  und  damit  begnügte  sieh  die 
Herzogin.  Auch  vom  alten  Herzog  Wilhelm  üuden  sich 
nicht  wenige,  eigenhändige  Briefe. 

Am  30.  März  1628  schickte  Maximilian  an  Crivelli 
ein  Pack  SchriftstQcke  der  Katholiken  Englands;  er  solle 
sie  dem  Pa|>Bt  und  dem  Gardinal-Nepoten  Übergeben,  und 
ihnen  die  vernachlässigten  Interessen  jener  Glaubensgenossen 
dringend  empfehlen  ;  er  erinnere  au  den  Sprach;  affiictis 
non  est  addenda  afilictio. 

Mit  demselben  Jahre  1629  bepnnen  die  politisehoi 


Digitized  by  Google 


Gregorovius:  Die  beiden  Crivelli. 


361 


Verwicklungen  in  Folge  des  mantuanischen  Erbfolgekrieges  — 
die  Spannung  des  Papstes  zu  den  beiden  habsburgischeu 
Dynastieii  Spanien  und  Oesterreich  vergrössert  sich:  der 
Korfnnt  wird  in  dieselbe  hiDeingesogen :  denn  Frankreich 
imd  der  Papst  bemühen  sich  ihn  Ton  den  Interessen  des 
Kaisers  abzutrennen,  um  der  Uebermacht  des  Hanses  Habs- 
burg durch  Baieru  einen  Damm  entgegenzustellen.  Alle 
diese  Vorgänge,  die  sich  durch  mehrere  Jahre  hinziehen, 
rsAectiren  sieh  in  den  Oorrespondencen  —  ich  habe  davon 
bereits  Gebmneh  gemaohit  nnd  kann  daher  anf  nieine  diese 
Angelegenheiten  betreffende  Schrift  verweisen.  Es  findet 
sich  ein  Schreiben  Maximilian^s,  aus  München  vom  13.  Juli 
1628,  an  den  Papst:  er  dankt  ihm  fUr  die  ihm  gemachte 
Kandgebnng  seiner  Freade  Ober  die  Siege  der  Katholischen 
ud  gans  im  Besonderen  fttr  den  T&terliohen  Glückwunsch 
nr  Besefamng  Ton  Stade.  Diesen  Ort  hatte  Tilly  am 
7.  Mai  1628  eingenommen:  siegreich  drang  die  Liga  gegen 
.  Norden  vor,  während  der  Kaiser  seine  Hand  auf  die  bal- 
tischen Küsten  legte.  Wallenstein  sich  bereits  in  den  Be- 
ats Meeklenbnrgs  gesetzt  hatte,  nnd  Stralsund  bedrängte. 
Die  Katastrophe  näherte  sieh.  In  Rom  wurde  OriTelli  vom 
hansösischen  und  yenetianischen  Botschafter  umworben, 
Qud  vom  Papst  geliebkost. 

Es  finden  sich  Depeschen  Crivelli's  ans  der  ersten 
HalAe  des  Jahres  1629  beafiglich  auf  den  Einspruch  des 
KurfÜisteu  Ton  Batern  als  Haupt  der  Liga  gegen  die  Be- 
«tenahme  der  den  Ph>testanten  «utrissenen  Stifter  in 
Niedersachsen  durch  den  Kaiser,  denn  diese  seien  durch 
Tillj  mit  den  Waffen  der  Liga  erobert  worden.  Von 
Xillj  selbst  liegen  mehrere  Briefe  an  Crivelli  aus  jenem 
und  dem  folgenden  Jahre  vor.  Er  schreibt  aus  Stade, 
•sbem  Hauptquartier;  er  empfiehlt  dem  Gardinabepoten 
die  Protection  der  Jesuiten  und  ihrer  drei  zu  gründenden 
Collegien  in  Verden,  Stade  und  LOneburg.    Er  fordert 


362  Nadar,  g.  SUxuttg  der  JuHar,  Clane  vom  3.  Jtamutr  1880, 

dringend  die  Erteilung  des  BistnniB  Verden  an  den  Biachol 

vou  Osnabrück,  was  auch  erfolgte.*) 

Am  O.März  1630  meldete  Crivelli  dem  Kurf  (Irsten  den 
Tod  des  bekannten  Padre  Domenico,  was  ein  grosser  Verlast 
fdr  jenen  sei. 

Am  25.  Marz  1630  eondolirte  Maximilian  dem  Papst 
wegea  des  Todes   seines  Braders  Don  Oarlo  Barberini 

Au  demselben  Tage  bittet  er  Urban  VIII.  um  die  Beatifi- 
cation  des  Papstes  Gregor  X.,  welcher  einst  Archidiaconus 
von  Lüttich  gewesen  sei,  und  dessen  Heiligsprechung  sein 
eigener  Bruder,  der  Kurfürst  von  Köln,  besonders  wOneehe. 

Mit  dem  Jahre  1630  werden  die  Gorreepondenzen  immer 
reichhaltiger.  Es  erfolgte  die  Katastrophe  auf  dem  Reichs- 
tage zu  Regeusburg  —  die  wichtige  Audienz  Crivelli's  wegen 
der  römischen  Königswahl ,  welche  dort  vereitelt  wurde, 
habe  ich  bereits  mitgeteilt,  wie  auch  Einiges»  was  den  ita- 
lienischen Frieden  betraf. 

Der  Rat  Aurelio  Gigli  hatte  den  Kurfürsten  nach  . 
Regensburg  begleitet;  von  dort  schrieb  derselbe  schon  am 
1.  Juli  au  Crivelli,  und  dann  weiter  noch  sehr  umständliche 
Berichte  vom  Kurfürstentage,  welche  aber  leider  jeder  poli- 
tischen Wichtigkeit  entbehren. 

Tilly  gab  aus  Regensburg  am  21.  Ootober  1630  dem 
Residenten  in  einem  Schreiben  Meldung  vou  dem  glück- 
lichen Abschluss  des  italienischen  Friedens,  und  Crivelli 
berichtete  am  2.  November  an  Gigli  über  den  Eindruck, 
welchen  dieser  FnedenaechliiaB  auf  den  b^lückten  Pftpst 
gemacht  habe. 

Es  folgten  Unterhandlungen  wegen  der  von  Maximilian 
geforderten  Unterstützung  der  katholischen  Liga,  in  der 


1)  Siehe  Über  diese  Aogelegeahelten  0.  Klopp  DasRestitiitioiisediet 
im  Bordwesiliehsn  Deatschhuid  io  „Feraebmigen  rar  deotsohai  Ge- 
seUehte"  L  1862. 


Digitized  by  Google 


ChregorwUu:  Die  beiden  CrweUi.  363 

Zeit  als  die  Inyasiou  des  Schwedenkönigs  alle  Yerhülinisse 
in  Deatschland  gewaltaam  änderte  nnd  deu  Kurfürsten  vor 
die  Alternative  stellte,  «ntweder  mit  Frankreich  and  Schweden 
lieh  %n  yertragen,  oder  sich  wieder  an  den  Kaiser  fest  an« 
«nschliesaen.  Doch  über  diese  wichtigen  Dinge  dürfen  wir 
in  den  Correspondenzen  keine  vertraulichen  Mittheilungen 
sncben.  In  derselben  Zeit  bemuhte  sich  Crivelli  eifrig  im 
Yatican  am  die  Unterstfitxung  der  katholischen  Liga;  er 
setste  aach  die  betrefienden  Erlasse  des  Papstes  darch  — 
dessen  Breve  an  den  Nuntius  in  Wien  von  9.  April  1631 
li^  in  den  Correspondenzen  vor. 

Zum  Zweck  den  Papst  günstig  za  stimmen,  scheint 
Maximilian  damals  dessen  Prätensionen  wegen  des  Ranges 
beförwortet  sa  haben,  "welche  er  f&r  seinen  mit  der  römischen 
Prafektnr  investirten  Nepoten  geltend  machte.  Es  findet 
sich  der  Entwurf  seines  Gratiilationsschreibens  an  diesen 
Don  Taddeo  Barberini  vor,  datirt  München  den  5.  Juni  1631, 
ond  die  Danksagnng  des  Präfecten  an  den  Kurfüsten  aas 
Born  Tom  9.  Aagast  1631.  Am  6.  September  richtete 
GriTelH  an  den  Rat  Gigli  and  noch  besonders  an  Maximilian 
Briefe  im  Namen  des  Papsts  und  des  Cardinais  Barberini, 
worin  er  bat  die  ßangansprüche  des  Stadtpräfecten  anzn- 
erkennen,  and  sie  beim  Kaiser  zu  befürworten. 

Daxaaf  besieht  sich  der  Entwarf  eines  Sehreibens  des 
Karförsten  an  GriTelli,  Hünehen  24.  September  1631,  worin 
derselbe  erklärt ,  dass  er  dem  Papste  zu  gefallen  sich  in 
diesem  Sinne  beim  Kaiser  verwenden  wolle.  Um  solche 
Erbärmlichkeiten  sezte  man  im  Vatican  die  Höfe  Earopa*8 
in  Bewegnng  in  derselben  Zeit,  wo  die  Siege  Grastav  Adolfii 
das  Reich  and  die  katholische  Kirche  in  die  iosserste  QeEBthr 
brachten. 

Der  Kurfürst  von  Baiern  hatte  am  8.  Mai  1631  den 
Schatzvertrag  mit  Frankreich  abgeschlossen  ;  man  erwartete 
grone  Dinge:  ein  Abkommen  mit  Schweden  selbst  Vielerlei 


Digitized  by  Google 


3f»4    Nmhtr.  z.  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Januar  1880. 

Gerüchte  waren  nach  Rom  gedrungen  —  die  spanische 
Partei  am  dortigen  Hof  tadelte  laut  den  Kurfürsten,  der 
sich  vom  Kaiser  abtrennen  wolle,  und  ihm  jede  Unterstütz- 
ung verweigere.  Schon  am  Ende  des  Jahres  1631  hatte 
Crivelh'  von  diesen  Reden  nach  München  berichtet.  Darauf 
schickte  ihm  Maximilian  am  29.  Januar  1632  eine  Infor- 
mation zu  seiner  Rechtfertigung,  mit  dem  Befehl  dieses 
Schriftstück  in  Rom  zu  verbreiten  und  namentlich  auch 
dem  Cardinal  Barberini  zukommen  zu  lassen. 

In  derselbe  Zeit,  am  Anfange  des  Jahres  1632,  steigerte 
sich  das  Zerwnrfniss  Spaniens  und  des  Reiches  mit  dem 
Papst,  der  diesen  Mächten  jede  weltliche  und  geistliche 
Unterstützung  gegen  den  Schwedenkönig  versagte ,  bis  zu 
dem  bekannten  Auftritt  im  Consistorium  am  8.  März,  wo 
der  spanische  Botschafter-Cardinal  Gasparo  Borgia  wider  das 
Verfahren  Urban's  öffentlich  Protest  einlegte.  Von  allen 
diesen  Vorgängen  findet  sich  auffallender  Weise  nichts  in 
den  Depeschen  Crivelli's.  Während  der  Katastrophe  im 
Consistorium  war  er  freilich  nicht  in  Rom  anwesend ,  da 
ihn  der  Kurfürst  nach  Florenz  geschickt  hatte,  dem  Gross- 
herzog von  Toscana  zu  condoliren,  dessen  Gemalin  die  Erz- 
herzogin Maria  Magdalena  gestorben  war.  Es  fehlen  daher 
die  Depeschen  Crivelli's  vom  7.  Februar  1632  ab,  wo  er 
noch  aus  Rom  berichtet  hatte,  bis  zum  20.  März  1632,  wo 
er  wieder  zurückgekehrt  war.  An  dem  genannten  Tage 
machte  er  dem  Rat  Gigli  einen  ausfuhrlichen  Bericht  von 
seiner  in  Florenz  ausgeführten  Sendung. 

Bald  darauf  brach  das  Verderben  über  den  Kurfürsten 
und  sein  von  dem  Schrecken  des  Kriegs  bisher  durchaus 
verschontes  Land  herein.  Nachdem  seine  unter  Vermittlung 
Frankreichs  mit  Gustav  Adolf  betriebenen  Unterband lungen 
wegen  der  Neutralität  abgebrochen  waren,  drang  die  schwe- 
dische Armee  südwärt«»  über  die  Grenzen  Baierns  vor. 

Für  die  Entwicklung  dieser  Katastrophe  bieten  zwar 


Qre§ofrwwa:  Die  heidm  OrivtBi,  365 

die  CbrresponddiiMn  kein  wom  Material  dar,  doob  laasea 

sie  den,  unter  allen  auch  den  peinlichsten  Verhältnissen,  fort- 
gesetzten Verkehr  des  Korfüxsteu  mit  seiuem  Kesideuteu  in 
fiom  veriolgeu. 

So  schreibt  ihm  Maximilian  am  14,  April  1632  vom 
Liger  am  Lech,  daea  er  sich  l&ngs  dieses  Elosses  mit  der  ^ 
Armee  befinde,  um  dem  SehwedenldSnig  den  üebergang 
zu  verwehren.  Nachdem  Gustav  Adolf  diesen  Uebergang 
io  dem  mörderischen  Kampf  bei  Rain  sich  erzwungen 
hatte,  wo  der  greise  Tilly  zum  Tode  verwundet  wnrde,  nnd 
Maiimilian  sich  in  das  feste  Ingolstadt  snrnckgesogen 
batte,  schrieb  er  von  dort  an  CrirelH  am  21.  April,  nnd 
legte  seinem  Brief  einen  Bericht  an  den  Cardinal  Barberiui 
bei.    Das  Schreiben  an  diesen  lautet,  wie  folgt: 

„Der  Schwede  war  am  15.  dieses  mit  seiner  ganzen 
Armee  von  Donauwörth  angebrochen  und  begann  mit  grossem 
FleisB  nicht  weit  von  Rain  eine  Brftcke  über  den  Lech  an 
•cblagen.  BegQnstifj^  und  gedeckt  von  der  Dunkelheit  der 
Nacht  und  einem  dichten  Nebel ,  welclier  am  Morgen  ein- 
fiel, vermochte  er  nicht  allein  sich  am  Flussufer  zu  befe* 
stigen,  sondern  anch  seine  Artillerie  so  vortheilhait  aufzu- 
pflanzen« dass  er  unter  ihrem  Schutz  die  Brflcke  hinreichend 
forwirts  bringen  konnte.  Ünterdess  wurde  von  beiden  Seiten 
ein  heftiges  Muskoteu-  und  Kanoneufeuer  unterhalten ,  und 
onter  beständigem  Gefechte  hielt  sich  der  Feind  auf  der 
andern  ^ite  bis  zum  Beginn  der  Dunkelheit  der  folgenden 
Nacht.  In  diesem  Gefecht  wurde  der  Baron  Aldringeo,  der 
Oeaml  der  kaiserlichen  Artillerie,  nnd  bald  darauf  der 
Graf  Tilly ,  dieser  von  einem  Passavolant  über  dem  Knie 
des  rechten  Beines,  der  ihm  den  Hüftknochen  zerschmetterte, 
und  jener  von  einem  Falconet  am  Kopf  getroffen,  und 
bside  mnssten  sich  deshalb  zurückziehen  und  ihren  Posten 
varlsssen.  So  sah  sich  der  durchlauchtigste  KurfQrst  mit 
nnserm  geringen  Volke  -im  Angesicht  des  an  Zahl  weit 
[1880. 1.  PhU.-phU.  hiat.  a  Bd.  L  3.]  24 


Digitized  by  Google 


366   Nadt^.  m,  BUtung  der  Mstor,  dtuie  vom  3,  Januar  18d(K 

überlegenen  Feindee  aasser  Stande,  diesem  den  Uebergang 
sa  verweliren,  wenn  er  nid^t  zngleieh  die  Armee»  das  ganze 
Reicb  und  die  Religion  anf  das  Spiel  setzen  wollte :  er  eni- 
sehloss  sich  yielmehr  nach  reiflieher  Beratung  mit  seinem 
ganzen  Volk  nach  Nenbnrg  nnd  Ingolstadt  sich  zurück- 
zuziehen. Und  das  ist  auch  in  guter  Ordnung  und  ohne 
Verlust  geschehen.  Er  erwartet  gegenwärtig  den  ihm  von  Sr. 
kaiserlichen  Majestät  versprochenen  Saccurs,  um  dann,  sobald 
die  Armee  an  Zahl  und  Kraft  gestärkt  sein  wird^  mit  weniger 
Gefahr  den  Feind  an&osnehen,  und  wenn  es  Gottes  gnädigem 
Beistand  gefällt,  sarfickzntreiben.'* 

Die  nächsten ,  In  den  Correspondenzen  aufbewahrten 
Briefe  des  Kurfürsten  an  Crivelli  datiren  aus  Regensburg 
vom  G.  Mai  1632  ab.  Aus  dem  dortigen  Lager  schreibt  er 
ihm  am  1 2.  Mai  : 

yyDer  Feind  legt  mit  unglaublicher  Wut  dieses  arme 
Land  in  Asche,  nnd  haust  aiger  als  Türken  nnd  BarbareDi 
so  gross  ist  sein  und  der  Seinigen  fibss  ans  dem  einzigen 
Grunde  der  Keligion.  Mir  allein  schreibt  er  alles  cu,  was 
in  Deutsclilaud  zum  Nachteil  der  Protestanten  und  anderer 
Ketzer  geschehen  ist,  und  diese  stacheln  ihn  auf,  obwol  er  schon 
selbst  hiurcichend  zu  meinem  Verderben  gestimmt  ist.  Auch 
Landshut  it>t  in  seine  Gewalt  gefallen;  sobald  der  Succurs 
eingetroffen  ist,  will  ich  mit  Gottes  Hilfe  meinen  Entschlnss 
&s8en.*^ 

Briefe  Qber  die  weiteren  Vorgänge,  z.  B.  die  Einnahme 
Augsburgs  uud  Miiuchens,  finden  sich  nicht  vor  —  nur 
solche  Crivellis,  die  fast  immer  au  den  Rat  Gigli  gerichtet 
sind,  worin  der  Resident  sein  tiefes  Bedauern  über  die 
Niederlagen  in  Baiem,  die  Besetaung  Münchens,  den  Tod 
Tillys  ausdr&ckt,  und  anch  Ton  den  finstem  Gerflchtea 
redet,  welche  in  Rom  umgingen,  dass  nSmlieb  Hänchen 
geplündert,  Ingolstadt  erobert,  der  Kurfürst  und  die  Eur- 
furstin  in  schwedische  Gefangenschaft  geraten  seien. 


Digitized  by  Google 


Gregorovius:  IHe  beiden  Crivelli.  367 

Dann  berichtet  der  Resident  von  seinen  nnansgesetzten 
Bemühungen  um  Unterstützung  des  Kurfürsten  durch  den 
Papst,  und  von  seinem  wenig  tröstlichen  Erfolge. 

Noch  am  12.  Juni  ist  folgendes  Schreiben  Maximilians 
an  GriTelli  ans  Begensbnrg  datirt:  ,>Mit  diesem  schicke  ich 
IhnMi  ein  Blatt  den  Bericht  über  den  Zustand  der  Ange- 
legenbdten  bier  enthaltend :  dies  werden  Sie  dem  Herrn  Car- 
dinal Barberini  übergeben.  Der  Feind  lässt  ein  Denkmal 
zurück,  welches  länger  als  ein  Jubiläum  dauern  wird ;  man 
sieht  mehr  Asche  als  Häuser ;  von  der  nicht  genügen  Beute, 
die  er  in  meinen  Residenzen  und  Palästen  an  mehreren  Orten 
gemacht  bat,  will  ich  nicht  reden.  Man  moss  sieb  in  Allem  dem 
Willen  Gottes  unterwerfen»  der  Sie  scbfltseD  und  erhalten 
mOge.  Ans  dem  Lager  bei  Regensbnrg/^ 

Dann  folgt  in  eigenb&ndiger  Nacbsebrift: 

,,Seit  meiner  Abreise  von  München  habe  ich  nur  zwei 
Briefe  von  Ihnen  empfangen  und  ebenso  viele  vom  Herrn 
Cardinal  Barberini.^* 

Am  16.  Joni  brach  Maximilian  Ton  Begensbnrg  anf; 
▼on  diesem  Tage  ist  noch  ans  dem  dortigen  Lager  ein 
Scbreiben  des  KnrfBrsten  an  den  genannten  Oardinal  datart, 
ibm  anzuzeigen,  dass  er  seiner  Empfehlung  willfahrend  Cri- 
velli zu  seinem  Residenten  ernannt  habe.  Das  gab  er  an 
demselben  Tage,  doch  schon  aus  dem  Lager  bei  Burglengen- 
feld,  drei  Meilen  nördlich  von  Kegeuäburg,  diesem  seihst  in 
folgendem  Scbreiben  kund: 

JLxL  den  guten  Informationen,  welche  ich  über  Sie  be* 
sitM,  der  icb  ausserdem  mit  Ihrer  Treue  und  Ihrem  mir 
bisher  bewiesenen  Eifer  in  meinem  Dienst  sufrieden  bin, 
hat  der  Herr  Cardinal  in  seinem  letzten  Brief  ein  solches 
Zeugniss  hinzugefügt,  und  mich  so  naelidrücklich  gebeten 
Ihnen  den  Titel  und  die  Stellung  meines  Residenten  am 
dortigen  üof  zu  erteilen,  dass  ich  Ihnen  dieselben  gewähre 
in  derselben  Weise,  wie  sie  zuerst  Ihr  Vater,  der  Herr 

Ä4» 


Digitized  by  Google 


I 

368   Nachtr»  s.  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Januar  1880, 

Giambattista  seligen  Andenkene  gehabt  hat.   Da  nim  Se. 

Eminenz  von  mir  wünschte,  dass  Sie  diesen  Posten  für  die 
Zukiiuft  behalten  und  sieb  in  ihm  zar  Anerkennung  bringeDf 
80  habe  ich  ihm  zugleich  davon  Anzeige  gemacht,  damit 
Sie  eich  darnach  richten.  Indem  Sie  diese  Genngthniiiig 
empfangen,  soll  sie  Ihnen  zum  Sporn  dienen,  in  Ihren 
guten  Diensten  fortzufahren,  denn  diese  werden  mir  immer 
angenehm  sein.  Und  so  erbiete  ich  mich  Ihnen  mit  meiner 
bekannten  Wolgeneigtheit,  und  Gott  schütze  Sie". 

Es  folgt  als  eigenhändige  Nachschrift:  ««In  der  Beilage 
gebe  ich  dem  Herrn  Cardinal  Barherini  Nachricht  tob 
meinem  Aufbrach  von  Regensburg  nnd  dem  FortrflekeB 
des  Lagers  gegen  die  Oberpfalz,  um  die  Bewegung  des 
Feindes  im  Auge  zu  behalten,  der  seiner  in  Baieru  ausge- 
übten Barbarei  müde,  über  die  Donau  gesogen  ist^S 

Es  folgen  Briefe  des  Karflirsten  an  Grirelli  ans  den 
Lager  bei  Dfirschenrenth  am  29.  Jnnii  ans  dem  Lager  ba 
Waiden  am  2.  Juli  1G32.  Hier  schreibt  Maximilian  von 
der  Unterstützung  an  Geldmitteln,  welche  ihm  der  Papst 
durch  den  Nuntius  Grimaldi  zukommen  zu  lassen  versprocben 
habe,  und  die  er  erwarte,  und  er  aetat  hinzu,  daas  die 
beiden  Armeen,  seine  and  die  kaiserliche,  nach  Uebarem- 
kommeu,  gegeu  den  Feind  marschiren,  welchen  sie  in 
wenig  Tagen  zu  treffen  hoffen 

Auch  aus  der  denkwürdigen  Zeit,  als  der  Kurfürst, 
mit  Wallenstein  yereinigt,  dem  bei  Nürnberg  Yerschanitoa 
SSchwedenkdnig  lange,  schreckliche  Wochen  hindurch  gegen- 
fiber  lag,  gibt  es  eine  Reihe  von  Sehreihen  an  Grivelli. 
Das  erste  ist  datirt  aus  dem  Lager  bei  Nürnberg  am 
16.  Juli  1632.  Der  Kurfürst  trügt  dem  Residenten  auf, 
dem  Papst  für  die  Zeichen  väterlicher  Qüte  zu  danken,  die 
ihn  bewogen,  von  ihm  Nachrichten  zu  yeriangen.  Am 
27.  Juli  schickt  er  solche  Berichte  an  den  Cardinal  Btf- 
berini.   Am  21.  August  ihut  er  kand,  dass  der  Nuitioa 


Digitized  by  GoogI< 


€hr€fforwiu8:  Die  beiden  CriveU». 


369 


Orimaldi  in  Wien  seineo  Verwaadtpn  Ottavio  an  Wallpii- 
stein  und  ihn  selbst  ins  Lager  geschickt  habe:  diese  Meld- 
ung besEOg  sich  anf  die  ?er8prochenen  aber  nicht  geleisteten 
Snbsidien  von  Seiten  des  Papsts. 

Es  ist  bemerkenswert,  dass  selbst  in  jener  schwierigen 
Lage  vor  Nüriil  erg  der  Kurfürst  Zeit  und  Stimmung  fand, 
an  die  Bedürfnisse  seiner  Kunstliebluiherei  zu  denken. 
Denn  aas  einem  Brief  Crivelli's  an  Gigli  vom  21.  Aug.  1632 
geht  heryor,  dass  der  Renidcnt  von  dort  her  Aufträge  er- 
halten hatte,  Gemälde  in  Rom  anznkaofen,  am  die  Verluste 
zu  ersetzen ,  welche  durch  die  schwedische  Plflndernng  der 
kurfdrfitlichen  Schlösser  entstanden  waren. 

Es  erfolgte  am  IG.  November  die  grosse  Schlacht  hei 
Lützen,  und  der  Tod  Gustav  Adolfs.  Olficielle  Berichte 
darüber  an  Crivelli  finden  sich  nicht  vor;  nur  Depeschen 
desselben,  welche  leider  in  sehr  flüchtiger  Weise  den  Reflex 
jener  Ereignisse  auf  die  Stimmung  in  Rom  andeuten.  Ganz 
lakonisch  meldete  er  am  11.  Dec  1632,  dass  der  Papst  am 
Morgen  dieses  Tages  in  die  Nationalkirche  der  Deutschen 
deir  Anima  gegangen  sei,  nm  für  die  gewonnene  Schlacht 
zu  danken,  und  dass  man  hoffe,  er  werde  bald  dahin  zurück- 
kehren. Kr  beklagte  sich  zugleich  über  die  Spanier ,  die 
nie  Gutes  von  Maximilian  redeten ,  sondern  jeden  Erfolg 
Wallenstein  allein  zuschrieben,  ohne  jemals  den  Namen  des 
Knrfthrsten  zu  nennen.  Am  18.  Dec.  meldete  er  von  einer 
Audienz  beim  Papst  und  bemerkte,  es  seien  Briefe  aus  Wien 
gekommen,  welche  den  Tod  des  Schweden königs  lüugneten, 
weshalb  man  in  Rom  Wetten  anstelle  Kr  habe  den  Papst 
darum  gefragt:  dieser  habe  gelacht  und  erklärt,  der  Tod 
Gustav  Adolfs  sei  wahr,  nur  könnten  vielQ  diese  Nachricht 
nicht  Terdauen;  der  Papst  habe  ihm  darauf  Einzelheiten 
aus  der  Schlacht  mitgeteilti  wie  den  Tod  Tieler  Heerführer. 

Et  ist  auffollend,  dass  sich  in  den  Berichten  GriTel1i*8 
nach  München  aach  nicht  eine  einzige  Andeutung  jeuer 


Digitized  by  Google 


370    Nachtr.  z.  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Januar  1880. 

offen  kundgegebenen  Missstimmung  Urbans  über  den  ver- 
meintlichen Sieg  des  Kaisers  und  den  Fall  des  Schweden- 
köuigs  findet ,  von  der  doch  so  viele  andere  officielle  und 
private  Berichte  Zeugniss  gegeben  haben.  Es  ist  auch  auf- 
fallend ,  dass  der  baierische  Resident  gar  keine  Mitteilung 
von  dem  ZerwOrfniss  des  Papsts  mit  Spanien  gemacht  hat, 
dass  er  alle  Vorgänge,  die  sich  Jahre  hindurch  aus  dem 
Protest  des  Cardinais  Borgia  entwickelten,  mit  Stillschweigen 
übergeht,  und  auch  nichts  von  der  Sendung  der  kaiserlichen 
Bevollmächtigten,  des  Herzogs  Federigo  Savelli,  des  Car- 
dinais Pazman,  noch  von  den  ausserordentlichen  Gesandten 
Spaniens  und  ihren  drohenden  Forderungen  zu  melden 
weiss.  Die  ganze  habsburgisch-romische  Krisis  empfangt 
ans  den  Correspondenzen  Crivelli's  nicht  die  geringste  Auf- 
klärung. 

Der  Grund  dieser  Zurückhaltung  kann  officieller  Weise 
darin  gesucht  werden ,  dass  der  Resident  sich  in  seinen 
Berichten  streng  an  die  Grenzt;  seines  Amtes  hielt  —  hätte 
er  von  seinem  Hof,  der  über  das  Zerwürfniss  des  Papsts 
mit  Spanien  nnd  das  Auftreten  des  Cardinais  Borgia  sicher- 
lich unterrichtet  war,  Aufträge  gehabt,  davon  Meldung  zu 
thun,  so  würden  wir  solche  voriinden  ;  denn  es  ist  unstatt- 
haft anzunehmen ,  dass  darauf  bezügliche  Schriftstücke, 
wenn  sie  vorhanden  waren ,  später  unterdrückt  und  also 
nicht  der  Sammlung  der  Correspondenzen  einverleibt  worden 
sind.  Was  aber  das  gründliche  Schweigen  Crivelli's  über 
die  schadenfrohen  Aeusserungen  des  Papsts  bei  Gelegenheit 
der  Niederlagen  der  Kaiserlichen  durch  die  Protestanten 
betrifft,  wovon  Rom  erfüllt  war,  oder  was  sein  Verschweigen 
der  Missstimmung  ürban's  VHT.  über  die  durch  den  Tod 
Gustav  Adolf  8  eingetretene  Wendung  der  Dinge  betrifft, 
80  halte  ich  dasselbe  für  absichtlich  und  durch  die  persön- 
liche Rücksicht  veranlasst,  welche  Crivelli  auf  den  Papst 
und  die  Barberini  nahm,  deren  ganz  besondere  Protection 


Gregorovius:  Die  beiden  CriveUi.  371 

er  genoss.  Er  hat  alles  unterdrückt,  was  dem  Kurfürsten 
Veranlassung  znr  Unzufriedenheit  mit  seinen  Gönnern  geben 
konnte.  Durch  die  Fürsprache  des  Cardinais  Barberini 
war  er  selbst  zur  Stellung  des  Residenten  gelangt;  er  ver- 
galt ihm  diese  und  andre  Liebesdienste.  Als  der  berühmte 
Cardinal  Ludovico  Ludovisi,  einer  der  Führer  der  spanischen 
Partei ,  in  Folge  seiner  Verbannung  aus  Rom  durch  den 
Papst  gestorben  war,  forderte  Crivelli  in  einem  Schreiben 
an  Gigli  (Rom,  27.  Nov.  1632)  dringend  die  nun  vacant 
gewordene  Ebrenstelle  des  Protectors  der  katholischen  Liga 
für  den  Cardinal  Francesco  Barberini  selbst,  weil  solche 
Stelle  einem  Nepoten  des  lebenden  Papsts  gebühre.  Ludo- 
visi habe  der  Liga  mehr  Schaden  als  Nutzen  gebracht; 
Aldobrandini  bewerbe  sich  um  das  Protectorat,  müsse  aber 
abgewiesen  werden.  Der  Papst  selbst  verlange  diese  Ehre 
für  seinen  Nepoten ,  auch  wenn  die  Liga  nicht  mehr  be- 
stehe (Brief  vom  4.  Dec.  1632).  Auf  mehrere  solche  sehr 
dringende  Schreiben  erhielt  endlich  der  Resident  vom  Rat 
Gigli  zur  Antwort,  dass  solche  ,.furia"  nicht  not  sei,  dasa 
man  im  Cabinet  des  Kurfiirsten  denke,  ein  so  heftiges  Be- 
gebren des  Cardinais  nach  dem  Protectorat  sei  eher  die 
eigene  Erfindung  des  Residenten.  Schliesslich  setzte  dieser 
doch  die  Angelegenheit  durch;  denn  am  6.  April  1633  hat 
der  Kurfürst  die  Protection  der  Liga  wirklich  dem  Cardinal 
Barberini  angetragen. 

Wenn  dieser  Entschluss  ein  durch  Crivelli  dem  Car- 
dinal erwiesener  Liebesdienst  war,  so  hat  der  Nepot  noch 
in  demselben  Jahr  Gelegenheit  gehabt,  ihn  zu  vergelten. 
Der  Resident  wurde  nämlich  mit  nichts  geringerem ,  als 
dem  Verlust  seiner  eigenen  Stellung  bedroht.  Dem  Kur- 
fürsten waren  Gerüchte  zu  Ohren  gekommen,  welche  den 
Charakter  .seines  Gesandten  in  Rom  beschädigten.  Sie  be- 
trafen nicht  sowol  dessen  eigene  Person ,  als  seltsamer 
Wf'ise  die  Ehre  seiner  Familie.    Er  hatte  zwei  erwachsene 


Digitized  by  Google 


372  NadUr,  z,  Sitsung  der  hittor,  Clatse  vom  3,  Janmar  1880, 

Töchter,  von  denen  es  hiees,  dass  sie  ihreu  Ruf  blosstellten  — 
solche  Anklage  gerade  in  jener  Zeit  sittenloser  Ueppigkeii, 
und  noch  mehr  die,  wie  es  scheint,  durchaus  geringfagige 
Veranlassnng  daxu,  ist  sonderbar  genug ,  und  eigeatlieb 
nur  der  Bemerkung  wert ,  weil  sie  die  Sittenstrenge  Nfaxi- 
milian's  kennzeichnet.  AH'  das  erfahren  wir  nicht  aus  den 
Correspondenzen  Crivelli's,  sondern  aus  einem  langen  Brief 
des  Cardinais  Francesco  Barberini  selbst,  der  sich  herbeiliess 
auf  solche  Klatschgeschichten  einzugehen,  um  seinem  Günst- 
ling die  Gnade  Maximilian's  zu  erhalten.*) 

Er  war  vom  Kurfürsten  aufgefordert  worden,  ihm  über 
jene  Gerüchte  die  Wahrheit  zu  sagen,  und  schrieb  ihm :  er 
glaube,  dass  Maximilian  eher  von  dem  Ruf  Grivelli's,  als 
Ton  dessen  Handlungen  unterrichtet  sein  wolle ,  da  diese, 
,  wo  sie  fehlerhaft  gewesen,  nur  IrrtOmem  suzuschreiben 
seien.  Seit  drei  Jahren  stehe  das  Hnus  Crivelli  nicht  in 
gutem  Kufe,  teils  wegen  der  Leichtfertigkeit  der  Töchter, 
die  sich  oft  an  den  Fenstern  sehen  Hessen,  teils  wegen  der 
au  häufigen  Besuche  eines  Geistlichen,  eines  entfemten 
Verwandten.  Die  Ehren,  welche  Crivelli  vom  Kurfnnten 
empfangen  ,  hätten  ihn  zu  einem  angesehenen  Manne  ge- 
macht, und  mit  dem  Neide  habe  sich  auch  die  Wichtigkeit 
dieser  Dinge  gesteigert.  Als  er,  der  Cardinal,  Crivelli  xum 
Posten  des  Residenten  empfehlen  wollte,  habe  er  lange  ge- 
schwankt, ob  er  dem  Kurfürsten  diesen  Vorschlag  machen 
solle  oder  nicht ,  doch  sich  endlich  entschlossen  über  jene 
Gerüchte  hinwegzugehen.  Es  seien  wol  auch  die  Spanier 
dabei  im  Spiel,  mit  denen  Crivelli  Auftritte  gehabt  habe. 
Das  Beste,  woau  er  diesem  geraten,  sei,  die  Töchter  in  eis 
Kloster  au  thun;  dann  würde  das  Gerede  aufhören.  Es  er» 


1)  Der  Brief  an  den  Kurfürsten,  Rom  12.  Nov.  1633,  befindet  sich 
in  der  Sammluug  Barberini  Corriapondensa  Bomana,  in  damielbeo 
litUicbner  StaataarehiT. 


•  Digitized  by  Google 


Gregorovius:  Die  beiden  Crivelli. 


373 


weise  sich  auch  als  falsch,  dass  der  Herzog  von  Crequi  mit 
den  Töchtern  Crivelli'a  sich  unterhalten  habe.  Er  würde 
den  Kurfürsten  selbst  ersuchen,  dem  Residenten  den  Ab- 
schied zu  geben ,  wenn  er  glaube ,  dass  er  seinen  dienst- 
lichen Obliegenheiten  nicht  genüge,  aber  in  diesem  Fall  ihn 
bitten,  Crivelli  vorher  davon  zu  benachrichtigen,  damit  er 
ohne  Schädigung  seines  Ansehens  selbst  um  seinen  Abschied 
einkommen  könne.  „Ich  bin,  so  schloss  der  Cardinal  sein 
Schreiben,  mit  dieser  meiner  Meinung  vielleicht  zu  weit 
gegangen ;  jedoch  ich  erlaubte  mir  das  aas  Rücksicht  darauf, 
dass  der  Resident  der  Sohn  eines  so  grossen  Vaters  (nato 
di  padre  cosi  grande)  und  Dieners  Ew.  Hoheit  ist,  durch 
dessen  Vermittlung  ich  selbst  zahllose  Guustbeweise  von 
Ew.  Hoheit  empfangen  habe*^ 

Welches  Ende  das  Familiendrama  Crivelli  genommen 
habe,  weiss  ich  nicht  anzugeben.  Wir  wollen  glauben,  dass 
der  Vater  die  leichtfertigen  Fränlein  in  ein  Kloster  gesteckt 
bat.  Er  selbst  behauptete  seinen  Posten  in  Rom ,  und  die 
Correspondenzen  zeigen ,  dass  sein  Verhiiltniss  zum  Kur- 
für4en  und  dessen  Hause  mit  der  Zeit  immer  inniger  ge- 
worden ist.  Dies  lehren  auch  die  vielen  mit  aufrichtiger 
Empfindung  geschriebenen  Gratulationsbriefe  Crivelli's  an 
Maximilian  bei  festlichen  Gelegenheiten. 

Nun  aber  will  ich  mit  diesen  Berichten  abschliessen, 
da  mein  Zweck  erreicht  ist,  sowol  von  der  diplomatischen 
Natur  der  gesammelten  Actenstücke,  als  von  der  Persön- 
lichkeit der  beiden  Gesandten ,  deren  Namen  sie  tragen, 
Mitteilung  zu  macheu.  Diese  Correspondenzen  habe  ich 
nur  bis  zum  Jahre  1635  genau  durchgesehen  —  aus  den 
übrigen,  die  noch  24  Jahre  umfassen,  habe  ich  nur  Einzelnes 
aufgesucht,  wie  unter  anderem  Depeschen  über  die  Ankunft 
und  den  Aufenthalt  der  Königin  Christine  von  Schweden 
in  Korn.  Ich  bemerke  noch,  dass  Francesco  Crivelli  in  den 
let/'  '^n  seine  Berichte  nicht  mehr  an  Aurelio  Gigli« 


Digitized  by  Google 


374   Nachtr.  z.  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3.  Jamtar  1880, 


weleber  wol  schon  gestorben  war,  sondera  an  den  Rat 
Ferdinand  Ej^arter  gerichtet  hat.  Der  Resident  schreibt 
jetzt  seltener  eigenhändig  —  das  Alter  spiegelt  sich  in 
seinen  Depeschen  ab;  eeine  Handsehrift  hat  noh  ▼erändert, 
ihre  Zfige  sind  oogleich  und  suammenhangloe  geworden: 
wir  haben  es  mit  einem  Scheidenden  m  thnn. 

Der  würdige  Mann  hat  die  meinten  seiner  Zeitgenossen 
ans  der  grossen  Epoche  des  dreissigjährigen  Krieges  in's 
(^rab  steigen  sehen.  Er  hat  als  Resident  zwei  Papste  über- 
lebt, Urban  VIIL  nnd  Innooena  X.,  nnd  Alexander  VIL 
Ghigi  Papst  werden  sehen.  Er  hat  swei  Kaiser  fiberlebt, 
Ferdinand  II.  und  dessen  Sohn  Ferdinand  III. ,  und  Leo- 
pold I.  diesem  nachfolgen  sehen.  Er  sah  von  der  poli- 
'  tischen  Scene  abtreten  Richelieu  und  Ludwig  XJII. ,  and 
sie  einnehmen  Masarini  pnd  Lndwig  XIV.  Er  hat  aoch 
Chromwell  überlebt  Sein  eigner  wolwoUender  Ffirst,  Ibn- 
milian  I.,  welchem  er  23  Jahre  lang  gedient  hatte,  sisrb 
am  27.  September  1651,  und  noch  8  Jahre  lang  setzte 
Crivelli  unter  dessen  Sohn  und  Nachfolger  Ferdinand  Maria 
seine  Dienste  als  Eteaident  Baierns  fort. 

Wir  lesen  noch  mit  Auteil  die  letzten  Berichte,  welche 
Franoeseo  anf  seinem  Krankenlager  dictirt  nnd  mit  dttemder 
Hand  unterschrieben  hat.  Am  3.  Mai  1659  meldete  er  dem 
Rat  Egarter,  dass  er  seit  mehr  als  8  Tagen  bettlägerig 
sei  und  viel  leide.  Am  10.  Mai :  ,,ich  befinde  mich  in  dem- 
sdben  Znstande,  mit  demselben  Brennen  im  Monde;  ich 
mnss  mich  swingen,  wenn  ich  einen  Bissen  essen  soll.  Ich 
danke  Gk>tt  für  alles.  Mehr  kann  ich  nicht  sagen,  ich  bin 
ausser  mir.  Ich  bitte,  entschuldigen  Sie  mich,  haben  Sie 
Mitleid  mit  mir,  und  beten  Sie  für  mich,  und  erhalten 
Sie  mir  Ihre  Gunst*^  Dieser  Brief  ist  nicht  mehr  eigene 
händig  nnteraehrieben.  Francesco  sdirieb  am  17.  Mai  1659: 
es  stehe  no^  schlimm  mit  ihm;  doch  könne  er  meldes, 
dass  man  in  Rom  schon  vom  Abschluss  des  Friedens  wisse  — 


Digitized  by  Google 


Gregorovius:  Die  beiden  Crivelli. 


375 


hier  meinte  er  wol  die  Präliminarien  des  pyrenäischen 
Friedens. 

Er  berichtete  noch  kurz  am  24.,  31.  Mai,  am  7. 
ond  14.  Jnni ,  mit  eigner  Namens anterschrifl.  Am  letzten 
Datam  beklagte  er  sieb ,  dass  ihm  zwei  schon  ausge- 
fertigte päpstliche  Breven  noch  nicht  zugekommen  seien, 
und  er  sie  deshalb  nicht  abschicken  könne.  ,,8o  etwas  ist 
mir  niemals  widerfahren  in  dreissig  Jahren ,  dass  ich  mit 
dem  Hof  zu  thun  habe".  Dies  sind  die  letzten  Worte,  die 
wir  von  Crivelli  lesen. 

Am  21.  Juni  1659  meldete  Hortensia  Benzoni  Crivelli 
den  Tod  ihres  Gatten  in  drei  italienischen  Schreiben  an  den 
Kurfürsten,  die  Eurfürstin  und  den  Rat  Egarter.  Der 
Brief  an  den  ersten  lautet  so: 

Durchlauchtigster  Fürst  und  gnädigster  Herr, 
nach  vielen  Tagen  schmerzlicher  Krankheit  ist  in^s  andre 
Leben  hinübergegangen  der  Herr  Francesco  Crivelli,  mein 
Gatte,  Resident  Ew.  Durchl.  Hoheit  an  diesem  Hof.  Die 
christlichen  Tugenden ,  welche  ihn  bis  zum  letzten  Ende 
seines  Lebens  begleitet  haben ,  und  die  Erwägung ,  dass  er 
dies  im  ehrenvollen  Dienst  Ew.  Durchl.  Hoheit  beschlossen 
hat,  haben  zu  einem  Teil  die  menschliche  Empßndung  bei 
diesem  grossen  Uebergang  gemildert.  Ich  bleibe  mit  einer 
Tochter  als  Trümmer  des  Unglücks  zurück;  denn  da  der 
Resident  seiner  Stellung  geniässe  Ausgaben  gemacht  bat, 
so  hat  er  sein  Haus  nicht  von  Notbedarf  befreien  können. 
Die  fortgesetzte  Dienstbarkeit  dieses  Hauses  gegen  dasjenige 
Ew.  Durchl.  Hoheit  wird  durch  den  Tod  mehrerer  Ange- 
hörigen der  Familie  bestätigt,  welche  einer  dem  andern 
nachfolgend  den  Ruhm  gehabt  haben,  ihre  Tage  in  der 
Eigenschaft  wirklicher  DioniT  zu  beschliessen.  Trotzdem 
bedarf  es  nicht  solcher  Uüclvsichten,  um  den  Blick  Ihrer 
Gnade  auf  eine  Wittwe  und  eine  Waise  zu  lenken,  und 
um  ihnen  zu  ihrem  täglichen  Unterhalt  Unterstützung  zu 


i 


Digitized  by  Google 


376   Nachtr.  z.  Sitzung  der  histar.  Classe  vom  3.  Januar  1880. 

gewähren,  auf  dass  sich  in  der  Welt  der  Glaube  an  die 
dauernde  Wirksamkeit  Ihrer  Gnade  befestige.  Wenn  Kw. 
Dnrchl.  Hoheit  geruhen  wollen,  jetzt,  wo  mein  Gatte  nicht 
mehr  ist,  die  Ehre  seines  Amts  in  der  Person  eines  rö- 
mischen Kanzlers  fortführen  zu  lassen,  so  bitte  ich  dringend 
meinen  Bruder  nicht  einem  andern  nachzusetzen ,  und  ich 
versichere  Ew.  Durchl.  Hoheit,  dass  derselbe  niemand  in 
dem  Wunsche  nachsteht ,  so  grosser  Gunst  sich  würdig  zu 
zeigen  durch  solche  Handlungen  der  Dienstbarkeit,  welche 
ganz  besonders  den  Verdiensten  Ew.  Durchl.  Hoheit  und 
unserer  verbindlichsten  Devotion  entsprechen ,  mit  welcher 
wir  Ihnen  von  Gott  das  vollkommenste  Glück  erflehen. 
Rom  am  21.  Juni  1659. 

Ew.  Durchl.  Hoheit 

Untertänigste  Dienerin 
Ortensia  Benzoni  Crivelli. 

Der  Kurfürst  Ferdinand  Maria  bewilligte  der  Wittwe 
und  ihrer  Tochter  eine  Pension.  Es  finden  sich  Schreiben 
derselben  Hortensia  vom  1.  Nov.  1660,  und  aus  dem 
Jahr  1661,  in  welchen  sie  dafür  ihre  Dankbarkeit  aus- 
spricht. 

Da  Francesco  Crivelli  keinen  Sohn  hinterliess,  so  er- 
losch mit  ihm  seine  Familie  und  der  Dienst,  welchen  diese 
durch  eine  so  lange  und  denkwürdige  Zeit  dem  Fürsten- 
hause Baiern's  geleistet  hatte.*) 

1)  Das  Staatsarchiv  in  München  gibt  keine  Aafklärang  über  die 
Besetzung  der  Stelle  des  baierischen  Residenten  in  Rom  nach  dem  Tode 
Crivelli's. 


Vom  Verem  flkr  Ltmdeskunde  vm  Ifuderifsterreieh  im  Wien: 
Die  Ortfen  von  Fl&ieu-Uardegg  von  J.  WendriDskj.  1880.  8^ 

Vom  der  gddirUn  catnisciten  Ge^dUchaft  in  Dorpat: 
StnmgBbenchte.    1878.  1879.  8*. 

Tm  der  OberiausOßischen  GtadMusfl  der  Wissenschaften  im 

NeQflB  Lanatrischee  Magaiin.    Bd.  56.    1880.  8^ 

Von  der  Redaktion  des  Correspondenä-BlaHes  im  Stuttgart: 

Conrespoadenz-Blatt  für  die  Gelehrten-  und  R^aUcbulen  Württem- 
bergs.   lödO.   Tubingen  18Ö0.  8"^. 

Vom  Verein  ßr  Gesckkide  und  Mierthümer  mu  Stade: 

a.  Archiv.    Bd,  7.    1880.  8^ 

b.  Die  Münzen  der  Stadt  Stade  von  M.  Babrfeldt.  Wien. 
1879.  8^ 

Von  der  k,  säciisiadten  (irsellschaß  der  Wissemdtaftifi  in 

Ldpjsig: 

Borichie  über  die  Yerhaadlnogen.  FliiloB.-plulolog.  GL  1879.  8*. 


Digitized  by  Google 


378 


Eimendmngm  von  Druckschrißen, 


Foft  der  R,  Aeeadmia  dei  lAmei  m  Born: 

K  Atti  Transunti.  Vol.  IV.  fasc  5.  April  1880..  1880.  4^ 
b.  Memorie.    Classe  di  soiense  morali.   Vol.  3*    1879.  4®. 

Van  der  k.  achwedischai  Akademie  der  Wissefiscfiaflen 

in  iStockholm: 

ft.  Handlingar.    Del  21—27.    1857—76.  8*. 

b.  Antiquarisk  Tidskrift  for  Sverige.  Tom.  I.  II.  III.  IV.  Y. 
1864-78.  8^ 

c.  Manadsblad.     1872  —  79.  8**. 

d.  Anglosachsiska  Mynt  i  Kongl.   Svenska  Myntkabmettetb 
af  Bror  Emil  Hildebrand.    1846.  4^ 

e.  MinDespenningar  öfver  enskilda  Svenska  mfta  och  quiiinor 
af  Bror  Emil  Hildebrand.    1860.  8<>. 

f.  Svenska  SigOler  frän  Medeltlden  of  Bror  Emil  Hildebrand. 
Heft  I.  IL  in  Mio. 

g.  Sveriges  ooh  Svenska  konnngahusets  lOnnespenningar  of 
Bror  Emil  Hildebrand.    2  Bde.    1874—75.  8^ 

b.  Teckningar  ur  Svenska  Statens  historiska  Museum  ot"  Bror 
Emil  Hildebraüd.    Heft  I.  II.  1873  —  78.  folio. 

Von  der  Videnskabs-Selskab  in  Chrietiania: 

a.  Furhaudlingar.  Aar  1876— 1879  und  Register  zu  1868  —  77. 

b.  Det  Kongelige  Norske  Frederiks  Universitets  Aarsberet- 
Diüg.    for  1876—1878.  1877—79. 

0.  Heilagra  Manna  Sögur  udg.  af  C.  B.  Unger.    Bd.  IL 
1877.  8^ 

d.  Alte  und  neue  Quellen  zur  Gescbichte  des  Tsufigrniboils 
und  der  Glaubensartikel  von  G.  P.  Caspari.    1879.  8®. 

e.  EongCbristiem  L  Norske  Historie  1448—1458  af  Ludwig 
Daae.    1879.  8®. 

Von  der  Äccadetuia  I*ontificia  de'  Nuovi  Lincei  in  Rom: 
Atti.    Anno  33.    Sessione  1.    1880.  4^. 


Digitized  by  Google 


Einsendungen  von  DnuMmfUm.  879 

Van  der  h,  Akademie  der  Wtesenechaften  m  Copenkagen: 

a.  Oversigt.    1880.    1879—80.  8". 

b.  Den  Grönlandisk  Ordbog  omarbeidet  af  Sam.  KleinBchmidt 
udgiTent  yed  H.  F.  JOrgensen.    1871.  8*** 

Ym  der  Aeadimie  des  edences  in  Lyon: 
Mömoires.    CUbm  deß  Lettres.    Tom.  18. 

Vom  Insüiido  di  eorrispondetua  ar^eologiea  in  Rom: 

a.  Annali.    VoL  51.    1879.  8^ 

b.  Balletiiso  per  Tanno  1879.    Borna  1879.  8^. 

c.  Monomenti  per  ranno  1879.    1879.  foUo. 

Vom  Peahody  Institute  in  Baliinwre: 
13*  annoal  Beport,  June  1,  1880.  1880. 


Vom  Herrn  Adolf  Mühry  in  Göggingen: 
üaber  die  exacte  Natur-Philosophie.    4.  Ausg.  1880.  *8^. 

Vom  Herrn  Conrad  Maurer  hier: 

Zur  politischen  Geschichte  Islands.     Qeeammelte  Aofsfttie. 
Le^g  1880.  8^ 

Vom  Herrn  Enrieo  BerianMa  in  Este: 

De  Graecorum   cbroDoiogia  antiquissima  dissertatio.  Patavü 
1880.  8°. 

Vom  Herrn  Ercde  BicotH  in  Turin: 

XiOttere  di  Antonio  Perreuot  ili  Ciiauuela  al  Duca  di  Savoia 
Emanuele  Filiberto.    1880.  8**. 


OigitiÜiifCiOpgle 


880  JS^MiMfMfcifv«»  «Ol»  DrudcBtMiftm, 

Vm  Herrn  &  ^  SMi-Padia  mimstre  des  fimmcee  m  Ckm- 

Uaq&iq-ul-kal&m  fi  ta'rikhi-l-i8lA.m  (tUrkisch)  1880.  8^. 

Vom  Herrn  J,  F.  J,  Biker  m  Liasabon: 
Supplemento  ä  Colle<^ao  de  Tratados.    Tom.  17.    1879.  8^ 

Vom  Herrn  C.  N.  Sathas  in  Venedig: 

Docnments  io^ts  rd.  ä  rhistoire  de  la  Grdoe  an  moyeii  ftge 
L  Serie.   Tom.  1.   Paris  1880.  4^ 


Digitized  by  Google 


Sitzungsberichte 

der 

krtnigl.  bayer.  Akademie  der  AVissenschaften. 


Historische  Classe. 

Sitzaog  vom  5.  Juni  1880. 
Herr  Cornelius  hielt  eineo  Vortrag: 
^,Ueber  das  Verhältniss   von   Kirche  und 
Staat  zu  Genf  in  den  Zeiten  Calvin*».'^ 
Derselbe  wird  in  den  Abhandlungen  veröffentlicht  werden. 

Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  :l  Juli  1880. 

Herr  W 51  ff  1  in  hielt  einen  Vortrag: 

„üeber  die  Latinität  des  Afrikaners  Cas- 
sins  Felix/*  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 
lateinischen  Sprache. 

Unter  den  Disciplinen  der  classischen  Philologie,  welche 
in  den  letzten  Jahrzehnten  neu  geschaffen  oder  wesentlich 
umgestaltet  worden  sind,  nimmt  die  Grammatik,  die  ver- 
gleichende wie  die  historische,  eine  hervorragende  Stellung 
ein.  Denn  die  Grammatik  ist  uns  heute  nicht  nur  das 
unentbehrliche  Vehikel  um  die  Jugend  in  eine  Sprache  ein- 
zuführen ;  sie  ist  nicht  mehr  wie  früher  bloss  die  dienende 
Magd  der  Erklärer  der  Klassiker,  sondern  sie  ist  eine  selbst- 
ständige Wissenschaft  geworilen,  der  es,  abgesehen  von  allen 
praktischen  Nebenz weck(Mi,  vollkommen  genügt  das  Wesen 
und  die  Entwicklung  einer  Sprache  als  des  edelsten  Erzeug- 
jl^^'M  Phil.-phil.  hiat  ni.B<l  I.4.J  25 


382       Sitzung  der  phüosrphUol.  Claase  vom  3.  Juli  1860, 

nisses  des  Menschengeistes  zu  erforschen.  Seitdem  wir  die 
Sprache  als  etwas  Organisches  betrachten ,  dürfen  wir  ans 
nicht  mehr  damit  zufrieden  geben,  die  einseinen  Wortformen 
ihrer  Bedentnng  nach  richtig  zu  benrtheilen  und  sie  richtig 
anzuwenden;  wir  mfissen  aneh  verstehen,  wie  sie  gebildet 
worden  sind,  wie  sie  sich  im  Lunfe  der  .Tahrbun<lerte  ver- 
ändert und  wie  sie  einander  abgelöst  liaben.  Die  älteren 
Philologen  waren  Kindern  zn  yergleichen,  denen  es  genog 
Frende  hereitete  schöne  Blnmen  zn  pflöcken;  wir  wollen 
ihren  Ban  und  die  Gesetze  ihres  Wachsthnmes  erkennen, 
und  wenn  wir  dafür  selbst  das  Mikroskop  anwenden,  so  ver- 
sündigen wir  nns  nicht  nur  nicht,  sondern  unsere  Bew^under- 
nng  wird  nur  von  Tag  zu  Tage  grösser.  Durch  das  Studium 
namentlich  des  Plantns  nnd  der  älteren  lateinischen  In- 
schriften hat  man  eine  Wissenschaft  begründet,  welche  den 
stolzen  Namen  der  historischen  Grammatik  zu  yerdienen 
scheint,  obschon  man  in]inr>glich  verkennen  kann,  duss  wir 
nur  einen  schwachen  Anfang  vor  uns  haben,  and  dass  der 
ganze  Zuschnitt  nnd  die  Abgrenzung  der  Studien  Ton  Tom- 
herein  an  Mängeln  leidet.  Da  wir  nämlich  unter  Geschichte 
nicht  nur  die  aufsteigende  Entwicklung  begreifen,  sondern 
auch  den  Verfall,  das  Vergelien  wie  das  Entstehen,  so  ent- 
*  halten  jene  Forschungen  nur  die  Fundamente  der  neuen 
Wissenschaft.  Wenn  nun  die  deutsche  Gründlichkeit  Yon 
der  Frage  nach  dem  Woher  ausgegangen  ist,  wenn  sie 
mehr  auf  die  Formen  geachtet  hat  als  auf  die  Regeln  der 
Wortfügung  und  die  Schicksale  des  Sprachschatzes,  so  kann 
ihr  diess  nur  zur  Ehre  gereichen;  allein  nicht  nur  gestattet, 
sondern  geboten  irird  es  sein,  die  Frage  nach  dem  Wohin 
heizufügen  und  zu  untersuchen,  nicht  nur  wie  und  woraus 
das  Lateinische  entstanden,  sondern  auch  was  aus  demselben 
geworden  sei;  betont  man  ja  doch  mit  Wohlgefallen  den 
Satz,  dass  die  heutige  Bildung  auf  den  Schultern  der  alten 
stehe  und  dass  die  classische  Philologie  für  die  moderne 


Digitized  by  Google 


WAffim:  Ueher  dU  LaHnm  (leit  Afrikaner  Catmins  FeHx.  888 


nnentbehrlieh  sei,  w&hrend  in  Wirklichkeit  eine  Klaft  dae 

Lateiniscbe  von  den  romanischen  Tochtersprachen  trennt 
und  für  die  Erkenutni.ss  des  Uebergauges  von  Seite  der 
Latiuisteu  beinahe  nichts  geschehen  ist.  Denn  aua  den  Zeiten« 
da  man  lateinisch  lernte  nm  wie  Cicero  reden  nnd  schreiben 
so  können,  wirkt  das  Yornrtheil  nach,  das  Spfttlatein  sei 
«ne  Art  von  89nden&U  and  man  thue  dah^  gni  seine 
Häude  nicht  zu  verunreinigen. 

Eine  ähnliche  Einseitigkeit,  welche  über  den  ersten  Au- 
satasen  die  letzten  Ausläufer  vergisst,  besttdit  darin,  dass 
man  wohl  angiebt,  wann  gewisse  Wörter  in  der  Latinitat 
zuerst  Torkommen  nnd  Ton  welchen  Antoren  sie  in  die 
Litteratur  eingeführt  werden ,  aber  nichts  davon  weis««,  ' 
wann  und  bei  welchen  Autoreu  sie  zuerst  absterben  oder 
als  völlig  abgestorben  erscheinen.  Und  doch  lässt  sich  bei- 
spielsweise ziemlich  genau  bestimmen,  wann  diu  abgestorben 
und  dnrch  longo  oder  muUo  tempore  eraetat  worden  sei« 
Vgl.  des  Vfe.  Latein,  und  roman.  Comparation,  1879,  8.  67. 

Davon  wollen  wir  gar  nicht  reden,  dsi-ss  man  nicht 
entsprechend  der  Theiluug  der  romanischeu  tipracheu  im 
Spätlatein  eine  italiänische,  eine  gallische,  eine  spanische 
Latinitat  nnterscheidet ;  nnd  obwohl  die  Romanisten  langst 
wissen,  dass  das  Spanische  den  Gomparativ  mit  mast  das 
Italiünische  und  FrauzÖsische  mit  piu  und  plus  bildet,  so 
hat  doch  niemand  beobachtet,  dass  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  nach  Chr.  der  Spanier 
Orosios  anr  ümsehreibnng  magiSt  Sidonius  Apollinaris  tob 
Lyon  dagegen  gewöhnlich  plus  anwendet,  das  heisst  also, 
dass  die  Spaltung  bereits  auf  antikem  Boden  sich  Tollzogen 
hatte.  ^)    Auch  die  Eigeuthümlichkeiten  der  afrikanischen 

1)  Vgl.  Orosins  1,  2  m.  utili8,-m.  celeber;  4,  23  m.  deformi$; 
7,  l  m.  8uadibäe;  7,  83  itt.  miser,  m.  norns.  lo  Frankreich  bildst 
noch  Salpidw  Sersroi  («m  400)  den  Companitif  correct  mit  maffi«; 
den  asQcn  Osbnsek  Ton  piu$  bei  8idonins  Mtgi  swsr  der  »swtte 

25* 


Digitized  by  Google 


384      mgmig  der  phao8,-pha6l.  pUuH  vom  S:  Mi  1880. 


Latinität,  yon  der  man  eq  sprechen  und  za  sehrmben  wagt, 
weil  die  Alten  scbon  von  derselben  gesproeben  baben  (vgl. 

H,  Becker,  studia  Apnleiana,  Berol.  1879,  pg.  7),  sind  heute 
noch  weit  davon  entfernt  erkannt  zu  sein.  In  dem  geo- 
graphisch von  Europa  getrennten  Lande  hat  weniger  die 
apraehliche  Beaction  des  am  Hofe  der  Antontnen  massgeben- 
den Bbetors  Fronto  Ton  Cirta,  welcher  am  Neues  zu  bieten 
auf  die  archaische  Latini<»t  Kurftckgriff,  als  das  semitische 
Biut  der  Einwohner  sowie  die  Gluth  der  Sonne  ein  Latein 
erzeugt,  welches  wohl  am  frühesten  und  am  stärksten  von 
der  übrigen  Litteratar  abwich;  und  wenn  wir  auch  keine 
ronumische  Sprache  beeitaen,  wehshe  direet  aus  derselben 
abgeleitet  wkre^  so  hat  dafQr  die  afrikanische  Litteratar 
durch  die  hohe  Bedeutung  ihrer  profanen  Vertreter  und 
am  meisten  der  Kirchenväter,  welche  dem  gemeinen  Manne 
das  Evangelium  in  seiner  Sprache  verkündeten,  auf  die  der 
andern  Länder  in  ungewöhnlichem  Masse  eingewirkt  Bek 
diesem  Stande  der  sprachlichen  Forschung  sind  wir  noch 
lange  nicht  befähigt  zu  bestimmen,  wie  weit  die  roma- 
nischen Sprachen,  deren  Abgrenzung  nach  oben  überhaupt 
SO  schwierig  ist,  mit  der  lateinischen  zusammenfallen,  und 
▼or  der  Hand  ist  nur  so  Fiel  sicher,  dass  Manches,  was 
man  als  romanisch  baeichnet,  bereite  der  römischen  Volks- 
sprache angehörte. 

Ein  im  vorigen  Jahre  zum  ersten  mal  herausgegebener 
lateinischer  Autor,  Cassius  Felix  de  mediciua,  giebt  mir 
erwünschte  Gelegenheit  aus  der  Sprache  zu  ze^n,  dass  der 
YerfiEMser  ein  Afrikaner  war  und  dass  Ton  den  Yerschiedenen 

•  _   

Vermuthungen  über  den  CSassius  Artensis  der  Pariser  Hand-  * 

Schrift  diejenige  die  allein  richtige  ist,  welche  in  ihm  einen 

Herausgeber  Engtoe  Baret  (Paris  1879,  pg.  114)  mit  siaem  BeispieU» 
Ifisst  aber  nieht  erkeaiieii,  dass  er  in  den  Gediehten  wie  in  den  Briefen 
bereite  sor  Bogel  geworden  ist:  carni.  1,  212  /).  (iracis,  7,  78  p.  fclijr, 

I,  501  p,  eautus  n,  s.  w. 


Digitized  by  Google 


Wafßn:  V^w  die  LaiinUät  des  AfHkaner$  Canim  Fdix,  885 

^   

CÜrteDsis  sieht  Vieu  wird  am  bequemsten  durch  die  Ver- 
gleichnng  der  Sprache  des  Afrikaners  Oaelios  Anrelianns 

bewiesen  werden  kiniueu,  welcher  wohl  wenige  Jahrzehnte 
früher  über  die  acuten  nnd  die  chronischen  Krankheiten 
geschrieben  hat.  Freilich  kann  die  afrikanische  Latinität 
nieht  aus  swei  Autoren  reconstruiert  werden,  und  noeh  viel 
weniger  ans  einzehien,  wie  man  es  bei  Apuleins  und  Ful« 
gentins  versncht  bat,  sondern  streng  genommen  nur  aus 
der  Uebereinstimmong  sänimtlicher,  oder  doch  der  meisten 
Afrikaner,  des  Fronto,  Apuleius,  Tertallian,  Porphyrie, 
Cyprian,  Commodian  (der  gewiss  nicht  in  Gaza  lebte),  Ar- 
nobias,  Aurelins  Victor,  Augnstin,  Martianus  Oapella»  Oae- 
liuB  Anrelianns,  Victor  Vitensis,  Folgentins^  Oorippns  n.  s.  w. ; 
indessen  nöthigt  uns  der  Kähmen  unserer  Untersuchung  in 
der  Hegel  bei  den  beiden  genannten  afrikanischen  Aerzten 
stehen  zu  bleiben  und  die  Übrigen  Afrikaner  nur  gelegent- 
lieh zu  berficksichtigen.  Zudem  können  wir  die  fiaupteigen- 
thfimlicbkeiten  der  afrikanischen  Latinität  darum  nur  strei* 
fen,  weil  das  meist  ans  Recepten  bestehende  Buch  des  Oas* 
sius  Felix  uns  nur  einen  geringen  Theil  des  Wortschatzes 
und  noch  weniger  von  dem  üppigen  Stile  der  Afrikaner 
erkennen  laset.  Gleichwohl  würde  man  irren,  -wollte  man 
annehmen,  die  Sprache  der  Aerzte  sei  eine  so  feste  und  an 
bestimmte  Formeln  und  KnnstausdrQcke  gebundene,  dass 
sich  in  ihr  nicht  mehr  der  Strom  der  Jahrhunderte  und 
die  Africitas  nachweisen  liesse. 

üm  aber  den  sprachlichen  Abstand  anderer  nicht- 
afrikanischer  Schriftsteller  Aber  Medicin  wenigstens  an- 
oShernd  ermessen  zu  können,  werden  wir  den  Gelmis,  den 
Scribonius  Largus,  den  Oargilius  Martialis,  den  Schmuis 
Sammonicus,  den  sog.  jüngeren  Plinius  de  niedicina,  den 
Vegetius  de  mulomedicina,  den  Authimas,  die  von  Hagen 
herausgegebene  lateinische  Uebersetving  des  Oribasius,  die 
DynMuidia  und  das  Tatikanische  BruchstüdL  de  re  medica 


386      SÜMung  der  pkii08,"pkiM.  Cla$89  wm  3.  JiiK  18S0. 

bei  Mai,  class.  auct.  VII.  p.  399  ff.  so  oft  es  passend  er- 
scheiot,  tax  Vergleiehnng  heranzieheii.  Dadurch  wird  es 
ans  m5glicb  werden,  wenn  anch  anf  dem  engen  Gebiete 
der  medieiniseben  Lüteratnr  und  wenn  aneb  nnr  an  ein* 

zelnen  ausgewählten  Beispielen,  doch  nachzuweisen,  was  den 
lexikalisch-grammatischen  Studien  noch  fehlt  und  in  welchem 
Sinne  spätere  üntersachangen  anzustellen  sein  werden.  Bs 
fehlt  uns  eben  noch,  wie  eine  ToUständige  historische  Syntax, 
so  eine  historische  DarsteUung  des  lateinischen  Spraeh- 
sdiatises:  eine  Aul^be,  welche  die  Erftfte  eines  Einseinen 
weit  übersteigt,  deren  Lösung  mau  aber  vorbereiten  kann. 
Wir  arbeiten  vor  der  Haud  wie  Piouniere,  welche  durch 
Laufgräben  die  Annäherung  gegen  das  Angriffsobject  er- 
leichtem, aber  rar  schliessUchen  Besitzergreifung  der  Bei- 
bUlfe  grosserer  Massen  bedflrfen. 


Wenn  man  das  im  J.  447  nach  Chr.  geschriebene,  von 
Valentin  Hose  herausgegebene  Buch  de  medicina  aufmerk- 
sam durchliest,  so  muss  einem  gewiss  auffallen,  dass  eine 
Reibe  der  gai\gbarsten  Wörter,  ja  dass  sogar  die  in  einem 
mediciniscben  Werke  scheinbar  unentbehrlichen  Wörter 
morbus,  aeger,  remedkm  in  demselben  nicht  Torkommen. 
Wer  darin  etwas  Auffallendes  finden  wollte,  würde  damit 
nur  den  Beweis  liefern,  dass  er  von  der  Entwicklung  der 
lateinischen  Sprache  eine  höchst  ungenügende  Vorstellung 
besitze ;  der  anf  breiter  geschichtlicher  Grnndlage  arbeitende 
Sprachforscher  dagegen  wird  umgekehrt  finden,  dass  die 
Sache  kaum  anders  sein  könnte.  Denn  gerade  der  BegrifT 
,Krankheit%  für  den  unsere  deutsch  -  lateinischen  Wörter- 
bücher ausser  morbus  etwa  noch  aegrotatio  und  valetucio 
bieten,  ist  in  den  verschiedenen  Zeitaltern  auf  so  unge- 
wöhnlich mannigfaltige  Weise  angedruckt  worden,  daas 
man  glauben  möchte,  die  Benennungen  unangenehmer  Dinge 
nfltaten  sich  rascher  ab,  indem  man  ein  unangenehmes 


Digitized  by  Google 


WülffUn:  Ueber  die  LatuUtüt  des  Afrikaners  Ciufsim  Felix.  387 

% 

Wort  durch  einen  neuen  Ausdruck  zu  umgehen  sucht. 
Tluithiu  hlich  fehlt  das  auch  iii  deu  romanischen  Sprachen 
verlorene  Wort  morbus  nicht  nur  und  nicht  erst  bei 
CassiuH  Felix  mit  der  einzigen  Einschränkung,  dass  i'ür  dia 
Galbsocht  der  tejrminiis  technicns  morbus  ieterieua  und 
regius  p.  67,  18.  128,  6  stehen  geblieben  leb,  sondern  es 
wird  auch  Ton  Gaelins  Aurelianns  sichtlich  vermieden  nnd 
zurück^resetzt  (ac.  2,  3.  chion.  1,  U8.  149.  154.  2,  11. 
3f  131.  5,  81)  und  schon  vou  Scribonius  Largus,  einem 
Arzte  aas  der  Zeit  des  Kaisers  Claudias,  zwar  in  dem 
Kunstansdraeke  morbus  eomiUialie  (Epilepsie)  nnd  artic»' 
laris  m.  eap.  99.  101.  107  festgehalten,  sonst  aber  nar 
selten  e.  III.  112  gebraucht.  Ebenso  ist  Oar^ilios  dem 
hergebrachten  Namen  morbus  ref/ius  treu  geblieben,  hat 
aber  sonst  das  Wort  nur  einmal  gebraucht  (p.  152,  7  ed.  II. 
morho  laborantibus)^  wie  es  auch  im  Bibellateiu  au  einer 
einzigen  Steile  (vgl.  unten  S.  393)  als  Variante  gefunden 
wird,  wogegen  der  classisch  gebildete  Celsns,  der  Natur- 
forscher Plinins  7,  169  ff.,  Serenns  Sammonicns  V.  11.  29. 
34.  105.  133.  152.  178  u.  s.  w.  morbus  noch  als  Normal- 
au>druck  anwenden.  Erst  aus  diesem  Fehlen  bei  mehreren 
Autoren  aber  überzeagt  man  sich,  dass  das  Wort  frühzeitig 
abgestorben  sein  mass,  nnd  wo  es  sich  in  spätem  Jahr^ 
bonderten  gehalten  bat,  wird  diess  dem  Einflösse  der  das- 
slscben  Litteratnr  zuzuschreiben  sein,  wie  denn  beispiels- 
weise die  römischen  Juristen  morbus  beibehalten,  weil  sie 
in  ihren  Erklärungen  von  den  alten  Edicten  ausgehen. 
Fragen  wir  nun,  was  an  seine  Stelle  getreten  sei,  so  dürfen 
wir  die  Antwort  nicht  direct  im  Italiänischen,  Französischen 
nnd  Spanischen  suchen,  sondern  mfissen  weiter  zurückgreifen 
nnd  chronologisch  zu  Werke  geben. 

Schon  GelsQS  hat,  wenn  auch  nur  ausnahmsweise,  die 
Magenkrankhpiten  viiia  genannt  (p.  135,  25.  13(5,  4  ed. 
Dartiinberg)  und  den  kranken  Theil  des  Körpers  vUiosa  pars, 


388      8Unmg  der  phäo8.-phäol,  Claue  wm  S,  /«2t  im. 

p.  25t  14.  16  und  sonst;  ohne  Zweifel  missbräucblich,  da 
die  Alten,  wie  Gioero,  swischen  morbus  und  vitium  unter- 
sehieden  (Tiuenl.  4.  13,  29  morlnm  appeUani  Miu$  ear^ 
paria  eanupiUmemf  viHim  eum  pmies  corporis  iniier  $e 

dissident,  ex  quo  pravitas  mernhronm,  disforHo,  deformUw). 
Celsus  aber  verstand  unter  vitium  nicbt  mehr  eine  fehler- 
hafte Naturaulage,  da  er  die  vitia  auf  den  Magen  herfallen 
(incidere)  lässt.  Dass  die  silberne  Latinität,  welche  Neues 
um  jeden  Prds  rachte  und  ihre  JSfaxe  darein  eetite.  Alles 
wo  mSglidi  nicht  mit  dem  Tocabolnm  proprinm  sa  he» 
zeichnen,  sondern  mit  Sjnonymen  ond  Üchertragungeu, 
sich  das  Ersatzwort  nicht  entgehen  Hess,  konnte  man  im 
Voraus  erwarten,  und  so  spricht  beispielsweise  ihr  Haupt- 
TCrtreter,  der  Philosoph  Seneca,  dial.  5,  10,  3  mitten  in 
einem  Ton  den  morhi  handelnden  Gapitel  Ton  dem  comitioie 
wHmim,  oder  er  stellt  episi  11,  1  corporis  nnd  animi  vitia 
snsammen,  wob«  er  gewiss  nicht  an  Erttppelhaftigkdt 
dachte,  da  es  gegen  beide  Abnormitäten  Heilmittel  geben 
mnss. 

Scribonius  Largus,  der  wie  oben  bemerkt  morhtis  so 
gcflissentlidi  Tcrmied,  hat  an  dessen  Stelle  ziemlich  constani 
viHum  gesetst,  indem  er  in  der  Vorrede  bemerkt,  schon 
die  Alten  hatten  dnrch  Wnneln  nnd  Kr&nter  vitia  corporis 

cnriert,  und  indem  er  mehrmals  wiederholt,  der  Arzt  müsse 
für  jedes  vitium  mehrere  Mittel  kennen,  nnd  im  Nachworte 
auf  die  Medicamente  gegen  die  angegebenen  vitia  zurück- 
weist Im  Verlaufe  des  Werkes  selbst  aber  setrt  er  das 
Wort  cap.  18  sanari  hoc  v.,  88  Tom  Stsar,  50.  51  von 
dem  Nasenpoljp  (o^aiva)^  97  Ton  den  Erfolgen  eines  Arstes 
tn  V.  difficillimiSj  99  von  der  Epilepsie,  101  von  der  Hals- 
starre (tetamis) ,  118  von  der  Darmverschlingung  {eiXeoc,, 
periculosissimum  v.),  127  von  der  Gelbsucht,  105.  173  von 
Magenkrankheiten.  Vgl.  ausserdem  98.  100*  107.  108.  Ueber- 
scfarift  121.  122.  144.  171.  177,  178. 


Digitized  by  Google 


Wülfflin:  Ueber  dit  Lntwität  lUa  Afrikaners  Cassim  Fdu.  389 


Das  Nämliche  gilt  nun  von  Gargilius,  bei  welchem  dem 
zweimaligen  Gebrauche  vou  morhus  16  Stellen  mit  Vitium 
gegenüberstehen,  z.  13.  v.  imhnonis^  fcllis,  geiiitalium,  oris, 
narium^  iecaris^  pedum.  Der  sog.  jüngere  Plinius  ist  zwar 
weniger  zurückhaltend  gegen  m&rhus^  indem  er  ansBer  m» 
articularis  nnd  eomUialis  das  Wort  anoh  sonst  anwendet; 
riel  häufiger  aber  bedient  er  sieh  des  Wortes  vUUm  (a.  B. 
oiirttfNi,  oris,  verendorum^  Umiia,  remtm,  48,  22  ehoUrm  vUmm 
vmiris)^  nnd  swar  so,  dass  er  dieselbe  Krankheit  bftld 
tnarhus,  bald  vitium  nennt:  32,  13.  19.  20. 

Nachdem  einmal  die  abusive  Anwendung  von  vitium 
in  der  Littoratnr  eingebürgert  war,  blieb  es  natürlich  dem 
Gescbmacke  jedes  Einzelnen  überlassen,  das  Wort  in  der 
älteren  oder  in  der  jüngeren  Bedeutung  zn  gebrauchen.  Bei 
Serenas  bezeichnet  es  beispielsweise  die  fehlerhafte  Natur* 
anläge,  so  V*  612,  wo  er  von  der  Kinderlosigkeit  femineo 
viOo  spridit,  oder  90  (ex  viUo  eer^ri  pkrmesis  furiosa 
mavdur)  oder  518;  Gassius  Felix  dagegen  yerstdit  unter 
vüia  unbedeutendere,  vorübergehende,  ortliche  üebel. 

Hätte  Popma  de  differentiis  verborum  beobachtet,  dass 
bei  den  Autoren,  welche  vitium  für  Krankheit  gebrauchen, 
morbm  da£ür  fehlt  oder  zurücktritt,  und  dass  beide  Worte 
oft  genug  von  der  gleichen  Sache  gebraucht  werden  und 
einander  abIdeen,  so  hätte  er  sich  die  Muhe  ersparen  k5nnen 
einen  Untersehied  ansinsinnen.  Aber  daran  leidet  ja  eben 
noch  die  moderne  Synonymik  und  daran  kränkeln  unsere 
Gommentare,  dass  sie  Untersehiede,  welche  etymologisch  be- 
gründet sind  und  in  irgend  einer  Periode  der  Litteratur 
Berechtigung  haben  mögen,  auf  die  ganze  übertragen  uud 
gegen  die  V^erschiedenheiten  der  Zeitalter  und  der  Individuen 
halb  blind  sind.  So  konnten  schon  die  classischen  Juristen 
über  den  Unterschied  Ton  maneipium  morbosum  (ygl.  Cato 
de  re  r.  2  $mm  marhanta)  und  numeipium  vitiosum  nicht 
mehr  ^mf  werden,  und  nicht  genug,  dass  Labeo  von  Balbus 


Digitized  by  Google 


390       SUäung  der  phUwt.'phiM,  Clasae  vom  3.  Juli  1880, 

abwich,  bezog  er  morbus  bald  mit  Cicero  auf  den  ganzen 
Körper,  bald  wieder  auf  den  einzelnen  Theil,  was  schon 
dem  Gellius  4,  2  auffallen  ronsete.  Vgl.  ülpian  DigeeL 
21,  1,  1. 

Walirend  siefa  nnn  wHum  in  der  Bedentong  ?on  Krank- 
heit iu  den  romanischen  Sprachen  nicht  behauptet  hat, 
setzte  sich  im  Italiiluischen  und  Spaniselien  infirmitas 
fest.  Abgeschlossen  war  diese  i3edeutung  des  Wortes  spä- 
testens im  An^ge  des  sechsten  Jahrhunderts  bei  Anthimns, 
welcher  den  sani  regelmSssig  die  infirmi  gegenfibersteUt, 
23.  29.  35.  45.  47.  48.  51.  59.  Im  classischen  Latein  frei- 
lieb bezeichnete  infirmitas  nnr  Unpässlichkeit,  zarte  Con- 
stitution oder  Kränklichkeit,  und  das  immer  nur  in  Ver- 
bindung mit  corporis  oder  valetudinis^  z.  B.  Cic.  offic.  1,33, 
121.  epist.  7,  1,1;  ohne  diesen  Zusata  ersch^nt  das  Wort 
erst  später  bei  Taeitus,  Sneton  n.  A.  und  zwar  noch  in 
der  alten  Bedeutung,  da  ja  der  Redner  Messala  Oornniia 
in  den  Einleitungen  seiner  Reden  sich  mit  seiner  infirmitas 
zu  entschuldigen  pflegte  (Tac.  dial.  20.  23),  und  eine  in- 
firmitas des  Kaisers  Tiberius  (auch  mit  languor  bezeichnet 
und  einem  gravior  morbus  entgegengesetzt,  Sueton  Tib.  72) 
denselben  nicht  hinderte  activen  An  theil  an  den  ludi  ea- 
strensee  an  nehmen.  Emster  scheint  indessen  das  Wort 
hm  dem  jüngeren  Plinius  gefasst  ad  Traian.  6,  1  praxima 
infirmitas  mea  obligaxnt  mc  Postumio  medico.  Das«  es  später 
geradezu  in  die  Rechte  von  morbus  einrückte,  darüber  kann 
kein  Zweifel  sein,  so  bei  Plin.  iuu.  7,  3  ed.  Rose  propter 
nmrum  infirmiicUem  fraudea  mMeomm  experiri ;  auch 
Fulgentins  myth.  3|  10  macht  wohl  keinen  Unterschied  mehr 
swischen  maiifus  und  infirmUas^  wenn  er  sagt:  aUud  est 
morboruni  agnoscere  merifum,  aliud  infinnltutis  venicntcm 
concursum  medtri^  und  bei  Oribasius  1,  2U.  3,12.10.  11,25 
sind  infirmit  itifirmiares^  ififirmantes  die  Kranken  wie  bei 
Anthimns, 


Digitized  by  Google 


Wülfllm:  Ueber  die  LatinUnt  des  Afrikaners  Cassius  Felix.  391 

Bei  den  Afrikanern  Caelins  nnd  CSttwine  wt  der  Normal- 

ausdruck  für  , Krankheit'  passio  geworden.    Dies.s  wollpu 
wir  nicht  durch  einige  hundert  Beispiele  beweisen,  sondern 
zanächst  damit,  dass  der  handschriftliche  Titel  des  einen 
Hauptwerkes  dee  Gaeliius  lautet  cderum  paasionum  liM  tres 
(1, 1. 183.  2,  1.  3,  1),  wie  der  des  nnr  fragmentarisch  er- 
haltenen de  sigiiificaUme  diaetetiea/nm  passwmm :  Tgl. 
Val.  Rose,  Anecdota  graeca  et  graecolatina,  2.  Heft,  Berlin 
1870.  p.  206.    Wenn  das  andere  vollständig  erhaltene  ge- 
wöhnlich morhonm  chronicorum  lihri  V  überschrieben  wird, 
8o  fahrt  es  doch  der  Aator  selbst  in  der  Vorrede  als  |mw- 
siomm  tardarum  ein.   Aber  auch  in  den  DebersetKnngen 
der  Titel  der  von  griechischen  Vorgängern  geschriebenen 
Werke  finden  wir  regelmässig  das  Wort  passio  wieder,  so 
acut.  1,  4  Herophilns  de  passionihus,  1,  6.  17.  116.  2,  37. 
225  Asclepiades  de  celeribus  passümibus,  1,  155.  2,44  The^ 
fftüofi  scribens  eelerum  poBsiamm  euraHmtea,  2,  33  Diocka 
de  passicnihus  cUque  eausis  earum,  chron.  2, 184.  3,  12.  14 
I^emiBOH  in  libro  (ardarum  paasiamim ,  8,  98  HeraeUdes 
seeundo  intertiarum  passionum,  und  so  oft,  so  dass  Stellen 
wie  chron.  2,  184  JUppocrates  de  morhls  /u  den  Ausnahmen 
gehören.^)  Genau  ebenso  drückt  sich  Cassius  aus  (und  schon 
damit  Venrath  er  sich  als  Afrikaner),  indem  es  nach  ihm 
etgniiaf  aurium,  oeulanm  passionea^  eine     freneiiea,  phüiir 
aka^  sifnanehiea^  tetonica^  stamackieat  ^oieneHea^  epaHeOf 
nifreüea  ^  Hliitea,  eardiaea^  ehchriea  n.  s.  w.  giebt.  Damit 
ist  auch  der  Ursprung  dieses  neuen  Ausdruckes  bezeichnet, 
der  otlenbar  von  dem  den  Methodiker  Soranus  übersetzen- 
den Caelius  ans  dem  Griechischen  (itox^os)  herübergenommen 

1)  Diess  dürfte  auf  eine  ältere  lateiniache  UebersetzunK  des  Ilip- 
iwkrates  zurückzuführen  sein.    Da  aber  in  dem  von  Rose  dein  CaeVms 
beii^elegten  Bruchstücke  de  »alutaribus  praeccptis  repelmässip  mmhux 
>?el.raucht  ist  (p.         1K4.  1H5.  1H6.  190.  HU  a.  a.  O.),  viel  seltener 
^Miinno,  ao  he^t  hier  »ocb  Stoff  sa  einer  weiteren  Unteraucbun^j  vor, 


392       SUMung  der  phOos^-phiM,  Clane  wm  3.  /nIi*  mo. 

ist  In  die  romaniscben  Sprachen  aber  hat  er  wohl  dämm 
keinen  Eingang  gefnnden,  weil  das  Wort  theils  die  Leiden- 
sehftft,  tbeils  im  bibliieben  Sinne  das  Leiden  Christi  zu  be- 
zeichnen hatte. 

In  Anbetracht,  dass  im  Spanischen  Krankheit  oft  durch 
mal  wiedergegeben  wird,  mag  hier  noch  daran  erinnert 
werden,  dass  sohon  Scribonios  mal  um  in  dieeem  Sinne 
gebraucht  (171  correptm  hae  mah^  182.  186  mailo  eireim^ 
veHtus) ,  dass  Plinins  88,  20.  40,  14.  48,  22  Rose  die  Ele- 
phantiasis, die  vomica,  die  cholera  ein  mdlnm  nennt,  so 
dass  es  auch  hier  an  Anknüpfun^spnncten  nicht  fehlt. 

Wir  haben  damit  den  Stoff  kaum  /.ur  Hälfte  erschöpft; 
denn  es  wäre  noch  nachzuweisen,  wie  lange  sich  cl:v.s  clas- 
sisehe  vaktudo  erhalten  hat,  wie  aegroiatio  yielfacb  der 
aeffrUudo  nnd  aegrimoma  (aegrimamum)  weichen  mnsste, 
welche  Ansdebnung  languor  («.  B.  Plin.  See  inn.  pg.  7, 
8.  18),  m  aliy  n  i  tas,  inco  m  m  odit  as  und  i  naeq  u  a- 
liias  gewonnen  haben,  wie  auch  causa  (eit^entl.  Krauk- 
heitsnrsache)  der  Bedeutung  von  Krankheit  nahe  gekommen 
ist;  Tgl.  Qargilins  Martialis,  index  von  Rose,  Gaelios  chron* 
2, 213.  Dn  Gange,  glossar.  med.  aevi  s.  Die  synonymischen 
Unterschiede,  welche  bei  allen  diesen  AnsdrQcken  ursprüng- 
lich müssen  vorhanden  gewesen  sein ,  sind  im  Laufe  der 
Zeit  immer  mehr  verwischt  worden.  Wer  sich  aber  ül>er- 
xengen  will,  wie  die  beiden  Afrikaner  in  dem  Gebrauche 
von  aegriiudOt  welches  die  classische  Latinität  nnr  Yon 
Seelenleiden  gebrancht,  zusammenstimmen,  der  vergleiche 
nnr  Caelius  acut.  1,  12.  33.  81.  88.  109.  164  mit  Gassina 
12,  l  macronosia,  id  est  longa  aegritudhiCy  24,  5  in  acffri^ 
tud'mihus  malujnis,  24,  7.  47,  1.  GO,  1  in  aegritudine  acuta^ 
60,  2  pcssimam  aegr,  u.  s.  w. 

Werfen  wir  sum  Schiasse  noch  die  Frage  auf,  was 
diesem  so  vielfältigen  Ersätze  des  Wortes  morbus  au  Grunde 
liege,  so  ist  es  doch  wohl  das  Moment  des  Enphemismns, 


Digitized  by  Google 


Wmffiin:  Uebn  die  JMtinm  de»  Äfrikamrs  CassiM  Felix,  393 

Da  nämlich  morbus  mit  mors  und  mit  marcere  zusammen- 
hängt, 80  bedeutet  es  ursprünglich  eine  tixUliche  Krankheit 
oder  ein  Siechthum,  and  dass  ihm  der  widrige  Beigeschmack 
in  der  Volkssprache  blieb»  lehrt  uns  am  besten  die  latei* 
nische  Ueberwteaog  Yon  evang.  Lneae  21, 11  cod.  CSantabrig., 
wo  es  Dicht  filr  wooe,  sonder^  f&r  lotftog  steht  ^  Hit 
moHnu  TefgUcheo  beseichnen  alle  andern  Anedrücke  die 
Sache  tob  einer  weniger  schlimmen  Seite.  Valehtdo,  eigent- 
lich das  Befindeu,  verbindet  sich  bei  Cicero  zumeist  nur  mit 
incommoda  oder  infirtna^  bei  Celsus  2.  praef.  mit  adversa^ 
wodurch  es  erst  der  Krankheit  gleichbedeutend  wird;  vitium, 
ursprünglich  Naturfehler,  lässt  sich  sogar  mit  integra  vaU* 
tudo  vereinigt  denken  (Cic  Tnsool.  4,  29) ;  die  Verschärfong 
dee  Wortes  infirmUas  ist  oben  besprochen,  nnd  pa$9ia  fitsst 
nnr  die  schmerzliche,  nicht  die  gefthrliehe  Seite  ins  Angc 
Der  Arst  selbst  wird,  nm  den  Kranken  nicht  an  erschrecken, 
AtT  Sache  einen  milderen  Namen  zu  geben  bemüht  sein, 
und  wonn  wir  nicht  von  Typhus  sprechen  wolleu,  so  nennt 
muii  es  Gastricismus.  Umgekehrt  haben  sich  die  das  Gegen- 
theil  bezeichnenden  Worte  sanitas  und  saliM  in  den  roma- 
nischen Sprachen  unverändert  erhalten.  Das  mit  mcdato 
(s=  male  kabUna)  abgeleitete  iialianische  SnbsfcantiT  malattia, 
firana.  mdladie  erinnert  an  den  Gebraoch  Ton  habUuda^ 
welches  nach  den  Wörterbflchem  nnr  die  inssere  Gestalt 
beseichnen  soll,  bei  den  Hedidnem  aber  aneh  die  Gon-> 
stitution  und  damit  das  Befinden  ausdruckt,  so  dass  es  mit 
forfis ,  laxus  und  ähnlichen  Adiectiven  verbunden  wird. 
Vgl.  Caelius  ac.  2,  172;  Cassius  172,  6  und  ^axi^ia;  Cas- 
shis  3,  17.  11, 13.  66,21.  lOö,  16.  175,  14.  179,  17.  20. 

Wir  sagten  oben,  dass  aeger,  welches  bei  Celsus  nnd 
Scribonins  constant  den  Patienten  beseichnet,  beeiehnnga- 


1)  Xtfwi  xni  Xot/nni  fttoi-rat,  Cant.  fames  et  morhi,  die  andeito 
Uanditchriften  ittstilcniiae  (jtenteitj  et  fawen.  Vgl.  evang.  Hatth*  24,  7. 


Digitized  by  Google 


394       aUäung  der  pMoarpkiki,  Claue  vorn  3,  Juli  1880, 

m 

weise  der  Plnral  aegri  (Gels,  praef.  1  gflniiatem  aegris  me- 
äieim  promitHt  n.  s.  w.  Serib.  Vorrede)  bei  Cosdae  fehle. 
Dm  Wort  kommt  bei  den  SpStem  immer  seltener  vor,  bei 

Pseudoplinius  7,  11.  Gargilius  180,6.  1H8,  9;  es  fiel  als  ein 
zu  wenig  körperhaftes,  und  erhielt  einen  bequemen  Stellver- 
treter an  aegrotus  und  Qegrotans^  wofür  man  bei  Caelias 
und  GasaiiiB  mit  Leichtigkeit  Diitsende  and  Hunderte  ?on 
Beispielen  findet.  Die  Genauigkeit  erfordert  beixufOgen,  dass 
eteger  allerdings  einmal  sich  bei  Oassius  findet  (150,  17 
si  aeger  bullire  coeperiDy  was  natürlich  die  oben  aufgestellte 
allgemeine  Behauptung  nicht  umstürzt,  etwas  häutiger  hei 
Gaelius.  Dolentes  nennt  die  Kranken  eiunial  Pliuins  27, 
27;  laborantes  Scribonins,  auch  qui  labarant  cap.  16; 
auch  Gaelius  und  Cassin»  gebrauchen  sowohl  laharans  als 
laborantes.  Entspreebend  ihrem  Gebrauche  Von  passio  setsen 
die  beiden  Afrikaner  aber  auch  massenhaft  padens  und 
.  paiicntes^  mit  und  ohne  Angahe  eines  bestimmten  Kör- 
pertheiles  oder  einer  bestimmten  Krankheit  im  Ablativ. 
Die  Jüngern  Ausdrücke  beschränken  sich  somit,  ähnlich  wie 
bei  dem  absiracten  Substi<ntir,  euphemistisch  auf  die  Be- 
zeichnung' des  Schmerses,  wahrend  morhidus  und  fwor- 

< 

hosus  uie  recht  in  Aufnahme  kommen  wollten,  das  erstere 
auch  vorwiegend  von  Thieren  gebraucht  wird,  z.  B,  bei 
Vegetios  mulomed.  1, 17.  25.  2,  6.  4, 11. 

Remedium,  das  classische  Wort  für  Heilmittel,  noch 
bei  Scribonius,  Gargilius,  Pseudoplinius  regelmässig  ge- 
braucht, findet  sich  gar  nicht  bei  Oassios  und  nur  selten 
bei  Gaelius  (z.  B.  acut.  1,  65.  143),  vermittelt  Tielleieht  durch 
die  Benützung  älterer  lateinischer  Uehersetznugen  griechi- 
scher Aerzte,  z.  ß.  acut.  2,  154  Hippocrutcs  pcripneutnonicae 
inguU  retmdium  aptandum  ex  cocco  etc.,  wie  wir  ja  sciion 
oben  morbus  in  Hippocrateseitaten  statt  passio  gefunden 
haben.  Variationen  bot  schon  die  classische  Latinitat  mit 
medicamen  und  medieamentum  (v^l.  0?ids  medicamma 


Digitized  by  Google 


Wulfflin:  fJeher  die  LcUinität  des  Afrihanera  Casaiun  Felix.  395 

faciei  neben  dessen  remedia  amoris),  von  denen  schon  Scri- 
bonius  Gebranch  macht,  ausnahmsweise  anch  Caelius,  der 
ehren.  2,  93  auf  seine  eigenen  libri  medicaminum  verweist, 
und  Cassius  63,  7  (medicamentis  topicis^  id  est  localibus)^ 
71,  7.  101,  14.  112,  13.  121,  5  u.  s.  w.  Allein  als  das 
eigentliche  vocabulum  proprium  erscheint  bei  beiden  Afri- 
kanern das  von  De  Vit  und  Georges  nicht  beachtete  ad- 
intorium^  welches  sie  mit  Adiectiven  wie  localis^  topicus^ 
specialiSt  diaforeticus  verbinden,  chron.  1,  35.  39.  40.  98. 
2,  40.  acut.  1,  70;  Cassius  3,  12.  10,  13.  16,  2.  24,  14. 
34,  6.  35,  18  und  oft.  Im  medicinischen  Sinne  wird  man 
dieses  Substantiv  wohl  bei  Spätem  treffen ,  wie  in  der 
lateinischen  Uebersetznng  des  Oribasius,  die  auch  passio  aus 
der  Africitas  angenommen  hat,  kaum  bei  altern  Aerzten,  die 
lieber  auxilium  oder  adiuinentum  gebrauchen.  Da  nun 
ein  äusserer  zwingender  Grund  von  den  in  den  romanischen 
Sprachen  erhaltenen  Worten  remedium  und  medicamentum 
abzugehen  nicht  vorliegt  und  adiutorium  schwerlich  als 
üebersetzung  eines  griechischen  Ausdruckes  zu  fassen  ist, 
80  werden  die  übrigen  Variationen,  denen  auch  die  dyna* 
midia  bei  Mai  class.  auct.  VII.  399  anzureihen  sind,  der 
Reclame  ihren  Ursprung  verdanken,  indem  die  Heilkünstler 
ihren  als  neu  angepriesenen  Mitteln  auch  neue  Namen 
glaubten  geben  zu  müssen. 

Da  bei  medicinischen  Vorschriften  oft  genauere  Be- 
stimmungen über  Beobachtung  von  Tageszeiten  und 
Jahreszeiten  gegeben  werden ,  so  bietet  sich  uns  die  Ge- 
legenheit die  Entwicklung  jener  Ausdrücke  auf  dem  Gebiete 
der  medicinischen  Litteratur  zu  verfolgen.  Die  Bezeichnung 
des  Morgens  war  bei  den  Römern  eine  mangelhafte,  weil 
mune  gewöhnlich  als  Ablativ,  in  Verbindung  mit  Adiectiven 
und  Fürwörtern  auch  als  Nominativ  und  Accusativ  fun- 
gieren musste.  Nicht  nur  für  den  Plural  griff  Cicero 
epist.  7,  1,  1  zu  ma  tut  in a  tempora,  Celsus  33,  15  zu 


896       8itmm(f  der  pkOos^-phiM.  OloiM  vom  3.  Mi  1800, 

flNoMtfiM  Umporibus  (uuüog  28,  4  mtnäkam  ^.)«  28,  ö  ni 
umkurimt  maiuttmSt  vesperHms  tempanbus,  londero  auek 
die  Casus  des  Singniar  wurden  gerne  umschrieben,  wie  bei 
Celsus  33,21.83,25.  niatuimo  tempore  neben  mane^  SuetoD 
August.  44  in  sequefiiis  diei  matutimm  tetnpus^  Uygin 
Fab.  189  zweimal  und  CSassins  65,  l  matutino  tempore» 
Ohne  SubstantiT  wird  namentlich  mo^u^tiio  oft  vom  Natur- 
fortcher  Plinins  gebranoht,  s.  B.  7,  181.  9,  36.  11,  30. 
18,  271.  310.  312.  20,  80  und  bei  Apuleina  Metam.  9,32; 
aber  auch  malutinum  (vgl.  t(üO^tyor)  als  Subject  findet  sich 
bei  Seneca  epist.  83,  14;  a  matutino,  ad  nmtutinum,  in 
mattUimg  u.  ä.  im  Kircheulateiu,  Rönsch,  Itala  und  Vulg. 
103;  a  matuUno  bei  Fulgentiiia  1,  11.  Caeliua  sebeint  in- 
desaen  alle  dieae  Auedrttoke  au  vermeiden ;  denn  er  aehreibt 
aent  2,  28  primo  tempore  lueis^  ehron.  2,  60  äiuma  em 
luce,  2,  197  vefiietite  lucc,  und  ähnlich  Cassius  lue  esc  ante  die 
14,  16.  27,  8.  177,  IG.  bo  war  franz.  matin^  itai.  mattino 
im  Lateiniacheu  längst  vorbereitet. 

Den  normalen  Ablativ  oder  Lokativ  vespere  des 
Cekna  (83,  19.  151,  22.  23.  225,  6  nnd  oft)  haben  aowohl 
Oaelina  als  Caasins  bereits  eingebösst;  denn  Qsssins  sagt 
gewöhnlich  (lOmal)  vespertino  ietnpore^  wie  aach  Caelius 
ac.  1,  133,  ehron.  2,  210;  oft  ad  vesper am  mit  Be- 
nützung der  kräftigeren  Femininiorm  (4,  4.  14,  15.  91, 10. 
21  n.a.  w.),  welchem  J>ei  Caalios  eirca  weperam  entspricht. 
Vespero  tempore  hat  Caelios  ac  1,  154  nur  in  einer  An- 
führung ans  Aaelepiadee  nnd  entsprechend  1,  141  vespenm 
tempus  in  einem  Oitate  desselben.  Ebendaselbet  wird  aas 
Asclepiades  angeführt :  nniura  vcsperum  ob  aeris  crassi'^ 
tudinem  iti/ktt  corpora,  wo  vermutblich  vespero  zu  lesen  ist, 
wie  wenige  Zeilen  vorher.  Man  wird  daraus  scbliessen 
dürfen,  dasa  Caeliua  bereits  eine  lateinische  Ueberaetmog 
des  Asclepiades  benütate;  denn  hfttte  er  ihn  selbst  fiber- 
setzt, so  wurde  er  sich  seiner  eigenen  Latiniiit  bedient 


Digitized  by  Google 


Wolfflin:  Ueber  die  Latinität  des  Afrikaners  Castius  FeUx.  397 

liabeu.  Wir  .selieu  hier  also  nur,  wie  vcsjJer  abstarb ;  vou 
dem  Ersätze  durch  das  Adiectiv  serns,  spät  (vgl.  franz. 
soir^  itaL  sera)  ist  ausser  Gassius  177«  15  horis  serotinis 
kdne  Spar,  obschon  beveits  Sneton  tii  serum  gebraucht, 
ohne  das  bei  den  Klassikern  beigefügte  diei. 

Dies  selbst  ist  bekanntlich  durch  diurnum  ersetzt 
worden ;  zuerst  vielleicht  in  der  Litteratur  belehrt  durch 
Caelias  ac.  2,  228  dari  viiium  noctihns,  diumis,  wofür  er 
sonst  noete  atque  die  sagt,  ac.  3,  89.  chron.  -i,  20.  Den 
üebergang  bildete  selbstTerstSndlicb  diurnum  tempua  bei 
Oaelios  cbrou.  3,  72.   üeber  diumis  didnts  weiter  nnten. 

Von  den  Benennungen  der  Jahreszeiten  haben  sich 
zwei  in  den  romanischen  Sprachen  erhalten,  Sommer  und 
Herbst,  während  die  beiden  andern  eine  Veränderung  er- 
litten haben,  Frühling  und  Winter.  Statt  des  .unbildsamen' 
Atems,  wie  Dies  das  Wort  nennt,  konnte  hibernum  ge« 
nflgen.  Zwar  ist  weder  bei  Oaelins  noch  bei  Cassius  ein 
Gssns  von  hiems  abgestorben,  aber  hieme  wechselt  doch 
schuu  mit  hiOcDio,  in  JiibeniOy  hihento  tempore ^  Cael.  ac.  l, 
157.  2,90.  chron.  :>,  2.  Cassius  41,  6.  70,  14.  00,5.  Auch 
hibernus  (nämlich  amius)  ward  gebildet,  z.  B.  anual.  Laures- 
kam.  ad  an.  764  bei  Portz,  monnm.  Germ.  I.  24  ff.:  hiber^ 
ms  grandis  et  durus^  welchen  Worten  in  den  annal.  Nazar. 
ni  demselben  Jahre  hiems  yrandis  et  durus  entspricht. 
Aunal.  Alaman.  ad  an.  797  ibid.  fotufu  hibernum  sedit, 

Ver  der  Frühling  war  zu  kurz  und  durch  Homonyme 
bedroht.  Da  es  im  klassischen  Latein  keinen  Plural  bildete 
(Neue,  Formenl.  I*,  418),  so  war  man  dafür  bereits  aof  eine 
Umschreibung  angewiesen,  wie  sie  Geisas  gebranehte  218, 8 
vernie  temporibue^  Tertnllian  de  resurr.  cam.  12  Mernes  et 
aestates  et  vema  et  autumm;  diese  lag  um  so  näher,  ala 
schon  Cato  de  re  rust.  54  venio  —  vere  gebraucht  hatte, 
and  von  da  an  findet  sich  gerade  der  Ablativ  nicht  selten, 
2.  B.  bei  Plinius  Natargesch.  19,  95  Atem«,  vemOf  um  die 
[1880. 1.  PhiL-phn.  bist  a  Bd.1.  4.]  86  . 


Digitized  by  Google 


398       Sit  zuHif  der  jJiihs.-fihUi^.  Clanne  com  3.  Juli  ISSO. 


Collision  mit  dem  Adverb  vere  za  yermeiden,  bei  Mari. 
Cap.  6,  HOl  =  pg.  23'J,  10  Kys.  Später  wurden  auch  die 
übrigeu  Caaan  mit  Hülfe  des  Adiectivs  gebildet,  und  so 
finden  wir  nicbt  nnr  vertio,  vemo  tempore  bei  Caelius  obron. 
1,71.  3, 110.  5,30.  Gnadus  160,  2.  169,  16,  sondern  ancb 
ventt  temparis  inUio  bei  d^lios  ehr.  1,  iil,  vemum  tempus 
bei  Boetinit  eomment.  AHstot.  ^ieQi  ^gfn^r.  II.  184,  15  Meie. 
Genau  entsprechend  ist  in  der  griechischen  xo/iiy  ^agnnr^ 
(toQa)  und  .Vc^c/Vr  ;in  die  Stelle  von  HtQ  und  »//(^f^s  getreten, 
z.  B.  bei  Polyb  3,  34,  0.  5,  1,  3  und  oÜ.  Und  doch  ko nuten 
sich  die  romaniKchen  Sprachen  mit  vemum  =  ver  (analog 
Mbermm  =  hieim)  nicbt  begnSgeu,  weil  die  Italüner  ihren 
Namen  des  Winters  invemo  selbst  in  vemo  kunsten,  nnd 
diese  nämliche  Form  hente  noch  als  Bnbstantiv  auf  den 
Winter,  als  Adioetiv  auf  den  Frühling  beziehen.  Man  hätte 
scheinbar  noch  mit  verualc  helfen  können,  wie  Cassius 
155,  19  vcmdli  tempore  »agt,  wenn  nicbt  auch  diese  Form 
sich  mit  JnbemaUs  berührt  h&tte,  so  dass  das  italianisohe 
vemale  sowohl  ,den  Frühling  betreffend^  als  »winterlich^  be- 
deutet. So  griffen  die  Franzosen  zu  der  Cmschreibung 
j)rimum  tcmpus  (jfriitfemps) ,  die  Italiäner  y.npr  ima- 
veray  welches,  eigentlich  IMuralform  des  Neutrunis,  nach 
Analogie  von  gaudia^  la  joie  weiblich  wurde.  Wie  alt  diese 
Bildung  sei,  sagt  uns  eine  in  Klaosenboig  gefundene  und 
in  der  Epbemeris  epigraph.  II,  8.  310,  No.  409  TerdflCeni- 
lichte  Inschrift  PRIMA  VERA,  welche  als  ErlSntemng  eines 
Amors  mit  Fruchtzweig  und  umgekehrter  Fackel  dient. 
Nur  hätte  Neue  I",  41b  diese  Form  nicht  eine  räthselhafte 
nennen  sollen.  Vielleicht  bedeutete  prima/nera  ursprüngheh 
nicht  den  ganzen  Frühling,  sondern  nur  das  erste  Drittd, 
da  Servins  primmn^  mednm  nnd  aäuUnm  ver  nnterscheidefc. 

Um  aber  Ihre  Geduld  nicht  zu  lange  mit  diesen  nüch- 
ternen Auseinandersetzungen  auf  die  Probe  zu  stellen,  werfen 
wir  nur  noch  einen  Blick  auf  den  Speisezettel  der  liecou- 


Digitized  by  Google 


Wätfßin:  Ueber  die  Latiuität  dei  Afrikaners  Cassius  Felix.  899 


TileBcenien ,  und  ich  hoff»  in  Ihrem  8inne  m  handeln, 
w«nn  ich  Wildpret  und  (ieHü^el  auswühle,  freilich  nur 
um  zu  zeigen,  wie  sich  die  Bezeichnungen  dafür  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  verändert  haben.  Für  Wildpret  bieten  uns 
die  älteren  Aerzte  nicht  weniger  als  vier  Ausdrücke,  Scri- 
bonina  134  earo  agrestis^  CelmiB  64,  19.  66,  18  feräf 
ebenderselbe  quadrupedes  mit  Ansschhus  der  dmHesiieae 
(64,  26  ex  quadrupedibus  Uparem) ,  endlioh  gewöhnlich 
venatio  70,  6.  137,  11.  142,  18.  209,  15.  Unsere  beiden 
Afrikaner  stimmen  nun  darin  überein,  dass  sie  gerade  den 
häufigsten,  von  den  romanischen  Sprachen  adoptierten  Aus» 
drack  veinatio  (ital.  venasUmet  franz  imm$on\  ROnsch, 
Itala  327)  nicht  kennen,  sondern  sich  anf  quadrupedes  be- 
schränken. Steht  dieses  bei  Gaelins  dem  Geflügel  gegen ül)er, 
so  bedarf  es  keines  weiteren  Zusatzes  (ac.  3,  95.  ehr.  3,  35) ; 
deutlicher  schreibt  er  agrestea  (nämlich  quadrupedes) 
chron.  1,  26.  2,  30.  107.  3,  92.  4,  69.  74.  5,  136.  137), 
doch  immer  ntir  in  der  Form  des  Genetiv,  Dati^  oder  Ab- 
latiT,  so  dass  man  ancb  einen  Nominativ  aqrettia  annehmen 
kann:  ferae  im  Plnral  finde  ieh  bei  Oselins  nnr  in  An- 
fuhrungen aus  Asclepiades  chron.  3,  142  147;  Cassius  aber 
lehnt  sich  in  seinem  Sprachgebrauche  an  Caelius  au,  indem 
er  35,  13  quadny^ibua  gebraucht  und  9, 11  quadrupcdütus 
mUfetiribua,  was  nur  eine  Variation  an  offretübus  ist. 

Den  Begriff  «Geflügel^  drückt  Cicero  mit  bestiae 
volatiles  ans,  Cicero  nnd  8eribonias  134  mit  volueres^ 
Colnmella  mit  volatile  pccus^  Celsus  mit  avis  collectiv 
oder  mit  aves  (64,  20.  26.  65,  33.  07,  18.  69,  2.  70,  26. 
71,  27.  137,  11.  142,  17.  151,  25.  209,  14),  selten  mit 
mueupium  70,  6.  Hier  gehen  Caelina  nnd  Cassins  aoa- 
nabmsweise  etwas  auseinander;  denn  der  erstere  hat  «o- 
Zofi^ta  gewählt  ac.  1, 95.  ehr.  2, 106,  nnd  ansseidem  etwa 
20ma1  im  Genetiv,  Dativ  oder  Ablativ,  während  avieulae 
bei  ihm  ehr.  1,  22  nur  das  kleinere  Geliügel  bezeichnet, 

26* 


M  *  Digitized  by  Google 


400       SiUimg  der  pkOoB^-phOol,  daase  wm  3.  JuU  ISBO, 


neben  piices  tmen  (^gl.  itaL  uee9Üi^\  Gusins  dagegen  hälfe 
sieh  ebenso  consfeant  an  die  Form  volatilia  9, 11.  35«  13« 
148,  15.  184.  2.    Naeh  Rdnscb,  Itala  105  ist  volatilia  der 

vulgärere,  auch  im  Bibellatein  übliche  Ausdruck,  der  sich 
in  dem  franz.  Femin.  volaillc  und  in  dem  ital.  volatili  er- 
halten hat.  Den  Ausdruck  hat  schon  der  Afrikaner  Ter- 
tnUian  in  Bibelcitaten  ad?.  Hermog.  22  s  Genes.  1,  20, 
ad  oxor.  1, 4  =  Matth.  6, 26,  daher  er  im  Spätktein  nicht 
selten  ist,  so  bei  Chalcidins  Plat.  Tim.  119  voUxfüia^  na/niia^ 
bei  Oribasius  23,  30  Haj^en  und  gewiss  auch  25,  10,  wo 
das  handschriftliche  volatibu^  eher  in  vciatiUbus  als  in 
vohmtibus  zu  bessern  sein  wird. 

Dass  in  den  modernen  Recepten  unter  den  Flüssigkeiten 
aqua  fontana  eine  Hauptrolle  spiele,  ist  anr  Genfige  be- 
kannt, und  die  Aerste  können  sich  daftlr  anf  Celans  be- 
rufen ;  unsere  beiden  Afrikaner  schreiben  durchweg  aqua 
dulciSi  was  wohl  eine  llebersetzung  von  i]dvg  sein  dürfte 
(Cassius  73,  15.  74,  14-  76,  10.  129,  3.  146,  2.  190,  20. 
Caelios  öfters).  Das  Quellwasser  steht  im  Gegensätze  Kom 
Regenwasser,  welches  die  Aelteren  meist  aqua  pluvia  oder 
pUmiaUs  nennen  (Cicero,  Plin.  mai.),  die  Afrikaner  aqua 
eaelestis  mit  einem  ursprünglich  dichterischen,  doch  schon 
von  Livius  4,  30,  7  in  die  Prosa  eingeführten  Ausdrucke, 
oder  auch  aqua  imbrilis  (imbrudls?)  Gass.  52,  4.  5.  10. 
53,6.10.  54,4.19.  55,15.  Cael.  chrou.  2,  167.  5,70.122, 
and  wohl  sie  zuerst,  wie  sie  anch  demselben  den  Namen 
aqua  cisternina  geben,  Cass.  145,  7.  Cael.  chron.  2,  167. 
Andrerseits  bildet  aueh  das  Heerwasser  einen  Gegensatz, 
aqua  marina^  und  daraus,  dass  Pliuius  8cc.  iun.  dieses 
sehr  oft  (etwa  lUniäl)  vorschreibt  nebst  Meerkrebsen,  Meer- 
fischen u.  s.  w.  (13,  5.  27,  17  u.  s.  w.  coli.  94,  16.  22. 
95,3.  100, 14.  108,«.  13.  18.),  Oassins  dagegen  nie  Meer- 
waaser  nnd  nnr  Flnsskrebse  n.  a.  w.  (165,  4),  möchte  ixh. 
eineatheila  schUesaen,  daas  Plinioa  in  einer  Efistenstadt  gelebt, 


Digitized  by  Google 


WulffUn:  Utber  die  Latinität  des  Aftikatiers  Cassius  Felix,  401 

dann  aber  anch,  dass  Cassins  in  der  That  der  Cirtenser  »ei, 
als  den  wir  ihn  bezeichnet  haben  :  denn  Cirta,  das  heutige  • 
CoiiJ^taiitiue,  liegt  bekanntlich  im  uumidischen  Binnenlande. 

In  der  Darstellung  der  Krankheiten  beginnen  die  meisten 
tdmisehen  Aerxte  mit  den  Krankheiten  des  Kopfes^  so  Co- 
lomella  4,  2,  Scribonins  Largns,  Serenas  Sammonicns,  Pli- 
iniis  Seeandns  pg.  10  ff.  auch  Csssias  Felix  nach  Psendo- 
galen  d/zo  '/.e(paX^g  ao^auevoi,  avrtj  yaQ  'Aad^antq  %ig  crx^o- 
noKig  iazi  tov  oioftazog.  Während  aber  Serenus  die  Akro- 
poUs  passend  mit  arx  wiedergiebt,  wie  auch  Cicero  und 
Seneea  Oedip.  187  nnd  mehrere  Dichter  den  Kopf  so  ge~ 
nannt  haben,  sehreibt  Cassins  1, 10  w5rt1icher  summa  eivUaa, 
Wanim  gerade  ei'viias^  wird  man  fragen.  Nnd,  in  Ammt- 
Hchen  romanischen  Sprachen  ist  ausser  mlla  meist  civitas, 
welches  in  klassischer  Latinität  nur  Bürgerschaft  oder  Staat 
bedeutete,  an  die  Stelle  von  urbs  und  oppidum  getreten. 
Vgl.  Dies,  roroan.  Wortsehdpfnng,  8.  83«  In  der  orbis  de- 
ieriptio  bei  Riese,  geogr.  min.  pg.  105  (in  Bode^a  Script  renim 
mjthic.  Tol.  IT.  1834.  pg.  VII  sqq.)  ist  eivUas  -eogar  das 
«tebende  Wort  fnr  , Stadt*  geworden,  und  im  cod.  Bamberg. 
E.III  14  saec.  XI  der  sog.  Epitome  Caesarum  des  Aurelias 
Victor,  welche  das  Lateinische  beinahe  ins  Romanische  über- 
setzt (ygl.  Waitz  in  Perta  Arohiv  f.  deutsche  Gesch.  9, 673—703) 
ist  Urbs  oonseqnent  mit  ekfitas  wiedergegeben,  so  1, 19  ovi- 

INIVlfl  SS  Epit.  urbem  UU,  repperi  ss  Soet 
Aug.  28  (20)  urbent  lat.  arcipere;  1,  28  civitates  ncbilissi^ 
mas  =  Epit.  urhes  celrhfrrinias.  Dass  aber  civ.  in  der  Be- 
deutung von  Stadt  in  der  afrikanischen  Latinität  ganz  ge- 
wöhnlich war,  lehrt  uns  Victor  Vitensis  persec.  Vandal.  1, 16 
Neapolim  Campaniae  dwkUtmj  1, 23. 29  Edessa  Maudomem 
eMUäem^  2, 28. 47.  3, 29. 45  nnd  deeeelben  VerfiMm  notit» 
provinciarnm  et  eivitatnm  Africae  p.  63  ff.  bei  Halm.  Ebenso 
hat  schon  Apuleius  (wenn  man  von  Fronto  p.  200  N.  amka 
eivUaU  Hippone  Begio  abeehen  will)  das  Wort  gebranchty 


Digitized  by  Google 


402        Süzung  der  yhUus.-ithilol.  Classß  vom  3.  Juli  1880. 

wie  metam.  2^  l  de  situ  eivUaiis  hwiw,  3,  11  miea  Thea» 

saliae  civitaSf  4,  13  Plataeas  proximam  civitcUem,  4,  30; 
6|  18  Lacedaemon  Ächaiae  nohilis  civitas. 

Gleichwohl  haben  wir  hier  nicht  etwa  eine  £igenthüm- 
licbkeit  des  afiikaaiBohen  Lateins  Tor  uns,  sondern  bereits 
Bnnios  batte  291  trag.  B.  gesagt:  emlatem  viäeo  Argimm 
ktemäerty  und  da  sowohl  Sallnst  als  Vitrny  das  Wort  so 
oft  in  diesem  Sinne  gebrauchen,  so  werden  wir  es  als 
archaisch-vulgär  bezeichnen  dürfen.    Vgl.  Sali.  bist.  2,  26  D 
Tartessum  Ilispaniae  cmtatem^  ine.  37  Cales  est  c.  Cum- 
pamae;  Vitr.  p.  32,  1  Ii.  civitcUis  amplissinMe  mosnto,  39«  14 
68$  m  Hiapania  cw.  MaMva^  194, 24  Ctiieia  c.  est  TaraoSf 
200,  27.  203,  2  Zama  e.  est  Afrorum,  emua  moema  de 
So  hatte  Verrias  Flaccns  ToUkommen  Recht  zn  sagen  (Grel- 
lins  18,  7,  5)  civitcUem  dici  pro  loco  et  oppido  et  pro  iure 
quoque  omnium  (civiumP)  et  pro  hominum  tnuUitudine.  Wäh- 
rend aber  Cicero  die  erste  Bedentang  nicht  anerkannte  (er 
onterscheidet  wba  and  ewiiaa  pro  Sezt.  42,  91.  Acad.  4, 
45, 137),  billigte  sie  dn  Dolabella  (Cie.  episi  9, 9, 3  Aikmuu 
vel  im  quamvis  quietam  eivitaieni) ,  ein  Nepoe  Hannib.  8,  2 
Saguntum  foedcratam  civitatem,  ein  Petron  8  errare  per 
totam  civitateniy  c.  141  ctuitatefn  per  fotam  circumducebatur. 
Von  da  an  dringt  civitas  =  urbs  immer  mehr  in  die  Lii- 
terator  and  findet  sieh  beispielsweise  öfters  bei  Tacitoa, 
z.  B.  bist  4,  65  sntifiois  etPtWis«  und  bei  Saeton,  sowie  bei 
Ammian,  s.  B.  24,  §  22. 89.  47. 49. 52  neben  urbe  and  oppi- 
dum.   Die  romanischen  Sprachen  haben  somit  ein  Wort  in 
einer  Bedeutung  aufgegriö'eu,  welche  dasselbe  bereits  in  vor- 
klassisoher  Zeit  gehabt  und  namentlich  in  vulgärer  Litteratur 
and  dann  in  der  gemischten  silbernen  Latinit&t  (Sen.  d. 
benef.  6,  32,  1  CtP.  Ton  Rom)  behalten  hatte.  —  Ob  dalftr 
and  fftr  handert  analoge  FWe  der  Ton  Diez  gewählte  Titel 
^romanische  Wortschöpfung*  passe,  liesse  sich  doch  bestreiten. 
Das  iiomauische  unterscheidet  sich  zwar  von  dem  klas- 


Digitized  by  Google 


WölfßH:  Ueber  dU  LaUmUäl  den  A^rika»»€r$  Caanu»  Ftlix,  403 

aischea  Latein,  aber  etwas  Neues,  als  welches  es  Dies  au- 
gwehen  zu  habeu  scheint,  ist  es  dnram  noch  lange  nicht. 

Fflr  die  BUdniig  dar  Subttaniiya  mögen  diese  Proben 
genügen;  sie  lehren  nns,  daes  TomehmUch  die  konen  nnd 
durch  Homonyma  verdunkelten  Hauptwörter  dem  Unter» 
gange  verfielen,  dass  ein  Ersatz  sowohl  dnroh  die  länger ii 
PI D raiformen ,  als  auch  durch  Ableitungen,  namentlich  den 
eUiptiechen  Gebrauch  des  Adieciivs,  endlich  durch  Zneammen* 
setmng  nnd  dnreb  Ueransiehnng  nener  StSmme  gewonnen 
wurde.  . 

Adiec  tiv  a. 

Das  Capitel  der  Adiectiva  müssen  wir  wenigstens  kuri 
berühren,  weil  hier  die  Einbnsee  einiger  der  allerbekannteeten 
Wörter  hat  noch  mehr  in  die  Augen  springt;  magnua  nnd 
partms,  ptä^er  nnd  turpis  sind  in  den  romanieehen  Spra- 
chen untergegangen.  Dieser  Prozess  ist  ein  viel  verwickol- 
terer,  als  man  gewöhnlich  glaubt,  indem  maynus  durch- 
aus nicht  etwa  gleich  durch  yrandis  ersetzt  wurde,  son- 
dern Jahrhunderte  lang  eine  Beihe  Ton  Nebenbuhlern  neben 
flieh  hatte,  wie  wir  Aehnliehea  schon  bei  nuMthua  gefunden 
haben.  Bei  Oaanns  182,  9  heisst  zwar  Hippocraie$  der 
Mfjf/nus  latrosofista  und  lOl,  liO  wird  «in  Heilmittel  aä 
omnia  mcKßium  (wirksam)  genannt  ;  aber  in  den  meisten 
Fällen  ist  das  Wort  durch  in  gen  s  und  nimius  ersetzt, 
und  swar  so,  daai  beide  an  den  nämlichen  Subctantifun  wie 
dolcr^  imm,  etdar  treten,  einigemal  auch  durch  grandu 
33,  19.  88,  10.  40,  14.  78,  11.  94,  10.  134,  14.  Dieae 
Frage  ist  indessen  eine  so  weitschichtige,  dass  sie  mit 
Halfe^  einiger  medicinischer  Schriftsteller  nicht  erledigt  wer- 
den kann. 

FarvuM  iit  noch  Torhanden  bei  Cbanna  7, 10.  38,  13. 
59, 9.  63, 19.  72,  5.  83,  4;  panmhiB  14,  8;  aogw  parvMr 
mm  bei  CMiua;  indcMen  u*  ihm  minuiuM  fiberlegen 


Digitized  by  Google 


404       Sitzung  der  iMos.-phUol,  CUuu  vom  3.  Mi  1690. 

(Ga88.  12,  17.  42,  11.  51,  7.  61,  3.  67,  12.  79,  1.  86,  7. 
121,  15.  134,  15.  163,  17)  und  dorehaiu  nicht  etwa  als 

Particip  gebraucht,  pondern  so,  dass  beispielsweise  minuttis 
dolor  163,  17  dem  ingens  und  nimius  dolor  entspricht. 
Modicus,  gleichfalb  als  Ersatz  herangezogen  (10,  13 
parva  hoc  est  modica  ülceratio,  60,  23  modicissima  febri- 
adOi  173,  6  ten^^aris  modidasimi)  Tertritt  in  Reoepten  ml 
häufiger  das  fehlende  pauhttHf  z.  B.  modieum  meUis  n.  i. 
als  Nominativ  and  Accusati?,  dagegen  modico  meUe  als 
Ablativ. 

Interessant  sind  die  Schicksale  des  temporalen  longus. 
Denn  hatte  schon  die  classische  Sprache  das  Adiectiv  nnr 
gern  mit  iempus,  vita  nnd  wenigen  ähnlichen  Sabstantiven 
▼erbnnden  nnd  sonst  lieber  zu  äiutumus,  äiiUmus  nnd 
longinquus  gegriffen ,  so  sind  auch  die  medidnischen  Schrift- 
steller in  dem  Gebrauche  von  lotif/us  sehr  sparsam  gewesen. 
Celsus  freilich  nannte  die  chronischen  Krankheiten  longos 
morhos  im  G^ensatze  zu  den  breves  acutique  (üb.  3,  cap.  1 
achtmal,  ebenso  pg.34, 18.  35,  11.  135,25.  143,25.  146,6. 
150,  20.  155,  30  Dar.)  nach  dem  Vorgänge  von  IdTins  27, 
23,  6;  allein  bei  Gaelios  ist  der  terminns  technicns  iardae 
passioncs  (ehren,  praef.  1)  oder  ehren  iae  vel  tardae  (ibid. 
§  2)  und  entsprechend  werden  von  Themison  tardarum  pas- 
simum  libri  tres  (ibid.  §  3,  chron.  3, 14)  angeführt,  ein  Ge- 
brauch, an  den  sich  auch  Cassins  anschliesst  2,  1  tardtim 
oive  inveteraium  capUia  dolcrom.  Beiden  Afrikaneni  ge- 
meinschaftlich ist  ausserdem  die  ümschreihnng  mit  lonrji 
temporis  (Cael.  ac.  1,  18  l.  t.  febris,  3,  139  contortio^ 
tormcntum;  chron.  2,  28  cicciio,  3,  96  dysenlcriat  3,  196 
iussicula,  2,  126  longi  temporis  vel  muUorum  dierum  tussi^ 
cula,  1,  77  Imgioris  t  accessio,  3,  81.  5,  2  Umifioskm  L 
haemorrhois,  5, 1  longiasim  t  n§orbu8.  Gaelins  70,  15  hmgi 
iemporia  iussictda  neben  90,  15  longa  ^nssteuld,  106,  19 
splenem,  62,  9.  193,  10  passio)^  deren  sich  auch  Yegetius 


Digitized  by  Google 


Wölfflin:  lieber  die  LatinitfU  des  Afrikaners  Castius  Felix,  405 

bedient  mnlomed.  I,  26. 40.  Um  abKnwechseln,  stehen  ansser- 

dem  noch  folgende  Ausdrücke  zur  Verfügung:  Gass.  47,  15 
mttlti  t a m pori s  (^roh^xQoytog)  tinnitiis ,  53 ,  17  diuiurni 
temporis  rcuma,  126,  0.  174,  19  diuturm  putredine,  acf/ri- 
UtdiMf  128, 14  febricula  ditUuma,  quae  appeUaUir  chranites, 
152,  13  prolixa  aegrUwdo  (maeronosia)  =  12,  1  longa 
aegr,  wie  bei  Caelins  ac.  2,  68  wmnua  uUra  modtm  pro* 
Uxtts.  Bei  Oribasins  22,  9  Hagen  longinquae  febres, 
u.  s.  w. 

Es  ist  nur  Cousequeuz,  wenn  nun  auch  der  Gebrauch 
des  temporalen  brevis  onsieher  wurde,  und  so  finden  wir, 
analog  der  Umscbreibang  Ton  Umgi  temporis  bei  Gaeliiw 
acut.  2, 41  parvi  temporis  vexäHo,  and  Aebnlicbes  2, 142.  8, 
177.  188.  221.  ebron.  2,  155;  ae.  8,73  brevissimii  fempoHs 
Spasmus.  Die  Begriffe  ,kurz,  klein,  jung*  sehen  wir  aber 
überhaupt  in  jenen  Jahrhunderten  so  merkwürdig  verschoben, 
dass  ee  uns  nicht  wandern  darf,  das  Adiectiv  bei  Ca<sius 
in  anderer  Bedeatang  gebraaobt  an  fiaden,  78,  16.  169,  14 
infcmUbus,  67,  15  uetaHbus  5revwmnt«9,  womit  man  Tei^ 
gleiebe  169,  15  novellae  aetatis  puerts^  and  da  noveUus 
ffir  die  Bezeichnung  der  Jugend  in  Anspruch  genommen 
wurde,  musste  für  ,ueu'  ein  anderes  Wort  gebildet  werden, 
das  aaerst  bei  Ennodius  auftretende  modernus,  abgeleitet 
▼on  moäOt  soeben.  Es  sind  diess  nor  flQcbtige  PerspectiTen, 
aber  genügend  am  ans  an  flbeneagen,  dass  zwischen  dem 
dassischen  Latein  nnd  den  romaniscben  Spraeben  oft  man* 
nigfaltige  Bewegangen  nnd  Entwicklungen  in  der  Mitte 
liegeu. 

Wild  wachsende  Pflanzen  heissen  bei  Gate,  Varro, 
äcribonins  (70.  73.  117  and  oft),  Palladias  a.  A.  silv»^ 
tieae,  bei  Oelsas  dagegen  silvestres  oder  agrestes, 
s.  B.  euemms,  ruta  168,  16.  188,  21.  200,  2  and  oft,  bei 

dem  Naturforscher  Plinius  meist  silvestres  y  z.  B.  19,  184. 
20,  3.  13.  262-   Die  beiden  Afrikaner  haben  sich  fast  aus* 


Digitized  by  Google 


t 


406       ßUzuHg  der  phäoi,rphUol,  CloMe  vom  3.  Juii  1880. 

nahmslos  f&r  agresHa  entsohieden.   Casnns  15,  15.  64,  12. 

112,  18.  155,  0  uud  öfters.  Caelius  ac.  3,  22.  170.  chron. 

4,  70.  5,  44  u.  s.  w.,  wogegen  die  Stelle  bei  Cassiiis  107,  I  i 
ruta  silvestri  kaum  ius  Gewicht  fällt.  Die  dem  italiäniscbeu 
foresta,  dem  französischen  foret  entsprechende  AdiectiT- 
bildoog  (TOD  foris,  dranssen)  findet  sich  dagegen  noch  nicht 
Den  Gegensats  dazu  bildefc  hortensU  (Gass.  182,  15),  oder 
wie  Cassius  auch  mit  einem  neugebildeten,  in  die  Lexika 
noch  nicht  aufgenommenen  Worte  sagt,  hortinus^  113,  20. 
166,  18.  172,  4.  183,  13. 

Was  die  Ableitung  der  AdiectiYa  betrifft,  so  ziehen 
annachst  die  Bildungen  auf  alia  unsere  Anlinerksamkeit 
auf  sich;  denn  diese  BildungeD,  in  der  cfausischen  Periode 
noch  im  Rückstände  geblieben  (vgl.  des  Verf.  Anmerk.  zu 
Livius  21,  26,  8),  nehmen  im  Spätlatein  zu,  wie  auch  die 
romanischen  Sprachen  einen  grösseren  üeichthum  an  solchen 
besitaen  als  die  classische;  Tgl.  aetemiis,  Hemel.  Die  Jah« 
reneiten,  bei  Cicero  mmi  iew^MUra  und  so  noch  bei  Celsns 
(Vorrede  au  Buch  2),  heissen  bei  Oselius  chron.  S,  110  an- 
naUa  iemporat  bei  Gass.  159,  19  annualia  t;  vgl  frans. 
annuel,  und  dorsalis  bei  Gass.  84,  12  neben  dorsualis  Der 
Ausdruck  für  Frühling,  vernale  tempus,  ist  schon  oben 

5.  398  erwähnt ;  usua  Iis  (franz.  usuel),  ans  Juristen,  Pseudo- 
apnleios  de  herb.,  Sidonius  Apollinaris  und  Cassiodor  belegt, 
bat  Gass.  144,  8  mit  Caelius  gemein.  Einige  Neubildungen 
bezeichnen  unsere  Aerzte  selbst  als  Uebersetznngen  grie- 
chischer Adiectiva  auf  rz-o^;,  wie  urinalis  —  or^/.rixa«;, 
ötovQrfnxog  bei  ('ass.  III,  19.  131,  12.  Cael.  chron.  1,  117. 
Localis  findet  sich  zwar  schon  bei  Tertnlliau,  entspricht 
aber  bei  Cassius  und  Caelius  genau  dem  griech.  vottiKOg, 
3,  12.  10,  14;  manualis  maia^  die  Handmfihle,  bei  Gbas. 
91, 18.  185, 1 ,  sonst  m.  mmmtria  oder  trusaUUs  oder  vsr- 
satilis  (Gellius  3,3,  14)  ist  -  x«'^öjUi;Ao>';  renalis  pasHo, 
die  Nierenkraukheit  (=  nefretica,  nefritis)  tbeilt  wieder 


V 


Digitized  by  Google 


Wolfflin:  lieber  die  LatimtiU  des  Afrikaners  Camus  Felix,  407 


Cas^ius  112,  15  mit  Cael.  5,  52;  pinalis,  zur  Fichte  ge- 
hörig, bei  Gass.  118,  8  fehlt  in  den  Wörterbüchern. 

Ebenso  war  in  den  Adiectiven  auf  osus  (ital.  oso, 
finuis.  eitx)t  welche  den  vollen  Besitz  einer  Sache  oder 
E^enschaft  auadrllekent  die  Triebkraft  noch  nicht  erloschen, 
wShrend  umgekehrt  die  classisohe  Sprache  gegen  dieselben 
eine  gewisse  Zurückhaltung  zeigt.    Auch  hier  sind  manche 
Bildungen  als  Uebersetzuugen  griechischer  Adiectiva  einge- 
führt:  canceros  u  s  =  /iaQKtywdrjs  bei  Gass.  66,  17,  den 
Lexikographen  nicht  bekannt;  eernosua  =  hxmadv^c:  16, 
10.  21,  mir  unbekannt;  anhelosus  =  ducfowniog  oder 
da^fiMiKog  93,  20.  Gael.  acut  2,  148,  woftr  Plinins  snspi- 
riosns  sagte;  glehosus,  schon  bei  Plinins  und  Apnleins 
=  ^QOfißov^ievog  86,  10.   117,  9.    Neu  acheint  pendigi- 
nosus  30,  7:  selten  ten'osus  (Vitruv)  49,  17.  73,  15  ; 
CiMosus  11,10.  12, 14;  incendiosus  (Fulgeutius,  Pseudoapul.) 
136,  11.  149,  9;  viscosiM  (PaUadins)  30,  2  and  oft:  dem 
Oassins  und  Gaelios  gemeinscbaftlicb  tiraäwaM  (neben 
seom)  30,  2  nnd  ebenso  Osel.  ac  2, 167;  eapiUosus  12, 12. 
13,  13.  chron.  5,  67;  hutnorostis  117,  3,  ac.  2,  66.  Schon 
bei  Olsus,  Coluniella,  Plinius  finden  sich,  abgesehen  von 
den  allbekannten,  arUctUosus,  calculosuSt  caUosu»,  camasuSf 
gkmdUhaus,  ghUimiua,  ImoauSf  mffsculasws,  petromtB^  so- 
«MSNS,  seabiasus,  sguamasuBf  wriigmoBus, 

Der  nnTollstftndige  Besita  einer  Eigenschaft  wird  bei 
Cassias  noch  häufig  mit  std)  ausgedrückt  (wogegen  ich  Com- 
posita  mit  per  nicht  beobachtet  habe),  s  ub  alb  id  us  oft, 
subamarus  169,  12,  suöamterm  128,  4,  wozu  möglicher 
Weise  als  anaS  kommen  subaeer  164,  20  und 

snblongus  127,  15. 

Diese  Adiectiva  berühren  sich  mit  den  Deminntiyen, 
indem  man  subniger  —  nigellus  setzen  darf.  Nur  entsteht 
hier  die  Frage,  ob  die  demin.  Adiectiva  im  fünften  Jahr- 
hondert  ihre  ursprüngliche  lürafk  noch  überall  behalten 


Digitized  by  Google 


408       Süiuttß  der  ^tMhs.-phüol.  Clasac  vom  3.  Juli  16öO, 

haben  oder  nicht.  Für  das  bei  Ca.ssius  häufige  ui'/cllus 
(12,7.  86,6.  10.  90,  3.  119,  18  u.  s.  w.)  liesse  sich  wohl 
anführen,  da;«  subtiiger  daneben  fehlt;  aber  wenn  die  Myrthe 
103,  4  nigra^  17,  11  nigeUa  genanni  wird,  so  bleibt  es 
doch  noch  sehr  fraglich,  ob  damit  eine  andere  Farbnfianoe 
gemeint  sei,  nnd  17,  11  stehen  nebeneinander  myriae  m- 
gellae,  cllebwi  nigri,  chamaeleotitis  nigrij  wie  bei  Caelins 
chrou.  2,  33  nigcllm  neben  filhus.  Norellus,  häufig  bei 
Varro  und  namentlich  der  Bauernsprache  angehorig,  wird 
bei  Gassins  (s.  oben  8. 405)  von  dem  jugendlichen  A.lter  ge- 
braneht,  wie  bei  lünneins  Felix  Oet.  30,  1,  in  anderem 
Sinne  (»  reeens)  bei  Oaelins  ac.  2, 176.  3, 1 19.  chron.  4, 79. 
5,  52.  Am  meisten  spricht  aber  dagegen  die  Analogie  der 
snbstantivischen  Deminiiti va.  Ist  bei  diesen  von 
Hause  aus  die  Beimischung  eines  Affectes  un  verkenn  bar,  so 
trat  doch,  je  mehr  Deminutiva  ans  der  Volkssprache  in  die 
Schriftsprache  eindrangen,  diese  Bedentnngsversehiedenheii 
immer  mehr  anrfick,  so  dass  sie  in  den  romanischen  Spra- 
chen grossentheils  an  die  Stelle  der  nntergegangenen  Stamm- 
worter getreten  sind;  vgl.  auris,  auricula,  oreiUe.  Aber 
in  dieser  Frage  bringen  die  einzelnen  lateinischen  Schrift- 
steller ihren  iudividnellen  Geschmack  znr  Geltung,  so  dass 
es  Ittr  jedes  Wort  der  Detailantersaohnng  bedarf.  Während 
beispielsweise  anevMla  bei  Celsns  den  Kürbis,  eucurhi' 
i%la  den  Schröpfkopf  bedenti4,  hat  Scribonins  Largos  um- 
gekehrt 46,  47  jenes  fiir  Schröpt'kopf ,  das  Deminutiv  106 
für  die  Coloquintenpflanze  gebraucht,  Caelins  mit  dem 
Stammworte  Kärbis  und  Schröpfkof  bezeichnet,  Cassius  das 
lefcatere.  Um  aber  an  aeigen,  wie  frnhe  jene  Entwerthnng 
Pbtz  gegriflbn,  so  nennt  Cicero  das  Podagra  Bmi.  60, 217 
arlimm  äe^wrem  (entsprechend  de  fin.  2,  93  wiMS  aräewi, 
Tuscul.  2,  25,  Gl  artits  Inhornttf);  in  den  Briefen  ad  Attic 
1,  5,  8  dagegen  bezeichnet  er  dasselbe  Uebel  in  familiärem 
Tone  mit  artieulorum  äolores^  welcher  Ausdruck  bereite 


Digitized  by  Google 


1 


Wülffiin:  Uebei-  die  LaUmtät  des  Afrikaners  Cassius  Fdix.  409 

bei  Celsos  89,  SO.  40,  4.  42,  88  Q.  8.  w.  der  stehende  ge- 
worden ist.  Bei  ileii  Spätem  ist  artus  von  der  Gicht  kaum 
mehr  gebraucht,  sondern  die  Kunstausdrücke  sind  articu- 
larius  oder  articularis  morbus  bei  Scrib.  Larg.  101,  Plinios 
Naiofgescb.,  Sueton  Galba  21,  Gargil.  19.  30.  35,  Plinios 
See.  medioL  72,  4  Rose,  bei  Oael.  ehron.  5,  80  orHoidanB 
pasHo  oder  5,  27  artieuihrum  pasaio,  ital.  marbo  artMare, 
wogegen  das  griechische  arthriiis  selten  ist.  In  gleicher 
Weise  heisst  das  Ohren  weh  bei  Scribonius  in  der  Ueber- 
acbrift  des  5.  Capitels  aurium  dolor,  wie  auch  Cassius 
oap.  2ö  nur  aurium  dohreSf  iumare$^  timUus  n.s.  w.  kennt; 
aber  schon  CeUns  spricht  25,  36  von  aurioularum  dolores^ 
und  ebenso  schwankt  Scrib.  5.  29,  indem  er  auf  aurieuhe 
dolorem  nnmittelbar  auris  dölentis  folgen  lässt;  ferner 
schwanken  Plinins  und  Caelius,  ja  Cftssius  selbst  gebraucht 
171,  3  das  Deminutiv,  wo  er  durchaus  nicht  etwa  das 
Ohrläppchen  meint.  Der  nämliche  Caelius,  der  die  acuten 
Krankheiten  in  solche  cum  fdmbm  und  solche  sme  febribM 
eintheilt  (ac.  1,  3),  spricht  doch  ac.  2,  1  von  eeUrea  cum 
fehrieula  passimes  und  Shnlieh  wechselt  er  mit  tuasis 
und  tussictila,  olmo  dass  es  gelänge  einen  durchgreifen- 
den Unterschied  festzustellen.  Bei  Cassius  kann  man  die 
Identität  von  iussis  und  fussicuki  daran  nachweisen,  dass 
er  70,  16  von  tmsieiUae  langt  ten^oriSf  86»  1.  12.  89,  9 
Ton  vehemens  nnd  ingens  tussiada  spricht.  Ihm  ist  anch 
vuipeeula  (urspr.  der  schlane  Fachs?)  dem  griech.  dho/cijS 
12,  15.  188,  13  gleichbedeutend,  da  vidpcs  bei  ihm  fehlt 
und  er  ausdrücklich  beifügt  quam  Graeci  alopeca  vocatUf 
und  für  linteum  gebraucht  er  coustaut  linleolum,  franz. 
hncemlf  wogegen  er  nur  eerdfrum  Terwendet,  nicht  das 
bereits  toh  Aelteren  angenommene  eerebellumf  welchen 
fiana.  eerveau  entspricht.  Diese  Mahnung  zur  Vorsicht 
glaubten  wir  hier,  wenn  auch  vom  Thema  etwas  abschwei- 
fend, aus  verschiedeneu  Gründen  einschieben  zu  sollen. 


Digitized  by  Google 


410        tSitzung  der  jihüos.-pfüioi.  Clasfte  com  3.  Juli  1680. 

Den  ZQSftiiinieiigesetsteii  Adiectiven  kommt  eine 

so  besclieideue  Rolle  zu,  wie  den  Zusaniniensetzun^en  in 
der  lateinischen  Sprache  überhaupt.  Doch  mag  hier  daran 
erinnert  werden,  dass  entsprechend  den  Verben  auf  ficaref 
welche  dem  Sinne  nach  blosse  Ableitungen  sind  (siehe  unten 
8.  425),  eine  Keibe  Ton  Adiectiven  aaf  fieua  in  der  breiten 
Volkaspiaohe  cnmerteo,  in  denen  der  sweite  BesUndtheil 
streng  genommen  kaum  al»  der  Tifiger  eines  neuen  Be* 
grifiBS  erscheint  So  steht  lenifieus  für  ein  transitives 
Imims  bei  Gass.  78,  12:  est  enim  lenificae  fyiritt(is,  qm 
raleat  humoris  aspcrrimi  lenirc  ([unlitatcin,  ein  den  Lexiko- 
graphen nicht  bekanntes  Wort,  welchem  bei  Cassins  ein 
Verbura  lenißcarc  enti<pricht,  und  welches  sich  au  das  schon 
aus  Plautus  bekannte  delefiißcus  anschliesst.  Vergleichen 
lässt  sich  amplifice  hei  Catull  64,  265  und  amplificits 
bei  Fronto  p.  150,  4  N.  Und  da  die  Sprache  kein  Adverb 
zu  magnus  bildete,  so  tritt  das  fippige  magnifiee  in  die 
Löcke,  schon  bei  Plinins  24, 96  prodest  magnifiee  ad  tuesim, 
nnd  bei  Gassius  123,  17  magnifiee  operaiur  (hat  eine  bedeu- 
tende Wirkung)  haben  wir  nur  den  Positiv  zu  133,  LS 
summe  operaiur.  Wir  haben  mithin  hier  den  nämlichen 
Fall,  wie  bei  mirificcy  welches  oft  dem  tninder  beliebten 
mire  «i  Uolfe  kommen  muss.   Vgl.  largificus  bei  Lucr. 

Ad  ver  bia. 

SaepCf  welches  in  den  romanischen  Sprachen  verloren 
gegangen  und  im  Italiänischen  durch  sovente  (wbtnde,  frns. 
souvent)y  spessOy  frequeniemente  ersetzt  worden  ist,  findet 
sich  zwar  bei  Caelius  ziemlich  häufig ,  verhältuissmässig 
selten  dagegen  bei  Cassius,  nämlich  nur  179,  16  und  in 
den  Formeln  sa/'pe  memorattis  37,  8  und  ut  saepe  dixi 
38,  7,  wogegen  sich  die  längern  Formen  saepius  und 
saepisiime  leichter  behauptet  haben,  Gass.  14,  7.  20, 3.  68, 3. 
Das  absterbende  saepe  wird  bei  Cassins  mehr  als  unter- 


Digitized  by  Google 


Wölfjßin:üeberdkLaHmiat  de»  Afrikaner»  CtwimFa^^  411 

stützt  darch  das  etwa  70mal  gebraaebte  frequenter^  m 
Miasverhältnifis,  welches  am  so  mehr  aafföllt,  wenn  man 
sich  erinnert,  daas  fregumter  ein  von  CSsar,  Sallost  nnd 
mehreren  andern  Autoren  der  guten  Zeit  nicht  Tcrwendetes 
Wort  ist.  Allein  schon  bei  Seribonios  Lar^iia  hat  es  an 
Ansdehmnig  j:?ewoinipn,  da  es  uns  bei  diesoiii  Autor  leicht 
ein  dutzeudnial  l)egpgnet.  Bei  Caelius  luilten  sich  die  bei- 
den Ausdrücke  so  ziemlich  die  Wage;  denn  aus  den  neun 
ersten  Capiteln  des  1.  Buches  niorb.  acut,  habe  ich  7mal 
staepe^  2mal  saepissiine,  6mal  frequenter,  einmal  frequentius 
und  oft  das  Adiectiv  frequens  notiert.  Bei  Vegetins  de 
mnlomed.  dürfte  das  Yerhältniss  von  saepe  zn  freqmnier 
'  bereits  wie  1 : 3  sein ,  ond  noch  weiter  fortgeschritten  ist 
der  Aufl^snnsrgprozess  bei  Orihasius  Hag. ,  der  wohl  noch 
zwei  Stt'llen  für  s(i(}>lns.  aber  nicht  eine  einzige  für  saepCy 
neun  für  frcquvntrr  aut weist.  Ja  während  non  seniel  sed 
saepius  eine  allitterirende  Formel  war  (Acta  semin  Erlang. 
I,  442.  Nep.  Epam.  7,  H.  Mart.  Cb|».  267,  22.  Symmach. 
relat  d,  3),  abersetiete  Oribasins  13, 22  lieber  non  aemd  aed 
freqnenHus,  wie  Gass.  16, 14  non  s.  s,  frequenter.  Man  kann 
das  Absterben  von  saepe,  welches  andern  kein  entsprechen* 
des  Adiectiv  hatte,  leicht  begreifen ;  nur  war  der  Ersatz 
kein  selbstverständlicher.  Während  daher  frequenter  auch 
bfi  andern  Autoren  öfters  vorkommt  (Anthimus  3.  4.  Ol), 
hat  Martianus  Capella  crrhro^  crehrius,  crcber  bevorzugt, 
wie  schon  Vitruv  saejjc  Jiual,  crebriter  5mal,  saepius  7mal 
hat,  Oribasins  sein  Adverb  frequenter  durch  das  AdieetiT 
spiseus  ergänzt,  wie  Anthimns  66  n.  s.  w. 

8 empört  im  Italianischen  und  Spanischen  erhalten, 
im  FranzSsischen  dnrch  ioujonrs  ersetzt,  zeigt  bei  Onssins 
nur  darin  ein  Symptom  der  Krankheit,  dass  iugiter 
(«igentl.  ununterbrochen,  in  einem  fort)  so  oft  an  seiner 
Stelle  auftritt  (Cass.  einmal  seiujxr,  7mal  iugiter,  oft  iu<jis; 
bei  CaeliuH  Semper  häufiger,  aber  auch  iugiter  sehr  beliebt). 


Digitized  by  Google 


412       Süzung  der  phüosrphäol,  CloS8$  vom  3.  Juli  1680, 

Umschreibende  Ausdrücke  wie  unuii  tvm'pore  sind  schon  in 
guter  Latinität  so  gut  gerechtfertigt,  wie  unser  ,al1exeit, 
alleweil,  jederzeit',  span.  en  todo  tiempo,  nm  den  Begriff  be- 
sonders harTorznheben. 

Dagegen  iat  diu  bei  Gaenos  und  Gaelina  so  gat  wie 
▼erloren;  denn  je  eine  Stelle  (Ous.  192,22.  GaeLehr.  1, 11) 
kann  diesen  Satz  so  wenig  omstossen,  als  eine  Schwalbe 
den  Prühling  macht.  Dass  hier  die  Kdrze  die  Hauptschnld 
Uli  dem  Untergange  des  Wortes  trug,  erkennt  man  daraus, 
dass  tamdin  und  quanidin,  sowie  auch  diiUissimc  (Cael.  ac. 
3,  143)  sich  leichter  behauptet  haben.  Vertreten  ist  das 
Ad verbium  durch  viulto,  pl u r  i  mo  ,  longo  te mp ore 
(fn^UmgUmpa)  bei  Cael.  ac.  1,  76.  2,  101.  113.  114.  152. 
169.  189  n.  8.  w.  und  ebenso  in  den  chron. ;  ToUer  lesen 
wir  ac  3, 179  tardo  atque  Umffo  tempore  requievisse^  chron. 
3,  36  tmdto  tUgne  UmffO  t.  prohibere  aegroknUea  hibere, 
Cassius  gebraacht  nur  midto  und  plurimo  tempore  36,  6. 
Gl,  9.  tiö,  17.  164,  14,  (iagegrii  lon<ii  temporis  als  ihn\. 
qualitatis  zur  Umschreibung  des  Adiectivs ;  auch  dniturno 
tempore  1,  1.  136,  5.  193,  13»  nach  dem  Vorgänge  von 
Caelius  chron.  3,  73  requiescere  diutumo  tempore.  Dieser  ' 
Ersati  ist  freilich  nicht  von  Gaelins  nnd  Cassins  erst  ge- 
schaito,  sondern  seit  Jahrhunderten  Torbereitet;  denn  bei- 
spielswttse  gebraucht  schon  Gonimodian  instr.  1, 1. 4  erram 
tempore  wniltOt  wie  apolog.  177  tempore  parvo  am  Schlosse 
des  Hexameters,  und  oft  an  gleicher  Versstelle  tempore  toto, 
instr.  1,  25,  16.  1,  26,  4,  tempore  tanto  statt  tamdin  instr. 
2,  1,  23 ,  in  umgekehrter  vStellung  toto  t.  instr.  2,  3,  7. 
2«  18|  8  Bei  Serenus  Sammon.  543  steht  longo  t ,  Hiero- 
nymus wechselt  mit  muUo  and  longo  t.,  welche  Umschreib- 
ungen auch  aof  Gr^r  von  Tours,  Fredegar  n.  A.  fiber- 
g^gangen  sind,  obwohl  sie  daneben  noch  dm  benfitien. 
Anthimus  aber  hat  für  den  PositiT  longo  tempore  praef.  und 
§77.  83,  f&r  den  Comparatiy  consfcant  diutiita  4.  8.  76.  98. 


Digitized  by  Google 


Wtjif/lin:  Uiber  die  Lutinitäl  das  Afnkaiura  Cimsiim  Felix,  413 


Eine  anfbllende  Erschemtixig  bleibt  es  immer,  dass  in 

den  romanischen  Sprachen  die  meisten  Adverbia  clnrch  die 
Umschreibun«^  von  intute  mit  dem  Adiectiv  ersetzt  worden 
sind,  da  diese  nur  für  die  Sätze  mit  persönlichem  Subjecte 
geeignet  erscheint.  Man  sollte  doch  erwarten,  dass  die 
natürlichere  Anflösang  die  mit  modo  gewesen  wäre,  wie 
in  guomoäo,  quemadmadum,  nnd  vermuthen,  diese  sei  jener 
vorausgegangen,  nnd  mente  sei  nnr  als  die  in  laiitlicher 
Hinsicht  yorzoglicbere  spater  durchgedrungen. 

In  der  That  findet  sich  suffieiehti  modo  bei 
Gassios  häufiger  (25,  9.  88,  7.  99,  18.  134,  4.  184,  11) 
als  8 u  f'fi den  t  er  (151,  12.  152,  11  operirc ,  1 M 3 ,  19. 
192,  IB  (Icrixjurrc) ,  und  wenn  man  auch  versucht  sein 
könnte  den  Unterschifd  aufzustellen,  jenes  bezeichne  mehr 
die  Quantität  (in  genügendem  Masse),  dieses  die  Modalitat, 
RO  leidet  doch  die  Synonymik  Schifl'brnch,  wenn  man  die 
Aosdrflcke  des  Gassins  eummt  st^.  modo  addere  nnd  adipes 
porcinos  8.  m,  addere  mit  Vegetios  1,11  oleum  suffieienter 
admi8eere  nnd  1,  17  cucumerem  sufßeienier  admiseere  ver- 
gleicht. Vollends  muss  es  auffallen,  dass  bei  Cassius  neben 
(itiquali  (pari)  nioilo  (:>,  9.  21,  l'i  Hi,  152,3.  173,15 
regelmä-ssig  mit  Cond  rerc  und  commisrcrc  verbunden)  acqua- 
Itter  gänzlich  fehlt,  .so  dass  also  hier  die  Adver biaibiidaug 
als  bereits  erstarrt  erscheint.  In  gleichem  Sinne  und  in 
Verbindung  mit  den  nämlichen  Verben  gebraacht  Cassius 
11,  1.  54,  12.  98,  9.  107,  19.  149,  21  auch  ex  aequali 
modo,  0 

1)  Ditter  plsouaitiielia  Gebraut  von  ex  netten  einem  modalen 
AUativ  iet  eine  alte  Eigentbttmliebkdt  der  afrikanbeben  Latinit&t: 
ex  nrnmo  Hudio  nnd  ex  Buntmis  viribus  (PkMtas  ex  »ummis  ojnbuB) 
bei  Apttleins  hat  ecboo  Hand  im  Tnrsellinas  2,  640  notiert;  allein 
damit  ist  nun  ex  mmmin  opUms  premere  bei  Fronto  p.  42,  19  Nab. 
and  e.c  summa  ope  niti  bei  OelUna  7,  3,  47  zusaniTnenzubringcn,  weae- 
balb  das  bei  dem  Afrikaner  (lic!)  Floras  im  eod.  Nasar.  aberlieferte 

[18{^.l.Pbil.-plul.biBt.Cl.Bd.l.4.J  27 


414       Sitzung  (kr  j^Uos.-jjhiiol.  CUume  vom  3.  Juli  1880, 


Ans  dem  intereesanten  Capitel  der 

y  e  r.  b  a 

hebeu  wir  hier  nur  zwei  Puiicte  heraus.  Einmal  die  für 
die  romauischexi  Sprachen  wichtigen  Decomposita:  denn 
Caadus  giebt  uds  insofern  einige  Anfschlüsse,  als  bei  ihm 
diese  Bildnngen  weiter  ▼orgescfaritten  sind  als  bei  Caelios. 
Sie  begannen  damit,  dass  mit  Präpositionen  zusammen- 
gesetzte Verba,  deren  Simplicia  abgestorben  waren,  mit  einer 
zweiten  Präposition  coniponiort  wurden,  weil  sie  selbst  als 
Stammwörter  erschienen.  »So  erscheint  co-operio  schon  bei 
Cato,  adaperio  bei  Virgil  und  Livius,  adimpleo,  bei  Livins 
38,  7,  13  überliefert,  aber  unsicber,  ist  in  der  jnristisehen 
und  patristischen  Litteratur  gang  «nd  gebe.  Der  Natur- 
forscher  Plinius  bat  sogar  Gelallen  an  dem  Worte  adalli' 
gare  gefunden.  Aber  auch  wenn  ein  Compositum  eine 
neue  Bedeutung  annahm  und  sich  dadurch  von  seinem  fort- 
lebenden Stammworte  trennte,  konnte  es  eine  zweite  Prä- 
position zu  sich  nehmen,  wie  aäsurgo  (surgo  =  subrego)^ 
eoMurgo,  doch  schwerlich  adinswrgo  bei  Livins  22,  4,  2, 
welches  drei^h  componiert  wäre.  Von  invemo  (auf  etwas 
kommen  =  fintlen)  bildete  Tcrtullian  zuerst  das  im  Spät- 
latein ganz  gevv^öhnliche  adinvcnio.  Super,  welches  allen 
andern  Präpositionen  vorangeht  (supvradduco  Plautus),  bildet 
bei  Virgil  superimmineo,  bei  Ovid  und  Livins  «M|ieftM|>ofio 
(vgl.  des  Verf.  livian.  Kritik  8.  11)  u.  a.:  auperadsptrgo 
folgt  bei  Vegetius,  Gaelins  chron.  5,  14  und  CSassius  (8,  4. 
22,  11.  25,  10  u.  s.  w.,  daher  IUI,  4  nicht  in  zwei  Worten 
zu  schreiben);  supcrindnco  bei  Tertullian  und  Cassius  31, 
22.  61,  6;  suhinßare  bei  Caelius  ehr.  2,  71  Und  Cassius  61, 
16.  19.  63,  12;  st^adustio  51,  9,  supereomedo  124,  4 

ex  suinmo  studio  adniauB  est  (1,  3  =  pg.  12;  17  Jahn)  von  des 
neuesten  Bditoren  nicht  h&tte  sollen  verdammt  werden.  Man  vgl.  n 
nuyroe  tf/onw  n.  i 


Digitized  by  Google 


WÖlffUtt:  Ueber  die  Latinitäi  des  Afrikanern  Casaitu  Ftiix,  415 

(eutsprechend  snpcrbibo  Ib'S,  ü  und  oft  bei  Caelius),  super- 
insurreedo  42,9  und  superpraicio  60»  15  (vgl.  circumproicio 
Cael.  ac.  2,  193),  suhdeduco  170,  2,  welche  bei  Foreellini- 
Oe  VH  fehlen,  können  Nenbildungen  des  Gassias  sein. 

Bildongen  wie  recolligo  (Oaelins  ac.  2,  0^),  and  schon  * 
Cic.  Attic.  1,  5,  ;'))  bespreclieii  wir  hier  nicht,  da  unsere 
beiden  Aorzte  in  dieser  Hinsicht  nichts  Neues  bieten  ;  aber 
ihre  Bedeutung  für  die  romauiscbeu  Sprachen  springt  in 
die  Augen,  wenn  man  an  die  zahlreichen  Formen  wie 
remplir  ^  reimplere,  renveraer  =•  reiiwergare  denkt.  So 
sehr  die  classische  LatinitSt  es  vermieden  hat  re  mit  einer 
Präposition  zu  coniponieren ,  so  sehr  nahm  diess  im  8pät- 
hitein  überhand  (z.  B.  recommonro  bei  Cassiodor) ,  und  so 
haben  nicht  nur  die  Italiäuer  ihre  raccolta,  sondern  selbst 
wir  sprechen  ganz  nnantik  von  Reconvalescenten  {reeonr 
valesco  Ennodins  carm.  1,  10)  und  von  Recommandationen. 

2.  Es  ist  eine  grosse  Aufgabe  der  Wortbildung  von 
den  Adieetiven  Verba  abzuleiten,  da  wir  nicht  weniger  als 
drei  verschiedene  Gattungen  uöthig  haben:  hell  sein,  hell 
(heller)  werden,  hell  (heller)  machen.  Während  wir  nun 
im  Deutschen  von  kühl  nur  kühlen  (kühl  machen)  bilden, 
Ton  grün  grünen  (gr.  werden  oder  gr.  sein),  mit  Umlaut 
schwärzen  und  röthen,  besitzt  die  lateinische  Sprache  in 
ihren  Tersehiedenen  Oonjngationen  und  einigen  zur  Ab- 
leitung verwendeten  8ui"fixen  viel  reichere  Mittel,  indem  sie 
rlarcre  (hell,  berühmt  sein),  clarescere  (h.  werden),  clararc 
(h.  machen),  claricare  (Deminutiv,  ein  wenig  b.  sein,  schim- 
mern, bei  Apuleius),  analog  aUfire,  aibewere,  aUßore,  Micare 
(weissHch  sein,  vgl.  candieare,  nigrieare/Aher  anch  transitiv 
weiss  maehMi)  unterscheidet.  Man  darf  aber  darum  nicht 
annehmen,  die  lateinische  Sprache  habe  sich  dieser  Mittel 
cons<»»|ueut  bei  allen  Eigenschaftswörtern ,  und  noch  viel 
weniger,  sie  habe  sich  derselben  von  Anfang  an  bedient. 
Denn  wenn  auch  die  Inchoativa  sich  scharf  abeondern,  so 

27» 


-ilÜ        Sitzung  der  philo».- iihüoL  Classe  mm  3.  Juiti  löÖO. 


fliesseii  doch  die  Intransitiva  des  Seins  und  die  Transitiva 
des  Macheiis  viellach  ineinander  über,  z.  B.  durun,  hart 
aeiu,  bildlich  fortdauern,  später  auch  härtcu;  was  mau  mit 
der  Annahme  erklärt,  die  Transitiva  auf  are  hätten  sich 
aus  den  gleichlautenden  Intransitiva  erst  allmahlig  heraus- 
gebildet. Vgl.  Dräger,  hist.  Synt.  §  88.  Möglich  ist  aber 
auch,  dass  die  Sprache  schon  frühe  inconsequent  verfuhr 
und  den  Bildungen  auf  are  verscliiedene  Bedeutung  beilegte, 
je  nachdem  das  Eigenschaftswort  seinem  Siune  nach  mehr 
ein  transitives  oder  ein  intransitives  Verbum  verlangte. 

Nehmen  wir  die  Inchoativa  voraus,  so  ist  zn  be- 
merken, dass  die  Ableitung  von  vetus  bei  Cassius  Felix 
136,  4.  193,  13  VC  t  er  CSC  er  c  lautet,  nicht  veterascere. 
Diess  ist  eine  jüngere  Korru  ,  wie  wir  analog  teiicrasco  bei 
Lucrez,  teuer csco  bei  TertuUian  (de  res.  caru.  22j  u.  A. 
iinden,  und  /war  genauer  eine  speziell  afrikanische,  da  sie 
bei  Porphyrio  zu  Üor.  Od.  3,  16,  34,  bei  Pseudocypriau 
(append.  p.  153,  17.  15^,  13  H.),  bei  Augustin  eiv.  dei 
14,  15.  16,  27.  ;^(),  24  (ed.  Domb.  vol.  II.*  86,  27.  169.  19 
=  Eccles.  14,  IS.  KiT,  5  =  evang.  Luc.  12,  3:5)  wieder- 
kehrt. Vgl.  Nonius  p.  437.  Wie  lebenskrilitig  hier  die 
afrikanische  Latin ität  noch  neue  Schosse  trieb,  zeigen  ihre 
Neubildungen,  wie  iynavescere  bei  TertuUian  de  anima  43, 
segneseere  bei  Gadius  acut.  2,  110,  vehementeseere  bei  dem- 
selben wiederholendlich.  Von  Substantiven  hat  zuerst  Ter- 
tuUian ciucrrsco  und  dccincrcsco  gebildet,  welches  uns  wie- 
der l)ei  Allgustin  sern».  .'J'JT,  1,  l>ei  Fulgent.  niyth.  2,  18, 
bei  Caelius  chrou.  5,  20  und  bei  Cassius  16.5,  6  begegnet; 
earboneseo  kennt  man  nur  ans  Oael.  chron.  2,  168, 
5,  20,  dem  es  Cassius  138,  13  entlehnt  hat. 

Gehen  wir  zu  den  Intransitiva  über,  so  gehören 
sie  zunächst  in  die  zweite  Coujugation,  als  acffrerey  idhtre, 
flacrcrc,  salvcrc,  aber  auch  fcstiiiare,  m  ifurare,  jwoperurr 
sind  bei  Plautus  intransitiv  und  erst  später  trauÄtiv  ge- 


Digitized  by  Google 


Wälfßn:  Ueher  die  Latittim  de$  Afrikaners  Caetfitte  Felix.  417 

worden,  wie  denn  die  Bedeafcang  der  Verba  der  ersten  Con* 
jngation  beispielsweiw  bei  celerare,  praecipitare,  variare 
schwankend  geblieben  »i  Im  grossen  Ganzen  freilich  hat 
die  classische  Datinitnt  diese  Bildungen  als  iransitiye  auf- 

gefasst,  weil  der  sprachliche  Ausilriick  unserer  (iedaukcn 
di<>se  Bedeutung  iingleich  liäufiger  verlangt,  und  wenn  auch 
niemand  in  ucffroinre  ein  Transitivnm  wird  suchen  wollen, 
weil  dieser  Begriff  gegenüber  dem  des  betiudens  zurock- 
tritt,  so  sind  doch  alienare,  ampliare,  mgusfare,  aaperare, 
caecare,  eavare,  eanmodare,  eontimtare,  eurvare,  densare 
(auch  densere  gegen  die  Regel)  nnd  nnsahlige  andere  ent- 
schiedene TransiÜya,  sowie  auch  die  von  Adiecti?en  der 
dritten  DecHnation  abgeleiteten  Verba  ceM>rare,  f'requentare, 
fjravnre,  i/Iusfrtor,  Jrvarr,  wrvinrare,  fcnuarc.  Aehnlich 
haben  (lio  AbleitniiL(»'n  nach  der  vi^*rteu  Conjugation  tran- 
sitive Kraft,  wie  insi(/tnre,  inanirCf  Icnire,  mollire,  wogegen 
die  Deponentia  der  T.  vorwiegend  intransitiv  sind,  als  gra- 
tari,  indignari  {digtiari  meist  transitiv),  laeiari,  rusiieari, 
iriataH,  vaganri;  nUrari, 

Welche  Stellung  nimmt  nun  die  afrikanische  Latinitilt 
in  dieser  Entwicklung  ein?  Sie  hat  einmal  nach  den  bis- 
her befolgten  (Trundsiit/en  ihren  Bedarf  weiter  gebildet, 
und  also  ieiunarc^  (Tertull.  Arnohius.  ('a<siu'?  147,  7)  mit 
demselben  Hechte  intransitiv  gebraucht,  wie  die  Alten 
aeyrotare,  dagegen  salrare  im  Gegensätze  zu  salrrrc  tran- 
sitiv. Inmitten  dieser  Unsicherheit  steigert  sich  das  Gefühl, 
dass  die  Endung  are  nicht  mehr  ausreiche  als  Trager  der 
transitiven  Kraft,  nnd  so  gebraucht  nicht  nur  Gaelius  das 
sonst  transitive  tardare  meist  intransitiv  (chron.  l,  59. 
82.  102.  2,  B9.  106.  110  n.  s.  w.),  sondern  mit  ihm  auch 
( assius  M'i,  {'i.  Lässt  sich  <liess  auch  durch  anderweitige 
Parallelen  entschuldigen,  so  doch  nicht  mehr,  wenn  Cassins 
160,  16  von  der  Epilepsie  sagt:  plus  vcnio  frequentarc 
mamfesUm  est  (vgl.  2»  U  contingit  frequentiiut),  wie  ich 


Digitized  by  Google 


418       SUtung  der  jthüo8,'phäti.  Cltutse  com  3.  Jtüi  1880. 

glaube,  nach  dem  Vorgänge  von  Gaelins,  wekber  das  Wort 

ebenso  gebraucht,  acnt.  1,  32  in  his  (Sommer  und  Herbst) 
aiunt  haue  frequentare  passioneni,  ac.  2,  63  apud  liomani 
frequentare  lias  fehres,  2,  89  frequmtat  haec  passio  in  ma- 
sculis^  2,  8.  12.  3,  124,  125,  und  oft  in  den  pass  cbron., 
ein  Oebraucb,  weleber  den  Lezikograpben  (ForoelUni,  Georges) 
bisber  unbekannt  geblieben  ist. 

Damm  erscheinen  denn  auch  die  von  SuperlatiTen 
abgeleiteten  Verba,  welche  nur  die  afrikauische  Latinität 
zu  bilden  gewagt  hat,  namentlich  Apuleius  und  Tertullian, 
in  wunderbarer  Inconseqnenz,  bald  als  Transiliva,  bald  ab 
Intransitiva :  infimare,  intimare  (Apnleins,  Tert.  Arno- 
bins,  Oaelins  ohron.  4,  134,  oft  bei  Mari.  Gapella)«  pessi' 
mare  (Bibellatein,  ROnscb,  S.  172,  417)  postumare,  pro- 
ximare,  summare,  uUimarc;  extimarc  bei  Tert.  de  Corona  5 
steht  auf  schwachen  Flüssen,  und  maximare,  mininidrc,  opti- 
mare^  plurimaret  die  man  Yoraussetzen  könnte,  vermag  ich 
wenigstens  nicht  zu  bel^^,  während  maximUas  för  ma^ 
miudo  Amobius  p.  230,  20  R.  gebraucht  hat.  Man  siebt, 
dass  die  Yerba  durchweg  von  unregelmSssigen  Superlativen' 
abgeleitet  sind,  welche,  wie  anderwärts  bemerkt  (latein.  u 
roman.  Compar.  57  ff.) ,  am  frühesten  auf  die  Bedeutung 
von  Positiven  herabsanken. 

Die  Ableitungen  von  Comparativen,  entsprechend 
unsem  Bildungen  «verschönern,  bessernS  sind  zwar  von  den 
Afrikanern  nicht  vermieden,  aber  dnrcbaus  nicht  cbaracte- 
ristiscb  fOr  sie,  da  sie,  wenn  auch  nicht  classisch,  doch 
schon  vor  ihnen  von  den  .luristen  gebranclit  sind;  ich 
meine  Bildungen  wie  c  ertiorarct  deteriorare,  fnelioraret 
nmarare,  pekrar».  Sie  waren  von  Hans  aus  tranativ; 
allein,  wie  minorare  Episi  Gorintb.  2,  8.  15  intransitiv 
steht  (qui  muUwmt  «rofi  abundavitj  qui  modkim,  non  nmuh 
ravit)  f  so  haben  unsere  beiden  Aerzte  peiorare  seinem 
arsprüuglichen  Gebrauche  entfremdet.  Denn  Caelios  schreibt 


Digitized  by  Google; 


IVötffltn:  lieber  die  Latinität  den  Af  rikaners  Caaniun  Feluc.  419 

y.war  einmal,  chrou.  1,  121 ,  correct  2)assionc'm  pciorat,  es 
verschlimmert  das  Befinden  (=  passioncm  2)€ioretn  facii, 
chron.  1,  124),  sonst  aber  gebrancht  er  das  Wort  intran- 
sitiT  pehrante  poMiane,  matbo,  ddore,  tumore,  striekariB, 
fluaret  petaramHbus  signis,  feMbus  chron.  1,  6.  59.  2,  89. 
4,  13  und  oft  in  den  morb.  acut.),  tim  die  ihm  ISstigen  üm* 
Schreibungen  irc,  mutari^  incrcsccre  ')  in  peius,  devolvi  ad 
peiora  (iicut.  2,  64.  72.  3,  8.  1 14)  zu  meiden,  und  weil  ihm  in- 
crescente  passiotie  (acut.  2,  167.  3,  7)  nicht  genOgt.  Diesen 
Fehler  bat  in  der  gleicben  Verbindung  Cassius  angenommeni 
90«  22  peiorante  passione,  160,  tO.  182,  5,  und  dieses  Yer- 
buna,  gerade  wie  Oaelius,  mit  increseere  (26,  8.  131,  20. 
133,  15.  136,  3.  142,  14.  lüü,  14)  wechseln  lassen. 

Je  mehr  aber  die  Ableitungen  auf  arc  ihre  transitive 
Kraft  verloren,  und  je  weniger  es  im  Character  der  Yolks- 
qprache  kg,  tbeil weise  sieb  formell  berührende  Tranaitiva 
auf  are  und  Intransitiva  auf  ere  nebeneinander  zu  dulden, 
desto  mehr  machte  sich  das  Bedflrfiiiss  geltend,  cur  Ver* 
meiduug  dieser  Unsicherheit  mit  kräftigeren  Mitteln  Tran- 
sitiva  her/ustelleu. 

Ein  solches  war  die  Zusammensetzung  der 
Verba  mit  Präpositionen.  Konnte  ederare  auch 
intrmnsstiT  rersianden  werden,  so  hatte  doch  aecelerare 
ein  grtaeres  Recht  auf  die  timnsitiTe  Bedeutung,  und 
Oselins  wie  Castus  haben  es  nur  so  gebraucht  (ac.  2,  28. 
212.  3,  19.  Cass.  36,  17.  192,  16),  wenn  auch  ältere  Autoren 
dieses  Gefühl  nicht  theüteo.  Das  beigefügte  ad  übt  hier 
die  gleiche  Wirkung,  wie  im  Deutschen  die  Präpositionen 
nnd  Vorajlben,  wenn  wir  daa  intransitive  ,gleiQhen*  mit 
,beg1eicbeB,  Tergleichen,  au^leiehen*  susammenhalten.  Also 
aequo,  firmo,  simido  Hessen  sieh  intransitiv  denken ;  aäitequo, 


I)  aeat.  H,  8  wird  sUlt  st  peitu  inereverU  i«  toftq  snn  m  m 


Digitized  by  Google 


420       SUzunff  der  pltao$,'philo(.  Clame  vom  3,  Juli  1880, 


afjßrmo,  ligsimülo  hatten  diese  Fähigkeit  yerloren,  und  der 
Oesterreicher  wird  uns  noch  hente  Tersiehern,  dass  ein 

▼ollgiiltiges  TransitiTum  von  iustus  nur  ,adjastieren^  lauten 
könne.  Von  Severus  giebt  es  gar  keiu  severare,  sondern 
nun  ein  adseverarCf  neben  commodare  ein  accommodare,  wo 
man  wenigstens  nicht  sicher  hehaupten  kann,  die  Präpo- 
sition sei  hinsngetreten,  nm  dem  schwachen  Worte  einen 
änssern  Halt  an  gehen,  welchen  Gmnd  man  allerdings  bei 
probare t  apprdbare  n.  S.  geltend  machen  kOnnte.  Doch  sei 
dem,  wie  ihm  wolle,  Caelius  hat  zuerst  propriare  und 
appropriarc  (zu  eigen  machen)  und  appropriatio  acut.  1,  150. 
chron,  2,  151.  4,  22  gebildet,  zum  deutlichen  Beweise,  da» 
der  Prozess  der  Ableitung  damals  noch  nicht  abgeschlossen 
war.  Eine  Bildung  fehlt  noch  in  den  Wdrterbüchem, 
pcienta  wno  adduleata  bei  Gassins  119,  18  (duleare  bei 
Sidonius  Apoll.,  ohdidcare  schon  Ambrosius),  durch  Ver- 
mittlung von  addulcire  der  Vorgänger  des  französischen 
adoticir. 

Auch  nehmen  die  Transitiya  gerne  die  Präpositionen 
coHf  de  (neben  depravare  giebt  es  gar  kein  pravare)^  ex  sn 
sieh,  wie  a.  B.  schon  die  archaische  Latinit&t  neben  aequare 

und  adaequare  das  von  Cato  und  Sallnst  gebrauchte  co- 
acipuirc  uud  cxaequarc  besass.  Cicero,  der  coaequare  nur 
in  den  Verrin.  3,  95  gebrauchte ,  gab-  es  später  als  uber- 
flüssig auf,  während  Minucius  Felix  es  wieder  anfhahm 
und  Caelius  ihm  eine  breite  Anwendung  gönnte,  ac  2, 124. 
3,  213.  chron.  1, 75.  2,  46.  109.  5, 38.  Statt  des  von  Tsr- 
tullian  gehildeten  unare  (Cyprian  adunare)  sagen  Caelins 
uud  Cassius  lieber  counare  (ac.  3,  60.  Cass.  5G,  9),  welches 
bei  Georges  noch  fehlt.  Neben  siccare  gebraucht  Cassius 
viel  häußger,  wie  auch  Fulgentius  pg.  7  Münk,  desieeare 
iwd  einmal  (106,  12)  auch  exaiccaret  wie  extenuare  und 
oHenuare  für  das  hei  Oaelius  belichte  ienmre;  inanire  Ter- 
dentlicht  Cassius  durch  exinanire,  184,  1  coli.  182,  18. 


DigitizSd  by  Google 


Wälfftm:  üdter  die  LaHmtat  des  AfrUutnera  Cattius  Felix,  421 

Nur  die  Compoflita  mit  tu  sind  weniger  sa  einer  festen 
Geltung  gelangt.  Denn  ineandidare  steht  zwar  bei  Gassins 
66, 12  transitiT,  wie  schon  bei  Firm,  Bfat.  28,  1,  innatfare 
transitiT  bei  Gassins  31,  12  und  Cael.  ac.  1,  129/  167.  196 

u.  8,  w. ;  aber  impinr/uarc ,  was  man  nicht  erwarten  wird, 
bei  Cassius  54,  13  intransitiv,  und  das  häufigste  Compositum 
iiifriyidarc  hat  derselbe  Autor  fünfmal  intransitiv  (11,  7. 
26,  20  77,  5,  93,  9.  152,  5),  viermal  (60,  13.  147,  23. 
149,  21.  151,  3)  transitiv  gebraucht.  Die  Präpositionen 
haben  somit  in  den  wenigsten  Fallen  den  Zweck,  die  Be- 
deutung des  Yerburos  zu  modiflcieren  und  nuancieren,  son- 
dern sie  verlängern  die  Worte  und  haben  die  Bedeutung 
von  Ableitnngssn  f fi xen . 

Ein  noch  wirksameres  Mittel  war  die  Umschreibung 
und  Zusammensetzung  mit  f  a c  e  r  e ,  welche  noch 
in  den  romanischen  Sprachen  eine  so  grosse  Holle  spielt. 
Vgl.  Diez,  Gramm,  roman.  Spr.  II",  397  ff.  Die  histo- 
rische Forschung  wird  aber  die  Vorbilder  bereits  in  der 
archaischen  Latinitftt  nachweisen.  Denn  in  der  Zeit,  wo 
aequare,  curvaret  pkmare,  saueiare,  wjtstare  entweder  noch 
nicht  gebildet  waren  oder  intranritife  Bedeutung  hatten, 
wnrden  Transitiva  gewonnen  durch  die  Umschreibung 
aequum,  aequahile  faccrc  (Plaut,  ('apt.  2,2,52),  cur- 
vum  jncere  (Piautus,  curtfirc  erst  Virgil),  planum  /". ,  wel- 
ches selbst  Cicero  noch  verwendete,  vielleicht  als  Remini* 
scenz  ans  der  LectOre  des  Cornificius  2,  5.  46  (Acta  semin. 
Erl.  1.  141),  saucmm  f.  (Sisenna  irg.  36  Pet.  Turpilius  64 
com.  lat.  Rib.  Acta  semin.  Erl.  I.  452);  aequum  parasre 
(-^  aequipamref  wie  viHum  parate  ^  vituperare,  aber  in 
klassischer  Latinitftt  vermieden),  vastum  dare  (Virg.  Aen. 
9,  323  und  andere  Dichter),  womit  das  von  Prosaikern  mit 
Positiven  und  Comparativen  verbundene  reddere  zu  ver- 
gleichen ist.  Unbeanstandet  erhalten  hat  sich  in  allen 
Perioden  amplifkare  neben  ampliaret  vielleicht  weil  die 


Digitized  by  Google 


422      SUMunff  der  iiluioB.-fhaol,  Clatse  rom  3.  Mi  1890. 


nach  Analogie  von  di^itf,  duplare  (Jnriateii;  geirdbnlicher 

▼OD  duplex,  dupliciSi  duplicare)  gebildete  Form  amißan 
mit  amh(u)lurc  V)  collidiert  hütto.  Ob  in  Jevigare^  mititfortt 
purgare  Zusaiumeusetzuugeu  mit  aycre^  oder  unr  Ableit- 
ungen 7iU  erkeuuen  Beien,  kann  bier  uiientscbiedeu  bleibeu. 

Entwickelte  sich  nun  aneh  die  Ableitung  Ton  Jahr- 
hundert SU  Jahrhundert,  so  daes  die  Zuflammenaetsung 
immer  entbehrlicher  wnrde,  so  gab  es  doch  sahlreiehe  PSUe, 
wo  die  Ableitimg  nicht  ausreichte  und  man  zu  der  brei- 
teren Form  gritF.  Fehlen  uns  im  Deutscheu  ueben  unsern 
bequemen  Trau^itiveu  ,öil*iien,  wärmeu,  nässen^  die  ent- 
sprechenden Intrausitiva  und  die  Inchoativa,  so  ist  um- 
gekehrt im  Lateinischen  neben  den  intransitifen  oreiv, 
colere»  fervere,  liquerBf  madere,  puirerey  siupere,  tepere  die 
Ableitnug  der  Transitiva  im  ROckstaude  geblieben.  Hier 
beliebte  es  durch  lose  Aneiuandersebiebung  der  Intrausitiva 
und  facere  ein  arcfacerc,  calcfacere,  fervefaceret  lique- 
facere  u.s.  w.  zu  bilden,  dereu  Analogie  mature facere  (Gar- 
gilins  Mart.  212,  5  R.,  welche  Stelle  in  den  Lexicis  nach- 
sutragen  ist),  rarefaeere  bei  Lucres  u.  ft.  folgten,  obsohon 
ein  intransitives  maturere  und  rarere  nicht  bekannt  ist, 
jenes,  weil  maturare  auch  intransitiv  war,  dieses  statt  des 
normal  gebildeten  rarare,  weil  vielleicht  die  dreimalige 
»  Wiederholung  der  littera  canina  die  Obren  beleidigte.  Nach- 
dem Oato  diese  Formen  durch  seine  Autorität  befestigt 
hatte,  behielt  sie  auch  Cicero  bei,  obwohl  er  sonst  ab 
weiser  Oekonom  im  Gebiete  der  Sprache  jeden  Ueberflum 


1)  Die  von  mir  in  der  lat.  und  rom.  Coinpar.  S.  86  vertheidigte 
Horleitun^  des  franz.  aller  Yon  (iinbulare  billigt  jetzt  ausser  andern 
Romanisten  in  durchaus  unabhängiger  Beweisführung  Thomsen  in 
,l»lnlol.  bist.  Samfunds  Mindeslcriff,  Kopenh.  187i»,  p.  197— L'U;  io 
dem  zweiten  der  anapästisch  beginnenden  Vers»-  des  Ha<lrian  ist  daher 
zu  lesen:  am{b)itläre  per  tabertuu,  d.h.  es  ist  eine  vulgäre  Aussprache 
amulare  ansooehroeii« 


Digitized  by  Google 


Wölfflin:  Ueber  die  LaHnim  dt»  Afrikaners  Camw  F^ix,  428 

so  vermeiden  miclifce.  Dan  die  Gompodta  nach  solchen  Vor- 
gängen nicht  mehr  sn  beseitigen  waren,  lehren  abgenehen 
▼on  den  bereits  angeführten  Beispielen  die  reichen  Belege 

bei  Ca-^sius,  arcf actus  167,  ö,  calcfacio,  recale/acio,  calefacto- 
rius  oft,  fervc/dcio  46,  16,  tepefacio  sehr  oft,  putrcfacio 
dreimal.  Torrtre  dörreu,  welches  nach  Analogie  von  urvrv, 
tepere  den  Schein  eines  Intransitivums  erwecken  konnte, 
wnrde  durch  torref acio  ersetzt;  bei  Cassins  91,17  torre^ 
faeies  ond  16mal  das  Partioip  torrefaeiuSt  "neben  welchem 
sieh  das  mit  totus  sich  berahrende  tostus  nicht  halten 
konnte.  Es  mag  hiebei  die  Analogie  von  Beispielen  mit- 
gewirkt haben,  bei  denen  die  Zusammensetzung  schlechter- 
dings nicht  zu  umgehen  war,  wie  von  patcfacio,  Transitiv 
zu  pntcrey  assuejacio  zu  (isstaacoy  obwohl  im  Ganzen  die 
classische  Latinität,  wie  bereits  bemerkt,  alle  wacheruden 
Gewächse  anszorotten  bestrebt  war und  beispielsweise  das 
nnnötbige  cmmanefaeere  g^gen  ecrnmumere  Eorflckdrängte, 
nnd  quatefaeere  nnr  in  einem  Briefe  Ciceros  ad  Bmt.  1, 
10,4  (quaiefeei  Anicnnm)  als  Yolgftrer  Ansdmck  (am  Kra- 
gen fassen  nnd  schütteln)  entschuldigt  werden  kann,  Torans 
im  Perfect  —  qtmssatlj  caiicttssiy  da  quatere  bekanntlich 
kein  Perfect  bildet. 

Erhalten  haben  sich  diese  Bildungen  in  den  romani- 
schen Sprachen  in  verschiedener  Form,  bald  als  Verba  wie 
ital.  liquefare,  puirefaret  sliupefare^  tepefarcy  bald  nur  die 
Partieipia  wie  artfatto  nnd  madefattOt  bald  anch  die  Verba 
als  FreqnentatiTa,  wie  caiafaiare  (TgL  KalfiMter,  der  bloss 
warme  ümschlSge  macht),  welches  dem  lateinischen  labe' 
factare  (—  lahem  facere,  einen  Fall  oder  Stnrs  machen, 
nicht  hdwrcnt  facere,  wie  Klotz  im  Wörterbuch  angiebt) 
als  dem  Frecjuentativ  zu  hihcfaccrc  entspricht. 

Aber  allerdings  hätte  sich  der  Umweg  über  facere 

1)  Nsebsiebt  ftbte  msa  gegen  expergefaeere  =  expergm. 


424        SiUumj  der  piulos.-jiiitlo!.  (Hasac  vvm  3.  Juli  IbüO. 


ersparen  lassen  und  die  Volkssprache,  die  lebendij?  Mshaf- 
fende  und  nicht  durch  litterarische  Vorhilder  gibundeiip, 
hatte  sogar  nehen  ihren  umstiuidlichereu  Biklungen  anch 
den  kfineren  Weg  gefonden.  Wenn  man  die  Transitiva 
nicht  Tom  IntranBitivnm,  flonderu  Tom  AdieetiT  ableitete, 
worfiber  wir  ja  eigentlieh  aHein  sprechen  wollten,  so  liess 
sieb  statt  tepefaeere  ein  ^eptilare,' wiirmen,  bilden,  nvd 
der  Naturforscher  Plinins,  bekannilich  ein  grober  Stilist, 
sowie  Caelins  chron.  2,  172  haben  es  in  der  That  gebraucht. 
Schwerlich  ist  das  eine  Neubiiduug  von  Plinins  gewesen, 
sondern  das  Verbnm  lebte  wohl  in  der  Volkssprache  nnd 
wurde  nur  von  der  conTentionell  beechrftnkten  Schriftspraehe 
femgehalten.  Madidar'e,  ni&ssen,  (eneliten,  hoben  die 
Afrikaner  auf  den  Schild,  Apnleins,  Arnobius,  Caelius  ehr. 
1,25.34.  2,39.  3,39.  Oassius  KM,  19,  doch  nicht  mit  dem 
Erfolge,  dass  madefacei  e  (Caelins  ehr.  2,  168.  Cassius  60,  U) 
Terdrängt  worden  wäre.  Migidare  statt  rigefacere  gebraucht 
der  Philosoph  Seneca,  pmndare  Oommodian,  fluidare  OaeKns 
chron.  5, 186,  eaUdare  Pelagius;  aber  frrvidare  statt 
facere  hat,  so  viel  ich  sehe,  entweder  niemand  zu  bilden 
gewagt,  oder  es  bat  sich  in  der  Litteratur  zufällig  uicht 
erhalten.  Des  romanischen  liquülare  bedurfte  man  nicht, 
weil  schon  die  klassische  Latinität  ein  transitives  Uqwurt 
(OaeHus  ehron.  2,69.208.  Cassius  7, 4.  12, 9.  133,9)  nehen 
liquefaeere  (Caelins  chron.  4, 44.  Cassius  18, 12.  72, 13)  ge- 
bildet hatte. 

Allein  wie  die  durch  keine  Sehrauken  eingedämmte^ 
durch  keine  Autoritäten  der  Litteratur  beeinfiosste  Volks- 
sprache immer  die  Extreme  berührt,  so  &nd  sie  nicht  nur 
die  kürzeste  Lösung  des  Ptoblemes,  TransitiTa  durch  blosse 
Ableitungssylben  hersnstellen,  sondern  das  SpäÜatein  gieng 
andrerseits  wieder  in  der  Zusammensetzung  rait  facere  weiter 
als  die  Latinität  des  goldenen  und  des  silbernen  Zeitalters. 
Billigte  Cicero  nur  die  unvollkommene  Zusammensetzung 


Digitized  by  Google 


Wolfftin :  üdter  die  Laiimtät  du  Afrikaners  Caasius  Fdix,  425 

von  lutransitiven  niul  faccre  wie  tepefacerct  so  schnf  na* 
montlich  die  afrikaniacbe  Latinität  organiache  Ck>iiipo8ita 
der  Adiectiva  und  des  in  ficare  übergehenden  facere.  Nach- 
dem ApuleioB  Tou  craasus  ein  Transitivam  crassare  abge- 
,  leitet  hatte,  bildete  Oaelias  sowohl  c<merassare  chron.  4,  uj, 
al«  auch  das  von  ihm  bevorzugte  cruss  if'icurc  (ac.  1,  HO. 
chron.  4,  55.  68.  5,  140)  und  das  Substantiv  cruasifkatio. 
Von  foriis  hätte  mau  zur  Noth  lortura  bilden  können,  wie 
tenuare  von  iefiuis;  allein  Cassius  nahm  lieber  das  schon 
Ton  Laetanz  nnd  Gargilius  gebrauehte  eonforiare  (53,  18. 
100,18.  121,10)  und  bildete  davon  eonfwtatoriuSt  während 
Oaelitts  fortifieare  nnd  fcrtifieaiio  (ac.  2, 2 1 2.  216,  nnd 
dller  in  den  chron.)  vorzog.  Gassius  endlich  bildete  zu 
lenis  noch  ein  hiiificu^  (vgl.  amplificus,  mirificus  neben 
(uuplus  und  mirua,  und  arißca  caro,  o^i.  eig.  bei  Caelius 
ehr.  4,  '.))  73,  13  und  dazu  das  Vorbuni  Icnificarc  50,  2. 
124,  7.  177,  !)  ImirCt  ein  den  Lexikographen  noch  nicht 
bekanntes  Wort. 

Dass  diese  Bildangeu  ihreli  Boden  vorwiegend  in  der 
Vulg&rsprache  hatten,  scheint  daraus  hervorzugehen,  dass 
sie  einmal  im  Kirchenlateio,  welches  den  Bedfirfnissen  der 
in  gelehrter  Bildung  zurSokstehenden  Christengemeinde  ent- 
gegenkam, sehr  ausgedehnt,  und  dann,  dass  sie  in  den 
roniani-schen  Sprachen,  welche  überall  bei  Divergenz  der 
Sprache  der  (iel)ildeten  und  des  Volkes  den  Spuren  der 
letztern  folgen,  erhalten  sind.  Namentlich  der  schöpferische, 
d.  h.  ans  den  Schätzen  der  Volkssprache  schöpfende  Ter- 
iuUian  hat  easUlkare^  iusUfieairet  fmUifieare  (verachten), 
purifiearß  (überflüssig  neben  purgare)^  sähificatoTf  saneHfi^ 
earey  tnÜfieare,  vivificaret  hunnlifieare  neben  kumüiare  ge- 
hraucht, die  Gommodian  nnd  Cyprian  um  das  neue  darifi" 
cart:  statt  des  von  Dichtern  und  Apuleius  gebrauchten  c/a- 
rftrf"  vermehrt  haben,  Cyprian  als  Uebersetzung  de.s  grie- 
chisclieu  du^ut^tiyf  welches  Andere  lieber  mit  yLwrificare 


Digitized  by  Google 


420        »"Stt^nn^  da'  pUUoH.-iJUlol.  Cliusse  vom  3.  Jidi  lt>60. 

wiedergaben.  In  wie  reicher  Zahl  aber  diese  Bildnngen  in 
die  romanischen  Sprachen  ül)erf^»'}jfiiiigen  sind,  braucht  nur 
mit  einem  Hinweise  auf  fortifie*',  iustifierj  notifiert  purtfier, 
virißer  n.  ä.  angedeutet  zu  werden.  Sie  erscheinen  uns  als 
jung  nnd  sie  sind  aneh  iu  der  Thai  naeh  Oaelins  und  Gas- 
sius  noch  weiter  ausgedehnfc  worden,  allein  ihrem  Kerne 
naeh  sind  sie  nralt,  da  schon  Plantns  nnd  Terenz  dem 
griechischen  f^teyaXvvio  entsprechend  ein  maguifiro  aufweisen, 
welclies  nur  im  Kirchenlateiu  seine  Auferstehung  feiert. 
Vgl.  Commodian,  apol.  345.    Rönscb,  Itala  S.  174  C 

Stil. 

Wenn  wir  snm  Sohlnsse  noch,  mit  üebergehung  der 
Syntax,  einige  Worte  über  den  Stil  des  (Jassius  beifügen 
ura  auch  darin  die  Africitas  nachzuweisen,  so  stehen  wir 
nicht  viel  günstiger,  als  weun  wir  in  einem  modernen 
Rec^tierbnche  den  Geist  d»^r  Sprache  des  19.  Jahrhunderts 
wiederzufinden  gezwangen  wären;  denn  die  dfirre  Dar- 
stellung, welchor  der  Verf.  huldigt,  ist  wenig  dazu  angeihan 
seine  Heimat  zu  verrathen.  Auch  haben  die  Untersuchungen 
von  Zink  und  Koziol  über  den  Stil  der  Afnkaner  nt)e]i  zu 
wenig  Licht  ^)  verbreitet,  als  dass  mau  die  afrikanische 
Litteratur  an  scharf  bestimmten  lokalen  Eigenthumlichkeiteii 
mit  Sicherheit  zu  erkennen  TermÖchte.  Denn  die  beiden 
Forscher  unterscheiden  wohl  in  der  Theorie  zwischen  indi- 
viduellen und  nationalen  Besonderheiten;  in  Wirklichkeit 
aber  haben  sie  sich  zu  sehr,  der  eine  auf  Fulgentius,  der 
andere  auf  Apuleius  beschränkt  und  viel  zu  wenig  die 
nbrigen  Vertreter  der  afrikanischen  Litteratur  zur  Ver- 
gleichung  herangezogen.  Darin  fireilich  stimmen  alle  über- 
ein, dass  alb  eine  charaoteristisehe  Eigenschaft  der  afrika- 


1)  Kretschmann,  de  latinitate  Apulci  Königsb.  ISB^  p.  33  läag^net 
sogar  ein«  bcatininite  Africitaamit  toug  auf  Apuleius;  ihnlieh  H.  Ueeker. 


Digitized  by  Google 


Wülfflin:  Ueber  die  LiUtnität  des  Alrikaner^  Caatum  Felix.  427 


uischeii  Ausdrucksweise  das  Schwülstige  zu  betrachten  sei, 
und  80  wird  uosere  Aufgabe  darin  bestehen,  dieses  auch  bei 
OMiQB  naebxuweisen  und  auf  bertimmte  JCategorien  surQck- 
xaf&hren. 

Zuerst  fiillt  in  die  Augen  eine  pleonastieehe  Hftufiing 
TOB  Synonymen,  die  tlieils  gar  nicht,  theilii  durch  oopula- 

tive  oder  disjnuctive  Partikeln  verbunden  sind.  In  die  erste 
Cla-*ise  gehört  dai*  bei  Cassius  so  häufige  etinm  et  =  auch, 
und  entsprechend  uec  non  et  tum.  Vgl.  Rose  im  Index, 
8.  p.  234.  Daae  diese  Verbindung  in  Afrika  eine  ge- 
bräuchliche war,  zeigt  Cyprian  p.  551,  12  nec  nm  eHam, 
705,  11  nee  nm  ei,  598,  5  qui  ei  ipsi  quoque;  Fnlgent 
Myth.  1,2  n)Hle  ctiam  et  cdsfnitus  dicifurj  und  schon  Ter- 
tullian  adv.  Marc.  2,  14  ut  ctiuui  et  hivc  respondeamf  wäh- 
rend Apuleias  (vgl.  Ko/iol  S.  325)  dreimal  et  ctiam  gebraucht. 
Oehen  wir  weiter  aurück,  so  finden  wir  bereiU  bei  Plantus 
und  Terenx  etiam  quoque  und  quoque  etiam,  wohl  auch  bei 
Cie.  epist.  4,  8,  1,  wo  man  ohne  Grund  Ton  der  Lesart 
de.s  cod.  Medic.  abgegangen  ist,  ebenso  bei  Tertullian  de 
idolat  20;  nnd  wer  den  Sprachgebrauch  in  einen  noch 
weiteren  Zusammenbang  einzureiben  wünscht,  der  möge  sich 
an  ergo  igUur  bei  Apuleius,  nantque  emmt  sed  mUenh  eim 
quemdam,  r^^eiUe  $Mto  u.  ft.  erinnern.  Darf  man  eine 
Vemnitbnng  wagen,  so  ist  dieses  archaische  Asyndeton, 
welches  zwei  Synonyma  aneinander  rückt,  durch  Fronto 
von  Cirta,  der  ja  überhaupt  seine  Sprache  aus  den  ver- 
gessenen Schätzen  der  vorclassischeu  Litteratur  bereicherte 
und  ▼arüerte,  wieder  aufgenommen  und  durch  ihn  den 
Afrihaiiera  Tcrmittelt  worden,  wolftr  als  Beispiele  dienen 
mOgen:  p.  50  Nah.  m  eeieris  älüs  relmf,  122  wiler  duM 
ambotf  127  owtnes  universos^  wie  bei  Apuleins  met.  7,  5 
unirersi  vmms,  Gellius  19,  12,  1  onmes  universos,  und  viel- 
leicht bei  Plautus  Trin.  4,  3,  39  Omnibus  (hominibus?) 
tmhoTMt  ibid  1,  2,  134  imtWMMM  Mtm,  Zahlreiche  Bei- 


Digitized  by  Google 


428       SUsung  der  philo8,'phaol,  Vlasse  vom  3.  JuU  1880. 


spiele  aas  Arnobius  wie  ambig&re  dubiiaret  discriminare 
diseemeref  gaudere  ktetarif  igfiorare  mscire^  canditor  pro- 
ereatoTt  praeaagia  araeula  hat  Reifferscheid  zasammeD-- 
gestellt  im  Index  za  Arnobins  p.  348. 

Wenn  wir  hier  nnd  anderswo  einen  Sprachgebrauch 
der  alten  Komödie  absterben  und  iiuch  viert  halb  .Jahr- 
hunderten in  der  afrikanischen  Latinit'lt  wieder  aiiftaucheu 
sehen,  so  dürfen  wir  uns  gleichwohl  die  Wiederbelebung 
nicht  als  eine  durch  künstliche  äussere  Mittel  hervor- 
gerufene vorstellen ;  Tielmehr  lebte  derselbe  in  der  Volks- 
spraebe  fort  und  entzieht  sich  nur  nnsem  Augen,  weil  die 
classische  und  silberne  liatinität ,  welche  beide  Perioden 
trennt,  dergleichen  unsaubere  Spracheleniente  conseipeut 
unterdrückte,  und  wie  wir  hier  durch  eine  verkannte  Stelle 
aus  Ciceros  Briefen  den  Faden  wieder  anknüpfen,  so  lasst 
sich  auch  bei  ähnlichen  Erscheinungen  nachweisen,  dass  der 
Zusammenhang  nie  völlig  unterbrochen  war. 

Ob  die  Synonyma  durch  et,  ac  oder  vel,  sirc  ver- 
bunden seien,  macht  bei  den  Afrikanern  darum  weniger 
aus,  weil  sie  überhaupt  et  und  vel  oft  durcheinander 
werfen,  z.  B.  Cael.  acut.  2,  234  celerihus  atque  aeuiis 
passionihus,  und  daneben  häufiger  vel  aetU,;  aacb 
geht  das  besprochene  Asyndeton  in  einzebien  Redensarten 
in  die  syudetische  Form  über,  wie  in  omnes  ctmctique  bei 
Martianus  Capeila  p.  332,  16  Eyss.  Ca.ssius  neigt  sich  mit 
Vorliebe  zu  den  disjuuctiven  Partikeln,  z.  B.  179,  11  ati- 
iiqui  seu  veter  es,  ein  Seitenstück  zu  Arnobius  6,  8  K. 
antiqua  et  veiuttissima ;  das  Gegeniheil  oft.  bei  Caeliua 
navus  (mveHm)  atque  recens  chron.  2,  HO.  4,  79.  5,  52. 
Ausserdem  wäre  ans  Oaasius  zu  notieren  2,  1  tardum  sufe 
inveteratum  dolorem,  wo  der  Verf.  unschlüssijj^  war,  wie  er 
Xl^ovioc,  übersetzen  solle,  64,  16  hostilc  sive  iuimicumj 
81,  9  continuam  vel  ntgemt  womit  au  vergleichen  ist 
Mart.  Oap.  152»  13  eontinua  iugUtUe  und  Ko«iol,  H.  62  tf* 


Digitized  by  GoogU : 


Wiilffiin :  Ueher  die  Latinität  des  Afrikaners  Cassius  Felix.  429 


Wir  werden  mit  dieser  Parallelstelle  auf  eine  zweite 
schwülstige  Verbindung  der  Afrikaner  gefuhrt,  indem  diese 
gern  ein  Substantiv  mit  einem  Adiectiy  gleicher  Bedeutung 
rerbinden.  Auch  diese  hat  ihren  UrspniDg  im  archaischen 
Latein,  wie  mmn  Schüler  Landgraf  de  figaris  etymologioie 
linguae  latinae  (Aeto  eemin.  Erlang.  II.  p.  46  ff.)  richtig 
auseinandergosetzt  hat.  Während  aber  bei  Plautus  pulchra 
pnlchritudo  eine  ,grosse'  Schönheit  bedeutet,  d.  h.  eine 
Schönheit,  welche  diesen  Namen  im  vollen  Sinne  des  Wortes 
yerdient,  wählten  die  spätem  Afrikaner  (Koaiol  S.  36)  )ieber 
die  Vertansehnng  mit  einem  synonymen,  nicht  stammTer^ 
wandten  Adiectiv,  ond  Hessen  diese  Form  so  snr  Spielerei 
auFarten,  dass  die  Verstärkung  des  Begriffes  immer  mehr 
zurücktritt,  nnd  schliesslich  der  Widerspruch  zwischen  Form 
und  Inhalt  einen  recht  widerlichen  Eindruck  macht.  So  hat 
Cassins  45,  11.  49,  8.  83,  7.  102,  11.  121,  19.  127,  5 
alterna  mutaiione  als  stehenden  Ansdniek  filr  das 
claasische  aUwim  fnabua),  Oaelins,  in  diesem  Puncto 
classischer,  aUema  tfiee  ehren.  5,  16.  Zur  Vergleichnng 
möge  dienen,  da  Landgraf  schon  zahlreiche  Beispiele  an- 
führt, Mart.  Cup.  p.  1,  22  E3'ss.  nugulas  ineptaSj  139,  19 
fecundae  uberteUis,  215,  10  maffna  granditate,  200,  19 
exigua  hrevUaa,  Aus  Folgentins  citiert  Zink  8.  69  prth 
pkiqm&r  vicmiaf  aerumnMa  miseria;  bei  Oaelins  findet  sich 
acnt.  8,  184  €ieut%88imam  c^eritaiBm, 

Den  vollständigen  Verfall  dagegen  erkennt  man  in  der 
Formel  diurnis  diehus  bei  Cassius  40,  17.  85,  10. 
102,5.  124,  4.  144,1.  148,7.  149,3.  164,21.  170,16. 
Denn  von  einer  Steigemng  (etwa  alltäglich)  ist  hier  nicht 
mehr  die  Bede,  sondern  der  Ansdmck  ist  nnr  an  die  Stelle 
des  absterbenden  cottidie  (Cassins  35,  6.  167,  6)  getreten. 
Caelius  hat  die  nämliche  Verbindung  sehr  oft,  z.  B.  chron. 
1,  58.  2,  23.  26.  61.  8,  7.  32,  und  daneben  cotidianis  diebus 
acut.  1,  160.  161.  2,  62.  3,  81. 

[im  L  FUl-pIuL  hist.  a.  Bd.  1. 4.]  28 


Digitized  by  Google 


480       SiUumj  der  piiilos.-phüol.  Ciaast  vom  3.  Juli  1880. 

Dieser  Form  nähert  sich  eine  andere,  wenn  von  eioem 
Sabstantiv  ein  Genetiv  eines  Synonyms  abhängig  gemacht 
wird,  wie  bei  Martianus  Cap.  212,  2  uhertate  fecundiUUis, 
was  dem  oben  angeführten  fecundae  ubertatis  parallel  sieht. 
Ist  sie  bei  Gassins  und  Gaelius  auch  nicht  geimde  Msge- 
bildet,  weil  ihr  die  Reoepte  und  ofichternen  medicinigcbeii 
Stoffe  keinen  Raum  bieten  (CSass.  61,  9  horamm  temr 
pore  plurlmo^  Cael.  chron.  2,  42  aucto  nutnero  quan- 
titatis) ,  so  mögen  dafür  aus  andern  Afrikanern  einige  Be- 
lege augefuhrt  sein;  aus  Apuleius  eLuvies  sardiumt  turbines 
prücMiirum,  tutelae  praeMtOi  saxa  eauHumt  mctUis  iur 
tmdus  (Kosiol,  8.  23  ffl),  ans  Victor  Vitens,  p.  1«  6  Halm 
ghria  elationiSf  3, 13  im  furoriSj  3, 23  aedifieiis  magnanm 
aediumt  4,  9  dulcedo  smvifatis,  18,  25  verecunda  pudorist 
44,  28  dolum  fratidiSt  59,  5  superandi  vicioria  ;  aus  Ful- 
gentius  mythol.  1, 15  fervoris  incendio,  ibid.  sucum  liquoris, 
2,  8  fervoris  aesiu,  2,  9  divinae  providentiae  aapkuHaet 
8,  6  honoris  maiesUUe,  und  mehr  bei  Zink,  S.  59.  60;  nnd 
schon  ans  Amobina  ftthrt  Beifierscheid  im  Index  p.  347  aa 
heneficii  munuSj  initiorum  mtfsteria,  ortus  origo,  taeitwm- 
tatis  Silentium,  interitiotiis  exitium,  incendtorum  conllagra- 
tiones.  ^) 

Wie  Substantiv  und  Adiecti?,  so  können  auch  Sab- 
stanti?  nnd  Verbnm  begrifflich  xnsammenfallen,  a.  B.  Gm- 
sins  38,  4.  131,  9  augmenio  dimm  creseere,  wosa 
Tacitns  Histor.  1, 12  eodem  aueiu  (fälschlich  aeiu)  nwisior 

eine  entfernte  Analogie  bietet;  und  überhaupt  nimmt  dieser 
Grundsatz  etwas  zweimal  auszudrücken  die  verschiedensten 
Formen  au,  z.  B.  Cassius  3,  7  corpus  tttHUUudim  sisci  (san- 
gumis)  plenum;  13,  22  pkmmo  sanguine  äbmdars,  1,  4 
in  brevüoqwio  laüno  sermomef  welche  Yerbindnng  daiaos  n 

1)  Dien  ist  ismitisch,  wie  mir  mein  verehrter  College  Prof.  Trnmpp 
mittheilt,  und  swar  w&rde  iaeUumüaH»  tüentiwm  «ia  tiefes  Stitt- 
•ehweigen  beteicbnen. 


Digitized  by  Googft 


Waffim:         die  l^HiiUät  des  Afiniamra  (Uuäui  Fdix,  431 

erklären  ist,  das?  in  dem  den  Afrikanern  geläufigen  Com- 
positnm  breviloquium  der  zweite  Bestandtheil  seine  Kraft 
Terloren  bat.  Im  Vergleiebe  dazu  ist  ein  nnsehnldiger, 
and  daher  aaeh  alter  nnd  niebt  specififidi  afirikanisober 
Pleonasmns  die  Verbindung  quiuqtte  numero  (CSaas.  8,  14. 
9,  15  und  oft) ;  denn  dieser  Ausdruck  findet  sieb  scbon  bei 
Scrib.  Larg.  70.120;  bei  Pliu.  iun.  31,  20  R.,  bei  Gargilius 
Mart.  181,  4.  204,  8  II  ;  tlanii  auch  bei  Cael.  chron.  2,  174. 
3,  146.  4,  125,  wie  er  auch  schon  im  archaischen  und  vul- 
gären Latein  einen  Vorläufer  in  aaepenumero  bat. 

Wäre  es  mir  vergönnt  gewesen  den  gesammten  Wort- 
sebata  dea  Cassius  mit  dem  des  CSaelins  Anrelianus  und  der 
andern  Aerzte  an  vergleicben,  so  würde  Überall  das  Er- 
gebniss  das  gleicbe  gewesen  sein,  nämlicb  die  nngewöbn- 
liebe  Deberdinstimmnng  des  Cassins  mit  Gaelins  und  die 
starke   Abweichung   beider   von   der   Sprache  der  altern 
Aerzte,   woraus  eben  Afrika  als   die  lieimat  des  Cassius 
sich  ergiebt.    Für  die  wissenschaftliche  Untersuchung  li<^gt 
indessen  der  Schwerpunct  nicht  in  der  Quantität,  und  so 
durfte  ich  mich  bier  auf  wenige  Beispiele  beschränken. 
Das  bdbere  Interesse  scheint  mir  in  der  Art  der  Unter- 
socbnng  zn  liegen,  welcbe  Tielleicbt  in  keinem  Gebiete  der 
römiscben  Litteratnr  günstiger  liegt  als  in  der  medici* 
niscben.    Denn  wir  baben  medicinische  Scbriften  ans  allen 
Jahrbnnderten  von  Chr.  Geb.  an ;  da  aber  der  Inhalt  im 
grossen  Ganzen  der  nämliche  ist  und  die  Begriffe,  mit 
denen  die  Wissenschaft  operiert,  die  gleichen  sind,  so  zeigt 
sich  hier   durch  Vergleichung  am   einfachsten,  wie  die 
Sprache  sich  im  Laufe  der  Jahrhunderte  und  in  den  ver- 
sobiedenen  Ländern  Terändert  bat   Kin  Tbeil  der  betref- 
fenden Litteratnr  ist  noeb  niebt  Teröffentlicbt,  ein  anderer 
▼erlangt  eine  kritiscbe  Recension;  ^)  gleich wobl  genügt  das 
Torliegende  Material,  wenigstens  um  die  Arbeit  zn  beginnen. 

1)  Die  Henao  Dr.  Alb.  Köhler  and  Fr.  Vogel,  welche  dieeea 

28* 


432       Sitzung  der  philoH.'iihüol.  Clas»e  vom  3.  Juli  1880. 

Wm  den  Ab^^aug  und  Zugang  Ton  Wörtern  betrifft, 

so  sind  durch  das  Beispiel  von  morbus  0  ^-wei  wichtige  neue 
Thatsachen  festgestellt :  die  in  den  romanischen  Sprachen 
untergegangenen  Wörter  sind  sam  grosseren  Theile  schon 
anf  lateinisehem  Boden  antergegangen  oder  anrnckgeMen, 
sowie  umgekehrt  die  sog.  romanische  WorischJ^fong  oft 
blosse  Entlehnung  ist;  nnd  dann  bildet  den  Brsats  nidkt 
nothwendig  gleich  das  in  den  romanischen  8praclien  er- 
haltene Wort,  sondern  es  concurrieron  oft  Jahrliunderie 
laug  nebeueiuauder  und  nacheinander  eine  Keihe  vou  Wör- 
tern, bis  eines  oder  zwei  als  Sieger  aus  dem  Kampfe  her- 
vorgehen. So  einlach  ist  die  Sache  nicht «  dass  magmit 
direct  gegen  grandia  vertansoht  worden  wftre,  sondern  nsch 
Zeitf  Ort  nnd  Indiyidnalitat  snchten  sich  auch  andere  Äd- 
iectiva  wie  nimiuSj  ingens  in  die  Erbschaft  einzudräugen 
nnd  das  Leben  der  sog.  todten  Sprache  ist  ein  ?iel  reichere, 
als  wir  uns  gewöhnlich  einbilden. 

Winter  Italien  bereisen,  gedenken  ihr  Aageamerk  auf  die  medidniiehe 

Littcratur  zu  richten. 

1)  Vitium  als  yocabalum  proprinin  fQr  »Krankheit*  (s.  oben  S. '^3) 
Hn<1ct  sich  auch  bei  dem  Astrologen  Firmieoi  Matemns,  sowold  in  den 
Ausgaben  der  Hbri  nmtheseoB  ab  nach  in  den  Ton  Lesaing  (9,438  Laebn.) 
feröffentliehten  Fragmenten. 

Historische  ClasBe. 

Sitnmg  fem  8.  Jnli  1880. 

Herr  Stieve  hielt  einen  Vortrag: 
„Ueber  den  Kalenderstr eit  des  16.  Jahr- 
hunderts in  Dentschland.^^ 
Derselbe  wird  in  den  Abhandlnngen  ferOffmtlieht  werden. 


Digitized  by  Google 


^  OeÜentliche  Sitzung 

Bar  Vorfeier  des  Qebnrts-  und  Namensfestes 
Seiner  Majestät  des  Königs  Lndwig  IL  nnd  sn- 

gleich  zur  festlichen  Begehung  des  siebe n- 
handertjtthrigen  Jubiläums  des  Wittelsbacher 

Fürstenhauses 

im  28.  JoU  1880. 


Der  Herr  Präsident  t.  DöUinger  hielt  die  Festrede: 

„Ueber  das  Haus  Wittelsbach  und  seine 
Bedeutuug  iu  der  deutscheu  Geschichte^S 

Wahlen. 

Die  in  der  allgemeinen  Sitaong  Tom  23.  Juni  Torge- 
nommene  Wahl  neuer  Mitglieder  hatte  die  allerhöchste 
Bestätigung  erhalten,  and  zwar: 

A.  Als  ordentliches  Mitglied: 

Der  historischeu  Classe: 

Das  bisherige  ausserordentliche  Mitglied  Herr  Dr.  Johann 
Friedrich,  Professor  an  der  Munchener  Universität. 

B.  Als  auswärtige  Mitglieder: 

Der  p h i  1  OSO  p  h i  s c  h  - p  h  i  1  o  1  ogisch  e  11  (Miisne: 

Herr  Dr.  Adolph  Kirchhoff,  Professor  an  der  Universität 
SU  Berlin. 


Digitized  by  Google 


434  Oeffenüiche  SÜMWig  vorn      Juli  1680. 

Der  historischeu  Classe: 

Herr  William  Stabbs«  Professor  an  der  UniTenitftt  n 
Oxford. 

C.  Als  correspondirende  Mitglieder: 

Der  philosophisch-philologiBchen  Classe: 

Herr  Dr.  Ulrich  Köhler,  Secretar  des  kaiaerL  deatschsn 

archäologischen  Institutes  zu  Athen. 
Herr  Paul  Foucart,  Director  der  ^«cole  frau9aise  zu  Athen. 


Digitized  by  Copgle 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Sitiang  vom  6.  November  1880. 


Herr  Braun  legt  ?or: 
„Znr  griechiaohen  Kün8tl0rgeBohichte^\ 

Die  Verdoppelang  des  Praxiteles  and  des  Skopas. 

Als  ich  vor  nahezu  vierzig  Jahren  anfing,  mich  mit  der 
Geschichte  der  griechischen  Künstler  zu  beschäftigen ,  war 
es  eine  meiner  ersten  Aufgaben,  einer  Reibe  von  Doppel- 
gingem  den  Krieg  zn  erklären,  welche  das  ganse  Gebiet 
dieser  Forsehang  in  bennrnhigender  Weise  unsioher  machten. 
Es  ist  mir  aadi  gelangen,  einen  doppelten  Theodoros,  einen 
doppelten  Ageladas,  einen  doppdten  (ftlteren)  Poljklet 
glflektfcli  ans  der  Welt  zn  scbaffen.  Die  jüngere  Generation 
der  Archäologen  scheint  diesen  früheren  Zustand  der  Un- 
sicherheit ganz  vergessen  zu  haben  und  verräth  eine  be- 
denkliche Neigung,  die  Künstlergeschichte  statt  d»*s  besei- 
tigten mit  einem  neuen  Geschlechte  von  Parasiten  zn  be- 
völkern. Ob  ein  bis  jetzt  im  Verborgenen  sehleichender 
Alkamenes  sich  an*s  licht  der  Oeffentlichkeit  wagen  wird, 
bleibt  abanwarten.  Dagegen  soll  aas  dem  gesonden  Fleische 
des  Skopas,  and  noch  entschiedener  and  omÜMsender  aas 
dem  des  Praxiteles  je  ein  gleichnamiger  Vorfahre  herans- 
geticbuitteu  werden.  Für  einen  älteren  Pruxitelea  als  Gross- 


Digitized  by  Google 


486    SiUtmig  ier  fhilos.'phaol.  (nam  vom  6.  N&vmber  1880. 

Tftter  des  berühmten  hatte  sich  bereits  Benndorf  in  den 
Gött.  gel.  Anseigen  1871,  S.  606  ff.,  jedoch  mit  wissen* 

schaftlicher  Mässigung  ausgesprochen.  Weit  über  diese 
Grenzen  geht  dagegen  W.  Klein  hinaus  in  den  Archäol.- 
epigr.  Mittheilungen  aus  Oesterreich  IV,  S.  1  ff.,  und  es 
erseheint  daher  an  der  Zeit,  nicht  nnr  gegen  die  einielneD 
Ansichten  9  sondern  gegen  die  ganze  Behandlnngsweise  be- 
stimmten Phyiest  einzulegen. 

Um  allen  Unklarheiten  möglichst  vorzubeugen ,  mag 
zunächst  bemerkt  werden,  dass  ein  Künstler  Praxiteles  aus 
römischer  Zeit  durch  zwei  Inschriften  gesichert  ist  (A.  Z. 
1872,  S.  28).  Auch  an  einem  jüngeren  Praxiteles  als  Zeit- 
genossen des  Theokrit  nnd  vieUeicht  dem  £nkel  des  be- 
kannten ist  nicht  mehr  zn  zweifeln.  Denn  wenn  andi  die 
ungeschickte  Scheidong  eines  älteren  dvdf^unftonoiog  und 
eines  jüngeren  dyalf^avoTioidg  beim  Scholiasten  des  Theokrit 
den  Verdacht  nahe  legte,  dass  der  jüngere  erst  aus  der  Er- 
wähnung bei  Theokrit  herausinterpretirt  sei,  so  wird  doch 
durch  Benndorf*a  Hinweisung  auf  das  früher  fibersehene 
Testament  des  Theophrast  bei  Diog.  Laert.  V,  2,  14  seine 
Existenz  unzweifelhaft  bewiesen.  Ein  Versuch,  Werke  des 
berühmten  Praxiteles  auf  ihn  zu  übertragen  ist,  abgesehen 
von  der  durch  Benndorf  gestellten,  aber  von  ihm  selbst 
wohl  nicht  mehr  fesigehalteuen  „Vorfrage*^  über  den  olym- 
pischen Hermes,  meines  Wissens  nicht  weiter  gemscht 
worden.  Selbst  zwei  Bilder  der  Nike  unter  Dreifassen  wiU 
Benndorf  (S.  606)  dem  beruhraten  zuschreiben,  wenn  auch 
die  Schriftzüge  des  Epigramms,  welches  von  ihnen  handelt, 
auf  die  makedonische  Epoche  hinweisen  sollen.  Allein  die 
ganze  Inschrift  scheint  vielmehr  auf  einen  Praziteles  als 
Weihenden,  nicht  auf  den  Künstler  hinzuweisen. 

Wenn  also  unsere  Vorstellungen  yon  dem  berQhmten 
Praziteles  durch  den  Nachweis  eines  Enkels  dessetben  in 
keiner  Weise   beiuträchtigt  werden ,  8o  müsste  die^  uotb- 


Digitized  by  Google 


BnMm:  Zur  gnedtitdm  EOntSergudukhie.  487 

weDdig  der  Fall  sein,  sofom  dne  game  Beihe  Ton  bedeu» 
tfloden  Werken,  wie  Eiern  will,  dem  ereteren  absaspreeben 
und  einem  Uteren,  wafarscheinlieli  seinem  GroesTater,  beizn- 
legen  wäre. 

Man  ist  bei  der  Aunahme  dieses  Grossvaters  von  einer 
schon  vielfach  besprochenen  Stelle  des  Pausanias  (V,  20,  2) 
ausgegangen,  der  zufolge  Kolotes  Schüler  eines  Praxiteles 
gewesen  sei.  Allerdings  bieten  alle  Handschriften  des  Paa« 
•anias  niebt  diesen,  sondern  den  Namen  dee  Pasitelee  dar; 
aber,  sagt  man,  eine  Verweebselnng  dieser  beiden  Namen 
sei  ja  bebmntlieb  öfter  yorgekommen.  Es  mnss  indesaen 
als  kritiscbe  Regel  festgebalten  werden,  dass  meistentbeils 
der  unbekanntere  Name  in  den  bekannteren  verschrieben 
wird,  und  so  ist  in  der  That  bei  Plinius  der  Name  des 
Pasiteles  mehrfach  in  den  des  Praxiteles  corrumpirt  worden, 
nicbi  omgekehrt.  Schon  ans  diesem  Grunde  ist,  abgesehen 
Ton  andern  Erwägungen,  bei  Plin.  36,  35  der  Name  des 
Pasiteles  Ton  Detleüsen  mit  Beebt  wieder  beigestellt  worden. 
Die  Verindemng  des  Namens  bei  Paosanias  ist  also  von 
pbilologiscber  Seite  keineswegs  so  nnbedenklieb ,  wie  man 
gemeint  hat:  ebensowenig  aber  ron  Seiten  der  Chrono- 
logie. 

Praxiteles  wird  von  Plinius  in  die  104-,  Kephisodot 
sein  Vater  in  die  102.,  Kephisodot  sein  Sohn  in  die  121. 
Olympiade  gesetzt.  Ol.  104  mnss  hiernach,  wenn  nicht  den 
Beginn  der  Tbatigkeit,  so. doch  etwa  den  Begriff:  inclamit 
beseicbnen;  und  wir  gewinnen  demnacb  als  ongef&bre 
Qrensen  för  die  Tbätigkeit  der  drei  Künstler: 
Kephisodot  I:  Ol  95—105, 
Praxiteles:        Ol.  102—112, 
Kephisodot  II:  Ol.  110—121. 
Die  Thätigkeit  eines  Grossvaters  Praxiteles  also  würde 
etwa  in  Ol.  87 — 97   fallen   müssen.    Nun  war  aber  um 
Ol.      Kolotes  Oebolfe  des  Pbidias  bei  der  Aosföbrung  des 


Digitized  by  Google 


438   SiUutuf  der  pkih8,'-phiM.  Clatte  vom  6.  IhoewAtr  1880, 

Zeus  ra  Olympia;  war  er  aber  noch  früher  der  Schfiler 
emee  andern  Meisten,  so  mÜBete  dieser  letetere  sehon  in  die 
Zeit  Bwischen  OL  80—90  gehören.  Unter  solchen  Vorana- 
Setzungen  könnte  also  in  dieser  Familiengenealogie  der 

Grosavater  Praxiteles  nicht  als  Lehrer,  sondern  vielmehr 
nur  als  Schüler  des  Kolotes  Platz  finden.  Hierdurch  wird 
also  die  Einsetzung  seines  Namens  in  den  Text  des  Pausanias, 
wie  paläographisch- kritisch,  so  auch  chronologisch  haltlos. 

Wegen  chronologischer  Bedenken,  wenn  anch  nicht 
wegen  dieser  allein,  mag  hier  sofort  einer  weiteren  Hypo- 
these Klein*8  (B.  8)  gedaeht  werden.  Flinins  berichtet  Ton 
Pranteles  34,  71:  Habet  simniacrnm  et  benignitas  eins, 
Calamfdis  enim  quadrigae  aurigam  snnm  imposait,  ne  melior 
iu  eqiiorum  effigie  defecisse  in  homine  crederetur.  Diese 
ganze  Nachricht  soll  auf  MissverstUudniss  beruhen:  viel- 
mehr habe  Praxiteles  in  Gemeinschaft  mit  Kaiamis, 
dieser  die  Rosse ,  er  selbst  gleichzeitig  den  Lenker  gear- 
beitet. Zunächst  ist  die  Hinweisung  auf  eine  ähnliche  Ar- 
beitstheilnng  awisohen  Kaiamis  und  Onatas  an  dem  Denk- 
mal für  Hierons  Siege  in  Olympia  (Pens.  VI,  12»  1)  keines- 
wegs ratreffmd.  Denn  es  handelt  sich  hier  nm  die  Denk- 
mäler fBr  drei  Terschiedene  Siege,  zwei  mit  dem  Rennpferde 
(Ol.  73  und  77) ,  einen  mit  dem  Viergespanne  (Ol.  78), 
die  erst  nach  seinem  Tode  von  Deiuomenes  geweiht  durch 
gemeinsame  Aufstellung  mit  einander  verbunden  waren, 
sonst  aber  in  keiner  Weise  einen  künstlerischen  Zusammen- 
hang zu  haben  brauchten.  Rein  willkQrlich  ist  sodann  die 
Annahme,  dass  die  Angabe,  „ein  so  bewegtes  Schema,  wie 
das  eines  Wagenlenkers  an  bilden,  ansserhalb  der  Grenaen 
der  Ennst  des  Kaiamis"  gelegen  habe.  Mnss-denn  das 
Schema  des  Lenkers  eines  sicher  nicht  in  vollem  Laufe  dar- 
gostellten  Viergespannes  ein  bewegtes  gewesen  sein?  Wie 
aber  steht  es  mit  der  Zeit?  Praxias,  des  Kaiamis  Schüler, 
war  l>ereit8  vor  Ol.  89  todt  (iüg.  I,  247).    Ein  wichtiger, 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Zur  griechischen  Kümtlergeschichte,  439 


gewiss  der  bedeutendste  Theil  der  Thütigkeit  des  Kalarais, 
fallt  vor  Ol.  80.  Ob  sie  überhaupt  auch  nur  bis  Ol.  85 
gedauert,  lässt  sich  iu  keiner  Weise  bestimmt  behaupten. 
Und  doch  soll  mit  ihm  der  Qrossyater  Praxiteles  gemeinsam 
gearbeitet  haben,  dessen  Thatigkeit  Qberbanpt  erst  In  der 
«weiten  Hälfte  der  achtziger  Olympiaden  begonnen  haben 
könnte?  Die  Er/ählung  des  Plinins  beruht  sicher  nicht  auf 
einer  oi«^pnen  Coinbination  dieses  Autors,  sondern  ist  so  wie 
sie  vorliegt,  aas  einer  älteren  Ueberliefernng  herüberge- 
nommen.  Gern  mögen  wir  in  der  Hinweisong  anf  die  be- 
nignitas  eine  epigrammatische  Pointe  ohne  historischen 
Werth  erkennen.  Für  die  Hlnznfiiguug  des  Lenkers  dnrch 
Praxiteles  aber  sind  verschiedene  Anlässe  denkbar ;  es  konnte 
z.  B.  wie  schon  llrlichs  vemiuthet  hat,  der  Lenker  ur- 
sprünglich ganz  gefehlt  haben.  Wenn  wir  nun  aber  den 
Anlass  nachzuweisen  nicht  im  Stande  sind,  was  g;iebt  ans 
das  Recht,  das  Thatsachliche  der  Ueberliefemng ,  nemlich 
dasB  sich  anf  dem  Gespanne  des  Kaiamis  ein  Lenker  Ton 
der  Hand  des  bekannten  Praxiteles  befand ,  einer  unbe- 
wiesenen H yi)ot]iese  zu  Fiiebe  in  Zweifel  zu  ziehen  ? 

Die  zweite  Hauptstütze  für  die  Annahme  eines  Gross- 
Taters  soll  Pausanias  bieten,  wenn  er  sogleich  beim  Betreten 
Athens  (I,  2,  4)  die  Statnen  der  Demeter,  der  Persephone 
und  des  lakchos  im  Demetertempel  nahe  beim  Pompmon 
•rwfthnt  nnd  hinzufügt:  ylyquixxiti  de  lid  ttTt  toixio  yqcqt- 
fiaoiv  ^tTi/.olg  tqya  uvcti  TlQaBrT^/.oix.  DtMin  da  das  attiselie 
Alphabet  Ol.  94 ,  2  otficiell  abgeschafft  worden  sei ,  so 
mnssten  die  Statuen  älter  als  diese  Zeit  und  könnten  daher 
nicht  Werke  des  bekannten  Praxiteles  sein.  Der  Schlnss 
würde  zwingend  sein,  solem  die  Inschrift  anöden  Statuen 
selbst  nnd  von  der  Hand  des  Künstlers  angebracht  gewesen 
wäre.  Aber  sie  befand  sich  auf  der  Wand,  auf  welche  sie 
keineswegs  mit  der  Aufstellung  der  Statuen  gleichzeitig 
gesekst  zq  sein  brauchte.    Wenigstens  die  Möglichkeit, 


Digitized  by  Google 


440    aUzung  der  pltHosrphUol.  Clasw  vom  6.  November  1880. 

dass  sie  dort  später,  sei  es  bei  Gelegenheit  einer  Restau- 
ration des  Gebäudes  oder  bei  einem  andern  uns  nnbe- 
kannten  Anlasse  hinzugefogt  aeii  wird  von  jedermana  zu- 
gegeben werden  mttfleen.  Wenn  nun  Panaanias  dnrck  seine 
Angabe  andeutet,  dass  ibm  das  attisebe  Alpbabet  auffällig 
war,  sollte  er  da  nicbt  eine  weitere  Bemerkung  Aber  den 
Künstler  hinzugefügt  haben,  sofern  man  in  Athen  etwas 
von  einem  älteren  Praxiteles  gevvusat  hätte?  Er  ist  aber 
nicht  der  einzige,  der  diese  Werke  erwähnt.  Auch  Clemens 
Alezandrinus  gedenkt  ihrer  und  bezeichnet  sie  einfi^b  und 
obne  Beisatz  als  praxiteliacb. 

Hierzu  kommt  aber  noch  eine  weitere  kunstgesdiieht- 
liehe  Erwägung.  Betrachten  wir  die  Werke  der  statuarischen 
Kunst  aus  der  Zeit  des  Phidias  und  der  ihm  folgenden 
Generation,  so  ünden  wir  wohl  tigurenreiche  Weihgeschenke, 
wie  z.  ß.  das  auf  Marathon  bezügliche  Ton  Pbidias  Hand 
in  Delphi,  sowie  figurenreiche  Giebelgruppen.  Aber  die 
Götterbilder  in  den  Tempeln  sind  durchweg  Einzelnskatuen. 
Erst  bei  Kephisodot,  dem  Vater  des  Praxiteles,  begegnen 
wir  der  Eirene  mit  dem  Plutos,  dem  Hermes  mit  dem  Dio- 
uysoskinde;  bei  seinem  Genossen  Xenophon  der  Tyche  mit 
Plutos ;  und  beide  gemeinsam  arbeiten  ein  Bild  des  sitzenden 
Zeus,  neben  dem  Megalopolis  und  Artemis  Soteira  standen. 
Ebenso  entschieden  tritt  uns  die  Gruppenbildung  bei  ihrem 
Zeitgenossen  Damophon  Ton  Messene  entgegen,  und  gerade 
die  auf  den  Cultus  der  Demeter  bezüglichen  Darstellungen 
gewinnen  in  dieser  Zeit  eine  hervorragende  Bedeutung. 
Was  aber  hier  begonnen,  das  findet  in  der  Zeit  and  in  der 
Kunst  des  Skopas  und  des  Praxiteles  seine  weitere  Fort- 
setzung. Es  wfirde  zu  weit  fftbren,  die  inneren  Grunde 
dieser  Entwiekelung,  die  sich  in  den  historischen  Gang  der 
Kunstgeschichte  vortrefflich  einfügt,  hier  ausführlicher  dar- 
zulegen. Aber  die  äusseren  Thatsachon  liegen  in  den 
sobriillichen  Quellen  der  Künstlergeschichte  auch  für  eine 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Zur  griednuidien  Kibutter^udiidite,  441 

oberflächliche  Betrachtung  offen  da.  £ine  Gruppe  der  De- 
meter, Eore  und  des  lokchos  wfirde  also  in  der  ersten 
H&lfte  der  nennriger  Olympiaden  als  eine  Anoqialie  er- 
scheinen,  während  sie  in  der  Zeit  nach  OL  100  ihre  dnrchaos 
passende  Stelle  findet. 

Eiue  im  küiistleriscli-technischen  Siime  streng  einheit- 
lich geschlossene  Gruppe  vorauszusetzen,  liegt  keine  Noth- 
wendigkeit  vor.  Es  würde  eine  künstlerisch-poetische  Ein- 
heit genügen,  wie  sie,  der  statuarischen  Behandlung  voraus* 
gehend,  etwa  in  dem  bekannten,  elensinischen  Belief  ge- 
geben ist,  in  dem  jeder  einseinen  Figor  eine  gewisse  Selb- 
ständigkeit gewahrt  bleibt  Es  könnte  dämm  aach  nicht 
gerade  anflfällig  erscheinen,  wenn  eine  einselne  Figur  ans 
der  Ornppe,  die  des  lakchos,  zu  einem  besondern  Ansehen 
gelangt  wäre ;  und  wir  werden  daher  wenigstens  die  Mög- 
lichkeit zugehen  müssen,  dass  der  von  Cicero  besonders  ge- 
feierte lakchos  wirklich  dieser  Gruppe  angehört  habe.  Zwar 
nennt  Cicero  den  Namen  des  Küustlers  nicht,  aber  nnaweifel- 
haft  ist  ein  hervorragender  Meister  Toranssnsetaen.  Wir 
haben  femer  keine  Nachricht  von  einer  andern  berühmten 
Einielnstatne  des  lakchos  in  Athen,  während  die  Gruppe  doch 
sweimal,  Ton  Pansanias  und  von  Clemens,  genannt  wund 
und  ihre  Erwähnung  vielleicht  noch  einmal  in  den  „Werken 
im  Kerameikos''  bei  Plinius  versteckt  ist.  Wir  finden  ausser- 
dem ein  lakcheion  bei  Plut.  Arist.  27  und  Alciphr.  3,  59, 
welches  in  Ermangelung  anderer  Nachrichten  von  Preller 
(gr,  Myth."  I,  646)  ohne  Weiteres  mit  unserem  Demeter- 
tempel identificirt  wird,  in  dem  der  lakchos  swischen  den 
beiden  Qöttinen  der  Idee  nach  die  heryorragendste  Stellung 
einnehmen  mochte.  —  Mag  indessen  bei  diesen  Tersehiedenen 
Fragen  eine  sichere  Entscheidung  nicht  möglich  sein,  so 
darf  doch  mindestens  behauptet  werdeu,  dass  gegen  die  Zu- 
theilung  der  Griip])e  an  einen  Grossvater  Praxiteles  gewiss 
ebenso  gewichtige,  wenn  nicht  stärkere  Gründe  als  für  die- 


Digitized  by  Google 


442    SUsung  der  phOosrphiki.  Olasae  vom     Notember  1890. 

selbe  sprecheiif  und  dass  bei  dem  Tollstandigeii  direcien 
Schweigeo  der  Alten  Aber  diesen  GrossTater  anf  die  blosse 

bypothetisclie  Existenz  desselben  keine  weiteren  Folgernngen 
gebaut  werden  dürfeu. 

Das  versucht  aber  Klein  in  der  umfassendsten  Weise. 
Ausser  dem  schon  besprochenen  Lenker  anf  der  Quadriga 
des  Kalamis  will  er  dem  Groesrater  noch  folgende  Werke 
ssnsprecben: 

1)  die  Stahlen  der  Hm.  nnd  Rhea  im  Heratempd  m 

Plataeao:  Paus.  IX,  2,  5; 

2)  die  ätatueu  der  Zwöl%ötter  iu  M^ara:  Paus.  1, 
40,  3; 

3)  die  Darstellnng  der  Herakleetbaien  am  Herakleion 
in  Theben:  Paus.  IX,  11,  6; 

4)  die  Statnen  der  Leto  nnd  ihrer  Kinder  nnd  die  der 

thronenden  Hera  mit  der  neben  ihr  stehenden  Athene  und 
Hebe  in  zwei  Tempeln  zu  Mantinea:  Paus.  VIII,  9,  1  und  3. 
Ausserdem  wird  noch  vermuthet,  dass  die  Leto  mit  ihren 
Kindern  in  Megara  (Paus.  I,  44,  2)  eine  Wiederholung  der 
Gruppe  in  Mantinea  sei. 

Eine  stattliche  Reihe!  Nur  Schade,  dass  sie,  schon  gans 
im  Allgemeinen  betrachtet,  gerade  das  Gegentbeil  von  dem 
beweist,  was  Klein  beweisen  will.  Au  sich  wäre  es  ja  nicht 
besonders  zu  verwundern,  wenn  der  bekannte  Praxiteles  einen 
gleichnamigen  Grossvater  gehabt  hätte,  der  eben&lls  schon 
Kttnstler  war,  und  wenn  sich  unter  den  Werken  desfijnkels 
auch  einmal  eines  des  Grossvaters  versteckt  h&tte.  Aber 
mit  jedem  Werke  mehr ,  das  mau  diesem  zutheilen  will, 
mindert  sich  die  Wahrscheinlichkeit  der  ersten  Annahme 
gerade  im  umgekehrten  Verhältni8s.  Und  nun  gar,  dass 
eine  so  lange  Reihe  von  bedeutenden  Werken  ihm  angehört 
und  die  gesammte  uns  erhaltene  schriftliche  Tradition  des 
Alterthums  einen  solchen  Kttnstler  hartnackig  todtgeschwi^gen 
haben  sollte,  das  ist  doch  wahrlich  so  unglaublich  wie  mög- 


Digitized  by  Google 


Brum:  Zur  griedwtken  KümÜergetdUdiie.  443 

lieh.  Die  Haltlosigkeit  der  Klein 'sehen  Hypothese  läset 
fflch  aber  ansBerdem  noch  ttberall  im  £inselneii  nachweieeu, 
wobei  die  gesammie  Chronologie  des  Praxiteles  manche  ge- 
nauere Feststellung  erfahren  wird. 

Wir  beginnen  mit  den  Werken  in  Mantinea.  Dort 
war  ein  Doppeltempel  und  in  dem  einen  befand  sich  eine 
Statue  des  Asklepios  von  Alkamenes ,  in  dem  andern  die 
Gruppe  der  Leto  mit  ihren  Kindern ,  welche  Praxiteles 
idhjj  fieid  vihLa(.itvriv  vöibqov  yfve((  gemacht  hatte.  „Die 
Form  der  Angabe  des  Zeitunterschiedes  zwischen  Alkamenes 
nnd  Praxiteles ....  klingt  allerdings  f&r  den  ersten  Augen- 
blick bestimmt  und  bestechend.  Sie  scheint  den  Siteren 
Praxiteles  den  drossvater  des  jüngeren  stillschweigend  an- 
zuerkennen nnd  ausznsehliessen  [?],  da  wir  aber  im  selben 
Kapitel  Absatz  5  wie^der  yereaig  de  tQiaiv  fiiov  nQoxtqov 
begegnen,  so  werden  wir  auf  dasselbe  kaum  weiteren  Nach- 
druck legen  mögen"  (S,  17).  Was  sich  Klein  beim  Nieder- 
schreiben dieser  Worte  gedacht  hat,  ist  mir  v()lliir  \inbe- 
greiflich.  Pausauias  berichtet,  dass  die  Mauiineer  das  Heroon 
des  Podares,  der  sich  in  der  Schlacht  bei  Mantinea  g^en 
Epaminondas  ansgeaeichnet,  drei  Generationen  Yor  der  Zeit 
seines  eigenen  Besuches  auf  einen  der  römischen  Zeit  an- 
gehörigen  gleichnamigen  Nachkommen  des  Podares  umge- 
schrieben haben.  An  diesem  nüchterneu,  auf  die  hiHchrift 
gestüzten  Bericht  zu  zweifeln,  liegt  doch  wahrlich  nicht 
der  geringste  Grund  vor.  Was  in  alle  Welt  aber  hat  dieser 
Bericht  mit  der  Zeitbestimmung  des  Praxiteles  zu  thun,  dass 
die  Glaubwürdigkeit  derselben  durch  ihn  yerdächtigt  werden 
sollte?  Und  diese  Zeitbestimmnng  wiederum,  steht  sie  nicht 
im  besten  Einklang  mit  allen  unseren  sonstigen  Kachrichten 
und  steht  sie  nicht  gans  an  ihrer  richtigen  Stelle?  nem- 
lich:  in  einem  Doppeltempel,  der  einheitlich,  zu  einer  Zeit 
gebaut  ist,  siud  die  Tempelbilder  aus  verschiedenen 
Zeiten,  das  eine  von  Alkamenes,  das  andere  drei  Generationen 


Digitized  by  Google 


t 

444    Sitzung  der  philos.'phäd.  Classe  mm  6.  Novembtr  1880, 

jünger  vou  Praxiteles.  Hier  ist  für  jeden,  der  die  Worte 
einfach  so  verstehen  will,  wie  sie  geschrieben  sind,  alles  in 
der  schönsten  Ordnung. 

Doch:  „ee  Bprechen  hier  auch  noch  histoiiache  GrOnde 
ihr  Wort  mit".  Nemlich  Ol.  98,  4  wird  Mantinea  Ton 
Agesipolis  cerstört;  nach  15  Jahren,  d.h.  nach  der  Schlacht 
bei  Leuktra  (Ol.  102,  2)  wieder  aufgebaut  ,,gelangte  es  doch 
nicht  wieder  zu  voller  Blüthe.  Dem  grossen  Praxiteles 
aber  zu  einer  Zeit  hier  umfangreiche  Denkmäler  zuzumuthen, 
als  man  sich  begnügte  das  l^effen  Ton  Mantinea  dnrch  die 
Erwerbong  einer  Gopie  des  enphranoFBchen  Gemäldee  in 
Athen  m  feiern,  geht  doch  wohl  kaum  an'^  Dase  die 
Mantineer  eine  Copie  eines  berühmten,  auf  die  Geschichte 
ihrer  Stadt  bezüglichen  (lemäldes  zu  besitzen  wünschten, 
ist  an  sich  doch  noch  kein  Zeuguiss  von  Armuth.  Si^  „be- 
gnügten*'  sich  aber  damit  keineswegs:  Paosanias  erwähnt 
ansserdem  das  schon  genannte  Heroon  des  Podares  an  der 
Agora  nnd  das  Denkmal  des  Gtylos  in  der  Nahe  des 
Theaters.  —  Die  Lage  der  politischen  Verhältnisse  f&hrt 
vielmehr  auf  eine  durchaus  andere  Auffassung.  Der  Wieder- 
aufbau von  Mantinea  steht  in  engster  Beziehung  zu  der 
ganz  gleichzeitigen  Wiederherstellung  von  Messene  und  der 
Gründung  Ton  M^lopolis.  Für  die  künstlerische  Aus- 
schmückung dieser  Städte  war  in  erster  Linie  Damophon 
TOD  Messene  thätig.  Neben  ihm  war  Eephisodot,  wohl  der 
dem  Damophon  am  nächsten  verwandte  Künstler,  mit  seinem  . 
Genossen  Xenophon  durch  eine  Grappe  des  thronenden 
Zeus  mit  Megalopolis  und  Artemis  Soteira  sur  Seite  für 
Megalopolis  in  Ansprach  genommen.  Passt  es  dam  nidit 
auf  das  Beste,  dass  auch  der  Sohn  dee  Eephisodot  in  der 
dritten  Stadt  Beschäftigung  findet?  Er  war  damals  noch 
nicht  der  „grosse"  Praxiteles,  sondern  ein  junger  Mann, 
der  noch  nicht  durch  Aufträge  an  Athen  gefesselt  sein 
mochte.   Bedenken  wir  endlich ,  dass  Mantinea  OL  90,  3 


Digitized  by  Google 


f 

Brunn:  Zur  griet^$(^  KQnsÜerffestiMie,  445 

(Diod.  Xn,  80)  unter  sparianisohe  Herrschaft  M»  so  er- 
klärt es  sich  auch,  dass  damals  die  Aiiflsehintiolniiig  des 

Doppeltempels ,  fiir  dessen  eine  Seite  Alkamenes  gearbeitet 
iiatte,  unterbrochen  wnrde ,  wiihreud  es  sich  ebensowohl 
begreift,  dass  man  nach  Wiederherstellung  der  Stadt  nicht 
suletst  an  die  VoUendnng  des  früher  Begonnenen  daehte. 

Wir  wenden  nns  jetst  zn  den  Heraklesthaten  am  Hera- 
kleion  an  Theben,  naeh  deren  Erwfthnnng  bei  Pansanias 
(IX,  11,  (>)   als  im  Horakleion  befindlich  auch   noch  das 
\\>iiigtsclifiik  des  Thrasjbul  und  seiner  Genossen  für  die 
Befreiung  Athens  von  der  Hand  des  Alkamenes  angefahrt 
wird.   „Im  zweiten  Theile  fällt  unser  Berichterstatter  ans 
der  im  ersten  angewandten  Gonstmction  heraos  [ßtfiaiotg 
inoh^B . . . . ;  Qqaavßovlog  xat  oi . . .  avi^rptop . . .].  Er 
will  sagen :  Für  die  Thebaner  hat  Praxiteles  die  Herakles- 
thaten im  Giebel  gemacht,  für  die  Athener  und  Thrasybul 
Alkamenes    das   Weihgescheuk  Athena  and  Herakles  im 
Tempel.    Beide  Werke  werden  uns  in  enger  Verbindung 
mit  einander  TOigeftthrf'  (S.  15).   Das  ist  wiedemm  eine 
rein  willkflrliche  Interpretation :  nicht  Pänsanias  will  sagen, 
sondern  Klein  will  Pansanias  sagen  lassen ,  dass  u.  s.  w. 
Vielmehr  fallt  Pansanias  aus  der  Constructioii  heraus,  eben 
weil  die  beiden  Werke  von  einander  ToUkommen  unab- 
hängig waren.  Aber:  „warum  das  Herakleion,  das  die  Stif- 
tung Thrasybnls  als  ein  schon  früh  bedentaames  Heiligthnm . 
zeigt,  erat  im  rierten  Jahrhundert  seinen  nothwendigstem 
Schmuck  erhalten  haben  sollte,  ist  schwer  einzusehen,  der 
chronologischen  Schwierigkeiten  nicht  zu  gedenken,  welche 
die  Thätigkeit  des  grossen  Praxiteles  in  Theben  an  und 
für  sich  unwahrscheinlich  machen'*  (S.  16).  Mit  demselben 
fieeht-e  könnte  man  sagen:  warum  die  Athener  erst  unter 
Periklee,  und  nieht  schon  unter  Themistokles  oder  Kimon, 
und  warum  sie  den  Parthenon  Tor  dem  Ereohtheiott  bauten, 
ist  schwer  einzusehen;  und  doch  war  es  der  Fall.  Das 
(.188Ü.  1.  Phü.-phiL  bist.  Cl.  Bd.  1. 4.J  29 


Digitized  by  Google 


446    Sitgmtff  der  fhao8,'pka6l,  Clane  wm  6.  November  1880. 

Herakleion  war  ein  sehr  altes  Ueiligthnm,  weit  alter  als  das 
Weihgeschenk  des  Tbrasybul,  wie  das  ron  Päosanias  er- 
wähnte Xoanon  angehlich  von  der  Hand  des  Daedalos  lehrt. 

Müj^Iich  wiire  es  allerdings  ,  dass  es  ^clion  in  der  Zeit  des 
dreisÄigjahrigen  Friedens  erneuert  worden  wiirv ;  aber  gewiss 
eben  so  möglich,  dass  die  Ernenerang  erst  später  zur  Zeit 
der  höchsten  Bläthe  Thebens  unter  Felopidas  uud  Epami- 
noodas  statt&nd.  Berief  sich  doch  Epaminondas  vor  der 
Schlacht  bei  Leoktra  auf  eine  angebliche  Wandererschei- 
nung im  Herakleion  (Diod,  XV,  53,4),  durch  die  sich  etwa 
die  Thebauer  zum  Danke  durch  einen  Neubau  des  alten 
Tempels  verpflichtet  fühlen  mochten.  —  Warum  ferner  soll 
es  anwahrscheinlich  sein,  dass  der  bekannte  Praxiteles  io 
Theben  gearbeitet  habe?  Finden  wir  doch  dort  xwei  Werke 
seines  Zeitgenossen  Skopas  (s.  u.)  nnd  ausserdem  die  Tjche 
mit  dem  Plutos  von  Xenophon,  der  mit  Kephisodot  zu- 
sammen in  Megalopolis  zu  derselben  Zeit  besclniftigt  war, 
in  welcher  Praxiteles  wahrscheinlich  in  Mantiuea  arbeitete.  — 
Möglicher  Weise  fallen  in  die  gleiche  Zeit  die  Arbeiten  im 
Hetligthum  des  Trophonios  bei  Lebadea,  das  durch  die 
Grnndnng  von  Festspielen  nach  der  Schlacht  bei  Lenktra 
einen  neuen  Glanz  erhielt  (Diod.  1.  I.)* 

Dem  Grossvater  Praxiteles  sollen  ferner  die  Statuen 
der  Zwölfgötter  in  Megara  zugesprochen  werden  («S.  13). 
Aber  auch  hier  muss  zu  diesem  Zwecke  enit  wieder  in  den 
Pausanias  hineingedeutet  werden.  Weil  er  sie  bezeicbnet 
als  Bifya  shat  layonwa  IlQaiiTdlovgf  soll  der  Eindruck,  den 
er  empfing,  ihn  stutzig  gemacht  haben,  sie  alt«  Werke  des 
bekannten  Praxiteles  anzuerkennen,  während  die  Wort^ 
doch  nur  besagen,  dass  Pausanias  eine  äussere,  directe  Be- 
glaubigung, etwa  durch  eine  Inschrift  au  den  Werken  selbst 
nicht  vorfand.  Von  der  Anspruchslosigkeit  des  Pausanias» 
der  sich  meistentheils  des  eigenen  Urtheils  entULlt  und  sieb 
begnügt,  ein  treuer  und  ehrlicher  Berichterstatter  zu  sein. 


Digitized  by  Google 


Brwm:  Zur  grMü^m  E^nHUrge9addae.  447 

scheint  die  neueste  anspruchsvolle  angebliche  Kritik  nicht 
mehr  im  Stande  su  sein,  «ch  eine  aaeh  nur  annähernde 
Vorstellung  an  machen.  Anf  den  GroesTater  wird  nnn  aber 
wieder  gerathen,  ans  welchem  Ornnde?  Weil  in  demselben 
Tempel  sich  eine  Artemis  des  Strongjlion  befiind,  eines 
Künstlers  etwa  der  90.  Olympiade.  Ihre  Weihnng  wird 
mit  einer  Sage  aus  einer  früheren  Zeit  ,  der  Schlacht  von 
Plataeae,  in  Ynrltindung  gebracht  ;  weshalb  sie  so  spät  er- 
folgte, wird  nirgends  gesagt;  ebensowenig  aber  auch,  dasa 
die  Aufstellung  der  Zwölfgötter  zu  ihr  irgend  eine  Bezieh- 
ung hätten, , es  heisst  einfisch :  iytmi'^a  mal  • . .  iattv  dyaXr 

Blicken  wir  dagegen  anf  die  allgemeinen  Verhältnisse 
▼on  Megara,  80  finden  wir  dort  ausser  den  Zwölfgöttera 
noch  mehrere  andere  Werke  des  Praxiteles:  einen  Satyr, 
eine  Tyche,  Leto  mit  iliren  Kindern,  Peitho  und  Paregoros, 
*  femer  von  Ökopas  die  Gruppe  des  Eros ,  Pothos  und  Hi- 
meros,  von  Bryazis  Asklepios  und  Hygieia,  von  Lysipp 
Zeus  und  die  Musen.  Skopas  und  Bryaxis  kehrten  schwer» 
lieh  nach  ihren  Arbeiten  am  Mausoleum  nach  Megara 
zur&ck;  Lysipp  war  später  besonders  durch  Alezander  in 
Anspruch  genommen.  Nnn  hatte  Megara  im  peloponnesischen 
Kriege  den  Zeuskoloss  des  Theokosmos  unvollendet  lassen 
müssen.  Später  hob  es  sich  besonders  durch  eine  geschickte 
Handelspolitik,  und  if-okrates  weist  in  der  Ol.  !()(},  l  ge- 
schriebenen Hede  über  den  Frieden  (g  117)  au.sdrücklich 
auf  den  Wohlstaud  der  Stadt  hin.  Da  aber  von  einer 
Thätigkeit  noch  jängerer  Künstler  in  Megara  nichts  weiter 
Oberliefert  wird,  so  möchte  man  glauben,  dass  diese  r^ 
Kunstthätigkeit  sich  in  einem  gewissen  Zusammenhange 
wahrend  einee  siemlich  bestimmt  begrensten  Zeitraumes 
entwickelt  habe,  und  dass  daher  die  genannten  Künstler 
dort  ziemlich  gleichzeitig,  etwa  iu  der  Zeit  jener  Rede  des 

läokrates  beschäftigt  gewesen  seien.    Die  durch  nichts  ge- 

29* 


448   SUgung  der  pfUhs^-phUol.  Clatae  vom  6,  Nocember  1880, 

rechtfertigte  Loslösung  der  Zwölfgötter  von  den  andern 
dortigen  Werken  des  Praxiteles  verliert  dadarch  nur  noch 
mehr  an  Wahrscheinlichkeit. 

Er  bleiben  noch  die  Rhea  ond  die  Hera  Teleia  in  Pia- 
taeae.  Nach  Kl«n  (S.  8)  war  der  bekannte  Praxiteles  ,,gar 
nicht  in  der  Lage  die  in  Rede  stehenden  Statuen  zu  fer- 
tigen. Zu  seiner  Zeit  gab  es  kein  Plataeae''.  Erst  Ol.  114 
sei  es  durch  Alexander  wiederhergestellt  worden.  Worauf 
sich  diese  letaste  Angabe  gründet,  ist  mir  nnerfindlieh. 
Allerdings  waren  Plataeae,  Orchomenos  nnd  Thespiae  ms 
die  Zeit  der  Schlacht  bei  Lenktra  von  den  Thebanern  zer- 
stört und  nach  einigen  KrwKiiiuingen  hei  Demosthenes  iu 
der  109.  Ol.  noch  nicht  wiederhergestellt.  Wohl  aber  he- 
ricbtet  Pausanias  (IK,  1,  8;  37,  8;  IV,  27,  10),  dass  Orcho- 
menos nnd  Plataeae  nach  der  Schlacht  bei  Ohaeronea  (OL 
110,  3),  nnd  Arrian  (I,  9,  10),  chronologisch  nnr  nm  wenige 
Jahre  abweichend,  dass  sie  nach  der  Einnabrae  Tbebei» 
durch  Alexander  (Ol.  III,  2)  wieder  aufgebaut  wurden. 
Thespiae  wird  hiebei  nicht  besonders  genannt;  aber  bei  der 
Gemeinsamkeit ,  in  der  es  sonst  mit  den  beiden  anderen 
Städten  erscheint,  wird  auch  sein  eigenes  Geschick  sich  da- 
mals znm  Bessern  gewandt  haben.  Tu  diese  Zeit  also  wird 
die  Thatigkeit  des  Praxiteles  fnr  Plataeae  wie  f&r  Thespiae 
feilen.  Wenn  keines  seiner  Werke  bis  auf  Ol.  100  zurück- 
weist, seine  Söhne  aber  noch  Ol.  121  thätig  sind,  so  liegt 
darin ,  dass  sein  späteres  Leben  »ich  noch  mit  den  ersten 
Jahren  der  Regierung  Alexanders  begegnet,  in  keiner  Weise 
etwas  Auffälliges.  Andere  Nachrichten,  wie  s.  B.  die  über 
sein  Verhaltniss  zur  Phryne,  lassen  sich  damit  auf  das  Beeke 
vereinigen ;  und  es  wäre  selbst  nicht  unmöglich ,  dass  die 
knidische  Aphrodite  erst  in  die  Zeit  der  Befreiung  Klein- 
asiens  vom  persischen  Joche  durcli  Alexander  fiele. 

So  scheinen  sich  aas  den  bisherigen  Betrachtungen 
einige  allgemeine  Linien  für  einen  Lebensabriss  des  Praxi- 


Digitized  by  Go 


Brunn:  Zur  prtecMMk^n  KiMUrge^ehkhU.  449 

U'les  zu  ergeben.  In  seine  früheren  Jahre  werden  wir  die 
Arbeiten  fttr  Theben  nnd  Mantinea,  yielleicht  auch  för  an- 
dere Orte  des  Peloponnes  setzen  dUrfen.  Dann  folgte  die 
Thätigkelt  fdr  Megara.  Nun  erst  mochte  sein  Künstler^ 
robm  fest  begrflndet  sein,  so  dass  er  Ton  da  an,  snmeist 
wohl  in  Athen,  in  voller  Unabhängigkeit  seinem  künstlerischen 
Berufe  lel)en  konnte,  worauf  so  manche  Erzählungen :  über 
die  Aphrodite,  den  Satyr,  den  Eros  n.  a.  hindeuten. 

Die  Annahme  «jines  Uroasvaters  IVaxiteles  aber  findet 
in  den  äosseren  Zeugnissen ,  den  schrifllichen  Nachrichten 
fiber  seine  Person  nnd  seine  Werke  keine  Stütae.  Es 
liesse  sieh  indessen  die  weitere  Frage  stellen,  ob  nieht 
etwa  innere  Widersprüche  Torliegen ,  welche  uns  nöthigen 
könnten  ,  die  Persönlichkeit  des  berühmten  Praxiteles  zu 
sjKiltt  u  und  einen  älteren  und  jüngeren  Künstler  de8  gleichen 
Nanjeus  an/uneliMien.  Ich  will  hier  nicht  einseitig  be- 
haupten, da88  die  (jesanimtbetrachtuug  eines  Künstlers  in 
erster  Linie  denn  doch  wieder  von  den  äusseren  Zeugnissen 
auszugehen  haben  wird,  sondern  gern  zugeben,  dass  theils 
die  Urtheile  der  Alten  über  den  Kunstcharakter,  nnd  noch 
mehr  die  Betrachtung  der  Werke,  wie  sie  nns  theils  an 
Originalen,  theils  an  Gopieen  geboten  wird,  sehr  wohl  den 
Anlass  geben  können,  uns  mit  den  Zeugnissen  der  äusseren 
Geschieht»'  in  VVidersjiruch  zu  setzen.  Aber  allerdings  be- 
darf es  hier  doppeller  Vorsicht  in  der  Untersuchung.  Prüfen 
wir  daher  das  Verfahren  Kleins  auch  nach  dieser  Seite! 

Kr  sagt  S.  11:  ,,Dass  der  Katalog  der  praiitelischen 
Werke  in  hohem  Qrade  der  Kritik  bedarf,  mag  ein  ein- 
faches Rechenexeropel  zeigen.  Wiihrend  wir  in  der  Orer^ 
beek*schen  Samrolnng  i^ysipp  durch  35  Nummern  Ter  treten 
finden  und  Skopas  gar  nur  durch  25,  werden  dort  nicht 
weniger  als  47  W>rke  als  ,, sicher"  praxitelisch  bezeichnet.  .  .  . 
Und  doch  ist  es  sicher,  dass  ein  Schluss  auf  die  Quantität 
der  Leistungen  dieser  drei  Meister  uuler  Zugrundelegung 


450    SUzut^f  der  j^Hü6.-j^küol.  Clasne  vom  6.  November 

dieser  Zahlen  als  Verhältnisszahlen  ein  verkehrtes  Resultat 
geben  müsste,  denn  Productivibät  wird  sowohl  dem  Skopas 
als  dem  Lysippos  nachgerühmt,  Praziieles  aber  ausdrücklich 
nirgendB^^  Dem  Lysippos  allerdings,  aber  wo  dem  Skopss? 
Wenn  es  bei  Plinins  36,  26  Ton  seinen  Meergöttem  heisst: 
omnia  einsdem  manu,  praeclaram  opus,  eiiam  si  totfns  ritse 
fuisset,  so  besagt  das  nur,  dass  dieses  eine  Werk  allein  fiir 
seinen  Nachruhm  genügt  hätte,  aber  ein  Urtheil  über  das 
Maass  seiner  Productivität  wird  damit  in  keiner  Weise  ge- 
geben. Die  Zahlen  lehren  yielmehr  etwas  anderes.  Wenn 
wir,  abgesehen  Ton  den  geringeren  Zahlen  der  Werke  einei 
Alkamenes,  eines  Bryaxis,  Leoehares  und  anderer  Eünstler 
zweiten  Ranges  Myron  mit  20,  Phidias  mit  20,  PolykH 
mit  21  Werken  verzeichnet  linden,  sollen  wir  etwa  daraus 
folgern,  dass  ihre  Productivität  geringer  gewesen  sei,  als 
die  der  drei  jüngeren  grossen  Meister?  Die  Zahlen  beweisen 
nar,  dass  die  Werke  der  Jüngeren  populärer  waren,  als  die 
der  alteren,  und  unier  den  jüngeren  wieder  die  des  Praxi- 
teles die  populärsten. 

Klein  fährt  fort:  „Dieses  Missverhältniss  tritt  al^er  noch 
schärfer  hervor,  wenn  wir  den  Umfang  der  Werke  in's 
Auge  fassen.  Dann  müsste  gerade  Praxiteles  der  Preis  um- 
fimgreicher  Gruppenbildung  zuerkannt  werden,  wie  er  ge- 
legentlich einmal  dem  Skopas  ertheilt  wird  (Plin.  36,  26)» 
und  doch  lebt  er  im  Gedäohtniss  der  Naehwelt  als  Schöpfer 
von  Einzelbildnissen".  Beim  grossen  Publikum  knüpft  sich 
der  Huhm  Raphaels  vorzugsweise  an  die  sixtinische  und 
einige  andere  Madonnen ;  hört  er  aber  darum  auf,  auch  der 
Künstler  der  Stanzen,  der  Tapeten  au  sein  ?  So  bewunderte 
auch  im  Alterthum  die  Menge  unter  den  Werken  des  Praxi- 
teles besonders  die  Aphrodite,  den  Eros,  den  Satyr.  Aber 
selbst  wenn  wir  die  von  Klein  bezweifelten  Gruppen  streichen 
wollten,  bleiben  dann  nicht  immer  noch  „Flora,  Tripto- 
lemns,  Ceres*  ^  „Liber  pater,  Ebrietas  und  Satyr 'S  der 


Digitized  by  Googl« 


* 

Brunn:  Zur  grUduadten  KünstkrgeaMAU»  451 


Binb  der  Penephone,  die  Thespiaden,  um  ihn  ab  ^Oruppen- 
bildner^*  anerkennen  zu  müssen  ?  Allerdinji^s  ist  bereits  oben 
darauf  hingewiesen  worden,  dass  Giebelgruppen,  Figuren- 
reibeu  in  Weibgeschenken  and  die  mehr  oder  weniger  ge- 
«hloesenen  Gruppen  von  zwei  oder  drei  Figuren  nicht  ohne 
Uotenohied  dnrcbeinaDdergeworfen  weiden  dürfen;  and  so 
sind  es  snnaehst  die  Omppen  der  letzteren  Art,  welche 
der  Kigenibümliclikeit  des  Praxiteles  am  meisten  zusagten, 
während  wir  den  architektonischen  Gruppenbildungen  nur 
au8uah  ms  weise  einmal  am  Herakleion  begegneten. 

Ob  hier  der  Verein  der  Zwölfgötter  in  Megara  einzu- 
reihen ist,  erscheint  überhaupt  fraglich.   Klein  entwickelt 
Ober  denselben  eigenthümliche  Ansichten,  um  ihn  dem  be- 
rShmten  Praxiteles  absprechen  m  können  (S.  12):  ,Jn 
feierlicher  Stille  sei  es  steifarchaischer  Gebundenheit  sei  es 
erhabener  Wörde  phidiasischer  Zeit  wird  unserer  reconstrn- 
irenden  Phantasie  eine  solche  Gruppe  entgegentreten ,  eine 
Bteigernng  darftber  hinans  darf  innerhalb  des  Rahmens  dieser 
Knnst  undenkbar  erseheinen.    Wir  wfirden  vennnthen, 
dass  sie  diesen  fertigen  Typus  der  Schwesterknnst  [der 
Malerei,  unter  Hinweisung  auf  das  Gemälde  des  Euphranor] 
zu  weiteren  Versuchen  überliess*'.    Was,   mups  man  wohl 
fragen,  berechtigt  uns  zu  solcher  Vermuthung?  Zunächst 
steht  es  einmal  thatsäohlich  fest,  dass  gerade  in  der  Zeit 
des  Praxiteles  die  einzelnen  Götter,  der  Zeit  des  Phidias 
gegenüber,  wohl  ansnahmslos  eine  wesentliche  Umbildung 
nicht  etwa  hlos  in  der  Malerei,   sonderu   ganz  entschieden 
auch   in   der  Plastik  erfuhren.    Warum  also  soll  unserer 
reconstruirenden  Phantasie  eine  ZuHammenstelluug  dieser 
neuen  Typen  nicht  auch  in  der  Anmnth  praxi telischer  Auf- 
fiunrang  entgegentreten  können?  Und  sind  wir  denn  ge- 
awungeu,  an  eine  Gruppe  im  engeren  Sinne,  an  eine  „ge- 
schlossene^^ Gruppe  zn  denken?  Pausanias  spricht  nur  Ton 
dyaXfAaia  der  zwölf  Götter,  ohne  ein  Wort  über  ihre  Zu- 


Digitized  by  Google 


452    Sitzung  der  ]^ulo8.-phiM.  Classe  com  6.  November  1880, 

sammenordnung  hinzuzufügen.  Diese  aber  vermögen  wir 
uns  nicht  etwa  nur  iu  steif  archaischer  Aufreihung,  sondern 
in  sehr  yerachiedener  Weise  vorzustelleu ,  z.  B.  in  einer 
Aufstellung  wie  die  Statuen  der  zwölf  Apostel  in  cbrisi> 
liehen  Kireben  oder  die  Statoen  der  Habebnrger  in  der 
Umgebung  des  Grabdenkmals  Maximilians  L  in  Innsbraek. 

Eben  so  haltlos  sind  die  Betrachtungen,  durch  welche 
Klein  dem  Praxiteles  die  Darstellung  der  Heraklesthaten 
absprechen  will  (S.  15):  „Die  olympischeu  Ausgrabungen 
haben  uns  gelehrt,  dass  man  bereits  früh  anfing,  bei  Aus- 
fÜhroBg  grosser  Giebeloompositionen  nicht  mehr  jenen  fisst 
yerschwenderischen  Aufwand  künsileriseher  Kräfte  ndtbig 
an  finden,  der  einer  ftlteren  Zeit  als  selbstTerstSndlieh  gelten 
mochte".  Ich  will  hier  nicht  untersuchen,  oh  die  Art  der 
Ausführung  der  olympischen  Sculpturen  auf  Sparsamkeit 
und  nicht  vielmehr  auf  die  StileigenthÜmlichkeit  der  Künstler 
surückzoführen  ist;  auch  nicht  fragen,  ob,  wenn  man  etwa 
in  Olympia  wirklich  sparen  wollte,  daraus  nothwendig  folgt, 
dass  man  auch  in  Theben  „fast  yerschwenderischen  Auf- 
wand" vermeiden  musste.  Wer  sagt  denn  aber,  dass  Praxi- 
teles schon  der  weltberühmte  Künstler  war,  als  er  au  diesen 
Werken  arbeitete?  Das  Gegentheil  ist  ziemlich  gewiss;  und 
gerade  dadurch  scheint  es  sich  am  besten  an  erklaren,  wenn 
uns  unter  der  ICasse  seiner  übrigen  Arbeiten  diese  Arbeiten 
einen  etwas  fremden  Eindruck  machen.  Ein  junger  Künstler 
wird  häufig  in  der  Wahl  seiner  Aufgaben  nicht  völlig  frei, 
sondern  von  den  Aufträgen  abhängig  sein,  die  ihm  ent- 
gegengebracht werden;  und  so  mochte  aoch  der  junge 
Praxiteles  zur  AusfBhrung  der  Heraklesthaten  die  Hand 
bieten,  die  er  in  späterem  Jahr  aus  freier  Wahl  wenigstens 
nicht  unternommen  haben  wttrde.  üebrigens  möchte  die 
Frage  gestattet  sein,  ob  denn  von  der  Bildung  des  Hermes, 
wie  wir  sie  in  der  olympischen  Statue  vor  Augen  halx»n, 
ein  so  gewaltiger  Sprung  zu  so  manchen  Heraklesbildungen 


Digitized  by  Google 


Bfwm:  Zur  ffrieekUdien  SiMtUergesciiiidiiU.  458 

ist?  WenigsteiM  besitzen  wir  Büsten  des  jogendlichen 
Herakles  (z.  B.  Marblee  in  the  brit.  Mns.  II,  46;  PCL  VI, 
12),  welcbe  der  praxitelischen  Kunst  in  geistiger  und  for- 
maler Auffassung  durchaus  verwandt  sind. 

Noch  bestimmter  muss  ich  Verwahrung  einlegen  gegen 
Kleina  Aeusserungen  über  die  Hera  von  Plataeae  (S.  9): 
,«Mit  den  Worten  nmobjftai  de  oqO^w  ftayiS-ei  ayakfta 
mft  Paosftnias  eine  Vorstellung  hervor,  die  wir  mit  unserem 
bisherigen,  durch  den  Fund  des  Hermes  so  bereieherten 
Bilde  praxitelischer  Kunst  kaum  werden  zusammenbringen 
können".  Zunächst  mochte  vor  der  Vorstellung  zu  warnen 
sein,  als  ob  bei  der  von  Herodot  entlehnten  Redeweise  in 
dem  Zusätze  von  ^eyiyf'Bi  nothwendig  eine  superlatiTiscbe 
Steigerung  von  fiiyag  enthalten  sei  (vgl.  Pfiindtner  Pausan. 
Imitator  Herod.  p.  46).  Allerdings  nennt  Pausanias  II,  17,  4 
die  Kolossalstatue  der  polykletischen  Hera  ein  ayaljua  fjeyi' 
O^ei  f^iiya;  aber  auch  das  gegen  den  Zeustempel  und  das 
Heraeon  au  Grösse  weit  zurückstehende  Metroon  in  Olympia 
bezeichnet  er  als  vadv  /neyi^Bt  fiiyav  (V,  20,  5),  vielleicht 
nur  in  stillschweigendem  Hinblick  auf  die  benachbarten  un- 
ansehnlicheren Schatzhäuser.  So  würde  Pausanias  gewiss 
auch  das  aus  Pbigalia  nach  Megalopolis  versetzte  Bild  des 
Apollo  xUag  töo>',  {ntyeÜog  jW^V  ;iodai;  d^de/M  (VHl, 
30,  3j  recht  wohl  als  fiiyeifu  fitya  haben  bezeichnen  können: 
nicht  eine  anssergewöhn liehe  Kolossalitat,  sondern  schon 
eine  über  das  gewöhnliche  Maass  hinausgehende  Grösse  ge* 
nügt  zur  Rechtfertigung  des  Ausdrucks.  Indessen,  geben 
wir  selbst  fUr  die  Hera  in  Mantinea  ein  ziemliches  Maass 
von  Kolossal] tiit  einmal  zu,  inüsst6n  wir  dann  nicht,  wollten 
wir  der  Argumeutationsweise  Kleins  folgen  ,  mit  noch 
Iprösserem  Rechte  die  argivisclif  Hera  dem  Polyklet  ab- 
aprechen,  dessen  auf  das  Menschliche  gerichteter  Kunst  das 
Kolossale  weit  mehr  zu  widersprechen  scheint,  als  so  mancher 
Götterbildung  des  Praxiteles,  der  z.  B.  i^ohon  in  seinem 


Digitized  by  Google 


454    SitMung  der  phüo8,-phüol,  Clasae  vorn  6,  Nooember  1880, 

Hermes  die  Grosse  eines  p^pw(")linlichen  Mannes  etwa  um  ein 
Sechstel  überschritt?  Und  hat  mau  nicht,  um  anzudeuten, 
wie  wir  uns  etwa  eine  prazitelische  Hera  Torsustellen  haben, 
rioh  oft  genug  auf  das  kolossalste  ans  erhaltene  Bild  der 
Göttin,  die  Indovisische  Bllste,  bernfen,  ohne  dass  es  irgend 
jemand  eingefallen  wäre ,  ihre  Kolossalitilt  als  im  Wider- 
spruch mit  praxitehscher  Kunst  stehend  7ai  betrachten? 
Also  nicht  der  Bericht  des  Tansanias,  sondern  die  Vorstel- 
lung Kleine  Ton  der  Ennst  des  Praxiteles  bedarf  der  Be- 
richtigang. 

Wenn  sich  demnach  die  Anfiitellungen  Eleins  im  Ein- 
zelnen als  haltlos  erweisen,  so  wird  man  mir  wohl  erlassen, 

das  (jesamratbild ,  welches  Klein  von  der  Persönlichkeit 
seines  älteren  Praxiteles  S.  18  zu  entwerfen  unterninunt, 
einer  kritischen  Präfang  au  unterziehen.  Nnr  das  mag 
hier  wiederholt  werden,  dass,  je  höher  Klein  seine  Beden- 
tong  hinan&nschrauben  bestrebt  ist,  nm  so  mehr  die  Wahr- 
seheinliehkeit  seiner  Existenz  geschmälert  wird.  Ein  nnter^ 
geordneter  Künstler  konnte  einem  berühmten  Naraensge- 
nossen  gegenüber  in  Vergessenheit  gerathen;  ein  Kunstler, 
würdig  neben  einem  Alkamenes,  Myron,  ja  selbst  neben 
einem  Phidias  genannt  an  werden,  müsste  in  der  Ueber- 
liefemng  deutlicher  erkennbare  Spnren  aurftckgelassen  haben. 

Im  Anschlnss  an  Praxiteles  finden  anch  die  beiden 
Kephisodot  bei  Klein  einige  Berücksichtigung.  Hier  «^hiubt« 
ich  unter  verschiedenen  vagen  und  unhaltbaren  Hypothesen 
wenigstens  einen  Punkt  zu  finden,  in  dem  eine  Verbesser- 
ung bisheriger  Ansichten  ansnerkennen  wäre.  Nach  dem 
Vorgange  Ton  0.  Müller  hatte  ich  eine  Statue  der  Athene 
und  einen  Altar  des  Zeus  Soter  im  Peiraeens  (Plin.  34,  74) 
mit  den  dortigen  Anlagen  de.s  Konon  Ol.  96,  4  in  Verbin- 
dung gebracht  und  demnach  dem  älteren  Kephisodot  bei- 
gelegt, womit  sich  noch  neuerlich  Wachsmuth  (Athen  I,  585) 
einveristanden  erklärte.  Nun  sagt  Klein  S.  21 :  „Im  Leben 


Digitized  by  Coogid 


Brunn:  Zur  gricchkidu:n  Künatlergesthichte. 


455 


der  zehn  Redner  wird  die  Rehabilitirinig  des  Demosthenes 
[Ol.  114.  2]  er/.äblt  (84G  D) :  Tiuy  di  !A^vauov  Wr^q^i- 
oa^iivijv  US  a  u^üu  T^ioxoira  [rdlavta  noofiijaai]  ttv%6v 
VW  ßütfiw  vov  aun^Qog  Jiog  iy  lIuQaui  nai  acpela^ai  rovto 
f^atlßarros  tlf^g>iüfia  jT^fitavog  Ihuandatg  os  ^  arß^lftog 
ait^  naXi»  im  %ov%oig  nohtwofieifog.  Hier  babea  wir 
also  einen  Altar  des  Zeus  Soter  im  Piraeus  ganz  wie  der 
bei  Plinius  erwähnte  und  der  Anlass  aus  dem  er  errichtet 
wurde,  lässt  es  sehr  glaublich  erscheinen,  dass  er  auch  so 
würdig  ausgestattet  worden,  dass  das  pUnianiscbe  cai  panoa 
eomparantur  auf  ihn  Anwendung  finden  konnte^S  Ol.  114,  2 
aber  war  nicbt  mehr  der  ältere,  sondern  nur  der  jüngere 
Kephisodot  tbätig,  nnd  so  werde  die  üebertragung  einfach 
und  um  so  eher  gerechtfertigt  erscheinen,  als  Plinius  an 
der  betrefl'enden  Stelle  Kephisodot  nicht  ausdrücklich  als 
den  älteren  bezeichnet  und  daher  für  die  Entscheidung 
freie  Hand  lässi.  Leider  jedoch  hat  sich  Klein  Ton  den 
swei  Worten  mi  a^ta^ai  nicht  genugende  Rechenschaft 
gegeben,  f3r  die,  wie  f&r  die  ^nze  Sachlage  Plntarch  im 
Leben  des  Demosthenes  (c.  27 .  die  (genauere  P>klärung 
darbietet.  Die  Athener  rehabilitiren  den  Demosthenes  mit 
allen  Ehren ;  aber  rechtlich  können  sie  ihm  die  Geldstrafe 
Ton  (30  oder)  50  Talenten  nicht  erlassen.  Deshalb  iawpi'^ 
üarto  tw  vofiw,  EUtaMreg  yoq  ev  %hfoi^  tov  Jtdg 
toiv  {KorijQOi;  aQyvQiov  rekeh  roig  xaraanevatovüi  xal  noa^ 

fiOtOt  Tor  flio^wv  f/.ih'ot  loiL  larra  ;ioii^(T((i   /.ut  itaQuaytiv 

dUr^g.  Altar  und  Cult  bestanden  also  bereits  zur  Zeit  des 
Demosthenes  und  er  erhielt  das  Geld  nicht,  um  es  auf  die 
AoBschmöckung  des  Altars  wirklich  zu  verwenden,  sondern 
als  Ersatz  seiner  gt  richtlieben  Geldstrafe.  Wie  aber,  wenn 

uuti  Deujij^tlH'iies  etwa  aus  Dunkbarkeit  da.«;  (teld  seiner 
nominellen  Be.stimmung  doch  nicht  entfremdet  hätte?  Ale- 
xander starb  im  Juni  des  betreüendeu  Jahres;  erst  nach 


Digitized  by  Google 


456   SUMtmg  der  phüaa.'-pkiM.  Classe  vom  6.  November  ISdO, 

seinem  Tode  wurde  Demosthenes  zurückgerufen.  In  deu 
Metageitnion  (August)  fallt  die  Schlacht  bei  Kranon,  im 
Boädromion  (September)  ward  Mnniobia  wieder  von  Feinden 
besetet;  schon  im  P^nepsion  (October)  nimmt  sich  De- 
moethenes  das  Leben  (Plnt.  Dem.  28).  Unter  solchen  Um- 
standen fällt  auch  die  letzte  Wahrscheinlichkeit  weg,  dass 
Deuiosthenes  das  Geld  oder  einen  grossen  Theil  desselben 
für  einen  Prachtaltar  ausgegeben  habe. 

Klein  bleibt  bei  der  Familie  des  Praxiteles  nicht  stehen. 
Er  scheint  seines  Erfolges  so  sicher  zu  sein,  dass  er  glaubt, 
in  flüchtiger,  nachlässig  gearbeiteter  Skiszimng»  wg  iv  na- 
Qtgyfii  auch  die  Familie  des  Skopas  einem  darchans  ana- 
logen Verfahren  unterwerfen  zu  dürfen.  Auch  von  Skopas 
soll  ein  gleichnamiger  Grossvater  als  namhafter  Künstler 
abgelöst  werden,  oder  vielmehr  (S.  22):  „Er  ist  erst  von 
dem  Biographen  des  Skopas  Urlichs  ans  der  Reihe  der 
griechischen  Künstler  ausgestrichen  worden.  Und  doch 
steht  bei Plinius  34,  49  ganss  trocken  LXXXX  (Ol.):  mrsQS 
floruere  Polyclitus  Phradmou  Myrou  Pytliagoras  Scopas  Pe- 
rellus".  Dazu  in  der  Note:  ,,Der  ganze  Katalog  der  diese 
Stelle  enthält  ist  bekanntlich  immer  wieder  seitens  der 
Forscher  über  griechische  Künstlergeschichte  mit  Anklagen 
überhäuft  worden.  Es  kann  meine  Angabe  hier  nicht  sein 
auf  die  andern  strittigen  Pnnkte  einzugehen,  doch  hofSe  ieh 
in  der  Fortsetzung  diftser  Untersuchungen  die  Grundlosig- 
keit diesLi-  Anklagen  darlegen  /n  könneu^^  Es  wäre  dies 
vielmehr  Kleina  erste  Aufgabe  gewesen.  Dean  es  handelt 
sich  durchaus  nicht  um  die  an  den  einiselnen  Namen  des 
Skopas  sich  knüpfenden  Bedenken:  die  ganze  Zusammen- 
stellung der  Namen  nicht  nur  unter  Ol.  90,  sondern  ebenso 
unter  Ol.  87  (Ageladas,  Callon,  Gorgias)  und  Ol.  .S3  (nebeo 
Phidias :  Alcamenes,  (Jritias ,  Nesiotes,  Hegias)  nöthigt  uns 
za  der  Behauptung,  dass  hier  bei  Plinius  die  grösste  Ver- 
wirrung herrscht.   So  lange  aber  diese  Behauptung  nicht 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Zur  grieMehen  Kümlilergeti^idiie. 


457 


im  Zusammenliange  als  irrthümlich  nachgewiesen  ist, 
dirf  keine  einzelne  der  Angaben,  wo  m»  anderweitigen 
Zeugnissen  widerspricht,  als  ein  vollwiehtiges  Zengniss,  also 
aneh  die  Notiz  Qber  Skopas  nicht  als  Grundlage  für  die 
Annahme  eim.s  iiltereu  Skopas  verwerthet  werden. 

„ludess  iehlt  auch  die  ausdrückliche  üeberlieferung  von 
einem  zweiten  Skopas  nicht.   Flinius  34,  49  [vielmehr  90: 
leider  nicht  das  einxige  falsche  Gitat!]:  Simon  canem  et 
Sigitlarinm  fecit,  Stratonicns  caelator  ille  philosophos  Scopas 
nterqne ....  Was  diese  beiden  8kopas  schufen ,  hat  eine 
J.ücko  verschlungen,   sie   selbst  stehen   wohl   erhalten  ara 
Huinle  des  kritischen  Abgrundes.    Heber  die  Art  aber,  wie 
mau  die  Erwähnung  der  beiden  Skopas  hier  w^acnriren 
pflegte,  mag  man  in  unserer  kritischen  PUninsansgabe  naeh- 
Ie8en*\   So  Ton  oben  herab  behandelt  Klein  seine  Vor- 
gänger ,  ohne  TO  bedenken ,  dass  aneh  die  Annahme  einer 
Lücke  bei  Plinius,  für  welche  wenigstens  die  Handschriften 
keinen  Anhaltspunkt  bieten,  nur  ein  Auskuuftsniittel  ist, 
nm  die  kritischen  ?>chwierigkeiten  der  Stelle  „wegzucoriren^^ 
Ob  sie  wahrscheinlicher  ist,  als  die  Wegstreichnng  eines 
einsigen  Bnchstabens:  copas  för  Scopas,  ftlr  welche  Con- 
jfectnr  ieb  Übrigens  die  Verantwortlichkeit  nicht  nbemehmen 
will,   mag   dahingestellt  bleiben.    Anstoss  aber  erregt  der 
Ausdruck  Scopas  uterque  der  nur  erträglich  wäre,   wo  es 
sich  um  ein  schon  früher  erwähntes  oder  allbekanntes  Ver- 
hältniss  zweier  Künstler  handelte.   Und  sollte  Plinios,  der 
in  demselben  §  den  Stratoniens  als  identisch  mit  dem  Oae- 
lator,  Protogenes  mit  dem  gleichnamigen  Maler,  Posidonins 
als   Caelator  erwähnt  (vgl.  auch  §  85),  jede  Hiuweisuug 
darauf  unterlassen  haben,  dass  in  einem  der  beiden  Skopas 
der  berühmte  Bildhauer  versteckt  sei?  Wie  dem  auch  sei, 
die  Stelle  ist  kritisch  unsicher  und  lässt  sich  daher  als 
Grandlage  für  die  Annahme  eines  doppelten  Skopas  nicht 
Twwenden* 


458    SUgmig  der  pMos.-pkilol,  Clata^  vom  6,  November  1880. 

fiNon  smd  aber  sieher  ekopaeisehe  Werke  tiberliefert, 
welche  sich  nur  um  den  Ton  Plinins  angegebenen  Zeitraum 

[Ol.  90]  ansetzeu  hisseu''  (S.  2'6).  Es  handelt  sich  um  drei 
Fälle,  in  denen  die  Zeitbestimmung  durch  die  Zusamnien- 
aieilttug  mit  Werken  anderer  Meister  gegeben  sein  soll: 
,,in  diesen  drei  Fällen  ist  die  Zusammengehörigkeit  der 
Bilder  verschiedener  M^ter  evident,  ihre  Gleichzeitigkeit 
sollte  es  nicht  sein?" 

In  Athen  befanden  sich  Bilder  der  Semnae  oder  En* 
meniden  im  Tempel  dieser  Göttinnen  ,  nach  Phylarchos 
zwei,  nach  Polemon  drei  (Schol.  Soph.  Oed.  Col.  39),  uemlich 
zwei  von  der  Hand  des  Skopas,  eine  von  Kaiamis.  Phylarch 
sondert  also  offenbar  die  beiden  ersten  von  der  dritten  ab 
nnd  betrachtet  demnach  die  drei  nicht  als  einen  einheitlichen 
künstlerischen  Complex.  In  den  anf  Polemon  zurückgehenden 
genaueren  Angaben  heisst  es  nun  bei  Clemens  Alex.  prot.  47: 
tag  fdiv  övo  ^'Aü7iag  iuou^aev  tjt  zol  xaJLoi  /jtruv  Xvyvtwg  Xlifoi^ 
Kaküjg  {Kakau ig)  H^^^^jV  avräir  iaio^vvzai  exovüai 

•  .  .  beim  Schol.  Aescb.  c  Tim.  p.  747:  c^y  Tag  §iiv  övo 
hLOti^tad-e»  SMftag  6  JlaQiog  ifroitjaev  hi  tov  lojp4%w 
Xi&oi\  ir^v  di  fiiotjv  Kaka^ug.  Betrachten  wir  diese  beiden 
Zeugnisse  unbefangen,  so  muss  doch  aus  der  ausdrückliclifMi 
Angabe,  dass  die  Statuen  des  Skopas  aus  pariscbem  Mürmor 
gearbeitet  waren,  geschlossen  werden,  dass  die  des  Kaiamis 
aus  einem  anderen  Material,  wahrscheinlich  Erz,  gebildet 
war.  Das  Yerhaltniss  w&re  danach  das  umgekehrte  wie  in 
einem  Hekatetempel  zu  Arges,  wo  einem  Marmorbilde  der 
Göttin  von  Skopus  zwei  eherne  von  peloponnesiscbeii  Küii><tieru 
gegenüberstanden :  Paus.  II,  22,7.  Aach  dadurch  erscheinen 
sie  also  vrieder  künstlerisch  von  einander  unabhängig,  und 
es  spricht  also  nichts  für  ihre  Gleichzeitigkeii 

Tn  Elis  befonden  sich  in  einem  Heiligthurae  der  Aphrodite 
zwei^ Statuen  :  eine  Aphrodite  Urania,  die  den  einen  Fuss 
auf  eine  Öcbildkröte  setzte,  von  Phidias,  eine  Pamlemo» 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Zur  griedüseken  KünsttergeBtikkhte,  459 

uf  einem  Bocke  ntsend,  von  SkopM«  künstleriBoh  betrachtet 
abo  wahrlich  keine  Seiienstficke.  Die  erste  war  ans  GoM 
und  Elfenbein,  die  andere  ans  Erz ;  die  erste  stand  im  Innern 

des  Tempels,  die  andere  im  Freien  in  einem  benachbarten 
itfievoi;  (ov  jToXv  dffeonjAog  a/ro  tov  vaov):  Paus.  VI,  25,1. 
Wo  liegt  hier  auch  nur  der  mindeste  Anlass  vor ,  eine 
Oleichsseitigkeit  in  der  Aosfohning  der  beiden  Werke  an 
behaupten  ? 

Noch  ein  «weites  Werk  soll  der  ältere  Skopas  neben 

und  gleichzeitig  mit  Phidias  gearbeitet  haben:  „In  Theben 
hat  ein  Skopaa  vor  dem  lamenion  eine  Athene  als  Ge- 
genstück zum  Hermes  des  Phidias  geschaffen.  Beide  Götter 
i^erden  ausdrücklich  als  Pronaoi  bezeichnet'*  [Pans.  IX, 
10,  2].  Es  scheint  die  Yorstellnng  obzuwalten,  als  ob  die 
beiden  Statuen  unmittelbar  am  Eingange  des  Tempels  ge- 
Wissermassen  als  Thürhüter  aufgestellt  i^ewesen  und  desshalb 
als  in  eu^eni  Cultuszusamnieuhange  mit  dem  Hauptgotte  des 
Tempels,  dem  Apollo,  zu  denken  seien,  etwa  wie  der  Mau- 
iostein  ?or  dem  Tempeleingange  §  3.  Das  Heiligthum  war 
uralt;  schon  Amphitryon  soll  för  seinen  Sohn  Herakles  als 
Dapbnephoros  dort  einen  Dreifuss  geweiht  haben.  Das 
Tempelbild  aber  war  ein  bekanntes  Werk  des  Ealamis,  und 
es  kann  also  zunächst  nicht  etwa  von  einer  gleichzeitigen 
Weihuug  dieses  Bildes  und  der  beiden  Pronaoi  die  Hede 
sein.  Paasanias  sagt  femer,  nicht  nur  der  Gott,  sondern 
der  ganze  HQgel  heisse  ?on  dem  yorbeifliessenden  Flusse 
Ismenios.  Die  Statuen  abnr  stehen  am  Zugange  (xora  djy 
Itfodov),  nemlich  des  Htigels;  denn  fierci  di  6  vadg  t^odo^ 
fiijiui.  En  sind  also  im  Tempelbezirke  aufgestellte  VVeih- 
geschenke,  welche  den  Beinamen  llQOvctoi  gar  nicht  wegen 
einer  Cultusbeziehung,  sondern  mit  Kücksicbt  aaf  den  Auf- 
stellungsort erhalten  haben  mochten,  ebenso  wie  der  Hermes 
an  den  Propylften  in  Athini  (Paus.  I,  22,  8)  als  Propylaeos 
bezeichnet  wurde,  oder  Herakles,  Apollo  und  Hermes  Tor 


Digitized  by  Google 


460   SHtung  der  phüoa,'phÜ€il.  Ckute  vom  6.  Nowmher  1880. 

dner  Grotte  bei  Themisonion  in  Phrygien  als  aTttpLahat 
(Paus.  X,  32,  4).    Also  auch  hier  liegt  eine  Nothwendig- 

keit,  aus  dem  Beiuafiien  alleiü  auf  die  Gleichzeitigkeit  der 
beiden  Statuen  zu  scbliesseu,  in  kt'iner  Weise  vor. 

Trotzdem  soll  diese  Annahme  soiort  wieder  die  Grundlage 
bilden,  nm  ein  xweitee  Werk  in  Theben  einem  älteren  Skopas 
beizulegen ,  nemlieh  das  Tempelbild  der  Artemis  Eokleia 
(Paus.  IX,  17,  1):  nvor  dem  thebanisehen  Heiligthnm  stand 
ein  Werk ,  dessen  Beziehungen  zn  demselben  evident  und 
dessen  Datum  anniiliernd  hestinimbar  ist,  ein  Hermes  Ago- 
raios  in  Verbindung  mit  einem  Apollo  Boedromios ,  eine 
Stiftung  Pindars'^  (8.  23).  Pausanias  sagt:  iiXtjaiop 
^noUjm  %i  iaviv  itriiüiajaiv  Bot^^fiiog  xat  ^^/of^tog 
^EQfiijg  7talovfu»ogf  Iltvdaffov  xai  tovvo  dva^fiu;  Ton  einer 
„Verbindung"  beider  Statuen  spricht  er  nicht.  „Der  Hermes 
Agoraios  gehört  mit  der  Artemis  Eukleia  zusammen,  denn 
von  ihr  sagt  Plutarch  Aristid.  20:  ßiofiog  yoQ  avz^  tuu 
ayalfia  w^d  naoon^  ayogdv  X^girai"' :  nicht  überall,  sondern 
ftoQa  %9  Boua%öig  xal  ^OK^ig.  Von  Hermes  ist  hier  nicht 
die  Rede,  sondern  ron  der  äyoQa;  nnd  wenn  Hermes  als 
ayogalog  allerdings  ebenfalls  Beziehungen  znr  dyoQcc  hat, 
so  ist  damit  keineswegs  gesagt,  dass  Hermes  und  Eukleia 
„zusammengehören",  um  so  weniger  als  in  Theben  der 
Hermes  nicht  vor  dem  Tempel,  wo  (tf.i7TQoo&£v)  ein  steinerner 
Löwe  erwähnt  wird,  sondern  in  der  Nähe  {Trlqoiw)  stand. 

Wie  es  aber  mit  derartigen  Gombinationen  steht,  das 
lehrt  Klein  selbst  am  besten,  ireilieh  sehr  gegen  seinen 
Willen,  in  einer  Anmerkung  zu  seinen  eben  besprochenen 
Sätzen:  ,,Auch  in  Athen  stand  ein  Ilernies  Agoraios  in  der 
Nähe  des  Artemis  Eukleiatempels  und  nicht  fern  von  beiden 
ein  Apollo,  der  dem  Boedromios  hier  entspricht,  der  Ale» 
zikakos  des  Kaiamis/'  Hätte  Klein  hier  die  nothwendigen 
attAe  ans  Pausanias  hinangefügi; ,  wie  es  sieh  geziemt 
hatte,  nm  dem  Leser  zeitraubendes  Nachsachen  zu  ersparen. 


Digitized  by  Google 


Brunn:  SSwr  grieehiadten  KüntthrgeidiiUAte.  461 

80  wfirde  er  wahrscheinlich  selbst  über  sein  „in  der  Nähe" 
und  t^nietii  fem"  erschrocken  sdn,  Paiuanias  erwähnt 
nemlich: 

den  Hermes  Agoraeos      I,  15,  1 

den  Tempel  der  Enkleia  1,  14,  4 
den  Apollo  Alexikakos  I,  3,  4 
wobei  noch  zu  bemerken  ist,  dass  I,  14,  4  gerade  die  Grenze 
der  topographisch  noch  ungelösten  „unglücklichen  Eniiea- 
krnnosepisode'^  (Wachsmath  Athen  I,  175)  bildet.  So  zer- 
fallt die  attische  Trias  in  Nichts  und  zeigt  sogleich  die 
Haltlosigkeit  ihrer  Annahme  in  Theben.  Wenn  nun  weiter 
▼ermnthet  wird,  dass,  wie  der  Alexikakos  ein  Werk  des 
Salamis  war,  auch  der  (darch  Lneian  weiter  bekannte) 
Hermes  Agoraeos  in  Athen  wahrscheinlich  von  demselben 
Künstler  herrühre,  dass  ferner  ebenso  der  von  Pindar  ge- 
weihte Hermes  Agoraeos  dem  Kaiamis  zuzuschreiben  sein 
möge,  weil  dieser  für  Pindar  auch  einen  Zeus  Ammon  ge- 
macht habe,  dass  Kaiamis  [c  Ol.  80.]  nnd  der  ältere  Skopas 
[c.  Ol.  dO]  eben  so  gnt  znsammenpassen  wie  der  Hermes 
Agoraeos  nnd  die  Artemis  Enkleia,  so  wird  man  mir  wohl 
erlassen,  auf  eine  Widerlegung  so  haltloeer  Phantasieen 
einzngehen. 

Es  erübrigt  nur  noch ,  ein  letztes  Werk  als  einem 
älteren  Skopas  angehürig  hier  abzuweisen.  Nachdem  bei 
Plinius  36,  2ö  vou  den  Niobiden  und  einem  Janus  und 
von  der  Streitfrage  die  Rede  gewesen,  ob  dieselben  Werke 
des  Skopas  oder  des  Praxiteles  seien,  heisst  es  weiter:  similiter 
in  eoria  qnaeritnr  de  Cnpidine  fhlmen  tenente.  id  demnm 
adfirmatnr  Alcibiaden  esse  prindpem  forma  in  ea  aeftate. 
Klein  nimmt  (S.  24)  ohne  Weiteres  an,  dass  es  sich  anch 
hier  mn  die  Frage  nach  der  Antorschafk  des  Skopas  oder 
des  Praxiteles  handele,  nnd  die  Stelle  sei  um  so  interessanter, 
als  hier  nicht  nur  der  ältere  Skopas,  sondern  zugleich  auch 
nur  der  ältere  Praxiteles  in  Betracht  kommen  könne,  so 
[im.  1.  PluL-phU.  hüt.  Ol.  £d.  1. 4.]  80 


462   SUeung  der  pküos.-^üol.  Classe  vom  6.  Jfovember  1880. 

dasa  sie,  ,,wenn  nicht  alles  t&nseht,  die  Tradition  dieser 

beiden  Deu  zu  gewinnenden  Künstler  freilich  in  verkümmerter 
Form  enthält."  Allein  Pliniiis  schiebt  nach  dem  Abschnitt 
über  Bkopas  nur  eine  episodische  Betrachtung  über  man- 
gelnde oder  schwankende  Beglaabigong  rersehiedener  Kunst- 
werke in  Horn  ein:  ignoratnr  artifn  .  •  .  ;  par  haesitatio 
.  .  .  ;  similiter  quaeritnr  .  .  .  ;  mnlta  . . .  sine  anctoribns 
placent  .  .  .  ;  nec'  minor  quaestio  ...  qui  fecerint  .  .  • 
Die  Namen  des  Skopus  und  Praxiteles  kommen  nur  bei  der 
par  haesitatio  in  Betracht ,  nicht  bei  der  vorhererwähnten 
Venns  und  nicht  bei  den  verschiedenen  Werken,  die  nachher 
angefahrt  werden  (vgl.  anchOehmichenPlinian.  Stndien.S.130). 

Es  ist  wahrlich  keine  erfreuliche  Aufgabe»  sich  mit 
einer  so  unfruchtbaren,  fast  nur  negativen  Kritik  befassen 
zu  müssen  ;  und  die  Frage  hat  eine  gewisse  Berechtigung, 
ob  es  sich  überhaupt  lohne,  Arbeiten  wie  die  vorliegende 
einer  Widerlegung  im  Einzelnen  zu  würdigen.  Eine  ge- 
wisse Art  Ton  Dilettanten,  an  der  es  in  der  Archäologie 
nie  fehlen  wird,  mag  man  rnhig  ihre  Wege  wandeln  lassen, 
ohne  sie  in  ihrem  Behagen  zn  stSren.  Aber  Klein  gehört 
zu  den  „zünftigen**  Archäologen;  er  operirt  mit  eiuem 
Apparat  von  Gelehrsamkeit ,  zu  dessen  Nachprüfung  nicht 
jeder  gerade  Zeit  und  Gelegenheit  hat.  Auch  soll  seine 
ehrliche  Absicht,  der  Wissenschaft  an  dienen,  keines- 
wegs in  Abrede  gestellt  werden.  Gerade  dämm  aber  moaa 
ihm  scharf  entgegengetreten  werden,  wenn  er  znr  Erreichung 
dieser  Absiebt  Wege  beschreitet ,  welche  der  Wissenschaft 
nicht  zum  Vortheil  ,  sondern  zum  offenbaren  Nachtheil 
gereichen.  Mau  klagt  in  unserer  Zeit  vielfach  über  zu- 
nehmende Zuchtlosigkeit  nicht  blos  im  socialen  und  sittlichen 
Leben,  sondern  anch  anf  dem  Gebiete  der  ausübenden  Knnst. 
Achten  wir  daher  doppelt  darauf,  dass  nicht  anch  in  der 
Wissenschaft  der  Kunst  kritische  Zuchtlosigkeit  die  Ober- 
hand gewinne !    Klein  spricht  S.  18  von  eiuer  „in  der 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Zur  griechischen  Künstlergeschichte.  463 

griechiftchen  Künstlergeschichte  so  beliebten  Aaspressungs- 
methode."  Es  mag  ja  sein,  üass  man  oft  einem  einzelnen 
Zeugnisse  oder  ürtheile  aus  dem  Alter thume  zu  viel  zuge- 
muthet  hat;  immer  aber  lag  diesem  Verfahren  ein  wissen-  \ 
schaftlich  anerkennenswerthes  Motiv  zu  Grunde:  die  Achtung 
vor  der  Tradition  des  Alterthums,  das  Bestreben,  sich  mit  i 
derselben  im  Einklänge  zu  erhalten  und  dem  eigenem  sub-  ' 
jectiven,  vielleicht  willkürlichen  Ermessen  möglichst  be- 
stimmte Schranken  zu  ziehen.  Was  Klein  an  ihre  Stelle 
setzen  will  —  und  wer  wollte  leugnen,  dass  sich  vor 
und  neben  ihm  vielfach  verwandte  Tendenzen  bemerkbar 
machen  ?  —  ist  nur  eine  Auspressungsmethode  anderer  Art. 
Da  werden  z.  B.  persönliche  Beziehungen  oder  Gegner- 
schaften herangezogen  oder  auch  nur  angenommen ,  von 
denen  es  sich  absolut  nicht  beweisen  lässt,  dass  sie  auf 
künstlerische  Verhältnisse  Einflnss  geübt.  Wir  dürfen,  wir 
müssen  in  Betracht  ziehen,  was  über  das  persönliche  Ver- 
hältniss  des  Polygnot  zu  Kimon  ,  des  Phidias  zu  Perikles 
berichtet  wird.  Aber  eine  künstlerische  Thätigkeit  des 
älteren  Eephisodot  für  Unternehmungen  des  Konon  be- 
denklich zu  fiuden ,  blos  weil  Phokion ,  der  Schwager  des 
Künstlers,  einer  anderen  politischen  Partei  als  Konon  an- 
gehörte (S.  20),  ist  gewiss  zu  weit  gegangen,  —  ganz  ab- 
gesehen davon,  dass  diese  Thätigkeit  in  eine  Zeit  fallen 
würde,  in  welcher  Phokion  noch  gar  nicht  heirathsfähig  war, 
also  noch  gar  nicht  Kepbisodots  Schwager  sein  konnte,  und 
dass  die  politische  Thätigkeit  des  Konon  und  'des  Phokion 
sich  gar  nicht  berühren.  Da  werden  ferner  die  Parteiver- 
hältnisse einzelner  griechischer  Städte  bis  ins  Einzelnste 
ausgepresßt,  als  ob  bei  jedem  System  Wechsel  die  eben  an 
einem  Orte  beschäftigten  Künstler  aus  einer  bisher  befreun- 
deten Stadt  gezwungen  gewesen  wären,  sofort  das  Feld  zu 
ränni^'n.  In  einer ,  freilich  auf  eine  sehr  frühe  Zeit  be- 
•/        luMi  F>7.ählung  erfreuen  sich  die  von  den  Sikyoniern 

30* 


Digitized  by  Google 


464    Sitzung  der  jfhilos.-philoL  (lasse  vom  6".  November  1880. 

beleidigten  Künstler  Dipoenos  und  Skyllis  des  Schutzes  der 
Gottheit,  und  wir  dürften  uns  dadurch  wenigstens  zur  Vor- 
sicht mahnen  lassen ,  die  rein  politischen  Verhältnisse  für 
die  religiös-künstlerischen  ,  oft  durch  Priesterschaften  ver- 
mittelten Beziehungen  als  nothwendig  massgebend  hinzu- 
stellen. Da  werden  endlich  auf  mythologischem  Gebiete 
aus  allen  Ecken  und  Winkeln  Namen  und  Beinamen  von 
Gottheiten  zusammengesucht,  um  Verbindungen  herzustellen, 
die  entweder  gar  nicht  existirten,  oder  vielleicht  nur  in  zu- 
falligen ,  rein  persönlichen  Verhältnissen  der  Weihenden 
ihren  Anlass  haben  mochten ,  während  doch  gerade  der 
dogmatisch  so  wenig  fixirte  Charakter  und  die  Bedeutung 
localer  Entwickelungen  in  der  griechischen  Religion  hier  die 
grösste  Vorsicht  auferlegen  sollten  Und  wegen  der  auf 
solchen  Voraussetzungen  aufgebauten  subjectiveu  Phantasie- 
gebilde, die  höchstens  zuweilen  einen  Scheiu  der  Möglich- 
keit, aber  selten  den  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit, 
geschweige  denn  Gewissheit  haben,  soll  dann  unsere  directe 
kimstgeschichtliche  üeberliefernng  bei  Seite  gesetzt,  sollen 
namentlich  die  Nachrichten  eines  Pausanias  und  Plinins 
umgedeutet  oder  in  ihrer  doch  im  Allgemeinen  unbestreit- 
baren Zuverlässigkeit  geradezu  verdächtigt  werden.  Das 
ist  das  gerade  Gegentheil  einer  strengen  philologisch-histo- 
rischen Kritik ;  und  der  Ertrag,  der  auf  diesem  Wege  er- 
zielt wird,  ist  nicht  ein  Gewinn  für  die  Wissenschaft, 
sonderii  eine  Beschwerung  derselben  mit  unnützem  Ballast. 
Seien  wir  also  vielmehr  eingedenk  des  alten  Spruches:  est 
quaedam  ars  uesciendi! 

Der  jüngere  Polyklet  und  Lysipp. 

In  der  Archäologischen  Zeitung  1878,  S.  10  ff.  be- 
spricht (i.  Loeschcke  zwei  in  Theben  gefundene  Künstler- 
inscliriften  des  Lysipp  und  des  jüngeren  Polyklet  und  ver- 
sucht mit  ihrer  Hülfe  das  Resultat  festzustellen,  dass  der 


Brunn:  Zur  griedUsehen  KütuÜergetdiiidUe.  465 

letztere  tod  Geburt  Böoter  und  ungefähr  von  OL  102  —  112 
tbätig  gewesen  sei,  der  ältere  Poljklet  dagegen  noch  bis 
Dich  der  Soblacht  bei  Aegospotanioi  (Ol.  98,4)  gearbeitet 
habe. 

Beide  Inschriften,  ansser  dem  Künstlernamen  je  drei 
auf  Siegerstatuen  bezügliche  Distichen  enthaltend ,  befinden 
sich  auf  einem   und  demselben  Marmorblocke,   sind  aber 
nicht  von  derselben  Hand  ausgeführt.  .  Da  sie  jedoch  an 
derselben  Fliehe  des  Steines  mit  fiücksicht  anf  einander 
angeordnet  seien,  heisst  ee  weiter,  so  kSnnen  sie  als  nnge- 
fibr  gleichseitig  gelten.   Dieser  bescheidenen  Yermuthnng 
folgt  aber  sofort  die  Behauptung:  ,,Das8  Lysipp  von  Sikyon 
und  Polyklet  d.  J.  gleichzeitig  gearbeitet   haben,  steht 
demnach  fest."    Diese  Behauptung  könnte  nur  gelten, 
«  wenn  es  sieh  nm  eine  nrsprflnglich  fttr  zwei  Statuen  be- 
rechnete Basis  handelte.   Aber  der  Block,  der  die  Inschriften 
tragt,  ist  nicht  eine  selbständige  Statnenbasis ,  sondern  ein 
architektonisches  Glied,  welches  von  Loeschcke  selbst  mit  dem 
Herakleion  oder  etwa  dem  au  dasselbe  anstossendeu  Gymnasium 
in  Verbindung  gebracht  wird.  Nehmen  wir  ao,  dass  es  einer 
Mauer  oder  x^tinig  angehört  habe,  die  snr  snccessiTen  Auf- 
nahme von  Siegerstatnen  bestimmt  war,  so  kann  recht  wohl 
swisohen  der  Weihung  der  beiden  Statnen  eine  Reihe  von 
Jahren  vergangen  sein/  Wenigstens  dürfen  aus  der  ange- 
nommenen Gleichzeitigkeit  keine  weiteren  Folgerungen  ge- 
zogen werden ;  und  die  Inschrift  ist  dafür,  dass,  wenn  auch 
Polyklet  nifeht  ein  Altersgenosse  des  Lysipp  gewesen,  ,,doch 
sicher  beide  Künstler  anf  der  Grenzscheide  ihrer  Thatigkeit 
noch  zneanimengetroffen,"  keinesw^  „ein  unwiderlegliches 
Zeugnisse* 

Aber  auch  eiue  Notiz  bei  Plinius  (36,  G4)  soll  zu  der- 
selben Annahme  führen:  dieser  erwähnt  uemlich  unter  den 
Werken  des  Lysipp  eine  Statue  des  Hephaestion,  des  be- 
kannten Freundes  Alexanders,  „weiche  einige  dem  Polyklet 


Digitized  by  Google 


I 


466    SitMung  der  ^ÜQ8.-phüol.  Clasae  vom  6.  November  1680. 

beilegen,  der  doch  fast  hundert  Jahre  vorher  lebte."  Hier 
sei  nemlich  offenbar  der  jüngere  mit  dem  älteren  verwechselt 
worden.  Also  zuerst  soll  Polyklet  d.  J.  nicht  Altersgenosse 
des  Lysipp  sein,  ond  dann  doch  die  Statne  des  Hephaesiton 
(gewiss  nicht  vor  Ol.  112,  möglicherweiBe  erst  etwa  OL  114) 
gearbeitet  haben,  so  dass  sieh  die  Zeit  seiner  Thfttigkeit, 
wenn  auch  nicht  völlig,  doch  zum  grössteu  Theil  mit  der 
des  Lvpsipp  gedeckt  hätte.  Hier  befindet  sich  Loeschcke 
mit  sich  selbst  in  offenbarem  Widerspruche. 

Ist  es  aber  möglich,  die  Thätigkeit  des  Polyklet  über- 
haupt so  weit  ansEudehnen?  Was  ich  daraber  ^ßld  nadi 
dem  Erseheinen  Ton  L.*s  Anfsati:  niedergeschrieben,  hat 
durch  die  Entdeckungen  von  Olympia  eine  bedeutende  Er- 
weiterung erfahren,  und  es  ist  dadurch  der  Anlass  gegeben, 
die  Besprechung  über  Polyklet  hinaus  aof  dessen  ganae 
Fkmilie  anszudehnen.  ' 

Dass  Daedalos  von  Sikyon  Sohn  des  Pktroklee  war, 
wnssten  wir  bereits  dnreh  eine  ephesische  Inschrift:  0.  i. 
gr.  2984  und  ist  durch  andere  aus  Olympia  bestätigt  worden 
(A.  Z.  1879,  S.  45,  N.  221;  vgl.  222  u.  287).  Nun  er- 
scheint aber  dort  (A.  Z.  1878,  b.  84,  N.  129)  auch  Nau- 
kydes  als  Sohn  des  Patrokles;  nnd  nach  den  Grandsafcsan 
philologischer  Kritik  ist  ferner  bei  Pansanias  II,  22,  7  au 
lesen :  td  (ih  (ayalfia  *Btmr^g)  IIoXüdBii^og  inoiiijGt,  %6  &i 
ddel^og  IToXmlelrov  Ncnmvdi]g  Mo&wvog,  Also  Daedalos, 
Naukydes  und  Polyklet  sind  Brüder.  Daedalos  heisst  ausser- 
dem einmal  (Paus.  VI,  3,  4)  Schüler  seines  Vaters  Patro- 
kles, Polyklet  einmal  (Paus.  VI,  6,  2)  Schüler  des  Naa- 
kydes,  woraos  zunächst  nur  folgt,  dass  er  der  jfingei« 
Bruder  war.  Um  die  weiteren  chronologischen  Angaben 
leichter  zu  würdigen,  mag  hier  sofort  folgendes  hypothe- 
tische Schema  aufgestellt  werden,  an  dem  dieselben  gemessen 
werden  können.  Wenn  Patrokles  ungefähr  im  Jahre  470 . 
SS  OL  77,  S  und  ihm  als  dreissigjährigen  Manne  440  ^ 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Zur  yriechischtn  KümtUryeschiclUe. 


467 


Ol.  85,  1  als  ältester  Sohn  Naukydes  geboren  war,  so 
konnte  dieser,  wiederum  dreissigjährig  410  =  Ol.  92,  3 
Schtiler  haben,  die  sich  fünf  Jahre  Später  405  =  Ol.  93,  4 
an  öffentlichen  Werken  betheiligten.  Als  ein  solcher  Schüler 
ist  zunächst  der  nicht  im  Familienzusammenhange  stehende 
Sikyonier  Aljpos  beglaubigt,  der  an  dem  grossen  delphischen 
Weihgeschenke  für  Aegospotamoi  arbeitete.  Ganz  in  die- 
selbe Zeit  aber  gehört  der  ans  dem  gleichen  Anlass  ge- 
weihte Dreifuss  in  Amyklae,  an  dem  sich  eine  Aphrodite 
von  der  Hand  des  Polyklet  befand.  Man  hat  diesen  für 
den  älteren  erklären  wollen  Aber  sollte  man  dem,  wenn 
er  überhaupt  noch  gelebt  hätte ,  im  höchsten  Alter  stehenden, 
weltberühmten  Meister  die  Figur  an  einem  von  zwei  Drei- 
fÜssen  neben  dem  sonst  unbekannten  Aristandros  von  Faros 
übertragen,  sollte  man  ihm,  dem  Haupte  der  argivischen 
Schule,  neben  so  vielen  unbedeutenden  Künstlern  nicht  auch 
einen  hervorragenden  Antheil  an  dem  delphischen  Weih- 
geschenke vergönnt  haben?  Man  hat  aber  ausserdem  ganz 
vergessen,  dass  er  Schüler  des  Ageladas  war,  dessen  Leben 
sich  kaum  über  Ol.  80  hinaus  erstrekt  haben  kann.  Wir 
müssen  daher  an  unseren  chronologischen  Grundlagen  dehnen 
und  zerren,  um  eine  entfernte  Möglichkeit  herauszurechnen, 
die  wir  schliesslich  doch  selbst  wieder  für  eine  Un Wahr- 
scheinlichkeit erklären  müssen.  Nach  dem  obigen  Schema 
würde  der  jüngere  Polyklet  Ol.  93,  4,  auch  wenn  er  Ol.  87,  1 
^  432  geboren,  also  acht  Jahre  jünger  als  sein  Bruder 
gewesen ,  immer  schon  das  Alter  von  27  Jahren  erreicht 
haben  und  also  ein  fertiger  Künstler  gewesen  sein.  Aller- 
dings ist  an  dem  delphischen  Weihgeschenk  auch  noch  sein 
Vater  Patrokles  beschäftigt,  ja  Pliuius  setzt  denselben  .sogar 
erst  in  die  95.  Olympiade,  in  welcher  er  nach  unserer  Berech- 
nung bereits  das  siebenzigste  Jahr  erreicht  haben  müsste : 
als  Bezeichnung  der  Blütbc  freilich  ein  hohes  Alter!  Aber 
ohne  die  Listen   des  Pliuius  weiter  zu   kritisiren,  dürfen 


468    SiUimiif  der  phao8.'phadl,  Claau  vom  6.  November  1880, 

wir  uus  daaselbe  in  diesem  Falle  ohne  Weiteres  gefallen 
lassen;  denn  in  derselben  Olympiade  steht  neben  Patrokles 
aoch  sein  Sohn  Nankydes. 

wir  fort«  so  fehlen  tlber  Nankydee  weitere 
Zeitangaben.  Unter  den  Werken  des  jüngeren  Polyklet 
lässt  sich  die  Statue  des  Antipatros  mit  Wahrscheinlichkeit 
in  Ol.  98  setzen.  Daedalos  arbeitet  ein  Weihgeschenk  der 
Eleer  wegen  eines  in  der  95.  Ol.  erfochtenen  Sieges  über 
die  Lakedamonier  in  der  Altis,  und  noeh  später  an  den 
WeihgeschenkMi  der  Tegeaten  wegen  der  Einiget  welche 
dieselben  Ol.  102,  4  ehenfalls  über  die  LakedSmonier  davon- 
getragen hatten.*)  Bis  in  die  gleiche  Zeit  würde  sich  auch 
die  spätere  Thätigkeit  des  jüngeren  Polyklet  ohne  Bedenken 
herabrücken  lassen.  Geradezu  unmöglich  würde  es  also 
nicht  sein,  daas  er  sich  noeh  mit  den  Anfangen  des  Lysipp 
berfthrt  hatte;  aber  wahrscheinlicher  ist  eS,  dass  die  beiden 
thebanischen  Inschriften  dnrch  einen  Zwischenninm  Ton 
einigen  Jahren  getrennt  sind. 

Im  Vorhergehenden  ist  einer  Statxie  von  seiner  Hand, 
des  Zeus  Philios  in  Megalopolis  (Paus.  VIII,  31,  4)  noch 
nicht  gedacht  worden.  Ihre  Einfügung  in  den  chrono- 
logischen Bahmen  wfirde  keine  besondere  Schwierigkeik 
yeranlassen.  Trotadem  mnss  die  Frage,  ob  sie  snr  Zeit  der 
Qrfindni^  dieser  Stadt  (Ol.  102,  2),  ja  ob  sie  überhaupt 


1)  ürlichs  (in  den  Jahib.  t  Philol.  LXIX,  8.  880)  denkt  an  Bf 
•i^iBie»  die  un  eine  Oljmpiade  ep&ter  fkllen.  Es  stimmt  aUerdiogti 
dasB  Panaanias  (X,  9,  b)  Ton  laiegqgefikageaen  LakedSmooieni  ipi^ciit, 
nnd  dasa  naeb  Xenophon  (Hellen.  VII,  4,  27)  bei  dem  Bntaati  von 
Kiemnee  Spartiaten  nnd  Perioeken  nle/oMp  tnr  harS»^  in  Kiiegage- 
fimgenaebaft  fielen.  Von  diesen  aber  erhielten  die  Arkader  nnr  den 
vierten  Theil.  Sollten  eie  Ar  diesen  Erfolg  eine  fieibe  fon  nenn  Star 
tuen  anfgestellt  haben?  Bei  der  Maaie  kleinerer  und  giOeeerer  Fehden, 
in  damaliger  Zeit  ist  ee  kaum  mftglieh,  im  einielncii  Falle  eine  be- 
stimmte Entscbeidaag  sa  treifen. 


Digitized  by  Google 


Brunn:  Zur  griechischen  Künstlergeschichte.  469 

von  dem  jÜDgeren  und  nicht  vielmehr  von  dem  älteren 
Polyklet  fj;earbeitet  war,  noch  immer  offengehalten  werden. 
Dort  befanden  sich  in  einem  und  demselben  Peribolos  drei 
Tempel.  Für  zwei  derselben,  den  der  grossen  Göttinnen  und 
den  der  Aphrodite,  führte  der  bekannte  Damophon  die  Tempel- 
bilder aus  Marmor  und  bolz  aus.  Ist  es  da  nicht  auffällig, 
dass  das  Bild  des  Zeus  für  den  dritten  Tempel,  wie  wir  aus 
dem  Stillschweigen  des  Pausanias  schliessen  dürfen,  aus  Erz, 
einem  andern  Künstler  aus  einer  ganz  verschiedenen  Schule 
sollte  übertragen  worden  sein?  Wahrscheinlicher  ist  es 
jedenfalls,  dass  die  Statue,  wie  so  viele  andere  in  Megalo- 
polis,  aus  früherer  Zeit  stammte  und  aus  einer  andern  ar- 
kadischen Stadt  dorthin  versetzt  wurde. 

Bestimmter  möchte  ich  dem  jüngeren,  nicht  dem  älteren 
Polyklet  den  Zeus  Meilichios  in  Argos  zuweisen,  nicht  zwar, 
dass  ich,  einer  Andeutung  Loeschcke's  (Anm.  12)  folgend 
dieses  Werk  mit  dem  Skjtalismos  des  Jahres  370  Ol. 
102,  3  in  Verbindung  bringen  zu  müssen  glaubte,  sondern 
unter  bestimmter  Betonung  des  voceqov  in  der  Erzählung 
des  Pausanias  (II,  20,  1)  über  die  Ereignisse  des  Jahres 
418  =  Ol.  90,  3.  Die  nächste  Folge  derselben  war  die 
Einrichtung  der  Demokratie,  die  schwerlich  so  bald  als 
reuige  Sünderin  an  eine  Sühnung  des  vorhergegangenen 
Blutbades  dachte.  Der  natürlichen  Entwickelung  würde  es 
weit  besser  entsprechen,  dass  man  erst  eine  geraume  Zeit 
später,  als  die  vornehmen  Geschlechter  sich  durch  jungen 
Nachwuchs  wieder  gekräftigt  hatten ,  zu  einer  gewissen 
Ausgleichung  dor  politischen  Gegensätze  gelangte ,  die  in 
den  aXka  Ka&agoia  und  der  Weihung  der  Zeusstatue  ihren 
Ausdruck  finden  mochte. 

Wenn  ich  also  diese  Statue ,  wie  schon  vorher  den 
Dreifuss  von  Aniyklae,  aus  dem  Verzeichnisse  der  Werke 
des  älteren  Polyklet  ausscheide,  so  muss  ich  um  so  ener- 
gischer dagegen  Einspruch  erheben,  dass  Loeschcke  in  einer 


470    SiUuny  der  pMos.-philol .  Classe  vom  6.  Noconber  1880, 

etwM  an  Klein*«  Ifonier  erinnernden  AnfifiMsungsweiae  ans 

ganz  allgemeinen  Gründen  sich  von  der  positiven  Grund- 
lage der  seliriftlichen  üeberlieferung  entfernen  und  ein  be- 
rühmtes Werk  des  älteren  Polyklet  auf  den  jüngeren  über- 
tragen will.  Es  erscheint  ihm  nemlich  „wegen  4es  Gegen- 
standes der  Darstellung  nnd  wegen  der  Fertigkeit  in.  Bil- 
duhg  geschlossener  Omppen,  die  er  ▼oranssetzt,  sehr  fraglich, 
ob  sie  (die  vielbewnnderten  Astragalizonten)  nicht  vielmehr 
von  dem  in  Korn  vergessenen  jüngeren  Namensvetter  her- 
rührten^^  Allerdings  kennt  Plinins  den  jüngeren  Polyklet 
nicht,  aber  er  erwähnt  34»  55  dieses  Werk  nicht  etwa  bei- 
läufig als  eins  unter  vielen,  sondern  mit  scharfer  Betonung: 
hoc  opere  nuUnm  absolutius  plerique  iudicant*  Und  dieses 
Werk  sollen  wir  dem  jüngeren  Polyklet,  der  doch  immer 
nur  ein  Künstler  zweiten  Ranges  war,  zuweisen?  Das  Zeug- 
niss  ist  hier  so  positiv,  dass,  wenn  das  Werk  sich  nicht  üx 
unsere  Vorstellnngen  von  dem  Meister  einfilgen  will,  wir 
nicht  berechtigt,  das  Zeugniss  sn  yerwerfen,  sondern  Tor- 
pflicktet  snid,  unsere  Vorstellungen  nach  dem  Zeugnisse  mn 
reforniiren. 

Wie  grosse  Vorsicht  aber  in  der  Aufstellung  so  allge- 
meiner Annahmen  geboten  ist,  das  drängte  sich  mir  im 
Laufe  der  gegenwartigen  UntersnchuDgen  gerade  in  Bezie- 
hung auf  den  älteren  Polyklet  auf.  Wir  sind  gewohnt,  ihn 
als  einen  der  ersten,  wenn  nicht  den  ersten  Athletenbildner 
aufzufassen.  Nun  lehren  uns  die  olympischen  Ausgrabungeu, 
dass  von  den  lünf  bisher  zwischen  ihm  und  dem  jüngeren 
streitigen  olympischen  Siegerstatuen  nach  den  Inschriften 
vier  dem  jüngeren  zugesprochen  werden  müssen,  und  daas 
wir  demnach  auch  die  fünfte,  die  des  Kyniskos,  diesem  nicht 
wohl  länger  vorenthalten  därfen.  So  bleibt  für  den  ältereo 
keine  einzige  übrig,  und  in  diesem  Falle  dürfen  wir  wohl 
aus  dem  »Stillschweigen  des  Pausanias  folgern,  dass  er  über- 
haupt keine  iSiegerstatuen  für  Olympia  gearbeitet  hat.  Es 


Digitized  by  Google 

I 


Brunn:  Zur  griechischen  KünsÜergew^Uchte,  471 

seheint  daher,  dass  er  die  JüDgliogsgestalt  und  das  ,,athle- 
iische  Geiire^\  in  dem  er  unangefochten  Meister  hleibt,  ge- 
winermasaen  bot  als  iheoretiBch-kOiisilerische  Aufgabe,  nicht 
alt  Object  ftr  den  praktischen  Markt  in  Olympia  bebandelt 
habe.  Ob  wir  deshalb  Tielleieht  seine  künstlerische  Per- 
sönlichkeit in  eine  gewisse  Parallele  mit  der  Stellung  des 
Isokrates  auf  dem  Gebiete  der  Beredtsamkeit  zu  bringen 
haben,  mag  hier  unerortert  bleiben.^) 

Nach  diesen  Abschweifbngen  kehren  wir  wieder  an  der 
thebanisehen  Eünstlerinschrift  snrnck.  üeberraschend  nennt 
Loeschcke,  was  sie  „Aber  die  Heimath  des  jüngeren  Polyklet 
lehre.  Denn  bei  dem  aupgepriigten  Boeotismns  in  der  Form 
inoeiae  scheint  mir  ein  Zweifel  über  diese  kaum  möglich". 
Den  jüngeren  Polyklet  für  einen  Böoter  zu  halten,  möchte 
▼ielleicht  gerechtfinrügt  sein,  wenn  jenes  htoeioe  an  der 
Statne  selbst  oder  an  ihrer  Plinthe,  d.  h.  vom  Efinstler 
aelbst  eingemeisselt  wftre.  Aber  die  Statne  hatte  nicht  ein- 
mal eine  isolirte  Basis,  und  über  der  Küustlerinschrift  be- 
findet sich  ein  Epigramm  von  drei  Distichen.  Dass  dieses 
Tom  Künstler  selbst  eiugemeisselt  sei,  wird  kaum  jemand 
sn  behaupten  wagen,  und  so  werden  wir  auch  die  weiteren 
Bwei  Worte:  üolmdwrog  ktowsB  auf  Reohnnng  des  böo- 
tiachen  Steinmetsen  setsen  mnssen,  der  in  Theben  eben 
böotisch  schrieb.  * 

Die  Inschrift  lässt  sich  also  gegen  die  aus  dem  Fa- 
milienzosanimenhange  mit  Naukjdes  abgeleiteten  Resultate 
in  keiner  Weise  geltend  machen;  nnd  wohl  noch  weniger 

2)  Blasen  Msbnimgeii  sur  Yonlebt  gsgenfiber  will  anoh  ieh  iddi 
einer  Wanimg  LoeNheko*t  nicht  Tendilieuen!  eine  tbeb&Dieche  In- 
•ehiift,  in  te  ich  ein  KftnrtlerveneicliaiM  sn  erkennen  glanVte  (Ofer- 
beek  SQ.  1568),  mag  wenigitena  ftr  so  lange  aus  den  archäolog  liehen 
Scbriftqnenen  gestrieben  werden,  als  die  partielle  UebereinstironinDg 
mit  bekannten  Ettnitlemamen  sich  nicht  dnnh  weitere  GrQnde  all  eine 
nidit  bkM  infallige  erweiaen  lawt. 


Digitized  by  Google 


472    SUMumg  der  pkOot.-phäol.  Cloise  vom  6.  November  1880, 

können  die  Hinweisungen  Loeschcke's  auf  mehrfache  Be- 
liebaogen  Polyklets  zu  Theben  und  Thebanern  in  Betracht 
kommen«  Theben  war  keineswegs  der  Sitz  einer  Kunst- 
scbnle,  die  wie  Athen  oder  Argoe  nicht  blos  das  heimisehe 
BedürfiiiM  befriedigt,  sondern  aueb  für  den  Export  geir- 
beitet  hätte.  Wir  finden  dort  attisebe  wie  peloponnesisehe 
Künstler  in  grösserer  Zahl  beschäftigt  (s.  das  Register  zu 
raeiner  Klg.  II,  783),  wobei  allerdings  nicht  verschwiegen 
werden  soll,  dass  ausnahmsweise  die  einzigen  namhaften 
bootischen  Künstler  Hjpatodoros  nnd  Aristogeiton  niebt 
nnr  ein  Götterbild  ftr  eine  arkadisebe  Stadt,  sondern  auch 
ein  nmfimgreicbca  Weibgesöhenk  in  Delpbi  f&r  die  Argirer 
arbeiteten. 

Wenn  ich  schliesslich  hier  noch  auf  die  Heiraaths- 
verhältnisse  der  Familie  des  Polyklet  eingehe,  so  ge^^chieht 
dies  Yornehmlich  mit  Rücksicht  auf  die  Bemerkangen 
Furtwänglers  in  der  A.  Z.  1879»  S.  46.  Daedalos  nennt 
sieb  in  den  Inscbriften  nnd  beisst  bei  Pansanias  Sikyonier, 
Polyklet  bei  Pansanias  Aigiyer.  Nankydes,  wenn  er  nsck 
der  Insebrift  8obn  des  Patrokles  ist,  kann  nicht  zugleich, 
wie  jetzt  bei  Pausauias  steht,  Sohn  des.Motlion  sein.  Es 
freut  mich  daher,  dass  ich,  schon  ehe  ich  Furtwänglers 
Anfeatz  gelesen  hatte,  zu  der  gleichen  Lösung  wie  er  ge- 
langt war,  nemlicb  dass  in  Mo^moq  die  Angabe  der  Hei- 
matb  des  Efinstlers  versteckt  sei,  nnd  zwar  Metbana  swiscben 
Epidanros  nnd  Trözen,  welches  Tbneydides  IV,  45  Metbone 
nennt,  während  für  die  gleichnamige  Stadt  in  Messene  sich 
bei  Pansanias  IV,  35,  1  sogar  die  Form  Mothone  findet. 
So  hätten  wir  also  für  die  drei  Brüder  drei  verschiedene 
Heimathsangaben.  Zur  Lösung  dieser  scheinbaren  Wider- 
spruche bemerke  ich  znnficbst,  dass  attische  KOnsÜer  in 
attiscben  Inscbriften  ihre  Heimatb  nacb  ibrem  Demos,  nnd 
nnr  ausserhalb  Attikas  sieb  als  Atbener  zu  beceicbnen 
pflegen.    Als  Analogie  aus  andern  Gegenden  Griechenlands 


Digitized  by  GoogU": 


Brunn:  Zur  griechischen  Künstlergeschichte.  473 

kann  eine  Inschrift  aus  Olympia  (A.  Z.  1878,  S.  181)  dienen, 
in  welcher  sich  Athenodoros  und  Asopodoros  x*^ 
yixaiog,  6  d'f|  ^yi^/eog  eiqvyoqov  ohne  Angabe  der  Stadt 
nennen.  Nun  wird  der  Nav/.vdr^g  Mo^uvog  bei  Pansanias 
als  Künstler  einer  Hekate  nicht  in  Olympia,  sondern  in 
Argos  genannt,  und  hieraus  also  erklärt  sich,  dass  er  dort, 
wahrscheinlich  in  der  Inschrift,  Methana  als  seine  engere 
Heimath  oder  den  Stammsitz  seiner  Familie  bezeichnet. 
Naukydes  war  also  ein  Mei>iovaiog  liQyeiog,  wie  bei  einem 
Komiker  Ephippus  (Athen.  X,  442  d)  Herakles  sich  Ti^v- 
^lov  ^Aqyeiov  nennt,  oder  wie  ähnlich  ein  BoicjTiog  i§ 
^EQxofitvov  ein  Werk  des  Hypatodoros  und  Aristogeiton 
weiht.  In  Olympia  würde  sich  wahrscheinlich  auch  Nau- 
kydes als  Argiver  bezeichnet  haben,  wie  Polyklet  zwar  nicht 
in  den  Inschriften,  aber  bei  Pausanias  genannt  wird,  Dae- 
dalos  dagegen  erscheint  als  Sikyonier.  Es  haben  nun  jeden- 
fialls  einmal  sehr  enge  Beziehungen  zwischen  der  Kunst  von 
Sikyon  und  von  Argos  bestanden :  schon  die  drei  Musen  des 
Ageladas,  Kanachos  und  Aristokles  scheinen  in  einer  ge- 
wissen Gemeinsamkeit  gearbeitet  zu  sein;  und  so  mag  es 
sich  auch  erklären,  dass  der  ältere  Polyklet  gewöhnlich 
Argiver,  aber  auch  einmal  Sikyonier  genannt  wird.  Doch 
lässt  sich  dieses  Verhältniss  der  Schulen  vielleicht,  wenigsten« 
zeitlich,  etwas  bestimmter  begrenzen.  In  der  Schule  des 
Sikyoniers  Lysipp  finden  wir  neben  mehreren  Sikyoniem 
keinen  Argiver:  die  Schule  von  Argos  scheint  ausge- 
storben, ja  überhaupt  begegnen  wir  dort  in  dieser  und  der 
späteren  Zeit  nur  geringen  Spuren  einer  einheimischen 
künstlerischen  Thätigkeit.  Früher  haben  wir  dort  als  Schüler 
des  älteren  Polyklet  den  Argiver  Asopodoros  und  wahr- 
scheinlich, obgleich  nicht  ausdrücklich  als  Argiver  beglau- 
bigt, den  Periklytos,  der  wiederum  Lehrer  des  Antiphanes 
ans  Argos  war.  Daneben  stehen  (Naukydes  und)  der  jüngere 
Polyklet,  den  wir  uns  wegen  der  Gleichheit  des  Namens 


474    SUtutig  der  pkäosr^hüol,  Classe  vom  6,  November  1880, 

gern  in  verwandtschaftlicher  Beziehung  zum  älteren  denken 
mögen.  Aber  schon  dieser  hat  einen  Schüler  aus  Sikyon, 
den  Eanachos,  der  jüngere  ebeudorther  den  Alypos,  und 
anf  Antiphanes  folgt  der  Sikyonier*  Kleon.  Hierzu  kommt 
endlich,  dass  Daedalos,  obwobl  aus  argiTiselier  Familie,  sich 
Sikyonier  nennt.  Et  sckeint  demnach,  dass  schon  gegen 
Ol.  100  die  Schule  von  Argos  in  der  Auflösung  begpnflfon 
war,  und  dass  Sikyon  ihre  Stelle  einnahm,  —  richtiger 
vielleicht  wieder  einnahm.  Denn  schon  zur  Zeit  des  Di- 
poenos  und  Skyllis  erscheint  es  als  ein  Hauptsitz  der  Kunst- 
übnng  und  bewahrt  seine  Stellnng,  wenigstens  auf  dem  Ge- 
biete der  Malerei  lange  nach  Lysipp  noch  in  der  Zeit  des 
achaischen  Bundes,  «Ehrend  Argos  nur  durch  die  Bedeu- 
tung einzelner  hervorragender  Individualitäten,  wie  Ageladas 
und  Polyklet  zeitweilig  in  den  Vordergrund  treten  mochte. 
Ueber  weitere  Ursachen  dieses  Wechsels  liessen  sich  viel- 
leicht Vermuthungen,  aber  ohne  sichere  Gewähr  anfstellen. 
Immerhin  aber  wird  es  nicht  fiberflfissig  sein,  zunächst  die 
Thatsachen,  wie  sie  sieh  aus  den  uns  an  Gebote  stehenden 
Quellen  ergeben ,  dansnlegen ,  wenn  sich  auch  Folgerungen 
aus  denselben  vielleicht  erst  einmal  später  ziehen  lassen. 

'  M  y  r  o  n. 

Ueber  die  zeitlichen  Grenzen  der  Thatigkeit  des  Myron 
fehlen  uns  bekanntlich  genauere  Angaben.  Eins  seiner 
berfihmtesten  Werke  mfisste  er  schon  um  OL  77  gear» 
beitet  haben,  sofern  e»  nachweisbar  wäre,  dass  der  berühmte 

Laufer  Ladas  in  dieser  Olympiade  gesiegt  und  Simonides, 
der  bereits  Ol.  78,  2  starb,  seine  Grabschrift  verfasst  hätte* 
Diese  Folgerung  würde  sich  ergeben,  wenn  die  Vermuthung 
Benndorfs  (de  AnthoL  gr.  epigr.  p.  15)  begründet  wire, 
dass  in  dem  Epigramm  des  Simonides  (Anth.  pal.  XDI,  14) 
der  Name  Javdtq  in  ji^dag  eu  verbessem  wftre.  Dllbner 
in  seiner  Aasgabe  bezeichnet  dies  als  wahrscheinlich.  Allein 


Digitized  by  Google 


Brmm:  Zwr  grieckiidten  KIMtergetduUkU.  476 

der  Nftme  des  Dandis  kommt  als  der  des  Siegers  in  der 
77*  OL  nicht  blos  an  dieser  einen  Stelle,  sondern  anch  bei 
Diodor  XI,  53,  bei  Dionys  Hai.  IX,  37  and  bei  Afrfcanns 

vor,  und  überall  schwanken  die  Lesarten  nur  unbedeutend 
zwischen  Jdvdi]gy  Javit^g^  Jatig^  JavTiog^  Javrig  (Dandiu 
in  der  armenischen  üebersetsang  des  Africanus).  Dass  der 
Name  Ladas  bei  allen  diesen  Autoren .  in  gleiehmassiger 
Weise  eomunpirt  nnd  beranstellen  sei«  wird  wohl  kanm 
jemand  zn  behaupten  wagen ;  nnd  so  wird  schon  ans  diesem 
Grande  Dandis  bei  Simonides  seinen  Platz  behaupten 
müssen,  abgesehen  davon,  dass  neben  den  vielen  Siegen  im 
Stadion,  von  denen  wir  sonst  nichts  wissen,  gerade  der  von 
Paosanias  bezeugte  Sieg  im  Dolichos  in  dem  Epigramm 
nicht  erwähnt  wird.  —  Die  Heimath  des  Ladas  wird  nicht 
direct  angegeben.  W^gen  seinw  Statue  im  Tempd  des 
Apollo  in  Argos  (Paus.  U,  19,  7)  möchte  ihn  Benndorf 
ftlr  einen  Argiver  erklären.  Das  Stadion  indessen,  in  dem 
er  seine  Schule  durchgemacht ,  lag  zwischen  Mantinea  und 
Orcbomenos,  also  in  Arkadien  (Paus.  VIII,  12,  5);  sein 
Grab  auf  dem  Wege  Ton  Belmina  nach  Sparta,  also  in 
Lakedämon  (Paus.  III,  21,  1) ;  nnd  wenn  Paosanias  richtig 
Tcrmuthet,  dass  er  sofort  nach  seinem  föege  erkrankt  nnd 
nnterwegs,  doch  wohl  auf  der  Rückkehr  nach  der  Heimath, 
gestorben  und  au  der  Stätte  seines  Todes  auch  begraben 
sei,  so  muss  eben  Lakedämon  als  seine  lleimatb  betrachtet 
werden,  wie  man  auch  früher  angenommen  bat. 

Auffallend  findet  es  Benndorf,  dass  sowohl  bei  Pausanias 
unter  den  Statuen  der  Olympioniken,  als  bei  Plinius  unter 
den  Werken  des  Hyron  die  Erwähnung  der  Statut  des  Ladas 
fehle.  Er  hält  es  daher  für  nicht  zn  kflbn,  bei  letzterem 
den  ungehörigen  und  fremdartigen  Hund  canem  in  Ladam 
zu  verändern.  Paläographische  Wahrscheinlichkeit  hat  diese 
Veränderung  gewiss  nicht;  und  wenn  Plinius  unmittelbar 
nach  der  berühmten  Kuh  anch  noch  einen  Hund  desselben 


Digitized  by  C^Oglc 


476    SUmmg  dar  pkUot.-pfM.  C^a$8€  vorn  6,  November  1860, 

Künstien  «rwahnt,  so  liegt  darin  doch  gewiss  nichts  Auf- 
fftlliges.  Dass  aber  ein  Hand  eben  so  gat  wie  eine  Koh 
sogar  als  ein  Wnnder  der  Sonst  gepriesen  werden  konnte, 

lehrt  die  Erzählung  bei  Plinius  34,  38.  —  Das  Schweigen 
des  Pausanias  möchte  sodanu  Benndorf  daraus  erklären,  dass 
die  Statue  vor  der  Zeit  des  Pausanias  nach  Kom  versetzt 
worden  sei,  womit  es  zusammenhänge,  dass  Ladas  bei  ro- 
mischen Dichtem  nnd  Schriftstellern  mehr£ftoh  erwähnt 
werde.  AUein  dieselben  gedenken  wohl  des  Ladas  und 
.seiner  Schnelligkeit;  eine  Beaiehnng  aber  anf  seine  Statne 
findet  sich  nirgends.  Wir  kennen  dieselbe  als  Werk  des 
Myrou  einzig  aus  dem  (Doppel-)  Epigramm  der  Anthologie 
XVI,  54.  Daneben  steht  die  Erwähnung  der  Statue  in 
Argos  bei  Pausanias ;  und  so  werden  wir  nicht  wohl  umbin 
können,  das  fipigiamm  auf  diese  zu  beziehen.  Das  Schweigen 
des  Pausanias  Über  den  Kfiustler  darf  dagegen  nicht  ange- 
führt werden,  indem  z.  B.  Hirschfeld  (Athena  nnd  Marsyas 
S.  16)  aus  dem  ersten  Buche  nicht  weniger  als  sechs  Bei- 
spiele zusammenstellt,  zu  denen  sich  noch  die  Parthenos  d^ 
Pbidias  hinzufügen  lässt,  in  denen  Pausanias  die  uns  sonat 
bekannten  Namen  der  Künstler  übergeht. 

Trotzdem  möchte  ich  nicht  lengnen,  dass  in  den  Nach* 
richten  über  Ladas  etwas  liegt,  was  Ton  dem  Gharaktor  der 
gewöhnlichen  Ueberliefernngen  über  olympische  Sieger  etwas 
abweicht.  Dass  er  in  der  Zeit  des  Myron  gesiegt  habe, 
ißt  keineswegs  ausdrücklich  überliefert.  Die  Erwähnung 
aber  seines  Grabmals,  des  Stadions,  in  dem  er  sich  geübt, 
sowie  die  Weihung  seiner  Statue  im  ApoUotempel  von  Argos 
weisen  anf  anssergewöhnliche  Ehren  hin,  wie  wir  sie  «m 
liebsten  mit  einer  Art  Heroenenlt  verbunden  annehmen 
möchten.  Man  kann  geneigt  sein,  an  Verh&ltnisse  sn  denken 
wie  die  des  Oobotas  aus  Dyme  in  Achaia,  der  als  Sieger  in 
Ol.  6  erst  um  die  8Ü  Ol.  eine  Statue  erhielt  Es  wurde  von  mir 
bereits  in  der  Klg.  1.  S.  ö9  die  Vermuthung  geäussert^  dass 


Digitized  by  GüOglt: 


Brunn:  Zur  griecJnschen  Künntlergeachichte. 


477 


die  Ton  Panaanias  (VI,  3,  8)  verworÜBne  EnSblong,  er  liabe 
bei  Plataeae  mitgekämpft,  auf  eine  Wnnderereclieiiiiing,  wie 

die  des  Theseus,  Marathon ,  Echetlos  in  der  Schlacht  bei 
Marathou  v.u.  beziehen  sein  möge.  Die  weitere,  in  ihrer 
Allgemeinheit  unrichtige  Angabe  über  den  Fluch  des  Oebo- 
tas,  der  den  Achäeni  die  Ehre  olympischer  Sieger  raubte, 
dürfte  dann  in  der  Bescbränkung  richtig  sein,  dass  erst 
seit  der  Scblacht  bei  Plataeae  die  AchSer  in  Olympia  keine  Er- 
folge teebr  aufenweiaen  batten,  bis  sie  gegen  OL  80  ffiUo  ig 
Tifir^v  zov  Oißfota  festeetsten  und  ibm  eine  Statne  in  Olympia 
erricbteten.  Ausserdem  blieb  es  nocb  bis  in  die  Zeit  des 
Pausanias  (VII,  17,  14)  Sitte,  das«?  Achäer,  wenn  sie  sicli 
an  den  Kämpfen  in  Olympia  hetlieilifreri  wollten ,  vorher 
dem  Oebotas  Opfer  darbrachten  {^vcr/i'ynv)^  und  auch  er- 
rungenem Siege  seine  Statne  in  Olympia  bekränzten.  — 
Nocb  nähere  Berücksicbtignog  scbeinen  die  Naebriebten 
fiber  nicbt  weniger  als  Tier  spartaniscbe  Sieger  in  Olympia 
so  Terdienen.  Entelidas  siegte  Ol.  38.  Pansanias  VI,  15, 8 
nennt  allerdings  sein  Bild  alt  nnd  bezeiebnet  die  Insobrift 
an  der  Basis  als  durcii  die  Zeit  unleserlich.  Aber  da  er 
selbst  (VI,  Is,  7)  die  ersten  Siegorstatuen  in  die  59.  und  61. 
Olympiade  setzt,  so  konnte  ihm  die  Statue  erst  lange  nach 
seinem  Tode,  und  dann  doch  wohl  schwerlicb  fon  Ver- 
wandten, sondern  dnrcb  die  Lakedamonier  von  Staats- 
wegen erricbtet  sein.  Hippostbenes  nnd  sein  Sobn  Hetoi- 
mokles  errangen  in  Olympia  im  Ganzen  elf  Siege.  Von 
den  secbs  des  Vaters  föllt  der  erste  im  Ringkampfe  der 
Knaben  in  Ol.  37,  die  fünf  anderen  im  Ringen  der  Männer 
in  Ol.  89  —  43.  Die  lauge  Siegeslaufbahu  des  Vaters  wird 
der  Sohn  ziemlich  unmittelbar  fortgesetzt  haben ,  so  dass 
seine  Siege  um  Ol.  50  fallen  müssen.  Da  ihm  nun  nacb 
Pitnsanias  (III,  13,  9}  eine  Statne  in  Sparta  erricbtet  war, 
so  wird  ancb  diese,  wie  die  des  Entelides,  erst  lange  Zeit 
naob  dem  Si^  angestellt  worden  sein.  Von  Hippostbenes 
[1880. 1.  PUL-phil.  hirt.  CL  Bd.  1. 4.]  31 


478    aUmmg  der  phUMjipkiM.  CUuse  wm  €.  November  1880. 

aber  berichtet  Pausanias  III,  15,  7,  dass  ihm  in  Spafta  so- 
gar ein  Tempel  geweiht  war;  aißovoiv  de  «x  fiai^tvftavos 
%w  ^binoa^Ampf  ate  HoauSuhn  %ifmg  vi/iowes»  Ohioiiis 
erkämpfte  mehrere  Siege  um  die  30.  OL  (Paus.  VI,  13,  2). 

Auf  einer  Stele  mit  dem  Verzeichnisse  seiner  Siege,  von  der 
eine  zweite  nahe  bei  den  Gräbern  dor  Agiaden  in  Sparta 
(HI,  14,  3)  wahrscheinlich  eine  Wiederliolung  war,  fand 
sich  eine  Erwähnung  des  erst  Ol.  65  (wieder?  — )  einge- 
richteten Waffenlanfes ,  woraus  Pansanias  schloss,  dass  sie 
nicht  Yon  Ohionis  selbst,  sondern  erst  später  von  den  Lake- 
dämoniem  angestellt  sei.  Er  h&tte  desshalb  nicht  zweifeln 
sollen,  dass  die  daneben  stehende  Statne  den  Chiouis  dar- 
stellen könne,  da  sie  ein  Werk  des  Myron  sei.  Denn  offen- 
bar gehören  Stele  und  Statue  zusammen  und  ihre  Auf- 
stellung rückt  dadurch  in  die  Zeit  des  Myron  herab.  Ist 
es  nnn  Zo&il,  dass  anch  die  Statne  des  Ladas  ein  Werk 
des  Myron  war?  liegt  hier  nicht  der  Verdacht  nahe,  dass 
anch  Ladas  in  einer  frfiheren  Zeit  gesiegt  habe,  nnd  dass 
die  Weihung  seiner  Statue  mit  der  Aufstellung  der  d^ 
Chionis  in  einem  gewissen  Zusammen  ha  npre  stehe,  wenn  wir 
nicht  lieber  annehmen  wollen,  dass  die  späte  ÜUuruug  aller 
der  genannten  älteren  Olympioniken  *in  gewissen  Zeitströ- 
mnngen  ihren  gemeinsamen  Grund  hatte?  Bei  Hipposthenes 
werden  wir  bestimmt  anf  ein  Orakel  hingevriesen.  Von 
Chionis  aber  wird  berichtet,  dass  er  an  der  Gründung  von 
Kjrene  durch  Battos  Antheil  hatte,  und  vielleicht  lag  dariu, 
vielleicht  auf  eine  Mahnung  des  in  Sparta  hoch  angeseheneu 
Orakels  des  Ammon  hin  (Paus.  III,  18,  3),  der  Anlass, 
sein  Andenken  in  Sparta  nnd  in  Olympia  zu  erneuern.  Aller- 
dings lassen  sich  solche  Vermnthnngen  nicht  in  jedem  ein* 
sselnen  Fklle  so  wie  bei  Oebotas  durch  Hinweisung  anf  be- 
stimmte Zeugnisse  begründen ;  aber  wiederum  ist  es  ein 
eigenthümliches  Zusarameutretfen,  dass  wir,  wie  bei  Oebotas, 
80  auch  bei  Chionis  und  Ladas  auf  die  Zeit  bald  nach  den 


Digitized  by  GüügU: 


Brwm:  Zw  grUdnUtiUn  XiOmthrgesckUhU,  479 

Perserkricgen  hingewiMen  werden,  die  ja  durch  so  manche 
Legende  den  Ankes  zur  Einfuhr  an  g  oder  Wiederhelebnng 

TOD  Götter-  nnd  Heroenculten  (ich  erinnere  nur  an  Pan 
und  Boreas  in  Athen)  darboten.  Die  poetische,  halb  legenden- 
haite  Verklärung ,  in  der  uns  Ladas  namentlich  auch  bei 
Dichtern  nnd  Khetoren  der  späteren  Zeit  (vgl.  Benndorf 
p.  13)  entgegentritt,  würde  sich  bei  einer  aolchen  AnflBusang 
der  VerhSitnisse  am  besten  erklaren,  die  natürlich  f&r  sich 
nicht  den  Werth  eines  historischen  Beweises,  sondern  nnr 
einen  gewissen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  iu  Ansprach 
zu  nehmen  vermag.  — 

Ausser  den  Statoen  des  Ladas  and  des  Chionis  arbeitete 
Myron  noch  zwei  Statnen  für  einen  andern  Lakedaemonier. 
Nach  Paasanias  fVI,  2,  2)  brachte  Lykinos  ein  Gespann 
Ton  Fflllen  nach  Olympia,  die  er,  da  eines  derselben  sn- 
rnckgewiesen  wurde,  unter  den  ausgewachsenen  Rossen  laufen 
Hess,  y.at  ivr/.a  öi  avimv  avti}rjY.6  öi  xal  avÖQiditag  dvo 
O/.i  ufiiavy  MvQtovog  lov  ^^rjvatov  nou^fiata.  Rutgers 
(Africani  ^OXv/nn.  dvayg.  p.  144)  macht  mit  Recht  darauf 
anfinerksam,  dass  das  Ffllieniennen  erst  OL  99  eingeführt 
wurde,  wShrend  Myron  nm  Ol.  80  thfttig  war.  Demnach 
waren  entweder  die  Statnen  nicht  Ton'  dar  Hand  des  Mjrron 
oder  sie  bezogen  sich  nicht  auf  den  Sieg  des  Lykinos.  Vor 
diese  Alternative  gestellt,  müssen  wir  uns  schon  zu  einem 
etwas  kühneren  Vorgehen  entschliessen.  Bei  etwas  schärferem 
Zusehen  erscheint  die  Verbindung  ivUa  di  aitwv.  dvi^ipu 
de  xa«  .  .  .  etwas  bedenklich,  wenigstens  dem  Sprachge- 
branche  des  Paasanias  nicht  völlig  entsprechend.  Und  wes- 
halb stellt  Lykinos  twei  Statnen  fflr  einen  einzigen  Sieg 
auf?  Sehen  wir  weiter,  was  bei  Pansanias  folgt:  T(//  di 
!/iQ'ÄeoiAd(^  xai  yfix(f  toi  7raidi,  Tii»  fxtv  aviwv  yByovaOi  dvo 
'OlvfmtKai  yixai^  -^^X^S  de  x.  ir.  k.  Auch  diese  beiden  ge- 
h5ren  an  der  Ghmppe  lakedamonischer  Sieger  im  Wagen* 
rennen,  die  Panaanias  hier  snaammen&sst;  Arkesilaoe  hat 

81* 


r 


Digitizeü  by  Li(.)C)^le 


480    Sittmig  der  j9Mbff.*jpftalol.  dorne  vom  6.  November  tS80, 

zweimal  geriegt,  Lichas  war  OL  90  ein  alter  Mann  {aw- 

6Q€t  Y6QovT€t:  Xenopli.  Hell.  III,  2,  21;  vgl  Rutgers  p.  52); 
sein  Vater  lebte  demnach  nm  Ol.  80,  war  also  Zeitgenosse 
des  Myron.  Alles  würde  daher  sehr  gut  stimmen ,  wenn 
Mjron  die  beiden  Statuen  nicht  für  T^ykinos,  sondern  für 
ArkesilaoB  gemacht  hätte.  Nun  ist  bei  Pausanias  schon  im 
Anfonge  desselben  Kapitels  ein  Name  ansge&Uen  (nicht 
Xenarches,  wie  Rntgers  p.  125  richtig  bemerkt,  weshalb  anch 
Xenarches  nnter  den  Werken  des  Lysipp  zn  streichen  nnd 
der  verlorene  Sohn  des  Philandrides  dafür  einzusetzen  ist), 
und  es  kömmt  verhältuissmässig  oft  vor,  dass  sich  bei  Pau- 
sanias im  Umfange  einer  Seite  mehr  als  eine  Lücke  iindet. 
Nehmen  wir  also  aach  in  dem  kritischen  Satze  den  Ansfeill 
eines  einzigen  Wortes  an  nnd  schreiben:  w^^ipi»  de  xac 
lii^neaiXaog  avdqtavzag  dvo,  so  sind  die  sachlichen 
Schwierigkeiten  gehoben,  und  wir  gewinnen  einen  Text, 
welcher  der  verzwickten  Redeweise  des  Pausanias  auf  das 
Beste  entspricht. 

Ptolichos.  £in  Werk  des  Ptolichos  von  Aegina  war 
die  Statue  seines  Landsmannes  Theognetos.  In  derEOnstler» 
geschichte  I,  8.  81  hatte  ich  bemerkt,  dass  der  olympische 

Siet^  desselben  im  Ringkampfe  der  Knaben  vor  Ol.  80,  je- 
doch nicht  nothweudig  vor  Ol.  77 — 78  fallen  müsse.  Rutgers 
(S.  37)  will  ihn  nicht  später  als  Ol.  75  ansetzen.  Allein 
die  Erwähnung  des  Theognetos  in  Pindars  VIII.  pythischer 
Ode,  welche  seinen  Neffen  Aristomenes  feiert,  bietet  dafür 
keine  Berechtigung ;  vgl.  L.  Schmidt  Pindars  Leben  S.  398  ff. 
Dagegen  hatte  ich  fibersehen,  dass  wir  in  einem  Epigramm 
der  Anthologie  (XVI ,  2)  die  Inschrift  der  Siegerstatue  be- 
sitzen, indem  dort  schon  von  Schneidewin  gewiss  mit  vollstem 
Rechte,  wie  auch  in  der  neuesten  Ausgabe  von  Dübner  an- 
erkannt ist,  statt  des  metrisch  fehlerhaften  Namens  ^nes 
unbekannten  Theokritos  der  des  Theognetos  hergestellt 


Digitized  by  GoOglc 


Brunn :  Zur  griechmchen  Künstlergeschichte.  481 

worden  ist.  Das  Epigramm  aber  bat  den  Simonides  smn 
V^erfa^ser,  welcher  Ol.  78,  3  starb.  Dauach  ist  Ol.  78  der 
späteste  Termin  für  den  Sieg  des  Theognetos. 

Kresilas.  Kürzlich  lenkte  Ad.  Roeraer  meine  Aof- 
merksanikeit  auf  eine  bekannte  Stelle  des  Auetor  ad  He* 
renn.  IV,  6,  9:  Cbares  a  Lysippo  statnas  facere  non  isio 
modo  didicit,  nt  Ljsippns  oapnt  ostenderet  Myroninm, 
braehia  Pnuritelia,  peetns  PoIycHtinm,  yentrem  et  cmra,  sed 
omnta  eorsm  magistmm  fiieientem  videbat,  oeteromm  opera 
vel  sua  spoute  poterat  cousiderare.  Man  habe  die  Worte 
ventrem  et  crura  als  ein  thörichtes  Einschiebsel  beseitigen 
wollen ,  weil  sie  sich  in  den  besten  Handschriften  nicht 
fänden.  Doch  sei  durch  Spengel  (Rhein.  Mus.  XVII»  S.  331  iL) 
das  ürtheil  über  das  Verhältniss  der  besseren  su  den  ge* 
ringeren  Codices  wesentlieh  modificirt  worden.  Und  dann, 
wenn  es  sich  am  Anleitung  mr  Anfertigung  von  Statuen 
handele  und  man  der  Reihe  nach  Kopf,  Arme  und  Brust 
anfzable,  bilden  da  nicht  Baach  und  Sehenkel  die  noth- 
wendige  Ergänzung,  um  ein  Ganzes  herzustellen? 

Die  letztere  Erwägung  scheint  mir  zwingend,  und  es 
ist  duhrr  an  den  Worten  ventrem  et  crara  in  keinem  Falle 
an  rütteln.  Aas  diesem  Grande  kann  denn  aach  eine  Ver- 
muthaag Eaysers,  so  wie  sie  ausgesprochen  ist,  nicht  ge- 
billigt werden:  es  sei  au  lesen  ventrem  Cnsilaeum,  indem 
das  letatere  Wort  in  crura  et  und  weiter  in  et  crura 
cormmpirt  sei.  Und  doch  glaube  ich,  dass  uns  Kayser's 
Vermutbnng  auf  das  Richtige  zn  ffthren  yermag.  Als 
massgebende  Künstler  nennt  der  Rhetor  Lysipp ,  Myron, 
Praxiteles,  Polyklet ;  von  den  berühmtesten  ersten  Ranges 
fehlen  Phidias  und  Skopas.  Aber  von  philologischer  Seite 
bietet  sich  auch  nicht  der  geringste  Anhaltspunkt,  welcher 
den  Aaslall  gerade  dieser  Namen  rechtfertigen  könnte ;  und 
Ton  arch&ologischer  Seite  darf  wohl  daran  erinnert  werden, 
dass  die  Vorzüge  dieser  beiden  Kftnstler  wesentlich  oder 


Digitized  by  Google 


482    SiUung  der  phüo8,-yhiM.  Clasae  vom  6*.  November  1880, 

wenigstens  in  so  weit  auf  der  Seite  der  geistigen  Auffas- 
sung lagen,  dass  ihre  formalen  Verdienste  nicht  als  Zweck, 
sondern  nur  als  Mittel  zur  Erreichung  geistiger  Ziele  auf- 
gelust  in  werden  pflegten.  Und  nnn  gar  den  Phidias  als 
den  BeprSsentanten  mnstergiltiger  Bauch-  nnd  Schenkel- 
bildnng  hingestellt  sn  sehen,  müsste  einen  fast  erheiternden 
Eindruck  machen.  Wir  sind  also  genöthigt,  an  einen  der 
primis  proximi  zu  denken.  Ein  solcher  ist  Kresilas.  In 
dem  bekannten  Amazonenwettstreite  steht  er  nach  Poljklet 
nnd  Phidias  an  dritter  Stelle  und  sein  sterbender  Verwun- 
deter wird  mit  besonderem  Lobe  genannt.  Sein  Name,  der 
jetst  dnreh  Insehriften  sichergestellt  ist,  findet  sieh  in  den 
Handsebriften  itsst  immer  mehr  oder  minder  eorrnmpiri 
In  einem  Epigramme  der  Anthologie  (XIII,  13)  finden  wir 
z.  B.  die  Lesart  K^iatag.  Nehmen  wir  beim  Auct.  ad  Her. 
eine  ähnliche  Corruptel  an,  durch  welche  sich  das  Wort  dem 
vorhergehenden  ernra,  mit  dem  es  die  An&ngsbnchstaben 
gemein  hat,  noch  mehr  annäherte,  so  erklSrt  es  rieh,  wie 
es  als  eine  scheinbare  Dittographie  Ton  ernia  leieht  an^ 
fallen  konnte.  So  empfiehlt  es  sich  yon  sachlicher,  wie 
von  paläographischer  Seite  zu  schreiben:  ventrem  et  crura 
Cresilaea.  Wie  weit  bei  der  Beurtheilung  des  Künstlers 
aaf  die  Worte  ventrem  et  crura  im  Einzelnen  Nachdruck 
an  l^gen  ist,  wird  vielleicht  erst  klar  werden,  wenn  es  ein- 
mal gelingt,  nnter  den  nns  erhaltenen  Typen  von  Amaionen 
die  des  Kresilas  mit  Sicherheit  nachsnweisen.  Vorlftnfig 
mögen  die  Worte  nnr  rar  Bestätigung  der  Annahme  dienen, 
dass  Kresilas  zu  den  Künstlern  gehört,  die  auf  die  formale 
Durchbildung  ihrer  Werke  einen  besonderen  Werth  legten. 

Demetrios.  Nach  Päusanias  I,  27,  4  stand  in  Athen 
am  Poliastempel  ft^ßvng^  oaw  ts  fft,X9og  ftäUtna, 

qKxfitrt]  SioKwos  Aval  uivatfiaxr].  Ein  aweites  Zengniss 
über  sie  besitzen  wir  bei  Plinius  34,  76:  Demetrius  Ljsi- 


Digitized  by  Goügi 


Bnmn:  Zur  griechischen  Kün8tlergeschichte.  483 

machen  ffecit)  qnae  Baoerdos  Minerrae  fait  LXIV  annis. 

Aber  was  bedeutet  fii'/;(>/g?  Benndorf  in  den  Mitth.  d.  ath. 
Inst.  I,  S.  50  bemerkt,  dass  sieb  das  Wort  scbwerlich 
werde  vertheidigeu  lassen,  und  vermutbet,  es  sei  etwa  „an 
das  Material  oder  den  Verfertiger  des  Werkes  zn  denken. 
Möglich  wäre  anoh  ein  Worfc  wie  evyi^fjag^^,  Palftographiech 
am  nächsten  steht  wohl  tvi}^^^  und  eine  gnthmfithige, 
treuherzige  Alte  passt  aneh  dem  Sinne  nach  sehr  wohl. 
Man  wird  jedocb  sagen ,  dass  ein  so  treuherziges  Beiwort 
der  nüchternen  Prosa  des  Pausanias  nicht  entspreche:  im 
Allgemeinen  gewiss  mit  Recht.  Doch  fragt  es  sich,  oh 
nicht  Ausnahmen  snsugeben  sind,  und  ich  möchte  deshalb 
auf  ein  von  Pktusänias  II,  26,  9  erwähntes,  leider  chrono- 
logisch nicht  näher  bestimmbares,  aber  sehr  eigenthümliches 
Kunstwerk  hinweisen.  In  einem  Gebäude  (olxi^fia)  zu  Ae- 
geira  in  Achaia  befand  sich  (eine  Gruppe  von  Statuen?) 
dvrlQ  te  ijöi^  yegujv  loa  nal  odvQOfievog,  drei  Frauengestalten, 
die  sich  ihre  Armbänder  abnahmen,  drei  Jünglinge  und 
(der  Name  ist  ansgefieUlen)  mit  dem  Panzer  gerüstet. 
Dieser  Anonymus  soll  in  einem  Kriege  der  Achäer  rieh 
dorch  seine  Tapferkeit  unter  den  Aegeiraten  besonders 
ausgezeichnet  haben  und  gefallen  sein;  die  Brüder  melden 
seinen  Tod;  die  Schwestern  nehmen  zum  Zeichen  der 
Trauer  ihren  Schmuck  ab,  xat  zoy  7caTiQa  inorofia^ovatv 
Ol  BTtixd^QiOL  ^'fUTvaifri ,  che  iXeuvov  nal  iv  Tjf  eixivt. 
Hier  wird  allerdings  die  Erwähnung  des  Ausdrucks  in  dem 
Bilde  dnroh  die  Enählung  und  den  Beinamen  genauer 
motinrt.  Aber  auch  jene  L3rsimache  war  gewissermassen 
eine  Curiositüt :  au  bevorzugter  Stelle  geweiht,  nur  eine 
Elle  hoch ,  ein  altes  Weib ,  ein  Werk  des  Demetrios, 
künstlerisch  vielleicht  eine  Art  Seitenstück  zu  dem  kahl- 
köpfigen, dickbäuchigen  Pellichos  desselben  Künstlers:  konnte 
darin  nicht  hinreichender  Anlass  fGr  P^nsanias  liegen,  der  aus* 
gesprochenen  Eigenthfimlichkieit  des  Werkes  dor^  ein  be-* 


Digiti  Ad  by  Google 


484    Sitzung  der  phUos^-phOol,  CUuse  vom  6.  November  1880. 

zeichnendes  Epitheton  mit  einem  kurzen  Worte  zu  ge- 
denken ? 

Apellas.  Durch  die  Ansgrftbnni^en  Ton  Olympia  ist 
jetzt  festgestellt,  dass  sich  an  die  Künstlerfolj^e  des  Theo- 
kosnios  von  Megara  nud  seines  Sohnes  Kalliklcs  als  drittes 
Glied  dessen  Sohn  Apellas  anreiht,  der  für  die  Königin 
Kyniska  arbeitete  and  also  nm  Ol.  100  lebte:  A.  Z.  1880, 
8.  152.  Eine  weitere  Thfttigkelt  möchte  ihm  Fnrtwangler 
als  Knnstschriftoteller  zuweisen  nnd  anf  ihn  die  ansf&hr- 
licben  Notizen  znrflckfnhren,  die  wir  Über  ein  Werk  seines 
Vaters,  die  Statue  des  Diagoras  besitzen  (Schol.  Piud.  p.  loS 
Boeckh).  Allein  eine  derartige  Kunstschriftsiellerei  gab  es 
damals  noch  nicht;  sie  entwickelt  sich  erst  nach  der  Zeit 
Alexanders.  Wahrscheinlich  wfirde  Fnrtwangler  selbst  ge- 
funden haben,  nm  welchen  Apellas  es  sich  bei  dem  Scholi- 
asten  desPindar  handelt,  wenn  ihm  in  Olympia  die  nöthige 
Literatur  zu  Gebote  gestanden  hätte.  Der  Schriftsteller 
über  Kunst  ist  Apellas  Ponticus,  über  dim  es  genügt,  auf 
Preller  (Polemon.  fr.  p.  175)  zu  verweisen. 

Boethos.  Boethos,  der  Schöpfer  dps  Knaben  mit  der 
Gans,  ist  bisher  nur  nach  dem  Charakter  seiner  Kunst  in 
die  Zeit  bald  nach  Alexander  d,  Gr.  gesetzt  worden.  Es 
ist  dabei  eine  Inschrift  (C.  i.  gr.  6164)  unberücksichtigt 
geblieben,  welche  bereits  Winckelmann  (Werke  VI,  I,  8.  38) 
mitgetheilt  hat.  Er  ,3uid  dieselbe  in  einem  Pluiins,  Basler 
Ausgabe  1525,  mit  geschriebenen  Anmerkungen  von  Pul* 
vius  ürsinus  und  Barthol.  Aegius,  in  der  Bibliothek  des 
Herrn  Ton  Stosch  zu  Florenz*'.  Sie  lautet:  (.tt^rodurog  x«£  | 
diodoTot;  Ol  ßotj^ov  \  ny.üfit]öeig  \  hroiovv.  Allerdings  habe 
ich  selbst  (Klg.  I,  S.  501)  geglaubt,  ihre  Zuverlässigkeit 
▼erdächtigeii  zu  müssen:  „denn  wenn  auch  ürsinus  selbst 
nicht  Fälscher  war,  so  nahm  er  doch  vieles  Falsche  anf 
Treue  and  Glauben  von  Ligorio  auf*.    Fast  gleichzeitig 


Digitized  by  GoOglc 


Brunn:  Zw  yviedmAen  Küna^rgewMdUe,  485 

setzte  sie  Moinmsen  (Ber.  d.  sächs.  Ges.  1852,  256)  he 
der  Behandlung  anderer  griechischer  Ligoriana  in  die  Kate- 
gorie derer,  deren  Unechtheit  ihm  evident  schien  Einen 
weiiereD  Verdaehtsgrand  glaubte  Hirschfeld  (Tit.  statnar. 
0.  142)  darin  zo  finden,  dass  in  einer  anf  Boetbos,  den 
Vater  der  beiden  Nikomedier,  besfilglichen  Inachriftf  einAnt 
Nikomedes  erwähnt  wird. 

Und  doch  scheint  die  Inschrift  der  beiden  Söhne  die 
Bärgschaft  ihrer  Echtheit  in  sieh  selbst  zu  tragen.  Sie 
sind  ans  Nikomedia  in  Bithynien;  Boethos,  der  Vater, 
beisst  in  allen  Handschriften  des  Pansanias  (V,  17,  1) 
KaQyr^doi'iog ;  und  erst  0.  Müller  hat  dafür  KaXxr}ö6riog  zu 
lesen  vorgeRchlugen.  Nun  wurde  Nikomedia  im  J.  264  v.  Chr. 
gegründet  und  zum  Theil  mit  den  von  Ohalkedon  oder 
Kalchedon  übergesiedelten  Bürgern  bevölkert.  Wenn  also 
Boethos  um  diese  oder  nieht  lange  vor  dieser  Zeit  lebte,  so 
erklärt  es  sich  sehr  einfach,  dass  er  Ealchedonier  beisst, 
während  seine  Söhne  sich  bereits  als  Nikomedier  bezeichnen. 
Ligorio  indessen,  selbst  wenn  er  ein  bedeutenderer  Ge- 
lehrter gewesen  wäre,  was  er  nicht  war,  konnte  von  diesen 
Heimathsverhältnissen  noch  nichts  wissen ,  und  damit  fallt 
jeder  Grund  weg,  die  Echtheit  der  Inschrift  noch  femer 
zu  bezweifeln.  Boethos  gehört  demnach  in  das  erste  Drittel 
des  dritten  Jahrhunderts  y.  Chr. 

Nebenbei  bemerkt,  zeigt  die  Inschrift,  die  nicht  an  der 
Basis,  sondern  an  der  Statue  eines  Herakles  stand,  dass  das 
Imperfectum  in  Bildhanerinsohriften  schon  mindestens  gegen 
die  lütte  des  III.  Jahrhunderts  wieder  in  Aufnahme  kam 
und  es  demnach  wohl  als  ^^bellenistiiMsh^*  bezeichnet  werden 
darf.  —  DieZweifül  au  der  Echtht'it  einer  zweiten  Inschrift 
(C.  i.  gr.  6146)  werden  durch  das  Vorhergehende  nicht  berührt. 

Eoigonos.  In  dem  TorlSufigen  Bericht  über  die. 
Ausgrabungen    von   Perganion   S.  öü  tbeilt  Couze  eine 


Digitized  by  GoOglc 


486    Süsung  der  phOog.'pliaol.  Ooßae  wm  6.  Nwember  itiSO. 

Künstlerinscbrift  au8  der  Königszeit  der  Attalen  mit  und 
'eagt:  ,,8ie  nennt  einen  sonst  nicht  bekannten  KOnstler 
B/riywos  htoifuatv^^  Dass  er  nicht  unbekannt  ist,  würde 
wenig  Tersehlagen,  sofern  etwa  nur  der  Name  bdlänfig  er- 
wähnt würde.  Aber  Plinins  berichtet  34,  88:  Epigonns 
omnia  fere  praedicta  imitatus  (Philosophen,  Athleten  u.  A.) 
praecessit  in  tubicine  et  raatri  interfectae  infaute  raisera- 
biliter  blandiente.  Vermnthnngs weise  hatte  ihn  allerdings 
schon  Furtwängler  (Dornauszieher  S.  70)  in  die  Diadochen- 
zeit  gesetst.  Um  so  willkommener  ist  die  inschrifiliche 
Best&tignng;  denn  dnrch  die  chronologische  Fixirnng  tritt 
%t  nns  entgegen  als  ein  echter  Sohn  seiner  Zeit  nnd  be- 
reichert unsere  Vorstellungen  von  derselben,  wenn  er  auch, 
wie  Fnrtwängler  bemerkt,  ,,nicht  umsonst  seineu  Namen 
trug:  er  war  ein  „Kpigone^^ 

Eutychides.  Uuter  dou  Monumenten  des  Asinius 
Pollio  wird  von  Pliuius  36,  34  ein  Liber  pater  als  Werk 
des  Eutychides  genannt,  den  man  bisher  unbedenklich  für  den 
bekannten  Schüler  des  Lysipp  gehalten  bat.  Es  mnss  in- 
dessen an&llen,  dass  ansser  dieser  einen  Marmorsfcatne 
weder  nnter  den  Werken  des  Entychides,  noch  nnter  denen 
des  Lysipp  und  seiner  gesammten  Schule  auch  nur  eine 
einzige  Arbeit  in  diesem  Material  angeführt  wird.  Wir 
werden  daher  diesen  Liber  pater  einem  Athener  Eutychides 
zntheiien  müssen,  von  dem  uns  eine  Inschrift  erhalten  ist, 
welche  Hirsohfeld  (A.  Z.  1872,  S.  25)  frühestens  in  das 
Ende  des  III.  Jahrhunderts  Ohr.  ▼ersetst  Vielleicht  ist 
er  nm  mehr  als  ein  Jahrhundert  junger  nnd  gehört  dem 
Kreise  des  Arkesilaos ,  Kleomenes  u.  A.  an,  neben  deren 
Werken  das  seiuige  uuter  den  Monumenten  des  Asinius 
Pollio  angestellt  war. 

\  


Digitized  by  GopgI( 


I 


Herr  B r  u  n  u  l^te  eiue  Abhandlong  des  Herrn  W  olf  g. 
Heibig  vor: 

„üeber  den  Pileus  der  alten  Italiker/* 

(Mit  swd  Tafelii.) 

I.  Der  Pileus  der  Männer. 

Wiewohl  die  Wiaseiiecliaft  ans  den  Enltne-  und  Reehts- 

alterthömem  mancherlei  treffende  Schlüsse  anf  die  altf 
röniische  Sitte  gezogen  hat,  ist  diese  Fundgrube  bei  Weitem 
noch  nicht  erschöpft  und  sind  mehrere  einschlagende  Gesichts- 
pankte  unberücksichtigt  geblieben.  Dies  gilt  u.  A.  von  dem 
Symbole  des  Pileus.  Wenn  der  Pileoe  das  Attribut  der 
Odttin  der  Freibeit«  der  Libertas,  war,  wenn  er  bei  der 
Manmnismo  dem  freizulaasenden  Sklayen  angesetzt  wurde 
80  lassen  sich  solche  Thatsachen  nicht  anders  erklären  als 
durch  die  Annahme  einer  Epoche,  während  deren  die  freien 
Römer  den  Pilens  trugen  und  sich  durch  eine  derartige  Kopf- 
tracht von  den  Sklaven  unterschieden.  Diese  Annahme  wird 
dadurch  beeifttigt,  daas  der  Pfleua  als  Attribut  mehrerer 
Priestersehaften,  denen  uralte  acht  latinische  Kulte  ohlagen, 
nämlich  der  Pontifices,  Flamines  und  Salier,  ansdrftcklich 
bezeugt  ist^);  denn  wir  dürfen  annehmen,  dass  die  Römer, 
als  sie  die  betreffenden  Ornate  feststellten,  die  damals  übliche 
Festkleidung  der  Bürger  zu  Grunde  legten  und  dieselbe  nur  in 

1)  Die  Stellen  bei  Marquardt  röm.  Privatalterth»  II  p.  114,115;  I 
p.  MO;  Pauly  Realencyclopädie  IV  p.  1028. 

2)  Platarch  Numa7;  MwroeU,5;  IHonji.  HAl.a]it.  rom.  II  64,  70. 
l^äbeiM  wditor  qnteo. 


Digitized  by  Google 


486    SiUung  der  phihs^'^häol.  Classe  vom  6,  NovewUter  1880, 

einer  der  priesterlichen  Würde  entsprechenden  Weise  indi- 
vidualisirten.  Allerdings  hatten  diese  priesterlichen  Kopf- 
bedeckungen Tersehiedene  Namen:  Apex,  Toialos  und  Ga- 
leras.  Doch  werden  sie  Ton  Saetonins^)  anndrflcklicb  ala 
Unterarten  des  Pilens  angeführt,  wogegen  nch  Ennins*)  des 
Gattungsnamens  Tutulus  bedient,  indem  er  die  Priestor  über- 
haupt als  tutulati  bezeichnet.  Demnach  waren  Pileus,  in- 
soweit sich  dieses  Wort  aaf  eine  prie.sterliche  Kopftracht 
bezieht,  und  Tutolas  Synonyme.  Die  Wichtigkeit,  welche 
unter  den  saoerdotalen  Attributen  gerade  dem  Pileus  bei- 
gelegt wurde,  erhellt  deutlich  aus  der  Vorschrift,  dass  der 
Höchste  der  Flamines,  der  Flamen  Dialfs,  unter  freiem 
Himmel  niemals  seinen  Pileus  ablegen  durfte'].  Endlich  ge- 
hört noch  hieher  die  von  Martial  bezeugte  Sitte,  den  Pileus 
bei  den  Saturualien  zu  tragen.  Stünde  dieses  Zeugnis« 
allein,  dann  konnte  man  allerdings  schwanken ,  ob  jene 
Sitte  ana  altersgrauer  Zeit  festgehalten  und  nicht  Tielmehr 
erst  in  später  Epoche  aaigekommen  ist,  als  ein  Pileus 
die  ffir  die  niederen  Sfönde  bezeichnende  Kopftracht  ge- 
worden war  und  die  Römer,  beeiuflnsst  von  den  griechischen 
Voiißtellungen  des  goldenen  Zeitalters,  in  den  Satornalien 


1)  Bei  Serv.  s.  Virgil  Aeu.  II  688  iSaeioni  rel.  ed.  Beifferscbeid 
p.  268,  168):  Saetoniiu  tria  genera  pileorum  dixit,  qiuhva  sacerdotet 
atontnr,  apioem,  tatuloni,  galerun:  led  apicem  pilearo  sutile  eirca  me« 
diam  Tirga  eminente,  tutolatn  pileani  lanatuni  metae  figara,  galemoi 
pilearo  ex  pello  hostiae  cae^ae.   Vgl  auch  Hieronym.  ep.  64  n.  13. 

2)  Knnius  bei  Varro  L  L.  VII  §  4^,  44;  Ferti  fragm  1.  XI  p.355 
Httller  (Eonii  rel.  rec.  Vaiilen  p.  20): 

MeniftS  constitoit,  ideinqae  aucilia  • 

Libaqae  fictores  Argeos  et  tntalatoa. 
J{)  (Jellins  n.  a.  X  l^.  17:  sine  apice  8iib  di?o  esue  licitam  non  est. 
Vgl.  Val.  Max.  I  1,  5;  Plutarch.  Marcell.  5;  Appian.  bell.  civ.  I  74. 
Die  Notizen  des  Geilios  über  den  Flamen  Dialis  und  die  Flaminic« 
scheinen  nach  den  pinleiten'len  Bemerkungen  X  15,  1  aas  den  Libri  de 
sacerdotiboe  publicis  und  F&bius  Pictor  geschöpft. 


I 

Digitized  by  Google 


IT.  Hahi0:  UOter  den  POem  der  tüten  Italiker.  489 

ein  Fest  erkannien ,  wdclies  an  die  in  der  Ürseit  voraiu- 
gesetzte  Gleichheit  der  Stande  erinnerte.  Bringen  wir  da- 
gegen die  Angaben  des  Martial  in  Zusammen  hang  mit  den 

im  Obigen  ungoführttMi  Thatsachen,  daun  spricht  alle  Walir- 
pcheinlichkt'it  dafür,  da.ss  auch  die  Sitte,  den  Pileus  bei  den 
Satarnalieu  zu  tragen,  ein  Ueberrest  ans  der  Epoelic  ist,  in 
welcher  der  Pileos  als  ehrenvolles  nnd  festliches  Abzeichen 
des  freien  Römers  galt. 

Ehe  wir  jedoch  Näheres  nher  die  Bescha£feDheit  nnd 
die  Herlranft  dieses  Pilens  zn  ermitteln  suchen,  gilt  es  zu- 
nächst sein  Verhaltniss  zu  der  gleichnamigen  Kopfbedeckung 
des  späteren  Alltagslebens  in  das  Auge  zu  fassen.  Während 
der  Zeit ,  über  die  wir  durch  Schriftsteller  und  Bildwerke 
unterrichtet  sind ,  wurde  wie  in  Griechenland  so  auch  in 
Italien  eine  niedrige  Mütze  ans  Filz,  welche  auf  Lateinisch 
Pilens  heisst,  von  Schiffern,  Handwerkern,  Sklayen  nnd 
nberhanpt  von  Leuten  niederen  Standes  getragen').  Selbst- 
▼erstSndlieh  ist  dieser  Pilens  von  dem,  der  nns  in  dieser 
Al)handlüiiji(  beschäftigt,  scharf  zu  unterscheiden.  Wann  er 
in  Horn  eine  bei  den  niederen  Stünden  gebräuchliche  Kopf- 
bedeckung zu  werden  anfing,  lässt  sich  nicht  bestimmen. 
Sollte  dies  aber  schon  in  der  Epoche  geschehen  sein,  in  der 
ein  Pilens  als  ehrenyoUes  Abzeichen  galt,  dann  müsste  man 
jeden  Falls  annehmen,  dass  sich  der  letztere  Pilens  dnrch 
Form  oder  Decoration  Yon^dem  der  gemeinen  Lente  unter- 
schied. Doch  lasst  sieh  das  YerhSltniss  auch  in  anderer  Weise 
autfassen.  Die  Kostümkunde  liefert  eine  Reilie  von  Belegen 
dafür,  dass  eine  Tracht  zunächst  auf  die  voniehui^^teu  Stünde 
beschränkt  ist,  allmählig  in  weiteren  Kreisen  Verbreitung 


1)  Msrtisl.  ep.  XI  6.  4;  XIV  1,  3: 

ßjiithosibas  dam  gauJot  eqaet  domfaiasqae  Moator 
Damqiie  decsot  noatroiD  pUea  sampta  ^oiem  .  .  .  . 

2)  Vgl.  Marqaaidt  rOm.  FriTitaltertli  II  p  114. 


Digitized  by  Google 


490   SUMwig  ä0r  fhHoa.-phM,  datäe  tewi  6,  November  1880. 

findet  und  sicli  scblieBslioh  in  den  niedrigsten  Scbicbten  der 
Gesellseliaft  erbältf  nachdem  sie  in  den  b5beren  scbon  lange 

Zeit  aufgegeben  worden  ist.  Demnach  scheint  auch  die  An- 
nahme zn lässig,  daas  der  Pileus  in  Wom  allniülig  seine  Be- 
deutung als  ehrenvolles  Abzeichen  verlor  und  eine  gemeine 
Tracht  wurde ,  wobei  es  nieht  ausbleiben  konnte ,  dass  in 
dem  Lanfe  der  Jahrhunderte  ancb  seine  Form  in  dem  Sinne 
der  späteren  Stilriehtnngen  Veränderungen  erfuhr.  Doch 
fehlen  uns  leider  die  Mittel  zu  entsebeiden,  welche  der  beiden 
Annahmen  die  richtige  sei,  und  müssen  wir  uns  begnügen, 
die  Alternative  zn  stellen. 

Versuchen  wir  nunmehr ,  die  ursprüngliche  Form  des 
den  freien  Römer  auszeichnenden  Pilens  zu  ermitteln,  so  er- 
weisen sich  die  Darfitellungen  des  Pileus  Libertatis  auf  De- 
naren» die  in  dem  letsten  Jahrhundert  der  Republik  ge- 
schlagen sind^),  und  auf  einer  auBebnlichen  Reihe  Ton  Kaiser- 
münzen ^)  hierfür  nur  wenig  ausgiebig.  Ihr  Vergleich  lehrt, 


1)  BeBir  des  L.  Faraoleios :  Kopf  dcrlnbertas,  dahinter  der  Pileus. 
(Cohen  TnonTiaies  de  la  repnbliqoe  pl.  XVIII  1.)  —  Denar  dos  Brutus 
und  L.  Plactnrius  Cestianus:  Hov.  Pileas  Libertatis  zwischen  zwei 
Dolchen  EID.  AlAU  i  Cohen  monn.  de  la  rep.  pl.  XXIV  16,  medailles 
imp.  I  pl.  II  4;  Mommscn-Jilacas  bist,  de  la  monn.  rom.  IV  pl.  XXXIl 
12;  unsere  Fij^ur  2-1).  —  Die  Denaro  mit  dor  Inschrift  LIBERT.AS 
P.K.  RESTITVTA:  Kev.  Pileus  Libertati.s  zwischen  zwei  Dolchen 
(Cohen  monn.  de  la  ri-p.  pl.  XXIII  14,  U»,  medailles  irap.  I  p.  240 
n.  2f57,  268  pl.  XIV  267;  Revue  nmnismatique  VII  1862  pl.  VIII  26 
p.  2UW  n.  ZU;  unsere  Fi^ur  2;>)  sind,  wie  es  .sclieint .  nach  dorn  Tode 
des  Nero  geschlagen.  Cf.  Cohen  med.  imp.  I  p.  24!),  de  Blacas  in  dtf 
Bev.  namism.  VII  1862  p.  197  ff. 

2)  Die  Figur  der  Libertu  mit  dem  PUeu  in  der  Hand  kommt  tot 
nf  Hfknien  dee  Oalba  Cohen  m.  i.  I  p.  223  n.  48,  49.  51,  p.  283,  234 
n.  184^154  (derselbe  Typus  tneh  auf  Hunten  mit  Oalbas  Namen,  die 
nnter  Titos  nndTnian  gescblagen  sind:  Cohen  I  p.  245  n.  249,  p.  246 
D.  251  pl.  XIII  n.  251),  des  Vitellins  Cohen  I  p.  257,  258  n.  22—25, 
des  Vespasian  Cohen  I  p.  808  n.  315  -320,  des  Nerra  Cohen  II  p.  472 
B«  50-55,  des  Hadrian  II  p.  188  n.  320,  321,  des  Antoninns  Pins 


Digitized  by  GoOglc 


W,  Hdbig:  Utbw^  den  Püeus  der  aOen  liattker. 


491 


dass  dieses  Symbol  in  der  späten  Zeit,  welcher  jene  Münzen 
angehören,  keinen  fesfc  anegeprigten  Typne  hatte,  sondern 
in  Terschiedener  Weiae  behandelt  werden  durfte;  denn  die 
Stmpelsehneider  geben  bald  einen  länglichen  konischen 

HutM,  bald  eine  niedrige  hall)kugeirörmige  Mütze*)  wieder. 
Immerhin  aber  scheint  die  Thatsache  beachten« wert h ,  dass  , 
der  Pileas  Libertatis  nirgends  B^alten  aufweist,  sondern  stets 
in  dem  Sinne  eines  strengen  Stiles  gesteift  erscheint  Hier- 
durch unterscheidet  er  sich  wesentlich  von  dem  Pileus,  mit 
dem  die  griechisch- römische  Knnst  Figuren  aus  dem  All- 
tagsleben ausstattet,  der  in  der  Regel  als  eine  schmiß- 


Cohen  III  p.  '.m,  'STA  n.  671-684,  des  Commodns  Cohen  III  p.  6^ 
n.  110,  III,  p.  140  n.  r»09-60:i,  des  Septimiu«  Severus  III  p.  255  n.  197, 
p.  'ioG  n.  lOR,  des  Caracalla  III  p.  .174  n.  95-97.  des  Geta  III  p.  476 
n.  145,  des  Elagabal  III  p.  521,  522  n.  54  -58,  p.  536,  537  n.  172— 
MF,,  Severus  Alexan^lcr  IV  p.  10  n.  60-63,  p.  42  n.  290-292,  des 
Gordianus  Pius  IV  p.  i:.9  n.  2i;0,  261,  des  Trebonianua  Gallus  IV  p.  272 
n.  32—37,  p.  281  n.  99,  KM),  des  Volusianus  IV  p.  291  n.  28  32, 
p.  30<>  n.  103,  des  Gallienus  IV  p.  352  n.  15,  16,  p.  390,  391  n.340- 
343,  d.'S  Postutnus  V  p.  2^,  n.  S6,  des  Claudius  Gothicus  V  p.  96  n.  115, 
des  Quintillus  p.  117  n.  31-33.  des  Aurelian  p.  13'»  n.  116  —  118,  dea 
Tacitus  p.  199  n.  68,  des  Tyrannen  Julianu«  p.  309  n.  1  pl.  XI  n.  1. 

1)  Soweit  ich  die  Originale  kenne  Abbildnngeii  sind  bei  einer 
■olehen  Einzelheit  ohne  Verlass  —  zeigt  der  Pileos  Libertatis  auf  Kaiser- 
in&nxen  stets  den  Ifinglichen,  auf  den  MQnsen  dagegen,  deren  vor- 
angnateiseber  Ursprung  sicher  beglaubigt  ist,  stets  den  halblnigell5niiigeB 
Typus.  Diese  Beobaebtnng  bietet  eine  weitere  StQtM  fftr  die  ABoabme, 
dsBs  die  Denare  mit  der  lasefarift  LIBERIAS  P.  B.  BBSTITVTA 
(8. 490  Ann.  1),  Mf  deoen  der  Flless  lioglieh  gebildet  ist,  der  lAiser- 
seit  angebSvea. 

2)  8o  auf  den  Denaren  des  L  Farsoleins  «nd  denen  des  Bnitns 
(a490  Amn.l).  Bb  Belief  der  ViUa  Negreni  stellt  oaeb  Winekelnuuin 
Versach  einer  Allegefie  bersasg.  Ton  A.  Dreesel  p.  57  dar  «die  Figur 
der  Freybeit  mit  dem  Hute,  weleber  so  wie  hier  als  auf  Mflnzen  apitng 
nlaaft/  Ueber  diehe  Deotang  wird  sich  erst  dann  urtheilen  lassen, 
wenn  jenes  Balief  wieder  anfgefonden  ist.  In  der  Villa  JMegioni-Massiiu 
bebe  ieb  es  Tetgebiich  gesucht. 


Digitized  by  Google 


492   SUiung  der  phSha^phiiM.  Okme  wm  6,  Nwmber  1890. 

same  Mütze  beliaiidelt  ist  und  demnach  die  Principien  eines 
freieren  Stiles  zur  Schaa  tragt.  Was  ferner  die  priesterlidien 

Pilei  betrifft,  so  ist  der  Apex  des  Pontifex  Maximus  dar^ 
gestellt  auf  Denaren  des  Julius  Caesar^)  (s.  unsere  Fig.  20), 
und  auf  eiuer  anderen  von  M.  Aotouius  und  M.  Lepidus  ge- 
schlagenen 8erie^)  (s.  unsere  Fig.  21).  Er  erscheint  hierauf 
als  ein  hoher,  steifer,  kuppeiförmiger  Hut,  der  oben  in  einen 
spitzen  Stab,  dieVirga  anslanft;  dieser  Stab  ist  an  der  Stelle, 
wo  er  ans  dem  Hute  herauswfichst ,  von  einem  breiten 
Scheiben  artigen  Motive  umgeben  ;  der  Hut  wird  auf  den  ver- 
schiedenen Exemplaren  derselben  Serie  bald  mit,  bald  ohne 
Backenlaschen,  aber  stets  mit  einem  Stunnbande  abgebildet. 
Ein  in  die  Treppenwand  des  Oonservatorenpalastes  einge- 
mauertes Relief^)  schildert  ein  Opfer,  welches  Kaiser  M.  Aurel 
vor  dem  Tempel  des  capitolinischen  Jupiter  darbringt. 
Unmittelbar  neben  dem  Kaiser  steht  ein  bartiger  Priester,  der 
einen  Apex  auf  dem  Haupte  trägt.  Er  darf  nicht  für  den 
Pontifex  maxinius  erklärt  werden,  da  der  Kaiser  selbst  difc-^e 
Wtirde  bekleidete  Somit  bleibt ,  zumal  da  das  Opfer  dem 
capitolinischen  Jupiter  dargebracht  wird,  nur  die  Annahme 
des  Flamen  Dialis  zulassig.  Sein  Hut  (Fig.  26)  ist  dem 
soeben  beschriebenen  des  Pontifex  maximus  ähnlich,  jedoch 
beträchtlich  niedriger;  die  darauf  augebrachte  Virga  endet 
nicht  mit  einer  Spitze,  sondern  mit  einem  Knopfe;  statt 
der  unförmlichen  Scheibe  ist  sie  mit  einem  reifeuartigeii 
Motive  umgeben ;  der  Hut  hat  Backenlaschen,  die  unter  dem 
Kinne  vermöge  eines  Sturmriemens  ansammengebunden  sind 
—  eine  Yorsichtsmassregel,  die  bei  dem  Flamen  Diaiis  be- 

1)  Ooben  monn.  de  la  r^p.  pl.  ZX  10. 

2)  Coben  monn.  de  U  r^p.  pl.  III  12,  pL  lY  LS -15. 
8)  Vgl.  hieraber  weiter  aatea  Seite  511. 

4)  Scblecht  pabUcirt  bei  8.  Bsrtoli  Admiraada  TSf.  9,  Boseiai 
arohi  trioofiai  Taf.  49  and  Righetti  deier.  del  CkmpidogUo  I  168.  üneere 
Figur  26  gibt  eine  gensae  Beproduction  des  Kopfe«  dee  Flamen  DiaHi. 


Digitized  by  Goügl 


W.  HelbUj:  Ueber  den  PUeus  der  aiten  lidtUter,  493 

sonders  geboten  war,  da  es  als  ein  Omen  schlimmeter  Art 

galt,  weun  der  Pileus  dieses  Priesters  während  des  Opfers 
herabfiel*).  Derselbe  Priester  ist  auf  einer  vierseitigen 
Marmorbasis  zu  erkeuneu,  die  gegenwärtig  auf  dem  römi- 
schen Forum  neben  dem  Triumphbogen  des  Septimius  Se- 
Tems  steht')«  Da  anf  der  Vorderseite  zwei  Yictorien  dar- 
gestellt sind,  welche  einen  Schild  mit  der  Inschrift  (?ae- 
sarnm  decennalia  feliciter  hatten,  so  ergieht  lieh, 
dass  die  Basis  geweiht  ist  bei  der  Feier  der  Deceunalia  eines 
Augustus  und  eines  Caesar*).  Die  Buchstabenformen  der 
luschrift,  der  Stil  der  Sculptur  und  die  Haar-  und  Bart- 
tracht weisen  auf  das  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  hin.  Eine 
nähere  Bestimmung  scheint  hei  der  Nachlässigkeit  der  Ans- 
fthrnng  unmöglich.  Anf  den  heiden  Nehenseiten  nnd  aof 
der  Rückseite  der  Basis  ist  das  Opfer  dargestellt,  welches 
bei  der  Feier  der  Decennalia  Statt  fand.  Die  Scene,  die  bei 
unserer  Untersuchung  in  Betracht  kommt,  zeigt  den  Augustus 
im  Begriff  zn  libiren.  Vor  ihm  stehen  ein  Flötenspieler, 
ein  dne  Acerra  haltender  Gamillus  nnd  ein  bärtiger  durch 
den  Apex  bcEcichneter  Priester,  der  die  rechte  Hand  an  dem 
Mnnde  erhebt  wie  anr  Andeutung  des  &Tete  lingnis.  Eine 
Victoria  und  ein  Togatns  (der  Caesar?)  halten  einen  Kraus 
über  dem  liiiupte  des  libirenden  Kaisers.  Wie  auf  dem 
capitoliuischen  lielief  schliesst  auch  auf  diesem  die  Gegen- 
wart des  Kaisers  die  Möglichkeit  aoe,  in  jenem  Priester 
einen  Pontifez  mazimus  zn  erkennen.  Demnach  spricht,  da 
derartige  das  Wohl  des  ätaates  oder  des  Kaisers  betreffende 
QelObde  und  Opfer  dem  Jupiter  Gapitolinns  dargebracht  zu 

1)  Taler.  Msz  I  1,  $.  Pkt.  MarceU.  5. 

2)  0.  Jahn  Ber.  d.  aiehi.  Ges.  Wiss.  1868  tkif.  I?  p.  195- 197. 
dj  Zo  Tergleichen  sind  Anidraeke  wie  candidslat  Ossssris  (Komnsso 

StsatnreehtU  2.  Abth.  2  Ansg.  p  885  ft)  ond  aflf  Inschriften  lemii  oder 
libertos  CSeeirie,  wo  CMear  entoehieden  den  Aognstos  beselehnel 
(Z.  B.  Onlh  n.  2912.  Vgl.  Mommsen  J.  S.  N.  6908). 

[1880.  L  Phil.-pldL  bist  CL  fid.  1. 4.]  82 


Digitized  by  Google 


494    SiUung  der  phttos.-phüot.  Clasae  vom  6,  November  1860. 


werden  pflegten  alle  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  aach 
hier  ein  Flamen  Dialis  dargestellt  ist.  Sein  Pilens  ist  mit 
einem  Sturmriemen*)  versehen  und  etwas  höher  und  um- 
fangreicher als  der  auf  dem  capitolinischen  Relief.  Wenn 
das  reifenartige  Motiv  und  der  Knopf  an  der  Virga  fehlen, 
so  darf  dies  möglicher  Weise  der  sehr  nachlässigen  Aus- 
führung der  Reliefs  zugeschrieben  werden.  Zweifelhaft 
scheint  es,  ob  der  Apex  auf  dem  von  den  Argentarii  dem 
Septimius  Severus  und  seinen  Söhnen  errichteten  Bogen') 
der  eines  Pontifex  maximus  oder  eines  Flamen  Dialis  ist. 
Auf  zwei  an  diesem  Bogen  angebrachten  Streifen*)  sind  die 
Hauptattribute  der  grossen  Priestercollegien  vereinigt.  Der  eine 
Streifen  befindet  sich  unter  dem  Relief,  welches  den  Kaiser  Sep- 
timius Severus  im  BegriHe  zu  libiren  darstellt,  und  gibt  einen 
Lituus ,  einen  ürceus,  einen  Cucullus.  einen  Apex,  ein  As- 
pergillum,  ein  Simpulum  und  eine  Secespita  wieder.  Auf 
dem  anderen  Streifen,  welcher  sich  unter  der  Darstellung 
der  libirenden  Caesaren*)  hinzieht,  sehen  wir  eine  Acerra, 
eine  Securis,  einen  Cucullus,  ein  Bucranium,  einen  Malleus*)  ^ 
und  einen  mit  zwei  Henkeln  versehenen  Eimer.  Die  priester- 
liche Kopfbedeckung  hat  Backenlaschen  und  Sturmriemen. 
Ihre  geringe  Höhe  ist  vielleicht  durch  die  Schmalheit  des 
Reliefstreifens  veranlasst.  Die  Virga  zeigt  unten  ein  flaches 
reifenähnliches  Motiv  und  unweit  der  Spitze  eine  kleine 
scheibenartige  Anschwellung. 

Ferner  gehört  hierher  eine  Basis  des  capitolinischen 


1)  Liv.  XLII  28  ;  Becker  Handb.  d.  röm.  Altertb.  II  2  p.  124; 
Benzen  Acta  fratram  Arvaliain  p.  HO»  III. 

2)  Dieser  Riemen  ist  in  der  Abbildang  in  den  Ber.  d.  säcbs.  Ges. 
d.  Wies.  1868  Taf  IV  ausgelassen. 

3)  Die  Litteratur  im  C.  J.  L.  VJ  1  tu  n.  1035. 

4)  Ungenau  abgebildet  bei  Rossini  archi  trionfali  Taf.  6. 

5)  Die  Figur  des  Geta  ist  bekanntlicb  weggemeiselt. 

6)  Ann.  deir  Inst  1858  p.  14,  15. 


Google 


W.  Uelbig:  Üeher  den  JPäcus  der  oIUh  lUdiUr. 


495 


Museums*),  die  von  eiuem  Collegium  fabroruni  tigna- 
riorum  geweiht  ist.  Auf  der  einen  Seite  sind  unten 
Werkzeuge  der  Zimmerleute  und  vier  halbkugelförmige  Pilei 
daigestellty  zwei  mitt  die  anderen  beiden  ohne  Baekeniasohen 
(s.  unsere  Fig.  25)»  darCLber  swischen  einem  Litane  und 
einem  Opfermesser  ein  Apex,  der  dem  im  Obigen  besprochenen 
des  Poutifex  maximus  ähnelt,  aber  der  Backeulaschen  wie 
des  Sturmriemens  entbehrt  und  an  der  Seite  mit  einem 
Einschnitte  in  der  Form  eines  Kreissegmentes  versehen  ist 
(Fig.  24).  Vermafchlich  gehören  die  niedrigen  spitzenlosen  Pilei 
der  Plebs*),  der  hohe  mit  Virga  nnd  scheibenförmigem 
Anfsatze  versehene  dem  Sacerdos  oollegii').  ISn  von  dem 
Proquaestor  L.  Sestius  geschlagener  Quiuar  zeigt  auf  dem 
Kever.s  in  der  Mitte  eineu  Dreifuss,  1.  eiu  Sitnpulum,  r.  einen 
konischen  ^cheibeulosen  Pileus,  auf  dem  eine  hohe  in  eineu 
Knopf  auslaufende  Virga  aufgesetzt  ist,  und  darum  die  In- 
schrift Q.  GAEPIO  BRVTVS  PßOCOS«).  Am  Nächsten 
würde  die  Vermnthnng  liegen,  dass  der  Dreifoss  das  Attribut 
eines  XV  vir  sacris  lacinndis,  das  Simpulnm  nnd  der  Pileus 
die  eines  Pontifex  sind.  ludess  würde  die  eingehendere  Be- 
gründung dieser  Hypothese  von  dem  bestimmten  Gegenstand 
der  Untersuchung  zu  weit  abführen  und  doch  kein  positiv 
sicheres  Kesultat  erzielen.  Cranz  nngewiss  ist,  auf  was  for 
ein  Friesterthnm  ein  Apex  hinweist,  welcher,  ähnlich  ge- 
bildet wie  der  des  Pontifex  maximns  (ohne  Backenlaschen, 
mit  Sturmriemen),  bisweilen  als  Beizeichen  auf  Denaren  des 
M.  Plaetonus  curuUschen  Aedilen  i.  J.  6ö  v.  Chr.  vor- 


1)  Foggioi  Koi.  «apitoUn.  lY  18-15. 

2)  VgL  s.B.Or«lU  üucr.  Ut.  mU.  4054.  4104;  Ordlt-HenMa  7191. 

3)  Orelli-Henzen  Index  p.  54  :  Sacerdos  collej^ii. 

4)  Cohen  mono.  Jü  la  rep.  pl.  XXXVIII  3.  Dieser  Brutus  ist 
der  voü  Q  Servilius  Caepio  a  ioptirte  Sohn  des  M.  Junioa  Brutus,  der 
Mordet  des  Caesar.    Vgl.  Mommaca  röm.  Forschungen  P-^«)!. 

32» 


Digitized  by  Google 


496   SUsmig  der  phüoa.'phiM,  Cloise  vm  6.  November  1860, 

kommt').  Das  Oleiehe  gilt  endlieh  von  dem  Apex  einee 
bärtigen  Portraitkopfes  im  ▼aticani«ebea  Museam*),  dessen 

Ausfahrung  dem  Anfange  des  3.  Jahrhunderts  n.  Chr.  an- 
zugehören jsclieiut.  Doch  ist  der  Hut  niedriger  und  schmieg- 
samer als  bei  allen  bisher  besprocheneu  Typen  und  hat  er 
wie  der  im  Obigen  erwähnte  Apex  des  Saoerdos  collegii  auf 
jeder  Seite  einen  ninden  Einschnitt,  an  dessen  Ecken  ein 
doppelter  Sturmriemen  befestigt  ist;  von  der  Virga  ist  nor 
der  Ansats  erkalten. 

Vergleichen  wir  diese  Pilei  mit  dem  des  griechisch- 
romischen  Alltagslebens ,  so  tritt  die  Verschiedenheit  in 
noch  viel  höherem  Grade  hervor  als  bei  dem  Vergleiche  des 
letzteren  mit  dem  Pileus  Libertatis.  Der  Stil  aller  jener 
Typen  macht  einen  hochalterthümlichen  nnd  ganz  nnelassi* 
sehen  Eindrnck.  Wenn  es  aber  gilt,  den  alten  Pilens  des 
freien  R5mer8  zn  Teranschaolichen,  dann  sind  aneh  die  tot^ 
haudeiien  Darstell uugeu  der  priesterlicheii  Pilei  mit  einer 
gewissen  Zurückhaltung  zu  benutzen.  Obwohl  wir  nämlich 
annehmen  dürfen,  dass  bei  der  Fixiruug  der  Priesterornate 
die  gleichzeitige  Festkleidung  zu  Grunde  gelegt  wurde, 
so  spricht  doch,  wie  bereits  bemerkt,  alle  Wahrscheinlich- 
keit dafür,  dass  man  die  in  der  letzteren  yorhandenen 
Motive  in  eigenthfimlioher  Weise  individnalisirte  nnd  Ton 
Anfang  an  Abzeichen  beifügte,  welche  den  Priester  vou  der 
Masse  der  Bürger  unterschieden.  Ferner  ist  es  fraglich,  ob 
die  angeführten  Bildwerke  den  urspnngUchen  Typus  der 
Priestertracht  ganz  getreu  wiedergeben.  Sie  stammen  alle 
ans  späten  Zeiten,  die  dnrch  Jahrhunderte  geschieden  sind 
yon  der  Epoche ,  in  der  die  betreffenden  Attribute  festge- 
setzt wurden,  und  es  ist  recht  wohl  denkbar,  dass  die  jüngeren 
(Generationen,  sei  es  auch  unwillkürlich  und  ganz  allmählig, 
bei  der  Herstellung  der  Priestertrachten  dem  Einflasse  der 

1)  Gohen  a.  a.  0.  pL  XXXII  8. 

2)  Betebreibaiig  Bon»  II  2  p.  194  n.  107. 


Digitized  by  Gopgl( 


W,  EObiff:  Udter  den  PHeus  der  alten  lialiker.  497 


▼erSndertetf  Stilriclitiiiig  nnterUigeii.  Endlieh  sind  auch  die 
Bedingungen  der  Techniken  in  das  Ange  zn  lassen,  yermöge 
deren  jene  BiHwerlce  anfgefuhrt  sind,  und  hat  man  zn  be- 
denken, (las-s  die  Kleinlieit  der  Münzstempel  die  Wie(]«Ttrabe 
von  Einzelheiten  erschwert ,  davSs  die  Dar.^tellunir  von 
Motiven  malerischer  Art  den  Gesetzen  der  Plastik  zawider- 
läaft.  Unter  solchen  Umständen  dürfen  wir  es  als  ein 
günstiges  Geschick  betrachten,  dass  italische  Denkmaler  Tor^ 
banden  sind ,  welche  der  Epaehe ,  in  der  die  römischen 
Bfirger  den  Pilene  irngen,  nahe  stehen  nnd  in  ansfSbr- 
lichster  Weise  einen  Pilens  darstellen,  der  zur  Veranschau- 
lichung des  altröuiischen  geeignet  ist.  Es  sind  dies  die 
Fresken  dor  ältesten  bemalten  Grabkaniiueru  vonCorneto.  Mag 
es  vor  der  üand  noch  unbestimmt  bleiben ,  wie  hoch  die 
frühesten  Gräber  dieser  Gruppe  hinaufreichen ,  jedenfalls 
ergibt  ndi  aas  dem  Stile  der  Wandmalereien  wie  ans  den 
in  den  GrSbem  gefundenen  Scherben  griechischer  Vasen, 
dass  die  untere  Zeitgrenze  nicht  weit  über  die  Bütte  des 
5.  Jahrhnnders  t.  Chr. herabgerückt  werden  darf.  Wenn 

1)  Die  wiehtigstoD  iottaran  Kriterien ,  auf  dsaen  dies»  Zsitbe- 
stimmang  deriltesten  Gruppe  der  mit  WandnalereieB  venierteD  Qiiber 
beruht,  liDd  folgende :  In  der  sog.  Tomba  dei  vasi  dipinti  (Mon.  dell* 
lost  ynn  M  Xm— Xme.  Vgi  Ann.  1870  p.  deren  Deco- 

istioQ  aaf  ein  sehr  Torgeichrittenee  Stadinm  der  ersten  Entwieklnnge- 
peiiode  der  taiqninieehen  Kalerel  hinweist,  sind  anf  einem  KjUkeion 
zwei  eehwM^fii^urige  Ampbocen  dargestellt.  Also  wurden  in  der  Zeit, 
der  dieses  Grab  angehört,  noch  scbwarzfigarige  Vasen  nach  Etrurion 
eingef&hrt.  Ferner  fanden  sich  in  einem  Grabe,  desRen  Malereien  der 
n&chstfolgenden  Periode  zuzoschrciben  sin«!,  das  also  jünger  ist  alü  die 
Gruppe  von  Gräbern,  deren  Chronologie  ich  im  bestimmen  suche,  ein 
Kmg  mit  scliwarzen  Figuren  «trencfcn  Sfib^s,  Scbt-rben  von  schwarz- 
figurif^on  Vast-n  laxer  Zeichnung  und  eine  rothligurige  Vase  stren^^en 
Stiles  (Bull,  deir  Inst.  p.  182,  18:3).     Endlich  wurde  in  einem 

anderen  Grabe  aus  derselben  zw.'iten  Periode  (lJull.  dell.  Inst.  1874 
p.  99—102:  ,4.  tomba";  eine  Scherbe  einer  rothfigurigen  Vase  strengen 
Stiles  gefunden.    (Ball.  18^0  y.  44.) 


Digitized  by  Google 


498    Sitzung  der  philos.-pMd.  Classe  vom  6.  November  1680. 

ich  diese  Wandbilder  in  einer  die  rSmiecben  AlterUiSmer 

betreffenden  Untersuchung  heranziehe,  so  wird  Mc?,  denke 
ich,  heut  zu  Tage  Niemand  bedenklich  finden ,  Roitdem  die 
Ansgrabangen  auf  dem  Esquilin  den  monumeiitalen  Beweis 
geliefert,  dass  die  äussere  Ealtar  der  Etrusker  und  Latiner 
lange  Zeit  bindnrch  im  Wesentlichen  übereinstimmte. 

In  einem  jener  Gräber,  der  sogenannten  Tomba  del 
morto,  ist  die  Ausstellung  eines  Todten  auf  dem  Parmde- 
bette  dargestellt*).  Der  Leichnam  hat  auf  dem  Haupte 
eine  konische  Mütze,  über  die  ein  Mantel  gezogen  ist,  der 
dem  Todten  zugleich  als  Unterlage  dient  (Fig.  14).  Bei 
dem  hohen  Alter  des  Grabes  ist  diese  Mätze  ganz  gedgnet 
den  altrdmischen  Pileus  »n  vergegenwärtigen.  Wir  dürfen 
nnnmehr  annehmen,  dass  derselbe  eine  ähnliche  konische 
Form  hatte.  Weitere  Aufklärungen  bietet  dieses  Gemiilde 
nicht,  da  die  Mütze  grössteu  Theils  von  dem  Mantel  bedeckt 
wird.  Lehrreicher  ist  in  dieser  Hinsicht  ein  anderes  Grab, 
die  sogenannte  Tomba  delle  iscrizoni^j.  Die  Wandraaleraen 
stellen  Scenen  ans  der  zu  Ehren  des  Todten  abgehaltenen 
Leichenfeier  dar,  darunter  einen  Eomos  ▼on  Männern, 
die  dnreh  die  beigeschriebenen  Inschriften  gitaten  Theils 
als  Larse  bezeichnet  sind,  also  guten  etru.skischeu  Familien 
angehnron^).  Drei  von  ihnen  tragen  steife  kegelförmige 
Pilei,  welche  in  der  Höhe  des  »Scheitels  von  einem  dicken 
mnden  reifenartigen  Bande  und  über  der  Stirn  von  einer 
in  mehrere  Falten  gegliederten  Binde  umgeben  sind  (Fig.  16). 
Die  Bilder  der  beiden  Gräber  beweisen  anf  das  Schlagendste, 
dass  der  Pilens  damals  in  Etrarien  die  gleiche  Bedeutung 

1)  Mon.  (icir    Inst.  II  Taf.  II,    Mas.  Gregorian.  I  Taf.  XCIX, 
Canina  Etruria  iiiarittima  II  Taf.  82. 
•    2)  Mus.  Gregor.  I  Taf.  CHI,  Cuiiina  Etr.  mar.  II  Taf.  87  (ganx 
unzuverlässig),  Hittorff  Tarchitecture  polychrome  pl.  19  n.  5,  Stackelberg 
aod  Kestner  Gräber  von  Cometo  Taf. 

3)  Die  Inschriften  bei  Falvetti  C.  J.  J.  p.  CXCIX,  CC. 


Digitized  by  GoOglc 


W.  EOrig:  UA&r  cb»  JVm»  ibr  lOtm  UaMker.  499 

batte,  wie  ich  sie  aus  den  Rechts-  und  Kultosalterthümeni 
für  Rom  nachgewiesen  habe.  Da  der  Leichnam  in  der 
Tomba  del  morto  selbrtmständlich  dargestellt  isfc  in  der 
Ehrentnieht,  die  dem  Todten  nach  seinem  Stande  gehUhrte« 
so  ergibt  sich,  dass  der  Pilens  einen  wesentlichen  Bestand- 
theil  dieser  Tracht  aasmachte,  dass  er  in  den  etruskiachen 
Bestattangsbräiichen  eine  ähnliche  Rolle  spielte,  wie  bei 
den  Römern  in  historisch  hellen  Zeiten  die  Toga^).  Wenn 
ferner  in  dem  anderen  Grabe  Larse«  die  an  der  Leichenfeier 
Theü  nahmen,  mit  dem  Pilens  anagestattet  sind,  so  Iftsst 
dies  darauf  schliessen,  dass  die  Bürger  Ton  Turqninii  dieses 
Mtribnt  bei  feierlichen  Gelegenheiten  anznlegen  pflegten, 
mid  werden  wir  hierdurch  an  die  Angaben  erinnert,  nach 
denen  die  Römer  den  Gebrauch  des  Pileus  bei  den  Satur- 
nalien festhielten.  Allerdings  ergiebt  sich  aus  den  Wandge- 
mälden der  Tomba  delle  iscrizioni,  dass  diese  Kopfbedeckung 
für  die  zu  der  Leichenfeier  geladenen  Gäste  nicht  schlechthin 
obligatorisch  war.  Während  nämlich  die  drei  genannten 
Komasten  Pilens ,  Band  nnd  Binde  tngen,  ist  ein  vierter 
nnr  mit  Band  nnd  Binde*),  ein  fftnfter  lediglieh  mit  dem 
Bsnde  geschmückt')  nnd  beschrankt  sich  auf  dieses  letztere 
Motiv  auch  der  Kopfschmuck  der  zechenden  und  tanzenden 
Männer,  die  in  zwei  jüngeren  Gräbern  der  uns  beschäftigen- 


1)  lofoisl.       ni  171: 

Fan  nagna  ItaUas  «et,  d  fenini  adnittfaiiM,  fai  qaa 
Nemo  togam  somit,  nid  mortou. 
Vgl.  Becker  Gallw  lU'  p.  85L 

2)  Ei  ist  dies  die  sb  Lars  PbaBarat  baaUbnete  Figsr  aaf 
dar  Bttekwand  d«  Oiabss.  Merkwftrdiger  Weise  laMSo  alle  PiiUi- 
catioiieD  and  selbst  der  Stieh  bei  Staekelberg  lad  Ksstaer  Tat  ZX?  5 
die  Bind«  ans.  Der  Kopf  ist  aar  richtig  wiedergegeben  dueb  des 
FaodiDile  bd  Staekdbeig  nad  Ktetner  Taf.  XL  (ooton  xoehts). 

8)  JBt  ist  dioi  der  die  IXoppellUte  blasende  JflafUnf ,  wdeber  saf 
dereelbea  Wand  unmittelbar  vor  Pbanaras  eiaheiiebreitet. 


Digitized  by  Google 


I 


500    SUeung  der  phüoa.-philol.  Classe  vom  6,  November  1880. 

den  Gruppe,  der  Tomba  dei  vasi  dipinti*)  und  der  Tomba 
del  vecchio*),  dargestellt  sind.  Doch  leuchtet  es  ein,  dass 
die  aus  Pileas,  Band  und  Binde  bestehende  Kopftracht  die 
ursprüngliche  und  die  Beschränkung  aof  Band  oder  Band 
und  Binde  nur  eine  Vereinfiushang  dieser  oomplieirten 
Tofletie  ist,  und  beweisen  die  genannten  Grabgemlide,  dasi 
die  Bürger  von  Tarquinii  damals  bei  fMfieben  Gelegen- 
heiten zum  Mindesten  das  Band  als  Abzeichen  trugen.  Nur 
eine  der  in  der  Tomba  delle  iacrizioni  dargestellten  Figuren 
scheint  dieser  Annahme  zu  wiedersprechen ,  nämlich  der 
Ara^Vinacna,  der  mit  Tollständig  schmueklosem  Kopfe 
an  dem  Komos  Theil  nimmt').  Der  Käme  dieses  Mannes, 
seine  Theilnalime  an  dem  Komos,  das  Brostband  and  die 
eigenthümlicben  Schuhe,  die  er  wie  die  übrigen  Eomasten 
trägt,  beweisen,  dass  ein  freier  Etrusker  und  nicht  etwa  ein 
Sklave  dargestellt  ist.  Indess  wird  durch  diese  Figur  die 
von  mir  vorgetragene  Annahme  keineswegs  umgestossen. 
Bei  dem  Komos,  der  kanm  zu  dem  of&ciellen  Theile  der 
Leidhenfeier  gerechnet  werden  darf»  ging  es  bisweilen  sehr 
wild  sa  nnd  gewiss  kam  es  vor,  dass  einem  oder  dem  an* 
deren  Komasten  das  reifenartige  Band  von  dem  Haupte 
herabfiel.  Wie  es  scheint,  weisen  die  Gemälde  der  Tomba 
delle  iscrizioni  ausdrücklich  aut  derartige  Vorfalle  hin.  Der 
Lars  Matves  nämlich,  der,  nnr  durch  eine  Figur  von 
V  i  na  cn  a  getrennti  einhertanat,  wendet  den  Kopf  nach  dem 
unmittelbar  folgenden  Komasten  um  und  aeigt  diesem  mit 


1)  Mon  deir  Inst.  Villi  Taf.  XIII-XIUc. 

2)  Mon.  deir  Inst.  Villi  Taf.  XIV  la. 

.3)  Auf  der  rechten  Seitenwand.  Die  beigeschriebene  Inschrift  bei 
Fabretti  C.  J.  J.  p.  CXCIX  n.  A  r  a.9  ist  Nebenform  von  Ar  an*  = 

Arn*  (Arruns).  Vgl.  üeecke  ctruskische  Foracliungen  3.  Heft,  p.  35  flf. 
(besonders  p.  37  n.  10).  Ebenso  weist  die  Endung  cena-cna  darauf 
hio;  dass  Vinacna  ein  etruäkiscber  Familienname  ist.  VgL  0.  Müller 
die  £tn»ker  (bearb.  von  Deecke)  II  p.  4o9. 


Digitized  by  Google 


W,  Rdbig  :  Ueber  cfe»  PSUm  der  lätm  JUüker, 


501 


snrflekgeiifcreckter  Rechten  zwei  der  genannteB  reifenartigen 
B&nder.  Der  Gedanke  liegt  nabe,  dass  dieee  Bftnder  trnn- 
Irenen  Eomasten  von  dem  Hanpte  gefallen  sind,  das  Matres 

sie  aufgelesen  hat  und  nunmehr  trinmphireud  seinem  Ka- 
meraden zeigt').  Ebensowenig  widerspricht  meiner  An- 
nahme die  Erscheinung  ^  dass  die  an  den  Lcichenapielen 
Theil  nehmenden  Ringer,  Faastkämpfer  und  Reiter  in  dem- 
selben Grabe  Tollet&ndig  baarh&aptig  daij^iellt  sind ;  denn 
es  lencbtet  ein,  da»  ein  Kopiband  bei  eolcben  gymnastl- 
Bchen  Leistungen  im  bOebeten  Grade  binderlicb  gewesen 
srin  wfirde. 

Alle  sonstigen  Figuren,   welche  in  der  Tomba  delle 
iscrizioni  ohne  den  genannten  Kopfschmuck  aaflreben,  sind 
diircb  den  Gesichtstypns  and  die  Handlang  deatlicb  als 
SklsTen  cbarakterisirt.    In  diese  Kategorie  gebören  aneb 
die  beiden  liftnner,  welcbe,  einen  Krater  ond  Krüge  tragend, 
hinter  den  Komasten  einbersebreiteu ;  sie  nnterscbmden 
sich  von  den  letzteren  durch  die  gemeinen  Gesichtszüge,  die 
kurzen  Jacken,  die  Schuhlosigkeit  und  den  Mangel  jeglichen 
Schmuckes  und  sind  offenbar  Sklaven,  welche  den  Gästen 
die  Trinkgeräthe  nachtragen.    Eiin  aaf  der  Eingangswand 
desselben  Grabes  dargestellter  Sklave,  der  mit  der  Herriebt- 
nng  eines  Fisches  beschäftigt  ist,  bat  am  das  Haar  einen 
Faden  geschlungen.   Doch  lehrt  ein  Blick  anf  die  Abbild- 
ungen ,  dass  dieser  Faden  vollständig  verschieden  ist  von 
dem    für   die   freien    Männer   bezeichnenden  reifenartigen 
Bande,  dass  er  kein  ehrenvolles  Abzeichen  diirstellt,  sondern 
nur  dazu  dient,  das  bei  einem  Koche  wenig  wüuschenswerthe 
Herabfallen  der  Haare  an  verhüten. 


1)  Eis  ihnU«h«r  iodiTidedUr  Zug  ist  in  der  Tombe  del  morlo 
(oben  8eHa  498  Aam.  1)  dsigsitellt:  eia  ComMt  wt  im  Bsgiiff  das 
Biod  voo  doB  Hsapto  absoheboi  oder  daraaf  festtodittekso. 

2)  Aaf  dsr  iMhtai  Setteswaad. 


502    SUiung  der  philosrphiM,  Otatu  vom  6,  thoembtr  1880. 

SahlieflBfioh  gilt  es  noch  emen  Bliek  anf  einei  der 
jüngsten  Or&ber  der  in  Rede  stohenden  Gruppe,  auf  die 
Tomba  del  Barone*),  zu  werfen.  Die  Malerei  dieser 
Gräber  schildert  Absebiedsscenen.  Auf  der  Rückwand  ist 
ein  bärtiger  mit  Schuhen  und  Himation  bekleideter  Mann 
dargestellt,  der  in  der  vorgestreckten  Linken  eine  Schale 
b&li  Ihm  gegenüber  steht  eine  Frau  in  arehaiaoher  M»- 
ironentracht,  welche  beide  Hände  tther  der  Schale  erhebti 
neboi '  dem  Bfanne  *ein  halbwüchsiger  Jfingling ,  der  die 
Doppelflote  bläst.  Zu  jeder  Seite  dieser  Mitteldarstellung 
ist  ein  Jüngling  zu  Pferde  gemalt,  der  mit  Mühe  das  vor- 
wäris  strebende  Thier  zurückhält.  Offenbar  ist  bier  die  be- 
kannte Scene  des  'Abschiedstrunkes  dargestellt  Wenn  dabei 
ein  Fldten^ieler  anfitritt,  so  kann  dies  nicht  befremden,  da 
die  Sitte  der  Etrnsker,  alle  mSgliehen  Handinngen  mit  sol- 
ober Musik  begleiten  zn  lassen,  ansdrücklicb  bezeugt  ist^). 
Der  Scheidende  ist  der  Mann,  den  bereits  sein  berittenes 
Gefolge  erwartet.  Auf  der  rechten  Seiteuwand  sehen  wir 
eine  Frau,  welche  in  Typus  und  Tracht  derartig  an  die  auf 
der  Hockwand  dargestellte  erinnert,  dass  man  geneigt  sein 
wird,  beide  Figuren  für  dieselbe  Person  an  erkl&ren.  Vor 
nnd  hinter  ihr  steht  ein  mit  Himation  nnd  Schuhen  bekld- 
deter  Epbebe,  jeder  ein  Pferd  an  dem  Zügel  haltend.  Beide 
sind  im  Gespräche  mit  der  Frau  begriffen,  wobei  der  eine 
die  Rechte,  der  andere  die  Linke  erhebt.  Der  nächstliegende 
Gedanke  ist,  in  ihnen  zwei  Söhne  zu  erkennen,  die  von 
ihrer  Mutter  Abschied  nehmen.   Die  linke  Seitenwand  eod* 


1)  Sie  wird  biiweÜMi  anok  ils  ,T^ba  nel  umsw  del  Moatsraii* 
bflstiehiMt.  MiesK  storia  Tut  67;  Mos.  Qvegor.  I  100;  Gsnins  Etniris 
marittinM  II  86;  Hittoiff  l'arefaiteetiire  polyehfome  pl.  19  a.  8;  Stsekil* 
barg  and  Kestner  Gfiber     Cöneto  Ttt  XZYm-XZXfU. 

2)  8.  basonders  Alktmoi  bei  Atbea.  XU  p.  518  B:  n^c  miSnip 
*mi  füitt990i  tuA  nvitrt^9V9*  wl  fumtyovw ;  Emtoiih.  bei  Athen.  IT 
p.  154  A.  Vgl.  0.  HOUer  die  Etrasker  (beMrb.  von  Deedn)  II  p.201C 


Digitized  by  Google 


W.  Heibig:,  lieber  den  Fücua  der  alten  Itaiiker.  503 

lieh  zeigt  zwei  Epbebeu,  gleich  gebildet  nnd  gekleidefc,  wie 
die  soeben  erwiilinten ,  beide  ein  Pferd  am  Zügel  führend. 
Sie  stehen  einander  gejj;enüber  in  lebhaftem  Gespriiclie  be- 
griÖeu,  der  eine  mit  der  rechten,  der  andere  mit  der  ÜDken 
Hand  gesticulirend.  Der  eine  hält  in  der  vorgestreckten 
Rechten  ein  reifenartiges  Band ;  der  andere  hat  ein  gleiches 
Band  über  den  erhobenen  linken  Unterann  gezogen.  Nichts 
spricht  dagegen,  in  allen  Figuren,  welche  in  diesem  Grabe 
dargestellt  sind ,  freie  Etrnsker  zu  erkennen.  Wenn 
nichts  desto  weniger  der  Mann  und  die  Epiieben  jeglichen 
Kopfj'chmuckes  entbehren,  so  erklärt  sich  dies  hinlänglich 
daraus,  dass  sie  reisefertig,  also  in  einer  Situation  dargestellt 
sind,  in  der  man  keine  Festtracht  anzulegen  pflegt.  Da  sie 
zn  Pferde  auibrechen,  wflrde  das  reifenartige  Kopfband  bei 
ihnen  ebensowenig  am  Platze  sein,  wie  bei  den  Reitern, 
welche  in  der  Tomba  delle  iserizioni  das  bei  der  Leichen« 
feier  Statt  findende  Wettrennen  vergegenwärtigen.  Um  so 
bezeichnender  ist  es,  dass  der  Maler  den  beiden  auf  der 
linken  Seiteuwand  dargestellten  Epheben  das  Kopfband  in 
die  Hand  gegeben  hat.  Vermuthlich  wollte  er  ausdrücken, 
dass  die  beiden  Jünglinge,  bevor  sie  zn  Pferde  steigen,  das 
Band  von  dem  Haupte  abgenommen  haben.  Er  hat  hier- 
dnreh  einen  indiTidnellen  Zug  in  die  Darstellung  gebracht 
und  zugleich  den  Stand  der  dargestellten  Fignren  in  der 
deutlichsten  Weise  bezeichnet. 

Da  die  schriftliche  und  monumentale  üeberliefernng  in 
Latium  sehr  spät  beginnt,  so  sind  wir  allerdings  ausser 
Stande  bestimmt  zu  beweisen,  dass  der  Pilens  in  Rom  von 
denselben  MotiTcn,  dem  Bande  und  der  Binde,  begleitet  war, 
wie  in  Etmrien.  Doch  dürfte  diese  Annahme  bei  der  Ueber» 
einstimmong,  welche  in  der  Süsseren  CSYÜisation  zwischen 
den  beiden  Völkern  obwaltete,  Ton  Hans  ans  als  wahr- 
scheiulich  betrachtet  werden  und  ist  eine  Spur  vorhanden, 
dass  zum  Miudedteu  eines  der  beiden  genannten  Motive  auch 


Digitized  by  Google 


504    Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  mm  6.  November  1880. 

in  dem  romischen  Kultarkreise  gebränchlich  war.  Wie 
Livios*)  berichtet,  wurde  das  römische  Heer  i.  J.  214  v.  Chr. 
nach  einem  glücklichen  den  Puniern  gelieferten  Treffen  von 
den  Bürgern  von  Benevent  auf  den  Strassen  der  Stadt  ge- 
speist. An  dem  Schmause  nahmen  auch  die  Volones  Theil, 
welche  unmittelbar  nach  der  Schlacht  für  frei  erklärt 
worden  waren.  Sie  trugen  dabei  als  Abzeichen  der  frisch 
erworbenen  Freiheit  entweder  den  Pileus  oder  eine  weisse 
wollene  Binde.  Das  Ereigniss  war  verewigt  durch  ein  Ge- 
mälde, welches  der  glückliche  Feldherr,  Ti.  Gracchus ,  in 
der  Aedes  Libertatis  auf  dem  Aventin  ausführen  liess.  Wenn 
nach  diesem  Berichte  eine  weisse  Wollbinde  den  Pileus  Li- 
bertatis ersetzen  konnte,  so  darf  hieraus  'der  weitere  Schluss 
gezogen  werden,  dass  eine  solche  Binde  ursprünglich  neben 
dem  Pileus  zu  den  Abzeichen  des  freien  Römers  geborte; 
denn  sonst  hätte  sie  niemals  zu  einem  Symbole  der  Manu- 
missio  werden  können.  Freilich  bleibt  es  zweifelhaft,  ob 
dieses  Symbol  in  Zusammenhang  zu  bringen  ist  mit  dem 
Bande ,  welches  auf  den  etruskischen  Grabgemälden  den 
Pileus  in  der  Höhe  des  Scheitels  umgiebt ,  oder  mit  der 
Binde,  die  weiter  unten  über  der  Stirn  angebracht  ist 
Immerhin  ist  es  interessant  genug  zu  wissen,  dass  das  eine 
oder  das  andere  der  beiden  Motive  in  der  vorclassischen 
Epoche  neben  dem  Pileus  das  Haupt  des  freien  Römers 
schmückte. 

üebrigens  hat  die  römische  üeberlieferung  das  Andenken 
bewahrt,  dass  eine  dem  Pileus  entsprechende  Kopfbedeckung 
dereinst  für  die  vornehmen  Etrusker  bezeichnend  war;  denn 
die  lateinischen  Schriftsteller  lassen  den  Tarquinins  Priscus 
bei  seiner  Einfahrt  in  Rom  einen  Apex*)  oder  einen  Pi- 
leus') tragen.    Ja  es  scheint  sogar,    dass  der  Pileus  in 

1)  XXIV  16:  pileati  aot  lana  alba  velatis  capitibos  epolati  sant. 

2)  Cic.  de  legib.  I  1. 

3)  Liviof  I  34. 


W,  HMg:  Ueber  dm  PHew  der  oft«»  lUdOttr, 


505 


Etrarieo  längere  Zeit  seine  alle  Bedentung  bewahrte  als  in 
Lsttnm.    Die  etmskiflclie  Kunst  stattet  nämlioh  auch  in 

ihren  späteren  Stadien  Figuren  der  verschiedensten  Art 
mit  einer  ähulicben  Kopfliodeckung  ans  —  eine  Erscheinung, 
die  besonders  häufig  auf  Spiegeln  und  Urnen  vorkommt 
Die  anf  diesen  Denkmalern  dargestellte  Mütze  onterscheidet 
ach  Ton  dem  Pileos  der  älteren  Bildwerke  bisweilen  nor 
dsdnreh,  dass  sie  etwas  niedriger  und  weniger  steif  ge* 
bildet  ist.  Oefters  dagegen  ähnelt  sie  der  sogenannten 
pbrygischen  Mötze.  Da  sich  jedoch  bei  der  Mehrzahl  der 
Figuren ,  welche  mit  einer  solchen  Kopfbedeckung  versehen 
sind,  die  Beifügung  eines  auf  asiatische  Herkunft  hinweisenden 
Attributes  in  keiner  Weise  erklären  lässt,  so  spricht  alle 
Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  diese  Form  nichts  Anderes 
ist  ab  eine  dorch  den  freien  Stil  Tsranlasste  ümbildang  des 
alten  Pilens  Demnach  wäre  in  solchen  Fällen  der  Name  Pilens 
oder  Tatulus  historisch  richtiger  als  die  von  den  inodernen  Er- 
klärern unterschiedslos  augewendete  Bezeichnung  einer  pbry- 
gischen Mütze.  Eine  ähnliche  Abwandelung  des  alten 
Typns  scheint  anch  in  dem  rdmiscben  Kaltorkreise  Statt 
gefanden  so  haben«  indem  die  Laren,  Gottheiten,  welche 
ans  dem  italischen  Bewnsstsein  hervorgegangen  nnd  Ton 
asiatifichen  Einflüssen  unberührt  sind,  bisweilen  mit  einer 
der  phrygiscben  entsprechenden  Mütze  dargestellt  werden*). 

Wie  dem  aber  anch  sei,  jeden  Falls  hat  sich  der  Pilens 
in  Etmrien  wie  in  Rom  lange  Zeit  in  der  Tracht  der  mit 
dem  Koltns  in  Beziehung  stehenden  Personen  erhalten. 
Piropertins')  schreibt  dem  Vertreter  der  etraskiscben  Frie* 
steraristokratie ,  dem  Lncamo,  einen  Galenis  zn,  alio  die- 
selbe Kopfbedeckung,  welche  die  römischen  Pontifice«  nnd 
Flamines  trugen.  Durch  einen  hohen  spitoen  Pilens  ist  auf 


1)  Z.  B.  Beibig  WsadgsBilde  p.  12  a.  87. 

2)  PMfw  V  1.  29:  PHna  fdvitai  poedt  ptastsria  Ls—sa> 


506    Sitzung  der  pkiloi.'jpiM,  ClasH  wm  6,  November  1880, 

einer  peruginer  Ürue^)  ein  libireuder  Priester  ausgezeichnet. 
Eine  äbuliche  Mütze  hat  ein  eu  face  dargestellter  Kopf  auf 
einer  Serie  etruskiecheu  Schwerkupfers  *) ;  da  auf  dem  Reverse 
die  Instriimeiita  pontificiiUa  dargestellt  und,  so  spricht  alle 
Wahrscheinliehkeit  daffir,  dass  der  ÄTers  das  ufichtigste 
Alnseichen  der  Priesfcertraeht,  den  Pilens,  wiedergiebt.  Ausser- 
dem gehören  hierher  drei  Figuren  der  coruetaner  Grab- 
malerei, welche  mit  der  Anordnung  von  Leiclienspielen  1)»'- 
schäftigt  sind  —  eine  Thätigkeit  von  entschieden  sacraler 
Beziehung.  Eine  dieser  Figuren  ist  in  der  sogenannten  Tomba 
Bajetti  dargestellt') ;  die  anderen  beiden  befinden  sich  in  der 
sogenannten  Tomba  degli  angnri,  wo  jede  durch  eine  beigeftigte 
Inschrift  als  Phersn  bezeichnet  ist^).  Alle  drei  Figuren 
haben  das  Gesicht  bedeckt  mit  einer  bSrtigen  Maske,  die  an  den 
Typus  des  sogenanuteii  Aclieloos  erinnert,  und  tragen  auf  tlcm 
Kopfe  eine  hohe  .steife  spitze  Müt/e  aus  braunem  SloÜ'e,  auf  der 
sich  in  verticaler  Richtung  ein  nach  oben  zu  schmäler  wer- 
dender weisser  Streifen  hinzieht.  An  der  Vorderseite  der 
Mutze  ist  unmittelbar  Über  der  Stirn  eine  Art  von  Diadem 
angebracht»  dessen  Zeichnung  und  Färbung  —  weiss  mit 
leicht  geschwungenen  schwärzlichen  Linien  —  eher  auf 
einen  gesteiften  wollenen  oder  linnenen  Stoff,  als  auf  Metall 
hinweisen.  Ausserdem  ist  die  Mütze  der  in  der  Tomba 
Bajetti  dargestellten  Figur  und  einer  der  Phersu  in  der  Tomba 
degli  auguri  (Fig.  15)  au  der  Spitze  mit  einem  quasten- 
artigen Fudeubüschel  versehen.  Die  gleiche  Eigeuthümlich- 
keit  kehrt  wieder  an  dem  spitzen  Pileus,  den  ein  in  einem 
chiusiner  Grabe  gemalter  Fldtenspieler  tragt  ^)  ^  auch 

1)  Conertabile  dd  DOttnmaiti  di  PerogU  Taf.  ZLIX— LXXV  2. 

2)  Manshi  e  Tenieri  Vub  grave  CL  III  Tat  U. 

8)  üngenau  beschrieben  und  fUseh  anfgefiust  von  Brisio  im  BolL 
d«U*  Inst.  1873  p.  75,  76. 

4)  Bull,  deir  lüst.  1878  p.  185. 

5)  Mon.  deU'  Inst  V  Tat  XVI  n.  iU. 


Digitized  by  Google 


W.  BMff:  Ueb€r  den  PHeua  der  äiten  Itaiüter,  507 

fUete  einA  fiern&klasse,  die  in  engen  Beziehangmi  za  dem 
Knlins  stand  nnd  bei  der  die  Griechen  danernd  die  alter- 
thnmliebe  Tracht,  den  langen  bia  m  den  Funkndcbeln  berab- 

reicheoden  Chiton,  festhielten.  Aogesichts  des  an  der  Spitze 
dieser  Pilei  sichtbaren  Büschels  darf  vielleicht  an  die  Wolle 
erinnert  werden,  welche  au  dem  Apex  der  Flamines  ange- 
bracht war^).  Wie  man  aber  auch  über  diese  Einzelheit 
nrtheilen  mag,  jeden  Falle  sind  wir  dorch  die  bisher  ge- 
wonnenen Resultate  berechtigt,  die  altetraskischen  Bildwerke 
inr  Veranschanlichnng  der  Kopftracht  der  römischen  Priester 
zn  benntsen.  Dorch  ihre  Zoziehnng  wird  fftr  die  Unter- 
snchnng  eine  reichhaltige  momimeutale  Grandlage  und,  wo 
die  Berichte  der  Schriftsteller  einander  widersprechen ,  ein 
Kriterium  gewonnen »  indem  die  Angaben ,  welche  mit  den 
altetruskischen  Typen  übereinstimmen,  selbstverständlich  in 
erster  Linie  za  berücksichtigen  sind.  Wir  beschränken  nns 
anf  die  Flamines,  da  3ber  deren  Tracht  nnd  im  Besonderen 
über  die  des  Flamen  Dialis  die  zahlreichsten  Nachrichten 
TOrliegen. 

Nach  den  ausdriiclclichen  Angaben  des  Varro  und  Ver- 
rins  Fiaccns'),  die  den  Pileas  oder  Tatnlns  der  Flamiues  mit 
einer  Meta  verglMchen,  kann  es  Konaehst  keinem  Zweifel 
nnterliegen,  dass  diese  Kopfbedeckung  nr^rfinglich  eine 


1)  Servias  zu  Aon.  II  683:  »Apex*  proprio  dicitur  in  summo  Fla- 
ininis  pileo  virga  lanata,  boc  est  in  ctüus  oxtremitate  modica  lana  est. 
Derselbe  z.  Aen.  VIII  ü(i4:  Flamines  in  capite  habc>bant  pileom,  in  quo 
erat  brevis  vir^a  Semper  habens  lanae  aliqaid-  Zu  Aen.  X  270:  .  .  .  ' 
Dicitar  autem  apex  virga  qoae  in  aammo  pileom  FlamiDnni  lana  circom- 
data  et  lUo  eolligat«  erat,  ende  etlam  FltmliMt  irocabantor.  Daher  das 
ISpitheton  bei  Viri^l.  Aea.  VIIl  664:  lanigerosque  apicei. 

2)  Varro  L.  L.  VII  §  44:  Tatulati  dicti  ii,  qui  in  hacris  in  ca- 
pitibua  habere  solent  at  metam.  Fcstus  fragm.  1.  XIX  p.  355:  Tutulam 
.  .  •  .  Qaidaro  pileom  lanatam  forma  metali  figaratum,  quo  Flamiaea 
et  Pootiilocs  «täntnrt  eoden  uonlwt  voesri. 


Digitized  by  Google 


508   StUung  der  jplUloa.-pSaol,  Claese  wm  6.  November  18ao. 

hohe  kegelförmige  Mütze  war  ähnlich  der,  welche  in  der 
ältesten  cornetaner  Grabmalerei  Torkommt,  and  dürfen  wir 
nunmehr  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  der  niedrige  heim- 
fbnnige  Pilens,  welchen  der  bei  dem  Opfer  des  Bf.  Aurel 
gegenwärtige  Flamen  Dialis  auf  dem  capitoHnisdien  Belief 
trägt,  nicht  den  nrsprCInglicben  Typus,  sondern  eine  spätere 
Abwandlung  desselben  darstellt.  Wenn  ferner  Dionysias  von 
Halikarnass' ;  als  Attribute  der  Flaminey  die  7ciXoi  und 
die  atififÄUTa  anführt,  so  kann  das  letztere  Wort,  da  es 
sich  nm  eine  uralte  latinische  Institution  bandelt,  nidit 
Kränze,  sondern  nur  Bänder  oder  finden  bezeichnen.  Es 
steht  nämlich  ^t,  dass  der  Gebrauch  Ton  Kränzen  aus 
Blättern  oder  Blumen  in  Griechenland  erst  nach  der  Zeit, 
in  der  die  homerischen  Gedichte  entstanden,  aufkam'*)  und 
dass  er  in  Italien  noch  ungleich  später  Eingang  faud.  Was 
Italien  betrifft,  so  ist  hierfür  die  Betrachtung  der  cornetaner 
Grabgemälde  in  ihrer  chronologischen  Beihenfolge  höchst 
lehrrdch«  KrSnse  finden  sich  hier  zum  ersten  Bfale  auf  den 
Fresken,  welche  einen  sehr  vorgeschrittenen  arehaiachen 
Stil  und  zugleich  eine  erhebliche  Zunahme  des  hellenischen 
Einflusses  bekunden.    Das  älteste  Grab  dieser  Art  ist  die 


1)  Dionys.  Hai.  ant .  rom.  II  G4  (von  Numa):  r^y  6(  Sfi  rtpctr 
(didra^iy)  rois  xcikovixivoif  i<nn  juyy  'EkXijyiUf  arffpij-poootg ,  vno  6( 
'P(o/ua/u/t>  tf'knuiaif.  ovg  tTti  rtj^  (f  om,atujg  xiZy  rtiXojy  re  xai  aief^fAututVi 
u  xac  yvy  i'ii  (fO{Jovai  ifkafia  nuXovyifg,  o'vtu)  7i(joaityoi^iLOvai. 

2)  In  den  homerischen  Gedichten  ist  von  solchen  Kränzen  noch 
nicht  die  Rede.  (Vgl.  Athen.  I  18  E  F;  Schol.  za  II.  XIII  736).  Das 
Wort  atfifttvog  kommt  in  der  Ilias  XIII  7o6  {c!T((payog  rtoXi^tno)  nnd 
das  davon  abgeleitete  Verbum  arKfayduj  11,  V  730,  XI  36,  XV  153, 
XVIII  4b5  uud  Od.  X  195  in  übertragenem  Sinne  vor.  Doch  ist  dabei 
keineswegs  an  einen  Kranz  aus  Laub  oder  iilumen,  sondern  an  ein  me- 
tallenes DiaJi  m  zu  denken,  eine  Bedeutung,  die  das  Wort  noch  in  dem 
Ilymn.  honi.  XXXII  6  (x^vaiov  aiio  atftfdyov)  hat.  tioweit  wir  die 
griechische  Litteratur  kennen ,  findet  sich  die  älteste  Erwähoang  ?oq 
Blomenkränzen  in  den  Kjprien  (Athen.  XV  p.  682  F). 


Digitized  by  GoOglc 


W,  Sdbig:  Ueber  dm  Päem  dar  atten  Ittdiker, 


509 


sogenannte  Tomba  delle  bighe*).  In  den  die  Leichenfeier 
schildernden  MalereIeD,  welche  die  Wände  schmOckeiif  treten 
einige  Jünglinge  mit  liaubkränzen  nm  das  Haar  anf  und 
kommen  ausserdem  mehrere  Franengestalten  vor,  welche 

gleichartige  Kränze  am  die  hohe  Hanbe  gelegt  tragen.  Da- 
gegen kennt  die  ältere  Epoche  nur  Band-  oder  Binden- 
schmnck.  Als  solchen  haben  wir  demnach  auch  die  attfifiata 
des  Dionysius  von  Halikarnass  aufzufassen.  Hierzu  kommt« 
dass  auch  in  lateinischen  Quellen  ein  Apiculum  unter  den 
Attributen  der  Flamines  angefttbrt  und  erkl&rt  wird  als  ma 
Band,  mit  dem  diese  Priester  den  Apex  umgaben*).  Wftre 
dieses  Band  nicht  ein  ständiges  und  hervorstechendes  At- 
tribut der  Flamiues  gewesen  ,  dann  hätte  man  unmöglich 
darauf  verfallen  könuen  Flauen  von  Filameu  d.  i.  Band- 
trager  abzuleiten  und  würde  diese  Etymologie  schwerlich 
Beiüall  gefunden  haben').    Ja  eine  Angabe  weist  sogar 


1)  Micali  storia  Taf.  68;  Mus.  Gregor.  I  104;  Canina  Etraria 
uiarittinia  II  8.">;  Hittorf  rarchitecture  polychrome  pl.  VA  n.  2;  Stackel- 
ber^'  un<l  Kestuer  Gräber  von  Corueto  Taf.  I  XVIII.  Dieses  Grab 
wurde  von  mir  innerhalb  der  Gruppe,  der  e^i  angehört,  za  tief  herab« 
gerückt  (Ann.  dell*  Inst  1863  p.  312 ,  1870  p.  h'S—ß.i)  Doch  habe 
ich  mkh  bti  «itderbolter  Betrachtung  dei  Qemalde  Ubeneugt,  dau 
Bnuin  (Ann.  dcU*  Intt  1860  p.  424  ff.)  Baeht  bat»  w«an  «r  Ci  Tielmalir 
aa  die  SpitM  der  swaten  Periode  ftelli. 

2)  PmI  Diae.  ne,  p*  28:  ApieolaiB  filom,  quo  flaniatf  valataB 
M.pktm  geiunt  Dertelbe  p.  18:  Apa,  qoi  mt  MoefdotoB  iaiigne^ 
dieta»  est  ab  60,  qnod  eonprobaidort  aatiqni  fiaeato  aptro  dkobaati. 
Uade  apiat  ii,  qni  eoBTenieBter  alicoi  ioaetaa  «t  YanwIi.If.ySis 
Flaadaea,  qood  io  Latio  e^ito  velato  ennt  sioiptrt  ac  capai  dactaa 
bahtbaat  fflo,  tuniaet  dietL  bidor.  orig,XyiUI  80^  (Oiaamatia  kt 
ei.  liiadfBuaw  III  p.  610):  Apa  eit  pileam  fotile,  quo  neerdotes  gen- 
Ito  atebantar,  appeDatas  ab  apiendo,  id  est  a  ligaado.  Nam  Tirgala» 
^aae  in  pileo  erat,  connectebatar  filo,  qnod  fiebal  cx  lana  bostiae. 

3  t  Varro  L.  L.  V  84  (a.  die  Torige  Anmerknog).  PaaL  Diac  eu^ 
p.  :  Flamen  Dialis  dietoi,  qnod  filo  assidae  Teletor;  indeqne  appel- 
UXMT  ßtmen,  quasi  filmaea-    Serr.  sn  Aoo.  YIU  664:  Flaanaot  ia 

£l>»0OLLPbiL*plia.bisLCLB4.L4.]  83 


Digitizeü  by  LiOO^le 


510    SUgung  der  phüos.-pkiM,  Cliuu  vom  6,  November  1680. 

darauf  bin,  dass  die  FlamiDes,  wenn  sie  uicbt  in  ToUem 
Ornate  du  i.  mit  Pilens  and  daram  gelegten  Baude  auftraten, 
lediglich  ein  Band  als  Zeichen  ihrer  Würde  um  das  Haapt 
geechlnngen  tragen^),  abgesehen  natürlich  ?on  dem  Flamen 
Dialis,  dem  die  Beibehaltnng  des  Pilens  anf  das  Schärfste 
vorgeschrieben  war.  Diese  Aufjabe  erscheint  um  so  glaub- 
würdiger, da  auch  auf  den  ältesten  cornetaner  (}rahfi;e- 
mälden  Männer  und  Junglinge,  wenn  sie  ohne  Piieus  auf- 
treten, das  Band  allein  als  ehrenvolles  Abzeichen  führen^ 
and  ein  ähnliches  Motiv  ohne  den  Pilens  snr  Bezeichnung 
des  rdmiachen  Libertus  dienen  konnte*).  Ueberhaupt  war 
ja  eia  bandartiger  Schmuck,  der  gewöhnlich  Vitta  genannt 
wird,  ein  nothwendiges  Attribut  jeder  einer  Gottheit  ge- 
weihten Person  oder  Sache  und  scheint  es  somit  undenkbar, 
dass  die  Flainines  eines  solchen  Attributes  entbehrten. 

Fragen  wir  nunmehr,  wo  dieaes  Band  an  dem  auf  dem 
capitolinischen  Belief  abgebildeten  Apex  des  Flamen  Dialis 
an  snchen  sei,  dann  kann  nnr  an  das  reifenartige  Moüt 
gedacht  werden,  welches  den  Ansatz  der  Virga  umgiebt. 

Daun  stimmt  mit  der  bildlichen  Darstellung  die  An- 
gabe des  Isidor*),  dass  die  Virga  vermöge  des  Bandes  be- 
Üestigi  war,  und  ergeben  die  Notizen,  nach  denen  sich  das 


eapite  habebant  pileuin,  in  quo  erat  brevis  virga  Semper  habcD^  lanae 
aliquid.  Quotl  cum  per  aestos  ferre  non  possont,  filo  tantum  capita 
reh^^are  coeperunt.  Nam  nudis  penitua  eos  capitibus  incedore  nefaa 
fuerat.  Unde  a  filo,  quo  utebautur,  flamines  sunt  dicti,  quasi  fila- 
mines.  Verum  festis  diebus  filo  dt-posito  pilea  necosse  erat  accipere, 
quae  sccundura  alios  ad  ostendcndain  saceidotii  eminent iam  sunt  r<'ptrta  . . . 
Derselbe  zu  Aen  X  270  (S.  607  Anm.  1).  Dionj^s.  Hai.  aut  roin.  II 
64  ^S.  508  Anm.  1).   Platarch.  Kuma  7. 

1)  Senr.  sa  Ass.  VIII  664  (s.  die  forbergehende  Anm.)* 

2)  8.  oben  S.  500—503. 
8)  a  oben  Srnte  501 

4)  Orig.  Xyim  80,  5  (S.  509  Aam.  2). 


Digitized  by  Google 


W.  Eäbig:  Utber  de»  POeut  der  äiUn  IteUker. 


511 


BaDcl  an  dem  Apex  be&ndO«  keinen  Widenprnoh;  denn 
das  Wort  Apex  beseiehnet  nrspranglieh  den  stabartigm 
AofiMitK,  welcher  gew5hnlich  Virga  genannt  wird,  nnd  ist 

dann  als  pars  pro  toto  auf  die  ganze  Koptbedeckung  über- 
tragen worden*).  Anderer  Seits  erscheint  die  Structur 
des  genannten  Motives  wie  die  Stelle,  an  welcher  es  ange- 
bracht ist,  ganz  naturgemass,  wenn  wir  annehmen,  dass  es 
sich  entwickelt  hat  ans  emem  Bande  entsprechend  dem, 
welches  anf  den  cometaner  Ghrabgem&lden  den  Pilens  in 
der  Höhe  des  Scheitels  nmgiebt.  Wulstig  nnd  starr  wirkt 
dieses  Band  ganz  ähnlich  wie  das  anf  dem  capitolinischen 
Relief  dargestellte  reifenartige  Motiv.  Und ,  da  sich  das 
Band  an  dem  oberen  Tlieile  des  Pileua  befand ,  so  lag  es 
nahe,  dasselbe,  als  die  Virga  auf  den  Pilens  aufgesetzt  worden 
war,  emporzu rücken  und  um  den  Ansatz  der  Virga  hernm- 
xnlegen.  Hierdurch  wurde  die  letatere  gefestigt  and  in- 
gleich der  Uebeigang  des  Pilens  sn  der  Viiga  in  oiganiieher 
Weise  Termittelt 

Darüber,  dass  der  Virga  genannte  Gegenstand  identisch 
ist  mit  dem  stabartigen  Aufsatz,  den  die  Bildwerke  auf  den 
priesterlicbeu  Pilei  wiedergeben,  kann  nach  den  klaren 
2^agni88en  der  Schriftsteller  kein  Zweifel  obwalten.  Einer 
näheren  Betrachtung  bedarf  nur  die  Angabe  des  Verrius  Flao- 
cus*),  dass  die  Krönung  des  PUeus  des  Flamen  Dialis  in  einer 
Virga  oleagina  bestand.  Wenn  die  modernen  Gelehrten^) 
hierans  schliessen,  dass  an  der  Spitae  dieses  Pileus  ein  Oelzweig 
befestigt  gewesen  sei,  so  spricht  hiergegen  das  capitolinische 


1)  Paul.  Diac.  exc.  p.  18,  23  (S.  .50!)  Anin.  2). 

2)  Serv.  za  Aen.  II  ^fiS,  X  270  (Ö  507  Anm.  1). 

3)  Paul.  Diac.  cxc.  p.  10:  Albogalerus  a  galea  noniinatus.  Est 
enim  pil.'um  capitiH,  quo  Diales  flamint's  ,  id  est  sact-rdotes  Jovia ,  ote- 
bunlur.  Fit'bat  ooim  ux  hostia  alba  Jovi  caesft,  cai  aiügebatur  apex 
Tirgula  oleagina. 

4J  Üo  aacb  Marquardt  Haudb.  IV  p.  272. 

SS* 


Digitized  by  Google 


512    Sitzung  der  phüos.-phüol.  Clas&e  vom  6.  November  1880. 


Relief,  welches  keinen  Zweig,  sondern  deutlich  ein  glattes  stab- 
artiges Motiv  darstellt.  Wollen  wir  daher  nicht  annehmen, 
dass  in  der  Zeit  zwischen  Verrius  Flaccus  und  M.  Aurelius 
eine  Abänderung  des  betreffenden  Attributes  erfolgte,  dann 
muss  jene  Virga  oleagina  fiir  einen  aus  Oelbauinholz  ge- 
schnitzten Stab  erklärt  werden.  Ausserdem  wird  überliefert, 
dass  an  der  Virga  des  Flamen  Dialis  eine  wollene  Flocke 
befestigt  war*).  Sie  ist  vielleicht  in  dem  knopfartigen  Motiv 
zu  erkennen,  in  welches  die  Virga  auf  dem  capitolinischen 
Relief  ausläuft.  Doch  Hegen  die  Virga  und  ihre  Ausstattung 
dem  bestimmten  Zwecke  unserer  Untersuchung  ferner,  da 
dieses  Attribut,  soweit  unsere  Monumentalkenntniss  reicht, 
nicht  zu  der  Ehrentracht  der  freien  Männer  gehörte,  son- 
dern von  Haus  aus  ein  besonderes  Abzeichen  der  Priester  war. 

Ausser  in  Etrurien  und  Latium  ist  der  Gebranch  des 
Pileus  noch  in  ümbrien  nachweisbar.  An  mehreren  Stellen 
dieser  Landschaft  nämlich  finden  sich  urthümliche  Bronze- 
figuren von  Männern ,  welche  nackt  oder  mit  einer  engen 
bis  zur  Mitte  der  Waden  reichenden  Tunica  bekleidet  sind, 
und  von  Frauen,  deren  Tunica  bis  zu  den  Knöcheln  herab- 
reicht*). Weitaus  die  meisten  dieser  Figuren  und  zwaj: 
sowohl  der  männlichen  wie  der  weiblichen  tragen  einen 
steifen  kuppel-  oder  kegelförmigen  Pileus.  Einzelne  Fignren 
dieser  Art  haben  sich  bei  Terni  und  Todi  gefunden.  Be- 
sonders reich  an  ihnen  ist  der  Boden  von  Bettona  und 
Norcia.  Ausserdem  kommen  sie  in  grosser  Menge  auf  der 
höchsten  Spitze  des  Monte  Subasio  (bei  Assisi)  vor.  Sie 
lassen  sich  nach  der  Art  der  Technik  in  zwei  Klassen  theilen: 
die  einen  sind  aus  Bronzeblech  geschnitten  und  dann  in 
der  Regel  mit  der  Feile  übergangen;  Augen,  Brustwarzen 


1)  S«rv.  tn  Äen.  II  688,  VIII  664,  X  270  (S.  507  Anra.  1). 

2)  Ein  ansfuhrlicher  Bericht  über  diese  Figuren  findet  sich  in 
dem  demnächst  erscheinenden  Decemberhefte  des  Bull,  dell*  Inst.  1Ö80. 


1 


Google 


9 


W.  Heibig:  Ueber  den  PäeM»  der  alten  ItaUker.  513 

uud  Nabel  sind  gewöhnlich  durch  eingeritzte  oder  einge- 
presste  Kreise,  der  untere  Band  des  Pileus,  der  innerhalb 
dieser  Klasse  verhältnissmassig  selten  vorkommt,  nnd  der 
Mand  bisweilen  durch  eine  eingeschnittene  Linie  »ngedentet 
Die  andere  Klasse  ist  in  primitiTer  Weise  gegossen,  n&mlich 
▼enn5ge  einer  offenen  Form,  in  der  nnr  die  Vorderseite  des 
Edrpers  ansgedrnckt  war;  nach  VollendttDg  des  Onsses 
wurden  einzelne  Stücke,  deren  Gass  mangelhaft  ausgefallen 
war,  wie  z.  B.  die  Arme,  mit  dem  Hammer  verbessert. 
Der  Pileus  fehlt  innerhalb  dieser  Gattung  nur  aasnahms- 
weise.  Bei  den  ihr  angebörigen  männlichen  Figuren  ist 
das  Gesebleebtsieichen  stets  sehr  stark  herrorgeboben. 
In  beiden  Klassen  haben  die  KOrper  eine  nnnatfirüche  Lftnge 
nnd  sind  die  Hftnde  nnr  sehr  selten,  die  Ffisse  niemals  aus- 
gedrückt ;  vielmehr  enden  die  Beine  in  Spitzen,  welche  ver- 
muthlich  dazu  dienten,  die  Figuren  in  eine  Basis  einzu- 
stecken. Die  Rohheit  der  Typen  und  die  hier  wie  dort 
höchst  primitive  Technik  beweisen,  dass  beide  Gattungen  in 
eine  uralte  Epoche  hinaufreichen.  Das  reichste  Material  an 
ihrer  Kenntniss  findet  sich  in  Pemgia  in  den  Samminngen 
Gnardabassi  nnd  Bellncd.  Besondere  Beachtung  verdient 
ein  der  letzteren  Sammlung  angehöriges  gegossenes  Exemplar, 
das  aus  Bettona  stannnt,  da  hier  an  dem  Pileus  das  den- 
selben in  der  Höbe  des  Scheitels  umgebende  Band  ange- 
deutet ist. 

n.  Der  Pileus  der  Frauen. 

Den  gleichen  Nuten  gewShren  die  etruskisehen  Denk- 
maler hei  einer  üntersuehung  Uber  die  rSmische  Frauen- 
tracht  der  Torclassischen  Epoche.   Auf  den  ältesten  come- 

taner  Grabgemälden  tragen  die  Frauen,  wenn  sie  nieht 
unter  abuormen  Verlüiltnissen,  wie  z.  B.  trauernd,  darge- 
stellt sind,  eine  steife,  unten  eng  an  dem  Schädel  anliegende, 
jedoch  über  denselben  emporragende  üaube,  welche  in  der 


Digitized  by  Google 


514    Sitswng  der  fluloB^'pluM.  CUum  wm  6,  November  1880. 

Hohe  des  Scheitels  von  einem  dicken  reifeii artigen  Bande 
und  über  der  Stirn  toh  eiuer  mehrfach  gefältelten  Zeug- 
binde nmgeben  ist  —  also  eine  Kopftracht,  welche  genau 
der  der  tanzenden  Larse  in  der  Toroba  delle  iaorisioni  ent- 
epricht').  In  einselnen  Fullen  tritt  an  die  Stelle  der  Binde 
ein  ao8  Metall  gearbeitelee  Diadem*).  Ein  kfirzerar  oder 
längerer  Mantel  iet  bald  fiber  die  Hanbe  gesogen  nnd  tot- 
moge  des  genannten  Bandes  daran  befestigt ,  bald  um  den 
Nacken  und  über  die  Schultern  drapirt.  Es  hat  stets  eine 
braune  Farbe,  die  bisweilen  in  das  Röthliche,  bisweilen  in 
das  Gelbliche  hinüberspielt.  (Vgl.  Fig.  17  und  18). 

Eine  ähnliche  Kleidnng  wnrde  in  der  ▼orclassischen 
Epoehe  von  den  römischen  Matronen  getiagen.  Der  Be- 
weis Beet  sich  ftthren  ans  den  Nachrichten , '  welche  vor- 
liegen über  die  Trachten  der  rSmisehen  Braut,  der  Flami- 
nica  und  der  Msiter  familias,  wenn  sie  romano  ritu  opferte  — 
Trachten,  bei  denen  aus  religiö'ser  Scheu  der  ursprüngliche 
Typus  möglichst  festgehalten  wurde.  Am  Ausführlichsten 
berichten  die  Schriftsteller  Ober  das  Kostüm  der  Flamiuica ; 
doch  sind  ihre  Angaben  Öfters  verworren  nnd  bisweilen 
geradesu  widersprechend.  Es  mag  sich  dies  einer  Seite 
daraus  erklftren,  dass  die  Stelle  des  Flamen  Dialis  von  dem 
Jahre  87  bis  11  v.  Chr.'),  also  gerade  in  der  Zeit,  in  der 
sieb  die  tüchtigsten  Forscher  mit  den  römischen  Alter- 
thnmern  beschäftigten ,  unbesetzt  war  und  somit  die  Ge- 
legenheit fehlte,  die  von  Alters  her  überlieferte  Kleidung 
der  Flaminica  durch  eigene  Anschauung  kennen  zn  lernen. 
Anderer  Seite  leaehtet  es  ein,  dass  die  Tomehmen  Römer- 
innen, denen  diese  WOrde  in  der  Epoche  des  hellenisirenden 

1)  «ehe  oImd  8dte  498. 

2)  8o  hei  din  badra  IHonigSBlalteii  is  der  Tomba  dd  Barooe. 
8.  obea  Seite  502  Anm.  1. 

S)  Taeit.  Ana.  III  58,  71.  Sveten.  Dir.  Ang.  81.  OMsiaB  XÜq 
LIV  88. 


Digitized  by  Google 


W.  Hdbig:  Udfer  den  PUew  der  älten  ItaUker.  516 


Geschmackes  zufiel,  eine  enhcbiedene  Antipathie  gegen  die 
altvaterische  und  barocke  Tracht  haben  mnfigten  und  desa- 
halb  gewias  geneigt  waren,  dieselbe  im  claasisehen  Sinne 
abxnftndem.  Jeden  F^lls  lag  es  ihnen  nahe  genng,  als  die 
Tradition  75  Jabre  lang  unterbrochen  gewesen  war  nnd 
Angustus  im  Jahre  11  v.  Chr.  das  altn  Priesterthum  wieder 
herfstellte,  «Mnen  Comproniiss  zwischen  der  voraussichtlich 
halh  yer8choU(>Den  üeberlieferuug  und  dem  eigenen  Stilge- 
fühl zu  treffen. 

Was  snoftchst  die  Anordnung  des  Haares  betrifft,  so 
ifct  es  ansdrflcklich  bexengt,  dass  die  Flammica')  nnd  die 
Bfater  familias')  dasselbe  hoch  anfgethSrmt  trugen  und 
bei  der  letzteren  die  Haannassen  über  dem  Scheitel  zn- 
sammengefasst  waren.  Offenbar  ist  diese  Anordnung  iden- 
tisch mit  den  sex  crines,  welche  für  die  rinnischen 
Bräute')  und  die  Vestaliuneu*)  vorgeschrieben  waren, 
d.  b.  die  Haare  wurden  anf  der  Vorder-  und  auf  der  Rück* 
Seite  des  Kopfes  in  je  drei  Partien  gesondert,  diese  nach 
dem  Scheitel  emporgezogen  nnd  daselbst  gefestigt*).  Eine  , 
derartige  Anordnung  entspricht  der,  welche  wir  bei  den 
anf  den    cornetaner  Wandgemälden  dargestellten  Frauen 


1)  Fettos  fragm.  1.  XiX  p.  :355:  Tiitolon  fecari  aiimt  Flamini- 
caniin  capitis  ornamentom,  qnod  fiat  vitta  parpurca  innexa  crinibu,  et 
extructum  in  altitudinem.  Paul.  Diac.  exc.  p.  354  :  Tutulura  dicebant 
Flaniinicartim  capitis  ornamentuiD  Titta  porpurea  inoexa  crinibna  et  in 
altitU'linoin  exstractom. 

2)  Varru  L.  L.  VII  44:  id  tutulus  appellatos  ab  eo  quod,  inatres 
familia«  crines  convolatos  ad  Terticein  capitis  ^uos  hab^ot  vitta  velatos» 
dicebantur  tatali. 

3)  Uos*bacb  Untersuchuii^'.*n  über  die  röniitebe  Ehe  p.  286  ff. 

4)  Fest  fragm.  1.  XIX  p.  33'.^:  senis  crinibus  nabentee  onMUltOTf 
qnod  is  oroatns  vetastissimoB  fnit .  qaidam  qnod  eoVeetaki  firgiaes  er- 
oentor,  qnania  eaetttatoa  firii  tvii  tpoadeant  naptae  a  ceteris. 

6)  Tertolliaa.  de  Tlrginib.  TeUndis  12:  criaibae  a  fronte  difisfo 
apertam  profeiBtM  mnlieritsteBi« 


Digitized  by  Google 


516    SiUmtg  dtr  phUoirphiM.  CUuu  vom  6,  Navmber  1880. 

unter  der  hoheu  Haube  voraussetzen  müssen.  Auch  ihre 
Haare  waren  über  dem  Scheitel  zusammengefasst ,  wo  die 
Höhlung  der  Haube  den  geeigneten  Raum  darbot;  denn, 
hfttte  sich  der  Haarwulst  an  dem  Hinterkopfe  befanden, 
dann  wurde  der  ümrise  der  Haube  an  dieeer  Stelle  eine 
Schwellntig  zeigen,  was  nirgends  der  Fall  ist. 

Ebenso  spricht  alle  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  ur- 
sprünglich eine  hohe  Haube  zu  der  Tracht  der  Flamin ica 
gehörte.  Eines  der  bezeichnendsten  Attribute  dieser  Prie- 
sterin  war  der  Tutulns.  Verrius  Flaccus*)  erkannte  darin 
einen  hoch  anfgetbfirmten  Eopfschmnck,  welcher  entsteht, 
indem  eine  pnrpnme  Binde  in  die  Haare  hineingeflochten 
wird«  Dagegen  beseichnefc  Yarrof)  den  Tntolns  der  Mater 
familias,  der  selbstverständlich  dem  der  Flaminica  entsprach, 
als  eine  an  dem  Scheitel  zusaramengefasste  und  durch  eine 
Binde  verhüllte  Haartour.  Beide  Stellen  stimmen  darin 
überein,  dass,  um  den  Tutulus  herzustellen,  eine  eigenthüm- 
liehe  Anfthürmung  der  Haare  erforderlich  war,  nämlich 
eben  die,  welche  Ton  mir  mit  der  archaischen  Coiffore  der 
efcmskisclien  Franen  nnd  mit  den  sex  crines  identifioirt 
wnrde.  Hingegen  beweisen  sie  keineswegs»  dass  der  Tntnlns 
lediglich  aus  dieser  Haartonr  bestand.  Vielmehr  bezeugen 
Varro  und  Verrius  Flaccus  ausdrücklich,  dass  dazu  eine 
Binde  gehörte.  Und  zwar  verhüllte  diese  nach  der  An- 
gabe des  ersteren  Gelehrten  die  Haarmassen;  denn  Varro 
schreibt  TÜta  velatos  nicht  cinetos.  Mit  dieser  Auf- 
fassnng  stinunt  die  Notis,  welche  Gellins')  Aber  die  Traeht 

1)  S.  oben  Seite  515  Anm.  1. 

2)  S.  oben  S.  515  Anm.  2.  Die  Ornatrii  a  tutuHs  aaf  der  Inschrift  bei 
Orelli-Henien  62^5  bleibt  unberücksichtigt,  da  die  betreffende  Insclirift 
TOD  Pirro  Ligorio  auf  dem  Steine  gefälscht  ist.  Vgl.  C.  J.  L.  VI  5,  9G6. 

3)  Gellius  X  15,  27:  quod  venenato  operitar  et  quod  in  rica  sur- 
colain  de  arbore  felici  habet  et  quod  scalas,  [nisi]  quao  Graecao  ai»pel- 
lantar,  ascendere  ei  plus  tribus  gradibus  religiosom  est.  Ueber  die 
motbiiiMsUche  Quelle  der  Notii  ?gL  obss  Seite  488  Aom.  3. 


Digitized  by  Google 


W.  HOtng:  Ueber  dm  PiUua  der  aUen  naUker, 


517 


der  Flaminica  mittlieUt  „qaod  yenoiato  operitar'^  Wenn 
in  dem  Oommentar  des  Serrins  zor  Aeneis^  das  Yene- 
natam  f8r  ein  Pallium  erklärt  wird,  so  beruht  diese  An- 
nahme auf  einer  ganz  unhaltbaren  Voraussetzung.  Der 
Grammatiker  huldigt  nämlich  der  fixen  Idee,  Vergil  lasse 
an  der  betreffenden  Stelle  die  Dido  in  der  Tracht  der  Fli^- 
minica  aaftreten,  and  geht  in  der  willkürlichsten  Weise  zn 
Werke,  nm  die  einzelnen  Kleidnngsstficke,  welche  der 
Dichter  der  carthagischen  Königin  anschreibt,  und  die, 
welche  ftlr  die  römische  Priesterin  vorgeschrieben  waren, 
unter  einander  zu  identiticireu.  Wie  sich  im  Weiteren 
herausstellen  wird-),  entsprach  dem  Pallium  in  der  Tracht 
der  Flaminica  vielmehr  die  Rica,  die  von  Gellius  vne  von 
Servius  als  ein  besonderes  und  von  dem  Venenatum  ver- 
schiedenes Attribut  der  Priesterin  angeführt  wird.  Ebenso- 
wenig kann  das  Venenatnm  auf  die  Tnniea  gedeutet 
werden,  da  die  Bildung  des  Wortes  auf  einen  farbigen  Stoff 
schUessen  Iftsst,  wogegen  die  Flaminica  gewiss,  wie  die  Braut 
und  die  Matrona ,  so  lange  sie  an  der  alten  Zucht  fest- 
hielt'), eine  Tunica  aus  weissem  Wollstolfe  trug.  Viel- 
mehr bleibt  nur  die  Annahme  offen,  dass  der  Gewährsmann 
des  Gellius  unter  dorn  Venenatum  einen  farbigen  Stoff  ver- 
stand, welcher  das  Haar  der  Priesterin  bedeckte.  Demnach 
weist  auch  diese  Stelle  darauf  hin,  dass  die  au^ethflrmten 
Haarmassen  verhüllt  waren.    Zwar  giebt  sie  keine  Anf- 


1)  Serv.  zu  Aeo.  17  137:  veteri  ceremoniarnm  iure  pieeceptnm 
est,  nt  FUminia  veiMiMto  operta  tit.  „QgtM*  aatem  cum  dicitor 
pftllinm  significatar. 

2)  S.  weiter  unten  Seite  521-528. 

3)  Festua  fragin  1  XVIII  p.  286.  regillia,  tunicis  albia,  et 
rcticulis  lutei8  utrisquc  rectia ,  textis  susum  versum  a  stantibus,  pridie 
noptiaram  diein  virgincs  indutae  cubitum  ibunt  ominis  causa.  Vgl. 
lio  sbach  Untersuch UDgeD  über  die  röm.  £be  p.  276,  Becker  Gallas  III' 
p.  2üd  ff. 


Digitized  by  Google 


518    SiUuug  der  philoa.-j^ilol,  Clas^e  vom  6.  November  1880. 

klärnng  darSber,  ob  die  Verhnllnng  durch  eine  Haabe 
oder,  der  Angabe  des  Varro  entsprecliend,  durch  eiue  breite 
Binde  bewerkstelligt  wurde.  Doch  lä^st  das  Wort  Tutulus 
deutlich  darauf  schliessen,  dass  anfänglich  der  erstere  Gegen- 
stand zur  Anwendung  kam.  Dieses  Wort  bedeutet  ur- 
sprünglich eine  hohe  steife  Mütze  und  wird  in  diesem  Sione 
Ton  Eonius  zur  Bezeichnung  der  Pilei  der  römischen 
Priester  gebraucht^).  Allerdiugs  gedenkt  keine  der  Be- 
schreibungen, welche  von  dem  weiblichen  Tutulns  vorliegen, 
eines  solchen  Gegeustandes.  Wenn  aber  nichts  desto  weniger 
die  Kopftracbt  der  Flaminica  und  der  Mat^r  familias  Tu- 
tulus genannt  wird,  so  erklärt  sich  dies  in  der  naturge- 
mässesten  Weise  durch  die  Annahme,  dass  ursprunglich  die 
▼on  Altera  her  Tutulus  genannte  Mütze  oder  Hauhe  den  be- 
zeichnendsten Bestandtheil  jener  Kopftracht  ausmachte  und 
sich  dieser  Name  erhielt,  nachdem  die  Hanbe  aufgegeben 
worden  war. 

Die  Haube  wird  eine  ähnliclie  Form  gehabt  liabcn,  wie 
die,  welche  auf  den  ältesten  coruetauer  GrabgemältU  u  dar- 
gestellt ist,  und  somit  nach  dem  in  dem  ersten  Abschnitte 
gewonnenen  Resultate  dem  Pileus  des  freien  Rdmera  ent« 
sprechen  haben*).  Wenn  es  sich  hiermit  herausstellt,  dass 
in  Rom  wie  in  Etrurien  die  männliche  und  die  weibliche 
Kopfbedeckung  im  Wesentlichen  die  gleiche  war,  so  kann 
diese  Erscheinung  keineswegs  befrenulen  Ist  es  doch  aus- 
drücklich bezeugt,  diu«s  in  der  vorchi^sischeu  E})oche  I\(>in»'r 
und  Römerinnen  dasselbe  Gewand,  nämlich  die  Toga  para, 
trugen';. 

1)  Rddü  ral.  «d.  Ysblen  p.  90  (s.  oben  Seit«  488  Anm.  2).  Varra 
Ii.  L.  TU  §  i4  (oben  Seite  507  Anm.  2).    Festw  frigm.  1.  XIX  p. 

855  (oben  Seite  507  Anm.  2). 

2)  8.  oben  Seite  498;  518  ff. 

3)  Nonins  de  genere  veetiment.  s.  ▼.  toga  (p.  540  Merc):  Toga 
aon  solam  ?iri^  sed  etiam  feninae  ntcbuitar  ....  Varro  de  Tita  pop. 


Digitized  by 


W,  Hdhig:  Üd>er  den  PSeua  der  oHen  Ittdüter. 


519 


Das  Aufgeben  der  Haube  wurde  oiTeobar  Teranlastfi 
durch  die  allmählig  freier  werdende  Stilrichtnng,  gegenüber 
der  eine  solche  steife  Kopfbedeckung  eine  entschiedene  Ano- 
malie darstellte.  Nichts  desto  weniger  aber  wurde  ein 
Motiy  festgehalten,  welches  die  Haube  begleitet  hatte,  näm- 
lich die  Binde.  Fassen  wir  die  darauf  bezüglichen  Worte 
des  Varro^)  in  dem  strengsten  Sinne,  dann  scheint  es, 
daf^s  man  die  Binde  zunächst  breit  uro  das  Haupt  herum- 
legte und  auf  diese  Weise  einen  Eopfschmnck  erzielte, 
welcher  zwar  nicht  in  structiver,  wohl  aber  in  stilistischer 
Hinsicht  an  das  ursprüngliche  Motiv,  die  Haube,  erinnerte. 
Als  dann  in  dem  weiteren  Verlaufe  der  Entwickelung  der 
chissische  Geschmack,  der  darauf  ausgeht,  den  natürlichen 
^>chmuck  des  Hauptes,  das  Haar,  zur  Geltung  zu  bringen, 
in  Rom  herrschend  geworden  war,  vertiocht  man  die  Binde 
in  die  Haare,  w.is  zugleich  auf  eine  beträchtliche  Verenger- 
ung des  die  Binde  bildenden  Zengstreifens  schliessen  lasst. 
Diese  Umbildung  liegt  der  Beschreibung  des  jfingsten  Ge- 
lehrten, der  ausfShrlich  Ober  den  weiblichen  Tutulus  be- 
richtet, der  des  Verrius  Placcus'),  zu  Grunde.  Sie  erfolgte 
vielleicht  erst  in  der  augusteischen  Epoche,  als  sich  nach 
fdnfundsiebzi^'jiiliriger  Unterbrechung  zum  ersten  Male  wieder- 
um eine  vornehme  Römerin  als  Flaminica  dem  Volke  zeigen 
musste.  Eine  solche  allmählige  Umbildung  konnte  um  so 
weniger  auffallen,  da  die  Flaminica,  wenn  sie  in  vollem 
Ornate  auftrat*),   die  Braut^)  stets  und  die  Matrone, 


ro.  lib.  I:  Praeterea  quod  in  lecto  togas  ante  habcbant;  ante  enim  olim 
fnit  oommime  f stttawifaiin ,  et  diamam  et  noctamam,  et  mi\liebre  et 
▼irn«.  Tgl.  Serfini  sa  Aes.  I  282. 

1)  8.  oben  Seite  515  Anm.  2. 

2)  8.  oben  8eite  515  Anm.  1. 
8)  8.  weiter  nnten  Seite  528. 

4)  Bossbseh  UntenoebwifeD  ftber  die  iMeehe  Bbe  p.  279  ff. 


Digitized  by  Google 


520    Sitzung  der  philm.-phüol.  Classe  vom  0'.  November  1880, 

wenn  sie  romauo  ritu  opferte'),  eiu  mantelartiges  Kopf- 
tuch trug,  welches  die  das  Haar  unmittelbar  umgebenden 
Motive  verhüllte.  Jeden  Falls  erscheint  der  Vorgang,  wie 
ich  ihn  dargestellt,  vollständig  orgaoisch  und  findet  er  eine 
schlageode  Analogie  darin,  dass  aoch  in  der  etrnskiMhen 
Tracht  der  Filens  allm&hlig  vereohwindet ,  das  Band  da- 
gegen, das  ihn  ursprünglich  ningab,  festgehalten  wird,  wie 
in  der  Thatsache,  dass  bei  der  römischen  Manumissio  eine 
wollene  Binde  ohne  den  Pileus  als  Abzeichen  des  Libertus 
dienen  konnte-). 

üebrigens  ist  vielleicht  eine  Spur  erhalten,  dass  die 
hohe  Haube  ursprünglich  auch  zu  dem  bräutlichen  Ko- 
stüme gehörte.  Die  Bräute  waren  nämlich  nach  der  Angabe 
des  Yerrius  Flaocns')  bekleidet  tunicis  albis  et  reticulis 
luteis  ntrisque  rectis  teztis  susum  versnm  a  stantibus.  Da 
ein  Haarnetz  niclit  gewoben,  sondern  geflochten  wird,  so 
versteht  es  sich,  dass  reticnlum  hier  nicht  diese  in  der 
classischen  Latinität  übliche  Bedeutung  haben  kann.  Ross- 
bach der  dies  richtig  erkannt,  ist  deashalb  geneigt,  in 
jenem  reticulum  das  Kleidungsstück  zu  erkennen,  welches 
sonst  gewöhnlich  Flammenm  genannt  wird.  Da  es  jedoch 
feststeht,  dass  das  Flammeum  ein  mantelartiges  Kopftuch 
war^),  so  erscheint  die  Anwendung  des  Wortes  reticnlum 
auf  eiu  so  verschiedenes  Kleidungsstück  höchst  befreoideud. 
Dagegen  ergiebt  sich  ein  natürlicherer  Vorgang ,  wenn  das 
Wort  auf  den  Gegenstand,  den  die  Griechen  Kekryphalos 
nennen,  also  eine  Haube,  übertragen  ist;  denn  die  Begriffe 
eines  Haarnetaes  und  einer  Haube  sind  einander  näher  vor- 


1)  Yam  L.  L.  y  §  190  (8.  522  Anm.  1),  Neaii»  de  geneie  ys- 
■timent.  p.  541  Hare.  (8.  528  Anm.  3). 

2)  S.  oben  Seite  504. 

3)  Festas  fragm.  l  XVIII  p.  286,  289  (S.  oben  Seite  517  Ania. 

4)  Roäsbach  Unters.  Ob.  d.  r.  Ehe  p.  282  Anm.  86Ö. 

5)  BoMbndi  n.  a.  0.  p.  279  if. 


Digitized  by  Google 


W.  Helbifj:  (Jeher  den  Pileus  der  alten  Italiker. 


521 


waudt  als  die  eioes  Haanietzes  und  eines  mantelartigen 
Kopftuches.  Wenn  ferner  die  Tnnica  recta  richtig  erklärt 
worden  ist  als  eine  nach  archaischer  Weise  enge  und  bausch- 
los herubfalleude  Tunica'j,  so  würde  sich  für  die  mit  dem- 
selben Adjective  bezeichnete  Haube  eine  ähnliche  steife 
Form  ergeben ,  wie  sie  auf  den  etruskischen  Bildwerken 
dargestellt  ist.  Wie  man  aber  auch  hierüber  urtheilen  mag, 
jeden  Falls  wurde  von  der  alten  Tracht  wie  bei  der  Fla- 
minica  so  auch  bei  der  Braut  dauernd  die  Binde,  die  Vitta, 
festgehalten 

Das  Flamraeum  oder  der  Flamraeus  der  Braut  war, 
wie  bereits  augedeutet  wurde,  ein  mantelartiges  Kopftuch, 
welches  das  Gesicht  unbedeckt  liess^).  Es  wird  veranschaulicht 
durch  die  kurzen  Mäntel ,  welche  die  Frauen  auf  altetrus- 
kischen  Bildwerken  bald  über  die  hohe  Haube  gezogen  bald 
über  die  Schultern  geworfen  tragen.  Das  in  das  Röthliche 
oder  Gelbliche  spielende  Braun ,  mit  dem  diese  Mäntel  auf 
den  Wandbildern  gemalt  sind,  stimmt  vollständig  mit  dem 
color  luteus,  welcher  für  das  Flammeum  der  römischen 
Braut  vorgeschrieben  war*).  Das  entsprechende  Kleidung- 
stück in  der  Tracht  der  Flaminica  wurde  gewöhnlich  Rica 
benannt*).  Der  Annahme  des  Granius,  die  Rica  sei  ein 
Band  gewesen,  mit  dem  die  Flaminica  die  Haare  umgab*), 

1)  Rosabach  a.  a.  0.  p.  276,  277. 

2)  Die  Stellen  bei  Rossbach  a.  a.  0.  p.  287.  288. 
S)  Rossbach  a.  a.  0.  p.  279  ff. 

4)  Rossbach  a.  a.  0.  p.  280,  p.  282  ff. 

5)  Festus  frajfm,  1.  XVIII  p.  28'J:  Rica  est  vestimentum  qaadra- 
tum  fimbriatuni  parpareuin  quo  flainiDicae  pro  palliolo  mitrave  Qte- 
bHDtur.  Paul.  Diac  exe.  p.  288:  rica  est  vestimentum  quadratum, 
fiinbriataiT) ,  porpaream,  quo  Flaminlcae  pro  palliolo  utcbantur.  Alii 
dicunt,  quod  ex  lana  ßat  aocitla  alba,  quod  conficiunt  virgines  ingcDuae, 
patrimae  matrimae,  cives  et  inficiatur  coeruleo  colore. 

6)  Festuä  fragm.  1.  XVII  p.  277 :  Ricae  et  ricnlae  vocantor  parva 
riciDia,  ut  palliola  ad  usurn  capitis  facta.  Granius  qaidem  ait  esse 
maliebrd  cingulum  capitis,  quo  pro  vitta  Flaminica  redin.iatar. 


522    SüMwtig  der  |Mw.-jahäol.  Claste  vom  6,  November  1890. 


stehen  gewichtige  Zengnisse  des  Varro^)  uud  Verrius 
Flaccus^)  eutgegen.  Nach  dem  ersiereh  Gelehrten  war  die 
Rica  ein  Kleidongstück,  mit  dem  die  Matree  familiae,  wenn 
sie  romano  rita  opferten,  das  Hanpt  verhfillten,  nach  Vernas 
Flacens  ein  viereckiges,  purpurnes,  mit  Frantsen  besetstes 
Tuch,  welches  die  Flaminica  als  Palliolum  oder  als  Mitra 
gebrauchte.  Hiernach  diente  sie  der  römischen  Priesteriu 
zu  den  gleichen  Zwecken  wie  den  Etruskeriuuen  der  kurze 
Mantel,  der  bald  als  Palliolum  üher  die  Schaltern  gelegt, 
bald  als  Mitra  an  der  hohen  Haube  befestigt  ist.  Wenn 
anch  das  Flammeom  als  Attribut  der  Flaminica  namhaft 
gemacht  wird*) ,  so  ist  hiermit  o&nbar  dasselbe  Eleidong- 
stSck  gemeint,  welches  gewöhnlich  Rica  heisst.  War  näm- 
lich die  letztere,  wie  sich  aus  den  Angaben  des  Varro  und 
Verrius  Flaccns  eigiebt,  ein  Kopftuch,  dann  ist  es  unmög- 
lich, auf  dem  Haupte  der  Flaminica  noch  für  ein  zweites 
gleichartiges  Kleidungstück ,  wie  es  das  Flammeum  sein 
wfirde,  Platz  zu  finden.  Hiermit  stimmt  die  Thatsache,  dass 
Gellins^)  und  Servine*)  bei  der  Anfzählnng  der  Attribute 

1)  V§no  L.  L.  V  §  ISO:  Sie  riea  ab  rito,  qood  romano  ritu  aa- 
eiifieiom  feminae  com  ftdiuit  capita  velaat 

2}  8.  oben  8. 521  Aoib.  5,  Mit  den  Angaben  des  Varro  und  Verriu 
FlaccQS  atimmt  aiieb  Noaioa  de  genere  Testinient.  a.  v.  lica  (p.  589 

Merc). 

3)  Paal.  Diac.  exc.  p.  92:  Flammeo  vestimento  flaminica  Qt«batiir, 

id  est  Diahs  uxor  et  Juvis  sacerdos,  cui  telnin  fuhninis  eodem  erat  CO- 
loro.  Derselbe  p.  89:  Flammeo  amicitur  nubens  ominis  boni  causa 
quod  eo  asäidue  utebator  iUmiuica,  id  est  flamtnis  axor,  cui  non  Uoe- 

bat  facere  Uivoitinm. 

4)  X  15,  27.    S,  oben  S.  516  Ann». 

5)  Zu  Aen  IV  IM:  Praeterea  flaimnicaiii  habere  pruecipitur  sur- 
culum,  ricam,  venenatam,  fibulum.  De  ven«nato  dictum  t^st  (s.  oben 
S.  517  Anm.  1).  Öarculum  vero  est  virga  cx  loalo  punicu  iucuivata, 
qoae  aik  qoaai  coiooa,  et  ima  anmmaqae  inter  ae  coUigatar  Yincalo 
laneo  albo,  quam  in  aacfifidia  certia  regina  in  eapite  habebat,  Flami- 
nica antun  Diilia  onui  aaeiificatione  nti  debebat. 


Digitized  by  G() . 


W.  Melbig:  Uther  den  PUeua  der  alUn  Italiker. 


523 


der  Fliiminica  von  dem  Flaiiiiueura  schweigen.  Der  erstere 
fahrt  au  das  Veuenatam  d.  i.-  deo  farbigen  Stoff,  welcher 
die  anj^ethürmteD  Haarmassen  umgab,  die  Rica  und  das 
Surculnm  de  arbore  felid,  der  letztere  das  Arculum  —  so 
oder  Inaroulum*)  lautete  der  technische  Ausdruck  für  das 
Surcnlom  — ,  die  Rica,  das  Venenatum.  Wenn  er  ausser- 
dem üoch  die  Fibula  auführt,  so  scheint  diese  Zuthat  ver- 
dächtig, da  seine  Interpretation  darauf  ausgeht,  die  Kleid- 
ung der  Dido,  wie  sie  von  Vergil  geschildert  wird,  mit  der 
der  Flaminica  zu  identificiren  und  eine  goldene  Fibula  von 
dem  Dichter  besonders  herrorgehoben  wurd.  Die  schlagendste 
Bestätigung  aber  empfangt  die  Annahme,  dass  die  beiden 
Worte  Synonyme  sind,  dadurch  ,  dass  Varro-)  das  Tuch, 
mit  dem  die  opfernde  Mater  familias  das  Haupt  bedeckt, 
Rica,  Nonias')  dagegen  dasselbe  Kleidungstück  iTiammeus 
benennt 

Das  Snrculum  de  arbore  felici  gehörte  selhstTerstftnd- 
lieh  nicht  m  der  Yorclassischen  Afatronentracht,  sondern 
war  von  Hans  aus  ein  die  Priesteriu  individualisirendes 

Abzeichen.  Wichtig  für  die  Kenntniss  der  Matronentracbt 
ist  jedoch  die  Angabe,  dass  das  Surculum  an  der  Rica  be- 
festigt war*);  denn  sie  beweist,  dass  die  Rica  bei  vollem 
Ornate  über  dem  Tutulus  getragen  wurde,  wie  gewöhnlich 
auf  den  altetruskisdhen  Bildwerken  der  entsprechende  ManteL 
Der  Zweig,  der  nach  einer  allerdings  vereinzelt  dastehenden 
Nachricht  von  einem  Grimatbaume  geuumnieu  werden  musste, 
wurde  kranzartig  heruuigelegt  und  seine  Enden  vermöge 


1)  PaoL  Diso,  eze  p.  IIS:  Inafadnin  virgola  erat  ez  lualo  poaito 
incorfata,  quam  regina  laerificans  io  eapite  gerebat 

2)  L.  L.  V  §  130.   S.  oben  Suite  522  Aiim.  1. 

541  Morc;  flaraweua  veatU  vel  teg- 

meu  quo  capita  inatronae  toguut. 

4)  Qollitts  X  15,  27  (■.  oben  &.  516  Anm.  3). 


Digitized  by  Güüglc 


524    üUzung  der  jihUos-phUol.  Classe  vom  6.  Nooeniber  1680. 

eines  weissen  wollenen  Fadens  zu.sammeuge)>undeii').  Ein 
derartiges  Motiv  tritt  auf  den  etniskisclien  Bildwerken  ver- 
hälinissmässig  spät  auf  und  kommt  innerhalb  der  Nekro- 
pole  von  Tarqninii  erst  in  der  bereits  genannten  Tomba 
delle  bighe  vor*).  Drei  tanzende  Franen,  welche  auf  einer 
der  Seiten  wände  dieses  Grabes  dargestellt  sind,  tragen  Hauben, 
welche  darch  die  etwas  geschmeidigeren  Formen  nnd  die 
geringere  Höhe  einen  vorgeschritteneren  Stil  bekunden,  als 
der  in  den  älteren  Gräbern  ühliehe  Typus,  an  dem  unteren 
Rande  der  Haube  eine  schmale  Binde  und  weiter  oben 
einen  Lorbeer-  oder  Olivenkranz.  Wenn  das  Auftreten 
einer  solchen  Gombination  in  Etrnrien  mit  der  Zunahme 
des  hellenischen  Einflusses  zusammenfallt»  so  spricht  alle 
Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  das  Gleiche  für  Rom  anzu- 
nehmen ist.  Es  scheint  somit,  dass  das  Arcuhnu  oder  In- 
arculum  nachträglich  den  Attributen  der  Flaniinica  beigefügt 
wurde.  Hiermit  stimmt  auch  die  Nachricht,  dass  der  Zweig, 
welchen  diese  Priesterin  um  die  Rica  gelegt  trug,  ein  Gra* 
natzweig  war;  denn  der  Granatbaum  gehört  zu  den  Kultur- 
pflanzen, welche  erst  in  Terhaltnissmassig  später  Epoche  in 
llalien  eingeführt  wui'den^),  und  gewiss  niusste  geraume  Zeit 
verstreichen,  l)is  die  Römer  sich  dazu  entschlossen,  von  ilini 
ein  Attribut  für  eines  ihrer  nationalen  Priesterthümer  zu  eut- 
nelimen.  Zugleich  erklärt  sich  aus  der  Beifügung  des  kranzartig 
umgelegten  Zweiges  die  Thatsache,  dass  bei  den  Beschreib- 
ungen der  Kopftracht  der  Flaminica  nirgends  des  reifenartigen 
Bandes  gedacht  wird,  welches  auf  den  ältesten  cometaner  Grab- 
;;emälden  die  Haube  d.  i.  den  Tutulus  der  Frauen  in  der 
Höhe  des  Scheitels  umgiebt.  Dieses  Band  gehörte  einer 
Seits  zu  den  Standesabzeichen  und  wirkte  anderer  Seits  als 


1)  Serv.  zu  Aen.  IV  137  (s.  oben  Seite  522  Anm.  5j. 

2)  S.  oben  Seite  509  Anni.  1. 

U)  Hehn  Kulturpflauzeu  und  Uuuäthiere  o.  Aull.  p.  208—210. 


Digitized  by  GüOglc 


W.  Udbig:  üeber  den  POctu  der  alUn  Italiktr,  525 

ästhetisches  Motiv,  indem  es  plastische  und  coloristische  Ab- 
wechselung in  den  steifen  Zeugtrichter  der  Haabe  brachte. 
In  beiden  Hinsichten  wurde  es  nmunehr  Ton  dem  Kranze 
abgelöst.  Kranz  mid  reüenartiges  Band  neben  einander 
wflrden  in  jnristiflcher  wie  in  deoomtiTer  Hinddit  einen 
Pleonasmus  dargestellt  haben.  Desshalb  verscbwindet  das 
Band,  als  der  Kranz  auftritt,  wie  es  für  Etrurien  die  Fresken 
der  Tomba  delle  bigbe  bezeagen. 

Der  ümatand,  daas  die  oomplidrte  Eopftraeht,  die  in 
dieeem  Abaebnitte  behandelt  wnrde,  dereinst  der  rdmitchen 
Matrone  vorgeschrieben  war,  bedingt  noch  in  späterer 
Epoche  das  Leben  der  Frauen  in  mannigfacher  Weise. 
Mochten  einzelne  Bestandtheile  der  Tracht  mit  der  Zeit 
aufgegeben  oder  modificirt  werden,  immerhin  erhielt  sich 
die  Anschanong,  dass  es  fttr  die  Matrone  ansehicklich 
8ei|  sich  ansser  dem  Hanse  anders  als  mit  anfgebtin* 
denem  Haare  nnd  bedecktem  Haupte  zn  zeigen.  C.  Snl- 
picius  Gallus  verstiess  seine  Gattin  ,  weil  sie  unbedeckten 
Kopfes  über  die  Strasse  gegangen  war*).  Nur  wenn 
der  Tod  die  normalen  Verhältnisse  aufhob,  entblösste 
die  Frau  das  Haupt  und  trauerte  mit  herabhängendem 
Haare.  Ein  Bestandtheil  der  alten  Eopftiachty  die  Vitta, 
galt  noch  in  der  Kaiseneit,  nachdem  die  weibliche  Kleidung 
die  mannigfachsten  hellenistischen  Einiftsse  erfehren  hatte, 
als  das  Standesabzeichen  der  Matrone*).  Dagegen  war  das 
Tragen  der  Vitta  den  Buhlerinuen  untersagt'}  und  ver- 


1)  Yaler.  Max.  VI  3,  10.  Dieselbe  Geschichte  irtid  in  ganz  lei^ 
drehter  Wdie  foa  Platsrah.  qnaesi  lom.  ZIY  «isildL  Vgl.  Boübech 
TJiitentiebiingfen  fiber  die  rSm.  Ehe  p.  280,  288. 

2)  Üvid.  ais.  am.  I  ol :  Este  proeol  TÜtae  tenacB,  insigne  pudoris. 
Derselbe  remed.  am.  386:  Nil  mihi  cam  ritta:  Thais  in  arte  mea  est. 

:j)  Scrvios  zu  Aen.  VII  403:  Crinales  vittas}  qoae  solarum  maUro- 
naram  erant.   Kam  nieretricibus  non  dabantur. 

[1880. 1.  FhiL-phU.  biaU  GL  Bd.  I.  4.]  34  ' 


Digitized  by  GoOglc 


526    SiUuMg  40r  pkHos-'^hiM.  CUute  vorn  e.  November  1880. 

ordnete  ein  altes  dem  Nnma  zngescliriebenes  Qeaetz^),  dase 
ein  Kebeweib,  welches  sieb  unterfangen  wvlrde  den  Altar 

der  Ehegöttiii,  der  Juno,  zu  berühren,  davor  mit  aufgelöstem 
Haare  ein  weibliches  Schaf  opfern  solle.  Durch  das  aufge- 
löste Haar  wurde  ihre  rechtliche  Stellung  deutlich  be- 
zeichnet, da  die  Matrone  mit  aufgebundenem  Haare  und 
darüber  gelegtem  Eopftucbe  opferte.  Das  vorliegende  Ma- 
terial ist  zn  beecbrankt  nm  zu  benrtbeilen,  in  wie  weit 
Sbnliehe  Vorschriften  in  Etrorien  maa^bend  waren.  Doch 
fisst  es  sieb  beweisen,  dass  die  Bfatrone  anch  hier  bei  der 
Trauer  die  für  ihren  Stand  bezeichueiule  Kopftracht  auflöste. 
Während  nämlich  die  Frauen  innerhalb  des  ältesten  Sta- 
diums der  cometaner  Grabmalerei,  mögen  sie  an  Gastmählern 
Theil  nehmen,  tanzen  oder  mnsiciren,  stets  mit  der  hohen 
Haube,  dem  Bande,  der  Binde  (oder  dem  die  letztere  er- 
setzenden IHademe)  nnd  dem  der  Rica  oder  dem  Flammeom 
entsprechenden  Mantel  dargestellt  sind,  bildet  die  in  der 
sogenannten  Tomba  del  morto')  gemalte  Franengestalt 
eine  Ausnahme  von  dieser  Regel.  Sie  ist  um  den  auf  dem 
Paradebette  ausgestellten  Leichnam  beschäftigt  und  offen- 
bar für  die  Wittwe  des  Todten  zu  erklären.  Wie  die  rö- 
mische Matrone  trauert  auch  sie  unbedeckten  Kopfes,  und 
mit  aufgelösten  Haaren. 

Durch  die  gewonnenen  Resultate  ist  das  Bild,  welches 
wir  uns  von  den  römischen  Borgern  und  ihren  Frauen 
während  der  vorclassischen  Epoche  zu  machen  haben,  um 
einen  charakteristischen  Zug  bereichert.  Wir  haben  uns 
die  Strassen  der  Stadt  bei  festlichen  Gelegenheiten  belebt 
zu  denken  mit  Gestalten,  wie  sie  auf  den  Wänden  der 


1)  Gellius  IV  3:  Pelex  aram  JuDonis  ne  tangito;  si  tangit,  Ja- 
noni  criDibufl  demissis  agnuin  femiuam  caedito.  Paul.  Diac.  ezc  p.  222 
s.  T.  pflllicss. 

2)  8.  obMi  Seite  498  Anm.  1. 


Digitized  by  Googl 


W.  Mäbig:  Utber  den  PUeua  der  €UUn  ItalOcer,  527 

ältesten  bemalten  Gräber  von  Tarquiuii  dargestellt  sind. 
Die  Frauen  schreiten  einher,  das  Haupt  bedeckt  mit  dem 
hohen  bunten  Tutulos,  dessen  Kegel  in  der  Mitte  durch 
em  dickes  reifenartiges  Band  dorchsohuitteii  und  anten 
durch  die  um  die  Stirn  gelegte  weisse  Wollbinde  abge- 
schlossen wird;  ein  roth-  oder  gelbbrauner  Mantel  ist  ent- 
weder an  dem  Tutulus  befestigt  oder  um  die  Schultern  dra- 
pirt.  Die  Männer  tragen  einen  hohen  steifen  Pileus,  welcher 
in  der  Form  und  den  ihn  b^leitendeu  Motiven  dem  Tutulus 
der  Fraueb  entspricht. 

Das  Bild,  welches  hierbei  vor  die  Phantasie  tritt,  ist 
80  barock  und  unclassisch,  dass  man  sich  nnwillkflrlich  die 
Frage  vorlegt,  ob  jene  Eopftracht  in  Italien  entstanden 
und  nicht  vielmehr  mittelbar  oder  unmittelbar  aus  Asien 
dorthin  eingeführt  ist.  In  dem  folgenden  Abschnitte  wird 
der  Beweis  geliefert  werden,  dass  die  letztere  Annahme  das 
nichtige  trifft. 

III.  Ueber  die  Herkunft  des  Pileus. 

Eine  hohe  steife  Mfltze,  die  dem  altitalischen  Pileus 
entspricht,  lasst  sich  im  Alterthume  'bei  beinahe  allen  Völ- 
kern Vorderasiens  nachweisen  und  mancherlei  Ausläufer 

dieser  Tracht  haben  sich  in  dem  Orient  bis  auf  den  heu- 
tigen Tag  erhalten.  Doch  könnte  diese  üebereinstimmnng, 
wenn  sie  sich  lediglich  auf  den  Typus  der  Mütze  beschränkte, 
zufällig  sein  and  würde  sie  nicht  dazu  berechtigen,  die  alt- 
italische  Kopfbedeckung  mittelbar  oder  unmittelbar  ans  dem 
Morgenlande  abauleiten.  Anders  dagegen  wird  das  Drtbeil 
aus&llen,  wenn  es  sich  herausstellt,  dass  sich  die  Ueberein- 
stimmung  auf  das  Gkuixe  der  Kopftracht  erstreckt,  wenn  auch 
alle  einzelnen  Zuthateu,  die  den  altitalischen  Pileus  zu  be- 
gleiten pflegen ,  in  Vorderasien  nachweisbar  sind.  Es  ge- 
nügt, einige  besonders  schlagende  Berührungspunkte  hervor- 
auheben.    Der  jüdische  Hohepriester   trug  eine  Haube, 

84« 


Digitized  by  Google 


528    Sitzmig  der  lyhüm.-phüd.  Clcme  vom  6.  Novewher  1880, 

welcbe  nach  allen  Analogien  des  aaiaüecben  Stiles  kq  schlieesen 

gewiss  hoch  und  steif  war  wie  der  altitalische  Pileus,  an 
der  Vorderseite  derselben  ein  goldenes  Stirnblatt  und  eine 
pnrpurblaue  Schnur,  welche  an  dem  letzteren  befestigt  and 
nm  die  Haube  geschlungen  war*).  Demnach  bestand 
seine  Kopftracht  ans  den  gleichen  Motiven,  wie  die  der  drei 
Komasten  in  der  cometaner  Tomba  delle  iscririoni')  nnd 
nnterschied  sie  sich  Ton  ihr  nnr  dadnreh,  dass  der  Stirn- 
schmuck  aus  Gold  gearbeitet  war,  wogegen  das  Grabgemälde 
eine  Zeugbinde  wiedergiebt.  Doch  wurde  bereits  darauf 
hingewiesen'),  dass  bisweilen  auch  in  Etrurien  ein  me- 
tallenes Diadem  an  die  Stelle  der  Zeugbinde  trat.  Wie 
sieh  in  dem  alten  Orient  die  Tracht  der  beiden  Geschlechter 
tlberhanpt  wenig  zu  nnterscheiden  pflegte,  wurde  eine  hohe 
Hanbe  anch  yon  den  jüdischen  Franen  getragen  —  eine 
Thatsache ,  welche  an  den  Tutulus  der  etruskiscben  und 
römischen  Matronen  erinnert.  Das  Haupt  der  Weisheit  ist 
nach  Jesas  Sirach^)  mit  einem  goldenen  Stirnblatte  nnd 
einer  pnrpnmen  Hanbe  geschmückt.  Eine  entsprechende 
Gombination  kehrt  nnendlich  oft  anf  etmskischen  Bildwerken 
wieder^)  (ygl.  Fig.  13,  19).  Wie  in  dem  alten  Etrnrien  und 
Latium  gehörte  die  Hanbe  in  Jerasalem  zu  den  noth wen- 
digen Bestandtheilen  einer  vollständigen  Toilette.  Judith 

1)  Exod.  XXVIII  36,  'M-  XXIX  6;  XXXIX  28,  SO,  31.  Did 
übrigen  Priester  trugeo  our  die  Haube  XXVIU  40;  XXIX  9.  LeTit 

ym  13. 

2)  Vgl.  oben  Seite  498  Anra.  2. 

3)  Oben  Seite  514. 

4)  VI  30. 

5)  Z.  B.  Micali  mon.  ined.  Taf.  XI  4,  XVIII  1,  6,  8,  9;  Gona- 
dini  di  vn*  antiea  necropoli  %  MamboUo  tav.  U  n.  1— 4>  Taf.  12 
n.  1,  2,  4;  Gerbard  gM.  akad.  AUtandlangen  Taf.  XXIX  4,  XXX?I  6. 
Du  filtcste  Beispiel  ibidet  fieh  an  einem  Idole  anf  einer  easnUMr 
Thonplatte  (Hon.  dell*  Inst.  VI  Taf.  XXX,  de  Longp^rier  Uaafe  Napo- 
Unm  ni  pl.  LXXXIII,  wiedergegeben  dnreh  anteie  Fig.  18). 


Digitized  by  Goügli 


W,  Heibig:  Ueber  den  Pilem  der  alten  ItaXiket. 


52U 


legt  sie  an,  als  sie  deu  Holoferaes  bezaubern  will').  Der 
Haube  gedenkt  im  Besouderen  Jesaiae'),  wo  er  die  Ueppig- 
keit  der  Töchter  Zions  geiseli. 

Da  das  Kostdmwesen  der  alten  Hebräer  in  der 
Yielaeitigsten  Weise  dnrch  die  benachbarten  phönikischen 
Stftdte  beeinflnsst  wurde ,  so  spricht  von  Hrhs  ans 
alle  Wahrscheiulichkeit  dafür,  dass  analoge  Kopfbedeck- 
nngen  auch  bei  deu  Plümikieru  üblich  wareu.  Und 
in  dar  That  sind  mit  einer  hohen  steifen  Mütze  öfters 
altkjprische  Portraitfignren  ansgestattet ,  welche,  indem  sie 
Elemente  Sgyptischen  nnd  assyrischen  BUles  durcheinander 
mischen,  die  Eigenthflmlichkeiten  phönikischer  Kunstweise 
cur  Schau  tragen 

Ferner  gehöreu  hierher  zwei  auf  Kypros  gefundene 
Silberschalen,  welche  allseitig  als  phöuikische  Produkte  an- 
erkannt sind.  Auf  dem  äussersteu  Streifen  des  einen  Exem- 
plares*)  ist  die  Belagerung  einer  Stadt  dargestellt  nnd 
trägt  ein  Theil  sowohl  der  gegen  die  Mauern  YorrQckenden 
Krieger  wie  der  Belagerten  die  hohe  Mütze.  Dieselbe  ist 
auf  dem  folgenden  Streifen  zwei  nm  den  heiligen  Baum 
gruppirten  bärtigen  Männern  gegeben,  hier  jedoch  au  dem 
unteren  Rande  mit  einer  Binde  umwunden  (Fig.  6).  Auf 
der  anderen  Schale^)  erscheint  der  in  der  Mitte  darge- 

1)  Judith  X  8. 

2)  Jesaias  III  20,  23 

3)  Z.  B.  Cosnola- Stern  Cypern  Taf.  XXVII,  XXVIII,  XXX  5, 
XL  1.  Eine  ihnlicho  Kopfbedeckung  koamt  aaoh,  bei  primitiTen  Tbon- 
figaren  fon  Kneifern  nnd  Reitern  vor,  die  sich  aaf  Kjpros  gefunden 
Cesnola-Stern  Taf.  XXXVII  2,  1,  XXXIX  24,  p.  125  vgl.  p.  82;  Ga- 
zette arch('ologiqu('  T^78  p.  108,  101)},  forner  auf  zwei  Sarlcophat,'en 
(Cesnola-Stern  Taf.  XVIII,  XLIV) ,  einem  Kelief  (Cesnola-Stern  Taf. 
XCVI  3)  und  auf  einem  Skaraboide  (Cesnola-Stern  Taf.  LXXIX  8,  Ga- 
lette  archeologiqne  1><7S  p  107)  derselben  Provenienz. 

4)  Roviie  archeolo^ique  XXXI  (1876)  pl.  I,  Cesnola-Stern  Taf.  LI. 

5)  ReT.  arch.  XXXÜI  (1877)  pl.  I,  CesnoU-Stern  Taf.  LXVI  1. 


Digitized  by  Google 


580   Sitgfutg  der  phäoa.-pkäol.  Claase  vom  6.  Novemher  JßdO. 

stellte  geflügelte  Löwentödter  mit  der  hohen  Mütze  ausge- 
stattet (Fig.  7)*    Aehnlich  wird  man  sich  die  Mitrae  der 
kypnschtm  Basileis  sa  denken  haben,  welche  unter  Xerzes  die 
Gontingente  der  Insel  gegen  Hellas  fahrten').    Dass  aaeh 
die  phönikisehen  Frauen  eine  entsprechende  Eopfbedecknng 
trugen  ,  darf  schon  daraus  geschlossen  werden ,  dass  eine 
hohe  Haube  zu  den  Attributen  der  kyprischen  Aphrodite 
gehörte^).     Dieselbe  Annahme   ergiebt  sich  mit  grosster 
Wahrscheinlichkeit  ans  einem  Relief  von  Enjnndschik*). 
Es  ist  daranf  dargestellt,  wie  die  Bewokner  einer  am  Meere 
gelegenen  Stadt,  die  anf  der  Landseite  von  den  Assyrern 
belagert  wird ,  zu  Schifife  das  Weite  suchen ,  und  die  Ver- 
muthung,  dass  die  Handlung  an   der  phönikisehen  Küste 
zu   suchen   sei,  hat  allgemeinen   Beiiall  gefunden.  Die 
Kopftracht  der  auf  die  Schiffe  geflüchteten  Frauen  zeigt  eine 
auffällige  Aehnlichkeit  mit  der,  welche  die  auf  den  älteste 
cornetaner  Grabgemälden  dargestellten  Etruskerinnen  tragen: 
eine  hohe  steife  Haube,  die  Ton  mehreren  horiaontalen 
Streifen,,   seien   es   Borten,   seien   es   Bändern,  durch- 
schnitten ist  und  über  der  Haube  ein  mantelartiges  Kopf- 
tuch (Fig.  8).  Endlich  kehrt  die  hohe  steife  Mütze  auf  zwei 
den  erwähnten  kyprischen  entsprechenden  Silberschalen  wieder, 
die  in  Italien,  die  eine  bei  Salemo*),  die  andere  bei  Pa- 
lestrina*)  (Fig.  9),  gefunden  wurden.    Der  Ton  mir  Tsr- 

1)  Herodot.  Yll  90:  t«c  fU¥  xt^pMs  cA//«^  f^^ft'*  ^  ß^*" 

2)  GeBools-Stflni  Qjrpera  Tsf.  XII,  Li^aid  leehereliii  tnr  le  eotte 
de  y«niis  pl.  XX,  Chuic  moste  de  acnlpt.  lY  pl.  500  B  d.  1283  A,  Ph- 
daudi  mon.  pelopon.  II  p.  190.   Dieses  Attribut  kommt  ueh  noch  bei 

Darstellangen  der  Odttin  tos  griechisch- r(")iTiisch er  Epoche  TOr:  Ansttl 
die  Gold-  und  Silbennoniunente  in  Wien  Taf.  S  VII  90. 

3)  Lajard  the  moninnents  of  Nineveh  pl.  71 ;  Lajard  Nini?eh  and 
seine  üeberrcste  (deutsch  von  Meissner)  Fig.  65a,  67.   Vgl.  p.  384. 

4)  Mon.  dcirinst.  Villi  Taf.  XLIIU  1. 

5)  Mon.  deir  Inst.  X  Taf.  XXXI  1. 


Digitized  by  Google 


TT.  HObig:  üeber  den  Püeus  der  alten  ItaKker.  531 

snelite  Nachweis,  dass  diese  Schalen  und  überhaupt  die 
ihnen  verwandtoD  Indnetrieprodakte  italischer  Provenienz 
aas  Fabriken  der  westlichen  PhSnikier  d.  L  ans  Karthago 
oder  seinen  Kolonien  stammen,  hat  neuerdings  mannigfache 

Bestätigung  erfahren^).  Demnach  spricht  alle  Wahr- 
scheinlichkeit dafür ,  dass  eine  dem  Pileus  entsprechende 
Mütze  auch  von  den  Karthagern  getragen  wurde. 

Auf  assyrischen  DenkmiUern  erscheint  die  steife  kegeU 
förmige  Matze  als  eine  weit  verbreitete  Kopftracbt.  Wenn 
sie  gewöhnlich  an  dem  unteren  Rande  von  mehreren  Streifen 

umgeben  ist')  (Fig-  '-).  so  lässt  sich  diese  Erscheinung  am 
Besten  daraus  erklären ,  dass  ein  strnctives  Element ,  wel- 
ches ursprünglich  au  jener  Stelle  augebracht  war,  sei  es 
eine  Binde,  sei  es  ein  Diadem,  in  ein  omamentales  ver- 
wandelt wurde.  Ans  einer  solchen  Mfitze  hat  sich  anch  die 
Kopfbnusht  der  assyrischen  Könige  entwickelt.  Der  Zeag- 
trichter  wurde  nnweit  des  oberen  Endes  in  das  hohle  Innere 
hineingedrückt,  so  dass  die  Spitze  über  den  Rand  der  Ein- 
senkung  hervorragte.  Auf  den  älteren  Denkmälern,  den  in 
dem  Nordwestpalaste  von  Nimrud  gefundenen,  ist  die  der- 
artig gestaltete  Mutze  von  einem  offenbar  metallenen  Dia- 
deme umgeben,  von  welchem  zwm  lange  Bander  über  den 
Nacken  herabiallen')  (Fig.  3).  Da  das  Diadem  von  dem 
Könige  bisweilen  allein  d.  h.  ohne  die  Mütze  getragen 


1)  Ann.  dftU*  Inst.  1876  p.  215  ft;  1879  p.  6  C  Besondsn 
wieht^  Ist  es»  dass  Bsnsn  io  dar  Gasotte  srebMogiqae  1877  p.  18  in 
der  phfoiUsefaen  Insehrift,  wekie  anf  einer  der  bei  Pslestrina  geftin- 
deneo  Sebalen  (Hon.  deiriost.  X  T^f.  XXXa  1,  UsGas.  arefa.  1877 
pL  V)  eingravirt  ist,  eine  kartbagisebe  EigeDtbfimlichkeit  erkannt  bat 

2)  Z.  B.  Layatd  tbe  monaments  of  Ninereh  pl.  10,  11 ,  13,  14, 
16 — 24,  26,  28  u.  s.  w.  Layard  Niniveh  und  seine  Ueberreste  (Deatseb 
ven  Meissner)  Fig.  11,  16,  19,  21,  48—51,  54,  57  n.  8.  w. 

3)  Z.  B.  Lajard  tbe  mon.  ef  NineTeh  pL  5*  15,  34,  82;  Lajrard- 
lleissDer  Fig.  14,  42a. 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


582    SUeung  der  phiih8.-ph£M.  Classe  vom  6.  November  18S0. 

wird^)  (Fig.  4),  so  etgiebt  sich,  dass  dasselbe  ein  beson* 
deres  und  tod  der  Mütce  nnabhüngigee  Schmnckstflck  wwr. 
Anderer  Seite  lassen  die  von  dem  Diadem  herabfallenden 
Bftnder  deutlich  erkennen,  dass  dieser  Eopfsebmnek  ans 

einer  Zengbinde  entstauden  ist.  Der  das  Haupt  umgebende 
Zeugatreifen  wurde  in  die  Metallotechnik  übertragen,  da- 
gegen in  den  an  dem  Metallstreifen  angebrachten  Bändern 
das  ursprüngliche  Motiv  festgehalten*).  Anf  den  jüngeren 
assyrisehen  Bildwerken  verschwindet  diese  Reminieoens  der 
Binde  nnd  erscheint  die  Mütze  des  Königs  von  einem 
bänderlosen  Diadem  umgeben*)  (Fig.  5).  Wenn  femer 
der  ältere  Typus  der  assyrischen  Königsmütze  an  dem 
oberen  Rande,  der  jüngere  an  derselben  Stelle  und  in  der 
Mitte  mit  einem  Ornamentstreifen  geschmückt  ist,  so  er- 
innern diese  Motive  an  das  reüenartige  Band,  welches  den 
etmskischen  Pilens  in  der  Hübe  des  Scheitels  nmgiebt 
Noch  näher  steht  der  italischen  Kopftracht  in  dieser  Hin- 
sicht die  Tiara  oder  Kidaris  der  Perserköuige ,  eine  steife 
kegelföraiige  Mütze,  um  die  eine  blau  und  weisse  Binde 
geschlungen  war^). 


1)  Lajard  pL  81,  Layurd^MeiMner  Fig.  18. 

2)  Der  Uebergang  von  der  Binde  sa  dem  Diadame  Hast  sich  auch 
vortrefflich  veranschaalicben  darch  den  Schmuck  des  von  Layard  pL  92 
abgebildeten  Kopfee.  Der  hintere  Tbeil  des  Schmuckes  besteht  aus 
einer  gewundenen  Binde.  In  der  Gegend  des  Ohn  s  geht  diese  Binde 
aber  in  einen  Streifen,  auf  welchen  drei  otfenbar  metallene  Roeettea 
■nfgesetit  sind. 

3)  Lnjard  pL  72,  77,  80;  Layard-Meiinier^ig.  19,  42b. 

4)  üeber  die  nnprftnglich  Tenehiedene  Bedentnng  ?nn  Tiita  nnd 
Eidatia  Tgl.  Charles  Lenoimant  in  den  Ann.  dell*  Inst.  1847  p.  374, 
wo  auch  die  Angaben  der  Schriftsteller  und  die  damals  zugänglichen 

bildlichen  Darstellungen  der  Kopftracht  des  Grosskönigs  bebandelt  sind 
(p.  375  ff).  Besonders  wichtige  Stellen:  Aeschyl.  Fers.  661;  Aristoph. 
»T.  486;  Xenoph.  anab  H  6;  Arriaa.  anab.  III  25,  3;  ¥1  29,  3;  Se- 


Digitized  by  Goüg 


I 


W,  HMg:  den  POeus  der  alten  lUüiker.  533 

Die  Annahme,  daas  aacb  die  Mutze,  welche  wir  als  die 

phrygische  an  bezeiehnen  pflegen,  allmShlig  aas  dem  alten 

gesteiften  Typns  entstanden  ist,  wird  in  diesem  Zusammen- 
hange kaum  mehr  zweifelhaft  scheinen.  Besonders  beachteus- 
werth  unter  den  bildlichen  Darstellungen  dieser  Art  ist  die 
Mütze,  welche  König  Midas  auf  Münzen  von  Prjmnessos 
trigt^)  (Fig.  10).  Aehnlich  wie  der  etruskische  Fileos 
ist  sie  oberhalb  des  Scheitels  mit  ttuem  GefUge  Ton  Bändern 
umgeben,  wogegen  ein  an  dem  unteren  Ende  sichtbares 
reifenartiges  Motiv  ein  schnmles  metallenes  Diadem  auszu- 
drücken seheint.  Schliesslich  spi  hier  noch  die  iiiteste  bild- 
liche Darstellung,  welche  von  der  alten  asiatischen  Kopf- 
tracht vorliegt,  erwähnt.  Es  ist  dies  die  hohe  steife  Mütze, 
welche  die  Tnrischa  auf  den  Reliefs  von  Medinet- Abu  tragen 


Bsca  de  benef.  VI  31.  Die  Binde  ist  bsMQgt  von  Cartiu  de  g«st  Alei. 
III  3,  19  (ddarim  PeiBae  vocabant  re^inm  capitis  insi^ne:  hoc  caerulea 
lucia  albo  disiiiKta  circQinibatj  aud  Xenophon  Cyrop.  YIIl  3,13  (f^^x* 
Sf  xcei  dtu6i}fia  TttQi  iTj  rid^jit).  Auf  dem  persischen  Reiclmg^de  (Mion- 
net  deacr.  VII  pl.  XXXVI  1 ;  Curtius  die  knieenden  Figarcn  der  alt- 
l^'ech.  Knnst  Flg.  1,  10;  Head  the  coinage  of  Lydia  and  Persia  pl.  I 
14 — 29  un'l  die  folg^enden  Tafeln)  ähnelt  die  Mütze  der  der  assyriecben 
Könige,  ist  aber  oben  ausgezackt  Dareios  des  Hyataapcs  Sohn  scheint 
anf  dem  Relief  von  Reliistan  eine  niedrige  Mütze,  die  von  einem  breiten 
Diadt  ni  umgeben  ist  iFlan  lin  et  Coate  voyage  en  Perse  Vol.  I  pl.  18; 
Sclinaasc  Gesch.  d.  bildenden  Künste  I*  p.  208  Fig.  A'I)  zu  tragen. 
Die  griechischen  Vasennialer  behandeln  das  königliche  .Abzeiclien  selbst- 
verstäudlich  in  sehr  freier  Weise,  so  auch  der  Künstler  der  Dareiosvase 
(Mon.  deir  Inst,  VIIIJ  Taf.  L  — LII).  Auf  dem  pompeianischeo  Mosaik 
mit  der  Aleianderschlacht  (Denkra.  d.  a.  K.  I  Taf.  LV  273)  bat  die 
Motze,  entsprechend  d«D  Angaben  der  Sobriftateller.  die  Form  eioea 
breiten  aufreebt  itelieDden  Kegels»  bt  aber  tod  einfm  seblelefartigca 
Tuche  umgeben ,  weichet  die  onmittelbtr  so  der  Mfttn  angebruhteii 
M otiTe  Terblkllt 

1)  Mionnet  dcscription  IV  p.  357  d.  U22,  Ann.  dell'  Inat.  1847 
Tav.  d'agg.  ü  ö. 


Digitized  by  Google 


634   SiUwng  der  phOoBrphiM.  CUme  vom  ß,  Nwember  IdSO. 

(Fig.  l)  —  Denkmalern,  die  nnter  Ramses  III,  also  im  13.  Jahr- 
hundert V.  Chr.,  auspfeführt  siud^). 

Es  wäre  noch  zu  erörtern,  ob  jene  Kopfbedeckung  auf 
asiatischem  Boden  entstanden  oder  ans  einem  älteren  Kul- 
torlande,  nämlich  ans  Aegypten,  wo  die  weisse  oder  ober- 
agyptische  Krone  (Hezet)  eine  ganz  ahnliche  Form  hatte, 
dorthin  eingeführt  ist.  Doch  wird  hiervon  hesser  Abstand 
genommen,  da  eine  derartige  Untersuchung  eng  zusammen- 
hängt mit  der  sehr  schwierigen  Frage,  in  wieweit  die  Kultur 
des  Nilthaies  den  Beginn  der  Civilisation ,  welche  sich  in 
'dem  Gebiete  des  Enpbrat  nnd  Tigris  entwickelte,  beeinflusst 
hat  —  oner  Frage,  bei  der  wir  Tor  der  Hand  mehr  auf 
Ahnungen  als  anf  wissenschaftlidie  Beweisfiihnuig  ange- 
wiesen sind. 

Untersucbeu  wir  nunmehr,  ob  und  wann  die  altasia- 
tische Kopftracht  in  Griechenland  Eingang  fand ,  so  sind 
zunächst  einige  Denkmaler  auszuschliessen,  die  zu  fiadsoheii 
Schlüssen  Veranlassung  geben  könnten.  Dies  gilt  von  einem 
bärtigen  Kopfe  ans  Elfenbein  oder  Knochen,  der  in  einem 
nralten  Grabe  bei  Spata  in  Attika*),  nnd  Ton  einem  ge> 
schnitienen  Stmne,  einem  Karneol,  der  in  den  Schliemann- 
schen  Ausgrabungen  auf  dem  Burghügel  von  Mykenae  ge- 
funden wurde*).  Der  Kopf  ist  mit  einer  hohen  kegel- 
förmigen Mütze  bekleidet,  um  die  in  gleichmässigen  Ent- 
femnngen  vier  horizontale  Bander  geschlungen  sind.  Anf 
dem  Steine  von  Mykenae  ist  eine  Kftmpfergmppe  eioge- 


1)  Vgl.  Chabas  etades  sur  Tantiquit«^  historiqnc  2.  ed.  p.  295, 
297;  Gazette  archeol  187><  p.  100.  Die  Turiscba  sind  ein  asiatisches 
Volk :  Bragsch  Geschichte  Aegyptens  p  577  ff. 

2)  BoUetin  de  correspondance  helleniqae  II  pl.  18,  2. 

8)  Die  AbMldang  bei  Schliemann  Myteaie  p.  238  Flg.  318  ist 
gmns  UDgenaa  und  läast  xl  a.  die  spitze  Mtttie  des  bärtigen  Kriegen 
ans.  Im  Obigen  nnd  die  NotiMn  mitgeibdlt,  die  ich  aagesiolita  to 
Origioalee  uiedergeBohrieben. 


Digitized  by  Google 


TT.  HOlng:  üelfer  den  FOeu»  der  alten  ItidikeT,  585 

sduiitten:  Ein  aufrecht  ▼orachreiiender  bärtiger  Mann  stösst 
das  Schwert  (mit  runder  Parirstange)  in  den  Hak  eines  mit 
einem  engen  Chiton  bekleideten  Gegners,  der  gebengten 
Oberkörpers  Tor  ihm  steht ;  beide  Fignren  sind  Ton  M&nteln 

umwallt ;  der  Bärtige  trägt  eine  hohe  spitze  Mütze,  die  mit 
einer  Binde  umwunden  ist.  Doch  beweisen  diase  Denk- 
mäler keineswegs,  dass  eine  derartige  Kopftracht  in  Attika 
ond  in  Argolis  getragen  wnrde,  da  beide  yoranssichi- 
lieh  nicht  in  Griechenland  gearbeitet,  sondern  aas  dem 
Orient  dorthin  importirt  sind.  Ebensowenig  Gtewähr  bietet 
es,  wenn  das  Idol  der  troischen  Athene  anf  einer  roth-* 
fignrigen  Vase*)  und  in  den  polychromen  Thonreliefs 
eines  bei  Canosa  gefundeuen  Kruges'-')  die  asiatische  Kopf- 
bedeckung trägt.  AUerdiiijTs  pil^gt  die  Kunst  bei  der  Dar- 
stell nng  alter  Götterbilder  mancherlei  primitive  Eigenthüm- 
lichkeiten  wiederzugeben.  Da  es  sich  aber  um  ein  troi- 
sches  Idol  handelt,  so  liegt  der  Gedanke  nahe,  dass  das 
genannte  Attribnt  beigefügt  ist  nicht  ans  archaisirender  Ab- 
sicht, sondern  ein&ch  um  das  GK^tterbild  als  ein  asiatisches 
zu  kennzeichnen.  Ganz  werthlos  ist  endlich  die  Angabe 
eines  lateinischen  Grammatikers')  ,  dass  die  Dioskuren 
mit  dem  Pileus  dargestellt  würden,  weil  dieser  zu  der  Kriegs- 
tracht der  Lakonier  gehört  habe.  Die  Annahme,  dass  die 
Lakonier  mit  dem  Pileus  auf  dem  Haupte  in  das  Feld  ge- 
sogen seien,  wird  dnrch  kein  anderweitiges  schriftliches  oder 
monnmentales  Zeogniss  bestätigt  und  anch  der  Versnch 
diese  Sitte  auf  die  Angabe  des  Grammatikers  hin  in  die  Ür» 
zeit  zurückzuverlegen  stösst  auf  unübersteigliche  Schwierig- 
keiten. Da  nämlich  die  Dioskuren  auf  den  älteren  Denk- 
mälern und  im  Besonderen  auf  den  bemalteu  Vaseu  niemals 

1)  Üenkra  d.  a.  Kunst  I  Taf.  I  7. 

2)  Bull,  deiriust.  188u  p.  131. 

3)  Paul.  Diac  exe.  p.  207:  Piltoa  Ositori  €i  PoUaei  dedenmt 
aotiqai,  qnU  Lsooncs  ftwnmt,  qnibiu  ptUsatis  pognaie  bim  aii 


Digitized  by  Google 


536    SUzutig  der  plülos.-phUol,  Clmae  vom  6.  Novttnber  1880. 

mit  dem  Pileas  dargesielU  nnd,  ao  dürfen  wir  annehmen, 

dass  dieses  Attribut  erst  in  Terbältnissmässig  später  Zeit 
auf  (las  göttliche  Brnderpaar  übertragen  ist,  dass  es  also 
mit  der  primitiven  lakouischeu  Sitte  nichts  zu  thun  hat. 
Ausserdem  liegt  es  ungleich  näher  in  diesem  PileuB  statt 
eines  kriegerischen  Abzeichens  die  Schiffermütse  zn  erkennen, 
die  ganz  geeignet  war,  die  Diosknren  in  ihrer  Eigenschaft 
als  rettende  G5tter  der  Seefahrer  zu  bezeichnen.  Hiernach 
spricht  alle  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  die  den  lakoni- 
schen Pileus  betreffende  Angabe  nicht  aus  der  üeherlii»ferung 
tgeschöpft  ist,  sondern  auf  einem  jeuer  willküriicheu  Schlüsse 
beruht,  zu  denen  sich  die  alten  Grammatiker,  galt  es  eins 
Hypothese  zn  hegründen,  nnr  ailznoft  herbeiliessen. 

Anders  yerhftlt  es  sieh  dagegen  mit  uralten  thönernen 
und  bronzeneu  Figuren  von  Kriegern  und  Wagen  leukern, 
Denkmälergattungen,  deren  Kenutniss  wir  im  Besonderen 
den  Ausgrabungen  von  Olympia  verdanken^).  Da  der- 
artige Figuren  in  der  tiefsten  die  Altäre  umgehenden  Knltnr- 
schicht  und  unter  den  Fandamenten  des  Heraion  ^  ge- 
fanden wurden,  so  ergiebt  sich,  dass  die  beiden  durch  diese 
Exemplare  dargestellten  Typen  in  altersgraue  Epoche  hinauf- 
reichen, in  eine  Epoche,  die  verniuthlich  vor  die  Entstehung 
der  homerischen  Gedichte  lallt.  Wenn  Furtwängler'j  in 
diesen  Denkmälergattungen  die  Erzeugnisse  einer  lokalen 
Fahrik  erkennt,  so  habe  ich  dagegen  nichts  einzuwenden. 
Die  Krieger  tragen  öfters  eine  hohe  steife  kegelförmige 


1)  Furtwängler  die  tironzefande  aus  Olympia  (Abhandlungen  iler 
kgl.  Akadoiiiie  d.  Wiss.  zu  Berlin  1)^79)  p.  29  ff.  Ein  ähnlicher  KriPi:er 
Würde  von  Schlienmnn  auf  <iei  Akropolis  von  Tiryn.s  in  einer  Scliiclit 
gefunden,  welche  urthQmlichc  ThonH^^urea  und  Scherben  von  Vasen  mit 
geometrischer  Docoration  enthielt.  6chliemauu  Mykenae  p.  16  d.  12; 
wiederholt  durch  unsere  Fif;.  11. 

2)  FurtwäDgler  a.  a.  0.  p.  29,  30. 

3)  A.  a.  0.  p.  31,  32. 


Digitized  by  GoüglJ 


W.  ffelbu/:  Ueber  den  POeus  der  alten  Ittdiker.  537 

M6tee')  (Fig.  11).  Die  der  Wagenlenker  zeigt  einen 
fthnlicben  Stil,  ist  aber  nnmittelbar  Gber  der  Stirn  naeh 

rückwärts  gebogen,  .sodass  die  Seitenumrisse  der  Mütze,  wenn 
diese  im  Profil  gesehen  wird ,  zwei  Cnrven  bilden ,  die  an 
der  Spitze  zusamnien];iuf«*n -)  (Fig.  12).  Alle  Wahrschein- 
lichkeit spricht  dafür,  diiss  diese  rückwärts  gebogene  Matze 
ans  der  gemden,  kegelförmigen,  wie  sie  von  den  Kriegern 
getragen  wird,  abgeleitet  ist.  Da  die  Lenker  bei  raschem 
Fahren  mit  geneigtem  Oberkörper  and  yorwfirts  gestrecktem 
Kopfe  aaf  den  Wagen  standen') ,  so  würde  eine  kegel- 
förmige Mutze ,  die  in  schiefer  Richtung  von  dem  Kopfe 
emporragte,  die  freie  Bewegung  der  Hände  nach  oben  zu 
beeinträchtigt  haben ,  würde  sie  z.  H.  hinderlich  gewesen 
sein,  wenn  es  galt  durch  plötzliches  Eiuporreissen  der  Zügel 
bis  za  der  Höbe  des  Kopfes  den  Starz  eines  Pferdes  za  ver* 
hüten.  Diesem  Uebelstande  wnrde  durch  das  Umbiegen  des 
Kegels  in  der  ein&chsten  Weise  begegnet. 

Derartige  Fignren  von  Kriegern  und  Wagenlenkem  sited 
aber  die  einzigen  Denkmäler,  welche  bezeugen,  dass  die 
a.siatische  Müt/.«^  in  der  uralten  Zeit,  in  der  Griechenland 
von  dem  Orient  die  ersten  Anregungen  zu  einer  höheren 
Giviiisation  erhielt,  von  den  griechischen  Männern  ange» 
nonunen  wnrde*).    In  den  homerischen  Gedichten  wird  sie, 


I")  Z  B.  Ansgrabun^en  zu  Olympia  liand  IV  Taf,  XXI. 

2)  Ausgrabungen  zu  Olympia  Band  III  Taf.  XXIV  B,  1;  IJand  IV 
Taf.  XXI.  Violleicht  soll  das  hakenartige  Motiv,  welches  an  dem 
Scheitel  der  Wagenlenker  auf  einer  geometrischen  bei  dem  Dijylon  ge- 
fandeoen  Vase  ^^ichtbar  ist,  eine  derartige  Mütze  ausdr&cken  (Mon.  dell* 
last.  Yim  Taf.  XXXIX). 

3)  Vgl.  z.  B.  die  W«  ttfahrer  auf  der  korintbiBchen  Vase  Mon> 
deir  Init.  X  Taf.  IV,  V  B. 

4)  Wenn  in  d.r  zweiten  H;ilfte  «les  5.  Juhrliuinit-rtf!  v.Chr.  wiederum 
ein  Tereinzeltea  Auftretf  o  «Icr  asiatischen  Kopftracht  in  Griechenland 
oachweiabai  ist,  so  genügt  es  mit  wenigen  Worten  aaf  diese  Erücbein* 


Dlgitized  by  Google 


538    SUiung  der  phUo8.-^üM.  CloMe  vom  6.  November  1880, 

wo  es  sich  um  Milnnertracht  handelt,  nirgends  erwähnt. 
Ebenso  schweigen  davon  die  zahlreichen  und  zum  Theil 

üDg  hinzuweisen,  da  sie  mit  der  üntersachung  über  die  Herkunft  dea 
italischen  Pileus  nichts  zu  thun  hat.  Nachdem  um  die  Mitte  jenra 
Jahrhunderts  in  Attika  mancherlei  orientalische  Kleidangstücke  in  die 
Mode  gekommen  waren ,  (Tgl.  üelbig  Untersuchangen  über  die  campa- 
niiehe  Wandmalerai  p.  170;  to«  Wilamowitt-lCoellendorff  philologiaeh«  00- 
temohmigan  I  p.  76),  wagten  es  pranUiebende  Leate  wie  der  Maler  Apollo- 
doTOB  (Hesyeh.  a.  ? .  muaygatpin».  Der  Vereueh  Onnna  in  Sehorni 
Knmtblatt  1880  n.  84  die  Angabe  auf  ein  MiaeTeretindniai  loHtefcs»- 
ftthren  seheint  doeb  allia  gewalteainX  Alkibiades  and  Kalliaa  ihr  Haupt 
mit  der  hohen  asiatiadien  Mfttie  tu  lehmfieken  (vui.  Bmmi  Oeack 
d.  gr.  Kttnatler  II  p.  75).  Diese  orientaliaürenden  Sraeheinongea  in 
dem  daoMligen  Kostftmwesen  worden  aoek  von  der  Knast  fw^ 
werthel  Vielleicht  geschah  dies  bereits  in  der  Wandmalerei  des 
Polygnot  (Plin.  XXXV  &8:  itrimos  moUeres  tralacida  ve.ste  pinrit» 
capita  earum  mitris  veraicoloribas  operuit).  Jeden  Falls  tragen 
auf  dem  Parthenonsfriese  einige  Reiter  eine  Mütze,  welche  der  leichten 
in  freien  Falten  brechenden  persischen  entspricht  (Michaelis  Parthenon 
Taf.  9  Platte  IV  8,  Platte  VIII  15;  Taf.  10  Platte  I  2-4;  Taf.  13 
Platte  XXXV  108,  Platte  XXXVIII  117.  Platte  XXX Villi  120.  Vgl 
den  hintersten  Komasten  auf  dem  Vasenbilde  Ann.  dell'  Inst.  1879  Tar. 
d'agg.  ü).  Auf  bemalten  Vasen  ferner,  deren  Stil  auf  die  zweite  Hälft* 
des  5.  Jabrliunderts  hinweist,  kommt  bisweilen  eine  hohe  steife  Mütz« 
vor,  welche  an  den  ursprünglichen  asiatischen  Typus  erinnert.  Sie 
wird  von  siegreichen  Athkten  f^etraj^en  und  scheint  zu  den  diesen  ver- 
liehenen Preisen  zu  gehören  (Üuc  de  Luynes  descr.  de  quelques  vascs 
pl.  45  =  Arch.  Zeit.  1853  Taf.  5;  Dull.  dell' Inst.  1871  p.  122,  wo  die 
Mütze  in  einen  stabartigen  Aufsatz  ausläuft,  der  an  die  Virga  der  rö- 
mischen Priester  erinnert).  Doeh  haben  diese  Vaeen  mit  der  Unteraoeb- 
ang,  wann  und  Yon  wem  die  Etmsker  nnd  Börner  den  PUens  entldml«, 
niehts  tn  thun;  denn  einerseits  gebSren  sie  einer  jüngeren  Epoche  an, 
als  die  fitesten  etniskiscben  Denkmfier,  anf  denen  der  Pilena  Toikonnit. 
nnd  anderer  Seite  ist  es  nnglanblieb,  dasa  ehie  in  dem  griechleebea 
Knltnskieise  nnr  gani  rereinielt  anftrotende  Ersdieinnng  die  etmskiadie 
wie  die  latimsehe  Tracht  bestimmla.  Der  letitere  Qesiobtspnnkt  gilt 
aneb  ffir  dne  in  Dodona  geftindene  arebaisebe  Bronieflgar,  welche  einaa 
mit  einem  langen  Chiton  nnd  pilenaartiger  M&tM  bekleideten  Man 
darstellt  (Caiapanos  Dodona  pl.  X  2)  ~  ein  TjpUr  für  den  «a  an  jeff- 
lieher  Analogie  gebrieht 


Digitized  by  Google 


TF.  HeWig:  Ueber  den  PUeua  der  alten  liäUker,  539 


recht  aasführlichen  Sohildeningen,  welche  von  dem  altioni- 
schen Kleiderlaxns  vorliegen^).  Aoch  auf  den  bemalten 
griechischen  Vasen,  welche  der  Entstehungszeit  der  homeri- 
schen Gedichte  nahe  stehen,  kommt  die  genannte  Kopf- 
bedeckung nirgends  vor.  Endlich  scheint  es  bedeut- 
sam, dass  das  asiatische  Attribut  in  den  hellenischen 
Priestertrachteu  fehlt,  während  es  doch  bekannt  ist,  dass 
auch  die  Griechen  in  diesen  Trachten  mancherlei  primitive 
Eigenthümlichkeiten  festhielten').  Hiernach  dürfen  wir 
annehmen,  dass  sich  die  hohe  steife  Mfitze,  nachdem  sie  ans 
Asten  nach  Griechenland  eingeführt  worden  war,  in  der 
dortigen  Männertracht  nur  kurze  Zeit  erhielt  und  dass  sie 
in  der  homerischen  oder  zum  Mindesten  in  der  unmittelbar 
folgenden  Epoche,  über  deren  Sitten  wir  durch  die  alten 
melisehen,  rhodischen,  chalkidischen  nnd  korinthischen  Vasen 
unterrichtet  sind,  bereits  daraas  Yersckwnnden  war. 

Dagegen  beweist  eine  Stelle  des  Dias*)  anf  das 
Schlagendste ,  dass  die  asiatische  Kopftracht  zur  Zeit,  als 
die  homerischen  Gedichte  entstanden,  von  den  griechischen 
Frauen  getragen  würde. 

Der  Dichter  schildert,  wie  Andromache,  als  sie  den  Tod 
des  Hektor  Ternimmt,  Ton  VerzWeifelnng  ergriffen ,  ihren 
Kopfschmnck  kerabreisst: 

1)  So  im  Besonderen  Athen,  XII  cap.  26,  28— dO. 

2)  Platarcb.  qoMst.  grftec  LVIII  (p.  304  e)  hericiitet,  der  HeitklM- 
prktter  m  AntiimeboU  auf  Kot  opfere  io  weiblioher  Kleidoog  nod  mit 
flinar  Mit»  am  des  Kopf  Doch  hewolMn  dio  Worte  f^y  )p«Ai|r 
dumio^iaros  fUrgq,  dsM  fiftffa  aa  dieier  Stelle  nidit  eine  M fitie^  sondern 
eiae  Binde  beieiebnet  Wenn  die  ilteieo  Ahbildiingen  der  Tkbida  iüaea 
TOD  BotüIm  (0.  Jahn  griechieehe  Bilderehroniken  Ttf.  I)  dem  Kslehas 
eioa  pilen«rtige  MQtM  geben,  so  ist  diei  ein  Zeichentehler,  wie  der 
Veigleidi  der  genaoen  PaUietlion  bei  Jskn  a.  a.  0.  Tat  I*  beweist. 


9)XZU  468  C 


540    Sitzung  der  phüos.-philol.  Glosse  vom  6.  November  1880. 

Da  die  Tlias  keinen  Unterschied  zwi.schen  achäischer 
und  troischer  Sitte  kennt,  so  ist  es  zunächst  gewiss,  dass 
die  der  Andromache  beigelegte  Tracht  damals  auch  von  den 
lomerinnea  getragen  wurde.  Ebensowenig  kann  über  drei 
der  Ton  dem  IHehter  nambaft  gemachten  Toilettengegen- 
stftnde  ein  Zweifel  obwalten.  Ampyx  iet  ein  Diadem,  also 
eiu  äbnUebee  Scbmnckstflelr  wie  die  Stephane'),  Kekry* 
phalos  eine  Hanbe ,  Kredemnon  ein  der  Rica  und  dem 
Plammenm  entsprechendes  mantelartiges  Kleidungstück,  das 
gewöhnlich  über  den  Kopf  gezogen  getragen  wurde,  aber 
das  Geeicht  frei  liesB,  Grössere  Schwierigkeiten  Terarsacht 
dagegen  die  Bestimmung  der  piekte  Anadesme.  Naeh  ihrer 
Etymologie  bezeichnen  die  beiden  Worte  einen  geflochtenen 


1)  Der  Ampyx  war  nach  H711111.  faoin.  71  {in  Tenemn)  6  Ü 

XQV9nfirtv*tt  ^fi^*  SiHta^  noffogüas,  negi  6*Sfiß()ora  €ifjuna  H»- 

99^^p  ans  Gbld  gearbeitet  Das  Gleiehe  ergiebt  sieh  aoi  der- 

eelben  Stelle  fftr  die  Stephane  (II.  XVIH  697).  Mit  der  Annahme,  dw 
die  letitere  ane  Metall  bestand,  atimmt  die  Thataache^  disi  m^i^  in 
der  lUas  (YII  12)  auch  den  ehernen  Helmruid  nnd  iwehnal  (X  80, 
ZI*  96)  ale  ptrs  pro  toto  den  Hehn  beieichnet.  Da  der  Hymnos  anf 
Aphrodite  den  Hören  goldene  AmpykeSf  der  Aphrodite  dagegen  eine 
goldene  Stephane  sntehreibt,  so  scheint  es,  dass  die  letztere  als  der 
gliniendere  nnd  vornehmere  Kopfschmock  galt.  Vermathlich  ist  der 
Ampyx  das  schmale  Diadem ,  welches  z.  B.  schon  anf  den  alten  me* 
liaohen  Vasen  (Conze  nielische  Thongefasse  Taf.  IV)  vorkommt,  die  Ste- 
phane dagegen  das  hohe  Diadem ,  mit  dem  alte  Idole  (z.  B  Panofka 
Terracotten  des  Museums  zu  Berlin  Taf.  I  2,  3,  II;  Gerhard  gesammelte 
ftkad.  Abhandlungen  Taf,  XXII  1,  5)  und  besonders  häufig  Frauenköpfe 
ausgestattet  sind,  welche  die  Mittelpunkte  archaischer  Stirnziegel  bilden. 
Ueber  arirpayo^  vgl.  oben  Seite  508.  Das  Epitheton  diaxfipctyog  ist  in 
dem  homerischen  Epos  der  Artemis  (11.  XXI  511),  der  Aphrodite  (Od. 
VIII  267  ,  der  Kythereia  (Od.  VIII  28i<,  XVIII  lUlJ),  der  Heroine  Mykene 
(Od.  II  120)  und  der  Stadt  Theben  (II  XIX  99)  beigelegt.  Die  Hymnen 
geben  es  der  Demeter  (V  in  Cerer.  236,  307,  470)  und  der  KyUtereia 
aV  in  Ven.  6,  175,  287). 


Digitized  by  Goügl 


W,  MeUng:  ücber  den  Fücm  der  aUen  Italikcr,  541 

Gegenstand,  welcher  in  die  Höhe  gebunden  ist  oder  etwas 
in  die  Höhe  bindet^).  Man  pflegt  demnach  in  der  piekte 
Anadesme  eine  zum  Aufbinden  des  Haares  bestimmte  Yor- 
nohtang  sn  erkeDnen*).  Wer  jedooh  in  nnbefiuigener 
Weise  die  befcreffsnden  Verse  der  Iliae  prüft,  wird  sieh  so- 
fort Ton  der  ünhaltbarkeit  dieser  Aosiebt  Überseagen.  Da 
nämlich  Audromache  eine  Haube  (Kekryphalos)  trug ,  so 
versteht  es  sich ,  dass  diese  Haube  das  Haar  zum  grössten 
Theile  bedeckte,  dass  also  ein  Band  oder  Bändergefüge, 
welches  die  Haare  anter  der  Haube  aufband,  wenig  oder 
gar  nicht  sichtbar  war.  Der  Annahme  aber,  die  piekte  Ana- 
desme  sei  ein  derartiges  nnseheinbttres  Band  oder  BSnder^ 
gefüge  gewesen,  widerspricht  auf  das  Entschiedenste  die 
Thatsache ,  dass  die  Anadesme  nach  den  ausdrücklichen 
Worten  des  Dichters  zu  den  dtOfiata  oiyaXoevta  gehörte, 
also  ein  Gegenstand  von  hervorstechender  decorativer  Wirkung 
war.  Iibensowenig  befriedigt  eine  Vmanthong  Böttigers*}. 
Dieser  Gelehrte  rerwdst  auf  eine  in  dem  Dresdner  Antiken- 
kahinet  befindliche  weibliche  Bronzeflgur^).  Die  Haube, 
welche  sie  trägt ,  ist  an  der  Rück>;eite  des  Kopfes  geöffnet 
und  die  aus  der  Oeffaung  herauvsquellenden  Haarmassen  siud 
au  dem  äussersien  Ende  vermöge  eines  Bündchens  in  einen 
kleinen  zop&rtigen  Büschel  znsammengefasst   £in  solches 

1)  0opp  vergldelMiide  GiMimiatlk  IIP  p.  177  fll;  SMtidiiift  fttr 
TttgL  Sprachforschung  Z  p.  452;  G.  Cortiiu  Stadien  nur  gr.  und  Ist. 
Giammatik  V  p.  64. 

2)  Heyne  zu  Hotneri  carmina  II  p.  533,  VIH  p.  344;  Friedreich 
die  Realien  in  der  Iliade  und  Odyssee  2.  Aofl.  p.  239.  Die  Bemerkung 
der  Schol.  tu  11.  XXII  469 :  dyadinft^  &i  Uynrn  chqu  tjy  xvitXip  nt^i 
xovs  XQOja(povs  dyaSovrrat .  xaXtiTat  &i  vn^  iylw  naXaviaxtf  {xotkvyifvxii 
y.,  calantica  Heyne  a.  a.  0.  VIII  p.  344)  ist  SO  onbestimmt  ge&sit» 
am  davon  Gebrauch  machen  zu  können, 

3)  Kleine  Schriften  III  p.  294. 

4)  Montfancon  Tantiquite  expliquee  I  2  pl.  CCXIII  1;  Hettner 
Bildwerke  des  kgl.  Antiquariums  zu  Dresden  2.  Aufl.  p.  114»  ^38. 

[1880.  L  PhiL-phil  biet.  ClJBd.  L  4.]  85 


Digitizeü  by  LiOOglc 


542    SiUung  der  pMw.-phüoL  dam  tom  6.  November  $880, 

Bfindchen  soll  nach  BSttigers  Ansicht  die  piekte  Anadeeme 
gewesen  sein.   Doch  ist  eine  Figur  yorgesehrittenen  Stiles 

wie  die  Dresdner  möglichst  wenig  geeignet,  die  homerische 
Tracht  zu  veranschaulichen  ,  und  erscheint  jenes  Bändchen 
keineswegs  als  das  hervorstechende  Toiletteustück,  auf  wel- 
ches die  Worte  der  Dichtnng  hinweisen.  Ausserdem  ergiebt 
sich  ans  der  Stelle  der  Uias,  dass  die  piekte  Anadesme  hastig 
nnd  mit  einem  Griffe  Ton  dem  Hanpte  herahgerissen  werden 
konnte,  wogegen  die  Entfernung  jenes  Bindchens  nnr  ver- 
möge einer  zeitranbenden  Operation,  nSmIich  dnreh  Anf- 
knQpfen,  möglich  war.  Der  Versuch  endlich  von  Gladstone 
und  Bchliemaun*) ,  den  fraglichen  Gegenstand  in  goldenen 
Stirnhändern  zu  erkennen ,  die  bei  den  von  dem  letzteren 
Gelehrten  aof  dem  Barghngel  von  Mjkenai  angestellten  Aus- 
grabungen gefunden  wardeUf  schwebt  Tollstaudig  in  der  Luft» 
da  jene  SthmbSnder  aus  Strafen  ans  Goldblech  bestehen« 
auf  die  das  A^jectiT  nUamri  ,,gefloehten^^  in  keiner  Weise 
passi 

Dagegen  fallen  alle  diese  Schwierigkeiten  weg,  wenn 
wir  in  der  piekte  Anadesme  ein  ähnliches  Band  erkennen  wie 
das,  welches  den  Tutulus  der  Etraskeriunen  in  der  üohe 
des  Scheitels  umgiebt.  Dieses  Band,  welches  plastische  nnd 
coloristische  Abwechselnng  in  den  Kegel  der  Haube  bringt, 
ist  ein  Motir  Ton  hervorstechender  deooratiTer  Wirkung. 
Da  es  die  Ebmhe  umgab,  so  konnte  es  mit  einem  Qriflb 
zugleich  mit  der  Haube  von  dem  Kopfe  entfernt  werden. 
Da  es  ferner  an  einer  hohen  Stelle  der  Hauhe  angebracht 
war,  so  stimmt  hiermit  die  Bildung  des  Substautives  Ana- 
desme. Das  Gleiche  gilt  von  dem  Adjektive;  denn  das 
Band  ist  öfters  auf  etroski sehen  Denkmälern  charakterisirt 
als  ans  Torschiedenen  in  einander  gewundenen  odergefloch- 


1)  Schliemann  Mykenae  p.  2S7,  Qladätoue  in  der  Vorrede  daza 
p.  XXIV.   Abbildangen  p.  285  n.  358. 


Digitized  by  Google 


W.  BtJbig:  ]7«6er  d$n  Püeus  der  äiUn  Itaiker.  543 


tenen  Zengstreifen  bestehend^).  Ist  hiermit  die  piekte 
Anadesme  richtig  erklärt,  dann  stellt  sich  zugleich  in  be- 
stimmterer Weise  die  Form  des  homerischen  Eekryphalos 
herans.   Dieser  war  weit  Terschieden  Ton  der  leichten,  in 

organischer  Weise  die  Eopfformen  begleitenden  Haube,  wie 
sie  auf  den  Denkmälern  der  Blüthezeit  vorkommt,  einer 
Kopfbedeckang ,  bei  der  jenes  Band  nirgends  nachweisbar 
ist  und  bei  der  es  eine  stilistische  Dissonanz  darstellen 
würde.  Vielmehr  war  der  damalige  Kekryphalos  eine  hohe 
steife  Baabe  gebundenen  asiatischen  Stiles  ähnlich  dem  Tn- 
tnlns  der  etroskischen  nnd  der  römischen  Matrone.  Da 
ferner  Andromache  mit  den  anderen  Bestandtheilen  der 
Kopftracht  auch  das  Kredemnon  von  dem  Hiiupte  herab- 
reisst,  so  ergiebfc  sich,  dass  sie  das  letztere  über  die  Haube 
gezo<,'en  hatt«,  wie  in  der  Regel  die  auf  den  ältesten  corne- 
taner  Grabgemälden  dargestellten  Frauen  den  Mantel,  wie 
die  Flaminica  die  Rica,  die  römische  Braut  das  Flammeum« 
Was  endlich  den  Ampyx  betrüft,  so  ist  er  identisch  mit 
dem  metallenen  Diadem,  welches  bisweilen  anf  den  oome- 
taner  Grabgemälden  nnd  Üherhanpt  anf  altetmslrisehen  Denk- 
mäleru  an  die  Stelle  der  gewöhnlich  vorkommenden  Binde 
tritt').  Demnach  stimmt  die  Kopftracht  der  Andro- 
mache in  allen  einzelnen  Bestandtheilen  mit  der  altetruski- 
scheu  überein  nnd  lässt  sich  auch  sie  auf  das  Deutlichste 
durch  die  oometaner  Grabgemälde  yeranschaulichen. 

Indess  scheint  es,  dass  diese  complicirte  Eopftraoht  bei 

deu  Griechinnen  des  homerischen  Zeitalters  keineswegs  so 
allgemein  gebräuchlich  war,  wie  bei  den  Etruskerinnen  und 
Römerinueu  der  vorclassischen  Epoche.  In  der  Uias') 
wird  ausführlich  die  Toilette  geschildert,  welche  Hera  macht, 


1)  Z.  B.  meaU  itoria  Tbt  XXIX  2,  XXXI  3,  XXXni  1,  2. 

2)  Tgl.  obfB  Seite  5ii,  528^ 
8)aXl?16»ft  Tgl.  aodi  a  XXn  406. 


35* 


54i    Sttiun^  der  phüos.-^hüol.  Classc  vom  6.  November  1880. 

nm  den  Zens  auf  dem  Ida  m  beeachen ,  dabei  aber  die 

Haube  nicht  erwähnt.  Vielmehr  scheint  es  nach  dieser 
Schilderung,  dass  die  Göttin  das  Kredemnon  unmittelbar 
auf  die  künstlich  geflochtenen  Locken  auflegt.  Betrachten 
wir  ferner  die  griechischen  Denkmäler ,  welche  über  die 
Sitten  der  auf  die  homerisehe  folgenden  Epoehe  Aafechloas 
geben,  eo  ist  auf  ibnen  kein  Beispiel  der  hoben  Hanbe  nach- 
weisbar. Kommt  eine  solche  Hanbe  anf  einer  dnnkelfigar- 
igen  Vase  Tor,  dann  stellt  es  sieb  bei  eingehenderer  Prflfong 
stets  heraus,  dass  das  betreff'ende  Gefäss  mit  Sicherheit  oder 
grösster  Wahrscheinlichkeit  einer  etruskischeu  Localfabrik 
zuzuweisen  ist. 

Wenn  wir  hiernach  annehmen  dürfen,  dass  die  asiatische 
Kopftraeht  von  den  Griechen,  als  sie  die  westlichen  Lander 
des  Mittelibeergebietes  an  oolonisiren  anfingen,  bereits  auf* 
gegeben  worden  war,  so  scheint  es  aweÜelbaft,  ob  die  Ver- 
breitung dieser  Tracht  in  Etmnen  nnd  in  Latiam,  wo  sie 
von  Männern  wie  von  Frauen  getragen  wurde,  der  helleni- 
schen Cülonisation  zuzuschreiben  ist,  und  darf  demmicli  die 
Frage  aufgeworfen  werden,  ob  nicht  etwa  die  Karthager 
die  Vermittler  waren.  Dass  die  östlichen  Phönikier,  Männer 
wie  Franen,  eine  dem  Pilens  oder  Tntnlns  entsprechende 
Eopfbedecknng  trugen,  ist  bewiesen').  Was  aber  fftr  die 
östlichen  Phönikier  gilt,  darf  mit  grösster  Wahrscheinlich- 
keit auch  bei  ihren  westlichen  Stammesgenossen  vorausge- 
setzt werden.  Jeden  Falls  steht  es  fest,  dass  die  Karthager 
mindestens  schon  im  6.  Jahrhundert  v.  Chr.  mit  Etruskem 
und  Latinern  einen  regen  Handelsverkehr  unterhielten,  dass 
ihre  Waaren  innerhalb  dieser  Periode  in  Caere  nnd  Pra- 
neste  seitweise  cum  Nachtheile  der  Griechen  den  Markt  be- 
herrschten*).   Ferner  ist  es  bekannt,  dass  die  Weberei 


1)  Oben  Seite  529—531. 

2)  Ann.  deU'Inst.  1876  p.  245  ff. 


Digitized  by 


W.  HeWig:  lieber  den  Pileus  der  alten  Jtaliker. 


545 


und  die  Herstellnug  von  Kleidern  zu  den  blühendsteu 
Zweigen  der  karthagischen  Industrie  gehörte*).  Hiernach 
ist  die  Vermuthung,  dass  die  ersten  Pilei  und  die  ihnen 
entsprechenden  Fruuenhauben  von  den  Karthagern  nach 
Italien  eingeftlbrt  wurden  y  nicht  so  abnorm ,  als  es  bei 
flüchtiger  Betrachtung  scheinen  mag.  Wird  doch  auch  an- 
genommen, dass  das  lateinische  tunica  unter  Abwerfung 
der  ersten  tieftonigen  Sylbe  gebildet  ist  aus  dem  semitischen 
Worte,  welches  in  dem  Althebräischen  knttonet,  in  dem 
Chaldäisohen  kittun  lautet^)  —  eine  Annahme,  die, 
falls  sie  sich  bestätigt,  einen  hervorragenden  Einfluss  der 
Karthager  auf  das  altlatiuische  Kostümwesen  beweisen 
würde. 

Wann  die  asiatische  Kopftracht  in  Italien  Eingang 
fand,  lässt  sich  mit  den  vorliegenden  Mitteln  nicht  be- 
stimmen. Doch  müssen  bei  dieser  Frage  polychrome  Ziegel- 
platten berücksichtigt  werden,  mit  denen  die  Wände  zweier 
caeretaner  Gräber  incrustirt  waren.  Die  eine  Serie  gelangte 
aus  der  Sammlung  Campana  in  der  Louvre'),  die  andere, 
die  leider  nur  durch  eine  sehr  ungenaue  Beschreibung*) 
bekannt  ist,  befindet  sich  in  dem  Besitze  des  Fürsten  Ruspoli. 
Dass  die  Malerei  der  campauaschen  Platten  auf  ein  früheres 
Stadium  hinweist,  als  die  der  ältesten  bemalten  Gräber  von 
Corneto,  ist  allseitig  anerkaunf*)  und  das  Gleiche  gilt  von 
den  ruspolischen  Exemplaren,  die  in  Stil  wie  in  Technik  mit 
jenen  die  engste  Verwandtschaft  verrat hen.  Hiernach  sind 
die  beiden  Serien  ganz  geeignet ,  die  etruskische  Sitte  in 


1)  BlüDiner  die  gewerbliche  Thätigkeit  p.  2  ff.,  liüchsen schütz  die 
Hauptstätten  des  Gewerbfleisses  im  cl.  Altertkum  p. 

2)  Movers  die  Phönizier  III  1  p.  97. 

3)  Mon.  deir  Inst.  VI  Taf.  XXX ;  de  Longpärier  Mas^  Napol^n  III 
pl  LXXXIII. 

4)  Von  Brizio  in  dem  Ball,  deir  Inst.  1874  p.  128—13«. 

5)  Ann.  deU*  Inst.  1859  p.  325  ff.,  1863  p.  341,  1866  p.  423. 


546    SUeung  der  j^üos.-^Ulol.  Claase  vom  6.  November  lö80, 

einer  früheren  Epoche  als  der,  welcher  die  ältesten  cornetaner 
Grabgemälde  angehören,  zu  vergegenwärtigen.  Was  zunächst 
die  carapanaschen  Platten  betrifft,  so  geben  sie  leider  keiaeu 
Aufschlass  darüber,  ob  damals  die  asiatische  Kopftracht  in 
Caere  üblich  war  oder  nicht  Wenn  ein  anf  einer  dieser 
Platten  dargestelltes  weibliches  Idol  mit  einem  Tatolns  nnd 
einem  Diadem  ausgestattet  ist  (Fig.  13),  so  beweist  dies 
nichts  für  die  Sitte  des  damaligen  Lehens;  denn' das  Idol 
kann  in  Caere  aus  dem  Auslände  eingeführt  oder  sein  Tjpua 
ans  einem  fremden  Kultus  entlehnt  sein.  Ebensowenig  aber 
darf  aus  der  Thatsache,  daas  alle  auf  jenen  Platten  darge- 
stellten Männer  nnd  Fraaen  ohne  jeglichen  Kopfschmuck 
nnd  die  Franen  mit  herabhängendem  Haare  auftreten ,  der 
Schlnss  gezogen  werden,  dass  dar  Pilens  nnd  die  ihn  be- 
gleitenden Motive  damals  noch  nicht  gebrftnchlich  waren. 
Ein  solcher  Schlnss  wäre  bei  dem  Charakter  der  dargestellten 
Handlung  sehr  bedenklich.  Da  nämlich  jene  Männer  und 
Frauen  beschäftigt  sind  ,  ein  Todtenopfer  darzubringen,  so 
kann  das  Fehlen  des  Kopfschmuckes  mit  gleichem  Rechte 
als  ein  Zeichen  der  Trauer  an%efiAS8t  werden.  Anders 
würde  es  sich  yerhalten,  wenn  es  sieher  beglanbigt  wäre, 
dass  eine  polychrome  Thongruppe,  welche  einen  Mann  nnd 
eine  Fran  neben  einander  anf  einem  Pfühle  gelagert  dar* 
stellt*),  aus  demselben  Grabe  stammt  wie  jene  Platten. 
Der  Kopf  der  Frau  nämlich  ist  mit  einem  Tutulus  und  einem 
hohen  denselben  umgebenden  Diademe  geschmückt.  Doch 
beruht  jene  Provenienzaogabe  lediglich  auf  der  mündlichen 
Ueberlieferang  der  Gnstoden  des  Mnseo  Gampana  nnd  wird 
ihre  Richtigkeit  Ton  dem  Grafen  Cini,  der  bei  den  ron 
Gampana  in  der  caeretaner  Nekropole  veranstalteten  An»- 
grabnngen  zugegen  war  nnd  dem  ich  mancherlei  schÜtsbare 
Mittbeiluugeu  über  den  an  Ort  und  Stelle  beobachteten 


1)  Moo.deU*lnst.yiTaf.LIX; deLoiigp^erMiit.NapolteBpl.LXXXX. 


Digitized  by  Google 


W,  Heibig:  üeber  den  PUeue  der  edten  Italiker,  547 


Thatbeataud  verdanke,  ausdrücklich  geläugnet.  Was  ferner 
die  rnspolischen  Platten  betrifft,  so  schildert  ihre  Malerei 
offenbar  Scenen  ans  dem  Todtenkaltos^)  and  kann  dem- 
nach die  Thataache,  dass  drei  Franengeatalten  mit  blossem 
Kopie  nnd  gelöstem  Haare  dargestdlt  sind,  eben&Hs  mit 
der  hei  der  Trauer  beobachteten  Sitte  in  Beziehung  ge- 
bracht werden.  Von  den  beiden  männlichen  Figuren ,  die 
an  der  Handlung  Theil  nehmen,  trägt  die  eine,  welche  ein 
von  der  B'igur  eines  Stieres  gekröntes  Scepter  schultert, 
einen  niedrigen  breitkrempigen  Hut,  der  in  eine  an  die 
Virga  der  römischen  Priester  erinnernde  Spitze  ansiänft, 
die  andere,  welche  in  der  Rechten  einen  lauhlosen  Zweig 
hält,  eine  niedrige  krempenlose  Mfitze,  deren  Voinmen  be- 
trächtlicher ist,  als  das  des  darunter  befindlichen  Schädels. 
Der  (iedanke  liegt  nahe ,  dass  die  beiden  Figuren  einen 
Priester  und  seinen  Begleiter  darstellen.  Sollte  sich  diese 
Vermnthung  bestätigen,  dann  würde  sich  ergeben,  dasä  der 
PUens  damals  noch  nicht  für  alle  caeretaner  Priester  obli- 
gatorisch war  und  dass  ein  der  Virga  entsprechender  •stab- 
artiger  Aufimta  schon  Tor  der  Einfahrnng  des  Pileos  sur 
Bezeichnung   der   priesterlichen  Kopfbedeckungen  diente. 


1)  Wenn  Brizio  Ball,  dell' Inst.  1874  p.  132,  133  io  der  Danitell- 
QDg  der  Platten  eine  Liebesbewcrbang  erkennen  will,  so  ist  eine  der- 
artige genrehafte  Scene  dem  Charakter  der  altefrnskiBchen  GrabmaU^rci 
fremd.  Ebensoweniir  Beifall  werden  seine  Benierkufgen  über  die  Symbolik 
des  auf  dem  Scepter  dargestellten  Ochaen  finden,  der  nach  Brizio«  An- 
nahme den  Träger  des  Scepters  als  eine  unanj^enehme  und  der  Liebe  der  an- 
^blich  amworbenen  Frau  unwürdige  Terson  charakteriHirt.  Doch  i«t 
•ine  besondere  Widerlegung  der  einzelnen  von  ihm  gelterul  gemachten 
Gesiehtspankte  überflössig,  da  die  auf  der  zweiten  Platte  dargcstellton 
Figuren,  in  denen  Briiio  JOnglinge  erkennt,  welche  im  Oegeniatze  la 
dtm  Triger  des  Ocheeueepteii  der  miworbeoen  Firu  ijrmpatUieeh  wiren, 
Ufih  den  fonnea  der  Brost  and  der  weissen  Hnntlübe  welblleb  sind. 
Hiennit  Uist  eieh  selbstrentindlleb  dss  ?on  Brisio  erfondeas  Uebes- 
Id jll  in  Dornt  snf. 


Digitized  by  Google 


548   SUMtmg  ämr  jphUosrphiM.  Oktate  vom  6,  Novewdter  1890. 

Indess  kann  die  Erklärung  bei  einer  Darstellung,  die  wie 
diese  ToUeiändig  vereinselt  dasteht  und  f&r  die  es  an  jeg^ 
liebem  Yergleiebongspunkte  gebriebt,  niebt  rorsiebtig  genug 
sn  Werlte  geben.  Es  sebeint  demnacb  gerathen,  weitere 
Entdeckungen  abzuwarten  und  die  Untersuchung  auf  Grund- 
lage eines  reicheren  und  ausgiebigeren  Maieriales  neu  auf- 
zonebmen. 


Uebrigens  schliesst  die  Geschichte  des  altasiatischen 
Attributes  nicht  mit  dem  Zerfalle  der  classischen  Welt  ab, 
sondern  reicht  noch  in  das  Mittelalter  nnd  die  Neuzeit 
hinein.  Doch  wird  man  es  bei  dem  in  Rom  herrschenden 
Litteratnrmangel  entschuldigen,  ,  wenn  ich  diesen  Gegenstand 
nicht  erschöpfe,  sondern  nur  wenige  Erscheinungen  anfthre, 
bei  denen  der  Znsammenbang  besonders  klar  in  die  Angen 
springt.  Das  Abzeichen  der  Bischöfe  von  Rom  oder .  wie 
sie  später  hiessen,  der  Päpste  war  ursprünglich  eine  spitze, 
kegelförmige,  von  einer  Binde  oder  einem  Diademe  umgebeue 
Mätze  —  ein  Abzeichen,  welches  die  christliche  Kirche  ver- 
muthlicb  aas  der  Tracht  des  jüdischen  Hohenpriesters  ent- 
lehnte. Mit  einer  solchen  Tiara  sind  die  Pftpste  anf  den 
Fresken  Ton  S.  Olemente  dargestellt,  die  Ton  dem  8.  bis 
zum  11.  Jahrhundert  berabreichen^).  Sie  ersoheint  noch 
in  der  italienischen  Kunst  des  Duecento  als  das  regelmässige 
Abzeichen  der  römischeu  Kirchenfür^ten ,  wie  es  z.  B.  die 
giottesken  Wandmalereien  in  8.  Francesco  zu  Assisi  be- 
weisen. Die  Angaben  schwanken,  ob  die  PJrsetzung  dieses 
alteren  Typus  durch  die  von  einer  xweifaohen  Krone  um- 
gebenen Tiara  unter  Nioolaus  II  (1059—1061)  oder  Boni- 


1)  Berne  areMdlogiq««  XXY  (1878)  pl.  IV,  X. 


Digitized  by  Google 


V 


W,  Hdbig:  lieber  den  Füeus  der  alten  Italtker,  549 

facius  VTII  (1294  —  1303)  erfolgte»).  Noch  späteren 
Ursprunges  ist  die  bis  auf  den  heutigen  Tag  übliche 
mit  den  drei  Kronen  umgebene  Tiara Dass  der 
Doctorhnt  ein  direkter  Abkömmling  des  Pileos  Libertatis 
ist,  beweist  die  Fonneli  onter  deren  Aussprach  er  verUeheii 
wird').  Der  mittelalterliehe  Brwieh  Bastarden  bei  der  Legi- 
timiraiig  und  Personen,  die  fihr  infiun  galten,  bei  der  Ehr- 
licherklärung einen  Hut  aufsetzen*)  erinnert  an  den  Ritus 
der  römischen  Manumissio.  Ferner  wird  es  mit  dem  Pileus 
Libertatis  zusammenhängen ,  wenn  es  nach  altdeutschem 
Handwerksbrauche  den  Gesellen  d.  i.  den  ansgelernien  nnd 
somit  nnabhangigen  Handwerkern  untersagt  war,  sich  nn- 
bedeckten  Hauptes  anf  der  Strasse  n  xeigen*),  wenn  die 
spanischen  Granden  noch  bent  an  Tage  das  Privileginm 
haben,  in  Gegenwart  ihres  Königs  den  Hut  au fz abehalten. 
In  denselben  Kreis  gehört  offenbar  auch  der  freie  Hnt", 
welchen  der  deutsche  Studeut  bei  dem  Landesvater  durch- 
bohrt  Seit  dem  16.  Jabrhnudert  erscheint  der  antike  Be- 
griff des  Püens  Libertatis  den  Gebildeten  dnreh  die  hnma- 
nistischen  Stadien  Tollstftndig  gelftnfig.  Das  Manifest,  dnreh 
welches  König  Heinrich  II  Ton  Frankreich  im  Jahre  1552  sein 


1)  Oregorovias  die  Grabinaler  der  röm.  Papste  p.  81,  Geschiobts 
der  Stadt  Rom  V  p.  10.  Falls  die  erstere  Angabe  richtig  ist,  dimtt 
bat  diA  Kniwi  Iftngtr  ab  nn  Jahrbondort  so  dem  ilterea  Tjpm  Cntgs- 
balten. 

2)  Die  Angaben  von  Gregorovias  über  den  Urheber  dieser  Nener- 
ung  laoten  widersprechend.  In  den  Grabm.  d.  r.  Päpste  p.  81  schreibt 
er,  Urban  V  (1362—1870)  habe  die  dreifache  Krone  eingeführt.  Da- 
gegen giebt  er  p  67  an,  dass  schon  Innocenz  IV  auf  dem  ihm  i.  J.  1318 
in  S.  Gennaro  lu  Neapel  errichteten  Grabmale  damit  geschmückt  sei. 

3)  Christianus  Biccius  tractatio  jnridica  de  pileo,  Halae  Magde- 
burgicae  1636  (ob  raritatem  sammam  iterom  edita,  Datum  dar  Vorrede 
1680)  Caput  II  Thea.  X  p.  17. 

4)  Biccius  a.  a.  0.  Thea.  XV  p.  21,  22. 

5)  Stahl  das  deaUcbe  Hiodwerk  p.  287  ff. 


Digitized  by  Google 


5 50    Sitzung  der  phHoa.'phiM.  Clause  vom  6.  November  IddO. 


Bündniss  mit  dem  Kurftirsteu  Moritz  von  Sachsen  und  den  dent- 
schen  Lutheranern  gegen  Kaiser  Karl  V  verkündete,  fQhrte  als 
Frontispiz  ein  flatterndes  Band  mit  der  Inschrift  LI  BERTAS 
imd  darüber  einen  Pileos  zwischen  swei  Dolchen^),  also  die» 
selben  Symbole,  welche  der  jSngere  Bmtns  anf  seine  Denare 
prägen  liess.  Eine  Medaille?  welche  die  Niederländer  im 
Jahre  1654  zar  Erinnerung  an  den  Friedensschlnss  mit 
England  schlagen  Hessen,  stellt  die  Personificiitioneu  der  beiden 
Staaten  einander  gegenüber.  Jede  der  beiden  Figuren  trügt 
die  Laudesfahne  und  auf  der  Spitze  derselben  das  Symbol  der 
Freiheit,  welches  hier,  der  damaligen  Tracht  entsprechend, 
als  ein  niedriger  breitkrempiger  Hnt  gebildet  ist*).  Einen 
ahnlichen  Hot  hält  die  niederländische  Magd  anf  Onlden- 
stficken,  deren  Prägang  im  Jahre  1681  beginnt,  anf  der 
Lanzenspitze').  Eine  hervorragende  Bedeutung  jedoch  ge- 
wann die  Freilieitsmütze  zur  Zeit  der  französischen  Revolu- 
tion. Der  Bonnet  de  la  Liberte  wurde  eines  der  bezeichnend- 
sten Symbole  der  welterschütternden  Bew^aug^).  In  dem 
Siegel  der  Municipalität  von  Paris  trat  er  an  die  Stelle  der 
königlichen  Krone.  Die  FreiheitsmStae,  das  BnthenbOndel, 
die  Wage  nnd  der  Eichenkranz  waren  die  Typen  der  Knpfer- 
pragung  in  den  Jahren  1792  nnd  93.  JeneMStze  wnrde  Ton 
den  leidenschaftlichsten  Vertretern  der  neuen  Ideen,  von  den 
Jakobinorn  ,  getragen.  Die  gleichzeitige  Kunst  verwandte 
und  behandelte  das  iSymbol  in  der  mannigfachsten  Weise. 
Am  häafigsteu  wnrde  der  Bonnet  de  la  Liberty  unter  der 

1)  Spondanos  annal.  gallic.  ad  annnm  1552  nurn.  6. 

2)  Van  Loon  histoir»»  raötallique  des  Pays  Baa  II  p.  Ml. 

.'{)  Verkade  Muntboek,  bevattende  de  naiiien  oii  aflx-eldingeu  van 
mant«'n  gesl.  in  de  7  Med.  provincien  sedert  den  vrede  van  Qent, 
Schiedani 

4)  Vgl.  hierüber  und  das  folgende  Renonvier  bistoire  de  Tart 
pendant  la  rövolotion  II  p.  394-3%,  400-403,  466,  467;  Wei»«  Ko- 
stümknode  III  2  p.  1238. 


Digitized  by  Google 


W.  Heibig;  Ueber  den  IHlem  der  alten  Italiker. 


551 


Form  der  phrygischeii  Mütze  dargestellt  —  einer  Form,  die, 
wie  es  sclipint,  officiplle  Anerkennung  fand.  Doch  hat  er 
bisweilen  auch  die  Form  der  SchiffermiUze  des  Odyssens, 
dee  aaf  den  Münzen  des  Brutus  dargestellten  Pileus  Liber- 
tatia  oder  der  in  leichten  Falten  brechenden  nnd  mit  herab- 
fallenden Laschen  Tereehenen  Eidaris,  wie  sie  in  der  spä- 
fceren  Zeit  von  den  Persem  getragen  wnrde. 

Indem  wir  hiermit  die  Geschichte  des  altasiatischen 
Attributes  von  dem  13.  Jahrhundert  v.  Chr.,  vou  den  Tu- 
rischa,  die  gegen  die  Kamessiden  zu  Felde  zogen,  bis  zu 
den  Jacobiuern  der  französischen  ReTolntion  ?ezfolgt,  ist 
ZQgleich  ein  Ueberblick  gewonnen  Sber  den  mannigfachen 
Wechsd,  den  die  Bedentang  dieses  Symboles  in  dem  Laufe 
der  Jahrhunderte  erfnhr.  Dieselbe  kegelförmige  Mntse,  die 
in  dem  Oriente  das  Absseichen  der  despotischen  Monarchien 
war ,  unter  deren  Druck  die  Völker  Vorderasiens  seufzten, 
uud  die  das  Hanpt  des  jüdischen  Hohenpriesters,  des  Vor- 
standes der  exclusivsten  Religion,  die  es  jemals  gegeben 
hat,  schmückte,  diente  in  dem  römischen  Recbtsstaate  zur 
Bezeichnung  des  freien  Mannes.  Als  dann  die  dassische 
Welt  zerfiel,  ging  die  kegelförmige  Mütze  von  dem  Haupte 
des  jüdischen  Hohenpriesters  auf  das  des  römischen  Bischofii 
Ober  und  wurde  hierdurch  zu  einem  Symbole,  vor  dem  sich 
noch  beträchtlich  mehr  Völker  beugten,  als  vor  der  Kidaris 
des  persischen  Grosskönigs.  Anderer  Heils  wurde  der  Pi- 
leus in  dem  Doctorhute  zu  dem  Symbole  der  freien  Forsch- 
ung, einer  Richtung,  die  zu  der  von  der  päbstlichen  Tiara 
verkörperten  den  entschiedensten  Gegensatz  darstellt.  Spuren 
sind  vorhanden,  dass  der  Pileus  in  dem  Zunftwesen, 
also  in  der  Entwickelung  des  StSdtelebens ,  der  erfreu- 
lichsten Erscheinung  in  der  Geschichte  des  Mittelalters, 
eine  Rolle  spielte.  In  der  Neuzeit  endlich  gewann  dieses 
Attribut  noch  einmal  eine  weltgeschichtliche  Bedeutung, 
indem  es  das  Symbol  des  Despotismus  der  Massen  wurde, 


Digitized  by  Google 


552    Sitzung  der  philos.-philol.  Clause  vom  6".  November  lööO. 

die  mit  Feuer  nnd  Scbweii  den  Bestand  der  bisherigen 

historischen  Ueberliefernug  zu  vernichten  tracbteteb.  Nehmen 
wir  das  Kreuz  aus,  dann  dürfte  schwerlich  ein  Symbol  so 
viele  verschiedene  Richtungeu  verkörpert  haben,  wie  die  alte 
asiatische  Kopftracht. 


Nachtrag. 

Der  im  Obigen  Seite  487  ff.  ans  den  Enltos-  nnd  Rechts- 
alterthümem  gezogene  ScblnsB,  das«  die  Römer  in  der  Tor- 

classischen  Epoche  einen  Pileus  trugen,  erhält  eine  monu- 
mentale Bestätigung  durch  primitive  Figuren  ans  reinem 
Kupfer,  die  vor  wenigen  Jahren  auf  dem  Viminal  entdeckt 
wurden.  Siebzehn  Exemplare  aus  diesem  Funde  gelangten 
in  die  Sammlung  des  Herrn  Leone  Nardoni,  die  mir,  wäh- 
rend ich  diese  Abhandlang  niederschrieb,  wegen  Abwesen- 
heit des  Besitzers  unzugänglich  war  (Bull,  dell'  Inst  1878 
p.  11  — 13).  AU  mir  letzthin  Hprr  Nardoni,  nach  Rom 
zurückgekehrt ,  mit  gewohnter  Liberalität  den  Zutritt  zn 
seiner  Sammlung  verstattete,  fand  ich,  dass  die  siebzehn 
Figuren  den  mit  der  Feile  bearbeiteten  Exemplaren  nmbri- 
scher  Provenienz,  die  oben  Seite  512  besprochen  wurden, 
nahe  yerwandt  sind.  Zwei  männliche  Figuren  dieser  Serie, 
die  eine  nackt,  die  andere  mit  einer  bis  an  den  Knieen 
reichenden  Tunica  bekleidet,  lassen  deutlich  einen  niedrigen 
konischen  Pileus  erkennen,  dessen  unterer  Rand  durch  eine 
eingeschnittene  Linie  scharf  markirt  ist.  Bei  mehreren  an- 
deren weist  die  auffällige  f^änge  des  Kopfes  darauf  hin,  dass 
der  Handwerker  einen  Pileus  darzustellen  beabsichtigte. 


Digitized  by  Google 


M'.  Ilelbiy:  Ueber  den  Füeu»  der  alten  Italiker. 


553 


Nachweis  der  Abbildungen. 

1.  Kopf  dci  Fttnton  der  Tariselia  anf  eimm  BeU«f  tob  Medüiei-Abii, 
BMb  Gaietto  arelüfiologiqQe  1878  pw  109.  Sdie  588—584. 

2.  Kopf  eines  assjrieeheB  Kriegen  auf  einem  Belief  Ton  KigandacUli, 
nach  Layard  tbe  monnraente  of  Nineveli  pL  72.  Sdte  581. 

8.  Kopf  eines  Msjriscben  Ktaigs  »of  einem  Belief  ton  IHmnid,  naeh 

Jaipad  n.  a.  0.  pL  84.  Seite  581. 
4.  AsaTiiseber  KOnig  anf  der  LOwei^afd,  Relief  von  mmmd,  nach 

Layard  a.  a.  0.  pl.  31.  Seite  532. 

Assyrischer  König  auf  dem  Wagen,  Belief  TOn  Kigundsehik»  nach 

Layard  a.  a.  0.  pl.  80.  Seite  532. 

6.  Figur  auf  einer  phönikiscben  Silberachale  von  Amathus  auf  KjpfOS, 
Dach  Revue  archeologique  XXXI  (1876)  pl.  I.  Seite  529. 

7.  Löwentödter  auf  einer  phönikischen  Silberschale  von  Kurion  auf 
Kypro;:,  nach  Revue  archeologique  XXXIII  (1877)  pl,  I.  Seite  530. 

8.  Kopf  einer  Fraa ,  vennuthlich  phönikischen  Stammes ,  auf  einem 
Relief  von  Kujundschik,  nach  Lajard  the  monaments  of  Nineveb 
pl.  71.  Seite  530. 

9.  Männliche  Figur  auf  einer  bei  Palestrina  gefundenen  phönikischen 
Silberschale  nacli  Mon.  dell'  Inst.  X  Taf.  XXXI  1.  Seite  530. 

10.  BQstc  des  .Midas  auf  einer  Münze  tod  Prymnessos,  nach  Ann. 
dell'  Inst.  1847  Tav.  d'agg.  U  5.  Seite  533. 

11.  Bronsene  Kriegcrtigur,  gefunden  auf  der  AkropoUs  Ton  Tiryns,  nach 
SeUiemaaii  H  jkenao  p.  16  n.  12.  Seite  688 

12.  Kopf  eines  Inromenen  Wagenlenkers,  geAmden  m  Olympia,  nach  den 
»Ansgrabnngen  in  Olympia"  Band  IV  Taf.  XXL  Seite  587. 

Tafel  II. 

13.  Kopf  eines  Idols  dargestellt  auf  einer  polychromen  caeretaner  Thon- 
plutUs  nach  Mon.  doli'  Inst.  VI  Taf.  XXX  n.  VI.  Seite  528. 

14.  Kopf  eines  Todten  aus  den  Malereien  der  cornetaner  Tomba  del 
morto,  nach  Mon.  dell'  Inst.  II  Taf.  II.  Seite  498. 

15.  Kopf  eines  Aufsehers  der  Leichenspiele  aus  der  cornetaner  Toipba 
degli  Augur),  Origiualzeichnung.  Seite  5U6. 

16.  Kopf  eines  Komasten  aus  den  Malereien  der  cornetaner  Tomba  delle 
iacrizioni,  nach  Stackelberg  und  Kestner  Gr&ber  von  Cometo 
Taf.  XXV  6.  Seite  498. 


Digitized  by  GoOglc 


554    Sitzuug  der  phtlos.-phUol.  Clastte  vom  6.  November  1880. 


17.  Franenkopf  aus  den  Malereien  der  cornetaner  Tomba  dei  vasi  di- 
piDti,  nach  Mon.  dell'  Inst.  Villi  Taf.  XIII  1.  Seite  518,  514. 

18.  Frauenkopf  aus  den  Malereien  der  cornetaner  Tomba  del  vecchio, 
nach  Mon.  dell'  Inst.  Villi  Taf.  XIIII  la.  Seite  518.  514 

19.  Kopf  einer  weiblichen  Bronzefigur  nach  Gozzadini  di  un'  antica  ne- 
cropoli  a  Marzabotto  Taf.  11  n.  1.  Soite  528. 

20.  Revers  eines  Denars  des  Julius  Caesar  nach  Cohen  monn.  de  la 
republique  pl.  XX  10.  Seite  492. 

21.  Revers  eines  von  M.  Antonius  und  M.  Lepidus  geschlagenen  Denars 
nach  Cohen  monn.  de  la  republ.  pl.  IV  14.  Seite  492. 

22.  Revers  eines   Denars  des  Brutus  nach  Cohen  med.  imperiales  I 
pl.  II  4.  Seite  490. 

23.  Revers  eines  vermuthlich  nach  dem  Tode  des  Nero  geschlagenen 
Denars  nach  Cohen  med.  imp.  I  pl.  XIV  267.  Seite  490. 

24.  Apex  eines  Sacerdos  collegii  aus  den  Reliefs  einer  capitolinischen 
Basis,  nach  Foggini  .Mus.  capitol.  IV  15.  Seite  495. 

25.  Pileus  der  Plebs  desselben  Collegiums,  nach  Foggini  a.  a.  0.  IV  15. 
Seite  495. 

26.  Flamen  Dialis  nuf  einem  capitolinischeo  Relief  ans  der  Zeit  des 
M.  Aurel,  Originalzeichnung.  Seite  492. 


GqoqI 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


Xu  BMfff  JßUeuM. 


DigitizcG  by  Li(.)o^le 


Digitized  by  Google 


Sitzungsberichte 

der 

kOnigl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 

Philosophisch-philologische  Classe. 

SttniDg  Tom  6.  Norember  1880. 


Herr  Maorer  bielt  einen  Vortrag: 

tfUeber  die  Wasserweihe  des  germani- 
eehen  Heidenthuma/* 

Derselbe  wird  in  den  ,,Abbaadlangen^^  veröfifentlicbt 
werden. 

Herr  Hofmauu  hatte  eingeschickt  eine  Abhandlang  des 
Herrn  Alphons  Mayer  in  Landshut: 

„Waldensia.^ 

Die  Schriftwerke  der  Waldeneer  lieferten  sehon  in 
früheren  Jahrhunderten  Männern  wie  Morland,  Ldger,  Per- 
rin,  die  eich  besonders  mit  der  Geschichte  jenes  kleinen 

interessanten  Gebirgsvolkes  beschäftigten,  reichliche  Ans- 
bcute.  Aber  meistens  waren  es  nur  Auszüge,  Uebersetzun- 
gon  oder  Brnchstücko  dor  waldonsischen  Literatur,  wie  es 
eben  der  Zweck,  für  den  sie  bestimmt  waren ,  erheischte. 
Erst  bei  Beginn  ooseres  Jahrhunderts  bat  der  Gründer  der 
romanischen  Philologie,  Rajnouard,  einselne  Stftcke,  so 
hauptsächlich  die  Nobla  Leycson  und  1a  Barca  in  seinem 
[1880. 1.  Phil.-pliiL  bist.  Ci.  Bd.  L  u.J  86 


Digitized  by  Google 


556    SiUung  der  phOoarphaol.  Claase  wm  6,  November  1880. 

Werlte  ,,Choix  des  Poesies  originales  des  Troubadours^'  wie- 
dergegeben. Auch  hier  lässt  die  Vollständigkeit  zn  wün- 
schen übrig.  Um  einen  kleinen  Theii  der  noch  vorhandenen 
Schriften  der  Waldeoaer  der  romanischen  Philologenwelt 
sngftnglich  sa  machen,  wurde  die  Reise  nach  Dublin  nnter- 
nommen,  wo,  nSchet  CSambridge  ond  Gen^  die  ältesten  nnd 
besten  Mannscrijyte  sieh  befinden.  Der  erste  Plan  war,  den 
Physiologus,  der  sonst  in  keiner  andern  Handschrift  vor- 
kommt nnd  noch  als  solcher  unbekannt  war ,  zu  kopieren 
und  der  kgl.  bayerischen  Akademie  zur  Verfügung  zu  .stellen. 
Aber  bald  zeigte  es  sich,  dass  ich  in  kurzer  Zeit  eine  er- 
giebige Ansbeuto  jener  Handschriften  machen  konnte,  so 
dass  es  sich  nicht  mehr  darum  handeln  kann,  ein  einaelnes 
Stück,  wie  den  Physiologns,  getrennt  zn  Teröfibntlichen. 
Es  erscheint  nun  vielmehr  gerathen,  eine  Gesammteosgabe 
aller  wichtigen  Werke  der  Waideuser  zu  veranstalten  und 
dieselbe  sobald  wie  möglich  vorzunehmen.  Ein  wichtiger 
Schritt  ist  durch  meine  Arbeiten  in  der  Bibliothek  des  Tri- 
nitj  College,  dessen  Vorständen,  besonders  Dr  Ingram,  ich 
für  ihr  freundliches  und  bereitwilliges  Entgegenkommen  zn 
grossem  Danke  verpflichtet  bin,  bereite  gesclieheii. 

An  jenem  Orte  befinden  sich  nicht  weniger  als  7  in 
waldensischer  Sprache  geschriebene  Codices,  olme  der  zwei 
andern ,  die  grössten  Theils  lateinisch  sind  und  Dokument« 
über  verschiedene  Processe  gegen  die  Waldenser  enthalten, 
zu  erwähnen.  Das  wichtigste  Manuscript  unter  diesen  7 
ist  ohne  Zweifel  C.  5.  21,  welches  die  Gedichte  und  den 
Physiologus  umfasst.  Die  Gedichte  stehen  znerst,  von  denen 
Novel  Cronforfe  (289  Verse)  die  Beihe  beginnt.  Es  ist  eines 
der  besseren  Gedichte  nnd  an  manchen  Stellen  poetischer 
als  die  soviel  gerühmte  Nobla  Leyczon.  Die  Eitelkeit  der 
Welt  bildet  deu  Hauptinhalt;  alles  ist  Trug,  Ehren,  Reich- 
thümer,  prachtvolle  Kleider  und  kostbare  Steine;  der  Mensch 
soll  seinen  Blick  höher  richten  und  sich  von  dem  thöriehten 


Digitized  by  Google 


Alphons  Mayer:  Waldensia. 


557 


Pompe  der  Welt  nicht  beeinflussen  lassen.  Es  fangt  mit 
folgenden  Worten  an: 

Aqnest  nonel  confort  de  vertuos  lauer 
Mando  vos  scrivent  en  carita  e  amor, 
Prego  vos  carament  per  Tamor  del  segnor', 
Habandona  lo  segle,  serne  dio  cum  temor. 
Uos  dorme  longament  en  la  uostra  tristicia 
G  non  uole  uelhar,  mas  segue  la  pigricia, 
Soaument  repausar  al  leit  d'  auaricia 
Patent  al  uostre  cap  cussin  de  cubiticia, 
'  Tota  la  uostra  vita  es  un  petit  dormir 
üorment  vos  soyma  un  soyme  de  placzer. 

und  endet  mit  den  Versen: 

Ära  nene  al  dia  dar  e  non  sia  negligent, 
Tubusa  a  la  porta,  facze  uertuosament 
E  lo  sant  sperit  uos  bubrire  doczament 
E  amenare  uos  a  la  gloria  del  cel  uerament, 
Uene  e  non  atenda  a  la  noit  tenebrosa 
Laqual  es  mot  scura  cribla  e  spauentosa; 
Aquel  que  ven  de  noit  ja  Tespos  ni  Tesposa 
Non  bubrire  a  lui  la  porta  preciosa. 

Das  Folgende  Gedicht  bandelt  von  dem  Sämann  und 
enthält  darauf  bezügliche  Lehren.  Die  Ueberschrift  ist: 
Aici  comencza  Teuangeli  de  Ii  quatre  semencz  und  fangt 
auf  folgende  Weise  an : 

Ära  parlen  del  auaugeli  de  Ii  quatre  semencz 
Que  Crist  parlaua  al  segle  present, 
Per  que  el  hagues  al  mont  aicun  comenczament, 
De  la  soa  creatura  engen  ra  novellament. 

and  hat  als  Scblussverse : 

En  solacz  e  en  deport  tota  lor  via, 
Car  seren  filh  de  dio  payre  d^umilita, 

36* 


558    Sitzung  der  jphäcsrphüol.  Claase  vom  6.  November  1860* 

Possessiren  la  ^loria  per  propria  hereditÄ, 

Seren  an^el  glorios  lu^ent  vn  ciarita, 

Per  tait  temp  istare  deuant  lasanta  trinita. 

Das  dritte  Oedicht  ist  ,.la  Barca"  (330  Verse).  Es 
handelt  von  dem  Menschen  uml  vom  Leben.  Adam  wurde 
von  Gott  mit  dem  niedrigsten  Elemente,  der  Erde,  geschati'en, 
nnd  seit  der  Zeit  kommen  die  M»'!isr'1ipn  mit  der  »Sünde  zur 
Welt.  Wir  sind  nnr  die  Speise  der  Würmer,  tmd  während 
unsere  Vorfahren  8  und  900  Jahre  alt  wurden,  erreichen 
wir  kaum  80: 

Fait  sen  apres  manjar  de  uerz,  massa  de  poridura, 

Legna  de  fuoo  a  sentir  grant  ardnra, 

Li  albre  de  )or  meseyrae  perduon  firac  deleitinol, 

L*ome  de  si  non  reut,  si  non  fruc  encreisiuol, 

Loqual  es  uerm  e  leudenas  e  peolh  habominiuol. 

Vin,  oli  e  balsemo  salb  de  Ii  albre  liqnor. 

Stercora  e  orina  salli  de  Ii  ome  pndor, 

Oit  Cent  e  noo  ceut  an  solon  Ii  ome  hauer  uescu, 

Me  recorda  en  V  escriptura  bauer  legi; 

Mas  al  temp  present,  coma  di  Salamon, 

Uiore  cent  au  es  fora  de  saczon, 

E  mot  son  rar  aquilh  que  passan  taut  enant, 

£  qui  uay  entro  a  oitanta,  la  aoa  uita  es  abasiant. 

Und  da  das  Leben  nichts  ist,  so  möge  der  Sünder  wohl 
Acht  geben,  womit  er  sein  Schiff  befrachtet,  das  ihn  in  eine 
andere  Welt  fuhrt: 

0  miser  peccador,  or  te  pren  garda, 
De  qual  marcauUia  tu  cariares  ta  barca. 

Vom  klugen  Kaufmann  und  Schiffer  heisst  es: 

Quant  lo  saui  marchant  aribare  en  aqnel  port, 
Cum  grant  paur  intrare,  mas  el  baure  confort, 
Que  la  bona  marchandia  lo  secorra 


Digitized  by  Google 


Mphom  Maytr:  Waldentia, 


559 


D*or  e  d 'argen t  e  de  pejrra  preciosa 
De  que  el  ha  fiut  siina  e  bona  cargia, 
Encara  aanorra  n*a  mea  en  la  soa  barca. 

An  (üpse  Gefliehte  reihpn  sich  zwei  andere  „Payre 
eteruai''  (158  \er.-ej  und  eines  ohne  Titel,  das  wohl  iden- 
tisch sein  mag  mit  dem  Geilichte  in  der  Genfer  Handschrift, 
bekannt  nnfcer  der  Ueberschrift:  ^Lo  despieczi  del  Moni** 
(115  Verse).  Non  folgt  die  Nobla  Lejczon,  die  scbon  so 
Tie!  Streit  verursacht  bat,  weil  sie  die  Jabresiahl  1100 
entbSIt.  Einige  behaupten,  es  müsse  1400  beissen,  da  in 
der  Cambridger  Handschrift,  das  nicht  gut  ausradierte  Vier 
noch  sichtbar  und  in  der  Dubliner  Handsclirift  e  oben  hin- 
auf corrigiert  sei.  Dieses  e  —  und  wird  auch  für  das 
Zeichen  a  =  qnatre  gehalten.  Der  Anfang  der  Nobla  Leye» 
zon  mit  der  bestrittenen  Stelle  heisst: 

0  frayres,  entende  nna  nobla  leyc/.on, 
Soaent  deorian  uelhar  e  istur  en  orac/on, 
Car  nos  neben  aquest  mont  esser  pres  del  cbaaon» 
Mot  deorian  esser  cnrios  de  bonas  obras  far, 
Gar  nos  neben  aqnest  mont  de  la  fin  apropiar. 
Ben  ba  mil  e  cent  an  compli  entierament. 
Qne  foscripta  Tora,  car  sen  al  derier  teinp, 
Poe  deorian  enbitar,  car  sen  al  remanent. 

Wenn  man  die  Zahl  1100  bestreitet  und  1400  liest, 
to  Terschwindet  anch  der  Nimbns  fSr  das  hohe  Alter  des 
Gedichtes.  Dass  aber  die  Waldenser  schon  lange  in  den 
Bergen  Piemonts  gewohnt  haben  müssen,  kann  man  schon 
ans  ihrer  Volkszahl  von  800,000  schliessen,  wie  in  einer 
Petition  Maurel's  und  Mas«Jou's  an  Bucer  und  Oecolampadius 
im  Jahre  löSO  ausführlich  v.n  lesen  ist  (HS.  C.  5.  18): 
„Lo  uostre  pöble  es  en  la  plus  grant  part  benig,  simple  e 
mstic,  e  manjant  lo  seo  pan  del  lauor  de  las  soas  mans  e 
desparii  en  moti  Inoc  per  las  sovendieras  persecacions  e 


560    SiUtmg  der  pkOosrphiM,  (^am  wm  ß,  Nwember  1880, 

despersi  per  grani  spaci,  car  de  restremita  de  una  fin  a 
Paotra  hya  plus  d^ojt  cent  milli  e  per  tot  sotmes,  Tolha 
0  non  Toiha,  a  las  segnorias  e  a  Ii  preyre  papistic.^^ 

An  einer  anderen  Stelle  tiuden  wir,  dass  die  P^iuwan- 
derung  vor  mehr  als  400  Jahren  stattgefunden  lial«':  ,,Car 
ac20  que  tu  entendas  uoa  vecz  nos  tals  qnaXa  •  ik^egnador 
d*iiii  pöble  panret  e  petit  loqaal  endemora  plus  de  4  cent 
an  entre  lu  erodelliscimas  spinas. 

Dme  Angabe  wurde  die  Einwandening  jenes  Volkes 
nach  Norditalien  wenigstens  bis  in  das  Jabr  1100  zorttck- 
schieben,  was,  wenn  sie  richtig  wäre,  für  die  Nobla  Leyczon 
sicherlich  auch  von  Bedeutung  sein  würde.  Es  wäre  lange 
Zeit  noch  vor  Valdo  gewesen ,  dessen  kleine  Schaar  von 
Ljoner  Armen  ia  jenem  Volke  aufgehen  musste  Schon 
die  Sprache  lilsst  es  als  nicht  sehr  wahrscheinlich  erscheinen, 
dass  Valdo  nnd  seine  Lyoner  die  Vater  der  Waldenser 
waren,  denn  die  Waldenser  haben  eine  Abart  des  proven- 
faliseben  Dialektes,  wihrend  Lyon  noch  in  die  Zone  der 
Langue  d'oil  gehört.  Die  Frage  nach  der  Herkunft  dieses 
Volkes  lässt  sich  jedoch  nicht  leicht  beantworten,  ()Kwo]il  man 
seine  Wiege  in  der  Provence  vermuthen  darf.  Könnte  man 
aber  mit  Sicherheit  diese  Frage  beantworten,  so  wie  die 
Zeit  der  Einwanderong  approximativ  bestimmen,  so  wire 
ein  grosser  Sehritt  gethan.  Leider  mnss  man  dies  den 
Foisdhnngen  der  Znknnft  Überlassen. 

Die  Verse  der  Nobla  Leyczon  sind  Zw51fsilber  nnd 
würde  man  in  Ben  ha  rail  e  cent  an  compli  entierament 
die  Worte  quatre  cent  einsetzen ,  so  wäre  der  Vers  zer- 
stört. Manche  Verse,  es  ist  wahr,  haben  scheinbar  mehr 
als  zwölf  Silben,  weil  sie  viele  auf  einander  folgende  Vo- 
kale enthalten,  aber  diese  Vokale  müssen  dipbthongirt  und 
zusammen  als  eine  Silbe  gelesen  werden,  wie  dies  hente 
noch  im  Italienischen  geschieht.  Dieses  Prindp  ist  bei  den 
waldensischen  Versen  anzuwenden,  auch  wenn  einige  unrich- 


Digitized  by  Google 


Aiphiom  Mayer:  WaUkntia,  561 

tige  Verse  dasselbe  umznwerfen  drohten.  Auf  cornimpierte 
Vene  Regeln  aufenstellen,  wie  dies  in  neneeter  Zeit  für  das 
Anglo-Normannisehe  gesclielien  ist,  hiease  der  Willkfir  Thür 
und  Tliore  öihien.   Wamm  anch  so  yerwickelte  üinge  da 

suchen,  wo  das  Ein&che  die  Lösung  giebt? 

Eine  andere  Tbatsache  spricht  ebeufalls  noch  for  das 
hohe  Alter  der  Nobla  Leycson.  Nämlich  Valdo  Hess  Ter« 
schiedene  Mannscripte  kopieren  oder  fibersetxen  nnd  zwar 
in*8  Romanische,  gegen  das  Jahr  llHb,  Dies  beriehtet  uns 
Etienne  de  Borbone,  der  es  aus  dem  Munde  einiger  Mitar- 
beiter Valdo's  selbst  erfahren  hatte.  Daranf  hin  könnte 
man  wohl  vermuthen,  dass  die  Nobla  Leyczon  um  jene  Zeit 
ebenfalls  das  Tageslicht  erblickte,  wenn  sie  nicht  schon 
▼orhanden  war,  so  dass  ihre  Entstehung  vor  das  Jahr  1200 
an  setzen  wäre.  Ans  den  Worten  mil  e  cent  an  ist  anch 
nicht  zu  schlieesen,  dass  man  erst  1100  sfthlte,  denn  die 
Worte  ben  und  entierament  lassen  einen  grossen  Spielraunif 
so  dass  man  1110,  1120,  1130  oder  eine  noch  spätere  Zahl 
annehmen  kcuin. 

Nach  der  Nobla  Leyczon  folgt  ein  anderes  Gedicht 
mit  demselben  Titel,  das  aber  nichts  anderes  sein  wird,  als 
Lo  nouel  Sermon.  £^  besteht  aus  ungefähr  450  Versen 
nnd  wird  in  demselben  aufgefordert,  Gott  zu  dienen  und 
naob  der  Seligkeit  zu  streben.   Dann  sagt  es  aber: 

Ilh  nolrian  ben  paradis  en  qnant  per  desirar, 
Mas  ^  per  que  el  s*aquista  non  nolrian  gaire  Sur. 

Ein  kurzer  Sermon  „del  Mesquin'^  reiht  sich  daran. 
Dieser  Sermon  findet  sich  in  drei  verschiedenen  Handschrif- 
ten, in  0.  5*  21,  G.  5.  22  nnd  in  G.  5.  26.  In  den  beiden 
letzteren  Fftllen  weicht  der  Text  in  m^reren  Punkten  Ton 
der  ersten  Version  ab.  Der  Anfang:  Donca  nos  mesquin 
(C.  5.  22  mesqiüus)  per  <^ue  tarnen  de  ben  far  e  per  (^ue 


Digitized  by  Google 


562    SUzung  der  pkäot.-phUol*  Clam  vom  6,  Nwember  1880, 

nolen  mal  abrar,  car  lo  tfimp  trapassa  e  la  vita  defalh  etc. 
ist  überall  derselbe. 

Ein  Ora^on  betiteltes  Stück  steht  vor  dem  Physiologos 
nnd  wurde  ffir  eioe  Prombbandlaiig  gehalten.  Nachdem 
ich  aber  dasselbe  aufmerksam  durchgelesen  halte  nnd  sn 
kopieren  anfing,  sah  ich  sofort,  dass  es  Verse  waren  nnd 
yersucbte  dieselbeu  wiederlierzustellen ,  was  mir  grössten 
Tbeils  auch  gelang. 

Nun  folgt  die  üebertragung  in's  Waldensiscbe  von 
dem  Physiologus,  der  in  den  ersten  Jahrhunderten  nach 
Christas  verfasst  worden  sein  soll  nnd  später  in  alle  Spra- 
chen flbersettt  wurde.  Hier  ist  er  unter  dem  Titel:  De  la 
propriotaa  de  la  animan^as.  Nach  der  Einleitnng  folgen 
53  yerschiedene  Abhandlungen  fiber  Thiere.  Die  Namen 
der  behandelten  Thiere  wurden  von  Todd,  ,,The  books  of 
Vandois/'  p.  15  angegeben,  zwei  wurden  jedoch  vergessen 
oder  übersehen  und  einige  andere  ganz  falsch  gelesen.  Öo 
hat  Todd  ebenfalls  alaman^as  statt  animan9a8.  Die  beschrie* 
benen  Thiere  sind:  1)  L*ajgla,  2)  Lo  pelican,  3)  lo  fenis, 
4)  lo  panon,  5)  la  graa,  6)  lo  gal,  7)  la  galina,  8)  lo  corp, 
9)  lo  cing,  10)  lo  pic,  11)  la  randola,  12)  la  tortora, 
13)  la  perdi9,  14j  la  colomba,  15)  lo  uoutor,  16)  lo  falcnn, 
17)  lo  papagal,  18)  lo  merlo,  19)  lo  rosignol,  20)  las  abelh<is, 
21)  la  chicala,  22)  lo  caladri ,  23)  lo  leon,  24)  la  simia, 
25)  lo  lop,  26)  la  mostela,  27)  la  salamandia,  28)  lo  dar- 
ben, 29}  runicom,  80)  lo  cerf,  31)  lo  camos  (anch  chamos 
geschrieben),  32)  la  pantera,  33)  lo  castor,  34)  la  rics, 
35)  raliftint,  36)  lo  canal,  37)  lo  griffon,  38)  lo  hno,  39)  la 
uolp,  40)  lo  can,  41)  l'audolap,  42)  la  furnicz,  43)  la  Se- 
rena, 44)  la  baleua,  45)  la  uipra,  46)  l  iuspi,  47)  lo  cocodril, 
48)  l'idria,  49)  lo  serpeut,  50)  lo  reoan,  51)  lo  tigre, 
52)  Varagna,  53)  lo  scoipion. 

Zur  Vergleichung  des  waldensischen  Textes  mit  dem 
lateinischen,  griechischen  oder  armenischen  gebrach  es  mir 


Digitized  by  Google 


Al2>ho)is  Mayer:  Waldensia. 


563 


an  Zeit  und  so  konnte  ich  noch  nicht  bestimmt  feststellen, 
welchem  Theile  er  ganz  besonders  entspricht,  das  Kapitel 
über  den  Löwen  habe  ich  jedoch  Gelegenheit  gehabt  mit 
dem  entsprechenden  griechischen  Texte  zu  vergleichen  und 
ersah ,  dass  bis  auf  Weniges  die  beiden  Stücke  die  grösste 
Aehnlichkeit  mit  einander  besitzen.  Um  dies  deutlicher  zu 
zeigen,  gebe  ich  hier  die  zwei  Texte:  Nur  an  einer  Stelle 
tritt  Intervertierung  der  respectiven  Eintheilung  ein.  Das 
Waldensische  heisst: 

Del  leon. 

Lo  leon  ha  quatre  propriotas  e  naturas.  La  prumiera 
de  lasquals  es  aital  que  quaut  el  deisent  de  la  cima  de  Ii 
ant  mout,  si  el  sent  Ii  ca9ador,  el  cuobre  las  soas  peas  au 
la  soa  coa  que  Ii  ca9ador  uon  trobon  lo  seo  luoc  ni  lo 
poissan  saber  ni  conoisser.  Dont  per  aquesta  natura  es  en- 
tendu  dio  quant  el  deisende  del  cel,  90  es  en  la  uergena 
Maria,  el  resconde  lo  seo  annament  que  lo  diauol  non  po- 
gues  conoisser  lo  seo  annament  ni  la  maison,  90  es  la  uer- 
gena. Nos  deven  far  enajci  e  ensegre  la  doctrina  e  Teisemple 
del  nostre  redemptor  que  nos  deuen  usar  enayci  las  cosas 
mondanas  que  lo  ca9ador,  90  es  lo  diauol  non  sega  Ii  nostre 
annament. 

La  2*  propiota  del  leon  es  qu'  el  nais  mort  e  ista  3 
jorn  mort  e  pois  uen  lo  paire  de  lui  e  gieta  grant  bram 
en  la  boca  de  lui  e  viuifica  lui.  E  adonca  pren  Ii  5  senti- 
ment.  Dont  Crist  fu  euayma  leon  loqual  iste  mort  per  3 
jorn  al  sepulcre  e  pois  per  la  vertu  del  payre  celestial 
resucite  al  tercz  dia  dei  mort.  A  Teisemple  del  qual  nos 
quant  sen  mort  deuen  resucitar  del  juici^a  las  vertucz  qu'el 
resucite  nos  de  la  uile9a  d'aquest  mont  al  seo  eterual  goy 
de  paradis. 

La  3*  propiota  del  leon  es  que  dementre  qu'el  dorm 
autjua  nou  clau  Ii  seo  olh.    Loqual  leon  es  meseyme  dio 


564    SHäung  der  pkOatrpküdl,  Clasae  vom  6,  Ifooemder  1800. 

loqaal  non  dorm  en  nean  temp,  mas  nbert  Ii  seo  olh  gard» 
no8  totaois.  Segont  90  qae  dis  Angostuiiu:  „Dio  nos 
gwda  de  tot  mal  non  qoe  do«  non  snffiran  alcona  eoaa 
d^adaerseta,  mas  qne  la  nostra  arma  non  sia  naffira  per 
aqnellas  adnersetas. 

La  quarta  propiota  del  leon  es  aqiiesta;  car  quant  el 
oal  penre  las  bestias  el  cercouda  pruraierament  tota  la  selua 
e  pais  inira  eu  la  selua  e  pren  90  qu'el  doI  penre  e  las 
anunan^  non  ansan  issir,  poisqoe  lo  leon  bi  es  passa  o 
polsqne  ellas  troban  Tannament  de  Ini.  Per  aqnest  leon  es 
entendn  lo  dianol  loqnal  eeroonda  Ii  Inoc  en  liqual  istan 
Ii  peceador,  liqual  son  eeroonda  de  Ii  annament  diabolie  e 
la^a  de  Ii  lacz  mot  dur  enayci  qu*ilh  non  pon  eis^ir  de  la 
sei  na,  90  es  del  pecca,  mas  permauou  eu  la  cadena  de- 
diauol. 

Der  griechische  Text,  welcber  bei  J.  B.  Pitra,  Spicit 
leginm  Solesmense,  Bd.  III,  p.  338  ff.  TeröfibnÜicht  ist,  lantel 
wie  folgt: 

X)  qwütoXiyaq  f^tjyoi  f.t€vog  neqt  tov  Xiowrog  Anev,  ort 
TQEig  (f'vaeig  e'x^i.  Jlqtuzi]  aiiov  g)vatg ,  otav  jreQiTTctr^  iv 
Ttp  OQ€tj  tQx^Tai  avT(iJ  dourj  T(Jiv  xi  vr^yon'  /.ai  01^^  aviov 
avynakvTttei  avtov  %d  Ix'^'^i  /^fi  cL7f.6kov^ovv%eQ  avzov 
%olg  ixf^eaiv  ol  xwrjyol  €TQ(f)aiv  €tVToi  rrjv  fiavdfgo»  x<u  ?ricf- 
üUMfiv  avTov.  ^EQfifjvsia'  Ovt(o  xai  6  aam^^  fwv^  6  pos^dg 
Uwy  vatfl^üog  ix  qmkriq  *lov6u  ^  JavlH  onotncAdg 
arte  toü  dgifaoü  naTQog  ixalv^  td  yoe^  adrov  Txyr],  tovt* 
itrri  trjp  ^Borrpca.  Msxa  ayy^Accw  ayyeXog  iyiveto ,  fteva 
av^giojfwr  av^qcoicog  ^  fdeto  i^ovauZv  e^ovala  Vcog  y.cna- 
ßaaeiog  avrov'  xardßrj  yaq  %ig  zi^v  fitjiQav  Ma^iag,  anu^ 
oioari  %6  nerrXaviffAlvov  yivos  rcSf  i^^iüy  ttSv  dv&Qtantap, 
Kai  6  loyog  odg^  iyiveto  x<d  iaxT/Pwa$v  h  ^fuy.  *E»  tovrov 
dyvoovyrtg  ttvtw  <mo&w  xarel&ivta  tktyw  „T/^  ioriy  ovroff 
6  (ktoiXevg  doSi^'*;  Uta  v6  rcrsvfia  t6  Syu»  Xiyu 
fjKvQiog  tm  ivmm  ohog  icnv  6  ßaadevg  tijg  do^i^."' 


Digitized  by  Google 


Alphorn  Mayer:  Waldetisia. 


565 


Jtvriqa  (pvotg  rov  Xfovtog,  *'Orav  xad^evSrj,  dyQviTvovaiv 
avTOv  ot  ocpi^aXiior  ovEioyiihoi  yaq  Eiatv.        ^ohyptiov  ^ag- 

Tu  fiiv  aioptay  drjXov  rov  Kvgtov  y  na&evdei,  t]  di  i^eoTr^q 
avrov  dygvnvBi  ex  de^tijv  tov  IlaiQog,.  ,,0t*  ydg  vvoiat,H 
OL  de  i'Tivioaei  6  (pvXdaaiov  tov  ^lagar^X.^^ 

TgizTj  qxaig  tot  XtovTog.  *0t€  tJ  Xlaiva  y€vv^  tov 
a/.vfivovj  vevigov  aiTov  yevv^  /.ai  (piXctaaei  t6  titivovj  nog 
av  tki^ji  6  TtaTTig  avrov  Tjj  TgiTtj  r^i.ttg(jc  xat  t^q>vor^or^  avTOV 
eig  TO  ngoöionov  'Aal  ^ydgr^  aviov.  ^Egfir^veia'  Ovrojg  aoi  6 
TraiTOAgctnüg  ^cog,  6  flaii^g  tcov  oltov  f^yeige  tov  iigimoio- 
y(.ov  jidarjg  ATfoeiog  Tghtj  rjiitfg<f  fx  tcjv  veyiguiv  tov  Kvgiov 
»J/^wv  *lr^aovv  Xgiazov.  KaXiog  ovv  6  ^laynoß  tXeye  ,jKai  woei 
axvftvovj  Tig  t^eyegei  avTov;^^  ^Eitga  egiJijveia'  Ovro)  aal  ra 
a/TLOTa  l'^vt]  öid  rijg  TgirjfAtgov  Ta(frjg  xai  iytgaeiog  tov 
Kvgiov  riftdiv  ^hjaov  Xgiarov  dvtßXeipav  %at  itujo/ioii^&rjaav' 
ngo  ydg  tov  ßaTzrla^aTog  vexgoi  xat  Tv(fXol  wvofiaLovTO' 
öiEßXtnovTO  de  in 6  TT^g  Xeaivi]gj  TovTtOTi  tov  dyiov  Tlvev' 
fnoTog  y  ^log  Trjg  TgtT]f.ttgov  rayfjg,  ot£  ^X&ev  6  aggr^v  Xtiov, 
TOVTeajiv  6  Kio(öv  Aoyogy  aal  eve(pva^a£\'  eig  aiiovg  t6  ayiov 
rivevfia  y.ai  i^iooirohjoev  avTOvg  Tfp  dyi(ij  TIvev^aTt  xai 
djif^gev  ndvTag  £x  tov  <^6ov.  ^Ectga  eg/arjVEta'  OtVwg  xai  6 
Kvgiog  ij/iwv  *Ir^aovg  XgiOTog  6  er  itpr^Xoig  xa^^eCoiAivog  xai 
iv  Tili  ^drj  TOV  öidßoXov  alxuaXoTiai^tvTa  tXaße.  Jid  tovto 
iXdXi^oe  öid  Tuiv  ugo(priiüv  y^Oii  lyio  xai^evdoj  xai  oi  oqh- 
&aXitoi  fiov  ygriyogovoiv.*^ 

*ETega  q^vaig  tov  XtovTog.  "Orav  fjtj  evgiaxij  Ti  q>ayeiv 
Tcogevo^evog  ev  dygut  IgriiAi^  rj  iv  ogei,  xvxXvei  tottov  noXvy 
fi£Ta  Trjg  xlgxov  avtov  avgwv  at'njy  iv  t^  y^  xai  noui 
Sixrjv  ftdi'ögag'  xai  oiav  nXrjaidorj,  o^ev  Trjv  dgx^v  i-roh^OEy 
xelTai  Tj7rX(ü^evog  h>  Tf^  yj^  dvEoyfievovg  e'x^v  TOig  oq^^aX- 
fiovg'  TOTE  ovv  ;rogEv6^tEva  zd  ^i7ja  xai  7iTootfiEva  rijr  tov 
Xtoviog  dtdßaaiv  66evei  oi>Ev  ovx  Lrogevd^tj  6  Xeiov  xai  ftii 
Evgovta   nXriaid/üi   l^ex^i   tov   Xiovtog'   tote   dgiid^ei  xai 


566    SUgmig  der  fhilo$.'piaol,  Claue  wm  6.  November  1880, 

TQioyei  otvtd.  ^EQ/urjvela'  'ilare  ovv  t/.(pevyei  xov  TLvvriyov  ^ixa 
%rig  ov(fig  avrov  avynoXv/itei  toig  Ip'eatv  xai  ovx  iaxvu  ^X'^o- 
Xoyrjaai  av%W  6  xwijyogj  ovru  xai  ai),  voijvi  av^qtanog,  noi» 
owtf  001  liei^fioavMjp  fii/  iieiywatui  ij  oQiüvt^  aov  v^g  d$SiSg 
00V  %6  lipx^,  nwg  IxjHtkoyrflai  0t  6  diißohog  %oig  Mqfoig 
00V  joig  aya^oXg  xtd  htiikivj^aai  ^oJUoy  irei  %a  notmjqa, 

Die8  dnd  die  wiehtigsten  Tractate,  welche  eich  in  den 
Dnbliner  Handschriften  befinden  t  nnd  an  diese  reihen  sieb 
eine  Menge  theologisch-moraHseher  Abhandlnngen.  Tn  den 

meisten  derselben  ist  von  der  Trennnn^  von  der  röniisclien 
Kirche  selten  oder  gar  nicht  die  Rode  nnd  weichen  die 
darin  enthaltenen  Lehren  wenig  von  der  katholischea  ab. 
Die  wirkliche  Spaltung  nnd  Trennung  wird  erst  ans  den 
Briefen  MorePs  nnd  Masson^e  1530  ersichtlich.  Von  den 
vorhandenen  geringem  Schrillen  Ti^hlte  ich  die  bessern 
Sachen  zum  Kopieren  ans  nnd*  konnte  ich  mehrere  solche 
Abhand Inngen  bewältigen.  Die  meisten  derselben  befinden 
sich  in  der  Handschrift  C.  5.  22,  ein  Papierband  in  Duo- 
decimo  von  389  Blättern. 

Der  Liber  virtatnm  Ton  f.  1—78  war  an  lang  nnd 
hatte  die  Zot  kanm  mehr  gereicht«  nm  ihn  zvl  kopieren. 
Ich  schrieb  die  anf  f.  78 — 85  folgende  Abhandlung,  welche 

„L'ensegnement  de  Ii  filh"  betitelt  ist  nnd  in  der  Mitt« 

plötzlich  die  üeberschrift  in  „de  la  garde  de  las  filhas''  ver- 
wandelt, ab.    Sie  hat  folgenden  Anfang: 

Li  filh  liqnal  naison  a  H  parona  camals  denon  easer 
rendn  de  lor  speritnals  a  dio  per  deciplina  e  per  ameetra- 
ment.   En  ayma  es  dit  en  Ecdesiasticns :   Aqnel  lo  qnal 

ama  lo  seo  filh  sovendeia  a  lui  la  uerga  (ju'el  s'alegre  en 
la  derayria  e  non  palpe  Ii  hus  del  proyme. 

Die  nächste  „del  matrimoni*^  beginnt  folgendermassen : 
Ayd  vollen  parlar  del  matrimoni  a  confort  de  Ii  bon  —  Jo 
entendo  de  dire  qnal  cosa  sia  matrimoni  e  per  qne  el  sia 


Digitized  by  Google 


Älphona  Mayer:  Wäldensia. 


567 


ista  ordena  de  dio ;  e  qaale  aon  las  cosaa  laeqnals  prealment 
8on  al  matrimoni;  e  qnal  cosa  atiaifi  ta  maiorment  al  ma- 
irimoni.  En  qnant  al  prämier  sapias  qne  lo  matrimoni  es 
lif^m  non  deliguinol:   Qo  as  a  saber  enayci:   To  eeeent 

persona  legitima,  per  cousentiment  e  per  parolla  depresent 
te  ligares  con  fena  legiptima  (sie).  Vos  non  poe  esser 
desliga  entro  a  la  mort  l'uii  de  Tautre. 

Auch  konnte  ich  mir  noch  eine  Abhandlang  fiber  die 
Todsünden,  die  auf  f.  118 — 139  steht,  aneignen.  Es  wer- 
den die  Snnden  de  la  Saperbia,  de  la  Cobiticia,  de  la  Vana 
Gloria,  de  1*  Envidia,  de  V  Ira,  de  1*  Awicia,  de  la  Meea- 
onia,  del  Jarament,  de  la  Retracion  and  de  la  Lnxnria 
beschriehen  und  vor  denselben  gewarnt. 

Zwei  kurze  Predigten  befinden  sich  f.  150 — 155  und 
von  f.  155  — 157.  Die  erste  hat  zum  Titel  Sermon  d'  Ero- 
diana und  beginnt  mit:  En  aquel  temp  Herode  fey  pilhar 
e  ligar  e  encarcerrar  Joban  Baptinta  per  Herodiana  molber 
de  Phelip  lo  eeo  frajre,  car  el  V  aaia  toata  a  lay  e  la 
tenia  per  ei.  E  Joban  diczia  a  Iny:  La  non  es  in  licita 
oosa  baaer  e  tenir  la  molber  del  teo  frayre.  Die  nemliche 
Predigt  befindet  sich  auch  in  der  H8.  C.  5.  2ß.  f.  44,  doch 
in  etwas  neuerer,  veriiuderter  Fassung.  Die  zweite  Predigt 
heisst:  Öermon  de  las  paroilas  anciosas:  Mas  yo  die  a 
aos  qne  de  tota  parolla  auciosa  laqnal  Ii  ome  parllareo 
rendren  recaon  de  ley  al  dia  dei  jadidi,  car  de  laa  toaa 
paroilas  aeres  joatifiea. 

Die  anter  C.  4.  17  beaeiebnete  Handaebrift  entbilt 
f.  54  den  Verger  de  Goneolation,  ist  aber  nenern  Datums 
und  gehört  die  Schritt  dem  17.  Jahrhundert  au.  Da  eben- 
falls kleinere  Tractate  die  mit  einigen  aus  dem  Verger  de 
Consolation  identisch  sind,  sich  in  C.  5.  22  befanden,  so 
zog  ich  letatere  wegen  ibrea  Alters  vor  nnd  kopierte  Tom 
Verger  nnr  einzelne,  am  einen  Vergleicb  mit  der  beider- 
seits angewandten  Spracbe  an  bekommen.   Diese  Aebnltcb- 


Digitized  by  Google 


568    SiUiung  der  phUos.-philol.  Classe  vom  6.  November  1880. 

keit  ist  Todd  ToUst^ndig  entgangea.  Von  den  Abbandlangen 

konnte  ich  folgende  abschreiben:  La  nbrieta  (Verga,  abri- 
ota) ,  la  luxuria,  la  familiarita,  la  honesta,  ^^egre,  la  sapi- 
eucia  de  Die,  Angel  segond  Znni  Unterschiede  gebe  ich 
hier  die  beiden  Tractate  über  die  Honesta: 

Ana  C.  5.  22:  La  honesta  es  considera  en  la  conver- 
aaeion,  maa  la  conTersadon  es  fajta  en  U  honesta.  Lo 
oooen  che  lo  sia  uergogna,  car  segond  che  di  Beniart: 
Vergogna  es  en  la  parolta  e  semar  honesta  en  Ii  fait. 

Dereco  di:  La  uergeneta  speritul  es  gloria  de  eonten- 
enza  e  as  garda  de  la  fauna  e  es  bellec/.a  de  vita  e  as  seti 
de  las  uertucz.  Dereco  di :  La  uergogna  es  seror  de  ia 
couteuencza  e  es  indioi  de  la  columbina  simplicita  e  es 
testimoni  de  non  noysencsa.  Bernart  demostra  che  lo  son 
3  nertnez,  lasqnab  se  covenon  maiorment  a  Ii  jove.  (}o  es 
taisiment,  nergogna  e  ubidiencia,  mas  nergogna  es  homa- 
ment  de  tota  eyta,  mas  ilh  se  couen  plus  a  la  eta  joveni]. 
Qual  Cosa  es  plus  amable  che  lo  jove  uergoguos.  Gregori 
di:  Nobla  es  la  uergogna,  quaut  per  la  uergogna  defora 
Fome  88  corregis  dedincz. 

Nach  der  HS.  C.  4.  17:  Non  esta  enayma  di  lo  philo- 
sophe  es  laqnal  de  la  soa  Tertu  nos  tira  e  nos  nnris  de  la 
aoa  degneta.  E  onesta  se  attent  en  la  conversacion.  Ma 
la  conversacion  es  faita  en  honesta.  Lo  coueD  que  la 
uergogna,  car  segond  que  di  Bernard :  Vergogna  es  gardar 
honesta  en  la  parolla  e  al  gest.  Ideni :  Vergogna  spiritual 
es  gloria  de  contenencia,  judicii  de  simplicita  oolnmbina, 
testimoni  de  non  noisencia.  Bernard:  La  son  3  vertnci 
qne  se  conaenon  maiorment  a  Ii  en&nt  Jone,  ^io  es  taisi- 
bleta,  la  vergogna  e  Tobidiencia.  La  vergogna  es  homar 
ment  de  totas  haitas;  mas  illi  resplant  plus  en  la  tenra 
haita.  Qual  cosa  es  plus  amable  de  radolceut  vergognos 
Gregori :  Optima  es  la  vergo<^^Da  cum  l'ome,  per  la  exterior 
vergogna  corregis  la  colpa  intehor. 


Digitized  by  Google 


t 


AlpkOHS  Mayer:  Wäldenna.  569 

Fernere  Traktate  von  C.  5.  22.  sind :  La  consideracion 
de  la  brereta  de  la  vita  und  beginnt:  La  consideracion  de 
la  brereta  de  la  vita  hamana  es  agradinol  afferta  a  Dio. 
Dont  di  Oregon :  La  oonnderacion  de  ]a  breveta  de  la  yita 

humana  es  agradivol  sacrifici  a  dio.  E  dereco  di:  Äqual 
che  considera  qaal  el  sere  eo  la  mort  sere  iotavia  temeros 
en  Tobra; 

Und  ebenso:  De  Ii  parlar  dualen ns  doctors,  welches 
folgendermaseen  anfangt:  Car  eoma  di  Seneca  qoi  non 
pensa  alcona  ooea  de  Tavenir  Tay  non  scaotri  en  totas  coeas, 
A  no8  liqnal  volen  viore  ecantriament*  la  noe  coaen  penear 
continnament  lo  dia  de  la  meisson  etc. 

Von  solchen  Ahhandlnngen  hättp  es  noch  mehr  gege- 
ben ,  aber  da  mein  Aufenthalt  in  Dublin  verhältnissmäseig 
nur  ein  kurzer  war  im  Vergleich  zu  der  vorhandenen  Ar- 
beit, so  liess  ich  andere  Traktate,  die  eich  ebenfalls  in  den 
Handschriften  za  Genf  befinden,  weg  and  kopierte  nur  noch 
das  Erangelitini  nach  Mathaenm  und  die  schon  frfiher  ge- 
nannten „Peticions*^  Ton  Morel  nnd  Massen.  Die  letzteren 
stehen  zwar  in  emer  Handschrift  des  17.  Jahrhnnderts,  doch 
da  sie  sonst  nirgends  in  der  Weise  vorhanden  sind  und 
historischen  Werth  haben,  so  eignete  ich  mir  dieselben  an. 
Beim  Abschreiben  des  Evangeliums  war  ich  von  andern 
Gründen  geleitet.  Dasselbe  befindet  sich  nemlich  in  einem 
noch  sehr  schön  erhaltenen  Oktavhand  A.  4.  13»  welcher 
so  siemlieh  das  ganze  neae  nnd  einige  Sachen  ans  dem 
alten  Testament  om&sst  Die  Sprache,  besonders  hinsichi- 
lich  der  Flexion  schien  mir  besser  erhalten  m  sein,  nnd 
um  über  alle  Fälle,  welche  die  waldensische  Sprache  bietet, 
urtheilen  zu  können ,  hielt  ich  es  für  geuiessen ,  das  Evan- 
gelium, sowie  Cantica  Canticornm,  dies  letztere  auch  wegen 
seiner  dgenthümlichen  Eintheilnng,  den  Übrigen  Kopien 
beianfOgOL 

Mit  all  diesem  ist  die  Arbeit  fiber  die  waldeosischen 


Digitized  by  Google 


570    Blgung  der  phOosrphilol,  Classe  vom  6.  November  1880. 

Werke  noch  nicht  abgeflchloasen ,  doch  ist  die  Haupt- 
sache geschehen.    Es  hieiht  f8r  die  nächste  Zmi  noch  die 

üntersnchung  der  Handschriften  vorbehalten,  die  sich  auf 
dem  Kontinent  befinden,  besonders  derer  von  Genf,  und 
hoffen  wir,  dass  dann  zur  Publiziertmg  der  waldensischen 
Werke  geschritten  werden  kann. 

Auf  diese  Weise  wird  es  Herrn  Professor  Dr.  K.  Hof- 
mann nnd  mir  bald  ermöglicht  sein,  allen  denen,  die  sich 
nm  jenes  berfihmte  Völkchen  interessiren,  ein  Oesammthild 
seiner  Sprache  nnd  Literatur  vorzufahren. 


Herr  Thomas  theilte  mit  Rücksicht  anf  seinen  Vor- 
trag vom  3.  Mai  1879  (vjjrl.  Abhandlungen  der  Akademie 
I.  Cl.  Band  XV.  1 )  und  unter  Vorlage  eines  Berichte**  in 
der  „Zeitschrift  für  Handelsrecht''  Band  XXV  mit,  dass  die 
von  ihm  damals  erwähnte  Abschrift  des  Capitolare 
dei  Gonsoli  dei  Mercanti**,  welche  im  Archiv  zn 
Venedig  durch  Gewähr  des  früheren  preussischen  Cnltns- 
ministers  Herrn  Dr.  Falk  heigestellt  worden  ist,  nach  ehen 
dessen  Verfügung  in  der  L  Bibliothek  an  Berlin  der  Wis- 
senschaft bereit  steht. 


Digitized  by  Google 


Historische  Classe. 


SitzQDg  vom  6.  Nofamber  1880. 


Herr  v.  Draffel  hielt  einen  Vortrag: 

„üeber  die  Anfnahme  der  Balle  „Ezenrge 
Domine*^  —  Leo  X.  gegen  Lnther  —  Ton 
Seiten  einiger  Süddeutschen  Bischöfe/^ 

In  dem  Nachlasse  des  yerstorbenen  Oberbihliothekan 
Föringer  befinden  sich  einige  Aktenstncke,  dnrdi  welehe 

genauer  festgestellt  werden  kann ,  was  filr  eine  Haltung 
einige  Süddeutsche  Bischöfe  gegenüber  der  Bulle  ,,Exsurge 
Domiue''  einnahmen ,  in  welcher  bekanntlich  Leo  X.  auf 
Betreiben  £ck's  die  Verurtheilung  Luther *8  ausgesprochen 
hat.  Die  sämmtlichen  Briefe  stammen  ans  dem  bischöflich 
Freieing^sohen  Arehiy,  dem  sie  wohl  bei  Gelegenheit  der 
Sficnlariaation  entfremdet  wurden ;  es  sind  Antworten,  welehe 
der  Pfhlzgraf  Philipp ,  Bischof  Ton  Freiaing  und  Admini- 
strator von  Naumburg,  von  verschiedenen  Bischöfen  und 
Fürsten  erhielt,  die  er  um  Auskunft  gebeten  hatte  über  das 
Verfahren,  welches  sie  in  der  damals  die  Welt  bewegenden 
l!rage  einzuhalten  gedächten.  Veranlasst  durch  die  ihm 
von  Eck  zugegangene  Aufforderung  zur  Veröffentlichnng 
der  Bnlle,  hfttte  Bisehof  Philipp  in  den  ersten  Tagen  dee 
November  ans  der  Freisinger  Kanzlei  jene  Briefe  hervor- 
gehen lassen,  welche  ihm  Kenntnias  von  dem  Verhalten 

[1880. 1.  Phil.-phil.  hiat.  Cl.  b*\.  1. 5.]  87 


Digitized  by  Google 


572 


Süeung  der  histor,  Claw  vom  6.  November  1880, 


sauer  Amtsbriider  und  dadurch  Klarheit  über  deu  von  ihm 
selbst  zu  betretonden  Weg  verschaffen  sollten. 

Die  Freisinger  Anfrageschreiben  kennen  wir  zwar  nicht 
ihrem  Wortlaute  nach ,  können  aber  über  ihren  Inhalt  so 
Tiel  Hagen,  dass  der  Bischof  dAria  Bedenken  hinHiohUich 
der  Bnlle  geäussert  haben  moss:  Sie  war  ihm  nieht  im 
Original  zugegangen,  er  hatte  nur  einen  in  Rom  Teran* 
stalteten  Abdruck  bekommen ,  anf  welchem  sich  ein  Pra- 
latensiegel  befand,  dessen  Echtheit  wiederum  die  schriflUche 
Erklärung  eines  Romischen  Notars  beglaubigen  sollte'}. 
Dies  ersieht  man  aas  den  Antworten,  welche  auf  den  Inhalt 


1)  In  dem  üniferntitnidiiT  befindet  sieh,  wi«  Praatl,  Oe- 
lehidite  der  Lndwigs-Maximilians-Universit&t  I,  U6  bemerkt,  ein  Dniek- 
exemplar  der  Bolle.  Dasselbe  besteht  aus  12  Blättern  von  denen  das 
letzte  leer  ist.  Alt  Vignette  auf  dem  Titelblatt  befindet  sich  voft 
Randvenierangen  oinrahmt,  das  Wappen  Leo's  X.,  darüber  die  Worte: 
Balla  contra  errores  ||  Martini  Lutheri  j}  et  sequaciotn.  II  Das  folg-ende 
Blatt  hat  u'leichfalls  eine  kloine  Vignette,  das  Bildniss  Leo's  X.  Das 
Datum  am  Schlüsse  lautet:  Datum  Romao  apad  sanctum  ||  Petnira, 
anno  incarnationis  Dominicae  millesimo  jj  quin^entesimo  vigesimo,  XVII. 
Kalendis  .Juli»  pontificatus  nostri  anno  octavo.  |1  Visa  R.  Milanesius.  || 
Alber^atus.  ||  Darauf  die  Notiz:  Impressam  Romae  per  Jacobtim  Ma- 
soebium  ||  de  mandato  S.  D.  N.  Papae  ||.  Daranter  steht  ein  aafge- 
drüektes  PfUttentiegel  (mit  Mitra),  you  asssen  üateisehrift  ieh  ELBC. 
ASOVLAN.  HIE  DE  [yttHUIMA  deosnos?]  m  leaen  Termag.  Tgl.  den 
Namen  Gunüaansbei  Friedrich  8.91.  Dsaa  fblgt,  geseliriebeii:  Attestof 
ego  infrsicriptas  notarios,  qosliter  sapia  imprasrnn  tigUlam  est  re- 
veretiÜ  patm  [sie]  dadnm  anditorie  eamerae  apottolieae  et  ad  fidem  me 
iobseripai 

Floridas  Brin^us  notaiias  ad  fidem  scripsit.  || 

Das  Datum  der  Bulle  ist  somit  der  15.  Juni,  wie  Maarenbrecher 
KathoHsche  Reformation  S.  177  richtig  angibt.  Bei  vielen  Schrift* 
steilem  findet  man  hier  ungenaue  Angaben:  Ranke  I,  298  u.  Köttlin  I, 
378  geben  den  16.  Juni,  Wiedemann  Eck  S.  151  und  Brecher  Eck 
(in  .411g.  deutsche  Biographie)  den  15.  Juli;  Prantl  S.  146  gibt  in  der 
Anmcrknng  den  14.  Juni  an,  im  Texte  den  17.  JolL  Hier  ist  wohl 
durch  einen  Ürackfebler  .Kaleodis"  ausgefallen. 


Digitized  by  Gt 


t7.  Druffel:  Aufnahme  der  Bull«  „Exsurge  Domine"  Leo's  X.  573 


der  Anfrage  zum  Theil  näher  eingehen,  und  au»  einem 
späteren  Schreiben  Eck's,  worin  dieser  hervorhebt dass  er 
jetzt  die  Original  bulle  den  bischöflichen  Rüthen  gezeigt  habe. 

Aus  den  Antwortschreiben  der  Bischöfe  sehen  wir,  dass 
Köstlin*)  zu  weit  geht,  wenn  er  die  Bischöfe  von  Augsburg  und 
Eichstatt  sogleich  die  Publikation  der  Bulle  vornehmen  lässt. 
Der  Augsburger  erhob  vielmehr  erstlich  Gegenvorstellung 
bei  Eck  selbst'),  und  Hess  dann  nach  einer  zweiten  Auf- 
forderung desselben  ,  ein  Mandat,  welches  die  Veröffent- 
lichung der  Bulle  anordnete,  verfassen  und  drucken;  einst- 
weilen blieb  dasselbe  aber  noch  liegen ,  wenn  der  Bischof 
freilich ,  wie  wir  sehen ,  auch  bereit  war ,  dasselbe  wirklich 
in  die  Welt  zu  schicken,  falls  sich  die  Verhältnisse  nicht 
ändern  sollten.  Ausdrücklich  aber  gibt  der  Bischof  zu  er- 
kennen ,  dass  er  der  lästigen  Angelegenheit  gern  ausge- 
wichen wäre,  indessen  Rücksicht  nehmen  zu  müssen  glaubte 
auf  die  Nachtheile,  welche  dadurch  ihm  und  seinem  Bisthum 
hätten  erwachsen  können.  Der  Bischof  Gabriel  von  Eich- 
städt schickte  an  die  Universität  Ingolstadt  ein  Mandat  zur 
Veröflfentlichung  der  Bulle,  und  hier  erfolgte  dieselbe  darauf 
hin  wirklich ,  obgleich  nicht  ohne  Widerstreben*; ;  die  all- 


1)  Das  Schreiben  vom  28.  Dec.  bei  Meichelbeck. 

2)  Luther  I,  S.  400. 

>3)  Lier  in  der  Z*»itsch.  f.  Schwaben  u.  Neuburjj  1880  S.  10;i 
schreibt:  „Bekanntlich  fand  Eck  mit  dieser  Bulle  fant  überall  den 
heftigsten  Widerspruch.  Nur  zu  Augsburg  kam  man  ihm  entgegen. 
Schon  am  8.  Nor.  licss  sie  Biscbof  Stadion  bekannt  machen,"  Hicfur 
beruft  sich  Lier  auf  Wiedemann! 

4)  In  dem  von  Eck  an  den  Senat  der  Universität  gerichteten 
Schreiben,  gedruckt  bei  Prantl  Geschichte  der  Universität  II,  Nr.  44 
ist  S.  162  Z.  1  vor  'studii'  das  Wort  'felicis'  ausgelassen  ;  ebenso  S.  163 
Z.  3  vor  'requirens'  das  Wort  vos';  Z.  8  muss  es  'consortio'  statt  *con- 
silio'  Z.  9  'vobia'  statt  nobis,  Z.  2  v.  U.  'facietis'  statt  faceretis  beissen. 

Am  28.  Okt  trug  der  Rektor  im  Senate  vor,  dass  Eck  auf  der 
Publikation    der  Bulle  jetzt  bestehe,  'quoniam   mandatum  a  Rev*"" 

37* 


574       SiUmng  Ser  hislor.  Clane  vom  6.  November  1880. 

gemeine  PnblikAtion  in  der  DiSoeee  lehnte  er  indeeten  ab^, 
er  rieth  dem  Freisinger  Bischof,  sieh  Bnerei  mit  dem  Me- 
tropoliten zu  Salzburg  zn  berathen.  wie  er  deiiQ  selbst  auch 
bei  dem  seinigen,  dem  Erzbischofe  von  Mainz,  eine  Anfrage 
stellen  wolle.  So  viel  nur  möglich,  gedachte  er  zu  zogern, 
indem  er  die  Ansicht  ausspricht,  dass  nicht  der  Papst  selbst, 
flondern  nnr  Eck  die  schroffe  Behandlang  Luther*«  Teranlaaet 
habe');  aar  Zeit  als  er  den  Brief  an  Philipp  Ton  Freiaing 
sehrieb,  glaubte  er  aber  bei  Eck  ein  Naehhusen  des  bis- 
herigen Eifern  wahrsnnehmen.  Dass  Gabriel  Ton  Elehslidt 
selbst  zu  scbrolfen  Massregeln  durchaus  keine  Neigung  hatte, 
berichtet  auch  Spalatin  dem  Kurfürsten  von  Sachsen 'j: 

E/steteiui  ab  noiveriitais  sipeeUtam  tDimni  sit'.  So  berichtet  das 
Protokoll  im  krMx  der  UaiTcnitit»  Copie,  D.  UI,  4,  f.  71.  lo  der 
Bede  Hasen  ist  tob  diesem  hisebSIliclieD  Maodate,  ood  von  dem  Vor* 
sdiUge,  die  PaUiltatioo  io  den  Pfairtirehen  absuwarten,  aiebt  dio  Bede. 
Dort  beiast  es,  mas  «habe  tob  £ck  safinglicb  einen  AnastaDd  tos  einiges 
Ttigva  erreieht ;  'at  idem  D.  BgUns  erastinsri  rem  aimism  arbittatss 
denao  beri  rectorem  [die  Hs.  hat  bier  and  weiter  unten  leetoiem'] 
aoetmm  magnificam  requisltionis  factae  admonuit,  toIcds  qaamprimam 
id,  qaod  temmi  pontificis  nomine  postolarat,  effectam  duri.  Itaqne 
ootctam  rarsas  consiliani,  deliberatarn  diatias,  qaidnam  potiMimam  ia 
re  tarn  ardna  aerondam  veniat;  tandem  ornniom  sententia  conclosara, 
parendnm  esse  roaudatis  apostolicis.  Nec  ab  re  qaidem  illud ,  cam 
oninium  privilegioruni  ac  immun itatum ,  quibas  gymnasium  nostmm 
tiorentissimum  gaadct,  a  sede  apoatolica  confirmatio  sit  impctiata,  et  ab 
eodem  publice  qoascumquo  artes  iloceiiJi  atque  iu  iisdcm  cruditos  in 
doctores  provehendi  ius  atque  potestas  pendeat ,  quo  pacto,  quod  iüste 
postal&t  rector  consiliaroqQe  negaret?"  Za  beachten  i«t,  dass  nicht  der 
Bektor  üsgelter  den  Vortrag  hielt. 

1)  Oegeo&ber  Pranti  l,  147  bebanptet  Wiedemann  Sek  8.165 
dam  die  VerOllbntttdiang  u  der  Uoiitikirebe  eist  am  Steliuistags 
erfolgte. 

2)  Diese  Ansiebt  epiacb  Philipp  von  Freisug  aneh  Sek  gegenüber 
SOS,  wie  ans  dessen  Antwort  Des.  28  benotgebt  Sek  antwortet:  non 

ego  boe  eerto. 

^)  Walti  EpistoUe  Reformatoram  in  Brio^'er  Zeitschrift  f. 
Jürehengesohicbte  II,  120.  Der  Brief  gehört  sicher  dem  folgendes  Jahre 


Digitized  by  Google 


r.  Druffel:  Aufnahme  der  Bulle  ,,Exsurge  Doniine  "  Leo*s  X.  575 

ffllich  sibt  die  sach  eben  also  an,  als  betfc  mein  berr  von 
Eystetb  etwas  musen  tbun;  das  aber  vil  ilaranf  ergangen 
sei,  kan  icb  in  kein  weg  glauben/^ 

Wenn  Biscbof  Gabriel  jene  Anfrage  bei  Mainz,  welche 
er  beabsicbtigte .  wirklich  ge5«tellt  hat,  so  konnte  dieselbe 
ihm ,  wie  wir  vermnthen  dürfen ,  doch  schwerlich  die  ge- 
wQnschte  Richtschnur  für  sein  Handeln  verschaffen.  Denn 
die  Rheinischen  Kurfürsten  wurden  von  Eck  mit  der  Bulle 
gar  nicht  behelligt.  Der  Bischof  von  Speier  berichtete  dem 
Freisinger  am  22.  November  1520,  dass  er  gar  nichts  von 
einer  solchen  Anfrage  wisse,  und  doch  bestimmt  glaube, 
dass  man  ihm  Kenntniss  gegeben  haben  würde,  wenn  der 
Kurfürst  von  Mainz  oder  ein  anderer  Bischof  der  Provinz 
eine  derartige  Zumuthung  erfahren  hätte.  ^Der  Bischof 
von  Freising  folgte  wirklich  dem  Rathe  seines  Amtsbruders, 
und  wandte  sich  an  den  Salzburger  Erzbischof,  seinen  Me- 
tropoliten. Dessen  Haltung  war  von  um  so  grösserer  Be- 
deutung, weil  man  aus  ihr  auf  die  Politik  des  jugendlichen 
Kaisers  Karl  einen  Schluss  ziehen  konnte;  Mathäus  Lang 
gehörte  zu  seinen  einflussreichsten  Rüthen.    Im  November 

1520  antworteten  anfänglich  der  Statthalter  und  die  Räthe 
des  Erzstifts,  dass  ihrem  Herrn,  dem  Cardinal  Lang,  ihres 
Wissens  eine  päpstliche  Bulle  nicht  zugegangen  sei ,  wie 
denn  eben  so  wenig  eine  solche  an  Ernst  von  Passau  ge- 
langt war^).   An  demselben  28.  December,  an  welchem  Eck 

1521  an.  Cr  setzt  den  Erlass  der  zweiten  Dalle  voraus,  die  Aloander 
am  10.  Febr.  erhielt;  Köstlio  S.  424  Anni  I.  Auch  der  Hinweis  auf 
die  'disen  winter  über'  erhaltenen  Schriften  und  die  Han^iate  des  Kaisers 
beweist  die  spätere  Abfassung. 

1)  Die  Behauptung  V.  A.  Winters,  in  der  OescUichte  der  evan- 
gelischen Lehre  in  Baiein  I,  58,  Eck  habe  alle  Bischöfe  Baier ns  zur 
Publikation  aufgefordert,  ist  irrig;  seine  Quelle  spricht  nur  von  'niultis 
litteris  ad  episcopos  ordinarios  locomm  et  civitates  aliquot  missis'.  Das 
von  ihm  S  64  benutzte  Schreiben  des  Statthalters  und  der  Bäthe  von 
Passau  vom  1^.  März  1521  wird  von  Prantl  I,  147  nicht  richtig 


576       SüMung  dtf  MMor.  dout  vom  0,  JTMMifter  1880. 


dem  Bischof  tod  Freinng  seine  Darling  falber  die  jApsi- , 
liebe  Unfehlbarkmt  sunandte,  worin  er  ihm  klar  sn  machen 

suchte,  dass  die  von  dem  Bischof  ausgesprochene  Absicht, 
den  Metropoliten  um  Rath  anzugehen,  verwerflich  sei  und 
nichts  anderes  bedeute,  als  wenn  etwa  ein  Diöcesaupriester 
sieh  nicht  bei  dem  Aasspmche  seines  Bischofs  beruhigen, 
sondern  erst  die  Pfarrer  nnd  Decbanten  am  ihre  Meinung 
befragt  wissen  wolle,  an  diesem  selben  Tage  wandte  Bischof 
Philipp  sich  an  den  Cardinal  Lang,  welcher  damals  bei  dem 
Kaiser  weilte'). 


wiadergegebes,  wenn  getagt  wiid:  «der  Bisehof  von  Paena  erklirte 
geradesu,  von  einem  Mandat  gegen  Luther  niehts  so  wissen.  Bei 
KöstÜD  I,  400  beisst  es  denn  darauf  hin:  »Der  Bischof  von  Passau 
wollte  nichts  von  ibr  [der  Bulle]  wissen."  Bei  dem  jetzigen  Statine 
der  Quellen  wird  man  mit  gleichem  Recht  behaupten  dOrfen,  dass  die 
Herzoge  von  Baiern  sich  vor  ihr*'in  Schreiben  an  Passaa  über  die  Ver- 
ölfeiitlichunt,'  der  Bulle  vergewissert  haben  müssteo,  als  dass  die  Passauer 
Käthe  über  ein  wirklich  erlassenes  Mandat  nicht  im  Unklaren  hatten 
bleiben  können.  Uober  die  Haltung  dos  Herzogs  Ernst  von  Baiern 
meldet  Stanpitz,  ir»21  Okt  16  aus  Chiemsee:  „Stetit  hic  nobiscum 
princops  liavariae  Krnestus,  Pataviensis  epiwopus  seu  administrator, 
magnuB  valde  et  integer  Lutheri  fautor.  Is  ni  fallor  conversationem  in 
Ulis  qnse  Lotheriana  diennt  pro  deliciis  atnplectitur.'*  Zeitschrift  f&r 
historische  Theologie,  Jahrgang  1837.  Eck  sdireibt,  bei  tfeichelbeek 
Bist  Frisiog.  11,  1,  297 :  „si  omnino  Ber.  D.  metropolittnns  fhisset  re- 
qairendom,  qnod  tarnen  omnino  nego  in  hoc  easn  ftrisse  nscsessTinm, 
respondi  apoerisiariis  Jll.  P.  T.  boc  dndnm  potnisse  fleri,  enra  forme  dnos 
raensss  iam  a  prima  intimatione  piaeterierint,  in  qnihas  aodam  arehi« 
pmesnlem  et  Oermsniae  legatnm  adtisse  Ueoisset,  sed  etiam  ipsnm  poa« 
tifioem  Roroanuni." 

1)  £s  ist  somit  irrig,  wenn  Kohle  die  deutsche  Angustinercon« 
gregation  nnd  Johann  von  Staupitz  S.  329  fg.  davon  spricht,  dais 
Lang ,  'nachdem  er  seine  politische  Rolle  zum  grössten  Theile  ansg^ 
spielt'  ,  sich  in  Salzburg  niedergelassen  habe.  Auch  bei  dem  ünter- 
werfungsvorfahren  des  Staupitz  war  der  Cardinal  persönlich  schwerlich 
betheiligt.  Dass  Laug  in  Worms  war,  zeigen  auch  Aleanders  Depeschen 
bei  Friedrieb. 


Digitized  by  Google 


V.  Druffel:  Aufnahme  der  Bulle  „Exsurge  Domine"  Leo*s  X.  577 

Von  dem  Cardinal  Lang  liegen  zwei  Antworten  vor, 
die  von  Bedentung  sind,  obschon  sie  auf  das  Verfuhren  des 
Freisingers  keinen  Einfluss  mehr  üben  konnten,  da  dieser  am 
10.  Januar ,  also  gerade  noch  innerhalb  der  ihm  von  Eck 
am  28.  Dec.  gestellten  vierzehntägigen  Frist ,  die  Publi- 
kation der  Bulle  vornahm.  Die  erste  ist  bemerkenswerth, 
nicht  durch  Aufiichlüsse ,  welche  sie  ertheilt,  sondern  weil 
sie  jedes  Eingehen  auf  die  gestellte  Frage  vermeidet.  Lang 
antwortete  nämlich  am  10.  Januar  aus  Worms,  indem  er 
eine  genauere  Antwort  «of  spätere  Zeit  verschob.  Es  mnss 
auffallen ,  dass  dieses  Schreiben  noch  zu  einer  Zeit  erlassen 
werden  konnte,  wo  die  Nachricht  von  der  Verbrennung  der 
Bulle  durch  Luther  längst  in  Worms  bekannt  geworden 
war  und  Vorstellungen  des  Nuntins  bei  dem  Kaiser  veran- 
lasst hatte,  zu  einer  Zeit,  wo  die  Verbrennung  der  Lutheri- 
schen Schriften  in  den  Niederlanden  von  dem  Kaiser  schon 
wiederholt  angeordnet  worden  war,  wie  dies  der  Kurfürst 
von  der  Pfalz  theilweise  schon  im  November,  und  eingehender 
dessen  Bruder  Friedrich  am  8.  Januar  nach  Freising  be- 
richtet hatten.  Cardinal  Lang  aber  meldet  erst  in  einem 
zweiten  Briefe  vom  21.  Januar  die  durch  den  Nachrichter 
vollzogene  Verbrennung  der  Lutherischen  Schriften  in  den 
Niederlanden  und  zu  Köln  als  neue  Zeitung,  und  erklärt 
erst  jetzt,  der  Kaiser  habe  sich  mit  gutem  zeitigem  Rath 
entschlossen,  dem  Römischen  Stuhle  anzuhangen,  und  dem 
entsprechend  die  Verbrennung  der  Lutherischen  Schriften 
in  den  Niederlanden  befohlen,  in  den  drei  geistlichen  Kur- 
fürsten thümern  veranlasst,  und  beabsichtige,  gleiche  Mandate 
für  das  ganze  Reich  zu  erlassen,  mit  den  Ständen  über  die 
erforderlichen  Massregeln  zu  beratheu. 

Bei  dem  jetzigen  Stande  der  Forschung  wird  es  schwer 
sein,  das  Verhalten  des  Cardinais  Lang  mit  Bestimmtheit 
zu  deuten.  Nur  als  Vermuthung  möchte  ich  die  Ansicht 
äussern,  dass  es  im  Zusammenhang  steht  mit  dem  Schwanken 


Ö78       SiUwig  der  hittor,  Crosse  vom  6.  Nöifember  1880. 

in  der  Haltang  der  kaiserlichen  Politik ,  über  welche  der 
Nuntius  Aleander  Klage  führt,  indem  er  in  seinen  Berichten 
aagt^  dan  am  29.  Deoember  zwar  beschloaeen  worden,  ein 
Blandat  in  erlassen^),  diee  aber  doch  nnterblieben  ad.  Daa 
Eine  aber  wird  man  behaupten  dfirfen:  Wenn  Aleander  in 
einer  Depesche  yom  December  die  Ansicht  aasspricht^  dass 
die  öflTentliche  Verbrennung  der  Lutherischen  Schriften  wirk- 
ungsvoller sein  werde  ,  als  wenn  man  die  Bulle  den  Ordi- 
narien zur  Ausführung  überantwortete^),  so  war  sein  Urtbeil 
Über  die  Unzuverlässigkeit  des  letzteren  Mittels  gerecht- 
fertigt durch  die  geringe  Neigung  mancher  Biaehöfe,  aich 
der  Ansföhmng  der  yon  Ec^  überbrachten  Bulle  an  widmen. 
Es  bedurfte  kaum  des  Ton  den  Qairisehen  Hensogen  auf 
dieselben')  geübten  Druckes,  um  auch  der  geschehenen  Ver^ 
öffentlichung  die  Wirkung  zu  benehmen. 

1)  Aleander  schreibt  (Dec.) :  ,,Honi  a  Yormes,  non  so  per  che  cama, 
par*  che  sQ  stato  alqoaato  otnnbilato  il  nostto  sereno,  et  retardato  an 
pooo  il  noitro  fisUeo  eorto  di  nostra  naTigatioiie  in  giMsto  materia,** 
Friedrich  S.  91;  (im  Jaanar):  Jo  ben  rorrei, ...  ehe  oessr  d  havMa 
eoDoesio  fl  mandato  iazta  eonelnsioneni  eapttm  29.  Deeembrit 
prozimi  paasato,  U  qnal  Dio  perdoni  a  ehi  haTera  U  eni»,  et  per  ioa 
timiditi  f%  colpa,  ob«  non  ttatsa  itatim  ei»q[aita.'* 

2)  Vgl  Priedrich  Der  Reichstag  zu  Worms  1521  in  den  Ab- 
handlungen unserer  Akademie,  III.  CK;  XI.  Bd.,  III.  Abth.  S.  90: 
„qaesto  bruciar  di  libri  h  una  cosa  moltosalatar  et  utile;  primo,  perchi 
molto  meglio  oosi  si  divolga,  et  per  Germania  et  tutte  le  altre  nationi, 
la  condemnatione  di  tali  libri,  che  per  una  intiroatione  della  bolla  fatta 
alli  ordinarij,  ovvero  vicarij ,  quamvis  ancora  questa  senipre  et  ubiqoe 
facerem  et  faciam ;  deinde,  perche  Ii  laici  gia  infetti  per  le  predicationi 
et  libri  volgaf»,  di  quanto  piu  che  milliarij ,  vedendo  tal  inccndio  fatto 
»uctoritate  apostolici  et  executione  cacsaris,  si  raoveno  assai  a  rentier 
tali  libri."  Die  Stelle  S.  91  Z.  12  v.  ü.  ist  zu  lesen:  *contra  hominem 
per  manicas  condemnatum  indicta  causa',  S.  92  Z.  17  v,  ü. :  'adeo  est 
enim  gloriae  capidas  et  saperbia  elatos.' 

3)  Ich  draeke  dieses  Sehidben  ab,  da  dir  vollttindige  Wort- 
laut auch  Bsefa  dem  AvRiige  bei  Winter  I,  62  von  iDteresse  ida 
dttffte. 


Digitized  by  Google 


0.  Ihuffel:  Aufnahme  der  Bulle  „Exturge  Dmint^  Ltdn  X.  579 

1.  Papst  Leo  X/ an  Johann  Eck'). 

:^20  Jidi  18  Bom, 

,,Leo  episcopus,  serms  servoniin  Dei,  dileeio  filio  Joanni 
Eckio,  canonico  Kustetensi  notario  ad  venerabiles  fratres 
nostros  Brandeiil)urgenseni  et  Misnenseni  ac  Mersepurgensem 
et  alios  episcopos  et  praelatos  ac  dilectos  filios  nobiles  viros 
Fredericam  dacem  Saxoniae  et  alios  sacri  imperii  electores 
ac  Joannem  ez  ducibiis  Saxonia«  et  alios  G^ormaniae  alte  ei 
basse  prinoipes  et  barones  ac  commnnitates  nostro  et  aposto- 
licae  sedis  nuntio  et  oratori  salntem  et  apostolicam  bene* 
dictionetn.  Oam  ad  nibil  aliad  nostra  aspiret  iotentio  qnam 
ut  Christifidelium  animos  uostra  diligentia  Deo  lucrifacere 
possiiuus,  libenter  rirca  hoc  operain  vigilem  adhibemus,  at 
diabolica  fraade  decepti  ad  caalam  dominicarum  ovium  rever- 
tautar;  et  si  qui  animoram  perTersitate  ducti  in  damnato 
sno  proposito  contomaciter  persistere  malnerint,  taliter  ani« 
madvertatur  in  illos,  nt  sit  eomm  poena  caeteris  in  ezemplom. 
Com  malta  et  varia  de  novitate  dogmatis  et  scandalosis  ar* 
tienlis  fratris  Martini  Luther,  ordiuis  fratram  heremitaram 
8.  Augustiui,  in  (Jermania  degentis  nobis  renuutiata  essent, 
et  quotidie  relerrentur,  (luae  mentem  nostrum  rairumim- 
modiiui  commovebant,  tauqaam  nostra  religioue  penitos  aliena, 
diligentiori  exainine  dignn  esse  censerentnr,  nos,  ne  novitas 
hoinsmodi  et  ea  qaae  ab  ipso  in  pnblicnm  prolata  et  in 
seriptis  etiam  redaeta  nou  fdne  animi  noetri  displicentia 
Tidimns  et  legimns  scandalum  in  popalo  Ghristiano  sneque 
et  alioram  animabns  Interitiim  proToeanti  Tolentes  pro  nostro 

1)  Dieses  lircve  ist  benutzt  bei  Winter  I,  S.  ö3.  Zu  beachten 
ist^  dass  Eck  in  demselben  nicht  protonotarioB  apostolicos  genannt  wird, 
wie  denn  in  den  amtlichen  AktemrtBcken,  Prantl  II,  Nr.  44,  Heicbel- 
1>eek  II,  l,S97  Bek  lelbBt  lieh  dieeen  Titel  nfeht  beilegt.  leb  halte  et 
daher  fikr  bedenklich,  anf  Graad  der  VottTtafel  ia  dem  Pfiurrhof  n 
St.  Horiti  ihm  mit  Prantl  and  EBellin  diese  WDrde  heisnlegea. 


Digitized  by  Google 


580       Skgtmff  der  kittor,  CUme  vom  $,  November  1880. 

pMtorali  offitio  salubriter  pnmdere,  ipram  per  alias  bosItm 
literas,  in  forma  Breris,  nt  ad  nos  Twnirei,  ad  hoo,  nt  ex 
ore  8O0  Yeritatem  et  eauam  eoram  qiiae  publice  dupotabal 
et  in  eeripiis  redigebat,  intelHgeiemiis,  monoimuB.  Onmqne 

id  facere  recnsasRet  ac  eam  non  secnndnm  Dei  legem,  per 
quam  obedientia  et  huinilitas  precipitur,  incedere  mani- 
festissime  constaret,  nos,  ne  error  hniasmodi  in  ecclesia 
Dei  sab  dissüunlaiione  et  negligentia,  tempore  preRertim 
nosfcro,  pertransire  Tideretur,  nonnallis  ex  S.  Romanae  ecde- 
siae  eardinalibns  TiTe  voeis  oracolo  commisimus,  nt  adhibitis 
hl  saera  pagina  magisfcris  et  'aliis  Tins  doetis  einsdem  Maf^ 
tini  dieka  et  seripta  diligenter  ezaoimarent  et  deinde  in  con> 
sistorio  nostro  seereto  refenrent.  Qnoram  relatione  aadita 
etsaepius  mature  discussa,  complures  articnlos  ex  eiosscriptis 
extractos  de  eornndem  cardinalium  coosilio  damnavimns, 
ipsumque  Maiptinum  sub  poenis  tone  expraessis  monuimosi 
nt  infra  oertom  tempus  tunc  expraessnm  errores  saos  re- 
eognoBceret  et  ad  solide  Teritatis  Tiam  rererteretor,  et  qoae 
in  eins  soriptis  temere  etimpie  prolata  perturbationis  oansa 
in  ecclesia  fnerant,  consalte  ac  prndenter,  nt  Christiannm 
decet,  revocaret,  alioqain  at  bereticos  ab  omnibns  Titari  et 
puniri  deberet,  prout  in  nostris,  in  qnibus  voluiraus  quod 
literae  ipsae  in  certis  ecciesiis  publicari  deberent,  inde  con- 
fectis  literis  plenius  continetnr.  Volentes  igitur,  ut  literae 
nostrae  praedictae  in  illis  partibus  fideliter  pnblicentnr  et 
in  eis  contenta  ezecationi  debile  demandentnr,  ac  snnMii« 
tcs  in  toa  pmdentia  in  ardnis  comprobata  et  persona  tna 
qnamploribns  insignita  fidntiam  in  Domino  spetialem,  te 
com  benedietione  illins  cnias  vioes  in  terris  gerimns  et  qni 
curam  gregis  sui  nobis  comraittere'  dignatns  est,  ;id  venera- 
biles  fratres  nostros  Brandenburgensem  et  Misneusem  ac 
Mersebnrgeusem  et  alios  episcopoa  et  praelatos  necnou  di- 
lectos  filios  nobiles  vires  Fredericnm  ducem  Saxoniae  et 
saeri  imperii  electores  ao  Joannem  ex  dacibos  äasoniao 


Digitized  by  Google 


V.  Vntgü:  Aufnahme  der  Bnik  „Extmige  Domme!"  Ltol'B  X  581 

omnesqne  alios  Germaniae  basse  et  alte  priDcipes  barones 
eommanitates  et  uiiiTereos  praelatos  et  ad  alia  loca  ad  quae 
ta  deelinare  eontigerit,  Doniiam  ei  oratorem  tUMtram  mit* 
timna,  ioiiiiigiaites  tilri  ot  episooins  et  afik  prelaüa  ae  Fre- 
derioo  et  Joanoi  neeaon  aliis  prineipibiu  et  aliis  picfiitis 
noetro  nomme  predietas  eontra  Martinimi  edHas  et  alias 
credeDtialee  Kteras  nostras  praesontef:,  ac  nostram  mentem 
illis  communices,  qaemadmodum  propeiisa  est  ad  fidei  catho- 
licae  caDsam  defendendaiu,  eoruraqae  anxilia  ad  hanc  piam 
et  Decessariam  Dei  causam  implores  persaadeasqae,  et  ratio- 
nibns  tibi  notie  indoeas  ae  cordiom  soorum  fbres  asaidne 
palnre  non  deeistae,  ui  Martinam  ipeiuii  hortari  veUnt,  at 
agoita  Teritate  ad  feetam  aemitani  taBdem  redeai,  et  hnioa 
sanctae  sedis  maadatis  pareat.  Qood  ei  feeerit,  Terbi  Sal- 
Tatoris  no^tri  memores,  qui  noo  toU  mortem  peccatorie 
sed  üt  convertatnr  et  vivat,  et  qnod  angeli  magis  gaudeiit 
de  uno  peccatore  ad  pocnitentiam  redeunte,  quam  de  cen- 
tnm  iostifl,  qoi  etiam  alibi  monet  babentem  centum  oves, 
81  Dnam  ex  iIHs  perdiderit,  dimittendas  esse  DonagintanoTem 
in  deserto  et  ire  ad  illam  qaaeperierat,  donee  ioTeniat  eani, 
eandem  Martinam  ad  gratiani  at  ebamm  filiam  reeipiennis 
ipsomque  etiam  honoribas  reoognosoemas,  si  fero,  qaod 
absit,  eoram  et  nostra  monita  ezeqai  neglezerit,  omnem 
upem  et  operam  impendere  et  adhibere,  teqoe  pro  viribus 
iavare  velint,  ut  eius  temeritate  depressa  iidversns  tarn 
pestiferum  homiuem  raandata  nostra  exequi  valeas;  cupientes 
etiam  tantam  labern  ex  partibus  üIIb  eradicari  et  ea  infectos 
corngi  ac  errorea  haiusmodi  extirpari  et  oportuaa  remedia 
adfaiberi,  anteqoam  pestifera  fadiz  pestilentissimos  ramoa  et 
palmites  prodneat  et  alterias  serpat,  omnes  et  singoks  par- 
tium praedictaram  atrinsqae  sezns  eatoscomqae  statas  nobili- 
tatis  et  eonditionis  existent,  in  bainnnodi  haeresim  et  errorea 
prola{  S08  et  iu  poenan  in  dictis  literis  conteotas  incarsos, 
qai  errores  suos  spouie  coufiteodo  beresim  abiurare  et  ad 


Digitized  by  Google 


582       aUMtmg  der  kitkir.  Oane  inmi  6.  November  1880. 

Tmm  fidem  Gatholicam  oonverti  volneriot,  si  hoo  homiliter 
peHerint,  ab  hniiumodi  et  aliis  eomm  eiceanbna»  etaam 
beraBhn  sapientibns,  et  poenis  predicfcis,  prestito  tameii  print 
per  eos  corporali  luramento ,  quod  nmtlia  de  cetero  non 
committent ,  nec  ea  committentibas  praestabunt  anxilium 
consilium  vel  favorem,  necnon  ab  aliis  eornm  peccatia, 
dammodo  talia  non  sint  proptor  quae  sedes  apostolica  foret 
merito  oonmilenda,  autoritate  nosira,  semel  dnmtazat  pro 
quolibet  eorrnn,  ininnota  etiam  eis  pro  modo  colpae  poeni- 
tentia  salotari  efc  aliis  qnae  de  iure  foeritit  injogenda,  ab- 
BoWendi,  neeooii  eos  ad  famam  ad  bonores  pristinos,  abolita 
prius  infamia,  restituendi  et  ponendi,  contra  illos  vero  qni 
talibns  erroribas  contumaciter  persistere  voluerint  autoritate 
nostra  praedicta,  prout  iuris  faerit,  prooedeudi,  ipsosque  cor- 
ngendi,  castigandi  efc  pnniendi  ae  eoriae  secolari  tradendi, 
ao  alia  omnia  et  .nngiüa,  qnae  herfitteae  prayttatie  inqiii- 
ntorea  de  iure  Tel  consaetadine  faoere  possent  et  debereut, 
fiMriendi,  gerendi  et  exercendi  ac  ezeqaendi.  Et  qiiia  com- 
plures  libri  articnlo»  aliter  conciliariter  darnna^os  continentes 
ac  nostro  et  huins  sanctae  sedis  honori  detrahentes  contra 
decretam  nioderni  Lateranensis  concilii  in  ipsa  Germania 
impresfli  faerant,  libros  huinsmodi  in  offitii  et  dignitatia 
nostrae  ac  dietae  eedie  depres8ione(m)  temere  loqaentee  po- 
bliee  ac  pabun  combari  faeiendi  et  contra  eonrndein  libromm 
aotores  proeedendi  plenam  et  liberam  autoritate  apoetoKea 
tenore  preflentinm  concedimus  facultatem«  non  obstantibus 
Constitution ibns  et  ordinationibus,  necnon  quibusvis  privi- 
legiis,  indaltis  et  literis  apostolicifl  qaibusyis  in  genere  Tel 
apeUe  concessie,  quonunoamqae  tenorum  faeriut«  quae  quoad 
praemiaaa  eis  nolamus  sofiragari  eaeterisqae  cootrarüs  qaibus- 
onnque.  Datum  Romae-apud  sanctom  Petrom  anno  ineir- 
nationis  dominicae  1520,  15.  Kalendis  Angusti,  pontifieatos 
noetri  anno  octavo. 

Druck  ohne  Beglaabigonff 
BakktarebiT  Bejt,  BeUgionaakten  I,  f.  14  Beilage  la  Nr.  16, 


Digitized  by  Google 


V.  Druffd:  AufMkm  der  BuUe  „Emmge  Doimie"  £eo^«  X,  583 


2.  Gabriel  v.  Eich  statt  an  Philipp  v.  Freising*). 

Nw.  6  Eick9tm, 

„Wir  haben  E.  L.  schreiben,  des  datum  Erichtags  sant 
Leonhards  tag  [6.  Nov.]  alles  inhalts  vernomen,  und  was 
wir  euch  mochteugnittaileu,  das  zu  gutem  dienet,  das  theten 
wir  gern,  nnd  wollen  E.  L.  nit  verhalten,  das  uns  doctor 
Eck  ▼orlaogst  hat  reqoirirt,  mit  zageeehickter  copei  einer 
bnllen,  su  ende  mit  einee  biechofe  an^edrnektem  sigill  und 
ein  notarj  rieh  snbseribirt,  wider  Martinnm  Lvther  ni 
pablidren,  anch  copy  seines  befelhs  von  Bapstl.  Heil.,  nnd 
uns  daneben  augezeigt,  das  die  Universität  zu  Ingolstad  in 
solchem  auf  uns  warte,  als  iren  ordiuarium.  Also  haben 
wir  irae  ein  mandat  zugeschickt,  dieselben  zn  lugolstat  zu 
pabliciren  und  an  kain  ander  ende  ausgaugen  in  nnserm 
bistamb,  dann  wir  nit  oopias  der  bnlieu  haben  mit  sa 
schicken,  darnach  man  sich  west  an  halten,  nnd  bisher  nit 
Temommen,  was  Eckios  mit  selbem  mandat  gebandelt,  hat 
nns  nachmals  geschrieben  mit  beger  ad  coUigeodnm  et  com- 
burendum  libros  Luterano^j,  darauf  wir  ime  geantwurt,  es 
bederf  sellies  gut  bedenkens,  dauiit  geistlich  und  weltlich 
nit  in  bapstlicb  und  unser  ordinari  censuren  fallen,  aus 
welkem  vil  nurat  möchte  erwachsen,  das  nit  allein  uns, 
sondern  auch  ime  wol  zn  bedenken  sei.  Und  hat  nns  bis 
anf  dato  nit  weiter  reqnirirt,  wie  wirTcmemen,  bei  andern 
hab  thnn.  Unsere  bednnkens,  so  lest  er  in  seinem  fnmemen 
snm  tail  nach,  müssen  doch  weiters  Ton  ime  ge  warten  sein, 
auch  wir  für  notturftig  und  gut  ansehen,  das  E.  L.  bei 
irem  raetropolitan  initsampt  andern  suiTraniis  desgleichen 
wir  und  andere  in  provincia  Maguntina  auch  bei  metro- 


1)  Die  Vorlagen  der  liier  som  Abdmek  kommMidsD  Briefe  habe 
ich  bei  der  Föringer'schen  Aaktioo  erworben;  iie  werdsB  d«a  biesigeB 
StaaiMutehiT  ein? «rWibt  weiden. 


Oigitized  by  Google 


584       ßiitmi§  d0r  Mtfor.  dme  wm  6.  November  1980, 

poUtano  In  solehai  des  Eck  handlang  ni  sachten,  damit 
diaae  baacheTer  mSehta  abgawandt  wardao,  aoeh  wie  daa 
Ecken  handlang  bei  Ko.  M.  and  charfaraten  warda  aage- 
aahen;  dann  ans  getrenlleh  laid  ist,  daa  durch  Lothar  ond 

Ecken  die  Sachen  so  weit  gewachsen  und  ganz  dafür  haben, 
das  unsers  heiligen  vatters  des  babsts  so  hoch  fnrnemeu  nit 
sei,  wie  dann  Eck  auf  die  ban  rieht,  und  wollen  uns  als 
lang  wir  mugen  aufhalten,  bia  wir  bas  bericht  möchten 
werden,  darnach  wir  nns  Westen  su  halten;  dann  womit 
wir  fi.  L.  frenntlich  dinat  mögen  erzaigen,  dea  aein  wir 
abaeit  gewilgt  Datam  in  anaar  etat  Eyatet  am  Doneratag 
nach  Leonhardi  anno  XX/' 

Ogl.  (ohne  Untenehiift). 

3.  Ernst  v.  Passau  an  Philipp  v.  Freising. 

„Unser  freuntlich  etc.  E.  L.  schreiben,  darin  dieselb  an- 
zaigt,  wie  ir  von  doktor  Ecken,  theologen  zu  Ingolstat  ain 
babatliche  bullen  wider  doctor  Martina m  Lntter  mit  ver- 
gebener potachaft  aogeechickt,  das  aaeh  E,  L.,  waa  aieh 
daraaf  aa  handeln  gebür,  irrig  aei,  demnach  die  In  aolchem 
hXX  anaera  farnemeha  wissen  and  anderricht  begert  ete., 
haben  wnr  Temera  Inhalts  yemommen  and  geben  darauf 
E.  L.  freuntlicher  guter  maiuung  zu  erkennen,  das  uns 
solche  babstlicbe  bullen  oder  abschrift  davon  nit  behendigt 
worden,  darnmben  wir  derselben  vermöge  oder  inhalt  gar 
kain  wissen  tragen.  So  aber  das  beschehen  wäre,  weiten 
wir  solches  E.  L.  nit  verhalten,  wiewol  wir  nit  cweifeln 
E»  L.  wissen  in  aolchem  nod  ainem  merem  &U,  was  nach 
geatalt  der  Sachen  ratsam  nod  gebftrlich  Ist,  bas  daoo  wir 
so  ermessen;  damit  E.  L.  freontllchen  an  dienen  ete. 
Datum  Passau  an  Freitag  vor  Martini  anno  20.'' 

OgL  (ohae  Uatanehrift). 


Digitized  by  Google 


V.  Druffel:  Aufnahme  der  Bulle  „Exsurge  Domine"  Leo'a  X.  585 

4.  Statthalter  und  Rftthe  des  Oardinals  t.  Salt^ 

barg  an  Bischof  Philipp. 

15^0  Nov.  11.  SaUburg. 

Des  Bisebois  Sebreiben  an  den  Oardinal,  welches  anzeigt 

„wie  under  doctor  Ecken  namen  E.  F.  G.  ein  vergebn  schreiben 
mit  ainer  einliegenden  gedruckten  copei  ainer  bäbstlichen 
bulle  wider  D.  Martinum  Luther  zuekomen,  und  dieweil 
die  sach,  in  solcher  copei  begriffn,  trefenlich  und  doch 
£.  F.  G.  durch  kainen  aignen  botn  oder  Dotari  verküDdet 
und  Teigebnlich  erst  durch  die  viert  band  geantwortet  sei, 
begert  £•  F.  G.  an  wissen,  wie  nnd  in  was  gstalt  die  b&bst- 
lich  ball  bemeltem  nnserm  gnedigsten  herm  eardinal  Ter- 
kündet,  nnd  was  sein*  fSrstlicb  gnad  daranf  zn  bandeln 
willens  sei,  und  daneben  rat's,  wie  sich  E.  F.  G.  darein 
schicken  sol  etc.",  haben  sie  eröffnet.  „Darauff  thun  wir 
K.  F.  G.  za  wissen,  das  uns  nicht  wiasu  ist,  das  unserm 
gned%isten  herm  eardinal  dergleichen  bäbstlich  ball  oder 
copey  angeschickt  oder  Terkfindet  sei,  uns  anch  derbalben 
noch  Insber  nichts  aaekomen  Ist,  wir  anch  inhalt  derselben 
kein  wissen  haben.  Deshalbn  wir  E.  F.  G.  nnsers  rata 
nnd  gntbednnkens  hierin  nicht  znsebreiben  können.  Als 
aber  E.  F.  G.  in  irem  schreiben  meldet,  wie  angezogne 
bäbstlich  bull  alain  vergebens  und  durch  aigen  boten  oder 
notari  nit  verkündet  sei,  achten  wir,  dieweil  E.  F.  G.  mit 
selber  ball  recbtmessiglich  nit  ersucht  ist,  wisse  sich  hierin 
wol  za  halten,  and  hab  sich  gegen  Bapstl.  Heil,  wol  sn 
entachnldigen,  das  £.  F.  G.  desbalben  kainerlei  ungehorsam 
biltich  zuegemeesen  weiden  mag." 

OgL  (ohne  üatanebrift). 

5.  Christof  ?.  Augsburg.    Philipp  y.  Freising. 

15J^  Nov.  12. 

Das  Schreiben  des  Bischoft  Hontag  nach  Allerheiligen 
[Not.  3]  hat  er  «pSt  in  der  Nacht  erhalten;  vor  etUchen 


Oigitized  by  Google 


586       SUnmg  der  hitUtr.  CUuae  vom  6.  November  1880. 

Tagen  irt  anoh  ilim  ein  Sobreiben  Ton  Eck  nebefe  einem 
besiegi^lten  Exemplar  der  päpstlichen  Bolle  durch  einen 

Boten  zugesandt  worden  nnd  ist  er  durch  Eck  als  päpsi- 
licbeu  Comraissar  um  Publikation  in  seinem  BiBthum  er- 
sacht nnd  reqairirt  worden. 

„Na  ist  nit  weniger,  wa  diese  such  sonder  person  nnd 
nit  l^bstlieh  hmligkeit  selbe  berarte,  wir  auch  nit  daneben 

Westen  und  verstünden,  das  J.  Heil,  gewislich  selliche  bull 
ausgeen  lassen  und  das  furnemen  nit  so  ernstlich,  wir  wern 
nit  schuldig  uoch  willens  gewest,  sollich  requisicion  anzu- 
nemen;  haben  danooch  nit  anderlassen  bei  Dr.  Ecken  allerlei 
w^  an  Sachen,  damit  wir  sollichs  lasts  mochten  flberhoben 
bleiben;  so  wir  aber  kein  endernng  noch  verzog  erlangt, 
nnd  mm  andern  mal  reqairirt  sein,  tragen  wir  försorg  wo 
wir  Bä.  Heil,  in  dem,  darinnen  uns  noch  kain  widerstand 
begegnet  ist,  ungehorsam  erfunden  werden  sollten,  es  möcbte 
uns  und  unserm  stift  daraus  merkliche  beschwerd  und  nach- 
tiiil  erwachsen.  Der  halben  wir  ein  mandat  wellicher  gestalt 
solliche  ball  in  nnserm  bistumb  pablicirt  werden  solle, 
stellen  lassen,  dasselbig  sampt  der  ballen  se  drncken  nnd 
mit  allem  daza  gehörig  bereit  an  machen,  bcTolen  haben, 
sover  uns  anders  niehtzit,  dann  wir  jetzo  wissen,  begegnen 
werde,  das  wir  soliicli  publicacion  allenthalben  in  iiusorm 
bistumb  furgeen  lassen  raugen ,  anders  oder  beNsers  wie 
E.  L.  iu  diesem  fall  auch  uit  auzuzaigen  noch  ze  raten 
wissen.  Wolten  wir  derselben  etc.  Datum  Dillingen  Montag 
nach  Martini  1520." 

Ogl.  (obae  Untenchrift). 

6.  Georg     Speier  an  Philipp  Freising. 

1520  Nov.  22  Udenheim, 

Anf  des  Bischofs  Schreiben  wegen  der  päpstlichen  Balle 
Ober  die  Disputation  zwischen  Eck  und  Luther  meldet  er, 


Digitized  by  Google 


c.  Druffel:  Aufmütine  der  Bulle  „Exaurge  DoiiUne"  Leo's  X,  587 

dass  er  keine  derartige  Copie  erhalten,  uad  von  Niemaaden 
gehört  hat,  was  sie  enthalten  soll;  er  zweifelt  nicht,  dass 

er,  wenn  dieselbe  dem  Erzbischof  von  Mainz  oder  andern 
Bischöfen  der  Provinz  zugeschickt  worden  wäret  wenigstens 
„lantmanawise'^  davon  gehört  hätte. 

t,Darnmh  wir  6.  L.  nf  ir  sehryhen  deshalhen  nichts 
frachtparlichs  zu  raten  wissen,  dann  das  wir  achten  üch 
des  zu  bedenken  und  uf  andere  mer  und  mynr  zu  sehen 
nit  unbillig  zagelassu  werd.  So  uns  aber  nachmals  der- 
glychen  znekeme  und  darmit  erfordert,  was  wir  dann  im 
rate  finden  würden,  darin  zn  thnn  nnd  an  lassen,  dasselb 
wellen  wir  E.  L.  ns  brnderlicher  frenntscbaft  hy  nnser  etgen 
botschaft  mitteilen  nnd  keinswegs  bergen.  Datum  Udenheim 
am  Domstag  nach  presentationis  Bfariae  anno  20.** 

Ogl.  (ohne  Unterschrift).  Indonat:  Dec.  8. 

7«  Knrfdrst  Lndwig  an  Bischof  Philipp. 
ISJiO  Nov.  »8  Heiddberg. 

Er  hat  das  Schreiben  des  Bischöfe  nebst  dem  zogeschickten 
Glase  aber  nicht  den  Brief  des  H.  Lndwig  in  Baiem  er- 
halten; derselbe  wird  liegen  geblieben  sein,  möge  ihm  bei 
nächster  Botschaft  zugesandt  werden. 

„So  soll  E.  L.  wissen,  das  nns  Lntters  halb  kain  brief 
znkomen,  so  wissen  wir  anch  von  kainer  handlnng  dnich 
Kei.  M.  nnsem  allergnedigsten  herm  nnd  ehnrfiirsten  anf 

gehabtem  crönungstag  deshalb  gehabt,  allein  haben  wir 
vernoinen  wie  das  der  bischove  von  Trent  zwuschen  Pab. 
Heil,  oratorn  und  dem  churfursten  zu  Sachsen  deshalb  ge- 
handelt, was  das  gewest  oder  ist  uns  verporgen,  dan  das 
ist  offenlich  durch  ein  manch  ani  der  cansel  zn  Cöln  ver- 
knndt,  etlich  pnecher  Terprent  worden  sein  solo,  mit  dem 
[1880.  L  PhiL-pbU.  hiit  a  Bd.  I.  5.]  88 


Digitized  by  Google 


588         Sitzung  der  hmtor.  (JUtase  vom  6.  November  1880. 

anhang,  als  ob  es  Sei.  M.  nnd  die  churfurateu  bevolen, 

davon  wir  doch  kein  wissen;  dieweil  uns  nun,  wie  obge- 
melt,  kein  brief  zukommen,  wir  auch  desselbigeu  iuhalt  uit 
wissen,  ist  nns  £.  L.  rate  mitzntailen  unmuglich ;  wo  wir 
aber  desselbigen  verstand  betten,  wolten  wir  E.  L.  durck 
die  der  ding  ▼erstendigen  gern  ein  ratslag  gefast  nnd  sa- 
gescbiekt  haben.  Das  wir  £.  L.  wideramb  brfiderlieher  und 
frnntlicher  meinnog  nii  bergen  wolten.  Datum  Heidelberg 
nf  Mitwoeh  nacb  Katherinae  anno  20/' 

OgL  (ohne  Uateischrift). 

8.  Friedrieh      d.  Pfala  an  Philipp  t.  Freising. 

I5^i  Jan.  8  Worms. 

Auf  des  Bischofs  Anfrage,  was  der  Kaiser  auf  ^ie  päpstliche 
BuUe  hin  befohlen  habe  oder  befehlen  wolle,  theilt  er  mit, 
dass  der  Kaiser  sn  Kdln  die  Bnlle  d£fentlieh  hat  Terkflnden 
nnd  gebieten  lassen,  die  Bfleher  Lnthers  zo  verbrennen»  wie 
geschehen  ist,  sowie  keine  mehr  an  dmcken.  Lnther  hat 
jetzt  dagegeii  gehandelt  nnd  das  kanonische  Recht  nnd  die 
Bulle  verbraunt  ,,des  sich  die  bebstlich  botschaft  hoch 
beschwert  und  beclagt,  dornf  Kai.  M.  abermals  ernstlich 
gebieten  lassen,  alle  des  Lntters  pUcher  zn  verbrennen  and 
keius  mehr  zu  drucken.  Ob  damit  dem  Lutter  recht  g^ 
schehen,  beschicht  oder  nit,  sein  wir  nit  Terstendigt;  ao 
haben  wir  kein  wissen,  dwill  nnser  fr.  lieber  yetter  heraog 
Fridrieh  von  Sachsen,  doby  sieh  Lntter  eothellt,  itio  hieher 
komen  ist,  ob  nnd  was  I.  Itf  Wlleieht  mit  S.  L.  davon 
oder  soQsten  in  ander  weg  vemer  zn  handeln  willens  oder 
nit.  Das  wolten  wir  E.  L.  .  .  .  nit  bergen.  Datum  Wormbs 
uf  Dinstag  nach  Thum  Kegum  amio  21." 

OfL  (ohoe  Untoisehrilt). 


Digitized  by  Google 


* 


V.  JJrufffl:  AufHoJme  ilcr  Bulle  ,^x8unfe  Domim  '  Leo'a  X  589. 

9.  Cardinal  Mathäus  Laug  Erzbischof  v.  Salz- 
barg an  Bischof  Philipp. 

15^1  Jon.  10  Worms. 

„Venerabiiis  frater,  amice  charissime,  fraternam  in  Domino 
cbaritatem.  Wir  haben  E.  L.  schretben,  des  datum  steet 
Sambstags  nach  Nativitatis  Ghrisii  [Dec.  28]  uns  bei  disem 
irem  poten  getan,  mit  sampt  ainer  absehrift  ainer  bftptt- 
liehen  ball  angestem  Miiwoohens  nach  Triam  Begom  em- 
pfangen and  yereianden;  and  als  E.  L.  ansers  rats  begert, 
80  wollen  wir  E.  L.  unser  meinnng  darin  durch  die  post 
zum  peldesten  zueschreiben  und  haben  deshalb  E.  L.  poten 
nit  (auflialten  wollen).  Wollten  wir  derselben  E.  L.  nit 
.  verhalteii.  Datum  Wormaciae  decima  mensis  Januarii  anno 
Tigesimo  primo.'^ 

Ofl.  ohne  Untencbrüt. 

10.  Cardinal  Mathäus  7.  Salzburg 

an  Bischof  Philipp. 

15^i  Jan.  21  Worms, 

„Venerabiiis  etc.  Unserm  jüngstu  schreiben  nach,  E.  L. 
'  nechst  bievor  antwortsweise  getan ,  thuen  wir  derselben  E. 
L.,  irem  begem  nach»  disen  bericht:  daz  die  kaieerlioh  M. 
etc.  mit  gaetem  zeitigem  rat  sich  entslossen  hat,  der  BäpstL 
Heil,  and  dem  stnel  za  Rom  anznhangen  mit  allen  seiner 
Kai.  M.  Österreichischen  and  Borgondisehen  erblandea  wldor 
den  Lutter,  und  hat  deshalben,  ee  wir  an  1.  M.  hof  kämmen 
sein ,  desselben  Lutters  puecher  auf  Bap.  Heil  nuncio  er- 
suecben  zu  Loven  in  Brabaud  zu  verprenneu  verordent, 
desgleicheu  hat  auch  uacbmals  sein  M.  nach  irer  cröuuug 
za  Aach  bei  den  3  charfursten,  den  von  Mainz  Cölln  and 
Trier,  in  den  steten  Cölln  Main£  and  Trier  aach  ta 
besehehen  Terosdent.  S.  M.  ist  aach  willens  etliche 
emstliehe  mandat  allenthalben  in  das  heilig  reich  ane» 

38* 


Digitized  by  Google 


590       Sitzung  der  htstor,  Cliiase  vom  6.  Novetnber  1680, 

geen  zu  lassen  und  sonst  auch  mit  den  stendeu  des 
reiche  albie  auf  disem  reichstag  zu  ratschlagen  und  zu 
handln,  wie  diser  sach  in  alleu  dmgen  ain  gepürliche  för- 
sehung  beschehen  sol.  Das  alles  haben  wir  E.  L.  nit  ver- 
halien  wellen,  sich  halj^n  und  wissen  dest  pas  darnach  an 
richten.  Wir  warton  anch  in  diser  sach  unserer  rate  von 
Salzburg  ratslag  und  gnetbednnken,  gedenken  anch,  E.  L. 
werd  kurzlich  auf  disem  reichstag  auch  erscheinen,  alsdann 
wollen  wir  uns  mit  derselben,  und  sonderlich  ob  wir  mitler 
zeit  von  Bäb.  Heil,  requirirt  werden ,  weiter  underreden. 
Datum  Wormaciae  21.  mensis  Jauuarii  anno  21. 

Oed.  Und  für  nuwe  seitang  Terkanden  wir  £.  L.,  das 
bemelts  doktor  Martin  Latten  werk  und  bncher  in  Nidei^ 
land  an  Leven,  Antdorf,  Coln  öffentlich  an  merkten  dnrch 
die  naehrichter  verbrent  sein  worden.  Darab  S.  L.  den 
werdt  derselben  wele  zu  ermessen  hat. 

Ced.  II.  Und  wir  schicken  werner  hieby  ein  buchÜD 
Widdern  Luttr  osgaogen,  wie  dieselb  sehen  wirt*  Datum 
nt  in  litteris." 

OgL  ohne  Untarschiift 

11.  Herzog  Wilhelm  Baiern 

an  Bischof  Philipp*). 

mi  MarM  Xt  Augslmrff, 

„Unser  etc.  Wir  seien  bericht  und  tragen  grundlichs 
wissen,  das  unser  landsassen  uudertanen  und  yerwanten 
nnsers  fttrstentambs  Bairn  ans  worknug  E.  L.  mandabif 

1)  Des  OoDcept,  BA.  Bajr.  Belig.  I,  17  bistet  waaig  bedsottade 
VsrisataD.  Dm  Datum  ist  Ck>nrektar  statt  'Ssinbstags  aaeb  Ssategs 
Oeoli*.  Am  Sehluiae  die  Bemerkung: 

An  den  biscbof  so  Freiling.  Ji 

In  iimili  forma  inutato  titulo:|| 

SB  den  eardinsl  lu  Salsbarg  oder  seine  etatbalter,  |j 


• 

Digitized  by  Google 


r.  Druffel:  Aufnahme  der  Bulle  „Exsurge  Domine''  Leos  X.  r)91 


so  in  demselben  unserm  lande  pablicirt  und  verkündet, 
doktor  Martin  Lutters  leer  und  ausgegangen  getruckte 
puechlen  betreffend,  durch  die  prediger  und  peichtvater  in 
den  clostern  und  pfarren  derselben  Lutterischen  leer  und 
puechlen  halben,  an  den  offen  predigstuelen  und  in  der 
peicht,  höh  und  beschwerlich  angetast,  ausgerueft  und  an- 
gezogen werden,  auf  niainuug,  wollich  solliche  puechl  gelesen, 
die  peihendig  nit  von  ime  geben  und  der  geistlichen  obri- 
kait  nit  überantworten  wolle,  denselbigen  nit  zu  absolviren 
sonder  als  ainen  gesunderten  von  cristeulicher  versauiblung  zu 
halten.  Dieweil  aber  wir  sambt  dem  .  .  .  herzog  Ludwign 
aus  etlichen  erfarungen  und  gleublichen  anzaigen  befunden, 
das  sollich  hart  und  beschwerlich  fumeraen  mer  zu  aufruer 
erapdrung  und  Zerrüttung  cristeulicher  werk,  dann  zu  hail 
der  Seelen  und  guten  Wirkungen  dienstlich,  und  die  layen 
sich  hart  darwider  setzen,  schreien  und  murmeln,  ist  mehr 
poses  dann  gutes  daraus  zu  entsteen  zu  besorgen,  als  dann 
an  etlichen  orten  ausserhalb  uusers  furstenturabs  zum  tail 
für  äugen  gewest.  »So  wir  dann  als  ein  cristeulicher  fürst 
des  heiligen  reichs  söllich  und  dergleichen  widerwertigkeit 
und  emporung  in  der  heiligen  cristenlicheu  kirchen,  so  vi^ 
uns  immer  muglich,  zu  furkommen  schuldig  und  geuaigt 
seien,  und  itz  auf  dem  reichstag  zu  Wormbs  von  Ro.  Kai. 
M.  auch  allen  Stenden  des  reichs  berürtem  doktor  Martino 
Luttan  frei  sicher  glait  zu  gebn,  von  seiner  gwar  bis  wieder 
an  sein  gwar,  entlich  beschlossen,  der  enden  die  notturft 
on  zweifei  seiner  ausgeschriben  artikel  mit  ime  gehandelt 
wirdet,  und  das  kai(serlich)  raandat,  darvon  E.  L.  vielleicht 

an  dj  biscbof  za  Regenspurgjl 
Passaa  [getilgt:  and  Augsbarg]  l| 
Eystett.  II 

Vor  Preising  Salzburg  and  Paasau  befinden  sich  Kreaze,  wahr- 
icheinlicb  Expeditionszeicben.  Dasa  Augsburg  getügt  wurde ,  lag  wobl 
daran,  daas  der  Herzog  grade  dort  anwesend  war. 


092         Sittung  der  bist,  Glosse  vom  (i.  NocenUter  1680. 

wissen  mag  litiben  ,  mitler  zeit  nit  aasgeen ,  auch  seine  ge- 
machte puecher  und  Schriften  die  weil  uuverprennt  und  nii- 
▼ertilgt,  auch  Lütter  mit  predigeu  und  Schriften,  und  ^so 
so  ftUen  tailen  stillgestanden  werden  solle  —  hierauf  nnser 
und  bemelts  .  • .  herzog  Lodwigs  frandlioh  pit,  E.  L.  wollen 
ans  obenselten  bewegltehen  nrsachen  sn  verhütnng  merers 
Unrats  bei  Iren  geistlichen  uudertaneu  vorgeern  pastorn 
Predigern  und  peichtvätern  ires  gebiets  verordnen  und  darob 
sein,  das  sie  mitler  zeit  ehe  mit  dem  Luther  verner  ge« 
handit  auf  den  cantzln  mit  predigen  peichthr>ren  Lutters 
Schriften  und  pnechln  halber  gemach  thnen,  dieselbigen  nicht 
▼erdamen  yerwerfen  noch  goethaiasen,  sonder  an  rne  stellen. 
Wollen  wir  E.  L.  der  wir  mit  dienstlichem  willen  geneigt, 
freuntlicher  mainting  und  der  Sachen  allenthalben  zu  guet, 
nnangezaigt  nit  lassen.  Datum  Augspurg  Montags  nach 
Laetare  in  der  vastn  anno  21. 

Ogl  (Spar  TOD  2  Siegeln  ohne  Untenchrift). 

12.  Bischof  Gabriel  an  Herzog  Wilhelm 

Ton  Baiern^. 

Märs  15  Eichstädt. 

,,Hochgeboniflr  fnrst,  nnser  willig  dienst  zoTor,  gnediger 
lieber  herr!   Wir  haben  ener  schreiben  ▼emommen :  nsd 

betten  des  Lutters  vermainten  handlung,  so  vil  uns  muglicb, 
alwegen  gern  zum  pesfcen  gewendt ,  aber  er  steet  nit  iu 
ruhe,  sunder  in  wenig  tagen  neue  buechlein  in  seinem  namen 
ansgangen,  dardorch  nit  klein  irthomb  zwischen  beicbtr 


1)  Die  BeOage  t  22,  bei  Winter  I,  22,  istniditetwa  der Briui 
dee  G«D«raMkan  Wvm,  soadem  die  Formel,  weldw  ven  den  ENoeb 
dir  siaielnen  Pfluteien  ferkAndet  umden  eoUte;  über  sie  tagte  Wora 
nit  dgeabiodiger  Notit  and  Uatenchiift :  *Iii  hone  rnodan  toIudm 
pabUeair.  Bei  Winter  8.  306  ist  Z.  8  *mir*  statt  W  *idi'  ststtV 


Digitized  by  GoogU : 


€.  Druffel:  Amfnahme  der  Buße  „ExBnrgt  Bawune^  Lec^a  X  593 

▼ettern  and  beicfatkinden  erwaehaen.  Und  haben  auf  £,  G. 
schreiben  nneern  ^thnmbprediger  nnd  ander  gelert  rethe  er- 
fordert, nnd  bevolhen,  so  deshalben  von  beichtenden,  layen- 
priester  oder  religiösen ,  ine  was  fbrkeme,  sich  darinnen 

wissen  zu  halten.     Wie  wir  aber  die  bebstlichen  bullen 

haben  lassen  verkünden ,  des  schicken  wir  copei  hiemit, 

daraus  absenemen  ob  wir's  hart  und  beschwerlich  furge- 

nomen,  oder  nit;  und  hat  sich  bisher  in  nnserm  stift  nit 

sonder  Widerwillen  deshalb  begeben,  dann  so  vil  ans  ans 

Ingelstat  angelangt  hat;  soll  aneh  noch  an  nnsenn  gneten 

Tleis  nicht  erwinden,  die  Sachen  €um  pesten  helfen  wenden; 

so  euch  dann  der  sachen  etwas  dienstlichs  von  Wormbs, 

uns  auch  nit  verhalten.    Dann  E.  G.  zu  willigen  diensten 

sein  wir  urpüttig.   Datum  in  unser  stat  Ejsteet  am  Freitag 

nach  Laetare  etc.  21.*^ 

Ogl  ohne  Üntenehr.  BA.  Bsjr.  BaL  I,  88t  pnm.  Hin  17; 
benatsk  T<m  Wiater  I,  68. 

13.  Bischof  Philipp  v.  Freising  an  Herzog  Wilhelm. 

JSJil  Mäir»  37  FreUmg. 

Er  beglaubigt  seinen  Vikar,  Domherrn  zu  Freisiug, 

Rath  nnd  lieben  Getreuen  Johann  Jung. 

Ogl.  BA.  Bajr.  Bei.  T,  21 
Indomt:  'GlMlMbriiT  Uitais  btib*. 

14.  Statthalter  und  Räthe  zu  Passau 
au  Herzog  Wilhelm. 

15J91  Märs  18  Ftinau. 

„Durchleuchtiger  hochgebomer  fürst,  £.  F.  Cr.  sein 
miser  nndertenig  willig  dienst  alseit  mit  Tleis  suToran  be- 
reit! Oenediger  herr!  In  abwesen  nnsers  gnedigen  herm 
ist  ain  schreiben  Ton     F.  0.  anigeend,  —  desselben  inhalt, 


Digitized  by  Google 


594       SiUung  der  hittor,  Chtae  vom  6.  Novmiber  1880, 

mit  uDsers  ^edigen  herrn  undertonen  geUtlicbs  Stands  irer 
F.  G.  gebiete  ssa  yerordnen  nnd  darob  seiii  damit  die- 
eelben  die  pfleher,  eo  durch  den  Latber  gemaeht,  auf  den 
eantseln  mit  predigen  anch  in  dem  peiebtbÖren,  bis  vemer 
mit  ime»  dem  Lntber,  gebandelt,  nit  ▼erdamen,  auch  weder 
bo8  noeb  gut  baiesen ,  sonder  in  mbe  steen  %vl  busen  — 
uns  zukommen  und  vernoraen.  Dieweil  wir  dann  nach  mög- 
licher erfarung  nit  wissen  tragen,  das  ainich  mandat  durch 
raerbemelten  unsern  gnedigen  herrn  oder  I.  F.  G  official 
desbalben  aasgangen,  auch  des  in  derselben  gebieten  begeben, 
dammb  wir  dann  selbes  zn  yerbieten  nrsacb  haben,  so  aber 
dermassen,  des  wir  uns  doeb  nit  Terseben,  durch  angesaigten 
nnsers  gn.  herrn  nntertonen  gehandelt  und  wir  desselben 
beriebt,  wellen  wir,  domit  selbem  fnrkomen  werde,  bei  den- 
selben muglichen  vleis  fnrwenden.  Haben  E.  F.  G. ,  deren 
wir  uns  beyelen  thun,  auf  derselben  schreiben  zu  under- 
teniger  antbort  nit  verhalten  wellen.  Datum  Paasaa  am 
Montag  nach  dem  Sontag  Judica  anno  21.'' 

Ogl  BA.  Bayr.  IM.  I,  19. 

15.  Bisohof  Philipp  an  Dr.  Eck  eu  Ingolstadt. 

1521  (MäTM  2^-217). 

„Wir  haben  eur  schreiben,  darinnen  ir  meldet,  was... 
herzog  Wilhelm  mit  euch  Bäp.  Heil,  bullen  halben,  wider 
doctor  Martinum  Luther  ausgangen,  gebandelt,  auch  ir  S.  L. 
antwort  geben  seit  haben,  neben  einem  abdruck  eurer  com« 
mission  nnd  mit  angehenktem  erpieten,  das  wir  dieselbig 
oommission  aigentlich  nnd  grUntlieb  ermessen  nnd  was  ir  • 
auf  ferrem  nnsem  bericht  zn  abstellnng  anfmr  nnd  em- 
p5ning  thun  mögt  etc.,  eol  bei  euch  nit  erwinden  etc.,  haben 
wir  nierers  inhalt  hörn  lesen.  Und  betten  vor  der  zeit 
gern  gesehen,  ist  auch  unser  beger  an  euch  darauf  gestanden, 
das  bcrürte^sacb,  daran  vi!  gelegen,  mit  mererm  bedacht 


Digitized  by  Google 


9.  Druffel:  Aufnahm  ä$r  BviU  „Bxmrge  Jkmim^  L§c^i  X  595 

gebändelt  wäre  worden.  Aber  nicbtdesweniger,  auf  eor  un- 
meesigs  anhalten  nnd  ereneben,  nnd  damit  nit  nreaeb  ge- 
geben, jemand  in  unserer  pflicht,  oder  auch,  als  gölten  wir 

Bäp.  Heil  nit  gebürliche  gehorsam  erzeigen,  zu  disputiern  etc., 
haben  wir  die  publication  ansgoen  lassen;  und  mocht  viel- 
leicht, als  wir  bericht,  nit  on  sein,  das  im  färstenthiimb 
Balm  etlich  landsessn,  Ondertlion  nnd  ?erwandtn  eich  darin 
beew&rd  gedächten,  nnd  solicbs  mer  zn  an&nr,  empernng 
nnd  Zerrüttung  goeter  werk,  dann  zu  frncht  nnd  gnettem 
dienstlich  geacbt  werden.  Wir  sein  ancb  on  zweifl,  bemelter 
unser  fr.  lieber  yetter  bab  euch  bericht,  was  Kai.  M.  unser 
allergnedigster  herr  samht  deu  Stenden  des  h.  reichs  zu 
Wurms  in  berürter  sacli  gt'haiulelt  hat).  Nun  wolten  wir 
je  gern  unrat  fürkomen,  und  der  seel  seligkait,  so  uns  be- 
Yoleu,  bedenken,  es  wil  aber  uns,  wie  ir  und  die  verstendigen 
wisst,  nit  gepürn,  noch  dieser  zeit  gelegen  sein,  euer  com* 
missiott  auszulegen,  engern  oder  weitern,  insonder  dieweil, 
als  wir  beriebt,  ir  daneben  ein  sondere  instruction,  der  in- 
halt  wir  nit  wissen,  haben  sollt,  ist  auch  ain  übrigs,  solichs 
an  uns  tzu  begern.  Aber  nachdem  ir  ain  bäbstlicher  ge- 
walthaber  sein  ,  und  pillicli ,  was  und  wie  weit  sich  eur 
gewalt  erstreckt,  wissen  sollt,  in  craft  eurs  bevelhs  etUcb, 
so  wider  die  bullen  gehandelt  oder  vorprochen,  absoivirt, 
ancb  soliche  absoluiion  andern  mitzutailen  bevolen  solt 
haben,  soTom  ir  dann  soUioben  gewalt  bettend,  bedencht 
uns  nit  ungut  zu  sein,  merer  ergernnss  und  nachteil,  wie 
sieh  dann  an  etlichen  andern  orten  erzeigt  hat,  zu  fhrkomen, 
das  ir  den  peicbtvStem  unsers  bistnmbs  bevelen,  macht  und 
gowalt  geben  hetteiid,  die.  so  si(;h  in  iren  gewissen  berürter 
bullen  halber  beschwärt  erfunden,  des  sich  erkennen  oder 
peichten  thäten,  zu  absolviern.  Darmit  mochten  auch  Bäp. 
Heil,  censuren  in  diesen  swären  laufen  nit  also  in  reracht- 
ung  komen,  und  sonst  in  yermog  mergemelts  unsers  fr.  1. 
Tetters  begeren  was  guet  wäre  gehandlt  worden,  haben  wir 


Digitized  by  Google 


596       SUiung  der  MMor.  daate  vom  6»  November  1880, 

euch,  die  saeh  nach  aller  noddnrft  sa  er  wegen,  anf  eur 
Bchreiben  wellen  anzaigen/* 

Cop.  BA.  Bayr.  Baiig.  I,  16;  Winter  I,  65 
Beilage  la  Nr.  16. 

16.  Bischof  Philipp  y.  Freising  an  Herzog  Wilhelm. 

mi  MärM  S7  Freising. 

„IJnser  freontlich  dinst  und  was  wir  alzeit  liebs  und 
guts  yermngen  zuvor,  hochgeborner  fürst,  lieber  yetter! 
Nachdem  wir  auf  E.  L.  jüngstes  schreiben,  doctor  Martinmn 
Lnther  nnd  seine  paecher  betreffent,  den  , .  •  Jnng  mit  cre- 
denzbrief  nnd  Werbung  an  E.  L.  gefertigt  nnd  daselbs,  das 
an  sondern  bevelhe  in  der  Sachen  ainen  anstand  zu  machen, 
oder  die  wider  die  bäbstlichen  bullen  gehandelt  zu  absol- 
vieren, in  unser  gewalt  und  macht  nicht  stee,  anzeigen  haben 
lassen,  wo  uns  aber  solichs  von  Bäp.  Heil,  oder  des  gewalt- 
haber,  als  wir  yemomen  das  doctor  Eck  sein  sollt,  beyele 
geben  wurde,  so  weiten  wir  E.  L.  begeren  nach  gern  wil- 
ihren  und  handeln,  wie  dann  E.  L.  sonder  zwdfel  yerrer 
von  gemeltem  unserni  vicari  bericht  empfangen,  darauf  dann 
E.  L ,  als  uns  gedachter  unser  gesanter  anzeigt,  sich  freunt- 
lich  erzeigt  und  erpoten,  mit  doctor  Egken  zu  handeln,  wie 
wir  dann  achten  beschehen.  Darauf  istuns  yon  gedachtem 
doctor  Ecken  ain  schreiben  mit^einsohliessnng  einer  abge- 
druckten bftbstlichen  bullen')  zugeschickt,  darauf  wir  ime 
dann  wiedemmb  schriftlich  antwort  graben,  alles  wie  B.  L. 
hierin  befinden.  Und  dieweil  es  dann  je  in  unserer  macht 
nit  steet,  Bäp.  Heil,  mandaten,  als  unsers  haupt.s  und  obrig- 
keit,  zu  wider  hrfhdeln,  dasselb  aufzuheben  oder  anzustellen, 
wie  E.  L.  selber  wol  abnemen,  so  kunnen  wir  ir  dem,  wie 
gern  wir  es  th&ten,  nicht  wüfiuren.  Wo  aber  doctor  Egk, 
Inhalt  unserer  antwnrt  im  gegeben,  in  Sachen  nochmals  thon 
wnrdt,  oder  yon  jemantz  anders,  so  des  macht  und  gewalt 

1)  Nr  .  1. 


Digitized  by  Google 


r.  Druffel:  Aufnahme  der  Bulle  „Exsurye  Domine'*  Leo*8  X.  597 

.hette,  uns  bevolen  wtirdt,  wolten  wir  iinsers  vorigen  erpieten 
on  verzog  in  anserni  bistunib  ansgeeu  lassen  und  handeln, 
was  zu  gutem  dienen  möclit ,  des  wir  uns  auch  zu  thun 
schuldig  erkennen.  Mögen  E.  L.  abnemen,  das  kein  mangel 
an  uns  erscheine.  Dann  derselben  allzeit  freuntlich  zu  wil- 
fareu  und  ir  lieb  und  dienst  zu  erzeigen,  sind  wir  mit  begir 
geneigt.  Datum  Freising  am  Mittwoch  nach  Palmarum 
anno  21." 


Philosophiach-philologisohe  Olasse.. 


Sitzung  Tom  4.  December  1880. 


Herr  Konrad  E^ofmann  und  Willielin  Meyer 

legten  ror: 

,,Die  Textkritik  vou  Lutwins  Adam  und 
Eva." 

Der  eombinirte  grieohisoh-latemiscfae  Text  einer  ea^n- 
haften  Geschichte  von  Adam  and  Eva,  welche  wahrachein* 
lieh  Tor  dem  Aufkommen  des  Christenthnms  von  einem 

Hebräer  verfasst  warde,  ist  in  den  Abhandlungen  der 
philos.-philol.  Classe  XIV.  Bd.  III.  Abth.  p.  187  -  250 
(a.  1879)  verötfent licht  worden.  Dort  wurde  auch  darauf 
hingewiesen,  wie  die  Spuren  dieser  Sage  im  Orient  wie  im 
Oecident  sich  weithin  Verfölgen  lassen.  Nachdem  Prof. 
Tnimpp  den  äthiopischen  Text  des  bereits  von  DiUmann 
fibersetsten  Bomanes  'Der  Kampf  Adams  und  Evas  müdem 
TenfiBl*,  dessen  arabisches  Original  sieh  in  der  mSnchner 
Bibliothek  befindet,  jetzt  in  den  Schriften  unserer  Akar 
demie  verötfentlicht  liat,  bleibt  die  weitere  Gestaltung  dieser 
Sage  ira  Orient  zu  erforschen ,  besonders  die  äthiopischen 
Pseudo-Clementinen  und  die  syrische  Schrift  mit  dem  Titel 
'Die  Schatzhöhle*,  fn  den  Oecident  gelangte  die  Sage  nur 
durch  die  lateinische  Uebersetzang  und  hat  sich  dort  weit 
▼erbreitet,  ohne  wesentUohe  Umgestaltung  an  erlmden. 


Digitized  by  Google 


Hofmann  u.  Meyer:  Die  Textkritik  von  Lutwins  Adam  u.  Eva,  599 

Von  diesen  eorop&isohen  Bearbeitungen  der  Sage  ist 
die  umfangreichste  und  wichtigste  das  Gedicht  des  Lutwin: 
Adam  und  Eva.  Da  der  Dichter  klar  und  lebhaft  schildert 
und,  wie  die  Vergleichung  des  lateinischen  Textes  Jedem 
zeigen  kann,  über  seinem  Stoffe  steht;  da  endlich  das  Ge- 
dicht mannigfaches  sprachliches  Interesse  hat,  so  war  seine 
Yer5ffentlichimg  wünschenswerÜi.  Die  Gelegenheit  daxa 
hat  sich  jetzt  geboten  (in  den  Pnblikationen  des  literarischen 
Vereines  in  Stuttgart),  nnd  es  schmnt  daher  passend,  hier 
Bechenscbaft  zu  geben  über  die  Art  nnd  Weise,  wie  der 
Text  des  Gedichtes  veröttentlicht  wird.  Der  Dichter  hat 
sich  gewissermasseu  selbst  sein  Schicksal  verkündet  in  den 
Versen : 

57  Der  dis  buch  hat  gedihtet, 
Mit  rymen  wol  berihtet: 
Er  ist  Lntwin  genant. 

Sin  uameu  ist  lutzel  iemau  erkaiit. 

Denn  weder  toh  seiner  Lebensseit  noch  von  seiner  Heimath 
ist  bis  jetat  Sicheres  bekannt  geworden.  Die  einzige  be- 
kannte Abschrift  des  Gedichtes  befindet  sich  in  der  Wiener 

Hofhibliothok  No.  2980  (Ms.  Ambras  259).  Diese  im 
üebergang  des  14.  zum  15.  Jahrhundert  geschriebene  Hand- 
schrift, enthält  auf  106  Papierblättern  in  klein  4^  nur 
Lutwins  Gedicht.  Bald  vor  bald  nach  den  betrefi'enden 
Abschnitten  des  Gedichtes  sind  leicht  bemalte  Bilder, 
welche  aussehen  wie  Holsschnitte ;  so  scharf  sind  die 
Linien  gezogen.  Darch  den  grösseren  Theil  der  Hand- 
schrift sind  diesen  Bildern  kurze  prosaische  iDtebriften 
beigeschrieben. 

Lutwins  Gedicht  bat  in  dieser  Abschrift  dcisselho  Schicksal 
erlitten,  welches  iüteren  deutschen  Texten  oft  widerfahren  ist. 
Der  spfttere  Abschreiber  hat  die  meisten  orthographischen 
nnd  aprachliehen  Eigenthftmliohkeiten  des  Originals  duioh 


600    Sitiung  der  phüoH.-phäoi.  Glosse  vom  4.  Jhcemlber  1880. 

srine  eigenen  Terdrängt.  Wie  willk&rlicli  ditndbe  Terfobr, 
zeigen  sahlreiehe  Beispiele.   Er  schrieb  bald  die  Reime  iar: 

dar,  bald  ior:  schar,  bald  ioren:  geboren  (statt  gebaren); 
neben  einmaligem  wirt:  birt  zwei  Male  wart:  burt.  Er 
war  aach  im  Stand  loaseu :  verwahsseo  statt  läzen :  verwäzen 
zu  schreiben.  Dieselben  Entstellungen  finden  sich  im  Innern 
der  Verse:  ein  ^gahes'  neben  drei  gohes,  zwei  'doten  neben 
einem -deten;  bald  wan,  bald  won  nnd  üut  stets  *nacb'  statt 
noch.  Wie  'synne'  mit  hin  reimen  soll,  so  sind  anch  im 
Innern  der  Verse  oft  Endungen  oder  Artikel  zugesetzt 
und  Verse,  wie 

3933  Das  Ton  iirem  wucher  nnd  Ton  irem  sam, 

sind  gewiss  nicht  auf  die  Rechnung  des  Dichters,  sondern 
des  Abschreibers  zu  setzen. 

Geht  man  die  2000  Reimpaare  durch,  so  lassen  sich 
fiberall  die  reinen  Reime  herstellen.   Es  ist  stets  Vokal*  and 

Gonsonantenreim  yerbnnden.  Die  Reime  treten  paarweise 
auf.  Nor  selten  folgen  sich  zwei  Paare  mit  dem  gleichen 
Reim.  Der  Schluss  von  Reden  und  ein  stärkerer  Abschnitt 
der  Erzählung  wird  durch  drei  gleichreimende  Verse  ge- 
kennzeichnet, wobei  zu  bemerken  ist,  dass  der  dritte  Vers 
meistens  ohne  Störnng  des  Znsammenhanges  weggelassen 
werden  kann.  Es  ist  natfirlich,  dass  auch  alle  Unreinheiteii 
im  Innern  der  Verse  von  dem  Abschreiber,  nicht  Yon  dem 
Dichter  herstammen. 

Mit  dem  Entschlnss  zur  Veröfifentlichung  des  Textes 
kam  natürlich  die  Frage,  ob  die  äusserst  zahlreichen  yon 
dem  Abschreiber  hereingebrachten  Formen  entfernt  nnd  die 
Herstellung  des  ursprQnglichen  Wortlautes  erstrebt  werden 

solle       Dies  Verfahren  ist  fast  noth wendig,  wenn  mehrere 


1)  So  hat  Haupt,  Zscbr.  XV  p.  265,  die  Verae  193  —  203  um- 
gMobrieben : 


Digitized  by  Google 


Hofmann  u.  Meyer:  Die  Textkritik  von  Lutwin»  Adam  u.  Eva.  601 


Handflcbriften  denselben  Tezfc  in  so  yerschiedener  FSrbang 
fiberliefart  baben,  dass  gew&hlt  werden  mnss.   Bei  diesem 

Gedichte  schien  dies  minder  rathsara ,  da  es  in  maucben 
Fällen  mehrere  Möglichkeiten  der  ursprünglichen  Fassung 
gibt  und  in  vielen  Fällen  die  Angabe  der  handschriftlichen 
Lesart  doch  unentbehrlich  gewesen  wäre.  So  wurde  ver- 
sucht, den  Nachtheil,  dass  nur  eine  Handschrift  vorhanden 
ist,  in  soweit  mm  Vortheil  an  wenden,  dass  das  Gedicht 
mit  allen  sprachlichen  Formen  gedruckt  wird,  mit  welchen 
es  die  Handschrift  überliefert  hatV  dass  dagegen  alle  die 
Stellen  geändert  worden,  welche  sachlich  und  sogar  für  die 
Sprache  des  Schreibers  sprachlich  gefälscht  sind.  Schien 
es  also  nicht  thuulicb,  die  orthographischen  und  sprach- 
lichen Unsanberkeiten  za  entfernen,  welche  der  späte 
Schreiber  hereingebracht  hat,  so  war  das  Hauptbestreben, 
den  Sinn  und  die  Worte  des  Dichters  wieder  herzastellen: 
ein  Ziel,  dessen  Erreichnng  durch  die  vielen  Verderbnisse 
der  Handschrift  schwer  genug  gemacht  ist. 

IMe  Handschrift  ist  nemlich  entstellt  durch  Verderb- 
nisse aller  Art,  Yon  den  naturlichsten  Versehen  bis  su 
schlimmen  Interpolationen.  Besonders  die  Nachltongkeit 
und  Gedankenlosigkeit  des  Schreibers  hat  viel  Schaden  an- 


Handschrift. 

Wo  von  »las  ist  das  8a<,'e  ich  awe 
Das  kuinet  nuwen  von  huwe 
Das  »\e  vor  hitz)'  hant  kein  frist 
Und  das  lant  so  hoch  ist 
Daa  es  der  suuncn  so  nohe  lit 
Das  sa  börent  zu  aller  zit 
Die  mnoe  dM  morgens  a£f  gaa 
Als  ftt  irm  sehio  habet  ta 
Mit  «ima  niae  ia  dar  wiae 
AI«  bjmal  aad  aide  srntman  riaa. 


H  a  u  p  t. 

wä  von  daz  ist  daz  sage  ich  in. 
daz  kutn^'t  niiiwan  von  diu 
daz  sie  vor  hitze  hiint  kein  friat 
und  daz  daz  laut  so  hooh  ist 
daz  ez  d*T  sunu  sö  nähe  lit 
daz  sie  boerent  zaller  zit 
die  raoBa  dm  tnorgena  ttf  g&n^ 
ala  aia  ir  acbta  habet  an» 
mit  eineni  sAia  ia  dar  ulia 
ab  hioMl  aad  arda  Manaa  itia« 


Digitized  by  Google 


602    SUtung  der  philo8.'jihilol.  Ciaase  vom  4.  Deeember  1880. 

gerichtet  So  fehlen  oft  Silben  oder  Wörter.  Y.  1999 
'Abel  brader  myn*  ist  zu  ergänzen  'Abel,  lieber  brader 

myu'.  (M.)  *). 

« 

V.  2056  Seth  meint,  Adam  sehne  sich  nach  der  ver- 
lorenen ParadieeeRspeise :  Des  an  dir  truren  git. 

Hier  ist  'an'  zn  ergänzen  zn  'andaht  (H)  =s  Erinnerung*. 

V.  2762  Gott  nehme  die  Menschheit  au,  um  zu  erlösen 
*Adam  sin  hantgeschaft 

Und  alle,  die  der  krafft 
Hette  gemaohet  zagehafft. 

Hier  ist  *der  helle  krafFt'  (H)  zu  ergänzen. 

Schwieriger  ist  es  die  ausgefallenen  Verse  zn 
ergSnzen. 

in  dem  Fluche  über  Eva 

597  'Du  solt  kint  geberen 
Mit  hertzesweren  wehen 
Myt  leide  in  nngemaoh 
Von  maniger  slahte  saeh 
Wnrt  dir  not  gebindet* 

ist  vielleicht  (nach  V.  1765)  zu  ergänzen: 

Diu  leben  sei  ergen 
Mit  leid  in  nngemaeh. 

lu  der  Aufzählung  der  vier  Welttheile 

147  Das  erste  teil  Anathole 

Des  tuahtent  uns  die  buch  gewis 
Das  dirte  teil  Arthos 
Das  rierde  heisset  Mensembrioe 
ist  wohl  zn  ergänzen 

1)  Die  mit  H  boeiclmetea  Verbenerangea  rOhren  von  K.  HofiDsno 
her,  die  mit  M  befdebneten  von  W.  Meyer,  «eleb  letiterer  dieeeo  Be- 
riebt  ansgearbeitet  bat 


Oigitized  by 


Söfmann  «.  JWsyer:  Die  Textkrkik  von  Lidwins  Aäam  u,  J^o.  603 

Das  erste  teil  Anathole, 
Das  ander  heiaset  Dysis» 
Des  mahtent  uns  die  bnch  gewis.  (M) 

Bei  1529  ist  vfohl  einfach  ein  Uebergangsvers  za  er- 
gänzen, wie 

(Und  do  di»  aleus  gescbacb) 
Eva  zu  Adam  spraeh.  (M) 

Ein  Vers  fehlt  auch  in  der  Verhpissiiii^  Gottes,  Adams 
Seele  müsse  mit  andern  Seelen  zu  Helle  sein  ;  doch  in  der 
letzten  Zeit,  wenn  er  den  Tod  überstritten  hätte, 

3151  So  käme  ich  mit  grosser  wanne 
Und  mit  g5t1ieher  eraffi 

Und  zerbrich  die  hellehafft 
Die  mynen  willen  hant  begangen, 
3155  Die  löse  ich  mit  gewaltes  hant 
Von  der  Yorhellen  bant. 

Hier  ist  etwa  zu  ergänzen 

Und  zerbrich  die  hellehafft, 

(Do  die  seien  nnt  befangen).  (M) 

Der  Schreiber  war  ferner  sehr  gedankenlos;  statt  des 
richtigen  Wortes  hat  er  oft  ein  anderes  gesetzt,  das  ähn- 
lich aussah,  oder  irgend  eines,  das  ihm  gerade  im  Sinne 
lag.  So  schrieb  «r  3062  'Sehe  tage  und  sehs  tage'  statt 
*8ehs  nechte  n,  s.  t*.  3662  *der  Kchnam  grünen  begnnde' 
statt  *der  bonm  gr.  h'.  3709  Vahsseus  bar*  statt  ^wuchers 
bar'  1380  *keine  vaY  statt  ^knieval'  2505  *vil  süssen 
man  statt  'v.  siechen  m*.  1642  'Ir  hertze  was  belangen 
mort*  statt  'vort*.  3408  'Abel  getrnwe  hört*  statt  *der 
tniwe  h*.  Ebenso  werden  öfter  'von'  und  Vor,  *nnd'  nnd 
'von  Yertanschi  Andere  thmlweise  schwierigere  FiUe  der 
Art  smd: 

[1880. 1.  PhiL-pUL  bist.     Bd.  1. 5.]  39 


Digitized  by  Google 


604    aHrmmf  der  j*i?w.jMfrf.  Omme 


4,  Huftier  mo. 


42  Der  zweyer  eins  er  tan  mos: 
Sich  der  weite  iDTmie  pdegeo 
Und  gottes  dienstee  mit  trnwea  ^ä/Bgm^ 
Oder  mit  der  wdte  neb  betrag« 
Und  gottet  dieiMi  wider  «igen. 

V.  43  ifi  n  ecbreiben  Sich  der  weit  mjnne  bewegen .  (d) 

Der  Enttehhwi  Oottee  mr  Sdiöpfcmg  wird  motiviri 

Na  do  in  das  dohte  zit. 
105  Das  er  sich  ewigen  wolt 
Nach  der  gfiie  aolt 
Und  naeb  werde 
Geechoff  er  bynid  imd  erde. 

In  V.  105  i'd  statt  Vwig^^n*  zu  schreiben  'erzeigen*  oder 
'neigen'.  Denn  kurz  vorher  wird  angegeben,  die  Güte, 
IfiDiie  nnd  Barmherzigkeit  hätten  die  Gottheit  angetrieben. 

Du  sieh  goi  neigete 

Und  sin  gewalt  erzöigete.  (M) 

Vom  Teufel  wird  geengt: 

364  Dea  boszbeit  übertrübet 

Liehten  schin  und  cloren  lust, 
Der  dielf  in  der  heilen  grast 
Behnset  ist  durch  fibermat. 

Dann  sagt  er  von  sich:  Sas  noment  wir  glichen  vai 

1468  Herabe  Ton  der  hymels  last 
Za  tal  in  der  hellen  grnet 

Das  Wort  grast  existirt  nicht;  es  sind  vielmehr  beide 
Stellen  zu  ferbeeeem  nach: 

1882  Ich  bin  doreh  dich  ?errtoi8en 

Von  des  hohen  hymels  lafit 

Zu  tal  in  der  erden  gruüt.  (Ii) 


Oigitized  by  Google 


HofmtmH  «.  Mtytr:  Die  Textiaritik  wm  Xtrtttmw  Adam  u,  Eva,  605 

Die  Schlange  wird  .  • 

573  Verteilt  nod  Terflachet  gar 
ünder  aller  wnnne  schar  .  • 

Die  ginge  uffgertht  ee 

Du  müst  aller  (aber?)  yemer  me 
GoQ  .  .  Uö'  der  erden  mit  der  brnst. 

Statt  'Die  ginge*  iet  *Da  ginge*  su  setzen.  (M) 

Heisst  es  vou  Maria,  dass  sie 

800  Ist  mit  Zepter  nnd  mit  won 
Erhöhet  in  den  hdhsten  thron, 

so  liegt  wieder  eine  plumpe  Verschreibung  won*  statt  *cron' 
vor.  (H) 

Adam  hat  das  Land  nach  P^uwliesesspeifle  nmeonst 

durchsucht.  Eva  sagt,  er  solle  sie,  die  Ursache  des  Un- 
heils, tödten.    In  Adams  Worten 

907  Der  erden  eoltn  abegen 

steckt  wieder  eine  grobe  Verschreibung  statt:  Der  rede  s.a.  (II) 

Blichael  raeth  dem  Teufel,  naeh  Qotlee  Befehl  Adam 

an  Terehren.    Also  ist  statt 

1400  Das  ist  myn  rot  und  myn  gebot, 
Der  mich  und  dieh  besehaffen  hat 

zu  schreiben :  Das  ist  myn  rot  und  sin  gebot.  (M) . 

Der  Teufel  sagt  ron  sich  selbst 

1475  Der  schöne  bin  ich  leider  gast, 
Und  ist  mjn  engelsch  bilde 
Unkeret  engestlich  wilde 
Mit  freszlicher  nngestalt. 

statt:   Verkeret  in  engestlich  (oder  egeslicb)  wilde 
Mit  freiszlicber  ungestalt.  (U) 

8ö' 


Digitized  by  Google 


606    Sitzung  der  ^ilos.-phüoL  Glosse  vom  4.  December  1880. 

Adam  begann 

1521  Mit  Ena  seltzsamer  f^edat, 

Als  nach  menschlich  natore  hat. 

Donon  ir  kusche  wart. 

Mit  libe  onch  ad  swanger  wart 

Eins  Idndea  an  der  atat, 

Als  ir  beyder  lip  hat. 

Statt  'kusche  wart'  ist  wobl  *k.  verwart'  (M)  and  statt 
'Up  hat*  zu  schreiben  'liep  bat'.  (H) 

Von  Abel  heisst  es: 

1909  Dem  gap  got  in  siner  iugent 
Wiszheit  und  gantze  tugent; 
Des  wünschet  er  mit  selikeit. 

Statt  'Des  wünschet  er*  ist  zu  schreiben  'Des  wünsch 
(=  Ideal)  het  er .  (H) 

Gott  meint,  Adam  befände  sich  besser: 

.  .  Werestu  verbliben, 
2249  Danne  du  bist  vertriben, 
In  dem  paradise  gast, 
Do  dir  nihtes  inne  gebrast, 
Des  dn  nn  mdst  wesen  gast. 

Da  V^'*^*  2250  und  2252  nicht  in  entgegengesetztem 
Sinne  gebraucht  sein  kann,  so  ist  2250  zu  schreibeu  'para- 
dises  glast*.  (M) 

Statt  3813  *Als  es  geschriben  sit*  ist  zu  ändern  'Als 
es  geschriben  lit*;  vgl.  79  Als  es  an  der  schrifft  lit.  (M) 

Die  Prologe  und  sententiösen  Excnrse  der  epischen 
Dichter  des  Mittelalters  sind  oit  dunkel.  Auch  bei  Lutwin 
ist  es  80.         heisst  es: 

22  Wem  tnmbe  sitten  wonent  by, 
Was  mich  der  selbe  geletet 


Digitized  by  Google 


Bofmann  u,  Meyeti  Jhe  Textkritik  wm  Littwuu  Adam  «.  Eva.  607 

Und  ichs  mit  willen  an  in  geret. 
Das  were  gar  ein  Terdorben  ding. 
Und  müsse  onch  one  widerwing 
Der  selben  einer  wesen 
Die  man  so  gefuge  siht  wesen 
Das  bösie  von  dem  besten  dort 
20  Und  gedencke  werdent  wort. 
Das  sagent  uns  die  wisen. 

Das  doppelte  'wesen'  ist  unmöglich.  Einen  Gedanken, 
welcher  sich  an  den  vorausgehenden  auschliesst,  gewinnen 
wir  durch  die  Aenderung: 

Und  müsse  ich  one  widerwing 

Der  selben  einer  wesen, 

Die  man  so  gefüge  siht  lesen 

Das  böste  vor  dem  besten  dort.  (M) 

Eine  Reibe  von  Schmähungen  auf  den  Teufel  sohliesst: 

370  Und  das  gute  selten  meret 

Selten  wor  und  sprich  ich  das 

Wenne  allen  (d.  h.  aller)  nydt  und  has 

Hat  Yon  jme  augenge. 

Statt  'selten  wor  und*  ist  zu  schreiben  'Sebent  wo* 
rumbe*.  (M) 

*Icb  bin  nobe  tot* 

850  Sprach  Ena,  Von  (wan  H)  Hungers  not 
Zwinget  sere  die  kreffte  niyn. 
Douon  tu  mir  kretl'te  schin: 
Bringe  etwas,  das  wir  essen*. 

Das  zweite  'kreffte*  ist  gewiss  nur  durch  Gedanken- 
lofigkeit  des  Schreibers  entstanden ;  es  muss  heissen :  Douon 
ta  mir  beiffe  schin.  (M) 


Oigitized  by  Google 


I 


608    SÜMung  der  philo8.'fihdol.  Claue  vom  4.  Deeember  1880, 

Die  bisher  besprochenen  Fälle  wurden  durch  die  Ge- 
dankenlosigkeit des  Schreibers  verursacht.  In  vielen  andern 
Fällen  mnss  ihm  der  achlimmere  Vorwarf  gemacht  werden, 
dass  er  die  ihm  vorgelegenen  Worte  absiehilich  geändert 
habe.  Solche  abeicbtlicbe  FfUsohnngen  können  in  jeder 
Art,  Ton  der  einfacfaeten  bi8  sar  schlimmsten ,  in  dieser 
Abschrift  nachgewiesen  werden. 

819  Eyn  engel  wart  gesetset  dar 
Mit  einem  swerte  flirwir 
Dem  paradise  so  bnte. 

Das  Flickwort  'fürwar'  ist  zu  vertauschen  mit*farvar\  (M) 

Von  den  Kleidern,  welche  Gott  Adam  nnd  Eva  aniog, 
beisst  es 

738  Die  rocke  worent  wullin. 

Da  aber  die  Vulgata  nennt  tnnicas  pelliceas,  so  ist  an 
schreiben  Vdlin'  statt  'wnllin\  (H) 

Offenbar  fasch  ist  die  Stelle:  Adam  muste 

814  Romen  das  paradise 

Und  vil  Taste  bnwen  mit  pflügen 
Mit  scharen  nnd  mit  bowen 
Die  erde,  do  er  von  was  komen. 

Während  V.  2061  richtig  steht 

Das  dn  sQ  (die  erde)  solt  bnwen 
Mit  pflogen  nnd  bowen, 

ist  es  an  unserer  Stelle  natflrlieber  'mit  pflügen'  als  Band- 
glosse zu  *UTit  scharen'  anzasehen.  (M) 

Eva  betet  so  Gott: 

1684  Mir  hat  din  gotheit  geben 

Zu  wünschen  ein  reines  leben. 

Es  biess  'Ze  wünsche'  d.  b.:  so  gnt,  als  man  es  sieh 
nnr  wünschen  kann.  (H) 


Digitized  by  Google 


Uofmatm  w.  Meyer:  Die  Textkrüik  von  Lutwins  Adam  u.  Eva.  609 


3103  Wie  er  ein  übel  gulde 
Aller  gerebtigkeit  were, 
Doch  müste  er  lideu  swere 
In  der  Yorbelle  stat 

So  heisst  es  von  Seth.    Allein  Seth  kann  nnr  genannt 

werden  ein  *  Überguide*,  der  Gipfel  aller  Gerechtigkeit.  (H) 

Michael  gebietet  Seth  und  E?a,  die  Todten  nur  6  Tage 
an  beUagen 

8469  Und  doeh  mit  meneehlicher  klage. 

Schreibe:  'mit  maeszlicher  klage'.  (M) 

Era^a  Seele  muart^  *OQeh  an  helle  fiuren 
3624  Do  sfl  Adamen  nnd  erbaren 

Abeln  in  der  vinster  fand. 

'Erharen  ist  entstellt  ans  *ir  bam*.  (H) 

üeber  das  Reis  ans  dem  Paradiese  befiehlt  derGhernbin 

dem  Seth 

3770  Du  Rolt  es  haben  in  dinre  hnt 
mit  vil  heiligem  mute. 
Und  habe  ouch  in  dinre  hnte  pflege 
Den  oleybonm  alle  wege. 

Hier  ist  *hute*  vor  *pflege'  aus  V.  3770  interpolirt.  (H) 

Die  ansgesohickte  Taube  fliegt  lange  Aber  dem  Wasser, 
endlieb  flndet  sie  den  Oelbaum: 

3883  Die  tube  utf  dem  boume  sa^sz 

Und  üiegeu  was  sä  müde  und  nasz. 

Der  letate  Vers  ist  Terdorboi  aus: 

\'on  fliegen  was  sä  müd  und  lasz.  (M) 

An  vielen  Stellen  mag  der  Abschreiber  statt  der  alten 
Wörter  neue  gesetzt  haben.    Darauf  deuten  die  Stellen,  an 


610    Sitzung  der  phüos.-philol.  Clcutse  vom  4.  Decemher  1880. 

welchen  wir  einen  solchen  Vorgang  nachweisen  können. 
An  mehreren  derselben  ist  absolut  kein  Grund  der  Aenderung 
zu  ersehen: 

1184  Pruffent  nit  .  . 

Ir  mündelin  noch  ir  ougbrawen: 
Sunder  ir  sollen!  spehen, 
Wo  ir  vindent  ein  wip  etc. 

Hier  hat  der  Schreiber  *8pehen*  statt  'schouwen*  ge- 
setzt. (H) 

2731  .  .  Wann  die  zit  ein  ende  hette 
Als  er  in  vor  seite. 

'Seite'  ist  offenbar  statt  *rette*  interpolirt.  (B^ 

Sogar  der  Schluss  des  Gedichtes  ist  auf  diese  Weise 
verunstaltet : 

3939  Hie  ist  der  rede  nit  mere. 

Got  helffe  uns  zn  sinen  gnoden 
One  alle  swere. 

Wie  am  Schluss  aller  Abschnitte,  so  müssen  auch  am 
Schluss  des  ganzen  Gedichtes  3  Verse  mit  gleichem  Reim 
stehen,  also 

Got  helffe  uns  zu  siner  ere.  (H) 

Natürlicher,  aber  für  die  Geschichte  der  Sprache  be- 
klagenswerther  ist  es,  dass  der  Schreiber  statt  der  ihm 
fremdartigen  alterthnmlichen  Wörter  andere  setzte. 

So  ist  2359  u.  3896  *one  qual'  gesetzt  satt  'one  twal*.  (H) 

707  Von  leymen  der  lip  erkicket  wirt 
Der  lip  danne  aber  birt 
Und  wirt  zu  leymen  als  ee. 

Statt  'aber  birt'  ist  'abebirt*  zu  schreiben;  Leier  führt 
allerdings  nur  eine  Stelle  an  *abebem,  itUrans,  abnehmen. 


Mofmann  u.  Meyer :  Die  Textkritik  von  Luttcins  Adam  u.  Eva.  611 

Otaeher  355  h*;  womit  m  vergleiehen  ist  unter  fj^bSrn  *m  bftt 

nü  vaste  abe  geboru,  sehr  abyenofntnen  Servatius  70*.  (M) 

Der  Dichter  meint,  wenn  er  einen  Zweig  Tom  Baum 
dee  Lebens  hätte: 

767  Das  were  mir  ein  süsse  mere 

Und  were  vor  truwen  wol  geoesen. 

*Tmw6n*  itt  gesetzt  statt  'tonwen".  (H) 

Adam  betet  im  Gott 

2259  Mit  dime  worte  beschaffen  ist, 
Was  swymet  get  und  ist. 
'Ist'  hat  der  Sohreiber  geeelst  statt  des  ihm  nnrer- 
stSndHehen  'krist'.  (H) 

Den  lateinischen  Worten:  bestia  maledicta,  qnomodo 
non  timuisti  mittere  te  ad  iniaginem  dei,  sed  ausus  es 
pugnare  cum  ea?,  die  Eva  der  Schlange  snimft»  welche  den 
Seth  gebissen  hat^  entsprechen  die  Verse 

2546  Wer  gap  dir  die  krangheit, . 
Das  du  getorst  angereichen 
Minen  sun,  der  gottes  zeichen 
Und  sine  forme  an  ym  hat? 
Von  irgend  einer  Schwäche  oder  Krankheit  kann  hier 
nicht  die  Rede  sein;  sondern  'krangheit'  ist  vom  Schreiber 
gesetst  statt  'karkheit'  =  Hinterlist,  Bosheit.  (H) 

Die  Schilderung  der  feierlichen  Bestattung  Adams  und 
Abels  wird  mit  folgenden  Versen  eingeleitet: 

3105  Hiemit  all  der  engel  schar 
Mit  nnserm  herren  got 
Hübent  all  ir  lop. 

Ir  styme  lute  erklungen, 
Mit  schalle  sungen 
Su  alle  alsus: 
Benedictns  dominns. 


Digitized  by  Google 


612    SUtung  der  ^ilos.-pliilol,  Glosse  lom  4.  December  1880, 

Da  bei  Lntwin  Vocal-  ai/cl  Consonantenreim  verbunden 
ist,  so  kann  *lop*  und  'got*  nicbt  reimen.  Hier  zeigen  die 
lateinischen  Worte  den  Weg:  Omnes  angeli  canentes  tubis 
dizerunt:  benedictas  es,  domine.  Neben  dem  Gesänge  ist 
also  hier  die  Erwähnung  der  Instramentalmusik  zu  erwarten. 
Diese  wird  aber  öfter  mit  'note'  bexeicbnet.  (Vgl.  Beneeke- 
Mtlllers  Lex.  II  p.  417;  *note*  das  in  Frankreicli  iibliche 
Wort  für  Instnimentalweise,  p.  418  *em  rdsenote  si  bliesen* 
Parz.  63,9). 

Darnach  ist  herzustellen: 

Mit  nnserm  hemn  gote 
Hfibent  all  ir  note.  (If) 

Von  den  vielen  Stellen,  welche  der  Schreiber  durch 
Znsetzen,  Weglassen  oder  Aendem  verdorben  hat,  mögen 
einige  der  schwierigeren  zum  Schlujise  hier  besprochen 
werden. 

.1023  —  1026.   Adam  sagt  an  Ihra:  vade  ad 
flayinm  et  tolle  lapidem  et  sta  snper  enm  in  aqna  nsque 
ad  Collum  ]m  altttodine  flnmiuis.  .    Et  ambnlsTit  Eva  ad 

Tigris  flumeu  et  fecit  sicut  dixit  ei  Adam.  In  unserer 
Handschrift  steht: 

Und  gie,  do  sa  ein  wasser  vant, 
Das  was  Teygris  genant 
Darin  sinnt  sft  nff  einen  stein 
Dach  stand  sfi  do  allein 

1025  Das  ir  bitze  uff  das  halbe  bein 

Ir  das  kalte  wasser  gie. 

Hier  ist  statt  'halbe  bein\  dem  lateinischen  'usque  ad 
Collum'  entsprechend,  ^halsbein*  an  schreiben,  dann  der  über» 
s&hUge  nnd  störende  Vers  *Oaoh  stunt  sa  do  allein*  an 
tilgen,  ond  Ton  den  beiden  V  das  eine  za  andern,  wohl 
in  V.  (M) 


Oigitized  by 


Hofmann  u,  Meyer:  Die  Textkritik  von  Lutmiu  Aiamu^Eha,  613 


1199—1201.  In  Betreff  der  Wahl  einer  Frau  gibt 
Iiutwiu  den  Männern  die  Ermabunng: 

1196  Ob  ir  armnt  wonet  by, 
Hatt  8Ü  danne  rdnea  mat, 
Den  nemevt  fitr  grom  gat. 

In  wiirdent  dicke  ungemut 
1200  Doiion  nement  reinen  miit 
Von  der  wibe  grosses  gut. 
Aber  des  sitten  pfligi  man  nibt,  etc 

Auch  bler  irt  der  fIbersSblige,  ans  V.  1196  n.  1197 

«U«ammonj?esetzte  Vers  *Doaon  (d.  h.  Donor)  nement  reinen 
raut'  zn  streichen  und  'Ir  wurdent'  und  grossem  gut*  zu 
scbreiben.  (M; 

584  —  591.    Durchaus  entstellt  annd  die  Worte,  mit 

denen  Gott  der  Schlange  flucht: 

5Ö4  Vyentschafft  will  ich  setzen 

ZwfiscbeDt  dir  nnd  dem  wibe 

Dn  jemer  beeng  blibe 
587  So  das  sfi  dieb  an  dir  reche 

Und  din  honbt  zerbreche 
So  8oIt  ouch  da  ir 
Slahen  mit  diner  eyter  zungen  gir 
591  Den  fluch  habe  ich  iemer  me  you  ir. 

Daraus  ist  wohl  hermstellen: 

584  Vyentschafft  wil  ich  setzen 

Zwüscbent  dir  und  dem  wibe. 

Dn  yemer  ir  bessig  blibe, 
687  So  das  sn  sich  an  dir  reche 

Und  din  honbt  serbreche. 

So  solt  onch  dn  die  fersen  ir 

Slahen  mit  eyterznngen  gir. 
591  Den  fluch  hab  iemer  me  von  mir.  (ü  u.  M) 


V 

Oigitized  by  Google 


614    SiUung  der  philos.'pfulol.  Clause  com  4.  December  1880. 

Der  wanckelsmnte  toh  ersten  pflag, 
1130  Das  was  Eua;  douon  ich 

Den  frowen  unstete  gich. 

Sü  wüstent  nit,  was  wanckel  wer, 
1133  Ob  in  nit  dicke  offenbere 

Eaen  wanokel  warde  geseit* 

Das  ist  wor  so  yerre  basz  verseit 

Wanne  das  sti  yolget  mere 
1137  Der  bösen  danne  der  guten  lere. 

Hier  ist  der  scherzliafte  Gedanke  durch  grobe  Inter- 
polation zerstört   Es  ist  an  schreiben: 

Das  wer  sü  verre  basz  verdeit, 
Wanne  das  sü  volgent  mere 
Der  bösen  danne  der  guten  lere. 

D.  h. :  freilich,  es  ist  gefährlich,  den  Franen  Eras  Leichi- 

sinn  vorzuhalten,  weil  sie  durch  das  böse  Beispiel  leicht 
verführt  werden.  (H  u.  M) 

Die  engel  als  es  got  wolte, 

1832  Huben  t  sich  zu  hymel  wyder, 
Die  durch  Adam  komen  hernider 
Zu  helffe  ruwen  woren  gesant. 

Hier  ist  'komen*  in  tilgen  (M)  ond  *Ewen'  (H)  statt 
Vnwen  zn  sehreiben. 

Adam  mahnt  seinen  Sohn  Cain: 

1850  Fluchen,  schelten,  has  und  nit 

Lo  vor  des  hertzen  tür. 

Diene  got  der  seiden  spSr. 

Mide  die  sonde,  das  rot  ich  dir. 
1854  Minne  got,  der  hymel  zir. 

Abgesehen  davon,  dass  *Diene  got*  neben  'Minne  got' 
fiberflussig  ist,  kann  Gott  nicht  'der  seiden  spOr  genannt 


Digitized  by  Google 


Mi^kumn  u.  Meyer:  Die  Textkritik  wm  iMtmn»  AAam  «.  Eea,  615 


werden.  Vielmehr  ist  zo  ändern:  'Oenne  gat  der  seiden 
ipttr .  (H) 

Nachdem  genchildert  ist,  wie  Eva  und  die  Kinder  Adams 

Tod  beklagten,  wird  fortgefahren: 

3026  Sü  clagetent  in  billich 
Den  hymel  nnd  ertrich 
Und  was  in  vestennnge  hat  beslossen 
Mit  gemeinem  rat  das  got  hat  gegossen 

3030  Clagetent  mit  bitterkeit. 
Sin  dot  was  in  allen  leit. 

y.  3029  ist  offenbar  an  lang.  Da  nnn  das,  was  Gott 
ergossen  hat,  eben  das  ist,  was  von  Himmel  nnd  Erde  be- 
schlossen ist,  da  hingegen  *mit  gemeinem  rat*  sn  'Clagetent* 

gehört,  so  ist  zu  stellen,  zu  ändern  und  etwa  zu  ergänzen: 

Sil  clagetent  in  billich. 
Den  bymel  nnd  ertrich 
Und  was  ir  vestnng  hat  beslossen. 

Das  got  hat  gegossen 
(Mit  siuer  hantgetate), 
Mit  gemeinem  rate 
Clagetent  mit  bitterkeit.  (U) 

Von  einem  wanderbaren  Baume  wird  gesagt: 

3677  Ich  han  von  bonme  nie  vernomen, 
Der  so  schöne  zu  sehende  were. 
Ohe  ein  do  Rispr 
Under  dem  boume  were  gesessen, 
Zu  haut  wer  er  genesen 
Aller  einer  swerei 

Hier  ist  statt  *do  Riser  zu  schreiben  *dot-sere'  und 
statt  ^gesessen  wohl  'gewesen .  (H) 


Digitized  by  Google 


616   SitMumg  der  phOas.'phiM.  Clatu  wm  4,  Deee^Aer  1860, 

VoD  demselben  Wuuderbaam  heisst  es: 
3689  Er  was  hart  wol  gemot  (gehoi  H) 
Von  Adams  landen; 
Doeh  mohten  so  nie  finden. 
Keiner  elahte  frnbt  daran, 
Wie  schöne  er  were  getan 
Das  sü  alle  morgen  gingent  dar 
3695  Durch  des  wachs  achoweu  gingen. 

Do  sü  die  genge  niht  versingen  (verfingen  H) 
Und  er  nit  wuchere  wolte  tragen« 
Do  begondent  sie  verzagen. 
Statt  *wncfas^  ist  Vachers'  an  achreiben.    Zn  V.  3694 
fehlt  der  gleich  gereimte.     Allein  die  Worte  *giugent  dar' 
sind  überhaupt  schlechte  Interpolation,  und  es  ist  etwa  za 
erganzen: 

SU  trugen  sin  vil  sorgen, 
Das  8ü  alle  morgen 
Durch  dee  wncbers  schowen  gingen 
Gans  fibnlicb  beisst  es  oben  von  derselben  sache: 
3666  Sfi  pflogen  sin  mit  sorgen; 
Es  wart  nie  kein  morgen 
Sü  gingent  zu  dem  boume 
Und  hettent  sin  goume, 
Ohe  iht  Wuchers  wühsse  daran.  (M) 

Dieser  Art  sind  die  Schwierigkeiten,  welche  hier  tn 

überwinden  waren.  Möge  es  gelungen  sein,  dass  wir  an 
den  oben  behandelten  und  an  deu  zahlreichen  ähnlich  ver- 
dorbenen Stellen  den  Gedanken  des  Dichters  gerecht  wurden. 

Herr  Trumpp  hielt  einen  Vortrag: 

,,Orammatische  U n te rsnchangen  ftber 
die  Sprache  der  Brabüis." 
Derselbe  wird  als  Sopplementbeft  der  Sitaangsberiobte 
Ter6flSBntlicbt  werden. 


Digitized  by  Google 


Historische  Classe. 


Der  Glasseoseeret&r  legte  eine  Abbsüdlong  dee 
Herrn  Wilhelm  Heyd  Tor: 

„U eher  F u n da  uud  Fondaco/*  Zu  Diez'  etymol. 
Wörterbuch  der  roman.  Sprachen.  4.  Aufl.  1878. 
8.  143.  451. 

Wenn  in  den  syrischen  Krenzfithrerstaaten  der  Landee- 
henr  oder  einer  seiner  Vasallen  an  irgend  Jemand  eine  Snmme 
Oeldes  an  zahlen  hatte,  sei  es  auf  Einmal  sei  es  in  bestimmten 
Terminen,  so  pflegte  er  denselben  an  die  Kasse  xn.weisent 
bei  welcher  der  Hafenaoll  einging  (ad  cathenam).  Aber 
fast  noch  öfter  stellte  er  solche  Auweisangen  aus  auf  die 
Fundii  dieser  oder  jener  ihm  gehörigen  Stadt*).  Die 
öffentlichen  Gelder,  auf  deren  Bereitschaft  er  hier  mit  ziem- 
licher Sicherheit  rechnen  konnte,  flössen  aus  Handelsabgaben. 
Denn  die  Fnnda  war  ein  Ton  Staatswegen  den  Kanfienten 
eingeräumtes  Hans,  wo  diese  ihre  Waaren  lagern*,  aaslegen 
und  Terkanfen  konnten*).  Ifan  hat  Fnnda  schon  mit  Börse 

1)  Za  den  hiefÜr  in  meiner  Q«Mlu«bto  des  Levantehandtb  im 
Iftittelalter  lid.  1.  S.  872.  Anni.  1.  angezogenen  Belegstellen  mag  hin- 
ingefugt  werden:  StMilke,  tab.  ord.  teat.  p.  6—8.  13  f.  16  L  52— 
55.  75. 

2)  Fonda  cioe  la  piazza  ove  si  vende.  Pegolotti ,  pratica  della 
roercatura  p.  49.  La  fonde  oü  toutcs  les  inarcheandises  estuient  et  toui 
Ii  avoirs  de  poiz.   Joinvill«,  bi«t.  de  ä.  Louis  ed.  Wailly  1Ö74  p.  90. 


618        SitMung  der  hittor.  CHaase  wm  4,  December  1880. 

übersetzt,  eher  noch  würde  Bazar  passen ;  keines  von  beiden 
ist  ganz  adäquat').  Zuweilen  diente  eine  solche  Funda  nar 
zur  Aufnahme  eines  bestimmten  Artikels  wie  Wein,  Getreide 
(fonde  doQ  Tin ,  fonde  doa  bU)*).  In  der  Kegel  aber 
kamen  Waaren  jeglicher  Gattung  hier  snr  Ausstellnng  nnd 
xbm  Verkauf.  Was  nun  immer  in  der  Fnnda  ein-  oder 
ausging,  and  was  darin  Gegenstand  eines  Kaufcontracts 
wurde,  das  unterwarfen  die  an  Ort  und  Stelle  fungireuden 
landesherrlichen  Einnehmer  einer  Abgabe.  Ausserdem  tagte 
im  Hause  ein  Geschworenengericht  (cour  de  la  fonde),  wel- 
ches nach  den  Assisen  von  Jerusalem  in  Handelssachen 
Recht  sprach.  Dies  ist  es  nngef&hr,  was  die  Qoellenforsch- 
nng  über  den  Begriff  von  Fanda  ergibt.  Woher  stammt 
nun  aber  der  Name? 

Eine  Herleitung  vom  altlat.  funda  =  Schleuder  wird 
wegen  des  allzu  disparaten  Sinnes  nicht  versucht  werden 
wollen.  Dagegen  wird  darauf  hingewiesen^  dass  in  Unter- 
italien vor  Alters  das  Wort  fnnda  in  der  Bedeutung  Ton 
Geldbeutel  üblich  war*J;  wie  nun  das  moderne  ,«B5r8e*' 
ebensowol  für  den  Geldbentel  als  fllr  einen  Versammlnngs- 
platz  der  Kanflente  gebraucht  werde y  so  sei  es  auch,  sagt 
Diez,  beim  mittelalterlichen  Wort  funda  der  Fall  gewesen. 
Dies  ist  nicht  undenkl)ar,  aber  doch  wenig  befriedigend, 
zumal  wenn  man  bedenkt,  dass  dem  Gebrauch  von  funda  = 
Geldbeutel  nur  eine  enge  Verbreitung  innerhalb  eines  be- 
stimmten Landstrichs  beigemessen  wird  Man  wird  sich 
doch  Tor  AUem  fragen  müssen :  ist  die  Fnnda  im  oben  ge- 
schilderten Sinn,  wie  wir  sie  in  Accon,  Tyras,  Tripolis, 
Nablus  und  andern  Stidten  wfthrend  der  &enifiihrerheiT- 


1)  Vergl.  dar&ber  Betignot,  Assises  de  Jerusalem  T.  2.  p.  XXIV. 
171.  548. 

2)  Maslatrie,  bist,  ds  Cbypre  3,  224.  282.  279. 

8)  Bonamtwa,  fite  8.  Fnodid  «sp.  7.  Aete  88.  BolL  Oet  TL 
psg.  780.  a 


Digitized  by  Google 


TF.  Heyd  t  lieber  Funda  und  Fondaco.  619 

Bchaft  keimen  lernen,  eine  vom  Abendland  ans  eingeführte 

Institution  oder  bestand  sie  schon  vor  der  Ankunft  der 
Kreuzfahrer?  Im  ersteren  Falle  hätten  wir  allerdings  nach 
einer  abendländischen  Sprachwurzel  für  funda  zu  suchen, 
im  andern  Fall  wäre  der  Name  so  gut  wie  die  Sache  orien- 
talischen Ursprungs.  Nnn  wird  man  aber  im  g^ansen  mit- 
telalterlichen Abendland  keine  Region  namhaft  machen 
können,  in  der  fnndae  im  obigen  Sinne  bestanden  nnd  Ton 
wo  ans  solche  dnrch  die  l[reasfahrer  hätten  nach  Syrien 
verpflanzt  werden  können.  Wenn  man  also  z.  B.  liest,  dass 
dif»  syrischen  Barone  vor  der  Belagerung  von  Tyrus  den 
mitstreitenden  Venetianern  versprachen ,  im  Falle  der  Ein- 
nahme der  Stadt  sollen  ihnen  von  Seiten  des  Königs  von 
Jerusalem  jährlich  an  Peter  and  Paul  300  Byzantien  aus 
der  dortigen  Fnnda  ausbezahlt  werden^),  so  wird  man  die 
Erwfthnnng  dieser  letzteren  kanm  so  deuten  können,  dass 
die  Barone  entschlossen  waren,  in  der  eroberten  Stadt  als- 
bald eine  Funda,  wie  solche  in  abendländischen  Städten  ge- 
wöhnlich, einzurichten,  sondern  vielmehr  so,  dass  sie  auch 
in  Tyrus  ohne  Weiteres  den  Bestand  einer  Funda  voraus- 
setzten, weil  mau  solche  in  den  früher  eroberten  syrischen 
Städten  regelmässig  vorgefunden  hatte.  Ausser  in  Syrien 
wfissten  wir  blos  noch  in  Aegypten  (Damiette)  nnd  Cypem 
(Famagusta  nnd  Nieosia)  den  Bestand  ron  fnndae  (fondes) 
nachzuweisen').  In  dem  erstgenannten  dieser  Lftnder  aber 
waren  die  arabischen  Institutionen  einheimisch,  auf  die  nahe 
Insel  Cyperu  giengen  dieselben  in  grösserer  Anzahl  über. 
Auch  die  Wnr/«'!  für  den  Nfiraen  fnnda  nuiss  sonach  auf 
arabischem  Boden  gesucht  werden.  Es  ist  meines  Erachteus 
keine  andere  zu  finden  als  das  bekannte  arabische  fundnk. 


1)  Tkfd  und  Thomas,  TTitedsa  ssr  ittsna  Hsadelt*  «d  8tialr> 
gssehickte  Veoedigi  I,  86.  92. 

2)  lolafm«  t  s.  UMlatrie  1.  c. 

[1880. 1.  PUL-phU.  bist.  Cl.  Bd.  L  5.]  40 


Oigitized  by  Google 


620       aUmmg  der  Mitor.  CKoiM  mm  4.  Jkeember  iSSO. 

Daraus  bildete  moh  zanächst  im  Idiom  der  Fransom, 
welohe  ja  das  herrorsiecbende  £leDieiib  in  der  Bevölkerung 
der  Eremdabreietaateii  bildefeeD,  das  Wort  I6iide,  welehei 
uns  im  Reelttebach  der  AaBieee  de  J^maalem,  in  dem  Qe- 

Bchichtswerk  des  Joinville,  in  den  französischen  Urkunden 
aus  Kreuzfahrerkreisen  häutig  begegnet*).  Es  ging  als  funda 
in  die  lateinischen  Actenstücke  desselben  Bereichs  über. 

Gegen  die  Herleitnng  yon  fonda  ans  arab.  fbndnk  wird 
man  wohl  nicht  einwenden  können,  daee  man  es  anffiUlend 
finden  mllMte,  wenn  die  Endsilbe  —  nk  in  dem  DeiiTitun 
80  sparlos  verschwindet*).  "Ehmt  könnte  man  sich  daran 
Stessen,  dass  die  Bedeutungen  beider  Worte  sich  gegenseitig 
keineswegs  zu  decken  scheinen.  Die  Arabisten  erklären  ihr 
funduk  für  gleichbedeutend  mit  Khan').  Wollte  man  nun 
freilich  darin  eine  Herberge  in  unserem  abendlandischen 
Sinn  sehen,  so  hatte  die  Funda,  so  wie  wir  ihren  Begriff 
oben  entwickelten,  wenig  damit  gemein.  Vergegenwärtigen 
wir  uns  aber  das  Karawanenwesen  des  Orients  nnd  die  F&r. 
sorge  des  islamitischen  Qememwesens  f&r  die  Unterkunft 
der  Reisenden,  fassen  wir  also  die  Khans  oder  Funduks  als 
von  Staats  wegen  erstellte  Gebäude,  in  welchen  die  reisenden 
£aufleute  Wohnuugen  für  sich  und  Gewölbe  ftir  ihre  Waaren 
vorfanden,  erfahren  wir  endlich,  dass  in  diesen  Khans  oder 
Fonduks  kanfmannisehe  Qesohafte  abgeseUossen  an  werden 

1)  Erst  im  spftenn  FiansOfiseh  vom  Ende  des  vienehnten  Jalu^ 
himderti  an  «iscbeineD  die  dem  itaL  foodaco  naebgebildefcen  Fennea 
foadiqve,  font^gne.  Le  Munt  vojrsge  de  JherOMkn  da  seigneiir  d*ABf 
Inre  pnbL  p.  Bonnardot  et  Longnon  (Paris  1878)  p.  78  t  GhUlebett  de 
LnoDoy,  oeuvres  ed.  Potvin  (1878)  p.  109. 

2)  Aneb  Jos.  Müller  hat  sich  durch  dieses  Bedenken  nicht  abhnltM 
leisen,  des  spanische  fonda  (Logir-  oder  Speisebaos)  mit  fondak  etynKh 
logisch  zaBammenzabringen«  Sitsongsberichte  der  bair.  Akad.  philee.« 
hiat.  Cl.  1861,  n.  S  106. 

3)  SiW  de  Sacy  za  Abdallatif  lekt.  de  l'Egjpte  p.  301  Aman 
bibliot  arab.  sie.  tradotta  I,  70. 


Digitized  by  Google 


I 


W.  Hejfd:  Uthtr  Funda  mtd  Fondaco,  621 

pflegten,  80  finden  sich  immer  mehr  Merkmale  lonmmenf 
welche  ancli  der  Funda  eigen  sind. 

Unsere  Annahme  eines  nahen  Zosammeuhangs  zwischen 
funduk  nnd  funda  erhält  noch  bessere  Stützen,  wenn  wir 
andere  Töchter  derselben  Mutter  heranziehen.  Nur  Yorfiber* 
gehend  gedenke  ich  des  spätgriechischen  ^povudaS  —  eines 
NamenSf  der  fnr  die  Kommagadne  in  Bodosto  gebraucht 
wird^) ;  hier  ist  einerseüs  die  Parallele  mit  der  fonde  doa 
bl^  in  Nicoeia,  welche  Maslatrie  als  entrepot  public  dn  bl^ 
ganz  richtig  fasst,  nicht  wohl  abzuweisen,  andererseits  die 
Verwandtschaft  mit  funduk  noch  einleuchtender*)  Aber  auch 
eine  weitere  Perspective  eröffnet  sich  in  diesem  Zusammen- 
hang. Wie  die  Bauern  der  thracischen  Ebene  ihr  Getreide 
in  die  ^powdaxtg  von  Bodosto  brachten,  so  kamen  die 
spanischen  FmchthSndler  Tom  Lande  herein  in  die  alhon* 
digas  ihrer  Städte;  denn  so  hiess  man  die  Gebände,  welche 
zur  Aufnahrae  für  sie  und  ihre  Frucht  bestimmt  waren.*) 
Dies  führt  uns  auf  eine  andere  Gruppe  von  Worten:  ital. 
fondaco,  fontega,  catal.  fondech,  alfondech,  nenspan.  fun- 
dago  und  alhondiga,  portog.  alhandega,  wofür  im  mittel- 
alterlichen Latein  fnndicnm,  fbntionm,  fhndidvm,  alfon- 
dicQs  (~  ga)  das  Correlat  bilden.  Li  Uteren  Zeiten  pflegte 
man  diese  Gruppe  mit  dem  latein.  fnndos  in  Verbindung  zn 
bringen.  Aber  mochte  man  nun  letzteres  in  seiner  ursprüng- 
lichen Bedeutung  —  Grand  und  Boden>  Grundstück  oder  in 


1)  JolLtk^Uts.  p.  714.  Mich  Olje.  p.  614.  Midi.  AttsL  p.90S& 
249  t 

2)  Es  ktants  sieh  frsgea,  ob  ^M«!  Toehter  und  sieht  viehnebr 
Mutter  Ten  Amduk  itL  Man  mtitte  dann  anfhören,  lezteres  vom  ^iech. 
Ttavdoxfioy  abzaleiten,  waa  die  Orientaliitea  ohne  Anenakme  thnn,  ohne 

daas  dafür  ein  Beweis  erbracht  wäre; 

3)  Cobarruvias,  tesoro  de  la  lengna  castellana  cit.  in  Dozj  et 
Engelmann,  glossaire  des  mots  eepagnols  et  portngiia  iini^B  de  Taiabe. 
Ed.  2.  Leyde  1869.  p.  139. 

40** 


Digitized  by  Google 


622        Sitzung  der  hUl^jr.  Classe  vom  4.  Deceniber  1880. 

der  abgeleiteten  =  Geldfonds  nebmen ,  eo  wollte  keine  der 

Bedeutungen  von  fundicum  u.  s.  w.  hiezu  stimmen.  Auf 
eine  orientalische  Wurzel  leitet  schon  der  Umstand  hin, 
dass  der  Gebrauch  des  Wortes  fundicum  zuerst  in  solchen 
Städten  aufkam,  welche  frühe  Berührungen  mit  Nordafrika, 
Aegypten  oder  Syrien  halten«  So  wird  ein  Haus,  welehes 
die  Mönehe  Ton  Monte  Gasnno  schon  im  Jabr  1085  an 
Amalfi  besassen,  als  fnndicnm  nfther  beseicbnet^) ;  die  Stadt- 
gemeinde Pisa  fieng  1163  ein  grosses  fondacum  mit  einem 
eisernen  Thor  und  einem  Thurm  zu  bauen  an'');  in  Mont- 
pellier erhielten  die  Genuesen  1143  zum  Dank  für  bewaflf- 
nete  Intercession  das  Haus  eines  gewissen  Brunns  Yon 
Toulouse,  welches  gleichfalls  als  fundicum  n&ber  characterisirt 
wird');  in  Genna  selbst  gab  es  einsebie  PriTatgebftnde,  denen 
derselbe  Name  beigelegt  ist^)  Nnr  ganz  ▼ereinaeh  und 
ziemlich  spat  ersobeint  diese  Benennung  für  Gebäude  in 
italienischen  Binnenstädten,  welche  keinen  Verkehr  mit  der 
Levante  hatten.^)  Wird  schon  hiedurcb  die  orientalische 
Herkunft  des  Worts  im  Aligemeinen  wahrscheinlich  und 
bestätigt  sich  dieselbe  noch  weiter  durch  die  aaf  spaniacbon 
und  portugiesischem  Boden  übliche  Yorsetznng  des  arabi- 
sehen  al  yor  die  betreffende  Wortfbrm,  so  ist  der  spedelle 
Zusammenhang  mit  dem  arabischen  fandok  nicht  blos  dnrcb 
die  völlige  Cougruenz  des  Lautes,  sondern  auch  durch  die 
üebereinstimmung  das  Sinns  nachweisbar.  In  allen  den 
erwähnten  Fällen  nämlich  bedeutet  das  Wort  im  Vorraths- 


1)  Peiri  Gaano.  cbraii.  tei  Pirti  8&  VII  p.  744,  764.  viigi  dato. 
Oattids  ad  bist  abb.  CSaaain.  aooeaa.  p.  280. 

2)  Bern.  Maiaog.  annaL  Pia.  bai  Parti  88.  XIX  p.  247. 

8)  AnnaL  Jan.  bei  Parts  88.  XYIII  p.  20.  la  der  üik.  LiK  jir. 
nip.  Jaa.  1,  90  bmt  ca  bloa  domsa  Bnnii  Teloaa. 

4)  Lib.  jar.  1,  828.  355. 

5)  80  in  Treviso  Acta  SS.  Boll.  Jan.  II  p.  374.  in  Ptidaa.  Bolaad 
PatsY.  (Cod.  Zaber.)  Mniat.  S&  S,  427. 


Digitized  by  Google 


W.  Hejfd:  lieber  Funäa  und  FwdoBO, 


623 


haus  und  Waareumagazin,  nnd  es  darf  uns  hierin  nicht  irre 
machen,  wena  in  solchen  fundica  auch  mitunter  öffentliche 
Verhandlungen  gepflogen  worden,  welche  eine  grossere  An- 
zahl Ton  Zeugen  erheischten;  finden  doch  anch  in  nnsem 
Tagen  YoUnrersanunlnngen  nnd  mnsikaliacbe  Anfitthmngen 
in  Tneh-  oder  Frachthallen  statt.  Als  Magasine  dienten  ja 
aber  auch  die  orientaliacheu  Khans  oder  Fiinduks  den  wan- 
dernden Kaufleuten.  Eine  unmittelbare  Uebertragung  orien- 
talischer Zustände  und  Einrichtungen  ging  wie  in  andern 
Punkten,  so  auch  hierin  in  Spanien  nnd  Sicilien  vor  sich. 
Die  spanischen  alhond^gas  (WirthshSnser)  nnd  fnndago*s 
(Entrepots)  sind  direete  Abkömmlinge  arabischer  Fondnke. 
Im  normannischen  Sieilien  bestanden  noch  Ton  den  Zeiten 
der  Araberherrschaft  her  solche  Funduks  als  Logirhäuser 
und  Magazine  für  fremde  Kaufleute;  sie  werden  meist  mit 
den  Märkten  zusammengenannt  V).  Daran  knüpfte  Friedrich  II 
an«  als  er  dem  Königreich  Sieilien  Gesetze  gab');  nur  be- 
kamen seine  fnndica  eine  etwas  verschiedene  Bestimmung 
als  Magasine,  in  welche  sowol  die  arariscben  Vorrathe  als 
die  der  Verzollung  unterliegenden  Kanfmannswaaren  ver^ 
bracht  wurden ;  auf  Wohnungen  war  hier  nur  insoweit  Be- 
dacht genommen,  als  den  Wächtern  der  fnndica  gestattet 
war,  denjenigen  Kaufleuten,  die  vorsichtshalber  bei  ihren 
Waaren  bleiben  wollten,  Betten  und  Licht  zu  verabreichen'). 
Während  diese  Institution  sich  nach  längerer  Fortföhmng 


1)  Ihn  HaaVal ,  Edrisi  und  Ibu  Giabair  bei  Amari,  hibliot.  arab. 
—  sie.  trad.  I.  p.  12.  tiO.  G2  (cf.  260.)  72.  79.  151.  159. 

2}  Herrschaftliche  .fandica'  gab  es  in  Sieilien  schon  snr  Mor- 
mannenzeit  (Winkelmano,  acta  imp.  ined.  saec.  XIII  p.  612  Nr.  781),  aber 
oh  sie  gam  dieesHM  Bestimmiing  hatten  wie  epiter  luiter  Friedrieh  IL 
steht  dshin« 

8)  FriderisI  II  eoaetitat.  I^  89.  de  ftindioiB  et  sngistrls  feodieia- 
lils.  Bkh.  de  8.  Oennsao  bei  Perts  88.  XU,  p.  889.  WinkeloHUUi  l  e. 
p.  618  t  619  f.  885.  88S. 


624 


SiUwng  der  hktor,  (Haue  wm  4,  Deeevher  18Q0, 


durch  die  Anjou's  allmählig  verlor,  heisst  man  noch  jetzt 
auf  Sicilien  Herbergen  für  das  gemiene  Volk  und  sein  Last- 
vieh fondachi^).  Aber  die  bekannteste  und  verbreitetste  Be- 
deninog,  welche  das  Wort  fondaoo  im  Mittelalter  hatte,  ist 
ent  noeh  sa  erwftbnen.  Wenn  die  Kanfinannachaft  eines 
Landes  oder  einer  Stadt  irgendwo  im  Ansland  Handelsge- 
scliifte  erhüben  wollte,  so  war  fbr  Erstes  die  Bitte  nm  Ein» 
ränmnng  eines  Fondaoo.  Unter  den  Handelsstädten  der  drei 
damals  bekannten  Erdtheile  den  Küsten  des  Mittelmeers 
und  seiner  Nebenmeere  entlang  oder  in  den  Hinterländern 
derselben  wird  kaum  Eine  sein,  welche  der  Fondachi  fremder 
Kanfleate  entbehrte').  Die  Mehrzahl  derselben  erfüllte  die 
drri&ohe  Bestimmnng,  welche  bei  dem  genuesischen  in  S. 
Gilles  (Sftdfrankreich)  so  sosammengefiMst  ist:  in  quo  mer- 
eatores  se  oomode  reeipere  et  eam  mercibus  suis  ydonee 
habitare  et  negotiari  possin t').  Im  ganzen  Gebiet  des  Islam 
waren  die  Colonien  der  europäischen  Kauflente  durchaus  so 
angelegt ,  dass  die  Repräsentauten  einer  Nation  mit  all 
ihrer  Habe,  ihrem  kaufmännischen  Treiben  und  ihrem  Got- 
tesdienst in  diesem  Einen  Gebäude  oder  doch  in  einem 
kleinen  Ton  Einer  Maner  nmgebenen,  durch  Ein  Thor  zn- 
gftngUehen  Gebftudeeomplex  concentrirt,  zu  gewissen  Zeiten 
sogar  eingeschlossen  waren.  Maslatrie  sagt  mit  Recht,  dass 
solche  Fondaeht  yiele  Aehnlichkeit  hatten  mit  den  je  für 
sich  bestehenden  Khans  der  fremden  Kaufleute,  wie  wir  sie 
im  Umkreis  oder  in  der  Nachbarschaft  der  Bazare  zu  Con- 
stantinopel,  Smjma  oder  Damaskus  Enden.  In  christlichen 
Landern  des  Orients,  wie  in  den  syrischen  Krenzfahrerstaaten 
und  in  Armenien,  wo  man  den  abendländischen  CSolonisten 

1)  Amari,  storia  dei  masnlmani  in  Sicilia  3,  774,  not.  4.  887. 

2)  Für  die  Levante  vergl.  die  Stellen  im  Register  meiner  Ge- 
schichte des  Levantehandels  unter  dem  Wort  foodaco,  für  Nordafirika 
Maslatrie,  traites  de  paix  et  de  commerce  (Paris  1866)  p.  89  ff. 

3)  Lib.  jur.  l,  2^1. 


Oigitized  by 


W.  Heyd:  üeber  Funda  und  ForwUieo. 


625 


mehr  freie  Bewegung  gönnte,  erwarben  diese  niebt  leiten 

ansser  dem  Fondaco  eine  Reihe  von  Wohnhäusern  oder 
ganze  Stadtquartiere.  Hier  verlor  dann  das  Fondaco  seine 
Bestimmung  als  Logirbane,  nnd  blieb  ihm  nur  die  Bedeut- 
ung eines  Waarenmagazins  nnd  einer  Handelsstätte.  £in 
mSbBB  Haodekqnartier,  wie  das  der  Venetianer  in  Tyros, 
konnte  mebrere  Fondaebi  nmÜMsen,  ein  growee  für  den 
Verkehr  der  Gblonialgemeinde  im  Ganzen  heatimmtee  (mag- 
nnm  palatium  fontici)  und  kleinere,  die  als  Lagerhäuser 
oder  Verkaufsiocale  an  Einzelne  vergeben  waren.*) 

Wir  sind  damit  auf  das  Terrain  zurückgekehrt,  von 
welchem  wir  ausgegangen  Tu  den  syrischen  Kreuzfahrer- 
staaten war  uns  aneh  die  Fonda  begegnet.  Ein  abschliessen- 
des Wort  Aber  die  letztere  lisst  sieh  erst  dadnrch  erzielen, 
dass  wir  das  Fondaco  nnd  die  Fanda,  wie  sie  anf  syrischem 
Boden  sich  zusammenfanden ,  mit  einander  confrontiren. 
Wir  haben  gesehen ,  dass  in  den  syrischen  Städten  unter 
dem  Namen  Funda  Gebäude  bestanden,  welche  von  Staats 
wegen  den  Kaufleuten  zum  Magaziniren,  Auslegen  und  Yer- 
kanien  ihrer  Waaren  zur  Verfügung  gestellt  wurden.  Was 
,  waren  nnn  aber  die  Fondachi  Anderes  als  eben  sokhe 
Hftnser,  nnr  einer  bestimmten  HandelsnatioD  spedell  f9r 
ihre  Waaren  eingerftnmt?  Die  abendlSndisohen  Kaufleute 
betrachteten  es  als  eine  besondere  Vergünstigung,  wenn  sie 
ihre  Waaren  nicht  in  die  städtische  Funda  bringen  muss- 
ten,  wo  sie  Magazine  and  Verkaufsstellen  mit  allen  mög- 
lichen HerznreiBenden,  namentlich  mit  Orientalen')  zu  theilen 
hatten«  wenn  sie  yielmehr  eigene  (Gebäude  an  diesem  Zweck 
angewiesen  bekamen.  Sie  wurden  damit  jener  allgemeinen 
Terkahrastfttte  doch  nicht  entfremdet;  namentlich  wenn  sie 

1)  Tafel  nd  Thomss  a.  a  0.     862.  864.  886.  891—895. 
Lm  fondss  Aaient  IMqsant^  plu  pftriicQUirement  par  les 
nsfohsadi  grees  et  •jrienB,  pidaqiie  Im  n^gociants  d'Earope  jouissaient 
de  lenn  fondei  «pMales.  Besgnot  in  dea  Anis,  de  Hn»,  2,  171  uoL 


626       SUeung  der  histar.  Glosse  vom  4.  December  1890. 

sieh  mit  den  Enseognissen  des  Landes  und  mit  den  durch 
Karawanen  Tom  Innern  herans  gebraebten  Artikeln  des 

ferneren  Orients  versehen  wollten,  so  boten  sieb  ihnen  diese 
blos  in  der  Funda  dar.  Wohl  besass  z.  B.  die  Stadt  Pisa 
ihr  eigenes  Fondaco  in  Tyrus,  aber  da  ihre  Kautieute  auch 
in  der  städtischen  Funda  aus-  und  eingingen ,  fand  sie  für 
gnt  dort  mit  Erlau  bniss  des  Landesherm  Bedienstete  anf- 
xnstellen,  nm  die  Interessen  ihrer  Borger  za  wahren.^) 
Ebenso  hatten  die  Genuesen  ihr  Fondaco  in  derselben  Stadt, 
gleichwohl  hesnchten  ne  auch  die  städtische  Fnnda.  nm 
daselbst  Handelsgeschäfte  zn  treiben,  und  sie  genossen  hiebei 
die  ausserordentliche  Gunst,  dass  kein  landesherrlicher  Ein- 
nehmer sie  mit  einer  Accise  belasten  durfte.*) 

Im  Wesentlichen  hatten  nach  dem  Vorigen  Funda  und 
Fondaco  die  gleiche  Bestimmung,  nur  dass  die  erstere 
sSmmtlichen  eine  Stadt  besuchenden  Kaofleuten  ofkn  stand, 
wahrend  das  letatere  den  Angehdrigen  einer  einaelnen  Han» 
delsnation  angemesen  war.  Beide  Begriffe  gehen  sogar  so 
sehr  in  einander  über,  dass  auch  diese  Unterscheidung  nicht 
überall  aufrecht  erhalten  werden  kann.  Johann  von  Mont- 
fort  Herr  von  Tyrus  spricht  in  einer  französisch  abgefassten 
Urkunde  des  Jahrs  1270  (die  Zahl  12GÜ  ist  falsch)  von 
einer  Strasse  daselbst,  „qui  s^pare  ma  fonde  de  celle  de 
Pise.'^')  £r  bezeichnet  also  mit  demselben  Wort  fonde  die 
landesherrliche  oder  stidtische  Fonda  nnd  das  Fondaco  der 
Pisaner.  So  lesen  wir  anch  sonst  nicht  selten  funda,  wo 
wir  nach  dem  Bisherigen  fnndicnm  erwarten  sollten»  und 
umgekehrt.    Unter  dem  Namen  funda  kommen  die  Fou- 


1)  Documenti  sulle  relazioni  dello  citta  toscane  coli'  Orients  ed. 
Gioik  M&Usr  (Doe.  degli  srchi?i  toMsai)  p.  27.  29,  80.  87  f.  65. 

2)  Lib.  jar.  1,  858.  405;  ebsnio  in  Aeoon  ib.  1,  401.  418.  oad 
ia  fieinit  1,  665. 

8)  Faoli,  eod.  dipl.  dsir  cidio«  gerMolimitano  I,  168. 


Oigitized  by 


W.  Heijd:  lieber  Funda  und  Fondaco. 


627 


dacbi  der  Yenetiaiier  und  der  AmalfitBner  in  Anüoeliieii 

urkundlich  vor.^)  Andererseits  wird  den  Genuesen  die 
Vergünstigung  ertheilt,  dass  sie  „in  fundico  Tyri,  in  fun- 
dico  Acconensi^*  kaufen  und  verkaufen  dürfen.*)  Gemeint 
ist  hier  die  st-ädtische  Funda.  Der  venetianische  Bailo 
Mareilio  Qiorgi  Teraeichnet  onter  den  Gerecktssmen  seiner 
Nation  einen  Anspmcli  anf  54  nnd  wieder  anf  800  Byzan- 
tien  jährHcli  von  der  Landesregierung  zn  erheben,  beidee 
zahlbar  „in  fontico  Tyri."*)  Was  die  letztere  Summe 
anbelangt,  so  haben  wir  noch  die  Originalverwilligung, 
dort  lautet  die  Anweisung,  wie  oben  schon  erwähnt,  auf 
die  „fdnda  Tyri".  Und  wie  es  bei  der  Fnnda  zuweilen 
Torkommt,  daee  die  in  ihr  magjuinirien  nnd  feilgebotenen 
Waaren  eich  anf  einen  bestimmten  Artikel  besohrftnken,  so 
wird  dasselbe  nicht  selten  vom  Fondaco  aasgesagt:  im 
yenetianischen  Quartier  von  Tyrus  bestand  ein  „fonticum", 
in  welchem  Musikinstrnraente  verkauft,  wurden,*)  in  Padua 
nnd  Belluno  ein  „fundicum  bladi,"  „fontico  delle  biade."*) 
Wenn  nun  aber  die  beiderseitigen  Begriffe  so  verwandt, 
ja  in  einander  fliessend  sich  darstellen,  wenn  ferner  die 
Worte  selbst  den  Qmndstock  mit  einander  gemem  haben 
nnd  nnr  in  der  Endung  diffnriren,  so  wird  man  es  anhe- 
ben müssen,  das  eine  ans  occidentalischer ,  das  andere  ans 
orientalischer  Wurzel  abzuleiten.    Funda  wird  ebenso  sicher 

vom  arab.  fundok  herstammen  als  fondaco. 

    ^ 

1)  Taf.  u.  Thom.  a.  a.  0.  0.  1 .  176.    Camera,  memorie  storico- 
diplomatiche  delP  antica  citta  e  docato  di  Amalfi  1,  203. 

2)  Lib.  jur.  1.  :?r>H.  401.  412. 

3)  Tafel  und  Thomas  a.  a.  0.  2,  367.  397. 

4)  ib.  2.  385. 

5)  Rolaod.  PatAV.  1.  e.  Hiari,  eronaebe  beUooeti  p.  72. 


Digitized  by  Google 


628 


Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Decetnber  1880. 


Herr  y.  Druffel  trug  eine  Abhandlung  Tor: 

„Ueber  Karl  V.  und  die  römische  Curie 
im  Jahre  1543''. 

Dieselbe  wird  in  den  „Abhandlungen**  veröffentlicht 
werden. 


Herr  v.  Kluckhohn  machte  Mittheilungen  aus: 

,,Westenrieder*8  handschriftlichem  Nach- 
lasse". 

Dieselben  werden  gleichftlls  ebendaselbst  verdfifontlicht 
werden. 


Oigitized  by  Google 


Tenetehniss  «ier  elngelaiifenen  BftehergMdieiike. 


Vom  Verein  für  QesdtuMe  der  Mark  Brandenburg  in  BerUn: 

Märkische  JB'orschuugen.    Bd.  IV.    IbÖÜ.  8^ 

Von  der  Inspeäion  der  Landesschule  zu  Meissen: 

Sanct  Afra.    Gkecbiclite  der  k.  sficbsischen  FOrstoiiBchiile  xa 
Massen  von  Theodor  Flathe.   Lelpsig  1879.  8®. 

Vom  h.  säehaisiAen  JMerßmmsverein  in  Dresden: 

a.  Mittheiluugen.    Heft  30.     löbO.  b*. 

b.  Jahresbericht  über  lö7ä  — ÖO.    1680.  6^» 

Vom  germanischen  Museum  in  NiirtU>erg: 

Anzeiger  fttr  Kunde  der  deutschen  Vorseit.  Jahrgang  1879  in 
12  Heften.    1879.  4^^. 

Von  der  gelehrten  Eeinieeken  QeseRethaft  in  Dorpai: 

a.  Sitzungsbericbto.     1S79.  1880.    H'\  ' 

b.  Verhandlongen.    Bd.  9.  1879.   8".    Bd.  10  und  11. 
1880  8*». 

Von  der  k.  preuss,  Akademie  der  Wissenschaften  in  BerUn: 

a.  Monatsbericht.   Janxuir  1880.   1880.  8^ 

b.  Abhandlungen  aus  dem  Jahre  1879.    1880.  4^ 


Digitized  by  Google 


630  Emsendungen  von  Druckschriften, 

Vom  Mmeumsverein  des  Fürstenthums  Lümimrg  in  Lüneburg: 
2.  JahMBbericht    1879.  1880. 

Von  der  Lese-  und  Bedehaüe  der  dettUchen  Studenten  in  Prag: 

Jahresbericht  1878  —  79  und  1879  —  80. 

Vom  historischen  Verein  in  Augsburg  i 
Zeitsehrift   Jabrgaag  TL    1879.  8^ 

Von  der  AoadSrnte  de»  seümiees  m  Bouen: 
PrteU  anaijrüque  des  travaox.    1877—78.    1878.  8^ 

Von  der  südslemsehen  Akademie  der  Wissenschaflen  in  Agram: 

a.  Rad.    Vol.  50.    1879.  8<*. 

b.  Monumenta  spectantia  bistoriam  Slavonun  meridionaiiiiiii. 
Vol.  X.    1879.  8^ 

Von  der  Societe  fran^aise  d'ardwologie  in  Paris: 

CSongrös  arch^ologiqae  de  Fraaoe  44*  ei  45*  Session.  Paris 
1878-79.  8». 

Von  der  üsyal  Soek/tg  m  EdMmrgk: 

a.  Transactions.    Vol.  29-    1878—79.    1879-  4^*. 

b.  Proceedings.    Session  1879.  4^. 

Von  der      Soprintendenjsa  degli  Archivi  Toscani  in  Florene: 

Docamenti  solle  rekaoni  deUe  dtU  toecaae  ooll*Oriente  Gristi- 
ano  e  on  Tnrelii    1879.  4^. 

Von  der  AMademie  der  Wiseenadiafien  in  EnAam: 

a.  Rozprawy  histor.  tom.  XI.    1879.  8*. 

b.  Bstareicher,  Bibliografia.    1879.  8^ 

c  Lud,  Ton  Oskar  Kolberg.   Tom.  12.    1879.  8*. 


Digitized  by  Google 


Eifisetidungen  v&n  Druckschriften.  631 

d.  Acta  historica  1879.    gr.  8*. 

e.  Monumenta  medii  aevi  historica.    Tom.  5.    1879-  4^. 

f.  Archeologia.    Ser.  I.    1879.  4". 

g.  Sprawozdania  komisyi  do  badania  historyi  sztuki  w.  Polsce. 

1879.  40. 

Von  der  Comptr oller  of  the  Currency  in  Washington: 
Annual.    Report  for  the  year  1879.    1879.  8®. 

Vo7i  der  archäologischen  Gesellschaft  in  Moskau: 
Drewnosti.    Tom.  VIII.    1880.  4^. 

Von  der  Connectictä  Academy  of  Arts  and  sciences  in  New-Haven : 
Transactions.    Vol.  V.    1880.  8®. 

Von  der  SocietS  des  Hudes  historiques  in  Paris: 
L' Investigateur.    46*  amiee.    1880.  8°. 

Von  der  American  oriental  Society  in  New-Haven: 
Proceedings.    May  1880.  8<*. 

Von  der  Biblioteca  nazionäle  in  Florenz: 

a.  Sezione  di  filosofia,  3  Hefte. 

b.  Accademia  Orientale,  5  Hefte. 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Amsterdam: 

a.  Verhandlungen.    Letterkunde,    Bd.  XII.     1879.  4°, 

b.  Jaarbock.    1878.  8**. 

c.  Processen- Verbaal  1878/79.  ö*. 

d.  Elegiae  duae.    1878.  8^ 

Vom  Sindaco  della  cütä  di  Este: 

Catalogo   dell'  Archiyio  della  magnifica  communitä  di  Este. 

1880.  8^ 


632  J^tiiMiii2M9i^en  von  DmtMmfUn. 

Von  der  JBdtyoZ  UM  Academff  m  DhUn»: 

a.  Proceedings.    Ser.  IL  VoL  II.  Nr.  1.    Ser.  II.  Vol  III. 
Nr.  4.    1879.  8°. 

Transactions.     Vol.  XXVI.    Science  Nr.  22.    1  79.  1". 

b.  Transactions.    Irish  Manuscript.  Series  Vol.  I.  1880.  4". 

c.  Cunniüghain.    Memoirs  Nr.  I.     1880.  4^. 

Yon  der  Sockdad  de  hi^toria  natural  in  Mexico: 
La  Katontes.   Tomo  IV.  entrega  16—20%   1880.  4^ 

V<m  der  SecHm  hietonque  de  f^isHitU  m  Luxemburg: 

PubUcatlous.    Aan^e  18Ö0.    Vol.  XXXIV.    1880.  8^ 

Von  der  deutschen  Gesdlschaß  für  Natur-  und  YÖlkerkmde 

OstOKims  in  Joko/tama: 

MütheUuDgen.   Juni  —  August  1880.    1880  fol. 

Von  der  arehäeioffiaeiien  OeeeUechaft  in  Aä^: 
IfyxKtntä,    Jahrgang  1879.    1880.  8^ 

Von  der  Sodäe  des  Antiquaircs  de  Ficardie  in  Amiens: 

a.  M4moir6B.  8.  Stfrie.  Tom.  6.  Paris  et  Amiens.  1880.  8^. 

b.  Bnlletin.   Tom.  Xm.    1877—1879.   Paris  et  Amiens. 
1879.  8». 

Von  der  k,  Nordiske  (Hdekrifl-aOOBäb  m  Copenhagen: 

a.  Aarböger.    1877  Tillaeg. 

1878  Heft  2—4  und  Tillaeg. 

1879  „  1-4. 

1880  „    1.       1878—80.  8^ 

b.  Njala  udgivet  efter  gamle  liandskriften.  Bd.  IL  1879.  8^ 

Von  der  SmUheonlan  JMüidum  •»  Wäakmsftom: 

a.  Sniithsonian  Contributions  to  Knowledge.  Vol.  22.  1880.  4*. 

b.  Auüuel  üeport  for  the  year  1878.    1879.  8<^. 


Digitized  by  Google 


JBitmnäimgen  von  Druckschriften,  633 

Van  der  JfojyaJ  Sodel^  m  DuHIm: 

a.  The  scientific.  Transactions.  New  Series.  Vol.  L  Nr.  I — XIL 
Vol.  II.    Nr.  I  part.  1—3.    1877—80.  4*. 

b.  The  scientific.  Proceedings.  New  Series.  Vol^  I,  Nr.  1 — 3* 
VoL  n.    Nr.  1—6.    1877—80-  8®. 

V<m  der  AUgememen  geschichtsforsckmäen  Qeeeüeckaß  der 

SchteeiM  in  Bern: 

a.  Jahrbuch  für  schweizerische  Qeschichte  Bd.  5.  Zürich 
1880.  8^ 

b.  Quellen  zur  Schweizer  Geschichte.  Bd.  4.  Ba^el  1880.  8°« 

V<m  historisdien  Füialverein  in  Ncuburg  ajJ).: 
CoUektaneai-BlaU.    43.  Jahrgang.    1879.  8^ 

Vom  VeigUändiedken  äUerf/mmaforedienden  Verein  in  Eohen' 

leiiben: 

Festschrift  zur  Feier  des  5 0jährigen  Bestehens  des  Vereins* 
Theii  1.  U.    1876.  6^ 

Vom  Vercm  für  hessische  Geschichte  tu  Cassel: 
MiUheilangeD.   Jalirgang  1880.    1879—80.  8^ 

Von  der  OeedMiafl  der  WUeenschaflen  in  Prag: 
Sitsnngsbttielite.   Jahrgang  1879.    1880.  8^. 

Van  der  NiederUMiechen  ßegierung  im  Haag: 

Börö  Boudour  op  het  Eiland  Java  door  F.  G.  Wilsen  en  C.  Lee- 
mans.  Text  hollftndisch  und  firanzösiseh  mit  einem  gronen 
Atlas.   Leiden  1873-74.  8^   Atlas  gr.  fol 

Vom  Harz- Verein  fOr  CreachichU  tmd  AUerOmmekimde  in 

Wernigerode: 

Zeitschrift    13.  Jahrgang.    1880.  8^. 


Digitized  by  Google 


634  Sinsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  k.  Akademie  gemcinnfäziger  Wissenschaften  in  Erfmri: 
Jahrbttcher.    Neue  Folge.    Bd.  10.    1880.  8^. 

Vnm  hutariaehm  Verein  der  5  Orte  im  iMgem: 

^ 

Der  Geschieb töfreuüd.    Bd.  35.    Einbiedeln  1Ö80.  8**. 

Vom  historischen  Verein  in  Uegenshurg: 
Verbandliuigeii.   Bd.  34.   Stadtamhof  1879.  8®. 

Von  der  VerwaUimg  der  h.  SammUmgen  in  Dresden: 

Bericht  Uber  das  Jahr  lö7Ö  und  1879.  Dresden  1880.  4^. 

Vom  Central-ComiU  des  ba^eriechen  LandesküfavereiHs: 
Becheneehaftebericht  fftr  die  Jahre  1877--79.    1880.  4*. 

Von  der  GeneralvenoaUmig  der  k.  Museen  in  Berlin: 
Zur  Geschichte  der  k.  Moseen  in  Berlin.  Festschrift  1880.  4^. 

Vom  Verein  für  siettenbürgiadie  Landeekmde  in  Hermannetadl: 

a.  Archiv.  Neue  Folge.  Bd.  XIV  Heft  3.  Bd.  XV  Heft  1—3. 
1878-80.  8". 

b.  Jahresbericht  1877/78  und  1878/79.  S''. 

c.  Der  Hernianstldter  Mii8ikTerei&  von  Wilh.  Weiss.  1877.  8^ 

d.  Qoellen  rar  Qesohichte  Siebenbflrgens  aus  sSchsisehen  Ar- 
chiTen.   Bd.  I.    1880.  gr.  8^ 

Von  der  h  k.  Akademie  der  Wtseensekafien  in  Wien: 

a.  Denkschriften,    i^hiloi^ophisch  -  historische  Classe.    Bd.  30. 
1880.  4<». 

b.  Fontes  rerum  austriacanim.  IL  Abth.  Diplomata.  Bd.  42* 

1879.  8". 

c.  Archiv  für  österreichische  Geschichte  Bd.  59  Heft  l  und  2> 

Bd.  60  Heft  1  und  2.  Bd.  61  Heft  1  und  2.  Bd.  62 
Heft  1.    1879-80.  8». 


Digitized  by  Google 


Eimetidwigen  von  Lruetu^rifUn:  635 

d.  Sitzungsberichte.  Philosophisch -historische  Cla^sse.  Bd.  94 
Heft  L  und  2.  Bd.  95  Heft  1—4.  Bd.  96  Heft  1—3. 
1880.  8". 

e.  Almanach.    30.  Jafargong  1880.  8"« 

Vom  historischen  Verein  /tu  Bambergi 
42.  Bericht  für  das  Jahr  1879.    1880.  8^ 

Vom  historischen  Verein  in  München: 
ArchiT,  oberbayeriscbes.    Bd.  39.    1880.  8^ 

Vom  ihüringiseh-sikhsistJien  Verein  fSr  Er[orsdmng  des  vaier*  - 
länäisehen  ÄUerthmns  in  Balle: 

Neue  MittheUangeo.    Bd.  XV.    1880.  8^ 

Von  der  Gesellschaft  ßr  pommersehe  Geschichte  in  Stettin: 
Baltiscbe  Studien.   Jahrgang  30.    1880.  8**. 

Vom  Münster- ComiU  in  Ulm: 
MflDster-Blfttter.    Heft  2.    1880.  8**. 

Vom  Benrksverein  für  hessis^  GesehiehU  tu  Eanan: 

Mittheilungon.    Nr.  G.    1880.  8^ 

Vom  Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg  in  Nürnberg: 
MitUteUiiogeD.    2.  Heft  mit  3  Tafeln.    1880.  8*. 

Vom  Mstorisehen  Verein  ßr  Steiermark  in  ^Oras: 

a.  Mittheilungen.    28.  Heft.     1880.  8^ 

b.  Beiträge  zur  Kunde  steiermärkiscber  GeschichtsquelleQ« 
17.  Jahrgang.    1880.  8^ 

c.  Festachrift  zur  Erinnerung  an  die  Feier  der  vor  700  Jahren 
stattgefundenen  Erhobung  der  Steiermark  zum  Herzog- 
thunie  (1180).    1880.  8". 

[1880. 1.  Phil..phil.  hist.  Cl.  Bil.  I.  ."i.]  41 


Digitized  by  Google 


*  ! 

636  JBimendungen  von  Druekschrißen, 

Vom  TnOUut  Naüonal  m  Genf:  | 
BaUeün.    Tom.  23.    1880.  8*. 

Vom  Ferdinandeum  in  Innsbruck: 
Zeittobrift  dflB  F^rdiDaodeniiui.    3.  Folge.    Bd.  24. 

Vom  staiist'tsch'iopographischm  Bureau  in  SMtgati: 
Beaohreibuiig  des  Oberamts  Balingen.    1880.  8^. 

Vom  AUorUmmspcrein  in  Plauen  i.  F. 

IfittheüuDgen.    Jahresschrift  für  die  Jahre  1575 — SO.  8°. 

Vom  Verein  für  thüringische  Geschichte  und  Alttrihuituikumie 

in  Jena: 

a.  Zeitschrift.    Bd.  I— VIII.  Neue  Folge.  Bd.  I  Heft  1—4. 
Bd.  II  Heft  I  und  2.  1852—1880. 

b.  Rechtädenkraale  aus  Thtiringen.  Herausgegeben  von  A.  L. 

J.  Michelsen.    1863.  8®. 

c.  Thüringische  rieschichtsquollpn.  Bd.  1     3.  1854-  50.  St«. 

d.  Der  Main/er  Hof  zu  Erfurt  von  A.  L.  J.  fiiichelseo.  Jena 

1853.  4". 

e.  Urkundlicher  Ausgan der  Grafschaft  Orlamünde  von  A. 
L.  J.  Michelsen     Jena  1856.  4**. 

f.  Dip  Rathsverfas.sung  von  Erfurt  im  Mittelalter  von  A.  L. 
J.  Michelsen.    Jena  1855.  4''. 

g.  Codex  Tburingiae  diplomaiicus  von  A.  L.  J.  Michelsen. 
Lief.  I.   Jena  1854.  4^ 

h.  üeber  die  Bbrenstftcke  nnd  den  Baatenkranz  Ton  A.  L. 
J.  Micbelsen.   Jena  1854.  4®. 

i.  Die  Alietften  Wappenschilde  der  Landgrafen  Ton  Thüringen 
Ton  A.  L.  J.  Micheben.   Jena  1857>  4^. 

k.  Johann  Friedrichs  des  Grossmttthigen  Btadtordnnng  ftr 
Jena  von  A.  L.  J.  Michelsen.   Jena  1858.  4^ 

Vom  ungariodtw  Earpaihen'Verem  in  Kkm&rk: 

Bibliotheca  Carpatica  von  Hugo  Payer.    Iglo  1880.  8^. 


Oigitized  by  Google 


Einsendungen  wn  Vruckschrifteti. 


637 


Vom  Ü.  Istituto  di  scieme,  Icfferc  ed  arii  in  Venedig: 


a.  Memorie.    Vol.  XX  2.  3.    XXI  1.    1879.  4^ 

b.  Atü.   Tomo  IV.  disp.  10 

„     V.    „  1-10 

„    VI.   „    1-9.    1877-1880.  8». 

Vom  Museum  JFhmciscO'Ckirolinum  in  Lim: 
3b.  Bericht.    1880.  8«. 

Von  der  Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde; 
Mittheilviigeii :  20.  Verdni^ahr  1880.  8^ 

Vom  Verein  für  QemMf^e  und  ÄSkrlhmuSamde  in  Frank' 

furt  ajM.: 

a.  Mittheilungen.    Band  V.    1880.  8^ 

b.  Neojahrblatt  für  das.  Jahr  1880.  4^. 

c.  Entwicklung  der  Gesellschaft  sar  Befördenuig  nfitsUcher 
KflnsU  in  Franhfiirt  a/M.    1879.  4^ 

Von  der  historisehen  und  antiquarischen  Gesellschaft  in  JBIsmI: 
Basler  Chroniken.    Band  II.   Leipsig  1880.  8°. 

Von  der  historisch-statisiiechen  SeikÜan  der  h.  k,  mährisck-schlO' 
eiaehen  ÄckerhaugeseUs^aft  in  Brünn: 

Schriften.    Band  24.    1880.  8^ 

Vom  historischen  Verein  in  WOrglmrg: 

a.  Jahresbericht  für  1879.    1880.  8*. 

b.  Die  Geschichte  des  }3auei  nki  io<,'e.s  von  Loreuz  Fries,  heraus- 
gegeben von  Aug.  Schäffler.    Band  II.    1879.  8°. 

« 

Von  der  Deutschen  Morgcnländisehen  GescUscfiafi  in  Halle  ajS. 
a.  Zeitschrift.   Band  XXXIV.   Leipsig  1880.  8^ 


638  Einsendungen  von  Druckschriften. 

b.  'WissenschafUiclier  JatureBbericht  1876  —  1877.  Leipsig 

1879.  8«. 

Vem  Vemn  fikt  medUeii&Mii^isdbe  (TeseftidUe  w»  Sdmerm: 
Jahrbücher  und  Jahresbericht.  44.  Jahrgang.  Schwerin  1879.  8^. 

Von  der  Sehlesiachen  Oeadlschaft  für  vaUrUlndisehe  EuUur  m 

BretXau: 

57.  Jahresbericht  für  das  Jahr  1679.    Breslau  1880.  8®. 

Van  der  Redaktion  des  Athenaion  in  Athen: 

U^tivaiov.    Tom.  ^'  %tvxoQ  y\    1880.  8°. 

Von  der  Sociäe  dhistoire  et  d'antiqmtes  in  Odessa: 

L.  Jurgievicz,  Sur  une  inscription  troavte  raon^  denddre  dans 
l€0  fouilles  de  Tantiqua  Gheisonn^  (Ere  nuse/  1880.  4*. 

Von  der  H.  Accademia  dei  Lincei  in  Horn: 
TransuDÜ.   Vol.  6  faao.  1.    1881.  4^ 

Von  der  Bataviaasch  QenooMtapp  van  Künsten  m  Wetten- 
schappen in  Batavia: 

a.  Tijdschrift  voor  Indische  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde. 
Deel  XXV«  4—6.    Deel  XXVL  1.    1879—80.  8<^. 

b.  Yerhandlmigeii.   Deel  XL  Btuk.  2.   Deel  XLI  etok  1. 

1880.  4^ 

Von  der  FMindisdien  GeseUschaft  der  Wissensckaflen  in 

HMmgfars: 

Acta  societatis  scientiarum  Fennicae.    Vol.  XI.    1880.  4^. 

Von  der  Universität  in  Casan: 
Isweeiga  i  utsohenia  Sapiski.    1879.  8^. 


Digitized  by  Google 


Kiu^cmhintjcn  von  Druclurhriftai.  C39 

Von  der  CommLssion  imperiale  archcologiqtie  in  St.  Peter shourg : 
Compte-rendu  poui*  l'unnee  1877.   Texte  et  Atlas.    1880.  fol. 

Vom  Ministcrio  dvUa  jmbblica  istruzionc  in  Itom: 

Cataloghi   dei  Codici  orientali  di  alcune  biblioteche  d'Italia. 
Fase.  2.    Firenze  1880.  8^ 

Vom  k.  Institmt  voor  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  von 
Nedcrlandsch-Indie  in  S.  Gravcnhage: 

Bydragen  tot  de  Taal-,  Land-  on  Volkenkunde  van  Nederlandsch- 
Indil'.    4*  Deel.     1880.  8". 


Vom  Herrn  Alexander  Conzc  in  Berlin: 

Arcbtiologische   üntersucbuugen   auf  Samothrake.      Baad  2. 
Wien  1880.  fol. 

Votn  Herrn  Adolf  Mührjj  in  Güttingen: 
üeber  die  exacte  Natur-Philosophie.    4.  Ausgabe.    1880.  8*^. 

Vom  Herrn  Francis  E.  Nipher  in  Kansas  City: 
Choice  and  Change,  a  Lecture.     1880.  8". 

Vorn  Herrn  Edward  S.  Morse  in  Tokio,  Japan: 

Memoirs  of  the  University  of  Tokio,  Japan.    Vol.  I.    Part  I. 
1879.  fol. 

Vom  Herrn  Alßo  Fisichella  in  Catania: 
S.  Tommaso  d'Aqoino,  Bone  XIII  e  la  scienza.    1880.  8°. 

Vom  Herrn  Antonio  de  Saldanha  da  Gama  (depois  Condc  de 

Porto  Santa)  in  Lissahon: 

Memoria  sobre  o  commercio  da  escravatura.     1880.  8**. 


640  MJiniBtidtmffen  vom  DnuAs(M߀n» 

Vom  Horm  J»  F,  J,  Biker  in  Lisoabon: 

a.  Notida  biograpbio«  do  ConseUielro  J.  L.  Baywd.  Parii 
1856.  8^ 

b.  Sapplemento  i  Colleofäo  dos  Tratados.  Vol.  XIX.  1880.  8^ 
Tomo  22.  23.  24.  26.  28.    1880.  8^. 

Vm  Horm  B,  Holh  m  TObinffon: 

Das  Büchergewerbc  in  Tübingen  vom  Jahre  1500  bis  1800. 
1880.  8°. 

Vom  Horm  AäoXbtrt  von  KeSkr  in  TMngon: 

Altdeut.'^(hc  Handschriften  verzeichnet  von  Adalbert  von  Keller. 
Nr.  ö.    1880.  8®. 

Vom  Herrn  F.  J.  LaM  in  München: 
Ans  Aegyptens  Vorseit.    Heü  4  und  5.    Berlin  1880.  8*. 

Vom  Herrn  Giovanni  Gozzadini  in  ßoJotjua: 

Nanne  Qozzadini  c  Baldassare  Gossa  poi  Giovanni  XXIII,  raooonto 
storico.    1880.  8<*. 

Vom  Herrn  Alfred  JReumont  in  Burtscheid: 
Nasdta  a  patria  di  Hargherita  d'Austria  s.  1.    1880.  8^ 

Vm  Horm  P,  do  Tchihaickoff  in  Fhreng: 
Espagne,  Algt^rie  et  Tnnisie.   Paris  1880.  8®. 

Vm  Horm  JSkMe  Ämari  in  Ftortm: 

Bibliotecu  arabo-sicula.    Yol.  I.    Torino  1880.  8*. 


Digitized  by  Gofl^le 


Sacli-Register. 


Adam  und  Eva  Lutwin's  598. 
Äegjptißche  Phönix-Periode  143. 
Afrikanische  Laiinität  '3B1. 

Brähüis  Sprache  der  616  a.  Sappl  -Heft. 

Calvin  381. 

Canarische  Inseln  77. 

Cassiiis  Felix  Latinität  des  381. 

Crivelli,  bayr.  ßesidenten  in  Rom  330. 

Curie  die  römische  628. 

Demustbenische  Reden,  ihre  Zeitfolge  273. 
Dynastien,  die  in  der  Weltgeschichte  144. 

Entdeckangsgeschichte  zor  77. 
Earipides  166. 

^.Exsorge  Domine",  die  Balle  571. 

Fanda  nnd  Fondaco  617. 

Genf  z.  Zeit  Cal?in*s  381. 
Germanische  heidnische  Wasserweihe  555. 
Grammatik  der  Ürihüis  (WQ  a.  Sappl. -Heft. 
Griechische  Künstlergeschichte  435. 

Homerts  Ilias  221. 

Homer  and  die  Partikel  TE  25. 

Habertus-Ritter-Orden  166. 

Jerusalem  Reisen  nach  23, 
luliker  Pileus  der  487. 


642 


SachfBtifitUr, 


Kalcnderetreit  im  16.  Jahrhundert  432. 
Karl  V.  628. 

Kirche  mid  Statt  in  Genf  381. 
Künitlergwebiehte  griechiiehe  485. 

Latin itiit  arriktnitehe  881. 

Leo's  X.  Balle  gegen  Luther  571. 

Latwin^s  Adam  and  £va  598. 

Mattliias  Kaiser  24. 
Menander  166. 

Hereanti,  Gonsoli  dei  in  Venedig  570. 

PUflitgia  in  temm  noetam  28. 

Panlinns  Nolanns  1. 
Phonix-Periode  14.>. 
Pileas  der  altm  Italiker  487. 
Poeci  Franeeeco  III. 

Residenten  bayrische  üi  Rom  330. 
Rudolph  II.  24. 

SpmchverMb  nrbinatiaehe  Sammlang  166. 

TE  die  Partikel  bei  Homer  25. 
Troiache  Miscollen  167. 

Union,  zar  Geschichte  der  24. 

ürbioatiaehe  Sammlang  Ton  Sjurocbfersen  166. 

Tenedig,  die  Consoli  dei  Mercanti  570. 
VerBc-Wiederholongen  in  der  Iliaa  221. 

Waldensia  rj^r). 

Wasserweihe  des  germanischen  Heidentbums  555. 
Westenrieder's  Nachlass  028. 
Wittelsbacb,  daa  Haas  4:i3. 


Namen-Register. 


Bronn  167.  435. 
Borsian  1« 

V.  Christ  25.  221. 
Cornelioa  381. 

T.  HölUnger  144  438. 
T.  Druffel  571.  828. 

Fichte  H.  J.  (Nekrolog)  149L 
FSiinger  (Nekzolof  )  158. 
Fennrt  (Wahl)  434. 
Friedrich  III  (WaU)  483. 

T.  Giesebrecht  156. 
GregoroTioB  24.  330. 

Helbig  487. 
Heyd  617. 
Hofinann  508. 

Kirohhdr  (Wahl)  488. 
T.  Khiekhohn  828. 
KQhler  (WaU)  434. 

I«nth  143. 
T.  L5ber  77. 

Maurer  555. 
Hajer  Alphooi  655. 


644 


Meyer  Wilh.  166.  598. 
Moll  (Nekrolog)  163. 
Mordtmann  (Nekrolog)  154. 

T.  Prantl  144. 

Ritter  Moriz  24. 

Schömann  (Nekrolog)  144. 
Semper  (Nekrolog)  147. 
Signrdeeoii  (Nekrolog)  152, 
Spaeh  (Nekrolog)  159. 
Stiefe  432. 
Stabbi  (WaU)  434. 

Thomu  23.  570. 

Trampp  616  n.  Soppl.rHeft 

Ungar  273. 

Wölfflin  381. 
Würdinger  166. 


^migsberichte 

der 


.iscb-philologischen  und 
Historischen  Classe 

der 

k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  M!ünchen. 


1880.  (Supplement-)  Heft  VI. 


M  fl  n  c  h  e  n. 

Ak«deniuchc  Bacbdrackerei  von  F.  Straub. 

1880. 

In  CommUtioD  bei  O.  FrAos. 


i 


Sitzungsberichte 

der 

kOnigl  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Phflosopliisch-philologische  Classe. 


SitiQBg  fom  4.  December  1880. 


Herr  Trumpp  legte  vor: 

MOrammatische  Unt ersnehnngen  Aber  die 
Spracbe  der  Brahüie/^ 

Die  Sprache  der  Brahuis  hat  die  Aufmerksamkeit  der 
Gelehrten  auf  sich  gezogen  seit  zum  erstenmale  Leech  im 
Jahre  1838  einen  kleinen  Abriss  einer  brahüi  Grammatik 
mit  einem  kleinen  WörterTerzeichnias,  einigen  Gesprächen 
nnd  Enahlongeo  Teröffentlichte.^)  Lassen  hat  im  V.  Bande 
der  Zeiteehrift  fBr  die  Kunde  des  Morgenlandes  die  Arbeit 
Ton  Leecb  einer  grflndlieben  üniersnebong  nntenogen  nnd 
naeh  einer  tebarfen  Analyse  den  Ghanieter  der  Spraebe  als 
drävi(|isch  bezeichnet.  Diiä  ihm  zu  Gebote  stehende  Material 
war  aber  so  spärlich  und  zum  Theil  so  unrichtig  (auch 
durch  grobe  Druckfehler  entstellt) ,  dass  er  Über  gewisse 
Allgemeinheiten  nicht  hinanagehen  konnte;  die  Spracbformen 
liessen  sich  mehr  ahnen  als  sicher  feststellen,  und  desshalb 
wurde  andi  die  dassification  dieser  Sprache  unter  die  dra- 
▼idiseben  Idiome  des  sSdlieben  Indiens  yielfiusb  angesweiftlt 

1)  Wir  citiren  im  Folgenden  den  SepaniUbdnick  aas  dem  Journal 
der  Aiiatic  Sodety,  CUoatta  (&.  C.  Lepsge  vl  Co.)  1849,  der  I&r  aich 

paginirt  Ut 

[1880. 1.  PhU.-phiL  GL  Bd.  1 6.]  1 


Oigitized  by  Google 


2       SUzung  der  phüos.-pliHol.  Gasse  vom  4.  Deeemh^  1880. 

Die  Abhaadlang  toh  Felioe  Finri  im  Bollefctino  della  sodetä 

geografica  italiana,  faseioolo  5°  (Jani  1870)  ist  kaum  der 
Erwähuimg  werth ,  da  er  nur  Leech  ausgeschrieben  hat. 
Seine  Vergleichungeu  sind  viel  zu  oberflächlich  um  einen 
Werth  zu  haben  und  seine  eigenen  Zusäze  meistens  falsch. 
So  blieb  die  Sachlage,  bis  im  Jahre  1874  Dr.  Bellew  in  seinem 
Reisebericht  ,,From  the  Indoe  to  the  Tigrie^^  (LondoD, 
Trfibner  n.  Oo.)  als  Appendix  dne  kleine  hrsblli  Grammatik 
nebet  WSrterrerxeiehniss  reröffentUchte.  Dr.  Bellew  war 
mit  der  euglischen  Mission  im  Jahre  1872  durch  Balüfcistäu*) 
gezogen  und  hatte  dabei  die  Gegenden  durchschnitten,  die 
hauptsächlich  von  Brähüis  bewohnt  sind,  was  ihm  als  Arzt 
vielfache  Gelegenheit  bot,  mit  dem  Volke  in  nähere  Berflhr- 
nng  an  konunen.  £•  ist  ihm  anm  groam  Yerdienete  annt- 
rechnen,  daaa  er  dabei  aneb  der  Sprache  des  Volkes  so  viel 
Anfmerksamkeit  geschenkt  nnd  sich  diesbezügliche  Notixen 
gemacht  hat.  So  willkommen  aber  auch  dieser  Beitrag  rar 
Kenntniss  der  Sprache  der  Brähüis  ist,  so  müssen  wir  doch 
coustatireu,  dass  dadurch  kein  wesentlicher  Fortschritt  er- 
zielt worden  ist;  er  ist  nicht  in  den  Character  der  Sprache 
eingedrungen  nnd  hat  yieles  unrichtig  daigestellt,  weil  es 
ihm  nicht  Terstandlich  war;  aneh  hat  er  sich  sn  viel  nach 
Leech  gerichtet  nnd  die  Missfentftndnisse  desselben  Mters 
wMerholt 

Im  Jahre  1877  erschien  in  Karatschi  ^^^^dbook  of 
the  Biruhi  Language  hj  Moulvie  Alla  Bux*',  den  wir,  weil 
er  seinen  Namen  (ijkü,  aJüt)  tkuf  diese  Weise  anglisirte, 
auch  Ibrner  so  benennen  wollen.  Seine  Grammatik  nmftsst 
zwar  nur  89  Seiten,  aber  sie  zeigt  in  dem,  was  sie  gibt,  einen 
wesentlichen  Fortschritt,  da  sie  mit  Hilfe  Yon  eingeborenen 


1)  Mftn  findet  auch  Balüö,  BalQdutSn  etc.  geschrieben;  diei  ist  die 
indinche  Ansspracbe  (die  Sindbis  sprechen  BarSö,  mit  Uebergaaf  itflk 
*!'  io  'r'),  dio  Eingeborenen  selbst  epreehen  BtSS/b,  BalfitittSa. 


Digitized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Uniersuchungen  über  das  Brahüi.  3 


Brahüis,  deren  immer  eine  grosse  Zahl  in  Karatschi  anzu- 
treffen ist,  ausgearbeitet  wurde.  Sie  enthält  nur  den  aller- 
nothigsten  Umriss  der  grammatischen  Formen  und  ist  in 
vielen  Poncten  selir  mangelhaft,  aber  neben  einem  sehr 
weribyoUen  Yeraeichniss  der  wiehügsken  nnregebnSangen 
Zeitwörter  (deren  Bichtigkeit  loh  erprobt  gefunden  habe) 
gibt  sie  anf  63  Seiten  brllhQI  Gespräche  mit  gegenfiber- 
stehender  englischer  Uebersezung  und  auf  22  Seiten  brähüi 
Erzählungen,  ebenfalls  mit  englischer  Uebersezung,  woraus 
dnrch  ein  eingebendes  Studium  die  Grammatik  wesentlich 
ergänzt  und  erweitert  werden  kann.  Ich  habe  in  der  nach- 
folgenden Abhandlung  diese  Gesirftehe  mid  ErB&hlnngen 
▼iel&eh  als  Belege  dtirt,  weil  sie  (abgesehen  Ton  mannig- 
fiuihen  Dmckfehlem)  snreriässig  sind. 

Box  hat  in  seinem  Buche  zam  erstenmale  die  hindü- 
stani  Charactere  auf  das  Br3hüi  angewendet,  was  nicht  nur 
die  exacte  Schreibweise  der  Consonanten  feststellt,  die  bis 
jetzt  ans  Leech  und  Bellew's  Arbeiten  nicht  recht  ersicht- 
lich war,  sondern  anch  den  BrahOis  sdbst  die  Möglichkeit 
an  die  Hand  gibt,  ihre  eigene  Sprache  nach  nnd  nach 
schreiben  ini  lernen.  Das  hindastSid  Alphabet  passt  Tor* 
trefiTIich  f&r  das  BridiQl,  da  es  Zeichen  fiSr  alle  Cerebralen 
enthält,  die  in  dieser  Sprache  ebenfalls  vorkommen,  und  da 
die  Brahüis  alle  den  LslSm  angenommen  haben,  so  kann 
ihnen  nur  dieses  Alphabet  dargeboten  werden,  obschon  es 
anf  der  andern  Seite  seine  bedeutenden  Mängel  hat,  weil 
die  Vocalbeseichnang  darin  schwierig  and  bis  auf  einen  ge- 
wissen Grad  nnmöglieh  ist,  was  indessen  fBr  die  Eingebomen 
selbst,  die  ohnehin  die  richtige  vocaltsche  Aassprache  eines 
jeden  Wortes  wissen,  nicht  so  sehr  ins  Gewicht  fallt.  Ich 
habe  die  Mängel  des  von  Bux  aufgestellten  Alphabets  in 
dieser  Abhandlung  zu  ergänzen  versucht  und  für  das  finale 
V  bei  den  Verben  die  Schreibweise  mit  &  (sr.)  Torgeschlagen; 
wo  es  nöthig  ist     Ton  *ö'  and  Y  von  V  an  onterscheiden, 


4        SUMimg  der  |Mw.-{ifttlbl.  Ctoüe  vom  4,  Dectwber  ISSO* 

habe  ich  diatelben  Zeichen  (i.  e.  ^  »  0  und  ^  ^  s  e)  einge- 
führt, wie  in  meiner  Sindhi  Grammatik,  obgleich  in  Drucken 
für  Eingeborne  dieselben  wohl  entbehrt  werden  können. 
Im  Jahre  1877  erschien  in  Karatschi  auch  ein  brähöi  Leae- 
buchf  ebenfalls  mii  hindüstäni  Leitern  gedruckt,  unter  dem 
Titel:  „Meaneeete.,  a  compilation  of  eztraots  fromNapier*s 
oonqneat  of  Sobde,  Giant  Daff*8  Mahratta  Historj  ete.  etc^ 
translated  into  ihe  Biroohi  Language,  hj  Captain  M. 
Nicolson." 

Dieses  Lesebuch ,  dessen  Titel  nicht  unrichtiger  hatte 
angegeben  werden  können  (denn  die  erwähnten  Stücke  sind 
die  wenigsten  und  kürzesten  des  Buches),  wurde  von  Nicolson 
unter  Assistens  von  brfthQi  Soldaten  des  ersten  und  sweiten 
Bal&5  Regiments  angefertigt  und  enthält  üeherseEongen  ans 
dem  Engiisehen.  Er  Tersiehert,  dass  diese  Uebersesungen 
einem  Comite  von  eingebornen  Brähüis  vorgelegt  wurden 
und  dass  das,  was  sie  nicht  verstehen  konnten,  geändert 
wurde,  bis  ihre  Kückübersezung  ins  Hindüstani  dem  engli* 
sehen  Texte  entsprach.  Darin  also  liegt  der  Werth  dieser 
brShöi  Texte,  dass  wir  uns  mit  Sicherheit  darauf  Ter  lassen 
können,  dass  wir  darinnen  einen  idiomatisohen  Ausdru^ 
der  Spraehe  vor  uns  h&ben.  Leider  ist  dem  Lesebuch  kein 
Wörterbuch  beigefugt,  sondern  nur  die  englischen  Texte, 
so  dass  der  Leser  sich  eben  hindurch  wenden  mnss,  so  gut 
er  kann.  Unser  allernächstes  Bedürfniss  für  diese  Sprache 
wäre  daher  ein  Wörterbuch^),  da  ohue  ein  solches  kein 
weiterer  Fortschritt  gemacht  werden  kann. 

Auf  das  angeführte  llaterial,  das  ich  durchforschte  und 
gegenseitig  verglieh  und  besonders  auf  die  brfihul  Texte  von 
Bux  und  Nicolson  habe  ich  die  nachstehenden  grammatischen 


1)  Die  vorhandenen  Wörterverzeichnisse,  von  denen  das  von  dem 
Reisenden  Masson  gemachte  das  bette  ist,  könnten  hieia  wohl  ver- 
wendet werden. 


Digitized  by  Google 


Trump)):  Gramm.  Unter sudhungen  über  da^  Brähfti.  5 

Untersuchongen  gebaut  und  ich  hofie,  dass  es  mir  gelangen 
sein  möge  durch  V^rgleichung  des  Brahüi  auf  der  einen 
Seite  mit  den  drävi^ischen  Idiomen  und  auf  der  andern 
mit  seinen  beiden  Nachbarsprachen ,  dem  Ba1ii6!  und  dem 
Sindhi,  seinen  grammatischen  Bau  sowie  seine  sprachliche 
Stellung  näher  zu  begründen.  Diese  Untersuchungen  können 
bei  dem  so  spärlich  noch  vorliegenden  Material  keinen 
Ansprach  auf  Vollständigkeit  erheben,  sondern  wollen  nur 
ein  Fingerzeig  für  andere  sein,  die  Gelegenheit  haben  werden 
das  Brähüi  in  Indien  weiter  zu  verfolgen.  Dass  das  Brähüi 
eine  dr3vi()i8che  Sprache  ist.  kann  nach  meiner  nan- 
raehrigen  Üeberzeugung  nicht  mehr  bezweifelt  werden.  Ich 
glaubte  früher  selbst,  dass  es  mehr  zu  den  kölärischeu 
Sprachen  hinneige,  nach  eingehenderen  Untersuchungen 
jedoch  habe  ich  gefunden,  dass  dies  nicht  der  Fall  ist,  da 
dem  Brähüi  die  Dualbildung,  welche  ein  characteristisches 
Zeichen  der  kölärischen  Familie  ist,  ganz  fremd  ist. 

Dass  das  Brühüi  in  manchen  Puncten  von  den  süd- 
lichen drävi(^ischen  Idiomen  abweicht  und  seinen  eigenen 
Weg  eingeschlagen  hat,  ist  bei  seiner  jahrtausendelangen 
Trennung  von  diesen  Sprachen  nicht  zu  verwundern,  es  ist 
im  Gegentheil  höchst  merkwürdig,  dass  es,  obschon  gänz- 
lich isolirt  von  seinen  Schwestersprachen  und  ohne  alle 
Literatur,  seinen  sprachlichen  Typus  fast  ganz  unversehrt 
festgehalten  hat.  Von  den  beiden  es  umgebenden  Sprachen 
bat  nur  das  Balüöl  einigen  Einfluss  auf  seinen  grammatischen 
Bau  ausgeübt,  wie  ich  es  da  und  dort  im  Laufe  dieser 
Untersuchung  bemerken  werde,  aber  vielleicht  lassen  sich  auch 
diese  Formen  noch  anders  erklären.  Von  der  östlichen 
Jat-sprache  hat  das  Brähüi  zwar  viele  Worte  geborgt,  aber 
seine  grammatische  Formenbildung  nicht  afficiren  lassen. 

Ueber  die  ältere  Geschichte  dieses  so  lange  unbeachteten 
und  verborgenen  Volkes  wissen  wir  so  viel  wie  nichts. 
Nach  dem  drävicj Ischen  Character  seiner   Sprache  ist  zu 


6       SUiUMg  der  phSht.'plUM,  CUuse  vom  4,  Deeember  1880. 

sehliesaen,  dtm  es  bei  dem  Yordriogen  der  Äiier  im  Indus» 
laad  Ton  seinen  Wohnsizen,  die  wahrscheinlioh  im  nnteren 
Indneihsl  lagen,  Tertrieben  and  in  die  nnwirthlichen  und 

rauhen  Gebirge  des  mittleren  Balüöistrins  gedrängt  worden 
ist,  wo  es  sich  auch  gegen  die  vom  Westen  her  später  ein- 
dringenden Balö&eu,  die  ein  alter  persischer  Nomadenstamm 
sind,  bis  anf  unsere  Tage  gehalten  hat.  Troz  ihrer  hoch- 
gelegenen Wohnsise  und  des  dort  herrschenden  kalten  Climas 
habtti  die  BrahiUs,  die  nicht  ausser  ihrem  Xel  ( Ju^,  Stamm) 
zn  heirathen  pflegen,  ihre  dunkle  Hantfarbe,  die  sie  von 
den  Balüien  und  Jats  auf  den  ersten  Blick  unterscheidet, 
nicht  verloren.  Ich  habe  in  Sindh  viele  Brähüis  gesehen, 
die  fast  alle  denselben  Typus  hatten:  olivenbraone  Farbe, 
eehmaehtige,  mittlere  Stator,  schwanen  aber  dflnnen  Bart; 
ihre  Gesichtssflge  hatten  niehts  tfitsrisches  an  sich,  sondern 
glichen  Tollstlndig  denen  der  cancasisohen  Rasse.  Der 
Gharacter  der  BrShflis  wird  nicht  nar  yon  Pottinger  sondern 
auch  von  den  neuesten  Reisenden  vortheilhafter  geschildert 
als  der  ihrer  räuberischen  Nachbarn,  der  Balüfien.  Sie  sind 
Hirten  und  leben  von  dem  Ertrag  ihrer  Heerden,  dabei  sind 
sie  im  allgemeinen  ruhig,  gesellig  nnd  gastfrei;  einen  schönen 
Zng  Ton  der  Dankbarkeit  eines  verwundeten  hrshiii  Reiters 
en&hli  Bellew  in  sanom  ReiNbericht. 

Die  BrShuls  sind  in  Tiele  Siämme  xerfallen  in  Folge 
der  Abgeschlossenheit  ihrer  schwer  zugänglichen  Wohnsize 
ira  Hochland ,  die  sie  nur  im  Winter  zu  verlassen  pflegen, 
um  sich  und  ihre  Heerden  auf  der  Ebene  gegen  die  Strenge 
der  Kälte  zu  sohüaen.  In  grosseren  compacten  TümSns 
oder  Zeltdörfem  wohnen  sie  nur  in  den  P^oTinsen  SarSvEn 
und  JalSTfin,  und  im  Südwesten  bis  naoh  E€6')  inlfakrln; 
die  heissen  Ebenen  scheinen  sie  su  meiden,  ^e  desshalh 
meistens  in  den  Händen  der  Balü6en  sind. 


1)  Man  findet  beide  Schreibweisen 


Digitized  by  Google 


Drumpp:  Ormnm.  üntentukunge»  über  da»  BrahOf.  7 

Die  Brfihüfi  behaupten  die  üreinwoliner  des  Landes  zA' 
sein  nnd  sie  werden  wohl  darin  so  nemtieh  Reoht  haben.  Die 
Peraer  aber  sind  nach  allen  Anseiehen  schon  frühe  Ton 

Sistän  her  in  Balücistan  eingedmugea  und  haben  das  cul- 
tivirbare  Land  an  sich  gerissen :  denn  im  mittleren  und 
westlichen  Theil  des  Chanäts  von  Qalät  sind  die  acker- 
banende  Bevölkerung  bis  auf  diesen  Tag  die  Täjiks,  die 
Persisch  als  ihre  Muttersprache  reden.  Im  Südosten  des 
CbanSts,  in  der  Proyins  Las,  sowie  in  dem  FUchland  gegen 
den  Indus  hin  nnd  fast  in  der  ganzen  ProTinx  Ka2£h  Ghut- 
däTS  haben  sich  die  Ja(s  feetgesest,  die  die  Jat  Id  gäli,  oder 
Jat-sprache,  einen  Dialect  des  Sindhi,  reden.  Die  BalüSen 
von  Südwesten  her  sind  die  lezten  Eindringlinge  gewesen, 
die,  da  sie  die  Brähüis  aus  ihren  Gebirgsschluchten  nicht 
yerdrängen  konnten ,  sich  theilweise  gegen  den  Nordosten 
des  Landes  wandten  and  die  Grenzgebiete  zwischen  Sindh 
nnd  KMh  GandSTS  beeezten,  Ton  wo  ans  sie  später  unter 
den  Tslpnis  in  Sindh  eindrangen  nnd  die  besten  L&ndereien 
an  sidi  rissen. 

Die  Brflhnfs  treten  in  der  Geschichte  erst  gegen  das 
Bnde  des  siebenzehnteu  Jahrhunderts  unserer  Aera  auf,  als 
Kambar*),  der  Häuptling  des  Mirväri  Stammes  den  damaligen 
Jat  Räjä  von  Qalat  vertrieb  und  die  Herrschaft  an  sich  riss. 
Seit  jener  Zeit  bat  dieoe  brahfii  Dynastie  in  Qalät  regiert 
nnd  die  so  Terschiedenen  nationalen  Elemente  schlössen  sich 
durch  das  gemeinsanie  Band  des  bUhn  nnd  des  politisohen 
Interesses  inuner  mehr  zu  einem  staatlichen  Ganzen  zu- 
sammen»  obschon  das  Land  noch  oft  genug  durch  die  Be- 


1)  Dass  die  Eambaräni  Faroilie  sich  jest  einen  arabischen  Ursprung 
snschreibt,  wie  Balls«  p.  81  bsilchtit»  hsl  astllriish  iiiebli  ss  bedeatan. 
Alleioklis  StliDni^  die  oiehti  SMlir  ftber  ihrmi  Ursprung  wIsnd,  SQdiea 
sMi*  tsiimi  ds  MihsairaadtBer  siad,  «Iimb  StMBmbiMiai  im  Qiir*in  odsr 
natar  daa  aHaa  Anbani  saf  sla  dangess  aoUUs mt'  «^jrr«'«  8o  «oUea  die 
AfghlstB  m  Nttmaad  gsringarasi  als  dam  EBnig  TOut  (Seal)  abstemnaD! 


Oigitized  b^oogiS^ 


8        SiUtung  der  phUos.-pkiM,  OUuse  wm  4.  DeoemUttf  iSSO. 

bellion  einzelner  Häaptlinge  in  Verwirrung  gebracht  wurde. 
Sonderbar  ist  es,  daas  obicfaon  die  Herraehaft  jeit  in  der 
Hand  einer  biihQi  Dynastie  ist,  doch  am  Hofe  von  Qalftt 
nur  BalÜ^  oder  Perrieoh  gesprochen  wird,  da  BrflhQi  als 

roh  und  bäuerisch  gilt. 

Was  den  National namen  Brfihüi  selbst  betriflPt,  so 
finden  wir  ihn  verschieden  gesprochen.  Bux  und  Nicolson 
schreiben  ihn  Birohi  (i,  e  Biroohi,  Biroohi);  es  ist  aber 

dabei  nicht  an  nbersehen,   daas  Birohi   (f^f^ift)  ^ 

Sindhl  Benennung  ist  und  über  die  nationale  Aussprache 
des  Namens  daher  nichts  aussagt.  In  Nicolson's  Lesebuch 
kommt  der  Name  zweimal  yor,  wo  er  jedesmal 

gesdirieben  ist,  was  nor  brahö!  (oder  nach  ÜmsUlnden 
birShGi)  gelesen  werden  kann  ond  welches  daher  als  die 

nationale  Aussprache  des  Eigennamens  zo  betrachten  ist; 

s.  B.  Nicolson,  Qalat,  p.  1,  L.  6  y.  o.  heisst  es:  (j  ^yt^yf 

^Ixa^  v5^^^  ü^y^  *^^^***??  ^  y^^*^  \;^'-*r^^'^y*' 

jlji  vji^y.  tt^ie  meisten  von  den  Häuptlingen  der  Bräbüis, 

die  ihn  nicht  mochten,  entthronten  ihn*^;  ibid.  p.  6,  L.  4: 

«sU  ^yySjM^  l^y^;r>  1*1;^  ««diese  Heinith  war  dem 
Gbbranehe  der  Brahüls  gemäss." 

Für  den  Namen  der  Sprache  findet  man  neben  Brähüi*) 
auch  hie  ond  da  KnrdgSli  gebraocht,  d.  h.  Sprache  der  Kurds. 
Diese  sind  ein  saemlich  sahhneicher  br&hfii  Stamm  mit  Tielen 
Unterabtbeilongen,  die  im  Norden  des  GhanSts  Ton  Qalflt 
bis  an  die  Dait-i-blnlaalah  (die  onselige  Wllsto)  herom- 


1)  Dm  Wort  BrfblUkl,  das  Leeeh  gebraeht,  ist  «ins  Ja^ono  = 
biShliiki  gaii,  die  bilhlll  Spiaefae.  Ifta  IM  gewSholicb  gili  w«f  aad 
Mrt  daa  A^jaetiT  in  daa  Feninlaam.  8o  bOrt  naa  gani  aUgaaMÜa 
aiifiki  (die  Sprach«  van  Ober-ffiadh)  UrC  (dia  Spiaaba  tob  UDler-8indli), 
baiMU  odar  bal<M9d  (dia  Spiaeha  dar  Bamtea). 


Oigitized  by 


Dumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahfn.  9 


ziehen.  Die  Benennung  Knrdgäli  stammt  von  den  angrenz- 
enden Jats  her  und  ist  keine  bnihüi  Bildung.  Troz  der  Zer- 
splitterung des  brähüi  Volkes  in  so  viele  Stämme  und  ünter- 
stämme  und  ihrer  primitiven  Unwissenheit  hat  sich  doch 
die  Sprache  als  die  geistige  Macht  erwiesen,  die  dasBewusst- 
sein  der  nationalen  Znsammengehörigkeit  unter  ihnen  bis  auf 
diesen  Tag  aufrecht  erhielt,  und  für  uns  als  das  einzige  Mittel, 
in  Ermangelung  aller  historischen  Ueberliefemngen ,  ihnen 
den  ihnen  gebührenden  Plaz  in  der  grossen  Völkerfamilie 
anzuweisen. 


§  1. 

Das  Lautsystem. 

Die  Vocale,  denen  wir  im  Brnhüi  begegnet  sind,  sind 
folgende:  a,  ä;  i»  i;  u,  ü. 

e,  e;  o,  ö. 
ai  au. 

*e*  kommt  besonders  häufig  am  Ende  einas  Wortes  vor, 
wo  es  oft  nur  durch  Hanizah  angedeutet  ist,  manchmal  aber 
ist  es  auch  durch  auagedrückt,  aber  nichts  destoweniger 
kurz.  Auch  'o*  scheint  dem  Bräh fn  eigenthümlich  zu  sein, 
obschon  es  in  vielen  Fällen ,  wie  wir  in  der  Formenlehre 
zeigen  werden,  nur  eine  verschiedene  Aussprache  von  *u*  ist, 
wenn  wir  der  überlieferten  Aussprache  trauen  dürfen. 

Die  beiden  Diphthongen  *ai*  und  'au*  kommen  häufig  vor, 
hauptsächlich  aber  in  Fremdwörtern  ,  das  Brähüi  selbst 
scheint  sie  zu  vermeiden  und  dafür  lieber  *e*  und  zu  sezen, 
die  in  der  hindüstäni  Schreibweise  nicht  näher  beezeichnet 
werden ;  *r**  und  *ö*  aber  drücken  wir  durch      y  (-j-)  und  J 

aus ,  wo  es  nöthig  ist  ,  um  wenigstens  dem  Europäer 
oder  Fremden  einen  Wink  in  Betreff  der  Aussprache  zu 
geben,  für  Eiugeborne  sind  diese  Zeichen  nicht  noth wendig. 


10      SUiwtg  der  phOos.'phM.  Ctasic  wm  4.  Jkeember  ItidO, 


Das  Gonaonantensyatvi^  ist  folgendes: 


CrlltiurAlp  • 

^  «1  g  y. 

r AlAfillp  * 
*  BiaMllC  • 

* 

Gerebrale: 

tili 

^  4, 

_  _ 

) 

Dentale: 

t, 

^  d, 

-i»*>  dh. 

Labiale: 

V  P» 

O  f. 

Sibilanten: 

LT  *» 

Nasale : 

HalbTocale: 

Haochlant: 

s  h. 

Dasa  kommeu  uoch  die  speciell  arabischen  Laute,  die 
jedoch  nnr  in  Fremdwörtern  gebraucht  werden,  ^  ^  (jedoch 

=  8  gesprochen),  ^  h),  ^  6       z),  )      ^  s  (=  s), 

t|4  Jö  i  (=»  t),  Jb  d  (=  z),  g  j  (wird  übergangen), 

Das  Brähni  hat  also,  wie  der  erste  Blick  zeigt,  Cere- 
brallaute,  nur  fehlt  dabei  ein  cerebrales  ftir  sich  stehendes 
9,  wenigstens  habe  ich  es  bisher  noch  nicht  Riulen  können. 
J  f  ist,  wie  im  Sindhi  und  Hindi,  nnr  eine  Modificatidn  Ton 

o  4  luid  wechselt  daher  oft  mit  demselben. 

Am  auffalleudsten  aber  muss  es  ans  erscheinen ,  dass 
das  BrShni  durch  alle  Vaiigas  hindorch  dieselben  Aspirata 
aufweist,  wie  die  indo-Srischen  Sprachen,  so  dass  es  mit 
diesen  au6  innigste  verbunden  au  sein  scheint,  wihrend 

die  dravidischen  Sprachen  des  Südens  ihrem  Grund typus 
nach  der  Aspiration  auf  eine  characteristiache  Weise  ent- 
behren.   Nichtsdestoweniger  scheint  mir  die  Aspiration  der 


Digitized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahfa.  11 

Consonanten  von  Anfang  an  im  Bnlhüi  vorhanden  gewesen 
zu  sein,  wenn  auch  sehr  viele  Wörter  mit  einem  aspirirten 
Consonanten  sich  auf  einen  sindhi  Ursprung  zurückführen 
lassen,  z.  B.  JoJll^  ihan^ing,  schütteln,  Sindhi 

dhagi,  Kuh,  Sindhi  <5*P,  ^^<^  fchökari,  Sklavin, 
Sindhi  ^cf^Q.  ^^^^  köthi,  Zimmer,  Kammer,  Sindh! 
cJJ^^  ^  r4^^  maöhar,  Musquito,  Sindhi  waJL^' 
thamb,  Säule,  Sindhi  ^TH.  ^y^^  gothri,  Sack,  Sindh 

*\\  HmO'  etc.  Bei  andern  Wörtern  scheint  mir  die  Aspi- 
ration mehr  oder  minder  unsicher  zu  sein;  so  finde  ich 
wiederholt  ^jJl^  thäs,  Becher,  geschrieben,  während  es  mit 
dem  arab  -pers.  identisch  ist.    In  andern  dagegen  hat 

das  Brrihüi  eine  Aspiration  eintreten  lassen,  wo  das  Sindhi 
keine  zeigt,  z,  B.  ^^^»^khöpri,  Schädel  (nach  Bellew's 

Gramm,  p.  484),  Sindhi  cfi^fni),  phicj,  5auch,  Sindhi 

^7  .  JUL  phulö,  Nasenrincr  (Bellew,  Gr.  p.  485),  Sindhi 

«r^?t?  -ff  JJ  li^l^»  Dung  (Bellew  schreibt  nur  lidh,  Gr.  p.  485), 

CS 

Sindhi  JL^*  thal,  Ast,  Sindhi  khör, 

blind,  Pers.  ^y-^  thöp,  eine  Art  Hut,  Sindhi  Ttj* 

In  andern  Wörtern  hinwiederum  zeigt  sich  eine  aspirirte 
und  nicht  aspirirte  Aussprache,   z.  B.  bhaz  und  ^(j 

bäz  (Balüöi)  viel,  köut  (nach  Bellew,  Gr.  p.  485)  und 
tty^^  ^<^^  Teppich  (Bux  Gr.  p.  TT).    Da  auch  in  vielen  acht 

brähüi  Wörtern  die  Aspiration  sich  vorfindet,  wie  z.  B.  ^^tX^ 

phudön,  kalt,  ^ö<^  phudi.  Kälte,  etc.,  so  kann  sie  kaum 

erst  später  in  die  Sprache  eingedrungen  sein. 

Im  einzelnen  ist  noch  folgendes  zu  bemerken :  ^  x>  ^^'^ 


12      SUzuttg  der  philos.-phUol.  Ciatat  wm  4.  Decemb&r  tSSO. 

sieh  in  den  flrftvi^iiehen  Sprachen  nicht  findet,  ist  dem 
BrShüi  eigenthfimlich  und  in  Sehten  brshfl!  Wörter  ans  V 

erweicht,  x.  B.        xü^,  Ange,  Tamil  kan,       x^,  Stein, 

Tamil  kal ;    .  findet  sich  in  vielen  br.  Verben,  wie  jCoUk. 

c  » 

XSÖing,  sich  niederlegen,  jCJL^  X^lutg«  schlagen  etc.  In 
Worten,  die  ans  dem  Arab.-Penischen  geborgt  sind,  .wird 
es  unverändert  beibehalten. 

^  ist  ebenfalls  ein  dem  Brähüi  eigenthömlicher  Laut. 

Wir  finden  es  in  Wörtern  wie  ^jLü  banda^,  ein  Mann  =Pers. 
sJüL»  WO  es,  nach  der  Pablavi  Form  (JjuU  za  schliessen, 
ans  nnpröngUchem  'k'  in  die  rauhere  Anssprache  von  y 
übergegangen  sein  mnss  (im  Balüftl  finden  wir  in  diesen 
F&Uen  noch  emen  steten  Wechsel  von  finalem  'ah*  nnd 
*ag'),  ebenso  in  ^Js^(>  dlda^^,  die  Pnpille;  aber  anch  in 

ächten  br.  Worten,  wie       ia^y^  Brot,        pSraj^,  Seite, 

Richtung ,  ^  tn/,  Traum ,  küpa/,  Schulter , 

hüray,  Donner.  Fast  ebenso  hftnfig  in  der  Mitte  eines 
Wortes,  wie        za/m,  Schwert  (Balüii  zaham),  ^j^y» 

niur/un,  lang,  yJo  balyar,  Schwiegermutter,  ^Lcö  <jÄ/är, 

Boden,  Land,  ^Xi^fljj^  dajang,  legen,  stellen. 

£  wird  auch ,  ähnlich  wie  im  Persischen ,  dazu  ver- 
wendet, um  den  Hiatus  zwischen  zwei  Vocalen  zu  ver- 
meiden, wie  wir  dies  bei  der  Declination  sehen  werden. 

Die  Palatahreihe  ist  Tollstiindig  Ycrtreten  nnd  nach  der 
bekannten  Weise  sn  sprechen;  jfh  fehlt  keineswegs,  wie 

Lassen  vermutbete,  z.  B.  jhamar,  Wolke,  obschou  jh 

sehr  häufig  auf  indischen  Ursprung  hinweist,  z.  B. 
samajh,  Ansicht,  Yerständniss. 


Digitized  by  Google 


IVumpp:  Oramm.  Untersuchungen  Über  das  Bräh^.  18 

Bd  den  CSerebralen  ist  »  r  echoii  ganz  eingebnrgert, 

s.  B.  »j|  v^^  Sohweeter«         girS,  eine  Sache,  JCl»^ 

harsing,  sich  bewegen,  wenden.  £fl  ist  sehr  häufig  in 
Worten,  die  ans  dem  Sindld  berfibergencnnmeii  fluid ,  wie 
y^kukai^  Hnbn,  Sindbl  ^^f^,  (^.^aje  b^JirS,  irgend 


etwas  (Pers.  ^^j^  mit  dem  Sindhi  Oeminutivaffiz  iS), 

rv  '*  * 

öiii,  Schuh,  Sindhi  ^f^f^Bf^.    Wegen  seiner 


niü 

nreprOnglichen  Identität  mit  4  kann  r  anoh  aepinrt  werden, 
wie  ^J^^  rö?^»  Kalb- 

Was  die  Labialclasse  betrifft,  so  ist  der  Laut  o  ^  dem 
Brähnl  eigenthfimlich,  während  ihn  die  diflTidischen  Sprachen 
nicht  kennen,  s.  B.  jCüye  harafing,  fragen,  tXxiS  tafing, 

binden.  Wir  werden  später  sehen,  dass  auch  das  Causati- 
viim  durch  Anhängung  von  o  den  Stamm  gebildet 
wird;  beim  Verbum  negativum  wechselt       mit  nach 

gewiesen  Lantgeseaen.  In  Wörtern»  die  aas  dem  Permschen 
genommen  sind,  ist  kJ  hie  nnd  da  ans  V  entstanden,  wie 

jis  Axt,  Pers.         ürsprflngliches  vi  wird  aber  aneh  im 

Brähüi  hie  und  da  in  verwandelt,  wie  JuJLj  pilpil  ^ 
JüUU  Pfeffer. 

Unter  den  Sibihmten  ist  der  Lant  ^  z  (wie  das  «ng^ 
lische  z  gesprochen)  zn  beaehten,  der  sich  nicht  nnr  in 

vielen  geborgten,  sondern  auch  in  ächten  brahüi  Wörtern 
findet,  z,  B,       bhaa(Bal.),  viel,      zU,  Nagel  (der  Hand  etc.), 

5^  pnzah,  Haar,  yjo-^  xazmü,  Gazelle,         zayam,  Schwert, 
phazor,  fett;  ans  dem  Persischen  dagegen  stammen 
znrt  oder  ta>^^^  zarat  geschrieben  nnd  gesprochen,  eine 
Art  grober  Hirse,         dazi,  Diebstahl  (Pers.  ^«>^t>),  abge- 


Digitized  by  Google 


14     SiUung  der  jpMhs^'^iUol,  daase  vom  4,  Deeember  1680. 

»eben  von  ganz  gewöhnlichen  Worten,  wie  tez,  scharf, 
^^^^  kamzör,  schwach,  zebä,  schön  ete.  y  ist  auch 
ans  nnprfinglichem       dem  es  lautlich  sehr  nahe  steht, 

entstanden,  wie  cl^p  zalak,  Blu^gel,  üindi  ^^^1« 

Was  die  Nasale  helrillt,  so  kennt  das  Brshfii  den 

Anusväralaut  uicht,  die  Nasale  sind  also  immer  voll  zu 
sprechen  auch  in  Verbindung  mit  einem  folgenden  Cou- 
sonanten,  z.  B.  die  Infinitivendung  'ing'  ist  nicht  =  'in\ 
sondern  'ing'  (l^)«    In  einzelnen  Wörtern  scheint  ^  ein 

euphonischer  Wechsel  Ar  V  ^  tmn^  wie  ^L^aj  pimaz, 
Zwiebel,  Pers.  vLo 

y  -  v 

Von  den  Uaibvocalen  fiUlt  't  öfters  am  Ende  ab,  wie 
wir  bei  der  Ooigogation  sehen  werden;  in  der  Mitte  eines 
Wortes  wird  es  nnter  gewissen  Umstanden  elidirt,  resp. 

assimilirt,  wie  bei  der  Pluralbilduug  eines  anf  V  auslautenden 

Stammes.  Dass  *r*  mit  *s'  in  mehreren  Fällen  wechselt,  daftlr 
sprechen  Formen  wie        are  und  ^^^1  ase  „er  ist."  Auch 

zeigt  das  Br&hüi  in  mehreren  Wörtern  ein  's',  wo  die 
drSTidiaohen  Sprachen  ein  V  haben,  wenn  anch  diese  Er- 
scheinung kmneswcgs  durchgreifend  ist,  s.  B.  BrKhOI  ^UaJ 
as-it,  eins,  drgvicjiseher  Stamm  *or,  Br.         irot,  zwei, 

canaresisch  erad-u,  Br.  musi^,  drei,  cauaresisch  mür-u. 

Einen  Wechsel  zwischen  T  und  V  habe  ich  nicht  beobachtet. 
Ursprüngliches  *b'  geht  im  Brfthü!  leicht  in  Qber,  wenn 
es  zwischen  zwei  Vocale  zu  stehen  kommt,  wie  Br. 

invän  und  dann  äT&n,  Hirte,  Pers.  ^L^,  auch  in  *g\  wie 
üM'««*  =         (Pws.)  „viel." 

Der  Hauchlaut  s  wird  schwach  gesprochen;  ich  finde 

daher  promiscue  va^jf       Qnd  ssAjjb  haut,  „was"?  geschrieben, 

axas  und  ^j^Jxi  haap«i  „wie  viel"?,  ^|  und  „aoeh*^ 

(Pers. 


Digitized  by  Google 


Trump2):  Gramm.  Untersiahun/jen  über  das  Brahüi»  l'ö 

Selireibt  man  das  BrahS!  mit  liindQstönl  Characteren, 

so  ist  es  räthlich,  alle  Nomina,  die  auf  ein  kurzes  *a*  aus- 
lauten ,  mit  finalem  5  ^  wie  im  Persischen ,  zu  schreiben, 
nicht  nur  um  etwaigen  Mis^sverständnissen  beim  Leseu  vor- 
rabeugen,  sondern  auch  weil  das  auf  'a'  aaslautende  Nomen 
fiut  dieselben  Hägenthfimliehkeiten  bei  der  Flexion  zeigi, 
wie  im  Pereiechen  die  Nomina  auf  s^.  Um  das  finale  V 
bdm  Praesens  definitnm  des  Verbnms  sofort  erkennen 
zu  können ,  möchte  ich  vorschlagen ,  dasselbe  ebenfalls 
immer  durch  5  auszudrücken,  da  es,  weil  es  den  Ton  nicht 
trägt,  nicht  wohl  durch  eiu  langes  'a'  wiedergegeben  werden 
kann;  auf  diese  Weise  könnte  viel  Confnsion  vermieden 
werden. 

CSonsonantencomplexe  kennt  das  BrSbü!,  aber  gewöbn- 
liob  nur  ron  zwei,  selten  von  drei  Consonanten,  und  das 

letztere  nur,  wenn  der  mittlere  Consonant  eine  Liquida 
oder  ein  Zischlaut  ist,  z.  B.  ^vi^  X^lt^i  Schmerz,  y<\t^i^^ 
baxdb5,  schenket.  Am  Ende  eines  Wortes  kann  nnr  ein 
Conjnneteonsoiiant vorkommen,  wie sisJL  pSlti  Milch,  iddEXj 
buSk,  Mähue.  Am  Anfange  eines  Wortes  scheint  eiu  Couso- 
nantencomplex  nur  dann  zu  stehen,  wenn  der  zweite  CoDSonaut 
entweder  ein  V  oder  'v  ist,  vrie:         grSns,  Nasenloch, 

brähüi,  BrShüi,  &«mI^  nvclsah,  Eukel,  gvaud, 

kurz,  jCaSdI^  x^Sbing,  verlangen  (vom  Pers.  sL^). 

Nach  den  verzeichneten  Aussprachen  der  Wörter  ist 
wohl  kein  Zweifel,  dass  Consonanten  verdoppelt  werden, 
obacbon  ich  in  den  Uebeiseanngen  von  Nicolson  nirgends 

das  Zeichen  des  Taädid  habe  bemerken  können,  z.  B. 

pinni,  der  Schenkel,       Inmmab,  Mntter,        xalll,  ein 

Krug;  ein  finaler  Consonent  scheint  nicht  verdoppelt  zu 
werden,  obacbon  Beilew  derartige  Aussprachen  angibt,  z,  fi. 


Digitized  by  Google 


16     SiUtmg  der  fhOoa.'pkiM,  CloiM  vom  4,  Deeember  1890, 

liiBB,  Aaehft,  in  IVemdwöttern  dagegen  ist  die  Yer* 
doppelang  beisabehalten,  wie      dnrr,  Perle« 

§2. 

QeeohMit  umi  Zahl. 

Das  Bnlhüi  unterscheidet  kein  Geschlecht  der  Nomina, 
wie  (lies  auch  ursprünglich  iu  deu  dräviijischen  Sprachen 
nicht  der  Fall  war ;  wo  es  durchaus  nöthig  ist,  das  Geschlecht 
hervorzuheben,  stellt  es,  wie  noch  heat  zu  Tage  auch  das 
Malayajam,  die  Worte  „mannlieh**  and  „weiblich''  vor  das 
näher  an  definirende  Nomen,  a.  B.  ^J:^  bil,  ein  Beel,  ^ 

^jujf>  nar  bi§,  ein  mftnnlicber  Esel,  soLe  msdab  bis,  ^) 

ein  weiblicher  Esel.  Denselben  Process  der  Geschlechts- 
bezeichnnng  mnss  aus  denselben  Gründen  das  Nenpersische 
▼erfolgen,  ans  dem  die  beire£fenden  Nomina  geborgt  aind. 

Das  Bmbü!  hat,  wie  die  diSviiJiaob-tQr&nifleben  Sprachen, 
BOT  awei  ZaUen,  den  Singular  and  Piarai,  während 
die  kdlsriflcben  Sprachen  als  charaktoristieehea  Merkmal 
noch  einen  Dual  ausgebildet  haben. 

Der  Stamm  als  solcher  stellt  immer  den  Singular  dar. 

Der  Plnral  wird  im  Brähüi  durch  Anbängung  eines 
Affixes  gebildet  und  es  gibt  daher  im  stricten  Sinne  nur 
Eine  Plnralbildnng.  Im  JiUoaelnen  ist  dabei  an  beachten: 
-  1)  Nomina,  die  anfeinen  Con  so  nannten  anslanten, 
hängen  an  dem  Stamm  das  Afiiz  W  s.  B.  ^ «Xo  banda^', 
ein  Mensch,  PI.  vJLcJOj  banday-äk;  l,  /af,  Ohr,  PI. 
C)U^  X<^f-äk;  bämas,  Nase,  PI.  bämas-ak. 

1)  Leech  gibt  dafür  narrangä  (soll  narangä  heissen)  und  niildaghä. 
Naraugä  ist  eine  Adjectivbildnog  von  'nar'  also  =  männlich,  midaghi 
dagegen  ist  unriclitig  und  rauss  ebenfalls  'mädangä'  laoten 

2)  Bellow  behauptet,  dass  vor  der  Endang  *äk'  das  finale  *k'  eines 
Wortstammes  in  ^  verwandelt  werde,  wie  ku6ak,  Hand,  PI.  kttCa/-&k. 

loh  habe  dafon  noch  nichts  entdecken  können. 


Digitized  by  Google 


Ihmpp:  Qramm,  UnUnudumigeH  0ter  da»  Br&UK,  17 
Eine  Ausnahme  davon  bilden: 

a)  Nomina,  die  auf  ^  mit  vorangehendem  kurzen  Vocal 
endigen.  Diese  nehmen  als  Ploralaffix  »nicht  'äk\  sondern 
nnrV  an,  z.B.  ^  xm,  Auge,  PI.         X»n-k;  ^  pin, 

Name,  PI.  dLü  pin-k.^) 

b)  Nomina,  die  auf  und  ^  auslauten.  Diese  werfen 
vor  dem  PlnralaflPix  'k*  ans  euphonischen  Rücksichten  V  ab, 

weuu  ihm  ein  kurzer  Vocal  vorangeht,  z.  B.        nat,  Fuss, 

Fl.  välS  nak;  'r*  jedoch  nnr,  wenn  ihm  ein  langer  Vocal 
vorangeht ,  wie  ^Le  mar,  Sohn ,  PI.  mäk.  Man  wird 
diesen  Prooess  kanm  eine  Assimilation  nennen  können,  da 
ich  nur  die  Aassprache  'nak'  (und  nicht  nakk)  angaben 
finde. ' 

2)  Nomina,  die  auf 'ah'  auslauten,  schalten  vor  dem 
Piuralaffix  *&k\  um  den  Hiatus  an  yermeiden,  ein  euphonisches 

g  y  ein,  z.  B.  g^J  lummah,  Mutter,  PI.  (JLO  lumma-y-ak; 
iJbJLßA  aa)lfiih,  eine  Frau,  PL  c^üüuadiö  2aii&-/-8k.  Das 
finale  s  des  Singulars,  das  nur  als  Leseieichen  dient  (denn 

es  liegt  kein  Grund  vor  es  aus  demselben  Gesichtspunkt  zu 
betrachten  wie  das  finale  persische  wird  dabei  als  ent- 
behrlich weggelassen. 

3)  Nomina,  die  auf  einen  langen  Vocal  auslauten, 
hangen  im  Plural  das  Affix  'k'  an,  z.  B.  b(4>  däaä,  weise, 

1)  Bu  gilil  ^  1  von        „Hidehen**  aaeh  tiaan  Plond  f 

manag  an.  Diw  scheint  mir  ein  Drnckfebler  oder  sonst  ein  Missver* 

itisdniii  statt  tXjuiMt  maaiihk  (tod  einem  Sing,  ^j-^)  n  sein:  denn 

einen  Plural  anf  *g'  habe  ich  nirgends  finden  können. 
[1880. 1.  PhiL-phiL  Gl.  Bd.  L  6.J  2 


Digitized  by  Google 


18     8it9ung  der  pOos.'phiM,  Clane  vom  4.  Deeember  liBSO* 

ein  Weiser,  PI.  JLIj  däuii-k;       dü,  Hand,  PL  J^j  dü-k^); 

JJ^  hnllf,  Pferd,  PI.  i^lJi»  haUi-k.  Die  Nomina  auf  Y  jedoch 

bilden  ihren  Plural  anch  auf  iy-äk  (oder  i-3k),  indem  das  finale 
¥  vor  dem  schweren  Affix  *ak'  zu  *iy*  oder  verkürzt  wird. 
Ich  habe  davon  mehrere  Beispiele  in  Nicol8on*8  üeberBexnngen 
gefanden ;  8.  29,  L.  4  kommen  beide  PInralhildnngen  neben 
einauder  vor:  JLjeLyu.  ü  ^j>4^^  sf  Ua-  ,^>a.Lo  ^^LT 
j»l  «iljJj»  Läa^I  «iClive  sah,  dass  die  Soldaten  des  Feindes 
wie  anch  ihre  Pferde'';  S.  31,  L.  9  «Jl^^l»  nseine 
Spione." 

Es  kommt  im  Brahäi  nicht  selten  vor,  dass  der  Plnral 
gar  nicht  durch  ein  Plnralafißx  ansgedrOokt  wird,  sondern 
aus  dem  Znsammenhang  erschlossen  werden  mnss;  ist  aber 

ein  solches  collectivisch  gebranchtes  Nomen  Sabject '  eines 
Verbums,  so  muss  das  letztere  immer  im  Plural  stehen,  z.  B. 
Nicolson  p.  8,  L.  11 :  {g^^}^  )^'f^  {^'^^ 

„seine  Soldaten  werden  ein  tausend  Hühner  kochen",  wo 
der  Plural  des  Futurs  (^^^  basSr)  daraaf  hinweist,  dass 

^^Lum  als  Plural  gebraucht  ist.    Völlig  unrichtig  aber  ist 

es,  wenn  Leech  sagt,  dass  in  solchen  Fällen  zur  Beseichnnng 
der  Idee  der  Pluralität  dem  Nomen       »▼iel**  Torgeeest 

werde;  vL>  behält  immer  seine  volle  Bedeutung.  GaldweIVs 
Bemerkung  in  seiner  Comp.  Gram,  of  thedräv.  Laug.  (p.  128), 
dass  im  Brähüi  die  Zahl  der  Nomina  gewöhnlich  unbestimmt 
gelassen  werde,  mnss  daher  sehr  beschrankt  werden;  die 
Regel  ist  vielmehr  die  Anhingnng  des  Plnralaffizes  und 
der  gegeutheilige  Fall  die  Ausnahme.  Er  wiederholt  auch 
die  Behauptung  Leech's,  dass,  wo  es  nöthig  sei,  die  Idee 


1)  Dass  dü  im  Plural  dik  bilden  solle,  wie  Beilew  angibt,  ist  höchst 
onwahrscbeinlich  i  Box  gibt  auädiücklich  die  Aussprache  duk  {y.  l). 


Digitized  by  Google 


f 


Druinpp:  Oramm,  ÜntemukimgeH  Uber  das  JMfhOL  19 

d«r  PlnralitiLt  »tudrttokliob  ta  bflaEmehen,  Worte  wie  ,fTiel*% 
,,maiiche'*  dem  betreffenden  Nomen  vorgesest  werden «  anf 
deren  Unrichtigkeit  wir  schon  hingewiesen  haben. 

Dass  das  Pluralaffix  'äk',  *k*  drävi^ischen  Ursprungs  ist, 
ist  mit  Sicherheit  anzunehmen.  Das  ursprüngliche  drSvi* 
dische  Plorakiflix  kal,  gal  und  ga}u  ist  verschiedentlich  ab- 
geecbwädbt  worden ,  im  Telogn  zn  *]a'  (mit  Abwerfang 
Ton  *ka\  'ga*)  and  im  Gönd  nmgekebrt  m  ¥  (s.  B.  nai,  Hundt 
PL  nai-k). 

Dieses  'k\  resp.  *ak\  findet  sich  auch  in  den  nördlicheu 
türänischen  Sprachsippen  ;  im  Ungarischen  ist  *ak*  Plural- 
affix, z.  B.  hsz,  Hans,  PI.  haz-ak.  Auch  im  Türkischen 
finden  sieb  nocb  Sparen,  dass  'k'  als  Plaralaffiz  verwendet 
worde,  z.  B.  (Jjl^I  id-ik  „wir  waren/* 

§  3. 
nexioneaffixe. 

Eine  Flexion  des  Nomens  kennt  das  Brabn!  niebt,  so 
weuig  als  die  dravidisch-türrmischen  Sprachen.  Die  Casus 
werden  durch  Affixe  herfrostellt,  die  für  den  Singular  und 
Plural  dieselhen  sind ,  jedoch ,  wie  wir  sehen  werden ,  mit 
einigen  eaphonischen  Modificationen.  Je  nach  den  Afßzen 
kann  man  daber  eine  beliebige  Zabl  von  Omos  berstellen 

—  Finzi  bat  (p.  136)  deren  nicbt  weniger  als  18  an^gestellt 

—  wir  werden  aber  nar  diejenigen  Affixe  als  eigentlicbe 
Casuszeicheu  aufführen,  die  mit  dem  Nomen  entweder  schon 
verscbinol/en  sind  oder  dasselbe  auf  irgend  eine  Weise 
afficiren;  die  übrigen  sind  Postpositionen  oder  Nomina,  die 
das  Torangebende  Nomen  nicbt  weiter  beeinflassen. 

Der  Stamm  des  Wortes  ist  immer  zugleich  der  No- 
minativ,  wie  dies  anob  in  den  töraniscben  Sprachen 
der  Fall  ist. 

Für  die  übrigen  Caans  müssen  wir  vorläufig  den  Sin- 

2» 


Digitized  by  Google 


20       Sitzung  d  er  philo.'i.-philol.  Classc  com  4.  December  1880. 


gnlar  und  Plural  ans  rationellen  und  practischen  Gründen 
unterscheiden. 

Die  drävi(}ischen  Sprachen  hängen  bekanntlich  bei  einer 
ziemlich  grossen  Anzahl  von  Nomina  die  Casusafilxe  nicht 
direct  an  den  Wortstamm ,  sondern  an  den  sogenannten 
Formativ  (wie  dies  auch  bei  den  nordindischen  Idiomen  der 
Fall  ist)  y  ein  Pbaeuomen  ,  das  den  türünischen  Sprachen 
fremd  ist.  Das  Brähüi  nähert  sich  in  dieser  Hinsicht  auf 
eine  merkwürdige  Weise  den  drävidischen  Idiomen,  was  bis 
jetzt  ganz  übersehen  worden  ist,  aber  nur  im  Plural,  nicht 
im  Singular.  An  den  Singular  treten  die  Casusafiixe  ohne 
irgend  welche  als  euphonische  Veränderung,  im  Plural  aber 
sind  noch  deutliche  Spuren  eines  Formati vs  vorhanden,  wie 
wir  gleich  sehen  werden. 

Die  Casusatf ixe  des  Singulars  sind  folgende : 
Der  Genetiv  wird  durch  das  Affix  'uä*  bezeichnet;  der 
Dativ  und  Accusativ  durch  *e*,  selten  bleibt  der  Accusativ 
ohne  Casuszeichen,  der  Instrumentalis  durch  *a|*,  der  Con- 
junctiv  durch  *tö'  oder  *ätö*,  der  Ablativ  durch  *ün*,  der  Locativ 
durch  *äe*  uud  ^  \\.    Von  diesen  Affixen  finde  ich  in  Ni- 

colson's  Uebersezungen  U  separat  geschrieben,  die  übrigen 
dagegen,  wohl  um  ihrer  Kürze  willen,  mit  dem  Wortstamm 
zusammengeschrieben.  Endigt  ein  Nomen  auf  einen  Con- 
souanten ,  so  treten  sie  einfach  an  den  Stamm ;  dies  ist 
auch  erlaubt ,  wenn  es  auf  einen  langen  Vocal  oder  *ah* 
endigt,  häufiger  aber  wird  in  diesem  Falle,  wenn  das  Affix 
mit  einem  Vocale  anfangt,  ein  euphonisches  ^  eingeschoben, 
um  den  Hiatus  zu  vermeiden,   wobei  dann  das  finale  5 

wegzufallen  pflegt,  z.  B.  Dat.  Acc.  mtJuJui  (so  finde  ich 

es  gewöhnlich  geschrieben,  statt  ^  tjujuc^  weil  das  *e*  kurz 
oder  wenigstens  tonlos  ist)  oder  ^^Aaaju^  sa«fa-y-e  „einer 
(eine)  Frau." 


Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brähtli.  21 


Bei  den  Affixen  de«  Plurals  dagegen  tritt  eine  be- 
deutende Modification  ein,  obschon  sie  ursprünglich  mit 
denen  des  Singular  identisch  sind,  wie  schon  bemerkt.  Der 
Nominativ  des  Plural  endigt,  wie  wir  gesehen  haben ^  auf 
ak'  oder  bloss  Wir  würden  nun  erwarten  ,  dass  die 
Affixe  an  diese  Endung  antreten,  wie  im  Singular,  und  so 
hat  auch  Dr.  Bellew  die  Sache  in  seiner  Grammatik  dar- 
gestellt. Er  flectirt  im  Plural  z.  B.  Nom.  kasarsk,  Wege, 
Gen.  kasarak-nä,  Dativ  kasarak-e  etc.  Von  dieser  Flexions- 
weise jedoch  habe  ich  nur  ein  einziges  Beispiel  finden 
können,  das  Nicolson  p.  14,  L.  1  steht  und  so  lautet: 

„die  Liebe  (hier  als  Plur.  gebraucht)  guter  Menschen  ist 
im  Kücken  oder  im  Angesicht  auf  (=i  von)  Einer  Farbe 
(=  Weise)."  Es  mag  also  wohl  sein,  dass  diese  Flexions- 
weise bei  einigen  brahfn  Stämmen  vorkommt,  aber  nach 
den  uns  vorliegenden  Materialien  ist  sie  ilufserst  selten  und 
Leech  und  Bux  haben  sie  gar  nicht  erwähnt;  es  ist  dies 
also  ein  Punct,  auf  den  künftige  Forscher  ihr  Augenmerk 
richten  sollten. 

Es  tritt  im  Plural  das  merkwürdige  Phaenomen  ein, 
dass  vor  den  Affixen,  die  au  denselben  treten,  eine  andere 
Pluralform  auf  *at*  und  *t*  zum  Vorschein  kommt.  Schon 
Caldwell  (p.  142)  hat  auf  diesen  Wechsel  zwischen  *k'  und  *t* 
hingewiesen,  so  unrichtig  auch  die  dabeistehende  Behaupt- 
ung ist,  dass  im  Brahüi  gewöhnlich  besondere  Worte  ge- 
braucht werden  um  die  Pluralität  zu  bezeichnen,  was  wir 
schon  oben  als  völlig  unbegründet  zurückgewiesen  haben. 

Wir  würden  nun  erwarten ,  dass  der  Genetiv  Plural 
at-nä  resp.  t-nä  lauten  würde.  Dies  ist  aber  nicht  der 
Fall,  sondern  derselbe  lautet  nur  at-a,  t-a.  Wir  brauchen 
dabei  keine  Elision  von  *n*  anzunehmen,  da  sowohl  *na'  als 
*a*  als  Genetivaffixe  in  den  dravi^ischen  Sprachen  vorkommen. 


22       Sitzung  der  j^üoB.-phUol.  Classe  vom  4.  JJeceinber  1880. 

Das  Oönd  z.  6.  gebranebt  *na'  und  'nl^,  'da*  nnd  V  (Oald- 

well,  p.  188)  und  im  Kanarosiscben  ist  V  (a)  das  einzige 
Genetivzeichen  (Caldwell,  p.  192). 

Das  Dativ- Accusativ- Affix  'e*  tritt  ebenfalls  an  'at*  und  't* 
=  at-e,  te.  Es  ist  nun  merkwürdig,  dana  dieser  Casus  zu- 
gleicb  als  Forma ti¥  fttr  die  Instrumental-,  Gonjnoctiv-, 
AblatiT- nnd  LooatiTaffixe  sowie  ffir  einige  andere,  wie  ^  kl 
„Ton  wegen",  etc.,  dient.  Das  V  ist  in  diesen  Fallen  natflr- 
lich  nicht  identisch  mit  dem  DatiT-Aecns.-Affix  V,  obwobl 
es  jezt  äusserlich  mit  ihm  zusammen  fallt,  sondern  ein 
Flexionsincrement ,  das  mit  dem  Telugu  'i'  verwandt  sein 
dttifte  (s.  Caldwell,  p.  164,  (6)). 

Ein  Nominativ  Plnral  anf  *at\  V,  findet  sich  jezt  niebt 
mehr  im  Gebrauch,  aber  diese  Endungen  kommen  doch  noch 
Tor  solchen  Affixen  vor,  welche  sonst  den  Formativ  nicht 

erheischen,  wie  bL«  sika,  „bis  zu^S  z.  B.  |^  .»^.1  \j 

pan6a-}^&t  siks,  „bis  zu  den  Krallen«*^ 

Was  den  Ursprung  dieser  Affixe  betrifft,  so  ist  schon 
bemerkt  worden,  dass  das  Genetivaffiz  'na*  und  sich  in 
den  di8?i4isoben  Spraehen  nachweisen  läset;  dasselbe  gilt 
Ton  dem  Dativ- Accn8.->Affix      das  dem  Tamil  W  nnd  dem 

Malayalam  'e*  entspricht.  Da  diese  letzteren  Affixe  indessen 
nur  den  Accusativ  ausdrücken,  so  könnte  es  scheinen  ,  als 
ob  das  Brähüi  für  den  Dativ  kein  besonderes  Affix  ausge- 
bildet hätte,  was  indessen  nicht  wahrscheinlich  ist,  da  die 
draiidiBchen  Sprachen  den  Dativ  und  Accusativ  dnrch  be- 
sondere Affixe  scharf  scheiden.  Das  drSTtdische  Dati?affix 
ist  ^kn*  (kkn)  nnd  *ki',  im  östlichen  Ttli4aschen  ^ga',  *ge',  im 
Osmanlfl  zn  W  (jch)  abgeschwächt.  Ein  ähnlicher  Process 
könnte  auch  im  Brähüi  stattgefunden  haben,  so  dass  schliess- 
lich beide  Casus  äusserlich  zusammenfielen.  Das  Instrumental- 
affix a^'*)  entspricht  am  nächsten  dem  Telugu  'pk;  das  con- 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm,  üntersuchungm  über  das  Brahüi.  23 


juTJCtive  Affix  5tö  oder  tö  scheint  mit  dem  Tamil  nnd 
Malayälara  ö(Jii  verwapdt  zu  sein;  im  Telugu  wird  dafür 
tödu  und  abgekürzt  tö  gebraucht,  ül?er  dessen  Identität  mit 
ö(][u  jedoch  Caldwell  im  Zweifel  ist  (Caldwell,  p.  174  —  5). 
Zu  beachten  ist,  dass  im  Brähüi  nur  im  Singular  atö 
und  tö  promiscue  gebraucht  werden ,  beim  Plural  finde  ich 
nur  tö.  Das  AblativaflFix  *än'  mag  mit  dem  Tamil  *in*  und 
dem  Telugu  *na*  verglichen  werden.  Zur  Bezeichnung  des 
Locativs  gebraucht  das  Brahüi  zwei  Affixe,  W  (euphonisch 
■■=  y-3e)  und  'tf.  Das  erste  bezeichnet  nicht  nur  das  Verweilen 
an  einem  Orte,  sondern  auch  die  Bewegung  nach  einem 
Orte  hin ,  während  'tf  nur  streng  locale  Bedeutung  hat. 
Was  das  Affix  'ae*  (y-ae)*)  betrifft,  so  kann  ich  auf  keine 
directe  dravidische  Analogie  hinweisen'),  *tf  dagegen  scheint 
mit  dem  Tamil  idei ,  Ort ,  (Tulu  <}u  oder  |u)  verwandt  zu 
sein  (cf.  Caldwell,  p.  200). 

Der  Vocativ  ist  im  Brahüi  identisch  mit  dem  Nominativ, 
doch  wird  demselben  gewöhnlich  die  Interjection  *ai*  voran- 
gestellt, hie  und  da  wird  auch,  nach  persischer  Weise,  dem 
Wortstamme  ein  'a'  angehängt,  um  den  Ruf  recht  dehnen 
zu  können ,  z.  B.  f^L^I  f^i  bavä  „o  Vater" !  Beilew  führt 
als  Vocativ  Praefix  *ore*  an,  was  wahrscheinlich  das  Sindl.i 
are  ist. 

Wir  müssen  hier  noch  etwas  auf  die  Darstellung  der 

1)  Tm  BrShQi  bat  dieses  AfTix  sehr  oft  dieBedeatang  von  «mit",  wie: 
v?*»Mi^  ^  /ofii-a^  .mit Verfrnttgen';  auch  von  «aar*,  wie:  ö)^^Juw(3 

da  dastOr-a^  „auf  diese  Weise." 

2)  »  Lc  kommt  auch  als  eine  auabhängige  Postposition  für  sich  vor 
and  kann  als  solche  an  jedes  Nomen  treten.  Es  bedeutet  dann  immer 
„auf",  .an." 

3)  Im  Balü^i  lantet  der  Locativ  auf  'i*  aus;  es  ist  mir  aber  doch 
•ehr  fraglich,  ob  er  xur  Vergleichung  herangezogen  werden  darf. 


24      SiUmtg  der  pkao$.-ftiüoL  CkuM  vom  4.  Deumber  1880, 

Flexioo  durch  Dr.  Bellow,  Leech  und  Finzi  Rücksicht 
nfthmen.  Beilew  gibt  als  Ablativenclaiig  Sing,  jfta'  (kasarysii) 
an,  WB8  doh  nirgends  nachweisen  läset,  diese  Endung  kommt 
▼ielmefar  nnr  im  Plnral  vor.  Unter  *nra^  fHhrt  er  den  Ab- 
lativ Sing,  nratyan  auf,  was  der  Ablatir  des  Plurals  ist; 
den  gleichen  Fehler  macht  er  mit  hulitvan,  was  ebeu falls 
Abi.  des  Plurals.  Auch  in  den  folgenden  zwei  Paradigmen 
(p.  474)  ist  der  Ablativ  Öing.  falsch  augegeben,  lieber  die 
Anhängnng  der  Caanaaffixe  an  die  Pluralendung  'sk'  haben 
wir  ans  schon  aasgesprochen.  Leech  gibt  als  Dativ-  nnd 
Acc.-Aflfix  anch  *ne'  an,  wie  hnllne,  nnd  es  finden  sich  bei 
ihm  Beispiele  wie  gndatine  „Kleider**  etc.  Ob  ein  solches 
Dat.-Acc.-Affix  sich  bei  einigen  brahüi  Stämmen  vorfinde, 
kann  ich  nicht  bestimmen ,  bei  Bellew  und  in  Nicolsou's 
Uebersezungen  habe  ich  kein  einziges  Beispiel  davon  ent- 
decken können,  so  dass  mir  die  Sache  sehr  fraglich  erscheint. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Instmmentalafiix  *ene\  das 
Leech  anfährt  (s.  B.  saghmene),  von  dem  ich  nirgends  eine 
Spur  habe  entdecken  können.  Es  schont  mir,  dass  ihm 
das  Hindüstani  vorgeschwebt  hat,  das  er  hie  und  da  mit 
brahüi  Formen  verwechselt  b;it.  Finzi's  Darstellung  der 
Flexion  scheint  bei  ihm  mehr  Hache  der  Phantasie  als 
der  grammatischen  Untersuchung  gewesen  zu  sein.  Er 
wiederholt  anbesehen  alle  Lrrthümer  Leech^s  und  f&gt  noch 
ans  seinem  eigenen  Schace  neue  binsu.  So  gibt  er  k.  B. 
einen  Locativo  determinato  'hnliai'  nnd  einen  Oaans,  den  er 
Adessivo  nennt, 'hnli-ni',  ohneeinsasehen,  dass  beide  identisch 
sind,  und  huli-ai  nur  ein  Druck-  oder  Schreibfehler  für 
huli-ai  ist.  Auch  hat  er  einen  Caritivo,  wie  *kasar-af',  er- 
funden, indem  er  nicht  wusste,  dass  ^af*  ein  Verbum  ist  und 
„ee  ist  nicht'^  bedeatet.  Den  Plural  von  kasar  „Weg^^  bildet 
er  auf  kasar-k,  nnd  den  Accus.  Plnr.  hnli-m,  kasar-m. 
Woher  er  diese  tonderbaren  Formen  genommen  hat,  die 
anch  Leecb  ganz  anbekannt  sind,  gibt  er  nicht  an,  wir 


Digilized  by  Google 


Irumpp:  Gramm.  UtUersuchunf/en  ü6er  dwi  Brahüi.  25 

müssen  sie  aber  vorlänfig  ins  Reich  der  Phantasie  ver- 
weisen. 

Wir  wollen  nun,  der  practischen  Uebersicht  willen, 
die  Flexion  der  brahüi  Nomina  zusammenstellen. 

I)  Nomina,  die  auf  einen  Consonauten  endigen. 

a)  Jii  yal,  ein  Stein. 


Sing. 

Plur. 

^om. 

1  . 

Xal. 

zal-ak. 

Gen. 

/al-n5. 

xal-at-5. 

Dat.  \ 

^cc.  1 

Xal-e. 

Xal-5t-e, 

Instr. 

Xal-at. 

Xal-ät-e-at- 

Conjunct. 

Xal-tö 

Xal-3t-e-tö. 

Abi. 

Xal-3n 

Xal-at-e-an. 

Xal-ae. 

Loc 

Xal-^. 

Xal-at-e-^  1 

Voc. 

ai  /al. 

ai  x^l'Sl^* 

Was  die  Schreibweise  betrifft,  so  finde  ich  eine  grosse 
Verschiedenheit;  die  Affixe  sind  bei  Nicolson  theilweise  mit 
dem  Wortstamm  zusammengeschrieben,  theilweise  aber  davon 
getrennt.  Ich  halte  e«  für  das  einfachste,  diejenigen  Affixe, 
die  mit  einem  Vocale  anfangen,  mit  dem  Stamm  zusammen- 
zuschreiben ,  die  andern  aber ,  die  mit  einem  Consonanten 
beginnen ,  separat  zu  sezen.  Was  die  Aussprache  betrifft, 
80  schreibt  Bux  das  'e*  des  Plurals,  wenn  darauf  ein  Affix 


26      Sitsuttg  der  phiioa.-pitilol .  Clause  vom  i.  JJecember  1880. 


mit  initialem  Voeal  folgt,  wie  i,  und  schiebt  daranf  ein 

euphonisches  *y*  ein,  z.  B.  /alatiyan,  xalatiyäe.  Diese  Aas- 
sprache scheint  mir  jedoch  mehr  auf  der  Umschreibung  der 
hindüstäni  Schreibweise  zu  beruhen :  denn  sonst  schiebt  das 
Brabüi  zar  Vermeidang  des  Hiatus  ein  euphonieebes  g  ein. 

Immerhin  ist  die  Diffinrena  eine  hlVohst  nnbedeatende.  Das 
V  des  Accus.  Sing,  und  Plnr.  scheint,  wie  schon  bemerkt, 

ein  kurzes  oder  doch  ein  tonloses  'e*  zu  sein,  da  der  Wort- 
accent,  wie  ich  vermuthe,  auf  der  Stammsilbe  ruht,  soweit 
dies  möglich  ist,   z.  B.  xal"5k,  x^l-Ät-ä,  x^l-äte-at 

(oder  y.fi\-^^iydit)  ^  x^l-tteiö,  xal-ätean  (oder  xt^l-ätiyan), 
Xlil-8te-äe  (oder  xal-stiyse),  x^^-ite^. 

Was  das  Affix  tö'  betrifft,  so  bietet  Bnx  in  seinen 

Paradigmen  im  Plural  die  Formen  (=  masirst-to)' 

und  ysAj'lx^L  bava-^-at-e-tö,  also  das  eine  mal  au  den  Plural 
'At'  angehängt,  das  anderemal  an  den  FormatiT  des  Plurals. 
Ich  habe  damit  meist  nur  den  FormatiY  des  Plurals  ver- 
bunden gefunden,  so  dass  die  Form  ^vt« seltener  im 

Gebrauche  zu  sein  scheint,  cf.  Nicolson  p.  13,  L.  1  v.  u. 

^Li-^J  UaS       yft       o-r^;  iS^ 

L»*a5^  cXä^  nwie  wirst  du  diesen  Grad  erreichen ,  der  du 

•  •  • 

jeden  Tag  mit  deinen  Freunden  im  Strdt  liegst?'*  p.  9,  L.  7 : 

^  iLJj  (=  datilat-tö).  Die  Form  y  Nicolson 
p.  8  L.  4     n.  hat,  ist  sicherlich  &lsch. 

b)  Nomina  mit  finalem  V. 
Sin  ff.  PUr. 
Nom.  xjBLU^  Auge.  XBüi-k. 

Gen.  b^^^   x^n-na.  Ua^  x<^n-t-a. 


Digilized  by  Google 


Trampp:  Gramm.  Untersuchungen  über  (la^  Brahüt 
Sing. 


27 


Dat. 
Acc. 


xan-e. 


Plur. 
Xan-t-e. 


T  1 

Instr. 

•  • 

Xan-at. 

Xan-t-e-at. 

Conjiinct. 

xan-tö. 

•  • 

Xan-t-e-tö. 

Abi. 

Xan-an. 

Xan-t-e-an. 

Log.  I 

Xan-ae. 

Xan-t-e-ae. 

•  •  • 

Xan-ti. 

*•       »*  •  • 

Xau-t-e-^. 

V  OC. 

ai  xan. 

ai  xa^i-t. 

c)  Nomina  mit  finalem  *t*  (r). 

Sin 

Plnr. 

Nom. 

nat,  Fass. 

na-k. 

Gen. 

nat-uä. 

nat-t-a. 

Dat.  j 
Acc.  1 

nat-e. 

nat-t-e. 

Instr. 

nat-at. 

nat-t-e-af. 

Conjuuct. 

nat-tö.  • 

nat-t-e-tö. 

Abi. 

nat-ün. 

nat-t-e-an. 

Loc. 

•*  • 

nat-5e. 
nat-ti. 

nat-t-e-äe. 
nat-t-e-ti. 

Voc. 

ai  nat. 

ai  na-k. 

28      SUMmuf  der  phih§.'pkiM,  OIiim«  vom  ^  DeeewAer  1880. 

Bei  NioolBOo  p.  17,  4  finde  ieb  die  Schreibweiie 
^'^^ÄÄj,  wohl  nnr  um  auf  den  Wortstamm  binsnweieen; 

diese  Schreibweise  jedoch  ist  nach  den  Ref^eln  des  Persischen 
and  Hindüstäni  nicht  zulässig.  Ich  finde  bei  Nicolson  p.  21, 
L.  4  auch  die  Form  ^•^'bü;  daraus  würde  hervorgehen, 
dan  in  den  obliquen  Oune  ancb  die  regelmäange  Plnral- 
form  (IjLa  nat-st^s,  ^'Lc3  nai^t-e  etc.)  im  Gebrancbe  ist 
Worte  mit  finalem  *r\  dem  ein  kurzer  Vocal  vorangeht, 
sind  regelmässig,  wie  ^,1**^' kasar  „Weg",  PI.  kasar-ak, 

Oen.  [  kafiar-afe-8  etc.  Die  andern  dagegen,  in  denen 
dem  finalen  'r  ein  langer  Vocal  vorangeht,  werfien,  wie  scbon 


bemerkt,  das  r  vor  der  Pluralendung  k  aus,  wie  ^Le  mär 
„Sohn",  PL  vJLe  mS-k.  Von  den  obliquen  Casus  von  ^Li 
babe  xcb  bis  jest  nnr  ein  Beispiel  gefunden:  L|JL}t 

^X^^fpt  sJLLii^  kAuE  ilum  na  mar-t-ä  kitäbäk  ararek-ö 

„wo  sind  die  Bflober  der  Söbne  meines  Brnders**  (Box,  p.  52, 
L.  9),  es  ist  daber  sweifblbaft  ob  sie  neben  (j^Le  mar-i-8, 
^•^Lt  mär-t-e  auch  Uf^Lo  mär-ät-ä,  ^^1^Lo  mar-at-e  lauten. 

II)  Nomina  die  anf 'ab' anslanten. 
Sin;.  PUr. 

Nom.  a^j  lammah,  Mutter.        (JUJ  lumma->Hik. 

Geo.  b&«J  luiumah  na.  ÜliuJ  lanima-/-at-a. 


Inmma-p^-sfe-e. 


Dat.  j      I  lummah-e. 

Ace.  I      l^ffti^  lnmma-9^e. 

Instr.        v&»»«4j  Inmmab-at.  .g^^^j^^l  lmnma-}^at-e^t* 

1  yi»^  Innunah-tö. 


Digilized  by  Googl« 


Drumpp:  Oramm.  Untemnehutigen  Aber  das  BrSkes,  29 


Sing; 

Abi.     ^ÜuJ  lumma-7-äD. 

i^UQ  liiiniDa-/-8e. 
Inmmah-ti. 

Voc.  ai  lammah. 


Plvr. 

^LajUu)  lumma-y-äte-an. 
^LjliJ  lumma-y-st-e-iB. 
^^^sUi)  lummÄ-y-at-e-tL 

lumma-^-ak. 


Der  Aqc.  Sing.  lumiiiah-e  scheint  weitaus  am  ge- 
wdhnHehsteii  in  sein,  da  mir  Ins  jetit  noeh  kein  Beispiel 

von  der  Form  ^^A^J  lomma-y-e  vorgekommeu  ist.  Im  Instr. 

Sing,  sagt  man  wahrscheinlicb  statt  Inmmah-at  aneh 
Inrnma-f-at,  obsehon  ich  kein  Beispiel  davon  kenne.  Im 
Abi.  nnd  Loc  Sing,  seheint  vor  dem  Yocalisch  anlautenden 
Affixe  die  Einschiebuug  eines  enphonischen  ^  die  Regel  zu 

sein,  da  mir  Beispiele  vom  (jegetitheil  bis  jezt  nicht  bekannt 
sind.  Hie  und  da  werden  auch  Nomina  auf  'fih'  wie  die 
auf  'ah'  behandelt,  obgleich  dies  eigentlich  unrichtig  ist; 
s.  B.  Bnx  p.  122,  L.  3  lesen  wir:   ^UsLb«>L  b  ^f^f 

LiD  „er  gieng  zum  Könige  von  Iran.'' 


III)  Nomina  die  anf  einen  langen  Voeal 

anslanten. 


Kom. 

Gen. 

Dat. 
Acc. 

Instr. 
Conjunci. 


^1 


Sing. 

t^t  ni8»  Hiaiis« 
btpf  nn*na, 

^1^1  nra-e. 

^^1^1  ura-aj. 


Qra*t9. 


Plar. 


*f       **■  I 


urä-k. 
nra*t-a. 

urä-t-e. 

ara-t-e-a^ 
ora-t-e-tö. 


30     SUmiHf  ^  phäoarphOoL  OUme  vom  4  Deeember  1860, 

^^Uy  ura-y-an.  ^  > 

^         j  ^jjUI^I  nra-y-ae.  ^s^'h^V  urti-t-e-ae.  | 

I    ^fpl  nra-^.  ^^^f^f  urtrt-e-ti.  I 

Voc            1^1  ai  nra.  ctt^f  ^|  ai  ora-k. 

Ganz  ebenso  gehen  die  Nomina  aof  ¥,  'vl\  'o  und  'e ; 
daae  die  auf  *t  den  Plnral  aneb  auf  i*ak,  i-afc-a  etc.  bilden 

können ,  ist  schon  oben  erwähnt  worden.  Bei  INominiboB 
aut'  iVü*,  V/e'  wird  der  Accus.  Bin ^.  gewöhnlich  nur  durch 
Hamgah  bexeichnet  wie  »^^jdLu«  8ipahi*e  ..den  Soldaten."  Im 
Ablati?  8ing.  babe  ich  bei  Nieoleon  das  Affix  *an*  oft  gans 
getrennt  geschrieben  gefanden,  wie      b  naos  dem  Monde*^ 

(von  G  ha  „der  Mund"),  was  aber  entschieden  zu  miss- 
billigen  ist,  da  ee  Verwirrung  verarsacht. 

Da  das  g  ein  dem  BrahS!  fremder  Laut  isi,  so  werden 
Wörter  wie  surüi  einfach  als  auf  eiueu  langen  Vocal 

aoslaatend  angesehen;  man  findet  daher  z.  B.  ^^Ue^^ 

Surii?-y-an  ,,von  Anfing  an"  (Nicol.  p.  7,  L.  5). 

Einen  bestimmten  Artikel  kennt  das  Brahäi  nicht, 
wohl  aber  einen  nnbestimmten ,  der,  wenn  das  Nomen  auf 

einen  Consonanten  endigt,  demselben  in  der  verkürzten 

Form  W  (von  asi  „eins^^)  angehängt  zu  werden  pflegt; 
häufig  aber  wird  in  diesem  F^lle  dem  Nomen  anch  noch 

vorangestellt,  z.  B.  ,j*^JuLj         asi  banda^-as  „ein 

Mann."  Endigt  das  Nomen  dagegen  auf  einen  Vocal,  so 
wird  ihm  gewöhnlich        vorangesect,  wenigstens  habe  ich 

bis  jezt  nur  wenige  Beispiele  vom  Gegeutheii  getroffen,  wie 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahüi.  31 


^j»^,A;.^Xs>>y  fcithi-as  „ein  Brief  (Bux,  p.  12,  L.  9);  endigt  das 

Nomen  auf  *ah\  so  wird  das  nachgesezte  'as'  separat  ge- 
schrieben, wie  5^ÄJ  ^ein  Käfig"  (Bux,  p.  64,  L.  9  v.  u.). 
Wenn  das  Nomen  auf  die  eine  oder  andere  Weise  als  un- 
bestimmt bezeichnet  ist,  so  fallt  das  Accusativ-affix  ge- 
wöhnlich weg,  z,  B.  Ui.  ^^y^i^.  \J^.^)^  V5^^ 
„ein  Darvesh  sah  einen  Athleten."  Das  nachgesezte  *a8*  finde 
ich  häufig  auch  getrennt  geschrieben ,  wie  in  dem  voran- 
gehenden Citat  aus  Nicolson  p.  19,  L.  2  v  u.  Das  abge- 
kürzte Zahlwort  *as*  darf  jedoch  nie  zwischen  den  Wort- 
stamm und  ein  Casusafi^ix  treten,  da  die  Sprache  den 
Ursprung  von  *as*  noch  lebendig  im  Bewusstsein  trägt,-  wo 
daher  ein  Casusaffix  uöthig  ist,  darf  nur  das  adjectivische 
*asi*  gebraucht  werden. 

§  i- 

Das  Adjeotiv  und  seine  grammatischen  Verhältnisse. 

Das  Brahüi  kennt  in  grammatischer  Hinsicht  nur 
Norainalstämme  im  allgemeinen  und  keine  speciellen  Ad- 
jectiva.  Das  adjectivisch  gebrauchte  Nomen  ist  daher  ge- 
schlechtslos und  in  der  Flexion  den  allgemeinen  Gesezen, 
wie  sie  entwickelt  worden  sind,  unterworfen. 

Das  Adjectiv  steht  als  beschreibendes  Nomen  dem  be- 
schriebenen immer  voran  und  bildet  mit  demselben  ein 
grammatisches  Ganzes;  die  Zahl-  und  CasusaflFixe  treten 
daher  nur  an  das  lezte  Nomen  an,  z.  B.  JJlä  LLcJUj  blo 
^        ^  „nach  dem  Verstand  weiser  Männer  ist  es  gut." 

Das  Adjectiv  als  Aussagewort  bleibt,  auch  wenn  das 
Subject,  auf  das  es  sich  bezieht,  im  Plural  steht,  im  Sin- 
gular, z.  B.  ^Zjo  ^j^jAä  dUxiJß  ^^IaaJ^  b  nüber  diese 
Sache  (Wort)  waren  sie  erstaunt"  (Nicol.  p.  22,  L.  8). 


3^      Sümuig  der  phüo$.-pMol,  C^atse  «om  4.  Deeemker  18S0. 

£b  ist  eine  Eigenthümliehkeit  des  Bishfii,  daes  es  bei 
dem  beschreibenden  Adjectiv  die  Bestimmtheit  oder 
ünbestimmiheit  dnreh  eine  besondere  Endung  ansdrüeken 
kann.')  Für  die  Bestimmtheit  dient  der  Zosaz  eines  finalen ^ä, 

B.  gJu^  fS^^  ItitL&iSL  ^^  Jktf  Ua5  «,dn  sixest 
in  deinem  Paläste  anf  dem  königlichen  Throne*^  (Nioolson, 

Geschichte  des  Abn-]h*asan ,  p.  7,  L.  9 ) ;  das  AdjectiT  ist 

nach  seiner  Gruudform  ^^LijU  bad-sähi,   an  welches  die 

determinireude  EndongV  getreten  iit;  so  ^^^1^  tjuui^,  m^I^'^ 
schwere  Greschftft**  (Ton  yjjjS).  Adjeetiva,  die  anf  V  nnd  ^ah' 

anslanten,  bleiben  nnverändert,  s.  B.      ^Laa3  vJIxJjü  >^ 

„die  rechtschaifeneu  Leute  wie  wir",  Nicol.  p.  1,  L.  5  v.  u. 
=  Sindbi  H^T)- 

Vou  andern  vocalisch  auslautenden  Adjectiven  sind  mir 
kdne  Beispiele  bekannt. 

Es  scheint  indessen  nicht  absolute  Regel  sn  sein,  die 
Determination  des  Beschreibewortes  dnrch  angehängtes  V 
anzndenten,  besonders  Fremdworte  entbehrsn  desselben  sehr 

häufig,  z.  B.  ^  nS'  ^  ^s^^}^^  ^^^J  )iT^ 

{^yj^  jCjLm.^  JjCiuo  jjLuo-iJ  „erweise  Liebe  den  schwachen 

Unterthanen,  damit  dir  nicht  etwas  schweres  sostoase  von 
einem  starken  Feind'^  (NicoL  p.  5,  L.  6.)*). 


1)  SsltSD  sdiciiit  das  Ajectiv  «las  solsheBodsaff  aonmehmsD, 

et  all  Ansaage  itebt,  s«  B.  ^1  jnn^j^»  ^  a^  «&umI  „tuur, 

d«  woUgeainiit  war"  (Nicol.  p.  1,  L.  7).  loh  finde  in  disisa  Flllsn 
msist  die  Ornndferm  i^Vrancht. 

2)  Nicolioo  UMt  (5;^)  was  keinen  Sinn  gibt»  es  mm 
bs^psios  hsiMi  (Fvt.  nsg.  von  iXjuü  baning  .konwMa.*) 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahüf.  33 

Die  Indetermination  wird  gewöhnlich  durch  An- 
hängnng  von  'ö*  aaagedrückt^) ,   z.  B.  ^j*^Jub  ,5-»*'^ 

„ein  blinder  Mensch",  Bux,  p.  116,  L.  8  v.  u. ;  ^JUC-iJo 
^JUj  ii^io  hässlicher  Mensch",  g<XL>        nCin  guter  Mensch" 
sar  ist  Balüöi) ;  asi  pirö  are  „ein  alter 

Mann",  Nicol.  p.  18,  L.  5.  6.  7 ;  aber  nicht  nothwendiger- 
weise  z.  B.  ^j^juD  ^I^LlT  Nie.  p.  19,  L.  7  v.  u.  Die- 
jenigen, die  auf  einen  langen  Vocal  auslauten,  bleiben,  wenn 
dieser  ein  Y  ist,  unverändert,  z.  B.  jj^^itXjo  ,>ein 

betrunkener  Mensch",  Nicol.  p.  19,  L.  5;  ist  es  aber  ein 
so  kann  *ö*  hinzutreten  oder  nicht,  z  B.  ^j^tXXj  ^»bfi> 

i.ein  weiser  Mann  sagte*';  ^  gJujuo  ^  ^xsr> 

^jS  cXJumo  „Niemand  mag  ein  altes  Weib."  Einige  Ad- 
jectiva  verändern  finales  ^5*  auch  in  'ö',  wie  ^JL^  bhalö,  gut, 
(von  Sindhi  H^),  z.  B.  b  vdJLc  b  ^ 

^\  „du  bist  ein  grosser  Vazir  dieses  Reiches",  Nicol.  p.  23 
L.  3. 

Die  auf  *ah*  bleiben  entweder  unverändert  oder  ver- 
wandeln das  finale  *ah'  in  *ö',  z.  B.  j^Ci  ^  NL  ^  ^  f  j 

;5pf  |V>jl^  ü  ^cXaj  iidas  ist  die  Handlung  eines  recht  ge- 
meinen, undankbaren  Menschen",  Nicol.  p.  7,  L.  7; 

^d<sf  „eine  schlechte  Sache."     Diese  Anhängsel  sind 

schon  Lassen  (V,  p.  373)  aufgefallen,  ohne  dass  er  jedoch 
in  ihre  Bedeutung  einzudringen  vermocht  hätte. 

1)  Beim  AusKa;;cwort  dagegen  habe  ich  auch  '5'  gefunden ,  ^^^1 
«iylxÄ.  (^^.»L^  ^  i5*''^  „einen  Tyrannen  sah  ich  schlafend"  (Nicol. 
p.  6,  L.  4  V.  n.). 
[1880.1.  rhil.-phil  Cl.Ba.1.6.]  3 


84      SiUung  der  phäoa.'pkitol.  CIomk  vom  4,  Deeemher  1980. 

£b  ist  schwer  zu  befltitnmeD ,  was  diese  beiden  Affixe 
V  und  V  anprflDglicb  sind.  Das  determinatiTe  V  scheint  mir 
ein  enipbatisches  Affix  kq  sein,  entsprechend  dem  dr8vi4ischen 

das  an  Nomina  und  Verba  der  Kinpbase  wegen  angehängt 
werden  kann  (cf.  Caldwell,  p.  332  — ;J),  und  auf  der  andern 
Seite  das  indeterminative  'o'  ein  dobitatives  (ursprünglich 
fragendes)  Affix,  das  wie  das  emphatische  *e'  in  den  drSTi4i'' 
sehen  Sprachen  an  Nomina  und  Verba  angehängt  werden 
kann  (cf.  Galdwell,  p.  335). 

Obgleich  das  nns  zugängliche  Material  nicht  hinrdchend 
ist,  nm  anf  die  Bildung  der  Adjectiva  im  Brabüi  eingehen 
zu  können,  so  müssen  wir  doch  die  so  häufig  vorkommende 
Endung  *anga\  die  sich  sogar  an  eigentliche  Adjectiva  an- 
gehängt findet,  etwas  näher  betrachten.  Wir  begegnen 
Bildungen  wie  LXJ^L»  bär-angä,  „ähnliches  von  b&r 
„Aehnlichkeit^S  pir-anga  ^^tM^^  von  ^  „ein  alter 

Mannas  nnd  Ljo^  äar-anga  ,igat*S  Ton  dem  AdjectiT  ^ 
Sar  (Balnöl).   Gleichbedentend  mit  dieser  scheint  die  End- 

nng  'aya*  zu  sein,  z.  B.  Iä^U^jj  bim5r-ayä  (vielleicht  bimSr-ys 
zu  sprechen)  „krank^S  von  ^Uaj  (Pers.). 

Eine  drsvidische  Analogie  scheint  hiebet  aasgeschlossen 

zu  sein,  wir  müssen  daher  nach  einer  solchen  in  einer  der 
zwei  an  das  Brähüi  angrenzenden  Sprachen,  dem  Balüci  oder 
dem  Sindhi  suchen.  Im  Balüci  treffen  wir  die  Adjectiv- 
endung  'en\  die  an  jedes  Adjectiv  nnd  adjectivisch  gebrauchte 
Substantiv  angefügt  werden  mnss,  wenn  es  als  Beschreibe- 
wort einem  Substantiv  vor-  oder  nachsteht  wie  ^  Oy»^^  I 

8  SarSn  mardS  oder  ,^  j^T  S  mardS  iar6n  ,,Jener 

(ist)  ein  guter  Mann'*,  während  das  Adjectiv  au  sich  im 
BalvM  ^  aar  ist.   Diese  balüdi  Endung  'gn  scheint  mir 

im  Brshn!  in  *anga*  verwandelt  worden  so  sein  nnd  dann 


Digiiized  by  Google 


Ihtmpp :  Qramm.  Unter9uehmi{fen  Über  das  Br&UüS.  35 

weiter  (mit  Anaetoflsimg  de8*]i')  in  a^;  wie  dem  aber  auch 
sein  mag,  die  AnweDdon^^  dieser  EndoDg  stimmt  mit  der 

im  Balü5i  gebraachlicben  insofeme  ganz  überein,  als  sie  nur 
in  eigentlichen  Beschreibewörtern  vorkommt,  so  weit  ich 

bis  jezt  beobachten  kann,  i.  B.  ^jj^  ^f^j  ^(Xif  U^U^j 
„der  kranke  Mann  wurde  gesund'^ ;  ^^—^  dL^JLi iJSyj^^L^ 
)Ljd  t«^o^d  schnelle  Pferde  sind  gestorben,  dahingegangen^* ; 

j.Uj  Luo-  gäuu  UCüCü         l*hn»  Esel  toU- 

endete  seine  Reise**  (NicoL  p.  16,  L.  L  2*  3.)« 

Bine  Comparationsform  kennt  das  Brahü!  sowenig 

wie  die  dr5vi(|ischen  Sprachen.  Das  Adjectiv  bleibt  in  seiner 
Grundform  und  der  Gegenstand,  mit  dem  es  verglichen, 
d.  h.  vor  dem  ihm  ein  Vorzag  zugesprochen  wird,  wird  in 

den  Ablativ  gesest,  z.  B.  ^  ^  jCü^*  ^^U^^  «es 
ist  besser  stille  zu  sizen  als  zu  streiten''  (Bux,  p.  108,  L.  6); 

oJöJ*  JalS  b  ^cUj  siiJLf  lAA4Jß  nsein  He«  ist  bftrter 
als  das  Herz  des  Menschen''  (Buz,  p.  116,  L.  1). 

Das  Adjectiv  kann  dabei  noch  dnreh        n^iel^^  oder 

jlg*  (X^)  »tgross**  gehoben  werden,  wie:  ^^IxiS^  ^1  UT 
^  <L>syCLiJ>.  ^l^j  „meine  Schwester  ist  noeh  viel  schöner 
als  ich"  (Bux,  p.  129,  L.  2).  Auch  ^^j^Xy^  ziyasti  (Zuwachs) 
wird,  fthnlieh  wie  im  Hindflstsni,  gebraneht,  s.  B.  ^^a^L^  f«> 
^  Jm  »das  ist  besser/' 

Der  Bnperlativ  wird  dnreh  die  Vergleichnng  mit 

kul  (=  kull)  oder  oc^jj  drust  (Balüiij  ausgedrückt,  wie: 
^  -^^yd  li>  „dieser  PJau  ist  gut  vor  allen",  = 

„dies  ist  der  beste  Plan''  (Bux,  p,  86,  L.  9). 

3* 


by  Google 


36       SUsung  der  phao».-phäol,  Classe  wm  4.  December  JS80, 

§  ö. 
Zahlwörter. 

Ans  seinem  alten  Sprach?^cli;i7,e  hat  das  Brähfii  nnr 
noch  die  drei  erslen  Zalilen  t^erettet;  die  iihri^en  Zahlen 
scheinen  in  der  allgemeinen  Verwildernn«^  des  Volkes;  nach 
seiner  Verdrängaug  in  die  anwirtblicbea  Berge  von  BalüiUtäa 
iu  Vergesseobeit  geratheo  zu  sein  und  wurden  später  aas 
dem  baiachbarten  Balu^i  ersext. 

Die  Cardinalzah len  sind: 

S(>y^O  d?Szdah,  zwdlf. 

eina.  »J-^u«  sizdah,  dreizehn. 


(  asi^ 
t  aM 


i 
1 


zwei. 


masif  r 
,  i  drei. 

...^  masi  J 

£ar,  vier. 

panjy  fünf. 

j&Jb  saS,  sechs, 
haffc,  sieben. 
haSt,  acht, 
nuh,  neau. 
54>  dah,  zehn. 
nO'jij  yazdah,  elf. 


iJjL^  iahardah,  vierzehn. 

8(>^L  pfiozdah,  fönfzehn. 

8«>^Liä  äänzdab,  sechszehn. 

StViS^  hafdah,  siebenzehn. 

hi>^  haidah,  achtzehn. 

8(>^^  nözdah,  ueonzehn. 
bist,  zwanzig. 


blst-ö  yak,  ein  und 
zwanzig. 

bist-ö  dö,  zwei  und 
zwanzig. 


i  Km,  m  -^xm^j  blst-ö  sih,  dwi  nnd 
'  zwanzig. 


1)  Oder  nach  der  balüci  Aussprache 


bisi-o  öar,  vier  nnd 
zwanzig  etc.  etc. 

blit'S  sei. 


Digitized  by  Google 


2Viiiiipj>:  Oramm,  Untersudiunffen  Über  das  Braküf, 
^  ri,  dreissig. 

diliil  (iehel)  vierzig. 
»L^Xj  panjah,  fünfzig. 


37 

f)Jc  sad,  hundert. 

^  7^^  §^t  einhundert. 


seehssig. 
cUxiSb  haftad,  siebenzig. 

Y  A^as  hastadi  achtzig, 
navad,  neanzig. 


^Xjc  mi>  cid  sad,  zwei  bnndert 
ete.  efce. 

hflzar,  tausend. 

^  iak,  hundert  tausend. 

kar6r,zebnMillionen. 


Die  beiden  letzten  Zahlen  sind  indischen  Ursprungs* 
und  als  solche  ins  Balfijä  nnd  A.f/iUii8obe  (nnd  tbeilwetse) 
ins  Nenpersiscbe  eingedrungen. 

Die  Ordinalzahlen  sind: 


mnhikö 


erster. 


irat-mflcS,  zweiter. 


yC^^-»^  mnsit-mikö 


mus-vikö 


dritter. 


y^^^l^   öär-vikö,  vierter, 
eto.  etc.  etc. 

Statt  yCs^i  finden  wir  auch  L^U  munbs  (Box,  p.  130, 
L.  5  T.  Q.)  und  mnnhana^)  (NicoU  p.  33,  L.  7).  Der 


1)  Nicolson  bietet  Lc^Axy«,  was  aber  offenbar  ein  Irrthom  irgend 
welcher  Art  ist. 


Digilized  by  Google 


38     Sitzung  der  iMos.-pfM.  Classe  vom  4.  Deeemiber  S890. 

Stamm  ist  mfin  oder  m5n,  „das  Vordertheil**  (daher  ^^y» 

mön-ti  „vornen)",  identisch  mit  dem  Tamil  mun  (cf.  Caldwell, 

p.  250).  Die  übrigen  Cardinalzahlen  werden  regelmassig 
durch  Anhängung  der  Endang  mikö  oder  vikö  (mit  lieber- 
gang  Ton  'm'  in  *y*)  gebildet  In  dieser  Endnng  scheint  mir 
eine  doppelte  Bildang  zasammengeflossen  %u  seio.  Das 
Balfiä  bildet  die  Ordinalzahl  darch  Anbänguug  der  Endang 

*unf,  wie  ^y^jl^  isr-nnd  „dw  vierte/^   Daran  hängte  das 

Brahüi  noch  die  Ordinalenduug 'kö',  die  in  den  tlravidischen 
Sprachen  dem  Stamme  *agu*  entsprechen  würde,  aus  dem 
sich  nach  Caldwell  (p.  251)  ihr  Ordinulaffix  entwickelt  hat 
Dass  'kö'  das  nrsprllngliohe  Ordinalaffiz  des  Brahni  war, 
sehmnt  auch  ans  der  Form  aml-kd  herronragehen. 

Der  Begriff  ,,maP^  wird,  wie  im  Balüöi  und  Persischen, 
dnrch      ausgedrückt,  s.  B.  ^        U^j^  t«>  ndies  ist 

das  erstemal"  (Nicol.  p.  33,  L.  7).  L  ^y^i  ^^^^S®  ®s  zum 
zweitenmale."  Weitere  Zahlbenenuungen  sind  mir  bis  jezt 
noch  nicht  Torgekommen. 

Der  gezählte  Gegenstand  steht  nach  Zahlwörtern  (über 
eins)  gewöhnlich  im  Singular,  z  B.  JUw  Jl«  „hundert 

Jahre^S  «äaxajs  1  ^     t       ^)  „ich  habe  die  Last 

▼on  zwei  Eseln  anfgenommen**  (Bnx.  p  115,  L.  4.  5),  doch 
kommt  auch  der  Plural  vor,  wie  in  dem  Saze  (Nicol.  p.  8, 

L.  5,  6      u.) :    Juli  ^        ^Ixjüd^  ^-o  ^UaJU  ^1 

„wenn  der  Sultan  Befehl  gibt  fünf  Eier  mit  Gewalt  au 
nehmen,  so  werden  seine  Soldaten  ein  tausend  Hühner 

kochen/* 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  BrähilL 


39 


Mit  ilem  gezählten  Gegenstand ,  auch  wenn  er  nach 
einem  Zahlwort  über  eins  im  Singular  steht,  pflegt  das 
Verb  im  Plural  verbunden  zu  werden ,   z.  B.  ^^yt 

^^^^  y  vs^r^  7^  \J^^  ^^^tXiyo  soLj 
Vierzig  tausend  Fusssoldaten  waren  in  der  Ebene  ausge- 
breitet, bei  ihnen  waren  fünfzig  grosse  Kanonen*'  (Nicol. 
p.  28,  L.  2—5  V.  u.). 

§  6. 
Fürwörter. 

a)  Persönliche  Fürwörter. 
Erste  Person. 


Nom. 
Gen. 


Sing. 
^1    i.  ich. 

Ly'  kana. 


Plur. 
^  nan. 

Ui  nana 


Dat 
Acc 


k 


ane. 


nane. 


Conjunct. 
Abi. 


yii^  kan-tö. 
^Lxa5^  kane-3u. 


Loc. 


yj^^  nane-tö. 
yjLfJu  nane-an. 
^Luä  nane-ae. 


nane-ti. 


,  cLtJS'  kaue-ae. 
^^^i^Ä^^  kan»i-ti. 

Den  Instrumentalis  habe  ich  nicht  angeführt,  weil  ich 
bis  je/t  keine  Belege  dafür  gefunden  habe,  er  miisste  wohl 
'kane-a^*,  *nane-at*  lauten. 

Was  das  VerhältuLsa  von  'i*  und  *kan*  zu  den  dravi^ischen 
Sprachen  betrifft,  so  hat  Caldwell  damit  nichts  anzufangen 


40      SiUung  der  phüosrphiM.  Claase  wm  4,  Deeember  1860. 

gewusst;  er  ist  der  Meinung,  dass  diese  beiden  ötanune 
überhanpfc  in  keiner  Terwandtsebaftlicben  Besiehnng  zn  den 
drSviiJiachen  Sprachen  sieben  nnd  dam  die  Wurzel  *kan 
oder  *ka'  eber  mit  der  scTtbiscb-babylonischen  Eeilscbrifi- 

forni  *ka'  *hu*  zu  vergleichen  sei.  Bs  wäre  aber  wanderbar, 
wenn  im  BrShüi  die  zweite  Person  dravidischen  Ursprungs 
die  erste  dag^en  irgendwoher  anders  genommen  worden 
wäre.  Das  Brahöi  Y  scheint  dem  Telugu  'e'  am  nächsten 
sn  kommen,  das  naob  Galdweil  (p  258)  ans  *Snu'  verkörzt 
ist.  Schwieriger  ist  die  Brklfirnng  des  Stammes  ^kan\  zn 
dem  in  den  drafijisohen  Sprachen  nch  keine  Analogie  anf* 
zeigen  Iftsst.  Mir  seheint  *kan*  eine  euphonische  Aassprache 
für  *au'  zu  sein.  Das  Balüci,  das  das  Brahüi  so  tief  afficirt 
hat,  bietet  dieselbe  phonetische  Eigenthümlichkeit  dar,  indem 
es  den  Verbis,  die  mit  einem  Vocal  anlauten,  im  Praesens 
indefinitnm  ein  eaphonisches  'k'  yorsezt,  V>  sagt  man  im 

Balüö!  statt  ^JiJ  äyan  „ich  werde,  mag  kommen" :  ^^Ll^ 

k-ayBn,  ^1^1^  k-8ran  statt  ^ly  „ich  werde  bringen."  Dass 

dieses  phonetische  Gesez  auch  im  Brahüi  wirksam  geworden 
ist,  gellt  klar  aus  einzelnen  Verbalformen  hervor,  indem 
2.  B.  8^t^  ^1  i  kava  „ich  gehe^'  statt  'i  äva  steht.  Der 

Plnral  *nan'  entspricht  ganz  den  dravijischen  Analogien 
(Tamil  *nam'  etc.)  nnd  desshalb  ist  mit  ziemlicher  Sicherheit 

auch  für  den  Singular  ein  dravijischer  Stamm  anzunehmen. 

Man  könnte  fragen ,  ob  im  Genetiv  nicht  kan-nä  und 
nan-nS  zn  schreiben  wäre?  Bellew  (p.  424)  schifeibt  im 
Sing,  'kana^  nnd  im  Plnral  'nanni^,  was  ineonseqnent  ist. 
Bnx  (p.  10)  sagt  ausdrücklich,  dass  yor  der  Genetirendung 
*naf  das  finale  *n'  yon  *kan*  nnd  *nan*  abgeworfen  werde,  die 
Schreibweise  'kaua'  und  'nana'  wäre  demgemäss  vonsu^eben. 


Digilized  by  Google 


Trumpj):  Gramm.  Unterstichutufen  über  das  Brahfii.  41 

Zweite  Persou. 


Sing. 

Plur. 

Nora. 

ni,  du. 

» 

1 

nuni. 

Gen. 

Ii 

n5. 

IJ 

numS. 

Dat  1 

Acc.  ' 

ne. 

uume. 

Conjunct. 

•  •  • 

nc-tö. 

y 

•*  • 

uurae-tö. 

Abi. 

ni-an. 

QUtne-äu. 

Loc. 

ni-ae. 

üume-3e. 

l  .5  V 

ue-ti. 

nnme-ti. 

Der  Stamm  *ni\  *uum*  (immä)  findet  sich  in  allen  dra- 
vi(]ischeD  Sprachen  (cf.  Caldwell,  p.  519). 

Die  Genetive  der  Pronomina  vertreten  xugleich  die 
Possessiva  im  Brahüi. 

Das  Brahüi  besizt  kein  Pronomen  der  dritten  Person, 
so  wenig  als  die  drävidischen  Sprachen,  sondern  gebraucht 
dafür 

b)  Demonstrativ a. 

Diese  sind: 

1)  lo  da,  dieser. 
Sing.  Flur. 


Nom.  \^  da.  JLifi)  <iäfk. 

Gen.  (jIj  da-na.  Uilj  daftü. 

Dat. 
Acc. 

Conjunct.  ySi^\o  däd-tö.  ^'^^fj  däfle-tö. 


}  däd-e.  4<^^^  dafte. 

5.) 


Loc. 


42      ÜUzung  der  phüo9,-j)hilol.  Claase  wm  4.  JJeccmber  1880. 

Abi.  ^^LjIj    däde-au.       ^jLaifj  däfte-aa 

^^l^olo   dade-üe.       ^LAÄi(4>  däfte-äe. 
^•^jf«>   däde-fi.       J^^^^  dsfte-ti 

ist  sehr  unregelmässig  in  seiner  Flexion.   Es  ist 
wohl  nicht  mit  dem  pa$td  f«>  „dieser^*  snsammenzosteDen, 

sondern  aut'das  drlvidische  Demonstrativ 'adi*  zurückzuführen, 
das  im  Telugu  im  Formativ  'da'  bildet.  Der  Demonstrativ- 
stamm *dä*  kommt  im  Brähüi  auch  in  adverbialen  Bildungen 
7or,  wie  ^|4>  dä-|e  oder  ^jC^t(>  dä-nge  ».bier^S  Li*t«> 

da-B8  ,  jezt/*  • 

ITür  die  obliquen  Casus  des  Singulars  (mit  Ausnahme 
des  Genetivs)  musa  ein  Stamm  'dud'  angenommen  werden, 
dessen  finales  'd*  auch  in  *<J*  und  *r*  übergeht;  ein  solches 
cerebrales  findet  sich  schon  in  dem  Telngn  'y^4u  , Jener" 
(Galdwell,  p.319).  Der  Plural  *dSf-k'  wflrde  auf  eine  Singular- 
form 'dSf*  oder  Mst'  hinweisen,  in  welcher  übrigens  das  Y 
oder  *r  nur  eine  euphonische  Einschaltung  sein  könnte, 
wie  in  dem  Tnlu  *avn'.  In  den  drävicjischen  Sprachen  drückt 
zwar  der  Prouomiiialstamm  *a'  das  entferntere  Demonstrativ 
, jeuer"  aus,  seine  Uebertragiin;^  auf  das  näher  hiuvveiseiule 
Fürwort  jedoch  lässt  sich  daraus  erklären ,  dass  das  Brahül 
die  ursprüngliche  Bedeutung  der  Pronominalstamme  V  und 
'i'  (e)  vertauscht  hat. 

Das  Brähui  pflegt  den  Demonstrativen  noch  die  persische 

Partikel  ^  „eben*^  rorausezen,  die  nach  und  nach  ihre 
emphatische  Kraft  in  diesen  Zusammensesungen  Terloren 
hat,  so  dass  sie  der  Bedeutung  nach  den  eiufachen  Demon- 
strativen gleich  kommen.  So  entsteht  aus  !«>  und  die 
Form  t^xjua  han-ds,  indem  das  *ni'  Tor  einem  Dentalen  in 


Oigitized  by 


Trumjjjj:  Gramm.  UidcrsuchHutjcn  über  das  Bmhin. 


43 


n  fibergebt;  z.  B.  sS'  \^  kS  (jtUi  oyje  fcUi  ^\ 
j6  Lwtjdi  »wenn  diese  Sache  sich  so  Yerhält,  dann  sprich, 
damit  ich  jezt  gebe^' ;  bandad-tö  barflm  §te  „Terbeiratbe  mich 
mit  diesem*^  (Leecb,  p.  15,  L  a.). 

Diesen  Gebrauch  von       in  Verbindung  mit  den  De- 

monatratiTeii  bat  das  Brabfi!  von  dem  BalfiSt  geborgt,  das 
ganz  auf  dieselbe  Weise  Terffibrt;  so  sagt  man  im  BalüSi 

ouUj  ym  hanie  sar  najin(t),  „dieses  (nicht:  eben  dieses) 
ist  nicht  gnt/^ 

2)  ,1  ö. 

Das  zwischen  'd.i'  uud  'o'  in  der  Mitte  stehende  Demon- 
strativ ist  V  (drävi4isch  u')  „er'',  „der'*  (Lat.  is). 

Sing. 
«I  ö. 


Nom. 
Gen. 
Dat. 

Acc 

Coujuuct. 
Abi. 


Plur. 


} 


b^l  öna. 


^«>^f  öd-e» 
yi  öji  öd-tö. 


Ui^l  öfta. 


\  afte. 


Loc 


yS  ^jÄi^t  öfte-tö. 
^Ui^f  öflran. 
^Ui^l  oA-ae. 


I  öfte 


ae.  \ 


^b^l  öd-an. 
j5li>^f  öd-ae. 

Statt  öde  utc,  finden  sich  auch  die  Formen 

ö4e,         0%^  ^Ij^t  öf-an  etc.  Im  Singnhur  treten  die  Post- 

1)  El  findsD  sieb  jedooh  mit  ^  aiieh  vnfleetirta  Formen  Tarbanden, 

1.  B.  ^Lm  ^'IjuJL5^  »ibängo  die  Schlüssel  darauf."  Box, 

p.  74«  L.  6. 


44 


Sitzuittj  der  phUus.-yhUol.  Cltissc  vom  4.  December  1880. 


Positionen ,  die  mit  einem  Oongonanten  anfangen ,  an  die 

Fürm  'od'  (öd,  öl"),  wie  dies  aiicli  bei  'da*  (dfid-tö)  der  Fall 

ist,  «.  B.  jl^j  ^  j^l  \yf  —  JU  b  ^s>^l  sJcA^-j 

Lcyo  „Ziiljjiidiih  sah  sie  in  diesem  Zustande  —  darauf  weinte 
sie  nm  ihn  viel^^  (Nicola.  Abu'i  H'asan,  p.  19,  L.  6.  9). 
Die  znsammengesezte  Form       ham-ö,  die  ebenso  wie 

das  einfache  Deuionüirutiv  flectirt  wird,   ist  ebenfalls  viel 

im  Gebrauch,  ».  B.  AjLäX  ö  „damit 

brachte  er  sein  Leben  vergnügt  zu'^  (Nicol.  Abu4  H'asan, 
p.  2,  L.  2). 

3)  ^1  i},  jener. 
Sing. 

1^1  euä. 


Nom. 

Gen. 

Dat. 
Acc. 

Conjuuct. 

Abi. 

Loc. 


Flor. 
^1  efk. 


^^jo!  ed-e. 

yji  Jul  ed-tö. 

JjJ  5d-an. 

^fjol  5d-ae. 


gfte. 

yS  ^giJu\  efte-tö. 
^Liübl  5ft-an. 

^Ixijf  eft-ae. 
efte-p. 


Die  sosammengeflezte  Form         ham-S  ist  ebenfalls 

viel  gebraucht.    Statt  e<le  etc.   ündet  man  auch 

bftnfig  ^jLjl  e4e  nnd  ^j^f  Sre  etc.,  a.  B.  yxi^^  ^l^f 
vjl  U  JiJ»  t«>  „fraget  Yon  jenem:  ist  dieses  Pferd 

dein  oder  ist  es  nicht?"  ^L^^  I^Xä.  ^'yi>  «i^iii 


Digilized  by  Google 


Thmpp:  Gramm,  Unterauthungen  lAer  äta  Bruhilf,  45 

wird  Gott  Güte  erweisen'*  (Nicol.  p.  1»  L.  7  n.).  Im 
LocntiY  findet  sich  anch  die  Form  ^        hamS  t!>  z.  B. 

ifiL^  ^^4JD  »icr  wird  darin  ertränkt*'  (Nicol.  p.  22» 

L.  1  n.). 

Diese  Demoustrativa  werden  nur  dann  voUstäudig  flectirt^ 

wenn  sie  für  sich  stehen,  z.  B.  ^Uj  ^LLliJS 

,jene  sind  ganz  schlechte  Mänoer  (=  Gatten)^'  (Box,  p.  50, 

L.  9);   siy^Hi  IJäxP  ^jywaiu  ^^1  ^  ^^ÄAjl  „ich  sah  an 

ihnen  kein  Vergehen'*  (Nicol.  p.  3,  L.  6);  bestimmen  sie 
aber  ein  Nomen,  so  werden  sie  wie  Adjectiva  behandelt 

und  daher  nicht  fleotirt,  z.  B.  (j  JCuaj  ^^sk.^  Ij> 

dä  DiOdir'ik  biaiog  uä  arer  „diese  bcbulie  sind  zum  anziehen 

da"  (Nicol.  Abn'l-HWn,  p  8,  L.  7);  ^  Jl^ 

^^AJt  i,ist  in  diesem  Flnss  ein  grosser  Fisch?"  (Bux, 

p.  52,  L.  1  V.  n.);  ^        uLcJöj  |j  „dies  ist  die 

Matter  jener  Männer*'  (Box,  p.  96,  L.  6). 

c)  Das  reflexive  Pronomen. 
Unmittelbar  an  die  personlichen  FUrwörter.  schlieast 

sich  das  reflexive  iVonomen  ^jjj  ten  oder  öuuu  tenaj  an ; 

die  leztere  Form  wird  nnr  im  Nominativ  gebranoht»  während 
sämratliche  Casnsaffixe  mit  ^jjj  t?n  yerbnnden  werden.  In 

den  (Iriiviflischen  Sprachen  lautet  dieses  Uetiexiv  *tan*  und 
*tän*  und  winl  dort  ebenfalls  reti^elmässig  floctirt.  Das  finale 
in  tönat  Tergleicht  Caldwell  (p.  291)  mit  dem  anoiganischen 
't',  das  im  Gönd  den  persönlichen  Fürwörtern  angehängt 
wird.  Es  ist  aber  nicht  unmöglich,  dass  t^naf  ursprüng- 
lich ein  Instrumentalis  ist,  so  dass  ^  tSnat*  „ich  mit  mir 
selbst''  bedeuten  würde. 


Digitized  by  Google 


46     SUtung  der  pkiloe.'philol.  CloMt  vom  4.  DeceaAer  1S60. 

Im  Brfthül  wird  tob  *t@ii*  oder  'tSDaf  kein  Plural  ge- 
bildet, da  die  Zahl  entweder  durch  ein  Pronomen  oder  durch 
ein  Verb  näher  bestimmt  wird. 

81  ng.  und  Plur. 
Nom.  ten,    ^\aj  ixmU  selbst. 

Gen.  Läaj  tenä. 


IlS  tene. 


Dat.  ^ 

Acc.  I 

Conjunct.         y  ^jjj  tCu-tö. 

Abi.  ij^-^  tSn-fin. 

^LoaS  tgm-Äe. 


Loc. 


Der  LocatiT  (^Iaäaj  mir  swar  TerdSchtig  (man  wdrde 
^Lui  tSn-äe  erwarten),  jedooh  finde  ich  ihn  Nico!.,  AbnU- 
ffasau,  p.  9,  L.  3:  \yb  ^^LuüJ  schaute  auf  sich/* 

Ein  Beifipiel  vom  Pluralgebraach  von  ^jjj  ist:  &jL^ 
^jjS'  'jy^  utyyt  ^^AkS  yS  naoe  babänah-iö  mordah  jför  k$n 
„wir  Wüllen  uns  mit  List  tudt  machen  {—  stellen)",  Nicol. 
Abn'l-H'asan ,  p.  18,  L.  2,  3.  folgt  in  seiner  An- 

wendung gans  den  Regeln  des  pers.  indem  es  niefat 

nur  den  Begriff  „selbst^'  im  Nominativ  ausdrückt,  wie; 
^  tuu'  \^  ^  ,o^er  möge  seinen  Oedanken 

selbst  ausfuhren**  (Bux,  p.  90,  L.  9),  sondern  in  den  Sbrigen 

Casus  auch  das  sich  auf  das  Subject  des  Öazes  beziehende 


Digitizeijl)y  üooglc 


Ttumpp:  Qramm,  üfUernuehungen  flfter  dän  BrShfif,  47 

Pronomen  vertritt,  s.  B.  ^jju'  JlL      i^er  nahm 

deu  Stein  zu  sich*'  (Nicol.  p.  0,  L  G  v.  u  ). 

Der  Genetiv  Lu?  vertritt  im  Brahüi  das  Possessiv,  in- 
dem  es  nach  dem  Sabject,  anf  das  es  sich  heaieht,  zn  Aber* 
sezen  Ist^  wie  das  einem  Nomen  folgende  persische 

z.  B.   1^  ^^L^  J  tXcf.  \J  yjy^  ^^1  «ich 

seze  dich  Tiicht  wiedt  ruiu  uq  die  Stelle  meines  Freundes 
(i.  e.  mache  dich  nicht  wieder  zu  — )"  (Nicol.  Abu'l-lTaaau, 

p.  14,  L.  3  V.  n.) ;  ^Xs^  ^^^*>^  ^  ^y^  »»^•^^  ^ 
er  seinem  Schazmeister  den  Befehr^  (Nicol.  1.  c  p.  20»  L.  ö). 

d)  Interrogativs. 

1)  Das  fragende  F'ürwort,  das  meist  nnr  von  lebenden 
Wesen  gebraucht  wird,  ist       der  „wer?^^  his  hat  keine 

PlnralbilduDg ,  sondern  die  Idee  der  Plnralitftt  moss  ans 

dem  Zusammenhang  erschlossen  werden.  Es  wird  nur  sub- 
stantivisch gebraucht. 

Sing,  und  Plar. 


Nom. 

7^ 

der. 

Gen. 

din-nä. 

Dat.  1 

Acc.  J 

dl^r^e. 

Conjunct. 

der-tö. 

Abi. 

d^r-Sn.i) 

Loc. 

der-fle. 

der-fi. 

1)  Bellew  ip.  476)  gibt  dii'  Form  d^ryän  an,  ilie  ich  aber  uocb 
nirgeods  gefanUcn  habe  and  daher  für  uuricbtig  halte. 


48     SHtung  der  jyhilos.-phihl.  Glosse  wm  4,  Dectmber  1880, 

*D?r  i'rt  dräyidwcben  Ursprungs ;  wir  finden  hier  Rcbon 

'ycr  und  mit  üebergang  von  *y?*  in*de  weiter  *der*  (cf.Oald- 

wpU,  p.  317).  Im  Genetiv  muss  eine  Form  'diu  supponirt 
werden,  die  aus  *de'  mit  einem  formativen  'n*  entstanden 

ist,  of.  das  Tnln  *dÄne'  „was?*'    Beispiele:  n\ 

der-us  „wer  bis  du?''  cJLo  b  dü  mfik  der-ö  „wer 

sind  diese  Knaben?"    ^  \lo  \ß  b  „wessen  ist  dieses 

Haos?"    Idiometisch  sagt  man  auch  ^        ^  U  nwas 

ist  dein  Name?"  (  Hnx,  p.  oH,  L.  4),  weil  der  Name  sich 
auf  eine  Person  bezieht,   dagegen   ^^««031  ^  b  b 

„wa.s  ist  der  Name  dieser  Stadt"  (Bax,  p.  58,  L.  9  n.)f 
weil  nach  dem  Namen  einer  Sache  gefragt  wird. 

2)  oJI  *Ai^t*  (anch  öfters  geschrieben)  wird 

nur  von  leblosen  Gp«reuständen  gebrancht,  nnd  zwar  anb- 

stantivisch  und  adjectivisch ;   es  wird  nicht  flectirt,   z.  B. 

(         b  nä  kukm  ant-se  (oder  ant-ase)  „was  ist  dein 

Befehl?"  (Bux,  p.  54.  L.  8  v.  u:),  ^ul        nl  ant 

knnös  „was  wirst  du  essen?''  (ibid.  L.  4),    ^^^1^  c*3t  ^ 

Lwi"  „was  för  ein  GesehSft  thnst  dn?"  (Bnx,  p.  56,  L.  6 

V,  u.)  Wenn  der  Begriff  „was  für  ein"  noch  stärker  hervor- 
gehoben werden  soll,  so  kann  dem  Nomen  nach  ^|  'as'  (ein) 

angehängt  werden ,   z.  B.  ^fs'^^  voöt  ^  ^was 

für  ein  Vergehen  hast  du  begangen?"  (Bux,  p.  56,  L.  7  y.  a.). 

'ant'  entspricht  dem  Tamil  'enda',  welches  nach 
(Jaldwell  (p.  324)  ein  interrogatives  Adjecti?  ist,  mit  Uebef 
gang  von  *e'  in  *a  (Telugn  und  Ganaresiseh  'enta*). 

Zn  beachten  ist  die  bräbüi  Form         anta-e  „warom?" 

z.  B.  iUH^  „warum  zeigst  da  kein  Erbarmen?'' 


Digilized  by  Google 


Trumpj):  Gramm.  Untersuchungen  Uber  das  Brähfti.  49 

(NicoL,  p.  19,  L.  6  V.  u.).  Dieses  scheint  dem  Tamil  eu- 
namäy  zu  entsprecheu  (cf.  Caldwell,  p.  321),  das  auf  eine 
ähnliche  Weise  gebildet  ist. 

3)  f^!  arsi  stimmt  in  der  Bedeutung  und  im  Gebniueh 

ganz  mit  ant  überein,  z.  B.  ^  |^|  K|  ^|  „was  i.st  j»Mu*s 

Haus?'*  (Bux,  p   G2,  L.  6);   (^^Ls-  ^J^l  y  ^  „zu 

welcher  Zeit  sahst  du  ihn?"  (Bux,  p.  64,  L.  2). 

Die  Etymologie  von  |^|  ist  mir  zweifelhaft;  vielleicht 

ist  es  mit  dem  Telugu  *elü*  verwandt,  mit  Uebergaug  von 
V  in  *a*  und       in  *r*  (cf.  Caldwell,  p.  327). 

Folgt  auf  oöl  oder  |^|  das  Relativ  so  gehen  die.^;e 
Interrogativa  in  die  Bedeutung  von  Demonstrativa  über; 
„das  was'' ;   z.  B.    ouLie  ^  j  ^  ^ 

^iJL^LJ  ^^jJ  OAvt  IajI  ei5^  „fin  jeder,  der  von  sciiiiiu 
Haupte  die  Hand  wegnimmt,  spricht  da«;,  was  in  S(!in  Herz 
kommt"  (Nicol.  p.  1,  L.  3.  4.).    Wird  an  ^ol  oder  noch 

^1  (ein)  angehängt,  so  bedeuten  .sie  ,,was  imnu-r"  («|Uod- 
cuuque),  z.  B.  ^Lc^Lj   b  \d<^  ^Joo  cS 

„was  immer  ein  Mensch  tliat,  das  i.st  von  Seiten  (inil,«ts** 
(Bux,  p.  134,  L  1). 

iOCxw-üt  aut-ase-kih  (ich  finde  es  meist  so  ziisammen- 
geschrieben)  bedeutet:    „darum  dass,   dievveil",  wörtlich: 

„was  ist  es,  dass"  z.  B.    Ij^i».  ö^o^       i^  yJ^  ä)Caa*JoI 
„weil  das,  was  ich  getban  habe,  Gott  gethan  hat" 
(Bux,  p.  134,  L.  5  V.  u.). 

e)  Das  Relativ. 

Als  eine  acht  drävidische  Sprache  b^^sizl  das  Br.ihrri 
kein  Relativ.    Durch  seine  Berührung  mit  dem  Baliici  ist 
[IHSO.l.Pliil.-nhil.Cl.  11(1.1.0]  4 


5U     äiUung  der  pluh».-ifiUlol.  Claaae  vom  4.  Ikcember  ItkiO. 
jedoch  mS^  als  ßelativzeicheu  aufgenommen  worden,  das  ganz 

wie  im  BalüS!  und  PersiBeheii  behandelt  wird,  indem  der 

Casus  und  die  Zahl,  welche  dem  Relativ  logisch  zukommen 
würden,  durch  ein  Pronomen  aufgenommen  wird;  steht  das 
Relativ  logisch  im  Nominativ,  so  wird  das  Pronomen  aus- 
gelassen ,  was  auch  hei  der  Accasativbeziehung  desselben 
gestattet  ist,  s.  B.  LüJ  ^^1  dlijüü  U  fj^  k^'  dÜU*J» 

^'"^  ^)  <5^^^  ^  s^x^^  „diejenigen,  die  Gottesmänner 

sind,  betrnben  nicht  die  Hersen  ihrer  Feinde**  (NieoL  p.  13, 

L.  2  V.  Q.j;  JJj^  ^  ^«>^l       ^JUj  ^ 

^         ^j[jSbjj   b^l  <^yjo  ü^f  „der  Mensch,  für  welchen 

der  Schlaf  besser  ist,  als  das  Wachsein,  dessen  Tod  ist 
beftser  als  sein  Leben  (NicoL  p.  6,  L.  2  y.  n.). 

Termittelt  ganz  allein  die  Beziehung,  besonders 

wenn  es  auf  einen  Qualitäts-,  Quantitats-  oder  Zeit-  und 

Ortsaasdruck  snrückweist,  a.  B.  ^j^L 

„(von  der  Weise)  wie  du  reden  wirst,  so  (von  der  Weise) 
wirst  da  hören''  (Box,  p.  106,  L.  4  a.); 

Ascete  in  sein  Haas  aarflckkdirte^'  (Nicol.  p.  14«  L.  5  a.). 

f)  Pronomina  indefinita  und  pronominale 

Adjeetiva. 

Wir  führen  diese ,  der  üebersichtlichkeit  willen ,  in 
alphabetischer  Ordnung  auf,  einfache  sowie  zusammengesezte. 

axas  \ 

?  wie  Tiel?  (qnantns). 
(«a^)  a^f    axah  (haxah)i 

^vv^vf    asasi,  ein  jeder. 


Digilized  by  Google 


Dumjip:  Gramm.  Unlcinuchtuujcn  über  lUm  liruhfa.  51 

asi,  einer. 

as-elö,  der  eine,  der  andere  (aliua  alius). 

y 

cE-qadrf  soviel  (jene Quantität, Balüöi-Arab.). 

-•-  ^1 

was  für? 

uban,  von  jener  Weise,  Art. 

^' 

elö,  ein  anderer. 

büz  (bhäz),  viel  (Balü6i). 

pen,  ein  anderer. 

pen  he£  kas,  gar  kein  anderer  (Brab.-Bal.). 

J 

tumakäkf  beide. 

^^^^  ^^^^m 

ten  pa-ten,  mit  einander  (Bräb.-Bal.), 

dax^b,  80  viel  (tantns). 

dä-qadr,  so  viel  (diese  Quantität,  Bräb.- 

Bal.-Arab.) 

9 

drnst,  alle,  alles  (Balüii). 

dübun  (dnbnn),  von  dieser  Weise,  solcbes. 

kas       \  irgend  einer  (Pers.-Bal.). 

kas-as   l  (Bräb.-Bal.), 

kul  (=  kull),  alles,  alle  (Arab.-Bal.). 

l^r  gir5  1 

^              >  etwas. 

^IjT  girä-sl 

4* 

52     Sitzung  der  plkUosr^Mol,  Cla$ie  vom  4.  December  ISSO, 
maihit 


>  em  wenig,  wenige. 


man 
JliJyo  mantak 


I  einige. 


beide  (Bräh.-Bal ). 


^  '  [  beide  (Ptos..Bal.). 

JLe^o^    har-dGmak  i 


yi    har,  ein  jeder  (Pert.-Bal.) 
^&iuJyt    bar-asit,  ein  jeder  (Br&b.-Bal.) 
^jjoy»    bar-p§n,  jeder  andere  (Brah.-Bal.). 
JLeyy»  har-tümak 
^LoyiyD  har-tümün 
vJi5^y>y&  har-tümakük 
har-dö 

Q*S.s^    bar-kas,  ein  jeder  (Pera.-Bal.). 

as.^4jb    bamöxab,  eben  so  vieL 

^03  bamö  qadr,  so  viel  (jene  Qaautitüt) 

bamün,  von  der  Weise,  solches. 

bamöhun»)  \ 
^  '  J  von  jener  Wene. 

^It*^    bamäiun')  J  ' 

1 


^jOOJD    handim*)    |   von  dieser  Weise;  solcber, 
^    banun*)  « 


1),  2),  3)  und  4):  Bax  spricht  diese  Worte  haodon,  bamGhon  tte. 


Digitized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Unlcrsuchunoea  über  das  Bmhüi.  ^'^ 
heö,  irgend  etwas  (Pers.-Bal.). 


f^.^UJ&    heörä  (Demiu.)  irgend  ein  weniges  (Bal.- 
"  *  Siudhi). 

fj^^kSb    he6-kas,  irgend  welcher  (Pers.-Bal.). 

Im  einzelnen  ist  noch  folgendes  zu  bemerken. 
a^ah  nimmt,  wie  ein  Zahlwort,  den  Gegenstand,  nach  dem 
gefragt  wird,  im  Singular  zu  sich,  während  das  dazu  ge- 
hörige Verb  in^  Plural  steht,  z.  B.    ^|  pJoL)  ä^».! 
„wie  riele  Leute  waren  gegenwärtig?"  (Bux,  p.  04,  L.  7). 

^jjuCj  ^jXj  bedeutet  wortlich:  ,, selbst  mit  selbst" 
ist  balüöl  Praeposition) ,  dann  „mit-,  untereinander",  z.  B. 

yL\ji  ^5^5^  v:^^  cA?;;*^    y    »'^^^^^^  Darvische 

hatten  mit  einander  Freundschaft  gemacht"  (Nicol.  p,  22, 
L.  1).    i^^juü  wird  aber  schon  wie  Ein  Wort  be- 

handelt, dem  wieder  das  Locativaffix  ^  angehängt  wird, 

obschon  dies  grammatisch  unrichtig  ist,  z.  B.  dla^i 

oiäl^  ^  t^^yt^         waren  früher  nuter  einander 

bekannt"  (Bux,  p.  110,  L.  1  v.  u.) 

^\  „was  für  ein"  nimmt,  weil  das  Wort,  nach  dem 
gefragt  wird,  der  Natur  der  Sache  nach  unbestimmt  ist, 
die  Endung  *ü*  an,  weuu  es  als  Beschreibewort  gebraucht 
wird,  z.  B.         JUL^'  „was  für  Bücher  sind  esV" 

(Bux,  p.  52,  L.  6  V.  u.);  ^  "Was  ist  das 

für  ein  Thier?"  (Bux,  p.  54,  L.  8);  dagegen:  ouixaIs  b 
^        »»wie  befindest  du  dich?"  (ibid.  L.  9),  als  Aussage. 


54      Sttning  der  phHosj'pkiM.  Clauc  vom  4.  December  1880. 

Za  sg)^yS  tümaksk,  oder  mit  yi  soBammeBgesest 

^ViitySySb  oder  gekllnst  e)Lo^^  (vJLe^jyD)   „beide**  ist 

za  bemerkeu,  dass  *sk'  die  regelmassige  Plaralendang  des 
NominativB  iat,  die  in  den  obliquen  Oesna  in^fit'  tibergefat; 
ee  ist  daher  fiilseh,  wenn  Box  p.  8  ^Loyyo  als  NominatiT 

angibt,  die  Beispiele  sprechen  alle  dagegen,   wie:  ^ 

iXrtT  jS^oA^^t^yb  ,twas  für  ein  Kri^  ist  zwischen 
ench  swei?**  (Box,  p.  58,  L.  3);  ^buiyT^  Juuxl^J  *t^7^ 

^1^^  Lxji>  1»*^®*"  Arme  (and)  Reiche,  beide 
sind  Diener  dieser  Welt**  p^iool.  p.  5,  L  1);  liJisft 
yüö  yj\jj\Sio^  «,geh,  schane,  wer  von  den  beiden 
gestorben  istV^^  (Nicol.  AbuU-ü'asan,  p.  21,  L.  8). 

1^  girS  „etwas**  wird  als  Snbstantiv  nnd  ids  Besehreibe- 
wort gebraucht ;  als  Substantiv  bedeutet  es  „Sache",  ,,Ding" 
ttud  kommt  auch  im  Plural  vor,  z.  B.  »L^JjT  !•> 

JCLm  nist  auf  diesen  Sachen  irgend  eiue  Rechnung?"*) 
(Bnx,  p.  58,  L.  4).  u^l^  ^s*^  «wirst  dn  mir  etwas 

sagen?"  (Bnx,  p.  64,  L.  4);  ^  ^  fjT  U^,!  „hast 
du  heute  irgendwelche  Nachricht?"  (Baz,  p.  60,  L.  5  v.  u.). 

vsNjU^  mant-8k  ist  sdner  Form  naeh  Plnril,  s.  B. 

ssJlJ  JüL&>^*>  oJ^  ^  ^5tJÜr^^U»  JlXu  „nach  einigen 
Jahren  kam  ich  znr  selbigen  Zeit  von  Damasens**  (Niool. 

p.  20,  L.  2  V.  u.). 

1)  jCuM  wag  ilt  Sindhi  .Beehoong*,  »Bendmiiiig*, 

«DiseoQto^" 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  Über  das  Brahüf.  55 

^jt^j  ^.A^ft  und  ihre  Compoaita  werden  gewöhnlich  nur 

in  einem  negativen  oder  interrogativen  Saze  gebraucht,  wie 
im  Balü6i  und  Persischen. 

Correlative  werden  gebildet,  indem  dem  interroga- 
tiven Adjectiv  der  Qnalität  und  Quantität  das  Relativ  ^ 
nachgesezt  wird ,  wodurch  es  demonstrative  Kraft  erhält, 
und  als  Correlativ  das  die  Frage  beantwortende  Adjectiv. 
Das  demonstrative  Adjectiv  wird  durch  das  nachgesezte  Re- 
lativ tS'  in  einen  Relativsaz  hereingezogen,  als  dessen  Cor- 
relativ dann  dasselbe  Adjectiv  fungiren  kann,  z.  B. 


*   wie  viel  —  so  viel. 


wie  beschaffen  —  so  beschaffen. 


Z.  B.  jj*Jül  tS^ tJ^  nwie  viel  er  wünschst, 

so  viel  magst  du  gel)en"  (Bux,  p.  90,  L.  4);    tS^  OT*^ 

)]y^  ^b^Ai  ^yyo  C>\jjJ    nwie   der  Lehrer  sein 

wird,  so  werden  die  Schüler  sein^^  (Bux,  p.  102,  L.  11). 

§  7. 
Das  Verbum. 

Das  BrShfn  hat  nur  Eine  Conjugation,  die  wie  bei  den 
drävicjischen  Sprachen   im  allgemeinen  vollständig  regel- 


56     SUiung  der  fhao8,'phiM.  Clane  wm  4.  Deeember  1880, 

niässi;^  (liircli  An:glutiiiati(»n  /u  Standi'  frebraclit  wird.  Das 
brabüi  untci-.-cheidet  sich  indesseu  von  cnltivirteu  drä- 
yiijischeii  Sprachen  wie  dem  Tamil  de.  dadarch,  dass  es 
wie  das  Tala  eine  grössere  MannigXr'.ltigkeit  von  Tempora 
aasgebildet  hat,  wahrseheinlich  durch  '-'o  Kinfloss  des  be- 
nachbarten Balfiii. 

In  formeller  lliusicht  besteht  zwiticlieu  dem  Verbam 
iiil  niusitiviiin  und  traiisitivum  kein  Uuter-icliied,  beide  werden 
auf  die.selb(;  Weise  a))gewandelt;  dasselbe  gill  uuch  von  dem 
Catusativ,  das  ]a<  Hrähiii  nach  der  Analogie  der  dr&vi^ischen 
Sprachen  ausgebildet  hat. 

Neben  dem  Activnm  besisst  das  BrSbQI  auch  ein  Pas- 
sivum,  obgleich  dies  TerbfiltnissoiSssig  selten  angewendet 
zu  werden  scheint. 

Was  das  ijiaiuu  ganz  .speciell  als  eine  drfiviilische 
Sprache  characterisirt  ist  die  ne^(ative  Form  des  Zeitworts 
durch  alle  Tempora  hindurch,  die,  wie  in  den  drävi^isch- 
türanischen  Sprachen  durch  Anfügung  der  liegation  an  den 
Verbalstamm  vor  dem  Antreten  der  Personalendungen  ge- 
bildet wird. 

Eigentliche  Modi  hat  das  Brähül,  wenn  wir  von  dem 

Imperativ  absehen,  keine  ansgebildet;  es  hat  wedf*r  einen 
Subjunctiv  noch  Optativ  noch  Conditional.  Wie  diese  aus- 
gedrückt werden,  werden  wir  später  seheu.  Auch  die 
Bildung  der  Partieipien  bt  nnr  sehr  spärlich  vertreten. 

§  8. 

1.  Die  sotive,  affirmative  Form  des  Zeitwoiiee. 

Sämmtliche  Tempora  des  brahüi  Verbs  zerfallen  in 

zwei  Classen:  1)  in  solche,  welche  mit  dem  Infinitiv 
und  d<'r  V  erbal  w  u  rze  1,  und  2)  in  solche,  welclie  mit 
dem  Particip  de»  i'racteritumä  zusammeugesezt 
werden. 


Digitized  by  Google 


TruMj)p:  (jriamm.  Unter mdiungcn  über  das  BralMi,  57 

1)  Teiiiporn,  welche  mit  dem  Infinitiv  and  der 
Verbalwurzel  zu  sammengesezt  sind. 

Der  InfiniÜT  aller  brahfil  Zeitwörter  endigt  anf 
*ing\  z.  B.  jCjüb  bin-ing,  hören,  jCuu»  hinging,  gehen. 

Der  Infinitiy  ist  ein  Verbalnomen,  das  darum,  wie  jedes 
andere  Nomen  flectirt  werden  kann,  z.  B.  «Xu»  •  1^^^^^  ^ 

S4>y  U  ««ist  es  dein  Wunsch  nach  £uropa  zu  gehen?'' 

(Bux,  p.  5ö,  L.  7).  Diese  lutinitivendung  entspricht  dem 
Tamil  Infinitiv  auf  *g-a*  (und  nasalisirt  ng),  womit  auch  das 
Tamil-Aftix  'ngei'  zu  vergleichen  ist  (cf.  Caldwell,  p.  425 
und  434).   Man  könnte  Yersueht  sein,  dabei  auch  an  die 

balnii  Infinitirendung  'ag'  zu  denken  (z.  R  J'ju  ba4-ag, 

täuschen),  was  indessen  bei  dem  ausgeprägten  drilviijischen 
Gharacter  des  brahüi  Verbums  nicht  wahrscheinlich  ist. 

Man  erhalt  die  Wurzel  des  Zeitwortes  und  dadurch 

zugleich  den  Singular  II.  Pers.  des  Imperativs,  indem 
die  Infinitivendung  'ing'  abgeworfen  wird,  z.  B.  von  jCu^ 

„hören"»  Imper.  ^  bin  „höre",  kun-iug  „essen'S 

Imper.  ^jjT  kun.   Die  zweite  Person  des  Plurals  wird  durch 

Anh&uguug  der  £ndang  ^  bü  gebildet,  z.  B.  bin-bö 

„höret'*,  yjS  kun-bu  „esset.** 

Es  gibt  jedoch  im  Brahfi!  eine  ziemlich  grosse  Anahl 
Ton  Verben,  die,  ahnlich  wie  im  Nenpersischen,  ihren  Im- 
perativ auf  eine  un regelmässige  Weise  bilden ,  indem  sie 
denselben  nicht  von  dem  im  Infinitiv  vorliegenden  Verbal- 
stamme ableiten,  sondern  eine  andere  Verbalwurzel  substi- 
tuiren,  z.  B.  jUiS  tin-ing  „geben",  Imper.        Ste;  uClud 

hin-ing  „sehen'', «  Imp.  ^  hir  (von  dem  auch  gebräuch- 


Digilized  by  Google 


58     Sittung  der  phUos-philol,  Olaise  vom  4,  Dtcember  1690, 
liehen  J^yb  bir-ing).    Ueberbaupt  manche  Verba,  deren 

Stamm  im  InfiniiiT  aaf* n*  ausgeht,  yerwandetii  dasselbe  im 

Imperativ  iu  *r',  dem  noch  hie  und  da  die  Silbe  *ak'  beigefügt 
wird,  ein  Affix,  das  auch  anderweitig  zur  Verstärkung  der 
ImperativbedeutuDg  angehängt  zq  werden  scheint,  z.  B. 

vXaJU  man*ing  „seines  Imp.  ^  mar;  jCljJ  daii*ing  „weg- 
nebmen^S  Imp.        dirak ;  jCjuS^  kan-ing  „ihnn'S  Imp. 

c]|^kär-ak;  jCui  ban-ing  „kommcui",  Imp.  bar-ak 
(drSTi^ieebe  Wnnel  yar-n);  iXu^  xaii*ing  „sehen^S  Imp. 
4iU^  Xijx-ak;  JüU^  bin-ing  „hören'',  Imp.  ^  bin  oder 
«jl£>  bfn-ak.    Aadere  werfen  den  Endconsonanten  des  im 

InfinitiYe  rorliegenden  Stammes  ab,  wie:  jClsL  pcän-ing 
„sagen**,  Imp.  Lj  p3;  oder  hängen  daran  '\h\  wie:  AjJ^ 
tfil-ing  „nsen**,  Imp.  ^u^Si^S  tQl-tib,  jCJL&>  x^-ixig„8cblageu'*, 

Imp*  ^^I^  Xftl'tht  ifjJkf  hal-ing  „nehmen",  Imp.  ^^if* 
hal-th.  Wieder  andere  zeigen  im  Imperatiy  denselben  Stamm, 

den  sie  im  Inüuitiy  darbieten,  z.  B.  Jo^^  6ar-ing  „herum- 
wandern** (Sindbi  ^^lyi,  Imp.  jCj^  Daring;  ji^ 
tar-ing  „spinnen'',    Imp.  jCj^'  taring;    jCjLw^  ras-ing 

„aukomraen'*,  „zukommen"  (Siudbi  TJTCFj  Pers,  ^ju^y. 

Imp.  JsJuny  rasing.  Dabei  ist  an  bemerken,  dasa  das  Affix 
'ak'  vor  der  Plnralendnng  ^bo*  wieder  abgeworfen  wird,  also: 

hiuak,  Flur,  hin-bö.    Endigt  der  Imperativ  auf  'r*  oder 
so  werden  diese  ror  der  Ploralendang  *bö'  elidirt,  s.  B. 
birak  (barj,  PI.  ^  ba-bö;  ^  kar  „thue'S  PI.  ^x^'ka-bö; 
^Lä  iJego^S  PI-  ^t^*   Aneh  fk  (was  inlmer  für  ein  Affix 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brähilf. 


59 


es  sein  mag)  wird,  ähDÜch  wie  'ak\  im  Plural  abgeworfen, 
wie :   -.^iJlifc.  xal-t^  „schlage",   Plur.  ^aJLä.  Z^l-bö ,  doch 

nicht  durchgängig,  z.  B.  y^^lLt  ^^^^  b  jJ^lj  „presset 
(=  presse)  das  Wasser  dieses  Kleides  aus'*  (Bux,  p.  80, 
L.  2  V.  u.);  ebenso  ein  finaler  Vocal ,  wie  ^^^jf  „gieb**, 
PI-  ^-jJü!  ct-bö. 

Dieses  Unregelmässige  in  der  Bildung  des  Imperativs 
sollte  nach  ihren  Ursachen  noch  näher  erforscht  werden, 
was  aber  bei  dem  zur  Zeit  vorhandenen  Material  noch  nicht 
möglich  ist ;  wir  werden  weiter  unten  eine  Liste  der  bis 
jezt  bekannten  unregelmässigeu  Verba  aufstellen. 

In  den  dravi(Jischeu  Sprachen  ist  die  zweite  Person 
Sing,  des  Imperativs  ebenfalls  identisch  mit  der  Verbal- 
wur/el.  Das  Pluralaffix  des  Imperativs  *bö*  scheint  der 
malayäjum  Pluralendung  *pin*  (Tamil  *min*)  zu  entsprechen, 
wenn  man  es  nicht  vorzieht,  es  mit  der  gewöhnlichen  Im- 
perativ Pluralendung  des  Tamil  *um*  zn  vergleichen,  wobei 
man  aber  eine  Umkehrung  in  *mu'  und  Uebergang  von  *m* 
in  'p*  und  *n'  in  'ö*  annehmen  mnsste. 

Aus  dem  Infinitiv  wird  das  Praesens  con- 
ti nun  m  durch  Zusammonsezang  mit  dem  Praesens  des 
Verbara  substantivum  viyf  ut  und  der  Postposition  ^  \\  „in" 

folgendermassen  gebildet:  <y|     V  jCl^'  ti/ing-ti  ut,  wört- 

lieh:  „ich  bin  im  Stellen"  =  ich  bin  stellend  (Englisch: 
I  am  placing)  etc.  Man  kann  dies  eigentlich  kein  Tempus 
nennen ,  da  es  de  facto  ein  Saz  ist ,  in  dem  der  Infinitiv 
nur  als  Nomen  mit  einem  Casusaülx  fungirt.  Ganz  dieselbe 
Bildung  finden  wir  im  Balü£i,  wo  der  Locativ  des  Infinitivs 
mit  dem  Verbum  substantivum  das  andauernde  Praesens 
darstellt,  z.  B.  ^LLCi^^  ^jje  man  pröäagä-ytln  „ich  bin 


60      Sitzung  der  2)hilos,-pJülol.  Clasae  com  i.  Deeember  1680, 

im  Brechen/*   Es  ist  daher  sehr  wahrseheinlieh,  daes  das 

BrShili  diese  Hildo  ng  ans  dem  BalüSf  aufgenommen  hat. 

Aus  iler  Verbalwnrzel ,  wie  sie  im  Imperativ  zu  Tage 
tritt,  (jedoch  mit  Abwf  rfuug  der  emphatischen  Endung  *ak' 
und  *th')  werden  gebildet: 

a)  Das  Praesens  iudefinitum  (das  die  englischen 
Grammatiken  fälschlicherweise  Aorist  zn  nennen  pflegen), 
welches  den  Zeitbegriff  nnr  ganz  allgemein  andeutet  und 
daher  die  Stelle  des  Subjnnotivs,  Potentialis  nnd  Optativs 
▼ertreten  kann  (wie  im  Persischen  nnd  BalSöl,  in  weloh 
leztcrer  Sprache  es  auch  den  Begriff  des  Futumms  in- 
volvirt). 

Es  tritt  an  die  Wurzel  das  Verbum  substantivam  s£if, 
nnr  dass  dieees,  weil  zn  Personalendnngen  verwendet,  flnch- 

tiger  (mit  üebergang  von  *n\  'ö*,  *e  in  *i\  *6*)  ausge- 
sprocheu  wird.  Dabei  ist  noch  besonders  zu  beachten,  dass 
das  tinale  *t*  von  'u{  in  *v'  verwandelt  wird,  ein  Vorgang, 
den  ich  noch  nicht  zu  erklären  vermag.  Dies  kommt 
jedoch  nur  im  Praesens  indetinitum  und  definitum  vor, 
während  im  Futurum,  dem  Praeteritum  und  Perfectum  das 
\Sf  sich  erhalt.  Die  dritte  Person  Plnr.  lautet  als  Personal- 
endnng  Toller  in  *r  aus,  während  beim  Yerbnm  subtanÜTum 
das 'finale  V  abgeworfen  wird,  was  auch  sonst  vorkommt, 
wie  wir  sehen  werden. 

Demgemäss  lauten  die  Persoualendangeu  des  Praesens 
indefinitums : 

Sing.  Plnr. 
L  Pers.  iv  (ev).  in  (en). 

IL    „    is  (es).  ire  (ere). 

III.    „    e.  ir  (er). 


1)  Die  Aussprache  schwankt  zwischen  'i'  und  'e',  was  ab«r  in  der 
bindlittSiiI  Schrift  nickt  onteradiiedeD  werden  kann,  da  beide  durch 
Kmt  beuielmet  weiden. 


Digitized  by  Google 


% 


Tnmpp:  Gramm,  üfUentudtungen  iüfer  das  BrShSi,  Gl 

Lautet  die  Wurzel  auf  einen  (langen)  Vocal  aus,  so 

ßllt  das  *i'  aus ,  z.  B.  ,Lj  p^i-v  „ich  mag  sagen",  .Q 
pa-u  „wir  mögen  sagen' ^ ;  das  'e'  der  III.  Pers.  Öiug.  muss 

sieh  naifirlieh  halten,  wie  (oder  ^L)  pä-e  „er  mag 
sageu/^  Der  Acceut  ruht  auf  der  Wurzel  und  die  Personal- 
eudnngen  sind  daher  tonlos,  wie  ^  ti^-iv  „ieh  mag 

stellen."  Die  drävicjischen  Spruchen  bilden  das  Praesens 
durch  Auhängung  der  (verkürzten)  Pronomina  personalia, 
das  Telngu  jedoch  ebenfalls,  wie  das  Brähüi,  durch  An« 
fügnng  des  Verbnm  substantivam ,  sie  unterscheiden  aber 
kein  Ptaesens  indefinitnm  and  definitum  naeh  der  Weise 
des  Brflhüi. 

b)  Das  Praesens  definitum  wird  aus  dem  Praesens 
indetinitum  dadurch  abgeleitet,  dass  der  I.  und  II.  Pers. 
Sing,  und  der  I.  und  III.  Pers.  Plnr.  ein  V  angehängt 
wird;  die  IIL  Pers.  Sing,  erhalt  als  Znsaz  ein  'k',  und 
die  II.  Fers.  Plnr.  bleibt  nnverandert.  Die  Endungen  des 
Pnes.  defin.  sind  daher: 

Sing.  P 1  u  r. 

I.  Pers.  iv-a  (eva). ')  in-a  (eua). 

Tl.     „    is-a  (esa).  ir-e  (ere). 

III.    „    e-k.  ir-a  (era). 

Das  finale  (an  sich  kurze,  weil  tonlose)  V  finde  ich 
in  der  hindflstjfii!  Behrift  bei  Box  nnd  Nteolson  verschieden 

b^'/.eichnet ;  sie  drücken  es  hie  und  da  gar  nicht  aus  (weil 
blüs  mit  Futh*  gelesen)  oder  schreiben  es  mit  iiualem  s  oder 
mit  f.  Das  finale  |  aber  taugt  hier  nicht,  weil  keinerlei 
Vocallänge  vorliegt,  und  das  blosse  FatW  desshalb  nicht, 
weil  es  nicht  geschrieben  zu  werden  pfiegt,  so  dass  in  Folge 


1)  Die  Pronomina  pcraonalia  werden  dem  Verbum  nicht  Torgcsezt, 
anner  wenn  ein  Naehdnck  anf  die  Penon  gelehrt  weiden  mIL 


Digilized  by  Google 


62      SUsung  ihr  phHov^-jjiM.  doiue  vom  4,  Deeember  i860, 

davou  für  die  Unterscheidang  des  Praesens  indefiD.  uud. 
defin.  kein  äusseres  Zeichen  Torliegt,  was  in  vielen  Fällen 
Unsicherheit  herrorrofen  moss.  Es  ist  daher  wohl  das  beste, 
das  finale  V  heim  Verbnm  immer  dorch  «  an  beieichnent 
wodurch  jeder  ündeotlichkeit  gesteuert  wird.  Bei  der  Um- 
schreibung brancht  es  nicht  bezeichnet  zu  werden,  da  ea 
in  diesen  Fällen  nur  Lesezeichen  ist. 

Beliew  (und  theilweise  auch  Leech)  hat  die  III.  Fers. 
Sing,  des  Praes.  indef.  und  Praes.  defin.  durchweg  mit 
einander  Terwechselt;  er  schreibt  z.  B.  im  Praesens  'bare* 
(he  18  Coming)  und  im  Aorist  *barek*  (he  may  oome).  Dass 
dies  durchaus  unrichtig  ist,  beweisen  alle  einschhigenden 
Beispiele.  Noch  conftiser  ist  der  Italiener  Finai ;  er  schreibt 
Ä.  B.  im  Praesens  'harraf  ik*,  und  im  Aorist  'harraf  ek\ 
uud  (Leech  folgend)  auch  *nmrek'  (als  Futuro  iiuletinito). 

c)  Das  Futurum  wird  gebildet  durch  Anfügung  der 
Endung  'ö'  an  den  Verbalstamm  (vor  welcher  ein  vocalischer 
Auslaut  verschwindet)  und  das  daran  tretende  Verbum  snb« 
stantivum,  das  seinen  Tocalischen  Anlaut  au%ibt,  ausge- 
nommen die  III.  Pers.  Sing.  Die  Personalendungen  sind 
demgemass : 

Sing.  PUr. 
I.  Pers.   ö-f.  ö-n. 
II.    „     d-s.  5-re. 
III.    „      ö^.  o-r. 

Vom  ImperatiT  ete  lautet  also  das  Futurum  sS»yk^ 
^ö-t  „ich  werde  geben"  ete.;  Ton  dem  Plraes.  indei  ^ 

i  kav  „ich  mag  gehen^'  (der  Imperativ  vJLüd  hiu-ak  kommt 

▼on  einem  aaderen  Stamm),  kommt  das  Futurnm  ^^^f 
i  kö-t  ete. 

lu  den  drävitjischeu  Sprachen  wird  das  Futurum  durch 
Hinzufügung  von  'v*  (b  oder  pp)  au  die  Wurzel  gebildet, 
im  Brähüi  scheint  daher  'ö'  aus  av*  entstanden  zu  sein. 


Digitized  by  Google 


I 


Drmmpp:  OrJam,  UntersiuAnngen  Über  das  SrdhiU,  63 

d)  Das  Faiuram  exaeiam  wird  dadarch  gebildet, 
dan  aa  das  Thema  des  Fotnmins  auf  *ö'  das  Praeteritnm 

des  Verbum  substantivum  i.  e.  öcwf  asut  etc.  angehängt 
wird,  wobei,  wie  im  Futurum,  das  anlautende  'a*  abge- 
worfen wird.  lu  der  III.  Fers.  Sing,  lautet  das  Praeteritam 
des  Verb,  sabst.  io  dieser  Verbindang  'sas*  (=  asas),  statt 
des  sonst  gebr&nchliehen  ^asak'  (oder  W).  Die  Peraonal- 
endaugen  sind  also: 

Sing.  P I  u  r. 

L  Fers.    ö-su^.  o-sun. 

n.    „      ö-sas.  ö-8ure. 

III.    „     5*sa8.  o*siir. 

Bnz  (p.  17)  bat  die  ZnsammeiiseznDg  dieses  Tempas 

ganz  missverstanden  und  auf  eine  rein  mechanische  Weise 
erklärt.  Beilew  führt  dieses  Tempus  gar  nicht  auf,  obgleich 
es  hinlänglich  mit  Beispielen  su  belegen  ist.  Leech  führt 
in  seinem  Paradigma  awar  ein  „Compound  Futur e^^  an,  hat 
aber  daraus  eine  arge  Confnsion  gemacht,  indem  er  das 
Piraeeens  indef.,  das  Fatarnm,  das  Praesens  defln.  nnd  das 
Perfeet  (nnd  dabei  noch  die  II.  Pars.  Plnr.  statt  der 
Dritten!)  bnnt  durcheinander  wirft. 

Sein  ganzes  „Compound  Future"  ist  daher  als  ein 
absurdum  zu  streichen;  Schade,  dass  sich  Lassen  damit  so 
abgemüht  hat!  Finzi  hat  Leech  unbesehen  abgeschrieben, 
(während  Lassen  schon  darauf  aufmerksam  gemacht  hatte, 
dass  dabei  Vermischungen  Torkommen)  und,  weil  er  doch 
wahrscheinlich  Leech  nicht  recht  traute,  diesem  Tempus 
den  Titel  „OttatiTo**  gegeben,  was  aber  die  Sache  um  kein 
Haar  besser  macht. 

2)  Tempora,  welche  mit  dem  Participinm  des 
Praeteritums  zusammengesest  sind. 

Die  eigentliche  Schwierigkeit  des  Brahüi  Verbs  beginnt 
mit  der  Bildung  der  Zeiten  der  Vergangenheit,  die  alle 


Digilized  by  Google 


64     SUtung  der  pkilo8.»phiM.  CUuBt  vom  4,  Deeember  1880. 

vom  Particip  das  Praeteritums  ausgehen.  Ich  bin  zwar 
nicht  sicher,  ob  man  diese  Bildung  ein  eigentliches  Pftrtidp 
nennen  kann,  weil  es  nie  flectirt  erscheint  and  anch  nie 
für  sich,  ausser  in  der  III.  Pers.  Sing.  Praeteriti  gebraneht 

wird,  wo  ihm  noch  häufig  die  Personülenduug  ak'  (-k), 
wie  in  der  III.  Pers.  ^^in^.  des  i*raes.  delin.  angehäugt 
wird,  so  dass  mau  versucht  sein  könnte,  es  für  eine  Art 
Gerundium  oder  unflectirbares  verbales  Nomen  der  Vei> 
gangenheit  zu. halten,  allein  nach  der  gewöhnlichen  Bildung 
des  Praeteritums  in  den  drävidischen  Sprachen  ist  anzu- 
nehmen, dass  wir  es  mit  einem  wirklichen  Particip  des 
Praeteritums  auch  im  BrShQT  zu  thun  haben,  obsehon  es 
nie  adjectivii^ch  verwendet  wird. 

Die  gevvölmliche  Weise  das  Particip  Praeteriti  zu  bilden, 
geschieht  im  Bralifii  durch  Anhäugung  vou  *ä*  oder  'e*  an 
den  Stamm  des  Verbums,  z.  B.  jCL^i'  tix-ing,  Part.  Praet. 
tix-ft,  vXu?  tam-ing  „fallen**,  Part.  Praet.  U5  tAm-S; 

jCi^^'  thar-ing  „schneiden^^  Part.  Praet.  thar-e. 
Endigt  der  Verbalstamm  auf  sj  'f\  so  lautet  das  Part.  Praet 

mit  wenigen  Ausnahmen  auf       aus,   z.  B   jCüii  taf-iug 

„binden**,  Part.  Praet.        taf-c.  Viele  Zeitwörter  dagegen 

gehen  im  P.  P.  auf  einen  Consonanten  aus,  indem  sie 
zugleich  den  im  luiiuitiv  vorliegenden  Stamm  mehr  oder  minder 

▼er&ndem,  z.  B.  jCaJü  ban-ing  „kommen",  P.  P.  ^  bas; 
jClo  biu-ing  „hören'*,  P.  P.  JCnj  hing;  JuJL^  Z&l-iug 

„schlagen",  P.P.  jCLi  zallv;  jCoJ  dan-ing  „wegnehmen'*, 

P.  P.  dar  oder  dar-e.  Andere  behalten  die  ganze 
Infinitivform  bei  und  hängen  daran  im  Part.  Pniet.  V,  wie 

&ur-iug  „hemm wandern**,  P.  P.  cariug-ü; 
jCUmj  ras-ing,  „gelangen  zu",  P.  P.  UCl»«.  rasing-;u 


Digilized  by  Google 


TWiMfip.*  Gramm.  Untemuiimgm  iSber  das  Br^SktU,  65 

Es  ist  M  dem  Part.  Pkaet  jedoeh  sehr  im  Auge  wa 

behalten,  dass  es,  sei  es  von  trans.  oder  intrans.  Verben 
gebildet,  immer  nur  active  Bedeutung  bat  und  nie 

eine  passiye;  dUL^  <•  B.  bedeutet  also  nur;  „einer  der 

geschlagen  hat'*  und  nicht  ,,geschlagen**f  ganz  im  Gegensaz 
zum  Balüöi  und  den  nordindiachen  Sprachen. 

Die  drävi4ischen  Sprachen  bilden  ihr  Praeteritum  durch 
'i*  und  *d*;  von  einer  Bildung  mit  ist  im  Brähül  keine 
Spar  za  finden,  wohl  aber  könnte  die  Endung  'ö*  mit  dem 
drjiYidisehen  'i*  .identificirt  werden.  Bei  den  Verben,  die 
ihr  Part  Praei  auf  einen  Gonaonanten  auegehen  lassen, 
könnte  man  etwa  annehmoi,  dass  das  ursprttngliehe  'i'  mit 
der  Zeit  abgefallen  wäre.  Der  Ursprung  des  Affixes  ist 
mir  bis  jezt  noch  dunkel,  da  ich  in  den  drävicjischen 
Idiomen  keine  Analogie  dazu  finden  kann  und  es  nicht 
wahrscheinlich  ist,  dass  die  benachbarte  Jat*Sprache  (i.  e. 
Sindhi),  aus  der  es  sich  wohl  erklären  liesse,  darauf  in- 
fluirt  habe. 

Die  Bildung  der  mit  dem  P.  P.  zusammengesezten 
Zeiten  geschieht  auf  folgende  Weise: 

a)  An  das  Particip  des  Praeteritums  tritt  das 
Praesens  des  Verbum  substautivum ;  nur  die  III.  Pers.  Sing., 
welche  das  Particip  rein  darstellt,  wird  gewöhnlich  ohne 
Personalendung  gelassen,  doch  kann  ihr  auch  *ak*  (-k)  an- 
gefügt werden,  besonders  wenn  sie  auf  einen  Vocal  aus- 
lautet 

Endigt  das  P.  P.  auf  einen  Consonanten,  so  werden 
ihm  die  Personalendungen  unverkürzt  angehängt,  nur  in 
der  III.  Pers.  Plur.  steht  statt  *ö*  gewöhnlich  *ur'.  Wir 
lassen  hier  der  Uebersichtlichkeit  wegen  ein  Beispiel  folgen^ 
besonders  da  Bellew  es  (p.  481)  gans  unrichtig  angegeben  bat. 

[1880. 1.  Phil.-philol.  Cl.  Bd.  1. 6]  5 


Digilized  by  Google 


66 


Endigt  das  P.  P.  dagegen  auf  einen  Vocal»  so  werden 
die  Aufaugsvocale  des  Yerbum  substautivuiu  elidiri,  aUo: 


Gans  duaelbe  int  der  Fall,  wenn  das  P.  P.  anf  V 
anslaotet.  In  der  III.  Pere.  Plnr.  findet  man  immer  nnr 
die  Penonalendnng  '-r\  wenn  das  P.  P.  anf  einen  Yoeal 

auslautet. 

Bellew  hat  dieses  Tempns  mit  dem  imperfect  Ter» 
weehselt  nnd  Leeeh,  der  es  sogar  als  SnbjnnctiT  beseichnet, 
hat   einen   gamen  Wiirwarr   daraus  gemaeht,  ebenso 

Finzi. 

b)  Wie  ans  dem  Praesens  indef.  das  PhMS.  defin.  durch 
AnfBgnng  eines  V  gebildet  wird,  so  auch  ans  dem  Prae- 
teritnm  das  Imperfectnm.    Daraus  gebt  herror,  dass 

dieses  'a'  den  Begriff  der  Bestimmtheit  oder  der  Au- 
dauer  iuvoWireu  muss. 

In  der  III.  Pers.  Sing,  mnss,  der  ünterscheidnng  ?om 
Praeteritum  wegen,  immer  die  Personalendung  *ak*  (-k) 
angefugt  werden,  an  welche  dann  das  V  des  Imperfecfcs 


Sing. 

I.  Pers.    viylÄÄ.  TC^Ti^'U  ich  sah. 


PUr. 
zanä-n. 


II.   „      j-ÜÄ.  xanS-s. 


Digilized  by  Google 


iritl.  Die  II.  Pen.  Plnr.  nimmt  kein  V  an  and  ist  daher 
der  Form  naeh  identisch  mit  der  II.  Pers.  Plnr.  des  Prae- 

leritums.  Von  der  Schreibweise  dieses  Afüxea  jplt  das- 
selbe, was  ich  schou  oben  zu  dem  Affix  des  Praes.  defin. 
bemerkt  habe.  Bux  schreibt  es  mit  bei  Nicolson  wird 
es  theilweiae  ebenfalls  dnrch  f  aasgedrfiokt ,  theilweise  gar 
nicht  (d.  h.  es  sollte  mit  Fath*  gelesen  werden).  Immerhin 
ist  nicht  xn  übersehen,  dass  das  V  tonlos  ist,  anch  wenn 
es  mit  Alif,  der  Deutlichkeit  wegen,  geschriehen  wird.  Die 
Personalendangen  des  Imperfects  sind  demgemass: 

Siag.  PUr. 

I.  Pers.     t-a  n-a 

II.  „       s-a  re 


r-a. 


Leeoh  hat  das  Imperfect,  welches  er  'Beeond  Lnperfeet* 
nennt;  die  HI.  Pers.  Sing,  aber  gibt  er  fidsch  mit  ^hamfiek' 

(uacb  seiner  Schreibweise)  an  (es  mnss  harafig-k-a  heissen). 

Finzi  hat  Leech  mit  allen  seinen  Fehlern  (nur  dass  er 
nicht  swei  'f^  bietet)  abgeschriehen  nnd  das  Tempos  noch 
dazu  fllschlioherweise  Aoristo  (nach  englischem  Gtobraneh) 
genannt  Bellew  hat  unbegreiflicherweise  das  Imperfisct 
gar  nicht  aufgeführt,  obgleich  es  oft  genug  vorkommt. 

c)  Das  Plnsqnamperfect  wird  gebildet,  indem  an 
das  Pfcrt  Phiet.  das  Imperfect  des  Yerhum  substantivnrn, 

i.  e.  (jUwfasat  etc.  angefügt  wird,  wobei,  wenn  das  P.  P. 

mit  einem  Vocal  anslantet,  das  initiale  V  des  Hilfneit- 
wortes  abgeworfen  wird.    In  der  III.  Pers.  Sing,  lantet 

das  Hilfszeitwort  'asa.s*  statt  'asak',  uud  wenn  das  F.  F.  auf 
's  eudigt,  bloss  'as',  um  die  vieleu  's'  zu  vermeiden.  Die 
Personalendangen  sind  demgemass: 


Digitized  by  Google 


68  '    aüMimg  der  phOotj-phiiM,  Chatte  vom  4.  Deeemiber  18S0. 


Sing.  Pl«r. 
L  Pen.  aant,  -saf.         asan,  -sau. 
n.    „     asns,  -ins,         wiiro,  -rare. 

III.    „   I        "•^»  aeor,  -sur  (so,  ao*). 

\  as. 

Bellew  und  Leech  haben  dieses  Tempos  mit  dem  Perfept 
Terweohselt. 

d)  Eigenthümlich  ist  die  Bildung  des  Perfects.  Es 
wird  an  das  Particip  des  Praeteritums  *u-n*  angehängt,  wenn 
dieses  auf  einen  Consonanten  schliesst,  und  wenn  es  auf 
einen  Yooal  anslantei,  '-n ,  mit  Abwerfiing  des  (wahrscbein* 
liehen  Bindevocals)  'n .  An  dae  so  gebildete  Particip  des 
Perfects  tritt  dann  das  Yerbom  snbstantiTam  im  Praesens 
nach  seiner  gewöhnlichen  Form.  Die  PersonalendQiBgen  des 
Perfects  sii^d  demgemäss: 

Sing.  PUr. 

I.  Pers.   nn-nt,  -n-nt.         nn-nn,  -n-nn. 

II.  „     nn-ns,  -n-ns.         nn-nre,  -n-nre. 

III.     „      un-e,  -u-e.  nn-Oi  -n-5. 

Beilew  heisst  dieses  Tempos  „The  Past"  nnd  Leech 
,,First  Imperfecta*,  was  nach  ihm  wahrscheinlich  dasselbe 

sein  soll.  Ausnahmsweise  hat  hier  Pinsi  das  richtige  ge- 
troffen, indem  er  es  „Perfetto"  genannt  hat.  Alle  diese 
drei  geben  als  Endung  der  III.  Pers.  Plur.  *ur*  an  (indem 
sie  wahrscheinlich  Leech  folgten),  Bnx  aber  gibt  nur  'ö' 
an,  ond  damit  stimmen  meine  Beobachtimgeu ,  indem  ich 
bis  jezt  nor  die  Personalendong  ö  in  der  III«  Pers.  Plnr. 
gefonden  habe ,  obgleich  an  ond  fQr  sich  die  Endnng  *Qr 
nicht  unrichtig  wäre,  der  Ü80S  aber  scheint  sieh  för  V 
entschieden  zn  haben. 


1)  Ich  habe  diese  Endung  indessen  bis  jetzt  nur  einmal  gefunden: 
tüB-asa  itsie  waren  gesessen"  (Bux,  p.  54,  L.  1). 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahüi.  69 


Die  Bildung  des  Particips  Perf.  trägt  einen  acht  dr5- 
vi^ischen  Character:  denn  auch  im  Tamil  wird  zwischen 
das  welches  das  Zeichen  des  Praeteritums  in  gewissen 
Verbalclassen  ist,  und  die  pronominalen  Endungen  ein  'n* 
eingeschoben  (s.  Caldwell,  p.  393) ,  so  dass  sogar  die  Ein- 
geborenen Tamil  Grammatiker  *in'  als  das  Zeichen  des  Prae- 
teritums betrachten.  Ursprünglich  ist  also  die  Bildung  auf 
'un  nichts  als  ein  Part.  I*raet.,  da  aber  das  Brähüi  für  das 
Part.  Praet  schon  andere  Endungen  ausgebildet  hatte,  so 
verwendete  es  diese  alte  Form  zur  Herstellung  eines  Perfecta. 

Der  Uebersichtlichkeit  wegen  wollen  wir  sämmtliche 
Tempusbildungen  des  activen  affirmativen  Verbums 
in  folgendem  Paradigma  zusammenstellen: 

Infinitiv:  jCui  Z^n-ing,  sehen'). 
Imperativ : 

II.  Fers.  Sing.         x^t^^  o(l<^r  sehe, 
n.  Pers.  Plur.  yjJ^  x^^'^^^  sehet. 

A)  Tempora  die  mit  dem  InADitlT  and  der  Terbalworzel  msammen- 

gesezt  werden. 

a)  Mit  dem  Infinitiv : 

1)  Das  Praesens  continuum: 

Sing. 

I.  Pers.    viyl  ^\Xjj^  xaning-ti  ut,  ich  bin  im  Sehen. 
II.     „      ^\  ^'JCUä  Xaning-ti  us. 


1)  Es  ist  kaum  nöthig  za  bemerken,  dass  es  im  Brahüi  nur  Eine 
Infinitirform  gibt. 


70       Sitzung  der  phiios.-philoi.  Classe  vom  4.  December  IdSO. 

PUr. 

L  Fers.  ^vXjUä   xa^iug-ti  uu. 

in.    „     ^f,  ß  ^iXjJkim    3janiii§p-p  TOT,  ö. 

b)  Mit  der  Vorbalwurzel : 
2)  Das  Praesens  indef initam  (Poteo tialis). 

Bing.  Plar. 
L  Pers.  sehen.       ^ja^  x^'^i^* 

n.    „     jMjLi».  xan-M.  {5^^  xan-ire. 

IIL   „  x^U-e.  X^n-ir. 

»I  /' 

3)  Das  Praesens  definitam. 

Sing.  Plur. 

I.  Pen.   ii^m  x^n-iTa,  ich  sehe^).    alx^  xui-ina. 
n.    „    «mJ^  XftQ'i^*  iS)^^  X^ii-ire. 

III.    „      dUi.  xan-ik.  »^^^  xan-i»*)- 

4)  Das  Futurum. 
Sing.  Plar. 

1.  Pen.  i&f^xL,  Xitn^-t'),  ich  werde  sehen,  x^n^-n. 
n.  xBn6-B.  X»n^r§. 

III*    I«     »yLS.  xanö-e.  Xanu-r. 


1)  Man  schreibt  aach  dnreb  alle  Petsonen  bindnreb  I«aa^  und 

spricht  demgein&ss:  /an-evl  ete.  Den  Acoent  habe  Ich  nach  einer 
Angabe  von  Bax  gesezt. 

2)  und  3).  Da  Box  bemerkt,  dass  die  Pcrsonalendung^en  tonlos  sind 
nnd  der  Accent  sehr  wahrscheinlich  anf  der  Slanunsilbe  Ueibt,  so  lang 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchuntjen  über  das  Brahüi.  71 


5)  Das  Futurum  ex  actum. 
Sing.  Plar. 
I.  Pers.   öJL^i  xanö-sut,  ich         ^jj,^^  Xano-snn. 
werde  gesehen  hahen. 

II.    «     ^^^A^.  /ano-sus.  ^yJLyXiä.  xano-surc. 

III.    „  ZanÖ-sas,  y^y^  Xano-sur. 

B)  Tempora,  die  mit  dem  Particlp  des  Praeteritnms  znsAmmen' 

gresezt  werden. 

6)  Das  Praeteritum. 

a)  Auf  einen  Consonanten  auslautend: 

Sin  ff. 

I.  Pers.  vüJCiLi  xalk-"^  schlug, 
etc.  etc.  (siehe  p  66.) 

^i)  Auf  einen  Vocal: 
Sing 

I.  Pers.  viylxÄ.  zana-t,  ich  sah. 
etc.  etc.  (siehe  p  66.) 

7)  Das  Imperfectum. 
Sing.  Plur- 

I.  Pers.     Äj'Ui.  xaua-t-a.  tJj^  xan-a-n-a. 

II,  „      kJü^  xanä-s-a.  ^Sj^  xana-re. 
III.    „       »S\J^  xanä-ka.  SpUi.  xana-ra. 


dicB  möglicb  ist,  so  habe  ich  ihn  provisorisch  nach  dieser  Andcatang 
hinzugesezt,  ebenso  in  den  folgenden  Teraporibus. 


72      SUiung  der  phito$,'phiiM.  dosw  tMWi  4.  Jieetmbm'  18», 

8)  Das  Plnsqnamperfect. 

o)  Auf  einen  Consonanteu  auslautend: 

Sing.  Plur. 

I.  Pen.    eJiJL^  xaUL-asnl^  ich       ^L^Xt^  ^alk-asiui. 
batte  gescUagen. 

II.    „      ^jJJJ^  xalk-asua.  ^^JL^L^  x^Ik-^e 

m.   „     ^y^JJ^  xälk-aaas.  xälk-asur. 

m. 

fi         ^-r-'j  bas-as,  er  war  gelrominen. 

/S)  Anf  emeii  VooaL: 
Sinir.  PUr. 

I.  Fers.    väuLUä   xanä-suj.  ^j^Jüa  x^uä-sun 

III*    11     ijMywLs  xttnt*^  ^f,nf^;^j^  Xa&i'Sor« 

9)  Das  Perfeot 

et)  Auf  einen  Gonscmanten  anslanlend: 
Bing.  Pl,ir. 

-an-nn. 

habe  geschlagen. 
II-    19     gwijjL^  ac^k-nn-ns.  xftlk-nn-iire. 
III*    n      (f^i^L^  xa^-un-e.  yi[JL^  xa^k-on-ö. 

Anf  einen  Yooal: 

8ing.  Plur. 

I.  Pers.    vaJU^  x»nä-u-ut,  ^^Ia^  x^na-u-nn. 

ieh  habe  gesehen. 

II-   11      yN^U^  x&n^-n-QS.  v5yU».  xan^-n-are. 

m.   „      ^Uä.  xanft-n-5.  ^Ui^  xant-n-ö. 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  BraiMt,  73 


Von  der  Verbal wurzel  werden  zwei  Nomina  verbalia 
abgeleitet ,  das  eine  ein  flectirbares  Particip  des  Praesens, 
das  andere  ein  unflectirbares  oder  Gerundium  des  Praesens. 
In  den  Fällen,  wo  der  Imperativ  einen  Zusaz  auf  'ak'  hat, 
oder  wo  dem  Stamme  noch  die  Endung  'th',  die  ebenblis 
empbatiacher  Natnr  za  sein  scheint,  angefügt  ist«  mfissen 
diese  wieder  abgeworfen  werden. 

Das  Particip  des  Pnieseus  wird  durch  die  Endung^ök*  (und 
nach  Umständen  'ök-ä\  ök-ö  cf.  p.  32)  gebildet,  z.  B.  ^jhh 
xan-ok  „sehend^*;  yon  jCu5^kan-ing  (Imper.  kar),  ^jy^ 
kar-ök  „thuend";  von  jCJo  tül-ing  (Imper.  tül-th), 
^i)y}yj  täl-ök  „sizend'^;  von  ifjJk!%  X^l'ing  (Imper. 


Xal-th),  JjJLä.  zal-ök  „schlagend** ;  z.  B.  ^     \j  9^  ^ja# 

ft^^  Mann,  der  in  dif^sem  Hianse  sizen  wird** 

(Bux,  p.  94,  L.  3);  o^sy,^)  U«!  ^54)  y^l  »eines 

Tages  sagte  der  Prediger  (Ermahner)"  (Bux,  p.  127,  L.  4?.n.); 

^fj^l  ^5,U^  b  «y^^i>      giXJü  ^1 

^y^'y^  „er  sah  einen  Menschen  nnter  einem  Banme 

sizend ,  er  l'ragte  ihn :  wie  beschaffen  ist  der  König  dieses 
fieiches ,  ist  er  ein  Tyrann  oder  einer  der  Gerechtigkeit 
ansaht?''  (Box,  p.  126,  L.  13). 

Es  ist  mir  keine  drüTidische  Analogie  bekannt,  die 

sich  mit  dieser  brahni  Participialbildung  vergleichen  Hesse, 
wohl  aber  bat  das  lialnöi  ein  Particip  des  Praesens,  das 
der  äusseren  Form  nach  damit  ganz  identisch  ist,  nämlich 
das  Particip  auf  'ök\  das  eine  andanemde  oder  intenslTe 

Handlang  bezeichnet,  z.  B.  vom  BalfiSi  jCü.  Jan-ag 
„schlagen'',  „schiessen'S  wird  gebildet  dyü^  Jan-ök  „einer 


74     SUimng  der  pkHos^-phiM.  Claaae  vom  4.  December  1880» 


der  viel  oder  beständig  schlägt'',  ,,eiD  Schläger'',  von 
yar-ag  „easen**,  cl^^^  var-ok  „einer  der  viel  isst^S  „ein 

Fresser.'^  Es  liegfc  die  Vermuthnng  sehr  nahe,  dais  diese 
Partidpialform  darch  den  Einflnss  des  BalQii  in  das  BrsbS! 

gekommen  ist,  wie  anch  manche  andere  Nominalbildunpen. 

Das  andere  nicht  flectirbare  Particip  des  Praesens  oder 
vielmehr  das  Gerundiom  wird  gebildet  durch  Anhängung 
des  Affixes  'esa'  oder  'isa'  an  die  Verbal worzel.  Box  (p.  15) 
sagt,  das  Affix  sei  ^  se,  &st  in  allen  Beispielen  aber,  die 
icb  gefanden  habe,  ist  es  juvo     geschrieben;  daransistxn 

schilpen,  dass  wo  das  initiale  nicht  ausgedrückt  ist,  es 
mit  Kasr  (i.  e.  gelesen  werden  muss.  Die  Eudnng  *e* 
sebeint  mit  'ab'  an  wechseln  oder  identisch  an  sein.  Beispiele 
davon  sind: 

jSl^^  Ul^  «ÄJ^  «*«a1L  „weil 

den  andern  Tag  mit  dem  Morgen,  zu  der  Zeit,  als  einige 
Reiter  der  Ma/als  gegen  Singarh';  ihre  Pferde  gallopirend 
kamen  nnd  ein  Geschrei  machend,  die  Trommeln  schlagendy 
die  Schwerter  schwingend  nahe  znm  Fort  gelangten^*  (Nico!. 

p.  33,  L.  1  —  3);  (jjD  ^Uu^  b  sjuu^  A^MU^yc  &a*o^ 

„klagend,  schlncbaend  gieng  sie  zu  Znbaidah^^  (Nicol.  Abn*l- 
ffasan,  p.  19,  L.  5). 

Bellew  gibt  als  „Present  participlo''  eine  Form  auf  *e\ 
z.  B.  bare  „kommendes  khale  schlagend"  etc.  Ich  habe 
eine  solche  Form  noch  nicht  entdecken  können,  so  dass  ick 


1)  8o  nrois  dsi  Wort  gasebrisben  werden,  Mioobon  bat  fÜMblicher- 
weise  fai  seioam  Ttzte  s^XjLmi* 


Digitized  by  Google 


Trumjjjp:  Oramm.  UtUersuchungen  über  das  ^ruftöl.  75 

sehr  an  deren  Richtigkeit  zweifle;  die  Form  auf  *esa\  *isa' 
dagegen,  die,  wie  in  den  obigen  Beispielen  gezeigt  ist,  sehr 
häufig  vorkommt,  erwähat  er  gar  nicht  i  und  Leech  keine 
Ton  beiden. 

Eine  drlTi^iflche  Analogie  f&r  diese  Form  iet  mir  oieht 

bekannt.  Sie  entspricht  der  Bedeutung  nach  dem  unflectir- 
baren  Particip  Praes.  des  Hindüstäni  auf  *-t-e*  (wie  ^'^^ 

rö-t-e       Zustand  des  Weinens)  nnd  des  Sindbi  anf  '-d-e-i 

(wie  ^^"^5,  liftlAQ^-^f  iiim  Znstande  des  Gebens"),  was 

urBprüQglich  eine  Locativform  des  Particip  Praes.  ist.  Das 
Baiü&i  kennt  diese  Bildung  nicht. 

§9. 

II.  Die  aotive  negative  Form  des  Zeitwortes. 

Das  was  das  Brähüi  ganz  speciell  als  eine  drävidisch- 
türänische  vSprache  characterisirt,  ist  die  negative  Form 
des  Zeitwortes.  Diese  wird  w^ie  in  den  südindischen  Sprachen 
dadurch  gebildet,  dass  dem  Verbalstamme ^  wie  er  sich  in 
den  yerscbiedenen  Zeiten  darbietet,  das  negati?e  AfEtz  an- 
gehängt wird»  an  weleben  so  erweiterten  Stamm  dann  erst 
die  Personalendungen  treten,  wie  wir  sie  oben  bescbrieben 
haben ,  jedoch  mit  manchen  Abweichungen.  Merkwürdig 
ist  es,  dass  im  Brähüi  nicht  ein  und  dasselbe  negative  Affix 
durch  alle  Tempore  hindurch  angewendet  wird ,  sondern 
dass  die  mit  dem  Particip  des  Praeteritums  zusammen- 
gesesten  Zeiten  ein  anderes  Negationsieiehen  einschieben 
als  die  mit  der  Verbalwursel  smsammengesesten. 

Falsch  und  nicht  einmal  mechanisch  richtig  ist  die  Be- 
hauptung Bellew's,  dass  die  Negation  durch  Einschiebung  eines 
Yoder'af  zwischen  die  zwei  ersten  Silben  des  Verbs  zu  Stande 
komme,  dass  die  Negation  in  den  yergangenen  Zeiten  durch 
Einscbiebnng  von  't*  bewirkt  wird,  scheint  er  noch  nicht  be> 


Digitized  by  Google 


76      Sitzung  der  pilos.-jtlUlol.  Classe  vom  4,  Decetnber  18^. 


merlct  so  baben.   Leeeb  bat  Ton  einer  negativen  Form  des 

Zeitworts  keine  Ahnung  (und  demgemäss  auch  Finzi  nicbt), 
obwohl  in   den  von  ihm   gegebenen   brahüi  Er/ahluugen 
manche  negative  Formen  des  Zeitwortes  vorkommen. 
Gehen  wir  nnn  auf  das  Einzelne  ein. 

▲>  Die  nüt  der  TerlMümirsel  «uammeDgesesten  aegatlveB  Tenponu 

Eine  negative  Form  des  Infinitivs  sebeint  im  Brabnl 

gar  nicht  vorzukommen  (wenigstens  habe  ich  noch  keine 
finden  können),  weil  derselbe  schon  ganz  als  ein  Nomen 
behandelt  wird ;  das  Praesens  coutinuum  wird  daher  nur 
durch  die  negative  Form  des  dabei  verwendeten  Verbam 
snbstantivnm  hergestellt,  das  später  folgen  wird. 

Das  negative  Affix,  das  im  Imperativ,  in  den  Tem- 

poribus  des  Praesens,  Futurum  und  Futurum  exactum  zur 
Verwendung  kommt,  ist 'pa'.  -  Der  negative  I  mperativ, 
resp.  Probibitiv  hat  darum  die  Endungen: 

n.  Pers.  Sing.  iJ  pa,  IL  Pars.  Plnr.  ^  pö, 

B.  xaJL^  X^i^'PA  t,sehe  nicht  I*^         ^  'li^  xin-pa-bö. 


Endigt  die  Wurzel  im  Imperativ  auf  r  oder  y  (g), 
so  wird  dieses  vor  dem  negativen  Affix  elidirt,  i.  B.  Imper. 

^  kar  ,|tbae^^,  Prohib.  luf'  kä-pa  (statt  kar-pa),  Plnr.  ^aa^ 

ki-pa-bö;  ngiose  ein^S   Prohib.  juLö  is*pa. 

Kommt  das  'p'  zwischen  zwei  Vocale  zu  stehen,  so 

geht  es  häufig  in  'f*  fiber,  a.  B.  «SJ  h6rh,  „komme  nicht!" 

(von  ^  bar  „komme !*^),  «40  mä*&  „sei  nicht''  (statt 

mar-pa),  eine  bestimmte  B^l  aber  scheint  dabei  nicht 
obaawalten.   Die  emphatischen  Imperativaffixe  *ak'  and  Hb' 

müssen  vor  dem  Antritt  des  negativen  Aü'ixes  immer  ab- 
geworfen werden,  z.  B.  cJ|^t>  dar-ak  „nehme'',  Prohib.  «j(> 


Digitized  by  Googlt 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brähüi. 


77 


<^a-pai  -^aJIs*»  TC^X-Xh  „schlage",  Prohib.  sjj^  xal-pa-  In 
vielen  Verbis  wird  im  Prohibitiv  der  Verbal wurzel  noch  ein 
e  vor  dem  Negativaffix  angefügt,  z.  B.  ^  bis  ,,koche", 

Prohib.  bi'se-pa,  ^  bifi  „bore",  Proh.  äjuJü  bme-pa; 

-^yi  tül-th  „size'*,  Proh.  juuJt^*  töle-pa.  Andere  sind 
ganz  unregelmässig,  wie         ete  „gib"  (von  jCuü*),  Proh. 

fuü  ti-fa.    Diese  Unregelmässigkeiten  müssen  sorgfaltig  be- 

achtet  werden. 

Im  Praesens  indefinitnm  sind  die  Personal- 
endungen folgende : 

Sing.  P 1  u  r. 

I.  Pers.  pa-r.  pa-n. 
II.    „      p-is  (-es).         p-ire  (ere). 
III.    „      p  (i-p).  pa-8. 

Sehr  auffallend  ist  die  Endung  der  I.  Pers.  pa-r,  wir 
würden  hier  der  Regel  nach  p-iv  erwarten.  Die  III.  Pers. 
Sing,  lautet  auf  *p*  (ip)  aus  (statt  p-e),  in  der  III.  Pers. 
Plur.  pa-9  ist  ursprüngliches  *r*  in  *8*  verwandelt  worden, 
um  der  Verwechslung  mit  der  I.  Pers.  Sing,  vorzubeugen. 
Der  üebergang  von  *r*  in  *s'  findet  sich  aber  auch  in  andern 
Worten  im  Brahüi  (cf.  p.  14). 

Das  Praesens  defin.  bietet  dieselben  Endungen  mit 
Hinzufüguug  des  determinirenden  *a*,  nur  dass  in  der 
III.  Pers.  Sing,  noch  finales  hinzutritt;  die  II.  Pers. 
Plur.  bleibt  anverändert.    Sie  sind  demgemäss : 

Sing.  Plur. 

I.  Pers.  pa-r-a.  pa-n-a. 

II.    „      p-is-a  (-es-a)  p-ire  (-ere). 

III.    „      pa-k.  pa-.s-a. 

Im  Futurum  würdtn  wir  die  Endungen  p-of,  p-ös  etc. 


78     Sümmg  der  phüoi.-pkM.  Clane  vom  4  Jkcember  IS&IK 

arwarien.  Dies  ist  aber  nieht  der  Fall,  sondern  wir  finden 
hier  vielmehr  par-5t  etc.,  als  ob  das  negative  A£Fix  'par* 

wäre.  Da  dies  aber  unmöglich  ist,  so  ist  wohl  anznnehmen, 
dasa  *r*  ein  formatives  Atfix  des  u^ativea  Verbums  ist, 
ähnlich  dem  Tamil  a-du  (Canar.  a-du,  s.  Caldwell  p.  361). 
Die  Penonalendongen  sind  demnach: 

Sing.  Plar. 

1.  Pers.  pa-r-5-t.  pa-r-ö-n. 

IT.  pa-r-ö-s.  pa-r-ö-re. 

III.   „     pa-r-ö-e.  pa-r-ö-r. 

Das  Fntnrom  ezactnm  sehliesst  sich  enge  an  die 

Form  des  Futurums  au,  iudem  statt  des  Praesens  des  Verbum 
sabstant.  dessen  Praeteritum  angefügt  wird,  wie  in  der 
affirmativen  Form.    Die  Endaugen  desselben  sind  daher: 

Sing.  Plvr. 

I.  Pers.  pa-r-o-snt.  pa-r^o-sün. 

II.    „      pa-r-ö-sus.      '  pa-r-ö-snre. 
III.         pa-r-ö-sas.  pa-r-ö-sar. 

Uebersichtliche  Darstellung  dieser  Formen. 

1)  Prohitiv. 
U.  Pers.  Sing.  '       II.  Pers.  Plnr. 

A^I^  XiUi-pa  „sehe  nicht!'*  ^^AAifc  X^*P^hö. 

2)  Praesens  indefinitum. 
Sing.  PUr. 
L  Pers.       ^AÄi»  xän-pa-r,  xan-pa-n. 
ich  mag  nicht  sehen. 

n.    „        LT*^  a(<n-p-is.  rftt-p-i». 

III»    ««  wsÜ  ;:an-p.  ;tau-pa-s. 


Digitized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahfti.  79 

Zu  bemerken  ist,  dass  die  Prohitivformen  ä^^^  ^Ij 

etc.  auch  in  das  Praesens  herQbergenommen  werden ,  also : 
ka-par  ,,ich  mag,  ich  will  nicht  thun?'*  z.  B.  jCLü  ^\ 
„ich  kann  nicht  kommen^^   (wörtlich:   „ich  mache  kein 

Kommen),  Bux,  p.  66,  L.  1  v.  u. ;  ykä  ^\  «5^^)  jCoL  ^er 
sagt:  ich  mag  nicht  kommen^^  (Bux,  p.  82,  L.  1  v.  u.). 

Zu  bemerken  sind  Formen  wie        ti-f  „er  mag  nicht 

geben",         ba-f  „er  mag  nicht  kommen",  etc. 

3)  Praesens  definitum. 

Sing.  Plur. 

I.  Pers.  zän-par-a.  kIII^  Xan-pan-a. 

ich  sehe  nicht. 


II.  ,1         jtlxls    xan-pis-a.  ^yfß^  Xaa-pire. 
III.     „          ^iJli^    Xan-pa-k.  julxl^  xan-pa«-a. 

* 

4)  Futurum. 
Sing.  Plar, 

I.  Pers.    ^^jAL    xan-par-6t.       o^y*^  Xan-par-6n. 
ich  werde  nicht  sehen. 

n.     „      \J^^yfß^    Xan-par-üS.      ^^^yjlL  xau-par-Öre. 

III.  n       ^^yfi*^    xan-par-6e.  Xan-par-6r. 

1)  Bux  bat  an  dieser  Stelle  y^U,  was  aber  anrichtig  ist,  wenn 
die  englische  Uebersezang  richtig  ist. 


80     8Ummg  der  pkilo$,'phik)L  Chäte  vom  4.  Deember  1880. 


5)  Fatnmm  exactnm. 

8 in  ff.  PUr. 

ieh  "Werde  nicht  gesehen  haben, 
n.  „   ^^yyjJL  xan-par-osos.  ^y^^^jdL  X«n-par-&nre. 

HL   „    yyJi^ytlL  xan-par-oaaa.      y^^y^  xan-par-6«ur. 

Es  ist  merkwürdig,  dass  zwischen  dein  brähüi  Negati?- 
aflix  und  dorn  in  den  drSYi4i8chen  Sprachen  gebrauchten 
sieh  kein  directer  Zusammenhang  aufweisen  lasst  In  den 
letzteren  Idiomen  ist  nach  Galdwell^s  Untersnehnngen  das 
NegatiTaflEiz  V,  nnd  *W  ^da^  *dn^  nnr  formatiTe 
Suffixe  des  negativen  Verbnms  (s.  CSaldwell,  p.  363,  365), 
was  aber  doch  uoch  sehr  frap^licli  ist.  lu  dem  Dialect  der 
Kötas  (auf  den  Nilagiris)  (M-scheiut  allein  *p'  als  Formativ- 
snfiix  des  negativen  Verb  ums  statt  des  telugu  ^k'  (und 
des  tamil-canaresischen  M'),  und  es  ist  nicht  an  wahr- 
scheinlich, dass  dieses  köta  'p'  in  näherer  Beziehung  an  dem 
biahiü  Negati?affiz  'pa'  steht.  Man  könnte  anch  daran 
denken,  dass  das  brHhfl!  'pa*  in  ▼erwandtschaftlieher  Be- 
ziehung zu  dem  türünischen  'ma'  stehe,  da  im  Braliüi  die 
Negation  nicht  in  einem  Vocal,  wie  in  den  dravi(]ischen 
Sprachen  von  Caldwell  angenommen  wird,  sondern  in  dem 
Ubialen  Consonanten  V  ^i^^t  allein  diese  Annahme  ist 
kaum  m^lich  wegen  des  im  Praeteritom  angewendeten 
NegatiTaffixes. 


Die  aiit  4eia  Parltolp  des  Praeteritnias 

negatlTeii  Tempora. 

Es  ist  höchst  anf&llend,  dass  in  den  Zeiten  des  Prae- 
teritnms  nicht  die  Negation  ^pa',  sondern  *ta*  (t)  gebraucht 
wird.  •  Da  es  nicht  wahrscheinlich  ist ,  dass  die  Sprache 

mit  dem  Negativatfix   in   den   verschiedenen  Temporibns 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahüi.  81 

gewechselt  hat  (wofür  weder  in  den  drävi(Jischen  noch 
türanischen  Sprachen,  soweit  meine  Kenntniss  reicht,  eine 
Analogie  vorliegt),  so  ist  wohl  anzunehmen,  dass  'pa*  nnd 
*ta*  ursprünglich  identisch  sein  müssen  und  nur  einen  Laat- 
wechsel  darstellen.  Wir  haben  schon  bemerkt,  dass  Caldwell 
als  ursprüngliches  Negativaflfix  in  den  drävicjischen  Sprachen 
*a*  ansieht,  und  'ka*,  *ku'  (*da*,  *du')  als  formative  Sufifixe 
des  negativen  Verbums,  ein  Ausdruck,  der  an  Klarheit  viel 
zu  wünschen  übrig  lässt. 

Wie  dem  aber  auch  sein  ms^,  die  Sprache  hat  sicher- 
lich bald  genug  in  *a-ka*,  'a-ku*  den  Consonanten,  reprä- 
sentire  er  auch  nur  ein  formatives  Suffix,  als  den  Haupt- 
bestandtheil  der  Negation  angesehen  und  so  konnte  das 
eigentlich  negative  initiale  V  leicht  wegfallen.  Da  nach 
Caldwell  (p.  365)  der  Wechsel  von  *k*  in  *p*  in  den  Forma- 
tiven  der  Verba  nach  einer  Regel  vor  sich  geht  und  der 
Uebergang  von  *k'  in  *t*  nicht  ungewöhnlich,  wenn  auch 
verhältuissmässig  selten  in  den  drävi(}ischen  Sprachen  ist, 
so  kann  mit  ziemlicher  Sicherheit  angenommen  werden, 
dass  das  brähüi  *pa*  (p)  und  *ta*  (t)  durch  einen  Laut  Wechsel 
aus  *ka*  entstanden  ist. 

Das  Particip  des  Praeteritums  gestaltet  sich  eigen- 
thümlich  durch  Anhängung  des  Negativaffixes,  so  dass  oft 
der  ursprüngliche  Stamm  kaum  mehr  erkannt  werden  kann. 

Das  Verfahren  ist  dabei  folgendes: 

Lautet  das  Part.  Praet.  auf  einen  Vocal  aus,  so  wird 
dieser  abgeworfen  und  *ta*  unmittelbar  an  den  Stamm  an- 
gehängt; an  den  so  vermehrten  Stamm  tritt  die  Endung 
des  Part.  Praeteriti,  die  hier  durchgängig  *au*  (oder  *ao*), 
statt  *ä*  lautet,  z.  B.  von  tix-5  wird  negativ  tix-t-au 
gebildet. 

Participien,  die  auf  *r*  oder  *8*  endigen  (denn  der  finale 
Vocal  muss  ohnediess  abgeworfen  werden) ,  elidiren  dipse 
[\baO.  I.  rinl.-phil.  Ci.  Bd.  1. 6.]  .  <i 


82      aüBtmg  4er  fMot^-fkiki.  Clmne  mm  4.  DeenAtr  1880. 
Tor  dem  %\  %,  B.         kur-S  „er  ihai*^  wird  ycS^  ka-fc-an» 

pär-e  „er  sagte^',  pa-t-au«  bas  „er  kam^\ 
ba-t-an.  Bndigt  ein  Part.  Praet.  anf  einen  Doppel- 
Gonaouaoten,  eo  wird  der  lezte  vor  abgeworfen,  z.  B. 
wil,,,^^  khask  „er  starb",  Negat.  yXjm^  khas-t-an ;  hier 
darf  das  's  nicht  aoch  abgeworfen  werden,  weil  sonst  der 
Stamm  gana  nnkenntlieh  würde;  JJLj»  halk  (von  JCJL«») 

„ei»nahm*\  Negat.  ^&bD  hal-t-an. 

Die  Personaleudungen  des  Praeteritnms  sind  also: 

Bing.  PUr. 

I.  Pers.  t-ay-af.  i-aT-an. 

II.    „     t-av-is  (-esj.         t-av-ire  (ere). 
Iii.         t-au.  t-av-as.*j 

'An'  geht  natnrgemass  yor  einem  folgenden  Vocal  in 
W  Aber.  Man  kann  als  Negation  hier  V  oder  'ta*  an- 
nehmen ;  im  leztereu  Falle  wäre  V  vor  'an*  elidirt. 


Das  Imperfeet  wird  yom  Praeteritnm  dnreh  An* 
fSgnng  des  determinirenden  V  abgeleitet;  in  der  III.  Pers. 

Sing,  tritt  die  Endung  'ak-a'  ein.  Die  Personalendnngen 
sind  demgemäss: 

Sing.  Plnr. 
I.  Pers.  i-ay^t-a.  t-aywm-a. 
It.    „     t-ay-is-a.  t-ay-ire. 
III.    „     t-av-ak-a.  t-av-as-a. 

Das  Plnsqnamperfect  hildet  sich  ans  dem  nega- 
tiyen  Pärt.  Praet.  durch  Anhauguug  des  Praeteritnms  des 

Verbum  snbst.;  die  Personalendungen  sind  also: 


1)  Mit  üebergaug  von  r  in  's' 


Digiiized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  Untersttchungen  idter  das  Brähüi.  83 

Sing.  Plur. 

I.  Pers.  t-av-asut.  t-av-asun. 

II.  „     t-av-asus.  t-av-asure. 

III.  „     t-av-asas.  t-av-asur. 

Das  Perfect   häugt  au  das  negative  Particip  des 
Praet.,  das  aber  auf  *ta'  (nicht  *t-au')  auslautet,  '-n* 
und  an  dieses  tritt  die  Endung  des  Verbum  substant.  wie 
in  der  affirmative j  Form.    Die  Personalendungen  desselbeu 
sind  demgemäss: 

1.  Pers.  ta-n-ut.  ta-n-uu. 
Tl.    „     ta-n-us.  ta-n-ure. 
III.    „     ta-n-e.  ta-n-o. 

•  Uebersichtliche  Darstellung  dieser  Formen. 

6)  Das  Praeteritum. 
Sing.  PUr. 
I.  Pers.   viyyoÄ.  xau-t-av-at,  ^j^ÄA^  X^Q-t-av-an. 

ich  sah  nicht. 

II.  ,1  (^yOi-  xan-t-av-is  (-es).  ^^yXJJ>>  xan-t-dv-ire  (-ere). 
HI.    „        yXj^  Zan-t-au.  (j*'^^^»»  Xan-t-av-as. 

Z.  B.  ^^yf  JCjo  &^  j*JLj^L       i,er  hatte 

gesagt:   ich  konnte  gestern  nicht  kommen"   (Bux^  p.  70 
L.  3  V.  u.);  I^ÄAfli  ^  vS^U4>o  b  sLijL  I^L 

„o  Vater,  assest  du  nichts  beim  Gastmahl  des  Königs?" 
(Nicol.  p.  14,  L.  4.  3.  u.V.);  ^  ^  b^l  I^äjü»  „nichts 
kam  in  seine  Hand"  (Nicol.  p.  13,  L.  4  v.  u.);  ^^XjJb 

1)  Man  kann  sich  das  auch  anders  denken,  dass  't'  das  NegatiTafflx 
und  'an'  der  Formativ  des  Perfecta  ist.  Diese  Verhältnisse  bedürfen 
noch  weiterer  Untersuchung. 

6* 


84      SiUung  der  phüos.-phäol.  Clcuse  vom  4,  Deeemher  1890, 


yXX»  iior  nahm  mmn  Wort  nicht  an*^  (Box,  p.  90,  L.  1 

q  );  ij.^  iXu?  jLLi  ^^JLkt  Ljf  v:fbb  «falle 

Weiaen  konnten  den  Sinn  desselben  nicht  anieigen''  (Nicol. 
p.  2,  L.  6  T.  n.). 

7)  Das  Imperfeetnm. 

Sing.  ^  Plan 

I.Pen     aSyu^  xin-t-iv-ala.^)    aiyu^  xan-t-ay-ana. 

TL  r^^nJKn^  XEn-t-äv-isa.      ^^yuÄ.  x&n-t-äv-ire. 

Das  Impeirfeet  wird,  wie  im  Peraiaehen,  sogleieh  als 

Condiüonalis  verwendet ,  z.  B.  olj  ^^Xl^  Luj»  ^  ^ 
*)iulu^  ^Uj  ^ji^  ^jiS  ^  „wenn  da  dich  an 

deine  Kindheit  erinnern  werdest,  würdest  dn  mir  nicht 
solche  Gewaltth&tigkeit  erzeigen'*  (Nicol.  p.  24,  L.  2. 

I.  y.  u.). 

8)  Plnsqnamperfect. 
Siag.  Plur. 

L Pers.  '^^myVfxh  xan-t-iy-asntf        y^K^  xan-t-äy-asnn. 
ich  hatte  nicht  gesehen* 

II.  „  yytL^Si^  »an-t-iiy-asne.  ^y^ySj^  xu^-t-ay-tere. 
UL   „   jMMiyuL^  xan-t-äy-asaa.     ^w^S^^  xan->t-&y-asnr. 

1)  leb  YeriDQthe,  dass  die  Stammsilbe  nicht  ganz  ohne  Accent 
bleibt,  doch  finde  ich  es  onnöthig  den  Nebenaceent  besonden  sa  be* 
teichoen. 

2)  Part  Praet.  ^jmJ,  von  jCui  tin-ing  .geben.* 


Digilized  by  Goo 


Trumpp:  Gramm,  Untersuchungen  über  das  Brahüi.  85 

9)  Perfect. 
SiDg.  Plar. 

1.  Pers.    viUAAAi*.  xan-^-n-üt        ^Ijüa  xan-ta-n-nn. 
ich  habe  nixiht  gesehen. 

II.    „      ^jJjUs»,  xan-ta-D-as.       ^yuiiA  xan-ta-n-ure. 
III.    „  xan-ta-n-e.  yJU^  Xan-ta-n-o. 


Z.  B    säui?  «5^;'^  ^  "^^^ 

Geschäft  nicht  recht  gethan'^  (Nicol.  p.  4,  L.  4  v.  u  ); 

^yüü  Kwu^f  ^er  ist  bis  jezt  nicht  gekommen"  (Bax, 

p.  84,  L.  10);  ^>f^l  sjj  v^!^ 

,,möge  es  nicht  sein,  dass  er  die  Antwort  gab:  Nazzatu-l-faad 
ist  nicht  gestorben**  (Nicol.  Abu'l-ffasan,  p.  21,  L.  4  v.  u.). 

§  10. 

III.  Die  Bildung  des  Causativumt. 

Das  caasale  Verb  wird  dadurch  gebildet,  dass  an  den 
Verbalstamm  des  Infinitivs  das  Affix  *if*  (anch'ef*  gesprochen) 
tritt;  nur  in  wenigen  Fällen  zeigt  sich  in  der  Cansalform 
eine  Abweichung  davon,  indem  auf  eine  andere  Wurzel 
zurückgegriffen  wird,  z.  B.  JCla***^  khas-if-ing  „tödten**, 
von  JCl^  kah-ing  „sterben",   Part.  Praet.  i*l...  ^<  khask 

„er  starb*',  das  im  Causativ  zu  Grunde  gelegt  wird ,  mit 
Abwerfung  des  finalen  *k*.  Der  so  vermehrte  Stamm,  an 
welchen  die  Personalendungen  nach  der  beschriebenen  Weise 
angefügt  werden,   bleibt  unverändert  durch  alle  Tempora 

hindurch,  z.  B.  jCüi^  k^n-ing  „essen**,  Causat.  ^XjJjJS' 
kun-ef-ing  (oder  auch  jCläjJT  kun-if-ing  geschrieben)  „essen 
machen**,  ,ffUttern.** 


I 


86        SUsmig  der  phUos.-philol.  Clause  mm  4.  December  IHSf). 

Box  (p.  21)  behauptet,       GaiiaatiT  werde  dureb  ESn- 

schiebung  von  *f  nnd  V  gebildet,  wie  jCukiji!  tix-feng 
„legen  machen",  aber  das  *e*  werde  im  Futurum  und  Futurum 
exactum  abgeworfen.  SämmUicbe  Beispiele  jedoch,  deren 
ich  viele  genimmelt  habe,  widersprechen  dieser  Behanpinng. 

Bellew  (p.  477)  sagt ,  das  Cansativ  werde  durch  Ein- 
schiebung  eines  T  zwischeu  die  Wurzel  und  das  Intinitiv- 
zeichen  gebildet,  z.  B.  khuling  ,,sich  fürchten",  khulting 
„erschrecken."  Nach  ihm  kann  man  vom  Cansativ  wieder 
ein  CSausativ  bilden,  indem  man  Y  in  'ii'  oder  'ef*  umwandelt, 
s.  B.  khnlfing  „ersohreeken'^  khulifing  „enchreeken  machen." 

Von  einem  doppelten  Causativ  aber  ist  im  Brahüi  keine 
Spur  zu  entdecken  und  Bellew  hat  irrigerweise  die  viel- 
leicht raschere  Aussprache  'khnlfing'  (statt  'khulifing')  für 
eine  e%ene  Bildung  gehalten.  Leech  gibt  fiberall  die  cao- 
sative  Anssprache  mit  'if ,  z.  B.  i  tene  kasifeva  „ich  tödte 
mich",  benifene  (=  ban-if-nne)  „er  liess  zukommen'^  etc., 
nnd  damit  stimmt  die  Schreibweise  bei  Nicolson  voll- 
kommen. 

Es  kann  kaum  zweifelhaft  sein,  dass  das  brahüi  Cansativ- 
a£fix  'if  identisch  ist  mit  der  Tamil  Cansalpartikel  'vi\  die 
in  gewissen  Verbindungen  sich  zu  'bi'  und  'ppi*  verhärtet 
Das  Tamil  hat  auch  ein  doppeltes  Oausativ,  wie  varu-vi-pp-in 
„leb  will  kommen  machen  lassen^S  woraus  zu  sebliessen  ist, 
dass  wenn  es  auch  im  Brahüi  vorhanden  würe,  es  jedenfalls 
anders^gebildet  sein  mUsste,  als  Beilew  angibt. 

Die  Gonjugation  des  CSausativum  verläuft  ganz  regel- 
mässig, nur  ist  daran  zu  erinnern,  dass  das  Part.  Praet. 
nach  8.  64  immer  auf  9  auslautet.  Wir  lassen  hier  eine 
fibersichtliche  Darstellung  derselben  folgen. 


Digitized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  UntersudMngen  über  das  Brahüi.  87 

I  n  fi  n  i  t  i  V. 
jCUx*wp  raa-ef-ing  „ankommen  machen/* 

Imperativ. 
Sing.  r  1  a  r. 

Pers.  »uU-wM^  ras-ef  (-if)  y^^tx^,^  ras-ef-bo  (-if-bö). 

A. 

1)  Praesens  continuum. 
«yl  ^  JÜJLf^^  ras-ef-ing  ti  ut,  etc. 

2)  Praesens  indefini  tum.  (Potentialis). 
^AxjMj  ras-ef-iv,  etc. 

■\)  Praesens  definitnm. 
rtyJiKJM^  ras-ef-iva,  etc. 

4)  Futurum. 
ci^^ixA^wp  ras-ef-6t»  etc. 

5)  Futurum  exactum. 
'      ii'i  w^rf,^ ras-ef-osnt,  etc. 

B. 

Particip  des  Praeterit ums: 
^^sLKMi^  ras-ef-e. 

6)  Praeteritura. 

öuuiAAMs  ra^-ef-Hi  etc. 
..  ..  ^ 

7)  Imperfectura. 
iÖjjLXj^j  ras-ef-et-a,  etc. 


8)  Plusquamperfectum. 
j:^_^o^.  ras-ef-e-sut,  etc. 


88     8UMung  der  phiüogrphiM.  Ckute  vom  4.  December  18S0. 

9)  Perfeotiim. 

s»mjuUa«s  ras-ef-^-n-ut.  etc. 

Beispiele  zur  Erlftnteruug  und  Bestfitigung:  ^^f  ^^^\ 
i£j^3  ^  JjJLkiSr  »er  nahm  ibn^)  um  ihm  Brod  za  eesen 

za  geben^^  (Nicol.  Abo'l-lTasaD ,  p.  2,  L.  7);  \jS'  ^t>ft> 
^-^.A^Lä.  ^^U^L^  lieget  diesen  auf  mein  Bett"  (ibid.  p.  16, 
L.  2);  *yxkf^< LüJ  "yjyi  ^/  LUJ  «ich  will 
mein  Hemd  zerreiseeut  meinen  Bart  zernichten'^  (ibid.  p.  18, 
L.  2  y.  n.) ;  ^\  äT 

^yiy^  ^^^y^^  machen  mir  aolche  Pein,  dass  ich  Ton 
ihnen  gequält  werde''  (ibid.  p.  5»  L.  8);  |^  y^vAifc  ^1 
^ysu^^  ^LoÄj  ^^iS  ^LwyLi*^  L  ^L»'  L-vAj  nich  förchte» 
dam  ne  mir  ans  Foreht  fllr  ihr  Leiben  Schaden  snfllgen 
werden"  (Nicol.  p.  3,  L.  8.  9);  ^aäaÜ  ^^^^j^  ^jf 
„darauf  zündeten  sie  einige  Rackeln  an*'  (NiooU  p.  32, 
L.  5  V.  u.);   yisktgi^  ^5^^!   ^^y^  «die 

SclaTinen  lieasen  ihn  viel  Wein  trinken**  (Niool.  Abu'l-H*aaan, 

p.  11,  L.  1).  Hie  und  da  ist  das  Y  ('e')  von  dem  OausatiT- 
afiix  'if  (eV)  nicht  in  der  Schrift  ausgedrückt,  muss  dann 

aber  mit  Kasr  CO  gdesen  werden,  s.  B. 

ikS^  „alle  seine  Freunde  speiste  er"  (Nicol.  p.  20»  L.  2  v.  u.). 


1)  i()C>^0  (nie  m  geschrieben  werden  toUte,  da  esimperil  iatX  fon 

jCüj;  das  gewOmliobe  Furt  Piaet  ist  ^3,  et  sebehit  aber,  da» 

auch  die  Form  y^y^  darS  yorkommt 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  UfUersuchungen  über  dos  Brahüi.  89 

Auch  das  Causativ  bildet  ein  Particip  Praet.  anf  *5k* 
(ök-jt^  *dk-o)  and  ein  Gernndiam  auf  'eaa\  'isa'»  also 
d^ÄA^^  ras-if-ök  „einer  der  ankommen  maeht**  und  «m^ax^«^ 
Tae>^f*i8a  „im  ankommenmachen^S  z.  B.  r^^.r  (5^^) 
^ÜClm^  U  vä»^  tt<^ie  Schwerter  schwingend  kamen 

sie  nahe  zum  Fort'^  (Nicol.  p.  33>  L.  3). 

Dan  das  Gansati?  anch  eine  negative  Fonn  hat,  ist 

unzweifelhaft,  obschon  ich  in  dem  mir  zugänglichen  Material 
krine  bemerkt  habe.  Sie  müsste  etwa  laaten:  Imper.  sxA^^ 
ras-ef-pa,    Praes.   indef.  j^Jlkjm^   ras-ef-par  etc.;  Praet. 

ss^yLÄjfj^j  ra8-ef-t-ay«^it  etc.,  Perf.  vjulau-j  ras^-ta-n-nj. 

§  U. 

IV.  Dae  Pieiivum. 

Das  Brahüi  hat  einen  Passivstamm  durch  Anfügung 
des  Affixes  'ing'  an  den  einfachen  Stamm  ausgebildet,  den 
es  durch  alle  Zeiten  hindurch  r^gelmfissig  fleetirt.  Aensser- 
lich  fiUlt  daher  der  Ptasiystamm  mit  dem  Infinitir  der  actiTen 
Zeitform  zusammen,  obgleich  er  mit  demselben  keine  innere 
Verwandtschaft  hat. 

Die  dravi(|ischeu  Idiome  haben  kein  Passivaffix  aus- 
gebildet und  müssen  daher  die  passive  Bedeutung  anf  ver- 
schiedene Weise  umschreiben  (of.  Oaldwell,  p.  856 — 58)« 
wahrend  die  türBnischen  Sprachen  ▼erschiedene  PfeestT* 

Partikeln  zu  ihrer  Verfügung  haben.   Am  nächsten  scheint 

sich  das  brahüi  'ing'  mit  dem  türkischen  Reflexivaffix  i-u' 
zu  berühren,  das  bei  Stämmen,  die  auf  einen  Vocal  oder  '1* 
auslauten,  auch  als  Passivaffix  fuugirt.  Immerhin  ist  diese 
Passivbildnng  ein  eigenthümlicher  Zug  des  BrahüL 


Digilized  by  Google 


90     Sitzung  der  phHas.'pkilol.  CUme  vom  4,  Deeemher  1880. 

Leech  erwahnfe  noch  gar  nichtB  Yon  einem  PaasiT, 
Bellew  aber  hat  ein  ?o11standiges  Paradigma  deaaelben  anf- 
geatellt,  von  dem  ich  allen  Grand  habe  so  vermuthen,  date 
er  es  nach  eeraer  eigenen  Phantasie  ausgearbeitet  hat :  denn 

ich  habe  davon  auch  nicht  die  geringste  Spur  entdecken 
können,  und  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  eine  so 
sparsame  Sprache,  wie  das  Brahüi  ist,  sich  den  Luxus  eines 
zwiefachen  Passivs  sollte  erlaubt  haben.  Bis  also  dohere^ 
durch  nniweifelhafte  Beweise  erhärtete  Beispiele  Ton  dem 
Bellew^schen  Passiy  vorliegen«  muss  dasselbe  bei  Seite  gelegt 
werden.  Offenbar  dnrch  das  Persische  verleitet  hat  er  das 
Passiv  als  eine  mit  dem  Particip  des  Praeteritnms  und  dem 
Zeitwort  *sein*  zusamniengesezte  Zeit  form  betrachtet  und 
demgemäss  abgewandelt.  Abgesehen  von  seinem  Imperativ 
Pass.,  der  gewiss  nirgends  als  in  seiner  iianbildang  existirt» 
flectirt  er  das  Praesens  folgendermassen : 


Die  erste  nnd  zweite  Person  Sing,  und  Plnr.  sind 
identisch  mit  den  betreffenden  Personen  des  Praeteritnms, 
und  die  dritte  Pers.  Sing,  nnd  Plnr.  bietet  eben  jene  Zu- 
sammensezung «  die  ich  im  Brahöi  für  unmöglich  halte, 
wenigstens  so  lange,  bis  das  Gegentheil  bewiesen  ist,  weil 
das  Particip  des  Praeteritnms  nnr  in  der  III.  Pers.  Sing, 
(ond  nie  als  selhststandiges  Pbrttdp)  nnd  nnr  mit  acliver 
Bedentnng  vorkommt.  Femer,  wenn  die  Sprache  nicht 
mehr  die  zwei  Personen  Sing,  nnd  Plnr.  des  Praeteritnms 
vom  Praesens  Pass.  unterscheiden  könnte,  so  wlirde  08  mit 
der  brähüi  Logik  höchst  bedenklich  aussehen. 

In  dea  übrigen  Temporibns  gibt  er  einfache  Zusammen* 
seanngen;  Imperfect:  I  khalk  asnt;  Perfeet:  I  khalk  masasot; 


Sing. 


Pier. 


I  kbalkut. 
Ni  khalkus. 
0  khalk  are-e. 


Nan  khalkun. 
Nnm  khalkure. 
Ofk  khalk  arer. 


Digitized  by  Google 


TnoHjt}):  Gramw.  Untersurhutitjai  über  das  Bmhfn.  91 

Past.:  1  khalk  masanut;  Futare  Present:  1  khalk  marev. 
In  allen  diesen  Zeiten,  die  er  aber  theilweise  uurichtig  be- 
nannt hat,  flectirt  er  nur  das  Hilfszeitwort,  das  Particip 
selbst  bleibt  unverändert. 

Ob  es  einen  Infinitiv  des  Passivs  gibt,  kann  ich  nicht 
bestimmen,  da  ich  noch  keinen  gefunden  habe;  es  ist  aber 
sehr  wahrscheinlich ,  wie  aus  dem  Praesens  continuum  zu 
schliessen  ist.  Der  Imperativ  fehlt.  Das  Passiv  ge- 
staltet sich  demgemäss  folgenderweise: 

(Infinitiv:  oCxCLiLä.  zaning-ing  „gesehen  werden".) 

A. 

1]  Praesens  continuum. 

^1  ^  JCaClLsi.  xan-ing-ing-ti  ut  ,,ich  bin  im  Gesehen- 
werden*' etc. 

2)  Praesens  indefinitum. 
yixi^  /an-ing-iv  „ich  mag  gesehen  werden*'  etc. 

Z.  B.  ^^jCJ^'  ^  OA^^V  U  1^^-^  o*'^  ^ 

„zu  jeder  Zeit ,  wo  ein  Mann  auf  die  Anklage  des  Mordes 
ergrifien  werden  mag'*   (Bux,  p.  92j  L.  2  v.  u.)  Lj  jCüiT 

^^jClä?  JL  MfcxX^  Li   jCÄA.t^i.   *UcL-    „znr  Zeit  des 

Essens  sollte  der  Schlafraum  rein  gemacht  werden*'  (Bux, 
p.  74^  L.  I  V.  u.);    ^  («>L^  viJLüjl 

^jJCuLä.  8^L>^  m^^^s  flcm  Grunde,  damit  sie  über  (ihre)  Zahl 

hinaus  erscheinen  möchten"  (Nicol.  p.  32,  L.  IL  i  v.  u.). 


1]  ^^^JC:^  bei  Box.   Es  ist  der  Accnsativ,  indem  die  passive  Con- 

Btruction  unpersönlich  gebraucht  und  das  eigentlicho  Sabject  im  Accusativ 
untergeordnet  wird,  wie  im  Perfect  Pass.  des  Üalü(^i  und  Sindhi.  Siehe 
ein  ähnliches  Beiiipiel  unter  dem  Faturnm  S. 


92       SitMung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  4.  Decembtr  ISdO. 


3)  Praesens  definitam. 
HyjJjj^  Xsai-in^-eYB,  „ich  werde  geseheo**  etc. 

^L^  saijü^  üütjl  ySi&J  U  ««darauf,  so  oft  die  fiocken  der 

Ranber  gesehen  werden,  gingen  die  Truppen  der  Regierung 
ihnen  nach''  (Nicolson,  Q&lat,  p.  3«  Li.  5.). 

4)  Futurum. 
^ySjJk^  XMi-ing^^t  ««ich  werde  gesehen  werden^^  etc. 

Z.B.      •^xSiiL  MS u^/ ^/ 

„wenn  dn  wiederum  eine  solche  Sache  thun  wirst,  so  wird 
man  dich  schlagen  lassen''  (Bux,  p.  82,  L.  9  t.  u.). 

5)  Futurum  ezactum. 
;^.i]igb.^ii|  ^eh  werde  gesehen  wordsA  eein**  etc. 

6)  Praeteritu 
«&IXu^  XUi-ing^M  ««ich  wurde  gesehen**  eic 

z.  B.  4^ü0        ^1  ^^i^o  b,l  oi^  ^ 


1)  cjjü^,  ein«  brShSi  Bildang  von  dem  Balfifi  Jü^  nmd  ,,der 

Bficken",  IjJ^  nodi  (Loeat.)  .im  ftOokea  *  Imfiiibifl  sdMint  «aiiXi^ 
sli  SubstentiT  aad  Advsrbliim  golvanebt  sa  seiii. 

2)  Wdrtlidi:  .es  wiid  sehlagea  gemsebt  wsrta  disb  (dB)*,  ftsriv 
Fot.  TOD  JCaaIa  /al-if-ing  .schlagen  mseben." 

3)  Das  Particip  dea  Pneteritams  endigt  immer  auf  ä  (ing-&). 

4)  (XJO  Isg-iBg  isi  des  Sindhl  WPS  (HindSsllnf  U3 
IsTitiQ.  ^ 


Digitizeü  by  Li 


3 


JVumpi):  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brähfti.  93 


Uj^^*  ü*95^  jener  Zeit  traf  ein  Schwert  seine  Hand 
und  es  wurde  ihm  ein  Finger  abgehauen"  (Nicol.  p.  32, 
L.  8),  ^[SjJu^  ^JL^  ^  b  aJ^jJI  „einige 

grosse  Häuptlinge  des  Siräju-ddaulah  wurden  getödtet'^ 
(Nicol.  p.  29,  L.  7  v.  u.). 

7)  Imperfectum. 
id'UCiAÄ.  xan-ing-S-fa  ,,ich  wurde  gesehen"  etc. 

8)  Plnsquamperfectum. 
NÜA,ilUCui>  xan-ing-ä-sut  „ich  war  gesehen  worden"  etc. 


9)  Perfectum. 
viiAiüCLxÄ  xan-ing-?t-n-ut  „ich  bin  gesehen  worden"  etc. 

Z.  B.  ^Lts^^^o  b  ^\  slJLibl  &r  J*^  ^Jüüö 

^IXJLi  ,^bUr  b  jCLii  ,5p Ls»-  „Ks  ereignete  sich  so, 

dass  sie  am  Thor  einer  Stadt  unter  dem  Verdacht  Spione 
zu  sein,  ergriffen  worden  sind**  (Nicol.  p.  22,  L.  5). 

Merkwürdigerweise  gebraucht  das  Brahüi  als  flectir- 
bares  Particip  Pass.  des  Praeteritums  eine  Form,  die  mit 

dem  Part.  Praes,  act.  (s.  S.  73)  zusammenfällt,  wie  vj^j^ 

Xan-ök  (-kä,  kö)  „gesehen"  kar-ök  ,. gemacht",  ein 

Umstand,  der  mich  längere  Zeit  an  der  richtigen  Erkenntniss 
dieser  Bildung  gehindert  hat.  Weder  Leech,  noch  Bellew, 
noch  Bux  erwähnen  etwas  davon,  aber  die  Beispiele  stellen 

es  ausser  Zweifel,  e.  g.         vj^'  ^b  „das 

Holz  ist  um  des  Verkaufens  willen  hingelegt",  (Bux,  p.  1 10, 


1)  Box  bietet  ^^JCLa^,  was  nur  ein  Drackfchler  sein  kann. 


i 


94      Sütmtg  der  phaoB^pkiM,  Ckuse  vm  4.  Deeemher  18B0. 

L.  5  y.  n.);         ^  ^Uäj^o        ^)  ä-J 

^  ^y^'  lt'  1*^^  Kette  war  yon  einem  Fenster  anf 

seinen  Nucken  gebunden,  er  war  sizend'^  (Nicol.  p.  13, 

L.  2.  3);  ^\  b^l  ^^.^i».  ^JJ^  <:jJt^  ^ 

bef  ü  ,,war  zu  jener  Zeit  ein  Strick  auf  seinen  Nacken 
gebunden  oder  nicht      (Bnx,  p.  94,  L.  4.  3  y.  n«); 

dl^juf^  „weil  das  yon  mir  geschrieben  worden  seiende 

Papier  ausser  mir  kein  anderer  liest'*  (Bux,  p.  IIS,  L.  9,  10); 

Li  y^^^^  ^Li        b  y  Li  b^l  „sie  sah 

seine  Augen  gebunden,  sie  sah  sein  Gasicht  von  der  Binde 
angetrieben'*  (Nicol.  AbuUH'asan,  p.  23,  L.  6). 

Da  in  den  in  den  obigen  Beispielen  erwähnten  Formen 

nichts  von  ilciu  l^assivuftix  iug*  /u  bemerken  ist,  so  zweifle 
ich  nicht  duran,  dass  die  Bildung  a.ut  ok',  ol)sch()u  passivisch 
gebraucht,  doch  in  Wirklichkeit  mit  dem  Particip  Praes. 
actiy«  identisch  ist.  Das  Brahüi  folgt  in  dieser  Hinsicht 
ganz  der  Spur  der  dra?i4i8cbeu  Sprachen,  die  auf  ähnliche 
Weise  relatiye  Participien  des  Actiys  mit  passiyer  Bedentong 
gebrauchen  (cf.  Galdwell,  p.  357). 

Ob  ein  Gernndinm  auf  Msa'  vom  Passiv  gebildet  wird, 
kann  ich  nicht  bestimmen,  da  mir  noch  kein  Beispiel  davon 
vorgekommen  ist;  iu  diesem  Falle  müsste  es  etwa  äwj^uuLs. 
Xan-ing-esa  lauten.  Auch  eine  negative  Form  des  Passivs 
ist  mir  bis  jezt  noch  nicht  aufgestossen,  obgleich  dieser 
Bildung  an  und  für  sich  nichts  im  Wege  stände ;  wenn  sie 
vorkommt,  müsste  sie  nach  der  gewöhnlichen  Weise 
Xan-ing-par  etc.  gebildet  sein. 

Ich  möchte  hier  noch  auf  eiue  Form  liiuweiseu ,  die 
wie  ein  Gerundiv  (dem  äinue  nach)  erscheint,  die  ich  aber, 


Digilized  by  Google 


Ihtmpp:  Oramm.  Untersuchungen  über  das  BrahiU.  95 

weil  ich  nur  ein  einziges  Beispiel  bis  jezt  davon  gefunden 
habe,  nicht  näher  zu  bestimmen  wage,  nämlich  karöe 

iu  dem  Saz:  ^  b        s^y^  sS  ^^1  ^^1  ^yiJ  ^ 

j^^jüct^  lt'^  tfluMi  du  ein  nolehes  Geschäft,  das  xn  than 

ist,  oder  wünschest  da  etwa  etwas?''  (Kicol.  Abu'l-ü'asau, 
p.  5,  L.  3)' 

8  12. 
HilftzetMrtor. 

I)  Das  Verbam  snbstaniiTiim  „Sein/* 

Obschon  das  Verbum  substaut.  tief  in  den  Conjugations- 
process  eingreift,  so  lassen  wir  es  doch  erst  hier  folgen, 
damit  die  Flexion  des  Verbams  in  ihrer  Gesammtheit  dar- 
gestellt werden  konnte. 

Es  ist,  wie  in  so  manchen  anderen  Sprachen,  defectiv, 

ohne  Infinitiv  und  Imperativ,  die  durch  eine  andere  Verbal- 
wurzel ersezt  werden,  wie  wir  sehen  werden  ;  auch  die  Zeiten 
sind  anf  das  Praesens  defin.  und  das  Praeteritum 
beschränkt,  die  übrigen  müssen  anderweitig  ergänzt  werden. 
Der  bequemeren  Uebersioht  willen  lassen  wir  gleich  der 
affirmatiTen  Form  auch  die  negative  folgen. 

1)  Praesens  definitnm. 
Sing.  IMar. 

I.  Pert.    sii,\    u|^),  ich  bin.  an,  wir  sind, 

n.   „      ^1    08,  dn  bist.  nre,  ihr  seid. 

IlL    „      ^1    e,  er  ist.  (^0>'    ^        ^^'^  ^^^* 


1)  Dm  V  wiM  aneh  wie  o'  geaproeben  nud  Bu  giebt  es  dweh« 
gingig  Bo  ui;  10  'of,  'ce\  W,  'ore*,  W  ist  dsrom  das  V  kus. 


Digitized  by  Google 


96      SUeung  der  phiU>8.-phüol.  CUu8e  vom  4.  Deember  1860. 

Wenn  dieses  Tempiu  mit  einem  Nomen  Terbmiden  wird, 
so  wird,  wie  im  Persisohen,  das  initiale  f  abgeworfen ,  feUs 
das  Nomen  auf  einen  Consonanten  endigt,  lantet  es  aber 

anf  einen  Vocal  oder  auf  'all'  (ab)  aus,  so  wini  das  f  bei- 
behalten. Ich  finde  übrigens  oft  das  initiale  Ahf  auch 
dann  geschrieben,  wenn  das  Nomen  mit  einem  Consonanten 
scbliesst,  was  übrigens  nnr  eine  naeblassige  Scbreibweise 
ist.   Z.  B. : 

Sing.  PUr. 


vfifjU  ^1   I  m&r-nt, 
ich  bin  ein  Knabe. 

^;Lo  ^   Bl  mt-rn.. 
dn  bist  ein  Knabe. 
^5^Lo  ^1    ö  mär-e, 
er  Ist  ein  KnabeL 


^jpLt  ^   nan  mär-nn, 
wir  sind  Knaben. 

^jipLe  |J   nnm  mtr-nre, 
ihr  seid  Knaben. 

■(^Lo  öfk  mar-o, 

sie  sind  Knaben, 


Dagegen:  v»t  ^^^tur  ^1  i  aipahi  at  „ich  bin  ein 
Soldat"  etc. 

Die  Wurzel  dieses  Tempos  scheint  'n  an  sein,  ans 
dem  sich  allerdings  die  III.  Person  Sing,  e  sdiwer  er- 
klaren lasst. 

Neben  dieser  findet  sieh  im  Praesens  eme  andere 
Wurzel,  die  sieh  "aber  dadurch  von  ^|  nteto.  unterscheidet, 
dass  sie  nicht  als  Personalendnng  der  Verba  gebraucht 
noch  an  Nomina  angehängt  wird,  sondern  durchaus  selbst- 
ständig auftritt.   Es  ist  das  die  Wurzel  'are,  die  ihrerseits 

schon  wieder  durch  Hilfe  von  etc.  conjugirt  wird  und 
wohl  mit  dem  dravi4i8€ben  'ir'  stammverwandt  ist. 


Digilized  by  Google 


Trumpji:  Gramm.  UiUernuctmngen  über  da»  Brähüi.  97 

Praesens  definitam. 
Sing.  Plar. 
^1  i  ÄTft-t,  ^  nan  Are-n. 

ich  bin,  existire*).  wir  sind. 

^  m  to^  ^^^f  ^  nnm  aie-re. 

da  bist.  ihr  seid. 

€V  isi.  sie  sind. 

Leech  uud  ihm  nach  Bellew  stellen  auch  eine  Form 
'asitut'  auf,  die  der  erstere  Tresent  tense'  benennt  und  durch 
„I  am  aione'*  äberseat,  der  lestere  dagegen  ,^risV*  und 
dnrch  „I  maj  W  wiedergiebt  Sie  oonjogiren  ee  beide 
folgendermassen : 

S  i  D  g.  Plar. 

i  asitat  nen  asiinn. 

ni  asitos.  nnm  asitore. 

5  asite.  ofk  asitnr  (-K>r). 

Wir  müssen  dieses  ganze  Tempos  für  ein  reines  Phan- 
tasiegebild  erklären,  da  sich  davon  anch  keine  Spar  entdecken 
lässt.  Bellew  wenigstens  hätte  merken  können,  dass  auf 
dieee  Weise  and  mit  solchen  Personalendnngen  absolut  kein 
Aorist  im  Brahüi  gebildet  werden  kann. 

Die  negative  Form  von  vS||  and  v2ajJ  wird  durch 
die  Wnrsel  ^JÜ  af  „es  ist  nicht*'  hefgestellt,  an  wdehe  die 

1)  Den  Sinns  nadi  wie  das  penisehe  ^UmJ^i  i»  Qsgentss  sa 

r'  (=  «ä»')- 

*2)  In  iat  f  in  's*  übergegangen  und  ^^Mt  ist  eine  weitere 

Verkürzang  davon,  das  darom  häufig  an  Nomina  angahingt  gefoadsn 
wird,  obachoD  dies  nicht  geschehen  sollte. 

[1880. 1.  Pbil.-phU.  a.  Bd.  L  6.]  7 


Digilized  by  Google 


98      SiUuiuf  der  philos.-phäol.  Clause  vom  4.  Ikcember  lÖbO. 


Endungen  des  Verbum  sub.stautivam  (tbeilweise  lautlich 
▼erlcflrzt)  treten,  nur  dass  in  der  III.  Pers.  Sing,  entweder 
*ak*  autritt,  wie  im  Praet.,  oder  die  blosse  Wurzel  steht. 
Dass  'af'  mit  dem  u^tiven  A£dx  'pa'  Terwandt  ist,  steht 
Zweiftl 

Sing.  PUr. 


liUil  af-a('j,  ich  bin  nicht.       ^|  af-an^),  wir  sind  nicht. 
^jMjüi  af-efi,  da  bist  nicht.    ^5^f  tf-ere,  ihr  seid  nicht, 
itf-ak  \    g^jj  tf*B8,  ne  siad  nicht 


>  er  I 
vJl  af  I 


ist  nicht. 


C  J 

Das  Praeter itum  zu  ^\  wird  mit  der  Worzel  ^|  as 
gebildet,  an  welche  die  Endungen  des  Verbam  snbat.  ange- 
f&gt  werden,  mit  Ansnahme  der  III.  Peia.  Sing.,  welehe, 
wie  im  Praeteritnm,  entweder  anf  die  Wnnel  allein,  oder 
anf  W  und  W  aoslaniet. 


Sing. 

v»(Jvl  äs-at,  ich  war. 
yMylf   äs^as,  du  warst 

äs-ak 


PUr. 

^jJJi   as^nn,  wir  wann. 


I    as-ure,  ihr  wäret 


( 


as-as 

ae  i 


er  war. 


r 


(    äs-ur,  sie  waren. 


1)  Bier  V  (=  ar)  geipiocheu  «m  der  Beqoens  der  Yoesls 
willen,  oVgleieh  dieie  im  BiibQI  nicht  streng  dnrcbgeÄhrt  wird. 

2)  Box  (p.  27)  tranaerlbirt  UAn\  was  nnwaluielNinlieh  ist 

3)  Die  Form  jmmwI  kommt  auch  immer  alt  PeraonaleDdaiig  der 
IIL  Pen.  Sieg.  vor. 


Digitized  by  Google 


Thmjip:  Chramm,  üiUerBU^ngen  Über  d«ut  Brähüi.  99 


Die  negative  Form  des  Praeteritums  wird  auf  zwei- 
fache Weise  gebildet.  Bnx  (p.  28)  gibt  als  III.  Pers.  Sing, 
(i.  e.  als  Partidp)  'allau i.  e.  'aUa-o\  flectirt  aber  Ton 
dieser  Form  ans  nicht  r^hntaig,  wie  man  erwarien  gollte, 
*allav-af ,  'allay-as'  eic.,  sondern  folgendennassen  (nach  seiner 
eigenen  Transcription) : 

Sing.  PUr. 
ö>3H  ^5l   i  alla-ot  JSH  ^   nan  aUa-on. 

QM^I  ^   ni  alla-08.  ^^^|  ^   nom  alla-ore« 

yi  ^1    ö  alla-o.  ^^^1  JLiI    ofk  alla-or. 

Wenn  seine  lateinische  Transeription  richtig  ist,  so 
ist  seine  hindustsni  Schreibweise  fSnlsch;  es  mfisste  dann 

heissen:  tg^^^l  (oder  wahrscheinlicher  taipl,  da  'a*  kaum 

lang  sein  kann)  etc**  Es  ist  fibrigens  nicht  nnmOglidi,  dass 
man  statt  der  gewöhnlichen  Form  'allaT*at*  etc.  aoch  'iiXkrof 
spricht. 

Ich  habe  von  diesem  negativen  Praeteritum  bis  jezt 
leider  nar  die  dritte  Pers.  Sing,  geinnden,  so  dass  ich  mich 
über  die  Schreibweise  der  anderen  Personen  nicht  aas- 
sprechen kann;  z.  B.  b  JU^  b  «lich 

hatte  keine  Kenntniss  von  deinem  Zustande^^  (Bq^t,  p.  120, 
L.  2);  ^  tX*«l  b  iXAs0^  L^f  ^         J  KSf^i 
war  im  Alter  krank  geworden,,  es  war  keine  Hotfuuug,  dass 
er  gerettet  würde"  (Nicol.  p.  3,  L.  2.  1  v.  u.). 

Das  brahüi  'alla'  entspricht  ganz  dem  tamil  'alla\  das 
„es  ist  and  war  nicht"  bedenten  kann.  Weil  *aUa'  die  Bedent- 
ang  des  Praeteritams  schon  arsprfinglich  in  sich  fiMsen  kann, 
so  wird  es  im  Brahüi  anch  wie  im  Particip  des  Praeteritams 


1)  Wtna  msn  Leech  trausn  dftille,  wfirds  diei  Bich  ihm  'iUst* 
gttproeheD  (•.  p.  16|  L.  4.  wo  «r  lelWt  nv  'slav*  sehnibt). 


Digitized  by  Google 


f 

100     SUnmg  der  pkito8,'pkiM,  CUute  vom  4.  Vecmber  1S80. 

behandelt  und  darum  mit  den  Endungen  des  Verb,  sabst. 
iSJl  ete.  Tenehen. 

leb  babe  aber  bei  Nieolson  aucb  eine  andere  Porm 

gefunden,  in  der  'alla'  als  ein  Particip  mit  Praesensbedeutung 

ge£u8t  ist,  so  dasB  an  dasselbe  das  Praeteritnm  ^^JJ  etc* 
angefügt  wird.  Diese,  von  der  ieh  übrigens  nur  swei  Peisonen 
gefunden  babe;  müsste  lauten: 

Sing.  Plur. 

LPers.      «Smm^I   allav-aaat.  v:^^'  allav-aaun. 

II.    11  allav-asas.  «5^^^  allav-äsure. 

in.   „        eL«M^  alUT-asak.  ^yS\  alÜT-asur, 

Z.  B.  vSm.^  vsJU  ngestem  war 

ieb  Abun-H*asan,  war  icb  nicht?''  (Nieol.  Abun-tfasan,  p.  8, 

L.  4) ;  ^)y^y}\  ^LoU juü  f  j^b  b  JJuo  b  JLjCo  Aäj^ 

ffdiese  waren  nicht  von  den  feigen  Leuten  aus  der  Provinz 
Bengalen''  (^icol.  p.  29,  L.  1.  2.). 

II)  Das  Verbum  jCuit  man-ing  „werden^  „sein.'* 

Alle  Tempora,  die  dem  Verbum  substant.  mangeln, 
werden  aus  dem  Verbum  'man-ing*  ergänzt,  das  ursprüng- 
lich   werden"  bedeutet  und  in  diesem  Sinne  noch  oft  vor- 
kommt.   Seine  Wurzel  ist  'mar\  die  im  Praeteritum  io' 
*mas'  flbeigeht,  und  regelmassig  coigugirt  wird. 

Infinitiv:   jCwüo  man-ing  „werden",  „sein.** 

ImperaÜT. 
Sing.  Plar. 
II.  Pers.         jA  mar,  mär-ak.  mirhö,*) 

1)  Nioolson  bat  in  Minara  Texte  ^»^yi,  das  ^  aber  miue  ein 

Drockfobler  eelo,  da  eine  aolcbe  Form  sioh  nicht  denken  l&sst. 

2)  Mit  BUsioii  TOB  V,  s.  &  £8. 


Digilizedby  Googl« 


lYwHpp:  Oramm,  ünUnuekungeH  itiw  das  Brähäi,  101 

Prohibitiy. 
Sing.     ,  Plnr. 
II.  Fers.  *iuU  ma-fit«  «am  ma-&*bö. 


1)  Praesens  cpntinaam  (deest). 

2)  Praesens  indefinitnm. 
Sing.  PUr. 
1.  Pets.    ,  Jf^y^  lo&t'Vf,  \i^y^  iD&r-en. 

II.  ,t  mar-es.  ^jijA  mär-ere. 

III.  „  mar-e.  mar-er. 

Beilew  fuhrt  'mar-ev*  als  Fntnrum  (Futare  present) 
auf,  weil  er  als  Aorist  scliou  das  oben  erwähnte  'asitut* 
hingestellt  hatte;  er  ist  aach  hier  wieder  der  falschen  Angabe 
Leech's  gefolgt. 

In  der  negativen  Anasage  wird  V  vor  der  Endnng 
^par  elidirt,  und  'p*  als  zwischen  zwei  Vocalen  stehend  in 
Y  yerwaodelt. 

Sing.  Plnr. 
I.Pers.       yLo   mä-fa-r.  ma-&-n. 

III.   n  maf.O  nia-£irB. 

3)  Praesens  definitum.  . 
Sing.  Plnr. 
I.  Pers.  m&r-er*a.  füLayf  iA&-en-a. 

n. 

it      &Mk^^   mar-es^  ^^jjyt  mar-ere. 

m.  „       djye  m&r-e-k.  mar^er-a. 


.  1)  Haf  r:  'nap-p*  =  'map'  =  W.  Aneh  das  iliiale  V*  d«m 
ein  Vooal  TOiaagelil»  s€liein(  in  f '  ftbenagahen. 


Digitized  by  Google 


t 


102     SUtimg  der  pkito8.'phiM,  CUuw  wm  4.  Ikemriber  tSSO. 


N^ktire  AvMige: 

Sing. 

Plur. 

I.  Pers. 

ma-fa-r-a. 

KjUu  marfa-u-a. 

IL  „ 

^jiut  mürf'ire. 

HL  „ 

B,^rlr*  ma-fi^a-a. 

4)  Fatarom. 

Sing. 

PUr. 

I.  Pers. 

y^yjA  mar-ÖJ. 

^^yi  mar-oo. 

n.  „ 

^yjA  mar-<t. 

^^^^y»  mar-Ö-re. 

m^yi  iiiar*6-e* 

mar^6-r. 

NegafeiTe  Annage: 

Sing. 

PUr. 

LPere. 

^yjAfi  iDa-&r-$t. 

sjyf^  ma-fiir^n. 

n.  „ 

jM^yU  ma-fiff-68. 

^^^yui  ma-fer-ore. 

ni.  „ 

m^jiui  ma-£Eu:-üe. 

^^y^  ma-lar-ör. 

5)  Futurum  exactuui. 

Sing. 

PUr. 

L  Pers. 

vSmm^^  mar-^-snt. 

^jM^^ye  mar^o-enii. 

n.  „ 

y^yttyyi  iiiaT-6*siire. 

III.  « 

^^J^yt  mar-o-sas. 

ynj^r  mar-ü-sur. 

Negai 

,ive  Aussage : 

Sing. 

PUr. 

1.  Pen.  Ol 

^j^yyM  ma-fi»-6-«uii. . 

II.  94    gMUMf^yU  ma-ÜBur-Ö-sus. 

III.  „    ^j^yym  ma-far-o-eae. 


ma-far-6-sure. 
nw&r-o-snf. 


Digilized  by  Googk 


2Viiiiiif»p;  Gfmm.  UtUemidmngmi  Über  da$  BrShAi, 


103 


IPen. 

n.  n 

III.  „ 


6)  Praeteritam. 
Sing. 

^*iinn^  mas-ak. 
^ri—^  mäs-as. 
jMü«  mas. 


PUr. 


NegaÜTe  Aussage: 

Sing. 

1.  Peis.     «£»«&o  ma-t-av-at* 


mib-are. 

mas-nr. 

PUr. 

u.  „ 

m. 


11 


mä-t-aT-es. 


md-t-av-an. 
^jiyjji  ma-t-av-ere. 
mi-t-aT-ar. 


7)  Imperfectam. 


I.  Fers. 
II.  „ 


Sing. 
.5   ^  mas-at-a. 


PUr. 


fuyw  mas-us-a. 


mas-aa-a. 


mas-nre. 


mäs-iir-a. 


Negative  Aussage: 

Sing. 

L  Pen.    alyu  ma^-äT-af-a. 

II.  „      Bfinrj??^  ma-t-av-as-a. 

III.  „      eS^yjuo  ma-WY-ak-a. 


Plur. 

^ySJt  ma-t-av-au-a. 

ma-t-av-ere. 


roa-t-ay-ar-a. 


Digitizeü  by  Google 


104    SUMung  der  phOos.'phiM.  daue  vom  4*  Deeember  1880. 


8)  Plusqua  mperfectum. 


Sing« 

I.  Pen«  •if'inr iiini*  nUb^Miif. 


mas-asas.! 
mds-as. 


PUr« 


III. 


Negative  Amnge: 
Sing. 

I.  Pars.  ^gfufljJfit  ma-fc-iT-astit* 
n.   II    ^NMv^Xtf  ma-i-ay-asas. 

m. 


PUr. 

2«  ma-t-aT-asDn. 

ma-t-av-asare. 
ma-MT-asar. 


9)  Perfect. 
Sing. 

I.Pen,  'i^-^mr*  mib-iui-at. 
IL    II     ^mJUuJ*  id£bhiii*ii8. 
III.   II        i  '  "»  mas-un-e. 


Plor. 


Negative  Aussage: 
Sing. 

I.  OUJU«  m^-t-an-iit. 

IL  n  yMMUüo  mi-t-an-as. 
III.   n       .^jUuo  mä-t-aii*e. 


mia-nn-an. 
mas-än-are. 
mas-un-ö. 


Pljir. 

m^t-aD-un. 

ma-t-an-ore. 

ma-t-an-ö. 


Das  Particip  des  Praesens  ist  ^yj^  mar-ök  (-ök-ä,  -ök-ö). 
Das  Gerandinm  müsete  smu^  mAr-eea  lauten  i  doch  habe 
ich  davon  noch  keines  gefanden. 


Digilized  by  Google 


I 


!Rruiup}):  Gramm.  Untersuchungen  lAer  das  Brähüü  105 

Mit  jClu  werden  im  Brshüi  viele  Verba  composita 
gebildet,  gerade  wie  im  Persiscbeu  mit  ^jiX*«, 
JClu  vtBx  man-ing  „znsammentreffen^S  „sich  Tersammeln" 
Jü&  ^  maning  „a1l&iehen^  Jujjo  ^ 

gmn  maning  „verloren  gehen''  (y^<XÄ  ßtc. 

§  13. 

UnregelmlMige  Zaitwfirtar. 

Um  ein  brShnf  Zeitwert  conjugiren  zn  können,  mnes 
man  ausser  dem  Infinitiv  den  Imperativ,  Prohibitiv 
und  das  Particip  Praeteriti  kennen.  Bei  einigen  aber 
genagt  diess  nicht,  weil  sie  ihr  Praesens  indef.  and  definit. 
der  affirmativen  Aussage  nicht  Ton  der  Imperativform 
bilden,  sondern  die  Wurzel  entweder  veK&ndern  oder  eine 
andere  snbstitniren«  Dies  sind  also  im  eigentlichen  Sinne 
nnregelmassige  Zeitwörter. 

Von  den  am  häufigsten  vorkommenden  anregelmässigen 
Zeitwörtern  dieser  Art  sind: 

I)  Sjj^  kan-ing*),  „thnn." 

Imper.         kar-ak;  Prohibitiv        kä-pa;  Part.  Praet. 

kä-re. 

Der  Imperativ  ist  regelmässig:  'Sing,  ki^r-ak,  Plnr. 
kä-bö.   Ebenso  der  Prohibitiv :  Sing,  kä-pa,  Plnr.  k^-pa-bö. 

Das  Praes.  indef.  und  detin.  aber  wird  nicht  von  der 
Wurzel  'kar'  aus  gebildet,  sondern  von  *ke',  wie: 

Praesens  indefinitnm. 
Sing.  Plnr. 
LPers.     yjS  k5-v,  ich  mag  thun.        ^jjS  k5-n. 

II.    I«     ^j»^  ke-8.  y^j^  ke-re. 

ni.  „  kg.  ^  kg-r. 

1)  Baloa  }SJi)aae-9%  (et  Pers.        Imper.  von  ^jö^). 


Digitized  by  Google 


I 


106     Sitzung  der  ijJUlosr^lol.  Cl  asse  vom  4.  December  1880. 

Praesens  definitam. 

Sing.  Plar. 

LPers.    s^i^   k^vB,  icb  thae.  tjjS'  Ib^iuu 

n.  „  au**^  ke-sa.  ke-re. 
HL   „      JuS    k6-k.  5^  k^nu 

Das  Fatonmi  and  Fatonim  exaotam  dagegen  werden 

wieder  regelmässig  von  der  Wurzel  'kar*  abgeleitet,  wie 
kar-6(  „ich  werde  thuo^^  etc  und  s*^^^  kar-o-su^ 

„Ich  werde  gebhan  hahen^^  eto. 

Die  Zeiten  der  Vergangenheit  werden  regehuässig  vom 
Part.  Praet  ans  gebildet,  wie:  Pnieteritnm  «So^  kar-^t 
,«ichthat'*etc. ;  Imperf.         kar-$-ta,  etc.;  Plnsquamperfect 

vSama^^  kar-^-sn^;  Perfect  ^»«jb^  kar-^n-u),  eto. 

Die  negati  ve  Aussage  wird  regelmässig  abgewandelt, 
Praes.  indef.  kä-par,  (III.  Pers,  Sing,  ka-f)  etc.;  Praefi. 
defin.  ka-para  (IIT.  Pers.  Sing,  kä-pak)  etc. ;  Fatarnm 
v£>^^^ka*par-6$  etc.;  Fat.  eiact.  sS^^AS^ka-par^-o-enl  etc.; 
Praet.  sSj^X^  kA-t-ar-at  «te.;  Imperf.  ka-t-äv-at-a ; 

Plosqnaiiiperf.  väiywy5^  ka-t-^Y-asat;  Perf.  «»«juS^  ka-ta-n-nt. 


Das  Particip  des  Praesens  ist  fi)^^  kar-ök,  das  Gerun- 
dinm  &u«j^  kir-esa. 

10  «XuU»  hin-ing,  gehen. 

luiper.  i^jD  hin,  Prohib.  gjjjb  hinpa ;  Praet.  Lüd  hin-a. 

Dieses  Verb  ist  anscheinlicb  ganz  regelmässig,  es  sub- 
stituirt  jedoch  im  Praesens  und  Fatumm  die  Wurzel 
'ka'  {=  k-ä,  8.  S.  40),  wie: 


Digilized  by  GoogU 


Trumpp:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  Brahüi.  107 

Praeseos  indefinitom. 

Sing.  Plur. 

l.Pera.    ^l^   ks-v»  ich  mag  gehen.     ^  kam. 

n.   „     ^jJi    kä-s.  kä-re. 

Praesens  definitum. 

I.  Pers.  kä-v-a,  ich  gehe.       njl^  ka-u-a. 

n«  if  ka-8-a.  ^^^\^  ka-re. 

III.  „     ^  ka-ek.  »pl^  ka-r-a. 

Fntaram. 
Sing.  PUr. 

l.Pera.  k-öt,  ich  werde  gehen.  k-on. 

U.   „  k-öe.  k-5re. 

III.   „  k-öe.  k-ör. 

Fninrnm  exactnm. 

Singr.  Plar. 
LPers.    'väs^üw^  k-6-saJ,  k-6-sun. 
ich  werde  gegangen  sein. 

IL   „  k-u-sus.  \£y*^  k-o-sure. 

III.   „      ^-^^  k-^eas  k-6-«ar. 

Die  Zeiten  der  Vergangenheit  werden  regelmässig  vom 
Part.  Praet.  Lio  hiua  gebildet.    Part.  Praee.  sjyu  hinok 

„gehend'^;  Gerundium  wohl  ^^^^'^^  hiu-esa. 


Digitized  by  Google 


108     SUiung  äer  pkihB,'phiM,  CUu»  vm  4.  Deeemher  ISQO. 


Es  gibt  wahrscheinlich  noch  einige  andere  Verba  dieser 
Gattung,  allein  bis  jezt  habe  ich  in  den  sparliehen  Teztoi 
nooh  keine  andere  gefunden,  ausser  das  Praes.  indef.  Flur. 

de-r  und  den  Öing.  Praes.  defin.  «i|^(>  de-k,  Ton  jCu^, 

Imper.  ifUehmen/^ 

§  14. 

Verzeioliniss  unwgelminiger  ZettwfMar. 

Diese  Liste,  die  natürlich  auf  Vollständigkeit  keinen 
Anspruch  machen  kann,  enthält  solche  Zeitwörter,  die  ent- 
weder im  Imperativ  und  Prohibitiv  oder  im  Part. 
Pra  0 1  eine  Unregelmässigkeit  zeigen.  Wir  wiederholen  hier, 
was  sehon  früher  S.  64  bemerkt  worden  ist,  dass  das  i^gd- 
mSssige  Part.  Praet.  auf  V,  oder  wenn  der  Stamm  mit  ¥ 
schliesst,  auf  V  auslautet,  alle  anderweitig  gebildeten  Ptar- 
ticipien  des  Praeteritums  werden  als  unregelmässige 
betrachtet. 

Belle w  hat  auch  ein  Verzeich niss  von  Verben  im  In- 
finitiv, Imperativ,  Praesens  und  Praeteritum  gegeben,  was 
sehr  anerkennenswerth  ist,  allein  es  mnss  doch  davor  gewarnt 
werden,  da  es  grttsstentheils  £dsch  ist.  Es  würde  mich  viel 
zu  weit  f&hren,  alle  seine  Missverstandntsse  aufeoieigeD, 
die  aus  der  Vergleiehnng  seiner  Liste  mit  der  nachfolgenden 
sich  für  jeden  leicht  ergeben.    Er  hat  darin  auch  viele 

Composita  mit  jCujo  und  jCiuT  aufgenommen,  die  f&glich 

hätten  wegbleiben  können;  übrigens  muss  constatirt  werden, 
dass  es  nicht  seine  Absicht  war,  unregelmässige  Zeitworter 
zusammenzustellen,  sondern  überhaupt  eine  Anzahl  von 
Verben  anftuzeicbnen.  Ferner  ist  es  ein  Naohtheil,  dasB  er 
den  Imperativ  im  Plural  anfahrt,  da  die  Form  des  Sin- 
gulars nicht  immer  mit  der  des  Plurals  gleiehkutfeend  ist, 
z.  B.  Sing.  S  itar  „thun^^,  Plur.  ka-bö. 


Digilized  by  Google 


Jhmpp:  Oramm.  UfUenu^ungem  Aber  das  Bn^.  109 


InfliutlT. 

ImperatiT« 

IrroiilQitlf* 

lr.lrrllt6rlila 

(Xumü  bätin-ing 

auuU 

•4 

V7AV*I  1  AT*  ATI 

Verlieren« 

Uttuila 

Uahla» 

«Mam^  Ins-ing 

1 

• 

bis 

^  ... 

tXuo  bm-iiig 

.1  .  . 
^»  ^ 

• 

Kin^lr.  bin 

bau-iug 

ILfiJ 

BiVIlUllwU« 

Kn.rA.lr 

bA.FfL 

i^JuU  pan-ing 

1 

V 

1 

DS 

(A^yü  patar-ing 

liineiiigelieD. 

patarinff 

patarinffps 

patarmffS. 

dXJiXoj  ping-ing 

*• 

«• 

mm 

pmQ 

puii|ipa 

puM|a« 

^XÄAJ  pin-mg 

1 , 

V 

ffebrocheu  aein. 

nin 

^  tu  tun 

« 

iX^y^  tar-ing 

r  *j  Pill  <rr\0 
tili  <^1kP«I 

UariU^a« 

iXu?  tin-isg 

maKam 

vllo 

iXijl^'  tür^ing 

ergicifen. 

tür 

türpa 

törgr. 

^XjJy^  tül-ing 

sizeu. 

tül(h 

tülipa 

tÜ8. 

tXüyr  tnn-ing 

zuvorkonimeu. 

tüniDg 

täniDgpa, 
tfipa 

tüuiuga. 

Digitized  by  Google 


UO     SUmtng  der  yaog^-phäol.  Clastt  wm     December  1880, 


InflniUr.  taperaÜT.  Frohibitiv.  P.PraeieritL 


thar 

• 

tbaiipa 

tharg. 

J  aiedeiL 

wX-oLa*  6ä-ing 

V  V 

V 

wissen. 

ÖS 

iapa 

^-esa. 

vXjy>  car-iug 

Daring 

iarmgä. 

jCkV « ff  >  Shand-inff 

schüttein. 

öhan4 

chau4ipa 

dhan4ä. 

!^ 

grasiBD» 

xvapa 

sieh  bewegen. 

xanog 

xwingpa 

zanng«. 

y 

schlagen. 

sich  fürchten. 

Xalipa 

Xulis. 

sehen. 

Xanak 

Xanpa 

XUIS. 

jCübf^  X^^nif-ing 

unterrichte  II. 

XVänif 

Xvänifpa 

XVänifä. 

wünschen. 

xväh 

xvalUpa 

xvahi. 

sihm^  dae-ing 

j«i> 

y  - 

*  daslpa 

säen. 

das 

dasä. 

1)  Die  Auipiadie  diaiei  Yerbmot  Ist  mir  aleht  sicher. 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  UtUerituehungen  über  dws  Brähüi,  III 


lüflniUT.  ImperatU.  ProhlbiUT.    P.  Praeteriti. 

wegnehmen.  darak  dapa     dare,  dar 


c  ^ 

V  / 

sich  einmischen.^) 

dfiSSx 

dfiSapa 

doSS)^ 

(Xuw^  ras-ing 

✓ 

ankommen. 

rasing 

rasingpa 

rasinga 

OCJLm  ail-ing 

LMM 

» 

waschen. 

8Ü 

silipa 

cClL*«  sal-ing 

stehen. 

sali 

salipa 

saUs. 

cLi 

c 

uu 

hineinwerfen. 

äa/ 

säpa 

1 

UA*A*»»  kas-mg 

kast  1 

kaspa,  1 

ziehen« 

^1 

1  kaäu 

kos  J 

'     kafipa  J 

wXaaT  kan*ing 

V 

ka^ 

.  tiran« 

karak 

kapa 

iXjjS'  knn-ing 

essen. 

knn 

knnpa 

kane,knng. 

c^-iM^  kah-iug 

....  ^ 

sterben. 

kah 

kahipa 

khask. 

vorübergeben. 

gidring 

gidriBgpa 

gidringa 

1)  Im  Pnet.  imngeliiitosig  dS*  (wie  'dS-v ,  M6-r ,  *d«T-a\  'd9-k'  ete.). 

2)  Wörtlidi:  »Wsaier  blndagisMeo.' 


DigitiZL 


112     SUzung  der  philos.-philiA,  Classe  vom  4.  Dectuü/er  1880. 

lidlidtlf.  bqMraÜT.  PMÜbltlT.  P.PrMtoritl. 


vXaaT  gaf-ing 
weben. 

gafpa 

^J<Xi^^  löi-ing 

Ar  etwas  bfiaeen. 

Iöripa 

.^^ 

werden,  sein. 

mar 

mafa 

mas. 

^X^yj  nir-ing 
fliehen. 

nir 

niripa 

nirä« 

batar-ing 

hat 

•  • 
• 

hatpa 

■  ■ .  -1.  <ft 
bis. 

batring  ' 

biF-ing 
sebeiL 

hiripa 

bira. 

iXjy^  baring 
aeireiflKii. 

baripa 

barS. 

sich  wenden. 

harsing 

hai'singpa 

harsinga. 

(XlUb  hal-iug 
nehmen. 

haith 

halpa  , 

halk. 

\XjM  hnn-ing 

schauen. 

7^ 

hur 

V 

bunpa 

hima. 

<XuL*J>  bln-ing 
zickeln. 

hinak 

bmpa 

blnas. 

1)  Sindhi 


4. 


Digilized  by  Google 


lyumpp:  Gramm,  Untentuchnngen  über  das  Brahül 


113 


§  15. 
Postpositionen. 

Neben  den  schon  bei  der  Declination  erwähnten  Post- 
positioneu  gibt  es  noch  eine  Anzahl  anderer^  die  dem  Nomen 
ebenfalls  unmittelbar  angehängt  werden.  Diejenigen  Post- 
positionen dagegen,  die  ursprünglich  Nomina  sind,  erfordern 
den  Genetiv,  oder  wenn  sie  den  Begriff  der  Trennung, 
Scheidung  oder  Distanz  involviren,  den  Ablativ. 
Manche  dieser  letzteren  sind  wieder  mit  einer  Postpositiou 
zusammen gesezt,  mit  der  sie  einen  Gesammtbegriff  bilden. 

1)  Postpositionen,  welche  unmittelbar  an  das 

Nomen  antreten. 

Deren  sind  verhältnissmässig  wenige,  wie: 

K.^f  isk3*)  „bis  zu"  (usque  ad),  z.  B.  j^t>  ^Lgj 

(j*aJj>o  ouo^L»*/  „mögest  du  bis  auf  viele  Tage  erhalten 
bleiben!"  (Nicol.  .\ba'l-ffasan,  p.  20,  L.  2.) 

^Uy*.  smän^)  ^ 

'  „von,  mit",  z.  B.  sf  ^  ^  ouje  \^ 


(j**aa/'         vi?'^^  ^7^  ^  "^^^^  besser, 

dass  du  von  einem  guten  Manne  Gift  assest"  (Nicol.  p.  18, 

L.  6.  7) ;  ^  v5^  "^^^  ^^^^ 

auch   mit  einem  Wort  ergözt"   (Nicol.  p.  12G,  L.  1); 


1)  In  der  Stelle  Nicol.  AbuM-H'asan  p.  19.  L.  2  v.  u.  ^uSj^ 

„bis  zum  Chalifen"  ist  ^aJL^  sicherlich  ein  Druckfehler 
(statt  iüuX^)^  da  keine  Postposition  mit  dem  Dat.  und  Accus,  des 
Singulars  construirt  wird. 

2)  ^  AKMt  ist  mir  jedoch  etwas  verdächtig  als  ein  Druckfehler, 
da  ich  sonst  nur  ^Lum  gefunden  habe. 

[1880. 1.  Phil.-phil.  Cl.  Bd.  I.  6.]  8 


114     aUzung  der  pküos.-j)hUol.  Clmse  vom  4.  Decembtr  1880. 

y^y^  ^^y-  5^  '^^^  fragten  einen  alten  Mann 
(wörtlich:  Yon  einem  alten  Mann)**,  (NicoL  p.  18,  L.  d>. 

[a^  siyä  „zu,  Wn" ;  «.  B.  ^Lüc  ^  Sjj^  ^^I  Lu«  ^cXij 
,,er  ist  zn  einem  Manue  gegangen  am  Brod  zu  essen'* 
(Box,  p.  120,  L.  1  T.  n.). 

U  ttUi,  auf,  gegen  hin''.  Z.  B.  ^  «5^  fy» 
^jXjl^  Lc^L^  sjyt  der  Zeit  als  dn  den  Todtni  auf 
dem  Ufer  sahst''  (Bux,  p.  94,  L.  4  v.  u.). 

j^Li  /Sn  ,,von,  auf,  gegen  hiu",  bildet  meist  nur  mit 
einem  anderen  Nomen  eine  Poetpoeition,  wie  ^L^^^kir-/ftn 
„nnter*'  ete. 

^  lä  „Ton-wegen",  r.  B.  jCläf^  ^Ui  tS  oo^  ^ 
LT^        ^        ^^'^  ^  nm  das  Qebet  au  spredien 

au£BUnd''  (Nicol.  p.  14,  L  ö). 

2)  Postpositionen,  welche  den  GenetiT  regieren. 

Es  sind  das  alles  Nomina  von  ad^arbialer  Bedeutung, 
mit  nnd  ohne  Postpoeition,  die  wenigen  aas  dem  PeniacheD 
geborgten  anagenommen. 

^Uii^  bät-yän 


„auf,  an,  über*'. 


Z.  B.  ^  ^UjL  b  ^xmS  Ur        b  iljJ 

„tiefae  die  Feder  der  Yergebnng  über  mein  Vergehen" 
^iooL  p.  13,  L.  6  T.  n.); 

burea*),  „auf,  an*\ 

•^Lit^ü  p&r-/an,  „von  der  Seite  her'', 
^Ic^L  pär-/äe,  „naeh  der  Seite,  bin  —  sa^. 


1)  r^yj  ist  das  Balüü  f^^;  das  finale  ä  ist  im  BalüCi  das 

Zeichen  des  LocatiTs,  das  sich  anch  yielfach  im  BiShQI  findet, 
in  Wdrten,  die  ans  dem  Baloa  geborgt  siiid. 


Digilized  by  Googlt 


Trtmpp:  Oramm,  UnUmu^utigw  {Iber  da$  BrSkia^  115 
kam  Ton  seiner  Seite  her**  (NicoL  p.  19,  L.  6);  ^^yi 

emen  Diener  sa  einem  Dorf  nm  Snls  sn  holen**  (NiooL 
p.  8,  U  3). 

lju  padaO 

^f4Xj  padan  „nach,  hinter,  hinter  dem  Bilek«i**. 
^4Xj  padae 

Z.  B.  ^aaT  ss/^  ijiyij  b  ^^iimmT  nhinter  irgend 
Jemands  Rfieken  maebet  kerne  Verieomdangen**  (Bux,  p.  68, 

„ein  altersschwacher  Mann,  der  nach  der  Karavane  kam, 

sagte"  (Nicol.  p.  17,  JL.  2). 

e>pju  pndn4  wiuMsh^S  ««hinter**  (gleiehhedentend  mit 
vs>Jü^);  ^  B.  «juiü  £4X^  vÄ>^Ju  U  £ja^  ««er  sandte 
BIfuiii  hinter  Hann**  (Enz,  p.  108«  L.  8  y.  n.)* 

^  par  „aof  *,  „an**  (Persisch)  wird  nar  in  einem  ge- 

wiasen  Zusammenhang  gebraneht,  wo  es  nneerer  dentsehen 
Gonjnnction  „nnd**  gleichkommt  (a.dieOonjunetionenp.  133). 

^^^?  tahfi  „hinein'',  „innerhalb'*  (Balüü  taha),  s.  B. 

^  j^j^j  b  »y^^o  \^^y^         v»J^  i»zu  eben  jener 

.  Zeit  kam  ein  Eeiter  znr  Thüre  herein**  (NiooL  p.  3«  L.  1  v.  u.). 

XStUttt  (Per8.-Biah«)  „tob  wegen**;  s.  B.  ^ 
vi^ycLä.  b   jJLjl        „ich  habe  das  um  (meines) 
Brnders  willen  gethan**  (Box,  p.  108,  L.  9  u.). 

1)  tiXj  iii  balliCI  Unprungi. 


Digitized  by  Google 


„nahe",  „nahe  bei";  „zu  —  hin." 


116       Sitzung  der  jihüoti.-phUol .  Classe  vom  4.  Dtcember  ISSO. 
xurukäe 

Z.  B.   LLaj  (j»*jJ  <^J^  Li  ^f^^ycM/k>  ^1  o»Jj 

jCI^  g-^  ^  ^jf^yL*yj  „als  er  bei  Tische  sass,  ass  er 

weniger  Brod  als  sein  Gebrauch  war**  (Nicol.  p.  14,  L.  6.  7) ; 

y^y^  \^'y^  Lä  dUxiJ^  *'^/*  LT^T^  ^  \^  lange 
bei  dir  etwas  sein  wird,  so  lange  werden  sie  zu  dir  kommen" 
(Nicol.  Abu'l-H*asau  p.  1,  L.  3  v.  u.). 

siyjüj  randat  „nach",  „hinter  her"  (Balüci  f jj^  randä) ; 
z.  B.  ^Jsb  ^Ju»j  biAjf  yCiJ  b  ^y*.  „die  Truppen  der 

Regierung  giengen  ihnen  nach"  (Nieds.  Qalät,  p.  3,  L.  5). 

sef  „unten",  „unter",  ,, herunter",  meist  adver- 


bialiter  gebraucht   oder   mit  jCuuo,    wie  JCuLo 
herunter  kommen." 


11 


„unter." 


kir-yä 
kir-yän 

Z.    B.  b      <^yö     iS    yl\     yiO  dUjuO 

,yi  „wer  waren  die  Männer,  die  unter  dem  Baume  ge- 
sessen waren?"  (Bux,  p.  54,  L.  1):  Luo  ^JLJLöi*.  Ju  Luo 
iUwüJCjei  ^Lt^A^'  b  Job    „du  verbirgst  deine  schlechten 
Eigenschaften  unter  der  Achselhöhle"  (Nicol.  p.  15,  L.  2). 
^j^y>  müjib  (Pers.-Arab )  „gemäss",  „entsprechend." 

Z.  B.  jJLojü  b  lüeJÜL«  l<>  s^^y*  b  c^ju^^  Uj 
JUj  iiwie  kommt  die  Entscheidung  dieser  Sache  nicht 
nach  eurem  Gesez?"  (Bux,  p.  94,  L.  6  v.  u.). 


„Tor",  „im  Angesicht**;  „zu 
Jemand  hin/* 


JVumpp:  Oramm.  ÜiUenudiungen  Über  das  Brnhßi,  117 
monS 

^buyo  mön-yän 

Z.  a  Lu»  Uü^  b  ^^JU^  ^^^cXJb  Mensch 
wnrde  blind,  er  gieng  vordenQSgr*  (Nicol.  p.  16,  L.  8) ;  aLioL 

^ysxjJ^  va»^^U^  «r^^ 
Könige  ass  ich  nm  einer  gewissen  Absicht  willen  nichts^' 

(Nicol.  p.  14,  L.  2  y.  o.);    b  •  5^  jJLT  oydü  jj  b 
jügi  ^  jCu^  lüiX^  sj^y^   „hinter  deinem 

Rücken  tadeln  sie  (dich)  nnd  Tor  deinem  Angesicht  sind  sie 

bereit  das  Leben  (iUr  dich)  zu  opfern^'  (Nicol.  p.  14,  L.  2.  3). 

j.Lo  niyam-tl  I  „zwischen'«; „inder Mitte";  „unter*« 
^  ^l^  yäm-ti     j  (^Lü  =  Pere.  J^) 

„zwischen  einem  solchen  Manne  und  einem  Weibe  was  ist 
da  för  ein  Unterschied?**  (Nicol.  p.  20,  L.  4);  ^1 

L>  LUjou  „er  war  um  seines  Ver- 

gnügens willen  unter  die  Leute  gekommen"  (Nicol.  Abu*l« 
H^asan  p.  2,  L«  5  n.)* 

3)  Postp ositioueu ,  welche  den  Ablativ  regiereu. 
Xi  bsr 

*  ,     _  _  f  '»^®"»  «gleichwie.'**) 
^f^b  barae 


1)  y^yS^  (Aussprache  unbekannt)  scheint  auch  »wie"  zu  bedeuten, 
aber  keinen  Casus  zu  regieren.  Ick  habe  es  bis  jezt  nur  au  einer  Stelle 
gtfonden  ^       -r  ^1^1^  yiy^  ^  •▼ule  wie  dich  hat  et  j^- 

pikgt«  (Nicol.  p.  2,  L.  ü).   iXiL^L.  ist  das  Siaihl  ^H^. 


Digitized  by  Google 


118    SUzttng  der  ^ulos.-i)IUlol.  Classe  oom  4,  Decenber  18S0, 

Z.  B.  Jji^^jL  Ji^  b  ^^iXlL     ^Uap  J 

^sfjgf       ^ym  dem  Angosidit  ist  er  wie  dne  Ziege  sanft, 

liiuier  deinem  Rücken  hart  wie  ein  Wolf  ^  (Nico!,  p.  14,  L.  3.4); 

OUit  c^U^  U  j^^L  ^l^b  yJyOXJ^  fif^       nicJit  wie 
ein  Maalthier  nnter  der  Last*^  (Nicol.  p.  15,  L.  6). 
^jjb  ba^air  (Per8.-Amb.)  „ohf^e'S  „Mueer/* 

Z.  B.  oUJLsJlk  v5«>>l  vs'  J^f  \^  '\0^yiJki  «tohne 
den  Willen  Gottea  habe  ioh  ihn  nicht  geaehlagen*^  (Buz, 
p.  134,  L.  4  T.  n.). 

tju  pad&  „nacb^^  (bei  Zeitbestimmungen). 

Z.  B.  uLiAit  fjo  „naeh  dem  Tode 

wird  Gerechtigkeit  werden"  (Bux,  p.  110,  L.  3). 
p8*in  wao«*S  wTon**;  „henns.'* 
Z.  B.  ^  -r^r  i^  *  u'-^Ip^   „komme  aus  dem  Hause 

bemns^^  (Bnx,  p.  80,  L  7). 

«jl/'gad 

\ÖS  gu4a  „nach. 

Tu  B.  ^Smm^  ^ÜULi4>  oJI^  ^  öS  (JUa« 
„nach  einigen  Jahren  kam  iäi  an  eben  jener  Zeit  Ton 
Oamaaeos"  (Niool.  p.  20,  L.  2  t.  u.);  ^  \^  ^b(>  ««> 

m^jß  JL^  fjJt  ^  l%i  fj  t,iiach  sehn  Tagen  werden 


Wir 

in  "diesem  Hanse  drm  Jahn  sein^^  (Baz,  p.  82,  L.  2  t.  n.). 

^g/JJf  must  „vor",  „ehe." 

t^j^Mfa^         a5^        yfli^  „betrachte  dein  Leben  als  eine 


Digilized  by  Google 


Trumpp:  Gramm.  UntersuchufUfcn  über  das  Brähfn.  119 

Beute  vor  dem  Tag,  wo  die  Nachricht  werden  mag,  der 
und  der  ist  gestorben"  (Nicol.  p.  3,  L  2.  3). 

Jo*  ved  „ohne",  „ausser/* 

•V 

f^der  Cbalif  sagte:  ausser  Gott  gibt  es  keinen  andern  Gott'* 
(Nicol.  p.  20,  L.  2.  3). 

§  16. 
Adverbien. 

Wenn  auf  die  wenigen  Beispiele,  die  mir  bis  jezt  auf- 
gestossen  sind,  zu  bauen  wäre,  so  hätte  das  Brshüi  die 
Fähigkeit,  Adverbien  von  Adjectiven  abzuleiten  durch  die 
Endung  *iki5*;  allein  dies  ist  doch  noch  zweifelhaft,  weil 
dem  allgemeinen  Character  der  dr5vi(Jischen  Sprachen  nicht 
entsprechend.    Die  Beispiele  sind:    oLo  (5<>^i> 

fjtJSf  nda  hast  das  nicht  recht  rein  gemacht**  (Bux,  p.  74, 
L.  4  V.  a.).    ol        ^  ^yiS  \jS'  bo^f 

„wie  (auf  welche  Weise)  soll  ich  gehen ,  da  in  meinen 
Füssen  keine  Kraft  ist**  (Nicol.  p.  17,  L.  4). 

Die  meisten  Postpositionen,  die  unter  2)  und  3)  im 
vorhergehenden  Paragraphen  aufgeführt  worden  sind,  werden 
auch  zugleich  als  Adverbien  gebraucht,   wie  \yjj  burza 

„oben**,   ^v^%  tahti  „drinnen**,  X^rak  ,,nahe**  etc. 

Hieher  können  noch  gezählt  werden  |jt>J  rahä  ,,nahe**,  ^ 
mur  „ferne.** 

Ausserdem  aber  besizt  das  Brähüi  noch  eine  Anzahl 
eigentlicher  Adverbien,  die  wir  eintheilen  können  in 

1)  Adverbien  des  Orts,  wie  ^^Jofj  dange, 
diire  „hier**,  ^-IjuLff  handare  „eben  hier*',  ^^JCu^jö  hamenge, 


120     &UuMg  der  pkaoBrpliM.  <3ku9e  wm  4.  IkeenAer  1880, 

^jot  §re  „d»'S  y^^Jt^  hamSie  ,,elMn  da.^*   Dm  Aflfix  '-nge' 

entspricht  dem  Tamil  *-ngu',  wie  ingu  ,,hier"  und  *-re'  dem 
Tamil  '-«du,  Ti4q  *-4e\  wie  'i4e   (cf.  Caldwell,  p.  32ö).') 

Hieher  gehören  aoch  die  fragenden  OrtsadTerbieOt  wie 
arä-re  „woV'S  d^M  ara-iik  „wo?",  jC>y  M-ng 

„wo?*S  ^^^1^1  arS-nge  „wohin?"  (Bux,  p.  52»  L.  2  v.  u.), 

^I^l^l  ara-kan  „woher''  (Box,  p.  52,  L.  4  n.). 

2)  Adverbien  der  Zeit,  wie;  enö  „hfute", 
UC>  oder  IX^  phagä  „morgen",  ^^JL^  phalmi  „über- 
morgen"«        $hiTa„wann?"  ^by^  ihivatSn  „mit  wie 

lange?",  \y^y»  har-fthivs  „wann  immer",  daaS 

„jezt'S  Lw-tcUjö  han-dasa  „eben  jezt",  darö  „gestern", 
^  ^<>  dare  uan  „gestern  Nacht",  ^cXjAüt^  kümolxadö 
oder  ^Jü^  mnlxndd  „vor  awei  Tagen",  \S)^^  löjäil 
„wiederum",  nauikän  „bei  Nacht"   (Nicol.  p.  24, 

L.7);  die  xasammengeeesien  An8dracke,''wie  oo^tpl  „wann?'\ 
si^^yb  ffZu  jeder  Zeit"  etc.  gehören  nicht  hieher,  ao  wenig 
als  ^|^c>  dnvar  „wiederum." 

Die  Pronomina,  welche  eine  QnaHtftt  ausdrücken 
(a.  p.  52)  können  auch  adverbialiter  gebraucht  werden,  wie 

^jsby49  hamohnn  „anf  jene  Weiae",    ,jjo3  dahnn  „anf 

diese  Weise;  amar  „auf  welche  Weise?"  anta-e 
„warum?"  ist  eigentlich  der  Dati?  von  vsa^I  anta  =  dem 


1)  IfarkwOrdig  ist,  daas  auch  das  BallSfi  da  Adfwliiaia  dea  Qiti 

auf  '-ngrS*  bildet,  wie  ^^Cül  ingS  „hier",  ^jol^  bamiagü  .dort.* 

Aach  die  Endung  'dS'  wird  ähDÜch  gebraacht,  wie  t  jj^  idi  .hier*,  to^l 
5di  »dort* 


Digilized  by 


Trumpp:  Gramm.  UtUersuchutufen  über  das  Brahüi.  121 

Auch  Substautiva  werden  als  Adverbien  fj^branehi» 
besonders  wenn  sie  wiederholt  sind,  wie  ,jltLo  ^IJuo  madän 
madan  f,laiig8ain^^;  ebenso  Adjeetiva,  wie  zü  ,^ohneU*^ 
(Pen.  t>j^). 

§  17. 
Conjunctionon. 

Merkwürdig  ist,  dass  das  Brabüi  gar  keine  Conjunc- 
iionen  ausgebildet  hat,  alle  sind  geborgt,  wenn  anch  thefl* 
weise  mit  brahüi  Stämmen  zusammengesezt. 

K  ükK  kih  „80  lang  aU''  (oder  aneh  bloss  \LJ 
isto,  identiscb  mit  der  Postposition),  z.  B.  sjfy^f^aS^ICMh^t 
^5^f  ^  oJU   b  siLj  ^jUb    „80   lange   als  der 

scbleehte  Mensch  sich  im  Znstande  des  Glücks  befindet'' 
(Niool.  p.  10,  L.  8). 

gl  ay 

Z.  B.  ^jjj  JI^J  Lu^  ^1  iiwenn 

du  die  Wand  desselben  gesehen  hättest,  wärest  du  erstaunt 
gewesen''  (Nicol.  Abnl-H'as.  p.  3,  L.  2.  3). 

IajI  anta-e  kih  1 
'     ^  \  „weil  S  „darum  daae.** 

^v^j^\  antas-e  kih  | 

Z.  B.  ^yiib  ^jjj^^      ^\  9^  ^\  «weil  ich  sohneU 
hinausgehen  werde"  (Bn^  p.  110,  L.  10);  ^  ^^--Jüf 
^  ^«ft  Ij  JLä.  b  „weil  mir  von  deinem  Zustande 

gar  keine  &onde  war'-  (Bnz,  p.  120,  L.  1.  2). 

^  bi  „auch''  (Sindhi        oder  f^j;  z  B.  9^  ^^y*^ 

1)  jtT         ist  dsi  P«n.  (.waniiii?  dsn*  =  .weil«); 

9^  ^gmXJ\  wOrtUch:  »was  ist  ssf  dsw",  Psis.  s^'  omm^. 


„wenn," 


122    Sitzung  der  phiio8.'phUol.  Clause  com  4,  December 


(5;'  v5^  <55^  ^       ßoee  ist,  da 

ist  aach  mit  Terbunden  ein  Dorn  (Bux,  p.  102,  L.  8). 

^  par  (ci.  p.  11 5),, im  Sinne  von  „luid'',  z.  B.  ^^If^^j  ^^1 

^xxi  „bringet  Brod  und  Milch"  (wortlich:  „auf  Brod  Milch"). 

mS  tah  „dann^S  „da*^  (Sindbi  ff),  besonders  im  Nach- 
«aae  Yon  BedingnngasSsen,  wie:  jj  bL^yt  fX^  ^t>^\  ^ 
Kj^^  JkS'  „wenn  ibm  der  Befehl  (daaii} 

wäre,  so  würde  er  jedes  (xeschaft  nm  seinetwillen  reebt 
thnn"  (Bnx,  p.  134,  L.  8.  4);  ^|  ^Uj  ^^.pli  ^  ji 

^L&3  ^\d^  (5<>^f      ajf  »er  möge  mir  den  Schmeraen 

zeigen,  dann  will  ich  ihm  Gott  zeigen"  (Bax,p.  134,  L.7.6  v.u.). 

x^kih  (Pers.)  „dass^S  ,«als^\  „da^S  nweil**  eto.,  auch 
sor  Anf&bnmg  der  directen  Rede  gebrancbt,  wie  im  Pisn., 

z.  B.  väJuJ  y Jü>t>         ^       aT  *yi^  ^1  fürchte, 

dass  ich  dir  viel  Mühe  gemacht  habe^*  (Bnx,  p.  119,  L.  2  v.u.); 

^Lü»  iX^y  «^1^  ^  fy  a^        «1^  fragte:  wohin  ist 
der  Besiaer  des  Haoses  gegangen?*^  (Bnz,  p.  120,  L.  2  t.  n.). 
1^  nava        I  ^^^1^  ^^j^^u  1^ 

xS*  1^  narS  kib  |  verdorben). 

Z.  B.  yiy»  vjl^i  1^  g^^jfc  „ich  furchte,  die  Diebe 
möchten  kommen^*  (Box,  p.  132,  L.  6). 

^  ö  „und"  (balüfci  Aussprache  =  dem  Nenpersischen  u) 
wird  im  Brahü!  verhältnissmässig  selten  gebraucht,  da  es 
die  Säze  anch  ohne  Conjunction  aneinander  reiht. 

1^  „oder^*;  (Pers.)  „ob  —  oder**;  anob  Uoei 

Ij  allein  bei  der  zweiten  Frage,  wie:  vjLojl  L>  ^  |JUb  jt 

y^yS  „ist  er  ein  Tjrrann  oder  einer  der  Gerechtigkeit 
übt?**  (Bnx,  p.  126,  L.  5  n.). 


Digiiized  by  Google 


TrumjM^:  Gramm.  Untersuchungen  über  das  BrahSi,  123 

Da  wohl  nur  wenigen  die  brshüi  Texte  von  Nicolson 
zugänglich  sein  werden,  so  füge  ich  hier  die  folgenden  zwei 
Stacke  aus  denselben  als  Leseflbang  bei.  Die  Ortho- 
graphie habe  ich,  wo  es  nöthig  war,  nach  der  von  mir  in 
der  Tontehenden  Abhandlung  befolgten  Methode  Terbenerfc 
and  für  das  leiehtere  Yerslandnias  dee  Textes  einige  er- 
lintemde  Anmei^ngen  beigefügt. 

1. 

(Niools.  p.  2;  et  Onlisian,  Gap.  I,  2.  ErsShlnng.) 

s^jy^^j  Lu(  .  Ll^  ^  ^  ^ }^  \J^^  i^ltf i  ^1^ 

jCio  ^Uj  ^^gJJa^  L^f  Jbl<>  J<.  sjU^  ^  y 

\f  ')^'^ 

b  JU5>  UC>^  ,1  .  "XiUSb  b  ");U3  ^ 
«nV«  ^Ljj  '*)«»      ^5,1  ^^L-M»  b  «>}lic  Lül 


Digitized  by  Google 


124    Sitzung  der  i>/u/u«.-|^»i/u/.  Glaste  oom  4.  Decewher  iÜtiO, 

1)  Niooli.  JikSsAjiid^,  2)  St  gQ4>  lito  AdmbiiiiD  .nachher.* 

fjLa,  nach  dem  Pi  rsisohen  (^Ls.)  „Staub."  Bellew  gibt  davon 
(S.  4SGl  auch  die  Uedeutaog  .moontain.'    4)  S.  Untersnch.  p.  52. 

5)  iXijäL  fiir>iiig  .sieh  hewBgoi*  ist  das  Sindhf  also  wtei- 

lioh:  »sie  bewegten  sich,  sie  schauten  (umher)*  (Imperf.),  6) 
ka-t-av-as,  Prat't.  ne^.  von  kan-inp  ,thun";  s.  Untersuch,  p.  82. 

8:}.;  kan-ing  mit  einem  Infiniti?  drückt  anser  .können"  aos,  also: 

vXliS' jCu?  «goben  ktansn*  (wdrtlieh:  .ein  geben  maehen*). 

JCuj  =  dem  Persiseheo  ^(>^^Ubbj  »bsieichnea.*  7)  kaiS, 
Ffert  Pnst.  von  jCu^^  kan-ing  .er  maebta*;  s.  ünfeersaeb.  p.  tll. 
8)  pare ,  Part  Praet  von  jCüL  pfii>ing  .er  sagte."   9)  Es 

■eheint,  dass  neben      (dQ)  aneh  y5^(>  dOi  .Band*  im  Gebraneb  at; 

oder  man  mfieste  annehmen,  dass  vor  einem  auf  einen  Consonaaten  an- 
lautenden Affix  ein  euphonisches  'i'  eingeschoben  werde,  wenn  das 
Nomen  mit  einem  langen  Vocal  schliesst,  was  ich  aber  bis  jezt  nicht 
beobaobtet  habe.  10)  ^aJu  piniT  oder  pinev  (tod        pin  .Name") 

moss  «berühmt*  bedeuten  ^Pers.  ^^U).    11)  kha^  ist  das  Sindhi 

.eine  HShle,  ein  Loeh*,  daher  \Sjj£  6^  »«in  Loch  machen* 
=  , begraben/  12j^U(i>  4a^&r  .Gniod*,. Boden %. Erde."  13)  ^Uiij 

.auf  der  Oberfläche",  s.  p.  114.  14)  yijo  matan.  s.  ünters.  p.  lOS. 
15)  |»Lo  =  Fers.  ^Lys.   16)  ^^^»>  entspricht  «war  wohl  dem  Sinne 

•* 

nach  dem  Penischeu  doch  ist  mir  seine  Form  noch  unklar.  1 7)  ^  JüD 

ha4i  (eigontUch  ha44S)  ist  das  SindhI        .Bein.*  18)  axUh 

=  Pen.  .obschon."  19)        kaiak,Imper.Ton  jCuf^.tbon*; 

i.  üntersoch.  p.  58.  20)       <9i,  Imper.  von  JCajI^  M-ing  .wiMtt*, 

„erkennen*;  s. Untersuch,  p.  110.  21)  viUw^^  khask,  Praet.  von  ^ 
kah-ing,  .gestorben*;  s.  Unienach.  p.  111. 


Digilized  by  Google 


Ihmfp:  Oramwt,  Untersiuhungm  Uber  das  Brokm,  125 

n. 

(Nicolaon,  p.  9;  cf.  Golislan  Cap.  I»  22.  EMUung). 
^  Ji'yk'b  sLäjb       bLJ  b^  ^' 

^s/  *>by  giXJb       .  idlii  ys      •)^3Jir  b^f 

LAfti^     «5^  ^1  yi>yM<yJlS     ^bd>^4>  b    ^1     JmJ'  ^l^i^ 

oJL»  b  dLu  gjüü  sjf^f^  'jx^^  I^L^t 

jCui;  ji^Jsuu  ^^^1  ^  JC^br  ^äJUjo^  bto 
•M         b        tXifl.  ^  ^     'ji^Ui^y«»  . 


Digitizeü  by  Google 


126    Sitzung  der  phüa8.-j^küol.  Claste  vom  4.  December  1S90. 

1)  Part.  Pxaet.  (III.  Fers.  Sing.)  tod  JCuu  «geben' ;  s.  Untersach. 

p.  109.  2)  Pitt.  PiMt.  fini  (Xu^  »koniiiNii* ;  i.  ÜBtomidi.  p.  109. 

3)        »Kopf.*   4)       d«  .Tkg.*    5)  PloiqiiMBpflff.  tob  JCÜL^ 

atich  fürchten",  PartPraet  ^mjJÜ^  /ules;  s.  Untersach.  p.  110-  6)  Praea. 

indef.  von  OCÜLjd  «MhiiMii*;  s.  UntwwiolL  p.  112.  7)  .So  lang«  ala.* 

8)  MiflolaoB  UAtai  bSy  wobei  daa  floalo  Hamnh  abgofdlm  iit;  \j3y 
?aqi4(  win  der  balfO  LoeaÜT.  9)  üober  sjl  9t  9,  Untmaveh.  p.  98^ 

10)  Uober        a.  üntoiioob.  p.  76.111.  11)  (5^U.  «ndl  =  Siadlil 

(ebenso  HiodOstSni)  .SUber.*   12)         j5r  =  Sindbi 

•gamaelit.*  18)  Daa  Fatorom  tob  JCuLT;  §.  üntemieh.  p.  106.  14)  8. 

UnteniMb.  p.  105.  15)  Der  peraiaehe  Tort  lautet:  ^üUi«|<> 
«lom  Yargnttgen  (deiner)  RreoDdo* ;  der  biiliBI  Tait  wQida  bedaalan :  «ana 
▼argnttgea  dai  Fkenadea."  16)  JLo  mill  .daa  Gdiim.*  17)  laapafatiT 

(naban  ^ßS')  toh  JJy^  {=:  Peiaiaeh  ^^(Xjg^)  ,hciauBiabea* ;  a. 
p.  III. 


Druckfehler: 

S.  8,  L.  5  T.  n.  liai:  'gabiaaebt'  (atatt  'gobiaoht*).  8.  18,  L.  5 
f^dfly^  h«{i.  a  24,  L  1:  BaUew. 


Oigitized  by  Goo