Grundriss der
Geschichte der
Philosophie:
Th. Die Neuzeit
Friedrich
Ueberweg, Max
Heinze
HARVARD COLLEGE LIBRARY
Ffotn tbc Libfüfy of
JOHN LIVINGSTON LOWES
Professor of English 191 8-1930
Francis Lee Higginson Professor of English
Literaturc 1930-1945
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Friedrich Ueberwegs
Grundriss
der
Geschichte der Philosophie.
Dritter Theil.
Die Neuzeit.
Siebente, mit einem Philosophen- und Litteratoren-Register versehene
Auflage,
bearbeitet und herausgeben
von
Dr. Max Heinze,
ordentl. Professor der Philosophie an der Universität Leipzig.
Berlin 1888.
Ernst Siegfried Mittler und Sohn
Künigliche Hofbuchhandlung
Kocbstrssae G*-7u.
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Friedrich Ueberwegs
Grundriss
der
Geschichte der Philosophie
der Neuzeit
von dem Aufblühen der Alterthumsstudieü
bis auf die Gegenwart
Siebente, mit einem Philosophen- und Litteratoren-Register versehene
Auflage,
bearbeitet und herausgegeben
*
von
Dr. Max Heinze,
ordentl. Professor der I'hilo'opbie an .1er Universität Leipzig.
Berlin 1888.
Ernst Siegfried Mittler und Sohn
Königliche Hofbuchhandlung
Kochstnus« 68 - 70.
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Da* Recht der Uebersetzung bleibt vorbehalten.
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V o r w o r t.
In dieser neuen Auflage finden sich wieder sehr viele Aenderungen
und Erweiterungen. Auch die Eintheilung ist zum Theil eine andere
geworden: die Zahl der Paragraphen ist um zwölf vermehrt. Die
hauptsächlichsten Umgestaltungen betreffen die Philosophie der lieber-
gangszeit und der Gegenwart, doch habe ich auch sonst vielfach ein-
gegriffen. Die Anlage des Ganzen ist die frühere geblieben, da sich
dieselbe bewährt hat. So habe ich auch die Litteratur in derselben
Weise wie bisher aufgeführt, und ich bemerke nur, dass die vorzüg-
licheren Arbeiten durch gesperrten Druck gekennzeichnet sind, sowie
dass ich auf Vorträge und Abhandlungen in populären Zeitschriften
nur ausnahmsweise Rücksicht genommen habe.
Einigen philosophischen Schriftstellern bin ich für kürzere Bei-
träge und auch für längere Bemerkungen, die diesem Bande zu Gute
kommen, zu aufrichtigstem Danke verpflichtet.
Im März 1888.
Max Heinze.
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Inhalts - Verzeichniss.
Die I>hiloaophie clei» christlichen Xeit .
Dritt« Pftriodp.
Die Philosophie der Neuzeit.
Mit
§ 1. Die Philosophie der Neuzeit in ihren vier Hauptabschnitten . . 1—3
Krater Abschnitt.
Die Zelt des Uebergnngs zu selbständiger Forschung.
§ 2. Der erste Abschnitt der Philosophie der Neuzeit 4
§ 3. Die Erneuerung des Platonismns und anderer Doctrinen des
Alterthums 4—18
§ 4. Der Protestantismus und die Philosophie 18—24
§ 5. Bekämpfung des Aristoteles und Versuche tu einer Reform der
Philosophie 24-28
t; >>. Naturphilosophie and Theosophie 2*— 43
§ 7. Anfange der Rechts- und Staatspliilosophic 43— 4g
Zweiter A bschnitt.
Die neuere Philosophie oder die Zelt des ausgebildeten Gegen-
satzes zwischen Kniplrisimis. DoginatiMims und Skcptieismus.
$ 8. Der zweite Abschnitt der Philosophie der Neuzeit 48—60
§ 9. Fraucis Bacon 50—56
§ 10. Hobbes und andere englische Philosophen seiner Zeit ... 56 — 62
§ 11. Descartes, Anhänger und Gegner 62 — 78
§ 12. Geulincx und Malebranche . . 78 — 82
§ 13. Spinoza 82—114
8 14. Locke • 114-125
S 15 Berkeley und andere englische Philosophen 120—132
S 16. Englischer Deismus 132—134
8 17. Shaftesbnry and andere englische Moralphilosophen ... 134 — 139
S IS. Leihniz und gleichzeitige Philosophen 139 — 107
yj 19. WoltT, seine Gegner und Anhänger 107 — 175
§ 20. Die deutsche Aufklärung und Populuxphiloaophie 175—183
$ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert 183 — 194
§ 22. Der hnmesche Skepticismns und seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc. 195 — 204
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mi
Dritter Abschnitt.
Die neueste Philosophie oder die Kritik und Spekulation
seit Kant-
§ 23. Der dritte Abschnitt der Philosophie der Neuzeit 206—207
S 24. Kants Leben and Schriften 207—229
S 25. Kants Kritik der reinen Vernunft und metaphysische Anfangs-
gründe der Naturwissenschaft 229— 268
§ 26. Kanta Kritik der praktischen Vernunft, Religion in den Grenzen
der blossen Vernunft, Tugendlehre und Kechtslehre .... 268 — 280
§ 27. Kants Kritik der Urteilskraft 28Q-2H*
§ 28. Schüler und Gegner Kants. Reinhold, Schiller. F. H. Jacobi,
Fries. Heck, Bardiii u A 289—303
B 29. Fichte und Fichteaner 804-317
§ 30. Sendling 317-381
§ 31. Schöllings Anhänger und Geistesverwandte. Pken, Solger, Steffens.
Baader. Krause u. A 331—343
S 32. Hegel 343-357
§ 33. Schleierrnacher 357— 36i>
§ 34. Schopenhaoer 369-388
8 36. Herbart 383-402
§ 36. Beneke 402- 413
Vierter Abschnitt.
Die l'hilo>o|>hie der Gegen wart.
§ 37. Der vierte Abschnitt der Philosophie der Nenzeit 413—416
8 38. Anhänger Hegels 416—432
§ 39. Gegner Hegels und specnlativer Theismus 433—443
g 40. Anhänger Herbarts 443—463
§ 41. Anhänger Schleiermachers, Schopenhauers, Benckes 463 — tflO
§ 42. Rückgang auf Aristoteles und andere Philosophen 460—46-1
§ 43. Kuckkehr auf Kant, Neukantianer 464- 473
§ 44. Der Materialismus und die Naturwissenschaften ....... 473— 4K4
§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fcchner, Hartmann u. A 484— 503
§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien 503—517
§ 47. Philosophie in England und Nordamerika 517 — 527
§ 48. Philosophie in Italien 527-534
§ 49. Philosophie in Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen u. and.
Ländern 534— 540
Nachträge und Berichtigungen .... 541
Register 542—668
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Dritt« Periode der Philosophie der christlichen Zeit.
Die Philosophie der Neuzeit.
§ 1. Die Philosophie der Neuzeit ist die Philosophie seit
der Aufhebung des (die Scholastik charakterisirenden) Dienstver-
hältnisses gegen die Theologie, in ihrem stufenweisen Fortgange zur
freien, durch die vorangegangenen Bildungsformen bereicherten und
vertieften, mit der gleichzeitigen positiv- wissenschaftlichen Forschung
und dem socialen Leben in Wechselwirkung stehenden Erkenntniss
des Wesens und der Gesetze der Natur und des Geistes. Ihre Haupt-
abschnitte sind: 1. die Uebergangszeit seit der Erneuerung des Plato-
nismus, 2. die Zeit des Empirismus, Dogmatismus und Skepticismus
von Bacon und Descartes bis auf die Encyclopädisten und Hume,
3. die Zeit des kantischen Kriticismus und der aus demselben hervor-
gegangenen Systeme, von Kant bis zur Gegenwart, 4. die Philosophie
der Gegenwart.
Ueber die Philosophie der Neuzeit handeln ausser den Verfassern der um-
fassenden, Theil I, § 4 (7. Aufl. S. 8 ff.) citirten Geschichtswerke (Brucker, Tiedcmann,
Buhle in seinem Lehrbuche der Gesch. der Philosophie, Tennemann, Knut Reinhold,
Ritter, Hegel, Lewes, von dessen Geschichte d. Philos. v. Thaies bis Comte, Bd. 2,
d. Gesch. d. neueren Philos. Berl. 1876 deutsch erschienen ist, u. A.) insbesondere
Folgeude :
Joh. Gott fr. Buhle, Gesch. d. neuer. Philosophie seit d. Epoche der "Wieder-
herstellung d. Wissenschaften, Gotting. 1800—1805, vergl. Grundr. Th. I, S. 9 f.
Im. H. Fichte, Beiträge x. Charakteristik d. neueren Philos., Sulzb. 1830;
2. Aufl. 1840.
Joh. Kd. Krdmann, Versuch e. wissenschaftl. Darstellung d. Gesch. d. neueren
Philog., Riga und Leipzig 1834—53; vergl. den zweiten Band von Erdmanns Grundriss
d. Gesch. d. Philos., Berl. 186G, 3. Aufl. 1S78.
Barchou de PenhoCn, Histoire de la philos. allemande depuis Leibniz jusqu'ä
nos jours, Paris 1836.
Herrn. Ulrici, Gesch. u. Kritik d. Principien d. neuern Philosophie, Leipz. 1845.
J. N. P. Oischingcr, speculative Entwickelung der Hauptsysteme der neuern
Philos., von Descartes bis Hegel, Schaffhauson 1853—54.
üeberweg- Heime, UrnndriM III. 7. Anfl. |
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§ 1. Die Philosophie der Neuzeit und ihre drei Hauptabschnitte.
Kuno Fist her, Gesch. d. neuern Philos., Mannheim u. Heidelb. 1854 fl\; 2. Aufl.
1865 ff.; 3. Aufl. 1. Bd., 1. u. 2. Th. (Descartes u. s. Schule), München 1878 u. 1880,
3. u. 4. Bd. (I. Kant u. s. Lahre), 1882; 2. Aufl. 2. Bd. (Leibniz u. s. Schule) 1867,
5. Bd. (J. G. Fichte u. seine Vorgänger), 1884; l. Aufl. C. Bd. (Schcllin«), 1872—77.
Die Darstellung behandelt die Metaphysiker von Descartes an bis Schelling inclusive.
Als Ergänzung zu diesem Werke dient: Franc. Bacon und seine Nachfl".. Entwickclungs-
gcschichte der Erfahrungsphilosophie, 2. Aufl., Lpz. 1875.
Carl Schaarschmidt, der Entwickelungsgang der neueren Speculation, als Ein-
leitung in die Philos. der Geschichte, krit. dargestellt, Bonn 1857.
Ed. Zeller, Gesch. d. deutsch. Philos. seit Leibolz, Münch. 1872 (im XIII. Bde.
der Gesch. d. Wiss. in Deutschland), 2. Aufl. 1875.
R. Natale, storia della filosofia moderna da Cartesio a Kant. Vol. I. Roma 1872.
F. Papillon, histoire de Ja philosophie moderne dans ses rapports avec le deve-
loppement des sciences de la nature, Paris 1876.
F. Bowen, modern philosophy from Descartes to Schopenhauer and Hartmann,
London 1877.
W. Windel band, die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammen-
hang mit der allgemeinen Cultur D, d. besonderen Wissenschaften. 1. Bd., v. d. Re-
naissance bis Kant, Lpz. 1878, 2. Bd., die Blüthezeit d. deutsch- Philos. 1880.
G. M. Bertini, storia della filosofia moderna, parte prima dal 1596 al 1690,
Vol. L, Torino 1881.
A. Stöckl, Gesch. der neueren Philos. von Baeo u. Cartesius bis zur Gegenw-,
2 Bde., Mainz 1883, vgl. dazu: Thdr. Weber, Stöckls Gesch. d. n. Ph., e. Beitrag zur
Beurtheil. des Ultramontanismus, Gotha 1886.
R. Falckenberg, Gesch. der neuer. Philos. v. Nikolaus v. Kues bis zur Gegenw.,
Lpz. 1886.
R. Eueken, Beiträge zur Gesch. der neueren Philos., vornehml. der deutschen,
Hdlb. 1886.
Auf besondere Richtungen in der Philosophie beziehen sich:
W. v. Reichenau, d. monistische Philosophie von Spinoza bis auf unsere Tage,
Cöln 1881.
G. Barzellotti, il razionalismo nella storia della filos. moderna sino al Leibniz,
Roma 1881.
Von der Geschichte der Naturphilosophie seit Bacon handelt Jul. Schaller,
Leipz- 1841 — 44, J. Soury, de hylozoismo apud recentiores, Paris 1881, auch deutsch
übers, in: Kosmos, Bd. X, 1881/82. Ueber die Lehren von Raum, Zeit und Mathe-
matik in der neuern Philos. handelt Jul. Bau mann, Berlin 1868—69; vergl. auch
August Tabulski, über den Einfluss der Mathem. auf die geseh. Entw. d. Philos. bis
auf Kant, Jenens. Inaug.-Diss., Leipzig 1868. Ueber die Realität der Aussenwelt in
der Philos. v. Descartes bis Fichte H. Kcferstein, Co.'then 1883. Ueber die christ-
lichen Mystiker seit dem Reformationszeitalter handelt Ludw. Noaek, Königs!». 1853;
über die englischen, französischen und deutschen Freidenker handelt derselbe, Bern
1853 — 55. Ueber die rationalistische Denkart in Europa handelt Will. Edw. Hartpole
Lecky, history of the rise and influence of the spirit of rationalism in Europa, 1. u.
2. Aufl., London 1865, 3. Aufl. 1866 (deutsch: Gesch. d. Aufklärung etc. von Heinr.
Jolowicz, 2 Bde., Leipzig 1867—68, 2. Aufl. 1870-71). Vergl. H. Dean, the history
of civilisation, New-York and London 1869. Geschichte der christl. Religions-
phil os. seit der Reformation, 1. Bd. bis auf Kant, 2. Bd. v. Kant bis zur Gegenw.,
von G. Ch. B. Pünjer, Braunschweig 1880, 83. O. Pfleiderer, Religionsphil, auf
geschichtl. Gründl., 2. Aufl., 1. Bd.: Gesch. d. Religionsphilosophic v. Spinoza bis auf
d. Gegenw., Berl. 1884. Ueber die Gesch. der Beweise f. d. Dasein Gottes von Car-
tesius bis Kant handelt A. Krebs, Jena 1876. S. auch G. Runze, der ontolog. Gottesbew.
Krit. Darstell, seiner Gesch. seit Anscliu bis auf d. Gegenw., Halle 1881 (auch in d.
Zeitschr. f. Philos. u. philos. Kritik 1880 und 1881).
Die Geschichte der Psychologie betrifft: Louis Fern, la psychologie de l'association
depuis Hobbes jusqu'ü nos jours, Paris 1883. Ueber die Geschichte der Ethik in der
Neuzeit handeln insbesondere: J. Matter, hist. des doctrines morales et politiques des
trois derniers siecles, Paris 1836. H. F. W. Hinrichs, Gesch. der Rechts- und Staats-
prineipien seit der Reform., Leipzig 1848 — 52. Vict. Cousin, Cours d'histoire de la
Philosophie morale au XVIIP siede. 5 vol., Paris 1840—41. I. H. Fichte, die philos.
Lehren v. Recht, Staat u. Sitte seit d. Mitte d. 18. Jahrb., Leipz. 1850. F. Vorländer,
Gesch. d. philos. Moral, Rechts- und Staatslehre der Engländer und Franzosen mit
Einschluss des Macchiavell, Marburg 1855. Simon S. Laurie, notes expository and
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§ 1. Die Philosophie der Neuzeit und ihre drei Hauptabschnitte.
3
critical on certain british theories of morals, Edinburg 1868. F. Jodl, Geschieht« der
Ethik in d. neuem Philo«., 1. Bd., (bis zum Ende de« 18. Jahrh.s), Stuttg. 1882. Auch
auf die philosophische Staatslehre gebt Hob. v. Mo hl ein in seiner Gescb. u. Litt. d.
Staatswissenschaften, in Monographien dargest., Bd. I — III, Erlang. 1 8f)5 — 5H, ebenso
J. C. Bluntschli, Gesch. des allgem. Staatsrechts u. d. Politik seit d. 16. Jahrb. bis
zur Gegenw., Münch. 1804 (Gesch. d. Wiss. in Deutschland in d. neuern Zeit, Bd. I).
Die Gesch. der Aesthetik in Deutschland stellt Herrn. Lutze dar im VII. Bande der
Gesch. d. Wiss. in Deutschland, München 1868. K. Hnr. v. Stein, d. Entstehung
der neueren Aesthetik. Stuttg. 1886.
Wesentliche Beiträge zur Geschichte der Philosophie enthalten auch mehrere
litteraturgesehichtliehe Werke, wie die von Gervinus, Hillebrand, Julian Schmidt, Aug.
Koberstein, besonders Herrn. Hettner, Litteraturgesch. des 18. Jahrh.s, in drei Theilen:
die englische Litt, von 1660 bis 1770, die französ. Litt. u. d. deutsche Litt, im 18. Jahr-
hundert, der letzte Theil in 4 Bänden, ferner Werke über die Geschichte der Pädagogik,
wie von Karl v. Räumer, Karl Schmidt, Frdr. Paulsen (Gesch. des gelehrt. Unterrichts
auf d. deutsch. Schulen u. Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenw.)
u. A., der Staats- und Rechtsichre, der Theologie und der Naturwissenschaften. Reich-
haltige litterarische Nachweise findet man besonders bei Gumposcb, die philos. Litt,
der Deutschen von 1400 bis 1850, Regensburg 1851, wie auch in den anderen oben,
Theil I, § 4, citirten Schriften. Die bloss auf einzelne Zeitabschnitte, insbesondere
auf die neueste Philosophie seit Kant bezüglichen Schriften werden unten Erwähnung
finden.
Einheit, Dienstbarkeit, Freiheit sind die drei Verhältnisse, in welche
nacheinander die Philosophie der christlichen Zeit zu der kirchlichen Theologie
getreten ist. Das Verhältniss der Freiheit entspricht dem allgemeinen Charakter
der Neuzeit, welcher in der aus den mittelalterlichen Gegensätzen wiederherzu-
stellenden harmonischen Einheit liegt (vergl. Grdr. I, § 5 und IX § 2). Die Freiheit
des Gedankens nach Form und Inhalt wurde von der Philosophie der Neuzeit
stufenweise errungen, zuerst unvollkommen mittelst des blossen Wechsels der
Autorität durch Anlehnung an Systeme des Alterthums ohne die Umbilduug,
welche die Scholastik mit dem aristotelischen vollzogen hatte, dann vollständiger
mittelst eigener Erforschung der Natur und endlich auch des geistigen Lebens.
Die Uebergangszeit ist die Periode des Aufstrebens zur Selbständigkeit Die
Zeit des Empirismus und Dogmatismus charakterisirt sich durch methodische
Forschungen und umfassende Systeme, die auf dem Vertrauen beruhen, mittelst der
Erfahrung und des Denkens selbständig zur Erkenntniss der natürlichen und
geistigen Wirklichkeit gelangen zu können. Der dritte Abschnitt wird angebahnt
durch den Skepticismns und begründet durch den Kriticismus, der die Erforschung
der Erkenntnisskraft des Subjectes für die nothwendige Basis alles streng wissen-
schaftlichen Philosophirens hält und zu dem Resultate gelangt, dass das Denken
die Wirklichkeit, wie sie an sich selbst sei, nicht zu erkennen vermöge, sondern
auf die Erscheinungswelt beschränkt bleibe, über welche nur das moralische Be-
wusstsein hinausführe; dieses Resultat wird von den folgenden Systemen negirt.
Doch sind diese sämmtlich dem kantischen Gedankenkreise entstammt, der auch
für die Philosophie unserer Gegenwart von wachsender unmittelbarer, nicht bloss
von historischer Bedeutung ist. (Vgl. A. Helfferich, d. Analogien in d. Philos.,
e. Gedkblatt auf Fichtes Grab, Berl. 1862. Conr. Hermaiui, d. pragm. Zshang in
d. Gesch. d. Phil., Dresd. 1863; der Gegensatz des Classischen u. Romantischen iu
d. neueren Philos., Lpz. 1877. Kuno v. Reichlin-Meldegg, d. Parallelism. d. alt. u.
neu. Phil., Leipz. u. Heidelb. 1865.)
1*
4
§ 2. Der erste Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
Erster Abschnitt der Philosophie der Neuzelt.
Die Zeit des Uebergangs zu selbständiger Forschung.
§ 2. Den ersten Abschnitt der Philosophie der Neuzeit
charakterisirt der Uebergang von der mittelalterlichen Gebundenheit
an die Autorität der Kirche und des Aristoteles erst zu selbständiger
Wahl der Autoritäten, dann zu Anfangen eigener, autoritätsfreier
Forschung, jedoch noch ohne völlige Befreiung der neuen philosophischen
Versuche von der Herrschaft des mittelalterlichen Geistes und ohne
streng methodische Ausbildung selbständiger Systeme.
Uebcr die geistige Bewegung in der Uebergangszeit handeln Mor. Carrtere, d. Welt-
anschauung d. Reformationszeit, Stuttg. u. Tüb. 1847, 2. Aufl. Lpz. 1887; Jules Joly,
histoire du mouvement intellectuel au IG" siecle et pendant la premiere partie du I7e,
Paris 1860. Albert Desjardins, les moralistcs francais du XVI« siecle, Paris 1870. Ch.
Waddington, les antecedents de la philos. de la renaissance, Par. 1873. Vgl. die zu
§§ 3— C citirten Schriften.
§ 3. Unter den Ereignissen, welche den Uebergang vom Mittel-
alter zur Neuzeit herbeigeführt haben, ist das früheste das Auf-
blühen der classischen Studien, negativ veranlasst durch die
Einseitigkeit und immer grössere Dürre der Scholastik, positiv durch
die Reste antiker Kunst und Litteratur in Italien, die mehr und mehr
bei wachsendem Wohlstande einen empfänglichen Sinn fanden (Dante,
Petrarca, Boccaccio), und durch die engere Berührung des Abend-
landes, besonders Italiens, mit Griechenland, zumeist seit der Flucht
vieler gelehrten Griechen nach Italien zur Zeit der von den Türken
drohenden Gefahr und der Einnahme Constantinopels. Es entstand
so der Humanismus, welcher die erstrebte rein menschliche Bildung
aus den Werken der classischen Schriftsteller des Alterthums gewinnen
zu können glaubte. Die Erfindung der Buchdruckerkunst erleichterte
die Verbreitung litterarischer Bildung. Die Bekämpfung des scho-
lastischen Aristotelismus durch die wieder bekannt gewordene und mit
enthusiastischem Interesse aufgenommene platonische und neu-
platonische Doctrin war auf dem Gebiete der Philosophie das erste
wesentliche Resultat der erneuten Beziehung zu Griechenland. Ge-
mi8tos Plethon, der leidenschaftliche Bestreiter der aristotelischen
Lehre und begeisterte Platoniker, der gemässigtere Platoniker Bes-
sarion und der verdienstvolle Uebersetzer des Piaton und des Plotin
Marsilius Ficinus sind die bedeutendsten unter den Erneuerern des
Piatonismus. Ihren Mittelpunkt fand diese Richtung in der pla-
tonischen Akademie zu Florenz unter dem besonderen Schutze und
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§ 3. Die Erneuerung des Platoniamus und anderer Doctrlnen des Alterthums. 5
eigener Betheiligung der Mediceer. — Die Autorität des Aristoteles
bekämpfte auch Laurentius Valla, der in der Ethik den Epikureismus
vertrat, während Faber Stapulensis in Paris und Agricola den
Aristoteles aus den Quellen zu verstehen suchten und sich zu ihm
bekannten.
Die aristotelische Doctrin wurde überhaupt durch Rückgang
auf den Urtext und durch Bevorzugung griechischer Commentatoren
vor arabischen in grösserer Reinheit, als durch die Scholastiker, von
classisch gebildeten Aristotelikern vorgetragen. Um Uebersetzungen
der Schriften des Aristoteles bemühte sich besonders der Wissenschaften
und Künste fördernde Papst Nicolaus V. Namentlich in Oberitalien,
wo seit dem vierzehnten Jahrhundert die Deutung des Aristoteles im
Sinne des Averroes (Ibn Roschd) üblich war, wurde das Ansehen
dieses Commentators von einem Theile der Aristoteliker zu Gunsten
griechischer Interpreten, vorzüglich des Alexander von Aphrodisias,
bekämpft. Jener behauptete sich jedoch, freilich in beschränkterem
Maasse, besonders zu Padua bis gegen die Mitte des siebenzehnten
Jahrhunderts. Die averroistische Doctrin, dass nur die Eine dem ganzen
Menschengeschlechte gemeinsame Vernunft unsterblich sei, kam mit
der alexandristischen , welche nur den weltordnenden göttlichen Geist
als die active unsterbliche Vernunft anerkannte, in der Aufhebung
der individuellen Unsterblichkeit überein; doch wussten die meisten
Vertreter des Averroismus, besonders in der späteren Zeit, denselben
der Orthodoxie in dem Maasse anzunähern, dass sie nicht mit der
Kirche in Widerstreit geriethen. Die Alexandristen, unter denen
Pomponatius der bedeutendste ist, neigten sich zum Deismus und
Naturalismus hin, unterschieden aber von der philosophischen Wahr-
heit die theologische Wahrheit, welche von der Kirche gelehrt werde,
der sie sich zu unterwerfen erklärten; die Kirche jedoch lehnte die
Lehre von der zweifachen Wahrheit ab.
Ausser der platonischen und aristotelischen Doctrin wurden auch
namentlich später andere Philosophien des Alterthums erneut. Auf
die selbständigere Naturforschung des Telesius und Anderer hat die
ältere griechische Naturphilosophie einen beträchtlichen Einfluss geübt.
Den Stoicismus haben Lipsius u. A., den Epikureismus Gassendi,
den Skepticismus Montaigne, Charron, Sanchez, Le Vayer und
Andere erneut und fortgebildet.
Eine qnellcnmässige Darstellung der Erneuerung der russischen Litteratur in Italien
enthalten die betreffenden Abschnitte des Werkes von Girol. Tiraboschi, Storia della
letterat. italiana, 13 Bde., Modena 1772—82; Ausg. in 16 Bdn., Mailand 1822—26:
besonders in Tom. VI, 1 und VII, 2 (Vol. VII. und XI. der Mailänder Ausgabe).
Ferner handeln darüber A. Hm. Lw. Heeren, Gesch. d. Stud. d. class. Litt, seit d.
Wiederaufleben d. Wissenschaften, 2 Bde., Gört. 1797 — 1802 (vergl. dessen Gesch. d.
class. Litt, im Mttlalt.). Ernst Aug. Erhard. Gesch. d. Wiederaufblühens wiss. Bildung,
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G § 3. Die Erneuerung des PlatonismuB und anderer Doctrinen des Alterthums.
vornehmt, in Dtsehld., Magdeb. 1828—32. Karl Hagen, Deutschlands litt, und relig.
Verhältnisse im Reformationszeitalter, Erlang. 1841 — 44, neu herausg. von Herrn. Hagen,
3 Bde., Frankf. a. M. 1868. Ern. Ken an, Averroes et l'AverroYsme, Paris 1852. S. 255 ff.
Guill. Favre, Melange» d'hist. litt., Geneve 1856. G. Voigt, die Wiederbeleb, d.
. lu--. Alterth. od. das erste Jahrhundert des Humanismus, Derl. 1850, 2. umgoarb. Aufl.,
I. Bd., Berl. 1880, 2. Bd. 1881. Jao. Burckhardt, d. Cultur d. Renaiss. in Italien (bes.
Abschn. III.: die Wiedererweekg. d. Alterth.), Basel 1860, 4. Aufl., besorgt v. L. Geiger,
Lpz. 1886. Joh. Friedr. Sehröder, d. Wiederaufblühen d. elass. Studien in Dtschld.
im 15. und zu Anf. d. 16. Jahrh.s, Halle 1864. Fritz Schnitte, Gesch. d. Phil. d.
Renaiss., Bd. I. Geo. Gem. Plethon u. s. reformat. Bestrebgn., Jena 1874. L. Geiger,
Renaissance u. Humanism. in Ital. u. Deutschi., Berl. 1882. S. aucb H. v. Stein, sieben
Bücher zur Geschichte des Piatonismus, Bd. 3: Verhältnis« des Piatonismus zur Philos.
der christl. Zeiten, Göttingen 1875.
Ueber die Lehre von der zweifachen Wahrheit handelt Max Maywald,
Berlin 1871.
Ueber Dantes Weltanschauung handeln Ozanam, Wegele, auch Hugo Dolff,
Dante Aligh., Leipz. 1869 (der Beziehungen Dantos zum Piatonismus und zur Mystik
nachzuweisen sucht), J. A. Scartazzini, Dante AI., s. Zeit, s. Loben u. s. Werke.
Berlin 1869, C. Vasallo, Dante A. lilosofo o padre della letteratura ital., Asti 1872 u. A.
(s. Grundr. II, § 33, 7. Aufl., S. 237 f.).
Ueber Petrarca vgl. J. Bonifas, de Petrarcha philosopho, Par. 1863; Moggiolo
de la philos. morale de Petrarque, Nancy 1864. Im Allgem. s. über ihn: Gust. Koer-
ting, P.s Leben u. Werke, Lpz. 1878.
Ueber Boccaccio s. Gust. Koerting, B.s Leben u. Werke, Lpz. 1880.
Ueber die f lorentinische Akademie handelt R. Sieveking, Gött. 1812. Ueber
Plethon handeln: Leo Allatius, de Georgiis diatriba, in: Script. Byzant., Par. 1651,
XIV, p. 383—392, wiederabg. in Fabric. Bibl. Gr. X, Hamburgi 1721 (de Georgiis
S. 549—817), S. 739—758, ed. nov., curante Gottl. Christ. Harless, XII, Hamburg 1809
(de Georgiis S. 1 — 136), S. 85 — 102. Boivin, querelle dos pbilosophes du XV° siecle,
in: Memoir. de litt, tires des Registres de l'Acad. R. des lnscript. et bell, letu tome
II, 715 ff., deutsch in Hissmanns Magazin, Bd. I, Göttingen u. Lemgo 1778, S. 215
bis 242. W. Gass, Gennadius und Pletho, Aristotelism. und Platnnisni. in d.»griech.
Kirche, nebst e. Abb. üb. d. Bestreitung d. Islam im Mittelalt.: 2. Abth.: Gciinadii et
Plethonis scripta quaedam edita et inedita, Breslau 1844. Ferner: ll>jj{h»voc vöuwy
ovyyyatfiji rd ato^öfjit'u , Plethon, tratte des lois, ou rocueil dos fragments, on partie
inedits, de cet ouvrage, par C. Alexandre, traduction pur A. Pellissier, Paris 1858, und
A. Füssen, Analokton d. mittel- und neugriech. Litt. IV, 2: Plethons Denkschriften
über den Peloponnes, Leipz. 1860. Fritz Schnitte, Geo. Gomistos Plethon, s. o.
Bessarionis Opera omnia, ed. Mignc (Patrol. graee. T. CLXI), Par. 1866 (enthält
nicht alle gedruckten Schriften des B.). Ueber ihn handeln: AI. Bandinius, de vita
et rebus gestis Bessarionis commentarius, Rom 1777, Hacke. Hartem 1840, 0. Raggi,
Rom 1844, Wolfg. v. Goethe, Siud. u. Forschungn. üb. d. Leb. u. d. Zeit des Cardi-
nals B., L. Heft, als Mscpt. gedr., Jona 1874, H. Vast, Le eardinal Bessarion. etude
sur la chretiente et la rcnaissanco vers le miliou du XV* siecle, Puris 1878, Sadov,
Bessarion de N., son röle au concile de Ferrara-Florence, ses oeuvres theologiques et sa
place dans Ihistoire de l'humanisme, St. Petersburg 1883. Vergl. auch Boissonade,
Anecd. gr. V. p. 454 ff. Des Marsilius Ficinus Uoborsetzung dos Piaton ist Flor.
1483 — 84, des Plotin 1492 zuerst erschienen, seine Schrift: Theologia Platonica Flor.
1482, seine sämmtlichen Schriften mit Ausnahme der Uoborsetzung des Piaton und des
Plotin Basil. 1576. Vgl. über ihn: Leop. Galeotti, saggio intorno alla vita od agli
seritti di Marsilio Ficino, in Archivio storico Italiano, nuova serie 1859, L. Forri, di
Mars. Ficino, in: La filos. delle sc. Italiane, 1883, Vol. 28; dere. Platonismo di Ficino,
obend. 1884, Vol. 29. Die Schriften des Jobann Pico von Mirandola sind zu Bo-
nonia 1496, die des Johann und seines Neffen Johann Franz zusammen zu Busel 1572
bis 1573 und 1601 erschienen. Vergl. Georg Dreydorff, das System des Jobann Pico
von Mirandola und Concordia, Marburg 1858. Calori Cesis, Giov. P. della Mirandola
detto la feniee degli ingegni, 2. ed., Bologna 1872. Vincenzo di Giovanni, Pico della
Mirandola, filosofo platonico, Firenze 1882.
Ueber Reuchlin handeln Meyerhoff, Berlin 1830. L. Geiger, Leipz. 1871. Ueber
Hutten handelt D. F. Strauss, Leipz. 1858—60. Die beste Ausg. s. Schriften bat
Böeking besorgt, Leipz. 1858 — 59, nebst Index hibliogr. Huttenianus, Leipz. 1858. Die
Schrift des Agrippa von Nettesheim de oeculta philos. ist Colon. 1510, 1531—33,
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§ 3. Die Eraenerung des Platonismas und anderer Doctrinen des Alterthums. 7
und die Schrift de incertitndine et vanitate scientiarium Oed. 1527 und 1534, Par. 1529,
Antw. 1530 erschienen, seine Werke sind zu Lyon 1550, auch 1600 und deutsch zu
Stuttgart 1856 gedruckt worden. Eine Lebensbeschreibung des Agrippa ist enthalten im
ersten Theile von F. J. v. Bianco, die alte Universität Köln, Kfdn 1858. Chr. Sigwart,
C. A. v. Nettesheim, in: Kl. Schrift. L, S. 1—24.
Des Laurentius Valla Werke sind Bas. 1540 — 43, einzelne Schriften schon
früher gedruckt worden. Vergl. über ihn Joh. Vahlen, Lorenzo Valla, ein Vortrag
(gehalten 1864), 2. Abdr., Berlin 1S70. A. Paoli, Lor. V., ovvera la filosofia della
politica nel rinaseimento. Parte I, Koma 1872. D. G. Monrad, L. V. u. das Concil
zu Florenz, aus dem Dünisch, von A. Michelsen, Gotha 1882. Ucber Valla's dialecticae
disputationes referirt Prantl, Gesch. d. Log. IV, Lpz. 1H70, S. 161—67. Ueber Angelus
Politianus handeln Jacob Mähly, Angelus Politianus, ein Culturbild aus der Re-
naissance, Leipz. 1864.
Die Werke des Agricola sind cura Alardi, Col. 1539, 2 Bde., erschienen.
Ausser seinen Erklärungen zu Boethius, de consolat phil. ist besonders zu erwähnen
<lie Schrift de inventione dialectica, 1480, wieder gedruckt I-ovan. 1515, Argcnt. 1522,
Colon. 1527, Par. 1538, Colon. 1570, im Auszug Colon. 1532. Ueber ihn: Joannes
Saxo (Phil. Melanchthon), oratio de vita R. A., 1539. J. P. Tressling, vita et merita
R. Agricolac, 1830.
Gesammtausgube der Schriften des Erasmus, veranstaltet von Beatus Rhenanus,
erschien in 9 Foliobänden, Basel 1540 — 41, vermehrt ist die Ausgabe, welche Clericus
besorgte, Leiden 1703 — 1706, 10 Foliobände. Ueber Erasmus handeln F. O. Stil hardt,
Leipz. 1870, Phil. Woker, Diss., Paderb. 1872, am ausführlichsten H. Durand de Laur
(Erasme. precurseur et initiateur de l'esprit moderne, 2 vols.), Par. 1872 und R. B. Drum-
mond (E., his lifo and character as shown in his correspondence and wnrks), Lond. 1873.
Pomponatii de immort. animne, Bonon. 1516, Ven. 1524, Basil. 1634. ed. Chr.
G. Bardiii, Tub. 1791; Apologia (gegen die Angriffe Contarinis), Bonon. 1517; Defen-
sorium (contra Niphum), Bonon. 1519; de fato, libero arbitrio, praedest., provid. Dei
libri quinque, Bonon. 1520, Basil. 1525, 1556, 1567; de namralium effeemum admiran-
dorum causis s. de incantationibus über, verfasst 1520, Basil. 1556, 1567; de nutritione
et augmentatione, Bonon. 1521. Ueber ihn handeln Francesco Fiorentino, Pietro Pom-
ponazzi, Florenz 1868, G. Spicker, Inaug.-Diss., München 1868, Ludw. Muggenthaler,
Inaug.-Diss., München 1868, B. Podestä, Bologna 1868. L. Ferri, Firenze 1872
(estratto dall' Archiv, stor. Italiano), la psicologia di P. Pomponazzi (commento al de
anima di Aristotele), Roma 1877, Ad. Franck in seinen Moralistes et Philosophes,
Par. 1872, S. 85 — 136. Ueber Cesare Cremonini handelt Mabilleau, etude historique
sur la phil. de la renaiss. en Italie, Paris 1881.
Gassendi, Exercitationum paradoxicarum adv. Aristoteleos, 1. I. Gratianopol.
1624, 1. II. Hag. Com. 1659; de vita, moribus et doctr. Epicuri, Lugd. Bat 1647, .
Hag. Com. 1656; animadversiones. in Diog. L. de vita et philos. Epic, Lugd. Bat. 1649;
syntagma philos. Epicuri, Hag. Com. 1655, 1659; Petri Gassendi opera, Lugd. 1658
und Flor. 1727. Einen Abriss seiner philosophisch. Ansichten giebt sein Freund Franc.
Bernier, abrege de la phil. d. G., 8 vol., Lyon 1678 u. 1684. Vgl. über ihn Ph. Damiron
in seiner histoire de la philos. «u XVII« siede, Paris 1840, u. Lange, Gesch. des Materia-
lismus, Bd. 1. Ueber Senncrt s. unt S. 38. Magnenus, Democritus reviviscens sive
de atomis, mit einem Anhange: de vita et philosophia Democriti, Pavia 1646, Leydeu
1648, Haag 1658, Lond. 1688. Maignanus, cursus philosophicus, Tolosae 1652, u.
Lugd. 1673.
Montaigne, Essais, Bordeaux 1580, und seitdem bis auf die Gegenwart sehr
häufig; neuerdings avec Ies notes de tous Ies commentateurs choisies et completees par
M. J. V. Le Clerc, et une nouvelle etude sur M. par Prevost-Paradol, Paris 1865;
ferner M. Montaigne, Essais, texte original de 1580, avec Ies variantes des editions de
1582 et 1587, publ. par R. Dezcimeris et H. Barckhausen, Bordeaux 1870; aecom-
pagnes d*nnc notice sur sa vie et ses ouvrages, d'une etude bibliographique etc. par
E. Courbet et Ch. Royer, Par. 1872; reimprimes sur l'edit. orig. de 1588 par H. Motheau
et D. Jouaust, Par. 1873. Ueber ihn handeln u. A.: Eugene Bimbenet, Ies Essais de
M. dan8 lenrs rapports avec la legislation moderne, Orleans 1864. A. Leveau, Etude
sur les essais de Montaigne, Paris 1870. H. Thimme, der Skepticismus Montaigne».
I. D., Jena 1876. Arend Henning, der Scepticism. M.s u. seine geschichtl. Stellung,
I. D., Jena 1879.
Charron, de la sagesse, Bordeaux 1601 u. C, herausg. von Renouard, Dijon
1801 (das skeptische Hauptwerk Charrons; die frühere Schrift: trois verites contre tous
athees, idolatrcs, juifs, Mohametans, heretiques et schismatiques, Paris 1594, ist dog-
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8 § 3. Die Erneuerung des Platonismus uud anderer Doctrinen des Alterthums.
niatischer gehalten). — Sanctius, tractatus de multum nobili et prima universali
seientia, quod nihil seitur, Lugd. 1581 u. ö.; tractatus philosophici, Rotterdam 1649.
Ueber ihn handelt Ludwig Gerkrath, Wien 1860. — Le Vayer, cinq dialogues faits
a Fimitatiun de« amiens par Horatius Tuben», Möns 1673 u." ö.; Oeuvres (ohne jene
Dialoge), Par. 1654 — 56 u. ö. — Simon Foucher, histoire des Aeademiciens , Paris
1600; de philo«. Academica, Paris 1692. Ueber ihn handelt F. Itabbe, l'ahbe Simon
Foucher, chanoine de la Sainte Chapelle de Dijon, Dijon 1867.
Ueber die Geschichte des Skepticismus der neueren Zeit handelt: H. Was,
geschiedene van het Scepticisme der zeventiende eeuw in de vornamste Europeesche
Staaten. 1. afl. Geschiedenis van het Scepricisme in England, Utrecht 1870.
In dem Maassc, wie durch Gewerbefleisa und Ilandel der Wohlstand zunahm,
Städte entstanden und ein freier Bürgerstand aufkam, der Staat sich consolidirte
und an den Höfen, bei dem Adel und unter den Bürgern neben den Kriegen und
Fehden auch für die Ausschmückung des Lebens durch die Künste des Friedens
Müsse blieb, erwuchs eine weltliche Bildung neben der geistlichen. Dichter priesen
Kraft und Schönheit; der Mannesmuth, der sich in hartem Kampfe bewährt, die
Zartheit des Gefühls in der Minne W'onne und Leid, die Innigkeit der Liebe, die
Gluth des Hasses, der Adel der Treue, die Schmach des Verraths, jedes natür-
liche und sittliche Gefühl, das sich in der Gemeinschaft des Menschen mit dem
Menschen entwickelt, fand in weltlicher Dichtung einen tief das Gemüth ergreifen-
den Ausdruck. Diese humane Bildung erschloss auch den Sinn für antike Dich-
tung und Weltanschauung. Am frühesten erwachte in Italien wiederum die niemals
ganz erloschene Liebe zu der alten Kunst und Litteratur. An die politischen Partei-
kämpfe knüpfte sich Verständniss und Interesse für die altrömische Geschichte;
das sociale Leben des emporblühenden Bürgerstandes und der zu Reichthum und
Macht gelangten edlen Geschlechter gab Müsse und Sinn für eine Wiederbelebung
der erhaltenen Beate antiker Cultur. Die Beschäftigung mit der römischen Litte-
ratur rief das Bedürfniss nach Kenntniss der griechischen hervor, die in Griechen-
land selbst sich noch grossentheils erhalten hatte. Man begann dieselbe dort auf-
zusuchen schon lange, bevor das Herannahen der Türken und die Einnahme
Constantinopels (1453) gelehrte Griechen zur Auswanderung nach Italien bestimmte.
Man würde, sagt Heeren (Gesch. des Studiums der class. Litt, seit dem Wieder-
• aufleben der Wissenschaften, Bd. I, S. 283), die griechischen Musen nach Italien
geholt haben, wenn sie sich nicht dahin geflüchtet hätten.
Dante Alighieri (1265—1321), dessen kühner Dichtung vom Weltgericht die
scholastische Verflechtung der christlichen Theologie mit der aristotelischen Welt-
ansicht zur theoretischen Grundlage dient, hat seinen Sinn für poetische Form
besonders an Virgil gebildet. Francesco Petrarca (20. Juli 1304 bis 18. Juli
1374), der Sänger der Liebe, hegte die mächtigste Begeisterung für die alte Litte-
ratur; er war mit der römischen innig vertraut und hat sich durch eigene Samm-
lung von ManuBcripten und durch den Eifer zur Aufsuchung und zum Studium
der Werke der Alten, womit er Andere zu erfüllen wusste, ein unschätzbares
Verdienst um die Erhaltung und Verbreitung derselben erworben. Petrarca liebte
den Aristoteles nicht und sprach sich ziemlich rücksichtslos über ihn aus, den
Piaton verehrte er dagegen. Doch kannte er Beide nur wenig. Obgleich er eine
Reihe der platonischen Dialoge im Urtext besass, konnte er sie doch idcht lesen.
Er hasste den ungläubigen Averroismus. Ein populäres und paränetisches Philo-
sophiren in der Weise des Cicero und des Seneca zog er der aristotelischen Schul-
philosophie vor. In seinen Schriften wie im Leben wollte er ein Stoiker sein. Von
seinen philosophischen Tractaten ist der bedeutendste de contemptu mundi colloqn. III,
und secretum suuin (auch de secreto couflictu curarum suarura genannt), eine Art
Confessionen, in denen er Btrebt, durch rückhaltlose Offenheit den Frieden der Seele
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§ 3. Die Erneuerung des Piatonisraas and anderer Doctrinen des Altertbums. 9
zu finden. Sodann sind za erwähnen: de remediis atriasqae fortanae 11. IT, de vita
solitaria 11. II, de vera sapientia 11. II. Unbedeatender ist sein Fürstenspiegel:
de repablica administranda et de virtatibas et de officiis iraperatoris. In der griechi-
schen Sprache hat ihn Bernhard Barlaam (gest. 1348) unterrichtet, den wohl
weniger die Liebe zu der Sprache und den Werken des Homer, Piaton und Euklid
als ehrgeiziges Streben aus Calabrien, in dessen Klöstern die griechische Sprache
niemals unbekannt geworden war, nach Griechenland geführt hatte, von wo aus er
als Gesandter des Kaisers Andronikus des Jüngeren an den Papst Benedict XII
nach Avignon kam. Der Unterricht, den er hier im Jahre 1339 dem Petrarca er-
theilte, blieb zwar wegen der Kürze der Zeit unzureichend, ist aber dennoch durch
die Anregung, die Petrarca empfing und verbreitete, höchst einflussreich geworden.
Von Hnr. Canisius in Lectionum antiqu. T. YI, 1604 ist herausgegeben: Ethica
secundum Stoicos composita per I). Barlaamum, auch in der Biblioth. scr. eccl
T. XXVI, Leiden 1675, wieder abgedruckt
Mit Petrarca war Giovanni Boccaccio (Johann von Certaldo, 1313—1375)
befreundet, der von Barlaams Schüler Leontius Pilatus, dem Uebersetzer des
Homer, in den Jahren 1360 — 63 das Griechische etwas gründlicher als Petrarca
erlernte. Freilich, einen griechischen Schriftsteller zu verstehen, war auch Boccaccio
nicht im Stande. Bei ihm verband sich bereits mit dem Interesse am Alterthum
die Gleichsetzung des Cbristenthums als einer nur relativ wahren Religion mit
anderen Religionen; sein (sittlich höchst frivoles) Decamerone enthält (1. Nov. 3)
die (später von Les3ing im Nathan erneute und modificirte) Geschichte von den
drei Ringen, deren Grundgedanke bereits in der Philosophie des Averroes liegt.
Auf Boccaccios Empfehlung wurde Leontius von den Florentinern an ihrer Uni-
versität als öffentlicher Lehrer der griechischen Sprache mit einem festen Gehalt
angestellt. Seine Leistungen entsprachen zwar nicht ganz den Erwartungen, aber
das Beispiel war gegeben und fand auch an anderen Universitäten Nacheiferung.
Mit grossem Erfolg lehrte Johannes Malpighi aus Ravenna, ein Zögling
des Petrarca, die lateinische Litteratur zu Padua und seit 1397 zu Florenz.
Sammlung von Handschriften ward mehr und mehr den Reichen und Mächtigen
zur Ehrensache, und die Liebe zu Alterthumsstudien entzündete sich in immer
weiteren Kreisen an der Leetüre der claasischen Werke. Manuel Uhry soloras
aus Constantinopel , gest. 1415 zu Kostnitz, ein Schüler Plethons, war der erste
geborene Grieche, der als öffentlicher Lehrer der griechischen Sprache und
Litteratur in Italien (zu Venedig, dann zu Florenz, Pavia, Rom) auftrat. Er
lieferte eine wortgetreue Uebersetzung von Piatons Republik. Durch ihn haben
sein Neffe, der zu Constantinopel und auch in Italien lehrende Joh. Chrysoloras.
Leonardas Aretinus, Franciscus Barbaras, Guariuus von Verona u. A., durch
Johannes Chrysoloras Franz Philelphus (1398—1481), der Vater des (zu Constanti-
nopel 1426 geborenen, zu Mantua 1480 gestorbenen) Marius Philelphus (über den
Guillaume Favre a. a. 0. S. 7 ff. ausführlich handelt) u. A. ihre Bildung erhalten.
Leonardas Aretinus (L. Bruni aus Arezzo, gest. 1444 als Staatskanzler zu
Florenz), der bedeutendste Schüler des Manuel Chrysoloras, hat in den Jahren
1397 und 98 zu Florenz, Rom und Venedig zuerst ein dauerndes Interesse für
das Studium der griechischen Sprache begründet. Er hat platonische Schriften,
den Phaedon, Gorgias, Kriton, die Apologie, die Briefe, den Phaedrus, sodann
aristotelische Schriften, insbesondere die nikomachische Ethik und die Politik (die
letztere nach einem Codex, den Palla Strozzi aus Constantinopel erhalten hatte;
vielleicht benutzte Bruni zugleich die Handschrift, die der ihm befreundete Fran-
cesco Filelfo aus Constantinopel 1429 mitgebracht hatte) ins Lateinische übersetzt,
wodurch Moerbeckes durch Thomas von Aquino veranlasste wörtliche, geschmack-
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10 §• 3. Die Erneuerung des Piatonismus und anderer Doctrinen des Alterthums.
und verständnisslose Uebersetzung verdrängt ward. Die Politik des Aristoteles
ist ihm ein opus magnificum ac plane regium. Seine Uebersetzungen der aristo-
telischen Schriften in klarer und edler Sprache, aber frei gehalten, fanden ausser-
ordentlichen Beifall und standen lange Zeit in höchstem Ansehen, da man in ihnen
den wahren Aristoteles endlich erhalten zu haben glaubte. In seiner Schrift de
disputationum usu (hrsg. von Feuerlin, Nürnberg 1735) bekämpft er die scholastische
Barbarei und empfiehlt neben Aristoteles (dessen Text er für sehr corrumpirt hält)
besonders Varro und Cicero. Ein Isagogicon moralis philosophiae, worin er der
epikureischen Ethik die stoische gegenüberstellt, die letztere aber, die er mit der
christlichen ausgleichen will, bevorzugt, ist nicht gedruckt. Mit ihm war gleich-
gesinnt Aeneas Sylvins Ficcolomini (Papst Pius II., gest. 1464; über ihn handelt
Georg Voigt, 3 Bde., Berlin 1856—63). Zu Mailand und anderen Orten lehrte
Constantinus Lascaris aus Constantinopel die griechische Sprache. Sein Sohn
Johannes Lascaris (1446 — 1535) hat als Gesandter des Lorenzo von Medici
(geb. 1448, gest. 1492) an Bajcsid II. den Ankauf vieler Manuscripte für die medi-
ceische Bibliothek vermittelt. An der aldinischen Ausgabe griechischer Classiker
hat sich besonders sein Schüler Marcus Musurus eifrig betheiligt.
Am Hofe des Cosmus von Medici (geb. 1389, gest. 1464) lebte eine Zeit-
lang (8eitl438) Georgios Gemistos Plethon aus Constantinopel (geb. um 1355,
gest. im Peloponnes 1450), der einflussreichste Erneuerer des Studiums der plato-
nischen und neuplatonischen Philosophie im Occidente. Er änderte seinen
Beinamen reuiaiog (der Vollgewichtige, den er wahrscheinlich wegen Beiner Gelehr-
samkeit auf den verschiedensten Gebieten erhalten hatte) in den gleichbedeutenden,
attischeren und an nkartay anklingenden Namen lV.r,#wv um. Obwohl er zu der
lsagoge des Porphyrius und den Kategorien und der Analytik des Aristoteles Er-
läuterungen schrieb, so verwarf er doch mit grösster Entschiedenheit die aristotelische
Lehre, dass die Individuen die ersten Substanzen seien, das Allgemeine aber ein
Secundäres, fand die Einwürfe gegen die platonische Ideenlehre unzutreffend und
bekämpfte die aristotelische Theologie, Psychologie und Moral. Er setzte in seinem
Corapendium der Dogmen des Zoroaster und des Piaton, welches vielleicht ein
integrireuder Theil seines umfassenden Werkes: vautov ovyyQaq-q war (das in Folge
der Verdammung durch den Patriarchen Gennadius nur bruchstückweise auf uns
gekommen ist), auch in seiner um 1440 zu Florenz verfassten Abhandlung über
den Unterschied zwischen der platonischen und aristotelischen Philosophie (ntql
'AQHtToTtXqc 7tQ<iq Hkänova StatftQerm , gedruckt Par. 1541, lat. Bas. 1574) und
in anderen Schriften der aristotelischen Hinneigung zum Naturalismus die theo-
sophische Richtung des Piatonismus lobpreisend entgegen, ohne freilich Piatons
Lehre von der neuplatonischen zu unterscheiden und ohne die Abweichung einzelner
platonischer Philosopheme von den entsprechenden christlichen Dogmen (insbesondere
der platonischen Lehren über die Präexistenz der menschlichen Seelen vor dem
irdischen Leben, über die Weltseele und die Gestiraseelen , mancher ethisch-
politischen Lehren, auch der neuplatonischen Annahme der Ewigkeit der Welt)
sonderlich in Anschlag zu bringen. Das Christenthum war für ihn nicht der Maass-
stab für die Wahrheit des Piatonismus, sondern musste sich diesem eher unter-
ordnen. Neben Piaton stellt er Pythagoras, Timaeus, Parmenides, Iamblichus u. A.
Vieles schöpfte er aus Proklus, den er freilich nie nennt, und neigte sich sogar
der Theurgie und Dämonologie zu. Es wurde ihm der Vorwurf gemacht, er wolle
einen Polytheismus im , philosophischen Gewände" einführen.
Durch Plethons Vorträge ist Cosmus von Medici für den Piatonismus mit
warmer Liebe erfüllt und zur Gründung der platonischen Akademie zu Florenz
veranlasst worden, deren erster Vorsteher Marsilius Ficinus war. Diese Akademie
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§ 3. Die Erneuerung des Platonismus und anderer Doctrinen des Alterthums. 1 1
war weniger eine fest organisirte Gesellschaft als eine freie Vereinigung solcher,
welche das Studium Piatons und die Vorliebe für diesen verband. Von Cosmus von
Mediei vererbte sich die Begeisterung für Piaton auf alle Mediceer. Ihre Blüthezeit
erreichte die Akademie unter den jugendlichen Lorenzo und Guiliano von Mediei ;
nach Loreuzos Tod verfiel sie allmählich. Von ihr aus verbreitete sich das Studium
Piatons nicht nur über Italien, sondern über das ganze gebildete Europa.
Bessarion zu Trapezunt, 1403 geb., 1436 Erzbischof von Nicaea, das er freilich
nie gesehen hat, begleitete den Kaiser Johannes VII. Palaeologus nach Italien und
brachte die Glaubensunion zu Florenz 1439 zu Stande, die aber nicht von langer
Dauer war. Er selbst trat zur lateinischen Kirche über, wurde vom Papst Eugen IV.
zum Cardinal erhoben, fungirte fünf Jahre als päpstlicher Legat zu Bologna, wäre
nach Nicolaus' V. Tode beinahe Papst geworden, hatte seinen Wohnsitz später in
Rom und starb den 19. Novbr. 1472 zu Ravenna. Zehn Jahre nach der Eroberung
Constautinopels, 1463, hatte er von Papst Pius II. den Titel eiues Patriarchen von
Constantiuopel erhalten. Ein Kreis von griechischen und lateinischen Gelehrten
umgab ihn. Als ein Schüler des Plethon vertheidigte er gleich diesem, jedoch mit
grosserer Mässigung und Unparteilichkeit, den Platonismus. Seine bekannteste
Schrift: ,adversus calumniatorem Platouis", Rom (1469), Venet. 1503 und 1506,
ist gegen des Aristotelikers Georg von Trapezunt Comparatio Aristotelis et Pia-
tonis gerichtet, der, durch Plethons Angriff auf den Aristotelisraus gereizt, in
leidenschaftlicher Weise den Platonismus bekämpft hatte. In einem Briefe vom
19. Mai 1462 an Michael Apostolius, einen noch jungen und leidenschaftlichen
Vertheidiger des Platonismus, der den Aristoteles und den Aristoteliker Theodoras
Gaza, einen Bekampfer des Plethon, geschmäht hatte, sagt Bessarion: tue Je fft-
XoCfta uev la'Ji Ilkürwyrr, qiXovfra J" 'AgtaioTe).rt xai u>( aoqtoTarut atjioutvov exaitgtu.
Er tadelt selbst an dem von ihm hochgeachteten Plethon die Heftigkeit der Be-
kämpfung des Aristoteles; den Michael aber ermahnt er, mit Achtung zu jenem
grossen Philosophen des Alterthums aufzuschauen, jeden Kampf aber nach dem
Vorbilde des Aristoteles mit Mässigung, nicht durch Schmähungen, sondern durch
Argumente zu führen. Bessarions Uebersetzung der xenophontischeu Memorabilien,
der Metaphysik des Aristoteles und des erhaltenen Fragments der theophrastischen
Metaphysik sind durch strenge Wörtlichkeit oft unlateinisch (obschon nicht mehr
in dem Maasse, wie frühere, von den Scholastikern benutzte Uebersetzungen), haben
aber bessere Leistungen Späterer vorbereitet
Marsilius Ficinus (Marsiglio Ficino), geb. zu Florenz 1433, durch Cosmus
von Mediei als Lehrer der Philosophie an der Akademie zu Florenz angestellt,
gest. daselbst 1499, hat sich besonders durch seine, soweit es damals möglich war.
zugleich treue und elegante Uebersetzung der Werke des Piaton und Plotin, auch
einiger Schriften des Porphyrius und anderer Neuplatoniker, ein bleibendes Ver-
dienst erworben. In seinem Hauptwerke: Theologia Platonica neigt er sich dem
Mysticismus zu.
Johann Pico von Mirandola (1463-94) hat mit dem Neuplatonismus
kabbalistische Doctrinen verschmolzen. Er stellte 900 Thesen auf, über die er in
Rom zu disputiren gedachte (gedr. Rom 14136, Colon. 1619); doch ward die Dispu-
tation untersagt. Seine Richtung theilte sein Neffe Johann Franz Pico von
Mirandola (gest. 1533).
Auch ein Jude, Judah Abarbanel, bekannter unter dem Namen Leo Hebraeus
(geb. zu Lissubon zwischen 1460 und 1463, hatte viel unter seinem Glauben zu
leiden, ist aber wahrscheinlich nicht zum Christenthum übergetreten; gest. zwischen
1520 und 1535, vielleicht in Ferrara), ist hier zu erwähnen, da auf ihn der Pla-
tonismus bedeutenden Einfluss gewann, so dass er begeisterte Gespräche über die
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12 § 3. Die Erneuerung des Piatoniemus und anderer Doctrinen des Alterthums.
Liebe (Dialogi di araore, Roma 1535, Vened. 1541 u. 6.) schrieb. Die philo-
sophische Theorie verwandelte sich ihm in die Liebe und zwar in die .intellectuale
Gottesliebe*. S. üb. ihn Beruh. Zimmels, L. II. ein jüd. Pb. der Renaissance,
Lp*. 1886. Vgl. auch Qrundr. II, 7. Aufl., § 29, S. 219.
Durch Ficinus und Pico ist Johann Reu chlin (1455 — 1522) für deu Neuplato-
nlsmus und die Kabbala gewonnen worden Er schrieb Capnion sive de verbo
mirifico (Raa. 1494, Tüb. 1514, eine Unterredung zwischen einem Heiden, Juden
und Christen) und de arte cabbalistica (Hagenau 1517; 1530). In der letzteren
Schrift sagt er: in mente datur coincidere contraria et contradictoria, quae in ra-
tione longissime separantur. Beschäftigung mit Mathematik und Physik tritt ein,
nachdem die Seele des Sturms der Leidenschaften Herr geworden und zur Gemüths-
rube gekommen ist. Mit dem Studium der cla&sischen Sprachen verband Reuchlin
das der hebräischen; gegen den Fanatismus kölnischer Dominicaner, welche die
Verbrennung der ausserkanonischen jüdischen Litteratur beabsichtigten, bat er
diese gerettet Sein Kampf gegen die „Dunkelmänner", an dem sich namentlich
auch Ulrich von Hutten (1488—1523) betheiligte, hat der Reformation vor-
gearbeitet.
Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (geb. 1487 zu Cöln, gest. 1535
nach einem abenteuerlichen Leben zu Grenoblc), der an Reuchlin und an Raymundns
Lullus sich anschloss, verband neuplatonischen Mysticisraus und Magie, sowie das
Streben, sich die Natur zu unterwerfen, mit Skepticismus. Gott hat das All aus
nichts geschaffen nach dem Vorbild der Ideen seines Geistes. Gleichsam vou ihm
ausgehende Strahlen sind seine vielen Namen, die Götter der Alten, die Sephiroth
der Kabbalisten, die göttlichen Eigenschaften der Neueren. Drei Welten bilden
das All: das Reich der Elemente, die himmlische Welt der Gestirne, die intelli-
gible Welt der Engel. Vermittelst der in allen Dingen wohnenden Seele, des
spiritus mundi, des fünften, den anderen vier übergeordneten Elements (Aether
des Aristoteles), wirkt jede höhere Welt auf die niederen ein. Dieser spiritus
mundi ist die samenentfaltende Kraft, die alles Wachsthum, alle Erzeugung, alle
Veränderung hervorbringt und bedingt, ähnlieh dem loyoe arttnuarixoi; (den Keim-
formen) der Stoiker. Der Mensch steht im Mittelpuukt der drei Welten; da Alles
in ihm sich vorfindet, kann er auch Alles erkennen. Auf den Zusammenhang der
drei Welten gründet sich die Magie, in welche die occulta philosophia ausläuft;
der menschliche Geist vermag die in den Dingen ruhenden Kräfte zu erkennen und
vermittelst derselben die höheren Mächte zu seinem Dienst zu gebrauchen. In der
kleinen Schrift de triplici ratione cognoscendi deum legt er dar, dass in der Er-
keuutniss und Liebe Gottes die wahre Gerechtigkeit, Weisheit und Glückselig-
keit ruhe.
Unter den Aristotelikern des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts
i-t Georgius Scholarius mit dem Beinamen (den er, wie es scheint, als Mönch
annahm) Gennadius, geb. zu Constantinopel , eine Zeitlang (seit 1453) unter dem
Sultan Mohammed Patriarch, gest. um 1464, als Gegner des Plcthon aufgetreten,
den er besonders auf Grund der Schrift: t'öuiov avyyQarptj (die er zur Vernichtuug
verurtheilte) des Ethnicismus beschuldigte, nachdem er Bchon früher seinen Plato-
nismus bekämpft und den Aristotelismus vertheidigt hatte. Ausser Plethons Ab-
weichungen von christlichen Dogmen mussten seine Angriffe gegen das entartete
Mönchthum, seine (der platonischen Polemik gegen orphische Sühnpriester nach,
gebildeten) Aeusserungen gegen solche Opfer und Gebete, durch welche Gott zu
einem nicht gerechten Verhalten bestimmt werden solle, gegen ihn reizen. Des
Gennadius Schrift: xnrd iä>t> flXijSwyo^ änoQKÖy in ^QiOToriXei ist durch M. Minas
Par. 1858 edirt worden. Gennadius hat einen Commentar zu des Porphyrius
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§ 3. Die Erneuerang des Piatonisraus und anderer Doctrinen des Alterthums. 1 3
Isagoge und zu logiseben Schriften des Aristoteles verfasst und scholastische
Schriften, insbesondere des Thomas von Aquino und u. a. auch den Tractat des
Gilbertus Porretauus de sex prineipiis (s. Grdr. II, 7. Aufl., § 25, S. 177), der als
Ergänzung der aristotelischen Schrift über die Kategorien galt, ins Griechische
übersetzt. Auch wird ihm in mehreren Handschriften eine Uebersctzung des
grössten Theiles des logischen Compendiums des Petrus Hispanus zugeschrieben,
die jedoch nach Anderen bereits Maximus Plauudes (um 1350) angefertigt haben
soll, wogegen derselbe griechische Text in einer münchener Handschrift und hier-
nach auch in der Ausgabe von Ehinger, Wittenberg 1597, als eine Schrift des
(im 11. Jahrh. lebenden) griechischen Philosophen Psellus bezeichnet wird, aus
welcher demnach das Compendium des Petrus Hispanus übersetzt sein mus^
(s. Grdr. U, § 27).
Georgius Trapezuntius, geb. 1396, wahrscheinlich auf Candia, gest. 1484,
gegen den Bessarions oben erwähnte Schrift gerichtet iBt, lehrte za Venedig und
Rom die Rhetorik und Philosophie. Er tadelt in seiner Comparatio Piatonis et
Aristotelis (gedr. Venet 1523) die Richtung des Plethon uls unchristlich, wirft
ihm vor, er habe eine neue Religion zu gründen beabsichtigt, die weder die christ-
liche, noch die mohammedanische, sondern die nenplatonisch-heidnische sei, und
behandelt ihn wie einen neuen und gefährlicheren Mohammed. Nicht bei Piaton,
sondern nur bei Aristoteles findet Georg von Trapezunt bestimmte und haltbare
philosophische Sätze In lehrhafter systematischer Form. Seine Schrift de re
dialectlca (gedr. Lugdun. 1559 u. ö.) bekundet bei der Reproduction der aristo-
telischen Schultradition den Miteinfluss des Cicero. Mehrere aristotelische Schriften
sind von ihm übersetzt und commentirt worden. Auch die Gesetze Piatons hat er
ins Lateinische übertragen. Seine üebersetzungen sind aber flüchtig und ungenau
angefertigt.
Theodorus Gaza, geb. zu Thessalonich, gest. 1478, kam um 1430 nach
Italien und lehrte griechische Sprache und Litteratur. Er war ein gelehrter
Aristoteliker, Gegner Plethons, jedoch mit Bessarion befreundet. Er hat besonders
naturwissenschaftliche Schriften des Aristoteles und des Theophrast übersetzt
Laurentius Valla (Lorenzo della Talle), geb. 1407, wahrscheinlich zu
Piacenza, obwohl er sich selbst einen Römer nannte, gest. in Rom am L August
1457, der Uebersetzer der Ilias, des Herodot und des Thukydides, Feind der Tra-
dition und der Autoritäten, hat die Unkritlk auf dem Gebiete der Geschichte und
die geschmacklose Subtilität auf dem Gebiete der Philosophie scharf und erfolg-
reich bekämpft Aua Cicero, an dem er freilich auch viel auszusetzen findet, und
Quintilian sowie aus eigenen Beobachtungen des Denkens und Sprechens entnimmt
er logische und rhetorische Normen. Seine Dlalecticae disputationes contra Aristo-
telicos, zuerst 1499 gedruckt sind ein Lehrbuch der Logik als einer scientia
ratlonalis, die zugleich sermociualis ist. Die aristotelische Lehre von den Kategorien
und Substanzen greift er heftig an, sowie er auch in des Aristoteles lehren von
der Ewigkeit der Welt und dem Wesen der Seele Widersprüche aufdeckt. In
seinem Dialoge de voluptate, den er als Lehrer der Rhetorik au der Hochschule zu
Pavia 1431 veröffentlichte (später arbeitete er ihn etwas um und gab ihm den Titel
de summo bono; in dieser Umarbeitung mit der Schrift de libero arbitrio gedruckt
Lovanii 1493), vertrut er ziemlich unverblümt die Ansicht, dass die Lust das wahre
und sogar einzige Gut sei, und Hess die sinnliche Natur zu ihrem Rechte kommen. *
Wegen dieser Vertretung der epikureischen Lehre wurde er hart augegriffen.
Johannes Argyropnlus aus Constantinopel , gest zu Rom i486, lebte am
Hofe des Cosinus von Medlci, dessen Sohn Peter und Enkel Lorenz er im
Griechischen unterrichtete, und war dann noch bis 1479 Lehrer der griechischen
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14 § 3. Die Erneuerung des Piatonismus und anderer Doctrinen des Alterthums.
Sprache an der Akademie zu Florenz, in welchem Amt ihm Demetrius Chalco-
condylas (1424—1511), ein Schüler des Theodorus Gaza, folgte. Von den Schriften
des Aristoteles hat Johannes Argyropulus das Organou, die Auscultationes phys.,
die Bücher de coelo, de anima und die Ethica Nicom. ins Lateinische übersetzt
oder doch ältere Uebersetzungen revidirt.
Angclus Politianus (Angelo Poliziano, 1454 —94), ein Schüler des Christoph
Landinus in der römischen und des Argyropulus in der griechischen Litteratur, hielt
zu Florenz Vorlesungen über Schriften des Aristoteles, übersetzte auch das Enchi-
ridion des Epiktet und Piatons Charmides, war aber mehr Phitolog und Dichter als
Philosoph.
Hermolaus Barbaras (Ermolao Barbaro) aus Venedig, geb. 1454, gest.
1493, ein Neffe des Franz Barbarus und Schüler des Guarinus, hat Schriften des
Aristoteles und Commentare des Themistius übersetzt, auch ein Competidium scien-
tiac naturalis ex Aristotele verfasst (gedruckt 1547). Er gehört zu den hellenistischen
Antischolastikern; ihm gelten Albert und Thomas gleich wie Averroes als .barbari
philosophi*.
Einen quellenmässigen Aristotelismus hat Jacobus Faber (Jacques Lefevrc
aus Etaples in der Picardie, Faber Stapuleusis. geb. 1455, gest. 1537) an der
pariser Universität mit vielem Beifall gelehrt. Er kam jedoch mit der Sorbonne
und den Mönchen in Streit, so dass er verketzert wurde und von Franz 1. und
Margaretha von Navarra in Schutz genommen werden musste. Er hat aristotelische
Schriften durch lateinische Paraphrasen erläutert. Reuchlin sagt: Gullis Aristotelem
Faber Stapulensis restauravit. Zugleich aber war derselbe ein eifriger Mathe-
matiker und Verehrer und Herausgeber der Schriften des Nicolaus Cusanus, dessen
Richtung noch grösseren Eiufluss auf Fabers Schüler Bovillus (s. unten § 5) ge-
wonnen hat. In der Logik verfolgte er eine den Termi nisten (s. Grundr. H, § 36,
S. 262) verwandte Richtung, in der sich die in Frankreich und Deutschland ziem-
lich verbreitete Schule der Fabristen ihm anschloss.
In ähnlicher Weise wie Valla bekämpfte Rudolph Agricola iRolef Huys-
mann, geb. zu Baflo bei Groeuingen 1442, gest. 1485) die scholastische Geschmack-
losigkeit. Er studirte zu Löwen scholastische Philosophie, genoss aber später in
Italien den Unterricht classisch gebildeter Griechen, besonders des Theodorus
Gaza, hielt sich die letzten Jahre seines Lebens in Heidelberg und Worms auf,
eingeladen von seinem Gönner, dem kurpfälzischen Kanzler, Bischof Johann von
Dalberg. Es kommt nach ihm darauf an, prudentia und eloquentia sich zu erwerben,
d. h. über die Dinge treffend zu urtheilen und sich gewandt auszudrücken. Nur
durch Kenntuiss der alten Schriftsteller ist dies Ziel zu erreichen, sie haben alles
Wisscnswerthe in richtiger Form vorgetragen. Lebensweisheit lernt man, abgesehen
von der geoffenbarten Schrift, aus Aristoteles, Cicero, Seuecn. Auch für die Natur-
wissenschaften reichen die Griechen aus. Durch Benutzung der alten Schriftsteller
kann man auf methodische Art zu eigenen Erfindungen gelangen, d. h. man muss
erst sammeln und dann Wahrheiten analysiren, um Besitztümer des eigenen
Geistes zu entdecken. Freilich in die wahren Unterschiede der Dinge und in ihr
eigentliches Wesen ausser unserem Geiste vermögen wir nicht einzudringen. Aus
den Schriften des Aristoteles entnahm er eiuen reineren Aristotelismus und legte
seine philosophischen Ansichten in reinerem Latein dar. Melanchthon, der sich
vielfach an Agricola anschloss, sagt über die logisch-rhetorische Schrift de in-
ventione diabetica (worin Agricola auf Aristoteles. Cicero und Quinctiliau fusst):
nec vero ulla extant recentia scripta de locis et usu diulectices meliora et locu-
pletiora Rudolphi libris. Auch Ramus hat günstig über diese Schrift geurthcilt.
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§ 3. Die Erneuerung des Piatonismus und anderer Doctriuen dea Alterthuras. 1
Von Agricola leitet sieh der Humanismus der Niederlande und theilweise Deutsch-
lands her.
Desiderius Erasmus (1467 — 1536), der den Agricola sehr hoch schätzte,
hat durch Bekämpfung scholastischer Barbarei und positiv theils durch die von
ihm mitbesorgte Ausgabe des Aristoteles, theils und besonders durch Begründung
der Patrologie mittelst seiner Ausgaben des Hieronymus, Hilarius, Ambrosius,
Augustinus auch für die Geschichte der Philosophie Bedeutung, ohne dass er selbst
tiefere philosophische Neigungen gehabt hätte. Er sagt: Omnis fere rerura scientia
a Graecis auctoribus petenda est, philosophiam optime docebit Plato et Aristoteles,
cosmographiam brevissime tradet Pomponius Mela, doctissime Ptolemaeus.
Die Humanisten hassten den scholastischen Aristotelismus und zumeist den in
Oberitalien, besonders zu Padua und Venedig, herrschenden Averroismus als bar-
barisch. Viele von ihnen, namentlich die Platoniker, bekämpften den Averroismus
auch als den Feind religiöser Gläubigkeit. Bald aber kamen andere Gegner des
Averroismus auf, die auf den Text des Aristoteles und auf die Schriften griechischer
C'ommentatoren, insbesondere des Alexander von Aphr od isian, zurückgingen, um
an die Stelle der mystisch-pantheistischen Interpretation eine deistisch-naturalistiache
zu setzen, welche übrigens in der Negation der Wunder und der individuellen
Unsterblichkeit mit dem Averroismus übereinkam. Letzterer behauptete die Ein-
heit des unsterblichen Intellects in dem ganzen Menschengeschlechte, so dass der
vernünftige Theil der Seele in die allgemeine Vernunft zurückkehre und in dieser
unsterblich sei; die Alexandristen dagegen nahmen an, dass auch dieser Theil der
Seele beim Tode untergehe. So kam es, dass die Vertheidiger des christlichen
Glaubens und der platonischen Lehren, wie Marsilius Ficiuus, J. A. Marta, Casp.
Contarini, später Anton Sirmond, beide zugleich bekämpften, und ein Lateranconcil
(in der Sitzung vom 19. Dec. 1512) beide verdammte und den Professoren die
Pflicht auferlegte, Irrthümer, wenn sie dieselben in den zu interpretirenden Schriften
vorfänden, nicht ohne Widerlegung zu lasseu, indem es zugleich die Unterscheidung
einer zweifachen Wahrheit verwarf und Alles, was der Offenbarung widerstreite,
für falsch erklärte. Uebrigens gab es auch zu Padua reine Aristoteliker, die nicht
Alexandristen waren, sondern die Unsterblichkeit der Seele annahmen, wie Nicolaus
LeonicuB Thomaeus (geb. 1456), der daselbst seit 1497 lehrte. Aber vor-
herrschend war doch zu jener Zeit in Oberitalien der Averroismus und bei den
peripatetischen Bekämpfern desselben der Naturalismus, der sich an Alexanders
Deutung des Aristoteles hielt. Marsilius Ficinus sagt in der Vorrede zu seiner
Uebersetzung des Plotin, freilich nicht ohne rhetorische Ueberspannung : Totus
fere terrarum orbis a Peripateticis occupatus in duas plurimum soctas divisus est,
Alexandrinara et Averroicam. Uli quidem intellectum nostrum esse mortalem
existimant, hi vero unicum esse contendunt, utrique religionem omnem funditus
acque tollunt, praesertim quia divinum circa homines providentiam negare videntur
et utrobique a suo etiam Aristotele defecisse.
In der Schule zu Padua hat von der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an
bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts der A verroismus geherrscht, freilich zu
den verschiedenen Zeiten in sehr verschiedenem Sinne. Die heterodoxen Elemente
der averroistischen Doctrin wurden zwar von einzelnen Averroisten hervorgekehrt,
von andern aber gemildert. Im Anfange des 16. Jahrhunderts erschien der Aver-
roismus im Vergleich mit dem Alexandrinismus als der kirchlichen Lehre ver-
wandter; in der Zeit der kirchlichen Reaction reducirte sich derselbe auf sorgsame
Benutzung der Commentare des Averroes zur Erklärung der aristotelischen Schriften
unter mildernder Umdeutung der von dem kirchlichen Glauben abweichenden Sätze.
Viele deuteten die Einheit des Intellects auf die Identität der obersten Vernunft-
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1(5 § 3. Die Erneuerung des Piatonismus und anderer Doctrinen des Altertbums.
sitze (des Satzes vom Widerspruch etc.), ja die Averroisten der späteren Zeit
wollten zugleich gute Katholiken sein. Allmählich wurde Averroismus Sache der
Gelehrsamkeit und trug nicht mehr einen offensiven Charakter. Zahlreiche Ab-
drucke averroistischer Commentare bekunden das andauernde Interesse. Die erste
Ausgabe des Averroes, welche zu Padua 1472 erschien, reproducirto die alten, im
13. Jahrhundert entstandenen, lateinischen Uebersetzungeu; später wurden auf Grund
hebräischer Uebersetzungen neue lateinische veranstaltet, die zu der Ausgabe von
1552 - 53, welche jedoch auch einzelne ältere Uebersetzungeu enthält, verwendet
wurden.
Die averroistische Lehre von der Einheit der unsterblichen Vernunft in dem
gesammten Menschengeschlechte trug in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts
Nicoletto Vernias vor, der den Lehrstuhl zu Padua von 1471 bis 1499 einnahm;
in eeinera Alter aber bekehrte er sich zu der Anerkennung der Unsterblichkeit jeder
einzelnen Seele. Seit 1495 trat neben ihm als Lehrer der Philosophie Petrus
PomponatiuB (geb. zu Mantua 1462, gest. zu Bologna 1525) auf, der in seinen Vor-
trägen und in seinen Schriften die averroistische Doctrin verwarf, die thomistischen
Argumente gegen dieselbe als widerlegungskräftig anerkannte, keineswegs aber mit
Thomas in der Vielheit unsterblicher Intellecte, sondern in der Sterblichkeit der
menschlichen Seele mit Einschluss ihrer Vernunftkraft die wahre Meinung des
Aristoteles fand und sich für diese Deutung auf Alexander von Aphrodisias berief,
der den activen unsterblichen Intellect mit dem göttlichen Geiste identificirt, die
individuelle Vernunft eines jeden Menschen aber für sterblich erklärt. Der mensch-
liche Verstand erkennt das Allgemeine nur im Besondern, das Denken kann niemals
ohne das Vorstellungsbild (tfayraeua) sein, das in der Wahrnehmung wurzelt und
niemals raumlos und zeitlos, daher auch stets an das leibliche Organ gebunden ist
und mit diesem vergeht. Die Tugend ist von dem Glauben an Unsterblichkeit unab-
hängig; sie ist am reinsten, wenn sie ohne Rücksicht auf Lohn und Strafe geübt
wird. Die Freiheit, diese Lehre vorzutragen, suchte sich Pomponatius durch die
Unterscheidung einer zweifachen Wahrheit, der philosophischen und der theologischen,
zu sichern (wodurch er gleich andern Denkern des Mittelalters und der Uebergangs-
zeit auf eine für das nächste Bedürfniss zureichende, aber philosophisch noch unent-
wickelte Weise die moderne Unterscheidung zwischen symbolischem Vorstellen und
speculativem Denken anticipirte). In der Consequeuz des philosophischen Gedankens
liegt nach ihm die Sterblichkeit der menschlichen Seelen; aber in den Kreis der
theologischen Glaubenssätze passt nur die Unsterblichkeit. In gleicher Art behandelte
Pomponatius die Lehre vom Wunder und von der Willensfreiheit.
Zu Padua und seit 1509 zu Bologna kämpfte mit Pomponatius Alexander
Achill ini (gest. 1518), der an der averroistischen Lehrform im Allgemeinen fest-
hielt, ohne freilich die Einheit des Intellects im antikirchlichen Sinne behaupten
zu wollen.
Ein Schüler des Vernias, Augustinus Niphus (Suessanus, Agostino Nifo,
1473—1546; er schrieb Commentare zu Aristoteles in 14 Foliobänden und Opuscula
moralia et politica, Pur. 1654), der sich anfangs zu der averroistischen Doctrin von
der Einheit des Intellects bekannte, später aber seinen Averroismus zu mildem und
mit der Kirchenlehre in Einklang zu setzen wusste, 1495—97 die Schriften des
Averroes, jedoch nicht ohne widerlegende Bemerkungen an manchen Stellen beizu-
fügen, herausgab, verfasste im Auftrage des Papstes Leo X. eine Widerlegungs-
schrift gegen das Buch des Pomponatius de immortalitate animae. Da man »ich
aber am römischen Hofe für diese Verhandlungen lebhaft interessirte, so konnte
Pomponatius unter dem Schutze des Cardinais Bembo (und unmittelbar des Papstes
selbst) sein Defensorium contra Niphum verfassen. Das philosophische Interesse
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§ 3. Die Erneuerung des Piatonismus und anderer Doctrinen des Alterthums. 17
führte damals den römischen Hof über die Grenzen seines kirchlich-politischen
Interesses hinaus; der am Hofe des Papstes herrschende „ Unglaube', der mit Sitten-
losigkeit gepaart war, gereichte Luther und anderen Gläubigen zum Anstoss und
ward zur Mitursache der Kirchentrennnng, welche durch die bald von Seiten späterer
Päpste erfolgende Heaction im Sinne strengster kirchlicher Gläubigkeit nicht rück-
gängig gemacht werden konnte.
Simon Porta aus Neapel (gest. 1555, zu unterscheiden von dem um die Physik
verdienten Giambattista Porta aus Neapel, der von 1540 — 1615 lebte und besonders
durch die Schrift : Magia naturalis, Neapel 1589 u. 5., berühmt ist), ein Schüler des
Pomponatius, schrieb gleich diesem selbst im alexand ristischen Sinne über die Un-
sterblichkeitafrage (de rerum naturalibus principiis, de nntma et mente humana,
Flor. 1551). Gasparo Coutarini (1483—1542), gleichfalls ein Schüler des Pompo-
uatius, bekämpfte dessen Doctrin. Um die Erläuterung des Textes des Aristoteles
und des Averroes machte sich der gelehrte Zimara aus Neapel (gest. 1532) ver-
dient; seine Noten sind in die späteren Ausgaben des Averroes aufgenommen worden.
Jacob Zabarella (geb. zu Padua 1532, Lehrer der Philosophie ebendaselbst von
1564 bis zu seinem Tode 1589) folgte in der Deutung des Aristoteles grösstenteils
dem Averroes, schloss sich in der psychologischen Doctrin dem Alexander an, hielt
aber dafür, dass der individuelle Intellect, obwohl seiner Natur nach vergänglich,
indem die göttliche Erleuchtung ihn vervollkommne, der Unsterblichkeit theilhaftig
werde. Zabarella wurde von Franz Piccolomiui (1520—1604), einem Anhänger
des Zimara, bekämpft Andreas Caesalpinus (1519—1603, Leibarzt des Papstes
Clemens VIH.) vollzog die naheliegende Umbildung des Averroismus zum Pantheis-
mus; sein Gott ist „nnima universalis*! ohne dass wir ihn mit den Formen unseres
Denkens fassen könnten. Er ist weder endlich noch unendlich, weder bewegt er
sich, noch ruht er, und soll als Geist, unvermischt für sich seiend gedacht werden.
Uebrigeus betrieb er eifrig die Naturwissenschaften und hat sich um Thier-
nnd Pflanzenphysiologie sowie um Mineralogie wesentliche Verdienste erworben.
(Quaestiones perip., Venet. 1571; daemonum iuvestigatio peripat., ib. 1583).
Zabarellas Nachfolger auf dem Lehrstuhle zu Patina, Cesare Cremonini (geb.
1552, gest. 1631), war der letzte bedeutende Repräsentant des mit alexandristischer
Psychologie versetzten averroistischen Aristotelismus.
Den Stoicismus hat namentlich Justus Lipsius (1547—1606) zu erneuern
gesucht in seiner Manuductio ad Stoicam philosophiam, Physiologia Stoicorum und
anderen Schriften. Auch Casp. Schoppe (Scioppius), Thomas Gataker und Daniel
Heinsius haben sich um Erläuterung der stoischen Doctrin bemüht.
Den Epikureismus hat Pierre Gassendi (1592—1655) gegen ungerecht-
fertigte Vorwürfe zu vertheidigen und in Bezug auf die Naturlehre als die vorzüg-
lichste Doctrin zu erweisen, jedoch die christliche Theologie damit zu vereinigen
gesucht. Die erste Ursache von Allem ist Gott, welcher von vornherein eine be-
stimmte Anzahl von Atomen geschaffen hat. Diese bilden die Samen aller Dinge.
In der Erklärung der Natur, des Entstehens und Vergehens der Dinge hat man es
dann nur mit secundären Ursachen zu thun und braucht auf Gott nicht wieder
zurückzugreifen. Unumwunden gesteht Gassendi die Unmöglichkeit ein, zu erkläreu,
wie aus blossen mechanischen Vorgängen Empfindung entstehen könne, und beruft
sich hierfür nur auf die Thatsache, dass es so sei. Durch die Anknüpfung an die
neuere Naturforschung hat seine Erneuerung des Epikureismus eine ungleich grössere
Bedeutung gewonnen, als die Erneuerung irgend eines anderen antiken Systems.
Nicht mit Unrecht betrachtet F. A. Lange (Gesch. des Materialismus) Gassendi
als den, der die ausgebildete materialistische Weltanschauung in der Neuzeit wieder
aufgebracht hat, — Wie Gassendi an Epikur, so hatten sich der Arzt und Physiker
Ceb*>rweg-IK'inze, Grnn-iris» III, T.Avfl. 2
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§ 4. Der Protestantismus und die Philosophie.
Daniel Sennert in Wittenberg (s. mit. § 6, S. 38) und Magnenns (Mitte des
17. Jahrhunderts, geb. in der Franche Comte, dann längere Zeit Professor in Pavia)
in ihren Reformbestrebungen und auf dem Gebiete der Physik schon vor Gassendi
au die Atomistik des Alterthums angeschlossen, letzterer hielt sich an Demokrit
und hatte durch seinen Democritus reviviscens Einfluss auf Gassendi ausgeübt.
Maignan ging mehr auf Empedokles zurück.
Der Skepticismus der Alten wurde erneut und zum Theil in eigentbüra-
licher Weise fortgebildet, mehr oder minder auch auf christliche Lehren mitbezogen,
schliesslich jedoch in der Regel durch eine — sei es ehrliche oder kluge — An-
erkennung der gerade um der Schwäche der Vernunft willen dem Menschen unent-
behrlichen Offenbarung mit der Theologie in Einklang gebracht, zunächst durch
den geistreichen Weltmann Michel de Montaigne (1533—92, von Manchen, z.B.
von de Lamettrie, für den ersten Franzosen erklärt, der zu denken gewagt
habe). Sein Schüler und Freund, der Geistliche Pierre Charron (1541—1603),
ging in der Schrift: de la sagesse etwas systematischer zu Werke. Nicht unsere
Sinne sind im Stande, uns Erkenntniss zu geben, sondern die Kräfte der Seele, die
freilich noch nicht dazu hinreichen, die im Schoosse Gottes wohnende Wahrheit
zu finden. Die Weisheit beruht darin, dass man das Urtheil suspendirt und sich
frei von jeder Leidenschaft hält. Die Sittlichkeit soll nicht durch Frömmigkeit
und Religion erzeugt werden, sie ist vielmehr von Natur in den Menschen gepflanzt,
und man kann sie nicht vernachlässigen, ohne gegen das eigene Sein und die eigene
Bestimmung zu Verstössen. Die Sittlichkeit ist das Erste, die Religion das Zweite;
eine Frucht der Sittlichkeit soll die Religion sein. Die Religion ist etwas An-
gelerntes, Offenbarung und Unterricht haben, sie uns gegeben, und sie kann deshalb
das Natürliche, die Sittlichkeit, nicht hervorbringen. — Ausserdem sind als Skeptiker
zu nennen: der Lehrer der Mediciu und Philosophie Franz Sanchez (Sanctius,
geb. 1562, gest. Toulouse 1632), der die Zweifelsgründe der alten Skeptiker ins-
besondere auf die Theologie anwendende und diese auf den blossen Glauben ein-
schränkende Francois de la Mothe le Vayer (1586—1672), seine Schüler Sam.
Sorbiere (1615—1670), welcher des Sextus Empir. Hypotyposes Pyrrhoueae über-
setzte, und Simon Foucher, Canonicus von Dijon (1644—1696), der die akademische
Skepsis empfahl und des Malebranche Recherche de la verit6 einer skeptischen
Kritik unterwarf, ferner Joseph Gl an vi He (gest. 1680), der Abt Hieronymus
Hirnhaym (gest. zu Prag 1679), Pierre Daniel Huet (1633—1721) und dessen
jüngerer Zeitgenosse Pierre Bayle (1647—1706), von denen die letzten Wer noch
in dem zweiten Hauptabschnitte zu erwähnen sind.
§ 4. Dem Rückgang der gelehrten Bildung vom Scholasticismus
auf die altrömische und griechische Litteratur steht der Rückgang
des religiösen Bewusstseins von der Kirchenlehre auf die biblischen
Schriften als Analogon zur Seite. Indem mit der Tradition gebrochen
wird, erscheint das Ursprüngliche als das Reine, Echte und Wahre,
der Fortgang aber nicht als Fortgang zum Höheren, sondern als
Abschwächung und Entartung; doch wird thatsächlich über die Re-
pristinatiou der älteren Form zu einer neuen reformatorischen Ent-
wicklung hinausgegangen, für welche die Negation der zunächst voran-
gegangenen Bilduugsform den freien Raum schafft. An den biblischen
Urkunden und an den Dogmen der ältesten Kirche principiell fest-
haltend, verwirft der Protestantismus die mittelalterliche Hierarchie
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I
§ 4. Der Protestantismus und die Philosophie. 19
und die scholastische Rationalisirung des Dogmas. Das Gewissen
des Subjectes findet sich im Widerstreit mit dem von der Kirche
vorgezeichneten Wege zum Heil, auf dem es nicht zum inneren Frieden
und nicht zur Versöhnung mit Gott gelangt, nicht zur Ueberwindung
des Gegensatzes zwischen Gesetz und Sünde, den die in den Mönchs-
gelübden culminirende Moral, welche die sittliche Bedeutung der
Arbeit, der Ehe, der Selbständigkeit, aller natürlichen Grundlagen
des geistigen Lebens unterschätzte, unlösbar gemacht hatte, und den
der AblasB und andere Sühnmittel verdeckten, nicht hoben, und seine
religiöse Ueberzeugung findet sich nicht gekräftigt, sondern geschädigt
durch die Schulvernunft. Nicht das kirchliche Werk, sondern der
persönliche Glaube beseligt: die menschliche Vernunft widerstreitet
dem Glauben, den der heilige Geist wirkt. In der ersten Hitze des
Kampfes erscheint dem Reformator das Oberhaupt der katholischen
Kirche als Antichrist und Aristoteles, das Haupt der katholischen
Schulphilosophie, als eine „gottlose Wehr der Papisten". In 3er
Consequenz dieser Anschauungen lag die Aufhebung aller Philosophie
zu Gunsten der Unmittelbarkeit des Glaubens. In dem Maasse aber,
wie der Protestantismus Bestand gewann, trat mit der Notwendig-
keit einer neuen kirchlichen Ordnung zugleich die Notwendigkeit
einer festen Lehrordnung hervor.
Luthers Genosse, Melanchthon, erkannte die Unentbehrlichkeit
des Aristoteles als des Meisters der wissenschaftlichen Form, und
Luther gestand den Gebrauch des Textes aristotelischer Schriften zu,
sofern dieselben nicht durch scholastische Commentare beschwert seien.
So kam auf den protestantischen Universitäten zunächst ein neuer
Aristotelismus auf, der sich durch Einfachheit und Freiheit von
leeren Subtilitäten von der Scholastik unterschied, durch die Not-
wendigkeit aber, die naturalistischen Elemente der aristotelischen
Doctrin, insbesondere der aristotelischen Psychologie, in einem dem
religiösen Glauben conformen Sinne umzubilden, derselben wiederum
annäherte. Die Bildung einer neuen, selbständigen Philosophie auf
Grund des verallgemeinerten protestantischen Princips blieb einer
späteren Zeit vorbehalten.
Luthers Werke sind im Ganzen sechsmal gedruckt worden: 1. zu Wittenberg,
19 voll. fol. 1539—1558, 2. zu Jena, 12 voll. fol. 1555—58, 3. zu Altenburg, 10 voll,
fol. 1661—64, 4. zu Leipzig, 23 voll. fol. 1729—40, 5. zu Halle (Walchsehe Ausgabe),
24 voll. 4°, 1740—53, 6. zu Krlangcn (bei Carl Heyder, später bei Heydcr und Zimmer
in Frankfurt a. M.), 1826 ff, noch nicht ganz vollendet, berechnet auf ca. 105 Bde. in 8°.
»Seit 1883 erscheint zu Weimar eine kritische Gesammtausgabe mit Unterstützung der
preussischen Regierung, herausgeg. v. H. Knaake. Unter den zahlreichen Schriften über
ihn mag hier um der philosophischen Beziehungen willen Chr. H. Weisse, Mart. Luth.
Lips. 1845, und: die Christologic Luthers, Leipz. 1852, erwähnt werden, ferner Moritz
Carricre, üb. d. philosopb. Weltanschauung der Rcformationszeit. Stuttg. u. Tüb. 1847,
2. Aufl., Lpz. 1887, daneben auch eine ältere Abhandlung: J. H. Stuss, de Luthero
philosopho eclectico, Gotha 1730. Luthers Philos. von Theopbilos, Hannov. 1870.
2*
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§ 4. Der Protestantismus und die Philosophie.
Frdr. Nitzsch, L. ü. Aristoteles, Fest-schr., Kiel 1883. E. Elster, L.s Steltang zur Ph.,
in: Ztschr. f. kirchl. Wissenseh. u. k. Leb., 1883, S. 582—588. — Melanehtbons
Werke, von seinem Schwiegersohn Peucer, Wittenb. 15G2 — 64 hrsg., haben neuerdings
Bretschneider und Bindseil im: Corpus reformatorum, Halle und Braunschw. 1834 ff. in
28 Bänden veröffentlicht, woran sieh Annales vitae et indiecs, 1860, schliesten; Bd. XIII.
enthält die philosophischen Schriften mit Ausnahme der ethischen, die in Bd. XVI.
stehen: auch in Bd. XI. findet sich unter den Declamationen und in Bd. XX. unter
den Scripta vani argumenti einzelnes Philosophische, z. B. über die alte Philosophie,
über den Nutzen der Philosophie etc. Ueber Melanchthon handeln u. A.: Jouch.
Camerarius, de vita Mel. narratio, 1560, von Georg Tb. Strubel 1777 und von Augusti
1819 neu hrsg. Buhle, Gesch. d. n. Philos. II, 2, Gött. 1801, S. 478 ff. Friedr. Galle,
Charakteristik M.s uls Theologen , Halle 1840. Karl Matthe», Ph. M., sein Leb. und
Wirk.. Altenburg 1841. Ledderhose, M. nach s. süss. u. inn. Leb., Heidelb. 1847.
Adf. Planck, Mel. praeeeptor Germaniae, Nördlingen 1860. Coust Schlottmann, de
Phil. Melanchthone reip. litterariae reformatore comm., Bonnao 1860. Bernhardt, Ph.
Mel. als Mathematiker u. Physiker, Wittenb. 1865. Pansch, Mel. als Schulmann, Eutin
1868. Arth. Richter, M.s Verdienste um den philosoph. Unterricht, Leipz. 1870. Chr.
E. Luthardt, Melanchthons Arbeiten im Gebiete der Moral. Lpz. 1885.
Ueber die Beschaffenheit der Logik und Metsphysik bei den sogen, reinen Peri-
patetikern handelt W. L. G. von Eberstein, Halle 1800, und insbesondere über den
Aristotelismus unter den Protestanten J. IL ab Eiswich, de varia Aristotelis in scholis
Protestantium fortuns schediasms, bei der von ihm Viteb. 1720 neu herausg. Schrift
von Launov, de varia Arist. fortuns in Acsd. Psrisiensi (s. o. Grdr. II. 7. Aufl. § 19,
S. 128).
Auch die Philosophie hielt Luther (10. Nov. 1483 bis 18. Febr. 1546) der
Reformation für bedürftig. Er sagt 1518 (Epist. t. I, 64 ed. de Wette, vgl. F. X.
Schmid. Nie. Taurcllus, S. 4): Credo, quod impossibile sit ecelesiam reformari,
nisi funditus canones, decretales, scholastica theologia, philosophin, logica, ut nunc
habentur, eradiceutur et alia iustituautur. Aber diese Philosophie soll nicht raaass-
gebend für die Theologie sein. Luther sagt: „die Sorbonne hat die höchst verwerf-
liche Lehre aufgestellt, dass das, was in der Philosophie ausgemachte Wahrheit sei,
auch in der Theologie als Wahrheit gelten müsse", und nimmt keinen Anstoss
daran, dass theologisch etwas wahr und philosophisch zugleich falstfi sein könne.
Die Vernunft ist in Allem, was das Heil unserer Seele betrifft, stockblind, höchstens
in zeitlichen Dingen sollte sie genügen. Mit dieser Verachtung des Lichtes der
Vernunft verband sich bei Luther die Neigung zur Mystik, namentlich zu eck-
hartschen Anschauungen. Er hält dafür, dass keineswegs der Rückgang von dem
scholastischen Aristoteles auf den wirklichen Aristoteles genüge; jeuer sei eine
Wehr der Papisten, dieser aber naturalistisch gesinnt, leugne die Unsterblichkeit
der Seele; seine Ethik sei pessima gratiae inimica, nicht einmal zur Natur-
erkenntniss können seine Subtilitäten dienen. Luther erwartet von Aristoteles nicht
nur keine Hülfe, sondern perhorrescirt ihn in dem Maasse, dass er urtheilt: Aristo-
teles ad theologiam est tenebrae ad lucem.
Auch Melanchthon (16. Febr. 1497 bis 19. April 1560) wurde eine Zeit-
lang einigermaassen in Luthers Stimmung hineingezogen. Aber auf die Dauer
konnte die Reformation nicht ohne Philosophie bestehen; man machte die Erfahrung,
dass man ihrer bedurfte. Mit der blossen Berufung auf die frühesten Urkunden
des Christenthums hatte man zwar eine dem religiösen Bewusstsein adäquate
Autorität für die Negation der späteren kirchlichen Entwickelung gewonnen; da
aber die wirkliche Herstellung vergangener Formen nur bei einer (dem Pharisäer-
thum analogen) Erstarrung möglich gewesen wäre, wovon gerade die Reformation in
ihrem ersten Stadium am allerweitesten entfernt war, so Hess sich mit dem blossen
Rückgang auf den Keimzustand keine Kirche bauen. Wurde mit der Forderung
Ernst gemacht, so entstanden schwärmerische Secten, wie die Bilderstürmer und
die Anabaptisten. Ein entwickeltes theologisches Lehrgebäude und ein geordneter
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§ 4. Der Protestantismus und die Philosophie.
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Lehrgang war auch für eine protestantische Kirche eine Lebensbedingung, blieb
aber ohne Hülfe philosophischer Begriffe und Normen unerreichbar. Eine neue
Philosophie Hess sich nicht leicht schaffen. Luther war ein religiöses, nicht ein
philosophisches Genie, und Melanchthon eine reproductive und ordnende, nicht eine
productive Natur. Also musste man, da man die Philosophie nicht entbehren
konnte, unter den Philosophien des Alterthums wählen. M. sagt (in einer 1536
gehaltenen Bede, in: Corp. Bef. XI, S. 282): unum quoddam philosophiae genus
eligendum esse, quod quam minimum habeat sophistices et justam methodum re-
tineat: talis est AriBtotelis doctrina. Er fand die Epikureer zu gottlos, die Stoiker
zu fatalistisch in ihrer Gotteslehre und zu überspannt in ihrer Ethik, Piaton und
die Neuplatouiker theils zu unbestimmt, theils zu häretisch, die (mittleren) Aka-
demiker zu skeptisch; der einzige Aristoteles entsprach dem Bedürfniss der jungen
Kirche, wie er dem der alten entsprochen hatte, als Lehrer der Form, der „justa
docendi et discendi ratio". Somit erkannte M.: „carere raonumentis Aristotelis
non possumus." .Ego plane ita sentio, magnam doctrinarum confusionem secuturara
esse, si Aristoteles neglectus fuerit, qui unus ac sulus est methodi artifex." „Quam-
quam is, qui ducem Aristotelem praecipue sequitur et uuam quandam simplicem
uc minime sophisticam doctrinam expetit, interdum et ab aliis auctoribus sumere
aliquid potcst." Aristoteles stimmt nach ihm auch meist mit der Offenbarung
übereiu; wo dies nicht der Fall ist, inuss man ihn verlassen. Auch Luther lenkte
ein. Schon im Jahre 1520 giebt er zu, dass die Bücher des Aristoteles über die
Logik, Bhetorik und Poetik, falls sie ohne scholastische Zuthaten gelesen werden,
nützlich sein können, Junge Leut zu üben wohl reden und predigen". In dem
(Luthers und Melanchthons gemeinsame Ansichten enthaltenden, von dem Letzteren
niedergeschriebenen) .Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürsteu-
thum zu Sachsen" 1527, und dem »Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn
in llerzog Heinrichs zu Sachsen Fürstenthum* 1539 (bei Walch im X. Bde.; vgl.
Trendelenburg, Erläut. zu den Elementen der arist. Logik, Vorwort) wird gefordert,
dass dem grammatischen Unterricht der dialektische und rhetorische folge. Der
dialektische Unterricht aber konnte nur auf Aristoteles fussen.
Melanchthon verfasste zum Unterricht trefflich geeignete philosophische
Lehrbücher, die in vielen Auflagen erschienen und durchgehends auf deutschen ge-
lehrten Schulen lange Zeit gebraucht wurden, so dass er mit Becht „Praeceptor
Germaniao" genannt wird. Classisch gebildet, Bchon in früher Jugend von Erasmus
Boterodamus öffentlich gepriesen, mit Beuchlin verwandt und befreundet, auch
au dessen Kampf gegen die Dominicaner bereits mitbeteiligt, konnte er nicht,
an der geschmacklosen Subtilität der Scholastiker Gefallen ßnden; er giug nach
dem Beispiele des Valla und des Bud. Agricola auf den Text des Aristoteles zurück,
schwächte freilich auch die aristotelischen Gedanken ab; seine Darstellung ist mehr
klar, wohlgeordnet und elegant als tief. Im Jahre 1520 erschien zu Leipzig seine
erste Bearbeitung der Logik: Compendiaria dialectices ratio (1522 die erste Ausg.
der Loci theologici, die in den speeifisch reformatorischen Dogmen, insbesondere
der Lehre von der Erbsünde und Prädestination, strenger, in der Trinitätslehre
und andern aus der katholischen Kirche überkommenen Dogmen minder streng ist,
als die späteren Ausgaben), 1527 die Dialectica Ph. M. ab auetore adaueta et
recognita, auch Hag. 1528 und in dritter Ausg. 1529: de dialectica libri quatuor,
auch 1533 u. ö., endlich 1547 zu Wittenberg die Erotemata dialectices, auch 1550,
1552 u. ö. Melanchthon deBnirt (Dial. L L init) die Dialektik als ars et via
docendi; nicht auf die Methode der Forschung (da das Wesentlichste theils durch
angeborene Principien, theils durch Offenbarung gegeben ist), als vielmehr auf die
des Unterrichts fällt ihm das Hauptgewicht. Er handelt (gemäss der Folge:
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§ 4. Der Protestantismus und die Philosophie.
Isagoge des Porphyrius; Categ., de interpret., Analyt, Top. im Organon des Aristo-
teles) zuerst von den fünf Praedieabilia: species, genus, differentia, proprium, aeci-
dens, dann von den zehn Kategorien oder Praedicamenta : substantia, quaiititas,
qualitns, relatio, actio, passio. qnando, ubi, situs, habitus, dann (im zweiten Buch)
von den Arten der Sätze, demnächst von der Argumentation (Buch III) und endet
mit der Topik (Buch IV). Das Hauptgewicht legt er auf die Lehre von der
Definition, von der Eintheilung und von der Argumentation. Melauchthon huldigt
entschieden dem nominalistischen Grundsatz: omne quod est, eo ipso qnod est,
singulare est. Er definirt die species als nomen commune proximum individuis,
de quibus praedicatur in quaestione quid sit, das genus als nomen commune multis
speciebus etc. Er preist die Dialektik als eine edle Gottesgabe. Erotemata
dialectices, epist. dedicatoria p. VII: .ut uumerorum notitia et donum Dei ingens
est et valde necessaria hominum vitae, ita veram doceudi et rationandi viam sciamus
Dei donum esse et in exponenda doctrina coelesti et in inquisitione veritatis et in
aliis rebus necessarinm". Die letzten Gründe sind ihm nach Aristoteles Gott,
Materie, Beraubung, oder nach Piaton Gott, Materie, Idee, indem er meint, die
beiden Philosophen ergänzten sich hier. Die drei Bücher über die Rhetorik er-
schienen Wittenberg 1719.
Die Ethik des Aristoteles hielt Melanchthon sehr hoch, weil sie gemässigte
Meinungen liebe, die Wahrheit erforsche und nicht auf Zänkereien ausgehe. Die
Schrift: Philosophiae moralis Epitome erschien zu Wittenberg 1537, nachdem
Melanchthon schon früher zur aristotelischen Ethik (Witt. 1529) und zu einzelnen
Büchern der Politik (ebd. 1530) einen Commentar veröffentlicht hatte. Später
(Witt. 1550) erschien die Schrift: Ethicae doctrinae elementa et enarratio libri
quinti Ethicorum (Aristotelis). Melanchthon schlicsst sich auch hier meist an
Aristoteles an, giebt aber besonders in der letztgenannten Schrift derselben eine
mehr theologische Wendung, indem ihm der Wille Gottes als das oberste Moral-
gesetz gilt, und die Tugend in der Gotteserkeuntniss und im Gehorsam gegen Gott
besteht.
In dem Commentarius de anima, Wittenberg 1540, 1542 u. ö., wie auch den
Initia doctrinae physicae, dicta in academia Witebergensi, ebend. 1549, legt Melan-
chthon die aristotelischen Begriffe zu Grunde. M. hält an der arist.-ptolemäischen
Lehre vom Weltgebäude fest, auch nach dem Hervortreten der copernicanischen; er
hält die letztere für eine „böse und gottlose Meinung" und erklärt die Übrigkeit für
verpflichtet, dieselbe zu unterdrücken. (Auch Luther betrachtete die copcrnicanische
Doctrin als eine eitle Neuerung, die der Bibel widerstreite, welche ihm nicht bloss
für .christliche Heilswahrheiten", sondern nach ihrem gesammten Inhalt als Norm
galt. Der protestantische Theolog Osiander, der sich mit der Doctrin des Copernicus
befreundete, half sich, wie später die Jesuiten in Rom, durch Abschwächung der-
selben zur blossen Rechnungshypothese mittelst des die materielle Wahrheit hinter
die formelle Exactheit hintansetzenden Satzes: „neque enim necesse est eas hypo-
theses esse veras, immo ne verisimiles quidem, sed sufficit hoc nnum, si calculum
observationibus cougruentem exhibeant4*.) Den Gestirnen schreibt Melanchthon
Einfluss nicht nur auf die jedesmalige Temperatur (ortus Pleiadum ac Hyadum
regulariter pluvias affert etc.), sondern auch auf die menschlichen Geschicke zu.
Die Naturursachen wirken mit Notwendigkeit, sofern nicht Gott den modus agendi
ordinatus unterbricht (interrumpit). Die Autorität des Aristoteles, sofern dieser
die Ewigkeit der Welt lehrt, erkennt Melanchthon nicht an. In der Definition der
Seele vertheidigt er die falsche Lesart iv&tkixtia gegen Amerbach (1504— 57,
1. quatuor d. anima, Arg. 1542), den der Kampf um <>«;.£>£<« schliesslich zum
Weggang von Wittenberg und zum Katholisch werden veranlasst hat. Das Seelen-
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§ 4. Der Protestantismus und die Philosophie.
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leben theilt M. nnch den drei aristotelischen Hauptstnfen in das vegetative (das
&Q€nnx6y des Aristoteles), sensitive mit Einschluss der vis appetitiva und loco-
motiva (idoSqnxoy, opexnxoV, xtvrjixoy xurd to.w) und rationale (yoijrtxoy). Der
anima rationalis gehört der iutellectus und die voluntas an. M. rechnet zu den
Actionen des intellectus (hierin von Aristoteles abweichend) auch die memoria,
wodurch er auch dieser an der (von Aristoteles dem yovs notrjtxos zugesprochenen)
Unsterblichkeit Antheil vindicirt. Die Aimahme, dass Begriffe, wie die von Zahl
und Ordnung, auch von den geometrischen, physischen und moralischen Principien,
angeboren seien, möchte er nicht fallen lassen, halt aber dafür, dass durch die
Sinne der Intellect zur Bethätigung angeregt werde, und dass die meisten Begriffe
aus den Sinnen stammen. Von den philosophischen Beweisen des Piaton, Xenophon
und Cicero für die Unsterblichkeit sagt er: haec argumenta cogitare prodest, sed
tarnen sciamus, patefactiones divinas intuendas esse. Zu der sinnlichen Erfahrung,
den Principien des Intcllects und der Schlussfolgerung tritt als viertes und oberstes
Criterium die göttliche Offenbarung in den biblischen Schriften hinzu. — Philo-
sophischen Umdeutungen theologischer Begriffe war M. nicht hold; die Beziehung
der drei Personen in Gott auf mens, cogitatio und voluntas (in qua sunt laetitia
et amor) lasst er nur als einen einigermaassen zutreffenden Vergleich gelten. Der
Miturheber der Reformation hat die Hinrichtung von Häretikern gebilligt; er nennt
die Verbrennung des Antitrinitariers Servet durch die Calvinisten in Genf „pium
et memorabile ad omnem posteritatem exemplum".
Die peripatetische Doctrin herrschte auf den protestantischen Schulen bis zum
Aufkommen der cartesianischen und leibnizischen Philosophie. Sie war vertreten
von zahlreichen Docenten, wie Joach. Camerarius, dem Freund Melanchthons,
(1500—1574) in Leipzig, Jac. Schegk (1511-1587, s. C. Sigwart, Jac. Schegk,
Prof. d. Philos. u. Mediz., in: Besondere Beilage des Staatsanzeigers f. Württemb.,
No. 5, 1883, S. 65 — 79) in Tübingen, der in Aristoteles die höchste Vollenduug
des menschlichen Geistes erblickte, auf die Interpretation von dessen Schriften
grossen Fleiss verwandte und mit P. Bamus in heftigen Streit gerieth, David
Chytraeus in Rostock, Victorin Strigel, dem Schüler Melanchthons in Jena, Phil.
Scherbius (gest 1605 in Altorf), Cornelius Martini (1568-1621) in Helrastädt, wo
nach den Statuten die Schriften des Aristoteles und Melanchthons für den philo-
sophischen Unterricht gebraucht werden mussten, Jacob Martini (1570 — 1649) in
Wittenberg etc. Nur wenig beschränkt wurde der Aristotelismus durch den Ramis-
mus, dem manche sich vollständig hingaben, andere wenigstens Concessionen machten
(3iehe unten § 5). Doch fanden sich, abgesehen von den Ramisten, einzelne Gegner
des Aristoteles, die Luthers anfängliche Polemik wieder aufnahmen, wie namentlich
Nicol. Taurellus (s. unt. § 5). Sollte aber das Motiv der Befreiung des Geistes von
jeder äusseren, ungeistigen Macht und seiner positiven Erfüllung mit dem höchsten
Wahrheitsgehalte auf allen Gebieten seines Lebens zur vollen Geltung gelangen, so
bedurfte es einer Verallgemeinerung und Vertiefung des protestantischen Princips, die
dasselbe über die bloss religiöse Sphäre hinausführte und auch innerhalb dieser selbst
die ihm hier noch anhaftenden Schranken, die je länger je mehr die reformatorische
Bewegung hemmten und fälschten, aufhob, und dieser Fortgang konnte sich nicht
durch eine blosse immanente Entwickelung der historischen Anfänge des kirch-
lichen Protestantismus, sondern nur durch das Mithinzutreten anderer Momente
vollziehen.
Die Scholastik der thomistischen Form führte in die Neuzeit herüber Franz
Suarez, geb. 1548 in Granada, gest. 1617 zu Lissabon, der eine grosse Reihe von
Schriften verfasste (Gesammtausgabe 23 Foliobände, Vened. 1740). Das vorzüg-
lichste philosophische Werk des gelehrten Jesuiten sind seine Disputationes meta-
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24 § 5. Bekämpfung des Aristoteles und Versuche zu einer Reform der Philosophie.
physicae, 1605 u. ö. Seine Darstellung ist eine wohlgeordnete und zeichnet sich
durch Klarheit aus. So machte sich dem protestantischen Peripatcticismus gegen-
über der scholastische auf den katholischen Universitäten wieder geltend.
§ 5. Den scholastischen Aristoteles bekämpfte der Spanier Jo-
hannes Ludovicus Vi ves, der in der Metaphysik sich an die wirkliche
Lehre des Aristoteles zwar noch anschloss, auf ethischem Gebiete sich
aber mehr dem Platonismus und Stoicismus näherte, im Ganzen aber,
und namentlich in der Psychologie, eine die Traditionen des Alterthums
verlassende Erfahrungswissenschaft anstrebte und so mit dieser neuen
Methode die selbständige philosophische Forschuug vertrat. In ähn-
licher Weise betonte Marius Nizolius die Erfahrung und den Weg
der Induction und hob ferner gegenüber der Metaphysik die Rhetorik
hervor. An Vives hat sich vielfach angelehnt der heftige Feind des
Aristoteles Petrus Ramus, der den Versuch zu einem selbständigen
System der Philosophie machte und, namentlich für seine Logik, zahl-
reiche Anhänger fand, so dass sich eine Schule der „Rainisten4' bildete.
— Diese drei wollten alles Sachliche aus der Logik entfernt haben.
Vielleicht war durch Ramus Nicolaus Taurellus beeinflusst.
der, von der Voraussetzung ausgehend, dass Philosophie und Theologie
sich nicht widersprechen dürften, selbständig eine Philosophie als
Grundlage für die Theologie zu linden suchte.
Die Worki> des Ludovicus Vives sind in 2 Foliohänden 1555 zu Ba*el er-
schienen mit einer Dedicationssehrift von Ulr. Coccins, in S Folioliänden sind sie von
Don Gregor Majans herausgegeben, Valencia 1782 — 1790. Im 1. Bande dieser letzteren
Ausgabe findet sieh eine vom Kditor verfasste vita Vivis. Das Hauptwerk Vives" de
disciplinis erschien zuerst 15J51 zu Brügge, in demselben Jahre auch zu Antwerpen,
später öfter gedruckt. VergL über ihn Sehaumann, de L. Vive, Halae 175*2, A. J. Nu-
meche. Memoire sur la vie et les ecrits de Jean Louis Vives, in: Memoire« couronnes
par lue. rovale des sc. et des belies 1. de Bruxelles, T. XV, prem. partie, Brüx. 1S41,
F. A. Lunge in d. Kncyklopädic des gesammten Erzichungs- und Unterrichtswesens,
herausg. von K. A. Sehmid. B. 9, S. 7:17 — 814. Leber Nizolius handelt am aus-
führlichsten H. Bitter in seiner Gesch. d. Ph. IX, S. 445—471. Die Schriften des
Nizolius s. im Text.
Eine Gesammtausgabe der Schriften des Ramus giebt es nicht. Ucber ihn handeln
Ch. Waddington, de F. Bami vita, scriptis, philosophiu, Faris 1*49. Ders., Burnus, sa
vie, ses ecrits et ses opinions, Faris IS")."» (in diesen beiden Monographien linden sich
Register der 50 Schriften des Ramus). Charles Destnaze, F. IL, professeur au College
de France, sa vie, ses ecrits, sa mort, Faris 18(54. M. Cantor, Petrus Bantus, ein wiss.
Märtvrer des IG. Jahrh.s, in: Geizers prot. Monatsbl. Bd. :10, 1867, S. 129—142.
W. Schmitz, F. R. als Sehulmann, in: N. Jahrb. f. Piniol, u. Päd. Bd. 98. LS68,
S. 567 — 574 u. als Anh. in seiner Schrift: Fruneisc. Fabrie. Marcoduranus, Köln 1871.
Bcnj. Chagnard, Ramus et ses opinions religieuses, Strassburg 1869. K. Prantl, üb.
Fetr. Ramus, in: Sitzungsber. d. Kgl. bayer. Akademie der Wissensch., Philo«, phil.
hist. CI. 187S. F. Lobstein, F. Ramus als Theologe, Strassburg 1878. Schriften seines
Gegners Carpentarius sind: Animadversiones in II. III institutionum dialecticarnm
Petri Rami. 1554, Descriptio universue naturae ex Aristotele, 1562, Orationes contra
Ramum 1566, Piatonis cum Aristotele in universa philosophia comparatio, 1573.
Den Triumph der von dem Aristotelismus befreiten, mit der Theologie harmo-
nirenden Philosophie feiert Taurellus in <ler Schrift: Philosophiae triumphus, hoc est,
methaphysiea philosophandi methodus. qua divinitus inditis menti notitiis humanae
rationes eo dedueunmr, nt firmissimis inde eonstruetis demonsrrationihus aperte rei veritas
elucescat et quae diu philosophorum sepulta fuit authoritate philosophia vietrix erumpat:
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§. 5. Bekämpfung des Aristoteles und Versuche zu eiuer Reform der Philosophie. 25
quaestionibus enim vel sexeentis ea, quibus cum revelata nobis Verität«1 philo*ophia
pugnare videbatur, adeu vere conciliantur, ut BOB tidei solum servire dkvnda sit, sed
ejus esse fundamcntuni, Basil. 1573. , Gegen Caesalpin ist seine Schrift gerichtet: Alpe«
caesae, hoc est, Andreae Caesalpini Itali monstrosa et superba dogmata discussa et cx-
cussa, Franeof. 1597. Eine polemisch.» Schrift ist auch Synopsis Arist. Metaphvsice *
ad normam Uhristianae religionis ex plicata e, emendatae et complctae. Hanoriae 1596;
de mundo, Ambergae 1603; L'ranologia, Auib. 16<>3; de reruui aeternitate; metaph.
universalis partes quatuor, in quibus placita Aristotclis, Vallesii, Piccolooiinei, Caecal*
pini, soeietatis Conitnbricensis alioruinquc discutinntur, cxaminantiir et refntantur,
Mnrpurgi 1604 etc. Ueber Taurel lua handeln insbesondere: Jac. Wilh. Feuerlin, diss
Apolug. pro Nie. Taurello philosopho Altdorlino atheisiui et deismi injuste accusato et
ipsius Taurelli Synopsis Arist. metaphysices recusa cum annot. editoris, Norimb. 1734.
F. X. Schmidt aus Schwarzenberg, Nie. Taur., der erste deutsche Philosoph, aus den
Quellen dargest., Erlangen 1S60, n. Ausg. 1864.
Ueber Bovillus handelt insbesondere Jos. Dippel, Versuch einer systcniat. Darstell,
der Philo*, des C. B. nebst einem kurzen Lebensabriss, WQrzb. 1865.
Als Antiacholastiker hat Joh. Ludovicus Yives, geb. zu Valencia 1492, von
1523 bis 1528 jedes Jahr einige Zeit in London sich aufhaltend, am Hofe beschäftigt,
theilweise wahrscheinlich als Lehrer der Prinzessin Maria, gest. zu Brügge gegen
1540, ein jüngerer Zeitgenosse und Freund des Erasmus, durch viele Schriften für
eine auf die Erfahrung gegründete Wissenschaft kräftig gewirkt und kann als
Vorläufer von Descartes und Fr. Bacon gelten. In einer kleinen Schrift ans dem
Jahre 1518: de initiis, sectis et laudibus philosophiae, giebt er eine Uebersicht
über die Geschichte der alten Philosophie, wohl die erste, die wir aus der neueren
Zeit besitzen. In seiner Flugschrift gegen die Pseudodialektiker aus dem Jahre
1519 deckt er die Gebrechen der scholastischen Sophistik schonungslos auf. Nach-
dem er schon in dem Dialoge Sapiens, 1512, die einzelnen Wissenschaften in ihrer
damaligen Verfassung streng gegeisselt, übt er eine scharfe und ausführlichen«
Kritik derselben in seinem gross angelegten encyclopädischen Werke; De disci-
plinis, 1531, dessen erster Theil die 7 Bücher de causis corruptarum artium,
der zweite die 5 Bücher de tradendis diseiplinis enthält. Als dritter Theil wird
in den älteren Ausgaben noch eine Anzahl logischer und metaphysischer Abhandlungen
bezeichnet, so die 3 BB. de prima philosophia, de censura veri, de instrumento
probabilitatis u. a. Zunächst bringt er treffende allgemeine Bemerkungen über den
Verfall der Wissenschaften, indem er besonders über den Mangel an Wahrheitssiuu,
über Hochmuth, Sucht nach dem Ruhme eines Erfinders, über die Dunkelheit in
den Schriften der Alten, vor Allen des Aristoteles, klagt. Von den Kritiken der
einzelnen Disciplinen ist hier hervorzuheben die der Dialektik, in welcher er die
Vermengung von Logik und Metaphysik namentlich tadelt und den Gedanken einer
formalen Logik klar und sicher durchführt. Bei der Besprechung der Natur-
wissenschaften, der Medicin und Mathematik verwirft er die Beschränkung auf
Aristoteles und will an dessen Stelle selbständige Forschung, schweigende Betrachtung
der Natur, an die Stelle der metaphysischen Erörterungen Beobachtung der Er-
scheinungen und Nachdenken über dieselben gesetzt wissen. Nur durch directe
Untersuchung auf dem Wege des Experiments ist die Natur zu erkennen. Die
echten Schüler des Aristoteles, lehrt er, befragen die Natur selbst, wie auch die
Alten dies gethan haben. In der Metaphysik hält sich Vives viel an Aristoteles,
lässt aber manche von diesem betonte Begriffe zurücktreten und stellt in den
Mittelpunkt die Lehre von Gott und seiner Schöpfung, indem er freilich öfter die
Unzulänglichkeit des menschlichen Geistes für die Lösung dieser Probleme hervor-
hebt und die theoretischen Beweise für das Dasein Gottes sowie auch für die Un-
sterblichkeit der Seele nicht hochschätzt, dagegen auf das sittliche Bedürfniss in
beiden Beziehungen schon bestimmt hinweist. In der Ethik nimmt er die aristo-
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26 § 5. Bekämpfung des Aristoteles and Versuche zu einer Reform der Philosophie.
telische Lehre von der Glückseligkeit und deren Inhalt nicht an und rieht die
sokratisch-platonische und stoische vor, die auch nach seiner Ansicht mit dem
Christenthum näher verwandt sind. Wichtig sind noch seine 3 Bücher de anima
et vita, 1539, in denen er es tadelt, dass man sich in der Lehre von der Seele
bisher mit dem begnüge, was das Alterthum biete. Um nun weiter zu kommen
benutzt er, zum Theil mit Erfolg, die eigene Beobachtung. Nicht was die Seele
sei, solle man zu erforschen suchen, sondern welche Eigenschaften sie habe
und wie sie wirke. Er wird in Folge dieser Principien und der Durchführung
derselben in dieser Schrift nicht mit Unrecht von Alb. Lange als Vater der neueren
empirischen Psychologie bezeichnet. — Aus seinen Schriften haben Viele geschöpft,
ohne ihn zu neimen.
Marius Nizolius aus Bereello, geb. 1498, lehrte zuerst in Parma, dann an
der Universität zu Sabbioneta, wo er 1576 starb. Er hat die Scholastik bekämpft
in seinem Thesaurus Ciceronianus und besonders in seinem Antibarbarus sive de
veris principiis et vera ratione philosophandi contra pseudo-philosophos, Parin.
1553, den O. W, Leibniz hochgeschätzt und deshalb Francof. 1670, auch 1674
wieder herausgegeben hat. Nizolius stellt in Abrede, dass wir unter den Alten
einen sicheren Führer in der Philosophie haben. Die Schriften des Aristoteles
besitzen wir nur in fragmentarischer und nicht in der echten Gestalt, und deshalb
eifert Nizolius gegen die Schule der Peripatetiker. Den Cicero hält er für zu
skeptisch. Die Rhetorik ist ihm die allgemeine Wissenschaft, welche die Fähigkeit
giebt, über Alles zu urtheilen, die übrigen Wissenschaften liefern ihr den Inhalt
für ihre Formen. Die Philosophie, die es mit dem Stoffe zu thun hat, ist theils
Physik, theilB Politik. Er vertritt die nominalistische Doctrin, dass nur die Indi-
viduen wirkliche Substanzen, die Arten und Gattungen aber subjective Zusammen-
fassungen seien: Nostra universa, nt sunt a natura facta sine ulla abstractione nihil
aliud esse dicimus, nisi omnia singularia unius cuiuslibet generis simul compre-
hensa. Seine neue Methode nennt er comprehensio; sie ist actio quaedam Bive
operatio intellectus, qua mens hominis singularia omnia sui cuiusque generis simul
et semel comprehendit. Alle Erkenntniss muss aber von der Wahrnehmung aus-
geben, die allein unmittelbare Gewissheit hat.
Nicht bloss die Scholastik, sondern auch die dialektische Doctrin des Aristo-
teles selbst ist von Petrus Ramus (Pierre de la Kamee) bekämpft worden, der,
geb. 1515 in Vermandois, zum Calvinismus übertrat und in der Bartholomäusnacht
1572, wahrscheinlich auf Anstiften seines scholastischen Gegners Charpentier (Ja-
cobus Carpentarius), ermordet wurde. Zu Paris hatte er lange Zeit gelehrt, einige
Jahre sich auch in Deutschland aufgehalten. In den Animadversiones in dialecticam
Aristotelis, Paris 1534 u. ö., warf er der Logik des Aristoteles vor, dass dieselbe
die dem menschlichen Geiste eingeborene Logik nicht treu darstelle, sondern diese
vielmehr durch Künste der Scholastik verdürbe. Hieran schloss sich der wenig
bedeutende Versuch einer verbesserten Logik in den Institutiones dial., Par. 1543,
indem er, an Cicero (und Quintilian) anknüpfend, die Logik mit der Rhetorik ver-
einigt, und er nennt diese Wissenschaft „ars disserendi", was schon durch die sokra-
tisch-platonische Bezeichnung „ Dialektik* wiedergegeben sei. Der erste Theil (de
inventione) umfasst die Lehre von dem Begriff und der Definition, der zweite (de
iudicio — daher Secunda Petri gleich Urteilskraft , z. B. noch bei Kant — ) die
Lehren vom Urtheil, vom Schluss und von der Methode. Diese Reihenfolge ist
dann von den Logikern bis auf die Gegenwart meist beibehalten worden. Will
man sich über eine Frage klar werden, so ist zuerst Erfindung nöthig, d. h. man
muss einen Grund suchen, aus dem man die Frage lösen kann, sodann Urtheil,
d. h. man hat den Beweis für den Satz zu bilden. Um die Erfindung zu erleichtern
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§ 5. Bekämpfung des Aristoteles und Versuche zu einer Reform der Philosophie. 27
werden Gemeinplätze aufgestellt, loci, aus welchen man Beweisgründe entnehmen
kann. Die hauptsächlichsten derselben sind die Division und Definition. Bei dem
Urtheil werden drei Stufen unterschieden: 1) der Syllogismus, bei dem es darauf
ankommt, den Grund mit einer Frage so zu verbinden, dass daraus Wahrheit oder
Falschheit des Satzes folgt; 2) das System, indem eine Kette von Schlüssen ge-
bildet uiiv* eine Anordnung mit einander zusammenhängender Lehrsätze getroffen
wird ; 3) es werden die Wissenschaften alle auf Gott bezogen, zu dem wir uns aus
dem Sinnlichen erheben, und so kommen wir zur Kenntniss der Idee. Ramus stützt
sieh hier, freilich nur sehr äusserlich, auf Piaton, den er weit über Aristoteles
stellt Auch auf physikalischem und metaphysischem Gebiet bestritt er den Aristo-
teles in seinen Scholarum physic. 11. Otto, Par. 1565, und seinen Scholarum metaphys.
11. quatuordeeim, Par. 1566. Während Ramus in jugendlichem Eifer gesagt hatte:
Quaecunque ab Aristotele dicta sunt, commenticia sunt, schrieb er übrigens gegen
Ende seines Lebens eine Defeusio pro Aristotele adversus Jacobum Schecium, in
der er behauptet, der einzig wahre Aristoteliker zu sein.
Die Logiker schieden sich lange Zeit in Ramisten und Antiramisten. Be-
günstigt wurden die ramistischen Lehren durch den bekannten Pädagogen Johannes
Sturm in Strassburg {1507 — 1589), und namentlich traten für sie in Deutschland
ein zwei Schüler des Ramus: Thomas Freigius, Proftssor in Altorf (gest. 1583),
und Franz Fabricius, Reetor des Düsseldorfer Gymnasiums (gest. 1573), so dass
es bald auf fast allen deutschen Universitäten Ramisten gab, obwohl die neue
Lehre auf manchen, z. B. in Leipzig und Helmstädt, verboten wurde. Als An-
hänger derselben sind noch zu nenneu Ad. Seribonius und Audomur Talaeus. Unter
den Antiramisten zeichneten sich neben Carpeutarius ans: Nie. Fri schiin und
die schon genannten Aristoteliker Coro. Martiui, Schegk und Scherb. Eine Ver-
mittelung zwischen der aristotelischen Dialektik, wie sie Melanchthon vertrat, und
der des Ramus versuchten die Se miramisten, unter denen sich auszeichneten
Joh. Hnr. Alstedt (15SH — 1638), längere Zeit Professor in Herborn, und Rud.
Goclenius in Marburg (1597—1628), Verfasser einer Reihe logischer, psycho-
logischer und ethischer Schriften, auch eines für die damalige Zeit brauchbaren
Lexicon philosophicum, quo tunquam clave philosophiae fores aperiuntur, Francof.
1613. Die eine Art des Kettenschlusses hat von ihm ihren Namen.
In protestantisch-kirchlichem Sinne hat Nicolaus Tanrellus (geb. 1547 zu
Mömpelgard, gest. zu Altdorf 1606) nicht nur den averroistischen Aristo telismus
und Pantheismus des Caesalpin, sondern den Aristotelismus überhaupt und jegliche
menschliche Autorität in der Philosophie bekämpft („maximnm philosophiae macu-
lam inussit authoritas") und ein neues Lehrgebäude aufzuführen unternommen, in
welchem zwischen der philosophischen und theologischen Wahrheit kein Wider-
streit sein soll. Tanrellus will nicht, während er christlich glaubt, heidnisch denken,
nicht Christo den Glauben, dem Aristoteles aber die Einsicht verdauken. Er hält
dafür, ohne den Sündeufall würde die Philosophie genügen (dicam uno verbo quod
res est : si peccatuin non esset, sola viguisset philosophia), in Folge des Sündenfalls
aber ward die Offenbarung erforderlich, welche unsere philosophische Erkenntnis»
durch das, was den Stand der Gnade betrifft, ergänzt. Das Sittengesetz erhalten
wir durch die Vernunft, aber wir erfahren durch sie nichts über die Heilsabsichten
Gottes, da muss die Offenbarung mit der Lehre von der Gnade und Erlösung ein-
treten. Die Lehre von der zeitlichen Entstehung der (in Atome gegliederten) Welt
(im Gegensatz zu der Annahme einer Schöpfung der Welt von der Ewigkeit her),
wie auch das Dograa der Trinität sieht Taurellus nicht (mit den Aristotelikern)
als bloss geoffenbarte und theologische, sondern (mit Piatonikern) als auch philo-
sophisch begründbare Sätze an. Gott hat die Welt so geordnet, dass sie einen
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§ G. Naturphilosophie und Theosophie.
gcsetzmässigen Gang einhält: der Schöpfer braucht nicht im Einzelnen wieder ein-
zugreifen, sondern das Uhrwerk läuft zufolge der ursprünglichen Einrichtung ab.
Nicht die Krkenntniss, sondern die Liebe zu Gott ist das höchste zu erstrebende
Ziel des Menschen — Das Christenthuni des Taurellus knüpft eich übrigens an die
Fundamentaldogmeu : er will nicht Lutheraner, noch Calvinist, sondern Christ
heissen. Die Ergreifung des Heils in Christo ist ihm Sache der menschlichen
Freiheit. Die sich überzeugen, dass Christus für sie gestorben sei, werden selig,
die Uebrigen auf ewig verdammt werden. Die Aristoteliker Schegk und dessen
Schüler Scherbius halten die peripatetische Doctrin gegen Taurellus, wie gegen
llamu.s, vertheidigt; Goclenius dagegen war ihm günstig gesinnt. Im Allgemeinen
fand Taurellus bei seinen Zeitgenossen wenig Anklang. Leibuiz hat ihn als geist-
vollen Denker, dem er sich in Manchen» verwandt fühlte, hochgeschätzt und mit
Scaliger, dem scharfsinnigen Bestreiter des Cardanus, verglichen.
Im katholisch-kirchlichen Sinne hatte, an Nicolaus Cusanus anknüpfend, der auch
als Mathematiker nicht unbedeutende Curolus Do vi Uns (Charles Douille, geb. um
1470 oder 1475 zu Sanconrt in der Nähe von Amiens, gest. um 1553, ein unmittel-
barer Schüler des Faber Stapulensi*. s. o. § 3, S. 14) eine philosophisch-theologische
Doctrin entwickelt.
§ C. Nicht nur auf die dänische Litteratur des vorchristlichen
Alterthuui3 und auf die biblischen Offenbarungsschriften ging der
von der Scholastik unbefriedigte Geist der Neuzeit zurück, sondern
wandte sich auch, an die Wissenschaften des Alterthuuis anknüpfend,
mehr und mehr einer selbständigen Erforschung der natür-
lichen und geistigen Wirklichkeit, wie auch einer von äusseren
Normen unabhängigen sittlichen Selbstbestimmung zu. Auf den
Gebieten der Mathematik und Mechanik, der Geographie und Astro-
nomie wurde die Wissenschaft der Alten zunächst wiederhergestellt,
dann aber auch, theils in allmählichem Fortschritt, thcils durch rasche
und kühne Entdeckungen und Theorien wesentlich erweitert: an die
gesicherten Ergebnisse der Forschung schlössen sich mannigfache,
grossentheils phantastisch-tuniultuarische, begeisterte Versuche einer
auf dem Grunde der neuen Wissenschaft ruhenden Gottes- und Welt-
anschauung, welche vielfach Keime zu späteren, gereifteren Doctrinen
enthielten. Mehr oder minder war die Naturphilosophie der Ueber-
irangsperiode mit einer Theosophie verschmolzen, die sich zunächst an
den Neuplatonismus und an die Kabbala anlehnte, allmählich aber,
besonders auf dem Boden des Protestantismus, zu selbständigerer Ge-
staltung gelangte.
Noch mit der Scholastik verbunden, der kirchlichen Lehre nicht
widerstreitend, aber auf der neuen Uasis mathematischer und astro-
nomischer Studien ruhend, erscheint die mit Theosophie verflochtene
Naturphilosophie um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Nicolaus
Cusanus, der an den Piatonismus und Pythagoreismus und auch an
die Mystik Meister Eckharts auknüpft, die verschiedenen Richtungen
und Strömungen, die später auseinandergingen, in sich vereinigt und
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§ 6. Naturphilosophie nnd Theosophie.
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einen pantheistischen Mystieismus vertritt, freilich auch von dualistisch-
mystischen Elementen nicht frei ist. Aus ihm hat später Giordano
Bruno die Grundzüge seiner kühneren und freieren Doctrin entnommen.
Im 16. und demnächst noch im 17. Jahrhundert wurde die mit Theo-
sop"hie verschmolzene Naturphilosophie ausgebildet durch den Arzt
Paracelsus, den Mathematiker und Astrologen Cardanus, durch
den Gründer der naturforschenden Academia Consentina Bernardinus
Telesius und seine Anhänger, durch den averroistischen Aristoteliker
Andreas Caesalpinus, durch die antikirchlichen Freidenker Giordano
Bruno und Lucilio Vaniui und durch den gelehrten, kirchlich gesinuten
Antiaristoteliker Thomas Campanella. Unter ihnen ist der be-
deutendste Giordano Bruno (1548 — 1600), der manche Gedanken
Späterer vorausgriff und für seine wissenschaftliche Ueberzeugung den
Märtyrertod erlitt. Voll edelster Begeisterung für die Natur und die
neuen naturwissenschaftlichen Gedanken, von heisser Liebe für das
Ideale und das Unendliche erfüllt, sich aber doch vielfach an die
griechische Philosophie, namentlich an Epikur, an die Stoiker und
Neuplatoniker anlehnend, hat er die verschiedensten Elemente zu einem
pantheistischen System aufgenommen, in welchem sich reiche dichte-
rische Phantasie zeigt, die Gegensätze aber nicht zu voller Einheit
verarbeitet sind. Auch der individualistischen Richtung suchte er
gerecht zu werden. Der durch seine Verdienste in der Physik mehr
als durch die in der Philosophie bekannte Galileo Galilei leitete
die Betrachtung der ganzen Natur als eines Mechanismus ein, indem
nur durch Quantitäten eine Erkenntnis* möglich sein sollte. Auch
für die Methode der Forschung ist er nicht ohne Bedeutung, und
seine Einwirkung auf die spätere Entwicklung der Philosophie ist
nicht unbeträchtlich.
Das religiöse Element prävalirt bei den protestantischen Theologen
Schwenckfeldt und Valentin Weigel und bei dem Theosophen Jakob
Böhme (1575—1624), zu dessen Anhängern II. More, John Pordage,
Pierre Poiret und in neuerer Zeit St. Martin gehören, und an dessen
Principien Baader und auch Schelling bei seinem Uebergang von der
Naturphilosophie zur Theosophie sich angeschlossen haben.
Ueber mehrere Naturphilosophen der Ucbergangspe riode handeln Thadd.
Ans. Rixner und Thadd. Siber in ihren Beiträgen zur Geschichte der Physiologie
im weiteren und engeren Sinne (Leben und Meinungen berühmter Pysiker im 16. und
17. Jahrh.), 7 Hefte, Sulzbach 1819 — 26. Kurd Lasswitz, d. Lehre v. d. Elementen
während des Uebergangs v. d. scholast. Philosophie zur Corpusculartheorie, G. Pr.,
Gotha 1882. Vgl. die Schriften über die Gesch. der Naturwissenschaften. Alb. Errera,
saggio sui precursori italiani (aus d. Atti del' instituto veneto di scienze ecc. vol. XIX,
ser. IH), Ven. 1869.
Die Werke des Nicolaus Cusanus sind schon im 15. Jahrh., vermuthlich zu
Basel, dann durch Jacob Faber Stapulensis Par. 1514, ferner Bas. 1565 herausgegeben
worden: eine deutsche Uebcrsettung seiner wichtigsten Schriften hat F. A. Scharpff,
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§ 6. Naturphilosophie und Theosophie.
Freiburg 1862 veröffentlicht. Ueber ihn handeln: Harzheim, Vita N. de C, Trevir. 1730.
»F. A. Scharpff, der Card. N. v. C, Mainz 1843: d. Card. u. Bisch. N. v. C, als Re-
formator in Kirche, Reich und Phil. d. 15. Jahrh., Tüh. 1871. Fr. J. Clemens, Gior-
dano Bruno und Nie. Cus , Bonn 1846. Joh. Martin Düx, der deutsche Card. N. v. C.
und d. Kirche s. Zeit, Regensh. 1848. Roh. Zimmermann, der Card. Nie. Cusanus
als Vorgänger Leibnizens, aus d. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. WiM. v. 1852 bes.
abg., Wien 1852, auch in Z.s Stud. u. Kr., I, S. 61—83 wieder abgedr. Jäger, der
Streit des Cardinais N. C. mit dem Herzoge Sigismund von Oesterreich, Innsbruck 1861.
T. Stumpf, d. pidit Ideen des Nie. von Cues, Köln 1865. Vgl. Martini, das Hospital
Cues und dessen Stifter, Trier 1841. Kraus, Verzeichn. d. Handschrftn., die N. C. besass,
in Naumanns Serapeum 1864, Heft 23 und 24, und 1865, Heft 2 — 7. Jos. Klein, über
eine Hdschr. des Nie. v. Cues, Berl. 1866. Clem. Frid. Brockhaus, Nie. Cus. de concilii
universalis potestate sententia, diss. inaug., Lips. 1867. L. Ferri, il cardinale N. di C.
e la filosofia della reli,rione, in: Nuova Antdogia di scienze ecc. Anno VII, Vol. XX,
1872, 100—125. J. B. Lewicki. de cardinalis N. C. pantheismo, Diss. Mfinst. 1873.
Storz, d. specul. Gotteslehre des N. C. in: Theo!. Quartalschrift. Tüb. 1873, S. 1—57,
220—285. Schanz, d. astron. Anschauungen des N. v. C, Rottweil 1873. R. Eucken,
Nicolaus v. Cues, in Philos. Monatsh. Bd. 14, 1878, S. 449—470, auch in d. Beiträgen z.
G. d. n. Ph. Rieh. Falckenbcrg, Grundzfige der Philos. des Nicol. Cusanus mit be-
sonderer Berücksichtigung der L. vom Erkennen (ein Theil davon vorher als Jenens.
Habilitationsschr. erschienen), Bresl. 1880. J. Uibinger, Philosophie d. N. C, I.-D.,
Würzb. 1881.
Ueber Leonardo da Vinci s. Herrn. Grothe, L. d. V. als Ingenieur und Philo-
soph; von Prantl, L. d. V. in philosophischer Beziehung, in: Sitzungsber. d. königl.
bayer. Ak. d. W., philos.-philol. GL, 1885, S. 1—26.
Die Werke des Paracelsus sind Bas. 1589, Strassb. 1616—18, Genf 1658 er-
schienen. Ueber ihn handeln: J. J. Loos im 1. Bande der von Daub und Crcuzer
hrsg. Studien. Kurt Sprengel im 3. Theile s. Gesch. der Physich, Sulzb. 1819. M. B.
Lessing, Par., sein Leb. und Denken. Berl. 1839. Emil Schmeisser. d. Medicin d. Par.
im Zshg. mit s. Philos. dargest , I. D., Berlin 1869. H. Mook. Tb. P., Würzbg. 1876. R.
Eucken, des Par. Lehren v. d. Entwickelung, in: Philos. Monatsh., 1880. S. 321 — 338,
auch in d. Beitr. z. G. d. n. Ph. Chr. Sigwart. Th. Parac, in: Kl. Sehr. I. S. 25—48. R.
Stanelli, d. Zukunftsphilos. des Parac. als Grundlage einer Reformat. f. Medicin u. Natur-
wissenschaften, Wien 1884. E. Schubert und K. Sudhoff, Paracelsus-Forschungen, H. I,
1887. F. Hartmann, the life of P. and substanecs of bis teachings, Lond. 1887. Roh.
Fludd, hist. macro- et microcosmi metaph., physica et technica, Oppenheim 1617. Philos.
Mosaica, Gudae 1638. Bapt. Helmont, opera, Anxt. 1648 u. ö. Franc. Merc. Hel-
mont, opuse. philos., Amst. 1690. Vgl. über J. B. v. Helmont Rixner und Sibers Beitr.
Heft VII. Spiess, H.s System der Medicin, Frankf. 1840. M. Rommelaere, etudes sur
J. B. Helmont, Brüx. 186S. Joh. Marc. Marci a Kronland, ideumm operatricum
idea s. hypothesis et deteetio illius occultae virtutis, quae semina foecundat et ex iisdem
corpora organica producit, Prag 1634: philosophia vetus restituta: de mutationibus, quae
in universo fiunt, de partium universi constitutione, de statu hominis secundum naturam
et praeter naturam, de curatione morborum, Prag 1662. Ueber Marcus Marci handelt
Guhrauer im XXI. Bde. der Fichteschen Zeitschr. für Ph., Halle 1852, S. 241—259.
Cardans Schrift de subtilitate erschien zuerst 1552, de varietate rerum 1556, die
Arcana aeternitatis erst nach seinem Tode in der Sammlung seiner Werke: Hieronymi
Cardani Mediolanensis opera omnia cura Caroli Sponii, Lugduni 1663. Die cardanische
Regel zur Auflösung von Gleichungen des 3. Grades findet sich in der 1543 erschienenen
Schrift: Ars magna s. de regulis algebraicis. Cardan hat eine Selbstbiographie verfasst,
welche schon Bas. 1542, dann fortgeführt ebd 1575 erschienen ist. Seine Naturphilosophie
wird ausführlich dargestellt in den oben citirten Beitr. zur Gesch. der Physiol. von
Rixner und Siber. Heft II. Scaligers gegen Cardans Schrift de subtilitate gerichtete
Exercitationes exotericae erschienen Par. 1557: Cardan hat dagegen eine Apologia ver-
fasst, die den späteren Ausgaben seiner Schrift de subtilitate beigefügt ist.
Von des Telesius Hauptwerke: de natura juxta propria prineipia sind zwei
Bücher zuerst zu Rom 1565 erschienen, die ganze aus neun Büchern bestehende Schrift
(die ersten vier Bücher dieser Ausgabe bestehen aus den früher edirten zwei Büchern)
zu Neapel 1586, dann auch zu Genf 1588 zugleich mit Andr. Caesalpins Quaestiones
peripateticae, einzelne Abhandlungen des Telesius sind in einer Sammlung zu Venedig
erschienen. Ueber ihn und seine Naturphilos. handeln: Fr. Bacon, de prineipiis et
originibus secundum fabulas cupidinis et coeli, s. de Parmenidis et Telesii et praeeipue
§ 6. Naturphilosophie und Theosophie.
31
Democriti philosophia tractata in fabula de Cupidine, in den Gesammtausgg. der Werke
B.s. C. Bartholmess, de B. T., Pari* 1850. Das 3. Heft der oben citirten Beiträge von
Rixner u. Siber. F. Fiorentino, Bernardino T., ossia studi storici sull' idea della
natura nel risorgimento italiano, 2 voli., Firenze 1872—74. L. Ferri, la filos. della
nat. e le dottrine di B. T., Torino 1873.
Franeiscus Patritius hat den Commentar des Philoponus Ober die Metaphysik de»
Aristoteles übersetzt, auch den Hermes Trismegistus und die Orakel des Zoroaster. Seine
eigene Doctrin entwickelt er in der Schrift: Nova de universis philosophia, in qua
Aristotelica methodo non per motum, sed per lucem et lumina ad priniam causam ascen-
ditur, deinde propria Patritii methodo tota in conteinplationem venit divinitas, postremo
methodo Platonica rerum nniversitas a conditore Deo deducitur, Ferrar. 1591, Ven. 1593,
Lond. 1611. Ueber ihn handeln Rixner und Siber im 4. Heft der oben cit. Beiträge.
Sebastian Basso, philos. natur. adv. Arist. libri duodeeim, Par. 1621, auch ebd.
1649. S. Ob. ihn K. Lasswitz, S. 46—55 des Artikels: Giordano Bruno u. d. Atomistik,
Vierteljahrsschr. f. wissenseh. Ph. 8, 1884. C. G. Berigardus, Circuli Pisani seu de
veterum et peripat. philosophia dialogi, Udin. 1643—47. Par. 1661. Sennerti Epi-
tome scientiae naturalis, Viteb. 1618, Physica hvpomnemata, Viteb. 1636, opera omnia,
Par. 1633, 1645, Venet. 1641, 1645, 1651, Lugduni 1650 u. ö. Vgl. K. Lasswitz, die
Erneuerung der Atomistik in Deutschland durch D. S. und sein Zusammenhang mit
Asklepiades von Bithynien, in: Vierteljahrsschr. für wissensch. Ph., 1879, S. 408 — 434.
Unter den Schriften Giordano Brunos sind die, in welchen er zumeist sein
System entwickelt, in italienischer Sprache verfasst: unter denselben ist die bedeutendste:
de la causa, prineipio ed uno, Venet. (oder London) 1584, woraus F. H. Jacobi einen
Auszug seiner Schrift üb. die Lehre des Spinoza (Werke, Bd. IV, Abth. 1) beigefügt
hat: deutsch übers, u. m. erläut. Anm. versehen v. Adf. Lasson in Kirchmanns phil.
Bibl. Heft 151, 152, Berl. 1872; in demselben Jahre erschien: de l'infinito, universo
e mondi. Weniger philosophischen als allegorisch-mystisch-satirischen u. astronomischen
Inhalts sind: spaccio de la bestia trionfante, Parigi (London) 1584, la cena delle ceneri,
Parigi (London) 1584; degli eroici furori, Parigi (London) 1585. Unter den lateinischen
Schriften sind hervorzuheben: Jordani Bruni de compendiosa architectura et eoniple-
mento artis Lullii, Venet. 1580; Par. 1582: de umbris idearum et arte memoriae, Par.
1582. Während er sich in diesen beiden auf Raymundus Lullus stützt, entwickelt er
seine eigenen Gedanken in: de triplici minimo (d. h. über das mathematieche, physi-
kalische und metaphysische Minimum) et mensura ad trium speculatirurum scientiarum
et multarum artium prineipia libri quinque, Francof. 1591; de inonade, numero et figura
Uber, item de inuumerabilibus, immenso et infigurabili seu de universo et mundis libri
octo. Francof. 1591. Die italienischen Schriften hat Ad. Wagner, Leipz. 1829, heraus-
gegeben, die lateinischen theilweise (insbesond. die logischen) A. F. Gfrörer, Stuttg.
1834, neuerdings v. Fiorentino u. A.: Bruni Nolani opera latine conscripta, vol. I u. II,
Napoli 1880 u. 86. Jord. Br. de umbris idearum ed. nov. cur. Salvator Tugini, Ber-
lin 1868.
Ueber Bruno handeln ausser F. H. Jacobi a. a. O. und Schelling in seinem Ge-
spräch: Bruno od. üb. d. natürl. U. göttl. Princip der Dinge, Berlin 1802, insbesondere
Rixner u. Siber in d. ob. angef. Beitr., Heft 5, Sulzb. 1824. Steffens in den nachge-
lassenen Schriften, Berl. 1846, S. 43 — 76. Falkson, G. Bruno (in der Form eines Ro-
mans verfasst), Hamb. 1846. Chr. Bartholmess, Jordano Bruno, Par. 1846 — 47.
F. J. Clemens, Giordano Bmuo und Nicolaus v. Cusa, Bonn 1847. M. Carriere, die
philos. Weltansch. d. Reformationszeit, Stuttg. 1847, S. 365 ff. und in der Zeitschrift
f. Philos. N. F. 54, 1869, S. 128—134. Schaarschmidt, Descartes u. Spinoza, Bonn
1850, S. 181 ff. Job. Andr. Scartazzini, Giordano Bruno, ein Blutzeuge des Wissens,
Vortrag, Biel. 1867. Domenico Berti, vita di G. Bruno da Nola, Turin 1868. Matth.
Koch, Vierzig Sonette von G. Br. übers., erläutert u. mit e. Einleit. versehen, Gymn.
Pr., Stolp. 1870. Hugo Wernekke, Giord. Brunos Polemik geg. d. Aristotel. Kosmo-
logie (Lpz. Diss.), Dresd. 1871. N. Corrazini, di alcuni grandi Italiani dimenticati e
di G. Bruno, Firenze 1873. Pietro Bionda, Giord. B., discorso, Lecce 1873. A. Colocci,
Giordano Bruno, Cenni biografici con documenti, Roma 1876. C. S. Barach, üb. die
Philos. des G. Br., in den Philos. Monatsheften, Bd. 13, 1877, S. 40—57, 179—196.
E. Br. Härtung, Grundlinien einer Ethik bei Giordano Bruno, besonders nach dessen
Sehr, lo spaccio della bestia trionfante, I.-D., Lpz. 1879. D. Berti, documenti intorno
a G. Br. di Nola, Roma 1880. Chr. Sigwart, d. Lebensgesch. G. Br.s, Universitätsprogr.,
Tübing. 1880, Umarbeitung dieses Pr.s: G. B. vor d. Inquisitionsger., in: Kl. Sehr.,
I, S. 49-124. K. H. v. Stein, üb. d. Bedcut. des dichterisch. Elements in d. Philos.
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§ 6. Naturphilosophie und Theosophie.
des G. Br., I.-D., Halle 1881. R. Mariano, G. Br., la vita e l1 uomo, Roma 1881.
Herrn. Brunnhofer, G. Br.s Weltanschauung u. Verhängnis», Lpz. 1882. H. v. Stein,
Ueb. L. u. Person G. Br.s, in: Internationale Monateschr., Bd. 1, 1882, H. 1—3. A.
Lasson, G. B., in: Preuss. Jahrbb., 52, 1883, S. 559—678. K. Lasswitt, G. Br. u. d.
Atomistik, in: Vierteljahrsschr. f. wissenseh. Ph., 8, 1884, S. 18—55. Tb. Dufonr, G.
Br. a Geneve, Geneve 1884. Tbom. Whittakcr, G. Br., in: Mind, IX, 1884, S. 236
bis 2C4. Feliee Tocco, G. Br. Confereuza tcnuta nel circolo philologieo di Firenze,
Firenze 1886. Paris Zejin, G. Br. y su tienipo. Ricardo Fuente, la intoleranza reli-
giosa, Madrid 1886. Levi, Giordano Br. o la religione del pensiero: l'uomo, l'apostolo,
il martire, Torino 1887. J. Frith, life of G. Br. the Nolan, revised by M. Carriere
(engl, and foreign philos. library), Lond. 1887.
Ueber Galileo Galilei handeln u. A.: Max Parehappe, Galilee, Paria 1866. Emil
Wohlwill, der Inquisitionsprocess des G. G., Berlin 1870. Die Litteratur über den Pro-
eess Galileis, die in den letzten Jahrzehnten sehr angesehwollen ist, ist angegeben von
Sehanz in d. Liter. Handweiser, 1879. S. auch dens., Galileo Galilei u. sein Process,
Würzb. 1878. Th. Henri Martin, Galilee, les droits de la seienre et la methodc des
scienees phvsiques, Par. 1868. S. auch von denis. Verf. einen längeren Art. üb. Galilei
im Dictionnaire des scienees philosophiques, 2. ed., Par. 1875. Ciavarini, della filosofia
di G., Firenze 1860. C. Prantl. Galilei u. Kepler als Logiker, in: Sitzungsber. der
baver. Ak. d. Wissensch., phil. bist. Cl., 1875. P. Natorp, G. als Philosopb, in:
Philos. Monatsh. 1S82, S. 193—229. Karl v. Gebler, G. G. u. d. röm. Curie, 2 Bde.,
Stuttg. 1877. H. Grisar, Galileistudien, Regensb. 1882.
Campanella hat in Paris eine (unvollendet gebliebene) Gesammtausgabe seiner
Werke veranstaltet; neuerdings sind die opere di Tommaso Campanella, Torino 1854,
von Alessandro d'Ancona mit einer vorangeschickten Abhandlung über C.s Leben und
Lehre herausgegeben worden. Ueber ihn handeln: Rixner und Siber im 6. Heft der
ob. angef. Beitr. Baldarhiui, vita e filosoßa di Tommaso Campanella, Neapel 1840 — 43.
Mamiani in seinen Dialoghi di seienza prima, Par. 1846. Spaventa. in: Carattere
e sviluppo della ßlos. ital. dul secolo XVI. sino al nostro tempo, Modena 1860. Sträter,
Briefe üb. ital. Philos., in d. Zeitscbr.: der Gedanke, Berl. 1864-65. Silv. Centofanti
im Archivio stor. Italiano, Ser. 3, T. IV. Parte I, p. 1, 1866. Chr. Sigwart, Thomas
Camp. u. seine polit. Ideen, in: Preuss. Jahrb. 1866, Bd. 18, S. 516—546, wieder auf-
genommen in: Kl. Sehr., I, S. 125—181. D. Berti, nuovi documenti di T. C, Roma
1881. Luigi Amabile, Fra Tommaso C. e la sua congiura, i suoi processi e la sua
pazzia, 3 vol., Napoli 1883.
Vaninis Ampbitheatrum aeternae providentiac erschien Lugd. 1615; de admirandis
naturae reginae deaeque mortalium arcanis libri quatuor, Par. 1616. Ueber ihn bandelt
W(ilh). D'av). F(uhrmann), Leben und Schicksale, Cbarakt. u. Meinungen des L. V ,
e. Atheisten im 17. Jahih., Lpz. 1800; ferner: Emile VaTsse, L. V., sa vie, sa doctrine,
sa mort, Extrait des Menioir. de l'Acad. imp. des sc. de Toulouse. J. Toulan, etude sur
Lueilio Vanini condamne et execute u Toulouse le 9 Fevrier 1619 comine coupable
d'atdeisme, Strassb. 1869. A. Baudouin, histoire critique de Jul. Ces. V., dit Lueilio,
in: Rev. philos., Bd. 8, 1B79, S. 49— 71, 157—178, 259—290, 387—410. G. Cattaneo,
Idee di V. sulf origine ed evoluzione degli organismi, in: Rivista della fil. scienüfica,
vol. IV, 1885.
Jak. Böhmes 1612 verfasste Hauptschrift ist unter d. Tit: „Aurora oder die
Morgenröthe im Aufgang'" zuerst 1634 im Auszüge, vollständiger Amsterdam 1656 u. ö.
gedruckt worden. Alle anderen Schriften hat Böhme 1619 — 24 verfBSSt. Zuerst ist,
noch zu B.s Lebzeiten, der »Weg zu Christo", Görlitz 1624, erschienen. Böhmes
Schriften sind grösstentheils zu Amsterdam einzeln gedruckt worden, gesammelt durch
Gichtel, ebd. 1682, wiederabg. Hamburg 1715 und s. I. 1730, neuerdings heraus-
gegeben durch K. W. Schiebler, Leipzig 1831—47, 2. Aufl., 1861 ff. J. Böhme, sein
Leb. u. seine theosoph. WW. in geordnet. Auszuge mit Einleitung, u. Erläuterung,
durch J. Ciaassen, 1 Bd., Stuttg. 1886. Mehrere Schuften Böhmes sind durch Louis
Claude St. Martin, der von 1743 — 1804 lebte, ins Französische übersetzt worden;
l'aurore naissante, les trois prineipes de l'essence divine, de la triple vie de l'homme,
auch quarante questions sur l'äme, avec une notice sur J. B., Paris 1800. (Ueber
St. Martin, dessen Dichtungen F. Beck, München 1863, übersetzt und erläutert hat,
handelt Franz v. Baader im 12. Bde. seiner sämmtl. Werke, herausg. v. Frhr. v. Osten-
Sacken, Leipzig 1860, ferner Matter, St. Martin, le philosophe inconnu, Par. 1862,
2. ed. 1864.) — Ueber Jak. Böhme handeln: Ahr. Calov, Anti-Böhmius, Witt. 1684.
Erasm. Francisci, Gegenstrahl der Morgenröthe, Nürnberg 1685. Adelung in s. Gesch.
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§ 6. Naturphilosophie und Theosophie.
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der menschl. Narrheit, II, 8. 210 ff. J. G. Ratze. Blunienlese aus B.s Schriften, Leipz.
1819. A. E. Unibreit, J. B., Heidelb. 1835. W. L. Wullen, J. B.* Leb. u. Lehre,
Stuttg. 1836; Blüthen aus B.s Mystik, Stuttg. 1838. Fr. v. Baader, Vöries, über B.»
Theologumena und Philosopheme, in Baaders sümmtl. Werk., III. 357 — 436. Vöries, u.
Erläut. äb. J. B.s Lehre, hrsg. v. Hamberger, in B.s sämnitl. W., XIII. Hamberger,
d. Lehre des deutsch. Philosophen J. B., Münch. 1844 (im Anschluss an Baader ver-
fasst). Mor. Carriere, d. phil. Weltansch. d. Relormationszeit, S. 607 — 725. Chr. Ferd.
Baur, z. Gesch. d. prot. Mystik, in: Theol. Jahrb. 1848, S. 453 ff., 1849, S. 85 ff.
H. A. Fechner, J. B., s. Leb. u. s. Schriften, Görlitz 1857. Alb. Peip, J. B., der
deutsche Philosoph, d. Vorläufer christl. Wiss., Leipz. 1850. Adolf v. Harles«, J. B.
und d. Alchymisteu, nebrt e. Anhang über J. G. Gichteis Leben und Irrthümer.
Berl. 1870, 2. Ausg. Leipz. 1882. E. Elster, J. B., in: Ztechr. der ges. luth. Theol.,
35. Jahrg., 1874, S. 264—276. M. Schönwälder. Rede (aus d. „ Neuen Lausitzischen
Magazin", Bd. 52), Görlitz 1876. C. Henrich Scharling, J. Böhmes Theosophie, en
religionsphilos. og dogmatisk undersogelse, Kjbnh. 1879. H. Martensen, J. B.. Thensoph.
Studien, deutsche Ausg. v. A. Micbelscn, Lpz. 18S'_\
Nicolaus der C usaner (Nicol. Chrypffa oder Krebs), geb. 1401 zu Kues
au der Mosel im Trierscheu, also ein Deutscher, erhielt seine Jugendbildung zu
Deveuter bei den Brüdern des gemeinsamen Lebens, studirte zu Padua die Rechte
und die Mathematik, wandte sich dann aber der Theologie zu, bekleidete geistliche
Aemter, nahm am Concil zu Basel Theil, ward 1448 Cardinal, 1460 Bischof von
Brixen, starb 1464 zu Todi in Umbrien. Er nimmt eine Mittelstellung zwischen der
Scholastik und der Philosophie der Neuzeit ein. Mit der Scholastik vertraut, jedoch
aach voll regen Antheils an dem neuaufkommenden Studium des classischen Alter-
thums, insbesondere des Piatonismus, steht er, wie grossentheils schon die Nomi-
nalisten, nicht mehr in der Ueberzeugung der Beweisbarkeit theologischer Fundamen-
talsätze durch die schulmässig ausgebildete Vernunft. Seine Weisheit ist die
Erkenntniss des Nichtwissens, die er in der (1440 verfassten) Schrift de docta
ignorantia darlegt (der Ausdruck docta ign. findet sich schon bei Bonaventura).
In der sich an dieselbe anschliessenden Schrift de conjecturis erklärt er alles mensch-
liche Erkennen für ein blosses Vermutheo. Mit den Mystikern geht er über den
Zweifel und über das Unadäquate menschlicher Begriffe in der Gotteslehre hinaus
durch die Annahme einer unmittelbaren Erkenntniss oder Anschauung Gottes
(intuitio, speculutio, visio sine comprehensione, comprehensio incomprehensibilis),
indem er sich au die neuplatonische Doctrin von der Erhebung über die End-
lichkeit durch Ekstase (raptus) anschliesst. Er lehrt, dass die intellectuelle An-
schauung (intuitio intellectualis) uuf die Einheit des Entgegengesetzten gehe (welches
in der pseudo-dionysischeu Mystik angelegte Princip Bchon in Eckharts Schule
hervortritt und später auch von Bruno wieder aufgenommen wird). Aber auch mit
der skeptischen und mystischen Richtung verbindet sich bei Nicolaus die auf Be-
obachtung und Mathematik basirte mechanische und astronomische Forschung; in
deren Eiufiuss auf seine philosophische Gedankenbildung ist die wesentliche Gemein-
schaft seiner Doctrin mit der Philosophie der Neuzeit begründet. Schon 1436 hat
Nicolaus eine Schrift de reparatione Calendarii verfasst, worin er eine der grego-
rianischen analoge Kalenderreform vorschlägt; seine astronomische Doctrin enthält
den Gedanken einer Axendrebung der Erde, durch den er ein Vorläufer des
Copernicus geworden ist (dessen Schrift de revolutionibus orbium coelestium
mit einer Vorrede von Oslander und der Widmung au den Papst, Paul III., zu
Nürnberg 1543 erschien; vgl. über ihn u. A. Franz Hipler, Nie. Cop. u. Martin
Luther, Braunsberg 1868. D. Berti, Copernico e le viceude del sistema copernicano
in Italia nella seconda metä del secolo 16° e nella prima del 17°, con documenti
inediti intomo a Giordano e Galileo Galilei, Roma 1876, Natorp, die kosmolog.
Reform des Cop. in ihrer Bedeut. f. d. Philosophie, in: Preuss. Jahrbücher, Bd. 49,
f«borweK-H.-intp, (hmdiisi III. 7. Aufl. 3
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5 6. Naturphilosophie and Theosophie.
S. 356—375, Leop. Prowe, Nie. Coppernicus. I. Bd., 2 Theile, das Leben, Berl.
1883, 2. Bd., Urkunden, 1884). Im Zusammenhang mit der Doctriu der Erdbewegung
gelangte der Cusaner zu der Annahme einer zeitlichen und räumlichen Uh-
begrenztheit des Universums, wodurch er die mittelalterliche Gebundenheit
der Weltanschauung an die Grenze des anscheinenden Fixsterngewölbes überschritt.
In der philosophischen Ausführung seiner Gottes- und Weltlehre achliesst
sich Nicolaus Cusanus vielfach an die pythagoreische Zablenspeculation und an die
platonische Naturphilosophie an. Gott ist das absolute Maximum, er umfasst als
das Grösste Alles, wird durch nichts begrenzt, Raum, Zeit, Bewegung finden sich
nicht an ihm. Er ist auch zugleich das Minimum, indem er in Allem ist. Er bildet
die Substanz der Dinge, das an ihnen, was wahrhaft ist. Es kommt ihm absolut«*
Nothwendigkeit zu, während alles Andere von ihm abhängt. Er ist dreifache
Ursache für alles Seiende (causa efficiens, formalis, finalis, deus est tricausalis), er
ist die reine Wirklichkeit (purissimus actus, infinite actualites), immateriell, er ist
Einheit ohne Anderheit (das JrV, das ravW ohne das ertQov), aber dreieinig, da er
zugleich denkendes Subject, Denkobject und Denken (intelligens, intelligibile, in-
telligere) ist. Als unitas, aequalitas und connexio ist er Vater, Sohn und Geist .
Ab unitate gignitur unitatis aequalitas; connexio vero ab mutete procedit et ab
aequalitete. Da Gott Alles in sich fasst, hat er auch die Gegensätze in sich, er ist
die complicatio omnium etiam contradictoriorum , er ist die oppos Horum coin-
cidentia. Er ist das absolute Können, d. h. die Allmacht (possibilitas absolute),
absolutes Wissen, absolutes Wollen, jegliche Tugend. Er ist die Wahrheit und das
höchste Gut für die Menschen. Aber er ist dies Alles eher nicht, als dass er es ist.
Nach der negativen Theologie, die Nicolaus bevorzugt, ist er nur unendlich
(negationes sunt verae, affirmationes inBufficientes in theologicis). Sein wahreH
Wesen ist nicht zu fassen, nicht auszusprechen (sapientia non aliter scitur, quam
quod ipsa est omni scientia altior et inscibilis, ineiTabilis, iuintclligihilis, im-
proportionabilis, inapprehensibilis etc.), er überragt das Seiende, den Geist, das
Eine. Nur durch Nichtwissen wissen wir ihn (non accedi potes deus, qui es in-
finites, nisi per illum, qui seit se ignorantem tui). Hier tritt das unmittelbare
Schauen ein, in Betreff dessen sich aber manche Widersprüche in den Schriften
des Cusanus finden.
Was nun die Gottheit complicirt enthält, das zeigt die Welt explicirt (expli-
catio): sie ist die veränderte in Vielheit getheilte Einheit. Die Zahl ist dem Nico-
laus Cusanus die ratio explicate. Er sagt: rationalis fabrica naturale quoddam postu-
lans prineipium numerus est. Auch die Körperwelt ist die Entfaltung des Punktes.
Die ganze Welt ist ein Abbild Gottes, sogar die Dreieinigkeit spiegelt sich in ihr
ab (mundus trinus: foecundites, proles, amor), sowie in dem Geiste (trinites intel-
lectualis: foecundites, notitia seu coneeptus, amplexus seu volnntas); und mit Piaton
hält er die Welt für das Beste unter dem Gewordenen; auch jedes einzelne Ding
ist in seiner Art vollkommen. Die Welt ist ein beseeltes, gegliedertes, fortlaufendes
Ganzes, und Gott ist mit der Fülle seiner Kraft überall gegenwärtig. In der Welt
ist jedes Einzelne an seiner bestimmten Stelle, nimmt eine bestimmte Stufe ein und
kann durch nichts ersetzt werden. Jedes Ding spiegelt an seiner Stelle das Uni-
versum; es enthält der Anlage nach die ganze Realität und kann sieh ins Unend-
liche entfalten, und jedes Wesen bewahrt sein Dasein vermöge der Gemeinschaft
mit den andern. Alles ist In allem und jedes in jedem, es ist jedes Ding eine be-
sondere Contraction des Ganzen (omnis res acte existens contrahit uni versa, ut sint
acte id quod est). Vollkommener als in den übrigen Wesen spiegelt sich in dem
Menschen die Welt: dieser ist in Wahrheit ein parvus mundus. Unsere Aufgabe
ist die Selbstvervollkommnung, d. h. zur Entwicklung zu bringen, was in uns
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§ »J. Naturphilosophie and Theosophie.
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potentiell enthalten ist, den Lebensinhalt immer reicher zu entfalten. Da dies
Streben nie zu Ende gelangt, werden wir durch dasselbe der Unsterblichkeit des
Geistes sicher. Daneben kommt es darauf an, ein Jegliches nach seiner Stelle in
der Stufenordnung des Ganzen zu lieben. Auch die Sehnsucht nach dem Absoluten
erfüllt uns. Liebe zu Gott ist Einswerden mit Gott. In dem Gottmenschen ist der
Gegensatz des Unendlichen und Endlichen vermittelt.
Bedeutung für die Naturwissenschaften, namentlich für Mechanik und Optik,
hat Leonardo da Vinci (1452—1519), der auch in der Erkenntnisslehre vorge-
schrittene Ansichten äussert. Alle unsere Erkenntniss beruht nach ihm auf Er-
fahrung: jedoch sind die Sinneseindrücke nur das Material, das durch Vernunft zu
Erkenntnissen verarbeitet wird. Die betrachtende Vernunft steht ausserhalb der
Sinne. Zur Sicherheit kommt das Wissen nur da, wo sich Mathematik anwenden
lässt, und die Mechanik ist das Paradies der mathematischen Wissenschaften.
Materie und mathematische Beweise bilden den Bestand der Naturwissenschaften,
indem man bald von den Ursachen auf die Wirkungen, bald umgekehrt schliesst.
Von L.s sachlichen Lehren sei nur die erwähnt, die wir dann bei Telesius und bei
Spinoza als bedeutungsvoll kennen lernen werden, dass jedes Ding sich in seinem
Sein zu erhalten trachtet (naturalmente ogni cosa desidera mantenersi in suo essere).
Bei den Piatonikern der nächstfolgenden Zeit, namentlich bei denen, die
auch die Kabbala hochhielten, wie bei Picus von Mirandola und Reuchlin und
besonders bei Agrippa von Nettesheim, auch bei Franciscus Georgias Venetus
(F. G. Zorzi aus Venedig), dem Verfasser einer Schrift: de harmonia mundi totius
cantica (Ven. 1525), giebt sich ein Miteinfluss der neuaufkommenden Mathematik
und Naturforschnng kund, obschon die durch Naturkenntnisa vermittelte Ein-
wirkung auf die Natur sich meist (namentlich bei Agrippa) in die Form der Magie
kleidet. Auch dem damals sich weit verbreitenden astrologischen Glauben (den
auch Melanchthon theilte) lag das in mystische Form sich kleidende Bewusstsein
einer von Gott in die Dinge gelegten Naturcausalität zu Grunde. Die Verbindung
von selbständiger Naturbetrachtung und Theosophic erscheint aber zu jener Zeit
am ausgeprägtesten bei Philippus Theophrastus (Bombast) Höhener oder von Hohen-
heim, der sich (den Namen Höhener oder von Hohenheim übertragend) AureoluB
Theophrastus Paracelsns nennt (geb. 1493 zu Einsiedeln in der Schweiz, gest. 1541
zu Salzburg). Er trennt sehr bestimmt die Philosophie, die nur erkannte .unsichtige"
Natur ist, von der Theologie. Als Quelle für letztere gilt ihm nicht das natürliche
Licht, sondern die Offenbarung in der heiligen Schrift. All unser Wissen ist nichts
als Selbstoffenbarung der Natur, es kommt darauf an, die Natur zu belauschen.
Er legt deshalb viel Werth auf Experimente, zu denen freilich die ecientia. die
Speculation, hinzutreten muss, damit eine wahre experientia daraus werde. Gegen-
stände des Wissens sind die grosse (Makrokosmus) und die kleine Welt (Mikro-
kosmus), der Mensch. Dieser ist das Letzte in der Schöpfung, Gottes eigentliche
Absicht, und man kann die Welt nur erkennen, indem man aus dem Menschen die
Geheimnisse der Natur herausliest. Andererseits ist er wieder nur durch die Welt
zu verstehen. Alle Wesen, und so auch der Mensch, bestehen aus einem elemen-
tarischen, irdischen, sichtbareu und einem himmlischen, astralischen, unsichtbaren
Leib, welcher letztere, spiritus genannt, aus dem siderischen Reiche stammt Dieses
ist selbst unsichtbar, hat aber an den sichtbaren Sternen seinen Körper. Alle
Kunst, alle weltliche Weisheit hat in dem spiritus ihren Sitz. Bei dem Menschen
kommt zu diesen beiden noch die von Gott (aus der „dealischen* Welt) stammende
und im Herzen ihren Sitz habende Seele hinzu, auf deren Entscheidung die mora-
lische Qualität des Menschen beruht. Die Med i ein, welche Paracclsus, indem
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§ 6. Naturphilosophie und Theonophie.
er den Galen and Avicenna bekämpfte, vornehmlich zu reformiren sachte, ist nach
ihm die höchste Wissenschaft, da sie das Wohl des Menschen zu befördern strebt,
und muiis zu Grundpfeilern haben die drei Wissenschaften der Philosophie, der
Astronomie, der Theologie, da der, Mensch den erwähnten drei Welten angehört.
Die Medicin ist aber nicht nur Theorie, sondern auch Praxis, and so muss sie su
viert auf eine Wissenschaft sich gründen, die praktische Anweisungen giebt; diese
ist die Alchymie, die eine grosse Rolle spielt, und in deren Betreiben Paracelsus
nicht nur za Abenteuerlichkeiten kam, sondern auch theil weise wohl zum Charlatau
wurde. — Die Elemente sind dem Paracelsus nicht einfacher Natur, sondern be-
stehen aus drei Grundsubstanzen, die in alehymistischen Schriften als solche ge-
nannt werden, aus Mercurius, Sal, Sulphur. Während in den Elementen eine Natur-
kraft, Vulcanus, herrscht, durch welche die einzelnen Dinge entstehen, waltet in
jedem dieser wieder eine besondere Kraft, Archeus, „Regierer*, genannt, nicht als
persönlicher Geist, vielmehr unbewusst wirkend. Die Krankheiten sollen nuu viel-
mehr durch Anregung und Kräftigung dieses Lebensprincips iu seinem Kampfe
gegen das Krankheitsprincip und Entfernung der Hindernisse, als durch directe
chemische Gegenwirkungen geheilt werden. Es soll nicht das Kalte durch das
Warme, das Trockene durch das Feuchte bekämpft, sondern die schädliche Wirkung
eines Princips durch seine wohlthätige vernichtet werden (eine Anticipation der
homöopathischen Doctrin). Die paracelsische Richtung theilt im Ganzen u. A.
Robert Fludd (de Fluctibus), geb. 1574, gest. 1637, ferner der bedeutende Chemiker
Joh. Baptista van Helmont, geb. 1577, gest. 1644 in Vrilvorden bei Brüssel.
Nach ihm geschieht in der Natur nichts durch äussere Ursachen, sondern Alles
durch innere, und zwar giebt es deren zwei: die äussere Materie, der fluor geue-
rativus als Substanz aller Dinge, das initium ex quo, und als das gestaltende Princip
die unvergängliche Zeugungskraft der Elemente, aus welcher die allen Dingen ein-
wohnende aura seminalis entsteht, das initium per quod. — Für den dritten Aggregat-
zustand hat er das Wort „Gas* eingeführt. — Er nähert sich in seinen Ansichten
schon der Corpusculartheorie. Sein Sohn Franc. Mercurius van Helmont, geb.
1618, geet. nach einem abenteuerlichen Leben 1699 in Berlin, stellte, polemisirend
gegen Descartes und Spinoza eine vielfach an die Monadenlehre Leibnizens er-
innernde Doctrin auf, der freilich der wissenschaftliche Zusammenhang fehlt Alles
besteht den letzten Theilen nach aus Monaden, die aber auf verschiedenen Stufen
der Entwickelung stehen. Die Seele umfasst viele Monaden und beherrscht diese
als Ceutralgeist. Monaden, die erst Theile eines Leibes waren, können allmählich
zu dem Range von solchen Centren gelangen. Zu nennen ist hier noch Marcus
Marci von Kronland (gest 1665 in Prag?), der die platonisch-stoische Doctrin der
ideae operatrices, oder semiualcs, erneuerte.
Hieronymus Cardanus (1501—1576), Mathematiker, Arzt und Philosoph,
schlichst sich in der Verschmelzung der Theologie mit der Zahlenlehre an Nicolaus
Cusanus an. Er schreibt der Welt eine Seele zu, die er mit Licht und Wärme
identificirt. Alles soll durch natürliche Causalität erklärt, also auf Naturmechanismus
zurückgeführt werden. Elemente giebt es nur drei: Waaser, Erde, Luft. Das Feuer
ist keine Substanz, sondern nur ein Accidens. Es wird durch die Wärme, diese aber
durch die Bewegung hervorgebracht. Dem Cardanus gilt die Wahrheit als nur
Wenigen zugänglich. Die Menschen theilt er in drei Classen ein: bloss Betrogene,
betrogene Betrüger und nichtbetrogene Nichtbetrüger. Die letzten sind die Weisen.
Dogmen, die ethisch-politischen Zwecken dienen, soll der Staat durch strenge Ge-
setze und harte Strafen aufrecht erhalten; denkt das Volk über die Religion nach,
so entstehen daraus nur Tumulte. (Nur die Offenheit des Bekenntnisses zu dieser
Doctrin ist dem Cardanus eigenthümlich; thatsächlich hat jede ideell überwundene,
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§ 6. Naturphilosophie und Tbeosophie.
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äußerlich aber noch herrschende Macht dieselbe befolgt) Den Weisen freilich binden
diese Gesetze nicht; für sich selbst folgt Cardanus dem Grundsatze: veritas omnibus
anteponenda neqne impium duxerim propter illara adversari legibus. Uebrigens war
Cardanus ein Visionär und voll kindischen Aberglaubens und sucht auch die
Geistererecheinungen in den Zusammenhang der Naturgesetze einzureihen. Sein
Gegner Julius Caesar Scaliger (1484— 1558), ein Schüler des Pomponatias, urtheilt
über ihn: eum in quibusdam interdum plus homine sapere, in plurimis minus quovis
puero intelligere.
Bernardinus Telesius. geb. zu Cosenza 1508, gest. ebend. 1588, ist einer
der Begründer der Philosophie der Neuzeit geworden durch sein Unternehmen, die
aristotelische Philosophie nicht zu Gunsten des Piatonismus oder eines andern antiken
Systems, sondern eigener Naturforschung zu bekämpfen; jedoch lehnte er sich bei
demselben an die vorsokratische, besonders an die von Parmenides (freilich nur als
Lehre vom Schein) aufgestellte Naturphilosophie an. Lediglich auf Erfahrung soll
die Erkenntniss sich gründen, da der reine Verstand durch sich selbst zu ihr nicht
kommen könne. Das Erkennen durch Schlüsse gilt ihm höchstens als Vorahnung der
Wahrheit, für welche die Verificirung durch die Erfahrung noch verlangt wird.
Freilich wandte er selbst diese Principien bei seiner Construction der Natur nicht
hinreichend an. Die Erfahrung lehrt nach Telesius zunächst den Gegensatz zwischen
dem Himmel mit seinen Wärme ausstrahlenden Gestirnen und der Erde, von der
nach Sonnenuntergang Kälte ausgeht. So giebt es zwei thätige Principien, nämlich
Wärme und Kälte, ausser diesen noch ein Körperliches (corporea moles), das. der
Quantität nach stets gleich bleibend, der Ausdehnung und Verdünnung durch die
Wärme, der Verdickung und Zusammenziehung durch die Kälte ausgesetzt ist. Die
Wärme erzeugt alles Leben und alle Bewegung, die Kälte Starrheit und Ruhe.
Diese beiden Principien stehen fortwährend im Kampfe mit einander: zuerst ent-
standen auf diese Art Himmel und Erde, sodann alle übrigen Dinge. Der Geist
(spiritus) in dem tbierischen und menschlichen Körper, welcher die einzelnen Theile
zusammenhält und Bewegung hervorbringt, ist ein feiner Stoff, aus Wärme be-
stehend, der sich vermittelst der Nerven durch den ganzen Körper verbreitet, im
Gehirn aber seinen eigentlichen Sitz hat. Bei dem Menschen kommt noch als
, forma superaddita* die unsterbliche, unmittelbar von Gott gegebene Seele hinzu,
welche die Form des Leibes und des Geistes zugleich ist. Doch wird die Lehre
von dieser Seele nicht organisch mit dem sonstigen System des Telesius verbunden.
— Auf ethischem Gebiete stellt Telesius Sätze auf, die stark an den Naturalis-
mus Spinozas erinnern: das ganze Streben des Menschen geht nach Selbeterhal-
tuug, um derentwillen er alles Andere begehrt. Freude ist das Gefühl der Selbst-
erhaltung, Liebe entsteht zu dem, was die Selbsterhaltung fördert, Hasa gegen
das, was sie hindert. Die Cardinaltugenden : sapientia, solertia, fortttudo, benignitas,
zeigen sich darin, dass der Mensch nach verschiedeneu Seiten seines Wesens den
Trieb, sich selbst zu erhalten, erfüllt. — Telesius gründete zu Neapel, wo er lange
Jahre gelebt hat, eine naturforschende Gesellschaft, die Academia Tel es i an a
oder Consentina, nach deren Muster später viele andere gelehrte Gesellschaften
sich gebildet haben. Fr. Bacon nennt ihn den Ersten unter den Neuen.
Franciscus Patritius, geb. zu ClisBa in Dalmatien 1529, 1576—93 Lehrer
der platonischen Philosophie zu Ferrara, gest. zu Rom 1597, hat den Neuplatouis-
mus mit telesianischeu Ansichten verschmolzen, hat aber selbst nur ein unklares
ins Mystische hinüberspielendes System aufgestellt, dessen Hauptgedanke der von
der Belebtheit des Universums ist. In seinen Discussiones peripateticae, quibus
Aristotelicae pbilosophiae universae historia atque dogmata cum veterum placitis
collata eleganter erudite declarantur, pars I— IV, Venet. 1571-81, Baail. 1581,
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§ 6. Naturphilosophie und Theouophie.
erklärt uud bekämpft er zugleich die aristotelische Doctrin. Viele als aristotelisch
uberlieferte Schriften hält er für unecht. Er hegte den Wunsch, dass der Papst
durch seine Autorität den Aristotelismus unterdrücken und den modificirten Platonis-
mus, die von ihm ausgebildete Lichtemanationsdoctrin, begünstigen möge.
In der Bekämpfung der aristotelischen Physik und Metaphysik und dem Ver-
such einer Reformation dieser Doctrinen kommen mit Telesius und Patritius in
etwas späterer Zeit unter Andern auch überein: Sebastian Basso (Philosophie
naturalis adv. Aristotelem, Geneve 1621), dessen mathematische Atomistik sehr an
die Giordano Brunos erinnert, Claude Guillermet de Berigard (oder Bauregard,
der noch um 1667 eine Professur zu Padua bekleidete, Circuli Pisani seu de veteri
et Peripatetica philosophia dialogi, Utini 1643). Dan. Sennert (1572—1637, s.
ob. § 3, S. 18) stellte eine Art Corpusculartheorie schon auf. Er unterscheidet die
atoma corpuscula, welche so weit getheilt sind, als es die Natur zulässt, und aus
denen die zusammengesetzten Körper entstehen, von den Elementaratomen, deren
es vier Arten nach den vier Elementen giebt. Die ersteren sind die prima mixta,
und man muss sich die Ansicht Sennerts wohl so vorstellen, dass diese aus Ele-
mentarst ui neu bestehen, wiewohl er dies nicht klar ausspricht. Alle Atome haben
nun bestimmte Formen oder Gesetze von vornherein, die unveränderlich sind, und
nur auf der Bewegung der Atome oder Corpuscula beruht alle Veränderung, auch
die scheinbar qualitative. Und zwar ist die Ursache für die Vereinigung der
Atome in den Formen zu sehen, in denen Gott diese von Anfang an so gestaltet
hat, dass ihnen gemäss die kleinsten Theilchen zusammenpassen. Gegen den blinden
Zufall, durch den die Atome zusammengeführt werden und die Einzeldinge bilden,
spricht sich Sennert bestimmt aus.
Unter den oben (§ 3, S. 12—17) genannten Aristotelikern ist hier als selb-
ständiger philosophischer Forscher der den averroistischen Aristotelismus zum
Pantheismus fortbildende Andreas Caesalpinus (1519—1603) von Neuem zu er-
wähnen.
Giordano Bruno, geb. 1548 zu Nola im Neapolitanischen, hat die Doctrin
des Cusanere in einem antikirchlichen Sinne fortgebildet. In Neapel erhielt er den
Jugendunterricht in den Humanitätsstudien und in der Dialektik. In den Dominicaner-
ordeu eingetreten, verliess er denselben, als er zu einer dem Dogma widerstreitenden
Ueberzeugung gelangt war, 1576, begab sich ins Genuesische, du hu nach Venedig,
bald darauf nach Genf, dessen reformirte Orthodoxie ihm jedoch ebensoweiüg wie
die katholische zusagte, dann über Lyon nach Toulouse, Paris, Oxford und London .
Ein von ihm während seines Aufenthalts in London, der von 1583—86 dauerte, ver-
fasstes Lustspiel -II Candelajo" und vielleicht auch andere Schriften Brunos hat
nach der Annahme von Falkson, G. Bruno, S. 289, und von Benno Tschischwitz,
Sh.s Hamlet, Halle 1868, Shakespeare kennen gelernt und einzelne Gedanken Brunos,
wie über Unzerstörbarkeit der Elementarthelle und über die Relativität des Uebels,
dem dänischen Prinzen in den Mund gelegt. Bruno reiste danach über Paris nach
Wittenberg, von dort nach Prag, Helmstädt, wo er wie in Wittenberg Vorlesungen
hielt, hierauf nach Frankfurt am Main, wo er nur kurze Zeit blieb, dann nach Zürich
und Venedig. Hier am 23. Mai 1592 auf die Denunciation des Verräthers Mocenigo
hin von der Inquisition verhaftet, ward er 1593 nach Rom ausgeliefert, erduldete
hier noch eine siebenjährige Gefangenschaft im Kerker der Inquisition und wurde,
da seine Ueberzeugung ungebrochen blieb und er eine heuchlerische Unterwerfung
mit edler Wahrheitstreue verschmähte, zum Scheiterhaufen verurtheilt (mit der ge-
wöhnlichen lügnerischen Formel, er werde der weltlichen Obrigkeit übergeben mit
der Bitte, ihn bo gelinde wie möglich und ohne Blutvergiessen zu strafen). Bruno
erwiderte seinen Richtern: Ihr mögt mit grösserer Furcht das Urtheil fällen, als
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§ 6. Naturphilosophie und Theoeophie.
39
ich es empfange. Er ward zu Rom auf dem Campofiore am 17. Februar 1600 ver-
brannt Zeit seines Lebens ein unstäter Geist, wurde er ruhelos von Ort n Ort ge-
trieben, stand überall im Kampfe mit dem Bestehenden, ist wohl auch nicht frei-
zusprechen von Ruhmsucht. Das befreite Italien hat ihn durch eine Statue in
Neapel geehrt, vor welcher am 7. Januar 1865 Studenten die päpstliche Encyclica
vom 8. December 1864 verbrannten.
Mit dem copernicanischen Weltsystem, dessen Wahrheit ihm zur Ge-
wissheit geworden war, fand er das Dogma in dessen kirchlicher Fassung unver-
träglich, wie auch andererseits bald hernach (am 5. März 1616) durch die Index-
Congregation die copernicanische Doctrin (die anfangs von Seiten der kirchlichen
Autorität nicht mit Ungunst aufgenommen worden war) bezeichnet wnrde als eine
Meinung, die sich zu verbreiten beginne »in perniciem catholicae veritatis" und als
„falsa illa doctrina Pythagorica, Divinaeque Scripturae omnino adversans«. Bruno
erweitert die copernicanische Doctrin. nun ist das Universum unendlich nach
Zeit und Raum (vgl. schon Nicolaus Cusanus), unser Sonnensystem eine Welt neben
unzähligen (für welche Lehre er sich auch auf Epikur und Lucretiua beruft), Gott
ist die dem Universum immanente erste Ursache; Macht, Weisheit, Liebe sind seine
Attribute. Die Gestirne werden nicht durch einen primus motor, sondern durch die
ihnen selbst innewohnende Seele bewegt. Bruno bekämpft den Dualismus von
Materie und Form; nach ihm fallen im Organismus nicht nur Form, bewegende
Ursache und Zweck unter einander, sondern auch mit der Materie in Eins zusammen.
Der unendliche Aether, welcher den unendlichen Raum erfüllt, birgt in sich selbst
das Ziel aller Entwickelung, die Keime aller Einzeldinge, und lässt letztere aus sich
nach bestimmten Gesetzen, aber auch bestimmte Ziele verfolgend, also nach festen
Begriffen hervorgehen, wie der Urstoff in der stoischen Philosophie auch die sich
später nach Gesetzen der Vernunft entwickelnden Keime in sich trägt. Formen
ohne Materie haben kein Sein, nur in der Materie entstehen und vergehen sie, die
Materie allein ist die Quelle aller Actualität. Die Form ist die den Dingen inne-
wohnende Seele oder der Geist, und so findet sich in allen Dingen Geist, Seele,
Üben. Von Gott, d. h. der höchsten Ursache, dem Princip und dem Einen, muss
Alles ohne Unterschied ausgesagt werden: in ihm sind alle Gegensätze zu finden,
alles Denkbare und Mögliche ist in jedem Punkte seines Wesens. Er ift das Maximum,
weil Alles aus ihm, und das Minimum, weil Alles in ihm ist, er ist das Einfache
und das Mannigfaltige. Begreifen kann ihn ein endlicher Geist nicht, weil ein
solcher die Gegensätze nicht vollständig zu überwinden vermag, sondern nur zu
einer species intelligibilis von ihm gelangen. Diese kommt nur dadurch zu Stande,
dass die Vernunft sich selbst betrachtet und dann die Einheit, die sie in sich
wahrnimmt, auch in der objectiven Welt als vorhanden denkt. Die drei „Personen"
der Gottheit reducirt Bruno auf die drei Attribute: Macht, Weisheit, Liebe. Das
Dogma, dass die zweite Person menschliches Fleisch angenommen habe, gilt ihm
uls philosophisch unverständlich; aber er nimmt eine Gegenwart göttlichen Wesens
in dem Stifter des Christenthums an, wofür, mehr als die Wunder, das Sittengesetz
des Evangeliums zeuge. Die Welten hat Gott nicht durch einen Act der Willkür,
sondern mit innerer Nothweudigkeit, eben darum aber auch ohne Zwang, also mit
Freiheit, aus sich hervorgehen lassen; sie sind die gewordene Natur (natura naturata),
Gott ist die wirkende Natur (natura naturans). Gott ist in den Dingen so gegen-
wärtig, wie das Sein dem Seienden, die Schönheit den schönen Objecten. Jede der
Welten ist in ihrer und jedes Wesen in seiner Art vollkommen; es giebt kein ab-
solutes Uebel: nur in Bezug auf Anderes besteht der Unterschied zwischen gut und
übel. Alle Einzelwesen sind dem Wechsel unterworfen, das Universum aber bleibt in
seiner absoluten Vollkommenheit stets sich selbst gleich. Bruno selbst war von edler
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§ 6. Naturphilosophie und Theosophie.
und tiefster Begeisterung für das Universum oder die Natur ergriffen. Mit dem
Aufgehen in das All ist nach ihm das seligste Entzücken verbunden. Liebt ein
Weib, ruft er aus, wenn ihr wollt, aber vergesst nicht, Verehrer des Unendlichen
zu sein. Die elementaren Theile alles Existirenden , die nicht entstehen und nicht
vergehen, sondern sich nur mannigfach verbinden und trennen, sind die Minima
oder Monaden, die sich Bruno als punctuell und doch nicht schlechthin unausge-
dehnt, sondern als sphärisch vorstellt, sie sind psychisch und materiell zugleich.
Die Seele ist eine Monade, sie ist unsterblich, wie auch die Körper ihrer Substanz
nach unvergänglich sind; sie ist nie ganz ohne einen Körper. Gott ist die
Monade der Monaden. — Wer nun danach ringt, in dem Mannigfaltigen das
Gemeinsame, in dem Vielen das Eine zu erkennen, wer eine möglichst vollkommene
Anschauung des Absoluten erstrebt, der ist der wahre furioso eroico, der heroische
Enthusiast. Freilich kann er nie das Ziel seiner Sehnsucht voll erreichen; er
empfindet Quulen darüber, wird auch von seinen Mitmenschen verkannt and verfolgt,
aber er hat doch die Seligkeit des Bewusstseins, seiner Bestimmung nachzuleben,
sich selbst zu vervollkommnen, dem Urquell aller Wahrheit, Güte und Schönheit
sich immer mehr zu nähern. — Die Ethik Brunos finden wir vornehmlich in der
-Austreibung der triumphirenden Bestie'*, einem allegorischen Romane, grossentheils
dialogischer Form, in dem auch viel Religionsphilosophisches vorkommt, und in
dem „heroischen Enthusiasmus1*, einem Werke, das aus 71 Sonetten, 3 Cahzonen
und längeren erklärenden Dialogen besteht und die Liebe zum Göttlichen, die Sehn-
sucht des Herzens nach dem Ideal der Schönheit schildert.
Dem Scholasticisrous, also dem Aristoteles, feindlich gesinnt, wollte sich Bruno
lieber an Pythagoras, Piaton, die Stoiker, sogar an Epikur anschliessen, hielt aber
auch die Versuche zu neuer Gedankenbildung hoch, die er bei RaymunduB Lullus
und bei Nicolaus dem Oasaner vorfand. Er trug oft die raymundsche Kunst vor,
wenn die Möglichkeit des Docirens an das Betreten eines neutralen Bodens geknüpft
war. Von Nicolaus Cusanus, von dem er das prineipium coincidentiae oppositorum
angenommen hat, redet er mit hoher Achtung, ohne jedoch zu verschweigen, dasn
anch ihn der Priesterrock beengt habe. Er freut sich der neuen von Telesius er-
öffneten Bahn, hat jedoch dieselbe nicht durch eigene Einzelforschung verfolgt. Er
will, dass wir von dem Untersten, Bedingtesten aufsteigend uns stufenweise bis
zum Höchsten erheben, ohne jedoch selbst diesen methodischen Gang streng ein-
zuhalten. Seine Virtuosität liegt in der phantasievollen Ergänzung der ersten
naturwissenschaftlichen Errungenschaften der Neuzeit zu einem dem Geiste der
modernen Wissenschaft gemässen Gesammtbilde des Universums. Nach ihm mnss
der Philosoph ein Dichter sein, wie denn auch seine eigenen Werke zum Theil in
poetischer Form verfasst sind. Zu starke Phantasie und mystische Unklarheit
bilden die Schwächen seiner Philosophie. Jedoch birgt seine Lehre Keime mancher
späteren philosophischen Systeme in sich, so namentlich des spinozistischen und
leibnizschon, sowie neuerer panthe istischer.
Galileo Galilei (1564—1641) hat durch die Erforschung der Fallgesetze sich
nicht nur um die positive Wissenschaft, sondern auch um die Naturphilosophie ein
bleibendes Verdienst erworben. Er ist es namentlich, durch den die aristotelisch-
scholastische Physik ihre Geltung verlor, und durch den die neue mechanische Physik
begründet wurde. Ohne Demokrit, wie er selbst versichert, gekannt zu haben, ge-
langte er zu einer ähnlichen Weltanschauung wie dieser. Alle Veränderung ist
nichts als Umstellung der Theile, ein Entstehen und Vergehen im strengen Sinne
giebt es nicht. In einer Schrift. Jl saggiatore" (Goldwage) betitelt, lehrt er, wenn
auch etwas vorsichtig, die Subjectivität der sinnlichen Qualitäten (Geschmack,
Geruoh, Farbe u. s. w.) und führt dieselben auf Quantitätsunterschiede zurück. —
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§ 6. Naturphilosophie und Theosophie
41
ßeachtenswerth sind auch seine methodologischen Anforderungen: Verwerfung der
Autorität in Fragen der Wissenschaft. Zweifel, Basirung der allgemeingiltigen
Sätze auf Beobachtungen und Experimente, Aufsuchen der Beweisgründe für die
Schluassätze nach analytischer Methode (metodo risolutivo). sodann das synthetische
Verfahren in dem Bilden regelrechter Schlüsse (metodo compositivo i. .Sensate
esperienze' müssen jeder wissenschaftlichen Erörterung zu Grunde liegen. Das
wahre Buch der Philosophie ist nach ihm das Buch der Natur, das stets auf-
geschlagen vor uns liegt, nur iBt es in anderen Buchstaben geschrieben, als in denen
unseres Alphabets, nämlich in Triangeln, Quadraten, Kreisen, Kugeln und sonstigen
mathematischen Figuren. Zum Lesen desselben ist also Mathematik nothig. Auf
den Einwurf gegen die Induction, dass dieselbe nicht Alles in erschöpfender Weise
durchlaufen kann, erwiderte er schon sehr richtig, wenn sie dies thun müsse, so sei
«ie entweder unmöglich oder unnütz, ereteres, weil das Einzelne sich unendlich oft
wiederhole, letzteres, weil dann der Schlusssatz zu unserer Erkenntniss nichts Neuen
hinzubringen würde. Doch huldigt Galilei nicht dem rein sensualistischen Empiris-
mus, da er lehrt, dass wir die Wahrheit der nothwendigen Erkenntniss von uns aus
wissen müssen. Die Einsicht der Mathematik kann nicht aus blosser sinnlicher Er-
fahrung sich herleiten, sondern beruht in einem Wissen von sich ans (da per se),
und Galilei nimmt hier sogar die platonische Lehre von der Wiedererinnerung zu
Hülfe. Freilich ist er zu einer vollen Klarheit und Sicherheit in den Principien
der Erkenntnisstheorie kaum gelangt. Der Astronom Joh. Kepler (1571—1630),
um diesen hier sogleich zu erwähnen, war metaphysischen Untersuchungen nicht ab-
geneigt und stellte pythagorisirend den Begriff der Weltharmonie an die Spitze. Es
sollen dieser feste mathematische Proportionen zu Grunde liegen, und Alles lässt
sich nach quantitativen Verhältnissen darstellen. Soll die Welt Harmonie sein, so
muss sie ein Ganzes sein, als einem Ganzen kann ihr aber Unendlichkeit nicht zu-
kommen. Indem er die Harmonia mundi begründen wollte, fand er die nach ihm
genannten berühmten drei Gesetze, streng inductiv zu Werke gehend. In seiner
Apologia Tychonis contra Ureum, die gegen des Ureus Schrift de hypothesibus
astronomicis, Prag 1597, gerichtet war, giebt er eine Art Monographie über den
Begriff und die Bedeutung der Hypothese. Sein vorzüglichstes Werk ist: Astronomia
nova seu Physica coelestis tradita commentariis de motibus stellae Martis, Pragae
1609. (Vgl. über ihn und Galilei als Logiker Prantl in den Sitzungsber. der bayer.
A. d. W., phil. hist. OL, 1875, Chr. Sigwart, Joh. K., in: Kl. Sehr. I, S. 182-220,
R. Eucken, K. als Philoa., in: Ph. Monatsh. 1878, S. 30-45, auch in d. Beitr. z.
G. d. n. Ph.)
Thomas Campauella, geb. zu Stilo in Calabrien 1568, gest. zu Paris 1639,
war ein streng kirchlich gesinnter Dominicaner und Schwärmer für eine katholische
Uni versalmonarchie, entging jedoch, weil er als Neuerer auftrat, nicht dem Verdacht
und der Verfolgung. Von 1599 — 1626 wurde er, einer Conspiration gegen die
spanische Regierung angeklagt, in strenger Haft gehalten, danach kam er drei Jahre
lang in die Gefängnisse der römischen Inquisition; endlich freigegeben, brachte er
^eine letzten Lebensjahre (seit 1634) in Paris zu, wo er eine ehrenvolle Aufnahme
fand. Campanella erkennt eine zweifache göttliche Offenbarung an, in der Bibel und
in der Natur. Die Welt, sagt er in einer (von Herder übersetzten) Canzone, ist
das zweite Buch, darin ewiger Verstand selbsteigene Gedanken schrieb, der lebendige
Spiegel, der uns Gottes Antlitz im Reflexe zeigt; menschliche Bücher sind nur
todte Copien des Lebens, voll Irrthum und Trug. Er polemisirt insbesondere gegen
das Studium der Natur aus den Schriften des Aristoteles und verlangt, dass wir
(mit Telesius) selbst die Natur erforschen (de gentilismo non retinendo ; utrum liceat
novam post gentiles condere philosophiam; utrum liceat Aristoteli contradicere :
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§ 6. Naturphilosophie und Theosophie.
utrum liceat jurare in verba magistri, Par. 1636). Die Grundlage aller Krkenntnias
ist die Wahrnehmung und der Glaube; aus diesem erwächst die Theologie, aus
jener die Philosophie durch wissenschaftliche Verarbeitung. Campanella geht (wie
Augustin und mehrere Scholastiker, besondere Nominalisten, und wie später Des-
cartes) von der Gewissheit der eigenen Existenz aus, um daraus zuerst auf das
Dasein Gottes zu schliessen. Aus unserer Gottes Vorstellung sucht er Gottes Existenz
zu erweisen, aber nicht ontologisch (mit Anselm), sondern psychologisch: als end-
liches Wesen, meint er, kann ich nicht die Idee eines menschlichen, die Welt über-
ragenden Wesens selbst erzeugt, sondern nur durch eben dieses Wesen, das darum
wirklich ßein muss, dieselbe erhalten haben. Campanella erkennt auch eine unmittel-
bare Erfassung des Göttlichen durch einen „tactus intrinsecus* an und preist diese
als die wahre, lebendige und werthvollste Erkenntniss. Das unendliche Wesen oder
die Gottheit, deren „Primalitäten" Macht, Weisheit und Liebe sind, hat die Ideen,
die Engel, die unsterblichen Menschenseelen, den Raum und die vergänglichen Dinge
producirt, indem mit seinem reinen Sein immer mehr das Nichtsein sich mischt.
Diese Wesen alle sind beseelt; es giebt nichts Empfindungsloses. Der Raum ist
beseelt; denn er scheut die Leerheit und begehrt nach Erfüllung; die Pflanzen
trauern, wenn sie welken, und empfinden Freude uach erquickendem Regen; auf
Sympathie und Antipathie beruhen alle freien Bewegungen der Naturobjecte. Die
Planeten kreisen um die Sonne, diese selbst aber um die Erde. Mundus est Dei
viva statua. Alle Vorgänge sind durch die Wechselwirkung zwischen allen Theilen
der Welt bedingt. Unsere Erkenntniss ist eine sehr eingeschränkte. Campanellas
Staatslehre ruht (in der Civitas Solis) auf der platonischen Rep. ; doch werden von
ihm die zur Herrschaft berufenen Philosophen als Priester betrachtet, und so Bchliesst
sich ihm an diese platonische Doctrin (in seinen späteren Schriften) der Gedanke
einer universellen Herrschaft des Papstes an. Er fordert Unterordnung des Staates
unter die Kirche und Verfolgung der Ketzer in dem Sinne, wie Philipp U. von
Spanien sie geübt hat.
An den Alexandrismus des Pomponatius anknüpfend, hat der Neapolitaner
Lucilio Vanini (geb. um 1585, verbrannt zu Toulouse 1619) eine naturalistische
Doctrin entwickelt. Das» er der Kirche sich zu unterwerfen erklärte, bat ihn nicht
vor einer — mehr grauenhaften als tragischen — Verurtheilung geschützt.
In England hat den Kampf gegen die Scholastik vor Allen Bacon von Ve-
rulam (1561 — 1626) erfolgreich geführt. Bacon steht auf der Grenze der Ueber-
gangsperiode, mag jedoch, theils weil er das theosophische Element abstreift und
eine Methodologie für reine Naturforechung sucht, theils weil mit ihm eine neue,
wesentlich moderne Entwickelungsreihe, die in Locke culminirt, in wesentlichem
Zusammenhange steht, unten (§ 9) die angemessenere Stelle finden.
In der Naturphilosophie aller bisher genannten Denker liegen mehr oder minder
auch theosophische Elemente. Prävalirend aber ist die Theosophie besonders bei
Valentin Weigel und Jakob Böhme. Valentin Weigel (geb. 1533 in Hayna bei
Dresden, gest. nach 1594; vgl. über ihn Jul. Otto Opel, Leipzig 1864) hat sich an
Nicolaus Cusanus und an Paracelsus, zum Theil auch an den eine Vergeistigung
des Lutheranismus anstrebenden Caspar Schwenckfeld aus Ossing (1490 — 1561)
angeschlossen. Durch die Bibel und durch die dogmatische Theologie seiner Zeit,
durch Paracelsus und Weigel und durch astrologische Schriften iBt der görlitzer
Schuster Jakob Böhme (1575 in Alt-Seidenberg geb., von 1594 an in Görlitz, viel
im Kampf mit der starren Orthodoxie, f 1624) angeregt worden, der durch den ihm
inmitten des dogmatischen Streits über die Erbsünde, das Böse und den freien
Willen auftauchenden Gedanken eines (ewig ins Licht verklärt werdenden) finstern
negativen Princips in Gott (worin ihm die eckhartache Lehre von dem an sich
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§ 7. Anfänge der Rechte- und Staatephilosophie.
43
unoffenbaren Absoluten umschlug) eine philosophische Bedeutung gewonnen und
insbesondere auch der Speculation Baaders, Schelliugs und Hegels, welche eben
diesen Gedanken wieder aufnahm, einen willkommenen Anknüpfungspunkt geboten
hat, übrigens aber in der Durchführung seiner Theosophie theils nur religiös-erbau-
lich verfährt (wobei er, nach Harless* Urtheil, .den Christus für uns strich und nur
den Christus in uns stehen Hess*), theils, sofern er philosophiren will, in Phantasterei
verfällt, unverstandene chemische Termini psychologisch und theosophisch deutet,
Mineralien mit menschlichen Gefühlen und göttlichen Persönlichkeiten identificirt.
Gott ist, sagt Böhme im Mysterium magnum, keine Pereon, als nur in Christo. Der
Vater ist der Wille des Ungrunds, des Nichte, das nach dem Etwas hungert, der
Wille zum Ichte (Etwas), der fasset sich in eine Lust zu seiner Selbstoffenbarung.
Und die Lust ist des Willens gefasste Kraft, und ist sein Sohn, Herz und Sitz, der
erste ewige Anfang im Willen; der Wille spricht sich durch das Fassen aus sich
aus, als ein Aushauchen oder Offenbarung, als der Geist der Gottheit. Der Ungrund
führt sich durch seine eigene Lust in eine Imagination ein, in welcher das Nichte
zum Etwas wird. Es ist In allen Dingen Böses und Gutes; ohne Gift und Bosheit
wäre kein Leben noch Beweglichkeit, auch wäre weder Farbe, Tugend, Dickes oder
Dünnes oder einigerlei Empfindniss, sondern es wäre Alles ein Nichte. Ohne Gegen-
wurf ist keine Bewegung. Das Böse gehört zur Bildung und Beweglichkeit, das Gute
zur Liebe und das Strenge oder Widerwillige zur Freude. Das Böse ursachet das
Gute als den Willen, dass er wieder nach seinem Urständ als nach Gott dringe,
und das Gute als der gute Wille begehrend werde ; denn ein Ding, das nur gut ist
und keine Qual hat, begehrt nichts, denn es weiss nichts Besseres in sich oder vor
sich, danach es könne lüstern. Das Gute wird in dem Bösen empfindlich, wollend
und wirkend. Sofern die Creatur im Lichte Gottes ist, so macht das Zornige oder
Widerwillige die aufsteigende ewige Freude; so aber das Licht Gottes erlischt,
macht es die ewige aufsteigende peinliche Qual und das höllische Feuer. Die zwei
Welten als Licht und Finsterniss sind in einander als eine. Alle Dinge bestehen
in Ja und Nein, es sei göttlich, teuflisch, irdisch oder was sonst genannt werden
mag. Das Eine als das Ja ist eitel Kraft und Leben und ist die Wahrheit oder
Gott selber. Dieses wäre aber in sich selbst unerkennbar, es wäre da keine Würde
oder Erheblichkeit ohne das Nein. Das Nein ist der Gegenwurf des Ja oder der
Wahrheit, und so ist die Wahrheit selbst etwas, darinnen ein Contrarium ist.
§7. Die Lehre vom Rechte und vom Staate wurde iu einer
selbständigen, von der aristotelischen und kirchlichen Autorität unab-
hängigen und mehr den veränderten politischen Verhältnissen der
Neuzeit entsprechenden Weise entwickelt. — Nicolo Macchiavelli
schätzte einseitig die politische Macht zu hoch und ordnete ihrer Er-
langung und Aufrechterhaltung alle anderen Lebenszwecke unter, hielt
aber für die Aufgabe des Politikers die Hebung der nationalen Macht
und Selbständigkeit namentlich gegenüber der Alles beanspruchenden
Kirche. ThomasMorus sah besonders auf Verminderung der socialen
Ungleichheit und Milderung der Härten in der Gesetzgebung und
stellte in seiner Utopia einen Idealstaat auf. Jean Bodin lehrte auf
Grund geschichtlicher Betrachtung den Vorzug monarchischer Staats-
form und vertheidigte religiöse Toleranz, während Joh. Althusius
die Majestätsrechte ganz und gar dem Volke zuschrieb. Albericus
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§ 7. Anfinge der Rechte- und Staatephilosophie.
Geutilis lehrte schon in liberaler Weise Naturrecht, und Hugo Grotius
betonte neben dem positiven geschichtlichen Recht das in der Natur
des Menschen liegende überall gleiche und ewige Recht und begründete
die Theorie des Völkerrechts.
Ueber Rechtsphi losophcn und Politiker der V ebergaugsperiodc handelt
insbesondere C. von Kaltenborn, die Vorläufer des Hugo Grotius, Leipzig 1848. Vgl.
auch Job. Jac Schmauss, neues Systema des Rechts der Natur, Gött. 1754, Buch I.
S. 1— :V70: Historie des Rechts der Natur (von besonderem Werth für die Zeit vor
Grotius) und die betreffenden Abschnitte bei L. A. Wamkönig, Rechtsphil, als Natur-
lehre d. Rechts, Freiburg i. Br. 18:59 (neue Titelaufl. 1854), bei H. F. W. Hinrichs,
Gesch. d. Rechts- und S:aatsprineipicii seit d. Reform.. Leipz. 1848—52, bei Roh. v. Mohi,
Gesch. u. Litt. d. Staatswissenschaften, Krlang. 1855 — 1858, ferner in Wheatons Gesch.
d. Völkerrechts und in anderen die Geschichte des Rechts und der Rechtsphilosophie
und der Politik betreffenden Schriften.
Macchiavcllis Werke, zuerst zu Rom 1631 — 32 veröffentlicht, sind bis auf die
neueste Zeit sehr häufig gedruckt, auch öfters ins Französische u. Englische übersetzt
worden, ins Deutsche von Ziegler, Karlsruhe von 1832 — 41. Das Buch vom Fürsten,
il Principe, ist zuerst italienisch 1515 in Venedig erschienen, nachher öfter, lateinisch,
mit Anmerkung, von Conring. Helmstedt 1643. Ins Deutsche ist es mehrere Male Ober-
setzt worden, schon 1580 Frank f.. in den letzten Jahrzehnten von Alfr. Eberhard übers,
und erläut., Berl. 18(58, auch von W. Grützmacher in der hist.-polit. Bibl. (worin auch
Friedrichs II. Antimacchiavell, übers, von L. B. Förster, nebst zwei kleineren polit.
Aufs. F.s aufgenommen ist). Berlin 1870. Die Litteratur über II. stellt Rob. v. Muhl,
Gesch. u. Litt. d. Staatswissemch., Bd. III, Erlang. 1858, S. 610—591 zusammen und
Riebt mit «rossem Organisationstalent üb. die mannichfachen Ansichten der verschiedenen
Autoren eine lichtvolle Uebersicht. Besonders bemerkenswert»! ist unter den Wider
legungsversuchen Friedrichs des Grossen Jugendschrift: Anti-Macchiavelli, s. darüber
ausser Mohl (der hier einseitig urtheilt, indem er an eine Schrift, die als historische
Würdigung und Widerlegung M.B, wofür freilich Friedrich selbst sie ansah, sehr schwach,
als ethisch-politische Retlexion über das Verhalten, das einem Fürsten bei schon ge-
sicherter Herrschaft zieme, und Selbstorientirung über die künftig einzuhaltenden
Regierungsmaximcn aber sehr uchtungswerth ist. ausschliesslich den ersteren Maassstab
anlegt, was durch Friedrichs eigene Nichtunterscheidung beider Aufgaben nicht gerecht-
fertigt wird) besonders Trendelenburg, M. und A.-M., Vorträge zum Gedächtniss F.s d.
Gr., geh. 25. Jan. 1855 in der k. Akad. d. Wiss., Berl. 1855, und Theod. Bernhardt,
Macchiavcllis Buch vom Fürsten und F.s d. Gr. Anti-Macchiavelli, Braunschw. 1864.
Vgl. ferner Karl Twesten, M., in d. 3. Serie der Sammig. gemeinverständlicher Vorträge
ii. Abhandl., Berl. 1868 u. d. Schrift von C. Giambelli über M., Turin 1869.
lieber Tlioman Morus handeln: Rudhardt, Nürnberg 1829, 2. Aufl. 1855. James
Mackintosh, Life of Sir Tb. M., London 1830, 2. ed., ebd. 1844. W. Jos. Walter,
Sir Th. M., his life and times, Philadelphia 1839, trad. de l'anglais par Aug. Savagner,
5. ed., Tours 1868. R. Baumstark, Th. Morus, Freiburg i. Br. 1879. Lina Heger,
Timm. Morus und Plato. I. Ein Ueberblick über d. piaton. Humanismus, Bern. I.-D.,
Tübing. 1879.
Joh. Bodin, six livres de la republique, Pur. 1577, dann lateinisch Par. 1584.
Von dem Colloquium heptaplomeres de abditis rerom sublimium arcants hat Guhrauer
einen Auszug in deutscher Sprache (nebst partiellem Abdruck des lateinischen Textes)
Berl. 1841 veröffentlicht; vollständig ist der Originaltext ans einem Manuscript der
Bibliothek zu Giessen durch Ludw. Noack, Schwerin 1857, edirt worden. Eine Notiz
zur Geschichte des Werkes hat auch schon E. G. Vogel im Serapeum 1840, No. 8—10
gegeben. Ausführlich handeln über Bodin IL Baudrillart, J. B. et son temps, tableau
des theories politiques et des idees economiques du seizieme siede, Paris 1853, und
N. Planchenault, etudes sur Jean Bodin, magistrat et publiciste, Angers 1858.
Johannis Althusii Politica methodicc digesta et exemplis sacris et profauis
demonstrata, Herborn 1603, sehr verändert und erweitert Gröning. 1610, später noch
öfter gedruckt. Dicaeologiae II. tres, totum et Universum jus, quo ntimur methodice
complectentes, Herbom 1617. Der Vergessenheit hat den Althusius entrissen Otto
Gierkc, Joh. Althusius u. d. Entwickelung der naturrechtlichen Staatsf heorien , in:
Untersuchungen zur deutsch. Staats- u. Rechtsgesch., Bresl. 1880.
♦
§ 7. Anfänge der Rechts- and Staatsphilosophie.
4b
Des Hugo Ürotius Hauptwerk: de jure belli et pacis, ist Paris 1625, 1632 u. ö.
erschienen. Seine ausgedehnten biblischen Studien sind besonders in den Annot. in
N. T., Amst. 1641—45 u. ö., und Annot. in V. T., Par. 1644 u. ü., enthalten. Der
Kanzler Samuel Cocceji gab 1751 in 5 Quartbänden seinen und seines Vaters Commentar
zu Grot. de jure belli ac pacis heraus. Ueber Grotius handeln in neuerer Zeit namentlich
H. Luden, H. G. nach s. Schicksal, u. Schrift, Berl. 1806. Ch. Butler. Life of H. Gr..
Lond. 1626. Friedr. Creuzer, Luther und Grotius od. Glaube u. Wissensch., Heidelb.
1846. Vgl. auch Ompteda, Litt. d. Völkerrechts. Bd. I, S. 174 ff.; Stahl, Gesch. d.
Rechtsphil., S. 158 ff.: v. Kaltenborn, Krit. d. Völkerrechts, S. 37 ff.: Hob. v. Mohl.
d. Gesch. u. Litt. d. Staatswiss., I, S. 229 f. Hartenstein, in: Abh. der Büchs. Gea, d.
Wiss. I, 1860, auch in H.s hist.-philos. Abb., Leipz. 1860. Ad. Franck, du droit de
la guerre et de la paix par Grotius, im Journal des Sav. 1867, p. 428 — 441. C. Broere,
H. G. Rückkehr z. kath. Glaub., aus d. Holland, v. Ludw. Claras (pseud. für Wilh.
Volk), hrsg. v. F. X. Schulte, Trier 1871. Das Hauptw. des Grotius ,vum Recht des
Kriegs und Friedens* hat v. Kirchmann übers, und erlauf, in der phil. Bibl., Bd. 16.
Berl. 1869.
Auf dem Gebiete der Rechts- und Staatslehre hat zuerst Nicolo
Macchiavelli (geb. zu Florenz 1469, gest. 1527), der Verfasser der Istorie Fio-
rentine 1215 bis 1494 (Florenz 1532, deutsch von Reamont, Leipzig 1846, vgl.
darüber u. A. Ranke, zur Kritik neuerer Geschichtschreiber, Berl. und Leipzig
1821), ein wesentlich modernes Princip zur Geltung gebracht, indem ihm, zunächst
im Hinblick auf Italien, die nationale Selbständigkeit nnd Macht und, soweit
sie jedesmal mit denselben vereinbar ist, die bürgerliche Freiheit als das Ideal
gilt, welches der Politiker darch die zweckentsprechendsten Mittel zu erstreben
habe. In einseitiger Begeisterung für dieses Ideal misst Macchiavelli den Werth
der Mittel ausschliesslich an ihrer Zweckdienlichkeit ab mit Unterschätzung der
moralischen Würdigung des Charakters, den dieselben, an und für sich selbst und
im Hinblick auf andere sittliche Güter betrachtet, tragen. Macchiavcllis Fehler
liegt nicht in der Ueberzeugung (auf welcher unter anderm jede sittliche Recht-
fertigung des Krieges allein beruhen kann), dass ein Mittel, an welches sinnliche
und sittliche Uebel unvermeidlich sich knüpfen, dennoch aus sittlichen Gründen
gewollt werden müsse, wenn der allein durch eben dieses Mittel erreichbare Zweck
durch die in ihm liegenden sinnlichen und sittlichen Güter jene Uebel aufwiegt
und überwiegt, sondern nur in der Einseitigkeit der Abschätzung, die, durch den
Einen Zweck bestimmt, alles Uebrige bloss in seiner Beziehung zu diesem würdigt.
Diese Einseitigkeit ist das relativ nothwendige entgegengesetzte Extrem zu der-
jenigen, die von Vertretern des kirchlichen Princips geübt wurde, der Würdigung
aller menschlichen Verhältnisse ausschliesslich aus dem Gesichtspunkte der Be-
ziehung zu der mit der absoluten Wahrheit ideutificirten kirchlichen Lehre und zu
der mit dem Reiche Gottes gleichgesetzten kirchlichen Gemeinschaft. Macchiavelli
befeindet die Kirche als das Hinderniss der Einheit und Freiheit seines Vaterlandes:
er zieht der christlichen Religioii, die den Blick von den politische!) Interessen
ablenke und zur Passivität verleite, die altrömische vor, welche die Mannhaftigkeit
und politische Activität begünstige. Macchiavellis Weise, jedesmal gegen den einen
Zweck, den er verfolgt, alles Uebrige hintanzusetzen, hat seinen verschiedenen
Schriften einen verschiedenen Charakter aufgeprägt; von den beiden Seiten seines
politischen Ideals, nämlich der bürgerlichen Freiheit und der Unabhängigkeit.
Grösse und Macht des Staates, wird in den Discorsi sopra la prima decade di Tito
Livio (über die Grundsätze für die Erhaltung eines Staates) jene, in der Schrift
41 Principe" (über die Möglichkeit, einen verderbten Staat wiederherzustellen) aber
diese hervorgehoben, und zwar so, dass im „Principe" die republikanische Freiheit
der absoluten Fürstenmacht mindestens zeitweilig geopfert wird. Doch mildert
Macchiavelli die Discrepanz durch die Unterscheidung verdorbener Zustände, welche
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4H
§ 7. Anfange der Rechts- und Staataphilosophie.
despotischer Heilmittel bedürfen, und echten Gemeinsinnes, der die Freiheit bedinge.
An sich ist die republikanische Staatsform, die sich in Sparta, Rom, Venedig
glänzend bewährt hat, die beste. Aber für besonders entartete Zustände, wie die
zur Zeit Macchiavellis, ist ein unbedingt herrschender Fürst, der sogar tyrannische
Mittel nicht verschmäht, am Platze. .Wer mit Grausen Ms Buch vom Fürsten
liest, darf nicht vergessen, dass M. vorher lange Jahre hindurch sein heissgeliebtes
Vaterland unter den Söldnerschaaren aller Nationen bluten sah und vergeblich in
einem besonderen Buch die Einführung von Milizheeren aus Landeskindern empfahl.*
(Karl Knies, das moderne Kriegswesen, ein Vortrag, Berlin 1867, S. 19.)
Piatons Idealstaat frei nachbildend, hat Thomas Morus, geb. zu London
1480, enthauptet 1535, in seiner Schrift: de optimo reip. statu deque nova inaula
Utopia (Lovan. 1516, dann sehr oft lat. und in engl. Uebstzg. gedr., am besten
hrsg. von E. Arber, Lond. 1869, deutsch v. Oettinger, Leipz. 1846, H. Kothe.
Leipz. 1874) philosophische Gedanken über Entstehung und Aufgabe des Staates
in phantastischer Form geäussert. Er fordert u. A. Gleichheit des Besitzes und
religiöse Toleranz.
Die philosophische Rechts- und Staatslehre ist zu jener Zeit bei Katholiken
und Protestanten im Wesentlichen die aristotelische, bei jenen durch die Scho-
lastik und das kanonische Recht, bei diesen besonders durch biblische Sätze mo-
dificirt. Luther hat nur das Criminalrecht im Auge, indem er sagt (in einem
Schreiben an den Herzog Johann von Sachsen): „Wenn alle Welt rechte Christen
wären, so wäre kein Füret, König, Herr, Schwerdt, noch Recht nöthig oder nütze.
Denn wozu sollte es dienen? Der Gerechte thut von sich selbst alles und mehr,
denn alle Rechte fordern. Aber die Ungerechten thun nichts recht, darum bedürfen
sie des Rechts, das sie lehre, zwinge und dränge, wohl zu thun." Die Grundzüge
des jus naturale finden Melanchthon (im zweiten Buch seiner Schrift: philosophiae
moralis libri duo, 1538), Joh. Oldendorp (tifaywyq, sive elementaris introduetio
juris naturalis, gentium et civilis, Colon. Agr. 1539), Nie. Hemming (de lege
natura, methodus apodictica 1562 u. ö.), Benedict Winkler (prineipiorum juris
libri quinque, Lips. 1615) u. A. im Decalog, Hemming insbesondere in der zweiten
Ge.ietzestafel, wogegen die erste ethischer Art sei und die vita spiritualis betreffe.
(Oldendorps, Hemmings und Winklers naturrechtliche Schriften sind im Auszuge
wieder abgedr. in v. Kaltenborns oben citirtem Werke.) Wie in der Ethik, so be-
tonen auch in der Rechts- und Staatslehre Protestanten die göttliche Ordnung,
Katholiken und zumeist Jesuiten (wie Ferd. Vasquez, Lud. Molina, Mariana,
Bellarmin, auch Suarez u. A.) den Mitantheil menschlicher Freiheit. Der Staat ist
(gleich wie die Sprache) nach scholastisch-jesuitischer Doctrin von menschlichem
Ursprung. Nach Bellarmin hat das Volk das Recht, dem Fürsten die Macht zu
entziehen, da es ihm dieselbe erst verliehen hat, und der spanische Geschicht-
schreiber Mariana, wie Bellarmin Jesuit, lehrte in seinem Buche de rego et regis
institutione, Toledo 1599, das Volk dürfe den König zur Rechenschaft fordern, und
werde er tyrannisch, so sei es sogar erlaubt, ihn zu beseitigen oder zu tödten.
Luther nennt die Obrigkeit ein Zeichen der göttlichen Gnade: denn ohne Regiment
würden die Völker mit Morden und Würgen sich unter einander Belbst hinweg-
richten. Die Obrigkeit kann in ihrem Amt und weltlichen Regiment ohne Sünde
nicht sein, aber Luther billigt weder Selbsthülfe der Verletzten, noch kennt er
eonstitutionelle Garantien, sondern will, dass man Gott für die Obrigkeit bitte.
Die altprotestantische Doctrin begünstigt einen (durch das Bewusstsein der Verant-
wortlichkeit gegen Gott zu Gerechtigkeit und Milde geneigten) politischen Absolutis-
mus, ist aber der socialen und religiösen Freiheit des Individuums förderlich.
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§ 7. Anfänge der Rechts- und Staatsphiloaophie.
47
Das Verdienst, den verschiedenen Confessionen im Staate die Gleichberechtigung
vindicirt und Naturrecht und Politik auf die Völkerkunde und Geschichtsbetrachtung
gegründet zu haben, hat vor Allen Jean Bodin (geb. zu Angers 1530, gest. 15%
oder 1597) sich erworben durch seine Bücher über den Staat. Nach Prüfung der
in der Geschichte hervorgetretenen Staatsverfassungen kommt er zu dem Ergebniss.
dass ein durch Gesetze eingeschränktes erbliches Königthum die beste Verfassung
sei, in welcher der Monarch den Gesetzen Gottes oder der Natur zu gehorchen
habe und nur Gott gegenüber verantwortlich sei. Sein Colloquium heptaplomeres
ist ein unparteiisch, von sieben verschiedenen Religionspartcien angehörenden Per-
sonen gehaltenes Gespräch über die einzelnen Religionen und Confessionen, welches
durch die Anerkennung relativer Wahrheit in einer jeden derselben die Forderung
der Toleranz begründet. Blosse Vernunft und das Naturgesetz genügen zur Er-
langung des Heils und der Glückseligkeit, dazu bedarf es nicht unzähliger Gesetze
der heidnischen und der geoffenbarten Religionen. Das Colloquium galt lange Zeit
für höchst gefährlich und konnte nur in Abschriften heimlich weiter verbreitet
werden. Bodins Moral ruht auf deistischcm Grunde.
Im Gegensatz zu Bodinus steht entschieden auf der Seite der „Monarcho-
machen* Johannes Althusins (Althus, Althusen, geb. 1557 zu Diedenshausen
in der Grafschaft Witgenstein-Berleburg, seit 1586 Lehrer des Rechts in Herborn,
seit 1604 Syndicus in Emden, gest. 1638). Der Staat ist nach ihm eine universalis
publica consociatio, qua civitates et provinciae plnres ad jus regni — habondum,
constituendum, exercendum et defendendum se obligant. Das Volk ist durchaus
souverain, und die Träger der Regierungsgewalt, wenn sie auch Macht über die
Einzelnen empfangen haben, bleiben stets der souverainen Gesammtheit unterthan.
Der Regent oder summus magistratus wird durch die Ephoren entweder in völlig
freier oder durch die Verfassung beschränkter Art gewählt; sein Verhältniss zum
Volke ist ein beiderseitig beschworener und bindender Contract, es ist ihm nur ein
widerruflicher Auftrag ertheilt. Bricht das Volk den Contract, so ist der Regent
frei von seinen Pflichten, bricht der Herrscher ihn, so kann sich das Volk einen
neuen Regenten wählen. Die Ephoren haben als die Mitglieder der verschiedensten
Behörden die Rechte des Volkes dem Regenten gegenüber zu wahren. In manchen
grundlegenden Gedauken erinnert der contrat social Rousseaus auffällig an die
Politica des Althusius.
Albericus Gentiiis (geb. 1551 in der Mark Ancona, gest. als Professor zu
Oxford 1611) ist besonders durch seine Schriften: de legationibus libri tres, Lond.
1585 u. ö., de jure belli libri tres, Lugd. Bat. 1558 u. Ö., de justitia bellica 1590,
worin er aus der Natur, insbesondere der menschlichen, das Recht ableitet, mit
Morus und Bodinus für Toleranz eintritt und u. a. auch Freiheit des Verkehrs zur
See fordert, ein Vorläufer des Hugo Grotius geworden.
Hugo Grotius (Huig de Groot, geb. zu Delft 1583, gest. 1645 zu Rostock)
hat sich theils durch die Schrift: Mare liberum seu de jure, quod Batavis competit
nd Indica commercia, Lugd. Bat. 1609, worin er, um den Niederländern die Freiheit
des Handels nach Ostindien zu vindiciren, die Grundzüge des Seerechts philosophisch
entwickelt, theils durch sein rechtswissenschaftliches Hauptwerk: de jure belli et
pacis, Paris 1625, 1632 n. ö., ein bleibendes Verdienst um das Naturrecht erworben
und das internationale oder Völkerrecht wissenschaftlich begründet. Eine volle
Scheidung zwischen Moral und Recht ist bei Grotius in Wahrheit nicht durch-
geführt, wie schon aus der Deflnition des natürlichen Rechtes hervorgeht, welches
nach ihm ein Gebot der Vernunft ist und anzeigt, dass einer Handlung wegen ihrer
Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der vernünftigen Natur selbst
eine moralische Notwendigkeit oder Hässlichkeit innewohne. Wie bei dem Rechte
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48
§ 8. Der zweite Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
der Personen, so unterscheidet Grotius auch bei dem der Völker oder dem inter-
nationalen Rechte das jus naturale und das jus voluntarium (oder civile); das
letztere beruht auf positiven Bestimmungen, das erstere aber flieset mit Notwendig-
keit aus der menschlichen Natur. Unter dem jus divinum versteht Grotius die Vor-
schriften im alten und neuen Testament; er unterscheidet davon das Naturrecht als
ein jus humanum. Der Mensch ist mit Vernunft und Sprache begabt, daher zum
Leben in der Gemeinschaft bestimmt; was zum Bestehen der Geraeinschaft erforder-
lich ist, ist natürliches Recht i und auch, was die Annehmlichkeit des socialen Lebens
fördert, gehört als jus naturale laxius zum Naturrecht im weiteren Sinne). Aus
diesem Geselligkeitsprincip ergiebt sich die vernunftgemässe Entscheidung, mit
deren Resultat das Herkommen bei gesitteten Völkern zusammenzutreffen pflegt,
welches in diesem Sinne ein empirisches Kriterium des natürlichen Rechtes ist.
Die Staatsgemeinschaft beruht auf freier Einwilligung der Betbeiligten, also auf
Vertrag. Das Strafrecht steht dem Staate nur insoweit zu, als das Princip der
custodia societatis es fordert, also nicht als Vergeltung (quia peccatum est), sondern
nur zur Verhütung der Gesetzes- Uebertretungen durch Abschreckung und Besserung
(ne pecceturl Grotius fordert Toleranz gegen alle positiven Religionen, Intoleranz
aber gegen die Leugner der auch von dem blossen Deismus anerkannten Sätze von
Gott und Unsterblichkeit. Doch vertheidigt er in seiner (1619 erschienenen) Schrift
de veritate religionis christianae auch die den Confessionen gemeinsamen christ-
lichen Dogmen.
Zweiter Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
Die neuere Philosophie oder die Zeit des ausgebildeten
Gegensatzes zwischen Empirismus, Dogmatismus und
Skepticismus.
§ 8. Den zweiten Abschnitt der Philosophie der Neu-
zeit charakterisirt der ausgebildete Gegensatz zwischen Empirismus
und Dogmatismus, neben welchen Richtungen auch der Skepti-
cismus zu selbständigerer Entwicklung als in der Uebergangs-
periode gelangt. Der Empirismus ist die Einschränkung der
Methode der philosophischen Forschung auf Erfahrung und Combi -
nation von Erfahrungstatsachen und des Bereichs der philosophischen
Erkenntniss auf die durch diese Methode erkennbaren Objecte, ohne
die philosophischen Specialdoctrinen auf eine philosophische Erkennt-
niss des absoluten Princips zu basiren. Der Dogmatismus ist die-
jenige philosophische Richtung, welche durch das Denken den ge-
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■
§ 8. Der zweite Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
49
sainmten Kreis der Erfahrung und der Analoga der Erfahrung über-
schreiten und zur Erkenntniss des absoluten Principe gelangen zu
können glaubt und auf die Erkenntniss des Absoluten alle andere
philosophische Erkenntniss gründet. Der Skepticismus ist der
principielle Zweifel an jeder Gewissheit, mindestens an der Gültigkeit
aller den Erfahrungskreis überschreitenden Sätze (ohne dass von ihm,
wie es durch den kantischen „Kriticisinus" geschieht, vermittelst
einer Kritik der menschlichen Erkenntnisskraft ein unserer Vernnnft-
erkenntniss unzugängliches Gebiet methodisch abgegrenzt wird).
Man kann mit demselben Rechte diese Periode auch eharakteri-
siren durch den Gegensatz des Empirismus, der alle Erkenntniss
ihrem Ursprung nach aus der Erfahrung ableitet, und des Rationa-
lismus, der in der Vernunft die Quelle aller Erkenntniss sieht. Der
letztere deckt sich ungefähr mit dem Dogmatismus. In diesen beiden
Richtungen, der empiristischen und der rationalistischen, zeigt sich
überhaupt der erkenntnisstheoretische Charakter der neueren
Philosophie.
Ueber die Philosophie dieses Zeitabschnittes vgl. ausser den betreffenden Abschnitten
der oben (S. 1 — 2) angeführten umfassen deren Geschichtswerke, wie auch der Gesell,
des 18. Jahrh.s von Schlosser und anderen historischen Schriften, insbesondere no« h
Ludw. Feuerbach, Gesch. d. neuer. Phil, von Bacon bis Spinoza, Ansbach 1833, 2. Aurl.
Leipz. 1844, nebst dess. Specialschriften Aber Leibniz und Bavle. Damiron, Essai sur
Ihist. de la philos. au XVII« siecle, Par. 1846; au XVIII» siecle, Par. 1858—64.
G. N. Roggero, storia della filosotia da Cartesio a Kant, Torino 1868 (67). J. Tulloch,
rational Theology and Christian philosophy in England in the 1 7th Century, 2 vols.,
Lond. 1872. P. Kannengiesser, Dogmatismus und Skepticismus. Eine Abhandl. üb. d.
methodolog. Problem in d. vorkant. Philos., I. D., Strassburg 1877. Hans Ueussler, d.
Ratiunalism. des 17. J.s in s. Heziehungen zur Entwicklungsl., Breslau 1855. Nourissnn,
Philosophes de la nature. Bacon, Bayle, Toland, Buffon, Par. 1887.
Ueber die englische Philos. besonders handelt Ch. de Remusat, Histoire de la Philo-
sophie en Angleterre depuis Bacon jusqu'a Locke, T. I. u. II, Paris 1875.
Die ersterwähnten Begriffsbestimmungen sind die k antischen. Diu Charakte-
ristik, welche Kant von den seiner eigenen Philosophie zunächst vorangegangenen
philosophischen Richtungen gegeben hat, erweist sich auch dann noch als historisch
zutreffend, wenn der philosophische Standpunkt Kants nur als relativ (den nächst
vorangegangenen Richtungen gegenüber) berechtigt und nicht als die absolute philo-
sophische Wahrheit und als der absolute Maassstab der Würdigung philosophischer
Richtungen gilt. — Kants Kriticismus schränkt nicht die Krkenntniss mittel der
Philosophie auf reine Empirie, aber ihre Erkenntnissobjecte auf den Erfahrungs-
kreis ein.
Allerdings verfährt auch der Empirismus »dogmatisch* in dem allgemeineren
Sinne, dass er auf der Zuversicht beruht, die Objecte seien unserer Erkenntniss
nicht schlechthin unzugänglich, sie seien vielmehr eben insoweit erkennbar, als die
Erfahrung und die auf ihr fussenden Schlüsse und Combinationen reichen. Aber
darum fällt doch nicht der Empirismus unter den Begriff des Dogmatismus in dem
oben näher bezeichneten Sinne, den mit diesem Worte zu verknüpfen seit Kant üblich
ist. Ebensowenig trifft gegen die obige Bezeichnung der Einwurf m, der Begriff
des Empirismus sei zu enge, weil er nur auf die Richtung passe, welche von
Bacon bis auf Locke herrsche; denn auch der condillacsche Sensualismus und
Ueberweg-Heinxe, Grundriss III. 7. Aufl. 4
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50 § 9. Francis Bacon.
der holbachsche Materialismus schränken die philosophische Erkenntnis« nach
Form und Inhalt auf Empirisches ein. „Realismus* und „Idealismus" aber sind
Ausdrucke, die zur Bezeichnung der Unterschiede in dieser Periode sich nicht in
irgend einem klar und scharf bestimmbaren Simie verwenden lassen < weshalb auch
v. Kirchmann, ph. Bibl., Bd. 32, S. VI, mit Recht sagt, dass „die Principien des
Descartea und Bacou nicht in dem Gegensatze von Idealismus und Realismus stehen*).
Der empiristischen Richtung gehören an: Bacon, der nicht als blosser
Schüler Bacons zu bezeichnende Hobbes und mehrere ihrer Zeitgenossen, Locke
und die an ihn mehr oder weniger, sei es zustimmend oder auch polemisch, an-
knüpfenden englischen und schottischen Philosophen, der französische Sensualismus
und Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts und zum Theil auch die deutsche
Aufklärung. Die Koryphäen der dogmatistischen sowie der rationalistischen
Richtung sind: Cartesius, Spinoza und Leibniz. Der Skepticismus erreicht
seinen Höhepunkt in Hume. Der historische Zug, der sich in der Zeit des Huma-
nismus in dem Zurückgehen auf die Alten so mächtig zeigte, tritt in dieser Periode
zunick, und die Naturwissenschaft gewinnt auch für die Philosophie namentlich
in methodologischer Beziehung mehr und mehr an Bedeutung. Der Kampf gegen
die scholastischen Formen des Denkens, besonders gegen den Syllogismus, durch
den man ein neues Wissen nicht erlangen könne, wird von der empiristischen so-
wohl als von der rationalistischen Seite aus geführt, und an Stelle der scholastischen
Methode wird von der ersteren Richtung die Induction, von der zweiten die mathe-
matische Deduction betont.
Da die Philosophen der verschiedenen Richtungen einen wechselseitigen wesent-
lichen Einfluss auf einander geübt haben, so kann nicht wohl eine jede der Haupt-
richtungen in ununterbrochener Folge vollständig für sich dargestellt werden, sondern
die chronologische Ordnung ist, sofern sie dem genetischen Verhältniss entspricht,
die angemessenere.
§ 9. Durch Abstreifung des theosophischen Charakters, den die
Naturphilosophie in der Uebergangsperiode an sich trug, durch Ein-
schränkung ihrer Methode auf Erfahrung und Induction und durch
die Erhebung der Grundzüge dieser Methode zum philosophischen,
von der Gebundenheit an irgend einen einzelnen naturwissenschaft-
lichen Forschungskreis befreiten Bewusstsein ist Francis Bacon,
Baron von Verulam (1561 — 1626), der Begründer — zwar nicht der
empirisch-methodischen Naturforschung, wohl aber — der empiris ti-
schen Entwickelungsreihe der neueren Philosophie geworden.
Bacons höchstes Ziel ist die Erweiterung der Macht des Menschen
vermittelst des Wissens. Wie die Buchdruckerkunst, das Pulver und
der Compass das Culturleben umgestaltet haben und den Vorzug der
Neuzeit vor jedem früheren Zeitalter begründen, so soll durch immer
neue und fruchtreiche Erfindungen die betretene Bahn mit Bewusst-
sein weiter verfolgt, was diesem Ziele dient, gefördert, was von iht*
ablenkt, gemieden werden. Religionsstreitigkeiten schaden. Die
Religion soll unangetastet gelassen, aber nicht (nach der Weise der
Scholastiker) mit der Wissenschaft vermengt werden; die Einmischung
der Wissenschaft in die Religion führt zum Unglauben, die Ein-
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§ 9. Francis Bacon. 51
mischung der Religion in die Wissenschaft zur Phantasterei. Vom
Aberglauben und von Vorurtheilen jeder Art muss der Geist befreit
sein, um als reiner Spiegel die Dinge so, wie sie sind, aufzufassen.
Mit der Erfahrung muss die Erkenntniss anheben, von Beobachtungen
und Experimenten ausgehen, dann stufenweise mittelst der Induction
erst zu Sätzen von geringerer, dann zu Sätzen von höherer Allgemein-
heit methodisch fortgehen, um endlich von diesen aus zu dem Ein-
zelnen wieder herabzusteigen und zu Erfindungen zu gelangen, welche
die Macht des Menschen über die Natur erhöhen. In der Bezeich-
nung wesentlicher Ziele und Mittel der Neuzeit, in der kräftigen
(obschon einseitigen) Hervorhebung des Werthes echter, selbst-
errungener Naturerkenntniss , in der Beseitigung des scholastischeu
Ausgehens von vermeintlich unmittelbar in der Vernunft liegenden
Begriffen und Sätzen und der darauf basirten, empirielosen Streit-
wissenschaft, und in der Bezeichnung der Grundzüge der Methode
empirisch basirter inductiver Forschung liegt Bacons historische Be-
deutung. Die nähere Ausführung der methodischen Grundsätze hat
neben einzelnem Bedeutenden vieles Verfehlte, und die von Bacon
unternommenen Versuche, durch eigene Naturforschung die von ihm
auf ihren allgemeinsten philosophischen Ausdruck gebrachte Methode
zur praktischen Anwendung zu bringen, sind grösstenteils sehr un-
vollkommen und halten nicht den Vergleich mit den Leistungen
älterer und gleichzeitiger Naturforscher aus. An Bacon hat sich die
Einseitigkeit der Hochschätzung der materiellen Culturmittel, die blosse
Unterwerfung unter traditionelle, ihm selbst äusserlich bleibende Dogmen
und das ehrgeizige, um den Werth der Mittel wenig bekümmerte
Streben nach Macht durch Mangel an sittlicher Kraft und Würde
gerächt.
Barons Schrift: de dignitate et augtnentis scientiarum ist in englischer Sprache
unter dem Titel: the two book- of Francis Bacon on the proficicnce and advancement
of learning divine and human, Lond. 1605, latein. (vollständiger ausgeführt) ebd. 1623,
ferner Lugd. Bat. 1652, Argent. 1654 u. ö. ersch., ins Deutsche übers, v. Joh. Herrn.
Pfingsten, Pesth 1783. Im Jahre 1612 erschien die Schrift: Cogitata et visa, welche
später zu dem Novnm Organum scientiarum umgearbeitet wurde, das zuerst Lond. 1620,
dann sehr häufig erschienen ist, neuerdings auch Leipz. 1S37 und 1839, ius Deutsche
übers, v. G. W. Bartholdy (unvollendet), Herl. 1793, v. Brück, Leipz. 1830, und von
J. H. v. Kirchmann, mit Erläut., „ph. Bibl.", Berl. 1870. Die Essays moral, economical
and political, zuerst 1597 erschienen, haben neuerdings u. a. W. A. Wright, Lond.
1862, Bich. Whately, 6. edit., London 1864, F. Storr and C. H. Gibson, Lond. 1885,
edirt; in latein. Uebersetzung tragen sie den Titel Sermone» fideles. Kleinere Schriften
ins Deutsche übers, u. erläutert v. J. Fürstenberg, 1884. Cf. A harmony of Lord Bacons
essays etc. (1597 — 1638) arranged by Edw. Arber, Lond. 1871. Die Werke Bacons
sind gesammelt durch William Rawley, mit beigefügter Lebensbeschreibung Bacons,
Amst. 1663 hrsg. worden, auch abgedr. zu Frankf. a. M. 1665, vollständiger von Mallet,
gleichfalls mit e. Biogr. des Bacon, Lond. 1740 und 1765 Latein. Ausg. der Werke
sind Francof. 1666, Amst. 1684, Lips. 1694, Lugd. Bat. 1696, Amst. 1730 ersch., eine
franzos. v. F. Riaux, Oeuvres de Bacon, Paris 1852. In neuerer Zeit haben die Werke
edirt: Montague, London 1825 — 34, Henry G. Bohn, London 1846, und R. L. Ellis,
J. Spedding und D. D. Heath, London 1857—59, wozu als Ergänzung (voll. VIII— Xll
4*
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52
§ 9. Francis Bacon.
der Werke) gehört: Lette« and Life of Fr. Bacon, including all his occasional works,
newly collected, revised and «et out in chrunulog. order, with a comnientary biugrph.
and histor. by James Spedding, I — VI, London 1862 — 72. Auszug daraus : J. Spedding,
Account of the life and titues of Fr. B., 2 vols., Lond. 1879.
Von den zahlreichen Schriften Ober Bacon sind hervorzuheben: Analyse de ia
Philosophie du chancelier Fr. B., avec sa vie, Leyden 1756 und 1778. J. B. de Vau-
zelles, bist, de la vie et des ouvrages da Fr. B., Paris 1833. Jos. de Maistre, examen
de la phil. de B., Par. 1836, 7. ed., Lyon et Paris 1865, 9. ed. ebd. 1873. Macaulay,
in: Edinb. Review, 1837, deutsch von Bülau, Leipz. 1850. John Campbell, the live« öf
the Lord Chancellors of England, vol. II, Lond. 1845, chap. 51. M. Napier, Lord B.
and Sir Walter Raleigh, Cambridge 1853. Charles de Remusat, B., sa vie, son temps,
sa philos. et son influence jusqu'a nos jours, Par. 1854, auch 1858 und 1868. Kuno
Fischer, Fr. B. von Verulam, die Realphilos. und ihr Zeitalter, Leipz. 1856, 2. Aufl.,
1875, ins Engl, übers, v. John Oxenford, London 1857; vgl. J. B. Meyer, B.s Utilismus
nach K. Fischer, Whewell und Ch. de Remusat, in: ZUchrft. f. Ph. u. ph. Krit., N. F.,
Bd. 36, 1860, S. 242—247. C. L. Craik, Lord B., his writings and his philosophy,
new edit., Lond. 1860. H. Dixon, the personal hist. of Lord B., from unpublishcd
letters and documents, Lond. 1861, ein Versuch der Vertheidigmig des Charakter!»
Bacons, worauf entgegnet wird in der Schrift: Lord Bacons life and writings, au ans wer
to Mr. H. Dixons per», hist. of L. B., Lond. 1861. Adolf Lasson, Montaigne u. Bacon,
in: Archiv f. neuere Spr. u. Litt., XXXI, 259 — 276; Qber B.s Wissenschaft!. Principien,
Progr. d. Louisenst. Realsch. z. Berlin, 1860. Just. v. Liebig, üb. Fr. B. v. Verulam
u. d. Methode der Naturforschung, Münch. 1863. Lasson und Licbig bekämpfen {zum
Theil nach dem Vorgange von Brewster, Whewell u. A.) die Ansicht, als habe Bacon
die Methode der modernen Naturforschung begründet, geübt oder auch nur zutreffend
bezeichnet. Was Beide an Bacon tadeln, wird fast durchgängig mit Recht von ihnen
getadelt, aber das Werthvolle, Bacons Bekämpfung der Scholastik, Hervorhebung der
Bedeutung der Naturwissenschaft für das gesammte Culturleben und seine Bezeichnung
der Grundzüge induetiver Forschung, ist mit gleichem Recht von Andern betont worden.
C. Sigwart, e. Philosoph u. e. Naturforscher über B., in den preuss. Jahrb. Bd. XII,
1863, S. 93—12*.), vgl. dessen Antwort auf e. in d. Augsb. Allg. Zeitg. enthalt. Entgegn.
Liebigs in den preuss. Jahrb. XIII, 1864, S. 79—89. Heinrich Böhmer, üb. B. u. d.
Verbindung d. Phil. m. d. Naturwiss., Erlang. 1864 (1863). E. Wohlwill, B. v. V. und
d. Gesch. d. Naturwissenschaft, in: D. Jahrb. f. Pol. u. Litt., Bd. IX, 1863, S. 383
bis 415 und Bd. X, 1864, S. 207—244. Georg Henry Lewes sagt in seiner Schrift
über Aristoteles (London 1864, deutsch v. J. V. Carus, Leipzig 1865, S. 115): .so
grossartig Bacon die verschiedenen Ströme des Irrthums bis zu ihren Quellen verfolgt,
so wird er doch von denselben Strömen mit fortgezogen, sobald er die Stellung eines
Kritikers verlässt und die Ordnung der Natur selbst zu untersuchen unternimmt*.
Albert Desjardins, de jure apud Franciscum B., Par. 1862. Const. Schlottmann, B.s
Lehre v. d. Idolen und ihre Bedeutung f. d. Gegenwart, in Geizers prot. Monatsbl.,
Bd. 21, 1863, S. 73—98. Tb. Merz, B.s Stellung i. d. Culturgesch., ebd. Bd. 24, 1864,
S. 166 — 196. H. v. Bamberger, über B. v. V. bes. vom medie. Standp., Würzburg
1855. Ed. Chaigne et Ch. Scdail, l'influence des travaux de B. d. V. et de Descartes
sur la marche de l esprit humain, Bordeaux 1865. Karl Grüninger, Liebig wider Bacon,
G. Pr., Basel 1866. Aug. Dorner, de Baconis philosophia, diss, inaug., Berolini 1867.
Pensees de Bacon. Kepler, Newton et Euler sur la relig. et la morale, rec. par Emery,
Tours 1870. J. H. v. Kirchmann, B.s Leb. und Schriften, in: philos. Bibl. Bd. 32,.
Berlin 1870, S. 1 — 26. P. Stapfer, qualis sapientiae antiquae laudator, qualis interpres
Fr. B., extiterit, thesis, Par. 1870. Ders., B. et l'antiquite, in: Biblioth. univers. et
Revue Suisse, 1871, XLII, 161—182, 426—458. Max Müller, B. in Deutschland, in
sein. Essays, deutsch übers, v. Fei. Liebrecht, Leipz. 1872, S. 186—201. A. E. Finch^
on the induetive philosophy, including a parallel between Lord B. and A. Comte as
philosophers, Lond. 1872. M. Walsh, Lord Bacon, Lpz. 1875. E. A. Abbott, Bacon
and Essex. A sketch of Bacon's earlier life, Lond. 1877. W. H. Laing, Lord B.s
philosophy, a criticism, Lond. 1878. Angelo Valdarini, prineipio, intendimento e storia
della classifieazione delle umane conoscenze secondo Franc. Bacone, 2. ed., Firenze
1880. Thoni. Fowler, Bacon (Englisch philosophers), London 1881. E. A. Abbott,
Fr. B., an aecount of bis life and works, Lond. 1885. Eugen Reichel, Wer schrieb
das „Novum Organon* von Francis Bacon? Stuttgart 1886.
§ 9. Francis Bacon.
53
Geboren am 22. Januar 1561 zu London als der zweite und jüngste Sohn des
Grosssiegelbewahrers von England, Nicolaus Bacon, durch Studien in Cambridge
und durch einen zweijährigen Aufenthalt in Paris als Begleiter des englischen Ge-
sandten vorgebildet, widmete sieb Francis Bacon der juristischen Praxis, ward
ausserordentl. Kron-Advocat, trat 1595 in das Parlament, ward 1604 ordentlicher
und besoldeter Rechtsbeistand der Krone, 1617 Grosssiegelbewahrer, 1618 Lord-
kanzler und Baron von Verulam, 1621 Viscount von St. Albans, verlor aber in
demselben Jahre, durch das Parlament wegen empfangener Bestechungen verurtheilt.
seine sämmtlichen Aemter und lebte dann in der Zurückgezogenheit. Er starb xu
Highgate, dem Schloss des Grafen Arundel bei London, am 9. April 1626 an den
Folgen einer Erkältung, die er sich beim Ausstopfen eines Huhns mit Schnee, um
die Wirkung auf die Verzögerung der Fäulnisa zu beobachten, zugezogen hatte.
Bacon war von wirklicher Liebe zur Wissenschaft erfüllt; aber noch mächtiger war
In ihm der politische Ehrgeiz und die Prachtliebe. Er war kein grosser und reiner
Charakter, doch sind oft die Anschuldigungen gegen ihn überspannt worden. Die
Anklage gegen den Grafen Essex, seinen früheren Gönner, zu erheben, nachdem
dieser sich in verrätherische Verhandlungen mit König Jakob von Schottland gegen
. Elisabeth eingelassen hatte, war er als Kron-Advocat amtlich verpflichtet. Es ist
nicht zu rechtfertigen, dass Bacon als Oberrichter Geschenke seitens der Parteien
und als Lord-Kanzler seitens der Bewerber um Pateute und Licenzen angenommen
hat. Er hat sich in seiner schriftlichen Antwort auf die ihm vom Oberhause im
April 1621 zugestellte Anklage-Acte bei sämmtlichen 28 Punkten derselben als
schuldig bekannt, jedoch nur in dem Sinn, dass er die Geschenke stets erst nach
entschiedener Sache erhalten habe, was durchgängig wahr zu sein scheint, und dass
er (was freilich bezweifelt werden mag) durch die Erwartung derselben sich niemals
zu einer parteiischen Entscheidung habe verleiten lassen. Die Annahme solcher Ge-
schenke fand freilich damals so häufig statt, dass durch den herrschenden Missbrauch
die Schuld des Einzelnen zwar keineswegs aufgehoben wird, aber doch als gemindert
erscheint; denn ein gerechtes sittliches Urtheil wird nur gewonnen, wenn nicht bloss
die absolute Norm, sondern auch das Durchschnittsmaass des sittlichen Verhaltens
der Zeitgenossen in Betracht gezogen wird.
Das Ziel bei Bacons Philosophiren ist ein durchaus praktisches. Nicht für
eine Schule, nicht für beliebige Ansichten will er arbeiten sondern für den Nutzen
und die Grösse der Menschheit sucht er neue Grundlagen. Der Mensch muss so
viel als möglich wissen, um die Herrschaft über die Aussenwelt zu erwerben.
Wissenschaft und Macht fallen so zusammen. Tantum possumus quantum seimus.
Sein Plan einer Neugestaltung der Wissenschaften umfasst zuvörderst die allge-
meine Umschreibung des Gebietes der Wissenschaften (des globus intellectualis, es
soll bei jeder Wissenschaft gezeigt werden, was sie noch zu wünschen übrig lasse)!
dann die Methodenlehre, endlich die Darstellung der Wissenschaften selbst und
ihrer Auwendung zu Erfindungen. Demgemäss beginnt das Gesammtwerk, dem
Bacon den Titel Instauratio magna gegeben hat, mit der Schrift De dignitate
et augmentis scientiarum; daran schliefst sich als zweiter Haupttheil das
Novum Orgauon. Zu der Darstellung der Naturgeschichte aber (die dem Bacon
als verae induetionis supellex sive sylva gilt) und zu der Naturerklärung, wie auch
zu einem Verzeichniss der schon gemachten Erfindungen und einer Anleitung zu
neuen, hat Bacon nur einzelne Beiträge geliefert. Zur Naturgeschichte gehört ins-
besondere die erst nach seinem Tode von seinem Secretair William Rawley ver-
öffentlichte Sylva sylvarum (Sammlung mehrerer Materialiensammlungen) sive historia
naturalis, zur Naturerklärung seine Theorie der Wärme, die eine Art der Bewegung
sei (nämlich expansive Bewegung, aufwärts strebend, durch die kleineren Theile
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§ 9. Francis Bacon.
des Körpers sich erstreckend, gehemmt und zurückgetrieben, mit einer gewissen
Schnelligkeit erfolgend).
Die Eintheilung der Wissenschaften beruht bei Bacon auf einem psychologischen
Princip. So viele seelische Kräfte die wirkliche Welt vorstellen können, in so
viele Haupttheile zerfällt das Gesammtbild des Universums. Auf das Gedächt-
nis» gründet sich nach Bacons Ansicht die Geschichtskunde, auf die Einbil-
dungskraft die Poesie, auf den Verstand die Philosophie oder die eigent-
liche Wissenschaft. Die Gesehichtskunde theilt Bacon in die historia civilis und
naturalis ein; bei jener bezeichnet er namentlich die Literaturgeschichte und die
Geschichte der Philosophie als Desiderata. Die Poesie theilt er in die epische,
dramatische und allegorisch didaktische ein. Die Philosophie geht auf Gott, den
Menschen und die Natur. Philosophiae objectum triplex: Dens, natura et homo;
percutit autem natura intellectum nostrum radio directo, Deus autem propter medium
inaequale radio tantum refracto, ipse vero homo sibimet ipsi monstratnr et exhibetur
radio reflexo. Sofern die Erkenntnis» Gottes aus der Offenbarung fliesst, ist sie
nicht ein Wissen, sondern ein Glauben. Dass Gott existirt, kann allerdings aus
der Natur erkannt werden, und so reicht die natürliche oder philosophische Theologie
zur Widerlegung des Atheismus aus, da die Erklärung aus physischen Ursachen
der Ergänzung durch die Zuflucht zur göttlichen Vorsehung bedarf. Bacon sagt
(de augm. sc. I, 5): leves gustus in philosophia movere fortasse ad atheismum, sed
pleniores haustus ad religionem reducere. Die dem Christentum eigenthümlichen
Wahrheiten sind freilich nicht durch Vernunft zu finden, und Glauben und Wissen
werden scharf von einander getrennt. Der Sieg des Glaubens ist um so glänzender,
wir erweisen Gott um so mehr Ehre, je ungereimter ein göttliches Geheimniss ist.
das wir als wahr annehmen. Wir finden demnach bei Bacon die Lehre von der
zweifachen Wahrheit gebilligt Ebenso wie Gott ist nach Bacon auch der von
Gott dem Menschen eingehauchte Geist (epiraculum) wissenschaftlich nicht erkenn-
bar; nur die physische Seele, die ein dünner, warmer Körper ist, ist ein Object
wissenschaftlicher Erkenntniss. Die Begriffe und Sätze, welche allen Theilen der
Philosophie gleichmässig zum Grunde liegen, wie die Begriffe Sein und Nicht-
sein, Aehnlichkeit und Verschiedenheit, das Axiom von der Gleichheit zweier
Grössen, die einer dritten gleich sind, entwickelt die philosophia prima oder
scientia universalis. Die Naturphilosophie geht theils auf die Erkenntniss, theils
auf die Anwendung der Naturgesetze, ist demnach theils speculativ, theils operativ.
Die upecnlative Naturphilosophie ist Physik, sofern sie die wirkenden Ursachen,
Metaphysik, Bofern sie die Zwecke betrachtet. An die Stelle der causae efficientes
im einzelnen Fall sollen nicht die causae finales treten, aber schliesslich muss die
Natur doch teleologisch erklärt werden, da durch blosses Znsammentreffen von
Atomen ohne voraussehenden Verstand die Welt nicht gebildet sein kann. Die
operative ist als Anwendung der Physik Mechanik, als Auwendung der Metaphysik
natürliche Magie. Die Mathematik ist eine Hilfswissenschaft der Physik. Die
Astronomie soll nicht bloBs die Erscheinungen und Gesetze mathematisch construiren,
sondern auch physikalisch erklären. (Zur Erfüllung der letzten Forderung versehloss
ihr freilich Bacon dnrch Verwerfung des copernicanischen Systems, das er für einen
abenteuerlichen Einfall hielt, und durch Unterschätzung der Mathematik den Weg.)
Die philosophische Lehre vom Menschen betrachtet denselben theils als Einzelneu,
theils als Glied der Gesellschaft; sie ist demnach theils Anthropologie (philosophia
humana), theils Politik (philosophia civilis). Die Anthropologie geht theils auf
den menschlichen Leib, theils auf die menschliche Seele. Die Seelenlehre be-
trachtet zunächst die Empfindungen und Bewegungen und ihr gegenseitiges Ver-
hältuis8. Bacon schreibt allen Körperelementen Perceptionen zu, die sich durch
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§ 9. Francis Bacon.
55
Anziehaugen und Abstossungen bekunden; die (bewusstcn) Empfindungen der Seele
unterscheiden sich von den blossen Perceptionen ; er will, das« die Natur und
der Grund dieses Unterschieds genauer untersucht werde. Hieran sehlieast sich
die Logik als die Lehre von der auf die Wahrheit gerichteten Erkenntniss und
die Ethik als die Lehre von dem auf das Gute (das individuelle und das Gemein-
wohl) gerichteten Willen. Logica ad illuminationis puritatem, ethica ad liberae
voluntatis directionem servit. — Ut manus instrumentum instrumentorum, et an im»
humaua forma est formarum, sie istae duae scientiae reliquarum omnium sunt
claves. Die Ethik geht auf die bouitas interna, die Politik (philosophia civilis)
auf die bouitas externa in conversationibus, negotiis et regimine sive imperio.
Bacon will die Politik von Staatsmännern, nicht von blossen Schulphilosophen, noch
auch vou einseitigen Juristen behandelt wissen.
Die Methodenlehre entwickelt Bacon in dem Novum Organon. Er will
zeigen, wie zur Erkenntniss der Naturgesetze zu gelangen sei, dereu Auwendung
die Macht des Menschen über die Natur erweitere. Ambitio (sapientis) reliqnll
sanior atque augustior est: humani generis ipsins potentiam et imperium in rerum
universitatetn instaurare et amplificare conari artibus et scientiis, cujus qnidem
potentiae et imperii usum sana deinde religio guberuet. — Pbysici est, non dispu-
tando adversarium, sed naturara operando vincere. Die Wissenschaft ist das Ab-
bild der Wirklichkeit. Scientia nihil aliud est, quam veritatis imago: nam veritas
essendi et veritas cognoscendi idem sunt, nec plus a se invicem differuut, quam
radius directus et radius reflexus. — Ea demum est vera philosophia, quae mundi
ipsius voces quam fidelissime reddit et veluti dictante mundo conscripta est, nec
quidquam de proprio addit, sed tantum iterat et resonat.
üm die Natur getreu zu iuterpretiren , muss der Mensch sich zuvorderst der
Idole (Trugbilder) entledigen, d. h. der falschen Vorstellungen, die nicht aus der
Natur der zu erkennenden Objecte, soudern nur aus seiner eigenen geflossen sind.
Die in der Nutur eines jeden Menschen begründeten trügerischen Vorstellungs-
weisen (insbesondere die Anthropomorphismen), z. B. die Ersetzung der causae
efficientes durch causae finales in der Physik, nennt Bacon idola tribus, die iu der
Eigenthümlichkeit Einzelner wurzelnden idola specus (der Höhle, in welche das
Licht nur unvollkommen eindringt), die durch den menschlichen Verkehr mittelst
der Sprache verursachten idola fori, die auf Ueberlieferung beruhenden idola
theatri. Die Lehre von den Idolen hat iu Bacons neuem Organon eine ähnliche
Bedeutung wie bei Aristoteles die Lehre von den Trugschlüssen; die Lehre von
den , idola tribus- antieipirt in gewissem Maasse den Grundgedanken vou Kants
Vernunftkritik.
Der von den Idolen gereinigte Verstand muss, um zur Naturerkenntniss zu
gelangen, auf Erfahrung fussen, aber nicht auf blosse Erfahrungen sich einschränken,
sondern methodisch dieselben combinireu. Wir sollen weder, wie die Spinnen
ihre Fäden aus sich ziehen, bloss aus uns unsere Gedanken schöpfen, noch, wie die
Ameisen, bloss sammeln, sondern, wie die Bienen, sammeln und verarbeiten. Es
sind zuerst durch Beobachtungen und Versuche Thatsachen zu coustatireu, dann
sind diese übersichtlich zu ordnen, endlich ist mittelst gesetzmäßiger und wahrer
Induction von den Experimenten zu Axiomen, von der Erkenntniss der That-
sachen zu der Erkenntniss der Gesetze fortzuschreiten. Diejenige Induction, welche
Aristoteles und die Scholastiker lehrten, bezeichnet Bacon als induetio per euume-
rationem simplicem; ihr fehle der methodische Charakter (den freilich auch Bacon
mehr erstrebt, als wirklich erreicht). Neben den positiveu Instanzen sind die
negativen zu berücksichtigen, ferner die Gratlunte rschiede zu bestimmen; die Fälle
von entscheidender Bedeutung sind als prärogative Instanzen vorzugsweise zu be-
56
§ 10. Hobbes und andere englische Philosophen seiner Zeit.
achten; von dem Einzelnen ist nicht sofort zum Allgemeinsten gleichsam im Flage
hinzueilen, sondern erst zu den mittleren Sätzen, den Sätzen von geringerer Allge-
meinheit, aufzusteigen, die gerade die fruchtbarsten sind. Obwohl Bacon auch den
Rückweg von den Axiomen zu neuen Experimenten, insbesondere zu Erfindungen,
fordert, so hält er doch den Syllogismus (in welchem Aristoteles das methodische
Mittel der Deduction erkannt hat) nicht hoch; derselbe reiche, meint Bacon, an die
Feinheit der Natur nicht heran und diene mehr den Disputationen als der Wissen-
schaft. Diese Verkennung des wissenschaftlichen Werthes des Syllogismus hängt
mit Bacons Unterschätzung der Mathematik aufs Engste zusammen. Die Theorie
der Induction hat Bacon wesentlich gefordert, obschon nicht vollständig und rein
durchgeführt; die Lehre von der Deduction aber ist bei ihm nicht zu ihrem Rechte
gelangt. In der Hochschätzung des Experiments ist Bacon besondere dem Telesius
gefolgt.
Bacon hält dafür, dass nach seiner Methode nicht nur die Naturwissenschaft,
sondern auch die Moral und Politik zu begründen sei, ist jedoch auf diese letztere
Aufgabe nicht in zusammenhängender Lehrcntwickelung, sondern nur durch geist-
reiche Aphorismen eingegangen, in denen er häufig an Montaigne sich anschliesst.
Allerdings hebt er schon als die Haupttriebfedern des menschlichen Handelns das
Streben nach dem eigenen Wohl und das nach dem Gesammtwohl hervor und scheint
das letztere als die eigentliche Quelle des Sittlichen anzusehen, so dass er hiermit
die Richtung späterer englischer Ethiker schon angegeben hätte. Ebenso legt er
Werth auf das Studium der Affecte und spricht den Satz schon aus, der dann
durch Spinoza bekannter wurde, dass ein Affect nur durch einen Aflect zu be-
herrschen sei. Einen Versuch naturgesetzlicher Auffassung des Staates hat Bacons
jüngerer Zeitgenosse und Freund, Thomas Hobbes, gemacht.
§ 10. Nicht sowohl im Anschluss an Bacons Prinoipien, als viel-
mehr an Galileis Physik, lehrt der mit Bacon befreundete Hobbes
(1588 — 1679) einen consequenten Sensualismus, bezeichnet zwar die
Philosophie als Körperlehre, da auch der Staat ein künstlicher Körper
ist, nähert sich aber mehr als dem Materialismus der Lehre, dass wir
nur Phänoineua erkennen, indem er die Emptinduugsqualitäteu als
subjectiv ansieht. Auch auf das Gebiet der Psychologie wendet er
die mechanische Causalität an. Von der Naturerklärung werden alle
Zwecke fern gehalten. Alles Geschehen ist Bewegung. Das Princip
der Ethik ist Selbstsucht, die Begriffe „gut" und „schlecht" haben
nur relative Geltung. Am bekanntesten sind Hobbes' politische
Theorien, nach welchen der Staat auf unbedingter Unterwerfung der
Handlungen und selbst der Gesinnungen unter den Willen eines ab-
soluten Monarchen beruht. In der Gewaltherrschaft desselben findet
Hobbes, unter Verkennung der Kraft des politischen Gemeinsinues,
der die Vereinigung von Freiheit und Einheit ermöglicht, das einzige
Mittel zum Heraustreten aus dem Naturzustande, dem Kampf Aller
gegen Alle. Des Hobbes älterer Zeitgenosse Herbert von Ch erb ury
begründet einen aus den positiven Religionen eine allgemeine oder
Naturreligion abstrahlenden und in dieser allein das Wesentliche der
Religion erkennenden Rationalismus.
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§ 10. Hobbes and andere englische Philosophen seiner Zeit.
57
In der nächstfolgenden Zeit herrscht unter den englischen Philo-
sophen, namentlich in der Cambridger Schule, ein erneuter Piato-
ni smus vor, der sich von der aristotelischen Scholastik ebensowohl
wie von dem hobbesschen Naturalismus entfernt, dem Mysticismus
aber und zum Theil auch dem Cartesianismus befreundet ist. Er bildet
mit dem Naturalismus, den er selbst heftig bekämpft, die Opposition
gegen den religiösen Dogmatismus der Puritaner und vertritt das
intellectualistische oder rationalistische Princip. Der vorzüglichste
Repräsentant dieser Richtung ist Ralph Cudworth. Einzelne, wie
Joseph Glanville, huldigen in der Wissenschaft dem Skepticismus,
um den religiösen Glauben gegen jeden Angriff zu sichern.
Die Schriften des Hobbes sind lateinisch in einer durch ihn selbst veranstalteten
Sammlung Am-t 1668 erschienen; die erste engl. Gesamintausg. seiner moral. u. polit.
Werke Lond. 1750. Opp. philosophica, quae latine scripsit, ed. Moleswurth, 5 vol.
Lond. 18:}!)— 1845, und Englisli Works, edited by Molesworth, 10 vol., in vol. XI In lex,
Lond. 1839 — 45. Notizen über das Leben des Hobbes finden sich theils in seinen
eig. Schriften, insb. in seiner Selbstbiogr. (fhe life of Thomas Hobbes, wriiten by him-
self in a latin poem and translated into etiRlish, Lond. 16*0), theils in dem von Radulph
Bathurst herausgegebenen Sammelwerk: Th. H. Angli Malmesburicnsis vita, C'arohpoli
apud Eleutherius Anglicum 1681. Ueber Hobbes' Leb. u. Schriften und Lehre handeln
besonders Buhle, Gesch. d. neuer. Philo»., Bd. III, Gott. 1802, S. '223— 325 u. Charles
de Remusat in: Revue des deux mondes, T. 88, p. 162 — 187. Eine Monographie über
Hobbes' Staatstheorie, virfasst von Heinr. Nuscheier, hat Kym, Zürich 1865. heraus-
gegeben. F. Tönnies, Anmerkungen üb. die Philo«, des Hobbes, 4 Artikel, in: Viertel-
jahrsschr. f. wissenseh. Ph. 1879 — 1881. (T. sucht namentlich die Eutwickclung von
Hobbes nachzuweisen.) V. Jeanvrot, de l'origine et des principe« des lois d'apres Th.
H, Par. 1881. V. Mayer, Th. H. Darstell. u. Kr. seiner philo«., Staatsrecht!, und
kirchenpolit. Lehren, Freib. i. Br. 1886. George Croora Robertson, Hobbes (philos.
das«. — ed. by W. Knight. vol. X), Edinb. and London 1886. Beruh. Gühne, über
H. 's naturwissenschaftl. Ansichten u. ihren Zusammenh. mit der Naturphil, seiner Zeit,
I. D., Lpz. 1886. F. Tonnies, Leibniz u. IL, in: Philos. Monatsh. 1887, S. 557-573.
Geboren am 5. April 1588 zu Malmesbury als Sohn eines Laudgeistlichen,
studirte Thomas Hobbes in Oxford insbesondere die aristotelische Logik und
Physik and eignete sich die nominalistische Doctrin an. In seinem zwanzigsten
Lebensjahre ward er Erzieher und Gesellschafter in dem Hause des Lord Cavendish,
nachmaligen Grafen von Devonshire, nahm an Reisen nach Frankreich und Italien
theil; nach der Rückkehr hatte er mit Bacon Verkehr. Im Jahre 1628 übersetzte
er den Thukydides ins Englische, in der ausgesprochenen Absicht, von der Demo-
kratie abzuschrecken. Bald hernach studirte er in Paris Mathematik und Natur-
wissenschaften, worin er später den nachmaligen König Karl II. unterrichtete; in
Paris Btand er mit Gossendi und mit dem Franciscanerrnönche Merseune in bestän-
digem Verkehr. Hobbes bat die Lehren des Copernicus, Kepler, Harvey und
namentlich des Galilei, welchen letzteren er auch 1636 höchst wahrscheinlich besuchte,
nach ihrem vollen Werthe zu schätzen gewasst. Kurze Zeit vor dem Beginn des
langen Parlaments (1640) verfasste er in England die Schrift: Elements of law
natural and politic, ohne jedoch dieselbe sofort erscheinen zu lassen. Sie wurde
wider sein Wissen von einigen seiner Verehrer zehn Jahre später als zwei getrennte
Werke unter den Titeln: Human nature und De corpore politico, veröffentlicht, so
auch noch in der letzten Ausgabe seiner Schriften. In Paris entstanden die Haupt-
werke: Elementa philos. de cive, zuerst Paris 1642, dann erweitert 1647 zu Amster-
dam gedruckt (ins Französische durch Sorbiere übersetzt 1649; deutsch von
J. H. v. Kirchmnun, Lpz. 1873), und Leviathan or the matter, form and authority
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§ 10. Hobbes und andere englische Philosophen seiner Zeit.
of government, Lond. 1651, lateln. Amst 1668, deutsch Halle 1704-95. Nach
England kehrte Hobbes, durch den Leviathan mit Katholiken und Protestanten
verfeindet, 1652 zurück. In London erschienen die schon erwähnten zwei Schrifteu,
ferner: Qnaestiones de libertate, necessitate et casu, 1656; Elcmentoram philosophiae
Sectio prima: de corpore, englisch London 1655, Sectio secunda: de homine, englisch
London 1658, beide Sectionen lateinisch Amst. 1668 (in der von Hobbes selbst ver-
anstalteten Sammlang seiner Schriften); die Sectio tertia ist das Werk de cive.
Hobbes starb zu Hardwioke am 4. December 1679.
Hobbes defiuirt die Philosophie als die Erkcuntniss der Wirkungen oder
der Phänomene aus den Ursachen und andererseits der Ursachen aus den beobach-
teten Wirkungen vermittelst richtiger Schlüsse; ihr Ziel liegt darin, daas wir die
Wirkungen voraussehen und von dieser Voraussicht Gebrauch im Leben machen
könuen. Hobbes kommt demnach mit Bacon in der Annahme einer praktischen
Abzweckung der Philosophie überein, bat aber mehr die politische Anwendung als
technische Erfindungen im Auge; er theilt Hacons mechanistische Weltansicht und
fusst auf Erfahrung, will aber im Unterschiede von Bacon ebensowohl wie die
methodus resolutiva sive analytica auch die methodus compositiva sive synthetica,
deren Werth er besondere durch seine mathematischen Studien erkannt hatte, in der
Philo sophie zur Anwendung gebracht wissen (s. Galilei, ob. S. 40 f.). Gegenstand
der Philosophie ist jeder Körper. Den Begriff des Körpers aber fasst Hobbes
als identisch mit dem der Substanz; eine unkörperliche Substanz ist ihm ein Un-
ding. Wird dagegen gesagt, Gott existire doch und sei Geist, so antwortet Hobbes
darauf, Gott sei kein Object der Philosophie, und ausserdem habe es Behr fromme
Männer gegeben, die Gott Körperlichkeit zugesprochen hätten. Die Körper sind
natürliche oder künstliche, unter den letzteren ist der Staatskörper (Staatsorgauismus)
der wichtigste. Die Philosophie ist hiernach theils natural, theils civil philosophy.
Den Ausgang nimmt Hobbes von der philosophia prima, die sich ihm auf einen
Inbegriff von Definitionen der Fundamcntalbegriffe , wie Raum und Zeit, Ding und
Qualität, Ursache und Wirkung, reducirt. Hieran schliesst sich die Physik und
Anthropologie an, dann folgt die Politik.
Die Körper bestehen aus kleinen Theilen, die jedoch nicht als schlechthin
untheilbar zu denken sind. Es giebt nicht eine durchaus unbestimmte Materie;
der allgemeine Begriff der Materie iBt eine blosse Abstraction von den bestimmten
Körpern. Hobbes reducirt alle realen Vorgänge auf Bewegungen. Was Anderes
bewegt, muss auch selbst bewegt sein, mindestens in seinen kleinen Theilen, deren
Beweguug sich zu entfernten Körperu nur durch Medien fortpflanzen kaun, eine
unmittelbare Wirkung in die Ferne giebt es nicht. Die Sinne der Thiere und
Menschen werden durch Bewegungen afficirt, die sich nach innen zum Gehirn, von
da zum Herzen fortpflanzen; vom Herzen geht daim eine Rückwirkung aus, welche
Rückbewegung und Empfindung ist. Die Empfiudungsqualitäten (Farben,
Touempfindungen etc.) sind demnach als solche nur in den empfindenden
Wesen. Das, was man sinnliche Eigenschaften nennt, sind nichts als Modificationen
des afficirteu Subjects. So heisseu sie denn mit Recht ideae, phaenomena. Auch
Undurchdringlichkeit, Ausdehnung sind ihm bisweilen nur unwirkliche Accidentien
der Körper, ja in der Schrift de corpore erklärt er das Bewegtsein auch für ein
Accidena, so dass von der Wirklichkeit ausser uns nichts übrig bliebe als der
blosse Begriff eines Körpers oder einer Substanz, als das letzte, um überhaupt
noch Dinge, die für sich existiren, bestehen zu lassen. In der Regel sieht aber
Hobbes die Bewegung als etwas Reales an, und er erklärt zwar den Raum als:
Phantasma rei existentis, quatenus existentis, i. e. nullo alio eius rei accidente
considerato praeterquam quod apparet extra imaginantem, aber diese subjective
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§ 10. Hobbes und andere englische Philosophen seiner Zeit.
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Vorstellung ist doch dorch die im Raum wirklich existirenden Dinge vermittelst
sinnlicher Wahrnehmung hervorgebracht: nur sind wir im Stande, von der besondern
Qualität dieser Dinge abzusehen und das Allgemeine des Ausserunsseins uns vorzu-
stellen. Wahrnehmung oder Empfindung haben wir nur, wenn auf die Wirkung
des äusseren Gegenstandes der Sinn reagirt; diese Reaction hat aber mit den Be-
wegungen im Gegenstande oder gar mit dem Gegenstande Belbst gar keine Aehn-
lichkeit. Alle Materie trägt übrigens die Anlage zu Empfindungen in sich. Aus
den Empfindungen erwächst alle Erkenntniss Von der Empfindung bleibt die Er-
innerung zurück, die wieder hervortreten kann, indem die Affection des Sinnesorgans,
wenn auch die Einwirkung von aussen aufgehört hat, noch fortdauert. Sentire se
sensisse est memoria. Der Inhalt unseres Gedächtnisses ist die Erfahrung. Es geht
dies alles auf mechanische Weise vor sich, auch die Ideenassociation wird mechanisch
erklärt.
Die Erinnerung an Wahrgenommenes wird bei den Menschen uuterstützt und
die Mittheilung nn Andere möglich gemacht durch Zeichen, die wir mit deu Vor-
stellungen der Objecte verknüpfen: hierzu dienen uns insbesondere die Namen, die
Worte, die also nichts als erfundene Zeichen zu den angegebenen Zwecken sind.
Das nämliche Wort dient als Zeichen für viele einander ähnliche Objecte und ge-
winnt hierdurch deu Charakter der Allgeraeinheit, welcher immer nur Worten,
niemals Dingen zukommt, und so ist das Allgemeine ein künstliches Product des
Menschen. Es steht bei uns, welche Objecte wir jedesmal durch das nämliche
Wort bezeichnen wollen; wir erklären uns darüber mittelst der Definition. Alles
Denken, das Urtheilen und auch das Schliessen, ist ein Verbinden und Trennen,
Addiren und Subtrahiren von Namen, d. h. Zeichen der Vorstellungen; Denken ist
Rechnen. Werden bewiesene Sätze mit einander verbunden so entsteht die Wissen-
schaft. Da die Worte Erfindung der Menschen sind, so haben sie für den Weisen
nur den Werth von Rechenpfennigen, für den Narren sind sie aber Gold.
Mit den Empfindungen, je nachdem die Eindrücke unsern Blutundauf fördern
oder hemmen, ist Lust und Unlust verbunden, uud werden diese auf Zukünftiges
bezogen, so entsteht Begehren und Abscheu. Von Freiheit ist bei dem Menschen
nicht die Rede; jeder Willensakt geht aus den vorhergehenden Bewegungen mit
Notwendigkeit hervor. Hobbes hält den Menschen nicht (gleich der Biene,
Ameise etc.) für ein schon durch Naturinstinct geselliges Wesen (Züoy nnXtnxö*),
sondern setzt den Naturzustand der Menschen in einen Krieg Aller gegen Alle,
indem die menschliche Natur nur von der Selbstsucht ursprünglich getrieben wird,
sich selbst zu erhalten und Genuss zu haben. Der Mensch bat von Natur ein
Recht auf alle Dinge, wünscht freilich nur das, was ihm gut ist. Ein solcher
Zustand des allgemeinen Krieges ist aber für den Einzelnen nicht vortheilhaft,
deshalb muss man aus ihm heraustreten. Es kann dies geschehen theils durch
Affecte, theils durch Vernunft. Die Affecte, welche den Menschen zum Frieden
bringen, sind Furcht vor dem Tode, Verlangen nach Dingen, die zu einem bequemen
Leben nothwendig sind, Hoffnung, diese durch Arbeit sich zu verschaffen. „Die
Vernunft unterscheidet schickliche Friedeusartikel , auf Grund deren die Menschen
zum Frieden gebracht werden können." Diese bestehen in der vertragsmässigen
Unterwerfung Aller unter die Obmacht eines absoluten Herrschers, dem Alle
unbedingten Gehorsam leisten, um dagegen von ihm Schutz zu erhalten und eben
dadurch erat die Möglichkeit eines wahrhaft humanen Lebens zu gewinnen. Das
Naturstreben des Einzelnen nach Selbsterhaltung und nach möglichst viel Lust
wird durch die Gesetze der menschlichen Gesellschaft erst befriedigt, und so sind
die letzteren eigentlich als natürliche anzusehen. Ausserhalb des Staates findet
sich nur Herrschaft der Affecte, Krieg, Furcht, Armuth, Schmutz, Vereinsamung,
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§ 10. Hobbes und andere englische Philosophen seiner Zeit.
Barbarei, Unwissenheit, Wildheit, im Staate aber Herrschaft der Vernunft, Friede,
Sicherheit, Reichthum, Schmuck, Geselligkeit, Zierlichkeit, Wissenschaft, Wohl-
wollen. (Hiernach ist die Behauptung falsch, dass der Staat des Hobbes .ohne
allen idealen und ethischen Inhalt" sei und nur Sicherheit des Lebens und sinn-
liches Wohlsein bezwecke.) Der Herrscher kann ein Monarch oder auch eine
Versammlung sein ; die Monarchie aber ist als die strengere Einheit die vollkommenere
Form, und alle republikanischen Staatstheorien werden verworfen. Der Krieg ist
ein Rest des Urzustandes. An das Zusammenleben im Staat knüpft sich der
Unterschied von Recht und Unrecht, Tugend und Laster, Gutem und Bösem. Was
die absolute Macht im Staate sanctionirt. ist gut, das Gegentheil verwerflich.
Etwas, das an sich gut oder schlecht wäre, giebt es nicht. Das öffentliche Gesetz
ist das Gewisseu des Bürgers. Er Boll nicht um des vergangenen Bösen, sondern
um des zukünftigen Guten willen gestraft werden; die Furcht vor der Strafe soll
die Lust, die Jemand von der durch den Staat verbotenen That erwartet, aufzu-
wiegen vermögen; nach diesem Princip ist das Strafmaass zu bestimmen. Religion
und Aberglaube kommen darin überein, dass sie Furcht vor erdichteten oder
traditionsmässig angenommenen unsichtbaren Mächten sind; die Furcht vor den-
jenigen unsichtbaren Mächten, welche der Staat anerkennt, ist Religion, die Furcht
vor solchen, welche derselbe nicht anerkennt, ist Aberglaube. Religiöse Privat-
überzeugung dem sonctionirten Glauben entgegensetzen, ist ein revolutionäres
Treiben, welches den Staatsverbaud auflöst. Die Gewissenhaftigkeit besteht in dem
Gehorsam gegen den Herrscher.
Die Vertragstheorie (die freilich nicht sowohl den historischen Entstehungs-
grund des Staates bezeichnet, als vielmehr eine ideale Norm zur Messung bestehen-
der Zustände aufstellt) konnte mit gleicher und grösserer Consequenz zu entgegen-
gesetzten Resultaten führen, die später von Spinoza, Locke, Rousseau und
Anderen vertreten wurden.
Nicht bis zu der (hobbesschen) Negation der inneren Berechtigung aller
Religion gingen andere Denker in jener und der nachfolgenden Zeit fort, sondern
hielten sich an eine bloss auf Vernunft zu gründende Religion, namentlich schon
Hobbes' älterer Zeitgenosse, Lord Eduard Herbert of Cherbury (1581— 1648),
der als Politiker auf der Seite der parlamentarischen Opposition stand und lange
ein abenteuerliches Leben als herumziehender Ritter führte. Sein Hauptwerk ist:
Tractatus de veritate prout distinguitur a revelatione, a verisimili, a possibili et
a falso, Paris 1624 u. ö.; auch schrieb er: de religione gentilium errorumque apud
eos causis, Theil I, Loud. 1645, vollständig Lond. 1663 und Amst. 1670, ferner:
de religione laici und historische Schriften. Er nimmt an, dass alle Menschen in
gewissen communes notitiae einstimmig seien, und will, dass diese als Kriterien bei
allen Religiousstreitigkeiten dienen. Er findet fünf solcher Wahrheiten: 1) das
Dasein eines höchsten Wesens, 2) die Pflicht, dieses höchste Wesen zu verehren,
3) Tugend und Frömmigkeit sind die vorzüglichsten Bestandtheile dieser Verehrung,
4) die Forderung der Reue über Unterlassen dieser Verehrung und Vergehen, 5) die
aus der Güte und der Gerechtigkeit Gottes folgende Belohnung und Bestrafung in
diesem und in jenem Leben. Auf Grund dieser allgemeinen Sätze sollte eine all-
gemeine Religion geschaffen werden, durch welche die positiven Religionen über-
flüssig würden. — Herbert wird oft als Urheber des englischen Deismus angesehen.
Seine Doctrin, sowie die mehr oder minder durch dieselbe bedingte Lehre späterer
Freidenker (worüber besonders Victor Lechler, Gesch. des engl. Deismus, Stuttg. u.
Tüb. 1841, eingehend handelt) ist jedoch mehr für die Geschichte der Religion als
der Philosophie von Wichtigkeit. Da sie im Gegensatz zur Offenbarungslehre die
Religion auf die menschliche Vernunft allein gründet, kann man sie auch als
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§ 10. Hobbes und audere englische Philosophen seiner Zeit. 61
Rationalismus bezeichnen. Vergl. Charles de Remusat, Lord Herbert de Cher-
bury, sa vie et ses oeuvres, ou les origines de la philos. du sens commun et de la
theologie naturelle en Angleterre, Par. 1873.
Bis auf die Zeit Locke« gewann an den englischen Schulen der Empirismus
nicht die Herrschaft; die Scholastik ward beschränkt, aber zunächst zu Gunsten
tht-ils des Skepticismus, theils eines erneuten Piatonismus, Neuplatoidsmus und
Mysticismus. Dem Skepticismus huldigte Joseph Glanrille (Karls II. Hofkaplan,
gest. 1680), der in seinen Schriften (Scepsis scientifica or confessed ignorance, the way
to science, an Essay of the vanity of dogmatizing and confident opinion, London
1655, und de incrementis scientiarum, London 1670) besonders den aristotelischen
und cartesianischen Dogmatismus bekämpft. Er bemerkt, dass wir die Causalität
nicht erfahren, sondern erschliessen, aber nicht mit Sicherheit: nam non sequitur
necessario, hoc est post illud, ergo propter illud.
Der bedeutendste Platoniker unter den englischen Philosophen jener Zeit ist
Ralph (Rudolph) Cudworth (1617—1688, seit 1639 Professor in Cambridge), der
den durch die Lehre des Hobbes begünstigten Atheismus bekämpfte, die Zweck-
ursachen auch der Physik vindicirte und zur Erklärung des Organismus (gemäss
der aus der platonischen Ideenlehre hervorgegangenen aristotelischen Lehre von den
Entelechien und stoischen Lehre von den koyot ontQuanxoi) eine bildende Kraft,
eine plastische Natur annahm. Er will den Piatonismus in religiöser Hinsicht ge-
messen wissen an der Norm des Christenthums im Gegensatz zu Plethon. Sein
Hauptwerk ist: the true intellectual system of the univeree, wherein all the reason
and the philosophy of atheism is confuted, London 1678, auch 1743, ins Lat. übers,
von Joh. Laur. Mosheim, Systema intellectuale huius universi, mit Anmerkungen,
Zusätzen und einer Biographie Cudworths versehen, Jena 1733, auch Lugd. Bat. 1773.
Erst 1731 wurde von dem Bischof Chandler sein Treatise concerning eternal and
iramutable morality veröffentlicht, auch von Mosheim als Anhang zu dem Systema
übersetzt. Das Sittliche und seine verbindliche Kraft sind nicht aus dem Natür-
lichen herzuleiten, sondern haben ihre Quelle im göttlichen Geiste, der als Intelligenz
gedacht wird. Die sittlichen Grundsätze haben dieselbe Giltigkeit wie die mathe-
matischen Wahrheiten. Zu ihrer Erkenntniss kommt der menschliche Geist durch
ursprünglichen Besitz und nicht auf sensualistische Weise. Die sittlichen Ideen
sind dem Menschen also angeboren. Vgl. über ihn H. v. Stein in: Sieben BB. zur
Gesch. des Piatonismus, Bd. 3, S. 160 ff. ; C. E. Lowrey, the philosophy of Ralph
Cudworth, New -York 1885. Auch Sam. Parker (gest. 1688) bekämpfte die
atomistische Physik und gründete (in seinen Tentamina physico-thoologica, Lond.
1669, 1673, und anderen Schriften) den Glauben an das Dasein Gottes haupt-
sächlich auf die in dem Bau der Naturobjecte sich bekundende Zweckmässigkeit.
Mit dem Cabbalismus verschmolz Henry More (1614—87; H. Mori Cantabrigiensis »
Opp. omnia, tum quae latine, tum quae anglice scripta snnt, nunc vero latinitate
donata, 2 voll., Lond. 1679; unter den philosophischen Schriften sind die be-
deutendsten: Enchiridion metaphysicum, in quo agitur de existentia et natura rerum
incorporearum ; Enchiridiou ethicum praecipua philosophiae moratis rudimenta com-
plectens. das letztere auch besonders herausgeg. Nürnberg 1668. S. üb. ihn Rieh.
Ward, the life of the learned and pious Dr. H. M., Lond. 1710, Rob. Zimmermann,
H. More u. d. vierte Dimension des Raumes, aus d. Sitzungsber. der Ak., Wien
1881) den Piatonismus. Alle Körper, auch die physikalischen, sind von Geistern
durchdrungen, welche auf den unteren Stufen keimkräftige Formen, auf den höheren
Seelen heissen. Alles ist erfüllt vom Weltgeist, der aber nicht Gott selbst, sondern
nur dessen Werkzeug ist. Um auf dem praktischen Gebiet die Vermittelung zwischen
Vernunft und Trieben herzustellen, nimmt er ein eigenes Vermögen an, das er
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§11. Descartes, Anhänger and Gegner.
honiform faculty nennt, obwohl er der Vernunft auch noch praktische Bedeutung
zuschreibt Das Sittliche schliesst nicht nur die Tugend sondern auch die Glück-
Seligkeit ein. Theophilua Gale (1628—77; Philosophia universalis und Aula deorum
gentilium, Lond. 1676) leitete alle Gotteserkenntniss aus der Offenbarung ab, und
sein Sohn Thomas Gale (Opuscula mvthologiea etc., Cambridge 1682) edirte
Documente theologischer Dichtung und Philosophie. Der Richtung Jakob Böhmes
huldigten John Pordage (1625—98), sein Schüler Thomas Bromley (gest. 1691)
und Andere.
§11. An der Spitze der dogmatischen oder rationalistischen
Entwickelungsreihe der neueren Philosophie steht die cartesianische
Lehre. Rene* Descartes (1596—1650), in einer Jesuitenschule ge-
bildet, kam durch Vergleichung der verschiedenen Anschauungen
und Sitten unter verschiedenen Nationen und Parteien und durch
allgemeine philosophische Betrachtungen, insbesondere durch die
Erkenntniss des weiten Abstandes aller Demonstrationen in der
Philosophie und anderen Doctrinen von der mathematischen Gewiss-
heit, zum Zweifel an der Wahrheit aller überlieferten Sätze und fasste
den Ent8chluss, durch eigenes voraussetzungsloses Denken zu ge-
sicherten Ueberzeugungen zu gelangen. Das Einzige, woran sich,
wenn alles Uebrige, auch Raum und Zeit, bezweifelt wird, nicht
zweifeln lässt, ist das Zweifeln selbst und überhaupt das Denken im
weitesten Sinne als die Gesammtheit aller bewussten psychischen
Processe. Mein Denken aber hat meine Existenz zur Voraus-
setzung: cogito ergo sum. Ich finde in mir die Gottesvorstellung,
die ich nicht aus eigener Kraft gebildet haben kann, da sie eine vollere
Realität involvirt, als ich in mir selbst trage; sie inuss Gott selbst
zum Urheber haben, der sie mir einprägte, wie der Architekt seinem
Werke seinen Stempel aufdrückt. Auch folgt schon aus dem Gottes-
begriff Gottes Existenz, da das Wesen Gottes die Existenz und zwar
die ewige und nothwendige Existenz involvirt. Zu den Eigenschaften
Gottes gehört die Wahrhaftigkeit (veracitas): Gott kann mich nicht
täuschen wollen ; daher muss alles, was ich klar und bestimmt erkenne,
, wahr sein. Aller Irrthum beruht auf dem Missbrauch der Willens-
freiheit zu einem vorschnellen Urtheil über solches, was ich noch
nicht klar und bestimmt erkannt habe. Neben der Gottheit, als der
Substanz im höchsten Sinne, die keines andern Dinges zu ihrer
Existenz bedarf, giebt es noch zwei Substanzen zweiter Ordnung, die
nur Gottes zu ihrer Existenz bedürfen. Ich kann nämlich die Seele
als denkende Substanz klar und bestimmt auffassen, ohne sie als
ausgedehnt vorzustellen; das Denken involvirt keine an die Aus-
dehnung geknüpften Prädicate. Ich muss andererseits den Körper als
ausgedehnte Substanz denken und als solche für real halten, weil
ich durch die Mathematik eine klare und bestimmte Erkenntniss von
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§11. Descartes, Anbänger und Gegner.
G3
der Ausdehnung gewinnen kann und mir zugleich der Bedingtheit
meiner Sinnesempfindungen durch äussere, körperliche Ursachen klar
bewusst bin. Figur, Grösse, Bewegung kommen als Modi der Aus-
dehnung den Aussendingeu zu; die Empfindungen der Farben, der
Töne, der Wärme etc. aber existiren ebensowohl wie Lust und Schmerz
nur in der Seele und nicht in den körperlichen Objecten. Nur durch
Druck und Stoss werden die Körper bewegt. Denken uud Ausdeh-
nung sind vollständig verschieden. So werden denn auch die beiden
Lehren, die sich auf sie beziehen, nichts miteinander gemein haben,
so dass weder die Physik aus der Geistesphilosophie, noch umgekehrt
die Geistesphilosophie aus der Physik abgeleitet werden kaun. Die
Seele steht mit dem Körper in unmittelbarer Beziehung und Wechsel-
wirkung nur an einem einzigen Punkte inmitten des Gehirns, und
zwar in der Zirbeldrüse. — In der Ethik schloss sich Descartes den
Alten, namentlich den Stoikern, an.
Von den Schriften, die Descartes veröffentlicht hat, ist die früheste der Dis-
cours de la methode, pour bien eonduire la raison et chereher la verite dans le*
sciences, der zugleich mit der Dioptrique, den Meteore» und der Geometrie unter dem
Titel Essays philosophiqucs, Leyden 1637, erschien, in lateinischer, vom Abbe Ktienue
de Courcelles angefertigter, von Descartes durchgesehener Uebersetzung, Specimina
philosophica, Amst. 1644. (Die hierin nicht mitenthaltene Geom. hat van Schnuten
übersetzt, Lugduni Bat. 1649.) In lateinischer Sprache hat Descartes die Medita-
tiones de prima philosophia, ubi de Dei existentia et animae immortalitate; bis
adjunctae sunt variae objectiones doctorum virorum in istas de Deo et anima demon-
strationes (nämlich 1. von Caterus in Antwerpen, 2. von pariser Gelehrten, gesammelt
von Mersenne, 3. von Hobbes, 4. von Arnauld, 5. von Gassendi, 6. von verschiedenen
Theologen und Philosophen) cum responsionibus auctoris, Paris 1641 veröffentlicht und
der Sorbonne zu Paris, deren Ansehen er für seine Lehre zu gewinnen wünschte, ge-
widmet. Die zweite Ausgabe ist zu Amst. 1642 unter d. Tit.: Meditationes de prima
philosophia, in quibus Dei existentia et animae humanae a corpore distinetio demon-
stratur, erschienen; zu den objectiones und responsiones der ersten Aul!, sind hier noch
als objectiones septimae die Einwürfe des Jesuiten Bourdin nebst den Antworten des
Descartes hinzugekommen: eine französ. Uebersetzung der Meditationen durch den Herzog
von Luynes und der Einwürfe und Antworten durch Clerselier, von Descartes durch-
gesehen, erschien 1647, auch 1661, eine andere von Rene Fede ausgearbeitete Ueber-
setzung 1673 und 1724. Die systematische Darstellung der gesammten Doctrin erschien
unter d. Tit.: Kenati Descartes Principia philo sophiae zu Amsterdam 1644 u. ö.,
die französ. Uebersetzung von Picot. Paris 1647, 1651, 1658, 1681. Eine Streitschrift:
Kpistola Renati Descartes ad Gisbertum Voetium erschien Amst, 1643, eine zweite:
Notae in progrumma quoddam sub linem anni 1647 in Belgio editum (anonym* aber
höchst wahrscheinlich von Regius). Amst. 1648, die psychologische Monographie: Lei
passions de l'ame, Amst. 1650. Mehrere Abhandlungen und Briefe wurden nach
Descartes' Tode aus seinem Xachlass herausgegeben, namentlich durch Claude de Cler-
selier Fragmente der von Descartes selbst wegen der Verurtheilung Galileis nicht ver-
öffentlichten Schrift: Le monde ou traite de la lumiere, zuerst Paris 1664. dann besser
Paris 1677; ferner, gleichfalls durch Clerselier: Traite de l'homnie et de la formation du
foetus, Par. 1664, lat. mit Noten von Louis de la Forge, 1677, Briefe, Par. 1657— 67,
lat. Amst. 1668 und 1692; später wurden auch die Regulae ad directionem ingenü
(Regle» pour la direction de l'esprit) und: Inquisitio veritatis per lumen naturale
(Recherche de la verite par les lumieres naturelles), zuerst in den Opera posthuma
Cartesii, Amstel. 1701, veröffentlicht. (Die Entstehung der auch im 11. Bande der
cousinschen Ausgabe der Werke des Descartes ahgedr. „Regeln für die Leitung des
Geistes" setzt Baumann in der Zeitschr. f. Philos. N. F. Bd. 53, 18««, S. 188—20.,,
in die Zeit vom 23. bis 32. Lebensjahre Descartes' und betrachtet sie als ein Document
des Entwicklungsganges des Philosophen.) Latein. Gesammtausgaben der philos. W erke
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§11. Descartes, Anhänger und Gegner.
des Descartes sind AmsL 1650 u. ö. erschienen; in französ. Sprache sind die Werke
Par. 1701, 1724 und durch Victor Cousin 1824—26 herausg. worden, die philos. Werke
durch Garnier, Paris 1835, durch Alme-Martin, Paris 1882. Einiges früher Unveröffent-
lichte hat Foucher de Careil herausg.: Oeuvres iuedites de Descartes, precedees d'une
preface et publice* par le comte F. d. C, Par. 1859—60. Desc, lettres ined. prec
d'une inirod. par E. de Bude, Par. 1868. Sehr häufig sind bis auf die neueste Zeit
eftuelne Schriften und Sammlungen der philosophischen Hauptwerke erschienen, u. a. der
Discours de la methode, hrsg. v. Em. Lefranc, Paris 1866, G. Vapereau, die Medi-
tationen, hrsg. v. S. Barach, Wien 1866. Oeuvres de Desc, nouv. edit., collationnee sur
les meillcurs textes et precedee d'une introd. par Jules Simon, Par. 1868 u. 6. Ins
Deutsche hat Kuno Fischer den Disc, die Med. und den ersten Theil der Princ. philos.
des Descartes übertragen und mit einem Vorwort begleitet, Mannheim 1863, v. Kirch-
mann (in der „philo*. Bibl.*) die sammtlichen philos. Schriften (nämlich ausser Disc,
Med. und den vollständigen Princ. philos. auch noch de pass. aniiuue) abersetzt und
commentirt, Berlin 1870. Der Discours de la methode, erklärt von F. C. Schwalbach,
Berlin 1879.
Die Hauptzüge aus Beinern Entwickelungsgange hat Descartes selbst in seinem
Discours de la methode mitgetheilt. Kurze Biographien erschienen schon bald nach
Hrinem Tode, eine ausführliche, von A. Baillet verfasst, unt. d. Tit.: la vi» de Mr.
des Carte«, Par. 1691, im Auszuge 1693. Eloge de Rene Descartes, par Thomas, Par.
1765 (von der pariser Akademie mit dem Preise gekrönt). Eloge de Rene Descartes par
Gaillard, Par. 1765; par Mercier, Geneve et Par. 1765. In den Werken über die Ge-
schichte der neueren Philosophie und in manchen Ausgaben von Schriften des Descartes
findet man Skizzen seines Lebens- und Entwickelungsgange*, u. a. auch im ersten
Bande der Hist. de la Philos. Cartesienne par Francisquc Bouillier, Par. 1854, 3. Aufl.
1868; in den Oeuvres inorales et philoaophiques de Descartes, precedees d'une notice
sur sa vie et sea ouvrage* par Amedee Prevost, Paris 1855 etc. Eine anziehende
Schilderung seine* Lebensganges giebt Kuno Fischer, Gesch. d. neuer. Philos. I, 1,
3. Aufl., München 1878, S. 147 — 270. J. Millet, Desc, sa vie, ses travaux, se»
decouvertes avant 1637, Paris 1867, und Desc, son hist. depuis 1637, sa phil., son röle
dans le mouvement general de l'esprit humain, Par. 1870. Paul Janet, Descartes, in:
Rev. d. deux mond. t. 73, 1868, S. 345— 369. Ch. Jul. Jeannel, Desc. et la princesse
palatine, Par. 1869. W. Ernst. Desc. sein Leb. u. Denk., Skizze, Böhm. Leipa 1869.
Foucher de Careil, Desc. et la princesse Palatine, Par. 1862; der*.. Desc, la princesse
Elisabeth et la reine Christine d'apres des lettres inedites, Paris 1879.
Ueber die Geschichte des Cartesianismus ist da* Hauptwerk: Histoire de
la philosophie Cartesienne par Francisque Bouillier, Paris 1854, 3. ed. 1868 (eine
Erweiterung der bereits 1843 veröffentlichten, von der Acad. des scienc moral. et polit.
gekrönten Preisschrift: Histoire et critique de la revolution cartesienne); vgl. die be-
treffenden Abschnitte bei Damiron, Histoire de la philosophie du XVII. siede, auch
E. Saisset precurseurs et disciples de Desc, Paris 1862, Ad. Franck, moralistes et
philosophes, Par. 1872, p. 157—227. F. Papillon, de la rivalite de l'esprit Leibnizien
et de l'esprit CarteMen au XVIII. s., Orleans 1873. Georges Monchamp, Hist. du
Cartesianisme en Belgique, 1887.
Von den zahlreichen neueren Abhandlungen und Schriften über den Cartesianis-
mus sind folgende zu erwähnen: H. Kitter, üb. d. Einfluss d. Cart. auf die Ausbildg.
d. Spinozism., Leipz. 1816. H. C. W. Sigwart, üb. d. Zsmhng. d. Spinozism. mit der
Cartesian. Philos., Tübing. 1816. H. G. Hotho, de philos. Cart. diss., Berol. 1826.
P. Knoodt, de Cartesii seutentia; cogito ergo sum, diss., Breslau 1845. Carl Schaar-
schmidt, Oes Cartes und Spinoza, urkundl. Darstellg. der Philos. Beider, Bonn 1850.
J. N. Huber, die Cartesian. Beweise vom Dasein Gottes, Augsb. 1854. Joh. Hr. Löwe,
d. specul. Syst. de* Rene Desc, seine Vorzüge u. Mängel, Wien 1855 (aus den Ber.
der Akad., phil. hist. CK, Bd. XIV, 1854). X. Schmid aus Schwarzenberg, R. D. und
seine Reform d. Philos., Nördl. 1859. E. Melzer, Augustini atque Cartesii placita de
mentis humanae sui cognitione quomodo inter se congruant a seseque differant, quaeritur,
diss. in., Bonnae 1860. Chr. A.Thilo, die Religionsphilos. de* Desc, in: Ztschr. f. ex. Ph. III.
1862, S. 121—182. Jul. Baumann, doctrina Cartesiana de vero et falso explicata atque
examinata, diss. inaug., Berol. 1863. Ldw. Gerkrath, de connexione, quae intercedit
inter Cart. et Pascalium, Progr. des Lyceum Hos., Braunsberg 1863. Gust. Th. Schedin,
är Occasionalismen en konsequent utveckling af Cartestanismen? Akad. Afhdl., Upsala
1864. Jac Guttmann, de Cartesii Spinozaeque philosophiis et quae inter eas intercedit
ratio, diss. inaug., Vratisl. 1868. P. J. Elvenich, die Beweise für d. Dasein Gottes
nach Cart., Breslau 1868. Charl. Waddingtun, Desc et le Spiritualisme, Paris 1868.
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§ 11. Descartes, Anhänger und Gegner.
65
F. Volkmer, d. Verhältnis« v. Geist u. Körper im Menschen nach Cart., Breslau 1869.
E. Bus«, Montesquieu u. Cart, in: ph. Monatsh. IV, 1869, S. 1 — 38. Bertrand de St. Ger-
main, Desc. considere comme physiologiste et comme medecin, Paris 1870. Lud. Carrau,
expos. crit. de la theorie des passions dans Des»-., Malebranche et Spinoza, these,
Strassb. 1870. M. Heinze, d. Sittenlehre des D., Lpz. 1872. E. Grimm, D.s Lehre Ton
d. angeb. Ideen, Jena 1873. E. Boutroux, de veritatibus aeternis ap. Cartesium, Paris
1 875. Jahnke, Ober d. ontolog. Beweis vom Dasein Gottes mit besond. Bez. auf Anselm
u. Descartes, G. Pr., Stralsund 1875. W. Cunningham, Descartes and Englisb specu-
lation. Influence of Descartes on nietaphysical speculation in England, London 1875.
S. Paulus, Ueber Bedeutung, Wesen und Umfang des cartesianischen Zweifels, L D.
Jena 1875. Gust. Glogau, Darlegung und Kritik des Grundgedankens der Cartesianisch.
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Stolcien, in: Rev. phil., 1880, Bd. 9, S. 548—552. L. Liard, la methode de D. et la
mathematique universelle, in: Rev. phil., 1880, Bd. 10, S. 569 — 600. Ant. Koch,
die Psychologie Descartes', systemat u. historisch-kritisch bearbeitet, München 1881.
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Straasb. 1886. K. Lasswitz, zur Genesis der cartesischen Corpuskularphvsik, in:
Vierteljahrsschr. f. wissensch. Ph., X, 1886, S. 166—189. S. auch um. b. Locke.
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chäteau, Par. 1872, deutsch von J. J. G. Hartmann, Berl. 1830: Pensees sur sa reli-
gion, 1669, Amst. 1697, Par. 1720 n. ö., hrsg. v. Faugere, Par. 1844, v. J. E. Astie,
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Lpz. 1844, 1865, und von Friedr. Merschmann, Halle 1865. Oeuvres, a la Haye 1779,
hrsg. von Bossut in 6 Band., Par. 1819: Opuscules philos., Par. 1864, 65, 66, par Fei.
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seiner Schriften, Stuttg. u. Tübing. 1840. A. Vinet, Emdes sur P., Paris 1848, 2. ed.
1856. A.( Neander (in N.s wiss. Abh. hrsg. von J. L. Jacobi, Berl. 1851, S. 58 ff.).
Cousin, Etudes sur P., 5. ed. Par. 1857. Havet (Pensees publ. dans leur texte
authent. avec une inrroduct, des notes et des remarques, par M. E. Havet, Par. 1866).
Märcker in der Zeitschr.: der Gedanke, Bd. IV, 1863, 8. 149—160. Ose. Ulbrich, de
Paacalis vita, diss. inaug., Bonnae 1866. Habersang, Essai sur P., Progr., Bückeb.
1868. J. Tissot, Pascal, refl. sur ses Pensees, Dijon et Par. 1869. J. G. Dreydorff,
Pascal, s. Leben u. s. Kämpfe, Leipz. 1870 (69), Pascals Gedanken üb. d. Religion,
Lpz. 1875. Theophil Wilh. Ecklin, Bl. Pascal, ein Zeuge der Wahrheit, Basel 1870.
Herzog in d. Zeitschr. f. d. hist. Theol., 1872, S. 471— 513. K. Jetter, P.s Erkenntniss-
theorie, in: Jahrb. f. deutsche Theol. XVII, 1872, S. 280—320. M. Cantor, Blaise P.,
in: Preuss. Jahrb., 32, 1863, S. 212—237. Nourrisson, P. physieien et philosopbe,
Par. 1886. Edouard Droz, Etüde sur le seepticisme de P. considere dans le livre
des pensees, Par. 1886.
Poiret, cogitationes rationales de Deo, anima et malo, Amst. 1677 u. ö.; Oecon.
div., Amst. 1687; de eruditione triplici: solida, superficiaria et falsa, Amst. 1692 u. ö.;
fide* et ratio collatae ac suo utraqne loco redditae adversus prineipia Jo. Lockii, Amst.,
1707; opera posthuma, Amst. 1721.
Ueber Huet handeln: C Bartholmess, t Huet, eveque d'Avranches on le seepti-
cisme theologique, Paris 1850. A. Flottes, Etudes sur Dan. Huet, Montpellier 1857.
K. Sigm. Barach, Pierre Dan. Huet als Philosoph, Wien und Leipzig 1862.
Ueber Bayle handeln: De« Maizeaux, la vie de P. B., Amst. 1730 u. ö. L. Feuer-
bach, P. B. nach seinen für d. Gesch. d. Philos. u. Menschh. interessantesten Momenten,
Ansbach 1838, 2. Aufl. Leipzig 1844. Em. Jeanmuire, essai s. la critique relig. de
P. B., Sirassb. 1862. A. Deschamps, la genese du seepticisme erudit chez Bayle,
Liege 1879.
Ueberweg-Heinze, Grandriu III. 7. Aufl. 5
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§11. Descartes, Anhänger und Gegner.
Geboren am 31. März 1596 za Lahaye in Touraine, erhielt Ren6 Descartes
(ans der früheren Form: de Qnartis; Renatus Carte sius) in der Jesuitenschule
zu Lafleche in Anjou seine Jugendbildung (1604 — 12), lebte dann meist in Paris,
hauptsächlich mit mathematischen Studien beschäftigt, diente (1617—21) als Frei-
williger erst unter Moritz von Nassau, dem Sohne des Prinzen Wilhelm von Orauieu,
dann (seit 1619 i unter Tilly und Boucquoi und war bei dem Heere, das die Schlacht
bei Prag gegen den König von Böhmen, Friedrich V. von der Pfalz, gewann, dessen
Tochter Elisabeth später Descartes' Schülerin wurd. (S. üb. Elisabeth: Guhrauer,
in Räumers histor. Taschenb., 1850 u. 1851; M. Heinze, Pfalzgräf. El. u. Desc,
ebend., 1886, S. 257—304.) Die nächsten Jahre brachte Descartes auf Reisen zu,
führte 1624 eine Wallfahrt nach Loreto aus, die er vier Jahre zuvor für eine Lösung
seiner Zweifel gelobt hatte, nahm auch an der Belagerung von la Rochelle (1628)
Theil. Mit der Ausbildung seines Systems und der Abfassung seiner Schriften be-
schäftigt, lebte Descartes (1629 — 49) au 13 verschiedenen Orten der Niederlande
ganz unabhängig, meist verborgen, nach dem Grundsatze : Bene qui latuit bene vixit,
nur mit seinem vertrauten Freude Mersenne (geb. 1588, gest. 1648 zu Paris, vom
Orden der fratres minimi) in regelmässigem schriftlichen Verkehr, aber doch mehr-
fach im Kampfe mit der orthodoxen Geistlichkeit. Einem Rufe der Königin Christine
von Schweden folgend, siedelte er 1649 nach Stockholm über, wo er der Königin
Unterricht crtheilte, auch eine Akademie der Wissenschaften begründen sollte, aber
bereits am 11. Februar 1650 dem für ihn zu rauhen Klima erlag. — Obwohl ein
edler Charakter und ganz der Wissenschaft lebend, scheute er doch vor dem philo-
sophischen Märtyrerthum zurück. So erkannte er die copernicanische Lehre als
richtig an, wagte es aber nicht, sie öffentlich zu vertreten. Nach der Verurtheilung
Galileis arbeitete er sogar Manuscripte, die er damals fertig hatte, wieder um.
Descartes ist der Sohn einer Zeit, in welcher die confessionellen Interessen
zwar bei der Menge des Volkes und bei einem Theile der Gebildeten noch ihre
alte Macht behaupteten, aber nicht nur von Fürsten und Staatsmännern fast durch-
gängig politischen Zwecken entschieden nachgesetzt wurden, sondern auch bereits
bei Vielen hinter die Macht der freien wissenschaftlichen Erkenntniss zurücktraten.
Die Unterscheidungslehren waren das Product der vorangegangenen Generationen,
die sich in ihrer Ausbildung einer neuen Geistesfreiheit erfreut hatten; in der
damaligen Zeit aber waren bereits die überkommenen Resultate scholastisch fixirt,
der Kampf wurde schon längst nicht mehr mit der ursprünglichen Frische, aber
mit um so grösserer Bitterkeit geführt und hatte sich mehr und mehr iu Subtili-
täten verloren, der Riss war klaffend und uuheilbar geworden, und zugleich musste
mehr als in der früheren Zeit das Leid der Spaltung in unablässigen, den Wohl-
stand und die Freiheit der Länder vernichtenden, Rohheit und Laster aller Art
begünstigenden Kriegen empfunden werden. So bildete sich eine Richtung aus,
welche zwar mit scheuer Ehrfurcht zu der Kirche aufschaute, Collisionen mit ihren
Vertretern fürchtete und nach Möglichkeit mied, aber ohne positives Interesse für
die kirchlichen Dogmen war und Befriedigung für Geist und Gemüth nicht iu
ihnen, sondern nur theils in allgemeinen Sätzen der rationalen Theologie, theils in
der Mathematik, Naturforschung und psychologisch - ethischen Betrachtung des
Menschenlebens fand. Auf diesem Standpunkte war die Verschiedenheit der durch
Geburt und äussere Verhältnisse bedingten Confession kein Hinderniss inniger
persönlicher Freundschaft, die sich an die Gemeinschaft des wesentlichen Lebeus-
interesses, des Studiums und der Erweiterung der Wissenschaften knüpfte. Ob
Kriegsdienste bei Katholiken oder bei Protestanten genommen wurden, hing weniger
von der Confession, als von äusseren politischen und specifisch militärischen Rück-
sichten ab. Die gewohnten religiösen Gebräuche hafteten fester als die Dogmen;
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§ 11. Descartes, Anhänger und Gegner.
67
aber sie bestimmten nur die Außenseite des I*ebens, dessen geistiger Gehalt ein
wesentlich neuer ward. Die Philosophie des Descartes ist nicht eine katholische
und nicht eine protestantische Philosophie, sondern ein selbständiges Streben nach
Wahrheit auf dem Grunde und nach dem Vorbilde der apodiktischen Gewissheit
der mathematischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkeuntniss. Den
.verites revälees" macht er seine Reverenz, aber hütet sich sorgsam vor jeder
näheren Berührung. Bosauet sagt: „M. Descartes a toujours craint d'etre not«
par 1 ßglise et on lui voit prendre sur cela des precautions qui allaient ju&qa'ä
Pexces." Der Uebertritt der Tochter Gustav Adolfs zum Katholicismus soll seinen
ersten Anlass in dem Umgang dieser Fürstin mit Descartes gehabt haben. Dass
nicht ein directer Einfluss im Sinne einer »Proselytenmacherei* stattgefunden habe,
ist selbstverständlich; aber im Sinne einer Vergleichgültigung der confessionellen
Unterscheiduugslehren, welche die natürliche Folge der neuen Erkenntniss war, und
etwa noch positiv durch Descartes' Betonung der menschlichen Freiheit, die besser
zum katholischen als zum protestantischen Dogma stimmte, ist ein Einfluss des Des-
cartes wenigstens möglich.
Descartes ist nicht nur als Philosoph, sondern auch als Mathematiker und
Physiker von hervorragender Bedeutung. Sein mathematisches Hauptverdienst ist
die Begründung der analytischen Geometrie, welche die räumlichen Verhältnisse
durch Bestimmung der Entfernungen aller Punkte von festen Linien (Coordinateu)
auf arithmetische zurückführt und mittelst der (algebraischen) Rechnung mit
Gleichungen geometrische Aufgabeu löst und Lehrsätze beweist. Auch die Be-
zeichnung der Potenzen durch Exponenten wird ihm verdankt. Als Physiker hat
er sich um die Lehre von der Refraction des Lichtes, um die Erklärung des Regen-
bogens, um die Bestimmung der Schwere der Luft verdient gemacht. Der funda-
mentale Irrthum des Descartes, die Materie nur durch Druck und Stoss und nicht
durch innere Kräfte bewegt zu denken, ist durch die Newtonsche Gravitationslehre
berichtigt worden; andererseits enthält die Lehre des Descartes vom Licht und von
der Entstehung der Weltkörper manche Ahnungen des Richtigen, welche von den
Newtonianern verkannt wurden, aber durch die von Huyghens und Euler vertretene
Undulationstheorie und durch die von Kant und Laplace aufgestellte Lehre von
der Entstehung des Weltgebäudes wieder zu Ehren gekommen sind. Auch auf dem
Gebiete der Anatomie hat Descartes mit Erfolg gearbeitet.
Der Discours de la metho de zerfällt in sechs Abschnitte: 1. considerations
touchant les sciences; 2. principales regles de la methode; 3. quelques regles de lu
murale, tirees de cette methode: 4. raisons qui prouvent Pexistence de Dieu et de
Paine humaine, ou fondement de la metaphysique ; 5. ordre des questions de physique;
€. quelles choses sont requises pour aller plus avant en la recherche de la uature.
In dem ersten Abschnitt erzählt Descartes, wie ihn in seiner Jugend alle Wissen-
schaften ausser der Mathematik unbefriedigt gelassen haben. Von der Philosophie,
die er in dem Jesuitencollegium gelernt hat, weiss er nur zu rühmen, dass sie
„donne moyen de parier vraisemblablcment de toutes choses et se faire admirer des
moins savants"; er hält alles in ihr für zweifelhaft. Er ist darüber erstaunt, dass
man auf die so feste Basis der Mathematik nichts Höheres als die mechanischen
Künste gebaut habe. Die überlieferten Wissenschaften, sagt Descartes in der zweiten
Abhandlung, sind grösstentheils nur Conglomerate von Meinungen, ebenso unförm-
lich, wie Städte, die nach keinem einheitlichen Plane gebaut sind. Was ein Ein-
zelner planmässig schafft, wird in der Regel weit besser, als was sich ohne Plan
und Ordnung historisch gestaltet hat. Es wäre zwar nicht wohlgethan, den Staat
von Grund aus umzubilden ,en le renversaut pour le redresser", denn die Gewohn-
heit lässt die üebelstände leichter ertragen, der Umsturz wäre gewaltsam uud der
5*
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§11. DeBcartes, Anhänger and Gegner.
Nenbaa schwierig; aber die eigenen Meinungen sämmtlich aufzuheben, nm methodisch
ein wohlgegründetes Wissen zu gewinnen, dies setzt Descartes sich zur Lebensauf-
gabe. Die Methode, welche Descartes befolgen will, ist durch dos Vorbild der
Mathematik bedingt. Er stellt vier methodische Grundsätze auf, die, wie er glaubt,
von der aristotelischen Logik, insbesondere der Syllogistik, welche mehr dem Unter-
richt als der Forschung diene, und noch viel mehr vor der lullischen Kunst zu
schwatzen, den Vorzug verdienen. Diese vier methodischen Grundsätze sind:
1. Nichts für wahr zu halten, was nicht mit Evidenz als wahr erkannt sei, indem
es sich mit einer jeden Zweifel abschliessenden Klarheit und Bestimmtheit dem
Geiste darstellt (si clairement et si distinetement, que je u'eusse aueune occasion de
le mettre en doute). 2. Jedes schwierige Problem möglichst in seine Theile zu zer-
legen. 8. Ordnungsmässig zu denken, indem vom Einfacheren und Leichteren
successive zum Complicirteren und Schwierigeren fortgegangen, und selbst da, wo
nicht durch die Natur des Objects eine bestimmte Ordnung gegeben ist, um des
geordneten Fortschritts der Untersuchung willen eine solche angenommen wird.
4. Durch Vollständigkeit in den Aufzählungen und Allgemeinheit in den Ueber-
sichten sich zu vergewissern, doss nichts übersehen werde») In dem dritten Ab-
schnitt des Discours de la methode theilt Descartes einige moralische Regeln mit,
die er provisorisch (so lange nicht eine befriedigende Moralphilosophie begründet
sei) zu seinem eigenen Gebrauch sich gebildet habe. Die erste ist, die Gesetze und
Gewohnheiten seines Landes zu befolgen, an der Religion, in der er erzogen sei,
festzuhalten und im praktischen Leben durchweg die gemässigtsten und verbreitetsten
Maximen zu befolgen; die zweite geht auf Consequenz im Handeln, die dritte auf
Mässigung der Ansprüche an das äussere Leben; die vierte ist der Entschluss, sein
Leben der Ausbildung seiner Vernunft und der Entdeckung wissenschaftlicher Wahr-
heiten zu widmen. In dem vierten und fünften Abschnitt giebt Descartes die Grund-
züge der Doctrin, die er später (in den Medit. und den Princip. philos.) entwickelt
hat, und verbreitet sich im sechsten über das zur Förderung der Physik und
erweiterten Anwendung derselben auf die Heilkunde einzuhaltende Verfahren.
In den Meditationes de prima philosophia sucht Descartes das Dasein
Gottes und die selbständige, vom I^eibe trennbare Existenz der menschlichen Seele
darzuthun. In der ersten Meditation zeigt Descartes, dass sich an Allem zweifeln
lasse, nur nicht daran, dass wir zweifeln, also, da das Zweifeln ein Denken ist, nicht
daran, dass wir denken. Von meiner Jugendzeit an, sagt der Verfasser (zum Theil
im Anschluss an Charron und andere Skeptiker), habe ich eine Menge überlieferter
Ansichten als wahr angenommen und darauf weiter gebaut; was aber auf so un-
sicherem Grunde ruht, kann nur sehr ungewiss sein; es thut daher noth, sich irgend
*) Diese Regeln betreffen das subjective Verhalten des Denkenden als solches,
nicht die durch das Verhältniss des Denkens zur Objectivität bedingten Denkformen
und Denkgesetze, welche die aristotelische Logik durch Analyse des Denkens zu
verstehen sucht: sie sind daher, so zweckmässig sie in ihrer Art sein mögen, doch
nicht im mindesten dazu geeignet, die aristotelische Logik zu ersetzen; schon die
aus der Schule des Descartes hervorgegangene Schrift: La logique ou l'art de penser,
Paris 1662 u. ö. , hat vielmehr diese cartesiauischen Regeln mit einer modincirten
aristotelischen Logik verbunden. Auf den Gang des Denkens im Verhältniss zur
Objectivität bezieht sich die von Descartes der aristotelischen Schule entnommene
Unterscheidung der analytischen Methode, die von dem Bedingten zum Be-
dingenden, und der synthetischen Methode, die umgekehrt von dem Bedingenden
zum Bedingten fortgeht. Doch hat Descartes auch dieser Unterscheidung eine sub-
jectivere Wendung gegeben, indem er die analytische Methode als die der Erfindung,
die synthetische als die der didaktischen Darstellung bezeichnet, was höchstens
a potiori, aber keineswegs durchgängig zutrifft.
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§11. Descartes, Anhänger und Gegner.
einmal im Leben von allen überkommenen Meinungen loszumachen und vom Funda-
ment an einen Neubau aufzuführen. Die Sinne täuschen oft; ich darf ihnen daher
in keinem Falle unbedingt trauen. Der Traum täuscht mich durch falsche Bilder;
ich finde aber kein sicheres Kriterium, um zu entscheiden, ob ich in diesem Augen-
blick schlafe oder wache. Vielleicht ist unser Körper nicht so, wie er sich unseren
Sinnen darstellt Dass es überhaupt Ausdehnung gebe, scheint sich freilich nicht
wohl bezweifeln zu lassen; jedoch weiss ich nicht, ob nicht vielleicht ein höheres
böswilliges Wesen oder auch ein guter Gott bewirkt habe, dass zwar in der That
keine Erde, kein Himmel, kein ausgedehntes Object, keine Figur, keine Grösse, kein
Ort existirt, und dass ich nichtsdestoweniger die sinnlichen Vorstellungen habe, die
mir die Existenz aller dieser Objecte vorspiegeln, dass ich sogar in der Addition
von zwei und drei, in der Zählung der Seiten eines Quadrats, in den leichtesten
Schlüssen mich täusche Meine Un Vollkommenheit kann so gross sein, dass ich mich
immer täusche. Wie Archimedes, sagt Descartes in der zweiten Meditation, nur
einen festen Punkt forderte, um die firde bewegen zu können, so werde ich grosse
Hoffnungen fassen dürfen, wenn ich glücklich genug bin, auch nur einen Satz zu
finden, der völlig gewiss und unzweifelhaft ist In der That ist Eins gewiss, während
mir Allee als ungewiss erscheint, nämlich eben mein Zweifeln und Denken selbst
und daher meine Existenz. Gäbe es auch ein mächtiges Wesen, welches es darauf
angelegt hätte, mich zu täuschen, so muss ich doch existiren, um getäuscht werden
zu können. Indem ich denke, dass ich sei, so beweist eben dieses Denken, dass ich
wirklich bin. Der Satz: ich bin, ich existire, ist allemal, da ich ihn ausspreche
oder denke, notwendigerweise wahr. Cogito, ergo sum. Nur das Denken ist
mir gewiss, ich bin eine res cogitans, id est mens sive animus sive intellectus sive
ratio. Die res cogitans ist eine res dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens,
nolena, imaginans quoque et sentiens. (Nämlich als »cogitandi modos* habe ich
gewiss auch sinnliche Empfindungen, obschon die Beziehung zu äusseren Objecten
und Affection der Sinne zweifelhaft sein mag.) Nonne ego ipse sum qui jam dubito
fere de Omnibus, qui nonnihil tarnen intelligo, qui hoc unum verum esse affirmo,
nego caetera, cupio plura nosse, nolo decipi, multa vel invitus imaginor, multa etiam
tamquam a sensibus venientia animadverto? Ich kenne mich selbst als denkendes
Wesen besser, als ich die Aussendinge kenne. Diesen Fundameutalsatz für einen
Schluss anzusehen, dagegen verwahrt sich Descartes selbst Er soll eine eigen-
tümliche Wahrheit sein, die sich der Seele ohne Hülfe eines allgemeinen Satzes
und ohne alle logische Ableitung durch eine einfache Intuition aufdrängt, ist aber
eine klare und deutliche Perception.*) Das Wesen der Seele besteht im Denken.
*) Die Aehnlichkeit mit dem Ausgangspunkte des augustinschen Philosophirens
und mit Sätzen des Occam (Grdr. ft, § 16, S. 106 u. § 36, S. 263) und des
Campanella (s. o. § 6, S. 42) ist augenfällig. Descartes führt die res cogitans, also
die Anwendbarkeit des Substanzbegriffs, wenn auch das Wesen der Substanz
ganz im Denken bestehen soll, und das ego, also die Individualität, die Einheit des
Bewusstseins in sich und Verschiedenheit von anderem, ohne Ableitung mit in
seinen Fundamentalsatz ein. Lichtenberg hat geurtheilt Descartes habe nur schliessen
dürfen: Cogitat, ergo est Descartes bringt selbst (Inquis. verit p. lum. nat) den
Einwand, um so zu folgern, wie er, müsse man vorher wissen, was Zweifeln, was
Denken und was Existenz sei. Allein, antwortet er darauf, dies wisse ein Jeder,
nicht durch eine Definition, sondern viel gewisser und unmittelbarer durch eigene
Erfahrung, durch das Bewnsstsein und das innere Zeugniss, das er in sich finde, wenn
er die Sachen prüfe. — Mit Kant kann in Frage gestellt werden, ob das Bewusstsein,
das wir von unserem Denken, Wollen, Empfinden, überhaupt von unsern psychischen
Functionen haben, diese Functionen so, wie sie an sich sind, auffasse oder mit einer
Form behaftet sei, die nur der Selbstauffassung und nicht dem Aufzufassenden an
sich zukomme, in welchem Falle die durch den .innern Sinn* vermittelte Selbst-
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§11. Descartes, Anhänger und Gegner.
deshalb kann eigentlich von einer Fähigkeit derselben, zu denken, nicht gesprochen
werden, quia mens Semper actu cogitat
In der dritten Meditation geht Descartes zur Gotteserkenntnisa fort Ich
bin, sagt er, dessen gewiss, dass ich ein denkendes Wesen bin; aber weiss ich nicht
auch, was dazu gehört, irgend einer Sache gewiss zu sein? In der ersten Erkenntnis«,
die ich gewonnen habe, hat nichts Anderes mich der Wahrheit vergewissert, als
die klare und bestimmte Perception dessen, was ich behaupte, und diese würde
mich nicht der Wahrheit haben gewiss machen können, wenn es geschehen könnte,
dass irgend etwas, das ich mit solcher Klarheit und Bestimmtheit auffasse, falsch
wäre; hiernach darf ich wohl als allgemeine Regel annehmen, alles sei wahr, was
ich sehr klar und bestimmt percipire (jam videor pro regula generali posse statuere,
illud omne esse verum, quod valde clare et distincte percipio). Nur die Möglichkeit,
dass ein Wesen, welches über mich Macht habe, mich in Allem täusche, könnte die
Gültigkeit dieser Regel einschränken. Ich habe duher Anlass, zunächst das Dasein
Gottes zum Gegenstand meiner Untersuchung zu machen.*) Meine Gedanken, sagt
Descartes, indem er sich zur Untersuchung über das Dasein Gottes wendet, sind
theils Vorstellungen (Ideen, d. h. in meine Seele aufgenommene Formen, ei'Sri, von
Dingen), theils Willensacte und Gefühle, theils Urtheile. Wahrheit und Irrthum
ist nur in den Urtheilen. Das Urtheil, dass eine Vorstellung einem Object ausser
mir conform sei, kann irrthümlich sein; die Vorstellung für sich allein ist es nicht.
Unter meinen Vorstellungen erscheinen mir die einen angeboren, andere von aussen
gekommen, andere durch mich selbst gebildet zu sein (ideae aliae innatae, aliae
adventitiae, aliae a me ipso factae mihi videntur). Zu der ersten Klasse bin
ich geneigt, die Vorstellungen des Dinges, der Wahrheit, des Denkens zu rechnen,
erseheinung ebenso, wie durch die äusseren Sinne vermittelte Erscheinung räumlicher
Objecte, von dem. was eben diese Erscheinungen veranlasst, z. B. unser Bewusstsein
über unser Zweifeln, Denken, Wollen von dem wirklichen innern Vorgang beim
Zweifeln, Denken, Wollen verschieden und mit demselben ungleichartig sein würde.
(Doch wird diese letztere Frage zu Gunsten der descartesschen Ansicht entschieden
werden müssen, s. Ueberwegs Syst. der Log. § 40.) — Uebrigens weist dieser
Fondamentalsatz Descartes' schon auf Kants reine Apperception „Ich denke*,
die aller unsrer Erkenntniss zu Grunde liegt, hin. U enn auch die Vorstellung
„Ich*, welcher alle meine sonstigen Vorstellungen verknüpft werden, ganz inhaltsleer
ist, so bezeichnet sie doch nach Kaut eine „Wirklichkeit schlechtweg".
*) Descartes übersieht hierbei, indem er in der Klarheit der Erkenntniss das
Kriterium ihrer Wahrheit findet, die Relativität dieser Begriffe. Ich muss aller-
dings jedesmal dasjenige, was ich klar und bestimmt zu erkennen überzeugt bin,
als wahr annehmen; aber ich soll auch eingedenk bleiben, dass eine anscheinend
klare Erkenntniss bei einer vertieften Betrachtung sich als ungenügend und irrthüm-
lich erweisen kann. Wie die Wahrheit der klaren und sinnlichen Anschauung, z. B. vom
Himmelsgewölbe, durch eine klare wissenschaftliche Einsicht eingeschränkt und auf-
gehoben werden kann, so kann wiederum die Gültigkeit einer Stufe des Denkens
durch eine höhere, insbesondere die Gültigkeit des unmittelbar auf die Objecte ge-
richteten Denkens durch ein erkenntnisstheoretisches Denken eingeschränkt und auf-
gehoben werden. Es ist falsch, die vollere Wahrheit, die der höheren Stufe eignet,
einer niederen, die, so lange noch keine höhere erreicht ist, in natürlicher Selbst-
täuschung für die höchste gehalten wird, zu vindiciren und, falls sie sich dort nicht
findet, von malitiöser Täuschung, von verwerflichem Trug zu reden. — In formellem
Betracht involvirt das cartesianische Kriterium eine Zweideutigkeit, indem es ent-
weder auf die Deutlichkeit der Vorstellung als solcher oder auf die Deutlichkeit des
Urtheils, dass gewissen Vorstellungen oder Vorstellungsverhältnissen objective Gültig-
keit zukommt, bezogen werden kann. Im ersten Fall ist das Kriterium falsch; im
zweiten Fall aber schiebt es die Frage nur zurück, indem unentschieden bleibt,
worauf die Deutlichkeit der Ueberzeugung von der objectiven Realität des Vor-
gestellten beruhe. Diese Mängel des Kriteriums bekunden sich augenfällig in der
Anwendung desselben auf das Verhältniss von Leib und Seele (s. unten).
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§11. Descartes, Anhänger and Gegner.
71
die ich aus meinem eigenen Wesen schöpfe (ab ipsamet mea natura, wobei von
Descartes kein Unterschied zwischen dem Angeboreusein einer Vorstellung als
solcher und dem durch Abstraction vermittelten Ursprung einer Vorstellung aus der
innern Wahrnehmung der psychischen Functionen, zu denen die Fähigkeit uns
angeboren ist, gemacht wird. In den notae in programma quoddam sagt er freilieh,
der Geist bedürfe keiner Ideen, quae sint aliquid diversum ab eius facultate cogi-
tandi, so dass es sich also bei den ideae innatae nicht um einen ursprünglichen
Besitz von Erkenntnissen handeln würde, sondern um eine Anlage, gewisse Vor-
stellungen zu bilden). Der zweiten Klasse scheinen die sinnlichen Wahrnehmungen,
der dritten aber Fictionen, wie die einer Sirene, eines Flügelrosses etc. anzu-
gehören. Es giebt einen Weg, aus dem psychischen Charakter einer Idee selbst zu
schliessen, ob sie von einem realen übjecte ausser mir herstamme. Die verschiedenen
Ideen haben nämlich ein verschiedenes Maas» von realitas objectiva. d. h. sie
participiren als Vorstellungen an höheren oder geringeren Graden des Seins oder
der Vollkommenheit. (Unter dem Objectiven versteht Descartes uoch ganz wie
die Scholastiker das, was als Vorstelluug im Geiste ist. nicht das äussere Object,
die res externa; unter dem Snbject aber jedes Substrat, vnoxttfityoy ) Ideen,
durch welche ich Substanzen vorstelle, sind vollkommener als solche, die nur Modi
oder Accidentien repräsentiren ; die Vorstellung eines unendlichen, ewigen, unver-
änderlichen, allwissenden, allmächtigen Wesens, des Schöpfers aller endlichen Dinge,
hat mehr Vorstellungsrealität, als die Vorstellungen, welche endliche Substanzen
repräsentiren. Nun aber kann in einer Wirkung nicht mehr Realität sein, als in
der vollen Ursache; die Ursache muss alles Reale der Wirkung entweder formaliter
oder eminenter (d. h. entweder die nämlichen Realitäten oder andere, die noch vor-
züglicher sind) in sich enthalten. Daher kann ich, falls die Vorstellangsrealität
irgend einer meiner Ideen so gross ist, dass sie das Maass meiner eigenen Realität
überragt, schliessen, ich sei nicht das einzige existirende Weseu, sondern es müsse
noch irgend etwas Anderes, das die Ursache jener Idee sei, existiren. Da ich
endlich bin, so könnte in mir nicht die Idee einer unendlichen Substanz sein, wenn
nicht diese Idee von eiuer wirklich existirenden unendlichen Substanz herstammte.
Ich darf nicht die Vorstellung des Unendlichen für eine blosse Negation der End-
lichkeit halten, wie ich Ruhe und Finsterniss nur durch Negation der Bewegung
und des Lichts percipire; denn im Unendlichen liegt mehr Realität, als im End-
lichen.*) Zu diesem Argument für die Existenz Gottes fügt Descartes folgendes
hinzu: Ich selbst, der ich jene Idee habe, könnte nicht existiren, wenn nicht Gott
wäre. Wäre ich durch mich selbst, so würde ich mir alle möglichen Vollkommen-
heiten gegeben haben, die ich doch thatsächlich nicht besitze. Bin ich durch
Andere, durch Eltern, Voreltern etc. so musa es doch eine erste Ursache geben,
die Gott ist; ein regressus in infinitum ist um so weniger anzunehmen, da auch
mein Fortbestehen von einem Augenblick zum andern nicht von mir selbst und
nicht von endlichen Ursachen meines Daseins, sondern nur von der ersten Ursuche
abhängig sein kann. Die Gottesvorstellung ist mir ebenso eingeboren, wie die Vor-
stellung, die ich von mir selbst habe, mir eingeboren ist. Die Art des Augeboren-
seins lässt Descartes ziemlich unbestimmt; er sagt: et sane non mirum est, Deum
*) Descartes hat, indem er in Abrede stellt, dass die Vorstellung des Unend-
lichen eine blosse Negation sei, die successive Idealisirung, durch welche der
positive Inhalt dieser Vorstellung gewonnen wird, zu wenig beachtet und nicht
erwogen, ob auch das Hiuausschreiteii über das auf diesem Wege erreichbare
Maass von vorgestellter Vollkommenheit noch einen positiven Vorstellungsinhalt
hinzufüge oder auf eine durch blosse Abstraction zu vollziehende Negation aller
Schranken hinauslaufe.
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§ 11. Descartes, Anhänger und Gegner.
me creando ideam illam mihi indidi&se, ut esset tamquam nota artificis operi sno
impressa, nec etiam opas est, at nota illa sit aliqaa res ab opere ipso diversa, sed
ex hoc ano quod Dens me creavit, valde credibile est me quodammodo ad imaginem
et similitudinera ejus factum esse, illamque similitudinem, in qua Dei idea continetur,
a me percipi per eandero facultatem, per quam ego ipse a me percipior, hoc est,
dum in me ipsum meutis aciem converto, non modo intelligo me esse rem in-
completam et ab alio dependentem remque ad majora et majora sive meliora
indefinite aspirantem, sed simul etiam intelligo illum, a quo pendeo, majora ista
omnia non indefinite et potentia tantum, sed re ipsa infinite in se habere, atque
ita Deum esse, totaque vis argumenti in eo est, quod agnoscam fieri non posse ut
ex is tarn talis naturae, qualis sum, uempe ideam Dei in me habens uisi re vera Deus
etiam existeret. Zu den nothwendigen Eigenschaften Gottes gehört die Wahrheits-
liebe. Gott kann nicht täuschen wollen. Velle fallere vel malitiam Tel imbecilli-
tatem testatur nec proinde in Deum cadit.
Aus dieser Eigenschaft Gottes, der veracitas, zieht Descartes in den folgenden
Meditationen Schlüsse. Die Ursache aller meiner Irrthümer, sagt Descartes in der
vierten Meditation, liegt darin, dass meine Willenskraft weiter reicht, als meine
Einsicht, und ich die Anwendung jener nicht so einschränke, wie das Maass meiner
Einsicht es fordert, sondern auch über das, was ich nicht einsehe, statt mich des
Urtheils zu enthalten, ein Urtheil zu fällen mir anmaasse. Was ich klar und
bestimmt erkenne, dem darf ich zustimmeu; denn dass die klare und bestimmte
Erkenntnis» wahr sein muss, folgt aus Gottes Wahrhaftigkeit.*) Zu den deutlichen
Erkenntnissen rechnet Descartes iu der fünften Meditation die der räumlichen
Ausdehnung summt allen mathematischen Sätzen. In derselben Weise aber, wie
aus dem Wesen eines Dreiecks folgt, dass die Summe seiner Winkel gleich zwei
rechten Winkeln sei, folgt aus der Natur Gottes, dass er existire; denn unter Gott
ist das schlechthin vollkommene Wesen zu verstehen, zu den Vollkommenheiten aber
gehört die Existeuz, die Existenz ist also von Gottes Wesen untrennbar, also
existirt Gott.**) In der sechsten Meditation folgert Descartes aus der klaren
und bestimmten Erkenntniss, die wir von der Ausdehnung und den Körpern haben,
*) Freilich hat Descartes eben dieses auf Gottes Wahrhaftigkeit gestützte Kri-
terium schon zu dem Beweis für Gottes Dasein brauchen müssen; soll dasselbe durch
eine Erkenntniss, die von ihm selbst abhängig ist, gesichert werden, so ergiebt sich
unleugbar ein Cirkelschluss, den bereits Hobbes mit Recht getadelt hat.
**) Descartes begeht hier den gleichen Fehler wie Anselm, die Bedingung jedes
kategorischen Schlusses aus der Definition, dass nämlich die Setzung des Subjectes
anderweitig gesichert sein müsse, zu vernachlässigen. Dieser Vorwurf wird ihm von
dem die thomistische Widerlegung des anselmschen Argumentes gegen ihn kehrenden
Caterus in den Objectiones primae mit Recht gemacht; seine Vertheidigung ist
unzutreffend. Descartes' Prämissen führen logisch nur zu dem nichtssagenden
Schlüsse, dass, wenn Gott ist, die Existenz ihm zukommt, und wenn Gott fingirt
wird, er als seiend fingirt werden muss. Zudem hat die cartesianische Form des
ontologischen Argumentes einen Mangel, von dem die anselmsche frei ist. dass
nämlich die Prämisse: das Sein gehört zu den Vollkommenheiten, eine sehr be-
streitbare Auffassung des Seins als eines Prädicates neben anderen Prädicaten
involvirt, während Anselm eine bestimmte Art des Seins, nämlich das nicht bloss
in unserem Geiste, sondern auch ausserhalb desselben statthabende Sein, als etwas
Vollkommeneres bezeichnet hatte. Nur wenn Gott selbst und unser Gottesbegriff
identificirt würde, könnte in dem Gottesbegriff als solchem die Bürgschaft des Seins
Gottes gefunden werden; denn dass der Gottesbegriff, indem wir ihn denken,
eben vermöge dieses Denkens in uns ist oder Existeuz hat, ist freilich unleugbar
uud sogar selbstverständlich; aber jene Identificirung ist eben nicht cartesianisch,
da Descartes unter Gott, dem Schöpfer der Welt, zwar das durch unseren Gottes-
begriff gedachte Object (ens), aber nicht dieseu Begriff* selbst versteht.
§11. Descartes, Anhänger und Gegner.
73
und ans unserem deutlichen Bewusstsein des Bestimmtwerdena unserer Vorstellunga-
fähigkeit durch eine äussere und zwar körperliche Ursache, daas die Körper (aas-
gedehnten Substanzen) wirklich existiren und wir nicht durch die Vorstellung einer
Körperwelt getäuscht werden, da sonst der Qrund der Täuschung in Gott selbst
liegen müsste; die Farbenempfindung aber und Tonempfindung, Geschmacks»
empfindung etc. gilt ihm ebensowohl, wie die Lust und der Schmerz für bloss
subjectiv. Daraus aber, dass wir eine klare und bestimmte Vorstellung von dem
Denken im weitesten Sinne (mit Kinschluss des Bmpöndens und Wolleus) haben,
ohne dass darin Körperliches mitvorgestellt werde, folgert Descartes die von dem
Leibe gesonderte selbständige Existenz unserer Seele.*)
Die Gedankenentwickelung in den Meditationen bezeichnet Descartes selbst
als eine analytische (das thatsächlich Gegebene zerlegende und so die Principien
aufsuchende), die der Weise der Erfindung gemäss Bei; die synthetische Dar-
stellung (die von den allgemeinsten oder principiellen Begriffen und Sätzen ausgeht)
eigne sich für metaphysische Betrachtungen weniger, als für mathematische. Des-
cartes macht einen Versuch synthetischer Darstellung in einem Anhang zu seiner
Beantwortung der zweiten Reihe von Einwürfen, ohne jedoch darauf grosses Ge-
wicht zu legen.
Die systematische Hauptschrift: Principia philosophiae, handelt in vier
Abschnitten de principiis cognitionis humanae, de principiis rerum materialium, de
mundo aspeetabili, de terra. Nach einer Recapitulation der in den Meditatiouen
aufgestellten Grundsätze folgt in synthetischer Entwickelung das philosophische
System, insbesondere die Naturlehre des Descartes. Das vollkommenste Wissen ist
die Erkenntniss der Wirkungen aus ihren Ursachen, der beste Weg des Philo-
sophirena daher die Erklärung der gewordenen Dinge aaf Grund der Erkenntniss
Gottes als ihres Schöpfers. In den grundlegenden Betrachtungen zu Anfang der
«Principia" ist insbesondere die Ordnung der Beweise für das Dasein Gottes ge-
ändert, indem (wie auch schon in der synthetischen Darstellung bei der Antwort
auf die obj. secandae) das ontologische Argument den übrigen vorangestellt wird;
im Begriffe Gottes, sagt hier Descartes, liege die nothwendige, ewige und voll-
kommene Existenz, wogegen im Begriff der endlichen Dinge nur die zufällige Existenz
enthalten sei.**) Bemerkenswerth sind die Definitionen, die in den Princ. philo«, in
grösserer Zahl und zum Theil mit grösserer Präcision, als in den Medit, auftreten.
Von fundamentaler Bedeutung sind die Definitionen der Klarheit und Bestimmt-
heit und der Substanz. Descartes sagt Princ. ph. I, 45: Ad perceptionem, cui
certum et indubitatum judicium possit inniti, non modo reqairitur at sit clara, sed
etiam ut sit distincta. Ciaram voco illam, quae menti attendenti praesens et aperta
*) Hierbei bleibt jedoch sehr fraglich, ob nicht, die titpttiutatf mit dem /«üy»ffuof,
die abstractio mit der realis distinctio verwechselt werde; mit Recht haben Gaasendi
und Andere in ihren Einwürfen die descartessche Verwechselung zweier Sätze
gerügt: a. ich kann das Denken vorstellen, ohne die Ausdehnung mitvorzustellen,
b. ich kann nachweisen, dass das Denken thatsächlich bestehen bleibe, wenn das aus-
gedehnte Wesen, mit dem es verbunden erscheint, zu bestehen aufhört. Gaasendi
wendet ferner ein, es erhelle nicht, wie in einem unausgedehnten Wesen Bilder des
Ausgedehnten existiren können. Descartes hat diesem Einwurf gegenüber zwar die
Körperlichkeit der Bilder geleugnet, aber die Thatsache ihres Ausgedehntseins in
drei Dimensionen unberührt gelassen.
**) Dies ist freilich nur unter der Voraussetzung richtig, dass die objective
Notwendigkeit von der subjectiven Gewissheit der Existenz streng unterschieden
werde; dann aber lässt sich immer nur folgern: falls es einen Gott giebt, so ist
seine Existenz eine ewige, an sich selbst nothwendige und nicht durch Anderes
bedingte.
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§11. Descartes, Anhänger und Gegner.
est, sicut ea clare a uobis videri dicimus, quae oculo intaenti praesentia satis fortiter
et aperte illum movent; distinctam antem illam, quae quum claru Bit, ab omnibus
aliis ita sejuncta est et praecisa, ut nihil plane alind, quum quod darum est, in
se contineat. Zur Erläuterung führt Descartes das Beispiel des Schmerzes an: ita
dum quis maguum aliquem sentit dolorem, clarissima qnidem in eo est ista perceptio
doloris, sed non semper est distincta; vulgo enim homines illam confundunt cum
obscuro suo jndicio de natura ejus, quod putant esse in parte dolente simile sensui
doloris, quem solum clare percipiunt. Was wir percipiren. Bind theils res und
rerum affectiones (sive raodi), theils aeternae veritates, nullam existentiam extra
cogitationem nostram habentea. Zu den aeternae veritates rechnet Descartes Sätze,
wie: ex uibilo nihil fit; impossibile est, idem simul esse et non esse; quod factum
est, infectum esse nequit; is qui cogitat. non potest non existere, dum cogitat.
Die res theilt er in zwei oberste Genera: unum est rerum intellectualium sive cogi-
tativarum, hoc est ad mentem sive ad substantiam cogitantem pertinentium ; aliud
rerum materialium sive quae pertinent ad substantiam extensam, hoc est ad corpus.
Der denkenden Substanz gehören an: perceptio, volitio, omnesque modi tarn per-
cipiendi quam volendi, der ausgedehnton Substanz aber: magnitudo sive ipsa extensio
in longum, latum et profundnm, figura, motus, situs, partium ipsarum divisibilitas,
et talia. Von der Vereinigung (unio) des Geistes mit dem Körper gehen aus die
sinnlichen Begehrungen, Gemüthsbewegungen und Empfindungen, die der denkenden
Substanz, sofern sie mit dem Körper verbunden ist, angehören. Dieser Classification
(Princ. ph. I, 48—50) lässt Descartes die Definition der Substanz nachfolgen
(ib. 51). Per substantiam nihil alind intelligere possumus, quam rem quae ita
existit, ut nulla alia re indigeat ad existendum Er fügt bei (ib. 51—52): Et quidera
substantia, quae nulla plane re indigeat, unica tantum potest intelligi. nempe Dens;
alias vero omnes non nisi ope concursus Dei existere posse percipimus; atque
ideo nomen substantiae non convenit Deo et Ulis univoce, ut dici solet in scholis,
hoc est, nulla ejus nominis significatio potest distincte intelligi, quae Deo et
creaturis sit communis; possunt autem substantia corporea et mens sive substantia
cogitans creata sub hoc communi conceptu intelligi, quod sint res, quae solo Dei
concursu egent ad existendum. Ans jedem Attribute kann auf eine res existens
oder substantia, der es zukomme, geschlossen werden; aber jede Substanz hat eine
praecipua proprietas, quae ipsius naturam essentiamque constituit et ad quam aliae
omnes referuntur; nempe extensio in longum, latum et profundum substantiae cor-
poreae naturam constituit, et cogitatio constituit naturam substantiae cogitantis;
nam orane aliud, quod corpori tribui potest, extensionem praesupponit estque tantum
modus quidam rei extensae, ut et omnia quae in mente reperimus, sunt tantum
diversi modi cogitandi. Figur und Bewegung sind Modi der Ausdehnung; Ein-
bildung, Sinnesempfindung, Wille sind Modi des Denkens (ib. 53). Die Modi
können in derselben Substanz wechseln; die jedesmalige Beschaffenheit ist die
Qualität der Substanz; was nicht wechselt, ist nicht eigentlich als Modus oder
Qualität, sondern nur mit dem allgemeineren Ausdruck als Attribut zu bezeichnen
(ib. 56). Diese Definitionen sind besonders auf die Doctrin des Spinoza von maass-
gebendem Einfluss gewesen.
Das Einzelne der in den Princ. philos. dargestellten Doctrin ist mehr von
naturwissenschaftlichem als eigentlich philosophischem Interesse. Mit Ausschluss
der Zwecke (causae finales) sucht Descartes nur die wirkenden Ursachen (causae
efficientes) zu erkennen (Pr. ph. I, 28). Der Materie legt er nur Ausdehnung und
Modi der Ausdehnung, keine inneren Zustände, keine Kräfte bei; Druck und Stoss
sollen zur Erklärung der Erscheinungen ausreichen Die Materie besteht aus kleinsten
Körperchen von verschiedener Gestalt und Grösse, deren Theilung durch Gott freilich
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§11. Descartes, Anhänger und Gegner.
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immer noch denkbar sein soll (Corpusculartheorie). Das Quantum der Materie und
der Bewegung*), das von Gott ursprünglich herrührt, bleibt im Universum unver-
ändert (Princ. philos. II, § 36*. Descartes setzt die Bewegungsgrösse gleich dem
Product ans Masse und Geschwindigkeit fmv.). Deu Beweis für die Constanz dieses
Productes im Weltall führt Deacartes theologisch: aus Gottes Eigenschaft der
Unwaudelbarkeit folge die Unwandelbarkeit seiner Gesammtwirkung. Die Seele
kann nur die Richtung von Bewegungen bestimmen, aber das Quantum derselben
weder vermehren noch vermindern. Die Weltkörper können betrachtet werden als
entstanden aus Wirbelbewegungen einer chaotischen Materie. Wo Raum ist, ist
auch Materie; diese ist gleich dem Räume ins Unendliche tbeilbar und sie erstreckt
sich, wenn nicht ins Unendliche in infinitum), jedenfalls unbestimmbar weit hin (in
indefiuitum). Dass mit Aufhebung der Voraussetzung eines kugelförmig begrenzten
Universums auch die Annahme einer periodischen Rotation desselben um die Erde
aufgehoben ist, ist selbstverständlich. Doch scheut sich Descartes, zu der coperni-
canischen Doctrin (vgl. oben S. 22, S. 33 und S. 39), um deren willen Galilei ver-
dammt ward, sich offen zu bekennen; er hilft sich durch die Wendung, die Erde
ruhe, wie jeder Planet, in dem bewegten Aether. wie der schlafende Reisende in
einem bewegten Schiffe oder wie ein nur vom Strome getriebenes Schiff in diesem.
Aus den Gesetzen des Druckes und Stosses allein sucht Descartes nicht nur die
physikalischen Erscheinungen (wie er z. B. die magnetische Anziehung durch Wirbel-
bewegungen schraubenförmiger Moleküle erklärt), sondern auch die Pflanzen und
Thiere zu begreifen. Er spricht den Pflanzen das (von den Aristotelikern ange-
nommene) Leben8princip ab, da nur die Ordnung und Bewegung ihrer Theile die
Vegetation bewirke, und er ist auch nicht geneigt, den Thieren Seelen zuzugestehen.
Was im menschlichen Seelenleben an die Beziehung der Seele zum Körper geknüpft
ist, erklärt Descartes durchaus mechanistisch, z. B. die Ideenassociation aus be-
harrenden materiellen Veränderungen, die das Gehirn bei der Affection der Sinne
erleide, und aus der Bedingtheit der späteren Vorstellungsbildung durch diese Ver-
änderungen. Leib und denkende Seele sind einander entgegengesetzt. Zwar ist
ihre Verbindung in dem Menschen anzuerkennen, sie ist aber eine gewaltsame, und
in der Maschine des Leibes wird nichts geändert, wenn die denkende Seele hinzu-
tritt. Descartes ist in Folge dieser Ansicht als einer der Urheber der materialistisch-
mechanischen Richtung in anthropologischer Beziehung zu betrachten, wie sich
de Lamettrie auch mit Vorliebe auf ihn beruft. Als unausgedehntes Wesen kann
die Seele sich mit dem Leibe nur an einem Punkte berühren und zwar im Gehirn
(Princ. philos. IV, 189, 196, 197), nämlich (Dioptr. IV, 1 ff, Pass. anim. I, 31 ff.)
in der Zirbeldrüse (glans pinealis), als dem Organ inmitten des Hirns, welches
einfach und nicht, wie die meisten Theile, doppelt, sowohl rechts als links, vorhanden
ist.**) Die Einwirkung der Seele auf den Leib und des Leibes auf die Seele setzt
Gottes Beihülfe (concursus oder assistentia Dei) voraus. Dass übrigens die gegen-
seitige Einwirkung durch die völlige Verschiedenheit des Wesens nicht ausgeschlossen
*) Allerdings bleibt das Quantum der Materie, aber nicht nothwendig das
Kraft" und .Spannkraft" zu nennen pflegt, im Universum unverändert. S. darüber
insbesondere Helmholtz, über die Erhaltung der Kraft in „ Populäre wissensch.
Aufsätze", H. 2, Braunschw. 1876.
**) Dieser Ansicht, dass die Seele einen punctuellen Sitz habe, steht die {Joctrin
des Spinoza gerade entgegen, aber die leibnizische Lehre von der Seele alsMoimue
beruht auf ihr. Der Annahme, dass die Zirbeldrüse der Sitz der Seele sei, wider-
streitet die Thatsache der Fortdauer des Seelenlebens in dem Fall einer Zerstörung
jenes Organs.
Quantum der Be
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§11. Descartes, Anhänger and Gegner.
werde, hat Descartes schon in seinen Antworten auf die Einwürfe des Gaasendi
gegen seine Meditationen behauptet.
Die Abhandlung über die passiones animae ist ein physiologisch-psycho-
logischer Erklärungsversuch der Affecte im weitesten Sinue nach den in den Principia
philos. entwickelten Grundsätzen. Von sechs primitiven Affecten : Bewunderung, liebe,
Hasa, Verlangen, Freude und Traurigkeit, sucht er alle anderen abzuleiten. Der
vollkommenste aller Affecte ist die intellectaelle Liebe zu Gott Nur gelegentlich
hat Descartes ethische (den aristotelischen und den stoischen verwandte) Ansichten
geäussert, namentlich in dem Briefe de summo bono an die Königin Christine. Als
Ziel wird die Glückseligkeit aufgestellt, und diese geht hervor aus dem consequenten
guten Willen oder der Tugend. Der Wille hängt aber von der Vorstellung ab, und
so kommt auf letztere wieder alles an. Deutliche und klare Vorstellungen sind
die Grundlage für das wahre sittliche Leben. Die Unfreiheit der Seele, welche in
der Abhängigkeit von den AfTecten besteht, muss überwunden werden und zwar
durch die Weisheit, welche die Lust an vernunftgemässer Thätigkeit aller niederen
Lust vorzieht.
Zu den Anhängern des Cartesius gehören Renerius und Regius in Utrecht,
Raey, Heereboord, der freilich mehr die jüngere aristotelische Scholastik ver-
tritt, Heidanus in Leyden und andere holländische Gelehrte, ferner in Frankreich
Claude de Clereelier der Herausgeber der Opera postbuma Descartis, gest. 1686,
viele Oratorianer und Jansenisten, deren AugUBtinismus sie für die neue
Doctrin empfänglich machte. Unter den Jansenisten der Abtei Port-Royal (worüber
Herrn. Reuchlin, Geschichte von Port-Royal, Hamb, und Gotha 1889—44 und
St. Beuve, Port Royal, 3. ed. Paris 1867, handeln) ist der namhafteste Freund
der cartesianischen Richtung der im Einzelnen manche Bedenken erbebende, die
carteaiauische Gewissheitsregel auf Wissensobjecte einschränkende Verfasser der Ob-
jectiones quartae Anton Arnauld (1612—94; oeuvr. complet., Lausan. 1776—83),
s. üb. ihn: F. R. Vicajee, Antoine Arnauld, his place in the history of Logic,
Bombay 1881. Zu den bedeutenderen Cartesianern gehören ferner: Pierre Silvain
Regia (1632—1707; cours entier de la philos., Paris 169$ Amst. 1691), Pierre
Nicole (1625 — 95; essais de morale, Paris 1671—74 u. ö.; oeuvres mor., Par. 1718)
u. A. Von Arnauld und Nicole wurde unter Benutzung einer Abhandlung von
Pascal die Logik von Port-Royal ,1'art de penser* 1662 herausgegeben, die im
Ganzen als cartesianisch gelten kann und heutigen Tages noch nicht antiquirt ist.
S. ob. S. 68 Anm. Unter den deutschen Cartesianern ist zu nennen: Balthasar
Bekker (1634—98; de philos. Cartesiana admonitio Candida et sincera, Wesel 1668),
der sich besonders durch Bestreitung des Unwesens der Hexenprocesse in seiner
Schrift: die verzauberte Welt (holländisch: betoverde Weereld, Leeuwarden 1690
und Amst. 1691—93, in viele Sprachen übersetzt) verdient gemacht hat. Da
Geistiges auf Körperliches nicht einwirken kann, ist alle Zauberei unmöglich (vgl.
von Gegenschriften u. A.: Fürstellung vier neuer Weltweisen, namentlich R. des
Cartes, Th Hobbes, Ben. Spinoza, Balth. B.s, nach ihr. Leb. und fürnehmst.
Irrthüm., 1702). Ferner huldigen der Lehre Descartes' Joh. Clauberg (1625— 65),
Lehrer zu Duisburg (Logica vetus et nova etc. Duisb. 1656; opera philos., Amst.
1691), Sturm in Altdorf u. A. Für England vermittelte die cartesianische Lehre
Antoine Le Grand aus Douay, später in England lebend, durch seine Schriften:
Philosophia veterum e mente Renati des Cartes, Loud. 1671, Iustitutiones philo-
sophiae secundum principia R. d. C. nova methodo adomatae, Lond. 1672 u. 1678,
oft wieder aufgelegt, Apologia pro Cartesio contra Sam. Parkerum, Lond. 1672,
Nürob. 1681. Auch in Italien erwarb sich trotz des päpstlichen Verbotes die
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§11. Descartes, Anbänger und Oegner.
77
I/ehre Descartes' Anhänger. Einer der letzten war der Cardinal Gerdil, gest. 1802.
der später noch zu erwähnen ist.
Von den Gegnern des Descartes stehen Hobbes nnd Gassendi (ausser
den Objectiones, s. ob S. 63, anch IHsquisitiones Anticartesianae, 1643) auf natu-
ralistischem Standpunkt Unter den vielen zum Theil höchst scharfsinnigen und
treffenden Einwürfen des Gassendi, in denen er alle Fundamentalsätze Descartes',
namentlich auch die Möglichkeit des absoluten Zweifels, die volle Verschiedenheit
der körperlichen und der denkenden Substanz, angreift, findet sich gerade derjenige
nicht, der oft allein erwähnt wird, der aber nur von Descartes in seiner Antwort
dem Gassendi in den Mund gelegt worden ist: es könne auch aus dem Spazieren-
gehen das Sein erschlossen werden. Gassendi sagt nur, aus jeder Action könne
das Sein erschlossen werden, und missbilligt die cartesianische Subsumtion aller
psychischen Actionen unter .Cogitare". Vom Standpunkte theologischer Orthodoxie
und aristotelischer Philosophie haben besonders der Protestant GisbertusVoetius
und die Jesuiten Bourdin (der Verf. der Objectiones septimae), Daniel (voyage
du monde de Descartes, Par. 1691, lat. Amst. 1694; nouvelles difficultes proposees
par an Peripateticien, Amst. 1694, lat. ebend. 1694) u. And. den Cartesianismns
bekämpft. Die Synode zu Dortrecht im Jahre 1656 hat denselben den Theologen
verboten; zu Rom wurden 1663 Descartes' Schriften auf den Index librorum pro-
hibitorum gesetzt, und 1671 wurde durch königlichen Befehl auf der pariser Uni-
versität der Vortrag der cartesianischeu Doctrin untersagt.
In einem theilweise befreundeten, theilweise gegnerischen Verhältnisse standen
zum Cartesianismns mystische Philosophen, wie Blaise Pascal (1623 — 62),
Pierre Poiret Der Grundgedanke Pascals ist: la nature confond les Pyrrhouiens
et la raison confond les dogmatistes; nous avons une impuissance ä prouver invin-
cible ä tout le dogmatisme, nous avons One id£e de la v£rite invincible ä tout le
Pyrrhonisme, Pens6es, art. XXI. Das religiöse Gefühl nimmt für sich Erkenntniss
in Anspruch, Erkeuntniss der Gottheit und der Gnade. Le coeur a ses raisons que
la raison ne connait pas. Die Vernunft schwankt immer zwischen Zweifel und
Gewissheit, doch ist die positive Erkenutniss bis zu einem bestimmten Grade noch
möglich. Die volle Wahrheit kanu die Vernunft nicht ans ihren eigenen Mitteln
finden, aber sie vermag das im Christeuthum gegebene Heil zu erkennen und an-
zunehmen. Poiret (1646 zu Metz geb., einige Jahre in Hamburg Prediger, starb
in Rhynsburg bei Leyden) veröffentlichte 1677 eine an Cartesius anknüpfeude Schrift:
Cogitationum rationalium de Deo, anima et malo 11. IV; später huldigte er theo-
sophischen Anschauungen, in denen er sich vielfach an Jac. Böhme anschloss, dessen
Grundlehren er in einer anonym veröffentlichten Schrift zusammenfasste : Idea
theologiae Christianae juxta principia Jacobi Bohemi philosophi teutonici brevis
et methodica, 1687. Seine mystische u Ansichten hat er niedergelegt in : L'economie
divine ou Systeme universel et d6montr6 des Oeuvres et des desseins de Dieu envers
les hommes 1687. Gegen Locke ist die Schrift gerichtet: Fides et ratio collatae
ac suo utraque loco redditae adversus principia Lockii, 1707. Ferner sind hier zu
erwähnen die Platoniker Ralph Cudworth (s. ob. § 9, S. 61) und Andere, ins-
besondere der Platoniker und Cabbalist Henry More, der im Jahre 1648 mit
Descartes selbst Briefe gewechselt hat (abgedr. im X. Bde. der cousinschen Aus-
gabe der Werke des Descartes), worin er u. A. den Begriff einer immateriellen
Ausdehnung, die Gott und den Seelen zukomme, gegen Descartes behauptet und
Descartes' exclusiv-mechanistische Naturlehre bestreitet (S. auch üb. ihn ob. § 9
S. 61). Der in der Theologie orthodoxe philosophische Skeptiker Bischof Hu et
(1630-1721) schrieb eine Censura philosophiae Cartesianae, Paris 1689 u. ö., die
mehrere Gegenschriften von Cartesianern hervorrief, ferner (anonym) Nouveaux
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§ 12. Geulincx und Malebranche.
Mcmoir. pour servir ä l'hist. du Cartesianisme, Par. 1692 a. ö. Aach der Skeptiker
Pierre Bayle (1647 — 1705; Dictionnaire biatoriqae et critique, zuerst Rotterdam
1695 u. 97 in 2 Bden. erschienen, dann 1702 verbessert und vermehrt, am voll-
ständigsten von Des-Maizeaux herausgegeb. , 4 Bde., Amsterd. u. Leyden 1740;
Oeuvr. divers, ä la Haye 1725-31, aus seinem Nachlasse 1737 Systeme de la philo-
sophie, in dem er eine kurze Darstellung der Grundgedanken der cartesianischen
Philosophie giebt) hat, obschon der cartesianischen Philosophie nicht abgeneigt,
doch derselben, wie jeglichem Dogmatismus, seine skeptischen Argumente entgegen-
gehalten. Er behauptete von der menschlichen Vernunft überhaupt, was von seiner
individuellen Vernunft galt, dass sie stark sei in der Entdeckung von Irrthümern,
schwach in der positiven Erkenntnis*. Das altprotestantische Princip des Wider-
streits zwischen Vernunft und Glauben beutete er zur Aufzeigung von Absurditäten
in der orthodoxen Glaubenslehre aus. Er verwirft den Satz der Deisten, dass
die Religion nichts Widervernünftiges sondern Uebervernünftiges bringe. Die
religiösen Sätze seien durchaus widerveruünftig, und nur unter dieser Voraus-
setzung sei es ein Verdienst, an sie zu glauben. Bayle ist mit seinem zersetzenden
Zweifel von bedeutendem Einfluss auf die ganze geistige Entwickelung des 18. Jahr-
hunderts gewesen.
§ 12. Bei dem dualistischen Verhältniss, welches Descartes zwischen
Leib und Seele annahm, indem er beide für völlig heterogen ansah
und keine Mittelstufen anerkannte, ward die von ihm behauptete,
obschon durch Gottes Assistenz gestützte Wechselwirkung zwischen
beiden schwer denkbar, weshalb der Cartesianer Geulincx nach dem
Vorgang Anderer den Occasionalismus ausbildete oder die Lehre,
dass bei Gelegenheit des seelischen Vorgangs der entsprechende leib-
liche und bei Gelegenheit des leiblichen der psychische einträte. Diese
Uebereinstimmung wird auf einen höheren Willen zurückgeführt, Gott
hat sie so geordnet. Der höchste Grundsatz der Sittenlehre, welche
Geulincx viel mehr als Descartes berücksichtigte, ist: Wo du nichts
vermagst, da wolle auch nichts. Als erste Tugend gilt ihm die
Demuth, d. h. die Einsicht in unsere Ohnmacht und die volle Ergebung
in die Macht Gottes. Doch betont er nachdrücklich die Pflicht, mit
deren Erfüllung auch das höchste Glück verbunden ist, und huldigt
keineswegs dem Quietismus.
Malebranche (1638—1715), der für den zweitgrössten Meta-
physiker Frankreichs gilt und auch an Descartes anknüpfte, stellte die
mystische Lehre auf, dass wir alle Dinge in Gott schauen, welcher
der Ort der Geister sei, wie der Raum der Ort der Körper. Gott
fasst auch die Ideen der Körper in sich, nach denen die ganze Körper-
welt geschaffen ist. Da die Geister nun mit Gott geeinigt sind, ist
es ihnen möglich, diese Ideen zu erkennen.
Arnold i Geulincx Logica fundanienti- suis, a quibus hactenus eollapsa fuerat,
restituta, Lugd. Bat. 1G62, Amst. 1698; Metaphysiea vera et ad meutern Peripateti-
corum, Amst. 1691. Ueber die Ausgaben der Ethik 8. namentlieh die unt. angeführte
Abb. v. E. Zeller. Zuerst erschien 1664 Lugd. Bat. eine Disputatiu etbica de virtute
et primis eius proprietatibus, welche Jac. van Hoogemade uuter Geulincx' Präsidium
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§ 12. Geulincx und Malebrauche.
79
vertheidigte. Ausgearbeitet wurde dieser kurze Entwurf als: Arnoldi Geulincx Ant-
verpieusis De virtute et primis eius proprietatibus, quae vulgu Virtutes cardinales vocantur.
Tractatus Ethicus primus, Lugd. Bat. 1665. Sechs Jabre nacb Geulincx' Tode wurde
das Werk, vervollständigt durch weitere 5 Abbandlungen und sonstige Ergänzungen
aus den Heften Geulincx' herausgegeben unter dem Titel: rrtoitt aeuvinv, sive Arn.
Geulincs — Ethica. Post tristia autoris fata oninibus suis partibus in lucem edita per
Philarethum, Lugd. Bat. 1675 (der Pseudonyme Herausg. war der holländische Arzt u.
Philo«. Cornelius Bontekoe), dann wieder abgedruckt Lugd. Bat. 1683, Anisterd. 1091.
1696, 1709 (die letzten beiden Ausgaben von Job. Elender, Rector u. Prof. in Zütphen
bes«>rgt). Pbysica vera, 1698; ausserdem Annotata (praecurrentia und majora) zu Des-
cartes* Prineipien der Philosophie, Dordraci 1690 und 1691. Ueber ihn bandeln:
E. Grimm, Arnold Geulincx* Erkenntnisstheorie uud Occasionalismus, Jena 1875. Ed-
mund Pfleiderer, A. G. als Hauptvertreter der occasionalist. Metapb. u. Eth., Univ.
Pr., Tübing. 18S2, s. dazu Rud. Eucken, Leibniz u. Geulinx, in Philos. Monatsh., 1883,
S. 525 — 543. dann wieder Edm. Pfleiderer, Leibniz u. Geulinx mit besonderer Bez. auf
ihr beiderseitiges Uhrengleichniss, Univ. Pr., Tübingen 1884; ders., Noch einmal Leibniz
u. Geulinx, in: Philos. Monatsh., 1885, S. 20 — 39. E. Göpfert, Geulinx' ethisches
System, Breslau 1883. E. Zeller üb. d. erste Ausgabe von Geulincx' Ethik u. Leibniz'
Verb, zu Geulincx' Occasionalismus, in: Sitzungsber. d. Ak. d. VV. zu Berlin, 1S84,
S. 673 — 695. Gust. Samtleben, Geulincx ein Vorgänger Spinozas, Halle 1885. J. P.
N. Land, Arn. Geulincx te Leiden (1658 — 1669), Amsterd. 1886 (aus d. Verslagen u.
Mededeelingen der Koningk. Akad. van "Wetensch.). Victor van der Haeghen,
Geulincx. Etüde sur sa vie, sa philos. et ses ouvrages, Gent 1886. — Ldw. Stein, zur
Genesis d. Oceasionalismus, in: Arch. d. Gesch. d. Phil., I, 1887, S. 53 — 61.
Nie. Malebranche, de la recherche de la verite oii Ton traite de la nature, de
l'esprit de l'homme et de l'usage qu'il doit faire pour eviter l'erreur dans les seienets,
Par. 1675 u. ö.: am vollständigsten 1712, nouvelle ed. avee une introduetion de
F. Bouillier, Paris 1880; Conversations tnetaphvsiques et chretiennes, 1677; Traite de la
nature et de la gräee, Amst. 1680; Traite de niorale. Rotterd. 1684; Meditations metapb.
et chretiennes, 1684 ; Entreriens sur la metapb. et s. la relig. (eine compendiarisehe
Darstellung seiner Doctrin) 1688; Traite de l'amour de Dieu, 1697: Entretiens d'un
philosophe chretien et d'un philosophe chinois sur la nature de Dieu, Par. 1780;
Oeuvres, Par. 1712; nouv. edit. collat., sur meilleurs textes et preced. d une introd. par
Jul. Simon, 4 vols., Par. 1871, nicht die sämmtlichen Schriften: es fehlt der Traite de
inorale, der besonders herausgegeben ist von Henri Jolv, Par. 1882. Vgl. den betreffenden
Abschnitt bei Bouillier, bist, de la philo«. Cartesienne und in and. Geschichtswerken,
femer Blampignon, etude sur Mal. d'apres des documents manuscrits, suivie d'uue cor-
respond. ined , Par. 1863. (Jh. A. Thilo, üb. M.s religions-philos. Ansichten, in: Ztschr.
f. ex. Ph. IV, 1863, S. 181 — 198 u. S. 209—224. Aug. Damien, etude sur la Bruyere
et Malebranche, Paris 1866. B. Bonieux, expenditur Malebranchii sententia de causi«
occasionalibus, diss. Lugdunensi litt. fac. propos., Clermont 1866. I^eon Olle-Laprunc,
la phil. de M., 2 vol., Paris (1870—72), vgl. P. Janet, rapp. s. le concours rel. a l'exain.
de la phil. de M., in den Mein, de l'acad. des sc. mor. et pol. de l inst, de France,
T. Xlll. 1872, p. 221 — 255. E. Grimm, Malehranches; Erkenntnisstheorie u. deren Verb,
zur Erkenntnisstheorie des Desc, in Zeitscbr. f. Philos. u. phil. Kr., Bd. 70, 1S77, S. 15
bis 55. Sebast. Turbiglio, le antitesi tra il medioevo e l'etä moderna nella storia della
lilosotia in ispecie nella dottrina morale di Malehranche, Roma 1877. P. Stany, üb. d.
Sinne nacb Malebr., Posen 1882. George Zeehalas, l'oeuvre scientifique de M., in: Revue
philos. 18, 1884, S. 293—313. Emile Farny, etude sur la morale de M., Cbaux de
Fonds 1886. Andre, de la vie de R. P. Malebranche, pretre de l'oratoire avec l'histoire
de ses ouvrages, publice par Ingold, Par. 1886.
Der cartesianische Dualismas stellte Mens uud Corpus als zwei völlig
heterogene Substanzen nebeneinander. Er sprach der Seele die (von Aristoteles
derselben zugeschriebenen) vegetativen Functioneu ab, um dieselben dem Leibe,
insbesondere den durch denselben verbreiteten Lebensgeistern (spiritus vitales) die
eine feine Materie seien, zu vindiciren; er sprach andererseits der Materie alle
inneren Zustände ab. Eben hierdurch wurde die thatsächliche Beziehung zwischen
psychischen und somatischen Vorgängen unbegreiflich. Ein natürlicher Einfluss
(influxus physicus) des Leibes auf die Seele und der Seele auf den Leib liess sich
bei absoluter Verschiedenartigkeit beider consequeutermaasseu nicht wohl annehmen,
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§ 12. Genlincx and Malebranche.
obschon Descartes gegenüber Gassendi einen solchen für möglich hielt; nar Gottes
Wirksamkeit allein blieb als Erklärungsgrund übrig. So trat denn Arnould
Genlincx (auch Geulinx, Geulincs, Genlings, Genlinck geschrieben, 1625 — 69,
geb. zu Antwerpen, längere Zeit Lehrer a. d. Universität zn Löwen, dann zu
Leyden, wo er vom Katholicismns zur calvinischen Confession übertrat! mit der
Lehre auf, Gott rufe bei Gelegenheit des leiblichen Vorganges in der Seele die
Vorstellung hervor, und bei Gelegenheit des Wollens bewege Gott den Leib, eine
Consequenz, die theilweise schon von Clauberg, Louis de la Forge (Traite de
1'esprit humain, 1661) und Cordemoy (le discernement de Tarne et du corps en six
discours, 1666) erkannt war. Wovon man nicht weiss, wie es bewirkt wird, das
bewirkt man auch nicht (impossibile est ut is faciat qui nescit, quomodo fiat), ist
einer der Haupt&ätze von Genlincx. Nicht der Körper ist Ursache für die
bewusste Empfindung im Geiste, nicht der Wille, der in der Seele entsteht, ist
unmittelbar Ursache für die Bewegung, sondern der Reiz im Körper und der
innere Wille sind nur gelegentliche Ursache, occasio, causa occasionalis, um eine
Empfindung in der Seele, eine Bewegung im Leibe hervorzubringen. Daher der
Name Occasionalismus. Ob Gott bei jeder gelegentlichen Ursache selbst ein-
greift, also eine unmittelbare Einwirkung desselben stattfindet, oder ob die Ueber-
ein8timmung zwischen diesen beiden Seiten von Gott als dem ersten Urheber von
vornherein geordnet ist, darüber kommt es bei Geulincx zu keiner widerspruchslosen
Klarheit. Dem ersteren neigt sich Geulincx in den Stelleu zu, nach welchen Gott
die Wahrnehmungen interventu corporis cuiusdam hervorbringt oder sich der
Körper als Werkzeuge für die Wahrnehmungen bedient. Für das Letztere spricht
das später bei Leibniz weiter angewandte Gleichnis* von zwei Uhren, die einen
gleichmässigen Gang haben, zu gleicher Zeit schlagen und die Stunden angeben,
ohne irgend eine gegenseitige causak Abhängigkeit, sondern lediglich in Folge der
Geschicklichkeit des Künstlers, der sie angefertigt hat (idque absque ulla causali-
tate, qua alterum hoc in altero causat, sed propter meram dependentiam, qua
utrumque ab eadem arte et simili industria constitutum est, Eth.. Track I, Sect. II,
§ 2, nota 19). So soll es auch z. B. mit meinem Willen zu sprechen und der Be-
wegung meiner Zunge sein. Sie sind beide von einem und demselben höchsten
Künstler zur Uebereinstimmung unter sich gebildet.
Geulincx geht wie Descartes von der Gewissheit des Selbstbewusstseins aus,
das einfach ist, in dem man aber doch verschiedene von ihm unabhängige Gedanken
findet. Diese müssen von einem Anderen, und zwar einem bewnssten Willen her-
rühren, dieser ist aber die Gottheit. Die einzelnen Körper sind modi des unend-
lichen und an sich untheilbaren Körpers, wie unsere Geister modi des Geistes
sind. Nicht absolute Geister sind wir, sondern begrenzte, und wir gehören nicht
wesentlich zu dem Geiste: sumus igitur modi mentis, si auferas modum, remanet
ipse deus. Können wir selbst nichts thun, sondern sind nur Zuschauer dessen, was
Gott in uns wirkt, so kann ethisch nur gefordert werden demüthige Ergebung in
den Weltlauf, die humilitas, zu deren Besitz die Selbsterkenntnis (yvwHi atwiöv)
nothwendig ist, inspectio et despectio sui. Sum igitur nudus spectator huius
machinae. Ita est, ergo ita sit! In der Körperwelt, zu der die Seele in gar keiner
wirklichen Beziehung steht, darf nichts begehrt werden : Ubi nil vales ibi nil velis.
Statt der Resignation Gott gegenüber will Geulincx lieber die volle Hingabe an
Gottes Abbild, die Vernunft, setzen, die entsteht, wenn wir die Wertlosigkeit
alles Endlichen eingesehen haben. So ist ihm die Tugend gleich Liebe zu Gott
und zur Vernunft und besteht vor Allem in dem Ablegen aller Selbstsucht und in
Betrachtung des ganzen Daseins vom Standpunkte der Pflicht aus. Werthvoll ist
allein die Gesinnung, der Wille. Lohn und Strafe sind ans der Ethik ganz zu
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§ 12. Geulincx und Malebranche.
81
entfernen, aber in der Hingabe an die Vernunft oder an Gott liegt doch das wahre
Gluck, auf das wir nur bei der Ausübung der Tugend keine Rücksicht nehmen
dürfen. Als Cardinaltugenden gelten dem Geuliucx die diligentia, Fleiss im An-
hören der Gebote der Vernunft, obedieutia, Gewissenhaftigkeit in der Befolgung
der Gebote, iustitia und die humilitas.
Etwas anders fasste den Occaeionalismns Nicole Malebranche, geb. 1638 zu
Paris. Schon im 22. Jahre trat er in die Congregation der Väter des Oratoriums Jesu.
Diese Congregation war von einem Freunde Descartes', dem Cardinal Herulle, ge-
gründet und bezweckte wissenschaftliche Ausbildung der Kirchenlehre. Sie hielt
sich mehr au Augustin als an Thomas, und hierdurch war die Annäherung an
Descartes schon gegeben. MalebrancheB Hauptwerk wurde viel gelesen, er zog sich
aber durch dasselbe auch mancherlei Streitigkeiten zu, namentlich mit Arnauld.
der als rein rationalistischer Cartesianer sich mit mystischen Anschauungen nicht
befreunden konnte. Malebranche starb 1715, wie es heisst in Folge «1er Aufregung,
in die er durch eine Unterredung mit dem, seinen eigenen Ansichten sich vielfach
nähernden Berkeley gekommen war. Er sah es bei seinen Speculationen auf die
Einheit von Religion und Philosophie, von Metaphysik und Christentham ab. Das
unmittelbare Object unserer Seele, also das ursprünglichste Element unseres Wissens,
sind nach Malebranche die Ideen, aber Gegenstand der Ideen ist die Ausdehnung
des Unendlichen, Uebersinnlichen, Unveränderlichen, aus dessen Anschauung wir
bilden, was wir immer in und ausser uns anschauen. Obiectum (generale) omnium
idearum est extensio tov infiniti, intelligibilis, immutabilis et incommensurabilis, ex
cuius intuitu formamus quiequid aspiciraus sive intra sive extra nos. Da nun dus
Unendliche Gott ist, so ist das Bewusstsein von Gott das erste Element unseres
Wissens, und wir schauen so alles in Gott. Dann sind wir uns unserer selbst als
eines Theils des göttlichen Wesens bewusst, indem wir uns in derselben unmittel-
baren Anschauung mit Gott zugleich umfassen. Gottes Unendlichkeit ist das
a allgemeine Gesichtsfeld", in dem uns alle Dinge erscheinen, und so ist es auch
erklärlich, wie wir ein allgemeines Wissen von den Dingen haben können, ehe wir
sie durch die Erfahrung kennen lernen. Spiritus creati quaecunque vident et
cognoscunt, in deo cognoscunt, in quo continentur et cuius substantia totum mundum
seu universnm ipsis exhibet, unde etiam liquet, quomodo possideamus qnandam
notitiam generalem lanticipatam) de omnibus entibus, antequam adhuc enrundem
experientiam fecerimus. Gott hat alle Dinge geschaffen und wirkt auch allein. Ehe
aber die Dinge geschaffen wurden, hat Gott in sich eine Welt der Ideen, welche
Limitationen des Unendlichen genannt werden. Und zwar giebt es zwei Grund-
ideen, Denken und Ausdehnung, nach denen die Körper und die Geister geschaffen
sind. Die geschaffenen Körper fasst nun Gott nicht in sich, sondern nur deren
Ideen, aber wohl die geschaifenen Geister, nicht nur deren Ideen. Er wird der
Ort der Geister genannt, und so ist es möglich, dass die Geister die Ideen, auch
die der Körper, erkennen. In der Körperwelt geschieht nun alles von Gott, so dass
die Körper selbst nicht aufeinander wirken, und ebenso in der Geistcswelt, so dass
Irrthum und Sünde eigentlich auch auf Gott zurückgeführt werden müssten. Jedoch
wird hier die Freiheit plötzlich eingeführt, die, freilich nnerklärbar. ein Mysterium
sein soll. Zunächst werden uns die Ideen gegeben, die uns erleuchten, und daiui
die sinnlichen Empfindungen, beides aber auf Anlass einer gelegentlichen Ursache.
Bei den Ideen ist dies die Aufmerksamkeit, welche von unserem freien Willen ab-
hängt, so dass es also auf uns ankommt, ob wir durch Ideen erleuchtet werden oder
nicht. Bei der sinnlichen Empfindung ist lüngegen die gelegentliche Ursache die
körperliche Bewegung, die von Gott als dem sie Bewirkenden wieder abhängt. Das
Anschauen von Ideen, d. h. von Modifikationen der Ausdehnung des Unendlichen
Ueberwcff-Heinzt?, GrunJriss III. 7. Aufl. Q
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§ 13. Spinoza.
und Intelligibeln giebt uns Wissen und Wahrheit. Die Empfindungen sind Modifi-
cationen unseres eigenen Subjecta und geben uns also nur subjective Erfahrung.
Jedoch sind die sinnlichen Empfindungen für die Erkenntniss nicht ganz unbrauchbar
wie bei Descartes. Nämlich auch die sinnlichen Bilder sind Modificationen der
Ideen der Ausdehnung, nur dunkel und verworren, während die Ideen der einzelnen
Figuren selbst klar und deutlich sind. Uebrigens sind es nur die Ideen der Körper,
welche uns wirkliches Wissen gewähren; die Idee der Auadehnung und ihre Modifi-
cationen erkennen wir klar und deutlich. Dagegen haben wir eine solche Erkenntniss
des Geistes nicht, und demnach wird uns die Idee des Geistes auch nicht durch
Erleuchtung von Gott zu Theil
Sind alle Dinge nur Modificationen Gottes, so muss alles Streben, worauf es
auch gehe, zuletzt Streben nach Gott, d. h. Gottesliebe sein. Auch in dem sinnlich
Guten lieben und suchen wir schliesslich Gott Aber freilich darf über dem Ein-
zelnen das Ganze nicht vergessen werden, dessen Modification das Einzelne ist. So
wird denn das ethische Ziel sein die Liebe, die auf das Ganze geht, welche das
Einzelne hinter sich lässt Der Gegenstand dieses Strebens ist Gott, und das Streben
ist erfüllt, wenn Gott erkannt ist.
So viel Aehnlichkeit diese Lehre mit der Spinozas hat, so hebt Malebranche
doch nicht unzutreffend als Hauptunterschied zwischen seiner und Spinozas Philo-
sophie hervor: Nach ihm sei das Universum in Gott, nach Spinoza Gott im
Universum.
§ 13. Baruch Despinoza (Benedictas de Spinoza), geb. zu
Amsterdam 1(532, gest. im Haag 1677, wandte sich, unbefriedigt durch
die talmudische Bildung, der Philosophie des Cartesius zu, bildete
aber den cartesianischen Dualismus zu einem Pantheismus um, dessen
Grundgedanke die Einheit der Substanz ist. Seine Methode ist die
streng mathematische, indem aus wenigen Elementen alles Uebrige
synthetisch abgeleitet wird, und zwar ohne Zuhülfenahme der Erfah-
rung aus reiner Vernunft, so dass Spinoza sich zum vollen Rationa-
lismus bekennt. Unter der Substanz versteht er das, was in sich ist
und aus sich zu begreifen ist. Es giebt nur Eine Substanz, diese
ist Gott, und Gott ist gleich der Natur. Die Substanz hat zwei
uns erkennbare Grundeigenschaften oder Attribute, nämlich Denken
und Ausdehnung, ausserdem, da sie unendlich in jeder Beziehung
ist, noch unzählig viele uns unerkennbare Attribute. Es giebt nicht
eine ausgedehnte Substanz neben einer denkenden Substanz. Zu den
unwesentlichen, wechselnden Gestaltungen oder Modis dieser Attribute
gehört die individuelle Existenz. Diese kommt Gott nicht zu, denn
sonst wäre er endlich und nicht absolut; jede Determination ist eine
Negation. Gott ist die immanente (nicht eine aus sich heraustretende)
Ursache der Gesammtheit der endlichen Dinge oder der Welt. Gott
wirkt nach der inneren Notwendigkeit seines Wesens; eben hierin
liegt seine Freiheit. Er bewirkt alles Einzelne nur mittelbar, durch
anderes Einzelnes, womit es im Causalnexus steht. Es giebt kein
unmittelbares Wirken Gottes nach Zwecken, sondern die Dinge müssen
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§ 13. Spinoza-
83
in streng mathematischer Weise aus Gott abgeleitet werden, und es
ist demnach auch für Gott die Möglichkeit genommen, etwas willkür-
lich zu thun oder zu unterlassen. Es giebt auch keine von dem
Causalitätsverhältniss eximirte menschliche Freiheit. Es wirkt immer
nur ein Modus der Ausdehnung auf einen andern Modus der Aus-
dehnung und ein Modus des Denkens auf einen andern Modus des
Denkens ein, so dass Spinoza den reinen und strengen Determinismus
lehrt. Zwischen dem Denken und der Ausdehnung dagegen be-
steht kein Causalnexus, sondern eine durchgängige Ueber-
einstimmung; die Ordnung und Verbindung der Gedanken ist mit
der Ordnung und Verbindung der ausgedehnten Dinge identisch, indem
jeder Gedanke immer nur die Idee des zugehörigen Modus der Aus-
dehnung ist. In dieser Identität des Psychischen im weitesten Sinne
(Seelischen, Geistigen, Kraft) mit dem Ausgedehnten, das als Materielles
percipirt wird, ist ein strenger Monismus von Spinoza aufgestellt,
der neben dem Dualismus, Spiritualismus, Materialismus, Kriticismus
als eine der grossen und beachtenswerthen philosophischen Hypothesen
angesehen werden muss und besonders für die Anthropologie von
grosser Tragweite ist.
Es giebt nach Spinoza eine Stufenfolge in der Klarheit und dem
Werthe der menschlichen Gedanken von den verworrenen Vorstellungen
bis zu der adäquaten Erkenntniss, die alles Einzelne aus dem Ganzen,
die Dinge nicht als zufällige, sondern als notwendige unter der Form
der Ewigkeit (sub specie aeternitatis) auffasst, d. h. sie auf Gott be-
zieht. An das verworrene, am Endlichen haftende Vorstellen knüpfen
sich die Affecte (die leidenden Zustände der Seele), deren es drei
ursprüngliche giebt, auf die alle übrigen zurückgeführt werden, nämlich
Begierde, Freude, Traurigkeit, und von diesem verworrenen Vor-
stellen hängt auch ab die Knechtschaft des Willens. An die höchste Art
der Erkenntniss knüpft sich aber die intellectuelle Liebe zu Gott,
die entsteht, wenn wir Freude haben in der adäquaten Erkenntniss, in
der Zurückfuhrung der Dinge auf Gott. In der inteilectuellen Liebe
liegt unsere Freiheit, unsere Tugend, unser Glück. Nicht ein der
Tugend beigegebener Lohn, sondern die Tugend selbst ist die Seligkeit.
Das ethische Leben ist beherrscht durch den Trieb nach Selbst-
erhaltung, der in dem Wesen des Geistes liegt. Alle Affecte sind
durch dieses Streben bedingt, sind theils Hemmungen, theils Förderungen
desselben, auch alle Tugend beruht auf ihm. In der inteilectuellen
Liebe zeigt sich trotz des ausgesprochenen Rationalismus die Hin-
neigung Spinozas zur Mystik.
Q*
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§ 13. Spinoza.
Die Schriften Spinozas in ihren verschiedenen Atisgaben und die Schriften über
Spinoza giebt am vollständigsten und mit bibliographischer Ausführlichkeit und Exaet-
heit an: Ant. van der Linde in seiner Schrift Benedictus Spinoza, Bibliographie
(holländ.) s'Gravenhage 1871.
Unter den Schriften des Spinoza ist am frühesten herausgegeben seine (durch
mündlichen Unterricht an einen Privatschüler veranlasste) Darstellung der cartesianischen
Lehren nach mathematischer Methode: Kenati desCarte» Prineipiorum philoso-
phiae pars I et II, more geometrico demonstratae, per Benedictum de Spinoza Amstelo-
damenscm, aceesserunt ejusdem Cogitata metaphysica, in quibus difficiliores, quae
in I^etaphysices tarn parte generali qaam speciali circa ens eiusque afTectiones, Deum
eiusque attributa et mentem humanam occurrunt, quaestiones breviter explicantur,
Amstelodami apud Johannem Rieuwertsz, 1663. Demnächst erschien: Tractatus
theologico - politicus, continens dissertationes aliquot, quibus ostenditur libertatem
pbilosophandi non tantum salva pietate et reipublicae pace posse concedi, sed eandem
nisi cum pace reipublicae ipsaque pietate tolli non posse, mit dem Motto au9 dem ersten
Johannesbriefe: per hoc cognoscimus quod in Deo manemus et Deus manet in nobis,
quod de spiritu stio dedit nobis, Hamburgi apud Henricum Künraht (Amst., Cristoph
Conrad) 1670. Es existiren noch drei weitere Drucke des Traetats mit der Jahreszahl
1670. Der eine apud. Henr. Künraht, welcher da« Druckfehlcrvcrzeichniss der ersten
Ausgabe beibehält, aber im Text einen Theil der Fehler corrigirt hat, die beiden andern:
apud Henr. Künrath, von denen der letzle das Druckfehlerverzeichniss gar nicht mehr
hat. Dieser vierte ist von den Herausgebern dieses Jahrb. s benutzt. Paulus lässt bei
den Citaten aus dem alten Test, den hebräischen Text weg. In den drei letzten Drucken
mit der Jahreszahl 1670 sind einige neue, zum Theil sinnentstellende Fehler hinzu-
gekommen. Es ist nun sehr unwahrscheinlich, dass in dem Jahre des Erscheinens vier
Auflagen dieses Werkes uöthig waren, und man ist deshalb geneigt, anzunehmen, dass
die augenscheinlich späteren Drucke erst, nachdem das Buch verboten worden war,
veranstaltet, aber vorsichtiger Weise mit der Jahreszahl 1670 versehen worden, um sie
nicht als neue Drucke erkennen zu lassen. Vgl. J. P. N. Land, over vier drukken met
het jaartal 1670 von Spinoza's Tract. theol. polit., Amsterd. 1881 (overgedrukt uit de
Verslagen en Mededcelingen de Kon. Akad. van Wetcnsehappcn). Eben dieser tractatus
theologico - politicus wurde, nachdem er mit Beschlag belegt war, 1673 zweimal zu
Amsterdam und einmal zu Leyden unter falschen Titeln ausgegeben, dann sine loco
1674 wiederum als Tractatus theologico -politicus bezeichnet mit angehängtem neuen
Abdruck der zuerst Eleutheropoli (Amst.) 1666 veröffentlichten (von Spinozas Freunde,
dem Arzt Ludw. Meyer verfassen) Schrift: philosophia scripturae interpres. Randglossen
Spinozas zu dem Tractatus theologieo-politicus sind mehrfach veröffentlicht worden, theil-
weise schon in der 1678 erschienenen französischen Uebersetzung eben dieses Tractatus
durch St. (»lain, zum anderen Theil durch Christoph Theophil de Murr, Hagae Comiftim
1802, u. And. Aus einem von Sp. an Clefmann geschenkten, jetzt in der Wallenrodt-
schen Bibliothek zu Königsberg befindlichen Exemplar hat Dorow, Berlin 1835, Noten
edirt, die von den anderweitig veröffentlichten nur unwesentlich abweichen. Erst nach
Spinozas Tode erschien sein philosophisches Hauptwerk, die Ethik, zugleich mit kleineren
Tractaten unt. d. Tit.: B. d. S. Opera posthuma, Amst. bei Job Rieuwertsz 1677.
Inhalt: Praefatio von dem Mennoniten Jarig Jellis holländisch abgefasst, von Ludwig
Meyer ins Lateinische übersetzt. — Ethica, ordine geometrico demonstrata et in quinque
partes distineta, in quibus agitur I. de Deo, II. de natura et origine mentis, III. de
origine et natura affectuum, IV. de Servitute humana seu de affectuum viribus, V. de
potentia intellectus seu de libertate humana. (Vgl. J. P. N. Land, over de uitgaven en
d. Text der Ethica von Sp., Amsterd. 1881, overgedrukt uit de Verslagen en Mede-
dcelingen der Kon. Ak. van Wetensch.). — Tractatus politicus, in quo demon-
stratur, quomodo soeietas, ubi imperium monarchicum locum habet, sicut et ea, ubi
Optimi imperant, debet institui, ne in tyrannidem labatur, et ut pax libertasque eivium
inviolata mnneat. — Tractatus de intellectus emendatione, et de via, qua op-
time in veram rerum cognitionem dirigitur. — Epistolae doctorum quorundam virorum
ad B. de S. et auctoris respotisiones , ad aliorum ejus operum elucidationem non parum
facientes. (Vergl. J. P. X. Land, over de eerste uitgaven der Brieven van Sp., Amsterd.
1879, Verslag. en Mededeeling. de Kon. Ak. van Wetensch.) — Compendium gram-
maticae linguae Hebraeae.
Neuaufgefundenes haben Böhmer und van Vloten veröffentlicht: Ben. de Sp.
Tractat. de Deo et nomine ejusque felicitate lincamenta atque adnotationes ad
tractatum theol. -polit. ed. et illust. Ed. Boehmer, Hulae 1852, und: Ad B. de Sp. opera
quae supersunt omnia supplcmentum, contin. tractatum hncilique ineditnm de Deo et
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§ 13. Spinoza.
85
homine, tiaetatulum de iridc, epistolas nonnullas ineditas et ad eas vitamque philosophi
Collectanea (ed J. van Vloten), Amst. 1862. Vgl. darüber H. Ritter in: Gött. gel. Anz.
1862. St. 47. Chr. Sigwart, Sp.s neuentdeckt. Tract. von Gott, dem Mensch, u. des«.
Glückseligk. erläut. u. in s. Bedeutg. für da* Verständnis» d. Spinozism. unter»., Gotha
1866. Paul Janet, Sp. et le Spinozisme d'apres les travaux reeents. in: Kev. d, deux
mond. , Par. 1867. Trendelenburg, üb. d. anfgefund. Krgänzgn. zu Sp.s Werken und
deren Krtrag für Sp.s Leb. und Lehre, im 3. Bd. von Trcndelenburgs „hist. Beitr. t.
Philos.", Berl. 1867, S. 277—398. Rieh. Avenarius, üb. d. beid. erst. Phasen des Sp.
Pantheismus (s. unten). Der Tractatus de Deo et hom. ejusque felicitate ist nicht im
lat. Original, welches verloren zu sein scheint, sondern in einer holländ. Uebersetzung
aufgefunden worden (Körte Verhandeling van God, de Mensch en deszelvs welstand);
nach einer jüngeren Handschrift hat van Vloten (im Supplem., Amst. 1865), nach einer
älteren aber Sehaarschmidt den holländ. Text herausg. und eine Vorrede de Sp. philos.
fontibus beigefügt, Amstel. 1869; ins Deutsche übersetzt von Schaarschmidt ist dieser
Tractat in der v. Kirchmann herausg. «philos. Bibl.*, Bd. 18, Berlin 1869. erschienen.
Mit dieser Schaarschinidtschen Uebersetzung ist gleichzeitig erschienen: Chr. Sigwart,
B. d. Sp.s kurz. Tractat von Gott, dem Mensch, u. dessen Glückseligk. auf Grund e.
neu. v. Dr. Antonius van der Linde vorgenomm. Verglchg. der Ildsrhrftn. ins Dtsehe.
übs., m. e. Eiuleitg., krit. u. sacbl. Erläutergn. begleit., Tüb. 1870, 2. Ausg. 1881.
Gesammtauagaben der Werke: Benedicti de Spinoza opera qnae supersunt
«iiniiia, iterum edenda curavit, praefationes , vitam auctoris nee non notitias, quae ad
historiam scriptorum pertinent, addidit Henr. Kberh. Gottl. Paulus, Jenae 1802 — 3
B. d. Sp. opera philos. oinnia ed. et praef. adjec. A. Gfrörer, Stuttgardiae 1830. Renati
des Cartes et B. de Sp. praeeipna opera. philos. recognovit, notitias hist. philos. adj.
Car. Riedel, Lips. 1843 (Cartesii Medit., Sp. diss. philos.. Sp. Eth.). B. de Sp. opera
quae supersunt omnia ex editionibus prine. denuo ed. et praef. est Carol. Herrn. Bruder
(mit zahlreichen bibliographischen Angaben), 3. voll.. Lips. 1843 — 46. Ethik, Brief-
wechsel, Theologisch-polirischer Tractat, und die unvollendeten lateinisch. Abhandlungen,
herausgegeben und mit Einleitungen versehen von Hugo Ginsberg, 4 Bde., Leipz., später
Heidelberg, 1875 — 1882. (Auch in dieser Ginsbcrgseh. Edit. ist der Tract. de Deo
et hom. etc. nicht enthalten.) Die vollständigste Ausgabe ist: B. de Sp. opera quotquot
reperta sunt. Recognover. J. van Vloten et J. P. N. Land, 2 Voll., Hagae 1882, 83.
Ins Holländ. sind die nachgelass. Werke bereits 1677 (von Jarrig Jellis) übersetzt
worden. Eine schon bei Spinozas Lebzeiten angefertigte, aber damals seinem Wunsche
gemäss unveröffentlicht gebliebene Uebersetzung des Tract. theol.-polit. ist unt. d. T.:
De rechtzinnige Theologant, Hamburg by Henricus Koenraad (Amsterdam) 1693 herausg.
worden. Eine franz. Vebers. des tract. theol.-pol. (wahrscheinl. von St. Glain) ist unter
verschiedenen verbergenden Titeln 1678 erschienen. In neuerer Zeit hat Emile Saisset
die Oeuvres de Sp. ins Frunzös. übersetzt, Par. 1842, 1861, zuletzt 3 vol. 1872. Den
Tractatus politicus (von dem Tract. theol.-pol. wohl zu unterscheiden) hat J. G. Prat
ins Franz. übersetzt: Traite politique de B. de Spinoza, Paris 1860. Oeuvres completes,
traduites et annotees par J. G. Prat, Paris 1863 ff. Ins Engl, übers, erschien der Tract.
theol.-pol. London 1869, 1737, auch wiederum London 1862, 2. Aufl. 1868. Ins
Deutsche übersetzt (von Job. Lorenz Schmidt) ist die Ethik des Spinoza zugleich mit
Chr. Wölfls (aus dessen Theo!, nat. p. post., Frkf. u. Leipz. 1737, p. 672—730 ent-
nommener Widerlegung) Frankf. und Leipz. 1744 erschienen. Seine Abb. über die
Cultur des menschl. Verstandes u. üb. die Aristokratie und Demokratie hat S. H. Ewald
übersetzt, Lpzg. 1785, und derselbe auch seine „philosoph. Schriften*: Bd. I: Bd. v. S.
üb. h. Schrift. Judenth.. Recht der höchsten Gewalt in geistl. Dingen u. Freiheit zu
philosophir. (theol.-polit. Tractat). Gera 1787; Bd. FI und III: Sp.s Ethik, Gera 1791
bis 93. Die theol.-polit. Abhandlung hat auch C. Ph. Conz, Stuttg. 1806 und J. A. Kalb,
Münch. 1826, die Ethik F. W. V. Schmidt, Berlin 1812, die sämmtl. Werke Berth.
Auerbach ins Deutsche übers., 5 Bde., Stuttg. 1841, 2. verm. Aufl., 2 Bde. 1872. In
der «philos. Biblioth.- sind erschienen: B. v. Sp.s sämmtl. philo». Werke übs. v. J. H.
v. Kirchmann u. C. Schaarschmidt in 2 Bdn.
Von den in Sp.s Werken mitabgedr. Briefen sind 1 — 25 zwischen Sp. und
Oldenburg gewechselt worden, 26 — 28 zwischen Sp. und Simon de Vries, den 29. Brief
hat Sp. an Ludw. Mayer gerichtet (ad virum doctiss. experriss. L. M. pbilos. med. que
doetorem), den 30. an Peter Balling; Br. 31 — 38 ist der Briefwechsel Sp.s mit Willi,
van Blyenbergh (Brief 38 von Sp. am 3. Juni 1665 geschrieben); Br. 39 — 41 sind
wahrscheinlich an Chr. Huyghens, Brief 42 ist wahrscheinlich an den Dr. med. Joh.
Bresser in Amsterdam gerichtet, Brief 43 an Joh. van der Meer, Br. 44 — 47 an
Jarrig Jellis; Brief 48 ist ein Sehreiben Lamberts van Velthuysen an Isaac Orobius
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§ 13. Spinoza.
de Castro (Jon. Oosten?), Br. 49 von 8p. an Tsaac Orobius de Castro (Joh. Dosten?),
Br. 50 von Sp. an Jarr. Je! Iis, Br. 51 von Leitmiz an Sp., Br. 52 von Sp. an Leibniz,
Br. 53 Ludw. Fabritius an Sp., Br. 54 Sp. an Ludw. Fabritius, Br. 55—60 an u. von
Hugo Boxel, Br. 61—72 Briefweehs. m. Tschirnhausen, Br. 73 Albert Burgh an Sp„
Br. 74 Sp. an Albert Burgh. Einen Brief Sp.s an Lambert van Velthuyscn vom Jahr
1675 hat 1843 H. W. Tydemann herausg.; einige andere Briefe sind zuerst in dem
oben angef. Supplem. veröffentlicht worden. In <L neuesten Ausg. finden sich 83 Briefe.
Die wichtigsten dieser Briefe, soweit sie zum besseren Verständnis* von Sp.s Schriften
dienen, sind übers, von Kirchmann in der „philos. Bibliothek". Alfr. Stern äb. einen
bisher unbeachtet. Brief Sp.s u. d. Corresp. Sp.s und Oldenburgs im J. 1665 fefr. Works
of Rob. Boyle, Bd. V., London 1744, p. 339) in den Gotting. Nachricht., 1872, No. 26.
Die Hauptquelle unserer Kenntnitts des Lebens Spinozas bildet nächst Sp.s eigenen
Schriften und Briefen, die von dem luther. Pfarrer Joh. Colerus verf. Biogr. , die.
holländ. 1705 ersch., französ. a la Haye 1706 nnd 1733 (auch in den Opera ed. Paulus
n. in dem Briefwechsel des Sp., herausgeg. von Ginsberg, abgedruckt), deutsch Frankf.
u. Leipz. 1733, auch von Kahler übers., Lemgo 1734. Minder zuverlässig sind die An-
gaben in: La vie et fesprit de Mr. Benoit de Spinoza (Amst.) 1719 (vom Arzt Lucas
im Haag); neue Ausg. des ersten Theils: la vie de Spinosa. par un de ses disciples,
Hamb. 1785, wie auch die in der Schrift des Christian Kortholt; de tribus impostoribus
magnis (Herbert von Cherbury, Hobbes und Spinoza), Hamb. 1700. Schon früher (1696)
hatte Bayles Wörterb. Notizen üb. Sp.s Leben gebracht, die in holländ. Uebersetzung
nebst beigefügten Abhdlgn., Utrecht 1698 (m. neu. Titbl. 1711) erschienen, französ. ab-
gedr. in der Ausg. des Theologisch- politisch. Tractats von Ginsberg. Die von Colerus
verfasste Lebensbeschreibung ist nebst Notizen aus der von einem Freunde Sp.s (Lucas)
verfassten Vie de Spinosa der Schriftensammlung beigedruckt worden: Refutation des
erreurs de Benoit de Sp. par Mr. de Fenelon, par le P. Lami Benedictin et par le
Comte Boullainvilliers, Brüx. 1731. H. F. v. Dietz, Ben. von Sp. nach Leb. u. Lehren
Dessau u. Lpz. 1783. M. Philipson, Leben B.s Spinosa, Leipz. 1790.
Unter den neueren Schriften über Spinozas Leben und Werke ist hervorzuheben
die Hist. de la vie et des ouvrages de B. de Sp., fondateur de l'exegese et de la philos.
moderne, par Amand Saintes, Par. 1842. Die spärlichen überlieferten Angaben über
Sp.s Leben hat Berth. Auerbach poetisch zu ergänzen gesucht in der Schrift: Spinoza,
ein histor. Roman, Stuttg. 1837, in 2., neu durchgearb., stereotyp. Aufl.; Spinoza, ein
Denkericben, Mannh. 1855, in den gesamm. Schriften, Stuttg. 1863, 64, Bd. 10, 11.
Conr. v. Orelli, Sp.s Leben u. Lehre, 2. Ausg., Aarau 1850. Zu den preisenden Dar-
stellungen Spjs bildet ein Gegenstück die Einleitung des Ant. van der Linde EU seiner
Schrift: Sp.s Lehre und deren erste Nachwirkgn. in Holland, Gött. 1862, der nicht
nur jeder poetischen Idealisirung des wissenschaftlichen Stilllebens Sp.s sich abgeneigt
zeigt, sondern über Leben und Lehre des Philosophen herabsetzend urtheilt. Durch neu
aufgefundenes Material ist von Werth: J. van V loten, Baruch d'Espinoza, zyn leven en
Schriften, Amst. 1862, 2. verm. dnik, Schiedam 1871. Vergl. Ed. Böhmer, Spinozana,
I— IV, in: Zeitschr. f. Philos., Bd. 36, 1860, S. 121—166, ebd. Bd. 42, 1863, S. 76—121,
ebd. Bd. 57, 1K70, S. 240 — 277. Anton van der Linde, zur Litt, des Spinozismus, ebd.
Bd. 45, 1864, S. 301—305. J. B. Lehmans, Sp., sein Lebensbild u. s. Philos., Inaug.-
Diss., Würzb. 1864. Ein mit Liebe gezeichnetes historisches Charakterbild liefert Kuno
Fischer, Baruch Sp.s Leben und Charakter, e. Vortrag, Mannheim 1865, und in seiner
Geschichte d. neuer. Phil., 3. Aufl. Bd. I, Theil 2, S. 116—185. S. S. Coronel, Bar.
d'Espinoza in de lyst van zyn tyd, Zalt-Bommel 1871 ; deutsch, Basel 1873. H. Gins-
berg, Leben und Charakterbild B. .Spinozas, Lpz. 1876. Fred. Pollock, Spinoza, his
life and philosophy, Lond. 1880. Jam. Martineau, a study of Sp., London 1882.
Die Lehre des Spinoza (Über deren Geschiebte Antonius v. d. Linde in der oben
angef. Schrift und P. Schmidt in seiner Schrift Sp. u. Schleiermacher, Berl. 1868, eine
Uebersicht geben) wurde bald nach ihrer Veröffentlichung in mehreren Schriften
bekämpft, u. A. durch Rappolt in Jena (oratio contra naturalistas), von Blyenburg (de
verit. reiig. christianae, Amst. 1674), Musäus (Traet. theol.-pol. ad veritates lumen exami-
natus, Jenac 1674). Von dem remonstrantischen Prediger im Haag, Jacob Vateler,
wurde gegen den theologisch-politischen Tractat die Schrift verfasst: Vindiciac miracu-
lorum, per quae divinae religionis et fidei Christianae veritas olim confirmata fuit, ad-
versus profanum auetorem tractatus theol. • polit. B. Spinosam, Amst 1674. Ferner
erschien als opus posthnmum Regneri a Mansfelt (Prof. zu Utrecht) adv. anonymum
theologo - politicum über singularis, Amsterdam 1674. Der rotterdamer Collegiant Joh.
Bredenborg schrieb eine (manche spinozistischen Sätze zugebende) Enervatio tractatus
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§ 13. Spinoza.
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theol. - polit. , una cum demonstratione geometrico online disposita, natural.« non esse
Deum, Roterod. 1675. Auf socinianischen Anschauungen ruht die (eine volle Ceber-
einstimmung zwischen Bibel und Vernunft behauptende) Schrift: Art ana athcistni revclata,
philosophice et paradoxe refutata examine tract. theol.-pol. per Franciscun» Cuperum
Amstelodamensem, Roterod. 1676. Aber die bahnbrechenden historisch- kritischen Ge-
danken des theol.-polit. Tractats haben auch schon früh einen positiven Einfluss auf die
Schrifrforschung christlicher Theologen gewonnen. Von verwandter Art ist bereits die
Forschung des Katholiken Richard Simon (über den A. Bernus, Lausanne 186») handelt,
besonders in dessen histoire critique du Vieux Testament, Par. 1678. Zu den frühen
Bekämpfern des Spinozismus gehören auch der Mystiker Poiret: fundamenta atheismi
eversa, in seinen Cogit. de Deo, anima et malo, Amst. 1677 u. ö., und der Skeptiker
Bayle. Gegen den Tract. theol.-pol. und die Ethik schrieb der Cartesiauer Lambert
Velthuvsen, de cultu naturali et origine moralitatis, Rot. 1680, gegen die Ethik der
Cartesianer Christoph Wittich: Anti -Spinoza sive Examen Ethices Ben. de Spinoza,
Amst. 1690. Von Einigen, wie Allheit de Verse (Albertus Versaeus), l'impie convaiucu,
Amst. 1684, und Joh. Regius, Cartesius verus Spinozismi architectus, Leeuwarden 1713,
auch von Vr. C. Pappo, Spinozismus detectus, Weimar 1721, wurde mit dem Spino-
zismus zugleich auch der Cartesianismus als dessen Quelle bekämpft; von Auderen da-
gegen (wie von Ruardus Andala, Cartesius verus Spinozismi eversor, Franequerae 1717)
wurde die Solidarität des Cartesianismus mit dem Spinozismus bestritten. Auf Spinoza*
Doctrin ruht die anonyme Schrift des Abrah. Job. Cuffeler: Specimen artis ratioeinandi
naturalis et artificialis, ad pantosophiae principia manuducens, llamburgi apud. Hcnr.
Künraht (Amst.) 1684: Principiorum pantosophiae p. II, III, ib. 1684. Das« die Lehren
der Ethik des Spinoza mit kabbalistischen Sätzen übereinstimmen, versucht Johanu
Georg Wächter nachzuweisen, zuerst in seiner Schrift: der Spinozismus im Judenthum
oder die von dem heutigen Judenthnm und dessen geheimer Cabbala vergötterte Welt,
an Mose Germano, sonsten Joh- Pet. Speeth, von Augsburg gebflrtig, befunden und
widerlegt von J. G. Wächter, Amsterd. 1699; hieran schloss sich später Wächters Schrift:
Elucidarius Cabbalisticus, Rom 1706. Leibniz schrieb zu dieser letzteren Schrift animad-
versiones ad J. G. Wachtcri librum de recondifa Hebraeorum philosophia (eine Kritik
spinozistischer Doctrinen vom Standpunkte der Monadologie) ; diese Bemerkungen blieben
nngedruckt, bis sie in neuester Zeit A. Foucher de Careil in den Archiven der K.
Bibliothek zu Hannover auffand und unt. d. Tit.: Refutation inedite de Spinoza par
Leibniz, Par. 1854, veröffentlichte (vgl. Leibn. Theod. II, § 173, § 188; III, § 372 und
§ 373). Christ. Wolff bekämpft in einem Abschnitt seiner Theologia naturalis (pars
poster. § 671 — 716) den Spinozismus; diese Bekämpfung erschien mit der Ethik des
Spinoza zusammen ins Deutsche übersetzt, Frankf. u. Leipz. 1744. Ueber das System
des Sp. und über Bayles Erinnerungen gegen dasselbe handelt de Jariges in: Histoire
de l'Academie Royale des sciences et belies lettres de Berlin, annee 1745, tome I. IL,
deutach in: Hissmanns Magaz. f. die Philos. und ihre Gesch., Bd. V. Gört. u. Lemgo
1782, S. 3—72. M. Krakauer, zur Gesch. des Spinozism. in Dcutschl. während der
I. Hälfte des 18. Jahrh., Breslau 1881.
In Deutschland wunle die Aufmerksamkeit auf den Spinozismus besonders durch
den Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn über Lessings Beziehung zu dieser Doctrin
gelenkt. Fr. H. Jacobi, über d. Lehre d. Sp., in Briefen an Mos. Mendelssohn, Lpzg.
1785, 2. Aufl. Bresl. 1789; Werke Bd. IV, Abth. 1. Mos. Mendelssohn, Morgenstunden
od. Vorlesgn. üb. d. Das. Gottes, Berl. 1785 u. ö., an die Freunde Lessings, Berliu
1786. F. H. Jacobi, wider Mendelssohns Beschuldigungen, betreffend die Briefe über
die Lehre des Spinoza, Leipz. 1786. Herder, Gott, einige Gespräche über Spinozas
Syst., nebst Shaftesburys Naturhymnus, Gotha 1787, 2. Aufl. 1800, in der Cottaschen
Gesammtausgabe der Werke, Bd. XXXI, 1853, S. 73 — 218 (ein Versuch, den Spino-
zismus nicht mit Jacobi als einen Pantheismus oder als Atheismus, sondern als einen
Theismus zu deuten). Goethe, aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit, in III. und
IV. (vgl. Wilh. Danzel, üb. Goethes Spinozism., Hamb. 1843. K. Heyder, üb. das Ver-
hältniss Goethes zu Spinoza, in der Zeitschr. f. d. ges. luth. Theol. u. Kirche, 27, Leipz.
1866, S. 261—283, auch E. Caro, la philosophie de Goethe, Paris 1866, 2. ed. 1881.
Jos. Bayer, G.s Verhältniss z. relig. Fragen, Prag 1869. G. Jellinek. die Beziehungen
Goethes" zu Spinoza, Wien 1878. G. Suphan, Goethe u. Sp. 1783—1786, 1882.) — P. Jam t,
le Spinozisme en France, in: Revue philos., XIII, 1882, S. 109—132.
Von den Schriften und Abhandlungen, welche die Philosophie Spinozas im
Ganzen oder einzelne Theile derselben, ihre Quellen oder ihren Einfluss auf spätere
Lehren behandeln, seien folgende genannt:
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88
§ 13. Spinoza.
G. S. Francke, üb. d. neuer. Schicksale d. Spinozism. u. seinen Einfl. auf d. Philos.
übhpt. u. d. Vernunfttheol. insbes., Preisschrift, Schleswig 1808 u. 1812. H. Ritter, über
den Einfl. d. Philos. des Cartesius auf d. Ausbildg. der des Spinoza, Leipz. u. Altenb.
1817. H. C. W. Sigwart, üb. d. Zsinhg. des Spinozism. m. d. cartesian. Philos., Tüb.
1816; vgl. dessen Beiträge z. Erläutrng. d. Spinozism., Tüb. 1838: der Spinozism.
histor u. philos. erläut., Tüb. 1839; Vgleiohung. d. Rechts- u. Staatstheorie des B. Sp.
und des Tb. Hobbes, Tüb. 1842. Car. Rosenkranz, de Sp. philosophia, Hai. et Lips.
1828. K. Thomas, Sp. als Metaphysiker, K«sbg. 1840. (TboSUW schreibt dem Spinoza
einen Pluralismus zu, indem er die noniinalistisch- individualistischen Elemente hervor-
hebt, die allerdings in Spinozas Doetrin enthalten, jedoch nur neben dem herrschenden
pantheistischen Monismus nebenbei mitenthalten sind.)
J. A. Voigtländer, Spinoza nicht Pantheist, sondern Theist, in: Theol. Stud. u.
Kritiken, 1841. Heft 3. F. Baader, üb. d. Nothwendigk. der Revision der Wissensch,
in Bez. auf spinozist. Systeme, Erlang. 1841. Vgl. auch die den Spinozismus betreffenden
Abschnitte bei Bouillier, Hist. de la philos. Cartesienne, und bei Damiron, Hist. de
la philos. du XVII. siede, und Victor Cousin, des rapports du Cartesianisme et du
Spinozisme, in: Fragments de philos. Cartesienne, Paris 1852. Ad. Helfferich, Sp. u.
Leibniz od. d. Wes. d. Idealisni u. d. Realism., Hamb. u. Gotha 1846. F. Keller, Sp. u.
Leibniz üb. d. Freih. d. menscht. Willeus, Erlang. 1847. J. E. Erdmanu, d. Grund-
begriffe des Spinozism., in: Verm. Aufs., Leipzig 1848, S. 118 — 192. C. Sch a a rschm i dt ,
Des Cartes u. Sp. , urkundl. Darstellg. der Philos. Beider, nebst e. Abhdlg. v. Jae.
Bernays üb. Spinozas hebr. Grammatik, Bonn 1800. C. H(eble)r, Sp.s Lehre vom
Vhältn. d. Substanz zu ihr. Bestimmtheiten, Bern 1350; Hebler, Lessing-Studicn, Bern
1802, S. 116 ff. R. Zimmermann, üb. einige logische Fehler d. spinozist. Ethik, im
Octoberheft 1850 und Aprilheft 1851 d. Sitzungsher. d. philos.-bist. Cl. der knis. Akad.
d. Wiss., auch in Z.s Studien u. Kr.. Wien 1870 wieder abgedruckt. J. E. Horn, Sp.s
Staatslehre, Dessau 1851, 2. A., Dresd. 1863.
A. Trendelenburg, üb. Sp.s Grundgedank. u. dess. Erfolg, aus den Abhndlng. der
K. Akad. d. Wiss. im II. Bd. der Hist. Beiträge z. Phil., Berl. 1855, S. 31—111;
vgl. dess. Abb. üb. d. letzt. Unterseh. der philos. Systeme, in den Beitr. II. S. 1—30;
ferner über die aufgefundenen Ergänzungen etc. (s. oben, S. 85). (, Entweder steht die
Kraft der wirkenden Ursache vor und über dem Gedanken, oder der Gedanke steht
vor und über der Kraft, oder endlich Gedanke und Kraft sind im Grunde dieselben: —
in Spinoza erscheint der Gegensatz von Gedanke und blinder Kraft als Denken und
Ausdehnung, cogitatio und extensio, und Spinoza fasst beide ohne Ueberordnung und
Unterordnung in Eins", — so bezeichnet Trendelenburg Sp.s Grundgedanken, wobei
jedoch — auch abgesehen davon, dass die Disjunction der mögliehen Standpunkte
den Kriticismus (im kantischen Sinne) nicht mitumfasst, der jenen Gegensatz nicht
für real, sondern für bloss unserer subjectiven Auffassung angehörig hält — in Be-
zug auf Spinoza selbst sehr fraglich ist, ob die Identificirung der Ausdehnung mit
„blinder Kraft4 im Sinne des Spinoza zutreffend sei. und nicht vielmehr nach Spinoza
innerhalb der Cogifatio selbst „blinde" Kraft und höhere, bewusste und zuhöchst geistige
Kraft als niederer und höherer Grad der Beseeltheit (vgl. Eth. II, prop. 13: ,omnia,
quamvis diversis gradibus, animata sunt") zu unterscheiden seien, denen innerhalb der
Ausdehnung die elementare Form und Bewegung und die complicirtere (die letztere
insbesondere im Gehirn) entsprechen. Es ist falsch, dass „wo das Denken nicht auf die
Ausdehnung wirken und sie nicht nach einer im Voraus vorgestellten Wirkung richten
kann, der Zweck unmöglich" sei. Nicht auf die „Ausdehnung", sondern auf die unter-
geordnete Kraft wirkt das Denken, und die dem Denken zugehörige Bewegung wirkt
auf die jener Kraft entsprechende Bewegung: der Intellectus infinitus geht dem endlichen
Intellect, und dieser wiederum den niederen bewussten und unbewussten Kräften in der
Weltordnung überhaupt und insbesondere in der sittlichen Ordnung bestimmend voran,
und in diesem Sinne vermag der Mensch, aber freilich nicht Gott, der als unendliche
Substanz nicht eine Person sein kann, nach Zwecken zu handeln.)
Th. Hub. Weber, Sp. atque Leibnitii philos., comm. Bonn. 1858. F. E. Bader,
B. de Sp. de rebus singularibus doctrina, Berol. (Pr. der Kgsst. Realscb.) 1858. J.
H. Löwe, üb. d. Gottesbegr. Sp.s u. dess. Schicksale, als Anh. zu Lowes Schrift üb.
die Philos. Fiehtes, Stuttg. 1862. (Löwe sucht durch Hervorhebung des Unterschieds
zwischen der „cogitatio" als unpersönlichem Attribut der Substanz und dem „infinitus
intellectus Dei" als unmittelbarer Wirkung der Substanz diesem unendlichen Intellect
ein absolutes Selbstbewusstsein, eine persönliche Einheit zu vindiciren und so den
Gottesbegriff des Spinoza dem theistischen anzunähern. Ueber dieselbe Frage vgl. n, A.
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§ 13. Spinoza.
89
Ed. Böhmer, Spinozana, III, in Z. f. Pb., Bd. 42, 1863, S. 92 ff. und Lehnians a. a. O.
S. 120—125. Knill- Saisset, Maimonide et Spinoza, in: Rev. d. deux Mond , 37, 1862,
S. 290-334.)
Spinoza et la Kabbale, par le rabbin Elie Benamozegh, Paris 1864 (Extrait de
l'Univers israelite). N. A. Forsberg, Jemförande Betraktelse c»f Spinozas oeh Male-
branchc's metafysika prineip., Akad. Afbandl., L'psala 1804. P. Krämer, de doctr. Sp.
de mentc humana, diss. inaug., Halae 1865. Chr. A. Thilo, über Sp.s Religionsphil.,
in: Ztsehr. f. exacte Phil., Bd. VI, 1805, S. 113—145; Bd. VI, 1800, S. 389 — 109:
Bd. VII, 1860, S. 60—99. A. v. Üettiugeu, Sp.s Ethik u. d. moderne Materialism. in:
Dorpater Zeitechr. f. Theol. u. Kirche, Bd. VII, Heft 3. Nourisson, Sp. et le natura-
lisme contemporain, Par. 1866. M. Joel, Don Chasdai Creskas religionsphilos. Lehren
in ihr. gesch. Einflüsse dargest., Bresl. 1S66, wo besonders Berührungen Spinozas mit
diesem von ihm Epist, 29 pr. tin. erwähnten, um 1400 lebenden Talmudisten. welcher
der nominalistiseheu Zeit und Richtung angehörte und dem Determinismus huldigte, auf-
gezeigt werden, die jedoch nicht sehr weit greifen. Beträchtlicher mag Sp.s frühe,
besonders durch Gersonides (Levi ben Gerson, s. Grd. II, § 27) vermittelte Vertrautheit
mit dem Averroismus gewesen sein Paul Janet, Sp. et le Spinozisme dapres les
travaux recents, in: Rev. d. deux mond., t. 70, 1807, S. 470 — 198. C. Siegfried, Sp.
als Kritiker und Ausleger des alt. Testam. Portenser Progr., Naumb. 1867. Wäldern.
Hayduck, de Sp. natura naturata, diss. inaug., Bresl. 1867.
Mor. Dessauer, Sp. und Hobbes, Inaug. Diss.. Bresl. 1S68; der Sokrates der Neuzeit
und sein Gedankenschatz, Göthen 1877. Ad. Gasparv. Sp. u. Hobbes, Inaug. Diss..
Berl. 1873. Sah Rubin, Sp. u. Maimonides, Wien 1868. P. Schmidt, Sp. u. Schleier-
macher, Berl. 1868. F. Urtel. Sp. de voluntute doctr., Hai. 1868. Rieh. Avenarius, üb.
d. beid. erst. Phasen des Spinozist. Pantheism. u. d. Vhältn. der zweit, z. dritt. Pbase,
nebst e. Anh. üb. Reihenfolge u. Abfassungszeit der Sit. Schriften Sp.s, Lpz. 1808.
(Avenarins bält es für wahrscheinlich, dass die Dialoge, die sich in dem Tract. de Deo
et hom. finden, um 1051 verfasst seien, dieser Tractat selbst 1654 — 1055, der Tract. de
int. emend. 1055—56, der Tract. theol.-pol. 1057—01. Mit Sigwart übereinstimmend
nimmt Avenarius an, dass der synthetische Anhang zu dem Tructatus de Deo et homiue
im Jahre 1001 verfasst worden sei. Kr unterscheidet eine „naturalistische, theistische
und substanzialistische Phase« der Allcinheitslehre Spinozas und findet die erste in den
Dialogfragmenten des Tract. de Deo et hom., die zweite in diesem Tractatus selbst.)
J. H. v. Kirchmann, Krläutrgn. zu Sp.s Ethik (als Anh. zur Vebersetznng der
Ethik, eine Kritik der Doetrin Sp.s von Kirchmanns „realistischem" Standpunkte aus),
in der .philos. Bibl." Willi. Liebrieh, examen crit. du tratte th.-pol. de Sp., Strassb.
1809. Jos. Hartwig, üb. d. Vhältn. des Spinozism. z. Cartesianisch. Doetrin. Inaug.
Diss., Bresl. 1809. Is. Misses, Sp. u. d. Kabbala, in der Zeitschr. f. ex. Philos. VIII.
1S69, S. 359—367. (Nach Misses ist als Ausgangs- und Anhaltspunkt des Spinoza die
kabbalistische, dem Maimonides und andern jüdischen Philosophen fremde Benennung
Gottes als des Unendlichen, En Soph, anzusehen, die zum Pantheismus dränge; Gott
wird auch von Kabbalisten als immanente Ursache und Wesen aller Dinge betrachtet
und das Verhältnis« des Universums zu Gott mit dem der Falten eines Kleides zum
Kleide selbst verglichen, also ähnlich wie von Spinoza das der Modi oder der Affec-
tionen Gottes zu Gott selbst gedacht wird. Die Lehre, dass alles beseelt sei, selbst der
Stein, ist von Kabbalisten bereits aufgestellt worden, ebenso die Lehre von einer par-
tiellen Unsterblichkeit der Seele: die Lehre Spinozas von den Attributen stimmt zwar
nicht zu der kabbalistischen Vereinigung der extensio von der Gottheit, findet aber doch
einen Anknüpfungspunkt in der kabbalistischen Doetrin von dem unendlichen Licht, das
aus dem Unendlichen durch eine erste Concentration geworden sei und bereits den
Keim der in dem Einen an sieh nicht vorhandenen Verschiedenheit enthalte, und
worauf allein der Name Jehovah, der stets Wirkende passe. Die spinozistische Negation
der menschlichen Willensfreiheit ist nur eine von der Kabbala nicht gezogene, folgerechte
Systemcon»equenz. Auf die neuplatonischen und gnostischen Quellen der Kabbala selbst
weift Misses hin in seiner Schrift: Zofnath Paaneach, Darst. und krit. Beleuchtung der
jfid. Geheimlehre. Krakau 1862 — 63. Ausser Ibn Gebirol hat auch der von Spinoza
geschätzte biblische Kritiker Ibn Esra manche neuplatonischen Gedanken reproducirt. —
Doch möchten diese Ähnlichkeiten wohl nur zum geringsten Theile genetische Be-
deutung haben. In der Opposition des Spinoza gegen die dualistische Psychologie des
Cartesius liegt wohl unzweifelhaft die Quelle seiner Identificimng der ausgedehnten
und denkenden Substanz.)
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90
§ 13. Spinoza.
Mor. Braach, B. v. Sp.s System der Philos. nach d. Ethik n. d. übrig. Traetaten
desselben in genet. Entw. darg. mit c. Biogr. Sp.s, Berlin 1870. R. Willis, Ben.
de Spinoza, his Ethics, Life, Lettre» and Influence on modern religious thought, Lond.
1870. E. Albert Fraysse, l'idee de Dieu dans Spinoza, Paris 1870. M. JoPI, Sp.s
th.-pol. Track auf seine Quellen geprüft, Bresl. 1870; z. Genesis der Lehr« Sp.s mit
bes. Berücksichtigung d. kurz. Tractats „von Gott, d. Mensch, u. dess. Glüekseligk.*,
ebd. 1871. E. Bratuschek, worin besteh, d. nnzähl. Attribute d. Substanz bei Sp.? in:
phil. Monatshft. VII, 193—214. Hnr. Kratz, Sp.s Ansicht üb. d. Zweokbegr., Gotting.
Inaug.-D., Neuwied u. Lpz. 1871. Reinh. Walter, üb. d. Vhltn. d. Subst. z. ihr. Attri-
buten in d. Lehre Sp.s m. besond. Berficks. der Auffassg. degselb. bei Kuno Fischer,
Erdmann u. Trendelenburg. Erlang. Inaug.-D., Ntirnb. 1871. S. K. Löwenhardt, B. v. Sp.
in s. Vhältn. z. Philos. u. Naturforsehg. d. neuer. Zeit, Berl. 1872 (71). Joh. Volkelt,
Pantheism. u. Individualism. im Syst. Sp.s, Leipz- 1872. Marc. Dienstfertig, d. menschl.
Freih. nach Sp., Inaug.-D., Bresl. 1872. P. Wetze!, d. Zweclcbegr. bei Sp., Lpz. 1873.
G. Busolt, die Grundznge der Erkenntnisstheorie n. Metaphys. Sp.s. Berl. 1875.
Reinh. Albert, Sp.s L. üb. d. Existenz Einer Substanz, R. S. Pr. Dresden 1875.
Henke, d. L. v. d. Attributen b. Sp., R. S. Pr., Perlebcrg 1875. S. Turbiglio, Bened.
Sp. e le trasformazioni del suo pensiere, Roma 1875. A. Gordon, Sp.s Psychulogie
der Affecte mit Rücksicht auf Descartes, Jena 1875. F. G. Hann, die Ethik Sp.s u. d.
Philos. Descartes', Innsbruck 187G. J. H. Gnnning, Sp. en de idee der persoonlijkheid,
Aldaar 1876. Opitz, Sp. als Monist, Determinist u. Realist, in Philos. Monatsh. Bd. 12,
1876, S. 193—204. T. Caraerer, d. L. Spinozas, Stuttg. 1877. Rothschild, Sp.
Zur Rechtfertigung seiner Philos. u. Zeit, Lpz. 1877. F. Acri, una nuova esposizione
del Systeme dello Sp., Firenze 1877. W. Windelband, Zum Gedächtniss Spinozas, in
Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos., Bd. I. 1877, S. 419—440. M. Heinze, Zum
Gedächtniss Spinozas, in Ztschr. Im neuen Reich, 1877, I, S. 337— 351. C. Sarchi, della
dottrina di Bened. de Sp. e di Giov. B. Vico, Milano 1878. Geo. Kriegsmann, die Rechts -
u. Staatstheorie des B. v. Sp., Pr., Wandsbeck 1878. M. C. L. Lotaij, Sp.s Wijsbegeerte,
Amsterd. 1878. H. Sommer, d. Lehre Sp.s u. der Materialismus, in Ztschr. f. Philos.,
Bd. 74, 1879, S. 1—30, 209—238. J. Frohschammer, üb. d. Bedent. der Einbildungs-
kraft in der Philos. Kants u. Spinozas, München 1879. Rieh. Kalischek, üb. die drei
in d. Ethik Sp.s behandelt. Formen der Erkenntnis.«, Lpz. I.-D., Namslau 1880. Edm.
Polsenet, de mentis essentia Spinoza quid senserit, Dissert., Par. 1880. W. R. Sorley,
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Salinger, Sp.s Lehre v. d. Selbsterhaltung. I.-D., Berl. 1881. Mor. Eisler, die Quellen
des spinozistiseh. Systems, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 1882, Bd. 80, S. 250—265.
John Dewey, the Pantheism of Spinoza, in: the Journal of spec. phil., 1882, XVI, 3,
S. 249 — 257. F. Tönnies, Studie zur Entwickclungsgesch. des Sp., in: Vierteljahrsschr.
f. wissensch. Phil., VII, 1883, S. 158—183, 334—364. H. J. Bete, Spinoza en Kant,
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1884. C. Lülmann, üb. d. Begr. amor dei intellectualis b. Sp., I.-D., Jena 1884.
Metellus Meyer, die Tugendl. Sp.s. I.-D., Flensb. 1885. V. F. Schindler, üb. d. Begr.
de» Guten u. Nützlichen bei Sp., I.-D., Jena 18S5. Ludw. Busse, üb. d. Bedeut. der
Begriffe „ essentia* u. „existentia" bei Sp.. e. Beirr, zur Entwickclungsgesch. Sp.s, in:
Vierteljahrsschr. f. wissensch. Ph., X, 1886, S. 283—306: ders., Beitrag« zur Ent-
wickclungsgesch. Sp.s, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 90, 1887, S. 50—88. J. Berg-
mann, Sp., Vortr., in: Ph. Monats h. 1887, S. 120 — 164. J. Nenitescu, d. Affectenl.
Sp.s, Lpz. 1887. J. Freudenthal, Sp. u. d. Scholastik, in: Philos. Aufsätze, Ed.
Zeller zu sein. 50jähr. Doctorjub. gewidmet, Lpz. 1887, S. 83—138. Fr. weist nach,
dass die Quellen für Spinoza*« Cogitata metaphysica vorzüglich in der christlichen
Scholastik späterer Entwicklung zu linden sind, dass aber auch in das eigentliche
System Spinozas gar Manches aus der Scholastik, wie sie in der damaligen Zeit noch
dominireuden Kinflusa ausübte, übergegangen ist
Die Abhandlungen über neuaufgefundene Ergänzungen zu Sp.s Werken etc. sind
schon oben Seit« 83 bei der Anführung von Sp.s Schriften erwähnt worden.
Zur Geschichte der Beurtheilung der Doctrin Spinozas kommen ausser den Mono-
graphien die gelegentlichen Aeusserungen in den Werken von Schleiermacher, J. G.
Fichte, Schelling, Baader, Hegel, Herbart (besonders Schriften zur Metaph., Werke,
III, S. 158 ff.) und anderen Philosophen in Betracht, ferner die Darstellung und Kritik
seiner Lehre in den Geschichten der (neueren) Philosophie von Brucker, Buhle, Tenne-
mann, Ritter, Feuerbach, Erdmann, Kuno Fischer u. A., auch in Specialschriften über
die Geschichte des Pantheismus, wie Buhle, de ortu et progressu pantheism) indo
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§ 13. Spinoza.
91
a Xenophane usque ad Spinozam, in: Comm. soc. sc. Gott. vol. X., 1791; Jäsche, der
Panthcism. nach sein. verseh. Hauptfonuen, Berl. 182G — (vgl. H. Kittcr, die Halb-
kantianer u. der Pantheism., Berl. 1827); J. Volkmuth, der dreieinige Pantheism. von
Thaies bis Hegel (Zeno, Spinoza, Sehclling), Köln 1 in den der Kritik philosophi-
scher Standpunkte gewidmeten Werken und Abhandlungen von I. Herrn. Fichte, Ulri. i,
Sengler, Weisse, Hanne etc. und in vielen religionsphilosophischen Schriften, z. B. bei
Pfleiderer, in dem Werke von Pünjer.
Baruch Despinoza (das z ist als s zu sprechen), geh. zu Amsterdam am
24. Nov. 1632, stammte aus einer der jüdischen Familien, die, um den Bedrückungen
in Spanien und Portugal zu entgehen, nach den Niederlanden ausgewandert waren.
Er erhielt seine erste Bildung unter dem berühmten Talmudisten Saul Levi Morteira,
lernte auch die Schriften des Maimonides kennen, den er hochhält, ebenso uuch
Schriften des Gersonides (der dem Averroismus nahe steht! und anderer jüdischer
Gelehrter und Denker des Mittelalters, ferner auch kabbalistische Schriften, von
denen er zwar selten redet und bei denen er Klarheit vermiest, mit denen er aber
doch in einigen Grundgedanken übereinkommt. Lateinischen Unterricht genoss er
bei dem gelehrten naturalistisch gesinnten Arzte Franz van der Knde (nicht bei
dessen Tochter Clara Maria, die im Jahre 1696 erst zwölfjährig war). Nachdem
er den Lateinischen mächtig war, wandte er Bich dem Studium der Theologie zu,
d. h. wohl der damals noch mächtigen aristotelischen Scholastik, wie sie in Holland
und Deutschland vertreten war durch Jacob Martini, Burgeredijck, Heereboord u. A.
und namentlich auf Suarez zurückging. Dann trieb er eifrigst Naturwissen-
schaften, bis ihm die Schriften Descartes' in die Haud kamen. Am 6. August 1656
wurde er, nachdem vorher sogar ein Mordversuch auf ihn gemacht worden war,
wegen „schrecklicher Irrlehren" aus der jüdischen Gemeinschaft gänzlich aus-
geschlossen und der Bannfluch über ihn ausgesprochen. Er schloss sich hierauf
keiner religiösen Gemeinschaft wieder an. Von 1656-60 oder 1661 wohnte Spinoza,
mit dem Studium der cartesianischen und der Ausbildung seiner eigenen Philosophie
beschäftigt, in der Nähe von Amsterdam bei einem arminianisch gesinnten Freunde,
später in Khynsburg, wo die (das dogmatische Element hinter das erbauliche und
sittliche zurücksetzende) Seele der C'ollegianten ihren Hauptsitz hatte, von 1664 bis
1669 in Voorburg beim Haag, dann im Haag Belbst in Pension bei der Wittwe
van Velden, dann seit 1671 bei dem Maler van der Spyck bis zu seinem am
21. Februar 1677 erfolgten Tode. Durch Glasschleifen gewann er wenigstens theil-
weise seinen Lebensunterhalt Vermuthlich hat das häufige Einathmen des Glas-
staubes bei schwindsüchtiger Anlage das frühe Ende seines Lebens mit herbeigeführt.
Einen im Jahre 1673 an ihn ergangenen Ruf nach Heidelberg, wo Karl Ludwig
von der Pfalz ihm eine Professur der Philosophie antragen Hess, schlug er aus,
um sich nicht in der Freiheit des Philosophirens, obschon diese ihm zugestanden
wurde, durch unvermeidliche Collisionen behindert zu finden. Persönlichen Umgang
hatte er nicht viel. Zu seinen näheren Freunden gehörte der Arzt Ludwig Meyer
aus Amsterdam, der sich auch um die Ausgabe seiner Werke verdient machte, und
Heinrich Oldenburg aus Bremen, mit denen er in lebhaftem Briefwechsel stand.
Auch Tschirnhausen stand in persönlichem Verkehr mit ihm, und Leibniz hatte
auf seiner Durchreise durch den Haag mehrere zum Theil lange Unterredungen
mit Spinoza. In seinem Leben zeigte sich Spinoza uls wahrer Philosoph und liess
seine Lehre in seiner Individualität concreto Gestalt gewinnen. Herr seiner Leiden-
schaften, nie übermässig fröhlich oder traurig, im Verkehr mit Anderen, auch
geistig viel tiefer Stehenden, voller Wohlwollen, über äussere Ehren und äusseren
Besitz erhüben, zwar nicht asketisch gesinnt, aber doch ein Mann von sehr wenig
Bedürfnissen, sein ganzes lieben der Erkenntniss widmend und in der durch die
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§ 13. Spinoza.
Erkenntnis* geschaffenen Liebe aufgebend, so ist er das Musterbild eines Weisen.
— Am 14. Sept. 1880 ist ein Standbild Spinozas im Haag enthüllt worden.
Der Tractatns de Deo et homine ejusque felicitate, der vor dem
September 1661, vielleicht schon 1G54 oder 1655 verfasst worden ist und einen
synthetischen, im Jahre 1661 verfassten Auhang hat, ist ein Entwurf des Systems,
der sich als eine Vorstufe der „Ethik* bekundet. Eingefügt sind in dem 2. t'apitel
des Tractatus ziemlich unvermittelt zwei Dialogfragmente, in welchen Spinoza von
dem Begriff der Natur als der ewigen Einheit, als dem Unendlichen, ausgeht. In
dieser Weise ist aber die Natur bei Giordano Bruno gefasst, und es ist nicht
unwahrscheinlich, dass hierbei Spinoza an Bruno anknüpft. Gottes Existenz gehört
nach der Abhandlung selbst zu seinem Wesen. Auch setzt die Gottes-Idee, die in
uns ist, Gott als ihre Ursache voraus. Gott ist das vollkommenste Wesen (ens per-
fectissiinum). Gott ist ein Wesen, von welchem unendliche Eigenschaften ausgesagt
werden , deren jede in ihrer Art unendlich vollkommen ist. Jede Substanz muss
(mindestens in ihrer Art) unendlich vollkommen Bein, weil sie weder durch sich,
noch durch ein Anderes zur Endlichkeit determinirt sein kann; es giebt nicht zwei
einander gleiche Substanzen, da solche einander einschränken würden; eine Substanz
kann nicht eine andere Substanz hervorbringen und nicht von einer anderen Substanz
hervorgebracht werden. Jede Substanz, die in Gottes unendlichem Verstände ist,
ist auch wirklich in der Natur; in der Natur aber sind nicht verschiedene Sub-
stanzen, sondern sie ist nur Ein Wesen und identisch mit Gott, wie derselbe oben
definirt worden ist. — Sp. geht hiernach in diesem Tractat nicht vou einer Definition
des Substanzbegriffs aus, um zum Gottesbegriffe zu gelangen; aber der Gedanke,
dass Gott sei und alle Realität iu sich vereinige, ist auch hier bereits das Beweis-
mittel der Lehre, dass nur eine Substanz existire und Denken und Ausdehnung
nicht Substanzen, sondern Attribute seien. Daneben weist Sp. durauf hin, dass wir
iu der Natur die Einheit sehen, dass insbesondere in uns Denken und Ausdehnung
vereinigt seien; da nun Denken und Ausdehnung ihrer Natur nach keine Gemein-
schaft mit einander haben und jedes ohne das andere klar gedacht werden kann
(was Sp. dem Cartesius zugiebti, so ist ihre thatsächliche Vereüügung und Wechsel-
wirkung in uns nur dadurch möglich, dass sie beide auf die nämliche Substanz be-
zogen sind. Den positiven Religionen gegenüber vertritt Sp. auch hier schon den
Rationalismus, in dem es in religiöser Beziehung auch nur auf eine adäquate,
d. h. klare und deutliche Erkenntniss ankommt. Die Erkenntniss Gottes muss aber
in uns Liebe zu ihm erwecken, und in dieser Hingebung an das Höchste ist zu-
gleich unsere persönliche Glückseligkeit gegeben, zu deren Verwirklichung es nicht
äusserer Güter bedarf. — So tritt auch hier schon der praktische Standpunkt
Spinozas deutlich hervor. — Es lässt sich annehmen, dass neben der durch die
Erziehung im Judenthum festgewurzelten religiösen Ueberzeugung von der strengen
Einheit Gottes und der Anlehnung an altere jüdische Philosophie auch die psycho-
logischen Betrachtungen, die damals in der cartesianischen Schule mit besonderer Leb-
haftigkeit über die Wechselbeziehung zwischen Seele und I^eib augestellt wurden, und
dass insbesondere die unverkennbare Naturwidrigkeit des aus den cartesianischen Prin-
eipien mit Notwendigkeit herfliessenden Occasionalisraus, den namentlich Geulincx
ausgebildet hatte, auf Sp s Lehre von der Einheit der Substanz den beträchtlichsten
genetischen Einfluss geübt haben. Dazu kam andererseits Sp.s Bekanntschaft mit
neuplatonischen Doctrinen, sei es, dass diese durch die Kabbala oder durch Schriften
Giord. Brunos oder, was das Wahrscheinlichste ist, durch beides vermittelt war.
Die hieraus stammenden poetisch-philosophischen Anschauungen hat Sp., indem er
sie in wissenschaftliche Begriffe umzusetzen unternahm, mit den Resultaten ver-
schmolzen, die sich ihm aus der Kritik des Cartesianismus ergaben. Ein vor der
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§ 13. Spinoza.
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Kritik liegendes Stadium in diesem EntwickelungBfortgang bezeichnet der Tract.
de Deo etc. (s. Sigwart a. a. O. S. 131 ß.) Zwischen die Abfassungszeit der in den
Tractatos mit aufgenommenen zwei Dialoge, oder doch des ersten derselben, und
die Abfassungszeit des Tractatns selbst fällt das Studium der cartesianischen Doctrin,
zwischen die Abfassungszeit eben dieses Tractatus und des Tractatus .le intellectus
emendatione aber das Studium der Lehre Bacons. Von den Unterschieden zwischen
dem Tractat und der Ethik sind die wichtigsten, dass im Tractat der Begriff Gottes
als des vollkommensten Wesens vorangeht, in der Ethik der Begriff der Substanz
als des in und durch sich Seienden, und dass in dem Tractat zwischen Denken und
Ausdehnung trotz ihrer völligen Unglcichartigkeit, wonach sie begrifflich nichts
miteinander gemein haben, ein reales Causalverhältniss angenommen wird, wogegen
die Ethik alle Causalität an Gleichartigkeit bindet und daher zwischen Denken und
Ausdehnung kein Causalverhältniss annimmt.
Der vielleicht schon 1655 oder 1656 oder doch vor 1662 verfasste (Fragment
gebliebene) Tractatus de intellectus emendatione führt Gedanken über die
Methode aus, die in dem Hauptwerk, der Ethik, den Grundzügen nach gleichfalls
enthalten sind. Die Güter der Welt befriedigen nicht Die Wahrheitserkenntnies
ist das edelste Gut. Auch hier findet sich die praktische Richtung Spinozas, indem
die ganze Untersuchung geführt wird, um zu erforschen, ob es ein Gut gebe, das
fortdauernde und höchste Freude gewähre. Postquam me experientia docuit omnia,
quae in communi vita frequeuter occurrunt, vaua et futilia esse — , constitui tandem
inquirere, an aliquid daretur, quo invento et acquisito continua ac summa in aeternum
fruerer laetitia.
Der Tractatns theologico -politicus, auf frühen Studien beruhend (in
seinen Grundzügen nach Avenarius' Vermuthung, die an sich nicht unwahrscheinlich,
obschon nicht durch directe Anzeichen unterstützt ist, bereits 1657—61 aufgezeichnet,
für den Druck bearbeitet 1665—70), ist eine beredte, von persönlicher Erfahrung
getragene Vertheidigung der Denk- und Redefreiheit auf dem Gebiete der Religion
(^quandoquidem religio non tarn in actionibus externis, quam in animi simplicitate
ac veritate consistit, nullius juris, neque autoritatis publicae est"). Sein Haupt-
inhalt ist in dem längeren Titel schon angegeben. Er ruht in seiner speculativen
Doctrin auf dem Grundgedanken der wesentlichen Verschiedenheit der Aufgabe der
positiven Religion und der Philosophie. Keine von beiden dient (ancillatur) der
andern, sondern jede hat ihre eigenthümliche Aufgabe. Sp. scheint an Maimonides
in seiner eigenen Gedankenbildung kritisch angeknüpft zu haben, indem er von
der Annahme des mittelalterlichen Philosophen, der zum philosophischen Denken
hinleiten wollte, das Gesetz sei nicht bloss zur Uebung des Gehorsams, sondern
auch als Offenbarung der höchsten Wahrheiten den Juden gegeben, zu der entgegen-
gesetzten, dem Tract theol.-polit. zu Grunde liegenden fortging, die dem Bedürfniss
dient, bei gesichertem Interesse an philosophischem Denken dasselbe von der nur
zeitweilig wohlthätigen Gebundenheit zu befreien: die Religion ziele nicht auf
Wahrheitserkenntniss als solche, sondern auf Gehorsam ab (wie später im gleichen
Interesse Mos. Mendelssohn dem Judenthum Freiheit von bindenden Dogmen vindi-
cirte und Schleiermacher die Religion als beruhend auf dem Gefühl und die Philo-
sophie als das Streben nach objectiv gültiger Erkeuntniss von einander sonderte
und einander coordinirtc). Ratio obtinet regnnm veritatis et sapientiae, theologia
autem pietatia et obedientiae. Demgemäss soll weder (mit Maimonides) die Bibel
zur Uebereinstimmuug mit unserer Vernunft gedeutet, noch (mit Jehuda Alpakhar
und anderen Rabbinen) die Vernunft der Bibel unterworfen werden; die Bibel will
nicht Naturgesetze offenbaren, sondern Sittengesetze aufstellen. Sobald die Religion
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§ 13. Spiuoza.
sich die Herrschaft über die Philosophie anmaasst, so zeigt sich sogleich fanatischer
Glaabenseifer, und mit dem Frieden ist es zu Ende. Hiermit sind die Grundlagen
des Staates untergraben, und demnach darf dieser seines eigenen Bestandes wegen
diese Uebergriffe nicht dulden. Aber die Freiheit der Wissenschaft liegt auch im
Interesse der Religion selbst. Wenn nämlich dem Glauben es nicht mehr zusteht,
in Sachen des Denkens zu richten, so liegt es ihm auch fern, anders Denkende zu
verfolgen. Und erst dann kann das wahrhaft religiöse Leben sich entwickeln, das
in Liebe und Frömmigkeit besteht. Durch sein Princip, dass wir nicht die wahre
Deutung einer Schriftstelle mit der Wahrheit der Sache verwechseln dürfen, gewinnt
Sp. die Möglichkeit einer nicht an dogmatische Voraussetzungen gebundenen historisch
kritischen Betrachtung der Bibel, besonders des Alten Testaments, die er dann, zum
Theil im Anschluss an den im 11. Jahrh. n. Chr. lebenden Ibn Eara im Einzelnen
durchführt. Er hat wenigstens die Probleme für die ganze biblische Kritik richtig
gestellt, und er ist so als „Vater der biblischen Kritik" zu bezeichnen, wenn er
auch in seinen Einzeluntersuchungeu nicht immer glücklich war. Beraerkeuswerth
ist der Vorrang, den Sp. (Tr. th.-pol. c. 1) Christo vor Moses und den Propheten
darum einräumt, weil er nicht durch Worte, wie Moses sie vernahm, und nicht durch
Visionen Gottes Offenbarung empfangen, sondern dieselbe unmittelbar in seinem
Bewusstsein gefunden hübe, bo dass in ihm in diesem Sinne die göttliche Weis-
heit menschliche Natur angenommen habe. Sp.s philosophisches System ist in dem
Tract. theol.-pol. nicht als solches entwickelt: viele Voraussetzungen stimmen nicht
zur Ethik und können nur als Accommodatioucn gelten. — Die Bestimmtheit, mit
der Spinoza in dieser Abhandlung die Freiheit der wissenschaftlichen Ueberzeugung
gefördert hatte, zog ihm eine Fluth von Angriffen und Verwünschungen zu. Jüdische
und christliche Theologeu und ebenso Cartesiauer äusserten sich entsetzt über den
irreligiosissimus autor, den gottlosesten Atheisten, der je gelebt, und selbst seine
Freunde wurden durch den Freirouth bedenklich gemacht, so dass sie ihn nicht
mehr zur Veröffentlichung anderer Schriften aufmunterten.
In den „Principien der Philosophie des Descartes* nebst den ange-
hängten „Cogitata metaphysica*, geschr. im Winter 1662—63, stellt Sp. nicht seine
eigene Doctrin dar, was er in der Vorrede (durch den Herausgeber, seinen Freund
L. Meyer) ausdrücklich erklären lässt. Das Werk war, wenigstens in einem Theil,
zum Behuf des Unterrichts eines jungen Mannes, Alb. Burgh, abgefasst, den Spinoza
nicht für reif hielt für seine eigene Philosophie. Auf Zureden seiner Freunde
setzte er es später fort und liess es herausgebeu. Er war zur Zeit der Abfassung
im Wesentlichen bereits zu den in den späteren Schriften entwickelten Ueber-
zeugungen gelangt. Die Cogitata, deren Inhalt aus dem ausführlichen Titel hervor-
geht, sind nach Freudenthal „eine vom Standpunkte des Cartesianismus aus ent-
worfene, in den Formen der jüugeren Scholastik sich haltende gedrängte Darstellung
von Hauptpunkten der Metaphysik.*
In dem (von Sp. kurz vor seinem Tode verfassten, aber unvollendeten) Trac-
tatus politicus tritt Sp., so sehr er im Uebrigeu des Hobbes Grundauschauungen
billigt, doch der absolutistischen Theorie desselben scharf entgegen. Um aus dem
bellum omnium contra omnes, das er mit Hobbes als den ursprünglichen Zustand
ansieht, herauszukommen, ist nicht der Despotismus das richtige Mittel, sondern
ein Gemeinwesen, das sich auf die freie Zustimmung der Staatsbürger gründet und
dann gesetzlich peordnet ist, denn auch das Recht der Übrigkeit muss Grenzen
haben. Die Regierung soll die Handlungen, aber nicht die Ueberzeugungcn der
Menschen zur Einstimmigkeit bringen. Thut sie den Ucberzeugungen Zwang an,
so provocirt sie den Aufstand. Männer aus dem Volk, aber durch die Regierung
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§ 13. Spinoza.
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aasgewählt, sollen der Regierung bei der Gesetzgebung und Verwaltung zur Seite
stehen.*)
In dem Compendium grammatices linguae Hebraeae hat man die Vor-
liebe des Substanzlehrers für das Substantivum bemerkenswerth gefunden. Vgl. dariib.
besond. die ob. (S. 88) angef. Abh. von Jac. Bernays, im Anh. zu Schaarsehmidts
Schrift, Bonn 1850, und Ad. Chajes, d. hebr. Gramm. Sp.s, Bresl. 1869.
Die Ethik ist ihrem Hauptinhalt nach in den Jahren 1662—65 verfasst worden,
scheint aber bis zu Sp.s Tod immerfort überarbeitet worden zu sein. 1665 war
noch der Gesammtinhalt in drei Bücher vertheilt, die später zu fünf Büchern
erweitert wurden. Sp. geht hier von der cartesianischen Definition der Substanz
aus, die er consequenter durchführt, als von Descartes selbst geschehen war. Des-
cartes hatte die Substanz schlechthin defimrt als res quae ita existit, ut nulla alia
re indlgeat ad existendum. die substantia creata aber: res, quae solo Dei concursu
eget ad existendum. Sp. definirt (Eth. p. I, def. 3): per substantiam intelligo id,
quod in se est et per se concipitur, hoc est id, cujus conceptus non indiget conceptu
alterius rei, a quo formari debeat.**)
Was zunächst die Methode Spinozas anlangt, so wollte er seine Lehre zu
mathematischer Gewissheit erhoben. Diese konnte aber auf keine andere Weise
besser erlangt werden, als nach Art der Mathematiker selbst. Deshalb wandte Sp.
in seiner Ethik den mos geometricns, das synthetisch-mathematische Beweis-
verfahren, im Gegensatz zu dem syllogistischen, an. Er eröffnet demnach seine
Ethik mit einer Reihe von Definitionen, indem zunächst die Begriffe, mit denen
operirt werden soll, genau und klar bestimmt werden müssen. Sodann werden
unangreifbare Sätze aufgestellt, durch welche das Folgende begründet wird, die selbst
aber nicht weiter begründet werden können, das sind die Axiome. Aus diesen
Definitionen und Axiomen werden nun die Lehrsätze, die propositiones, vermittelst
besonderer Beweise abgeleitet. Dann folgen auch noch Corollarien, die sich un-
mittelbar aus den Lehrsätzen ergeben, und Scholien, d. h. Ausführungen, um den
Beweis noch zu erläutern. Aus wenigen Elementen wird nun das ganze Gebäude
der Metaphysik, Physik und Ethik fertig gebracht, und zwar kann man in der
Methode schon die metaphysischen Grundgedanken Sp.s entdecken. Es muss ja
*) Ein zu Spinozas Substantialismus ebenso, wie Rousseaus Volkssouveräuität
mit Parteieuvertretung und antagonistischer Lähmung zu desseu Individualismus
passender Vorschlag
**) Spinoza sowohl wie Descartes habeu iu der Definition der Substanz die
beiden Kategorien nicht auseinander gehalten, die Kant als Subsistenz (wozu die
Inhärenz der Prädicate das Correlat bildet) und Causalität (wozu als Correlat die
Dependenz der Folgen gehört) unterscheidet; die owtitt des Aristoteles wird mit
der wirkenden Ursache gleichgesetzt. Da nun Gott von Beiden als die einzige
Ursache alles Seienden anerkannt lobschon nicht durch fehlerfreie Beweise dar-
gethan) wird, so folgt sofort, dass er Beiden auch als die einzige Substanz gelten
muss. Dass Descartes Substanzen annimmt, die unter seine Definition der Substanz
der Gott als die einzige Substanz bezeichnet u ml Alles, was nicht Gott ist, auch
nicht als eine Substanz anerkennt. Ist in die Definition der Substanz die Nicht-
inbärenz und die Nichtdependenz zugleich aufgenommen worden, so folgt daraus
jedoch immer noch nicht, dass Bedingtes, wenn es gleich nicht Substanz genannt
werden darf, nur als etwas Inhärentes existiren könne, sondern es folgt nur, dass
noch ein anderer Terminus erforderlich sei, um solches zu bezeichnen, was Träger
des Inhärirenden und doch als Bedingtes von Anderen abhängig ist; falls aber die
Bildung eines solchen Terminus nicht erfolgen soll, dann muss die Definition der
Substanz in einer Weise gebildet werden, welche die Unterscheidung der beiden
wesentlich verschiedenen Verhältnisse : Inhärenz und Dependenz, involvirt. Andern-
falls ist der vermeintliche Beweis eine Subreptiou.
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§ 13. Spinoza.
wenn sich die Welt nach dieser Methode begrifflich ableiten und begreifen lasst,
die Ordnung in der Welt selbst mathematisch sein. Wie in der Mathematik Alles
nothwendig ist, Alles in dem Verhältuisa von Grund und Folge steht, so auch in
der Welt der Dinge. Wie aus dem Wesen einer mathematischen Figur alle näheren
Bestimmungen über dieselbe sich ergeben, so muss auch das Einzelne in der Welt
Alles aus dem Urgründe folgen. Die Mathematik kennt aber keine Zwecke, und so
ist aus der Natur auch der Zweck entfernt. Ferner ist das Causalverhältniss um-
gewandelt in das Verhältniss von Grund und Folge, und causa ist bei Spinoza von
ratio nicht verschieden.*)
Der erste Theil der Ethik handelt von Gott und beginnt mit der Definition
der Ursache seiner selbst, welche lautet: Unter Ursache seiner selbst verstehe ich
das, dessen Wesen die Existenz einschliesat, oder das, dessen Natur nur als exi-
stirend vorgestellt werdeu kann (per causam sui intelligo id, cujus essentia in-
volvit existentiam sive id, cujus natura non potest concipi nisi existens.**)
*) Spinoza glaubt, durch seine Methode für seine Doctrin mathematische Ge-
wissheit zu erzielen. Aber dieses Unternehmen ist illusorisch. Euklids Definitionen
treten zwar zunächst als Nominalcrklärungen auf (die nur bestimmen, was unter den
betreffenden Ausdrücken verstanden werden soll), erweisen sich aber nachträglich
als Realerklärungen, die auf mathematisch-reale Objecte gehen, indem sie für die
Anschauung construirt werden. Spinoza dagegen hat den Nachweis der Realität
der Objecte seiner Definitionen nicht wirklich erbracht. Euklids Definitionen haben
Klarheit und Anschaulichkeit, die Spinozas Definitionen fast durchgängig fehlt oder
bei dem Gebrauch bildlicher Ausdrücke (wie in se esse etc.) nur illusorisch ist. Er
setzt so bei seinen Begriffen stillschweigend voraus, was Euklid der AnBehauung
vorführt, d. h. die reale Existenz. Euklid gebraucht die Termini durchgängig nur
in dem durch die Definition festgestellten Sinne; Spinoza führt mitunter Argumen-
tationen so, dass das eine Glied derselben (z. B. dass die Substanz, weil sie nicht
durch Anderes entstehen könne, causa sui sei) durch den Gebrauch der Ausdrücke
im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs plausibel wird, dann das andere Glied
(z. B. dass die Substanz, weil sie causa sui sei, die Existenz involvire), dieselben
Ausdrücke in dem durch seine (willkürliche) Definition bestimmten Sinne wiederholt
und somit der Schlusssatz durch einen Paralogismus, die quaternio terminorum
mittelst Verwechselung einer „synthetischen* Definition mit einer .analytischen*
(vgl. Ueberwegs System der Logik, ö <31 und § 126) gewonnen wird. Spinozas Ethik
ist demnach keineswegs (wie namentlich F. II. Jacobi gemeint hat) theoretisch un-
widerlegbar, sondern es sind vielmehr (wie Leibniz, Herbart und Andere mit Recht
geurtheilt haben) manche Paralogismen in ihr aufzuweisen. — Einwendungen gegen die
fundamentalen Sätze werden hier, um nicht die Uebersicht über die Folge der Sätze
zu beeinträchtigen, in den nachfolgenden Noten unter dem Text gegeben. Die
Tendenz strenger Beweisführung ist achtungswerth, die Meinung aber, dass Spinoza
für seine Grundlehrcn unanfechtbare Beweise geführt habe, ist ein Vorurtheil, das
Widerlegung verdient. Seine Theorien sind im Ganzen besser als seine Argumen-
tationen.
**) Der Begriff .causa sui", der sich bei den Patristikern und Scholastikern,
namentlich auch bei Suarez, sowie bei Descartes findet, ist, nach dem Wortsiuue
verstanden, ein Unbegriff; denn um sich selbst zu verursachen, müsste ein Object
da sein, ehe es ist (dasein, um überhaupt irgend etwas verursachen zu können; ehe
es ist, weil es selbst erst verursacht werden soll). Der Ausdruck geht nach Spinozas
Absicht auf das Bedingtsein der Existenz durch die Essenz; die Essenz über kann
nicht die Existenz verursachen, ohne bereits zu existiren, wouach also das schon
da ist, was verursacht werden soll; ist aber nicht die Essenz selbst, sondern nur
(in der Definition) unser Gedanke der Essenz (die ideu, nicht das ideatum) gegeben,
so involvirt dieser Gedanke zwar seine eigene psychische Existenz, verursacht aber
nicht die objectiv-reale Existenz der essentia. Die nur durch Abstraction mögliche
Sonderung der essentia und existentia, so dass diese jene voraussetze, jene aber
diese bedinge oder verursache, hat Spinoza nach der Weise mittelalterlicher Rea-
listen fälschlich objectivirt. Zulässig wäre der Terminus , causa sui* nur als eine
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§ 13. Spinoza.
97
Die zweite Definition lautet: Derjenige Gegenstand heisst in Beiner Art endlich ,
der durch einen andern derselben Natur begrenzt werden kann (ea res dicitur in suo
genere finita, quae alia ejusdem naturae terminari potest). Als Beispiele führt
Spinoza an, ein Körper sei endlich, sofern sich stets ein anderer grosserer Körper
denken lasse; gleichermaasseu sei ein Gedanke endlich, sofern derselbe durch einen
anderen Gedanken begrenzt werde; aber es werde nicht ein Körper durch einen
Gedanken oder ein Gedanke durch einen Körper begrenzt.*)
Hierauf folgen die Definitionen der drei Begriffe, welche in der Philosophie
Spinozas grundlegend sind, der Substanz, des Attributs und des Modus. Unter
Substanz, heisst es, verstehe ich das, was in sich ist und durch sich vorgestellt
wird, das heisst das, dessen Vorstellung nicht der Vorstellung eines anderen Gegen-
standes bedarf, von der sie gebildet werden müsste (per substantiam intelligo
id, quod in se est et per se concipitur, hoc est id, cujus conceptus non indiget con-
ceptu alterius rei, a quo formari debeat». Unter Attribut verstehe ich das, was
der Verstand an der Substanz auffasst, als ihr Wesen ausmachend (per attributum
intelligo id, quod intellectus de substantia percipit tamquam ejus essentiaro con-
stituens: „constituens* ist hier Neutrum, auf quod zu beziehen, vgl. Def. VI.: sub-
ungenaue Bezeichnung für das Ursachlose, wobei der hier allein adäquate negative
Ausdruck in einen inadäquaten positiven Ausdruck umgesetzt wird.
Der Ausdruck, der dem Spinoza zur Definition von .causa sui" dient, nämlich
„essentia involvens existentiam" oder „non posse concipi nisi existens* involvirt
den Fehler, der in dem ontologischen Argumente liegt (s. oben bei Anselm und
bei Descartes). Dass jeder Beweis aus der Definition die anderweitig feststehende
Existenz des Definirten zur Voraussetzung hat, ist ein logisches Gesetz, gegen
das Spinoza eben so wie Anselm und Descartes verstösst. Durch die Berufung
auf das Involvirtsein der Existenz in der essentia wird das in willkürlichen
Definitionen zum Theil naturwidrig Gedachte (insbesondere die Verschmelzung
unendlich vieler Attribute zu einer Substanz) mit dem trügerischen Scheine der
Kealität versehen und dadurch der Blick auf das thatsächlich Reale vielfach
getrübt.
*) Diese Definition des in seiner Art Endlichen und Begrenzten ist nur in-
sofern zutreffend, als sie auf solche Objecte ^res) beschränkt bleibt, neben welchen
andere gleichartige existiren können, und bei welchen das Zusammenbestehen eine
gegenseitige Einschränkung involvirt; sie verliert jede Bedeutung, wenn sie nicht
auf solche res, sondern aui Naturen oder Attribute bezogen wird, wie z. B. wenn
gefragt würde, ob die quadratische Natur oder das Wesen des Quadrats, d. h. das
Begrenztsein einer ebenen Figur durch vier einander gleiche gerade Linien bei
lauter rechten Winkeln, in suo genere finita oder infinita sei, oder ob die menschliche
Natur, die Adlernatur, die Löwennatur etc. begrenzt oder unbegrenzt sei. Und
doch macht Spinoza, nachdem einmal die Definition im Hinblick auf die von ihm
angeführten Beispiele, auf deren erstes wenigstens sie passt, zugegeben worden ist,
später von ihr eben den unzulässigen Gebrauch, bei welchem die angegebene Grenze
ihres Sinnes und ihrer Gültigkeit vergessen wird. Dieser Gebrauch knüpft sich an
den irreführenden Ausdruck: substantia unius naturae, der die Vorstellung einer von
der Natur oder dem Attribute selbst unterschiedenen concreten Existenz hervorruft,
welche Vorstellung, nachdem sie (in der Demonstratio zu Propos. VIII. : oranis
substantia est necessario infinita) den Paralogismus vermittelt hat, von Spinoza
durch Recurs auf seine Definitionen (wonach die Substanz mit der Gesammtheit
ihrer Attribute, also eine substantia unius naturae mit eben dieser natura selbst
wieder identisch ist) wieder abgeworfen wird Der Paralogismus aber hat zu einem
Satze geführt, durch welchen Spinozas Verfahren, nur solches, was unbegrenzt ist
(die Ausdehnung) oder sich allenfalls als unbegrenzt betrachten lässt (die cogitatio)
als ein Attribut oder eine natura gelten zu lassen, und alles Uebrige unter die
Affectionen oder Modi zu verweisen, anscheinend gerechtfertigt wird. (Auf das
gleiche Resultat führt dann auch die mit dieser Definition der Endlichkeit eng
zusammenhängende Definition der Affection oder des Modus durch den Terminus:
„in alio esse*, siehe unten.)
Ceberweg-Heinie. tirtmdma III, T.Aull. 7
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§ 13. Spinoza.
stantiam constantem infinitis attributis und Eth. II prop. VII, Schol. : quidquid
ab infinito intellecta percipi potest tarn quam substantiae esaentiam constituens).
Unter Modus verstehe ick die Zustände der Substanz oder das, was in einem
Anderen ist, durch das es auch vorgestellt wird (per modum intelligo substantiae
affectiones sive id, quod in alio est, per quod etiam concipitur). Hiernach begründet
das in se esse und in alio esse den Unterschied zwischen der Substanz und den
Affectionen oder modis; die Attribute aber machen in ihrer Gesammtheit die Sub-
stauz aus. (Modus braucht Spinoza nach Descartes an Stelle des in den Schulen
gewöhnlichen accidens, s. darüber Cogit met I, 1, 11).
Durchweg verbindet in diesen Definitionen Spinoza die Angabe, wie ein
Jedes sei und wie es vorgestellt werde (nämlich im adäquaten Begreifen, welches
mit dem Sein übereinkommt). Man hat die Definition des Attributs in einer Weise
zu verstehen gesucht, die den Unterschied des Spinozismus vom Kantianismus ver-
wischen würde, dass nämlich nur unser Veratand den Unterschied der Attribute
setze und denselben in die Substanz hineintrage, wie unserm Auge eine an sich
weisse Fläche blau oder grün erscheint, wenn sie von uns durch ein blaues oder
grünes Glas betrachtet wird. Aber diese I subjectivistische) Auffassung stimmt nicht
zu dem (objectivistischen) Gesammtcharakter der Doctrin des Spinoza und auch nicht
zu seiner ausdrücklichen Aussage, dass die Substanz aus den Attributen bestehe
(vgl. die Definition Gottes als substantia coustans infinitis attributis, und Eth. I
prop. IV, wo es heisst, dass die Attribute extra intellectum gegeben sind, sowie
Eth. I, prop. IX und Ep. 27, wo gesagt wird, dass je mehr Realität etwas habe,
desto mehr Attribute ihm beizulegen seien). Die Attribute sind, wie wir annehmen
müssen, realiter in der Substanz zwar nicht von einander geschieden, aber doch
verschieden, und unser Verstand erkennt nur die au sich bestehende Ver-
schiedenheit an; das Dasein unseres Verstandes setzt ja selbst bereite das Dasein des
Attributes cogitatio und die reale Unterschiedenheit desselben von der extensio
voraus. Nur die Isolirung des einzelnen Attributes, die Heraushebung desselben
aus der an sich ungeschiedenen Einheit aller Attribute zum Behuf gesonderter
Betrachtung (daher das „quateuus consideratur") ist etwas bloss durch uns Voll-
zogene«. Was zu der subjectivistischen Auffassung der Attribute Anlass geben
kann, ist im Sinne des Spinoza auf verschiedene zusammengehörige Momente im
Objecte selbst, woran sich nur eine entsprechende Verschiedenheit in unserer sub-
jectiven Auffassung knüpfe, zu bezichen. Diese drücken jedoch sämmtlich (gleich
verschiedenen Definitionen des Kreises etc.) das ganze Object aus, weil sie mit allen
übrigen untrennbar zusammenhängen (wie besonders Spinozas Vergleich der Attribute
mit der Glätte und der Weisse Einer Fläche, oder mit Israel, dem Gotteskämpfer,
um! Jacob, dem Ergreifer der Ferse seines Bruders, dieses Verhältniss bekundet,
s. Epist. 27, vgl. Trendelenburg, hist. Beit. III, S. 368). Die Substanz ist die
Gesammtheit der Attribute selbst, die Modi dagegen sind ein Anderes, Secundäres,
weshalb Spinoza auch sagen kann (im Corollar zur Propos. VI), es existire nichts
als Substanz und Aflectionen, nicht als ob die Attribute nicht Existenz hätten und
erst durch unsern Verstand geschaffen würden, oder als ob sie nicht realiter von
einander verschieden wären, sondern weil ihre Existenz durch die Erwähnung der
Substanz bereite mitbezeichnet ist. Nicht als ein Positives kommen die Modi zu
der Substanz hinzu, sondern sie bilden blosse Einschränkungen, Determinationen
und daher Negationen („omnis determinatio*, sagt Spinoza, „est negatio"), wie ein
jeder mathematische Körper vermöge seiner Begrenztheit eine Determination der
unendlichen Ausdehnung (eine Negation des ausser ihm Liegenden) ist Die Modi
oder Affectionen sind nicht Bestandteile der Substanz ; die Substanz ist ihrer Natur
nach früher als ihre Affectionen (nach Propos. I, die unmittelbar aus den Definitionen
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>; 13. Spinoza.
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abgeleitet wird) nnd muss, um der Wahrheit gemäss betrachtet zu werden, ohne
die Affectionen und in sich (Demonst zu Propos V: depositis affectionibus et in se
considerata) betrachtet werden. Hiernach kann Spinoza unter der Substanz nicht
ein concretes Ding verstehen, da ja dieses niemals ohne alle individuellen Bestimmt-
heiten (die doch Spinoza zu den Affectionen rechnet) bestehen kann und nicht
„depositis affectionibus" wahrhaft oder seiner wirklichen Existenz gemäss betrachtet
wird. Unter der Substanz kann bei ihm nur das durch den abstractesten Begriff
(des Seins) Gedachte zu verstehen sein, dem er aber Existenz zuschreibt, die freilieh
von dem Sein nicht wohl getrennt werden kann.*)
Die sechste Definition lautet: Unter Gott verstehe ich das unbedingt unend-
liche Wesen, d. h. die Substanz, welche auB unendlichen Attributen besteht, von
denen ein jedes eine ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt (per De um intelligo
quoruni
unumquodque aeternam et infinitam essentiara exprimit). Der Ausdruck absolute
infiuitum wird in der beigefügten Explicatio durch den Gegensatz zu in suo genere
intinitum erläutert; was nur in seiner Art unbegrenzt oder unendlich ist, ist dies
nicht hinsichtlich aller möglichen Attribute, das absolut Unendliche aber in Betracht
*) Bei der Bestimmung des Unterschiedes zwischen der Substanz und den
Affectionen verkennt Spinoza die Bildlichkeit der von ihm gebrauchten Ausdrücke:
in se esse, in alio esse, und die Unfähigkeit derselben, zu Kriterien des entweder
attributiven oder Modus - Charakters irgend welcher Elemente eines Objectes zu
dienen. Warum die Attribute nicht in "der Substanz seien, die aus ihnen besteht,
wird nicht klar. Bei fortschreitender Determiuation des abstraeten Begriffes des
Seins wird ganz in gleicher Weise von dem Abstractesten zu dem minder Ab-
straeten , wie von diesem zu dem Individuellen (d. h. von der Substanz zu den
Attributen, wie von diesen zu den Modis) herabgestiegen, so dass das „inesse*,
wenn einmal der logische Vorgang hypostasirt wird, ebensowohl von den Attri-
auefa von beiden Verhältnissen gl eich wenig. Das inesse UvvnaQxtiv) ist aller-
dings auch eine aristotelische Bezeichnung, aber sie hat bei Aristoteles ihren
guten Sinn, da diesem die Substanzen, denen vorzugsweise der Name Substanz
zukomme (die nQÜiuu ovaiai) die Einzeldinge sind, in welchen solches ist, was
sich von ihnen aussagen lässt; von den Einzeldingen kann nicht gesagt werden,
dass sie .depositis affectionibus" (also nach Abstraction z. B. von Figur und Be-
grenztheit unter blosser Festhaltung des Attributs der Ausdehnung und nach
Abstraction von allem, was ein denkendes Wesen von anderen unterscheidet, unter
blosser Festhaltung des Attributs des Denkens) „vere*, d. h. nach ihrem wirklichen
Sein betrachtet werden; dies Letzere setzt jene andere Bedeutung der Substanz
nnd des Substantiellen voraus, wonach darunter die essentia und das Essentielle
(Wesentliche) verstanden wird, was Aristoteles durch den Terminus ij xnid Xöyov
uvaln bezeichnet und wovon er einerseits das ov/ußtfrxde xa»' aiVd (das .Attribut*
im Sinne der Aristoteliker), andererseits das ov,ußtßrix6s im engeren Sinne (das
„Accidentielle") unterscheidet. Es bedarf einer schwierigen Untersuchung, um den
Unterschied des Substantiellen als des Wesentlichen von dem Unwesentlichen durch
allgemeine Kriterien festzustellen; Spinoza führt diese (allerdings auch von deu
Aristotelikern nicht gründlich in Angriff genommene, sondern durch Aulehnung an
grammatische Unterschiede cludirte) Untersuchung nicht, sondern ersetzt sie durch
Beibehaltung der nur bei jener ersten Bedeutung von „Substanz", welche nicht die
von ihm festgehaltene ist, einigermaassen zutreffenden Ausdrücke: „in se — in alio
esse", und diese Unkritik hat dann nothwendigerweise eine totale Verwirrung zur
Folge. Die erste Bedeutung von „Substanz* wird thateächlich aufgegeben, obschon
die Fassung der Definition an sie zu denken veranlasst; die zweite wird corrumpirt,
indem nur solches als der Substanz angehörend gilt, worin das „Darinsein* einen
wirklichen Sinn hat (d. h. die Ausdehnung) oder wobei es sich zur Noth deuten
lässt (d. h. die cogitatio), alles Uebrige aber (z. B. das, was dem Quadrat wesentlich
ist, um Quadrat zu sein, dem Menschen, um Mensch zu sein etc.) als unwesentlich
zu den Affectionen oder Modis gerechnet wird.
7*
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§ 13. Spinoza.
aller Attribute.*) Was unter diesen unendlichen (der Zahl nach) Attributen zu
verstehen sei, das macht Spinoza nicht klar.
Die siebente Definition ist die der Freiheit. Dasjenige heisst frei, was aus
der blossen Notwendigkeit seiner Natur existirt und von sich allein zum Handeln
bestimmt wird; nothwendig aber oder vielmehr gezwungen, was von einem Andern
bestimmt wird zum Existiren und Handeln in einer festen und bestimmten Weise
(ea res libera dicitur, quae ex sola suae naturae necessitate existit et a se sola
ad agendum determinatur. Necessaria autem vel potius coacta quae ab alio
determinatur ad existendum et operandum certa ac determinata ratione).**)
Die achte Definition knüpft den Begriff der Ewigkeit an den ontologischen
Beweis. Unter Ewigkeit verstehe ich die Existenz selbst, soweit sie vorgestellt
*) Mit dieser Definition . Gottes" ist es Spinoza, der dieselbe mittelst des
Begriffs „essentia involvens existentiam* durch den ontologischen Beweis^ zu realer
Gültigkeit erheben kann, nicht schwer, alles factisch Vorhandene in die Einheit der
Substanz hineinzuziehen (wobei jedoch selbstverständlich, wie bei allen seineu
Faralogismen, ihm keineswegs irgend eine sophistische Absicht, sondern nur eine
unbewusste Selbsttäuschung zur Last zu legen ist). Dass »Gott* als .Substanz"
doch zugleich auch „ens* genannt wird, ist ein irreführender Ausdruck, der die der
spinozistischen Definition der Substanz widerstreitende Vorstellung einer concreten
Existenz nahelegt Entweder existirt ein Gott im Sinne des religiösen Bewusstseins
als ein persönliches Wesen, oder er existirt nicht; in keinem Falle ist das Wort
.Gott* umzudeuten und am wenigsten auf etwas so ganz Heterogenes, wie die «Sub-
stanz" (weit eher wäre eine pantneistische Umdeutung auf Ideelles, wie Wahrheit,
Freiheit, sittliche Vollkommenheit, zulässig). Existirt ein persönliches Wesen als
Weltechöpfer mit absoluter Macht, Weisheit und Güte, so ist der Theismus gerecht-
fertigt; existirt kein solches Wesen, so ist es eine Pflicht der Ehrlichkeit, entweder
den Atheismus zu bekennen, die Gottesvorstellung nur als Dichtung zuzulassen und
wissenschaftlich etwa durch den Begriff der ewigen Weltordnung zu ersetzen, oder
auf theologische Fragen überhaupt nicht anders als historisch einzugehen. Die
spiuozistische Umdeutung religiöser Termini aber ist irreführend (obschon theils
durch die damals herrschende Intoleranz, die in dem Atheismus ein .Verbrechen"
fand und Dogmen durch Strafgesetze schützte, theils und zumeist durch die Macht,
welche die altgewohnte Vorstellung über Sp. selbst behauptete, erklärbar und ent-
schuldbar). Welche Trübungen des Denkens und der Gesinnung aus solcher Um-
deutung der Worte entstehen, zeigt die Geschichte des deutschen Spiuozismus nach
dem leidigen fichteschen Atheismus- Streit (z. B. die Umdeutung der kirchlichen
Dreieinigkeitslehre auf die hcgelsche Dialektik, mit der seltsamen Behauptung, dass
die Momente dieser Dialektik dem Inhalte nach mit den durch das religiöse Be-
wusstsein vorgestellten göttlichen Personen identisch und nur der Form nach davon
verschieden seien).
**) Der erste Theil der Definition der res libera involvirt denselben Irrthum,
wie der positive Gebrauch des Ausdrucks causa sui, nämlich die Verwechselung
der Ursachlosigkeit des Ewigen und Primitiven mit einem Verursachtsein durch
sich selbst, einer durch die eigene Natur (als ob diese — sei es auch unzeitlich
— realiter der Existenz vorhergehen könnte) gesetzten Existenz. Der zweite Theil
derselben kommt eher zum Ziele, weil sich die Freiheit in der That auf das
Handeln und nicht auf das Eiutreten in die Existenz bezieht, rückt aber das in
dem gesummten Kreis der Erfahrung allein vorliegende Verhältnis« aus den Augen,
dass jedes Geschehen auf einem Zusammenwirken mehrerer Factoren beruht und
dass es sich bei der Freiheit nur um das Verhältniss des inneren Fuctors zu dem
äussern handelt. Die Definitionen der Nothweudigkeit und des Zwanges aber hätten
von einander gesondert und nicht durch ein „vel potius* amalgamirt werden sollen.
Mit Recht findet übrigens Spinoza den eigentlichen Gegensatz der Freiheit nicht
in der Nothweudigkeit überhaupt, sondern nur in einer bestimmten Art der Noth-
weudigkeit, nämlich dem Zwange, der als die nicht aus dem Wesen selbst, sondern
aus irgend etwas dem Wesen Fremden (mag dies nun immer noch dem Innern
angehören oder der Aussenwelt) herfiiesseude und das aus dem Wesen selbst hervor-
gehende Streben überwältigende (und den Wunsch vereitelnde) Nothweudigkeit zu
uefiniren ist.
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§ 13. Spinoza. 101
wird als nothwendig folgend aas der blossen Definition des ewigen Gegenstandes
(per aeternitatem intelligo ipsam existentiam , quatenus ex sola rei aeternae
definitione necessario seqoi concipitur).
Den acht Definitionen lässt Spinoza sieben Axiome nachfolgen.
Das erste Axiom lautet: Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem
Andern (omnia, qaae sunt, vel in se vel in alio sunt).*)
Das zweite Axiom lautet: Was nicht durch ein Anderes begriffen werden kann,
mnss durch sich begriffen werden (id quod per aliud non potest concipi, per se
concipi debet).**)
Das dritte Axiom lautet: Aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt
nothwendig eine Wirkung, und umgekehrt, wenn es keine bestimmte Ursache giebt,
so ist es unmöglich, dass eine Wirkung folge (ex data causa determinata necessario
sequi tu r effectus, et contra: si nulla datur determinata causa, impossibile est, ut
effectus sequatur).***)
Das vierte Axiom lautet: Die Kenntniss der Wirkung hängt von der Kenntniss
der Ursache ab und schliefst sie ein (effectus cognitio a cognitione cansae dependet
et eandem involvit), indem nur in subjectiver Wendung (in Bezug auf unsere
Erkenntniss) das ausgesprochen wird, was das vorangehende Axiom objectiv aus-
spricht.
Das fünfte Axiom besagt: Dinge, die nichts mit einander gemein haben, können
auch durch Bich gegenseitig nicht erkannt werden, oder die Vorstellung des einen
schliesst nicht die Vorstellung des anderen in sich (quae nihil commune cum se
invicem habent, etiam per se invicem intelligi non possunt, sive coneeptus unius
alterius coneeptum non involvit), woraus in Verbindung mit den vorangehenden
Axiomen (in Prpos. III) gefolgert wird, dass, wenn zwei Dinge nichts mit einauder
gemein haben, das eine nicht die Ursache des andern sein könnet)
Im sechsten Axiom sagt Spinoza: Die wahre Vorstellung rauss mit dem vor-
gestellten Object übereinkommen (idea vera debet cum suo ideato convenire).ft)
*) Durch dieses Axiom im Verein mit der dritten und fünften Definition wird
(in der Demonstration zum vierten und im Corollar zum sechsten Lehrsatz) die
Ajinahme begründet, dass es in Wirklichkeit nichts gebe, als Substanzen und deren
Affectionen.
**) Hierbei ist ein Zweifaches ausser Acht gelassen: 1) dass, sofern das Be-
greifen auf den Causalnexus geht, jedes Causalverhaltniss aber auf einer Beziehung
zwischen zwei oder mehreren Elementen beruht, nicht sowohl das „ Entweder —
Oder", das concipi per aliud oder concipi per se, als vielmehr das «Sowohl —
Als auch" Baehgemäss war, das Begriffenwerden aus der Beziehung des Einen
zum Anderen, indem nur je nach der Verschiedenheit des Falles auf das Eine
oder Andere das grössere Gewicht fällt; 2) dass nicht ohne Weiteres die Be-
greiflichkeit von Allem vorausgesetzt werden darf, sondern in Frage zu stellen ist,
ob es Schranken unserer Erkenntniss gebe, welche Frage wiederum sich in die
(kantisebe) Frage nach etwaigen absoluten Schranken der menschlichen Erkenntniss
und die (für die jedesmalige Bestimmung der nächsten wissenschaftlichen Aufgaben
maassgebende Frage) nach der zur Zeit bestehenden Grenze der Begreiflichkeit und
den nächstnothwendigen Schritten zur Erweiterung dieser Grenze gliedert.
***) Dieses Axiom ist nur dann richtig, wenn der Begriff der Ursache richtig
gefasst und die Ursache nicht als etwas Einfaches gedacht wird.
t) Bei diesem Satze gelten wiederum die obigen Bemerkungen über das Cau-
salitätsverhältniss. Dass das Causalverhältniss etwas Gemeinsames voraussetze,
sucht Spinoza (wohl mit Recht) in dem vierten seiner Briefe auch durch die Be-
merkung zu begründen, dass andernfalls die Wirkung alles, was sie habe, aus nichts
haben müsse.
ft) Es hätte hier keines Axioms bedurft, sondern nur einer Definition der
Wahrheit. Allerdings ist die Wahrheit im eigentlichen, theoretischen 8iune dieses
Wortes die Uebereinstimmung zwischen dem Gedanken und derjenigen Wirklichkeit,
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§ 13. Spinoza.
Das siebente und letzte Axiom lautet: Alles, was als nicht existirend vor-
gestellt werden kann, dessen Wesen achliesst nicht die Existenz in sich (quidquid
ut non existens potest concipi, ejus essentia non involvit existentiara).
An die Definitionen iukI Axiome schliesaen sich die Lehrsätze (proposi-
tiones) an.
Die propositio prima, aus den Definitionen III und V unmittelbar gefolgert,
lautet: Die Substanz ist früher als ihre Affectionen. Der zweite Lehrsatz besagt,
dass zwei Substanzen, deren Attribute verschieden seien, nichts mit einander gemein
haben, was aus der Definition der Substanz abgeleitet wird.*) Daraus wird
gefolgert, dass eine Substanz nicht Ursache einer Substanz mit einem von dem
ihrigen verschiedenen Attribute sein könne; Spinoza behauptet aber ferner (in
Propos. V), es gebe nicht zwei oder mehrere Substanzen mit dem nämlichen
Attribut (weil ihm, wie oben bemerkt, die Substanz mit ihren Attributen identisch,
also für alle Individuen derselben Art die Substanz die nämliche ist), so dass
auch nicht eine Substanz Ursache einer andern Substanz mit einem dem ihrigen
gleichen Attribut sein kann; also, schliesst er, kann eine Substanz überhaupt
nicht Ursache einer andern Substanz sein (Propos. VI). Eine Substanz kann
nicht von einer andern Substanz, und daher, da es nichts Anderes als Substanzen
und deren Affectionen giebt, überhaupt nicht von irgend etwas Anderem hervor-
gebracht werden (Corollar zur Propos. VI). Da eine Substanz nicht von einer
andern hervorgebracht werden kann, so muss sie, sagt Spinoza (in der Demon-
stratio zur Propos. VII), Ursache ihrer selbst sein, d. h. nach der ersten Definition,
ihr Wesen (essentia) involvirt ihr Sein (existentia), oder es gehört die Existenz zu
ihrer Natur (Propos. VII: ad naturam substantiae pertinet existcre).
Der für die Propos. VIII: Jede Substanz ist nothwendig unendlich, geführte
Beweis stützt sich auf die Einzigkeit jeder Substanz von Einem Attribute.**)
auf welche der Gedanke gerichtet ist. Aber sie ist dies nur bei einem Gedanken,
der die Voraussetzung, dass solche Uebereinstimmung bestehe, involvirt; daher ist
nicht die vereinzelte Vorstellung (idea) wahr oder falsch, sondern nur die Verbin-
dung von Vorstellungen zu einem Urtheil (einer Aussage): wenn eine Vorstellung
nicht in irgend eine Behauptung eingeht, so besteht nicht (oder doch nur implicite,
nicht explicite) das Verhältniss der Wahrheit oder Falschheit. Diese richtige Be-
merkung des Aristoteles hat Spinoza hier unbeachtet gelassen.
*) Diese Argumentation trifft nur bei totaler Verschiedenheit der Attribute zu,
nicht unter der Voraussetzung, die Spinoza nicht znlässt, dass verschiedene Attribute
generisch gleich und nur speeifisch verschieden seien.
**) Dieser Beweis ist ein Scheinbeweis, weil die Def. 2, worauf er sich stützt,
eine falsche Voraussetzung involvirt Die Einzigkeit und Nichtbegreuzbarkeit durch
einen Doppelgänger ihrer selbst (der nicht vorhanden sein kann) bestimmt nichts
über die Grösse des Verbreitungskreises einer „Substanz". Ist z. B. jeder Gedanke
als solcher jedem andern Gedanken gleichartig, giebt es also nur Ein „Denken
überhaupt", so folgt daraus eine Unbegrenztheit und ein Allverbreitetsein dieses
Denkens ebensowenig, wie daraus, dass jeder Adler an der Einen Adlernatur Theil
hat (oder um nach Analogie der Weise des Sp. zu reden, in der Adlernatur ist),
gefolgert werden kann, dass die Adlernatur unbegrenzt und allverbreitet sei. Der
von bp. im ersten Schol. beigefügte kürzere Beweis, der sich auf die blosse
Propos. VII (ad naturam substantiae pertinet existere) stützt, jede Substanz müsse
unendlich sein, weil das Endliche in Wahrheit „ex parte negatio" sei und das
Unendliche .absoluta affirmatio existentia alieujus naturae" (was mit dem Satze
Spinozas: „omnis determinatio est negatio* übereinkommt i, involvirt eine petitio
prineipii, indem die Unendlichkeit alles Primitiven schon vorausgesetzt werden
muss, um die Endlichkeit als eine theilweise Negation dieser primitiven Realität
bezeichnen zu dürfen ; wer Atome oder endliche Monaden oder wer etwa eine endliche
Welt als primitiv annähme, wäre nicht genöthigt, den spinozistischen Satz zuzugeben,
und könnte durch denselben nicht widerlegt werden. Es ist begreiflich, dass auf
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§ 13. Spinoza.
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Aus der Definition des Attributs folgert Spinoza den neunten Lehrsatz: Je
mehr Realität oder Sein jedes Ding hat, um so mehr Attribute kommen ihm zu»
und aus derselben Definition im Verein mit der Definition der Substanz den
zehnten Lehrsatz: Jedes Attribut einer Substanz muss durch sich vorgestellt
werden.*)
Prop. XI : Gott oder die aus unendlich vielen Attributen bestehende Substanz,
von denen jedes eine ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existirt nothwendig
(weil in seiner Bssentia das Sein liegt). Mit der aus der Definition gezogenen
Argumentation für das Dasein der unendlichen Substanz, welche Spinoza als
Demonstratio u priori bezeichnet, verbindet er (in ähnlicher Art wie Descartes) eine
andere, auf die Thatsachu unserer eigenen Existenz basirte Demonstration, durch
die Gottes notwendiges Dasein a posteriori erwiesen werde: Es können nicht bloss
endliche Wesen existiren, denn sonst würden dieselben als nothwendige Wesen
mächtiger als das absolut unendliche Wesen sein, da das posse non existere eine
impotentia, das posse existere dagegen eine potentia ist**)
einen Leibniz Spinozas Argumente keinen günstigen Eindruck machten. (Cou-
siderations sur la doctrine d un Esprit universel in Erdmanns Ausgabe der philos.
Sehr. S. 179.)
^ *) Der letztere Lehrsatz steht freilich zu der Definition, Substanz sei das, was
in sich sei und durch sich zu begreifen sei, in einem bedenklichen Verhältuiss, da
füglich gefolgert werden könnte, das Attribut müsse als per se coneipiendum ( welche
Bestimmung zu dem in se esse bei Sp. nicht als ein zweites von dem ersten trenn-
bares Merkmal der Substanz hinzutritt, sondern gemäss der Congruenz von Denken
und Sein wesentlich das Gleiche besagt) auch Substanz sein, oder jede Substanz
könne nur Ein Attribut haben. Sp. weist in einem Scholiou diese Folgerung als
unzulässig ab, weil sie dem Inhalt des neunten Lehrsatzes widerstreiten würde, ohne
dass es ihm jedoch gelänge, ihre formale Gültigkeit und Nothwendigkeit aufzuheben ;
der Unterschied zwischen Attribut und Substanz kann mit dem jedem Attribute
zugeschriebenen per se coneipi nicht zusammen bestehen, und bei dem neunten Lehr-
satz ist die Voraussetzung selbst, dass eine Substanz mehr Realität und Sein, als
die andere, haben könne, ungerechtfertigt geblieben. Entweder besteht das sog.
Attribut für sich, so ist es eine Substanz; — oder es ist mit andorn sog. Attributen
von der Substanz zu prädicireu, so ist es in der Substanz und nur durch die Substanz
zu denken, also nicht ein Attribut, sondern ein Modus. Consequenter als die An-
nahme einer Vielheit von Attributen möchte die Annahme des Bestehens Einer
Substanz mit Einem Attribut oder auch vieler, vielleicht unendlich vieler Substanzen
mit je einem Attribut (so dass Substanz und Attribut durchgängig identisch wären)
sein, wo dann bei Substanzen keine Unterscheidung zwischen höherer und geringerer
Realität, noch auch zwischen einem Unendlichsein in seiner Art und einem absoluten
Unendlichsein zulässig wäre.
**) Dass in dieser letzteren Argumentation unsere (subjective) Ungewissheit über
die Existenz oder Nichtexistenz mit einer Ohnmacht des Objects (dessen Existenz
eben hiermit schon präsumirt wird) unkritisch verwechselt werde, leuchtet sofort
ein. Spinoza hat hier wiederum, wie er pflegt, die (von dem Nominalismus und
noch mehr von dem kantischen Kriticismus hervorgehobene) Verschiedenheit des
subjectiven und objectiven Elementes in unserer Erkenntniss ganz unbeachtet
gelassen (nach der Weise des einseitigen .Realismus* und des „Dogmaticismus",
obschon in anderem Betracht Spinozas Doctrin auch nominalistische Elemente
enthält, da er nicht die ganze tabula logica hvpostasirt, sondern nur den ab-
~t raetesten Begriff und die zunächst angrenzenden; es blieb Schelling vorbehalten,
die Kluft zwischen der Substanz mit ihren Attributen und den Individuen durch
die platonischen Ideen auszufüllen). Nachdem Spinoza seiner Definition, die alle
Realität in .Gott" hineinzieht, mittelst des ontologischen Paralogismus eine
anscheinend objective Gültigkeit verschafft hat, folgt nunmehr gar leicht der
Satz: es existire gar nichts Anderes als »Gott" allein und die Modi, die in
ihm sind.
Herder sagt in einem (bei Düntzer u. Herder, »aus Herders Nachlass* II,
251-56, abgedruckten) Briefe an F. H. Jacobi, es sei das tiowtov iptvÖos der
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§ 13. Spinoza.
Die Substanz ist als solche untbeilbar; denn unter einem Theil der Substanz
würde nichts Anderes verstanden werden können, als eine begrenzte Substanz,
was ein Widerspruch ist. Neben Gott existirt keine andere Substanz; denn jedes
Attribut, wodurch eine Substanz bestimmt werden kann, fallt in Gott hinein, und
es giebt nicht mehrere Substanzen mit dem nämlichen Attribute. Es ist nur Ein
Gott; denn es kann nur Eine absolut unendliche Substanz existiren. Es gehören
nicht nur alle Attribute Gott an (indem die Substanz aus den Attributen besteht),
sondern es sind auch alle Modi als Affectionen der Substanz in Gott: quidquid
est, in Deo est, et nihil sine Deo esse neque concipi potest (Propos. XV). Aus-
führlich rechtfertigt Spinoza (im Seholion zur Propos. XV) die Mitaufnahme der
Ausdehnung in das Wesen Gottes. Aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur
folgt unendlich Vieles auf unendlich viele Weisen; Gott ist daher die wirkende
Ursache (causa efficiens) alles dessen, was unter den unendlichen Intellect fallen
kann, und zwar die schlechthin erste Ursache. („Ursache" freilich nur in einem
sehr uneigentlichen Sinne, da er niemals ohne Modi war, die in ihm sind.) Gott
hundelt nur nach den Gesetzen seiner Natur und von Niemandem gezwungen, also
mit absoluter Freiheit, und er ist die einzige freie Ursuche. Gott ist aller Dinge
immanente (,inbleibendefc) nicht transscendente (in Anderes hinübergehende) Ursache.
(Dens est omnium rerum causa immanens, non vero transiens, Propos. XVIII; vgl.
Epist. XII, ad Oldenburgium : Deum omnium rerum causam immanentem, ut ajunt,
non vero transeuntem statuo. Omnia, inqam, in Deo esse et in Deo raoveri cum
Paulo affirmo et forte etiam cum omnibus antiquis philosophis, licet alio modo, et
anderem etiam dicere, cum antiquis omnibus Hebraeis, quantum ex quibusdam
traditionibus, tametai multis modis adulteratis, conjicere licet.)*)
Gegner Spinozas, dass sie dessen Gott, das grosse ens entium, die in allen Er-
scheinungen ewig wirkende Ursache ihres Wesens, als einen abstracten Begriff
ansehen, wie wir ihn uns formiren; das sei er aber nach So. nicht, sondern das
allerreellste, thätigste Ens, das zu Bich spreche: ich bin, der ich bin und werde
in allen Veränderungen meiner Erscheinung sein, was ich sein werde. Allerdings
ist nach der Absicht Sp.s der Begriff der Substanz nicht blosH eine subjective Ab-
stractJon; aber thatsächlich ist derselbe dies doch. Durch die Hypostasirung dieser
Abstraction gelangt Sp. nicht wirklich zu der Erkenntnis» eines realen göttlichen
Wesens (so wenig, wie die Neuplatouiker durch ihre Hypostasirung von Abstractioneu
zur Erkenntniss wirklich existirender Götter gelangt sind). Das Sein in allem
Dasein, das Denken in allen Gedanken, das Ausgedehntsein in allen Körpern ist
nicht ein Ens, das zu sich sprechen, ein Bewusstsein um seine Unveränderlichkeit
haben und Gegenstand der \ erehrung und intellectuellen Liebe sein könnte.
Es würde über die Grenzen, innerhalb deren die Darstellung in diesem Grund-
riss sich bewegen muss, hinausführen, wenn durchgehends in gleicher Weise, wie
bisher, die logischen Fehler, die zumeist bei den ersten, mitunter jedoch auch noch
bei den späteren Schritten in der „Ethik" von Sp. begangen werden, einzeln auf-
gezeigt werden sollten. Die bisherige Ausführlichkeit mag sich durch die Wichtigkeit
einer genauen Erwägung der Fundamente der spinozistischen Doctrin und durch
die verhältnissmässige Seltenheit einer ins Einzelne der Demonstrationen
genau eingehenden Kritik rechtfertigen. Von nun an möge eine blosse Ueber-
sicht über den fernereu Gang der Gedankenentwickelung genügen.
*) Ueber die Unterscheidung der Arten der Ursachen bei Spinoza und bei
holländischen scholastischen Logikern, wie Burgersdijck und Heereboord, an die er
sich hierbei zunächst anschliesst, s. Trendelenburg histor. Beitr. III, S. 316 ff.;
freilich ist eine über die aristotelische Unterscheidung der vier <*qx«1'. Stoff, Form,
bewirkende Ursache, Zweck, hinausgehende Specificirung der causae (womit Ari-
stoteles selbst schon durch Unterscheidung von Arten der Zwecke, auch von Arten
der Ursachen, wie Rhet. I, 6, Gesundsein, Nahrungsmittel und Leibesübungen als
„Ursachen" unterschieden werden, namentlich von ttQXal tyvnaQXovaal an(T txrog,
Metaph. IV, 1 ; 1013 a 19 u. XII, 4, 1070 b 22, begonnen hat) in der Logica mo-
dernorum bei Petrus Hisp. u. A. zu finden, wo insbesondere „de causa materiali
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§ 13. Spinoza.
105
Gottes Existenz ist mit seinem Wesen identisch. Alle seine Attribute sind
unveränderlich. Allee, was aus der absoluten Natur irgend eines göttlichen Attri-
buts folgt, ist gleichfalls ewig und unendlich. Das Wesen der von Gott hervor-
gebrachten Dinge involvirt nicht die Existenz; Gott ist die Ursache ihres Wesens,
ihres Eintritts in die Existenz und ihres Beharrens in der Existenz. Die Einzel-
objecte sind nichts Anderes, als Affectionen der Attribute Gottes oder Modi, durch
welche Gottes Attribute auf eine bestimmte Weise ausgedrückt werden fCorollar
zur Propos. XXV : res particulares nihil sunt, nisiDei attributorum affectiones, sive
modi. quibus Dei attributa certo et determinato modo exprimuntur). Alles Ge-
schehene, auch jeder Willensact, ist durch Gott determinirt. Alles Einzelne, das
eine endliche und begrenzte Existenz hat, kann zur Existenz und zum Handeln nur
mittelst einer endlichen Ursache und nicht unmittelbar durch Gott determinirt
werden, da Gottes unmittelbare Wirksamkeit nur Unendliches und Ewiges schafft
(wodurch nach spinozistischem Lehrbegriff das Wunder im Sinne eines unmittel-
baren Eingreifens Gottes in den Naturzusammenhang ausgeschlossen wird). Gott,
in seinen Attributen oder als freie Ursache betrachtet, wird von Spinoza (nach
dem Vorgange theils von Scholastikern, welche Gott natura naturalis, das geschaffene
Dasein aber natura natu rata nannten, theils und wohl zunächst von Giordano Bruno)
natura naturalis genannt; unter natura naturata aber versteht Spinoza alles das.
was aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur oder eines jeden der Attribute
folgt, d. h. alle Modi der Attribute Gottes, sofern sie als Dinge, die in Gott sind
und nicht ohne Gott sein noch begriffen werden können, betrachtet werden. Der
Intellect, der im Unterschiede von der absoluta cogitatio ein bestimmter modus
cogitandi ist, der von anderen Modis, wie voluntas, cupiditas, amor, verschieden
ist, gehört sowohl als unendlicher, wie auch als endlicher Intellect zur natura
naturata, nicht zur natura naturans. Voluntas und intellectus verhalteu sich zur
cogitatio so, wie motus und quies zur extensio. Der unendliche Intellect darf nur
als die immanente Einheit, somit nicht als die Summe, sondern als das Prius der
endlichen Intellecte gedacht werden, indem auch auf intellectus und voluntas, quies
und motus, Spinozas Hypostasirung des A bstracten sich mitbezieht; aber im Unter-
schiede von der Cogitatio absoluta ist jener Intellect eine explicite oder actuelle
Einheit; jeder Intellectus ist etwas Actuelles, eine Intellectio. Eth. V, prop. 40.
schol. : „Mens nostra, quatenus intelligit, aeternus cogitandi modus est, qui alio
aeterno cogitando modo determinatur et hic iterum ab alio et sie in infinitum, ita
ut omnes simul Dei aeternum et infinitum intellectum Constituante In dem Trac-
tatus de Deo etc. nennt Spinoza den Intellectus Dei infinitus Gottes eingeborenen
Sohn, in welchem von Gott das Wesen aller Dinge in ewiger und unveränderlicher
Weise erkannt werde ; diese Doctrin ist die ihrerseits durch die philonische Logos-
lehre bedingte plotinische Lehre vom yov$, in welchem die Ideen seien. Eine
jüdische Umbildung dieser plotinischen Lehre unter Mitaufnahme eines christlichen
Elementes ist der Adam Cadmon, den die Kabbalisten den eingebornen Sohn Gottes
und den Inbegriff der Ideen nennen; vielleicht hat Spinoza aus kabbalistischen
Schriften jene Begriffe entnommen, ohne dass darum im Uebrigen seine Doctrin
aus der Kabbala abgeleitet werden dürfte. Die „Himmelspforte* des Rabbi Abraham
Cohen Irira, der, aus Portugal ausgewandert, in Holland 1631 starb, kann eine
Vermittelung dafür gebildet haben (vgl. Sigwart a. a. O. S. 96 ff.). Die Dinge haben
auf keine andere Weise und in keiner andern Ordnung von Gott geschaffen werden
permanente" und .de causa materiali transeunte* gehandelt wird: jene behalte in
der Wirkung ihr Wesen, wie das Eisen im Degen, diese verliere es, wie Getreide
im Brot.
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§ 13. Spinoza.
können, als sie geschaffen sind, da sie aas Gottes unveränderlicher Natur mit Not-
wendigkeit gefolgt und nicht nach Willkür um bestimmter Zwecke willen hervor-
gebracht worden sind. Gottes Macht ist mit seinem Wesen identisch. Was in
seiner Macht liegt, ist mit Notwendigkeit Nichts existirt, aus dessen Natur nicht
irgend eine Wirkung folgte, da alles Existirende ein bestimmter Modus der wirk-
samen göttlichen Macht ist.
Im zweiten Theile seiner Ethik handelt Spinoza von dem Wesen und
Ursprung des menschlichen Geistes (de natura et origine mentis). Er beginnt
wiederum mit Definitionen und Axiomen. Den Körper definirt er als den Modus,
der Gottes Wesen, sofern Gott als ein auegedehntes Ding betrachtet werde, auf
eine bestimmte Weise ausdrücke.*) Zum Wesen eines Dinges rechnet Spinoza das,
mit dessen Setzung das Ding selbst nothwendig gesetzt wird und mit dessen Auf-
hebung das Ding nothwendig aufgehoben wird, oder das, ohne welches das Ding
und welches seinerseits ohne das Ding weder sein noch gedacht werden kann. Unter
der Idee (die Spinoza nur im subjectiven Sinne nimmt) versteht er den Begriff
(conceptus), den der Geist (mens) als denkendes Ding (res cogitans) bildet. Er will
sich lieber des Ausdrucks conceptus, als perceptio, bedienen, weil conceptus eine
Activität, perceptio aber eine Passivität des Geistes auszudrücken scheine (womit
freilich die Beziehung auf die primitive Bedeutung von Idea: Gestalt oder Form
eines Gegenstandes, welche Bedeutung bei der Uebertragung auf das Wahrnehmungs-
bild uls die in das Bewusstsein aufgenommene Form eines Gegenstandes immer noch
maassgebend blieb, völlig beseitigt wird, was Spinoza um so leichter ward, da ihn
die Rücksicht auf den griechischen Sprachgebrauch nicht band). Unter der idea
adaequata versteht Spinoza die Idee, welche alle inneren Merkmale einer wahren
Idee habe (im Unterschiede von dem äusseren Merkmale, nämlich der couvenientia
ideiie cum suo ideato). Unter der Dauer (duratio) versteht er die unbestimmte
Continuation der Existenz. Die Realität identificirt er mit der Vollkommenheit.
Unter den Einzelobjecten (res singulares) versteht er die endlichen Dinge. An
diese Definitionen knüpfen sich Axiome und Postulate. Das erste Axiom besagt,
dass das Wesen des Menschen nicht die notwendige Existenz involvire. Daun
folgen mehrere Erfahrangssätze unter der Benennung .Axiome" nach. Der Mensch
denkt. Durch die Vorstellung (idea) eiues Objectes sind Liebe, Verlangen, über-
haupt alle Modi des Denkens, bedingt; die Vorstellung aber kann ohne die übrigen
Modi da sein. Wir werden mannigfacher Affectionen iune, die einen gewissen
Körper treffen (nos corpus quoddam multis modis affici sentimus). Wir empfinden
und percipiren keine anderen Einzelobjecte, als Körper und Modi des Denkens
An einer späteren Stelle folgen Erfahrungssätze, die den Körper betreffen, ins-
besondere über dessen Bestehen aus Theilen, die wiederum zusammengesetzt seien,
und über seine Beziehung zu anderen Körpern, unter dem Namen „Postulate'.
Unter den Lehrsätzen dieses Theiles sind die bemerkenswertesten folgende. Gott
ist eine res cogitans und eine res extensa; cogitatio und extensio sind Attribute
Gottes. In Gott ist mit Notwendigkeit eine Idee Bowohl von seinem Wesen, als
auch von Allem, was aus seinem Wesen mit Notwendigkeit folgt. Alle einzelnen
Gedanken haben Gott als denkendes Wesen, wie alle einzelnen Körper Gott als
ausgedehntes Wesen zur Ursache ; die Ideen haben nicht die Ideata oder pereipirten
Dinge zur Ursache, und die Dinge haben nicht Gedanken zur Ursache. Aber es
*) Dieses »Ausdrücken* (exprimere) ist nicht im bloss subjectiven Sinuc zu
nehmen, der nur der kautischen Doctrin entsprechen würde, nach welcher die Er-
scheinungsweisen der objectiven Realität auf den Formen unseres Bewusstseins
beruhen; nach Sp.s Principien ist es im objectiven Sinne zu nehmen, der freilich
auch nicht rein und klar durchführbar ist, s. unten.
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§ 13. Spinoza.
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folgen auf dieselbe Weise und mit derselben Notwendigkeit die vorgestellten Diuge
aus ihrem Attribute der Ausdehnung, wie die Vorstellungen aus dem Attribute
des Denkens. Die Ordnung und Verbindung der Ideen ist dieselbe wie die Ordnung
und Verbindung der Dinge (Propos. VII: ordo et connexio idearura idem est ac
ordo et connexio rerum); denn die Attribute, aus denen jene und diese mit Not-
wendigkeit folgen, drücken das Wesen Einer Substanz aus. Was aus der unend-
lichen Natur Gottes in der äusseren Wirklichkeit (formaliter) folgt, das alles folgt
aus Gottes Idee in derselben Ordnung und Verbindung im Vorstellen (objoctive).
Ein Modus der Ausdehnung und die Idee desselben sind una eademque res, sed
duobus modis expressa (Eth. II, 7, schol., wo Spinoza hinzufügt: quod quidam
Hebraeorum quasi per nebulam vidisse videntur, Deum, Dei intellectum resque ab
ipso intellectas unum et idem esse; Trendelenburg, hist. Beitr. III, S. 395, vergleicht
hierzu Mos. Maimonides More Nevochim I, c. 68; Arist de anima III, 4; Metaph. XII.
7 und 9). Die Idee einer jeden Weise, wie der menschliche Körper von äusseren
Körpern afficirt wird, muss zwar zumeist die Natur des menschlichen Körpers,
daneben aber auch die Natnr des äusseren, afficirenden Körpers in sich tragen, weil
alle Weisen, wie ein Körper afficirt wird, zugleich aus der Natur des afficirten und
des afficirenden Körpers folgen. Der menschliche Geist fasst daher die Natur sehr
vieler Körper zugleich mit der Natur seines eigenen Körpers auf.*) Vermöge
*) So richtig diese Theorie von Spinozas Grundvoraussetzungen aus entwickelt
ist, so wenig wird doch durch die Fundamentalbegriffe der Grund der Notwendig-
keit der Uebereinstimmung zwischen den Modis des Denkens und der Ausdehnung
wirklich klar, denn wie aus der Einheit der Substanz die Conformität in der Dupli-
cität folge, bleibt unbestimmt. Entweder sind die Modi des Denkens von denen der
Ausdehnung realiter verschieden; dann ist ihre Conformität durch das blosse In-
häriren in der nämlichen Substanz nicht erklärt. Oder sie sind bloss verschiedene
Auffasstingsweisen des nämlichen realen Modus, der an nch nur einer ist, uns aber
zweifach erscheint; dann würde eben diese zweifache Auffassungsweise selbst un-
verständlich bleiben; denn es steht nicht neben der Einen, Alles in sich befassenden
Substanz ein Anderes als das Auffassende, sondern in ihr müsste die Dnplicität der
Auffassung begründet sein, was doch schwerlich der Fall sein könnte, wenn in ihr
nicht realiter die Modi des Denkens von denen der Auffassung verschieden sind.
SpiDOza hat die erste jener beiden möglichen Annahmen am entschiedensten in
seiner früheren Zeit aufgestellt, als er noch eine Wechselwirkung zwischen Aus-
dehnung und Denken, insbesondere ein Bestimmtwerden des Denkens durch äussere
Einwirkungen, für möglich hielt (wie aus dem Tractat. de Deo et hom. etc. hervor-
geht); er hat sich später, als er einen Causalnexus zwischen den Attributen nicht
mehr annahm, durch die oben, S. 97 f., erörterten Sätze und Vergleiche der zweiten
Annahme angenähert. Aber das Nebelhafte, das er älteren Doctrinen vorwirft,
haftet in vollstem Maasse seinem eigenen Ausdruck „duobus modis expressa* an,
der zwischen jenen beiden möglichen Annahmen in einer unklaren Mitte schwebt.
Consequent durchgeführt, ergiebt die erste, falls kein Causalverhältniss zwischen
den Attributen besteht, eine .prästabilirte Harmonie" im leibnizschen Sinne, die
zweite einen „transscendentalen Idealismus" im kantischen Sinne. Der Consequenz
gemäss, die Spinoza anerkennt (Eth. II, propos. 13, schol: „individua omnia,
quamvis diversis gradibus, an im ata tarnen sunt"), müssen alle Dinge bis zu den
Mineralien und Gasen herab an dem Attribute des Denkens, dem jeder einzelne
Gedanke immanent sein soll, unmittelbar da, wo sie selbst realiter sind, theilhabeu,
and nicht bloss mittelst ihrer Bilder im menschlichen Hirn (wie auch von dem
sp.schen Grundgedanken aus G. Th. Fechner Pflanzenseclen, Gestirnseelen und eine
Weltseele annimmt. Bei solcher Allbeseelung aber, die als eine mannigfach ab-
gestufte zu denken ist, bleibt unklar, in welchem Sinne und mit welchem Rechte
die niederen Stufen, unter denen wohl nur die vegetativen und physikalischen Kräfte
verstanden werden können, noch unter das Attribut des Denkens zu subsumiren
seien, da doch sehr wesentliche Merkmule des uns alleiu unmittelbar bei uns selbst
Itekannten bewussten Denkens fehlen, und da zudem die (schopenhauersche) Sub-
sumtion derselben unter den „Willen", wiewohl sie von dem gleichen Einwurf ge-
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106
§ 13. Spinoza.
der Nachwirkung der Eindrücke, die der Körper von aussen, empfangen hat, können
andere Körper, auch wenn sie nicht mehr gegenwärtig sind, immer noch so, als
ob sie gegenwärtig wären, vorgestellt werden. Haben zwei Körper zugleich unsern
Körper afficirt, und wird der eine derselben wieder vorgestellt, so muss wegen der
Ordnung und Verkettung der Eindrücke, die unser Körper empfangen hat, mit dem
einen jener Körper zugleich auch der andere Körper vorgestellt werden.
Mit dem Geiste ist eine Idee des Geistes (das Selbstbewusstsein) auf gleiche
Weise geeinigt, wie der Geist mit dem Körper geeinigt ist. Die Idee des Geistes
oder die Idee der Idee ist nichts Anderes als die Form der Idee, sofern diese als
ein Modus des Denkens ohne Beziehung zu dem körperlichen Object betrachtet
wird. Wer etwas weiss, weiss eben hierdurch auch, das* er es weiss. Der Geist
erkennt sich selbst nur insofern, als er die Ideen der Affectionen des Körpers per-
cipirt. Da die Theile des menschlichen Körpers sehr zusammengesetzte Individua
sind, die zum Wesen des menschlichen Körpers nur in gewissem Betracht gehören,
in anderm Betracht aber durch den allgemeinen Naturzusammenhang bestimmt sind,
so hat der menschliche Geist in sich nicht eine adäquate Kenntniss der seinen Körper
bildenden Theile, noch weniger eine adäquate Kenntniss der Aussendinge, die er
nur mittelst ihrer Wirkungen auf seinen Körper kennt, und auch die Kenntniss
se'iner selbst, die er vermöge der Idee der Idee einer jeglichen Affection des mensch-
lichen Körpers besitzt, ist nicht adäquat. Alle Ideen sind wahr, sofern sie auf Gott
bezogen werden; denn alle Ideen, die in Gott sind, kommen mit ihren Gegenständen
vollkommen überein (cum suis ideatis omnino conveniunt). Jede Idee, die in uns
als eine absolute oder adäquate Idee ist, ist wahr; denn jede derartige Idee ist in
Gott, sofern derselbe das Wesen unseres Geistes ausmacht. Falschheit ist nichts
Positives in den Ideen, sondern besteht in einer gewissen, nicht absoluten Privation
(in cognitionis privatioue, quam ideae inadaequata sive rautilae etconfusae iuvolvunt).
Dem Causalnexus sind die inadäquaten und verworrenen Ideen ebensowohl wie die
adäquaten oder klaren und bestimmten Ideen unterworfen. Von dem, was dem
menschlichen Körper uud den Körpern, die ihn afficiren, gemeinsam und in allen
Thcilen gleichmässig ist, hat der menschliche Geist eine adäquate Vorstellung. Der
Geist ist um so fähiger, viele adäquate Vorstellungen zu bilden, je mehr mit anderen
Körpern Gemeinsames sein, Körper hat; Vorstellungen, die aus adäquaten folgen,
sind auch selbst adäquat. Näher unterscheidet Spinoza drei Arten von Erkennt-
nissen. Unter der Erkenntniss der ersten Art, die er opinio oder imaginatio
nennt, versteht er die Bildung von Perceptiouen uud daraus abgeleiteten allgemeinen
Vorstellungen theils aus Sinneseindrücken durch ungeordnete Erfahrung (experientia
vaga), theils aus Zeichen, insbesondere Worten, welche mittelst der Erinnerung Ima-
troffen wird, doch auch mindestens den gleichen Anspruch auf Gültigkeit erheben
kann. — Unser Afticirtwerdeii ist ein Afficirtw erden unseres Körpers von aussen her;
dieser Vorgang lässt sich nach mathematisch-mechanischen Gesetzen verstehen. Nun
müsste consequentermaassen diesem mechanischen Nexus, welcher dem Attribut der
Ausdehnung angehört, ein Nexus, welcher dem Attribute des Denkens angehörte,
parallel gehen, der unsern Geist mit andern Geistern verbände, ein solcher aber ist
nicht nachweisbar. Üemgemäss lässt sich der Parallelismus nicht durchführen;
Spinoza kommt hier unwillkürlich auf die von ihm principiell abgewiesene Annahme
einer Einwirkung von Modis der Ausdehnung auf Modi des Denkens zurück. Die
durch Spinozas Princip geforderte Gleichmässigkeit zwischen den Beziehungen der
Modi in beiden Attributen bleibt unerreicht; die mechanische Betrachtung (unter
dem „Attribut der Ausdehnung") muss bei der Erklärung des Affectionsprocesses
eine dem Princip widerstreitende Prävaleuz gewinnen, wogegen umgekehrt in der
Lehre von der Herrschaft des Gedankens über den Affect die mechanische Paral-
lele fehlt.
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§ 13. Spinoza.
109
ginationen hervorrufen. Die zweite Erkenntnissart, von Spinoza ratio genannt, liegt
in den adäquaten Ideen von Eigentümlichkeiten der Dinge oder den notiones com-
munes. Die dritte und höchste Art der Erkenntuiss ist die scientia intuitiva, die
der Intellect von Gott besitzt Sie schreitet (wie Spinoza lehrt, indem er die
Dedaction aas den Principien dem die Priucipien erkennenden t'ovt mit vindicirt,
wodurch aber der Unterschied von der ratio unklar wird) von der adäquaten Idee
des Wesens einiger Attribute Gottes zur adäquaten Erkenntniss des Wesens der
Dinge fort. Die Erkenntuiss der ersten Art ist die einzige Quelle der Täuschung,
die der zweiten und dritten lehrt uns das Wahre von dem Falschen unterscheiden.
Wer eine wahre Idee hat, ist zugleich der Wahrheit derselben gewiss. Sicut lux
se ipsam et tenebras manifestat, 8ic veritas norma sui et falsi est. Unser Geist ist,
sofern er die Dinge wahrhaft erkennt, ein Theil des unendlichen göttlichen Intellects
(pars est infinit i Dei intellectus), und es müssen daher seine klaren und bestimmten
Ideen ebenso nothwendig wahr sein, wie die Ideen Gottes. Die Ratio betrachtet
die Dinge, weil sie dieselben so wie sie wirklich sind, betrachtet, nicht als zufällig,
sondern als nothwendig; nur die Imaginatio stellt dieselben als zufällig dar, sofern
Erinnerungen an verschiedenartige Fälle verschiedene Vorstellungen in uns hervor-
treten lassen, und unsere Erwartung schwankt. Die Ratio fasst die Dinge „sub
quadam aeternitatis specie" auf, weil die Nothwendigkeit der Dinge die Notwen-
digkeit der ewigen Natur Gottes ist Ebenso ist die Erkenntniss der dritten Stufe
ein Erkennen unter der Form der Ewigkeit. Die Ratio erkennt die Wesenheiten der
Dinge in ihren einzelnen ihnen mit allen Dingen gemeinsamen Eigenschaften; sie
erkennt diese ewigen Eigenschaften als in Gottes Wesen ruhend. Diese Erkenntniss
heisst demnach auch eine universelle und sie giebt als Wahrheiten allgemeine Be-
griffe. Bei der scientia intuitiva dagegen schaut man das Wesen jedes Einzeldings
als in dem ewigen Wesen Gottes mit Nothwendigkeit gegründet. Es i3t übrigens
der Unterschied zwischen der zweiten und dritten Art der Erkenntniss von Spinoza
nicht zur vollen Klarheit erhoben. Im menschlichen Geiste giebt es, da derselbe
„certuB et determinatus modus cogitandi" ist, keine absolute Willensfreiheit; der
Wille, Ideen zu bejahen oder zu verneinen, ist nicht ein ursachloses Belieben, son-
dern an die Vorstellung selbst gebunden, und wie die einzelnen Willensacte und
Vorstellungen, so sind auch Wille und Intellect, die blosse Abstractionen und nichts
Reales ausser den einzelnen Acten sind, mit einander identisch. (Die cartesianische
Erklärung des Irrthums aus einer über das beschränkte Vorstellen übergreifenden
unbeschränkten Willensfreiheit wird hierdurch aufgehoben.)
Der dritte Theil der Ethik handelt von dem Ursprung und Wesen der
Affecte. Um eine Ethik zu schreiben, müsse mun, meint Sp., vor allen Dingen die
Leidenschaften erklären können. Denn ohne dies serdie menschliche Natur nicht
zu verstehen. Nun sei die menschliche Natur aber nicht ein besonderer Staat im
Staat und nicht eigenen Gesetzen unterworfen, und so könne man nur durch An-
wendung der allgemeinen Gesetze und Regebi der Natur einen Gegenstand derselben
erkennen. Demnach müssten auch die Affecte ebenso behandelt werden wie Körper,
Linien und Flächen, und sie ergäben sich aus derselben Nothwendigkeit der Natur,
wie alles Andere. Unter dem Affect versteht Spinoza solche Affectionen des
Körpers, durch welche seine Fähigkeit, zu handeln, vermehrt oder vermindert, gefördert
oder eingeschränkt wird, und zugleich die Ideen dieser Affectionen. Was die Macht
unseres Körpers, zu wirken, vermehrt oder vermindert, dessen Vorstellung vermehrt
oder vermindert die Denkkraft unseres Geistes. Der Uebergang des Geistes zu
grösserer oder geringerer Vollkommenheit begründet die Affecte Freude und
Traurigkeit; jeue ist der leidende Zustand, in welchem die Seele zu grösserer
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110
§ 13. Spinoza.
Vollkommenheit übergeht (passio, qua mens ad majorem transit perfectiouem), diese
der leidende Zustand, in welchem die Seele zu geringerer Vollkommenheit übergeht
(passio, qua mens ad minorem transit perfectionem). Die Begierde oder das
Verlangen (cupiditas) ist der bewusste Trieb, appetitus cum ejusdem conscientia;
der Trieb aber ist ipsa hominis esseutia, quatenus determinata est ad ea agendum,
quae ipsius conservationi inserviunt. Jedes Ding sucht in seinem Sein zu
beharren (unaquaeque res in suo esse perseverare conatur, Eth. III, Prop. VI).
Dieses Streben bildet das wirkliche Wesen eines Dinges, und so weit es ihm mit
Erfolg nachkommt, hat das Individuum Macht und Tugend. Der ganze Organismus,
auch der des Menschen, geht auf die Erhaltung und Förderung des eigenen Daseins,
und auf diesem Satze baut sich das Weitere in der Ethik bei Sp. auf, indem sich
aus dieser Begierde die Leidenschaften als nothwendige Folgen herleiten lassen.
Diese Begierde wird entweder befriedigt oder gehemmt; wir vervollkommnen ent-
weder unser Dasein oder setzen es herab, und das Bewusstseiu des ersteren ist
Freude, des letzteren Traurigkeit. Diese drei Affecte: cupiditas, laetitia,
tristitia (und nicht die sämmtlichen sechs von Descartes als unreducirbar ange-
nommenen Affecte: Bewunderung, Liebe, Hass, Verlangen, Freude und Traurigkeit),
gelten dem Spinoza als die primären Affecte; alle anderen leitet er aus denselben
ab. Die Liebe z. B. ist Freude, begleitet von der Vorstellung der äusseren Ursache
(amor est laetitia concomitante idea causae exteruae), der Hass ist Traurigkeit,
begleitet von der Vorstellung der äusseren Ursache (tristitia concomitante idea
causae externae); die Hoffnung ist inconstans laetitia, orta ex imagine rei futurae
vel praeteritae, de cujus eveutu dnbitamus, die Furcht inconstans tristitia ex rci
dubiae imagine orta. Die admiratio wird vou Spinoza definirt als rei alicujus
iinngiuatio, in qua mens defixa propteroa manet, qnia haec singularis imaginatio
nullam cum reliquis habet conuexionem, der contemptus als rei alicujus imaginatio,
qnae meutern adeo parum tangit, ut ipsa mens ex rei praesentia magis moveatur ad
ea imaginandum, quae in ipsa re non sunt, quam quae in ipsa sunt; beide aber
lässt Spinoza nicht als eigentliche Affecte gelten.
Aus der Natur der Affecte leitet Spinoza die Gesetze derselben ab, die geradeso
unumstösslich sind, wie die Gesetze der Mechanik. Die Seele liebt das, was ihre
Kraft, zu handeln, vermehrt; sie betrübt sich über die Zerstörung, freut sich über
die Erhaltung desselben. Sie freut sich über die Zerstörung dessen, waB sie hasst :
doch ist dieses Gefühl mit der Traurigkeit untermischt, welche sich uothwendig an
die Zerstörung des uns Aehnlichen knüpft. Wir hassen den, der da«* von uns Ge-
hasste erfreut; wir lieben den, der es betrübt. Das Mitleid ruht auf demselben
Fundament, wie der Neid etc. Ausser der Freude und dem Begehren, welche
Fassionen sind, giebt es andere Affecte der Freude und des Begehrens, die auf
uns. sofern wir hundein, sich beziehen, also Actionen sind: Affecte der Traurigkeit
aber sind niemals Actionen. Alle Actionen, die aus Affecten folgen, welche auf
den Geist als intelligentes Wesen bezogen sind, subsumirt Spinoza unter den Begriff
fortitudo und theilt die fortitudo in animositas und generositas ein; jene sei das
Streben, das eigene Sein vernunftgemäss zu wahren, diese das Streben, vernunft-
gemäss die andern Menschen zu unterstützen und sich zu Freunden zu machen. Im
Allgemeinen bemerkt Spinoza, die Namen der Affecte seien mehr ex eorum vulgari
usu als auf Grund genauer Kenntnis« derselben erfunden worden.*)
*) Bei einigen dieser Definitionen, z. B. bei der die Rücksicht auf das Gefühl
des Andern nicht in sich schliessenden Definition der Liebe (während Spinoza die
Miscricordia als die Freude aus dem Wohl des Andern und die Trauer wegen des
Leids des Andern definirt). kann man zweifeln, ob sie „analytisch", d. h. durch Zer-
gliederung des im allgemeinen Bewusstseiu gegebenen Begriffs und dem allgemeinen
§ 13. Spinoza.
111
Der vierte Theil der Ethik handelt von der menschlichen K uech tschaft
(de Servitute bumana worunter Spinoza die menschliche Impotenz in der I^enkung
und Einschränkung der Affecte versteht. Der den Affecten unterworfene Mensch
ist nicht in seiner Macht, sondern in der Macht der äusseren Umstände oder des
Geschickes (fortuna) und oft genothigt, während er das Bessere sieht, das Schlechtere
zu vollziehen. Die Betrachtungen dieses Theiles ruhen besonders auf den Definitionen
des Gutes und des Uebels. Unter Gut versteht Sp. das, wovon wir sicher wissen,
dass es uns nützlich sei, unter Uebel, wovon wir sicher wisseu, dass e« uns daran
hindert, eines Gutes theilhaftig zu werden (per bouum id intelligam, quod certo
seimus nobis esse utile, per malum autem id, quod certo seimus impedire, qno
minus boni alicujus simus compotes). Das utile aber bestimmt Spinoza als Mittel,
um das Ideal der menschlichen Natur, das wir uns vorsetzen, mein* und mehr zu
erreichen. Die Begriffe bonum und malum bezeichnen nicht etwas Absolutes, das
in den Dingen wäre, sofern dieselben an und für sich betrachtet werden, sondern
sind relative Begriffe, die sich aus der Reflexion auf die Beziehung der Dinge zu
einander ergeben. S. auch den Anhang zu dem I. Buch der Ethik, wo es heisst:
Nachdem die Menschen sich davon überzeugt hatten, dass Alles, was geschehe,
ihretwegen geschehe, so mussten sie überall das für das Vorzüglichste halten, was
ihnen das Nützlichste war, und alles das am höchsten schätzen, von dem sie am
angenehmsten berührt wurden. Daraus bildeten sich die Begriffe, nach welchen sie
die Natur der Dinge erklärten als: Gut, Schlecht, Ordnung, Unordnung, Warm.
Kalt, Schönheit, Häuslichkeit n. s. w. Aus dem Axiome: es giebt nichts Einzelnes
in der Natur, das uicht durch ein Anderes an Kraft übertroffen würde, folgt, daes
der Mensch, der als Einzelwesen ein Theil der gesammten Natur, und dessen Macht
ein endlicher Theil der unendlichen Macht Gottes oder der Natur ist, nothwendig
Passionen unterworfen ist, d. h. in Zustände kommt, von denen er nicht selbst die
volle Ursache ist, und. deren Gewalt und Wachsthum durch das Verhältniss der
Macht der äusseren Ursache zu seiner eigenen Macht bestimmt wird. Der Aflect
kann nur durch einen stärkeren Affect überwunden werdeu, daher nicht durch die
wahre Erkenntniss des Guten und Bösen, sofern dieselbe wahr ist, sondern nur,
sofern dieselbe zugleich ein Affect der Lust oder Traurigkeit, und sofern sie als
solcher mächtiger als der entgegenstehende Affect ist. Mit Notwendigkeit strebt
eiu Jeder nach dem, was ihm nützlich ist, und da die Vernunft nichts Wider-
natürliches fordert, so fordert sie, das Jeder das erstrebe, was ihm wirklich nützlich
sei zur Erhaltung seines Seins und zur Erlangung grösserer Vollkommenheit. Was
wir für gut und nützlich halten, um ein vernünftiges Leben zu führen, das dürfen
wir in Besitz nehmen und gebrauchen. Was wir aber für ein Uebel ansehen, Alles,
was uns hindert, ein vernünftiges Leben zu führen, das dürfen wir von uns abhalten.
Spruchgebrauehe gemäss, oder „ synthetisch", d. h. durch freie Verknüpfung irgend
eines nach dem Bedürfniss des Systems gestalteten Begriffs mit einem gegebenen
Namen, gebildet seien, und ob im letzteren Falle nicht mitunter solches, was nur
im Sinne dieser Definitionen gelte, auf die durch den Sprachgebrauch an die glei-
chen Worte geknüpften Begriffe paralogistisch übertragen worden sei. Doch liegt
unleugbar in der aufmerksamen und freisinnigen Erforschung des Wesens der
Affecte und ihrer gegenseitigen Verhältnisse ein grosses Verdienst des spiuozisti-
schen Werkes. Johannes Müller hat in seine „Phvsiologie des Menschen" (Bd. II,
Gobienz 1840, S. 543-548) die Hauptsätze des dritten Theiles der , Ethik" unter
dem Titel: „Lehrsätze von Spinoza über die Statik der Gemütsbewegungen" auf-
genommen, mit dem (Spinozas eigener Lehre gemässeu I Bemerken, dass diese Statik
bloss insofern ein notwendiges Gesetz ausspreche, als der Mensch allein von Leiden-
schaften bewegt gedacht werden könne, dass sie dagegen durch die Vernunft des
Menschen modificirt werde.
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112 § 13. Spinoza.
Ueberhaupt ist nach dem höchsten Rechte der Natur Jedem das zu thun erlaubt,
was nach seiner Meinung zn seinem Nutzen beitragt. Aus dem Selbsterhaltungs-
trieb ergiebt sich nun, dass der Geist, sofern er vernünftig denkt, nichts für nützlich
hält, als was zum richtigen Erkennen beiträgt Denn wenn sich der Selbsterhaltungs-
trieb rein entwickelt, so fordert er ja nichts Anderes, als Ausübung derjenigen
Thatigkeit, welche aus dem Wesen des Geistes mit innerer Notwendigkeit folgt.
Das ist aber das richtige Erkennen, und aus dem Streben hiernach geht die Tugend
hervor. Also die Dinge sind insoweit gut, als sie dem Menschen zur wahren Er-
kenntuiss verhelfen, und Uebel sind sie, wenn sie den Menschen hindern, die Ver-
nunft zu vervollkommnen. Aber die Vernunft vervollkommnen ist nichts Anderes,
als Gott, seine Attribute und seine Handlungen, die aus seiner Natur mit Not-
wendigkeit folgen, einsehen, und so ist das höchste Ziel des Menschen, sich selbst
und Alles, was unter seine Einsicht fallen kann, adäquat aufzufassen. Erkeuntniss
ist nicht nur Macht, sondern auch Tugend und Glückseligkeit. Beatitudo nihil
aliud est quam ipsa animi acquiescentia, quae ex Dei intuitiva cognitione oritur.
So spielt das clare et distincte percipere des Descartes auch bei Sp. eine sehr
wichtige Rolle. Die Leidenschaft aber ist eine Verworrenheit des Bewusstseins,
wir erkennen, von ihr befangen, nicht klar und deutlich, wir sind blind, leiden
unter ihr, stehen in Knechtschaft und erfüllen unser Wesen nicht Aus diesem
Zustand müssen wir in den Stand der Freiheit zu gelangen suchen. Uebrigeus
giebt es für den Menschen nichts Nützlicheres zur Erhaltung seines Daseins und
zu dem Genuss eines vernünftigen Lebens als einen von der Vernunft geleiteten
Menschen, und darum streben die Menschen, die durch die Vernunft geleitet werden,
d. h. die der Vernunft gemäss ihren Nutzen suchen, nichts für sich zu erlangen,
was sie nicht auch für die übrigen Meuschen begehren, und sind darum gerecht,
treu und ehrbar. Der durch die Vernunft geleitete Mensch ist in höherem Grade
frei in einem Staate, in welchem er nach gemeinsamem Gesetze lebt, als in einer
Vereinzelung, in welcher er nur sich selbst gehorcht. Wiewohl es nun Vernunft -
gemäss ist, dem Leidenden zu helfen, so ist das Mitleid als eine schmerzliche
Empfindung, die nur auf Kosten der klaren Erkenntniss stattfinden kann, doch zu
verwerfen, ebenso die Reue, welche zu den schlechten Handlungen, die ohnedies
schon den Menschen leiden lassen, auch noch die Zerknirschung, also noch mehr
Elend, hinzufügt.
In dem fünften Theile der Ethik handelt Spinoza von der Macht des
Intellects oder von der menschlichen Freiheit, indem er zeigt, was die Vernunft
oder der adäquate Gedanke über die blinde Kraft der Affecte vermöge. Der Affect
ist als passio eine verworrene Vorstellung; sobald wir aber von demselben eine
klare und bestimmte Vorstellung bilden, was stets möglich ist, hört derselbe auf,
eine Passion zu sein. In der wahren Erkenntniss der Affecte liegt daher das beste
Heilmittel gegen dieselben. Je mehr der Geist alle Dinge als nothwendig erkennt,
um so weniger leidet er von den Affecteu. Sie kommen in unsere Gewalt, werden
machtlos und wir freier. Wer sich und seine Aflfecte klar und bestimmt erkennt
freut sich dieser Erkenntniss, da Bie uns zu grösserer Vollkommenheit bringt, unsern
ursprünglichen Trieb befriedigt, unser Wesen erfüllt, und diese Freude wird von
der Gottesvorstellung begleitet da jede klare Erkenntniss diese Vorstellung involvirt;
denn es wird dann jedes Ding auf seine letzte Ursache, auf Gott, bezogen. Je
deutlicher wir die Dinge erkennen, um so deutlicher wird Gott selbst begriffen. Die
von der Vorstellung der Ursache begleitete Freude aber ist Liebe; wer also sich
und seine Affecte klar erkennt liebt Gott, und zwar um so mehr, je vollkommener
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§ 13. Spinoza.
seine Erkenntaiss ist. Diese Gottesliebe muss, weil sie mit der Erkenntniss aller
Affccte verbanden ist, den Geist zumeist erfüllen. Diese Liebe ist unter allen
Affecten der mächtigste; neben ihr kann vermöge des Gleichgewichts kein anderer
bestehen. Hiermit ist alles Leiden ausgeschlossen, dann ist im Menschen nur Freude
ohne Trauer, nur Liebe ohne Ilass. Gott ist frei von allen Passionen, weil alle
Ideen als Ideen Gottes wahr, also adäquat sind, und weil Gott nicht zu höherer
oder geringerer Vollkommenheit übergehen kann; Gott wird also nicht durch Freude
oder Traurigkeit afficirt, also auch nicht durch Liebe und Haas. Niemand kann
Gott hassen, weil die Gottesvorstellung als adäquate Idee nicht von Traurigkeit
begleitet sein kann. Wer Gott liebt, kann nicht nach Gottes Gegenliebe begehren;
denn er würde dadurch begehren, dass Gott nicht Gott wäre. Die Fähigkeit des
Geistes zur Imagination und zur Wiedererinnerung ist an die Dauer des Körpers
gebunden. In Gott giebt es jedoch, weil derselbe nicht bloss die Ursache der
Existenz, sondern auch des Wesens (der essentia) ist, nothwendig eine Idee, welche
das Wesen des einzelnen menschlichen Körpers unter der Form der Ewigkeit (sub
specie aetenütatis) ausdrückt. Der menschliche Geist kann demnach nicht mit dem
Körper völlig zerstört werden, sondern etwas Ewiges bleibt von ihm zurück. Die
Idee, welche das Wesen (essentia) des Körpers unter der Form der Ewigkeit aus-
drückt, ist ein bestimmter Modus des Denkens, der zum Wesen des Geistes (ad
mentis essentiam) gehört und nothwendig ewig ist. Aber diese Ewigkeit kann
nicht durch das Maass der Dauer in der Zeit bestimmt werden; wir können uns
daher nicht einer Existenz vor dem Dasein unseres Körpers erinnern. Nichtsdesto-
weniger fühlen uud erfahren wir uns als ewig und zwar durch die Augen des
Geistes, die Demonstrationen. Dauerndes Bestehen innerhalb gewisser Zeitgreuzen
kann unserm Geiste nur insoweit zugeschrieben werden, als er die actuelle Existenz
des Körpers involvirt; nur insoweit hat er die Macht, die Dinge unter der Form
der Zeit aufzufassen. Das höchste Streben des Geistes und seine höchste Tugend
ist, die Dinge zu begreifen durch die höchste Art der Erkenntniss (die Spinoza im
zweiten Theil der Ethik als tertium cognitionis genus bezeichnet hat), welche von der
adäquaten Vorstellung gewisser göttlicher Attribute zur adäquaten Erkenntniss des
Wesens der Dinge fortgeht. Je befähigter der Geist ist, auf diese Weise zu
erkennen, um so mehr begehrt er nach solcher Erkenntniss, und es entspringt aus
derselben seine höchste Befriedigung. Soweit unser Geist sich und seinen Körper
unter der Form der Ewigkeit auffasst, hat er mit Nothwendigkeit die Gottes-
erkenntuiss und weiss, dass er in Gott ist und durch Gott gedacht wird; diese Art
der Erkenntniss hat den Geist, sofern er ewig ist, zur Ursache, und die intellectuelle
Liebe Gottes (amorDei intellectualis), die daraus entspringt, ist ewig. Jede andere
Liebe dagegen sammt allen Affecten, welche Passionen sind, ist gleich der Imagination
an den Bestand des Leibes gebunden und nicht ewig. Gott liebt sich selbst mit
unendlicher intellectueller Liebe; denn die göttliche Natur erfreut sich unendlicher
Vollkommenheit, welche von der Selbstvorstellung als der Vorstellung der Ursache
begleitet ist (welche Aeusserung Spinozas für spcculative Constructionen der
christlichen Dreieiuigkeit als ursächliches Sein, Selbstbewusstsein und Liebe in
Gott als Anknüpfungspunkt dienen konnte und gedient hat). Die intellectuelle
Liebe des Geistes zu Gott ist Gottes Liebe selbst, durch welche Gott sich selbst
liebt, nicht sofern er unendlich ist, sondern sofern er durch das unter der Form
der Ewigkeit betrachtete Wesen des menschlichen Geistes erklärt werden kann,
d. h. die intellectuelle Liebe des Geistes zu Gott ist ein Theil der unendlichen
Liebe, mit welcher Gott sich selbst liebt (wie der menschliche Intellect ein Theil
des unendlichen göttlichen Intellectes ist). Sofern Gott sich selbst liebt, liebt er
die Menschen; die Liebe Gottes zu den Menschen und die intellectuelle Liebe des
lipborweg-Hpimo, Urutidriss Dt 7. Anfl. g
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114
§ 14. Locke.
Geistes zu Gott sind identisch. Unser Heil oder unsere Glückseligkeit oder unsere
Freiheit besteht in der bestandigen und ewigen Liebe zu Gott oder der Liebe
Gottes zu den Meuscheu. Diese Liebe ist unaufhebbar. Je mehr der Geist von
ihr erfüllt ist, um so mehr Unsterbliches ist in ihm. Der ewige Theil des Geistes
ist der Intellect, durch den allein wir uns activ verhalten, der untergehende ist
die Imagination, durch die wir Passionen unterworfen sind; also ist der ewige
Theil des Geistes der bessere. Auch wenn wir nicht wüssten, dass unser Geist
ewig sei, so müssteu wir doch die Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit, wie alles
Edle, für das Höchste erachten. Beatitudo non est virtutis praemium, sed ipsa
virtus, uec eadem gaudemus, quia libidines coercemus, sed contra, quia eadem
gaudemus, ideo libidines coercere possumus.
So ist in der Ethik von Sp. der Weg zu dem Ziele gezeigt, zu dem Ziele, das
schon in dem Tractat. de Deo et nomine und in dem Tractat. de intellectus emendatione
ins Auge gefasst war. Wenn auch der Weg, meint Sp., sehr schwierig erscheine,
so könne er doch gefunden werden. Und freilich müsse er beschwerlich sein, da
er so selten gefunden werde. Denn wie wäre es sonst möglich, dass, wenn das Ziel
so mühelos zu ergreifen wäre, es fast vou Alleu ausser Acht gelassen würde? „Aber
alles Erhabene ist ebenso schwer als selten." Hiermit schliesst die Ethik, nachdem
Spinoza mit der intellectuellen Liebe zu Gott die volle Mystik in seinen Rationalismus
aufgenommen hat.
§ 14. John Locke (1632—1704) sucht in seinem Hauptwerke,
dem „Versuch über den menschlichen Verstand*4, den Ursprung
der menschlichen Erkenntniss zu ermitteln, um dadurch die Grenzen
und das Maass der objectiven Gültigkeit derselben zu bestimmen.
Er verneint die Existenz von angeborenen Vorstellungen und Sätzen.
Der Geist ist ursprünglich ohne Inhalt. Alle Erkenntniss stammt
theils aus der Sensation oder sinnlichen Wahrnehmung, theils
aus der Reflexion oder inneren Wahrnehmung her. Jene ist
die Auffassung der äusseren Objecte mittelst der äusseren Sinne, diese
ist die Auffassung der psychischen Vorgänge durch den innern Sinu.
Die verschiedenen Elemente der sinnlichen Wahrnehmung stehen in
verschiedenem Verhältniss zu der objectiven Realität. Ausdehnung,
alle räumlichen Bestimmungen, Undurchdringlichkeit, kommen auch
den Objecten an sich selbst zu; Farbe und Ton aber, überhaupt die
Empfindungsqualitäten, sind nur in dem pereipirenden Subjecte und
nicht in dem Objecte an sich selbst, sie sind nur Zeichen, nicht
Abbilder von räumlichen Vorgängen, die in den Objecten stattfinden.
Durch die innere Erfahrung oder Reflexion erkennen wir unser Denken
und Wollen. Durch die äusseren Sinne und den inneren Sinn zu-
gleich erhalten wir die Ideen der Kraft, der Einheit und andere.
Aus den einfachen Ideen bildet der Verstand durch Combination
die zusammengesetzten (complexen) Ideen. Diese sind theils
Ideen von Modis, theils von Substanzen, theils von Relationen.
Wenn wir mehrere Modi beständig mit einander verbunden linden,
so setzen wir eine Substanz oder ein Substrat, dem sie inhäriren, als
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§ 14. Locke. 115
ihren Träger voraus; doch ist dieser Begriff dunkel und von geringem
Nutzen. Das Princip der Individuation ist die Existenz selbst; die
von den Aristotelikern sogenannten zweiten Substanzen oder die
Gattungen sind nur unsere subjectiven Zusammenfassungen vieler ein-
ander gleichartigen Individuen mittelst der Bezeichnung durch das
nämliche Wort, und Locke vertritt so den entschiedenen Xominalismus.
Die Erkenntniss ist die Wahrnehmung der Verbindung und Ueber-
einstimmung oder der Nichtübereinstimmung und des Widerstreits
einiger unserer Vorstellungen, nach den vier Verhältnissen der Iden-
tität oder Verschiedenheit, der Beziehung, der Coexistenz und der
realen Existenz. Vernunftmässig sind Sätze, deren Wahrheit wir durch
Untersuchung und Entwickelung der Begriffe, die aus Empfindung und
Reflexion entspringen, entdecken können, z. B. die Existenz eines
Gottes; über die Vernunft hinausgehend sind Sätze, deren Wahrheit
oder Wahrscheinlichkeit wir auf diesem Wege nicht entdecken können,
z. B. die Auferstehung der Todteu ; auf solche Sätze geht der Glaube.
Gegen die Vernunft sind Sätze, die mit sich selbst streiten oder mit
klaren und deutlichen Begriflen unvereinbar sind, z. B. die Existenz
mehrerer Götter, derartige Sätze können nicht offenbart sein und
nicht geglaubt werden. Für das Dasein Gottes führt Locke den kosmo-
logischen Beweis. Dass die Seele immateriell sei, ist ihm wahr-
scheinlich, aber das Gegentheil nicht undenkbar. Sein Moralprincip
ist die Glückseligkeit.
John Talloch, rational theology and Christian philosi»phy in England in the
I7th Century. 2 vol., Lond. 1872. Ueb. das 18. Jahrh. s. Lcslie Stephen, History of
English thöught in the XVIII. Cent.. Lond. 1876. Ueber die englische Philo», seit
Locke, auch üb. d. Vorgänger Locke« zu vergl. Appendix I, the philosophy in Great
Britain and America von Noah Porter, in der englisch, üebersetzung dieses Grund-
risses v. Geo. S. Morris, Vol. II, New-York 1875. In diesem Anhang finden sich auch
sehr reiche Litteraturangaben.
Locke« Hauptwerk: An essay concerning human understanding, in four
book«, erschien zuerst London 1690, dann 1(594, 1697, 1700, 1705 und bis auf die neueste
Zeit hin sehr häufig, nach der vierten Ausg. unter Mitwirkung des Verfassers ins
Kranz, übersetzt von Coste. Amst. 1700. 1729 n. ö., lat. von Burridge, London 1701
u. ö., von G. H. Thiele, Lips. 1731, holländ. Amst. 17.56, deutsch von H. K. Poley,
Altenb. 1757, im Auszuge von G. A. Tittel, Mannh. 1791, vollständig von W. G.
Tennemann nebst Abh. üb. d. Kmpirism. in d. Philos., Lpz. 1795—97 u. von J. H.
v. Kirchmann in d. .philos. Bibl.", 1872, 1873. Die Schrift: Thoughts on education,
Lady Masham gewidmet, erschien Lond. 1693 u. ö., franz. von Coste, Amst. 1705
u. ö., deutsch von Rudolph), Braunschw. 1788, von M. Schuster in d. von K. Richter
hrsg. ,pädag. Bibliothek", Lpz. 1872. Reasonableness of Christianity, as delivered
in the Scriptures, Lond. 1695; Posthumous Works, Lond. 1706, darunter auch : Conduct
of understanding, nicht ganz vollendet, zuletzt unter dem Titel: Leitung des Verstandes,
ins Deutsche übersetzt von Jürg. B. Meyer, Philos. Biblioth. 1883; Oeuvres diverses de
lx>cke, Rott. 1710, Amst. 1732. Die sämmtlichen Werke sind Lond. 1714, 1722 u. ö.,
eine Ergänzung derselben u. d. T.: Collection of several pieces of J. Locke ist Lond.
1720 erschienen. Lockes sämmtliche Werke sind in 9 Bd., Lond. 1853, Lockes philos.
Werke durch St. John in 2 Bd., Lond. 1854, hrsg. worden.
Ueber Lockes Leben handelt Lockes Freund Jean Leclerc in seinem Eloge
historique im 6. Bd. seiner Bibliotheque choisie (wiederabg. im 1. Bd. der Oeuvres
diverses de Locke, in Heumanns Acta philos. VI, S. 975 u. ö.) auf Grund von Mit-
8»
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§ 14. Locke.
theilungcn Lockes und des Grafen von Shaftesbury und der Frau Mashain. In neuerer
Zeit hat insbesond. Lord King e. Biogr. Lockes verfasst, Lond. 1829, und H. R. Fox
Bourne, the life of J. L., 2 vol., Loudon 1876. Seine Doetrin wurde gleich nach dem
Erscheinen seiner Schriften in manchen Gegenschriften bekämpft, gewann aber in
Britaunien, Frankreich, Holland, Deutschland etc. bis gegen das Ende des IS. Jahrh.
einen wachsenden Einfluss. Die bedeutendste Schrift geg. den Essay concerning human
understanding ist die umfassende Kritik desselben durch Leibniz: Nouveaux essais sur
l'entendement humain (s. unten § 18). Von den Schriften üb. Locke aus neuerer Zeit
mögen hier folgende erwähnt sein: Tagart, L.s Writings and philos., Lond. 1855.
Benj. H. Smart, thought and language, an e&say having in view the revival, correction,
and exclusive establishment of L.s philos., 1855. Th. E. Webb, the intellectualism of
L., Lond. 1858. J. Brown, L. and Sydenham, Lond. and Edinb., 2. ed. 1859, 3. ed.
1866. Vict. Cou -tu, la philos. de L., 6. ed., Paris 1863. John L., seine Verstandes-
theorie u. s. Lehr. üb. Rclig., Staat u. Erzieh., psycho!. -bist, dargesl. von Em. Schärer,
Lpz. 1860. G. Hartenstein, L.s Lehre v. d. menschl. Erkenntnis« in Vgleichg. mit
Leibniz' Kritik derselb., Lpz. 1565, jetzt auch in H.s hist.-philos. Abb., Lpz. 1870.
M. W. Drobisch, über L., den Vorläufer Kants, in: Zeitsehr. f. ex. Ph. II, 1861,
S. 1—32. E. Fritsche, John L.s Ansichten üb. Erzieh., Naumb. 1866. S. Turbiglio,
Analisi storica delle filos. di L. e di Leibniz, Torino 1867. Rieh. Quäbicker, L. et
Leibnitii de cognit. hum. sent., diss. inaug., Hai. 1868. Em. Strötzel, z. Kritik der
Erkenntnisslehre v. John L., Inaug. Diss., Berl. 1869. Geo. v. Benoit, Darstellg. der
L.schen Erkenntnisslehre, verglich, m. d. Leibnizscben Kritik derselb., Preisschr., Bern
1869. Frdr. Herbst, L. u. Kant, Rostock, Prom.-Schr., Stett. 1869. Max Kissel, de
ratione quac L. inter et Kantii placita intercedat, comm., Rost. 1869. T. Ziemba, L. u.
a. Werke n. d. f. d. Phil, interessantest. Momenten. Diss., Lemberg 1870. J. Peters,
John L. als pädag. Schriftst, in N. Jahrbüch. f. Philol. u. Päd., Bd. 106, 1872,
S. 113—139, Horrigs Arch. f. n. Spr„ Bd. 50, 1872, S. 347—380, auch als Rostock.
Prom.-Schr., Lpz. 1872. D. Burger, L.s bewijs voor het bestaan van God, Amersfoort
1872. Rob. Cleary, an analysis of L.s essay on the hum. understand., Dubl. 1873.
T. Becker, de pbilosophia Lockii et Humii, Spinozismi fruetu, Critii ismi germine, In.
Diss., Halle 1875. O. Dost, die Logik John Lockes im Zusammenhang mit seiner
Philos., Plauen 1877. Marion, Locke d'apres des documents nouveaux, in: Revue
philosophique, T. V, 1878. A. de Fries, die Substanzen!. J. Lockes mit Bezieh, auf
d. carte8ian. Philos. krit. entwickelt u. unters., Bremen 1879. Thom. Fowler, Locke,
Lond. 1880. R. Palm, Wie begründet Locke die Realität der Erkenntnis»? Jena 1881.
Edm. Koenig, üb. d. Substanzbegr. b. Locke u. Humc, I. D., Lpz. 1881. Beruh. Münz,
Lockes Ethik, in: Philos. Monatsh. 1883, S. :>44— 354. Herrn. Winter, Darlegung u.
Krit. der lockeschen L. vom empir. Ursprung der sittl. Grundsätze, 1. D., Bonn 1884.
Theod. Loewy, Common sensibles. Die Gcmein-Ideen des Gesichts- und Tastsinns nach
Locke u. Berkeley u. Experimenten an operirt. Blindgeborenen, Lpz. 1884. George
W. Manly, Contradictions in Locke's Theory of Knowledge, Lpz. 1885. Giuseppe
Tarantino, Giovanni Locke, studio storico, Milano-Torino 1886. Mac Cosh, L.s theory
of knowledge, with a notice of Berkeley, Lond. 1886. J. Gavanescul, Versuch einer
zusammenf. Dam. der pädagog. Ansichten J. Ls in ihr. Zusammenh. mit s. philos. System,
Berl. 1887. R. Sommer, L.s Verh. zu Descartes, Berl. 1887. Geo. Geil, üb. d. Ab-
hängigk. L.s v. Descartes, Strassb. 1887. Ed. Martinak, zur Logik L.s, Graz 1887.
John Locke, Sohn des Rechtsgelehrten John Locke, wurde am 29. August
1632 zn Wrington (fünf Meilen von Bristol) geboren. Er stndirte in dem College
von Westminster und später (seit 1651) in dem Christchurch-College zn Oxford.
Mit Vorliebe trieb er naturwissenschaftliche und medicinische Studien. Die
scholastische Philosophie Hess ihn unbefriedigt; die Schriften des Descartes zogen
ihn an durch ihre Klarheit and Bestimmtheit und darch ihren Anschluss an die
selbständige neuere Naturforschung. Im Jahre 1665 begleitete er als Legations-
secretair den englischen Gesandten Sir Walter Vane an den brandenburgischen Hof
und lebte zwei Monate lang in Cleve. Nach England zurückgekehrt, beschäftigte er
sich mit naturwissenschaftlichen, insbesondere mit meteorologischen Untersuchungen.
In Oxford wurde er 1667 mit Lord Ashley, spätcrem Earl of Shaftesbury, bekannt,
in dessen Hause er seitdem eine Reihe von Jahren hindurch als Arzt und Freund
gelebt hat. Im Jahre 1668 begleitete er den Earl von Northumberlnnd auf einer
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§ 14. Locke.
117
Reise durch Frankreich and Italien. Dann leitete er im Hause des Grafen von
Shaftesbury die Erziehung von dessen (damals sechzehnjährigem) Sohne. Die
Grandzüge des „Versuchs über den menschlichen Verstand" hat Locke 1670 ent-
worfen, denselben jedoch erst nach wiederholter üeberarbeitung veröffentlicht. Als
sein Gönner 1672 Lordkanzler von England wurde, erhielt Locke von ihm das Amt
eines Secretary of the presentation of benefices, das er im folgenden Jahr, als der-
selbe in Ungnade fiel, wieder verlor. In den Jahren 1675- 79 lebte Locke in
Frankreich, vorzugsweise in Montpellier im Umgange mit Herbert, dem späteren
Earl of Pembroke, dem er seineu Versuch über den menschlichen Verstand ge-
widmet hat, auch in Paris im Verkehr mit wissenschaftlich hervorragenden Männern.
Als Shaftesbury 1679 Conseils-Präsident geworden war, rief er Locke nach England
zurück. Nachdem aber Shaftesbury, wegen seines Widerstandes gegen absolutistische
Tendenzen des Königs aufs Neue seines Amtes enthoben, in den Tower geworfen
worden war, dann, in dem Process, den der Hof gegen ihn eingeleitet hatte, durch
die Jury freigesprochen, sich nach Holland begeben hatte, wo ihn der Statthalter,
Prinz Wilhelm von Uranien, günstig aufnahm, folgte Locke ihm gegen Ende des
Jahres 1683 nach und lebte zuerst in Amsterdam, dann, als durch die englische
Regierung seine Auslieferung gefordert wurde, abwechselnd in Utrecht, Cleve und
Amsterdam, bis er 1688 in Folge der Revolution, durch welche Prinz Wilhelm von
Oranien den englischen Thron erhielt, nach England zurückkehren konnte, wo er die
Stelle eines Commissioner of appeals, später eines Commissioner of trade and
plantages erhielt. Im Jahr 1685 veröffentlichte Locke seinen ersten Brief für
Toleranz (anonym), 1689 den zweiten und dritten. Der „Versuch über den mensch-
lichen Verstand- ward 1687 beendet, im folgenden Jahr ein von Locke angefertigter
Auszug durch Leclerc (Clericus) ins Franz. übersetzt und in dessen Bibl. univers.
VIU, S. 49—142 veröffentlicht, 1689—90 das Werk selbst zuerst gedruckt. Anonym
liese Locke 1689 zwei Abhandlungen „Ueber die bürgerliche Regierung" erscheinen,
zur Rechtfertigung der vollzogenen Staatsumwälzung bestimmt und, wie bereits
Algernon Sidneys (gest. 1683) Discourses concerning government (die jedoch Locke
nicht näher kannte), gegen die Doctrin des Robert Filmer gerichtet, dass der König
die patriarchalische Allgewalt von Adam geerbt habe. Drei kleine Schriften über
das Münzwesen erschienen ebenfalls im Jahr 1689. Die Schrift über Erziehung,
welche Rousseau für seine pädagogischen Ansichten stark benutzt hat, erschien
1693. Die Schrift „über die Vernunftmässigkeit des Christeuthums, wie es in der
Schrift überliefert isf, die auf Voltaire bedeutenden Einfluss ausgeübt hat, wurde
1695 veröffentlicht. Seine letzten Lebensjahre brachte Locke grössteutheils in Oates
in der Grafschaft Essex im Hause des Sir Francis Masham zu, dessen Gemahlin
eine Tochter Cudworths war. Er starb hier im 73. Jahre seines Lebens am
28. October 1704.
Locke bezeichnet als den Gegenstand und Zweck seines Essay concer-
ning human understanding (I, 1, 2 und 3) .eine Untersuchung über den
Ursprung, über die Gewissheit und den Umfang der menschlichen Erkenntnis«, über
die Gründe und Grade des Glaubens, der Meinung und des Beifalls". Er will «die
Art und Weise, wie der Verstand zu seinen Begriffen von Objecten gelangt, erklären,
den Grad der Gewissheit unserer Erkenntnis« bestimmen, die Grenzen zwischen dem
Meinen und Wissen erforschen und die Grundsätze untersuchen, nach welchen wir
in Dingen, wo keine gewisse Erkenntniss stattfindet, unsern Beifall und unsere
Ueberzeugung bestimmen sollten". Er erzählt (in der Vorrede), dass, da einige
seiner Freunde bei einer philosophischen Disputation zu keinem Resultate gelangen
konnten, er auf den Gedanken gekommen sei, dass eine Untersuchung, wie weit das
Vermögen des Verstandes reiche, welche Objecte in seiner Sphäre und welche jenseits
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§ 14. Locke.
Beine- Gesichtskreises liegen, allen anderen philosophischen Forschungen voran-
gehen müsse.
In dem ersten Buche der Untereachung über den menschlichen Verstand sucht
Locke darzuthun, dass es keine angeborenen Erkenntnisse gebe, offenbar in
bewusster Polemik gegen Descartes' etwas unklar gehaltene Lehre von den ideae
innatae (s. ob. S. 71 ff.).
In unserem Verstände sind Ideen (welchen Ausdruck Locke mit Vorstellung,
notio, als gleichbedeutend gebrauchen zu wollen erklärt). Jeder Mensch findet Vor-
stellungen in seinem eigenen Bewusstaein, und die Worte und Handlungen anderer
Menschen beweisen, dass solche auch in ihrem Vorstellungsvermögen vorkommen.
Wie kommen nun diese Ideen in den Verstand?
Es giebt eine Meinung, wonach in dem Verstände gewisse augeborne Grund-
sätze, ursprüngliche Begriffe angetroffen werden, indem gewisse Schriftzüge
(Characters) demselben eingeprägt seien, welche die Seele mit sich in die Welt
bringe. Diese Meinung Hesse sich zwar durch den blossen Nachweis, wie alle Arten
unserer Vorstellungen mittelst des Gebrauchs unserer natürlichen Kräfte wirklich
entstehen, für den uneingenommenen Leser hinreichend widerlegen; doch müssen,
da jene Meinung sehr verbreitet ist, auch die Gründe, auf welche ihre Vertheidiger
sich stützen, geprüft und die Gegengründe augegeben werden.
Das wichtigste Argument der Vertheidiger jener Meinung liegt darin, dass
gewisse theoretische und praktische Grundsätze allgemein für wahr gehalten werden.
Locke bestreitet sowohl die Wahrheit, als auch die Beweiskraft dieses Argumentes.
Die vorgebliche Uebereinstimmung über derartige Grundsätze besteht nicht, und
bestände sie, so würde sie nicht das Angeborensein beweisen, sofern eine andere
Weise, wie die Uebereinstimmung zu Stande komme, aufgezeigt werden kann.
Zu den theoretischen Grundsätzen, die man für angeborene ausgiebt,
gehören die berühmten Fuudamentalsätze der Demonstrationen: Was ist, das ist
(Satz der Identität) und: Es ist unmöglich, duss dasselbe Ding sei und nicht sei (Satz
des Widerspruchs). Diese Sätze sind aber Kindern und Allen, die ohne wissen-
schaftliche Bildung sind, unbekannt, und es ist doch fast ein Widerspruch, anzu-
nehmen, dass der Seele Wahrheiten eingeprägt seien, von denen sie kein Bewusst-
sein und keine Erkenntniss habe. Sagt man, ein Begriff ist der Seele eingeprägt,
und behauptet zu gleicher Zeit, sie habe davon keine Kenntuiss, so heisst das, den
Eindruck zu einem Unding macheu. Soll etwas in der Seele sein, was sie bisher
nicht erkannt hat, so muss es dies in dem Sinne sein, dass sie das Vermögen hat,
es zu erkennen; dieses gilt aber von allen erkennbaren Wahrheiten, auch solchen, die
Mancher während seines ganzen Lebens niemals wirklich erkennt. Dass die Fähig-
keit angeboren sei, die Erkenutniss aber erworben, gilt nicht von einzelnen, sondern
von allen Erkenntnissen. Werden aber angeborene Ideen angenommen, so will man
diese von andern Ideen, die nicht angeboren seien, unterscheiden; also will man
das Angeborensein nicht auf die blosse Fähigkeit beziehen. Daun aber muss man
auch annehmen, dass die angeborenen Erkenntnisse von Anfang an bewusst seien,
denn im Verstände sein, heisst Gedachtwerden. Sagt man: jene Sätze werden dann
von den Menschen erkannt und für wahr gehalten, wenn diese zum Gebrauch ihrer
Vernunft gelangen, so ist dies weder in dem Sinne wahr und beweiskräftig, dass
wir sie mittelst des Vernunftgebrauchs durch Deduction erkennen, noch in dem
Sinne, dass wir sie denken, sobald wir zum Gebrauch unserer Vernunft gelangen;
wir erkennen vieles Andere früher. Dass das Bittere nicht süss, dass eine Ruthe
nicht eine Kirsche sei, erkennt ein Kind weit früher, als es den allgemeinen Satz
versteht und für wahr hält, dass das nämliche Ding unmöglich sein und auch nicht
sein könne. Wäre das sofortige Fürwahrhalten eines Satzes ein zuverlässige«
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§ 14. Look».
119
Merkmal des An geborensei ns, so raüsste auch der Satz, das* Eins und Zwei gleich
Drei sei, nebst unzähligen anderen angeboren sein.
Ebensowenig, wie angeborene theoretische Sätze, giebt es angeborene prak-
tische Grundsätze. Keine moralischen Grundsätze sind so klar und gelten so
allgemein, wie die oben genannten theoretischen. Die moralischen Sätze sind ebenso
wahr, aber nicht ebenso evident wie die theoretischen. Der moralische Funda-
mentalst tz : Jeder soll bo handeln, wie er wünschen kann, dass Andere gegen ihn
handeln, und alle anderen moralischen Regeln bedürfen der Begründung und sind
daher nicht angeboren. Auf die Frage: warum soll man Verträge halten? wird
sich der Christ auf den Willen Gottes, der Anhänger des Hobbes auf den Willen
der Gesellschaft, der heidnische Philosoph auf die Würde des Menschen berufen.
Absurd wäre es aber, wenn sie als angeborene Sätze der Begründung bedürften,
und diese noch dazu so verschieden ausfiele. Angeboren ist zwar das Verlangen
nach Glückseligkeit und der Abscheu gegen Elend; diese Motive aller unserer
Handlungen sind aber nur Richtungen des Begehrens und nicht Eindrücke auf den
Verstand. Nur diese Motive wirken allgemein; die praktischen Grundsätze der ein-
zelnen Personen und ganzer Nationen sind verschieden, ja einander entgegengesetzt;
soweit sich dabei Uebereinstimmung findet, ist dieselbe darin begründet, dass die
Befolgung gewisser moralischer Regeln als der nothwendige Weg zum Bestände der
Gesellschaft und zur allgemeinen Glückseligkeit erkannt wird, und dass Erziehung,
Umgang und Sitte Gleichheit der moralischen Ueberzeugungen bewirkt, was um so
leichter geschehen kann, da der noch unachtsame und uueingeuommene Verstand
der Kinder alle Sätze, die man ihnen als Wahrheit einprägt, ebenso aufnimmt, wie
unbeschriebenes Papier alle beliebigen Schriftzüge, und spater diese Sätze, deren
Ursprung man nicht kennt, heilig gehalten und keiner Prüfung unterworfen zu
werden pflegen. Grundsätze können nicht angeboren sein, wenn die Begriffe, die
in sie eiugehen, nicht angeboren sind: in die allgemeinsten Sätze gehen die
abstractesten Begriffe ein, und diese sind den Kindern die feroliegendsten und un-
verständlichsten, die nur durch einen hohen Grad von Nachdenken und Aufmerk-
samkeit richtig gebildet werden können. Begriffe, wie Identität und Verschieden-
heit, Möglichkeit und Unmöglichkeit, werden so wenig bei der Geburt auf die Welt
gebracht, dass sie im Gegentheil von den Empfindungen des Hungers und Durstes,
der Wärme und Kälte, der Lust und des Schmerzes, die thatsächlich die frühesten
sind, am allerweitesten abliegen. Auch die Gottesvorstellung ist nicht angeboren.
Nicht alle Nationen haben sie; nicht nur die Vorstellungen der Polytheisten und
Monotheisten, sondern auch die Gottesvorstellungen verschiedener Persouen, die
derselben Religion und demselben Lande angehören, sind sehr von einander rer-
schieden. Die Spuren der Weisheit und Macht offenbaren sich so klar in den
Werken der Schöpfung, dass kein vernünftiges Wesen, wenn es sie aufmerksam
betrachtet. Gott verkennen kann, und nachdem einmal durch Nachdenken über die
Ursachen der Dinge von Einzelnen dieser Begriff erlangt worden war, musste der-
selbe so allgemein einleuchten, dass er nicht mehr verloren gehen konnte. Wir haben
von dem Dasein Gottes übrigens ein sichereres Wissen, als von irgend etwas, das
unsere Sinne nicht unmittelbar entdeckt haben.
Im zweiten Buche sucht Locke positiv nachzuweisen, woher der Verstand
seine Vorstellungen erhalte. Er nimmt an, die Seele sei ursprünglich gleich einem
weissen unbeschriebenen Papier ohne alle Vorstellungen (white-paper, welches in
der lateinischen Uebersetzung mit tabula rasa wiedergegeben wurde ; letzterer Aus-
druck war schon im Mittelalter, nach Prantl, Gesch. d. Log. III, 261, zuerst bei Aegidius
Romanus, gebraucht für das ygaufiareiov <a fiySev vnäo^ti fVuÄejf«/« yeyQauuevoy,
wie der yovs, bevor er denkt, von Aristoteles bezeichnet wird, s. Grdr. I, 7. Aufl.
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§ 14. Locke.
S. 221). Sie erlangt solche durch die Erfahrung. Alle unsere Erkenntniss gründet
sich auf die Erfahrung und entspringt aus ihr. Die Erfahrung ist aber eine zwei-
fache, eine äussere und innere, Sensation und Reflexion, je nachdem sie die
äusseret), wahrnehmbaren Gegenstände oder die inneren Wirkungen unseres Geistes
zum Gegenstande hat. Die Sinne führen von den äusseren Objecten dasjenige in
die Seele, was in dieser die Vorstellungen von dem Gelben, Weissen, der Hitze,
der Kälte, der Weichheit, Härte, Süssigkeit, Bitterkeit und überhaupt von den so-
genannten sinnlichen Beschaffenheiten hervorbringt. An den vorhandenen Vor-
stellungen werden Wirkungen (Operations) des Gemüths in uns selbst ausgeübt,
welche theils Thätigkeiten , theils passive Zustände sind; wenn die Seele diese
Thätigkeiten und Zustände beachtet und über sie reflectirt, so erhält der Verstand
eine andere Reihe von Vorstellungen, welche nicht von den Aussendingen ent-
springen können; solche Thätigkeiten des Gemüthes sind unter andern das Wahr-
nehmen, Denken, Zweifeln, Glauben, Schlieseen, Erkennen, Wollen. Aus einer dieser
beiden Quellen stammen alle unsere Begriffe her. Es ist demnach durchaus nicht
zutreffend, wenn Locke als Vater des consequenten Sensualismus der neueren Zeit
bezeichnet wird. Der Satz: Nil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, muss,
um für Locke gültig zu sein, wenigstens den Zusatz bekommen: externo et interne
Aber den vollen Empirismus vertritt er, indem er sagt, dass es uns unmöglich ist,
über die Vorstellungen hinauszukommen, welche Sinnlichkeit und Reflexion unserer
Betrachtung dargeboten haben.
Der Mensch fängt an, Vorstellungen zu haben, wenn er den ersten Sinneneindruck
empfängt; schon vor der Geburt mag er wohl Hunger und Wärme empfinden. Vor
dem ersten sinnlichen Eindruck aber denkt die Seele ebensowenig, wie sie später
im traumlosen Schlafe denkt. Die Behauptung, dass die Seele immer denke, ist
eben so willkürlich, wie die, dass jeder Körper unablässig in Bewegung sei.
Unsere Vorstellungen sind theils e i n f a c h , theils zusammengesetzt. Von den
einfachen Vorstellungen kommen einige nur vermittelst Eines Sinnes, andere
vermittelst mehrerer Sinne in die Seele, andere erhält sie bloss durch die Reflexion,
wiederum andere endlich bieten sich ihr auf jedem Wege, durch die Sinne und
durch die Reflexion dar. Durch den Sinn des Gefühls erhalten wir die Vorstellungen
von der Hitze, Kälte und Dichtheit, ferner von der Glätte und Rauhheit, Härte
und Weichheit und andere, durch den Sinn des Gesichts die Vorstellungen vom
Licht und von den Farben etc. Die Vorstellungen, welche wir durch mehr als einen
Sinn, nämlich durch den Gesichts- und den Gefühlssinn, erlangen, sind die vom
Raum oder der Ausdehnung, von der Gestalt, Ruhe und Bewegung. In sich selbst
nimmt das Gemüth durch die Reflexion das Vorstellen (pereeption) oder Denken,
und das Wollen wahr. (Locke missbilligt die cartesianische Zusammenfassung des
Denkens und Wollens unter cogitatio.) Das Vermögen, zu denken, wird Verstand,
das Vermögen, zu wollen, Wille genannt. Sowohl durch die Sinne, als durch die
Reflexion werden der Seele die Vorstellungen von Vergnügen oder Lust, von Schmerz
oder Unlust, Existenz, Einheit, Kraft und Zeitfolge zugeführt.
Die meisten sinnlichen Vorstellungen sind eben so wenig einem ausser
uns existirenden Dinge ähnlich, als die Worte den bezeichneten Vorstellungen,
obgleich diese durch jene hervorgerufen werden, in den Körpern selbst sind wirklich
und von ihnen in jedem Zustande unzertrennlich folgende Eigenschaften: Grösse,
Gestalt, Zahl, Lage, Bewegung oder Ruhe ihrer dichten (raumerfüllenden) Theile.
Diese nennt Locke ursprüngliche Eigenschaften (original qualities oder
primary qualities), auch wohl reale Eigenschaften. Sofern wir die primären Eigen-
schaften wahrnehmen, sind unsere Vorstellungen von denselben Copien dieser Eigen-
schaften selbst, wir stellen dadnreh das Ding so vor, wie es an sich ist. Die Körper
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§ 14. Locke.
121
haben aber ferner die Kraft, vermöge gewisser primitiver Eigenschaften, die nicht
als solche wahrnehmbar sind, auf eine solche Weise aaf unsere Sinne zu wirken,
dass sie dadurch die Vorstellungen von Farben, Tönen, Gerüchen, Wärmeempfin-
dungen etc. in uns hervorbringen. Farben, Töne etc. sind nicht in den Körpern
selbst, sondern nur in der Seele. Wenn man von ihnen das Vorgestelltwerden
trennt, wenn die Augen nicht das Licht oder die Farben sehen, die Ohren nicht
die Töne hören, der Gaumen nicht schmeckt, die Nase nicht riecht, so verschwinden
alle Farben, Töne, Geschmacksempfindungen, Gerüche. Wärmeempfindungeu, und es
bleibt nichts übrig, als das, was sie verursachte, nämlich die Grösse, Gestalt und
Bewegung der Theile. Die Wärme ist eine sehr lebhafte Bewegung der unwahr-
nebmbaren kleinsten Theile eiues Gegenstandes, welche in uns diejenige Empfindung
hervorruft, wegen deren wir den Gegenstand als warm bezeichnen; was in unserer
Empfindung als Wärme erscheint, ist im Gegenstand selbst nur Bewegung. Locke
nennt die Farben, Töne etc. abgeleitete oder secundäre Eigenschaften
(secondary qualities). Alle Vorstellungen dieser Klasse sind nicht Copien von
gleichartigen Eigenschaften in realen Objecten, so wenig, wie das Gefühl von Schmerz
mit der Bewegung eines Stückes Stahl durch empfindliche Theile eines thierischen
Körpers hindurch Aehnlichkeit hat; sie werden in uns durch den Stoss erzeugt, der
sich von den Körpern aus durch unsere Nerven hindurch bis in das Gehirn als den
Sitz des Bewusstseins, gleichsam das Audienzzimmer der Seele, fortpflanzt. Wie
dort Vorstellungen erzeugt werden, untersucht Locke nicht, sondern sagt nur, es
sei ohne Widerspruch denkbar, dass Gott an Bewegungen auch solche Vorstellungen,
die mit denselben keine Aehnlichkeit haben, geknüpft habe. Endlich stellt Locke
noch eine dritte Klasse von Eigenschaften in den Körpern auf, nämlich die Kräfte
der Körper, vermöge der besonderen Beschaffenheit ihrer ursprünglichen Eigen-
schaften in der Grösse, Gestalt, Zusammensetzung und Bewegung anderer Körper
solche Veränderungen hervorzubringen, dass diese Körper nun unsere Sinne anders
afficiren, als vorher; er rechnet hierher z. B. die Kraft der Sonne, das Wachs zu
bleichen, des Feuers, das Blei zu schmelzen; diese Eigenschaften werden insbesondere
Kräfte genannt.*)
*) Es ist eine ungerechtfertigte partielle Accommodation Lockes an die vulgäre
Voraussetzung, dass Farben, Töne etc. als solche in den unsere Sinne afficirendeu
Körpern seien, wenn er dieselben , secundäre Eigenschaften" nennt; denn Empfin-
dungen, die nicht in jenen Körpern, sondern nur in den empfindenden Wesen sind,
können überhaupt nicht Eigenschaften jener Körper, also auch nicht abgeleitete
Eigenschaften derselben sein, und es kann den Leser nur verwirren, wenn Locke,
wänrend er diese Einsicht zu begründen sucht, einen Ausdruck, der eben den Irrthum
involvirt, welchen er zerstören will, sanetionirt und einen Terminus gebraucht, der
in seinen beiden Bestandtheilen die Einsicht mit dem Vorurtheil auf eine unnatür-
liche Weise zusammenschmiedet. (Doch lässt der Ausdruck eine Deutung zu, in
welcher er nichts Irriges involviren würde, wenn er nämlich als Abbreviatur für
, Eigenschaften in einem secundären Sinne" aufgefasst wird, und wenn unter .Eig. im
primären Sinne' solches verstanden wird, was den Dingen an sich selbst zukommt,
unter „Eig. im secundären Sinne" aber, freilich sehr uneigentlich, solches, was in
uns durch die Dinge angeregt wird.) Die Unterscheidung geht auf Aristoteles
(de anima III, 1) zurück; doch lehrt Aristoteles nicht die blosse Subjectivität der-
jenigen Qualitäten, welche Locke die .secundären nenut; Demokrit und Descartes
sind in dieser Unterscheidung Lockes Vorgänger. Die Unterscheidung hat trotz
Berkeleys , Humes und Kants Bekämpfung ihre Berechtigung. Doch hat Lockes
Untersuchung die Mängel, dass die objective Realität der Ausdehnung ohne Beweis
vorausgesetzt, und dass die Frage, wie Empfindungen mit Bewegungen im Gehirn
zusammenhängen, durch Berufung auf Gottes Allmacht zur Seite geschoben wird.
Er betrachtet die Seele zu sehr als passiv bei der Perceptiou. Die Untersuchung
selbst über das Verhältniss der Sinneswahruehmungl zu der die Sinne afficirenden
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§ 14. Locke.
Bei der Erörterung der durch Reflexion gewonnenen einfachen Vorstellungen
macht Locke manche fruchtreichen psychologischen Bemerkungen. Kr untersucht ins-
besondere das Vorstellungsvermögen (perception), das Behaltuugsvermögen (retention)
und das Vermögen des Unterscheidens, Verbiudens und Trennens etc. In dem Vor-
8tellungsvermögen erkennt Locke das Merkmal, durch welches das Thier und der
Mensch sich von der Pflanze unterscheide. Das Behaltungsvermögen (retention) ist
die Fähigkeit der Aufbewahrung der Vorstellungen theils durch andauernde Be-
trachtung, theils durch Wiedererneuerung nach ihrem zeitweiligen Entschwinden aus
dem zum gleichzeitigen Festhalten vieler Vorstellungen zu beschränkten mensch-
lichen Verstände; es kommt schon den Thieren, und zum Theil in gleichem Grade
wie den Menschen, zu. Locke hält für wahrscheinlich, dass die Beschaffenheit des
Körpers grossen Einfluss auf das Gedächtniss habe, da oft die Fieberhitze anscheinend
feste Gedächtnissbilder austilge. Die Vergleichung der Vorstellungen unter ein-
ander aber wird von den Thieren nicht auf eine eben so vollkommene Art, wie von
den Menschen geübt. Das Vermögen, Vorstellungen mit einander zu verbinden,
haben Thiere nur in geringem Grade. Dem Menschen eigentümlich ist das Ver-
mögen der Abstraction, wodurch die Vorstellungen einzelner Objecte, von allen
zufälligen Beschaffenheiten der realen Existenz, wie Zeit und Raum, und allen be-
gleitenden Vorstellungen abgesondert, zu allgemeinen Begriffen der ganzen Gattung
werden und ihre sprachlichen Zeichen eine allgemeine Anwendbarkeit auf alles, was
mit dieseu abstracten Begriffen einstimmig ist, erhalten.
Die einfachen Vorstellungen sind die Bestandteile der zusammengesetzten.
Während die Seele bei der Aufnahme der ersteren sich leidend verhält, ist sie bei
der Bildung der letzteren, auch bei Abstraction, Vergleichung, Erinnerung selbst-
tätig, ja sie verfährt bei diesen Processen sogar willkürlich. Die zusammen-
gesetzten Vorstellungen führt Locke auf drei Klassen zurück: es werden durch
sie entweder Modi oder Substanzen oder Relationen vorgestellt. Die Modi sind
zusammengesetzte Begriffe, welche nichts für sich Bestehendes enthalten. Sie sind
reine Modi (simple modes) oder Modifikationen einfacher Vorstellungen, wenn ihre
Bestandteile einander gleichartig, gemischte Modi (mixed modes), wenn ihre Be-
standteile einander ungleichartig sind. Die Begriffe von Substanzen sind solche
Verbindungen einfacher Vorstellungen, welche gebraucht werden, um Dinge, die
für sich bestehen, vorzustellen. Die Verhältnissvorstellungen bestehen in der
Vergleichung einer Vorstellung mit einer andern. Zu den reinen Modal begriffen
gehören die Modificationen des Raumes, der Zeit, des Denkens etc.; eben hierher
gehört auch der Begriff des Vermögens. Die tägliche Erfahrung von der Verände-
rung der Gegenstände der einfachen Vorstellungen an Ausseudingen, die Bemerkung,
duss hier ein Ding aufhört zu sein, dort ein anderes an seine Stelle tritt, die Be-
obachtung des beständigen Wechsels der Vorstellungen in dem Gemüthe, welcher
theils von den Eindrücken äusserer Objecte, theils von unserer eigenen Wahl ab-
objectiven Realität, worin Locke grossentheils sich an Descartes anschliesst, ist von
fundamentalem Interesse; Leibniz und Kant haben ihre Bedeutung gewürdigt, Hegel
aber hat dieselbe verkannt und die lockesche Philosophie überhaupt ebenso wie den
kantischen Kriticismus darum schief aufgefasst, weil er den Gegensatz des Ansich-
seins und unserer Auffassung mit dem Gegensatze des Essentiellen und Accidentiellen
in den Objecten zusammenwirft. — Die Ausdrücke: Qualitates primae und
secundae waren schon bei den Scholastikern üblich; so sagt Bartholomaeus Arnoldi
Usingensis (gest. 1532): qualitates primae Bunt a quibus aliae fluunt et sunt quatuor:
caliditas et frigiditas, siccitas et humiditas. — Secundue sunt quae ab aliis fluunt.
Sie wurden von Rob. Boyle auf die verschiedenartigen Qualitäten Descartes' über-
tragen und von Locke dann aufgenommen (s. Eucken, Gesch. der philos. Terminol..
S. 1%).
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§ 14. Locke.
123
hängt, alles dieses leitet den menschliehen Verstand auf den Schluss. dass eben
dieselben bisher beobachteten Veränderungen auch in der Zukunft au denselben
Objecten durch dieselben Ursachen und auf dieselbe Weise stattfinden werden; er
denkt sich demnach in dem einen Wesen die Möglichkeit, dass die einfachen
Merkmale desselben wechseln und in dem andern die Möglichkeit, diesen Wechsel
hervorzubringen, und kommt hierdurch auf den Begriff von einem Vermögen. Das
Vermögen ist leidendes Vermögen als Möglichkeit, eine Veränderung anzunehmen,
thätiges Vermögen oder Kraft (power) aber als Möglichkeit, eine Veränderung zu
bewirken. Den klarsten Begriff von thätigem Vermögen erhalten wir durch das
Achten auf die Thätigkeiten unseres Geistes. Die innere Erfahrung lehrt uns, dass
wir durch ein blosses Wollen ruhende Glieder des Körpers in Bewegung setzen
können. Wenn die Substanz, welche eine Kraft besitzt, dieselbe durch eine Handlung
äussert, so heisst sie Ursache; was sie hervorbringt, heisst Wirkung. Ursache ist
das, was macht, dass ein Anderes zu sein aufangt, Wirkung das. was durch ein
Anderes entstanden ist.
Indem dem Verstände eine grosse Anzahl von einfachen Vorstellungen durch
Sensation und Reflexion zugeführt werden, bemerkt er auch, dass eine gewisse
Zahl einfacher Vorstellungen immer mit einander vergesellschaftet ist; da wir uns
nun das, was durch dieselben vorgestellt wird, nicht als an sich subsistirend denken
können, so gewöhnen wir uns, ein Substrat vorauszusetzen, in welchem dasselbe
bestehe und woher es entspringe; dieses Substrat nennen wir eine Substanz. Die
allgemeine Vorstellung der Substanz enthält nichts, als die Annahme eines un-
bekannten Etwas, welches den Eigenschatten zu Grunde liege. Die Eigenschaften
eines Dinges machen dann die wahre Vorstellung der betreffenden Einzelsubstanz
aus, aber die zusammengesetzte Vorstellung einer bestimmten Substanz hat neben
diesen sie bildenden einfachen Vorstellungen allemal auch die verworrene Vor-
stellung von etwas, dem jene angehören, in dem sie, als der unbekannten Ursache
ihrer Einheit, zusammen bestehen. So ist der Körper ein ausgedehntes, gestaltetes
und bewegliches Ding, aber man stellt sich unter der Substanz neben diesen Eigen-
schaften immer noch etwas Besonderes vor, von dem man freilich nicht weiss, was
es ist. Ebensowenig wie von der materiellen hat man von der geistigen einen
klaren Begriff. Man hält die Thätigkeiten der Seele wie Denken, Fürchten u. s. w.
nicht für selbständig, man kann auch nicht annehmen, dass sie dem Körper zu-
kommen, deshalb schreibt man sie einer andern Substanz, die man Geist nennt, zu.
Wir haben keinen Grund, geistige Substanzen für unmöglich zu halten. Leugneten
wir sie, so müssten wir aus denselben Gründen die körperlichen Substanzen leugnen.*)
Andererseits wäre jedoch auch nicht undenkbar, dass Gott die Materie mit der
Fähigkeit, zu denken, begabt habe. Die ersten Vorstellungen, die man vom Körper
hat, sind der Zusammenhang dichter und damit trennbarer Theile und ein Ver-
mögen, die Bewegung durch Stoss mitzutheilen, unsere Vorstellungen vom Geiste,
die ihm eigenthümlich zugehören, sind Denken und Wollen, oder das Vermögen,
*) Locke legt nicht dem Verstand eine durch den Substanzbegriff geübte Herr-
schaft über die Dinge bei; er spricht ja ausdrücklich gerade darum dem Substauz-
begriff nur geringen Werth für die Erkenntniss zu, weil derselbe nicht zureichend
empirisch basirt sei. Soweit der Substanzbegriff ohne empirischen Grund gebildet
ist, ist die Wahrheit desselben, d. b. die Uebereiustimmung mit der objectiven
Realität, zweifelhaft. — Die Annahme aber, dass es von dem Geiste unabhängige
Aussendinge gebe, hängt nicht von der Gültigkeit des Substanzbegriffs ab; sie be-
steht auch dann, wenn die Aussendinge nur Complexe von ausserhalb unseres
Geistes für sich bestehenden Eigenschaften sind, die in Verbindung mit einander
existiren.
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124
§ 14. Locke.
die Körper durch Denken zu bewegen, und Freiheit, aber der Zusammenhang dichter
Theile im Körper ist ebensowenig zu begreifen wie das Denken der Seele, die
Mittheilung der Bewegung ebensowenig wie die Bewegung durch Denken. Neben
diesen beiden Arten von Substanzen, den körperlichen und den geistigen, haben
wir noch die Vorstellung einer dritten, nämlich die von Gott. Kraft, Dauer, Ver-
stand und Willen werden in das Unendliche gesteigert, und so gelangen wir zu
der Vorstellung Gottes. Da wir aber eine deutliche Krkenntniss der Substanzen
nicht haben, so leugnet Locke die Möglichkeit einer Metaphysik, sei es als Psycho*
logie, Kosmologie oder Theologie und greift Kant so vor, obgleich er der specu-
lativen Bearbeitung des durch die Erfahrung gewonnenen Materials volles Recht
einräumt Ausser den zusammengesetzten BegrifFen von einzelnen Substanzen kom-
men in dem Verstände noch zusammengesetzte collective Begriffe von Substanzen
vor, wie Heer, Flotte, Stadt, Welt; diese collectiven Begriffe bildet die Seele durch
ihr Verbindungsvermögen. Aus der Vergleichung mehrerer Dinge mit einander
entspringen die Verhältnissbegriffe; zu denselben gehören die Begriffe von
Ursache und Wirkung, Zeit- und Ortsverhältnissen, Identität und Verschiedenheit,
Graden, moralischen Verhältnissen etc.
Im dritten Buche des Versuchs über den menschlichen Verstand handelt
Locke von der Sprache, im vierten Buche von der Krkenntniss und Meinung.
Die Worte sind Zeichen, die Gemeinnamen gemeinsame Zeichen für vorgestellte
Objecte. Wahrheit und Falschheit ist streng genommen nur in Urtheileu, nicht in
einzelnen Vorstellungen. Sätze, wie der des Widerspruchs, dienen der Disputirkunst,
aber nicht der Krkenntniss. Sätze, die ganz oder theilweise identisch sind, belehren
nicht. Wir erkennen uns selbst durch innere Wahrnehmung und Gott durch den
Schluss vom Existirenden auf eine erste Ursache, von denkenden Wesen (und zum
mindesten unser eigenes Denken ist uns zweifellos gewiss) auf ein erstes und ewiges
denkendes Wesen mit voller Evidenz, die Aussenwelt aber mit geringerer Evidenz;
jenseits der Vernunfterkenntniss liegt der Glaube an göttliche Offenbarungen; für
Offenbarung kann jedoch nichts gelten, was gesicherter Vernunfterkenntniss wider-
streitet. Dagegen giebt es im Christenthum Ueberveruünftiges.
Gut und Uebel sind nur Lust und Schmerz, oder das, was diese verschafft. Das
sittlich Gute und Schlechte ist die Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung
unserer freiwilligen Handlungen mit dem Gesetz, wobei wir uns nach dem Willen
des Gesetzgebers Gutes oder Uebles zuziehen, d. h. Lust oder Schmerz; diese heissen
dann Lohn oder Strafe. So gründet sich die Sittlichkeit auf Lust und Schmerz,
d. h. auf die Folgen unserer Handlungen. Die Gesetze, nach denen die Menschen
Recht und Unrecht unterscheiden, sind das göttliche, das bürgerliche und das der
öffentlichen Meinung, der Achtung und Verachtung. Das erste ist der Maassstnb
für die Sünde und die Pflicht, es wird also von diesem die Verpflichtung abgeleitet,
mag uns dieses Gesetz nun durch das Licht der Natur oder durch die Stimme der
Offenbarung mitgetheilt sein. Das zweite ist der Maassstab für Verbrechen und
Unschuld, das dritte, das Locke auch das philosophische Gesetz oder das der Mode
nennt, ist der Maassstab für Tugend und Laster. Durch dies letzte Gesetz lassen
sich die meisten Menschen hauptsächlich, wenn nicht ausschliesslich bestimmen,
indem sie die Strafen für die Uebertretung des göttlichen Gesetzes nicht ernstlich
bedenken und ebensowenig die von den bürgerlichen Gesetzen angedrohten. Der
Achtung erfreut eich aber das, was jeder überall als für sich nützlich ansieht. Da
nun nichts in der Welt das Wohl der Menschen so fördert als der Gehorsam gegen
das von Gott gegebene Gesetz, so muss Achtung und Verachtung im Grossen und
Ganzen mit den Regeln des Rechten und Unrechten, die von Gott in der Offen-
barung gegeben sind, übereinstimmen. Abweichungen im Einzelnen finden sich
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§ 14 Locke.
125
allerdings; daher kommen die verschiedenen Sitten bei den verschiedenen Völkern und
zu verschiedenen Zeiten.
Die Aeusserungen Lockes über religiöse, pädagogische und politische
Fragen bekunden einen edlen und humanen Sinn und haben zur Milderung mancher
traditionellen Härten wesentlich beigetragen. Inconsequenterweise gesteht Locke
den Atheisten keine Gewissensfreiheit zu und bricht dadurch selbst die Kraft seiner
philosophischen Argumente für die Toleranz.*)
Lockes philosophische Bedeutung knüpft sich zumeist an die Untersuchung
über den menschlichen Verstand, die der Ausgangspunkt der empiristischen Richtung
der Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts in England, Frankreich und Deutsch-
land geworden ist, über den Scholasticismus und Cartesianismus den Sieg davontrug,
in Deutschland aber zumeist durch den I^eibnizianismus eingeschränkt wurde.
Spinozas Einheitslehre, welche die Ordnung der Gedanken mit der Ordnung der
Dinge unmittelbar gleichsetzt, erhielt durch Lockes auf die Erkenntnissgrenzeu des
Subjects gerichtete Forschung ihr unabweisbares Complement. Leibniz, der gegen
Locke die Nouveaux essais 9ur l'eutendement humain schrieb, hat doch die Wichtig-
keit der lockeschen Forschung anerkannt, obschon er die Prüfung unserer Erkennt-
nisskraft nicht für die erste, alle anderen philosophischen Untersuchungen bedingende
Aufgabe der Philosophie hielt, sondern für eine solche, die mit Erfolg nur dann
behandelt werden könne, wenn vorher schon manches Andere festgestellt sei; in
ähnlicher Art hat in der nachkantischen Zeit wiederum Herbart geurtheilt. Kaut
dagegen ist als Begründer des K riticismus zu der lockeschen Ueberzeugung zurück-
gekehrt, dass die Untersuchung über den Ursprung und die Grenzen unserer Er-
kenntniss für die Philosophie von fundamentaler Bedeutung sei, hat aber diese
Untersuchung in einem zwar vielfach durch Lockes Vorgang bedingten, jedoch
sowohl in dem Gang, wie in dem Ergebniss wesentlich verschiedeneu Sinne geführt.
Hegel misst der Untersuchung über den Ursprung der Erkenntniss nur eine unter-
geordnete Bedeutung bei, erkennt eine Grenze der philosophischen Erkenntniss
principiell nicht an, hält die menschliche Vernunft für wesentlich identisch mit der
aller Wirklichkeit innewohnenden Vernunft und will nicht psychologisch den Ursprung
der Begriffe, sondern dialektisch ihre Bedeutung und ihr System ermitteln; er
billigt, dass nicht bei der blossen Definition der einzelnen Begriffe stehen geblieben,
sondern ein Zusammenhang aufgesucht werde, hält aber die psychologische Erforschung
der Genesis der Begriffe im denkenden Subject für eine blosse Veräusserlichung der
philosophischen Aufgabe, die in der dialektischen Begriffsentwickelung liege. Das
hegelsche Urtheil würde richtig sein, wenn zwischen dem (objectiven) Dasein und
dem (subjectiven) Bewusstsein nur Uebereinstimmung und nicht auch Discrepanz in
wesentlichen Beziehungen bestände; ist die Uebereinstimmung eine durch stufen-
weise Annäherung zu erreichende Aufgabe, so hat auch die Kritik der menschlichen
Erkenntnisekraft eine wesentliche philosophische Bedeutung, und Locke wird nicht
von dem Vorwurf getroffen, dass er eine unphilosophische oder wenig philosophische
Betrachtung an die Stelle einer allein wahrhaft philosophischen gesetzt habe. Mit
Hecht aber kann geurtheilt werden, dass er nicht die ganze philosophische Auf-
gabe, soudern nur den einen Theil derselben zu lösen unternommen habe.
*) Denn es verschlägt praktisch wenig, ob einer Richtung auf Grund ihres
uach fremdem Urtheil falsch religiösen oder ihres nach fremdem Urtheil irreli-
giösen Charakters die Duldung versagt wird; den Christen ist als , Atheisten" mit
formeller Aufrechterhaltung des Princips der Religionsfreiheit die gesetzliche
■Existenzberechtigung abgesprochen worden. Gesetzeszwang kann uicht die Ueber-
zeugung bewirken, ohne welche das Bekenntniss Heuchelei wäre.
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126
§ 15. Berkeley u. a. engl. Philosophen.
§ 15. An Locke anknüpfend und dessen Ansichten zum Theil
consequent weiter führend, hat Berkeley (1685 — 1753) durch die
Behauptung, dass nur Geister und deren Ideen (Vorstellungen, nebst
Willensacten) existiren, einen Idealismus oder Pbaenomenalismus oder
lmmaterialismus ausgebildet. Nach ihm bringen nicht reale Aussen-
dinge unsere Vorstellungen als ihre Abbilder hervor. Ungleichartiges
könnte nicht auf Ungleichartiges wirken. Aber dennoch sollen die
wirklichen Vorstellungen, Wahrnehmungen nicht aus uns entstehen,
sondern, da sie gesetzmässig sind, unwiderstehlich auf uns einwirken,
müssen sie eine äussere Ursache haben. Diese ist der unendliche Geist,
d. h. die Gottheit. Dagegen nähert sich einer materialistischen Psycho-
. logie Hartley, von dem die englische Associations-Psychologie
ausgegangen ist. Er nahm freilich nur den vollen Parallelismus
zwischen psychischen und physischen Vorgängen an. Entschiedener
Materialist auf psychologischem Gebiet war Pries tley, der jedoch
ebenso wie Hartley theologische Ueberzeugungen damit zu vereinigen
wusste. Newton hielt sich philosophischen Fragen ferner, erachtete
aber den teleologischen Beweis für das Dasein Gottes als ausreichend.
G. Berkeley, Theory of vision, Dublin 1709, auch Lond. 1711 u. 1733 u. in den
Werken: Treatisc on the prineiples of human knowledge. Dublin 1710 u. ö.,
deutsch von F. Ueberweg in der „pUL Bibl.*, Berlin 1869. Three dialogues between
Hylas and Philonous, Lond. 1713 u. ö., franz. AniKt. 1750, deutseh (als 1. Theil einer
Ucbers. der Werke, wovon aber nicht mehr erschienen ist), Leipz. 1781 (auch schon
Rostock 1756, s. u.1. Alciphron or the minute philosopher, London 1732, franz. Haye
1734, deutsch von W. Kahler, Lemgo 1737. Siris, London 1744. Miscellanies, Lond.
1752. Sammig. d. vornehmst. Schriftsteller, die d. Wirklichk. ihr. eig. Körp. u. d.
ganz. Körperwelt leugn., enthaltend Berkeleys Gespräche zw. Hylas und Philonous (nach
der franz. Uebers. verdeutscht) und Colliers Allgemeinen Schlüssel (Clavis universalis
or a new inquiry after thruth, by Collier, Lond. 1713), übers, und widerlegt von Joh.
Christ. Eschenbach, Rostock 1756. The works of G. Berkeley (nebst seiner Biogr.
v. Arbuthnot), Lond. 1784, wiederabg. 1820 u. 1843; Works, ineluding many of his
writings hitherto unpublished, with prefaee, annotations, life and lettres, and an account
of his philosophy by Alex. Campbell Fräser, 4 vol., London 1871. Selections from
Berkeley, with introduction and notes by AI. Campbell Fräser, 2. ed. Lond. 1879. Zur
Erläuterung der b.sehen Ansichten dienen u. a. Aufsätze in: Lectures on Greek philosophy
and other philos. remains of J. F. Ferrier, cd. by Grant and Lushington, Lond. 1866,
ferner Thum. Collyns Simon, on the nature and elements of the external world, or
universal immaterialism, fullv explained and newlv demonstrated, London 1802; vgl.
mehrere Abhandlungen desselben in verschiedenen Zeitschriften, insbcs. B.s doctrine on
the nature of Matter, in: the Journal of specul. philos. III, 4. Dec. 18G9. S. 3:SG— 344;
is thought the thinker? ebd. S. 375 f.; Ueberweg, ist B.s Lehre wissenschaftL unwider-
legbar? (Sendschreiben an Simon) in Fichtes Z. f. Ph., Bd. 55, 1809; Simons Antwort,
nebst Ulricis Anmerkung, ebd. Bd. 67, 1870; Ueberwegs kurz. Schlusswort, ebd.
Bd. 59, 1871. R. Hoppe u. IL Ulriei, ebd., Bd. 58 u. 59, 1871. Hoppe, zu Ueberwegs
Kritik der b.schen Lehre, in d. philos. Monat*h., VII. 385—392. Thom. K. Abbot,
sight and touch, an attempt to disprove the reecived (Berkeleian) theorv of vision,
Lond. 1864 (vgl. Ulriei in d. Ztschr. f. Philos., N. F.. Bd. 54, 1869, S." 166—188).
Thom. Doubleday, matter for materialists, letters in vindication of prineiples regard.
the nature of exbtenee of Berkeley, Newcastle 1870. F. Frederichs, üb. B.s Idealismus,
Realschul-Progr., Berl. 1870, d. phänomenale Idealism. B.s u. Kants, 1871. Charl. R.
Teape, Berkeleian Philosophy, Gört. Diss., 1871. Geo. Colborne, B.s Phil., Inaug. D.,
Münch. 1873. A. Smirnow, die Philos. B.s (russ.), Warech. 1874. G. Spicker, Kant,
Hume u. Berkeley, eine Kritik der Erkenntnisstheorie, Berl. 1875. A. Penjou, Etüde
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§ 15. Berkeley u. a. engl. Philosophen.
127
sur la Tie et sur les oeuvres philosophiques de G. Berkeley, eveque de Cloyne, These
presentee ä la faeulte des lettre« de Pari«, Pari» 1878. " J. Janitsch, Kant» Urtheile
fib. B. Strassb., 1879. A. C. Fräser, Berkeley (philosoph. classic*), Kdinb. and
Lond. 1881. C. R. Teape, Berkeleian philosophy, Gött. I.D., Kdinb. s. a.
A.Collier, clavis universalis or a new inquiry afier trutb, bring a demonstration
of the non-existenee or impossibility of an external World, Lond. 1713, deutsch v. Kschen-
bach, Rostock 1750 (s. o. S. 126), engl, auch in der von Sa in. Parr edirt. Samml.:
Metaph. tracts by Knglish philosophers of the eighteenth Century, Lond. 1837. Ueber ihn
handeln Rob. Benstin, London 1837. Geo. Lyon, un idealis:e Anglais au XVIIP S., in:
Rev. phil., 1880. Bd. 10, S. 375—305.
D. Hartley, Conieeturae quacdam de motu, sensus et idearum generatione, London
1746; Observation« on man, bis frame, his duty and bis expectations, Lond. 1749,
6. edit-, 1834; deutseh (von v. Spieren) u. m. Anm. u. Zustz. (von IL A. Pistorius),
Rostock u. Lpz. 1772 — 73. S. Geo. Spencer Bower, Hartley and James Mill (Engl,
philosophers), Lond. 1881. Bruno Schoenlank, Hartlev u. Priestley die Begründer des
Associationismus in Engl., In. Diss., Halle 1882.
J. Priestley, Hartley's Theory of human mind on the principles of the Association
of ideas, Lond. 1775. Disquisitions relating to matter and spirit, Lond. 1777, the
doctrine of philosophical necessity, Lond. 1777, free discussions of the doctrines of
materialism. Ixmdon 1778. Priestley wurde bekämpft von dem Platoniker Richurd
Price, 1723 — 1791, in dessen Letter» on materialism and philos. necessitv, Lond.
1778. Ueb. Priestley handelt J. Carry, the life of Jos. Priestley with critieal obser-
vations on his works etc., London 1804, ferner H. Lt»rd Brougbam in seinen lives of
philosophers of the time of George III. (Works Vol. 1, Kdinb. 1872, S. 68—90.) Bruno
Schoenlank, s. b. Hartley.
Ib. Newton, naturalis philosophiae prineipia mathematica, Lond. 1687, auch 1713,
1726 u. ö., deutsch m. Benierkgn. u. Erläutergn., hrsg. v. J. Ph. Wolfers, Berl. 1872;
treatise of optic, London 1704 u. ö.; opera ed. Horsley, Lond. 1779. l'eber ihn han-
delt Dav. Brewster. Kdinb. 1831, deutsch von Goldberg, Lpz. 1833; Memoirs of the
life, writings and discoveries of Sir J. N., Edinb. 1855. Vgl. auch K. Snell, N. u. d.
mechanisch. Natunvissenseh., Dresd. u. Lpz. 1843. E. F. Apelt, d. Epochen der Gesch.
d. Menschh., Jena 1845. A. Struve. N.s naturphil. Ansichten, G. Pr., Sorau 1869.
J. Durdik, Leibniz u. N., Halle 1869. C. Neumann, üb. d. Principien der Galilei-
Newtonsch. Theorie, Lpz. 1870. K. Dieterich, Kant u. N.. Tübing. 1877. S. auch
Ludw. Lange, die geschichtl. Kntwickel. des Bewegungsbegriffs, Lpz. 1886, S. 47
bis 72.
Unter den Fortbildnern der theoretischen Philosophie Lockes in seinem Vater-
lande ist von hervorragender Bedeutung der Begründer eines universellen Imrnateria-
lismus (Idealismus oder Phaenomenalismns), George Berkeley, geb. zu Killerin
nahe bei Thomaatown in Irland am 12. März 1685, von 1728—31 in Rhode-Island,
um Christenthum und Civilisation daselbst zu verbreiten, seit 1734 Bischof zu
Cloyne, gest. zu Oxford am 14. Jan. 1753. Nicht nur in Theologie und Philosophie
war er wohlbewandert, sondern beinahe auf allen Gebieten des menschlichen Wissens,
namentlich auch in den Naturwissenschaften, hatte er ernste Stadien gemacht, wie
seine Theorie des Sehens zeigt, in der er den neueren Ansichten über das Sehen
schon nahe kommt, seine spätere philosophische Lehre aber noch nicht vorträgt.
An Formvollendung wird über seine übrigen Schriften gestellt Alciphrou. Gespräche,
in denen er die Freidenker angriff, besonders Mandeville (geb. 1670 zu Dordrecht,
lebte als Arzt zu London, gest. 1733). Dieser hatte in seiner Schrift: the fable of
the bees, or private vices made public benefits, London 1714 u. 1719, den Nutzen
privater Laster, z. B. des Luxns, für das allgemeine Wohl behauptet und darzu-
legen gesucht, dass ein Staat nicht aus lauter moralischen Menschen bestehen könne,
sowie dass die Cultnr mit den sittlichen Schäden eng zusammenhänge, (lieber die
Bienenfabel vgl. Lcslie Stephen in seinen Essays on freethinking and plainspeaking
S. 243—278. Mandeville vertheidigt seine Ansicht in der Schrift: A letter to Dion
oecosioned by his book culled Alciphrou, Lond. 1732.)
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128
§ 15. Berkeley u. a. engl. Philosophen.
Mit vollster Entschiedenheit wendet sich Berkeley in der Einleitung zu
seinen First principles gegen die abstracten allgemeinen Ideen, d. h. gegen die
Vorstellungen allgemeiner Dinge und Eigenschaften, z. B. Mensch, Farbe. Mensch
im Allgemeinen als Abstractum kann ebensowenig vorgestellt werden, wie ein
blosses Dreieck als Abstractum, das weder schiefwinkelig noch rechtwinkelig, weder
gleichseitig, noch gleichschenkelig noch ungleichseitig, sondern dies Alles und zu-
gleich auch nichts von diesem ist Kein Mensch kann zu solchen abstracten Vor-
stellungen gelangen, sie sind nichts als Erfindungen der Schulphilosophen. Worte,
die mehr als einen Gegenstand bezeichnen, geben den Anlass zu der Lehre von
den abstracten Ideen. Li Wahrheit giebt es nur Einzelvorstellungen, Wahr-
nehmungen, deren Bestandteile Empfindungen einzelner Sinne sind. Insofern kann
freilich eine Einzelvorstellung allgemein sein, als sie eine ganze Art, die mit dem-
selben Worte bezeichnet wird, repräsentirt. So wurde der lockesche Nominalismus
weiter gebildet.
Berkeley hielt die Existenz einer an sich seienden Körperwelt nicht nur (nach
dem Vorgange Augustins und Lockes selbst) nicht für streng erweisbar, sondern
für eine falsche Annahme. Es existiren nur Geister und deren Functionen (Ideen und
Willensacte). Das Esse der nicht denkenden Dinge istPercipi. Die äusseren
Dinge, soweit sie existiren, sind nichts als Ideen, und zwar siud die letzteren
flüchtige, abhängige Wesen, die nicht in sich selbst beruhen, sondern in den Geistern
existiren und also auch von ihnen getragen werden. Allerdings giebt es eine sehr
verbreitete Meinung, die sinnlichen Objecte hätten eine reale Existenz, welche von
ihrem Aufgeuommenwerden durch den Verstand verschieden sei. Allein Licht,
Farbe, Hitze, Kälte, Ausdehnung und Figuren (der Unterschied zwischen primären
und secundäreu Eigenschaften nach Locke wird nicht anerkannt), kurz alle Dinge,
die wir sehen und fühlen, sind nur Sinnesempfindungen, Vorstellungen, und es ist
nicht möglich, sie auch nur in Gedanken vom Percipirtwerden zu trennen. Sollte
dies möglich sein, so müssten sie existiren, ohne wahrgenommen, ohne gedacht zu
werden, was ein offenbarer Widerspruch ist. Man könnte ebenso leicht ein Ding
von sich selbst abtrennen, als diese Operation fertig bringen. Wenn man nun sagt,
die Ideen selbst existirten allerdings nicht ausserhalb des Geistes, aber es könne
doch ihnen ähnliche Dinge, deren Ebenbilder sie seien, geben, so wendet hiergegen
Berkeley ein, eine Idee könne nur einer Idee ähnlich sein, eine Farbe oder Figur
nur einer anderen Farbe oder Figur. Und selbst angenommen, es existirten ausser-
halb des Geistes feste Substanzen, die den Ideen entsprächen, so wäre es uns doch
nicht möglich, dies zu wissen. Entweder müssten wir es durch die Sinne oder
durch Denken erreichen. Durch die Sinne haben wir diese Erkenntniss nicht
sondern nur die unserer Sinnesempfiudungen. Wir müssten also die Existenz der
äusseren Dinge durch das, was unmittelbar sinnlich pereipirt wird, schliessen. Aber
dieser Schluss ist trüglich. Er wird widerlegt durch die Unmöglichkeit, das Zu-
sammenwirken völlig heterogener Substanzen zu erklären. Es ist durchaus nicht zu
begreifen, in welcher Art ein Körper auf den Geist Einfluss haben könne. Es
würden also diese Körper ausserhalb des Geistes zu keinem Zwecke dienen, und
mau müsste so voraussetzen, Gott habe unzählige Dinge geschaffen, die durch-
aus nutzlos seien. So wird denn die Körperwelt aufgehoben, und gegen den ganzen
Begriff der Materie, der materiellen Substanz, als etwas, an dem die Eigenschaften
sich finden sollen, polemisirt Berkeley ganz besonders, als mit den schlimmsten
Widersprüchen behaftet. Den Begriff der Substanz hebt er freilich nicht auf.
Eine äussere Ursache müssen unsere Vorstellungen allerdings haben: denn wir
selbst sollen sie nicht hervorbringen können. Da diese Ursache nicht materiell sein
kann, so muss sie geistig sein, und zwar sind die Geister thätige untheilbare Sub-
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§ 15. Berkeley u. a. eugl. Philosophen.
12(J
stanzen. Die Vorstellungen in den endlichen Geistern werden nun hervorgebracht
von dem unendlichen, allmächtigen, allweisen und allgütigen Geist in geordneter
Weise. Von ihm werden sie uns eingedrückt. Die Lebhaftigkeit, Regelmässigkeit,
Unwiderstehlichkeit gewisser Vorstellungen zeugt dafür, dass sie eine Ursache
ausser uns haben. Durch diese Eigenschaften unterscheiden sich die von Gott her-
vorgebrachten Vorstellungen, die sogenannten wirklichen Wahrnehmungen, von den
bloss durch uus erzeugten, wie sie in Träumen, bei Illusionen vorkommen. Was wir
Naturgesetz nennen, ist in der That die Ordnung der Aufeinanderfolge unserer Ideen.*)
— Aehnliches wie Berkeley hat, von Malebranche ausgehend, der englische Geistliche
Arthur Collier gelehrt (1680 — 1732). Collier sagt, er sei bereits 1703 zu seiner
Theorie gelangt Dieselbe findet sich in einem handschriftlichen Aufsatz von ihm aus
dem Jahre 1708 vor; die Durchführung derselben in Colliers Clavis univ. aber scheint
einen Miteinfluss der berkeleyschen Principles zu bekunden. In dem ersten Theil
weist er die Existenz einer sichtbaren Aussenwelt zurück, in dem zweiten auch
die einer unsichtbaren; mögen diese erkennbar oder nicht erkennbar sein. Die
Vorstellungen von Körpern, welche Gott in uns hervorbringe, wie wir nach Male-
branche die Dinge in Gott schauten, seien freilich nicht in mir allein, sondern auch
in anderen Geistern, und so können wir mit Recht sagen, dass die Körper ausser
uns existiren. Näher steht der Ansicht Lockes die des Bischofs Peter Brown
*) Gegen das Ende des dritten Gesprächs zwischen Hvlas und Philonous fasst
Berkeley seine Lehre über die Natur der Sinnenwelt in folgende zwei Hauptsätze
zusammen, von welchen der eine ein richtiger Satz des gemeinen Menschenverstandes,
der andere aber ein wissenschaftlicher Satz sei. Der erste Satz (der des gemeinen
Verstandes) lantet, dass der reale Tisch und überhaupt die realen nicht denkenden
Objecte der Tisch und die Welt seien, die wir seheu und fühlen (sinnlich wahr-
nehmen); der zweite Satz (der wissenschaftliche) besagt, dass das, was wir sehen
and fühlen, ganz in Phänomenen besteht, d. h. gänzlich aus gewissen Eigenschaften,
wie Härte, Gewicht, Gestalt, Grösse besteht, die unseren Sinnesempfiudungen in-
häriren, folglich aus diesen Sinnesempfindungen selbst. Aus der Verbindung beider
Sätze miteinander folgt, dass solche Phänomene die realen Objecte Bind, dass also
in der Welt nichts Anderes existirt, als diese Objecte, deren Esse das Percini
ist, und die percipirenden Subjecte. Es möchte sich jedoch sehr fragen, ob nicht
die beiden ersten Sätze nur dann als wahr gelten können, wenn in ihnen der Aus-
druck: .das, was wir sehen und fühlen" in einem verschiedenen Sinne genommen
wird. Werden nämlich unter diesem Ausdruck die sinnlichen Perceptionen selbst
verstanden, so ist der zweite Satz wahr, aber der erste nicht; werden darunter
andererseits die transscendentalen Objecte (oder Dinge an sich) verstanden, welche
unsere Sinne so afficiren, dass in Folge dieser Afiectionen in uns die Perceptionen
entstehen, so ist der erste Satz wahr, aber der zweite falsch, und nur bei einem
Wechsel der Bedeutung sind beide wahr, weshalb der Schluss mit dem Fehler der
.quaternio terminorum" behaftet ist. Die Wahrnehmung ist mehr als der blosse
Empfindungscomplex; sie enthält ausserdem das durch ein ursprüngliches mit un-
bewusster Notwendigkeit sich vollziehendes und zur Gestaltung des Empfindungs-
stofles selbst noch mitwirkendes Denken gewonnene Bewusstsein von Aussendingen,
auf welche die Empfindungen schon von dem Kinde gedeutet und von welchen die
Empfindungen, sobald auf sie die Reflexion sich richtet, unterschieden werden.
Dieses Moment hat B. bei seiner Analyse der Wahrnehmung übersehen. Die
gegebene Ordnung der .Ideen* erkennt Berkeley zwar principiell als eine natur-
gesetzliche an; es ist aber nicht möglich, dieselbe wirklich als eine naturgesetzliche
zu verstehen, wenn angenommen wird, dass die „Ideen" des einzelnen Geistes nur
untereinander und zur Gottheit in directer Beziehung stehen. Die Ordnung der
.Ideen" des Einzelnen wird nur dadurch begreiflich, dass ein causales Verhältniss
derselben zu endlichen Dingen, welche unabhängig von dem Bewusstsein des Ein-
zelnen existiren, angenommen wird; insbesondere müssen, wenn die causale Ordnung
verständlich werden soll, die Beziehungen denkender Wesen zu einander durch an
sich reale nicht denkende Wesen vermittelt sein.
U*l«rwtf-H«intt, OnadriM III. 7. An«. 9
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130 $ 15. Berkeley u. a. engl. Philosopheu.
(the procedure, exteut and limits of human understauding, London 1728), der freilieh
nicht mehr fern von dem reinen Sensualismus ist Gegen Locke schrieb n A. auch
John Norris (1657-1711), der in seinem Essay towards the theory of the ideal
or intelligible World, 1701 u. 1704, sich an Malebranche anschliesst; dieser ist für
ihn der Galilei der intellectuellen Weit. Auch neigte er sich der mystisch - plato-
nischen Theorie von Henry More zu und verfasste gegen Tolands Schrift über das
Christenthum ohne Gehelmniss: An acconnt of reason and faith in relation to the
mysteries of Christianity, 1697. Auf ihn nimmt Collier Öfters Bezug.
Als Vater der englischen Associationspsychologie ist David Hartley
(1704 — 1757) zu bezeichnen, welcher den allerdings schon von Locke gebraoehten
Namen .Association41 für einen solchen Vorgang einbürgerte (in Lockes Essay
findet sich schon ein Abschnitt, der von der association of ideas handelt), durch
den aus den Elementen ein neues seelisches Gebilde entsteht. Zugleich aber legte
er Gewicht auf die Verbindung der psychologischen und physiologischen Processe.
Wenn beide auch nicht identisch sein sollten, so statuirte er doch einen festen
Zusammenhang zwischen beiden. Ks sollen den psychischen Vorgängen Vibrationen
der Gehirn- und Nervensubstanz entsprechen, und zwar einfache den einfachen, zu-
sammengesetzte den zusammengesetzten; dadurch scheint aber das seelische Leben
von dem mechanisch leiblichen abhängig und in seiner Selbständigkeit aufgehoben.
Es tritt wie für die Gehirnfunctionen, so auch für die Vorstellungsassociationen,
namentlich für die Affecte, feinen Triebe, Willensentschlüsse, die auch aus den
einfachen Grundelementen entstehen, die mechanische Nothwendigkeit in Kraft, so
dass Hartley dem Materialismus nahe kam, und seine wissenschaftliche Ueberzeugung
mit seinem religiösen Sinn sich in Zwiespalt befand. Freilich soll nach ihm die
Analyse psychischer Processe immer nur auf psychische Elemente, nicht auf leib-
liche führen, und die Empfindung nie sich durch Bewegung erklären lassen. — Bei
ihm finden wir auch die Anfänge des durch G. Boole und neuerdings durch Stanley
Jerons auagebildeten logischen Algorithmus oder Logikcalculs.
Ohne Vorbehalt bekennt sich zu dem Materialismus auf psychologischem Gebiete
der Schüler Hartleys, Josef Priestley (geb. 1738 in der Grafschaft York, gest.
1804 in Philadelphia), Entdecker des Sauerstoff. Sowohl die Vorstellungs-
associationen, als auch die Willensentschlüsse, sowie die Handlungen, sind durchaus
bedingt durch die Gehirnschwingungen. Einen prüicipiellen Unterschied zwischen
psychischen und physischen Erscheinungen giebt es nicht. Deshalb entscheidet sich
auch Priestley von vornherein für den Determinismus. Die Psychologie soll ein
Theil der Physiologie werden; anstatt die psychischen Tbatsachen zu analysiren,
soll man Physik des Nervensystems treibe». Dagegen bekämpft er anf das heftigste
den Materialismus auf dem metaphysischen Gebiete. Die Welt zeigt durch den
vollendeten Mechanismus ihrer Bewegungen, dass sie von einer höchsten Intelligenz
hervorgebracht ist Ebenso lehrt Priestley die Unsterblichkeit der Seele. — Die
Associationspsychologie wurde weiter ausgebildet durch Erasmus Darwin
(1731 — 1802, Zoonomia or the Laws of organic life, 2 vols., Lond. 1794—96), auch
durch Abraham Tucker (1705—1774, Light of Nature pursued by Edw. Search,
Pseudonym, 1768-1778).
Ein merkwürdiges Beispiel für das Streben, den Widerspruch zwischen der
strengen wissenschaftlichen, dem Mechanismus huldigenden Forschung und dem
Inhalte des christlichen Glaubens zu heben, bietet der berühmte Chemiker Robert
Boyle (1627 — 1691), der die chemische Zusammensetzung der Luft in den Bereich
seiner Untersuchungen zog. Er gründete ein Institut, in welchem zur Befestigung der
christlichen Lehre und der teleologischen Weltanschauung Vorträge gehalten wurden.
(S. unt Clarke.)
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§ 15. Berkeley u. a. engl. Philosophen.
131
Locke« jüngerer Zeitgenosse, der grosse Mathematiker and Physiker Isaak
Newton (1642—1727) stand den specifiseb philosophischen Untersuchungen ferner.
Er rief der Physik zu: hüte dich vor der Metaphysik! Er preist die Verbannung
der scholastischen »formae substantiales* und ,qualitates occultae", empfiehlt die
mathematisch -mechanische Erklärung der Erscheinungen und sagt: „omnis philo-
sopbiae difficultas in eo versari videtur, ut a phaenomenis motuum investigemus
vires naturae, deinde ab his viribus demonstremns phaenomena reliqua". Newton
verlangt, dass die analytische Betrachtung stets der synthetischen vorausgehe; er
glaubt, dass die Cartesianer dieser Forderung zu wenig gerecht geworden seien und
sich in ein Hypothesenspiel verloren haben. Die analytische Methode geht von
Experimenten und Beobachtungen zu allgemeinen Schlüssen fort; sie schliefst aus
den zusammengesetzten Dingen auf die einfachen, aus den Bewegungen auf die
bewegenden Kräfte und überhaupt aus den Wirkungen auf die Ursachen, ans den
besonderen Ursachen auf die allgemeineren bis zu der allgemeinsten hin; die syn-
thetische Metbode dagegen erklärt aus den erforschten Ursachen die daraus her-
fliessenden Erscheinungen. Hypothesen verwirft Newton prineipiell, ohne jedoch in
der wirklichen Forschung dieselben ganz entbehren zu können. Er basirt auf die
Erscheinungen die Doctrin der allgemeinen Schwere, welche proportional den Massen
and umgekehrt proportional den Quadraten der Entfernungen wirke. Er lehrt, die
Schwere der Planeten gegen die Sonne sei zusammengesetzt aus ihrer Schwere
gegen die einzelnen Sonnentheile. Den Grund der Schwere lässt er unerforscht.
Von Newtonianern wird die Schwere zu den primären Qualitäten der Körper
gerechnet (wie z. B. Rogerus Cotes in der Vorrede zu der zweiten, 1713 erschie-
nenen Auflage der newtonschen Principia philos. nat. sagt, die Schwere sei inter
primarias qnalitates corporura universorum ebensowohl enthalten, wie die Aus-
dehnung, Beweglichkeit und Undurchdringlichkeit, was Leibniz tadelt, Lettre ä
Bourguet, in Erdmanns Ausg. S. 732). Newton dagegen sagt (in der Vorrede zur
zweiten, 1717 erschienenen Auflage seiner Optik): »et ne quis gravitatem inter essen-
tiales corporum proprietates me habere existimet. quaeationem unam de ejus causa
investiganda subjeci, quaestionem inquam, quippe qui experimentis rem istam nondum
babeam exploratam". Er führt nämlich in der Quaestio XXI des dritten Buches der
Optik die Schwere versuchsweise auf die Elasticität des Aethers zurück, dessen
Dichtigkeit mit seinem Abstand von den festen Körpern wachse. Naturwissen-
schaftlich hochgebildete Zeitgenossen Newtons, wie Huyghens, wussten sich in das
neue Princip nicht zu finden; die Erklärung der Ebbe und Fluth durch das
Attractionsprincip findet Huyghens unbefriedigend, und er sagt, dieses Princip
erscheine ihm absurd (in einem Briefe an Leibniz vom 18. Nov. 1690). In der
Optik verwirft Newton die (von Huyghens vertretene) Vibrationstheorie, weil die-
selbe gewisse Erscheinungen nicht zu erklären vermöge, insbesondere auch weil
aus ihr eine Verbreitung des Lichts, die der des Schalls gleichartig wäre, also ein
Sehen um die Ecke gleich dem Hören um die Ecke folgen würde (die Entgegnung
auf diesen Einwurf giebt u. A. Helmholtz in seiner „physiol. Optik"); doch nimmt
auch Newton an. dass mit den aus leuchtenden Körpern emittirten materiellen
Strahlen Vibrationen verbunden seien; insbesondere sollen solche in den Sinnes-
organen selbst statthaben. Mittelst derselben werden die Gestalten (species) der
Dinge dem Gehirn zugeführt und in das Sensorium gebracht, welches der Ort ist,
wo die empfindende Substanz gegenwärtig ist und die ihr hier gegenwärtigen Bilder
der Dinge pereipirt. Ohne dass es einer Vermittelung durch Sinne bedarf, percipirt
der allgegenwärtige Gott unmittelbar die Dinge selbst, die in ihm sind ; der unend-
liche Raum ist gleichsam das Sensorium der Gottheit. (In dieser letzteren Ansicht
schliesst sich Newton an Piatons Lehre von der räumlichen Ausbreitung der Welt-
9*
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132 § 16- Englischer Deismus.
seele durch das Ganze der Welt an, bezieht dieselbe aber mit Henry More und
anderen Piatonikern auf Gott, den er jedoch nicht Seele der Welt genannt wissen
will, da die weltlichen Dinge zu ihm nicht in dem gleichen Verhältniss stehen, wie
unser Leib zu uns, sondern eher in dem Verhältniss, wie die Species in unserm
Sensorium zu uns.) Der Beweis für Gottes Dasein liegt in der ausgesuchten Kunst
und Verständigkeit, die sich uns in dem Bau der Welt und insbesondere auch in
dem Organismus eines jeden lebenden Wesens bekundet.
§ 16. Von Herbert von Cherbury leitet sich der englische
Deismus her, der in seinen späteren Vertretern auch durch Locke
beeinflusst wurde. Im Gegensatz zu der Offenbarungsreligion nimmt
er eine natürliche oder vernünftige Religion (Rationalismus) an, die
den Glauben an Gott einschliesst. Diese ist ihm zugleich die Norm
für den Werth aller positiven Religionen, auch des Christenthums, in
das sich während seiner geschichtlichen Entwickelung viel Irrthüm-
liches eingeschlichen hat. Da eine freie Prüfung der Religionen statt-
findet, sind die Deisten zugleich Freidenker. Zu ihnen werden nament-
lich gezählt John Toland, der freilich später einen consequenten
Pantheismus vertrat, die Einheit von Materie und Kraft lehrte und
die specifische Verschiedenheit von Geist und Materie leugnete, An-
thony Collins, Matthews Tindal, auch der im Leben und Denken
frivole Staatsmann Bolin gbroke.
Ueber den englischen Deismus s. das ob. S. GO eitirte Werk von Vi et Lechler.
Ueber Herbert v. Cherbury s. auch ob. S. GO.
John Toland, Christianity not mysterious, Lond. 169G (zuerst anonym erschienen);
letters to Serena, an die Königin von Preussen, Sophie Charlotte, gerichtet, nebst einer
Confutation of Spinoza an einen Holländer und einem weiteren Briefe, in dem dargelegt
wird, dass die Materie mit Bewegung begabt sei, London 1704; Nazarenus or Jewish,
Gentile and Mahometan Christinnily, Ix>nd. 1718; Pantheistieon, Cosmopoli 1710 (anonym).
Vgl. über Toland: Mosheim, de vita, factis et seriptis Johannis Tolandi, in Vindieiae
antiquae Christianorum diseiplinae, 2. ed., Hamburg 1792. John Hunt, the eontemporary
review 1868, Juni, S. 178—198. Gerh. Berthold, John Toland und der Monismus
der Gegenwart, Heidelberg 1876.
Collins, A diseourse of freethinking, occasioned hy the rise and growth of a
seet eall'd freethinkers, Lond. 1713, im Haag 1714 französisch: Discours sur la liberte
de penser: A diseourse of the grounds and reasons of the Christian religion. Lond.
1724 (anonym). H. G. Thorsehmid, krit. Lebensgesch. A. CollinB, des ersten Frei-
denkers in England, 1755.
Tindal, Christianity as old as the creation: or the gospel a republieation of the
religion of nature, Lond. 1730, ins Deutsche Tibers, v. LoitDI Schmidt: Beweis, dass
das Christenthum so alt ist als die "Welt, 1741.
Morgan, The moral philosopher, Lond. 1737—40.
Die Bezeichnung „Deist" stammt aus dem 16. Jahrh., s. Eucken, Beiträge
S. 171 , und wurde zuerst im Gegensatz zu Atheismus gebraucht für einen solchen,
der im Allgemeinen an eine Gottheit glaubte. Die Vertreter der Kirchenlehre
brachten dann auch im Gegensatz zu Atheismus „Theist" auf. So hat sich all-
mählich ein Unterschied zwischen Deist und Theist ausgebildet und zwar dahin,
duss der erstere einen Gott annimmt, der die Welt geschaffen hat, sie nun aber ihrem
gesetzlichen Gange überlässt, so dass auch keine lebendige Beziehung Gottes zu
dem Mensehen da ist, während der letztere einen lebendigen und persönlichen Gott
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§ 16. Englischer Deismus.
188
glaubt, der ebenso über als in der Welt ist 8. dazu auch Kant, Kr. d. r. V .
Rosenkr. 491 f. — Die Bezeichnung .Pantheist* rührt von Toland her.
John Toland, 1670 in Irland geboren, hatte wegen seiner Schrift: Christianity
not roysterious, welche als eines der Hauptbücher des englischen Deismus zu be-
trachten ist, viel Anfechtungen zu erdulden. Er hielt sich 1701 am Hofe in Han-
nover und 1701 und 1702 längere Zeit an dem Hofe der Königin Sophie Charlotte
von Preussen in Berlin und Charlottenburg auf. Er starb 1722 in bitterer Armuth
in der Nähe von London. In seiner ersten Schrift schlpss er sich eng an Lockes
Erkenntnisslehre an und suchte zu zeigen, dass die Lehren des Evangeliums nichts
gegen die Vernunft, aber auch nichts Uebervernünftiges enthielten. In einer
späteren deistischen Schrift sucht er nachzuweisen, dass die frühesten Christen als
Judenebristen zu betrachten seieu, die das Gesetz beobachteten und gleichgesinnt
mit den später als Häretiker von der Kirche ausgeschiedenen Nazarenern oder
Ebioniten gewesen seien, und dass die Heidenchristen partiell ihre heidnische Vor-
stellungsweise in das Christenthum hineingetragen hätten. In seiner Widerlegung
Spinozas hat er an diesem zweierlei auszusetzen, erstens, dass Spinoza unterlassen
habe, eine Definition der Bewegung zu geben, und zweitens, dass er behaupte, jeder
Theil der Materie denke beständig. Nach Toland ist Bewegung eine wesentliche
Eigenschaft der Materie. Undurchdringlichkeit, Ausdehnung und Action sind drei
verschiedene Begriffe, aber keine drei verschiedenen Dinge. Es sind bloss drei ver-
schiedene Betrachtungsweisen ein und derselben Materie; das Princip der Erhaltung
der Kraft nimmt Toland nicht in der leibnizischen , sondern in der cartesianischen
Fassung. Da die Materie nicht inactiv ist, bedarf es zur Erklärung der Lebens-
erscheinungen und der psychischen Processe nicht einer besonderen Lebenskraft
und einer vom Körper verschiedenen Seele. Aber freilich kommt das Denken nicht
jedem Theilchen der Materie zu, auch nicht jedem Partikelchen des Menschen,
sondern es ist Gehirnfunctiou. Wie die Zunge das Organ des Geschmacks ist, so
ist das Gehirn Organ des Denkens. In seinem „Panthcisticon" giebt er den Ent-
wurf einer Religion der Zukunft an und sogleich einen Cultus der pantheistischen
Brüder. — Toland, auf welchen die Bezeichnung „Freidenker" zuerst angewandt
wird (von Molyneux in einem Brief au Locke aus d. J. 1697; Toland selbst schreibt
1711 von sich und den ihm Gleichgesinnten: we freethinkers), hat bedeutenden Ein-
fluss auf die Entwickelung des Materialismus in Frankreich gehabt.
Andere Freidenker und Deisten wie Anthony Col lins (1676 — 1729), Matthews
Tindal (1656—1733), gingen über Lockes biblisches Christenthum zum Vernunft-
glauben hinaus. Collins suchte zu beweisen, dass freies Denken nicht beschränkt
werden könne, nicht beschränkt werden dürfe und geübt werden müsse, um
gegenüber den von einander abweichenden Ansichten christlicher Priester zur
richtigen Erkenntniss Gottes und zur richtigen Auffassung der heiligen Schrift zu
kommen. Unter den ihn bekämpfenden Gegenschriften ist am bekanntesten Phil-
eleutherus Lipsiensis von Bich. Bentley, 1710 erschienen. Das WerkTindals: Christia-
nity as old as the creation, das oft als die eigentliche Bibel des Deismus bezeichnet
wird, sucht darzuthun, dass die natürliche Religion von vornherein durchaus voll-
kommen gewesen sei, dass durch Offenbarung nichts habe hinzukommen können, und
dass Christus die natürliche Religion oder das Gesetz der Natur wieder hergestellt
habe. Thomas Morgan preist in seiner Schrift, welche die Form eines Dialogs
zwischen dem christlichen Deisten Philalethes und dem Judenchristen Theophanes
hat, das mosaische Gesetz und überhaupt das alte Testament. — Zu den Deisten
ist auch Lord Bolingbroke (Henry St. John, 1672—1751) zu rechnen, dessen
sämmtliche Werke von dem schottischen Dichter Dav. Mollet 1753 — 1754 in 5 Bdn.
herausgegeben, aber bald darauf von der grossen Jury zu Westminster als dem
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134 § 17. Shaftesbary u. a. engl. Moralphilosophen.
Glauben, den Sitten und der öffentlichen Wohlfahrt gefährlich verdammt wurden.
Er huldigt der Erkenntnistheorie Lockea, hält mit Buchanan die speculativen
Philosophen von Piaton bis Malebranche für eine ,gena ratione furens*, glaubt
jedoch, durch die Erfahrung zur sicheren Erkenntniss Gottes zu kommen. Die
Freiheit des Denkens soll nur für die höheren Klassen der Gesellschaft gelten, die
Massen müssen an der herrschenden Religion festhalten und durch dieselbe geleitet
werden. Er erklärt sogar in einem Briefe an Swift die Freethinkers für eine Pest der
Gesellschaft. Ein grosser yerehrer Bolingbrokes war Voltaire. Vgl. Fr. v, Räumer,
Lord B. u. seine philos., theol. u. polit. Werke, in d. Abhandl. der kgl. Ak. d. W.
z. Berlin 1840.
§ 17. Nachdem schon vor Lockes Auftreten Richard Cumber-
land die Moral in einem den hobbesschen Ansichten entgegengesetzten
Sinne behandelt hatte, fand in der Zeit nach Locke und grossentheils
in Folge der von ihm ausgegangenen Anregung in England und Schott-
land die Moralphilosophie zahlreiche Bearbeiter. Freilich befolgten
diese grossentheils von der lockeschen Erkenntnisslehre abweichende
Principien. Als der bedeutendste dieser Moralphilosophen muss der
jüngere Shaftesbury (1671 — 1713) gelten, der seiner Ethik eine
Theorie der Affecte zu Grunde legte, unterscheidend zwischen selb-
stischen, geselligen und Reflexions- oder rationalen Affecten, und in
der Ethik zugleich den ästhetischen Gesichtspunkt geltend machte.
Das richtige Verhältniss zwischen selbstischen und wohlwollenden
Affecten gefallt, und in dieser Harmonie beruht die Tugend. Mit der
Tugend ist zugleich die Glückseligkeit gegeben. — Die religions-
philosophischen Ansichten Shaftesburys neigen sich mehr einem opti-
mistischen Pantheismus als dem Deismus zu. — Seine namhaftesten
Schüler waren Butler und Hutcheson, von denen der erstere dem
„Gewissen" als dem Princip der Reflexion die Herrschaft über alle
anderen Affecte zuerkannte, der letztere, die Moral noch mehr in das
Gebiet der Aesthetik ziehend, den „moralischen Sinnu in den Vorder-
grund stellte.
Clarke lehrte, man müsse sich nach der Eigenthümlichkeit der
Dinge in seinem Verhalten gegen sie richten, und Wollaston ganz
Aehnliches, indem er Wahrheit durch die Handlungen ausgedrückt
wissen wollte. Ferguson verbindet die drei Principien der Selbst-
liebe, des Wohlwollens und der Vollkommenheit.
Vgl. hierzu Gco. v. Gizycki, die Ethik David Humes. Einleitung: die englisch?
Ethik vor Hume. James Maekintosh, on the progress of Kthieal philosophy, ehiefly
during the XVIIth and XVIIIth centuries, ed. by Will. Whewell, 4. edit, Edin-
burgh 1872.
Cumberland, de legibus naturae disquisirio philosophica, in qua earum forma,
summa, capita, ordo, promulgatio e rerum natura investigantur, quin etiam elementa
philosophiae Hobbianae cum moralis tum civilis considerantur et refntantur, Lond. 1672.
In* Englische über«, v. Jean Maxwell, Lond. 1727, ins Französische von Barbeyrac,
Arastd. 1744.
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§ 17. Shaftesbury u. a. engl. Moralphilosophen.
185
Shaftesbury, Characteristicä of Men, Männer«, Opinions, Times, London 1711,
1714 u. ö., zuletzt 1869, 3 Bde., von Walt. M. Hatch, von dem aueh sein Leben er-
scheinen wird; deutsch Lpz. 1770, die deutsche UeberM-tzung v. 1768 enthält nur die
beiden ersten Abhandlungen des Werkes. Die Characteristies enthalten: 1) a letter con-
cerning Enthusiasm, to Mylord Sommers, 2) Scncue communis, au essay on üie freedom
Of Wit and Humour. 3)Solilogy, 4) an inquiry com erning Virtue and Merit, 5) the
Moralist«, 6) Miscellaneous reflexions on the preceding treatiscs and other critical
subjects, 7) a notion of the historical draught or tablature of the judgment of Hercules.
Am bedeutendsten sind die 4. und 5. dieser Abhandlungen. Die 4. ist von Diderot
franz- bearbeitet u. hiernach auch ins Deutsche übersetzt, Lpz. 1780. Ausserdem röhren
noch von 8h. her: Several letters, written by a noble Lord to a young man at the
University, Lond. 1716. Ueber ihn handeln Gideon Spicker, die Phil. d. Graf. v. Sh.,
Freib. i. Br. 1872. Leslie Stephen in s. Essays on freethiuk. and plainsp.. S. 198 — 242.
Georg v. Gizycki, die Philos. Shaftesburys, Lpz. u. Heidelb. 1876. Tb. Fowler, Sh.
and Hutcheson, Lond. 1882.
Jos. Butler, the analogv of religion, natural and revealed, to the Constitution
and course of nature, London 1736; tifteen sermons upon human nature, or man COH-
sidered as a moral agent, London 1726. Ueber ihn L. Carrau, la philos. de Butler,
in: Revue philos., 21, 1886, S. 144—158 (la morale). 265— 280 (l'analogie).
Sam. Clarke, a demonstrat. of the being and attributes of God, Lond. 1705 — 6;
a discourse concerning the unalterable obligations of natural religion and the truth and
certainty of the Christian revelation, Lond. 1708; philosophical inquiry concerning human
liberty, Lond. 1715, 2. Aufl. mit Zusätzen 1717. Die den Streit mit Leibniz betreffenden
Acten finden sich in: A collection of papers, which passed between the late leamed
Mr. Leibniz and Dr. Clarke in the years 1715 and 1716 reluting to the principles of
natural philosophy and religion by Sam. CL, Lond. 1717, deutsch, Krankf. 1720. The
works of S. CL, with a preface giving some aecount of the uuthor by Benj. Hoadly,
4 Foliobb., Lond. 1738—42. Ueb. ihn handelt R. Zimmermann, C.s Leb. u. Lehre,
Wien 1870, aus d. Denks.hr. d. Ks. Akad. d. W., phil.-hist. Cl. 19. Bd. S. 249—336.
W. Wollaston, the religion of nature delineated, Lond. 1722, 1724 u. ö. J. M.
Drechsler, üb. W.s Moralphil., Erlang. 1801.
Fr. Hutcheson, Inquiry into the original of our ideas of beauty and virtue, Lond.
1725, 2. Aufl. 1726, u. ö., deutsch Frankf. 1762: philos-ophiae moralis institutio com-
pendiaria, ethices et jurisprudentiae naturalis prineipia continens, Glasgow 1745;
a System of moral philos. (with the life, writings and character of the author by Wm.
Leei hmann), Glasgow 1755. Ueber ihn Th. Fowler, Shaftesb. and H., Lond. 1882.
H. Home, Essays on the principles of morality and natural religion, Edinb. 1751,
deutsch Braunschw. 1768: Elements of criticism. Lond. 1762, deutsch Lpz. 1765. Ueb.
ihn handelt A. F. Tytler (Lord Woodhouselen), Memoirs of the life and writing« of
Henry H., of Kames, Ediub. 1807—10; Lond. 1814. Vgl. auch Wm. Smellie, literary
and characterütic lives of John Gregory, Henry Home, Lord Kames, David Hunie and
Ad. Smith with a dissert. on public spirit and three essavs. Edinb. 1800.
A. Ferguson, instit. of moral philos., Lond. 1769, deutsch v. Garve, Lpz. 1772.
Richard Cumberland (geb. 1632 zq London, gest. 1719 als Bischof von Peter-
borough) bestritt heftig die Doctrin des Hobbes, dasa die menschliche Natur nur
von der Selbstsucht ursprünglich getrieben werde, und gründete die Moral anf das
Wohlwollen, und zwar soll es nach ihm ursprünglich in der Menschennatur liegende
wohlwollende Neigungen geben. Da« allgemeine Wohl ist das höchste Gesetz.
Was zu diesem Wohle fuhrt, ist sittlich. Aber freilich bezieht sich diese bene-
volentia universalis auch auf das eigene Selbst Denn die Verpflichtung zu dem
allgemeinen Wohl geht nur daraus hervor, dass in diesem das eigene Wohl mit
eingeschlossen ist. Der höchste Grad thätigen Wohlwollens, den jedes vernünftige
Wesen gegen alle gleichen Wesen beweist, erzeugt den möglichst glücklichen
Zustand der Gesnmmtheit und des Einzelnen und ist für denselben unentbehrliche
Voraussetzung. Mit dem Wohle aller Vernunftwesen befördern wir unser eigenes,
wie von der Gesundheit des ganzen Körpers das Wohlbefinden jedes einzelnen
Gliedes abhängt. — So hat Cumberland die beiden nachher schroff von einander
getrennten Richtungen der F.thik, freilich in unklarer Weise, noch verbunden.
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136
§ 17. Shaftesbury u. a. engl. Moralphilosophen.
Anthony Ashley Cooper, Graf von Shaftesbury, geb. 1671, gest. 1713 in
Neapel, war der Enkel des älteren mit Locke befreundeten Shaftesbury. Seine
Erziehung hatte Locke geleitet. Er war ein Kenner und warmer Freund des Alter-
thums, besonders des Aristoteles und der Stoiker. Er nahm auch vieles von der
alten Moral in seine Philosophie herüber. In seinen Schriften behandelte er philo-
sophische Themata in leichter, gefalliger, dem Conversationstone sich nähernder
Art, besonders um die Schichten der höheren Gesellschaft wieder für die Philosophie
zu gewinnen. Gerade wegen dieser Kunst seiner Schreibart ist er als Philosoph
oft geringgeschätzt worden. In seinen Schriften zeigt er sich zugleich als ein Manu
von Lebens- und Weltkenntniss , der sich mit Kunst und Litteratur eingehend und
kritisch beschäftigt hat — Vor allen Dingen geht er darauf aus, die selbständige
Bedeutung der Sittlichkeit anzuerkennen, sie seinerseits von der Theologie, anderer-
seits aber auch von dem Naturmechanismus unabhängig zu machen. Die reine Liebe
zum Guten und zur Tugend ist ihrer Entstehung und Natur nach selbständig. Sie
wird zwar befördert durch die religiöse Annahme der Güte und Schönheit im Welt-
ganzen und eines guten und gerechten Lenkers der Welt, aber sie entartet durch
Gunstbuhlerei bei Gott, durch Hoffnung auf Lohn, Furcht vor der Strafe. —
Shaftesbury hat mit dieser seiner Lehre auf die kantiache Darlegung deB Verhält-
nisses zwischen Moralität und Religion beträchtlichen Einfluss geübt.
Er gründet nun seine Ethik auf psychologische Basis, indem er die mensch-
liche Natur erforscht, namentlich eine Theorie der Affectc, der Neigungen giebt,
ähnlich dem Spinoza. In den thierischen Organismen findet er ein doppeltes Streben,
einmal ein auf das Eigenleben gerichtetes, Hunger, Durst u. dgl., und dann ein auf
das Gattnngsleben bezügliches, Fortpflanzungstrieb. Dasselbe ist auch bei dem
Menschen der Fall, in dem sich die selbstischen Triebe zeigen neben den socialen,
geselligen, welche letzteren auf Andere oder auf das Gattungsleben sich beziehen,
wie Mitleid, Mitfreude, Liebe zur Nachkommenschaft, und in jedem normalen
Menschen zu einem hohen Grade entwickelt sind. Diese beiden Affecte sind die
natürlichen. Neben diesen giebt es noch unnatürliche, welche den genannten ent-
gegenwirken und sich als Bosheit kundgeben, als unmenschliche Lust am Anblick
der Qualen Anderer, als Schadenfreude. Auch das Uebermaass der selbstischen
Neigungen soll zu den unnatürlichen Affecten gehören, z. B. die Entartung des
Geschlechtstriebes. Diese unnatürlichen dürfen in einem normalen Individuum nicht
vorkommen.
Ausser den selbstischen und geselligen Affecten, welche beide auch sinnliche
genannt werden, weil sie auf Anschauliches gerichtet sind, finden sich, aber nur bei
dem Menschen, noch die rationalen oder Reflex ionsaffecte, welche die Vernunft
voraussetzen. Es bestehen diese Affecte in Gefühlen der Achtung oder Verachtung
des Moralisch-Schönen oder Häsalichen, und ihre Gegenstände sind die mensch-
lichen Handlungen oder richtiger die Gesinnungen, aus denen die Handlungen
fliessen, und die Affecte. Geradeso wie bei den sinnlichen Gegenständen der Ein-
druck von Schönheit, Hässlichkeit hervorgebracht wird je nach der Anordnung und
den Verhältnissen, wie Harmonie oder Dissonanz in den musikalischen Tönen, so wird
sich auch, wenn Thun und Handeln sich unserer Vernunft darstellen, ein Unter-
schied in den Gefühlen bemerklich machen, indem hier der Geist etwas Angenehmes
oder Unangenehmes herausfindet. Er kann ebensowenig dort wie hier seine Ab-
neigung oder seine Bewunderung zurückhalten. Es ist dies eine Art feinerer Sinn,
der sich in den rationalen Affecten äussert, ebenso wie es einen Sinn für Musik,
einen Farbensinn giebt, und zwar ist dieser moralische Sinn angeboren (dies gegen
Hobbes und Locke gerichtet, obwohl Sh. letzteren aus Pietät nicht nennt). Diese
Reflexionsaffecte sind aber nicht nur ästhetische Urtheile, sondern selbsttreibende
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§ 17. Shaftesbury u. a. engl. Moralphilosophen.
137
Kräfte, die den Beurtheilenden selbst zum sittlichen Ziele hinbewegen müssen.
Freilich ist bei den Künsten der natürliche Sinn nicht hinreichend; es moss die
Cultur hinzukommen, damit sich der Geschmack ausbilde. So muss sich auch die
moralische Kunst auf Grund des ursprünglichen Triebes ausbilden durch üebung,
um namentlich in verwickelten Fällen sicher zu seiu. — Shaftesbury lässt auf die*e
Weise das Sittliche in der Natur des Menschen begründet sein und nicht von
aussen durch Hoffnung auf Belohnung, Furcht vor Strafe erzeugt oder befördert
werden. Solche Motive lassen sich anwenden, wenn es darauf ankommt, den Menschen
zu bändigen, aber nicht um ihn sittlich zu machen.
Was gefällt nun aber als moralisch schön oder als Tugend? Das Schöne wird
zurückgeführt überall auf Harmonie, also auf Verbindung des Verschiedenen, Ver-
söhnung der Gegensätze; so wird das Wesen der Sittlichkeit beruhen in dem rich-
tigen harmonischen Verhältniss der selbstischen und geselligen Neigungen, und es
leuchtet hier die Verbindung des moralischen mit dem ästhetischen Gesichtspunkte
bei Shaftesbury deutlich hervor. Gut und tugendhaft sein heisst, alle seine Neigungen
gerichtet haben auf das Gute der Gattung oder des Systems, von welchem das Sub-
ject ein Theil ist. Das Gute des Systems, welchem der Handelnde angehört, muss
der unmittelbare Gegenstand seiner Neigung sein. Wenn auch bo die Tugend be-
zeichnet werden kann als die auf das allgemeine Wohl zielende Richtung der Affecte,
so sollen die selbstischen Triebe doch nicht vollständig unterdrückt werden zu
Gunsten der allgemeinen Glückseligkeit Dadurch würde nur eine Disharmonie zu
Tage kommen. Mit der Tugend ist zugleich die Glückseligkeit verbunden, und
bisweilen tritt der endämonistische Charakter in der Ethik Shaftesburys stark
hervor, wie der Satz beweist, dass die richtige Selbstliebe der Gipfel der Weisheit
sei. Die Lehre Shaftesburys ist auch später von seinen Nachfolgern zu einem
vollkommenen Eudämonismus entwickelt worden.
In Bezug auf seine Religiousphilosophie wird Shaftesbury häufig als Deist be-
zeichnet. Er verwahrte sich aber selbst gegen diesen Namen und trat der christ-
lichen Religion nicht feindselig gegenüber, wohl aber einer starren Orthodoxie. An
dem historischen Christenthum fand er nicht Alles gut und wahr, und so leistete er
dem Freidenkerthum Vorschub. Doch leugnete er die Offenbarung nicht durchaus.
Seine religiöse Ansicht ist kaum deistisch zu nennen, er neigte vielmehr dem
Pantheismus zu, mit dem er einen entschiedenen Optimismus verband, wobei sich
auch die künstlerisch -ästhetische Richtung Shaftesburys geltend machte. Alle
einzelnen Mängel und Widersprüche in der Welt sollen nothwendige Bedingungen
für die allgemeine Vollkommenheit sein, wie die Disharmonien für die Harmonie,
Gedanken, die sich dann später ausgeführt und metaphysisch begründet in der
leibnizischen Theodicee finden. — Shaftesburys Bedeutung liegt mehr in seiner
Ethik als in seiner Religionsphilosophie. Der englischen Moralphilosophie hat er
im Ganzen und Grossen ihre Richtung gegeben, und von bedeutendem Einfiuss
ist er auf deutsche Dichter uud Denker gewesen, so vor Allen auf Herder und
Schiller.
Ein Anhänger und Schüler Shaftesburys war der Bischof Josef Butler
(1692 — 1752), welcher die Reflexionsaffecte oder das Princip der Reflexion „Ge-
wissen" nannte ; dieses trage die Oberhoheit über alle inneren Principien unmittelbar
in sich, und es sei von der Natur bestimmt zum Richter über alle anderen Affecte.
Würde der Mensch durch eine Leidenschaft bestimmt zum Handeln wider die
Stimme des Gewissens, so sei dies nichts als Usurpation. Das Gewissen sei zum
Herrschen geboren, die Begierden zum Gehorsam. Uebrigens legte Butler Nach-
druck darauf, dass die sittliche Billigung oder Missbilligung nicht bedingt werde
durch das Uebergewicht des aus der Handlung hervorgehenden Glücks oder Elends :
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138
§ 17. Shaftesbury a. a. engl. Moralphilosophen.
wir missbilligen Falschheit und Ungerechtigkeit unabhängig von jeder Erwägung
der Folgen. Das Glück des Menschen im gegenwärtigen Zustande ist nicht das
letzte Ziel.
Ebenfalls ein Schüler Shaftesburys war Francis Uutchesou (geb. 1694 in
Irland, seit 1729 Professor der Moralphilosophie zu Glasgow, gest. 1747), welcher
die sittliche Güte in die wohlwollenden Neigungen setzte, indem er die Neigungen
als ruhig und dauernd von den Leidenschaften als blind und vorübergehend unter-
schied, und ferner die wohlwollenden Triebe von den selbstischen. Die Tugend ist
in einem sittlichen Sinne oder Gefühle (moral sense, ein Ausdruck, der von Shaftes-
bory selbst schon gebraucht war) gegründet!, vermöge dessen wir billigen, was auf
allgemeine Glückseligkeit abzielt. Dieser moralische Sinn ist aber nicht, wie die
Reflexionsaffecte bei Sbaftesbury, activ, zum Handeln antreibend, sondern nur
urtheilend, zuschauend und mit dem Schönheitssinn in engste Parallele gestellt. Zum
Handeln treibt uns das Wohlwollen, welches Hutcheson als uninteressirt annimmt.
Die Liebe des Menschen zum Menschen, überhaupt eines jeden Wesens zn den ihm
verwandten Wesen, die allgemein ist, sofern nicht das individuelle Interesse sie ein-
schränkt, vergleicht er mit der Gravitation. Die Selbstliebe ist insoweit berechtigt,
als wir uns als Theil der Gesammtheit lieben.
Samuel Clarke, ein namentlich in früheren Zeiten hochgeschätzter Denker,
war geboren 1676 zu Norwich, studirte zuerst Mathematik und Philosophie, wurde
ein warmer Verehrer Newtons, widmete sich dann der Theologie und hielt, durch
den Genuss der Stiftung des Chemikers Robert Boyle (1627 — 1691) dazu verpflichtet,
Vorträge zur Verteidigung der Schrift Boyles über die Zweckursachen, in denen
Materialismus und Atheismus bekämpft werden. Aus diesen Vorträgen ist seine
Hauptschrift vom Dasein und den Eigenschaften Gottes entstanden. Von 1707 bis
zu seinem Tode 1729 war er Pfarrer in London, 1709 erhielt er die Hofpfarrei zu
St. James. Er vertheidigte die Unsterblichkeit und Unkörperlichkeit der Seele
gegen Henry Dodwell (1641—1711), die sittliche Freiheit gegen A. Colli ns (s. ob.
S. 133), und den christlichen Gottesbegriff gegen Hobbes und Spinoza. Leibniz
gegenüber vertrat er die newtonschen Principien. In der Moralphilosophie ist er
am selbständigsten und versucht hier dem Nominalismus oder Subjectivismus von
Hobbes und Locke ein objectives Princip der Sittlichkeit entgegenzustellen. Er
setzte das Wesen der Tagend in die der eigenthümlichen Beschaffenheit der Dinge
(the fitness of things, aptitudo rerum) gemässe Behandlung derselben, so dass ein
jedes nach seiner Art, seiner Natur, seinen besonderen Verhältnissen, nach seiner
Stelle in der Harmonie des Weltganzen und so dem Willen Gottes gemäss ver-
wendet werde. In der ewigen und unwandelbaren Natur der Dinge liegen die
Gesetze für unser Verhalten, die zugleich der Wille Gottes sind. Je mehr Eigen-
tümlichkeiten ein Ding hat, um so mehr Pflichten hat der Mensch gegen dasselbe.
Ein Baum wird von einem tugendhaften Menschen als vegetatives Wesen behandelt,
welches wachsen und gedeihen, blühen und Früchte tragen soll. Deshalb darf er
nicht beschädigt, vielmehr rauss er in seinem Wachsthum befördert werden. Das
Thier hat man als empfindendes und lebendes Wesen zu behandeln, ihm also
keinen Schmerz zuzufügen. Der Mensch ist als vernünftig-sittliches Wesen anzu-
sehen. Bloss wenn der eigene Wille des Andern darauf eingeht, dürfen wir ihn
zu unseren Zwecken benutzen. Eine Handlang, welche diese Verhältnisse negirt,
d. h. nicht berücksichtigt, ist gerade so unvernünftig, wie eine Behauptung, welche
eine theoretische Wahrheit negirt. Wer tugendhaft handelt, ist auf dem Wege zur
Glückseligkeit, dem höchsten Gute. Zwar verpflichtet das Sittengesetz uns durch
sich selbst, aber im Wesen Gottes liegt es, dass auf seine Befolgung und Ueber-
tretuug Lohn und Strafe folgt Da in diesem Leben aber Belohnung und Be-
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosoph«!.
139
Strafaug nicht immer die Würdigen treffen, so müssen wir die Unsterblichkeit der
Seele annehmen.
Aehnliches lehrte William Wol laston (1659—1724), welcher den Grundsatz
aufstellte, jede Handlung sei gut, die einen wahren Gedanken ausdrücke. Wahrheit
zu erkennen und sie in Reden und Handlungen zu zeigen, ist der letzte Zweck des
Menschen. Jede Handlang drückt nämlich einen Satz aas. Quäle ich ein Thier,
so spreche ich damit zugleich den Satz aus: Ich halte dies Thier für ein empfindungs-
loses Wesen. Handelt man wahr, so behandelt man die Dinge, wie sie es verdienen.
Aus dieser gehorsamen Hingabe an die Dinge ergiebt sich dann wieder die Glück-
seligkeit als das höchste Gut.
Unter den späteren schottischen Moralisten sind der A Ästhetiker Henry Home
(1696—1782) und Adam Ferguson (1724—1816) hervorzuheben. Letzterer setzte
die Tugend in die fortschreitende Entwickelung des menschlichen Wesens zu geistiger
Vollkommenheit. Der Mensch ist seiner Natur nach ein Glied der Gesellschaft;
seine Vollkommenheit besteht darin, dass er ein vortrefflicher Theil des Ganzen
sei, zu welchem er gehört. Die Tugend hochschätzen heisst die Menschen lieben.
So sucht Ferguson die Principien der Selbsterhaltung (Selbstliebe), der Geselligkeit
(des Wohlwollens) und der Vollkommenheit (Selbstschätzung) mit einander zu ver-
einigen. Auch William Paley (1743—1805* gehört zu den namhaften englischen
Moralisten. Seine Grundsätze der Moral und Politik (Principles of moral and
political philosophy, London 1785 u. ö.) sind verdeutscht von Garve, Frkf. u. Leipz.
1788 erschienen. Moralphilosophie ist ihm die Wissenschaft, welche die Menschen
ihre Pflichten und die Gründe für dieselben lehrt. Einen moralischen Sinn giebt
es nicht. Paley findet den Charakter aller Pflicht in dem Befehl eines Höheren,
der an den Gehorsam oder Ungehorsam Lust oder Schmerz knüpft, zu oberst der
Gottheit; den Inhalt der Pflicht aber bestimmt das Princip der allgemeinen Glück-
seligkeit. .Um von einer Handlang durch das Licht der Vernunft zu erkennen, ob
sie dem Willen Gottes gemäss sei. oder nicht, ist nichts Anderes zu untersuchen
nöthig, als ob sie die allgemeine Glückseligkeit vermehrt oder vermindert. Alles,
was im Ganzen vortheilhaft ist, ist recht"
§ 18. Der Begründer der deutschen Philosophie des achtzehnten
Jahrhunderts ist Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646—1710). Er
theilt mit Descartes und Spinoza, im Gegensatz zu Locke, die dogina-
tistische Richtung des Philosophirens oder das unmittelbare Vertrauen
zu dem menschlichen Denken, durch volle Klarheit und Bestimmtheit
auch über den Erfahrungskreis hinaus zur Wahrheit zu gelangen.
Aber er überschreitet den cartesianischen Dualismus zwischen Materie
und Geist ebensowohl, wie den spinozistischen Monismus durch die
Anerkennung einer Stufenreihe von Wesen in seiner Monadologie.
Monade nennt Leibniz die einfache, unausgedehnte Substanz. Die
Substanz ist das, was zu wirken vermag; die thätige Kraft (gleich der
Kraft eines gespannten Bogens) ist das Wesen der Substanz. Die
Monaden sind die wahrhaft so zu nennenden Atome; sie unterscheiden
sich von den Atomen, welche Demokrit annimmt, theils dadurch, dass
sie metaphysische, also nicht ausgedehnte Punkte sind, theils durch
ihre thätigen Kräfte, welche in Vorstellungen bestehen. Die Atome
siud von einander durch Grösse, Gestalt und Lage, aber nicht quali-
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140
§ 18. Leibniz and gleichzeitige Philosophen.
tativ durch innere Zustände, die Monaden dagegen von einander
qualitativ durch ihre Vorstellungen verschieden. Alle Monaden haben
Vorstellungen: aber die Vorstellungen der verschiedenen Monaden
haben verschiedene Grade der Klarheit. Vorstellungen sind klar,
wenn sie die Unterscheidung ihrer Objecte möglich machen, andern-
falls dunkel; sie sind deutlich oder bestimmt, wenn sie zur Unter-
scheidung der Theile ihrer Objecte zureichen, andernfalls unbestimmt
oder verworren; sie sind adäquat, wenn sie absolut deutlich sind,
d. h. auch zur klaren Erkenntniss der letzten oder absolut einfachen
Theile in den Stand setzen. Gott ist die Urmonade, die primitive
Substanz; alle anderen Monaden sind ihre Fulgurationen. Gott hat
lauter adäquate Vorstellungen. Die Monaden, welche denkende
Wesen oder Geister sind, wie die menschlichen Seelen, sind klarer
und deutlicher Vorstellungen fähig, können auch einzelne adäquate
Vorstellungen haben; sie haben als Vernunftwesen das Bewusstsein
ihrer selbst und Gottes. Die Thierseelen haben Empfindung und
Gedächtniss. Jede Seele ist eine Monade; denn das jeder Seele zu-
kommende Wirken auf sich selbst beweist ihre Substantialität, und
alle Substanzen sind Monaden. Was uns als ein Körper erscheint,
ist in Wirklichkeit ein Aggregat von vielen Monaden; nur in Folge der
Verworrenheit unserer sinnlichen Auffassung stellt sich uns diese
Vielheit als ein continuirliches Ganzes dar. Die Pflanzen und Mine-
ralien sind gleichsam schlafende Monaden mit unbewussten Vor-
stellungen; in den Pflanzen sind diese Vorstellungen bildende Lebens-
kräfte. Jeder endlichen Monade sind diejenigen Theile des Weltalls
am klarsten, zu welchen sie in der nächsten Beziehung steht; sie
spiegelt von ihrem Standpunkte aus das Universum. Die Ordnung der
Monaden erscheint in unserer sinnlichen Auffassung als die räum-
liche und zeitliche Ordnung der Dinge; der Raum ist die Ordnung
der coexistirenden Phänomene, die Zeit ist die Ordnung der Succession
der Phänomene. Der Vorstellungslauf in einer jeden Monade beruht
auf immanenter Causalität; die Monaden haben keine Fenster, um
Einflüsse von aussen aufzunehmen. Es beruht andererseits der Wechsel
der Beziehungen der Monaden zu einander, ihre Bewegung, Verbin-
dung und Trennung auf rein mechanischer Causalität. Aber zwischen
dem Vorstellungslauf und den Bewegungen besteht eine von Gott
vorausbestimmte (prästabilirte) Harmonie. Seele und Leib des
Menschen stimmen zusammen, wie zwei anfanglich gleichgestellte
Uhren von vollkommen gleichmässigem Gange. Die bestehende Welt
ist die beste unter allen möglichen Welten. Mit der physischen Welt
steht die moralische oder das von Gott beherrschte Reich der Geister
in beständiger Harmonie.
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen-
HI
Neben der leibnizischen Doctrin, welche das Haltbare der aristo-
telischen und der cartesianischen Lehre in sich aufzunehmen suchte,
gingen in Deutschland auch andere Gedankenrichtungen her, insbe-
sondere die lockesche. Auch behaupteten einige andere mit Leibniz
gleichzeitige Denker, wie der Mathematiker und Logiker Tschirn-
hausen, der Rechtslehrer Pufendorf, der Rechtslehrer Thomasius
u. A. auf bestimmten Gebieten der Philosophie eine mehr oder minder
bedeutende Autorität.
Als Begründer der Philosophie der Geschichte kann der jüngere
Zeitgenosse Leibnizens Giovanni BattistaVico angesehen werden, der
in seiner Metaphysik mit platonischen und augustinischen Gedanken
die Annahme metaphysischer Kraftpunkte, welche an die leibnizschen
Monaden erinnern, verband. Vico ist für die Entwickelung der neueren
italienischen Philosophie von Bedeutung.
Von den philosophischen Schriften des Leibniz ist ausser den frühesten Disser-
tationen (de prineipio individui, Lips. 1663, wieder hsg. durch G. E. Uuhrauer tu. krit.
Einleitung, Berl. 1837; speeimen quaestionum philosophicarum ex jure eollectarum, ib.
1664; tractat. de arte cotnbinatoria, sui subnexa est demonstr. exist-entiae Dei ad math.
eertitd. exaeta, Lips. 1666, Franeof. ad. M. 1690) nur die Theodicee, Essais de
Theodicee sur la bonte de Dieu, la liberte de l'homme et l'origine du mal, Amst. 17 lü
u. ö. la:. Colon. 1716, Franeof. 1719 u. ö., deutsch mit Fontenelles Eloge, Hannov.
1720 u. ö., deutsch v. Gottsched, 5. Aufl., Hann. u. Leipz. 1763 und in der philo-
sophisch. Bibliothek v. Kirchmaun, fibers. v. Kirchmaun, auch in d. Universalbibliothek
von R. Haas) bei seinen Lebzeiten als ein selbständiges Werk erschienen: um so zahl-
reicher aber sind die Abhandlungen, die L. in der seit 1682 durch Otto Mencken hrg.
Zeitschrift: Acta cruditorum Lipsiensium seit 1684 und in dem Journal des savants seit
1691 veröffentlichte. Sehr ausgebreitet war L.s Briefwechsel, in welchem er manche
Seiten seiner Doetrin, die in den von ihm veröffentlichten Schriften unberührt geblieben
sind, entwickelt hat. Schon bald nach L.s Tode wurden einzelne bis dahin ungedr.
Briefe und Abb. hsg., insbes. : A cullection of papers, which passed between the late
leamed Mr. L. and Dr. Clarke in the years 1715 and 1716 relating to the principle«
of natural philos. and relig. by Sam, Clarke, Lond. 1717, franz.: Recueil de diverses
pieces sur la phil., la relig. etc. par M. L., Clarke, Newton (par des Maizeaux), Amst.
1719, 2. ed. 1740, deutsch m. e. Vorr. von Wolff, hrsg. von Job. Hnr. Köhler, Frankf.
1720. Leibnitii otium Hannoverauum sive Miscellanea G. W. Leibnitii ed. Joach. Fr.
Feller, Lips. 1718, und als zweite Sammlung: Monumenta varia inedita, Lips. 1724.
In der Ztschr. „L'Europe savante*- wurde 1718, Nov., Art. VI, p. 101 zuerst der für
den Prinzen Eugen von Savoyen wahrscheinlich 1714 verfasste Aufsatz veröffentlicht:
Principe» de la nature et de la gräce, fondes en raison, den dann des Maizeaux
im 2. Bd. des ob. angef. Recueil 1719 und Dutens in der unt zu erwähnend. Sml. 1768
wieder abdrucken liess. Mit diesem Aufsatz ist nicht zu verwechseln der Abriss seine»
Systems, den zuerst J. H. Köhler in einer deutsch. Uebersetzung u. d. T. : des Herrn
Gottfr. Wilh. v. Leibniz Lehrsätze üb. d. Monadologie, imgleich. von Gott, seiner
Existenz, s. Eigenschaften, und von d. Seele des Menschen, Frankf. 1720, veröffentlicht
hat (neu aufgelegt von J. C. Huth ebd. 1740); aus d. Deutsch, ins Lat. übers., erschien
dieselbe Schrift in den Act. erud. Lips., suppl. t. VII., 1721, dann auch, mit conimen-
tirenden Bemerkgn. v. Mich. Gottl. Hansehe, Frankf. u. Leipz. 1728, und in der
dutensscheu Smlg. n. d. T. : Prineipia philosophiae seu theses in gratiam prineipis
Eugenii conscriptae. Das franz. Original ist nach der auf der Kgl. Bibliothek zu Han-
nover aufbewahrten Hdschr. zuerst von Erdmann in s. Ausg. d. Opera philosophica
1840 veröffentlicht worden unter dem Titel: Monadologie. In den drei vorhandenen
Handschriften ist die Abhandlung ohne Aufschrift. Verbesserte Ausg. v. E. Boutroux,
Par. 1881, ferner besonders herausgeg. v. D. Nolen, avec une notice sur L., des
eclaircissements sur les principales theories de la monadologie, une analyse et des notes
historiques et philosophiqnes, Par. 1881. L. epist. ad diversos ed. Chr. Kortholt,
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
Lips. 1734—42. Commercium eptetoiicum Leibnitianum ed. Joh. Dan. Gruber, Hann,
«t Gott. 1745, wozu einleitend als Prodromus Commercii epistolici Leibnitiani bereit«
1737 von Gruber die Correspondenz zwisch. Boineburg und Conring veröffentl. wurde,
welche über L.» Bildungsgang und »eine Jugendschriften manche Notizen enthält.
J. E. Kapp, Smlg. einig, vertraut. Briefe, welche zwischen L. u. D. E. Jablonski etc.
besond. üb. d. Vereinigung der luth. u. ref. Kel. gewechselt »worden sind, Leipz. 1743.
Die Briefe L.s an Malebranche bei V. Cousin, Kragm. philos., t II, 1845. Correspon-
dance de L. avec l'electrice Sophie de Brunswick-Lunebourg, publice p. O. Klopp,
Hannov. 1875. Den Briefwechs. zw. L. und Christ. Wolff hat C. J. Gerhardt, Halle
1860, edirt. Briefe L.s an d. Herzog Moritz Wilh. v. Sachsen-Zeitz , an Flemming,
Bose u. Vota hat Theod. Distel herausgeg. in d. Ber. d. Kgl. Sachs. Gesellsch. d. W.,
phil. bist. CL, 1879, S. 104—154 u. 1880, S. 187 ff. Leibnizens u. Huyghens Briefwechs.
mit Papin nebst der Biographie Papins u. einigen zugehörig. Brief, u. Actenstücken,
bearbeit. v. E. Gerland, Berl. 1881. K. Biedermann, von u. aus ungedruckten Leibniz -
schen. Handschriften, in: Westermanns Monatsh., 1882. R. Döhner. L.s Briefwechs. mit
d. Minist v. Bernstorff und andere L. betreffende Briefe u. Actenstüeke aus d. J. 1705
bis 1716, Hannov. 1882. G. Mollat, Rechtaphilosophisches aus L.s ungodruckten Schriften,
Lpz. 1885. Ludw. Stein, d. in Halle aufgefundenen L.-Briefe im Auszug mitgcthcilt,
in: Arch. f. Geach. d. Ph., I, 1887, S. 79—91. Im J. 1887 wurden auf der hallenser
Bibliothek 101 Ortginalbriefe Leibnizens aufgefunden: über 88 an Christ. Wagner, Prof.
der Math, in Helmstädt, adressirte, die für die Philosophie sehr wenig ergeben, berichtet
Stein; 89 — 101, deren Adressaten noch nicht alle ermittelt sind, sollen von grösserem
philo». Werthe sein.
Umfassendere Ausgaben von Werken Leibnieens sind: Oeuvres philosoph. latines
et francaises de feu Mr. Leibniz. tirees de ses manuscrit«, qui se conservent dann la
biblioth. royale a Hanovre, et publiees par R. E. Raspe, avee une preface de Kästner,
ä Amst. et a Leipz. 1765, deutsch m. Zusatz, u. Anm. von .1. H. F. Ulrich, Halle
1778 — 80. In dieser raspeschen Smlg. ist von besond. Wichtigkeit die vorher nicht
veröffentlichte, 1704 verf., umfangr. Streitachr. geg. Locke: Nouveaux essais sur
Pentendement humain (deutsch von Schaarschmidt in Kirchmanns philos. Biblioth.,
1873 — 74); ferner enthält dieselbe: Remarques sur le sentiment du P. Malebranche qui
porte que nous voyons tout en Dieu, conceruant l'examen que Mr. Locke en a fait:
Dialogus de connexione inter res et verba: Difiicultates quaedam logieae; Discours
touchant la methode de la certitude et l'art d'inventer; Historia et commentatio
characteristicae universalis, quae simul sie ars inveniendi. Bald hernach folgte die
dutenssche Ausg. der Lachen Werke, die aber die von Raspe veröffentl. Stücke nicht
mitaufgenommen hat: Gothofr. Guil. Lcibnltii opera omnia, nunc prim. collecta, in
claases distributa, praefationibus et indieibus ornata studio Ludovici Dutens, tom. VI,
Genevae 1768 (Band I: Opera theol.; II: Log., Metaph., Phys. gener., Chym., Medic,
Botan., Histor. natur.. Artes: III: Opera mathem. ; IV: Philos. in genere et opnscula
Sinenses attingentia; V: Opera philol.; VI: Philologicorum continuat. et collectanea
etymologica. Mehrere Ergänzungen zu diesen Veröffentlichungen sind seitdem erseh.:
Commercii epistolici Leibnitiani typis nondum cvulgari selecta speeiminn, ed. J. G. H.
Feder, Hannov. 1805. Leibnitii systenia theologicum (in conciliatorischem Sinne viel-
leicht schon um 1686 geschrieb.), mit franz. Uebers. zuerst lug. Par. 1819, Iat. u.
dtsch., 2. Aufl. Mainz 1820. Iat. u. dtsrh. von Carl Haas, Tüb. 1860. L.s deutsehe
Schriften hat G. E. Gnhrauer, Berl. 1838 — 40 hrsg. Eine neue Gcsamtntausg. der
philos. Schriften hat Joh. Ed. Erdmann veranstaltet, manches Unedirte aus Manuscripten
der K. Bibliothek zu Hannover mit aufgenommen, über die Entstehungszeit d. einzeln.
Briefe, Abhdlng. u. Schriften Notizen beigefügt: Godofr. Guil. lieibnitii opera philos.
quae exstant Latina, Gallica. Germanica omnia, Berol. 1840. Oeuvres de Leibniz,
nouv. ed., par M. A. Jacques, 2 voll., Paris 1842. Eine vollständ. Sammlung aller
leibniziseh. Schriften hat Geo. Hnr. Pertz begonnen: 1. Folge, Gesch., Bd. I — IV,
Hannov. 1843 — 47; 2. Folge, Philos., Bd. I: Briefwechs. zw. L., Amauld u. d. Land-
grafen Ernst v. Hessen-Rheinfels, aus den Handschr. der K. Bibl. zu Hannover hrsg.
von C. L. Grotefend, Hannov. 1846: 3. Folge, Math., hrsg. v. C. J. Gerhardt, Bd. I
bis VII, Berl. und (von Bd. III an) Halle 1849—63. Auch die mathemat. Schrift,
enthalt, manches Philosophische, z. B. in Bd. V: in BneUdlf npoir«, in Bd. VII: initia
renim mathematicarum metaphysica. Gerhardt hat 1846 auch die kleine, von L. nicht
lange vor s. Tode verf. Schrift: Historia et origo ralculi differentialis hrsg. A. Foucher
de Careil hat die ob. (bei der Litt. üb. Spinoza) citirte Refutation ined. de Spinoza
par Leibniz veröffentl. in: Lettre* et opuscules inedit* de Leibniz, Paris 1854 — 57, und
hat ferner herausgegeben: Oeuvres de Leibniz publiees pour la pr. foi d'apres les mscr.
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§ 18. Leibuiz and gleichzeitige Philosophen.
143
orig., Pari* 1859 ff., 2. ed. t. I ff. Par. 1867 ff. Eine neue Aus«. l.«eher Werke hat auf
Grund des hdschriftl. Nachlasses in d. Kgl. Bibl. zu Hannover Onno Kiopp ver-
anstaltet, Hannov. 1864 ff. (erste Reihe: hist-polit. und staatswiss. Schriften Bd. I— XIII,
1864 — 85). Oeuvres philosophiques de L., avec une introduction et des Botet, par
P. Janet, 2 vis., Paris 1866. Die philosophisch. Schriften von G. W. Leibn., herausgeg.
von C. J. Gerhardt. Bd. 1, Berlin 1875, Bd. 2, 1879 (ein Theil der Briefe), Bd. 4—6,
1880—1885 (die philosophisch. Schriften u. Abhandlungen). Eine Auswahl kleinerer
philos. Aufsätze hat in dtseh. Uebstzg. nebst beigefügt. Einleitungen Gust. Schilling u.
d. T.J L. als Denker, Leipz. 1863, abdr. lassen.
Ueber den philosophischen Entwicklungsgang Leibnizens sind vor Allem seine
eigenen Aeusserungen, insbes. in der Einleitung zu seinen Specimina Psz-idti (Op.
ph. ed. Erdm. p. 91), ferner in Briefen an Remond de Montmort u. A., belehrend.
Ueber sein Leben, seine Schriften und seine Lehre handeln namentlich: Jo. Geo.
von Eckhart (L.s Secretair und spiter sein College in der Historiographie de« Hauses
Braunschweig), dessen biograph. Notiren erst spät durch v. Murr in dem Journal zur
Kunstgesch. u. allg. Litt. VII., Nürnberg 1779, veröffentl. worden sind, aber im Mscr.
an Fontenelle mitgetheilt, von diesem benutzt wurden für sein Eloge de Mr. de Leibniz
(geles. in d. Par. Akad. der Wiss. 1717, abgedr. in der Hist. de l'acad. des sc. de
Paris, auch in d. Sammlung der Eloge« von Fontenelle, verdeutscht durch Eckhart in
d. dtseh. Ausg. d. Theodicee von 172Ö, auch, m. Anm. von Baring, in der Ausg. von
1735: vgl. Schleiermacher, üb. Lobreden im Allgem. u. die Pontenellesche auf Leibniz
insbes., in Schleiermachcrs Werk., III, 3 S. 66 ff). Elogium Leibnitii (von Chr. Wolff,
auf Grund Eckhartseher Nachr.), in den Act. Erud., Juli 1717, wozu 1718 im „Otium
Hantioveranuni* ein von Feller verf. „Supplementum vitae Leibn. in actis erud.* erschien.
Histoire de la vie et des ouvrages de Mr. Leibniz par M. L. de Neufville (Jaucourt)
in der Amst. Ausg. der Theodicee von 1734. Ludovici, ausführt. Entwurf e. vollständ.
Historie der I. sehen Philo«., Lpz. 1736 — 37. Lamprecht, Leb. des Herrn von L., Berlin
1740, Italien, von Joseph Barsotti m. Anm., besond. auf L.s Aufenthalt in Rom 1689
berüglich. Gesch. des Herrn von L., hub d. Franz. des Ritters v. Jaucourt, Lpz. 1757.
Eloge de L., qui a remporte le prix de l'acad. de Berlin, pur Bailly, Berl. 1769. Loh-
sebrift anf Gfr. Wilh. Freih. v. L. in der K. dtseh. Ges. z. Gotting, vorgel. von Abr.
Gotthelf Kästner, Altenburg 1769. Mich. Hissmann, Versuch üb. d. Leben L.s, Münster
1783. Auch Rehberg im hannoversch. Magaz. 1787 und Eberhard im Pantheon der
Deutschen II, 1795. haben L.s Leben dargestellt. In neuerer Zeit hat Gottachalk Ed.
Guhrauer eine ausfuhrt. Biogr. geliefert, G. W. Freih. v. L., 2 Bde., Bresl. 1842, m.
Nachtrag. 1846, engl, von Macki, Boston 1845. Vgl. u. a. mehrere Vorträge ti. Abhdl.
von Boeckh: üb. L. u. d. dtach. Akademien, üb. L.s Ansichten v. d. philol. Kritik,
über L. in s. Vhältn. z. posit. Theol. etc., abg. in Boeckhs kl. Sehr., hrsg. v. Ferd.
Ascherson, Bd. II, Lpz. 1859 u. Bd. III, 1866. Trendelenburg, in den Monatsber. der
Akad. d. Wiss. und in Tr.s hist. Beitr. z. Philo«., Bd. II. Berl. 1855 u. Bd. III, 1867.
Femer: Onno Klopp, d. Vhältn. von L. z. den kirchl. Reunionsversuchen in d. zweit.
Hälfte d. 17. Jahrh. in: Ztschr. des hist. Vereins f. Niedersachs., Jahrg. 1860, L. als
Stifter gelehrt. Gesellsch., Vorrr. bei d. Philolog.-Vsml. zu Hannov., Gött. 1864, L.s
Plan z. Grund, e. Societät der Wiss. in Wien, im Areh. f. Kunde oeterr. Geschichts-
quellen, auch separat, Wien 1868. L.s Vorschlag e. franz. Expedition nach Aegypten,
Hannov. 1864. Die diesen Vorschlag enthaltenden Schriften haben Foucher de Careil,
Oeuvres de L.: Projet d'expedition d'Egypte, presente. par L. ü Louis XIV., Paris
1864, und Klopp, Hann. 1864. edirt. K. G. Blumstengel, L.s ägyptisch. Plan, Lpz. 1869.
Edm. Pfleiderer, G. W. Leibniz als Patriot, Staatsmann u. Bildungsträger, Leipz. 1870.
Osk. Hubatsch, L. u. s. ägypt. Project, in Neu. Lausitz. Magaz.. 49. Bd., 1872, S. 55 — 87.
L. Neff, G. W. L. als Spraehforseh. u. Etymologe, Lyc.-Prog., Heidelb., 1870—71,
auch sep., Tübing. Wilh. Guerrier, L. in seinen Beziehungen z. Kussland u. Peter
d. Gr., St. Peters b. u. Lpz. 1873. A. Foucher de Careil. Leibniz et Pierre le Grand,
Paris 1873: Leibniz et les deux Sophies, Paris 1876. Wilh. Wiegand. Lbnz. als
Religions-Friedensstifter, in: Ztschr. f. Ph. u. philos. Kr.. 1880, Bd. 76. S. 102 — 118,
193—224. F. W. Dafert, L. als Deutscher, Wien 1883.
Auf die leibnizisehe Doctrin gehen ausser den betreffenden Thcilen in den um-
fassenderen Geschichtswerken, worunter bes. die Darstellung derselben von Erdmami
(Vers. c. wiss. Darst. d. Gesch. d. neu. Phil., II. Bds. 2. Abth.: L. u. d. Entwiekl. d.
Idealism. vor Kant) und von Kuno Fischer hervorzuheben sind, Ldw. Feuerbach,
Darstellg., Entwiekl. u. Krit. der l.schen Phil., Ansbach 1837, 2. Aufl. 1844: Nourrisson,
la phil. de L.. Paris 1860; ferner manche ält. u. neuere Abhdlgn. n. Schriften, welche
einzelne Seiten der l.schen Phil, betreffen. Geo. Ben». Bilflnger. cotum. de hanuonia
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
animi et eorp. humum praestabilita, ex mcnte Leibnitii, Fref. 1723, 2. ed. 1735, de
originc et pcrmissione mali, praecipue moralis, Frcf. 1724. Fr. Ch. Baumeister, hist.
doctrinae de optima mundo, Gorlitii 17-11. G. Ploucquet, primaria monadologiae capito,
Berol. 1748. De Justi, diss. qui a remporte le prix propose par l'acad. des sc. de
Prusse sur le Systeme des monades, Berl. 1748. (Reinhard) diss., qui a remporte le
prix prop. par l'acad. des 6c. de Prusse sur foptimisme, Berl. 1755. Kant üb. d.
Optimismus, Kgsb. 1759, womit jedoch die spätere, vom krit. Standpunkt aus das
Problem behandelnde Schrift üb. d. Missling. aller philos. Versuche e. Theodicee zu
vergleichen ist. Ancillon, essai sur lVsprit du Lcibnitianisme, in den Abb. der ph. Cl.
der Akad. der Wiss., Berl. 1816. Maine de Biran, expos. de la doctrine philos. de L.,
compose pour la Biogr. univ., Paris 1810. H. C. W. Sigwart, die Lsche Lehre von der
prästabilirten Harmonie in ihr. Zsmh. mit früher. Philosophemen betracht., Tüb. 1822.
G. E. Guhrauer, Leibnitii doctrina de unione animae et corporis, Inaug.-Diss., Berl.
1837. K. Mor. Kahle, L.s vinculum substantiale, Berl. 1839. G. Hartensteinii com-
mentatio de materiae apud Leibnitium notione et ad monadas relatione (zur Feier des
21. Juni 1846 als des zweihundert). Geburtstages L.s), Lips 1846. R. Zimmermann,
L.8 Monadologie, Wien 1847: L. und Herbart, e. Vergleichung ihrer Monadologien,
Wien 1849; d. Rechtsprincip bei L., Wien 1852; üb. L.s Conceptualismus, ebd. 1854
(aus d. Sitzungsber. der Wiener Akad., wiederabg. in den Stud. u. Kr., Wien 1870;.
Trendelenburg, das Verhältniss des Allgemeinen zum Besondern in Leibnizens philos.
Betrachtung u. dessen Naturrecht: Bruchstücke in Leibnizens Nachlass, zum Naturrecht
gehörig, in: Historische Beiträge zur Philos. Bd. II, S. 233—256 u. 257—282: ders.
üb. L.s Entwurf einer allgemeinen Charakteristik u. über die Elemente der Definition
in L.8 Philos., ebd. Bd. III, S. 1—47 u. 48—62. F. B. Kvet, L.s Logik; L. und Come-
nius, Prag 1857. Ueber L.s Religionsphil, handelt C. A. Thilo in der Zeitschr. f. ex.
Philos. Bd. V, 1864, S. 167—204. Km. Saisset, discotirs sur la philos. de L., Paris
1857. A. Foucher de Careil, L., la philos. juive et la cabbale, Paris 1861; L., Dcscartes
et Spinoza, avec un rapport par Victor Cousin, Paris 1863. J. Bonifas, etude sur la
theodicee de L., Paris 1863. Oscar Svabn, akad. Abh. üb. d. Monadenlehre, Lund
1863. Hugo Sommer, de doctrina, quam de harmonia praestabilita Leibnitius propos.,
Gott. 1866. Dan. Jacoby, de Leibnitii studiis Aristoteleis (inest, ineditum Leibnitianuui),
diss. inaug., Berol. 1867. Ludw. Grote, L. u. s. Zeit, Hann. 1869. C. H. Plath, Ls
Missionsgedanken, Berlin 1869. A. Pichler, die Theologie des L., Münch. 1869 — 70.
Jos. Durdik, L. u. Newton, Halle 1869. Otto Ca*pari, L.s Philos., Lpz. 1870. Edm.
Plleiderer, L. als Verf. v. zwölf anonym, meist deutsch-polit. Flugschriften nachgewiesen,
Leipz. 1870. Ad. Brennecke, L.s Beweise f. das Dasein Gottes, in: philos. Monatsh.
V, 1870, S. 42 — 63. Geo. Jellinek, d. Weltanschauungen L.s und Schopenhauers, e.
Studie üb. Optimism. n. Pessimism., Leipziger In.-Diss., SVien 1862. A. Reinhardt, sind
es vorzugsw. specul. od. naturw. Gründe, w. L. zur Aufstellg. s. Monadenlehre geführt
haben? Jena 1873. Hülsen, L. als Pädagoge u. s. Ansichten üb. Pädagogik, G.-Pr.,
Charlottenb. 1874. H. G. Meyer, L. u. Baumgarten als Begründer d. dtsch. Aesthetik,
Halle 1874. D. Nolen, quid Leibnizius Aristoteli debuerit, Paris 1875. J. Schmidt,
Leihniz n. Baumgarten. Ein Beitrag zur Gesch. der deutsch. Aesth., Halle 1875. M.
Heinze, L. in sein. Verhältn. z. Spinoza, in d. Ztschr. Im Neuen Reich, 1875, II, S. 921
bis 932. K. Bussenius, üb. die Theodicee des Leihniz, G.-Pr. von Rossleben, 1876.
Fr. Kirchner, Leibniz' Psychologie, Cöthen 1876. Ders., Gottfr. Wilh. Leibniz. Sein
Leben u. Denken, 1877. K. R. Geijer, Hum förhaller sig L.S1 Metaf. tili de fürst«
förutsättningama för möjligheten af praktisk filos., Upsala 1876. Gust. Schulze, zur
leibnizschen Theodicee, in: Zeitschr. f. Philos. u. philos. K., Bd. 70, 1877, S. 193—224.
A. Schmarzow. Leibniz u. Schottclius. Die unvorgreiflichen Gedanken untersucht u.
herausgeg., in: Quellen u. Forschungen zur Sprach- u. Kulturgesch. der germanisch.
Völker, herausgeg. v. B. ten Brink etc., No. 23, Strassb. 1877. Gegen Schmarzow,
der die Abfassungszeit etwa ins J. 1680 setzt, verlegt dieselbe in die letzten Jahre des
Jahrb. L. Neff, im Progr. des Pro- u. R.-G. zu Durlach 1880. A. Penjon, de infinito
apud Leibnitium, Paris 1878. B. Penzier, d. Monadenl. u. ihre Bez. zur griech. Ph.,
I. D., Jena 1878. Meissner, L.s Streit mit Clarke über d. Raum, 1882. Le Viseur, L.s
Beziehungen zur Pädagogik, 1882. P. Harzer, Leibniz' dynamische Anschauungen, mit be-
sonderer Rücks. auf d. Reform des Kraftemaasses u. d. Entwickelung des Princ. der Er-
haltung der Energie, in: Vierteljahrsschr. f. wissenschaftl. Philos., 1882, S. 265 — 295. P.
H. Ritter, de Monadenleer van Leibniz, Leiden 1882. L. Bräutigam, Lbnz. u. Herbart, üb.
d. Freiheit des menschl. Willens, Heidelb. 1882. Otto Engler, Darstellung u. Krit. des leib-
nizisch. Optimism., I. D., Jena 1883. Rud. Eucken, Leibniz u. Geulinx, in: Philos. Monatsh.,
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
145
1883, S. 525—542. Segond, la monadologie avee notiee pnr la vie, les errits et la
phil. de L., Par. 1883. S. Auerbach, zur Entw ickelungsgesch. der leibnizerh. Monadenl.,
Berl. 18X4. J. Th. Merz, Leibniz. Lond. 1S84, ins Deutsche übers., Heidelb. 1886.
Herrn. Otto, L.s Erkennrnissl., I. D., Lpz. 1S84. Dav. Selver, der Entwiekclungsgang
der leibnizschen Monadenl. bis 1696, I. D., Leipz. 18*5. Knill Wendf, d. Entwirke!,
der leibnizsch. Monadenl. bi« zum J. 1695, I. D., Berl. I88P. G. M. Mayer, d. Opti-
mismus des I,., I.D., Jena 1886. F. Tönnies, L. u. Hobbes, in: Phil. Monateh., 18S7,
S. 557—573. A. Spaunenkrebs, die metaph. Princ. des Grundes u. d. Zweckes na< h L.,
Würzb. I. I)., Bromberg, s. auch den Artikel über Leibniz v. Prantl in der Allgem.
deutsch. Biographie.
Ueber L. und die Lache Schule, bes. m. Rucks, auf Kants Kritik, handelt der
Leibnizianer W. L. G. Frhr. von Eberstein, Versuch e. Gesch. d. Logik u. Metaph.
bei d. Deutschen v. L. bis auf d. gegenw. Zeit, Halle 1704 — 99. D. Noten, la critique
de Kant et la metaphysique de L., Paris 1875. S. auch dessen Ausg. d. Monadologie.
Kine Gesammtausgabe der Werke Vi cos ist Neap. 1835, Mailand 1837 erschienen.
Später sind Scritti inediti durch G. del Giudice, Neapel 1S62, veröffentl. worden.
Ueb. Vico handeln u. A.: Joseph Ferrari in d. Einl. zu d. Ausg. der Werke Vieos,
Mailand 1837. Ferrari. Vico et l'Italie, Paris 1839. Cantoni, Vico, Turin 1867.
K. Werner, üb. Giarab. Vico als Geschichtsphilosophen und Begründer der neueren
italienisch. Philos., Wien 1877; ders., Giamb. Vico als Philos. u. gelehrter Forscher,
Wien 1879, neue (Tit.) Ausg., 1881. A. Pieeolonisso, Giamb. Vico o la scienza nuova,
Salerno 1878. Flint, Vico, Edinb. 1885. S. auch Krl. Werner, zwei philo«. Zeitgenossen
u. Freunde G. B. Vieos, I u. II (Paolo Mattia Doria u. Tommaso Rossi), Wien 1886.
Gottfried Wilhelm Leibniz (Lubeniecz) wurde zu Leipzig am 21. Juni
(alten Stils = 1. Juli nenen Stils) 1646 geboren. Sein Vater, Friedrich L, ein
Jurist, seit 1640 Profeasor der Moralphilosophie zn I^eipzig, starb bereits 1652.
Auf der Nicoinischule und auf der leipziger Universität, welche er zu Ostern 1661
bezog, war der besonders um die Geschichte der alten Philosophie verdiente Jacob
Thomasius (geb. zu Leipzig 1622, gest. 1684, der Vater des berühmten Juristen
und Rechtsphilosophen Christian Thomasius) der bedeutendste Ohne Aristoteles
und die Scholastiker, wie auch Piaton und Plotin, gering zu achten, fand er doch
vollere Befriedigung bei Descartes; später näherte er sich jenen wiederum an.
Leibniz vertheidigte im Mai 1663 unter dem Vorsitz des Jacob Thomasius eine
Abhandlung de prineipio individui, worin er sich für die nominalistische Doctrin
erklärt. Im Sommer 1663 studirte er in Jena, besonders Mathematik unter Erhard
Weigel (über ihn handelt F. Bartholomäi in d. Ztaehr. f. exaete Ph., Bd. 9, Heft 3,
1871). Gegen Ende des Jahres 1664 erschien zu Leipzig sein Specimen difficnltatis
in jure seu quaestiones philosophicae amoeniores ex jure collectae, 1666 seine Ars
combinatoria. Die juristische Doctorwürde, um die er sich 1666 bewarb, wurde
ihm in Leipzig nicht ertheilt, indem man ihn wegen seiner Jugend, um nicht ältere
Bewerber am das Doctorat und das daran geknüpfte Anrecht auf ABsessorstellen
hintunznsetzen, auf eine spätere Promotion verwies, wohl aber in Altdorf, wo er
am 5. November 1666 die Abhdl. de casibns perplexis in jure vertheidigte; er ver-
langt in derselben im Fall einer Unbestimmtheit der positiven Gesetze Entscheidung
nach dem Naturrecht, Ohne Neigung zu der akademischen Lehrthätigkeit , die er
in Altdorf hätte antreten können, suchte er sich in der nächstfolgenden Zeit durch
den Umgang mit hervorragenden Gelehrten und Staatsmännern weiter auszubilden.
In Nürnberg kam er mit Alchymisten in Berührung. Am wichtigsten ward für ihn
die Verbindung mit dem Freih. Joh Christ, v. Boineburg, der bis 1664 erster
geheimer Rath (Minister) des Kurfürsten Johann Philipp von Mainz gewesen war
und immer noch grossen Einfluss besass. L. widmete dem Kurfürsten die (von ihm
anf der Reise von Leipzig nach Altdorf 1666 verf.) Schrift: Methodus nova discendae
docendaeque jurisprudentiae, cum subjuneto catalogo desideratorum in jurispru-
dentia, Francof. 1667. Bei dem Catalogus desideratorum leitete ihn Bacons Vorgang
in der Schrift de augmentis scientiarum. Eine von L. 1668 verf. Abhdl. geg. den
l'eberweg-Heinze, Grnn Iris» III. 1. Aufl.
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
Atheismus craeh. u. d. T.: Confessio naturae eontra atheistas mit des Spizelius
Kpistola ad Ant. Reiseram de eradicaiido atheismo, Aug. Vindel. 1(569. Mit dem
Maiuzischen Hofrath Herrn. Andr. Lasser arbeitete L. 1668 u. 69 an einer Ver-
besserung des Corpus juris. Von des Nizolius Schrift de veris principiis et vera
ratione philosophandi contra pseudo-philosophos, Parma 1553 (s. oben § 5 S. 26)
besorgte L., durch Boineburg veranlasst, eine neue Ausg. m. Anmerk. u. Abhdlgn.
(insbeB. einer diss. de stilo philosophico Marii Nizolii), welche Frankf. 1670, auch
1674 erschien. Durch Boineburg, der, selbst ein zum Katholizismus übergegangener
Protestant, schon im J. 1660 zu Rom für eine Wiedervereinigung der Protestanten
mit den Katholiken thätig war, wurde L. bereits während seines Aufenthalts in
Mainz für die Reunionsbestrebungen gewonnen, welche vor allen Royas de Spiuola
(gest. 1695) mit Eifer betrieb, doch nahm erst später L. an denselben einen wesent-
lich mit eingreifenden Antheil. Auf Boineburgs Wunsch schrieb L. seine Defensio
trinitatis per nova reperta logica contra epist. Ariani 1669, worin er mehr die Argu-
mente des Socinianers Wissowatius zu widerlegen, als einen positiven Gegenbeweis
zu führen sucht. Im Sommer 1670 wurde L. Rath am Ober-Revisions-Collegium,
dem höchsten Gerichtshof des Kurfürstenthums. Im März 1672 trat er eine Reise
nach Puris und London an. Nach London reiste er 1673, kam im März desselben
Jahres nach Paris zurück, wo er bis zum Oct. 1676 verweilte, eine Zeit lang als
Erzieher von Boineburgs Sohne. In Paris erhielt L. 1676 von dem Herzog Johann
Friedrich von Braunschweig — Lüneburg und Hanuover eine Ernennung zum Biblio-
thekar in Hannover. Er reiste aus Frankreich über London und Amsterdam nach
Hannover, wo er im Üec. 1676 seine Stelle autrat. Unter den Gelehrten, mit denen
ihn der Aufenthalt im Auslande in Verbindung brachte, sind die bedeutendsten:
in Paris der Cartesianer Arnauld, der holländische Mathematiker und Physiker
Huyghens, der deutsche Mathematiker und Logiker Walther von Tschirnhausen,
durch den er mit philosophischen Sätzen Spinozas und vielleicht auch, falls wirklich
Tsch. ihm den von Newton an Collins gerichteten Brief vom 10. Dec. 1672 über
Barrows Tangentenmethode mitgetheilt hat, mit mathematischen, auf die Fluxions-
rechnung bezüglichen Theoremen Newtons bekannt wurde, in London der auch mit
Spinoza befreundete Secretair der Akad. d. Wissenschaften, Oldenburg, der Chemiker
Boyle, ferner der Mathematiker Collins (den er jedoch erst 1676 sah). Durch Olden-
burgs Vermittlung hat Leibniz auch mit Newton, der damals in Cambridge war,
Briefe gewechselt. Bei der Durchreise durch Holland hat L. Spinoza besucht, mit
dem er schon im Oct. 1671 über eine optische Frage correspondirt hatte. Bei
seinem ersten Aufenthalt in Paris im Jahr 1672 suchte Leibniz Ludwig XIV. den
Rath zur Eroberung Aegyptens vorzulegen, wodurch Frankreichs Macht gemehrt,
zugleich aber sein Interesse von den deutschen Angelegenheiten abgelenkt werden
und auch die damals immer noch beträchtliche Macht der Türken gebrochen werden
sollte. Ein kurzer Entwurf dieses (von Boineburg ausgegangenen) Planes wurde
bereits gegen das Ende des Jahres 1671 nach Paris gesandt, von L. verfasst unter
dem Titel: Specimen demoustrationis politicae: de eo, qnod Franciae intersit in-
praesentiarum, seu de optimo consilio, quod potentissimo Regi dari potest; con-
cluditur expeditio in Hollandiam Orientis seu Aegyptum (verüffentl. v. 0. Klopp in
dess. Ausg. l.scher Werke, I. Reihe, 2. Bd., S. 100 ff.). Daran schlössen sich: de
expeditione Aegyptiaca regi Franciae proponenda justa dissertatio (die Haupt-
schrift), und die gedrängtere Darstellung: Cousilium Aegyptiacum. (Von der „Justa
dissertatio1* hat 1799 das englische Ministerium sich eine Abschrift von Hannover
aus senden lassen, woraus 1803 in einer englischen Brochure ein Auszug erschien;
von dem Consilium Aegyptiacum hat 1803 der französische General Mortier eine
Abschrift in Hannover sich geben lassen und nach Paris gesandt, wonach ein
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
147
Abdruck 1839 in Guhrauers Schrift: Kurmainz in der Epoche von 1672, erfolgt ist.
Die grössere Denkschrift ist unvollständig durch Foucher de Careil im V. Hände
seiner Ausgabe, vollständig zuerst durch Onno Klopp in seiner Ausg. l.scher
Werke 1864 veröffentl. worden.)
Newton hatte bereits seit 1665 und 1666 die von ihm sogenannte .Arithmetik
der Fluxionen* erfunden und bald nachher nach ihrer Grundlage und in der An-
wendung auf das Tangentenproblem theils durch eine im Jahr 1671 verf. Abhdl.,
theils und besonders durch einen Brief an J. Collins vom 10. Dec. 1672 Einzelnen
mitgetheilt, veröffentlichte dieselbe aber erst in seinem 1686 beendeten, 1687 ersch.
grossen Werke: Principia mathematica philosophiae naturalis. Im Jahre 1776 ge-
langte L. (vielleicht nicht ganz unabhängig von newtonschen Andeutungen) zu seiner
mit Newtons Fluxionencalcul sachlich übereinkommenden, formell aber vollkomm-
neren „ Differentialrechnung"; er veröffentlichte seine Erfindung zuerst 1684 im
Nov. in den „Acta eruditorum" durch den Aufsatz: Nova methodus pro maximis et
minimis. Sowohl bei dem newtonschen, wie bei dem leibnizischen Verfahren handelt
es sich der Sache nach um die Bestimmung des Greuzwerthes, dem das Verhältniss
der Zunahmen zweier veränderlichen Grössen, deren eine von der andern abhängig
oder eine „Function" derselben ist, sich immer mehr nähert, je kleiner diese Zu-
nahmen werden, dann auch umgekehrt (in der sogenannten „Integralrechnung"), wenn
dieser Grenzwerth gegeben ist, um den Rückschluss auf die Art der Abhängigkeit
der einen Grösse von der andern. Newton nannte die stetig veränderlichen Grössen
.flieasende" (fluentes), die (unendlich kleinen) augenblicklichen Differenzen aber
.Momente*, die er als „principia jamjara nascentia finitarum magnitudinum" be-
zeichnet, und den Grenzwerth der Verhältnisse der Veränderungen („prima nascen-
tium proportio") „Fluxion". Leibniz nannte die Differenzen je zweier Werthe einer
veränderlichen Grösse, sofern diese Differenzen als unendlich klein oder verschwin-
dend (ins Unendliche abnehmend) gedacht werden, Differentialien und den Greuz-
werth, dem sich das Verhältniss zwischen den Differenzen der einen und denen der
andern Grösse bei unendlicher Verkleinerung dieser Differenzen immer mehr annähert,
den Differentialquotienten. Durch einen Brief Newtons an Oldenburg vom 13. Juni
1676 erfuhr Leibniz, dass Newton ein methodisches Mittel zur Lösung gewisser
mathematischer Probleme gefunden habe, theilte seinerseits am 27. August desselben
Jahres mit, dass er in dem gleichen Falle sei, erhielt dann von Newton dnrch ein
Schreiben vom 24. Oct. bestimmtere Mittheilungen über mehrere analytische Ent-
deckungen Newtons nebst einer Andeutung über den Fluxionencalcul durch ein
Anagramm des Satzes: „data aequatione quotcuuquo fluentes quantitates involvente
fluxiones invenire et vice versa". Leibniz theilte darauf in einem (durch Oldenburg
übersandten) Briefe vom 21. Juni 1677 au Newton seine Methode nicht bloss an-
deutungsweise, sondern ausführlich mit und bemerkte, diese möge vielleicht mit der
von Newton angedeuteten Methode übereinkommen („arbitror quae celare voluit
Newtonus de taugentibus ducendis, ab bis non abludere"). Bei der Veröffentlichung
seiner Methode in den Act. erud. 1684 erwähnte L diese Correspondenz nicht,
Newton aber, der auf Leibnizens letzten Brief nicht mehr geantwortet hatte, er-
wähnte dieselbe 1687 in einem Scholion zu Buch II. (Sect. IL), Lemma IL, S. 253 f.
(2. Aufl. 1713, S. 226 f.) seiner „Principia" (das er jedoch in der dritten Auflage
vom Jahre 1726 nicht wieder abdrucken Hess, sondern durch ein anderes, auf seinen
Brief an J. Collins vom 10. Dec. 1672 bezügliches ersetzte, weil es von Leibniz
anders gedeutet worden war, als Newton es verstanden wissen wollte). Er sagt in
demselben, auf seine Mittheilung, er sei im Besitz einer Methode, die Maxima und
Minima zu bestimmen, Tangeuten zu ziehen etc., auch wenn die Gleichungen irra-
tionale Ausdrücke enthielten, habe Leibniz geantwortet, er sei auf eine gleiche,
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§ 18. Leibniz and gleichzeitige Philosophen.
das Nämliche leistende, Methode gefallen und habe diese mitgetheilt, die in der
That von der aeinigen [newtonschen] nur unwesentlich abweiche. (Wann and wie
Leibniz dieselbe gefanden habe, läast Newton hier unbestimmt L. glaubte in dem
Scholion eine Anerkennung der Selbständigkeit seiner Erfindung finden zu dürfen,
welche Deutung Newton später abwies.) In der Folge entspann sich ein Streit über
die Priorität der Erfindung, der in dem am 24. April 1713 der kgl. Societät der
Wissensch, zu London durch die von ihr niedergesetzte Commission erstatteten
(1713 veröffentlichten) Berichte zu Gunsten Newtons entschieden wurde, und zwar
insofern mit Recht, als die Voraussetzung der Identität beider Methoden zutrifft,
da in der That Newton die Erfindung früher gemacht, Leibniz später, and vielleicht
sogar nicht ganz unabhängig von Newton, dieselbe aufs Neue gemacht hat, und nur
die Priorität der Veröffentlichung Leibnizen zuzuerkennen ist, insofern jedoch
nicht ganz mit Recht, als jene Voraussetzung nur in beschränktem Maosse gilt,
indem Ls Methode vollkommener und durchgebildeter als die newtousche, insbe-
sondere seine Bezeichnung sachgemäaser und brauchbarer ist, und die fruchtreichste
Entwickelung des Grundgedankens (dessen Keime übrigens schon in der Exhau-
stionsmethode der Alten, in Cavallieris „Methode der Unheilbaren", 1635, und in der
bei rationalen Ausdrücken zureichenden Methode Fermats zur Bestimmung der
Maxima und Minima der Ordinaten, ferner in Wallis' „Arithmetica infinitorum",
von deren Studium Newton ausging, und in Barrows Tangentenmethode lagen) nicht
von Newton, sondern theils von Leibniz, theils von den an seine Rechnungsweise
sich anschliessenden Gebrüdern Jac. und Joh. Bernouilli (von den Letzteren
besonders in Bezug auf transcendente Functionen) gefunden worden ist. (Ueb.
Jac. Bernouilli als Logiker handelt Rob. Zimmermann, Wien 1885.) In diesem
Sinne haben Euler, Lagrange, Laplace, Biot und andere Mathematiker geurtheilt
i vgl. u. a. die kurze Zusammenstellung ihrer Ansichten in dem Anhange zu der
deutschen Uebersetzung von Brewsters Leben Newtons, Lpz. 1833, S. 333—336).
Biot sagt: „die Differentialrechnung würde noch jetzt eine bewunderungswürdige
Schöpfung sein, wenn wir bloss die Fluxionsrechnung so, wie es in Newtons Werken
dargestellt ist, besässen*. Vgl. Montucla, Gesch. der Math. III., S. 109; 0. J. Ger-
hardt, die Entdeckung der Differentialrechnung, Halle 1848, die Entdeckung der
höheren Analysis, Halle 1855; H. Weissenborn, die Principien der höheren Ana-
lysis, als hist.-krit Beitrag zur Gesch. der Math., Halle 1856; H. Sloman, L.a
Anspruch auf die Erfindung der Differentialrechnung, Lpz. 1857, englisch London
1860. L. gebührt der Ruhm einer scharfsinnigen und relativ selbständigen, durch
seine frühen Untersuchungen über Reihen von Differenzen mitbedingten Nacherfindung,
die ihn zu einer für die Anwendung beträchtlich besseren Form des Infinitesimal-
calculs, als Newton gefunden hatte, gelangen liess; aber er hat den (an sich im
Interesse der historischen Wahrheit notwendigen nnd uutadelhaften) Prioritätsstreit
in der späteren Zeit mit Mitteln geführt, die schwerlich eine Entschuldigung zu-
lassen.
In Hannover hatte L. die herzogliche Bibliothek zu verwalten; ferner die
Geschichte des Fürstenhauses zu schreiben; in der Folge (seit 1691) hatte er im
Auftrage Anton Ulrichs von Braunschweig-Wolffenbüttel auch die Oberaufsicht
über die wolffenbüttler Bibliothek zu führen. Seit 1678 war er als herzoglicher
Hofrath, später als Geh. Justizrath ein Mitglied der Kanzlei für Justizsachen, an
deren Spitze der Vicekanzler Ludolph Hugo stand. Im Auftrage des Herzogs Ernst
August, der 1679 seinem Bruder Johann Friedrich in der Regierung nachfolgte,
machte L. auf einer 1687 — 90 unternommenen Reise durch Deutschland und Italien
die ihn 1688 nach Wien, 1689 nach Rom führte) Studien zur Geschichte des
braunschw.-lüneburg. Hauses. Er veröffentlichte u. a. die Sammelwerke: Codex
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§ 18. Leibuiz und gleichzeitige Philosophen.
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juris gentium diplomnticus nebst beigefügter Mantissa, 1693 — 1700, Accessiones
historicae, 1698, Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes, 1701 — 11,
und arbeitete an der (uicht ganz zum Abschluss gebrachten, erst durch Pertz ver-
öffentlichten) Schrift: Annales Brunsvitenses. Bei den Verhandlungen, welche die
Erhebung Ilannovers «um Kurfürstenthum (1692) betrafen, war auch L. betheiligt.
Den Herzogen Johanu Friedrich und Ernst August stand L. als Rathgeber und
Freund persönlich nahe,, weniger dem Sohne und (seit 1698) Regierungsnachfolger
des Ernst August, Georg Ludwig, um so mehr aber dessen Mutter, der (bis 1714
lebenden) Gemahlin Ernst Augusts, Sophie (einer Tochter Friedrichs V. von der
Pfalz, Schwester der Prinzessin Elisabeth, der Descartes seine Princ. ph. widmete».
Ihre Tochter Sophie Charlotte (gest. 1705), die in L. ihren Lehrer verehrte, ging
mit der vollsten und für ihn selbst anregendsten Theilnahme auf seine philos. -theolog.
Gedanken ein, auch nachdem sie (1684) an Friedrich von Brandenburg (seit 1688
Kurfürsten Friedrich III., seit 1701 preussischen König Friedrich I.) vermählt worden
war. Von ihr unterstützt, bewog L. diesen zu der, am 11. Juni 1700 erfolgten,
Stiftung der Societät der Wissenschaften in Berlin, die später bei ihrer Umge-
staltung unter Friedrich II. 1744 als Akademie der Wissenschaften bezeichnet
wurde. (Vgl. Christian Bartholmess, Hist. philosoph. de l'acad. de Prusse depuis
Leibn., Paris 1850—51; A. Trendelenburg, L. und d. philos. Thätigk. d. Akad. im
vorig. Jahrh , akad. Vortrag, Berl. 1852, Aufs. VIII. im 2. Bde. der hist Beitr.
zur Philos.) Auch in Dresden und Wien hat Leibniz, obschon ohne unmittelbaren
Erfolg, Akademien zu stiften gesucht.
Vergeblich waren die Bemühungen um Reunion der protestant. und kathol.
Kirche, welche in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrh. eifrig betrieben wurden,
und woran sich L. neben dem hannoverschen Theologen Molanus von protestantischer
Seite, katholischerseits aber anfangs besonders Spinola betheiligten. Spiuola benutzte
dabei die von Bossuet 1676 verf. „Exposition de la foi" als dogmatische Grundlage.
L. schrieb (wohl um 1686) in conciliatorischer Absicht das (erst 1819 veröffentL)
„Systeme theologicum". eine Darstellung der Glaubenslehren in einer solchen Weise,
die sowohl Protestanten als Katholiken annehmen könnten. L. hat in dieser An-
gelegenheit mit dem zum Katholicismus bekehrten Hugenotten Pellisson (1691 und 92),
dann mit Bossuet correspondirt, der die Vereinigung nur als Rückkehr der Prote-
stanten zum Katholicismus erstrebte und jede andere Form derselben abwies; an
seiner Weigerung, die Frage, ob das tridentin. Concil ein ökumenisches gewesen
sei, als eine offene zu behandeln, scheiterte L.b Bemühung. In den Jahren 1697 — 1706
hat L. sich an Verhandlungen über eine Union der luther. und reformirt. Confession
betheiligt, die besonders zwischen Hannover und Berlin geführt wurden, jedoch nur
mit geringem unmittelbaren Erfolg. Auf Veranlassung der von Bayle in seinem
Dietionnaire und anderen Schriften geäusserten philosophisch-theologischen Zweifel,
über welche sich L. oft mit der Königin Sophie Charlotte unterhalten hatte, ver-
öffentlichte dieser 1710 seine Theodicee mit einem vorausgeschickten, gegen Bayles
Annahme, dass die Glaubenslehren mit der Vernunft unvereinbar seien, gerichteten
Discoure de la conformite de la foi avec la raison. Im Jahr 1711 traf L. zu Torgau
mit Peter dem Grossen von Russlund zusammen, ebenso wiederum 1712 in Karls-
bad, 1716 in Pyrmont und in Herrenhausen. Dieser Monarch schätzte ihn hoch,
ernannte ihn zu seinem Geheimen Justizrath und Hess sich von ihm Rathschläge
über die Beförderung der Wissenschaften und der Civilisation im russischen Reiche
ertheilen; zu der Gründung einer Akademie der Wissenschaften in Petersburg, die
jedoch erst nach Peters Tode erfolgte, gab L. die erste Anregung. In Wien lebte
L. vom December 1712 bis zum Ende August 1714. Er wurde am 2. Januar 1712
zum Reichshofrath ernannt, schon früher (vor 1692, vielleicht 1690) war er in den
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
Adelstand erhoben worden; auch die Reichsfreiherrnwürde soll ihm ertheilt worden
sein. (Joa. Bergmann, L. in Wien, in den Sitzgsber. d. Wiener Akad., phil.-hist.
CL XIII, 1854, S. 40-61; L. als Reichshofrath u. dess. Besoldung, ebd. XXVI, 1858.
S. 187—204; vgl. Zimmermann, Leibn. u. d. ks. Akad. der Wiss. in Wien, in Z.s
Studien u. Kr., Wien 1870.) Während seines Aufenthaltes in Wieu schrieb L. 1714
für den Prinzen Eugen von Savoyen in franzöa. Sprache den Abriss seines Systems,
der erat nach seinem Tode (s. oben) veröffentlicht worden ist. Nach Hannover
kehrte L. im Sept. 1714 zurück. Er traf den Kurfürsten Georg Ludwig nicht mehr
dort an, da derselbe bereits nach England, wo er als Georg I. den Thron bestieg,
abgereist war. L. arbeitete 1715 und 1716 hauptsächlich an seinen Annales Bruns-
vicenses. In eben diesen Jahren wurde L. in einen (brieflich durch Vermittelung
der Prinzessin von Wales, Wilhelmine Churlotte aus Ansbach, die besonders L.s
Theodicee hochhielt, geführten) Streit mit Clarke (s. ob. S. 138) über seine philo-
sophischen Grundlehren verwickelt, vor dessen Abschluss er am 14. Nov. 1716 starb,
nachdem er bei Hofe in Ungunst gefallen war.
L. hat seine philosophische Doctrin in systematischer Ordnung niemals
ausführlich, im Abriss besonders in der auf Wuusch des Prinzen Eugen von Savoyen
niedergeschriebenen Darstellung und in der sog. Monadologie entwickelt. In ihm
selbst gestaltete sich sein System erat allmählich, und zugleich fand er angemessen,
sich in Beinen für die Oeffentlichkeit bestimmten Aufsätzen in Gedanken und Terminis
nur schrittweise von den herrschenden philosophischen Richtungen, dem Aristote-
lismus und dem Cartesianismus, zu entfernen.
In einem Briefe aus dem Jahre 1714 an Remond de Montmort (in Erdmanns
Ausg. der philos. Schriften, S. 701 f.) erzählt L. über seinen philosophischen
Bildungsgang: .Als ich die niedere Schule verlassen hatte, fiel ich auf die neueren
Philosophen, und ich erinnere mich, dass ich in einem Wäldchen bei Leipzig, das
Rosentbal genannt, im Alter von fünfzehn Jahren einsam lustwandelte, um mit mir
zu Rathe zu gehen, ob ich die substantiellen Formen beibehalten solle. Der
Mechanismus gewann endlich die Oberhand und führte mich der Mathematik zu.
Aber als ich die letzten Gründe des Mechanismus und der Bewegungsgesetze
suchte, kehrte ich zur Metaphysik und zur Annahme von Entelechien zurück und
vom Materiellen zum Formellen, und endlich begriff ich, nachdem ich mehrmals
meine Begriffe berichtigt und weiter geführt hatte, dass die Monaden oder einfachen
Substanzen die einzigen wirklichen Substanzen sind, und dass die materiellen Dinge
nur Erscheinungen sind, aber wohl begründete und mit einander verknüpfte Er-
scheinungen." Vgl. den Brief an Thomas Burnet vom 8. 18. Mai 1697, bei Guh-
rauer I, Beilage, S. 29: La plupart de mes sentimens ont ete enfin nrretes apres
one deliberation de 20 ans (also etwa von 1660- 80), car j'ai commence bien jeune
ä mediter et Je n'avais pas encore 15 ans qne je me promenais des journ^cs entieres
dana un boia pour prendre parti entre Aristote et Democrite. Cependant j'ai change
et rechange sur de nouvelles lumieres, et ce n'est que depuis environ 12 ans (also
seit 1685) que je me trouve satisfait.
L. war eine durchaus versöhnende Natur, sein Ziel war die Vereinigung des
Verschiedensten, die Aussöhnung des sich scheinbar Entgegengesetzten. Er be-
herrschte das ganze Wissen seiner Zeit als Fachmann in den einzelnen Disciplinen,
griff praktisch auf den mannigfaltigsten Gebieten ein, wusste, bekannt mit den
verschiedenen philosophischen Meinungen, diese in eine höhere Einheit zusammen-
zufassen und suchte sogar seine Philosophie mit den Lehren der Religion zu ver-
einigen. Er sagt, er verachte völlig nur solches, was auf blosse Täuschung hinaus-
laufe, wie die astrologische Wahreagekunst; ,er billiire beinahe Alles, was er lese,
und finde selbst an der lullischen Kunst noch etwas Achtungswerthes und Brauch-
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
151
bares. Er hält dafür, die Wahrheit sei verbreiteter, als man anzunehmen pflege;
die Mehrheit der Seeten hübe Roeht in einem grossen Theile ihrer affirmativen,
aber nicht in ihren meisten negativen Sätzen. Nur gegen Spinoza will er sich
durchaus ablehnend verhulten, so grosse Aehnlichkeiten sich auch gerade zwischen
seiner und Spinozas I^ehre finden. Teleologen und Mechanisten haben nach Leibniz
im Positiven ihrer Behauptungen beide Recht; denn der Mechanismus besteht aus-
nahmslos, aber er verwirklicht den Zweck. Mnn kann, sagt L , sogar einen Fort-
schritt in der philosophischen Erkenntnis* bemerken. Die Orientalen haben schöne
und grosse Vorstellungen von der Gottheit. Die Griechen haben das Schliessen
und überhaupt eine wissenschaftliche Form hinzugefügt. Die Kirchenväter haben
das Schlechte beseitigt, das sie in der griechischen Philosophie fanden, die Scho-
lastiker aber haben das Zulässige daraus für das Christentum!! nützlich zu verwenden
gestrebt. Die Philosophie des Descartes ist gleichsam das Vorzimmer der Wahr-
heit; er hat erkannt, dass sich in der Natur stets die gleiche Kraft erhält; hätte
er auch erkannt, dass die Gesammteinrichtung unverändert bleibt, so hätte er zum
System der prästnbilirten Harmonie gelangen müssen (bei Erdm. 702. vgl S. 155).
Doch fügt L., veranlasst durch die scherzhafte Frage, ob er selbst uns aus
dem Vorzimmer in das (.'abinet der Natur zu führen gedenke, bescheiden hinzu,
zwischen dem Vorzimmer und Cabinet liege das Audienzzimmer, und es werde
genügen, wenn wir Audienz erhalten, ohne dass wir Anspruch muchen, ins
Innere zu dringen fsans pretendre de penetrer dans l'interieur, in Erdmanns Ausg.
XXXV., S. 123. Aehnlich. obschon in anderer Wendung, lautet Hallers bekanntes
Wort: .Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist; glückselig, wem sie
nur die äussere Schaale weist*, worauf Göthe mit der Frage entgegnet: .Ist nicht
Kern der Natur Menschen im Herzen?-).
In der am 30. Mai K5G3 vertheidigten .Disputatio metaphysien de prineipio
individui* behauptet Leihniz die nominalistische Thesis: omne individuum sua
tota entitate individuatur, uls deren erste Vertreter er Petrus Anreolus und
Dnrandus (s. ob. Grdr. II, 7. Aufl., $ 3(>) nennt. Wäre nicht die entitas tota das
Princip der Individuation, bo müsste dieses Princip entweder eine Negation sein
oder eine Position, und in dem letzteren Falle entweder ein physischer, die Essenz
näher bestimmender Theil, nämlich die Existenz, oder ein metaphysischer, die Species
näher bestimmender Theil, nämlich die Huecceitas. Dass die Negation das indivi-
dualisirende Princip sei, könnte, wie L. mit Recht bemerkt, nur auf Grund der
realistischen Voraussetzung: universale magis esse ens, quam singulare, angenommen
werden. (In der That hat der Satz des Spinoza: omnis determinatio est negatio,
die Ueberzeugung, dass der Substanz, die das Allgemeine ist. das Sein im vollsten
Sinne zukomme, zur Voraussetzung.) I,. aber, überzeugt, dass das Individuum ein
ens positivum sei, erklärt für unbegreiflich, wie dieses durch etwas Negatives con-
stituirt werden könne. Die Negation kann nicht die individuellen Merkmale hervor-
bringen (negatio non potest producere accidentia individualia). Die Meinung, dass
die Existenz das Princip der Individuität sei, kommt entweder mit der Thesis, dass
die entitas es sei, übereiu (nämlich wenn der Unterschied zwischen essentia und
existentia nur für einen rationellen gilt, in welchem Sinne L. die Ansicht seines
Lehrers Scherzer deutet), oder sie führt (nämlich, wenn der Unterschied für einen
realen gilt) auf die Absurdität einer Trennbarkeit der Existenz von der Essenz, so
dass die Essenz auch nach Hinwegnahme der Existenz noch existiren müsste. Endlich
prüft L. die Haecceitas, die Scotus (sent. II, 3. 6 u. ö.) behauptet habe, und zu
deren Vertheidignng die Scotisten sich eidlich zu verpflichten pflegten. Der Be-
hauptung, die Species werde durch die differentia individualis oder Haecceitas zum
Individuum contrahirt, gleich wie das Genus durch die speeifische Differenz zur
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§ 18. Leibniz uud gleichzeitige Philosophen.
Species, setzt L. die nominalistische Doctriii entgegen, das Geuos werde nicht durch
irgend etwas zur Speeles, und diese nicht zum Individuum contrahirt, weil Genus
und Speeles nicht ausserhalb des Intellectes seien; es ex i stiren in Wirklichkeit nur
Individuen; was existirt, ist durch sein Dasein selbst etwas Individuelles.
In den philosophischen Schriften der nächstfolgenden Zeit, der Dissertatio de
arte combinatoria, der (von Spizelius so betitelten) Confessio naturae contra atheistas,
der Epistola ad Jacobum Thomasium, die nebst der diss. de stilo phiiosophico
Nizolii der Ausgabe der Schrift des Nizolius de veris prineipiis et vera ratione
philosophandi vorgedruckt ist (über Nizolius vgl. oben S. 26), erklärt sich L. für die
Ansicht, in welcher die Reformatoren der Philosophie: Bacon, Hobbes, Gassendi,
Cartesius etc., im Gegensatz zu den Scholastikern mit einander übereinkommen, dass
in den Körpern nur Grösse, Figur nnd Bewegung, nicht verborgene Qualitäten oder
Kräfte seien, nicht irgend etwas, das sich nicht rein mechanisch erklären lasse.
Aber er will darum doch nicht Cartesianer heissen; er hält dafür, dass die aristo-
telische Physik mehr Wahrheiten enthalte, als die cartesianische, dass, was
Aristoteles über Materie, Form, Beraubtsein, Natur, Ort, Unendlichkeit, Zeit, Be-
wegung lehre, grösstenteils unerschütterlich feststehe. Auch finde derselbe mit
Recht den letzten Grund aller Bewegung im göttlichen Geist; zweifelhaft sei die
Existenz oder Nicht- Existenz eines leeren Räume»; unter der substantiellen Form
sei nur der Unterschied der Substanz eines Körpers von der Substanz eines andern
Körpers zu verstehen. Was Aristoteles über Materie, Form und Bewegung abstract
vortrage, könne in einer Weise aufgefasst werden, dass es mit der Lehre der Neueren
über die Körper zusammenstimme. Leibniz billigt des Nizolius Bekämpfung der
Scholastik, die bei dem Mangel an Erfahrung und Muthematik die Natur nicht zu
erkennen vermochte, tadelt aber seine zu weit gehende Bekämpfung des Aristoteles
selbst und seine extrem nominalistische Ansicht» dass das Genus nur eine Zusammen-
fassung (collectio) von Individuen sei, wodurch die Möglichkeit der wissenschaft-
lichen Demonstration aus allgemeinen Sätzen aufgehobeu werde, und nur die Induction
als blosse Zusammenstellung gleichartiger Erfahrungen übrig bleibe.
Das von Erdmann veröffentlichte Autographon: de vita beuta enthält carte-
sianische Sätze, besonders aus Briefen vom Jahre 1645 an die Prinzessin Elisabeth
von der Pfalz über die Moral des Seneca (s. Trendelenburg. hist. Beitr. zur Ph., II,
1855, Abh. 5, S. 192—232). In der Ethik hat Leibniz dem Descartes eine höhere
Autorität, als in der Physik eingeräumt. Doch ist zweifelhaft, ob und in wie weit
Leibniz sich jene Sätze angeeignet oder dieselben nur als cartesianische (so, wie
seine Excerpte aus Piaton, Spinoza etc.) zusammengestellt habe.
In den Meditationes de cognitione, veritate et ideis, die 1864 in den
Acta Eruditorum Lipsiensiura erschienen, modificirt L. eartesianische Begriffe. Die
Erkenntniss (cognitio) ist dunkel oder klar (vel obscura vel clara), die klare Erkennt-
niss ist verworreu oder deutlich (vel confusa vel distineta), die deutliche Erkenntniss
ist unangemessen oder angemessen (vel inadaequata vel adaequata), ferner symbo-
lisch oder intuitiv; die adäquate und zugleich intuitive Erkenntniss ist die voll-
kommenste. L. definirt: Obscura est notio, quae non sufßcit ad rem repraesentatam
agnoscendam — Unde propositio quoque obscura fit, quam notio talis ingreditur;
clara ergo cognitio est quum habeo unde rem repraesentatam aguoscere possim.
Confusa est, quum non possum (distineta, quum possum) notas ad rem ab aliis dis-
cernendam sufficientes separatim enumerare, licet res illa tales notas atque requisita
revera habeat, in quae notio ejus resolvi possit; — quae enumeratlo est definitio
nominalis; — datur cognitio distineta notionis indefiuibilis, quando eu est primitiva
eive nota sui ipsius. Cognitio est adaequata, quum id omne, quod notitiam
distinetam ingreditur, rursus distinete cognitum est, seu quum aualysis ad fiuem
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§ 18. Leibniz and gleichzeitige Philosophen. 153
usque producta habetur. Qu um notio valde composita est, uon possumus omnes
ingredieutes eam notiones simul cogitare; ubi tarnen hoc licet, vel »altem in quan-
tam licet, cognitionem voeo intuitivam. L. macht von diesen Bestimmungen eine
Anwendung auf das ontologische Argument für das Dasein Gottes in dessen (carte-
sianischer) Form: Was aus der Definition eines Dinges folgt, kann von diesem Diuge
prädicirt werden; die Existenz folgt aus der Definition Gottes als des Ens perfec-
tissimum vel quo majus cogitari nou potest i.denn die Existenz ist eine der Voll-
kommenheiten); also kann die Existenz von Gott prädicirt werden. — Er meint,
es folge nur, dass Gott, falls er möglich sei, existire; denn der Schluss aus der
Definition setze voraus, dass die Definition eine Realdefiuition sei, d. h. keinen Wider-
spruch involvire; die Nominaldefinition nämlich enthalte nur die zur Unterscheidung
dienenden Merkmale, die Realdefinition aber constatire die Möglichkeit der Sache.
Diese Möglichkeit werde a priori aus der Vereinbarkeit sämmtlicher Prädicate mit
einander, d. h. daraus erkannt, dass bei vollständiger Analyse kein Widerspruch
sich zeige (der bei dem Gottesbegriff dadurch ausgeschlossen sei, dass derselbe nur
Realitäten in sich fasse).*)
L. warnt vor dem Missbrauch des cartesiauischen Princips: quidquid clare et
distincte de re aliqua percipio. id est verum seu de ea enunciabile. Oft erscheine
uns als klar und deutlich, was dunkel und verworren sei; jener Satz reiche nur
dann zu, wenn die oben aufgestellten Kriterien der Klarheit und Deutlichkeit an-
gewandt werden, die Vorstellungen widerspruchslos, und die Lehrsätze nach den
Regeln der gewöhnlichen (aristotelischen) Logik durch genaue Erfahrung und fehler-
lose Beweisführung gesichert seien.**)
L. hält dafür, dass es gelingen könne, alles Denken anf ein Rechneu und die
Denkrichtigkeit auf Richtigkeit der Rechnung zurückzuführen, wenn für die ein-
fachsten Begriffe und für die Verbindungsweisen der Begriffe überhuupt Zeichen
von solcher Angemessenheit gefunden würden, wie die Mathematik auf ihrem Gebiete
solehe besitzt und zwar insbesondere in der durch Vieta eingeführten allgemeinen
Bezeichnung der Zahlen mittelst der Buchstaben (Vieta, in artem analytieam Isagoge
seu algebra nova, 1635, wo S. 8 die Erklärung gegeben wird: logistice numerosa est,
quae per numeros, speciosa, quae per species seu rerum fornias exbibetur, utpote
per alphabetica elementa). Hierauf zielt sein schon in seiner Jugendzeit ausgebil-
deter und bis zum Alter festgehaltener, iu manchen Schritten und Briefen erwähnter
*) Der kategorische Schluss aus der Definition setzt aber nicht bloss die
Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit des definirten Gegenstandes voraus: die
Definition zeigt nur die Notwendigkeit der Verknüpfung des Prädicates mit dem
Subjecte, uicht die der Setzung des Subjectes selbst, führt also au sich zu einem
hypothetischen Satze, der nur dann, wenn anderweitig die Wirklichkeit und nicht
bloss die Möglichkeit des Subjectes dargethun ist, in einen kategorischen Sutz
übergeht. Kant hat mit Recht das cartesianische Argument mit Einsehluss der
lcibnizi8chen Ergänzung desselben bestritten.
**) Dass das Kriterium der Wahrheit, welches in der Klarheit und Deutlichkeit
der Erkenntniss gefunden wird, gar sehr die Gefahr der Selbsttäuschung ndt sich
führe und der lieduetion auf die durch die logischen Normen bedingte Denk-
nothwendigkeit bedürfe, lehrt L. mit Recht; aber er geht auch hier nicht weit genug,
sofern er von der vollen Klarheit, Deutlichkeit und Denkrichtigkeit sofort die volle
Uebereinstimmung mit dem Sein erwartet und nicht untersucht, ob uud in wie weit
die menschliche Erkenntniss Elemente von subjectivem Charakter enthalte, die durch
die Klarheit und logische Richtigkeit des bloss auf die übjecte gerichteten Denkens
niemals aufgehoben, noch auch von den obiectiv gültigen Elementen gesondert,
sondern nur durch ein auf die Erkenntniss selbst gerichtetes Denken in ihrem snb-
jectiven Charakter erkannt werden konneu, was später Kaut durch seine Vernunft-
kritik zu leisten unternahm.
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
Plan einer Characteristica universalis (Specieuse generale) ab, der jedoch
ein blosses Project geblieben ist. (Was Leibniz beabsichtigte, in wie weit er be-
sonders an Georg Dalgarn, ars signorum, vulgo character universalis et lingua
philosophica, London 1661, und daneben auch an John Wilkins, an essay toward
a real churacter aud a philosophical language, London 1668, anknüpfte, wie weit
seine eigenen, zahlreichen, jedoch sporadischen und schwankenden Versuche ihn
geführt haben, ferner, was zum Behufe einer partiellen Ausführung des leibnizischen
Projectes, aber auf dem Grunde der kantischen Kategorienlehre, durch Ludw. Bene-
dict Trede, den Verfasser der 1811 zu Hamburg anonym erschienenen Schrift:
, Vorschläge zu e. nothwend. Sprachlehre" geschehen sei, weist Trendelenburg nach
in seiner Abhandlung: Ueber Leibnizens Entwurf einer uligemeinen Charakteristik,
in histor. Beitr. z. Philos , III, S. 1 ff. Soweit der Grundgedanke Gültigkeit hat, wird
er durch die Zeichen der Mathematik, Chemie etc. realisirt )
Der Sammlung von Staatsverhandlungen und Vertragen seit dem Ende des
H. Jahrb., welche L. unter dem Titel: „Codex juris gentium diplomatieus" 1693 zu
Hannover erscheinen Hess, hat er eine Reihe von Definitionen ethischer und
juridischer Begriffe vorangeschiekt. Die Streitfrage, ob es eine uninteressirte
Liebe (amor non mereenarins, ab omni utilitatis respectu separatus) gebe, sucht L.
durch die Definition zu lösen: Liebe heisst, sich an dem Glücke eines Andern
erfreuen (amare sive diligere est felicitate alterius delectari), in welcher einerseits
die Beziehung auf unseren eigenen Genuss festgehalten, andererseits aber die Quelle
desselben in dem Glücke des Andern selbst gefunden wird (welche letztere Bestim-
mung der spinozistisehen Definition fehlt: amor est laetitia eoncomitante iden cansae
externae). Die Liebe ist ein Affect, welcher durch die Vernunft geleitet werden
mnss. damit die Tugend der Gerechtigkeit daraus erwachse. L. definirt: Benevolcntia
est amandi sive diligendi habitus (die durch häufige gleichartige Bethätigung aus
der Fähigkeit, Sampte, hervorgegangene Fertigkeit, e$tc, nach der aristotelischen
Terminologie, s. Grdr. Bd. I, § 50). Caritas est benevolentin universalis. Justitia
est Caritas sapientis, hoc est sapientiae dictata sequens. Vir bonus est qui amat
omnes quautum ratio permittit; justitia est virtus hnjns affeetns rectrix. L. unter-
scheidet drei Stufen des natürlichen Rechts: das strenge Recht (jus strictum) in der
ausgleichenden Gerechtigkeit (justitia commutativa), die Billigkeit oder Liebe im
engeren Sinne (aequitas vel angustiore vocis sensu Caritas) in der anstheilenden Ge-
rechtigkeit (justitia distributiva) und die Frömmigkeit oder Rechtlichkeit (pietas vel
probitas) in der allgemeinen Gerechtigkeit (justitia universalis). Die ausgleichende
Gerechtigkeit, lehrt L. im Anschluss an Aristoteles (s. Grdr. Bd. I, § 50), berück-
sichtigt keine anderen Unterschiede zwischen den Menschen, als die, welche ans dem
jedesmaligen Verkehr selbst hervorgehen (quae ex ipso negotio nascuntur). und be-
trachtet im Uebrigen die Menschen als einander gleich. Die distributive Gerech-
tigkeit zieht die Verdienste der Einzelneu in Betracht, um nach dem Maasse der-
selben den Lohn (oder die Strafe) zu bestimmen. Das strenge Recht ist erzwingbar;
es dient zur Vermeidung der Verletzungen und Aufreehterhaltung des Friedens; die
Billigkeit oder Liebe in der anstheilenden Gerechtigkeit aber zielt auch auf positive
Beförderung des Glückes ab, jedoch nur des irdischen. Die Unterwerfung aber
unter die ewigen Gesetze der göttlichen Monarchie ist die Gerechtigkeit in dem
allgemeinen Sinne, in welchem sie (nach Aristoteles) alle Tugenden in sich begreift.
L. versucht auch (nnd zwar schon in der Schrift über die Methode der Jurisprudenz),
diese drei Stufen: jus strictum, aequitas, pietas, auf die drei Rechtsgrnndsätze zurück-
zuführen: neminem laedere, suum cuique tribuere oder, höher gefasst, cunetis
prodessc, honeste vivere (bei welcher Deutung freilich mehr L.s eigener Rechts-
begriff, als der der römischen Juristen maassgebend gewesen ist, nach welchem
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
155
letztern jnstitia est constans et perpetua voluntas suum cui(iue tribuendi, Digest. I,
1, 10, aus Ulpian).
Ls philosoph. Lehrgebäude ruht auf der Grundansicht, dass die theologiseh-
teleologische und physikalisch-mechanische Weltauffassung einander
nicht ausschliessen dürfen, sondern durchgängig mit einander zu ver-
einigen seien. Die einzelnen Vorgänge in der Natur können und müssen mecha-
nisch erklärt werden, ohne dass wir doch dabei ihrer Zwecke uneingedenk sein
dürfen, welche die Vorsehung gerade durch den Mechanismus zu verwirklichen
weiss. Die Principien der Physik und Mechanik aber hängen selbst wieder von der
Leitung einer obersten Intelligenz ab und können nur erklärt werden, indem wir
diese Intelligenz in Betracht ziehen. Die wahre Physik muss aus den göttlichen
Vollkommenheiten geschöpft werden; auf diese Weise muss man die Frömmigkeit
mit der Vernunft vereinigen. Beispielsweise folgert L. aus der göttlichen Weisheit,
dass an Geordnetes Geordnetes als Folge geknüpft sei, demgemäss an continuirliche
Veränderungen im Gegebenen wiederum continuirliche Veränderungen in dem, was
daraus abzuleiten ist. Er sagt: Lorsque la difference de deux cas peut etre diminuee
au dessous de toute grandeur donnee, in datis ou dans ce qui est pose, il faut
qu'elle se puisse trouver aussi diminuee au dessous de toute grandeur donnee in
quaesitis ou dans ce qui en resulte. Dies ist die „loi de continaite", welche
L. zuerst in einem Briefe an Bayle in den Nonvell. de la republ. des lettres, par
Bayle, Amst. 1687 aufgestellt hat. L. giebt zu, dass in den .choses composees"
mitunter eine kleine Veränderung eine sehr grosse Wirkung habe; aber „ä l'egard
des prineipes ou choses simples* könne das nicht so sein, denn sonst wäre die Natur
nicht das Werk einer unendlichen Weisheit. Zwischen allen Hauptclussen der
Wesen (z. B. zwischen Pflanzen und Thieren) muss es eine continuirliche Folge
von Mittelwesen geben, wodurch eine „connexion graduelle des especes" hergestellt
wird. Tout va par degres dans la nuturc et rien par saut, et cette regle ä l'egard
des changements est une partie de ma loi de la continuite. (Nouv. ess. IV, 16,
ed. Erdm. p. 392.)
Die Lehre von den Monaden, die sich allmählich bei Leibniz herausgebildet
hat, indem er besonders durch die Dynamik und die Atomistik zu seinem Begriff
der individuellen Substanz gelangte, hat er in seinem Discours de metaphysique 1686
als in einem ersten Entwürfe niedergelegt (s. die für Arnauld bestimmte ausführ-
liche Inhaltsangabe als Beilage zu einem Brief an den Landgraf Ernst von Hessen
Rheinfels), worin wir überhaupt seine damaligen metaphysischen Ansichten finden.
Er hat diese Lehre sowie die von der prästabilirten Harmonie zuerst Ein-
zelneu mitgetheilt, insbesondere Arnauld brieflich seit 1686, am bestimmtesten in
einem Venedig 23. März 1690 datirten Schreiben, dann öffentlich in verschiedenen
Artikeln im Journal des Savans und in den Acta erudit Lipsiensium. Bereits in
einer mathematischen, in den Act. erud. 1686 ersch. Abhandlung (brevis demon-
stratio erroris memorabilis Cartesii et aliorum circa legem naturae, secundum quam
volunt a Deo eandem Semper quantitatem motus conservari), dann in dem ebd. 1695
ersch. Specim. dynamicum pro admirandis naturae legibus circa corporum vires et
mntuas actiones detegendis et ad euas causas revocandis hat L. den Beweis für
seine Behauptung zu führen gesucht, dass nicht, wie Descartes annahm, die Quan-
tität der Bewegung, sondern vielmehr die Grösse der Kraft, die nicht durch das
Product aus der Masse und Geschwindigkeit (mv), sondern aus der Masse und der
die Geschwindigkeit erzeugenden Fallhöhe, oder (was auf dasselbe hinausläuft) aus
der Masse und dem Quadrate der Geschwindigkeit (mvs) bestimmt sei, sich im
Universum stets unverändert erhalte. L. folgert hieraus, dass die Natur des
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
Körpers nicht in der blossen Ausdehnnng bestehen könne, wie Descartes annahm,
auch nicht, wie L. selbst früher mit Gasseudi und Anderen geglaubt hatte und noch
in dem Briefe an Jac. Thomasius 1669 annimmt, bloss in der Ausdehnung und
Undurchdringlichkeit, sondern auch die Fähigkeit des WirkenB invoivire, Die
Annahme einer blossen Passivität könnte leicht zu Spinozas theologischer (oder
antitheologischer) Ansicht führen, dass Gott die einzige Substanz sei. Cf. Leibn.
epist. de rebus philosophiuis ad Fred. Hoffmann, 1699, in Erdm.s Ausg. S. 161:
pulchre notas, in mere passivo nullam esse motus recipiendi retinendique habili-
tatem, et. ademta rebus vi agendi, non posse eas a divina substantia distingui in-
cidique in Spinosismum. Andererseits aber lag in dem Maasse, wie der Körper
nicht als bloss ausgedehnt, sondern als kraftbegabt erschien, also das von Descartee
angenommene dualistische Verhältnis3 zwischen der bloss ausgedehnten und der
bloss denkenden Substanz aufgehoben wurde, Spinozas (psychologischer) Grund-
gedanke einer substantiellen Einheit von Leib und Seele nahe. L. würde in diesem
Betracht den 8piiiozismus haben billigen müssen, wenn er an der Ansicht, dass es
ausgedehnte Substanzen gebe, hätte festhalten können. Er hält aber dafür, das*
die Theilbarkeit des Körpers beweise, dass derselbe ein Aggregat von Substanzen
sei; dass es keine kleinsten untheilbaren Körper oder Atome gebe, weil dieselben
immer noch ausgedehnt, also auch Aggregate von Substanzen sein würden; dass
die wirklichen Substanzen, aus denen die Körper bestehen, untheilbar, unerzeugbar
und unzerstörbar {nur durch Schöpfung entstehend, nur durch Vernichtung ver-
gehend, sofern Gott sie schaffen oder vernichten will) und in gewissem Betracht
den Seelen, die L. gleichfalls als untheilbare Substanzen betrachtet, ähnlich seien.
Diese untheilbaren, unräumlichen Substanzen nennt L. Monaden, jedoch erst seit
1697, wahrscheinlich im Anschluss an Giordano Bruno. Er sagt: Spinoza würde
Recht haben, wenn es keine Monaden gäbe. (Lettre II. a Mr. Bourguet, in Erdm.s
Ausg. S. 720: De la maniere que je döfinis pereeption et appelit, il faut que toutos
les monades en soient douees. Car pereeption m'est la representation de la mul-
titude dans le simple, et l'appetit est la tendance d'une pereeption ä une autre; or
ces deux choses sont dans toutes les monades, car autrement une monade n'aurait
aueun rapport au reste de choses. Je ne sais comment vous pouvez eu tirer quelque
Spinosisme; au contraire c'est justement par ces monades que le Spinosisme est
delruit. Car il y a autaut de substances veritables et pour ainsi dire de mlroirs
vi van- de l'univers toujours subsistans ou d'univers coucentres qu'il y a de monades.
au Heu que, selon Spinosa, il n'y a qu'une seule substance. II aurait raison, s'il
n*y avait point de monades et alors tout, hors de Dien, serait passager etc.)
In der Abhaudlung: Systeme nouveau de la nature et de la communi-
cation des substances aussi bieu que de l'union, qu'il y a entre l'äme et le corps
(Journ. des Savaus 1695), sagt L., er habe nach mancherlei Meditationen sich
schliesslich überzeugt, dass es unmöglich sei, die Gründe einer wahren Einheit in
der Materie allein oder in dem, was nur passiv sei, zu findeu, weil darin alles ins
Unendliche hin nur ein Conglomerat von Theilen sei. Da es Zusammengesetztes
gebe, so müsse es auch einfache Substanzen geben, die als wahre Eiuheiten
nicht materielle, sondern nur formelle Atome, gleichsam „metaphysische Punkte"
(Er dm. p. 126) sein können, die gleich den mathematischen Punkten exaete Punkte
sind, aber nicht gleich diesen blosse „modalites, sondern an und für sich realiter
existirende Punkte (points de substance». Dass die Seele eine einfache Substanz
sei, hat L., durch die cartesianische Doctriu von dem Sitz der Seele veranlasst,
schon früh angenommen. Das Gemüth, sagt er in einem Briefe au den Herzog
Joh. Fr. von Braunschweig-Lüneburg vom 21. Mai 1671, müsse an einem Orte sein,
wo alle Bewegungen, die uns von deu Sinnesobjecten imprimirt werden, zusammen-
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§ 18. Leibnix und gleichzeitige Philosophen.
157
treffen, also in einem Punkt; geben wir dem Gemüth einen grösseren Platz, so hat
es partes extra partes und kann also .nicht auf alle seine Stücke und actione»
reflectiren". Aber zur Zerlegung der Materie in punctuell einfache Substanzen
ist Ii. erst später, wohl erst um 1685, fortgegangen.
Die wahren Einheiten oder einfachen Substanzen sind zu definiren mittelst des
Begriffs der Kraft. (Dies lehrt L. in einem gewissen Anschluss an den englischen
Arzt Glisson, den Verf. eines Tractat de nat substantiae energetica seu de vita
naturae, Lond. 1672, der allen Substanzen Bewegung, Trieb und Vorstellung zu-
sehreibt, auch an englische Platoniker, wie More und besonders Cudworth, der eine
via plastica annahm, vgl. H. Marion, Franc. Glissonius quid de natura substantiae —
senserit, et utrum Leibnitio de naturae substantia cogitanti quidquam contulerit,
Lut. Par. 1880). Die active Kraft (vis activa) ist, wie L. in der Abh. de primae
philos. emendatione et de notione substantiae , in Act Erud. 1694, sagt, ein Mitt-
leres zwischen der blossen Fähigkeit des Wirkens und dem Wirken selbst; die
blosse Fähigkeit bedarf der positiven Anregung von aussen, die active Kraft aber
nur der Hinwegräumung der Hindernisse, um die Wirkung zu üben, wie die
gespannte Sehne eines Bogens nur gelöst zu werden braucht, um ihre Kraft zu
äussern. In den um 1714 verfassten Principes de la nature et de la gräce,
foudees en raison, in Erdm.s Ausg. S. 714, definirt L: La substance est un etre
capable d* actio n. Doch ist in jeder endlichen Monade auch Passivität, welche
L. als materia prima (im Unterschied von dem Aggregat oder der Masse als der
materia secunda, die uns als etwas Ausgedehntes erscheint i bezeichnet; nur Gott
ist actus puros, frei von jeder Potential ität Die Passivität bekundet sich als die
Widerstandsfähigkeit (antitypia), worauf die Undurchdringlichkeit der Masse beruht
(Op. ph. ed. Erdm. p. 157; 678). Müssen wir die Substanzen mittelst des Begriffs
deT Kraft denken, so folgt daraus, sagt L in dem Syst nouv., „quelque chose
d'analogique au sentiment et ä l'appetit*; man muss die Substanzen auffassen „ä
l'imitation de la netion que nous avons des ämes". Jede Substanz bat Perceptionen
und Tendenzen zu neuen Perceptionen. In sich selbst trägt sie das Gesetz der
Fortsetzung der Reihe ihrer Wirkungen (legem continuationis seriei suarum Opera-
tionen, Brief an Arnauld 1690, in Erdmauns Ausg. S. 107). Jede Substanz hat
eine repräsentative Natur, sie stellt das Universum vor, aber die eine deutlicher
als die andere, und eine jede von ihrem Standpunkte aus, mit grösserer Klarheit
in Bezug auf die Dinge, zu denen sie in der nächsten Beziehung steht, mit gerin-
gerer Klarheit in Bezug auf die übrigen (Principes de la nat. et de la gräce, 3 ff ,
bei Erdm. S. 714 ff.). Wer Eine Monade vollständig erkennte, würde in ihr das All
erkennen, dessen Spiegel (miroir) sie ist; sie selbst erkennt nur, was sie klar vor-
stellt Demgemäss repräsentirt jede Monade das Universum gemäss ihren) eigen-
thümlichen Gesichtspunkte (selon son point de vue; — les points mathematiques
sont leur point de vue, ponr exprimer l'univers). Hierdurch sind alle Monaden und
alle Monadencomplexe von einander verschieden; es giebt im Universum nicht zwei
einander vollkommen gleiche Objecte; was qualitativ ununterscheidbar ist, ist
schlechthin identisch (prineipium identitatis indiscernibilium, Monad. 9
n. ö., das schon bei den Stoikern vorkommt, s. Grundr. I, 7. Aufl., S. 257). Dar-
auf, dasa jede Monade von ihrem Standpunkte aus das Universum spiegelt, beruht,
die von Gott, dem Schöpfer der Monaden, zwischen ihnen allen von Anfang an
•resetzte Harmonie (harmonia praestabilita, harmonie preetablie, der Ausdruck
von Leibniz zuerst gebraucht in einem ßr. an Rasuage de Beauval, Jan. 1696, mit
dem Zusatz: s'il m'est permis d'employer ce mot; nach Bayle stammt er von dem
Pater Francois Lamy, einem Anhänger Malebranches , der ihn in traite 2 de la
connaissance de soi meine , S. 226 anwendet). Sie spiegelt dasselbe nur zum ge-
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§ 18. Lcibniz und gleichzeitige Philosophen.
ringsten Theil mit Klarheit, zum grossen Theil aber in dunklen, jedoch in ihr
wirklich vorhandenen und wirksamen Vorstellungen. Leibuiz sagt: c'est aussi par
les perceptions insensibles que j'expiique cctte admirable harmouie preetablie de
l'äme et du corps et meine de toutes les mouades ou substances simples, qui supplee
ä l'influenee insouteuable des uns sur les autres (Nouv. Ess., Avaut-propos, bei
Erdm. S. 197 f.). Die Vorstellungen heissen bei Leibniz perceptions. Es haben
demnach alle Monaden die gleichen perceptions, aber sie unterscheiden sich dadurch
von einander, dass die einen weniger, die andern mehr vou diesen Vorstellungen
appereipiren, d. h. sich ihrer bewusst werden, und die einen mehr, die andern
weniger klare und deutliche Vorstellungen haben. Unter Apperception versteht
er also die bewusste Aneignung eines Vorstellungsinhalts. Die unbewussten Vor-
stellungen heissen les petites perceptions, und es hat L. mit diesen unbewussten
Vorstellungen einen sehr wichtigen Begriff in die Psychologie eingeführt. Die
Entwickclung der Monaden geht darauf hin, die Perceptioneu zur Apperception
zu bringen und zur vollen Klarheit der Vorstellungen zu kommen. Die Monaden,
aus denen die Materie besteht, stellen zwar auch das ganze Uuiversum vor, aber
in solcher Verworrenheit, dass sie sich dessen nie bewusst sind, während die Gott-
heit als allwissende Ccntralmonade sich des Universums in voller Klarheit und
Deutlichkeit fortwährend bewusst ist.
Durch die Monadeidehre wird die Ungleichartigkeit aufgehoben, welche nach
Descartes zwischen dem Leibe und der Seele besteht, und es tritt eine conti-
nuirliche Stufenordnung pereipirender Substanzen an die Stelle (welche
Doctrin zwischen dem cartesianischen Dualismus und dem spinozistischen Monismus
die Mitte hält). L. sagt, gestützt auf das Priucip der Continuität: Es giebt un-
endlich viele Stufen zwischen einer Bewegung, wie gering dieselbe auch sei, und
der vollen Ruhe, zwischen der Härte und einer absoluten, gar keinen Widerstand
leistenden Flüssigkeit, zwischen Gott und dem Nichts. So giebt es auch unzählig
viele Grade zwischen jeder beliebigen Activität und der reinen Passivität. Folglich
ist es nicht vernunftgeraäss, nur Ein uetives Priucip, nämlich den allgemeinen Geist
(die Weltseele), und Ein passives, nämlich die Materie, anzunehmen (Consideratious
sur lu doctrine d'un esprit universel, 1702, op. ph., ed. Erdm. p. 182). Die Stufen-
ordnung geht von Gott, der primitiven Monade, bis zu den untersten Monaden
herab. Epist ad Bierliugium, 1711, bei Erdmann S. 678: Monas seu substantia
simplex in geuere continet pereeptionem et appetitum, estque vel primitiva seu
De us, in qua est ultima ratio rerum, vel est derivativa, uempe Monas creata,
eaque est vel ratione praedita, mens, vel sensu praedita, nempe aniraa, vel
inferiore quodam gradu pereeptionis et appetitus praedita, seu anima analoga,
quae nudo monadis nomine contenta est, quum ejus varios gradus non cogtioscamus.
Vgl Principes de la nature et de la gräce, 4, bei Erdm. S. 714 f. Aber ungeachtet
dieser Aufhebung des Duulismus lehrt L. doch nicht eine natürliche Wechselwirkung
zwischen den Monaden und insbesondere zwischen Leib uud Seele; denn der Ablauf
der Vorstellungen der Seele kann nicht in den Mechanismus der leiblichen Be-
wegungen modificirend eingreifen, und dieser nicht in den Vorstellungslauf. Es ist
nicht möglich, sagt L. (Syst. nouv. 14, cd. Erdm. p. 127), dass die Seele oder irgend
eine andere wahre Substanz etwas von aussen empfange, es sei denn durch die
göttliche Allmacht. Die Monaden, sagt er an einer andern Stelle (Monad. 7, ed.
Erdm. p. 705), haben keine Fenster, durch die irgend welche Elemente in sie ein-
gehen oder hinaustreten könnten. Es giebt keinen influxus physicus zwischen irgend
welchen geschaffenen Substanzen, also auch nicht zwischen der Substanz, welche
Seele ist. uud denjenigen Substanzen, die ihren Leib ausmucheu. Der ganze Vor-
btellungsiuhalt entwickelt sich also spontan aus der Monade allein. Die Seele kann
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§ 18. Leibuiz und gleichzeitige Philosophen.
159
ferner darum nicht auf den Leib wirken, weil sich im Universum, wie in jedem
System von nur auf einander wirkenden und von einander Wirkungen erfahrenden
Substauzeu, nicht nur dieselbe Grösse der (lebendigen; Kraft, sondern auch dieselbe
Quantität des Progresses in jeder einzelnen Richtung unverändert erhalt lex de
eouservsinda quantitate directionis, s. Erdmanns Ausg. 8. 108; 133; 702); die Seele
kann also nicht, wie Deseartes dafürhielt, auf die Richtung der Bewegungen
modificirend einwirken. Descartes Hess noch die gewöhnliche Amiahme eines natür-
lichen Einflusses bestehen; ein Theil seiner Schüler erkunnte. dass derselbe unmöglich
sei, und bildete die Doctrin des Occasionalismus aus. Aber diese Doctriu macht die
alltäglichen Torgänge zu Wundern, indem sie Gott stets aufs Neue in den Natur-
lauf eingreifen lässt. Gott hat vielmehr von Anfang an Seele und Leib und über-
haupt alle Substanzen so geschaffen, dass, indem jede dem Gesetz ihrer inneren
Entwicklung ider oben erwähnten lex continuationis seriei suarum operationum) mit
voller Selbständigkeit (spontaneite) folgt, sie zugleich mit allen andern in jedem
Augenblick in genauer Uebereinstimmung (couformite) steht (also die Seele
dem Gesetz der Vorstelluugsassociation gemäss in demselben Augenblick eine
schmerzhafte Empfindung hat, in welchem der Körper geschlagen oder verwundet
wird, etc. und umgekehrt der Arm den Gesetzen des Mechanismus des Leibes
gemäss in demselben Augenblicke sich ausstreckt, in welchem in der Seele ein
bestimmtes Begehren auftaucht u. dergl. mehr). Das Verhältnis* dieser Annahme
der prästabilirten Harmonie zu den beiden anderen möglichen Erklärungen
der Correspondenz zwischen Seele und Leib erläutert L. (in dem Second Eclair-
cisseinent und Troisieme Eclaircissemeut du uouveau Systeme de la commumeation
des substances, Erdm. S. 133 f.) durch folgendes Glcichniss (siehe übrigens schon
Geulincx, ob. S. 80): Dass zwei Uhren miteinander stets übereinstimmen, kann
auf drei Weisen erzielt werden, deren erste der Lehre von einem physischen Ein-
fluss zwischen Leib und Seele entspricht, die zweite dem Occasionalismus, die
dritte dem System der prästabilirten Harmonie. Eutweder werden beide Uhren
durch irgend einen Mechanismus mit einander in Verbindung gebracht, so dass der
Gang der einen auf den Gang der andern einen bestimmenden Einfluss übt, oder
es wird Jemand beauftragt, fortwährend die eine nach der andern zu stellen, oder
es sind beide mit so vollkommener Genauigkeit gleich anfangs gearbeitet worden,
dass man auf ihren andauernd gleichmässigen Gang ohne rectificirendes Eingreifen
eines Arbeiters rechnen kann. (S. dazu die ob. S. 79 angeführte Litteratur über
Leihniz und Geulincx und G. Berthold, L. und das Uhreugleichniss, in: Monatsber.
d. Ak. zu Berlin 1874, 8. 561—567.) Da L. zwischen Seele und Leib einen phy-
sischen Einfluss für unmöglich hält, so bleibt ihm nur die Wahl zwischen den
beiden letzteren Annahmen übrig, und er entscheidet sich für die eines . consente-
ment preetabli", weil er diese Weise, die Uebereinstimmung zu sichern, für natur-
geraässer und gotteswürdiger hält, als das jedesmalige gelegentliche Eingreifen.
Der absolute Künstler konnte nur vollkommene Werke schaffen, die der stets er-
neuten Rectification nicht bedürfen.
Die Seele kann die herrschende Monade oder das substantielle Centrum des
Leibes genunnt werden oder auch die auf die Monaden des Leibes wirkende Sub-
stanz, sofern die andern ihr uugepasst sind, und ihr Zustand den Erklärungsgrund
für die leiblichen Veränderungen ausmacht (Syst. nouv. 17, Erdm. S. 128 1. Jede
Monade, welche Seele ist, ist mit einem organischen Leibe umkleidet, den sie
niemals in allen seinen Theilen verliert. Dass sie ihn aber doch partiell verlieren
kann, und dass sogar fortwährend die Bestandteile des Leibes dem Stoffwechsel
unterliegen (Monad. 71), während jede Monade schlechthin einfach ist, zeugt
hinreichend für die völlige Unnahbarkeit des Versuchs, den Unterschied von Seele
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160 8 18. Leibniz and gleichzeitige Philosophen
und Leib, welcher letztere nach L. als ein Aggregat von Substanzen ein Monaden-
complex ist (une massc composee par une infinite d'aatres Mouades, qni constitoent
le corps propre de cette Monade centrale, Princ. de la nat et de la gr&ce 3,
Erdm S. 714), mit dem der Activität und Passivität in der einzelnen Monade zu
identificiren und hiernach auch die prästabilirt« Harmonie umzudeuten.
K- existirt nichts Anderes, als Monaden und Erscheinungen, welche Vor-
stellungen der Monaden sind. Alle Ausdehnung gehört nur der Erscheinung an:
nur in der verworrenen sinnlichen Auffassung erscheint die continuirlich ausgedehnte
Materie. Diese Materie ist nur ein „phaenomenon bene fundatum", ,un phenomene
reg]»'- et exact, qui ne trompe point, quand on prcnd garde uux regles abstraites de
la raison". Der Raum ist die Ordnung der möglichen coexistirenden Erscheinungen,
die Zeit ist die Ordnung der Successionen (in Erdmanns Ausg. S. 189 , 746 f.,
752 u. ö.). Was in der Ausdehnung Reales ist, besteht nur in dem Grunde der
Ordnung und geregelten Folge der Erscheinungen, welcher Grund nicht anschaulich
vorgestellt, sondern nur gedacht werden kann. L. bekämpft die (auch von Newton
gehegte) Ansicht, dass der Raum „nn etre r£el absolu* sei (wie er auch die
newtonsche Attractionsdoctrin angreift, Erdm. S. 782).
Die Vereinigung von einfachen Substanzen zu einem Organismus ist eine unio
realis und bildet gewissermaassen eine zusammengesetzte Substanz, indem
die einfachen Substanzen gleichsam durch ein „vinculum substantiale* mit einander
zu einem Ganzen verknüpft sind.
Aus der monadischen und geistigen Natur der Seele folgert L. ihre Unzerstör-
barkeit und Unsterblichkeit. Syst. nouv., Erdm. S. 128: »Tont esprit etant
comme un monde ä part, süffisant ä lui meme, independant de toute autre creature
enveloppant Tinfini, exprimant 1'univers, et aussi durable, aussi subsistant et aussi
absolu que l'univers meme des creatures." Aus der Unmöglichkeit, die thatsäch-
liche Uebereiustimmung zwischen Seele und Leib durch physischen Einflnss zu
erklären, folgert er die Nothwendigkeit der Annahme der Existenz Gottes als
der gemeinsamen Ursache aller endlichen Substanzen: .car ce parfait accord de
tant de substances, qui n'ont point de communication ensemble, ne saurait veuir
que de la cause commune* (Syst. nouv. 1606, Erdm. S. 128). Gott, die primitive
Substanz, hat jede Monade so eingerichtet, dass sie stets von ihrem Standpunkt aus
das Weltall spiegelt, und er hat hierdurch die Harmonie bewirkt Nouv. Ess. IV.
§ 11: Car chacune de ces ämes exprimant ä sa maniere ce qui se passe au dehore
et ne pouvant avoir aucune influence des etres particuliere ou plutöt devant tirer
cette expression du propre fond de sa nature, il faut necessairement que chacune
ait recu cette nature d'une cause universelle dont ces etres depeudent tous et qui
fasse que Tun suit parfaitement d'accord et correspondant avec l'autre, ce qui ne
se pcut sans une connaissance et poissance infinie. Gott ist, sagt L. (Monad. 47,
Erdm. S. 708), die primitive Einheit oder die ursprüngliche einfache Substanz, die
Monas primitiva (Epist. ad Bierlingium 1711, Erdm. S. 678; la monade primitive,
Lettre ä Remond de Montmort, 1715, Erdm. S. 725), deren Productionen alle
geschaffenen oder abgeleiteten Monaden sind, die (wie L. allerdings nicht ohne
einige Beeinträchtigung seiner Voraussetzung der Uutheilbarkeit der Monaden lehrt)
aus ihr gleichsam durch beständige Ausstrahlungen (die doch dynamische Thei-
lungen sind) entstehen (par des fulgurations coutinuelles de la Divinite de moment
ä moment, bornees par la r6ceptivit6 de Ja creature d laquelle il est essentiel
d'etre limitee). Gott hat eine adäquate Kenntniss von allem, da er dessen Quelle
ist Er ist gleichsam überall Centrum (comme centre partout, mais sa circon-
ference est nulle part), alles ist ihm unmittelbar gegenwärtig, nichts ist fern von
ihm. Diejenigen Monaden, welche Geister sind, haben vor den übrigen die Gottes-
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§ 18. Leibniz nnd gleichzeitige Philosophen.
161
erkenntuiss voraus mid habeu einigen Antheil an Gottes schaffender Kraft. Gott
beherrscht die Natur als Architekt, die Geister als Monarch; zwischen dem Reiche
der Natur und der Gnade besteht eine vorausbestimmte Harmonie (Princ. de 1. uat.
et d. 1. gräce 13 und 15, Erdm. S. 717).
Auf dem Princip der Harmonie zwichen den Reichen der Natur und der
Gnade beruht L.s Th eodieee oder Rechtfertigung Gottes wegen des Uebels in der
Welt. Die Welt muss als Werk Gottes die beste unter allen möglichen Welten
sein; denn wäre eine bessere Welt möglich, als diejenige, welche wirklich besteht,
so hätte Gottes Weisheit dieselbe erkennen, Beine Güte sie wollen, seine Allmacht
sie schaffen müssen. Damit ist aber nicht gesugt, dass die von Gott geschaffene
Welt die absolut vollkommene oder gute ist. Das Uebel in der Welt ist mit Not-
wendigkeit durch die Existenz der Welt selbst bedingt. Sollte es eine Welt geben,
so musste sie aus endlichen Wesen bestehen; hierdurch rechtfertigt sich die End-
lichkeit oder Beschränktheit und Leidensfähigkeit, die man das metaphysische
Uebel nennen kann. Das physische Uebel oder der Schmerz ist heilsam als Strafe
oder als Erziehungsmittel. Das moralische Uebel oder das Böse konnte Gott nicht
aufheben, ohne die Selbstbestimmung und damit die Moralität selbst aufzuheben;
die Freiheit, nicht als Exemption von der Gesetzmässigkeit, sondern als Selbstent-
scheidung nach dem erkannten Gesetz, gehört zum Wesen des Geistes. Der Natur-
lauf ist so vou Gott geordnet, dass er jedesmal dasjenige herbeiführt, was für den
Geist das Zuträglichste ist; eben hierin besteht die Harmonie zwischen dem Reiche
der Natur und dem Reiche der Gnade.
Den Kern der in den (1704 verf., erst 1765 veröffeutl.) Nouveaux essais
sur l'entendement enthaltenen Bemerkungen gegen Lockcs Essay coucern. hum.
understanding (welche Schrift er jedoch als ,un des plus beaux et des plus estimes
ouvrages de ce temps" anerkennt) bezeichnet L. selbst in einem Briefe an Bierling
in folgender Weise: «Bei Locke sind gewisse besondere Wahrheiten nicht übel
auseinandergesetzt; aber in der Hauptsache eutfernt er sich weit vom Richtigen,
und er hat die Natur des Geistes und der Wahrheit nicht erkannt. Hätte er den
Unterschied zwischen den nothwendigen Wahrheiten oder denjenigen, welche durch
Demonstration erkannt werden, und denjenigen, zu welchen wir bis auf einen
gewisaeu Grad durch Induction gelangen, richtig erwogen, so würde er eingesehen
haben, dass die nothwendigen Wahrheiten nur aus den dem Geiste eingepflanzten
Principien, den sogenannten angeborenen Ideen, bewiesen werden können, weil die
Sinne zwar lehren, was geschieht, aber nicht, was nothwendig geschieht. Er hat
auch nicht beachtet, dass die Begriffe des Seienden, der Substanz, der Identität,
des Wahren und Guten deswegen unserm Geiste angeboren sind, weil er selbst sich
angeboren ist, in sich selbst dieses Alles ergreift „Nihil est in intellectu, quod non
fuerit in sensu, nisi ipse intellectus/*) Ueber das Einzelne vergl. insbesondere
*) Da jedoch Locke ausser der Sensation auch die Reflexion als das Bewnsst-
sein des Geistes vou seinem eigenen Thun angenommen hat, und da andererseits
Leibniz nicht die Ideen als bewusste Vorstellungen angeboren sein lässt, sondern
nur als „schlummernde Vorstellungen", als „idees innres1", die doch nicht „connues"
seien, so ist der Gegensatz geringer, als er nach dem Wortlaute erscheint. Wenn
der Geist den Begriff des Seienden, der Substanz darum zu gewinnen vermag,
weil er selbst ein Seiendes, eine Substanz ist, so ist ihm nicht dieser Begriff als
solcher, auch nicht einmal als unbewusster Begriff, sondern nur das, woraus dieser
Begriff sich bilden lässt, angeboren; ist er der Wahrheit und Güte fähig und
vermag durch Reflexion auf die von ihm gewonnene Wahrheit und Güte eben diese
Begriffe zu bilden, so erlangt er dieselben nicht ohne die „reflexion", und in her
leibnizischen Theorie liegt nur so viel Wahres, dass die Möglichkeit derjenigen
Entwickel ung, die zu jenen Begriffen führt, durch eine der Seele innewohnende
Ueberwag-Hcinz«, Grundrisa III. 7. Aufl. U
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162
§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
die schon oben (§ 14, S. 116) citirte Abhandl. von G. Hartenstein, Lockes Lehre
von der menschl. Erkennte, in Vergleich^, m. Leibniz' Kritik derselben.
Als Principien des Schliessens bezeichnet L. den Satz der Identität
und des Widerspruchs und den Satz des zureichenden Grundes. Mona-
dol. 31, 32 (Erdra. S. 707): Nos raisonnements sont fondes sur deux grands prin-
cipes, celui de la contradiction, en vertu duquel nous jugeons faux ce qui en
enveloppe, et vrai ce qui est oppose ou contradictoire au faux, et celui de la
raison süffisante, en vertu duquel nous considerons qu'aucun fait ne saurait se
trouver vrai ou existant, aucune enonciation veritable, sans qu'il y ait une raison
süffisante, pourquoi il en soit ainsi et non pas autrement, quoique ces raisons le
plus souvent ne puissent poiut nous ötre connues. Die nothwendigen oder ewigen
Wahrheiten führt L. auf den Satz des Widerspruchs zurück, die zufälligen oder
factischen auf den Satz des Grundes ; die ersteren, wozu L. insbesondere die mathe-
matischen rechnet, kann man durch eine Analyse der Begriffe und Sätze, die bis
zu den primitiven fortgeht, erkennen. (Im Gegensatz zu dieser Lehre hat Kant die
mathematischen Erkenntnisse als synthetische Urtheile a priori bezeichnet.
Manche Leibnizianer haben den Satz des Grundes aus dem des Widerspruchs abzu-
leiten versucht) Den ewigen Wahrheiten kommt eine absolute, unbedingte Not-
wendigkeit zu, den tatsächlichen nur eine bedingte, hypothetische. Die erstere ist
eine logische als Unmöglichkeit des Gegentheils, die zweite eine causale als
Abhängigkeit von anderen Thatsachen. So wurde für Leibniz die factische Not-
wendigkeit, deren Gegentheil immer noch denkbar bleibt, eine zufällige, und er
gewann so den Gegensatz der nothwendigen und zufälligen Wahrheiten.
Die „ewigen Wahrheiten* haben nach L. ihren Ursprung in dem göttlichen
Verstände, ohne dass der göttliche Wille daran Antheil hat; der göttliche Ver-
stand ist die Quelle der Möglichkeit der Dinge, der göttliche Wille die Ursache
ihrer Wirklichkeit. Hiernach muss alle Wahrheit ihrer Natur nach Vernunft-
wahrheit sein.
Die Hauptpunkte seiner Lehre fasst Leibniz in Bemerkungen zu dem Artikel
Rorarius in Bayles Dictionnaire (zuerst gedruckt bei Gerhardt, Bd. 4, S. 553) zu-
sammen: Enfin la somme de mon Systeme revient ä cecy, que chaque Monade est une
concentration de l'univers, et que chaque Esprit est une imitation de la divinite.
Qu'en dieu l'univers se trouve non seulement coneentrö, mais eucore exprimä par-
faitement, mais qu'en chaque Monade creee il y a seulement une partie exprimee
Activität bedingt ist, welche den Vergleich derselben mit einer bloss passiven
tabula rasa unpassend macht. Die Vorstellungen bilden sich sämmtlich durch ein
Zusammenwirken äusserer und innerer Factoren; Locke hat die ersteren, Leibniz
die letzteren betont. Die „Anlage" zu den bewussten Ideen mit dem Vorhanden-
sein eben dieser Ideen selbst als unbewusster Vorstellungen gleichsetzen, so dass
die Entwicklung derselben nur in einem successiven Klarwerden derselben bestehen
soll, heisst dem wirklichen Entwickelungsprocesse einen erträumten unterschieben,
bei welchem die Mitwirkung des äusseren Factors verkannt wird. Die auf uns ein-
wirkende äussere Realität ist ebensowohl wie der Geist selbst etwas Geordnetes,
nach immanenten Gesetzen Gestaltetes, nicht ein Conglomerat von Zufälligkeiten;
darum ist auch die durch die Einwirkung der Aussenwelt auf uns bedingte Erfah-
rung nicht etwas Chaotisches, in welches der Geist erst aus sich nach .angeborenen
Ideen", die nach Leibniz die Seele wie Adern den Marmorblock durchziehen (oder,
wie Kant will, nach Formen a priori), Ordnung hineintragen müsste. Aus ihr selbst
kann die gesetzmässige Ordnung der Realität* erkannt werden, in welcher die Not-
wendigkeit der einzelnen Thatsachen begründet liegt. Zu diesem Ziele führt freilich
nicht die vereinzelte Erfahrung, wohl aber die Combination von Erfahrungen nach
logischen Normen, welche letzteren von rein subjectiven Bestandstücken der Er-
kenntniss sehr wesentlich verschieden sind.
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
163
distinctement, qui est plus ou moins excellente, et tout le reste, qoi est infiui n'y
est exprime qae confuseraent. Mais qu'il y a en Dien non seuleraeut la concen-
tration, mais eneore la soorce de l'univers. 11 est le centre primitif, dout toot le
reste emane, et si qaelque chose emane de nous en dehors, ce n'est pos immedia-
tement, mais parce qa'il a vooln accommoder d'abord les choses ä nos desirs. Enfin
lorsqu'on dit, qae chaqae Monade, Arne, Esprit a receu une loy particuuere, U
faut adjoater, qa'elle n'est qu'une Variation de la loy generale qui regle l'univers;
et que c'est comme une meme ville paroit differente selon les differens points de
veue dont on la regarde.
Auf die Religion und auf die allgemeine Bildung im 18. Jahrh. hat L.
zumeist durch seinen Versuch eines Nachweises der Conformität von Vernunft und
Glauben (in der Theodicee) gewirkt, den er zunächst im Gegensätze gegen Bayles
extreme Durchführung des altprotestantischen Princips des Widerstreits aufstellte,
und der bei der Ausbreitung und Vertiefung der wissenschaftlichen Vernunft-
erkenntniss auf den Gebieten der Natur und Geschichte als ein dringendes Zeit-
bedürfniss erschien. In dem Maasse, wie sein Princip Eingang fand, wurde einer-
seits die Schroffheit des Gegensatzes zwischen Katholicismus und Protestantismus
gemildert, andererseits aber die Bedeutung der Offenbarungslehren überhaupt
(obschon L. an denselben festhielt und insbesondere socinianische Einwürfe gegen
die orthodoxe Trinitätslehre bekämpfte) zu Gunsten der durch die blosse Vernunft
erkennbaren Wahrheiten abgeschwächt, in welcher Richtung die sogenannte Auf-
klärung weit über L.s Absicht hinausging. Die leibnizisch- wölfische Philosophie
bahnte den theologischen Rationalismus an, der später durch den Kantianismus
in anderer Art zu einer noch volleren Ausbildung gelangte.
Ging in philosophischem Betracht Ks Streben vorzüglich auf die Ver-
einigung der theologischen uud kosmologischen Auffassung, der Ableitung aus
Gott und der Erklärung durch Naturgesetze, so ist doch eine wirkliche Harmonie
beider Elemente nicht erreicht worden. Die prästabilirte Harmonie lässt nur
anscheinend eine uaturgesetzliche Auffassung zu, indem jede Monade von ihrem
Standorte aus das All spiegeln soll; eine wirkliche Naturgesetzlichkeit müsste
den Causalnexus involviren. Wie Gott die Monaden zu bestimmen vermöge, bleibt
unklar. Die Verschiedenheit der Standorte der Monaden muss entweder von eben
solcher Art sein, wie die der Lage von Punkten in dem Räume der sinnlichen
Anschauung oder nicht. Ist sie es nicht, so bleibt die Natur derselben völlig
unbestimmt; die Durchführnng der Monadenlehre, welche fast durchgängig die
Analogie räumlicher Verhältnisse voraussetzt, wird durch den allgemeinen Satz,
dass alle derartigen Verhältnisse bei den Monaden nicht statthaben, nicht nur
durchaus unanschaulich, sondern verliert auch jede Klarheit für das Denken. Die
leibnizische Lehre vom Raum bleibt hiernach kaum wesentlich von der kantischen
Doctrin, wonach derselbe eine blosse subjective Anschaaungsform ist, unterschieden
(wie denn auch Kant, metaph. Anfangsgr. der Naturwiss., Lehrs. 4, Anm. 2 gegen
Ende, L.s Lehre vom Raum in eben diesem Sinne deutet, indem die der räumlichen
Ordnung correspondirende Ordnung einfacher "Wesen einer „bloss intelligibeln, uns
unbekannten Welt« angehöre), zieht dann aber consequentermaassen, wie Kant
gezeigt hat, auch die Denkformen in den blossen SubjecÜvismus mit hinein und
unterliegt andererseits den nämlichen Bedenken, welche diesen kantischen Subjecti-
vismus als unhaltbar erweisen und insbesondere Herbart zur Ausbildung eines
neuen .Realismus" bestimmt haben. Sind aber die Monadenorte räumlicher Art
(zu welcher Annahme insbesondere die mathematische Bestimmtheit der mechanischen
Gesetze nöthigt, welche Gesetze unleugbar über das Subject auf die transscenden-
ttüen Objecte, die seine sinnlichen Anschauungen bedingen, hinausweisen. Zu
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§ 18. Leibniz and gleichzeitige Philosophen.
dieser Auflassung stimmt L.s Bestimmung der points de vne als mathematischer
Punkte innerhalb organisirter Massen und die Bedingtheit des Maasses der Wirkung
durch die Distanz; Princ. de la nat. et de la grace, 3, Erdin. S. 714), so muss
(mit Herbart) ein intelligibler Raum von dem phänomenalen unterschieden, aber
derselbe dem letztern gleichartig gedacht werden, waa jedoch L. nicht will, der
ausdrücklich alle räumlichen Beziehungen auf Phänomene einschränkt und die
Uebertragung derselben auf die Monaden abweist. Durch diese Uebertragung
würde mindestens die theologische Seite der leibnizischen Doctrin, die Allgegenwart
Gottes, sein Nichtgebundensein an einen bestimmten Punkt, seine gleich nahe
Beziehung zu allen endlichen Monaden gefährdet werden. Die punctuelle Einfachheit
der Monade verträgt sich nicht mit der zum Behuf der Ausschliessung äusserer
Einfachheit angenommenen Vielfachheit der in ihr liegenden Perceptionen ; schon
Bayle hat hierauf aufmerksam gemacht. Wird die Einfachheit aufgegeben, so ist
zunächst der Spinozismus hergestellt; Herbart hat, um die punctuelle Einfachheit
zn retten (deren Möglichkeit übrigens auch an sich selbst zweifelhaft ist, da der
Punkt nur als Grenze existirt und nur in der Abstraction verselbständigt wird),
die Consequenz der Einfachheit der Qualität gezogen, wodurch aber nicht nur die
prästabilirte Harmonie aufgehoben, sondern auch jede Durchführung einer theo-
retischen Gotteslehre unmöglich wird. Der Kantianismus, der erneute Spinozismus
(Schellingianismus) und der Herbartianismus liegen unentwickelt in der leibnizischen
Doctrin mit einander vereint; zu einer wirklichen Versöhnung der widerstreitenden
Elemente ist Leibniz nicht gelangt
Ein deutscher Vorgänger Leibnizens in dem Bestreben nach einer Reform der
Philosophie war Joach. Jungins (1587 — 1657), ein tüchtiger Mathematiker und
Naturforscher, der besonders auch (mit Piaton) die propädeutische Bedeutung der
Mathematik für ein echtes Philosophiren hervorhob. Er ist der Verf. der Logica
Hamburgiensis, Hamb. 1638 und 1681. üeber ihn handelt G. E. Guhrauer, J. J.
und sein Zeitalter, nebst Goethes Fragin. üb. Jungius, Stuttg. u. Tübing. 1859.
Eine Harmonie des Wissens und Glaubens erstrebte der berühmte Schulmann
Arnos Comenius (1592—1671), der durch die Schriften Vives', Campanellas.
Fr. Bacons und durch J. Alstedt beeinflusst war. Die ursprüngliche Quelle der
Erkenntniss ist nach ihm der Sensus; da dieser sich aber leicht durch die Fülle
der Wahrnehmungen verwirrt, ist es nöthig, die Vernunft za gebrauchen, die freilich
auch die Gesammtheit nicht zu erkennen vermag, so dass die h. Schrift heran-
zuziehen ist: Quemadmodum nihil est in intellectu quod non fuerit in sensu, ita
nihil in fide, quod non prius in intellectu. Doch ist Comenius zu voller Klarheit
weder in seiner Methode noch in seinen inhaltlichen Aufstellungen gekommen.
Seine pansophischen Bestrebungen gingen auf eine vollständige und vollkommene
Erkenntniss. In der Physik, die er am sorgfältigsten bearbeitet hat, nimmt er drei
Principien an : materia, lux, Spiritus; in dem letzten hat Gott die Ideen, welche die
Gestaltung der Dinge fertig bringen, der Welt eingehaucht. S. von Criegern, J. A.
Com. als Theolog, Lpz.-Heidelb. 1881. Joh. Kvacsala, üb. J. A. Comenius* Philo-
sophie, insbesondere Physik, I.-D., Lpz. 1886, bei dem auch die philosophischen
Schriften des C. und die einschlägige Litteratur nachzusehen sind.
Die skeptische Ansicht von menschlichem Wissen, welche einst Agrippa
v. Nettesheim in seiner Schrift de incertitud. et vanitate scientiar., Colon. 1527,
geäussert hatte und im 17. Jahrh. in England Jos, Glanville, in Betreff des Cau-
salitätsbegriffs Vorgänger Humes, in Frankreich Le Vayer u. A. vertraten, äusserte
Hieron. Hirnhaym (gest. zu Prag 1679) in seiner Schrift de typho generis humani
sive scientiarum humanarum inani ac ventoso tumore, difficultate etc., Prag 1676,
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§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
1G5
zu dem Zweck, den Offenbarungsglauben and die Askese zu heben. Doch war er
kein Feind wissenschaftlicher Studien, äusserte aber in orthodox -beschränkter
Weise seinen Abscheu gegen alle Philosophie und hielt die Grundsätze alles Denkens
für widerlegt durch bestimmte christliche Dogmen, %. B. den der Causalitat durch
das Dogma von der Weltechöpfung. Ueb. ihn handelt K. Sigm. Barach, 11. H., ein
Beitr. z. Gesch. d. pbilos.-theol. Cultur im 17. Jahrh., Wien 1864, wieder abgedruckt
in B s Kleinen philos. Schriften, Wien 1875.
Die Mystik erneuerte u. A. namentlich Angelus Silesius (Johann Scheffler,
1624—67) in poetischer Form. Sein Grundgedanke ist: Gott bedarf des Menschen
gleich wie der Mensch Gottes bedarf, zur Pflege seines Wesens. Vgl. Franz Kern,
Joh. Schefflers cherubinischer Wandersraaun, Lpz. 1866 (wo besonders die Beziehung
Seh.- zu Eckhart nachgewiesen wird).
Walther v. Tschirnhausen (1651— 1708 , eiu Mathematiker, Physiker und
Logiker, der sich besonders durch das Studium der Schriften des Descartes und
des Spinoza, auch durch persönlichen Verkehr und durch Briefwechsel mit dem
Letzteren gebildet hat und mit Leibuiz früh in persönliche Beziehung trat, behandelte
die Logik als Erfindungskunst in seiner Medicina mentis sive artis invenieudi
praeeepta generalia, Amst 1687, Lips. 1G95 u. ö. Das Merkmal des Wahren ist,
dass es ein Begreifliches und wahrhaft Begriflenes sei, das sich auch andern ver-
ständigen Leuten durch Worte begreiflich machen lasse. Er lehnt sich vielfach,
eogar in den Ausdrücken, an Spinoza an, von dem er urtheilte, dass er Gott und
Natur nicht confundirt, sondern vielmehr einen richtigeren Begriff von Gott gehabt
habe als selbst Descartes. Vgl. über ihn H. Weissenborn, Lebensbeschreibung des
E W. v. Tschirnhausen, Eisenach 1H66.
Sam. v. Pufendorf (1632—94) hat sich durch seine unter dem Namen Se-
verinus a Monzambano veröffentl. Schrift de statu reipubl. Germanicae 1667 u. ö.
(deutsch von Harry Breslau, Berl. 1870) um das deutsche Staatsrecht, durch die
Schriften: de jure naturae et gentium, Lond. 1672, Frankf. 1684 u. ö , de officio
hominis et civis, Lond. 1673 u. ö., um das Naturrecht und die Ethik verdient ge-
macht. Von Grotius nimmt P. das Princip der Geselligkeit, von Hobbes das
des individuellen Interesses an und vereinigt beide durch den Satz, dass die
Geselligkeit im Interesse eines jeden Einzelnen liege. In der systematischen An-
ordnung der Naturrechts - Lehre liegt die Hauptbedeutung der pufendorfschen
Darstellung.
Im Wesentlichen fusst auf Pufendorf Christian Thomasius (1655 zu Leipzig
geb., daselbst seit 1681 habilitirt, zog er sich durch die ünerschrockenheit, mit der
er gegen das Herkommen für die wissenschaftliche Freiheit auftrat, und durch das
Halten deutscher Vorlesungen Verfolgungen zu. Zu Halle dann angestellt, wirkte
er bei der Gründung der dortigen Universität mit und starb 1728) in seineu In-
stitutionum jurisprudentiae divinae libri tres, in quibus fundameita juris nat seeun-
dum hypotheses ill. Pufendorfii perepicue demonstrantur, Francof. et Lips. 1688;
7. ed. 1730. Selbständiger verfährt er in den Fundaraenta juris naturae et gentium
ex sensu communi dedueta, in quibus secernuntur prineipia honesti, justi ac decori,
Hall. 1705 u. ö., worin er das Gerechte, Wohlanständige, Ehrbare oder Sittliche
(justnm, decorum und honestum) als drei Stufen des der (.Welt*-) Weisheit gemässen
Verhaltens bezeichnet, indem er für das Gerechte das Princip aufstellt: Was du
nicht willst, das dir geschieht, das füge keinem Andern zu; für das Wohlanständige:
Wovon du wünschst, dass Andere es dir thun, das thue ihnen auch selbst; für das
Ehrbare: Wovon du wünschst, dass Andere es sich selbst thun (was wir an ihnen
löblich finden), das thue du dir auch selbst Die Rechtspflichten sind erzwingbar.
Auch Tschirnhausens Medicina mentis ist auf die Philosophie des Thomasius,
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16G
§ 18. Leibniz und gleichzeitige Philosophen.
obschon dieser sie bekämpft, wohl nicht ohne Einfloss gewesen. Vgl. Laden, Chr.
Thomasius nach s. Schicks, u. Schrift. Berl. 1805. B. A. Wagner, Chr. Th.t e.
Beitr. z. Würdigung s. Verdienste um d. dtsche. Litt., Progr., Berl. 1872. Klem-
percr, Christ. Thomasius, ein Vorkämpfer der Volksaufklärung, Landsb. a. W. 1877.
Heinr. v. Cocceji (1644—1719) und sein Sohn Sam. v. Cocceji (1679—1756)
haben das Naturrecht auf das Völkerrecht und auf das Civilrecht angewandt. Vgl.
Trendelenburg, Fr. d. Gr. und seiu Grosakanzl. Sam. v. Cocceji, in den Abhandl.
d. Akad. v. Jahre 1863, Berl. 1864, S. 1—74; Heinr. Degenkolb in der 3. Aufl. des
rotteck-welckerschen Staatslex. üb. d. Einfluss des wolffischen Naturrechts auf unser
Landrecht, in dem Artikel üb. d. allg. preuss. Landrecht
Auf dem Gebiete der Rechts- und Geschichtsphilosophie hat sich der Neapoli-
taner Giovanni Battista Vico (1668 — 1744), ein Verehrer des Piaton und Aristoteles,
noch mehr des Bacon, zugleich aber Anhänger der Lehre der katholischen Kirche,
ausgezeichnet. Er schrieb: de antiquissima Italorum sapieutia, Neap. 1710; de
uno universi juris principio et fine uno, Neap. 1720; Uber alter, qui est de con-
stantia jurisprudentis, ib. 1721; sein Hauptwerk ist: Principj di una scienza nuova
d'intorno alla commune natura delle nazioni, Neapel 1725, 1730, 1744 u. ö., deutsch
von W. E. Weber, Leipz. 1822. Neben der Geschiehtsphilosophie hat er auch die
Völkerpsychologie begründet. Besonders beeiuflusst war er durch die Neuplatoniker
der Renaissance. Seine Lehre von den metaphysischen Kraftpunkten, die nicht für
sich bestehen, sondern Ausstrahlungen der im Raum sich ausbreitenden göttlichen
Wirkungsmacht Bind, fuhrt er auf Zenon zurück. Gott wird bestimmt als das
unendliche Posse, Nosse, Velle, während der Mensch als endliches NoBse, Velle,
Posse von Natur die Richtung zum Unendlichen, also zur Einigung mit Gott hat.
Der Sündcnfall hat aber diese drei Möglichkeiten in ihr Gegentheil verkehrt, und
es muss eine Wiederherstellung stattfinden, welche sich darstellt in den drei eng
mit einander verbundenen Tugenden der prudentia, temperantia, fortitudo. Das
Erkennen ist für den Menschen nothwendig, frei hingegen das Wollen und Können.
Die eigentliche Aufgabe der Philosophie ist eB „die allgemeine Geltung der denk*
nothwendigen allgemeinen Wahrheiten aus der Prüfung der göttlichen Wahrheit im
menschlichen Zeitdasein zu begreifen und zu erklären" und diese Gegenwart selbst
zur vollen Erkenntniss zu bringen. Die Theorie der Erkenntniss gestaltet Bich bei
Vico ähnlich der bei Malebranche. Wenn der Mensch die Dinge in Gott schaut,
versetzt er sich aus der sinnlichen Welt in die ewige Ordnung der Dinge zurück.
In der Lehre vom Menschen berücksichtigt Vico besonders den Socialcharakter
desselben. Die Individuen zeigen sich verschieden in der Leiblichkeit, der Geist
(mens) bildet die Einheit der Gattung, und zwar besteht diese Einheit darin, dass
gewisse Begriffe des Verum aeternum, theoretische und praktische Sätze das Denken
und Handeln aller Menschen regeln und die vernünftige Lebensthätigkeit bedingen,
ohne dass sie aber angeborene Ideen wären. In der Anerkennung dieser Begriffe
und Grundsätze bilden die Menschen eine Gemeinschaft, für die sie noch besonders
durch die Sprache organisirt sind. Gegen diese Grundlagen des socialen Ver-
haltens sich zu vergehen, sträubt sich ein dem Menschen angeborener sittlicher
Sinn, pudor, der sich am lebendigsten im Kinde zeigt. Vico will dann, wie er
selbst erklärt, Gott nicht nur in Beziehung zur Natur betrachten, sondern in Be-
ziehung zu dem menschlichen Geist in dem Leben der Völker. Er bekämpft den
dem Historismus feindlichen Cartesianismus. Die göttliche Vorsehung, die sich
nicht auf mysteriöse Weise, sondern in den spontanen Handlungen des Menschen
thätig zeigt, ist die Grundlage aller Geschichte und offenbart sich selbst in der
Entwickelung der Sprache, der Religion, der Gesetze. Vicos Geschichtsphilosophie
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§ 19. Wulff, seine Gegner und Anhänger.
167
unterscheidet jedoch nur Entwiekelungsperioden im Leben der einzelnen Völker,
und die Idee eines successiven Fortschritts des Menschengeschlechts kommt bei ihm
nicht zur allgemeinen Geltung und Durchführung.
§ 19. Die nächste Aufgabe der Philosophie in Deutschland war
die Systematisirung der leibnizischen Gedanken. Dieser Aufgabe hat
sich mit Talent und Erfolg Christian Wolff (1679—1754) unter-
zogen, der in einer Reihe von deutschen und lateinischen Schriften
den dogmatischen Rationalismus auf den Gipfel erhob. Er hat sich
durch sein abgerundetes und geschlossenes System der Philosophie ein
beträchtliches Verdienst um die wissenschaftliche Form und die gründ-
liche didaktische Behandlung der Philosophie erworben, obschon das-
selbe durch zu pedantische Anwendung der mathematischen Methode
und durch geschmacklose Breite der Darstellung verringert wird. Im
Ganzen trägt er leibnizische Gedanken vor; doch beseitigt er manche
gewagten Annahmen — so sind nach ihm nicht alle Elemente vor-
stellend — , andere leibnizische Sätze, z. B. die prästabilirte Harmonie,
lässt er nur als zweifelhafte Hypothesen steheu. Die Metaphysik zerlallt
nach ihm in Ontologie, Kosmologie, rationale Psychologie und natür-
liche Theologie. Unter den Beweisen für das Dasein Gottes bildet er
besonders den von der Zufälligkeit der Welt aus. Die praktische
Philosophie theilt sich in Ethik, Oekonomik, Politik. In den theoreti-
schen Disciplinen soll ein festes Wissen aus reiner Vernunft geschaffen
werden, und auch in den praktischen Disciplinen ist die Vernunft das
Princip des Erkennens.
Die leibniz-wolffsche Philosophie hat in Deutschland während des
achtzehnten Jahrhunderts bis auf Kant eine zunehmende Verbreitung
gewonnen uud im Verein mit andern, besonders mit lockeschen Philo-
sophemen, theils die Schulen beherrscht, theils der populären Auf-
klärung gedient, obwohl sie auch ihre Gegner fand, zu denen beson-
ders Crusius gehört. Dieser suchte die Philosophie mit der Theologie
in Uebereinstimmung zu bringen und bestritt besonders die mechanische
Naturerklärung, den Optimismus und den Determinismus. Die einfluss-
reichsten Schüler Wolfis sind Bilfinger und Baumgarten, von denen
der erstere die Lehren Wolfis klar entwickelte, der letztere als Be-
gründer der deutschen Aesthetik besonders bekannt ist. Eigene
Gedanken auf Grund der wölfischen Lehre in Verbindung mit dem
lockeschen Empirismus entwickelte der scharfsinnige Lambert.
Vgl. üb. die frühere Zeit die ob. (S. 143) angeführte Schrift von K. G. Lndovici,
Kurzer Entwurf e. vollständ. Historie der l.sehen 1 'Iiilos., Lpz. 1735, 2. Aufl. u. d. T.:
Ausführt. Entwurf etc., 3 Thle., 1736—37, ferner dess. Samml. u. Ausz. d. sämintl. Streit-
schrift, weg. d. wolffisch. Phil., Lpz. 1737, Neueste Merkwürdgkn. d. leibn.-wolfTsch.
Phil., Lpz. 1738, und üb. di'> Zeit bis geg. das Ende des 18. Jahrh. die unt. wiederum
zu erwähnenden, besond. auf den Kampf zw. dem Leibnizianism. und Kuntianism.
bezügl. Preisschriften von Job. Christoph Schwab, C. ,L. Reinhold und Job. Ileinr.
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§19. Wolff, seine Gegner und Anhänger.
Abicht üb. die Frage: Welche Fortschritte hat d. Metaph. seit Leihnizens u. Wolfis
Zeiten in Dtschl. gemacht? Berl. 1796. Das Verb, zu den englisch. Philosophen behandelt
G. Zart, Eintluss der englisch. Philosophen seit Bacon auf die deutsche Philos. des
18. Jahrb., Herl. 1881. Ausser den Darstellungen in Werken, die eigens auf die Ge-
schichte der Philosophie gehen, sind hinsichtlieh der Beziehung der Philosophie zur
allgemeinen Bildung manche Darstellungen der deutschen Nutionallitteratur, wie besond.
Hettners Litteraturgesch. des 18. Jahrb., Theil III, daneben Schlossers Gesch. de«
18. Jahrb., Bruno Bauer, Gesch. d. Politik, Cult. u. Anfklärg. d. 18. Jahrb., Cbarlottenb.
1843 — 45, K. Biedermann. Dtsehld. i. 18. Jahrb.. Lpz. 1854—08, und auch Franks
Gesch. der protest. Theologie. 2. Theil, Lpz. 1865, A. Tholuck, Vorgesch. d. Rational ism.,
Halle 1853— 62. dess. Gesch. d. Rationalism., Berl. 1805 und Stull. Werke zu ver-
gleichen.
Die Hauptschriften Christian Wolfis sind folgende, zuerst die deutschen, die viel
kürzer und lesbarer als die lateinischen sind: Vernünftige Gedanken von den Kräften
des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauch in der Erkenntnis* der
Wahrheit, Halle 1712 u. öfter; Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele
des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Frkft. u. Lpz. 1719; Vernünftige Gedanken
v. der Menschen Thun und Lassen zur Beförderung ihrer Glückseligkeit, Halle 1720;
Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen etc., Halle 1721:
Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur, Halle 1723: Vernünftige Gedanken
v. d. Absichten der natürlichen Dinge, Frkft. 1723. Die lateinischen, welche zu-
sammen 23 ziemlich starke Quartbände ausmachen: Philosophia rationalis, sive logica
methodo seientihea pertractata et ad usum scientiarum atque vitae aptata, Frkft. u.
Lpz. 1728, 2. ed. 1732; Philosophia prima s. Ontologia meth. scient. pertract., qua
omnes engnitionis humanae prineipia continentur, ibid. 1730: Cosmolngia generalis, meth.
scient. pertract., qua ad solidam imprimis dei atque nanirae engnitionem via sternitur,
ibid. 1731: Psychologia empirica meth. scient. pertract.. qua ea, quae de anima humana
indubia experientiae Hde constant, continentur etc., ibid. 1732; Psychologia rationalis
meth. scient. pertract., qua ea, quae de anima humanae indubia experientiae tide inno-
teseunt, per essentiam et naturam animne explicantnr et ad intimiorem naturae eiusque
auctoris Cognitionen) profutura proponuntur. ibid. 1734; Theologia naturalis meth. scient.
pertract., 2 Bde.. ibid. 1736—37; Philosophia practica universalis meth. scient. pertract.,
2 Bde., ibid. 1738—39; Jus naturae meth. seientif. pertract., 8 Bde., ibid. 1740 ff.: Jus
gentium meth. scient. pertract., Halle 1750; Philosophia moralis s. ethica meth. seientif.
pertract., 4 Bde., ibid. 1750; Oeeonomiea, ibid. 1750.
Ueber Wolffs Leben handeln u. A.: Joh. Chr. Gottsched, histor. Lobschr. auf
Chr. Freih. v. Wolff, Halle 1755. F. W. Kluge, Chr. v. Wolff, der Philosoph, Bresl.
1831. Eine Selbstbiogr. W.s hat Wuttke, Leipz. 1841, hrsg. Ueber W.s Vertreibung
aus Halle handelt Ed. Zeller in: Preuss. Jahrb. X. 18G2, S. 47 ff., wiederabg. in
Zellers Vortr. u. Abh. geschichtl. Inhalts, Lpz. 1805, S. 108—139. J. Caesar, Chr. W.
in Marburg, Bede, Marb. 1879. Kdm. König, üb. d. Begr. d. Objeetivität b. Wolff u.
Lambert mit Bez. auf Kant, in: Ztscbr. f. Philos. U. phll. Kr., 84, 1884, S. 292—313.
R. Frank, d. wölfische Strafrechtsphilos. u. ihr Verb, zur criminalpolit. Aufklär, im
18. Jahrh., Gött. 1887.
Ueber die Geschichte seiner Philosophie: K. G. Ludovici, Ausführlicher Entwurf
einer vollständigen Historie der wolftischen Philosophie, 3 Bde., Lpz. 1736—38.
Christ. Aug. Crusius, Anweisung vernünftig zu leben, Leipz. 1744 (Ethik); Ent-
wurf der nothwendigen Vernunftwahrheiten, inwiefern sie den zufälligen entgegengesetzt
werden, ebd. 1745 (Metaphysik); Weg zur Gewissheit und Zuverlässigkeit der menschl.
Erkenntniss, ebd. 1747 (Logik und empirische Psychologie) : Anleitung, über natürliche
Begebenheiten ordentlich und vorsichtig nachzudenken, 2 Bde., ebd. 1749 (Physik).
Georg Bernh. Bilfinger, Disputatio de triplici rerum cognitionc, histor. philos.
et mathem., Tübing. 1722: Commentatio de harmonia animi et eoqioris bumani maxime
praestabilita ex mente Leibnitii, Frcft. et Lpz. 1724: Commentationes philos. de origine
et permissione mali praeeipue moralis, ibid. 1724; Dilucidationes philosophicae de deo,
anima humana, mundo et generalibus rerum affectionibus, Tübing. 1725 u. ö. — Rieh.
Wahl, Prof. Bilfingers Monadologie u. prästabilirte Harmonie in ihr. Verh. z. Leibniz
u. Wolf, in: Ztschr. f. Ph. u. philos. Kr., 85, 1884, S. 66—92, 202—231.
Abr. Gottl. Baumgarten, Metaphysica, Halle 1739, ed. Eberhard 1789; Ethica
philosophica, Halle 1740; Aesthetica, Fref. ad Viadr. 1750—58: Initia philosophiae
practicae primae 1670; Acroasis logica in Christ. Wolff, Halle 1761; Philosophia gene-
ralis, ed. Förster 1770. Vgl. über ihn: Meier, Halle 1763: Th. Abbt. A. G. B.s Leben
§ 19. Wolff. seine Gegner und Anhänger.
169
u. Charakter, 1765; H. G. Mover, Leibniz u. B. als Begründer der deutschen Aesthetik,
Halle 1874: J. Schmidt. Leihn. u. B. Ein Beitrag zur Gesch. der deutsch. Aesthet.,
Halle 1875.
Job. Heinr. Lambert, Kosniologisehe Briefe üb. d. Hinrichtung des Weltbaues,
Augsb. 1761; Neues Organon, tider Gedanken über die Erforschung u. Bezeichnung
de* Wahren und dessen Unterscheidung von Irrthum und Schein, 2 Bde., Lpz. 1764;
Anlage zur Architektonik oder Theorie des Einfachen u. Ersten in der philos. u.
niathemat. Erkenntnis», 2 Bde.. Kiga 1771: Logische u. philosophische Abhandlungen
zum Druck befördert von Job. Bernouilli, Berk 1782. L.s „Deutscher gelehrter Brief-
wechsel* ist ebenfalls von Juh. Bernouilli, Berk 1781 f. herausgegeben. Darin findet sich
auch die Correspondenz mit Kant aus den Jahren 1765 70. L. schreibt u. a. an Kant,
dass er mit Vergnügen bemerkt habe, wie sie beide vielfach auf ähnliche Gedankenart,
Auswahl der Materien und sogar Gebrauch der Worte gekommen seien, und dass es,
um den Verdacht des Absehreihens zu vermeiden, gut sein werde, einander schriftlich
zu sagen, was sie im Sinne hätten, drucken zu las>en. oder auch die Aufarbeitung der
Stücke eines gemeinsamen Plans unter einander zu vertheilen. Kant antwortet, er halte
Lambert für das erste Genie in Deutschland, welches fähig sei. in der Art von Unter-
suchungen, die ihn selbst beschäftigten, eine wirkliche Verbesserung zu leisten, und er
gehe auf die gegenseitige Mitthoilung von Entwürfen bereitwillig ein.
Christian Wolff (auch die Schreibart mit einem f findet sich nicht selten,
zumal in dem latinisirten Namen), geb. 1679 zu Breslau, war von vornherein zum
Theologen bestimmt, fasste jedoch zeitig Neigung für Philosophie und habilitirte
sich 1703 in Leipzig. Mit Leibniz kam er bald in Berührung, und diesem hatte
er es zu verdanken, dass er 1706 nach Halle und zwar zunächst als Professor der
Mathematik berufen wurde. Doch las er bald über alle Theile der Philosophie.
Sein bedeutender akademischer Erfolg, sowie sein durchgebildeter Rationalismas
reizten seine pietistischen Collcgcn, namentlich Aug. Herrn. Francke nnd den streit-
süchtigen Lange, welche es bei Friedr. Wilhelm I. durchsetzten, dass Wrolff ab-
gesetzt wurde und bei Strafe des Stranges schleunigst das Land räumen muaste.
Kr ging nach Marburg, wo er als akademischer Lehrer und Schriftsteller weiter
tbätig war, bis er unmittelbar nach der Thronbesteigung Friedrichs II. nach Halle
zurückgerufen wurde. Hier starb er 1754, nachdem er zum Reichsfreiherrn ernannt
war, und nachdem seine Philosophie weite Verbreitung gefunden hatte. — Ein
grosses Verdienst um die deutsche Philosophie hat sich Wölfl" dadurch erworben,
dass er einen grossen Theil seiner Schriften in deutscher Sprache verfasst hat,
wodurch er zugleich die philosophische Terminologie, wenigstens zum Theil, schuf.
Seine Schriften gehen auf alle Zweige der Philosophie mit Ausnahme der Aesthetik,
die erst von seinem Schüler Baumgarten ausgebildet wurde.
Wolff hat sich die leibnizischen Gedanken angeeignet und nach Leibnizens
Vorgang mit der in den Schulen herrschenden aristotelischen Doctrin zu vereinigen
gesucht, zum Theil durch neue Argumente gestützt, theilweise jedoch auch modi-
ficirt und der gewöhnlichen Weltauffassung näher gebracht. Zweierlei will Wolff
bei seinem Philosophiren namentlich erreichen: Praktische Brauchbarkeit; denn
sein Ziel von vornherein ist. die Menschen glücklich zu machen; und klare, deutliche
Erkenntniss, ohne welche die erstere nicht möglich ist. Es kann eine rationale
Erkenntnis« deduetiv zu Wege gebracht werden. Dazu muss ein oberstes Princip
sich finden, nach dem Alles streng logisch abgeleitet wird. DieB oberste Princip ist
ihm der Satz des Widerspruchs, auf welchen auch der Satz des hinreichenden
Grundes zurückgeführt wird. Gäbe es nämlich für ein Ding keinen zureichenden
Grund, so müsstc etwas aus nichts werden können, was sich widerspricht. In der
Philosophie soll nun dasselbe Verfahren angewandt werden wie in der Mathematik
bei der Grössenlehre, nur ist es falsch, dass deshalb die Philosophie von der
Mathematik in ihrer Methode abhängig sei, vielmehr brauchen sie beide die Logik.
Ableiten können wir übrigens aus einem Begriffe nur das, was in ihm schon liegt.
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170
§ 19. Wolff, seine Gegner und Anhänger.
Wahr sind also nur die Urtheile, die sich darch Analyse des Subjectsbegriffs ergeben.
Freilich finden sich in Wolfis logischen Dedactionen gar viele Elemente aus der
Erfahrung, und nur so ist es möglich, dass sein rationalistischer Bau mit der
wirklichen Welt übereinstimmt. Allerdings sollen nach Wolff die empirischen Wissen-
schaften, die er zum Theil wenigstens bearbeitet hat, indem Bie die Sätze aus
Beobachtungen und Versuchen nehmen, nur die Wirklichkeit dessen zu constatiren
haben, was in der rationalen Philosophie aus den obersten Principien logisch
deducirt worden ist. Es wird nur eine Bestätigung der rationalen Erkenntniss
durch die Erfahrungserkenntmss geschaffen, und zwar wird die entere allein klar
und deutlich sein, die letztere unklar und verworren. So tritt der leibnizische
Gegensatz zwischen notwendigen und thatsächlichen Wahrheiten bei Wolff noch
deutlicher hervor.
Die Philosophie ist nach Wolff die Wissenschaft von allem Wirklichen und
Möglichen, in wie fern es sein kann. Möglich ist aber das, was keinen Widenpruch
in sich schliesst, also denkbar ist. In unserer Seele findet sich nun das Vermögen
des Erkennens und Wollens, und so theilt sich die ganze Vernunftwissenschaft in
theoretische Philosophie oder Metaphysik und praktische Philosophie.
Beiden geht die Logik als eine Art Propädeutik voraus. Die Metaphysik hat als
besondere Theile die Ontologie, welche von dem Seienden überhaupt handelt,
die rationale Psychologie, welche zu ihrem Gegenstande die Seele hat, die
Kosmologie, welche auf das Weltganze geht, und die rationale Theologie,
welche das Dasein und die Eigenschaften Gottes darlegt. In der Ontologie
kommen die Eigenschaften und die Hauptarten des Seienden zur Sprache. Die
Bestimmungen in einem Dinge, welche von keinem anderen Dinge und auch nicht
von einander herrühren, machen sein Wesen aus. Die Bestimmungen, die aus dem
Wesen eines Dinges folgen, sind seine Eigenschaften, die, welche aus diesem nicht
folgen, aber ihm auch nicht widerstreiten, seine Modi. Die ersten kommen den
Dingen immer, die zweiten nur zeitweise zu. Wenn ein Ding vollständig bestimmt
ist, so ist es wirklich, und umgekehrt, was wirklich ist, ist vollständig bestimmt,
und demnach giebt es nur Einzeldinge, keine allgemeinen. — Ein Zusammengesetztes
besteht aus mehreren von einander venchiedeuen Theilen. Diese müssen ausser
einander sein, und bo entsteht die Ausdehnung. Jedes zusammengesetzte Ding ist
ausgedehnt. Baum ist die Ordnung des Zusammenseins gleichzeitiger Dinge, Zeit
die Ordnung der Aufeinanderfolge in einer stetigen Beihe. Das Wesen des Zu-
sammengesetzten ist das Einfache. Es giebt also einfache Dinge, wenn sie auch
nicht in der Erfahrung vorkommen. Sie sind ohne Ausdehnung, ohne Gestalt,
untheilbar. Diese einfachen Wesen sind die Substanzen. Zu dem Begriffe einer
Substanz gehört es, Veränderungen zu erleiden, und also muss jede Substanz eine
Kraft haben, vermöge deren sich Veränderungen in ihr zutragen; das sind aber
Thaten, die in ihr selbst ihren Grund haben. Die zusammengesetzten Dinge sind
Aggregate von diesen Substanzen, haben auch als solche keine Kräfte, sondern
ihre Kräfte sind nur das Product aus den Kräften der einfachen Dinge.
Von den zusammengesetzten Wesen geht Wolff nun über auf die Kosmologie.
Die Welt ist die Gesammtbeit der untereinander in Zusammenhang stehenden
endlichen Wesen, und es kommt darauf an, diese aus den einfachen Wesen
abzuleiten. Die Veränderungen in der Welt hängen ab von der Beschaffenheit ihrer
Zusammensetzung nach dem Gesetze der Bewegung, und die Welt ist zu vergleichen
einer Uhr oder Maschine, so dass kein Zufall denkbar ist Gleichwohl ist die
Notwendigkeit im Weltlauf nur eine hypothetische. Denn die Welt hätte auch
anders sein können. Die physische Welt besteht aus Körpern, welche ausgedehnt
sind, Gestalt und Grösse haben, Veränderungen unterliegen, ein gewisses Maass
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§ 19. Wolff, seine Gegner und Anhänger.
171
von Trägheit (vis inertiae) nnd von Bewegungskraft (vis motrix) haben. Die
physischen Körper bestehen aas einfachen Elementen, und diese bringen die Materie
und die bewegende Kraft hervor. Sie Bind keine Raumgrössen, sind nicht der
Bewegung unterworfen, unterscheiden sich nicht durch Quantität oder Figur, sondern
nur durch Kräfte und Qualitäten von einander, und keins derselben ist einem andern
völlig gleich. Da sie mit tbätiger Kraft begabt Rind, müssen sie fortwährende
Veränderungen erleiden, die aber nur innerer Art sein können; trotzdem leiten sich
aas ihren Kräften die Kräfte der Körper her. Diese Kraft besteht nicht bei allen
einfachen Elementen im Vorstellen, sondern man muss zur Erklärung der körper-
lichen Vorgänge Kräfte anderer Art annehmen, deren Natur aber nicht näher an-
gegeben werden kann. Deshalb nennt Wolff seine Substanzen auch nicht Monaden,
sondern am liebsten atomi naturae. Viele Elemente können nicht an einem Punkte
sein, es fordert vielmehr jedes seinen besonderen, der getrennt von dem anderen
ist. Jedes Element ist aber mit denen, welche um dasselbe siud, verknüpft; so
machen viele eins aus, und das Zusammengesetzte bekommt eine Ausdehnung, ein
Continuum. Wir haben freilich davon nur eine verworrene Anschauung, da wir
die einfachen Elemente darin nicht erkennen, und Continuität und Ausdehnung sind
nichts als Phänomene. Die prästabilirte Harmonie ist eine gewagte Hypothese,
und ein natürlicher Zusammenhang auch der Elemente ist eher anzunehmen. Doch
bleibt die Frage schliesslich unentschieden, ob die Elemente wirkliche oder schein-
bare Einwirkungen von einander erleiden. Da die Welt etwas Zufälliges ist —
denn sie hätte anders sein können — , so muss sie ihren zureichenden Grund in
Gott haben, von dem sie als durchaus zweckmässige Maschine hervorgebracht ist.
Ein Aufgeben der strengen Verkettung der Dinge würde es sein, wenn Wunder
geschähen, und jedes Wunder würde ein zweites Wunder verlangen, das miraculum
restitutionis. Jedoch hält Wolff die Wunder nicht geradezu für unmöglich.
Die rationale Psychologie geht davon aus, dass den Körpern als dem Zu-
sammengesetzten die Seelen als Einfaches gegenüberstehen. Seele heisst das Wesen
in uns, das sich seiner selbst und anderer Dinge ausser sich bewnsst ist Das
Dasein der Seele ist also für jeden Wissenden unmittelbar gewiss. Als einfache
Wesen haben die Seelen Kraft in sich, und zwar besteht diese Kraft in dem Ver-
mögen, sich die Welt vorzustellen. Die verschiedenen Seelenthätigkeiten bezeichnen
nur verschiedene Modifikationen dieser Vorstellungskraft. Es giebt nun zwei Arten
dieser Grundkraft: das Erkennen und das Begehreu. Die Empfindungen sowie die
dunkeln und verworrenen Vorstellungen liefern die Sinne und die Phantasie, die
klaren und deutlichen, welche durch Selbsttätigkeit der Seele zu Stande kommen,
der Verstand. Die Vernunft findet nur den allgemeinen Zusammenhang der Wahr-
heiten vermöge der Schlüsse. Aus dem Vorstellen entwickelt sich das Begehreu,
da die Seele als Kraft fortwährend das Streben hat, ihren Zustand zu verändern,
und zwar werden nur Vorstellungen erstrebt. Freilich bestimmt uns dazu, eine
Vorstellung zu erstreben oder sie zu meiden, die Lust oder Unlust, die wir voraus-
sehen, und zwar ist die Lust nichts als die Erkenntniss einer wirklichen oder ver-
meintlichen Vollkommenheit, die Unlust die Erkenntniss einer Unvollkommenheit.
So kommen auch in die Seele die Begriffe von Schön und Hässlich, von Gut und
Uebel. Was das Verhältniss zwischen Seele und Körper anlangt, so verwirft Wolff
die Wechselwirkung, die besonders dem Gesetze von der Erhaltung der lebendigen
Kräfte widerspreche, sowie den Occasionalismus und entscheidet Bich für die prä-
stabilirte Harmonie, die aber nicht allein auf dem Willen Gottes beruht, sondern
auch darauf, dass jede Seele die Welt sich immer nur nach Beschaffenheit ihres
organischen Körpers und den Veränderungen, die in den Sinneswerkzeugen desselben
vorgehen, vorstellt. Diese Vorstellungen und Veränderungen finden immer zu
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§19. Wolff, seine Gegner und Anhänger.
gleicher Zeit statt ohne gegenseitige Einwirkung. Vielmehr haben beide in einem
dritten, den Veränderungen im Weltganzen, ihren Grund, die an Seele und Leib
sich abspiegeln.
In der natürlichen Theologie (Gegensatz zu der auf übernatürlicher Offen-
barung beruhenden sogenannten positiven) legt Wolff besonderen Werth auf das
kosmologische Argument für das Dasein Gottes Die Welt und die Dinge in ihr
sind zufällig, denn sie hätten auch anders sein können. Das Zufällige hat aber an
dem Nothwendigen seinen Grand, bo muss es denn eine ausserweltliche Ursache
geben, d. h. Gott. Dieser Beweis wird der von der Zufälligkeit der Welt
genannt. Ausserdem erkennt er noch dem ontologischen Argument Beweiskraft zu,
wonach Gott das alleroberste Wesen ist, und dessen Existenz zu den Realitäten
gehört. Dagegen spricht er dem teleologischen keinen besonderen Werth zu. Die
näheren Bestimmungen des göttlichen Wesens gewinut er nicht rein a priori, sondern
durch Betrachtung der menschlichen Seele. Das göttliche Erkennen und Wollen
wird nun bestimmt nach den allgemeinen Deukgesetzen , und namentlich wird die
Willkür davon ausgeschlossen Bei der Rechtfertigung Gottes, bei der Erklärung
des Uebels, nimmt Wolff ganz den leibnizischen Standpunkt ein. Gott konnte die
Welt als eine endliche nicht frei von Unvollkommenheiten schaffen. Das meta-
physische, physische und moralische Uebel ist mit der Idee des Weltganzen aufs
Innigste verbunden. Von der teleologischen Naturerklärung macht er ins Ein-
zelnste bis zum Lächerlichen einen ausschweifenden und äusserlichen Gebrauch,
und zwar liegt der letzte Zweck für Alles im Menschen, durch den Gott seine
Hauptabsicht, die er bei Erschaffung der Welt gehabt hat, erreicht, nämlich ala
Gott erkannt und verehrt zu werden.
Die praktische Philosophie theilt Wolff mit den Aristotelikern in Ethik,
Oekonomik und Politik. Li der Ethik ist er unabhängiger von Leibniz als in der
Metaphysik. Nicht auf die empirische Lust, wie die französischen Moralisten, will
er die Ethik gründen, sondern als echter Rationalist lässt er die Vernunft allein
alle Regeln für unser Handeln aufstellen. Es hängen diese nicht einmal von Gott
ab, sie müssten ihre Geltung haben, auch wenn kein Gott wäre, und das Gute ist
gut, nicht um Gottes willen, sondern an und für sich. Das oberste Sittengesetz lautet:
Thue, was dich und deinen eigenen Zustand und den aller deiner Mitmenschen
vollkommener macht, und unterlasse das Gegentheil davon. Zu unserer Vervoll-
kommnung dient aber Alles, was unserer Natur gemäss ist, also kommt es bei
Wolff auf die Naturgemässheit , das alte stoische Moralprincip, hinaus. Mit dem
naturgemässen Leben ist die Glückseligkeit verbunden, und so wird auch häufig als
Grund des tugendhaften Lebens die Glückseligkeit genannt. Jedoch soll die blosse
Vernunfterkeuutniss genügen zur Vollbringung des erkannten Guten, und der Ver-
nünftige bedarf des äusseren Antriebes nicht. Das immerwährende Fortschreiten
ist Ziel nicht nur des einzelnen Menschen, sondern auch der gesammteu Gattung.
Soll das letztere erreicht werden, so muss für das gemeinschaftliche Zusammenleben
des Menschen als naturrechtliche Vorschrift dasselbe Sittengesetz gelten, so dass
Jeder im gemeinsamen Zusammenleben nur dasjenige thun dürfe, was die Voll-
kommenheit des eigenen Zustandes und des Zustandes Anderer erhält und fördert,
alles aber unterlassen müsse, was den eigenen oder anderer Menschen Zustand
unvollkommener machen würde. Das Recht beruht so auf der Pflicht.
Dieses abgerundete wolffsche System fand ausserordentliche Verbreitung, und
es wurden die einzelnen üiseiplinen im Geiste Wölfls bearbeitet. Es war eine Zeit
lang geradezu das herrschende in Deutschland, und selbst auf dem Gebiete der
Medicin gab es Schüler Wölfls. Die wolffsche Philosophie war nach einer Äusse-
rung J. Chr. Edelmanns (s unt.) aus d. J. 1740 „die ä la mode Philosophie, die
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§ 19. Wolff, seine Gegner und Anhänger.
173
schier unter allen Gelehrten, ja sogar unter dem weiblichen Geschleehte dergestalt
beliebt worden*, dass man fast glauben sollte, .es sei eine wirkliche Lykanthropie
( Wolffsmenschheit) unter diesen schwachen Werkzeugen eingerissen*. Weitaus die
meisten Anhänger der leibnizischen Doctrin sind zugleich Wolffianer eine Aus-
nahme davon macht Michael Gottlieb Hansch, 1683 — 1752, Verfasser einer Schrift:
Selecta moralia, Hai. 1720, und einer Ars inveniendi, 1727), bis in der späteren
Zeit, als Wolfis Ansehen bereits zu sinken begann, Manche wiederum unmittelbar
auf Leibniz zurückgingen.
Zu den Gegnern von Leibniz und Wolff* gehören namentlich folgende:
Joh. Joach. Lange (1670—1744), der Wolfis Vertreibung aus Halle bewirkte,
suchte in den Schriften: Causa Dei et religionis naturalis advers. atheism., Hai. 1723
Modesta disquis. novi philos. syst de Deo, mundo et nomine et praesertim har-
monia commercii inter animam et corpus praestabilita, Hai. 1723 etc. den religions-
gefährlichen, spinozistischeu und atheistischen Charakter der wölfischen Doctrin dar-
zutbun; besonders an ihrem Determinismus nahm er Anstoss.
Andreas Rüdiger (1671 — 1731), ein Schüler des Christian Thomasius, ein
Eklektiker, bekämpfte die leibnizische Doctrin von der prästabilirten Harmonie
zwischen Leib und Seele, hielt an der Lehre von dem physischen Eintluss fest und
behauptete die Ausgedehntheit der Seele und den sinnlichen Ursprung aller Vor-
stellungen. Andr. Rüdigeri disp. de eo, quod omnes ideae oriautur a sensione,
Lips. 1704; de sensu veri et falsi, Hai. 1709, Lips. 1722; Philos. synthetica.
Hai. 1707 u.ö.; Physica divina, recta via ad utramque hominis felicitatem tendens.
Frcf. ad M. 1716; Philos. pragmatica, Lips. 1723; Wolflens Meinung von dem Wesen
der Seele und Rüdigers Gegenerinnerung, Leipz. 1727.
Rüdigers mittelbarer Schüler (durch Rüdigers Zuhörer Ad. Frdr. Hoffmann für
ihn gewonnen) war Chr. Aug. Crusius (1712-1775, Prof. der Philos. und Theol.
zu Leipzig), der einflussreichste Gegner des Wolffianisraus, der besonders Vernunft
und Offenbarung mit einander in Einklang bringen wollte. Er nahm neben dem
Principium identitatis, das nur formaler Art sei, das Priucipium inseparabilium et
inconjungibilium an, d. h. den Satz, dass es positive, materiale Fundamentalsätze
gäbe, z. B.: Eine jede Substanz ist irgendwo und irgendwann; eine jede Kraft ist
in einem Subjecte; alles, was entsteht, hat eine zureichende Ursache. Kant, der
sich über Crusius sehr anerkenneud äussert, erkennt diese Unterscheidung /.wischen
formalen und materialen Grundsätzen als richtig an in seiner Schrift üb. d. Deut-
lichkeit der Grundsätze der natürl. Theol. u. Moral (s. unt. § 94). Crusius bestritt
namentlich den Optimismus und Determinismus. Die sichersten Bürgen für die
Existenz der Aussenwelt sind der Zwang, der uns nöthigt, an ihre Wirklichkeit zu
glauben, und die Wahrhaftigkeit Gottes. Die Welt befasst auch freie Wesen in
sich; deshalb kann in ihr kein absolut nothwendiger Zusammenhang herrschen,
ebensowenig eine prästabilirte Harmonie. Bei den unsittlichen Handlungen kommt
Gott nur soweit in Betracht, als er die Sünde geschehen lässt. Die Welt ist zwar
für den Zweck, für den sie geschaffen wurde, sehr gut, aber doch nicht die beste
ans allen, die möglich gewesen wären. Das oberste Moralprincip leitet er ab aus
dem Willen Gottes, wie sich dieser in der Offenbarung und dem Gewissen aus-
spricht. S. Ant Marquardt, Kant u. Crusius. Ein Beitr. zum richtig. Verständnis*
der crusian. Philos., Kiel 1885. — In manchem Betracht kommt mit ihm der Eklek-
tiker Daries (1714 bis 1772) überein. Eiern, metaph. Jeu. 1743-44; philos. Xeben-
stunden, Jena 1749 bis 1752; erste Gründe d. philos. Sittenl., Jena 1750; Via ad
veritatem, Jen. 1755 u. ö.
Zu den Gegnern der leibnizisch-wolffschen Doctrin gehört auch der Eklektiker
Jean Pierre de Crousaz (1663—1748), der eine Logik, franz. Amst. 1712, lat.
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§ 19. Wolff, seine Gegner und Anhänger.
Genf 1724, Lehre vom Schönen, Amst. 1712, 2. Aufl. 1724, eine Abh über die
Erziehung, Haag 1724, und andere Schriften verfaast hat Die leibniziach-wolffsche
Lehre griff er besonders an in: Observation critiques sur 1'abrege de la logique
de Mr. Wolff, Geneve 1744.
Zu den bedeutenderen Wolffianern gehören: Geo. Beruh. Bilfinger (oder
Bilffinger, auch Bülffinger, geb. 1693 zu Cannstadt, 1725 nach Petersburg als Prof.
d. Philos. gerufen, seit 1731 Prof. der Theol. zu Tübingen, seit 1735 Consistorial-
präsident in Stuttgart, gest. 1750), der in seinem sehr viel gelesenen, auch in
Frankreich verbreiteten Hauptwerk, den Üilucidationes, seine Lehren sehr klar ent-
wickelt. Er stimmte weder mit Leibniz noch mit Wolff vollständig überein. Aller-
dings Bind nach ihm die letzten Bestandtheile der Welt einfache Wesen, Monaden,
aber diese, wenigstens nach seiner späteren Ansicht, nicht alle vorstellend; die
Elemente der Körper haben nur Beweguugskraft. An der prästabilirten Harmonie
hält er fester als Wolff, aber einmal erstreckt sich dieselbe nur auf das Verhältniss
von Leib und Seele, und dann kommt es dabei auf die inneren Veränderungen in
den verschiedenartigen Wesen an. Auch spiegelt nicht jede Monade die ganze
Welt in sich, sondern sie ist auf einen gewissen Kreis beschränkt. Die Grund-
thätigkeiten der Seele sind Vorstellen und Begehren, und zwar entsteht eine Vor-
stellung immer aus einem Begehren, und ein Begehren immer aus einer Vorstellung.
Von ihm rührt die Bezeichnung leibniz -wölfische Philosophie her, welche Wolff
selbst nicht billigte. Ludw. Phil. Thümming (1697—1728), Institutiones philo-
sophiae Wolffianae, Prcf. et Lips. 1725—26 etc. Ferner der Propst Joh. Gust.
Reinbeck (1682—1741), der seinen Betrachtungen über die in der augsburgischen
Confession enthaltenen Wahrheiten eine Vorrede von dem Gebrauch der Vernunft-
und Weltweisheit in der Gottesgelahrtheit beifügte, die Juristen J. G. Heineccius,
J. A. von Ickstadt, J. U. von Gramer, Dan. Nettelbladt uud Andere, der
Literaturhistoriker und Kritiker Joh. Christoph Gottsched (1700 — 1766), der
u. a. auch eine Schrift: Erste Gründe der gesammt Weltweish., Lpz. 1734, 2. Aufl.
1735-36 verfaast hat (vgl. über ihn Danzel, Gottsched u. s. Zeit, Lpz. 1848), der
Mathematiker Martin K nutzen (gest. 1751), der von der immateriellen Natur der
Seele, Frankf. 1744, Syst. causarum efficientium, Lips. 1745, schrieb und einer der
Lehrer Kants war (vgl über ihn Benno Erdmann, Martin K nutzen und Beine Zeit,
Lpz. 1876), Fr. Chr. Baumeister (1707—17851, der Lehrbücher verfasste, auch
eine Historia doctrinae de mundo optimo, Gorl. 1741, schrieb. Joh. Hnr. Sam.
Formey (1711—1797), ständiger Director der Akademie und Director der philo-
sophischen Klasse derselben, der allerdings mehr Eklektiker als blosser Anhänger
Wolfis war, verfasste neben einer sehr grossen Reihe anderer Schriften auch ein
durchaus populäres Handbuch der wolfischen Philosophie: la belle Wolffienne,
Haag 1741—1753, 6 Bde.
Der bedeutendste Schüler Wolfis war Alexander Gottiieb Baumgarten (geb.
1714 in Berlin, gest 1762 als Prof. zu Frankfurt a. 0.), namentlich bekannt als
Begründer der deutschen Aesthetik. Von ihm rührt auch unsere philosophische
Terminologie theilweise her. Die Erkenntnisslehre, welche bei ihm der Metaphysik
vorausgebt, nennt er Gnoseologie. Diese zerfällt, da es eine niedere oder sinnliche
und eine höhere Erkenntniss giebt, in zwei Theile, in die Aesthetik als die Theorie
der sinnlichen Erkenntniss, und die Logik. Leibniz nennt nur schön das verworren
Aufgefaßte, was, deutlich erkannt, wahr ist. Demnach giebt das sinnlich-verworrene
Auffassen des Vollkommenen den Genuss des Schönen, und so ist es erklärlich,
wie Aesthetik zu der Bedeutung : Theorie des Schönen, philosophia poetica, kommt.
Schönheit ist das sinnlich angeschaute Vollkommene, die perfectio phänomenon.
B. ist nicht dazu gekommen, die ganze Aesthetik, die breit angelegt war, syste-
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§ 20. Die deutsche Aufklärung und Popularphilosophie.
175
matlsch auszuführen. Er nennt im Wesentlichen nur die Bedingungen im Subject
für das Zustandekommen des Schönen: Künstlerische Anlage, Genie, Begeisterung,
Uebung. Ausserdem giebt er viel feine Bemerkungen und Regeln für das Gebiet
der Rhetorik und Kritik. — Kant hielt ihn während seiner vorkritischen Periode
für den bedeutendsten der damaligen Metaphysiker und legte Baumgartens Lehr-
bücher seinen Vorlesungen lange Zeit zu Grunde. Baumgartens Schüler war Geo.
Friedr. Meier (1718—1777) zu Halle, dessen Lehrbücher auch von Kant zu seinen
Vorlesungen benutzt wurden. Er schrieb Anfangsgründe d. schön. Wissenschaften,
Halle 1748, 2. Aufl. 1754, ferner Vernunftlehre, Halle 1752, Auszug aus derselben,
Halle 1752, Metaphysik, Halle 1755-59, philos. Sittenlehre, Halle 1753— 61, und
viele andere Schriften. Auf Verlangen Friedrichs II. hielt er auch Vorlesungen
über die lockesche Philosophie, und in seinen psychologischen Ansichten zeigt sich
der Einfluss Lockes, indem er da die Erfahrung benutzt wissen will, um zur
Kenntniss der endlichen Geister zu kommen.
Gottfried Ploucquet (1716-1790) verfolgte den freilich nicht sehr frucht-
baren Gedanken, den Leibniz schon auszuführen unternommen hatte, das philo-
sophische Denken nach Art des mathematischen Rechnens zu gestalten in: Prin-
cipia de substantiis et phaenomenis, accedit methodus calculandi in logicis ab ipso
inventa, cui praemittitur commentatio de arte characteristica univereali, Frcf.
u. Lips. 1753, ed. 2, 1764, vgl. Aug. Friedr. Böck, Sammlung von Schriften, welche
den logischen Calcul des Herrn Prof. PI. betreffen, Frkf. u. Lpz. 1766. Joh. Heinr.
Lambert (1728—1777), der in bedeutungsvollem Briefwechsel mit Kant stand,
berührte sich mit diesem in mancher Beziehung und wurde von Kant sehr hoch
geschätzt. Er besass gründliche mathematische und naturwissenschaftliche Kennt-
nisse. Seine kosmologischen Briefe sprechen zwar keine Ansichten über die
Bildung des Weltalls und der Erde aus, kommen aber doch Kants Allgem. Natur-
gesetz u. Theorie des Himmels in Bezug auf die systematische Verfassung des
Fixsternhimmels nahe. Sodann suchte er in bemerkenswerther Weise die lockeschen
Resultate mit der Lehre Wölfls zu vereinigen, indem er die Induction mit der
Deduction, den Empirismus mit dem Rationalismus zu verknüpfen unternahm, sich
nieht ausschliesslich auf die Seite des einen oder des andern stellend. Er trifft
das erkenntniss-theoretische Problem, wie es von Kant gestellt wurde, es dahin
bestimmend, dass es auf den Gegensatz von Form und Inhalt ankomme. Indem er
weder die Denkformen aus dem Inhalt, wie die Empiriker, noch den Inhalt aus
den Denkformen ableiten wollte, wie Wolff und überhaupt die Rationalisten, kam
er doch darüber nicht hinaus, dass die Grundformen der Vorstellungsverknüpfung,
die er durch Analyse der Erfahrung gewonnen hatte, auch Gesetze der Wirklichkeit
seien, und so giebt er schliesslich in seiner Architektonik nur eine Ontotogie der
alten Art. (Vgl. über ihn: R. Zimmermann, I>ambert, der Vorgänger Kants.
Wien 1879, Joh. Lepsius, J. H. Lambert, Münch. 1881, A. Döring, Kant, Lambert
und die Laplacesche Theorie, in: Preuss. Jahrbb., 58, 1886, S. 128 ff, auch d. ob.
S. 168 citirte Arbeit v. Edm. König.)
§ 20. Der ganze Rationalismus, nicht nur Leibniz und Wolff,
hatte mit seiner Forderung des klaren und deutlichen, auf Vernunft
gegründeten Erkennens die sogenannte Aufklärung, die meist zu-
gleich Popularphilosophie ist, vorbereitet. Diese Richtung geht
besonders darauf, den Geist von Aberglauben, von religiösen Vor-
urteilen zu befreien, für Alles Grunde und Beweise zu verlangen und
namentlich das praktische Leben nach vernünftig eingesehenen Grund-
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§ 20. Die deutsche Aufklärung und Popularphilosophie.
Sätzen einzurichten. Das Individuum sollte so zu seinem Rechte
kommen, mündig werden. Mit der vernünftigen Einsicht ist zugleich
die Tugend und das Glück verbunden, und es tritt sogar der praktische
Zweck, die Glückseligkeit des Menschen, in den Vordergrund, so dass
in dieser das ganze Ziel der Aufklärung zu liegen scheint. — Nach-
dem die Principien der Philosophie festgestellt waren, mussten Er-
fahrung und Beobachtung wieder mehr in ihr Recht eintreten, und
hierzu trug auch die Beschäftigung mit den Engländern, namentlich
mit Locke, den Deisten, den Moralphilosophen und den französischen
Philosophen, die in demselben Sinne wirkten, bei. So zeigt sich bei
den Aufklärungsphilosophen öfter eine Art Eklekticismus, wenngleich
eine Hinneigung zur wölfischen Philosophie fast durchgehends gefunden
wird. — Die bedeutendsten unter ihnen sind: Reimarus, Moses
Mendelssohn, Nicolai, Eberhard, Garve, Abbt, Engel, Tetens
und vor Allen Lessing, der sich allerdings dem Pantheismus und
Determinismus zuneigte, aber nicht als Spinozist zu bezeichnen ist.
Herrn. Samuel Reimarus, Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der
natürlichen Religion, Hambg. 1754, 6. Aufl. 1791 ; Vernunftlehre, Hambg. u. Kiel,
1756, 5. Aufl. 1790; Betrachtungen üb. d. Kunsttriebe der Thiere, Hambg. 1762,
4. Aufl. 1798 ; Wolfl'enbüttelsche Fragmente durch Leasing herausgegeb. Es wurde erst
1814 gewiss, dass diese Fragmente eiuer grösseren Schrift von Reimarus angeh. mit
dem Titel: „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes", die sich
noch auf der hamburger Bibliothek als Manuscript vorfindet. S. darüber besonders
Dav. Fr. Strauss, Herrn. Sum. Reimarus u. seine Schutzschrift für die vemünftigen
Verehrer Gottes, Lpz. 18G2, 2. Aufl. 1877.
Moses Mendelssohns sämmtl. Werke hat sein Enkel Geo. Benj. M. in 7 Bänd.,
Lpz. 1843 — 44 mit biogr. Eiuleit. hrsg. Die Schriften zur Thilos., Aesthet. u. Apologet,
hat mit Einleitungen, Anmerkungen u. einer biograph. -historisch. Charakterist. M.s
herausgeg. Mor. Brauch, 2 Bde., Lpz. 1880. Die Hauptschriften sind: Briefe über die
Empündgn., Berl. 1755; Abhdl. üb. d. Evidenz in den metaphysisch. Wissenschaften
(eine von der Berl. Akademie gekrönte Preisschrift), Berl. 1764, 2. Aufl. 1786; Phädon
od. üb. d. Unsterblichkeit d. Seele (eine Modemisirung des platonisch. Phädon:
Sokrates spricht wie ein neuerer Aufklärer), Berl. 1767 u. ö.; Jerusalem, od. üb. relig.
Macht u. Judenth., Berl. 1783; Morgenstunden, od. üb. das Dasein Gottes, Berl. 1785
n. ö.: Mos. Mendelss. an die Freunde Lessings, Berl. 1786 (geg. F. H. Jacobis Schrift:
üb. d. Lehre des Spinoza, worin behauptet wurde, Lessing sei ein Spinozist gewesen;
s. darüb. u.). Ueber Mendelssohns philos. u. relig. Grundsätze handelt Kayserling,
Lpz. 1856, und in Mos. M., s. Leb. u. s. Wirken, 1862, 2. Aufl., Lpz. 1888, üb. seine
Stellung in d. Gesch. d. Aesthetik Gust. Kanngieser, Frankf. a. M. 1868, üb. s. Leben,
s. Werke u. s. Einfluss auf d. heut. Judaismus Mos. Schwab, Paris 1868. Adler, d.
Versöhug. v. Gott, Relig. u. Menschenth. durch M. M., Berl. 1871. E, D. Bachi, sulla
vita e sulle opere di M. M., Torino 1872. Ueber M. M. und d. dtsche. Aufklärungs-
philos. d. 18. Jahrh. handelt R. Q. in Geizers Monatsbl. f. innere Zeitgesch., Bd. 33,
1869, S. 32—42. T. Cohn, die Auf kläningsperiode, Potsd. 1873. M. Brasch, M. M.,
Lichtstrahl, aus seinen philos. Schrift, u. Brief., Lpz. 1875. M. Dessauer, der deutsche
Plato, Erinnerungsschr. zu Moses M.s 150 j. Geburtstage, Berl. 1879. B. Szold, M.
Mendels«., eine Gedenkschr., Philadelphia 1879. Frdr. Kampe, der mendelssohnsche
Phädon in sein. Verb. 2um platonisch., I. D., Halle 1880. M. Kayserling, M. M., Un-
gedrucktes u. Unbekanntes v. ihm u. üb. ihn, Lpz. 1883. Leop. Goldhammer, d.
Psychologie M.s, Wien 1886. J. H. Ritter, M. u. Lessing, 2. Aufl., Berl. 1886.
Joh. Aug. Eberhard, Neue Apologie des Sokrates, Berl. 1772 u. ö.; Allgem.
Theorie des Denkens u. Empfindens, 1776, auch 1786; Theorie d. schön. Künste u.
Wissenschaften, Halle 1783, 3. Aufl. 1790; Sittenlehre der Vernunft, Berl. 1781, auch
1786; Handbuch der Aesthetik für gebildete Leser, Halle 1803—5, 2. Aufl. 1807 ff.;
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§ 20. Die deutsche Aufklärung und Popularphilosophie.
177
Vers, einer allgem. dtech. Synonymik, 1795—1802, 2. Aufl. 1820 (fortgesetzt von Maass
und Gruber); Svnonym. Wörtern, d. duich. Sprache, 1802. Vgl. üb. ihn Fr. Nicolai,
Gedäehtuissschrift auf J. A. E., Beri. 1810.
Ueber Lessing vgl. ausser den ob. § 9 cit. Schriften insbes. noch die Schriften
üb. Lessings Leb. und Werke von Danzel u. Guhrauer, Lpz. 1850 — 51, 2. bericht.
u. venu. Aufl., herausgeg. v. W. v. Maitzahn u. B. Boxberger. Berl. 1880—81, Ad.
Stahr, Berlin 1859 u. ö., Erich Schmidt, Lessing, Gesch. seines Lebens u. seiner
Schriften, 2 Bde., Berl. 1884; ferner Schwarz, G. E. Lessing als Theologe dargestellt,
e. Beitr. z. Gesch. d. Theol. im 18. Jahrh., Halle 185-1. Roh. Zimmermann, Leibnil
und Lessing (aus d. Sitzungsber. d. Wiener Ak. d. Wiss.), Wien 1855, auch in Z.s St.
u. Kr. abgedr. Eberh. Zirngiebl, der jaeobi-mendelssohnsche Streit üb. Lessings Spino-
zisnius, Inaug.-Diss., Münch. 1801. Job. Jacoby, Lessing der Philosoph, Berl. 1863, und
dageg.: Lessings Christenth. u. Philos. (anonym), Berl. 1863. C. Hebler, Lessing-Studien,
Bern 1862; philos. Aufs., Lpz. 1869, S. 79 fl". L. Crousle, L. et le goüt francais en
Allemague, Par. 1863. Kuno Fischer, L.s Nathan der Weise, Stuttg. 1864. D. F.
Strauss, L.s Nathan der Weise, Berl. 1864. Wilh. Dilthev, üb. G. E. Lessing, in
d. Preuss. Jahrb. Bd. 19, 1867, S. 117—161 u. 271—294. Coust. Kössler, neue
Lessingstudien: d. Erziehg. d. Menschengeschi., ebd. Bd. 20, 1867, S. 268—284.
Dilthev, z. Lessings Seelenwandrgslehre, ebd. S. 439—444. E. Fontanes, le Christia-
nisme moderne, etudes sur Lessing, Paris 1867. Vict. Cherbuliez, L. in: Rev. d. deux
mond., t. 73, 1868, S. 78—121 und S. 981—1024. Ed. Zeller, L. als Theolog, in
Sybels bist. Zeitschr., Jahrg. XII, 1870, S. 343—383, auch in: Vorträge u. Abhand-
lungen, 2. Samml., Lpz. 1877. (Zeller zeigt die Aussichtslosigkeit des Versuches,
„Vertheidigungsgründe für eine supranaturalistische Apologetik bei Lessing zu bringen",
weist die gemeinsame Grundlage nach, auf der Lessings Ansicht von der Religion
mit der Ansicht der gleichzeitigen „ Aufklärung" trotz des scharfen Widerspruchs
Lessings gegen die Oberflächlichkeit der Aufklärer und besonders gegen ihr unhisto-
risehes, exclusiv polemisches Urtheil über die Orthodoxie beruht, thut aber auch dar,
dass L. mit dem Spinozismus nur, wie Leibniz selbst, Berührungspunkte hatte, be-
sonders vermöge seines Determinismus, ohne jedoch Spinozist zu sein. »Wer in der
ganzen Geschichte der Menschheit einen göttlichen Weltplan sieht, wer alles auf den
Zweck der Vervollkommnung der Wesen bezieht, wer das Recht der individuellen
Eigentümlichkeit und Entwicklung so lebhaft vertheidigt, die endlose Fortdauer des
Individuums so wenig bezweifelt und selbst eine so scharf ausgeprägte, so subjectiv
zugespitzte Individualität ist, wie Lessing, der mag von Sp. noch so viel gelernt haben,
ein Spinozist kann er nicht genannt werden.") Heinr. Lang. G. E. L., in: religiöse
Charaktere, 2. Aufl., Winterthur 1872, S. 215—304. Ed. Niemeyer, üb. L.s Pädagogik,
Progr. d. Realsch., Dresd. 1874. V. Müller, der Offenbarungsbegr. Lessings im Zu-
sammenh. mit sein, philos. u. relig. Grundsätzen, Jena 1875. Karl Rehorn, G. E.
Lessings Stellung zur Philos. d. Spinoza, Frfrt. a. M. 1877. A. Baumgartner, Lessings
religiöser Entwickelungsgang, Freib. 1S77. Joh. Jacoby, Lessing d. Philosoph, in:
Gesammelte Reden u. Schriften, Hamb. 1877, 2. Bd. J. H. Witte, die Philos. unserer
Dichterheroen, 1. Bd.: Lessing u. Herder, Bonn 1880. W. Reuter, L.s Erzieh, des
Mensehengesehl. Darlegung des Gehaltes u. des Zweckes u. s. w., Lpz. 1881. J. Ciaassen,
G. E. L.s Theol. u. Philos. im Lichte christl. Wahrheit, Gütersloh 1881, Ernst Melzer,
L.s philos. Gmndauschauung, Neisse 1882. Jos. Hub. Reinkens, L. üb. Toleranz,
Lpz. 1883. G. Spicker, L.s Weltanschauung, Lpz. 1883, s. dazu Herrn. Fischer, L.s
Philosophie, e. Kritik, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 85, 1884, S. 29-66, 169-201.
Nicht nur der Rationalismus hatte diese ganze Richtung vorbereitet, auch
»ler Pietismus mit seiner Betonung des sittlichen Lebens im Individuum und seiner
Geringschätzung des Autoritätsglaubens ist nicht ohne Eintiuss auf die Entwicke-
lung der Aufklärung gewesen. WolfF hatte schon durch die Titel seiner deutschen
Schriften „ Vernünftige Gedanken" (in den Titeln der lateinischen spielt auch
„rationalis" und „naturalis" eine grosse Rolle) deutlich zu erkennen gegeben, dass
der Geist sich nicht auf Autoritäten stützen, nichts ungeprüft hinnehmen dürfe.
So wird der einzelne Mensch selbständig gemacht und damit ist Freisinnigkeit ver-
bunden. Die Bezeichnungen , Freigeist", „starker Geist" wurden für die Apostel
der Aufkläruug gebraucht. Kant sieht das Wesen dieser Richtung in dem Heraus-
treten aus verschuldeter Unmündigkeit und nannte das Zeitalter der Aufklärung
Ueberweg-Heinze, Grundrifs III, 7. Aufl. 12
178
§ 20. Die deutsche Aufklärung und Populurphilosophie.
das Friedrichs II. Freilich sollten sich nach der Ansicht der Aufgeklärten die
Unmündigen, als gewissermaassen rechtlos, den Erleuchteten gegenüber fügen, ja
sie durften nach der Ansicht Friedrichs II. gezwungen werden, vernünftig und
glücklich zu sein. Denn schliesslich kam es doch auf das Glück des Einzelnen an,
wie der Illuminaten-Orden mit seinen beiden Häuptern Knigge und Weishaupt aus
dem Geiste der Aufklärung heraus Alles bekämpfte, was das Vergnügen und die
Glückseligkeit störte. So lag es auch in dem ganzen Wesen der Aufklärung,
populär zu sein, um die Menschheit beglücken zu können. Zugleich hing es mit
diesem Zwecke zusammen, dass der Psychologie grösserer Eifer zugewandt und
hierbei das Gefühl betont wurde, sowie dass die Gewissheit des Daseins Gottes,
der dem Menschen die Glückseligkeit gewährt, und des jenseitigen Lebens, in
welchem die Vollkommenheit und mit ihr die Glückseligkeit erreicht wird, eine
bedeutende Rolle spielte. Der physicotheologische Beweis für die Existenz Gottes
erfreute sich besonderer Beachtung und Ausbildung, und es entstand eine Bronto-
theologie, Astrotheologie, Lithotheologie, Phytotheologie, Ichthyotheologie, Inseeto-
theologic etc. — Man spricht auch von englischer und französischer Aufklärung
und kann dann unter der erstereu befassen Locke, die Moralphilosophen, die
Associationspsychologen, die Deisten einschliesslich Tolaud, liume, und die schotti-
schen Philosophen, und unter der letzteren Voltaire, Rousseau, den Sensualismus,
Materialismus, die Encyclopädisten.
Ein einflussreicher Vertreter der positiven Lehren des Deismus war Herrn.
Samuel Reimarus in Hamburg (1694 — 1765), für den das einzige göttliche Wunder
die Schöpfung ist. Andere Wunder würden in Widerspruch mit der göttlichen
Weisheit und Vollkommenheit stehen. Der Zweck Gottes bei der Schöpfung der
Welt war, alle möglichen lebenden Wesen hervorzubringen und alle Einrichtungen
mit der grösstmöglichen Lust aller lebendigen Geschöpfe in Einklang zu setzen.
So ist die weise Einrichtung des Weltalls die Offenbarung Gottes. Der teleologische
Gesichtspunkt tritt bei Reimarus stark hervor, wenn auch nicht der Mensch so,
wie es sonst üblich zu jener Zeit, ins Centrum gestellt wird. Es ist so erklärlich,
wie seine „Abhandlungen" als das vortrefflichste Buch gegen den französischen
Materialismus und den Spinozismns gepriesen werden. Andererseits ist es aber
auch erklärlich, wie er sich in Opposition gegen jede positive Religion setzte. —
Eine isolirte Stellung nimmt der vom Pietismus ausgegangene, zuletzt dem spino-
zistischen Pantheismus sich zuneigende Freidenker Joh. Christ. Edelmann ein.
(1698—1767, Moses mit aufgedecktem Angesicht 1740 etc.; Selbstbiographie heraus-
gegeben v. Klose. Beri 1849.) Vgl. Karl Mönckeberg, Herrn. Sarn. Reimarus u.
Joh. Chr. Edelmann, Hamburg 1867.
Moses Mendelssohn (geb. zu Dessau 6. Sept. 1729, kum mit 14 Jahren
nach Berlin, wurde Hauslehrer in einem jüdischen Handelshaus, hierauf Buchhalter
und dann Chef desselben, gest. 4. Januar 1786 zu Berlin), früh mit Maimonides,
dann mit Locke, dann mit Wolff, Baumgarten und Leibniz, auch mit Spinoza durch
eifriges Studium bekannt, mit Lessing seit 1754 persönlich befreundet, hat besonders
für religiöse Aufklärung gewirkt. Er wollte (hierin in Uebereinstimraung mit
Spinoza) durch die religiösen Vorschriften nur das Handeln bestimmt wissen und
trug auf dem Gebiet der speeifisch religiösen Handlungen vielleicht allzugrosse
Scheu vor reformatorischen Versuchen im Judenthum, vindicirte dagegen dem
Denken volle Freiheit. Der Staat, der zu Handlungen zu zwingen berechtigt ist,
darf nicht Uebereinstimmung in Gedanken und Gesinnungen erzwingen wollen, soll
jedoch durch weise Vorkehrungen solche Gesinnungen zu erzielen suchen, aus denen
gute Handlungen hervorgehen; die Religionsgemeinschaft, welche auf Gesinnungen
abzielt, darf als solche weder direct noch mittelst des Armes der Staatsgewalt ein
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§ 20. Die deutsch« Aufklärung und Popularphilosophie.
179
Zwangsrecht über ihre Mitglieder üben wollen; ReligionBverschicdenheit soll nicht
die bürgerliche Gleichstellung beeinträchtigen; nicht Glaubenseinheit, sondern
Glaubensfreiheit ist das Ideal. Nur gegen Intolerante darf man nicht tolerant sein.
Die Philosophie hat zur Aufgube, das, was der gewöhnliche Menschenverstand als
richtig erkannt, durch die Vernunft klar und sicher zu machen. Vor Allem kam es
ihm darauf an, die Lehre vom Dasein Gottes und von der Unsterblichkeit der
menschlichen Seele philosophisch streng zu erweisen. Freilich nimmt er die Argu-
mente zumeist aus der wolfTscheu Philosophie, von Baumgarten und Reimarus; den
ontologischen Beweis für das Dasein Gottes dreht er so, dass er sagt: Die blosse
Möglichkeit widerstreitet dem Begriff des vollkommensten Wesens: so bleibt denn
nur das Dilemma: Gott ist entweder unmöglich, oder er existirt wirklich. Von den
Beweisen für die Unsterblichkeit sei nur erwähnt, dass Gott Wesen, die nach Voll-
kommenheit strebten und die zugleich der Endzweck der Schöpfung seien, unmöglich
an dieser ihrer Bestimmung hindern könne. In den „Briefen über die Empfin-
dungen" setzt er das Empfindungsvermögen als ein drittes den beiden andern an
die Seite, welches er daim in seinen „Morgenstunden" Billigungsvermögen nauute,
indem die menschliche Seele ursprünglich die Fähigkeit haben sollte, sich den
Objecten gegenüber billigend oder missbilligend zu verhalten. Es ist hiermit nach
dem Vorgange von Sulzer der Anfang zu der Lehre von der Dreiheit der mensch-
lichen Seelenvermögen gemacht.
Der mit Mendelssohn und Lessing befreundete Aufklärer Chr. Frdr. Nicolai
(1733—1811) hat besonders als Herausg. der Bibl. der schön. Wassenach. (Lpz.
1757—58), der Briefe, die neueste deutsche Litt betreffend (Berl. 1759 — 65). der
Allgem. deutsch. Bibl. (1765—92) und der Neuen allg. d. Bibl. (1793—1805) so
lange wohlthätig gewirkt, als noch vor Allem die Reinigung des Geistes von dem
Schmutze des Aberglaubens und die Befreiung von Vorurtheilen Noth that, unzu-
länglich aber, seitdem der Sieg über die traditionelle Unvernunft im Wesentlichen
bereits errungen war und die positive Erfüllung des Geistes mit edlerem Gehalt
zur Hauptaufgabe ward. Die Männer, welche an dieser letzteren Aufgabe arbeiteten,
haben gegen die Angriffe, die er wider sie richtete, in einer Weise reagirt, mit
der das historische Urtheil über Nicolai sich ebensowenig identificiren darf, wie
etwa das historische Urtheil über die griechischen Sophisten mit der sokratisch-
platonischen Polemik. Joh. Aug. Eberhard (1738—1809: seit 1778 Professor in
Halle) versuchte den LeibnizianiRmus gegen den Kantianismus zu vertheidigen.
Er war der Hrsg. der Zeitschriften: Philosoph. Magazin, Halle 1788—1792, und:
Philos. Archiv, 1792—95. Thomas Abbt (1738-1766) schrieb: vom Tod fürs
Vaterland, Berl. 1761, vom Verdienst, Berl. 1765, Auszug aus der allg. Welthistorie,
Halle 1766 (eine Darstellg. d. allmäh]. Fortschritts der Civilisation); seine ver-
mischten Schriften sind Berl. 1768 u ö. erschienen. Seine Arbeiten zeichneten
sich durch eine leichte, den Conversationston nachahmende Form aus und wurden
sehr beifällig aufgenommen (vgl E. Pentzhorn, Th. Abbt, ein Beitr. z. seiner
Biographie, I.-D., Berl. 1884, H. Schuller, Th. Abbt, in: Jahrb. f. Phil. u. Pädag.,
1887, 2. Abth., S. 65-92). Ernst Fiatners (1744-1818) Schrift: Philosophische
Aphorismen, 2 Bde., Leipz. 1776-82, 2. Aufl. des 1. Bdes, 1784, 3. nmgearb. Aufl.
1793 — 1800, worin er mit der Darstellung und gedrängten Begründung der philo-
sophischen Doctrinen historisch-kritische Rückblicke auf die Lehrsätze älterer und
neuerer Philosophen verbindet, ist noch heute von Werth. In der 3. Auflage
nimmt er besonders Rücksicht auf Kant (vgl. M. Heinze, Ernst Platner als Gegner
Kants, Univ. Pr., Lpz. 1880). Christoph Meiners (1747-1810) hat ausser Schriften
zur Geschichte der älteren Philosophie (s. o. Theil I, § 7) besonders Untereuchgn.
üb. d. Denk- u. Willenskräfte, Gött. 1806, verfasst. Als populärer Moralist ver-
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§ 20. Die deutsche Aufklärung und Popularphilosophie.
dient hier der Dichter Chm. Fürchteg. Geliert (1715—1769) Erwähnung. Seim-
sämmtl. Schriften sind Lpz. 1769—70 hrsg. worden, seine moral. Vorlesngn. haben
Ad. Schlegel und Heyer veröffentl., Leipz. 1770. Die durch Friedr. d. Gr. begiiuBtigte
lockesche Doctrin (über welche Vorlesungen zu halten, G. F. Meier zu Halle durch
den König veranlasst ward), wie auch die moralischen, politischen und ästhetischen
Untersuchungen der Engländer, zum Theil auch der Franzosen, haben die Denk-
richtung Garves, Sulzers uud Anderer wesentlich bestimmt. Christian G arve (1742
in Bresl. geb., 1770 nach Gellerts Tod ausserord. Prof. d. Philos. in Leipzig, 1772
nach Breslau aus Gesundheitsrücksichten znrückgekehrt, daselbst 1798 gest.) hat
Ciceros Schrift v. d. Pflichten übersetzt und erklärt, Breslau 1793, 6. Aufl. 1819,
ebenso die Ethik des Aristoteles, Breslau 1798—1801, und dessen Politik, Breslau
1803, 1804, der Ethik eine kritische „Abhandlung über die verschiedenen Principe
der Sittenlehre von Aristoteles bis auf unsere Zeit" mit besonders eingehender
Prüfung der kantischen Lehre hinzugefügt, Versuche üb. versch. Gegenstde. aus d.
Moral, Litt. u. dem gesellsch. Leben, Berl. 1792—1802, 2. Aufl. 1821, und and.
Schriften und Abhandlungen verfasst, die von umfassender uud feiner Beobachtung
des menschlichen Lebens zeugen. S. J. C. Manso, Chr. G in s. schriftstellerisch.
Char., Bresl. 1799; G. G. Schelle, Briefe üb G.8 Sehr. u. Philos., 1800. üeber die
Beziehung. Chr. G.s zu Kant handelt Alb. Stern, I.-D., Lpz. s. a.
Friedrich der G rosse nannte sich selbst den Philosophen von Sanssouci.
Die Philosophie lehrt nach ihm uns unsere Pflicht thun, unser Blut und unsere
Ruhe für den Dienst unseres Vaterlandes einsetzen, ihm unser ganzes Sein opfern.
Auf theoretischem Gebiet war Friedrich zuerst der wölfischen Philosophie ergeben,
wandte sich aber später mehr den Ansichten Lockes und Voltaires zu, freilich mit
einer skeptischen Grundstimmung, indem ihm Bayle als der strengste logische
Denker galt. An das Dasein Gottes glaubte er, ohne die Beweise dafür als bin-
dend anzusehen, den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele hielt er nicht fest.
Auf dem Gebiete der Ethik schwankte er zwischen Epikureismus und Stoa, jedoch
gewann der Pflichtbegriff bei ihm die Herrschaft, so dass ihm die Erfüllung der
Pflicht die wahre Philosophie wurde, und es musstc so die laxere Lehre Epikurs
vor der strengeren der Stoa weichen. Den Kaiser Marc Aurel schätzt er über
Alles; dieser habe, meint er, die Tugend unter den Menschen zur höchsten Vollen-
dung gebracht. Nach klar erkannten Grundsätzen consequent zu handeln, ebenso
nichts ohne zureichenden Grund anzunehmen, darauf kommt es an. In seinem Essai
sur l'amour propre envisage comme principe de morale, gelesen in der Akademie
1770, sucht er darzuthun, dass allein durch die Tugend die Selbstliebe wahrhaft
befriedigt werde, und es nur nöthig sei, den Menschen in der Tugend das wahre
Gut erkennen zu lassen. Vgl. üb. ihn u. A.: Paul Hecker, d. relig. Entwickig.
F.s d. Gr., Augsbg. 1864; H. Merkens, Fr. d. Gr. Philos., Relig. u. Moral, Würz-
burg 1876; G. Rigollot, Frederic II. philosophe, Paris 1876; Eug. Pelletan, un
roi philosophe, le gr. Fr.. Paris 1878; Ed. Zeller, Frdr. d. Gr. als Philos.,
Berl. 1886.
Als Psychologen sind Joh. Christ. Lossius, der in seiner Schrift: Physische
Ursach. des Wahren, Gotha 1775, die Beziehung der psychischen Processe zu den
Bewegungen der Hirnfibern zu erforschen strebte, und sein Gegner Joh. Nie.
Tetens (1736 — 1805), der Verfasser der Philos. Versuche üb. d. menschl. Natur
u. ihre Entwickig., Lpz. 1776—77, von Bedeutung. Der letztere hat das Gefühl (das
bei Aristoteles als Uebergang vom Wahrnehmen zum Begehren erscheint) dem
Verstand und Willen als ein Grundvermögen coordinirt, dem „ Gefühl" jedoch als
der Receptivität ausser Lust und Unlust auch die sinnlichen Empfindungen und
das Afficirtsein durch sieh selbst zugerechnet, vgl. Fr. Harms, üb. d. Psychologie
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§ 20. Die deutsche Aufklärung und Popularphilosophie.
181
v. J. N. Tetens, Berl. 1887. In seiner Erkenntnisslehre erinnert Tetens sehr au Kant,
so dass ein Kinfluss von dessen .Dissertation" auf ihn wahrscheinlich ist. Durch die
Empfindung erhalten wir den Inhalt, durch den spontanen Verstand die Form der
Erkenntniss. Die Wahrnehmung giebt uns nur Phänomene, das wahre Wesen der
Dinge und der Seele selbst bleibt unbekannt, s. W. Schlegdendal, T.s' Erkenntnissth.,
TL I, L-D., Halle 1885. Friedr. Carl Casimir von Creuz (1724—1770) spricht In
seinem Versuch üb. d. Seele, Frankf. u. Lpz. 1753. derselben die punctuelle Einfachheit
ab, ohne sie darum jedoch für zusammengesetzt und theilbar zu erklären, und nimmt
in seiner auf Erfahrung sich basirenden Doctrin eine Mittelstellung zwischen Locke
und Leibniz ein. Einer eklektischen Richtung huldigte Joh. Geo. Heinr. Feder 1 1740
bis 1821), dessen Lehrbucher (Grundriss d. philos. Wiss.. Coburg 1767, Institutioues
log. et metaph., Frcf. 1777 etc.) zu ihrer Zeit sehr verbreitet waren; seine Autobio-
graphie hat sein Sohn, Lpz. 1825, herausgegeben. Dietr. Tiedemaun (1748—1803).
der lockescho Elemente mit der leibnizischen Doctrin verband, ist nicht nur als Histo-
riker der Philosophie, sondern auch durch seine Untersuchungen zur Psychologie
und Erkenntnisslehre (Untersuchgn. üb. den Mensch.. Lpz. 1777—98; Theätet od.
üb. d. menschl. Wiss., o. Beitr. z. Vernunftkritik, Frankf. a. M., 1794; idealist.
Briefe, Marburg 1798; Handb. d. Psychol., hrsg. von Wachler, Lpz. 1804) von
Bedeutung. Hauptsächlich durch seine Allgem. Theorie d. schön. Künste, Lpz. 1771
bis 74, auch 1792-94 (uebst Zusatz, v. Blankenburg. 1796—98, und Nuchtr. vou
Dyk u. Schütz, Lpz. 1792—1808), hat Job. Geo. Sulzer (1720-1779) sich verdient
gemacht. In Abhandlungen der Berliner Akademie aus den .lahren 1751 u. 1752.
die später in Sulzers „Vermischten philos. Schriften", Lpz. 1773—85 wieder ab-
gedruckt wurden, entwickelt er, dass die dunkeln Vorstellungen der Seele beson-
ders auf ein Empfinden ihres eigenen Zustandes hinauslaufen, und sieht in diesen
Empfindungen das zwischen klaren Vorstellungen und Begehrungen Vermittelnde
(s. ob. Mendelssohn). Gotthilf Sam. Steinbart (1738—1809) schrieb eine Glück-
seligkeitslehre d. Chrutenth., Züllichau 1778, 4. Aufl. 1794, und and. populäre
Schriften. Joh. Jac. Engel (1741—1802) hat seine philosophischen Ansichten in
einer populären Form, besondere in der Sammlung von Aufsätzen: der Philosoph
f. d. Welt, Lpz. 1775, 77, 1800, 2. Aufl. 1801-2, dargelegt. Karl Phil. Moritz
(1757—93) gab ein Magaz. z. Erfahrungsseelenlehre, 1785—93, heraus, lieferte eine
Selbstcharakteristik in der Schrift: Anton Reiser, Berlin 1785—1790, verfasste eine
Abhdlg. üb. d. bildende Nachahmg. des Schönen, Braunschw. 1788, u. and. psy-
cholog. und ästhet. Schriften. Karl Theod. Ant. Maria von Dalberg (1744—1817)
hat Betrachtungen üb. d. Universum, Erfurt 1776, 7. Aufl. 1821, Gedank. v. d.
Bestimmg. d. moral. Werths, ebend 1787, und and. philos. Schriften verfaast. Unter
Lockes und Rousseaus Einfluss standen die Pädagogen Joh. Bernh. Basedow
(1723—90), Joachim Heinr. Campe (1746—1818) und Andere; auch der Aufklärer
Karl Friedr. Bahrdt (1747—1792; über ihn handelt J. Leyser, 2. Aufl., Neu-
stadt a. d. Hardt 1870) hat eine Zeit lang ein Philanthropin geleitet. Die philan-
thropische Tendenz einer naturgemässen Gestaltung der Erziehung und des Unter-
richts wurde durch den Reformator des Volksschulwesens Joh Heinr. Pestalozzi
(1745—1827) auf Grund der Ueberzeugung: „der Organismus der Menschennatur ist
in seinem Wesen den nämlichen Gesetzen unterworfen, nach welchen die äussere
Natur allgemein ihre organischen Erzeugnisse entfaltet* in vertiefter und veredelter
Form theoretisch und praktisch durchgeführt. Pestalozzi basirt alle Erkenntniss
auf Anschauung und will in möglichst lückenlosem Fortschritt unter durchgängiger
Anregung der Selbsttätigkeit immer Höheres und Edleres aus dem schon Begrün-
deten hergeleitet sehen. (P.8 Werke sind Tüb. u. Stuttg. 1819—26 erech. und
neuerdings h. v. L. W. Seyffarth, Brandenburg 1869 ff.). Mehr der Litteratur-
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§ 20. Die deutsche Aufklärung und Popularphilosophie.
gescbichte als der Philosophie gehört Eschenburgs (1743—1820) Entwurf e.
Theorie u. Litt der schön. Wissenschaften, Berl. 1783, 5. Aufl. 1836, und sein
Hundb. d. class. Litt, 8. Aufl., Berl. 1837, an. Der Physiker Geo. Christoph
Lichtenberg (1742-1799; vermischte Schriften, Gott 1800-1805, auch 1844-53)
hat sich gegen das , infame Zwei" in der Welt erklärt; .Seele" und «träge Materie*
Beien blosse Abstractionen, wir kennen von der Materie nichts als die Kräfte, mit
denen sie eins sei.
Lessings (22. Jan. 1729 bis 15. Febr. 1781) fruchtreiche Gedanken zur
Aesthetik, Religionsphilosophie und Philosophie der Geschichte (besonders in der
Hamburger Dramaturgie und in der Schrift über die Erziehung des Menschen-
geschlechts) enthalten Keime, deren Entwickelung zu den wesentlichsten Verdiensten
der deutschen Philosophie in der folgenden Periode gehört. Die Frage nach dem
Vorzug der Forschnngsthatigkeit oder des durch göttliche Gabe gesicherten Besitzes
der Wahrheit hat Lessing im entgegengesetzten Sinne wie Augustin (siehe Grdr. II,
§ 16, 7. Aufl., S. 106) zu Gunsten der Forschung entschieden. L.s philosophische
Anschauungen sind zumeist aus der leibnizischen Doctrin erwachsen. Zn dem
«Spinozismus* hat sich L. 1780 gegen Jacobi wohl nur hinsichtlich bestimmter
theologischer Sätze und schwerlich hinsichtlich der gesamraten Doctrin von Gott,
Welt und Mensch bekannt. Eine Wahl zwischen möglichen Welten im leibnizischen
Sinne nimmt L. nicht an, sondern erklärt Gottes Vorstellen, Wollen und Schaffen
für identisch. Nach Jacobis Mittheilung war ihm Ausdehnung, Bewegung, Gedanke
in einer höheren Kraft gegründet, die noch lange nicht damit erschöpft ist und für
die es eine Art des Genusses giebt, die nicht allein alle Begriffe übersteigt, sondern
völlig ausser dem Begriffe liegt. Auf diese .höhere Kraft" scheint das eV, auf
das in ihr Gegründete das nur in Ls ,er xai näv* gedeutet werden zu müssen;
L. behauptet nicht Identität, wohl aber die nothwendige Zusammengehörigkeit
Gottes und der Welt Auch in der speculativen Umdeutung der Dreieinigkeitslehre
konnte sich L. zum Theil an Spinoza, wie anderntheils au Augustin und Leibniz
anschliessen. L. betrachtet die biblischen Schriften als die Elementarbücher in der
Erziehung des Menschengeschlechts oder doch eines Theiles desselben, den Gott in
Einen Erziehungsplan habe fassen wollen. I* nimmt drei Stufen an, welche sich
von einander wesentlich durch die Motive unterscheiden, auf denen die Handlungen
beruhen. Die erste ist die des Kindes, welches den unmittelbaren Genuss sucht,
die andere die des Knaben und Jünglings, welcher durch die Vorstellung zukünf-
tiger Güter, der Ehre und des Wohlstandes geleitet wird, die dritte Stufe ist die
des Mannes, der auch dann, wenn diese Ansichten der Ehre und des Wohlstandes
wegfallen, seine Pflicht zu thun vermögend ist (Mit dieser letzteren Aensserung
L.s verwandt ist einerseits der platonische Satz, dass die Gerechtigkeit und jegliche
Tugend nicht um eines Lohnes willen, sondern an sich erstrebenswerth sei, anderer-
seits Kants kategorischer Imperativ, wogegen unter den frühesten christlichen
Kirchenlehrern mehrere, z. B. Lactantius, das Gegentheil behaupten.) Diese Stufen
sind ebenso von dem Menschengeschlecht in der Folge der Generationen wie von
dem einzelnen Menschen zu durchlaufen (welchen 1. sehen Satz Mendelssohn bestritt).
Für die erste Stufe ist in dem göttlichen Erziehungsplane des Menschengeschlechts
das alte Testament, für die zweite das neue, welches zumeist auf jenseitigen Lohn
hinweist, bestimmt; gewiss aber wird kommen die Zeit eines neuen ewigen Evan-
geliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des Neuen Bundes versprochen
wird. In den Elementarbüchern werden Wahrheiten B vorgespiegelt" (wie in Spiegel-
bildern uns vorgestellt), die wir als Offenbarungen so lange anstaunen sollen, bis
die Vernunft sie aus ihren andern ausgemachten Wahrheiten herleiten und mit
ihnen verbinden lerne. ' Die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunftwahr-
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§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert
183
heiten ist schlechterdings erforderlich, wenn dem menschlichen Geschlechte damit
geholfen sein soll. Die Lehre von der Dreieinigkeit deutet L. darauf, »dass Gott
in dem Verstände, in welchem endliche Dinge eins sind, unmöglich eins sein könne*.
Gott muss eine vollständige Vorstellung von sich haben, d. h. eine Vorstellung, in
der sich Alles befindet, was in ihm selbst ist, also auch Gottes nothwendige Wirk-
lichkeit, die also ein Bild ist, welches die gleiche Wirklichkeit hat, wie Gott
selbst, welches also eine Verdoppelung des göttlichen Selbst ist, die als drittes
Moment den Zusaromenschluss zur Einheit fordert (wogegen Kant derartigen
Constructionen durch seinen Kriticismus den Boden entzieht). Die Lehre von der
Erbsünde versteht L in dem Sinne, ,dass der Mensch auf der eYsten und niedrig-
sten Stufe seiner Menschheit schlechterdings so Herr seiner Handlungen nicht sei,
dass er moralischen Gesetzen folgen könne". Der Lehre von der Genugthuung
des Sohnes legt er den Sinn unter, »dass Gott ungeachtet jener ursprünglichen
Unvermögenheit des Menschen ihm dennoch moralische Gesetze lieber geben und
ihm alle Uebertretungen in Rücksicht auf seinen Sohn, d. h. in Rücksicht auf den
selbständigen Umfang aller seiner Vollkommenheiten, gegen den und in dem jede
Unvollkommenheit des Einzelnen verschwindet, lieber habe verzeihen wollen, als
dass er sie ihm nicht geben und ihn von aller moralischen Glückseligkeit habe
ausschliessen wollen, die sich ohne moralische Gesetze nicht denken lässt*. (Kants
Deutung der beiden letzterwähnten Dogmen in seiner »Religion innerhulb der
Grenzen der blossen Vernunft" steht der lessingschen sehr nahe). Der historischen
Frage, wer die Person Christi gewesen sei, legt L. nur eine sehr untergeordnete
Bedeutung bei (worin Kant und Schelling, dieser wenigstens in seiner früheren
Zeit, mit ihm übereinkommen, wogegen Schleiermacher zum Theil schon in den
Reden über die Religion, und viel mehr noch in seiner späteren Zeit gerade an
die Person Christi Bein religiöses Leben knüpft). Den Gedanken, dasB eben die
Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelange, auch jeder
einzelne Mensch durchlaufen müsse, stellt L. nicht in der Einschränkung auf, der
einzelne Mensch müsse bis zu der Stufe hin, die er überhaupt erreicht, die näm-
lichen Stadien durchlaufen, wie bis zu der gleichen Stufe hin das Geschlecht,
sondern er schreibt jenem Gedanken eine uneingeschränkte Gültigkeit zu und
vindicirt demnach jedem einzelnen Menschen das Durchlaufen der Stufen, die er
während eines Lebens nicht erreicht, in immer wieder erneutem Dasein vermöge
eines öfteren Vorhandenseins auf dieser Welt (welche letztere Annahme, da sie
die Möglichkeit eines mindestens zeitweiligen Vergessens der früheren Zustände
involvirt und hierdurch wenigstens die bewusste Identität der Person in den
Hintergrund treten lässt, der Annahme eines Fortlebens des Geistes in der Gattung
vermittelst des geschichtlichen Zusammenhangs, Christi in den Christen, der Geister
der Vorzeit in uns, zu welcher später, als der im 18. Jahrhundert herrschende
Individualismus mehr und mehr universalistiscb-pantheistischen Ansichten zu weichen
begann, Schleiermacher mindestens zeitweilig entschieden hinneigte, bereits nahe
kommt).
§21. Die französische Philosophie im achtzehnten Jahr-
hundert ist vorwiegend Opposition gegen die geltenden Dogmen
und bestehenden Zustände in Kirche und Staat und Begründung
einer neuen theoretischen und praktischen Weltansicht auf natura-
listischen Principien. Nachdem diese Richtung hauptsächlich durch
den Skepticismus Bayles angebahnt worden war, fand Voltaire,
der in dem Positiven seiner Weltanschauung wesentlich auf Newtons
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§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert
Naturlehre und Lockes Erkenntnisslehre fusst, besonders mit seiner
Polemik gegen den herrschenden kirchlichen Glauben Eingang bei
den Gebildeten seiner Nation und grossentheils auch ausserhalb
Frankreichs. Schon vor ihm hat Maupertuis die newtonsche Kos-
mologie gegen die cartesianische siegreich vertreten, Montesquieu
aber für die Ideen des Liberalismus die Ueberzeugung der Gebildeten
gewonnen. Rousseau, der gegenüber einer entarteten Cultur auf
die Natur zurückwies, predigte unter Abweisung des Positiven,
historisch Gegebenen eine auf die Ideen: Gott, Tugend und Unsterb-
lichkeit begründete Naturreligion, forderte eine naturgemässe Er-
ziehung und eine demokratische Staatsform, welche die natürliche
Freiheit eines Jeden nur insoweit einschränke, als derselbe vertrags-
mässig diese Einschränkung ohne Preisgebung der unveräusserlichen
Menschenrechte zugestehen könne. Um die Aesthetik hat Batteux,
der in der Nachahmung der schönen Natur das Wesen der Kunst
fand, sich verdient gemacht.
Den Sensualismus hat im Anschluss an Locke, aber über diesen
hinausgehend, Condillac (1715—1780) ausgebildet, der alle psychischen
Functionen als umgebildete Sinneswahrnehmungen auffasst und dem-
gemäss auch die innere Wahrnehmung aus der äussern oder sinn-
lichen Wahrnehmung entspringen Iässt. Auf das Princip des eigenen
Interesses hat mittelst des Satzes, dass dieses nur in Uebereinstimmung
mit dem Gemeinwohl seine ungetrübte und volle Befriedigung zu
finden vermöge, Ilelvetius die Moral zu gründen versucht. Diderot,
der im Verein mit d'Alembert die Herausgabe der das Ganze der
Wissenschaften umfassenden Encyclopädie besorgte, ging allmählich
vom Deismus zum Pantheismus fort. Durch die Annahme einer natür-
lichen Gradation der Wesen, eines stufenweisen Fortgangs der Natur-
gebilde bis zum Menschen hinauf, ist Robinet ein Vorläufer Schellings
geworden. Unbeschadet des Glaubens au Gott und Unsterblichkeit
setzt Bonnet die Seele zu den materiellen Bedingungen ihres Daseins
in die engste Beziehung. Den reinen Materialismus hat der Arzt
Lamettrie hauptsächlich als psychologische Doctrin, der Baron
von Holbach aber in dem Systeme de la nature (1770) als eine
allumfassende, der Theologie entgegengesetzte Weltansicht dargestellt.
Ueber die Philosophie der Franzosen im achtzehnten Jahrhundert
ist das Hauptwerk: Ph. Damiron. M6moires pour servir a l'histoire de la Philo-
sophie au X\rIIIe suecle, tom. I — II. Paris 1858, tome III. avec unc introduction de
M. C. Gourand, Paris 1864. Ferner: Brunei, le* philosophes de l'academic francaise
an XVIlle siede, Par. 1884. Vgl. Lerminier, de l'influence de la philos. du XVIIIe
siede sur la legislation et la snciabilitc du XlXe. Par. 1833: Lanfrey, Teglise et les
philosophes au XVIIIe siecle. 3. ed. Par. 1857; ferner die betreffenden Abschnitte in
den umfassenderen Werken über die Geschichte der Philosophie und in historischen
und litteraturhistorischen Schriften, insbesondere bei Nisard. Hist. de la litt, fr., Paris
1848—49, Ch. Bartbolmcss, Hist. philo», de l'aead. de Prusse depuis I^ibn.. Paris
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§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert.
185
1850—51, und Hist crit. des doctrines religieuses de la philos. moderne, Strassb. 1855,
A. Sayous, le dix-huitieme siecle ä l'etranger, hist. de la litt, frane. dans les divers pays
de l'Kurupe depuis la mort de Louis XIV jusqu 'ä In revolut. franc., 2 tom., Par. 1861,
A. Frank, la philo», mystique en France au XVIIIe siecle, Par. 1868, ferner in
Schlossers Gesch. d. 18. Jahrh.. im IL Theil (der auf die franz. Litt, geht) von Herrn.
Hettners Litteraturgesch. d. 18. Jahrh.. und bei F. Alb. Lange, Gesch. de« Materialism..
Iserlohn 1866 u. ö.
Voltaires Werke sind bereits 1768 zu Genf, dann zu Kehl und Basel 177:;, zu
Kehl 1785—89 (nebst e. Biogr. Voltaires von Condorcet), zu Paris 182;*— ?A u. ö. er-
schienen. Uebcr V. handeln ausser Condorcet (dess. Ix-bensbeschr. auch sep. Par. 1820
ersch. ist) E. Bersot, la philos. de V., Paris 1848. L. J. Bungener, V. et ton temps,
2 Bde., Par. 1850, 2. ed. 1851. J. B. Meyer, V. u. Rousseau in ihrer socialen Bedeut.,
Berl. 1856. J. Janin, le roi Voltaire. 3. ed. Par. 1861. A. Pierson, V. et bcs maitrcs,
episode de l'hist. des hunianites en France, Par. 1866. Emil du Bois-Revraond, V. in
s. Bez. z. Naturwissensch., Berl. 1868. K. Reuschle, Parallelen aus dem 18. u. 10. Jahrh.
(Kant u. Voltaire, Lessing u. D. F. Strauss). in d. dtsch. Vierteljahrsschrift, 186*. D.
F. Strauss, Voltaire, sechs Vortr., Lpz. 1870, 3. A. 1872. Courtat, defense de V.
contre ses amis et contre ses enncmis, Par. 1872. John Morley, Volt., Lond. 1872, 2. ed.
1873. Gust. Desnoiresterres, V. et la societe au XVIIIe siecle, V. ä Cirev, 2. ed..
Paris 1872, V. a la cour, 2. ed. 1872, V. et Frederic, 2. ed. 1872, V. aux Deines,
1873. Em. Saigcy, la physique de V., Par. 1873. Henri Beaune, V. au College, sa
famille, ses etudes, ses premiers amis; lettre« et documents incdits, Par. 1873. K. Rosen-
kranz in dem v. Rud. Gottschall hrsg. Neuen Plutarch, I, Lpz. 1874, S. 285—373.
Rieh. Mayr, Voltaire-Studien, in: Sitzungsber. d. Ak. d. W., hist. phil. Cl., Bd. 95,
S. 5 — 122, Wien 1880. Joh. Ge. Hagmann, üb. V.s r Essai sur les Moeursfc, leipz.
I.-D., 1883. G. Maugras, Querelles «le phitosophes: Voltaire et J. J. Rousseau,
Par. 1886.
Ueber Montesquieu handelt Bersot, Par. 1852, ferner E. Buss, Montesquieu u.
Cartesius, in den philos. Monatsheften IV., 1869, S. 1—38. Ferd. Bechard, la monarchie
de Montesquieu et la republ. de Jean Jacques, Par. 1872.
Rousseau» Hauptschriften sind: Discours sur les sciences et les arts (veranlasst
durch die 1749 von der Akad. zu Dijon gestellte Preisfrage: si lo rctablissetncnt des
sciences et des arts a contribue ä epurer les moenrs). Discours sur l'orig. et les fonde-
ments de linegalite parmi les homines, 1753 u. ö. Du contrat social ou priueipes du
droit piditique, Anist. 1762. Emile ou sur l'education, 1762. Die Oeuvres sind Par. 1764
u. ö. erschienen, insbesondere auch, herausg. von Musset-Pathay, Par. 1818—20, in
22 Bänden, hrsg. v. A. de Latour, Paris 1868; früher Unedirtes hat Streckeisen-Moulton,
Par. 1861 u. 65 veröffentlicht. Biographien zur Ergänzung der coquettirenden Con-
fessions haben Aug. Hennings, Berlin 1797, Musset-Pathay Par. 1821, Moria, Par. 1851,
E. Guion, R. et le XVIIIe siecle, Strassb. 1860, F. Brock'erhoff, R., sein Leben u. seine
Werke, Lcipz. 1863 — 74 geliefert. Vgl. Rousscausche Studien, votl Emil Fenerlein, in
der Zeitschr. „der Gedanke", 1861 ff. A. de Lamartine, Rousseau, son faux contrat
social, et le vrai contrat social, Poissy 1866. K. Sehneider, R. und Pestalozzi, der Idea-
lismus auf deutschem und französischem Boden, 2 Vorträge, Bromberg 1866, 2. Aufl.,
1873. Alb. Christensen, Studien über J. J. R.. Pr., Flensburg 1869. Ferd. Werry.
J. J. R., s. Einfl. auf die höh. Sch. Deutschlands, Realsch.-Pr.. Mülh. n. d. Ruhr 1869.
Theod. Vogt, R.s Leben, aus den Sitzungsber. d. kais. Akad., Wien 1870. L. Morcau,
J. J. R. et le siecle philosophique, Par. 1870. John Morley, Rousseau, 2 vol., London
1873. Ch. Borgeaud, J. J. R.s Religionsphilosophie, Lpz.. 1883. H. G. Graham,
Rousseau, Lond. 1883.
Lamettries Oeuvres philosophiques sind erschienen I/»ndon (Berl.) 1751, 2 vol. 4.
Histoire naturelle de Tarne, a la Haye 1745; Thomme machine, Leyden 1748 u. öfter,
in« Deutsche übers, v. Ad. Ritter, in d. Philos. Biblioth., Lpz. 1875; l'homme plant. .
Potsdam 1748: l'art de jouir ou l'ecole de la volupte, Potsd. 1751; Venus metaphysique
ou essai sur l'origine de l'ame humaine, ib. 1751.
Ueber Lamettrie handelt Neree Quepat, la phil. materialiste au XVIIIe siecle.
Essay sur La Mettrie, sa vie et ses oeuvres, Par. 1873. Du Bois-Reymond, L. M., Rede
in d. öffentl. Sitzung der Akad. d. Wissensch., Berl. 1875, wieder abgedr. in: Reden,
Bd. 1. Den Versuch, Lamettrie gerechter, als es gewöhnlich geschieht, zu würdigen,
macht Lange in seiner Gesch. des Materialismus und giebt zugleich die beste Dar-
stellung von Lamettries Doetrin.
Oeuvres completes de Cond iMac, Paris 1798, 23 vol., spätere Editionen in
31 Bdn. 1803, in 15 Bdn. 1822. Essai sur l'origine de* connaissances humaines, Auist.
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§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert.
1746; Traite des systemes ib. 1749; Rei-hercb.es sur l'origine de» idees que nou» avons
de la beaute, ib. 1749; Traite des sensations, Paris et Lundres 1754, übers, ins
Deutsche u. mit Erläuterungen versehen von Eduard Johnson, in d. Philo«. Biblioth.
Berl. 1870; Traite des aniniaux, Anist. 1755; Cours d'etudes pour l'instruction du prince
de Parmc, 13 voll., Panne 1769—73 (darin u. a.: Art de penser, Histoire generale des
hommes et des enipires); Logique, Par. 1781.
Ueber Condillac handeln u. A.: F. Rethore, C. ou l'empirisme et le rational isme,
Par. 1864. L. Robert, les theories logiques de Condillac, Paris 1809. F. Picavet,
Traite des sensations de C. Premiere partie, publ. d'apres l'edition de 1799, augmente
de l'extrait raisonne des variantes de l'edition de 1754, de notes historiques et expli-
cations, d'une introduetion de l'eclaircissemcnt, Par. 1885. Konr. Burger, Ein Beitrag
zur Beurtheil. C.s, Pr. von Eisenberg, Altenb. 1885. — Ueber Bonnet handelt Albert
Ijemoine, Charles B. de Geneve, philosophe et naturaliste, Paris 1850, Caramon, duc
de, Ch. Bon., philosophe et natur., sa vie et ses oeuvres. Par. 1859.
Ueber d'Alembert handeln J. Bertrand in der Revue des deux mondes 1865,
Bd. 59, S. 984-1006, Lord Brougham, lives of philosophers of (he tiuie of George III.
(Works, Vol. I, S. 383—467). — Diderot» philos. Werke sind in 6 Bd., Amst. 1772,
die sämmtl. Werke besond., Paris 1798 (durch Naigeon) und Par. 1821 ersch., wozu
die Correspondance philos. et crilique de Grimm et Diderot, Par. 1829, und die unten
erwähnten Memoires Ergänzungen liefern. Oeuvres completes, Par. 1875 ff. Umfassende
Werke über Diderot sind: K. Rosenkranz, Diderot» Leb. u. Werke, Lpz. 1866 u.
J. Morley, Diderot and the Encyclopaedist», 2 vol., London 1878, new ed. 1886.
C. Avezae-Lavigne, D. et la societe. du buron d'Holbach, Paris 1878. Edm. Scherer,
üb. Diderot, 1880. Vgl. auch den Artikel von Rosenkranz über Diderot» Dialog:
Rameaus Neffe in: der Gedanke, Bd. V, 1864, S. 1-25. Vgl. übrigens Dr. Antoine
v. B. v. H., Principaux ecrits relatif» ä la personne et aux oeuvres, au temps et ä
l'influence de Denis Diderot, ou Essai d'une bibliographie de Diderot, Am«terd. 1885 (?).
— Ueber Condorcet handelt John Morley in: the Fortnightly Review 1870, XIII,
8. 16—40, 129—151. — Ueber Robin et handelt (ausser Dumiron a. a. O.) Rosenkranz
in: der Gedanke, Bd. I, 1861, S. 126 ff.
Ho Ibach »oll anonym ausser dem Systeme de la nature eine Reihe von Schriften
verfasst haben, die »ich gegen supranaturalistische Docfrinen richten, insbesondere Lettre»
ä Eugenie ou preservatif contre les prejuges 1768. Examen crit. sur la vie et les
ouvrages de St. Paul, 1770. Le bon sens ou idees naturelles opposees aux idee* sur-
naturclle8, 1772. La politique naturelle ou discours sur les vrais principe» du gouverne-
ment, 1773. Systeme social, 1773. Elements de la morale universelle, 1776. L'ethocratie
ou le gouvernement fonde sur la morale universelle, 1776. Einige öfters Holbach zu-
geschriebene, direct gegen die christliche Theologie gerichtete Schriften haben ander«
Verfasser, wie Damilaville und Naigeon.
Unter den französischen Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts, welche
philosophische Probleme berühren, hüben die meisten weit mehr um die allgemeine
Bildung und um die Umgestaltung der kirchlichen, politischen und socialen Ver-
hältnisse, als um die Philosophie als Wissenschaft sich Verdienste erworben. Eine
eingehendere Darstellung des Kampfes gegen den Despotismus in Staat und Kirche
gehört mehr in die politische Geschichte und in die Geschichte der Litteratur und
Cultur, als in die Geschichte der Philosophie. Besonders die Ausbildung des
Sensualismus und des Materialismus hat philosophisches Interesse.
Nachdem Fontenelle (1657—1757) in seinen 1686 erschienenen Entrctiens
sur la pluralite des mondes die astronomische Doctrin des CopernicoB und des
Cartesius popularisirt hatte, ward für die newtonsche Lehre das Gleiche besonders
durch Voltaire (21. Nov. 1694 bis 30. Mai 1778) geleistet, der vielleicht zumeist
durch die moderne Astronomie und überhaupt durch die mathematische Erkenntniss
des Naturmechanismus zur Ueberzeugung von der Unhaltbarkeit der kirchlichen
Dogmatik geführt wurde und sich deren Sturz zur Lebensaufgabe setzte. Die streng
wissenschaftliche Widerlegung der cartesianischen und Begründung der newtonschen
Doctrin hat in Frankreich vor Allen Pierre Morean de Maupertuis (1698 — 1759»
seit 1746 Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften) geleistet, der 1732
der Pariser Akademie seine Denkschriften: Sur les lois de l'attraction und Discoure
§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert.
187
sur la figure des astres einreichte und bei der zum Behuf der Losung der Streit-
frage über die Figur der Erde 1736 unternommenen Gradmessnng die Expedition
nach Lappland leitete, wobei ihm namentlich Clairaut zur Seite stand; später hat
Maupertuis einen Essai de philos. morale, 1749, und ein Syst. de la nature, 1751,
Essai de cosraol., Dresden 1752, verfasst. Die Beziehungen der astronomischen
Theorie aber zu der gesummten Weltanschauung hat vornehmlich Voltaire den
Gebildeten zum Bewusstsein zu bringen gesucht. In den Jahren 1726—29 hielt Bich
Voltaire in London auf (wo er seinen Namen Arouet in Voltaire, ein Anagramm
von Arouet 1. j , d. h. Arouet le jeune umänderte). Die mathematische Physik und
Astronomie erfreute sich damals des lebendigen Interesses der Gebildeten. In einem
1728 geschrieb. Briefe sagt V.: „Wenn ein Franzose in London ankommt, so findet
er einen sehr grossen Unterschied in der Philosophie sowohl, als in den meisten
andern Dingen. In Paris verliess er die Welt ganz voll von Materie; hier findet
er völlig leere Räume. In Paris sieht man das Universum mit lauter ätherischen
Wirbeln besetzt, während hier in demselben Raum die unsichtbaren Kräfte der
Gravitation ihr Spiel treiben. Li Paris malt man uns die Erde länglich wie ein
Ei, und in London ist sie abgeplattet wie eine Melone. Iu Paris macht der Druck
des Mondes die Ebbe und Fluth; in England gravitirt vielmehr das Meer gegen
den Mond, so dass, wenn die Pariser von dem Monde eben Hochwasser verlangen,
die Herren in London zu derselben Zeit Ebbe haben wollen." Die Lettres sur les
Anglais, 1728 verfasst, wurden zuerst in London veröffentlicht; in Frankreich
erschienen dieselben 1734. Im Jahre 1738 veröffentlichte V. zu Amsterd. die
Elements de la philos. de Newton, mis ä la portee de tout le monde, die in Frank-
reich erst 1741 erschienen, weil anfangs der cartesianisch gesinnte Censor d'Aguesseau
der, wie er meinte, unpatriotischen und unvernünftigen Schrift die Druckerlaubniss
versagte; daran schloss sich die Schrift: La metaph. de Newton ou parallele des
sentiments de Newton et de Leibniz, Amst 1740. Aber nicht bloss die Naturlehre
sondern auch die politischen Einrichtungen der Engländer zogen V. an; schon
vorher kirchlichem und bürgerlichem Despotismus feind, bildete er besonders durch
den Aufenthalt in England seine politischen Anschauungen bestimmter aus. Er
sagt: la liberte consiste ä ne dependre que des lois. Gleichheit ist nicht schlechthin,
sondern nur als Gleichheit vor dem Gesetz möglich. In die Geschichtschreibung
hat V. die durchgängige Mitberücksichtigung der Sitten und Bildung der Völker
eingeführt. In der Erkenntnisslehre, Psychologie, Ethik uud Theologie schloss Bich
V. zumeist an Locke an, dessen Lehre von der Seele sich zu der des Descartes
und des Malebranche verhalte wie die Geschichte zum Roman. V. nennt Locke
einen bescheidenen Mann von massigem aber solidem Besitz; er sagt (in der 1767
geschrieb. Abhdlg. : Le philosophe ignorant): „apres tant de courses malheureuses,
fatigue, harasse, honteux d'avoir cherche tant de vörites et trouv6 tant de chimeres,
je suis revenu ä Locke comme l'enfunt prodigue qui retourne chez son pere, je
me suis rejetö eutre les bras d'un homme modeste qui ne feint jamais de savoir
ce qu'il ne sait pas, qui, ä la verite, ne possede pas de richesses immenses, mais
dont les fonds sont bien assures et qui jouit du bien le plus solide sans aueune
ostentation." V. betont stärker als Locke die Möglichkeit der Annahme, dass
die Materie denken könne. Er kann sich nicht überzeugen, dass eine unräumliche
Substanz wie ein kleiner Gott inmitten des Gehirns wohne, und ist geneigt,
die substantielle Seele für eine „abstraction realisee« zu halten, gleich der antiken
Göttin Memoria oder gleich einer etwaigen Personification der blutbildenden
Kraft. Alle unsere Vorstellungen stammen aus den Sinnen. V. sagt (Lettre
Xin. sur les Anglais): Personne ne me fera jamais croire que je pense toujoure,
et je ne suis pas plus dispose que Locke ä imaginer que, quelques semaines apres
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§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert.
ma conception, j'etais une ame fort savante, sachant alore mille choses que j'ai
oubliees en naissant et ayant fort inutilement possede dans l'uterus des conuaia-
sances qui m'ont 6chappe des que j'ai pu en avoir besoin et que je u'ai jamais
bien pu repreudre depuis". Doch erkennt V. an, dass gewisse Ideen, insbesondere
die moralischen, obschon sie nicht angeboren sind, mit Notwendigkeit aus der
menschlichen Natur herfliessen und nicht bloss conventioneile Geltung haben.
Das Dasein Gottes hält V. mit Locke für beweisbar (durch das kosmologische und
besondere durch das teleologische Argument); zugleich aber findet er in dem
Glauben an einen belohnenden und rächenden Gott eine nothwcndige Stütze der
moralischen Ordnung; er sagt in diesem Sinne: „si Dieu n'existait pas, il faudrait
l'inveuter, mais toute la nature nons cric qu'il existe". Die leibuizische Lehre,
dass die bestehende Welt die beste unter allen möglichen Welten sei, pereifflirt
V. in der 1757 nach dem Erdbeben von Lissabon erschienenen Schrift: Candide
ou sur l'Optimisme, obschon er früher selbst der optimisti jchen Ansicht sich zu-
gewandt hatte. Der Philosoph Pangloss in Candide ist eine Caricatur von Leibniz.
V. hält das Problem, wie das Uebel in der Welt mit Gottes Güte, Weisheit und
Macht zu vereinigen sei, für unlösbar, hofft auf den Fortschritt zum Besseren und
fordert, dass wir vielmehr im Haudeln, als in undurchführbarer Speculatiou unsere
Befriedigung suchen; er will im Collisionsfalle lieber Gottes Macht als Gottes
Güte beschränkt denken. Y. hat iti seiner früheren Zeit die Willensfreiheit im
Sinne des Indeterminismus behauptet, später jedoch die Gründe für den Determi-
nismus alB unabweisbar anerkannt. Die Annahme der Unsterblichkeit gilt ihm aus
praktischen Rücksichten für unentbehrlich. Der Essai sur les moeurs et 1'esprit
des uations erschien zuerst unter diesem Titel 1765 und besteht aus zwei schon
früher veröffentlichten Schriften: Philosophie de l'histoire — dieser Terminus rührt
von Voltaire her — und Histoire universelle. Es finden sich in dem Essai viele
Gedanken, darunter auch neue, über die Entwicklung der menschlichen Gesell-
schaft: der Mensch ist das Erzeugniss des Erdballs. Die im Menschen schlum-
mernden Anlagen zur Cultur sind durch Noth und Mangel geweckt Die mensch-
liche Gesellschaft besteht, so lange Menschen existiren. Die Vernunft zeigte sich
bei dem Menschen zuerst in den Tugenden der Gerechtigkeit und des Mitleids.
In Bewegung wird die menschliche Gesellschaft durch Natur und Gewohnheiten,
die sich ändern, gehalten. Da nun diese mit einander im Kampfe stehen, so ist
eine Ab- und Zunahme der Cultur zu erblicken, nur ein relativer Fortschritt in
der Geschichte der Menschheit
Charles de Secondat, baron de la Brede et de Montesquieu, geb. 18. Jan.
1689 zu Brede, gest. 20. Febr. 1755 zu Paris, hat bereits in den Lettres persanes,
Paris 1721 den Absolutismus in Staat und Kirche bekämpft, dann in den Con-
siderations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur decadence, Paris
1734, gezeigt, dass nicht sowohl der Zufall einzelner Siege oder Niederlagen, als
vielmehr die Macht der Gesinnung, die Liebe zur Freiheit, zur Arbeit und zum
Vaterland das Geschick der Staaten und Völker bedinge, endlich in seinem Haupt-
werke, dem Esprit des lois, Genf 1748 u. ö., die Grundlagen, Bedingungen und
Bürgschaften der politischen Freiheit untersucht In der ersten Schrift vor seinem
Aufenthalt in England (1728-29), erscheint ihm die Staatsform der Schweiz und
der Niederlande, in den späteren Schriften aber, besondere im Esprit des lois, die
englische Verfassung als die vorzüglichste unter den bestehenden. Montesquieu
hat in dem Esprit des lois aus der concreten Form des englischen Staates den
abstracto i Schematismus der constitutionellen Monarchie entnommen und sich
dadurch um die Theorie und Praxis des modernen Staates einerseits ein grosses
und unbestreitbares Verdienst erworben, andererseits aber auch, obschon er prin-
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§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert. [h9
cipiell die Verschiedenheit der Verfassungen nach der Verschiedenheit des Geistes
der Nationen fordert („le gouvernement le plus conforme ä la nature est celui
dont la disposition particuliere se rapporte mieux ä la disposition du peuple pour
lequel il est etabli*\ doch thatsächlich dazu Anlas« gegeben, Hinrichtungen, die
nur unter bestimmten Voraussetzungen zweckmässig sind (wie die völlige Trennung
der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen Gewalt, die Sonderung der
aristokratischen und demokratischen Elemente in ein Ober- und Unterhaus, die sich
gegenseitig durch ihr Veto binden sollen, freilich auch leicht lähmen können), als
allgemein gültige Normen eines geordneten und freien Staatslebens anzusehen und
auf Verhältnisse zu übertragen, unter welchen sie nur zu unheilbaren Conflicten,
zu unheilvoller Verwechslung juridischer Fictionen mit Thatsachen, zur Stockung
der Gesetzgebung, zur Lockerung der Rechtssicherheit und zur Gefährdung der
Existenz des Staates selbst zu führen vermochten.
Den Ursprung der Kunst sucht Jean Baptiste Dubos (geb. 1760 zu Beauvais,
gest. zu Paris 1742) in seinen Reflexions critiques sur la poösie, la peinture et
la musique, Par. 1719 u. ö., in dem Bedürfniss einer solchen Anregung der Affecte,
welche von den Inconvenienzen, die sich im wirklichen Leben daran knüpfeu,
getrennt sei. „L'art ne pourrait-il pas trouver le moyen de separer les mauvaises
suites de la plupart des passions d'avec ce qu'elles ont d'agreable? la poesie et
la peinture en sont venues ä bout." Dass die Aufgabe der Kunst in einer Er-
hebung über die gemeine Wirklichkeit durch Nachahmung der schönen Nutur
liege, lehrt Charles Batteux (1713 — 1780; les beaux arts rednits ä un meme
principe, Par. 1746), ohne jedoch den Begriff des Schönen genügend zu bestimmen.
Jean Jacques Rousseau (geb. zu Genf 1712, gest. 1778 zu Ermenonville) sucht
den Uebeln einer entarteten Cultur, die er tief empfindet, aber nicht durch positiven
Fortschritt zu überwinden weiss, durch Rückgang auf einen erträumten Natur-
zustand zu entgehen. Für geschichtliche Entwickelung hat unter den Koryphäen
der Aufklärung im achtzehnten Jahrhundert Rousseau am wenigsten Verständniss.
Rousseaus politisches Ideal ist die Freiheit und Gleichheit der reinen Demokratie.
Der Vernunftglaube an Gott, Tugend und Unsterblichkeit ist ihm um so mehr
Gemüthsbedürfniss, je weniger die sittlichen Ideen seinen Willen beherrschen; er
bezeugt diesen Glauben am eifrigsten nach dem ersten Hervortreten des Materialismus
und Pantheismus Diderots und anderer Encyclopädisten, wogegen Holbachs
atheistisches Natursystem erst nach Rousseaus Schriften und im Gegensatz zu
denselben erschienen ist. Rousseau war eine eitle und calumuiatorische Natur; er
hat seine moralische Misere rhetorisch herauszuputzen und die Personen, welche
das Unglück hatten, mit ihm in nähere Berührung zu kommen, bei der Mit- und
Nachwelt in Übeln Ruf zu bringeu gewusst. In der Revolutionszeit ist, wie für die
Gestaltung der constitutionellen Monarchie Montesquieu < Staatsideal, so für
Robespierres Tendenzen Rousseaus Doctrin maassgebend gewesen.
Julien Üffroy de la Mettrie, geb. 1709 in St. Malo, zu Paris von Jansenisteu
gebildet, dann (seit 1733) unter Bo erhave (1668— 1738), der als Philosoph der An-
sicht des Spinoza sich zuneigte, Medicin studirend, gelangte durch Beobachtungen,
die er, von einem hitzigen Fieber befallen, über den Einfluss der Blutwallungen
auf das Denken an sich selbst anstellte, zu der Ueberzeugung, dass die psychischen
Functionen aus der Organisation des Körpers zu erklären seien, und äusserte die-
selbe in der Histoire naturelle de l'äme, einer Schrift, die auf Befehl des Parlaments
vom Scharfrichter verbrannt wurde, und in Folge deren Lamettrie selbst seine
Stelle als Militärarzt verlor. Er sprach in ihr die Ansicht ans, dass alles Denken
und Wollen aus den Empfindungen stamme, uud der Unterricht dasselbe entwickele.
Keine Sinneseindrücke, keine Ideen, wenig Erziehung oder wenig Unterricht, wenig
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190 § 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert.
Ideen. Ein ausserhalb des menschlichen Verkehrs aurgewachsener Mensch, sagt
Lamettrie im Anschluss an Arnobius (s. Grdr. II, § 14), würde geistig leer sein.
Die „Seele" wächst mit dem Leibe und nimmt mit ihm ab: „ergo participem leti
quoque convenit esse". Von diesem Standpunkte, den seine erste Schrift begründet,
geht Lamettrie in seinem bekanntesten Werke: L'homme machine (bei welcher
Schrift der descartesische Mechanismus noch mehr als der lockesche Empirismus
von maassgebendem Eiufluss war) und anderen Schriften aus. Er vertritt hierin
unverblümt den Atheismus und Materialismus, wenngleich letzterer bei ihm mehr
anthropoloirischer als kosmologischer Art war, so dass er sich nicht deutlich über
die Zusammensetzung der Materie ausspricht. Ein Staat von Atheisten würde nach
ihm der allerglück] ichste sein. Gegenüber der Moral der Abstinenz sucht Lamettrie,
zu dem entgegengesetzten Extrem fortgehend, in einer noch mehr künstlich über-
spannten als frivolen Weise den sinnlichen Genuas zu rechtfertigen. Doch besteht
nach ihm der Unterschied des Guten und Bösen darin, dass bei jenem das öffent-
liche Interesse dem privaten vorausgeht, bei diesem das Umgekehrte der Fall ist.
Die Macht der Convention und der Charlatanerie im menschlichen Leben entlockt
ihm die bittere Bezeichnung desselben als eines Possenspiels. An dem Hofe
Friedrichs des Grossen fand Lamettrie 1748 eine Zuflucht und wurde Mitglied der
Akademie in Berlin. Er starb daselbst 1751. Der König hat selbst sein Eloge
geschrieben (wiederabg in Assezats Ausg. v. l'homme mach., Par. 1865), ohne
damit aber erkennen geben zu wollen, dass er allen Ansichten Lamettries bei-
stimme.
Etienne Bonnot de Gondillac (geb. zu Grenoble 1715, widmete sich dem
geistlichen Berufe, wurde Erzieher des Infanten, späteren Herzogs Ferdinand von
Parma, starb 1780 auf seinem Landgute Flux bei Beaugency) steht in seinen
frühesten Schriften im Wesentlichen noch ganz innerhalb des lockeschen Gedanken-
kreises, geht aber in dem Traite des sensations und den späteren Schriften
darüber hinaus. Von seinen Vorurtheilen behauptete er durch ein Fräulein Ferrand,
mit dem er befreundet war, befreit worden zu sein. Er erkennt nicht mehr in der
inneren Wahrnehmung eine zweite, selbständige Quelle von Vorstellungen neben
der sinnlichen Wahrnehmung an, sondern sucht aus der letzteren als der einzigen
Quelle alle Vorstellungen abzuleiten. Er strebt danach, die sämmtlichen psychischen
Functionen genetisch zu begreifen, indem er sie als Umbildungen der Sinneswahr-
nehmung (Sensation transformSe) auffasst Um darzuthun, dass ohne die Annahme
angeborener Ideen aus der blossen Sinnesempfindung die sämmtlichen psychischen
Processe sich ableiten lassen, macht Condillac die Fiction, dass einer Marmorstatue
(die als eine durch eine Marmorhülle gegen die Anssenwelt abgeschlossene Seele ohne
alle Vorstellungen zu denken ist) nach einander die einzelnen Sinne gegeben werden und
zwar zunächst der Geruchssinn. Dieser Sinn liefert Perceptionen, welchen Bewusst-
sein zukommt. Einer einzelnen Pereeption gehört die Empfindungsfähigkeit ganz
an; von mehreren werden die stärkeren mehr beachtet, d. h. auf sie richtet sich
die Aufmerksamkeit. Eindrücke bleiben zurück, indem die vom Organ auf das
Gehirn übertragene Erregung die Affection selbst überdauert, d. h. die Statue hat
Gedächtniss. Wenn eine Bewegung vom Sinnesorgan zum Gehirn sich fortpflanzt,
so habe ich eine Empfindung; wenn dieselbe Bewegung im Gehirn beginnt und bis
zum Organ fortgeht, so habe ich eine Sinnestäuschung; wenn diese Bewegung im
Gehirn beginnt und endet, so erinnere ich mich der gehabten Empfindung. Treten
gleichzeitig neue sinnliche Perceptionen ein, so involvirt das Getheiltsein der Em-
pfindnng zwischen denselben die Verglcichung und das Urtheil. Die ursprüngliche
Verbindung und Folge der Perceptionen bedingt ihre Associationen bei der Re-
produetion. Die Seele verweilt bei den Vorstellungen, die ihr angenehm sind;
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§ 21. Die französische Philosophie irn 18. Jahrhundert.
191
hieran knüpft sich die »Sonderung einzelner Vorstellungen von anderen oder die
Abstraction. Treten die übrigen Sinne hinzu, und associiren sieh die Vorstellungen
mit den Worten als ihren Zeichen, so wird die Bildung eine reichere. Der Tast-
sinn unterscheidet sich von den übrigen Sinnen darin, dass er uns die Existenz
äusserer Objeete empfinden lässt. Jeder Kindruck, der uns etwas kennen lehrt, ist
eine Idee (Vorstellung): intellectuelle Vorstellungen sind Erinnerungen an Em-
pfindungen. Wie Farben, Töne etc. uns zunächst nur als subjective Empfindungen
bekannt sind, so auch die Ausdehnung; es könnte sein, dass auch diese nicht den
Dingen an sich zukommen. Erinnert sich die Seele einer vergangenen Lustempfindung,
so entspringt daraus das Begebren. Das Ich ist die Gesammtheit der Sensationen.
Le moi de chaque homme n'est que la collection des sensations qu'il eprouve et
de celles que la memoire lui rappelle, c'est tout ä la fois la conscience de ce qu'il
est et le souvenir de ce qu'il a ete. C'ondillac ist Sensualist, aber nicht Materialist.
Er hält nicht für möglich, dass die Materie empfinde und denke; denn als aus-
gedehnt und theilbar sei dieselbe ein Aggregat, das Empfinden und Denken aber
setze die Einheit des Subjectes (Substrates) voraus. Er nimmt ein immaterielles
Seelenwesen an. Nicht die Sinne empfinden, sondern die Seele auf Veranlassung
der Organe, und aus Empfindungen, durch welche ihr Zustand sich ändert, gewinnt
sie alle ihre Erkenntnisse und Fähigkeiten. — In dem Grundgedanken, dass alle
Seelenthätigkeiten anf eine einzige, die Empfindung, zurückzuführen seien, geht
namentlich später Herbart auf Condillac zurück.
Der Schweizer Charles Bonnet (13. März 1720 bis 20. Mai 1793; Oeuvres,
Neufchätel 1779) betrachtet in seinem 1748 entworfenen, Lond. 1755 erschienenen
(v. Chr. W. Dohm 1773 ins Deutsche übersetzten) Essai de psychologie ou Consi-
derations sur les Operations de l'äme, dem er 1760 einen Essai analytique sur les
facultes de l'äme (deutsch von Chr. Gottfr. Schütz, 2 Bde., 1770 u. 1771) folgen Hess,
die Sinncsempfindung als die psychische Reaction gegen die äussere Einwirkung
(eine Auffassung, wodurch die übliche Vergleichung der Perception mit dem Be-
schriebenwerden einer leeren Tafel rectificirt wird). Er sucht die durchgängige
Bedingtheit der psychischen Functionen durch Nervenbewegungen darzuthun,
weiss jedoch diese Ansicht mit seinem religiösen Glauben (wie Priestley) durch
die Annahme einer Wiederauferweckung des Leibes zu vereinigen. In seinem
Werke: La Palingönesie philosophique ou idees sur l'etat passe et sur l'etat futur
des etres vivants, 2 Bde., Genf 1769, deutsch von Lavater 1769, nimmt er die
Fortdauer der denkenden Substanz in einem wiedererweckten Leibe an und sucht
sie mit seinen sonstigen philosophischen Lehren in Uebereinstimmung zu bringen.
Denis Diderot (1713 — 1784i und der Mathematiker Jean d'Alembert
(1717 — 1783) sind die Begründer und Herausgeber des das Gesammtgebiet der
Wissenschaften und Künste umfassenden Werkes: Encyclopedie ou Dictionnaire
raisonne de9 sciences, des arts et des metiers, in 28 Bänden, Paris 1751—72; dazu
Supplement in 5 Bänden, Amst. 1776—77, und Table analytique in 2 Bänden,
Paris 1780. Beiträge zu dieser Encyclopädie haben auch Voltaire, Rousseau (der
jedoch später, seit 1757, als Gegner der Encyclopädisten auftrat), Grimm, Holbach,
Turgot, Jaucourt und andere geliefert. Die treffliche Einleitung (Discours prcli-
minaire), worin unter Ankuüpfang an Francis Bacon über die Gliederung und die
Methode der Wissenschaften gehandelt wird, ist von d'Alembert verfasst worden
(der seit 1757 au der Redaction der Encyclopädie sich nicht mehr betheiligtei.
D'Alembert, der Mathematiker, ist in der Metaphysik Skeptiker. Er ist versucht
zu glauben, dass es ausser uns nichts gebe, was dem, das wir zu seheu meinen,
entspreche. Die Verbindung der Theile in den Organismen scheint auf eine bewusste
Intelligenz hinzuweisen; aber wie diese zur Materie sich verhalten könne, ist un-
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§ 21. Die franzosische Philosophie im 18. Jahrhundert.
denkbar. Weder von der Materie noch vom Geist haben wir eine deutliche und
vollständige Idee. Diderot ist von einem offenbarungsgläubigen Theismus aus
bis zum Pantheismus fortgegangen, der in dem Naturgesetz und in der Wahrheit,
Schönheit und Güte die Gottheit erkennt. Durch den Gedanken, dass aller Materie
Empfindung innewohne, überschreitet er den Materialismus, indem er diu letzte
Consequenz desselben zieht. An die Stelle der leibnizischen Monaden setzt er,
allerdings im Anschluss an Robinet und Maupertuis, Atome, in welchen Empfin-
dungen gebunden liegen. Die Empfindungen werden bewusste in dem animalischen
Organismus. Aus den Empfindungen erwächst das Denken. Um zu erklären, wie
aus den Empfindungen die Einheit des Bewusstseins entsteht, wie die Empfindungen
von einem Atom zu dem andern kommen und in einander fiie3sen, nimmt Diderot
an, dass die empfindenden Theilchen einander unmittelbar berühren und so gleich-
sam ein Continuum bilden. Hiermit ist dann die eigentliche Atomistik aufgegeben.
In der Schrift: Principes de la philos. morale ou essay sur le mörite et la vertu,
1745, die fast nur Shaftesburys Inquiry concerning virtue and merit wiedergiebt,
bekeimt sich Diderot zum Offenbarungsglaubeu, den er nicht mehr in den Pensees
philosoph., ä la Haye 1746, hegt und noch weniger in der 1747 geschriebenen, erst
im 4. Bande der Memoires, Correspoudancc et Ouvrages inedits de Diderot, Paris
1830, veröffentlichten Promenade d'un sceptique. Nach mehreren Schwankungen
fi.xirt sich sein philosophischer Standpunkt in den Petsees sur l'interpretatiou de
la nature, Paris 1754; die eingehendste, bei aller Leichtigkeit der Form und allem
Fernhalten äusserlichen Beweisapparats von einem tiefen Blick in den Zusammen-
hang der philopophischcn Probleme zeugende Schrift: Entretien entre d'Alembert
et Diderot, nebst: Le Reve d'Alembert, 1769 verfasst, ist gleichfalls erst im vierten
Bande der Memoires etc. veröffentlicht wordeu. Das Schöne findet Diderot im
Naturgeinässen. Er polemisirt gegen den Zwang von Kunstregeln, wie solche
insbesondere Boileau im Anschluss an die Forderungen des Horaz und anderer
Alten aufgestellt hatte.
Der Abbe Morelly hat, Lockes Aeusserung über die Schädlichkeit der über-
grossen Ungleichheit des Besitzes auf die Spitze treibend, und wohl auch durch
Piatons Staatslehre angeregt, in seinem Code de la nature, Amst. 1755, eine com-
munistische Doctrin aufgestellt. Der Eigeunutz, le desir d'avoir pour soi, aus dem
der Anspruch auf Privateigenthum stammt, ist die Quelle aller Streitigkeiten,
aller Barbarei, alles Unglücks. In ähnlicher Art verwischt Mably (1709—1783),
ein älterer Bruder Condillacs, in seiner 1776 erschienenen Schrift: de la legislation
ou principes des lois. die Grenze zwischen der Rechtsordnung und dem freien
Wohlwollen. Mehr dem Thatsächlichen zugewandt waren die national -ökonomischen
Forschungen der (das Interesse des Landbaues einseitig hervorhebenden) Physiokraten,
Quesnai (1697—1774) u. A., und des die Einseitigkeit derselben vermeidenden
Turgot (1727—1781), der eine Lettre sur le papier monnaie, Reflexion* sur la
formation et la distributiou des richesses, 1774, etc. verfusst hat, auch des Gegners
der Physiokraten, des Abbe Galiani, in seinen Dialogues sur le commerce des
bles, 1770 (vgl. Dubois-Reymond, Darwin versus G , Berlin 1876, wieder abgedr. in:
Reden, Bd. 1). Das Monopol und die Sclavcrei hat der Abbö Raynal in seiner
hist philos. du commerce des deux Indes bekämpft. An Morelly hat in der
Revolutionszeit Baboeuf sich angeschlossen.
Nachdem schon La Rochefoucuuld (Francois, Herzog, 1613—1680) in seiuen
1665 zuerst erschienenen Rcilcxions ou sentences et maximes morales (s. II. v. Vintler,
die Maximen des Herzogs von La Rochefoucauld, Pr., Innsbruck 1887) ausgeführt
hatte, dass alle unsere Handlungen ihre Quelle in der Eigenliebe haben, und
La Bruyere (1639—1696, s. M. Prevost-Paradol, Etudes sur les moralistes fruncais,
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§21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert. 193
Par. 1865) in seinen Caracteres, 1687, Aehnliches ausgesprochen hutte, findet Claude
Adrien Helvetius (1715-1771) in seinem Buche : de l'csprit, Paris 1758, und den
nach seinem Tode erschienenen Schriften: de l'homme, de ses facultas et de son
education, Londres (Amst.) 1772, deutsch mit Einleitung und Commentar von 6. A.
Lindner, Wien 1877; le vrai Bens du syst, de la nature, Lond. 1774 (deutsch zuletzt
u. d. T. 29 Thesen d. Materialismus etc., Halle 1873 (72); les progres de la raison
dans la recherche du vrai, Lond. 1775, in der Selbstliebe, vermöge deren wir nach
der Lust streben und die Unlust abwehren, das einzige praktische Motiv und hält
dafür, dass es nur der rechten Leitung der Selbstliebe durch Erziehung und Gesetz-
gebung bedürfe, um dieselbe mit dem Gemeinwohl in Einklang zu bringen. Völlige
Unterdrückung der Leidenschaften führt zur Verdummung; Leidenschaft befruchtet
den Geist, aber sie bedarf der Regelung. Wer sein Interesse so erstrebt, dass er
dadurch das Interesse Anderer nicht schädigt, sondern fördert, ist der gute Mensch.
Das Gemeinwohl ist die oberste Norm. Tont devient legitime pour le salut public
Nicht Aufhebung des Eigenthums, sondern Begründung der Möglichkeit, dass ein
Jeder zu Eigenthum gelange, Beschränkung der Ausbeutung der Arbeitskraft der
Einen durch die Anderen, Herabsetzung der Arbeitszeit auf sieben bis acht Stunden
des Tages, Verbreitung der Bildung sind die wahren legislatorischen Aufgaben.
Offenbar sind die Forderungen, die Helvetius an den Staat stellt, der Idee des
Wohlwollens entstammt, während er die Individuen an den Eigennutz gekettet
glaubt Sein Fehler ist, den stufenweisen Fortschritt von der ursprünglichen Selbst-
beschränktheit des Individuums zur Erfüllung mit dem Geiste engerer und weiterer
Gemeinschaften, die über egoistische Berechnung hinausführt, nicht gewürdigt zu
haben. Der Inhalt seiner Vorschläge ist besser, als deren Begründung. An Hel-
vetius schliessen sich, seine Principien mildernd und die unauflösliche Verbindung
des Glücks des Einzelnen und der Gesammtheit betonend, insbesondere Charles
Francois de St. Lambert (1716—1803; Cateehisme univereel, 1797) und Volney
(Constantin Francois de Chasseboeuf, 1757—1820; Catechisme du citoyen francais,
1793, in zweiter Auflage unter dem Titel: la loi naturelle ou principes physiques
de la morale, deduits de l'organisation de l'homme et de l'univers; oeuvres com-
pletes, Paris 1821, 2. ed. 1836) an. In der Schrift: die Ruinen (les rulnes ou
meclit. sur les revolotions des empires, 4. 6d., Par. 1808, deutsch von Forster,
Berlin 1792, 12. Aufi. Braunschw. 1872) macht Volney von dieser Ethik eine
g< escbi cht s philosophische Anwendung. Die französische Revolution gilt ihm als der
Versuch der Verwirklichung des Ideals der Vernunftherrschaft. Auf dem gleichen
Ideal beruht Condorcets (1743 — 1794) Geschichtsphilosophie (Esquisse d'un
tableau historique des progres de l'esprit humain, 1794), welche sich an Condillacs
Lehre anschloss (s. Gillet, l'utopie de C, Par. 1883).
Jean Baptiste Robinet (geb. zu Rennes 1735, gest. ebendaselbst am 24. Ja-
nuar 1820) hat in seinem Hauptwerke: de la nature, 4 vols., Amst. 1761—1766
(Vol. L, nouvelle 6dik, Amst 1763), wie auch in den Schriften: Considerations
philosophiques de la gradation naturelle des formes de l'fitre, ou des essais de la
nature qul apprend ä faire l'homme, Amst. 1767; Parallele de la condition et des
facultee de l'homme avec celles des autres animaux, trad. de V Anglais, Bouillon
1769, die Idee einer stufenmässigen Entwickelung der Wesen durchzuführen gesucht.
Robinet erkennt eine einheitliche, schöpferische Ursache der Natur an, glaubt
derselben aber Persönlichkeit nicht ohne täuschenden Anthropomorphismus beilegen
zu können.
Einen modificirten Spinozismus vertritt der Benedictiner Dom. Deschamps
in einem bald nach 1770 verfasaten, erst in neuerer Zeit durch Emile Beaussire
Ueberw«K-H«inze, Grondriw III. 7. Aufl. 13
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§ 21. Die französische Philosophie im 18. Jahrhundert
(Aatecedents de l'hegeliauisrae dans la philosophie francaise, Paris 1866) ver-
öflfentlichten Manoscript. Der Fundamentalsatz desselben lautet: „le tout universel
est un etre qui existe, c'est le fond dont tous les etres sensibles sont des nuances".
Die Wahrheit vereinigt in sieh Contradictorisches. Den spinozistischen Dualismus
der Attribute, Denken und Ausdehnung, sucht Deschamps durch einen hylozoistischen
Monismus aufzuheben. (Vgl. Journal des sav. 1866, 8. 609—624.)
Das systematische Hauptwerk des französischen Materialismus im achtzehnten
Jahrhundert ist das von dem Baron Paul Heinrich Dietrich von Holbach
(geb. 1723 zu Heidelsheim bei Bruchsal in der Pfalz, gest. am 21. Februar 1789
zu Paris), einem Freunde Diderots, verfasste Natnrsystem: Systeme de la nature
ou des lois du monde physique et du monde mural, Lond. (in Wirklichkeit Amst
od. Leyden) 1770 (vorgeblich par feu Mlrabaud, gest. 1760, welcher Secretair der
Pariser Akademie gewesen war). Ins Deutsche übersetzt, Frankf. u. Leipz. 1783,
auch mit Anm., Leipzig 1841. Holbachs System vereinigt in sich alle bis dahin
mehr vereinzelt ausgebildeten Elemente der empiristischen Doctrin: den (la-
mettrieschen) Materialismus, den (condillacschen) Sensualismus, den (auch von
Diderot anerkannten) Determinismus, den Atheismus (den es selbst am offensten
erklärt, zum Theil nach dem Vorgange einer aus dem ersten Viertel des acht-
zehnten Jahrhunderts stammenden, vielleicht von dem Altertumsforscher Nie.
Freret, geb. 1688, gest. als Secretair der Akademie der Inschriften 1749, verfassten
Lettre de Thrasybnle ä Leucippe, worin der religiöse Glaube für eine Verwechslung
des Subjectiven mit dem Objectiven erklärt wird) und die (von Helvetius vertretene,
von Holbach durch Betonung des Gesammtinteresses gemilderte) auf das Princip
der Selbstliebe oder des wohlverstandenen Interesses gebaute, aber in ihren Forde-
rungen sachlich mit der Doctrin des Wohlwollens grösstentheils übereinkommende
Moral. Wesen, die jenseit der Natur stehen sollen, sind nur Geschöpfe der Ein-
bildungskraft. In Wirklichkeit giebt es nur Atome, die sich nach inneren Gesetzen
bewegen. Vermittelt wird die Bewegung durch das Streben der Dinge, in ihrem
Sein zu verharren, und dadurch, dass sich die Dinge abstossen und anziehen. In
der Physik heissen diese drei Bedingungen der Bewegung Trägheit, Repulsion,
Attractiou, in der Moral Selbstliebe, Haas, Liebe. Beides ist ganz dasselbe.
Die Vorstellung von Gott ist nicht nur unnöthig, sondern sogar schädlich
und muss fern gehalten werden. Sie erklärt nichts, tröstet Niemanden, sondern
ängstigt nur.
Der Naturforscher Buffon (1707-1788) theilte die naturalistische Grundansicht,
ohne dieselbe offen und rückhaltlos zu äussern. An Condillac anknüpfend, aber
über ihn hinausgehend, hat Cabanis (1757—1808; rapports du physique et du
moral de l'homme, 1798—99 in den Mein, de l'institut, dann separat 1802 u. ö.)
die Physiologie und Psychologie im materialistischen Sinne ausgebildet. Destutt
de Tracy (1754—1836; Elements d'ideologie, Par. 1801—16; Commentaire sur
l'esprit des lois de Montesquieu, Par. 1819), Laromiguiere (LeconB de philo«,
ou essai sur les facultes de l'äme, Par. 1815—18) u. A. haben in den ersten Jahr-
zehnten des neunzehnten Jahrhunderts den Sensualismus theils fortzubilden, theils
zu mildern gesucht, aber theils an kirchlich gesinnten Philosophen, theils an Royer-
Collard und Victor Cousin, die theils an Descartes, theils an schottische und
deutsche Philosophen sich anschlössen, und der von ihnen gegründeten eklektischen
oder spiritualistiscben Schule Gegner gefunden, die ihren Einfluss beträchtlich
beschränkt haben. Vgl. Darairon, Essai sur l'histoire de la philo s. en France au
dix-neuvieme siecle, Paris 1828. Genaueres darüber b. Abschn. IV dieses Bdes.
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§ 22. Der humeache Skepticismns u. seine Bekämpfet»: Reid, Beattie etc. 195
§ 22. Gleichzeitig mit der französischen Aufklärung und in
Wechselwirkung mit derselben hat sich der humesche Skepti-
cismus entwickelt. David Hume (1711 — 1776), Philosoph, Staats-
mann und Historiker, steht auf dem Boden des lockeschen Empirismus,
bildet denselben aber besonders mittelst seiner Untersuchungen über
den Ursprung und die Anwendbarkeit des Begriffs der Cauaalität
zum Skeptici8mus um. Er findet den Ursprung des Causalbegriffs in
der Gewohnheit, vermöge deren wir, wenn sich ähnliche Fälle wieder-
holen, beim Eintreten der einen Begebenheit das Eintreten der andern,
die sich uns oft mit ihr verbunden gezeigt hat, erwarten, und beschränkt
die Anwendbarkeit dieses Begriffe auf solche Schlüsse, wodurch wir aus
gegebenen Thatsachen nach Analogien der Erfahrung auf andere
schliessen. Hume negirt demgemäss die Erkennbarkeit der Art und Weise
des objectiven Zusammenhangs zwischen Ursachen und Wirkungen
und die philosophische Berechtigung, vermöge des Causalbegriffs das
Gesammtgebiet der Erfahrung zu überschreiten und auf das Dasein
Gottes und die Unsterblichkeit der Seele zu schliessen. In seinen
Untersuchungen über den Substanzbegriff kommt er zu dem Resultat,
dass die Substanz nur eine Erdichtung unserer Phantasie ist, um den
Zusammenhang verschiedener Qualitäten zu Stande zu bringen. — In
Deutschland ist Immanuel Kant zumeist durch Humes Skepticismus
zur Ausbildung seines Kriticismus angeregt worden. — Humes
ethisches Princip ist das Gefühl der Glückseligkeit und des Elends
der Menschen. Das moralische Urtheil beruht auf dem Wohlgefallen
oder Missfallen, welches eine Handlung in dem Betrachter derselben
erregt. Vermöge der natürlichen Sympathie des Menschen mit dem
Menschen ruft ein Handeln, welches auf das Gemeinwohl geht, Beifall,
ein gemeinschädliches aber Missfallen hervor. Jedoch gelten auch
Handlungen, die das individuelle Wohl bezwecken, für werthvoll. —
Der besonders als Nationalökonom berühmte Adam Smith (1723 bis
1790) ist auch für die Moralphilosophie von Bedeutung. Als das
Princip der Moral gilt ihm, indem er sich hierin an Hume anschliesst
und dessen ethische Theorie weiter bildet, die Sympathie.
Vorzüglich die antitheologischen Consequenzen dieses Stand-
punktes gaben mehreren schottischen Philosophen, an deren
Spitze Thomas Reid steht — ausser ihm James Beattie, James
Oswald — , Anlass zu einer lebhaften Bekämpfung desselben, die in
ihrem philosophischen Princip, der Berufung auf den gesunden Menschen-
verstand (Common sense), schwach ist, aber zu manchen und zum Theil
zu werthvollen empirisch - psychologischen und moralischen Unter-
suchungen geführt hat. Es sollte eine Naturgeschichte des Geistes ge-
liefert werden, und zwar versuchte Reid auf dem Wege der Beobachtung
13*
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196 § 22. Der humescbe Skepticismus u. seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc.
und Analyse die ursprüngliche Anlage unseres Geistes zu entdecken
und die Grundsätze des gesunden Menschenverstandes aufzuzählen. —
Die Doctrin Reids und seiner Anhänger hat später der cousinsche
Eklekticismus mit in sich aufgenommen.
Diesen älteren Lehren haben sich spätere schottische Philosophen
angeschlossen, z. Th. mit selbständiger psychologischer Forschung, so
Dugald Stewart (1753—1828), Thom. Brown (1778—1820), James
Mackintosh (1764-1832).
Humes Treatise on human nature ist in 3 Bd. Lond. 1739 — 40 erschienen,
auch Lond. 1817, zuletzt zusammen m. dialogues coneerning natural religion edited with
preliminary dissertations and notes by T. H. Green and T. H. Grose, 2 vols., Lond.
1874, deutsch v. Ldw. Hnr. Jakob. Halle 1790—91. Sein bekannteste* philo««. Werk:
Enquiry coneerning human understanding, ersch. zuerst Lond. 1748: ins Deutsche
(von Sulzer) übers. Hamb. u. Leipz. 1755, von W. G. Tennemann (nebst e. Abhndlg. üb.
d. philos. Skepticism. v. K. Leonh. Reinhold) Jena 1793 u. v. J. H. v. Kirchmann als
Bd. XIII. der .philos. Bibl.", Berl. 1869. Unt. d. Tit: Essays and treatise« on several
snbjects lies« H. 1770 die Essays moral, political and literäry, die zuerst 1741 er»ch.
waren, zugleich m. d. Enquiry coneerning human understanding und m. d. Ablidlgn.:
a dissertation on the passions, an enquiry coneerning the principles of moral
(zuerst London 1751) und the natural history of religion (zuerst Lond. 1755)
drucken; diese Sammlung ist mehrmals wiedergedr. worden; edited with notes by T. H.
Green and the Reverend T. H. Grose, 2 vols., London 1875. Nach H.s Tode erschien
die Schrift: Dialogues coneerning natural religion by David Hume, mit derer*
Herausg. er seinen Freund Adam Smith beauftragt hatte, the second edition, Lond. 1779,
deutsch (von Sehreiter) nebst e. Gespräche üb. d. Atheismus von Ernst Platner, Leipz.
1781. Essays on suicide and the immortality of soul, ascribed to the late David Hume,
Lond. 1783, a new ed., Lond. 1789. Die Dialoge über natürliche Religion, über Selbst-
mord und Unsterblichkeit der Seele, ins Deutsche übersetzt von Fr. Paulsen, in d. philos.
Biblioth., 1877, die Untersuchung üb. d. Principien der Moral deutsch berousgeg. v.
Thom. Carrigue Masaryk, Wien 1883. Gesammtausgaben seiner philos. Schriften sind
Edinb. 1827, 1836, Lond. 1856, Lond. 1870 erschienen. Humes Autobiographie, ge-
schrieben 1776, erschien, veröffentlicht von Adam Smith, Lond. 1777, lat. 1787. Ueb.
ihn handeln J. H. Burton, life and correspondence of D. H., Edinb. 1846 u. 1850.
Feuerlein, H.s Leb. u. Wirk., in der Zeitschr.: der Gedanke, Bd. IV und V, Berl. 1863
u. 64. F. Papillon, David H., precurseur d' Auguste Comte, Versailles 1868. Lars
Albert Sjöholm, det historiska sammanhanget mellan Humes Skepticism och Kants
Kritieism, Akademisk Afhandling, Upsala 1869. W. F. Schnitze. H. u. Kant üb. d.
Causalbegriff, In.-Diss., Rostock 1870. Frdr. Jodl, Dav. H.s Lehre v. d. Erkennrn..
Halle 1871; Leb. u. Phil. Dav. H.s, Preisschrift, ebd. 1872. Gabr. Compayre, la phU.
de Dav. H., Toulouse 1873. Edm. Pfleiderer, Empirism. u. Skepsis in Dav. H.s
Philos. als abschliessende Zersetzg. d. engl. Erkenutnisslehre, Moral u. Retigswisaensch.
dargestellt, Berlin 1874. O. Spicker, Kant, Hume u. Berkeley, s. ob. S. 197. T. Becker,
de philosophia Lockit et Humii, s. ob. S. 116. A. Meinong, Hume-Studien, L Zur
Geschichte u. Kritik des modernen Nominalismus, Wien 1877; II. Zur Relationstheorie,
Wien 1882. A. Speckmann, über Humes metaphysische Skepsis, Bonn 1877. Psychologie
de Hume. Traite de la nature humaine traduit par Ch. Rcnouvier et F. Pillon et
essai philosophique sur l'entendement — avec une introduetion par F. Pillon, Pari« 1878.
C. Ritter, Kant und Hume, I.-D., Halle 1878. G. v. Gizycki, d. Ethik D. H.s in
ihrer geschichtl. Stellung, Breslau 1878. Rud. Kühne, üb. d. Verh. der humeschen u.
kantisch. Erkennrnisstheorie, Rostock, I.-D., Berl. 1878. T. Huxley, Hume, Lond.
1879. G. Compayre, du pretendu seepticisme de H., in Rev. phil., Bd. 8, 1879, S. 449
bis 468. Max Runze, Kants Krit. an Humes Skepticismus, I.-D., Berl. 1880. J.
Mainzer, d. krit. Epochen in d. L. v. d. Einbildungskraft aus Humes u. Kants theoret.
Philos. nachgewiesen, Jena 1881. Edm. Koenig, üb. d. Substanzbegr. bei Locke u. Hume,
I.-D., Lpz. 1881. A. Espinas, la philosophie en Ecosse au XVIII* S. et les origines
de la philos. anglaise, contemporaine ; premiere periode: Hutcheson, Ad. Smith, Hume,
in: Rev. phil.. 1881 Bd. 11, S. 119—132, Bd. 12, S. 18—31, 113—150. A. Paoli,
Hume e il prineipio di causa, Mail. 1882. R. Zimmermann, Ueb. Humes Stellung zu
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§ 22. Der humesche Skepticismus u. seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc. 197
Berkeley u. Kant, in: Sitzungsber. der Kais. Ak. zu Wien, 1883; ders., üb. H.s empir.
Begründ. der Moral, Wien 1884. Th. G. Maxaryk, D. H.s Skepsis u. Wahrscheinlich-
keitsrechnung, Wien 1884. Thdr. Wittstein, d. Streit zwisch. Glbn. u. Wissensehaft
auf Grundlage der L. D. Humes u. der Wahrscheinlichkeitsreehn., Hannov. 1884. Jubn
P. Gordy, Hume as Sceptie, I.-D., Berl. 1885. Mac Cosh, a gnosticism of Hutne and
Huxley, witb a notice of tbe scotish seool, Lond. 188(5. William Knight, Hutne
(Pbilos. Classies for Engl, readere), Lond. 1887. J. Raffel, d. Voraussetzungen, welche
den Empirism. Lock es, Berkeleys u. Humes zu Idealism. führten, Berl. 1887.
Ad. Smith, Theory of moral sentiment, Lond. 1759 u. ö., deutsch von Kose-
garten, 1791, sein Hauptwerk: Inquiry into the nature. into tbe cause» of the wealth
of nations, Lond. 177f>. Vgl. flb. sein Leben u. seine Schriften Dugald Stewart in
Ad. Smith, Essays, Lond. 1795, auch: the Works complets, 5 vol., Edinb. 1811 — 12.
Ueber ihn s. Smellie, ob. S. 135, H. Lord Brougham in seinen Lives of philosophers etc.
(s. ob. S. 127), S. 196—289, A. Oncken, Ad. S. in d. Cuiturgesch., Wien 1874: ders.,
A. S. u. Imm. Kant, 1. Abth., Eth. u. Polit., Lpz. 1877. Mich. Chevalier, etude sur
Ad. S. et sur la fondation de la science economique, Par. 1874. Witold v. Skarzynski,
Ad. Sm. als Moralphitosoph u. Schöpfer der Nationalökon., Berl. 1878.
Ueber die schottische Philos. vgl. J. M' Cosh, the scottish philosophy biographicai,
expository, critical, Lond. 1875. A. Seth, Scotish philosophy, a comparison of the
Scotish and German answers to Hume, Lond. 1886.
Reid, Inquiry into the human mind OD the principles of common sense, Lond.
1764 u. ö., deutsch übersetzt, Lpz. 17,82; on the intcllectual powers of man, Edinb.
1785: on the active powers of man, Edinb. 1788: die beiden letzteren Schriften öfters
zusammen gedruckt als Essays on the powers of the hnman mind. Werke herausgeg. von
Dugald Stewart, Edinb. 1804, von Hamilton, Edinb. 1827 u. ö.; vgl. Reid and the
philos. of Common sense, eine im J. 1847 verfasste Abhandlung von J. F. Ferrier. in
dessen Lectures ed. by Grant and Lushington, Lond. 1866, vol. II, S. 407 — 459. James
F. Latimer, Immediate pereeption as held by Reid and Hamilton considered as a refu-
tation of the seepticism of Hume, I. D., Lpz. 1880.
James Beattie, essay on the nature and immutability of truth in Opposition to
sophistry and seepticisme, Edinb. 1770 u. ö., deutsch übers. Kopenb. u. Lpz. 1772, auch
in Beatties Werken, Lpz. 1778. — James Oswald, appeal to common sense in behalf
of religion, Edinb. 1766—72.
Dugald Stewart, Elements of the philosophy of human mind, Vol. I, Edinb. 1792,
Vol. II, 1814, Vol. III, 1827, dann öfter, Lond. 1862, 1867, deutsch, Vol. I: .Anfangs-
gründe der Philos. üb. d. menschl. Seele", von Sam. Wilh. Lange, Berl. 1794; Outlines
of the moral phil., 1793 (with critical notes by J. M'Cosh, Lond. 1863); Phtlosophical
essays, Edinb. 1810; a general view of the progress of metaphysical, ethic. and polit.
phil. since the revival of letters in Europe, in dem Supplement zu d. 4. u. 5. Edit. der
Encyel. Brit., 1815 u. 1821, dann auch besonders gedruckt; Philosophy of the active
and moral powere of man, 1828. Collected works, herausgeg. v. Will. Hamilton, 10 Bde.,
Edinb. 1854 — 1858. — Thom. Brown, an inquiry into the relation of cause and effeet,
Edinb. 1804, 3. ed. with additions 1818. Nach seinem Tode: Lectures on the philos.
of human mind, 4 vols., Edinb. 1820 u. öft., 19. Aufl., Lond. 1856; Lectures on Ethics,
Lond. 1856. Ueb. ihn Dav. Welsh, Account« of the life and writings of Th. Br.,
Edinb. 1825. — Jam. Mackintosh, Dissertation of the progress of ethical philosophy,
chieflv duriug the 17. and 18. centuries, in d. Encvelop. Britann., auch besond. herausgeg.
Lond. 1830, 3. ed. with prefation bv W. Whewell. Lond. 1863, 4. ed., Lond. 1872.
Ins Franz. übers, v. H. Poret, Par. 1834.
Geboren zu Edinburgh am 26. April 1711, lebte Hume von 1734 —37 in
Frankreich. In Paris erregten damals die Wunder, die zu Gunsten der verfolgten
Jansen ist fii besonders auf dem Kirchhof von St. Medard am Grabe des Abbd Paris
geschahen, Aufsehen nnd gaben unintereesirten Denkern Anlass zu psychologischen
Untersuchungen über die Genesis des Wunderglaubens. H. bekundet dies von sich
selbst in seiner Abhandlung über die Wunder. (In ähnlicher Art haben die an-
geblichen Wunder des thierischen Magnetismus Dav. Frd. Strauss in ziemlich frühem
Alter zu psychologischen Betrachtungen angeregt.) Während seines Aufenthaltes
in Frankreich schrieb H. sein erstes philosophisches Werk: A treatise on human
nature, being an attempt to introduce the experimeutal method of reasoning into
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198 § 22. Der huroesche Skepticismus u. seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc.
moral subjects, welches er nach seiner Rückkehr nach England zu I^ondon 1739—40
erscheinen Hess. Dasselbe fand geringe Beachtung. Günstigere Aufnahme fanden
die 1741 zu Edinburgh erschienenen Essays moral, political and literary. Im
Jahre 1746 soll sich Harne vergeblich um die Lehrstelle der Moral philosophie zu
Edinburgh beworben haben. Nicht lange hernach (1747) begleitete er den General
St Clair als Secretair bei einer militärischen Gesandtschaft an die Höfe von Wien
und Turin; in Turin arbeitete er seinen Tractat über die menschliche Natur um
und theilte denselben in mehrere einzelne Abhandlungen. Von diesen ist die
bedeutendste die Untersuchung über den menschlichen Verstand, Enquiry concer-
ning human understanding, London 1748. Im Jahr 1749 reiste Hume nach Schott-
land zurück. Im Jahr 1751 veröffentlichte er Untersuchungen über die Principien
der Moral. Mit vielem Beifall wurden seine political discourses, Edinb. 1752,
2. Ausg. ebd. 1753, aufgenommen. Eine 1752 angetretene Bibliothekarstelle in
Edinburgh, durch die ihm eine Fülle litterarischer Hülfsmittel leicht zugänglich
wurde, veranlasste ihn, seine Geschichte Englands zu schreiben, die zuerst 1754—62
erschien. Im Jahr 1755 erschien die Natural Mstory of religion, die ihm manche
Anfeindungen zuzog. H. begleitete 1763 als Secretair den Grafen von Hertford,
der als Gesandter zum Abschluss des Friedens nach Versailles ging. In Paris
fand H. eine glänzende Aufnahme und kam mehrfach mit Rousseau und den Ency-
clopädisten zusammen. Bei seiner Rückkehr nach England 1766 Hess er sich von
Rousseau begleiten, mit dem er Freundschaft geschlossen hatte; doch ward ihm
bald von diesem, den die Abhängigkeit drückte, und der sich von H. besonders
durch gewisse öffentliche Aeusserungen, die er jedoch fälschlich diesem zuschrieb,
beleidigt glaubte, mit Undank gelohnt. Als Unterstaatssecretär im auswärtigen
Amte (an dessen Spitze der General Conway stand) hat H. 1767 — 68 die diplo-
matische Correspondenz Englands geführt. Von 1769 an lebte H. privatisirend in
Edinburgh, wo er am 25. August 1776 starb.
Nachdem H. in seinem philosophischen Hauptwerk, der „Untersuchung über
den menschlichen Verstand", erklärt hat, daas es ihm nicht um blosse Ermahnung
zur Tugend, sondern um eine gründliche Erörterung der Kräfte des Menschen und
der Grenzen unserer Erkenntniss zu thun sei, also nicht um ein bloss populäres,
sondern um ein wissenschaftliches Philosophiren, in welchem er jedoch die Klarheit
mit der Gründlichkeit möglichst zu vereinigen suchen werde, wendet er sich zu-
nächst zu der Untersuchung über den Ursprung der Vorstellungen. Er unter-
scheidet Eindrücke (irapressions) und Ideen oder Gedanken (ideas, thoughts).
Unter den ersteren versteht er die lebhaften Empfindungen, die wir haben, wenn
wir hören, sehen, fühlen, oder lieben, hassen, begehren, wollen, unter den letzteren
aber die minder lebhaften Erinnerungs- oder Einbildungs -Vorstellungen, deren wir
uns dann bewusst werden, wenn wir über irgend einen Eindruck reflectiren. Die
schöpferische Kraft des Denkens erstreckt sich nicht weiter, als auf das Vermögen,
denjenigen Stoff, welchen die Sinne und die Erfahrung liefern, zu verbinden, umzu-
stellen, zu erweitern oder zu vermindern. Alle Materialien des Denkens werden
uns durch die äussere oder innere Erfahrung gegeben; nur die Combinaüon der-
selben ist das Werk des Verstandes oder Willens. Alle unsere Ideen sind
Copien von Perceptioneu. Auch die Gottesidee macht hiervon keine Ausnahme;
der Verstand gewinnt sie, indem er die menschlichen Eigenschaften der Weisheit
und Güte über alle Grenzen hinaus steigert Die Verknüpfung der verschiedenen
Vorstellungen miteinander beruht auf den drei Principien der Association:
Aehnlichkeit, Verbindung in Raum und Zeit und Ursache und Wirkung.
Man kann alle Gegenstände des menschlichen Denkens und Forschens in zwei
Classen eintheilen: Beziehungen der Ideen und Thatsachen. Zu der ersten
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§ 22. Der hnmesche Skepticismus u. seine Bekämpfen: Reid, Beattie etc. 199
Ciasee gehören die Sätze der Geometrie, der Arithmetik and Algebra und
überhaupt jedes Urtheil, dessen Evidenz auf Intuition oder Demonstration sieh
gründet Sätze dieser Art werden durch die blosse Denkthätigkeit gefnnden; sie
sind unabhängig von aller Existenz. Auch wenn kein Kreis oder Dreieck in der
Natur vorhanden wäre, würden die geometrischen Sätze gelten.*) Sätze dagegen,
die auf Thataächliehcs gehen, haben nicht denselben Grad und nicht dieselbe
Art von Evidenz. Die Wahrheit oder Unwahrheit solcher Sätze ist nicht durch
blosse Begriffe erweislich, denn wäre sie es, so müaste die Annahme des Gegen-
theils in sich selbst mit einem Widerspruche behaftet sein, was nicht der Fall ist
Alles ScMiessen, welches auf Thataachen geht, scheint sich auf die Beziehung von
Ursache und Wirkung zu gründen. Man setzt voraus, dass es einen Causal-
zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Factum und demjenigen, auf welches
geschlossen wird, gebe, so dass das eine die Ursache des andern oder auch beide
Facta coordinirte Wirkungen der nämlichen Ursache seien. Wollen wir daher in
das Wesen der Gewissheit über erschlossene Thatsachen eine befriedigende Einsicht
gewinnen, bo müssen wir untersuchen, auf welche Weise wir die Kenntuiss von
Ursache und Wirkung erlangen.
Wir erlangen, sagt Hume, die Kenntniss des C'ausalnexus in keinem Falle
durch Schlüsse a priori, sondern lediglich durch Erfahrung, indem wir nämlich
finden, dass gewisse Objecte nach einer beständigen Regel verknüpft sind. Die
Wirkung ist von der Ursache durchaus verschieden und sie kann folglich nicht in
dem Begriffe der letzteren aufgefunden und erfahrungslos durch den Verstand er-
schlossen werden. Ein Stein oder ein Metallstück fällt sogleich zur Erde, wenn es
in der freien Luft ohne Stütze ist. Dies lehrt die Erfahrung. Aber können wir
wohl durch Schlüsse a priori nur das Geringste entdecken, woraus sich erkennen
Hesse, dass der Stein oder das Metall sich nicht eben so gut nach oben wie nach
dem Mittelpunkte der Erde bewegen werde? Noch weniger als die Art der Wir-
kung kann der Verstand die not h wendige, unveränderliche Verknüpfung zwischen
Ursache und Wirkung a priori erkennen. Hieraus folgt, dass das höchste Ziel der
menschlichen Erkenntniss darin besteht, die empirisch gefundenen Ursachen von
Naturerscheinungen einheitlich zusammenzufassen und die Mannigfaltigkeit der
besonderen Wirkungen einigen wenigen generellen Ursachen unterzuordnen. Aber
die Bemühung ist vergeblich, die Ursachen von diesen generellen Ursachen ent-
decken zu wollen. Die letzten Gründe sind der Neugier und Nachforschung der
Menschen gänzlich verschlossen. Die Elasticität, die Schwerkraft, die Cohäsion
der Theile, die Mitteilung der Bewegung durch den Stoss, das sind wahrscheinlich
die generellsten Ursachen, auf welche wir die Naturerscheinungen zurückführen
können; aber hierdurch wird unsere Unwissenheit über die Natur nur etwas weiter
*) Diese Ansicht Humes ist nur eine Behauptung, nichts Erwiesenes; sie ist
nur haltbar unter der mindestens höchst bestreitbaren Voraussetzung der blossen
Subjectivität des Raumes, zu welcher freilich Hume durch Gleichstellung der von
Locke angenommenen primitiven Qualitäten mit den secundären, und später ent-
schiedener Kant fortgegangen ist, die aber keineswegs mit Nothwendigkeit gilt,
und selbst unter dieser Voraussetzung giebt sie nicht eine wirkliche Erklärung der
apodiktischen Erkenntniss. Es giebt keinen Satz der reinen Geometrie, der die
Existenz eines Kreises oder eines Dreiecks in der Natur behauptete, Bondern nur
Sätze, welche unter Voraussetzung dessen, was der Subjectsbegriff bezeichnet, die
Nothwendigkeit behaupten, dass dasselbe mit dem betreffenden 1 radicate verbunden
sei; diese Beziehu ng aber wird als eine objectiv- reale und nicht alB eine blosse
Beziehung zwischen unseren Vorstellungen behauptet, und eben darum wird auch
von der angewandten Geometrie jedem in der Natur existirenden Kreis, Dreieck,
< 'y linder, Kegel etc. eben jenes Prädicat vindicirt
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200 § 22. Der huraesche Skepticismus u. seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc.
zurückgeschoben. Das Analoge gilt in Bezug auf die Moralphilosophie und Erkennt-
nisslehre. Die Geometrie, so gross auch ihr wohlverdienter Ruhm von Seiten der
Bündigkeit und Strenge ihrer Schlüsse ist, kann uns doch nicht zur Brkenntniss
der letzten Naturursachen verhelfen; denn sie dient nur bei der Entdeckung und
bei der Anwendung der Naturgesetze. Diese selbst aber müssen mittelst der Er-
fahrung erkannt werden.
Wenn wir ähnliche sinnliche Beschaffenheiten wahrnehmen, bo erwarten wir,
dass aus ihnen ähnliche Wirkungen, als wir schon erfahren haben, entspringen
werden. Aber es lässt sich weiter fragen, worauf diese Erwartung beruhe. Könnte
man irgendwie vermuthen, dass der Lauf der Natur sich ändern und das Vergangene
keine Regel mehr für das Künftige sein werde, so würde alle Erfahrung unnütz
werden und keine Quelle mehr sein, woraus man Folgerungen ableiten könnte. Das
Princip, welches die Erwartungen ähnlicher Wirkungen bestimmt, ist nicht eine
Erkenntniss der verborgenen Kraft, durch welche das eine Ding das andere hervor-
bringt, denn eine solche Kraft können wir weder ausser uns noch in uns beob-
achten; sondern dieses Princip ist die Gewohnheit: der Verstand wird, wenn
sich ähnliche Fälle wiederholen, durch die Gewohnheit bestimmt, bei Erscheinung
der einen Begebenheit ihre gewöhnliche Begleiterin zu erwarten und zu glauben,
sie werde in Wirklichkeit treten. Diese Verknüpfung, welche wir in dem Gemüthe
fühlen, der gewohnte Uebergang von einem Gegenstande zu seinem gewöhnlichen
Gefährten, ist die Empfindung oder der Eindruck, ans welchem wir den Begriff
einer Kraft oder nothwendigen Verknüpfung bilden. Wir fühlen bei beständig
wahrgenommenen Verbindungen von Vorgängen die gewohnte Verknüpfung der
Vorstellungen und übertragen dieses Gefühl auf die Gegenstände, wie wir überhaupt
den Aussendingen die Empfindungen, welche durch dieselben in uns veranlasst
werden, beizulegen pflegen.*)
*) So richtig 11. hiermit den Anfang des auf Erfahrung gegründeten Schliesseus
bei Thieren und Menschen bezeichnet, so wenig vermag das blosse Princip der
Gewöhnung den Fortgang desselben, die Aufhebung der naiven Objectirunjr des
jedesmaligen subjectiven Vorstelluugslaufs und die stufenweise Erhebung zu objectiv
fähiger Einsicht, zu erklären. Das Thier, welches in die Falle geht, der blosse
'raktiker, der nur Routine hat und in aussergewöhnlichen Fällen durch Beharren
bei dem gewohnteu Gange ins Unglück geräth, zeigen diejenige Erscheinung, welche
von H. psychologisch erklärt wird; aber H. hat nur nachträglich (in einer später
beigefügten Note) und nicht ohne einige Inconsequenz einen Versuch gemacht, zu
zeigen, wie diejenigen Schlussreihen zu Stande kommen, durch welche dem
Menschen die Ueberhstung des Thieres möglich wird, oder der Denker die Fehler
des blossen Praktikers vermeidet. Umfassendere Induction kann zu allgemeinereu
Sätzen führen, welche die Obersätze zu deductiven Schlüssen abgeben, durch
welche die Gültigkeit der Ergebnisse minder umfassender Inductionen theils be-
stätigt und gesichert, theils beschränkt wird. Li dem Maasse aber, wie die so
berichtigten Erwartungen mehr in Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit treten,
erlangt der Begriff der Kraft, der aus der Reflexion auf die Empfindung der An-
strengung und auf unsere Willenskraft überhaupt erwächst, und der auf dem Begriffe
der Kraft ruhende Begriff der Causalität objective Gültigkeit, und gehen die Regeln,
die nicht ohne Ausnahmen gelten, in ausnahmslos gültige Gesetze über. Indem H.
(in der erwähnten Note, H. 5i sagt: „das Moment, von welchem die Wirkung
abhängt, ist oft mit fremden und äussern Umständen verwickelt; die Abtrennung
derselben erfordert oft grosse Aufmerksamkeit, Genauigkeit und Scharfsinn*, so
erkennt er hiermit, aber nur implicite, eine objective Norm des Causalbegriffs
an. Auch steht die Gewohnheit selbst im (psychischen) Causalnexus, setzt also
die (psychische) Objectivität der Causalität voraus. Um eine objective Gültigkeit
dem Begriff der Causalität zu vindiciren, hat Kant denselben für einen Begriff
a priori erklärt, wie er Raum und Zeit als Anschauungen a priori fasste, wodurch
jedoch die allein mit vollem Recht so zu nennende Objectivität (welche Kant als die
„trausseendentale- von der „empirischen* unterscheidet) verloren geht, s. unten § 25.
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§ 22. Der humesche Skepticismus u. seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc. 201
Im Inquiry gebt Uume nur auf specielle Cuusalurtheile ein, während er in
dem Treatise schon das allgemeine Causalgesetz : Alles, was geschieht, hat eine
Ursache, als blosses Prodact der Gewohnheit bezeichnet hatte (s. H. Vaihingen
Comment. zu Kants Krit. d. r. Vern., I, S. 344 ff ).
An H.s Betrachtungen über die Causalität knüpft sich zumeist seine philo-
sophische Bedeutung. Sein Skepticismus ist eben darin begründet, dass der
Causalbegriff bei seinem Ursprung aus der Gewohnheit nur einen Gebrauch inner-
halb des Erfahrungskreises zulasse; der Schluss von dem empirisch Gegebenen auf
Transscendentes (über den gesammten Erfahrungskreis Hinausgehendes!, wie Gott
und Unsterblichkeit, erscheint H. als unzulässig. Dazu kommt, dass Hume, besonders
in seinem frühesten Treatise, eben so negativ auch über den Substanzbegriff
urtheilt: das Ich ist ein Yorstellungscomplex , dem wir ein einheitliches Substrat
oder eine Substanz unterzulegen nicht berechtigt sind. Hume sagt: Wir haben
klare Vorstellungen nur von Perceptionen ; eine Substanz ist etwas von Perceptionen
ganz Verschiedenes; also haben wir keine Erkenntniss von einer Substanz. Inhärenz
(inhesion) in Etwas gilt als erforderlich zum Bestand unserer Perceptionen, aber
dieselben bedürfen in der That keines Trägers. Die Frage, ob die Perceptionen
einer materiellen oder immateriellen Substanz inhäriren, ist unbeantwortbar, weil
sie keinen verständlichen Sinn hat. Entstanden ist nach Hume der Begriff der
8nbstanz dadurch, dass wir mehrmals dieselbe Verknüpfung von Wahrnehmungs-
thätigkeiten vollziehen. Diese constante Verknüpfung ist die Impression, welche
zur Bildung der Substanz führt, obwohl ganz unberechtigt. Da wir nun niemals
Qualitäten wahrnehmen, ohne dass von uns eine Substanz hinzugedacht würde, so
bringt uns die Gewohnheit zu der Annahme, dass eine jede Qualität von einer
unbekannten Substanz abhängig sei. — Religiöse Wahrheiten können nie gewusst,
sondern immer nur geglaubt werden. Also auch die Naturreligion des Deisten
ist wissenschaftlich unhaltbar. Dagegen macht sich Hume an das Problem,
nachzuweisen, wie alle Religionen durch psychologische Nothwendigkeit ent-
standen seien.
Aelmlich wie Spinoza gründete Hume seine Ethik auf eine Theorie der Affecte,
als deren Grundelemente er Lust und Unlust betrachtet Vermöge der Association
sollen sich aus diesen beiden die ganzen Reihen von Affecten und Leidenschaften
entwickeln. Blosses Denken, reine Verstandesprocesse sind an sich keine Quellen
des Handelns. Die Vernunft giebt nur die Urtheile über Wahr und Falsch, belehrt
uns über die verderblichen oder nützlichen Tendenzen der Eigenschaften und Hand-
lungen, reicht aber nicht hin, um eine moralische Billigung oder Verwerfung her-
vorzurufen, und kann nie für sich ein Willensmotiv sein. Nur insofern sie eine
Neigung oder Leidenschaft berührt, kann sie Einfluss auf das Handeln ausüben.
Was man Vernunft beim Handeln nennt, ist ein allgemeiner und ruhiger Affect,
der, ohne eine merkliche Bewegung hervorzurufen, seinen Gegenstand nur aus
weiter Ferne ins Auge fasst und den Willen antreibt. — In dieser Beziehung
stellte sich Hume demnach ganz anders als die deutschen Aufklärer, welche die
Willensentscheidungen von Vorstellungen abhängig machten. Gleich diesen ist er,
da die Affecte und Leidenschaften von ihm als natürliche Vorgänge betrachtet
werden, entschiedener Determinist, obwohl er sich doch sonst der Causalität gegen-
über skeptisch verhält. — Der persönliche Werth, der allgemein anerkannt wird,
besteht in dem Besitze solcher Eigenschaften, die entweder der Person selbst oder
Anderen entweder nützlich oder angenehm sind, so dass sich vier Classen solcher
löblichen Eigenschaften ergeben. Die socialen Tugenden sind die wichtigsten, d. h.
die des Wohlwollens, welches angeboren und natürlich ist, und die der Gerechtig-
keit, welche nicht aus einem ursprünglichen Gefühl, sondern durch Ueberlegung
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202 § 22. Der humescbe Skepticiamus u. seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc.
und Uebereinkunft der Menschen entsteht, indem der Mensch durch Reflexion dahin
kommt, einzusehen, dass er mehr gewinnt durch eine gewisse Einschränkung als
durch Zügellosigkeit und Gewalttätigkeit Die Gerechtigkeit ist also eine Art
Kunstproduct Es muss nun ein natürliches Gefühl geben, damit es zu einer Be-
vorzugung der nützlichen Tendenzen, die bei Hume besonders betont werden, vor
den verderblichen kommt Dies ist kein anderes als eine Freude an dem Glück
der Menschen und ein Schmerz über ihr Elend, d. h. die Menschenliebe oder
Sympathie, welche eine Unterscheidung zu Gunsten derjenigen Handlungen trifft,
die nützlich und vorteilhaft sind. Da die Tugend um ihrer selbst willen ohne
weiteren Lohn, nur wegen der unmittelbaren Befriedigung, die sie gewährt wün-
schenswerth ist so muss es ein Gefühl geben oder einen inneren Geschmack, wo-
durch das Gute und Schlechte unterschieden, das Eine erfasst und das Andere ver-
worfen wird. So wird der Geschmack, da er Lust und Schmerz bringt Glück und
Elend dadurch schafft, ein Motiv zum Handeln und ist der erste Trieb zum Be-
gehren und Wollen. Die Sympathie beruht darauf, dass die Seelen aller Menschen
in ihren Gefühlen und Operationen einander ähnlich sind. Es giebt uninteressirtes
Wohlwollen, uninteressirte Billigung dessen, was nicht unser Wohl, sondern fremdes
Wohl befördert, und Missbilligung des Gegentheils; es giebt Affecte, die nicht aus
der Selbstliebe abzuleiten sind. Demnach wird der Versuch, den Egoismus allein
zum Princip der Moral zu machen, durch die Thatsachen widerlegt Die Billigung
und Missbilligung ruht in den sympathischen Gefühlen, indem zunächst andere
Menschen aus diesen beartheilt werden, und hieraus ergiebt es Bich, dass wir uns
selbst danach beurtheilen, ob unsere eigenen Handlungen und Gesinnungen geeignet
sind, Anderen zu helfen oder zu schaden. So erwächst die sittliche Verpflichtung,
das fremde Wohl zu befördern; freilich ist die Erklärung derselben in der Ethik
Humes gerade ein schwacher Punkt, da im Gegensatz dazu die Vortheile des sitt-
lichen Handelns in zu helles Licht gesetzt werden.
Nach Adam Smith, der mit Hume eng befreundet war, hat der Mensch eine
natürliche Neigung zur Theilnahme an den Zuständen, Gefühlen und Handlangen
Anderer, und zwar werden von Smith die Motive des Handelnden, als der eigent-
liche Gegenstand der sittlichen Werthschätzung, viel stärker betont als bei Hume,
der seinem Utilitätsprincip entsprechend den äusseren Erfolg mehr in den Vorder-
grund stellte. Die Gefühlsgrundlage für die Gerechtigkeit, die Hume nicht ge-
funden hatte, sieht er in dem natürlichen Vergeltungstriebe. Wenn der unparteiische
Zuschauer, indem er die Gesinnung, die Motive des Andern in sich nachbildet, das
Verhalten desselben billigen kann, so ist dasselbe als moralisch gut, andernfalls
als moralisch fehlerhaft anzusehen. Die moralische Grundforderung ist: Handle so,
dass der unparteiische Beobachter mit dir sympathisiren kann, wobei freilich von
Smith mehr die Fälle, in welchen wir eine Handlung billigen oder misabilligen,
analysirt, als die letzten Gründe der Sympathie oder Antipathie ermittelt werden.
Wir billigen die Handlungen Anderer, wenn wir mit den bewegenden Gründen
völlig übereinstimmen, und unterwerfen uns selbst einer ethischen Beurtheilung,
indem wir uns in die Lage Anderer versetzen und fragen, ob wir an Stelle dieser
unsere Handlungen billigen und mit unseren Motiven Sympathie empfinden könnten.
So ist der Ursprung des Gewissens, dieses „unparteiischen Zuschauers in unserer
Brust", zu erklären, welches mit befehlender Kraft auftritt Wie Smith in seiner
Ethik mehrfach kantische Sätze anticipirt, so ist auch seine Fassung der Religion
der Kants sehr ähnlich.
Unter den Gegnern Humes stehen voran die schottischen Philosophen.
War auf dem ästhetischen und ethischen Gebiet der ursprüngliche Geschmack und
das ursprüngliche moralische Gefühl das Beurtheilungsvermögen, so war es natürlich,
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§ 22. Der bumeache Skeptickmus u. seine Bekämpfer: Reid, Beattie etc. 203
dass man auch die Billigung für das Wahre und Falsche in derselben Weise wie
für das Gate und Schlechte, Schöne und Hässliche in einem ursprünglichen Ver-
mögen suchte. Dieses sollte der gesunde Menschenverstand, der „common sense'
sein. Der, welcher diese Richtung hauptsächlich angab, ist Thomas Reid (1710 in
Strachau in Schottland geb., 1752—68 Profeasor am Kings College in Aberdeen,
von 1763 — 1787 Prof. der Moralphilos. an d. Universit Glasgow als Nachfolger
Ad. Smiths, f 17% in Zurückgezogenheit). Sowohl Berkeley als Hume haben nach
ihm ganz richtige Folgerungen aus den Lehren Lockes gezogen. Da aber der
Immaterialiamus des Ersteren, sowie auch der Skepticismus des Andern in Bezug
auf Substantialität und Causalität absurd Bind, so müssen die Voraussetzungen
falsch sein, d. h. besonders die Annahme, dass unsere Seele von vornherein leer
sei, und dass erst durch äussere und innere Wahrnehmung der Inhalt in sie käme
Im Gegentheil muss angenommen werden, daas unsere Seele ursprünglich Urtheile
besitze, die allerdings in ihre Bestandteile künstlich zerlegt werden können, ohne
dass damit aber ihre Entstehung angegeben sei. Diese durch Intuition bewusat-
werdenden Urtheile bezeichnet Reid als Axiome, erste Principien, Principien des
gesunden Menschenverstandes, von selbBt einleuchtende Wahrheiten (principles of
common sense, self-evident truths). Es kommt nun darauf an, durch innere Er-
fahrung — in dieser Beziehung huldigt also Reid dem Empirismus — diesen ur-
sprünglichen Inhalt des gesunden Menschenverstandes als Thatsache festzustellen.
Man muss an diesen Inhalt glauben, wenn man sich irgendwie eine Erkenntnis«
verschafien will. Der gewöhnliche Mann bat den gesunden Menschenverstand
geradeso wie der tiefste Denker. Für die factischen oder zufälligen Wahrheiten
giebt es nun zwölf solcher ursprünglichen Urtheile, zu denen der cartesianische
Satz: die Thatsache des Denkens verbürgt uns die Gewissheit für die Existenz des
denkenden Subjects, gehört Ferner: Jede Empfindung verräth ein empfundenes
Object, nicht als Wirkung desselben — das wissen wir nicht — , sondern als Zeichen
oder Ankündigung desselben. Ferner: Wir habeu einigen Einfluss auf unsere
Handlungen und Willensbestimmungen. Für die Erkenntniss der notwendigen
Wahrheiten, d. h. der mathematischen, grammatischen, logischen, ästhetischen,
ethischen und metaphysischen, giebt es nun auch gewisse Principien, zu denen die
mathematischen und logischen Axiome gehören, ebenso der Satz, dass jede Wirkung
eine Ursache haben müsse. Wie diese theoretischen, so hat die Seele auch gewisse
praktische Grundsätze, z. B. den, dass wir nur verantwortlich sind für das, was in
unserer Macht steht Aus diesen Sätzen kann sieh Jeder eine Moral aufbauen.
Die Ansichten Reids haben, allerdings modificirt, später besonders durch William
Hamilton weitere Verbreitung gefunden (s. unt in dem Abschnitt üb. d. Philos.
der Gegenw.). In Frankreich wurde Reid durch Royer Collard bekannt (s. eben-
falls unt), und von Jouffroy wurden seine Werke in das Französische übersetzt:
Oeuvres de Th. R., Paris 1828-1835. In Deutschland fand die Philosophie Reids
namentlich bei Fr. Heinr. Jacobi Anklang.
James Beattie (1735—1803, Prof. der Ethik zu Edinburgh, welche Stelle er
durch die Gunst der Geistlichkeit mit Vorzug gegen Hume als Mitbewerber er-
hielt) hat seine Hauptverdienste auf ästhetischem Gebiete. Nach ihm ist der
Gemeinsinn Quelle aller Sittlichkeit, aller Religion, d. h. alles Glaubens an Gott,
und aller Gewissheit. Auch der äussere Sinn borgt seine Zuverlässigkeit von dem
Gemeinsinn. Unselbständiger ist James Oswald (schottischer Geistlicher, f 1793),
der besonders durch den common sense die Religionswahrheiten gegen den Skepti-
cismus vertheidigt Das Dasein des göttlichen Wesens ist schlechthin Thatsache.
Dugald Stewart (1753 zu Edinb. geb., war Fergusons Nachfolger auf dem
Lehrstuhl für Moralphilosophie in Edinburgh bis 1810, f auf dem Lande 1828) be-
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204 § 22. Der humesche Skepticismus u. seine Bekämpfen Reid, Beattie etc.
spricht und commentirt in seinen Schriften mehr die Lehren Anderer, als dass er
seine eigenen ausführlicher entwickelte. Stärker als Reid betonte er die Association
der Vorstellungen, durch welche er die Gewohnheit zu erklären suchte. Die Existenz
des empfindenden und denkenden Ich wird uns nur bekannt durch eine Suggestion
(Eingebung) des Verstandes, die auf die Empfindung folgt, ist aber nicht unmittelbar
mit der Empfindung verbunden. Deshalb ist die Trennung in dem Satze Descartes' :
Cogito, ergo sum, nicht absurd. Die Grundsätze, auf welche sich alle Gewissheit
stützt, heissen bei Stewart Fundamentalgesetze des menschlichen Fürwahrhaltens,
auch Principien der menschlichen Erkenntniss. Den Zweifel an der Realität der
Aussenwelt hält er nicht wie Reid durch das ursprüngliche Urtbeil, dass jede
Empfindung zwinge, ein empfundenes Object hinzuzudenken, beseitigt, da hierdurch
gar nicht feststehe, dass dies Hinzugedachte unabhängig von uns sei. Er leitet
vielmehr die Gewissheit der Existenz ausser uns seiender Objecte aus der wieder-
holten Wahrnehmung eines und desselben Gegenstandes her, sowie aus dem von
Reid aufgestellten Princip der zufälligen Wahrheiten, wonach wir an eine unver-
änderliche Ordnung in den Erscheinungen der Natur glauben. — Die sittlichen
Begriffe Bind nach Stewart ursprünglich von der Vernunft gebildet und weder von
Gottes Willen noch von menschlichen Einrichtungen abhängig. Richten wir uns
nach den Wahrnehmungen der Vernunft oder des Gewissens, so handeln wir sittlich.
— In Frankreich wurde Stewart namentlich bekannt durch die Uebersetzungen
Prevosts und Th6od. Jouffroys.
Thom. Brown (geb. 1778 in Kirmabreck in Schottland, seit 1810 Nachfolger
Dug. Stewarts, gest. 1820, zu unterscheiden von dem 1735 gestorbenen, in der Philo-
sophie sensualistisch, in der Theologie orthodox gesinnten Bischof von Cork, Peter
Brown, dessen Schrift: the procedure, extent and limits of human understanding,
1729, Berkeley in seinem Alciphron bekämpfte, s. ob. S.128) war einer der Mitbegründer
der Edinburgh Review und lieferte in dieser 1803 eine Darstellung der Philosophie
Kants. Er machte vielfach Opposition gegen Reid und neigte sich namentlich
betreffs des Causalbegriffs mehr llume zu, ohne freilich dessen skeptische Couse-
quenzen zn ziehen. Er ist der Ansicht, dass sich Hume und Reid in Ihren An-
sichten über die Aussenwelt nicht wesentlich unterschieden. Ersterer behaupte laut,
man könne die Existenz der Körper nicht beweisen, setze aber leise hinzu, er könne
nicht umhin, an sie zu glauben; Reid sage laut, man müsse an die Existenz der
äusseren Welt glauben, setze aber leise hinzu, beweisen könne er diese Existenz
nicht Alle psychologischen Phänomene theilt er ein in äussere und innere Zu-
stände der Seele. Die ersteren sind die sinnlichen Wahrnehmungen, die zweiten
die intellectuellen und moralischen Erscheinungen. Die intellectuelleu ordnet er
alle unter den Begriff Suggestion unter. Und zwar ist ihm die „simple Suggestion"
gleich der Association, d. h. Gedächtuiss, Einbildung, Gewohnheit, die „relative
suggestions" sind ihm die Acte des Urtheilens, Vergleichens, Abstrahirens, Generali-
sirens. Für die Erklärung der psychologischen Entstehung des Raumes benutzt er
namentlich die Muskelempfindungen. — Seine Lehre fand in England und Amerika
weite Verbreitung, und seine psychologischen Ansichten sind von Einfluss auf die
Entwicklung der Associationspsychologie durch James und Stuart Mill, Herb. Spencer,
Alex. Bain gewesen. — James Mackintosh wandte sich mehr den ethischen
Fragen zu. Unser Glück wird hervorgebracht durch Gehorsam gegen das Gewissen,
welches selbst wieder unabhängig vom Nutzen ist. Mit dem Gewissen ist verbunden
die Sympathie, welche alle unsere Handlungen und Willensacte begleitet. Gewissen
und Sympathie beherrschen unsere moralische Natur.
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§ 23. Der dritte Abschnitt der Philosophie der Neuzeit
205
Dritter Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
Die neueste Philosophie oder die Kritik und Speculation
seit Kant.
§ 23. Den dritten Abschnitt der Philosophie der Neu-
zeit eröffnet die kantische Yernunftkritik, die durch Reflexion auf
den Ursprung, den Umfang und die Grenzen der menschlichen Er-
kenntniss die Unterscheidung zwischen den Erscheinungen, deren Stoff
durch Sinnesaffection gegeben, deren Form aber von dem Subjecte
selbst erzeugt sei, und den Dingen an sich, welche räum-, zeit- und
causalitätslos existiren, zu begründen sucht und vermöge dieser
Unterscheidung einerseits der empirischen Forschung auf dem Er-
scheinungsgebiete volle Selbständigkeit vindicirt, andererseits aber
neben den Erfahrungsobjecten ein Gebiet der Freiheit anerkennt,
welches Kant selbst zwar nur dem moralischen Bewusstsein eröffnet,
einige seiner Nachfolger aber, das Princip der Autonomie des Geistes
erweiternd, auch der theoretischen Speculation vindiciren. In Kants
Lehre von der Erscheinungswelt ist der subjective Ursprung, den
er den Formen der Erkenntniss zuschreibt, ein (subjectiv-) idealisti-
sches Element, das Gegebensein des Stoffes ein realistisches; in
seiner Lehre von den Dingen an sich ist die denselben beigelegte
Function des Afficirens unserer Sinne ein realistisches, die denselben
vindicirte Freiheit ein idealistisches Element. Der Dualismus der
durch Kant unvermittelt neben einander gestellten und keineswegs
(auch nicht in der Kritik der Urtheilskraft) zu widerspruchsloser
Harmonie mit einander verbundenen idealistischen und realistischen
Elemente inusste in zweifacher Weise den Versuch der Ausbildung
einer consequenten , in sich selbst harmonischen Gesammtansicht her-
vorrufen, indem entweder zu Gunsten der idealistischen Lehren die
realistischen Voraussetzungen geopfert oder umgekehrt zu Gunsten der
letzteren die idealistischen Theoreme aufgehoben oder doch sehr
beträchtlich modificirt wurden; jenes geschah durch Fichte, dieses
durch Herbart. An Fichtes subjectiven Idealismus hat sich Schöllings
vorwiegend objectiver Idealismus und an diesen Hegels absoluter
Idealismus geschlossen; von Anderen (zu denen Schleiermacher ge-
zählt werden darf) ist die harmonische Vereinigung beider Seiten zu
einem Idealrealismus erstrebt worden. Mit den in der Philosophie
selbst liegenden Entwickelungsmotiven trifft auch in diesem Abschnitt
die Wechselbeziehung zu der positiven Natur- und Geschichtsforschung,
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§ 23. Der dritte Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
zu der Dichtung, zu den politischen Verhältnissen und zu dem reli
giösen Leben, überhaupt zu der allgemeinen Culturentwickelung zu-
sammen und zwar so, dass in den ersten Jahrzehnten die Philosophie
vorwiegend einen bestimmenden Einfluss auf jene anderen Seiten des
geistigen Lebens übt, in der späteren Zeit dagegen, in welcher sich
ihr weniger das allgemeine Interesse zuwendet, mehr ihrerseits den
Einfluss derselben erfahrt.
Die neueste Philosophie seit Kant stellen ausser den betreffenden Theileu
der Grdr. I, § 4 und III, § 1 citirten umfassenderen Werke insbesondere folgende
Schriften dar: Karl Ludw. Michelet, Gesch. der letzt. Systeme der Philos. in Deutsch-
land von Kant bis Hegel, 2 Bde., Berl. 1837 — 38, und: Entwickelungsgesch. d. neuest,
deutsch. Philos., Berl. 1843. Heinr. Mor. Chalybäus, Histor. Entwicklung der
specul. Philos. in Deutschi, von Kant bis Hegel, Dresden 1837, 5. Aufl. 1860. Kriedr.
Karl Biedermann, die deutsche Philos. von Kant bis auf unsere Tage, Leipz. 1842 — 43.
A. Ott, Hegel et la philos. allemande ou expoee et examen critique des principaux
systemes de la philos. allemande depuis Kant, Paris 1843; s. auch dessen Critique de
l'idealisme et du criticisme, Pmr. 1883. A. S. Will m . Hist. de la philos. allemande
depuis Kant jusqu'ä Hegel, Paris 1846 — 49. L. Wocquier, Essai sur le mouvement
philnsophique d'Allemagne depuis Kant jusqu'ä nos jours. Bruxelles, Gand et Leipz.
1852. C. Fortlage, Genet. Gesch. d. Pbilos. seit Kant, Leipz. 1852. H. Ritter,
Versuch zur Verständigung über die neueste deutsche Philos. seit Kant, in der (Kieler)
Allgem. Monatsschrift für Wiss. u. Litt., auch bes. abgedr., Braunschw. 1853. G.
Weigelt, zur Gesch. d. neuer. Philos., Hamb. 1854 — 55. Carl Herrn. Kirchner, die
speculat. Systeme seit Kant u. die philosoph. Aufgabe d. Gegenwart. Leipz. 1860.
A. Poucher de Careil, Hegel et Schopenhauer, e tu des sur la philos. allemande
depuis Kant jusqu'ä nos jours, Paris 1862. Ad. Drechsler, Charakteristik d. philos.
Systeme seit Kant, Dresd. 1863. O. Liebmann, Kant und die Epigonen. Stuttg. 1865.
Fr. Harms, die Philosophie seit Kant, Berl. 1876, 2. (Titel-) Ausg. 1879. G. Neudecker,
8tudien zur Gesch. der deutsch. Aosthetik seit Kant, Wörzb 1878. Heinr. Boehmer,
Geschichte der Entwickel. der naturwissenschaftl. Weltanschauung in Deutschi., Gotha
1872. H. Lotze, Gesch. d. deutsch. Ph. seit Kant, Dictate aus d. Vöries., Lpz. 1882.
Ed. v. Hartmann, d. deutsche Aesthetik seit Kant, Berl. 1886 f. Zur Gesch. der Philosophie
seit Kant, insbesondere zur Würdigung Schellings, Schleiermachers etc. enthält wesentliche
Beiträge R. Haym, die romantische Schule, Berlin 1870. Vgl. die oben (zu § 1) angef.
Werke u. Jul. Schmidt, Gesch. der deutschen Litt, seit Lessings Tod, 5. Aufl. 1866 u.
1867, sowie Rud. v. Gottschall, die deutsche Nationallitt, des 19. Jahrh., 5. Aufl., 1881.
Die Erläuterung und Begründung der obigen Andeutungen über den Ent-
wickelungsgang der Philosophie in dieser Periode kann nur durch den Verfolg der
Darstellung selbst gegeben werden; vor der Darstellung der Systeme würde dieselbe
der Anschaulichkeit entbehren und leicht Vorurtheile begründen. Nur darauf sei
hier wiederholt hingewiesen, dass die innerste Seele des gesammten Entwickelungs-
processes der Philosophie der Neuzeit nicht eine blosse immanente Dialektik
speculativer Principien , sondern vielmehr der Kampf und das Vereöhnuugsstreben
zwischen der überlieferten und in Geist und Gemüth tief eingewurzelten religiösen
Ueberzeugung und andererseits den durch die Forschung der Neuzeit errungenen
Erkenntnissen auf dem Gebiete der Natur- und Geisteswissenschaften ist Der
Dogmatismus hatte an Verschmelzbarkeit theologischer, zum Theil umgebildeter,
Fundamentalsätze mit naturwissenschaftlichen und psychologischen Doctrinen zu dem
Ganzen eines philosophischen Systems geglaubt und auf die theologische Erkennt-
niss die kosmologische und anthropologische gebaut. Der Empirismus hatte die
theologischen Sätze mindestens nicht zur Basis aller andern philosophischen Er-
kenntniss gemacht und dieselben in der Kegel aus dem Gebiete der Wissenschaft
ausgeschieden (allerdings nicht immer vollständig, sofern besonders Locke das
Dasein Gottes für beweisbar auf Grund des empirisch Gegebenen hielt), sei es, um
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§ 24 Kants Leben und Sehriften.
207
sie dem Glauben anheimzugeben oder um sie ganz zu ncgiren. Der Skepticismus
hatte an der Lösbarkeit der betreffenden Probleme verzweifelt. Kant, der den
Kern der ihm zunächst voranliegenden philosophischen Bestrebungen in einer
bleibend gültigen Weise erfasst hat, eröffnete durch seinen Kriticismns eine neue
Bahn: er zerstörte vermittelst seiner Reflexion auf die Erkenntnissgrenzen der
menschlichen Vernunft die dogmatische Voraussetzung der erreichbaren Harmonie,
nahm die von dem Empirismus vollzogene Einschränkung der wissenschaftlichen
Erkenntniss in einem wesentlich veränderten Sinne (indem er sie auf die Erschei-
nungen bezog) wieder auf, trat aber in eine zweifache Beziehung zu dem Resultate
des Skepticismus, indem er dieses zugleich sich aneignete und es durch das der
moralischen Ueberzeugung eröffnete Gebiet des Ansichseienden überschritt. Die
späteren Richtungen sind in gewissem Sinne modificirte Erneuerungen der früheren
unter dem Einfluss und zum Theil auf dem Boden des Kantianismus.
§ 24. Immanuel Kant, geboren zu Königsberg in Ostpreussen
am 22. April 1724, gest. ebendaselbst am 12. Februar 1804, erhielt
in seiner Vaterstadt seine Bildung und wirkte daselbst als Universi-
tätslehrer. Für Kants frühere philosophische Richtung war die wolff-
sche Philosophie und die newtonsche Naturlehre von maßgebendem
Einfluss, und zuerst nahm Kant im Ganzen den Standpunkt des wolff-
schen Rationalismus ein. Später, von 1762 an, neigte er sich dem
Empirismus und Skepticismus zu, so dass er keine Erkenntniss von
Gegenständen aus reiner Vernunft zugab. Erst seit dem Jahre 1769
bildete er den Kriticismus aus. den er in seinen Hauptwerken ver-
tritt, und mit dem er sowohl den realistischen Rationalismus als auch
den Empirismus bekämpft, obwohl er wiederum im Jahre 1770 in
seiner „Dissertation" Erkenntnisse von Thatsachen aus reiner Vernunft
gewinnen will.
Unter Kants Schriften aus der rationalistischen Zeit ist die
bedeutendste die Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des
Himmels, aus der dem Empirismus und Skepticismus sich nähernden,
die Träume eines Geistersehers. Die kritischen Hauptschriften
sind: die zuerst 1781, dann in neuer Bearbeitung 1787 erschienene
Kritik der reinen Vernunft, die 1788 veröffentlichte Kritik der
praktischen Vernunft und die 1790 verfasste Kritik der Urtheils-
kraft. Die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft
(1786), die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Ver-
nunft (1793), Metaphysik der Sitten (1797) und andere kleinere
Schriften enthalten die Anwendung der Principien des Kriticismus auf
einzelne Gebiete der philosophischen Betrachtung. — In Forschung
und Lehre hat Kant ebenso, wie im äusseren Leben, stets unbedingte
Wahrheitsliebe, strenge Gewissenhaftigkeit und unablässige Pflichttreue
bewährt. Sein Handeln sollte stets von dem Bewusstsein der Richtig-
keit der Grundsätze, die er befolgte, begleitet sein.
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20H
§ 24. Kante Leben und Schrifteu.
Ueber Kants Leben und Charakter handeln: Ldw. Em« Boroweki, Dar-
stellung d. Leb. u. Charakt. Kant«, Königsb. 1804 (eine bereit« 1792 entworfene und
damals von Kant selbst revidirte, naeh Kants Tode von ihrem Verfasser vervollständigte
und veröffentlichte Biographie, die besonders über Kant« Familienverhältnisse und
früheres Leben werthvolle Notizen enthält), Reinh. Berah. Jachmann, Immanuel K. in
Briefen an einen Freund, Königsb. 1804 (eine auf persönlichen Umgang mit K. 1784 — 94
gegründete Charakterschilderung nebst vorangeschickter biographischer Skizze), Ehreg.
Andr. Christoph Wasianski, K. in seinen letzten Lebensjahren, Königsb. 1804 (ein
treuer Berieht über das alimähliche Erlöschen der geistigen und körperlichen Kräfte
Kants), ferner Theod. Rink, Ansichten aus L Kants Leben, Königsb. 1805, F. Bouter-
wek, I. Kant, Hamb. 1305 und And. (vgl. auch Artikel in der N. Berl. Monatsacbr.,
Febr. und Mai 1805), dann aber namentlich, die Leistungen der Früheren zusammen-
fassend und durch vieles neue Material erweiternd, Friedr. Wilh. Schubert, Imm. Kants
Biographie, in: Kants Werke, hrsg. von Rosenkranz und Schubert, Bd. XI, Abth. 2,
Leipz. 1842. Das Material hat nachträglich noch einige Vervollständigungen erhalten durch
Christian Friedr. Reusen, K. und seine Tischgenossen, aus dem Nachlass des jüngsten
derselben (aus d. Neu. Preuss. Provinzialblätt Bd. VI, Königsb. 1848, Heft 4 und 5
besond. abgedr.), und durch die Schrift: Kantiana, Beiträge zu Imm. Kant« Leb. und
Schriften, herausg. von Rud. Reick« (S«paratabdr. aus d. Neu. Preuss. Provinzialblätt.),
Königsb. 1860, worin eine von dem Consistorialrath Prof. Wald im Jahr 1804 gehaltene
Gedächtnissrede auf Kant nebst den Notizen, worauf Wald fusste, und insbesondere mit
mehreren werthvollen Bemerkungen des mit Kant innig befreundeten Professors Kraut?,
wie auch einige Nachträge zu K.b Schriften abgedruckt sind. Aus diesen Qu«llenschriften
haben die späteren Darsteller des Lebens K.s (unter denen Kuno Fischer, K.s Leb.
und die Grundlagen seiner Lehre, drei Vorträge, Mannh. 1860, auch in der Gesch. der
neueren Ph., Bd. III, Mannh. u. Heidelb. 1860, 3. Aufl. 1882, mit Auszeichnung zu
erwähnen ist) geschöpft. D. Nolen, les maitres de K. (Alb. Schultz, Mart. Knutzen,
Newton, Rousseau), in: Revue philos., 1879, Bd. 7. S. 480—503, Bd. 8, S. 112—138,
1880, Bd. 9, S. 270—298. E. Amol dt, K.s Jugend u. die fünf ersten Jahre «einer
Privatdocentur im Umriss dargest., Kgsberg. 1882. J. H. W. Stuckenberg, the life of
Im. K., London 1882. Ueber d. Entwickelung der Lehre Kant« a. besonders Friedr.
Paulsen, Versuch einer Entwickelungsgesch. der kantischen Erkenntnisstheorie, Leipz.
1875, ferner A. Riehl, der philos. Kriticismus u. seine Bedeut. f. d. positiv« Wissen-
schaft, Bd. I: Gesch. u. Methode des philos. Kriticismus, Leipz. 1876.
Kants Schri ften sind in neuerer Zeit in mehreren Gesammtausgaben erschienen :
Imm. Kants Werke, hrsg. von G. Hartenstein. 10 Bde., Leipz. bei Mode« u. Bau-
mann, 1838 — 39, und: L Kant« sämmtl. Werke, hrsg. von Karl Rosenkranz und
Friedr. Wilh. Schubert, Leipz. bei Lenp. Voss, 1838—42, in 12 Bd., deren letzter
die „Gesch. der kant. Philos.*, von K. Rosenkranz, enthält. (Hartensteins Ausg. ist im
Einzelnen zum Theil correcter; die Ausgabe von Ros. u. Sch. ist eleganter und reicher
an Material und an anregenden Betrachtungen. Die Anordnung ist bei beiden eine im
Ganzen systematische. Bei H. folgt auf die Logik und Metaphysik erst die Lehre von
der praktischen Vernunft und von der Urtheilskraft, dann die Naturphilosophie, bei
Ros. u. Sch. aber besteht die Folge: Logik (mit Einschluss der Metaphysik), Natur- und
Geistesphilosophie. Das letztere Verfahren ist das übersichtlichere. Weit vorzüglicher
aber ist eine chronologische Ordnung des Ganzen, die Kants Entwicklungsgang zur An-
schauung bringt. Diese Ordnung wird eingehalten in der neueren Ausgabe der kantischen
Werke: I. Kants sämmtliche Werke, in chronol. Reihenfolge hrsg. von G. Harten-
stein, 8 Bde., Leipz. bei Leop. Voss, 1867 — 69. Die Werke Kants sind von Neuem
nach dieser Ausg. in systematischer Ordnung abgedruckt und mit erläuternden und
prüfenden Anmerkungen von J. H. v. Kirchmann versehen in der „philos. Bibl.*, Berl.
bei L. Heimann 1868 fl. Die drei Kritiken, die Religion innerhalb u. 8. w., Träume eines
Geistersehers, der Streit der Fakultäten, Zum ewigen Frieden, Allgem. Naturgeschichte etc.,
sind nach den ersten Editionen, kritisch sorgfältig revidirt, mit Varianten und Angabe
der Paginirung früherer Editionen, sehr handlich, hrsg. von K. Kehrbach, Leipz.
Reclam, in der Universal-Bibl.
Die Familie Cant stammt aus Schottland. Johann Georg Cant betrieb in
Königsberg das Sattlerhandwerk. Das vierte Kind aus seiner Ehe mit Anna
Regina Reuter war der am 22. April 1724 geborene Immanuel, der seinen Familien-
namen K ant schrieb. Ein Bruder, Johann Heinrich (1735—1800), ward Theolog;
von drei Schwestern überlebte die jüngste ihren Bruder Immanuel. Sechs Ge-
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
200
schwister starben früh. Die Erziehung war eine streng religiöse im Geiste des
damals verbreiteten Pietismus, dessen Hauptvertreter der seit 1731 an der alt-
stadtischen Kirche als Pfarrer und Consistorialrath angestellte, seit 1732 auch ein
Ordinariat der Theologie an der Universität bekleidende und seit 1733 das Collegium
Fridericianum leitende Franz Albert Schulz war (gest 1763). Kant empfing im
Collegium Fridericianum von Ostern 1732 bis Mich. 1740 die Vorbildung zu den
Universitätastudien. Unter seinen Lehrern schätzte Kant neben Franz Alb. Schulz
besondere den Latinisten Joh. Friedr. Heydenreich; unter seinen Mitschülern war
der bedeutendste der (zu Ostern 1741 vom Gymnasium abgegangene) David Ruhnken,
der spätere Professor der Philologie zu Leyden, der in einem Briefe au Kant vom
10. März 1771 über jene Gymnasialzeit sagt: tetrica illa quidem sed utili nec
poenitenda fanaticorum diseiplina continebamur, und hinzufügt, schon damals hätten
Alle von Kant (der besonders die römischen Classiker eifrig las und sich gut
lateinisch auszudrücken wusste) die höchsten Erwartungen gehegt. Auf der königs-
berger Universität studirte Kant seit Mich. 1740 Philosophie, Mathematik und
Theologie, war jedoch in der theologischen Facultät nicht immatriculirt und hat
wohl auch die Absicht, sich für ein geistliches Amt vorzubereiten, wenn er sie
überhaupt je gehabt, nicht lange beibehalten. Er hörte mit Vorliebe die Vor-
lesungen des ausserordentlichen Professors Martin Knutzen über Mathematik und
Philosophie und lebte sich besonders in den newtonschen Gedankenkreis ein, horte
auch Physik bei Professor Teske und philosophische Vorlesungen bei Anderen, die
aber nur geringen Einfluss auf ihn gewannen, und Dogmatik bei Franz Albert
Schulz, der übrigens mit seiner pietistischen Richtung die wolfische Philosophie
zu verbinden wusste. Nicht zuverlässig ist die Angabe, dass er sich um eine
Unterlehrerstelle an der Kneiphöfschen Domschule beworben habe, aber gegen einen
ganz unbedeutenden Mitbewerber zurückgesetzt worden sei. Nach Vollendung der
Univereitätsstudien bekleidete Kant von 1746—55 Hauslehrerstellen, zuerst bei dem
reformirten Pfarrer Andersen zu Judschen in der Nähe von Gumbinnen, dann
bei dem Rittergutsbesitzer von Hülsen auf Arensdorf bei Mohrungen, endlich bei
dem Grafen Kayserling in Rautenburg, der sich den grössten Theil des Jahres
in Königsberg aufhielt. Durch die geistig bedeutende Gemahlin desselben wurde
er mit höheren Kreisen der Gesellschaft bekannt und eignete sich so den feinen
Umgangston, der ihm nachgerühmt wird, an. Im Kayserlingschen Hause hat ihn
Elise v. d. Recke kennen gelernt.
Nach neunjähriger Hauslehrerthätigkeit habilitirte er sich an der Königs-
berger Universität und eröffnete mit dem Wintersem. 1755—56 seine Vorlesungen
über Mathematik und Physik, Logik, Metaphysik, Ethik und philosoph. Encyclo-
pädie; seit So mm. 1757 las er auch über physische Geographie, seit 1760 las er
ausserdem über natürliche Theologie und Anthropologie. Er bewarb sich im April
1756 um die durch Knntzens frühen Tod erledigte ausserordentliche Professur der
Mathematik und Philosophie, aber vergeblich, weil die Regierung den Beschluss
gefasst hatte, die Extraordinariate nicht mehr zu besetzen. Das im Dec. 175K
erledigte Ordinariat für Logik und Metaphysik erhielt von dem damaligen russischen
Gouverneur der in der Anciennetät Kant vorangehende Docent der Mathematik
und Philosophie Buck. Erst zwölf Jahre später, 1770, rückte Kant in dieselbe
Stelle ein, indem Buck die ordentliche Professur der Mathematik erhielt; 1766
war dem .geschickten und durch seine gelehrten Schriften berühmt gemachten
Magister Kant" eine Stelle als Unterbibliothekar an der Kgl. Schlossbibliothek mit
62 Thlr. Gehalt verliehen worden, die er_ 1772 aufgab Einen Ruf nach Halle und
Anträge, eine Professur in Erlangen sowie in Jena anzunehmen, schlug Kant aus. Er
docirte bis zum Herbst 1797, wo Altereschwäche ihn zum Aufgeben der Vor-
Ueberweg- Heime, Grundrui III. 7. Aafl.
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210
§ 24. Kants Leben und Schriften.
lesungen bewog. Seine Vorträge waren sehr beliebt. Reinhold Lenz preist an
ihnen, dass sie zur „Einfalt im Denken and Natur im Leben" anleiteten (in einem
Gedicht auf Kant zum 21. August 1770, s. Altpreuss. Monateschr. IV, 656 ff.).
Als akademischer Lehrer wollte Kant mehr die Zuhörer zum Selbstdenken anregen ,
als Resultate mittheilen; sein Vortrag war ein Verlautbaren des Processes der
Gedankenbildung.
Lebhaft betheiligte sich Kant an den politischen Tagesinteressen; seine
Gesinnung war ein entschiedener Liberalismus. Er sympathiBirte mit deu Ameri-
kanern im Unabhängigkeitskriege, mit den Franzosen bei der Staateumwälzung,
welche die Idee der politischen Freiheit zu realisiren verhiess, wie er auf dem
Gebiete der Erziehung den rousseauschen Grundsätzen huldigte. Kant sagt (in
den Fragmenten aus seinem Nachlasse, Werke, Bd. XI, Abth. 1, S. 258 ff): »Es
kann nichts entsetzlicher sein, als dass die Handlungen eines Menschen unter dem
Willen eines Anderen stehen sollen. Daher kann kein Abscheu natürlicher sein,
als den ein Mensch gegen die Knechtschaft hat. Um desgleichen weint und erbittert
sich ein Kind, wenn es das thun soll, was Andere wollen, ohne dass man sich
bemüht hat, es ihm beliebt zu machen, und es wünscht, nur bald ein Mann zu sein,
um nach seinem Willen zu schalten." — „Auch in unserer Verfassung ist uns ein
jeder Mensch verächtlich, der in einem grossen Grade unterworfen ist." — Jeden
Menschen als Selbstzweck, keinen als blosses Mittel zu behandeln, ist ein Funda-
mentalsatz der kantischen Ethik. Aber Kant begehrte die Unabhängigkeit wesent-
lich zu dem Zweck der Selbstbestimmung im Sinne des sittlichen Gesetzes. Vgl.
Schubert, Kant und seine Stellung zur Politik, in Räumers hist. Tascheubuch 1838,
S. 575 ff., wo besonders die grosse Macht der monarchisch-conservativen Gesinnung
bei allem Liberalismus in Kant nachgewiesen wird.
Charakteristisch für Kants Gesinnung ist sein Selbstbekenntniss in einem
Brief« an Moses Mendelssohn vom 8. April 1766: „Was es auch für Fehler geben
mag, denen die standhafteste Entechliessuug nicht allemal völlig ausweichen kann,
so ist doch die wetterwendische und auf den Schein angelegte Gemüthsart dasjenige,
worin ich sicherlich niemals gerathen werde, nachdem ich schon den grössten Theil
meiner Lebenszeit hindurch gelernt habe, das meiste von demjenigen zu eutbehren
und zu verachten, was den Charakter zu corrumpiren pflegt, und also der Verlust
der Selbstbilligung, die aus dem Bewussteein einer unverstellten Gesinnung ent-
springt, das grösste Uebel sein würde, was mir nur immer begegnen könnte, aber
gewiss niemals begegnen wird. Zwar denke ich vieles mit der allerklarsten Ueber-
zeugung, was ich niemals den Muth haben werde zu sagen; niemals aber werde ich
etwas sagen, was ich nicht denke."
Innige Freundschaft verknüpfte Kant mit dem durch Liebe zur Unabhängigkeit
und zu gewissenhafter Pünktlichkeit ihm gleichgesinnten Engländer Green (gest.
1784), ferner mit dem Kaufmann Motherby, dem Bankdirector Ruffuiann, dem Ober-
förster Wobeser in Moditten (nahe bei Königsberg), in dessen Forsthause er sich
während der Ferien mitunter aufhielt und insbesondere auch die „Beobachtungen
vom Schönen und Erhabenen" niedergeschrieben hat. Auch mit Hippel und mit
Hamann war Kant befreundet. Von seinen Collegen standen ihm besonders der
Hofprediger und Professor der Mathematik Joh. Schultz, der erste Anhänger und
Erläutercr seiner Doctrin, und der Professor der Cameralwissenschaften Kraus nahe.
Den weitesten Kreis von Verehrern und Freunden fand Kant iu seinem höheren
Alter als gefeiertes Haupt der weit sich verbreitenden kritischen Schule; am
überschwenglichsten ward er von solchen gepriesen, denen die neue Philosophie zu
einer Art von neuer Religion ward (wie von Baggesen, dem er für einen zweiten
Messias galt).
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
211
Der Freiherr von Zedlitz, der unter Friedrich dem Grossen Cultusminister
war und dies unter dessen Nachfolger noch bis 1788 blieb, schätzte Kant hoch;
auch unter dem Ministerium Wöllner erfreute er sich anfangs noch der Gunst der
Regierung. Als er aber die Aufsätze zu veröffentlichen gedachte, welche zusammen
seine .Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft" ausmachen, kam er
mit der Censur in Conflict, die nach den Grundsätzen des Religionsedicts geübt
werden sollte, welches die symbolischen Schriften der lutherischen und reformirten
Kirche zur bindenden Norm machte. Zwar wurde der ersten jener Abhandlungen:
„Vom radicalen Bösen", worin Kant die mit dem Pietismus im Wesentlichen
harmonirende Seite seiner Religionsphilosophie entwickelt, das Imprimatur ertheilt,
obschon selbst dieses nur mit der Bemerkung: „dass sie gedruckt werden möge, da
doch nur tiefdenkende Gelehrte die kantischen Schriften lesen"; sie erschien im
April 1792 in der .Berliner Monatsschrift". Aber bereits der zweiten Abhandlung:
„Von dem Kampfe des guten Principa mit dem bösen um die Herrschaft über
den Menschen" wurde von dem berliner Censurcollegium die Druckerlaubniss
versagt. Kant blieb der Ausweg übrig, von einer theologischen Facultät die
Schrift censiren zu lassen. Die theologische Facultät seiner Vaterstadt erlaubte
den Druck, und die „Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft" erschien
zu Ostern 1793 bei Nicolovius in Königsberg; in zweiter Auflage 1794. Um
aber für die Zukunft Kant diesen Ausweg abzuschneiden, erwirkten seine Gegner
eine Kgl. Kabinetsordre (vom 1. Oct 1794), worin Kant die „Entstellung und
Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des
Christenthums" vorgeworfen und gefordert wird, er solle sein Ansehen und seine
Talente zur Förderung der „landesväterlichen Intention" anwenden. Auch wurden
täramtliche theologischen und philosophischen Lehrer der königsberger Universität
durch Namensunterschrift verpflichtet, nicht über Kants „Religion innerhalb der
Grenzen der blossen Vernunft" zu lesen. Kant hielt dafür (wie ein Zettel in
seinem Nacblass bezeugt, bei Schubert XI, 2, S. 138), Widerruf und Verleugnung
seiner Ueberzeugung sei niederträchtig, aber Schweigen in dem vorliegenden Falle
Unterthanenpflicht; alles, was man sage, müsse wahr sein, aber man brauche nicht
alles Wahre öffentlich zu sagen. Er erklärte demgemäss in seinem Verantwortungs-
schreiben, „als Sr. Maj. getreuester Unterthan" sich fernerhin aller öffentlichen
Vorträge über Religion auf dem Katheder und in Schriften enthalten zu wollen.
Da für Kant nur in der Unterthanenpflicht gegen Friedrich Wilhelm II. das
Motiv des Schweigens lag, so fand er sich beim Tode dieses Königs wiederum
zu öffentlichen Aeusserungen berechtigt. In der Schrift: „der Streit der Facul-
täten" hat er der philosophischen Betrachtung, sofern sie auf ihrem Gebiete
verbleibe und nicht in die biblische Theologie als solche übergreife, die volle
Freiheit des Gedankens und der Gedankenäusserung viudicirt und seinem Un-
willen über den Despotismus Luft gemacht, welcher dem, was nur mit freier
Achtang wahrhaft verehrt werden köune, durch Zwangsgesetze Ansehen verschaffen
wolle. Doch konnte Kant seine Vorlesungen über Religionsphilosophie nicht mehr
aufnehmen; seine leibliche und geistige Kraft war gebrochen. Er erlag einer all-
mählich zunehmenden und in den letzten Monaten ihm Gedächtniss und Denkkraft
raubenden Altersschwäche, während gleichzeitig seine Doctrin auf den meisten
deutschen Universitäten glänzende Triumphe feierte. Die Ueberschreitung seines
Princips durch Fichtes Wissenschaftslehre hat Kaut gern issbilligt, ohne jedoch
durch seine Gegenerklärung den Fortgang der philosophischen Speculation in der
idealistischen Richtung zu hemmen.
Der Leichuain Kants wurde unter den Arcaden au der Nordseite des Doms
zu Königsberg am 28. Febr. 1804 beigesetzt, und die Stelle mit einem Denkstein
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§ 24. Kant« Leben und Schriften.
bezeichnet. Dieselbe hiess von da an Stoa Kantiana. Da diese im Laufe der
Jahre verfiel, wandelte man das Osteude der Arcaden zu einer einfachen gothischen
Kapelle um, in deren Gewölbe man am 21. Nov. 1880 die wieder ausgegrabenen
Gebeine des Philosophen beisetzte (vgl. F. Hessel-Hagen, d. Grabstätte Im. K.s
mit besonderer Rücksicht auf d. Ausgrab. u. Wiederbestatt, seiner Gebeine im
J. 1880, in: Altpreuss. Monataschr., Bd. 17, S. 643— 670). — Ein würdiges Denkmal
von Rauch ist Kant in Königsberg errichtet.
Für die Abfassung der Schriften Kants sind zwei Hauptperioden anzunehmen:
I. die genetische, die dem Kriticismus vorausgeht, II. die kritische. Wir
halten an dieser im ganzen durchgreifenden Eintheilung fest, wenn sich auch mehr-
fach andere Auffassungen über die Entwickelung Kants geltend gemacht haben.
8. darüber unt. S. 229.
L die genetische Periode, in welcher Kant zunächst im Ganzen auf dem
Boden des leibnizisch- wolffischen Dogmatismus stand, später aber diesen Stand-
punkt überschritt und mehr und mehr dem Empirismus und Skepticismus , eben
dadurch aber mittelbar auch dem spätem Kriticismus sich annäherte. Die Ver-
schiedenheit seiner Schriften aus dieser Periode in stofflicher Hinsicht zeugt für
die Breite und den Umfang der Studien, die er gemacht hatte. S. üb. diese vor-
kritische Periode bei Kant auch besonders das unt erwähnte Werk von Günth.
Thiele.
Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und
Beurtheilung der Beweise, deren sich Leibniz und andere Mechaniker in dieser
Streitsache bedient haben, Königsberg 1747 (nicht, wie auf dem Titelblatt steht,
1746*); die Widmung ist unterzeichnet: den 22. April 1747). Die Schrift steht im
Zusammenhange mit Dan. Bernouillis Abhandlung: de vera notione virium vivarum.
Kant nennt die Frage, ob die Kraft des bewegten Körpers (mit Leibniz u. A.)
nach dem Product der Masse und dem Quadrat der Geschwindigkeit (mv*) oder
(mit Descartes, Euler u. A.) nach dem Product der Masse und der einfachen
Geschwindigkeit (mv) zu messen sei, eine der grössten Spaltungen, die unter den
Geometern von Europa herrsche, er hofft zu ihrer Beilegung beitragen zu können.
Er setzt der damals in Deutschland herrschenden leibnizischen Ansicht zu Gunsten
der cartesianischen mehrere Einwürfe entgegen, will jedoch jene unter einer
gewissen Einschränkung gelten lassen. Kant theilt nämlich (§§ 15, 23, 118, 119)
alle Bewegungen in zwei Klassen ein: die eine soll sich in dem Körper, dem sie
mitgetbeilt werde, erhalten und ins Unendliche fortdauern, wenn kein Hinderniss
sich entgegensetze, die andere soll, ohne dass ein Widerstand sie vernichte, auf-
hören, sobald die äussere Kraft, durch welche sie hervorgerufen werde, nicht mehr
einwirke**); im ersten Fall soll das leibnizische, im andern das cartesianische
Princip gelten.***) üebrigens ist Kants Erklärung § 19 charakteristisch, die
*) Wurde 1746 zu drucken angefangen, ist aber erst 1749 fertig geworden.
**) Die »Eintheilung* ist freilich, wie gar manches in dieser Erstlingsschrift,
durchaus verfehlt; die richtige Lehre von der sog. „Trägheit* entwickelt Kant 1758
in dem „Neuen Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe". Nicht unberechtigt war
damals Lessings Epigramm: „K. unternimmt ein schwer Geschäfte, Der Welt zum
Unterricht: Er schätzet die lebendigen Kräfte; Nur seine eignen schätzt er nicht."
Kants Schätzung der menschlichen Kräfte in der Vernunftkritik sollte Lessing
nicht mehr erleben.
*•*) Falls der Begriff der Kraft, wie es heute üblich ist, für einen blossen
Hülfsbegriff genommen wird, so wird die Streitfrage selbst aufgehoben, indem dann
nur die Feststellung der Bewegungserscbeinungen und ihrer Gesetze unmittelbar
von objectiver Bedeutung ist, bei der Definition der Kraft aber vielmehr die
methodische Zweckmässigkeit in Frage kommt Wird unter „Kraft" eine der
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§ 24 Kante I^ben und Schriften.
213
Metaphysik sei, wie viele andere Wissenschaften, erst an der Grenze einer recht
gründlichen Erkenntniss.
Untersuchung der Frage, ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse
einige Veränderungen seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten
habe, in den Königsbergschen Frag- und Anzeigungs- Nachrichten 1754. Kant
will dieser Frage nicht historisch, sondern nur physikalisch nachspüren; er findet
in der Ebbe und Fluth eine Ursache beständiger Retardatlon. Vgl. G. Reuschle
in der deutschen Vierteljahrsschr., April bis Juni 1868, 8. 74—82.
Die Frage, ob die Erde veralte, physikalisch erwogen, ebend. 1754. Kant
handelt diese Frage nicht entscheidend, sondern nur prüfend ab, indem er ver-
schiedene Argumente für ein Veralten einer Kritik unterwirft. Vgl. Reuschle
a. a. O. S. 65-66.
Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, Königs-
berg und Leipzig 1755. Diese Schrift erschien anonym. Sie ist Friedrich II.
gewidmet und kam erst später in den Buchhandel, da der Verleger während des
Druckes fallirte, und sein ganzes Lager auf längere Zeit versiegelt wurde. Der
philosophische Grundgedanke derselben (der an Descartes erinnert) ist die Verein-
barkeit einer mechanischen Naturerklärung, welche ohne willkürliche Grenzen
jedesmal wieder zu der Ursache eine Naturursache sucht, mit einer Teleologie,
welche die gesammte Natur von Gott abhängig sein lässt. Somit findet Kant in
den entgegengesetzten Doctrinen Elemente der Wahrheit. Dass die Naturkräfte
selbst zweckmässig wirken, zeugt für das Dasein eines intelligenten Urhebers der
Natur. Die Materie ist an gewisse Gesetze gebunden, welchen frei überlassen, sie
nothwendig schöne Verbindungen hervorrufen muss. Aber gerade darum ist ein
Gott. Denn wie wäre es möglich, dass Dinge von verschiedenen Naturen in Ver-
bindung mit einander so vortrefFliche Uebereinstimmungen und Schönheiten zu
bewirken trachten sollten, weun sie nicht einen gemeinschaftlichen Ursprung
erkennten, nämlich einen unendlichen Verstand, in welchem aller Dinge wesentliche
Beschaffenheiten beziehend entworfen worden? Wenn ihre Naturen für sich und
unabhängig von einander nothwendig wären, so würden sie nicht mit ihren natür-
lichen Bestrebungen sich gerade so zusammenpassen, wie eine überlegte kluge
Quantität der Bewegung eines Körpers proportionale Ursache verstanden, so gilt
selbstverständlich das cartesianische Princip; versteht man aber darunter die
Fähigkeit des bewegten Körpers, gewisse specielle Wirkungen zu üben, z. B. einen
< ontinuirlichen und gleichmässigen Widerstand zu überwinden, so gilt die leibnizische
Formel; denn die von der „Kraft* ausgeführte .Arbeit- ist gleich dem Unterschiede
der halben Producte der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit am Anfang
und am Ende der Bewegung. Man nennt gegenwärtig bekanntlich rav die «Quanti-
tät der Bewegung", und rav« die »lebendige Kraft*. Beim freien Fall ist die
Endgeschwindigkeit nach n Secunden = 2ng, der in Secunden durchlaufene Weg
r=a n*g ; das halbe Product aus der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit
= Vsmv8 = Väin . 4n*g« = 2mn*g* mm 2gm . n*g, also gleich dem Product aus der
bewegenden Kraft (2gm) und dem Wege (n*g). Die Höhen, bis zu welchen auf-
wärts geschleuderte Körper steigen, verhalten sich hiernach wie die Quadrate der
Anfangsgesc hwindigkeiten, und in gleicher Art ist überhaupt nach dem halben
Product der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit die „Arbeit" hinsichtlich
des von dem zu bewegenden Körper zurückgelegten Weges zu messen. D'Alembert
hat bereits 1743 in seinem Traite de dynamique (Preface, S. XVI ff.; vgl. Montucla,
histoire des raathematiques, nouv. eU, Paris 1802. t. HI, p. 641) gezeigt, dass die
analytische Mechanik die Streitfrage als einen Wortetreit bei Seite lassen könne.
Doch lag den Discnssionen , von dem Wortetreit überdeckt, das Problem zum
Grunde, das Princip der Gleichheit zwischen Ursache und Wirkung mit den That-
sachen zu vereinigen. Vgl. G. Reuschle in der deutschen Vierteljahrsschrift, April
bis Juni 1868, S. 53-56.
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
Wahl sie vereinigen würde. Weil Gott durch die in die Materie selbst gelegten
Gesetze wirkt, so ist zu jedem Erfolg die nächste Ursache in den Naturkräften
selbst zu suchen. Die anfängliche seitwärts gerichtete Bewegung, welche zugleich
mit der Gravitation den I*uf der Planeten bestimmt, ist ihrerseits wiederum aus
Natnrkräften zu begreifen. Sie entstand, als die Materie der Sonne und Planeten,
die ursprünglich als Dunstmasäe ausgebreitet war, sich zu ballen begann, indem
der Zusammensturz der Massen Seitenbewegungen erzeugte. Nach der Analogie
mit der Genesis und dem Bestände des Planeteusystems ist die Genesis und der
Bestand des Fixsternsysteros zu denken. (Mit Kants Lehre von dem Bestände de*
Fixsternsystems kommt das Resultat der herschelschen Untersuchungen und mit
seiner Lehre von der Genesis desselben die laplacesche Theorie, Exposition du
Systeme du monde, 1796, in den wesentlichsten Grundzügen überein; doch tritt bei
Berschel die empirische Basis an die Stelle allgemein gehaltener Vermuthungen,
und die Lehre des Laplace unterscheidet sich von der kautischeu durch die An-
nahme der successiven Ausscheidung der Planetenstoffe aus der rotirenden Sonnen-
masse und durch die strengere mathematische Begründung. Die von Newton
aufgeworfenen Fragen, wie sich die Verschiedenartigkeit der Planeten- und Kometen-
bahnen erkläre, und warum die „Fixsterne" nicht aufeinanderstürzen, finden eine
Lösung in der kant-laplaceschen Theorie, und an die Stelle der newtonschen Zurück -
führung der Tangentialbewegung auf ein unmittelbares Einwirken des (um mit
Goethe im „ Faust" zu reden) gleichsam .von aussen stossenden" Gottes tritt in
dieser Theorie der Versuch einer genetischen Erklärung derselben nach Natur-
gesetzen.) Kant hält die meisten Planeten für bewohnt und die Bewohner der
von der Sonne entfernteren Planeten für die vollkommneren. Wer weiss, fragt
Kant, laufen nicht jene Trabanten um den Jupiter, um uns dereinst zu leuchten?
Er giebt auch die Möglichkeit einer unräumlichen Welt zu. — Einen Auszug an-
dern Werke Hess Kant 1791 durch Gensichen anfertigen und einer Uebersetzung
der Abhandlung Herschels üb. den Bau des Himmels beifügen. (Vgl. Ueberweg,
üb. K.s Allg. Naturg. etc. in: Altpreuss. Monatsschrift, Bd. II, Hft. 4. Kgsb. 1865,
S. 339-363, und E. Hay, üb. K.s Kosmogonie, ebd. Bd. III, Hft. 4, 1866, S. 312
bis 322, ferner Reuschle a. a. 0. S. 82—102, Otto Liebmann, Notiz zur kant-
laplaceschen Kosmogonie in: Philos. Monatshefte. IX, 1873, S 246— 251, F. Ritter-
feld, d. Cardinalfragen der Kosmologie u. K.s Entstehung des Weltalls, Wiesbaden
1883). Carl Witt, K.s Gedank. v. d. Bewohnern d. Gestirne, in: Altpr. Monatsschr.,
1885, S. 76 - 90.
Meditationum quarundam de igne succineta delineatio, Kants Doctor-Disser-
tation, der philos. Facultät zu Königsberg vorgelegt 1755, von Schubert aus Kants
Originalhandschrift zuerst veröffentlicht in den Werken V, Leipz. 1839, S. 233 bis
254. Die Körperelcmente ziehen einander nicht durch unmittelbare Berührung an,
sondern durch Vermittelung einer zwischen ihnen liegenden elastischen Materie,
welche mit der Materie der Wärme und des Lichtes identisch ist; das Licht ist
ebenso wie die Wärme nicht ein Ausflnss materieller Theile aus den leuchtenden
Körpern, sondern nach der durch Eulers Autorität aufs Neue bekräftigten Annahme
eine Fortpflanzung vibratorischer Bewegung in dem allverbreiteten Aether. Die
Flamme ist „vapor ignitus". (Eine Beurtheilung der einzelnen Sätze dieser Disser-
tation aus dem heutigen Standpunkte der Physik und Chemie von Gnst Werther steht
in: Altpr. Monatsschr., Kgsb. 1866, S. 441-447; vgl. Reuschle a. a. 0. S. 56-66.)
Principiorum priroorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, Kants
Habilitationsschrift, Kgsb. 1765. Kant entwickelt im Wesentlichen nur die leib-
nizischen Principien, jedoch mit einigen bemerkenswertheu Modifikationen. Nicht
das Princip des Widerspruchs, sondern das der Identität erkennt er als das
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§ 24. Kants Üben und Schriften.
215
schlechthin erste an. Das Princip der Identität umfasse die beiden Sätze: quid-
qaid est, est, als Princip der affirmativen Wahrheiten, und: quidquid non est, non
est, als Princip der negativen Wahrheiten. Pas Princip der ratio determinans,
wofür Kant nicht den Ausdruck ratio sufficiens gesetzt sehen will, zerlegt Kant in
zwei Formen, die er durch die Termini: ratio cur oder antecedenter determinans
und ratio quod oder consequenter determinans unterscheidet; jene setzt er mit der
ratio essendi vel fiendi, diese mit der ratio cognoscendi gleich, was freilich ungenau
ist, sofern die Erkenntniss aus dem Realgrunde dabei entweder unberücksichtigt
bleibt oder mit dem Werden aus dem Realgrunde vermischt wird Kant vertheidigt
das principium rationis determinantis gegen die Angriffe, die besonders Crusius auf
dasselbe gerichtet hatte, insbesondere gegen den Einwurf, duss dasselbe die Freiheit
aufhebe, indem er (im leibnizischen Sinne) definirt: Spontaneitas est actio a prin-
cipio interno profecta; quando haec repraesentationi optimi conformiter determi-
natus dicitur libertas, welche Definition später Kant selbst verwarf. Aus dem
Princip des Grundes leitet Kant Folgesätze ab, deren wichtigster ist: quantitas
realitatis absolutae in mundo naturaliter non mutatur nec augescendo nec decre-
scendo, was Kaut auch auf die Kräfte der Geister mitbezieht, sofern nicht Gott
unmittelbar einwirke. Das principium identitatis indiscernibilium, wonach es keine
zwei einander vollkommen gleichen Wesen im Universum geben soll, verwirft Kant,
leitet aber aus dem Princip des bestimmenden Grundes noch zwei allgemeine Sätze
ab: 1) das Princip der Succession, alle Veränderung sei an die Verbindung der
Substanzen unter einander geknüpft (welches Princip später Herbart durchgeführt
hat: beide schliessen auf Grund dieses Princips aus der Veränderung unserer Vor-
stellungen auf wirklich vorhandene äussere Objecte; auch Schleiermachers Dialektik
beruht mit auf diesem Princip); 2) das Princip der Coexistenz: die reale Verbin-
dung der endlichen Substanzen unter einander beruht nur auf der Verbindung, in
welcher ihr gemeinsamer Daseinsgrund, der göttliche Intellect, sie denkt und erhält
Durch diesen letzteren Satz nähert sich Kant der leibnizischen Lehre von der
prästabilirten Harmonie, ohne jedoch derselben beizutreten. Noch weniger billigt
er den Occasionalismus; es soll vielmehr durch Gott eine wirkliche actio universalis
spirituum in corpora corporumque in spiritus, nicht ein blosser consensus, sondern
eine wirkliche dependentia gesetzt sein. Andererseits unterscheidet Kant dieses so
begründete .systema universalis substantiarum commercii* streng von dem blossen
influxus physicus der wirkenden Ursachen.
Metaphysicae cum geometria junctae usus in philosophia natural!, cujus spe-
cimen I. continet monadologiam physi cam, Kgsb. 1766, eine von K. zu dem
Zweck, für ein Extraordinariat in Vorschlag gebracht werden zu dürfen (welches
ihm jedoch aus dem oben angegebenen Grunde nicht zu Theil wurde), vertheidigtc
Dissertation. An die Stelle der punctuellen leibnizischen Monaden setzt K. aus-
gedehnte und doch einfache, weil nicht aus einer Mehrheit von Bubstanzen be-
stehende Elemente der Körper, wodurch er (zu der Theorie Brunos, die er jedoch
nicht historisch gekannt zu haben scheint, zurückkehrend) die Monadenlehre der
Atomistik annähert. Von der letzteren aber unterscheidet sich seine Doctrin
wiederum wesentlich durch die von ihm behauptete dynamische Raumerfüllung
mittelst der Repulsivkraft (die von dem Ceutrum aus nach dem Cubus der Ent-
fernungen abnehmen mag» und der Attractionskraft (die nach dem Quadrat der
Entfernungen abnimmt); wo die Wirkungen beider gleich seien, sei die Grenze
des Körpers. Quodlibet corporis elementum simplex sive monas non solum est in
spatio, sed et implet spatium, salva nihilo minus ipsius simplicitate. Monas
spatiolom praesentiae suae definit non pluralitale partium suarum substantialium,
sed sphaera activitatis, qua externas utrinque sibi praesentes arcet ab ulteriori ad
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§ 24. Kaute Leben und Schriften.
se invicera appropinquatione. Adest alia pariter insita attractionls vis cum im-
penetrablliUte conjunctim limitem definiens extenslonls. K. folgert hieraus u. a.,
dass die Elemente der Körper als solche vollkommen elastisch seien, da der ihnen
innewohnenden Repulsivkraft eine stärkere Kraft entgegentreten könne, welche
die Wirkungen jener beschränken müsse, aber niemals aufzuheben vermöge. (K.s
Argumentation, daas die Anziehungskraft auf einen jeden rankt in dem Maasse
schwächer wirken müsse, in welchem die sphärischen Oberflächen, über welche sie
sich verbreite, vermöge der wachsenden Entfernung vom Centraipunkte grösser
werden, gehört ursprünglich Newtons Zeitgenossen Halley, 1656—1724, an, 8.
Whewell, Gesch. d. ind. Wiss., übers, v. Llttrow, Bd. II, S. 157. — Geo. Simmel,
das Wesen der Materie nach K.s physischer Monadologie, I.-D., Berl. 1881).
Von den Ursachen derErderschütterungen bei Gelegenheit des Unglücks,
welches die westl. Länder von Europa gegen das Ende des vorigen Jahres (1755)
betroffen hat, in den Königsb. Frag- und Anzeigungs-Nachrichten 1756. Geschichte
und Naturbeschreibung des Erdbebens im Jahr 1755, Kgsb. 1756; Betrachtung
der seit einiger Zeit wahrgenommenen Erderschütterungen, in den Königsb.
Fr.- und Anz.-Nachrichten, 1756, No. 15 und 16; naturwissenflchafüiche Abhand-
lungen, die mit der „Allg. Naturgesch. u. Theorie des Himmels" in nahem Zu-
sammenhange stehen. Er spricht sich dahin aus, dass diese Erschütterungen auf
vulkanischen Vorgängen im Innern der Erde beruhen. (Die Berichte, worauf Kant
in der Schrift üb. das lissaboner Erdbeben von 1755 fusste, hält Otto Volger in
seinen „Untsuchgn. üb. die Phänomene der Erdbeben in d. Schweiz", Gotha 1857
bis 1858, für sehr ungenau. Doch vgl. andererseits Reuschle a. a. O. S. 66 ff.)
Neue Anmerkungen zur Erläuterung der Theorie der Winde, Kgsb. 1766,
Einladungsschrift K.s zu s. Vöries, im Somm. 1756. K. hat in dieser Abhandlung
die richtige Theorie der periodischen Winde, wie es scheint, originell aufgestellt,
ohne von Hadleys partiellem Vorgange zu wissen. Hadley hat 1735 (nachdem
Halley 1686 eine falsche, auf die durch die Sonne in ihrem täglichen Lauf be-
wirkten Temperatur-Unterschiede gegründete Theorie der Passate aufgestellt hatte)
die Windverhältnisse der Tropen im Wesentlichen richtig aus den Unterschieden
der Rotationsgeschwindigkeit in den verschiedenen Breiten und den Temperatur-
Unterschieden in den verschiedenen Breiten erklärt; K. hat nach den gleichen Ge-
sichtspunkten auch die Hauptetrömungen der Luft ausserhalb der Tropen (die
Westwinde aus dem Herabkommen und der Ablenkung des oberen Stromes, der
ursprünglich die Richtung vom Aequator zu den Polen hat) erklärt. (Vgl. Doves
meteorolog. Untersuchgn., Berl. 1837, S. 244 ff., und in Beziehung auf Kant Reuschle
a. a. 0. S. 68 f.) K. hat hierdurch für die Erklärung vieler meteorologischen Er-
scheinungen das wahre Fundament gewonnen. Am Schlüsse dieser Einladungsschrift
sagt K., er sei gesonnen, die Naturwissenschaft nach J. P. Eberhards (nicht zu
verwechseln mit Joh. Aug. E.) Lehrbuch „Erste Gründe d. Naturlehre" zu erklären,
in der Mathematik Anleitung zu geben, den Lehrbegriff der Weltweisheit mit der
Erläuterung der Meyerschen Vernunftlehre zu eröffnen und die Metaphysik nach
Baumgartens Handbuch vorzutragen, welches er „das nützlichste und gründlichste
unter allen Handbüchern seiner Art" nennt und dessen „Dunkelheit" er «durch die
Sorgfalt des Vortrags und ausführliche schriftliche Erläuterungen" zu heben hofft.
Entwurf und Ankündigung eines Gollegli über die physische Geographie
nebst Betrachtung über die Frage, ob die Westwinde in unseren Gegenden darum
feucht sind, weil sie über ein grosses Meer streichen, Kgsb. o. J. (Goldbeck,
litterar. Nachr. r. Preuss. II, 48 (1783), giebt als Druckjahr 1759 an, ebenso Wald
In seinem 2. Beitr. z. Blogr. Kants (1804), richtig Borowski u. nach ihm Harten-
stein 1757, Schubert erst 1765. Kant las die phys. Geogr. zuerst im Sommersemester
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
217
1757.) Eine Fortsetzung der Untersuchungen aus den Jahren 1756 und 1756. Jene
Frage über die Westwinde wird verneint, aber die positive Lösung fehlt, weil der
Einfluss der Temperatur auf die Capacität der Luft für Wasserdampf nicht in
Betracht gezogen wird.
Neuer Lehrbegriff der Bewegnng und Ruhe, Königsberg 1758. Kant weist
die Relativität aller Bewegung nach, erklärt daraus die Gleichheit der Wirkung
und Gegenwirkung in dem Stosse der Körper und giebt die wahre Deutung der
gewöhnlich einer „Trägheitskraft* zugeschriebenen Erscheinungen.
Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus, Königsberg 1759.
Kant billigt hier den Optimismus, in der Ueberzeugung, Gott könne nicht umhin,
das Beste zu wählen; er hält dafür, das Weltganze sei das Beste und Alles
um des Ganzen willen gut. Sein späterer Kriticismus lässt diesen Argumentations-
gang nicht zu und betont vielmehr, als die Einheit des Ganzen, die persönliche
Freiheit der Individuen.
Gedanken bei dem frühzeitigen Ableben des Herrn von Funk, Sendschreiben
an seine Mutter (Königsberg 1760). Eine Gelegenheitsschrift.
Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren, Königsberg
1762. Kant lässt nur die erste Figur als naturgemäss gelten. Vgl. dagegen die
von Ueberweg, Syst der Log., zu § 103 aufgestellte Widerlegung.
Versuch, den Begriff der negativen Grössen in die Weltweisheit einzu-
führen, Kgsb. 1763. Einander entgegengesetzt ist, wovon Eines dasjenige aufhebt,
was durch das Andere gesetzt ist Die Entgegensetzung ist entweder logische oder
reale Opposition. Jene ist der Widerspruch und besteht darin, dass von demselben
Dinge etwas zugleich bejaht und verneint wird ; ihre Folge ist das nihil negatlvum
irrepraesentabile. Die reale Opposition ist diejenige, da zwei Prädicate eines
Dinges entgegengesetzt Bind, aber nicht durch den Satz des Widerspruchs; beide
Prädicate sind bei der Realrepugnanz bejahend, aber in entgegengesetztem Sinne,
wie eine Bewegung und die gleich rasche Bewegung in der gerade entgegengesetzten
Richtung oder wie eine Activschuld und die gleich hohe Passivschuld; die Folge
davon ist das nihil privativem repraesentabile, das K. Zero nennen will; auf diese
reale Entgegensetzung gehen die mathematischen Zeichen + und Alle positiven
und negativen Realgründe der Welt sind zusammengenommen gleich Zero. (Schon
in der Abhdlg.: princ cogn. met dilucidatio hat K. die von Daries aufgestellte
Argumentation für das logische Princip des Widerspruchs durch die mathematische
Formel: -f- A — A = 0, getadelt, da diese Ausdeutung des Minus -Zeichens
willkürlich sei und eine petitio prindpii involvire; in der gegenwärtigen Abhandlung
aber weist er bestimmter den Unterschied nach ) Der Unterscheidung der logischen
und realen Entgegensetzung entspricht die des logischen und des Realgrundes; aus
jenem ergiebt sich die Folge nach der Regel der Identität, indem sie als Theil-
begriff in ihm liegt, aus diesem nicht nach der Regel der Identität, sondern als
etwas Anderes und Neues. Wie Causalität in diesem letzteren Sinne möglich sei,
bekennt K., nicht einzusehen. — K. hat seitdem an der Ueberzeugung festgehalten,
dass die Causalität sich nicht aus dem Satze der Identität und des Widerspruchs
verstehen lasse. Zunächst führt er nun die Annahme von Causalverhältnissen auf
die Erfahrung zurück, später, in der Periode des Kriticismus, auf einen ursprüng-
lichen Verhältnissbegriff.
Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes,
Königsberg 1763. Kant äussert schon in dieser Abhandlung die Ueberzeugung,
.die Vorsehung habe nicht gewollt, dass unsere zur Glückseligkeit höchst nöthigen
Einsichten auf der Spitzfindigkeit feiner Schlüsse beruhen sollten, sondern sie dem
natürlichen geraeinen Verstände unmittelbar überliefert"; „es ist durchaus nöthig,
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§ 24. Kants Leben and Schriften.
dass man sich vom Dasein Gottes überzeuge, aber es ist nicht eben so nöthig, dass
man es demonstrire*. Nichts desto weniger hält Kant hier noch für möglich, an
einem Beweise für Gottes Dasein zu gelangen, indem man sich auf den finsteren
Ocean der Metaphysik wage, wogegen er später die Unmöglichkeit jedes theoretischen
Beweises der Existenz Gottes darzuthun unternimmt Schon in dieser Abhandlung
stellt er den Satz auf, das Dasein sein kein Prädicat oder Determination von irgend
einem Dinge; die Dinge erhalten nicht durch die Existenz ein Prädicat mehr, als
sie ohne dieselbe, als bloss mögliche Dinge, haben. In dem Begriffe des Subjects
findet man immer nur Prädicate der Möglichkeit. Das Dasein ist die absolute
Position eines Dinges und unterscheidet sich dadurch auch von jeglichem Prädicate,
welches als ein solches jederzeit bloss beziehungsweise gesetzt wird. Wenn ich
sage, Gott ist allmächtig, so wird nur diese logische Beziehung zwischen Gott und
der Allmacht gedacht, da die letztere ein Merkmal des ersteren ist. Es ist un-
möglich, dass nichts existire; denn dadurch würde das Material und die Data zu
allem Möglichen aufgehoben, aUo alle Möglichkeit verneint werden; wodurch aber
alle Möglichkeit aufgehoben wird, das ist schlechterdings unmöglich.*) Demnach
existirt etwas absolut nothwendiger Weise. Das nothwendige Wesen iBt einig,
weil es den letzten Realgrund aller anderen Möglichkeit enthält, also jedes andere
Ding von ihm abhängig sein muss, es ist einfach, nicht aus vielen Substanzen zu-
sammengesetzt, es ist unveränderlich und ewig, es enthält die höchste Realität; es
ist ein Geist, da zu der höchsten Realität die Eigenschaften des Verstandes und
Willens gehören; mithin ist ein Gott Diese Argumentation, die nicht empirisch
irgend eine Existenz voraussetze, sondern nur von dem Kennzeichen der absoluten
Notwendigkeit hergenommen sei, erklärt Kant für einen vollkommen a priori
geführten Beweis; man erkenne auf diese Weise das Dasein jenes Wesens aus dem-
jenigen, was wirklich die absolute Notwendigkeit desselben ausmache, also recht
genetisch ; alle anderen Beweise, auch wenn sie die Strenge hätten, die ihnen fehlt
würden doch niemals die Natur jener Nothwendigkeit begreiflich machen können.
Die (anselmische und) cartesianische Form des ontologischen Beweises, aus dem
vorausgesetzten Begriffe Gottes auf Gottes Existenz zu schliessen, verwirft Kant.
Uebrigens fügt Kant eine, vortrefflich durchgeführte, Betrachtung bei, worin aus
der wahrgenommenen Einheit in dem Wesen der Dinge auf das Dasein Gottes
a posteriori geschlossen wird, und führt insbesondere den pbysico-theologiseben
Grundgedanken seiner „Allg. Naturgesch. und Theorie des Uimmels* weiter durch.
Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen
Theologie und der Moral, zur Beantwortung der Frage, welche die K. Aka-
demie der Wies, zu Berlin auf das Jahr 1763 aufgegeben hat Kants Abhandlung
erhielt das Accessit, die mendelssohnsche (.über die Evidenz in metaphysischen
Wissenschaften') den Preis. Beide wurden zusammen Berlin 1764 gedruckt Kant
geht von einer Vergleichung der philosophischen Erkenntnissweise mit der mathe-
matischen aus. Die Mathematik gelangt zu allen ihren Definitionen synthetisch,
die Philosophie aber analytisch; die Mathematik betrachtet das Allgemeine unter
den Zeichen in concreto, die Weltweishcit das Allgemeine durch die Zeichen in
abstracto; in der Mathematik sind nur wenige unauflösliche Begriffe und uner-
weisliche Sätze, in der Philosophie aber unzählige; das Object der Mathematik ist
leicht und einfach, das der Philosophie aber schwer und verwickelt „Die Meta-
*) Offenbar ist dies ein Paralogismus : die Aufhebung aller Möglichkeit des
Daseins ist zwar mit der Behauptung der Unmöglichkeit des DaseinB, aber nicht
mit der Behauptung der Unmöglichkeit jener Aufhebung aller Möglichkeit
identisch.
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
210
physik ist ohne Zweifel die schwerste unter allen menschlichen Hinsichten; allein
es ist noch niemals eine geschrieben worden." Die einzige Methode, zur höchst-
möglichen Gewissheit in der Mctuphysik zu gelangen, ist mit derjenigen identisch,
die Newton in der Naturwissenschaft einführte: Zergliederung der Erfahrungen und
Erklärung der Erscheinungen aus den hierdurch gefundenen Regem, möglichst mit
Hülfe der Mathematik.
Raisonnement über den Abenteurer Jan Komarnicki. in den Königsb.
( kanterschen) gelehrt, und polit Zeitungen 1764, den „Ziegenpropheten", der von einem
achtjährigen Knaben begleitet umherzog. Kant fand in dem „kleinen Wilden",
dessen Rüstigkeit und Freimuth ihm gefiel, ein interessantes Exemplar eines Natur-
kindes im rous8eanschen Sinne.
Versuch über die Krankheiten des Kopfes, in denselb. Zeitung. 1764.
Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, Königsberg
1764. Eine Reihe der feinsten Beobachtungen aus dem Gebiet der Aesthetik, Moral
und Psychologie. Charakteristisch ist die ästhetische Begründung der Moral auf
das „Gefühl von der Schönheit und Würde der menschlichen Natur".
Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen im Winterhalbjahr
1765—66. Königsberg 1765. Der Vortrag soll nicht Gedanken, sondern denken
lehren; es gilt nicht Philosophie lernen, sondern philosophiren lernen. Eine fertige
Weltweisheit ist nicht vorhanden; die Methode des philosophischen Unterrichts
muBs forschend (zetetisch) sein.
Ueber Swedenborg, Brief an Fräulein von Knobloeh, vom 10. August 1763,
nicht 1758, wie Borowski angegeben hat und auch nicht, wie andere wollen, 1768.
Das Jahr 1763 ergiebt sich schon aus der Vergleichung der historischen Data mit
Gewissheit (da der Brand zu Stockholm am 19. Juli 1759 stattgefunden hat, der
holländische Gesandte Ludw. v. Marteville am 25. April 1760 gestorben, der
General St. Germain im December 1760 in dänischen Dienst getreten ist und die
Armee befehligte, zu welcher der von Kant erwähnte dänische Offizier ohne Zweifel
im Jahre 1762 während des Feldzngea in Mecklenburg abging), und dazu stimmt
auch, dass die Vermählung der Adressatin, Amalie Charlotte von Knobloch, geb.
10. Aug. 1740, mit dem Hauptmann Friedrieh von Klingsporn am 22. Juli 1764
stattgefunden hat, s. Fortgesetzte neue geneal.-hist Nachr., Theil 37, Leipz. 1765,
S 384. Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik,
Kgsb. (auch Riga) 1766 (anonym), eine zwischen Ernst und Scherz die Mitte haltende
Schrift, in welcher Kant mehr und mehr zu einer skeptischen Haltung fortgeht.
Die Möglichkeit mancher beliebten metaphysischen Annahmen ist unbestreitbar,
aber dieselben theilen diesen Vortheil mit manchen Wahngobilden der Verrückten ;
viele Speculationen finden nur darum Geltung, weil die Verstandeswage nicht ganz
unparteiisch ist, und ein Arm derselben, der die Aufschrift trägt: „Hoffnung der
Zukunft" einen mechanischen Vortheil hat, eine Unrichtigkeit, die Kant selbst
nicht heben zu wollen bekennt Die Fragen über die Natur der Seele, über Freiheit
und Vorherbestimmung, über die Unsterblichkeit, überhaupt die Fragen der Meta-
physik, sind für die Philosophie unlösbar, und zwar soll dies eben für diejenige
Philosophie gelten, die über ihr eigenes Verfahren urtheilt, und die nicht die
Gegenstände allein, sondern auch deren Verhältniss zu dem Verstände des Menschen
kennt Begriffe, die nicht in der Erfahrung gegeben sind, d. h. Begriffe von
möglichen Dingen, sind reine Fictionen. Es ist demnach auf die Metaphysik, die
als Wissenschaft nicht möglich ist, auch nicht die Moral zu gründen, sondern die
Verpflichtung der moralischen Gebote muss ihre selbständige Geltung haben.
Uebrigens findet es Kant der menschlichen Natur und Reinigkeit der Sitten ge-
mässer, die Erwartung der künftigen Welt auf die Empfindungen einer wohlgearteten
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
Seele, als umgekehrt ihr Wohlverhalten auf die Hoffnung der andern Welt zu
gründen. In dem 2. Hauptstück des I. Theiles, welches Kant nennt ein Fragment
der geheimen Philosophie, die Gemeinschaft mit der Geisterwelt zu eröffnen, zeigt
er, wie leicht man auf Grund annehmbar scheinender Princlpien, in streng logischer
Weise, sobald man sich nicht auf Erfahrung stützt, zu wunderbaren Ansichten und
Systemen gelangen kann. Er hält freilich selbst die höchst beachtenswerthe Probe
eines solchen Systems, die er hier giebt, für nichts als einen Traum der Metaphysik.
— Vgl. (Tafel), AbriBB d. Lebens u. Wirk. Em. Swedenborgs verbünd, mit
e. Würdigg. der Berichte u. Urtheile Stillings, Elopstocks, Herders, Kants, Wie-
lands u. A., Stuttg. u. Cannstatt 1845. Matter, Swedenborg, Paris 1863. Theod.
Weber, Kants Dualismus von Geist und Natur aus dem Jahre 1766 und der des
posit Christenthums, Breslau 1866. White, Em. Swedenborg, his Life and Writings,
2 vis., London 1867. Paul Janet, Kant et Swed., in: Journal des savants, Mai
1870, S. 299-313.
Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume,
in den Königsb. Fr. u. Anz.-Nachr. 1768. Schon Euler hatte (Historie der kgL
Akad. d. Wiss. zu Berlin vom Jahre 1748) darzuthun gesucht, dass der Raum
unabhängig von dem Dasein aller Materie eine eigene Realität habe; Kant aber
will .nicht den Mechanikern, wie Herr Euler zur Absicht hatte, sondern selbst
den Messkünstlern einen überzeugenden Grund an die Hand geben, mit der ihnen
gewöhnlichen Evidenz die Wirklichkeit ihres absoluten Raumes behaupten zu
können". Aus dem Umstände, dass Figuren, wie z. B. die der rechten und der
linken Hand einander völlig gleich und ähnlich sein und dennoch nicht in denselben
Grenzen beschlossen werden können (wie z. B. der rechte Handschuh nicht auf die
linke Hand passt), glaubt Kant den Schluss ziehen zu dürfen, dass der vollständige
Bestimmungsgrund einer körperlichen Gestalt nicht lediglich auf dem Verhältniss
und der Lage seiner Theile gegeneinander beruhe, sondern noch überdies auf einer
Beziehung gegen den allgemeinen absoluten Raum; der Raum soll dem gemäss nicht
bloss in dem äusseren Verhältniss der neben einander befindlichen Theile der
Materie bestehen, sondern etwas Ursprüngliches sein und zwar nicht als blosses
Gedankending, sondern in der Realität. Freilich findet Kant diesen Begriff von
ungelösten Schwierigkeiten umgeben, welche nicht lange nachher ihn dazu führten,
den Raum für eine blosse Form unserer Anschauung zu erklären, womit der letzte
Schritt zum Kriticismus geschah.
II. Schriften aus der Periode des Kriticismus.
De mundi sensibilis atque intelli gibilis forma et prineipiis, dissert. pro
loco profe&sioni8 log. et metaph. ordin. rite sibi vindicando, Regiom. 1770. Der
Grundgedanke der Vernunftkritik tritt hier bereits in Bezug auf Raum und Zeit,
aber noch nicht in Bezug auf Substantialität, Causalität und überhaupt die Kate-
gorien hervor. Auf diese letzteren dehnte Kant denselben erst in den nachfolgenden
Jahren aus.
Man kann die beiden Richtungen der Philosophie, die in der letzten Zeit
namentlich vertreten waren, und die Kant selbst vertreten hatte, in dieser Disser-
tation mit einander verbunden sehen, und damit sind manche Hauptresultate der
Vernunftkritik vorausgenommen. Die menschliche Erkenntniss ist doppelter Art,
ohne dass die eine von der andern abhängig ist, die sinnliche und die intellec-
tuelle. Die erste, die der sensualitas entstammt, und deren Gegenstand die sensibilia
(phänomenal sind, stellt die Dinge vor, wie sie erscheinen, in ihrer Relation zum
Subject Die letztere bezieht sich auf die intelligibilia (noamena). Sie entsteht aus
der intelligentia (rationalitas) und erkennt die Dinge, wie sie sind. Bei der sinn-
lichen Erkenntniss muss man den Stoff von der Form unterscheiden. Die Materie,
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
221
sensatio, ist Empfindung, die zwar die Gegenwart von etwas Sinnlichem anzeigt,
aber die Beschaffenheit desselben nicht angiebt Diese Empfindungen werden nun
geordnet durch Gesetze, welche nicht den einzelnen Empfindungen entstammen, son-
dern ursprünglich dem Gemüth innewohnen. Damit das Vielerlei des Gegenstandes,
welches den Sinn erregt, in das Ganze einer Vorstellung zusammenschmelze, bedarf
es eines inneren Princips der Seele, wodurch dieses Vielerlei nach festen und ein-
geborenen Gesetzen eine bestimmte Gestalt annehme. Durch diese Ordnung ent-
steht die Erscheinung, apparentia, und ihre Gesetze sind Zeit und Raum. Tempus
non est obiectivum aliquid et reale, nec substantia, nec accidens, nec relatio, sed
subiectiva conditio per naturam mentis humanae necessaria quaelibet sensibilia certa
lege sibi coordinandi, et intuitus purus. Und ganz ähnlich heisst es vom Räume:
Spatium non est aliquid obiectivi et realis, nec substantia, nec accidens, nec relatio,
sed subiectivum et ideale e natura menüs stabili lege proficiscens, veluti Schema,
omnia oranino externe sensa sibi coordinandi. Die sinnlichen Erkenntnisse werden
dann weiter durch den logischen Gebrauch des Verstandes andern sinnlichen, als
den gemeinsamen Begriffen, und die Erscheinungen den allgemeinen Gesetzen der
Erscheinungen untergeordnet, und die allgemeinsten Erfahrungsgesetze sind so sinn-
licher Natur. Die Erfahrnngsbegriffe werden durch Zurückführung auf eine höhere
Allgemeinheit nicht zu Verstandesbegriffeu im wirklichen Sinne. Diese Erkenntniss,
welche aus der vermittelst des usus logicus geschehenen Vergleichung mehrerer
Erscheinungen hervorgeht, heisst Erfahrung, experientia, so dass wir also drei
Stufen der sinnlichen Erkenntniss haben. Der Weg von der Erscheinung zur Er-
fahrung führt nur durch die Ueberlegnng in Gemäsaheit des logischen Gebrauchs
des Verstandes.
Was nun den Intellect und seine Erkenntniss anlangt, so wird durch den usus
logicus des Verstandes eine selbständige Erkenntniss nicht erzeugt. Es giebt aber
ausser diesem usns logicus noch einen uhus realis des Intellects, durch welchen
Begriffe theils von Gegenständen theils von Beziehungen gegeben werden, die nicht
von den Sinnen entlehnt sind und auch keine Form der sinnlichen Erkenntniss ent-
halten. Es giebt also eine Verstandeserkenntnuss, aber keineswegs darf diese als
die deutliche und die sinnliche als die verworrene erklärt werden. Die erste
Philosophie, welche die Principien des Gebrauchs des reinen Verstandes enthält,
ist die Metaphysik, in welcher es keine Erfahrungsgrundsätze giebt Demnach
müssen die in ihr enthaltenen Begriffe nicht in den Sinnen gesucht werden, sondern
in der Natur des reinen Verstandes selbst, nicht als angeborene Begriffe, sondern
als solche, welche nach den der Seele innewohnenden Gesetzen (indem auf ihre
Thätigkeit bei Gelegenheit der Erfahrung geachtet wird) abgezogen, also erworben
sind. Solche Begriffe sind die Möglichkeit, das Dasein, die Substanz, die Not-
wendigkeit, die Ursache u. s. w. mit den entgegengesetzten und correlaten Begriffen.
Diese Begriffe führen nun auf Lehrsätze mit einem bestimmten Inhalt, und so gehen
die allgemeinen Grundsätze des reinen Verstandes, wie sie von der Ontologie und
der rationellen Seeleulehre geboten werden, in ein Einzelnes aus, was nur mit dem
reinen Verstände zu erfassen ist, in ein für alle andern Realitäten dienendes Maass,
in die perfectio noumenon. Diese ist im theoretischen Sinne das höchste Wesen,
Gott, im praktischen Sinne die moralische Vollkommenheit, so dass also auch die
Moralphilosophie, soweit sie die ersten Grundsätze zur Beurtheilung bietet, nur durch
den reinen Verstand erkannt werden kann. Als Ideal der Vollkommenheit ist Gott
das Princip der Erkenntniss und als wirklich daseiend das Princip des Werdens für
jede Vollkommenheit Die niederen Grade der Vollkommenheit können nur durch
Beschränkung der höchsten Vollkommenheit bestimmt werden, und so sind die Dinge
Einschränkungen der Realität Gottes. Die Einheit der Dinge, wie sie thatsächlich
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
In der Welt vor aus liegt, besteht in der Wechselwirkung aller ihrer Tbeile. Aber
es genügt nicht die gewöhnliche Annahme des influxus physicus, wonach die Gemein-
schaft der Substanzen nnd die übergehenden Kräfte durch ihr blosses Dasein hin-
reichend erkannt werden sollen, sondern die Wechselwirkung kann nur statuirt
werden unter der Annahme eines gemeinsamen Urgrundes, und dieser ist Gott
Substantiao mundanae sunt eutia ab alio; sed non a diversis, sed omnia ab uno.—
üuitas in coniunctione substantiarum univerei est consectarium dependentiae omnium
ab uno. — Kaut neigt hier der Metaphysik im alten Sinne zu, obwohl er schon in
den „Träumen eines Geistersehers* sich gegen eine solche verwahrt hatte and in seinen
späteren kritischen Schriften diese Art der Metaphysik ganz verwarf.
In dem Scholion zu § 22 trägt Kaut eine Ansicht vor, welche sich nach seiner
eigenen Bemerkung der Lehre Malebrauches, dass wir alle Dinge in Gott schauen,
sehr nähert, jedoch meint er, mit dieser Ansicht die Grenzen der apodiktischen
Gewissheit, welche der Metaphysik gezieme, zu überschreiten. Die menschliche Seele
wird nämlich nach der hier von Kant geäusserten Ansicht von den äusseren Dingen
nur so weit afficirt, und die Welt steht ihrem Anschauen nur soweit ins Unendliche
offen, als die Seele mit allen andern Dingen vou der Kraft eines Einzigen erhalten
wird. Deshalb nimmt sie die äusseren Dinge nur durch die Gegenwart eben dieser
gemeinsamen erhaltenden äusseren Ursache wahr. Daher kann der Raum, als die
allgemeine und nothwendige Bedingung der Mitgegenwart von aHein sinnlich Er-
kannten die Omnipraesentia phänomenon genannt werden, und die Zeit in gleicher
Weise causae generalis aeternitas phänomenon. Kant nähert sich hier einem Pan-
theismus, obwohl er in § 19 der Dissertation sagt, die Ursache der Welt sei ein
Wesen ausserhalb derselben, und nicht die Seele der Welt, ihre Gegenwart in der
Welt sei keine örtliche, sondern eine wirksame.
In der Kritik der reinen Vernunft hat Kant den Versuch, die Anschauungen
Raum und Zeit als phänomenale Correlate der göttlichen Allgegenwart und Ewig-
keit aufzufassen, nicht mehr gemacht, sondern dieselben ab schlechthin nur
subjective Formen betrachtet; er war dazu genöthigt, weil er daselbst auch die
Relationsbegriffe, das , Commercium" der Substanzen und den Substanzbegriff
selbst als etwas bloss Subjectives fasste, also in ihnen nicht mehr (mit Leibniz)
eine objective Basis der sabjcctiven Raumanschauung finden konnte, und ebenso-
wenig in der causae generalis aeternitas die objective Basis der subjectiven Zeit-
anschauung, zumal da ihm nunmehr das Absolute gerade am allerwenigsten als
wissenschaftlich erkennbar galt. (Vgl. F. Michelis de I. K. libello, qui de m. s.
et i. f. et p. inscribitur, Braunsb. 1870. Ind. lect., und die betreffenden Abschnitte
in den citirten Werken von Paulsen und Riehl.)
Mehr als die Dissertation nähern sich der Kritik der reinen Vernunft die vou
Pölitz herausgegebenen Vorlesungen über Metaphysik, s. u. S 228. „ Mittheilungen
über Kants metaphysischen Staudpunkt in der Zeit um 1774* nach diesen Vor-
lesungen giebt B. Erdmann, in : Philos. Monatsh , 1884, S. 65—97.
Recension der Schrift vou Moscati über den Unterschied der Structur der
Thiere und Menschen, aus den Königsb. gelehrten u. polit Zeitung. 1771, abg. iu
Reickes Kantiaua, S, 66-68. Kant billigt Moscatls anatomische Begründung des
Satzes, dass die thierische Natur des Menschen ursprünglich auf den vierfüasigeu
Gang angelegt sei.
Von den verschiedenen Racen der Menschen, zur Ankündigung der Vor-
lesungen d. physisch. Geogr. im Soinmerhalbj. 1775, Kgsbg. (verändert und erweitert
in Engels Philosoph f. d. Welt, 2. Tbl, Leipz. 1777, in den spätem Auflagen
nicht mehr). Alle Menschen gehören zu einer Naturgattung; die Racen sind die
festesten unter den Abarten. Bemerkenswerth ist Kants Aeusserung, eine wirk-
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
223
liehe Naturgeschichte werde vermuthlich eine grosse Menge scheinbar verschie-
dener Arten zu Racen eben derselben Gattung zurückführen und das jetzt so weit-
läufige Schulsystem der Naturbeschreibung in ein physisches System für den
Verstand verwandeln; man müsse eine geschichtliche Naturerkeuntniss zu erlangen
suchen, die wohl nach und nach von Meinungen zu Einsichten fortrücken könne.
In der Kritik der teleologischen Urtheikkraft hat Kant später eben diesen Ge-
danken von Neuem entwickelt.
üeber das Dessauer Philanthropin, in den Königsbergischen gel. und pol.
Ztgn. 1776-78, bei Reicke, Kantiaua, S. 68 ff. (Doch ist nur bei B [1777,
welcher Aufsatz, ,an das gemeine Wesen* überschrieben, auch in den „pädagog.
Unterhaltungen", hrsg. von Basedow und Campe, Dessau 1777, 3. Stück, und dar-
nach bei Karl v. Raumer, Gesch. d. Päd. II., S. 287, abgedruckt ist] und wohl
auch bei A [1776] die kantische Autorschaft geuügend gesichert, bei C dagegen,
das in Gedanken und Ausdruck gemässigter aber auch vulgärer ist, mindestens
zweifelhaft; der Hofprediger Crichton scheint nach Kants Aufforderung vom
29. Juli 1778, bei R. und Sch. XI, S. 72, den Artikel verfasst zu haben.) Kant
interessirt sich lebhaft für die .weislich aas der Natur selbst gezogene* Erziehungs-
methode des Philanthropins. Vgl. Reicke, Kant u. Basedow, im deutsch. Museum,
1862, No. 10.
Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781. In dieses Werk hat Kaut (nach
einem Briefe an Moses Mendelssohn vom 18. August 1783) das Resultat eines
mindestens zwölfjährigen Nachdenkens niedergelegt, die Ausarbeitung aber «binnen
vier bis- fünf Monaten in grösster Aufmerksamkeit auf den Inhalt, aber weniger
Fleiss auf den Vortrag und Beförderung der leichten Einsicht für den Leser zu
Stande gebracht". — Die Briefe an Marcus Herz bringen einige Notizen über den
Fortgang des Werkes und über die Ursachen seiner Verzögerung. — Die zweite,
umgearbeitete Auflage erschien ebend. 1787; die späteren Auflagen bis zur siebenten,
Leipz. 1828, sind unveränderte Abdrücke der zweiten. — Kants Krit. d. rein. V.
Nachträge. Aus K.s Nachlass herausgeg. v. B. Erdmann, Kiel 1881. (Gegen
200 Randbemerkungen aus K.s Handexemplar der 1. Aufl. der Kr. d. r. V., ohne
besonderen Werth für das bessere Verständniss der kantischen Lehre.) — In den
Geaammtausgaben. der Werke, namentlich auch in den Separatausgaben der Krit.
d. r. V. von Kehrbach und B. Erdmann (Lpz. 1878, 3. Aufl. 1884) sind die Differenzen
zwischen beiden Ausgaben vollständig angegeben. — Rosenkranz wie neuerdings
Kehrbach legt die erste Auflage zu Grunde und giebt die in der zweiten Auflage
eingetretenen Aenderungen an; Hartenstein und Kirchmann sowie Erdmann dagegen
fügen in ihren Ausgaben dem Abdruck der zweiten Auflage die Varianten der
ersten bei. Dieses entgegengesetzte Verfahren hängt mit der Verschiedenheit des
Urtheils über den Werth beider Ausgaben zusammen. Rosenkranz bevorzugt die
erste, indem er mit Michelet, Schopenhauer und Anderen in der zweiten Auflage
Aenderungen des Gedankens zum Nachtheil der Consequeuz zu finden glaubt;
Hartenstein aber sieht darin im Anschluss an Kants eigene Aussage (in der Vor-
rede zur zweiten Aufl.) nur Aenderungen der Darstellung zur Abwehr hervor-
getretener Missverständnisse und zur Erleichterung der Auffassung. VgL Ueberwegs
Dias, de priore et posteriore forma Kantianae Critices rationis purae, Berol. 1862,
worin dieser die Richtigkeit des kantischeu Selbstzeuguisses im Einzelnen nachzu-
weisen sucht, wie B. Erdmann, Kants Kriticismus in der ersten und in der
zweiten Auflage der Krit. d. r. V., Lpz. 1878, nach welchem die Veränderungen
nicht den kritischen Hauptzweck, nämlich zu beweisen, dass es keine transcendente
Erkenutniss der Dinge aus Vernunft geben könne, treffen, sondern in der zweiten
Auflage nur auf Kosten dieses Hauptzweckes die positive Seite, die Grundlegung
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
für eine Metaphysik als Wissenschaft, und die realistische Seite, das Dasein von
afßcirenden Dingen, mehr hervorgehoben wird. — Kant hatte allerdings in der
zweiten Auflage der Vernunftkritik, wie schon in den 1783 erschienenen „Pro-
legomena", namentlich die realistische Seite seines Lehrbegriffs , die in demselben
aber von Anfang an lag, und die er auch für den aufmerksamen Leser deutlich
genug bezeichnet hatte, die aber von flüchtigen Lesern verkannt worden war,
starker betont. Man thot Kant Unrecht, wenn man hierin eine wesentliche
Aenderung seines Gedankens, die er selbst misskannt oder gar (wie Schopenhauer
meint) heachlerisch verleugnet habe, erblicken will. — Ueber den Inhalt der
Kritik der reinen Vernunft sowie der andern Hauptwerke soll nicht in dieser
vorläufigen Uebersicht, sondern in der Darstellung des kantischen Lehrgebäudes
referirt werden.
Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft
wird auftreten können, Riga 1783. Den Hauptinhalt dieser Schrift hat Kant später
in die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft hineinverarbeitet. Gegen
eine in der Zugabe zu den Gott. Anzeigen von gelehrten Sachen 19. Jan. 1782 er-
schienene, von Garve verfasste, aber vor dem Abdruck von Feder verstümmelte
(später, Anhang zu dem 37.-52. Bde. der AUgem. deutsch. Bibl., Abth. 2, S. 838
bis 862, in ihrer ursprünglichen Gestalt veröffentlichte) Recension, die das rea-
listische Element in Kants Ansicht übersehen und Kants Lehre der berkeleyschen
zu nahe gerückt hatte, hebt Kant eben jenes Element, welches er ursprünglich als
etwas allgemein Anerkanntes mehr vorausgesetzt als erörtert hatte, kräftig hervor.
In der Vorrede erzählt Kant, wie er durch Humes Bedenken gegen den Causa! -
begriff aus dem «dogmatischen Schlummer" zuerst geweckt worden sei; an dem
Funken, den der Skeptiker ausstreute, habe das kritische Licht sich entzündet.
In § 13 benutzt Kant dieselbe Bemerkung über symmetrische Figuren, aus welcher
er 1768 die absolute Realität des Raumes zu erweisen Buchte, zu einer 8tütze seiner
nunmehrigen Behauptung, dass Raum und Zeit blosse Formen unserer sinnlichen
Anschauung seien. Mit Recht sagt Gauss, Gött. gel. Anz. vom 15. April 1831,
dass in jener an sich richtigen Bemerkung ein Beweis für die Meinung, dass der
Raum nur AnBchanungsform sei, nicht liege. — B. Erdmann Bucht in der Einleitung
zu seiner Ausgabe von Kants Prolegomena, Lpz. 1878, nachzuweisen, dass der
Text dieser Schrift in zwei nach Ursprung und Absicht verschiedenartige Bcstand-
theile zerfalle, 1) in einen erläuternden Auszug aus der Krit. d. r. V., 2) in eine
Entgegnung auf die oben erwähnte Recension. Diese Abwehr sei in Zusätzen und
Einschiebseln in den schon fertigen Auszug eingefügt worden. Doch ist diese
Hypothese Erdmanns widerlegt durch Emil Arnoldt, Kants Prolegomena nicht
doppelt redigirt, Berl. 1879. S. auch dazu H. Vaihinger, die Erdmann-Arnoldtsche
Controverse üb. Kants Prolegomena, in: Philos. Monatsh. 1880, S. 44—71. — Eine
Anzahl von Incongruenzen und Inconvenienzen, die sich in §§ 2 u. 4 der Prole-
gomena finden, sucht H. Vaihinger durch eine Blattversetzung zu heben, Philos.
Monatsh. 1879, 8. 321-332. Dagegen J. H. Witte, die angebliche Blattversetzung
in K.s Prolegg., in: Philos. Monatsh. 1883, 8. 145—174, hiergegen wieder Vaihinger,
ebend. 8. 401—416, und abermals gegen ihn Witte, ebend. 8. 697—614.
Ueber Schulz* (Prediger zu Gielsdorf) Versuch einer Anleitung zur
Sittenlehre für alle Menschen ohne Unterschied der Religion, im „Raisonnirenden
Bücherverzeichniss" , Kgsb. 1783, No. 7. Kant verwirft von seinem kritischen
Standpunkte aus die auf eine consequente Durchführung der leibnizischen Prin-
cipien der Stufenordnung der Wesen und des Determinismus hinauslaufende Psycho-
logie und Ethik. Für Kant fällt jetzt der Determinismus mit dem Fatalismus
zusammen, und statt einer Stelle in der Stufenordnung vindicirt er jetzt dem
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§ 24. Kants Leben und Schriften.
225
Menschen eine Freiheit, die denselben »gänzlich ausserhalb der Naturkette setze",
(üeber die spätere Amtsentsetzung jenes charaktervollen Mannes durch einen
Willküract des Ministeriums Wöllner handelt Volkmar, Religionsprocess des Pred.
Schulz zu Gielsdorf, eines Lichtfreundes des 18. Jahrh., Leipz. 1845.)
Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in der
Berlinischen Monatsschrift, 1784 im Novemberheft (vgl. Frz. Rühl, üb. K s Idee zu
einer allgem. etc., in: Altpreuss. Monatsh., Bd. 18, S. 333— 342). Beantwortung der
Frage: Was ist Aufklärung? ebend. im Decemberheft. Kants Antwort lautet:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Un-
mündigkeit Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne die
Leitung eines Andern zu bedienen; selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn
die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung
und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines Andern zu bedienen;
Sapere aude!
Recension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Meuschheit
in der (Jenaischen) Allg. Littztg. 1785. (Kaut verwirft hier von seinem Kriticismus
aus, indem er Natur und Freiheit schroff von einander sondert, Betrachtungen, die
auf der Voraussetzung einer wesentlichen Einheit beider ruhen; die Kritik, die sich
gegen Herder kehrt, ist iu gewissem Sinne zugleich auch eine Reaction des
späteren Standpunkts Kants gegen seineu eigenen früheren.) Ueber die Vulcane
im Monde, Berl. Mouatsschr., März 1785. Von der Unrechtmässigkeit des
Bücher nachdrucks, ebend. Mai 1785. Ueber die Bestimmung des Begriffs einer
M e nscheurace, ebd. Nov. 1785.
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Riga 1785 u. ö., 4. Aufl.
1797 (Kant will in dieser Schrift das oberste Princip der Moralität aufsuchen und
feststellen).
Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 178(5
u. ö. (3. Aufl. Leipz. 1800).
Muthmaasslicher Anfang der Menschengeschichte, Berl. Monatsschr.
Jan. 1786. Ueber (Gottl.) Hufelands Grundsatz des Naturrechts, Allg. Littztg.
1786. Was heisst, sich im Denken orientiren? Berl. M., Oct. 1786 (welche
Frage Kant dahin beantwortet: sich bei der Unzulänglichkeit der objectiven Prin-
cipien der Vernunft im Fürwahrhalten nach einem subjectiven Princip derselben
bestimmen; wir irren nur dann, wenn wir beides verwechseln, mithin Bedürfniss
für Einsicht halten). Einige Bemerkungen zu Jacobs .Prüfung der mendelssohn-
scheu Morgenstunden' (in eben dieser Schrift von Jacob, nach der Vorrede). Im
J. 1786 oder 1788 hielt Kant bei der Niederlegung des Rectorats eine Rede: de
medicina corporis quae philosophorum est, die veröffentlicht ist von Joh.
Reicke in d. altpreuss. Monatsschr., Bd. 18, Heft 3 u. 4, S. 293-309.
Ueber den Gebrauch teleologischer Princip ien in der Philosophie, in
Wielands teutschem Mercur, im Januar 1788.
Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788 ; 6. Aufl. Leipz. 1827.
Einen kurzen Aufsatz über Aug. Heinr. Ulrichs Eleutheriologie oder über die
Freiheit u. Notwendigkeit, Jena 1788. hatte Kant geschrieben u. ihn Kraus über-
geben, um daraus eine Recension anzufertigen. Uiese erschien in der Allgem.
Litteraturzeitung 25. Apr. 1788. Den Versuch, das Kantische aus dieser Recension
herauszulösen, hat H. Vaihinger gemacht in: Philos. Monatsh. 1880, S. 192 bis
209: Ein bisher unbekannter Aufsatz v. Kant über die Freiheit. Ulrich, 174**,
in Rudolstadt geb. und 1813 in Jena als Prof. der Philos. gestorben, stand im
Wesentlichen auf dem leibniz-wolffschen Standpunkt, nahm aber in seinen Institu-
l'ebi r v .■ :i . i • , i , i ,..n ■ ■ - III. 7. Anfi. J5
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§ 24. Kants Leben oud Schriften.
tiones logicae et metaphysicae, Jena 1785, mancherlei von Kant an. In seiner
Eleutheriologie bekämpft er die kantische Freiheitslehre.
Kritik der ürtheilskraft, Berlin und Libau 1790; 2. Aufl. Berl. 1793,
3. 1799. Separatausg. v. Benno Erdmann, Lpz. 1880, mit Zugrundelegung des
Textes der 2. Aufl. Der Herausgeber schickt dem Texte eine ausführliche Ein-
leitung voraus.
Ueber eine Entdeckung (Joh. Aug. Eberhards), nach der alle neue Kritik
der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, Kgsb. 1790
(eine von persönlicher Gereiztheit zeugende und den Gegner wohl über Gebühr ver-
dächtigende Antikritik, die aber für die Erkenntiüss des Verhältnisses der Lehre
Kants zum Leibnizianismus von beträchtlichem Werthe ist). Ueber Schwärmerei
und die Mittel dagegen, Kgsb. 1790, in Borowskis Schrift: Cagliostro, einer der
merkwürdigst. Abenteurer uns. Jahrh.
Ueber das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee,
Berl. Monatsschr., Sept. 1791.
Ueber die von der K. Akad. d. Wissensch, zu Berlin f. d. Jahr 1791 aus-
gesetzte Preisaufg.: welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Meta-
physik seit Leibniz' und Wölfls Zeiten gemacht hat? Hrsg. von F. Th. Bink,
Kgsb. 1804. Kant sucht hier, ohne speciell auf Leistungen Anderer einzugehen,
die Bedeutung des Fortschritts vom leibniz-wolftschen Dogmatismus zum Kriti-
cismus nachzuweisen. Die Schrift ist nicht zur Preisbewerbung eingesandt worden.
Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, Königs-
berg 1793, 2. Aufl. ebend. 1794. (Der erste Abschnitt: „vom radicalen Bösen"
erschien zuerst im Aprilheft des Jahrganges 1792 der Berlinischen Monatsschrift.)
Ueber den Gemeinspruch : das mag in der Theorie richtig sein, taugt
aber nicht für die Praxis, Berl. Monatsschr. Sept 1793. Kant verwirft diese
Maxime, sofern sie Tugend- oder Rechtspflichteu betreffe, als verderblich für die
Moralität im privaten Verkehr wie in Bezug auf Staatsrecht und Völkerrecht.
Ueber Philosophie überhaupt, am Ende von Jac. Sigism. Becks Auszug
aus Kants kritischen Schriften, Bd. 2, Riga 1794. (Ursprünglich als Einleitung
zur Kritik der Ürtheilskraft geschrieben, dann aber wegen des zu grossen Umfangs
als solche verworfen, später Beck zur Benutzung für dessen Auszug aus K.s
kritischen Schriften überlassen. Beck giebt nicht das ganze Manuscript, sondern
nur das, was er Eigenthümliches darin fand, doch dies als wörtlichen Auszug aus
dem Manuscript.)
Etwas über den Einfluss des Mondes auf die Witterung, Berlinische Monats-
schrift, Mai 1794. Das Ende aller Dinge, ebend. Juni 1794.
Zum ewigen Frieden, ein philos. Entwurf, Kgsb. 1795, neue verm. Auf-
lage 1796.
Zu Sömmering über das Organ der Seele, Kgsb. 1796. Kant spricht die
Vermuthung aus, dass das die Gehirnhöhlen erfüllende Wasser die Uebertragung
der Aflectionen von einer Gehirnfaser auf andere vermitteln möge.
Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Tone in der Philosophie, Berl.
Monatsschr., Mai 1796. (Gegen platonisirende Gefühlsphilosophen.) Ausgleichung
eines auf Missverstand beruhenden mathematischen Streits, ebd. Oct. 1796. (Wenige
Worte zur Deutung eines nach dem Wortsinn unzutreffenden Ausdrucks, den
Kant gebraucht hatte; er will denselben aus dem Zusammenhang zum Richtigen
gedeutet wissen.) Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen
Frieden in der Philosophie, Berl. Monatsschr., Dec. 1796. (Gegen Joh. Georg
Schlosser.)
Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehrc, Königsberg 1797, 2. Aufl.
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§ 24. Kants Leben and Schriften.
227
1798. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, Königsb. 1797, 2. Aufl.
1803. Diese beiden zusammengehörigen Schriften tragen den gemeinschaftlichen
Titel: Metaphysik der Sitten (Theil I und II).
Ueber ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen, Berl. Blätter 1797.
Der Streit der Facultäten, worin zugleich die Abhandlung enthalten ist:
Von der Macht des Gemütha, durch den blossen Vorsatz seiner krankhaften
Gefühle Meister zu sein, Königsberg 1798; hrsg. und mit Anm. vers. von C. W.
Hufeland, 16. Aufl. Leipz. 1872 u. oft.
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Königsberg 1798. — Zwei Nach-
schriften von Kants Vorlesungen über diesen Gegenstand sind veröffentlicht worden:
I. Kante Anweisung zur Menschen- und Weltkenntniss. Nach dessen Vorlesungen
im Winterhalbjahre 1790—91, herausgeg. v. Fr. Chr. Starke 1831 (ziemlich werthlos),
u.: L Kante Menschenkunde od. philos. Anthropologie nach handschriftl. Auf-
zeichnungen, herausgeg. v. dems. 1831 (wahrscheinlich nach der von Kant zum ersten
Mal 1773 gehaltenen Vöries, üb. Anthropologie, ausführlicher als Kante eigene
Ausgabe und werthvoll).
Vorrede zu Jachmanns Prüfung der kantischen Religionsphilosophie in Hin-
sicht auf die ihr beigelegte Aehnlichkeit mit dem reinen Mysticismus, Königsberg
1800, abgedr. in Reickes Kantiana, S. 81, 82.
Nachschrift eines Freundes zu Heilsbergs Vorrede zu Mielkes littbauischem
Wörterbuch, Königsberg 1800, abgedr. ebd., S. 82, 83.
Kante Logik, hrsg. von J. B. Jäsche, Königsberg 1800.
Kante physische Geographie, hrsg. von Rink, Königsberg 1802—1803 (vgl.
darüber Reuschle a. a. 0. S. 62-65; „das Ausland-, 1868, No. 24 und K. Dietrich,
K.8 Auffassung der physisch. Geogr. als Grundlage der Gesch., Jena 1875). Joh.
Unold, d. ethnol. u. anthropogeograph. Anschauung, v. I. K. u. J. R. Forster,
I.-D., Lpz. 1886.
Kant über Pädagogik, hrsg. von Rink, Kgsb. 1803. Mit Einleitg. und
Anmerkg. von 0. Willmaun in der Pädagog. Biblioth., hrsg. v. K. Richter, Bd. X,
Lpz. 1874 u. ö., ferner v. Th. Voigt, I^angensalza 1878. S. Prosch, d. Pädagogik
K.s, in: Ztschr. f. d. Realschulwes., IX, 1884, 2. H.
Ein Manuscript, an dem Kant in seinen letzten Lebensjahren arbeitete, aus
etwa 100 Foliobogen bestehend, das den „Uebergang von den metaphys. An-
fangsgrund, der Naturwissensch, zur Physik" zum Gegenstand hat, ist
neuerdings durch Rud. Reicke in der Altpreuss. Monateschr. 1882, 1883 und 1884,
„Ein ungedrucktes Werk von Kant aus seinen letzten Lebensjahren*, theilweise zum
Abdruck gekommen, ist aber bisher noch nicht vollständig veröffentlicht. Die Ab-
sicht, aus den verschiedenen Convoluten eine Darstellung als den eigentlichen In-
halt des Ganzen zu gewinnen, hatte der Herausgeber aufgeben müssen. Dieser
Uebergang sollte eine besondere Wissenschaft ausmachen, die sich von den beiden
Wissenschaften, die sie verbindet, unterschiede, das, was in den metaphysischen
Anfangsgründen der Naturwissenschaften a priori durch Begriffe festgestellt wurde,
auf die wirklich vorhandenen Kräfte in der Natur anwendete und für die letzteren
die Grundsätze aufstellte, die allein ein geordnetes Ganzes derselben ermöglichten.
Es wird eine im ganzen Weltraum continuirlich verbreitete Materie „postulirt',
die aber, nenne man sie nun Aether oder Wärmestoff, nicht blosse Hypothese sei;
denn ohne sie würde es nicht möglich sein, Erfahrung zu machen. S. Rob. Haym,
Preuss. Jahrbb. I, 1858, S. 80-81, Schubert, Neue Preuss. Prov.-Blätt., Kgsb. 1858,
& 58-61, besond. Rud. Reicke, Altpreuss. Monateschr., Bd. I, 1861, S. 742-749.
A. Krause, Imm. K. wider Kuno Fischer, zum ersten Mal mit Hülfe des verloren
gewesenen kantisch. Hauptwerkes: Vom Uebergang v. der Metaph. zur Phys., ver-
15*
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228
§ 24. Kants Leben und Schriften.
theidigt, Lahr 1884; s. dazu K. Fischer, das Streber- u. Gründerth. in d. Literat.,
Vademecum f. Hrn. Fast Krause, Stuttg. 1884. P. d'Ercole. K. Fischer e il
manoscritto inedito di Kant, in: La Glos, delle sc. Ital., vol. 31, 1885. Ferd.
Rosenberger, Ueberg. etc. Nachgelass. Werk v. I. K., Yortr. (aus den Berichten
dos freien deutsch. Hochstifts).
Kants Vorlesungen über d. philosophische Religionslehre, herausgeg. v.
Pölitz, 1817, 2. Aufl. 1830. Kants Vorlesungen über die Metaphysik, herausgeg.
v. dems. 1821 (Diese letzteren nach Nachschreibeheften wahrscheinlich aus den
siebziger Jahren. Vergl. R. Erdmann, eine unbeachtet gebliebene Quelle zur Knt-
wicklungsgesch. K.s in: Philos. Monatsh. 1883, S. 129— 144. S. auch ob. 8.222.)
Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie (werthvolll Aus Kants
handschriftl. Aufzeichnungen herausgegeben v. Benno Krdmann, 1. Bd., 1. Heft:
Reflexionen zur Anthropologie, Lpz. 1882. (Aus Kants Handexemplar v. A. G.
Baumgartens Metaphysica.) 2. Bd., Reflexionen zur Krit. d. r. V., Lpz. 1884, mit
einer längeren Einleitung üb. d. Entwickelungsperioden v. K.s theoret. Philosophie.
Ausserdem enthalten die Gesammtausgaben Briefe, Erklärungen und andere
kleinere schriftliche Aeusserungen Kants. Briefe besitzen wir von Kant verhält-
nissmässig wenige; er liebte nicht, solche zu schreiben; gegen 80 sind in den
Gesammtausgaben der \VW. Kants gedruckt (gegen 20 ausserdem), darunter 19 an
Marcus Herz (1749—1803. Dieser hatte längere Zeit in Königsberg studirt, war
Respondent Kants bei der Vertheidigung der Inauguraldissertation 1770 gewesen,
die er auch in „Betrachtungen a. d. speculativ. Weltwsh.", Kgsb. 1771, erläuterte,
und Hess sich als Arzt in Berlin nieder, wo er mit Mendelssohn viel verkehrte;
seine Frau war die bekunnte Henriette Herz, die Freundin Schleiermachers), 9 an
Reinhold, 4 an Mendelssohn, der Kant 1777 in Königsberg besuchte, 3 an
Fichte, 2 an Lambert, einer an Schiller. S. Rud. Reicke, aus K.s Brief-
wechsel, Vortrag, mit e. Anhange enthaltend Briefe v. Jac. Sigism. Beck an K. u.
v. K. an Beck, Kgsb. 1885. Eine Ausgabe von K.s Briefwechsel wird v. R. Reicke
u. Fr. Sintenis vorbereitet, und es werden alle Besitzer von Briefen dringend ge-
beten, dieselben einzusenden.
Lose Blätter aus K.s Nachlass, mitgeth. v. Rud. Reicke, in: Altpr. Monatsschr.,
1887, S. 312-360 , 443-481. Vierzehn grössere und kleinere Stücke, von denen
sich das eine vielleicht bezieht auf die von der berliner Akademie gestellte Preis-
aufgabe, die meisten aus den siebziger Jahren stammen und als Vorarbeiten für die
Krit d. r. V. zu betrachten sind. Sodann ein Convolut Blätter aus der Königsb.
Bibliothek „Zur Physik u. Mathematik*.
Ob Kant eine Gegenschrift gegen Hamanns Metakritik über den Purismum der
reinen Vernunft (nach Hamanns Tod von Rink 1800 veröffentlicht) verfasst habe,
deren Manuscript vielleicht noch erhalten wäre, ist nicht sicher. Vergl. J. Freuden-
thal, ein ungedruckter Brief Kants und eine verschollene Schrift desselben wider
Hamann, in: Philos. Monatsh. 1879, S. 56—65.
Unter Mitwirkung Kants sind seine „vermischten Schriften" von Tieftruuk
in 3 Bden., Halle 1799, und mehrere kleinere Schriften von Rink, Kgsb. 1800,
hrsg. worden.
Ins Lateinische hat Kants kritische Schriften F. G. Born übersetzt, 4 Bde.,
Leipz. 17% — 98; noch andere Uebersetzungen werden u. a. im XL Bande der
Ausg. von Rosenkranz und Schubert S. 217 f. citirt. Ueber französ. Uebersetzungen
referirt J. B. Meyer in Fichtes Zeitschr. XXIX, 1856, S. 129 ff. Critique de la
raison pure, par Em. Kant, 3. ed. en francais, avec l'aualyse de l'ouvrage entier
par Meilin. le tout traduit de l'allemand par J. Tissot. Dijon et Paris 1864.
Kant, prolegomenes ä toute metaphysique future qui aura le droit de se presenter
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft a. metaph. Anfänger, der Naturwisseusch. 221»
corame science, snivis de deux autres frugments du meme auteur, ouvrages trad.
de lall, par J. Tissot, Dijon et Paris 1865. Auch die Logik und Anthropologie
Kants hat Tissot übersetzt. Ins Italienische hat Mantovani die Vernunftkritik
1821 — 22 übersetzt. Ins Spanische: Critica de la razön pura, texto de las dos
ediciones, precedida de la vita de Kant y de la historia de dos origine9 de la
filosofia critica de Kuno Fischor, por D Jose del Perojo, vol. I, Madr. 1883. Von
englischen Uebersetzungen mögen hier augeführt sein: J. W. Semples Uebers. der
Gründl, zur Metaph. der Sitten nebst Abschnitten aus anderen ethischen Schriften
Kants, Edinburgh 1836, wovon eine neue Aufl. unter dem Titel „the Metuphysic of
Ethics* mit einer Einleitung von Henry Calderwood (aber ohne Semples Einl. und
Anhang), Edinb. 1869, erschienen ist. Uebersetzung der Krit. d. r. V. von Hay-
wood, ferner: Meiklejohn, Critic of Pure Reason translated from the German of
Im. Kant, Loud. 1854. Im. Kants Critique of Pure Reason in eommemoration of
the Centenary of its first publicatiou translat. into english by F. Max Müller,
with au historical introduetion by Ludwig Noir6, 2 Voll. Lond. 1881. Der erste
Band enthält das Vorwort des Uebersetzers, dann auf 359 Seiten eine kurze Ge-
schichte der Philosophie von L. Noire: the critique of pure reason as illustrated
by a sketch of the development of occidental philosophy, zuletzt die Hauptzusätze
der zweiten Auflage; der zweite Baud giebt die Uebersetzung der ersten Auflage.
Max Müller schliesst seine Vorrede mit den Worten: die englisch sprechende Race
habe nun in Kants Kritik eine zweite arische Erbschaft, ebenso wcrthvoll wie die
Vedas — , ein Werk, das wohl kritisirt aber nie mehr ignorirt werden könne.
Kants critical philoe. for English readers by John P. Mahaffy, Vol. I. III, Lond.
1872—74, in dem III. Bde. Uebersetzung der Prolegomena und einiger Stücke d.
Krit. d. r. V., und Theory of Ethics by Th. K. Abbott, Lond. 1873. Critique of
practical reason and other works of the theory Ethics, translat. by Th. K. Abbott,
3. ed. Lond. 1883. Prolegomtna and metaph. Foundations of nat. Science, tranal.
by Ernest Beifort Bax, Lond. 1883.
Bemerkt sei hier noch, dass man der Entwickelung der theoretischen Philo-
sophie Kants neuerdings viel Aufmerksamkeit zugewandt und dieselbe ins Einzelne
verfolgt hat, ohne jedoch über die verschiedenen Perioden, die anzunehmen sind,
zu einer einheitlichen Ansicht zu gelangen. So unterscheidet H. Vaihinger in
seinem Commentar, I.. S. 49, einen ersten Entwickelungsprocess bis zum Kriticismus
und einen zweiten innerhalb des Kriticismus. In dem ersteren nimmt er drei Stufen
an: 1) Dogmatischer Standpunkt von Leibniz, 1750—1760; 2) EmpiriBtische Be-
einflussung durch Hume, 1760—1764 ; 3) Kritischer Standpunkt (namentlich Träume
eines Geistersehers), 1765—1766. Im zweiten statuirt er wiederum drei Stufen:
1) Dogmatische Beeinflussung durch Leibniz' Nouveaux essays, 1769 ff. ; 2) Skeptische
Beeinflussung durch Hume, 1772 ff. (Briefe an Herz); 3) Kriticismus 1781. B. Erd-
mann unterscheidet in der ob. erwähnten Einleitung vier Perioden: 1) Dogmatismus,
a. Ueberwiegender Einfluss von Wolff, 1746—1750, b. Einfluss von Crusins, 1756
bis 1760; 2) Kritischer Empirismus, Einfluss von Newton, Lambert, Rousseau, 1760
(1762) bis 1769; 3) Kritischer Rationalismus, 1769 bis etwa 1774; 4) Kriticismus,
a. Entstehung des eigentlichen Kriticismus, 1774—1781, b. Weitere Entwickelung
einzelner Probleme und Begriffe, 1781—1804.
§ 25. Unter der Kritik der Vernunft versteht Kant die
Prüfung des Ursprungs, des Umfangs und der Grenzen der mensch-
lichen Erkenntniss. Reine Vernunft nennt er die von aller Erfahrung
unabhängige Vernunft. Die Schrift: „Kritik der reinen Vernunft"
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230 § 25. Kante Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch-
unterwirft die reiue theoretische Vernunft der Prüfung. Kant hält
dafür, dass diese Prüfung jeder andern philosophischen Erkenntniss
vorangehen müsse. Jede Philosophie, die den Erfahrungskreis über-
schreitet, ohne diese üeberschreitung durch eine Prüfung der Erkennt-
nisskraft gerechtfertigt zu haben, nennt Kant Dogmatismus, die
philosophische Beschränkung auf den Erfahrungskreis Empirismus,
den philosophischen Zweifel an aller den Erfahruugskreis über-
schreitenden Erkenntniss, sofern derselbe sich nur auf das Ungenügende
aller vorhandenen Beweisversuche und nicht auf eine Prüfung der
menschlichen Erkenntnisskraft überhaupt stützt, Skepticismus, seine
eigene Richtung aber, die von dem Resultate jener Prüfung alles
fernere Philosophireu abhängig macht, Kriticismus. Der Kriticismus
ist Transscendentalphilosophie oder transscendentaler Idea-
lismus, sofern er die Möglichkeit einer transscendenten, d. h.
den gesammten Erfahrungskreis überschreitenden Erkenntniss prüft
und verneint, aber nachweist, dass gewisse Elemente, die zur Erfahrung
erfordert werden, der menschlichen Seele eigenthümlich, also subjectiv
oder ideell sind. So giebt Kant zugleich eine Theorie der Er-
fahrung.
Kant geht in seiner Vernunftkritik von einer zweifachen Unter-
scheidung der Urtheile (insbesondere der kategorischen Urtheile) aus.
Nach dem Verhältniss des Prädicats zum Subjecte theilt er die
Urtheile ein in analytische oder Erläuterungsurtheile, deren Prädi-
cat sich aus dem Subjectsbegriff durch blosse Zergliederung des-
selben entnehmen lasse oder auch mit ihm identisch sei (in welchem
letzteren Falle das analytische Urtheil ein identisches ist), und syn-
thetische oder Erweiterungsurtheile, deren Prädicat nicht im Sub-
jectsbegriffe liegt, sondern zu demselben hinzutritt. Das Princip der
analytischen Urtheile ist der Satz der Identität und des Wider-
spruchs, synthetische Urtheile aber können nicht aus dem jedesmaligen
Subjectsbegriff auf Grund dieses Satzes allein gebildet werden. Nach
dem Ursprung der Erkenntniss aber unterscheidet Kant Urtheile
a priori und Urtheile a posteriori. Unter den Urtheilen
a posteriori versteht er Erfahrungsurtheile, unter Urtheilen a priori
im absoluten Sinn solche, die schlechthin von aller Erfahrung unab-
hängig seien, im relativen Sinn aber solche, die mittelbar auf der
Erfahrung ruhen, indem dasjenige, was in ihnen gedacht wird, nicht
erfahren worden ist, wohl aber Anderes, woraus jenes geschlossen
wird. Für Urtheile a priori im absoluten Sinne hält Kant alle die-
jenigen, welche mit Notwendigkeit und strenger Allgemeinheit
gelten, indem er von der (unerwiesenen, von ihm als selbstverständ-
lich angesehenen, sein ganzes Lehrgebäude bedingenden) Voraus-
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Aufaugsgr. der Naturwissensch. 231
setzung ausgeht, Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit
lasse sich durch keine Combinationen von Erfahrungen, wohl aber
unabhängig von aller Erfahrung gewinnen. Alle analytischen
Urtheile sind Urtheile a priori; denn wenn auch der Subjectsbegriff
durch Erfahrung gewonnen worden sein mag, so bedarf es doch zu der
Zergliederung desselben, durch welche das Urtheil sich ergiebt,
nicht mehr einer Erfahrung. Die synthetischen Urtheile aber zer-
fallen in zwei Klassen. Wird nämlich die Synthesis des Prädicates
mit dem Subjecte auf Grund der Erfahrung vollzogen, so entstehen
synthetische Urtheile a posteriori; wird sie ohne alle Erfahrung voll-
zogen, so entstehen synthetische Urtheile a priori. Die Existenz der
letzteren Klasse hält Kant für unleugbar; denn unter den Urtheilen,
die anerkanntermaßen streng universell und apodiktisch, demgemäss
nach Kants Voraussetzung Urtheile a priori sind, findet er solche,
die zugleich als synthetische anerkannt werden müssen. Hierher ge-
hören zunächst die meisten mathematischen Urtheile. Ein Theil
der arithmetischen Fundamentalurtheile (z. B. a = a) ist zwar nach Kant
analytischer Art, die übrigen arithmetischen und sämmtliche geome-
trischen Urtheile aber sind nach ihm synthetische Urtheile, folglich,
da sie mit strenger Allgemeinheit und Nothwendigkeit gelten, syn-
thetische Urtheile a priori. Den nämlichen Charakter tragen nach
Kant die allgemeinsten Sätze der Naturwissenschaft, z. B. : in
allen Veränderungen der körperlichen Welt bleibt die Quantität der
Materie unverändert. Auch diese Sätze werden ohne alle Erfahrung
erkannt, da sie allgemein gültige und apodiktische Urtheile sind, und
ergeben sich doch nicht durch blosse Zergliederung des Subjectsbegriffs,
da ja das Prädicat über den blossen Subjectsbegriff hinausgeht. Ebenso
sind endlich wenigstens ihrer Tendenz nach alle metaphysischen
Sätze synthetische Urtheile a priori, z. B. der Satz: alles, was
geschieht, muss eine Ursache haben. Lassen sich nun auch die meta-
physischen Sätze anfechten, so stehen doch mindestens die mathe-
matischen unzweifelhaft fest Es giebt also, schliesst Kant, synthetische
Urtheile a priori oder reine Vernunfturtheile. Die Grundfrage seiner
Kritik ist nunmehr diese: Wie sind synthetische Urtheile a priori
möglich?
Die Antwort lautet: Synthetische Urtheile a priori sind dadurch
möglich, dass der Mensch zu dem Stoffe der Erkenntniss, welchen
er vermöge seiner Receptivität aufnimmt, gewisse reine Erkenntniss-
formen, die er vermöge seiner Spontaneität unabhängig von aller
Erfahrung selbst erzeugt, hinzubringt und allen gegebenen Stoff diesen
Formen einfugt. Diese Formen, welche die Bedingungen der Mög-
lichkeit der Erfahrung überhaupt sind, sind zugleich die Bedingungen
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232 § 25. Kaufe? Kritik d. reinen Vernunft u. metapb. Aufangsgr. der Naturwissensch.
der Möglichkeit der Objecte der Erfahrung, weil alles, um für mich
Object zu sein, die Formen annehmen muss, durch welche das Ich,
mein ursprungliches Bewusstsein oder die „trausscendentale Einheit
der Apperception" alles Gegebene gestaltet; sie haben daher ob-
jective Gültigkeit in einem synthetischen Urtheil a priori. Aber die
Objecte, für welche sie gelten, sind nicht die Dinge an sich oder die
transscendentalen Objecte, d. h. die Dinge, wie sie, abgesehen von
unserer Weise, sie aufzufassen, an sich selbst sind, sondern nur die
empirischen Objecte oder die Erscheinungen, welche als Vorstellungen
in unserem Bewusstsein sind. Die Dinge au sich sind dem Menschen
unerkennbar. Nur ein schöpferisches göttliches Bewusstsein, das
ihnen, indem es sie denkt, zugleich auch Wirklichkeit giebt, vermag
sie zu erkennen. Die Dinge an sich richten sich nicht nach unseren
Erkenntnissformen, weil unser Bewusstsein kein schöpferisches, unsere
Anschauung nicht von bloss subjectiven Elementen frei, nicht „intel-
lectuelle Anschauung" ist. Unsere Erkenutnissformen richten sich
nicht nach den Dingen an sich, weil sonst alle unsere Erkenntniss
empirisch und ohne Noth wendigkeit und strenge Allgemeinheit wäre:
die empirischen Objecte aber, da sie unsere Vorstellungen sind, richten
sich nach unseren Erkenutnissformen. Also können wir die empirischen
Objecte oder die Erscheinungen, aber auch nur diese, erkennen. Alle
Erkenntniss a priori hat nur Geltung in Bezug auf Erscheinungen,
also auf Objecte wirklicher oder möglicher Erfahrung. — Kant ver-
tritt hiermit den Rationalismus, der durch den Phänomenalismus
beschränkt ist. Er gründet eine Metaphysik aus rationalen Principien,
aber nicht eine Metaphysik des Uebersinnlichen, sondern der Er-
scheinungen.
Die Erkenntnissformen sind theils Anschauungs-, theils Denk-
formen. Von jenen handelt die „transscendentale Aesthetik",
von diesen die „transscendentale Logik".
Die apriorischen Formen der Anschauung sind: Raum und
Zeit. Der Raum ist die Form des äusseren Sinnes, die Zeit ist die
Form des inneren und mittelbar auch des äusseren Sinnes. Auf der
Apriorität des Raumes beruht die Möglichkeit der geometrischen, auf
der der Zeit die der arithmetischen Urtheile, und hiermit ist die
Frage beantwortet: Wie ist reine Mathematik möglich? Die
Dinge an sich oder die transscendentalen Objecte sind weder räumlich
noch zeitlich; alles Neben- und Nacheinander ist nur in den Er-
scheinungsobjecten, folglich nur in dem anschauenden Subject.
Die Formen des Denkens sind die zwölf Kategorien oder
Stammbegriffe des Verstandes, welche die Formen der Urtheile
bedingen: Einheit, Vielheit, Allheit; Realität, Negation, Linii-
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§ 25. Kante Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 233
tation; Substantialität, Causalität, Wechselwirkung; Mög-
lichkeit, Dasein, Notwendigkeit. Auf ihrer Apriorität beruht
die Gültigkeit der allgemeinsten Urtheile, der allgemeinen Verstaudes-
grundsätze, die aller empirischen Erkenntniss zu Grunde liegen, und
hiermit ist die Frage erledigt: Wie ist reine Naturwissenschaft
möglich? Die Dinge an sich oder die transscendentalen Objecte
haben weder Einheit noch Vielheit, sind nicht Substanzen und unter-
liegen nicht dem Causalverhältniss, sind überhaupt nicht den Kategorien
unterworfen; die Kategorien finden nur Anwendung auf die Er-
scheinungsobjecte, welche in unserm Bewusstsein sind. So schreiben
wir der Natur Gesetze vor, nicht sie giebt uns solche. Wir bringen
Natur überhaupt erst durch unsere Gesetze zu Stande.
Die Vernunft strebt, über die Verstandeserkenutniss, die an
dem Endlichen und Bedingten haftet, zum Unbedingten hinauszugehen.
Sie bildet die Idee der Seele als einer Substanz, die immer beharre,
der Welt als einer unbegrenzten Causalreihe und Gottes als des
absoluten Inbegriffs aller Vollkommenheiten oder des „allerrealsten
Wesens". Indem diese Ideen auf Objecte gehen, die jenseits aller
möglichen Erfahrung liegen, so haben sie keine theoretische Gültig-
keit; wird ihnen dieselbe (von der dogmatischen Metaphysik) vindicirt,
so geschieht dies mittelst einer irreführenden Logik des Scheins oder
Dialektik. Der psychologische Paralogismus verwechselt die
Einheit des Ich, welches niemals als Prädicat, sondern immer nur
als Subject vorgestellt werden kann, mit der Einfachheit und absoluten
Beharrlichkeit einer psychischen Substanz. Die Kosmologie fuhrt
auf Antinomien, deren beide einander widersprechende Glieder
sich indirect erweisen lassen, wenn die Realität von Raum, Zeit und
Kategorien vorausgesetzt wird, aber mit Aufhebung dieser falschen
Voraussetzung wegfallen. Die rationale Theologie, welche durch
das ontologische, kosmologische und physikotheologische
Argument das Dasein Gottes zu erweisen sucht, verstrickt sich in
eine Reihe von Sophisticationen. Doch sind jene Ideen in zweifachem
Betracht von Werth: 1. theoretisch, sofern sie nicht als congtitutive
Principien gelten, durch welche eine wirkliche Erkenntniss von Dingen
an sich gewonnen werden könne, sondern als regulative Principien,
die nur besagen, dass, wie weit auch die empirische Forschung ge-
langt sein möge, niemals der Kreis der Objecte möglicher Erfahrung
für völlig abgeschlossen angesehen werden dürfe, sondern immer noch
weiter zu forschen sei; 2. praktisch, sofern sie Annahmen denkbar
machen, zu welchen mit moralischer Notwendigkeit die praktische
Vernunft hinführt. Hiermit ist die dogmatistische Metaphysik gestürzt,
obwohl sie in der natürlichen Anlage der menschlichen Vernunft be-
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234 § 25. Kanta Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfaugsgr. der Naturwiasensch
gründet ist, und als Wissenschaft kann sich die Metaphysik nur geltend
machen, wenn sie sich mit der Kritik verbindet.
So hat Kant die Frage erledigt: Wie ist Metaphysik über-
haupt und als Wissenschaft möglich?
In den „metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft"
sucht Kant, indem er die Materie auf Kräfte zurückführt, eine dyna-
mische Naturerklärung zu begründen.
Ueber Kant» Philosophie Oberhaupt und insbesondere über seine theoretische
Philosophie handeln in unzähligen Schriften Kantianer, Halbkantianer und Antikantianer,
wovon die bedeutendsten unten noch als Philosophen aufgeführt werden; vgl. darüber
insbesondere die Gesch. des Kantianismus von Rosenkranz, welche als XII. Bd. der
Gesammtausg. der Werke Kants beigefügt ist. Kinen Bericht üb. Kant - Studien
letzter Zeit bringt J. B. Meyer in den v. Kleischer herausgeg. Vierteljahrsber. üb. d.
gesammt Wissenschaften u. Künste, I, 188*2, S. 175 — 197. Ausser den Historikern
der Philosophie überhaupt und insbesondere der neueren Philosophie: Hegel, Michelet,
Erdmann. Kuno Fischer (Fischers Darstellung Kants übersetzt ins Englische von John
P. Mahaffy, Lond. 1866), I. Herrn. Fichte, Chalybäus, Ulrici, Biedermann, G. Weigolt,
Barchou de Penhoen, A. Ott, F. A. Lange (Gesch. des Materialism.), Willtn, Zeller,
Windelband, Harms u. A., s. oben S. 1—2 und 206, wollen wir hier noch folgende
nennen, wobei wir nur für die Zeit seit dem Wiedererwachen der Philosophie Kants
eine gewisse Vollständigkeit im Auge gehabt haben. Die auf Ethik, Aesthetik, Teleo-
logie etc. sich beziehenden Schriften sind weiter unten genannt.
1} Anhänger Kants aus früherer Zeit:
Joh. Schulze (Schultz, üb. die Schreibart des Namens *. Aum. zu § 28), Erläute-
rungen üb. des Hrn. Prof. K. Krit. d. r. Vern. , Kgsb. 1785 u. 1791; Prüfung der
kantisch. Krit. der rein. V., 2 Bde., Kgsb. 1789—1792. Carl Leonh. Rein hold,
Briefe üb. d. Kantische Philo*, (aus Wielands Deutsch. Merkur 1786—1787), Lpz. 1790
bis 1792; üb. die bisherig. Schicksale der Kantisch. Philos., in Wielands Merkur 1789.
Carl Chr. Ehrh. Schmid, Krit. d. r. V. im Grundrisse, Jena 1786. 3. Aufl. 1794:
Wörterb. zum leichtern Gebrauch der Kantisch. Schriften, Jena 1788, 4. Aufl. 1798
(beide Bücher noch recht brauchbar). Neues philos. Magazin zur Erläuterung des
Kantsch. Systems, herausgeg. v. Joh. Har. Abicht u. Frdr. Gottlob Born, 2 Bde.,
Lpz. 1769—1791. G. S. A. Meilin, Marginalien u. Register zu K.s Krit. des Er-
kenntnissvermögens, 2 Bde., Züllichau 175*4—1795 (der 2. Th. geht auf d. Grundlag.
zur Metaph. der Sitte, auf d. Krit. der prakt. Vern. u. Urtheilskr.); Kunstsprache der
krit. Philos. oder Sammlung aller Kunstwörter derselben, Jena u. Lpz. 1798; Encyclopäd.
Wörterb. der krit. Philos., 6 Bde., Züllichau u. Lpz. 1797—1803 (immer noch werthvoll).
Laz. Bendavid, Vorlesungen üb. d. Krit. d. r. V., Wien 1795, 2. Aufl. 1802. Joh.
Gottfr. Karl Chr. Kiesewetter, Versuch einer fassl. Darstell, der wichtigst. Wahrheit,
der neuen Philos. für Uneingeweihte, 2 Bde., Berl. 1795—1803 (der 2. Bd. handelt üb.
d. Krit. d. Urtheilskr.), 4. Aufl. mit einer Lebensbeschreib. des Verf.s von Chr. Gttfr.
Flittner, Berl. 1824. Noch brauchbar Kiesewetters Prüfung der Herderschen Metakritik,
2 Bde., Berl. 1799 u. 1800. And. Metz, Kurze u. deutliche Darstell, des Kantschen
Systems, Bamb. 1795. M. Reuss, Vorlesungen üb. d. theoret. u. prakt. Philos., 2 Bde.,
Würzb. 1797. Th. A. Suabedissen, Resultate der philos. Forschgn. üb. d. Natur d.
menschl. Erkenntnis von Plato bis Kant, Marb. 1805. — Charles Villcrs, Philos. de
Kant, Metz 1801, auch Utrecht 1830 (allgemeinverständlich). F. A. Nitsch, View of
Kants principles, I>ond. 1796. A. F. M. Willich, Elements of the critical philosophy,
Lond. 1798.
2) Gegner Kants aus früherer Zeit:
Gebh. Ulr. Brastberger, Untersuchungen üb. Kants Kritik der rein. Vern , Jena
1796. Joh. Aug. Eberhard in den v. ihm herausgegebenen philos. Zeitschriften: Philos.
Magazin, Halle 1788—1792, Philos. Archiv, Halle 1792—1795. Philos. Bibliothek
herausgeg. v. Feder u. Meiner, Göttin«. 1788—1791. Bened. Stattler (Prof. der Theol.
zu Ingolstadt), Anti-Kant, 3 Bde., Münch. 1788, ein Auszug daraus: Kurzer Entwurf
der unausstehlichen Ungereimtheiten der Kantisch. Philos. etc., 1791; Wahres Verh.
der Kantsch. Philos. zur christl. Relig. u. Moral, 1794. Joh. Christ Zwanziger,
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§ 25. Kants Kritik <L reinen Vernunft u. metaph Anfongsgr. der Naturwissensch. 235
Comraent. üb. Herrn Prof. K.s Krit. d. r. V., Lpz. 1792. Dietr. Tiedemann, Theätet,
Ein Beitrag zur Vernunftkrit., Frf. 1794. — Ueber weitere polemische Schriften früherer
Zeit, namentlich über Herders Metakrit. s. unt. § 28. Werthvoll ist die Kritik der
kantischen Philosophie von Schopenhauer, Anhang zu dem 1. Bd. der Welt als
Wille u. Vorstell., 1819 zuerst erschienen, der, obgleich ein Verehrer Kants, denselben
doch scharf beurtheilt.
Die Kantbibliographie der letzten Jahre findet sich Ton R. Reicke (die des
Jahres 1882 in Verbindung mit H. Vaihinger) mit grosser Genauigkeit zusammengestellt
in der Altpreussisch. Monatsschr.
3) Schriften aus neuerer u. neuester Zeit:
Ed. Beneke, K. u. d. philos. Aufgabe uns. Zeit, Berl. 1832. Vi ct. Cousin,
Lecons sur la philosophie de Kant (gehalt. 1820), Paris 1842, 4. ed. Par. 1864.
Translated from the French with a Sketch of K.s life and writings by A. G. Henderson,
Lond. 1870. Mirbt, K. u. seine Nachfolger, Jena 1841. Alfonso Testa, della ragion
pura di Kant, Lugano 1841. Amand Saintes, Histoire de la vie et de la philo«,
de K., Par. et Hanibourg 1844. Chr. H. Weisse, in welch. Sinne d. deutsche
Philos. jetzt wieder an K. sich zu orientiren hat, Leipz. 1847. Prihonsky, Neuer
Antikant, Bautzen 1850. Jul. Rupp, Imm. K., üb. d. Charakter seiner Philos. u. d.
Verhältn. derselb. zur Gegenw., Kgsb. 1857. E. Maurial, le seepticisme combattu dans
ses prineipes, analyse et discussion des principe« du seepticisme, Paris 1857. Jon.
Jacoby, K. u. Lessing, Rede zu K.s Geburtstagsfeier, Kgsb. 1859. Theod. Sträter, de
prineipiis philos. K., diss. inaug., Bonn 1859.
J. B. Meyer, üb. d. Kriticismus mit besond. Rücks. auf Kant, in: Zeitschr. für Ph.,
Bd. 37, 1860, S. 226-263 und Bd. 39, 1861, S. 46—66. B. Spaventa, la filosofia di
Kant, Torino 1860. Die anonyme Schrift (des Prinzen Wilh. Herrn, r. Neuwied, gest.
1864): ein Ergebniss aus d. Krit. d. kantischen Freiheitslehre, von d. Verf. d. Schrift:
das unbewusste Geistesieb. u. d. göttl. Offenbarung, Lpz. 1861. L. Noack, I. Kants
Auferstehung aus dem Grabe, seine Lehre urkundlich dargest., Lpz. 1861; mit od. ohne
romantisch. Zopf? im II. Bd. von Oppenheims deutsch. Jahrb. für Polen und Litt.,
1862. Michelis, die Philos. K.s u. ihr Ei tili, auf d. Entwickig. der neueren Natur-
wissensch., in: Natur u. Offenbarung, Bd. VIII, Münster 1862; Kant vor und nach d.
J. 1770, Braunsb. 1871 (70). Jos. J aekel, de K. phaenomeno et noumeno, diss. Vratisl.
1862. K. F. E. Thrandorff, Aristoteles und Kant, oder: was ist die Vernunft? in:
Zeitschr. für d. Inth. Theol. u. Kirche, Jahrg. 1863, S. 92—125. Jul. Heidemann,
Piatonis de ideis doctrinam quomodo Kantius et intellexerit et exeoluerit, diss. inaug.,
Berol. 1863. Jos. Richter, d. kantischen Antinomien, Mannheim 1863. Klingberg, K.s
Kritik af Leibnizianismen, Upsala 1863. Joh. Huber, Lessing u. K. im Verhaltn. z.
relig. Bewegung des 18. Jahrh. in: deutsche Vierteljahrsschrift., Juli-Sept. 1864, S. 244
bis 295. Theod. Merz, üb. d. Bedeutg. d. kantischen Phil, für d. Gegenw., in : protest.
Monatsb)., herausg. von H. Geizer, Bd. 24, 1864, S. 375—388. O. Liebmann, K. u.
d. Epigonen, Stuttg. 1865. Emile Saisset, le seepticisme, Aenesideme, Pascal, Kant,
Paris 1865, 2. ed. 1867. Heinr. Bach, üb. die Beziehg. d. k.schen Philos. zur franz.
u. engl. d. 18. Jahrh., Diss., Bonn 1866. Ed. Röder, das Wort a priori, eine neue
Kritik d. k.schen Philos., Frankf. a. M. 1866. M. B. W. Bolton, Kant and Hamilton,
Lond. 1866 auch 1869.
Trendelenburg, üb. e. Lücke in K.s Beweis v. d. abschliessenden Subjectivität
des Raumes u. d. Zeit, e. krit. und antikrit. Blatt, in den .Ihm. Beitr. zur Philos." III,
1867, S. 215 — 276*), und Kuno Fischer u. sein Kant, eine Entgegnung, Leipzig 1869.
") Trendelenbnrg leugnet, dass von Kant bewiesen sei, dass das .Apriorische",
dessen Ursprung ein rein subjectiver sei, auch bloss subjectiv hinsichtlich seiner
Gültigkeit, d. h. bloss auf die Erscheinungen anwendbar sei und nicht auf die Dinge
an sich oder die transscendenten Objecte; neben «bloss objectiv" und „bloss subjectiv"
bestehe als »dritte Möglichkeit" : „subjectiv und objectiv zugleich" (wobei „objectiv* im
transscendentalen Sinne zu nehmen ist); dass Kant es unterlassen habe, diese „dritte
Möglichkeit" genau zu erwägen, sei eine „Lücke" in seiner Argumentation, wodurch
dieselbe beweisunkräftig werde. Trendelcnburg nimmt seinerseits an, Raum und Zeit
seien als Producte der „Bewegung", welche sich in uns und ausser uns vollziehe, gleich
sehr subjectiv und objectiv (vgl. u.). Kuno Fischer sucht darzuthun, dass von Kant für
das Nichtbebaftetsein der Dinge an sich mit Raum und Zeit ein directer und (in dem
Abschnitt über die Antinomien) ein indirecter Beweis geführt worden sei. Die Frage-
236 § 25- Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwisäensch.
Kuno Fischer, Logik u. Metaph., 2. Aufl., S. 1 5:i ff. ; Anti-Trendelenburg, eine Duplik,
Jena 1870. Vgl. dazu Kym (s. u.) und Rieh. Quäbieker in: philos. Monatsh. IV, 1870,
S. -408—413; ferner E. Bratusoheck ebd. V, 1870, S. 270—323; C. Grapengiesser, K.s
Lehre v Hanm und Zeit , Kuno Fischer u. Ad. Trendelenburg, Jena 1870 (vom apelt-
schen Standpunkte aus vorfasst); Emil Arnoldt, Kant« transsoendentale Idealität dos
Raumes u. d. Zeit, für Kant gegen Trendelenburg, in der altpreuss. Monatsschrift VII,
3. 5/6; VIII, 1. 5/0; Horm. Cohen, zur Controv. zw. Tr. u. F, in: Zeitschrift f. Völker-
psych. u. Spraehw. VII, S. 230 — 296; J. Gottschick, die „ Lücke* in K.s Beweis f. d.
transscendentale Idealität v. Kaum u. Zeit, in: Ztsehr. f. Phil. n. philos. Kr.. Bd. 79,
1881, S. 102—156.
W. Pflüger, üb. K. traussc. Aesthetik, In.-Diss., Marburg 1807. Siegm. Lovy, K.s Kr.
der r. Vern. in ihrem Vcrh. zur Krit. d. Sprache, Diss., Bonn 1868. Gust. Knauer,
oonträr und contradietorisch, nebst convergirenden Lehrstücken, festgestellt und Kante
Kategorientafel berichtigt, Halle 1868.
H. Eortlagc, üb. d. kantische Philos., in: Sechs philos. Vorträge, Jena. Vinc.
Silla, K. e. Rosmini, Torino. Sjüholm, het historiska zusammanhanget mellan Humes
Skepticism och K.s Kriticism, Ak. Afh. Upsala. Günther Thiele, wie sind die synth.
Urth. a priori der Mathematik möglich? Inaug.-Diss., Halle. F. Ueberwcg, der Grund-
gedanke des kaut. Kritioismus nach seiner Entstehungszeit u. s. wisscnschaftl. Werth,
in: Altpr. Monatsschr. VI, S. 215—224. Aug. Müller, die Grundlagen der k.schen
Philos. vom nuturwissenseb. Standp. gesehen, ebd. S. 368—421. C. Hebler, Kantiana
in philos. Aufs., Leipz. Hodgson, time and Space (e. Analyse d. k.schen Lehre). Lond.
G. Biedermann, K.s Kr. der reinen Vern. und die hegelsche Logik in ihrer Bedeut. f.
d. BegriftVwiss., Prag. Ernst Wickenhagen, d. Logik bei Kant, Diss., Jena. 0. Stäekel,
der Begriff" der Idee bei K. im Verh. zu den Ideen bei Piaton, Diss., Rostock. Oscar
Hohenberg, üb. das Verhältu. d. k.schen Philos. zur piaton. Ideenlebre, Rostoeker Diss.,
Jena. Aug. Th. Rieh. Braune, der einheitl. Gmndged. der drei Kritiken K.s. Inang.-
Diss., Rostock. Fr. Herbst. Locke u. K., Rostocker I.-D., Stettin. Maxim. Kissel, de
rat., quae inter Lockii et Kantii plaeita intercedat, eomm., Rostochii. Säznmtlich ans
d. J. 1869.
J. B. Meyer, K.s Psychol., Berl. Rieh. Quäbicker, krit.-philos. Untersuchungen:
I. K s u. Herbarts metaph. Grundansichten üb. d. Wesen d. Seele, Berlin. Rud. Hippen-
meyer, üb. K.s Kritik der rat. Psychol., in: Zeitsohr. f. Ph. N. F. Bd. 56. S. 86—127.
H. Wölfl*, die metaph. Grundansch. K.s, ihr Verh. zu d. Natnrw. und ihre philos.
Gegner, Leipz. Fr. Reinh. Emst Zelle, de discr. inter Aristotelicam et K. logice»
notionem intercedente, diss. Hai. (auch deutseh, Berlin). W. F. Schultze, Hunte u. K.
üb. d. Causalbegrift', I.-D., Rostock. Rud. Tombo. üb. K.s Krkenntnisslehre, I.-D.,
Rostock. Lengfehlner, d. Princip d. Phil., d. Wendep. in K.s Dogmatism. u. Kriticism.,
Pr., Landshut. Aus dem J. 1870.
E. v. Hart mann, das Ding an sich u. seine Beschaft'enheit , k.sehe Studien zur
Erkenntnisstheorie u. Metaph.. Berlin. (Hartmann will, das« man in der bereits von
Kant eingeschlagenen Richtung einer schärferen Kritik und Einschränkung der Be-
hauptungen der transsc. Analytik weiter gehe, während K.s unmittelbare Nachfolger
den entgegensetzten Weg weiter verfolgt haben, dessen letzte Consequenz der .ab-
solute Iliusionismns' sei.) Edmund Montgomery, die k.sehe Erkenntnisslehre widerl.
vom Standp. der Empirie, München. K. Zimmermann, üb. K.s mathem. Vorurth. and
dessen Folgen, Wien. F. Frederichs, d. phänomenale Idealism. Berkeleys n. K.s, Berlin.
Herrn. Cohen, K.s Theorie «I. Erfahr., Berlin. 2. neubearbeitete Aufl. 1885. C. Grapen-
giesser, Erklär, u. Vertheidig. v. K.s Krit. d. reinen Vern. wider die -sogenannten"
Erläuterungen d. Hrn. J. H. v. Kirchmann. E. Bekämpfg. d. modern. Realism. in d.
Philos., Jena. Ders., K.s transscendental. Idealism. u. Hartmanns Ding an sich in Fichtes
Zeitechr., 61, 191-247; 62, 30-70; 232-285; 63, 145-200. Die Erläuterungen
v. Kirchmanns von dessen realistischem Standpunkte aus sind in einer Reihe von Heften
im Anschluss an die von demselben besorgte Ausgabe in der Philos. Bibliothek er-
schienen, haben aber wenig Werth. — Geo. Scherer, Krit- üb. K.s Subjeetivität u.
Apriorität d- Raumes u. d. Zeit, Iuaug.-Diss., Frkf. a. M. Aus d. J. 1871.
Stellung selbst aber ist zu indem, wenn sich ergiebt, dass der Begriff „a priori", wie
Kant denselben versteht, unhaltbar ist. Der Raumansehauung vindicirt Ueberweg ver-
möge einer philosophischen Reflexion über die physikalischen Gesetze, insbesondere
über das Gravitationsgesetz, objective Gültigkeit im transscendentalen Sinne, s. Ueber-
weg* unten eitirtc Abb. über K.s Kriticismus.
§ 25. Kante Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissenach. 237
L. Ballauf, d. k.sche Idealism., im Pädag. Anh., S. 841—295. Charles Sarchi.
Examen de la doctrine de K., Pari». Barach, K. als Anthropolog in Mitthlxn. d.
anthrop. Ges. in Wien. Burmeistcr, d. Erkenntnisalehre K.s, Wrietzen, Sehulpr. E.
Fleisch!, e. Lücke in K.a Philo«, u. Ed. v. Hartmann, Wien. Jagielski, wie hat K.
den Begr. d. Materie aufgefaßt? Ostrowo, Pr. Jobs. Quaat/., K.s kosmol. Ideen, ihre
Ableitg. a. d. Kategorien, die Antinomie u. deren Auflösg., Herlin, Pr. <1. Andrcas-Sch.
Rob. Zimmermann, üb. K.s Widerlegungen d. Idealism. v. Berkelev (a. d. Sitzungsber.
d. ph.-hist. Cl.), Wien. Aug d. J. 1872.
E. Arnoldt, Metaphysik die Schutzwehr der Kelig., Hede, Kgsb. (auch in der Altpr.
•Mt.-M'br., X, 2isi> — 306). Benno Erdmann, d. Stelig. d. Dinge» an sich in K.s Acethet.
u. Analytik, I.-L)., Berlin. Herrn. Cohen, d. System. Begriffe in K.s vorkrit. Schriften
nach ihren Verhltn. zu krit. Idealism., Berlin. AI fr. Holder, Darstllg. d. k.schen
Erkenntnisstheorie mit besond. Herüeks. d. verschied. Fassgn. d. transsccndentalen
Deduct. d. Kateg., Tüb. G. Knauer, ist d. Zweckbegr. auf K.s Standpkt. in der Kateg.-
Tafel einzustellen? in Philo«. Monatshefte, IX, 361 — 66. T. Mannani. K. e rontologia,
Firenze. Fil. Masci, una polemica su K., l'estetica trascciidentale e Je autinomie.
Napoli. J. Volkelt, K.s Stellg. z. unbewusst. Logisch, in Philos. Mtshft. IX, 4'J— 57,
113— 124. Ferd. Schmidt, de origine termini Kantiani «transcendens", diss. inaug.,
Marb. P. Asmus, das Ich ». das Ding an sich, Gesch. ihrer begriffl. Entwickelung in
der neuesten Philos., Halle. Sämmtlich aus d. J. 1873.
S. F. de Dominicis, Galilei e. K., Bologna. W. H S. Monck, an introduetion to
the critical philos., Dubl. Jos. Pommer, z. Abwehr einig. Angriffe auf K.s Ix-hre von
d. synthet. Natur mathemat. Vrtheile, Wien. Jobs. Witte, Beiträge z. Verstandn. K.s,
Berlin. Roh. Zimmermann, K. u. d. positive Philos. (Sitzungsber. der philos.-hist. Cl.)»
Wien. Ans d. J. 1874.
G. Spicker, K.. Hume u. Berkeley, Berlin. F. G. Hann, über den Ausgangspunkt
für die metaphys. Einsicht nach Kant, Innsbruck. Fr. Schultze. K. u. Darwin, Jena.
D. Nolen, la critique de K. et la metaphysique de Leibniz, Paris. P. Ragniseo, la
critica della ragione pura di K., Napoli. Die Werke von Paulsen u. Riehl s. o.
S. 208. Sämmtlich aus d. J. 1875.
G. Schenk, die logischen Voraussetzungen und ihre Folgerungen in K.s Erkenntniss-
lehre, I.-D., Jena. C. Stommel, die Differenz K.s und Hegels in Bez. auf die Auti-
nomien, I.-D., Halle. J. Jacobson, die Auffindung des Apriori, Berlin; ders., die Be-
ziehungen zwischen Kategorien und Urtheilsformen, Kgsbg. 1877. Ernst Laas, K.s
Analogien der Erfahrung. Berlin. F. v. Wangenheim, Verteidigung K.s gegen Fries,
I.-D., Halle. G. Zahn, üb. die k.sche Unterscheidung von Sinn, Verstand u. Vernunft,
Jena. M. Desdouits, la philosophie de K. d 'apres les trois critique« , Paris. E.
Caird, the philosophy of K., explained and xamined with a historical introduetion,
Lond. B. Alexander, K.s L. vom Erkennen, Leipz., I.-D.. Budapest. Jos. Weisz, K.s
L. v. Raum u. Zeit, Leipz. I.-D., Budapest. Rob. Steffen, K.s L. vom Dinge an sich.
I.-D., Leipz. W. Ustcrinaun, üb. K.s Krit. der rational. ThcoIoRie, Jena. G. Thiele,
K.s intellectuelle Anschauung als Grundbegr. seines Kriticismus dargestellt, Halle. A.
Stadler, die Grundsätze der reinen Krkenntnisstheorie in d. k.schen Philos., Leipz.
Sämmtlich aus d. J. 1876.
K. Dieterich, K. u. Newton, Tübing. A. v. Leclair, kritische Beiträge zur Kate-
gorienl. K.s, Prag. L. Sraolle, K.s Erkenntnisstheorie vom psycholog. Standpunkt aus
betrachtet, Znaim. E. Schmidtborn, Darlegung u. Prüfung d. k.schen Krit. des ontolog.
Beweises für das Dasein Gottes, Wiesbad. T. Pesch, die Haltlosigkeit der modernen
Wissensch. Eine Krit. d. k.schen Vernunftkritik, Freib. i. Breisgau. Reinh. Biese, die
Krkenntnissl. des Aristoteles u. K.s in Vergleichung ihrer Grundprincipieti, Berlin.
J. Theodor, der UnendlichkeiUbcgr. bei Kant und Aristoteles, Breslau. E. Caird, a
critical aecount of the philosophy of K. W. Wrindelband, über d. verschied. Phasen
d. k.schen L. v. Ding an sich, in: Vierteljahrsschr. f. Wissenschaft!. Phil. I, S. 224 — 266.
Sämmtlich aus d. J. 1877.
C. Grapengiesser, Aufgabe u. Charakter der Vernunftkritik, Jena. C. I herhörst,
K.s L. v. d. Verh. d. Kategorien z. d. Erfahrung, Göttingen. K. Dieterich, K. u.
Rousseau, Tübingen (mit de» Verf.s Sehr.: K. u. Newton in 2. Ausg. erschienen unter
dem Titel: d. kantsche Philos. in ihrer inneren Entwickelungsgesch., 2 Thle., Freib. i. Br.
1885). R. Lehmann, K.s L. v. Ding an sich, Berlin. P. S. Neide, die k.sche L. vom
Schematismus der reinen Verstand es begriffe, I.-D., Halle. C. Ritter, K. u. Hume, I.-D.,
Halle. Mor. Steckelmacher, die formale Logik K.s in ihren Beziehungen zur transsecn-
dentalen, Breslau. J. Nathan, K.s logische Ansichten u. Leistungen, I.-D., Jena.
Friedr. v. Bärenbach, das Ding an sich als kritisch. Grenzbegr., in Ztschr. für Philos.
238 § 25. Kants Kritik d. reineD Vernunft u. tnetaph. Anfangagr. der Naturwissensch.
und philo». Krit., Bd. 72, S. 65 — 80. T. Mamiani, della psicologia di K., Roma.
Albr. Krause, Kant u. Heimholte üb. d. Ursprung u. d. Bedeut. der Raumanschanung
u. der geometrischen Axiome, Lahr. Rud. Kühne, Ob. d. Verh. d. humeschen u. kam.
Erkenntnistheorie, Rostock. I.-D., Berl. Sämmtlich aus dem J. 1878. B. Er d mann,
K.s Kriticismus s. ob. S. 223.
E. Last, Mehr Licht! Die Hauptsätze K.s u. Schopenhauers in allgem. verständ-
licher Darlegung, Berlin. M. Peschel, Aphorismen zur k. sehen Philos., nebst Andeut.
eines positiv, metaphys. Standpunktes, Basel. Jul. Janitsch, K.s Urtheile Ober Berkeley,
Strassb. i. E. C. Cantoni, Em. K., Vol. I, la filos. teoret., Milano, Vol. IL la filos.
pratica, 1883, Vol. III, la filos. religiosa, la critica del giudizio e le dottrine minori,
1884. J. Frohschammer, üb. die Bedeutung der Einbildungskraft in der Philos. K.s
u. Spinozas, Münch. Joh. Volkclt, Imm. K.s Erkenntnisstheorie nach ihr. Grund-
prineipien analys., Lpz. R. Zimmefmann, K. u. d. Spiritismus, Wien (Frdr. Zöllner
glaubte bei Kant Spiritismus entdeckt zu haben). R. Falckenberg, Ueb. d. intelligibl.
Char., zur Kritik der k.sehen Freiheitsl., Halle. V. Kig, die kantschen Kategorien u.
ihr Verhältnis« zu den aristotelischen mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Sund der
Wissenschaft, in Festschr. zur Begrüssung der 35. Vers, deutscher Philolog. etc. dargebr.
t. d. Kgl. Gymnas. u. d. städt. R.-Sch. zu Trier, Trier. Alle aus d. J. 1879.
Rob. Adamson, Ueb. K.s Philosophie, übers, v. C. Schaarschmidt, Lpz. Wilh.
Schuppe, das Verh. zwisch. K.s formaler u. transsccndental. Logik, in: Philos. Monatsh.
S. 513 — 528. Feiice Tocco, l'Analitiea trascendentale e i snoi recenti espositori, estratto
della Filosofia della Scuole Italiane. M. Heinze, Ernst Platner als Gegner Kants, Univ.-
Pr., Lpz. M. Kunze, K.s Kritik an Humes Skepticismus, I.-D., Berl. A. Meydenhauer,
Kant od. Laplace? Marb. F. Chiappelli, K. e la psicologia contemporanea, Napoli.
G. Barzcllotti, la critica conoscenza e la metafisica dopo il K., in: la filos. delle scuole
Ital., Bd. 20. Sämmtlich aus d. J. 1880.
Zu dem hundertjährigen Jubiläum der Kritik der reinen Vernunft sind im
J. 1881 eine grosse Anzahl besonderer Schriften und Abhandlungen erschienen; von
letzteren können hier nur die wichtigeren aufgeführt werden. S. das Verzeichnis» aller
auf K. bezüglichen Drucksachen dies. J.s in d. Altpreussischen Monatsschr. 1882, S. 506
bis 512 u. weiterer auf das Jubiläum sich beziehend. Schriften aus d. J. 1882 ebd.
1883, S. 505 — 511. J. Witte, die Vermittelung der principiellen Gegensätze durch Kants
Krit. d. r. V. u. der virtuelle Apriorismus der letzteren, in: Philos. Monatsh. S. 602
bis 613. Fei. Tocco, Filosofia di Kant, in: la Filosofia delle Scuole Italiane, Vol. XXII,
XXIII. G. Herbst, K. als Naturforscher, Philos. u. Mensch (Samml. wissensch. Vortr.),
Berl. J. Mainzer, d. krit. Epoche in d. L. v. d. Einbildungskr. ans Humes u. Kants
theoret Philos. nachgewiesen, Jena. K. Werner, Kant in Italien, Wien. Edm.
Pfleiderer, Kantischer Kriticismus u. engl. Philos. Beleuchtung des deutsch-englisch.
Neu-Empirismus, Halle (Separatabdr. aus Zeitschr. f. Philos. u. ph. Kr.). J. Walter,
zum Gedächtniss K.s, Festrede, Lpz. Max Runze, K.s Bedeutung auf Grund der Ent-
wirkelungsgesch. seiner Philos. Festvortr. Berlin. Emil Höhne, K.s Pelagianismus u.
Nomismus, Leipzig. John Watson, K. and his english critics, a eomparison of critical
and empirical philosophy, Glasgow- Lond. : derselbe, the method of K., in: Mind Bd. 5,
S. 528—548. Albr. Krause, Populäre Darstell, v. I. K.s Kr. d. r. V., Lahr, 2. Aufl. 1882.
Fr. Paulsen, Was uns K. sein kann? Eine Betrachtung zum Jubeljahr der Krit d.
r. V., in: Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philo«., S. 1 — 96. Eng. Westerburg, Schopen-
hauers Kritik der kantisch. Kategorienl., in: Zeitschr. f. Philos. u. ph. Kr., Bd. 78,
S. 106—140, 249—278. A. Weis, the critical philosophy of K., London. James
Hutchinson Stirling, Text-book to Kant The Critique of pure Reason: Aesthetic,
Categories, Schematism, Translation, Reproduction, Commentary, Index, Edinburgh-
London. Bernh. Alexander, Kant (K.s Leben, Kntwickelung u. Philos.), 1. Bd., Buda-
pest (Ungarisch). Friedr. Bernd, d. Logik nach Aristoteles u. K., Progr. der theresianisch.
Ak. in Wien, Wien. B. Erdmann, d. Idee v. K.s Krit der r. V., in: deutsche Rund-
schau, Bd. VIII, S. 253 — 273. Seb. Turbiglio, Analisi, storia critica della Critica
della Ragion Pura, otto lezioni estr. del Corso di storia della filos., Roma. G.
Krause, K.s Erkenntnissl. als Grundlage unserer Erkenntnis», Th. I, Pr., Marien-
werder, Th. II 1882. Hugo v. Meltzl, Kantiana Hungarica, Festgabe zum Cente-
ii avium etc , nebst einer magyarischen Kantbibliographie v. Pet. Gerecze, Kolnzsvar,
London. H. Vaihinger, Commentar zur Krit. d. rein. Vera., 1. Bd., Stuttgart (dus
Ganze ist auf 5 Bde berechnet der erste Band, welcher den Commentar zur Vorrede
der ersten und zu den Einleitungen der ersten und zweiten Ausgabe enthält, ist mit
ausserordentlicher Genauigkeit und Umsicht gearbeitet. Von längeren Ausführungen
§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft o. metaph. Anfangsgr. der N'aturwissensch. 239
dieses Bds. sei hier hingewiesen auf die neue Darstellung des Verh.s von Kant zu
Hume, sowie auf die „Methodologische Analyse der Kr. d. r. V.'). Besonders in er-
wähnen ist hier noch, dass im Juli- und October-Heft das Journal of Speculative
Philosophy ed. by William T. Harris, New-York, eine Reihe von Aufsätzen zur
Feier des Jahres erschienen sind: John W. Mears, the Kant-Centennial ; William T.
Harris, K. and Hegel in the History of Ph. ; George S. Morris, K.s Transscendental
Deduction of Categories; Julia Ward Howe, the Kesults of the Kantian Phil.; John
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240 § 25. Kants Kritik d. reiueu Vernunft u. metaph. Aufangsgr. der Naturwissenseh.
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Undurchdringlichk., d. Anziehg. u. e. Zurückstossung der Körper, nebst e. Darstellg.
der Hypothese des Lesage*) üb. d. median. Ursache d. allgem. Gravitation, 1807.
') Lesage (in Genf geb. 1724 und ebend. gest. 180:5/ nahm, zum Theil nach dem
Vorgange von Zeitgenossen Newtons, an (eine Abhandl. im Journal des sav., April
1764, Lucrece neutonien, in den berliner Memoiren 1782, physique mecanique, von
Prevost 1818 zum Th. veröffentlicht; viele Handschriften finden sich noch in der hibliotbeque
publique zu Genf), dass äusserst kleine Körperchen (corpuscules ultrumondains) sich
durch den ganzen Raum hin in allen Richtungen mit sehr grosser Geschwindigkeit
bewegen, und dass der Stoss, den diese Körperchen üben, die Erscheinungen bewirke,
welche der Schwerkraft zugeschrieben zu werden pflegen; er nennt den Complex dieser
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§25. Kante Kritik d. reisen Vernunft n. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 241
Fr. Gott]. Bosse, K.s metaph. Anfangsgr. der Naturwis«. in ihren Gründen widerlegt,
Dresd. 1828. Reuschle, K. n. d. Naturwissenschaft, in d. deutsch. Vierteljahreschr.,
31. Jahrg., April — Juni 1868, S. 50 — 102 und insbesondere flb. K.s dynam. Theorie der
Materie, ebd. S. 57—62. A. Stadler, K. üb. das Princip der Erhaltung der Kraft, in:
Philos. Monatsh. 1879, S. 577—589; ders., das Gesetz der Stetigkeit b. K., in: Philos.
Monatsh. 1880, S. 577—596. Otto Kuttner, histor. genet. Darstellung v. K.s verschie-
denen Ansichten üb. d. Wesen der Materie, I.-D., Berl. 1881. A. Sudler, K.s Theorie
der Materie, Lp«. 1883. A. Stöhr, Analyse der reinen Naturwissensch. K.s, Wien 1884;
s. darüber J. Witte, kant Kriticism. gegenüber unkrit. Dilettantismus, Bonn 1885, u.
wiederum A. Stöhr , Replik geg. Witte, eine Vertheidig. mein. Sehr. Analyse u. s. w.,
Wien 1885. P. Tannery, la theorie de matiere d'apres K., in: Reyuc phil., 19, 1885,
S. 26—46. Vgl. auch d. S. 216 cithrte Sehr. v. Geo. Simmel.
Kant versteht unter dem a Dogmatismus der Metaphysik", als dessen
bedeutendsten Vertreter er Wolff nennt, das allgemeine Zutrauen derselben zu ihren
Frincipien, ohne vorhergehende Kritik des Vernunftvermögens selbst, bloss um
ihres Gelingens willen (Kant geg. Eberhard, üb. e. Entdeckung etc. bei Ros. u.
Sch. I., S. 452) oder das dogmatische (aus philosophischen Begriffen streng argu-
raentirende) Verfahren der Vernunft ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Ver-
mögens (Vorr. zur 2. Aufl. der Kr. d. r. V. S. XXXV). Unter dem Skepticismus,
wie denselben namentlich Hume repräsentire , versteht Kant das ohne vorher-
gegangene Kritik gegen die reine Vernunft gefaaste allgemeine Misstrauen, bloss
um des Misslingens ihrer Behauptungen willen la. a. 0. I., S. 452). Kant hält
dafür, dass man vom empirischen Standpunkte aus das Dasein Gottes und die
Unsterblichkeit der Seele nicht beweisen könne, da beide ganz ausserhalb der
Grenzen möglicher Erfahrung liegen, und findet in Lockes BeweiBversuch eine
Inconsequenz (Kr. d. r. V., S. 127 und 822 f ), so dass ihm der Skepticismus als
die nothwendige Folge des Empirismus erscheint. Die reine Vernunft in ihrem
dogmatischen Gebrauche muss vor dem kritischen Auge einer höheren und richter-
lichen Vernunft erscheinen (ebd. S. 767); die Kritik der reinen Vernunft
ist der wahre Gerichtshof für alle Streitigkeiten der Vernunft (ebd. S. 779). Der
Kriticismus des Verfahrens mit allem, was zur Metaphysik gehört, ist die
Maxime eines allgemeinen Misstrauens gegen alle synthetischen Sätze derselben,
bevor nicht ein allgemeiner Grand ihrer Möglichkeit in den wesentlichen Be-
dingungen unserer Erkenntnissvermögen eingesehen worden (gegen Eberhard, a. a
O. I, S. 452). Unter der Kritik der reinen Vernunft versteht Kant eine
Prüfung des Vernunftvermögens überhaupt in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen
die Vernunft unabhängig von aller Erfahrung streben mag, mithin die Entscheidung
der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt, und die Bestim-
mung sowohl der Quellen, als des Umfangs und der Grenzen derselben, alles aber
aus Principien (Vorr. zur 1. Aufl. der Kr. d. r. V.). Vernunft ist ihm das Ver-
mögen, welches die Principien der Erkenntniss a priori enthält, reine Vernunft
das Vermögen der Principien, etwas schlechthin a priori zu erkennen. Die Kritik
der reinen Vernunft, welche die Quellen und Grenzen derselben beurtheilt, ist die
Körperchen „le fluide gravifique". Ein ruhender Körper wird nach allen Seiten hin
gleiehmässig gestossen: ein bewegter in der Richtung der Bewegung weniger, als in
anderen Richtungen: doch ist die Bewegung jener Körperchen so rasch, das« dagegen
jede lindere fast verschwindend gering erscheint; zwei Körper dienen sich gegenseitig
als Schirm gegen jene Körperchen, und zwar (nahezu) nach dem Verhältniss der Massen
und mit geometrischer Notwendigkeit im umgekehrten Verhältniss zu dem Quadrat
der Entfernungen, woraus das newtonsehe Gesetz resultirt. S. Wilh. Stosz, Le Sage
als Vorkämpfer der Atomistik, I.-D.. Halle 1884.
Ueb«>rweg»H<in*et <irun<lri** III. 7. Acfl.
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242 § 25. Kauts Kritik d. reinen Vernuuft u. metaph. Anfaugsgr. der Naturwisseusch.
Vorbedingung eines Systems der reinen Vernunft oder aller reinen Erkenntnisse
a priori.*)
Gegen das kantiscbe Unternehmen einer Vernunftkritik ist einge wandt worden,
das Denken könne nur durch das Denken geprüft werden; vor dem wirklichen
Denken das Denken prüfen wollen, heisse daher denken wollen vor dem Denken
oder gleichsam schwimmen lernen wollen, ohne ins Wasser zu gehen (Hegel).
Jedoch dieser Einwurf widerlegt sich durch die Unterscheidung des vorkritischen
und des kritisch-philosophischen Denkens. Jenes muss allerdings der Vernunft-
kritik vorangehen, dann aber eine Prüfung desselben eintreten, die sich zu ihm
ebenso verhält, wie die Optik zum Sehen. Nachdem aber durch die kritische
Reflexion der Ursprung und Umfang der Erkenntniss festgestellt und das Maass
und der Sinti der Gültigkeit der Erkenntnisse ermittelt worden ist, so kann hieran
ein ferneres philosophisches Denken sich anschliessen. (Vgl. Ueberwegs Syst. der
Log. § 31 und Kuno Fischer a. a. O.)
Kant führt die Genesis seiner Vernunftkritik auf die Anregung zurück, die
er durch Hume empfangen habe. Er sagt (in der Einleitung der Proleg. z. e. j.
k. Metaph.), seit Lockes und Leibnizens Versuchen über den menschlichen Ver-
stand, ja seit dem Entstehen der Metaphysik, sei nichts Bedeutenderes auf diesem
Gebiet erschienen, als Humes Skepsis. — Hume „brachte kein Lacht in diese Art
von Erkenntniss, aber er schlug doch einen Funken, bei welchem man wohl ein
Licht hätte anzünden könneu, wenn er einen empfänglichen Zunder getroffen hätte*.
„Ich gestehe frei, die Erinnerung des David Hume (gegen die Gültigkeit des
Causalbegriffs) war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dog-
matischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der specula-
tiven Philosophie eine ganz andere Richtung gab. — Ich versuchte zuerst, ob sich
nicht Humes Einwurf allgemein vorstellen Hesse, und fand bald, dass der Begriff
der Verknüpfung von Ursache und Wirkung bei Weitem nicht der einzige 6ei, durch
den der Verstand a priori Bich Verknüpfungen der Dinge denkt, vielmehr, dass
Metaphysik gauz und gar daraus bestehe. Ich suchte mich ihrer Zahl zu versichern,
und da dieses mir nach Wunsch, nämlich aus einem einzigen Princip, gelungen
war, so ging ich an die Deduction dieser Begriffe, von denen ich nunmehr ver-
sichert war, dass sie nicht, wie Hume besorgt hatte, von der Erfahrung abgeleitet,
sondern aus dem reinen Verstände entsprungen seien.1*
Transscendental nennt Kaut nicht jede Erkenntnis» a priori, sondern nur
die Erkenntuiss, dass und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe)
lediglich a priori angewandt werden oder möglich seien. Im Unterschiede von
transscendentaler Erkenntniss nennt Kant einen transscendenten Gebrauch
von Begriffen denjenigen, der über alle mögliche Erfahrung hinausgeht Die Ver-
nunftkritik, welche selbst transscendental ist, weist diu Unzulässigkeit jedes trans-
scendenten Vernunftgebrauchs nach.
Der Gang der Untersuchung in der .Kritik der reinen Vernunft* ist folgender.
In der Einleitung sucht Kant das Vorhandensein solcher Erkenntnisse darzuthuu,
die er „synthetische Urtheile a priori" nennt, und wirft die Frage auf, wie die-
selben möglich seien. Er findet, dass ihre Möglichkeit bedingt sei durch gewisse
rein subjective Formen der Anschauung, nämlich den Raum und die Zeit, und
durch ebensolche Formen des Verstandes, die er Kategorien nennt; aus den letzteren
*) Die aristotelisch-wölfische Lehre von den Seelenvermögen hat Kant in den
Grundzügen nur adoptirt. in einzelneu Beziehungen umgebildet, aber nicht einer
principiellen Kritik unterzogen. Wie sehr dies seiner Erkenntnisskritik zum Nach-
theil gereichen soll, hat besonders Herbart hervorgehoben.
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% 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. mctapb. Anfangsgr. der Naturwiasenseh. 243
sollen auch die Vernunftideen erwachsen. Nun theilt Kant den Complex seiner
Untersuchungen ein in die transscendentale Eletnentarlehre und die trans-
scendeutale Methodenlehre (im Anschluss an die zu seiner Zeit übliche
Eintheiluug der formalen Logik). Die transscendentale Elementarlehre handelt von
den Materialien, die transscendentale Methodenlehre von dem Plan oder den
formalen Bedingungen eines vollständigen Inbegriffs aller Erkenntnisse der reinen
speculativen Vernunft Die transscendentale Elementarlehre theilt Kant ein in die
transscendentale Aesthetik und Logik; jene handelt von den reinen An-
schauungen der Sinnlichkeit, Raum und Zeit, diese von den reinen Verstandes-
erkenntnissen. Der Theil der transscendentalen Logik, der die Elemente der reinen
Verstandeserkenntniss vorträgt und die Principien, ohne welche überall kein Gegen-
stand gedacht werden kann, ißt die transscendentale Analytik und zugleich
eine Logik der Wahrheit. Der zweite Theil der transscendentalen Logik aber ist
die transscendentale Dialektik, d. h. die Kritik des Verstandes und der
Vernunft in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, eine Kritik des dialek-
tischen Scheins, welcher entsteht, wenn man die reinen Verstandes- und Vernunft-
erkenntnisse nicht auf Gegenstände der Erfahrung bezieht, sondern sich ihrer ohne
ein gegebenes Subject über die Grenzen der Erfahrung hinaus bedient und somit
von den bloss formalen Principien des reinen Verstandes einen materialen Gebrauch
macht. Die transscendentale Methodenlehre hat vier Hauptstücke, welche die Titel
führen : die Disciplin der reinen Vernunft, der Kanon derselben, ihre Architektonik
und ihre Geschichte.
Die transscendentale Aesthetik geht besonders auf die Möglichkeit
der reinen Mathematik, die Analytik auf die der reinen Naturwissen-
schaft, die Dialektik auf die der Metaphysik überhaupt, die Methoden-
lehre auf die der Metaphysik als Wissenschaft.
Alle unsere Erkenntniss. sagt Kant in der Einleitung, fängt mit der Erfahrung
an, aber nicht alle Erkenntniss entspringt aus der Erfahrung. Erfahrung ist con-
tinuirliche Zusammen fügung (Syuthesis) der Wahrnehmungen. Erfahrung ist das
erste Produet, welches unser Verstand hervorbringt, iudem er den rohen Stoff
sinnlicher Empfindungen bearbeitet. Nun behauptet Kant*): „ Erfahrung sagt uns
zwar, was da sei, aber nicht, dass es nothwendiger Weise so und nicht anders
sein müsse; eben darum giebt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit"; »Was von
der Erfahrung entlehnt ist, hat nur comparative Allgemeinheit, nämlich durch
Induction". Nothwendigkeit und strenge (nicht bloss »comparative*) Allgemeinheit
gelten Kant als sichere Kennzeichen einer nicht empirischen Erkenntniss.»*) Die
*) Indem er einen Satz, der von der vereinzelten Erfahrung und von der
elementarsten Form der Inductionen .per enumerationem simplicem* gilt, auf alle
logische Combination von Erfahrungen überträgt.
**) Ans diesen Voraussetzungen, welche Kant feststanden, ohne von ihm jemals
«iner Prüfung unterworfen worden zu sein, ist mit grosser (obschon nicht absoluter)
Consequenz das gesammte Lehrgebäude des „Kriticismus" erwachsen. Freilich ist
schon das streng allgemeingültige und doch, wie Kant zugesteht, aus der Erfahrung
geschöpfte Gravitationsprincip ein Gegenzeuguiss. Je einfacher das Object einer
Wissenschaft ist, um so gewisser ist die Allgemeingültigkeit ihrer induetiv ge-
wonnenen Fundamentalsätze, wonach sich von der Arithmetik (Quantität) zur Geo-
metrie (Quautität nebst Bewegung und Form), Mechanik (Quantität, Form und
Bewegung, Zeit, Schwere) etc. eine Stufenordnung des Maasses der Gewissheit
und nicht, wie Kant will, ein absoluter Unterschied einer hier strengen, dort
bloss „comparativen* Allgemeinheit ergiebt. Die empirische Basis der Geometrie
erkennen philosophireude Mathematiker von der Bedeutung eines Riemann und
Helmholtz an. B. Riemanu, über die Hvpothesen, welche der Geometrie zu
Grunde liegen. Abh. d. K. Ges. d. Wiss.'zu Gott, (auch separat) 1867 (verfasst
IG*
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244 § 25. Kante Kritik d. reinen Vernunft q. metaph. Anfaugsgr. der Naturwissensch.
nicht aas der Erfahrung stammende Erkenntniss bezeichnet Kant als „ Erkenntnis»
a priori".*) Die Erkenntniss a priori ist von der Erfahrung unabhängig, auch
wenn sie erst mittelst der Erfahrung ins Bewusstsein gebracht wird ; sie hat ihren
Grand in der Natur unseres Erkenntnis« Vermögens. Kant unterscheidet (nach dem
Vorgange Lamberts, Org. § 639, der jedoch die Existenz des .rein* Apriorischen
dahingestellt sein läset, nachdem Hume die Existenz von Ideas, die nicht aus
Impressious stammen, geleugnet hatte): man p8egt wohl von mancher aus Et-
fahrnngsquellen abgeleiteten Erkenntuias zu sagen, dass wir ihrer a priori fähig
oder theilhaftig sind, weil wir sie nicht unmittelbar aus der Erfahrung, sondern
aus einer allgemeinen Regel, die wir gleichwohl selbst doch aus der Erfahrung
entlehnt haben, ableiten; wir werden aber im Verfolg unter Erkenntnissen a priori
nicht solche verstehen, die von dieser oder jener, sondern die schlechterdings von
aller Erfahrung unabhängig stattfinden; ihnen sind empirische Erkenntnisse oder
solche, die nur a posteriori, d. i. durch Erfahrung, möglich sind, entgegengesetzt ;
von den Erkenntnissen a priori heisseu diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches
beigemischt ist.##)
1854), S. 2: ,die Eigenschaften, durch welche sich der Raum von anderen denkbaren
dreifach ausgedehnten Grössen unterscheidet, können nur aus der Erfahrung ent-
nommen werden*. Helmholtz, über die Thatsachen, die der Geometrie zu
Grande liegen, in den Nachr. der K. Ges. der Wiss. zu Gött 1868, 3. Juni,
S. 193—221. Apodiktisch gewiss ist das streng Erwiesene, also die Abfolge
der Lehrsätze aus ihren Prämissen; die Axiome aber .apodiktisch gewiss' zu
nennen, ist ein Missbrauch des Wortes.
*) „ErkenntniBs a priori" heisst in dem seit Aristoteles üblichen Sinne:
.Erkenntnis» aus den realen Ursachen", und an diese Art von Erkenntniss knüpft
sich allerdings Notwendigkeit oder apodiktische Gültigkeit. Im Laufe des
18. Jahrh., als man selten auf die aristotelischen Schriften zurückging, verlor man
allmählich diese Bedeutung und ersetzte sie häufig durch „Erkenntniss mittelst eines
Schliessens*.
**) Hiermit aber ist der Gesichtepunkt jener von Aristoteles begründeten
Eintheilung verrückt, wonach unter Erkenntniss a priori die Erkenntniss aus den
Ursachen, unter Erkenntniss a posteriori die Erkenntniss aus den Wirkungen ver-
standen wurde. Diesen aristotelischen Gebrauch hält noch Leibniz fest, der in
einer Epist. ad J. Thomas) um 1669 sagt (Opera philos. e. Erdm. p 51): con-
structiones figurarum sunt motus; jam ex coustructionibuB affectiones de figuris
demonstrantur, ergo ex motu et per consequenß a priori et ex causa, auch
später durchgängig das connaitre a priori mit dem coonaitre par les causes identi-
ficirt und nur mitunter dafür den Ausdruck: par des demonstrations einsetzt, wobei
aber wohl insbesondere an die Demonstrationen aus dem Realgrande zu denken ist;
vgl. die in Ueberwegs Log. § 73 citirten Stellen. Die letzterwähnte Einschränkung
weglassend, setzt Wolff ungenauer das eruere veritatem a priori mit dem eliccre
nondum cognita ex aliis eognitis ratiocinando gleich, und demgemäss das eruere
veritatem a posteriori mit solo Bensu. An ihn hat Baumgarten sich ange-
schlossen una an diesen wiederum Kant, der aber seinerseits noch die Unter-
scheidung eines absoluten und relativen A priori hinzuthut, welche dem ursprüng-
lichen Gebrauche des Wortes völlig heterogen ist. Die Erkenntniss a priori im
ariBtoteliächen Sinne ist nicht eine annähernd von der Erfahrung unabhängige
Erkenntniss, zu der eine andere, die von aller Erfahrung unabhängig wäre, sich
wie eine reine zu einer unreinen verhalten könnte, sondern ruht vielmehr auf der
grossten Fülle logisch verarbeiteter Erfahrungen und ist nur von der auf den Inhalt
des Schlusssatzes selbst gerichteten Erfahrung unabhängig, wie z. B. die Voraus-
berechnuug irgend einer astronomischen Erscheinung zwar von dem Erfahren eben
dieser Erscheinung selbst unabhängig ist, aber theils auf vielen andern empirisch
constatirten Datis beruht, theils auf dem der Rechnung zum Grande liegenden
newtonachen Gravitationsprincip, welches, wie Kant selbst anerkennt, aus der
Erfahrung des Falls der Körper zur Erde und der Umläufe des Mondes und der
Planeten geschöpft ist. Ein von aller Erfahrung unabhängiges Urtheil würde, falls
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§ 25. Kante Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 245
Kant verbindet mit der Eintheilung der Erkenntnisse in apriorische und
«mpirische die zweite Eintheilung derselben in analytische und synthetische. Er
versteht unter analytischen ürtheilen, Erläuterungsurtheilen , solche, deren
Prädicat B zum Subjecte A als etwas gehört, was verdeckter Weise in diesem
Begriffe A bereite enthalten ist, z. B. alle Körper (ausgedehnten undurchdringlichen
Substanzen) sind ausgedehnt, unter synthetischen Ürtheilen, Erweiterungs-
urtheilen, aber solche, deren Prädicat B ausser dem Subjectsbegriff A liegt, ob es
zwar mit demselben in Verknüpfung steht, z. B. alle Körper (ausgedehnten undurch-
dringlichen Substanzen) sind schwer. (Dass ich, um ein Dreieck zu machen, drei
Linien nehmen müsse, ist ein analytischer Satz, dass deren zwei aber zusammen-
genommen grösser sein müssen, als die dritte, ist ein synthetischer Satz.) In den
Analytischen Ürtheilen wird die Verknüpfung des Prädicate mit dem Subject durch
Identität, in den synthetischen ohne Identität gedacht; jene beruhen auf dem Satz
des Widerspruchs, diese bedürfen eines andern Principe.*)
Durch analytische Urtheile wird unsere Erkenntniss nicht erweitert, sondern
nur der Begriff, den wir haben, auseinandergesetzt. Bei synthetischen Ürtheilen
aber muss ich ausser dem Begriff des Subjecte noch etwas Anderes = x haben,
worauf sich der Verstand stützt, um ein Prädicat, das in jenem Begriffe nicht
liegt, doch als dazu gehörig zu erkennen. Bei empirischen oder Erfahrungs-
es überhaupt möglich wäre, nicht den höchsten Grad von Gewissheit, sondern gar
keine Gewissheit haben und ein blosses Vorurtheil sein. Ohne alle Erfahrung
können wir überhaupt gar keine Erkenntniss, geschweige denn, wie Kant will,
apodiktische Erkenntniss gewinnen. Gleich wie Maschiueu, durch welche wir die
Resultate blosser Handarbeit überschreiten, nicht ohne Hände durch Zauber, sondern
nur mittelst des Gebrauchs der Hände zu Stande kommen, so kommt der Beweis,
durch welchen wir die Resultate vereinzelter Erfahrung überschreiten uud die Noth-
wendigkeit erkennen, nicht unabhängig von aller Erfahrung durch subjective
«Formen" von unbegreiflichem Ursprung, sondern nur durch logische Combination
von Erfahrungen nach inductiver und deductiver Methode auf Grund der den
Dingen selbst immanenten Ordnung zu Stande.
Zwar muss die Erfahrung auf subjectiven psychischen Bedingungen beruhen,
die ihr selbst vorausgehen (ein Leichnam macht keine Erfahrung), aber dies gilt
von der Perception der Luftechwingungen als Töne, der Aethervibrationen als
Farben u. s. w. mindestens ebensowohl, und sofern diese Formen nachweislich
bloss subjectlv sind, sogar in vollerem M nasse, als von der Raumanschauung.
Wird die Gewissheit, die in der Gesammtheit der mathematischen Operationen
Hegt (in der Wahrnehmung, Abstraction, Construction aus den letzten Abstractioneu
(Punkt etc 1, hypothetischen Idealisirung durch Annahme einer absolut genauen
Gültigkeit der Axiome, Deduction der Lehrsätze und Vergleichung des Deducirten
mit dem Thateächlichen bei wirklicher Construction), in den , apriorischen* Ur-
sprung der Raumanschauung gelegt (der nichte erklärt, weil beweislose Aussagen,
die auf subjective Bedingungen der Erkenntniss gehen und aus der Selbst-
beobachtung geschöpft sind, doch immer nur einen assertorischen Charakter habeni,
so ist dies eine Art von Mythologie, welche bereite das Mystische in Kante
Freiheitebegriff anbahnt.
*) Diesen Gebranch der Ausdrücke analytisch und synthetisch unterscheidet
Kaut selbst richtig von dem sonst üblichen, wonach die Methode des das Gegebene
zergliedernden Fortgangs zur Erkenntniss der Bedingungen und zuhöchst der Prin-
zipien analytisch, die Methode des deducirenden Fortgangs aber von den Principien
zur Erkenntniss der Bedingungen synthetisch genanut wird. Kant will jene Methode
lieber die regressive, diese die progressive genannt wissen. Der kantische Begriff
des analytischen Urthells ist eine Erweiterung des Begriffs des Identischen Urthells;
in diesem bildet der ganze Subjectsbegriff, In jenem entweder der ganze Subjects-
begriff oder Irgend ein Element desselben den rrädicatebegriff. Doch Ist mehr der
Terminus neu, als der Begriff; auch Aristoteles und andere Philosophen haben
partiell identische Urtheile und schlechthin identische unterschieden.
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246 § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft n. raetaph. Anfangsgr. der Naturwisseusch.
urtheilen, welche als solche insgesammt synthetisch sind, hat es hiermit gar keine
Schwierigkeit; denn dieses x ist die vollständige Erfahrung von dem Gegenstande,
den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Theil dieser Erfahrung
ausmacht. Aber bei synthetischen Urtheilen a priori fehlt dieses Uülfsmittel ganz
und gar. Was ist hier das x, worauf sich der Verstand stützt, wenn er ausser
dem Begriff von A ein demselben fremdes Prädicat aufzufinden glaubt, das gleich-
wohl (und zwar mit Notwendigkeit) mit demselben verknüpft sei? Mit andern
Worten: Wie sind synthetische ürtheile a priori möglieh? Dies Ist die
Grundfrage der Kritik der reinen (von der Erfahrung unabhängigen) Vernunft.
Kant glaubt drei Arten synthetischer Urtheile a priori als vorhanden nach-
weisen zu können, nämlich mathematische, naturwissenschaftliche und metaphysische.
Unbestrittene allgemeine und apodiktische Erkenntniss enthalten M athematik und
Naturwissenschaft; bestrittene enthält die Metaphysik, sofern in Frage steht,
ob überhaupt Metaphysik möglich Bei. Ihrer Tendenz nach aber sind anch alle
eigentlich metaphysischen Sätze synthetische Urtheile a priori.
Mathematische Urtheile, sagt Kant, sind insgesammt synthetisch (obschon
Kant einige mathematische Grundsätze wie a = a, a-+-b>a, als wirklich ana-
lytische Sätze auerkennt, die aber nur zur Kette der Methode und nicht als Prin-
eipien dienen sollen). Man sollte, sagt Kant, anfänglich zwar denken, dass der
Satz 7 -f- 5 = 12 ein bloss analytischer Satz sei, der ans dem Begriffe einer Summe
von 7 und 5 nach dem Satze des Widerspruchs erfolge. Aber durch diesen Begriff
ist noch nicht gedacht, welches die einzige Zahl sei, die jene beiden zusammenfaßt.
Man muss über diese Begriffe hinausgehen, indem man die Anschauung zu Hülfe
nimmt, die einem von beiden correspondirt, etwa seine fünf Finger oder fünf Punkte,
und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen Fünf zu dem
Begriff der Sieben binzuthut.*)
Ebensowenig, sagt Kant, ist irgend ein Grundsatz der reinen Geometrie-
analytisch. Dass die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei, ist ein
synthetischer Satz; denn mein Begriff vom Geraden enthält nichts von Grösse,
sondern nur eine Qualität; Anschauung muss zu Hülfe genommen werden, vermöge
deren allein die SyntheBis möglich ist**) Hieran knüpft Bich die Frage: Wie ist
reine Mathematik möglich?
*) In der That ist aber dieses didaktische Hülfsmittel keine wissenschaftliche
Notwendigkeit; das Zurückgehen auf die Definitionen: Zwei ist die Summe von
Eins und Eins, Drei die Summe von Zwei und Eins etc., ferner auf die Definition
des dekadischen Systems und auf den aus dem Begriff der Summe (als der Gesammt-
zahl mit Abstraction von der Ordnung) fiiessenden Satz, dass die Ordnung der Zu-
sammenfassung der Summanden für die Summe gleichgültig sei, reicht zu. Empirisch
ist das Vorhandensein gleichartiger Objecto gegeben, die sich unter den nämlichen
Begriff stellen lassen, woran die Zählbarkeit sich knüpft; aus den arithmetischen
Fundamentalbegriffen aber folgen dann als analytische Sätze die arithmetischen
Grundsätze und aus diesen syllogistisch die übrigen Sätze.
**) Allerdings besteht die Geometrie nicht bloss aus Definitionen und Folge-
rungen aus blossen Definitionen, sondern enthält grösstentheils Sätze, deren Prädicat
über den blossen Subjectsbegriff hinausgeht, oder (um mit Helmholtz in s. Vortr.
-üb. d. thatsächl. Grundlagen d. Geometrie" in den Heidelb. Jahrb. 1868, S. 733,
zu reden) „Wahrheiten von thatsächlicher Bedeutung". Aber die geometrischen
Fundamentalsätze von dieser Art, z. B. dass der Raum drei Dimensionen hat, dass
es zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie giebt, haben assertorische Gewiss-
heit, nicht apodiktische. Der Geometer erkennt die Dreizahl der Dimensionen des
Raumes nur als Thatsache und weiss keinen Grund anzugeben, warum es nothwendig
sei, dass derselbe gerade drei und nicht zwei oder vier Dimensionen habe; diese
assertorische Gültigkeit wird aber erlangt durch Abstraction, Induction und andere
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft n. metnph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 247
Naturwissenschaft, sagt Kant ferner, enthält synthetische Urtheile a priori
in sich, z. B.: in allen Veränderungen der körperlichen Welt bleibt die Quantität
der Materie unverändert: in aller Mittheilung der Bewegung müssen Wirkung und
Gegenwirkung jederzeit einander gleich sein; ferner das Gesetz der Trägheit etc.*)
Hieran knüpft sich die Frage: Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?
In der Metaphysik, behauptet Kant, wenn man sie auch für eiue bisher
bloss versuchte, dennoch aber durch die Natur der menschlichen Vernunft unent-
behrliche Wissenschaft ansieht, sollen synthetische Erkenntnisse a priori enthalten
sein, z. B. die Welt muss einen Anfang haben-, alles, was in den Dingen Substanz
ist, ist beharrlich. Metaphysik besteht wenigstens ihrem Zwecke nach aus lauter
synthetischen Sätzen a priori. Hieran knüpft sich die Frage: Wie ist Meta-
physik (a. als Naturnnlage, b. als Wissenschaft) möglich?
In der transscendentalen Aesthetik, der Wissenschaft von den Principien
der Sinnlichkeit a priori, sucht Kaut die Apriorität des Raumes und der Zeit
darzuthun. In einer .metaphysischen Erörterung dieses Begriffs", die dasjenige
enthalten soll, was den Begriff als a priori gegeben darstellt, finden wir folgende
vier Sätze: 1. Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äusseren Erfahrungen
abgezogen worden; denn die Vorstellung des Raumes muss aller concreten Locali-
sirung schon zum Grunde liegen.**) 2. Der Raum ist eine nothwendige Vorstellung
a priori, die allen äusseren Anschauungen zum Grunde liegt; denn man kann sich
niemals eine Vorstellung davon machen, dass kein Raum sei, obwohl man Bich
wohl vorstellen kann, dass keine Gegenstände in demselben seien.***) 3. Der
•
logische Operationen, die auf dem Grunde zahlreicher Erfahrungen über räumliche
Verhältnisse ruhen. Die in den Fundamentalsätzen sich bekundende Ordnung
räumlicher Gebilde, welche sich philosophisch auf das Princip der Unabhängigkeit
der Form von der Grösse reduciren lässt, bekräftigt ihre Gültigkeit, ist aber in
der objectiven Natur des Raumes selbst begründet; nichts beweist, dass sie einen
bloss subjectiven Charakter trage. Aus den Fundameutalsätzen folgen die übrigen
geometrischen Sätze syllogistisch. Sie haben apodiktische Gültigkeit und nicht
bloss empirische, sofern sie aus jenen erwiesen und nicht auf unmittelbare Erfahrung
gegründet sind; in diesem, aber auch nur in diesem Sinne ist die Geometrie eine
apodiktische und nach dem aristotelischen Gebrauch dieBes Wortes apriorische,
aber keineswegs nach dem kantischen Wortgebrauch apriorische Wissenschaft. Die
Fundamentalsätze selbst (die Axiome und Postulate) sind an sich assertorische
Sätze und, sofern es eich um absolute Genauigkeit handelt, Hypothesen. Nur in-
sofern, als jene Ordnung ohne geometrische Demonstration sich mit einer gewissen
Unmittelbarkeit bekundet, ist die Anuahme zulässig, dass bereits die Axiome ein
über den bloss assertorischen Charakter vereinzelter Erfahrung hinausgehendes
Maass von Gewissheit haben
*) Die Geschichte der Naturwissenschaft zeigt aber, dass sich diese allgemeinen
Sätze, wozu das Gesetz der Erhaltung der Kraft u. a. sich hinzufügen lassen, als
späte Abstractionen aus wissenschaftlich durchgearbeiteten Erfahrungen ergeben
haben und keineswegs a priori vor aller Erfahrung oder doch unabhängig von aller
Erfahrung als wissenschaftliche Sätze feststanden. Nur insofern sich in ihnen
nachträglich eine gewisse Ordnung bekundet, die eine philosophische Ableitung
aus noch allgemeineren Principien, z. B. ans der Relativität des Raumes, möglich
zu machen scheint, gewinnen sie einen im aristotelischen, aber wiederum nicht im
kantischen Sinne apriorischen Charakter.
**) Was freilich ein Cirkelschluss ist. Ferner wird auch der Raum nicht
ganz qualitätslos vorgestellt werden können.
***) Was aber nicht die Subjectivität und Apriorität des Raumes beweist.
Auch eine aus empirisch Gegebenem nach psychischen Gesetzen hervorgebildete
Vorstellung kann unauf hebbar sein. Ausserdem geht K. vom Standpunkt des
fertigen Bewusstseins dabei aus, ohne auf das im Werden begriffene Rücksicht
zu nehmen.
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248 § 25. Kaute Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch.
Raum ist kein discursiver oder allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge
überhaupt, sondern eine reine Anschauung; denn man kann sich nur einen einigen
Raum vorstellen, dessen Theile alle sogenannten Räume sind.*) 4. Der Raum
wird als eine unendliche gegebene Grösse vorgestellt; kein Begriff aber kann so
gedacht werden, als ob er eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich
enthielte; also ist die ursprüngliche Vorstellung vom Räume Anschauung a priori
und nicht Begriff.**)
In der „transscendentalen Erörterung des Begriffs vom Raum", unter der Kant
die Erklärung desselben als eines Princips, woraus die Möglichkeit anderer syn-
thetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden könne, versteht, führt Kant die
Behauptung durch, die Vorstellung des Raumes müsse eine Anschauung a priori
sein, wenn es möglich sein Bolle, dass die Geometrie die Eigenschaften desselben
synthetisch und doch a priori bestimme. „Wäre nicht der Raum (und so auch die
Zeit) eine blosse Form eurer Anschauung, welche Bedingungen a priori enthält,
unter denen allein Dinge für euch äussere Gegenstände sein können, die ohne diese
subjectiven Bedingungen an sich nichts sind, so könntet ihr a priori ganz und gar
nichts über äussere Objecte synthetisch ausmachen".***)
*) Es ist auffallend, dass Kant in der Ueberschrift den Raum als einen •Be-
triff* bezeichnet, was durch 3. u. 4. ausgeschlossen zu sein scheint Aber der
Begriff im weiteren Sinne umfasst bei Kant die beiden Classen: Begriff im engeren
Sinne oder allgemeine Vorstellung und andererseits Einzelvorstellung oder An-
schauung. Wohl nur auf den Begriff im strengen Sinne dieses Wortes ist die
Definition in der Vernunftkritik zu beziehen : »der Begriff ist eine Erkenntniss, die
sich mittelbar, vermittelst eines Merkmals, das mehreren Dingen gemeinsam sein
kann, auf den Gegenstand bezieht*. (Dass nur der Genus-Begriff gemeint sei,
nämlich Anschauung a priori, unter den der Raum falle, ist wohl nicht anzunehmen;
denn der Sinn ist. dass die Raumvorstellung erörtert werden soll, um den Begriff,
unter den sie falle, zu ermitteln, und nicht, dass die Natur des Genus-Begrifls,
unter den der Raum falle, erörtert werden soll. Auch werden ja in dem Abschnitt
„Von dem obersten Grundsatz aller synth. ürth.- Raum und Zeit geradezu .Be-
griffe* genannt.)
**) Die Behauptung, dass kein Begriff eine unendliche Menge von Theil-
vorstellungen in »ich enthalten könne, ist eine willkürliche, sofern es sich um ein
potentielles Enthaltensein derselben in ihm handelt; actuell aber enthält unsere
Raumvorstellung nicht eine Unendlichkeit unterschiedener Theile, und actuell er-
streckt sich auch der Raum, den wir uns vorstellen, nicht ins Unendliche, sondern
nur bis höchstens zu dem angeschauten Himmelsgewölbe hin. Die Unendlichkeit
der Ausdehnung liegt nur in der Reflexion, dass wir, wie weit wir auch gelangt
sein mögen, immer noch weiter fortschreiten könnten, dass also keine Grenze eine
schlechthin unüberschreitbare sei; hieraus aber folgt keineswegs, dass der Raum
eine bloss subjective Anschauung sei.
***) Kant hat weder nachgewiesen, in welcher Art denn aus der vorausgesetzten
Apriorität der Raumanschauung die Gewissheit der geometrischen Fundamental-
sätze folge (die, wenn auch der Raum als Anschauung a priori ursprünglich ist,
mcht ihrerseits eben so ursprünglich in uns sind), und wo deren Grenze gegen
Lehrsätze Hegt, noch auch, dass aus einer objectiv begründeten und empirisch
gewonnenen Raumanschauung jene Sätze nicht folgen können. Dass sich über
räumliche Objecte als Dinge an sich .nichts a priori synthetisch ausmachen" Hesse,
würde selbst unter der Voraussetzung der Apriorität der Raumanschauung nicht
beweisen, dass nicht dennoch räumliche Dinge an sich existiren, von welchen die
nämlichen Sätze, wie von den räumlichen Gebilden in unserer Anschauung,
gelten. Auch hat Kant den Doppelgebrauch nicht genügend gerechtfertigt, den er
von Raum, Zeit und Kategorien macht, sofern ihm dieselben einerseits als
blosse Formen oder Weisen der Verknüpfung des empirisch gegebenen Stoffes,
und doch andererseits unleugbar auch als etwas Materiales gelten, nämlich
als die Materie oder der Denkinhalt, woraus wir die synthetischen Urtheile
a priori bilden.
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft a. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 249
Der Raum gilt demnach Kant als eine Anschauung a priori, die ror aller
Wahrnehmung eines Gegenstandes in uns angetroffen werde, und zwar als die
formale Beschaffenheit des Gemüthes, von Objecten afficirt zu werden, oder als die
Form des äusseren Sinnes überhaupt *)
Die Räumlichkeit ist nach Kant nicht eine Form der Existenz von Objecten
an sich selbst. Weil wir, sagt Kant, die besonderen Bedingungen der Sinnlichkeit
nicht zu Bedingungen der Möglichkeit der Sachen, sondern nur ihrer Erscheinungen
machen können, so können wir wohl sagen, dass der Ranm alle Dinge befasse, die
uns äusserlich erscheinen mögen, aber nicht alle Dinge an sich selbst, sie mögen
angeschaut werden oder nicht, oder auch von welchem Subject man wolle. Wir
können nur von dem Standpunkte eines Menschen vom Raum, von aasgedehnten
Wesen etc. reden. Gehen wir von der subjectiven Bedingung ab, unter welcher
wir allein äussere Anschauung bekommen können, so wie wir nämlich von den
Gegenständen afßcirt werden mögen, so bedeutet die Vorstellung vom Räume gar
nichts. Dieses Prädicat wird den Dingen nur insofern beigelegt, als sie uns
erscheinen, d. h. Gegenstände der Sinnlichkeit sind. Der Raum hat empirische
Realität, d. h. objective Gültigkeit, in Ansehung alles dessen, was äusserlich als
Gegenstand uns vorkommen kann, Idealität aber in Ansehung der Dinge, wenn sie
durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden, ohne Rücksicht auf die Be-
schaffenheit unserer Sinnlichkeit zu nehmen. — Der Raum, sagt Kant, stellt gar
keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich oder sie im Verhältniss auf einander
vor, keine Bestimmung derselben, die an Gegenständen selbst haftete und welche
bliebe, wenn man auch von allen Bedingungen der Anschauung abstrahirte; denn
weder absolute noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der Dinge,
welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschaut werden.**)
Durch eine ganz analoge metaphysische und transscendentale Erörterung des
Begriffs der Zeit sucht Kant auch deren empirische Realität und transscendentale
Idealität darzuthun. Die Zeit ist ebensowenig, wie der Raum, etwas, was für sich
bestände oder auch den Dingen ab objective Bestimmung der Ordnung anhinge,
mithin übrig bliebe, wenn man von allen subjectiven Bedingungen der Anschauung
*) Dass der Raum nur die Form des äussern und nicht des innern Sinnes
sei, die Zeit dagegen die Form des innern und mittelbar auch des äussern Sinnes,
glaubt Kant nach der Natur der äussern und iiinern Erfahrung annehmen zu
sollen; in der That aber haftet die Räumlichkeit allerdings auch den .Erscheinungen
des inneren Sinnes* an, den Wahmehmungsbildern als solchen, den Erinnerungs-
vorstellungen, auch den Begriffen, sofern die concreten Vorstellungen, aus denen sie
abstrahirt sind, ihre unabtrennbare Basis ausmachen, daher auch den aus ihnen
combinirten ürtheilen, sofern das, worauf das Urtheil geht, anschaulich mit-
vorgestellt wird, etc.
**) Hierin würde auch unter der Voraussetzung der „Apriorität* doch immer
nur der Beweis liegen, dass wir nicht berechtigt seien, auf Grund unserer
, apriorischen* Anschauung den Dingen an sich die Räumlichkeit zuzuschreiben;
was wir als .Bestimmung* von Dingen anschauen, so dass wir es auf Grund
dieser Anschauung auf die Dinge selbst beziehen dürfen, schauen wir allerdings
eben mit diesen Dingen zugleich und auf gleiche Weise, uämlich vermöge der
Affection unserer Sinne, und nicht vor den Dingen oder unabhängig von denselbeu,
also a posteriori uud nicht a priori an. Aber unsere Nichtberechtigung zu-
zuschreiben, unser Nichtsagenkönnen (Nicht auf Grund der Anschauung selbst
sagen dürfen), dass die Räumlichkeit den Dingen an sich zukomme, eine (absolute
und relutive) .Bestimmung" derselben sei, ist von Kant fälschlich iu eine Berech-
tigung, abzusprechen, in ein Behauptendürfeu, dass die Räumlichkeit nicht eine
Bestimmung der Dinge an sich sei, dass sie denselben nicht zukomme, umgesetzt
worden.
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250 § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft n. metaph. Anfangsgr . der Naturwissensch .
derselben abstrahirte. Die Zeit ist nichts Anderes, als die Form des inneren Sinnes,
d. h. des Anschanens unserer selbst and unseres inneren Zustande», indem sie das
Verbältniss der Vorstellungen in unserm innern Zustande bestimmt. Weil aber alle
Vorstellungen, auch wenn sie äussere Dinge zum Gegenstände haben, doch an sich
selbst, als Bestimmungen des Gemüths, zum inneren Zustand gehören, dessen for-
male Bedingung die Zeit ist, so ist die Zeit mittelbar auch eine formale Bedingung
a priori der äusseren Erscheinungen. Die Zeit i-t an sich, ausser dem Subjecte,
nichts; sie kann den Gegenständen an sich, ohne ihr Verhältnis» auf unsere An-
schauung, weder subsistirend noch inhärirend beigezählt werden. Die Zeit hat
empirische Realität in Ansehung der inneren Erfahrung. Wenn aber ich
selbst oder ein anderes Wesen mich ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit an-
schuuen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als
Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis» geben, in welcher die Vorstellang der
Zeit, mithin auch der Veränderung, gar nicht vorkäme. Den Einwurf, dass die
Wirklichkeit des Wechsels unserer Vorstellungen die Wirklichkeit der Zeit
beweise, weist Kant durch die Bemerkung ab, dass auch die Objecte des „inneren
Sinnes" nur zur Erscheinung gehören, welche jederzeit zwei Seiten habe, die eine,
da das Object an sich selbst betrachtet werde, die andere, da auf die Form der
Anschauung desselben gesehen werde, welche nicht in dem Gegenstande an sich
selbst, sondern in dem Subjcct, dem derselbe erscheine, gesucht werden müsse.*)
Kant erklärt den Satz der leibniz-wolßschen Philosophie für falsch, dass unsere
Sinnlichkeit nur die verworrene Vorstellung der Dinge und dessen, was diesen
an sich selbst zukomme, sei. Er spricht dem Menschen die „intellectuelle An-
schauung" ab, die ohne Affection von aussen oder von innen her und ohne bloss
8ubjective Formen (Raum und Zeit) Objecte, wie sie an sich seien, erkenne.
Das Resultat der transscendentalen Aesthetik fasst Kant (in der allg. Anmerkung
zur transscendentalen Aesthetik, 1. Aufl. S. 42, 2. Aufl. S. 59 bei Ros. II, S. 49)
dahin zusammen: „dass die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind,
wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind,
als sie uns erscheinen, und dass, wenn wir unser Subject oder auch uur die sub-
jective Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle
Verhältnisse der Objecte in Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden
würden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern uur in uns existiren
können; was es für eine Bewandtniss mit den Gegenständen an sich und abgesondert
von aller dieser Rcceptivitüt unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich
unbekannt". Was wir äussere Gegenstände nennen, darin findet Kant nur Vor-
stellungen unserer Sinnlichkeit
*) Der „inuere Sinn" bringt nicht zu einem an sich Zeitlosen die Form der
Zeit erst hinzu; die Selbstauffassung ist nur durch eine gewisse Art der Vor-
stellunpsassociation bedingt. Aber auch dann, wenn ein „innerer Sinn" in der
Art, wie Kant denselben annimmt, wirklich bestände, würde die kantische Unter-
scheidung doch nicht zutreffen, weil bei der psychologischen Selbstbeobachtung das
Subject, dem die inneren Zustäude erscheinen, mit dem Object, dem sie angehören,
identisch ist; die Erscheinung des Vorstellnngslaufs dürfte nicht bloss als ein
untreues Abbild der an sich zeitlosen, den inneren Sinn afficirenden inneren Zu-
stände, sondern müsate auch als ein durch die Affection in der Seele oder in dem
Ich wirklich gewordenes, dem Seienden als solchem und nicht bloss der Erscheinung
angehörendes Resultat betrachtet werden, oder nicht bloss ein Mittel, sondern auch
selbst wieder ein Object der Selbstauffassung sein, und zwar ein der Veränderung
unterworfenes Object.
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8 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. inetaph. Anfangsgr. der Naturwisseusch. 25 1
Zu dem gleichartigen Resultat gelangt Kant in Bezug auf die Verstandesformen
in der transscendentalen Logik.
Die Receptivität des Gemiithes, Vorstellungen zu empfangen, sofern es auf irgend
eine Weise afficirt wird, ist die Sinnlichkeit, die Spontaneität des Erkenntnisses aber,
Vorstellungen Belbst hervorzubringen, ist der Verstand. Gedanken ohne Anschauung
siud leer, Anschauungen ohne Begriffe aber sind blind. Der Verstand vermag
nichts anzuschauen, und die Sinne vermögen nichts zu denken. Alle Anschauungen
beruhen auf Affectionen, die Begriffe aber auf Functionen; Function ist die Einheit
der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen.
Mittelst dieser Functionen bildet der Verstand Urtheile, welche mittelbare Erkennt-
nisse der Gegenstände sind. Auf den verschiedeneu Stammbegriffen des Verstandes
oder Kategorien beruhen die verschiedenen Urtheilsformen, und umgekehrt können
aus den letzteren, wie die allgemeine (formale) Logik sie darlegt, die Kategorien
durch Rückschluss von uns erkannt werden. Kant definirt die Kategorien als
Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung
tiner der logischen Urtheilsfunctionen als bestimmt angesehen wird (wie z. B. Körper
durch die Kategorie der Substanz als Subject bestimmt wird in dem Urtheil: alle
Körper sind theilbar). Er stellt folgende Tafel der Urtheilsformen*) und der ent-
sprechenden Kategorien**) auf:
Logische Tafel der Urtheile.
Der Quantität Der Qualität
nach
Kinzelurtheile
Besondere (particu-
lare oder plura-
tive)
Allgemeine Ur-
theile
nach
Bejahende
Verneinende
Unendliche oder
(imitative
Der Relation
nach
Kategorische
Hypothetische
Disjunctive
Der Modalität
nach
Problematische
Assertorische
Apodiktische
*) Die von Kaut in jeder Klasse erstrebte Dreizahl von Urtheilsformen ist
nicht durchgängig gerechtfertigt, s. Ueberwegs Syst. d. Log. §§ 68—70.
**) Kategorien als Begriffe, welche auf Formen des „Gegenstandes* oder der
objectiven Wirklichkeit gehen und als solche zugleich gewisse Urtheilsfunktionen
bedingen, sind nur die von Kant sog. Kategorien der Relation. Die Unterschiede
der Qualität und die der Modalität beruhen nicht auf verschiedenen Formen der
objectiven Existenz, so dass diese sich in dem subjectiven Urtheilsact wieder-
spiegelten, sondern auf verschiedenen Arten der Beziehung des Subjectiven auf da*
Objective, d. h. der im Urtheil vollzogenen Vorstellungscombinatiou auf dasjenige
Reale, welches durch dieselbe vorgestellt werden soll; es liegen denselben also nicht
verschiedene Kategorien zum Grunde. Die «Quantität* aber beruht mehr auf
der Möglichkeit, mehrere Urtheile, deren Subjecte unter den nämlichen Begriff
fallen, zu Einem Urtheile zusammen zu fassen, so dass entweder von der ganzen
Sphäre des Subjectsbegriffs oder von einem Theile derselben das Prädicat bejaht
(oder verneint) wird; sie involvirt keine dem Urtheil als solchem eigenthümliche
Beziehung auf eine Form der objectiven Wirklichkeit. Vgl. Ueberwegs Syst. der
Logik a. a. O.
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252 § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. raetaph. Anfangsgr. der Naturwissenscb.
Transscendentale Tafel der Verstandesbegriffe.
Der Quantität
nach
Einheit
Vielheit
Allheit
Der Qualität
nach
Realität
Negation
Limitation
Der Relation
nach
Substantialität und
Inbärenz
Causalität und De-
pendenz
Gemeinschaft oder
Wechselwirkung
Der Modalität
nach
Möglichkeit und
Unmöglichkeit
Dasein und Nicht-
sein
Notwendigkeit und
Zufälligkeit.
j (Concurrenz)
Hieran reiht sich eine Tafel synthetischer Urtheile a priori, die sich auf jene
Verstandesbegriffe gründen. Kant bezeichnet dieselbe als:
Reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der
Naturwissenschaft.
Axiome
der Anschauung
Anticipationen
der Wahrnehmung
Analogien
der Erfahrung
PoBtulate
des empirischen,
Denkens über-
haupt
Ein vollständiges System der Transscendentalphilosophie, sagt Kant, müsste
auch die aus den reinen Stammbegriffen, den Kategorien oder Prädicamenten abge-
leiteten, daher gleichfalls apriorischen oder reinen Begriffe des Verstandes, die
Kant Prädicabilien nennt, enthalten, z. B. Kraft, Handlung, Leiden, welche
uus dem Begriffe der Causalität folgen, oder Vergehen, Entstehen, die den Kate-
gorien der Modalität untergeordnet sind. Diese zu verzeichnen, wäre eine nützliche
und nicht unangeuehme, hier aber, wo es ihm nicht um Vollständigkeit des Systems
sondern nur der Principien zu einem System zu thun sei, entbehrliche Bemühung.
(Später freilich glaubt Kant, das Wesentlichste der gesammten Transscendental-
philosophie bereits in der Kritik der reinen Vernunft gegeben zu haben.)
K. bemerkt über diese Kategorien u. a., dass derselben in jeder Klasse drei
seien, da doch sonst alle Eintheilung a priori durch Begriffe Dichotomie (A und
non-A) sein müsse; die dritte entspringe jedesmal aus der Verbindung der zweiten
mit der ersten ihrer Klasse. (In der „Krit. der Urtheilskr.", Einl., letzte Note,
nennt K. jene Dichotomie eine analytische Eintheilung a priori, die nach dem
Satze des Widerspruchs geschehe: jede synthetische Eintheilung a priori aber, die
nicht, wie in der Mathematik, aus der dem Begriffe correspondirenden Anschauung,
sondern aus den Begriffen a priori geführt werden solle, müsse ein Dreifaches ent-
halten: 1. eine Bedingung, 2. ein Bedingtes, 3. den Begriff, der aus der Vereinigung
des Bedingten mit seiner Bedingung entspringe.) Die Allheit sei die Vielheit als
Einheit betrachtet, die Einschränkung die Realität mit Negation verbunden, die
Gemeinschaft wechselseitige Causalität unter Substanzen, die Notwendigkeit die
durch die Möglichkeit selbst gegebene Existenz. Aber die Verbindung erfordere
einen besonderen Act des Verstandes, um deswillen der dritte Begriff gleichfalls
als ein Stammbegriff des Verstandes gelten müsse. (In dieser kantischeu Bemerkung
liegt der Keim der fichteschen und hegelschen Dialektik.)
Die objective Gültigkeit der Kategorien (von welcher Kant in dem
schwierigen Capitel von der .transscendentalen Deduction der Kategorien"
handelt) beruht darauf, dass durch sie allein Erfahrung, der Form des Denkens
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft n. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 253
nach möglich ist Sie beziehen sich notwendiger Weise und a priori auf Gegen-
stände der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer überhaupt irgend ein Gegenstand
der Erfahrung gedacht werden kann.
Es sind, sagt Kant, nur zwei Fälle möglich, unter denen synthetische Vor-
stellung und ihre Gegenstände zusammentreffen, sich aufeinander nothwendiger Weise
beziehen und gleichsam einander begegnen können. Entweder, wenn der Gegenstand
die Vorstellung oder diese den Gegenstand allein möglich macht.
Im ersten Falle ist die Beziehung empirisch, und die Vorstellung ist also
nicht a priori möglich. Unsere Vorstellungen a priori richten sich nicht nach den
Objecten, weil sie sonst empirisch und nicht Vorstellungen a priori wären. Nur
was in den Erscheinungen zur Empfindung gehört (die von Kant, Kr. d. r. Vera.
1. Aufl. S. 20 u. 60, 2. Aufl. S. 34 u. 74, sogenannte Materie der sinnlichen
Erkenntniss) , richtet sich nach den Objecten, jedoch ohne treu mit denselben
übereinzustimmen. Die Dinge an sich oder transscendentalen Objecte afficiren
unsere Sinne (Kr. d. r. Vera. 1. Aufl. S. 190, 2. Aufl. S. 236; Proleg. z. M. §32);
durch diese Affection entsteht die Empfindung der Farbe, des Geruchs etc., ohne
dass diese Empfindungen mit dem Unbekannten in den Dingen an sich, das sie in
uns hervorruft, gleichartig wären. Die Räumlichkeit, Zeitlichkeit, Substantialität,
Causalität etc. aber beruht nach Kant nicht auch auf dieser Affection, weil sonst
alle diese Formen empirisch und ohne Notwendigkeit wären, dieselben gehören
ausschliesslich dem Subject an, welches mittelst ihrer die Empfindungen gestaltet
und so die Erscheinungen, die seine Vorstellungen sind, erzeugt ; sie stammen nicht
aus den Dingen an sich.
Der andere Fall kann nicht in dem Sinne statthaben, dass unsere Vorstellung
ihren Gegenstand seinem Dasein nach hervorbringe. Zwar der Wille, jedoch nicht
die Vorstellung als solche übt eine Causalität auf das Dasein der Objecte aus.
Wohl aber kann die Erkenntniss eines Gegenstandes oder die Erscheinung sich
nach unseren Vorstellungen a priori richten. Diese letztere Annahme vergleicht
Kant mit der astronomischen Theorie des Copernicus, welche die erscheinende
Drehung des Himmelsgewölbes aus einer realen Bewegung des Erdbewohners, nach
der jene Erscheinung sich richte, erklärt
Das Feld oder den gesammten Gegenstand möglicher Erfahrungen aber machen
Anschauungen aus. Ein Begriff a priori, der sich nicht auf diese bezöge, würde
nur die logische Form zu einem Begriff, aber nicht der Begriff selbst sein, wodurch
etwas gedacht würde. Die reinen Begriffe a priori können zwar nichts Empirisches
enthalten, müssen aber gleichwohl, um objective Gültigkeit zu haben, lauter Be-
dingungen a priori zu einer möglichen Erfahrung sein.
Die Receptivität des Gemüthes kann nur mit Spontaneität verbunden Erkennt»
nisse möglich machen. Die Spontaneität ist der Grund einer dreifachen Synthesis,
nämlich der Apprehension der Vorstellungen in der Anschauung, der Reproduction
derselben in der Einbildung, und der Recognition derselben im Begriffe (Kr. d. r.
Vera. L Aufl. S. 97 ff).
Das Durchlaufen des Mannigfaltigen in der Anschauuug und die Zusammen-
fassung desselben zur Einheit ist die Synthesis der Apprehension. Ohne sie würden
wir nicht die Vorstellungen des Raumes und der Zeit haben können. Die repro-
ductive Synthesis der Einbildungskraft ist gleichfalls auf Principien a priori
gegründet (Kr. d. r. Vera. 1. Aufl. S. 100 ff; ebend. S. 117 f. und 123 und 2. Aufl.
S. 152 wird bestimmter von der reproductiven Einbildungskraft, die auf Bedingungen
der Erfahrung beruhe, die productive als eine Bedingung a priori der Zusammen-
setzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntniss unterschieden; in der 2. Aufl.
a. a. 0. sagt Kant, dass die erstere zur Erklärung der Möglichkeit der Erkenntniss
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254 § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. mctaph. Anfangsgr. der Naturwissenscb.
a priori nichts beitrage nnd nicht in die Trausscendeutalphilosophie, sondern in iHe
Psychologie gehöre; in der 2. Aufl. handelt er von ihr wie auch von der ,Re-
cognition im Begriff* nicht mehr). Würde ich bei der Synthesis der Theile einer
Linie, eines Zeitabschnittes, einer Zahl die früheren immer aus den Gedanken ver-
lieren und sie nicht reproduciren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde
uiemals eine ganze Vorstellung, ja nicht einmal die reinsten und ersten Grund-
vorstellungen von Raum und Zeit, entspringen können. Ohne das Bewusstsein aber,
dass das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor
dachten, würde alle Reproduction in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein.
Der Begriff ist das, was das Mannigfache, nach und nach Angeschaute und dann
Reproducirte iu Eine Vorstellung vereinigt.
In der Erkenntnis» des Mannigfaltigen wird das Gemüth sich der Identität
seiner Function, durch die es die Synthesis übt, bewusst. Alle Verknüpfung und
Einheit im Erkennen setzt diejenige Einheit des Bewusstseins voraus, welche vor
allen Datis der Anschauungen vorhergeht und in Beziehung worauf alle Vorstellung
von Gegenständen allein möglich ist. Dieses reine, ursprüngliche, unwandelbare
Selbstbewusstsein nennt Kant die transscendeutale Apperception. Er uuter-
scheidet dieselbe von der empirischen Apperception oder dem wandelbaren
empirischen Selbstbewusstsein im Flusse der durch den inneren Sinn aufgefaßten
inneren Erscheinungen. Die transscendeutale Apperception ist ein ursprünglicher
synthetischer Act, das empirische Selbstbewusstsein beruht auf einer Analysis,
welche jene ursprüngliche Synthesis zur Voraussetzung hat. Die synthetische Ein-
heit der Apperception ist der höchste Punkt, wovon aller Verstandesgebrauch
abhängt. Auf ihr beruht das: „Ich denke*, welches alle ineine Vorstellungen muss
begleiten können. Selbst die objective Einheit des Raumes und der Zeit ist
nur durch Beziehung der Anschauungen auf diese transscendentale Apperception
möglich.
Die Kategorien sind die Bedingungen des Denkens in einer möglichen Er-
fahrung. Die Möglichkeit und Nothwendigkeit der Kategorien beruht auf der
Beziehung, welche die gesummte Sinnlichkeit und mit ihr alle möglichen Erschei-
nungen auf die ursprüngliche Apperception haben. Alles Mannigfaltige der An-
schauung muss den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewusstseins,
der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperception gemäss sein, also unter
allgemeinen Functionen der Synthesis nach Begriffen stehen. Die Synthesis der
Apprehension, welche empirisch ist, muss der Synthesis der Apperception, welche
intellectuell und gänzlich a priori in der Kategorie enthalten ist, nothweudig gemäss
sein. Ein jeder Gegenstand steht unter den nothwendigen Bedingungen der syn-
thetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung.
Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt (die formalen Bedingungen
der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft und die nothwendige
Einheit derselben in einer transscendentalen Apperception) sind demgemäss zugleich
Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung (d. h. der Er-
scheinungen) und haben darum objective Gültigkeit in einem synthetischen Urtheil
a priori. Ebenso ist uns andererseits keine ^Erkenntniss a priori möglich, als
lediglich vou Gegenständen möglicher Erfahrung.
Dingen an sich selbst würde ihre Gesetzmässigkeit nothwendig auch ausser
einem Verstände, der sie erkennt, zukommen. Allein Erscheinungen sind nur Vor-
stellungen von Dingen, die nach dem, was sie au sich sein mögen, unerkannt da
sind. Als blosse Vorstellungen aber stehen sie unter gar keinem Gesetze der
Verknüpfung, als demjenigen, welches das verknüpfende Vermögen vorschreibt.
Verbindung, sagt Kant, ist nicht in den Gegenständen und kann von ihnen nicht
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§ 26. Kants Kritik d. reiueu Vernunft n. metaph. Anfungsgr. der Naturwissensch. 255
etwa darch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst auf-
genommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst
nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige
gegebeuer Vorstellungen unter Einheit der Apperception zu bringen, welcher Grund-
satz der oberste der ganzen menschlichen Erkenntniss ist. Da nun vou der Syn-
thesis der Apprehension alle mögliche Wahrnehmung, diese empirische Synthesis
aber wiederum von der transscendentalen, mithin von den Kategorien abhängt, so
müssen alle möglichen Wahrnehmungen, mithin auch alles, was zum empirischen
Bewusstsein gelangen kann, d. i. alle Erscheinungen der Natur, ihrer Verbindung
nach unter den Kategorien stehen, von welchen die Natur, bloss als Natur über-
haupt betrachtet, als dem ursprünglichen Grunde ihrer notwendigen Gesetzmässig-
keit abhängt *)
Kant erwähnt nachträglich (Kr. d. r. Vern. 2. Aufl. S. 167 f.) ausser den beiden
Wegen, auf welchen eine nothwendige Uebereinstimmung der Erfuhrung mit den
Begriffen vou ihren Gegenständen gedacht werden könne (dass nämlich entweder die
Erfahrung diese Begriffe oder diese Begriffe die Erfahrung möglich machen), noch
einen Mittelweg, der sich vorschlugen lasse, nämlich die Annahme, dass die
Kategorien nicht empirische, sondern subjective, uns mit unserer Existenz zugleich
eingepflanzte Anlagen zum Denken wären, die aber von unserm Urheber so ein-
gerichtet worden, dass ihr Gebrauch mit den Gesetzen der Nutur, an welchen die
Erfuhrung fortläuft, genau übereinstimme. Er nennt diese Annahme (die im Wesent-
lichen mit der leibnizischen Theorie einer prästabilirten Harmonie übereinkommt,
von Kant aber Proleg. z. e. j. k. Met. in einer Note zu § 37 Crusius beigelegt
wird) eine Art von Präformationssystem der reinen Vernunft, erklärt sich
*) Zur Erkenntniss besonderer Gesetze, weil diese empirisch bestimmte Er-
scheinungen betreffen, muss nach Kant Erfahrung dazu kommen. Doch liegt in
dieser kantischen Theorie ein mehrfacher innerer Widerspruch, theila schou
insofern, als die Dinge an sich uns afficiren sollen, Affection aber Zeitlichkeit
und Causalität iuvolvirt, welchen Kant doch andererseits als Formen a priori nur
innerhalb der Erscheinungswe.lt und nicht jenseits derselben Gültigkeit zuerkennt,
ferner insofern, als diese Affection eiuestheils einen völlig ungeformten, chaotischen
«Stoff liefern müsste, damit derselbe unter keinem dem apriorischen Gesetz der
Verknüpfung unfügsamen Gesetze stehe, andererseits doch einen geordneten Stoß",
damit nicht jeder einzelne Stoff zu jeder einzelnen Form beziehungslos sei, alle
Bestimmung bloss von innen her erfolge und dadurch der Unterschied des Em-
pirischen von dem Apriorischen aufgehoben werde, sondern das Einzelne der
Erscheinung und sogar jedes besondere Gesetz empirisch bestimmt sein könne.
Muss aber für die besonderen Formen und Gesetze der Grund in der wirklichen
Beschaffenheit der uns afficirenden Objecte oder .Dinge an sich* gefunden werden,
so lässt sich ferner nachweisen, dass die Art und Folge der AQ'ectionen eine solche
Ordnung in sich trägt, wie sie nur aus dem objectiv-wirklichen Behaftetsein eben
dieser „Dinge an sich" mit der Zeitlichkeit, Räumlichkeit, Causalität etc. her-
fliessen kann, womit der kantische Subjectivismus gestürzt ist. (Vgl. Ueberwegs
Syst. d. Log. § 44 und die oben, S. 236, citirte Abh. über den Grundgedanken
des kantischen Kriticismus.) Dieser Beweis beruht auf der Ableitbarkeit des
Gravitationsgesetzes aus den drei Dimensionen des Raumes. Einem an die drei
Dimensionen des Raumes geknüpften Gesetz könnten die Erscheinungen unterworfen
sein, wenn sie rein subjectiv, d. h. bloss durch eine dem Subject immanente
Causalität bedingt wären, was sie doch nach Kants eigener Affections- Lehre nicht
sind; sie könnten ihm nicht unterworfen sein, wenn die uns afficirenden Dinge an
sich eine andere Ordnung trügen, also bleibt nur die Aunahme übrig, das»
diese Dinge eine Ordnung haben, welche der unseres Anschauungsraumes gleich-
artig sei.
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25ö § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Aufangsgr. der Naturwissenach.
aber gegen dieselbe, weil in einem solchen Falle den Kategorien die Notwendig-
keit mangeln würde, die ihrem Begriffe wesentlich angehöre.*)
Reine Verstandesbegriffe sind den empirischen Anschauungen ganz ungleich-
artig, und doch muss in allen Subsumptionen eines Gegenstandes unter einen Begriff
die Vorstellung des ersteren mit dem letzteren gleichartig sein. Um die An-
wendung der Kategorie auf die Erscheinung möglich zu machen, muss es ein
Drittes geben, was einerseits mit jener, andererseits mit dieser gleichartig ist.
Eine solche vermittelnde Vorstellung, erzeugt durch die transscendentale Synthesis
der Einbildungskraft, nennt Kant das transscendentale Sehema des Verstandes
und die Lehre davon den Schematismus der reinen V i -Standesbegriffe.
Nun ist die Zeit als eine Form a priori mit der Kategorie, als eine Form der
Sinnlichkeit aber mit der Erscheinung gleichartig. Zwischen ihren Theilen Bind
dieselben Verhältnisse in der Anschauung gegeben, welche die Verstandesbegriffe
nur „in abstracter Form" zwischen den verschiedenen 1 heilen des Erkenntniss-
inhaltes annehmen lassen. Daher ist eine Anwendung der Kategorie auf Erschei-
nungen vermittelst der transsccndentalen Zeitbestimmung möglich.**)
Die Schemata gehen nach der Ordnung der Kategorien (Quantität, Qualität,
Relation, Modalität) auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung und
den Zeitinbegriff. Das Schema der Quantität ist die Zahl. Das Schema der
Realität ist das Sein in der Zeit, das der Negation das Nichtsein in der Zeit. Das
Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, das der Causalität
die Succession des Mannigfaltigen, sofern sie einer Regel unterworfen ist, das der
Gemeinschaft oder der wechselseitigen Causalität der Substanzen in Ansehung ihrer
Accidentien ist das Zugleichsein der Bestimmungen der einen mit denen der andern
nach einer allgemeinen Regel. Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammen-
stimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit
überhaupt, also die Bestimmung der Vorstellung eineB Dinges zu irgend einer Zeit,
das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit, das Schema
der Nothwendigkeit ist das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit.
Die Beziehung der Kategorien auf mögliche Erfahrung muss alle reine Ver-
standeserkenntniss a priori ausmachen. Die Grundsätze des reinen Verstandes sind
die Regeln des objectiven Gebrauchs der Kategorien. Aus den Kategorien der
Quantität und Qualität fliessen mathematische Grundsätze von intuitiver Gewissheit,
aus den Kategorien der Relation und Modalität aber dynamische Grundsätze von
discursiver Gewissheit.
*) Aus dem Mangel eines Beweises für die Nothwendigkeit der Anwendung
der Kategorien auf die Objectivität im transscendentalen Sinue folgt freilich nicht
die Unmöglichkeit, dass sie auch für diese gelten; der „Beweis* ist demnach nicht
stringent. Nun liegt allerdings nach Kants Absicht ein indirecter Beweis der
blossen Subjectivität alles Apriorischen, Bowohl der Anschanungsformen Raum
uud Zeit, als auch der Kategorien, in den Antinomien, wovon in einem späteren
Abschnitt gehandelt wird, Krit. d. r. Vern. 1. Aufl. S. 506, 2. Aufl. 8. 534, in der
Gesammtausg. von Rosenkranz und Schubert Bd. II, S. 399, und dieser würde,
wenn er zwingend wäre, allerdings die von Trendelenburg behauptete „Lücke* aus-
füllen. Er leistet dies aber nicht, weil die Beweise für die Antinomien nur dann
Kraft haben, wenn bereits Kants Grundgedanken als gültig vorausgesetzt werden;
s. die oben citirten Streitverhandlungen zwischen Trendelenburg, Kuno Fischer und
Anderen.
**) Es bedarf nicht eines besonderen „Schematismus*, da ja schon die Gestaltung
des sinnlich gegebenen Stoffes durch die beiden Anschauungsformen überhaupt
denselben zu der ferneren Gestaltung durch die Kategorien präparirt. Wenn es
aber doch desselben bedarf, so scheint aus denselben Gründen, wie die Zeit, auch
der Raum einen Schematismus liefern zu können und zu müssen.
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft a. metaph. Anfangsgr. der Naturwisseusch. 257
Das Princip der Axiome der Anschauung ist: alle Anschauungen sind
extensive Grössen. Das Princip der A nticipationen der Wahrnehmung ist:
in allen Erscheinungen hat das Reale, das ein Gegenstand der Empfindung ist, in-
tensive Grösse, d. i. einen Grad. Das Princip der Analogien der Erfahrung ist:
Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer nothwendigen Verknüpfung der Wahr-
nehmungen möglich. Aus diesem Princip fliesst der Grundsatz der Beharrlichkeit
der Substanz: bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das
Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert; der Grund-
satz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Causalität: alle Veränderungen geschehen
nach dem Gesetz der Verknüpfung der Ursache und Wirkung; der Grundsatz des
Zugleichseins nach dem Gesetze der Wechselwirkung oder Gemeinschaft: alle Sub-
stanzen, sofern sie im Räume als zugleich wahrgenommen werden können, sind in
durchgängiger Wechselwirkung. Die Poetulate des empirischen Denkens
sind: was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den
Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich; was mit den materialen Bedingungen
der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich; dasjenige, dessen
Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung
bestimmt ist, ist nothwendig.
Dem Beweis des zweiten Postulates, das auf den Erweis der Wirklichkeit
geht, hat Kant in der 2. Aufl. der Kr. d. r. Vera, eine „Widerlegung des
(materialen) Idealismus" beigefügt, die auf dem Satze beruht, dass innere Erfah-
rung überhaupt, an deren Vorhandensein sich nicht zweifeln lasse, nur durch äussere
Erfahrung überhaupt, mithin nur unter der Voraussetzung des Daseins von Gegen-
ständen im Raum ausser uns, möglich sei. Den Beweisgrund findet Kant darin,
dass die Zeitbestimmung, die in dem empirisch bestimmten Bewusstsein meines
eigenen Daseins liege, etwas Beharrliches in der Wahrnehmung voraussetze, das
von meinen Vorstellungen verschieden sein müsse, damit der Wechsel daran ge-
messen werden könne, das also nur durch ein Ding ausser mir möglich sei.*)
*) Auch bereits in der 1. Aufl. (S. 376, B. II, S. 301 der Ausgabe der Werke
falsche Bedenklichkeit wegen der objectiven Realität unserer äusseren Wahrnehmungen
zu widerlegen" gesucht, nämlich durch die Bemerkung, dass äussere Wahrnehmung
eine Wirklichkeit im Räume unmittelbar beweise, dass ohne Wahrnehmung selbst
die Erdichtung und der Traum nicht möglich seien, unsere äusseren Sinne also,
den Datis nach, woraus Erfahrung entspringen könne, ihre wirklieben correspon-
direnden Gegenstände im Räume haben. Aeussere Gegenstände im Raum aber
sind, wie Kant immer aufs Neuo wiederholt, nicht für Dinge an sich zu halten;
sie heissen äussere, weil sie dem äusseren Sinn anhängen, dessen Anschauung der
Raum ist. Der Raum ist nichts, als was in ihm vorgestellt wird, weil der Raum
selbst nichts Anderes als Vorstellung ist. „Correspondirend" heisst hier nur: als
Erecheinungsobject unsern (gleichfalls in die Erscheinung fallenden) Sinnen corre-
spondirend (obschon hierin eine angreifbare Schwäche der kantischen Annahme
liegt). Unter dem „Beharrlichen in der Wahrnehmung" kann Kant nur die beharr-
liche Erscheinung im Raum, die undurchdringliche ausgedehnte Substanz verstehen.
Vgl. auch Proleg. zur Metuph. § 49. Die .Widerlegung" soll nach Kants Aussage
in der 2. Aufl. der Kr. zunächst den „problematischen Idealismus' des Descartes
treffen, der die Wirklichkeit der Aussendinge nur für unbeweisbar erkläre, damit
aber zugleich auch den dogmatischen Idealismus des Berkeley, der dieselbe leugne.
Gegen Descartes, der die innere Wahrnehmung für sicherer hält als die äussere,
sucht Kant nachzuweisen, dass die äussere der inneren nicht nachstehe, was aber
auf seinem Standpunkt nur heissen kann, dass beide uns die empirische Realität
der Erscheinungen sichern. Hierdurch wird die cartesianische Bevorzugung
des inneren Sinnes zurückgewiesen. Dass jedoch eben hierdurch mittelbar auch
Berkeleys Idealismus getroffen werde, ist ein Irrthum; denn die Wendung,
Uebcrweg-Heinxe, (Jrondriss HI. 7. Anfl. |^
von Rosenkranz und Schubert)
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258 § 25- Kunts Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Natnrwissensch.
Obgleich unsere Begriffe die Eintheilung in sinnliche und intellectuelle zu-
lassen, so dürfen doch nicht die Gegenstände in Objecte der Sinne oder Phae-
nomena und Gegenstände des Verstandes oder Noumeua im positiven Sinne
eingetheilt werden. Denn die Begriffe des Verstandes finden nur auf die
Objecte der sinnlichen Anschauung Anwendung; ohne Anschauung sind
.sie gegenstandslos, und eine nicht-sinnliche oder intellectuelle Anschauung besitzt
der Mensch nicht. Wohl aber ist der Begriff eines Noumenou in negativer
Bedeutung zulässig, indem wir darunter ein Ding verstehen, sofern es nicht Object
unserer sinnlichen Anschauung ist. In diesem Sinne sind die Dinge an sich Noumena,
die aber nicht durch die Kategorien des Verstandes, sondern nur als ein unbe-
kanntes Etwas zu denken sind.*) Dass Kant die „Dinge au sich" aber als nothwendig
existirend, um Erfahrung überhaupt zu Stande zu briugen. angesehen hat, erhellt
aus vielen Stellen seiner Kritik d. r. V. Namentlich sprechen auch die Prolegomena
dafür. So heisst es z. B. daselbst § 32: „In der That, wenn wir die Gegenstände
der Si IHK- wie billig als blosse Erscheinungen ansehen, so gestehen wir doch dadurch
zugleich, dass ihnen ein Ding an sich selbst zu Grunde liege, ob wir dasselbe gleich
nicht, wie es an sich beschaffen sei, sondern nur seine Erscheinung, d. i. die Art,
wie unsere Sinne von diesem uubekannten Etwas afficirt werdeu. erkennen. Der
Verstand also, eben dadurch, dass er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das
Dasein von Dingen an sich selbst zu, und sofern können wir sagen, dass die Vor-
stellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum Grunde liegen, mithin blosser
Verstandeswesen, nicht allein zulässig, sondern auch unvermeidlich sei".**) Vgl.
auch Anm. II zu § 13 der Prolegomena.
die Erscheinungen oder Ideencomplexe wirkliche Dinge zn nennen, weil sie etwas
in uns Reales sind, findet sich bei Berkeley ebensowohl wie bei Kant, und dass
die Erscheinung eines Baumes, eines Berges, eines Sterns etc. ausserhalb der
Erscheinung unseres eigenen Leibes liege, und dass in diesem Sinne von .Dingen
im Raum ausser uns" geredet werden könne, ist selbstverständlich. Kants Irrthum,
dass seine Argumentation anch mit gegen Berkeley gehe, erklärt sich aus der
nahe liegenden ungenauen Auffassung der berkeleysehen Doctrin, als ob diese die
Wirklichkeit der Dinge im Raum bestreite und diese Dinge für blosse .Ein-
bildungen" erkläre. S. darüber die ob. S. 238 angeführte Schrift von Janitsch.
*) Die Folgerung Späterer, weil das Ding an sich nicht in Raum und Zeit
sei, müsse es „in der Gedankenwelt* sein, ist demnach auf kantischem Standpunkte
unzulässig. Versteht man unter dem, was in der Gedankenwelt sei, etwas unserm
Denken Immanentes, also einen Begriff oder Gedanken, so gilt dies von dem
.Ding an sich* gar nicht; versteht man darunter ein transsceudeutales Object unseres
Denkens, so gilt dies von dem ..Ding an sich" nur insofern, als wir sein Dasein
überhaupt annehmen müssen, aber nicht in dem Sinne, dass die Kategorien unseres
Denkens darauf Anwendung finden können. Unverkennbar aber hat Kants Be-
ziehung des dem platonischen Gedankenkreise entstammten Begriffs der Noumena
auf seine Dinge an sich trotz der ( 'lausei, dass derselbe nur in negativem Sinne
gelten solle, schon bei Kant selbst Verwirrung gestiftet und die IJineintragung
von Fremdartigem vermittelt, insbesondere die Hineintragung von Werth-
hestimmungcn in den Begriff der Dinge an sich. Dass die räum-, zeit- und
cansalitätsloscn Dinge an sich, welche uns afficiren, etwas Besseres und Höheres
seien, als die Erscheinungen, ist eine mindestens willkürliche Annahme, die aber
durch jenen platonischen Terminus, namentlich in der Engegensetzung: homo
uoumenon, homo phaenomenon, eine anscheinende Stütze erhält und so in die Ethik
eingeführt wird.
**) Neuere wie A. Krause, K. Lasswitz is. ob. S. 238 f.) stellen die Lehre Kants
so dar, dass bei der Erfahrung von dem Ding an sich als dem einen Factor gar
nicht die Rede sein könne. Wenn für diese Auffassung geltend gemacht wird, ein
blosses Noumenon könne nicht wirken, so vergisst man, dass Kant mit dem Aus-
druck Noumenon (s. Proleg. § 32) sich an griechische Philosophen anschliesst, von
welchen den Verstandesweseu allein volle Wirklichkeit zugestanden wurde. Es ist
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§26. Kants Kritik d. reineu Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 259
Durch Verwechselung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem trana-
scendentalen entsteht die Amphibolie der Reflexionsbegriffe. Die Reflex ions-
begriffe sind: Einerleiheit und Verschiedenheit, Einstimmung und Widerstreit,
Inneres und Aeusseres, Bestimmbares und Bestimmung (Materie und Form). Die
transscendentale Ueberlegung (reflexio) ist die Handlung, dadurch ich die Ver-
gleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Erkenntnisskraft zusammenhalte,
darin sie angestellt wird, und unterscheide, ob sie als gehörig zum reinen Ver-
stände oder zur sinnlichen Anschauung untereinander verglichen werden. Kant
findet die Quelle des leibnizischen Systemes, welches die Erscheinungen intellectuire,
in der von Leibniz nicht erkannten Amphibolie der Reflexionsbegrifle. Leibniz
bezog den Verstandesgebrauch bei der Vergleichung der Vorstellungen fälschlich
auf Objecte an sich und nahm den Begriff des Noumenon im positiven Sinne.
Er hielt die Sinnlichkeit nur für eine verworrene Vorstellung und glaubte die
innere Beschaffenheit der Dinge zn erkennen, indem er alle Gegenstände nur
mittelst des Verstandes und der abgesonderten formalen Begriffe seines Denkens
verglich; so fand er natürlich keine anderen Verschiedenheiten, als die, durch
welche der Verstand seine reinen Begriffe von einander unterscheidet. Daraus
ergaben sich ihm die Sätze, dass das begrifflich nicht zu Unterscheidende schlecht-
hin ununterschieden oder identisch sei, dass Realitäten als blosse Bejahungen
einander realiter nicht durch Entgegenstreben aufheben können, da zwischen ihnen
kein logischer Widerspruch stattfindet, dass wir den Substanzen keinen andern
innern Znstand, als den der Vorstellungen, beilegen und ihre Gemeinschaft unter
einander nur als prästabilirte Harmonie denken dürfen, endlich, dass der Raum
nur als die Ordnung in der Gemeinschaft der Substanzen und die Zeit als die
dynamische Folge ihrer Zustände zu denken sei. Kant will, dass jene Vergleichungs-
begriffe auf die Erscheinungswelt nur unter Mitberücksichtigung der an die sinn-
liche Anschauung (welche ihre eigenthümlichen Formen habe und nicht bloss ver-
worrene Auffassung sei) geknüpften Unterschiede, auf die Dinge an sich (oder
Noumena) aber überhaupt nicht angewandt werden. — Mit der Amphibolie der
Reflexionsbegriffe endigt die transscendentale Analytik.
Die transscendentale Dialektik hat nun die Aufgabe, den Schein trans-
scendenter Urtheile aufzudecken und sogar zu verhüten, dass er betrüge. Dass er
aber ganz verschwinde, wie der logische Schein, der nur aus dem Mangel an Auf-
merksamkeit auf die logischen Regeln besteht, und überhaupt aufhöre, ein Schein
zu sein, das kann sie nicht bewerkstelligen; denn es giebt hier eine natürliche
und unvermeidliche Illusion. Die transscendentale Dialektik hat es mit der
Vernunft zu thun, wie die Analytik mit dem Verstände. Es giebt aber von der
Vernunft nicht einen bloss formalen, d. h. logischen Gebrauch, indem die Vernunft
von allem Inhalt der Erkenntniss absieht, sondern auch eineu realen, indem sie
selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze enthält, die sie weder von
den Sinnen noch von dem Verstände hat. So ist die Vernunft sowohl ein logisches
als auch ein transscendentales Vermögen, und es muss so ein höherer Begriff für
sie gesucht werden, der die beiden unter sich befasst. Freilich kann nach Analogie
der Verstandesbegriffe erwartet werden, dass der logische Begriff zugleich den
•
durchaus nicht absurd, wenn Kant dies auch thut. Eine andere Frage ist es, ob
er mit dieser Statuirung der Verstandeswesen nicht mit seiner sonstigen Lehre in
Widerspruch kommt. S. üb. diesen Streitpunkt Rud. Seydel, zur Auslegung K.s,
in: Die Grenzboten, 1883, II, S. 582— 5J>5, u. die Entgegnung v. A. Classen. der
die krausesche Auffassung vertritt ebd. S. 650 — 662, sowie von letzterem einige
Artikel in demselb. Blatt, Jahrg. 1881 u. 1882. S. übrig, mit. 8. 262, Anm.
17*
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260 § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft n. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch.
Schlüssel zum transscendentalen und die Tafel der Functionen der ersteren zugleich
die Stammleiter der Vernunftbegriffe ergeben werde.
Ist der Verstand das Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der
Regeln, so ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter
Principien oder das Vermögen der Principien. Die Vernunft sucht in ihrem logischen
Gebrauch die allgemeine Bedingung ihres Urtheils (des Schlusssatzes), für diese
Bedingung wird aber wieder eine Bedingung durch die Vernunft gesucht, und in
dieser Art geht es weiter. So ist der eigentümliche Grundsatz der Vernunft im
logischen Gebrauche: Zu dem bedingten Erkenntniss des Verstandes das Unbedingte
zu finden, und diese logische Maxime kann nicht anders ein Princip der reinen
Vernunft werden, als dadurch, dass man annimmt: Wenn das Bedingte gegeben ist,
so ist auch die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen gegeben, die
mithin selbst unbedingt ist Wenn eine ErkenntniBs als bedingt angesehen wird,
so ist die Vernunft genöthigt, die Reihe der Bedingungen in aufsteigender Linie
als vollendet und ihrer Totalität nach gegeben anzusehen, und diese ganze Reihe
musfl unbedingt wahr sein, wenn das Bedingte, welches als eine daraus entsprin-
gende Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll. Die aus diesem obersten
Princip entspringenden Grundsätze werden in Ansehung aller Erscheinung trans-
scendent Bein ; es wird kein adäquater empirischer Gebrauch jemals von denselben
gemacht werden können.
Kant nennt nun Idee einen nothwendigen Vernunftbegriff, dem kein con-
gruirender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. Die reine Vernunft
bezieht sich niemals geradezu auf Gegenstände, sondern auf die Verstandesbegriffe
von denselben. Wie die Verstandesbegriffe aus den Formen der Urtheile sich ent-
nehmen liessen, indem die Weise der Sjnthesis der Anschauungen im Urtheil
begrifflich aufgefasst wurde, so lassen die transscendentalen Vernunftbegriffe sich
aus den Formen der Vernunftschlüsse entnehmen. Die Vemunftschlüsse sind theils
kategorisch, theils hypothetisch, theils disjunetiv. Das Allgemeine aller
Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können, ist nun auch dreierlei: 1. die
Beziehung aufs Subject, 2. die Beziehung auf Objecte, und letztere entweder auf
Objecte als Erscheinungen oder als Gegenstände des Denkens überhaupt, d. h. auf
alle Dinge überhaupt. Demgemäss giebt es drei transscendentale Vernunftbegriffe:
ein Unbedingtes 1. der kategorischen Sjnthesis in einem Subject, 2. der hypothe-
tischen Synthesis der Glieder einer Reihe, 3. der disjunetiven Synthesis der Theile
in einem System. Der erste dieser Vernunftbegriffe ist der der Seele als der
absoluten Einheit des denkenden Subjects, der zweite der der Welt als der abso-
luten Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinung, der dritte der der
Gottheit als der absoluten Einheit aller Gegenstände des Denkens überhaupt oder
als des alle Realität in sich befassenden Wesens (ens realissimum). Diesen
drei Ideen gemäss giebt es drei dialektische Vernunftschlüsse, welche So-
phisticationen nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst sind, und es
hängt diese Illusion der menschlichen Vernunft ebenso ,unhintertreiblich" an wie
gewisse optische Täuschungen dem Sehen und kann gleich diesen zwar durch Kritik
erklärt und unschädlich gemacht, aber nicht schlechthin beseitigt werden. Auf die
Idee der Seele als einer einfachen Substanz geht der psychologische Para-
logismus, auf das Weltganze beziehen sich die kosmologischen Antinomien .
das allerrealste Wesen endlich als das Ideal der reinen Vernunft betreffen die ver-
suchten Beweise für das Dasein Gottes.
Die rationale Psychologie gründet sich auf das blosse Bewusstsein des
denkenden Ich von sich selbst; denn wollten wir die Beobachtungen über das
Spiel unserer Gedanken und die daraus zu schöpfenden Naturgesetze des denkenden
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metuph. Anfangsgr. der Naturwissenach. 261
Selbst auch zu Hülfe nehmen,*) so würde eine empirische Psychologie entspringen,
die solche Eigenschaften, welche gar nicht zur möglichen Erfahrung gehören, wie
namentlich die der Einfachheit, nicht darzuthun vermöchte und keine apodiktische
Gültigkeit beanspruchen könnte. Aus dem Ichbewusstsein sucht die rationale
Psychologie zu erweisen, dass die Seele als Substanz (und zwar als immaterielle
Substanz) exiatire, als einfache Substanz incorruptibel, als intellectuelle Substanz
stets mit sich selbst identisch oder eine Person, in möglichem Commercium mit
dem Körper und unsterblich sei. Aber die Schlüsse der rationalen Psychologie
(in deren Darlegung sich Kant an die Form zunächst angeschlossen zu haben
scheint, welche dieselben bei Knutzen, von der immat. Natur der Seele, bei Rei-
marus, die vornehmsten Wahrh. der nat. Rel., und bei Mendelssohn, Phädon. trugen)
involviren eine unzulässige Anwendung des Substanzbegriffs, der Anschauung vor-
aussetzt und nur für Erscheinungsobjecte gilt, auf das Ich als transscendentales
Object. Dass Ich, der ich denke, im Denken immer nur als Subject und als etwas,
das nicht bloss wie ein Prädicat dem Denken anhänge, gelten müsse, ist ein
apodiktischer und selbst identischer Satz; aber er bedeutet nicht, dass ich als
Object ein für mich selbst bestehendes Wesen oder Substanz sei. Ebenso liegt
zwar schon im Begriffe des Denkens, dass das Ich der Apperception ein logisch
einfaches Subject bezeichne, was ein analytischer Satz ist; aber das bedeutet nicht,
dass das denkende Ich eine einfache Substanz sei, was ein synthetischer Satz 'sein
würde. Die Identität meiner selbst bei allem Mannigfaltigen, dessen ich mir
bewusst bin, ist wiederum ein analytischer Satz; aber daraus folgt nicht die Iden-
tität einer denkenden Substanz in allem Wechsel der Zustände. Dass ich endlich
meine Existenz als eines denkenden Wesens von anderen Dingen ausser mir, wozu
auch mein Körper gehört, unterscheide, ist ein analytischer Satz; aber ob dieses
Bewusstsein meiner selbst ohne Dinge ausser mir möglich sei und ich also auch
ohne Körper existiren könne, weiss ich dadurch gar nicht. Der dialektische Schein
in der rationalen Psychologie beruht auf der Verwechselung der Möglichkeit der
Abstraction von meiner empirisch bestimmten Existenz, wodurch ich den in
allen Stücken unbestimmten Begriff eines denkenden Wesens überhaupt gewinne,
mit der Möglichkeit einer abgesonderten Existenz meines denkenden Selbst.
Die Aufgabe, die Geraeinschaft der Seele mit dem Körper zu erklären, wird
durch die zwischen beiden vorausgesetzte Uugleichartigkeit erschwert, indem jener
nur eine zeitliche, diesem auch eine räumliche Existenz zukommt. Bedenkt man
aber (sagt Kant, Kr. d. r. V., 2. Aufl. S. 427 f.), dass beiderlei Arten von Gegen-
ständen sich hierin nicht innerlich, sondern insofern nur eins dem andern äusserlich
erscheint, von einander unterscheiden, mithin das, was der Erscheinung der Materie
als Ding an sich selbst zum Grunde liegt, vielleicht so ungleichartig nicht
sein dürfte, so verschwindet diese Schwierigkeit, und es bleibt keine andere
übrig als die, wie überhaupt eine Gemeinschaft von Substanzen möglich sei,
welche zu lösen ganz ausser dem Felde der Psychologie und aller menschlichen
Erkenntniss liegt. Der hier nur kurz angedeutete Gedanke der möglichen
Gleichartigkeit zwischen dem Realen, das den Erscheinungen des äusseren
Sinnes, und dem, das den Erscheinungen des inneren Sinnes zum Grunde liegt,
findet sich in der ersten Aufl. d. Kr. d. r. V. weiter ausgeführt. In der Psycho-
logie gilt der Dualismus im empirischen Verstände, auf die Erscheinungen bezogen ;
im transscendentalen Verstände aber gilt weder der Dualismus, noch der Fneuma-
*) Etwa, wie später Herbart auf die gegenseitige Verbindung der Vor-
stellungen einen Beweis für die punctuelle Einfachheit der Seele zu gründen ver-
sucht hat
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I
262 § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch.
tismus (Spiritualismus), noch der Materialismus, welche sämmtlich die Verschieden-
heit der Vorstellungsart von Gegenständen, die uns nach dem, was sie an sich
sind, unbekannt bleiben, für eine Verschiedenheit dieser Dinge selbst halten. ,Das
transscendentale Object, welches den äusseren Erscheinungen, ingleichen das, was
der inneren Anschauung zu Grunde liegt, ist weder Materie, noch ein denkendes
Wesen an sich selbst, sondern ein unbekannter Grund der Erscheinungen, die den
empirischen Begriff von der ersten sowohl als zweiten Art au die Hand geben"
(Kr. d. r. V-, 1. Aufl., S. 379, bei Ros. II, S. 303). „Ich kann wohl annehmen,
dass der Substanz, der in Ansehung unseres äusseren Sinnes Ausdehnung
zukommt, an sich selbst Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren
Sinn mit Bewusstsein vorgestellt werden können; auf solche Weise würde eben
dasselbe, was in einer Beziehung körperlich heisst, in einer andern zugleich ein
denkendes Wesen sein, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen
derselben in der Erscheinung anschauen können" (ebd. S. 359, bei Ros. II, S. 288 f.).
Diese letztere hier als möglich bezeichnete Annahme steht der leibnizischen
Monadologie nahe, sofern nach dieser zwar nicht eine einzelne Monade, aber
doch ein Monadencomplex unseren Sinnen als ein ausgedehntes Ding erscheint und
zugleich in sich selbst Wesen enthält, welche Vorstellungen haben, und Wesen
enthalten kann, die mit Bewasstsein vorstellen und denken; noch näher steht sie
der von Kant in der .Monadologia physica" entwickelten Ansicht. In einem
andern Sinne berührt sich jene Annahme mit dem Spinozismus, welcher der
Einen Substanz Denken und Ausdehnung, freilich als reale Attribute, zuschreibt.
In der zweiten Auflage der Vernunftkritik hat Kant diese Möglichkeit nicht negirt,
vielmehr durch den oben citirten Satz wiederum angedeutet, der näheren Aus-
führung aber sich enthalten.*)
*) Hierin liegt sachlich keine Aenderung des kautischen Gedankens; jedoch
bekundet sich formell eine grössere Strenge in der Anwendung des kritischen
Princips, sofern nunmehr Kant vorzieht, unbeweisbare dogmatische Annahmen
auch nicht einmal als Hypothesen auszuführen, sondern sich auf die kürzeste
Andeutung zu beschränken. Uebrigens geht jene Hypothese offenbar nicht darauf,
dass das transscendentale Substrat äusserer Erscheinungen mit unserm denkenden
Ich identisch, oder dass es gar nur ein Gedanke des Ich sei, sondern darauf,
dass es möglicherweise auch selbst ein denkendes Wesen sei und daher dem
transscendeutalen Substrat des inneren Sinnes gleichartig sein könne, etwa so,
wie im leibnizischen System sämmtliche Monaden einander gleichartig sind, oder
vielmehr so, wie diejenigen „physischen Monaden" einander gleichartig sind, welche
Kant vermöge seiner eigenen Umbildung der leibnizischen Monadenlehre in seiner
„Monadologia physica" vom Jahre 1756 annimmt; und nur, weil wir von dem
transscendentalen "Substrat nach Kant gar nichts Näheres wissen können, so liegt
ferner in der Consequenz, dass auch noch andere Annahmen, wie etwa jene Identität»-
ansieht, sofern sie als blosse Hypothesen auftreten, nicht widerlegt werden können.
Sehr mit Unrecht würde man die hier (in dem Abschnitt über den psychologischen
Paralogismus) vou Kant gewagte Vermuthung dem fichteschen Subjcctivismus
gleichsetzen. Es ist wahr, dass Kants Aeusserungen über das transscendentale
Obiect etwas Schwankendes haben; aber dieses Schwanken findet sich (als natürliche
Folge des von der kantischen Doctrin unabtrennbaren Widerspruchs, dass das
transscendentale Object Ursache der Erscheinungen sein Boll und doch nicht Ursache
sein kann) auch bereits in der ersten Auflage der Kr. d. r. V. und ist keineswegs
erst (wie Schopenhauer u. A. behauptet haben) in der zweiten zu finden. Vgl.
z. B. in beiden Auflagen die Stellen einerseits bei Ros. II, S. 235, andererseits
ebend. S. 391, Z. 9 v. o.ff.; auch Proleg. § 57, ebeud. III, S. 124. Mögen die
Aeusserungen, in welchen Kaut unser Nichtwissen um die Natur des transscenden-
talen Objectes betont, in der ersten Aufl. der Kr., später aber, da er Missverständ-
nisseu gegenüber den Unterschied seiner Ansicht von dem berkeleyschen Idealismus
deutlicher zu macheu bemüht war, die Aeusserungen, worin er die Notwendigkeit
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§ 25. Kauts Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Aufangsgr. der NaturwiBsensch. 263
Ging die erste Art der vernünftelnden Schlüsse auf die unbedingte Einheit der
subjectiven Bedingungen aller Vorstellungen überhaupt (des Subjeets oder der Seele)
in Correspondenz mit den kategorischen Vernunftschlüssen, deren Obersatz, als
Prtncip, die Beziehung des Prädicats auf ein Subject aussagt, so wird die zweite
Art des dialektischen Arguments nach der Analogie mit hypothetischen Vernunft-
schlüsseu die unbedingte Einheit der objectiven Bedingungen in der Erscheinung zu
ihrem Inhalte machen. Es bilden sich hier vier kosmologische Ideen nach den
vier Titeln der Kategorien: 1. Die absolute Vollständigkeit der Zusammen-
setzung des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen (die absolute Identität in
Bezug auf Raum und Zeit), 2. die absolute Vollständigkeit der Theilung
eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung (die vollendete Theilung der Materie
entweder in nichts oder In das Einfache, was nicht mehr Materie ist), 3. die
absolute Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt,
4. die absolute Vollständigkeit der Abhängigkeit des Daseins des
Veränderlichen in der Erscheinung.
Während nun der transscendentale Paralogismus nur eiucn einseitigen Schein
in Ansehung der Idee von dem Subjecte unseres Denkens bewirkt und sich für das
Gegentheil nicht das Mindeste aus Vernnuftbegriffen vorbringen lässt, zeigt sich
hier, wenn wir die Vernunft auf die objective Synthesis der Erscheinungen an-
wenden, eine ganz natürliche Antithetik, in welche die Vernunft von selbst und
zwar unvermeidlich geräth und so zwar vor dem einseitigen Schein einer ein-
gebildeten Ueberzcugung bewahrt, aber zugleich in Versuchung gebracht wird,
sich entweder einer skeptischen Hoffnungslosigkeit zu überlassen oder mit dog-
matischem Trotz sich auf eine Behauptung zu steifen, ohne die Gründe für das
Gegentheil zu würdigen.
So Hiessen aus den kosmologischen Ideen die vier Antinomien, d. h.
einander widersprechende Sätze, die sich doch, sofern die Erscheinungswelt für
real im trausscendentalen Sinne gehalten wird, aus dieser Voraussetzung mit gleich
Btrenger Consequenz ergeben. (Vgl. uusser der von Herbart, Hegel, Schopen-
hauer u. A. geübten Kritik insbesondere noch die oben S. 235 angeführte Ab-
handlung von Jos. Richter.)
Auf die Quantität der Welt bezieht sich die erste Antinomie. Thesis:
die Welt hat einen Anfang in der Zeit und Grenzen im Raum. Anti thesis: die
Welt ist anfangslos uud ohne Grenzen im Raum.
Auf die Qualität der Welt geht die zweite Antinomie. Thesis: eine jede
zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Theilen. Antithesis:
es existirt nichts Einfaches.
der Voraussetzung der Dinge au sich als des trausscendentalen Grundes der Er-
scheinungswclt hervorhebt, einigermaassen häufiger sein, so ist doch Kants Ansicht
im Wesentlichen die gleiche geblieben, nämlich es sei anzunehmen, dass trans-
scendentale Objecte oder Dinge an sich existiren (was einem Jeden in Bezug auf
welcher ich, wie Kant sagt, mir meiner selbst bewusst bin, nicht wie ich mir
erscheine, aber auch nicht, wie ich an mir selbst bin, sondern nur, dass ich bin :
aber es ist ungewiss, wie das transscendentale Object oder Ding an Bich existirt.
In der 1. Aufl. S. 105 sagt Kunt doch nur, für uns sei dieser Gegenstand nichts,
und S. 1()9 lässt er denselben doch auch nur als x immer einerlei sein. Entschieden
falsch aber würde es sein, das transscendentale Object des äusseren oder des
inneren Sinnes, die Noumcna oder .Dinge an sich", von denen Kant in beiden
Auflagen der Kritik die Mannigfaltigkeit der ASfectionen des äusseren und inneren
Sinnes herleitet, an welche sich der Unterschied des Empirischen von dem Aprio-
rischen knüpft, dogmatisirend mit der „Einheit des Wesens in der Mannigfaltigkeit
der Erscheinungen* zu identi ficiren
sein eigenes Sein an sich schon
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264 § 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch.
Die causale Relation betrifft die dritte Antinomie. Thesis: es giebt eine
Freiheit im transscendentalen Sinne als Fähigkeit eines absoluten, ursachlosen
Anfangs einer Reihe von Wirkungen. Antithesis: es geschieht Alles in der Welt
lediglich nach Gesetzen der Natur.
An die Modalität knüpft sich die vierte Antinomie. Thesis: es gehört
zur Welt (sei es als Theil oder als Ursache) ein schlechthin notwendiges Wesen.
Antithesis: es existirt nichts schlechthin Nothwendiges.
Die Beweise werden von Kant durchweg indirect geführt. Zum Beweise der
Thesis wird die in der Antithesis behauptete Unendlichkeit des Fortgangs als un-
vollziehbar bekämpft, zum Beweise der Antithesis aber die in der Thesis ange-
nommene Grenze als willkürlich und überschreitbar zurückgewiesen. — Bei den
Antithesen bemerkt man nach Kant das Princip des Empirismus. Dagegen legen
die Behauptungen der Thesis noch intellectuelle Anfänge zu Grunde und sie ver-
treten den Dogmatismus. Für den letzteren zeigt sich ein gewisses praktisches
Interesse der Vernunft: dass die Welt einen Anfang habe, dass mein denkendes
Selbst einfacher und daher unverweslicher Natur, dass dieses zugleich in seinen
willkürlichen Handlungen frei und dem Naturzwang enthoben sei, und dass
endlich die ganze Ordnung der Dinge, welche die Welt ausmachen, von einem
Urwesen abstamme, von welchem Alles seine Einheit und zweckmässige Verknüpfung
entlehnt, das sind Grundsteine der Moral und Religion. Die Antithesis beraubt
uns dieser Stützen oder scheint wenigstens sie uns zu rauben. Auch ein specu-
latives Interesse der Vernunft äussert sich für diese Seite. Denn durch die
Thesis kann man die Ableitung des Bedingten begreifen, indem man vom Unbe-
dingten anfängt. Das leistet aber die Antithesis nicht.
Kant löst die Antinomien durch seine Unterscheidung zwischen Erscheinung
und Ding an sich. In Bezug auf die Welt als transscendentales Object oder
Noumenou oder intelligible Welt ist in den beiden ersten oder mathematischen
Antinomien sowohl die Thesis als auch die Antithesis falsch. Die intelligible
Welt fällt nicht unter die Vorstellung des Räumlichen und Zeitlichen, welche den
beiden Prädicaten: Begrenztheit im Raum und in der Zeit und unendliche Aus-
dehnung im Raum und in der Zeit, gemeinsam übergeordnet ist, und das Analoge
gilt hinsichtlich der Einfachheit und Zusammengesetztheit, also kanu sie weder
das eine noch das andere dieser Prädicate haben; aus der Ungültigkeit des einen
darf nicht die Gültigkeit des andern erschlossen werdeu. Der der Form nach con-
tradictorische Gegensatz zwischen Thesis und Antithesis ist in der That nur ein
scheinbarer, eine „dialektische Opposition". Als regulatives Princip unserer
Forschung aber muss die Forderung gelten, keine Grenze als eine absolut letzte
zu betrachten. In den beiden letzten oder dynamischen Antinomien ist in Bezug
auf die intelligible Welt die Thesis wahr, in Bezug auf die phänomenale Welt
aber gilt die Antithesis. Für die dritte Antinomie lautet demnach die Lösung:
Alle Erscheinungen sind durch andere mit Naturnotwendigkeit bedingt; in den
Dingen an sich selbst aber liegt die Freiheit. Für die vierte : Es giebt keine
unbedingte Ursache in der Erscheinung, aber ausserhalb der ganzen Reihe der
Erscheinungen liegt als transacendentaler Grund derselben das Unbedingte.
Der Inbegriff aller Realitäten oder Vollkommenheiten, als Urbild oder trans-
scendentales Prototyp in concreto und selbst in individuo gedacht, ist das theo-
logische Ideal. Die theoretischen Beweise für das Dasein Gottes sind: das
ontologische, kosmologische und teleologische oder physico-theologische Argument.
Das ontologische Argument schliesst aus dem Begriffe Gottes als des
allerrealsten Wesens auf seine Existenz, da die Existenz, und zwar die nothwen-
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 265
dige Existenz, zu den Realitäten gehöre und daher im Begriffe des allerrealsten
Wesens mit enthalten sei. Kant bestreitet die Voraussetzung, dass das Sein ein
reales Prädicat neben andern sei, welches zu diesen hinzutreten und dadurch die
Summe der Realitäten vermehren könne. Der Vergleich zwischen einem Wesen,
das andere Prädicate zwar habe, aber nicht das Sein, und einem Wesen, das mit
jenen Prädicaten noch das Sein vereinige und daher um das Sein grösser, voll-
kommener oder realer als jenes andere Wesen sei, ist absurd. Sein ist die Setzung
des Objects mit allen seinen Prädicaten. Diese Setzung bildet die unerlässliche
Voraussetzung jedes Schlusses aus dvm Begriff eines Objects auf seine Prädicate.
Bei einem Schlüsse auf das Sein Gottes, falls das Sein als Prädicat erschlossen
werdeu sollte, müsste demnach schon das Sein vorausgesetzt sein, wodurch wir nur
zu einer elenden Tautologie gelangen würden. Diese Tautologie wäre ein identischer,
daher analytischer Satz, die Behauptung aber: Gott ist, ist, wie jeder Existential-
satz, ein synthetischer Satz und kann daher nicht in Bezug auf ein Noumenon
a priori erwiesen werden.
Das kosraologi sehe Argument schliefst daraus, dass überhaupt irgend etwas
existirt, auf die Existenz eines schlechthin notwendigen Wesens, welches dann
unter Zuhülfenahroe dea ontologiBchen Argumentes mit der Gottheit als dem ens
realisaitnum oder perfectissimum gleichgesetzt wird. Kant dagegen bestreitet, dass
die Principien des Vernunftgebrauchs uns zu einer Verlängerung der Kette der
Ursachen über alle Erfahrung hinaus berechtigen; führte aber das Argument auch
wirklich auf eine extramundane und schlechthin nothwendige Ursache, so sei doch
dieselbe noch nicht als das absolut vollkommene Wesen erwiesen, und die Zuflucht
zum ontologischen Argument sei wegen der erwiesenen Ungültigkeit desselben un-
zulässig.
Das teleologischeArgument schliesst aus der Zweckmässigkeit der Natur
auf die absolute Weisheit und Macht ihres Urhebers. Kant nennt dieses Argument
um seiner populären Ueberzeugungskraft willen mit Achtung, spricht demselben
aber die wissenschaftliche Gültigkeit ab. Der Zweckbegriff kann nach Kant ebenso-
wenig, wie der Begriff der Ursache, zu Schlüssen berechtigen, die uns über die
Erscheinungswelt überhaupt hinausführen; denn er stammt gleichfalls aus dem Ich,
wird von dem Menschen in die Dinge hineingeschaut, hat aber keine Gültigkeit
für das transscendentale Object. Führte aber der teleologische Schluss zu einem
extramundanen Welturheber, so wäre dieser doch nur als ein Weltbaumeister von
hoher Macht und Weisheit nach Maassgabe der in der Welt sich bekundenden
Zweckmässigkeit, nicht als allmächtiger und allweiser Weltschöpfer erwiesen. Der
ergänzende Recurs auf das ontologische Argument aber würde auch hier wiederum
unstatthaft sein.
Theoretische Gültigkeit hat das Vernunftideal ebenso, wie überhaupt die trans-
scendentalen Vernunftbegriffe, nur insofern es als ein regulatives Princip den
Verstand dazu anleiten soll, in aller empirischen Erkeuntniss die systematische
Einheit zu suchen. Die transscendentalen Ideen sind nicht constitutive Prin-
cipien, durch welche gewisse jenseits der Erfahrung liegende Objecte erkannt werden
könnten, sondern fordern nur principielle Vollständigkeit des Verstaudesgebrauchs
im Zusammenhang der Erfahrung. Wir müssen uns nach einer richtigen Maxime
der Naturphilosophie aller theologischen und überhaupt transsceudenteu Erklärung
der Natureinrichtung enthalten. Bei dem praktischen Vernunftgebrauch aber soll
das Veruunftideal als Denkform für den höchsten Gegenstand des moralisch-religiösen
Glaubens dienen.
In seiner transscendentalen Dialektik glaubt Kant die alte Metaphysik mit
ihren Haupttheilen, der rationalen Kosmologie, Psychologie, Theologie vernichtet
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2G6 § 25. Kante Kritik d. reinen Vernunft n. mctaph. Anfangsgr. der Naturwissenscb.
zu haben, obwohl er den Aufbau dieser Metaphysik in der Vernunft selbst be-
gründet sieht Er will auf diesen genannten Gebieten das Wissen aufheben,
um zum Glauben Platz zu bekommen. Es soll allen Einwürfen gegen Sitt-
lichkeit und Religion durch den klarsten Beweis der Unwissenheit der Gegner
auf alle künftige Zeit ein Ende gemacht werden. Um allen uachtheiligen Einfluss
zu benehmen, rnuss die Quelle der Irrthümer verstopft werden. Metaphysik
ist allerdings wirklich in der Naturanlage der menschlichen Vernunft gegeben,
aber sie ist für sich allein dialektisch und trüglich und existirt daher bis jetzt
als Wissenschaft nicht. Damit sie den Anspruch auf den Rang einer Wissenschaft
erheben könne, muss Kritik angewandt werden, welche den ganzen Vorrath der
Begriffe a priori, die Eintheilung derselben nach den verschiedenen Quellen, Alles
in einem vollständigen System, enthält. Die Kritik verhält sich zur alten Schul-
metaphysik wie Chemie zur Alcbymie, wie Astronomie zur Astrologie. Kant
meinte später selbst, das System sei in seiner Kritik der reinen Vernunft enthalten.
S. ob. S. 252.
Aus der „Methodenlehre", in welcher Kant viel werthvolle Bemerkungen
zur Metaphysik als durch die Vernunftkritik bedingten Wissenschaft niederlegt»
aber die Lehre von dem Verhältniss unseres Denkens zur objectiveu Realität nicht
um ein wesentliches Glied erweitert, sondern aus den schon gewonnenen Sätzen
methodologische Consequenzen zieht, mag es hier genügen, einige Sätze anzu-
führen. In dem Abschnitt von der Disciplin der Vernunft im polemischen Ge-
brauch heisst es: «es ist sehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklärung zu
erwarten und ihr doch vorher vorzuschreiben, auf welche Seite sie nothwendig aus-
fallen müsse".
In dem Kanon der reinen Vernunft lässt Kant alles Interesse der Vernunft,
der praktischen sowohl als der theoretischen, sich in den drei Fragen vereinigen:
1. Was kann ich wisseu? 2. Was soll ich thun? 3. Was darf ich hoffen?
Die erste Frage ist bloss speculativ. Die Endabsicht, worauf die Speculatiou der
Vernunft im transscendentalen Gebrauche zuletzt hinausläuft, betrifft die Gegen-
stände: die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein
Gottes; diese selbst haben aber wiederum eine entferntere Absicht, nämlich was zu
thun sei, wenn der Wille frei, wenn ein Gott und eine künftige Welt ist. Demnach
ist die letzte Absicht der weislich uns versorgenden Natur bei der Einrichtung
unserer Vernunft eigentlich mit aufs Moralische gestellt — Die dritte Frage: Was
darf ich hoffen? ist praktisch und theoretisch zugleich. Sie kann auch so formulirt
werden: Wenn ich mich so verhalte, dass ich der Glückseligkeit nicht unwürdig
sei, darf ich dann hoffen, ihrer auch theilhaftig zu werden? Theoretisch ist es nun
nothwendig, anzunehmen, dass Jeder die Glückseligkeit in dem Maasse zu hoffen
hut, als er sich derselben in seinem Verhalten würdig macht Es ist demnach das
System der Sittlichkeit mit dem der Glückseligkeit unzertrennlich verbuuden, aber
nur in der Idee der reineu Vernunft, und es werden Gott und ein künftiges Leben
als zwei Voraussetzungen betrachtet, die von der Verbindlichkeit welche uns Ver-
nunft auflegt, nicht zu trennen sind
An die Kritik der reinen Vernunft und insbesondere an die transscendentale
Aesthetik und Analytik, scbliesst sich Kaute Naturphilosophie an.*)
*) Soll die Naturphilosophie die Naturerscheinungen aus dem, was denselben
als trausscendentales Object oder Ding an Bich zum Grunde liegt, erklären, so ist
eine solche auf dem kritischen Stundpunkt unmöglich, der uns auf die Erkenutuiss
von Erscheinungen beschränkt, welche unsere Vorstellungen sind. Die .metaphysi-
schen Anfangsgründe der Naturwissenschaft* können nur eine systematische Zu-
sammenstellung der Sätze enthalten, die Kant für naturwissenschaftliche Grundsätze
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§ 25. Kants Kritik d. reinen Vernunft u. metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch. 267
Kant bringt die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft unter
vier Hauptstücke. Das erste derselben betrachtet die Bewegung als ein reines
Quantum und wird von Kant Phoronomie genannt, das zweite zieht sie als zur
Qualität der Materie gehörig unter dem Namen einer ursprünglich bewegenden
Kraft in Erwägung und heisst Dynamik, das dritte, die Mechanik, betrachtet
die Materie mit dieser Qualität durch ihre eigene Bewegung gegeneinander in
Relation, das vierte endlich bestimmt ihre Bewegung oder Buhe bloss in Beziehung
auf die Vorstelluugsart oder Modalität und wird von Kant als Phänomenologie
bezeichnet.
In der Phoronomie definirt Kant die Materie als das Bewegliche im Raum
und leitet insbesondere den Satz ab, jede Bewegung könne nur durch eine andere
Bewegung eben desselben Beweglichen in entgegengesetzter Richtung aufgehoben
werdeu. In der Dynamik definirt er dieselbe als das Bewegliche, insofern es
einen Raum erfüllt, und stellt den Lehrsatz auf: die Materie erfüllt einen Raum
nicht durch ihre blosse Existenz, sondern durch eine besondere bewegende Kraft.
Er schreibt der Materie Anziehungskraft zu als diejenige bewegende Kraft, wodurch
eine Materie die Ursache der Annäherung anderer zu ihr sein kann, und Zurück-
stossungskraft als diejenige Kraft, wodurch eine Materie Ursache sein kann, andere
von sich zu entfernen, und bestimmt die Kraft, durch welche die Muterie den Raum
erfülle, näher als die der Zurückstossung : die Materie erfüllt ihre Bäume durch
repulsive Kräfte aller ihrer Theile, d. i. durch ihre eigene Ausdehnungskraft, die
einen bestimmten Grad hat, über den kleinere oder grossere ins Unendliche können
gedacht werden. Die Elasticität als Expansivkraft ist hiernach aller Materie
ursprünglich eigen. Die Materie ist ins Unendliche theilbar und zwar in Theile,
deren jeder wiederum Muterie ist; dieB folgt aus der unendlichen Theilbarkeit des
a priori hält. Weuu dennoch über die Erscheinung hinausgegangen, insbesondere
die Materie auf Kräfte zurückgeführt wird, so steht diese hinter der Erscheinung
liegende Kraft in einer unhaltbaren Mitte zwischen einem Phänomenon und Noumenon,
Erscheinung und Ding an sich. Nach der Kritik der reinen Vernunft ist es das
unräumliche und zeitlose Ding an sich, was unsere (an sich gleichfalls unräutnlicheu
und zeitlosen) Sinne bo afticirt, dass dadurch in uns Empfindungen entstehen, welche
durch das Ich in die apriorischen Anschauung»- und Denkformen eingefügt werden.
In den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft sagt Kant: .Durch
Bewegung allein können die äusseren Sinne afficirt werden." Nach der Consequenz
der Kritik der reinen Vernunft kann dieser Satz nur bedeuten: wenn die Affection
selbst wieder Erscheinung wird (indem wir nicht bloss eine Affeetion erleiden, son-
dern den Vorgang der Affection bei andern empfindenden Wesen oder auch bei uns
selbst wiederum wahrnehmen, z. B. den Schlag sehen, der unseren Gefühlssiun trifft,
die Schwingung der Saite, die unser Ohr afheirt, durch den Gesichtssinn oder auch
durch den Tastsinn wahrnehmen etc.), dann muss die räum- und zeitlose Beziehung,
die in der That den Vorgang der Empfindungsbildung bedingt, uns als Bewegung
erscheinen. Aber diese Beschränkung, in welcher der Satz von der Affection durch
Bewegung nach den Principieu der Vernunftkritik allein gelten dürfte, tritt in der
darauf gebauten Naturphilosophie mehr und mehr zurück, so dass dieselbe zwischen
einer apriorischen Theorie der (nur in unserem Bewusstsein vorhandenen) Erscheinungen
und einer Theorie der (unabhängig von dem Bewusstsein empfindender Wesen
existirenden, möglicherweise vor der Existenz von Organismen bereits bestehenden
and die Entstehung der Empfindungen bedingenden) Realität, die allen Natur-
erscheinungen zu Grunde liegt, in einer unklaren Mitte schwebt. Man muss bei der
Leetüre der „ metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft" in gewissem
Betracht vergessen und doch in anderem Betracht festhalten, dass wir mich der
Uonsequenz des SjsteflM et nur mit Vorgängen zu thun haben, die bloss Innerhalb
unseres Bewnsstseins stattfinden, also bereits psychisch bedingt sind und nicht
der Existenz empfindender und vorstellender Wesen als Bedingung zum Grunde
liegen können.
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268 § 26. Kants Kritik d. prakt. Vera., Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vern. u. Rechtalehre.
Raumes und der repulsiven Kraft jedes Theiles der Materie. Die Repulsivkraft
nimmt ab im umgekehrten Yerhältniss der Würfel, die Attractionakraft dagegen
im umgekehrten Verhältniss der Quadrate der Entfernungen. In der Mechanik
definirt Kant die Materie als das Bewegliche, sofern es als ein solches bewegende
Kraft hat, und leitet daraus insbesondere die mechanischen Grundgesetze ab: bei
allen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die Quantität der Materie im
Ganzen dieselbe, unvermehrt und unvermindert; alle Veränderung der Materie hat
eine äussere Ursache (Gesetz der Beharrung in Ruhe und Bewegung oder der Träg-
heit); in aller Mittheilung der Bewegung sind Wirkung und Gegenwirkung einander
jederzeit gleich. In der Phänomenologie definirt Kant die Materie als das
Bewegliche, sofern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann, und
leitet die Lehrsätze ab. die gradlinige Bewegung einer Materie in Ansehung eines
empirischen Raumes sei, zum Unterschied von der entgegengesetzten Bewegung des
Raumes, ein bloss mögliches Prädicat (ohne alle Relation auf eine Materie ausser
ihr aber, also als absolute Bewegung gedacht, etwas Unmögliches), die Kreis-
bewegung eiuer Materie sei, zum Unterschied von der entgegengesetzten Bewegung
des Raumes, ein wirkliches Prädicat derselben (die anscheinende entgegengesetzte
Bewegung eines relativen Raumes aber ein blosser Schein), in jeder Bewegung
eines Körpers, wodurch er in Ansehung eines andern bewegend sei, sei eine ent-
gegengesetzte gleiche Bewegung des letzteren nothwendig; das erste dieser phänome-
nologischen Gesetze bestimme die Modalität der Bewegung in Ansehung der
Phoronomie, das zweite bestimme dieselbe in Ansehung der Dynamik, das dritte
in Ansehung der Mechanik.
Den Uebergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissen-
schaft zu der Physik bildet die (der „Metaphysik der Sitten", welche die Rechts-
und Tugendlehre in sich begreift, coordiuirte) Metaphysik der Natur, die
von den bewegenden Kräften der Materie handelt und von Kant in ein „Elementar-
System* und „Weltsystem" eingetheilt wird. Das Manuscript ist unvollendet ge-
blieben. S. darüber ob. S. 227.
§ 26. Wie Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft von dem
Gegensatz ausgeht, den er zwischen der empirischen Erkenutniss und
der Erkenutniss a priori findet, so bildet das Fuudament seiner
Kritik der praktischen Vernunft der analoge Gegensatz zwischen
dem sinnlichen Trieb und dem Vernunftgesetz. Alle Zwecke, auf
welche unser Begehren sich richten kann, gelten Kant als empirische
und demgemäss als sinnliche und egoistische Bestimmungsgründe des
Willens, die auf das Princip der eigenen Glückseligkeit sich zurück-
fuhren lassen; dieses Princip aber sei dem der Sittlichkeit nach dem
unmittelbaren Zeugniss unseres sittlichen Bewusstseins gerade ent-
gegengesetzt. Als Bestimmungsgrund des sittlichen Willens behält
Kant nach Ausscheidung aller materiellen Bestimmuagsgründe nur die
Form der möglichen Allgemeinheit des den Willen bestimmenden
Gesetzes übrig. Das Princip der Sittlichkeit liegt ihm in der Forde-
rung: „IJandle so, dass die Maxime deines Willens zugleich
als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."
Dieses „Grundgesetz der praktischen Vernunft" trägt die Form eines
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§ 26. Kante Kritik d. prakt Vera., Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vera. u. Rechtelehre. 269
Gebotes, weil der Mensch nicht ein reines Vernunftwesen, sondern
zugleich auch ein sinnliches Wesen ist und die Sinnlichkeit stets der
Vernunft widerstrebt; es ist aber nicht ein bedingtes Gebot, wie die
Maximen der Klugheit, die nur hypothetisch, nämlich unter der Vor-
aussetzung, dass gewisse Zwecke erreicht werden sollen, gelten, son-
dern ein unbedingtes und zwar das einzige unbedingte Gebot, der
kategorische Imperativ. Das Bewusstsein dieses Grundgesetzes
ist ein Factum der Vernunft, aber kein empirisches, es ist das ein-
zige Factum der reinen Vernunft, die sich dadurch als ursprünglich
gesetzgebend ankündigt. Dieses Gebot fliesst aus der Autonomie des
Willens, alle materialen, auf Eudämonismus beruhenden Principien
aber aus der Heteronomie der Willkür. Aeussere Gesetzmässigkeit
ist Legalität, Rechthandeln um des sittlichen Gesetzes willen aber
Moralität. An die sittliche Selbstbestimmung knüpft sich unsere sitt-
liche Würde. Der Mensch als Vernunftwesen oder Ding an sich
giebt sich selbst als einem Sinneswesen oder einer Erscheinung das
Gesetz. Hierin liegt, lehrt Kant (indem er den theoretischen Unter-
schied von Ding an sich und Erscheinung praktisch als Werthunter-
schied auffasst), der Ursprung der Pflicht. Diese ist Notwendig-
keit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz. — Der Begriff der
Pflicht tritt bei Kant in den Vordergrund, seine Moral ist haupt-
sächlich Pflichtenlehre.
Auf das moralische Bewusstsein gründen sich drei moralisch
nothwendige Ueberzeugungen , welche Kant „Postulate der reinen
praktischen Vernunft" nennt, nämlich die Ueberzeugung von der
sittlichen Freiheit, indem nach dem Satze: du kannst, denn du
sollst, die Bestimmbarkeit unserer selbst als eines Sinnenwesens
durch uns selbst als ein Vernunftwesen angenommen werden müsse,
von der Unsterblichkeit, da unser Wille dem Sittengesetz sich nur
ins Unendliche annähern könne, und von dem Dasein Gottes als
des Herrschers im Reiche der Vernunft und Natur, der zwischen
sittlicher Würdigkeit und Glückseligkeit die vom moralischen Be-
wusstsein geforderte Harmonie herstelle.
Der Grundgedanke von Kants philosophischer Religionslehre,
den er in der Schrift: „die Religion innerhalb der Grenzen
der blossen Vernunft" entwickelt, liegt in der Reduction der
Religion auf das moralische Bewusstsein. Gunstbuhlerei bei Gott
durch statutarische Religionshandlungen, die von den sittlichen Ge-
boten verschieden sind, ist Afterdienst: die wahrhaft religiöse Ge-
sinnung ist in der Erkenntniss aller unserer Pflichten als göttlicher
Gebote beschlossen. Kant sucht die Grenzen zu bezeichnen zwischen
dem, was von der für Offenbarung gehaltenen Religion durch die
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270 § 26. Kante Kritik d. prakt. Vern., Relig. i. d.Grenzen d. bl. Vern. u. Rechtelehre.
Vernunft erkannt werden kann, und was nicht, und reducirt die kirch-
lichen Dogmen durch allegorisirende Unideutung auf Lehrsätze der
philosophischen Moral.
An-vr der zum vorigen Paragraphen angeführten Littcratur and den Stellen bei
F. H. Jacobi, Schleierraaeher, Schelling, Hegel, Herbart, Beneke, Schopenhauer u. A.,
worin Kants ethische Lehren geprüft werden, sind hierzu erwähnen: Gebh. Ulr. Brast-
berger. Untersuchungen üb. Kants Krit. der prakt. Vern., Jena 1792. Joh. Christ.
Zwanziger, Commentar üb. d. Krit. d. prakt. Vern., Lpz. 1794. La«. Bendavids
Vöries, üb. d. Krit. der prakt. Vern. nebst einer Rede üb. d. Zweck der krit. Philos..
Wien 179G. Wegscheidel Vergleichung stoischer und kantischer Ethik, Hamb. 1797.
Garve, Darstellg. u. Krit. d. k. sehen Sittenlehre in der einleit. Abh. zu seiner Ueberstzg.
der arist. Ethik, Bresl. 1798, S. 183—394 etc. — Weber üb. d. Verh. v. K.s Erkennt-
nissth. z. d. Grundprincipien seiner prakt. Ph., Pr. v. Rossleben 1886.
lieber das Fundament der Ethik bei K. u. Schopenhauer handelt in e. gekrönt.
Preissehr. E. M. Frdr. Zange, Lpz. 1872. A. Dorner, üb. d. Principien der kant. Ethik.
Halle 1875 (a. d. Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr.). F. Frederichs, üb. K.s Princip d. Eth.,
Pr. d. Dorotheenstädt. R. Sch., Brl. 1875. Herrn. Cohen, K.8 Begründ. der Ethik,
Brl. 1877. E. Zeller, üb. d. kantische Moralprincip u. d. Gegen«, formaler u. materialer
Moralprincipiun a. d. Abh. d. Ak. d. W., Brl. 1880. Otto Lehmann, K.s Principien d.
Eth. u. Schopenhauers Beurth. ders., Brl. 1880. J. Gould Schurman, Kantian Ethics
and the Ethics of evolution, Lond. 1881. Alfr. Fouillee, Critique de la morale Kantienne,
in: Rev. phil., 1881, Bd. II, S. 337—369, 598—625. Ad. Bartsch, d. Grundprincipien
d. kantsch. Eth. u. d. Christenth.. Pr. d. Gymn. z. Sorau 1884. Noah Porter, K.s
Ethics, a critic. exposit., Chicago 1886. R. Giessler, Ethica Spinozae doctrina cum
Kantiana comparata, I.-D., Halle 1887. Vgl. .1. Rowland, an essay intended to interpret
and develop unsolved ethieal questions in K.s „Groundwork of the Metaphysics of Ethics",
Lond. 1871. A. Oncken, A. Smith u. I. K.. 1. Abth., Eth. u. Polit.. Lpz. 1877. Ueber
das Verhältniss d. k.schen Ethik z. aristotelisch, vgl. ausser einzelnen der Grdr. I, § 50
citirten Abhdlgn. v. Brückner u. A. insbes. auch Trendelenburg, der Widerstreit zwisch. K.
u. Arist. in d. Ethik, im III. Bde. der hist. Beitr. z. Philos.. Berl. 1867, S. 171—214.
Ueber K.s L. vom Guten n. Bösen handelt A. Mastier, quid de recti pravique
discrimine senserit K., thes. Paris 1882. üb. s. kateg. Iroper. G. Schramm, Bamb. 1873,
Joh. Volkelt. K.s kat. Imp. und Gegenw., Vortr., Wien 1875, üb. s. Pflichtbegr. Alex,
v. Oeningen, Festrede, Dorpat 1864, üb. seine L. vom Gewissen J. Quaatz, de con-
scientiae ap. K. notione, Halle 1867, Joh. Liess, ZüUichau 1876, Wilh. Wohlrabe, Gotha
1880, üb. s. Ans. v. d. Frht. d. menschl. Willens Otto Kohl, I.-D., Lpz. 1868, Wilh.
Bodin (ak. Afli.), Heisingtors 1868, Sam. Brandt, Leipz. I.-D., Bonn 1872, Melzer, d.
L. v. Autonomie d. Vern. in d. Systemen K.s u. Günthers, Neisse 1879, mit etwas
verändert. Titel, 1882, Fritz Max Matthiolius. üb. Gesetz u. Freih., e. Beitr. zur Erläuter.
der kantsch. Freiheitsl., I.-D., Berl. 1880, F. Frederichs, d. Freiheitsbegr. K.s u. Fichtes,
in Festschr. des Lehrercoll. z. 50j. Jubil. d. Dorotheenst. Kealg., Berl. 1886, Karl
Gerhard, K.s L. v. d. Freiheit, in: Philos. Monatsh. 1886, S. 1 — 59, auch besond. (ver-
mehrt) erschienen, G. Knauer, Weiteres zur kant. Lös. des Problems d. Freiheit, in: Ph.
Monatsh. 18K6, S. 482— 500. Jul. Duboc, K. u. d. Kudämonism., in: Ztschr. f. Völker-
psych. u. Sprachwissensch., Bd. 14, S. 261—280, s. auch S. 280—289 u. 473—476.
Wilh. Eismann, üb. d. Begr. des höchst. Gutes b. K. u. Schleiermacher, I.-D., Halle
1887. Ueb. K.s Ideen vom höchst. Gut Em. Amoldt in d. Altpreuss. Monatssehr.,
Bd. XI, 1S74, S. 193—218, auch separ., Kgsbg.
Carl Vict. Fricker, zu K.s Rechtspilos., Univ.-Pr., Lpz. 1885.
lieber K.s K e I i g i o ns p hi I. überhpt. handeln Gl. A.Thilo in: Zeitschr. f. exaete
Phil.. Bd. V. Leipz. 1865, S. 276-312; 353—397. Otto. Verh. d. philos. Religionslehre
K.s z. d. Lehren d. Krit. d. r. Vmft., Progr.. Nordhaus. 1870, Wilh. Bender, üb. K.s
Rcligsbegr. in Fichtes Ztschr. f. Phil. Bd. 61, 1872, S. 39—69, 157—191, Carl Düwell,
K.s Keligionsphil. in ihr. Verhltn. z. christl. Krlösungslehrc. Progr., Fürsten walde 1872,
Jul. Kaftan, d. religionsphilos. Anschauung K.s in ihr. Bedeutg. f. d. Apologetik,
Basel 1874, G. Ch. Hcmh. Pünjer, d. Religionslehre K.s im Zusammenhange seines
Systems, Jena 1S74, J. Hildebrand, d. Grundlinien d. Vernunftrel. K.s, Cleve 1875,
Phil. Bridel, la philosophie de la religion de K., 1876. S. auch D. Nolen, la critique
de K. et la religion. in: Rev. phil. 1880, Bd. 9, S. 648—668. E. W. Mayer, d. Verh.
d. kant. Religionsph. zum Ganzen des kant. Systems. I.-D., Halle 1879. Gotth. Bauern-
feind, wie verhält sich in K.s Religionsl. d. theoret. Element zum prakt.? Rost. 1875.
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§ 26. Kants Kritik d. prakt. Vorn., Relig. i. d.Grenzen d. bl. Vern. u. Rechtalehre. 271
Ernst Katzer, d. moral. Gottesbew. nach K. u. Herbart, I.-D., Lpz. 1877. J. Gottschick,
K.8 Beweis f. d. Dasein Gottes, G.-Pr., Torgau 1878. H. Stchr, üb. Imm. K., e.
Untersuch, des 1. Stücks aus I. K.s Kelig. innerh. d. hl. V., Hann. 1883. Hnr. Ron-
madt, d. Herstell, der L. Jesu durch K.s Reform d. Ph., Bonn 1883. G. v. Fellenberg,
üb. d. Verh. v. Offenbar, u. Vernunftrelig. b. K. u. Lessing, Erlang. 1884. Ueber K.s
Lh vom radicalen Bösen handeln L. Paul, Halle 1865 u. Paul Schultheis, Jen. I.-D.,
Lpz. 1873. Ueb. K.s L. vom Sohne Gottes als vorgestelltes Menschheitsideal handelt
Paul in: Jahrbb. f. deutsche Theol., Bd. 11, 1866, S. 624—639, üb. K.s L. vom ideal.
Christus Paul, Kiel 1869; vgl. Karl Kaiich, Cantii, Schellingii, Fiehtii de filio divino
sententiam expos. nee non dijudicarit, Lips. 1870. Katzer, K.s L. v. d. Kirche, in:
Jahrbb. f. prot. Theol.. 1886, S. 29—85. S. auch die Abschnitte in den ob. S. 2 ge-
nannten Werken von Pünjer u. Pfleiderer.
Ueber K.s Erziehungsl. handeln: Strümpell, d. Pädagogik d. Philosophen Kant,
Fichte. llerbart, Braunschw. 1843, Arth. Richter, K.s Ansichten üb. Erziehung«!., G.-Pr.,
Halberst. 1865, W. Hollenbach, Darstell, u. Beurtheil. d. Pädag. K.s, Jena 1881. S.
auch den Aufs. v. Prosch ob. S. 287.
Kant hat seinem Hauptwerk über die praktische Philosophie nicht den Titel
gegeben: Kritik der reinen praktischen Vernunft, sondern: Kritik der prak-
tischen Vernunft, weil es sich um eine Kritik des ganzen praktischen Ver-
mögens in der Absicht handle, den Nachweis zu führen, dass es reine praktische
Vernnnft gebe. Gebe ea solche, so bedürfe dieselbe nicht gleich der reinen
speculativen Vernunft einer Kritik, die einer Ueberschreitung ihrer Grenzen ent-
gegentrete; denn sie beweise ihre und ihrer Begriffe Realität durch die That.
Die Grundbegriffe der Kritik der praktischen Vernunft hat Kant am ausführ-
lichsten in der (dem Hauptwerk vorausgeschickten) .Grundlegung zur Meta-
physik der Sitten* erörtert.
Kant definirt Maxime als das subjective Princip des Wollens; das objective
Princip dagegen, das in der Vernunft selbst begründet ist, nennt er das prak-
tische Gesetz. Es würde allen vernünftigen Wesen auch subjectiv zum prak-
tischen Princip dieneu, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen
hätte (Gründl, z. M. d. S., 1. Abschnitt, Note; Kr. d. pr. Vern. § 1). Er argu-
mentirt: alle praktischen Principien. die ein Object (Materie) des Begehrungs-
vermögens als Bestimmungsgnind des Willens voraussetzen, sind insgesammt
empirisch und können keine praktischen Gesetze abgeben (Kr. d. pr. Vern. §2).
Alle materialen praktischen Principien sind als solche insgesammt von einer und
derselben Art und gehören unter das allgemeine Princip der Selbstliebe oder
eigenen Glückseligkeit; unter der Glückseligkeit versteht Kant .das Bewußt-
sein eines vernünftigen Wesens von der Annehmlichkeit des Lebens, die ununter-
brochen sein ganzes Dasein begleitet". Das Princip, diese sich zum höchsten
Bestimmuugsgrunde der Willkür zu machen, ist ihm das Princip der Selbstliebe
(ebend. § 3). Da nun Kant allem Empirischen die Notwendigkeit abspricht,
welche zur Gesetzmässigkeit erforderlich ist, alle Materie des Begehrens aber, d. h.
jeder Gegenstund des Willens als Bestimmungsgrund desselben einen empirischen
Charakter trägt, so folgt, dass, wenn ein vernünftiges Wesen sich seine Maximen
als praktische allgemeine Gesetze denken soll, es sich dieselben nur als solche
Principien denken kann, die nicht der Materie, sondern nnr der Form nach,
wodurch sie sich zur allgemeinen Gesetzgebung schicken, den Bestimniungagrund
des Willens enthalten (ebend. § 4). Der Wille, der durch die blosse gesetzgebende
Form bestimmt wird, ist unabhängig von dem Naturgesetz der sinnlichen Er-
scheinungen, also frei lebend. § 5), wie uueh umgekehrt ein freier Wille nur durch
die blosse Form oder die Tauglichkeit einer Maxime zum allgemeinen Gesetz
bestimmt werden kann (ebend. § 6). Nun sind wir uns bewusst, dass unser Wille
einem Gesetze unterliegt, welches schlechthin gilt; derselbe muss also durch die
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272 § 26. Kants Kritik d. prakt. Vera., Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vera. u. Rechtslehre.
blosse Form bestimmbar, folglich frei sein. Reine Vernunft ist für sich allein
praktisch und giebt dem Menschen ein allgemeines Gesetz, welches wir das
Sittengesetz neuneu (ebeud. § 7). Dieses Grundgesetz der reinen praktischen
Vernunft oder den kategorischen Imperativ bringt Kant in der Grundlegung
zur Metaph. der Sitten auf eine dreifache Formel: 1. Handle nach solchen Maximen
von denen du wollen kannst, dass sie zu allgemeinen Gesetzen dienen sollen, oder:
so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen
Naturgesetze werden sollte. 2. Den Grund eines möglichen kategorischen Imperativs,
d. h. eines praktischen Gesetzes, kann nur etwas abgeben, dessen Dasein an sich
selbst einen absoluten Werth hat, Zweck an sich selbst ist, das ist bei dem Menschen
oder überhaupt jedem vernünftigen Wesen der Fall. Hierauch wird eine materiale
Bestimmung aufgenommen, und die Formel lautet dann: Handle so, dass du die
Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden Andern, jeder-
zeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst. Aus der Verbindung
der beiden ersten ergiebt sich weiter als Princip des Handelns: 3. Handle nach
der Idee des Willens eines jeden vernünftigen Wesens als allgemein gesetzgebenden
Willens. In der Kritik der praktischen Vernunft beschränkt er sich auf die eine
Formel (§ 7): Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als
Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. Wenn die Maxime, unter
die eine Handlung fallen würde, zum allgemeinen Gesetze erhoben, sich durch einen
inneren Widerspruch schlechthin aufheben würde, so ist die Unterlassung jener
Handlang eine »vollkommene Pflicht"; wenn wir wenigstens nicht wollen können,
dass sie allgemeines Gesetz sei, weil dann der Vortheil, den wir dadurch für uns
erzielen wollten, in Nachtheil umschlagen würde, so ist die Unterlassung eine , un-
vollkommene Pflicht'. Die Selbstbestimmung nach dem kategorischen Imperativ
nennt Kant „Autonomie des Willens", indem der Wille nicht dem Gesetz nur
unterworfen, sondern selbst gesetzgebend ist; alle Begründung des praktischen Ge-
setzes aber auf irgend welche «Materie des Wollens", d. h. auf irgend welche zu
erstrebende Zwecke, insbesondere auf den Zweck der (eigenen oder auch allge-
meinen) Glückseligkeit gilt ihm als „Heteronomie der Willkür«.*)
*) Es ist leicht ersichtlich, dass Kant bei dieser Bekämpfung des „Eudä-
monismus" den Begriff desselben erst durch Beschränkung auf die Befriedigung
sinnlicher und egoistischer Absichten ins Niedrige herabzieht und ihn dann durch
Messung an dem reineren moralischen Bewusstsein ungenügend und verwerflich
findet. Wenn bereits feststeht, was das Pflichtraässige ist, so soll dasselbe aus
eben den Gründen vollbracht werden, aus welchen es dieses ist, und nicht aus
irgendwelchen „eudämonistischen* Nebenzwecken. Dieser wahre Satz ist sehr
wohl von dem falschen zu unterscheiden, dass das Pflichtmässige selbst nicht auf
Zwecken beruhe; nur jene Nebenzwecke begründen wirkliche Heteronomie. Kant
hat sich um die Reinigung und Schärfung des unmittelbaren moralischen Bewusst-
seins und insbesondere um die Hebung des Strebens nach sittlicher Selbständigkeit
ein sehr wesentliches Verdienst erworben; aber er irrt, indem er die Stufe der
ersten Befreiung von Nebenzwecken durch Achtung vor dem Gesetz mit dem Wesen
der Sittlichkeit gleichsetzt. Er ist mit seiner Erhebung der Achtung vor dem
Rechte der Menschen als einer unbedingten Pflicht über „das süsse Gefühl des
Wohlthuns", mit einer Abweisung gesetzloser Willkür im guten Recht gegenüber
einer Deutung des Begriffs des eigenen Wohls und des Gemeinwohls, die dem
sinnlichen Behagen, der einseitig gedeuteten öffentlichen Wohlfahrt, der Aufrecht-
erhaltung äusserer Ruhe und Ordnung gerade die edelsten und höchsten Interessen
des freien Geistes zum Opfer bringen zu dürfen vermeinte. Aber seine Polemik
trifft nicht die wahrhafte, tiefere Fassung des Eudämonismus , wie namentlich
Aristoteles dieselbe begründet hat, der die wesentliche Beziehung der Lust auf die
Thätigkeit anerkennt und auf die Stufenordnung der Funktionen die Ethik basirt.
Insbesondere übersieht Kant in seiner Polemik, dass auch aus dem eudämonistischen
§ 26. Kants Kritik d. prakt Vera., Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vera. n. Rechtalehre. 273
Eine Handlung aas Pflicht, also eine moralische — nicht eine nur pflicht-
gemässe oder legale — muss den Kinflass der Neignng und mit ihr jeden Gegen-
stand des Willens ganz ausschliesaen, so dass für den Willen nichts Bestimmendes
übrig bleibt als objectiv das Gesetz und subjectiv reine Achtung für dieses
praktische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch
aller Neigungen Folge zu leisten Achtung ist zwar ein Gefühl, aber durch einen
Vernunftbegriff geweckt, und unterscheidet sich daher specifisch von allen Gefühlen
die auf Neigung oder Furcht beruhen. Sie ist das Bewusstsein der Unterordnung
meine- Willens unter ein Gesetz ohne Vermittelung anderer Einflüsse. Wird der
Wille ausser dnreh die Achtung vor dem Gesetz noch anderswoher bestimmt, viel-
Princip für das Zusammenleben der Menschen die Nothwendigkeit allgemeiner
Gesetze und ihrer Heilighaltung folgt. Der Mittelbegriff, durch den Kant die
Herabsetzung auch der edelsten geistigen Zwecke zu Objecten der egoistischen
Begierde und demgemäss ihren Ausschluss aus dem Moralprincip begründet, ist der
wendigkeit entbehren, der Welt der sinnlichen Erscheinungen, der blossen Natur
und nicht der Freiheit angehören, von dem Princip der eigenen sinnlichen Glück-
seligkeit allein abhängen; alles Edlere und Höhere soll jenseits des empirisch
Gegebenen liegen. In der That aber fällt in die (äussere und innere) Erfahrung
das Edle ebensowohl wie das Unedle, Liebe ebensowohl wie Selbstsucht; der
Gegensatz des Werthes ist specifisch verschieden von dem Gegensatz zwischen dem
Kr fahr 1 iure n und Unerfahrbaren. Kants Negation des Ursprungs des moralischen
Gesetzes aus den realen Zweckeu entspricht aufs Genaueste seiner Negation des
Ursprungs der Apodikticität aus den empirischen Erkenntnissen, die sich in der
Kritik der reinen Vernunft an seine Umdeutung des Begriffs der Erkenntniss a priori
knüpft. Es fliesst daraus ein zweifacher Nachtheil: 1. das Höhere tritt hiernach
gegen das Niedere in einen schroffen, vermittlungslosen Gegensatz, und der Ge-
danke der Stufenordnung wird beseitigt; 2. das Höhere wird exclusiv formalistisch
gefasst, nicht aus der dem Inhalt selbst innewohnenden Ordnung verstanden, sondern
als eine auf unbegreifliche Weise von dem Ich zeitlos erzeugte und in den an sich
formlosen Stoff hineingetragene Form gedacht Es wird von Kant in der Sittenlehre
die Werthordnung der Zwecke mit der logischen Form möglicher Allgemeinheit
verwechselt und nur durch die Rücksicht auf die Vernunftweseu als Selbstzwecke
nebenbei eine wirkliche moralische Norm gewonnen. Die sittliche Aufgabe der
Individualisirung des Handelns aber wird verkannt und der leeren Form möglicher
welche die Möglichkeit der juridischen und militärischen Ordnung bedingt, fälschlich
für eine ursprüngliche Form der Moralität angesehen. Es ist wahr, dass kein
einzelner einfacher Zweck, für sich allein betrachtet, etwas Moralisches noch auch
Unmoralisches ist, dass die Moralität nicht ein sporadisches Wohlthun, sondern
die pflichtmässige Treue gegen ein sittliches Gesetz erheischt und auf der Con-
formität des Willens mit einem in der Anerkennung einer allgemeingültigen Ordnung
begründeten Urtheil über den Willen beruht, ebenso, wie es wahr ist, dass keine
einzelne einfache Erfahrung, für sich allein betrachtet, Apodikticität involvirt,
sondern alle Apodikticität auf der Einordnung in einen durch Principien bedingten
Zusammenhang der Erkenntniss beruht. Aber es ist nicht wahr, dass die Ordnung
im Erkennen und Handeln zu einer an sich ordnungsloseu , Materie* durch die
Vernunft des Subjectes allein hinzugetban werden müsste; sie beruht auf der Auf-
nahme der objectiv vorhandenen Ordnung in unser Erkennen und Handeln. Die
logischen Normen fliessen her aus der Beziehung unseres Wahrnehmens und Denkens
auf die räumlich -zeitliche und causale Ordnung der natürlichen und geistigen Er-
kenntnissobjecte, und die moralischen Normen aus der Beziehung unseres Wollens
und Handelns auf die in den natürlichen und geistigen Zwecken liegende Werth-
ordnung; wie sich die Apodikticität im Erkennen zu der realen Notwendigkeit in
den zu erkennenden natürlichen und geistigen Vorgängen verhält, so verhält sich
die sittliche Ordnung zu der realen Werthordnung der natürlichen und geistigen
Functionen. Vgl. Ueberwegs Abhandlung über das aristotelische, kantische und
herbartsche Moralprincip in Fichtes Zeitschrift für PhiloB. und philos. Kritik, Bd. 24 .
1864, S. 71 ff., und desselb. System der Logik § 57 und § 137.
Ueberweg-Heinze. GrnndriM III. 7. Aufl. jg
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274 § 26. Kante Kritik d. prakt Vera., Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vera. u. Rechtalehre.
leicht durch Wohlgefallen an der Handlung, durch die süsse Freude des Wohl-
thuns, so kann die Handlung zwar pflichtmäsaig ausfallen, aber sie geschieht nicht
auB Pflicht. Es ist sehr schön, aus Liebe zu Menschen und theilnehmendem Wohl-
wollen ihnen Gutes zu thun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu sein, aber
das ist nicht Erfüllung der Pflicht. Die Neigungen des Wirkenden sind dann sogar
lästig, wenn sie der Ueberlegnng, was Pflicht sei, vorhergehen, und müssen deshalb
überwunden werden. Hier zeigt sich der Rigorismus der kantischen Ethik, den
Schiller bekämpfte. Das Höchste, was nach Kant erreicht werden kann, ist, dass
sich die Achtung vor dem allgemeinen Gesetz allmählich verwandelt in Freude
an der Unterwerfung. Allgemein durchgeführt, würde dies Heiligkeit sein, die
aber ein sterbliches Geschöpf niemals erreicht.
Der kategorische Imperativ dient Kant in der Kritik der praktischen Vernunft
als Princip der Deduction des Vermögens der Freiheit, indem er in dem
moralischen Gesetz ein Gesetz der Causalität durch Freiheit und demgemäss der
Möglichkeit einer „übersinnlichen Natur" erkennt. Hierdurch soll der speculativeu
Vernunft in Ansehung ihrer Einsicht nichts zuwachsen, aber doch in Ansehung
der Sicherung ihres (in den kosmologischen Antinomien) als möglich angenommenen
Begriffs der Freiheit, welchem hier objective, obgleich nur praktische, Realität
verschafft wird. Der Begriff der Ursache wird hier nur in praktischer Absicht
gebraucht, indem der Bestimmungsgrund des Willens in die intelligible Ordnung
der Dinge verlegt wird, aber ohne dass der Begriff, den sich die Vernunft von
ihrer eigenen Causalität als Noumenon macht, theoretisch zum Behuf der Erkennt-
nis ihrer übersinnlichen Existenz bestimmt werden könnte. Die Causalität als
Freiheit kommt dem Menschen zu, sofern er ein Wesen an sich (ein Noumenon)
ist, die Causalität als Naturmechanismus kommt ihm zu, sofern er dem Reiche
der Erscheinungen (Phänomena) angehört. Die objective Realität, welche dem
Begriff der Causalität im Felde des Uebersinnlicheu in praktischer Absicht zu-
kommt, giebt auch allen übrigen Kategorien die gleiche praktisch anwendbare
Realität, sofern sie mit dem Bestimmungsgrunde des reinen Willens, dem moralischen
Gesetz, in notwendiger Verbindung stehen, so dass Kaut in der Kritik der prak-
tischen Vernunft in praktischer Absicht wiedergewinnt, was er in der Kritik der
reinen speculativen Vernunft in theoretischem Betracht aufgegeben hatte. Der
reinen praktischen Vernunft wird von Kant das Primat vor der speculativen,
d. h. eine Ueberordnung ihres Interesses über das der speculativen, in dem Sinne
zugeschrieben, dass die speculative Vernunft nicht berechtigt sei, ihrem eigenen
abgesonderten Interesse hartnäckig zu folgen, sondern Sätze der praktischen Ver-
nunft, die für sie überschwenglich seien (obschon sie ihr nicht widersprechen), mit
ihren Begriffen als einen fremden, auf sie übertragenen Besitz zu vereinigen suchen
müsse (Kr. der pr. Vern. bei Ros. u. Sch. Vni, S. 258 ff.).*)
Als unabhängig und frei von dem Mechanismus der ganzen Natur hat der
Mensch Persönlichkeit und gehört dem Reiche der Selbstzwecke oder der
Noumena an. Indem aber diese Freiheit das Vermögen eines Wesens ist, welches
eigenthümlichen, von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen praktischen Gesetzen
unterworfen ist, mit anderen Worten, indem die Person als zur Sinnenwelt gehörig
ihrer eigenen Persönlichkeit, sofern sie zugleich zur intelligibeln Welt gehört, unter-
worfen ist, so liegt hierin der Ursprung der moralischen Pflicht. Kant preist die
Pflicht als erhabenen, grossen Namen, der nichts Beliebtes, was Einschmeichelung
bei sich führe, in sich fasse, sondern Unterwerfung verlange, doch auch nichts
*) Ueber ein schwankendes Mithineinspielen der theoretischen Gültigkeit in
die praktische kommt Kant hierbei nicht hinaus.
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§ 27. Kants Kritik d. prakt.Vern., Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vera. o. Rechtelehre. 275
drohe, was natürliche Abneigung im Gemüthe errege und schrecke, um den Willen
zu bewegen, sondern bloss ein Gesetz aufstelle, welches von selbst im Gemüthe
Eingang finde und sich selbst wider Willen Verehrung, wenngleich nicht immer
Befolgung, erwerbe, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich im Ge-
heimen ihm entgegenwirken (Kr. d. pr. V., bei Ros. u. Sch. VIII, S. 214). In
gleichem Sinne sagt er; „Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und
zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nach-
denken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz
in mir" (ebd., Beschluse, VIII, S. 312). Das moralische Gesetz ist heilig (anver-
letzlich). Der Mensch ist zwar uuheilig genug, aber die Menschheit in seiner
Person muss ihm heilig sein.
Der moralische Grundsatz ist ein Gesetz, die Freiheit aber ist ein Postulat der
reinen praktischen Vernunft. Postulate sind nicht theoretische Dogmen, sondern
Voraussetzungen in nothwendig praktischer Rücksicht, welche die speculative Er-
kenntniss nicht erweitern, aber den Ideen der spekulativen Vernunft im Allgemeinen
vermittelst ihrer Beziehung aufs Praktische objective Realität geben und sie zu
Begriffen berechtigen, deren Möglichkeit auch nur zu behaupten sie sich sonst nicht
anmaassen könnte; mit anderen Worten: theoretische, aber als solche nicht erweis-
liche Sätze, sofern dieselben einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze
unzertrennlich anhängen. Ausser der Freiheit giebt es noch zwei andere Postulate
der reinen praktischen Vernunft, nämlich die Unsterblichkeit der menschlichen
Seele und das Dasein Gottes.
Das Postulat der Unsterblichkeit fliesst aus der praktisch tu >th wendigen
Bedingung der Angemessenheit der Dauer zur Vollständigkeit der Erfüllung des
moralischen Gesetzes. Das moralische Gesetz fordert Heiligkeit, d. h. völlige
Angemessenheit des Willens zum moralischen Gesetz. Alle moralische Vollkommen-
heit aber, zu welcher der Mensch als ein vernünftiges Wesen, das auch der Sinnen-
welt angehört, gelangen kann, ist immer nur Tugend, d. h. gesetzmässige Gesinnung
aus Achtung vor dem Gesetz, ohne dass jemals das Bewusstsein eines continuir-
lichen Hanges zur Uebertretung oder wenigstens Unlauterkeit, d. h. Beimischung
unechter, nicht moralischer Beweggründe zur Befolgung des Gesetzes völlig fehlen
könnte. Aus diesem Widerstreit zwischen der moralischen Anforderung an den
Menschen und dem moralischen Vermögen des Menschen folgt das Postulat der
Unsterblichkeit der Seele; denn der Widerstreit kann nur durch einen ins Unendliche
gehenden Progressus der Annäherung an jene völlige Angemessenheit der Gesinnung
aufgehoben werden. — In der Methodenlehre der Krit. d. rein. Vera, wird das
Postulat der Unsterblichkeit in Verbindung mit der Glückseligkeit gebracht. Die
Sinnenwelt bietet uns die nothwendige Verknüpfung von Tugend und Glückseligkeit
nicht, demnach müssen wir sie in einer zukünftigen Welt erwarten. S. oben S. 266.
Das Postulat des Daseins Gottes folgt aus dem Verhältniss der Sittlichkeit
zur Glückseligkeit. Zu der ersteren gehört die letztere. Denn der Glückseligkeit
bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht theilhaftig zu sein, kann
mit dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle
Gewalt hätte, gar nicht zusammen bestehen. Das moralische Gesetz gebietet, als
ein Gesetz der Freiheit, durch Bestimmungsgründe, die von der Natur und der
Uebereinstimmung derselben zu unserm Begehrungsvermögen als Triebfedern ganz
unabhängig sein sollen; also ist in ihm nicht der mindeste Grund zu einem not-
wendigen Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und einer ihr proportiouirten Glück-
seligkeit. Zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit besteht nicht eine analytische,
sondern nur eine synthetische Verknüpfung. Die Ergreifung der richtigen Mittel
zur Sicherung der möglichst grossen Annehmlichkeit des Daseins ist Klugheit, aber
18*
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276 § 26. Kante Kritik d. prakt Vera., Relig. i. d. Grenzeu d. bl. Vera. n. Rechtelehre.
nicht (wie die Epikureer meinen) Sittlichkeit. Andererseite ist das Bewussteein der
Sittlichkeit nicht (wie die Stoiker wollen) zur Glückseligkeit zureichend; denn die
Glückseligkeit als der Zustand eines vernünftigen Wesens in der Welt, dem es in
dem Ganzen seiner Existenz nach Wunsch und Willen geht, beruht auf der Ueber-
einstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke und zu dem wesentlichen Be-
stimmungsgrunde seines Willens, das handelnde vernünftige Wesen in der Welt ist
aber als ein abhängiges Wesen nicht durch seinen Willen Ursache dieser Natur und
kann sie nicht aus eigenen Kräften zu jener Uebereinstimraung führen. Gleichwohl
wird in der praktischen Aufgabe der Vernunft ein solcher Zusammenhang als not-
wendig postulirt: wir sollen jene üebereinstimmung zwischen der Tugend, die das
oberste Gut (supremum bonum) ist, und der Glückseligkeit, in welcher Üeberein-
stimmung erst das vollendete Gut (das summ um bonum als bonum consummatum
oder das bonum perfectissimum) liegt, zu befördern suchen. Also wird auch da«
Dasein einer von der Natur unterschiedenen Ursache der gesammten Natur, welche
vermöge einer der moralischen Gesinnung gemässen Causalität, demnach durch
Verstand und Willen, den Grund dieses Zusammenhangs, nämlich der genauen
Üebereinstimmung der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit, enthalte, d. h. das Dasein
i Gottis postulirt. Die Annahme des Daseins Gottes als einer obersten Intelligenz
ist in Ansehung der theoretischen Vernunft allein eine blosse Hypothese, in Be-
ziehung auf die reine praktische Vernunft aber Glaube und zwar, weil bloss reine
Vernunft ihre Quelle ist, reiner Vernunftglaube.*) Wäre ein Beweis dafür
geliefert, so würden Gott und Ewigkeit mit ihrer furchtbaren Majestät uns unab-
lässig vor Augen liegen, wir würden dann das Gesetz erfüllen aus Furcht oder
Hoffnung, aber nicht aus Pflicht und so nicht sittlich handeln. So ist »die unerforsch-
liche Weisheit, durch die wir existiren, nicht minder verehrungswürdig in dem,
was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zu Theil werden Hess". Erst nach-
dem die Theologie da ist, kann Religion entstehen, in welcher der Vernunftglaube
das innere Leben des Menschen beeinflusst. Giebt es keine Physikotheologie, sondern
nur Moraltheologie, so muss auch die Religion in engster Verbindung mit der
Moral stehen, fällt aber nicht mit ihr zusammen. Sie lehrt uns das Sittengesetz
auch als Gebot Gottes auffassen. In der Tugendlehre gründet Kant den Gottes-
glauben auf das Gewissen als das Bewussteein eines inneren Gerichtehofes im
Menschen; der Mensch muss sich in zweifacher Persönlichkeit denken, als An-
*) Das Postulat der Freiheit vindicirt dem Ich als Ding an sich einen Ein-
fluss auf die Erscheinungswelt, der nur ein causaler sein kann. Kann aber das Ich
als Noumenon Wirkungen üben, so ist nicht abzusehen, warum es nicht auch
Wirkungen erfahren könne und zwar sowohl von anderen Noumenis, als auch von
Erscheinungen aus. Das Bewussteein sittlicher Verantwortlichkeit setzt zwar Freiheit
im Sinne der Herrschaft des Innern über das Aeussere, insbesondere der Bestimm-
barkeit durch das Bewussteein um Werthverhältnisse, aber nicht im Sinne der
Causalitätelosigkeit voraus. Das Postulat der Unsterblichkeit setzt voraus, dass
auch auf die Noumeno, die doch räum-, zeit-, causalitäte- und substanzlos existiren
sollen, der Begriff der individuellen Einheit anwendbar sei, und doch sind nach der
Kritik der r. Vern. die Kategorien der Einheit, Vielheit und Allheit ebensowohl,
wie die übrigen Denkformen und wie die Anschauungsformen nur Formen der
Phänomens. Dass der Glaube nur in praktischer Absicht gelten soll, würde den
Widerspruch erst dann beseitigen, wenn damit Ernst gemacht und nur das moralische
Verhalten selbst, nicht eine darüber hinausgehende Ueberzeugung gefordert würde.
In praktischem Betracht lässt sich der Argumentation Kante der Grundsatz ent-
gegenhalten: ultra posse nemo obligatur. Das dem betreffenden Wesen schlechthin
Unmögliche kann nicht mit Recht von demselben gefordert werden. Die Argumen-
tation für das Postulat des Daseins Gottes ist durch den Rigorismus in Kante
Fassung des Moralgesetzes bedingt.
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§ 26. Kante Kritik d. prakt. Vera , Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vera. u. Rechtelehre. 277
geklagten und als Richter. Der Ankläger muss einen Andern, als sich selbst, ein
über alles Macht habendes moralisches Wesen, d. h. Gott, als Richter denken,
„dieser Andere mag nun eine wirkliche oder eine bloss idealische Person sein,
welche die Vernunft sich selbst schallt".
Die .Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft" enthält
die Exposition des Vernunftglaubens in seinem Verhältniss zum Kirchenglauben,
wobei Kant zu ausschliesslich die moralische Seite mit Hintansetzung des ästhetischen
und des intellectuellen Bedürfnisses anerkennt, die moralischen Beziehungen aber
kräftig und rein hervorhebt, obschon nicht ohne Ueberspauuung des Gegensatzes
zwischen Natur und Freiheit, Neigung und Pflicht. Diese Schrift hat vier Ab-
schnitte: 1. von der Eiuwohnung des bösen Princips neben dem guten oder über
das radicale Böse in der menschlichen Natur, 2. von dem Kampf des guten Princips
mit dem bösen um die Herrschaft über den Menschen, 3. der Sieg des guten Prin-
cips über das böse und die Gründung eines Reichs Gottes auf Erden, 4. vom Dienst
und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Princips oder von Religion und
Pfaffenthum. 1. In der menschlichen Natur findet Kant einen Hang zur Umkehrung
der sittlichen Ordnung der Triebfedern des Handelns, indem der Mensch das
moralische Gesetz zwar neben dem der Selbstliebe in seine Maximen aufnehme,
aber geneigt sei, die Triebfeder der Selbstliebe und ihre Neigungen zur Bedingung
der Befolgung des moralischen Gesetzes zu machen. Dieser Hang sei, weil er am
Ende doch in einer freien Willkür gesucht werden müsse, moralisch böse, und
dieses Böse sei radical, weil es den Grund aller Maximen verderbe. Mit dieser
Auffassung des Grundes der Immoralität im Individuum mag Kante geschichte-
philosophische Erklärung derselben aus dem Widerstreit zwischen Natur und
Cultur verglichen werden, die er 1786 in der Abhandlung über den muthmaass-
lichen Anfang der Menschengeschichte aufstellt, in den Werken hrsg. von Rosen-
kranz und Schubert VII, 1, S. 363—383, wo er S. 374 f. für den Widerstreit
zwischen der Bestrebung der Menschheit zu ihrer sittlichen Bestimmung und der
unveränderten Befolgung der für den rohen und thierischen Zustand in ihre Natur
gelegten Gesetze insbesondere auch die Discrepanz zwischen dem Zeitpunkt der
physischen Reife und der im bürgerlichen Zustand möglichen Selbständigkeit als
Beispiel anführt, welcher Zwischenraum im rohen Naturzustande nicht bestehe, jetzt
aber gewöhnlich mit Lastern und ihrer Folge, dem mannigfachen menschlichen
Elend, besetzt werde. An sich seien die natürlichen Anlagen und Triebe gut, aber
da sie auf den blossen Naturzustand gestellt waren, leiden sie durch die fortgehende
Cultur Abbruch und thun dieser Abbruch, bis vollkommene Kunst wieder Natur
wird, worin das Ideal der Cultur liegt 2. Das gute Princip ist die Menschheit (das
vernünftige Weltwesen überhaupt) in ihrer moralischeu ganzen Vollkommenheit,
die allein eine Welt zum Gegenstande des göttlichen RathschluBses und zum Zwecke
der menschlichen Schöpfung machen kann, und vou der, als oberster Bedingung,
die Glückseligkeit die unmittelbare Folge in dem Willen des höchsten Wesens ist.
Dieser allein Gott wohlgefällige Mensch ist bildlich als Gottes Sohn vorzustellen;
auf ihn deutet Kant die Prädicate, welche in biblischen Schriften und in der kirch-
lichen Lehre Christo gegeben werden. An diesen glauben heisst, den Gott wohl-
gefälligen Menschen in sich verwirklichen wollen. Im praktischen Glauben an
diesen Sohn Gottes kann nun der Mensch hoffen, Gott wohlgefällig und dadurch
auch selig zu werden, d h. des göttlichen Wohlgefallens ist derjenige nicht un-
würdig, welcher sich einer solchen moralischen Gesinnung bewusst ist, dass er
glauben und auf sich gegründetes Vertrauen setzen kann, er würde unter ähnlichen
Versuchungen und Leiden, wie sie (in dem Evangelium von Christo) zum Probir-
stein jener Idee gemacht werden, dem Urbilde der Menschheit unwandelbar an-
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278 § 26. Kante Kritik d. prakt. Vera., Relig. i. d. Grenzen d bl. Vera. u. Rechtelehre.
hängig und seinem Beispiele in treuer Nachfolge ähnlich bleiben. Das Urbild iat
immer nur in der Vernunft zu suchen; kein Beispiel in der äusseren Erfahrung ist
ihm adäquat, da diese das Innere der Gesinnung nicht aufdeckt, indem sogar die
innere Erfahrung uns die Tiefen des eigenen Herzens nicht vollständig durchschauen
lässt; doch kann das Beispiel eines Gott wohlgefälligen Menschen, wenn äussere
Erfahrung, soweit man es von ihr verlangen kann, dasselbe liefert, uns zur Nach-
ahmung vorgestellt werden. 3. Ein ethisches Gemeinwesen unter der göttlichen
moralischen Gesetzgebung ist eine Kirche. Die unsichtbare Kirche ist die blosse
Idee von der Vereinigung aller Rechtschaffenen unter der göttlichen moralischen
Weltregierung, wie sie jeder von Menschen zu stiftenden zum Urbilde dient. Die
sichtbare Kirche ist die wirkliche Vereinigung der Menschen zu einem Ganzen,
das mit jenem Ideal zusammenstimmt. Die Constitution einer jeden Kirche geht
allemal von irgend einem historischen (Offenbarungs-) oder statutarischen (Ge-
schichte-) Glauben aus, der göttlichen Ursprung beansprucht. Die Schwäche der
menschlichen Natur ist schuld, dass auf den reinen Religionsglauben allein keine
Gemeinschaft gegründet werden kann. Daraus sind die vielen sichtbaren Kirchen
und der Unterschied zwischen Orthodoxen und Ketzern zu erklären, und die Kirchen-
geschichte weist den Kampf auf zwischen historischem und Vernunftglauben. Der
allmähliche Uebergang des Kirchenglaubens zur Alleinherrschaft des reinen Reli-
gions- oder Vernunftglanbens ist die Annäherung des Reiches Gottes. 4. In dem
Prävaliren des statutarischen Elemente liegt der Afterdienst und das Pfaffenthum.
Durch den Afterdienst wird die moralische Ordnung ganz umgekehrt, und das.
was nur Mittel ist, als wenn es Zweck wäre, geboten. Ist man einmal zu einem
vermeintlich Gott wohlgefälligen, ihn auch nötigenfalls versöhnenden, aber nicht
rein moralischen Dienst gekommen, so ist in der Art dieses gleichsam mechanischen
Dienens kein wesentlicher Unterschied. .Ob der Andächtler seinen statutenmäßigen
Gang zur Kirche, oder ob er eine Wallfahrt nach den Heiligthümern in Loretto
oder Palästina anstellt, ob er seine Gebeteformeln mit den Lippen — oder durch
ein Gebetrad an die himmlische Behörde bringt, es ist von gleichem Werth",
da es nur auf Annehmen oder Verlassen des moralischen Princips ankommt. Wo
Pfaffenthum herrscht, da ist Fetischdienst; ein Fetisch wesen ist auch das Beten
als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnndenmittel gedacht. Da-
gegen ist die alle unsere Handlungen bogleitende Gesinnung, als ob sie im Dienste
Gottes geschehen, der Geist des Gebete, der „ohne Unterlass« in uns stattfinden
kann und soll. Wunder widersprechen den Erfahrungsgesetzen und helfen nichts
zur Erfüllung unserer Pflichten.
Die Rechts- und Tugendpflichten entwickelt Kant in den metaphysischen
Anfangsgründen der Rechte- und der Tugendlehre, welche er unter dem Titel Meta-
physik der Sitten zusammenfasse Die Metaphysik der Sitten ist das SyBtem der
reinen (von aller Anschauungsbedingung unabhängigen) Begriffe der praktischen
Vernunft. Das Princip des Rechts ist, die Freiheit eines Jeden auf die Be-
dingungen einzuschränken, unter denen sie mit der Freiheit eine» jeden Andern
nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. Der Staat (civitas) ist
die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtegesetzen. Der Staat In
der Idee, wie er nach reinen (aus dem Rechtsbegriff selbst folgenden) Rechte-
prineipien sein soll, dient jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen
als Norm. Das Rechteverhältniss der Staaten unter einander ißt das Ziel der ge-
schichtlichen Entwicklung. Die moralisch-praktische Vernunft spricht ihr unwider-
stehliches Veto aus: Es soll kein Krieg sein, weder der, welcher zwischen mir und
dir im Naturzustande, noch zwischen uns als Staaten ist, die, obzwar innerlich im
gesetzlichen, doch äusserlich, im Verhältniss gegeneinander, im gesetzlosen Zustande
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§ 26. Kante Kritik d. prakt. Vera., Relig. i. d. Grenzen d. bl. Vera. u. Rechtelehre. 279
.sind; denn das ist nicht die Art, wie Jedermann sein Recht sachen soll. Mögen
wir uns aach in unserem theoretischen Urtheil über den ewigen Frieden betrügen,
so müssen wir doch so handeln, als ob das Ding sei, was vielleicht nicht ist; bleibt
die Vollendung der Absicht ein frommer Wunsch, so betrügen wir uns doch gewiss
nicht mit der Annahme der Maxime, dahin unablässig zu wirken; denn dieBe ist
Pflicht. — Tagend ist die Stärke der Maxime des Menschen in Befolgung seiner
Pflicht, die in der festen Gesinnung gegründete Uebereinstimranng des Willens mit
jeder Pflicht, ein Selbstzwang nach einem Princip der inneren Freiheit, mithin
durch die blosse Vorstellung seiner Pflicht, nach dem formalen Gesetz derselben.
Sie wird durch Betrachtang der Würde des Vernunftgesetzes und durch Uebung
erworben. Die Tugendpflichten gehen auf Zwecke, die zu haben für Jedermann
ein allgemeines Gesetz sein kann. Solche Zwecke sind: die eigene Vollkommenheit
nnd die fremde Glückseligkeit: auf jene gehen die Pflichten gegen uns selbst, auf
diese die Pflichten gegen Andere. Zu den Pflichten gegen uns selbst gehört als
eine .vollkommene Pflicht" die Befolgung des Verbots des Selbstmordes, als eine
„unvollkommene Pflicht" die des Verbots der Trägheit in der Anwendung des
Talents. Zu den Pflichten gegen Andere als .vollkommene Pflicht" die Enthaltung
von Lüge und Betrug, als «unvollkommene Pflicht" die positive Sorge für Andere.
Die Beförderung unserer eigenen Glückseligkeit ist Sache der Neigung, also nicht
der Pflicht, da die Pflicht die Nöthigung zu einem ungern genommenen Zweck
ist; die Beförderung der Vollkommenheit des Andern aber ist nur dessen eigene
Pflicht, da nur er selbst sie bewirken kann, indem seine Vollkommenheit eben
darin besteht, dass er selbst vermögend sei, sich Beinen Zweck nach seinen eigenen
Begriffen von Pflicht zu setzen. Meine Pflicht in Betreff des moralischen Wohl-
seins des Andern ist nur, nichts zu thun, was ihm Verleitung sein könnte zu
dem, worüber ihn sein Gewissen nachher peinigen kann. d. h. ihm kein Skandal
zu geben.*)
Charakteristisch für den Typus der kantischen Moral im Gegensatz zu dem,
was der mittelalterlichen Moral als das Höchste galt, sind Vorschriften, wie folgende,
die er auf die Pflicht der Selbstschätzung des Menschen als eines Vernunft-
wesens im Bcwusstscin der Erhabenheit seiner moralischen Anlage bei allem Be-
wusstseiu und Gefühl der Geringfügigkeit seines moralischen Werths in Vergleichnng
mit dem Gesetz gründet: Lasset eaer Recht nicht ungeahndet von Anderen mit
Füssen treten. Macht keine Schulden, für die ihr nicht volle Sicherheit leistet.
Nehmt nicht Wohlthaten un, die ihr entbehren könnt, und seid nicht Schmarotzer
*) Positives Hinwirken auf sittliche Vervollkommnung Anderer gehört ohne
Zweifel zu den sittlichen Pflichten des Erziehers. Kants Negation dieses Zwecks
involvirt nnverkennbar eine Ueberspannung des Begriffs der sittlichen Selbständig-
keit des Individuums und enthält nur die Wahrheit, dass nicht ohne die eigene
Mitarbeit ein Fortschritt zur sittlichen Tüchtigkeit möglich ist. Andererseits wird
die eigene Glückseligkeit aus dem sittlichen Gesammtzwecke nicht auszuschliessen
sein, wenn der Begriff der Glückseligkeit in dem tieferen (aristotelischen) Sinne
gefasst und kein notwendiger Widerstreit zwischen der Pflicht (als dem durch
das Sittengesetz Gebotenen) uud der Neigung gefunden wird. An Kants Begrün-
dung des Rechts ist nicht ohne Grund eine zu exclusive Hervorhebung des Frei-
heitsbegriffs getadelt worden, da doch die Freiheit nur ein Moment der gesammteu
Rechtsordnung bilde. Aus der Beziehung auf die sittliche Gesammtaufgabe der
Menschheit ist auch die Rechtsordnung zu begreifen (nämlich als die Abgrenzung
der Sphären der freien Selbstbestimmung der einzelnen Personen zum Behuf der
Realisirung der sittlichen Zwecke). Kants Abtrennung der Rechtsform von dem
sittlichen Zweck ist (ebenso, wie auf anderen Gebieten seine Trennung von Inhalt
und Form) relativ berechtigt gegen eine naive Vermischung, erschliesst aber nicht
das wahrhaft befriedigende Verständniss.
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§ 27. Kants Kritik der Urteilskraft.
oder Schmeichler oder gar, was freilich nur im Grad von dem Vorigen unter-
schieden ist, Bettler. Daher seid wirtschaftlich, damit ihr nicht bettelarm werdet.
Die Kriecherei ist des Menschen unwürdig; wer sich zum Wurm macht, kenn
nachher nicht klagen, daas er mit Füssen getreten wird. Die Pflicht der Achtung
meines Nächsten ist in der Maxime enthalten, keinen andern Menschen als blosses
Mittel zu meinen Zwecken herabzuwürdigen, nicht zu verlangen, der Andere solle
sich selbst wegwerfen, um meinem Zwecke zu fröhnen. Die Pflicht der Nächsten-
liebe ist die Pflicht, die Zwecke Anderer, sofern diese Zwecke nur nicht unsittlich
sind, zu den meinen zu machen; sie muss als Maxime des Wohlwollens gedacht
werden, welches das Wohlthun zur Folge hat. Als Gefühle können Liebe und
Achtung nicht moralisch geboten sein; denn Gefühle zu haben, dazu kann es keine
Verpflichtung durch Andere geben. Die Unterlassung der blossen Liebespflichten
ist Untugend (peccatum), aber die Unterlassung der Pflicht, die aus der schuldigen
Achtung für jeden Meuscheu überhaupt hervorgeht, ist Laster \ Vitium) ; denn durch
die Verabsäumung der erstereu wird kein Mensch beleidigt, durch die Unter-
lassung aber der zweiten geschieht dem Menschen Abbruch in Ansehung seines
gesetzmässigen Anspruchs. Die ethische Gymnastik ist nicht Mönchsasketik, son-
dern besteht nur in der Bekämpfung der Naturtriebe, die es dahin bringt, über
sie bei vorkommenden der Moralität Gefahr drohenden Fällen Meister werden zu
können, mithin wacker und im Bewusstsein seiner wiedererworbenen Freiheit
fröhlich macht.
§ 27. An die Kritik der reinen speculativen und der praktischen
Vernunft schliesst sich bei Kant als ein Verbindungsmittel des theo-
retischen und des praktischen Theiles der Philosophie zu einem
Ganzen die Kritik der ürtheilskraft an. Kant definirt die
Ürtheilskraft überhaupt als das Vermögen, das Besondere als ent-
halten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die
Regel, das Princip, das Gesetz) gegeben, so ist die Ürtheilskraft,
welche das Besondere dadurch subsumirt, bestimmend; ist aber
das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist
sie reflectirend. Die reflectirende Ürtheilskraft bedarf eines Prin-
cips, um von dem Besondern in der Natur zum Allgemeinen aufzu-
steigen. Die allgemeinen Naturgesetze haben nach der Kritik der
reinen Vernunft ihren Grund in unserm Verstände, der sie der Natur
vorschreibt; die besonderen Naturgesetze aber sind empirisch, also
nach unserer Verstandeseinsicht zufällig, müssen aber doch, um Ge-
setze zu sein, aus einem wenngleich uns unbekannten Princip der Ein-
heit des Mannigfaltigen als nothwendig angesehen werden. Nun ist
das Princip der reflectirenden Ürtheilskraft eben dieses, dass die be-
sonderen empirischen Gesetze in Ansehung dessen, was in ihnen durch
die allgemeinen Gesetze unbestimmt bleibt, nach einer solchen Einheit
betrachtet werden müssen, als ob gleichfalls ein Verstand, wenngleich
nicht der unsrige, sie zum Behuf unserer Erkenntnissvermögen, um
ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich
zu machen, gegeben hätte. In der Einheit des Mannigfaltigen der
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§ 27. Kante Kritik der Urtheilakraft. 281
empirischen Gesetze liegt die Zweckmässigkeit der Natur, welche
jedoch nicht den Naturproducten selbst beigelegt werden darf, son-
dern ein Begriff a priori ist, der lediglich in der reflectirenden Urtheils-
kraft seinen Ursprung hat. Vermöge der Zweckmässigkeit der Natur
stimmt die Gesetzmässigkeit ihrer Form auch zur Möglichkeit der in
ihr nach Freiheitsgesetzen zu bewirkenden Zwecke. Der Begriff der
Einheit des Uebersinnlichen, das der Natur zum Grunde liegt, mit
dem, was der Freiheitsbegriff praktisch enthält, macht den Uebergang
von der reinen theoretischen zur reinen praktischen Philosophie
möglich.
Die reflectirende Urtheilskraft ist theils ästhetische, theils
teleologische Urtheilskraft; jene geht auf die subjective oder
formale, diese auf die objective oder materiale Zweckmässigkeit. In
beiderlei Beziehung ist der Zweckbegriff nur ein regulatives, nicht
ein constitutives Princip.
Das Schöne ist das, was durch seine mit dem menschlichen
Erkenntuissvermögen harmonirende Form ein uninteressirtes, allge-
meines und nothwendiges Wohlgefallen erweckt. Das Erhabene
ist das schlechthin Grosse, welches die Idee des Unendlichen in uns
hervorruft und durch seinen Widerstreit gegen das Interesse der
Sinne unmittelbar gelallt.
Die teleologische Urtheilskraft betrachtet die organische
Natur nach der ihr innewohnenden Zweckmässigkeit. Was für iutelli-
gible Wesen das Gesetz der Sittlichkeit ist, das ist für blosse Natur-
wesen der organische Zweck. Die mechanische und die teleologische
Naturerklärung beruhen darauf, dass sich die Naturobjecte theils
als Gegenstände der Sinne, theils als Gegenstände der Vernunft
betrachten lassen. Die mechanischen und die Zweckursachen mag
ein intuitiver Verstand, den aber der Mensch nicht besitzt, als identisch
erkennen.
F. W. D. Snell, Darstell, u. Erlauter, der kant. Krit der Urtheilskr., 2 Theile,
Mannh. 1791-1792. Laz. Bendavid, üb. d. Krit. der Urtheilskraft, Wien 1796.
Kants Lehren über das Schöne und Erhabene sind von Schill- r in seinen
ästhetischen Abhandlungen, demnächst von Schilling etc. fortgebildet, von Herder in der
Kalligone bekämpft worden; vgl. insbesondere Vischers Aesthciik, Zimmermanns Gesch.
der Aesthetik, Lotzes Gesch. der neueren deutschen Aesthetik, ferner L. Friedländer,
K. iu s. Verhältn. z. Kunst u. schön. Natur, in: Preuss. Jahrb. XX, 1867, S. 113—128,
Rud. Maenne), Was ist nach K. schön? Gera 1872. Aug. Stadler, K.s Teleologie und
ihre erkeuntnisstheoret. Bedeutung, Berl. 1874. H. Fenner, die Aesthetik Kants, Bötzow
1875. Arth. Kichter, K. als Aesthctiker. in: Ztschr. f. Philo«, u. pbiL Kr., Bd. 69,
1876, S. 18 — 43. J. Palm. Vergleichende Darstellung von K.s u. Schillers Bestimmungen
über das Wesen des Schönen, I.-D., Jena 1878. Paul Schmidt, Kant, Schiller, Vischer
üb. das Erhabene, Hallo 1880. J. Mourlv Vold, K.s Teleologie, in: Philo«. Monatsh.,
1882, S. 542— 567. Bordihn, Kant als Aesthctiker, Pr., Deut^ch-Krohiie, 1882. T. B.
Vehlen, Ks crit. of judgment, in: The Journ. of ph., XVIII, S. 2-16— 260. Herrn.
Baumgart. üb. K.s Krit. der ästhetisch. Urtheilskr., zum 22. Apr. 1886. in: Altpreuss.
Monafcschr., 23, 1886, S. 258-282.
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282
§ 27. Kants Kritik der Urtheilskraft,
Die kantische Teleologie hat namentlich auf Sendlings und Hegels Philosophie
wesentlichen Kinfluss geübt; vgl. darüber die Aeusserungen von Rosenkranz in seiner
(Jesch. der kantischen Philosophie, ferner von Miehelet. Erdmann, Kuno Fischer u. And.
In mehrfachem Betracht bildet die Kritik der Urthei Iskraft zwischen der
Kritik der reinen and praktischen Vernunft die Vermittelung. Die Kritik der reinen
Vernunft erkannte nur dem Verstände constitutive Principien zu, die Kritik der
praktischen Vernunft erkannte Vernunftideen als maassgebend für das Handeln
an; zwischen dem Verstand und der Vernunft aber bildet Urtheilskraft das Mittel-
glied. Zwischen dem Erkennen und Begehren steht psychologisch das Gefühl der
Last and Unlust; aaf dieses aber bezieht sich die Urtheilskraft in ihrem ästhe-
tischen Gebrauch, indem sie ihm a priori die Regel giebt Zwischen dem Gebiete
des Naturbegriffa als dem Sinnlichen und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs als dem
Uebersinnlichen ist nach Kant eine unübersehbare Kluft befestigt, so dass von
jenem zu diesem vermittelst des theoretischen Gebrauchs der Vernunft kein Ueber-
jrang möglich ist, gleich als ob es verschiedene Welten wären, davon die erste auf
die zweite keinen Einfluss haben kann. Gleichwohl soll doch diese auf jene einen
Einfluss hüben, nämlich der Freiheitsbegriff den durch seine Gesetze aufgegebenen
Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen, folglich muss die Natur auch so gedacht
werden können, dass in ihr Zwecke nach Freiheitsgesetzen sich bewirken lassen;
durch den Begriff der N tit urZweckmässigkeit vermittelt die Urtheilskraft den Ueber-
gang vom Gebiete der Naturbegriffe zum Gebiete des Freiheitsbegriffs.
An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande kann Zweckmässigkeit
vorgestellt werden, entweder aus einem bloss subjectiven Grunde, als Ueber-
einstimmung seiner Form in der Auffassung (apprehensio) desselben vor allem Be-
griffe mit dem Erkenntnissvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem
Krkenntniss überhaupt zu vereinigen, oder aus einem ohjectiven, als Ueberein-
stimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe
von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält. Die Vorstellung der
Zweckmässigkeit der ereteren Art beruht auf der unmittelbaren Lnst an der Form
des Gegenstandes in der blossen Reflexion über sie, die Vorstellung von der Zweck-
mässigkeit der zweiten Art hat es nicht mit einem Gefühle der Lust au den Dingen,
sondern mit dem Verstände in ßeurtheilung der Dinge zu thun, du sie die Form
des Objects nicht auf die Erkenntnissvermögen des Suhjects in der Auffassung der-
selben, sondern auf eine bestimmte Erkenntniss des Gegenstandes unter einem
gegebenen Begriffe bezieht. Wir können, indem wir der Natur gleichsam eine Rück-
sicht auf unser Erkenntnissvermögen nach der Analogie eines Zwecks beilegen, die
Naturschönheit als Darstellung (Veranschaulichung) des Begriffs der formalen oder
bloss subjectiven Zweckmässigkeit ansehen, die Naturzwecke aber als Darstellung
des Begriffs einer realen oder objectiven Zweckmässigkeit; jene beurtheilen wir
ästhetisch, vermittelst des Gefühls der Lust, durch Geschmack, diese logisch
nach Begriffen, durch Verstand und Vernunft. Hierauf gründet sich die Eintheilung
der Kritik der Urtheilskraft in die Kritik der ästhetischen und die Kritik der
teleologischen Urtheilskraft.
Das Vermögen der Beurtheilung des Schönen ist der Geschmack. Um zu
unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellungen nicht
durch den Verstand aufs Object zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungs-
kraft (vielleicht mit dem Verstände verbunden) aufs Snbjcct und das Gefühl der
Lust oder Unlust desselben. Das Geschmacksurtheil ist daher nicht logisch, sondern
ästhetisch.
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§ 27. Kants Kritik der Urthcilskraft.
283
Das Wohlgefallen am Schönen ist, seiner Qualität nach, uni nteressirt.*}
Das Interesse ist das Wohlgefallen, das wir mit der Vorstellung der Existenz
eines Gegenstandes verbinden. Das Interesse hat immer zugleich Beziehung auf das
Begehrungsvermögen, entweder als Bestimmungagrund desselben, oder doch als mit
dem Bestimmungsgrunde desselben nothwendig zusammenhängend. Mit Interesse
verbunden ist das Wohlgefallen am Angenehmen und Guten. Angenehm ist das,
was den Sinnen in der Empfindung gefällt. Gut ist das, was vermittelst der Ver-
nunft durch den blossen Begriff gefällt. Schön ist das. was ohne alles Interesse
wohlgefällt, oder das, dessen Vorstellung in mir mit Wohlgefallen begleitet ist, so
gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vor-
stellung sein mag. Das Angenehme vergnügt, das Schöne gefällt. Das Gute wird
geschätzt (dem Guten wird ein objectiver Werth beigelegt). Annehmlichkeit gilt
auch für vernunftlose Thiere, Schönheit nur für Menschen, d. h. thierische, aber doch
zugleich vernünftige Wesen, das Gute aber für jedes vernünftige Wesen überhaupt.
Sowohl das Wohlgefallen der Sinne als auch das der Vernunft zwingt den Beifall
ab, das des Geschmacks am Schönen aber ist ein freies Wohlgefallen. Das Wohl-
gefallen am Angenehmen beruht auf Neigung, das am Schönen auf Gunst, das am
Guten auf Achtung.**)
*) In dieser Begriffsbestimmung, die das Schöne durch seine Wirkung auf das
Subject charakterisirt, verwendet Kant ein bereits von Mendelssohn hervorgehobenes
Merkmal dieser Wirkung. Mendelssohn sagt in seinen .Morgenstunden"" (Sehr. II,
S. 294 f., cit. von Kanngiesscr, die Stellung M s in der Aesth. S. 114): .Man pflegt
gemeiniglich das Vermögen der Seele in Erkenntnissvermö<ren und Begehrnngs-
vermögen einzutheilen und die Empfindung der Lust und Unlust schon mit zum
Begehrungsvermögen zu rechnen. Allein mich dünkt, zwischen dem Erkennen und
Begehren liege das Billigen, der Beifull, das Wohlgefallen der Seele, welches noch
eigentlich von Begierde weit entfernt ist. Wir betrachten die Schönheit der Natur
und der Knnst, ohne die mindeste Regung von Begierde, mit Vergnügen und Wohl-
gefallen. Es scheint vielmehr ein besonderes Merkmal der Schönheit zu sein, dass
sie mit ruhigem Wohlgefallen betrachtet wird, dass sie gefällt, wenn wir sie auch
nicht besitzen und von dem Verlangen sie zu benutzen auch noch so weit entfernt
sind. Krst alsdann, wenn wir das Schöne in Beziehung auf uns betrachten und den
Besitz desselben als ein Gut ansehen, alsdann erst erwacht bei uns die Begierde,
zu haben, an uns zu bringen, zu besitzen, eine Begierde, die von dem Genüsse der
Schönheit sehr weit unterschieden ist." Mendelssohn findet in dem .Billigunjrs-
vermögen* den Uebcrgang vom Erkennen zum Begehren. Kants Begriff der Un-
interessirtheit reicht aber über das blosse Nichtbegehren nach Besitz weit hinaus.
**) Die strenge Abtrennung des Reizes als des Angenehmen, das in der Empfin-
dung gefalle, von dem Schönen (z. B. in der Malerei der Farbe und der Zeichnung),
ist undurchführbar in der Kunst. Mit eben so viel Grund, wie Kant die Farbe bei
einem Bilde für eine entbehrliche Zuthat erklärt, die nur durch ihren Reiz die Auf-
merksamkeit auf den Gegenstand selbst erwecke und erhebe, hätte er dasselbe vom
Versmuass, Rhythmus und Reim in der Poesie sagen können, und doch lässt er selbst
mit richtiger Einsicht eine Poesie ohne Reim und ohne Metrum gar nicht gelten.
Kant hat auf dem ästhetischen Gebiete ganz ebenso, wie auf dem theoretischen und
praktischen (s. o. S 245 ff. u. S. 274 ff), nicht eine aufsteigende Stufenfolge vom
Sinnlichen zum Geistigen anerkannt, sondern beides dualistisch von einander ge-
schieden. Mit Recht dagegen scheidet Kant das aunintercssirte Wolgefallen \ das
sich an die blosse Anschauung knüpft, von dem praktischen Interesse ab; jenes
knüpft sich bereits an das blosse Bild des Gegenstandes und nicht an die Beziehungen
des Objectes selbst zu unserm Eigenleben. Das uninteressirte Wohlgefallen aber
hat eine objective Basis, welche Kant, in der Consequenz seines einseitigen Sub-
jectivismus, vergeblich zu beseitigen sucht. Diese Basis liegt in dem WTesen des
angeschauten Objectes, und die ästhetisch befriedigende Form ist nicht etwas Selb-
ständiges, sondern nur die angemessene Weise der Ausprägung dieses Wesens in der
Erscheinung (in Kants fälschlich sogenannter »freier Schönheit").
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284
§ 27. Kante Kritik der Urteilskraft.
Das Wohlgefallen am Schönen ist, seiner Quantität nach, allgemein. Das
Wohlgefallen am Schönen kann, weil es uninteressirt und frei ist, nicht (wie das
am Angenehmen) iu Privatbedinguugeu gegründet sein, sondern nur in demjenigen,
was der Urtheilende auch bei jedem Andern voraussetzen kann. Aber die Gültig-
keit für Jedermumi kunn bei dem ästhetischen Urtheil nicht (wie beim ethischen
Urtheil) aus Begriffen entspringen: es ist also mit demselben nicht ein Anspruch
auf objective, sondern nur auf subjective Allgemeinheit verbunden.
Nach der Relation der Zwecke, welche in den Geschmacksurtkeilen in Be-
tracht gezogen werden, ist die Schönheit die Form der Zweckmässigkeit eines
Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks un ihm wahrgenommen
wird. Eine Blume, z. B. eine Tulpe, wird für schön gehalten, weil eine gewisse
Zweckmässigkeit, die so, wie wir sie beurtheileu, auf gar keinen Zweck bezogen
ist, in ihrer Wahrnehmung angetroffen wird. Kant unterscheidet freie und an-
hängende Schönheit. Die freie Schönheit (pulchritudo vaga) setzt keinen Begriff
von dem voraus, was der Gegenstand sein soll; die bloss auhängende Schönheit
ipulchritudo adhaerens) setzt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegen-
standes nach demselben voraus. Das Wohlgefallen an dem Manuigfaltigen in einem
Dinge In Beziehung auf den inneren Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt, ist
auf einen Begriff gegründet: das Wohlgefallen an der (freien) Schönheit abersetzt
keinen Hegriff voruus, sondern ist unmittelbar mit der Vorstellung, wodurch der
Gegenstand gegeben (nicht wodurch er gedacht wird), verkuüpft. Wird der Gegen-
stand unter der Bedingung eines bestimmten Begriffs für schön erklärt, wird ah?o
das Geschmacksurtheil über die Schönheit durch das Vernunfturtheil über die Voll-
kommenheit oder innere Zweckmässigkeit eingeschränkt, so ist das Urtheil nicht
mehr ein freies und reines Geschmacksurtheil. Nur in der Beurtheilung einer freien
Schönheit ist das Geschmacksurtheil rein.
Der Modalität nach hat das Schöne eine nothwendige Beziehung auf das
Wohlgefallen. Diese Notwendigkeit ist nicht theoretisch und objectiv, auch nicht
praktisch, sondern sie kann als Nothweudigkeit, die in einem ästhetischen Urtheile
gedacht wird, nur exemplarisch gedacht werden, d. h. sie ist die Nothweudigkeit
der 1 Bestimmung aller zu einem Urtheil, das wie ein Beispiel einer allgemeinen
Regel, die man nicht augeben kann, augesehen wird. Der ästhetische Gemeinsinn
als Wirkung aus dem freien Spiel unserer Erkenutnisskräfte ist eine idealische
Norm, unter deren Voraussetzung sich ein Urtheil, welches mit ihr zusammen-
stimmt, und das iu demselben ausgedrückte Wohlgefallen an einem 0>>ject für Jeder-
mann mit Recht zur Regel machen lässt, weil das Princip zwar nur subjectiv, aber
subjectiv allgemein, eine Jedermann uothwendige Idee ist.
Das Schöne gefällt mit einem Anspruch auf jedes Andern Beistimmung als
Symbol des sittlich Guten, und der Geschmack ist demgemäss im Grunde ein
Beurtheilungsvermögen der Versinnlichang sittlicher Ideen.
Erhaben ist das, wa3 durch einen Widerstand gegen das Interesse der Sinne
unmittelbar gefällt. Ein Naturobject kann nur zur Darstellung einer Erhubeuhcit
tauglich, aber nicht eigentlich erhaben sein, obzwar viele Nuturobjecte schön ge-
nannt werden dürfen. Denn das eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen
Form enthalten sein, sonderu trifft nur Ideen der Vernunft, welche , obgleich keine
ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unungemessenheit,
welche sich sinnlich darstellen lässt, rege gemacht uud ins Gemüth gerufen werden.
Erhabenheit liegt z. B. nicht sowohl iu dem durch Stürme empörten Ocean, als viel-
mehr in dem Gefühl, zu welchem das Gemüth durch die Anschauung desselben ge-
stimmt werden soll, indem es die Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die
höhere Zweckmässigkeit enthalten, zu beschäftigen angereizt wird. Zum Schönen
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§ 27. Kante Kritik der Urteilskraft.
285
der Natur müssen wir einen Grund ausser uns suchen, zum Erhabenen aber bloss
in uns und der Denkungsart, die in die Vorstellung der Natur Erhabenheit hinein-
bringt. Das Wohlgefallen am Erhabenen muss ebensowohl, wie das am Schönen,
der Quantität nach allgemeingültig, der Qualität nach ohne Interesse sein, der
Relation nach subjective Zweckmässigkeit und der Modalität nach letztere al*
nothwendig vorstellig machen.
Kant unterscheidet zwei Klassen des Erhabenen, nämlich das mathematisch
und das dynamisch Erhabene Alles Erhabene führt eine mit der Beurtheilung
des Gegenstandes verbundene Bewegung des Gemüthes mit sich, während der Ge-
schmack am Schönen das Gemüth in ruhiger Contemplation voraussetzt und erhält
Diese Bewegung aber wird, indem sie als subjectiv zweckmässig beurtheilt werden
soll, durch die Einbildungskraft entweder auf das Erkenntniss- oder auf das Be-
gehrungsvermögen bezogen; im ersten Fall ist die Stimmung der Einbildungskraft
eine mathematische, an Grössenschätzung geknüpfte, im andern Fall eine dynamische,
aus Kräftevergleichnng erwachsen. In beiden Fällen aber wird dem Objecte,
welches diese Stimme der Einbildungskraft hervorruft, der gleiche Charakter bei-
gelegt. Gelangen wir im Fortschritt der Grössenvergleichung, indem wir etwa von
der Manneshöhe zu der Höhe eines Berges, von da zum Erddurchmesser, zum Durch-
messer der Erdbahn, der Milchstrasse und der Systeme der Nebelflecke fortgehen,
auf immer grössere Einheiten, so erscheint uns alles Grosse in der Natur immer
wieder als klein, eigentlich aber nur unsere Einbildungskraft in ihrer ganzen Grenz-
losigkeit und mit ihr die Natur als gegen die Idee der Vernunft verschwindend.
Demnach ist das mathematisch Erhabene, an welchem die Einbildungskraft ihr
ganzes Vermögen der Zusammenfassung fruchtlos verwendet, über allen Maassstab
der Sinne gross; das Gefühl des Erhabenen involvirt ein Gefühl der Unlust aus der
Unangemessenheit der Einbildungskraft in der ästhetischen Grössenschätzung, zu-
gleich aber der Lust, jeden Maassstab der Sinnlichkeit den Ideen der Vernunft
unangemessen zu finden. Dynamisch erhaben ist die Natur im ästhetischen Urtheil
als Macht, die über uns keine Gewalt hat, indem sie uns als Sinnenwesen zwar
furchtbar ist, aber unsere Kraft aufruft, die nicht Natur ist, um das, wofür wir
besorgt sind, als klein und daher ihre Macht als keine Gewalt anzusehen, der wir
uns zu beugen hätten, wenn es auf die Behauptung oder Verlassnng unserer höchsten
Grundsätze ankäme, so dass dem Gemüth die Erhabenheit seiner Bestimmung über
die Natur fühlbar wird. Das Erhabene als das schlechthin Grosse liegt nur in des
Subjects eigener Bestimmung.
Obgleich die unmittelbare Lust am Schönen der Natur eine gewisse Liberalität
der Denkungsart, d. h. Unabhängigkeit des Wohlgefallens vom blossen Sinnen*
genusse, voraussetzt und cnltivlrt, so wird dadurch doch mehr die Freiheit im Spiele,
als unter einem gesetzlichen Geschäfte vorgestellt, welches die echte Beschaffenheit
der Sittlichkeit des Menschen ist, wo die Vernunft der Sinnlichkeit Gewalt anthun
muss. Im ästhetischen Urtheil über das Erhabene wird diese Gewalt durch die
Einbildungskraft selbst als ein Werkzeug der Vernunft ausgeübt vorgestellt, daher
ist die mit dem Gefühl für das Erhabene der Natur verbundene Stimmung des
Gemüths der moralischen ähnlich.
Die Geschmacksurthelle gründen sich nicht auf bestimmte Begriffe, aber
doch auf einen, obzwar unbestimmten Begriff, nämlich vom übersinnlichen Sub-
strat der Erscheinungen.
Kunst ist Hervorbringung durch Freiheit. Die mechanische Kunst ver-
richtet die dem Erkenntniss eines möglichen Gegenstandes angemessenen Hand-
lungen, um ihn wirklich zu machen, die ästhetische Kunst hat das Gefühl der
IiUit zur unmittelbaren Absieht und zwar entweder als blosse Empfindung (an-
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286
§ 27. Kaute Kritik der Urteilskraft.
genehme Kunst) oder in der Beurtheiluug als Lust am Schönen (schöne Kunst).
Das Product der schönen Kunst muss zugleich als Werk der Freiheit und doch
auch von allem Zwange willkürlicher Regeln so frei erscheinen, als ob es ein
Product der blossen Natur sei. Das Genie ist das Talent (Naturgabe), welches
der Kunst die Regel giebt. Schöne Kunst ist Kunst des Genies.
Die ästhetische Zweckmässigkeit ist Bubjectiv und formal. Die schönen Dinge
sind nur in Bezug auf unsere Auffassung zweckmässig. Es giebt eiue objective
und iutellectuelle Zweckmässigkeit, die bloss formal ist; diese bekundet sich in
der Tauglichkeit geometrischer Figuren zur Auflösung vieler Probleme nach einem
einzigen Princip. Die Vernunft erkennt die Figur als angemessen zur Erzeugung
vieler abgezweckter Gestalten. Auf den Begriff einer objectiven und mate-
riellen Zweckmässigkeit, d. i. auf den Begriffeines Zwecks der Natur,
leitet die Erfahrung unsere Urtheilskraft dann, wenn ein Verhältniss der Ursache
zur Wirkung zu beurtheilcn ist, welches wir als gesetzlich nur dadurch einsehen
können, dass wir die Idee der Wirkung als die der Causalität ihrer Ursache zum
Grunde liegende Bedingung der Möglichkeit der Wirkung betrachten und als solche
der Causalität ihrer Ursache selbst unterlegen. Wir beurtheilen die Natur teleo-
logisch, sofern wir einen Begriff vom Objecto, als ob er In der Natur belegen
wäre, Causalität in Ansehung eines Objectes zueignen oder vielmehr nuch der
Analogie einer solchen Causalität, dergleichen wir in uns untreffen, uns die Mög-
lichkeit des Gegenstandes vorstellen, mithin die Natur als durch eigenes Vermögen
technisch denken. Wollten wir der Natur absichtlich wirkende Ursachen
unterlegen, so würde hierdurch der Teleologie nicht bloss ein regulatives Princip
für die blosse Beurtheilung der Erscheinungen, dem die Natur nach ihren beson-
deren Gesetzen als unterworfen gedacht werden könne, sondern auch ein constitu-
tives Princip der Ableitung ihrer Producte von ihren Ursachen zum Grunde
gelegt werden. Dann aber würde der Begriff eines Naturzwecks nicht mehr der
reflectirendeu, sondern der bestimmenden Urtheilskraft zukommen, in der
That aber dann gar nicht der Urtheilskraft eigentümlich angehören, sondern als
Vernunftbegriff in die Naturwissenschaft eine neue Causalität einführen, die wir
doch nur von uns selbst entlehnen und anderen Weseu beilegen, ohne diese gleich-
wohl mit uns als gleichartig annehmen zu wollen.
Die Naturzweckmässigkeit ist theils eine innere, theils eine äussere oder
relative, je nachdem wir die Wirkung entweder unmittelbar als Zweck oder als
Mittel zum zweckmässigen Gebrauch für undere Wesen ansehen. Die letztere
Zweckmässigkeit heisst die Nutzbarkeit (für Menschen) oder auch Zuträglichkeit
(für jedes andere Geschöpf). Das relativ Zweckmässige kann nur unter der Be-
dingung für einen (äusseren) Naturzweck angesehen werden, dass die Existenz des-
jenigen, dem es zunächst oder auf entfernte Weise zuträglich ist, für sich selbst
Zweck der Natur sei. Dinge als Naturzwecke sind organisirte Wesen, d. h.
solche Naturproducte, in welchen alle Theile nicht nur um einander und des Gauzen
willen existirend, sondern auch einander wechselseitig hervorbringend gedacht
werden können, also Naturproducte, in welchen alles Zweck und wechselseitig auch
Mittel ist Ein organisirtes Wesen ist also nicht bloss Maschine, denn eine solche
hat lediglich bewegende Kraft, sondern besitzt in sich bildende Kraft, uud zwar
eine solche, die sie Materien mittheilt, welche sie nicht haben, also eine sich fort-
pflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den
Mechanismus) nicht erklärt werden kann.
In dem uns unbekannten innern Grunde der Natur mögen die physisch-mecha-
nische und die Zweckverbindung an denselben Dingen in Einem Princip zusammen-
hängen; aber unsere Vernunft ist nicht im Stande, sie in einem solchen zu ver-
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§ 27. Kante Kritik der Urteilskraft.
287
einigen. Nach der Beschaffenheit unseres Verstandes ist ein reales Ganzes der
Natur nur als Wirkung der concurrirenden bewegenden Kräfte der Theile anzu-
sehen. Ein intuitiver Verstand könnte die Möglichkeit der Theile ihrer Be-
schaffenheit und Verbindung nach als in dem Ganzen begründet vorstellen. In
der discursiven Erkenntnissart, an welche unser Verstand gebunden ist, würde es
ein Widerspruch sein, das Ganze als den Grund der Möglichkeit der Verknüpfung
der Theile zu denken. Der discursive Verstand kann nur die Vorstellung eines
Ganzen als den Grund der Möglichkeit der Form desselben und der dazu gehörigen
Verknüpfung der Theile denken; ihm gilt daher das Ganze als ein Produet, dessen
Vorstellung die Ursache seiner Möglichkeit sei, d. h. als ein Zweck. Es ist dem-
nach bloss eine Folge aus der besonderen Beschaffenheit unseres Verstandes, wenn
wir die Producte der Natur nach einer andern Art der Causalität, als der mecha-
nischen der Naturgesetze der Materie, nämlich nach der teleologischen der End-
ursachen (causae finales), ansehen. Wir dürfen weder behaupten: alle Erzeugung
materieller Dinge ist nach bloss mechanischen Gesetzen möglich; noch auch:
einige Erzeugung derselben ist nach bloss mechanischen Gesetzen nicht möglich.
Die beiden Maximen aber können und müssen als regulative Priucipien neben-
einander bestehen: alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muss als
nach bloss mechanischen Gesetzen möglich beurt heilt werden, und: die Beur-
theilung einiger Producte der materiellen Natur erfordert eiu ganz anderes Gesetz
der Causalität, nämlich das der Endursachen. Ich soll dem Mechanismus der Nutur
überall, so weit ich kann, nachforschen und alles, was zur Natur gehört, auch als
nach mechanischen Gesetzen mit ihr verknüpft denken, wodurch nicht ausgeschlossen
wird, dass ich über einige Naturformen und auf deren Veranlassung sogar über die
ganze Natur nach dem Princip der Zweckursachen refleetire. Diese, deren Existenz
wir uns nur unter der Voraussetzung eines Zweckes als möglich vorstellen, sind
der vorzüglichste Beweis für die Zufälligkeit des Weltganzeu und bilden den ein-
zigen für den gemeinen Verstand wie für den Philosophen geltenden Beweisgrund
der Abhängigkeit und des Ursprungs desselben von einem ausser der Welt exi-
stirenden und zwar um der Zweckmässigkeit willen verständigen Wesens. So findet
die Teleologie genügende Vollendung nur in einer Theologie. Aber freilich ist
dieses höchste Wesen nicht objectiv dargethan, sondern nur subjectiv für den Ge-
brauch unserer Urtheilskraft in ihrer Reflexion über die Zwecke in der Natur, die
wir uns nicht anders denken können, als unter der Voraussetzung einer absichtlichen
Causalität als höchster Ursache. — Kant fragt auch, ob nicht die Natur als Ganzes
von einer unbewussten Zweckmässigkeit hervorgebracht sein könnte, und ergeht
sich sogar in Vorstellungen über einen höheren Geist, der dem unsrigen ganz un-
ähnlich sein müsse, wagt aber doch nicht, darüber Behauptungen aufzustellen.
In der Analogie der Formen der verschiedenen Klassen von Organismen findet
Kant (wie später namentlich Lamarck, geb. 1744, in seiner 1809 erschienenen Philo-
sophie zoologique, neueste Ausg. von Charl. Martins, Par. 1873, auch bereits Goethe,
später Okeu und andere von Schelling angeregte Naturphilosophen, in Frankreich
(Javiers Gegner Geoffroy St. Hilaire, In England in neuester Zeit Charles Darwin
und vor ihm sein Grossvater Erasmus Darwin, 1731—1802, namentlich in seiner
Zoonomia or the laws of organic life, Lond. 1794—1798, s. üb. ihn Ernst Krause,
E. D. u. seine Stellung in d. Gesch. der Descendenztheorie, mit seinem Lebens- u.
Charakterbilde v. Charles Darwin, Lpz. 1880) Grund zu der Vermuthung einer
wirklichen Verwandtschaft derselben in der Erzeugung von einer gemeinsamen Ur-
mutter. Die Hypothese, dass speeifisch unterschiedene Wesen aus einander ent-
standen seien, z. B. aus Wasserthieren Sumpfthiere, aus diesen nach mehreren
Zeugungen Landthiere, nennt er „ein gewagtes Abenteuer der Vernunft*. Er erfreut
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288 § 27. Kants Kritik der Urteilskraft.
sich des obschon schwachen Strahls von Hofihnng, dass hier wohl etwas mit dem
Princip des Mechanismus der Natur, ohne das es keine Naturwissenschaft gebe,
auszurichten sein möge; aber er hebt hervor, dass auch bei dieser Annahme die
Zweckform der Producte des Thier- und Pflanzenreichs ihrer Möglichkeit nach nar
so zu denken Bei, dass der gemeinsamen Mutter aller dieser Organismen eine auf
dieselben zweckmässig gestellte Organisation beigelegt werde; der Erklärungsgrund
sei mithin nur weiter hinausgeschoben, die Erzeugung des Pflanzen- und Thier-
reichs aber nicht von der Bedingung der Endursachen unabhängig gemacht worden
(s. übrigens K.s Anthrop., 1. Aufl., 8. 325, Anm.). Wir müssen nach der Beschaffen-
heit unseres Erkenntnissvermögens den Mechanismus der Nutur gleichsam als Werk-
zeug den Zwecken einer absichtlich wirkenden Ursache untergeordnet denken. Die
Möglichkeit einer solchen Vereinigung zweier ganz verschiedener Arten von Cau-
salität, der Natur in ihrer allgemeinen Gesetzmässigkeit mit einer Idee, welche jene
auf eine besondere Form einschränkt, wozu sie für sich gar keinen Grund enthält,
begreift unsere Vernunft nicht; sie liegt in dem übersinnlichen Substrat der Natur,
wovon wir nichts bejahend bestimmen können, als dass es das Wesen an sich sei.
wovon wir bloss die Erscheinungen kennen *)
Als eigentlicher Endzweck der Schöpfung muss der Mensch als moralisches
Wesen anerkannt werden. Damit haben wir einen Grund, die Welt als ein nach
Zwecken zusammenhängendes Ganzes und als System von Endursachen anzusehen
und ein Princip, die Natur und Eigenschaften einer verständigen Weltursache als
obersten Grundes im Reiche der Zwecke zu denken, und den Begriff desselben zu
bestimmen. Wir müssen uns dasselbe als allwissend vorstellen, damit selbst das
Innerste der Gesinnungen ihm nicht verborgen sei, als allmächtig, damit es die
ganze Natur dem höchsten Zwecke angemessen machen könne, als allgütig, gerecht,
ewig, allgegenwärtig. Hiermit haben wir eine Ethikotheologie.
Eine Tafel, aus der Bich die verschiedenen Disciplinen ergeben nach den ein-
zelnen Vermögen der Seele, unter Herbeiziehung der verschiedenen Seiten des
oberen Erkenntnisvermögens, unter Anwendung der jedesmaligen eigentümlichen
Principien a priori und mit Angabe der Producte, die dabei zu Tage kommen,
findet sich in der Einleitung zu der Kritik der Urteilskraft und ausführlicher dar-
gelegt in der Abhandlung: Ueber Philosophie überhaupt. Diese Tafel möge hier
noch zum Schluss der Darstellung der ka
mtischen Philosophie ihre Stelle finden:
Vermögen des
Obcre Erkennt-
Principien
Producte
Gemüths
nissvermögen
a priori
Erkenntnissver-
Verstand
Gesetzmässigkeit
Natur
mögen
Gefühl der Lust
Urteilskraft
Zweckmässigkeit
Kunst
und Unlust
Begehrungsver-
Vernunft
Verbindlichkeit
Sitten
mögen
*) Aus der kantischen Idee des intuitiven Verstandes, der in dem übersinnlichen
Substrat der erscheinenden Natur den Grund des Zusammenhangs von Natur-
mechanismus und Zweckmässigkeit erkenne und das Ganze als den Grund der Mög-
lichkeit der Verknüpfung der Theile begreife, hat sich später die schellingsche
Naturphilosophie entwickelt, die aber, da sie das räumlich-zeitliche Aussereinander-
sein nicht für bloss subjectiv hält, dieselbe wesentlich umbilden musste. In ge-
wissem Sinne berührt sich damit auch Schopenhauers Doctrin.
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§ 28. Schüler und Gegner Kants. Reinhold u. Andere.
289
§ 28. Die kantische Doctrin wurde philosophisch vom lockeschen,
leibnizisch-wolffschen und skeptischen Standpunkte aus bekämpft. Von
Einfluss auf die fortschreitende Entwicklung der Speculation sind
vornehmlich die Zweifelsgründe von Gottlob Ernst Schulze (Aenesi-
demus) geworden. Unter den zahlreichen Anhängern der kautischen
Philosophie sind insbesondere folgende von Bedeutung: Johannes
Schultz als der früheste Erläuterer der Vernunftkritik, Karl Leon-
hard Reinhold als der begeisterte und erfolgreich wirkende Apostel
der neuen Lehre, der freilich später die kantische Philosophie zu ver-
bessern suchte, und Friedrich Schiller als der Dichterphilosoph, der
die ethischen und ästhetischen Grundlehren durch wanne und edle
Darstellung zum Gemeingut der Gebildeten machte, indem er sie zu-
gleich durch Anerkennung einer in Sittlichkeit und Kunst möglichen
Ueberwindung des Gegensatzes von Natur und Geist, Realität und
Idealität wesentlich fortbildete.
Mit vielseitiger Empfänglichkeit und mit kritischem Blick begabt,
aber zu eigener Systembildung weder befähigt noch geneigt, fand
Friedrich Heinrich Jacobi, der Glaubensphilosoph, in dem Spino-
zismus die letzte Consequenz alles philosophischen Denkens, die aber
durch ihren Widerstreit gegen das Interesse des Gefühls zum Glauben
als der unmittelbaren Ueberzeugung von Gott und den göttlichen
Dingen nöthige. Er wies nach, wie der Kantianismus sich durch den
inneren Widerspruch aufhebe, dass man nicht ohne die realistische
Voraussetzung eines das Subject mit der (transscendentalen) Objectivität
verknüpfenden Causalnexus den Eingang in die Vernunftkritik finden,
mit derselben aber nicht in der Vernunftkritik beharren könne. Seiner
Richtung war die mehr positiv-christliche seines Freundes Hamann
verwandt. An Hamann hat sich mehrfach Herder angeschlossen, der
die Philosophie der Geschichte wesentlich förderte, ein ent-
schiedener Gegner des kantischen Dualismus war, mit seinen Angriffen
auf Kant aber kein Glück hatte.
Durch Verschmelzung jacobischer Anschauungen mit der kantischen
Philosophie gelangte Jacob Fries zu der Lehre, dass das Sinnliche
Object des Wissens, das Uebersinnliche Object des Glaubens (und
zwar des Vernunftglaubens), die Bekundung oder Offenbarung des
Uebersinnlichen im Sinnlichen aber Object der Ahnung sei. Wir er-
kennen die Dinge nicht, wie sie an sich sind, sondern nur als Er-
scheinungen. Das Unvollendete unseres Wissens weist uns aber hin
auf die Ideen des Vollendeten, und so kommen wir zu dem Un-
bedingten, das den Inhalt des Glaubens bildet. Der Glaube geht seine
eigenen Wege, unbehindert durch wissenschaftliche Resultate. Die
Vernunftkritik hat Fries psychologisch zu begründen versucht und so
Ueber weg-H«in . Onwdri«« in. 7. And. jg
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290
§ 28. Schüler and Gegner Kants. Reinhold,
einen Anthropologismus gelehrt, der auch in der Gegenwart noch
Anhänger hat. Zugleich räumt er der philosophischen Aesthetik eine
viel grössere religionsphilosophische Bedeutung ein als Kant und hat
so den ästhetischen Rationalismus begründet.
Die von Salomon Maimon und in ähnlicher Weise von Jacob
Sigismund Beck aufgestellte, das „Ding an sich" beseitigende Um-
deutung der kantischen Doctrin ist der fichteschen Lehre vom Ich,
Christoph Gottfried Bardiiis Versuch der Ausbildung eines rationalen
Realismus aber einigermaassen der schellingschen und hegelschen
Speculation verwandt.
In den ausserdeutschen Ländern fand die kritische Philosophie
trotz der Bemühungen Einzelner doch nur wenig Anklang, am meisten
noch in Holland.
Die Littcratur bis zum Jahre 1793, die sieh auf Kant bezieht, flndet sich ziemlie
genau verzeichnet, grossentheils mit Inhaltsangaben der Schriften in: Materialien zur
Gesch. der krit. Philosophie (K. Glob. Uausius), 3 Sammlungen, Lpz. 1793, 1. Samm-
lung S. III — XCVI: es sind daselbst 243 besondere Schriften und Abhandlungen ver-
zeichnet. Von S. XCVII — CLXXII findet sieh eine Skizze zu einer Gesch. der kantisch,
od. kritisch. Philos. Den sonstigen Inhalt dieser Materialien bilden früher gedruckte
Aufsätze u. Rcccnsionen verschiedener Verfasser. — Ueber die Anhänger und Bestreiter
Kants bis gegen das Ende des 18. Jahrh. handelt W. L. G. Freih. von Eberstein
im 2. Bd. seines Versuchs e. Gesch. d. Logik und Mctaph. bei d. Deutschen von Leibniz
an, Halle 1799. Auch die neuere Geschichte des Kantianismus behandeln Rosenkranz
im 12. Bde. der Gesammtausg. der Werke Kants, Leipzig 1840, und Erdmann in seiner
ob. angeführt. Gesch. d. neuem Phil., III, 1, Lpzg. 1848. Andrew Seth, the develop-
ment from Kant to Hegel (published bv the Hibben trustees), Lond. 1882. Vgl. Kuno
Fischer, die beiden kantischen Schulen in Jena, in: Deutsche Vicrteljahrssehr. Bd. 25,
1862, S. 348—366 und separat, Stuttg. 1862; üb. K. L. Reinhold, G. K. Schulze!
Maimon, Sigism. Beck u. Fr. Hnr. .Jaeobi s. auch dessen Gesch. d. neuer. Ph., Bd. 5,
2. Aufl., S. 115—234.
Ueber Karl Leonh. Rein hold handelt sein Sohn Ernst R., Jena 1825. Rud.
Reicke, de explicationc, qua R. gravissimum in K. er. r. p. locum epistolis suis
illustraverit, diss., Königsberg 1856.
Ueber Krugs Grundlage zu einer Theorie der Gefühle urtheilt Beneke in den
Wiener Jahrb. XXXII. S. 127, über sein Handbuch der Philosophie Herbart in der
Jen. Littcraturzcitung 1822, No. 27 und 28.
Ueber Schillers Philosophie handeln insbes.: Wilh. Hemsen, Schillers Ansichten
üb. Schönh. u. Kunst im Zusammenhange gewürdigt, Inaug.-Diss., Gotting. 1853. Kuno
Fischer, Sch. als Philosoph, Frankf. a. M. 1858. Wilh. Drobisch, üb. d. Stelig.
Sch.s z. kantisch. Ethik, in: Ber. üb. d. Verh. der K. Sachs. Ges. d. Wiss. 5. Folge,
Bd. XI, 1859, S. 176—194. Rob. Zimmermann, Sch. als Denker, in: Abh. der Böhm.
Ges. d. Wiss., Bd. XI, Prag 1859, auch in Z.s St. u. Kr. abg.; vgl. Z.l Gesch. der
Aesthetik, Wien 1858, S. 483—544. Karl Tomaschek, Sch. u. Kant, Wien 1857; Sch.
in s. Verhältn. zur Wissensch., ebend. 1862. Karl Twesten, Sch. in s. Verhältn. z.
Wiss., Berl. 1863. A. Kuhn, Sch.s Geistesgang. Berl. 1863. Vgl. Hoffmeister, Grün,
Julian Schmidt, Palleske n. and. Biographen Sch.s, die Historiker der deutsch. Litteratur,
ferner Danzel üb. d. gegenw. Zustand d. Philos. d. Kunst, und manche von den durch
den Druck veröffentlichten, zum Schillerfest 1859 gehaltenen Reden, deren Titel sich
u. a. in der von Gnst. Schmidt herausg. Bibliothcca philologica 1859 und 1860 ver-
zeichnet finden, ferner u. a. F. Ueberweg, üb. Schillers Schicksalsidee, in den von
Geizer hrsg. prot. Monatsbl. 1864, S. 154 — 169. Franz Biese, Rede üb. Schiller,
G.-Pr., Putbus 1869. Albin Sommer, öb. d. Beziehg. der Ansichten Sch.s vom Wesen
u. d. geistig. Bedeutg. der Kunst z. kantisch. Philos., Progr., Halle 1869. Arth. Jung,
Sch. u. d. Pessimismus, Pr., Meseritz 1877. J. Palm, Vergleichende Darstell, v. Kants
u. Sch.s Bestimmungen über das Wesen des Schönen, I.-D., Jena 1878. Franz Schneder-
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Schiller, Jacobi, Fries, Beck, Bardiii und Andere.
291
mann, Ist die Ethik Schillere eine andere nach als vor dem Kantstudium des Dichtere?
I.-D., Lp«. 1878. Chr. Meurer, das Verh. der schillerschen zur kantschen Ethik,
Freib. i. Br. 1880, 2. Aufl. 1886. Paukstadt, d. Begr. des Schönen bei Seh., Pr..
Charlottenb. 1883. Fr. Ueberweg, Seh. als Historiker u. Philosoph, herausgeg. von
M. Braach, Lpz. 1884. A. Frank, üb. Sch.s Begr. des Sittlich-Schönen, Wien 1886.
Helene Lange, Sch.s philos. Gedichte, Vorträge 1886. Hier seien sogleich einige, die
philosophischen Anschauungen Goethes betreffende Arbeiten angeführt: E. Melzer,
Goethes philos. Entwickelung, Neisse 1884. A. Harpf, G.s Erkenntnissprinc, in: Ph.
Monatsh., 1883, S. 1 — 39; ders., Schopenhauer u. G., e. Beitr. zur Entwickelungsgesch.
der schopenhauerech. Ph., in: Phil. Monatsh., 1885, S. 450—478. R. Steiner, Grund-
linien e. Entwicklungstheorie d. goethesch. Weltanschauung mit besonder. Rück*, auf
Schiller, Stuttg. 1886. A. Classen, G.s naturwissensch. Schriften (G.s Verh. zu Kant
besondere berücksichtigt), in: Grenzboten 1884, Bd. 2, S. 544 — 552.
Friedr. Heinr. Jacobis Werke sind in einer Gesammtausg. Lpz. 1812 — 25 er-
schienen. Briefe J.s sind ausser im ersten und dritten Bande seiner Werke noch im
„Auserlesenen Briefwechsel" (m. e. Skizze s. Lebens in der Einleitung) durch Priedr.
von Roth, Leipz. 1825 — 27, veröffentl. worden, der Briefwechsel zw. Goethe u. J. durch
Max Jacobi, Leipz. 1846, der zwisch. Herder und J. von H. Düntzer in „Herders
Nachlass*, Bd. II, S. 248—322, der zwischen Hamann und J. durch C. H. Gilde-
meister, Gotha 1868 (als 5. Band von .H.s Leben und Schriften"), die Briefe J.s an
F. Bouterwek aus den Jahren 1800 — 1819 durch W. Meyer, Göttg. 1868, noch and.
Briefe durch Rud. Zöppritz in der Schrift: Aus ». Jacobis Nachlass", Lpz. 1869. Ucber
Jacobi handeln: Schlichtegroll, v. Weiller und Thierech, Jacobis Leben, Lehre und
Wirken, München 1819. J. Kuhn, Jacobi und die Philos. seiner Zeit, Mainz 1834.
C Roessler, de philosophandi ratione F. H. Jac, Jenae 1848. Ferd. Deycks, F. H.
Jacobi im Verhältn. z. s. Ztgenoss., bes. zu Goethe, Frankf. a. M. 1849. H. Fricker,
d. Philos. des F. H. Jacobi, Augsburg 1854. F. Ueberweg über F. H. J., in Gelzers
prot. Monatsbl., Juli 1858. F. Wiegand, z. Erinnerung an den Denker F. H. J. u. s.
Weltansicht, Worms, Progr. 1863. Chr. A. Thilo, F. H. Jacobis Ansichten von den
göttlichen Dingen, in der Ztschr. f. exaete Philos., Bd. VII, Leipz. 1866, S. 113 — 173.
Eberhard Zirngiebl, F. H. J.s Leben, Dicht- und Denk., e. Beitrag z. Gesch. d. deutsch.
Litt u. Phil., Wien 1867. F. Harms, üb. d. Lehre v. F. H. Jacobi, Berl. 1876. Jul.
Lachmanu, F. H. Jacobis Kantkritik, I.-D., Halle 1881.
Herders philosophische Schriften sind folgende: Abhandl. üb. d. Ursprung der
Sprache, Berl. 1772, 2. Aufl. 1789; Auch eine Philo«, der Gesch. der Menschheit, Riga
1774; Vom Erkennen u. Empfinden der menschl. Seele, Riga 1778: Ideen zur Philos.
der Gesch. der Menschheit (unvollendet), 4 Thle., Riga 1784 — 1791 u. oft., mit
Einleitung u. Anmerk. hrsg. von Julian Schmidt, in der Biblioth. d. dtseh. Nationallitt,
d. 18. Jahrb., Bd. 23—25, Lpz. 1869; Gott, einige Gespräche, Gotha 1787, auf dem
Titel der 2. Aufl., 1800, als Gespr. üb. Spinozas System bezeichnet: Briefe zur Beförderung
der Humanität, 1793—1797; Verstand u. Erfahrung, Vernunft u. Sprache, eine Meta-
kritik zur Kritik der reinen Vernunft, Lpz. 1799; Kalligone, Lpz. 1800; Adrastea 1809.
Die gesammten Werke H.s sind erschienen in 45 Bdn., Stuttg. 1805—1820; 3. Abtheil.
15 Bde. zur Philos. u. Gesch., dann noch zwei Mal ebendas. Neuerdings werden sie
herausgeg. v. B. Suphan 1877 ff. 21 Bde. erschienen, auf 32 berechnet. — Eine vor-
treffliche Biographie H.s hat R. Hayin geschrieben: H. nach seinem Leben u. seinen
Werken, 2 Bde., 1877 — 1885. Von sonstigen Schriften über ihn seien hier erwähnt:
A. Hun. Erdmann, H. als Religionsphilos., Marburger I.-D., Hersfeld 1866. A. Kohut,
H. u. d. Humanitätsbestrebungen der Neuzeit, Berl. 1870. Aug. Werner, H. als Theologe,
Berl. 1871. E. Melzer, H. als Geschichtsphilos. mit Rücks. auf Kants Recens. von
Herders Ideen zur Gesch. der Menschh., Neisse 1872. Rieh. Schornstein, H. als Päda-
goge, Progr., Elberf. 1872. Ueber H.s Metakritik s. ob. S. 239 f. d. Arbeit v. Otto
Michalsky. Gust. Frank, H. als Theologe, in : Ztschr. f. wissensch. Theol., 17. Jahrg.
1874, S. 250 — 263. J. Egermann, II Anschauungen üb. d. Geschichtsunterricht an
Gymnasien, Progr., Hemals 1874. Joret, Herder et la renaissance litteraire en Allemagne,
Paris 1875. F. v. Bärenbach, H. als Vorläufer Darwins u. der modernen Natur-
philosophie, Berl. 1877. Wilh. Fischer, H.s Erkenntnissl. u. Metaphys., Lpz. I.-D.,
Salzwedel 1878. Rieh. Kirchner, Entsteh., Darstell, u. Krit. der Grundgedanken von
H.s Ideen u. s. w., I. D., Lpz. 1881. J. Roth, H.s Metakrit. u. ihre Beziehungen zu
Kant, 1873. Vgl. auch das S. 177 erwähnte Werk von J. H. Witte.
Jak. Friedr. Fries* hauptsächliche philosophische Schriften sind: Reinhold, Fichte
und Schelling, Lpz. 1803; Philos. Rechtsichre u. Krit. aller positiv. Gesetzgebung, Jena
1804; System der Philo«, als evidenter Wissenschaft, Lpz. 1804; Wissen, Glaube und
19*
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292
§ 28. Schöler and Gegner Kants. Reinhold,
Ahndung, Jena 1805; Neue Kritik der Vernunft, 3 Bde., Heidelb. 1807, 2. Aufl.
1828—31: System der Logik, Heidelb. 1811, 2. Aufl. 1819, 3. Aufl. 1837; Von deutscher
Philosophie, Art und Kunst, ein Votum für Jacobi gegen Schelling. Heidelb. 1812;
Handbuch der prakt. Fhilos., 1. Tb. Ethik od. d Lehren der Lebensweish., Hdlb. 1818,
2. Th. Religionspbilos. u. d. Weltzwecklehre, Hdlb. 1832; Handbuch der psych. Anthro-
pologie, 2 Bde., Jena 1820 u. 21, 2. Aufl. 1837—1839; Mathemat Naturphilos., Heidelb.
1822; Julius u. Euagoras, ein philos. Roman, Heidelb. 1822; System der Metaph., Heidelb.
1824; Gesch. der Philos., dargestellt nach den Fortschritten ihrer wissenschaftl. Eut-
wickelung, 2 Bde., Halle 1837 — 40. — Sein Leben aus seinem handschr. Nachlas« dar-
gestellt von Krnst Ludw. Theod. Henke (seinem Schwiegersohn), Leipzig 1867. M. J.
Schleiden, Jac. Fr. Fries, der Philos. u. Naturforscher, in: Westermanns Monatsh.,
Juni 1857. F. v. Wangenheim, K.s Vertheidig. geg. Fries, I.-D., Halle 1876. Grapen-
giesser, K.s Krit. d. r. V. und deren Fortbildung durch J. F. Fries, Jena 1882. S. auch
K. Holtzmann, d. Entwickel. des ästhetisch. Religionsbegr., in: Ztschr. f. wissensch.
Th., 1876. Ueb. sein Verhältniss zu Fichte. Schelling u. Hegel s. K. Fischers S. 272
citirte Abhandl. üb. die beiden kantischen Schulen in Jena.
Sal. Maimon betreffen die Schriften: Sah Maimons Lebcnsgesch. von ihm selbst
geschrieben u. herausgeg. v. K. P. Moritz, Berl. 1792. S. Jos. Wölfl'. Maimoniana
1813. J. H. Witte, Salom. Maimon. Die merkwürdigen Schicksale und die wissen-
schaftliche Bedeutung eines jüdisch. Denkers aus der kantischen Schule, Berl. 1876.
Unter den Gegnern Kants stehen auf dem lockeschen Standpunkte namentlich
Christ. Gottl. Seile (Mediciner u. Philosoph 1748—1800; Philos. Gespräche, Berl.
1780, Grandsätze der reinen Philos., Berl. 1788) and Adam Weishaupt (geb.
1748, erster weltlicher Lehrer des Kirchenrechts zu Ingolstadt, wegen seines Frei-
muths and als Stifter des kosmopolitischen Illuminatenordens vielfach angefeindet,
lebte seit 1785 in Gotha, gest. 1830; seine hauptsächlichen philosophischen Schriften
sind: Ueb. Materialism. a. Idealism., Nürnb. 1786 ; 2. Aufl. 1788; Zweifel üb. d.
kantisch. Begriffe von Zeit u. Raum, Nürnb. 1787; üb. d. Gründe u. Gewissh. der
menschl. Erkenntn., Nürnb. 1788; üb. Wahrheit u. sittl. Vollkommenh., 3 Bde.,
Regensb. 1793—1797), theihveise auch die Eklektiker Joh. Ge. Hnr. Feder (s. ob.
S. 181) und G. A. Titte 1 (1739—1816, Erläuterungen der theoret. u. prakt Philos.
nach Federe Ordnung, 6 Theile, Frkf. a. M. 1783—1786; üb. K.s Moralreform,
Frkf. u. Lpz. 1786; Kantische Denkformen od. Kategorien, Frkf. a. M. 1787) and
der Historiker der Philosophie Tie dem an n, der in seinem Theaetet (s. ob. S. 181)
die objectiv-reale Gültigkeit der menschlichen Erkenntniss vertheidigt, doch ent-
halten die Argumente der Letzteren auch leibnizische Gedanken. Zu den
selbständigsten Bekämpfern des kantischen Kriticismus gehört Garve (s. ob. S. 180)f
der die S. 224 erwähnte Recension für die Gotting, gel. Anzeigen schrieb. Später
hat derselbe (bei seiner Uebersetzung der aristotelischen Ethik) die kantische
Moralphilosophie einer eingehenden und noch heute sehr beachtenswerthen Prüfung
unterworfen. S. Alb. Stern, üb. d. Beziehungen Chr. G.s zu Kant nebst mehreren
bisher angedruckten Briefen Kants, Federe u. Garves, I.-D., Lpz. s. a. Unter den
gegen Kant auftretenden Leibnizianern sind die bedeutendsten Eberhard (s. ob.
S. 179), gegen den Kant selbst sich (in der Abhandlung „über eine Entdeckung* etc.)
vertheidigt hat, und Joh. Christoph Schwab (1743—1821), der Verfasser einer von
der Berl. Akad. d. Wissensch, gekrönten Preisschrift üb. d. Frage: „ welche Fort-
schritte hat d. Metaph. seit Leibnizens and Wolfis Zeiten in Dtschl. gemacht?»
zugleich mit d. Preisschriften der Kantianer K. L. Reinhold und Joh. Hnr. Abicht,
hrsg. von der Akad. der Wiss., Berl. 17%. Auch der in der Litteratar za diesem
Paragraphen gen. Historiker Eberstein polemisirt vom leibniz-wolffschen Stand-
punkte aus gegen den Kantianismus. Herders Metakritik fand bei der ungerecht-
fertigten Bitterkeit ihres Tones und bei dem geringeu Veretändniss für die neuen
Probleme and für die ganze Bedeutung Kants wenig Beachtung and kaum mehr
seine gegen die Kritik der Urtheilskraft gerichtete Kalligone. Gegen die Meta-
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Schiller, Jacobi, Fries, Beck, Bardiii und Andere.
293
kritik schrieb Kiesewetter, s. ob. S. 234. Herder war gegen Kant gereizt worden
dnrch Kante Recension der Ideen zur Philos. der Gesch. der Menschheit, die in
der Jenaer Litteraturzeitnng erschienen war. Der Skeptiker Gottlob Ernst Schulze
(1761 bis 1833) unterwirft in seinen Schriften: Grundriss der philosoph. Wissen-
schaften, 2 Bde., Wittenb. u. Zerbst 1788 u. 1790; Aenesidemus od. üb. d. Funda-
mente der v. Reinhold gelieferten Elementarphilos., nebst e. Vertheidigung des
Skepticismus geg. d. Anmaass. d. Vernunftkritik, 1792 (anonym erschienen; der
Verf., nachdem er bekannt, daher Aenesidemus Schulze genannt); Kritik der theo-
retisch. Philosophie, 2 Bde., Hamb. 1861, die kantische und reinholdsche Doctrin
einer scharfsinnigen Kritik. Das kräftigste seiner Argumente kommt mit dem
schon früher von Fr. H. Jacobi aufgestellten überein, dass der für das kantiBche
System nothwendige Begriff der Affection nach eben diesem System unmöglich sei.
G. £. Schulze näherte sich später (Encyclopädie der philos. Wissenschaften, Gotting.
1824; üb. d. mcnschl. Erkenntniss, Gotting. 1832) immer mehr Jacobi.
Unter den Anhängern Kants und Vertretern seiner Doctrin hat der Hof-
prediger und Professor der Mathematik zu Königsberg, Johannes Schultz,*)
Erläuterungen üb. d. Herrn Prof. Kant Krit d. rein. Vernunft veröffentlicht, die
Kants vollen Beifall hatten, und später eine Prüfung der Kantischen Krit. d. rein.
Vernunft (s. ob. S. 234). Die „Erläuterungen* hat Tissot Paris 1865 ins Französ.
übersetzt. Ldw. Hnr. Jakob hat in seiner „Prüfg. der Mendelssohnschen Morgen-
stunden", Leipz. 1786, die theoretischen Beweise Mendelssohns für das Dasein
Gottes von dem Standpunkte des kantischen Kriticismus aus bestritten. Karl
Chrstn. Erh. Schmid (1761 — 1812), der in der Folge eine Reihe von Lehrschriften
verfasst hat, Hess 1786 einen Grundriss d. Krit. d. rein. Vrnft nebst e. Wörterb.
zum leichteren Gebrauch der kantiscben Schriften erscheinen. In den späteren
Aufl. des Wörterbuchs vertheidigt Schmid die kantische Doctrin gegen den jacobi-
schen, aus der .Affection" entnommenen Einwurf durch die Bemerkung, es sei
dabei „alles ( »ertliche und Räumliche beiseite zu setzen", was zwar richtig ist,
aber auch von der Zeitlichkeit und Causalität gelten muss, wodurch dann der
Begriff der Affection sich völlig aufhebt Der jacobische Einwurf bleibt demnach
unwiderlegt.
Durch Karl Leonh. Reinholds (geb. 1758 zu Wien, zuerst bei den Jesuiten
erzogen, dann Wielands Mitarbeiter am Deutschen Merkur, später dessen Schwieger-
sohn, seit 1787 Professor in Jena und zuletzt in Kiel, gest. 1823) populär gehaltene
„Briefe üb. die kantische Philos." (im Deutschen Merkur 1786-87, in neu verm.
Aufl. Leipzig 1790—92) faDd der Kriticismus Eingang in das Bewusstsein weiterer
Kreise: Reinholds Berufung zum Professor der Philosophie in Jena machte Jena
zu einem Centraipunkt des Studiums der kantischen Philosophie. Die Jenaische
Allg. Literaturzeitung (gegründet 1785, redigirt von Schütz und Hufeland) ward
bald das einflussreichste Organ des Kautianismus. In seinem .Versuch e. neu.
Theorie des menschl. Vorstellgsvmög.', Jena 1789 (welchem als Vorrede die kurz
*) Die Schreibung des Namens dieses Kantianers schwankt zwischen Schultz
und Schulze. Auf dem Titelblatte der „Erläuterungen" steht Schulze; er selbst
hat sich der ersteren Schreibart bedient J. Schultz hat er sich unterzeichnet in
einem (in Rcickes Besitz befindlichen) Briefe an Borowski vom 10. Mai 1799,
worin er diesem für Mittheilungen über den fichteschen Atheismus-Streit dankt
und Fichte anwünscht: „Unser Gott, dem wir beide ferner allein vertrauen wollen,
wolle ihm weiter helfen, denn der Beinige taugt nichts!" In das Köuigsberger
Universität.-- Alhum sind von ihm im Sommer 1802 Studenten immatriculirt worden
-rectore academiae Joanne Schultz, S. R. M. concionatore aulico Mathematum
Professore ordioario".
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294
§ 28. Schüler und Gegner Kante. Reinhold,
vorher schon im Deutschen Merkur ersch. Abhdlg. „üb. die bisher. Schicksale d.
kantisch. Phil." beigefügt ist), versucht Reinhold, die beiden Stämme der Erkennt-
niss als Aeste des einen Voretellungsvermögens darzustellen und für die kantische
Doctrin eine neue Basis zu gewinnen, die er jedoch (ebenso wie Schopenhauers
Satz: kein Object ohne Subject, s. u. § 34) selbst später als unzureichend erkannt
hat. Er findet diese in dem Satze, der das Bewusstsein ausdrücke: .Im Bewusst-
sein wird die Vorstellung vom Vorstellenden und Vorgestellten unterschieden und
auf beides bezogen"; auf den Unterschied und den Zusammenhang zwischen den
drei Bestandteilen des Bewussteeins lasse sich der Begriff von Vorstellung gründen
und aus diesem die ganze kritische Philosophie so ableiten, dass das, was bei
Kant Grand und Beweis sei, als Folge vorkomme. Als er den Standpunkt der
„Elementarphilosophie'', wie er seine Lehre nannte, da sie das Fundament
des Wissens geben sollte, verlassen hatte, näherte er sich der Lehre Bardiiis, die
er jedoch auch bald wieder aufgab. Zumeist auf dem Gebiete der Aesthetik hat
Friedr. Bouterwek (1766—1828; Idee einer Apodiktik, Halle 1799; Aesthetik,
Leipz. 1806 u. 6.) sich verdient gemacht. In seiner Apodiktik stellt er ein System
des absoluten „Virtualismus" auf. Durch die Selbsterkenntniss erfassen wir uns
als wollende Wesen, d. h. als lebendige Kräfte, als solche müssen wir auch die
Dinge ausser uns ansehen. Das Unbedingte, in dem wir sind, ist die virtuelle
Einheit aller Kräfte. Später, namentlich in seiner „Religion der Vernunft-, Gotting.
1824, näherte er sich den Anschauungen Jacobis.
Auf dem Gebiet der Religionsphilosophie haben Karl Hnr Heydenreich
(1764—1801, Natur u. Gott nach Spinoza, Lpz. 1788; Betrachtungen üb. d. Philo-
sophie der natürl. Rel., 2 Bde., Lpz. 1790 —91; System des Naturrechts nach krit.
Principien, 2 Bde., Lpz. 1794—1795; s. üb. ihn K. Gottl. Schelle, H.s Charakte-
ristik, Lpz. 1802), Joh. Heinr. Tieftrunk (1760—1837, versuchte auch in seiner
„Denklehre in rein deutschem Gewände", 2 Bde, Halle u. Lpz. 1825—1827, durch
eine Reinigung der philosoph. Sprache der Philosophie aufzuhelfen), die entschiedenen
Rationalisten Jul. Aug. Ludw. Wegscheider, Paulus (s. K. A. v. Reichlin-
Meldegg, Heinr. Eberh. Gottlob Paulus u. s. Zeit, 2 Bde., Stuttg. 1853), Röhr
und Andere Bedeutung. Der theologische Rationalismus ist aus einer Vermischung
kantischer Ansichten mit denen der Aufklärung hervorgegangen. Auf dem Gebiete
der Rechtephilosophie sind zu nennen Joh. Heinr. Abicht (1762—1804), Heyden-
reich, Joh. Christoph Hoffbauer (1766-1827), Krug und And., auf dem der
Logik Kiesewetter, Krug, Hoffbauer, Fries, Joh. Gebh. Ehrcnr. Maass
(1766—1823) und A., auf dem der Psychologie Maass, Fries, Hoffbauer, auf
dem der Geschichte der Philosophie namentlich Tennemann und Buhle. Wilh.
Traug. Krug (1770 bis 1842) hat sich besonders durch Popularisirung kantischer
Philosophcme verdient gemacht Er hat von 1805 bis 1809 in Königsberg gelehrt,
danach in Leipzig. Sein allgem. Handwörterb. d. philos. Wissenschaften ist
Leipzig 1827—34, 2. Aufl. 1832—38 erschienen. Namentlich in seinem Organon
der Philosophie, Meissen 1801, entwickelte er seinen „transscendentalen Syn-
thetisraus*, nach welchem es in unserem Bewusstsein eine ursprüngliche trans-
scendentale Synthesis zwischen dem Idealen und Realen, zwischen dem denkenden
Subject und der gegenüberstehenden Aussenwelt, zwischen Wissen und Sein giebt.
die anerkannt werden muss, aber nicht weiter zu erklären ist. Denn um sie zu
erklären, müsste man von dem Einen oder dem Andern anfangen und dadurch die
Synthesis aufheben.
Der geistvollste aller Kantianer war der Dichter Friedrich Schiller
(11. Nov. 1759 bis 9. Mai 1805).
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Schiller, Jacobi, Fries, Beck, Bardiii und Andere.
295
Schon früh hat Schiller sich mit philosophischen Schriften, insbesondere
englischer Moralisten und Rousseaus vertruut gemacht. Der philosophische Unter-
richt in der Karlsschulc zu Stuttgart, den der Eklektiker Jac. Friedr. von Abel
ertheilte, ruhte hauptsächlich auf der leibniz-wolffschen Doctrin. Sch. hat in der
frühe entstandenen „Theosophie des Julius« den leibnizischen Optimismus dem
Pantheismus augenähert, ohne dass jedoch ein Einfluss Spinozas angenommen
werden darf. Den letzten der „ philosophischen Briefe", in welchem sich ein
kantischer Einfluss bekundet, hat nicht Sch., sondern Körner (1788) gesehrieben.
Im Jahre 1787 las Sch. die der Gesehichtsphilosophie angehörenden Aufsätze Kante
in der Berl. Monatsschr. und eignete sich daraus die Idee teleologischer Geschichts-
betrachtung an, die auf seine historischen Arbeiten von wesentlichem Einfluss
geworden ist. Erst seit 1791 studirte Sch. Kants Hauptwerke und zwar zuerst die
Kritik der Urtheilskraft; zugleich förderten ihn Discussioneu mit eifrigen Knntianern
im Verständniss der kantischen Doctrin. Einigen, -jedoch verhältnissmässig sehr
geringen Einfluss gewann auf ihn bereits im Jahre 1794 die fichtesche Speculation.
Die Vorrede zur „Braut von Meseina* enthält (insbesondere in dem Satze: das
Poetische liegt in dem Indifferenzpuukte des Ideellen und Sinnlichen, der jedoch
der Sache nach auf Schillers Auffassung des „ästhetischen Zustande.** in den
„Briefen über ästhetische Erziehung* beruht) einen Anklang au die schellingsche
Doctrin. Schiller war geneigt zu glauben, dass eine Fortbildung der Philosophie
durch Schelling erfolgt sei, gestand jedoch (in einem Brief an Sendling vom
12. Mai 1801), nachdem er die ersten Sätze des „transsc. Idealismus* gelesen hatte,
nur die dogmatistischen Irrthümer glücklich beseitigt zu finden, aber nicht zu
ahnen, wie Schelling sein System positiv aus dem Satze der Indifferenz heraus-
ziehen werde. Von Schillers philosophischen Abhandlungen aus seiner kantianischen
Periode gehört zu den bedeutendsten die „üb. Anmuth und Würde", verfasst 1793,
worin der sittlichen Würde als der Erhebung des Geistes über die Natur die
sittliche Anmuth als die Harmonie zwischen Geist und Natur, Pflicht und Neigung,
ergänzend zur Seite gestellt wird. Er bekämpft hier die Härte, mit welcher Kant
die Idee der Pflicht gelehrt hatte, da diese Strenge alle Grazien davonscheuche
und einen schwachen Verstand leicht versuchen könne, die moralische Vollkommen-
heit in einer flüstern und mönchischen Asketik zu suchen. Kant vertheidigt sich
dagegen damit, dass durch Rücksicht auf die Grazien, die im Gefolge der Tugend
seien, sich der Eudämonismus gar zu leicht einschleichen könne (in einer Note zur
2. Aufl. seiner „Relig. innerh. d. Grenzen d. bl. Vnft.*). Die 1793- 95 ausgearbeiteten
.Briefe üb. ästhet. Erziehung" empfehlen die ästhetische Bildung als den geeignetsten
Weg der Erhebung zur sittlichen Gesinnung. Es soll der empirische Mensch den
idealischen, der ihm immanent ist, realisiren. Der Staat, welcher die höchste
Form ist, in der dies geschehen kann, genügt hierzu nicht ohne die Kunst, die
das Schöne verwirklicht. In der Schönheit allein werden die Ansprüche des
geistigen und des sinnlichen Menschen befriedigt. Der Spieltrieb, d. h. die künst-
lerische Thätigkeit, verbindet den niederen Stofftrieb, das sinnliche Begehren, mit
dem höheren Formtrieb, und der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung
des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt So ver-
einigt das Schöne die beiden Grundtriebe zur Harmonie. Die Abhandlung „über
naive und sentimentalische Dichtung* (1795—96) vermittelt die Aesthetik mit der
Geschichtsphilosophie, indem Sch. hier durch die Begriffe: natürliche Harmonie,
Erhebung zur Idee und wiedergewonnene Einheit des Ideellen mit der Realität, des
Geistes und der C'ultur mit der Natur, ebensowohl die verschiedenen Formen der
Dichtung überhaupt und der Richtungen der Dichter (wie dieselben in Goethe und
Schiller selbst sich repräsentirt fanden), als auch die Bildungsform des hellenischen
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§ 28. Schüler und Gegner Kants. Reinhold,
Alterthums und die der Neuzeit, insbesondere den Typus der antiken und der
modernen Dichtung charakterisirt.
Fried r. Ii ein r. Jacobi (geb. am 25. Januar 1743 zu Düsseldorf, zu Genf
insbesondere auch unter dem Einfluss des Physikers Lesage gebildet, früh mit
Spinozas Doctrin vertraut, Kaufmann, Beamter, Präsident der Akademie der Wiss.
zu München, gest. am 10. März 1819 zu München), der Glaubensphilosoph, sucht
gegenüber dem systembildenden philosophischen Denken die Unmittelbarkeit des
Glaubens zur Geltung zu bringen. Er selbst bekennt: »nie war es mein Zweck,
ein System für die Schule aufzustellen; meine Schriften gingen hervor aus meinem
innersten Leben, sie erhielten eine geschichtliche Folge, ich machte sie gewisser-
maassen nicht Belbst, nicht beliebig, sondern fortgezogen von einer höheren, mir
unwiderstehlichen Gewalt". Unter Jacobis Schriften sind hervorzuheben die philo-
sophischen Romane: Allwills Briefsammlung, und: Woldemar, in welchen ausser
dem theoretischen Problem der Erkenntniss der Aussenwelt insbesondere die mora-
lische Frage nach dem Verhältniss des Rechtes und der Pflicht des Individuums
zu der gemeingültigen Sittenregel discutirt wird, ferner die Schrift üb. d. Lehre d.
Spinoza, in Briefen an Mos. Mendelssohn, Breslau 1785 u. ö., worin Jacobi ein von
ihm mit Lessing am 6. u. 7. Juli 1780 geführtes Gespräch mittheilt, in welchem
dieser seine Hinneiguug zum SpinoziBmus bekannt haben soll (s. o. § 20), die Schrift:
David Hume üb. d. Glauben, oder Ideal ism. u. Realism., Bresl. 1787, worin Jacobi
auch sein Urtheil über den Kantianismus äussert, das Sendschreiben an Fichte,
Hamburg 1799, die Abhandlung üb. d. Unternehmen d. Kriticismus, die Vernunft
zu Verstände zu bringen, im III. Heft der Reinholdschen Beiträge z. leichteren
Uebers. d. Zustds. der Philos. beim Anfange d. 19. Jahrh., Hamb. 1802, von den
göttl. Dingen, Leipz. 1-11 (gegen Schelling, dem Jacobi einen heuchlerischen Ge-
brauch theistischer und christlicher Worte im pantheistischen Sinne vorwirft). Den
Spiuozismus hält Jacobi für das einzige conscqucnte System, glaubt aber, dass
dasselbe verworfen werden müsse, weil es den unabweisbaren Bedürfnissen des Ge-
müthes widerstreite. Alle Demonstration fuhrt nur zu dem Weltganzen, nicht zu
einem extramundanen Welturheber; denn der demonstrirende Verstand kann immer
nur von Bedingtem zu Bedingtem, nicht zum Unbedingten gelangen. Gottes Dasein
beweisen würde heisseu, einen Grund desselben aufzeigen, wodurch Gott zu einem
bedingten Wesen werden würde (wobei Jacobi freilich die Bedeutung des in-
directeu Beweises, der von der Erkenntniss von Wirkungen zur Erkenntniss von
Ursachen führen kann, unerörtert lässt). So nahe diese jacobische Ansicht der
kantischen steht, welche der praktischen Vernunft mit ihren Postulaten den Primat
vor der theoretischen, die keine »Dinge an sich* zu erkennen vermöge, einräumt,
so hat doch Kant (in der Abhandlung: „was heisst, sich im Denken orientiren?"
Kants Werke von Ros. u. Sch. Bd. I, S. 386 f.) dagegen einzuwenden gefunden, es
gehe wohl an, solches zu glauben, was die theoretische Vernunft weder beweisen
noch widerlegen könne, aber nicht solches, wovon sie, wie man meine, das Gcgen-
theil beweisen könne; Kriticismus und Gottesglaube seien vereinbar, Spinozismus
und Gottesglaube aber unvereinbar. Andererseits vermochte Jacobi die kantische
Begründung der Schranken der theoretischen Erkenntniss nicht zu billigen. Er
hat das Dilemma klar bezeichnet, welches für den kantischen Kriticismus tödtlich
ist: die Affection, durch welche wir den empirisch gegebenen Wahrnehmungsstoff
empfangen, muss entweder von Erscheinungen oder von Dingen an sich ausgehen,
das Erste aber ist absurd, weil Erscheinungen im kantischen Sinne selbst nur Vor-
stellungen sind, also vor allen Vorstellungen bereits Vorstellungen vorhanden sein
müssten, das andere (was Kant wirklich annimmt und sowohl in der ersten, wie in
den folgd. Aufl. der Krit. d. rein. Vernunft, in der Schrift geg. Eberhard etc.
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Schiller, Jacobi, Friea, Beck, Bardiii and Andere.
297
ausspricht) widerstreitet der kritischen Doctrin, dass das Verhältnis» von Ursache
nnd Wirkung nur innerhalb der Erscheinungswelt gelte und keine Beziehung auf
Dinge an sich habe. Der Anfang und Fortgang der Kritik vernichten einander
(Jacobi üb. Dav. Hume, Werke, Bd. H, 8. 301 ff.).
Jacobi selbst meint nicht das Dasein von Objecten, die uns afBciren, beweisen
zu können, ist aber davon unmittelbar vermöge der Sinneswahrnehmung über-
zeugt. Die Objecte der sinnlichen Wahrnehmung sind ihm nicht blosse Erschei-
nungen, d. b. nach Kategorien mit einander verknüpfte Vorstellungen, sondern
reale Objecto, aber endliche und bedingte Objecte. Nur auf solche geht auch die
Verstandeserkenntniss, welche Jacobi demnach in Uebereinstimmung mit Kant auf
das Gebiet möglicher Erfahrung einschränkt, obschon nicht in dem gleichen Sinne,
wie Kant. Dass auch die theoretische Vernunft, sofern derselben die Function der
Beweisführung beigelegt wird, nicht über dieses Gebiet hinausführe, nimmt Jacobi
wiederum mit Kant an. Jacobi missbilligt den inhaltleeren Formalismus des kan-
tischen Moralprincips, er will die Unmittelbarkeit des sittlichen Gefühls neben der
moralischen Reflexion und die individualisirende Bestimmung der jedesmaligen
moralischen Aufgabe neben der abstracten Regel anerkannt sehen. Er tadelt Kants
Argumentationen für die Gültigkeit der Postulate in der Kritik der praktischen
Vernunft als unkräftig, da eiu Fürwahrhalten in bloss praktischer Absicht (ein
blosser Bedürfnissglaube) sich selbst aufhebe, und hält dafür, dass es eine un-
mittelbare Ueberzeugung von dem Uebersinnlichen, auf welches die kantischen
Postulate der praktischen Vernunft gehen, ebensowohl, wie von dem Dasein der
sinnlichen Objecte gebe. Er nennt dieselbe Glauben. In späteren Schriften
bezeichnet er das Vermögen des unmittelbaren Erfassens und Vernehmens des Ueber-
sinnlichen als die Vernunft. Wessen Gemüth sich beim Spinozismus befriedigen
kann, dem kann eine entgegengesetzte Ueberzeugung nicht andemonBtrirt werden,
sein Denken hat Consequenz, die philosophische Gerechtigkeit muss ihn frei geben;
aber er würde, meint Jacobi, auf den edelsten Gehalt des geistigen Lebens ver-
zichten. Jacobi erkennt die philosophische Consequenz an in Fichtes Reduction
des Gottesglaubens auf den Glauben an eine moralische Weltordnung; aber er
befriedigt Bich nicht bei dieser blossen Consequenz des Verstandes. Er tadelt
Schölling, die spinozistische Consequenz verhüllen zu wollen (freilich ohne einem
Standpunkt völlig gerecht zu werden, der diese Trennung der Realität und Idealität
aufzuheben und dus Endliche als erfüllt von dem ewigen Gehalt zu erkennen sucht,
in der sondernden und anthropomorphisirenden Auffassung des Ideellen aber nicht
ein höheres Erkennen, sondern nur eine berechtigte Poesie erblicken kann). Jacobi
erhebt sich über die Sphäre, an die der Verstand gebunden bleibe, durch den
Glauben an Gott und die göttlichen Dinge. Es lebt, sagt er, in uns ein Geist un-
mittelbar aus Gott, der des Menschen eigentlichstes Wesen ausmacht. Wie dieser
Geist dem Menschen gegenwärtig ist in seinem höchsten, tiefsten und eigensten
Bewuastsein, so ist der Geber dieses Geistes, Gott selbst, dem Menschen gegen-
wärtig durch das Herz, wie ihm die Natur gegenwärtig ist durch den äussern
Sinn. Kein sinnlicher Gegenstand kann so ergreifen und als wahrer Gegenstand
unüberwindlicher dem Gemüthe sich darthun, als jene absoluten Gegenstände, das
Wahre, Gute, Schöne und Erhabene, die mit dem Auge des Geistes gesehen
werden können. Wir dürfen die kühne Rede wagen, dass wir an Gott glauben,
weil wir ihn 6ehen, obwohl er nicht gesehen werden kann mit den Augen dieses
Leibes. Es ist ein Kleinod unseres Geschlechts, das unterscheidende Merkmal des
Menschen, dass seiner vernünftigen Seele diese Gegenstände sich erscbliessen. Mit
heiligem Schauer wendet der Mensch seinen Blick in jene Sphären, aus welchen
allein Licht hineinfällt in das irdische Dunkel. Aber Jacobi gesteht auch: Licht
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208
§ 28. Schüler and Gegner Kants. Reinhold,
ist in meinem Herzen, aber sowie ich es in den Verstand bringen will, erlischt es.
Welche von beiden Wahrheiten ist die wahre, die des Verstandes, die zwar feste
Gestalten, aber hinter ihnen einen Abgrund zeigt, oder die des Herzens, die zwar
verheissend aufwärts leuchtet, aber bestimmtes Erkennen vermissen lässt? Um
dieses Zwiespalts willen nennt sich Jacobi .einen Heiden mit dem Verstände, einen
Christen mit dem Gemüth".
Jacobi findet das Wesentliche des Christenthums in dem Theismus, dem Glauben
an einen persönlichen Gott, wie auch an die sittliche Freiheit und Ewigkeit der
menschlichen Persönlichkeit. Das Christenthum „in dieser Reinheit aufgefassf und
auf das unmittelbare Zeugniss des eigenen Bewusstseins gegründet, ist ihm das
Höchste. Im Unterschiede von diesem rationalen Zage seiner Glaubensphilosophie,
den Friedr. Koppen, Cajet v. Weiller, Jak. Salat (1766 — 1851, polemisirte
viel gegen den Obscurantismns in d. katb Kirche, sowie gegen die schellingsche Philo-
sophie, gab mit v. Weiller u. Bened. Schneider heraus: Der Geist der allerneuesten
Philosophie der Herren Schölling, Hegel u. Comp., 2 Bd., Münch. 1803-1805. Sein
bedeutendstes Werk ist: Moralphilosophie, Münch. 1809, 3. Aufl. 1821), Chr. Weiss,
Joh. Neeb, J. J. F. Ancillon u. A. im Wesentlichen mit ihm theilen, hält sein
Freund und Anhänger Thom. Wizenmann (vgl. üb. ihn AI. v. d. Goltz, Wiz., der
Freund Jacobis, Gotha 1859t sich, was die Quelle des Glaubens betrifft, an die Bibel,
und demgemäs8 in Bezug auf den Glaubensinhalt auch an die speeihsch- christlichen
Dogmen. In diesen letzteren findet Joh. Georg Hamann (geb. zu Königsberg 1730,
daselbst Packhofsverwalter, gest. auf einer Reise zu Münster 1788), der mit Kant und
auch mit Herder und mit Jacobi befreundete „Magus im Norden", den Halt und
Trost für sein unstetes, durch Sünde und Noth zerrissenes Gemüth und gefällt sich
darin in geistvollen, jedoch oft ins Gesuchte und Abenteuerliche ausartenden Ge-
dankenblitzen die Mysterien oder „Pudenda* des christlichen Glaubens zu Ehren
zu bringen; zu diesem Behuf dient ihm insbesondere das „prineipinm coincidentiae
oppositorum- des Giorduno Bruno. Diese Geheimnisse müssen erlebt und erfahren
und können nicht erwiesen werden. An die Stelle des Wissens muss die individuelle
Gewiesheit des Glaubens treten. Der trennende Verstand bringt nach Hamann oft
Einseitigkeiten hervor, die nicht aufrecht zu halten seien. So seien die zwei Stämme
des menschlichen Erkenntnissvermögens bei Kant durch eine solche Trennung her-
vorgebracht. Die blosse Thatsache der Sprache widerlege diese Ansicht Kants.
Denn in der Sprache erhalte die Vernunft sinnliche Existenz. Seine Werke hat
F. Roth herausg., Berl. 1821-43; C. H. Gildemeister, H.s Leben und Schriften,
Bd. 1—6, Gotha 1858—73, Jobs. Ciaassen, J. G. H.b Leb. u. WW. in geordnet,
gemeinfassl. Auszuge, 3 Abth., Gütersloh 1878 — 1879, ferner Ueinr. v. Steins Vor-
trag üb. II., A. Brömel, J. G. Hamann (Abdr. aus d. luth. Kirchenz.), Berl. 1870,
J. Disselhoff, Wegweiser zu J. G. Hamann, dem Magus des Nordens, Elberf. 1870,
Mor. Petri, J. G. H.s Schriften und Briefe in 4 Thln., Hannov. 1872—73, Ldw.
Francke, J. G. IL, e. Lebensbild, Torgau, Progr. 1873, G. Poel, J. G. H., der
Magus im Norden, 2 Thle., Hamb. 1874—1876.
Das Christenthum als die Religion der Humanität, den Menschen als
Schlusspunkt der Natur und seine Geschichte als fortschreitende Entwicklung zur
Humanität zu begreifen, ist die Aufgabe, an deren Lösung der phantasievolle, viel-
nmfasseude und mit feinstem Sinn für die Realität und Poesie des Völkerlebens
begabte Joh. Gott fr. Herder (geb. 1744 zu Mohrungen in Ostpr., gest. 1803 zu
Weimar) erfolgreich gearbeitet hat Freilich fehlt es seinen Gedanken bisweilen
an Abrundung und voller Klarheit Er war ein Zuhörer und Schüler Kants in
dessen vorkritischer Periode und hat diesen am liebsten reden hören über Astronomie,
physische Geographie, über die grossen Gesetze der Natur (s. B. Suphan, H. als
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Schiller, Jacobi, Fries, Beek, Bardiii und Andere.
291)
Schüler Kants, in Ztschr. f. deutsche Philol., Bd. 4, 1872, S. 225—237). Dem
schroffen Dualismus, den Kant zwischen dem empirischen Stoff und der apriorischen
Form, zwischen Natur und Freiheit statuirt, stellt er den tieferen Gedanken der
wesentlichen Einheit und stufenmassigen Kntwickelung in Natur und Geist ent-
gegen; seine Weltanschauung culminirt in einem poetisch umgestalteten, mit der
Idee des persönlichen Gottesgeistes und der (als Metempsychose gedachten) Un-
sterblichkeit erfüllten (also der früheren, der Ethik vorausliegenden Form, obschon
diese damals unbekannt war, verwandten, der Lehre Brunos wieder angenäherten)
Spinozismus, den er besonders in der Schrift: Gott, Gespräche üb. Spinozas System,
zusammenhängend entwickelt hat Freilich verbindet er hiermit manche Anschauungen
Leibnizens, z. B. das Princip der Individualität, wonach jedes Wesen nur identisch
mit sich selbst ist, und nimmt auch eine allgemeine Wechselwirkung aller Wesen an.
Auf die Sprache legt Herder sehr grosses Gewicht und findet ihren Ursprung in der
Natur des Menschen, der als denkendes Wesen der uninteressirten, begierdefreien
Betrachtung der Dinge fähig sei; der Ursprung der Sprache ist göttlich, sofern er
menschlich ist. Die Sprache vermittelt für den Menschen den Uebergaug von den
Sinneseindrücken zu Gedanken. Der Entwickelungsgang der Sprache zeugt (wie
Herder, zum Theil nach Hamann, 1799 in seiner Metakritik bemerkt) gegen den
kantischen Apriorismus. Kaum und Zeit sind Erfahrungsbegriffe, Form und Materie
der Erkenntniss sind auch in ihrem Ursprung nicht von einander getrennt, die
Vernunft subsistirt nicht abgesondert von den andern Kräften; statt der .Kritik
der Vernunft" bedarf es einer Physiologie der menschlichen Erkenntuisskräfte.
Herder bezeichnet als den schönsten und schwersten Zweck des menschlichen
Lebens, von Jugend auf Pflicht zu lernen, solche aber, als ob es nicht Pflicht sei,
in jedem Augenblicke des Lebens auf die leichteste beste Weise zu üben. Herders
philosophisches Hauptverdienst liegt in der philosophischen Betrachtung der Ge-
schichte der Menschheit, wobei er den Gedanken zur Geltung bringt, dass in der
Geschichte ebenso wie in der Natur Alles aus gewissen natürlichen Be-
dingungen nach festen Gesetzen sich entwickle. Er bebt die Abhängigkeit
der Menschen von der Natur, von ihren Wohnplatze, der Erde, hervor. Natur-
produet ist der Mensch wie das Thier, deshalb sind auch die Thiere des Menschen
ältere Brüder. Die Natur scheint alles Lebendige auf der Erde nach einem Haupt-
plasraa der Organisation gebildet zu haben, und so erklärt ein Exemplar das andere.
Die ganze Schöpfung ist in einem Kriege begriffen, wobei die entgegengesetztesten
Kräfte einander nahe liegen. Das Mittelgeschöpf unter den Thieren ist der Mensch;
in ihm finden sich die Züge aller Gattungen als im feinsten Inbegriffe. Er als das
höchste Gebilde der Schöpfung ist organisirt zur Vernuuftthätigkeit, womit Kunst
und Sprache zusammenhängen, zur Humanität und Religion, zur Hoffnung der Un-
sterblichkeit. Das Fortachrittsgesetz der Geschichte beruht auf einem Fortschritts-
gesetz der Natur, das schon in den Wirkungen der anorganischen Naturkräfte
verborgen thätig ist, in der aufsteigenden Reihe der organischen Wesen vom
Naturforscher bereits erkannt wird und sich für den Geschichtsforscher zeigt in den
geistigen Bestrebungen des Menschengeschlechts. Natur und Geschichte stehen eo
in innigster Verbindung. Sie arbeiten beide für Erziehung des Menschen zur
Humanität. Selten wird freilich das Ziel wahrer Humanität erreicht, und so weist uns
der jetzige Znstand der Menschen auf eine jenseitige Welt hin. Einen bedeutsamen
Einfluss haben Herders Briefe zur Beförderung der Humanität und hat überhaupt
seine begeisterte Hingabe an die grosse Aufgabe der Herausbildung des allgemein
menschlich Werthvollen aus den verschiedenartigen historisch gegebenen Cultur-
formen geübt. Eine Theorie des Schönen versucht er in der Schrift Kalligone zu
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300
§ 28. Schüler und Gegner Kants. Beinhold,
entwickeln. — Uebrigens gehören Jacobi, Hamann and Herder noch mehr als der
Geschichte der Philosophie, der Geschichte der deutschen Nationallitteratur an.
Jakob Fried r. Fries war geboren den 23. Aug. 1773 zu Barby, wurde in der
Brüdergemeinde erzogen, hörte 1797 in Jena Fichte, habilitirte sich daselbst 1801,
ging 1805 als Prof. der Philosophie nach Heidelberg, kehrte 1816 in derselben
Eigenschaft nach Jena zurück, wurde wegen angeblicher Theilnahme an demagogischen
Umtrieben — er hatte 1817 das Wartburgfest mitgemacht — 1819 von seinem
Amte suspendirt und erhielt erst 1824 wieder eine Professur der Physik und
Mathematik; seit 1826 hatte er auch die Erlaubniss, wieder philosophische Vor-
lesungen zu halten. Er starb in Jena den 10. Aug. 1843. 8eine Schreibweise ist
häufig umständlich und wenig durchsichtig. Fries wirft die Frage auf, ob die
Vernunftkritik, welche die Möglichkeit der Erkenntniss a priori untersucht, ihrer-
seits durch eine Erkenntniss a priori oder a posteriori zu gewinnen sei, und ent-
scheidet sich für die letztere Annahme: wir können nur a posteriori, nämlich durch
innere Erfahrung, uns dessen bewusst werden, dass und wie wir Erkenntnisse a priori
besitzen. Die auf innerer Erfahrung beruhende Psychologie muss dem-
gemäss die Basis des Phi losophirens bilden. Der Verstand, dessen
Thätigkeit das Urtheilen ist, übt diese Selbstbeobachtung aus. Es darf kein Satz
angenommen werden ohue Grund, d. h. man muss deduciren, dass er aus dem Wesen
der Vernunft stammt. Fries meint, Kant habe theilweise, Reinhold aber durchweg
diesen Charakter der Vernunftkritik verkannt und dieselbe für Erkenntniss a priori
angesehen.*) Mit Kant nimmt Fries an, dass Raum, Zeit und Kategorien subjective
Formen a priori seien, die wir zu dem Gegebenen hinzuthun. Er geht von der
Empfindung aus, die ein bloss passiver Zustand ist, und lässt die Anschauung zu
Stande kommen durch den gedächtnissmässigen oder untern Gedaukenlauf, indem
•J Kant selbst hat jene Frage nicht aufgeworfen; — seine Abweisung der
psychologischen Empirie von der Metaphysik, Logik und Ethik involvirt nicht eine
Abweisung derselben von der Erkenntnisslehre oder . Vernunftkritik* selbst; — da
er aber das Besteben apodiktischer Erkenntniss mindestens in der Mathematik ab
eine Thatsache seinen Untersuchungen zu Grunde legt, da er ferner die Kategorien
aus den empirisch gegebenen Formen der Urtheile erkennt und da er in der
Moralphilosophie von dem unmittelbaren sittlichen BewuBstsein, das gleichsam ein
„Factum der reinen Vernunft* sei, ausgeht: so lässt sich nicht leugnen, dass auch
er seine Vernunftkritik auf — wirkliche oder vermeintliche — Thatsachen der
inneren Erfahrung basirt Das Hedenken, ob und warum die Voraussetzung ge-
rechtfertigt sei, dass jeder Andere in sich das Gleiche erfahre, was der Kritiker
in seiner eigenen inneren Erfahrung findet, trifft in diesem Sinne auch Kant und
ebenso auch das Bedenken, woher denn gewusst werden könne, dass Allgemeinheit
und Nothwendigkeit ein Criterium der Apriorität seien, da es gleich sehr unmöglich
zu sein scheint, a posteriori, wie a priori den Satz zu erweisen, Erfahrung nebst
Induction könne nur „comparative Allgemeinheit* ergeben. An sich aber liegt
keineswegs, wie Einzelne gemeint haben, ein .Widersinn" in der Annahme, dass
wir durch innere Erfahrung inne werden, Erkenntnisse a priori zu besitzen;
denn die Apodikticität und Apriorität soll den mathematischen und metaphysischen
Erkenntnissen, wie auch dem Pfliehtbewusstsein selbst anhaften, der empirische
Charakter aber nicht diesen Erkenntnissen als solchen, sondern nur unserm Be-
wusstscin, dass wir dieselben besitzen. Es ist demnach die Untersuchung Fries'
keineswegs mit den Worten abzufertigen: »Was a priori ist, kann nie a posteriori
erkannt werden." Falls es überhaupt Erkenntnisse a priori im kantischen Sinne
dieses Terminus gäbe, so könnte ganz wohl angenommen werden, was Fries annimmt,
dass die Metaphysik ebenso wie die Mathematik von aller Erfahrungs Wissenschaft
speeifisch unterschieden sei, und dass doch zugleich eine auf innerer Erfahrung
ruhende Wissenschaft, nämlich die Vernunftkritik, über den Rechtsgrund und die
Grenzen der Gültigkeit jener apodiktischen oder wenigstens Apodikticität bean-
spruchenden Erkenntnisse zu entscheiden habe.
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Schüler, Jacobi, Fries, Beck, Bardiii und Andere.
301
die productive Einbildungskraft die Empfindungen in Raum und Zeit setzt, sie also
zu Erscheinungen macht; diese werden dann Erfahrungen durch den logischen oder
obern Gedankenlauf, indem sie unter Kategorien gefasst werden. Auf die Er-
scheinungen, welche Vorstellungen sind, geht das empirisch-mathematische Wissen
und erstreckt sich nicht über dieselben hinaus, sogar die Existenz von Dingen an
sich ist nicht mehr Sache des Wissens. Andererseits sind aber die Erscheinungen
durchaus dem empirisch-mathematischen Wissen zugänglich: auch die Organismen
müssen sich aus der Wechselwirkung aller Theile unter einander mechanisch er-
klären lassen. In ihnen herrscht der Kreislauf, wie im Unorganischen das Gesetz
des Gleichgewichts oder der Indifferenz. (Fries tadelt Kant, dass er den Organismus
als Naturzweck auffasst. Den Gedanken der mechanischen Erklärbarkeit der
Organismen hat, zunächst in Bezug auf die Pflanzenwelt, besonders Fries' Schüler
Jak. Matthias Schleiden durchzuführen gesucht) Auf die Dinge an sich, die
Fries auch das wahre, ewige Wesen der Gegenstände nennt, geht der Glaube.
Wir müssen nämlich für alles Bedingte doch stets das Unbedingte voraussetzen,
und so glauben wir, dass den Erscheinungen etwas Reales zu Grunde liege. Heben
wir die Beschränkung der Kategorien auf, so erhalten wir die Ideen, so von
denen der Qualität die Idee des Absoluten, von denen der Quantität die der
Einfachheit, Unermesslichkeit und Vollständigkeit, von denen der Relation die
Ideen der Seele, Welt und Gottheit, und aus diesen ergeben sich wieder die drei
Glaubenssätze der Unsterblichkeit der Seele, der Freiheit des menschlichen Willens
und der Existenz eines lebendigen Gottes. Diese Sätze sind also nicht, wie Kant
will, nur PoBtulate der praktischen Vernunft, sondern rein vernünftige Ueber-
zeugungen, Allem Handeln der Vernunft liegt der Glaube an Wesen und Werth,
zuhüchst an die gleiche persönliche Würde der Menschen zum Grunde; aus diesem
Princip fliessen die sittlichen Gebote. Die Veredelung der Menschheit ist die
höchste sittliche Aufgabe. Die Vermittelung zwischen dem Wissen und Glauben
liegt in der Ahnung, welcher die ästhetisch-religiöse Betrachtung angehört Ahnung
ist die Anerkennung des über die Erfahrung Hinausgehenden im Erfahrungsgebiete,
des Ewigen im Endlichen, der Vereinigung von Erscheinung und Sein, indem Fries
hierbei Gedanken aus Kants Kritik der Urtheilskraft, die er für dessen bedeutendstes
Werk hielt, benutzt. Im Gefühl des Schönen und Erhabenen wird das Endliche
als Erscheinung des Ewigen angeschaut; in der religiösen Betrachtung wird die
Welt nach Ideen gedeutet; die Vernunft ahnt in dem Weltlauf den Zweck, in dem
Leben der schönen Naturgestalten die ewige allwaltende Güte, sie ahnt, dass die
Ordnung der Welt in der Idee Gottes ruht Wir betrachten die wechselnden
Formen der Natur als unterworfen den Gesetzen des Schönen und Erhabenen und
gelangen so zu einer ästhetischen Weltansicht, die eine ästhetische Unterordnung
der Natur unter die Glaubensideen ist. In der Schönheit tritt die ewige Bedeutung
des erscheinenden Lebens zu Tage, wir ahnen in ihr die ewige Wahrheit. Die
Religionsphilosophie ist Wissenschaft vom Glauben und der Ahnung, nicht aus
ihnen. Die drei Hauptsätze der friesschen Philosophie lauten: 1) die Sinnenwelt
unter Naturgesetzen ist nur Erscheinung; 2) der Erscheinung liegt ein Sein der
Dinge an sich zu Grunde; 3) die Sinnenwelt ist die Erscheinung der Dinge an sich.
Der erste ist das Princip des Wissens, der zweite das des Glaubens, und der dritte
das Princip der Ahnung. Wir wissen von dem Dasein der Dinge in der Erscheinung
durch Anschauung und Verstandesbegriffe, wir glauben nach Vernunftbegriffen an
das ewige Wesen der Dinge, und das noch höhere ahnen wir in Gefühlen ohne
Anschauung und ohne bestimmte Begriffe.
Der friesschen Schule gehören ausser Schleiden namentlich E. F. Apelt
(1812-59; Metaphysik, Lpz. 1857, Religionsphil., hrsg. von S. G>. Frank, Lpz. 1860,
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§ 28. Schüler und Gegner Kants. Reinhold,
die Theorie der Induction, Lpz. 1854, z. Gesch. der Astronomie, die Epochen der
Gesch. der Menschh., Jena 4845-1846 etc.), E. S. Mirbt (1799-1847; was heisst
Philosophiren und was ist Philosophie? Jena 1839, Kant und seine Nachfolger,
Jena 1841), F. van Calker (1790-1870; Denklehre od. Logik u. Dialektik, 1822 etc.),
Ernst Hai Ii er (die Weltanschauung des Naturforschers, Jena 1875), J. H Th.
Schmid (gest. 1836; Gesch. des Mysticism. im Mittelalter), der Mathematiker
Sehl ö milch (Abhandlungen der friesschen Schule, von Schleiden, Apelt, Schlö-
milch und Schmid, 1847 ff.) und Andere an; auch der Theolog de Wette geht von
friesschen Principien aus. Auf Beneke, der zum durchgeführten psychologischen
Empirismus fortgegangen ist, ist die friessche Doctrin in mehrfachem Betracht
von wesentlichem Einfluss gewesen. An Fries anknüpfend hat auch neuerdings
Jürg. Bona Meyer einen psychologischen Empirismus als die richtige Fortbildung
der kantischeu Philosophie hingestellt, s. unten den Abschnitt IVr dieses Bandes.
Salomon Maimon (1754—1800, ein jüdischer Denker, mit wunderbaren
Lebensschicksalen, die er in seiner Selbstbiographie erzählt) hat in seinem „Versuch
üb. d. Transscendentalphilos.*, 1790, seinem philos. Wörterb., 1791, seinen „Streifereien
im Gebiete der Philos.*, 1793, seinem „Versuch e. neuen Logik", 1794, seinen
kritischen Untersuchungen über den menschl. Geist etc. mittelst skeptischer Elemente
eine Nachbesserung der kritischen Doctriu zu geben versucht, die von Kant ab-
gewiesen, von Fichte aber hochgehalten wurde. Er verwirft den kantischen BegrifT
des „Dinges an sich". Nicht nur die Form unserer Vorstellungen ist aus dem
Bewusstsein abzuleiten, sondern auch der Stoff derselben Dinge ausser uns, welche
die Empfindungen mit hervorbringen sollen, ist nicht zu erweisen, nicht einmal
begreiflich zu machen. Die Affeetion, welche bei Kant durch die Dinge an sich
ausgeübt wurde, behielt Maimon bei, aber er verlegte sie in das Bewusstsein. Es
bleibt diese Affeetion etwas, das nicht aufgeklärt werden kann. — In der Ethik
tritt Maimon Kunt schroff entgegen, da er den Genuas lücht als unmoralisch ver-
drängt habeu will. Nur sei dieser nicht physisch zu fassen, und der höchste Genuas
sei der durch die Erkenntniss geschaffene.
Jak. Sigism. Beck (1761—1842) hat in seinem Hauptwerk: «Einzig raögl.
Standpunkt, aus w. d. krit. Philos. beurth. wd. muss", Riga 1796, welches den
3. Bd. der Schrift: „Erläuternd. Auszug aus Kants krit. Schriften", Riga 1793 ff.,
bildet, auch in seinem Grundriss d. krit. Philos. 1796 u. and. Schriften nach dem
Vorgänge Maimons und zum Theil auch wohl durch Fichtes (1794 erschienene)
Wissenschaftslehre mitbestimmt, die in Kants Vernunftkritik liegende Inconsequenz,
dass die Dinge an sich uns afficireu und durch Affeetion den Stoff zu Vorstellungen
uns geben und doch zugleich auch zeitlos, raumlos und causalitätslos existiren sollen,
dadurch aufzuheben gesucht, dass er das Afficirtwerden des Subjectes durch die
Dinge an sich nicht annimmt und die Stellen, worin Kant dasselbe behauptet,
für eine didaktische Accommodation an den Standpunkt des dogmatisch gesinnten
Lesers erklärt.*) Die Frage noch der Entstehung des empirischen Vorstellungs-
stoffs beseitigt Beck dadurch, dass er eine Affeetion der Sinne durch Erscheinungen
statuirt;**) die Beziehung des Individuums zu anderen Individuen lässt er unerklärt.
*) Was freilich eine wunderliche Didaktik wäre, die das richtige Verständniss
nicht erleichtern, sondern nahezu unmöglich machen würde.
•*) Was jedoch, da die Erscheinungen selbst nur Vorstellungen sind, die Ab-
surdität involvirt, dass die Entstehung unserer Vorstellungen überhaupt durch die
Einwirkung unserer Vorstellungen auf unsere Sinne bedingt ist, dass also unsere
Vorstellungen auf uns wirken, ehe sie existiren.
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Schiller, Jacobi, Fries, Beck, Banlili und Andere.
Die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit führt er auf denselben Act ursprüng-
licher Synthesis des Mannigfaltigen, wie die Kategorien, zurück. Als Religion
gilt ihm die Befolgung der Stimme des Gewissens als des inneren Richters, den
der Mensch symbolisch ausser sich als Gott denke.
Christoph Gottfr. Bardiii (1761—1808) hat in seinen Briefen üb. d. Urspr.
d. Metaph. (anonym Altona 1798) und noch mehr im Grnndr. d. erst. Logik, ge-
reinigt v. d. Irrthüm. d. bisher. Logik, besond. d. kantischen (Stuttg. 1800), freilich
in abstruser Form, einen „ rationalen Realismus* zn begründen versucht, der manch«
Keime späterer Speculation enthielt, insbesondere zu dem (schellingschen) Ge-
danken der Indifferenz des Objectiven und Subjectiven in einer absoluten Vernunft,
und zu dem (hegelschen) Gedanken einer Logik, die zugleich Ontotogie sei.
Dasselbe Denken, welches das Weltall durchdringt, kommt im Menschen zum
Bewusstsein; im Menschen erhebt sich das I^ehensgefühl zur Personalität, die
Naturgesetze der Erscheinungen werden in ihm zu Gesetzen der Association seiner
Gedanken.
Der bardilische Realismus setzt die Realität von Natur und Geist und ihre
Einheit im Absoluten voraus, ohne die kantischen Argumente völlig widerlegt zu
haben. Der becksche Idealismus hebt von den beiden widerstreitenden Elementen,
die im kantischen Kriticismus liegen, das idealistische mit willkürlicher Beseitigung
des realistischen hervor. Zur Aufhebung jenes Widerstreites konnte mit gleichem
Recht der entgegengesetzte Weg eingeschlagen werden, indem nämlich mit dem
Gedanken des Afficirtwerdens des Subjectes durch „Dinge an sich" voller Ern^t
gemacht und die gesummte Doctrin auf dieser Grundlage umgebildet wurde. Dieses
Letztere geschah durch Herbart, der aber nicht unmittelbar von Kant, sondern
zunächst von Fichte ausgegangen ist, dessen Buhjectivistischem Idealismus er seine
mit der leibnizischen Monadologie verwandte Grundlehre von der Vielheit einfacher
realer Wesen entgegenstellt.
In Holland erhob sich für Kant namentlich Paul van Iiemert (geb. 1756
zu Amsterdam, gest. ebendas. 1825), Professor der Philosophie zu Amsterdam mit
seiner Schrift: Beginsels der kantiansche Wysgeerte, Arastd. 1796, der auch 1798
ein eigenes Journal für die Verbreitung der kantischen Lehre herauszugeben be-
gann: Magazin for de kritische Wysgeerte. Auf das heftigste wurde er von dem
Vorgänger in seinem Amte, dem bekannten Philologen Daniel Wyttenbach an-
gegriffen, der mit beachtenswerthen Gründen gegen Kant polemisirt, namentlich in
einem Aufsatze: KnSÜQOtoi' in seinem W. <PiXoua9ias tu onoyrid'r,»', Amstelod. 1809,
11, Tom. I (vergl. K. Prantl, D. Wyttenb. als Gegner Kants In: Sitzungsber. der
bayer. Akad. d. Wissensch., Philos.-philol. Kl. 1877). Neben van Hemert haben
sich um das Bekanntwerden der kritischen Philosophie in Holland verdient gemacht
J. Kinker, dessen Werk bald in das Französische übersetzt wurde unter dem Titel:
Essai d'une exposition succinete de la critique de la raison pure de Mr. Kant,
Amstd. 1801, F. H. Heumann, van Bosch, lieber Kants Philosophie, wie sie durch
eben dieses Werk in Frankreich eingeführt wurde, äusserte sich abweisend der mate-
rialistisch gesinnte Destutt de Tracy (s. Abschn. IV dies. Bandes): De lu metaphysique
de Kant, ou Observation sur un ouvrage intitule : Essai d'une expos. etc. Anerkennend
waren die Arbeiten von Charles Villers: Philosophie de K. ou prineipes fondamentaux
de la Philosophie transscendentale, Metz 1801, und J. Höhne: Philosophie critique
decouverte par K., Paris 1802. In England versuchten die kantische Philosophie
bekannt zu machen Nitsch, General and introduetory view of K.s principles
concerning rann, the world and the deity, Lond. 1796, und Willich, Elements of
the critical philosophy, Lond. 1798 (s. ob. S. 234 die Litteratur).
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§ 29. Pichte und Fichteaner.
§ 29. Johann Gottlieb Fichte (1762—1814), von spinozisti-
schem Determinismus durch die kantische Einschränkung der Causa-
lität auf Phaenomena und Behauptung einer causalitätslosen sittlichen
Freiheit des Ich als eines Noumenon zurückgeführt, macht mit eben
dieser Einschränkung, die ihm im ethischen Interesse werth geworden
war, in der theoretischen Philosophie volleren Ernst, als durch Kant
geschehen war, indem er die von diesem angenommene Entstehung
des Stoffs der Vorstellungen durch eine Affection, welche die Dinge
an sich auf das Subject üben, negirt und den Stoff ebensowohl wie
die Form aus der Thätigkeit des Ich hervorgehen lässt, und zwar
aus demselben synthetischen Act, der die Anschauungsformen und
Kategorien erzeuge. Nach Fichte hat die praktische Vernunft noch
mehr den Primat vor der theoretischen als bei Kant, und die fichtesche
Philosophie hat in Folge dessen einen durchaus ethischen und teleo-
logischen Charakter.
Das Mannigfaltige der Erfahrung wird ebenso wie die apriorischen
Formen von uns durch ein schöpferisches Vermögen producirt Nicht
eine Thatsache, sondern die Thathandlung dieser Production ist der
Grund alles Bewusstseins. Das Ich setzt sich selbst und das Nicht-Ich
und erkennt sich als eins mit dem Nicht-Ich; der Process der Thesis,
Antithesis und Synthesis ist die Form aller Erkenntniss. Dieses
schöpferische Ich ist nicht das Individuum, sondern das absolute Ich.
Aber aus dem absoluten Ich sucht Fichte das Individuum zu deduciren;
die sittliche Aufgabe nämlich fordert den Unterschied der Individuen.
Die Natur des Ichs geht vor Allem auf das Handeln, zum Handeln
gehört aber ein gegenstrebendes Nicht-Ich, deshalb wird dieses gesetzt,
und das Vorstellen desselben ist erst das Zweite. Die Welt ist das
versinnlichte Material der Pflicht. Die ursprünglichen Schranken des
Individuums erklärt Fichte ihrer Entstehung nach für unbegreiflich.
Gott ist die sittliche Weltordnung. — Fichte bildet so in seiner
Wissenschaftslehre einen consequenten Idealismus aus. — Noch
strenger als Kant trennt er das Gebiet des Rechts von dem der Moral.
In seinen späteren Speculationen geht er vom Absoluten aus, und sein
Philosophiren nimmt immer mehr einen religiösen Charakter an, jedoch
ohne die ursprüngliche Basis zu verleugnen. Die Reden an die deutsche
Nation schöpfen ihre zündende Kraft aus der Energie des sittlichen
Bewusstseins.
Der philosophischen Schule Fichtes gehören wenige Männer an;
doch ist seine Speculation für den ferneren Entwickelungsgang der
deutschen Philosophie theils durch Sendling, theils durch Herbart von
entscheidendstem Einfluss geworden.
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§ 29. Fichte and Fichteaner.
:>05
Job. Gottl. Fichtes nachgelass. Werke hrsg. Ton Imm. Herrn. Fichte, 3 B<le.,
Bonn 1834; sänimtl. Werke, herausg. von I. H.Fichte, 8 Bde., Berl. 1845 — 46. Select
works, translat. bv W. Smith, new. edit., Lond. 1871. Die Wissenschaft^ u. die Rechts-
lehre sind auch v. A. E. Kroeger ins Englische übersetzt (Science of knowledge, Phila-
delphia 1868, Science of rights, ebd. 1869), kleinere Schriften von Fichte sind englisch
veröffentlicht in: The Journal of speculative philosophy. Joh. Gottl Fichtes Leben ist
von seinem Sohne Itnm. Herrn. Fichte beschrieben und zugleich der litt. Briefwechsel
veröffentlicht worden, Sulzbach 1830, 2. Aufl. Lpz. 1862. Schillers u. F.s Briefwechs.,
a. d. Nachl. Sch.s herausgeg. v. I. H. Fichte 1847. F.s u. Schellings philos. Briefwechs.,
a. d. Nachlass beider herausgeg. v. I. H. Fichte u. K. Fr. A. Schelling, 1856. Inter-
essante Nachträge hat namentlich Karl Hase geliefert in dem jenaischen Fichtebüchlein,
Lpz. 1856. Vgl. WUL Smith, Memoire of Joh. G. Fichte, 2. ed., Lond. 1848, ferner
auch J. G. Fichte, Lichtstrahlen aus seinen Werken u. Briefen nebst einem Lebensabriss
v. Ed. Fichre, 1863. Hierin auch ein chronolog. geordnetes Verzeichnis« von Fichtes
Schriften, die hauptsächlichsten derselben s. unt. S. 307 f.
Ueber F. als Politiker handelt Ed. Zeller in v. Sybels hist. Zeitschr. IV, S. 1 ff.,
wieder abgedr. in Zellers Vorträgen und Abh., Lpz. 1865, S. 140 — 177. Unter den
Darstellungen seiner Lehre sind besonders zu erwähnen: Wilh. Busse, F. u. s. Beziehg.
i. Gegenw. d. deutsch. Volkes, Halle 1848—49, J. H. Löwe, d. Philos. F.s nach d.
Gesammtergebniss ihrer Entwickig. und in ihr. Verhältn. z. Kant u. Spinoza, Stuttg.
1862, Ludw. Noack, J. G. F. nach seinem Leb., Lehr. u. Wirk., Lpz. 1862, A. L»sson,
J. G. F. im Verhltn. z. Kirche u. Staat, Berl. 1863. Aus Anlass der Fichtefeier am
19. Mai 1862 sind zahlreiche Heden u. Festschriften ersch. (über welche v. Reichiii)-
Meldegg in L H. Fichtes Ztschr. f. Ph. Bd. 42, 1863, S. 247 — 277 eine Uebersicht
giebt), insbes. von Heinr. Ahrens. Hubert Beckers, Karl Biedermann, Chr. Aug. Brandis,
Mor. Carriere, O. Dorneck, Ad. Drechsler, L. Eckardt, Joh. Ed. Erdmann, Kuno
Fischer, L. George, Rud. Gottschall, F.Harms, Hebler, Helfferich, Karl Heyder, Franz
Hoffmann, Karl Köstlin, A. L. Kym, Ferd. Lassalle, Lott, J. H. Löwe, Jürgen Bona
Meyer (über die Reden an die D. Nat.), Monrad, L. Noack, W. A. Passow, K. A.
v. Reichlin-Meldegg, Kud. Reicke (F.s erst. Aufenthalt in Ky.sb.. im deutsch. Mus. 1865,
No. 21 u. 22), Rosenkranz (in: Gedanke, V, S. 170), K. O. Schellenberg, Rob. Schellwien,
Ed. Schmidt-Weissenfels, Ad. Stahr, Leop. Stein, Heinr. Sternberg, H. v. Treitschke,
Ad. Trendel enburg, Chr. H. Weisse, Tob. Wildauer, R.Zimmermann (dessen Rede
auch in s. St. u. K. wieder abgedr. ist). S. ferner: G. Schmoller, J. G. Fichte. Eine
Studie aus dem Gebiete der Ethik u. Nationalökonomie, in Jahrbb. f. Nationalök. n.
Statist., hrsg. v. Br. Hildebrand. Bd. V, 1865, S. 1—62. Kuno Fischer, Gesch. d. n.
Philos., Bd. Vi Fichte u. s. Vorgänger, 1.— 2. Abth., Heidelb. 1868. O. Pfleiderer, J.
G. F., Lebensbild eines deutsch. Denker» u. Patrioten. Stuttgart 1877. F. Zimmer,
J. G. Fichtes Rcligionsphilos. nach den Grundsätzen ihrer Elitwickelung dargestellt,
Berl. 1878. J. B. Meyer, Fichte, Lassalle u. der Socialismus, 1878. R. Focke, der
Cansalitätsbegr. bei F., Königsberg 1879. A. Spir, Joh. G. F. nach seinen Briefen,
Lpz. 1879. Rob. Adamson, Fichte (philosophical Classics for english readers), Lond.
1881. E. Melzer, d. Unsterblichkeit«!. J. G. F.s vom Standpunkt des Theismus krit.
dargestellt. Neisse 1882. F. Marschner, Kr. d. Geschichtsph. J. G. F.s in Bez. auf
deren Methode. Pr. d. Ob. R. Seh. d. Leopoldst. in Wien, 1884. Charles Carroll
Everett, F.s science of knowledge, a critical exposition, Chicago 1884. Paul Hensel,
üb. d. Beziehung des reinen Ich b. Fichte zur Einht. der Apperception b. Kant, I.-D..
Frbg. i. Br. 1885. A. Stapelfcld, d. Principien der fichtesch. Offenbarungskrit. in ihr.
Zusammenh. mit K.s L. betrachtet, I.-D., Gotting, s. a. E. Ebeling. Darst. u. Beurth.
d. religionsph. Lehren J. G. Fs, I.-D., Halle 1886. G. Schwabe, F.s u. Schopenhauers
h. vom Willen mit ihr. Konsequenzen f. Weltbegreif, u. Lebensführ., I.-D., Jena 1887.
Johann Gottlieb Fichte wurde am 19. Mai 1762 zu Rammenau in der
Oberlaasitz geboren. Sein Vater, ein Bandwirker, war ein Abkömmling eines in
Sachsen zurückgebliebenen schwedischen Wachtmeisters ans dem Heere Gustav
Adolfs. Des talentvollen Knaben nahm der Freiherr von Miltitz sich an. Von
1774— HO besuchte Fichte die Fürstenschule zn Pforta, stndirte dann in Jena
Theologie, bekleidete seit 1788 eine Hanslehrerstelle in der Schweiz, kam 1791
nach Königsberg, wo er das Manuscript seines ersten, rasch (vom 13. Juli bis
18. August) niedergeschriebenen Werkes: .Versuch einer Kritik aller Offenbarung*
Kant vorlegte und dadurch dessen Achtung und Zuneigung gewann. Fichte war damals
Ueberweg-Heinze, GrandriM III. 7. An«. 20
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30G
§ 29 Fichte und Fichteaner.
mit der kantischen Philosophie erst seit einem Jahre vertraut geworden. Vorher
hatte er das System des Spinoza kennen gelernt nnd einem Determinismus gehuldigt,
den er aufgab, sobald ihm die kantische Lehre, dass die Kategorie der Causalität
nur auf Erscheinungen Anwendung finde, die Möglichkeit einer Unabhängigkeit des
Willensactes vom Causalnexus zu verbürgen schien. Zumeist auf die Wahl zwischen
deterministischem Dogmatismus und der Freiheitslehre deB kantischen Kriticismus
bezieht sich sein Wort (Erste Einl. in die Wissenschaftslehre, 1797, Werke I,
S. 434): „Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein
Mensch ist". Nach Beinholds Abgange von Jena nach Kiel ward Fichte 1794
dessen Nachfolger in der jenenser Professur, die er bis zu dem Atheismus-Streit
1799 bekleidete. Fichte setzte in einem Aufsatz: rUeb. d. Grund uns. Glaubens an
e. göttl. Weltregierung", den er einer Abhandlung Forbergs: „Eutwickl. des Be-
griffs der Religion* einleitend vorausschickte (im philos. Journal, Jena 1798,
Heft 1), die Begriffe Gott und moralische Weltordnung einander gleich,
was ein anonymer Pamphletist in einer Schrift: „Schreib, e. Vaters an seinen Sohn
üb. d. fichtesch. u. forbergsch. Atheismus* denunciatorisch rügte. Die chursächsische
Begieruug confiacirte jene Aufsätze, verbot das Journal und verlangte die Bestrafung
Fichtes und Forbergs unter der Drohung, andernfalls ihren üntertbanen den Besuch
der Universität Jena zu verbieten. Die Regierung zu Weimar gab dieser Drohung
soweit nach, als sie beschloss, den Herausgebern des Journals einen Verweis wegen
Unbedachtsamkeit durch den akademischen Senat ertheilen zu lassen. Fichte, der
davon im Voraus erfuhr, erklärte in einem (privaten, aber auch zu öffentlichem Ge-
brauch verstatteten) Briefe vom 22. März 1789 an ein Mitglied der Regierang,
Geheimrath Voigt, dass er im Fall einer ihm durch den akademischen Senat zu
ertheilenden „derben Weisung" seinen Abschied nehmen werde, nnd fügte die Drohung
bei, es würden in diesem Fall auch andere Professoren mit ihm die Universität ver-
lassen. Diese Drohung, welche nach Fichtes Absicht die Regierung einschüchtern
und von einem öffentlichen Verweise zurückschrecken sollte, in der That aber
irritirte, beruhte auf Aeusserungeu von Collegen, besonders von Paulus, der gesagt
zu haben scheint, Fichte dürfe darauf hinweisen, auch er (Paulus) und Andere
würden im Fall einer Beschränkung der Lehrfreiheit nicht in Jena bleiben.
Dies hatten Paulus und Andere wohl von einem solchen Verfahren gegen Fichte,
wodurch mittelbar auch ihre eigene Lehrfreiheit beschränkt, das Verharren in Jena
ihnen verleidet, und ein Ruf nach auswärts, etwa nach Maiuz, wo sich eine Aussicht
zu bieten schien, annehmbar werden könnte, verstanden. Fichte hatte es aber von
vornherein in einem volleren Sinne aufgefasst und als ein Versprechen, jedenfalls
zugleich mit ihm selbst sofort die Universität zu verlassen, gedeutet. Letzteres
können Paulus und Andere weder aus eigenem Interesse, noch auch aus einem alles
Andere hintansetzenden, selbst das Wohl der Universität gefährdenden, aufopferungs-
vollen Freundschafts-Enthusiasmus, noch endlich in kindischer Gedankenlosigkeit
gegeben haben. Fichte erhielt den Verweis und zugleich die Entlassung, indem seine
Ankündigung, eventuell den Abschied nehmen zu wollen, die bloss wegen ihres
trotzigen Tones hätte gerügt werden dürfen, uugerechtfertigterweise sofort als ein
bereits eingereichtes Abschiedsgesuch behandelt wurde. Vergeblich erklärte Fichte
nachträglich, dass der von ihm angenommene Fall eines entehrenden und die Lehr-
freiheit beschränkenden Verweises nicht vorliege. Eine Petition der Studenten
zu seinen Gunsten war wohlgemeint, konnte aber nur erfolglos sein. Fichte ging,
die anderen Professoren blieben. Nicht lange nachher erschien Kants Erklärung
(vom 7. August 1799, im Intelligenzblatt No. 109 zur Allg. Litteratur-Zeitg. 1799,
8. Hartensteins Ausgabe der Werke Bd. \ III. Leipz. 1868, S. 600), er halte
Fichtes Wissenschaftslehre für ein ganz verfehltes System und protestire gegen
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§ 29. Fichte nnd Fichteaner.
307
jede Hineindeutung fichtescher Satze in seine eigene Vernnnftkritik, die nach
ihrem Bachstaben and nicht nach einem vermeintlich dem Bachstaben wider-
streitenden Geist verstanden sein wolle. (In gleicher Art hat Kant sich schon
1798 über die , Wissenschaftalehre * aasgedrückt. Die Constraction aas dem
blossen Selbstbewusstsein ohne gegebenen Stoff machte aaf ihn einen gespenstigen
Eindruck; er fand in Fichtes Werk nur ein .ephemerisches Erzengniss".) Fichte
wandte sich nach Berlin, wo ihm ein im Geiste Friedrichs des Grossen ge-
sprochenes Wort des Königs, welches Religionsansichten and bürgerliche Stellung
gebührend sonderte, Duldung sicherte. Er verkehrte mit Friedrich Schlegel, Schleier-
macher und anderen bedeutenden Männern and hielt bald auch öffentliche Vorträge
vor einem zahlreichen Kreis Gebildeter. Im Jahr 1805 wurde ihm eine Professur
an der (damals preussischen) Universität Erlangen ertbeilt; er hat daselbst aber nur
während des Sommersemesters 1805 gelesen. Im Sommer 1806 ging Fichte in Folge
des Vorrückens der Franzosen nach Königsberg, wo er kurze Zeit Vorlesungen
hielt, auch bereits an den Reden an die deutsche Nation arbeitete, die er im Winter
1807/8 im Akademiegebäade zu Berlin hielt. Seit der Gründung der Berliner Uni-
versität (1809) Professor an derselben, übte er unter fortwährender Umbildung seines
Systems eine eifrige Lehrthätigkeit bis zu seinem Tode, der am 27. Januar 1814
erfolgte. Er erlag dem Nervenfieber, welches durch seine Frau, die sich der Kranken-
pflege in den Lazarethen widmete und selbst von der Ansteckung wieder genas, auf
ihn übertragen worden war.
Fichtes Hauptschriften sind folgende. Aus dem Jahre 1790 sind
«Aphorismen über Religion und Deismus" erhalten, die für die Einsicht in Fichtes
Entwickelungsgang von Interesse sind. Ebenso ans dem Jahre 1791 : Predigten. 1792
erschien zu Königsberg bei Härtung der »Versuch einer Kritik aller Offen-
barung" (besonders heransg. in der Philos. Biblioth. von J. H. v. Kirchmann,
1871), die, im kantischen Geiste geschrieben, von dem Verleger, wie es scheint,
absichtlich, ohne dass Fichte um dieses Verfahren wusste, mit Weglassung des
Namens des Verfassers und der Vorrede, worin dieser sich als „ Anfänger" bezeichnet,
veröffentlicht, von dem Recensenten in der Jenaer Allg. Litt.-Ztg. und überhaupt
fast allgemein von dem philosophischen Publicum als ein Werk Kants angesehen
wurde. Als der Irrthum erkannt wurde, fiel aaf Fichte der Glanz der Urheberschaft
eines Werkes, für dessen Verfasser Kant hatte gelten können. Dieser Umstand trug
wesentlich zu seiner späteren Berufung nach Jena bei. 1793 erschienen anonym die
(in der Schweiz, wo Fichte sich mit einer Schwestertochter Klopstocks vermählte,
von ihm verfassten) Schriften: „Zurückforderang der Denkfreiheit von den Fürsten
Europas, die sie bisher unterdrückten", und: „Beiträge z. Berichtig, d. Urtheile d.
Publicums über die französ. Revolution", worin Fichte den Gedanken durchführt,
dass, obschon die Staaten durch Unterdrückung und nicht durch Vertrag entstanden
seien, doch der Staat seiner Idee nach auf einem Vertrags verhältniss beruhe nnd
dieser Idee immer näher geführt werden müsse; alles Positive finde sein Maass und
Gesetz an der reinen Form unseres Selbst, dem reinen Ich. Nach dem Antritt der
Professur zu Jena erschien die Abhandlung: „üb. d. Begriff der Wissenschaftslehre
oder der sogenannten Philos.", Weimar 1794, und die Schrift: „Grundlage der
gesammten Wissenschaftslehre, als Handschr. f. seine Zuhörer", Jena und
Leipz. 1794; auch .Einige Vorlesungen üb. d. Bestimmung des Gelehrten" wurden
noch 1794 veröffentlicht (auch heraasgeg. in der Universalbiblioth. Lpz.); demselben
Jahre gehört der für Schillers „Hören* geschriebene Aufsatz „über Geist und
Buchstab, in der Philos." an. 1795: Grundriss des Eigenthüml. in d. Wissenschafts-
lehre. 1796: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissen-
schaftslehre. 1797: Einltg. in die Wissenschaftsl., und: Versuch e. neu. Darstellg.
20*
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308
§ 29. Fichte und Fichteaner.
der W.-L.. im philos. Journal. 1798: System d. Sittenlehre nach Principien
der W.-L.; üeber d. Grund uns. Glaubens an eine göttl. Weltregierung, im philos.
Journal. 1799: Appellation an d. Publicum gegen die Anklage d. Atheismus, eine
Schrift, die man zu lesen bittet, ehe man sie confiscirt, und: Der Herausgeber des
philos. Journals gerichtliche Verantwortungsschreiben gegen die Anklage des
Atheismus. 1800: Die Bestimmung des Menschen (besonders herausgeg. von
K. Kehrbach, in d. Universalbiblioth. Lpz.); der geschlossene Handelsstaat (auch
in d. Universalbibl.). 1801 : Frdr. Nicolais Leb. und sonderbare Meinungen, sonnen-
klar. Bericht an d. Publicum üb. d. eigentl. Wesen d. neuest. Philos., ein Versuch,
den Leser zum Verstehen zu zwingen, und Darstellung der Wiasenschaftslehre.
1806: Grundzüge d. gegenw. Ztalt, und: Anweisung zum seligen Leben; Ueber das
Wesen des Gelehrten und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit, in öffentl.
Vorlesungen, gehalten zu Erlangen im Sommerhalbj. 1805. 1808: Reden an die
deutsche Nation (besonders herausgeg. von J. H. Fichte mit Einl. 1859, von
demselb. auch in der Biblioth. der deutsch. Nationallit., 1871, ferner auch erschienen
in der Univerealbiblioth. Lpz.). 1810: Die Thatsachen des Bewusstseins. Mehrere
seiner Vorlesungen sind später in den .Nachgelassenen Werken* veröffentlicht worden.
Die Staatslehre oder üb. d. Verh. des ürstaates zum Vernunftreiche, in Vorlesungen
gehalten im Sommer 1813 auf d. Universität zu Berlin, wurde in Berl. 1820 aus dem
Nachlasse herausgeg.
In der 1792 verfassten, in der Jenaer allg. Litteraturzeitung erschienenen „Re-
cension des Aenesidemus" (der Schrift von Gottlob Ernst Schulze über die Funda-
mente der von Reinhold geliefert. „Elementarphilos., nebst einer Vertheidigung des
Skepticism. geg. die Anmaassungen der Vernunftkritik *) erkennt Fichte mit Reinhold
and Schulze an, das» die gesammte philosophische Doctrin aus Einem Grandsatz
abgeleitet werden müsse, glaubt aber nicht, dass zn diesem Behuf Reinholds Satz
des Bewusstseins * (welcher lautet: „im Bewusstsein wird die Vorstellung durch
das Subject vom Subject und Object unterschieden und auf beide bezogen*) zureiche.
Denn dieser Satz könne nur die theoretische Philosophie begründen, für die ge-
rammte Philosophie aber müsse es noch einen höheren Begriff, als den der Vor-
stellung, und einen höheren Grundsatz, als jenen, geben. Den wesentlichen Inhalt
«ler kritischen Doctrin setzt Fichte in den Nachweis, dass der Gedanke von einem
Dinge, das an sich unabhängig von irgend einem Voretellungsvermögen Existenz
und gewisse Beschaffenheiten haben solle, eine Grille, ein Traum, ein Nichtgedanke
sei. Diesen Gedanken habe noch nie ein Mensch gedacht, and könne ihn auch
keiner denken. Man denke allemal sich selbst als Intelligenz, die das Ding zu
erkennen strebe, mit hinzu. Der Skepticismus lasse die Möglichkeit übrig, noch
etwa einmal über die Begrenzung des menschlichen Gemüthes hinausgehen zu
können, der Kriticismus aber thue die absolute Unmöglichkeit eines solchen Fort-
schreitens dar und sei demnach negativ dogmatisch. Dass Kant nicht (wie es
zuerst Reinhold versuchtet die Ableitung aus einem einzigen Grundsatz gegeben
habe, erklärt Fichte aus seiuem ,die Wissenschaft bloss vorbereitenden Plane" ;
doch habe Kant in der Apperception das Fundament für eine solche Ableitung
gefunden. Von der Unterscheidung aber zwischen den Dingen, wie sie uns er-
scheinen, und den Dingen, wie sie an sich sind, meint Fichte, dieselbe solle „gewiss
nur vorläufig und für ihren Mann gelten". Dass er in diesem letzten Betracht über
Kants Denkweise sich täusche, ward ihm Bpäter aus Kants (oben erwähnter) Er-
klärung vom 7. Aug. 1799 klar, woraufhin er dann (in einem Briefe an Reinhold)
Kant einen „ Dreiviertelskopf * nannte, aber an der Ueberzeugung festhielt, dass es
kein von dem denkenden Subject unabhängiges Ding an sich, kein Nicht-Ich, das
keinem Ich entgegengesetzt wäre, gebe, und ebenso auch an der Ueberzeugung, dass
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§ 29. Fichte und Fichteaner.
309
nur diese Lehre dem Geiste des Kriticismus entspreche und der „heilige Geist in
Kant" wahrer als Kants individuelle Persönlichkeit gedacht habe. Uebrigens spricht
Fichte bereits in eben jener Reeension den Satz aus, dass das Ding wirklich und
au sich so beschaffen sei, wie es von jedem denkbaren intelligenten Ich gedacht
werden müsse, dass mithin die logische Wahrheit für jede der endlichen Intelligenz
denkbare Intelligenz zugleich real sei. (Dieser Satz ist später, jedoch ohne die
Einschränkung: „für jede der endlichen Intelligenz denkbare Intelligenz* das Funda-
ment der schelli ngschen und hegelschen Doctrin geworden.^
In der „Grundlage der gesammten VVissenschaftslehre", welche namentlich
grossen Einfluss auf die Entwickeluug der weiteren Philosophie ausübte, sucht
Fichte in etwas umständlicher Weise die Aufgabe der Ableitung aller philo-
sophischen Erkenntnis8 sub einem einzigen Princip zu löseu, indem er mit Reinhold
der Ansicht ist, die Philosophie müsse ihrem ganzen Inhalt nach aus einem Princip
abgeleitet werden. Dieses Princip findet Fichte im Anschluss an Kants Lehre von der
transscendentalen Einheit der Apperception in dem Ichbewusstsein. Er spricht den
Inhalt desselben in drei Grundsätzen aus, deren logisches Verbältniss als Thesis,
Antithesis und Synthesis sich in der Gliederuug des Systems überall wiederholt.
1. Thesis: Den Satz A = A giebt jeder zu. Ks wird aber durch die Be-
hauptung, dass dieser Satz an sich gewiss sei, nicht gesetzt, dass A sei, sondern
man setzt nur: Wenn A sei, so sei A. Ob A ist, danach ist gar nicht die Frage.
Nur der nothwendige Zusammenhang zwischen dem „Wenn1* und dem „So" wird
ohne allen Grund gesetzt. Dieser Zusammenhang — X ist im Ich und durch das
Ich gesetzt. Insofern nun dieser Zusammenhang gesetzt wird, ist A in dem Ich
und durch das Ich gesetzt sowie X. X ist nur in Bezug auf ein A möglich, X
ist aber im Ich wirklich gesetzt, folglich muss auch A im X wirklich gesetzt sein,
insofern X darauf bezogen wird. Das schlechthin gesetzte X lässt sich ausdrücken:
Ich — Ich, Ich bin Ich. Dieser Satz hat eine ganz andere Bedeutung als A — A,
durch den gar nicht ausgemacht ist, ob A existirt. Der Satz: Ich bin Ich, gilt
aber nicht nur der Form, sondern seinem Gehalte nach. In ihm ist das Ich nicht
unter Bedingung, sondern schlechtbin gesetzt Deshalb lässt sich der Satz auch
ausdrücken: Ich bin. So ist es ErklärungBgrund aller Thatsachen des empirischen
Bewusstseins, dass vor allem Setzen im Ich das Ich selbst gesetzt sei. Das Ich
ist zugleich das Handelnde als urtheilendes und das Product der Handlung. Das
Ich ist Ausdruck einer Thathandlung, der unmittelbare Ausdruck dieser Thathand-
lung ist: Ich bin schlechthin, d. i. Ich bin schlechthin, weil Ich bin,
und bin schlechthin, was Ich bin, beides für das Ich. — So ist zwar von
dem Sutze A — A, weil von irgend einem im empirischen Bewusstsein gegebenen
Gewissen der Anfang genommen werden muse, ausgegangen, aber der Satz: Ich bin.
lässt sich nicht aus ihm erweisen, vielmehr umgekehrt begründet: Ich bin, den Satz
A = A. Sobald nämlich vom bestimmten Gehalt, dem Ich, abstrahirt wird, und
die blosse Form, die Folgerung von dem Gesetztsein auf das Sein, übrig gelassen
wird, so erhält man als Grundsatz der Logik A = A. Abstrahirt man ferner von
allem Urtheilen als bestimmtem Handeln und sieht dabei bloss auf die Handlungsart
des menschlichen Geistes überhaupt, so hat man die Kategorie der Realität.
Alles, worauf der Satz A = A anwendbar ist, hat, inwiefern derselbe darauf an-
wendbar ist, Realität.
2. Antithesis: Thatsache des empirischen Bewusstseins ist : Non- A nicht — A .
Es kommt demnach unter den Handlungen des Ich ein Entgegensetzen vor. Nun
ist aber ursprünglich nichts gesetzt als das Ich, also kann nur dem Ich schlechthin
entgegengesetzt werden, und dies dem Ich Entgegengesetzte ist = Nicht-Ich. Das
Ich Betzt sich entgegen ein Nicht-Ich. Von Allem, was dem Ich zukommt,
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310
§ 29. Fichte und Fichteaner.
mm* kraft der blossen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen.
Aua diesem Satze: dem Ich ist entgegengesetzt das Nicht-Ich, entsteht durch
Abstraction von dem Gehalte der logische Satz: Non-A nicht = A. Und abstrahirt
man von der bestimmten Handlung des Urtheilens ganz und sieht bloss auf die
Form der Folgerung vom Entgegengesetztsein auf das Nichtsein, so hat man die
Kategorie der Negation.
3. Synthesis: Da das Nicht-Ich auch im Ich ist, so sind sich Ich und Nicht-
Ich im Ich entgegengesetzt: daraus folgt, daas sie sich gegenseitig einschränken.
Einschränken heisst aber die Realität von Etwas durch Negation zum Theil auf-
heben, also wird das Ich sowie das Nicht-Ich als theilbar gesetzt. So ergiebt sich
der dritte Grundsatz, der die Vereinigung von Ich und Nicht-Ich darstellt: Ich
setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen.
Hierin liegen die zwei Sätze:
a. das Ich setzt sich als beschränkt oder bestimmt durch das Nicht- Ich, die
Grundlage der theoretischen Wissenschaftslehre;
b. das Ich setzt das Nicht-Ich als bestimmt durch das Ich, die Grundlage der
praktischen Wissenschaftslehre.
Der entsprechende logische Satz ist der Satz des Grundes: A ist zum Theil
— Non-A, und umgekehrt; jedes Entgegengesetzte ist seinem Entgegengesetzten in
Einem Merkmale = X gleich, und jedes Gleiche ist seinem Gleichen in Einem Merk-
male — X entgegengesetzt; ein solches Merkmal X heisst der Grund, im ersten Falle
der Beziehungs-, im zweiten der Unterscheidungsgrund. Aus diesem dritten Satze
ergiebt Bich die Kategorie der Limitation.
Es ist in diesem dritten Grundsatz eine Synthesis zwischen dem entgegengesetzten
Ich und Nicht- Ich vorgenommen, über deren Möglichkeit sich nicht weiter fragen
lässt. Man ist zu ihr ohne allen weiteren Grund befugt. Es ist hiermit die kantische
Frage: Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? auf die allgemeinste und
befriedigendste Art beantwortet. Alle übrigen Synthesen, welche gültig sein sollen,
müssen in dieser ersten liegen; sie müssen zugleich in und mit ihr vorgenommen
worden sein. Alles, was von nun an im Systeme des menschlichen Geistes vor-
kommen soll, muss sich aus dem Aufgestellten ableiten lassen. Es kommt darauf
an, in dieser Synthesis eine Antithesis zu finden, die in einer neuen Synthesis auf-
gehoben wird, mit dieser neuen Synthesis dasselbe zu thun, und so fort, bis man zu
Gegensätzen kommt, die sich nicht weiter vollkommen verbinden lassen. Hier fängt
dann das Gebiet des praktischen Theiles an. — Indem Fichte ans jenen drei Sätzen
das gesammte theoretische Bewusstsein nach Inhalt und Form und zugleich die
Normen des sittlichen Handelns deducirt, glaubt er, hierdurch zu Kants Kritik das
System der reinen Vernunft hinzuzufügen.
Das Wesen der kritischen Philosophie, welche Fichte vertreten will, besteht
nach ihm darin, dass ein absolutes Ich, als schlechthin unbedingt und durch nichts
Höheres bestimmbar, aufgestellt wird. Diejenige Philosophie ist aber dogmatisch,
die dem Ich an sich etwas gleich- und entgegensetzt. Dies geschieht in dem höher
sein sollenden Begriff des Dinges, der völlig willkürlich als der schlechthin höchste
aufgestellt wird. Im kritischen Systeme ist das Ding das im Ich gesetzte, im dogma-
tischen dasjenige, worin das Ich selbst gesetzt ist. Der Kriticismus ist darum
immanent, weil er Alles in das Ich setzt, der Dogmatismus transscendent , weil er
noch über das Ich hinausgeht. Der Dogmatismus muss gefragt werden, warum er
sein Ding an sich ohne einen höheren Grund annehme, da er bei dem Ich nach
einem höheren Grund fragt. Er muss nach seinem eigenen Grundsatze, nichts ohne
Grund anzunehmen, wieder einen höheren Gattungsbegriff für den Begriff des Dinges
an sich anführen, und so weiter fort Ein durchgeführter Dogmatismus leugnet
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§ 29. Fichte and Fichteaner.
311
entweder, dass unser Wissen einen Grund habe, dass überhaupt ein System im mensch-
lichen Geiste sei, oder er widerspricht sich selbst. — Dieses absolute Ich ist nun
ganz etwas Anderes als das Ich des wirklichen Bewusstseins. Das Letztere ist
auch ein gesondertes und abgetrenntes: es ist eine Person unter mehreren Personen.
Bis zum Bewusstsein dieser Persönlichkeit setzt die Wissenschaftslehre ihre Ableitung
fort. Das Ich aber, von welchem die Wissenschaftslehre ausgeht, ist nichts weiter
als die Identität des Bewusstseienden und Bewussten, und zu dieser Absonderung
muss man sich erst durch Abstraction von allem Uebrigen in der Persönlichkeit
erheben. Eb ist die Ichheit, die allen gemeine Vernunft, die allem Denken zu Grunde
liegt. Wer überhaupt nicht von dem wirklichen Bewusstsein und seinen Thnt-
sachen zu abstrahireu vermag, an dem hat die Wissenschaftslehre alle Ansprüche ver-
loren. Dieses Ich, welches noch nicht Individuum ist, entsteht durch intellectuelle
Anschauung, welche das unmittelbare Bewusstsein, dass ich handle und dessen,
was ich handle, ist. Sie ist das dem Philosophen angemuthete Anschauen seiner
selbst im Vollziehen des Actes, wodurch ihm das Ich entsteht, nicht das Anschauen
eines Seins, sondern eines Handelns, also etwas ganz Anderes als die intellectuelle
Anschauung, welche Kant verwirft. Dass es ein solches Vermögen der intellectuellen
Anschauung gebe, lässt sich nicht durch Begriffe demonstriren, noch, was es sei,
aus Begriffen entwickeln. Jeder muss es unmittelbar in sich selbst finden oder er
wird es nie kennen lernen.
Von diesem Ich der intellectuellen Anschauung, mit welchem die Wissenschafts-
lehre anhebt, ist wohl zu unterscheiden das Ich als Idee, mit welchem sie schliesst.
Im ersteren liegt lediglich die Form der Ichheit; dadurch, dass man es fasst, erhobt
man sich zur Philosophie. In dieser Gestalt ist es nur für den Philosophen Das
Ich als Idee ist für das Ich selbst, welches der Philosoph betrachtet, vorhanden.
Er stellt es nicht auf als seine eigene, sondern als Idee des natürlichen, jedoch
vollkommen ausgebildeten Menschen. Das Ich als Idee ist das Vernunftwesen, so-
fern es die allgemeine Vernunft theils in sich selbst vollkommen darstellt, theils
auch ausser sich in der Welt ausführlich realisirt hat. Die Idee des Ich hat mit
dem Ich der Anschauung das gemein, dass in beiden das Ich nicht als Individuum
gedacht wird, im letzteren nicht, weil die Ichheit noch nicht bis zur Individualität
bestimmt ist, nur Intelligenz, Geistigkeit, Vernunft ist, durch welche wir uns Allem,
was ausser uns ist, nicht nur Personen, entgegensetzen, im ersteren nicht, weil durch
die Bildung nach allgemeinen Gesetzen die Individualität verschwunden ist. Mit
der Idee des Ich schliesst die Vernunft in ihrem praktischen Theile, indem sie die-
selbe als das Endziel des Strebens unserer Vernunft aufstellt, welchem diese jedoch
nur ins Unendliche sich anzunähern vermag. Sie wird nie wirklich sein und kanu
als Idee auch nicht bestimmt gedacht werden. (Zweite Einleitung in d. Wissen-
schaftslehre 1797, Werke I, 463 f., 515 f., Sonnenkl. Bericht 1801, Werke II, 382.)
Um die Grundlage des theoretischen Wisseus zu gewinnen, ist es nun nöthig,
in dem obersten Grundsatze desselben: das Ich setzt sich als bestimmt durch das
Nicht-Ich, Gegensätze zu finden. Das sind folgende: 1. das Nicht-Ich bestimmt als
thätig das Ich, welches insofern leidend ist, 2. das Ich bestimmt sich selbst, ist
also thätig. Diese beiden Gegensätze werden vereinigt und aufgelöst durch den Begriff
der Wecbselbestimmung: das Ich setzt Negation in sich, sofern es Realität in
das Nicht-Ich setzt, und setzt Realität in sich, sofern es Negation in das Nicht-Ich
setzt. So sind Ich und Nicht-Ich gegenseitig durch einander bestimmt. Wird das
Ich bestimmt, so leidet es und zwar durch das Nicht-Ich, welches als thätig gedacht
wird. So erhalten wir die Kategorie derCausalität Es wird aber doch vor-
ausgesetzt, dass im Ich alle Realität vorhanden ist, und sofern es den ganzen
bestimmten Umkreis aller Realitäten umfasst, ist es Substanz. Wir stellen uns
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§ 29. Fichte and Fichteaner.
Dinge ausser uns vor dadurch, dass das Ich eine Realität in sich aufhebt und diese
aurgehobene Realität in ein Nicht-Ich setzt. Wird eine Einwirkung der äusseren
Dinge auf das vorstellende Snbject angenommen, bo heisst dies: Wir setzen die Dinge
als Nicht-Ich unserem Ich entgegen; dadurch wird unser Ich beschränkt In Wahrheit
sind wir es aber selbst, was da handelt, nicht die Dinge. Je nachdem man bei
dem Vorstellen nun das Ich als thätig oder als leidend betrachtet je nachdem die
Thätigkeit als von dem Ich oder dem Nicht-Ich ausgehend gedacht wird, ist der
Idealismus oder der Realismus vertreten. Es sind so in dem wahren System des
philosophischen Wissens die Ansprüche der beiden Weltanschauungen vereinigt,
indem sie beide beschränkt werden. Die Thätigkeit nun, durch welche das Ich sich
selbst beschränkt und die Vorstellung hervorbringt, ist die Einbildungskraft.
Beim Vorstellen schwebt das Ich zwischen entgegengesetzten Richtungen, nach dem
Ich oder nach dem Nicht-Ich hin, und dieses Schweben ist Wirkung der Einbildungs-
kraft, welche das Leiden und die Thätigkeit des Ich zum Bewusstsein bringt.
Zuerst wird durch diesen Process die Empfindung erzeugt, wobei noch nichts
Aeusseres gesetzt wird, sondern das Ich sich nur durch etwas Fremdes in sich be-
schränkt fühlt. Auf die Empfindung folgt die Anschauung. Es wird etwas ausser
uns gesetzt, das Augeschaute, welches dem anschauenden Subject durch eine not-
wendige Täuschung als ein von Anssen kommendes erscheint, die Richtoug des
Producirens und des Auffassens ist eine ganz entgegengesetzte, und deshalb kann
das Ich nicht in demselben Acte auffassen und produciren zugleich. Beim Auffassen
erscheint ihm das Product schon als ein fertiges. Damit die Anschauung aber
Realität gewinne, muss sie festgehalten werden. Dies geschieht durch den Ver-
stand, welcher die Anschauung fixirt, sie zu etwas Erkanntem macht. Sind Zeit
und Raum Gesetze des Anschauens, so die Kategorien Gesetze dieses Fixirens. Hat
der Verstand die Gegenstände festgesetzt, so reflectirt über sie die Urtheilskraft,
indem sie vergleicht, die Verhältnisse bestimmt, subsumirt u. s. w. Die Anschauung
der vollkommenen Spontaneität des Ich, aus welcher folgt, dass nichts real sein
könne für das Ich, ohne auch ideal im Ich zu sein, und umgekehrt, ist die Ver-
nunfterkenntniss, die Grundlage alles Wissens. Hier ergreift das Ich sich selbst,
d. h. kommt zum reinen Selbstbewusstsein. Hier ist die Entwickelung zum Aus-
gangspunkt zurückgekehrt, erkennt aber, dass das Bestimmtwerden des Ich aus ihm
selbst hervorgeht, und damit ist der Uebergang zum Praktischen gegeben.
Unerklärt blieb bisher der Anstoss, durch welcheu die unendliche Thätigkeit
des Ich begrenzt wird. Dieser wurde nur postulirt, der Grund dazu muss aber ge-
funden werden, sonst hätte die Wissenschaft«lehre kein festes Fundament. Der
Grundsatz der praktischen Wissenschaftslehre war: das Ich setzt das Nicht-Ich
als bestimmt durch das Ich. Das Ich ist absolut, frei nach diesem Satze, es hat
unendliche Thätigkeit, oder es geht mit seinem Streben in die Unendlichkeit Der
Trieb kann so sein Ziel nicht erreichet!, kann nicht causal werden. Damit das Ich
dies werde, damit es überhaupt praktisch werde, setzt es ein Gegenstreben ent-
gegen, und so ensteht der Anstoss oder das Nicht-Ich. Damit ist die Welt gesetzt,
die aber nur in einem Ich ist und für ein Ich ist. Es entsteht ein Wechsel verhältniss
zwischen der Freiheit des Ich im Verhältniss zur Welt, insofern es praktisch ist
und der Gebundenheit des Ich durch die Welt, insofern es als Intelligenz erscheint.
Der Begriff der Pflicht, welcher als unbedingtes Sollen auftritt, nöthigt aber das
Ich, die Welt, das Nicht-Ich, das eine blosse Schranke ist als ein Nichtiges zu er-
kennen und zu bekämpfen. Die moralische Weltordnung wird von Ewigkeit her
dafür gesorgt haben, dass endlich gelinge, was sein soll, d. h. dass die Vernunft =
Ich über die Unvernunft = Nicht-Ich siegen werde. Die Natur selbst als das Un-
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§ 29. Fichte und Fichteauer.
31 3
vernünftige kann keinen Zweck haben, und es tritt bei Fichte die völlige Natur-
verachtung zu Tage.
Von einzelnen Disciplinen hat Fichte nach den Grundsätzen der Wissenschafts-
lehre bearbeitet das Naturrecht und die Moral, indem er das eretere als durchaus
unabhängig vou der Moral behandelte. Erst im Naturrecht construirt Fichte die
Mehrheit der Individuen. Das Ich kann sich nicht als freies Subject denken, ohne
sich durch ein Aeusseres auch zur Selbstbestimmung bestimmt zu finden; zur Selbst-
bestimmung aber kann es nur durch ein Vernunftwesen sollicitirt werden; es muss
also nicht nur die Sinnenwelt, sondern auch andere Vernunftwesen ausser sich
denken, also sich als ein Ich unter mehreren setzen. Alles Recht bezieht Bich auf
Gemeinschaft und kann nur in einer Gemeinschaft existiren. Das allgemeine Reehts-
gesetz lautet: Es muss jeder seine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit der
Freiheit der Andern beschränken, unter der Bedingung, dass die Andern in Bezug
auf ihn das Gleiche thun. Der Staat hat die Aufgabe, das Vernunftrecht in Allem,
was menschliches Bedürfnis» ist, zu verwirklichen, hat aber mit der Gesinnung nichts
zu thun. Er ist nothwendig, um dem Vernunftrecht die äussere Sanction zu ver-
leihen, und er entsteht durch den übereinstimmenden Willen aller seiner Mitglieder,
sich ihre Hechte gegenseitig zu sichern.
Die Moral bezieht sich nicht auf das äussere Verhalten der Menschen wie
das Recht, sondern auf den Willen; und zwar muss das Princip der Gesetzgebung
für den Willen sich ergeben aus dem Begriffe der Freiheit, der unbedingten Selbst-
tätigkeit als dem Wesen des Ich. Aus diesem ergiebt sich die Forderung der
Selbständigkeit, Selbstbestimmung, der Trieb dazu, welcher als .reiner Trieb* alle
Sittlichkeit begründet. Das Princip der Sittenlehre besteht demnach in dem not-
wendigen Gedanken der Intelligenz, dass sie ihre Freiheit nach dem Begriffe der
Selbständigkeit schlechthin und ohne Ausnahme bestimmen solle. Die Aeusserung
und Darstellung des reinen Ich im individuellen Ich ist das Sittengesetz. Darob
die Sittlichkeit geht das empirische Ich vermöge einer unendlichen Annäherung in
das reine Ich zurück. Die Natur hat nur Sinn als Vorbedingung eines moralischen
Lebens; sie bietet die Mittel zum Handeln, ist aber eigentlich nur eine Schranke,
die stets aufzuheben ist.
In der .Kritik aller Offenbarung" nimmt Fichte an, dass unter der Voraus-
setzung totaler Entartung die Empfänglichkeit für Moralität mittelst der Sinnlich-
keit vermöge der Religion durch Wuntier und Offenbarungen angeregt werden
könne (wogegen Kant in seiner Relig. innerh. d. Grenz, d. Vnft. alle ausser-
morali sehen Elemente als statutarische bezeichnet und nicht als von Gott unmittelbar
veranstaltete Heilmittel, sondern nur als menschliche Verunstaltungen der rein
moralischen Religion gelten lässt). Auf dem Standpunkt der Wissenschaftslehre
lässt Fichte die Religion ganz in den Glauben an eine sittliche Weltordnung auf-
gehen. So insbesondere in der Abhandlung vom Jahre 1798 über den Grund unseres
Glaubens an eine göttliche Weltregierung und iu der sich hieran anschliessenden
Vertheidigungssrhrift gegen die Anklage des Atheismus. Der Gottesglaube ist
die ihm praktisch Bich bewährende Zuversicht zu der absoluten Macht des Guten.
.Die lebendige und wirkende moralische Ordnung-, Bagt Fichte in jener Abhandlung,
.ist selbst Gott; wir bedürfen keineB anderen Gottes und können keinen andern
fassen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, aus jener moralischen Weltordnung
herauszugehen und vermittelst eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund
noch ein besonderes Wesen als die Ursache derselben anzunehmen. Es ist gar
nicht zweifelhaft, vielmehr das Gewisseste, was es giebt, ja der Grund aller andern
Gewissheit, das einzige absolute gültige Objective, dass es eine moralische Welt-
ordnung giebt, dass jedem Individuum seine bestimmte Stelle in dieser Ordnung
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§ 29. Pichte and Fichteaner.
angewiesen und auf seine Arbeit gerechnet ist, dass jedes seiner Schicksale, in-
wiefern es nicht etwa durch sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von
diesem Plane, dass ohne ihn kein Haar fällt von seinem Haupte und in seiner
Wirkungssphäre kein Sperling vom Dache, dass jede wahrhaft gute Handlung
gelingt, jede böse misslingt, und dass denen, die nur das Gute recht lieben, alle
Dinge zum Besten dienen müssen. Es kann ebensowenig von anderer Seite dem,
der nur einen Augenblick nachdenken und das Resultat dieses Nachdenkens sich
redlich gestehen will, zweifelhaft bleiben, dass der Begriff von Gott als einer
besonderen Substanz unmöglich und widersprechend ist, und es ist erlaubt, dies
aufrichtig zu sagen und das Schulgeschwätz niederzuschlagen, damit die wahre
Religion des freudigen Rechtthuns sich erhebe." (Forberg hat in dem Aufsatz,
welchem der fichtesche vorangeschickt wurde, es für ungewiss erklärt, ob ein Gott
sei, den Polytheismus, falls nur die mythologischen Götter moralisch handelten,
für eben so verträglich mit der Religion wie den Monotheismus und in künst-
lerischem Betracht für vorzüglicher erklärt, die Religion auf zwei Glaubensartikel
beschränkt: den Glauben an die Unsterblichkeit der Tugend, d. h. den Gluuben,
dass es immer auf Erden Tugend gab und giebt, und den Glauben an ein Reich
Gottes auf Erden, d. h. die Maxime, an der Beförderung des Guten wenigstens so
lange zu arbeiten, als die Unmöglichkeit des Erfolges nicht klar erwiesen sei;
endlich es dem Ermessen eines Jeden anheimgegeben, ob er es rathsamer finde, an
eineu alten Ausdruck „ Religion" einen neuen verwandten Begriff zu binden und
dadurch diesen der Gefahr auszusetzen, von jenem wieder verschlungen zu werden,
oder lieber den alten Ausdruck gänzlich beiseite zu legen, aber dann zugleich auch
bei sehr Vielen schwerer oder gar nicht Eingang zu finden. Forberg hat auch
später noch, in einem Briefe an Paulus, Coburg 1821, in: Puulus u. s. Zeit, von
Reichlin-Meldegg, Stuttgart 1853, Bd. II, S. 268 f. vergl. Hose. Fichte-Büchlein
S. 24 f., erklärt: „Des Glaubens habe ich in keiner Lage meines Lebens bedurft
und gedenke in meinem entschiedenen Unglauben zu beharren bis ans Ende, das
für mich ein totales Ende ist" etc., wogegen Fichte über die Unsterblichkeit, obschon
er sich zu verschiedenen Zeiten verschieden äussert, doch stets affirmativere An-
sichten gehegt hat: kein wirklich gewordenes Ich kann nach Fichtes Doctrin jemals
untergehen; wie das Sein ursprünglich sich brach, so bleibt es gebrochen in alle
Ewigkeit. Wirklich geworden im vollen Sinne ist aber nur das Ich, das sich als
Leben des Begriffs erscheint, das also etwas allgemein und ewig Gültiges aus sich
entwickelt hat. Vgl. Löwe, die Ph. Fs, Stuttg. 1862, S. 224-230.)
Die BBestimmung des Menschen* ist eine lebendige exoterische Darstellung des
fichteschen Idealismus in seinem Gegensatz zum Spinozismus.
Bald nach dem Atheismus-Streit ging Fichte dazu über, den Ausgangspunkt
seines Philosophirens im Absoluten zu nehmen, insbesondere bereits in der Dar-
stellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1801 (erst in den Werken, Bd II,
1845 gedruckt), in welche auch einzelne schleiermachersche Begriffe aus den Reden
über die Religion eingegangen sind, und in der , Anweisung zum seligen Leben".
Er erklärt Gott für das allein wahrhaft Seiende, welches sich durch sein absolutes
Denken die äussere Natur als ein unwirkliches Nicht-Ich gegenüberstelle. Zu den
beiden früher (im Anschluss an Kants Ethik) unterschiedenen praktischen Lebens-
standpunkten, dem des Genusses und dem des Pflichtbewusstseins in der Form des
kategorischen Imperativs, fugt Fichte nunmehr drei andere hinzu, die ihm als höhere
gelten: die positive oder schaffende Sittlichkeit, die religiöse Geraeinschaft mit
Gott und die philosophische Gotteserkenntniss.
In der Schrift: Grundzüge <L gegenw. Ztalt, Vorlesg., geh. zu Berlin 1804
bis 1805 (Berl. 1806), unterscheidet F. geschicbtsphilosophisch fünf Perioden : 1. die-
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§ 29. Fichte und Fichteaner.
315
jenige, da die menschlichen Verhältnisse ohne Zwang und Mühe durch den blossen
Yernunftinstinct geordnet werden; 2. diejenige, da dieser Instinct schwächer ge-
worden und, nur noch in wenigen Auserwählten Bich aussprechend, durch diese
Wenigen in eine zwingende äussere Autorität für alle verwandelt wird; 3. die-
jenige, da diese Autorität und mit ihr die Vernunft in der eiuzigen Gestalt, in der
sie bis jetzt vorhanden, abgeworfen wird; 4. diejenige, da die Vernunft in der
Gestalt der Wissenschaft in die Gattung eintritt; 5. diejenige, da zu dieser Wissen-
schaft sich die Kunst gesellt, um das Leben mit sicherer und feBter Hand nach
der Wissenschaft zu gestalten, und da diese Kunst die vernunftgemässe Einrichtung
der menschlichen Verhältnisse frei vollendet, und der Zweck des gesammten
Erdenlebens erreicht wird, und unsere Gattung die höheren Sphären einer andern
Welt betritt Die letzte Periode ist eine Rückkehr zum Ursprung, jedoch so, dass
die Menschheit sich mit Bewusstsein wieder zu dem macht, was sie ohne ihr Zuthun
gewesen ist. F. findet, dass seine Zeit in der dritten Epoche stehe. — In den im
Sommersemester 1813 gehaltenen Vorlesungen üb. d. Staatslehre erklärt F. (Werke,
Bd. IV, 508) die Geschichte für den Fortgang von der ursprünglichen, auf blossem
Glauben beruhenden Ungleichheit zu der Gleichheit, die das Resultat des die
menschlichen Verhältnisse durchaus ordnenden Verstandes sei.
Die Energie der sittlichen Gesinnung F.s hat sich zumeist in seinen .Red. an
d. dtsche. Nation" bekundet, die eine geistige Wiedergeburt erstreben. ,Lasst die
Freiheit auf einige Zeit verschwunden sein aus der sichtbaren Welt; geben wir ihr
eine Zuflucht im Innersten unserer Gedanken, so lange, bis um uns herum die neue
Welt emporwachse, die da Kraft habe, diese Gedanken auch äusserlich darzu-
stellen/ Dieses Ziel soll erreicht werden durch eine völlig neue, zur Selbsttätig-
keit und Sittlichkeit führende Erziehung, für welche F. in Pestalozzis Pädagogik
den Anknüpfungspunkt findet. Nicht durch die einzelnen Vorschläge, die grossen-
theila überspannt und abenteuerlich sind, wohl aber durch das ethische Princip hat.
F. zur sittlichen Erhebung der deutschen Nation wesentlich mitgewirkt und zumal
die Jugend zum aufopferungsfreudigen Kampfe für die nationale Unabhängigkeit be-
geistert. Gegen Fichtes früheren Kosmopolitismus, der ihn noch 1804 in dem
Staate, der jedesmal auf der Höhe der Cultur stehe, das wahre Vaterland des Ge-
bildeten finden Hess, contrastirt scharf die in den Reden sich bekundende warme
Liebe zu der deutschen Nation, die sich jedoch bis zu einem überschwenglichen,
den Gegensatz des Deutschen und Fremden nahezu mit dem des Guten und Bilsen
identificirenden Cultus des Deutschthums potenzirt
F.s spätere Lehre ist eine Fortbildung der früheren in der nämlichen Rich-
tung, in welcher Sendling über Fichte hiuausging. Die Differenz zwischen F.s
früherem und späterem Philosophiren ist vielleicht in der Sache geringer, als in
der Lehrform. Sendling, der seinen eigenen Einfluss auf F.s spätere Gedanken-
bildung wohl überschätzt hat, mag die Differenz überspannt und vielleicht F.s
früheren Standpunkt zu subjectivistisch gedeutet haben. Andererseits aber ist nicht
zu verkennen, dass F., von Kants transscendentaler Apperception, welche das reine
Selbstbewusstsein jedes Individuums ist, ausgehend, mehr und mehr in dem Begriff
des alle Individuen in sich befassenden Absoluten das Princip seines Philosophirens
gefunden hat und dass demgemäss sein späteres Lehrgebäude auch materiell von
dem früheren gar nicht unbeträchtlich verschieden ist.
Zu der von Fichte in der , Wissenschaftslehre * dargelegten Doctrin hat sich
eine Zeit lang auch Reinhold bekannt, der später theils bardilische, theils
jacobische Ansichten annahm; Friedr. Carl Forberg (1770-1848) und Friedr.
Imm. Niethammer (1766—1848) schlössen sich an eben jene Lehre an. Johannes
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§ 29. Fichte and Fichteaner.
Baptista Schad, geb. 1758 z. Mürzbach zwischen Coburg u. Bamberg, vom 9. J
im Benedictinerkloster Banz erzogen, dann in Bamberg von Jesuiten unterrichtet,
trat 1778 als Novize in das Kloster Banz ein und entsprang 1798 aus demselben, nach-
dem er wegen seines gegen das wüste Leben im Kloster geäusserten Abscheues und
wegen seiner freieren Ansiebten hart behandelt worden war. Bald darauf habilitirte
er eich in Jena, wurde 1802 daselbst ausserord. Prof. und ging 1804 als ord. Prof.
der Philos. nach Charkow. 1817 erhielt er daselbst plötzlich wegen einiger Stellen
in seinen Schriften die Entlassung und wurde aus Russland verwiesen. Nach Jena
zurückgekehrt starb er daselbst 1834. Vgl. Scbads Lebens- u. Kloschergesch. v. ihm
selbst beschrieben, 2. Bd., Erf. 1803—1804, 2. Aufl.: Schads Lebensgesch., Altenb.
1828. Als Anhänger Fichtes zeigte sich Schad in den Schriften: Gemeinfassliche
Darstellung des fichtischen Systems u. der daraus hervorgeh. Religionstheorie,
3 Bde., Erf. 1800-1801; Grundriss der Wissenschaftel., Jena 1800; Neuer Grund-
riss der trausscendental. Logik u. der Metaphys. nach d. Principien der Wissen-
schaftsl , Jena 1801; Absolute Harmonie des fichtischen Systems mit der Relig.,
Erf. 1802. Der Lehre Sendlings nähert sich Schad in: System der Natur u.
Transscendentalphilos., 2. Bd., Landshut 1803-1804. Gottl. Ernst Aug. Mehmel
(geb. 1761, gest. 1840 in Erlangen) hat in Schriften und Vorlesungen sich im
Wesentlichen Fichte angeschlossen.
Von Fichte angeregt, ging Fried r. Schlegel (1772 — 1829), indem er an die
Stelle des reinen Ich das geniale Individuum setzte, zu einem Cultus der Genialität
fort. Im Anschluss an Jacobi gegen den Formalismus des kategorischen Impera-
tivs (mit der Wendung, dem Kant sei .die Jurisprudenz auf die inneren Theile
geschlagen*) polemisirend, findet er in der Kunst die wahre Erhebung über das
Gemeine, wozu sich die pflichttreue Arbeit nur wie die getrocknete Pflanze zur
frischen Blume verhalte. Indem dos Genie sich über jede für das gemeine Bewusst-
sein geltende Schrauke erhebt und über alles, was es selbst anerkennt, sich wie-
derum erhebt, ist sein Verhalten das ironische, indem es ihm nicht Ernst war
mit der vorhergehenden Hingabe. Eine positive Befriedigung kennt diese .Ironie*
nicht, uud die Erhebung, durch welche jedesmal das, was früher ein Ziel ernsten
Strebens war, zum Object heiteren Spiels herabgesetzt wird, besteht ihr nicht in
der tbatkräftig fortschreitenden Arbeit des Geistes, sondern nur in der stets er-
neuten Negation, die alle Besonderheit in den Abgrund des Absoluten versenkt.
Verwandt mit Schlegels Deukrichtuug ist die von Novalis (Friedr. v. Hardenberg,
1772-1801, s. Fortlage, Sechs philos. Vorträge, 2. Ausg., Jena 1872, S. 73—114:
üb. Nov. u. d. Romantik). Ins Extrem treibt Schlegel das ironische Verhalten und
die Polemik gegen die Sitte in dem Roman: Lucinde, Berl. 1799, durch die Be-
kämpfung der Schamhaftigkeit und das „Lob der Frechheit', wo bei dem Mangel
eines positiven sittlichen Gehaltes die berechtigte Polemik gegen einen rigoristischen
Formalismus in eine Bittenlose Frivolität umschlägt. (Schleiermacher hat seine
idealere Auffassung des Rechts der Individualität in den Roman hineingetragen.)
Auch im Athenäum, von ihm uud seinem Bruder August Wilhelm 1798—1800
herausgegeben, finden wir in Form von Fragmenten seine früheren philosophischen
Anschauungen. Später fand F. Schlegel im Katholicismus die Befriedigung, die
ihm seine Philosophie nicht dauernd zu gewähren vermochte, und näherte sich von
dem Standpunkte des Subjectivismus ans mehr einem Pantheismus und einer
theosophisehen Mystik, so namentlich in den Vorlesungen über Philosophie des
Lebens, 1828, und in denen über Philosophie der Geschichte. — Trotz der Beziehung
zu Fichtes Lehre ist die schlegelsche Romantik und Ironie, sofern sie die Willkür
des Subjects an die Stelle des Gesetzes im Denken und Wollen treten lässt, nicht
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§ 80. Schölling.
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eine Conseqaenz, sondern (wie Lasso n in seiner Schrift üb. Fichte S 240 sie richtig
bezeichnet) .das directe Widerspiel des fichteschen Geistes". (Vgl. J. H. Schlegel,
d. neuere Romantik and ihre Beziehung z. fichteBcheo Philos., Rastatt 1862.)
§ 30. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (später von
Schelling, geb. 1775, gest. 1854) hat die fichtesehe Ichlehre, von der
er ausging, durch Verschmelzung mit dem Spinozismus zu dem
Identitätssystem umgestaltet, aber von den beiden Seiten des-
selben, der Lehre von der Natur und vom Geist, vorzugsweise die
erstere ausgebildet. Object und Subject, Reales und Ideales, Natur
und Geist sind identisch im Absoluten. Wir erkennen diese Identität
mittelst intellectueller Anschauung. Die ursprüngliche ungeschiedene
Einheit oder Indifferenz tritt in die polarischen Gegensätze des
positiven oder idealen und des negativen oder realen Seins aus-
einander. Der negative oder reale Pol ist die Natur. Der Natur
wohnt ein Lebensprincip inne, welches die unorganischen und die
organischen Wesen vermöge einer allgemeinen Continuität aller Natur-
ursachen zu einem Gesammtorganismus verknüpft. Dieses Princip
nennt Schelling die Weltseele. Die Kräfte der unorganischen Natur
wiederholen sich in höherer Potenz in der organischen. Der positive
oder ideale Pol ist der Geist. Die Stufen seiner Entwickelung sind:
das theoretische, das praktische und das künstlerische Verhalten,
d. h. die Hineinbildung des Stoffes in die Form, der Form in den
Stoff, uud die absolute Ineinsbildung von Form und Stoff. Die Kunst
ist bewusste Nachbildung der bewusstlosen Naturidealität, Nach-
bildung der Natur in den Culminationspunkten ihrer Entwickelung;
die höchste Stufe der Kunst ist die Aufhebung der Form durch die
vollendete Fülle der Form.
Durch successive Mitaufnahme mancher Philosopheine von Piaton
und Neuplatonikern, Giordano Bruno, Jakob Böhme und Anderen
hat Schelling später eine synkretistische Doctrin gebildet, die immer
mystischer geworden ist, auf den Entwickelungsgang der Philosophie
aber einen weit geringeren Einfluss als das anfängliche Identitäts-
system gewonnen hat. Schelling hat nach Hegels Tode das Identitäts-
systeni, das von Hegel nur auf eine logische Form gebracht worden
sei, zwar nicht für falsch, aber für einseitig erklärt und als negative
Philosophie bezeichnet, die nur im Rationalen bleibe und nicht von
dem zu Denkenden aus das Existirende begreifen könne. In dem
Existirenden ist nicht nur Vernunft, sondern auch Vernunftwidriges,
und so ist es durch die Erfahrung aufzunehmen und nicht aus reiner
Vernunft zu erfassen. Deshalb bedarf die negative oder rationale
Philosophie einer Ergänzung durch eine positive Philosophie,
nämlich durch die „Philosophie der Mythologie" und „Philosophie der
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$ 30. Schelling.
Offenbarung". Es geht freilich diese höhere Stufe der Philosophie bei
Schelling in Theosophie über und ist eine Speculation über die Potenzen
und Personen der Gottheit, wodurch der Gegensatz des petrinischen
und paulinischen Christenthums oder des Katholicismus und Protestan-
tismus in einer Johanneskirche der Zukunft aufgehoben werden soll.
— Der Erfolg ist weit hinter Schöllings grossen Verheissungen zurück-
geblieben.
Schelling« Werke bat in einer Gesammtausgabc, welche ausser dem früher Ge-
druckten auch vieles bis dahin Ungedruckte enthält, sein Sohn K. F. A. Schelling edirt,
L Abth. 10 Bde., 2. Abth. 4 Bde., Stuttg. u. AuRsb. 1 856 ff. Von G. L. Plitt in
Erlangen ist hrsgeg. worden: Aus Seh.s Leb., in Briefen, Bd. I, 1775 — 1803, Lpz. 1869;
Bd. II, 1803—20, Leipz. 1870. Schelling ist auch der Verf. der „Nachtwachen von
Bonaventura", Penig 1805, die eine pessimistische, ja nihilistische Tendenz haben. Seine
hauptsächlichsten Schriften s. unten bei der Darstellung seiner Lehre.
Ueber Schelling handelt insbesondere C. Rosenkranz, Schelling, Vorlesgn., geh.
im Sommer 1842 an der Universität zu Königsberg, Danzig 1843. Vgl. die Dar-
stellungen seines Systems bei den Historikern Michelet, Erdmann etc., ferner unter den
älteren Schriften namentlich die von Jak. Fries üb. Reinhold, Fichte und Schelling,
Lpz. 1803, F. Köppen, Sch.s Lehre od. das Ganze d. Philos. des absol. Nichts, nebst
drei Briefen von F. H. Jacobi, Hamburg 1803, wie auch Jacobis Schrift v. d. göttl.
Dingen, Lpz. 1811 (s. ob. § 28, S. 297), von neueren mehrere bei der Eröffnung der
Vorlesungen Seh.» in Berlin erschienene Streitschriften: Schelling u. d. Offenbarg., Krit.
d. neuest. Reactionsversuchs geg. d. freie Philos., Lpz. 18-12, (Glaser) Differenz d.
schellingschen u. hegelsehen Philo»., Leipz. 1842, Marheineke, Krit. d. ach.schen Offen-
barungsphil., Berl. 1843. Salat, Seh. in München, Heidelb. 1845. L. Noack, Seh. u. d.
Philos. der Romantik, Berlin 1859. Ad. Planck. Schellinga nachgelassene Werke u.
ihre Bedeutung für Philos. u. Theologie, 1858. Mignet. Notice historique sur la vie et
lea travaux de M. de Sch., Paris 1858. E. A. Weber, Examen critique de la philos.
religieuse de Sch., these, Strassb. 1860. Abhandlgn. von Hub. Beckers in den Abh.
der bayer. Akad. d. Wiss. (üb. die Bedeutung d. sch.schen Metaph., e. Beitrag z. tieferen
Verständn. d. Potenzen- u. Principienlehre Sch.s, in: Abh. der philos.-philol. Cl. der
Akad. d. Wiss.. Bd. IX, München 1863, S. 399—546; üb. d. wahre u. bleibende Bedeutg.
d. Naturphilos. Sch.s, ebd. Bd. X, 2, Münch. 1865, S. 401—449: die Lnsterblichkeita-
lehrc Sch.» im ganz. Zusammenhange ihrer Entwiekel. dargest., ebd. Bd. XL 1, Münch.
1866, S. 1 — 112, v. dems. Sch.s Geisteaentwickelung in ihr. inneren Zusammenb., Rede,
Münch. 1875), v. Ehrenfenchter. Dorner, Hamberger in den Jahrb. f. deutsche Theol.,
auch in deu Erlangen 1863 ersch. Abhandig.: Christenth. u. moderne Cultur, Hoffmann
im Athenaeum, Brandis (Gedächtnissrede) in den Abh. d. Berl. Akad. 1855, Böckh, üb.
Sch.s Verhältn. zu Leibolz, in den Monatsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1855, kl. Sehr.
Bd. LT. E. v. Hartmann, Sch.s positive Philos. als Einheit v. Hegel u. Schopenhauer,
Berl. 1869. J. IL Fichte, üb. d. Unterschied zwisch. ethisch, u. naturalist. Theism., mit
Bez. auf Seh.s WW.. in: Vermischte Schriften, Bd. 1, 1869. J. G. T. F. Helmes, d.
Zeitgeist, m. besond. Rücks. auf d. Weltanschauung Sch.s in dess. letztem Syst, Münch.
1874. Kuno Fischer, F. W. Schelling, im VI. Bd. seiner Gesch. der neueren Philos.,
der aber nicht auf die positive Philos. Sch.s eingeht. H. v. Stein. Sch., populür-
wissenschaftl. Vortr., Rostock 1875. O. Pfleidcrer, Gedächtnissrede, geh. zu Jena 1875.
Tb. Hoppe, d. Philo». Sch.s u. ihr Verb, zum Christenth., Dis«., Rostock 1875. Dorner,
Sch., zur Erinn. an s. 100j. Geburtst., in Jahrbb. f. deutsche Th. 1875. R. Zimmer-
mann, Sch.s Philos. der Kunst, Wien 1876. J. Klaiber, Hölderlin, Hegel B. Schelling
in ihren schwäbischen Jugendjahren, Stuttgart 1877. < Histamin Frantz, Sch.s positive
Philos., 3 Theile, Göthen 1879—1880. K. Koeber, d. Grundprincipien der schellingschen
Naturphil. (Samml. gemeinverst., wissenschaftl. Vorträge), Berl. 1882. John Watson,
Schellinga transscendental Idealism, Chicago 1882. Hans Heussler, Sch.» Entwicklungsl.,
in: Rhein. Blätter f. Erzieh, u. Unterr., 1882. Hnr. Lisco, d. Geachichtsphilos. Sehel-
lings 1792—1809, I.-D., Jena 1884. Rieh. Gebel, Sch.s Theorie vom Ich des All-Einen
u. deren Widerlegung, Leipz. I.-D., Berl. 1885.
Sohn eines württembergischen Landgeistlichen, geb. zu Leonberg am 27. Jan.
1776, trat Schelling, dessen glänzende Anlagen sich früh entwickelten, bereits in
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§ 30. Schelling.
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seinem 16. Lebensjahre, zu Michaelis 1790, in das theologische Seminar zu Tübingen.
Er trieb ausser den theologischen Studien philolugische und philosophische, dann
1796 und 97 zu Leipzig besonders naturwissenschaftliche und mathematische. Auf
Goethes Veranlassung 1798 nach Jena berufen, doeirte er hier neben Fichte und
ebendaselbst auch noch nach dessen Abgange. Hier lernte er bald die geistvolle
Caroline, die Frau A. W. Schlegels kennen, geb. Michaelis, verwittwete Böhmer,
die er, nachdem sie sich von Schlegel hatte scheiden lassen, 1803 heirathete. Sie
starb schon 1809. (S. Caroline. Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste,
die Familie Gotter, F. L. W. Meyer, A. W. und Fr. Schlegel, Schelling und A.,
herausg. von G. Waitz, Lpz. 1871.) Sch. erhielt 1803 eine Professur der Philosophie
in Würzburg, die er bis 1806 bekleidete, wurde dann Mitglied der Akademie der
Wissenschaften in München (später deren beständiger Secretair), las in Erlangen
1820—26, ward 1827, als unter Aufhebung der Universität zu Landshut die zu
München gegründet wurde, an derselben Professor. Von da 1841 nach Berlin als
Mitglied der Akademie der Wissenschaften berufen, hielt er an der dortigen Uni-
versität einige Jahre lang Vorlesungen über Mythologie und Offenbarung, gab aber
bald diese Lehrthätigkeit wieder auf. Kr starb am 20. August 1854 im Badeorte
Kagaz in der Schweiz.
In seiner Magisterdissertation „Antiquissirni de prima malorum origine philo-
sophematis explicandi tentamen criticum* (1792) gab er der biblischen Erzählung
vom Sündenfall eine allegorische Deutung, im Anschluss an herdersche Ideen. In
gleichem Geiste war die Abhandlung geschrieben, die 1793 in Paulus' Memorabilien
(Stück V, S. 1—65) erschien: „über Mythen, histor. Sagen und Philosopheme der
ältest. Welt". Der neutestarnentlichcn Kritik und ältesten Kirchengeschiehte gehört
die Abhandlung an: »de Marcione Paulinarum epistolarum emendatore" , 1795.
Immer mehr aber wandte sich Sch.s Interesse der Philosophie zu. Er las Kants
Vernunftkritik, Ueinholds Elementarphilosophie, Maimons neue Theorie des Denkens,
G. E. Schnlzes Aenesidemns und Fichtes Recension dieser Schrift und dessen Schrift
über den Begriff der Wissenschaftslehre, und schrieb 1794 die (zu Tübingen 1795
ersch.) wesentlich fichtesche Gedanken bringende Schrift: „Ueber die Möglichk.
einer Form d. Philosophie überhaupt", worin er zu zeigen sucht, dass weder
ein materialcr Grundsatz, wie Reinholds Satz des Bewnsstseins, noch ein bloss
formaler, wie der Satz der Identität, sich zum Princip der Philosophie eigne; dieses
Princip müsse in dem Ich liegen, in welchem das Setzen und das Gesetzte zu-
sammenfallen. In dem Satze: Ich = Ich, bedingen Form und Inhalt sich gegen-
seitig.
In der nächstfolgenden Schrift: „Vom Ich als Princip der Philosophie
od. üb. das Unbedingte im menschl. Wissen-, Tüb. 1795 (wiederabgedr. in
den .philos. Schriften", Landshut 1809), bezeichnet Sch. als das wahre Princip der
Philosophie das absolute Ich. Das Subject ist das durch ein Object bedingteich;
4er Gegensatz zwischen Subject und Object setzt ein absolutes Ich voraus, welches
nicht durch ein Object bedingt ist, sondern alles Object ausschliesst. Das Ich ist
das Unbedingte im menschlichen Wissen; durch das Ich selbst und durch Entgegen-
setzung durch das Ich muss sich der ganze Inhalt alles Wissens bestimmen lassen.
Die kantische Frage: wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? ist in ihrer
höchsten AbBtractiou vorgestellt, keine andere als diese: wie kommt das absolute
Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen und sich ein Nicht-Ich schlechthin entgegen-
zusetzen? Im endlichen Ich ist die Einheit des Bewnsstseins, d. h. Persönlichkeit;
das unendliche Ich aber kennt gar kein Object, also auch kein Bewusstsein und
keine Einheit des Bewnsstseins, keine Persönlichkeit; die Causalität des unendlichen
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320
§ 80. Schölling.
Ich kann nicht als Moralität, Weisheit etc., sondern nur absolute Macht vorgestellt
werden.
In den „philos. Briefen üb. Dogmatismus und Kriticismus", in Niet-
hammers philos. Journal 1796 (wiederabgedr. in den „philos. Schriften', Landshut
1809), tritt Sch. den Kantianern entgegen, die er im Begriff findet, „aus den Tro-
phäen des Kriticismus ein neues System dea Dogmatismus zu erbauen,, an dessen
Stelle wohl jeder aufrichtige Denker das alte Gebäude zurückwünschen möchte".
Sch. sucht (besonders bei dem moralischen Beweise für das Dasein Gottes) nach-
zuweisen, dass der Kriticismus in dem Sinne, wie die meisten Kantianer denselben
verstehen, nur ein widerspruchsvolles Mittelding von Dogmatismus und Kriticismus
sei; recht verstanden, sei die Kritik der reinen Vernunft gerade dazu bestimmt,
die Möglichkeit zweier einander entgegengesetzter Systeme, welche beide den Wider-
streit zwischen Subject ond Object durch Reduction des einen auf das andere auf-
heben, nämlich des Idealismus und des Realismus, ans dem Wesen der Vernunft
abzuleiten. „Uns Allen", sagt Sch., wohnt ein geheimes, wunderbares Vermögen
bei, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser innerstes, von allem, was von aussen-
her hinzukam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen und da unter der Form der Un-
wandelbarkeit das Ewige anzuschauen; diese Anschauung ist die innerste, eigenste
Erfahrung, von welcher allein alles abhängt, was wir von einer übersinnlichen Welt
wissen und glauben". Schelling nennt dieselbe die „intellectuelle Anschauung".
(Freilich ist das, was er hier beschreibt, vielmehr eine Abstraction, als eine An-
schauung.) Spinoza, meint Schelling, objectivirt dogmatisch oder realistisch diese
Anschauung und glaubt daher .(gleich dem Mystiker) sich im Absoluten zu ver-
lieren; der Idealist aber erkennt sie als Anschauung seiner selbst; sofern wir
streben, das Absolute in uns zu realisiren, sind nicht wir in der Anschauung der
objectiven Welt, sondern ist Bie in dieser unserer Anschauung verloren, in welcher
Zeit und Dauer für uns dahinschwinden und die reine absolute Ewigkeit in uns
ist — Die Quelle des Selbstbewusstseins ist das Wollen. In» absoluten Willen
wird der Geist seiner selbst unmittelbar inne, und er hat eine intellectuelle An-
schauung seiner selbst Obwohl Kaut die Möglichkeit einer intellectuellen An-
schauung negirt. so glaubt doch Schelling (in den 1796 und 97 geschriebenen,
gleichfnlls zuerst in dem von Fichte und Niethammer herausg. philos. Journal er-
schienenen, in den „philos. Schriften* 1809 wieder abgedr. „Abhandlungen zur
Erläuterung des Idealismus der WissenschaftBlehre ) mit dem Geist seiner
Lehre sich in Uebereinstimmung zu finden, da Kant selbst das Ich in dem Satze:
Ich denke, für eine rein intellectuelle Vorstellung erkläre, die allem empirischen
Denken nothweudig vorangehe. Die von Reinhold aufgeworfene Frage, ob Fichte
durch seine Behauptung, dass das Princip der Vorstellungen lediglich ein inneres
sei, von Kant abweiche, beantwortet Schelling, indem er sagt: „Beide Philosophen
sind einig in der Behauptung, dass der Grund unserer Vorstellungen nicht im Sinn-
lichen, sondern im Obersinnlichen liege. Diesen übersinnlichen Grund muss Kant
in der theoretischen Philosophie Symbol isiren ond spricht daher von Dingen
an sich als solchen, die den Stoff zu unseren Vorstellungen geben. Dieser sym-
bolischen Darstellung kann Fichte entbehren, weil er die theoretische Philosophie
nicht, wie Kant, getrennt von der praktischen behandelt. Denn eben darin besteht
das eigenthümliche Verdienst des letzteren, dass er das Princip, das Kant an die
Spitze der praktischen Philosophie stellt, die Autonomie des Willens, zum
Princip der gesammten Philosophie erweitert und dadurch der Stifter einer Philo-
sophie wird, die man mit Recht höhere Philosophie heissen kann, weil sie ihrem
Geiste nach weder theoretisch noch praktisch allein, sondern beides zugleich ist".
Von der (historisch richtigen) Auffassung der kantischen .Dinge an sich* im eigent-
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§ 30. Schelling.
321
liehen Sinne redet Schelling mit derselben Verachtung, wie von der (aristotelischen
im Wesentlichen gleichfalls historisch richtigen) Auffassung der platonischen Ideen
als Substanzen, indem er die (grossentheils allerdings unleugbar vorhandenen und
auch von Anderen bereits aufgezeigten, theilweise jedoch nur vermeintlichen, durch
Sendlings eigenes Missveretändniss erzeugten) Widersprüche urgirt, in welche jene
Auffassung sich verwickele. „Die unendliche Welt iat ja nichts Anderes, als unser
schaffender Geist selbst in unendlichen Productionen und Reproductionen. Nicht
also Kants Schüler! Ihnen ist die Welt und die ganze Wirklichkeit etwas, das,
unserem Geiste ursprünglich fremd, mit ihm keine Verwandtschaft hat, als die zu-
fällige, dass sie auf ihn wirkt Nichtsdestoweniger beherrschen sie eine solche
Welt, die für sie doch nur zufällig ist und die ebenso gut auch anders sein konnte,
mit Gesetzen, die, sie wissen nicht wie und woher, in ihrem Verstände eingegraben
sind. Diese Begriffe und diese Gesetze des Verstandes tragen sie, als höchste
Gesetzgeber der Natur, mit vollem Bewußtsein, dass die Welt aus Dingen an sich
besteht, doch auf diese Dinge an sich über, wenden sie ganz frei und selbstbeliebig
an, und diese Welt, diese ewige und nothwendige Natur, gehorcht ihrem speculativen
Gutdünken? Und dies soll Kant gelehrt haben? — Ks hat nie ein System existirt,
das lächerlicher und abenteuerlicher gewesen wäre.**)
Im Jahre 1797 erschien zu Leipzig der erste (und einzige) Theil der „Ideen
zu einer Philos. d. Natur" (2. Aufl. Landshut 1803), im Jahre 1798 zu Hamburg
die Schrift: „Von der Weltseele, eine Hypothese d. höh. Physik z. Krklärung
des allgemeinen Organismus* (der 2. Aufl., welche zu Hamburg 1806 erschien, wie
auch der 3., Hamb. 1809, ist eine Abh. „über die Verhältnisse des Realen und des
Idealen in der Natur od. Entwickig. der erst. Grundsätze der Naturphilos. an den
Principien der Schwere und des Lichts* beigefügt). Im folgenden Jahre erschien:
„Erster Entwurf e. Systems d. Naturphilos.", Jena u. Lpz. 1799, nebst
der kleinen Schrift: Einleitung zu diesem Entwurf, oder: über den Begriff der
speculativ. Physik u. die innere Organisation e. Systems dieser Wissensch. Dann
folgt das „System des tran'ss cendentalen Idealismus", Tübingeu 1800. Sch.
betrachtet in diesen Schriften das Subjective oder Ideelle und das Objective oder
*) Diese Kritik trifft nur halb zu, sofern nicht auf die Dinge an sieh selbst,
sondern auf die durch sie in uns hervorgerufenen Vorstellungen die apriorischen
Formen und Gesetze übertragen werden sollen ; da aber diese Vorstellungen, sofern
sie von Dingen an sich abhängen, auch durch diese mitbestimmt sein müssen, so
liegt in der That in der Doctrin Kants und seiner strengen Anhänger die Un-
gereimtheit, dass eben diese Vorstellungen doch zugleich auch widerstandslos, ab
ob sie gar nicht durch die Dinge an sich mitbestimmt wären, den Gesetzen gehorchen
Bollen, welche das Ich „ganz frei und selbstbeliebig" aus sich erzeugt (vgl. oben
S. 256). Wenn übrigens Schelling selbst dafür hält, es gebe für unsere Vorstellung
kein Original ausser ihr, und es finde zwischen dem vorgestellten und wirklichen
Gegenstand gar kein Unterschied statt, so beweist dies nur, dass er — ebenso wie
später Hegel und Andere — Kants erkenntnisstheoretisches Problem nicht gelöst
und nicht einmal verstanden hat. Ein wesentlich anderes Problem, nämlich das
des realen Verhältnisses zwischen Natur und Geist, hat sich, ihm selbst unbewusst,
in seinem Philosophiren jenem erkenntnisatbeoretischen Probleme untergeschoben
und ist von ihm geistvoll und tief in seinen nächstfolgenden Schriften behandelt
worden, während jeneB ungelöst blieb, aber Schelling selbst und seinen Nachfolgern
irrigerweise mit diesen zugleich für gelöst galt. Dass die Natur teleologisch
durch den Geist, der aus ihr hervorgehen soll, bedingt sei, wie dieser genetisch
durch sie bedingt ist, ist allerdings ein Gedanke von tiefer und bleibender Wahr-
heit; aber von dem einzelnen Erkenntnissact des Individuums ist doch das iedes-
malige Erkenntnissobject nicht abhängig, sondern besteht an sich ausserhalb des
individuellen Bewusstseins ; auf dieses Ansich hat Schelling seine Aufmerksamkeit
nicht gerichtet.
Ueberweg-Heime, Gnmdm« III. 7. Acfl. 21
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322
§ 30. Schelli ng.
Reelle als zwei Pole, die sich wechselseitig voraussetzen und fordern. Auf der
Uebereinstimmung eines Objectiven mit einem Subjectiven beruht alles Wissen.
Demgemäss giebt es (wie Sch. namentlich in der Einleitung zu peinem Entwurf
eines Syst. der Naturphil, und im Syst. des transsc. Idealismus ausführt) nothwendig
zwei Grundwissenschaften. Entweder nämlich wird das Objective zum Ersten
gemacht und gefragt, wie ein Subjectives zu ihm hinzukomme, das mit ihm über-
einstimme, oder das Subjective wird zum Ersten gemacht, und die Aufgabe ist
die: wie ein Objectives zu ihm hinzukomme, das mit ihm übereinstimme. Die erste
Aufgabe ist die der speculativen Physik, die andere die der Transscendental-
philo8ophie. Die Transscendentalphilosophie betrachtet, indem sie die reelle oder
bewusstlose Vernunftthätigkeit auf die ideelle oder bewusste zurückführt, die Natur
als den sichtbaren Organismus unseres Verstandes; die Naturphilosophie dagegen
zeigt, wie das Ideelle auch hinwiederum aus dem Reellen entspringt und aus ihm
erklärt werden muss. Zum Behuf der Erklärung des Fortgangs der Natur von den
niedrigsten bis zu den höchsten Gebilden nimmt Sch. eine Weltseele an als ein
organisirendes, die Welt zum System bildendes Princip.*) Sch. fasst im „ System
des transscendentalen Idealismus" die Grundgedanken seiner Naturphilosophie
(welche, obschon mit Irrigem und Phantastischem untermischt, doch von bleibendem
Werthe sind) dahin zusammen: „Die nothwendige Tendenz aller Naturwissen-
schaft ist, von der Natur aufs Intelligente zu kommen. Dies und nichts Anderes
liegt dem Bestreben zu Grunde, in die Naturerscheinungen Theorie zu bringen.—
Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige sein, kraft welcher die ganze
Natur sich in eine Intelligenz auflöste. Die todten und bewusstlosen Producta der
Natur sind nur misslungene Versuche der Natur, sich selbst zu reflectiren, die so-
genannte todte Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phäno-
menen noch bewusstlos schon der intelligente Charakter durchblickt. Das höchste
Ziel, sich selbst ganz Object zu werden, erreicht die Natur erst durch die höchste
und letzte Reflexion, welche nichts Anderes als der Mensch, oder allgemeiner, das
ist, was wir Vernunft nennen, durch welche zuerst die Natur vollständig in sich
selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, dass die Natur ursprünglich iden-
tisch ist mit dem, was in uns als Intelligenz und Bewusstes erkannt wird.' Aus
dem Subjectiven aber das Objective entstehen zu lassen, ist die Aufgabe der
Transscendentalphilosophie. .Wenn alle Philosophie darauf ausgehen muss,
entweder aus der Natur eine Intelligenz oder aus der Intelligenz eine Natur zu
machen, so ist die Transscendentalphilosophie, welche diese letztere Aufgabe hat,
die andere nothwendige Grundwissenschaft der Philosophie."
Sch. theilt die Transscendentalphilosophie den drei kantischen Kritiken gemäss
in dreiTheile: die theoretische Philosophie, die praktische, und die, welche auf die
Einheit des Theoretischen und Praktischen geht, und erklärt, wie die Vorstellungen
zugleich als sich richtend nach den Gegenständen und diese als sich richtend nach
den Vorstellungen gedacht werden können, indem sie die Identität der bewusstlosen
•) In der Annahme einer Weltseele ist unter den alten Philosophen namentlich
Piaton, unter den durch Kant angeregten Denkern aber Sal. Maimon Sendling
vorangegangen. Maimon handelt „üb. die Weltseele, entelechia nniversi", im
Berlinisch. Journal f. Aufklärg., hrsg. v. A. Riem, Bd. VIII, Juli 1790, S. 47—92.
Er bemerkt mit Recht, dass man nach Kant so wenig behaupten dürfe, dass es
mehrere Seelen, überhaupt Kräfte, als dass es bloss eine einzige allgemeine gebe,
weil Vielheit, Einheit, Existenz etc. Formen des Denkens seien, die ohne ein
sinnliches Schema nicht gebraucht werden können, hält aber für eine zulässige und
die Naturerkenntnis8 fördernde Hypothese die Annahme einer Weltseele als des
Grundes der unorganischen und organischen Bildungen, des thierischen Lebens und
des Verstandes und der Vernunft im Menschen.
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§ 30. Sendling.
323
und der bewussten Thätigkeit nachweist, d. h. die Lehre von der Natnrzweckmässig-
keit nnd von der Kunst. In dem theoretischen Theile der Transscendentalpbilosophio
betrachtet Sch. die Stufen der Erkenntniss in ihrer Beziehung auf die Stufen der
Natur. Die Materie ist der erloschene Geist: die Acte und Epochen des Selbst-
bewusstseins lassen sich in den Kräften der Materie und in den Momenten ihrer
Construction wiederfinden. Alle Kräfte des Universums kommen zuletzt auf Vor-
stellungskräfte zurück; der leibnizische Idealismus, dem die Materie als der Sehlaf-
zustand der Monaden gilt, ist, gehörig verstanden, vom transscendentalen in der
That nicht verschieden. Die Organisation ist darum nothwendig. weil die Intelligenz
f«ich selbst in ihrem productiven Uebergehen von Ursache zu Wirkung oder in der
Succession ihrer Vorstellungen anschauen muss, insofern diese in sieh selbst zurück-
läuft; dies aber kann sie nicht, ohne jede Succession permanent zu machen oder
sie in Ruhe darzustellen; die in sich selbst zurückkehrende, in Ruhe dargestellte
Succession ist eben die Organisation. Es ist aber eine Stufenfolge der Organisation
nothwendig, weil die Succession, die der Intelligenz zum Object wird, innerhalb
ihrer Grenzen wieder endlos, die Intelligenz also ein unendliches Bestreben, sich zu
organisiren ist. In der Stufenfolge der Organisation muss nothwendig eine vor-
kommen, welche die Intelligenz als identisch mit sich selbst anzuschauen genöthigt
ist. Nur eine nie aufhörende Wechselwirkung des Individuums mit anderen Intelli-
genzen vollendet das ganze Bewusstsein mit allen seinen Bestimmungen. Nur da-
durch, dass Intelligenzen ausser mir sind, wird mir die Welt überhaupt objectiv:
die Vorstellung von Objecten ausser mir kann mir gar nicht anders entstehen, als
durch Intelligenzen ausser mir, und nur durch Wechselwirkung mit anderen Indi-
viduen kann ich zum Bewusstsein meiner Freiheit gelangen. Eine Wechselwirkung
von Vernuuftwesen durch das Medium der objectiveu Welt ist die Bedingung der
Freiheit. Ob aber alle Vernunftwesen der Vernunftforderung gemäss ihr 1 landein,
durch die Möglichkeit des freien Handelns aller übrigen einschränken oder nicht,
darf nicht dem Zufall anvertraut sein; es muss eine zweite und höhere Natur
gleichsam über der ersten errichtet werden, nämlich das Rechtsgesetz, welches
mit der Unverbrüchlichkeit eines Naturgesetzes herrschen soll zum Behuf der
Freiheit
Alle Versuche, die Rechtsordnung in eine moralische umzuwandeln, sind ver-
fehlt und schlagen in Despotismus um. Ursprünglich hat der Trieb zur Reaction
gegen Gewaltthätigkeit die Menschen zu einer Rechtsordnung geführt, die für das
nächste Bedürfniss eingerichtet war. Die Sicherung guter Verfassung des einzelnen
Staates liegt zuhöchst in der Unterordnung der Staaten unter ein gemeinsames, von
einem Völkerareopag gehandhabtes Rechtsgesetz. Das allmähliche Realisiren der
Rechtsverfassung ist das Object der Geschichte. Die Geschichte als Ganzes ist
eine fortgehende, allmählich sich enthüllende Offenbarung des Absoluten. Man kann
in der Geschichte nie eine einzelne Stelle bezeichnen, wo die Spur der Vorsehung
oder Gott selbst gleichsam sichtbar wäre; nur durch die ganze Geschichte kann der
Beweis vom Dasein Gottes vollendet sein. Jede einzelne Intelligenz kann betrachtet
werden als ein integrirender Theil Gottes oder der moralischen Weltordnung; diese
wird existiren, sobald jene sie errichten. Die Geschichte nähert sich diesem Ziele
vermöge einer prästabilirten Harmonie des Objectiven oder Gesetzmässigen und des
Bestimmenden oder Freien, welche nur denkbar ist durch etwas Höheres, was über
beiden ist als der Grund der Identität zwischen dem absolut Subjectiven und dem
absolut Objectiven, dem Bewusstsein und dem Bcwusstlosen, welche eben zum Behuf
der Erscheinung im freien Handeln sich trennen. Ist die Erscheinung der Freiheit
nothwendig unendlich, so ist auch die Geschichte selbst eine nie ganz geschehen»
Offenbarung jenes Absoluten, das zum Behuf des Erscheinens in das Bewusste und
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§ 30. Schelling.
Bewusstlose sich trennt, selbst aber in dem unzugänglichen Lichte, in welchem es
wohnt, die ewige Identität und der ewige Grund der Harmonie zwischen beiden ist.
Sch. unterscheidet drei Perioden dieser Offenbarung des Absoluten oder der Ge-
schichte, welche er als die des Schicksals, der Natur und der Vorsehung charak-
terisirt In der ersten Periode, welche die tragische genannt werden kann, zerstört
das Herrschende als völlig blinde Macht kalt und bewusstlos auch das Grösste und
Herrlichste; in sie fällt der Untergang der edelsten Menschheit, die je geblüht hat,
und deren Wiederkehr auf die Erde nur ein ewiger Wunsch ist. In der zweiten
Periode offenbart sich das als Natur, was in der ersten als Schicksal erschien, und
führt so allmählich wenigstens eine mechanische Gesetzmässigkeit in der Geschichte
herbei. Diese Periode lässt Sch. mit der Ausbreitung der römischen Republik be-
ginnen, wodurch die Völker unter einander verbunden wurden und, was bis dahin
von Sitten und Gesetzen, Künsten und Wissenschaften nur abgesondert unter ein-
zelnen Völkern bewahrt wurde, in wechselseitige Berührung kam. Die dritte Periode
der Geschichte wird die sein, wo das, was in den früheren als Schicksal und Natur
erschien, sich als Vorsehung entwickeln und offenbar werden wird, dass selbst das,
was blosses Werk des Schicksals oder der Natur zu sein schien, schon der Anfang
einer auf unvollkommene Weise sich offenbarenden Vorsehung war. „Wann diese
Periode beginnen werde, wissen wir nicht zu sagen. Aber wenn diese Periode sein
wird, dann wird auch Gott sein." Auf der nothwendigen Harmonie der bewusst-
loseu und der bewussten Thätigkeit beruht die Naturzweckmässigkeit und die Kunst.
Die Natur ist zweckmässig, ohne einem Zweck gemäss hervorgebracht zu sein.
Das Ich selbst aber ist für Bich selbst in einer und derselben Anschauung zugleich
bewusst und bewusstlos, nämlich in der Kunstanschanung.
Was in der Erscheinung der Freiheit und was in der Anschauung des Natur-
produets getrennt existirt, nämlich Identität des Bewussten und Bewusstlosen im
Ich und Bewusstsein dieser Identität, das fasst die Anschauung des Kunstproductes
in sich zusammen. Jede ästhetische Production geht aus von einer an sich unend-
lichen Trennung der beiden Thätigkeiten, welche in jedem freien Produciren getrennt
sind. Da nun aber diese beiden Thätigkeiten im Product als vereinigt dargestellt
werden sollen, so wird durch dasselbe ein Unendliches endlich dargestellt. Das
Unendliche, endlich dargestellt, ist Schönheit. Wo Schönheit ist, ist der unend-
liche Widerspruch im Objcct selbst aufgehoben; wo Erhabenheit ist, ist der Wider-
spruch nicht im Object selbst vereinigt, Bondern nur bis zu einer Höhe gesteigert,
bei welcher er in der Anschauung unwillkürlich sich aufhebt. Das künstlerische
Produciren ist nur durch Genie möglich, weil seine Bedingung ein unendlicher
Gegensatz ist Was die Kunst in ihrer Vollkommenheit hervorbringt, ist für die
Beurtheilung der Naturschönheit, die an dem organischen Naturproduct als schlecht-
hin zufällig erscheint, Princip und Norm. Mit der Kunst hat die Wissenschaft in
ihrer höchsten Function eine und dieselbe Aufgabe; aber die Art der Lösung ist
eine verschiedene, sofern sie in der Wissenschaft mechanisch ist und das Genie in
ihr stets problematisch bleibt, während jede künstlerische Aufgabe nur durch Genie
aufgelöst werden kann. Die Kunst ist die höchste Vereinigung von Freiheit und
Notwendigkeit
Die „Zeitschrift für speculative Physik", 2 Bde., hrsg. von Schelling,
Jena und Leipzig 1800 — 1801, enthält im ersten Baude neben Abhandlungen von
Steffens namentlich eine „Allgemeine Deduction des dynamischen Processes oder
der Kategorien der Physik" von Schelling, an deren Schluss sich die bemerkens-
werthe Aeusserung findet: „wir können von der Natur zu uns, von uns zu der Natur
gehen, aber die wahre Richtung für den, dem das Wissen über alles geht, ist die,
welche die Natur selbst genommen hat", ferner „Miscellen", unter welchen ein
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§ 30. Schelling.
325
kurzes naturphilosophisches Gedicht hervorgehoben zu werden verdient, das den
Grundgedanken der fortschreitenden Entwicklung des in der Natur gleichsam ver-
steinerten Riesengeistes zum Bewusstsein, welches er im Menschen gewinnt, sehr
lebendig und klar darstellt. Der Mensch kann zu Bich im Hinblick auf die Welt
sprechen: .Ich bin der Gott, deu sie im Busen hegt, der Geist, der sich in Allem
bewegt. Vom ersten Bingen dunkler Kräfte bis zum Erguss der ersten Lebenssäfte,
wo Kraft in Kraft und Stoff in Stoff verquillt, die erste Blüth', die erste Knospe
schwillt, zum ersten Strahl von neugebornem Licht, das durch die Nacht wie zweite
Schöpfung bricht und aus den tausend Augen der Welt den Himmel so Tag wie
Nacht erhellt, ist Eine Kraft, Ein Wechselspiel und Weben, Ein Trieb und Drang
nach immer höherm Leben". In der „Darstellung meines Systems" im zweiten
Bande dieser Zeitschrift führt Schelling die Nebenordnung der Natur- und Traus-
acendentalphilosophie auf den Grundgedanken zurück, dass nichts ausser der abso-
luten Vernunft, sondern alles in ihr sei, die absolute Vernunft aber als die totale
Indifferenz des Subjectiven und Objectiven gedacht werden müsse. Die Vernunft
ist das Wahre an sich; die Dinge an sich erkennen, heisst, sie erkennen, wie sie
in der Vernunft sind. Schelling weist unter bildlicher Anwendung mathematischer
Formeln die Stufen der Natur als Potenzen des Subjects-Objects nach. Die Dar-
stellung der Stufen des Geistes fehlt. Die Differenz, welche Schelling (hypothetisch
und mit der Hoffnung auf spätere Einigung) zwischen seinem Staudpunkt und dem
fichteschen findet, bezeichnet er durch den Gegensatz der Formeln: Ich = Alles,
und Alles = Ich; auf jenem Satze beruhe Fichtes subjectiver Idealismus, auf diesem
sein eigener objectiver Idealismus, den Schelling auch das absolute Identitätssystem
nennt
Im Jahre 1802 erschien das Gespräch: .Bruno od. üb. das natürl. und
göttl. Princip der Dinge", Berl. 1802 (2. Aufl. ebd. 1842), worin Sch. sich theils
an Sätze des Giordano Bruno, theils an den Timaeus des Piaton anlehnt. Neben
der Indifferenz wird hier mitunter das Ideale Gott genannt Theils an den Bruno,
theils an die Darstellung des Systems im zweiten Bande der Zeitschrift für specul.
Physik schliessen sich die »Ferneren Darstellungen aus dem Systeme der Philosophie"
au, welche die „Neue Zeitschrift für speculative Physik", Tüb. 1802,
enthält, die auf einen Band beschränkt blieb. In demselben Jahre verband sich
Schelling mit Hegel zur Herausgabe der Zeitschrift: „Kritisches Journal der
Philosophie", Tüb. 1802—1803. (Der in diesem Journal enthaltene Aufsatz:
„üb. d. Verhältniss der Naturphil, zur Philos. überhaupt" ist nicht von Hegel, der
übrigens die meisten Beiträge geliefert hat, sondern von Schelling verfasst worden,
was sich naeh Erdin anns Bemerkung aus der Nichtunterscheidung der Logik als des
allgemeinen Theiles der Philosophie von der Natur- und Transscendental-Philosophie,
da doch Hegel nachweisbar damals schon diese Unterscheidung machte, schliessen
lässt, obscbon Michelet in seiner Schrift: Schelling und Hegel, Berlin 1839, und
Rosenkranz, Schelling, Danzig 1843, S. 190—195 das Gegentheil behauptet haben.
Für Sendlings Autorschaft erklärt sieh auch Haym, Hegel u. s. Zeit, S. 156 und 495;
doch vgl. andererseits Rosenkranz und Michelet in der Zeitachrift: „der Gedanke",
Bd. I, Berl. 1861, S. 72 ff. u. Michelet, Wahrh. a. m. L., S. 172 ff. Auch die Autor-
schaft der Abhandlungen: über Rückert und Weiss, und: über Construction in der
Philosophie, ist streitig; doch scheinen beide Hegel zugeschrieben werden zu müssen.)
Die Grundzüge seines gesummten Lehrgebäudes hat Sch. in populärer Form
in seine (1802 gehaltenen) „Vorlesungen üb. d. Methode des akadem. Stu-
diums", Stuttg. u. Tüb. 1803 (3. Aufl. ebd. 1830), aufgenommen. Sch. definirt hier
die Philosophie als die Wissenschaft der absoluten Identität, die Wissenschaft alles
Wissens, welche das ürwissen unmittelbar und an sich selbst zum Grund und
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§ 30. SchelHng.
Gegenstand hat. Ihrer Form nach ist die Philosophie eine unmittelbare Veruunft-
oder intellectuelle Anschauung, die mit ihrem Gegenstande, dem Urwlsseu selbst,
schlechthin identisch ist. Darstellung intellectueller Anschauung ist philosophische
Construction. In der absoluten Identität oder der allgemeinen Einheit des Allge-
meinen und Besonderen liegen besondere Einheiten, welche den Uebergaug zu den
Individuen vermitteln: diese nennt Schelling im Anachluss an Flaton Ideen. Diese
Ideen können nur in der Vernunftanschauung enthalten sein, und die Philosophie
ist demgemäß die Wissenschaft der Ideen oder der ewigeu Urbilder der Dinge.
Die Staatsverfassung, sagt Schelling, ist ein Bild der Verfassung des Ideenreichs.
In diesem ist das Absolute als die Macht, von der alles ausfliesst, der Monarch,
die Ideen sind die Freien, die einzelnen wirklichen Dinge sind die Sclaven und
Leibeigenen. Schelling nimmt hiermit den Realismus (dieses Wort im scholastischen
Sinne verstanden), der seit dem Ausgange des Mittelalters von allen namhaften
Philosophen aufgegeben worden war und nur in der Doctrin des Spinoza in Bezug
auf die absolute Substanz in gewissem Sinne liegt, durch Verschmelzung dieser
letzteren Doctrin mit Piatons Ideenlehre von Neuem auf. Die Philosophie wird in
drei positiven Wissenschaften objectiv, welche nach dem Bilde des inuern Typus
der Philosophie sich gliedern. Von diesen ist die erBte die Theologie, welche
als Wissenschaft des absoluten und göttlichen Wesens den absoluten Indifferenz-
punkt des Idealen und Realen objectiv darstellt. Die ideelle Seite der Philosophie,
in sich getrennt objectivirt, ist die Wissenschaft der Geschichte, und sofern das
vorzüglichste Werk der letzteren die Bildung der Rechteverfassung ist, die Wissen-
schaft des Rechts oder die Jurisprudenz. Die reelle Seite der Philosophie
wird, für sich genommen, äusserlich repräsentirt durch die Wissenschaft der Natur,
und wiefern diese sich in der des Organismus conceutrirt, die Medicin. Nur
durch das historische Element können die positiven oder realen Wissenschaften
von der absoluten oder der Philosophie geschieden sein. Da die Theologie als das
wahre Centrum des Objectivwerdens der Philosophie vorzugsweise in speculativeu
Ideen ist, so ist sie überhaupt die höchste Synthese des philosophischen und
historischen Wissens. Sofern das Ideale die höhere Potenz des Realen ist, so folgt,
dass die juridische Facultät der medicinischen vorangehe. Der Gegensatz des
Realen und Idealen wiederholt sich innerhalb der Religionsgeschichte als der des
Hellenismus und des Christenthums. Wie in den Sinnbildern der Natur, lag in
den griechischen Dichtungen die Intellectualwelt wie in einer Knospe verschlossen,
verhüllt im Gegenstand und unausgesprochen im Subject. Das Christenthum
dagegen ist das geoffeubarte Mysterium; in der idealen Welt, die sich in ihm
erschliesst, legt das Göttliche die Hülle ab, sie ist das laut gewordene Mysterium
des göttlichen Reiches. Die geschichtsphilosophisebe Construction, die Schelling
im System des transscendentalen Idealismus gegeben hat, modificirt er jetzt in dem
Sinne, dass er die bewusstlose Identität mit der Natur der ersten Periode als der
Zeit der schönsten Blüthe der griechischen Religion und Poesie vindicirt, dam» mit
dem Abbrechen des Menschen von der Natur das Schicksal herrschen, endlich aber
die Einheit als bewusste Versöhnung wiederhergestellt werden lässt; diese letzte
Periode, welche die der Vorsehung sei, leite in der Geschichte das Christentum
ein. Die Ideen des Christenthums, die in den Dogmen symbolisirt wurden, sind
von epeculativer Bedeutung. Schelling deutet die Dreieinigkeit als das Fundamental-
dograa des Christenthums dahin, dass der ewige, aus dem Wesen des Vaters aller
Dinge geborene Sohn Gottes das Endliche Belbst sei, wie es in der ewigen An-
schauung Gottes ist und welches als ein leidender und den Verhängnissen der Zeit
unterworfener Gott erscheint, der in dem Gipfel seiner Erscheinung, in Christo, die
Welt der Endlichkeit schliesst und die der Unendlichkeit oder der Herrschaft des
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§ 30. Schelliug.
327
Geistes eröffuet. Die Menschwerdung Gottes ist eine Menschwerdung von Ewigkeit.
Das C'hristenthum als historische Erscheinung ist zunächst aus einem einzelnen
religiösen Verein unter den Juden (dem Essäismus) hervorgegangen; seine allge-
meinere Wurzel hat es in dem orientalischen Geist, der bereits in der indischen
Religion das Iutellectualsystem und den ältesten Idealismus geschaffen und, nach-
dem er durch den ganzen ürieut geflossen war, im Christcuthum sein bleibendes
Bett gefunden hat; von ihm war von Alters her die Strömung unterschieden, die
in der hellenischen Religion und Kunst die höchste Schönheit geboren hat, während
doch auch auf dem Boden des Hellenismus mystische Elemente sich finden und
eine der Volksreligion entgegenstehende Philosophie, vornehmlich die platonische, #
eine Prophezeiung des Christenthums ist. Die Ausbreitung des Christeuthums
erklärt sich aus dem Unglück der Zeit, welches für eine Religion empfänglich machte,
die den Menschen an das Ideale zurückwies, Verleugnung lehrt« und zum Glück
machte. Die ersten Bücher der Geschichte und Lehre des Christeuthums sind nur
eine besondere, noch dazu unvollkommene Erscheinung desselben; ihr Werth muss
nach dem Maass bestimmt werden, in welchem sie die Idee des Christenthums aus-
drücken. Weil diese Idee nicht von dieser Einzelheit abhängig, sondern allgemein
und absolut ist, so darf sie die Auslegung dieser für die erste Geschichte des
Christenthums wichtigen Urkunden nicht binden. Die Eutwickelung der Idee des
Christenthums liegt in seiner ganzen Geschichte und in der neuen, von ihm ge-
schaffenen Welt. Die Philosophie hat mit dem wahrhaft speculativen Standpunkt
auch den der Religion wiedererrungen und die Wiedergeburt des esoterischen
Christenthums wie die Verkündigung des absoluten Evangeliums in sich vor-
bereitet.
In den Bemerkungen über das Studium der Geschichte und der Natur geht
Schelling von dem Gedanken aus, duss jeue im Idealen ausdrücke, was diese im
Realen. Er unterscheidet von der philosophischen Geschichtsconstruction die
empirische Aufnahme und Ausmittelung des Geschehenen, die pragmatische Behand-
lung der Geschichte nach einem bestimmten durch das Subject entworfeneu Zweck
und die künstlerische Synthesis des Gegebenen uud Wirklichen mit dem Idealen,
welche die Geschichte als Spiegel des Weltgeistes, als ewiges Gedicht des gött-
lichen Verstandes darstellt. Der Gegenstand der Historie im engeren Sinne ist die
Bildung eines objectiven Organismus der Freiheit oder des Staats. Jeder Staat ist
in dem Verhältniss vollkommen, in welchem jedes einzelne Glied, indem es Mittel
zum Ganzen, zugleich in sich selbst Zweck ist. Die Natur ist die reale Seite in
dem ewigen Act der Subject-Objectivirung. Das Sein jedes Dinges in der Identität
als der allgemeinen Seele und das Streben zur Wiedervereinigung mit ihr, wenn
es aus der Einheit gesetzt ist, ist der allgemeine Grund der lebendigen Er-
scheinungen. Die Ideen sind die einzigen Mittler, wodurch die besonderen Dinge
in Gott sein können. Die absolute, in Ideen gegründete Wisseuschaft der Natur ist
die Bedingung für ein methodisches Verfahren der empirischen Naturlehre; in dem
Experiment und seinem notwendigen Correlat, der Theorie, liegt die exoterische
Seite, welcher die Naturwissenschaft zu ihrer objectiven Existenz bedarf; die>
Empirie schliesst sich der Wissenschaft als Leib an, sofern sie reine objective
Darstellung der Erscheinung selbst ist und keine Idee anders als durch diese auszu-
sprechen sucht. Es ist Aufgabe der Naturwissenschaft, in den verschiedenen Natur-
produeten die Denkmäler einer wahren Geschichte der zeugenden Natur zu er-
kennen. Die Kunst ist vollkommene Ineinsbildung des Realen und Idealen; sie
theilt mit der Philosophie die Aufhebung der Gegensätze der Erscheinung; aber
sie verhält sich doch wiederum zur Philosophie, mit der sie sieb auf dem letzten
Gipfel begegnet, wie Reales zu Idealem. Philosophie der Kunst ist notwendiges
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328
§ 30. Schelling.
Ziel des Philosophen, der in dieser das innere W esen seiner Wissenschaft wie in
einem magischen nnd symbolischen Spiegel schaut.
Das in den bisher erwähnten Schriften dargelegte Identitätssystem ist Sendlings
relativ originale Leistung. Immer mehr wich von nun an die Fülle eigener
Prodnctivität einem Synkretismus nnd Mysticismus, der immer trüber und doch
zugleich prätensionsvoller ward. Von Anfang an war Schellings Philosophiren in
seinen einzelnen Schriften nicht eiue Systembildung anf dem Grunde vorangegangener
Vertrautheit mit der Gesammtheit der früheren Leistungen, sondern vielmehr eine
sofortige modificirende Aneignung von Philosophemen einzelner Denker; je mehr
daher sein Studium sich ausbreitete, um so mehr mangelte seinem Denken Princip
und System. Einzelne mystische Anklänge finden sich schon in den Vorlesungen
über akademisches Studium. Ein an den Neuplatonismus und danach auch an
Sätze des Jakob Böhme anknüpfender Mysticismus beginnt Macht zu gewinnen in
der durch Eschenmayers „Philos. in ihr. Uebergange z. Nichtphilos.*, Erlaug. 1803,
(worin Eschenmayer ähnlich wie Jacobi ein Hinausgehen über das philosophische
Denken zum religiösen Glauben fordert) provocirten Schrift: „Philosophie und
Religion*, Tüb. 1804, in welcher Schelling die Endlichkeit und Leiblichkeit für
ein Product des Abfalls vom Absoluten, diesen Abfall aber, dessen Versöhnung die
Endabsicht der Geschichte sei, für das Mittel zur vollendeten Offenbarung Gottes
erklärt. Doch sind nur Anfänge des späteren Standpunkts in dieser Schrift nach-
zuweisen. Die (oben erwähnte, der 2. Aufl. der Schrift von der Weltseele beigegebene)
Abhandlung „üb. d. Verhältn. des Realen und Idealen in der Natur*, wie
auch die Schrift: „Darlegung d. wahr. Verhältnisses der Naturphilos. zur
verbesserten fichteschen Lehre, eine Erläuterungsschrift der ersteren*, Tüb.
1806, und die naturphilosophischen Aufsätze in den (von A. F. Marcus und
Schelling herausgegebenen) „Jahrbüchern der Medicin als Wissenschaft'*,
Tüb. 1806—1808, zeigen neben theosophischen Elementen doch vorwiegend immer
noch den alten Gedankenkreis. Eine treffliche Ausführung und Fortbildung der in
früheren Schriften geäusserten Gedanken über Schönheit und Kunst enthält die
1807 gehaltene, in die „philos. Schriften", Landsb. 1809, aufgenommene Festrede
„üb. d. Verhältniss der bildend. Künste zu d. Natur", welche als das letzte
Ziel der Kunst die Vernichtung der Form durch Vollendung der Form bezeichnet;
wie die Natur in ihren elementaren Bildungen zuerst auf Härte und Verschlossen-
heit hinwirkt und erst in ihrer Vollendung als die höchste Milde erscheint, so soll
der Künstler, der der Natur als der ewig schaffenden Urkraft nacheifert und die
Producte derselben nach ihrem ewigen, im unendlichen Verstände entworfenen
Begriff im Momente ihres vollendeten Daseins darstellt, erst im Begrenzten treu
und wahr sein, um im Ganzen vollendet und schön zu erscheinen und durch
immer höhere Verbindung und endliche Verschmelzung mannigfaltiger Formen die
äusserste Schönheit in Bildungen von höchster Einfalt bei unendlichem Inhalt zu
erreichen.
Die Theosophie prävalirt (zum Theil in Folge des zunehmenden Einflusses des
der Lehre Jak. Böhmes und St. Martins huldigenden Franz Baader) in den „philos.
Untersuchungen über das Wesen der mcnschl. Freiheit u. die damit
zusammenhängend. Gegenstände*, welche zuerst in den „philos. Schriften",
Landsbnt 1809. erschienen ist. Sch. hält an dem Grundsatz fest, dass von den
höchsten Begriffen eine klare Vernunfteinsicht möglich sein muss, indem sie nur
dadurch uns wirklich eigen, in uns selbst aufgenommen und ewig gegründet werden
können. Er hält auch mit Lessing die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in
Vernunftwahrheiten für schlechterdings nothwendig, wenn dem menschlichen Ge-
schlecht damit geholfen werdeu soll. Zu diesem Behuf unterscheidet er in Gott drei
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§ 30. Schelling.
329
Momente: 1. die Indifferenz, den Urgrund oder üngruud, 2. die Entzweiung in Grund
und Existenz, 3. die Identität oder die Versöhnung des Entzweiten. Der Ungrund
oder die Indifferenz, worin noch keine Persönlichkeit ist, ist nur der Anfangspunkt
des göttlichen Wesens, das was in Gott nicht er selbst ist, die unbegreifliche
Basis der Realität. In ihm hat das Unvollkommene und Böse, das in den endlichen
Dingen ist, seinen Grund. Alle Naturwesen haben ein blosses Sein im Grunde
oder in der noch nicht zur Einheit mit dem Verstände gelangten anfänglichen
Sehnsucht und sind also in Bezug auf Gott bloss peripherische Wesen. Nur der
Mensch ist in Gott und eben durch dieses In-Gott-Sein der Freiheit fähig. Die
Freiheit des Menschen liegt in einer intelligiblen, vorzeitlichen That, durch welche
er sich zu dem gemacht hat, was er jetzt ist; der empirische Mensch ist in seinem
Handeln der Nothwendigkeit unterworfen, aber diese Notwendigkeit ruht auf seiner
zeitlosen Selbstbestimmung.*) Wollen ist Urseio. Die Einheit des particularen
Willens mit dem universalen Willen ist das Gute, die Trennung das Böse. Der
Mensch ist ein Centraiwesen und soll darum auch im Centro bleiben. In ihm sind
alle Dinge erschaffen, so wie Gott nur durch den Menschen auch die Natur an-
nimmt und mit sich verbindet. Die Natur ist das erste oder alte Testament, da
die Dinge noch ausser dem Centro und daher unter dem Gesetze sind. Der Mensch
ist der Anfang des neuen Bundes, der Erlöser der Natur, durch welchen als Mittler,
da er selbst mit Gott verbunden wird, nach der letzten Scheiduug Gott auch die
Natur annimmt und zu sich macht.
In der Streitschrift gegen Jacobi: .Denkmal der Schrift Jacobis von d.
göttl. Dingen und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtl.
täuschend. Lüge redenden Atheismus", Tüb. 1812, weist Sch. die Anschuldigung
zurück, Beine Philosophie sei Naturalismus, Spinozismus und Atheismus. Er sagt,
Gott sei ihm Beides, A und 0, Erstes und Letztes, jenes als Dens implicitus,
unpersönliche Indifferenz, dieses als Dens explicitus, Gott als Persönlichkeit, als
Subject der Existenz. Ein Theismus, welcher den Grund oder die Natur in Gott
nicht anerkenne, sei unkräftig und leer. Gegen die von Jacobi behauptete Identität
eines reinen Theismus mit dem Wesentlichen im Christenthum richtet Schelling
eine herbe Polemik, welche das Irrationale und Mystische als das wahrhaft Specu-
lative vertheidigt
Die Schrift „über die Gottheiten von Samothrake", Stuttg. u. Tüb. 1815,
die eine Beilage zu den (nicht mit veröffentlichten) .Weltaltern" bilden sollte, ist
eine allegorische Deutung jener Gottheiten auf die Momente des Gottes der
schellingschen Abhandlung über die Freiheit
Nach langem Schweigen veröffentlichte Sch. 1834 eine Vorrede zu Hubert
Beckers Ueberstzg. einer Schrift Victor Cousins (über franz. u. deutsche
Thilos, in den Fragmens philosophiques, Par. 1833). Sch. bezeichnet hier die
hegelsche Philosophie als eine bloss negative, die an die Stelle des Lebendigen und
Wirklichen und Beseitigung des empirischen Elementes den logischen Begriff ge-
setzt und demselben durch die seltsamste Fiction oder Hypostasirung die nur jenem
zukommende Selbstbewegung geliehen habe. Im Wesentlichen die gleiche Kritik
hat Schelling in seinen zu München gehaltenen Vorlesungen .zur Gesch. der
neueren Philos." geübt (welche im X. Bde. der I. Abth. der „Sämmtl. Werke*
aus dem handschriftlichen Nachlass veröffentlicht worden sind): er tadelt die Voran-
*) Diese Lehre passt in den Zusammenhang des kantischen Systems, woraus
Schelling sie entnimmt; sie setzt die Unterscheidung der Dinge an sich von den
Erscheinungen voraus; Schelling aber adoptirt Bie, obschon er diese ihre noth-
wendige Voraussetzung aufgehoben hat.
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330
§ 30. Schelliüg.
Stellung der abstracten Begriffe (Sein, Nichte, Werden, Dasein etc.) vor die Natur-
und Geistesphilosophie, da doch Abstracta dasjenige voraussetzen, wovon sie abstrahirt
seien, und Begriffe nur im Bewusstsein, also im Geiste, existiren und nicht der
Natur und dem Geiste als Bediugung vorangehen, sich potenziren und schliesslich
zur Natur eutäussern können. In seiner Berliner Antrittsvorlesung (Stuttg.
und Tüb. 1841) erklärt Sch., er werde die Erfinduug seiner Jugend, das Identitäts-
system, das Hegel nur auf eine abstracte logische Form gebracht habe, nicht auf-
geben, wohl aber als negative Philosophie durch die positive Philosophie ergänzen.
Hegel hat die Logik ausgebildet, d. h. die Wissenschaft des Rationalen oder des
Nicht-nicht-zu-Deukenden. Durch Vernunft wird aber das Irrationale, das in dem
wirklich Existirenden sich findet, nicht erfasst. Deshalb soll die positive Philo-
sophie, als eine neue bis jetzt für unmöglich gehaltene Wissenschaft, die wirkliche
Aufschlüsse zu gewähreu, das menschliche Bewusstsein über seine gegenwärtigen
Grenzen zu erweitern versprach, über die blosse Vernunftwissenschaft durch Mit-
aufnahme einer die Resultate hypothetischer Deductiou bestätigenden, das Sein (das
.Duss*) des rational erkennbaren Wesens (des „Was") erkennenden Empirie hinaus-
geheu. Existirt ein „truusscendentes Positives*, so ist dieses aus der Religion
durch Erfahrung aufzunehmen. Die Religion ist aber entweder mythologische oder
geoffenbarte; deshalb ist die positive Philosophie vornehmlich Philosophie der My-
thologie und Offenbarung, d. h. der unvollendeten und der vollendeten Religion.
In den an der berliner Universität gehaltenen, nach Sendlings Tode aus seinem
Nachlass als zweite Abtheilung der „sämmtl. Werke* herausgegebenen, jedoch ihrem
wesentlichen Inhalt nach schon sofort aus nachgeschriebeneu Heften theils durch
Frauenstädt („Sendlings Vorlesungen in Berlin", Berlin 1842), theils durch Paulus
(.die endl. offenbar gewordene positive Philos. d. Offenbarung, — der allgemeinen
Prüfung dargelegt- von H. E. G. Paulus, Darmstadt 1843. Schelliüg Hess sich in
Folge dieser ohne sein Wissen und Willen geschehenen Veröffentlichung in einen
Process wegen Nachdrucks mit Paulus eiu, der aber zu seinen Ungunsten entschieden
wurde) veröffentlichten religionsphilosophischen Vorlesungen führte Schelling im
Wesentlichen nur die Bchon in der Schrift über die Freiheit vorgetragene Speculaüon
weiter aus. Die posiUve Philosophie will nicht aus dem Begriffe Gottes seine
Existenz, sondern umgekehrt, von der Existenz ausgehend, die Göttlichkeit des
Existirenden beweisen. In Gott werden von Schelling unterschieden: a. das blind
nothwendige oder unvordenkliche Sein, b. die drei Potenzen des göttlichen Wesens:
der bewusstlose Wille als die causa raaterialis der Schöpfung, der besonnene Wille
als die causa efBciens, die Einheit beider als die causa fiualis, secundum quam
omnia fiuut; c. die drei Personen, die aus den drei Potenzen durch Ueberwindung
des unvordenklichen Seins vermöge des theogonischen Processen hervorgehen, nämlich :
der Vater als die absolute Möglic hkeit des Ueberwindens, der Sohn als die über-
windende Macht, der Geist als die Vollendung der Ueberwindung. In der Natur
wirken nur die Potenzen, im Menschen die Persönlichkeiten. Indem der Mensch
vermöge seiner Freiheit die Einheit der Potenzen wieder aufhob, ward die zweite
vermittelnde Potenz entwirklicht, d. h. der Herrschaft über das blindseiende Priucip
beraubt und zur bloss natürlich wirkenden Potenz erniedrigt. Sie macht sich im
Bewusstsein des Menschen wieder zum Herrn jenes Seins und wird zur göttlichen
Persönlichkeit vermöge des theogpnischeu Proceases, dessen Momente die Mytho-
logie und die Offenbarung sind. Die zweite Potenz war im mythologischen Bewusst-
sein in göttlicher Gestalt («» uoQrffj 9iov), entäusserte sich aber derselben und ward
Mensch, um durch Gehorsam in Einheit mit dem Vater göttliche Persönlichkeit zu
werdeu. Die Epochen der christlichen Zeit bestimmt Schelling (iudem er den
fichteschen Gedanken, dass der Protestantismus den paulinischen Charakter trage
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§ 31. Schellings Anh. und Geistesverw. Oken u. Andere.
331
dus Johannes-Evangelium aber mit Beinern Logos-Begriff den christlichen Geist am
reinsten aasdrücke, weiter ausbildet) als das petrinische Christentum oder den
Katholicismus, das paulinische oder den Protestantismus, und drittens die .Johaunes-
kirche der Zukunft*.*)
§ 31. Unter den zahlreichen Anhängern und Geistesverwandten
Sendlings sind für die Geschichte der Philosophie besonders folgende
(in deren Nennung wir von Männern, die sich enger an Sendling und
besonders an die erste Form seiner Lehre anschlössen, zu solchen
fortgehen, die zu ihm in einem freieren Verhältnis standen und zum
Theil ihrerseits auf ihn Eiulluss geübt haben) von Bedeutung: Georg
Michael Klein, der treue Darsteller des Identitätssystems, Johann
Jakob Wagner, der den Pantheismus des Identitätssystems gegen-
über dem Neupiatonisinus und Mysticismus in Schellings späteren
Schriften festhält, an die Stelle des Ternars oder der Trichotomie
aber den Quaternar oder die viertheilige Construction setzt, der um
die Geschichte der Philosophie und besonders der platonischen ver-
diente Georg Anton Friedrich Ast, der durch sein Handbuch der
Geschichte der Philosophie bekannte Thaddäus Anselm Rixncr, der
Naturalist Lorenz Oken, nach welchem alle Philosophie nur Natur-
philosophie ist, der Pflanzenphysiolog Nees von Esenbeck, der
Pädagog und Religionsphilosoph Bernhard Heinrich Blasche, der
um die Bearbeitung der Erkenntnisslehre verdiente Ignaz Paul Vital
Troxler, welcher in manchem Betracht von Schellinga Lehre ab-
weicht, Adam Karl August Eschenmayer, der die Philosophie
schliesslich in Nichtphilosophie oder religiösen Glauben übergehen
lässt, der extreme Katholik und Enthusiast Joseph Görres, der
mysstisch-naturphilosophische Psycholog und Kosmolog Gotthilf Hein-
rich von Schubert, der die schellingsche Naturphilosophie mit be-
sonnenem Empirismus verbindende Physiolog und Psycholog Karl
Friedrich Burdach, der geistvolle Psycholog und Kranioskop Karl
Gustav Carus, der Phvsiker Hans Christian Oersted, der Aesthetiker
Karl Wilhelm Ferdinand Solger, der vielseitig gebildete, schliess-
lich dem strengen Coufessionalismus der Altlutheraner huldigende
Heinrich Steffens, der mit Steffens befreundete Astronom und
*) Diese konnte freilich durch Schellings erneuten Gnosticismus, der gleich
dem alten an die Stelle des religionsphilosophischen Begriffes das Phantasma setzte,
sicherlich nicht begründet werden; zudem ist die Voraussetzung unhistorisch, dass
der Gegensatz der katholischen und protestantischen Kirche sich mit dem der
petrinischen und paulinischen Richtaug decke. Das „Johanues-Kvangelium* hat
durch Umformung pauliuischer Gedanken eben die Vermittelung angebahnt, welche
bereits die altkatholische Kirche auch praktisch darstellt. Die Aufgaben der
Zukunft aber können nicht durch eine wirkliche Repristiuation gelöst und nicht
durch ein mit dem Scheine der Repristiuation sich umkleidendes Analogienspiel
zutreffend bezeichnet werden.
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332
§31. Schellinga Anh. und Geistesverw. Oken,
Rechtsphilosoph Johann Erich von Berger, der Theosoph Franz
von Baader, der allseitige Denker Karl Christian Friedrich Krause.
Die beiden letztgenannten sind Stifter besonderer philosophischer
Richtungen geworden. Baader hat sich vielfach an Jakob Böhme
angelehnt und mit dessen mystischen Gedanken kantische und fichtesche
Elemente verbunden. Es kommt ihm besonders darauf an, einen
Parallelismus zwischen dem „Reich der Natur" und dem „Reich der
Gnade" herzustellen. Krause, der alle Theile der Philosophie be-
arbeitet hat und über den Pantheismus des Identitatssystems zu einer
All-in-Gott-Lehre oder Panentheismus hinauszugehen sucht, hat seinen
philosophischen Schriften die Verbreitung unter den Deutschen durch
seine wunderliche Terminologie, die rein deutsch sein soll, aber un-
deutsch ist, selbst beschränkt.
Von Schelling gingen auch der ausserdem besonders durch Piaton,
Spinoza, Kant und Fichte philosophisch angeregte Theolog Schleier-
macher und der Philosoph Hegel aus. — Mit gewissen neuschelling-
schen Principien kommt der antirationalistische, theologisirende Rechts-
philosoph Friedrich Julius Stahl überein (obwohl derselbe gegen die
Bezeichnung seiner Gesammtrichtung als „Neuschellingianisnius" pro-
testirt).
Für den Zweck des vorliegenden Grundrisses mag es genügen, die philosophischen
Haupts chriften der genannten Männer anzugeben und kurze Bemerkungen anzufügen.
Nur bei Krause, als einem eigentümlichen Denker, der aber immerhin mit Schelling
viele Berührungspunkte hat und deshalb in diesem Paragraphen behandelt werden kann,
glaubten wir eine Ausnahme machen und wenigstens etwas ausführlicher auf seine
Lehre eingehen zu müssen. Von Hegel und Schleiermacher wird in besonderen Para-
graphen gehandelt werden. Wer genauere Belehrung sucht, sei auf die Werke selbst
und auf Specialdarstellungen, daneben aber besonders auf Erdmanns umfassende Gesammt-
überaicht (Theil II seiner „Entwickig. d. deutsch. Speculation seit Kant«, Gesch. der
n. Ph. Bd. III, 2. Abth.) verwiesen.
G. M. Kleina (geb. 1776, gest. 1820) ganz auf schellingschen Schriften und
Vorträgen beruhendes Hauptwerk ist: Beiträge z. Stud. der Philos. als Wissenschaft
des All, nebst einer vollständ. u. fassl. Darstellg. ihrer Hauptmomeute, Würzburg
1805. Speciell hat derselbe die Logik, Ethik und Religionslehre nach den Prin-
cipien des Identitätssystems bearbeitet in den Schriften: Verstandeslehre, Bamberg
1810, umgearbeitet als: Anschauungs- und Denklehre, Bamberg u. Würzburg 1818;
Versuch, die Ethik als Wissenschaft zu begrüud., Rudolstadt 1811; Darstellung der
philos. Relig. u. Sittenlehre, Bamberg u. Würzburg 1818. In der letzten Schrift
suchte er das Identitätssystem als der Religion und Sittlichkeit ungefährlich zu
erweisen.
Eine verwandte, jedoch der fichteschen näher stehende Richtung verfolgte
Joh. Josua Stutzmann (1777—1816), Philos. Untersuchung üb. d. Gründe
aller Moral u. Religion, in: Henkcs Mus. d. Relig. 1803. Systemat. Einleit in cL
Religionsphilos., Gotting. 1804. Philosophie des Universums, Erl. 1806. Philo-
sophie der Gesch. der Menschh., Nürnb. 1808. Grundzüge des Standpunktes, Geistes
u. Gesetzes der universell. Philos., Nürnb. 1811.
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Solger, Steffens, Baader, Krause u. Andere.
333
Joh. Jak. Wagner (1775—1821), Thilos, der Erziehungsknnst, Leipz. 1802.
Von der Natur der Dingo, Lpz. 1803. Syst. d. Idealphilos., Lpz. 1804. Grundriss
der Staatswissensch, u. Politik, Lpz. 1805. Theodicee, Bamberg 1809. Mathematische
Philos., Erl. 1811. Der Staat, Erl. 1811. Organon der menschl. Erkenntniss, Erl.
1830, Ulm 1851. Nachgelassene Schriften, Kleine Schriften, 3 Thie, hrsg. Ulm
1845—1847, von Ph. L. Adam, hrsg. von dems., Ulm 1852—57. Ueber ihn handelt
Leonh. Rabus, J. J. Wagners Leben, Lehre u. Bodeutg., ein Beitrag z. Gesch. d.
deutsch. Geistes, Nürnberg 1862. Er suchte die Mathematik eng mit der Philosophie
zu verbinden. Die begriffenen mathematischen Sätze sollen mit den Formen des
Denkens und der Sprache übereinstimmen. Denken ist Rechnen; eine chemische
Analyse ist nichts als eine Division.
F. Ast (1778—1841;, Handb. d. Aesthetik, Lpz. 1805. Grundlinien d. Philos.,
Landshut 1807, 2. Aufl. 1809. Grundriss e. Gesch. d. Philos., ebd. 1807, 2. Aufl.
1825. Piatons Leben u. Schriften, Lpz. 1816.
Th. Ans. Rixner (1766—1838), Aphorismen aus der Philos.. Landshut 1809,
umgearbeitet Sulzbach 1818. Handb. d. Gesch. d. Philos., ebd. 1822—23, 2. Aufl.
1829; Supplementband, verfasst von Victor Philipp Gumposch, ebd. 1850.
Lor. Oken (1779—1851). die Zeugung, Bamberg u. Würzb. 1805 (die Samen-
bildung ist Zersetzung des Organismus in Infusorien, die Fortpflanzung ist eine
Flucht des Bewohners aus der einstürzenden Hütte. Elemente des organischen
Körpers sind die Blüthen, die im Wasser zu Thieren, in der Luft zu Pflanzen
determinirt werden). Ueb. d. Universum, Jena 1808. Lehrb. d. Naturphilos., Jena
1809 , 3. Aufl , Zürich 1843. Isis, eneyclopädische Zeitschrift, Jena 1817 ff.
Die Naturphilosophie ist für Oken die Lehre von der ewigen Verwandlung
Gottes in die Welt, und zwar ist ihm die ganze Philosophie nur Naturphilo-
sophie. Zwar behandelt er auch Wissenschaft, Staat, Kunst. Aber alles dies ist
ihm nichts als Naturerscheinung. Der Mensch ist das vollkommene Thier; sein Ver-
stand ist Weltverstand. Er stellt in der Kunst, der Wissenschaft, dem Staate den
Willen der Natur vollkommen her. Die Organismen haben sich aus einem Urschleim
entwickelt, und das Thierreich ist der in seine Bestandteile auseinandergelegte
Mensch, indem sich bei diesem in kleine Organe gesammelt hat, was auf die ver-
schiedensten Thierklassen vertheilt ist. Die auf den niederen Stufen selbständigen
Gegensätze kehren auf deu höheren als Attribute wieder. Vergl. A. Ecker,
L. Oken, eine biograph. Skizze, Stuttgart 1880; C. Güttier, L 0. u. s. Verhältn.
zur modernen Entwickelungsl., Lpz. 1885.
Nees von Esenbeck (1776—1858), das System der speculativen Philosophie,
Bd. I: Naturphilosophie, Glogau und Leipzig 1842.
B. H. Blas che (1776—1832), über das Wichtigste, was in d. Naturphilos. seit
1811 ist geleistet worden, in Isis 1819, IX. Das Böse im Einklang mit der Welt-
ordnung, Lpz. 1827. Handb. der Erziehungswissensch., Giessen 1828. Philos. der
Offenbarung, Lpz. 1829. Thilos. Unsterblichkeitslehre, oder: wie offenbart sich das
ewige Leben? Erfurt und Gotha 1831.
Ignaz Paul Vitalis Troxler (1780— 1866), Naturlehre des menschl. Erkennens,
Aarau 1828. Logik der Wissensch, des Denkens u. Krit. aller Erkenntniss, Stuttg.
u. Tüb. 1829—30. Vorlesgn. üb. d. Philos., als Encyclopädic u. Methodologie der
philos. Wissenschaften, Bern 1835. Vgl. Werber, d. Lehre von der menschl. Er-
kenntniss, Karlsr. 1841, Abhandlungen: I. d. Entstehg. d. menschl. Sprache u. ihre
Fortbildg , II. Grundlagen der Philos. des Schönen und der Philos. des Wahr.,
Heidelberg 1871-73.
Carl Adolf Eschenmayer (1770—1852, seit 1811 in Tübingen\ d. Philos. in
ihr. Uebergange zur Nichtphilos., Erlang. 1803. Psychologie, Tüb. 1817, 2. Aufl.
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334
§ 31. Schein ml'- Anh. und Geistesverw. Oken,
1822. System der Moralphilos., Stnttg. n. Tüb. 1818. Normalrecht, ebd. 1819-20.
Religionspbil., 1. Theil : Rationalismus, Tüb. 1818, 2. Theil : Mysticisraus, ebd. 1822,
3. Theil: Supernaturalismus, ebd. 1821. Mysterien d. innern Leb., erläut. aus der
Gesch. der Seherin von Prevorst, Tüb. 1830. Grundr. d. Naturphil., ebd. 1832. Die
hegelsche Religionsphilos., Tüb. 1834. Grundzüge einer christl. Philos., Basel 1841.
Der Glaube steht über der Speculation und will diese nicht verwerfen, sondern er-
gänzen. In seiner Religionsphilosophie stellt er über den Rationalismus und Mysti-
cismus den Supranatnralismus. Gegen Ende seines Lebens beschäftigte sich E.
besonders mit Geistererscheinungen.
G. H. Schubert (1780—1860), Ahndungen einer allgem. Gesch. d. Lebens, Lpz.
1806-1821. Ansichten von d. Nachtseite der Naturwissensch., Dresd. 1808, 4. Aufl.
1840. Die Symbolik des Traumes, Bamberg 1814. Die Urwelt und die Fixsterne,
Dresd. 1823, 2. Aufl. 1839. Gesch. der Seele, Tüb. 1830, 5. Aufl. Stuttg. 1878.
Ein Auszug daraus: Lehrbuch der Menschen- u. Seelenkunde, Erlang. 1838, 2. Aull.
1842. Die Krankheiten und Störungen der menschl. Seele, Stuttg. 1845. Der Er-
werb aus einem vergangenen u. die Erwartungen von einem künftigen Leben, eine
Selbstbiographie, 2 Bde., Erlang. 1854 u. 55.
K. F. Burdach (1776—1847), der Mensch nach den verschied. Seiten seiner
Natur, Stuttg. 1836, 2. Aufl. a. u. d. T.: Anthropol. für das gebild. Publicum, hrsg.
von Ernst Burdach, ebd. 1847. Blicke ins Leben, Bd. I— II: comparative Psychol. ,
Bd. III: Sinnenmängel u. Geistesmacht Lebensbahnen, Bd. IV: Rückblick auf mein
Leben, Lpz. 1842—48.
Dav. Theod. Aug. Suabcdissen (1773—1835, ebensosehr durch Kant, Reiuhold
und Jacobi, wie durch Schelling angeregt), die Betrachtung des Menschen, Cassel,
und Lpz. 1815—18. Zur Einltg. in d. Philos., Marburg 1827. Grundzüge d. Lehre
vom Menschen, ebd. 1829. Grundzüge d. philos. Religionslehre, ebd. 1831. Grund-
züge d. Metaph., ebd. 1836.
Carl Gust. Ca ms (1789 — 1869), Grundzüge der vergleich. Anatomie u. Physio-
logie, Dresd. 1825. Vorlesgn. über Psychol., Lpz. 1831. Syst. der Physiol., Lpz.
ia38-40, 2. Aufl. 1847—49. Grundzüge der Kranioskopie, Stuttg. 1841. Psyche,
zur Entwickelungagesch. der Seele, Pforzheim 1846. 3. Aufl., Stuttg. 1860. Physis,
zur Gesch. d. leibl. Lebens, Stuttg. 1851. Symbolik der menschl. Gestalt, Leipz.
1853, 2. Aufl. 1857. Organon der Erkenntniss der Natur u. d. Geistes, Lpz. 1855.
Vergleichende Psychol. oder Gesch. der Seele in der Reihenfolge der Thierwelt,
Wien 1866. Vcrgl. Carl Gust Carus, Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten,
Leipzig 1865.
H. Chr. Oersted (1777-1851), d. Geist i. d. Natur, Kopenh. 1850-51, dtsch.
v. K. L. Kanuegiesser, Lpz. 1850, 3. A. ebd. 1868. Neue Beiträge zu dem G. i.
d. N, deutsch Lpz. 1851. II. Chr. Oerstedt, gesammelte Schriften, deutsch von
Kannegiesser, 6 Bde., Lpz. 1851—53.
K. W. Ferd. Solger (1718—1819), Erwin, vier Gespräche üb. das Schöne
u. d. Kunst, Berl. 1815. Philosoph. Gespräche. Berl. 1817. Nachgelass. Schriften
und Briefwechsel, hrsg. von Ludw. Tieck u. Friedr. v. Raumer. Lpz. 1826. Vöries,
üb. Aesthetik, hrsg. von K. W. L. Heyse, Berl. 1829.
H. Steffens (1773—1845, Norweger von Geburt, seit 1804 in Deutsehland,
Prof. in Halle, Breslau, Berlin), Recens. von Sendlings naturphilos. Schriften, ver-
fasst 1800, abg. in Schellings Ztschr. für specul. Physik, Bd. I, Heft 1, S. 1-48
und Heft 2, S. 88—121. Ueber d. Oxydations- und Desoxydationsprocess der Erde,
ebd. Heft 1, 143—168. Beiträge z. inneren Naturgesch. der Erde, Freiberg 1801.
Grundzüge d. philos. Naturwissensch , Berl. 1806. Ueb. d. Idee der Universitäten,
Berl. 1809. Caricaturen des Heiligsten, Lpz. 1819-21. (Durch die Sünde werden
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Solger, Steffens, Baader, Krause u. Andere.
33f)
die einzelnen Momente der Idee des Staats in den Erscheinungen isolirt und ver-
zerrt. Zusammengenommen lassen sie allerdings noch die Idee erkennen, aber einzeln
sind sie ihr entgegengesetzt.) Anthropol., 2 Bde , Bresl. 1823. Wie ich wieder
Lutheraner ward, und was mir das Lutherthum ist, ebd. 1836 (gegen die Union).
Polemische Blätter zur Beförderung der specul. Physik, Bresl. 1829, 1835. Novellen.
Bresl. 1837 bis 1838. Christi. Religionsphilos., Bresl. 1839. Was ich erlebte,
Bresl. 1840—45, 2. Aufl. 1844— 46. Nachgel. Schriften, m. e. Vorw. v. Schelling, Berl.
1846. Mit Mineralogie und Geognosie besonders vertraut, stellte er eine geschicht-
liche Ansicht von der Natur auf und suchte Entstehung und Geschichte des
Menschen einzureihen in einen Zusammenhang mit dem Erdorganismus und der
Entwickelung des ganzen Sonnensystems, wie er auch den ersten Theil der Anthro-
pologie geologische Anthropologie nennt. In dem zweiten und dritten Theil, dem
physiologischen und psychologischen, sucht er darzuthun, wie durch die Begierde
des Menschen die ganze Natur angesteckt in Kampf gerieth, und wie dieser Kampf
durch Aneignung der Gnade zu Ende kommt. Besondere auf Braniss hat Steffens
grossen Einfluss geübt.
J. E. v. Berger (1772— 1833,' seit 1814 Prof. der Astronomie in Kiel, nach
Reinholds Tode seit 1823 der Philosophie), philosoph. Darstellg. d. Harmonie des
Weltalls, Altona 1808. Allgera. Grundzüge der Wissenschaft, 4 Bde. (I. Analyse
des Erkenntnis8vermög., 2. zur philos. Naturerkenntniss, 3. Anthropol., 4. prakt.
Phil.), Altona 1817—27. Er schloss sich zuerst schellingschen Ansichten an, ver-
suchte dann in seinem grösseren Werke eine Vereinigung Schellings und Fichtes,
zeigte aber hier zugleich eine Abhängigkeit von Hegel. Vgl H. Ratjen, Joh.
Erich v. Bergers Leben, Altona 1835. Berger ist von Einfluss auf Trendelenburg
gewesen.
Carl Hieron. Windischmann (1775—1839, seit 1818 Prof. d. Philos. u.
Medic. in Bonn) schloss sich zuerst unbedingt an Schelling an, so in: Begriff der
Physik, 1802, Idee zur Physik, Würzb. 1805. Später gewann die hegelsche Philo-
sophie wesentlichen Einfluss auf ihn. Sein Hauptwerk: die Philosophie im Fort-
gange der Weltgeschichte, 4 Bde., Bonn 1827 — 34, ist über China und Indien nicht
hinausgekommen. Es sollte „die Geschichte der Philosophie so darstellen, dass in
ihr die Geschichte der Intelligenz im Fortgange der Weltgeschichte erkannt werde*.
Wie bei Schubert, Baader, Molitor (s. unt S. 337) tritt auch bei Windischmann
zeitweise Hinneigung zum magnetischen Somnambulismus hervor. In Bonn bildete
er den Mittelpunkt des den Hermesianismns bekämpfenden Ultramontanismus.
Franz Baader (geb. 27. März 1765 in München, später geadelt, zuerst Arzt,
dann Bergmann und als solcher bis 1820 im bayerischen Staatsdienst, seit 1826
Honorarprofessor an d. Univers. München, gest. ebd. 23. Mai 1841; seine Biogr.,
von Franz Hoffmann verf., steht im 15. Bde. d. Gesammtausgabe seiner Werke
und ist auch separat, Lpz. 1857, erschienen^, der mit seinen Fachstudien das der
Philosophie und Mathematik verband, besonders mit Schriften Kants, später auch
Fichtes und Schellings, wie andererseits Jakob Böhmes und Louis Cluude de
St. Martins vertraut (über sein Verhältniss zu Böhme handelt Hamberger im 13.,
zu St. Martin Fr. v. Osten -Sacken im 12. Bde. der Gesammtausg. der Werke
Baaders), hat auf die Ausbildung von Schellings Naturphilosophie einen nicht un-
beträchtlichen, auf die der schellingschen Theosophie einen wesentlich mitbestimmen-
den Einfluss gewonnen, während er andererseits durch Schellings Doctrin in der
Ausbildung seiner eigenen Speculation gefördert worden ist Baaders Beiträge zur
Elementarphysiologie, Hamb. 1797, sind von Schelling in seinen naturphilosophischen
Schriften benutzt worden, durch Schellings „Weltseelo* ist Baader zu seiner Schrift
„üb. d. pythagor. Quadrat in d. Natur od. d. vier Weitgehenden", Tüb. 1798, ver-
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336
§ 31. Schellings Anh. and Gcistesverw. Oken,
anlasst worden, woraus Sendling wiederum manches in Beinem »ersten Entwurf
e. Syst d. Natnrphil." 1799 und in der .Ztschr. f. Bpecul. Physik" entnommen hat.
Demnächst hat Baader, hauptsächlich im mündlichen Verkehr, Schölling auf den
Theosophen Jakob Böhme hingelenkt. Eine Sammlung baaderscher Abhandlungen
sind die .Beiträge zur dynamischen Philos.*, Berl. 1809. In den „Fermenta
cognitionis",1822— 25, bekämpft Paader die damals herrschenden philosophischen
Richtungen und empfiehlt das Studium des Jak. Böhme. Die an der Münchener
Universität gehaltenen Vorlesungen über speculative Dogmatik sind in
5 Heften 1827—38 im Druck erschienen. Die zu Baaders Lebzeiten veröffentlichten
und die im Manuscript nachgelassenen Schriften hat Baaders bedeutendster Schüler,
Franz II offmann (gest. 22. Octob. 1881 als Prof. d. Philos. in Würzburg, der Ver-
fasser der specul. Entwickig. d. ewig. Selbsterzeugung Gottes, aus Baaders
Schriften zusmgetrag., Amberg 1835, der Vorhalle z. specul. Theol. Baaders,
Aschaffenb. 1836, der Grundzüge der Societätsphilos. von Franz Baader, Würzburg
1837, Franz von Baader als Begründer der Philos. der Zukunft, Leipzig 1836,
und anderer Schriften), im Verein mit Jul. Hamberger, Emil August v. Schaden,
Christoph Schlüter, Anton Lutterbeck und Freihr. v. Osten-Sacken, unter Beifügung
von Einleitungen und Erläuterungen in einer Gesammtausgabe zusammengestellt: .Franz
von Baaders Bämmtl. Werke", 16 Bde . Lpz. 1851 — 60. Die Einleitung: Apologie der
Naturphil. Baaders wider directe und indirecte Angriffe d. modern. Phil, uod Natur-
wissensch,. ist auch in besond. Abdruck, Lpz. 1852, erschienen. Ferner hat Hoffmann
hrsg.: die Weltaltcr, Lichtstrahlen aus Baaders Werken, Erlang. 1868; J.A.B. Lutter-
beck: üb. d. philos. Stdpkt. Baaders, Mainz 1854 (vgl. auch Lutterbeck, die neutest.
Lehrbegriffe, Mainz 1852); Hamberger: die Cardinalpunkte der b.schen Philos.,
Stuttgart 1855, Christenth. und moderne Cultar, Erlang. 1863, Physica sacra od.
r. Begriff d. himmlisch. Leiblicbk., Stuttg. 1869, Versuch e. Charakteristik der Theo-
sophie Frz. Baaders, im Theol. St. u. Kr., Jahrg. 1867, S. 107—123; J. Claasseu.
F. v. B.b Leben u. Theosoph. W.W. als Inbegriff christl. Ph. Vollständiger
naturgetreuer Ausz., 1. Bd., Stuttg. 1886, 2. Bd. 1887. Theod. Culman: die Prin-
eipien der Phil. Franz v. B.s und E. A. von Schadens, in: Zeitschrift f. Ph.,
Bd. 37, 1860, S. 192—226 uud Bd. 38, 1861, S. 73-102; Franz Hoffrnann: Be-
leuchtg. d. Angriffs auf B. in Thilos Schrift: die theologisirende Rechts- und Staats-
lehre, Leipzig 1861, über die b.sche und herbartsche Philosophie, im Athenaeum
(philos. Zeitschr., hrsg. v. Frohschammer), Bd. 2, Heft 1, 1863, üb. die b.sche und
schopenhauersche Phil. ebd. Heft 3, 1863, Philos. Schriften, I— VIII, Krlang.,
1868—82. S. ferner über Baader: K. Ph. Fischer, zur hundertjähr. Geburtstags-
feier B.s: Versuch e. Charakteristik seiner Theosophie u. ihr. Verhältnisses z. d.
Systemen Sendlings und Hegels, Daubs und Schleiermachers, Erlangen 1865;
Lutterbeck, Baaders Lehre vom Weltgebäude, Frankf. 1866; Alex. Jung, über B.s
Dogmatik als Reform der Societäts - Wissenschaft, Erlang. 1868; Baumann, kurze
Darstellung der Phil. Franz v. Baaders in Phil. Monatsh., Bd. 14, S. 321-340.
Vgl. auch den ausführlichen Artikel über Baader in Noacks Philos.-gesch. Lexicou.
Die Schriften Baaders sind reich au Etymologien und spielenden Analogien und
meist in wenig zusammenhängender Form abgefasst. Mit der schellingschenSpeculation
theilt die baadersche den Mangel an strenger Beweisführung und das Prävaliren
der Phantasie. Schüler Baaders, wie Hoffmann, haben diesem Mangel in so weit
abzuhelfen gesucht, als derselbe in Baaders aphoristischer Schreibart begründet ist,
ohne jedoch hierdurch die Gedanken selbst als wissenschaftlich nothwendige er-
weisen zu können. Nach Baader ist der Mensch weder im Praktischen autonom,
wie Kant will, noch ist er im Theoretischen in der Ausübung seiner Vernunft
alleinwirkend. Was sein Wollen begründet in seiner Bewegung, muas selbst Wille.
Solger, Steffens, Baader, Krause u. Andere.
337
ein Wollender sein, und in seiner Erkenntnis^ ist der Mensch nur ein Mitwirker
der göttlichen Vernunft. Unser Wissen ist ein Mitwissen (conscientia) des
göttlichen Wissens und daher weder ohne dieses zu begreifen, noch auch anderer-
seits mit diesem zu identificireu. Zwar kann Gott nicht erwiesen werden, aber
man kann doch die unmittelbare Ueberzcugung von Gott klarer macheu. Mit dem
Gewissen, d. h. dem Sichwissen, fällt zusammen das Wissen des Gewusstwerdens
von einem Höheren. Wir sind weder theoretisch noch praktisch spontan thätig,
sondern nur reeeptiv thätig, bedürfen also fortwährend eines Höheren. Der Mensch
ist das sprechende und wirksame Bild Gottes, und demnach wird man sich nach dem
Wesen des Menschen auch eine weitere Kenntniss Gottes verschaffen können. Von
dem immanenten oder esoterischen oder logischen Lebensprocess Gottes, wodurch
Gott Bich selbst aus seinem Nichtoffenbarsein hervorbringt, ist der emanente oder
exoterische oder reale zu unterscheiden, in welchem Gott durch Ueberwindung der
ewigen Natur oder des Princips der Selbstheit zur Dreipersönlichkeit wird, und
von beiden Processen wiederum der Oeationsact, in welchem Gott sich nicht mit
sich Belbst, sondern mit seinem Bilde zusammenschliesst In Folge des Sündenfalls
ist der Mensch von Gott in die Zeit und in den Kaum gesetzt worden, um durch
Ergreifung des IJeils in Christo die Ewigkeit und Seligkeit wieder zu gewinnen,
oder audemfulls der Läuteruugsstrafe theils in diesem Leben, theils im Hades, theils
im Höllenpfuhl zu verfallen. Aus dem Hades findet noch Erlösung statt, aus der
Hölle nicht mehr. Doch involvirt der richtige Satz: ,ex infernis nulla redemtio",
nicht nothwendig das Nichtaufhören der Höllenpein. Die Materie, als die C'oncret-
heit von Zeit und Raum, ist nicht Grund des Bösen, sondern vielmehr Folge des-
selben, also Strafe, zugleich aber auch Schutzmittel gegen das Böse, da der Mensch
in dieser Scheinzeit im Einzelnen verneinen kann, was er in der wahren Zeit, d. h.
der Ewigkeit, bei seinem Fall im Ganzen bejaht hat. Zeit uud Materie wird auf-
hören. Nach dem Aufhören der Zeitregion kann jedoch die Oeatur immer noch aus
der ewigen Höllenregion in die ewige Himmelsregiou (aber nicht umgekehrt) über-
treten; nachdem die zur Hölle Verdammten ohne Gottes Hülfe ihre Sünde selbst
gebüsst haben, erlischt ihre Widerstandskraft gegen Gott, und sie werden nun, nach-
dem durch die Peinigung ihr Widerstreben gebrochen worden ist, die untersten und
äussersten Glieder des Himmelreichs Obschon dem Papstthum abgeneigt, bekennt
sich Baader zu der Doctrin der katholischen Kirche im Sinne Anselms, wonach das
Erkennen dem Glauben, von welchem es ausgehen muas, in keinem Betracht wider-
streiten darf. Er wirft den Begründern des Protestantismus vor, anstatt des refor-
mirenden Princips das revolutionäre ergriffen zu haben: denn revolutionireud sei jede
Richtung einer Thätigkeit, welche, anstatt von ihrem Begründenden auszugehen,
gegen dasselbe, als ob es ein Hemmeudes wäre, 6ich wende und erhebe (s. Werke I,
S. 7G).
Den Einfluss Schellings, später den Baaders, zeigt Franz Jos. Molitor (1799
bis 1860), der durch mündlichen Verkehr mehr als durch seine Schriften gewirkt
hat Ideen zu einer künstlichen Dynamik der Geschichte, Frankf. a. M. 1805.
Seine mystisch-kabbalistischen Ansichten sind vertreten in seinem Hauptwerk : Philo-
sophie der Geschichte oder üb. die Tradition, 1. Bd. Frankf. a. M. 1827 (vollständig
umgearbeitet 1855), 2. Bd. Münster 1834, 3. ebd. 1839, 4. I. Abth., ebd. 1853. Die
jüdische Kabbalah hat für die Kirche Bedeutung, insofern sie Mystik erzeugt,
durch welche eine eigentlich christliche Philosophie erst möglich ist.
K. Chrn. Friedrich Kruuse war geboren 1781 zu Eisenberg im Herzogthum
S.-Altenburg; seit 1797 in Jena studirend, habilitirte er sich 1814 in Berlin, von
1815-1823 lebte er in Dresden, seit 1824 war er in Göttingen habilitirt. Da gegen ihn
als Verkündiger des Menschheitbundes eine Criminaluntersuchung eingeleitet wurde,
tebcrweg-Heinie, Ornndris» III. 7. Aufl. 22
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§ 31. Schellings Anh. und Geistesverw. Oken,
ging er 1831 nach München, um dort eine Professor zu bekommen. Dies scheiterte
an dem Widerspruch Schellings. Hier starb er 1832, nachdem er Zeit seines
Lebens vielfach mit Nahrungssorgen u. sonstiger Noth zu kämpfen gehabt hatte.
Er war ein sittlich hochstehender Charakter, aber eine durchaus unpraktische
Natur. — Seine Hauptschriften sind: Grundlage d. Naturrechts od. philos. Grdriss.
d. Ideals d. Rechts, Jena 1803. Entwurf d. Syst. d. Philos., 1. Abth. (allg. Phil,
u. AnL z. Naturphil.), Jena 1804. Syst. d. Sittenlehre, Lpz. 1810, 2. Au8., heraus-
geg. v. P. Hohlfeld u. A. Wünsche, Leipz. 1887. Das Urbild d. Menschh., Dresd.
1812, 2. Aufl. Gött. 1851. Abriss d. Syst. d. Philos., 1. Abth.: analyt. Philos.,
Gotting. 1825. Abriss d. Syst. d. Logik, Gotting. 1825, 2. Aufl. ebd. 1828. Ab-
riss d. Syst. d. RechtsphiloB., ebd. 1828. Vöries, üb. d. Syst. d. Phil., ebd. 1828;
2. Aufl , 1. Theil: der zur Gottcrkenntniss als höchstes Wissenschaftsprincip rück-
leitende Theil der Phil., Prag 1868 (vgl. üb. d. rück- oder emporleitenden Theil d
Philos. H. v. Leonhardi und v. Andreae, Prag 1869); 2. Theil: der ableitende Theil
der Phil., ebd. 1869. Vorlesungen üb. d. Grundwahrheiten d. Wissenschaft, ebd.
1829; 2. Aufl. 1. Theil: erneute Vernunftkritik, Prag 1868. 2. Theil: die Grund-
wahrheiten d. Geschichte und die Encycl. d. Phil., ebd. 1869. Seine nachgelassenen
Werke haben einige seiner Schüler und Freunde (H. K. v. Leonhardi, Lindemann,
Röder u. A.) hrsg. Zuletzt erschienen das System der RechtsphiloB., herausgeg.
v. K- Röder, Lpz. 1874, Vorlesungen üb. Aesthet. od. üb. d. Philos. d. Schönen
u. der schönen Kunst, Lpz. 1882, System d. Acsthetik od. der Philos. des Schönen
u. der schönen Kunst, Lpz. 1882, Vorlesungen üb. synthet. Logik, Lpz. 1884, Ein-
leit. in d. Wissenschaftsl., Lpz. 1885, Vöries, üb. angewandte Philos. d. Geschichte,
ebd. 1885, d. aualyt. induct. Th. des Systems der Philos., ebd. 1885, reine allgem.
Vernunft-Wissensch, od. Vorschule d. analyt. Hanpttheiles d. Wissenschaftglied-
baues, ebd. 1886, Abriss des Systems der Ph., ebd. 1886, Grundriss d. Gesch. d.
Phil., ebd. 1887. Die letzten W.W. sämmtlich herausgeg. v. Paul Hohlfeld u.
Aug. Wünsche. Vgl. die neue Zeit, freie Hefte für vereinte Höherbildung der
Wissensch, und des Lebens, von H. K. Leonhardi, mit Beiträgen aus Kr.s Nach-
lass, 11 Hefte, Prag 1869—75. S. Lindemann, übersichtliche Darstellung des
Lebens u. d. Wissenschaftslehre Karl Chrst. Friedr. Krauses und dessen Stand-
punktes zur Freimaurerbrüdersch., Münch. 1839. Paul Hohlfeld, die krausesche
Philos. in ihrem geschichtl. Zusammenhange und in ihrer Bedeut. f. das Geistes-
leben der Gegenwart, Jena 1879. A. Procksch, K. Chr. Fr. Kr. Ein Lebensbild,
nach s. Brief, dargest., Leipz. 1880. Br. Martin, K. Chr. Fr. Krauses Leben,
Lehre und Bedeut., Leipz. 1881, neue Ausg. 1885. A. Cless, d. Ideal der Mensch-
heit nach Krauses Urbild der Menschheit, Stuttg. 1881. R. Eucken, zur Erinnerung
au K. Chr. Fr. Krause, Festrede, Lpz. 1881. Ed. v. Hartmann, K.s Aesthetik, in:
Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr. 86, 1885, S. 112-130. S. auch die Schriften von Guill.
Tiberghien u. S. 342 f.
Wenn Kruuse auch nicht gerade auf Schelling fusst, so sagt er doch selbst,
von dem Systeme Schellings aus könne man sich am ersten zur „Wesenlehre",
d. h. zu seiner eigenen Lehre, erheben. Kr nimmt an, das Absolute könne erkannt
werden, deshalb sei die Lehre vom Absoluten die Philosophie. Um diese Wissen-
schaft zu entwickeln, giebt es einen doppelten Lehrgang, den aufsteigenden
subjectiven oder analytischen, und den absteigenden, objectiven oder synthe-
tischen. Durch den ersten soll man von dem Standpunkte des gewöhnlichen Menschen
aus aufsteigen zur Erkenntniss Gottes, und diese Erkenntuiss ist dann wiederum der
Ausgangspunkt des zweiten Lehrgangs. Von hier absteigend soll man den Zusammen-
hang der Wissenschaft nach allen Seiten hin organisch entfalten. Die beiden Lehr-
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Solger, Steffens, Baader, Krause u. Andere.
339
gange sind dem Inhalte nach einander gleich, nur die Betrachtungsart ist eine
verschiedene.
Analytischer Theil. Der Anfang der Erkenntniss muss in einer zweifellos
unmittelbaren Wahrheit ruhen, und zwar besteht diese in dem Selbstbewusstsein, in
der Selbstschaunng oder Grundschauung Ich. Sehen wir genauer zu, was in dem
Ich enthalten ist, so finden wir es als ein Vereinwesen von Leib und Geist. Darüber
hinaus unterscheiden wir uns als Wesen, welche vor und über diesem Innern Gegen-
satz und der Vereinigung existiren. Indem wir uns so vor und über allem Einzelnen
in uns erblicken, können wir uns als Ur-Ich bezeichnen. Der Leib gehört nun der
Natur an. Sie ist im Betreff der Zeit, des Raums, der Bewegung, der Kraft ein
unendliches Selbstwesen, welches alle Stufen der leiblichen Wesen in sich enthält,
ein einziges Individuum seiner Art. Der Geist ist ein Theil des Geisterreichs, ge-
wöhnlich bisher uls Vernunft bezeichnet Dieses wird auch als ein unendliches und
einziges Individuum seiner Art erkannt Beide, Natur und Geist, existiren allerdings
vereint, aber sie sind doch auch einander entgegengesetzt So müssen wir für sie
ein höheres Ganzes annehmen, dem sie unter- und eingeordnet sind. Ausserdem
besteht eine fortwährende Wechselwirkung zwischen ihnen, die weder in dem Einen
noch in dem Andern ihren Grund haben kann. So muss auch deshalb ein gemein-
sames Höheres statuirt werden. Wie wir aber über dem Vereiuwesen Ich noch ein
höheres Ich finden, so wird über diesem Vereinwesen von Natur und Geist noch
ein höheres anzunehmen sein: Gott oder «Wesen* schlechthin, das ist das unbedingt
Seiende, das wahrhaft Wirkliche, das wahrhaft Unendliche und Vollkommene. Die
Wesenschauung ist keines Beweises fähig, bedarf auch keines Beweises. Sie ist an
sich gewiss, und jeder Beweis erst durch diese möglich. Hier schliesst der analytische
Lehrgang.
Der synthetische Theil beginnt mit der Schauung a Wesen". Die eigentliche
Grundwissenschaft ist die Betrachtung von Wesen, welche in sich die Principien
aller Wissenschaften fasst Wird Wesen an sich betrachtet, so erhält man einen
Gliedbau von Kategorien, der bei Krause sehr ausgeführt ist, aber wegen der
besonderen Terminologie Schwierigkeit für das Verständniss bietet Wir finden da
zunächst die Kategorien der Wesenheit, der Einheit, der Selbstheit und der Ganz-
heit (die Fremdwörter Qualität Substantialität, Quantität sind nicht ganz zur
Bezeichnung geeignet). Jedes Wesen ist nun erstlich ein Gesetztes, in seiner
Einheit ist die Thesis ohne Gegensatz, zweitens hat es in seiner Mannigfaltigkeit
die Antithesis, die Entgegensetzung, und drittens kommt ihm auch die Synthesis, die
Vereinsetzung, zu (Satzheit, Gegensatzheit, Vereingesetztheit). Das sind die Grund-
lagen der Kategorien, die weiter aus dem Angeführten entwickelt werdeu: die
Richtbeit, Fassheit, Satzheitvereinheit u. s. w. Gott steht über der Welt und ihren
Gegensätzen erhaben, ist aber seiner selbst urinne im Selbstbewusstsein, im gött-
lichen Gemüthe und Willen mit Allweisheit Liebe und Güte, als die für alle in
der Welt wirkenden Kräfte absolute Urmacht, welche in die beiden Ordnungen, der
Natur und der Geisterwelt, gemäss den Gesetzen derselben, aber doch urfrei,
einwirkt.
Auf diese Grundwissenschaft folgte nun die Urwesenlehre, Vernuuft-
wissenschaft, Naturwissenschaft, Vereinwesenlehre. Die Urwesenlehre
soll darthun, dass Gott als erkennendes, empfindendes und wollendes Wesen, oder
als Geist, Gemüth und Wille, als das unendlich-unbedingte Vernunftwesen und das
in der Zeit ursächlich wirkende über der Vernunft, der Natur und dem Verein von
beiden steht. Gott erkennt, empfindet und will nicht erstwesentlich die Welt,
d. h. Vernunft und Natur und beide im Verein, sondern unbedingt und erstwesentlich
erkennt, empfindet und will Gott sich selbst nach seiner einen, selben und ganzen
22»
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§ 31. Schellings Anh. und Geistesverw. Oken,
Wesenheit, nnd dann anch untergeordnet erkennt, empfindet und will Gott die
Welt. Gott ist unendlich und unbedingt weise, liebende, gerechte, heilige Vor-
sehung. Gottes Einer heiliger Wille ist auf die Darlebung seiner Wesenheit in
der Einen unendlichen Gegenwart gerichtet. Er umfasst das Leben der Vernunft
der Natur und das Vereinleben liebend, erbarmend, rettend und beseligend, damit
in jedem Momente der Zeit das Beate verwirklicht werde. Die Vernunftwissen-
schaft hat die Grundidee des Geisteswesens zu erkennen, die als übersinnliche
Erkenntniss in der Wesenschauung zu erfassen ist Sie steht in dem Organismus der
Ideen dem Leibwesen gegenüber. In der Einen Vernunft oder in dem Einen Geist-
wesen anerkennen wir alle endlichen Vernunftweeen oder Geister, wir erkennen alle
endlichen Geister als das Eine, unendliche aus unendlich vielen Geistern bestehende
Geisterreich. Die Naturwissenschaft wird im Innern ausgebildet, wenn die Grund-
idee Wesen und alle im Gliedbau derselben enthaltenen Theilideen auf die Idee
der Natur angewandt werden in Ableitung, Selbsteigenschauung und Scbauvereln-
bildung (Deduction, Intuition, Construction). In der allgemeinen Ganzheitlehre
wird die Raumganzheitlebre oder Raumgestaltlehre (Geometrie) gebildet, die Formen
des Raumes und der Zeit, miteinander vereint erkannt, geben die reine Beweglehre
(Mechanik). Die allgemeine Wesenheit der Kraft aber, angewandt auf die Natur,
giebt die Naturkraftlehre (die physische allgemeine Dynamik). Ferner entsteht auch
die Deduction u. s. w. der Natur als des Einen LebenB im Baue des Himmels und
im Gliedban des Organismus ihrer Processe und aller ihrer Gebilde vom Höchsten
bis zum Niedrigsten. Die Vereinwesen lehre ist die Wissenschaft von Gott, Ver-
nunft und Natur als nach ihrer ganzen Wesenheit, also auch nach ihrem ganzen
Leben, vereinter Wesen. Die Haupttheile dieser Wissenschaft betrachten den
Verein Urwesens mit Vernunft, Urwesens mit Natur, der Vernunft und Natur unter
sich, vermittelt durch Wesen, endlich als ihren innersten Theil den Verein der
drei, Urwesens, der Natur und der Vernunft, Das innerste Vereinwesen aber in
der unter sich und mit Gott als Urwesen vereinten Vernunft und Natur ist die
Menschheit, d. i. das Reich aller unendlich vielen endlichen Geister, die mit unendlich
vielen organischen Ijeibern und mit Gott vereint leben. Diese Wissenschaft ist
zugleich die ganze Geschichtswissenschaft, welche dann auch die Geschichte des
Einen Lebens, sofern es sich auf dem Schauplatz dieser Erde bis jetzt entfaltet
hat und in Zukunft entfalten wird, in sich schliesst. Die Geschichte der Menschheit
ist der innerste Theil der Einen Geschichte alles Lebens.
Den nächsten und innigsten Einßusa auf das Leben Belbst haben die Religion-
wissenschaft, die Sittenlehre, die Rechtslehre und die Kunstlehre. Was
die erste dieser vier anlangt, so ist Religion des Menschen der Verein seines
Lebens mit dem Leben Gottes und zwar zunächst nur, insofern der Mensch selbst
diesen Lebenverein erstrebt und mitverursacht. Aber dies geschieht nur durch die
von oben entsprechende Thätigkeit Gottes, wonach Gott als Urwesen in der unend-
lichen Zeit das Leben des Menschen und der Menschheit auch eigeuleblich in sich
aufnimmt und mit Beinern Leben vereint. Das eine ist die endliche, das Andere
die unendliche Seite des innern Vereinlebens Gottes. Die erste Forderung des
Gottvereinlebens oder der Religion an den Menschen ist, dass er als ganzer selber
Mensch Gottes inne, mit seiner Ganzlebenschaft zu Gott hingerichtet sei und bleibe,
und dass er Vereinlcben mit Gott als Urwesen anstrebe. Diese Stimmung des
Menschen ist Gottinnigkeit oder Weseninnigkeit.
Sittenlehre ist die Wissenschaft des Lebens, sofern es durch den Willen
bestimmt ist, und begreift die Gesetzlehre des Willens in sich Der Gegenstand
der Sittenlehre ist also der Wille als das Leben bestimmende Thätigkeit nach seiner
Wesenheit und seinen Gesetzen. Die Wesenheit des Willens ist diejenige Thätigkeit
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Solger, Steffens, Baader, Krause u. Andere.
341
des Ganzwesens, welche die Thätigkeit selbst zur Darbildung des Wesentlichen im
Leben, d. i. des Guten, bestimmt nnd richtet. Sofern ich nun das Lebwesentliche
(das Gute) schaue, habe ich Erkenntniss desselben und empfinde in mir den Trieb
znm Gnten. Das Gute für den Menschen ist nun dasjeuige Wesentliche, welches
der Mensch nach seiner EigenweBenheit als Mensch darleben kann und soll. Zu
entwickeln hat die Sittenlehre, welcher Theil des Einen Gnten, der Einen von
Gott in sich dargelebten göttlichen Wesenheit dasjenige Gute ist, auf dessen Dar*
lebnng der Wille des Menschen und der Menschheit die Thätigkeit richten könne
und solle. Gott ist das Eine Gute, auch das höchste Gut des Lebens für den
Menschen. Das erkannte, gefühlte, mit dem Grundtriebe erfasste und gewollte
Wesentliche wird als das Gute dargelebt, und deshalb ist für den Mensehen als
sittliches Wesen erforderlich, dass er den Urbegriff des Einen Guten erkenne, sich
denselben als einzigen Inhalt seines Lebens vorsetze und so mit besonderer Kunst
sein Leben ausgestalte. Sofern das Gute auf das Eigenleben als dessen Gehalt
bezogen wird, erscheint es als Zweck, sofern das sittliche Wesen im unbedingten
Sollen dazn verpflichtet ist, ist es die Pflicht. Das Sittengesetz, welches das unbe-
dingte Pflichtgebot ist, lautet: Wolle du selbst und thue das Gute als das
Gute. Der materiale Theil darin ist: Wolle und thue das Gute; der formale: du
selbst, und : als das Gute. Alle untergeordneten Antriebe für die Bestimmung des
Willens, sowie die selbstischen Triebe sind so ausgeschlossen. Darin, dass das
Gute rein und allein, weil es gut ist, mit eigner Kraft des Wollens und Wirkens
gewollt und erstrebt wird, besteht die sittliche Freiheit, die in der Gesetz-
massigkeit, nicht aber in der üngebundenheit und Gesetzlosigkeit des Willens und
der Kraft besteht — Die unendliche Aufgabe des rein sittlichen Lebens ergeht
zunächst an jeden Einzelmenschen, aber dann auch an jede Gesellschaft. Alle
Grundgesellschaften und alle Werkgesellschaften sollen unter sich einen Bund
schliessen, welcher der Sittlichkeitverein oder der Tugendbund genannt werden
kann. Die unendliche Aufgabe der Religion und der Sittlichkeit lässt sich in dem
Worte vereinen: Sei gottinnig und ahme Gott nach im Leben.
Mit der Sittenlehre steht in enger Verbindung — Kant und Fichte entgegen —
die RecbtBlehre, die vielfach, wohl nicht mit Unrecht, für die bedeutendste
Leistung Krauses angesehen wird. Die menschliche Bestimmung hängt in ihrer Er-
füllung nicht von einem Individuum ab, sondern auch von Umständen, die durch
Andere bedingt sind, und daher muss das Ganze der durch die menschliche Willens-
tbätigkeit herzustellenden Bedingungen, die not big sind, um den vernünftigen Lebens-
zweck zu verwirklichen, das ist eben das Recht, dargelegt werden. Oder auf den
Mittelpunkt der krauseschen Philosophie bezogen: .Recht ist der Gliedbau
aller zeitlich freien Lebensbedingnisse des inneren Selblebens Gottes
und in und durch selbiges auch des wesengemässen Selblebens und
Vereinlebens aller Wesen in Gott* Im Zustande des Rechts befindet man
sich dann nur, wenn jedes Individuum sich in Folge der Ordnung der Lebens-
verhältnisse ungehindert seinem sittlichen Ziele nähern kann. Nicht nur die Indi-
viduen, sondern auch die Persönlichkeitskreise der einzelnen Familien, Gemeinden
und die Güterkreise, welche der Religion, Wissenschaft oder Kunst zugewandt sind,
können nicht bestehen und Bich ausbilden ohne ein Ganzes von Bedingungen, unter
welchen jeder Kreis sich bethätigt und entwickelt Es muss so ein geselliges
Wechselverhältniss stattfinden, und dies kann nur in einem bestimmten ihm aus-
schliesslich gewidmeten Gesellschaftsverein auf Erden verwirklicht werden, welcher
der Rechteverein, der Rechtebund, der Staat ist Das Recht ist zunächst positiv,
insofern es fordert, dass die zur Erreichung des sittlichen Ziels nöthigen Bedingungen
von den mit einander Lebenden erfüllt werden. Sodann ist es negativ, indem es
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§ 31. Schellings Anh. und Geistesverw. Oken u. Andere.
fordert, dass alle zeitlich freien Hindernisse, welche sich dem begriffmässigen Leben
in den Weg Btellen, entfernt werden. Die Strafe soll nur erziehend nnd bessernd
wirken, deshalb ist die Todesstrafe zu verwerfen.
Die Kunstwissenschaft bezieht sich anf das Können, Bilden and Schaffen.
Die Kunst bildet vermöge der Phantasie Individuelles nach Ideen; Kunst ist die
Gesammtheit der werkthätigen Lebenskraft, welche dem bildenden, lebengestaltenden
Wesen, seinem Wollen folgend, zu Gebote steht. Im tiefsten Sinne ist die Kunst
die werkthätige Lebenskraft Gottes selbst. An sich ist eine Kunst, die Gottes, und
ein Künstler — Gott, wie Gott auch der Eine unbedingte Regent und Monarch
sein soll. In der einen Kunst Gottes ist aber auch alle endliche Kunst der end-
lichen Wesen insgesammt mitgefasst. Da.s Kunstwerk muss ein unendlich bestimmtes
organisches Ganzes sein — , so dass die inneren Theile alle unter sich und mit dem
Ganzen wesenheitlich übereinstimmen und so in der unendlichen Kigenthümlichkeit
einen bestimmten Urbegriff erschöpfend darstellen. Ist es ein freies Kunstwerk, ein
Schönkunstwerk, z. B. ein Gedicht, oder das Leben eines einzelnen Menschen selbst,
so ist es der dem Kunstwerk selbst eigene Urbegriff, welchen es darlebt. Ist es
aber ein nützliches Kunstwerk, so muss es den Begriff dessen, wozu es nützt,
verwirklichen. An den Künstler jeder Art gebt die Forderung, dass seine Werke
auch in der Form gottähnlich seien. Diese Gottähnlichkeit selbst nach Gehalt
und Form nennen wir Schönheit, — das ganze Leben ist selbst ein Kunstwerk,
und die Eine höchste Kunst ist die Lebenkunst, welche auch die Kunst des
Menschen in sich enthält, sein Eigenleben gut und schön zu führen und es stetig
weiter zu gestalten.
In seiner Gcschichtwissenschaft, mit welcher Krause .die Grundwahr-
heiten der Wissenschaft* schliesst, legt er dar, wie sich der Gliedbau der Ideen in
der Zeit darbildet, oder wie sich das Leben in der Zeit entwickelt. Das Leben der
Menschheit entfaltet sich in drei Hauptlebenaltern, iu Kindheit, in Jugend und dem
Alter der Reife, und dieses Gesetz kehrt auch für jedes untergeordnete Selbwesen
in der Menschheit wieder. Alle Völker, Stämme, Ortvereine, Freundvereiue, Ehe-
vereine, sowie jeder Einzelmensch, durchleben diese drei Hauptalter. Hierauf folgen
zwei Stufen des absteigenden Lebens, welche der Jugend und der Kindheit des auf-
steigenden Lebens entsprechen. Die erstere davon ist das Hochalter der Reife, die
letzte das Greisalter. Die Menschheit befindet sich jetzt in ihren gebildeteren
Völkern am Ausgange der Jugend. Da der Grund des vollwesentlichen Gliedbaues
der Wissenschaft schon gelegt ist (durch Krause), da besonders die Grundideen der
Menschheit, ihres Lebens und des Menschheitbuudes dargestellt sind (durch Krause),
so ist hiermit der erste Anfang des Alters der Reife im Geiste begründet.
Die bedeutendsten Schüler Krauses sind: der Rechtsphilosoph Heinr. Ahrens
(geb. 1808, gest. 1874 als Profess. in Leipzig), dessen Cours de droit naturel ou de
philos. du droit, Paris 1838, 5. öd. Bruxelles 1849 erschienen ist, Naturrecht oder
Phil. d. Rechts u. d. Staates. 6. Aufl., Wien 1870—71, ital. v. Alb. Marghieri,
Nap. 1872, auch in mehrere andere Sprachen übersetzt; jurist. Encyclopädie, Wien
1858. Schon früher hat Ahrens einen Cours de philos., Paris 1836—38, Cours de
philos. de l'histoire, Brüx. 1840 veröffentlicht. (S. Chauffard, Essai critique sur
les doctrinea philosophiques, sociales et religieuseB de Henri Ahrens, Paris 1880.)
Tiberghien, Essai theorique et histor. sur la generation des connaiss. humain.
dans ses rapports avec la morale, la politique et la relig., Par. et Leipzig 1844;
Exposition du Systeme philosophique de Krause, Brüx. 1844; Exquisse de philos.
morale, preeödee d'une introd. ä la raätaphysique, Brüx. 1854; la scieuce de 1'äme
dans les limites de l'observation, ebd. 1862, 2. Aufl. 1868; Logiqne, la science
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§ 32. Hegel.
de la connaissance, Par. 1865. Elements de la morale universelle, Brüx. 1879.
H. S. Lindemann, von dem ausser der erwähnten Schrift über Krause noch
Darstellungen der Authropolog., Zürich 1844 und Erlangen 1848, und der Logik,
Soloth. 1856, erschienen sind. Ferner sind hier zu nennen: Altmeyer, Bouchitt£,
Duprat, Herrn. Freih. v. Leonhardi, Mönnich, Oppcrmann, Röder (Grundzüge
d. Naturrechts oder der Rechtsphilos., Leipzig u. Heidelberg 1856, 2. Aufl. ebd.
1860-63), Th. Schliephake (t 1871), die Grundlagen des sittlichen Lebens,
Wiesbaden 1855; Eint, in d. Syst. d. Phil., Wiesbaden 1856, Hohlfeld (s. oben
S. 338). Der Spanier J. S. del Rio (gest. 1869) hat Krauses „Urbild der Mensch-
heit" übersetzt und erläutert, Madrid 1860, ebenso Krauses „Abriss des Syst. der
Philos.", ebd. 1860. In Spanien ist eine grosse Anzahl der Lehrstühle der Pbilos.
und der Rechtsphilos. von Anhängern Krauses besetzt, und die Angriffe gegen die
Jesuiten daselbst gehen von den „Krausistas" grossentheils aus. — Der um die An-
wendung der Grundsätze Pestalozzis auf das frühe Kindesalter und Fortbildung
des „Anschanungs-Unterrichts" zu einem „Darstellungs-Unterricht" hochverdiente
F. Froebel hat von Kranse Anregungen empfangen. Vgl. Th. Schliephake, üb.
Friedr. Froebels Erziehungsmethode, in: Phil. Monatsh. IV, 1870, S. 487 - 509.
Ueber Stahl und andere neuere Philosophen, die durch Sendling beeinflusst
worden sind, s. d. IV. Abschn. dieses Theils.
§ 32. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) hat,
indem er das von Schelling vorausgesetzte Identitätsprincip nach der
von Fichte geübten Methode dialektischer Entwickelung begründet
und durchgeführt, das System des absoluten Idealismus geschaffen,
dem die endlichen Dinge nicht (wie dem subjectiven Idealismus) als
Erscheinungen für uns gelten, die nur in unserm Bewusstsein wären,
sondern als Erscheinungen an sich, ihrer eigenen Natur nach, d. h.
als solches, was den Grund seines Seins nicht in sich, sondern in der
allgemeinen göttlichen Idee hat. Die absolute Vernunft offenbart
sich in Natur und Geist, indem sie nicht nur als Substanz beiden
zum Grunde liegt, sondern auch als Snbject vermöge fortschreitender
Entwickelung von den niedrigsten zu den höchsten Stufen aus ihrer
Entäusserung zu sich zurückkehrt. Die Philosophie ist die Wissen-
schaft des Absoluten. Als denkende Betrachtung der Selbstentfaltung
der absoluten Vernunft hat die Philosophie zu ihrer notwendigen
Form die dialektische Methode, welche im Bewusstsein des
denkenden Subjects die Selbstbewegung des gedachten Inhalts repro-
ducirt. Die absolute Vernunft entäussert sich in der Natur und kehrt
aus ihrem Andersseiu in sich zurück im Geiste; ihre Selbstentwicke-
lung ist demnach eine dreifache, nämlich 1. im abstracten Elemente
des Gedankens, 2. in der Natur, 3. im Geiste; nach dem Schema:
Thesis, Antithesis, Synthesis. Demgemäss hat auch die Philosophie drei
Theile, nämlich 1. die Logik, welche die Vernunft an sich als das
Prius von Natur und Geist betrachtet, 2. die Naturphilosophie,
3. die Philosophie des Geistes.
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§ 32. Hegel.
Um das Subject auf den Standpunkt des philosophischen Denkens
zu erheben, kaun dem System die Phänomenologie des Geistes,
d. h. die Lehre von den Entwickelungsstufen des Bewusstseins als
Erscheinungsformen des Geistes, propädeutisch vorangeschickt werden,
die jedoch auch als ein Glied der philosophischen Wissenschaft inner-
halb des Systems, nämlich in der Philosophie des Geistes, ihre Stelle
findet. Die Logik betrachtet die Selbstbewegung des Absoluten von
dem abstractesten Begriff, nämlich dem Begriff des reinen Seins, bis
zu dem concretesten derjenigen Begriffe, die der Spaltung in Natur
und Geist vorangehen, d. h. bis zur absoluten Idee. Ihre Theile
sind: die Lehre vom Sein, vom Wesen und vom Begriff. Die Lehre
vom Sein gliedert sich in die Abschnitte: Qualität, Quantität, Maass;
in dem ersten werden als Momente des Seins das reine Sein, das
Nichts und das Werden betrachtet; dann wird das Dasein dem Sein
entgegengesetzt und im Fürsichsein die Vermittelung gefunden, die
das Umschlagen der Qualität in die Quantität zur Folge hat. Die
Momente der Quantität sind: die reine Quantität, das Quantum und
der Grad; die Einheit von Qualität und Quantität ist das Maass. Die
Lehre vom Wesen handelt von dem Wesen als Grund der Existenz,
dann von der Erscheinung, endlich von der Wirklichkeit als der Ein-
heit von Wesen und Erscheinung: unter den Begriff der Wirklich-
keit stellt Hegel die Substantialität, Causalität und Wechselwirkung.
Die Lehre vom Begriff handelt vom subjectiven Begriff, welchen Hegel
in den Begriff als solchen, das Urtheil und den Schluss eintbeilt,
von dem Object, worunter Hegel den Mechanismus, Chemismus und
die Teleologie begreift, und von der Idee, die sich als Leben, Er-
kennen und absolute Idee dialektisch entfaltet.
Die Idee entlässt aus sich die Natur, indem sie in ihr Anders-
sein umschlägt. Die Natur strebt, die verlorene Einheit wieder zu
gewinnen; die Erreichung derselben aber ist der Geist als das Ziel
und Ende der Natur. Die Stufen des natürlichen Daseins betrachtet
Hegel in den drei Abschnitten: Mechanik, Physik, Organik; die
letztere handelt von dem Erdorganismus, von der Pflanze und von
dem Thiere. Das Höchste im Leben der Pflanze ist der Gattungs-
process, durch welchen das Einzelne in seiner Unmittelbarkeit für
sich negirt, aber in die Gattung aufgehoben wird. Die animalische
Natur ist in der Wirklichkeit und Aeusserlichkeit der unmittelbaren
Einzelheit zugleich in sich reflectirtes Selbst der Einzelheit, in sich
seiende subjective Allgemeinheit; das Aussereiuanderbestehen der
Räumlichkeit hat keine Wahrheit für die Seele, die eben darum nicht
an einem Punkte, sondern in Millionen Punkten überall gegenwärtig
ist. Aber die thierische Subjectivität ist noch nicht für sich selbst
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§ 32. Hegel. 345
als reine, allgemeine Subjectivität; sie denkt sich nicht, sondern fühlt
sich und schaut sich an, sie ist sich nur in einem bestimmten, beson-
deren Zustande gegenständlich.
Das Beisichsein der Idee, die Freiheit, oder die Idee, welche aus
ihrem Anderssein in sich zurückgekehrt ist, ist der Geist. Die Philo-
sophie des Geistes hat drei Abschnitte: die Lehre vom subjectiven,
objectiven und absoluten Geist. Der subjective Geist ist der Geist
in der Form der Beziehung auf sich selbst, dem innerhalb seiner die
ideelle Totalität der Idee, d. h. das, was sein Begriff ist, für ihn
wird; der objective Geist ist der Geist in der Form der Realität als
einer von ihm hervorzubringenden und hervorgebrachten Welt, in
welcher die Freiheit als vorhandene Noth wendigkeit ist; der absolute
Geist ist der Geist in an und für sich seiender und ewig sich her-
vorbringender Einheit der Objectivität des Geistes und seiner Idealität
oder seines Begriffs, der Geist in seiner absoluten Wahrheit. Die
Hauptstufen des subjectiven Geistes sind: der Naturgeist oder die
Seele, das Bewusstsein und der Geist als solcher. Hegel nennt die
betreffenden Abschnitte seiner Doctrin: Anthropologie, Phänomeno-
logie und Psychologie. Der objective Geist realisirt sich in dem
Recht, der Moralität und der beides in sich vereinigenden Sittlich-
keit, in welcher die Person den Geist der Gemeinschaft oder die
sittliche Substanz in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat als
ihr eigenes Wesen weiss. Der absolute Geist umfasst die Kunst,
welche die concrete Anschauung des an sich absoluten Geistes als
des Ideals in der aus dem subjectiven Geiste geborenen concreten
Gestalt, der Gestalt der Schönheit, gewährt, die Religion, welche das
Wahre in der Form der Vorstellung, und die Philosophie, welche
das Wahre in der Form der Wahrheit ist.
Uebcr Hegel» Leben handelt Karl Rosenkranz (Georg Wilh. Friedr. Hegels
Leben, Supplement zu Hegels Werken, Berl. 1844) and R. Haym (Hegel und seine
Zeit, Vorlesgn. über Entstehg., Wesen n. Werth der hegelschen Phi!., Berl. 1857), jener
mit liebevoller Anhänglichkeit und Verehrung, dieser mit strenger, rücksichtsloser
Kritik, die namentlich auch die in Hegels Charakter und Lehre (besonders in der Rechts-
philosophie) liegenden antiliberalen Elemente tadelnd hervorhebt. Uebrigens vgl. anch
Rosenkranz, Apologie Hegels geg. Haym, Berl. 1858.
Hegels Werke sind bald nach seinem Tode in einer Oesammtausgabe erschienen:
„6. W. F. Hegels Werke, vollständige Ausg. durch einen Verein von Freunden des
Verewigten", Bd. I— XIX, Berl. 1832 zT., zum Theil seitdem neu aufgelegt. Bd. I:
Hegels philos. Abhandlungen, herausg. von Karl Ludw. Michelet 1832. Bd. II: Phäno-
menologie des Geistes, herausg. von Job. Schulze 1832. Bd. III — V: Wissenschaft
der Logik, heransg. von Leop. v. Henniug 1833— 34. Bd. VI u. VII: Encyclopädie
der philos. Wissenschaften im Grundrisse, und zwar Bd. VI: der Encyclopädic erster
Theil, die Logik, herausg. und nach Anleitung der vom Verfasser gehalt. Vorlesungen,
mit Erläuterungen u. Zusätzen versehen von Leop. v. Henning, 1840; Bd. VII, 1. Abth.:
Vorlesgn. öb. d. Natnrphilos. als der Encycl. der philos. Wissenschaften zweiter Theil,
heransg. von K. L. Michelet 1842; Bd. VII, 2. Abth.: der Encycl. dritter Theil, die
Philos. d. Geistes, herausg. von Ludw. Boumann, 1845. Bd. VIII: Grundlinien der
Philos. des Rechts oder NBturrecht u. Staatswissenschaft im Grundrisse, herausg. von
Ed. Gans 1833. Bd. IX: Vorlesgn. öb. d. Philos. d. Gesch., herausg. von Ed. Gans
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§ 32. Hegel.
1837 (in 2. Aufl. herausg. von Hegels Sohn Karl H.). Bd. X, Abth. 1—3: Vorlesungen
üb. d. Aesthetik, hcrausg. von H. G. Hotho 1836 — 38. Bd. XI u. XII: Vorlesungen
üb. d. Philo«, d. Relig., nebst e. Schrift üb. d. Beweise vom Dasein Gottes, herausg. von
Phil. Marheineke 1832 (in 2. Aufl. von Bruno Bauer). Bd. XIII— XV: Vorlesungen
üb. d. Gesch. d. Phil., herausg. von Karl Ludw. Michelet 1833—36. Bd. XVI u. XVII:
vermischte Schriften, herausg. von Friedr. Förster u. Ludw. Boumann 1834 — 35.
Bd. XVIII: philos. Propädeutik, herausg. von Karl Rosenkranz 1840. Bd. XIX, 1 u. 2,
Briefe v. u. an Hegel, herausg. von Karl Hegel, Lpz. 1887. Die im VI. Bde. der s.
Werke enthaltene „Encyclopädie" hat ohne die oben erwähnten Zusätze Rosenkranz
separat Berl. 1845 herausg. und von Neuem in der .Philos. Bibl.*, Bd. 30, Berl. 1870,
nebst von Rosenkranz verfassten „Erläuterungen", ebd. 1870.
Sachlich geordnete Auszuge aus Hegels Schriften haben Frantz und Hillen
(Hegels Philos. in wörtl. Auszügen, Berl. 1843;, ferner mit mannigfachen Erläuterungen
Thaulow (Hegels Aeusserungen über Erziehung u. Unterricht, Kiel 1854) geliefert.
Kritische Erläuterungen des hegelschen Systems hat Rosenkranz, Königsberg 1843,
erscheinen lassen. Dem gleichen Zweck dienen mehrere von den Vorreden der Heraus-
geber der Werke, ferner Erdmanns und Michelets Darstellungen des h.schen Systems in
ihren Geschichten der neueren Philosophie, und manche andere Schriften. Von mehreren
hegelschen Schriften sind im Ausland Uebersetzungcn erschienen, französische, italienische
und englische, z. B. Lectures on the philosophy of history translat. by John Sibree,
Lond. 1861. Uebersetzungen einer Reihe von Hegels Schriften finden sich in dem
Journal of speculative philos. Ueber die b.sche Logik ist eine genau eingehende Kritik
von Trend elenburg in dessen log. Unters, geübt worden, s. auch den«., die logische
Frage in H.s System, Lpz. 1843. Ferner bandeln über dieselbe und über H.s gesammte
Doctrin in verschiedenem Sinne Hegelianer und Antihegelianer in Schriften und Ab-
handlungen, die zum Theil unten Erwähnung finden werden. Vgl. u. a. C. Ft. Bach-
mann, üb. II.« Svstem u. d. Nothwendigk. einer nochmalig. Umgestaltung der Phil.,
1833. H. Ulrici', üb. Princ. u. Methode der hegelseh. Philos.. 1841. IL Exner, d.
Psychologie der hegelsch. Schule, 1842. A. Ott, H. et la philos. allem., 1844. Auch
Theod. Wilb. Danzel, üb. d. Aesthetik d. h.schen Phil., Hamburg 1844. Ant. H.
Springer, d. h.sche Geschichtsanschauung, Tüb. 1848. A. L. Kym, Hegels Dial. in ihrer
Anw. auf die Gesch. der Philos., Zürich 1849. Aloys Schmid (in Dillingen), Entwicke-
lungsgesch. der h.schen Logik, Regensburg 1858. P. Janet, Emdes sur la dialectique dans
Piaton et dans Hegel. Par. 1860. Friedr. Reiff, üb. d. h.sche Dialektik, Tüb. 1866.
Ed. v. Hart mann, üb. d. dialekt. Methode, hist.-kritische Untersuchungen, Berl. 1868
(vgl. dessen Artikel üb. e. nothw. Umbildung d. h.schen Philos. in Bergmanns philos.
Monatsh. V, 5, Aug. 1870). Eine kritische Darstellung des Systems enthält die Schrift
von J. 11. Stirling, the secret of Hegel, being the Hegelian System in origin, principle,
form and matter, Lond. 1865. Aug. Vera hat Hegels Logik, Naturphil, und Geistesphil,
ins Französ. übersetzt und erklärt (Paris 1859, 63—66, 67) und auch selbst mehrere
Schriften im hegelschen Sinne verfasst, s. unt. Ferner haben die Italiener A. Galasso
(Neapel 1867), G. Prisco (Neapel 1868, 1872), Gius. Allievo (Mailand 1868), L. Miraglia
(Neapel 1873) u. A. über den Hegelianismus geschrieben. G. Biedermann, Kants Krit.
d. r. V. und die hegclsche Logik in ihrer Bedeutung für die Begriffswissenschaft, Prag
1869. K. Rosenkranz, IL als deutsch. Nationalphilosoph, Lpz. 1870. T. Collyns Simon,
Hegel and his connexion with British thought, in: The Conteniporary Review, Part I, U.
Jan. u. Febr. 1870. Einl. u. Erläut. zu H.s Encyclopädie von Karl Rosenkranz in der
»philos. Bihl.", Bd. 30 u. 31, Berl. 1870. Karl Köstlin, H. in philos., polit. u.
nat. Beziehg., Tüb. 1870. M. Schasler, Hegel, populäre Ged. aus s. Werken, Berlin 1870,
2. Aufl. 1873. Emil Feuerlein, üb. d. culturgesch. Bedeutg. Hegels in: Hist. Zeitsehx.,
12. Jahrgang, 1870, S. 314—368. Frdr. Harms, z. Erinnerg. an Georg W. Fr. Hegel
in Bergmanns phil. Monatsheft. VII, 1871, S. 145—161 (auch separat). Gust. Thaulow,
Acten, den lOOjähr. Geburtstag H.s betr., Kiel 1870—72. C. Stommel, die Differenz
Kante und Hegels in Bez. auf d. Erklär, der Antinomien, I.-D., Halle 1876. J. Klaiber,
Hölderlin, Hegel u. Schelling in ihren schwäbischen Jugendjahren, Stuttg. 1877. M.
Ehrenhaus8, H.s Gottesbegr. in seinen Grundlinien u. nächst. Folgen aus d. Quellen
dargelegt, Wittenb. 1880. W.James, on some Hegelisms, in: Mind 1882. S. 186—208.
O. Hering, Vergleich. Darstellung u. Beurtheil. der Religionsphil. Hegels u. Schleier-
machers, Jena 1882. E. Caird, Hegel, Lond. 1883. Reinhold Geijer, Hegelianism
och Positivism (ur Lunds Universitets Ärsskrift, Tom. 18), Lund 1883. Ant. Bullinger,
H.s L. vom Widerspruch Missverständnissen gegenüber vertheidigt, Dillingen 1884.
Walter B. Wines, H.s idea of the nature and sanetion of law, in: The Journ. of spec.
ph., XVIII, 1884, S. 9 — 20. John Steinfort Kedney, Hegels Aesthetics, a critic. ex-
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§ 32. Hegel.
347
Position, Chicago 1884 (in Qfiggt'f philo«, classic«. G. Levi (Gifllc). la dottrina
dello Stato e lt> altre dottrine intorno allo stesso argomentn, I — III, Koma 1884.
S.Alexander, H.s coneeption of nature, in: Mind U, 188G, S. 494— 523. Joh. Werner,
H.8 Offenhaningsbenr., Lpz. 1887.
Georg Wilh. Friedr. Hegel, geb. zu Stuttgart am 27. August 1770, warder
Sohn eines herzoglichen Verwaltungsbeamten (Rentkammersecretairs. später Expe-
ditionsraths). Er studirte auf der Landesuniversität zu Tübingen als Mitglied des
Stifts, indem er von 1788- 90 den philosophischen, 1790—93 den theologischen
Curaus absolvirte. Zur Erlangung der philosophischen Magisterwürde schrieb er
Specimina „über das Urtheil des gemeinen Menschenverstandes über Objcctivität
und Subjectivität", und .über das Studium der Geschichte der Philosophie und
vertheidigte eine von dem Professor der Philosophie und Eloquenz A. F. Boele ver-
fasste Dissertation .de limite officiorum humanorum seposita animoram immörtalitate",
deren Thema Hegel auch später noch (wie aus einem 1795 von ihm verfassten
Manuscript hervorgeht) viel zu denken gab; zur Erlangung der Candidatenwürde
vertheidigte er die von dem Kanzler le Bret verfasste Dissertation «de ecclesiae
Wirtembergicae renascentis calamitatibus". (Ueber H.s theologische. Entwicklung
in dieser und der nachfolgenden Zeit handelt Zeller im IV. Bande der thcol. Jahr-
bücher, Tübingen 1845, S. 205 ff.) Der streng bibelgläubige Supranaturalist Storr
trug die Dogmatik vor; neben ihm wirkten der mit ihm gleichgesinnte Flatt und
die mehr rationalisirenden Professoren der Exegese und Kirchengeschichte Schnurrer
und Rösler. Die Leetüre von Schriften Kants, Jacobis und anderer Philosophen,
auch Herders, Leasings, Schillers, die Freundschaft mit dem für hellenisches Alter-
tbum begeisterten Hölderlin, die Theilnahme, mit welcher er gleich Schelling und
anderen Commilitonen die Ereignisse in Frankreich begleitete, scheinen ihn mehr
als die vorgeschriebenen Studien in Anspruch genommen zu haben, was aus dem
Abgangszeugnis», das nur seine Anlagen, nicht seine Kenntnisse (auch nicht die
philosophischen) lobt, sich schliessen lässt. Eifrig setzte er seine theologischen und
philosophischen Studien während seiner Hauslehrerstellung in Bern fort; zugleich
stand er hier in einem lebhaften Briefwechsel mit Schelling, der noch im tübinger
Stift studirte. Von besonderer Wichtigkeit für das Verständniss seines Entwickc-
lungsganges ist das im Frühjahr 1795 von ihm geschriebene .Leben Jesu", das
handschriftlich erhalten ist und woraus Rosenkranz und Hayra Proben mitgetheilt
haben. Die lessingsche Unterscheidung der persönlichen Religionsanschanung Jesu
von dem Dogma der christlichen Kirche liegt Hegels Schrift zu Grunde. Dass
nicht sowohl rein historische Motive, als vielmehr das Bedürfniss, seinen eigenen
damaligen Standpunkt bei Jesu wiederzufinden, ihm diese Unterscheidung werth
gemacht haben, geht aus den aus jenen Gedanken gebauten Ausführungen hervor.
Das Judenthum repräsentirf den Moral ismus des kategorischen Imperativs der kanti-
schen Philosophie, den Jesus durch die Liebe überwindet, welche die „Synthese*
ist. „in der das Gesetz seine Allgemeinheit und ebenso das Subject seine Besonder-
heit, beide ihre Entgegensetzung verlieren, während in der kantischen Tugend diese
Entgegensetzung bleibt«. Doch weist Hegel andererseits auch das in der blossen
Liebe liegende pathologische Element und dessen Gefahren nach. In der Gebunden-
heit an eine bestimmte geistige Richtung liegt das Schicksal ; Jesus trat nicht zu
einzelnen Seiten des jüdischen Schicksals, sondern durch sein Princip der Liebe zu
diesem selbst in Gegensatz. Die Aussprüche über die Einheit der göttlichen und
menschlichen Natur in Christo führt Hegel auf den Gedanken zurück, dass nur die
Reflexion, die das Leben trenne, es in Unendliches und Endliches unterscheide;
ausserhalb der Reflexion, in der Wahrheit, finde diese Scheidung nicht statt Sehr
hart redet Hegel gegen diese Scheidung, welche fälschlich die Gottheit objectivire :
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§ 32. Hegel.
dieselbe gehe mit der Verdorbenheit and Sclaverei der Menschen in gleichem
Schritt nnd sei nur deren Offenbarung. Den Sieg des dogmatisirenden kirchlichen
Christenthums, wie es in den letzten Jahrhunderten des Alterthums herrechte,
erklärt Hegel au9 der Unfreiheit, zu welcher das römische Weltreich die früher
selbständigen Staaten herabgebracht hatte; dem Bärger der alten Staaten war die
Republik als seine „Seele" das Ewige: das unfreie, dem allgemeinen Interesse ent-
fremdete Individuum aber beschränkte seineu Blick auf sich selbst; das Recht des
Bürgers gab ihm nur ein Recht an Sicherheit des EigenthumB, das jetzt seine ganze
Welt ausfüllte; der Tod musste ihm schrecklich sein, der das ganze Gewebe seiner
Zwecke niederriss; so sah sich der Mensch durch Unfreiheit und Klend gezwungen,
sein Absolutes in die Gottheit zu flüchten, Glückseligkeit im Bimmel zu suchen
und zu erwarten; eine Religion musste willkommen sein, die den herrschenden Geist
der Zeiten, die moralische Ohnmacht, die Unehre, mit Füssen getreten zu werden,
unter dem Namen des leidenden Gehorsams zur Ehre und zur höchsten Tugend
stempelte etc. Der Radicalismus dieser jugendlichen Oppositionsgedanken ist in
dem Conservatismus der späteren Religionsphilosophie als ein zurückgedrängtes, aber
uuausgetilgtes Moment miteuthalten, welches durch einen Theil der Schüler (in der
schroffsten Weise durch Bruno Bauer) aufs Neue verselbständigt und weiter durch-
gebildet worden ist.
Nach dreijährigem Aufenthalt in der Schweiz kehrte Hegel nach Deutschland
zurück und trat im Januar 1797 eine Hauslehrerstelle in Frankfurt am Main an.
Hier trieb er in seinen Mussestunden, wie zum Theil schon in Bern, politische
Studien neben den theologischen, die auch nicht vernachlässigt wurden. Im Jahr
1798 verfasste Hegel eine kleine ungedruckt gebliebene Schrift ȟber die neuesten
inneren Verhältnisse Wirtembergs, besonders über die Gebrechen der Magistrats-
verfassung", woran sich später, nach dem 9. Februar 1801, eine gleichfalls Manuscript
gebliebene Schrift über die deutsche Reichsverfassung angeschlossen bat, die dem-
gemäss bereits dem Aufenthalt in Jena angehört, wohin Hegel im Januar 1801
übersiedelte. Ihm hatte sich (wie er am 2. November 1800 an Schölling schrieb)
das Ideal des Jünglingsalters zur Reflexiousform umgesetzt und in ein System
verwandelt; Hegel hatte die Logik und Metaphysik und theilweise auch die Natur-
philosophie handschriftlich ausgearbeitet, woran sich als dritter Theil die Ethik
schliessen sollte. In Jena hatte Hegel zuerst eine Schrift veröffentlicht: „Differenz
des fichteschen und schcllingschen Systems der Philosophie", Jena 1801. Das
fichtesche System ist subjectiver Idealismus, das schellingsche subjectiv-objectiver
und daher absoluter Idealismus. Es beruht auf dem Grundgedanken der absoluten
Identität des Subjectiven und Objectiven; in der Naturphilosophie und der Trans-
Bcendentalphilosophie wird das Absolute in den beiden nothwendigcn Formen seiner
Existenz construirt. Zu dem schellingschen Standpunkt bekennt Hegel sich selbst.
Nachdem Hegel sich durch die Dissertation „de orbitis planetarum* habilitirt hatte,
wirkte er in Gemeinschaft mit Schelling für die Verbreitung des Identitätssysteras
als akademischer Lehrer und (1802 Mb 1803) als Mitherausgeber des (schon oben
bei der Darstellung der schellingschen Philosophie erwähnten) „kritischen Journals
der Philosophie", zu welchem er die meisten Beiträge geliefert hat Daneben
arbeitete Hegel den dritten Theil seines Systems, das „System der Sittlichkeit",
handschriftlich, zunächst zum Behufe seiner Vorlesungen aus; dieser Theil hat sich
später zur „Philosophie des Geistes" erweitert. Allmählich gewann in Hegel das
Bewusstsein seiner Differenz von Schelling Macht, zumal seit dieser (im Sommer
1803) Jena verlasseu hatte, und der unmittelbare persönliche Verkehr wegfiel. Er
bezeichnet diese Differenz scharf und schneidend in dem im Jahre 1806 vollendeten
vielumfassenden Werke „Phänomenologie des Geistes". Seitdem betrachtete
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§ 32. Hegel.
349
ihn Schelling ala seinen Widersacher, während er vorher auf das Innigste mit ihm
befreundet gewesen war. Bald nachher verlies» Hegel in Folge der Kriegs-
ereignisse Jena, gab die ihm dort im Februar 1805 ertheilte ausserordentliche
Professur auf und redigirte eine Zeit lang die Bamberger Zeitung, bis er im
November 1808 das Directorat des Aegidiengymnasiums zu Nürnberg erhielt. Kr
bekleidete dasselbe bis zum Jahre 1816. In dieser Stellung schrieb er zum Behuf
des Gymnasialvortrags seine philosophische Propädeutik und verfasste das ausführ-
liche, die früher von ihm selbst noch unterschiedenen Doctrinen: Logik und
Metaphysik zur Einheit zusammenfassende Werk : .Wissenschaft der Logik*.
Nürnberg 1812—16. Im Herbst 1816 trat Hegel eine Professur der Philosophie in
Heidelberg an, nachdem Fries von dort nach Jena zurückgekehrt war Während
des Aufenthalts in Heidelberg würde von Hegel neben einer „ßeurtheilg. der Ver-
handlungen der Wirtembergischen Landstände in den J. 1815 und 1816* in den
Heidelb. Jahrbüchern 1817 (einer Verteidigung der von der Regierung erstrebten
Reformen) die „Encyclop. der philosoph. Wissenschaften im Grundrisse*,
Heidelb. 1817, veröffentlicht (2. sehr erweit. Aufl. 1827, 3. Aufl. 1830). Am 22. October
1818 eröffnete Hegel seine Vorlesungen in Berlin, die über alle Theile des philo-
sophischen Systems sich erstreckten und zur Begründung der Schule am einfluss-
reichsten gewirkt haben. Während der berliner Periode hat Hegel nur noch die
Rechtsphilosophie herausgegeben: „Grundlinien der Philos. des Rechts oder Natur-
recht und Staatswissensch, im Grundrisse*, Berl 1821, und an dem neubegründeten
litterarischen Organ des Hegelianismus, den „Jahrbüchern für wissenschaftl. Kritik*
mitgearbeitet. Durch die dankenswerthe Redaction der Schüler sind die Vorlesungen
über die Philosophie der Geschichte, der Kunst und Religion, wie auch über die
Geschichte der Philosophie, mehr oder minder buchmäseig verarbeitet und so ver-
öffentlicht worden, nachdem Hegel selbst am 14. November 1831 der Cholera er-
legen war.
Die Philosophie Hegels ist eine kritische Umgestaltung und Fort-
bildung des schellingschen Identitätssystems. Hegel billigt an der
schellingschen Philosophie, dass es derselben um einen Inhalt zu thun sei, um die
wahre absolute Erkenntniss, und dass das Wahre ihr das Concrete sei, die Einheit
des Subjectiven und Objectiven, im Gegensatz zu der kantischen Lehre von der
Unerkennbarkeit der Dinge an sich und zu Fichtes subjectivem Idealismus. Hegel
findet aber bei Schelling den zweifachen Maugel: 1. dass das Princip des Systems,
die absolute Identität, nicht als ein Nothwcndiges erwiesen, sondern nur voraus-
gesetzt werde (das Absolute sei wie aus der Pistole geschossen), 2. dass der Fort-
gang vom Princip des Systems zu den einzelnen Sätzen nicht mit wissenschaftlicher
Nothwendigkeit begründet sei, und darum statt der Aufzeigung der Selbstentfaltung
des Absoluten nur ein willkürliches und phantastisches Operiren mit den beiden
Begriffen dos Idealen und Realen eintrete (wie wenn ein Maler für Thiere und
Landschaften nur die beiden Farben roth und grün zu verwenden hätte) ; es komme
aber darauf an, dass das Absolute nicht bloss als die allem Individuellen zu Grunde
liegende Substanz, sondern auch als das sich selbst setzende, aus dem Anders-
werden sich wiederum zur Gleichheit mit sich selbst herstellende Subject aufgefasst
werde. Hegel will demnach seinerseits 1. das Bewusstsein auf den Standpunkt der
absoluten ErkenntnisB erheben, 2. den gesammten Inhalt dieser Erkenutniss vermittelst
der dialektischen Methode systematisch entwickeln. Das Erste geschieht in der
Phänomenologie des Geistes und (kürzer, indem bloss die letzten Stufen der philo-
sophischen Erkenntniss betrachtet werden) in der Einleitung der Encyclopädie,
das andere in dem gesammten System der Logik, Natur- und Geistesphilosophie.
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350
§ 32. HegeL
Iu der Phänomenologie des Geistes stellt Hegel die Entwickelungsformeu
des menschlichen Bewusstseins dar von der unmittelbaren Gewissheit durch die ver-
schiedeneu Formen der Reflexion und Selbsteutfremdung hindurch bis zur absoluten
Erkenntnis». In der phänomenologischen Darstelluug verflicht Hegel mit einander
die Bildungsgeschichte des individuellen und des allgemeinen Geistes. Die Haupt-
stufen sind: Bewusstsein, Selbstbewußtsein, Vernunft, sittlicher Geist, Religion,
absolutes Wissen. Der Gegenstand des absoluten Wissens ist die eigene Bewegung
des Geistes. Das absolute, begreifende Wissen setzt das Dasein aller frühereu
Gestalten voraus; daher ist es die begriffene Geschichte; in ihr sind alle früheren
Gestalten bewahrt: „aus dem Kelche dieses Geisterreiches schäumt ihm die Unend-
lichkeit" (sagt Hegel, auf Schillers „Theosophie des Julius" anspielend, am Schluss
der Phänomenologie).
In der Einleitung zur Eneyclopädie begründet Hegel den Standpunkt
des absoluten Wissens durch eine Kritik der Stellungen des philosophischen Ge-
dankens zur Objectivität, welche in der Geschichte der neueren Philosophie hervor-
getreten sind, insbesondere des Dogmatismus und Empirismus, des Kriticismus und
des unmittelbaren Wissens. Das absolute Wissen erkennt Denken und Sein al3
identisch oder (wie Hegel in der Vorrede zur Rechtsphilosophie sich ausdrückt)
das Vernünftige als wirklich und das Wirkliche als vernünftig.
Das System der Philosophie gliedert sich in drei Haupttheile: die Logik,
welche die Wissenschaft der Idee an und für sich ist, die Naturphilosophie als die
Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein, die Philosophie des Geistes als die
Wissenschaft der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt. Die Methode
ist die dialektische, welche das Umschlagen jedes Begriffs iu sein Gegeutheil
und die Vermittelung des Gegensatzes zu der höheren Einheit betrachtet; in ihr ist
sowohl der bloss unterscheidende Verstand, wie auch die bloss die Unterschiede
aufhebende negative Vernunft oder Skepsis als Moment enthalten. Der Begriff ist
stets in Bewegung, bleibt nicht das, was er ist, sondern vermöge des in ihm ent-
haltenen Widerspruchs hebt er sich selbst auf, aber aus diesem Widerspruch kehrt
er wiederum zu sich selbst zurück. Er ist ebenso sein Gegeutheil als er selbst.
Diese ewige Bewegung ist ein Moment der heraklitischen Philosophie, die Hegel
sehr hoch schätzte, wie er selbst anerkennt, dass es keinen Satz des Heraklit gäbe,
den er nicht in seine Logik aufgenommen hätte. Das vernünftige Erkennen im
Gegensatze zu dem verständigen besteht in dem „Waltenlassen der Sache selbst
oder der allgemeinen Vernunft in uns, die mit dem Wesen der Dinge identisch ist."
Die Logik ist die Wissenschaft der reinen Idee, das ist, der Idee im abstracten
Elemente des Denkens, die Wissenschaft von Gott oder dem Logos, sofern derselbe
nur als das Prius der Natur und des Geistes (gleichsam wie er vor der Welt-
schöpfung ist) betrachtet wird. Sie zerfällt in drei Theile, nämlich in die Lehre
vom Sein als dem Gedanken in seiner Unmittelbarkeit, dem Begriff an sich, die Lehre
vom Wesen als dem Gedanken in seiner Reflexion und Vermitteluug, dem Fürsichsein
und Schein des Begriffs, die Lehre von dem Begriff und der Idee als dem Gedanken
in seinem Zurückgekehrtsein in sich selbst und seinem entwickelten ßeisichsein,
dem Begriff an und für sich.*) Iu dem grösseren Werke über die Logik hat Hegel
*) Hegel rechnet wohl mit Unrecht diese letzte Lehre noch der Grundwissen-
Schuft oder „Logik" als dritten Theil zu, da sie vielmehr, wie schon aus der
Definition hervorgeht, der Wissenschaft des Geistes angehört; einiges von dem aber,
was Hegel hineinzieht, würde in der Naturphilosophie seine angemessene Stelle
linden. Die Tendenz der Bearbeitung geht freilich dahin, alle diese Formen als
§ 32. Hegel.
351
diesen letzten Theil als subjective Logik, diu beiden ersten zusammen als objective
Logik bezeichnet.
Den Ausgangspunkt der dialektischen Entwickelung in der Logik (und damit
also zugleich in dem gesammten philosophischen System) bildet das reine Sein
als der abstracteste und absolut inhaltsleere, daher mit dem Nichts identische Be-
griff. Zu dem Nichts steht das Sein in dem Doppelverhältuiss der Identität und
des, obschon unsagbaren, unangebbaren Unterschieds.*) Die Identität im Unter-
schied von Sein und Nichts ergiebt einen neuen, höheren Begriff, welcher die höhere
Einheit jener beiden Begriffe ist, nämlich den des Werdens. Die Arten des Werdens
sind das Entstehen und das Vergehen; das Resultat des Werdens ist das Dasein;
das mit der Negation identische Sein oder das Sein mit einer Bestimmtheit, die
uls unmittelbare oder seiende Bestimmtheit ist, oder einer Qualität. Das Dasein
als in dieser seiner Bestimmtheit in sich reflectirt, ist Daseiendes, Etwas. Die
Grundlage aller Bestimmtheit ist die Negation (wobei sich Hegel auf Spinozas
Satz beruft: omnis determiuatio est negatio). Als seiende Bestimmtheit gegenüber
der in ihr enthaltenen, aber von ihr unterschiedenen Negation ist die Qualität
Realität; die Negation aber ist nicht mehr das abstracto Nichts, sondern das Anders-
sein. Das Sein der Qualität als solches, gegenüber der Beziehung auf Anderes, ist
das Ansichsein. Das Etwas wird ein Anderes, da das Anderssein sein eigenes
Moment ist, das Andere als ein neues Etwas wird wieder ein Anderes; dieser Pro-
gress ins Unendliche aber bleibt bei dem Widerspruch stehen, dass das Endliche
sowohl Etwas ist, wie sein Anderes. Die Auflösung dieses Widerspruchs liegt in
dem Gedanken, dass das Etwas in seinem Uebergehen in Anderes nur mit sich
selbst zusammengeht oder das Andere des Anderen wird; diese Beziehung im Ueber-
gehen und im Anderen auf sich selbst ist die wahrhafte Unendlichkeit, die Her-
stellung des Seins als Negation der Negatiou, oder das Fürsichsein. Im Fürsichsein
ist die Bestimmung der Idealität eingetreten. Die Wahrheit des Endlichen ist
seine Idealität. Diese Idealität des Endlichen ist der Hauptsatz der Philosophie,
uud jede wahrhafte Philosophie ist deswegen Idealismus. Die Idealität als die
wahrhafte Unendlichkeit ist die Lösung des Gegensatzes zwischen dem Endlichen
und dem Verstandes-Unendlichen, welches, neben das Endliche gestellt, selbst nur
eineB der beiden Endlichen ist. Die Momente des Fürsichseins sind : das Eins, die
Vielen und die Beziehung (als Attractiou und Repulsion). Die Qualität schlägt
wegen der Uuterschiedslosigkeit der vielen Eins in ihr Gegentheil, die Quantität,
um. In der Kategorie der Quantität wiederholt sich das Verhältniss des Seins,
Daseins und Fürsichseins als reine Quantität, Quantum und intensive Grösse oder
metaphysische, sowohl der Natur, als dem Geist immanente zu behandeln; da aber
die speciellere Bedeutung, die dem gewöhnlichen Sprachgebrauch gemäss ist, überall
mit nineinspielt, so ist die hegclsche Ausführung dieser Partien durchweg getrübt
durch das Schwanken zwischen dem Charakter einer Doctrin von Formen, die nur
dem denkenden Geiste als solchem oder andererseits der Natur als solcher zu-
kommen, und dem Charakter einer Doctrin von Formen aller natürlichen und gei-
stigen Wirklichkeit.
*) In der That aber lässt sich der Unterschied dahin angeben, dass der Begriff
des Seins durch Abstractiou von allem Unterschied in dem durch gültige Begriffe
Geduchten unter Festhaltung des darin Identischen gewonnen wird, der Begriff des
Nichts aber dadurch, dass in der Abstractiou noch um einen Schritt weiter ge-
gangen und auch noch von diesem Identischen selbst mit abstrahirt wird. In gleicher
Art lässt sich auf allen folgenden Stufen durch scharfe und streng festzuhaltende
Unterscheidungen die hegelsche Dialektik auflösen und die immanente Fortbewegung
des reinen Gedankens als illusorisch erkennen. Hierfür mag jedoch an dieser Stelle
die Verweisung auf Trendelenburg uud Andere genügen. Vgl. auch Ueberwegs
Syst. der Logik § 31.
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352
§32. Hegel.
Grad. Das sieb gelbst in seiner fürsichseienden Bestimmtheit Aeasserlichsein des
Quantums macht seine Qualität aus. Das Quantitative, an ihm selbst so gesetzt,
ist das quantitative Verhältnis». Indem das Quantitative selbst Beziehung auf sich
in seiner Aeusserlichkeit ist oder das Fürsichsein und die Gleichgültigkeit der
Bestimmtheit vereinigt sind, ist es das Maass. Das Maas* ist das qualitative
Quantum, die Einheit der Qualität und der Quantität. In dieser Einheit ist die
Unmittelbarkeit des Seins aufgehoben und dadurch das Wesen gesetzt.
Das Wesen ist das aufgehobene Sein oder das durch die Negation mit sich
vermittelte, in sich reflectirte Sein. Dem Wesen gehören an die reinen Reflexions-
bestimmungen, insbesondere die Identität, der Unterschied und der Grund. Die
logischen Grundsätze der Ideutität und des Unterschieds sind als einseitige Ab-
stractionen, welche blosse Momente der Wahrheit verselbständigen, mit Unwahrheit
behuftet; die speculative Wahrheit ist die Identität der Ideutität und des Unter-
schieds, welche im Begriffe des Grundes liegt. Das Wesen ist der Grund der
Existenz: die Existenz ist die Wiederherstellung der Unmittelbarkeit oder dea
Seins, insofern es durch das Aufheben der Vermittelung vermittelt ist Die Totalität
als die in Einem gesetzte Entwicklung der Bestimmungen des Grundes und der
Existenz ist das Ding. Unter dem »Ding uu sich" versteht Hegel die Abstraction
der blossen Reflexion des Dinge* an sich, uu der gegen die Reflexion in Anderes,
vermöge deren es Eigenschaften habe, als an der leeren Grundlage derselben fest-
gehalten werde.*) Die Existenz des Dinges involvirt den Widerspruch zwischen
*) Hier wird von Hegel dem kantischen Terminus ein veränderter Sinn unter-
gelegt, jedoch mit dem Anspruch, den kantischen Sinn zu treffen. Kant hat nicht
das Ding ohne die Eigenschaften und nicht ohne alle Beziehungen überhaupt,
sondern nur das Ding, wie es, abgesehen von einer bestimmten Beziehung, nämlich
von seiner Spiegelung in unserem Bewusstsein (und zwar dem nächsten, vorkritischen,
durch Wahrnehmung und dogmatisches Denken bestimmten Bewusstsein) ist, unter
jenem Terminus verstanden (vgl. in Ueberwegs Syst. d. Logik § 40 die Bemerkungen
über die Verschiedenheit der Gegensätze: Ansich und Erscheinung; Wesen und
Wesenäusserung). Das .Ding an sich* im kniitischen Sinne dieses Ausdrucks kann
allerdings nur dem denkenden EinzelBubject gegenüber bestehet) ; wiewohl es diesem
nicht nothwendig als etwas ganz Fremdartiges, schlechthin Unerkennbares gegen-
übersteht, sondern eben nur als etwas zunächst bloss ausserhalb seines Bewusstseins
Vorhandenes; nur von dem einzelnen Erkeuutnissact ist es unabhängig, bedingt aber
fenetisch die Erkenntniss, wie es seinerseits für teleologisch durch den der Er-
enntniss fähigen Geist als dessen Vorstufe bedingt gelten darf (s. o. S. 321). Giebt
es dem „Absoluten" gegenüber kein .Ding ansich", so doch dem wahrnehmenden
und denkenden Einzelsubject gegenüber. Hegel will auch für dieses die Dinge an
sich aufheben, weil eben in den Individuen der absolute Geist seine Wirklichkeit
habe, unsere Vernunft Gottes Vernunft in uns sei, die nur uls identisch gedacht
werden könne mit der Vernunft in allen Dingen. Aber selbst wenn dies gelten
könnte von dem letzten Erkenntnissziel, so gilt es doch jedenfalls nicht von dem
für uns notwendigen Wege successiver Annäherung an dasselbe. Kants Lehre
verewigt die anfangliche Fremdheit, in der die Aussendinge meinem individuellen
Bewusstsein gegenüberstehen; Hegels Lehre antieipirt das letzte Erkenntnissziel
für einen Jeden, der Bich entscbliesst, nach dem trichotomischen Rhythmus der
Dialektik zu denken; sie kennt keine Probleme mehr. Die Phänomenologie hilft
keineswegs diesem Mangel ab; denn obschon sie von der Wahrnehmung ausgeht,
erörtert sie nicht im wissenschaftlichen Sinne das Verhältnis» derselben zu der
objectiven Wirklichkeit, nicht das Verhältnis» der Vibrationen der Luft und des
Aethers zu den Ton- und Farbcnempfindnngen; durch Anerkennung der goetheschen
Doctrin hat sich Hegel sogar die Möglichkeit dieser Untersuchung abgeschnitten.
Hegel raubt sich die Möglichkeit der erkenntnisstheoretischen Untersuchungen
durch eine falsche Objectivirung subjectiver Formen, während doch in der That
selbst wenn das menschliche Erkenntuissziel als erreicht gedacht wird, zwischen
dem ^System* (der Totalität) der (materiellen uud geistigen) Erkenntuissobjecte und
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§32. Hegel.
353
dem Insichbestehen und der Reflexion in Anderes oder der Materie und der Form;
in diesem Widerspruch ist die Existenz Erscheinung. Das Wesen muss erscheinen.
Das unmittelbare, dem Wosen gegenüberstehende Sein ist der Schein; das ent-
wickelte Scheinen ist die Erscheinung. Das Wesen ist daher nicht hinter oder
jenseits der Erscheinung, sondern dadurch, dass das Wesen es ist, welches existirt,
ist die Existenz Erscheinung. Die Erscheinung ist die Wahrheit des Seins und
eine reichere Bestimmung, als dieses, insofern dieselbe die Momente der Reflexion
in sich und in Anderes in sich vereinigt enthält, wohingegen das Sein oder die
Unmittelbarkeit noch das einseitig Beziehungslose ist. Der Mangel der Erscheinung
aber besteht darin, dass sie noch dieses in sich Gebrochene, seinen Halt nicht in
sich selbst Habende ist, welcher Mangel in der nächsthöheren Kategorie, der Wirk-
lichkeit, aufgehoben wird. Kant, sagt Hegel, habe das Verdienst, dasjenige, was
dem gemeinen Bewusstsein als ein Seiendes und Selbständiges gelte, als blosse
Erscheinung aufgefasst zu haben; er habe aber fälschlich die Erscheinung im bloss
subjectiven Sinne genommen und ausser derselben „das abstracte Wesen"*) als
Ding an sich fixirt; Fichte habe in seinem subjectiven Idealismus irrigerweise den
Menschen in einen undurchdringlichen Kreis bloss subjectiver Vorstellungen gebannt;
es sei vielmehr die eigene Natur der unmittelbar gegenständlichen Welt selbst, nur
Erscheinung und nicht feste und selbständige Existenz zu sein. Die unmittelbar
gewordene Einheit des Wesens und der Existenz oder des Innern und des Aeussern
ist die Wirklichkeit; ihr gehört das Verhältniss der Substantialität, das der Causalität
und das der Wechselwirkung an. Die Wechselwirkung ist unendliche negative Be-
ziehung auf sich. Diese bei sich bleibende Wechselbewegung aber oder das zum
Sein als einfacher Unmittelbarkeit zurückgegangene Wesen ist der Begriff".
Der Begriff ist die Einheit des Seins und des Wesens, die Wahrheit der
Substanz, das Freie als die für sich [seiende substantielle Macht Der snbjective
Begriff entwickelt sich als der Betriff als solcher, der die Momente der Allgemein-
heit, Besonderheit und Einzelheit in sich fasst, als das Urtheil, welches die gesetzte
Besonderheit des Begriffs, die Diremtion des Begriffs in seine Momente, die Be-
ziehung des Einzelnen auf das Allgemeine ist, endlich als der Schluss, der die
Einheit des Begriffs und des Urtheils ist. Begriff als die einfache Identität, in
welche die Formunterschiede des Urtheils zurückgegangen sind, und Urtheil, in-
sofern er zugleich in Realität, nämlich in dem Unterschiede seiner Bestimmungen
gesetzt ist. Der Schluss ist das Vernünftige und alles Vernünftige, der Kreislauf
der Vermittlung der Begriffsmomente des Wirklichen. Die Realisirung des Begriffs
im Schlüsse als die in sich zurückgegangene Totalität ist das Object. Der objective
Begriff durchläuft die Momente: Mechanismus, Chemismus und Teleologie (welche
hier nicht in speciell naturwissenschaftlichem, sondern in allgemein metaphysischem
Sinne verstanden werden müssen). Li der Realisirung des Zwecks setzt sich der
Begriff als das an sich seiende Wesen des Objects. Die Einheit des Begriffs und
seiner Realität, die an sich seiende Einheit des Subjectiven und Objectiven als für
sich seiend gesetzt ist die Idee. Die Momente der Idee sind das Leben, das
dem System der Wissenschaft immer nur eine genaue Uebereinstimmung und
nicht eine Identität im vollen Sinne dieses Wortes bestehen würde; nur die
Fremdheit der Dinge an sich würde völlig aufgehoben sein, aber nicht die Ver-
schiedenheit derselben von unserer (individuell-subjectiven) Erkenutniss. Die
Erkenntnisslehre, welche bei Kant ah? „Vernunftkritik* ein hinsichtlich der
„trausscendentalen Objecte* schlechthin negatives Resultat ergiebt, wird von Hegel
aber durch das Axiom der Identität von Denken und Sein aufgehoben. Zwischen
diesen beiden Extremen ist die richtige Mitte zu finden.
*) Was freilich nach dem Obigen Kants Meinung nicht war.
l'eber weg-HeiDze, Qfttdri« III. 7. Aufl. 23
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3f>4
§ 32. Hegel.
Erkennen und die absolute Idee. Die absolute Idee ist die reine Form des
Begriffs, die ihren Inhalt mIs sich selbst anschaut, die sich wissende Wahrheit, die
absolute und alle Wahrheit, die sich selbst denkende Idee als denkende oder
logische Idee. Die absolute Freiheit der Idee ist, dasB sie nicht bloss ins Leben
übergeht, noch als endliches Erkennen dasselbe in Bich scheinen läest, sondern in
der absoluten Wahrheit ihrer selbst sich entschliesst, das Moment ihrer Besonderheit
oder des ersten Bestimmens und Andersseins, die unmittelbare Idee als ihren Wider-
schein, als Natur, frei aus sich zu entlassen. Die Idee als Sein oder die seiende
Idee ist die Natur.
Die Natur ist die Idee in der Form des Andersseins oder der Entäusserung.
Sie ist der Reflex des Geistes, das Absolute in seinem unmittelbaren Dasein. Die
Idee durchläuft von ihrem abstracten Aussersichsein in Raum und Zeit bis zum
Insichsein der Individualität im animalischen Organismus eine Reihe von Stufen,
deren Folge auf der fortschreitenden Realiairung der Tendenz zum Färsichsein oder
zur Subjectivität beruht. Doch hat in der Sphäre der Natur auch die Zufälligkeit
und Bestimmbarkeit von aussen ihr Recht; die Ausführung des Besondem ist
äusserer Bestimmbarkeit ausgesetzt, und hierin liegt eine Ohnmacht der Natur, die
der Philosophie Grenzen setzt; das Particularete lässt sich nicht begrifflich er-
schöpfen. Die Hanptmomente der Natur sind: der mechanische, physikalische
und organische Process. Die Idee ist in der Schwere zu einem Leibe entlassen,
dessen Glieder die freien Himmelskörper sind; dann bildet sich die Aeusserlichkeit
zu Eigenschaften und Qualitäten herein, die, einer individuellen Einheit angehörend,
im chemischen Process eine immanente und physikalische Bewegung haben ; in der
Lebendigkeit endlich ist die Schwere zu Gliedern entlassen, in denen die subjective
Einheit bleibt. Hegel erkennt diese Folge nicht als eine zeitliche an, denn nur
der Geist habe Geschichte, in der Natur seien alle Gestalten gleichzeitig; das
Höhere in der dialektischen Entwickelung Spätere, aber ideelle Prius des Niederen,
sei nur im geistigen Leben auch zeitlich später. Die Natur, sagt Hegel, ist als
ein SyBtem von Stufen zu betrachten, deren eine aus der andern nothwendig hervor-
geht und die nächste Wahrheit derjenigen ist, aus welcher sie resultirt, aber nicht
so, dass die eine ans der andern natürlich erzeugt würde, sondern in der inneren,
den Grund der Natur ausmachenden Idee. Das sogenannte (hypothetisch von Kant
und zuversichtlicher von manchen Naturphilosophen angenommene) Hervorgehen der
Pflanzen und Thiere aus dem Wasser und der entwickelteren Thierorganisationen
aus den niedrigeren erklärt Hegel für eine uebnlose Vorstellung, deren sich die
denkende Betrachtung entschlagen müsse.
Der Tod der nur unmittelbaren einzelnen Lebendigkeit ist der Hervorgang des
Geistes. Der Geist ist das Beisichsein der Idee oder die Idee, die aus ihrem
Anderssein in sich zurückkehrt. Seine Entwickelung ist der stufenweise Fortschritt
von der Naturbestimmtbeit zur Freiheit. Seine Momente Bind : der subjective, der
objective und der absolute Geist.
Den snbjectiven Geist in seinem unmittelbaren Verflochtensein mit der
Naturbestimratheit oder die Seele in ihrer Beziehung zum Leibe betrachtet die
Anthropologie. Die Phänomenologie als der zweite Theil der Lehre vom
subjectiven Geiste betrachtet den erscheinenden Geist auf der Stufe der Reflexion
als sinnliches Bewusstsein, Wahrnehmung, Verstand, Selbstbewusstsein und Vernunft.
Die Psychologie betrachtet den Geist, sofern er theoretisch als Intelligenz,
praktisch als Wille, frei als Sittlichkeit ist. Die Intelligenz findet sich bestimmt,
setzt aber das Gefundene als ihr Eigenes, indem sie das All als den sich verwirk-
lichenden vernünftigen Zweck erkennt. Zu dieser Einsicht gelangt der Geist auf
dem Wege des Handelns, in welchem der Wille das Bestimmende des Inhalts ist.
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§32. Hegel.
355
Die Einheit des Wolleus and Denkens ist die Energie der sich selbst bestimmenden
Freiheit Das Wesen der Sittlichkeit ist, dass der Wille allgemeinen Vernonftinhalt
zu seinen Zwecken habe.
Die Lehre vom objectiven Geist geht auf die Objectivirungen des freien
Willens. Das Prodnct des freien Willens als eine objective Wirklichkeit ist da»
Recht. Das Recht ist nicht Beschränkung, sondern Verwirklichung der Freiheit
und tritt nur der Willkür entgegen. Das Recht als solches oder das formelle und
abstracto Recht, worin der freie Wille unmittelbar ist, ist Eigenthums-, Vertrags-
und Strafrecht; das Eigenthum ist das Dasein, welches die Person ihrer Freiheit
giebt, der Vertrag ist der ZuBammenfluss zweier Willen zu einem gemeinsamen
Willen, das Strafrecht ist das Recht wider das Unrecht, die Strafe die Wieder-
herstellung des Rechts als Negation seiner Negation. Die Strafe ist wesentlich
Wiedervergeltung, sie ist die an dem Verbrecher sich vollziehende Consequenz seines
Thuns, und sie ist das Recht des Verbrechers selbst, der durch ihre Ausübung
als vernünftiges Wesen geehrt wird. An das formelle Recht schliesst sich als
zweite Stufe die Moralität als der in sich reflectirte Wille, der Wille in seiner
Selbstbestimmung als Gewissen, indem es hier nur auf die subjective Verbindlichkeit
ankommt, als dritte und höchste Stufe aber die Sittlichkeit, in welcher das Sub-
ject sich mit der sittlichen Substanz: der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft
und dem Staate, eins weiss. Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee,
die selbstbewusste sittliche Substanz, als der zu einer organischen Wirklichkeit ent-
wickelte sittliche Geist, der Geist, der in der Welt steht, der göttliche Wille als
gegenwärtiger, Bich zur wirklichen Gestalt und Organisation einer Welt entfaltender
Geist. In der constitutionellen Monarchie, der Staatsform der neuen Welt, sind die
Formen, die in der alten Welt verschiedenen Ganzen angehörten: nämlich Autokratie,
Aristokratie, Demokratie, zu Momenten herabgesetzt: der Monarch ist Einer, in
seiner Person ist die Persönlichkeit des Staates wirklich, er ist die Spitze der for-
mellen Entscheidung; mit der Regierungsgewalt treten Einige in der gesetzgebenden
Gewalt, sofern die Stände an derselben Antheil haben, die Vielen hinzu. Es bedarf
der Institution von Ständen, damit das Moment der formellen Freiheit Bein Recht
erlange, und so auch der Geschworenengerichte, damit dem Rechte des subjectiven
Selbstbewusstseins ein Genüge geschehe. Das Hauptgewicht aber legt Hegel nicht
auf die subjective Selbstbestimmung des Einzelnen, sondern auf den gebildeten Bau
des Staates, die Architektonik seiner Vernünftigkeit. Seine Rechtsphilosophie ist
das Begreifen der Vcrnunftgemässheit des wirklichen Staats unter scharfer Polemik
gegen eine Reflexion und ein Gefühl, welche auf der subjectiven Meinung des Besser-
wissens beruhen und sich in der Aufstellung von leeren Idealen gefallen. Die Welt-
geschichte, die Hegel wesentlich als Staatengeschichte auffasat, gilt ihm als der
Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Sie ist die Zucht, die von der Unabhängig-
keit des natürlichen Willens durch die substantielle Freiheit zur subjectiven Freiheit
führt. Der Orient wusste und weiss nur, dass Einer frei ist, die griechische und
römische Welt, dass Einige frei seien, die germanische Welt weiss, dass Alle frei
sind. Im Osten beginnt die Weltgeschichte, im Westen aber geht das Licht des
Selbstbewusstseins auf. In den substantiellen Gestaltungen der orientalischen Reiche
sind alle vernünftigen Bestimmungen vorhanden, aber so, dass die Subjecte nur
Accidentien bleiben. Die orientalische Geschichte ist das Kindesalter der Mensch-
heit. Der griechische Geist ist das Jünglingsalter. Hier ergiebt sich zuerst das
Reich der subjectiven Freiheit, aber in die substantielle Freiheit eingebildet. Diese
Vereinigung der Sittlichkeit und des subjectiven Willens ist das Reich der schönen
Freiheit; denn die Idee ist mit einer plastischen Gestalt vereinigt, wie in einem
schönen Kunstwerke das Sinnliche das Gepräge und den Ausdruck des Geistigen
23*
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356
§32. Hegel.
trägt. Ea ist die Zeit der schönsten, aber schnell vorübergehenden Blüthe. In der
natürlichen Einheit des Subjects mit dem allgemeinen Zweck liegt die unbefangene,
substantielle Sittlichkeit, welcher Sokrates die Moralität, die auf Reflexion beruhende
Selbstbestimmung des Subjects, entgegenstellte; die substantielle Sittlichkeit bedurfte
des Kampfes mit der subjectiven Freiheit, um sich zur freien Sittlichkeit zu ge-
stalten. Das römische Reich ist das Mannesalter der Geschichte. Es ist das Reich
der abstracten Allgemeinheit. Die Individuen werden dem allgemeinen Staatszwecke
aufgeopfert; sie erhalten aber zum Ersatz die Allgemeinheit ihrer selbst, d. h. die
Persönlichkeit, vermöge der Ausbildung des Privatrechts. Das gleiche Schicksal
trifft die Völker. Der Schmerz über den Verlust der nationalen Selbständigkeit
treibt den Geist in seine iunersten Tiefen zurück; er verlässt die götterlose Welt
und beginnt das Leben seiner Innerlichkeit Der absolute Wille und der Wilk des
Subjects werden eins. In der germanischen Welt herrscht dan Bewußtsein der Ver-
söhnung. Anfänglich ist der Geist noch abstract in seiner Innerlichkeit befriedigt,
das Weltliche ist der Rohheit und Willkür überlassen; endlich aber formirt sich
das Princip selbst zu concreter Wirklichkeit, in welcher das Subject sich mit der
Substanz des Geistes vereinigt Die Realisiruug des Begriffs der Freiheit ist das
Ziel der Weltgeschichte. Ihre Entwickelung ist die wahrhafte Theodicee.
Der absolute Geist oder die Religion im weiteren Sinne als die Einheit des
subjectiven und objectiven Geistes realisirt sich in der objectiven Form der An-
schauung oder des unmittelbaren sinnlichen Wissens als Kunst, in der subjectiven
Form des Gefühls und der Vorstellung als Religion im engeren Sinne, endlich in
der subjectiv-objectiveu Form des reinen Denkens als Philosophie. Das Schöne
ist das Absolute in sinnlicher Existenz, die Wirklichkeit der Idee in der Form
begrenzter Erscheinung. Auf dem Verhältniss der Idee zu dem Stoffe beruht der
Unterschied der symbolischen, classischen und romantischen Kunst In der sym-
bolischen Kunst, in welcher namentlich die orientalische Darstellung befangen bleibt,
vermag die Form den Stofl nicht völlig zu durchdringen. Im classisch Schönen,
vornehmlich in der griechischen Kunst, ist der geistige Inhalt ganz in das sinnliche
Dasein ergossen. Die classische Kunst löst sich auf: negativ in der Satire, dem
Kunstwerke der in sich zerrissenen römischen Welt, positiv in der romantischen
Kunst der christlichen Zeit Die romantische Kunst beruht auf dem Vorwiegen
des geistigen Elements, auf der Tiefe des GemütliB, auf der Unendlichkeit der Sub-
jektivität. Sie ist das Hinausgehen der Kunst über Bich selbst jedoch in der Form
der Kunst Das System der Künste (Architektur, Sculptur, Musik, Malerei und
Poesie) ist dem der Kunstformen analog. Die Poesie als die höchste der Künste
nimmt die Totalität aller Formen in sich auf.
Die Religion ist die Form, wie die absolute Wahrheit für das vorstellende
Bewusstsein oder für Gefühl, Vorstellung und reflectirenden Verstand und daher für
alle Menschen ist. Die Stufen der Religion in ihrer historischen Entwicklung sind :
1. die Naturreligionen des Orients, welche Gott als Natursubstanz fassen; 2. die
Religionen, in denen Gott als Subject angeschaut wird, insbesondere die jüdische
Religion oder die Religion der Erhabenheit die griechische oder die Religion der
Schönheit die römische oder die Religion der Zweckmässigkeit; 3. die absolute
Religion, welche Gott zugleich in seiner EntäuBseruug zur Endlichkeit und in seiner
Einheit mit der Endlichkeit oder seinem Leben in der versöhnten Gemeinde erkennt
Die göttliche Idee explicirt sich in drei Formen. Diese sind: 1. das ewige in und
bei sich Sein, die Form der Allgemeinheit, Gott in seiner ewigen Idee an und für
sich, oder das Reich des Vaters, 2. die Form der Erscheinung, der Particularisatiou,
das Sein für Anderes in der physischen Natur und dem endlichen Geist, die ewige
Idee Gottes im Elemente deB Bewusstseins und Vorstelleus, oder die Differenz, das
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§ 33. Schleiermacher.
357
Reich des Sohnes, 3. die Form der Rückkehr aus der Erscheinung in sich selbst,
der Process der Versöhnung, die Idee im Element der Gemeinde oder das Reich
des Geistes. Der wahre Sinn der Beweise vom Dasein Gottes ist, daas sie die Er-
hebung des Menschengeistes zu Gott enthalten und dieselbe für den Gedanken aus-
drücken sollen. Der kosmologische und teleologische Beweis gehen vom Sein zum
Begriffe Gottes über, der ontologische vom Begriff zum Sein. — Hegel äussert
sich öfter dahin, daas seine Philosophie denselben Inhalt wie die christliche Religion
habe und sich nur formell von ihr unterscheide.
Die Philosophie ist das Denken der absoluten Wahrheit oder die sich
denkende Idee, die sich wissende Wahrheit, die sich selbst begreifende Vernunft.
Das philosophische Wissen ist der denkend erkannte Begriff der Kunst und Religion.
Die Entwickelung der Philosophie erfolgt im System und in der Geschichte auf
wesentlich gleiche Weise, nämlich durch den Fortschritt vom Abstractesten zu
immer reicherer und concreterer Erkenntniss der Wahrheit. Dio Philosophie der
Eleaten, des Hcraklit und der Atomistiker entspricht dem reinen Sein, dem Werden
und dem Fürsichsein, die Philosophie Piatons den Kategorien des Wesens, die des
Aristoteles dem Begriff, die der Neuplatouiker dem Gedanken als Totalität oder
der concreten Idee, die Philosophie der neueren Zeit der Idee als Geist oder der
sich wissenden Idee. Die cartesianische Philosophie steht auf dem Standpunkt des
Bewusstseins, die kantische und üchtesche auf dem des Selbstbewusstseins, die
neueste (schell ing-hegelsche) auf dem der Vernunft oder der mit der Substanz
identischen Subjectivität, und zwar in der Form der intellectuellen Anschauung bei
Sendling, in der des reinen Denkens oder des absoluten Wissens bei Flegel. Die
Principien aller früheren Systeme sind als aufgehobene Momente erhalten in der
absoluten Philosophie. Eine Entwickelung über diese hinaus zum Höheren giebt
es nicht *)
§ 33. Ein Zeitgenosse von Fichte, Schelling und Hegel, den
ersteren und letzteren überlebend, bildet Friedrich Ernst Daniel
Schleiermacher (1768 — 1834), insbesondere durch Kant, Spinoza und
Piaton angeregt, die kantische Philosophie in einer Weise um, durch
welche er ebensowohl dem in ihr liegenden realistischen wie dem
idealistischen Elemente gerecht zu werden sucht, so dass seine Lehre
Ideal-Realismus genannt werden kann. Unsere Auffassung ist nach
ihm durch die Sinnesthätigkeit bedingt, mittelst welcher das Sein der
Dinge in unser Bewusstsein aufgenommen wird. Das Afficirt werden
der Sinne als Bedingung der Erkenntniss, welches Kant inconsequenter-
*) Was über das Wahre in dem Grundgedanken und das Grosse in der Durch-
führung neben manchem Ueberspannten, Willkürlichen und Schiefen in Bezug auf
Hegels Ansicht von der Geschichte der Philosophie im ersten Theile dieses Grund-
risses unter § 4 gesagt worden ist, lässt sich im wesentlich gleichen Sinne auf das
Ganze des Systems beziehen. In seiner Methode huldigt das System, indem es die
dialektische Construction gegenüber der Empirie zu einer selbständigen Macht erhebt
und das »reine Denken" von seiner empirischen Basis ablöst, einem durch die nach-
trägliche Beziehung auf die Empirie nicht aufgehobenen Dualismus, wie sehr es auch
selbst principiell einen jeden Dualismus verwirft. Die realistische Seite der kan-
tischen Philosophie ist in der hegelschen nicht zu gleichem Rechte mit der idea-
listischen gelangt. Eben darum ist dieselbe in der nachhege] sehen Philosophie um
so stärker und bei Vielen in einseitiger Ueberspannung hervorgetreten.
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358 § 33. Schleiermacher.
weise angenommen, Pichte vergeblich um der Consequenz willen zu
beseitigen versucht hatte, reiht sich bei Schleiermacher in einer con-
sequenten Weise dem Ganzen seiner Doctrin ein, weil ihm Raum,
Zeit und Causalität nicht bloss Formen der im Bewusstsein des Sub-
jects allein vorhandenen Erscheinungswelt, sondern auch der dem
Subject gegenüberstehenden und seine Erkenntniss bedingenden Realität
selbst sind. In dem Denken, welches den Inhalt der äusseren und
inneren Erfahrung verarbeitet, oder in der zu der „organischen
Function" hinzutretenden „intellectuellen Function" findet
Schleiermacher mit Kant die Spontaneität, welche im Menschen mit
der Receptivität der Sinne vereinigt ist, oder das mit dem empirischen
Factor zusammenwirkende apriorische Erkenntnisselement. Durch eben
diese Theorie der Erkenntniss überwindet Schleiermacher die aprio-
ristische Einseitigkeit der hegelschen Dialektik. Die Vielheit der
neben einander bestehenden Objecte und nach einander erfolgenden
Processe schliesst sich zu einer nicht etwa bloss von dem denkenden
Subjecte hineingetragenen, sondern an und für sich realen, Object
und Subject umfassenden Einheit zusammen. Vermöge der realen
Einheit bildet das Mannigfaltige ein gegliedertes Ganzes. Die Tota-
lität alles Existirenden ist die Welt; die Einheit des Weltganzen ist
die Gottheit.
Ueber die Gottheit sind uns nur entweder negative oder bild-
liche, anthropomorphisirende Aussagen möglich. Jeder Theil der
Welt steht mit den übrigen Theilen in Wechselwirkung, worin Wirken
und Leiden vereinigt ist. An unser Wirken knüpft sich das Gefühl
unserer Freiheit; an unser Erleiden das Gefühl unserer Abhängig-
keit. Dem Unendlichen gegenüber als der Einheit des Weltganzen
besteht in uns das Gefühl der absoluten Abhängigkeit. In diesem
Gefühle wurzelt die Religion. Die religiösen Vorstellungen und Sätze
sind Darstellungsweisen des religiösen Gefühls und als solche von der
wissenschaftlichen Betrachtung, welche die objective Wirklichkeit im
Bewusstsein des Subjects zu reproduciren strebt, specifisch ver-
schieden. Die Dogmen in Philosopheme umwandeln wollen oder in
der Theologie philosophiren , heisst die Grenzen beider Gebiete ver-
kennen; der Philosophie kommt innerhalb der Theologie nur ein
formaler Gebrauch zu. Weder soll die Philosophie zu der Theologie,
noch diese zu jener in dem Verhältniss der Dienstbarkeit stehen;
jede ist frei in den Grenzen ihres Gebietes. Schleiermacher hat
neben der bei ihm die Gotteslehre in sich mitbegreifenden Dialektik
die christliche Glaubenslehre, neben der philosophischen Ethik die
christliche Ethik bearbeitet.
Die Einseitigkeit des kantischen Pflichtbegriffs, der dem Allge-
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§ 33. Sehleiermacher.
350
meinen das Eigentümliche opfert, sucht Schleiermacher durch eine
Ethik zu überwinden, welche bei Anerkennung des Determinismus die
jedesmalige Aufgabe durch die Individualität des Handelnden bedingt
sein lässt. Schleiermachers Ethik ist zugleich Güterlehre, Tugend-
lehre und Pflichtenlehre. In dem höchsten Gute als der obersten
Einheit des Realen und Idealen findet Schleiermacher das sittliche
Ziel, in der Pflicht das Gesetz der Bewegung zu diesem Ziele hin, in
der Tugend die bewegende Kraft. Vorwiegend trägt Schleiermachers
Darstellung der Ethik den Charakter der Güterlehre.
Die Art, wie Schleiermacher den Gegensatz und die Einheit des
Realen und Idealen in Natur und Geist näher bestimmt und in einer
Reihe einzelner Formen darlegt, ist zumeist durch Sendlings Identitäts-
philosophie bedingt. — Schleiermachers Philosophie ist von ihm nicht
zu einem allumfassenden und in Gedankengehalt, systematischer
Gliederung und Terminologie streng geschlossenen Ganzen fortgebildet
worden und steht daher an formeller Vollendung sehr weit dem
hegelschen und auch dem herbartschen Systeme nach, ist aber ebenso
auch von mancher mit diesen Systemen unabtrennbar verwachsenen
Einseitigkeit frei und in ihrer grossentheils noch unabgeschlossenen
Gestalt mehr als jede andere nachkantische Doctrin einer reinen, die
verschiedenartigen Einseitigkeiten überwindenden Ausbildung fähig.
Schleiermaehers Werke sind in drei Abtheilungen: !• zur Theologie, II. Predigten,
III. zur Philosophie und vermischte Schriften, ßerl. 1835 — 64, herausgegeben worden.
Die dritte Abtheilung enthält folgende Bünde: I. Grundlinien einer Kritik d. bisher.
Sittenlehre; Monologe; vertraute Briefe üb. F. Schlegels Lucinde; Gedanken üb. Universi-
täten im deutschen Sinne etc. II. Philos. u. verm. Schriften. III. Keden u. Abb. der
k. Akad. d. Wiss., vorgetragen aus Scbl.s handschr. Nach!., herausg. von L. Jonas.
IV. 1. Gesch. der Philos., hrsg. von H. Ritter. IV. 2. Dialektik, hrsg. von L. Jonas.
V. Entwurf e. Systems der Sittenlehre, hrsg. von A. Schweizer. VI. Psychol., hrsg.
von George. VII. Aesthetik, hrsg. von C. Lommatzsch. VIII. Die Lehre vom Staat,
hrsg. von Chr. A. Brandis. IX. Erziehungslehre, hrsg. von C. Platz. Eine kurze, zur
Einführung in Schleiermachers Gedankenkreis sehr geeignete Schrift: Ideen. Reflexionen
u. Betrachtungen aus Scbl.s Werken, hrsg. von L. v. Lancizolle, Berl. lf*54, vgl. auch
E. Maier, Fr. Schleiern!., Lichtstrahlen aus seinen Briefen u. sämintl. Werken. Lpz. 1875.
Unter Scbl.s Schriften sind hier folgende hervorzuheben: Ueb. d. Relig., Reden an
die Gebildeten unt. ihr. Verächtern, Berl. 1790, 2. Ausg. 1806, 3. Ausg. 1821, u. ö. nach
Sehl.» Tode, in kritischer Ausg. besorgt von Pünjer, Braunschw. 1879. Monologen,
e. Neujahrsgabe, 1800 u. ö. Vertraute Briefe üb. F. Schlegels Lucinde (anonym) 1800.
Predigten, 1. Samml. 1801, 2. Samml. 1808, 3. Samml. 1814, 4. Samml. 1820. Fest-
predigten 1826 und 1833, zur Denkfeier der Augsb. Conf. 1831: fernere Sammlungen
sind nach Scbl.s Tode in den sämmtl. Werken erschienen. Grundlinien e. Kritik der
bisher. Sittenlehre, Berl. 1803. Piatons Werke, überselzt u. m. Einleitgn. u. Anmerkgn.
versehen, I, 1 u. 2, II, 1 — 3, III, 1, Berl. 1804—28 u. ö. Die Weihnachtsfeier. 1806 u. ö.
Der christ I. Glaub« nach d. Grundsätzen d. evang. Kirche, Berl. 1821 — 22, 2. umge-
arbeitete Aufl. 1830 — 31, u. ö. nach Scbl.s Tode. Unter den nachgelassenen Werken
sind von philosophischer Bedeutung (ausser der schon oben, Th. I, 6. Aufl. S. 1 1
citirten Gesch. d. Philos.) insbesondere folgende: Entwurf e. Syst. d. Sittenlehre,
hrsg. von Schweizer 1835, und Grundriss d. philos. Ethik mit einleit. Vorr., hrsg.
von A. Twesten 1841 (womit zu vergleichen ist: die christl. Sitte nach den Grundsätzen
der evang. Kirche im Zusammenhg. dargest.. hrsg. von Jonas 1843). Dialektik, hrsg.
von Jonas 1839. Aesthetik, hrsg. von C. Lommatzsch, 1842. Die Lehre vom Staat,
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§ 33. Schleiermacher.
hrsg. von Chr. A. Brandis, 1845. Erziehungslehre, hrsg. von C. Platz, 1849. Psycho!.,
hrsg. Ton George, 1864. (Di« 1864 durch Rütenik hrsg. Vorlesgn. üb. das Lob. Jesu
haben zu der Zeit . da sie gehalten wurden , nicht unbeträchtlich auf den weiten Kreis
der Zuhörer gewirkt und insbesondere der von Dav. Frdr. Strauss geübten Kritik der
evangelischen Berichte über das Leben Jesu, welche bald nach Schl.s Tode erschien,
theils direct vorgearbeitet, theils indirect auf dieselbe eingewirkt, sofern die partiell von
Sehl, vollzogene Kritik zu einer gleichmässigen Durchführung derselben auch auf den
Punkten, wo Schi. Hult machte, einen consequenten Denker provociren musste, der aus
der hegelschen Philosophie gelernt hatte, ein religiöses Interesse nicht an irgend eine
Person, sondern an die Idee selbst zu knüpfen, die, wie Strauss auf Grund der hegel-
schen Principien und schon nach dem Vorgange Kants in denen Kritik d. rein. Vera.,
2. Aufl. S. 597 f. u. Relig. in d. Grenz, d. bl. Vera, erklärte, nicht liebe, ihre ganze
Fülle in ein Individuum auszuschütten. Heute haben diese Vorlesungen für die historische
Erkenntnis* ihres Objectes kaum noch irgend welche Bedeutung, um so grössere aber
für das Verständniss der Theologie Schl.s und des Entwicklungsganges der neueren
deutschen Theologie überhaupt.) In die „philo«. Bibliothek" sind die „Monologe* auf-
genommen worden u. die „philo?. Sittenlehre".
Ueber Schl.s Leben und persönliche Beziehungen giebt sein reicher Briefwechsel
den treuesten Aufschluss. Die Briefe von und an J. Chr. Gass hat dessen Sohn
W. Gass unter Beifügung einer biograph. Vorrede, Berl. 1852, herausgegeben. Den
geaammten Sehl. sehen Briefwechsel, soweit derselbe Bich erhalten hat und von allgemeinerem
Interesse ist, hat Ldw. Jonas und nach dessen Tode Wilh. Dilthey hrsg. unter dem
Titel: Aus Schl.s Leben, in Briefen. Bd. I: von Schl.s Kindheit bis zu seiner Anstellung
in Halle, October 1804, Berl. 1858, 2. Aufl. 1860. Bd. II: Bis an sein Ix-bensende, den
12. Kehr. 1834, ebd. 1858, 2. Aufl. 1860. Bd. III: Schl.s Briefwechsel mit Freunden
bis zu s. Uebersiedelung nach Halle, namentlich Friedr. u. Aug. Wilh. Schlegel, ebd.
1861. Bd. IV: Schl.s Briefe an Brinckmann, Briefwechsel mit s. Freunden von 1806
bis 1834, Denkschriften, Dialog üb. das Anständige, Hccensionen, ebd. 1863. Eine
kurze, bis zum April 1794 reichende Selbstbiographie Schl.s ist in Bd. I, S. 3 — 16
abgedruckt.
Ueber Schl.s philosophische und theologische Lehren handeln insbesondere: Chr.
JuL Braniss, üb. Schl.s Glaubenslehre, Berl. 1824. C. Rosenkranz, Kritik der schlichen
Glaubenslehre, Kgsbg. 1836. Harfenstein, de ethices a Schi, propositae fundamento,
Lips. 1837, auch stellenweise in seiner Ethik. Dav. Friedr. Strauss, Schi. u. Daub in
ihrer Bedeutung für d. Theol. uns. Zeit, in den Hallesch. Jahrb. für deutsche Wiss. u.
Kunst 1839, wiederabgedr. in den Charakteristiken und Kritiken, Lpz. 1839. J. Schaller,
Vorl. üb. Schi., Halle 1844. G. Weissenborn, Vorlsgn. üb. Schl.s Dialektik u Dogmatik,
Lpz. 1847—49. F.Vorländer, Schl.s Sittenlehre, Marburg 1851. Joh. Wilh. Breuer,
de Sehleierm. ethices antiquae judiee, diss. philo«. Bonnensis, Colon. Agripp. 1854.
Sigwart, üb. d. Bedeutg. d. Krkenntnisslehre u. der psychol. Voraussetzgn. Schl.s für
d. Grundbegriffe s. Glaubenslehre, in den Jahrb. f. deutsche Theol. hrsg. v. Liebner,
Dorner, Ehrenfeuchter, Landerer, Palmer und Weizsäcker, B. II, 1857, S. 267— 327 u.
829 — 864 (womit Dorners Entgegnung ebd. S. 499 zu vergleichen ist). C. A. Auberlen,
Sehl., e. Charakterbild, Basel 1859. A. Immer. Schi, als religiöser Charakter. Bern
1859. Ed. Zeller, Schi., in den preuss. Jahrb. III, 1859, S. 176—194 (unt. d. Tit.:
„zum 12. Februar"), wiederabg. in Zellers Vortr. u. Abh. S. 178—201. Karl Schwarz,
Schi., seine Persönlk. u. seine Theol., e. Vortrag, geh. im wiss. Verein zu Berlin, Gotha
1861. Bobertag, Schi, als Philosoph, in d. prot. Kirchenztg. 1861, No. 47. Sigwart,
Schi, in s. Beziehgn. zu dem Athcnaeum der beiden Schlegel , Progr. des Seminars zu
Blaubeurcn, Tüb. 1861. Schlottmann, drei Gegner des sch.schen Religionsbegriffs
(Schenkel, Stahl und Philippi), in d. dtsch. Ztschr. f. chrstl. Wissensch, u. christl. Leb.
N. F. IV, Ort. 1861. Wilh. Dilthey, Schl.s polit. Gesinnung und Wirksamk., in den
preuss. Jahrb. X, 1862. Guil. Dilthey, de prineipiis ethices Schleiermucheri, diss. inaug.,
Berol. 1864. Rud. Baxmann, Schl.s Anfänge im Schriftstellern, Bonn 1866; Schi.,
seiu Leben und Wirken, 1. u. 2. Aufl., Elberfeld 1868. Jacques Liekel, ess. sur la
christol. de Schi., Strassb. 1865. W. Beyschlag, Schi, als polit. Charakter, Berl. 1866.
Rieh. v. Kittlitz, Schl.s Bildungsgang, e. biogr. Versuch, Lpz. 1867. A. Baur, Schl.s
christl. Lebensanschauungen, Lpz. 1868. Dan. Schenkel, F. Schi., e. Charakterbild,
Elberfeld 1868. Emil Schuerer, Schl.s Kcligionsbegrifl u. d. philos. Voraussetzungen
desselben, Inang.-Diss., Lpz. 1868. P. Schmidt, Spinoza u. Schi., die Gesch. ihrer
Systeme und ihr gegenseit. Verhältn., Berl. 1868.
Auf Anlass der Säcularfeicr am 21. Nov. 1868 sind Festreden u. Festschriften er-
schienen von M. Baumgarten, R. Benfey, Biedcrtnaun (in den „Zeitstimmen"), G. Drey-
§ 33. Schleiermacher.
3G1
dorff, L. Dunker (in: Jahrb. f. deutsche Th.), Frieke, L. George, R. Hagenbach, Henke,
K. F. A. Kahnis, F. Nitzseh, Petersen, Herrn. Reuter, A. Rüge, K. G. Sack, E. O.
Sehellenberg, D. Sehenkel, L. Schultze, Sigwart (in: Jahrb. f. dtsch. Theol.). H. Spörri,
Thomas, Thomson, A. Treblin, Th. Woltersdorf und Anderen. Vgl. ferner Schriften
von Carl Beck (Reutling. 1869), F. Zachler (Brwl. 1869), Th. Eisenlohr (die Idee der
Volksschule nach Schi., Stuttg. 1852, 1869), Wilh. Bender, Schl.s philos. Gotteslehre,
Göttingen, Dissen., Worms 1868, fortges. in der Zeitschrift f. Philos. N. F., Bd. 57
u. 58, 1870—71, der8., Sehl.» theol. Gottesl. in ihrem Verhältn. z. philos. und nach ihr
wissenschaftl. Werth, in Jahrb. f. deutsche Theo!., 17. Bd. 1872, S. 656—737, ders.,
Schi. s Theologie mit ihren philosophischen Grundlagen, 2 Theile, Nördlingen 1876 — 78,
ders., Fr. Schi. u. d. Frage nach dem Wesen der Kelig., Vortr., Bonn 1877. Krnst
Bratuscheck und Hülsmanu (in den „ Philos. Monatshftn." II, 1 u. 2). Karl Steffensen,
die wiss. Bedeutung Schi.«, in Geizers Monats!)], für innere Zeitgeich., Bd. 32, 1868,
S. 259—289. P. Leo, Schi.« philos. Grundansch. nach d. metaph. Theil s. Dialektik,
Diss., Jena 1868. Th. Hossbach, Schi., sein Leben u. Wirken, Herl. 1868. A. Twesten,
z. Erinnerung an Schi. (akad. Vortrag), Berl. 1869. C. Michelet, der Standp. Sehl.«,
in: der Gedanke, VIII, 2, Berl. 1869. R. A. Lipsiu«, Studium üb. Schl.s Dialektik in:
Zeitschr. f. wiss. Theol., Jahrg. XII. 1869, S. 1—62 u. 1 13 — 154. Chr. Sigwart. Zum
Gedächtnis« Schi.«, Reden, in: Jahrbh. f. deutsche Theol.. 1869, wieder abgedruckt in:
Kl. Sehr., I, S. 221 — 255. Wilh. Dilthey, Leb. Schl.s, Bd. I, Berl. 1870. E. Rudorff,
Stunden der Weihe u. Samml. von Ausspr. Schl.s, Berl. 1870. Gust. Baur, Schi, als
Prediger in d. Zeit von Deutschlands Erniedrigung u. Erhebung. Lpz. 1871. Rieh,
Quaebicker, Ob. Schl.s erkenntnisstheor. Grundansicht, Berl. 1871. Rud. Volkenrath,
d. Paedag. Herbarts u. Schl.s, Progr., Mühlh. a. R. 1871. Henr. Jacobsson, um Schl.s
deduktion af de formala ethiska begreppen, Stockh. 1872. E. Lang, üb. d. Psych, von
Schi., Jena 1873. Jul. Schmidt, wie verh. sich d. Tugendbegr. bei Sehl. i. d. platonisch.?
Progr., Aschersl. 1873. Alb. Kalthoff, d. Frage nach d. metaphys. Grundlage der
Moral m. besond. Bezug auf Sehl., Halle 1874. C. Flebbe, die Lehn Schi.« von der
Sünde u. vom Uebel. I.-D.. Jena 1874. Albr. Ritschi. Schl.s Med. üb. d. Relig. u. ihre
Nachwirkungen auf d. evang. Kirche Deutschlands, Bonn 1875. A. H. Kamp, Schl.s
Gotteslehre, krit. dargest., Magdeb. 1876. Carl Yngve Sablin, Kants, Schleiermachers
och Boström8 etisca Grundtankar, Upsala 1877. G. Runze, Schl.s Glaubensl. in ihrer
Abhängigk. v. seiner Philo«., krit. dargelegt u. an einer Speciallehre erläutert, Berl. 1877.
Bruno Weiss, Untersuchungen über Schl.s Dialektik, in: Ztschr. f. Philo«, u. philos. Kr.,
Bd. 73, 1878, S. 1—31, Bd. 74, 1879. S. 30—93, Bd. 75, 1879, S. 250—280. O. B.
Hering. Vergl. Darstell, u. Beurtheil. der Religionsphilo«. Hegel« u. Schl.s, I.-D., Jena
1882. E. F. Braasch, Comparative Darstell, des Religionsbegriffes in d. verschiedenen Aufl.
der Bchleiermachersch. Reden, I.-D., Jena 1883. A. Frohne, d. Begr. der Eigenthümlichk.
od. Individualität b. Schi., Halle 1885. W. Eismann, üb. d. Begr. d. höchst. Gutes s. S. 270.
Friedrich Ernst Daniel Schlciermacher, Sohn eines reformirten Geistlichen,
geb. zu Breslau am 21. November 1768, wurde als Mitglied der Brüdergemeinde
erzogen, deren Glaubensform auf seine Gemüthsrichtong den tiefsten Einfluss
gewonnen hat, welcher seine Macht auch dann noch unverlierbar behauptete, als er
(seit scinein 19. Lebensj.) dnreh das Bedürfniss selbständiger Prüfung getrieben,
der äusseren Gemeinschaft mit ihr entsagt hatte nnd an dem bestimmten Inhalt
ihres Glaubens nicht festzuhalten vermochte. In dem Pädagogium zu Niesky wurde
er vom Frühjahr 1783 bis zum Herbst 1785 erzogen, dann in das Seminar der
Brüderunität zu Barby aufgenommen, welches er im Mai 1787 verliess. Nachdem
er in Halle das theologische Studium absolvirt und sich dann ein Jahr lang (1789/90)
in Drossen aufgehalten hatte, bekleidete er (Oct. 1790 bis Mai 1793) eine Hnus-
lehrerstelle in der Familie des Grafen Dohna-Schlobitten, trat bald hernach in das
Seminar für gelehrte Schulen zu Berlin, welches Gedike leitete, war 1794—96 Hülfs-
prediger zu Landsberg a. d. Warthe, 1796—1802 Prediger am Charite-Hanse zu
Berlin, 1802-1804 Hofprediger in Stolpe, 1804—1806 ausserordentl. Prof. der
Theol. und Philos. zu Halle, lebte, nachdem er diese Stellung in Folge der Kriegs-
ereignisse aufgegeben hatte, in Berlin, mit litterariscben Arbeiten beschäftigt und
zugleich an seinem Theil neben Fichte und anderen patriotisch gesinnten Männern
an der Kräftigung der Gemüther znm Zweck einer künftigen Befreiung des Vater-
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B62
§ 33. Schleiermacher.
landes von der Fremdherrschaft mitwirkend, seit 1809 als Prediger an der Drei-
faltigkeitskirche. Bei der Gründung der berliner Universität erhielt er an derselben
eine ordentliche Professur der Theologie, die er bis zu seinem Tode, 12. Februar
1834, bekleidet hat Er hielt neben den theologischen Vorlesungen auch philo-
sophische über verschiedene Doctrinen. Früh mit der kantischen Philosophie ver-
traut, insbesondere während des Jahrzehnts 1786— 96 mit dem Studium und der
Kritik derselben eifrig beschäftigt, später auch auf Fichtes und Schell ings Specula-
tionen eingehend, mit Jacobis Philosophie schon 1787, mit Spinozas Üoctrin zuerst
aus Jacobis Darstellung, dann (spätestens 171)9) auch aus Spinozas eigenen Schriften
bekannt geworden, danach auch für Piaton und ältere Philosophen und schon früh,
aber in weit geringerem Maasse, für Aristoteles sich interessirend, bildete er zuerst
vorwiegend in der Kritik fremder Systeme, allmählich aber mehr nud mehr auch
constructiv seinen philosophischen Gedankenkreis aus. Von Piaton sagt er selbst:
-Es giebt keinen Schriftsteller, der so auf mich gewirkt und mich so in das Aller-
heiligste nicht nur der Philosophie, sondern auch des Menschen überhaupt ein-
geweiht hätte als dieser göttliche Mann". Seit 1811 war er Mitglied der Akademie
der Wissenschaften, was ihm zu einer Reihe von meist auf die griechische Philo-
sophie bezüglichen Abhandlungen Ajilass gab. Im Jahre 1817 war er Präses der
zu Berlin versammelten Synode, welche über die Union der lutherischen und refor-
mirten Kirche berieth. Freilich war der Sinn, in welchem Sch. für die Union als
eine freie, jede dem Geiste des Protestantismus gemässe Weise der Lehre und des
Cultus dem Gewissen der einzelnen Prediger und Gemeinden anheimgebende Ver-
einigung wirkte, von der strengeren, an festere Normen gesetzlich bindenden Weise,
in welcher später das Unionswerk durchgeführt wurde, principiell verschieden.
Sehl .8 Warnung an den Minister von Altenstein, derselbe möge es dahin nicht
kommen lassen, dass die Geschichte seinen Namen mit der Depravation der Unions-
idee verknüpfe, vermochte nicht, diesen von der betretenen Bahn abzulenken, sondern
wurde nur als eine persönliche Beleidigung aufgenommen. Schi, hatte theils in
Folge dieses Conflicts, theils und schon früher in Folge seiner freisinnigen politischen
Thätigkeit fast ebenso andauernd die Ungunst der Regierung zu erfahren, wie Hegel
sich ihrer Gunst und wirksamen Förderung seines K in Busses erfreute; erst in Schl.s
letzten Lebensjahren milderte sich die Spannung durch gegenseitiges Entgegen-
kommen. Als Prediger, Universitätslehrer und Schriftsteller hat Schi, eine äusserst
reiche und Begensvolle Thätigkeit geübt; auf dem Gebiete der Theologie, Philo-
sophie und Altertumsforschung hat er vielseitig anregend, geistweckend, neue
Bahnen eröffnend gewirkt. .Schleiermacher* isagt Zeller in den Vortr. u. Abtu,
Lpz. 1865, S. 179 und 200) .war nicht allein der grösste Theologe, welchen die
protestantische Kirche seit der Reformationszeit gehabt hat, nicht allein der Kirchen-
mann, dessen grosse Gedanken über die Vereinigung der protestantischen Bekennt-
nisse, über eine freiere Kirchenverfassung, über die Rechte der Wissenschaft und
der religiösen Individualität trotz alles Widerstandes sich durchsetzen werden und
eben jetzt aus tiefer Verdunkelung sich aufs neue zu erheben begonnen haben, nicht
allein der geistvolle Prediger, der hochbegabte, tief wirkende, das Herz durch den
Verstand und den Verstand durch das Herz bildende Religionslehrer, Schi, war
auch ein Philosoph, der ohne geschlossene Systemsform doch die fruchtbarsten
Keime ausgestreut hat, ein Alterthumsforsuher, dessen Werke für die Kenntniss der
griechischen Philosophie von epochemachender Bedeutung sind, ein Mann endlich,
der an der staatlichen Wiedergeburt Preussens und Deutschlands redlich mit-
gearbeitet, der im persönlichen Verkehr auf Unzählige anregend, erziehend, belehrend
eingewirkt, der in Vielen ein ganz neues geistiges Leben wachgerufen hat — Schi
ist der Erste, welcher das eigentümliche Wesen der Religion gründlicher erforscht
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§ 33. Schleiermacher.
363
und dadurch auch der praktischen Bestimmung ihreB Verhältnisses zu anderen Ge-
bieten einen unberechenbaren Dienst geleistet hat: er ist einer der bedeutendsten
unter den Mannern, welche seit mehr als einem Jahrhundert daran arbeiten, das
allgemein Menschliche aus dem Positiven herauszuarbeiten, das Ueberlieferte im
Geist unserer Zeit umzubilden, einer der vordersten unter den Vorkämpfern des
modernen Humanismus."
Gleich sehr beseelt von tiefem religiösen Gefühl, wie durchdrungen von dem
Ernste der Wissenschaft, verfolgt Schi, in allen seinen Werken die Tendenz, an
der Lösung der Aufgabe mitzuarbeiten, die er als das Ziel der Reformation und
insbesondere als Bedürfniss der Gegenwart bezeichnet: „ einen ewigen Vertrag zu
stiften zwischen dem lebendigen christlichen Glauben und der nach allen Seiten
freigelassenen, unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen Forschung, so
dass jener diese nicht hindere und diese nicht jenen ausschliesse*.
In den „Reden üb. d. Religion" (1. Rede: Rechtfertigung, 2. üb. d Wesen
der Relig., 3. üb. d. Bildg. zur Relig., 4. üb. d. Gesellige in d. Relig. od. üb. Kirche
und Priesterthum, 5. üb. d. Religionen) sucht Schi, das Wesen und die Berechtigung
der Religion nachzuweisen. Wie Kant in seiner Vernunftkritik den philosophischen
Dogmatismus, der die Realität dessen, was durch die Vernunftideen gedacht wird,
theoretisch erweisen will, bekämpft, aber den Gluuben an die moralische Geltung
der Vernunftideen anerkennt und kräftigt, so spricht Sohl, den Lehrsätzen des
theologischen Dogmatismus die wissenschaftliche Gültigkeit ab, erkennt aber an,
dass der Religion eine besondere und edle Anlage im Menschen zu Grunde liege,
nämlich das fromme Gefühl als die Richtung des Gemüthes auf das Unendliche
und Ewige, und findet die wahre Bedeutung der theologischen Begriffe und Sätze
darin, dass durch sie das religiöse Gefühl zum Ausdruck gelange; wenn aber das,
was nur unsere Gefühle bezeichnen und in Worten darstellen solle, für Wissenschaft
von dem Gegenstande oder auch für Wissenschaft und Religion zugleich genommen
werde, dann sinke es unvermeidlich zurück in Mysticismus und Mythologie. Kant
bedurfte, um auf Grund des moralischen Bewusstseins den Objecten der Vernunft-
ideen vermittelst seiner Postulate Realität vindiciren zu dürfen, einer Kritik der
theoretischen Vernunft, welche für eben diese Objecte der „Vernunftideeu* eine
offene Stelle jenseits alles Endlichen, dass nur Erscheinung sei, nachweise. Schi,
dagegen bedarf, da er nicht die Objecte der religiösen Vorstellungen, sondern die
Hubjectiven Gemüthszustände , welche mittelst dieser Vorstellungen ausgedrückt
werden, als berechtigt nachweist, keiner offenen Stelle für das Unendliche jenseits
der Endlichkeit, vermag dem Endlichen seine objective Realität, die in unserm
Bewusstsein sich wiederspiegele, ungeschmälert zu lassen und findet, wie Spinoza
(von dem er sich jedoch durch seine Anerkennung des Werthes der Individualität
wesentlich unterscheidet), inmitten des Endlichen und Vergänglichen selbst das
Unendliche und Ewige. Im Gegensatz zu der idealistischen Speculation Kants und
Fichtes fordert Schi, einen Realismus, der freilich nicht auf die Betrachtung des
Endlichen in seiner Vereinzelung sich beschränken, sondern ein Jegliches in seiner
Einheit mit dem Ganzen und Ewigen (nach Spinozas Ausdruck : sub specie aeterni)
betrachten soll; mit diesem Ewigen sich eins fühlen, ist Religion. „Wenu der
Mensch nicht in der unmittelbaren Einheit der Anschauung und des Gefühls Eins
wird mit dem Ewigen, bleibt er in der abgeleiteten des Bewusstseins ewig getrennt
von ihm. Darum, wie soll es werden mit der höchsten Aeusserung der Speculation
unserer Tage, dem vollendeten gerundeten Idealismus, wenn er sich nicht wieder in
diese Einheit versenkt, dass die Demuth der Religion seinen Stolz einen andern
Realismus ahnen lasse, als den, welchen er so kühn und mit so vollem Rechte sich
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§ 33. Schleiermacher.
unterordnet? Er wird das Universora vernichten, indem er es bilden zo wollen
scheint, er wird es herabwürdigen zu einer blossen Allegorie, zu einem nichtigen
Schattenbilde der einseitigen Beschränktheit Beines leeren Bewusstseins. Opfert
mit mir ehrerbietig eine Locke den Manen des heiligen verstossenen Spinoza!
Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang and sein
Ende, das Universum seine eiuzige und ewige Liebe; in heiliger Unschuld und
tiefer Denrath spiegelte er sich in der ewigen Welt und sah zu, wie auch er ihr
liebenswürdigster Spiegel war; voller Religion war er und voll heiligen Geistes,
und darum steht er auch da allein und unerreicht, Meister in seiner Kunst, aber
erhaben über die profane Zunft, ohne Jünger und ohne Bürgerrecht."
Die Wissenschaft ist das Sein der Dinge in der menschlichen Vernunft; die
Kunst und die Bildung zur Praxis ist das Sein unserer Vernunft in den Dingen,
denen sie Maass, Gestalt und Ordnung giebt; die Religiou, das uothwendige und
unentbehrliche Dritte zu jenen beiden, ist das unmittelbare Bewusstsein der Einheit
von Vernunft und Natur, des allgemeinen Seins alles Endlichen im Unendlichen
und durch das Unendliche, alles Zeitlichen im Ewigen und durch das Ewige. Die
Frömmigkeit ist als die Richtung des Gemüths auf das Ewige die innere Erregung
und Stimmung, auf welche alle Aeusserungen und Thaten gottbegeisterter Männer
hindeuten; Bio erzeugt nicht, sondern begleitet dos Wissen und dos sittliche Handeln;
aber mit ihr können Ulisittlichkeit und Dünkclwisseu nicht zusammen bestehen.
Alle Förderung echter Kunst und Wissenschaft ist auch Bildung zur Religion.
Wab/c Wissenschaft ist vollendete Anschauung, wahre Praxis ist selbsterzeugte
Bildung und Kunst, wahre Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche.
Eine von jenen haben wollen ohne diese, oder Bich dünken lassen, man habe sie so,
ist frevelnder Irrthum. Dus Universum ist in einer ununterbrochenen Tbätigkeit
und offenbart sich uns in jedem Augenblick, und in diesen Einwirkungen und dem,
was dadurch in uns wird, alles Einzelne nicht für sich, sondern als einen Theil des
Ganzen, als eine Darstellung des Unendlichen in unser Leben aufnehmen und uns
davon bewegen lassen, das ist Religion.
Die Gemeinschaft derer, welche schon zur Frömmigkeit in sich gereift sind,
ist die wahre Kirche. Die Einzclkirchen sind das Bindemittel zwischen diesen
Frommen und denen, welche die Frömmigkeit noch suchen. Der Unterschied zwischen
Priestern und Laien darf nur ein relativer sein.
Die Idee der Religion umfasst die Gesammtheit aller Verhältnisse der Menschen
zur Gottheit; die einzelnen Religionen sind aber die bestimmten Gestalten, unter
denen sich die Eine allgemeine Religion darstellen muss und in denen allein eine
wahre individuelle Ausbildung der religiösen Anlage möglich ist; die sogenannte
natürliche oder Vernuuftreligion ist eine blosse Abstraction. Die verschiedeneu
Religionen sind die Religion, wie sie sich ihrer Unendlichkeit eutäussert hat und
in oft dürftiger Gestalt, gleichsam als fleischgewordener Gott, unter den Menschen
erschienen ist, uIb ein ins Unendliche gehendes Werk des Geistes, der sich in aller
menschlichen Geschichte offenbart. Die Art, wie der Mensch die Gottheit im Ge-
fühle gegenwärtig hat, entscheidet über den Werth seiner Religion. Die drei
Hauptstufen sind: 1. diejenige, auf welcher die Welt als chaotische Einheit erscheint
und die Gottheit theils in der Form der Persönlichkeit als Fetisch, theils unper-
sönlich als blindes Geschick vorgestellt wird; 2. diejenige, auf welcher in dem
Weltbewusstsein die bestimmte Vielheit der heterogenen Elemente und Kräfte
hervortritt und das Gottesbewusstsein theils Polytheismus, wie bei den Hellenen,
theils Anerkennung der Naturnothwendigkeit, wie bei Lucretius, ist; 3. diejenige,
auf welcher das Sein sich als Totalität, als Einheit in der Vielheit oder als System
darstellt und das Gottesbewusstsein theils die Form des Monotheismus, theils des
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§ 33. Schleiermacher.
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Pantheismus annimmt. Im Judenthnm ist das eigentlich religiöse Element das Be-
wusstsein einer unmittelbaren Vergeltung, einer Reaction des Unendlichen gegen
jedes einzelne Endliche, das als aus der Willkür hervorgehend angesehen wird.
Belohnend, strafend, züchtigend das Einzelne im Einzelnen, so wird die Gottheit
durchaus vorgestellt. Die ursprüngliche Anschauung des Christenthums dagegen
ist die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des
Ganzen und der Art, wie die Gottheit dieses Eutgegenstreben behandelt, wie sie
die Feindschaft gegen sich vermittelt durch einzelne Punkte, über das Gauze aus-
gestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und
Göttliches sind. Das Verderben und die Erlösung, die Feindschaft und die Ver-
mitteluug sind die Grundbeziehungen der christlichen Empfindungsweise. Indem
alles Wirkliche zugleich als unheilig erscheint, ist eine unendliche Heiligkeit das
Ziel des Christenthums. Das Christenthum hat zunächst die Forderung gestellt, das*
die Frömmigkeit ein beharrlicher Zustand im Menschen und nicht an einzelne Zeiten
und Verhältnisse gebunden sein soll. Der Stifter des Christenthums fordert nicht,
dass man um seiner Person willen seine Idee annehme, sondern nur um dieser willen
auch jene; die grössere Sünde ist die Sünde wider den Geist. Aus der Idee der
Erlösung und Vermitteluug das Centrum der Religion bilden, das ist die Religion
Christi. Er selbst aber ist aller Vermitteluug Mittelpunkt. Es wird eine Zeit
kommen, wo der Vater Alles in Allem sein wird, aber diese Zeit liegt ausser
aller Zeit
In den Monologen (1. Betrachtung, 2. Prüfungen, 3. Weltansicht, 4. Aussicht»
5. Jugend und Alter) findet Schleiermacher die höchste sittliche Aufgabe darin,
dass ein Jeder in sich auf eigenthümliehe Weise die Menschheit darstelle. Die
kantische Vernunftforderung derUuiformität des Handelns, der kategorische Imperativ,
gilt ihm zwar als eine achtbare Erhebung über die unwürdige Eitelkeit des sinnlich-
thierischen Lebens, aber doch nur als ein niederer Standpunkt im Vergleich mit
der höheren Eigenheit der Bildung und Sittlichkeit. Das seiner selbst gewisse Ich
behauptet in seinem Innersten, eigensten Handeln seine freie geistige Selbstbestim-
mung unabhängig von jeder zufälligen Fügung äusserer Umstände und selbst von
der Macht der Zeit, von Jugend und Alter.
Die vertraut. Briefe über Fr. Schlegels „Lucinde" (die besser sind, als die
commentirte Schrift) fordern die ungetheilte Einheit des sinnlichen und geistigen
Elementes in der Liebe und bekämpfen die Entweihung des Göttlichen in ihr, die
durch unverständige Zerlegung in ihre Elemente, in Geist und Fleisch, erfolge.
Die Wissenschaften theilt Sch. ein in die empirische und speculative Be-
trachtung der Natur und des Geistes oder die Naturkunde und Physik, Geschichte-
kunde und Ethik. Die Idee der Philosophie geht auf die höchste Einheit des phy-
sischen und ethischen Wissens als vollkommene Durchdringung des Beschaulichen
und des Erfahrungsmässigen.
Sch.B Dialektik ist die Kunst des Begründens. Es werden in ihr die Prin-
eipien des Philosophirens entwickelt, welche zugleich die der Gesprächsführung
sind, weil das Wissen ein gemeinschaftliches Denken ist. Sie beruht auf dem Begriff1
des Wissens als der Uebereinstimmung des Denkens mit dem Sein, welche sich zu-
gleich als Uebereinstimmung der Denkenden untereinander erweisen muss. Der
„transscendentale Theil" der Dialektik betrachtet die Idee des Wissens an und für
sich und gleichsam in der Ruhe, der .technische oder formale Theil" aber betrachtet
dieselbe Idee in der Bewegung oder das Werden des Wissens. Mit Kant unter-
scheidet Schi. Stoff und Form des Wissens und lässt jenen durch die sinnliche
Empfindung oder „organische Function" gegeben sein, die Form über aus der ,in-
tellectuellcn Function" oder dem Denken stammen, welchem die Einheitsetzung und
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§ 33. Schleiermacher.
Entgegensetzung angehört. Die Formen unserer Erkenntniss entsprechen den Formen
des Seins. Raom und Zeit sind die Formeu der Existenz der Dinge, nicht nur
die Formen unserer Auffassung der Dinge. Die Formen des Wissens sind Begriff
und Urtheil; der Begriff entspricht dem Färsichsein der Dinge oder den „substan-
tiellen Formen": Kraft und Erscheinung (der höhere Begriff entspricht der .Kraft",
der niedere der „Erscheinung"), das Urtheil aber dem Zusammensein der Dinge,
ihrer Wechselwirkung oder ihren Actionen und Passionen. Die Formen des Werdens
des Wissens sind die Induction und Deduction. Der Deductionsprocess oder die
Ableitung aus den Principieu darf immer nur in Beziehung auf die Resultate des
Inductionsprocesses, der von den Erscheinungen aus zur Erkenntniss der Principien
fortgeht, ausgeführt werden. Schi, bestreitet ausdrücklich*) die Annahme (auf
welcher die hegelsche Diulektik ruht), dass das reine Denken, von allem nudern
Denken getrennt, einen eigenen Anfang nehmen und als ein besonderes für sich
ursprünglich entstehen könne.
In der Gottes idee wird die absolute Einheit deB Idealen und Realen mit
Ausschluss aller Gegensätze gedacht, in dem Begriffe der Welt aber die relative
Einheit des Idealen und Realen utiter der Form des Gegensatzes. Es ist demnach
Gott weder als identisch mit der Welt, noch als getrennt von der Welt zu denken.
(Da das Ich die Identität des Subjecta in der Differenz der Momente ist, so lässt
Bich Gottes Verhältniss zur Welt mit dem der Einheit des Ich zu der Totalität seiner
zeitlichen Acte vergleichen.) Wir wissen nicht von einem Sein Gottes ausserhalb
der Welt. Gott hat nie ohne die Welt sein können, also kann auch nicht von einem
Sein Gottes vor der Welt die Rede sein. Die Dinge sind von Gott abhängig, heisst
soviel als: sie sind bedingt durch den Naturzusammenhang, und demnach ist ein
unmittelbares Eingreifen Gottes, also das Wunder, nicht möglich. Auch der Mensch
ist von dem Naturznsammeuhang nicht ausgenommen, und wenn Schleiermacher von
Freiheit des Menschen spricht, so versteht er nichts Anderes darunter als die Ent-
wicklung der einmal angelegten Persönlichkeit. Die gegensatzlose Einheit des
Idealen und Realen, der transscendente Grund alles Denkens und Seins, wird zwar
vorausgesetzt, ist aber in einem wirklichen Denken nicht vollziebbar. Wie für Kant
das Ding an sich unerkennbar ist, so für Schleiermacher der letzte Grund von Allem.
Das Denken muss sich immer in Gegeusätzen bewegen und kann daher das Gegeu-
satzlose nicht erreichen. Die sogenannten Eigenschaften Gottes sind nicht etwa
Seiten seines Wesens oder seiner Wirksamkeit, sondern nur Abspiegelungen dieser
Wirksamkeit im religiösen Bewusstsein. Sogar den Begriff der Persönlichkeit will
er von Gott ferngehalten wissen. Einer Persönlichkeit kämen Wollen und Ver-
stand zu, diese unterschieden sich aber von einander und begrenzten sich demnach,
und so werde die Gottheit in das Endliche herabgezogen. Nicht den persönlichen,
sondern den lebendigen Gott will Schleiermacher, und durch diese Betonung des
Lebens in Gott besonders unterscheidet sich sein Gottesbegriff von dem Spinozas.
DieReligion beruht auf dem absoluten Abhängigkeitsgefühl, in welchem
mit dem eigenen Sein zugleich das unendliche Sein Gottes mitgesetzt ist. Dieses
schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl entsteht dadurch, dass wir uns absolut bestimmt
fühlen und alles Sein in und ausser uns auf einen letzten Grund, die Gottheit,
zurückführen. Vermittelst des religiösen Gefühls ist der Urgrund ebenso in uns
gesetzt, wie in der Wahrnehmung die Aussendinge in uns gesetzt sind. Das Sein
der Ideen und das Sein des Gewissens in uns ist das Sein Gottes in uns, Religion
und Philosophie sind einander gleichberechtigte Functionen; jene ist die höchst«
subjective, diese die höchste objective Function des menschlichen Geistes. Die
*) Und zwar mit gutem logischen Recht.
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§ 33. Schleiermacher.
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Philosophie ist nicht der Religion untergeordnet. Diese (scholastische) Unterordnung
würde darauf beruhen müssen, dass alle Versuche, Gott zu denken, nur aus dem
Interesse des Gefühls abgeleitet würden. Aber die speculative Thätigkeit, welche
sich auf den trausscondentcn Grund richtet, hat auch in sich selbst Werth und
Bedeutung, insbesondere zur Entfernung des Anthropoeidischen. Andererseits ist
aber auch die Religion nicht eine untergeordnete Stufe zur Philosophie. Denn das
Gefühl kann nie etwas bloss Vergangenes sein; es ist in uns die ursprüngliche Ein-
heit oder Indifferenz des Denkens und Wollens, uud diese Einheit ist durch das
Denken nicht zu ersetzen.*)
DieEthik betrachtet das Hau dein der Vernunft, sofern dasselbe Ei n-
heit der Vernunft und Natur hervorbringt. Da Schleiermacher dem Deter-
minismus huldigt, so ist nach ihm zwischen Naturgesetz und Sittengesetz kein
wesentlicher Unterschied, als hätte es jenes mit dem blossen Sein, dieses mit dem
blossen Sollen zu thun. Das Sittengesetz stellt sich nur wegen der Störungen, die
von anderen nieilen des Naturlebens herrühren, als ein nicht durchaus verwirklichtes
Gesetz, als ein Sollen dar. Das Unsittliche beruht nur darauf, dass die niederen
Kräfte nicht vollkommen durch die Intelligenz als Willen und durch das dieser eigen
zukommende Lebensgesetz, das Sittengesetz, beherrscht werden. Trotz dieses conse-
quenten Determinismus wird das Recht der Individualität von Schleiermacher
sehr stark betont. Es kommt einem jeden Individuum seine eigentümliche Be-
deutung zu, und jedes Individuum ist berufen , sein eigentümliches Urbild zu ver-
wirklichen.
Die Ethik selbst wird von Schleiermacher unter den drei Gesichtspunkten der
Güterlehre, der Tugendlehre und der Pflichtenlehre behandelt, von denen jede in
ihrer eigeuthümlichen Weise das Ganze enthält Ein Gut ist jedes Einssein be-
stimmter Seiten von Vernunft und Natur. In dem Mechanismus und Chemismus,
der Vegetation, Animalisation und der Humanisirung bekundet sich die aufsteigende
Stufenfolge der Verbindung der Vernunft und Natur. Das Ziel des sittlichen
Handelns ist das höchste Gut, d. h. die Gesammtheit aller Einheiten von Natur
und Vernunft. Die Kraft, aus welcher die sittlichen Handlungen hervorgehen, ist
die Tugend; die verschiedenen Tugenden sind die Arten, wie die Vernunft als Kraft
der menschlichen Natur innewohnt. In der Bewegung zu dem Ziele hin liegt die
Pflicht, d. h. das sittliche Handeln in Bezug auf das sittliche Gesetz oder der Gehalt
der einzelnen Handlungen als zusammenstimmend zur Hervorbringung des höchsten
Gutes. Das sittliche Gesetz lässt sich mit der algebraischen Formel vergleichen,
welche (in der analytischen Geometrie) den Lauf einer Curve bedingt, das höchste
*) Schl.s Auffassung des Verhältnisses zwischen Religion und Philosophie ver-
meidet den Fehler der hegelschen, wonach das Gefühl ebenso, wie die „Vorstellung',
eine blosse Vorstufe des Begriffs sein soll. Das Gefühl steht zu der Erkenntniss-
thätigkeit überhaupt, ebenso wie zum Wollen und Handeln, nicht in dem Verhältniss
der Stufenordnung, sondern in dem Verhältniss einer gleichberechtigten andern
Richtung der psychischen Thätigkeit; eine Stufenordnung besteht nur innerhalb einer
jeden der drei Hauptrichtungen, also zwischen den sinnlichen und den geistigeu
Gefühlen, zwischen dem sinnlichen und vernünftigen Begehren, zwischen Wanr-
nehmung, Vorstellung und Begriff. Aber die Religion ist nicht bloss Frömmigkeit,
d. h. nicht blosB Beziehung des Menschen zur Gottheit mittelst des Gefühls, sondern
Beziehung des Menschen in allen seinen psychischen Functionen zur Gottheit; daher
ist der Religion das theoretische und ethische Moment ebenso wesentlich wie das
affective. Sofern nun die Religion eine theoretische Seite hat, hat in der That
Hegels Bestimmung, auf das Verhältniss zwischen Dogma und Philosophem, religiöser
Vorstellung und wissenschaftlicher Erkenntniss bezogen, Berechtigung, und die
schl.sche Nebeneinanderstellung im Verhältniss der Gleichberechtigung scheint nicht
haltbar.
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§ 33. Schleiermacher.
Gut mit der Curve selbst, die Tagend als die sittliche Kraft mit einem Instrument,
welches auf die Hervorbringung der jener Formel entsprechenden Curve eingerichtet
wäre. Die verschiedenen Pflichten bilden ein System von Handlungsweisen, welches
hervorgeht aus der Gesammtheit der Tagenden des Subjects, die sich bethätigen in
der Richtung aaf die Eine nngetheilte sittliche Aufgabe.
Das Handeln der Vernunft ist theÜB ein organisirendes oder bildendes,
theils ein symbolisireudes oder bezeichnendes. Organ ist jedes Ineinander von
Vernunft und Natur, Bofern darin ein Haudelnwerdcn auf die Natur, Symbol jedes,
sofern darin ein Gehandelthaben auf die Natur gesetzt ist Mit dem Unterschiede
des Orgunisirens und Symbolisirens kreuzt sich der des allgemein gleichen oder
identischen und des individuell eigentümlichen oder differeuzirenden Charakters des
sittlichen Handelns.
Hieraus ergeben sich vier Gebiete des sittlichen Handelns, nämlich:
Verkehr, Eigenthum, Denken, Gefühl. Der Verkehr ist das Gebiet des ideutischen
Organisirens oder das Bildungsgebiet des gemeinschaftlichen Gebrauchs. Das Eigeu-
thum ist das Gebiet des individuellen Organisirens oder das Bilduugsgebiet als ein
abgeschlossenes Ganzes der Unübertragbarkeit. Das Denken und die Sprache ist
das Gebiet des identischen Symbolisirens oder der Gemeinsamkeit des Bewusstseins.
Das Gefühl ist das Gebiet des individuellen Symbolisirens oder der ursprünglich
verschiedenen Gestaltung des Bewusstseins.
Diesen vier ethischen Gebieten entsprechen vier ethische Verhältnisse:
Recht, Geselligkeit, Glaube und Offenbarung. Das Recht ist das sittliche Zusammen-
sein der Einzelnen im Verkehr. Die Geselligkeit ist das sittliche Verhältniss der
Einzelnen in der Abgeschlossenheit ihres Eigenthums, das Anerkennen des fremden
Eigenthums, um es sich aufschliessen zu lassen, und umgekehrt. Der Glaube oder
das Vertrauen auf die Wahrhaftigkeit ist im allgemeinen ethischen Sinne das Ver-
hältniss der gegenseitigen Abhängigkeit des Lehrens und Lernens in der Gemein-
samkeit der Sprache. Die Offenbarung ist im allgemeinen ethischen Sinne das
Verhältniss der Einzelnen unter einauder in der Geaehiedeuheit ihres Gefühls (dessen
Inhalt die in dem Einzelnen vorwaltende Idee ist).
Diesen ethischen Verhältnissen entsprechen wiederum vier ethische Orga-
nismen oder Güter, die durch Gegensätze zusammengehalten werden: Staat,
gesellige Gemeinschaft, Schule, Kirche. Der Staat ist die Form der Vereinigung
zur identisch bildenden Thätigkeit unter dem Gegensatz von Obrigkeit und Unter-
thaiien. Die gesellige Gemeinschaft ist die Vereinigung zur individuell organisirenden
Thätigkeit unter dem Gegensatz der Freundschaft Einzelner und der weiteren
persönlichen Verbindungen. Die Schule (im weiteren Sinne, mit Einschluss der
Universität und Akademie) ist die Gemeinschaft zur identisch symbolisirenden
Thätigkeit oder die Gemeinschaft des Wissens unter dem Gegensatz von Gelehrten
und Publicum. Die Kirche ist die Gemeinschaft zur individuell symbolisirenden
Thätigkeit, die Form der Vereinigung der unter demselben Typus stehenden Masse
zur subjectiven Thätigkeit der erkennenden Function oder die Gemeinschaft der
Religion unter dem Gegensatz von Clerus und Laien. Alle diese Organismen finden
in der Familie ihre gemeinsame Grundlage.
Die Tugend ist entweder Gesinnung oder Fertigkeit, und wenn dieser Gegen-
satz sich nun kreuzt mit dem des Erkennens und Darstellens, so ergeben sich die
vier Cardinaltugeuden : Weisheit als Gesinnung im Erkennen (Belebung in sich),
Liebe als Gesinnung im Darstellen (Belebung nach aussen), Besonnenheit als Fertigkeit
im Erkennen (Selbstbekämpfuug), Beharrlichkeit oder Tapferkeit als Fertigkeit im
Darstellen (Bekämpfung nach Aussen). — Ist der Antheil, welchen der Einzelne an
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§ 34. Schopenhauer. 3f,<j
dem höchsten Gute hat, Gluckseligkeit, so wird die Tugend die Würdigkeit zur
Glückseligkeit sein.
Die Pflichten zerfallen in Rechts- und Liebespflichten und in Berufs- und
Gewissenspflichten nach den Gegensätzen des universellen und individuellen Gcmein-
schaftsbildens und des universellen und individuellen Aneignens. Das allgemeinste
Pflichtgesetz ist: Handle in jedem Augenblick mit der ganzen sittlichen Kraft und
die ganze sittliche Aufgabe austrebend. Diejenige Handlung ist jedesmal die pflicht*
massige, welche für das ganze sittliche Gebiet die grösste Förderung gewährt. In
jedem pflichtmässigen Handeln müssen innere Anregung und äusserer Anlas« zu-
sammentreffen.
Die philosophische Sittenlehre verhält sich zur christlich-religiösen oder über-
haupt zur theologischen Ethik (in welcher Schi, das wirksame und das darstellende
Handeln unterscheidet und jenes in das reinigende und verbreitende, dieses in die
Darstellung im Gottesdienst und in der geselligen Sphäre eintheilt), wie die An-
schauung zum Gefühl, das Objective zum Subjectiven. Jene wendet sich an die in
Allen gleiche menschliche Vernunft und kann das moralische Bewusstsein als Vor-
aussetzung des Gottesbewusstseins betrachten; die theologische Sittenlehre aber
setzt immer das religiöse Bewusstsein unter der Form des Antriebs voraus. Die
christliche Sittenlehre fragt: was muss werden, weil das christliche Selbstbewusst-
sein ist (während die Glaubenslehre fragt: .was muss sein, weil das christliche
Selbstbewusst8ein ist?)?*)
§ 34. In nahem Anschluss an Kant, die nachkantische Speculation
verwerfend, hat Arthur Schopenhauer (1788—1860) eine Lehre
ausgebildet, welche sich als eine Uebergangsform von dem kantischen
Idealismus zu dem in der Gegenwart vorherrschenden Realismus be-
zeichnen lässt, indem er zwar mit Kant dem Raum, der Zeit und den
Kategorien (unter denen die der Causalität die fundamentale sei)
einen bloss subjectiven Ursprung und eine auf die Erscheinungen,
welche blosse Vorstellungen des Subjects seien, beschränkte
*) Dass Schi, in der Sittenlehre zu sehr mit Ausdrücken operirt, wie Vernunft,
Notur etc., welche sehr vielseitig sind und gleichsam als Abbreviaturen eine Menge
verschiedenartiger Verhältnisse umfassen, dass er in Folge hiervon sich oft mit
einem abstracten Schematismus begnügt, wo eine concretere Entwickelung an der
Stelle gewesen wäre, ist offenbar. Man kann v. Kirchmann nicht Unrecht geben,
wenn er (in seiner Vorr. z. s. Ausg. der Sittenl. in der „ph. B." Bd. XXIV, Berlin
1870, S. XIV) Formeln, wie Ineinander von »Natur und Vernunft"*, „Naturwerden
der Vernunft", «Vernunftwerden der Natur" mit solchen hinter der Erkenntniss der
wirklichen Gesetze weit zurückbleibenden Aufstellungen vergleicht, wie etwa: „die
Ellipse ist das Ineinander von Gradem und Kreisrundem", „die Bewegung der
Planeten ist eine Einheit von Centripetal- und Centrifugalkraft*. Dennoch behauptet
Schl.s Ethik im Vergleich mit der kantischen und anderen Doctrinen durch ihre
Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gütern, Tugenden und Pflichten und ins-
besondere durch ihre ausgeführte Güterlehre einen unbestreitbaren hohen und
bleibenden Werth. In der Richtung auf das höchste Gut hat Schi, das einheitliche
Princip des sittlichen Urtheils über den subjectiven Willensact wirklich gefunden?
welches in Hegels objectivistischer Gestaltung der Ethik sich verbirgt und bei
Herbart in die Mehrheit der bei ihm ohne philosophische Begründung gebliebeneu
ethischen Ideen auseiuanderfällt und ohne Beziehung zur theoretischen Philosophie
bleibt. Schopenhauers Pessimismus lässt keine positive Ethik zu; Beneke hat
Schl.s fruchtbaren Grundgedanken wiederaufgenommen und unter Ersetzung der ab-
stracten schematischen Formeln durch concreto, auf die innere Erfahrung begründete
psychologische Betrachtungen durchzuführen gesucht.
l'eberweg-HeiDze, Orondris« DI 7. Aufl. 24
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§ 34. Schopenhauer.
Gültigkeit zuschreibt, die von unserm Vorstellen unabhängige Reali-
tät aber nicht mit Kant für unerkennbar hält, sondern in dem durch
die innere Wahrnehmung uns völlig bekannten Willen findet, sich
dabei jedoch in den Widerspruch verwickelt, dass er, wo nicht die
Räumlichkeit, so doch mindestens die Zeitlichkeit und die Causalität
flammt allen damit zusammenhängenden Kategorien auf den Willen,
dem er sie principiell abspricht, in der Ausfuhrung seiner Lehre zu
beziehen nicht vermeidet und nicht vermeiden kann, durch welchen
Widerspruch seine Doctrin der consequenten systematischen Durch-
fuhrung unfähig wird und sich selbst widerlegt. Das an sich selbst
Reale darf nach Schopenhauer nicht als transscendentales Object
bezeichnet werden; denn kein Object ist ohne Subject; alle Objecte
sind nur Vorstellungen des Subjects, also Erscheinungen. Den Begriff
des Willens nimmt Schopenhauer in einem weit über den Sprach-
gebrauch hinausgehenden Sinne, indem er darunter nicht nur das
bewusste Begehren, sondern auch den unbewussten Trieb bis herab
zu den in der unorganischen Natur sich bekundenden Kräften versteht
Zwischen die Einheit des Willens überhaupt und die Individuen,
in denen er erscheint, stellt Schopenhauer (gleich wie Schelling
zwischen die Einheit der Substanz und die Vielheit der Individuen)
im Anschluss an Piaton die Ideen als reale Species in die Mitte.
Die Ideen sind die Stufen der Objectivirung des Willens. Jeder
Organismus zeigt die Idee, deren Abbild er ist, nur nach Abzug des
Theiles der Kraft, welcher zur Ueberwindung der niederen Ideen ver-
braucht wird. Die reine Darstellung der Ideen in individuellen Ge-
stalten ist die Kunst. Erst auf den höchsten Stufen der Objectivirung
des Willens tritt das Bewusstsein hervor. Alle Intelligenz dient
ursprünglich dem Willen zum Leben. In dem Genie befreit sie sich
von dieser Dienstbarkeit und gewinnt die Präponderanz.
Indem Schopenhauer in der Negation des niederen, sinnlichen
Triebes einen Fortschritt erkennt, diesen aber, um nicht seinem Princip,
welches die wahrhafte Realität auf den Willen beschränkt, untreu zu
werden, nicht positiv als die errungene Herrschaft der Vernunft zu
bezeichnen vermag, so bleibt ihm nur eine negative Ethik möglich.
Er fordert zunächst Mitleid mit dem Leid, das sich an alle Objecti-
virungen des Willens zum Leben knüpfe, da der Wille ja immer Be-
dürfniss sei, und eine dauernde Befriedigung nicht eintreten könne.
Die höchste Stufe der Sittlichkeit ist aber Ertödtung — nicht des
Lebens, sondern -vielmehr — des Willens zum Leben in uns selbst
durch Askese. Die Welt ist nicht die beste, sondern die schlechteste
aller möglichen Welten, und Schopenhauer lehrt so den entschiedensten
Pessimismus. Das Mitleid lindert das Leid, die Askese hebt es auf
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§ 34. Schopenhauer.
H71
durch Aufhebung des Willens zum Leben inmitten des Lebens. Durch
die Negation der Sinnlichkeit ohne positive Bestimmung des geistigen
Zieles berührt sich Schopenhauers Doctrin mit der buddhistischen
Lehre von Nirwana, dem glückseligen Endzustande der durch Askese
gereinigten und in die Bewusstlosigkeit eingegangenen Heiligen, und
mit denjenigen Formen mönchischer Askese im Christenthum, welche
die Neuzeit durch Aufhebung des ethischen Dualismus überwunden hat.
Schopenhauers Schriften sind: Ueb. d. vierfache Wurzel des Satzes vom zureichend.
Grunde, Rudolstadt 1813, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1847, 3. Aufl. hrsg. von Jul. Frauen-
städt, Lpz. 1864. Ueb. das Sehen u. die Farben, Lpz. 1816, 2. Aufl. 1854, 3. Aufl.
hrsg. v. J. Frauenstädt, Lpz. 1869. Die Welt als Wille und Vorstellung,
vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der kantischen Philosophie enthält,
Lpz. 1819, 2. durch einen zweiten Band virra. Aufl., ebend. 1844, 3. Aufl., ebend. 1*59.
Ueber den Willen in der Natur, Frankf. a. M. 1836, 2. Aufl., ebend. 1854, 3. Aufl.
hrsg. von Jul. Frauenstädt, Lpz. 1867. Die beiden Gnindprobleme der Ethik (üb. die
Freiheit des menschl. Willens, „gekrönt v. d. königl. norweg. Societ. d. Wissenschaften
zu Drontheim," und: üb. das Fundament der Moral, „nicht gekrönt v. d. königl. dänisch.
Societät d. Wissensch, zu Kopenhagen"), Frankf. a. M. 1841, 2. Aufl., Lpz. 1860.
Parerga und Paralipomena, 2 Bde., Berl. 1851, weitere Auflagen hrsg. von Jul. Frauen-
städt. Aus Schopenhauers handschriftl. Nachlass, Abhandlgn., Anmerkgn., Aphorismen
und Fragmente, hrsg. von J. Frauenstädt, Lpz. 1864. Dav. Asher, Arthur Sch., Neue«
von ihm und über ihn, Berl. 1871. Briefwechsel zwisch. A. Sch. u. Joh. Aug. Becker,
herausgeg. v. Joh. Karl Becker, Lpz. 1883. Sch.s sämmtl. Werke hat Jul. Frauenstädt
in 6 Bdn., Lpz. 1873—74, hrsg., 2. Aufl. 1877. Bd. I: Schriften zur Erkenntnisslehre.
Bd. II u. III: die Welt als Wille u. Vorst. Bd. IV: Schriften zur Naturphil. u. Ethik.
Bd. V u. VI: Parerga u. Paralipomena. Kleine philos. Schriften.
Die Litteratur s. bei: Ferd. Laban, die Schopenhauer-Litteratur, Lpz. 1880.
Ueber Sch.s Lehre u. Leben handeln: Job. Friedr. Herbart, Recension von Schop.s
Hauptwerk: die Welt als Wille u. Vorstellung, in der Ztschr.: Hermes, 1820, 3. Stück,
S. 131 — 149, unterzeichnet E. G. Z., wiederabgedr. in Herbarts sämmtl. Werken,
Bd. XII, S. 369—391. (Herbart nennt unter den Umbildnern der kantischen Philosophie
Reinhold den ersten, Fichte den tiefsinnigsten, Schelling den umfassendsten, Schopen-
hauer aber den klarsten, gewandtesten und geselligsten (?); 6ein Werk sei höchst lesens-
werth, freilich nur zur Uebung im Denken; alle Züge der irrigen idealistisch-spino-
zistischen Philosophie seien in Schopenhauers klarem Spiegel vereinigt.) F. Ed. Beneke,
in der Jenaisch. allg. Litt.-Ztg. 1820, Decbr., No. 226—229. K. Rosenkranz, in seiner
Gesch. der kant. Philos., Lpz. 1840, S. 475 — 81 und in der von Karl Gödeke hrsg.
Dtsch. Wochenschrift, 1854, Hft. 22. I. Herrn. Fichte, Ethik I, Lpz. 1850, S. 394—415.
Karl Fortlege, genet. Gesch. der Philos. seit Kant, S. 407 — 423. Erdmann, Gesch. der
neuern Philos., III. 2, S. 381 — 471, und: Schopenhauer und Herbart, eine Antithese, in
Fichtes Ztschr. f. Philos. N. F., XXI, Halle 1852, S. 209—226. Michelet, A. Sch.,
Vortrag, geh. 1854, abgedr. in Fichtes Ztschr. f. Ph., N. F., Bd. XXVn, 1855
S. 34-59 u. 227—249. Frauenstädt, Briefe üb. d. sch.sche Philos., Lpz. 1854, Licht-
strahlen aus Sch.s Werken, Lpz. 1862, 5. Aufl. ebend. 1885, und: Memorabilien, Briefe
und Nachlassstücke, in: Arthur Schop., von ihm, über ihn, von Frauenstädt und E. O.
Lindner, Berlin 1863. Jul. Frauenstädt, üb. Sch.s Pessimismus im Vergleich m. d. leib-
nizischen Optimismus, üb. Sch.s Geschichtsphil, etc., im Dtsch. Mus. 1866, No. 48 u. 49,
1867, No. 22 u. 23 etc. Ders., Sch.-Lexicon, 2 Bde., Lpz. 1871, und Neue Briefe über
d. sch.sche Philos., Lpz. 1876. Ad. Cornill, Arth. Sch. als eine Uebergangsformation von
einer ideal, in eine realist. Weltanschauung, Heidelb. 1856. C. G. Bähr, die sch.sche
Philos., Dresd. 1857. Rud. Seydcl, Sch.s Syst. dargest. u. beurth., Lpz. 1857. Ldw.
Noack, Arthur Sch. u. 8. Weltansicht, in: Psyche II, 1. 1859; die Meister Weiberfeind
(Schopenhauer) u. Frauenlob (Daumer), ebd. III, 3 u. 4, 1860; von Sansara nach
Nirwana, in: Deutsche Jahrb. Bd. V, 1862 (wo gegen Schopenhauers extreme Selbst-
überschätzung die Waffe des feinen Spottes gekehrt wird). Trendelenburg, in der
2. Aufl. der log. Untersuchungen, Lpz. 1862, Cap. X. R. Hay in, Arth. Sch., in: Preuss.
Jahrb. Bd. XIV, auch bes. abgedr. Berl. 1864.
Wilh. Gwinner, Sch. aus persönl. Umgang dargestellt, Lpz. 1862; Sch.s Leben,
2. umgearbeitete u. vielfach vermehrte Aufl. der ersteren Schrift, Lpz. 1878; Sch. u. s.
24*
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372
§ 34. Schopenhauer.
Freunde, Lpz. 1863. A. Foucher d« Careil, Hegel et Sch., Pari« 1862. A. de Balche,
Kenan et Arth. Schop., Odessa (Leipz.) 1870. Alfr. v. Wurzbach, Arth. Sch. in: .Zeit-
genossen", 6. Heft, Wien 1871. Ferner David Asher und E. O. Lindner, Nagel, Suhle,
Ed. Löwenthal, Spiegel, Rob. Springer, Wirth, W. Scheffer, Herrn. Frommann, Carl
v. Scidlitz, JÜrg. B. Meyer, F. Harms u. A. in verschiedenen Abhandlungen. H. L.
Korten, quomodo Sch. ethicam fundamento metaphysico constituere conatus sit, diss.
Hai. 1864. Steph. Fawlicki, de Sch. doctrina et philosophandi ratione, diss. Vratislav.
1865. Alois Scherzel, der Char. der Hauptlehren Sch.s, Pr., Czernowitz 1866. Victor
Kiv, der Pessimism. u. d. Eth. Sch.s, Berl. 1866. Chr. A. Thilo, üb. Sch.s Atheismus,
in: Zeitachr. f. cxacte Philo«., Bd. VII, Heft 4, Lpz. 1867, S. 321—356 und VIII, 1,
ebd. 1867, S. 1 — 35 (auch bes. abg., Lpz. 1868). E. v. Hartmann, üb. eine nothw. Um-
bildung der scb.schen Philoe. aus ihrem Grundprincip heraus, in: Philos. Monatahft. II,
S. 457—469. Auf die Einwürfe von Seydel, Haym, Trendelenburg, Thilo, Suhle, Kiy
und Liebmann antwortet Jul. Frauenstadt in der von Rud. Gottschall hrsg. Zeitschrift
.Unsere Zeit*, 18C9, Hft. 21 u. 22. Vgl. auch die oben (§ 30) angef. Abh. von Hart-
mann, Sendlings posit. Phil, als Einh. von Hegel u. Sch., Berl. 1869. E. F. Wyneken,
das Naturgesetz der Sode, od. Herbart u. Sch., eine Synthese, Hannover 1869. L.
Chevalier, die Philos. Arth. Sch.s in ihren Uebereinstimmungs- u. Differenzpunkten mit
der kantisch. Philos., Progr., Prag 1870. Carl Magnus Uno Eggertz, Grunddrogen in
Sch.s filosofi, akad. afhdl., Lund 1871. Geo. Jcllinek, d. Weltanschauungen Leibniz'
u. Sch.s, ihre Gründe u. ihre Berechtigungen; e. Studie üb. Optimisin. u. Pessimism.,
Inaug.-Diss., Wien 1872. Günther üb. Sch.s Kritik der kant. Phil., in: Jahrb. d. Vereins
für wissensch. Pädag., 4. Jahrg. 1872, S. 116—150. M. Venetiauer, Sch. als Scho.
lastiker, Berl. 1873. Karl Gaquoin, z. Bcurthlg. d. sch.schen Lehre v. d. Willensfreiheit,
G.-Progr., Giessen 1873. W. Plöttner, A. Sch., kurze Darstellg. seines Lebens unt.
Bcrücks. seiner Werke, Schul-Pr., Langensalza 1873. Th. Ribot, la philos. de Sch.,
Par. 1874, 2. ed., Par. 1885. Friedr. Nietzsche, unzeitgemässe Betrachtungen, 3. Stück:
Sch. als Erzieher, Schloss Chemnitz, 1874. Ch. Leveque, la philos. de Sch., Journal
des Savants, Decembre 1874. H. Klee, Grundzüge der Aesihetik nach Sch., Berl. 1875.
Th. Ribot, Philos. de Sch., Paris 1875. Helen Zimmern, A. Sch., bis life and bis
philosophy, Lond. 1876. E. du Mont, der Fortschritt im Lichte der Lehre Sch.s und
Darwins, Lpz. 1876. O. Busch, A. Sch., Beitrag zu einer Dogmatik des Religions-
losen, Heidelb. 1877, 2. Aufl. 1878. Ragnisco, il mondo come volere e come rappresen-
tazione di Sch., studj, Palermo 1877. E. Hermann, Woher und Wohin? Sch.s Antwort
auf die letzten Lebensfragen zusammengefasst u. ergänzt, Bonn 1877. F. v. Hausegger,
R. Wagner u. Sch., Lpz. 1878. G. Barzellotti, il Pessimismo dello Sch., Firenze 1878.
A. Paoli, lo Sch. e il Rosmini, libro I, Roma 1878. Rud. Penzig, A. Sch. und die
mcnschl. Willensfreiheit, I.-D., Halle 1879. Fürst Dmitry Tzerteleff. Sch.s Erkenntniss-
theorie, I.-D.. Lpz. 1879. Job. Mich. Tschofen, die Philos. A. Sch.s in ihrer Relation
zur Ethik, Münch. 1879. J. Hutcheson Stirling, Sch. in relation to Kant, in: the journ.
of specul. phil., 1879, Bd. 13. E. Last, Mehr Licht! die Hauptsätze Kants u. Sehopenh.s
in allgem. verständlicher Darlegung, Berl. 1879, 4. Aufl. 1880. Carl Peters, A. Sch.
als Philosoph u. Schriftsteller, Berl. 1880. Hasbach, die Beziehungen der Aesthetik
Sch.s zur platonisch. Aesthetik, in: Zeitschr. f. Phil. u. ph. Kr., 1880, Bd. 77, S. 68
bis 101, 242—271. A. Siebenlist, Sch.s Philos. der Tragödie, Pressburg 1880. R.
Köber, Sch.s Erlösung*!., Berl. 1881. Fdr. Paulsen, A. Sch., d. Zusammen!), snr. Philos.
mit snr. Persönliche, in: Deutsche Rundschau, 1882, H. 10. Rud. Willy, Schopcnh.
in sein. Verb. z. J. G. Fichte u. Schölling, I.-D., Zürich 1883. G. Barzellotti, l'idealismo
di A. Schopenhauer e la sua dottriua della pereezione, in: la fi los. dclle sc. ital-,
vol. 26, f. 2, 1883. L. Ducros, Sch., les origincs de sa metaphysique ou les trunsformatious
de la chose en soi de Kant a Seh., Par. 1884. Dav. Xsher, das Endergebnis» der
schopenhauersch. Ph. in seiner Uebereinstimm. mit einer der älteat. Religionen (der
jüdischen), Lpz. 1885. Joh. Witte, Arth. Sch., zur Charakteristik seiner Persönlichkeit
u. s. Lebens in ihrem Einflüsse auf s. Pessimism., in: Ztschr. f. Ph. n. ph. Kr., 84,
1884, S. 214 — 248. Hrm. Bremiker, zur Vergleich, der schopenh. mit d. kantisch.
Erkenntnisstheorie, I.-D., Halle 1884. A. Harpf, Seh. u. Goethe, e. Beitr. zur Ent-
wickelungsgesch. der schop.schen Ph., in: Ph. Monatsh. 1885, S. 456—478.
Arthur Schopenhauer wurde am 22. Februar 1788 in Danzig geboren. Sein
Vater war Banquier. Seine Mutter ist die als Schriftstellerin bekannte Johanna
Schopenhauer (Verfasserin von Reisebeschreibungen nnd Romanen). Nachdem er
in seiner Jugend Reisen durch Frankreich und England mitgemacht hatte, bezog
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§ 34. Schopenhauer.
373
er 1809 die Universität Göttingen, wo er neben Naturwissenschaft und Geschichte
besonders Philosophie unter der Leitung des Skeptikers Gottlob Ernst Schulze
studirte, nach dessen Rath er vor allen andern Philosophen Piaton und Kant las;
1811 hörte er in Berlin Fichte, dessen Doctrin jedoch ihn unbefriedigt Hess. Er
promovirte 1813 in Jena durch die Abhandlung: über die vierfache Wurael des
Satzes vom zureichenden Grunde, brachte den nächstfolgenden Winter in Weimar
im Umgange mit Goethe zu, dessen Farbenlehre er annahm, und machte auch Studien
über das indische Alterthum, lebte dann 1814 — 18 in Dresden, mit der Ausarbeitung
seiner optischen Abhandlung und besonders seines Hauptwerks : die Welt als Wille
und Vorstellung, beschäftigt. Sobald das Manuscript desselben vollendet war, unter-
nahm er eine Reise nach Rom und Neapel, habilitirte sich dann 1820 in Berlin,
wo er bis 1831 der Universität als Privatdocent angehörte, ohne jedoch mit Eifer
und Erfolg zu lehren; 1822 — 25 war er wiederum in Italien; 1831 verscheuchte ihn
von Berlin die Cholera um so leichter, da ihm bei seinen Misserfolgen die akade-
mische Lehrthätigkeit längst nicht mehr werth war. Er hat seitdem in Frankfurt
am Main privat isirt, wo er um 21. September 1860 gestorben ist. Seine späteren
Schriften enthalten Beiträge zur Ausbildung seines Systems, viel mehr aber noch
pikante Aeusserungen gegen die herrschenden theologischen Anschauungen und
gegen die philosophischen Rechtfertigungsversuche derselben, zu deren Behuf, wie
Sch. (zunächst wohl im Hinblick auf die Erfolge seines glücklicheren Antagonisten
Hegel und auf Sendlings Berufung nach Berlin seinem persönlichen Unwillen Luft
machend) in unablässiger Wiederholung insinuirt, die .Philosophie-Professoren*' von
der Regierung besoldet werden. Diese in immer neuen Wendungen nicht ohne Auf-
wand von Geist und Witz vorgebrachten Insinuationen, die dem Zweifel Nahrung
gaben, ob das, was öffentlich gelehrt zu werden pflege, sich durch die Ueberzeugung
von seiner Wahrheit behaupte oder durch die Organisation, die Amt und Brot nur
dem Zustimmenden gewährt und so den «Willen zum Leben" beherrscht, haben den
schopenhauerschen Schriften den Weg ins Publicum gebahnt, den das System, das
ursprünglich nur von einzelnen Fachgenossen beachtet worden war, durch sich selbst
nicht zu finden vermocht hatte. Von der Zeit an aber, da ein weiterer Kreis sich
für das Exoterische interessirte, hat es, wie es zu geschehen pflegt, auch nicht an
Denkern gefehlt, die, theils beistimmend, theils polemisirend, auf das System als
solches tiefer eingingen. Eine Zeit lang war, in und nach Sch.s letzten Lebens-
jahren, der Schopenhauerianismus in einzelnen Kreisen Modesache; um sich aber
dauernd zu behaupten, fehlt dieser Doctrin die wesentlichste Bedingung, nämlich
die Möglichkeit einer allseitigen und in sich selbst wirklich harmonischen systema-
tischen Durchführung. Geistreiche Aphorismen, lose mit einander zu einem an-
scheinenden Ganzen verknüpft, in der That aber durch kaum verdeckte Widersprüche
einander aufhebend, vermögen nur eine rasch vorübergehende Wirkung zu erzielen.
Nur als Momente eines befriedigenderen Systems können die in Sch.s Doctrin un-
leugbar enthaltenen Wahrheiten sich dauernd behaupten.
In der Promotionsschrift: „über die vierfache Wurzel des Satzes vom
zureichenden Grunde* unterscheidet Sch. das prineipium easendi, fiendi, agendi
und cognoscendi (welche Ordnung er als die systematische bezeichnet) oder (nach
didaktischer Ordnung) fiendi, cognoscendi, essendi und agendi. Der Satz vom zu-
reichenden Grunde drückt, allgemein genommen, die zwischen allen unseren
Vorstellungen bestehende gesetzmässige und der Form nach a priori bestimmbare
Verbindung aus, vermöge welcher nichts für sich Bestehendes und Unabhängiges,
auch nichts Einzelnes und Abgerissenes, Object für uns werden kann. Diese Ver-
bindung ist nach der Verschiedenheit der Art der Objecte auch selbst eine ver-
schiedenartige. Alles nämlich, was für uns Object werden kann, also alle uusere
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374
§ 34. Schopenhauer.
Vorstellungen, zerfallen in vier C lassen, und demgemäss nimmt auch der Satz
vom Grunde eine vierfache Gestalt an. Die erste Classe der möglichen
Gegenstände unsereH Vorstellungsvermögens ist die der anschaulichen, vollständigen,
empirischen Vorstellungen. Die Form dieser Vorstellungen sind die des innern und
äussern Sinnes, Zeit und Raum. In dieser Classe der Objecte tritt der Satz vom
zureichenden Grunde auf als Gesetz der Causalität; Sch. nennt ihn als solches
den Satz vom zureichenden Grunde des Werden*, priueipium rationis suffi-
cientis fiendi. Wenn ein neuer Zustand eines oder mehrerer Objecte eintritt, bo
muss ihm ein anderer vorhergegangen sein, auf welchen der neue regelmässig, d. h.
allemal, so oft der erste da ist, folgt; ein solches Folgen heisst ein Erfolgen, und
der erstere Zustand die Ursache, der zweite die Wirkung. Als Corollarien ergeben
sich aus dem Gesetze der Causalität das Gesetz der Trägheit, weil ohne äussere
Einwirkung der frühere Zustand beharren muss, und das der Beharrlichkeit der
Substanz, weil das Causalgesetz nur auf Zustände, nicht auf die Substanz selbst
geht. Die Formen der Causalität sind: Ursache im engsten Sinne, Reiz und Motiv;
nach Ursachen im engsten Sinne, wobei Wirkung und Gegenwirkung einander gleich
sind, erfolgen die Veränderungen im unorganischen Reiche, nach Rcizeu die Ver-
änderungen im organischen Leben, nach Motiven, deren Medium die Erkenutuiss
ist, erfolgt das Thun, d. h. die äusseren, mit Bewusstsein geschehenden Actionen
aller animalischen Wesen. Der Unterschied zwischen Ursache, Reiz und Motiv ist
die Folge des Grades der Empfänglichkeit der Wesen.*) Die zweite Classe der
Objecte für das Subject wird gebildet durch die Begriffe oder die abBtracteu Vor-
stellungen. Auf die Begriffe und die aus ihnen gebildeten Urtheile geht der Satz
vom zureichenden Grunde des Erkennens, prineipium rationis sufficientis
cognoscendi, welcher besagt, dass, wenn ein Urtheil eine Erkenutuiss ausdrücken
soll, es einen zureichendeu Grund haben muss; wegeu dieser Eigenschaft erhält es
sodann das Prädicat wahr. Die Wahrheit ist**) entweder eine logische, d. h.
formale Richtigkeit der Verknüpfung von Urtheilen, oder eine materiale, auf sinn-
liche Anschauung gegründet, welche, sofern das Urtheil sich unmittelbar auf die
Erfahrung gründet, empirische Wahrheit ist, oder eine transscendentale , die sich
auf die im Verstände und in der reinen Sinnlichkeit liegenden Formen der Erkenntnis«
gründet, oder eine metalogische, worunter Sch. diejenige Wahrheit versteht, welche
auf die in der Vernunft gelegenen formalen Bedingungen alles Denkens gegründet
sei, nämlich die Wahrheit des Satzes der Identität, des Widerspruchs, des aus-
geschlossenen Dritten und des Satzes vom zureichenden Grunde des Unheils selbst.
Die dritte Classe der Gegenstände für das Vorstellungsvermögen bildet der formale
Theil der vollständigen Vorstellungen, nämlich die a priori gegebenen Anschauungen
der Formen des äusseren und inneren Sinnes, des Raumes und der Zeit. Als
reine Anschauungen sind sie für Bich und abgesondert von den vollständigen
Vorstellungen Gegenstände des Vorstellungsvermögens. Raum uud Zeit haben die
Beschaffenheit, dass alle ihre Theile in einem Verhältnis» zu einander stehen, in
Hinsicht auf welches jeder derselben durch einen anderen bestimmt und bedingt ist.
Im Raum heisst dieses Verhältnis« Lage, in der Zeit Folge. Das Gesetz, nach
welchem die Theile des Raumes und der Zeit in Absicht auf jene Verhältnisse
einander bestimmen, nennt Sch. den Satz vom zureicheuden Grunde des
*) Ueber den Antheil des dos Causalgesetz durchführenden Verstandes an der
Gestaltung des Wahrnehmuugsinhaltes sagt bei diesem Anlaas Schopenhauer manches
Beachtenswerthe, laborirt dabei jedoch durchgängig an dem Irrthum, als ob es sich
nm ein freies Schaffen der Ordnung im Bewusstsein und nicht vielmehr um deukende
Reproduction der an sich wirkenden Ordnung handle.
**) Nach Schopenhauers zum Theil sehr willkürlicher Eintheiluug.
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§ 34. Schopenhauer.
375
Seins, principium rationis sufficientis essendi In der Zeit ist jeder Augenblick
bedingt durch den vorigen; auf diesem Nexus der Theile der Zeit beruht alles
Zähleu; jede Zahl setzt die vorhergehenden als Gründe ihres Seins voraus. Ebenso
beruht uuf dein Nexus der Lage der Theile des Raumes die ganze Geometrie; es
ist eine wissenschaftliche Aufgabe, solche Beweise zu finden, welche nicht bloss
irgendwie als .Mausefallenbeweise* die Wahrheit des Satzes dartbun, sondern die-
selbe aus dem Seinsgrunde ableiten.*) Die letzte Classe der Gegenstände des
Voretellungsvermögeus wird gebildet durch das unmittelbare Objeet des inneren
Sinnes, das Subject des Wollens, welches für das erkennende Subject Objeet ist
und zwar nur dem inneren Sinn gegeben, daher es allein in der Zeit, nicht im
Kaum erscheint.**) In Bezug auf das Wollen tritt der Satz vom Grunde auf uls
Satz vom zureichenden Grunde des Handelns, prineipium rationis suffi-
cientis agendi, oder als das Gesetz der Motivation. Sofern das Motiv eine
äussere Bedingung des Handelns ist, gehört es zu den Ursachen und ist oben in
Bezug auf die erste Classe von Objecten betrachtet worden, welche durch die in
der äusseren Anschauung gegebene Körperwelt gebildet wird. Die Einwirkung
des Motivs wird aber von uns nicht bloss, wie die aller andern Ursachen, von
aussen und daher mittelbar, sondern zugleich von innen, ganz unmittelbar und daher
ihrer ganzen Wirkungsart nach erkannt; hier erfahren wir das Geheimniss, wie
dem innersten Wesen nach die Ursache die Wirkung herbeiführt; die Motivation
ist die Causalität, von innen gesehen.***)
*) D. h. solche Beweise, die man sonst genetische zu nennen pflegt, denn
in der That fehlt nicht, wie Seh. annimmt, bei der mathematischen Nothweudigkeit
die genetische und causale Beziehung. Werden die Zahlen als entstehend aus der
Zusummcnfügung und Trennung von Einheiten, die geometrischen Figuren als ent-
stehend durch Bewegung von Funkten, Linien etc. gedacht, so tritt ihre Genesis
und die in der Natur der gleichartigen Vielheit und des räumlichen Aussereinander-
seins objectiv begründete Causalität ins Bewusstsein. Die Forderung, dasa die
mathematischen Beweise nach Möglichkeit genetisch seien, ist schon von Vielen
gestellt worden (s. Ueberwegs System der Logik § 135), von Cartesianern, von
Herbart, von Trendelenburg; vgl. auch die Ausführungen von F. C. Fresenius,
die psyeholog. Grundlagen der Raumwissenschaft, Wiesbaden 1868 (wo freilich die
Auflassung der räumlichen Gebilde als bloss psychologischer Thatsachen sehr
bestreitbar ist).
**) Dass das Objeet des inneren Sinnes oder des Selbstbewusstseins aus-
schliesslich der Wille sei, ist ein fundamentaler Irrthum Schopenhauers, wovon Kant
frei war; das Empfinden und Fühlen, Vorstellen, Denken ist ebensowohl wie das
Begehren und Wollen unmittelbares Objeet unserer Selbstauflassung. Das Wollun
im eigentlichen Sinne ist ein mit Erkenntniss verknüpftes Begehren und würde daher
nicht erkannt werden könuen, wenn wirklich nicht das Erkennen erkannt werden
könnte.
***) In der That aber gehören überall, auch bei mechanischen und organischen
Processen, der innere Grund und die äusseren Bedingungen zusammen und bilden
in ihrer Vereinigung die Gesammtursache, welche demgemäss niemals einfach sein
kann ; beide Seiten waren in einem Gesetz der Causalität zusammenzufassen. Eben
dieses Gesetz findet dann, wie oben erwähnt worden ist, auch auf die Objecto der
mathematischen Betrachtung Anwendung. Der Causalität steht der Erkeuntnissgrund
gegenüber, aber nicht als bezüglich auf eine eigentümliche Classe von Objecten,
sondern nur als die subjective Einsicht in eineu objectiv-realen Nexus, indem wir
entweder aus den Ursachen auf die Wirkung oder umgekehrt von diesen auf jene
oder auch von einer Wirkung auf eine zugehörige Wirkung der nämlichen Ursache
schliessen. In diesem Sinne sind Schopenhauers vier Gestalten des Satzes vom
zureichenden Grunde auf die zwei zu reduciren, die schon Kant und Frühere unter-
schieden haben, nämlich auf den Sutz der Ursache, der sich formuliren lässt:
jede Veränderung hat eine Ursache, die aus dem inneren Grunde und der äusseren
Bedingung besteht, und auf denSatz des Erkenntuissgrundes, der, wieUeberweg
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376
§ 34. Schopenhauer.
Schopenhauers Hauptwerk: die Welt als Wille und Vorstellung, zerfällt
in vier Betrachtungen, deren erste und dritte die Welt als Vorstellung, zweite und
vierte die Welt als Willen betreffen. Die erste Betrachtung (Buch I) geht auf
die Vorstellung als unterworfen dem Satze des Grundes und demgemäss als Object
der Erfahrung und Wissenschaft, die dritte (Buch III) auf die Vorstellung als
unabhängig vom Satze des Grundes oder als platonische Idee und demgemäss als
Object der Kunst. Die zweite Betrachtung (Buch II) geht auf die Objectivation
des Willens, die vierte (Buch IV) auf die bei erreichter Selbsterkenntnis« statt-
habende Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben. Angehängt ist eine
Kritik der kantischeu Philosophie.
Das erste Buch beginnt mit dem Satze: die Welt ist raeine Vorstellung.
Dieser Satz, sagt Sch., gilt für jedes lebende und erkennende Wesen, wiewohl der
Mensch allein ihn in das reflectirte abstracte Bewusstsein bringen kann ; er gewinnt
dieses Bewusstsein durch die philosophische Betrachtung. Das Zerfallen in Object
und Subject ist diejenige Form, unter welcher allein irgend eine Vorstellung,
welcher Art sie auch sei, abstract oder intuitiv, rein oder empirisch, nur überhaupt
möglich und denkbar ist. Alles, was für die Erkenntniss da ist, also die ganze
Welt, ist nur Object in Beziehung auf das Subject, Anschauung des Anschauenden,
als Vorstellung. Alles, was irgend zur Welt gehört und gehören kann, ist unaus-
weichbar mit diesem Bedingtseil) durch das Subject behaftet und ist nur für
das Subject da.*) Die wesentlichen und daher allgemeinen Formen alles Objects
können, wie Sch. mit Kant annimmt, auch ohne die Erkenntniss des Objects selbst,
vom Subject ausgehend, gefunden und vollständig erkannt werden, d. h. sie
liegen a priori in unserm Bewusstsein. Sch. behauptet aber überdies, dass der Satz
in seinem System der Logik. 5. Aufl., §81, vgl. § 101, nachzuweisen sucht, besagt,
dass die logische Verkettung der Urtheile untereinander im Schliesseu dem ob-
jectiv-realen Causalnexus entsprechen muss.
*) Sch. glaubt durch den blossen Satz: .kein Object ohne Subject* (ähnlich
wie Fichte durch den Satz: kein Nicht-Ich ohne Ich), die Subjectivität aller unserer
Erkenntniss reiner erfasst und klarer erwiesen zu haben, als Kant, der zu seiner
subjectivistisehen Erkenntnisslehre durch eine ins Einzelne eingehende Betrachtung
der Art und Weise gelangte, wie durch das menschliche Subject die Erkenntniss
bedingt sei; für Kant sei daher auch noch ein „transscendentales Object" oder
rDing an sich* übrig geblieben, welches Sch. negirt. Aber wenn schon selbst-
verständlich alle Vorstellungen im Subject sind, so kommt doch die Frage, ob
und inwieweit sie mit demjenigen, was nicht eben dieses Subject ist und nicht
bloss in ihm, sondern an sich selbst existirt, in Ueberein Stimmung stehen.
Diese Frage bleibt bei Sch.s einfacher Bemerkung: »kein Object ohne Subject",
unerledigt, oder es wird vielmehr die Nichtübereinstimmung, die er, abgesehen von
dem .Willen", durchgängig annimmt, von ihm nur vorausgesetzt, wogegen Kants
eingehende Betrachtung der .Bestandstücke" unserer Erkenntniss, obschon sie ihr
Ziel nicht erreicht, doch einen Weg zu demselben gebahnt hat. Das Ding wird erst
für das Subject zum Object (oder zum Nicht-Ich); es kann nicht ohne das Subject
ein r Object* (oder Nicht-Ich) sein, wohl aber ohne das Subject ein Ding. Dasselbe
kann selbstverständlich nicht ohne das Subject erkannt werden; aber das Subject
kann dasselbe entweder so auffassen, dass es ihm die bloss subjectiven Elemente
als wären sie objectiv, mit zuschreibt, oder so, dnss es abstractiv vermittelst einer
Reflexion auf den Erkenntnissprocess selbst das bloss Subjective ausscheidet und
nur solche Elemente festhält, von welchen sich — zwar nicht unmittelbar durch
Vergleichuug mit dem Ding an sich, was ein Ungedanke wäre, wohl aber mittelbar
durch wissenschaftliche Betrachtungen — darthun lässt, dass sie auch objectiv
gültig, d. h. Eigenschaften der Dinge selbst ähnlich Beien. Die letztere Erkeuntniss,
welche nicht ohne das Subject, aber ohne Verwechselung des Subjectiven mit
Objectiveu ist, ist Erkenntniss von Dingen an sich. Kant hat sich nicht durch
den Paralogisraus irre führen lassen, welcher Sch. geblendet hat.
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§ 34. Schopenhauer.
377
vom Grande der gemeinschaftliche Ausdruck für alle uns a priori bewussten Formen
des Objectes sei. Er lehrt, dass das Dasein aller Objecte, sofern sie Objecte, Vor-
stellungen und nichts Anderes seien, ganz und gar in ihrer nothwendigen Beziehung
eu einander bestehe, welche der Satz vom Grunde ausdrücke. Für jede Wissen-
schaft ist der Satz vom Grunde das Organon, ihr besonderes Object aber das
Problem. Der Materialismus überspringt das Subject und die Formen des Erkennens,
welche doch bei der rohesten Materie, von der er anfangen möchte, schon eben so
sehr, als beim Organismus, zu dem er gelangen will, vorausgesetzt sind. „Kein
Object ohne Subject" ist der Satz, welcher auf immer allen Materialismus unmöglich
macht.*) Andererseits, meint Sch., übersah Fichte, der vom Subject ausging, und
dadurch zu dem vom Object ausgehenden Muterialismus den geraden Gegeusatz
ausmacht, dass er mit dem Subject auch schon das Object gesetzt hatte, weil kein
Subject ohne Object denkbar ist, und dass seine Ableitung des Objects aus dem
Subject, wie alles Deduciren, sich auf den Satz vom Grunde stützt, der doch nichts
Anderes, als die allgemeine Form des Objectes nls solchen ist, mithin das Object
schon voraussetzt, nicht aber vor und ausser demselben gilt. Den allein richtigen
Ausgangspunkt des Pbilosophirens findet Sch. in der Vorstellung als der ersten
Thatsache des Bewussteeins, deren erste wesentliche Grundform das Zerfallen in
Object und Subject sei, die Form des Objecte aber sei der Satz des Grundes in
seinen verschiedenen Gestalten. Aus eben dieser gänzlichen und durchgängigen
Relativität der Welt als Vorstellung folgert Sch., dass das innerste Wesen der
Welt in einer ganz andern, von der Vorstellung durchaus verschiedeneu Seite der-
selben zu suchen sei. Die Vorstellung bedarf des erkennenden Subjecte als des
Trägers ihres Daseins. Wie das Dasein der Welt abhängig ist vom ersten er-
kennenden Wesen, ebenso nothwendig ist dieses abhängig von einer ihm voraus-
gegangenen Kette von Ursachen und Wirkungen, in die es selbst als ein kleines
Glied eintritt. Diese Antinomie findet darin ihre Auflösung, dass die objective
Welt, die Welt als Vorstellung, nur die eine, gleichsam äussere Seite der Welt
ist, welche noch eine ganz und gar andere Seite hat, die ihr innerstes Wesen, ihr
Kern, das Ding un sich ist, welches nach der unmittelbarsten seiner Objectivationcn
Wille zu nennen ist.
Von der Objectivation des Willens handelt Sch. im zweiten Buch.
Dem Subject des Erkennens ist sein Leib auf zweifache Weise gegeben, eiumnl als
Vorstellung in verstandesmässiger Anschauung, als Object unter Objecten und den
Gesetzen dieser unterworfen, sodann aber auch als jenes Jedem unmittelbar Bekannte,
welches das Wort Wille bezeichnet. Der Willensact und dieAction des Leibes**)
sind nicht zwei objectiv erkannte, durch das Band der Causalität mit einander
verknüpfte, verschiedene Zustände, sondern sie sind Eins und Dasselbe, nur auf zwei
gänzlich verschiedene Weisen gegeben. Die Action des Leibes ist nichts Anderes, als
der objectivirte, d. h. in die Anschauung getretene Act des Willens. Der ganze
Leib ist nichts Anderes, als der objectivirte, d. h. zur Vorstelluug gewordene
Wille, die Objectivität des Willens. Ob die übrigen dem Individuum als
Vorstellungen bekannten Objecte gleich seinem eigenen Leibe Erscheinungen eines
Willens seien, dies ist der eigentliche Sinn der Frage nach der Realität der Aussen-
welt. Die verneinende Antwort wäre der theoretische Egoismus, der sich, wie Sch.
*) Vorausgesetzt nämlich, dass jene Nichtübereinstimmung der subjectiven Auf-
fassungsformen: Raum, Zeit und Causalität, mit der objectiven Realität wirklich
durch jenen Satz, wie Schopenhauer annimmt, sofort erwiesen würde, oder dass sie
von Kant durch wirklich zwingende Argumente dargethan worden wäre.
**) Oder etwa die eines Theils des Gehirns?
378
§ 34. Schopenhauer.
lehrt, durch Beweise nimmermehr widerlegen liest, dennoch aber zuverlässig in
der Philosophie niemals anders, deun als skeptisches Sophisma, d. h. zum Schein,
gebraucht wurden ist, als ernstliche Ueberzeugung aber allein im Tollhause er-
funden werden könnte. Da ein Beweis gegen den theoretischen Egoismus hiernach
zwar nicht möglich, aber auch nicht erforderlich ist,*) so sind wir berechtigt, die
doppelte, auf zwei völlig heterogene Weisen gegebene Erkenntniss, die wir vom
Wesen und Wirken unseres eigenen Leibes haben, weiterhin als einen Schlüssel
zum Wesen jeder Erscheinung in der Natur zu gebrauchen und alle Objecte, die
nicht unser eigener Leib, daher nicht auf doppelte Weise, sondern allein als Vor-
stellungen uuserm Bewusstsein gegeben sind, nach Analogie jenes Leibes zu
beurtheilen und daher anzunehmen, dass, wie sie einerseits, ganz so wie er, Vor-
stellungen und darin ihm gleichartig sind, auch andererseits, wenn man ihr Dasein
als Vorstellungen des Subjects bei Seite setzt, das dann noch übrig Bleibende,
seinem inneren Wesen nach, dasselbe sein muss, als das, was wir an uns Wille
nennen. Der Wille als Ding au sich ist von seiner Erscheinung gänzlich ver-
schieden und völlig frei von allen Formen derselben ; er geht in dieselben ein, indem
er erscheint, sie betrefien daher nur seine Objectivität. Der Wille als Ding an
sich ist Einer, seine Erscheinungen in Baum und Zeit aber sind unzählig. Zeit
und Baum sind das prineipium individuatiouis.**)
*) Wenn derselbe geführt werden soll, so muss er sich auf Prämissen stützen,
die für Sch. (ebensowohl auch wie für Berkeley) zu viel beweisen, indem dann die
Negation der Bealität der Aussenwelt im Uebrigen nicht aufrecht erhalten werden
kann. Soll andererseits diese bestehen, so hebt sie consequentermaassen die An-
erkennung der Mehrheit beseelter oder wollender Wesen mit auf, weshalb Sch.
trenöthigt ist, dieser üblen Consequenz durch die blosse Berufung auf die „Toll-
häoslerei" zu entgehen. In der That bedurfte es gar sehr 'eines Beweises, zwar
nicht dafür, dass der sogenannte „theoretische Egoismus* oder „Solipsismus' (die
Annahme irgend eines Menschen, dass er allein existire) eine Tollheit sei, wohl aber
dafür, dass nicht die schopenhauersche Subjectiviruug aller Kategorien und Auf-
hebung ihrer Anwendbarkeit auf .Dinge au sich* zu diesem absurden Satze
consequentermaassen hindränge. Wie ist eine reale Individualisirung des Einen
Willens zu einer Vielheit wollender, wahrnehmender und denkender Subjecte ohne
die Annahme der objectiv- realen Gültigkeit der Katcgorieu Einheit und Vielheit etc.
widerspruchslos denkbar?
**) Dass wir unser eigenes Innere (auch „Cogitare* im weitesten Siune dieses
Wortes) unmittelbar so wie es ist, erkennen, ist cartesiauische Doctriu; nachdem
Kant dieselbe bekämpft, der praktischen Vernunft aber einen Primat vor der
theoretischen zuerkannt hatte, wurde der cartesiauische Grundgedanke, aber nicht
in Bezug auf das Denken, sondern auf das Wollen, von Sendling wieder auf-
genommen, der in dem Wollen die Quelle des Selbstbewußtseins und das Ursein
erkennt, und in Uebereinstimmung hiermit von Schopenhauer. Dass wir das Imiere
anderer Wesen, die uns äusserlich mittelst unserer Sinne erscheinen, nach der
Analogie unseres eigenen Innern auffassen, ist eine zwar auch von Früheren bereits
erkannte, ganz besonders aber von Schopenhauer ins Licht gestellte Wahrheit,
deren, obzwar unvollkommene, Darlegung ihm einen bleibenden Platz in der
Geschichte der Philosophie sichert. Beneke, der sich zunächst an ihn in dieser
Doctrin angeschlossen hat, hat die wesentliche Ergänzung hinzugefügt, dass nicht
nur unser Wille, sondern ganz eben so unmittelbar und mit eben bo voller Wahr-
heit auch unser Vorstellen selbst innerlich von uns erkannt wird, ohne dass eine
dem Gegenstande der Auffassung selbst fremde Form die Auffassung trübt, und
im Anschluss au Beneke wird dieselbe Doctrin in Ueberwegs System der Logik
§ 40 ff. entwickelt. Bei Sch., der Kants Lehre von der Zeit als bloss subjectiver
Auffnssungsform beistimmt, bleibt übrigens die luconsequenz unüberwunden, dass
der Wille bei der Selbstauffassung sich nur unter der Form der Zeitlichkeit dar-
stellt und doch an sich ohne diese Form existiren müsste, ohne welche er aber
als Wille nicht denkbar ist, ferner der Widerspruch (dem Sch. vergeblich durch
die Supposition eines blossen „Miteinander" zu entgehen sucht), dass die Indivi-
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§ 34. Schopenhauer.
370
Das einzelne in Kaum und Zeit and dem Satze des Grundes gemäss erscheinende
Ding ist nur eine mittelbare Objectivation des Dinges an sich uder des Willens;
zwischen diesem und dem Einzelobject steht noch die Idee als die alleinige
unmittelbare Objectivität des Willens. Die Ideen sind die Stufen der Objectivation
des Willens, welche, in zahllosen Individuen ausgedrückt, uls die unerreichten
Musterbilder dieser oder als die ewigen Formen der Dinge dastehen, nicht selbst
in Zeit und Kaum, das Medium der Individuen, eintretend, sondern feststehend,
keinem Wechsel unterworfen, immer seiend, nie gewordeu, während jene entstehen
und vergehen, immer werden und nie sind. Als die niedrigste Stufe der Objecti-
vation des Willens stellen sich die allgemeinsten Kräfte der Natur dar, welche
theils in jeder Materie ohne Ausnahme erscheinen, wie Schwere, Undurchdriuglich-
keit, theils sich untereinander in die überhaupt vorhandene Materie getheilt haben,
so dass einige über diese, andere über jene, eben dadurch specifisch verschiedene
Materie herrschen, wie Starrheit, Flüssigkeit, Elasticität, Elektricität, Magnetismus,
chemische Eigenschaften und Qualitäten jeder Art. Die oberen Stufen der Objecti-
vation des Willens, auf welchen immer bedeutender die Individualität hervortritt,
erscheinen in den Pflanzen und Thieren bis zum Menschen hinauf. Jede Stufe der
Objectivatiou des Willens macht der andern die Materie, den Raum, die Zeit streitig.
Ein jeder Orgauismus stellt die Idee, deren Abbild er ist, nur nach Abzug des
Theils seiner Kraft dar, welcher verwendet wird auf die Ueberwältigung der
niederen Ideen, die ihm die Materie streitig machen. Je uachdem dem Organismus
die Ueberwältigung jener die tieferen Stufen der Objectivität des Willens uus-
duation des Willens einerseits die Bedingang des Hervortretens des individuellen
Intel lects bildet, andererseits aber eben diesen Intellect bereits voraussetzt, da
Zeit und Raum, die das Princip der Individuation sind, gleich der Causalität nach
der kautisch-schopeuhauerschen Doctriu nur für Formen des anschauenden uud
denkenden Subjects gelten; wie sehr durch diesen Subiectivismus die Durchführung
R Seydel gezeigt. (Von der groben Inconsequenz aber ist Sch. doch wohl frei,
welche ihm insbesondere Otto Liebmann vorwirft, dass er, wenn er von „Gehiru-
funetionen" redet, seinen eigenen Idealismus vergessen hätte; eine Kritik, die nicht
ohne Noth „haarsträubende Confusion" dem Denker aufbürden will, wird ihm dus
Recht zugestehen, den vulgärem Ausdruck „Gehirnfuuction" unter Vorbehalt der
Correctur zu gebrauchen, dass, streng genommen, die Function des der Gehirn-
erscheinuug zum Grunde liegenden Willens zu verstehen sei.) Sch. vermischt den
Begriff" „Wille", welcher die Vorstellung des Erstrebten uud die Ueberzeuguug der
Erreichbarkeit desselben involvirt, mit dem Begriffe „Trieb", der ohne solche
theoretischen Bestandteile sein kann; wenn unser Vorstellen nicht Object unseres
Vorstellens sein könnte, so könnte dies auch der Wille nicht sein, sondern höchstens
nur der blinde Trieb, und doch kommt andererseits Sch. in der Durchführung seiner
Theorie nicht ohne den Begriff des Willens im vollen Sinne aus; er sagt, er wolle
das Genus nach der vorzüglichsten Species benennen, erzielt aber dadurch den
falschen Anschein, als ob die Naturkräfte, indem er dieselben den Willen in der
Natur nennt, uns eben so sehr, wie der menschliche Wille, bekannt wären, und als
ob die zweckmässige Wirksamkeit derselben eben bo verständlich, wie die des
bewussten Willens, wäre. Der bildliche uud der eigentliche Sinn des Wortes Wille
fliesseu zusammen. Die Einheit des Willens, die Sch. als real nimmt, ist in der
That nur die Hypostase einer Abstraktion. Zudem lässt Sch. ununtersucht, ob nicht
alle Kraft und aller Trieb innere Zustände oder Qualitäten voraussetzen, welche,
mehr unseren Vorstellungen, als unseren Begehrungen analog, au sich nicht Kräfte
seien, sondern dies erst durch ihre Beziehungen zu andern werden. An die Be-
schränkung unseres eigentlichen Wesens auf den Willen knüpft sich ferner in
der praktischen Philosophie der Uebelstand, dass Sch. consequentermaasBen nicht
die positive Bedeutung des Vorstellens und Erkennens anzuerkennen vermag und
demgemäss, da der blosse „Wille zum Leben" keine wahrhafte Befriedigung gewährt,
nicht über denselben hinaus auf ein edleres Ziel, sondern nur von demselbeu weg
auf die Austilguug desselben zu verweisen vermag, wovon unten.
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380
§ 34. Schopenhauer.
drückenden Natnrkräfte mehr oder weniger gelingt, wird er zum vollkominneren
oder nnvollkommneren Ausdruck seiner Idee, d. h. er steht näher oder ferner dem
Ideal, welchem in seiner Gattnng die Schönheit zukommt*)
Auf dieser Ideenlehre ruht Schopenhauers im dritten Buche vorgetragene
Kunstlehre. Die Idee ist noch nicht in die untergeordneten, unter dem Satze
des Grundes begriffenen Formen des Erkennens eingegangen, aber sie trägt bereits
die allgemeinste Form des Funnens, die der Vorstellung überhaupt, des Object-
seius für ein Subject. Als Individuen haben wir keine andere Erkenutniss, als die
dem Satze des Grundes unterworfen ist; diese Form aber schliesst die Erkenntnis«
der Ideen aus. Von der Erkenntniss der einzelneu Dinge können wir uns zu der
Erkeiuitniss der Ideen nur dadurch erheben, dass im Subject eine Veränderung
vorgeht, welche jenem grossen Wechsel der ganzen Art des Objectes entspricht und
vermöge welcher das Subject, sofern es eine Idee erkennt, nicht mehr Individuum
ist. Das Erkennen gehört zur Objectivation des Willens auf ihren höheren Stufen.
Ursprünglich und ihrem Wesen nach ist die Erkenntniss dem Willen durchaus
dienstbar; bei den Thicren ist diese Dienstbarkeit nie aufzuheben; die Erkenntniss
der Idee geschieht, indem die Erkenntniss im Menschen sich vom Dienste des
Willeus losreisst, wodurch das Subject aufhört, ein bloss individuelles zu sein und
in fester Contemplation des dargebotenen Objectes, ausser seinem Zusammenhange
mit irgend welchen anderen, ruht und darin aufgeht. Wenn man aufhört, den
Relationen der Dinge zu einander und zum eigenen Willen am Leitfaden der
Gestaltungen des Satzes vom Grunde nachzugehen, also nicht mehr das Wo, das
Wann, das Warum und das Wozu an den Dingen betrachtet, sondern einzig und
allein das Was, und zwar nicht durch das abstrafte Denken, sondern durch die
ruhige Contemplation des gerade gegenwärtigen natürlichen Gegenstandes, dann ist
was so erkannt wird, nicht mehr das einzelne Ding als solches, sondern es ist die
Idee, die ewige Form, die unmittelbare Objectivität des Willens auf dieser Stufe,
und das Subject ist reines, willenloses schmerzloses, zeitloses Subject der Erkenntniss.
Diese Erkenntnissart ist der Ursprung der Kunst. Die Kunst, das Werk des
Genies, wiederholt die durch reine Contemplation aufgefassten ewigen Ideen, das
Wesentliche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt. Ihr einziges Ziel ist die
Mittheilung dieser Erkenntniss. Je nachdem der Stoff ist, in welchem sie wieder-
holt, ist sie bildende Kunst, Poesie oder Musik.**)
Giebt Schopenhauer in dem dritten Buche seines Hauptwerkes seine Aesthetik,
so in dem vierten seine Ethik, zu deren Darstellung freilich auch „die beiden
Grundprobleme der Ethik" herangezogen werden müssen. Was die Frage nach der
menschlichen Freiheit anlangt, so ist Sch. vollkommener Determinist. Alles, was
in die Erscheinung tritt, ist dem Satze vom Grunde unterworfen. Aber der Mensch
hat das untrügliche Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was er thut, der Zu-
rechnungsfähigkeit für seine Handlungen, beruhend auf der unerschütterlichen Gewiss-
heit, dass er selber der Thäter seiner Thaten ist DieThat ist jedoch nur das Zeugniss
von dem Charakter des Thäters. Der Charakter trägt die Schuld ; da aber, wo die
*) Dass Schopenhauer, wie in seiner Lehre von dem Einen Willen als Ding
an sich gleich den Kl raten, Megarikern und Spinoza, so in seiner Ideenlehre, gleich
Flatou und Schelling Abstraktionen, die wir im Denken vollziehen, fälschlich
objectivirt und hypostasirt, ist offenbar.
**) Schopenhauer rückt die ästhetische Auffassung, um sie von dem «Willen*
zu sondern, der theoretischen sehr nahe, ohne doch, da er einen Genuas des
Schönen anerkennt, zur gänzlichen Abscheidung von der Beziehung auf den jedes
Gefühl bedingenden «Willen* fortgehen zu können. In seiner Ideenlehre schlägt die
logische Allgemeinheit in eine ästhetische Vollkommenheit um.
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§ 34. Schopenhauer.
381
Scheid liegt, muss auch die Verantwortlichkeit zu finden sein, liier nimmt nun
Schopenhauer die Lehre Kants vom Verhältnis zwischen empirischem und iutelli-
giblem Charakter, von der Vereinbarkeit der streng empirischen Notwendigkeit
des Handelns und der transscendentalen Freiheit auf, eine Lehre, welche nach
Schopenhauer zum Schönsten und Tiefstgedachten gehört, was Kant, ja was Menschen
jemals hervorgebracht haben. Der empirische Charukter ist wie der ganze Mensch
als Gegenstand der Erfahrung eine blosse Erscheinung, daher auch an Raum, Zeit,
Causalität gebunden, deren Gesetzen unterworfen. Hingegen ist die von diesen Formen
unabhängige, unveränderliche Bedingung und Grundlage dieser ganzen Erscheinung
sein intelligibler Charakter, d. h. sein Wille als Ding an sich, welchem in dieser
Eigenschaft absolute Freiheit, d. h. Unabhängigkeit vom Gesetze der Causalität
zukommt. Die Freiheit ist eine transsceudentale, tritt nicht in der Erscheinung
hervor, sondern ist insofern nur vorhanden, als wir von der Erscheinung und allen
ihren Formen abstrahiren, um zu dem zu gelangen, was ausser aller Zeit als das
innere Wesen des Menschen an sich selbst zu denken ist. Vermöge dieser Freiheit
sind alle Thaten des Menschen sein eigenes Werk, bo nothwendig sie auch aus dem
empirischen Charakter bei seinem Zusammentreffen mit den Motiven hervorgehen.
So dürfen wir die Freiheit nicht in unseren einzelnen Handlungen, Boudern müssen
sie im ganzen Sein und Wesen suchen. Operari sequitur esse. Jeder Mensch
handelt nach dem, wie er ist, und die demgemäss jedes Mal nothwendige Handlung
wird im individuellen Fall allein durch die Motive bestimmt.
In Folge dieser Lehre von der empirischen Nothwendigkeit giebt Schopenhauer
keine Gesetze in der Ethik, sondern nur eine Beschreibung der Handlungen, welche
für moralisch oder für unmoralisch gelten. Für unmoralisch gelten nun nach ihm
bei jedem Vernünftigen zweierlei Handlungen: 1. die, welche aus reinem Egoismus,
2. die, welche aus reiner Bosheit, d. h. aus der Absicht, Andern positiv zu schuden,
hervorgehen. Ausser diesen giebt ea für die Menschen noch eine dritte Triebfeder
für das Handeln, nämlich das Mitleid. Den Handlungen, die aus diesem hervor-
gegangen sind, wird wahrer moralischer Werth zugesprochen. Solche Handlangen
gehören in das Gebiet zweier Tagenden, der Gerechtigkeit, vermöge deren ich den
Aeasserungen meines Egoismus und meiner Bosheit, durch die Andern geschadet
wird, entgegentrete, und der Menschenliebe, vermöge deren ich zur Linderung und
Aufhebung fremder Noth grössere oder geringere Opfer bringe. Das Mitleid ist
daB Fundament aller wahren Moral.
Wenn nun eine Handlung aus Mitleid hervorgehen soll, also ganz allein des
Andern wegen, so muss dessen Wohl unmittelbar mein Motiv sein, wie bei den
meisten andern Handlungen es mein eigenes Wohl ist. Ich muss mich mit dem
Andern auf irgend eine Weise identificirt haben. Wie ist das aber möglich? Dies
wird auf metaphysische Art erklärt: da das innerste Wesen der eigenen Erscheinung
auch das des Andern ist, so sind für die dies Erkennenden die Schranken zwischen
den verschiedenen Individuen gefallen, und ein Jeder sagt sich: das bist da, wenn
er einen Andern sieht, du selbst bist der Leidende, wenn er einen Andern leiden
sieht. So ist es auch erklärlich, wie sich das Gefühl des Mitleids nicht nur auf
Menschen, sondern auch auf Thiero erstreckt, was Schopenhauer als einen besondern
Werth seiner Ethik ansah.
Dem Mitleid nachzukommen ist allerdings moralisch, aber dennoch ist dies
nur der niedere Flug des Menschen, es giebt einen höheren. Das Ausich des Lebens,
der Wille, das Dasein selbst, wie es in jedem Individuum sich zeigt, ist ein stetes
Leiden, ist theils jämmerlich, theils schrecklich. Der Wille ist in seinen Erscheinungen
nichts als Begehren, Bedürfniss. Mau begehrt ja nur, wenn man etwas bedarf.
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§ 34. Schopenhauer.
Alles Streben entspringt ans Unzufriedenheit mit dem jeweiligen Zustande, ist also
Leiden, so lange es nicht befriedigt ist. Keine Befriedigung ist aber dauernd, viel-
mehr ist sie stets der Anfangspunkt eines neuen Strebens. Da nun kein letzte«
Ziel des Strebens zu ersehen ist, giebt es auch kein Maass und Ziel des Leidens.
Sobald das Streben ja auf kurze Zeit einmal im Leben aufhört, stellt sich sogleich
der andere Dämon des Lebens, den es neben der Noth noch giebt, nämlich die
Langeweile, ein. Zwischen diesen beiden schwingt das Leben wie ein Pendel hin
und her. Mit der Höhe der Intelligenz wächst das Leiden, deshalb ist es für den
Menschen am grössten. Diese "Welt demnach für eine gute oder gar für die beste
zu erklären, Ist nicht nur thöricht, sondern sogar gottlos, zumal der Wille in seinen
einzelnen Erscheinungen auf das Heftigste gegen sich selbst wüthet. Die Welt ist
die schlechteste, die überhaupt gedacht werden kann, und wäre sie nur noch ein wenig
schlechter, so könnte sie überhaupt nicht mehr existiren. Das Leben ist nicht
lebenswerth, das Nichtsein dem Sein weitaus vorzuziehen. Der Wille ist blind,
ohne Intellect gewesen, der diese Welt, das Leben in derselben hervorgebracht hat.
Schopenhauer lehrt so den entschiedensten Pessimismus. In dieser schlimmen
Welt erblickt sich der Wille nun selbst, wenn er sich in dem Menschen das Licht
der Erkenntniss anzündet. Es kann dann die Frage auftauchen: Wozu dies Alles?
L.»hut die Last und die Mühe des Lebens durch den Gewinn? Als Vorstellung
freilich allein, rein angeschaut oder durch die Kunst wiederholt, gewährt das Dasein
ein bedeutendes Schauspiel, Freiheit von Qual im Genuss des Schönen. Aber diese
Erkenntniss erlöst nicht auf immer, sondern nur auf Augenblicke vom Leben und
ist sonach nicht der Weg auB demselben, nicht ein Quletlv des Willens, dessen
es zur dauernden Erlösung bedarf.
Hier wird von Schopenhauer — freilich in ganz inconseqnenter Weise — die
Möglichkeit statuirt, bei dem Lichte deutlicher Erkenntniss sich frei für oder wider
diesen Willen zu erklären, d. h. den Willen zu bejahen oder zu verneinen. Hier
ist der einzige Fall, wo die Freiheit, die sonst in die intelliglble Welt verlegt
wird, in die Erscheinung tritt. Der Wille bejaht sich, wenn er, nachdem die
Erkenntniss des Lebens eingetreten ist, dasselbe ebenso will, wie er es bis dahin
ohne Erkenntniss ah? blinder Drang gewollt hat. Das Gegentheil hiervon, die Ver-
neinung des Willens zum Leben, zeigt Bich, wenn auf jene Erkenntniss das
Wollen endet, Indem sodann nicht mehr die erkannten einzelnen Erscheinungen als
Motive des Wollens wirken, sondern die ganze, durch Auffassung der Ideen er-
wachsene Erkenntniss des Wesens der Welt, die den Willen spiegelt, zum Quietiv
des Willens wird, und so der Wille sich selbst frei aufhebt. Dann genügt es dem
Menschen nicht mehr, die Andern sich gleich zu setzen und diese Erkenntniss
praktisch in der Gerechtigkeit und in der Menschenliebe zu beweisen, sondern es
entsteht in ihm Abscheu vor dem Wesen dieser jammervollen Welt, dessen Aus-
druck seine eigene Erscheinung ist. Er wählt freiwillig Keuschheit, um die Fort-
pflanzung in künftige Geschlechter zu verneinen, und damit ist der erste Schritt
zur Aufhebung des Willens gethan. Von allen Menschen so neglrt, würde der
Wille zum Leben überhaupt aufhören. Dann wird die Askese weiter getrieben.
Freiwillige Armuth wird getragen, das Widerwärtige, Abscheu Erregende aufgesucht,
um den Willen zu ertödten, die Erscheinung des Willens, der Leib, nur kümmerlich
ernährt, es wird gefastet, ja Peinigungen und Kasteiungen müssen eintreten, bis
der Wille, der in dem Körper lebt, völlig erloschen ist, wenn seine Erscheinung
auch noch durch einen letzten Faden mit dem Leben zusammenhängt. — Der Selbst-
mord, als eine besondere Art der Bejahung des Willens, ist nicht erlaubt. — Statt
der Unruhe, die sonst den Menschen von Ziel zu Ziel jagt, erfüllt ihn jetzt der volle
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§ 35. Herbart.
383
Friede. Nur die Erkenntniss ist geblieben, der Wille ist geschwanden, nichts ist
für den Menschen mehr Motiv.*)
§ 35. Im Gegensatz zu Fichtes subjectivem Idealismus und zu
Sendlings erneutem Spinozismus hat unter Anknüpfung an das rea-
listische Element in der kantischen Philosophie, wie auch an eleatische,
platonische und leibnizische Lehren Johann Friedrich Herbart (177G
bis 1841) eine philosophische Doctrin ausgebildet, die er selbst nach
ihrem vorherrschenden Charakter als Realismus bezeichnet. Die
Philosophie definirt er als Bearbeitung der Begriffe. Die Logik
zielt auf die Deutlichkeit der Begriffe ab, die Metaphysik auf
die Berichtigung derselben, die Aesthetik im weiteren Sinne,
welche die Ethik in sich fasst, auf die Ergänzung der Begriffe
durch Werthbestimmungen. Herbarts Logik kommt principiell
mit der kantischen überein. Herbarts Metaphysik ruht auf der Vor-
aussetzung, dass in den durch die Erfahrung dargebotenen formalen
Begriffen, insbesondere in dem Begriff des Dinges mit mehreren
Eigenschaften, in dem Begriff der Veränderung und in dem Begriff
des Ich Widerspruche enthalten seien, welche zu einer Umformung
derselben nöthigen. In der Hin wegschaffung dieser Widerspruche
findet Herbart die eigentliche Aufgabe der Speculation. Das Sein
oder die absolute Position kann nicht mit Widersprüchen behaftet ge-
dacht werden, daher dürfen jene Begriffe nicht unverändert bleiben;
andererseits ist es so zu denken, dass es den empirisch gegebenen
Schein zu erklären vermöge, denn wie viel Schein vorhanden ist, so
viel Hinweisung auf Sein liegt vor. Also sind jene Begriffe, obschon
sie nicht beibehalten werden dürfen, doch auch nicht völlig zu ver-
werfen, sondern methodisch umzugestalten. Die Widersprüche in dem
Begriffe des Dinges mit vielen Eigenschaften nöthigen zu der Annahme,
dass viele einfache reale Wesen zusammen seien, deren jedem eine
einfache Qualität zukomme. Die Widersprüche im Begriff der Ver-
änderung nöthigen zu der Theorie der Selbsterhaltung als des Bestehens
wider Störung bei gegenseitiger Durchdringung einfacher realer Wesen.
Die Widersprüche im Begriffe des Ich nöthigen zur Unterscheidung
von appereipirten und appereipirenden Vorstellungen. Die gegenseitige
Durchdringung und Einheit der Vorstellungeu aber beweist die Einfach-
heit der Seele als ihres Trägers.
*) Schopenhauer svmpatbisirt mit den indischen Büsaern, mit der buddhistischen
des Lebens (Sansara) and Eingang in die Bewnsstloaigkeit (Nirwana) and mit den
asketischen Elementen im Christentham, aber ohne in seiner greisenhaften Moral
ein positives Ziel zu kennen, nm deswillen die Aufhebung des Niederen eine sitt-
liche Aufgabe ist: zu diesem Behuf würde es der (von Frauenstädt versuchten)
Hervorhebung der dem »Willen" von seinen frühesten Stufen an wesentlichen Be-
ziehung zum „Intellect" bedürfen.
Lehre
durch den Austritt aus der bunten Welt
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§ 35. Herbart.
Die Seele ist ein einfaches, unräumliches Wesen, dem eine
einfache Qualität zukommt. Ihr Sitz ist ein einzelner Punkt in-
mitten des Gehirns. Werden die Sinne afficirt, und setzt die Be-
wegung mittelst der Nerven zum Gehirn sich fort, so wird die Seele
von den einfachen realen Wesen, die in ihrer nächsten Umgebung
sind, durchdrungen; ihre Qualität übt dann eine Selbsterhaltung wider
die Störung, die sie durch jede der ihrigen partiell oder total ent-
gegengesetzte Qualität eines jeden von jenen anderen einfachen Wesen
erleiden würde; eine jede solche Selbsterhaltung der Seele aber ist
eine Vorstellung. Alle Vorstellungen beharren, auch nachdem der
Anlass, der sie hervorgerufen hat, aufgehört hat, zu bestehen. Sind
mehrere Vorstellungen gleichzeitig in der Seele und sind dieselben
einander partiell oder total entgegengesetzt, so können dieselben nicht
ungehemmt zusammen bestehen; es muss so viel von ihnen gehemmt,
d. h. unbewusst werden, als die Intensität sämmtlicher Vorstellungen
mit Ausnahme der stärksten beträgt. Dieses Hemmungsquantum
nennt Herbart die Hemmungs summe. Jede Vorstellung hat um so
mehr von der nemmungssumme zu tragen, je schwächer sie selbst
ist. An die Intensitäts Verhältnisse der Vorstellungen und an die
Gesetze der Aenderung dieser Verhältnisse knüpft sich die Möglichkeit
und wissenschaftliche Notwendigkeit, Mathematik auf die Psychologie
anzuwenden.
Unabhängig von der theoretischen Philosophie ist Herbarts
Aesthetik, deren wichtigster Theil die Ethik ist. Die ästhetischen
Urtheile erwachsen aus dem Gefallen und Missfallen, welches sich an
gewisse Verhältnisse, die ethischen Urtheile insbesondere aus dem,
welches sich an Willensverhältnisse knüpft. Nicht in den Zielen,
den zu erstrebenden Gütern, ist der Werth des sittlichen Wollens zu
suchen, sondern in der Form des Willens. Ehe aber diese bestimmt
werden kann, ist die Einsicht nöthig von dem, was unbedingt werth
ist, als Gesetz zu gelten. Nur durch eine von allem Wollen unab-
hängige Werthbeurtheilung ergiebt sich die Berechtigung des Gesetzes,
zu gebieten. Die Urtheile gehen nun auf Willensverhältnisse, da es
ja auf die Form des Willens ankommt, und sie bilden das System
der sittlichen Musterbegriffe oder der praktischen Ideen. Auf die
Uebereinstimmung des Willens mit dem über ihn ergehenden sittlichen
Urtheil überhaupt bezieht sich die Idee der inneren Freiheit, auf
die gegenseitigen Verhältnisse der Willensacte Einer Person die Idee
der Vollkommenheit, auf die wohlgefällige Uebereinstimmung des
Willens des Einen mit dem Willen des Andern die Idee des Wohl-
wollens oder der Liebe, auf die Vermeidung des missfallenden Streits,
welcher bei der gleichzeitigen Richtung mehrerer Willen auf das
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§ 35. Herbart.
385
nämliche Object entsteht, geht die Idee des Rechts, auf die Auf-
hebung der missfallenden Ungleichheit bei einseitigem Wohlthun oder
Wehethun geht die Idee der Vergeltung oder Billigkeit. Auf
der Ethik, welche die Ziele bestimmt, und auf der Psychologie, welche
die Mittel aufzeigt, ruht die Pädagogik, wie auch die Staatslehre. Der
Staat, seinem Ursprung nach eine durch Macht geschützte Gesellschaft,
ist bestimmt, die sämmtlichen ethischen Ideen als eine von ihuen
beseelte Gesellschaft zur Darstellung zu bringen. Der Gottesbegriff,
für dessen Gültigkeit Herbart den teleologischen Beweis fuhrt, gewinnt
in dem Maasse religiöse Bedeutung, als er durch ethische Prädicate
bestimmt wird. Jeder Versuch einer theoretischen Durchbildung der
philosophischen Gotteslehre ist mit ;der herbartschen Metaphysik un-
verträglich.
Herbarts kleinere philos. Schriften und Abb. nebst dessen wissensch. Nachlas«
hat 6. Hartenstein in 3 Bdn., Leipzig 1842, herausgegeben. Seine sämmtl. Werke hat
G. Hartenstein in 12 Bdn. herausgegeben, Leipzig 1850 — 52, 2. Abdr., Hamb., 1883 ff.
Sämmtl. Werke in chronolog. Reihenfolge herausgeg. v. Karl Kehrbacb, 1. u. 2. Bd., Lpz.
1882, 1885 (nieht mehr in diesem Verlag, Veit u. Co., erschienen), 1. u. 2. Bd. wiederum
Langensalza 1887 (kritisch genau revidirter Text mit Angabe von Varianten und der
Paginirung früherer Ausgaben). Die pädagog. Schriften hat Otto Willmann in chronolog.
Reihenfolge mit Einleitg., Anmerkgn. und comparativ. Regist. herausgeg., 2 Bde., Lpz.
1873 u. 75, 2. Aufl. 1880; dieselb. herausgeg. mit Biographie v. Bartholomäi in d.
Biblioth. pädagog. Classiker, 2 Bde., 2. Ausg., 1877. Herbartische Reliquien. Ein
Supplem. zu H a sämmtl. Werken, hrsg. von Ziller, Leipz. 1871 (enth. Briefe, Abhandl.
und Aphorismen). R. Zimmermann, Ungedruckte Briefe von u. an Herbart, Wien 1877.
lieber Herbarts Leben bandelt Hartenstein in der Einleitung zu s. Ausgabe der
kleineren philos. Schriften u. Abhandlgn. H.s, Bd. I, Lpz. 1842. Ferner Voigdt, zur Er-
innerung an H., Worte, gesprochen am 28. Oct. 1841 in der öffentl. Sitzung der K.
deutsch. Gesellsch. zu Königsberg, Kgsbg. 1841. Joh. Friedr. Herbart, Erinnerung an die
Göttingische Katastrophe im Jahr 1837, ein Posthumum (hrsg. von Taute). Kgsbg. 1842.
F. H. Th. Allihn, üb. d. Leb. und die Schriften J. F. Herbarts, nebst e. Zusammen-
stellung der Litteratur seiner Schule, in: Zeitschr. für exacte Philos., hrsg. von Allihn
u. Ziller, Bd. I, Heft 1, Lpz. 1860, S. 44 ff. Zur Biogr. H.s: Sanio, zur Erinnerung an
H. als Lehrer der Kgsbg. Univers, in „Herbartische Reliqu*", S. 1 — 19. F. Bartholomäi,
J. Fr. Herbart, ein Lebensbild, Langensalza 1875. G. A. Hennig, Joh. Fr. Herbart,
Lpz. 1876, 2. Aufl. 1877. Joh. Smidt (weil. Btlrgermst. v. Bremen), Erinnerungen an
J. F. Herbart, in d. 1. Bde. der Ausgabe der Werke H.s von Kehrbach, XXIII-XXXXVI.
Ueber H.s philos. Standpunkt und über einzelne seiner Doctrinen linden sich
zahlreiche kritische Bemerkungen in verschiedenen Schriften und Abhandlungen von
Beneke, Trendelenburg, Chalybäus, Ulrici, Franz Hoffmann, Lotze (Ob. H.s Ontologic,
in: Ztschr. f. Phil, etc., Bd. 11, 1843), Fechner (zur Krit. der Grundlagen von H.s
Mctaphys., in: Ztschr. f. Philos. etc., Bd. 23, 1853), Zimmermann und anderen unten
zu erwähnenden Philosophen. Manche zur Erläuterung der herbartachen Lehre dienenden
Schriften u. Abhandlungen von Drobisch, Strümpell, Hartenstein und andern Schülern
Herbarts sind Abschnitt IV dieses Bds. aufgeführt. In letzter Zeit sind u. A. erschienen:
P. J. H. Leander, üb. H.s philo«. Standp., Lund 1865. F. A. Lange, d. Grundlegung
der mathemat. Psycho]., ein Versuch zur Nachweisung der fundamentalen Fehler b.
Herbart u. Drobisch, 1865. K. Fr. W. L. Schulze, H.s Stellung zu Kant, entwickelt
an den Hauptbegriffen ihrer Philos., Gotting. Inaug.-Diss., Luckau 1866. Herrn. Langen-
berg die theor. Phil. H.s und seiner Schule und die darauf bezügliche Kritik, Berl.
1867. Wilh. Schacht, krit.-philos. Aufsätze, 1. Heft: Herbart und Trendelburg, Aarau
1868 (vgl. dagegen J. Bergmann in den philos. Monatsheften, Bd. I, 1868, S. 237 — 242).
E. F. Wyneken, das Naturgesetz der Seele, Hannov. 1869. E. Otto Zacharias, üb.
einige metaphys. Differenzen zwisch. H. u. Kant, Rostocker Promotionsschrift, Lpz. 1869.
Rieh. Quäbicker, Kants und H.s metaphys. Grundaus. üb. d. Wesen der Seele, Berl.
1870. Jul. Kaftan, Sollen und Sein in ihrem Verhältn. zu einander, eine Studie zur
Qebtrweg-Beiaze, Onadriaa III. 7. Aufl. 25
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386
§ 35 Herbart.
Krit. H.s, Lpz. 1872. H. Siebeck, Aristotelis et H. do< triuae psychologieae quibus rebus
inter se congruant, Inaug.-Diss., Hallt- 1 S7*J. D. Burger, de zcdckunde volgens «le
beginselen der leer van H., Amersfort 1872. Alcss. Pauli, la iilosufla pratica di Herb.,
Torino 1873. W. Rein, H.s Regierg., Unterr. u. Zucht in ihr. Verhältnis* zu einandet,
Eiseuach 1873. Ph. Landerl, die Willensfreiheit vom h.sehen Standpunkte aus, Gyiun.-
Progr., Kremsmünster 1874. Theod. Lipps, zur h. sehen Ontotogie, I.-D., Bonn 1874.
C. A. Thilo, IL» Verdienste um d. Phil., Vortrag. Oldcnbg 1876. Th. Vogt, Lotts
Kritik der h.seben Ethik und H.s Entgegnung, Wien 1875. R. Martin, die letzten
Elemente der Materie in den Naturwissensehaften u. in H.s Metaphysik, Crimmitschau
187.'». W. Drobisch, üb. d. Fortbildung d. Philo«, durch H., akad. Vorlesung, Lpz.
187t;. K. S. Just, die Fortbildung der kantischen Ethik durch H., Eisenach 1870. M.
Lazarus, Kede auf H. bei d. Enthüllung seines Denkmals in Oldenburg. Berl. 1876.
G. A. Hennig, J. Fr. H., zu seinem Säculargeburtst. nach seinem Leben und seiner
pädngog. Bedeutung dargestellt, Kyritz 1870. R. Zimmermann. Perioden in H.s pbilos.
Geistesgang, Wien 1877. G. Schneider, die metaphys. Grundlagen der h.seben Psychologie
dargest. u. krit. untersucht, Inaug.-Diss., Erlangen 1K77. P. Hohlfeld, über ILs prakt.
Pbilos., Neuwied 1877. Ernst Katzer, d. mural. Gottesbeweis nach Kant u. Herbart,
I.-D., Lpz. 1877. J. Capesius, die Metaphys. H.s in ihrer Kntwickelungsgesch. u.
ihrer histor. Stellung, Lpz. 1878. Straszewski, Herbart, sa vie et sa philo», d'apres des
publications reeentes, in: Rev. pbilos.. Bd. 7, 1879, S. 514—520, 045 — 073. AI.
Schwarze, die Stellung der Religionsphilos. in H.s System, I. D., Halle 1881. H. Holt-
mann, d. Religionsbegr. der Schule Herbarts, in: Ztsehr. f. wissensch. Theol., 1882.
Alb. Schoel, zur Krit. der herbart. Religionsphilos., Lpz. 18*3; ders., J. F. H.s pbilos.
L. v. d. Religion qucllenniässig dargestellt, Dresden 1SS4. O. Flügel, e. neuer Angr.
auf H.s Religionsph. (O. Pfleiderer, Religionsph. I, 1883). in: Ztsehr. f. ex. Ph., XIII,
1884, S. 270—304. Hnr. Free, d. L. H.s v. d. mschl. Seele mit H.s eigenen Worten
zusammengestellt, Bernb. 18«5. Frdr. Dittes, l'ebers. «1er Pädag. H.s, d. Psvchol. H.s,
d Eth. H.s, Krit. der Pädag. H.s, in: Pädagogium, Monatsschr. f. Erzieh, u. Unterr.,
1885, Heft 7—10 (scharfe Kritik H.s), s. dazu: Chr. A. Thilo u. O. Flügel, Dittes üb.
d. prakt. u. theoret. Ph. H.s, Langensalza 1880, s. auch Ztsehr. f. ex. Ph., Bd. XIV,
1880. O. Krüger, zur Krit. der herbartschen Ethik, G.-Pr., Chemnitz 1886. O. Foltz,
d. metaphys. Grundlagen der herb. Psychologie u. ihre Beurtheil. durch Herrn Dr. Dittes,
Gütersloh 18R0. A. Rosinski, Krit. d. Beweisgründe des herb. Realism. f. d. Sub-
jeetivität des Wahrnehmungsinhaltes, Lpz. 1887. W. Ostermann, die hauptsächlichsten
Irrthümer der herbartschen Psychologie u. ihre pädagog. Consequenzen, Oldenb. 1887.
C. A. Thilo, Eine Untersuch, üb. H.s Ideenlehre in Bezug auf d. v. Lott, Hartenstein u.
Steinthal an ihr gemachten Ausstellungen, in: Ztsehr. f. ex. Ph., Bd. XV, 1887, S. 225
bis 257. 341—354. — S. auch Ldw. Strümpell, d. Einleit. in d. Pbilos,, namentlich 282 ff.
O. Hostinsky, üb. die Bedeut. d. prakt. Ideen H.s f. d. allg. Aesthct., Prag 1883. Viele
Aufs, in d. Ztsehr. für exaete Phil. u. bes. H.s Pädagogik betreffend, in dem „Jahr-
buch d. Vereins f. wissenseh. Pädagogik*.
Von Herbarts Schriften (deren chronologisches Verzeiehniss Hartenstein am
Schluss des XII. Bandes der sämmtlichen Werke giebt) sind die bemerkenswerthesten
folgende:
L'eber Pestalozzis neueste Schrift: wie Gertrud ihre Kinder lehne, in: Irene, eine
Monatsschr., hrsg. von G. A. v. Halem, Bd. I, Berl. 1802, S. 15—51, wiederahg. (ausser
in H.s kl. Sehr. Bd. III, S. 74 ff.) in den sämmtl. Werken XI, S. 45 ff.
Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung als ein Cyelus von Vorübungen im
Auffassen der Gestalten wissenschaftlich ausgeführt, Gotting. 1802; 2., durch eine Abb.
über d. ästhetische Darstellg. der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung, vermehrte
Aufl., ebd. 1804. Werke XI, S. 79 ff.
De Platonici systematis fundamento commentatio (zum Antritt des Extraordinariats in
Göttingen), Gött. 1805, W. XII, S. 01 ff. Kl. Sehr. Bd. I, S. 67 ff.
Allgemeine Pädagogik, aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet, Gött. 1806,
W. X, S. 1 ff.
Hauptpunkte der Metaphysik, Gött. 1800 u. 1808. KI. Sehr. I, 199. W. III,
S. 1 ff.
Hauptpunkte der I^ogik (auch als Beilage zur Ausgabe der Hauptp. der Metaph.
1808), Gött. 1808. Kl. Sehr. I, 254. W. I, 405 ff.
Allgemeine praktische Philosophie, Gött. 1808. W. VIII, S. 1 ff. Nene
Ausg., Lpz. 1873.
Psychologische Bemerkungen zur Tonlehre, in: Königsberger Archiv, Bd. 1, St. 2;
W. VII, S. 1 ff.; psycholog. Untersuchung über d. Stärke einer gegebenen Vorstellung
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§ 35. Herbnri.
387
als Function ihrer Dauer betrachtet, ebd. Sr. 3, W. VII, S. 21» ff. (Kl. Sehr. I,
S. 331 ff.; S. 30 1 ff.)
Theoriae de attractione clemcniorum prineipia metaphvsica, Kcgiomonti 1812,
W. IV, S. 521 ff., Kl. S. I, -109. (Ans d. Latein, durch Karl Thomas ü benutzt und
eingeleitet, int diese Schrift Herl in 1859 wieder herausgegeben worden.)
Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, Königsb. 1813, 2. Aufl. 1821,
5. Aufl. 2. Abdr., Hamb. 1883. W. I, S. 1 ff. (Besonders werthvoll u. nicht etwa zu
verwechseln mit der viel unbedeutenderen sogleich zu erwähnen de u Encyclop. d. Ph.)
Lehrbuch zur Psychologie. Königsb. u. Leipz. 1810, 2. verb. Aufl. ebd. 1834,
3. Aufl. 3. Ahd.. herausgeg. v. G. Hartenstein, Lpz. 1*87. W. V. S. 1 ff.
Gespräch über das Böse, König>b. 1817. W. IX, S. 49 ff. Kl. S. II, 115.
Ueber den Unterricht in der Philosophie auf Gymnasien, Beil. der 2. Aufl. des
Lehrb. zur Einl. in die Philo»., \V. XI, S. 390, Kl. S. III, 98.
De attentionis meusura causisque primariis psychologiae prineipia ftatica et
meehanica exemplo illustraturus scripsit J. F. Herbart, Regiomonti 1822, W. VII, 73 ff.
Kl. S. II, S. 353 ff.
L'eber die Möglichkeit u. Notwendigkeit, Mathematik auf Psychologie anzuwenden,
Königsb. 1822, W. VII, S. 129 £ Kl. S. II, 417.
Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphvsik und
Mathematik. Königsb. 1824—25. W. Bd. V u. VI.
Allgemeine Metaphvsik nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre,
Königsb. 1828-29, W. Bd. III u. IV.
Kurze En. vdopädie der Philosophie aus praktischen Gesichtspunkten entworfen.
Halle 1831, 2. Aufl. 1841. \V. Bd. II.
De prineipio logico exclusi medii inter contradictoria non negligendo commentatio,
Gört. 1833, W. I, S. 533 ff. Kl. S. II. 721.
Umriss pädag. Vorlesungen, (iött. 1835. 2. Aufl. 1841. W. X, S. 185 ff.
Zur Lehre von der Freiheit des menschlichen Willens, Briefe an Herrn Prof.
Griepenkerl. Gött 1830, W. IX, S. 211 ff.
Analvtische Beleuchtung des Naturrechts und der Moral, Gött. 183G, W. VIII,
S. 2131V.
Psychol. Untersuchungen, Heft 1 u. 2, Gött. 1839—40, W. VII. S. 181 ff.
Johann Friedrich Herbart, geboren zu Oldenburg, wo sein Vater Justiz-
rath war, am 4. Mai 1776, erhielt seine erste Bildung durch Privatunterricht und
auf dem Gymnasium Beiner Vaterstadt; er war früh mit der wölfischen Philosophie,
daneben auch mit kantisehen Lehren bekannt Im Jahre 1794 bezog er die Universität
Jena, wo damals gerade Fichte seine Wisseuschaftslehre entwickelte. Lebhaft zu
philosophischem Denken angeregt, legte Herbart schriftlich seinem Lehrer Bedenken
gegen Sätze der Wissenschaftslehre vor und überreichte ihm auch eine Kritik der
beiden ersten Schriften Sendlings: über die Möglichkeit einer Form der Philosophie
überhaupt, und: vom Ich oder dem Unbedingten im menschlichen Wissen. Herbart
gewann die Uebcrzeugung, es komme in der Philosophie nicht daranf an, „da fort-
zufahren, wo ein zu grosser Berühmtheit gelangter Philosoph zu bauen aufgehört
hat", sondern: .auf die Fundamente zu achten, dieselben der schärfsten Kritik zu
unterwerfen, ob sie auch wirklich tauglich sind, ein Gebäude des Wissens zu tragen".
Herbarts Streben nach Genauigkeit in der Untersuchung ward durch die Anregung,
die er von Fichte empfing, gefördert. Auf den Begriff des Ich ward früh sein
Nachdenken gelenkt. In einem 1794 verfossten Anfsatz glaubt er in dem Sichselbst-
vorstellen einen .unendlichen Cirkel zu finden, da ich mich als den setze, der sich
selbst, also den sich Vorstellenden u. s. f. vorstellt, meint jedoch, jene Unendlichkeit
werde erschöpft, indem das Ich sich die Aufgabe selbst, die ganze Unendlichkeit
in Einem Begriffe vorstelle, durch den Begriff des Ich werde also das Umfassen der
Unendlichkeit postulirt. Die Keime zu Herbarts späterer Lösung des Ichproblems
aber und überhaupt zu seinem späteren „Realismus* Bind bereits in seiner 1796
geschriebenen Kritik der schell iugschen Schrift vom Ich enthalten, indem er hier
der schell iugschen Disjunction: „ entweder Wissen ohne Realität oder ein letzter
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388
§ 35. Herbert.
Punkt der Realität* als drittes Glied beifügt: .oder ebenso mamri gf altige Realität
des Wissens, als es Mannigfaltigkeit des Wissens giebt", die Möglichkeit mehrerer
Gründe für Eine Folge, gleich mehreren Anhängepunkten für eine Kette hervorhebt,
und den Satz aufstellt: ,jedes Bedingte setzt zwei Bedingungen voraus". In den
Jahren 1797—1800 war Herbart Hauslehrer in der berner Familie von Steiger zu
Interlaken. Da er vor Allem der Poesie und der Mathematik bildende Kraft zu-
Bchrieb, so beschäftigte er seine (drei) Zöglinge zunächst hauptsächlich mit diesen
Unterrichtsobjecten (wobei er im Griechischen von Homer ausging) und schob
Moral und Geschichte auf eine spätere, wie er glaubte, für das Verständniss der-
selben geeignetere Zeit hinaus, erfuhr jedoch eine ihn tief schmerzende Störung
seines Planes durch ein unvorhergesehenes vorzeitiges Abbrechen des Unterrichts
bei dem ältesten der Zöglinge. Mit Moral und Psychologie beschäftigte sich H.
eifrig in dieser Zeit. Durch einen Besuch bei Pestalozzi lernte er dessen Unterrichta-
weise kennen, welcher er steta ein lebendiges Interesse bewahrt, und aus der er
Manches in seine eigene pädagogische Theorie aufgenommen hat. Im Jahre 1800
ging Herbart über Jena und Göttingen in seine Ueimath zurück. Er verweilte bis
1802 in Bremen im Hause seines Freundes Joh. Smidt, mit Philosophie und Päda-
gogik beschäftigt, in Göttingen habilitirte er sich im Oktober 1802 als Docent der
Philosophie und Pädngogik; im Jahre 1805 erhielt er ebendaselbst eine ausser-
ordentliche Professur, ward aber 1809 durch Wilhelm von Humboldts Vermittelung
uach Königsberg als ordentlicher Professor der Philosophie und Pädagogik berufen,
nachdem Krug, der Nachfolger Kants auf dem philosophischen Lehrstuhl, nach
Leipzig abgegangen war. Auch leitete Herbart in Königsberg das von ihm daselbst
gestiftete pädagogische Seminar. Im Jahre 1833 nahm Herbart einen Ruf nach
Göttingen an, wo er, der activen Betheiligung an den politischen Tagesiuteressen
abhold, um so energischer seiner Aufgabe als Forscher und Lehrer in ununter-
brochener Thätigkeit bis zu seinem am 14. August 1841 erfolgten Tode sich widmete.
H. deftnirt die Philosophie (im zweiten Capttel des ersten Abschnitt« seines
Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie) als Bearbeitung der Begriffe.
Er knüpft hierbei kritisch an Kants Erklärung der philosophischen Erkenntnis als
der Vernunftserkenntniss aus Begriffen an. Durch das Wort Vernunft werde in diese
Erklärung ein Streitpunkt gebracht (sofern der Begriff der Vernunft ein äusserst
schwankender ist, und nach Herbart eine Vernunft als ein besonderes Seelenvermögen
so wenig, wie überhaupt irgend eines der von der aristotelischen und aristoteli-
sirenden Psychologie angenommenen Seelen vermögen existirt). Also bleibe übrig:
Erkenntniss aus Begriffen. Dies sei jedoch der Gewinn der vorhandenen Wissen-
schaft; die Philosophie aber als Wissenschaft erzeugend sei Bearbeitung der Be-
griffe. Gegen den Vorwurf, diese Definition sei zu weit, weil Bearbeitung der Begriffe
in allen Wissenschaften vorkomme, bemerkt Herbart, Philosophie liege wirklich iu
allen Wissenschaften, wenn dieselben seien, was sie sein sollen.*)
Aus den Hauptarten der Bearbeitung der Begriffe, sagt Herbart, ergeben sich
die Haupttheile der Philosophie. Die erste Aufgabe ist die Klarheit und
die Deutlichkeit der Begriffe. Die Klarheit besteht in der Unterscheidung eines
*) Bearbeitung der Begriffe ist jedenfalls nicht das einzige methodische Mittel
der Philosophie, sondern kanu nur etwa als das am meisten charakteristische be-
trachtet werden. Die Basirung der Definition der Philosophie auf das methodische
Verfahren ist nur dann gerechtfertigt, wenn, was allerdings Herbart nachzuweisen
sucht, wirklich nicht ein bestimmtes Object, wie etwa das Universum als solches,
oder auch die Realprincipicn alles Existirenden, der Philosophie im Unterschiede
vou den übrigen Wissenschaften, die auf einzelne Gebiete des Existirenden gehen,
zukommt.
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§ 35. Herbart
389
Begriffes von anderen Begriffen, die Deutlichkeit in der Unterscheidung der Merk-
male eines (zusammengesetzten, nicht einfachen) Begriffs von einander. Deutliche
Begriffe können die Form von Urtheilen annehmen, und die Vereinigung der Ur-
theile ergiebt Schlüsse. Hiervon handelt die Logik. Herbart definirt die Logik
als denjenigen Theil der Philosophie, welcher die Deutlichkeit in Begriffen und die
daraus entspringende Zusammenstellung der letzteren im Allgemeinen betrachte.
Da aber die Auffassung der Welt und unserer selbst raauche Begriffe herbeiführe,
welche, je deutlicher sie gemacht werden, gerade um so weniger Vereinigung unserer
Gedanken zulassen, so erwachse hieraus der Philosophie die wichtige Aufgabe, die
derartigen Begriffe durch Ergäuzung so zu verändern, dass die in ihnen liegende
logische Schwierigkeit verschwinde; diese Berichtigung der Begriffe sei die Auf-
gabe der allgemeinen Metaphysik. Die Hauptbegriffe der Metaphysik seien so
allgemein, und die Berichtigung derselben von so entscheidendem Einfluss auf alle
Gegenstände des menschlichen Wissens, dass erst, nachdem jene Berichtigung
vorgenommen sei, die übrigen Begriffe von der Welt und von uns selbst gehörig
bestimmt werden könnten. So schliessen sich an die Metaphysik an als ihre An-
wendungen auf die Hauptgegenstände des menschlichen Wissens die Psychologie,
die Naturphilosophie und die natürliche Theologie oder philosophische
Religionslehre. Ferner giebt es Begriffe, die zwar nicht eine Veränderung not-
wendig machen, wohl aber einen Zusatz in unserra Vorstellen herbeiführen, der in
einem Urtheile des Beifalls oder des Missfallens besteht. Die Wissenschaft von
solchen Begriffen ist die Aesthetik.*) Angewandt auf das Gegebene, geht die
Aesthetik über in eine Reihe von Kunstlehren, welche man sämmtlich praktische
Wissenschaften uennen kann, weil sie angeben, wie derjenige, der sich mit einem
gewissen Gegenstaude beschäftigt, denselben behandeln soll, indem nicht das Miss-
fallende, sondern vielmehr das Gefallende zu erzeugen ist. Zu diesen Kunstlehren
gehört auch die Tugend lehre, deren Vorschriften den Charakter der noth wendigen
Befolgung darum an sich tragen, weil wir unwillkürlich und unaufhörlich den
Gegenstand derselben darstellen, während es bei den meisten der praktischen
Wissenschaften der Willkür überlassen bleibt, ob man sich mit dem Gegenstände
abgeben will oder nicht.
In der Auffassung und Ausführung der Logik kommt Herbart mit dem Kan-
tianismus in dem Maasse überein, dass er, da er selbst nur Grundzüge entwirft, für
das eingehendere Studium geradezu auf die logischen Lehrschriften von Kantianern
wie Hoffbauer, Krug und Fries, verweist. Nach Aristoteles ist die Logik die
Amalysis (zergliedernde Sonderung von Form und Inhalt) des Denkens überhaupt,
nach Kant und auch nach Herbart über eine Lehre von dem zergliedernden und
durch Zergliederung erläuternden oder verdeutlichenden Denken. Kants Kintheilung
der Erkenntnisse in analytische und synthetische ist, wie für die Unterscheidung
der Logik und Vernunftkritik bei Kant, so auch für die der Logik und Metaphysik
bei Herbart maassgebend gewesen. Unsere Gedanken, sagt Herbart, sind Begriffe,
*) Bei dieser Eintheilung besteht die Ungleichmässigkeit, dass die Logik nicht
selbst die Begriffe überhaupt, noch auch einzelne Begriffe verdeutlicht, sondern die
Normen für die Verdeutlichung aller Begriffe aufstellt, was ihr Anlass giebt, eine
bestimmte Classe von Begriffen, nämlich die logischen, d. h. den Begriff des Begriffs,
den Begriff des Urtbeiis etc., nicht bloss zu verdeutlichen, sondern überhaupt wissen-
schaftlich zu entwickeln, die Metaphysik dagegen gewisse Begriffe zu berichtigen
selbst übernimmt und von eben diesen berichtigten Begriffen Anwendungen macht,
die Aesthetik endlich die bereits vor ihr von dem menschlichen Bewusstsein voll-
zogene, zu der objectiven Betrachtung hinzutretende Bildung von Urtheilen des
Beifulls und des Missfallens auf Principien zu bringen sucht.
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390
§ 35. Herbart.
sofern wir Bio hinsichtlich dessen, was durch sie gedacht wird, betrachten. Ver-
schiedene Begriffe, die mit einander unvereinbar sind, wie der t'irkel und das
Viereck, von denen aber jeder unabhängig von dem andern gedacht werden kann
stehen im couträren Gegensatz. Die bloss verschiedenen, aber nicht unvereinbaren
Begriffe, wie der Cirkel und das Rothe, sind disparat. Die disparaten sowohl, als
die couträren Hegriffe ergeben noch den contradictorischen Gegensatz zwischen a
und non a, b und non b, indem von a und b gesagt wird, jedes sei nicht das andere.
Entgegengesetztes ist nicht einerlei. Diesel Formel heisst der Satz des Wider-
spruchs. Mit ihm gleichgeltend ist der sogenannte Satz der Identität, A — A,
oder eigentlich: A ist nicht gleich non-A, wo die Negationen einander aufheben
und eine Bejahung ergeben, desgleichen das sogenannte principium exclusi
medii: A ist entweder B oder nicht B. Wo es erlaubt ist, die Einheit einer
Summe anzunehmen, da kann diese Summe ein solches und auch ein anderes ent-
halten, z. B. dieses Kleid ist roth und blau, dieses Ereigniss ist zugleich erfreulich
und traurig. Wenn Begriffe einander im Denken begegnen, so kommt in Frage,
ob sie eine Verbindung eingehen werden oder nicht; die Entscheidung dieser Frage
ist das Urtheil. Der vorausgesetzte Begriff ist das Subject, der angeknüpfte ist
das Prädicat. Herbart nimmt au, dass das kategorische Urtheil (z. B. Gott ist
allmächtig, die Seele ist unsterblich, Goethe wur ein deutscher Dichter) die Be-
hauptung der Existenz des Subjccts nicht involvire, und geht von dieser Annahme*)
auch in seiner Darstellung der Sehl ussl ehre aus. Uerbart bezeichnet die Schlüsse
der ersten und zweiten Figur als Snbsumtions-, die der dritten als Substitutions-
schlüsse.
Die Aufstellung der metaphysischen Probleme bereitet Uerbart durch die
Skepsis vor. Jeder tüchtige Anfänger in der Philosophie, sagt Uerbart, ist
Skeptiker: aber es ist auch jeder Skeptiker als solcher Anfänger. Wer nicht
einmal in seinem Leben Skeptiker gewesen ist, der hat diejenige durchdringende
Erschütterung aller Beincr von früh auf angewöhnten Vorstellungen und Meinungen
niemals empfunden, welche allein vermag das Zufällige von dem Notwendigen, das
Hinzugedachte vom Gegebeuen zu scheiden. Wer aber in der Skepsis beharrt,
dessen Gedanken sind nicht zur Reife gekommen, er weiss nicht, wohin jeder gehört,
und wieviel aus jedem folgt; von fremden Gedanken und vom Widerstreite derselben
gedrückt, werden diejenigen fast immer Skeptiker, welche fleissig waren im Lesen
und faul im Denken. Herbart unterscheidet eine niedere und eine höhere Skepsis.
Jene geht darauf, dass wir wegen der Bedingtheit unserer Auffassung durch unsere
Subjectivität schwerlich ein treues Bild von dem, was die Dinge sind, durch uusere
Sinne erlangen. Die Körper mögen im Raum auf irgend eine Weise gestaltet, in
der Zeit irgend welchen Veränderungen unterworfen, die Stoffe durch Kräfte er-
griffen und behundelt, die Menschen und Thiere von irgend welchen Wahrnehmungen
und Gesinnungen erfüllt sein; aber wir wissen nicht, was für Wahrnehmungen und
Gesinnungen und nicht, was für Kräfte, Stoffe, Veränderungen und Gestalten da
sind. Der Zweifel aber kann weiter vordringen und zu dem Gedanken fortgehen,
dass wir wirklich gar nicht alles dasjenige wahrnehmen, waa wir wahrzunehmen
glauben, dass wir zu dem gegebenen Wahrnehmungsinhalt die Formen, insbesondere
die Räumlichkeit, Zeitlichkeit und Causalität, wie auch die Zweckmässigkeit, die
wir den Naturobjecten zuschreiben, unwillkürlich hinzugedacht haben. Hierdurch
wird zweifelhaft, ob feste Anfangspunkte unseres Wissens irgend zu finden seien,
und es kann als ebenso zweifelhaft erscheinen, ob im Fall, dass Prineipien wirklich
*) Die wenigstens bei dem affirmativen Urtheil im Allgemeinen falsch und
nur in einzelnen Fällen vermöge des Zusammenhangs der Rede zutreffend ist.
§ 35. Herbart.
31)1
vorhanden waren, sieh Methoden für ein fortschreitendes Denken würden finden
lassen, da die Erfahrung als unvollständig, der Analogiesehluss als unsicher und
ein Rechtsgrund zu einer Synthesis a priori, wodurch ein Frincip sich selbst
überschreiten würde, kaum als denkbar erscheint.
Herbart halt dafür, dass wir zwar wegen der Relativität aller Eigenschaften
nicht eine Kenntniss von der wahren Beschaffenheit der Dinge durch die Sinne
erlangen, aber die Existenz der Dinge ist nicht nur eine gedachte, sondern eine
erkennbare. In jeder Empfindung liegt die absolute Position als uns gegeben, und
das Empfundene beansprucht, als Seiendes zu gelten. Freilich ist das, was wir
empfinden, nur etwas für uns, es kann ihm daher die selbständige Existenz nicht
zugesprochen werden. Andererseits ist die in der Empfindung liegende absolute
Position eine gegebene Thatsache und kann daher nicht aufgehoben werden. Sie
muss daher bezogen werden auf etwas, das nicht empfunden wird, und so kommt
llerbart dazu, ein fache und reale Wesen anzunehmen als durch die Erscheinungen
not h wendig vorausgesetzt; diese werden nicht nur gedacht, sondern mittelbar erkunnt
und sind in Folge dessen ein wahrhaft Reales. Gegen Kant verficht Herbart auch
die Ansicht, dass die Formen der Erfahrung wirklich gegeben seien, da wir uns
in der Auffassung eines bestimmten Objects an die Verbindung des Wahrnehmungs-
inhaltes mit einer bestimmten Form gebunden fühlen und nicht, wie es bei bloss
subjectivem Hinzudenken der Formen der Fall sein müsste, jeden beliebigen Inhalt
in der sinnlichen Wahrnehmung selbst mit jeder beliebigen Form verknüpfen können.
In welcher Art dieselben gegeben seien, ist ein späteres, psychologisches Problem;
auf der Thatsache deB Gegebenseins derselben aber beruht die metaphysische
Betrachtung.
Die gegebenen Formen der Erfuhrung sind von der Art, dass sie wider-
sprechende Begriffe liefern, welche durch das Denken verbessert werden
müssen.
Die Ausdehnung im Raum und das Geschehen in der Zeit involviren Wider-
sprüche. Das Ausgedehnte soll sich dehnen durch viele, verschiedene, ausser
einander liegende Theile des Raumes; durch die Dehnung aber zerreisst das Eine
in Vieles, und doch soll das Eine mit dem Vielen identisch sein. Indem wir Materie
denken, beginnen wir eine Theilung, die wir ins Unendliche fortsetzen müssen, weil
jeder Theil noch als ein Ausgedehntes gedacht werden soll. Wir kommen nie zu
allen Theilen, nie zu den letzten Theilen, weil wir die Unendlichkeit der aufgegebenen
Theilung sonst überspringen müssteu. Wollen wir versuchen, von dem Einfachen
auszugehen und aus ihm die Materie ebenso im Denken zusammenzusetzen, wie sie
aus ihm wirklich bestehen mag, so fragt sich, wie viele Einfache wir wohl zusammen-
nehmen müssten, um einen endlichen Raum anzufüllen. Offenbar müsste die vorige
Unendlichkeit jetzt rückwärts übersprungen werden. Bei der Theilung verliert
sich die Realität im Unendlichkleinen; bei der versuchten Reconstruction können
wir dieses nicht als Grundlage der Realität der Materie gebrauchen. Der Erfahrungs-
begriff der Materie ist daher einer Veränderung im Denken zu unterwerfen. An
die unendliche Theilbarkeit der Zeit knüpfen sich die gleichen Betrachtungen. Die
Erfüllung der Zeit durch das Geschehen und durch die Dauer erfordern noch ofl'en-
barer als die Raumerfüllung, dass auf das Erfülleude die Unterscheidung der
unendlich vielen Theilchen übertragen werde; denn leere Zwischenzeiten würden
Vernichtuug und Wiederentsteheu dessen bezeichnen, was in der Dauer und dem
Geschehen begriffen ist. Was geschieht, nimmt die Zeit ein, es ist in derselben
gleichsam ausgedehnt. Was geschehen ist, zeigt sich im Erfolge als ein endliches
Quantum der Veränderung. Dieses Endliche soll die unendliche Menge dessen
in sich fasseu, was in allen Zeittheilchen nacheinander geschah. So wenig, wie
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§ 36. Herbart.
die einfachen Theile des Ausgedehnten im Räume, ist das wirkliche Geschehen,
aus dem der Erfolg sich zusammensetzt, denkbar, denn es zerfliesst, wie klein wir
es fassen mögen, immer wieder in ein Vorher, ein Nachher, eine Mitte zwischen
beiden.
Der Begriff derlnhärenz oder des Dinges mit mehreren Eigenschaften
involvirt den Widerspruch, dass das Eine Vieles sei. Die Mehrheit der Eigen-
schaften verträgt sich nicht mit der Einheit des Gegenstandes. Das Ding soll der
Eine Besitzer der verschiedenen Merkmale sein. Aber das Besitzen muss doch
dem Dinge als etwas seiner Natur Eigenthümliches, als eine Bestimmung seines Was
zugeschrieben werden, folglich ein eben so Vielfaches sein, wie die Eigenschaften,
die besessen werden. Dadurch aber wird das Ding selbst ein Vielfaches, während
es doch zugleich Eines sein soll. Die Frage: was ist das Ding? erfordert eine ein-
fache Antwort. Der Begriff von dem Dinge, dessen wahre Qualität ein vielfacher
Besitz von Merkmalen sei, ist ein widersprechender Begriff, der einer Umarbeitung
im Denken entgegensieht, weil er, als ans dem Gegebenen stammend, nicht ver-
worfen werden kann.
Auch der Begriff der Oausalität, der, obschon nicht als Begriff gegeben, doch
durch ein notwendiges Denken über das Gegebene entsteht, involvirt Widersprüche.
Mit dem Gegebenen dringt sich unmittelbar der Begriff der Veränderung auf;
nun macht sich schon im gemeinen Denken ein Bedürfnis» fühlbar, zu erklären,
warum die Veränderung eingetreten sei, d. h. die Veränderung als Wirkung aufzu-
fassen und zu ihr eine Ursache zu suchen. Aber der Begriff der Veränderung führt
auf ein Trilemma. Entweder nämlich müsste die Veränderung eine äussere Ursache
oder eine innere Ursache haben oder ursachlos sein, mit anderen Worten: sie müsste
sich entweder auf Mechanismus oder auf Selbstbestimmung oder auf absolutes
Werden zurückführen lassen. Der gemeine Verstand pflegt sich alle drei Vor-
stellungsarten zu erlauben, indem er in der Körperwelt äussere Ursachen, bei dem
Willen Selbstbestimmung, für den Lauf der Dinge im Allgemeinen aber oft das
Schicksal, d. h. absolutes Werden, voraussetzt. Allein 1. der Begriff der äusseren
Ursache erklärt nicht den ursprünglichen Wechsel, da er auf einen regressus in
infinitum zu führen scheint, und er erklärt auch nicht den abgeleiteten Wechsel, da
er den Widerspruch iu Bich trägt, dass dos Thätige eine fremde, ihm nicht eigene
Bestimmung als Eigenschaft seiner Natur in sich trage, und dass das Leidende
nach der Veränderung noch das nämliche Ding, und doch auch nicht mehr das
nämliche Ding wie vorher, sein soll; 2. der Begriff der Selbstbestimmung durch
eine innere Ursache vermindert diese Schwierigkeiten nicht und leidet zudem an
dem Widersprach, dasB er das eine Wesen in dem Actus der Selbstbestimmung
durch den Gegensatz der Activität und Passivität mit sich entzweit; 3. das absolute
Werden, welches den Wechsel selbst als die Qualität dessen, was ihm unterworfen
ist, ansieht, leidet an der doppelten Schwierigkeit, dass es eine strenge Gleich-
förmigkeit des Wechsels fordern würde, die doch in der Natur der Dinge erfahrungs-
gemäss nicht angetroffen wird, und dass es auch in sich Belbst widersprechend ist,
da der Begriff dea Werdens sich nicht anders denken lässt, als durch die wechselnden
Beschaffenheiten, welche in der Umwandlung durchlaufen werden, so dass man, um
die Qualität des Werdens zu bestimmen, die einander entgegengesetzten Beschaffen-
heiten zusammenfassen und in eine Einheit concentriren muss, worin der Wider-
spruch liegt, dass Entgegengesetzte Eins sein sollen; sagt man, das Wesen sei nur
Erscheinung eines nicht wechselnden Grundes, so werden die Widersprüche nicht
gemindert, sondern gehäuft; denn es tritt bei dieser Annahme nur umso deutlicher
hervor, dass in dem Einen nicht wechselnden Grande alle Mannigfaltigkeit und aller
§ 35. Herbart.
393
Widerspruch concentrirt sei, woraus das Viele und Entgegengesetzte der Erscheinung
sich entfalten soll.
Der Begriff Ich trägt in sich, wofern das Ich als Urquell aller unserer höchst
mannigfaltigen Vorstellungen angesehen wird, den Widerspruch der Inhärenz des
Vielen in dem Einen, welcher hier sogar besonders fühlbar ist, weil das Selbst-
bewußtsein das Ich als ein völliges Eins darzustellen scheint; dazu aber tritt der
dem Ich eigenthümliche Widerspruch, dass es als das reine, in sich selbst zurück-
gehende Selbstbewusstsein sich vorstellen muss, d. h. sein Ich vorstellen muss,
d. h. sein sich Vorstellen vorstellen ranss, und so fort ins Unendliche (indem jedesmal
das Sich durch sein Ich und dieses wiederum durch sein sich Vorstellen zu
ersetzen ist), so dass der Ich-Begriff in der That gar nicht zu Stande kommen zu
können scheint
Die Metaphysik, welche die dargelegten Widersprüche aus den Formen der
Erfahrung hinwegschaffen und dadurch die Erfahrung begreiflich machen soll, wird
von Herbart eingetheilt in die Lehre von den Principien und Methoden (Metho-
dologie), von dem Sein, der Inhärenz und der Veränderung (Ontotogie), von
dem Stetigen (Synechologie) und von den Erscheinungen ( Eidolologie). An
die allgemeine Metaphysik schliesst sich als angewandte Metaphysik die Natur-
philosophie und die Psychologie an.
Die von der Metaphysik zu vollziehende Umbildung der angegebenen Begriffe
besteht darin, dass die nothwendigen Ergänzungsbegriffe oder die Beziehungs-
punkte aufgesucht werden, durch welche allein die Widersprüche, die in denselben
enthalten sind, sich auflösen lassen. Die Methode, durch Aufsuchung der noth-
wendigen Ergäuzungsbegriffe die Widersprüche in den durch die Erfahrung dar-
gebotenen formalen Begriffen aufzuheben, nennt Herbart die Methode der
Beziehungen. Jeder Begriff jener Art ist ein Grund, aus dem um des in ihm
enthaltenen Widerspruchs willen der Ergänzungsbegriff gefolgert werden muss. Nur
hierdurch wird nach Herbart Synthesis a priori möglich. Denn, sagt er, wenn B dem
A durch Synthesis a priori, also nothwendig, zu verbinden ist, so muss A ohne B
unmöglich sein; die Nothwendigkeit liegt in der Unmöglichkeit des Gegentheils;
Unmöglichkeit eines Gedankens aber ist Widerspruch (wogegen Kant behauptet
hatte, dass synthetische Sätze a priori noch eines andern Princips, als des Satzes
der Identität und des Widerspruchs bedürfen).
Es ist unmöglich, anzunehmen, dass nichts sei, denn dann würde auch nichts
erscheinen. Leugne man alles Sein, so bleibe zum mindesten das unleugbare Ein-
fache der Empfindung. Das Zurückbleibende, nach aufgehobenem Sein, ist Schein.
Dieser Schein, als Schein, ist. Weil der Schein nicht hinwegzuheben ist, so muss
irgend ein Sein vorausgesetzt werden.
Erklären, dass A sei, heisst, es solle bei dem einfachen Setzen des A sein
Bewenden haben. Sein ist absolute Position.*) Der Begriff des Seins schliesst
*) Hiermit zieht Herbart das Setzen des Seins in den Begriff des Seins hinein,
woran sich ihm dann u. A. auch die irrige Annahme kuüpft, die Zahl der realen
Wesen könne nicht unendlich sein, weil wir freilieh, vom Endlichen ausgehend,
niemals das Unendliche als eine bestimmte Grösse setzen können, sondern bei jeder
bestimmten Grenze denken müssen, es könne und solle noch weiter gegangen
werden. Das Sein an sich bat aber in der That mit unserer Position nichts zu
schaffen. Es ist gerade das von unserm Setzen Unabhängige. Nicht das Sein,
sondern unser Denken des Seins ist Position, und was (wie das Unendliche) ausser-
halb des Bereichs unserer Position liegt, liegt darum doch keineswegs ausserhalb
des Bereiches der Wirklichkeit.
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§ 35. Herbart.
alle Negation und alle Relation aas.*) Was als seiend gedacht wird, heisst ein
Wesen (ens).
Das Einfache der Empfindung findet sieh nie oder höchst selten einzeln, sondern
in Complexioncn, welche wir Dinge nennen. Wir legen dem Dinge seine einzelnen
Merkmale als Eigenschaften bei. Die Widersprüche aber, die in dem Begriffe dea
Dinges mit mehreren Eigenschaften liegen, nöthigen dazu, dieseu Begriff*, um ihn von
eben diesen Widersprüchen zu befreien, durch die Anuahme zu ergänzen, dass eine
Mehrheit realer Wesen existire, deren jedes von schlechthin einfacher, durch keine
inneren Gegensätze bestimmbarer Qualität sei, deren Zusammen aber die Erschei-
nung des Einen Dinges mit vielen Eigenschaften bedinge. So sind die Eigen-
schaften eines Dinges nichts weiter als die Beziehungen, in welchen es zu anderen
Dingen steht. Dieser Beziehungen können es natürlich viele sein.
In einer Complexion von Merkmalen pflegen einzelne zu beharren, während
andere wechseln. Wir schreiben daher den Dingen Veränderungen zu. Aus den
Widersprüchen im Begriff der Veränderung aber folgt, dass es im Seienden keinen
ursprünglichen inneren Wechsel giebt, weil ursprüngliche Selbstbestimmung und
absolutes Werden unmöglich ist, und dass et auch keinen abgeleiteten Wechsel
geben würde, wofern die Einwirkung von Ursachen nur unter der Voraussetzung
einer ursprünglich nach aussen gerichteten Thätigkeit erfolgen könnte. Dann aber
würde es gar keinen Wechsel geben, auch nicht in der Erscheinung, was der
Erfahrung widerspricht. Mithin muss jene Voraussetzung falsch sein und der
Wechsel sich ohne eine ursprünglich nach aussen gerichtete, wie auch ohne eine
ursprüngliche innere Thätigkeit erklären lassen. Herbart erklärt denselben mittelst
der Theorie der Selbsterhaltungen, welehe bei dem Zusammensein der einfachen
realen Wesen stattfinden und das einzige wirkliche Geschehen ausmachen.
Diese Theorie ruht auf dem Hülfsbegriffe des intelligibeln Raumes nebst der
diesem Räume entsprechenden Zeit und Bewegung, und auf dem methodischen
Hülfsmittel der zufälligen Ansicht
Unter dem intelligibeln Räume versteht nämlich Herbart denjenigen Raum,
in welchem befindlich die einfachen realen Wesen gedacht werden müssen, im
Unterschiede von dem phänomenalen Räume, in welchem unsere Empfindungen
vorgestellt werden, welcher also in der Seele selbst ist. Der Begriff des intelligibeln
Raumes entspringt, indem sowohl das Zusammen als das Nichtznaammen der näm-
lichen Wesen gedacht werden soll. Daa Aneinander einfacher realer Wesen erzeugt
die „starre Linie", der Uebcrgang der Punkte in einander die stetige Linie, aus
der Mischung zweier Richtungen geht die Ebene, aus der Hinzufüguug einer neuen
Richtung der körperliche Raum hervor. Die Fiction des Uebergangs der Punkte
in einander setzt eine Theilbarkeit dea Punktes voraus, welche Annahme Uerbart
durch die geometrische Thatsache irrationaler Verhältnisse zu rechtfertigen sucht
Auch in dem intelligibeln Räume sind, wie in dem phänomenalen, alle Bewegungen
relativ; was Bewegung ist in Bezug auf umgebende Objecte, die als ruhend be-
trachtet werden, ist Ruhe, sofern eben diese Objecte als in der entgegengesetzten
Richtung jedesmal mit der gleichen Geschwindigkeit sich bewegend angesehen
werden. Jedes Wesen im intelligibeln Räume ist ursprünglich ruhend in Bezug auf
sich selbst oder auf den Raum, sofern es selbst als in demselben befindlich be-
trachtet wird, aber nichts hindert, dass diese Ruhe Bewegung sei in Hinsicht auf
*) In dem Ausschluss aller Negation und Relation liegt ein Sprung; nur
die Relation in dem zu setzenden Subject und die Wiederaufhebung (Negation) der
Setzung in dem Sinne, in welchem sie vollzogen worden ist, ist in der That aus-
zuschliesseu.
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§ 35. Herbart
395
lindere reale Wesen: die Ruhe in Bezug auf diese wäre nur ein möglicher Fall
unter unendlich vielen gleich möglichen. Ks ist also vorauszusetzen, dass im All-
gemeinen ursprünglich jedes Wesen im Vergleich mit jedem andern In Bewegung
sei, nämlich In gradliniger Bewegung mit constanter Geschwindigkeit. Diese Be-
wegung ist nicht eine wirkliche Veränderung, weil jedes Wesen in Bezug auf sich
selbst und auf seinen Kaum dabei in Ruhe bleibt, zu andern Wesen aber nicht
selbst in Beziehung steht, sondern nur durch ein zusammenfassendes Bewusstsein
in Beziehung gesetzt wird. Wenn aber der Füll eintritt, dass in Folge dieser
ursprünglichen Bewegung einfache reale Wesen in denselben Punkt gleichzeitig
gelangen, so erfolgt eine gegenseitige Durchdringung, die, sofern die Qualitäten
dieser Wesen einander gleich sind, keine Störung veranlasst, sofern aber die
Qualitäten derselben einander entgegengesetzt sind, eine Störung bedingt, da Ent-
gegengesetztes nach dem Satze des Widerspruchs nicht in einem Punkte zusammen
sein kann; die Störung würde erfolgen, wenn das Entgegengesetzte der mehreren
Wesen sich wirklich aufheben könnte, da dasselbe aber unaufhebbar ist, so er-
halten sich die Qualitäten wider die intendirte Störung; Selbsterhaltung ist
Bestehen wider eine Negation. Die Störung gleicht einem Druck, die Selbst-
erhaltung einem Widerstande. In der Seele sind die „Selbsterhaltungeu" Vor-
stellungen; in allen andern realen Wesen sind Bie solche inneren Zustände,
die auch nach den herbartschen Principien, gleich wie nach den leibnizischeu,'
irgendwie unsern Vorstellungen analog gedacht werden müssen. Das eigentliche
und einfache Was der realen Wesen erkennen wir zwar nicht, über ihre inneren
und äusseren Verhältnisse aber können wir eine Summe von Einsichten erlungen,
die sich ins Unendliche vergrössern lässt. Die Voraussetzung, dass das einfache
Was der Wesen bei verschiedenen nicht bloss verschieden sei, sondern auch con-
träre Gegensätze bilde, ist nothweudig. Ist der Gegensatz der Qualität ein
partieller, so lassen sich die Qualitäten in unserm Denken in solche Componenten
zerlegen, zwischen denen einerseits volle Uobereinstimmung, andererseits voller
Gegensatz statthat. Diese Zerlegung, obschon methodisch nothweudig, um das
Ergebuis8 zu verstehen, ist doch in Bezug auf die Qualitäten selbst eine , zu-
fällige Ansicht", weil diese nicht wirklich aus solchen Componenten hervor-
gegangen, sondern einfach und untheilbar sind und nur in der Betrachtung zerlegt
werden.
In unserm Bewnsstsein ist die Ichheit gegeben, und doch ist der Ichbegriff
mit Widersprüchen behaftet. Diese Widersprüche uöthigeu zu einer Unterscheidung
der im Selbstbewusstsein appereipirten und der appereipirenden Vorstellungsmassen,
welche wiederum die Lehre von der Seele als einem einfachen realen Wesen, dem
Träger der ganzen Complexion unserer Vorstellungen, die Lehre von den Vorstellungen
als den Selbsterhaltungen der Seele, und von den gegenseitigen Verhältnissen der
Vorstellungen zur Voraussetzung hat
An die Theilbarkeit des Punktes knüpft sich die Möglichkeit eines unvoll-
kommenen Zusammen oder einer theilweisen Durchdringung einfacher
(aber bei der Fiction der Theilbarkeit als kugelförmig vorzustellender) realer
Wesen. Durch die partielle Durchdringung der einfachen Wesen entsteht die
Materie. Eine nothwendige Folge theilweiser Durchdringung ist die Attraction
der Elemente. Denn die Selbsterhaltung kann sich nicht auf den durchdrungenen
Theil eines jeden dieser realen Wesen beschränken; in dem ganzen realen Wesen,
in allen fingirten Theilen desselben, befindet sich einerlei Grad der Selbsterhaltung,
und zwar darum, weil eben das reale Wesen einfach und seine Theile nur fingirt
sind. Dem inneren Zustand der totalen Selbsterhaltung aber muss mit Nothwendigkeit
auch die äussere Lage der einfachen Wesen entsprechen. Aus dieser Noth-
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§ 35. Herbart.
wendigkeit, dass zu dem Innern Zustande ein ihm angemessener
äusserer Zustand hinzutrete, folgt, dass die partielle Durchdringung in ein
totales Ineinander übergehen muss. Wenn man sich die Elemente als Kugeln vor-
stellt und die unendlich kleine Zeit des Eindringens wieder in Unendlichkleine der
zweiten Ordnung zerlegt, so verhält sich in jedem Augenblicke die ganze Kugel zu
dem noch nicht durchdrungenen Theile wie die anfängliche Anziehung zu der
Beschleunigung in diesem Augenblicke. Bei einer Verbindung mehrerer einfacher
realer Wesen tritt die Repulsion oder die Notwendigkeit des Hinauaweichens
ein, wenn nämlich das Maass überschritten wird, in welchem der innere Zustand
eines mittleren realen Wesens einer Mehrheit eindringender realer Wesen zugleich
zu entsprechen vermag. Attraction und Repulsion sind demnach nicht
ursprüngliche Kräfte, sondern die nothwendigen äusseren Folgen der
inneren Zustände, in welche mehrere verschiedene Substanzen sich
gegenseitig versetzen.
Ist zwischen Attraction und Repulsion das Gleichgewicht hergestellt, so bildet
die betreffende Verbindung von einfachen und realen Wesen ein materielles Element
oder ein Atom.
Um die besonderen physikalischen Erscheinungen und Gesetze aus ihren letzten
Gründen genetisch zu erklären, unterscheidet Herbart bei den Elementen einerseits
nachdem Maasse der Verschiedenheit ihrer Qualitätenden starken und schwachen
Gegensatz, andererseits nach dem Verhältnisse der Intensität der beiderseitigen
Qualität den gleichen und ungleichen Gegensatz. Aus der Combination
beider Unterscheidungen ergeben sich vier Hauptverhältnisse der Elemente zu
einander:
1. der starke und gleiche oder nahezu gleiche Gegensatz; auf diesem beruht
die Bildung der festen oder starren Materie, insbesondere ihre Cohäsion,
Elasticität und Configuration;
2. der starke, aber sehr ungleiche Gegensatz; in diesem Verhältniss stehen
die Elemente des (von Herbart zur Erklärung der Wärmeerscheinungen voraus-
gesetzten) Wärmestoffs (Caloricum) zu den Elementen der festen Körper;
3. der schwache und nicht sehr ungleiche Gegensatz; in diesem Verhältniss
steht zu den Elementen der festen Körper das Electricum;
4. der schwache und sehr ungleiche Gegensatz; in diesem Verhältniss steht
zu den Elementen der festen Körper der Aether oder das Medium des Lichtes
und der Schwere.
Auf die Annahme einer inner n Bildsamkeit der Materie gründet Herbart
die Biologie (oder Physiologie). Zwischen mehreren inneren Zuständen Eines
Wesens treten gegenseitige Hemmungen ein (wie in der Seele zwischen Vorstellungen,
welche einander im Bewusstsein beschränken); die gehemmten Zustände treten unter
begünstigenden Bedingungen wieder hervor und bestimmen dann mit das äussere
Gescheheu. Durch das einfache Wesen werden in anderen, die mit ihm in Berührung
kommen, gleichartige Zustände angeregt; hierauf beruht die Assimilation und
Reproduction. Auch die Irritabilität und Sensibilität folgt aus der inneren Bildsamkeit
der Materie.
Das zufällige Zusammentreffen einfacher realer Wesen begründet nur die
allgemeine Möglichkeit eines organischen Lebens. Die zweckmässige Gestaltung
aber, die in den höheren Organismen erscheint, Betzt den Einfluss einer göttlichen
Intelligenz voraus, welche zwar nicht die einfachen realen Wesen selbst, wohl
aber die vorhandenen Beziehungen derselben zu einander (und eben hierdurch auch
das, was der vulgäre Sprachgebrauch unter den Substanzen versteht) begründet
hat. Der durch teleologische Erwägungen begründete Gottesglaube aber befriedigt
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§35. Herbart.
3U7
das religiöse Bedürfniss nur, sofern der Mensch zu Gott beten oder wenigstens in
dem Oedanken an Gott Rahe finden kann, was die Aufnahme der ethischen
Prädicate in die Gottesidee (wovon unten) bedingt.
Die Seele ist ein einfaches reales Wesen; denn wäre sie ein Complex mehrerer
realer Wesen, so würden die Vorstellungen aus einander liegen, und es würden
nicht mehrere Vorstellungen zur Einheit des Gedankens und nicht die Gesammtheit
meiner Vorstellungen zur Einheit meines Bewnsstseins sich verbinden. Die Selbst-
erhaltungen der Seele sind Vorstellungen. Vorstellungen, die einander gleichartig
oder auch disparat sind, verschmelzen mit einander; Vorstellungen aber, die ein-
ander partiell oder total entgegengesetzt sind, hemmen einander nach dem Maasse
ihres Gegensatzes. Durch die Hemmung wird die Intensität, mit welcher die Vor-
stellungen im Bewußtsein sind, vermindert oder ganz aufgehoben. In der gehemmten
Vorstellung ist das Vorstellen zu einem Streben, vorzustellen, geworden. Die
Iutensitätsverhältnisse der Vorstellungen lassen sich der Rechnung unterwerfen,
obschon die einzelnen Intensitäten nicht messbar sind; die Rechnung dient dazu,
die Gesetze des Voretelluugslaufs auf ihren exaeten Ausdruck zu bringen. Sie ist
Statik, sofern sie auf den Endzustand geht, in welchem die Vorstellungen beharren
können, Mechanik, sofern sie die jedesmalige Stärke einer Vorstellung in einem
bestimmten Zeitpunkt während des Wechsels zu ermitteln sucht
Es seien gleichzeitig zwei Vorstellungen, A und B, gegeben, deren Intensitäten
einander vollkommen gleich seien, so dass jede = 1 sich setzen lässt. Zwischen
beiden sei voller Gegensatz (wie z. B. zwischen roth und gelb, gelb und blau, dem
Grundton und dem um eine Octave höheren Ton), so dass, wenn die eine derselben
ungehemmt bestehen soll, die andere total gehemmt sein muss. Da (nach dem Satze
des Widerspruchs) Entgegengesetztes nicht gleichzeitig an demselben Punkte zu-
sammenbestehen kann, so müsste die eine beider Vorstellungen zu Gunsten der
andern völlig aufgehoben werden. Aber jede erhält sich; Bestehendes kann nicht
ausgetilgt werden. Beide streben mit gleicher Kraft gegen einander. Also sinkt
jede auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Intensität herab. Dem Gesetze des Wider-
spruchs würde genügt sein, wenn die eine Vorstellung ganz gehemmt wäre; es wird
thatsächlich so viel von beiden Vorstellungen zusammen gehemmt, als die ursprüng-
liche Intensität der einen von beiden Vorstellungen beträgt. Diese auf beide
Vorstellungen eich vertheilende Gesammtheit der Hemmung nennt Herbart die
Hemmungssumme. Ist der Gegensatz kein totaler, also nicht durch 1, sondern
durch einen echten Bruch zu bezeichnen, so tritt dieser Bruch hier, wie überall,
bei der Bestimmung der Hemmungssumme uls Factor hinzu.
Sind die Vorstellungen A und B an Stärke ungleich, ist die Intensität der
ersten = a, der andern = b, und ist a > b, und besteht zwischen A und B voller
Gegensatz, so genügt es nach Herbarts Annahme, dass ein Quantum, welches der
Intensität (b) der schwächeren Vorstellung gleich ist, an beiden Vorstellungen
zusammen gehemmt werde, denn wäre die schwächere aufgehoben, so wäre der
»Widerspruch" entfernt.*) Die „Hemmungssumme" ist also nun = b. Jede Vor-
stellung sträubt sich mit ihrer ganzen Intensität gegen die Hemmung. Also trägt
sie von derselben um so weniger, je stärker sie ist. Also trägt A von der
*) Freilich wäre derselbe, falls er überhaupt besteht, nur dann entfernt, wenn
B selbst, oder auch, wenn A selbst, aber nicht, wenn nur ein Intensitätsquantum
«- b, das sich auf beide Vorstellungen vertheilt, aufgehoben wäre. Dass die Auf-
hebung oder „ Hemmung'' durch das blosse Unbewusstwerden (bei dem Fortbestehen
im unbewussten Zustande) bereits vollzogen sei, ist eine durch die Erfahrung auf-
gedrängte, aber mit dem logisch-metaphysischen Prinrip schwerlich vereinbare
Annahme.
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§ 35. Herbort.
h** ttb
Hemmungssumme, welche = b ist, , und B trägt — so dass A im
Bewusstsein bleibt mit der Stärke a — ^= a* 8 ~- , und B mit der In-
a -+-b o + b
ab b*
ten.Hitat b — . ~ . •
a + b a -4- b
«Sind gleichzeitig drei Vorstellungen mit vollem Gegensatz untereinander gegolten,
deren Intensitäten a, b, c sind, und ist a b, b >• c, so ist nach Uerbart die
Hcmmungssurome = b -f- c, überhuupt gleich der Summe der sämmtlichen schwächeren
Vorstellungen; denn wären diese alle völlig gehemmt, so könnte die stärkste sich
ganz behaupten. Aach diese Hemmungssumme vertheilt sich nach dem umgekehrten
Verhältnies der Intensitäten. Ks kann dabei aber der Fall eintreten, dass die
schwächste Vorstellung, indem sie ebensoviel oder mehr zu tragen hat, als ihre
Intensität beträgt, ganz aus dem Bewusstsein verdrängt wird, in weiches sie jedoch
unter begünstigenden Umständen wieder eintreten kann. Die Grenze, an welcher
die Intensität genau = 0 ist, nennt ilerbart die Schwelle des Bewussteeins, wobei
freilich das Bild des (horizontalen) Hinübertretens über eine Schwelle mit dem
Bilde eines (verticalen) Auf- und Niedersteigens sich mischt. Den Werth einer
Vorstellung, bei welchem dieselbe gerade auf die Schwelle des Bewussteeins
herabgedrückt wird, nennt Herbart den „Schwelle nwerth". Ista = l, b = l, so
ist yl/t =0,707 ... der Schwelleuwerth von c.
Ist die Empfänglichkeit für eine Vorstellung bei constauter Stärke des Reizes
(welche wir zunächst um der Einfachheit willen = 1 setzen, ursprünglich — a, ao
ist dieselbe, nachdem die Vorstellung bereite die Intensität x erlangt hat, nur noch
= a — x. Die Raschheit, mit welcher die Vorstellung an Intensität zunimmt, oder
die „Geschwindigkeit ihres Wachsens" ist in jedem Augenblick dem Maasse der
Empfänglichkeit proportional. Sie wird also fortwährend geringer. Wir betrachten
als Zeiteinheit (t — 1) diejenige Zeit, in welcher die Vorstellung zu der vollen
Stärke = a anwachsen würde, falls die anfängliche Raschheit der Zunahme unver-
ändert bliebe. In einem ersten sehr kleinen Zeittheil = - bleibt diese Geschwin-
n
digkeit des Anwachsens nahezu unverändert, in dem ersten unendlich kleinen Zeittheil
= dt aber ist sie als unverändert (constant) zu betrachten. Also gelaugt in dem
ersten Zeittheil 1 die Vorstellung nahezu zu der Stärke a . 1 , in dem ersten
n n
Zeittheil dt aber gelangt sie zu der Stärke a . dt. Ist in einem späteren Augenblick,
nach Ablauf einer beliebigen Zeit = t, die Vorstellung schon bis zu der Stärke x
angewachsen, also die Empfänglichkeit nicht mehr = a, sondern nur noch = a — x,
so muss jetzt in einem sehr kleinen Zeittheil = *- die Vorstellung nicht um nahezu
t t
a . , sondern um nahezu (a — x) . — und in einem unendlich kleinen Zeittheil
n n
=•= dt nicht um a . dt, sondern um (a — x) dt anwachsen. Bezeichnen wir nun durch
dx die Zunahme an Stärke, welche die Vorstellung, nachdem sie bis zu x angewachsen
war, in einem unendlich kleinen Zeittheil = dt erlangt (oder die Differenz ihrer
Stärke nach und vor Ablauf dieses unendlich kleinen Zeittheils), so ist, dem Obigen
gemäss, dieses dx — (a — x) dt, also ist - — = dt, aus welcher Gleichung mit
Rücksicht auf den Umstand, dass die Vorstellung vom Nullwerthe auf anwächst, so
dass also für t — 0 auch x = 0 ist, sich das Resultat ergiebt: x = a (1 — e *), so-
fern unter e, wie es üblich ist, die Basis der natürlichen Logarithmen
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§ 35. Herbart.
399
wird. — Wird die Stärke des Reizes zwar als constant angenommen, aber nicht - 1,
Bondern = ß gesetzt, ho ist die Intensität, zu welcher die Vorstellung in dem ersten
Zeittheil dt gelangt (statt, wie oben, = a . dt), vielmehr — ^a . dt; folglich musa
eich in dem nach Ablauf der Zeit t, in welcher die Vorstellung bis zu der Stärke
x angewachsen ist, zunächst verfliegenden Zeittheil -- dt die Stärke der Vor-
stellung um {i (a — x) dt vermehren, d. h dx = ^ (a — x) dt, woraus folgt: x = a
(l — e — r**). Hierin liegt, dass die Vorstellung der vollen Stärke — a zwar
ziemlich bald nahe kommt, aber dieselbe in keiner endlichen Zeit ganz erreicht,
sondern sich ihr in einer solchen Art, wie der Hyperbelzweig seiner Asymptote,
annähert.*)
Mittelst einer ganz analogen Betrachtung bestimmt Herbart das allmähliche
Sinken der Hemmungssumme.
Sind mit einer Vorstellung mehrere andere verbunden, aber nicht vollkommen,
sondern nach einer gewissen Abstufung durch grössere und kleinere Theile, so wird
jene Vorstellung, falls Bie, nachdem sie gehemmt war, von dieser Hemmung befreit
ins Bewusstsein zurückkehrt, jene anderen Vorstellungen mit sich emporzuheben
streben, aber nicht gleichmässig, sondern in einer bestimmten Ordnung und Reihen-
folge. Herbart sucht diese Reihenfolge durch mathematische Formeln zu bestimmen.
Auf abgestuften Verschmelzungen beruht nach ihm nicht nur der Mechanis-
mus des sogenannten Gedächtnisses, sondern es entstehen daraus auch die
räumlichen und zeitlichen Formen unseres Vorstellens, die Herbart nicht
mit Kant als Formen a priori, sondern als Resultate des psychischen Mechanismus
betrachtet.
In dem einfachen Wesen, welches Seele ist, giebt es ebensowenig, wie eine
ursprüngliche Mehrheit von Vorstellungen, eine ursprüngliche Mehrheit von Ver-
mögen. Die sogenannten Seelenvcrmögen sind nur hypostasirte Classenbegriflfe
von psychischen Erscheinungen. Die Erklärung der Erscheinungen aus dem sogenannten
Vermögen ist illusorisch; in den Vorstcllungsverhältnissen liegen die wirklichen
Ursachen der psychischen Vorgänge. Die W i e d e r e r i n n e r u n g geschieht nach den
Reproductionsgesetzen. Der Verstand, von dem sich die Namenerklärung geben
lässt, er sei das Vermögen, unsere Gedanken nach der Beschaffenheit des Gedachten
zu verknüpfen, beruht auf der vollständigen Wirkung derjenigen Reihen, welche
vermittelst der Einwirkung der äusseren Dinge auf uns sich in unserer Seele gebildet
haben. Unter der Vernunft ist die Fähigkeit zu verstehen, Gründe und Gegen-
gründe gegen einander abzuwägen; sie beruht auf der zusammentreffenden Wirk-
samkeit mehrerer vollständiger Vorstellungsreihen. Der sogenannte innere Sinn
ist die Apperception neugebildeter Vorstellungen durch ältere gleichartige Vor-
stellungsmassen. Gefühle und Begierden sind nichts ausser und neben den Vorstellungen,
am wenigsten giebt es dafür besondere Vermögen, sondern sie sind veränderliche
Zustände derjenigen Vorstellungen, in denen sie ihren Site haben. Die Gefühle
entspringen, wenn verschiedene Kräfte auf die nämliche Vorstellung in gleichem
oder in entgegengesetztem Sinne einwirken. Entgegengesetzte Vorstellungen hemmen
sich, so dass das Vorgestellte ganz oder zum Theil verschwindet. Es tritt aber
dann hervor, sobald die Hemmung weicht, demnach verwandeln sich Vorstellungen
durch ihren gegenseitigen Druck in ein Streben, vorzustellen. Dieses Streben wird
dann Begehren, Trieb genannt. Der Wille ist ein Streben, welches mit der Vor-
stellung der Erreichbarkeit des Erstrebten verbunden ist. Die psychologische
*) Der Erfahrung scheint jedoch die unabweisbare Consequenz der Formel zu
widerstreiten, dass die Schwäche des Reizes durch längere Ausdauer desselben hin-
sichtlich des Resultates vollständig ersetzt werden könne.
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400
§ 36. Herbart.
Freiheit des Willens ist die gesicherte Herrschaft der stärksten Vorstellungsmassen
über eineeine Affectionen. Kants Lehre von der „transscendentalen Freiheit* ist
falsch and ist auch dem praktischen Interesse zuwider, indem sie die Möglichkeit
der Charakterbildung aufhebt. — Gefühle und Begierden haben nicht im Vorstellen
überhaupt, sondern allemal in gewissen bestimmten Vorstellungen ihren Sitz. So
ist es zu erklären, dass es gauz verschiedene Begierden und Gefühle zugleich giebt.
Es giebt selten reine Freude, reine IVauer, hierfür genügt die Erklärung, dass die
Vorstellungen weder einzeln, noch alle gleichförmig verbunden, sondern in ver-
schiedenen grösseren und kleineren Massen im Bewusstsein erscheinen, dass eine jede
dieser Massen ihr eigenthümliche Zustände, d. h. Gefühle und Begierden in sich
trägt, und dass in dem Zusammentreffen der verschiedenen Massen eine reiche Quelle
von Mischungen verborgen liegt.
Die Quelle der ästhetischen Ideen liegt in den unwillkürlichen Geschmacka-
nrtheilen, und insbesondere die Quelle der ethischen Ideen in eben solchen Ge-
Hchmacksurtheilen über Willensverhältnisse. Es kommt dabei nicht auf den Werth
au, welchen etwa die Willensverhältnisse für das Subject haben, sondern auf den
Werth, welchen die Willensverhältnisse ganz ohne Berücksichtigung des Subjects
für sich haben. Das Begehren und Wollen des Subjects muss ganz aus dem Spiele
bleiben. Diese praktischen Ideen sollen als Regulative dienen sowohl für das sitt-
liche Leben des Einzelnen als der menschlichen Gesellschaft und vertreten den
kategorischen Imperativ Kants. Die Idee der inneren Freiheit beruht auf dem
Wohlgefallen, welches die Harmonie zwischen dem Willen und der über ihn er-
gehenden Beurtheilung erweckt. Die Idee der Vollkommenheit erwächst daraus
dass in reinen Grössenverhältnissen durchgängig das Grössere neben dem Kleineren
gefällt. Die Grössenbegriffe, nach welchen das Wollen verglichen wird, sind:
Intcnsion, Extension (d. h. Mannigfaltigkeit der von dem Wollen umfassten Gegen-
stände) und Concentration des mannigfachen Wollens zu einer Gesammtwirkuug
oder die aus der Extension von Neuem entspringende lutensiou. Der Gegenstand
der Idee des Wohlwollens ist die Harmonie zwischen dem eigenen und dem voraus-
gesetzten fremden Willen. Die Idee des Rechtes beruht auf dem Missfallen am
Streit; das Recht ist die von den betheiligten Personen festgestellte oder anerkanute
Regel zur Vermeidung des Streites Indem durch absichtliche Einwirkung des
Willens auf einen andern oder durch absichtliche Wohlthat und Wehethat der Zu-
stand, in welchem die Willen sich ohne dieselbe befunden haben würden, abgebrochen
oder verletzt wird, missfällt die That als Störerin des früheren Zustandes; aus
diesem Missfalleu erwächst die Idee der Vergeltung (Billigkeit) oder der Tilgung
der Störung durch den Rückgang des gleichen Quantums an Wohl oder Wehe von
dem Empfänger zum Thäter. Tugeuden und Pflichten ergeben sich erst, wenn die
Ideen auf die coucreten Verhältnisse des menschlichen Daseins angewandt werden.
An die ursprünglichen Ideen Bchliessen sich die abgeleiteten oder gesel lschaft-
lichen ethischen Ideen an, insbesondere die Idee der Rechtsgesellschaft, des
LohnsyBtems, des Verwaltungssy stems^ des Cultursystems und der be-
seelten Gesellschaft, die der Reihe nach auf die Ideen des Rechts, der Ver-
geltung, des Gemeinwohls, der geistigen Vollkommenheit und der inneren Freiheit
basirt sind. Nur die Vereinigung aller Ideen kann dem Leben in sanfter Führung
die befriedigende Richtung anweisen. Die beiden letzten Ideen bilden auch die
Grundlagen des Naturrechts, das also nicht wie bei Kant vollständig von der Moral
getrennt werden muss. — Ist die Metaphysik Herbarts realistisch, so trägt seine
Ethik einen entschieden idealistischen Charakter, und er weist es zurück, die Ethik
in die Physik aufgehen zu lasseu, sie zu einer nur erklärenden Wissenschaft zu
machen.
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§ 35. Herbart.
401
Die Grandlage des religiösen Glaubens liegt nach Herbart in der Natur-
betrachtung, die Ausbildung desselben aber i-t durch die Ethik bedingt. Die
Zweckmässigkeit, die sich in den höheren Organismen bekundet, kann weder auf
Zufall zurückgeführt, noch auch als eine blosse Form unseres Denkens der Natur
selbst abgesprochen werden. Sic findet ihren zureichenden Erklärungsgrund nur
in einer göttlichen Intelligenz, von welcher die Ordnung der einfachen realen Wesen
herrühren muss. Eine zwecksetzende Intelligenz ist zwar nicht erwiesen, aber sie
ist doch in dieser teleologischen Form ausreichend begründet Ein wissenschaft-
liches Lehrgebäude der natürlichen Theologie ist unerreichbar. Herbart meint
selbst, seine Metaphysik drohe, Bich ihm zu entfremden, wenn er sie auf Gott an-
zuwenden suche. Wichtiger, als die theoretische Ausbildung des Gottesbegriffs
ist für das religiöse Bewusstsein die Bestimmung desselben durch die ethischen,
mit dem Pantheismus zum Theil unvereinbaren Prädicate der Weisheit, Heiligkeit,
Macht, Liebe und Gerechtigkeit. Durch den Glauben an Gott wird ein ethisches
Bedürfniss befriedigt, sofern der Mensch zu Gott beten oder wenigstens Ruhe finden
kann in dem Glauben an ihn.*)
*) Ob die Widersprüche, welche Herbart in den , durch die Erfahrung uns
aufgedrnugenen formalen Begriffen" zu finden meint, wirklich in denselben liegen,
ist mindestens zweifelhaft. Als Motiv des wissenschaftlichen Fortschritts über die
Empirie hinaus bedarf es nicht dieser Widersprüche; dieses Motiv liegt vielmehr
darin, dass sich uns nicht bloss die Existenz von Individuen bekundet, sondern
auch von Verhältnissen, Werthunterschieden, Zwecken und Gesetzen, woran Bich
die Bildung unserer logischen Formen, wie auch andererseits unseres ethischen
Bewusstseins knüpft. Trendelenburg sucht in einer Abhandlung über die
Herbartsche Metaphysik (in den Monatsberichten der Berliner Akademie der
Wissenschaften, Nov. 1853, S. 654 ff., wiederabg. im zweiten Bande seiner histor.
Beitr. zur Philos., Berlin 1855, S. 313-351) und in einem zweiten, gegen Eutr
gegnungen von Drobisch und Strümpell (in der Zeitschrift für Philos. und philos.
Kritik 1854 und 1855) gerichteten Artikel (Monatsber. der Berl. Akad. Febr. 1856)
die drei Sätze zu erweisen: 1. die von Herbart in den allgemeinen Erfahrungs-
begriffen bezeichneten Widersprüche sind keine Widersprüche ; 2. wären sie Wider-
sprüche, so wären sie in seiner Metaphysik nicht gelöst; 3. wären sie Widersprüche,
und wären sie gelöst, so blieben andere und grössere ungelöst. Bei der Continuität
sind die Vielheit und die Kleinheit der Theile nicht gegen einander zu isoliren;
das Product aus ihrer Zahl und Grösse bleibt identisch. .Letzte* Theile giebt
es nicht. Bei den Problemen der Inhärenz und des Wechsels möchte die Ver-
schiedenheit und der conträre Gegensatz nur künstlich in den contradictorischen
(»egeDsatz umgesetzt worden sein (vgl. Ueberwegs Bemerkungen in seinem System
der Logik § 77, wie auch die betreffenden Abschnitte in Delboeufs Essai de
logique scientifique, Liege 1865). Der Satz der Identität und des Widerspruchs
ist nicht ein objectives, die Natur der Dinge bestimmendes Gesetz, sondern ein
Gesetz, welches das Subjective, unser Vorstellen, wennschon mit Beziehung zur
objeetiven Realität, betrifft; die Objectivirung desselben zu einem Gesetz der
Dinge ist ein Missverständniss, in welches schon Parmenides verfallen ist, und von
dem auch Piaton sich nicht frei erhalten hat, das selbst bei Aristoteles in einzelnen
Aensserungen einen gewissen Nachklang findet, aber doch gerade durch die genauere
Reflexion des Aristoteles über das Verhältniss des Subjectiven zum Objeetiven
principiell überwunden ist, von dem Kant sich frei erhalten hat, in das aber Herbart
(and im entgegengesetzten Sinne Hegel) wieder verfallen ist. Die anscheinenden
Widersprüche im Ichbegriff hebt Herbart selbst durch die Unterscheidung Ver-
stellungen ein punctuell einfaches Wesen, das an einer einzelnen Stelle inmitten
des Gehirns seineu Sitz habe, voraussetze, und ob ein solches als Seele überhaupt
nur denkbar ist, ist zum Mindesten höchst problematisch. (Vgl. Ueberwegs Syst.
der Logik § 40.) Isolirt gedacht, mag die Einheit als Einfachheit erscheinen, wie
andererseits die Vielheit, wenn sie isolirt wird, auf einen exclusiven Atomismus
führt: die Thatsachcn aber nöthigen vielmehr, eine synthetische Einheit anzunehmen,
die nicht ein punctuelles Substrat und nicht eine V ielheit aussereinander liegender
Ueberweg-Hein/p, (jrnntlrisi HI. 7. Aufl. • ■ 26
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402
§ 35. Herbart.
Als ein Versuch, die grosse Förderung, welche der Herbartianismus zumeist
dem genetischen Yerständuiss von Natur und Geist gewährt, ohne die bezeich-
neten Mängel und insbesondere mit Beseitigung der Fiction einer punctuellen
Einfachheit der Seele festzuhalten und zu erweitern, darf Benekes Lehre gelten.
punctueller Substrate, sondern ein harmonisch gegliedertes Ganzes sei. Der Punkt
ist nur als Grenze denkbar und nur in der Abstraction zu verselbständigen; die
angenommenen punctuellen Wesen sind hypostasirte Abstractiouen. Die Fiction
der Kugelgestalt der realen Wesen, die nur didaktische Dienste thun sollte, dient
tatsächlich in Herbarts Metaphysik auf widerrechtliche Weise Eur Weiterführung
der Construction selbst, um wieder abgeworfen zu werden, nachdem sie zu diesem
Dienst verwandt worden ist; auf diesem Wechselspiel beruht die Construction des
intelligibeln Raumes und der Attractiou der Elemente. Die Theorie der Selbst-
erhaltungen leidet an dem Widerspruch, dass nur das Alte erhalten, und doch
ein Neues geworden sein soll, welches letztere sogar nach Aufhebung der »Störung*,
die ihrerseits keine wirkliche Störung war, beharren soll. In dem Gegensatz der
Vorstellungen, die nicht zusammenbestehen und einander nicht aufheben können,
kämpfen zwei den Frincipien nach absolute Notwendigkeiten miteinander, die nicht
durch einen Compromiss sich abfinden können. Dass ein Quantum gleich den
schwächeren Vorstellungen „gehemmt* werde, genügt nicht; es raüsste mindestens
die schwächere Vorstellung selbst gehemmt oder vielmehr ausgetilgt werden,
und falls sie sich beharrlich widersetzt, der Kampf bis zur gegenseitigen Vernich-
tung, um dem Gesetz des Widerspruchs zu genügen, fortgehen. Dass es dahin nicht
kommen kann und dass die Erfahrung Anderes aufzeigt, beweist nur die Falschheit
der Functualitätshypothese selbst. Alb. Lange (die Grundlegung der mathem.
Psvchol., Duisb. 1865; doch vgl. Cornelius in der Zeitschr. für ex. Ph. VI. Heft 3
und 4 und Wittstein ebend. VIII, Heft 4) hat getadelt, dass eine feste Grösse der
„HemmungsBumme* der Rechnung zum Grunde gelegt werde; bei naturgesetz-
licher Auffassung müsste nach dem Maasse der Beengung der Vorstellungen und
nach dem Maasse ihres Gegenstrebens das Resultat bestimmt und nicht dieses letzte
vorausgenommen werden.
Mit Herbarte Metaphysik steht sein Gottesglaube mehrfach im Widerstreit.
Zweckmässige Ordnung der einfachen realen Wesen setzt Realität der Be-
ziehungen im intelligibeln Räume voraus, welche doch von der Metaphysik negirt
wird. Als Person muss Gott nach herbartschen Principien ein einfaches reales
Wesen sein, welches, an sich auf seine einfache Qualität beschränkt, zur Intelligenz
nur durch eine zweckmässige Gruppirung der einfachen realen Wesen, mit denen es
zusammen ist, gelangen kann; diese zweckmässige Gruppirung wäre, da sie als
Erklärungsgrund der göttlichen Intelligenz nicht ihrerseits aus dieser erklärt werden
kann, eine schlechthin unbegreifliche Voraussetzung, durch welche die Erklärung
der Zweckmässigkeit überhaupt nur zurückgeschoben wird; Herbart selbst nennt
den Versuch, seine Metaphysik auf die Gotteslehre anzuwenden, einen Missbrauch
der Metaphysik und vergleicht das Verlangen nach einer theoretischen Gottes-
erkenntniss mit dem Wunsche der Semele, die sich Verderben erbat, hat aber
nicht den Vortheil Kants, durch ein (vermeintlich) erwiesenes Nichtwissen um die
Existenzweise der .Dinge an sich* die Abweisung aller theoretischen Versuche
begründen zu können. Setzt man die Qualität desjenigen einfachen realen Wesens,
welches Gott ist, als unendlich intensiv, so ist nicht nur sehr zweifelhaft, ob nicht
consequentermaassen von Herbart diese Unendlichkeit aus demselben Grunde negirt
werden müsse, aus welchem er eine unendliche Zahl von realen Wesen nicht an-
nimmt, sondern es kommt auch und noch mehr in Frage, ob denn die blosse Un-
endlichkeit der Intensität schon an sich selbst als ein ordnendes Priucip gelten
dürfe und die Annahme einer anderweitig schon bestehenden zweckmässigen, die
vernünftige Ordnung der Vorstellungen in Gott bedingenden Gruppirung realer
Wesen überflüssig machen könne; kann sie es nicht, so ist es eben so leicht, wo
nicht leichter, die zweckmässige Weltordnung für ewig zu halten (wobei ein Gott
noch möglich, aber unerwiesen wäre), als zwischen einer primitiven Zweckmässigkeit
und der gegenwärtigen Weltordnung Gott eine Mittelstellung zu geben. Herbarts
Ethik undAesthetik überhaupt steht ohne Gemeinsamkeit des Priucips neben
seiner theoretischen Philosophie; es ist höchst fraglich, ob das vermeintlich im
Interesse der Reinheit der sittlichen Auffassung aus seiner Bedingtheit durch die
natürlichen Werthunterschiede der geistigen Functionen hinausgehobene, für absolut
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§ 36. Beneke. 403
§ 36. Friedrich Eduard Beneke (1798—1854) hat im Gegensatz
besonders zu Hegels und auch zu Herbarts Speculation, aber im
Anßchluss an manche Doctrinen englischer und schottischer Philo-
sophen, wie auch Kants, F. H. Jacobis, Fries', Schleiermachers, Schopen-
hauers und Herbarts, eine psychologisch-philosophische Doctrin
ausgebildet, welche sich ausschliesslich auf die innere Erfahrung
stützt, von der Ueberzeugung geleitet, dass wir uns selbst psychisch
durch das Selbstbewusstsein mit voller Wahrheit, die Aussenwelt
aber mittelst der Sinne nur unvollkommen zu erkennen vermögen
und nur insofern ihr Wesen erfassen, als wir Analoga unseres
psychischen Lebens den sinnlichen Erscheinungen unterlegen. Alle
complicirteren psychischen Vorgäuge leitet Beneke aus vier elemen-
taren psychischen Vorgängen oder „Grundprocessen" ab, nämlich
dem Process der Reizaneignung, dem Process der Bildung neuer
psychischer Elementarkräfte oder „Urvermögen", dem Process der
Ausgleichung oder Uebertragung von Reizen und von Vermögen,
wodurch, sofern gewisse Gebilde einen Theil ihrer Elemente verlieren,
diese Gebilde unbewusst werden oder als blosse Spuren fortexistiren,
sofern aber eben jene Elemente anderen Gebilden zufliessen, diese
letzteren Gebilde, falls sie unbewusst waren, zum Bewusstsein erregt,
falls sie bereits bewusst waren, in der Bewusstheit gesteigert werden,
endlich dem Process der gegenseitigen Anziehung und Ver-
schmelzung gleichartiger Gebilde. In der Zurückfuhrung der
complicirten psychischen Erscheinungen auf diese „Grundprocesse" liegt
Benekes wesentliches Verdienst, welches auch dann einen entschiedenen
Werth für die Psychologie und für alle übrigen Zweige der Philo-
sophie, sofern sie auf der Psychologie beruhen, behaupten wird, wenn
die Auffassung dieser Grundprocesse selbst einer durchgängigen Um-
bildung bedarf.
Die Moral basirt Beneke auf die ursprünglich in Gefühlen sieh
kundgebenden natürlichen Werthverhältnisse der psychischen Functionen.
Was das diesen Verhältnissen gemäss nicht bloss für den Einzelnen,
sondern für die Gesammtheit derer, auf welche unser Verhalten
erklärte Urtheil des Gefallens und Missfallens als letzter Grund des Schönen nnd
des sittlichen gelten dürfe, nnd ob es insbesondere die sittliche Verbindlichkeit
genügend zu erklären vermöge. Eine .Schönheit", die in blossen Verhältnissen als
solchen liegt, oder eine Form, zu welcher der Inhalt nur als der unentbehrliche
Träger gesucht wird, entspricht dem Princip der sophistischen Rhetorik (z. B. eiues
Aelius Aristides); wahrhaft befriedigend ist die ästhetische Form nur als adäquater
Ausdruck eiues werthvollen Inhalts; die nämliche Form oder das nämliche Ver-
hältniss befriedigt oder missfällt je nach der Natur des Inhalts; daher gehört die
Beziehung zwischen Inhalt uud Form in den Begriff der Schönheit selbst als des
objectiven Grundes des subjektiven ästhetischen Wohlgefallens. Vgl. Trendelenburg,
II. s praktische Philosophie und die Ethik der Alten, in den Abhandl. der Berliner
Akad. der Wiss. 1856, jetzt auch im 3. Bande von Tr.a hist. Beitr , Berlin 1867,
S. 122—170, uud dagegen Allihn in der Zeitschr. f. exaete Philos. VI, 1, 1865.
26*
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404
§ 36. Beneke.
Einfluss haben kann, so weit wir dies zu ermessen vermögen, Werth-
vollste ist, das ist zugleich das sittlich Gute. Die sittliche Freiheit
besteht in einer so entschieden überwiegenden Begründung des Sitt-
lichen im Menschen, dass allein durch dieses das Wollen und Handeln
bestimmt wird. Wenn in Beziehung auf unser eigenes Handeln neben
eine irgendwie abweichende Schätzung oder Strebung die Vorstellung
oder das Gefühl der für alle Menschen gültigen wahren Schätzung
tritt, so liegt hierin das Gewissen. Auf die Psychologie und Ethik
gründet sich die Erziehungs- und Unterrichtslehre, an deren Aus-
bildung Beneke mit Liebe und Erfolg gearbeitet hat. Seine Religions-
philosophie hat eine strenge Scheidung der Gebiete des Wissens und
des Glaubens zur Voraussetzung.
Ueber Benekes Entwickelungsgang hat <>r selbst besonders in seiner Schrift:
Die neue Psycho!. , Berl. 1845, 3. Aufsatz, S. 76 ff. : „Ueber d. Verhältnis« meiner
Psycho!, zu der herbartschen*, sich geäussert. In der Vorrede zu seinen „Beitr. zu der
Seelenkrankheitskunde", 1824, S. VII ff. erklärt er sich über einige Conflicte. In
Diesterwegs pädag. Jahrbuch auf 1856 steht eine Biographie Benekes von Dr. Schmidt
in Berlin, wozu Dressier ebd. einen Nachtrag giebt. Kine kurze Charakteristik der
Ȋmtntl. Schriften Benekes nach der Zeitfolge ihres Erscheinens giebt Joh. Gottlieb
Dressler im Anhang zu der von ihm herausgegebenen 4. Aufl. des von Beneke ver-
fassten Lehrbuchs der Psychologie, Berl. 1877 (auch besond. abgedr.). Vgl. auch
C. W. Freimuth, die wichtigsten Grundlehren u. Vorzüge der neuen Psychol. Benekes,
1845. L. Noack, B. u. s. psychologisch. Forschungen, in: Psyche, 2, 1859, S. 129—150,
s. auch 5. Bd., 1862, S. 125—1:57. Dressier, Ist B. Materialist? 1862. Adalbert Weber,
Kritik der Psychol. von Beneke, Leipziger Inaug.-Diss., Weimar 1872. Nicmeyer,
Beneke u. d. kirchl. Anthropologie, Seh.-Pr., Itzehoe 1876. Kine populäre Darstellung
der Grundzüge der benekeschen Psychologie enthält die Schrift: G. Kaue, die neue
Seelenl. B.s nach method. Grundsätzen in einfach entwickelnder Weise für Lehrer
bearbeitet, Bautzen 1847, besorgt dann von Dressler, Mainz 1876. S. auch den Artikel
üb. Ueneke von Flashar, in: Schmids Encvklop. des gesammt. Erziehungs- u. Unter-
riclitswesens.
Benekes Schriften und Abhandlungen (abgesehen von den noch zu er-
wähnenden Kecensionen) sind folgende:
Erkcnntnisslehre nach dem Bewusstsein der reinen Vernunft in ihren Grund-
zügen dargelegt, Jena 1820. (Polemisch besonders gegen die Apriorität der Formen der
Erkenntnis*.)
Erfahrungsseelenlehre als Grundlage alles Wissens in ihren Hauptzügen darg.,
Berl. 1820. (B. erklärt, es sei in dieser Schrift keineswegs seine Absicht, eine Erfahrung«-
seelenlchre als vollständige Wissenschaft aufzustellen, sondern nur zu zeigen, wie und
wo in ihr alle menschlichen Erkenntnisse ihn- Wurzeln treiben.)
De veris philosophiae initiis diss. inaitg. publ. def. die IX. mensis Aug.
anni MDCCCXX. (B. sucht nachzuweisen: „philosophiae scopum a cognitione per
experientiam acquisita attingendum esse", und vergleicht das entgegengesetzte, aus
Einem obersten Princip ohne Hülfe der Erfahrung deducirende Verfahren mit dem
thoriehten Versuch, ein Haus vom Dache aus zu bauen. Die dialektische Methode, die
auf der Voraussetzung einer vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreitenden Selbst-
bewegnng des Begriffs beruht, ist unmöglich.)
Neue Grundlegung zur Metaphysik, als Programm zu seinen Vorlesungen
üb. Logik u. Metaphysik dem Druck übergeben, Herl. 1822. (Eine treffliche kleine
Schrift, worin B. mit grosser Präcision die von ihm seitdem stets festgehaltenen Grund-
züge der „Metaphysik* darlegt.)
Grundlegung zlzr Physik der Sitten, ein Gegenstück zu Kants Grundlegung
zur Metaphysik der Sitten, nebst einem Anhange üb. d. Wesen u. d. Krkenntnissgrcuzcn
d. Vernunft, Berl. 1822. (Diese Schrift gab um des angeblich in ihr gelehrten „Epikureis
mus" willen zu der Muassregelung Benekes den Anlass, weshalb B. derselben eine
.Schutzschrift für meine Grundlegung zur Physik der Sitten", Leipz. 1 823, nachfolgen
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§ 36. Beneke.
405
Hess. Im Gegensatz zu Kants kategorischem Imperativ will Beneke die Moral auf das
Gefühl begründet wissen; er poleinisirt im Anschluss an Friedr. Heinr. Jacohi gegen
den Despotismus der Kegel und in Uehereinsiimmung mit Herbart zu Gunsten des
Determinismus gegen Kants Annahme eiuer „transscendeutalen Freiheit1*.)
Beiträge zu einer rein seelenwisseusehaftl. Bearbeitung der Seclenkrankhetts-
k unde, nehst einem vorgedruckt. Sendschreiben an Herhart: »Soll die Psychologie
metaphysisch oder physisch begründet werden?* Leipz. 1824.
Psychologische Skizzen. I. Bd.: Skizzen z. Naturlehre d. Gefühle, in Ver-
bindung mit einer erläut. Abhandlung über die Bewusstwerdung der Seelenthätigkeiten,
Gotting. 1825. («Den Manen uuseres unvergesslichen Friedr. Heinr. Jucobi als ein
Todtenopfer der dankbarsten Liebe und Verehrung dargebracht.") II. Bd.: Ueber die
Vermögen der menschl. Sende und deren allmähliche Ausbildung, ebd. 1827. Das Ver-
hältnis« von Seele und Leib. ebd. 1826. (In diesen zusammengehörigen Schriften
giebt Beneke zuerst eiue allseitige Durchführung seiner psychologischen Doctrin.)
Grundsätze der Civil- und Criminalgesetzgebung, au» den Handschriften
des englischen Rechtsgelehrten Jeremias Bentham hrsg. von Etienne Dumont, Mit-
glied des repräsentativen Rathes von Genf. Nach der 2. verb. u. verm. Aufl. bearbeitet
um! mit Anmerkgn. versehen von F. E. Beneke, 2 Bde., Berl. 1830. (Bentham ist
„Utilitarier" ; sein Moralprincip ist die »Maximisation des Glücks oder Wohls" und die
„Minimisation des Hebels": was nicht bloss Einzelnen, sondern der möglichst grossen
Anzahl von Menschen das möglichst grosse Glück oder Wohl verschafft, das soll ein
Jeder erstreben, und eben darauf soll die Gesetzgebung abzwecken. Vgl. unten.
Ueber Benekes Bearbeitung urtheilt Warnkönig in seiner Ke. htsphilos. S. 87 f.: .Beneke
bearbeitete die Traites de lcgislation auf eine deutscher Gründlichkeit würdige Weise, so
dass erst durch ihn die ganze Theorie eine festere Grundlage, richtige Haltung und die
ihr fehlende Genauigkeit erhielt. Die eigenen Ansichten Benekes, dargelegt in der Vorrede
zu Bd. I, S. XIX — XXIV, dürfen mit Benthams System nicht verwechselt werden.")
Kant u. die philos. Aufgabe unserer Zeit; eine Jubeldenkschrift auf die
Kritik der reinen Vernunft, Berl. 18:52. (Für das Jahr 1831 bestimmt, da 1781 die
1. Ausg. der Vernunftkritik erschienen war, in Folge einer Verzögerung des Drucks aber
erst 1832 ausgegeben. B. sucht zu zeigen, das Kants Absicht auf die Aufhebung der
den Erfahrungskreis überschreitenden Speculation gerichtet gewesen 6ei, dass aber das
von ihm in der Vernunftkritik eingehaltene aprioristische Verfahren eine Mitschuld au
der Nichterreichung dieser Absicht und dem Wiederaufkommen der empirielosen Specu-
lation über das .Absolute" trage.)
Lehrbuch der Logik als Kunstlehre des Denkens, Berl. 1832.
Lehrbuch der Psychologie als Naturwissenschaft, Berl. 1833, 4. Aufl.
1877. (Dressler. der die 3. Aufl. besorgt hat, sagt mit Recht, diese Schrift .bilde
gleichsam den Grundstock zu allen sonstigen Werken Benekes" ; sie .führe die Principien
der muen Seelenlehre am präcisesten vor. Nach ihr zumeist soll unten die Darstellung
der Doctrin Benekes gegeben werden.)
Die Philosophie in ihrem Verhältniss zur Erfahrung, zur Speculation und zum
Leben dargestellt, Berl. 1833.
Erziehungs- und Unterrichtslehre, 2 Bde., Berl. 1835—36, 2. verm. und
verb. Aufl., ebd. 1842, 3. Aufl. besorgt von J. G. Dressier, ebd. 1864, 4. Aufl. 1876.
(Der I. Band enthält die Erziehungs-, der II. die Unterrichtslehre. Besonders in Folge
der in dieser Schrift vollzogenen Anwendung der Psychologie zur wissenschaftliehen
Begründung eines praktischen pädagogischen Systems hat sich die benekesche Doctrin
in einem ziemlich zahlreichen Kreise von Schulmännern verbreitet.)
Erläuterungen über die Natur und Bedeutung meiner psychologischen
Grundhypothesen, Berl. 1836.
Unsere Universitäten und was ihnen Noth thut, in Briefen an Dr. Diesterweg,
Berl. 1836. (Veranlasst durch Diesterwegs Schrift: .Die Lebensfrage der Civilisation".)
Grundlinien des natürl. Svst. der praktischen Philos., Bd. I: Allgemeine
Sittenlehre, Berl. 1837. Bd. II: Specielle Sittenlehre, ebd. 1840. Bd. III: Grundlinien
des Naturrechts, der Politik und de« philos. Criniinalrechts, allgem. Begründung, ebd. 1838.
(Der ausserdem noch beabsichtigte specielle Theil des Naturrechts ist nicht erschienen.
Beneke selbst erklärte die Sittenlehre für sein gelungenstes, ihn am meisten befriedi-
gendes Werk.)
Svlloginniorum analyticoruin origines et ordinem naturalem demonstravit Frid.
Ed. Beneke, Berol. 1839.
System der Metaphysik und Religionsphilos. Aus den natürlichen Grund-
verhältnissen des menschl. Geistes abgeleitet, Berl. 1840.
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406
§ 36. Beneke.
System der Logik als Konstiehre des Denken», 2 Bde., Berl. 1842. (Eine
Ausführung der in dem .Lehrbuch* von 1832 niedergelegten Grundtage. Beneke sondert
die Betrachtung des .analytischen* Denkens von der des »synthetischen* und scheidet
die in der .Metaphysik' behandelten erkenntnisstheoretischen Probleme aus: vgl. darüber
L'eberweg» Kritik in § 34 seines ,8yst. der Logik*.)
Die neue Psychologie. Erläuternde Aufrätze zur 2. Aufl. meines Lehrbuchs
der Psychologie als Naturwissenschaft, Berl. 1845.
Die Reform und die Stellung unserer Schulen, ein philosophisches Gutachten,
Berl. 1848.
Pragmatische Psychologie oder Seelenlehre in der Anwendung auf das Leben,
2 Bde., Berl. 1850.
Lehrbuch der pragmatischen Psychologie. Berl. 1853.
Archiv für die pragmatische Psychologie, 3 Bde., Berl. 1851—53.
Friedrich Eduard Beneke, geb. zu Berlin am 17. Februar 1798, geat eben-
daselbst am 1. Märe 1864, erhielt seine Gymnasialbildung in seiner Vaterstadt auf
dem damals unter Beruhardis Leitung stehenden Fridericianum, nahm 1815 am
Feldzug Theil und studirte dann Theologie und Philosophie in Halle und Berlin.
Neben de Wette, der ihn auf Fries hinwies, gewann besonderen Einfluss auf ihn
Schleiermacher, dem er eine seiner frühesten Schriften gewidmet hat. Privatim
stndirte B. theils die neuere englische Philosophie, theils Schriften Garves, Platners,
Kants und Friedr. Heinr. Jacobis; die sämmtlichen Werke des Letzteren hat B. in
der Zeitschr. Hermes, Bd. XIV., 1822, S. 255-339 receusirt. Auch Schopenhauers
Schriften bat er früh seine Aufmerksamkeit zugewandt, wovon die oben (§27, S. 351)
citirte Recension zeugt Erst als seine drei frühesten Schriftchen, s. o., bereits
erschienen waren, lernte B. eine Schrift Herburts keuuen, uämlich die 2. Aufl. dea
.Lehrb. znr Einl. in die Philos.* (1821), nachdem er vorher nur eine oberflächliche
Kunde von dessen Ansichten (vielleicht durch Stiedenroths Theorie des Wissens,
Gotting. 1819) erlangt hatte. Von nun an widmete er Herbarts Schriften ein sehr
lebhaftes Interesse; viele derselben hat er recensirt. Er fand in Herbart den
scharfsinnigsten und nach Jacobis Tode) tiefsten unter den damals lebenden deutschen
Philosophen. Wenn aber Herbart seine Psychologie auf .Erfahrung, Mathematik
und Metaphysik" busirt, so wies B. ebensowohl die metaphysische Begründung, wie
die Anwendung der Mathematik ab und hielt sich ausschliesslich au die innere Er-
fahrung, die er nur nach derselben Methode, nach welcher die Naturwissenschaften
die äussere Erfahrung ratioualisiren, wissenschaftlich verwerthen will; er giebt nicht
zu, dass sich in den dnreh die Erfahrung dargebotenen Begriffen Widerspräche
finden, and dass es einer metaphysischen Speculation bedürfe, welche diese nach
der .Methode der Beziehungen" wegschaffe. In der Annahme einer punctuellen
Einfachheit der menschlichen Seele findet er den Grundfehler der herbartschen
Psychologie, in dessen Consequenz eine durchgängige Trübung der aus der inneren
Erfahrung geschöpften Einsicht liege. B. billigt Herbarts Polemik gegen die-
jenigen „Seelenvermögen", die nur hypostasirte Classenbegriöe psychischer Er-
scheinungen seien und doch als Erklärungsgründe eben dieser Erscheinungen dienen
sollen; aber er hält an der Gültigkeit des Vermögensbegriffs überhaupt und auch
an der Annahme einer Mehrheit psychischer Vermögen fest. Er sucht die compli-
cirten psychischen Erscheinungen auf wenige psychische Grundvorgänge zurück-
zuführen. (Diese Grundvorgänge hat B. grösstentheils schon in der 1820, vor seiner
Bekanntschaft mit Herbarts Schriften veröffentlichten . Erfahrangsseelenlehre "
bezeichnet, jedoch mehr sporadisch, als in vollständiger wissenschaftlicher Ent-
wickelung; das durchgeführte Lehrgebäude der Psychologie ist nicht ohne einen
wesentlichen herbartschen Miteinfluss entstanden.) Im Jahre 1822 wurde B. nach
Veröffentlichung seiner Schrift: „Grundlegung zur Physik (Naturlehre) der Sitten«
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§ 36. Beueke.
407
von einem Verbot seiner Vorlesungen betroffen. B. will ermittelt haben, das» Hegel
dasselbe bei dem ihm befreundeten Minister v. Altenstein ausgewirkt habe, um
keine der seinigen feindliche, der schleiermacherschen und friesschen Doctrin aber
näher stehende Philosophie neben Beiner eigenen an der berliner Universität auf-
kommen zu lassen. In verschärfender Interpretation illiberaler Bundesbeschlüsse
fand Altenstein, durch fernere Schritte Benekes gereizt, das Mittel, die sächsische
Regierung, von der B. für ein Ordinariat der Philosophie designirt war, zur Nicht-
anstelluiig eines — obschon politisch unverdächtigen — Privatdocenten, dem in
Preussen die Venia legendi entzogen worden war, zu uöthigen. B. fand ein Asyl
in Göttingen, wo er von 1824—1827 docirte; dann kehrte er nach erlangter Er-
laubniss als Docent nach Berlin zurück und erhielt daselbst 1832, nicht lange nach
Hegels Tode, eine ausserordentliche Professur, die er, als Docent und Schriftsteller
unablässig thätig, bis zu seinem Tode bekleidet hat Er ertrank, wie man meint,
nicht ohne eigenen Vorsatz.
Wie schwierig auch, sagt B. in der Einleitung zu seinem „ Lehrbuch der Psychol.
als Naturwissenschaft", die reale Begrenzung der Seele gegen das Körperliche sein
mag, so haben wir doch für die Begründung unserer Wissenschaft eine durchaus
klar bestimmte und scharfe Greuzlinie: Gegenstand der Psychologie ist alles,
was wir durch die innere Wahrnehmung und Empfindung auffassen, was wir durch
äussere Sinne auffassen, ist wenigstens zunächst und unmittelbar nicht geeignet,
von ihr verarbeitet zu werden, sondern muss, wenn es benutzt werden soll, erst auf
Auffassungen jener ersteren Art gedeutet werden.
Die Methode der Psychologie muss mit der Methode der Wissenschaften
von der äusseren Natur übereinkommen. Von Erfahrungen ist auszugehen, und diese
sind (durch Induction, Hypothesenbildung etc.) rationell zu verarbeiten.
Die Psychologie ist nicht auf die Metaphysik, sondern umgekehrt die Meta-
physik wie auch alle andern philosophischen Wissenschaften, auf die Psychologie
zu basiren.
In der Verbannung der »angeborenen Begriffe14 (besonders durch Locke) und
der angeborenen abstracten „Seelenvermögen" (durch Herbart und durch Beneke
selbst) findet B. die Hauptstädten des Fortschritts der wissenschaftlichen Psychologie.
Doch ist nicht der Vermögensbegriff überhaupt zu verwerfen, sondern es sind nur
statt der fälschlich als ursprünglich gesetzten „Vermögen" (wie Verstand, Urtheils-
kraft etc.), welche hypostasirte Classenbegriffe sehr complicirter Erscheinungen sind,
die wahrhaft elementaren Vermögen oder »Urvermögen" zu bestimmen. Das Wirkende
in dem Geschehen ist die Kraft oder das Vermögen. Die Vermögen sind aber nicht
blosse Möglichkeiten, sondern im Inneren der Seele in eben dem Maasse wirklich,
wie die Entwickelungen, welche durch sie möglich werden, als bewusste Vorgänge
wirklich sind. Die Vermögen sind die Bestandteile der Substanz selbst; sie haben
keinen von ihnen selbst verschiedenen Träger. Das Ding ist nur die Gesamratheit
der mit einander vereinigten Kräfte.
Die nächste Aufgabe der Wissenschaft ist, die unmittelbar vorliegenden Erfolge
in die einfachen zu zerlegen, d. h. auf die Grundprocesse oder Grundgesetze zurück-
zuführen; sind diese erkannt, so sind dann aus ihnen die Kräfte zu erschliessen.
Die psychischen Grundprocesse, welche Beneke annimmt, sind folgende.
Erster Grundprocess. Von der menschlichen Seele werden, in Folge von
Eindrücken oder Reizen, die ihr von aussen kommen, sinnliche Empfindungen
und Wahrnehmungen gebildet, und zwar vermittelst iunerer Kräfte oder
Vermögen, durch welche die Aufnahme und Aneignung der Reize geschieht Die
Vermögen, welche die Reize pereipiren, sind die ,Ur vermögen* der Seele. B.
schreibt einem jeden der Sinne nicht Ein „Urvermögen", sondern eine Mehrheit von
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§ 36. Beneke.
„Unvermögen** zu, die je Ein System ausmachen; er läset jeden einzelnen sinnlichen
Reiz durch je ein „Urvermögen" aufgenommen werden.*)
Zweiter Grundprocess. Der menschlichen Seele bilden sich fort-
während neue ürvermögen an. Beneke schliesst auf diesen Process, der nicht
unmittelbar innerlich wahrnehmbar ist, aus dem Umstände, dass von Zeit zu Zeit
in Betreff der Ürvermögen eine Erschöpfung eintrete, eine Unfähigkeit, sinnliche
Wahrnehmungen oder andere Thätigkeiten zu bilden, welche ein Eingehen von freien
Ürvermögen fordern, und dass diese dann später wieder für einen mehr oder weniger
ausgedehnten Verbrauch vorliegen. Beneke vergleicht diesen Process mit der den
LebeQsprocess der vegetabilischen Organismen ausmachenden Anbildung von Kräften
durch Assimilation der Nahrungsstoffe. Er hält die Annahme für wahrscheinlich,
dass die neuen ürvermögen vermöge einer eigentümlichen Umbildung aus den von
unseren Sinnen aufgenommenen Reizen hervorgehen, unter Miteinwirkung aller der
(geistigen und leiblichen) Systeme, welche zu dem Einen menschlichen Sein ver-
*) Die „Ürvermögen* sind die elementarsten Thcile der psychischen Substanz.
Eh läast sich die Fragt- aufwerfen, wie sich diese von Beneke sogenannten „Ür-
vermögen" zu den Ganglienzellen oder den Elementen der Ganglienzellen im Gehirne
verhalten. Der Unterschied des Leiblichen und Psychischen überhaupt ist ein
Unterschied der Auffassung, nicht des Seins. Das Nämliche kann theils innerlich
im Selbstbewußtsein, theils äusserlich durch die Sinne aufgefasst werden; im ersten
Falle erkenneu wir es als ein solches, wie es an sich ist: im andern Falle aber trägt
unsere Auffassung nur einerseits den Charakter des Aufzufassenden an sich, ist aber
andererseits durch die Natur des pereipirenden Subjectes mitbedingt; die räumliche
Ausdehnung im eigentlichen Sinne dieses Wortes als Ausdehnung in drei Dimensionen
gehört (nach Benekes freilich sehr anfechtbarer Doctriu) uur der sinnlichen Er-
scheinung an, während dem Realen an sich ein Nebeneinander nur in einem solchen
Sinne zukomme, wie etwa ein Gedanke neben einem audern Gedanken in uus existire;
alle Materialität gehört demnach nur der Erscheinung an. Nun besteht aber sowohl
dasjenige, was wir durch die innere Wahrnehmung als etwas Psychisches erkennen,
als auch an sich selbst dasjenige, was uns vermöge der Sinne als etwas Materielles
erscheint, aus mehreren Systemen von Kräften. Es wäre denkbar, dass diese
sämmtlich die zweifache Auffassung zuliessen; aber es wäre ebensowohl auch denkbar,
dass ein Theil der Systeme nur äusserlich, ein anderer nur innerlich wahrnehmbar
sei, und drittens auch, dass einige, nämlich die niedrigsten Systeme nur äusserlich,
andere, nämlich die höchsten, nur innerlich, gewisse mittlere Systeme aber wenigstens
unter Umständen auf beide Weisen wahrgenommen werden 'könnten. Beneke hält
einzelnen „Ürvermögen" mit den kleinsten mikroskopisch wahrnehmbaren Theilen
des Gehirns, etwa mit den Ganglienzellen, identisch seien, nach Benekes Principien
zwar nicht unmöglich, wird aber von ihm nicht aufgestellt, indem er vielmehr die
Ansicht für die richtige zu halten geneigt ist, dass die psychische Substanz von
dem Gehirn auch realiter verschieden sei. Zwischen allen höheren und niederen
, mögen dieselben in der einen oder in der andern Form erscheinen, findet
dessen Möglichkeit auf der zwischen ihnen allen nach ihrem Ansichsein bestehenden
Gleichartigkeit beruht; insoweit aber als das Nämliche theils innerlich, theils
änsserlich wahrgenommen (oder nach der Analogie des äusserlich oder innerlich
Wahrgenommenen vorgestellt) wird, besteht kein Causalnexus und ebensowenig eine
prästabilirte Harmonie, sondern ein solcher Parallelismus, wie denselben die zwei-
fache Art der Auffassung bei reeller Identität bedingt. Heneke scheint anfangs
(im Anschluss an Spinoza, Kant und Schopenhauer) eine reale Identität in einem
weiteren, später nur noch in einem engeren Umfange angenommen zu haben. Mehr
in der Metaphysik als in der Psychologie, die sich nur auf die innere Wahr-
nehmung stützen soll, geht Beneke auf diese Frage ein.
**) Freilich ist die Annahme wunderlich, duss die von aussen kommenden
Reize, wie Schall, Licht etc., welche bei der Bildung sinnlicher Empfindungen von
den „Ürvermögen" „angeeignet" werden, sich zum Theil in Ürvermögen „umbilden*
einigt sind.**)
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§ 36. Beneke.
409
Dritter Grundprocess. Die Verbindung von Vermögen and Reizen, wie
dieselbe ursprünglich in den sinnlichen Empfindungen und Wahrnehmungen begründet
wird und sich in deren Reproductionen erhält, zeigt eine bald festere, bald weniger
feste Durchdringung dieser beiden Gattungen von Elementen. Soweit Vermögen
und Reize weniger fest verbunden und demgemäss beweglich gegeben sind, können
sie in den vielfachsten Verhältnissen von einem Gebilde auf das andere übertragen
werden. Alle psychischen Gebilde sind in jedem Augenblick unseres Lebens bestrebt,
die in ihnen beweglich gegebenen Elemente gegen einander auszu-
gleichen. Beispiele hiervon liegen vor in der Steigerung unseres gesummten Vor-
stellungskreises durch die Gemüthsbewegungeu der Freude, des Enthusiasmus, der
Liebe, des Zornes etc.; aber auch in jedem Wiederauftauchen einer Vorstellung
vermöge ihrer Association mit einer andern, die unmittelbar vorher wieder ins Be-
wusstsein getreten war etc.*)
Alles, sagt Beneke, was in der menschlichen Seele mit einiger Vollkommenheit
gebildet worden ist, erhält sich, auch nachdem es aus dem Bewusstsein oder der
erregten Seelenentwickelung verschwunden ist, im unbewussten oder inneren Seelen-
sein, aus welchem es dann später wieder in die bewusste Seelenentwickelung eingehen
oder reproducirt werden kuuu. Beneke nennt dieses unbewusst Beharrende in Bezug
auf das früher Bewusste, das unbewusst fortexistirt, eine „Spur", und in Bezug auf
das, was vermöge der Reproduction daraus hervorgehen kann, eine „Anlage" oder
auch, um das Gewordensein dieser Anlage auszudrücken, mit einem eigenthümlichen,
sollen. Der Reiz, der das Ohr trifft, besteht, wie die Physik lehrt, in einer vibri-
renden Bewegung von Lufttheilchen, der Reiz, der das Auge trifft, in einer vibrirenden
Bewegung von Acthertheilchen etc.; mag nun auch nicht nur von diesem Vorgang
die durch denselben angeregte Empfiudung, sondern auch von der physikalischen
Auffassung eben dieses \ organges das „Ansich" desselben zu unterscheiden seiu, so
kann doch uueh dieses Ansich nur ein Vorgang sein (obschon Beneke, der hier
die physikalische Theorie als beruhend auf der -getrübten* sinnlichen Wahrnehmung
vernachlässigt, es für etwas Substantielles hält), und es ist doch in keiner Art ab-
zusehen, wie ein blosser Vorgang sich in ein „Urvermögen", in eine Kraft oder
nicht widerstreitend wäre die — bei den angeborenen Urvermögen jedenfalls
unumgänglich nothwendige — Annahme, dass wie aus den niederen leiblichen Systemen
die höheren leiblichen Systeme, so aus diesen wiederum die psychischen durch Assi-
milation sich stets neue Kräfte anbilden, und dass etwa das Nervensystem und
Gehirn der Seele gleichsam als Kräftereservoir diene. Diese „Kräfte" oder Vermögen
können dann aber nicht wie leere Gefässe vorgestellt werden, die von aussen erfüllt
werden müssten, sondern nur als in sich die Rudimente zu Empfindungen tragend,
die nur noch der Anregung, Coucentratiou und mannigfacher Combinatiou mittelst
der äusseren Reize bedürfen.
*) Dem Ausdruck, durch den Beneke diesen Grundprocess bezeichnet, liegt
ebenso, wie seiner Annahme einer „Aufnahme" vou Reizen und einer Anbilduug
neuer Urvermögen durch Umbildung aufgenommener Reize die Vorstellung von
substantiellen Reizen, die in die Seele eintreten, zum Grunde. Wird aber
der Reiz in einem Vorgang gefunden, der, falls er selbst angeschaut werden kann,
was z. B. bei der Schwingung von Saiten möglich ist, als Bewegung, insbesondere
als Vibration erscheinen muss, so kann die in der Seele entstehende Empfindung
nur als eine von innen hervortretende Reaction geducht werden, die weder ganz, noch
partiell von dem „Urvermögen", welches dieselbe übt, ablösbar sein kann. Nur die
Bewegung, mit der die Empfindung verbunden ist, aber nicht diese selbst, ist über-
tragbar. Wie eine Bewegung sich in andere Bewegungen umsetze, ist nach den
mechanischen Gesetzen verständlich; wie aber die bei der Ücbertragung substantieller
Reizelemente auf andere psychische Gebilde (z. B. von der Vorstellung des Rotheu
auf die nach Associationsgesctzen von ihr angeregte Vorstellung des Blauen, von der
eines Namens auf die der Suche etc.) nach der Consequenz der benekeseben Annahme
unabweisbar erfolgende Umsetzuug derselben in Elemente von anderen Qualitäten
vor sich gehen möge, ist undenkbar.
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410
§ 36. Beneke.
sprachlich wohl kaum gerechtfertigten Terminus . Augelegtheit"). Von den
Sparen wissen wir nur durch die Reproductionen derselben; wir sind derselben aber
dadurch, dass diese Reproductionen stets qualitativ und quantitativ den früheren
Gebilden angemessen erfolgen, vollkommen gewiss. In der ersten Auflage des
Lehrbuchs der Psychologie hat Beneke einen Grundprocessder Spurenbildung
angenommen, macht aber bereits bemerklich, dass dabei eigentlich nur das Un-
bewusstwerden des Bewusstgewesenen als Process zu betrachten sei; das Beharren
bedürfe gar keiner Erklärung, da naturgemäss das einmal Gewordene so lange fort-
existire, bis es durch besondere Ursachen wieder vernichtet werde. Da nun aber
das ünbewusstwerden des früher Bewussten sich durch partielles Reizentschwinden
erklären lasse, welches nur die eine Seite des Procesaes der Uebertragung oder
Ausgleichung der beweglichen Elemente sei, so findet er in der zweiten Auflage
des Lehrbuchs auch nicht durch das partielle Reizentachwinden die Annahme
eines besonderen Grundprocesses gerechtfertigt, sondern erwähnt das innere Beharren
trotz dessen .ausnehmender Wichtigkeit für die Fortbildung der Seele» nur an-
hangsweise bei Gelegenheit der Angabe des dritten Grundprocesses.*) Die Spur,
sagt Beneke, ist das, was zwischen der Production einer Seelenthätigkeit, z. B.
einer sinnlichen Wahrnehmung und ihrer Reproduction, z. B. als Erinnerung, in
der Mitte liegt. Da diese beiden Acte psychische Acte sind, so dürfen wir auch
die Spur nur in psychischer Form vorstellen. Es giebt für diese Spuren kein .Wo".
Wie die Seele überhaupt, so sind auch alle ihre Theile nirgend; denn das Selbst-
bewusstseiu, unser einziger Erkenntnissquell, enthält unmittelbar und an sich nicht
das Mindeste von räumlicher Beziehung in sich. Die Spuren sind auch an kein
leibliches Organ geknüpft; denn die den psychischen Eutwickelungen parallelen
räumlichen Anschauungen und Veränderungen sind mit jenen nur zugleich, höchstens
stets zugleich gegeben und können ihnen auf keine Weise innerlich gemacht oder
gar als Grundlage (substantiell) untergelegt werden.
Vierter Grundprocess. Gleiche Gebilde der menschlichen Seele und ähn-
liche nach Maassgabe ihrer Gleichartigkeit ziehen einander an oder streben,
mit einander nähere Verbindungen einzugehen. Beispiele liegen vor in der witxigen
Comblnation, in der Gleichnissbildnng, ürtheilsbildung, dem Zusammenfliessen
ähnlicher Gefühle und Bestrebungen etc. Durch alle diese Anziehungen aber wird
nur ein Zusammenkommen der gleichen Gebilde bewirkt, eine bleibeude Verbindung
oder Verschmelzung erfolgt dann, wenn der Ausgleichungsprocess ergänzend hin-
zutritt.**)
*) Ob in der That bei der Spnrenbildung kein besonderes Geschehen anzu-
nehmen sei, ist sehr zweifelhaft. Ein .partielles Reizentschwindeu" scheint nur zu
einem Schwächerwerden im Bewusstsein, nicht zu dem Ünbewusstwerden, welches
doch bei den im , Gedächtniss aufbewahrten Vorstellungen und psychischen Ge-
bilden überhaupt eingetreten ist. führen zu können, entschwindet aber der Reiz
vollständig bei der Uebertragung der Erregtheit auf andere Gebilde, so wird die
entsprechende Vorstellung überhaupt nicht mehr bestehen, und soll dennoch eine
.Spur" vorhanden sein, so muss diese eigens gebildet worden sein, gleichwie, wenn
ein Körner nicht mehr von gewissen Lichtstrahlen getroffen wird, auf ihm überhaupt
kein Bild zurückbleibt, sofern nicht, wie beim Photographiren gewisse Eindrücke
oder „ Spuren" eigens erzeugt worden sind.
**) Da B. hier von einer .Anziehung" im eigentlichen, mathematiseh-räumlioheu
Sinne nicht reden kann, noch will, und da jede wirkliche Lagenveränderung der
Gebilde bei diesem Process darum, weil die nämliche Vorstellung in die verschieden-
artigsten Verbindungen eingehen muss (wie z. B. die Vorstellung Casars als Römers,
als Staatsmanns, als Feldherrn, als Geschichtschreibers , Ciceros als Römers, als
Staatsmanns, als Redners, als Philosophen, immer wieder mit anderen Gruppen zu
combiniren ist), das Nämliche nicht nur an verschiedene Orte bringen, sondern
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§ 36. Beneke.
411
Auf Grund der Betrachtang der Grundprocesse bezeichnet B. die Seele als
»ein durchaus inmaterielles Wesen, bestehend aas gewissen Grandsystemen, welche
nicht nur in sich, sondern aach mit einander auf das innigste Eins sind oder Ein
Wesen bilden". Die menschliche Seele hat im Unterschiede von der thieriscben
einen geistigen Charakter, welcher in der höheren Kräftigkeit ihrer Urverroögen
begründet ist; daneben bedingt die individuellere und bestimmtere Ausprägung und
das bestimmtere Auseinandertreten der verschiedenen Grundsysteme, wie aach der
Besitz der Hände und der Sprache und die Erziehung während einer langen Kindheit
den geistigen Vorzug des Menschen vor den Thieren.
Jede Erkenntniss unserer Seelenthätigkeiten, sagt B., über Schopenhauer hinaus-
gehend, der dies bloss von der Erkenntniss unseres „Willens" behauptet hatte, ist
die Erkenntniss eines Seins an sich, d. h. die Erkenntniss eines Seins, welche
dasselbe vorstellt, wie es an und für sich oder unabhängig von seinem Vorgestellt-
werden ist, und zwar erkennen wir so unsere Seelenthätigkeiten unmittelbar. Keine
Vorstellung vermögen wir unmittelbar als Vorstellung eines Seins ausser unserem
eigenen zu erkennen. Durch die Wahrnehmungen von unserem eigenen Leibe haben
wir die vermittelte Erkenntniss eines Seins, welches wir, wie es an sich ist,
unmittelbar, nämlich als unser psychisches Sein, vorstellen. Wir stellen uns bei
der Wahrnehmung eines fremden Leibes, d. h. auf Anlass solcher Sinneswahr-
nehmungen, die der von unserem Leibe analog sind, eine der unsrigen ähnliche Seele
vor, als ein fremdes Sein, welches wir insoweit, als es mit unserem psychischen
Sein übereinstimmt, ebenfalls so, wie es an sich ist, denken. Von dem uns
ähnlichsten menschlichen Sein aus geht unsere Vorstellungsfähigkeit in ununter-
brochener Stufenreihe abwärts; das Sein-an-sich der uns im Temperament, Alter,
Bildung unähnlichsten Menschen stellen wir schon sehr unvollkommen vor, noch
unvollkommener das Sein-an-sich der Thiere, und mit jeder Stufe, die wir dann in
der Vollkommenheit des Seins hinabsteigen, nimmt auch die Vollkommenheit der
Vorstellung ab. Dieses Letztere bemerkt B. besonders im Gegensatz zu Schopen-
hauer, der, indem er eine adäquate Erkenntniss von der Welt als »Willen" behauptet,
in Folge seiner Subsumtion aller Kräfte unter den abnorm erweiterten Begriff des
„ Willens" verkennt, dass Bich die Vollkommenheit eben dieser Erkenntniss nach
dem Maasse des Abstandes einer jeden Naturkraft von dem menschlichen Willen
abstuft. B. verweist in diesem Betracht auf seine in der Jen. Allg. Litt. -Zeitung,
Dec. 1820, enthaltene Recension von Schopenhauers »Welt als Wille und Vor-
stellung-. Wir erklären so vermittelst der Analogie von unserm psychischen Leben
aus die sinnlichen Erscheinungen, und der Idealismus wird so überwunden. Zwischen
dem sabjectiven Idealismus und einem unphilosophischen, an eine unmittelbare und
volle Erkennbarkeit der Aussenwelt durch die Sinneswahrnehmung glaubenden
Realismus nimmt B. durch die vorstehenden Sätze eine feste Mittelstellung ein.
Raum und Zeit kommt objective Realität zu. Die Notwendigkeit der Raura-
auch an verschiedenen Orten zugleich fixiren musste, was sich widerspricht, so
möchte der Begriff dieser »Anziehung" auf den einer Miterregung des Gleichartigen
zu reduciren sein. Dann aber fällt dieser Process mit dem der »Ausgleichung" oder
der Reizübertragung unter den gemeinsamen Begriff einer Affection von innen her,
die von erregten psychischen Gebilden auf andere, sei es erregte oder unerregte
SiychiBche Gebilde geübt wird; diese innere Affection nimmt eine zweifache
ichtung, nämlich theils zu solchen Gebilden hin, die mit dem jetzt wiedererregten
früher zusammen bewusst gewesen sind, theils zu gleichartigen Gebilden hin, auch
wenn keine Verknüpfung mit diesen durch früheres gleichzeitiges Bewusstsein oder
unmittelbare Succession bestanden hat. Somit lassen sich die säramtlichen Grund-
processe als Vermögenbildung, Affection von aussen her, Spurenbildung und zweifach
gerichtete Affection von innen her bezeichnen.
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§ 36. Beneke.
Vorstellung sei kein Beweis dafür, dass sie apriorisch sei, denn auch entstandene
Vorstellungen könnten sich so festsetzen, dass man sie nicht wieder aufgeben könne.
Wir nähmen in uns ein reales Nebeneinander der Vorstellungen wahr, und man
könne leicht annehmen, dass ein diesen Verwandtes in den Dingen sich fände, das
dann für den Wahrnehmenden ein Räumliches werde. Auch Inhärenz und C'ausalität
(wir machen uns Vorstellungen präsent) sind uns innerlich gegeben und werden auf
das ausser uns Seiende übertragen.
Die Kräfte oder Vermögen der ausgebildeten Seele bestehen aus
den Spuren der früher erregten Gebilde. Dies ist der Hauptsatz der
benekeschen Psychologie. Auf die benekesche Durchführung dieses Satzes im
Einzelnen von der Betrachtung der sinnlichen Empfindungen an bis zu der Er-
klärung der complicirtesten und höchsten psychischen Processi* näher einzugehen,
würde uns über die Grenzen hinausführen, die in diesem Grundriss eingehalten
werden müssen.
Benekes moralische Grundforderung geht dahin, dass man in jedem Falle
dasjenige thun solle, was nach der objectiv und subjectiv wahren Werthschätzung
als das Beste oder natürlich Höchste sich ergebe.
Wir schätzen, sagt Beneke, die Werthe aller Dinge nach den (vorübergehenden
oder bleibenden) Steigerungen und Herabstimmungen, welche durch dieselben für
unsere psychische Entwickelung bedingt werden. Diese Steigerungen und Herab-
stimmungen aber können sich in dreifacher Weise für unser Bewusstsein ankündigen:
1. in ihrem unmittelbaren Gewirktwerden, 2. in ihren Reprodactionen als Einbildungs-
vorstellungen, wodurch die Werthschätzung der Dinge oder die praktische Welt-
ansicht begründet wird, 3. in ihren Reproductionen als Begehrungen, welche die
Gesinnung des Menschen und die Grundlage seines Handelns bilden. In allen drei
Formen messen wir die Werthe der Dinge gegen einauder unmittelbar in dem
Nebeneinandersein der durch sie bedingten Steigerungen und Herabstimmungen.
Dies gilt von dem Wohl und Wehe anderer Menschen ebenso, wie von unserem
eigenen. Wir messen dasselbe, indem wir die Steigerungen und Herabstimmungen,
die in Andern vor sich gehen, in uns nachbilden, also mit den Andern fühlen. Die
Huhe der Steigerungen und Herabstimmungen, welche in uns entstehen, wird bedingt
theils durch die Natur unserer Urvermögen, theils durch die Natur der Reize oder
Anregungen, theils endlich durch die den Grundgesetzen der psychischen Ent-
wickelung gemäss erfolgenden Aneinaiiderbildungen der aus den Verbindungen von
Vermögen und Reizen hervorgehenden Acte. Inwiefern in Kraft dieser allgemein-
menschlichen Entwickelungsmomeute eine Steigerung als eine höhere bedingt ist,
insofern ist auch der Werth, welcher durch sie vorgestellt wird, allgemeingültig ein
höherer. Vermöge der hierdurch begründeten Abstufung der Güter undUebel
ist eine für alle Menschen gültige praktische Norm gegeben. Es raoss hiernach
z. B. jeder bis zu einem gewissen Grade ausgebildete und unverdorbene Mensch
einen Genuas der höheren Sinne einem der niederen vorziehen und eine geistige
Vervollkommnung einem Genüsse, das Wohl einer grösseren Gemeinschaft einer auf
ihu selbst beschränkten Förderung etc. Was nach der in der menschlichen Natur
begründeten Norm als das Höhere empfunden und begehrt wird, ist auch das
moralisch Geforderte. Diese objectiv und subjectiv wahre Schätzung der Werthe
kann aber durch übermässig vielfache Ansammlungen von Lust- und Unlust-
Empfindungen niederer Art gestört werden, und das ihr gemasse Wollen durch über-
mässig vielfache Ansammlung eben solcher Begehrungen und Widerstrebungen,
wodurch das Niedere einen übermässigen .Schätzungsraum" und „Strebungsraum*
gewinnt. Im Gegensatz zu der abweichenden Werthschätzung kündigt sich die
richtige mit dem Gefühle der Pflicht oder der sittlichen Notwendigkeit, des Sollens,
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§ 37. Der vierte Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
413
an, welches seine Begründung eben darin hat, dass diese Notwendigkeit aas dem
innersten Grundwesen der menschlichen Seele stammt. Die sittliche Notwendigkeit
ist eine Nothwendigkeit der tiefsten Grundnatur der menschlichen Seele. Auf die
ursprünglichste und unmittelbarste Weise offenbaren sich uns die sittlichen Ver-
hältnisse in Gefühlen; indem aber sittliche Gefühle von gleicher Form mit einander
zusammenfliessen, bilden sich aus ihnen sittliche Begriffe hervor; treten diese Be-
griffe als Prädicate zu den Schätzungen und Strebungen hinzu, so ergeben sich
sittliche Urtheile; aus specielleren sittlichen ürtheilen, welche sich auf die Ver-
gleichung einzelner Werthe beziehen, entsteht erst bei weit vorgeschrittener Km
Wickelung ein allgemeines moralisches Gesetz. Kants kategorischer Imperativ ist
eiue sehr hohe Abstraction; also von sehr abgeleiteter Natur.*)
üeber religiöse Themata, namentlich über Gott und Unsterblichkeit, philosophirt
Beneke sehr besonnen. Der Materialismus hat mit seinen Einwänden die Lehre
von der Unsterblichkeit keineswegs beseitigt, da, wenn das äussere Seelenleben auch
abnimmt, hieraus auf das innere Seelensein nicht geschlossen werden darf. Für die
Erkenntniss Gottes bildet das Fragmentarische alles Gegebenen die Basis. Dieses
Bruchstückartige nöthigt uns, eine Ergänzung in dem Unbedingten, in der Gottheit,
zu setzen und diese Gottheit mit Prädienten zu bekleiden, die theils vom Sein über-
haupt, theils von der Natur, theils von uns selbst hergenommen sind. Obwohl die
theistische Vorstellung am meisten genügt, so wissen wir doch von der Gottheit
sehr wenig und müssen deshalb zu dem Glauben unsere Zuflucht nehmen.
Vierter Abschnitt der Philosophie der Neuzeit.
Die Philosophie der Gegenwart.
§ 37. Die Philosophie der Gegenwart ist durch keine neu auf-
kommende Richtung charakterisirt. Die hegelsche und die herbartnehe
Lehre haben nach ihrer längeren Herrschaft wenig orthodoxe Anhänger
mehr in Deutschland, und es ist hier das philosophische Denken
meist durch Kant bestimmt, indem man von dessen Lehre entweder
das negativ-kritische Element oder das rationalistische benutzt. Auch
die selbständigen Versuche zu Systeinbildungen weisen auf Kant zurück,
jedoch ist in ihnen der Einfluss anderer Denker, namentlich Spinozas,
Leibnizens, auch !>chellings zu bemerken. Mit der kantschen Kritik
*) Mehr noch, als durch seinen ernsten Versuch einer durchgängigen genetischen
Erklärung der psychischen Functionen, hat sich Beneke durch seine tiefdnrchdnehto
Basirung der Ethik auf die psychischen Werthverhältnisse, die das sittliche Leben
nach einer reinen und sicheren Norm bestimmt, ein Verdienst um die philosophische
Erkenntniss und um dus durch sie geleitete Handeln erworben.
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§ 37. Der vierte Abschnitt der Philosophie der Neoxeit.
beginnt eine positivistische Richtung sich zu verbinden, die Feind aller
Metaphysik ist, den streng wissenschaftlichen Charakter der Philosophie
betont und mit den Naturwissenschaften möglichst Fühlung sucht, wie
andererseits auch die Naturwissenschalten sich wieder mehr der Philo-
sophie zuneigen. Mit diesen Tendenzen hängt es zusammen, dass
Erkenntnisstheorie und experimentelle Psychologie in den Vordergrund
traten. Neuerdings wendet sich das philosophische Denken auch der
Ethik und Religionsphilosophie wieder mehr zu.
In Frankreich, noch mehr in England, hat der Positivismus
zahlreiche Anhänger, doch sind hier auch Spuren der deutschen Philo-
sophie, ebenso wie in andern Ländern, namentlich in Italien, Spanien
und Nordamerika deutlich zu bemerken. — Auf den katholisch-
kirchlichen Lehranstalten aller Länder tritt der Thomismus und somit
der modificirte Aristotelismus wieder in den Vordergrund.
Die philosophische Bibliographie der neuesten Zeit, bestehend in regelmässigen
Verzeichnissen der neu erschienenen Schriften und Abhandlungen, findet sich in den
deutschen philosophischen Zeitschriften, in der von J. Herrn. Fichte, Ulrici und Wirth,
jetzt von Krohn u. Fahrenberg herausgcg. .Zeitschrift für Philo«, und philos.
Kr it.", in den „Philosop tuschen Monatsheften", sowie auch in der „V ierteljahrs-
sohrift für wissenschaftliche Philosophie". Diese Zeitschriften geben auch
kritische Besprechungen philosophischer Werke und Richtungen, die philosophischen
Monatshefte fast stets noch einen reichhaltigen Litteraturbericht, der kürzere Referate
bringt. Debet die beiden andern Zeitschriften s. weiter unt. Die philosophischen Monats-
hefte, keiner bestimmten Schule dienend, wurden zuerst seit 1868 herausgegeben von
Jul. Bergmann, dann von E. Bratuscheck, seit 1877 von C. Schaarschmidt,
1887 mit Paul Natorp zusammen. 1888 werden sie von dem letzteren allein redigirt
unter Anerkennung des bisher leitenden Grundsatzes der Unpersönlichkeit und Partei-
losigkcit; den bibliographischen Theil besorgt F. Ascherson. Reichhaltige Bibliographie
findet sich auch in den später zu erwähnenden ausserdeutschen philosophischen Zeit-
schriften.
Beiträge zur Kenntniss der gegenwärtigen Philosophie liefern: K. Grün, d. Philo-
sophie in d. Gegenwart, Lpz. 1876. M. J. Monrad, Denkrichtungen der neueren Zeit,
deutsche vom Verf. selbst verfasste Bearbeitung, Bonn 1871». Ad. Franck. Philosophen
modernes etrangers et francais, Paris 1879. M. D. Nolen. les reeentes theories en moral
in: Revue politiqne et litteraire, 1879. Ch. E. Luthardt, die modernen Weltan-
schauungen und ihre praktisch. Consequenzen, Vorträge, Lpz. 1880. Glossner, d. moderne
Idealism. nach sein, metaphysisch, u. erkenntnisstheoretischen Beziehungen, sowie sein.
Verh. zum Materialism. der neuesten Phase, Münster 1880. J. J. Borelius, Blicke auf
d. gegenwärt. Stand d. Philos. in Deutsch 1. u. Frankr., deutsch v. Emil Jonas, Berl.
1887. Ueber die Ansichten der neueren Logiker orientirt J. B. Meyer in seiner
Bearbeitung des Systems der Logik von Ueberweg. Bonn 1882. Hier sind noch zu er-
wähnen: Rud. Eucken, Geschichte u. Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart. EL
Spitzer, Nominalismus u. Realismus in d. neuesten deutscheu Philos. mit Berück-
sichtigung ihres Verh. zur modern. Naturwissensch., Lpz. 1876. Achelis, üb. d. Natur-
philos. der Gegenw., I. zur Psychologie, IL zur Krkenntnisstheorie, III. zur Ethik, in:
ZtJichr. f. Phil. u. phil. Kr., 83, 1883, S. 194— 225, 84, 1884, S. 41—78, 193—214.
J. Soury, les doctrines psychologiques contemporaines, Par. 1883. A. Fouille, Critique
des systemes de inorale contemporains, Par. 1884, 2. ed. 1887. Giacinto Fontana,
Gcnesi della filosotia morale contemporanea, Milano 1885. Bourges, Philosophie eon-
temporaine. Psychologie transformiste, evolution de l'intelligenee, Par. 1885. (Anonvm),
Streifzüge durch d. Philosophie der Gegenw., in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 87, 1885,
S. 233—253; 89, 1886, S. 78—101. Philosophische Fragen der Gegenwart werden
auch besprochen in den .Verhandlungen der philos. Gesellscb. z. Berlin",
22 Hefte, Lpz., spät. Heidelb., 1875—1882, fortgesetzt durch .Philos. Vorträge"
herausgcg. v. d. philos. Gesellsch. z. Berlin, Heft 1—14, Halle 1882—87.
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§ 38. Anhänger Hegels. 415
Hier mögen sogleich die allgemeinen bibliographischen Notiien über die Philo-
sophie der Gegenwart in Deutschland gegeben werden, über die ausserd-utsche Philo-
sophie s. bei den betreffenden Ländern.
Ueber dio neueren Versuche zum Wiederaufbau der Philo«, in Deutschland Ut zu
vergl. Joh. Ed. Erdmann, Grundr. d. Gesch. iL Ph. 3. Aufl., 2. Bd , S. 686—804,
welcher unterscheidet: 1) Rückweisungen auf frühere Systeme, 2) Neuerungsversuche,
3) Fortbildung früherer Systeme. Höffding, Philosophien i Tydsksland. W. Wnndt,
Philosophy in Germany, in: Mind, 1877, S. 493— 510. B. Krdraann, zur Charakteristik
d. Philo*, der Gegenw. in Deutschi., in: deutsche Hundschau, 1879, Heft 9 u. 10.
J. J. Borelius, en blick pä den nuvarande filosofien i Tyskland (aftryck ur nordisk
tidskrift), 1880. s. ob. C. Hermann, d. gegenwärtigen Verh. der Philosophie in Deutschi.,
in: Unsere Zeit, 1881, IX. D. Nolen, le Monisme en Allemagne, Rev. philos. XIII,
1882, S. 54 — 73, 146 — 179. Th. Ribot, die experimentelle Psychologie der Gegenwart
in Deutachland (Paris 1879, 2. ed. 1886), autorisirte deutsche Ausg., Brau tisch w. 1881.
L. Rabus, d. neuesten Bestrebungen auf d. Gebiete der Logik b. d. Deutschen u. d.
logische Frage, Erlang. 1880. D. Nolen, les logiciens allemands contemporains, in:
Rev. ph., XVI, 1883, S. 449 — 465. G. H. Howison, some aspects of recent German
philosophy, in: the Jouro. of spec. ph., XVII, 1883, S. 1 — 44. Dürkheim, la science
positive de la morale en Allemagne: les Econoroistes, les Sociologistes, les Jurist*?*, les
Moralistes, in: Rev. phil. XXIV, 1887, S. 33—58, 113—142, 275—284. Moritz Brasch,
d. Philosophie der Gegenw., ihre Richtung u. ihre Hauptvertreter f. d. Gebildeten dar-
gestellt, Lpz. 1888 (bezieht sich nur auf Deutschland, viele Auszüge aus neueren philo-
sophisch. Werken). S. auch J. B. Meyer, der verschiedene instruetive kritische Referate
bringt in: Jahresberichte üb. d. gesammten Wissensch, etc., herausgeg. v. Rieh. Kleischer.
§ 38. Am verbreitetsten war in Deutschland wahrend des
dritten und vierten Decenniums von den philosophischen Schulen
die hegelsche, besonders wegen der scheinbaren Festgeschlossenheit
des Systems und der Anwendbarkeit ihrer Methode und ihrer Principien
auf die verschiedensten Disciplinen. Dazu kam noch als äusserer
Grund für ihre Verbreitung, dass die Anhänger Hegels längere Zeit
von der preussischen Regierung begünstigt wurden. Fast auf allen
deutschen Universitäten war die hegelsche Philosophie durch Professoren
vertreten. Bald jedoch nach Hegels Tode zerfiel die Schule in ver-
schiedene Parteien, indem die Differenzen namentlich die Lehren von
Gott, von der persönlichen Unsterblichkeit und der Person Christi be-
trafen, über welche Punkte sich Hegel selbst nicht deutlich genug
ausgesprochen hatte, so dass sich aus seinen Aeusserungen verschiedene
einander entgegengesetzte Ansichten entwickeln konnten. Die soge-
nannte rechte Seite neigte sieh in diesen Punkten der Orthodoxie
und dem Supranaturalismus zu und huldigte im Grossen und Ganzen
der Kirchenlehre. Sie nahm an, der Theismus sei in der Lehre Hegels
begründet, ebenso wie die persönliche Unsterblichkeit und der Begriff
von Christus als dem wirklichen persönlichen Gottmenschen, indem sie
sich daran hielt, dass nach Hegel die Philosophie denselben Inhalt
wie die Religion habe. Die linke Seite dagegen, die der Jung-
hegelianer, wollte der Kirchenlehre einen Einfluss auf die philo-
sophischen Theoreme nicht gestatten und trat für den pantheistischen
Gottesbegriff, wonach Gott als die ewige und allgemeine Substanz
erst in der Menschheit zum Selbstbewusstsein komme, ferner für die
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416
§ 38. Anhänger Hegels.
Ewigkeit des Geistes überhaupt, im Gegensatz zu der Unsterblichkeit
des individuellen Geistes, und für die Auflassung der Gottmenschheit,
als der Idee der Menschheit, ein. Sie hielt das Dogma, die Religion,
für überwunden durch den Begriff, durch die Speculation. Als die
hauptsächlichsten Vertreter der ersteren Richtung können gelten:
Gabler, Einriebe, Göschel, Bruno Bauer in seiner früheren
Periode. Der linken Seite gehörten besonders an: Richter, Rüge,
Br. Bauer in Beiner späteren Zeit, Feuerbach, Strauss; auch
Michelet ist zu ihr zu zählen. Eine mehr vermittelnde Stellung
nahmen ein: Conradi, Rosenkranz, Erdmann, Schaller, Vatke.
Die beiden Theologen Daub und Marheineke sind nicht geradezu
als Schüler Hegels zu bezeichnen, schufen aber mittelst der hegelschen
Philosophie eine speculative Theologie. Von denen, die weit links
gegangen waren, verliessen freilich einige der bedeutendsten die hegel-
schen Principien und wandten sich dem Naturalismus und Materialismus
zu, so Feuerbach und Strauss, von denen der Erstere, sowie Bruno
Bauer offen den Atheismus und Subjectivismus proclamirte, während
der Zweite immer mehr pantheistisch gesinnt blieb. — Noch bis auf
die Gegenwart ist die Abhängigkeit von Ilegel in der Religionsphilo-
eophie deutlich zu bemerken bei Theologen wie A. E. Biedermann,
weniger bei Otto Pfleiderer.
In den politischen Ansichten zeigt sich unter den Schülern Hegels
ähnliche Verschiedenheit wie in religiösen. Die conservative Richtung
war durch die Rechte vertreten, aber auch durch Strauss und Bruno
Bauer, die radicale durch die Linke ausser den Genannten, und zu
bemerken ist, dass die Socialisten Lassalle und Karl Marx wenigstens
von Hegel ausgegangen sind.
Besonders belebend wirkte Hegel auf Studium und Darstellung
der Geschichte der Philosophie; hier sind vor allen zu nennen Ed.
Zeller, der sich in seinen philosophischen Ansichten bald von Hegel
abwandte und sich auf den Boden der Erfahrung stellte, Joh. Ed.
Erdmann, Kuno Fischer. Alle drei haben sich mehr oder weniger
von der hegelschen Geschichtsconstruction frei gemacht.
Warme Anhänger gewann die hegelsche Philosophie allmählich
in Dänemark, Schweden, Norwegen, Finland, in Italien, auch in Frank-
reich und Nord-Amerika.
lieber die hegelsche Schule 8. da* u. cirirte Werk von Sehaller. H. Holtzmann,
d Entwickel. des Rcligionsbegriffs in d. Sehule H s, in: Zttc.hr. f. wissenseh. Th., 1878.
Kine Zusammenstellung der aus der hegelschen Sehule hervorgegangenen
Schriften giebt Hosenkranz im I. Bde. d«»r Zeitschrift: „Der Gedanke, Organ der
philosophischen Gesellschaft in Berlin*, hrsg. von C. L. Michelet, Berl. 1861, S. 77, 183,
2">6 tT. Kben diese Zeitschrift hat in einer Reihe von Ariikeln Uehersiehten über den
gegen*. Stand der Philosophie, insbesondere der hegelschen , innerhalb und ausserhalb
Deutschlands, veröffentlicht. Ausführlich behandelt die Auflösung der hegelschen Schule
Joh. Eduard Erdmann in seinem Grnndr. d. Gesch. d. Ph., 2. Bd., S. 605 — 6S6.
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§ 3H. Anhänger Hegels.
417
Die oben angegebene Eintbeilung der hegelschen Schule in Linke und Rechte,
die von Strauss herrührt (Streitschrift., 3. Heft, 1837), läset sich nicht genau fest-
halten. Deshalb ziehen wir es vor, bei der Aufzählung der zu nennenden Hegelianer
die alphabetische Ordnung zu befolgen, indem es genügen wird, die hauptsächlichsten
Werke zu citiren und öfter Bemerkungen über die Lehre hinzuzufügen. Einige
Denker, die nicht gerade der hegelschen Schule augehören, ihr aber nahe stehen
oder früher nahe gestanden haben, sollen hier sogleich mit aufgeführt werden.
Als eigentliches Organ der hegelschen Schulen wurden im Jahre 1*27 die
Jahrbücher für Wissenschaft!. Kritik von Henning gegründet und bis 1847, wo sie
eingingen, redigirt. Sie trugen wesentlich zur Verbreitung der hegelschen Ge-
danken mit bei und Hessen es sich besonders angelegen sein, die Angriffe auf die
Lehre des Meisters zurückzuweisen. Da sie aber für die freieren Hegelianer sich
nicht unabhängig genug von der kirchlichen Orthodoxie zeigten, so gründeten
A. Rüge und Th. Echtermeyer (gest. 1842 in Dresden) im Jahre 1838 die Halli-
schen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, die sich von ihrer
anfanglichen Mittelstellung bald entschieden nach links neigten und ihren zuerst
ausgeprägt preussischen Standpunkt aufgaben. 1841 wurden sie nach Leipzig
verlegt und erhielten den Titel: Deutsche Jahrbücher, nahmen nun eine poli-
tisch und religiös radicale Haltung ein, bis sie 1843 in 8achsen verboten wurden
und damit eingingen. Als fernere Zeitschriften für hegelsche Philosophie sind
anzusehen die seit 1843 — 1844 zu Tübingen von A. Schwegler herausgegebenen
Jahrbücher der Gegenwart, die von L. Noack redigirten Jahrbücher für specula-
tive Philosophie, 1846—1848, welche letzteren zugleich Organ der philosophischen
Gesellschaft in Berlin waren, sowie später der von Michelet redigirte „Gedanke*
von 1860 an (1884 das letzte Heft als einziges von Bd. IX), kurze Zeit unter Mit-
herausgabe von Jul. Bergmann, ebenfalls Organ der Philosophischen Gesellschaft
in Berlin.
Der hegelschen Schule gehören au oder sind wenigstens wesentlich durch sie
beeinflusst:
Bruno Bauer (geb. 1809 zu Eisenberg in Sachs. - Altenburg, habilitirte sich
1834 in Berlin als Theolog, 1839 in Bonn, verlor 1842 wegen zu freier Ansichten
die Erlaubniss, theologische Vorlesungen zu halten, gest. zu Rixdorf bei Berlin 1882),
gehörte zuerst der Rechten der hegelschen Schule an und polemisirte heftig gegen
das Leben Jesu von Strauss, wurde aber bald einer der Radicalsten und stellte
sich mit seinem Bruder Edgar Bauer auf den Standpunkt der , reinen Kritik*, des
abstracten Kriticismus, von dem aus alles Sittliche und Religiöse, sowie aller
staatliche Organismus negirt würde. Er bekannte sich offen zum Atheismus und
wollte hierbei durchaus auf dem Standpunkt Hegels stehen; freilich sei Atheist auch
nicht die richtige Benennung des freien Menschen, da damit auf etwas in Abrede
Gestelltes Bezug genommen werde. Später war er wieder als Schriftsteller in den
Diensten der preussischen Reaction thätig. Seine Hauptschriften, die hier in
Betracht kommen, sind: Zeitschr. f. specul. Theol., Berlin 1836—38. Die Posaune
d. jüngst Gerichts wider Hegel, den Atheisten und Antichristen (ironisch;
anonym), Leipz. 1841. Hegels Lehre von Relig. u. Kunst (anonym), Leipz. 1842.
Kritik d. evang. Gesch. des Johannes (1840) und der Synoptiker (1841— 42). Philo,
Strauss u. Renan u. d. Urchristenth., Berlin 1874. Auch in d. Geschieht, d. Politik,
Cultor u. Aufklär. d. 18. Jahrh., 4 Bde., 1843, und anderen historischen Schriften
legt Br. Bauer seinen philosophischen Standpunkt dar.
Edgar Bauer, der Streit der Kritik mit Kirche und Staat, Bern 1841, eine
Vertheidigung seines Bruders, die ihrem Verf. Festungshaft zuzog.
l'eb*r weg-Heime, Grondriss III. 7. Aufl. 27
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§ 38 Anhänger Hegels.
Ferd. Christ. Baur (1792-1860, lange als Professor in Tübingen thätig,
das Haupt der sogenannten Tübinger [kritisch-theologischen] Schule, zu welcher
namentlich Hilgeufeld, Köstlin, Schwegler, Zeller gehörten), die christl. Gnosis,
Tüb. 1835, die christliche Lehre von der Dreieinigkeit, und andere Schriften,
s. Grdr. II, § 3 ff. Eine pietätvolle und gediegene Charakteristik seiner Persönlich-
keit und seiner wissenschaftlichen Leistungen giebt Zeller im VII. u. Vitt Bande
der Preuss. Jahrbücher, wiederabgedr. in Zellers Vortr. und Abh., Leipz. 1865,
S. 354—434. Zeller will nicht, dass Baur „geradezu der hegelschen Schule zuge-
zahlt- werde, und macht auf den wesentlichen Einfluss theils Sendlings theils und
besondere Schleiermachers aufmerksam, erkennt jedoch an, dass die hegelsche
Philosophie mit seiner Geschichtsbetrachtung nicht nur übereingestimmt, sondern
auch auf dieselbe eingewirkt habe vermöge der „Idee einer innerlich notwendigen,
mit immanenter Dialektik sich vollziehenden, alle Momente, welche im Wesen des
Geistes liegen, nach einem festen Gesetze zur Erscheinung bringenden Entwickelung
der Menschheit".
Karl Theod. Bayrhoffer (geb. 1812, von seiner Professur zu Marburg 1846
suspendirt, längere Zeit Führer der hessischen Demokratie, ging dann nach
America), die Grundprobleme der Metaphysik, Marburg 1835. Die Idee des Christen-
thums, Marburg 183*5. Die Idee der Philosophie, Marburg 1838. Beiträge zur
NatnrphiloB., Lpz. 1839—40. Untersuchgn. üb. Wesen, Kritik u. Gesch. d. Relig.,
In den Jahrbüch. f. Wissensch, u. Leben, 1849. Bayrhoffer hat sich später von
Hegel entfernt, findet in dessen Dialektik ein blosses Gedankenkunststück, worin
der wahre Gedanke einer absoluten synthetischen Einheit in den Gedauken oiues
sich selbst auflösenden Widerspruchs verkehrt sei, und will, dass die abstract
Identischen Herbarts und ihr synthetischer Schein, wie die selbstanalytische Iden-
tität Hegels sich gleichmässig in die wirkliche synthetische Einheit auflösen
(s. philosoph. Monatshefte, HI, 1869, S. 369 f.).
K. M. Besser, System des Naturrechts, Halle 1830.
Gust. Biedermann, die speculat. Idee in Humboldts Kosmos, ein Beitrug
zur Vermittelung der Philos. u. der Naturforschung, Prag 1849. Die Wissenschafts-
lehre, Bd. I: Lehre vom Bewusstsein, Bd. IC: Lehre des Geistes, Bd. HI: Seelen-
lehre, Lpz. 1856-60. Die Wissensch, des Geistes, 3. Aufl., Prag 1870. Kants
Kritik d. reinen Vera. u. die hegelsche Logik, Prag 1869. Metaphysik in ihrer
Bedeutg. für die Begriffswiss., Prag 1870. Zur logischen Frage, ebd. 1870. Pragm.
u. Begriffswissensch. Geschichtsschr. d. Philos., ebd. 1870. Die Naturphilos ,
Prag 1875. Philosophie als Begriflswisseuschaft, Prag 1878—1880. Philos. der
Gesch., Prag 1884. Philos. des Geistes; des .Systems der Phil. I. Th , Prag 1886-
Religionsphilos., Prag — Lpz. 1887. — Biedermann ist zwar kein eigentlicher
Hegelianer, erkennt doch aber Hegel grössere Bedeutung als allen Zeitgenossen zu
und berührt sich mit ihm in seiner Panlogistik.
Alois Eman. Biedermann (1819 — 1886, lange Zeit Prof. in Zürich i, die
freie Theologie od. Philos. u. Christenth. in Streit u. Frieden. Tüb. 1845. Unsere
junghegelsche Weltanschauung od. d. sogen, neueste Pantheism., Zürich 1849.
Christi. Dogmut., Zürich 1869. Die hegelsche aprioristische Weltconstruction der
Begriffsdialektik nahm Biedermann nie an, hingegen den Hegels System zu Grunde
liegenden Gedanken, dass in Allem, was ist, Vernunft sei, und dass unser eigenes
vernünftiges Denken als das schöpferische Wesen derselben diese Vernunft in den
Dingen, den inneren Grund ihrer Erscheinung, begreifen könne. Die Grundmomente
der Gottesidee sind Unendlichkeit und Geistigkeit, die als formales und reales
Moment zusammen den Begriff des absoluten Geistes geben. Das Wort Persönlich-
keit kann auf denselben nicht angewandt werden. Die Wissenschaft bat das
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§ 38. Anhänger Hegels.
419
theoretische Moment der Religion von der Stufe der Vorstellung zu dem Denken
zu erheben, aber die Religion geht nieht in der religiösen Vorstellung auf, sondern
zu religiösen Vorgängen gehören noch Willensacte und Gefühlszustände. S. O.
Pfleiderer, A. E. B. in: Preuss. Jahrbb., 57, 1886, S. 52—76.
Franz Biese, die Philo», des Aristoteles, Bd. I: Logik und Metaph.,
Bd. II: die besonderen Wissenschaften, Berl. 1835-42. Philosoph. Propädeutik,
Berl. 1845.
Friedr. Wilh. Carove (1789—1852), üb. alleinseligmacb. Kirche, Bd. 1,
Frankfurt a. M. 1826, Bd. II, Gött. 1827. Kosmorama, Frankf. a. M. 1831. Rück-
blick anf die Ursachen d. franz. Revolution und Andeutung ihrer welthistor. Be-
stimmung, Hanau 1834. Vorhalle des Christenth. od. d. letzten Dinge der alten
Welt, Jena 1851. Er strebte danach, eine Menschheitsreligion aufzustellen, die
für alle Völker und alle Zeiten befriedigend sein könnte.
Franz Cblebik, dialekt. Briefe, Berl. 18G9. Die Philos. des Bewussten u.
die Wahrh. d. Unbewussteu in d. dial. Grundlinien des Freiheits- und Rechta-
begrifTs nach Hegel und Michelet, Berl. 1870. Kraft u. Stoff od. d. Dynamism.
der Atome, aus hegelschen Prämiseen abgeleitet, Berl. 1873. Die Frage über die
Entstehg. der Arten, logisch uud empir. beleuchtet, Berl. 1873—74.
Aug. v. Cieszkowski, Prolegomeua z. Historiosophie, Berl. 1838. Gott
und Palingenesie, Berl. 1842. De la pairie et de l'aristocratie moderne, Paris 1844.
Kasimir Conradi (1784 — 1849, Pfarrer in Derxheim, Rheinhessen), Selbst-
bewusstsein u. Offenbarung. Mainz 1831. Unsterblichkeit und ewiges Leben,
Mainz 1837. Kritik der christl. Dogmen, Berl. 1841. Er versuchte den Gefühls-
theologen zu zeigen, dass sie bei Consequenz die hegelsche Theologie annehmen
müs8ten.
Karl Daub (1765—1836, seit 1794 Prof. d. Theologie in Heidelberg, starb
auf dem Katheder mit den Worten : Das Leben ist der Güter höchstes nicht)
veranlasste den Ruf Hegels nach Heidelberg. Zuerst nahm er den kritischen
Standpunkt Kants ein, näherte sich dann der Identitätslehre Sendlings, wie seine
Theologumena 1806 beweisen, hierauf Hess er in Judas Ischarioth, oder das Böse
im Verh. zum Guten, Heidelb. 1816, die mystisch-theosophischen Elemente Send-
lings deutlich bemerken. Als entschiedener Anhänger Hegels versucht er später
die protestantischen Dogmen umzudeuten in hegelsche Ideen. Von diesem Stand-
punkte des speculativen Theologen aus sind geschrieben: Die dogmat. Theologie
jetziger Zeit, od. d. Selbstsucht in der Wissensch, des Glaubens und seiner Artikel,
Heidelb. 1833. Ueber d. Logos, ein Beitrag zur Logik der göttl. Namen, in den
Studien und Kritiken, 1833, Heft 2. Philos. u. theolog. Vorlesungen, 7 Bde.,
Berl. 1838—44, veröffentlicht durch Marheineke und Dittenberger. Vgl. K. Rosen-
kranz, Erinnerungen an K. D. 1837, Wilh. Hermann, die speculative Theologie
in ihrer Entwickelung durch Daub, Hamburg und Gotha 1847.
U. Dellinghausen, Versuch einer specul. Physik, Lpz. 1851.
Herrn. Doergens, Aristoteles od. über das Gesetz der Gesch., Lpz. 1872—73.
J. F. G. Ei seien, Handb. des Syst. der Staatswissenschaften, Bresl. 1828.
Joh. Eduard Erdmann (geb. 1805 in Livland, von 1829—1832 Pfarrer in
seiner Heimath, habilitirte sich 1834 in der philos. Fac. zu Berlin, seit 1836 Prof.
d. Philos. in Halle), Vorlesungen über Glauben und Wissen, Berl. 1837. Leib u.
Seele, Halle 1837, 2. Aufl. 1849. Natur oder Schöpfung? Lpz. 1840. Grundriss
der Psychologie, Lpz. 1840, 5. Aufl. 1873. Psychol. Briefe, Lpz. 1851; 6. Aufl.
1882, die nach Erdmanns eigener Angabe nicht mehr sein wollen als ein Unter-
haltungsbuch, das nicht Wissenschaft, sondern die Resultate derselben mittheilt
27*
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420
§ 38. Anhänger Hegels.
Grundr. d. Logik u. Metapb., Halle 1841, 5. Aufl 1875. Vermischte Aufsätze,
Lpz. 1845, darin : Religionsphilos. als Phänomenologie des religiösen Bewusstscina,
worin er darzuthon sucht, dass „da die Religionen verschiedene Stufen des Bewusst-
seius zeigen, die Religionsphilosophie, weil sie an einer Stelle Mythendeutung sein
muss, es an einer andern gerade nicht sein darf". Pbilos. Vorlesungen üb. d.
Staat, Halle 1851. Vorlesungen üb. akadem. Leben und Studium, Lpz. 1858.
Ernste Spiele, Berl. 1871, 3 Aufl. 1875. Sehr Verschiedenes, je nach Zeit und
Ort. Berlin 1871. Darwins Erklärg. pathognomischer Erscheinungen, Halle 1874.
Krdmanns Abweichungen von Hegel sind nur untergeordneter Art. Die Schriften
zur Geschichte der Philosophie sind bereits oben angeführt worden.
Emil Feuerlein, die philos. Sittenlehre in ihren gesch. Hauptformen, Tüb.
1857—1859. Rousseausche Studien, In einer Reihe von Artikeln in der Zeitschrift :
Der Gedanke, Berlin 1861 ff.
Kuno Fischer (geb. 1824 in Schlesien, habilitirte sich 1850 für Philos. in
Heidelb., wo ihm jedoch 1853 die Venia legendi vom Ministerium entzogen wurde.
In Berlin wurde ihm die Habilitation zuerst nicht gestattet, als sie ihm erlaubt
wurde, hatte er schon einen Ruf als Prof. d. Philosophie nach Jena erhalten,
wohin er 1856 ging. Seit 1872 ist er Prof. in Heidelberg), Logik und Metapb.
oder Wisseuschaftslehre, Heidelb. 1852, 2. Aufl. ebd. 1865. Diotima, die Idee des
Schönen, Pforzheim 1849. Gesch. d. neueren Philos. s. ob. S. 2. Bacon von
Verulam, Lpz 1856, 2. Aufl. 1875. Schiller als Philosoph, Frankf. a. M. 1856.
Shakespeares Charakter-Entwickelung Richards III., Heidelb. 1868. Entstehg. u.
Entwickelungsformen des Witzes, Heidelb. 1871. Leasings Nathan der Weise,
2. Aufl., Stuttg. 1872. Ueber das Problem der menschl. Freiheit, Rede, Heidel-
berg 1875. Vorträge üb. Faust, 1877. Obwohl Fischer behauptet, in der Logik
und Metaph. seinen eigenen Weg gegangen zu sein, so steht er doch in ent-
schiedener Abhängigkeit von Hegel. Die Dialektik Hegels nennt er Entwicklung,
den dialektischen Process Methode der Entwicklung. „Der Vergleichungspunkt
zwischen Entwickelung und Dialektik liegt darin, dass es sich in beiden um Wider-
sprüche handelt, die zu Tage gefördert und gelöst sein wollen." S. übrigens
A. L. Kym, d. Logik u. Metaph. od. Wissenschaft»!. K. F.s, in: Metaph. Untersuch.,
S 160—213. Ein grosses Verdienst hat Fischer sich durch das Zurückweisen auf
Kant erworben, indem er, abgesehen von seiner ausführlichen Darstellung und
Würdigung Kants, bestimmt betont, die kritische, d. h. die kantsche, Philosophie
dürfe nicht ungestraft vernachlässigt werden.
Ernst Ferd. Friedrich, Beiträge zur Förderung der Logik, Noetik u.
Wissenschaftslehre, Bd. I, Lpz. 1864, schliesst sich in der Behandlung der .eigent-
lichen Logik" oder Sachvemunftswissenschnft au Hegel und näher an Rosenkranz
an, weicht aber principiell von dem Hegelianismus insbesondere durch die Unter-
scheidung dreier räquivokdisparanter" Doctrinen ab, die unter dem Collectivnamen
der Logik vereinigt seien, nämlich der realen, formalen und inductiven Logik oder
der „Sach Vernunftswissenschaft, Denkungstheorie und Kundigkeitslehre«1.
Georg Andr. Gabler (1786-1853, seit 1835 Hegels Nachfolger in Berlin!,
Lehrb. d. philos. Propädeutik, 1. Abth.: Kritik d. Bewusstseins, Erlang. 1827.
De verae philosophiae erga religionem christianam pietate, Berol. 1836. Die
hegelsche Philos., Beiträge zur ihrer richtig. Beurtheilg. und Würdig., Heft 1, Berl.
1843, eine Beleuchtung der Angriffe Trendelenburgs gegen die hegelsche Philo-
sophie, worin er den Pantheismus, aber noch entschiedener den Atheismus
zurückwies.
Eduard Gans (geb. 1798, gest. 1839, als Prof. der Jurisprud. in Berlin) war
namentlich thätig bei der Gründung der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik.
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§ 38. Anhänger Hegels.
421
Das Erbrecht iu weltgesch. Entwickelg., Merlin 1824 bis 1835. Vorlegungen üb. d.
Gesch. der letzten fünfzig Jahre, iu Raumers bist. Taschenbuch, 1833—34. Ver-
mischte Schriften, Berl. 1834.
Karl Friedr. Göschel (1781—1861, Jurist, einige Zeit Consistorialpräsident
in Magdeburg), üb. Goethes Faust, Lpz. 1824. Aphorismen üb. Nichtwissen u.
absolutes Wissen im Verhältniss zum christl. Glaubensbekenntniss, Berl. 1829,
die Hegel selbst sehr anerkannte. Der Monismus des Gedankens, zur Apologie
der gegenw. Philos. (insbesondere geg. Chr. H. Weisse* an dem Grabe ihres
Stifters, Naumb. 1832. Von den Beweisen für die Unsterblichk. d. menschlichen
Seele im Licht d. specul. Philos., eine Ostergabe, Berl. 1835, worin der Verfasser
in Opposition zu Richters negativem Standpunkt drei Beweise, analog den Gottes-
beweisen, für die persönliche Unsterblichkeit vorbracht«. Die siebenfältige Oster-
frage, Berl. 1837. Beiträge zur specul. Philos. von Gott, dem Menschen und dem
Gottmenschen, Berl. 1838.
J. J. Hanusch (1812—1869', Handb. d. wisseuschaftl. Denklehre (Logik),
Lemberg 1843. 2. Aufl. Prag 1850. Handb. d. filos. Ethik, Lemb. 1846. Grund-
züge eines Handbuches der Metafys., Lemb. 1845. Gesch. d. Fil. von ihren
Uranfängen bis zur Schliessung der Filosofenschulen durch Justinian, Olmütz 1850.
Leop. von Henning (1791—1866, seit 1825 Professor in Berlin), Principien
der Ethik in histor. Entwickelg., Berlin 1824. Die Jahrbücher f. wisaenschaftl.
Kritik sind von Henning redigirt worden (s. ob. S. 417). Später hat sich Henning
mehr den Staatswissenschaften gewidmet.
Herrn. Friedr. Wilh. Hinrichs (1794-1861, seit 1825 Professor in Halle),
die Relig. im innern Verhältn. zur Wissensch , nebst einem (geg. Schleiermacher
in schroffer Form polemisirenden) Vorwort v. Hegel, Heidelb. 1822. Vorlesung,
üb. Goethes Faust, Halle 1825. Grundlinien d. Philos. d. Logik, Halle 1826.
Das Wesen d. antik. Tragödie. Halle 1827. Schillers Dichtungen, Halle 1837—38.
Gesch. d. Rechts- und Staatsprincipien seit der Reformation in historisch-philoa.
Entwicklung, Lpz. 1848—52. Die Könige. Leipzig 1852, in welcher Schrift die
verschiedenen in der Geschichte vorkommenden Formen des Königthums als die
Momente des vollkommenen modernen dargestellt werden.
Heinr. Gust. Hotho (1802 — 1873, starb als ansserord. Prof. in Berlin) war
namentlich der Aesthetik zugewandt. Vorstudien für Leb. u. Kunst, Stuttg. u.
Tüb. 1835. Gesch. d. deutsch, und niederländ. Malerei, Berl. 1842-43. Die Maler-
echule Huberts van Eyck, Berl. 1855- 58. Gesch. d. christl. Malerei, Stuttg. 1869 ff.
P. W. Jessen, Beiträge zur Erkeuntn. d. psych. I/ebens, Schlesw. 1831.
Versuch einer wissensch. Begründung d. Psychol., Berl. 1855.
Alexander Kapp, die Gymnasialpädagogik im Gruudrisse, Arnsberg 1841.
Christian Kapp (1798-1874), Christus u. d. Weltgesch., Heidelb. 1823. Das
concrete Allgemeine d. Weltgesch., Erlang. 1826. F. W. Jos. Schelling, ein Bei-
trag zur Gesch. des Tages, von einem vieljähr. Beobachter, Lpz. 1843, worin Kapp
nachzuweisen sucht, das» die schellingsche Philosophie nicht« weiter als ein grosses
Plagiat sei. Er nennt Schelling den „philosophischen Cagliostro des neunzehnten
Jahrhunderts'. Kapp schloss sich Hegel nicht exclusiv an, sondern in ihm „ist der
Begriff der hegelschen Philosophie zugleich zur fichteschen Willensenergie ge-
worden, oder auch umgekehrt die fichtesche Willensenergie zum Begriff gekommen*.
Vgl. üb. ihn: Briefwechsel zwischen Ludw. Feuerbach u. Christ. K. 1832—1848,
hrsg. u. eingeleitet von August Kapp, Lpz. 1876.
Emst Kapp, philos. od. vergleich, allgem. Erdkunde als wiss. Darstellg. der
Erdverhältnisse u. d. Menschenlebens in ihr. inneren Zusammenhang, Braunsehw. 1845;
2. Aufl.; vgl. allgem. Erdkunde in wiss. Darstellg., ebd. 1868.
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422
§ 38. Anhänger Hegels.
Friedr. Kapp, der wiss. Schulunterricht als ein Ganzes, Hamm 1834. G. W.
Ft. Hegel als Gymnasialdi rector oder die Höhe der Gymnasialbildung unserer Zeit,
Minden 1835. Friedrich, Ernst u. Alexander Kapp sind Brüder, Christian Kapp
ist ein Vetter von ihnen.)
Karl Köstlin (1819 geb., Prof, in Tübingen), der Lehrbegr. des Evangeliums
u. der Briefe des Johannes, Berl. 1843. Goethes Faust, seine Kritiker u. Ausleger,
Tnb. 1860. Aesthetik, Tübingen 1863-69. Ueb. d. Schönheitsbegr., Tübingen 1878.
Geschichte der Ethik, 1. Bd., 1. Abth., in welcher auch ein Umriss der Ethik ent-
halten ist, aber nicht in hegelscher Weise. Die Ethik ist zwar rationell nach
Köstlin, ruht aber auf Empirie; die Moral, erbaut auf der Grundlage des wirk-
liehen Wesens des Menschen, eine Wissenschaft der denkenden Vernunft von der
notwendigen, objectiv begründeten Beschaffenheit des Wollens und Thuns.
Ferd. Lassalle (1825—1864, starb in Folge eines Duells), die Philos. He-
rakleitos' des Dunkeln von Ephesos, Berl. 1858, worin er die Grundgedanken Hegels,
namentlich die processirende Einheit der Gegensätze, schon bei Heraklit fand. Das
System der erworbenen Rechte, eine Versöhnung des posit. Rechts und der Rechts-
philosophie, Lpz. 1861.
Ad. Lasson (geb. 1832 , über Eckhardt, Bucon, Fichte (s. ob.). Das Cultur-
ideal u. d. Krieg, Berl. 1868. Ueb. d. Natur d. Rechts u. d. Staats, in Bergmanns
philos. Monatsheften. VI, 1870. Princip u. Zukunft d. Völkerrechts, Berl. 1871.
Ueb. Gegenstand und Behandlung der Religionsphilos., Lpz. 1879. System d. Rechts-
philosophie, Berl. 1882. Die Aufgabe der Philosophie ist, im Seienden überhaupt
die diesem immanente Vernunft zu begreifen, d. h. das Seiende zu erkennen. Die
Ethik lehrt, wie in wirklicher Willensbethätigung die Vernunft sich ausprägt, und
so hat die Rechtsphilosophie die Aufgabe, das vorhandene Recht in seinem ver-
nünftigen inneren Zusammenhange und in dem mit den andern Richtungen und Er-
scheinungen des Lebens zu begreifen.
Gust. Andreas Lautier, philos. Vorlesungen, Berl. 1853.
G. O. Marbach, Lehrbuch d. Gesch. d. Philos., 1. Abth.: Gesch. d. grie-
chischen Philos., 2. Abth.: Gesch. d. Philos. im Mittelalter, Lpz. 1838—41.
Friedr Aug. Märcker, das Princip des Bösen nach den Begriffen der Griechen,
Berl. 1842. Die Willensfreiheit im Staatsverbande, Berl. 1845.
Philipp Marheineke (1780-1846, seit 1811 Professor d. Theologie in Berlin),
zeigt sich in der ersten Auflage der Grundlehren der christl. Dogmatik, Berlin 1819,
wesentlich durch Schelling beeinflusst, die zweite Auflage dagegen, Berlin 1827,
hat er im Geiste Hegels bearbeitet Theolog. Vorlesungen, hrsg. von St. Matthies
und W. Vatke, Berl. 1847 ff. u. System d. theolog. Moral, System der christl.
Dogmatik.
Carl Ludwig Michel et (geb. 1801 in Berlin, seit 1829 ausserordentlicher
Prof. daselbst), Syst d. philos. Moral, mit Rücksicht auf die juridische Imputation,
die Gesch. der Moral u. das christl. Moralprincip, Berl. 1828. Anthropologie und
Psychol., Berl. 1840. Vorlesungen üb. die Persönlichkeit Gottes n. Unsterblichkeit
der Seele od. die ewige Persönlichkeit des Geistes, Berl. 1841. Die Epiphanie der
ewigen Persönlichkeit des Geistes, eine philos. Trilogie; erstes Gespräch: die Per-
sönlichkeit des Absoluten, Nürnb. 1844; zweites Gespräch: der histor. Christus u.
das neue Christenth., Darmst. 1847; drittes Gespräch: die Zukunft der Menschheit
u. die Unsterblichk. d. Seele, oder die Lehre von den letzt Dingen, Berl. 1852.
Zur Verfassungsfrage, Frankf. a. d. O. u. Berl. 1848. Zur Unterrichtsfrage, ebd.
1848. Esquisse de Logique, Paris 1856. Die Gesch. der Menschh. in ihr. Ent-
wickelungsgange von 1775 bis auf die neuesten Zeiten, Berl. 1859—60. Naturrecht
od. Rechtsphilos., Bd. I: Einleit, Grundrechte, Privatrecht, Bd. II: öffentl. Recht,
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§ 38. Anhänger Hegels.
423
allgem. Rechtegesch., Berlin 1866. Die histor. Schriften Michelete, bezügl. auf
Aristoteles n. auf die neueste Philos., sind schon oben (1 , 7. Aufl., S. 1S7. 189 und
223, und III, S. 206) angeführt worden. — Hegel, der unwiderlegte, Weltphilosoph,
eine Jubelschrift, Lpz. 1870. Hegel u. der Empirismus, zur Benrtheil. einer Rede
Eduard Zeilen, Berl. 1873. Das System der Philosophie als exacter Wissensch.,
4 Theile. in 5 Bdn., Berl. 1876—81. (Logik, Naturphilos., Geistesphilos., Philos.
der Gesch.) Wahrheit aus meinem Leben, Berl. 1885. Michelet gehört zu den
treuesten Schülern Hegels und ist bis auf die Gegenwart stete auf das Entschie-
denste mit nie wankendem Muthe für die Lehren seines Meisters eingetreten.
Ferd. Müller, der Organism. und die Entwicklung der polit. Idee im Alter-
thum, od. die alte Gesch. vom Standpunkte der Philos , Berl. 1839.
Theod. Mündt, Aesthetik, die Idee der Schönh. u. des Kunstwerks im Lichte
unserer Zeit, Berl. 1845, neue Ausg. Lpz. 1868, bei aller Polemik gegen Hegel und
Hervorhebung des Princips der .Unmittelbarkeit" doch sehr wesentlich durch den
hegelschen Gedankenkreis bedingt.
Joh. Georg Mussmann (1833 als Professor in Halle gest ), I>ehrbuch der
Seelenwissenschaft, Berl. 1827. Grundlinien der Logik u. Dialektik, Berl. 1828.
Grundriss der allgem. Geschichte der christl. Philos., mit besond. Rücksicht auf die
christl. Theol , Halle 1830. Zuerst war er enthusiastischer Verehrer Hejrels, später
kritisirte er ihn vielfach.
Ludw. Noack igest. 1885 als Prof. in Glessen), der Religionsbegriff Hegeln,
Darmst. 1845. Mythologie u. Offenbarung; die Relig. in ihrem Wesen, ihrer ge-
schichtl. Entwickel. und absoluten Vollendung, Darmst. 1845—46. Das Buch der
Relig., od. der relig. Geist d. Menschh. in seiner geechichtl. Entwickelg., Lpz 1850.
Die Theol. als Reli^ionsphil. in ihrem wissensch. Organismus, Lübeck 1852. Die
christl. Mystik des Mittelalters u. seit dem Reformationszeitalter, Königsb. 1853.
Gesch. der Freidenker (Engländer, Franzosen, Deutsche), 1853—1855. Ferner manche
andere, meist religionsphilosophische Schriften, worin Noack sich theilweise an
Reiff und Planck angeschlossen hat. In Schriften, welche Kant betreffen, z. B.
Kants Auferstehung aus seinem Grabe. Lpz. 1862, sagt er, dass Kant den Em-
pirismus als den einzig wissenschaftlichen Standpunkt gelten lasse. Von 1846 bis
1848 hat Noack die zu Darmstadt erschienenen Jahrbücher f. specul. Philos. und
speculative Bearbeitg. der empir. Wissenschaften herausgegeben, in welcher auch
die philosophische Gesellschaft zu Berlin ihre damaligen Arbeiten veröffentlicht
hat. Noack s „Psyche" (1858—63) ist eine populär-wissenschaftliche Zeitschrift für
angewandte Psychologie. Von Eden nach Golgatha, bibl.-gesch. Forschungen, Lpz.
1868. Philosophie-geschichtliches Lexicon, Lpz. 1879.
Hein. Bernh. Oppenheim, Syst. des Völkerrechte, Frankf. a. M. 1845. Philos.
des Rechte u der Gesellschaft, Stuttg. 1850 (bildet den V. Band der Neuen Encycl.
der Wissenschaften u. Künste).
Ed. Ph. Peipers, Syst. d.gesammten Naturwissenschaften nach monodynamisch.
Princip, Köln 1840-41. Die positive Dialektik, Düsseldorf 1845.
Otto Pfleiderer (geb. 1839, Prof. d. Theol. in Berlin), d. Religion, ihr
Wesen u. ihre Gesch., 2 Bde., Lpz. 1869. Moral u. Relig., Leipz. 1872. Religions-
philosophie auf geschiehtl. Gründl., Berl. 1878. 2. Aufl. 2 Bde , 1883, 84(1. Bd.:
Gesch. d. Religionsphilos. von Spinoza bis auf d. Gegenw., 2. Bd.: Genet. specu-
lative Religionsphilos). Grundriss der christl. Glaubens- u. Sittenl., Berl. 1880.
— Gott ist nach Pfleiderer ebenso das insichseiende und von allem Endlichen sich
selbst unterscheidende Ich, wie er das allumfassende Ganze ist, welches Alles in
und unter sich, nichts ausser sich hat. Er geht nicht in der Welt auf, ist aber
auch nicht von ihr ausgeschlossen, sondern schlieest sie in sich als das entfaltete
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424
§ 38. Anhänger Hegels.
System seiner eigenen Gedanken und Kräfte. In diesem wahren Monotheismus
sollen deistische und pantheistische Abstractionen in gleicher Weise überwunden
sein. Die Religion will nicht die Welt theoretisch erklären, sondern das Verhältnis«
des fühlenden und wollenden Ich zur Welt richtig stellen, indem sie das eigene
Leben mit allen es beherrschenden Eindrücken der Welt unmittelbar auf die welt-
beherrschende Macht selbst bezieht.
K. Prantl (geb. 1820, Prof. d. Philos. in München), der, von der hegelschen
Philosophie herkommend, namentlich dem Studium des Aristoteles und der Ge-
schichte der Logik sich zugewandt hat. Seine eigenen philosophischen Ansichten
hat er in kürzeren Arbeiten niedergelegt. Die gegenw. Aufgabe d. Philos., München
1852. Die geschichtl. Vorstufen d. neueren Rechtsphilos., Münch. 1848. Reform-
gedanken %. Logik in: Sitzgsber. d. Münch. Ak., phil. GL 1875, Bd. I, S. 159-214.
Verstehen u. Beurtheileu, Münch. 1877. Ueb. d. Berechtig, d Optimism.,
Rede, Münch. 1880. Zur Causalitätsfrage, iu den Sitzgsber. d. Münch Ak.,
phil. Ol. 1883, H. II, S. 113 — 139. Von der Gesch. der Logik sind bis
jetzt 4 Bde., Lpz. 1858-1870 erschienen, der 2. Bd. in 2. Aufl. 1885.
Nach Prantl geben uns die Functionen des subjectiven Bewußtseins den Maass-
Btab objectiver Welterkeuutniss. Nur der Mensch kommt zum Bewusstsein des
wesenseinheitlichen Zusammenhangs des Subjectiven und Objectiven. Dem Menschen
eigenthümlich ist der Zeitsinn, vermöge dessen er, in die Vergangenheit zurück-
greifend, durch Erinnerung Begriffe bilden und, in die Zukunft vorgreifend, durch
spontane Zweckabsichten ein Gebiet von Ideen oder idealen Impulsen begründen
kann, „zu deren Verwirklichung er in Familie, in Sittlichkeit, in Recht, iu Kunst,
in Religion und Wissenschaft seine Kräfte versucht*.
Jac. Friedr. Reiff, der Anfang der Philos, Stuttg. 1841. Das Syst. d.
Willensbestimmungen oder d. Grundwissensch, d. Philos., Tübing. 1842. Ueb. einige
Punkte d. Philos., Tübing. 1843. Reiff hat sich von Hegel aus Fichte genähert
und uuf Carl Chr. Planck besonders eingewirkt.
Friedr. Richter (aus Mugdeburg), die Lehre v. d. letzten Dingen, Theil 1,
Breslau 1833, Theil 2, Berlin 1844. Die neue Unsterblichkeitslehre, Breslau 1833.
Der Gott der Wirklichkeit. Breslau 1854. Er veranlasste den Streit über die Un-
sterblichkeit in der hegelschen Schule (abgesehen von der schon 1831 aber anonym
erschienenen Schrift Feuerbachs , indem er zu beweisen sucht, dass bei der Lehre
Hegels eine persönliche Fortdauer nicht anzunehmen sei: übrigens wünschten
eine solche nur die der Resignation unfähigen Egoisten.
Joh. Karl Friedr. Rosenkranz (geb. 23. April 1805 zu Magdeburg, seit 1833
Prof in Kgsb., vom Juli 1848 bis Jan. 1849 Rath im Minist, zu Berlin, von da an
wieder in Kgsb., gest. 14. Juni 1879), de Spinozae philosophia diss., Halle und
Leipz. 1828 Ueb. Calderons wunderthätigen Mugus, e. Beitrag E. Verständniss der
taustschen Fabel, Halle 1829. Der Zweifel am Glauben, Kritik der Schriften de
tribus impostoribus, Halle 1830. Gesch. d. deutsch. Poesie im Mittelalt., Halle
1830. Die Naturreligion, Iserlohn 1831. Encyclop. der theol. Wissensch., Halle
1831, 2. Aufl. 1845. Allg. Gesch. d. Poesie, Halle 1832- 33. Das Verdienst d.
Deutschen um d. Philos. d. Gesch., Kgsb. 1835. Kritik d. schleiermacherschen
Glaubenslehre, Kgsb. 1836. Psychologie, Kgsb. 1837, 2. Aufl. 1843, 3. Aufl. 1863.
Gesch. d. kantschen Philos. (Bd. XII d. Werke Kauts h. v. Ros. u. Schubert), Lpz.
1840. Das Centrum d. Speculation, eine Komödie, Kgsb. 1840 Studien, 5 Bänden.,
Berl. u. Leipz. 1839—48. Ueb. Schölling u. Hegel, Sendschreib, au Pierre Leroux,
Kgsb. 1843. Schölling, Danzig 1843. Hegels Lebeu, Berlin 1844. Krit d. Prin-
eipien der straussschen Glaubenslehre, Lpz. 1844, 2. Aufl. 1864. Goethe u. s.
Werke, Kgsb. 1847, 2. Aufl. 1856. Die Pädagogik als Syst,, Kgsb. 1848. Syst. d.
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§ 38. Anhänger Hegcia.
425
Wissensch., ein philos. Kncheiridion, Kgsb. 1850. Meine Reform d. hegelschen
Philo»., Sendsehreiben an J. ü. Wirth, Kgsb. 1852. Aesthetik des Hässlichen,
Kgsb. 1853. Die Poesie und ihre Gesch., Entwickelung d. poet Ideale d. Völker,
Kgsb. 1855. Apologie Hegels gegen Haym, Berl. 1858. Wissensch, d. logisch.
Idee, Kgsb. 1858—59, nebst Epilegomeua, ebd. 1862. Diderots Leben u. Werke,
Lpz. 1866. Hegels Naturphilos. und ihre Erläuterung durch den ital. Philosophen
A. Vera, Berl. 1868. Hegel als deutscher Nationalphilosoph, Lpz. 1870. Erläute-
rungen zu Hegels Encyclop der Philos., in d. .philo«. Bibl.% Bd. XXXIV., Berl.
1870. Von Ifagdeb. bis Kgsb., Berl. 1873. Voltaire in R. Gottschalls Neu.
Plutarch Th. 1, 1874, S. 285-373. Neue Studien I-IV, Lpz. 1875 ff. In seiner
Wissenschaft von der logischen Idee weicht R. nicht unwesentlich von der hejrel-
schen Logik ab, und er wurde auch deshalb von eigentlichen Hegelianern des Ab-
falls von dem Meister bezüchtigt. Nach R. theilt sich die Wissenschaft der lo-
gischen Idee in Metaphysik, Logik, Ideenlehre, indem das Denken dem Sein ent-
gegengesetzt wird, und diese beiden in der Idee zur Einheit aufgehoben werden.
Die Metaphysik gliedert sich wieder in Ontologie, Aetiologie und Teleologie, die
Logik behandelt die Lehre vom Begriff, Urtheil, Schluss, in dem dritten Theil wird
Princip, Methode und System der Ideeulehre dargestellt. Die Naturphilosophie
führt Rosenkranz als einer der wenigen Hegelianer auf hegelschen Principien weiter
aus, indem er nach diesen die Thatsachen der Erfahrung behandelt. Vgl. über ihn:
R. Quäbicker, K. Rosenkranz. Eine Studie z. GeBch. der hegelschen Philos., Lpz.
1879, u. Arth. Richter, K. R. u. seine Reform der Philos. mit Bez. auf Quäbickers
Schrift In: Zeiteehr. f. Philos. u. ph. Kr., 1880, Bd. 77, Ergänzungsh., S. 134-151.
Constantin Rössler, Syst. d. Staatelehre, Lpz. 1857. (Nur in gewissem Be-
tracht im hegelschen Sinne geschrieben.)
Heii. r. Theod. Rötscher (geb. 1803), Arietophanes und sein Zeitalter, Berl-
1827. Abhandlgn. zur Philos. d. Kunst, Berl. 1837—47. Die Kunst d. dramat.
Darstellung, Berl. 1841, 2. Aufl., Lpz. 1864.
Arnold Rüge (geb. 1802, gest. 1880), lebte lange Zeit in England, wo er mit
Ledru-Rollin, Mazzini, Bratiano u. A. das Europäische demokratische Comitö für
die Solidarität der Partei ohne Unterschied der Völker bildete, uus dem er bei
Kossuths Eintritt schied. Die platonische Aesthetik, Halle 1832. Neue Vorschule
der Aesthetik. Halle 1837. Rüge u. Echtermeyer, Hallesche Jahrb. für deutsche
Wiss. u. Kunst, 3 Bde., Lpz. 1838—40. Deutsche Jahrb. f. Wiss. u. Kunst, 2 Bde.,
1841—42. Rüge, Anecdota z. neuest, dtach. Philos. u. Publicistik, Zürich 1843
Rüge u. Marx, deutsch -französische Jahrbüch., 2 Hefte, Paris 1844. Gesammelte
Schriften, 10 Bde., Mannheim 1846—48. Uebersetzg. von ßuckles Gesch. d. CM-
lisation, Lpz. u. Heidelb. 1860, 4. Aufl. 1871 Ruges Autobiogr.: Aus früherer
Zeit, Bd. I— IV, Berl. 1862-67. (Der vierte Band enthält auch eine speculative
Betrachtung d. Gesch. d. Philos. v. Thaies bis zur Unterdrückung der rugescbeii
Jahrbücher.) Reden üb. d. Relig , ihr Enteteh. u. Verg., an die Gebildeten unt. ihren
Verehrern (in Opposition zu Schleiermacher), Berl. 1869 (1868). Volksausgabe 1874.
Jul. Schaller (1810—1868), die Philos. unserer Zeit, zur Apologie und
Erläuterung d. hegelschen Syst., Lpz. 1837. Der histor. Christus u. d. Philos.,
Kritik d. dogmat. Grundidee des Leb. Jesu von Strauss, Lpz. 1838. Gesch. d.
Naturphil, von Bacon von Verulam bis auf uus. Zeit, Lpz. u. Halle 1841—46. Vor-
lesungen üb. Schleiermacher, Halle 1844. Darstellung u. Krit. d. Philos. Ludw.
Feuerbachs, Lpz 1847. Briefe üb. Alex. v. Humboldts Kosmos, Lpz. 1850. Die
Phrenologie in ihr. Grundzügen u. nach ihr. wisa. u. prakt. Werthe, Lpz 1851.
SmT und Leib, Weimar 1855 u. ö. Psychologie, Bd. I, d. Seelenleben d. Menschen,
Weimar 1860.
426
§ 38. Anhänger Hegels.
Max Sehasler, die Elemente der philos. Sprachwissensch. Wilhelm v. Hum-
boldt«, Berl. 1847. Populäre Gedanken aus Hegels Werken, Berl. 1870. 2. Aufl.
1873. Aesthetik als Thilos, d. Schön, u. d. Kunst, L Bd. krit Gesch. d. Aesthetik
v. Plato bis auf die Gegenw., Berl. 1871—72. Das System der Künste aus einem
neuen im Wesen der Kunst begründeten Gliederuugsprinc, 2. Aufl., Lpz. 1885.
Aesthetik, 1. Th.: d. Welt d. Schönen, 2. Tb.: d. Reich d. Kunst, Lpz. 1886 (d.
Wissen d. Gegenw.).
Alexis Schmidt, Beleuchtg. d. neu. schellingschen Lehre von Seiten d. Philos.
u. Theol., nebst Darstellg. u. Kritik d. früheren schellingschen Philos., u. eine
Apologie d. Metaph., besonders der hegelscheu, gegen Sendling und Trendelen-
burg, Berl. 1843.
Reinhold Schmidt, christl. Religion u. hegelsche Philos., Berl. 1837. Solgers
Philos., Berl. 1841.
Heinr. Schwarz, über die wesentlichsten Forderungen an eine Philos. d.
Gegenw. und deren Vollziehung, Ulm 1846. Gott, Natur und Mensch, System des
substantiellen Theismus, Hannov. 1857.
Herrn, Schwarz, Vers, einer Philos. der Mathematik, verbunden mit einer
Kritik der Aufstellgu. Hegels über den Zweck und die Natur der h. Analysis,
Halle 1853.
F. K. A. Schwegler (1819—1857), Jahrbüch. d. Gegenwart, Tüb 1844-48.
Die Metaph. des Aristoteles, Text, Uebtrsetzg. u. Commentar, Tüb. 1846 — 48. Gesch.
der Philos. im Umriss, Stuttgart 1848 u. oft. Gesch. d. griech. Philos., hrsg. von
Karl Köstlin, Tüb. 1859. 3. Aufl. 1882.
G. W. Suellmau, Versuch einer specnl. Kntwickelg. der Idee der Persön-
lichkeit, Tüb. 1841.
Theod. St räter, Studien zur Gesch. der Aesthetik, I, Bonn 1861. Die Com-
position von Shakespeares Romeo und Julie, Bonn 1861.
Strau»H, das Leb. Jesu, krit. bearb., Tüb. 1 835 — 3C. 4. Aufl. 1840. Streit-
schriften zur Vortheid. dieser Schrift, ebd. 1837—38. Zwei friedl. Blätter, Altona 1839.
Charakteristiken u. Kritiken, Lpz. 183!>. Die christl. Glaubenslehre in ihrer gesch.
Kntwickelg. u. im Kampfe mit der modernen Wissensch. dargest., Tüb. 1840—41.
Neue Bearbeitung des Lebens Jesu „für das deutsche Volk*, Lpz. 18G4 (vgl. über die-
selbe und über Kenans Vi« de Jesus Zeller in v. Sybels bist. Zeitschr. XII, S. 70 ff.,
wiederabgedr. in Zeller» Vortr. und Abb., Lpz. 1865, 8. 434 ff.\ Der Christus des
Glaubens und der Jesus der Gesch., Berl. 18155 (eine Kritik der schlciermachersehen
Vorlesungen über das Leben Jesu). Voltaire, 1. u. 2. Aufl., Lpz. 1870. Der alte u.
der neue Glaube, 1872 u. ö. Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Auflagen, Bonn
1873. Als Gegenschriften sind zu erwähnen: J. Huber, der alte u. der neue Glaube,
1873. H. ülrici, der Philosoph Strauss, Halle 187:5. Gesaromelte Schriften von
Strauss, eingeleitet u. mit erläuternden Nachweisungen versehen von Ed. Zeller, 12 Bde.,
Bonn 1876 — 78. Ueber Str. vgl. Frdr. Theod. Visoher, Strauss u. d. Württemberger,
in: Hallisch. Jabrbb., 1838. auch in d. Kritisch. (längen. Ed. Zeller. D. F. Strauss,
in seinem Leben u. seinen Schriften geschildert, Bonu 1874. C. Gust. Reuschle, Philos.
und Naturw., zur Erinnerung an D. F. Strauss, Bonn 1874. A. Hausrath, D. Fr. Str.
u. die Theologie seiner Zeit, 2 Bde., Heidelb. 187G— 78. K. Dieterich, D. F. Strauss
et l'idealisme Alleniand, in: Revue philos. 21, 1886, S. 58—72.
David Friedr. Strauss war geboren 1808 zu Ludwigsburg, seit 1832 Repetent
am Stift in Tübingen; in Folge seines Lebens Jesu wurde er nach Ludwigsburgan
das Lyceum versetzt, privatisirte aber von 1836 an in Stuttgart. 1839 wurde er
als Professor der Theologie nach Zürich berufen, aber ehe er sein Amt antrat,
schon pensionirt, da seine Berufung die grösste Aufregung in Zürich hervorgerufen
hatte. Von da ati lebte er seinem schriftstellerischen Berufe an verschiedenen
Orten und starb den 8. Februar 1874 in seiner Geburtsstadt. Zwar ist Schleier-
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.§ 38. Anhänger Hegels.
427
macber nicht ohne EinfluBs auf Strangs gewesen, aber die Abhängigkeit von Hegel
uberwog bei weitem: Hegels Unterscheidung von Begriff und Vorstellung hatte,
wie Strauss selbst sagt, diesen frühzeitig dahin gebracht die Vorstelluugsform
wirklich zu überwinden. Das Wunder muss nach ihm negirt werden, da es Unter-
brechung des Xaturlaufs durch Sehöpferthätigkeit sein würde. Der ganze Schöpfungs-
bericht kann aber zu Recht gar nicht bestehen, weil ja die Natur nur anders, d. h.
äusserlich erscheinende Idee ist. Hieraus ergiebt sich leicht, dass der grossere
Theil der biblischen Erzählungen auf Mythen beruht, da sie mit ihren Berichten
von Wundem nichts Wirkliches überliefern können, wenn auch Wahrheit in ihnen
liegt. Der Schlüssel der ganzen Christologie ist, dass als das Subject der Prädi-
cate, welche die Kirche Christo beilegt, statt eines Individuums eine Idee gesetzt
werde, aber nicht eine unwirkliche, sondern eine reelle, die Menschheit als der
Gottmensch. Iu seiner Dogmatik giebt er eine Kritik der einzelnen Dogmen, in-
dem er ihre Entstehung und Ausbildung geschichtlich verfolgt und zugleich zu zeigen
Bucht, wie sie sich auflösen mussten, so dass in ihrer Eutwickelung schon ihre
Vernichtung gegeben sei. Er betont, dass die christliche Religion als Theismus
sich mit der Philosophie als Pantheismus nicht befreunden könne; das Dogma Bei
nur durch das idiotische Bewusstsein hervorgebracht. Gott ist nicht eine Person
neben oder über anderen Personen, soudern das Unendliche, das sich in den ein-
zelnen Personen, den Menschen, personiticirt und zum Bewusstsein kommt, das
Denken in allem Denkenden, aber auch das Leben in allem Lebenden, das Sein in
allem Dasein. Der Menschengeist, soweit er sich noch nicht als Einheit des End-
lichen und Unendlichen erkeimt, sich nur als endlich fühlt, setzt das Unendliche,
das in ihm ist, aus sich heraus, als ein fremdes und betrachtet es als jenseits.
Dieser Standpunkt muss durch die Philosophie überwunden werden. Auch die
Unsterblichkeit ist nichts Jenseitiges, sondern des Geistes eigene Kraft, sich
über die Endlichkeit hinaus zur Idee zu erheben. Ueber die Fassung Schleier-
machers, mitten iu der Endlichkeit eins zu werden mit dem Unendlichen, ewig zu
sein in jedem Augenblicke, kommt nach Strauss die Wissenschaft der Gegenwart
nicht hinaus.
In dem alten und neuen Glauben spricht Strauss weniger entschieden
den Materialismus aus, als dass er den Gegensatz zwischen Materialismus und
Idealismus nur für einen Wortstreit ansieht. Ihren gemeinsamen Gegner sollen
beide im Dualismus haben, dem gegenüber sie beide als Monismus gelten, indem
sie die Gesammtheit der Erscheinungen aus einem Princip zu erklären suchen, wie
schon die hegelsche Philosophie einen entschiedenen Gegner im Dualismus gehabt
hatte. Jede dieser beiden Betrachtungsweisen, die materialistische sowohl als die
idealistische, soll consequent durchgesetzt in die andere hinüberführen. Ver-
werflich ist die Spaltung des Menschen in Leib und Seele, des menschlichen
Daseins in Zeit und Ewigkeit, die Scheidung einer geschaffeneu und vergänglichen
Welt von einem ewigen Gott-Schöpfer. Wiewohl Strauss die Teleologie beseitigen
will, indem er sich dabei auf die darwinsche Lehre stützt, ist eine gewisse Ab-
hängigkeit von Hegel doch noch zu bemerken, insofern nach ihm in dem All Ver-
nunft und Ordnung zu finden ist Das gesetzmäßige, lebens- und vernunftvolle All
ist für ihn die höchste Idee, und er fordert für dies sein Universum dieselbe Pietät,
wie der Fromme alten Stils für seinen Gott Von der alten christlich-religiösen
Weltanschauung hat er und haben Bich, wie er meint, die Gebildeten der Gegen-
wart losgesagt, aber dennoch ist dieses Gefühl für das All noch Religion zu
nennen. Die Erbauung durch den Cultus soll für den Gebildeten ersetzt werden
durch den Kunstgenuss. Deshalb finden wir auch in dem letzten straussschen Buche,
nachdem die Fragen: 1. Sind wir noch Christen? 2. Haben wir noch Religion?
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428
§ 38. Anhäuger Hegels.
3. Wie begreifen wir die Welt? 4. Wie ordnen wir unser Leben? behandelt siud,
iwei Zugaben über unsere grossen Dichter und über unsere grossen Musiker.
Gustav Thaulow (geb. 1817, gest. 1K83 als Prof. d. Philos. in Kiel), Erhebg.
der Pädagogik zur philos. Wissensch., od. Einleitg. in die Philos. der Pädag.,
Herl 1845. Hegels Ansichten über Ersieh, u. Unterricht, aus Hegels sämratl.
Schriften gesammelt u. systemat. geordnet, Bd. I: Zum Begriff der Erziehung,
Kiel 1853, Bd. II: Gesch. der Erziehung, ebd. 1854, Bd. III: Zur Gymnasial-
pädagogik u ünivers. Gehöriges, ebd. 1854. Einleitg. in die Phil. u. Encyclop. der
Philos. im Grundriss, Kiel 1802.
Günther Thiele, Grundriss der Logik u. Metaphysik, Halle 1878, bei dem
wenigstens Manches an Hegel erinnert, hat sich neuerdings eingehend mit Kant
beschäftigt. Seine Schriften über denselb. s. bei der Kantlitteratur.
Wilh. Vatke (geb. 1806, gest. d. 21. Apr. 1882 als Prof. d. Theol. in Berlin),
d. biblische Theologie. 1. Bd., d. Relig. d. A. T., Berl. 1835, worin Vatke nicht
mit Strauss darin überemstimmte, dass die sinnliche Erscheinung des Gottmenschen
mythisch zu fassen sei. Die menschl. Freih. iu ihr. Verhältn. zur Sünde u. zur
gottl. Gnade, Berl. 1841.
Friedr. Theod. Vi sc her (1807 - 1887). über das Erhabene und Komische, ein
Beitrag zur Philos. des Schonen, Stuttg. 1837. Krit. Gänge 1-6, Tüb. 1844—73.
Aesthetikod. Wissenschaft d. Schönen, I: Metaph.d. Schönen, II: die Kunst, HI: die
Künste, Reutl. und Leipz. 1846—57. Register, Stuttg. 1858. Ueber das Verhältn.
von Inhalt und Forin in der Kunst, Zürich 1858. Auch Einer (Roman), Stuttg. 1879,
3. Aufl. 1884, in dessen 2. Bd sich eine pantheistische Weltansicht findet. Das
Schöne ist nach Vischer, dessen Hauptverdienst in der Aesthetik liegt, die Idee in
der Form begrenzter Erscheinung, die Kunst ist die subjectiv-objective Wirklichkeit
des Schönen. Die bildenden Künste machen die objective Kunstform aus, die
Musik ist die subjective, und die Dichtkunst die subjectiv-objective. Auch die
Geschichte der einzelneu Künste findet eingehende Berücksichtigung.
Georg Weissenborn (geb. 1816, gest. 1874 als Professor in Marburg), Vor-
lesgn, über .Schleiermachers Dialektik und Dogmatik, Lpz. 1847—49. Ix>gik und
Metaph , Halle 1850—61. Vorlesg. über Pantheism. u. Theism., Marburg 1859.
Ebenso wie durch Hegel war Weissenborn durch Schleiermacher angeregt. Er
will an die Stelle des Pantheismus Hegels einen wissenschaftlich begründeten
Theismus setzen, der namentlich die Ergebnisse der Naturwissenschaften in sich
aufnähme.
Karl Werder (geb. 1806, Prof. in Berlin), Logik als Commentar u. Ergänzung
zu Hegels Wiss der Logik, 1. Abth. Berl. 1841
Zeller, piaton. Studien, Tüb. 1839. Die Philos. der Griechen, Tüb. 1844—52.
2. Aufl. 1855— 68, seitdem ist der erste Bd. in 4. und sind die übrigen Bde. in 3. Aufl.
erschienen (s. Theil I, 7. Aufl., § 7). Vorträge und Abhandlungen, Lpz. 1865.
2. Sammlg., Lpz. 1877, ."». Sammlg., Lpz. 1884. Hieraus sind besonders hervorzuheben:
Ueber Hedeutg. u, Aufgabe der Erkenntnisstheorie, zuerst ersch. Heidelb. 1862, mit
Zusätzen aus d. J. 1877, die Politik in ihrem Verhältn. zum Recht, [aus d. J. 1868,
über d. Aufg. der Philos. u. ihre Stellung zu den übrigen Wissenschaften, aus d. J. 1868,
über teleologische u. mechanische Naturerklärung in ihrer Anwendung auf das Welt-
ganze, aus d. J. 1876, über Ursprung u. Wesen der Religion, über die Bedeut. der
Sprache u. des Sprachunterrichts für das geistige Leben, a. d. J. 1884, üb. d. kantische
Moralprinc. u. d. Gegensatz formaler u. materialer Moralprincipien a. d. J. 1879, üb.
Begr. u. Begründ. der sittlichen Gesetze, a. d. J. 1882, Qb. d. Gründe unseres Glaubens
an d. Realität der Aussenwelt, a. d. J. 1H84. Gesch. der deutsch. Philos. seit Leibniz
(Bd. 13 der .Gesch. der Wiss. in Deutschland*), Münch. 1872. 2. Aufl. 1875. Staat
u. Kirche, Vorlesungen, Lpz. 1873. Antwort an Herrn Prof. I. H. v. Fichte, in
Vierteljahrsschr. für wissensehaftl. Philos., 1877, S. 267—298. Ueb. d. Messung
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§ 38. Anhänger Hegels.
4*29
psychischer Vorgänge, au* d. Abhandig. der Kgl. Ak. d. Wi^sensch., Berlin 1881.
Friedrich d. Grosse als Philosoph, Berl. 1 SSt>. Die grosse Anzahl von Abhandlungen,
die sich meist auf die griechische Philosophie beziehen, s. Grundr. I, 7. Aufl.
Eduard Zeller (geb. 1814, 1840 Privatdoecnt der Theol. in Tübingen, ging
1847 als Professor der Theol. nach Bern, wo seine Berufung zuerst viel Unruhe
erregt hatte, 1849 folgte er einem Ruf als Professor der Theol. nach Marburg, wo-
selbst er aber auf Betrieb seiner Gegner sogleich in die philosophische Fncultat
versetzt wurde; 1862 wurde er Professor der Philos. in Heidelberg, seit 1872 wirkt
er als solcher in Berlin) ist allerdings von Hegel ausgegangen, hat sich aber schon
zeitig von ihm entfernt und den Grundgedanken des ganzen hegelschen Systems,
die apriorische Constructiou des Universums, aufgegeben. Hohe Verdienste hat sich
Zeller als Historiker der Philosophie erworben, aber auch über principielle Punkte
der Erkenntnisstheorie, Ethik, Religionsphilosophie u. anderer Discipliuen ausführ-
licher gehandelt, dabei Einseitigkeiten vermieden und sich als besonnener Denker
gezeigt, der zugleich alle Momente gebührend berücksichtigt. Er verlangt, dass die
erkenntnisstheoretiechen Untersuchungen wieder aufgenommen werden, um eine sichere
Grundlage für die philosophischen Forschungen zu schaffen, und stellt schon 18(52
die Forderung, man müsse auf Kant zurückgehen und die Fragen, welche sich dieser
vorlegte, im Geiste seiner Kritik neu untersuchen, um, durch die wissenschaftlichen
Erfahrungen unseres Jahrhunderts bereichert, die Fehler, welche Kant machte, zu
vermeideu. Der Grundfehler Kants ist nun nach Zeller, dass er es für unmöglich
erklärt«, das Ansich der Dinge zu erkennen. Aber daraus, dass wir die Dinge
nur unter den subjectiven Vorstellungsformen auffassen, folge nicht, dass wir sie
nicht so auffassen, wie sie an sich seien. Die Philosophie soll sich ganz und gar
auf Grund der äusseren und inneren Erfahrung aufbauen. Dem Idealismus wird
zwar sein Recht zugesprochen, aber er soll ergänzt werden durch einen gesunden
Realismus. Wir finden gewisse Empfindungen und Wahrnehmungsbilder thatsächlich
in uns vor, fühlen uns bestimmt, und durch das in der Natur unseres Denkens
liegende Gesetz des Schliessens, nicht durch den bewussteu Gebrauch dieses
Gesetzes, sind wir gezwungen, die Ursachen dieser Bewusstseinserscheinungen in
Diugen ausser uns zu suchen, die auf unsere Sinne einwirken, können diese Dinge
auch in gewisser Weise bestimmen. Diejenige Handlung ist nach Zeller sittlich
nothwendig oder Pflicht, welche mit logischer Notwendigkeit aus der Voraus-
setzung hervorgeht, dass der Mensch ein Vernunftwesen sei, dass der geistige Theil
seiner Natur im Vergleich mit dem sinnlichen nicht nur einen höheren, sondern
allein einen unbedingten Werth habe. Die Religion ist nicht ein Wissen, sie geht
auch nicht in der Moral auf, sie umfasst das ganze Leben des Menschen, und
Alles in ihr dreht sich um das Wohl des Menschen. S. auch den früheren Auf-
satz Zell er s über das Wesen der Religion in: Tübinger Jahrbb. 1845 S. 26—75,
393 —430, worin er schon die einseitigen Fassungen der Religion zurückweist.
Feuer ba< Ii, de ratione una, universali, infinita, Erlang. 1828 (Habilitationsschr.).
Gedanken über Tod u. Unsterblichk. (anonym), Nürnb. 1830. Geschichte der neueren
Philesophie v. Bacon v. V. bis B. Spinoza, Ansb. 1833. Darstelluug, Entwicklung
u. Kritik d. Icibnizsch. Philosophie, Ansb. 1837. Pierre Bayle nach sein. f. d. Gesch.
d. Philos. ti. Mensehh. interessantest. Momenten, Ansb. 1838, 2. Aufl. 18-14. Leb.
Philos. u. Christenth. in Bezieh, auf d. der hegelsch. Philos. gemachten Vorwurf der
Unehristlichk., 1839. Das Wesen des Christenthums, Lpz. 1841 u. oft., auch ins
Englische übers, von Marian Evans, 2. ed., Lond. 1882. Vorläufige Thesen zur Reform
d. Philosophie, 1S42. Grundsätze der Philosophie d. Zukunft, Ziir. 1843. Das Wesen
d. Religion, Lpz. 1845, 2. Aufl. 1849. Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers,
Lpz. 1844. Vorlesungen über d. Wesen d. Religion, gedruckt im 8. Bde. d. gesammelten
WW. Theogonie nach den Quellen des elassiseh., hebräisch, u. christl. Alterthums, 1857,
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430
§ 38. Anhänger Hegels.
Gott, Freiheit u. Unstcrblichk. vom Standpunkte «1er Anthropologie, 1866, beide in d.
gegammelt. WW. erschienen. — Sämmtlichc Werke, 10 Bde., Lpz. 1846 — 1866.
Aussprüche aus F.s Werken. Lpz. 1879. Ueher ihn s. C. Beyer, Leben u. Geist
L. Feuerbachs, Festrede, Lpz. 1873, u. besond. Karl Grün, L. Feuerb. in sein. Briefw.
u. Nachlass sowie in sein, philo*. Charakterentwicklg., 2 Bde., Lpz. 1874. Wilh. Bolin,
üb. L. F.8 Briefwechs. u. Nachlas» (ohne Jahr u. Druckort). A. Bau, L. F.s Philosophie,
die Naturforschung u. d. philos. Krit. der Gcgenw., Lpz. 1882. C. N. Starcke, Ldw.
Feuerbach, Smttg. 188'».
Friedrich Feuer bach, ein Bruder Ludwigs, popularisirte die spätere Lehre
seines Bruders in: Grundzüge der Religion d. Zukunft, Zürich u. Nürnbg. 1843 — 44.
Zum Naturalismas hat die hegelsche Philosophie Ludwig Fenerbach um-
gebildet. Dieser (geb. 1804 zu Landsbut, Sohn dea berühmten Criminalisten
Anselm F., studirtc zuerst in Heidelberg Theologie, wurde hier dnreh Daub für
Hegel gewonnen und ging 1824 nach Berlin, wo er diesen selbst hörte nnd eich
bald ganz der Philosophie widmete, habilitirte sich 1828 in Erlangen, seit 1836 in
Bruckberg, einem Dorfe zwischen Ansbach und Bayreuth lebend, seit 1860 in
Rechenberg bei Nürnberg in bedrängten Verhältnissen, gest. 1872) bezeichnet seine
Hut wickelaug selbst: »Gott war mein erster Gedanke, die Vernunft mein zweiter,
der Mensch mein dritter und letzter Gedanke". Seine Vorlesungen eröffnete er
als ausgesprochener Anhänger der absoluten Philosophie Hegels. Sein Werk:
„ Gedanken über Tod und Unsterblichkeit" ist pantheistisch-mystisch gehalten; der
Tod ist die vollständige Auflösung des vollständigen individuellen Seins. Nur wer
erkannt hat, dass es nicht nur einen Scheintod, sondern einen wirklichen Tod giebt,
kann ein neues lieben gewinnen und wird das Bedürfniss fühlen, absolut Wahr-
haftes und Wesenhaftes und Unendliches zum Inhalt seiner gesammten Geistes-
thätigkeit zu machen. Die Entstehung des Uusterblichkeitsglaubens wird auf
psychologische Weise erklärt. Nachdem er noch in seiner neueren Geschichte der
Philosophie den Spinozismus hoch gepriesen hatte, ist in der Schrift über Pierre
Bayle der pantheistische Standpunkt aufgegeben und Hinneigung zum Atheismus
zu erkennen. Besonders greift Feuerbach hier die Theologie scharf an. Dem
Theologen ist die Wissenschaft blosses Mittel zum Zweck des Glaubens. Das
Fundament der Theologie ist das Wunder, das der Philosophie die Natur der
Sache, die Vernunft, die Mutter der Gesetzmässigkeit. Dogmen aufstellen heisst
den Geist beschränken, da das Dogma nichts Anderes ist als ein Verbot zu denken.
Nicht die Dogmen zu rechtfertigen, sondern die Illusion zu erklären, durch die
sie entstehen, ist Suche der Philosophie. In „Philosophie und Christenthum" uud
„das Wesen des Christenthums" führt er aus, dass die Differenz zwischen
Religion uud Philosophie eine diametrale sei, da sie sich wie Phautasie, Getnüth
einerseits, und Denken andererseits, wie Krankes und Gesundes zu einander ver-
hielten. Glauben und Wissen sind nicht mit einander zu versöhnen. Die hegelsche
Philosophie kehrt den Satz, dass der Mensch in seinem Gott nur sich weiss, um
und sagt, Gott wisse sich nur in dem Menschen. In der Religion will sich der
Mensch befriedigen, da er aber nur Frieden in seinem eigeueu Wesen findet,
so musB er sich in Gott finden. Das egoistische menschliche Gemüth hat die
Religion geschaffen: der Mensch steigert sein eigenes Wesen ins Unendliche und
stellt es sich dann als Gottheit gegenüber, um durch Verehrung dieser Gottheit
die Erfüllung der Wünsche zu verschaffen, welche ihm die Wirklichkeit nicht
gewährt; die Religion entmenscht geradezu, sie bringt vom Allgemeinen ab und
steigert so den Egoismus. Der Mensch entäussert sich in der Religion selbst,
ohne sich dessen bewusst zu sein, indem die Gottheit nichts als das allgemeine
Wesen des Menschen ist, nur als selbständig ihm gegenüberstehend gedacht. Das
Richtige ist, dass die Allmacht, die Barmherzigkeit, die Liebe göttlich ist; dies ver-
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§ 38. Anhänger Hegel.-'.
431
kehrt man aber in: Gott ist allmächtig, barmherzig, Gott iat die Liebe. Auch das
jenseitige Leben ist nichts Anderes als das idealisirte Diesseits. Hiermit ist die
Theologie in Anthropologie verwandelt. In den «Vorläufigen Thesen zur Reform
der Philosophie*, den „Grundsätzen der Philosophie der Zukunft", dem
„Wesen der Religion", und den .Vorlesungen über das Wesen der Religion",
gehalten 1848 in Heidelberg vor einem grösseren Publicum, nennt er die hegelsche
Philosophie selbst noch Theologie, die vollständig überwunden werden müsse. Die
wahre Philosophie soll nichts sein als Empirie; sie hat zur Aufgabe, zu erkennen,
was wirklich ist, und dies ist das Sinnliche. Nur wo das Sinnliche anfängt,
muss aller Zweifel weichen. In den Empfindungen sind die tiefsten und höchsten
Wahrheiteu zu finden; die Sinne, freilich die gebildeten des Philosophen, nehmen
auch das wahre göttliche Wesen wahr: Wir fühlen auch Gefühle, erblicken
auch den Blick des Menschen, deshalb ist der Mensch nicht als denkendes, als
Vernunftwesen zu betrachten, wie es sonst die Philosophie thut, sondern, da der
Mensch als lebendiges wirkliches Wesen denkt, als solches. Zu diesem Wesen ge-
hört aber der Leib, ja der Leib ist geradezu das Ich, das Wesen des Menschen
selbst. Und zwar ist der Mensch der einzige Gegenstand der Philosophie, diese
muss in Anthropologie und Physiologie aufgehen. Keine andere Religion kann
angenommen werden als die Naturreligion, d. Lt. man muss anerkennen, dass man
abhängig von Naturgesetzen ist. Der Grund der Religion ist das Abhängigkeits-
gefühl, und zwar ist das, wovon man sich abhängig fühlt, die Natur; die Unabhängig-
keit von derselben ist der Zweck der Religion. Gott L*t zwar später als ein von
der Natur verschiedenes Wesen vorgestellt, aber die Eigenschaften Gottes als All-
macht, Allgüte, Ewigkeit sind nur Eigenschaften der Natur. Feuerbach treibt dann
diesen Naturalismus auf die Spitze in dem Satze : der Mensch sei nur das, was er
esse, und sagt sich von jeglicher Philosophie los. Der Egoismus ist allein be-
rechtigt gegenüber dem Theismus, nur was den eigenen Nutzen fördert, hat man zu
erstreben. — Namentlich in den vierziger Jahren übte Feuerbach einen nicht un-
bedeutenden Einfluss aus, der aber um so geringer wurde, je mehr sich Feuerbach
von der Philosophie entfernte, und je unmethodischer und unsystematischer er in
seinen Schriften vorging. Ein begeisterter Anhänger Feuerbachs ist Willi. Bolin,
Prof. in Helsingfors.
Eine ironische C'aricatur der feuerbachschen Religionskritik war die Negation
der Moral zu Gunsten des Egoismus durch Max Stirner (Pseudonym für Caspar
Schmidt, gest. 1856 zu Berlin in sehr dürftigen Verhältnissenf: Der Einzige und
Bein Eigenthum, Lpz. 1845, 2. Aufl. 1882. Ich habe keinem höheren Wesen, keiner
Idee, keiner Geraeinschaft, also nicht der Menschheit etwa zu dienen — derartiges
anzunehmen ist immer noch Religion und Aberglauben. Ich diene auch keinem
Menschen mehr, sondern unter allen Umständen mir. So biu ich nicht bloss der
That oder dem Sein nach, sondern auch für mein Bewusstsein der — Einzige. Ich
benutze Alles, Welt und Menschen, zu meinem eigenen Genüsse.
Gegen Ludw. Feuerbach und Bruno Bauer trat Grg. Frdr. Daumer (1800
bis 1875, mehrere Jahre Gymnasiallehrer in seiner Vaterstadt Nürnberg, bekannt
wegen seiner Beziehungen zu Kaspar Hauser, trat 1859 zum Katholicismus über)
auf mit der Schrift: Der Anthropologismus und Kritioismus der Gegenwart in der
Reife seiner Selbstoffenbarung, 1844, worin er ihuen Vergötterung des Menschen
auf Kosten der einen grossen, heiligen Mutter Natur vorwirft. In seinen vor-
katholischen Schriften trat er in etwas unklarer Weise gegen das Christenthum
auf, das er als natur- und menschenfeindlich bezeichnete.
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432
§ 3». Anhänger Hegels.
Planck, die Weltalter: I. Theil: Syst. des rein. Realism., Tüb. 18Ö0, IL Thrill
Das Reich d. Idealism. od. z. Philos. d Gesch.. ebd. 1851. Katechism. des Rechts,
1802. Grundlinien einer Wissensch, d. Natur als Wiederherst. d. rein. Eircheinungs-
fornien, Lpz. 1861. Seele u. Geist, od. Ursprung, Wesen u. Thätigkeitsfonu der
physisch, u. geistigen Orgunisat., Lpz. 1871. Grundriss der Logik als krit. Kinleitg. z.
Wissenschaftslehre, Tüb. 1873. Anthropol. u. Psychol. auf naturwissensch. Grundlage,
Lpz. 1874. Logisches Causalgetetz u. natürliche Zweckmässigkeit, Nördl. 1877.
Testament eines Deutschen. Philos. der Natur u. der Menschheit. Hinterlassene«
W., hcrausgeg. v. K. Köstlin, Tübing. 1881. l'eber ihn: Zur Krinnerung an K. Chr.
Planck. Tübing. 1880. O. L. Umfried, K. Planck, dessen Werke und Wirken, Tübing.
1880. Die Grundbegriffe des Rechts, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., Bd. 89, 1886, Er-
gänzungsh., S. 49—03. Max Diez, d. realist. Philosophie K. Chr. Pl.s, ebd., S. 93
bis 114.
Carl Christian Planck (geb. 1819, gest. den 7. Juni 1880 als Ephorus des evang.
Seminars zu Maulbronn) stand zwar auch mit der hegelschen Schule in Verbindung,
bildete aber später einen sogenannten Realismus aus, indem er sich auf den Grund
der reinen Natur und Wirklichkeit stellen und von hier aus das gesammte geistige
Leben begreifen wollte. Zugleich aber sollte nach ihm die Philosophie an einer
.befriedigenden Gestaltung der realen menschlichen Dinge* mitarbeiten. So be-
handelt das .Testament eines Deutschen* auch alle praktischen Verhältnisse und
giebt das Ziel und die Vollendung an. Die modernen naturwissenschaftlichen
Theorien hat er auf das Lebhafteste bekämpft — Alles Wirkliche muBs eine
extensive and eine intensive Grösse sein, .alle Qualität ist nur durch die
innerlich intensive Zusammenfassung des Extensiven", und so ist der Begriff des
Wirklichen: Stetige ineinanderwirkende Zusammenfassung der Ausdehnung. In
einander wirkende Concentrirnng, innerlich centrale Gesarnmtthätigkeit ist
die Grundform aller Erscheinung, welche schon vor allem individuellen Sein das
All zusammetjfasst zu selbstlos universeller Einheit im glühend warmen und lichten
Centrum, und die weiterhin im organischen Leben als individuell begrenzte selb-
ständige Centrumsform wirkt nnd sich endlich in neuer Weise wieder erhebt als
innerlich universelle Einheit in der freien Klarheit des erkennenden Geistes und
seiner selbstlos sittlichen Ordnung. Das echt religiöse Bewusstsein besteht in der
Erkenntniss der reinen Natur. Gerade in der ursprünglich vollen und reinen Natur-
bedingtheit, in der rein selbstlosen innerlichen Einheit der Theile mit dem Ganzen
muss aach der Grand des vollendeten freien Gegenbildes, des selbstlos sittlichen
und geistig universellen Zweckes erkannt werden. Es handelt sich dabei um die
volle Einordnung des eigenen Ichs in die reinen Naturbedingungeu alles Lebens,
im Gegensatz zu der idealistischen Losreissnug von denselben, die sich in dem
Glauben an die Unsterblichkeit ausspricht. — Plauck hat seine Lehren mit Aus-
dauer und edler Begeisterung vorgetragen, ohne dass sie aber bis jetzt viel Beifall
gefunden hätten.
In Ferd. Röse's (geb. 1815 zu Lübeck, gest. 1859 in sehr drückenden Ver-
hältnissen) .Individualitätsphilosophie" (über d. Erkenntuissweise des Absolut.,
Basel 1841. Ueber d. Kunst z. philosophir., ebd. 1847. Die Ideen v. d. göttl.
Dingen u. uns. Zeit, Berl. 1847. Die Psychologie als Einleitg. in d. Individuali-
tätsphil., Gott. 1856) zeigt sich eine Hinwendung des deutschen philosophischen
Bewusstseins zur Politik. Vgl. üb. ihu Eman. Schärer in: Zeitschr. f. Philos. und
philos. Krit, 1881, Bd. 78. S. 34 -70. Von Schärer sind einige Schriften, die
auf den Principien Röse's beruhen, erschienen: Beiträge zur Erkenntniss des Wesens
der Philosophie, Zürich 1846, Ueb. d. Standpunkt n. d. Aufgabe der Philosophie,
ebd. 1846.
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§ 39. Gegner Hegels u. specnlutiver Theismus.
433
§ 39. Polemisch verhielten sich gegen Hegel, während sie anderer-
seits, wenigstens zum Theil, Manches von ihm aufnahmen oder von
ihm ausgegangen waren: Weisse, J. H. Fichte. Chalvbäus (der
auch Herbarts Lehre eingehend berücksichtigt), Ulrici iL A. Im
Ganzen suchen diese Philosophen auf Grund der Empirie die Speculation
der Theologie anzunähern und einen speculativen Theismus zu be-
gründen. Mehrere selbständige Forscher gingen auch von der schelling-
schen Philosophie aus, so namentlich W. Rosen krantz.
Katholischer Seitfl wurde dem schelling-hegelschen „Pantheismus"
besonders durch Anton Günther ein „Dualismus" entgegengesetzt,
den jedoch die kirchliche Autorität verworfen hat. Trotzdem hat er
sich viele Anhänger erworben.
Einer der energischsten und glücklichsten Kämpfer gegen Hegel
war Trendelenburg. Auch die Herbartiancr griffen die absolute
Philosophie entschieden an.
Eine Reihe von Männern vereinigte sich im Jahre 1837, um eine .Zeitschrift
für Philosophie und speculative Theologie" herauszugeben, deren Zweck
ein doppelter war: 1. die Interessen christlicher Speculation rein und lauter zu
vertreten, sie selbst wissenschaftlich weiter und tiefer auszubilden und namentlich
auch auf Naturphilosophie und Anthropologie hinauszuwenden ; 2. die tiefgreifenden
Fragen der Dogmatik und praktischen Theologie auf philosophischen Boden zu
ziehen und in speculativer Durchbildung sie ihrer Lösung oder gegenseitiger An-
erkenntniss entgegenzuführen. Die bedeutendsten der Philosophen, die ihre Mit-
wirkung versprachen, waren: 11. Beckers, Burdach, C'arus, C. Ph. Fischer,
Fr. Hoffmann, Sengler, Steffens, Weisse; ausserdem betheiligten sich Theo-
logen an der Zeitschrift, von denen zu nennen Bind: Jul. Müller, Nitzsch,
Neander, Rothe, Twesten; Herausgeber war I. II. Fichte. Diese Zeitschrift
bildete lange Zeit den Mittelpunkt der Bestrebungen, welche die durch Schelling
und Hegel angefangene Entwicklung der Philosophie zu entschiedenem Theismus
hinzuführen suchten, und der Polemik gegen die entgegengesetzten Lehren. Man
theilte vielfach die Ansichten der hegclschen Rechteu, meinte aber, die Linke
habe die hegelsche Lehre folgerichtig fortgebildet, und suchte sich so von Hegel
zu scheiden. Auch nachdem die Zeitschrift 1847 ihren Titel geändert hatte in
„Zeitschrift für Philosophie uud philosophische Kritik" und sie unter
der Redaction von Fichte und Ulrici vermittelndes Organ zu sein beab-
sichtigte für die deutsche Philosophie in allen Hauptgestalten der damaligen Zeit
Hess sie doch als ihr Ziel noch deutlich hervortreten den philosophischen Ausbau
der christlichen Weltanschauung, weil in dieser alle Grundzüge der Wuhrheit und
alle Keime eines künftigen höheren Weltzustandes enthalten seien, und fernerhin
hat sie den Materialismus eifrig bekämpft. Später trat in die Redaction Wirth
mit ein, bis nach dem Tode von Wirth und Fichte seit 1879 Ulrici die Zeitschrift
allein redigirte, seit 1882 unter Mitwirkung von Aug. Krohu und Günther Thiele,
ßeit 1883 von Krohn allein; seit 1885 wird die Zeitschrift herausgegeben von Aug.
Krohn und Rieh. Falckeuberg. In dem neuesten Prospect ist in Aussicht ge-
nommen, die Theorie der geschichtlichen Probleme mehr zu berücksichtigen, über
die gegenwärtigen Gedankenbewegungen fragmentarisch oder zusammenhängender
zu Orient iren uud die zeitgenössische Philosophie des Auslands eingehend zu be-
U ober weg-H|eio»(j. ürniiiiriiti III. 7.Ai:fl. 28
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434
§ 39. Gegner Hegels u. speculativer Theismus.
sprechen. — Auf Fichte uud Weisse hat auch Sehleiermacber einen wesentlichen
Einfluss geübt. Verwandter Art sind die philosophischen Forschungen SecrSt ans,
der besonders die Religionsphilosophie und Ethik, Pertys, der die Naturphilosophie
und Anthropologie bearbeitet hat, wie auch des Schellingianers Huber und einiger
Anderer, die hier mit aufgeführt sind.
Fichte, Sätze zur Vorschule der Theol., Stuttg. 182G. Beiträge z. Charakteristik
d. neueren Phil.. Sulzbach 1829, 2. Aufl. 1841. Ueber Gegensätze, Wendepunkt u.
Ziel heutiger Phil., Heidelb. 1832. Das Erkennen als Selbsterkennen. Heidelb. 1833.
Ontologie, Heidelb. 1836. Die Idee d. Persönlirhk. n. der individuellen Fortdauer,
Elberfeld 1834, 2. Aufl. Lpz. 1855. Speculative Theol., Heidelb. 1846 — 17. Syst. d.
Ethik, Lpz. 1850 — .r>3. AnthropoL, Lpz. 18.'>6, 3. Aufl. 1876. Zur Seelenfrage, eine
philns. Confession, Lpz. 1859. Psychol., die Lehre v. d. bewussten Geiste d. Menschen,
2 Tide., Lpz. 1864. Die Seelenfortdauer u. d. Weltstellung des Menschen, eine
anthropol. Untersuchung u. ein Beitrag z. Religionsphil., wie zu einer Philo.«, d. Gesch.,
Lpz. 1867. Vermischte Schriften, 2 Bde., Lpz. 1869. Die theistische Weltansicht
und ihre Berechtigung, ein krit. Manifest an ihre Gegner u. Bericht über d. Haupt-
aufgaben gegenwärt. Speculation, Lpz. 1873. Fragen und Bedenken über die nächste
Fortbildung deutscher Speculation. Sendschreiben an Herrn Prof. E. Zeller, Lpz. 1876.
Der neuere Spiritualismus, sein Werth u. seine Täuschungen, Lpz. 1878.
Imm. Herrn. Fichte, geb. 1797, seit 1 835 Professor der Philosophie in Bonn,
von 1842 bis zu seiner Pensionirung 1865 Professor in Tübingen, von da an in
Stuttgart lebend, gest. 1879, ging von der späteren Wissenschaftslehre seines
Vaters aus, neigte sich aber eine Zeit lang auch Hegel zu. Schon 1832 forderte
er, die Philosophie müsse zu dem Princip der Persönlichkeit zurückkehren, sie dürfe
Gott nicht mehr als das Allgemeine, sondern müsse ihn als das Persönliche begreifen.
Er stellt einen ethischen Theismus auf, indem durch denkende Vermittlung vom
Endlichen aus die Frage über die Realität des Unbedingten entschieden werden
soll. Ueber das Verhältniss seiner philosophischen Richtung zu der weisseschen
äussert sich Fichte in der Zeitschr. f. Phil. Bd. 50, Heft 3, Halle 1867, S. 262 ff.
dahin, dass Weisse nur eine Fortbildung der hegelschen Philosophie erstrebt habe,
in welcher letzteren derselbe die früheren Richtungen sämmtlich aufgehoben glaube,
er selbst dagegen dafür halte, dass wesentliche Momente früherer Philosophien,
insbesondere der kantischen, in der hegelschen nicht zu ihrem vollen Rechte gelangt
seien, und dass der Fortschritt der Philosophie durch eine Wiederaufnahme dieser
Momente und demgemäss auch durch eine volle Mitberücksichtigung der in anderm
SinDe, als Sendling und Hegel, philosophirenden Denker der Gegenwart bedingt
sei. Zwei Gedanken, die er zu erweisen sucht, legt er zu Grunde: den Begriff der
„Urposition", des Bleibenden im Wechsel der endlichen Erscheinungen, einer
Mannigfaltigkeit beharrlicher Realwesen, und den Begriff eines innerlichen Bezogen-
seins, eines ursprünglich geordneten Znsammengehörens dieser beharrenden Wesen,
so dass sie nicht nur als an sich seiend, sondern auch als für einander daseiend zu
denken sind. Durch den zweiten Begriff wird dann drittens der Begriff »einer diese
mannigfach gegliederte Ordnung der Weltwesen aus der Ureinheit eines Gedanken-
entwürfe realisirenden und erhaltenden, mithin absolut intelligibeln Weltursache*
gefordert. Da nun die Weltthataache es überall bestätigt, dass die in die Welt
gelegten Zwecke nur um des Geschöpfes willen da sind, dessen innere Vollkommen-
heit, also dessen Wohlgefühl und Glückseligkeit zur deutlichen Absicht haben, so
ist der Urgrund nicht nur als Schöpfer schlechthin, sondern als Schöpfer um des
Geschöpfes willen, als Urguter, kurzum als ethisches Princip zu denken. Gott muss
als der im causalen Sinne vor aller Welt und Schöpfung in sich vollendete, welt-
freie absolute Geist gedacht werden. So sehr sich auch der Gedanke einer Welt-
Immanenz Gottes aufdrängt, so darf doch die Trausscendenz dadurch nicht geschmälert
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§ 39. Gegner Hegels u. speculativer Theismus.
435
werden. — In seinen psychologischen Werken Riebt Fichte der Phantasie zu weiten
Raum, wie die letzte Schrift von ihm beweist.
Ulrici, »ber Princip und Methode der hegelschon Phil.. Halle 1*41. Du Grund*
princip d. Phil., Lpz. 1S43— 46. Syst. d. Logik, Lpz. 1852. Compend. d. Logik, . hfl.
18G0, 2. Aufl. 1871. Zur logischen Frage, Halle 1870. Glauben u. Wissen, SpeeoL
u. exaote Wissensch.. Lpz. 1858. Gott u. d. Natur, Lpz. 1861, 2. Aufl. 1866. Gott
u. d. Mensch. Bd. I: Leib u. Seele, Lpz. 1866. 3. Aufl. 1874. Bd. II: Gnmdzfige d.
prakt. Philos. 1. Da« Naturreeht. 1872, u. andere antituaterialistische Arbeiten, ferner
litteramrhistorisch-ästhetische Schriften, insbes. Charakteristik der antiken Historiographie;
Berl. 1833. Gesch. der hellen. Dichtung, Berl. 1835. Ueber Shakespeares dramat.
Kunst (1839, 1847), 3. Aufl., Lpz. 1868. Der Philosoph Strauss, aus d. Zeitschr. £
Philo»., Halle 1873. Abhandlungen zur Kunstgeschichte als angewandte Aesthetik,
Lpz. 1877. Der sog. Spiritismus eine wissenschaftliche Frage, Halle 1879, aus d.
Zeitschr. f. Philos. Ueber d. Spiritismus als wissenschaftl. Frage, Halle 1879. — S.
Ernst Melzer, erkenntnisstheoret. Erörterungen üb. d. Svsteme v. Ulriei u. Günther,
Neisse 1886.
Hermann Ulriei (geb. 1806, seit 1834 Professor in Halle, gest. 1884) trat schon
1841 als strenger Kritiker Hegels, sowohl von dessen Princip als von dessen Methode,
auf, und im bestimmten Gegensatz zu diesem war sein Streben, auf Grundlage fest-
gestellter Thatsachen, d. h. namentlich auf Grundlage der Ergebnisse der Natur-
wissenschaften eine idealistische Welt- und Lebensanschauung aufzubauen. Nach
ihm ist die geistige Grund- und Urkraft die des Unterscheidens. Auf ihr beruht
alles Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Gesetze dieser unterscheidenden Kraft
sind die beiden logischen Grundgesetze, 1. das der Identität und des Widerspruch«,
2. das der Causalität. Aber die unterscheidende Thätigkeit vermag nur in ihrer
Weise zu agiren, wenn sie die zu unterscheidenden Objecte nicht nur auf einander
bezieht, sondern sie in bestimmten Beziehungen von einander unterscheidet, nach
Quantität, Qualität, Gestalt u. s. w. Dies sind die allgemeinen logischen Begriffe,
die Normen oder Kategorien, welche auch der unterscheidenden Thätigkeit inhäriren,
«uid die wir unbewusst anwenden, wenn wir Vorstellungen bilden. Aber unser
Denken ist nicht in schöpferischer Weise selbstthätig, sondern unsere Empfindungen
und Gefühle, die Perceptionen des äussern und des innern Sinnes drängen sich uns
auf, so dass wir sie haben müssen. Hierauf beruht alle Thatsächlichkeit. So setzt
unsere gesammte Erkenntniss und Wissenschaft die beiden Factoren voraus, das
logische Gesetz und die Thatsächlichkeit. Das Sich-insich-unterscheiden und was
daraus folgt, das Bewusstsein und Selbstbewusstsein, wird von keiner Naturkraft
geübt. Deshalb mnss die Seele als Trägerin dieser besonderen Kraft auch als ein
besonderes, von dem Naturwesen im engern Sinne verschiedenes Wesen gefasst
werden. Sie ist nicht identisch mit den Atomen und den aus diesen gebildeten
Dingen, welchen jene Kraft nicht zukommt. rSie ist eine unlösbare, centralisirte
Einigung von Kräften, deren Thätigkeit zwar durchweg an die Mitwirkung der Kräfte
des Leibes, insbesondere des Nervensystems, gebunden ist und in engster Wechsel-
wirkung mit ihnen steht, deren mannigfache Functionen aber nichtsdestoweniger
von einem selbständigen, körperlich unabhängigen Centrum ausgehen und auf das-
selbe zurückwirken".
Was die Lehre von Gott anlangt, so 9ucht Ulrici hier eine Vermittelung
zwischen Deismus und Pantheismus. Der Begriff des Atoms involvirt das
Geschaffensein der atomistisch gebildeten Welt durch eine unbedingte, göttliche,
metaphysische Urkraft; ebenso setzen die bedingten Kräfte der Natur das Dasein
einer sie bedingenden, an sich unbedingten Urkraft voraus. Ferner könneu die in
der Natur waltende Gesetzlichkeit und Zweckmässigkeit nur gefasst werden als die
Wirkung einer die Atome und ihre Kräfte nicht nur setzenden, sondern auch nach
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§ 39. Gegner Hegels u. spceulativer Theismus.
Absicht bestimmenden, selbstbewußten, geistigen Urkraft. So hat der Deismus
Recht, und die Welt muss als Schöpfung Gottes, als ein Anderes von Gott Ver-
schiedenes gefasst werden. Dagegen darf die Welt dem göttlichen Wesen nicht
selbständig geschieden gegenüber gestellt werden ausser und neben Gott. Die Welt
besteht auch nur durch Gutt, nicht nur durch ihn, sondern auch in ihm. Gott
ist nicht nur die nothweudige Voraussetzung der naturwissenschaftlichen Ontologie
und Kosmologie, sondern auch der Naturwissenschaft selbst Es müssen die Be-
stimmtheiten der Dinge reelle Unterschiede der Dinge selbst sein, und wir werden
uns dieser Unterschiede durch unsere nachunterscheideude Thätigkeit bewusst. Diese
mannigfaltigen Bestimmtheiten der Dinge nun, sowie unsere mannigfaltigen Vor-
stellungen sind nicht ursprünglich gegebene, sondern müssen als gesetzt von einer
unterscheidenden Urthütigkeit angesehen werden. So ist die eine unterscheidende
Urkraft vorauszusetzen. Ferner: Freiheit und Vernuuft und die sie bedingenden
ethischen Kategorien haben weder in der Natur, noch im menschlichen Wesen ihren
Ursprung; andererseits stehen die Gebiete des Natürlichen und des Ethischen, wie
Iieib und Seele, in einem so innigen Zusammenhang, dass sie für einander geschaffen
sein müssen. Daraus folgt, dass ein Gott, d. h. ein geistiges und freies ethisches,
nach ethischen Motiven wirkendes Wesen, die schöpferische Urkraft der Welt sei.
Gott kann als absolute Idee vom menschlichen Geiste ans erfasst werden, indem
das göttliche Wesen nicht nur nach den logischen, sondern auch nach den ethischen
Kategorien unterschieden wird. Dies geschieht zum Schluss der Schrift „Gott und
Natur", worin Ulrici eine Bpecnlative Erörterung der Idee Gottes und seines Ver-
hältnisses zur Natur und Menschheit giebt. Ebensowenig wie Fichte war Ulrici
abgeneigt, den Spiritismus ernst zu nehmen.
Joh. Ulr. Wirth (gest. 1879 als Pfarrer in Winnenden) zeigte sich in seiner
ersten Schrift: Theorie des Somnambulismus oder des thierischen Magnetismus,
Lpz. und Stuttg. 1836 als Hegelianer. In seinen späteren Schriften neigt er sich
mehr Schleiermacher und Schellings letzter Periode zu. System der speculativen
Ethik, Heilbronn 1841—42 (I: reine Ethik, II: concrete Ethik). Die specul. Idee
Gottes und die damit zusammenhängenden Probleme der Philos., Stuttg. u. Tüb.
1845. Philosoph. Studien, 1851.
Weisse, über d. gegenwärt. Standpunkt d. philos. Wissenschafton, Lpz. 1829.
Syst. d. Aesthetik als Wissensch. v. d. Idee de» Schönen, Lpz. 1830« l'eber da« Verhältn.
d. Publicums z. Philos. in dem Zeitpunkt von Hegels Abscheiden, nebst einer kurzen
Darstellung meiner Ansicht des Systems der Philos., Lpz. 1832. Die Idee der Gottheit,
Dresd. 1833. Gmndzüge der Metaph., Hamb. 1835. Evangelische Gesch., Lpz. 1838,
und andere auf die biblische u. kirchliche Theologie bezügliche u. religionsphilosophische
Schriften, insbesondere: Reden über d. Zukunft der evang. Kirche, 2. Auti., Lpz. 1849;
über die Christologie Luthers, Lpz. 1852: d. Evangelien frage in ihrem gegenwärtigen
Stadium, Lpz. 1856- Das philos. Problem d. Gegenwart, Lpz. 1842, worin er sich
von der Solidarität mit Inim. H. Fichte lossagt. Kür Weisses Stellung zur Philosophie
der Gegenwart ist seine akademische Rede charakteristisch: In welchem Sinne die
deutsche Philosophie jetzt wieder an Kant sich zu orientiren hat, Lpz. 1847. Philo-
sophische Dogmatik od. Philos. des Christenthums, 3 Bde., Lpz. 1855 — 18G2 (der erste
Theil enthält die eigentliche Theologie nebst einem kurzen Abriss der Naturphilosophie,
der zweite behandelt die Kosmologie u. Anthropologie des Christentbums u. der dritte
die Soteriologie). Kleine Schriften z. Aesthetik u." ästhetisch. Kritik (über Schiller,
Goethe etc.), hrsg. von Kud. Seydel, Lpz. 18G7. W.s Psychol. u. Unsterbliehkeitslehre,
hrsg. von Rud. Seydel, Lpz. 186!». Syst. d. Aesthetik nach d. C'ollegienhcfte letzt. Hand,
hrsg. v. Rud. Seydel, Lpz. 1871. Ein Verzeb-hniss der sämmtlichen Schriften u. Ab-
bandlungen Weisses giebt Seydel in der Zeitschr. f. Philos. Bd. 55. 186!». Nekrolog
Weisses von Rud. Seydel. Lpz. 1806, erweitert und revidirt in dessen Relig. und
Wissensch, s. u.
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§ 39. Gegner Hegels u. speculativer Theismus.
437
Christ. Herrn. Weisse, geb. 10. Aug. 1801, gest. 19. Sept. 1806 als Prof.
der Philos. in Leipzig, hält in seinen früheren Schriften noch die dialektische
Methode Hegels fest, doch schon 1829 hebt er Hegel gegenüber hervor, man könne
nicht von den blossen logischen Kategorien oder den leeren Formen des Seins aus
zu dem in diesen Formen existirenden Wirklichen gelangen. Dazu müsse die
Erfahrung herangezogen werden. Das System müsse schliessen und gipfeln in der
speculativen Theologie. In der „Idee der Gottheit" vergleicht er sich mit der
Sibylle, da er der hegelschen Philosophie um den Preis immer höherer Würdigung
ihres Werths immer weitgreifendere Abzüge machen müsse. Am meisten Aner-
kennung hat die Aesthetik Weisses gefunden.
Wie Fichte d. J. sucht er im Gegensatz zu dem pantheistischen Idealismus
Hegels einen ethischen Theismus auszubilden, aber in engerem Anschluss an das
christliche Dogma, sowie mit Anknüpfungen an den späteren Schölling und au
Jacob Böhme, welche Fichte ferner lagen. Der Begriff des absoluten Geistes
ist nach Weisse erst in der Dreiheit von Vernunft, Gemüth oder Phantasie und
Wille vollständig erschöpft. Der Dreiheit dieser Grundkräfte des absoluten, und
ebenso des menschlichen Geistes entspricht die Dreiheit der Ideen des Wahren,
Schönen, Guten. Der Quellpunkt der Lehre Weisses ist der Begriff der Freiheit.
Die logische Notwendigkeit, welche immer nur Begriffe aus Begriffen gewinnen
lässt, kann nur zu allgemeinen Schematen des Möglichen und zur Scheidung
desselben vom Unmöglichen führen. Durch die gesetzlichen Bestimmungen der
Logik, zu welchen auch die der Mathematik gehören, werden diese leeren Schemata
nicht erfüllt mit einem wirklichen Inhalte; die Wirklichkeit als solche kommt so
nicht zu Stande; dazu bedarf es freier Acte der Hervorbringung. So ist es vor
allem in der Gottheit. In ihr bildet das logische Absolute nur den letzten Hinter-
grund, nur die Formen der Möglichkeit des Daseins, während die eigentliche
Realität Gottes, sein persönliches Leben, auf inneren Freiheitsacten beruht, auf einer
Art von freier Phantasieproduction, und dann auf Wollen. Die Vernunft in Gott,
das Reich jener logischen Noth wendigkeiten, ist für Gottes Freiheitsacte nur der
allgemein gehaltene Umkreis ihrer Bedingungen und Schranken, gleichsam das
Maschennetz, in welches die Gestalten des göttlichen inneren Schauens und die
göttlichen Willensentschlüsse frei eingewirkt sind, ohne es überseheu oder ver-
letzen zu dürfen. So ist auch Gott an die logischen und mathematischen Gesetze
des Möglichen und an die durch diese Gesetze angewiesenen Daseinsformen
gebunden, aber innerhalb derselben bewegt er sich frei, wie der künstlerische
Genius innerhalb der Gesetze seiner Kunst. Unter den gesetzlichen, auch für
Gott maassgebenden Daseinsformeu stehen in erster Reihe Zahl, Zeit und Raum,
eine Dreiheit, welche Weisse schon 1833 als Correctur der kantischen Zweiheit
„Raum und Zeit- eingeführt hat (s. Seydel, Viertelj. f. wiss. Phil. 1883, 3. Heft:
Raum, Zeit, Zahl). Weisse behauptet sonach die absolute Objectivität und Realität
dieser Formen, nicht weniger für Gott als für die Welt. Durch freien Willeus-
eutschluss wird Gott Schöpfer der Welt. In dieser, und namentlich im Menschen-
geiste, zeigt sich analoge Freiheit mit der Freiheit Gottes. So ist überall zur
Erkenntniss der Wirklichkeit Erfahrung nöthig, da es eine Construction des
Wirklichen aus dem Vernunftabsoluteu nach Obigem nicht geben kann, vielmehr
alle construirbare Notwendigkeit nicht weiter als zu jenen leereu Formen der
Möglichkeit führt. Der Weltprocess ist ein fortgehends zu höheren Gestalten sich
durchringender Kampf Gottes mit dem durch die Schöpfung zur Selbständigkeit
gelangten Weltwesen, das durch seine Freiheit sich zunächst zu Gott in Gegensatz
gestellt bat. Das Endziel des Kampfes ist der Sieg des „Reiches Gottes" im
Sinne Jesu. In Jesus hat sich in menschlich-geschichtlicher Weise die der Welt
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§ 39. Gegner Hegels u. gpeculativer Theismus.
einwohnende Gottesherrlichkeit zur Vollendung des Menschenideals zusammen-
gefasst. Auf dem Grunde einer solchen dem äusserlichen Wunder wenig geneigten
Christologie hat sich Weisse auch um die Evangelieukritik nicht unbedeutende
Verdienste erworben und ist z. B. einer der frühesten Vertreter und Bearbeiter der
sogenannten „Marcuphypothcse". Eine besonders eigenthümliche Stellung nimmt er
in der Unsterblichkeitsfrage ein, indem er nur den aus dem gottlichen Geiste
»Wiedergeborenen* die personliche Fortdauer einräumt.
Besonders an Weisse hat sich angeschlossen Rud. Seydel, Logik od.
Wissensch, vom Wissen, Lpz. 1866. Ethik oder Wissensch, vom Seinsollcuden
(eingeschaltet eine bisher ungedruckte Abhandl. von Chr. H. Weisse), Lpz. 1874.
Das Evangel. v. Jesu in sein. Verhältnissen zur Buddha-Sage u. Buddha-Lehre
mit fortlaufend. Rücks. auf and. Religionskreise untersucht, Lpz. 1882, ergänzt
durch: d. Buddhalegende u. d. Leben Jesu, Lpz. 1884. Rclig. u. Wissensch.,
gesammelte Reden u. Abhandl., Breslau 1887. Vgl. auch Seydels vortreffl. Darstell,
u. Beurtheil. des schopenhauersch. Systems, a. ob. S. 371.
Joh. Gust. Friedr. Billroth (1808—1836), Vorlesungen über Religions-
philosophie, heruusg. von E. Erdmann, Lpz. 1837, 2. Aufl. 1844, der sich den An-
sichten Weisses auschloss.
Hier eher als bei den Hegelianern dürfte auch zu erwähueu sein der gedanken-
reiche, namentlich der Aesthetik zugewandte Moritz Carriere (geb. 1817, seit
1853 Prof. in München), dessen Werke viel gelesen werden. Die Religion in
ihrem Begrifl", ihrer weltgeschichtlichen Entwickelung und Vollendung, ein Beitrag
zum Verständniss d. hegelsch. Philos., Weilburg 1841; ferner religionsgeschicht-
liche und religionsphilosophische und ästhetische Schriften, deren Standpunkt
von dem hegelschen wesentlich abweicht, wie namentlich: die philos. Welt-
anschauung der Reformatiouszeit, Stuttg. 1847, 2. Aufl., Lpz. 1887, relig. Reden
und Betrachtungen für d. deutsche Volk (anonym), Lpz. 1*50, 2. Aufl. 1856, das
Wesen u. die Formen der Poesie, Lpz. 1856, Aesthetik, Lpz. 1859, 3. Aufl. 1885.
Als eine Geschichtsphil, aus dem Gesichtspunkte der Aesthetik bezeichnet er sein
grosses Werk: die Kunst im Zusammenhange der Culturentwickelung und die Idee
der Menschheit, I. Bd.: der Orient, Lpz. 1863, II. Bd.: Hellas und Rom, ebd.
1865, 3. Aufl. 1877, III. Bd.: das Mittelalter, ebd. 1868, IV. Bd.: Renaissauce und
Reformation, 1871, 3. Aufl. 1885, V. Bd.: das Weltaltcr des Geistes im Aufgange.
Litt, und Kunst im 18. und 19. Jahrh-, 1873. Die sittliche Weltorduung, Lpz.
1877. Gesammelte Werke, bis 1887 11 Bde. Durch Hegel angeregt, entfernt sich
doch Carriere von demselben in ähnlicher Art, wie der jüngere Fichte u. A.,
durch die von ihm intendirte „Ueberwindung des Pantheismus wie des Deismus in
der Anerkennung der Persönlichkeit, wie der Unendlichkeit des der Welt ein-
wohnenden und seiner selbst bewussten Gottes" und insbesondere weicht er von
der Aesthetik Hegels ab durch „Betonung der Bedeutung der Individualität und
Sinnlichkeit gegenüber der Allgemeinheit des Gedankens".
Heinr. Mor. Chalybäus (1792—1862), Phänomenologische Blätter, Kiel 1841.
Die moderue Sophistik, Kiel 1843. Wisseuschaftslehre, Lpz. 1846. Syst. der
ipeeal. Ethik, Lpz 1850. Philosophie u. Christenthum, Kiel 1853. Fundamental-
philosophie, Kiel 1861. Polemisirend gegen Hegel und in geringerem Maasse
gegen Herbart, versuchte er einen ethischen Theismus zu begründen, indem er der
praktischen Vernunft den Vorrang vor der theoretischen gab und den menschlichen
Grundtrieb zun« praktischen Leben und zum ethischen Wirken an die Spitze der
Philosophie stellte.
Friedr. Harms (gest. als Prof. d. Philos. in Berlin 1880), Prolegomena zur
Phil.. Braunschweig 1852. Die ,Allg. Encyclopädie der Physik" enthält im ersten
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§ 39. Gegner Hegels u. Bpecnlativer Theismus. 439
Baj.de, Lpz. 185^1 ff., eine von H. verf. philos. Einleitung. F. Harms, Abhand-
lungen z. system. Phil., Berl. 1868, Ueber d. Begr. d. Psyehol. Aus Abhdlgn.
d. Berl. Akad., Berl. 1874. Die Reform der Logik, ebd. 1874. Ueber d. Begr.
d. Wahrheit, ebd. 1876. Die Philos. seit Kant, Berl. 1876. Die Formen der
Ethik, ebd. 1878. Gesch. d. Psyehol., ebd. 1878. Gesch. d. Log, ebd. 1881
Metaphysik, aus d. hdschriftl. Nachlasse d. Verf.s herausgeg. v. Hnr. Wiese, Bres-
lau 1885. Logik, herausgeg. v. dems., Lpz. 1886. Harms nähert sich in Manchem
dem älteren Fichte an. Die Philosophie ist ihm die Wissenschaft von dem Absoluten
aus den Grundbegriffen der Empirie; sie steht daher mit den Erfahruugswissen-
schaften in Verkehr und Wechselbeziehung. Logik und Metaphysik sind Glieder
eines Ganzen, dessen Princip der Begriff des Wissens ist, das sie nach seinem
Subject und übject untersuchen. Sie machen zusammen die Wissenschaftslehre au-.
Das Absolute ist nur zu erkennen, wenn man alle Grundbegriffe der Empirie
durchgeht und mit einander verbindet Die Ethik bestimmt Harms als die Wissen-
schaft von den Grundbegriffen der Geschichte.
Als der vorzüglichste Vertreter des .wissenschaftlichen Realismus- wird
Harms von Johannes Witte (geb. 1846, Prof. in Bonn) bezeichnet. Der Letz-
tere will sich mit Harms in dem .Streben nach einer auf Grund einer Vernunft-
anschauuug, die aber von der intellectuellen verschieden sein soll, sich aufbauenden
Weltansicht berühren. Vorstudien zur Erkenntnis des unerfassbaren Seins, Bonn
1876. Zur Erkenntnisstheorie und Ethik, drei philos. Abhandlungen, Berl. Ih77.
Ueb. Freiheit des Willens, das sittl. Leben u. seine Gesetze, Bonn 18*2. Grund-
züge der SittenL, Bonn 1882. D. Wesen der Seele u. d. Natur der geistig. Vor-
gänge im Lichte der Philosophie seit Kant und ihrer grundlegenden Theorien
histor.-krit. durgestellt, Halle 1*88.
Karl Phil. Fischer (1807—1885, gest. als Prof. d. Phil, in Erlangen), die
Freiheit d. meuschl. Willens im Fortschritt ihrer Momente. Tüb. 1833. Die Wies,
der Metaph. im Grundriss, Stuttg. 1*34. Die Idee d. Gottheit, Tüb. 1839. Specul.
Charakteristik u. Kr it. d. hcgelschen Syst., Erlang. 1845. Gruudzüge d. Syst. d.
Philos. od. Encyclop. d. philos. Witt., Erlangen u. Frankfurt a. M. 1848—53. Die
Unwahrh. d. Sensualismus u. Materialismus, mit besond. Rücksicht auf d. Schriften
von Feuerbach, Vogt und Moleschott, Erlangen 1853. Fischer hat unter Polemik
gegen Hegel sich vielfach durch Baader anregen lassen.
Jakob Sengler (1799—1878, seit 1812 Prof. in Freiburg), die Idee Gottes,
Heidelb. 1845—52. Erkenntuislehre, Heidelb. 1858. Goethes Faust, 1873. — Kr
versuchte besonders, die Persönlichkeit Gottes zu begründen, und fand den Mono-
theismus allem durch die Trinitätslehre möglich. Vergl. über ihn L. Weis: J. S.
Eine Skizze seines Lebens und seiner Gottesidee, in d. Zeitschr. f. Philos. u. ph.
Kr., 1879, Bd. 74, S. 295-309, Bd. 75, S. 85-119.
Leop. Schmid (geb. 1808, 1839 Prof. d. Dogmat. in der kath. theol. Fac. in
Giessen, in die philosoph. Fac. 1*50 übergetreten, gest. als Prof. d. Philos. in
Giessen 1869), Grundzüge der Enleitg. in die Philos., mit ein. Beleuchtung der
durch K. Phil. Fischer, Sengler u. Fortlage ermöglichten Philosophie der That,
Giessen 1860. Das Gesetz der Persöulichk., Giessen 1862. Schmid schlosa sich
den Bestrebungen Senglers und K. Ph. Fischers an. Ihrem Wesen nach besteht
die Philosophie in der Selbstverwirklichung des Menschen zu reiner und voller
Menschlichkeit, Der Geist der Philosophie muss Wissen und Können, Bildung
und Leben durchdringen und verbinden. Die That muss über das Wort gestellt
werden. Schmid war davou überzeugt, dass die neue Philosophie der That oder
das System des Energismus in Deutschland durchzubrechen begiune. Vgl. über ihn
B. Schröder u. Friedr. Schwarz, L. Sch.s Leben und Denken, Lpz. 1871.
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§ 39. Gegner Hegels u. »peculativcr Theismus.
Ern. Aug. von Schaden (geh. 1814. gest. 1852), Prof. in Erlangen, System
der positiven Logik, Erlangen 1841. Vorlesungen über akademisches Leben und
Studium, Marb. 1845 (im 2. Th. derselben findet sich sein System in den Grand-
linien). Ueber d. Gegensatz d. theistischen u. pantbeistischen Standpunkts, Erlang.
1848; ein Sendschreiben an L. Feuerbach, worin er besonders die Frage nach der
Persönlichkeit des Absoluten behandelt. Er sehliesst sich vielfach der theo-
sophischen Richtung Baaders an. Vgl. über ihn Fr. Thierach, Erinnerungen an
E. A. v. Seh., 1853.
F. X. Schmid (aus Schwarzenberg, gest. 1884 als Prof. d. Phil, an d. Uuivera.
Erlangen), christl. Relgionsphilos., Nordl. 1857. Entwurf eines Syst d. Philos. anf
pncumatolog. Grundlage, 3 Theile (Erkenntnisslehre, Metaph., Ethik), "Wien 1863
bis 1868. Ausserdem verschiedene philosophiegeschichtliche Arbeiten, die in der
Litteratur schon aufgezählt sind.
J. W. Hanne, die Idee der absol. Persönliche od. Gott u. sein Verhältu. B.
Welt, insonderheit z. menschl. Persönlich^, Hanuov. 1861. Geist d. Christenth.,
Elberfeld 1867.
Maxim. Perty (geb. 1804, lange Zeit Prof. in Bern, gest. 1884), authropol.
Vorträge, gehalten im Winter 1862—63 zu Bern, Lpz. u. Heidelb. 1863. Ueber
das Seelenleben der Thiere, Lpz. u. Heidelb. 1H65, 2. Aufl. 1876. Die Natur im
Lichte philos. Anschauung, Lpz. u. Heidelb. 1869. Blicke in d. verborg. Leben d.
Menschengeister, ebd. 1809. Die myst. Erscheing. der menschl. Nat , 2. Aufl. Lpz.
1872. Die Anthropol. als d. Wissensch, v. d. korperl. u. geist. Wesen d. Mensch.,
Lp. 1873 — 74. Der jetzige Spiritualismus a. verwandte Erfahrungen der Vergangen-
heit u. Gegenwart, Lpz. 1877. Erinnerungen aus d. Leben eines Natur- u. Seeleu-
forschers des 19. Jahrb., Lpz. 1879. Die sichtbare u. d. unsichtb. Welt. Diesseits
u. Jenseits, Lpz. 1881. Perty neigte sich sehr dem Mysticismus u. Spiritismus zu.
K. Sederholm, der geist. Kosmos, Lpz. 1859. Der Urstoff und der Welt-
äther, Moskau 1864. Zur Religionsphil, (aus der Zeitschr. f. Philos. i, Lpz. 1865.
Conrad Hermann (geb. 1818, Prof. in Leipzig), Grundriss einer allgem.
Aesthctik, Lpz. 1857. Philosophie der Geschichte, Lpz. 1870. Die Aesthetik in
ihrer Geschichte u. als wissenschaftl. System, Lpz. 1875. Die Sprachwissenschaft
nach ihrem Zusammenhang mit Logik, menschlicher Geistesbildung und Philosophie,
Lpz. 1875. Der Gegensatz des Classischcn und des Romantischen in der neueren
Philos., Lpz. 1877. Hegel u. die logische Frage d. Philos. in d. Gegenw., Lpz.
1878. Hermann sucht die von dem hegelsehen System aus „nächsthöhere neue all-
gemeine Wahrheit der philos. Weltanschauung" aufzufinden und ist der Ansicht,
dass die Philosophie nur im Anschluss an die Geschichte der Philosophie und
unter Anknüpfung an die grossen historischen Traditionen der Vergangenheit ihren
wahrhaften wissenschaftlichen Zielen in der Gegenwart mit Erfolg zuzustreben ver-
möge. S. H.s Abhandl.: d. Stellung u. Aufgabe der Philosophie in d. Gegenw.,
in: Unsere Zeit, Deutsche Revue der Gegenw., 1883, H. 8, S. 285-296.
Albert Peip (gest. als Prof. d. Philos. in Göttingen), die Wissensch, u. das
gesch. Christenth., Berl. 1853. Der Beweis des Christenth., Herl. 1856. Christo-
sophie, Berl. 1858. Jacob Böhme, Lpz. 1860. Die Gesch. der Philos. als Ein-
leitungswiss., eine Antrittsvorles., Gött. 1863. Zum Beweis des Glaubens, Gütersloh
1867. Religionsphilosophie, hrsg. von Th. Hoppe, Gütersloh 1879.
Joh. Huber (gest. 1879 nh Prof. d. Philos. in München), Studien (über die
relig. Aufklärg. im 18. Jahrh., z. Christologie, d. Statistik d. Verbrechen und d.
Freih. d. Willens), Münch. 1867. Kleine Schrifteu (Lamennais, Jac. Böhme, Spinoza,
(Kommunismus u. Socialism., die Nachtseiten von London, deutsches Studentenleben),
Lpz. 1871. Die Lehre Darwins. Münch. 1871. Zur Kritik moderner Schöpfungs-
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^ 39. Gegner Hegels u. speeulativer Theismus.
441
lehren mit besoud. Rucks, auf Hackeis „natürl. Schöpfungsgeschichte", ebd. 1*75.
Die ethische Frage, Münch. 1875. Der Pessimismus, Münch. 1876. Die Forschung
nach der Materie, Münch. 1877. Das Gedächtnis?, ebd. 1878. Zur Thilos, der
Astronomie, ebd. 1878. 8. ob. Grdr. II, § 3 und § 20. Ueber H. vgl. K. Zimgiebl.
Joh. Huber, Gotha 1881. Huber kämpfte besonders gegen die mechanische Welt-
ansicht für die Substantialität des Geistes, als des allbeherrschenden Prineips, aber
auch für die Freiheit des Geistes gegen den Jesuitismus.
Hubert Beckers (geb. 180G, Prof. d. Philo», in München) ist ein treuer
Anhänger Sendlings geblieben und hat ausser Abhandlungen über Sendling (s. ob.
S. 318) noch veröffentlicht: über das Wesen des Gefühls, Münch. 1830. üb. d. Be-
deutung des geistigen Doppellebens, in: Sitzungsber. d. KgL bayr. Ak. d. W. 186«.).
üb. d. Stellung der Philos. z. d. exaeten Wissenschaften, ebd. 1861.
Constantin Frantz tritt zuletzt mit Entschiedenheit für die letzten Pe-
rioden der schellingschen Lehre ein and erwartet von der positiven Philosophie
das Heil der Zukunft. Kr hat geschrieben: Philosophie der Mathematik, Lpz.
1842, Naturlehre des Staates als Grundlage aller Wissensch., Lpz. u. Hdlb. 1870.
Philosophismus u. Christenth. 1875, Schellings positive Philosophie, 3 Tide., Göthen
1879-1880. Der 3. Theil enthält d. Philos. der Offenbar, nebst Charakteristik u.
Würdigung der ganzen positiv. Philos.
Friedr. Jul. Stahl (1802-1861), die Philos. des Rechts nach geschichtl. An-
sicht, Heidelb. 1830-37, 2. Aufl. 1845, 3. Aufl. 1854-56, I. Bd., Gesch. d. Reehts-
philos , 5. Aufl. Tüb. 1879, der theologisirende Rechtsphilosoph, hat durch den
Neuschellingianismus nicht unwesentliche Impulse erhalten.
Wilhelm Rosenkrantz (geb. 1821, seit 1867 Ober-Appellationsgerichtsrath
in München, gest. 1874), knüpft an die positive Philosophie Sendlings unmittelbar
an und sucht, dieselbe selbständig weiter bildend, die Philosophie der positiven
Theologie anzunähern. Sein Hauptwerk ist: Wissenschaft des Wissens und Be-
gründung der besonderen Wissenschaften durch die allgemeine Wissenschaft, eine
Fortbildung der deutschen Philosophie mit besonderer Rücksicht auf Piaton, Aristo-
teles und die Scholastik des Mittelalters, Bd. 1, München 1866, wieder abgedruckt
Mainz 1868, Bd. II, ebd. 1868. In diesem Werke steigt er von der Thatsache der
äussern und innern Erfahrung zur Krkenntniss der letzten höchsten Einheit auf und
entfaltet dann diese in synthetischer Weise in ihrer ganzen Ausbreitung. Neben
einer Kritik der Kategorienlehre giebt er auch eine eigene scharfsinnige Kategorien-
lehre. In seinen: Principien der Theologie, nebst einer Eiuleitg. über d. Principieul.
im Allgem., Münch. 1875, und seinen Principien der Naturwissenschaft, ebd. 1875,
zeigt er, wie Gott nach seinem Wesen der Dreieinigkeit, seinen Eigenschaften, zu
bestimmen sei, und wie der Natur und ihren Erscheinungen ein einheitliches
geistige« Princip zu Grunde liege. Die Lehre vom Geiste, die folgen sollte, ist
nicht vollendet worden. Seine .Philosophie der Liebe*, siehe bei A. Entleutuer,
Naturwissensch., Naturphilos. u. Philosophie der Liebe, Münch 1877. Vgl. über
ihn: Müllner, Rosenkrantz' Philos. Wien 1877; s. auch die Zeitschr. f. Philos. u.
philos. Krit., 1876 und 1877. .1. Wieser, d. Philosophie von Dr. W. Rosenkrantz,
in: Zeitschr. f. kath. Theol., III, 1879, S. 229—355. Den Ansichten Rosenkrantz*
scheint sich Anton Koch anzuschliesseu, d. Psychol. Descartes', s ob. S. 65.
Ant. Günther, Vorschule zur specul. Theol. des posit. Christendi., Wien 1828.
2. Aufl. 1846, 1848. Süd- und Nordlichter am Horizonte speculativer Theologie, Wien
1832. Janusköpfe (von Günther u. Pabst), Wien 1834. Thomas a serupulis, zur Trans-
tiguration der Persönlichkcitspantlicismen neuester Zeit, Wien 183ö. Die Juste-uiilieus
in d. deutsch. Ph., Wien 183S. Kurvstheus und Herakles, Wien 1843, u. viele andere
Schriften. Zuletzt ist Antisavarese herausgegeb. von Peter Knoodt mit einein Anhange,
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442
£ 39. Gegner Hegels u. speculaÜW Theismus.
Wien 18h)!. Savarese, jetzt Hausprälat de« Papstes, hatte im J. 185(5 da« System
Günthers als logischen Anthropomorphismus kritisirt. Dagegen wehrte sich Günther,
gab aber auf Bitten seiner Freunde das Manuscript nicht zum Druck. Gesammelte
Schriften, 4 Bde., Wien 1SS1. Die von A. Günther und J. & Veith (s. üb. diesen
J. H. Löwe, Wien 1870) hrsg. Zeitschrift Lydia, Wien 18-19—54, war ein Organ de»
Gfintherianistnus. — Vgl. über Günther Lor. Kästner, d. philos. Systeme A. Güuthers
u. Mart. Deutingers, Progr. des Lye. zu Kegcusbiirg, 1873. Th. Weber, Artikel über
A. G. in der Encyclop. von Erseh u. Gruber, auch separat erschienen, 1878. Ernst
Melzer, die Lehre von der Autonomie der Vernunft in den Systemen Kant» u. Günthers,
Nejsse (ohne Jahr, 1879;, 2. Aufl. mit etwas verändertem Titel 1882. J. Flegel,
Günthers Dualismus von Geist und Natur, Breslau 18SO. Mart. Klein, die Genesis der
Kategorien im Processe des Selbstbewusstwerdens. Ein Beitr. zur Systematisirung der
günthersch. Philos., Breslau 1881. Pet. Knoodt, Anton Günther,' eine Biographie,
2 Bde., Wien 1881. Ant. Koch, erkenntnissthenret. Streifzüge mit besonderer Rucks,
auf Günther, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 87, 18*.">, S. 40—74. Ernst Melzer,
erkenntnisstheoret. Erörterungen üb. d. Systeme v. Ulriei u. Günther, Neisse 1886. In
dem Anhange zu Anlisavarese hat Knoo<lt die wichtigsten Partien der güntherschen
Philosophie dargestellt.
Anton Günther, geboren 1785, gestorben als Weltprieater in Wien iu den
dürftigsten Umstanden 184*J, glaubte durch einen dem curtesianischen ähnlichen
Dualismus und Theismus den sehelliugschen und hegelschen Pantheismus überwinden
zu können. Im Jahre 1857 wurden zu Rom nach mehrjährigen Verhandlungen
theologische und psychologische Sätze Günthers, der diesem Ausspruche laudabiliter
se subieeit, als irrig verurtheilt. Seine Schreibweise war häufig sarkastisch und
humoristisch, au Jean Paul eriuuernd, wie sich dies schon zum Theil in den Titeln
seiner Schriften zeigt. Kr tritt zwar als Gegner Hegels auf, hat aber doch von
den hegelschen Gedanken Manches herübergeiiommeu und sich auch vielfach an die
hegelsche Methode ungelehnt. Nicht nur die Vernunftwahrheiten hat nach ihm
die Philosophie darzulegen, sondern auch die sogenannten Mysterien müssen In
Betreff ihres Wurum wissenschaftlich begriffen werden. Günther lässt das schelling-
heeelsche Entwickeluugsprincip für die „Natur" gelten, deren Gebiet er bis zu der
empfindenden, vorstellenden und Begriffe bildenden »Seele* ausdehnt (im Gegen-
satz zu Descartes), stellt aber über diese Seele den «Geist" als ein selbständiges
nicht an den Leib gebundenes W:eseu. Das Leben des mit Sinnen begabten Indi-
viduums, das empfindet und vorstellt, einbildet, reproducirt und producirt, urtheilt
und schliesst, durch Triebe, Gefühle und Leidenschaften bewegt wird und selbst
wieder durch Nerven den Leib und weiter die Aussendinge bewegt, ist das seelische
Leben, das vom Naturprincip herrührt, und so ist denn die Seele selbst, .dos
in den thicrischen Organismen besonderte und subjectiv fuuetionireude Naturprincip*,
das im Menschen freilich dem von ihm durchaus verschiedenen Geiste dient. Mit
diesem Dualismus griff Günther uuf Descartes zurück und ging auch wie dieser
vom Selbstbewusstsein aus, nennt sich auch häufig einen Cartesius correctus. Das
cogito ergo sum des Descartes fusst er nicht als eine unmittelbare Anschauung,
sondern als Schluss. Aber es ist nicht ein logischer Verstandesschluss, sondern
ein ontologischer, metaphysischer oder Vemunftschluss. Die Gewissheit beruht
nicht auf dem Sein des Denkens, sondern auf der wahrhaften Identität des Denkens
und Seins im Ichgedanken. — L> der Auffindung dieses metaphysischen Schlusses
sehen die Schüler Günthers ein grosses Verdienst ihres Meisters, da er hierdurch
zuerst das ideelle (im Seinsgebiete sich ergehende) Denken von dem (im blossen
Erscheinungsgebiete befangenen) begrifflichen gründlich ausgeschieden — und eine
genetische Ableitung der allgemein gültigen Erkenntnissformen, Kategorien, er-
möglicht und so die ganze Philosophie neu und fest gegründet habe.
Der Mensch ergreift sich selbst als zusammengesetztes Wesen: Ich finde, dass
ich einem Anderen preisgegeben, nicht für mich, sondern für dieses bin; daruus
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S 40. Anhänger Herbarts.
443
folgt meine Beschränktheit: ich finde mich als Leib, Materialität. Indem ich aber
mich so finde, bin ich auch für mich, der Muterie entgegengesetzt, Geist. Natur-
weseu und Geist sind nicht quantitativ von einander verschieden sondern 'durchaus
qualitativ verschiedene Substanzen, der Mensch besteht aus beiden, und so musa
eine Wechselwirkung zwischen ihnen angenommen und als möglich dargethan
werden. Zwar kaun der Geist nicht direct auf den Leib einwirken, ebensowenig
wie dieser auf jenen, aber das geistige Denken und Wollen kann auf das seelische
Denken und Wullen Einfluss ausüben und umgekehrt. Es bleiben die beiden Sub-
stanzen verschieden, aber das aus verschiedenen Substanzen entstehende Denken
vereinigt sich. Geistiges und natürliches Leben sind für eiuauder bestimmt, es
wird eine formelle Einheit der beiden zu Stande gebracht, und es findet eine
.wechselseitige Mittheilung der Eigentümlichkeiten* statt. Durch das Bedingtsein
des Selbstbewusstseins wird nun noch ein zweiter Dualismus erschlossen. Indem
nämlich alles Negative, das im Endlichen liegt, negirt wird, erfasst mau den
Gedanken eines solchen, das ganz unbeschränkt und unbedingt ist, und so wird
die Gottheit antipantheistisch über die Welt gestellt, welche letztere von Gott
als seine Coutraposition geschaffen ist.
An den Verhandlungen über den Güntherianismus haben sich u. A. als Gegner
Günthers J. N. P. Oischinger (die günthersche Philos., Schaflhausen 1852), F. J.
Clemens (die günthersche Philos. o. die katholische Kirche, Köln 1853, wogegen
P. Knoodt schrieb: Günther u. Clemens, Wien 1853), Michelis (Kritik der gün-
therschen Philos., Paderborn 1864), betheiligt Als Anhänger Günthers sind ausser
Job. Hur. Pabst (1785 — 1838, lange Zeit österreichischer Militärarzt), der viel
zur Verbreitung der güntherscheu Lehre beitrug, und von dem „der Mensch u. seine
Geschichte-, Wien 1830, .Giebt es eine Philosophie des Christenthums?- Cölnl832,
und Veith zu nennen: Carl von Hock (gest. 1869, Cholorodea, Wien 1832, Car-
tesius u. seine Gegner, Wien 1835), J. Merten, Huuptfrageu d. Metaphysik,
Trier 1840. Auf Universitäten huldigten oder huldigen jetzt noch der Lehre
Günthers mehr oder weniger Knoodt in Bonn, Elvenich in Breslau, Weber
ebenda«., Löwe in Prag (Lehrb. der Logik, Wien 1881), Kaulich in Graz (U eher
d. Möglichk., die Grenze u. d. Ziel des Wissens, 2. Aufl., Graz 1870; Handb. d.
Log., Prag 1869, der Psychol , Graz 1870; Syst. d. Metaphys., Prag 1874, der Ethik,
1877), Vincenz Knauer.
Ebenso wie der Güntherianismus war früher der gemässigt philosophisch-
theologische Rationalismus des Hermes (geb. 1775, gest. 1831 als Professor in
Bonn) der kirchlichen Censur erlegen. Vgl. über ihn Esser, Denkschrift auf
Georg Hermes, Köln 1832.
§ 40. Anfangs sehr isolirt, hat Herbart später einen zahl-
reichen Kreis von Schülern gefunden, und namentlich in Oesterreich
giebt es noch viele Anhänger von ihm. Eine Zeit lang war die Uni-
versität Leipzig das eigentliche Centrum der herbartschen Philosophie.
Eine innere Fortbildung aus ihren Principien heraus hat nicht statt-
gefunden. Die Lehre war zu fest bestimmt und abgerundet, als dass
sich ähnlich wie in der hegelschen Schule verschiedene Richtungen
hätten abzweigen können. (Auch von Halbherbartianem redet man,
d. h. solchen, die eine gewisse Verwandtschaft mit den herbartschen
Principien zeigen.) Jedoch sind nach der Seite der Psychologie, der
Sprachphilosophie und besonders der Pädagogik weitere Entwicklungen
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§ 40. Anhänger Herbarta.
mit Erfolg versucht worden. Die namhaftesten unter den Herbartianern
sind: Drobisch, Hartenstein, Strümpell, Thilo, Steinthal.
Lazarus, Zimmermann, Flügel. Unter denen, die mit Schärfe
und Erfolg die herbartsche Lehre angriffen, ist besonders Ad Trendelen-
burg zu erwähnen.
lieber den Religionshegr. der Schule H.s 8. H. .1. Holtzmaun, in: Ztsc-br. f.
wiMemch. Theol., 25, 1881, S. 66— 92. Ueber d. Verbreitung der herbartsch. Sehule
in Böhmen 8. Durdik, in: Ztschr. f. ex. Philos. XII, 1883, S. 317—326.
Die „Zeitschrift für exacte Pbilosopbie im Sinne des neuereu philo-
sophischen Realismus", die von 18(31 bis 1K75 in 11 Bänden erschienen ist, zuerst
redigirt vonAllihn undZillcr, später von Allihn und Flügel, vertrat die Lehrt*
Herbarts. Sie hatte es sich bei ihrem Erscheinen zur Aufgabe gemacht, .die
eigentlichen Aufgaben der Philosophie überhaupt und der einzelnen philosophischen
Wissenschaften im Besonderen deutlich darzulegen, sie von den bloss vermeinten
und falschen zu unterscheiden und zu zeigen, was zur Lösung derselben vorzugs-
weise in Deutschland geleistet worden ist", und bei ihrem Aufboren glaubte sie,
nachgewiesen zu haben, dass und in welcher Weise eine Reform der einzelnen
philosophischen Disciplinen durch Uerbart zu Stande gebracht sei, und dass es
nicht nötbig sei, sich Herbart gegenüber in corrigirender Weise zu verhalten und
eigene, abweichende Ansichten geltend zu machen, im I. Heft des I. Bandes der
Zeitschrift giebt Allihn als Anfang zu seiner Biographie Herbarts eine Zusammen-
stellung der Litteratur der herbartschen Schule. Spätere Hefte enthalten fort-
gesetzte Litteraturaugaben. Seit 1883 ist die Zeitschr. unter der Redaction von
Allihn und Flügel wieder ins Leben getreten und nach dem Tode Allihns weiter
vou Flügel allein herausgegeben.
Lazarus und Steiuthal redigiren seit 185U die „Zeitschrift für Völker-
psychologie und Sprachwissenschaft*. Die Völkerpsychologie ist nach
Lazarus die Lehre von den Elementen und Gesetzen des geistigen Völkerlebens.
Ks kommt ihr darauf an, das Wesen dos Volksgeistes und sein Thun psychologisch
zu erkennen, die Gesetze zu entdecken, nach denen die innere geistige Thätigkeit
eines Volkes in Leben, Kunst und Wissenschaft vor sich geht, sich ausbreitet,
erweitert oder verengt, erhöht oder vertieft. Es gilt, die Gründe, Ursachen und Ver-
anlassungen der Entstehung, Entwicklung und des Untergangs der Eigentümlich-
keiten eiues Volkes zu enthüllen; der Art wird der Begriff des Volks- oder National-
geistes nicht eine blosse Phrase sein. So wendet sich die Zeitschrift nicht nur an
die berufsmässigen Psychologen, sondern an alle, die das geschichtliche Leben der
Völker nach irgend einer Seite, Religion, Kunst, Wissenschaft, Sprache etc. in der
Weise erforschen, dass sie die Thatsachen aus dem Innersten des Geistes zu er-
klären, d. h. auf ihre psychologischen Gründe zurückzuführen suchen.
Friedr. Heinr. Theod. Allihn (1811 geb., 1885 als Pfarrer in Merzien b.
Göthen gest.), Antibarbarus logicus, Halle 1850: I. Heft: Einleitg. in d. allgem.
formale Log, 2. Aufl. Halle 1863 (anonym). Der verderbt. Einfluss d. hegelschen
Philos., Lpz. 1862. Die Umkehr d. Wissenschaft in Preussen, m. besond. Beziehg.
auf Stahl und auf die Erwiderungen seiner Gegner Braniss und Erdmann, Berl. 1855.
Die Grundlehren d. allgem. Ethik, nebst einer Abhandig. üb. d. Verhältn. der Relig.
zur Moral, Lpz. 1861.
Ludw. Ballauf, Abhdlgn. meist psychol.-pädagog. Inhalts, In Oldenburger
Schulblatt, in der pädagog. Revue und dem pädagog. Archiv, und In der Zeitschr.
für exacte Philos., wo insbesondere in Band IV, Heft I S. 73—92 ein von Ballauf
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§ 40. Anhänger Herharts.
445
verfasstcr Artikel: .Von Bcneke zu Herbart * eine Vergleichung der beiderseitigen
Doctrinen vorn herbartschen Standpunkte aus enthält, die iu theoretischem Betracht
auf der Voraussetzung ruht, nur durch in der Erfahrung liegende Widersprüche
könne ein Antrieb gegeben sein, die Erfahrung zu ergänzen und primitive Annahmen
zu corrigiren. und zwar eben durch diejenigen Widersprüche, welche Herbart in par-
tiellem Anschluss an die Eleaten etc in gewissen Erfahrungsbegriffen gefunden
haben will ; Ballaufs Einwurfe gegen Benekes Eudäinonismus aber beruhen zum Thei!
auf einer falschen Isolirung der Elemente des sittlichen Gesummturtheils gegen ein-
ander, zum andern Theil auf irrigerweise aus dem benekcschen Princip gezogenen
Consequenzen, besonders auf einer Unterschätzung des Werthes, den auch nach
diesem Princip die gesicherte rechtliche Ordnung haben mus*. Die Elemente der
Psychologie, Cöthen 1877.
Ed. Bobrik, de ideis innatis sive puris pro principiis habitis, Regiomonti
1829. Freie Vorträge über Aesthetik, Zürich 1834. Neues prakt. Syst der Logik,
1, 1.: ursprüngl. Ideenlehre, Zürich 1838 (ist unvollendet geblieben).
Herrn. Bonitz (geb. 1814 in Langensalza, lange Zeit Prof. in Wien, jetzt Ge-
heimer Rath im Ministerium zu Berlin), dessen Platonica und Aristotelica ob. er-
wähnt worden sind, ist hier auch als Mithrsg. (bis 1867) d. „Zeitechr. f. österr.
Gymnasien" und seit 1869 der berl. «Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen" zu nennen,
ferner als Verfasser eines Aufsatzes über philos. Propädeutik, in der Neuen .Ten.
Allg. Litt Zeitg. 1846, No. 66.
H. G. Brzoska, üb. d. Nothwendigk. pädagog. Seminare auf der Universität
und ihre zweckmässige Einrichtg., Lpz. 1833. Brzoska war auch der Hrsg. der
„Centrnlbibliothek für Litt, Statistik u. Gesch. d. Pädag. u. d. Unterrichts".
Carl Seb. Cornelius, die Lehre von der Elektricität u. d. Magnetismus,
Lpz. 1855. Ueb. d. Bildg. d. Materie aus einfach. Elementen, Lpz. 1856. Theorie
des Sehens u. räuml. Vorstellens, Halle 1861; Ergänzgn. dazu, ebd. 1864. Grund-
züge einer Molecularphysik, Halle 1866. Ueb. d. Bedeutg. des Causalprinc. in
d. Naturwissensch., Halle 1867. Ueb. d. Entsteh, d. Welt, m. bes. Rücks. auf d.
Frage, ob unBerm Sonnensyst ein zeitl. Anfang zugeschrieben werden moss, gekr.
Preisschr., Dalle 1870, üb. d. Wechselwirkung zwischen Leib u. Seele, Halle 1871,
2. A. 1875. Zur Theorie der Wechselwirk, zwischen Leib u. Seele, Halle 1880.
Abhandlungen zur Naturwissensch, u. Psychologie, Langensalza 1887. Nach der
Molecularphysik von Cornelius besteht zwischen den Realen, die zu einem Massen-
theilchen mit einander verbunden sind, nicht eine directe, sondern nur eine durch
Aethersphären vermittelte Gemeinschaft. •
Franz Cupr (gest. 1882 in Prag), Sein oder Nichtsein der deutsch. Philos. in
Böhmen, Prag 1848. Grundriss d. empir. Psychol., Prag 1852.
Mathias Arnos Drbal (geb. zu Prödlitz in Mähren 1829, gest. zu Brünn 1885),
üb. d. Ursachen d. Verfalls der Philos. in Deutschland, Prag 1856. Giebt es einen
speculat. Syllogismus? (Linzer Gymnasial-Progr. 1857.) Ueb. das Erhab. (Linzer
Gymnasial-Prosr. 1858.) Ueb. d. Natur d. Sinne, populärwiss. Vorträge, Linz 1860.
Lehrb. d. propädcut. Logik, Wien 1865 u. oft Empir. Psychol., Wien 1868, 4. Aufl.
1885. Prakt. Logik oder Denklehre. Wien 1872. Darstellung d wichtigst. Lehren
der Menschenkunde u. Seelenlehre, nebst einer Uebersicht der Gesch. d. Erziehgs.-
u. Unterrichtslehre, in 3 Thln., Wien 1872 IT.
Mor. Wilh. D robisch (geb. 1802, seit 1827 ordentl. Prof. der Mathematik und
seit 1842 auch der Philosophie zu Leipzig), Recens. üb. Herbarts Psychol. als
Wissensch., im Novemberheft der Lpz. Littr.-Ztg. vom Jahr 1828. Recens. üb.
Herbarts Metaph. in der Jen. Littr.-Ztg., Augustheft 1830. (In diesen Recensionen
ist besonders mit Erfolg auf die herbartsche Philosophie hingewiesen worden.)
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§ 40. Anhänger Herbarts.
Philol. u. Mathem. als Gegenstände d. Gymnaaialunterrichts betracht. m. besond.
Bezieh, auf Sachsens Gelehrteuschalen, Lpz. 1832. Ueb. mathem. Didaktik, in der
Lpz. Littr.-Ztg , 1832, No. 297. Beiträge zur Orientirg. üb. Herbarts Syst. d. Philos.,
Lpz. 1834. Neue Darstellg. d. Logik nach ihr. einfachst. Verhältn., nebst
einem log.-mathem. Anhange, Lpz. 1836, 2. völlig umgearb. Aufl. 1851, 5. A. 1887.
Quaestionum mathematico-psychologicarum spec. I— V, Lips. 1836—39. Grund-
lehren d. Religionephilos., Lpz. 1840. Empirische Psychologie nach
naturwissenschaftlicher Methode, Lpz. 1842. Ueb. d. mathem. Bestimmg. der
musikal. Intervalle, in: Abh. der fürstl. jablonowBkischen Gesellsch., Lpz. 1846.
DiBquisitio mathematico-psycliol. de perfectis notionum complexibus, Lipa. 1846.
Erste Grundlinien d. mathem. Psychol., Lpz. 1850. Ueb. d. Stellg. Schillers zur
knntischen Ethik, aus den Berichten der K. S. Gesellsch. der Wiss., besond. ab-
gedr., Lpz. 1859. De philoeophia scientiae naturali insita, Lips. 1864. Die moral.
Statistik und die menschl. Willensfreiheit, Lpz. 1867. Ueb. d. Fortbildung der
Philosophie durch üerbart, Lpz. 1876. Kants Dinge an sich und sein Erfahrungs-
begriff, Lpz. 1885. — Mit der Metaphysik Herbarts stimmt Drobisch nicht mehr
ganz überein. In der Religionsphilosophie versucht er, die Philosophie in
herbartscher Untersuchungsweise mit der Theologie auseinanderzusetzen. Der Philo-
sophie kommt auch auf dem religösen Gebiete die Aufgabe zu, das Gegebene zu
begreifen. Aus dem Gefühle der Beschränktheit und Ohnmacht entsteht das Be-
dürfniss der Befreiung, der Erlösung von den Schranken, der Erhebung zu etwas
Höherem. Aber ein höchstes Wesen oder Gott darf man nicht nur wünschen, son-
dern um dem Gottesgedanken objective Bedeutung zu geben, bedarf es des logischen
Nachweises. Der ontologiscbe und der kosmologische Beweis sind untauglich,
durch den teleologischen ergiebt sich das Dasein des Glaubensgegenstandes als ein
höchst wahrscheinliches; die moralisch -praktischen Glaubensgründe treten noch
als überzeugend hinzu. Unsere Aufgabe ist es, das höchste Gut, d. h. den mora-
lischen Weltzweck, zu verwirklichen, aber die Ausführbarkeit ist dadurch gewähr-
leistet, dass Gott die mit Absicht wirkende Ursache des sittlichen Zweckes und
der für diesen zureichenden Mittel in der Natur ist (s. Kant). Den ausserwelt-
lichen, lebendigen persönlichen Gott bestimmt dann Drobisch nach den fünf
herbartschen praktischen Ideen der Heiligkeit, Vollkommenheit, Liebe, der richten-
den und vergeltenden Gerechtigkeit.
Josef Durdik (Prof. in Prag), Leibniz und Newton, Halle 1869, Kallilogie
od. üb. die Schönheit des Sprechens, Prag 1873. Ueb. das Gesammtkunstwerk als
Kunstideal, Prag 1880. Ausserdem noch viele in böhmischer Sprache verfasste
Schriften.
Friedr. Exner (geb. 1802 in Wien, seit 1827 Prof. der Philos. in Wien, von
1832 an in Prag, 1848 in das Ministerium zu Wien berufen, gest. in Padua 1853),
üb. Nominalismus und Realismus, Prag 1842 laus den Abh. d. Böhm. Ges. d. Wiss.).
Die Psychol. der hegelschen Schule, Lpz. 1843, 2. Heft, ebd. 1844. Ueb. Leib-
nizens Universalwissenschaft, Prag 1833 (aus den Abh. der Böhm. Ges. d. Wiss.).
Ueb. d. Lehre v. d. Einh. des Denk. u. 8eins, ebd. 1848 (aus den Abh. der Böhm.
Ges. d Wiss.). In seiner Stellung bewirkte er, dass die herbartsche Philosophie
besonders auf den Lehrstühlen in Oesterreich vertreten wurde.
Otto Flügel, der Materialismus, Lpz. 1865. Das Wunder und die Erkenn-
barkeit Gottes, Lpz. 1869. Die Probleme der Philos. u. ihre Lösungen: histor.-
krit. dargestellt, Göthen 1876. Die Seelenfrage, Cöthen 1878. Die speculat.
Theologie der Gegenw. krit. beleuchtet, Cöthen 1881, 2. Aufl. 1887. Das Ich u.
d. sittl. Ideen im Leben der Völker, Langensalza 1885. Das Seelenleben d. Thiere
1886, 2. Aufl., Langensalza. Flügel ist jetzt alleiniger Herausgeber der Ztschr. f.
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§ 40. Anhänger Herbarts.
447
exaete Philosophie. Er wendet sieh namentlich gegen den Monismus, der flott
und Welt nicht trenne, also auch Gut und BÖBS nicht hinlänglich zu scheiden
wisse, währeud der herbartsche Pluralismus die Welt als abhängig von dem ihr
substantiell gegenüberstehenden Gott und doch relativ selbständig denken lasse, so
da88 auch das Uebel seine Erklärung finde. Eine eigentliche speculative Theologie
ist nicht möglich, aber der teleologische Beweis erbringt doch die Wahrschein-
lichkeit für das Dasein Gottes, und die Zweckformen in der Welt deuten hin auf
Einsicht und Willen sowie auf Persönlichkeit Gottes. In die Lücken der Erkennt-
niss tritt die christliche Offenbarung ein.
Foss, die Idee d. Hechts in Herbarts Ethik, Realsehulprogr., Elbing 1802.
Aug. Geyer (geb. zu Asch in Böhmen 1831, gest. 1885 als Prof. d. Rechte
in München), Gesch. u. Syst. d. Rechtsphilos., Innsbruck 1863. Ceb. d. neueste
Gestaltg. d. Völkerrechts, Rede, Innsbruck 1866. Abhandig. in der Zeitschr. f.
exaete Philos. u. im Gerichtssaal (d. Kampf ums Recht, aus Anlass v. Iherings
gleichn. »Schrift, 1873, Heft 1). Strafrecht u. philos. Einleitung in d. Rechtswissen-
schaften in der holtzendorfTschen Encyclop. der Rechtswissensch.
F. E. Griepenkerl (geb. 1782, gest. 1849 als Gymnasiallehrer in Braun-
schweig), Lehrb. der Aesthetik, Braunschw. 1827. Lehrbuch der Logik, 2. Ausg.,
Helmstädt 1831. Briefe über Philos. und besonders über Herbarts Lehren, Braun-
schweig 1832.
H. F. Haccius, kann d. Pantheism. eine Reform, der Kirche bilden?
Hannover 1851.
Gust. Hartenstein (geb. 1808, seit 1836 ordentl. Prof. der Philosophie zu
Leipzig, zog sich 1859 ins Privatleben zurück, jetzt Oberbibliothekar in Jena),
de methodo philosophiae, log. legibus astrigenda, fiuibus non terminanda, Lips.
1835. Die Probleme und Grundlehren d. allgem. Metaph., Lpz. 1836. De ethices
a Schleiermachero propositae fundamento, Lips. 1837. Ueb. d. neust. Darstellgn. u.
Beurtheilgn. d. herbartschen Philos., Lpz. 1838. De psychologiae vulgaris origine
ab Aristotele repetenda, Lips. 1840. Die Grundbegriffe d. ethisch. Wissenschaften,
Lpz. 1844. De Materiae apud Leibnitium notione et ad monadas relatione, Lips.
1846. Ueb. d. Bedeutg. d. megarisch. Schule f. d. Gesch. d. raetaphys. Probleme,
Lpz. 1847 (aus d. Berichten üb. d. Verhandl. der K. Sächs. Ges. d. Wiss). Dar-
stellg. d. Rechtsphilos. des Grotius (aus Bd. I. der Abh. der phil.-hist. Cl der K.
S. Ges. d. Wiss.), Lpz. 1850. De notionum juris et civitatis, quas Bened. Spinoza
et Thom. Hobbes proponunt, similitudine et dissimilitudine, Lips. 1856. Ueb. d.
wiss. Werth d. aristotel. Ethik (in d. Berichten d. ph.-hist. Kl. der K. G. der
Wiss.), Lpz. 1859. Ueb. Lockes u. Leibn.s Lehre von d. menschl. Erkenntniss.
Lpz. 1861. Historisch -philos. Abhandlgn., Lpz. 1870 (worin acht der angeführt.
Abh. und neuntens eine Abhandl. über Leibniz' Lehre v. d. Verhältnis» der
Monaden zur Körperwelt, 1869, enthalten sind).
Carl Ludw. Hendewerk (geb. 1806 zu Königsb. i. Pr., gest. 1872 als Pfarrer
zu Heiligenkreuz), Principia ethica a priori reperta, in libris sacris V. et N. T.
obvia, Regiom. 1839. Herbart u. d. Bibel, Königsb. 1858. Der Idealismus des
Christenth., ebd. 1862.
Herrn, v. Kayserlingk, Vergl. zw. Fichtes Syst. u. d. Syst. Herbarts,
Königsb. 1817. Später ging Kayserlingk von der herbartschen Richtung ab. Er
hat eine Autobiographie verfasst: Denkwürdigkeiten eines Philosophen, oder Er-
innergn. u. Begegnisse aus mein. Leben, Altona 1839.
Herrn. Kern, de Leibnitii scientia generali commentatio, Progr. d. K. Pädag.
in Halle 1847. Ein Beitrag zur Rechtfertig, d. herbartsch. Metaph., Einladungs-
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§ 40. Anhänger Herbarts.
schrift z. Stiftungsfeier des herzogl. Gymnasiums in Coburg, 1849. Pädagogische
Blätter, Coburg 1853—56. Grundriss d. Pädagogik, Berl. 1873 u. ö.
J. C. Uldar. Kramär, d. Problem, d. Materie, Olmütz 1871.
Franz Ij. Kvet, Leibnizena Logik, nach den Quellen dargestellt, Prag 1857,
Leiblils u. Comenius (aus den Abb. der K. Böhm. Ges. d. Wiss.), Prag 1857.
M. Lazarus (geb. 1824, Prof. in Berlin), d. Leb. d. Seele, in Monographien
über seine Eröchemungen und Gesetze, Berl. 1856-57, 8. Aufl. 3 Bde., 1884 ff.
Ueb. d. Urspr. d. Sitten, Vortr. geh. zu Bern 1860, 2. Aufl. Berl. 1867. Ueb. d.
Ideen in d. Gesch., Rectoratsrede, zu Bern 1863 geh., 2. Abdr., Berlin 1872. Zur
Lehre v. d. Sinnestäuschgn., Berl. 1867. Ein psychol. Blick in uns. Zeit, Vortrag,
Berl. 1872, 2. Aufl. 1872. Ideale Fragen in Reden u. Vorträgen, Berl. 1878. Ueb.
d. Reize des Spiels, Berl. 1884. Die von Lazarus u. Steinthal herausgegebene
.Zeitsehr. für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft".
Gust. Adolf Linduer (gel). 1828, gest. 1887 als Prof. an der böhmischen
Universität in Prag), Lehrb. d. formal. Logik nach genet. Methode, Graz 1861,
5. Aufl. Wien 1881. Kinleitg. i. d. Studium d. Philos., Wien 1866. I^ehrb. d.
empir. Psychol. als induetiver Wissensch., 6. Aufl. Wien 1886. Das Problem d.
Glücks, psychol. Untersuchgn. über d. menschl. Glückseligkeit, Wien 1868. Ideen
z. Psychol. d. Gesellsch. als Gründl, d. Socialwiss., ebd. 1871 (70).
Franz Karl Lott (geb. 1807, gest. 1874 in Wien), Herbarti de animi immor-
talitate doctr., Gott. 1842. Zur Logik (ans den Gott. Stud. bes. abg.), Gött. 1846.
Fr. K. Lotts Metaphysik herausgeg. v. The od. Vogt, im Jahrbuch des Vereins f.
wissenschaftl. Pädagog., XII, S. 211 ff. Vgl. üb. ihn Theod. Vogt, Wien 1874. Er
vertrat einen Theismus, nach welchem die Realen Herbarts als ewige Thätigkeiten
des persönlichen Gottes aufgefasst werden.
Carl Mager, anfangs Hegelianer, später der herbartschen Richtung zngethan,
hat die Zeitschrift begründet: Pädagogische Revue, 1840 ff, von 1849—54 heraus-
gegeben von Scheibert, Langbein und Kuhn, von 1855—58 von Langbein allein.
Statt derselben erscheint seitdem: Pädagogisches Archiv, herausg. von W. Langbein,
Stettin 1859—73. seit 1874 von Krumme.
F. W. Miqucl, Beiträge eines m. d. herbartschen Pädag. befreund. Schul-
mannes z. Lehre vom biograph. Geschichtsunterricht auf Gymnasien, Aurich und
Leer 1847. Beiträge zu einer pädag.-psychol. Lehre vom Gedächtniss, Hannover
1850. Wie wird die deutsche Volksschule national? Lingen 1851. Pädagog. Abb.
in den von Kern herausg. pädag. Bl. 1853 u. 54.
Jos. W. Nahlowsky, das Gefühlsleben, Lpz. 1862. 2. Aufl. 1884. Das
Duell, sein Widersinn u. seine moralische Verwerflichkeit, Lpz. 1864. Die ethisch.
Ideen, ebd. 1865. Grundzüge z. Lehre v. d. Gesellsch. u. dem Staate, ebd. 1865.
Allgem. prakt Philos. (Ethik) pragmat. bearb., Lpz. 1870, 2. Aufl. Lpz. 1885.
Ed. Olawsky. die Vorstellgn. im Geiste des Menschen, Berl. 1868.
L. F. Ost er mann, pädagog. Randzeichnungen, Hannov. 1850.
Ottokar Kortinsky, das musikalisch Schöne und das Gesammtkunstwerk
vom Standpunkt der formalen Aesthetik, Lpz. 1877. Die Lehre von d. musikal.
Klängen, Prag 1879. Ueb. d. Bedent. d. prakt. Ideen Herbarts f. d. allgem.
Aesthetik, Prag 1S83.
Preiss, Analyse der Gefühle, Görz 1854. Analyse der Begehrungen,
ebd. 1859.
Aug. Reiche, de Kantii antinomiis quae dicuntur theoreticis, Gött. 1838.
G. L. W. Resl, die Bedeutung der Reihenproduction für die Bildung synthet
Begriffe u. ästh. Urtheile, Czemowitaer Schulprogr., Wien 1857. Zur Psychol. der
subj. Ueberzeugung, Fr., Czernowitz 1868.
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4j 40. Anhänger Herbarte.
441)
H. H. EL Roer, über Herbarts Methode der Beziehaugen, Braunseh weig 1833.
Das speeulat. Denken in s. Fortbewegung z. Idee, Berl. 1837 (bekundet Roers
Fortbewegung zum Hegelianismus).
Gust Schilling (geb. 1815, gest. 1872 als Prof. d. Philos. in Giessen),
Lehrb. d. Psychol., Lpz. 1851. Die verschied. Gruudansichten über d. Wesen d.
Geistes. Lpz. 1863. Beiträge z. Gesch. u. Kritik d. Materialismus, Lpz. 1867.
Hermann Siebeck (Prof. d. Pbilos. in Giessen, geb. 1842), neben früher
erwähnten historischeu Arbeiten, namentlich der Geschichte der Psychologie: das
Wesen der ästhet. Anschauung, Berl. 1875. Ueb. das Bewusstsein als Schranke
der Naturerkenntniss, Gotha 1879.
H. Spitta (Prof. in Tübingen), die Schlaf- und Traumzustände d. menschl.
Seele, Tüb. 1878, 2. Aufl. 1882. Die Willensbestimmungen u. ihr Yerh. z. d. im-
pulsiven Handlung., Tüb. 1881. Kinleit. in d. Psychol. als Wissensch., Freibg.
i. Br 1886.
Heymann Steinthal (geb. 1823, seit 1863 Prof. in Berlin), Grammatik,
Logik u. Psychol., Berl. 1855. Der Ursprung der Sprache, 3. Aufl., Berl. 1877.
Gesch. der Sprachwiss. bei d. Griechen u. Römern m. besond. Rücks. auf d. Logik,
Berlin 1863-64. Abriss der Sprachw. L Thl.: d. Sprache im Allgem. Eiul.
i. d. Psychol. u. Sprachw., ebd. 1871, 2. Aufl. 1881. Gesammelte kleine Schriften.
I. Sprachwissenschaft!. Abhandlungen und Recensionen, Berl. 1880. Allgemeine
Ethik, Berl. 1886. (S. dazu Gust. Glogau, SU Ethik, in: Ztschr. f. Ph. u. pb.
Kr . 88, 1886, S. 82—123.) Seit 1859 giebt Steiuthal mit Lazarus die oben er-
wähnte Zeitschrift heraus. Von Steinthal wird der Process der Apperception im
herbartschen Sinne besouders betont und in seiner Bedeutung ausgeführt. In seiner
Ethik weicht er vielfach von Herbart ab. Die fünf praktischen Ideen, betreffs deren
Vollständigkeit Steinthal selbst im Zweifel ist, siud die der sittlichen Persönlich-
keit, des Wohlwollens, der Vereinigung, des Rechts und der Vollkommenheit. Als
specieller Anhänger Steinthals ist zu bezeichnen G. G. Glogau (geb. 1844, Prof.
in Kiel), Steinthals psychologische Formeln zusammenhängend entwickelt Berl.
1876. Zwei wissenschaftliche Vorträge üb. die Grundprobleme der Psychologie,
Halle 1877. Abriss der philosoph. Grundwissenschftn., I. Tu. : die Form und die
Bewegungsgesetze des Geistes, Breslau 1880. II. Th.: das Wesen und die Grund-
formen des bcwussteu Geistes (Erkenntuisstheorie und Ideenl.), 1888. Gruudriss der
Psychol., Breslau 1884.
Stephan, de justi notioue quam proposuit Herb., diss. inaug., Gott. 1844.
Ueber Wiss. u. Glaub., skeptische Betrachtgn., Hannover 1846. Ueb. d. Verhältn.
d. Naturrechts zur Ethik u. z. posit. Recht, Gött. 1854.
E. Stiedenroth, Theorie d. Wissens, Gött. 1819. Psychol. zur Erklärg.
der Seelenerscheiuungen, Berl. 1824—25. (Halbherbartianiscb.)
K. V. Stoy (1815—1885, lange Jahre Prof. in Jena), Encyclopädie, Methodo-
logie und Litteratur der Pädagogik, Lpz. 1861. Philos. Propädeutik, Lpz. 1869 - 70
(1. Log, 2. Psychol.). Die Psychol. in gedrängt. Darstellg. ebd. 1871. S. R. Volkmar,
Stoys Leb. u. Wirk., Dresd. 1885.
Ludw. Strümpell (geb. 1812. lange Zeit Professor der Philosophie in
Dorpat, jetzt in Leipzig), de methodo philosophica, Regiomonti 1833. Erläute-
rungen zu Herbarts Philos., Gött. 1834. Die Hauptpunkte d. herbartschen
Metaphysik kritisch beleuchtet, Brauuschweig 1840 De summi boni notioue
qualem proposuit Schleiermacherus, Dorpat 1843. Die Pädag. der Philosophen
Kant, Fichte, Herbart, Braunschweig 1843. Vorschule d. Etlük, Mitau 1845.
Entwurf d. Logik, Mitau u Lpz. 1846. Die Universität u. das Universitätsstudium,
Mitau 1848. Gesch. d. griech. Philos. , zur Uebersicht, Repetition u. Orien-
Ueberweg-lleinze, Unindris« III. 7. Aufl. 29
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450
§ 40. Anhauger Herbarts.
tirung. Erste Abth.: Geach. der theoret. Philos. d. Griecheu, Lpz. 1854. Zweit«
Abth., 1. Abschn : Gesch. d. prakt. Philos. d. Gr. vor Aristoteles, ebd. 1861 Der
Vortrag d. Logik u. sein didakt. Werth für die Universitätsstudien, mit besond.
Rucks, auf die Naturwissenschaften (aus der Päd. Revue bes. abg.), Berl. 1858.
Erziehungsfragen, Lpz. 1869. Der Causalitätsbegriff und sein metaphys. Gebrauch
in d. Naturwissensch., Lpz. 1871. Die zeitl. Aufeinanderfolge der Gedanken (in
d. virchow-holtzendorffsch. Sammig. Heft 143), Berl. 1872. Die Natur u. Entstehung
der Träume, Lpz. 1874. Die Geisteskräfte der Menschen verglichen mit denen der
Thiere, Lpz. 1878. Psycholog. Pädagogik. Lpz. 1879. Grundriss der Logik od.
der L. vom wissensehaftl. Denken, Lpz. 1881. Grundriss der Psychologie, Lpz.
1884. Die Einleit in d. Philosophie vom Standpunkte der Gesch. d. Philos.,
Lpz- 1886. Strümpell ist als gründlicher Kenner der Geschichte der Philosophie
nicht einseitiger Herbartianer, weicht vielmehr in manchen Punkten von Herbarts
Lehre ab und ist durch Leibniz und Kant vielfach beeinflusst. Zwar trennt er
scharf zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, sieht aber in der
Religionsphilosophie die Vereinigung aller Theile der Philosophie, indem nach ihm
das erlangte theoretische, ethische und ästhetische Wissen sich in der Idee Gottes
zu einem einheitlichen System der Erkenn tiüss so verknüpft, dass neben dem
logischen, sittlichen und ästhetischen auch das religiöse Veruunftbedürfniss befrie-
digt wird. Bei einem Widerstreit der verschiedenen Gedankengruppeu muss zu
Guusten der ethischen und theologischen entschieden werden, da die theoretischen
Erkenntnisse nur problematisch sind und im Werthe den ethischen und religiösen
nachstehen. S. L. Credaro, Gli scritti e la filos. di L. Str., in: Riv. It. di HL, II, 8.
Georg Friedr. Taute (gest. als ausserordentl. Prof. d. Philos. in Königs-
berg 1862), die Religionsphilos. vom Standpunkte der Philos. Herbarts. I. Theil:
allgem. Religionsphilos., Elbing 1840. II. Theil: Ph. des Christenth., Lpz. 1852.
Die Wissenschaften u. Universitätsstudien den Zeitbewegungeu gegenüber, Rede,
Königsb. 1848. Der Spinozismus als unendl. Revolutionsprincip u. sein Gegensatz,
Rede ebd. 1848. Pädagog. Gutachten üb. die Verhandlungen der Berliner Confe-
renz f. höh. Schulwesen, Königsb. 1849. Auf ein religiöses Erkennen müssen wir
verzichten und uns zurückziehen auf einen religiösen Glauben, der nur durch die
herbartsche Philosophie speculativ begründet werden kann.
G. Tepe, die praktisch. Ideen nach Herbart, im Osterprogr. des Emdener
Gyran. 1854, auch beaond. Leer u. Emden 1861. Ueb. Freih. und Unfreih. des
menschl. Wollens, Bremen 1861. Schiller und die praktisch. Ideen. Emden 1863.
C. A. Thilo, d. Wisseuscbaftlk. d. modernen specul. Theol. in ihr. Principien
beleucht, Lpz. 1851. Die Stahlsche Rechts- und Staatslehre in ihr. Unwissen-
schaftlk. dargethan, in d. krit. Zeitschr. f. d. gesummte Rechtswiss., Heidelb. 1857,
Bd. IV., S. 385—424. Die Grundirrthüm. d. Idealismus, in ihr. Entwickig. von
Kant bis Hegel, in der Zeitschr. f. ex. Ph.: Bd. I, u. viele andere Abh. in eben
dieser Zeitschrift, namentlich über religionsphilosophiache Ansichten anderer
Philosophen: Die theologisirende Rechts- u. Staatelehre, m. besond. Rücks. auf d.
Rechtsansichten Stahls, Lpz. 1861. Ueb. Schopeuhauers eth. Atheism., Lpz. 1868.
Die Geschichte der Phil. s. Grundr. I, 7. Aufl., S. 12.
Carl Thomas (gest. 1873), Spinozae syst phil. delin., Regiom. 1835. Spinoza
als Metaphysiker, Königsb. 1840. Spinozas Individualismus u. Pantheismus, ebd.
1848. Die Theorie des Verkehrs, erste Abth.: die Grundbegriffe der Güterlehre,
Berl. 1841. Ueber ihn s. seine eigene Sehr. : Altes und Neues. Meine Habilitation
und mein Austritt aus der Privatdoceutsch. a. d. Kgl. Univ. Königsberg, Frb. i.
Br. 1863.
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§ 40. Anhänger Herbart*.
451
C. A. D. Unterholzner, jurist. Abbdlgn., Münch. 1810. (Die 4. Abh. ent-
wickelt d. philos. Grundsätze eines Strafsyst. m. besond. Rucks, auf Herbart»
prakt. Pbil.)
Th. Vogt, Form u. Gehalt in d. Aesthetik. Wien 1865. Lotte Kritik d.
herbartsch. Ethik u. Herb.s Entgegng. (Aus Sitzungsber. d. k. Ak. d. W.)
Wien 1874.
Wilh. Fridolin Vol kniann, später Volkmann Ritter von Volkmar (geb. 1822
zu Prag, gest. 1877 als Professor der Philos. in Prag), d. L. v. d. Elementen der
Psychol. als Wissensch., Prag 1850, Grundrisa d. Psychol. v. Stdpkte. d. phii.
Realism. aus u. nach genet. Methode, Halle 1856. Lehrbuch der Psychologie
(zweite, sehr vermehrte Aufl. des vorig.), 2 Bde., Göthen 1875, 76, 3. Aufl., 1884,
1885. Die Grundzüge d. aristotelischen Psychol. aus den Abb. der K. Böhm. Ges.
der Wiss., V. Folge, X. Bd., Prag 1858. üeber die Principien u. Methoden d.
Psychol. in: Zeitschr. für ex. Philos. II, 1861, S. 33-71.
J. H. W. Waitz, die Hauptlehren der Logik, Erfurt 1840.
Theod. Waitz (geb. 1821 in Gotha, gest. 1884 als ausserordentl. Prof. d.
Philos. in Marburg). Ausser seiner vorzüglichen Ausgabe des aristotelisch.
Organons sind zu erwähnen: Grundlegung d. Psychol., Hamb. u. Gotha 1846,
2. Ausg. Lpz. 1877. Lehrb. d. Psychol. als Naturwiss., Braunschweig 1849.
Allgem. Pädag., ebd. 1852, zweite verm. Aufl. mit einer Einleitg. über Waitz'
prakt. Phil, herausg. v. Otto Willmann, ebd. 1875. Der Stand der Parteien auf
d. Gebiete der Psychol. in d. rAllg. Monatsschrift f. Wiss. u. Littr.", ebd. 1852,
Oct.- u. Nov.-Heft und 1853, Augustheft. Anthropol. d. Naturvolk., 6 Thle.,
Lpz. 1859 ff. (m. Benutzg. der Vorarb. d. Verf. fortg. v. G. Gerland), 2. Ausg. v.
G. Gerland, Lpz. 1877 ff. Obgleich sich Waitz im Ganzen zu Herbart bekennt,
weicht er doch in wichtigen Punkten von ihm ab, namentlich darin, dass er die
Psychologie zur Grundlage der Philosophie machte, dass er die Psychologie auf
naturwissenschaftlichen Boden stellte und in ihr die .Störungen und Selbsterhaltungeu
nicht annahm
W. Wehrenpfennig, die Verschiedenheit der ethisch. Principien bei den
Helleneu u. ihre Erklärungsgründe, Progr. d. joachimsthalschen Gymn., Berl. 1856.
0. Will manu, üb. d. Dunkelheit d. .allgem. Pädagogik" Herbarts, in
Zillers Jahrb. d. Vereins f. wissensch. Pädagog., 5. Jahrg. 1873, S. 124—150.
Theod. Wittstein, neue Behdlg. des math.-psychol. Problems v. d. Bewe-
gung einfacher Vorstellungen, welche nach einander in die Seele eintreten, Han-
nover 1845. Zur Grundleg. der math. Psychol., Z. f. ex. Philos. VIII, 1869,
S. 341 — 358. Wittstein stellt neben die herbartsche und die von A. Lange (s. o.
S. 402) als die wahre Consequenz der herbartschen Principien bezeichnete Hypo-
these über die gegenseitige Hemmung der Vorstellungen eine dritte, wonach bei
b* a*
vollem Gegensatz zwischeu a und b von a gehemmt wird a _j_ von a aDer u _^ ^
. a*-Hab — b* , , ., . b* ■+■ ab — a* , ...
also von a restirt - , . — und von b restirt ,— r ; demgemass kann
u + b a -I- b
auch schon von bloss zwei Vorstellungen, die in vollem (ebenso auch von zwei
Vorstellungen, die in geringerem) Gegensatz sind, die stärkere die schwächere
ganz aus dem Bewusstsein verdrängen; bei vollem Gegensatz ergiebt sich für die
schwächere Vorstellung (b) der Schwellenwerth 'ja (j/ 5 — 1) = a . 0,618.
Tuiscou Ziller (eeb. 1817, gest. d. 20. Apr. 1882 als Prof. der Philos. in
Lpz.), über die von Puchta der Darstellung des romischen Rechts zu Grunde
gelegten rechtsphiloa. Ansichten, Lpz. 1853. Einl. In die allgemeine Pädagog.,
Lpz. 1856. Die Regierung der Kinder, Lpz. 1857. Gründl, zur Lehre vom
29*
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452
§ 40. Anhänger Herbarts.
erziehenden Unterricht, Lpz. 1866 Herbartiscbe Reliquien, ebd 1871. Allgemeine
philosophische Ethik, Langensalza 1880, 2. Aufl. 1886. Hat seit 1869 das wJahr-
buch d. Vereins f. wissenschaftl. Pädagogik" herausgegeben. Ueb. ihn a.: Pädagog.
Korrespondenzblatt, 1882, No 3, 4, 5. Ziller hat vor allen den orthodoxen
Herbartianismus vertreten und mit grossem Ernst und Erfolg auf dem päda-
gogischen Gebiete theoretisch und praktisch gearbeitet
Rob. Zimmermann (geb. 1824 in Prag, seit 1861 Prof. d. Philos. in Wien),
Leibniz' Monadologie, deutsch m. einer Abh. üb. L.s und Herbarts Theorie d.
wirkt. Geschehens, Wien 1847. Leibniz u Herbart, e. Vergleichg, ihrer Monado-
logien, Wien 1849. Ueber Bolzanos wiss. ( harakt. u. philos. Bedeutg , in
d. Sitzungsber. d. Akad. d. WiBs. in Wien, philos.-hist. Cl., Oct. 1849. Ueber einige
log. Fehler d. spinozisüsch. Ethik, ebd. Oct. 1850 und April 1851. Der Cardinal
Nicolaus Cusanus als Vorläufer Leibnizens, ebd. April 1852. Ueber Leibnizens
Conceptualismus, ebd. April 1854. Leibniz u. Lessing, e. Studie, ebd. Mai 1855.
Das Rechtsprinzip bei Leibniz, Wien 1852. Philos. Propädeutik, ebd. 1852. 3. Aufl.
ebd. 1867 (Prolegomena, Logik, empir. Psychol., zur Einleitung in die Philos.).
Ueber das Tragische u. die Tragödie, Wien 1856. Gesch. d. Acsthetik als philos.
Wissensch., Wien 185a Schiller als Denker, ein Vortr. z. Feier s. 100jährigen
Geburtstages in den Abh. d. K. Böhm. Gesellsch. der Wissensch., V. Folge, XI. Bd.,
Prag 1859. Philos. u. Erfahrg., eine Antrittsrede, Wien 1861. Allgem. Aesthetik
als Formwissensch, Wien 1865 (mit d. Gesch. der Aesth. zus. u. d. T. «Aesthetik*,
hist-krit und syst Theil). Studien und Kritiken zur Philos. und Aesth., 2 Bde.,
Wien 1870. Anthroposophie im Umriss, Entwurf eines Systems idealer Weltansicht
auf monistischer Gründl., Wien 1882. Ausserdem sind von Z noch viele auf die
Gesch. d. Phil, bezügliche Abhandlungen erschienen. Zimmermann will in seiner
letzten Schrift Herbartianer vom J. 1881 sein. Er hält allerdings noch an den
Realen Herbarts fest, kritisirt aber die Theorie der Selbsterhaltungen als des wirk-
lichen Geschehens und die Annahme der einfachen Empfindungen. Die Lehren von
den Realen weiss er geschickt mit der Atomistik in Verbindung zu setzen. Ueber
Zimmermanns metaphys. Ansicht s. O. Flügel, in: Ztschr. f. exakte Phil. XH, 1.
1883, S. 266-316.
Von logisch-metaphysischen Betrachtungen ausgehend, die den herbartscheu
verwandt sind, gelangt zu einer der parmenideischen nahe stehenden Doctrin
A. Spir, die Wahrh., Lpz. 1867. Andeutungen zu einem Widerspruchs]. Denken,
ebd. 1868. Forschung nach d. Gewissh. in der Erkenntniss der Wirklichk., Lpz.
1668. Kurze Darat der Grundzüge einer philos. Anschauungsweise, ebd. 1869. Er-
örterung einer phil. Grundeinsicht, ebd. 1869. Kleine Schriften, Lpz. 1870. Denken
u. Wirklichk., Versuch einer Erneuerg. d. kritisch. Philos., Lpz. 1873, 2 Aufl. 1877.
Moralität u. Relig , ebd. 1874, 2. Aufl. 1878. Empirie u. Philos., Lpz. 1876. Vier
Grundfragen, Lpz. 1880. Studien, Lpz. 1883. Gesammelte Schriften, 3 Bde., Leipzig
1883 — 1885. Als oberster unmittelbar gewisser Grundsatz, der nicht aus der Er-
fahrung geschöpft ist, wird von Spir der Satz der Ideutität angesehen, formulirt:
lu seinem eigenen Wesen ist jedes Ding mit sich selbst identisch. Eine allgemeine
Prämisse aus der Erfahrung aber ist die, dass die Erfahrung keinen eiuzigen Gegen-
htaud enthält, der mit Bich selbst vollkommen identisch wäre. Als allgemeine Fol-
gerungen zieht er daraus, dass der Satz der Identität nicht aus der Erfahrung
geschöpft ist, vielmehr einen Begriff vom Wesen der Dinge ausdrückt, welcher
dem Denken a priori eigen ist, ferner, das* das eigene Wesen der Dinge jenseits
der Erfahrung liegt, und endlich, dass die Erfahrung die Dinge nicht so darstellt
wie sie an sich, ihrem eigenen Wesen nach, beschaffen sind, oder dass die Erfah-
rung Elemente enthält, welche zu dem eigeucn Wesen der Dinge nicht gehören.
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§ 41. Anhänger Schleiermachers, Schopenhauers, ßenekcs. 453
Als specielle Folgerungen ergebeu sich nach der ontologischen Seite, dass es in
Wirklichkeit nur Eine Substanz giebt, daas das eigene Wesen der Dinge unbedingt
ist, keine Relativität in sich enthalten kann, dass es beharrlich, unveränderlich ist,
dass es auch selig und vollkommen ist. Vgl. Spir u. d. Bedeut. seiner Philos. f.
d. Gegenw., Vortr., Lpz. 1881.
Mit der herbartschen Aesthetik verwandt ist d. zeisingsche. Ad. Zeising,
ästhet. Forschgn., Frank f. 1856. (Die ästhetische Bedeutung des sog. goldenen
Schnitts, welchem gemäss eine Linie, deren Länge = 1, in die beiden Abschnitte
v und m nach dem Verhältniss u : m = m : 1 getheilt wird, wo m = 1 « (^5—1)
und u ms 1 — m = 1 ■> (3 — \b), findet Zeising darin, dass derselbe die voll-
kommenste Vermittelung zwischen den beiden extremen Verhältnissen der absoluten
Gleichheit 1 : 1 und der absoluten Verschiedenheit 1 : 0 sei, oder zwischen der
ausdruckslosen Symmetrie und dem maasslosen Ausdruck, der starren Regelmässig-
keit und der ungebundenen Freiheit.) Relig. u. Wissenschaft, Staat und Kirche.
Wien 1873.
Nicht sehr fern steht der herbartschen Richtung F. A. v. Hartsen, Me-
thode der wiss Darst, Halle 1868. Grundlegung von Aesthetik, Moral und Er-
ziehung, ebd. 1869. Untersuchgu. über Psych., Lpz. 1869. üntersuchgn. über Logik,
ebd. 1869. Grundzüge der Wiss. des Glücks, Halle 1869. Grundzüge der Logik,
Berl. 1873 (franz. Paris 1872). Die Anfänge der Lebensweish., Lpz. 1873. Grund-
züge der Psychol., Berl. 1874, 2. Aufl., Halle 1877 (franz. Paris 1873). Die Moral
des Pessimism., Nordhausen 1874. Grundriss d. Philos., ebd. 1875. Vermischte
philoa. Abhandlungen, Heidelb. 1876. Die Philosophie als Wissenschaft, ebd. 1876.
Die philosophischen Grundlagen der Chemie, Heidelb 1876.
§ 41. Ausser Hegel, Sendling und Herbart haben nachhaltigeren
Eiufluss auf die Eutwickelung der Philosophie ausgeübt Schleie r-
macher, Schopenhauer, Beneke. Zu denen, deren Richtung
Schleiermacher namentlich bestimmt hat, gehören die vorzüglich als
Historiker der Philosophie bedeutenden Chr. Aug. Brandis und
Heinr. Ritter. Ebenso sind von Schleiermacher, freilich auch theil-
weise von Hegel, angeregt die Philosophen Braniss, Romang, George,
sowie der speculative Theologe Rothe u. Andere. Unter Schopen-
hauers Anhängern möchte Jul. Frauen st ädt als der selbständigste
und bedeutendste zu bezeichnen sein. Doch hat sich Schopenhauers
Einfluss vielfach, besonders nach der pessimistischen Seite hin. be-
merklich gemacht. Beneke hat vorzüglich auf Pädagogen eingewirkt,
jedoch haben sich auch Philosophen, wenigstens theilweise, an ihn
angeschlossen, so Fortlage und Ueberweg.
Die auf die Geschichte der Philosophie bezüglichen umfassenden Werke von
Brandis und Ritter sind früher erwähnt. Auf Brandis' (geb. 1790, gest. 1867
als Prof. in Bonn) eigene philosophische Ansichten haben neben Schleiermacher
auch Jacobi und Schelling eingewirkt. Vgl. über ihn A. Trendelenburg, zur Er-
innerung an Ch. A. Br. in den Abhandlungen d. Berl. Akad., auch separat, Berl.
1868. Ritter (geb. 1791, gest. 1869 als Prof. in Göttingen) hat neben seinen ge-
schichtlichen Werken besonders noch verfasst: Ueber d. Bildung d. Philosophen
durch d. Gesch. d. Philos., Berl. 1817. Vorlesungen zur Einleit. in d. Logik,
454 § 41. Anhänger Schleiermachers, Schopenhauers, Benekes.
Berl. 1823. Abriss der philos. Logik, ebd. 1824, 2. Aufl. 1829. Die Halbkautianer
und der Pantheismus, Berl. 1827. System der Logik und MetaphyB., Güttingen
1856. Encyclopädie d. philo». Wissenschaft, 3 Bde., Gottingen 1862—64. Ueber
die Unsterblichkeit, 2. Aufl., Lpz. 1866. Ernest Renan über d. Naturwissenschaft
u. d. Gesch. mit d. Randbemerkungen e. deutsch. Philos., Gotha 1865. Philos.
Paradoxa, Lpz. 1867. Ueber das Böse u. s. Folgen, hrsg. v. D. Peipers, Gotha
1869, 2. Ausg. 1876. Sein philosophisches Streben geht auf eine chriatlich-theistische
Weltanschauung, indem er auch den Wunderbegriff und die Wirklichkeit der Offen-
barung vertheidigt.
Jul. Brauiss (geb. 1792, gest. 1873 als Prof. in Breslau), die Logik in ihrem
Verh. z. Philos. geschichtl. betrachtet, Berl. 1823. Ueber Schleiermachere Glau-
bensl., Berl. 1824. Grundriss d. Logik, Breslau 1829. System d. Metaph., Breslau
1834. Gesch. d. Philos. seit Kant (vielmehr: bis zum Mittelalter), Breslau 1842.
Die wisBeDschaftl. Aufg. der Gegenw., Breslau 1858. Ueber die Würde der Philos.
u. ihr Recht im Leben der Zeit, Berl. 1854. Ueber atomistische und dynamische
Naturauffassung, in: Abh. d. hist-philos. Gesellsch. z. Breslau, Bd. I, 1867. Br.
verbindet mit schleiermacherschen und hegelschen Ansichten auch Anschauungen
von Steffens. Vgl. C. A. Kletke, die geschicbts-philos. Weltansch. von Br., Breslau
1849. Einen Einfluss der Speculation v. Braniss scheint die Schrift zu bekunden:
Jos. Jäkel, der Satz des zureichenden Grundes, Breslau 1868.
J. P. Romang, Willensfreiheit und Detcrrainism., Bern 1835. Syst. d. natürl.
Tbeol., Zürich 1841. Der neueste Pantheismus, Bonn 1848. Ueber Unglauben,
Pietisra. n. Wissensch., Zürich 1859. Ueber wichtige Fragen der Relig., Heidel-
berg 1870.
Franz Vorländer (geb. 1806, gest. 1867 als Prof. iu Marburg), Grundlinien
einer organischen Wissensch, d. menschl. Seele, Berl. 1841. Wissensch, d. Er-
kenntnis», 1847. Schleiermachers Sittenl. ausführlich dargestellt u. beurtheilt, 1851.
Gesch. d. philos. Moral, Rechts- u. Staatsl. der Eugländer u. Franzosen, Marburg
1865 (s. o. S. 2).
Ad. Helfferich, die Metaphys. als Grundwissenschaft, Hamb. 1846. Der
Organismus der Wissensch, u. d. Philos. der Gesch., Lpz. 1856. Die Schule des
Willens, Berlin 1858.
Leop. George (geb. 1811, gest. 1874 als Prof. in Greifswald), Mythus u.
Sage, Berl. 1837. Ueber Princip u. Methode d. Philos. mit Rücksicht auf Hegel
u. Schleiermacher, Berl. 1842. Syst. der Metaph., Berl. 1844. Die füuf Sinne,
Berl. 1846. Lehrhuch der Psychol., Berl. 1854. Die Logik als Wissenschaftslehre,
Berl. 1868.
Rieh. Rothe (1799-1.S67), die Anfänge der christl. Kirche und ihrer Ver-
fassung, Wittenb. 1837. Theol. Ethik, Wittenb. 1845—1848, 2. neuausgearb. Aufl.,
ebd. 1867—1871. Vgl. über ihn Friedr. Nippold, R. Rothe, Bd. 1-2, Wittenb.
1873, 74.
Einen wesentlichen Einfluss Schleiermachers bekundet u. A. auch Carl
Schwarz, der Verfasser der Schrift: zur Gesch. der neuest Theol., 3. Aufl., Lpz.
1864, wie auch des bereits S. 360 citirten Vortrags über Schleiermacher und an-
derer Schriften. Auch auf J. H. Fichte, Chr. Herrn. Weisse u. A. (s. o.) hat neben
Hegel besonders Schleiermacher Einfluss geübt. Im schleiermacherschen Gedanken-
kreis steht grossentheils auch Felix Eberty, Versuche auf dem Gebiete des Natur-
rechts, Lpz. 1852: über Gut und Böse, 2 Vorträge, Berl. 1855. Wie viel Aug.
Boeckh seinem I^ehrer und Freunde Schleiermacher verdankt, zeigt Bratuscheck
in dem Aufsatze: -Boeckh als Platoniker", in: Philos. Monaten., Bd. I, 1868,
S. 257 ff.
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§ 41. Anhänger Schleiermachers, Schopenhauers, Benekes.
4o5
Bei den Widersprüchen, die sich in Schopenhauers Philosophie finden, ist
es erklärlich, dass nur Wenige dem Ganzen seiner Philosophie anhängen. Da-
gegen hat er anregend gewirkt theils auf erkenntniss-theoretischem Gebiete, theils
auf ethischem und ästhetischem. Auch Richard Wagner theilt in seinen letzten
Schriften, namentlich in .Religion und Kunst", den Standpunkt Schopenhauers.
Schon die in seiner Trilogie herrschende Tendenz musste ihn auf diesen hinweisen.
Die Frage des Pessimismus ist durch Schopenhauer besonders aufgekommen und
in letzter Zeit vielfach behandelt worden. Die Spuren des schopenhuuerschen
Peseimismns sind weniger auf philosophischem als auf dem belletristischen Gebiete
zu suchen.
l'eber «1. schopenhauersche Schule s. verschiedene Aufsätze v. Ed. v. Hartmann,
z. B. in d. Gegenwart, 1883, S. '24 ff., sodann das nachher noch zu nennende Werk
v. C. Peters, der ausführlicher Frauenstädt, Noire, Bilharz, Bahnsen, v. Hartmann
behandelt. Vgl. auch O. Plumaeher, zwei Individualisten der schopenhauerschen Sehnte
(Mainländer, Heilenbach), Wien 1881.
Julius Frauenstädt (1813 — 1878) ist von einem dem Hegelianismus näher
liegenden Standpunkte zur schopenhauerschen Doctrin übergegangen, hat sich aber
auch dieser gegenüber die Selbständigkeit gewahrt, indem er namentlich in ethischen
Fragen von ihr abweicht. Kr bekennt sich allerdings zum Monismus, statnirt aber
innerhalb desselben einen „objeetiv- phänomenalen Individualismus*. Vom sub-
jectiven Idealismus Schopenhauers macht er sich los und auch den consequenten
Pessimismus verwirft er. Vgl. seine .Neuen Briefe über die schopenhauersche
Philosophie", Lpz. 1876. Durch die .Briefe über die schopenhauersche Philosophie",
Lpz. 1854, hat er besonders zur Verbreitung und Popularisirung der Lehre Schopen-
hauers beigetragen. Seine Schriften sind : Die Freiheit des Menschen und die Per-
sönlichkeit Gottes (nebst einem Briefe des Dr. Gabler an den Verf.), Berl. 1838.
Die Menschwerdung Gottes nach ihrer Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendig-
keit mit Rücksicht auf Strauss, Sehaller u. Göschel, Berl. 1839. Studien u. Kritiken
zur Theol. u. Philos., Berl. 1840. Ueber das wahre Verhältn. der Vernunft zur
Offenbarung, Darmst. 1848. Aesthetische Fragen, Dessau 1853. Auf schopen-
hauerschem Standpunkt hat Frauenstädt ferner Schriften über die Naturwissensch,
in ihrem Einfluss auf Poesie, Religion, Moral und Philosophie, Lpz. 1855, über den
Materiniismus, ebd. 1856, Briefe über die natürliche Religion, Lpz. 1858, das sittl.
Leben, ethische Studien, Lpz. 1866, Blicke in die intellect, phys. n. moral. Welt,
Lpz. 1869, anch zahlr. Abhandlungen in verschiedenen Zeitschriften verfasst.
S. Ed. v. Hartmann, Ft. z. Umbild. der schopenhauersch. Ph., in: Neukantianism.
etc. s. n. S. 467.
Treu hängt der schopenhauerschen Lehre an P. Deussen, in den Elementen
der Metaphysik, Aachen 1877. Er hat weiter veröffentlicht: das System der Ve-
danta, Lpz. 1883, und sich dadurch um die Kenntniss der indischen Philosophie
sehr verdient gemacht.
Lazar. B. Hellenbach, der eine Reihe Schriften verfasst hat (namentlich:
der Individualismus im Lichte der Biologie u. Philos. der Gegenw., Wien 1878,
2. Aufl , Lpz. 1887, die Vorurtheile der Menschheit, 3 Bde., Wien 1879—1880, aus
d. Tagebuche eines Philos., Wienl881, die neuesten Kundgebungen einer iutelligibeln
Welt, Wien 1882. die Magie der Zahlen etc., Wien 1882, Eine Philos. d. gesunden
Menschenverstandes, Lpz. 1887), ist zwar von Schopenhauer ausgegangen, verliert
sich aber mit der Annahme eines .Metaorganismus", der bei ihm gleich der Seele
ist, ins durchaus Phantastische.
Ziemlich nahe steht der Weltanschauung Schopenhauers Jul. Bahnsen
(gest. 1882 alB Lehrer in Lauenburg in Pommern), der die hegelsche Dialektik mit
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§ 41. Anhänger Schlciermachers, Schopenhauers, Benekes.
der Metaphysik Schopenhauers vereinigt. Wesen der Welt ist die Selbstentzweiuug
des Willens in jedem einzelneu Punkte der Welt. Hiermit ist die Unmöglichkeit
der Erlösung gegeben sowie die Unmöglichkeit, die Welt vermittelst der logischen
Formen zu erkennen. Der Trieb zum Erkennen ist immer da, aber seine Befriedigung
scheitert an der Antilogik in der Welt. Beiträge zur Charakterologie mit beson-
derer Berücksichtigung pädagogischer Fragen, 2 Bde., Lpz. 1867. Zum Verh.
zwischen Wille u. Motiv, eine metaphya. Voruntersuchung zur Charakterologie,
Stolp u. Lauenburg 1870. Zur Philosophie der Geschichte, eine krit. Besprech. d.
hegel-hartraannschen Evolutionismus aus schopenhauerscheu Frincipiun, 1871. Mo-
saiken und Silhouetten, charakterographische Situation?- und Entwickelungsbilder,
Lpz. 1877. Das Tragische als Weltgesetz u. der Humor als ästhetische Gestalt der
Metaphysik, Lauenb. i. P. 1877. Bedingter Gedanke u. Bedingungssatz, Lpz. 1877.
Der Widerspruch im Wissen u. Wesen der Welt, Princip u. Einzelbewäh-
rung der Kealdialektik, 2 Bde., Berl. 1880-1881. Aphorismen zur Spracbphilos..
Lpz. 1881. S. über d. Realdialekt. B.s E. v. Hartmann in: Phil. Monaten., 1881.
S. 227— 260, ferner über B.s charakterologischeu Individualism. in: Neukantianism. etc.
Von Schopenhauer hat Vieles herübergenommen E. v. Hartraann (s. u.). Im
Allgemeinen wahren den schopenhauerschen Standpunkt Phil. Mainländer, die
Philosophie der Erlösung, Berl. 1876, 2. Aufl. 1879, 2 Bde., 12 philos. Essays.
Frankf. a. M. 1882, welcher den Weltprocess darin erblickt, dass die Kraft des
zersplitterten Gottes, aus dessen Bruchstücken die Welt besteht, immer schwächer
wird, bis sie endlich ganz verlischt. Wir Menschen müssen dazu mitwirken durch
geschlechtliche Askese. Gott tritt aus dem Ueborsein durch das Werden in das
Nichtsein. Th. Meynert, zur Mechanik des Gehirnbaues, Wien 1874. Grosaen-
thcils auf Schopenhauers Doctrin gegründet ist Hippolyt Tauschinski, die Bot-
schaft der Wahrheit, der Freiheit u. der Liebe, Wien 1868. Auf Kant und Scho-
penhauer fusst J. C. Bocker, Abh. aus d. Grenzgebiet der Math. d. Philos.,
Zürich 1870. S. auch Theod. Stieglitz, Gruudzüge der histor. Entwicklung aus
den übereinstimmenden Principien der Philos. A. Schopenhauers und der natur-
w isseuschaftl. Empirie, Wien 1881.
Alfous Bilharz versucht die metaphysische Willenslehre Schopenhauers mit
einem atomistischen Dynamismus zu vereinigen; der Wille ist atomistisch in sich
gespalten. Dem Subject des Wollens steht das Object des Wollens gegenüber, das
ist die Aussenwclt, an der sich der Einzelwille fortwährend stösst. Diese wird aus
Kraftatomeu gebildet, die ihrem eigentlichen Wesen nach auch Subjecte wie wir
sind. Das Universum stellt sich, räumlich aufgefasst, als unendlich grosse Kugel
mit unendlich vielen Mittelpunkten dar; in ihr ist jeder Punkt selbst Mittelpunkt
einer unendlich grossen Sphäre, und jeder Punkt in ihr steht dem All als ver-
einigter Objectspunkt gegenüber, mit welchem zusammen er den Begriff des Seins
ausmacht — Die Acsthetik Schopenhauers, sowie desseu Pessimismus verwirft
Bilharz. — Der heliocentrische Standpunkt der Weltbetrachtung, Grundlegungen
zu einer wirklichen Naturphilosophie, Stuttg. 1879. Vgl. auch Metaphys. Anfangs-
gründe der mathemat. Wissenschaften, auf Gründl, d. heliocentr. Ph. dargestellt v.
Alf. Bilharz u, Portus Dannegger, Sigmaring. 1880.
Hier sei sogleich erwähnt Carl Peters, Willenswelt und Weltwille, Lpz.
1883, der in vielen Punkten mit Ed. v. Hartmann übereinstimmt, namentlich in dem
erkenntniss-theoretischen Realismus, in der Verbindung von Wille und Vorstellung
und in der Teleologie. Dem absoluten Weltwillen steht gegenüber der absolute,
auseinandergesprengte leere Raum, dem unendlich Daseinsvollen das uuendlich
Daseinsleere, dem absolut Activen das absolut Passive. Das Lebensvolle wurde
nun durch den eigensten Schaffensdrang gezwungen, dieses Zweite, ihm Eutgegeu«
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§ 41. Anhänger Schleiermachers, Schopenhauers, Benekes.
457
gehetzte in die Daseinsfülle seiner selbst mit hineinzureissen, es mit seiner Wesen-
haftigkeit zu durchdringen. Auf ethis ehern Gebiete sind seine Ansichten ähnlich
denen v. Hartmanns: „Aus der Lohe des Scheiterhaufens individueller Eudämono-
logie steigt wie ein Phönix der kosmische Optimismus empor.- S. üb. ihn E. v. Hart-
mann, ein neuer Schopenhauerianer, in d. Gegegenwart, 1883, No. 14.
Vielfach durch Schopenhauer ist angeregt, Friedr. Nietzsche, die Geburt
der Tragödie aus der Musik, 1872, 2 Aufl. Chemnitz 1878, neue Ausg. mit d. Ver-
such einer Seibatkritik, Lpz. s. a. Unzeitgemässe Betrachtungen 1873-1876 (1 Dar.
Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller; 2. Vom Nutzen und Nachtheil der
Historie für das Leben; 3. Schopenhauer als Erzieher; 4. Rieh. Wagner in Bay-
renth). In den darauf folgenden Werken : Menschliches, Allzumenschliches, ein Buch
für freie Geister, Chemnitz 1878, und einem Anhange dazu, Chemnitz 1879, der
Wanderer u. sein Schatten, Cheran. 1880 (die letzten drei zusammen unt. d. Titel:
Menschliches, Allzumenschliches, in neuer Ausgabe mit einer einfuhrenden Vorrede,
2 Bde., Lpz. 1886), Morgenröthe, Gedanken üb. d. moralisch. Vorurtheile, Chem. 1881,
d. fröhliche Wissensch. 18*2, Also sprach Zarathustra, 3 Hefte, Chemnitz 1883 u. 84,
Jenseits von Gut und Böse, Lpz. 1886, Zur Genealogie der Moral, eine Streitschrift,
Lpz. 1887, giebt Nietzsche eine Reihe besonders moralisirender, geistreicher und an-
regender, In der letzteu Schrift mehr zusammenhängender, Aphorismen, ohne seine An-
sichten aber abgerundet zu haben und ohne sich irgend einem Philosophen bestimmt
anzuschliessen. Frei von allen sittlichen und religiösen Vorurtheilen, leugnet er über-
haupt die Sittlichkeit, d. h. ihre Voraussetzungen, insofern er in Abrede stellt, dass
die herkömmlichen sittlichen Urtheile auf Wahrheit beruhen. Dies sind allerdings
Motive des Handelus, aber es treiben so Irrthümer den Menschen zu seinen Hand-
lungen. Doch soll sich der Satz: .die Art ist Alles, Einer ist immer Keiner-,
der Menschheit einverleiben. Zur Erklärung der Herkunft der Werthurtheile kommt
er durch die Frage, was eigentlich die von verschiedenen Sprachen ausgeprägten
Bezeichnungen des .Guten* etymologisch zu bedeuten habeu. Er findet da, dass
überall .vornehm*, „edel* im ständischen Sinne der Grundbegriff ist, aus dem sich
.gut* im Sinne von .seelisch vornehm' nothwendig entwickelt, und dass dem par-
allel „ gemein", .pöbelhaft", .niedrig" schliesslich in den Begriff .schlecht* über-
geht. Nietzsche kommt so zu einer Anerkennung des Vorrechts der Wenigen, zu
einer extrem aristokratischen Ansicht, und polemisirt entschieden gegen alle Gleich-
berechtigung der niederen Volksklassen mit den höheren.
Den Pessimismus, der schon Anfang dieses Jahrhunderts namentlich durch
den italienischen Dichter Grafen Giacomo Leopnrdi (1793—1837, Operette moruli,
Mil. 1827, vgl. verschiedene Abhandlungen von M. Aulard, ferner Krauts, le
pessimisme de L., iu Revue philos., Bd. 10, 1880, S. 396— 413) vertreten war, hat
besonders nach Schopenhauer Ed. v. Hartmann weiter und tiefer zu begründen sowie
als einzig richtige Lebensanschauung und als das wahre Fundament einer wirklichen
Ethik hinzustellen gesucht. In Folge davon ist für und wider den Pessimismus eine
ganze Litteratur entstanden, von der nur das Bedeutendere hier angeführt werden soll.
A. Taubert (die erste Frau Ed. v. Hartmans), der Pessimismus D. seine Gegner.
Berl. 1873. J.B.Meyer, Weltelend und Weltsehmerz, eine Rede gegen Schopenhauers
und Hertmanns Pessimismus, Bonn 1872. Georg Jcllinck, die Weltanschauungen Leibniz'
und Schopenhauers, I.-I)., Wien 1872. Hcinr. Schwarz, das Ziel der religiösen u.
wisscnschaftl. Gährung nachgewiesen an E. v. H.s l'essimism., Berl. 1875« G. P. Wey-
goldt, Krit des philos. Pessimism. der neuesu-n Zeit, Preisschr., Leiden 187."). W.
Gass, Optimismus u. Pessimismus, der (lang der christl. Welt- u. Lebensansicht, Berl.
187G. Th. Frantz, der Pessimismus, seine Begründung in der modernen Philosophie,
sein KinHuss auf die gegenwärtige Durchschuittsbildung, Carlsruhe 1876. Job. Huber,
de.r Pessimismus, München 187G. James Sully, Pessimism. A historv and a criticism,
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458
§41. Anhänger Schleiermaehers, Schopenhauers, Benekes.
Lond. 1877. Caro, le Pessimisme au XIX. siede. Leopardi— Schopenh.— Hartm.,
Paris 1878, 2. ed. 1881. Ludw. v. Golther, der moderne Pessimismus , mit einem
Vorwort von Friedr. Theod. Vischcr, Loipz. 1878. G. Borries, üb. d. Pessimism. als
Durchgangspunkt au universaler Weltanschauung, I.-D , Lpz. 1880. Hugo Sommer,
der Pessimism. u. d. Sittenl., Haarlem 1882, 2. Aufl. Berl. 1883. Alb. Bacmeister, der
Pessimism. u. d. Sittenl. mit besonder. Berücksichtig, v. E. v. Hartmanns Phänomenol.
des sittl. Bewußtseins, Gütersloh 1882. Rehmke, der Pessimism. u. d. Sittenl., Lpz.
1882. P. Christ, der Pessimism. u. d. Sittenl., Haarlem 1882. J. Duboc, der Optiinism.
als Weltanschauung u. seine rcligiös-eth. Bedeut. f. d. Gegenwart, Bonn 1881. J.
Hippel, d. neuere Pessimism, Würzb. 1884. 0. (Olga) Plüroacher, der Pessimism.
in Vergangenheit u. Gegenwart, Geschichtliches u. Kritisches, Heidelb. 1884. Max
Braig, d. Pessimism. in seinen ethisch. Grundlagen, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Krit., 84,
1884, S. 78 — 105. Alb. Weckesser, d. empir. Pessimism. in «ein. metaphys. Zu-
sammenh. im Syst. v. Ed. v. Hartmann, Bonn 1885. W. Ribbeck, Studien üb. d.
Pessimism., in: Vierteljahrsschr. f. wissensch. Ph., IX, 1885, S. 265—287. Grg. Siinmel,
üb. d. Grundfrage des Pessimism. in methodisch. Hinsicht, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr.,
90, 1887, S. 237—247. Die hierher gehörenden Schriften v. Hartmanns s. u.
Unter den Anhängern Benekes sind die bedeutendsten Joh. Gottlieb Dressier,
der, durch Benekes Erziehungslehre für dessen Richtung gewonnen, sich um die
Erläuterung und Vertheidigung derselben sehr verdient gemacht hat, und Friedr.
Dittes in Wien. Ferner hat Beneke auf Carl Fortlage und Friedrich üeber-
weg wesentlich eingewirkt.
J. G. Dressler (gest. 18. Mai 1867), Beiträge zu einer besseren Gestaltung
der Psychol. u. Fädagog., a. u. d. T.: Beneke u. d. Seelenl. als Naturwissensch.,
Bautzen 1840-46. Frakt. Denkl., Bautzen 1852. Ist Beneke Materialist? Berl. 1862.
Die Grundlehren der Psychologie u. Logik, Lpz. 1867, 3. Aufl. v. Friedr. Dittes
u. O. Dressier, Lpz. 1872. Ausserdem hat Dressler zahlreiche Abhandlungen in
pädagogischen Zeitschriften erscheinen laasen. Von ihm ist nach Benekes Tode
desselb. Lehrb. der Psychol. in 3. Aufl., Berl. 1864, 4. Aufl. ebd. 1877, u. B.s Er-
ziehung«- n. ünterrichtslehre in 3. Aufl., Berlin 1864, herausgegeben worden. Von
Dresslers Sohn, O. Dressier, ist ein Gmndriss der pBycholog. Anthropologie als
Grundlage der Erziehungslehre, Lpz. 1868, erschienen und ein Lehrbuch der Anthro-
pologie, Lpz. 1876 ff.
Der Pädagog J. R. Wurst hat in seiner Sehr.: „Die zwei ersten Schuljahre"
Benekes Sittenlehre pädagogisch verwerthet. Seine , Sprachdenklehre * beruht
ihrem Inhalt nach auf Karl Ferdinand Beckers Grammatik (dessen bedeutendstes
Werk «.Organism. der Sprache*, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1841, nicht ohne Einfluss
auf Trendelenbnrg gewesen ist), ihrer didaktischen Form nach zumeist auf Benekes
Lehre. Kämmel hat zu HergangB „Pädagog. Realencyclopädie* Beiträge geliefert, die
auf Benekes Doctrin beruhen, auch Artikel in Zeitschriften zur Fädagog. u. Gesch.
der Pädagog. verfasst (Ueber Herodes Atticus in d. Jahrb. f. Ps. u. Pädag. 1870 etc.).
Pädagogische Schriften über die Entwickelung des Bewußtseins von Börner,
Dittes, Ueberweg sind aus der benekeschen Schule hervorgegangen. Ausserdem
sind hier zu nennen: Otto Börner, die Willensfreiheit, Zurechnung und Strafe,
Freiberg 1857. Friedr. Dittes, das Aesthetische nach seinem eigentümlichen
Grundwesen u. seiner pädagogischen Bedeutung, Lpz. 1854, über Religion und
religiöse Menschenbildung. Plauen 1855, Naturlehre des Moralischen u. Kunstlehre
der moralisch. Erziehung, Lpz. 1856, Ueb. d. sittl. Freiheit, Lpz. 1860, Gmndriss
der Erziehungs- und ünterrichtslehre, Lpz. 1868 u. öft, Lehrb. d. Psychol., 5. Aufl.,
1876, Lehrb. d. prakt Log., 7. Aufl., Lpz. 1884. Verschiedene Disciplinen Her-
barts hat Dittes einer scharfen Kritik unterzogen, s. ob. d. Litterat. b. Herbart.
Friedr. Schmeding, das Gcmüth, G.-Pr., Duisb. 1868. Von Heinrich Neu-
geboren und Lndw. Korodi ist eine Vierteljahrsschr. für d. Seelenlehre,
Kronstadt 1859-1861, herausgegeben worden.
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§ 41. Anhänger Schleiermachers, Schopenhauers, Benekes.
459
Nicht für empiristisch genug hält den benekeschen Empirismus Reinbold
Hoppe, Zalänglichkeit des Empirismus in d. Philos., Herl. 1852, der seine Arbeit
als Vollführung dessen, was Locke gewollt hat, bezeichnet, nämlich als Aufklärung
über die philosophischen Begriffe zum Zweck der scharfen Bestimmung der philo-
sophischen Fragen, wodurch deren Lösung bedingt sei. In seiner philosophischen
Doctrin berührt sich Hoppe zumeist mit Berkeley, will jedoch nur an dessen
Grundansicht festhalten, dass das Ding nur in der Idee von Geistern existire, oder
dass jedes Object der Erkenntniss Idee eines Subjects sei, tadelt aber, dass Berkeley
die Abstraction nicht auf die Perception angewaudt habe, wodurch der Begriff des
Dinges gewonnen werde.
Benekes empirischen Standpunkt versetzt mit kantisch-fichtescher Speculation
in freier Umbildung Carl Fortlage (geb. 1806 zu Osnabrück, gest. d. 8. Nov. 1881
als Prof. der Philos. in Jena), System der Psychologie als empirische Wissenschaft
aus der Beobachtung des inneren Sinnes, 2 Bde., Lpz. 1855. Acht psycholog. Vor-
träge, Jena 1868. Sechs philosoph. Vorträge, ebd. 1869, 2. Aufl. 1872. Vier
psycholog. Vorträge, Jena 1874. Beiträge zur Psychologie als Wissensch, ans
Speculation u. Erfahrung, Lpz. 1875. Aus einer Anzahl religionsphilosophischer
Abhandlungen, die sich in seinem Nachlasse fanden, hat Lipsius eine, das Menschheits-
ideal der Moralität nach dem Christenthum, im 9. Bde. der Jahrbücher für protest.
Theol. herausgegeben. Vgl. R. Eucken, Fortlage als Religionsphilosoph in: Ztschr.
f. Philos., Bd. 82, 1883, S. 180-196, der den Nachlass benutzt hat. Fortlage will
bei seinen psychologischen Forschungen namentlich die Selbstbeobachtung anwenden
und bringt eine Menge geistvoller und feiner Bemerkungen, ohne mit seinem psycho-
logischen Grundbegriff des Triebes, der sich aus Gefühl und Vorstellung zusammen-
setzt, und seinem Mechanismus der Triebe viel Anklang zu finden. Auf meta-
physischem Gebiet versuchte er mit Vorliebe für Fichte auch mit einer gewissen
Hinneigung zur Mystik eine Vereinigung des Pantheismus mit dem Theismus, indem
er Beine Weltanschauung transscendenten Pantheismus nannte. Die Welt ist im
All-einen oder in dem absoluten Ich enthalten, mit dem die sittlich und intellectuell
selbständigen endlichen Geister eins werden. Dasselbe ragt aber zugleich über die
Zeit und den Raum, über Natur und Geschichte hinaus. S. über Fortlage Mor.
Brasch, K. F., ein philos. Charakterbild, in: Unsere Zeit, 1883, S. 730-756, auch
dessen Philosophie der Gegenwart.
Friedrich Ueberweg (geb. 1826 zu Leichlingen im Kreise Solingen, habilitirte
■ich 1852 in Bonn, 1862 ausserordentlicher, 1868 ordentlicher Professor in Königs-
berg, gest. 1871), stellte sich in seiner ersten Schrift .die Entwickelung des Be-
wusstseins durch den Lehrer und Erzieher" ganz auf den Standpunkt Benekes. In
„System der Logik und Geschichte der logischen Lehren", Bonn 1857, 5. Aufl. 1882,
herausgeg. v. J. B. Meyer, versucht er, die Logik auf aristotelische Principien zu
gründen. Er will die Mitte halten zwischen der subjectivistisch formalen Loirik
(Kant, Herbart), welche die Formen des Denkens zu den Formen des Seins ausser
Beziehung setzt, und der metaphysischen Logik (Hegel), welche beiderlei Formen
identificirt, in der Selbstbewegung des reinen Gedankens zugleich die Selbsterzeu-
gung des Seins erkannt zu haben meint. Er will dem Aristoteles folgen, welcher
in dem Denken das Abbild des Seins sieht, ein Abbild, das von seinem realen
Correlate verschieden ist, ohne doch zu ihm ausser Beziehung zu stehen, und dem-
selben entspricht, ohne doch mit ihm identisch zu sein. Vou hier ausgehend, will
er sich in derselben Richtung wie Schleierraacher, Ritter, Trendelenburg, Beneke
mit seiner Bearbeitung der Logik bewegen. Es spiegelt sich nach ihm in der
räumlich zeitlichen Ordnung der äusseren Wahrnehmung die eigene räumlich zeit-
liche Ordnung, und in der inneren Wahrnehmung die eigene zeitliche Ordnung der
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460
§ 42. Rückgang auf Aristoteles u. a. Philos.
realen Objecte ab. Die sinnlichen Qualitäten aber, die Farben und Töne etc., die
den Wahrnehmungsinhalt ausmachen, sind zwar als solche nur subjectiv und nicht
Abbilder von Bewegungen, stehen aber tu bestimmten Bewegungen, als deren Symbole,
in einem gesetzmässigen Zusammenhange. Ueberweg hat am wenigsten gegen die
Bezeichnung seines Systems als eines Ideal-Realismus einzuwenden (vgl. seinen
Aufsatz „Ueber Idealismus, Realismus und Ideal-Realismus" in d. Zeitschr f. Philos.
u. philos. Krit, Bd. 34, 1869). Zu Kaut stellte er sich in entschiedenen Gegensatz,
indem er zu zeigen suchte, wie die räumlich-zeitliche und causale Ordnung, auf
deren Erkenntnis die Apodicticität beruht, nicht erst von dem anschauenden
und denkenden Subjecte in einen chaotisch gegebenen Stoff hineingetragen, sondern
aus der (natürlichen und geistigen) Realität, iu der sie ursprünglich ist, saccessive
durch Erfahrung und Denken in das subjective Bewusstsein aufgenommen wird
In der Psychologie huldigte er bald dem vollen Naturalismus, wie aus seiner
sensualistisch — oder materialistisch — nativistischen Raumtheorie hervorgeht,
die er dargestellt hat in der Zeitschr. f. rationelle Medicin von Henle u. Pfenffer,
1859, III. Reihe, 6. Bd., 3. Heft. Die Vorstellungen befinden sich nach dieser An-
sicht als ausgedehnt in dem Empfindungsraum, welcher identisch mit dem Anschauungs-
raum ist. Ueber seine spätere materialistische Weltanschauung, zu der er durch
den intimen Verkehr mit Czolbe wohl zum Theil gebracht wurde, bei der er aber doch
die Teleologie beizubehalten suchte, und die er in Briefen niedergelegt hat, s. Lange,
Gesch. des Materialismus, Bd. 2. Seine Arbeiten zur Geschichte der Philosophie sind
in der Litteratur dieses Grundrisses augegeben, die über Schiller hatte er in Folge
eines Preisausschreibens der Wiener Akademie verfasst und eingereicht Jedoch
erhielt Karl Tomascheks Werk den Preis, und so ist dies überwegsche Werk erst
lange nach dem Tode des Verfassers veröffentlicht worden. Sein Nachlass, philo-
sophische Abhandlungen, und wissenschaftliche Correspondenz sollen von Moritz
Braach nächstens herausgegeben werden.
Von Ueberweg handeln F. A. Lange, Fr. Ueberweg, aus d. altpr. Monatsschr..
Bd. 8, S. 487- 522, auch separat, 1871, u. A Lasson, Zum Andenken an Fr. Ueb.,
in: Philos. Monatsh. Bd. VII, 1872, S. 289-313.
§ 42. Bei der allseitigen Durchforschung der Geschichte der
Philosophie ist es naturlich, dass man auch mehrfach in der Geschichte
selbst nicht nur Elemente zu neuen Constructionen fand, sonderu
geradezu ältere Systeme wieder auffrischte. In dieser Beziehung ist
hervorzuheben Aristoteles, der von Trcndelenburg als der Philo-
soph der organischen Weltanschauung besonders geschätzt und benutzt
wird. In anderer Weise wird durch Wiederaufleben des Thomismus
auf Seiten der katholischen Kirche Aristoteles in die Gegenwart wieder
eingeführt.
Inmitten des Kampfes der philosophischen Parteirichtungeu liegt für die
philosophische Erkenntniss eine gemeinsame Basis theil* in der Geschichte der
Philosophie, theils in einzelnen zu bleibender Gültigkeit gelangten philosophischen
Doctrinen (zumeist auf dem Gebiet der Logik), theils auch in den zu der Philo-
sophie in nächster Beziehung stehenden Resultaten der positiven Wissenschaften,
insbesondere der Naturwissenschaft. Der Rückgang auf diese gemeinsamen Aus-
gangspunkte philosophischer Forschung, die eindringende und treffende, aber iu
der Form gemässigte Kritik eiuseitiger Doctrinen und die unternommene Recou-
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§ 42. Rückgang auf Aristoteles u. a. Thilos.
461
struction der Philosophie auf gesichertem Grunde, allerdings unter Mithinzunahme
einiger ihm selbst eigentümlichen Hypothesen, sind die wesentlichen Verdienste
des Aristotelikers Adolf Trendelenburg (geb. 1802 in Eutin, Beit 1833 ausser-
ordentlicher, seit 1837 ordentlicher Prof. d. Philos. in Berlin, gest 1872). Kr hut
lange Zeit eine eiuflussreiche Stellung in Berlin eingenommen and als akademischer
Lehrer eine weitreichende Wirkung ausgeübt. Er suchte zwischen der formalen
und metaphysischen Logik zu vermitteln. Unter den ihm eigenthümlichen Doctrinen
ist die beachtuugswertheste die Annahme einer constructiven, durch den Zweck
geleiteten Bewegung, die der äusseren Welt des Seins und der innern Welt des
Denkens gemeinsam sei, so dass das Denken, als dos Gegenbild der äusseren Be-
wegung aus sich a priori, aber in nothwendiger Uebereinstimmung mit der objectiven
Realität, Raum, Zeit und Kategorien erzeuge. In dem schöpferischen Gedanken
ruht nach der „organischen Weltanschauung« (vgl. oben zu § 13, S. 88) das Wesen
der Dinge. Die sittliche Aufgabe des Menschen ist, die Idee seines Wesens zu
erfüllen, indem der Gedanke, der in ihm zum Selbstbewusstsein gelangt, das Be-
gehren und Empfinden erhebt und dieses den Gedanken treibt und belebt. Nur im
Staat und in der Geschichte entwickelt der Mensch seine menschliche Natur. Das
Recht wahrt die äusseren Bedingungen für die Verwirklichung des Sittlichen mit
der Macht des Ganzen; es ist der Inbegriff derjenigen allgemeinen Bestimmungen
des Handelns, durch welche es geschieht, dass das sittliche Ganze und seine
Gliederung sich erhalten und weiter bilden kann. Die äussere Allgemeinheit der
geltenden Rechtsbestimmungen folgt aus der inneren Allgemeinheit der sittlichen
Zwecke, für deren Bestand das Recht da ist. Trendelenburg führt diesen Begriff
des Rechts durch die verschiedenen Sphären vom Privutrecht bis zum Völkerrecht
durch. Der Staat ist der universelle Metisch in der individuellen Form des Volkes.
Das Ziel aller Staatsverfassung ist die Einheit der Macht. Gesinnung und wachsende
Verwirklichung der Idee des Menschen ist der Impuls der Weltgeschichte. Viele
der Forscher auf dem Gebiete der Geschichte der Philosophie, namentlich der alten
Philosophie, verdanken Trendelenburg die wesentlichste Anregung. Besonders ist
das philologische und methodisch philosophische Studium des Aristoteles durch
ihn in Aufnahme gekommen. Von bedeutender Wirkung ist seine scharfe Polemik
gegen Hegels Dialektik und Herbarts Realismus gewesen.
Ausser Trendelenburgs in der Littcratur dieses Grundrisses erwähnten philo-
logischen und historischen Schriften kommen hier noch insbesondere die didaktisch
-höchst wertbvollen .Element» logices Aristot.", Berol. 1836, 8. Aufl. 1878, nebst
den zugehörigen .Erläuterungen", Berl. 1842, 3. Aufl. 1876, ferner die Haupt-
werke: Logische Untersuchungen, Berl. 1840 , 2. Aufl. Lpz. 1862, 3. Aufl.
1870, und: Naturrecht auf d. Grunde d. Ethik, Lpz. 1860, 2. ausgeführtem
Aufl. ebd. 1868, in Betracht. Au die logischen Untersuchungen schliesst sich
die Schrift: Lücken im Völkerrecht, Lpz. 1870. S. über Trendelenburg II. Schwarz,
Tr.s fortgeschrittene Verstandesansicht, iu: Ztschr. f. Ph. u. philos. Kr., 1864,
S. 76 bis 109. Herrn. Bonitz, zur Erinnerung an Fr. Ad. Tr., Vortrag, gehalten
in der königl. Akad. d. Wissensch, zu Berlin. Berl. 1872. K. v. Prantl, Gedächtniss-
rede auf Fr. Ad. Tr., gelesen in der raünch. Akad., München 1873. Ernst Bratu-
scheck, Biographie Ad. Tr.s, in den Philosophischen Monatsheften, VIII, 1H72,
u. separat, Berl. 1873. Maxim. Sohr, Tr. u. die dialektische Methode Hegels,
Halle 1874. Rud. Eucken, Zur Charakterist. der Philos. Tr.s. in: Philos. Monatsh.,
1884, S. 342—366, u. unch Kyms metaphys. Untersuchung: Tr.s logische Unter-
suchung u. ihre Geguer, 3 Abhandlungen.
An Trendelenburg haben u. A. Carl Heyder (geb. 1812, gest. als Prof. in
Erlangen 1886), die arist. u. hegelsche Dialektik, I, Erlaugen 1845, d. Lehre von
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462
§ 42. Rückgang auf Ariatotelea u. a. Philos.
d. Ideen in einer Reihe von Untersuch, über Geschichte u. Theorie ders., L Abth.,
Frankf. a. M. 1874, A. L. Kym (Prof. in Zürich, geb. 1822), Hegels Dialektik in ihrer
Anwendung auf die Gesch. der Philos., Zürich 1849, die Weltanschauungen u.
deren Consequenzen, Zürich 1854, Trendelenburgs log. Untersuchungen u. ihre
Gegner, 1. Abhandlung, in: Zeitschr. für Phil. u. phil. Kritik, Bd. 54, Heft H;
2. Abhandlung, in: Philos. Monatshefte, IV, 1870, Metaph. Untersuchungen,
München 1875, das Problem des Bösen, München 1878, sich angeschlossen. Kym
will Pantheismus und Theismus vermitteln in einem „theistischeu Monismus" und
fasst seine Weltanschauung in den Worten zusammen: Spinozas Substanz vertieft
und beherrscht durch Piatos Ideen. In der erneuten Basirung der Logik auf
aristotelische Principien kommt mit Trendelenburg auch Fr. Ueberweg über-
ein (s. o.).
Auf den meisten katholischen Lehranstalten herrschte schon früher ein
scholastisch modificirter Aristotelismus, insbesondere die thomistische Doctrin (der
sich auch nähert C. F. Heman, <L Erscheinung der Dinge in der Wahrnehmung,
Lpz. 1881). So stellte im Anschluss an Aristoteles und die Scholastiker die Philo-
sophie systematisch dar Georg Hagemann, Elemente der Philosophie (Logik tu
Noetik, 3. Aufl. Münster 1873, Metaph. 1869, 3. Aufl. Frbg. 1875, Psychol., 4. Aufl.
Freibg. i. Br. 1881); ebenso sind F. J. Clemens (s. o. S. 443), Joseph
Kleutgen id. Philosophie der Vorzeit vertheidigt; 2. Aufl. Innsbruck 1878, 79),
Constant Gutberiet, Lehrb. d. Philosophie, 6 Theile, Münster 1878—1886, d.
Gesetz v. d. Erhalt, d. Kraft u. s. Beziehung, z. Metaphys., Münst. 1882, Ludw.
Schütz, Einleit. in d. Philos., Münster 1879, der Scholastik befreundet, ferner
A. Stöckl, Lehrbuch der Philosophie, 2 Abtheilungen, 5. Aufl. Mainz 1882.
In der Encyclica Aeterni Patris vom 4. Aug. 1879 hat nun Leo XIII. die
Philosophie des heil. Thomas besonders empfohlen: Nihil nobis esse antiquius et
optabilius, quam ut sapientiae rivos parissimos ex angelico doctore ingi et
praedivite vena dimanantes studiosae iuventuti large copioseque praebeatis. —
Sancti Thoraae sapientiam restituatis et quam latissime propagetis. Seit diesem
Zeitpunkte ist in Deutschland und anderwärts auf katholischem Boden eiu ausser-
ordentlich reges und fruchtbares Streben zu beobachten: einmal den heiligen
Thomas genauer kennen zu lernen und seine Keuntniss durch Commentare seiner
Schriften zu erleichtern, sodann aber namentlich Darstellungen der Philosophie
und ihrer einzelnen Theile im Sinne und Geiste des Doctor angelicus zu liefern
und zwar so, daas die neueren Ergebnisse der Wissenschaften berücksichtigt, ihre
Stellung in dem universalen thomistischen Gedankenkreise fänden, indem keine
wirkliche Wahrheit diesem fremd sein solle. Es sind hier von Deutschen zu
erwähnen: Ernst Commer (Prof. d. Theol. in Münster), die philosophische Wissen-
schuft, ein apologet. Versuch, Berl. 1882, System der Philosophie, 1—4 Abth.,
Paderborn 1883 — 1886, welcher eine systematische Darstellung der Philosophie
auf aristotelischer Grundlage versucht und sich hierbei nicht nur mit Thomas,
sondern mit den grossen Philosophen aller Zeiten in Uebereinstimmung glaubt.
Paul Haffner, Grundlinien der Philos. als Aufgabe, Gesch. u. Lehre zur Einleit.
in d. philos. Studien, Muiuz 1881. T. Pesch, S. J., Institutiones philosophiae
naturalis, Frb. 1880; das Weltphänomen, e. erkenutnisstheoret. Studie, Frb. 1881,
die grossen Welträthsel, Philos. der Natur, 2 Bde., Frb. 1883 u. 1884. Frz. Xav.
Pfeifer, harmonische Beziehungen zwisch. Scholastik u. moderner Naturwissensch.,
Augsb. 1881. P. Dressel, d. belebte u. unbelebte Stoff nach d. neuesten Forschungs-
ergebnissen, Frb. 1883. C. M. Schneider, Natur, Vernunft, Gott, Regensb. 1883,
d. Wissen Gottes nach d. Lehre des h. Th. v. Aqu.. 4 Bde.. Regensb. 1884—1886.
Th. Mayer, S. J., Institutiones iuris naturalis seu philosophiue moralis uuiversae
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§ 42. Rückgang auf Aristoteles u. a. Philo*.
403
secund. principia S. Tuomae Aquinatis, Frb. 1885. Seit 1887 bat diese thomistische
Richtung in Deutschland als Orgau das „.Jahrbuch f. Philosophie u. specu-
lative Theologie", berausgeg. v. Ernst ( ommer. S. über diese ganze Richtung
(Jb. Secr&an, la restauration du Thomisme. in: Rev. philos. XVIII, 1844, 8. 56
bis 91, Rud. Euckeu, d. Philosophie des Thoin. v. A. u. d. C'ultur der Neuzeit,
Halle 1886 (vorher in d. Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 1885 u. in d. Müncheuer Allgem.
Zeit ), A. Adeodatus, d. Philos. u. d. Cultur d. Neuzeit u. d. Philos. des h. Tb.
v. A., in: Schrift d. Görres-Gesellscb., 1887, 1. EL, M. Schneid, d. Litteratur üb.
d. thomist. Philosophie seit d. Encycl. Aet. P., in: Jahrb. f. Ph. u. spec. Tb., 1.
1887, S. 269—308. Vgl. auch Grundr. II, 7. Aufl., S. 237. — Die Hauptvertreter des
ThomismiiB ausserhalb Deutschlands werden bei den betreffenden Ländern erwähnt
werden.
Viel Thomistiscbes findet sich auch in Jos. Jungmauns S. J. Aesthetik,
2. umgearb. Aufl. des Buches: Die Schönheit u. d. sch. Kunst. Frb. i. Br., 8 V.,
3. Aufl. 1886.
Sporadisch tauchen Versuche selbständigerer Umgestaltung der Philosophie
von katholischer Seite auf, wie der von Michelis (dem Verfasser der oben
citirten Schriften über Piaton, über Kant, einer Uebersicbt über den Entwickeluugs-
gaug der Philos., der Philosophie des Bewusstseins , Bonn 1878, des Gesaranit-
ergebnisses der Naturwissenschaften denkend erfasst, Frb. 1885 und anderer
Schriften und Abhandlungen) etc. Ueber Beruh. Bolzano (1781 — 1848, Wissen-
schaftslehre, Sulzbach 1837, Athanasia, ebd. 1838, Selbstbiogr. , mit Einleitg..
Anmerkungen u. einigen kleineren ungedruckten Schriften, neue Ausg., Wien
1875, etc.), der als Halbkantianer zu bezeichnen ist, freilich in manchem Betracht
der leibniz-wolffschen Weise des Philosophirens sich anschliesst, s. M. J. Fesl
und R. Zimmermann am oben S. 452 angef. Ort. Oischinger, Grundzüge z.
Syst. der christlichen Philos., 2. Aufl., Straubing 1852; die günthersche Philo-
sophie, Schaffh. 1852. Martin Deutinger (1815-1864), Grundlinien einer positiven
Philos., 1843—49, der gegenw. Zustand der deutschen Philos., ans d. handschriftl.
Nachlass des Verstorbenen hrsg. von Lorenz Kastner, München 1866, knüpft mehr-
fach an Baader an und will eine Versöhnung zwischen Wissen u. Glanben stiften.
Vgl. L. Kastner, Mart. Deutingers Leben u. Schriften, Münch. 1875, G. Neu-
decker, der Philos. Deutinger u. ultramontaue Sophistik, Würzburg 1877. Neu-
decker ist in seinem eigenen Philosophiren auch von Deutinger ausgegangen, das
Grundproblem der Erkenntnisstheorie, Nördling. 1881, Grundlegg. der rein. Logik,
Würzb. 1882. Nach ihm ist das Selbstbewusstsein der feste Punkt, der für da*
Wissen u. Denken nöthig ist; es ist uns unmittelbar und an sich gewiss und Ist
die Voraussetzung für alle andere Gewissheit. Aus sich entwickelt es aber nicht
den Inhalt des Bewusstseins.
Die leibnizische Grundansicht hat in eigenthümlicber Form erneut Michael
Petöcz, Ansicht der Welt, Lpz. 1838, der die Welt aus Seeleu bestehen lässt;
auf Leibniz, als den .eigentlichen Giganten der deutschen Philosophie", weist auch
Joseph Durdik hin, indem er zugleich Newtons Gravitatiousgesetz in den leib-
niziBchen Gedankenkreis hineinzuverarbeiten sucht, b. oben bei den Herbartianern.
Auch M. Drossbach (s. u.) steht in einem verwandten Gedankenkreise.
Einen auf Bacou zurückgehenden Empirismus vertritt O. F. Gruppe 1 1H04
in Danzig geb., lange Jahre Secretair der Akademie der Künste in Berlin, als
solcher 1876 gest.), dessen Ansichten auch mit deuen Benekes einige Aehnlichkeit
haben. Er schrieb: Antäus, ein Briefwechsel über speculative Philos. in ihrem
('onflict mit Wisseusch. u. Sprache, Berl. 1831. Wendepunkt d. Philos. im
19. Jahrb., Berl. 1834. Gegenwart u. Zukunft d. Philos. iu Deutschland. Berl. 1855.
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464
§ 43. Rückgang auf Kant, Neukantianer.
Gruppe hält dafür, das System sei die Kindheit der Philosophie, die Maunheit der
Philosophie sei die Forschung. Er bekämpft alle Metaphysik und Speculation auf
das Entschiedenste und sieht in der Geschichte der Philosophie fast durchgehends
eine Geschichte der Irrthümer.
Die einheitliche Weltanschauung Spinozas sucht unter scharfer Kritik der
Transsceudentalphilosophie Kants mit Zuhülfenahme der Atomistik zu begründen
M. (Helene) Bender, Zur Losung des metaphysischen Problems, Berl. 1886. Die
Kategorien treffen auch die Dinge an Bich; die Substanz ist identisch mit dem
Ding an eich.
§ 43. Weit mehr als andere frühere Philosophen ist in Deutsch-
land Kant wieder in den Vordergrund getreten, der seit etwa 1855
einer gründlichen Durchforschung, mehrfach in philologischer Weise,
unterzogen wird, und auf den man von den verschiedensten Seiten
aus zurückgehen wollte und noch will, und es trat durch die Betonung
des Kriticismus eine starke Ernüchterung im Denken ein. In Folge
dieses Wiederanknüpfens an Kant sind an Stelle der metaphysischen
erkenntnisstheoretische Untersuchungen getreten. Von der Speculation
über das Uebersinnliche, Nichterfahrbare kam man ab, und die Be-
schränkung der menschlichen Erkenntniss auf die Erscheinungen wird
betont. So hat sich ein reiner Phänomenalisinus und ein Poeitivismus
im Sinne Humes oder Corates entwickelt, wenngleich der letztere in
Deutschland keinen günstigen Boden zu finden scheint. Als die haupt-
sächlichsten der sogenannten Neukantianer, die sich freilich nicht
unwesentlich von einander unterscheiden, sind zu nennen: Frdr. Alb.
Lange, Herrn. Cohen, Otto Liebmann u. A , auch wohl Joh. Vol-
kelt. Die vorzüglichsten Vertreter des Positivismus sind Ernst Laas
und Aloys Riehl.
Auch bedeutende Naturforscher, wie Helmholtz u. A., haben
auf erkenntnisstheoretischem Gebiet sich Kaut genähert. Ebenso haben
sich namhafte Theologen, wie Albrecht Ritsehl, durch Kant wesent-
lich beeinflussen lassen, so dass auch diese zu den Neukantianern ge-
rechnet werden können.
S. Giacotno Barzellotfi, la nuova senola del Kant e la filosofla scientific« contem-
poranea in Germania, Roma 1880 (freilich sehr unvollkommen orientirend). Leber die
Kant-Studie. i J. B. Meyer, in: Vierte Ijahrsherichte fib. d. gerammten Wissensch. D.
Künste etc., hwmutggg. v. Rieh. Fleischer, 1882.
L'eber dem Positivismus verwandte Erscheinungen in d. gegenwärt, deutschen
Philosophie s. Beruh. Pünjer, d. Positiv ism. in d. neuer. Philo»., III, in: Jahrbb. f.
protest. Theol., 1S71), S. 1— 62.
Ueber die kantianisirenderi Theologen der neueren Zeit s. O. Flügel, d. speculat.
Theol. d. Gegen w., 2. Aufl., Cöth. 1888. Ferner die betreffenden Abschnitte in den
Werken von O. Pfleiderer u. Pünjer üb. Gesch. d. Religionsphilos. L'eb. Ritsehl ins-
besondere s. Fricke, Metaphys. u. Dogmatik in ihr. gegenseit. Verb. unt. besonderer
Berücksichtig, der Ritschisehen Theol., Vortr., Lpz. 1882, woselbst auch Streitschriften
für u. gegen Ritsehl angeführt sind, u. O. Flügel, A. R.s philos. Ansichten, in: Ztschr.
f. ex. Ph., 14, 188(5, S. 2*1— :|04. Di»' theologische Litteratur kann hier nicht auf-
geführt werden.
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§ 43. Rückgang auf Kant, Neukantianer.
46?)
Dem Kantianismue nahe stand Ernst Reinbold (Karl Leonh. Reinholds Sohn,
1793—1855, gest. als Prof. in Jena), ohne das» er aber an der neueren Kant-
bewegung schon Theil hätte. 8. üb. ihn: Apelt, B. R. u. d. kantische Philo».,
Lpz. 1840.
übschon nicht Kantianer und überhaupt keiuer philosophischen Partei zu-
gewendet, verehrt doch Kant mehr als irgend einen anderen Philosophen der Neu-
zeit Karl Alexander Freiherr v. Reichlin-Meldegg (1801—1877, gest. als Prof.
in Heidelberg; seine Autobiogr. „d. Leben eines ehemal. römisch-kathol. PrieBters",
Heidelb. 1874). In seiner Psychol., Heidelb. 1837—38, sucht er dasjenige zu geben,
was sich durch die Erfahrung constatiren lässt, d. h. durch die Thatsnchen des
eigenen Selbstbcwusstseins und die Beobachtungen Anderer, unter Benutzung des
physiologisch Erforschten. Syst. der Logik nebst Einleitg. in d. Philos., Wien 1870.
Zu den Philosophen der kantischeu Richtung gehört insbesondere auch Jürgen
Bonn Meyer (geb. 1829, Prof. in Bonn), Verf. der früher erwähnten Schriften:
Thierkunde des Aristoteles, über Voltaire und Rousseau, über Kants Psychologie,
über Fiehtes Reden an die deutsche Nation, ferner einer Schrift zum Streit über Leib
u. Seele, Hamb. 1856, über die Idee der Seelenwanderung, Hamb. 1861, philosophische
Streitfragen, Bonn 1870, 2. Aufl. 1874, Weltelend u. Weltschmerz, Bonn 1872, zum
Bildungsgang unserer Zeit, Bonn 1875, Probleme der Lebensweisheit, Berl. 1887,
Glück u. Verdienst, Rede, Boim 1887, und anderer philosophischer u. pädagogischer
Schriften u. Abhandlungen. Meyer knüpft an Fries an und will Kant im Sinne
eines psychologischen Empirismus fortbilden, versucht die Annahme der drei
Seelenvermögen gegen die Augriffe, namentlich Herbarts, zu vertheidigen und nach-
zuweisen, dass Kaut das Apriori durch Analyse a posteriori gefunden habe.
Einer der Ersten, welcher den Rückgang auf Kant forderte, war Ed. Zeller
(s. o); später that dasselbe in energischer Weise Otto Lieb mann (geb. 1840,
Prof. in Jena) in: Kant u. die Epigonen, Stuttgart 1865. Ueber den individuellen
Beweis für die Freiheit des Willens, Stuttgart 1868. In seiner Schrift über den
objectiven Anblick, Stuttgart 1869, erkennt er bei lebhafter Polemik gegen Kants
„Hing an sich* doch thateächlich unter den Bezeichnungen X und Y das, was
Kant den Erscheinungen des äussern und innern Sinnes als transscendentales Ob-
ject oder Ding an sich correspondiren lässt, an. Auch in seinem grösseren Werke :
Zur Analysis der Wirklichkeit, Strassb. 1876. 2. Aufl. 1880, vertritt er zwar
im Ganzen den idealistischen Standpunkt, nimmt aber doch an, dass wir durch
Ordnung der absolut realen Welt gezwungen werden, die empirischen Dinge und
Ereignisse nach ihrer Grösse, Gestalt, Lage, Richtung etc. so anzuschauen, wie es
in jeder uns gleichartigen Intelligenz geschieht, dass ferner auch die Aufeinander-
folge der Wahrnehmungen correspondiren muss der Ordnung des äussern Geschehens.
Gedanken und Thatsacheu, Heft 1, Strassb. 1882. Ueb. philos. Tradition, Rede,
Strassb. 1883. D. Klimax der Theorien, Strassb. 1884. In dieser letzten Schrift
nennt er das Verfahren, subjective Zuthaten zu gebrauchen, um den Zusammenhang
zwischen Wahrnehmungen, die ihrer Natur nach vereinzelt sind, herzustellen, Inter-
polation. Als Maximen derselben nimmt er an das Princip der realen Identität,
das der Coutinuität der Existenz, das der Causalität und das der Continuität des
Geschehens. Liebmann hält die kritische Metaphysik in einem von Kaut etwas
abweichenden Sinne aufrecht.
Den Namen des KriticiBmus im kautischen Sinne nimmt auch für seine Lehre
in Anspruch Wilh. Windelband (geb. 1848, Prof. in Strassburg), üb. d. Gewiss-
heit d. Erkenntniss, Lpz. 1873. Präludien, Aufsätze u. Reden zur Einleit. in d.
Philos, Frb. i. Br. 1884 (hervorzuheben: Was ist Philosophie? Normen u. Natur-
gesetze. Kritische od. genetische Methode? Vom Princ. der Moral). Philosophie
l'i'ber weg- Heime, Urundri»* III. 7. Aufl. 30
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466
§ 43. Rückgang auf Kaut, Neukantianer.
ist nach W. die kritische Wissenschaft von den allgemein gültigen Werthen. Die
kritische Methode baut sich auf der Ueberzeugung auf, das» es allgemeine Werthe
giebt; damit dieselben erreicht werden, muss sich der empirische Process des
Vorstellens, Wollens u. Fühlens in denjenigen Normen bewegen, ohne welche dieser
Zweck nicht erfüllt werden kann. Diese allgemeinen Werthe sind die Wahrheit
im Denken, die Gutheit im Wullen und Hundelu, die Schönheit im Fühlen, und
repräaentiren nur das Verlangen nach demjenigen, was der allgemeinen Anerkennung
würdig ist. Der Glaube an die allgemeingültigen Zwecke ist die Voraussetzung
der kritischen Methode; wer diesen nicht hat, mit dem weiss die kritische Philo-
sophie nichtä anzufangen. S. übrig. K. Laas, üb. teleolog. Kriticismus, in: Yiertel-
jahrsschr. f. wissensch. Ph., 8, 1884, 8. 1—17.
Etwas mehr Zutrauen zur Metaphysik als sogleich zu nennende Neukantianer
hat Johannes Volkelt (geb. 1848, Prof. in Basel). Das Unbewusste und der
Pessimismus, Berl. 1873. Die Traumphantasien, Stuttg. 1875. Der Symbolbegriff
in d. neuest. Aesthetik, Jena 1876. Im. Kants Krkenntnisstheorie nach ihren
Grundprincipien analysirt, Lpz. 1879 (Nachweis einer Reihe völlig verschiedener
Denkprincipien bei Kant, aus welchen die mannigfachsten Widersprüche hervor-
gehen muBsten). Ueb. d. Möglichkeit e. Metaphysik, Antrittsrede in Basel. Hamb,
u. Lpz. 1884. Erfahrung u. Denken, krit. Grundlag. der Erkenntnisstheorie, Hamb,
u. Lpz. 1886. Volkelt ist von Hegel ausgegangen, neigte dann zu Schopenhauer
hin und hat sich jetzt zur Aufgabe eine kritische Metaphysik gestellt, d. h. Ver-
einigung und Durchdringung des idealistisch-metaphysischen Strebens, wie es die
nachkantischen speculativen Denker erfüllte, und des skeptisch-kritischen und er-
kenntnisstheoretischen Geistes, wie er sich in Hume und besonders in Kant zeigte.
Dinge und Denken bleiben ewig geschieden, und so muss es eine blosse Forderung
bleiben, dass durch das Denken transsubjectiv gültiger Inhalt geschafft werde.
Durch die Form des Erfahren muss man berechtigt sein, über die Erfahrung
hinauszugehen, wir müssen subjcctiv gewiss sein, dass in der Erfahrung sich etwas
Unerfahrenes zu erkennen giebt.
Mehr oder weniger an Kant schliessen sich ferner Folgende an, wenn auch
unter Bich weder in der Interpretation noch in der Weiterführung der kantischen
Lehren einig: Wilh. Tobias, Grenzen der Philosophie, constatirt gegen Riemann
u. Helmholtz, vertheidigt gegen v. Hartmann u. Lasker, Berl. 1875, welcher hervor-
hebt, dass Alles, was nur durch die Berufung an das ausschliesslich Psychische
im Menschen erledigt werden könne, nicht vor das Forum der beobachtenden
Disciplinen gehöre, und die Ansicht zurückweist, dass zwischen theoretischer Philo-
sophie und exacter Forschung viele inneren Beziehungen beständen, welche die
Lösung gemeinschaftlicher Probleme durch gemeinsame Forschung erhoffen Hessen.
A. Krause, die Gesetze des menschlichen Herzens, wissenschaftlich dargestellt
als die formale Logik des reinen Gefühls, Lahr 1876, Kant u. Helmholtz, über den
Ursprung und die Bedingungen der Raumanschauungen und der geometrischen
Axiome, Lahr 1878. Kurd Lasswitz, s. ob. 8. 239. Ueber diese beiden letzteu
vgl. auch ob. S. 258 Anm. u. üb. Lasswitz, Frdr. Dittes, eine Verjüngung des
absoluten Idealism., in: Pädagogium 1884, H. 7—10. A. Stadler, die Gruudzüge
der reinen Erkenntnisstheorie in der kantischen Philos., Lpz. 1876, Kants Theorie
der Materie, Lpz. 1883. Um die Darlegung kantischer Gedanken hat sich b esonders
verdient gemacht Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Berl. 1871,
2. Aufl. 1885, Das Princip der Infinitesimalmethode und seine Geschichte, Berl.
1883, Kants Begründ. d. Ethik, Berl. 1877, Kants Einfluss auf d. deutsche Cultur,
Rede, Berl. 1883, der besonders betont, dass Kants Kritik der reinen Vernunft
Kritik der Erfahrung ist, aber in Anschluss an Kant die philosophischen Probleme
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§ 43. Rückgang auf Kaut, Neukantianer.
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selbständig zu fördern sucht. In philologischer Weise hat für Kant sehr verdienst-
lich gearbeitet Benno Erdmanu (geb. 1851, Prof. in Breslau), ebenso Hans
Vaihinger. Weitere, die Philosophie Kauts betreffende Werke, in denen auch
die philosophischen Probleme mit einer gewissen Selbständigkeit behandelt werden,
von E. (Elise) Last, d. idealistische u. realist. Weltanschauung entwickelt an Kants
Idealit v. Zeit u. Kaum. Lpz. 1884, v. Holder u. A. sind oben bei der Litteratur
zu Kant erwähnt.
Zu Kants kritischem Grundgedanken bekennt sich F. Alb. Lange (geb. 1828
in Wald bei Solingen, gest. 1875 als Professor in Marburg), der Verfasser der
.Gesch. d. Materialismus", Iserlohn 1866, 3. Aufl. Leipz. u. Iserlohn 1875 ff., 4. wohl-
feile Aufl. (ohne Register und Anmerk.), Iserlohn 1882, welches nicht ein rein
geschichtliches Werk ist, sondern vor Allem darzuthun versucht, dass der Materialis-
mus unter den metaphysischen Systemen das annehmbarste sei, dass derselbe aber
der Erkenntnisslehre Kants gegenüber kein Recht mehr habe. Lange nimmt mit
Kant apriorische Formen der AnBehauung und des Urtheils als die Grundlage der
gesammten Erfahrung an, hält aber die Deduction dieser apriorbchen Formen für
unmöglich und darum auch Kants .zukünftige Metaphysik* für ebenso uuraöglich,
wie die alte Metaphysik. Die Entdeckung der obersten Verstandesbegriffe, die,
wenn auch erst durch späte Abstraction zum Bewusstsein kommend, in der ursprüng-
lichen und unabänderlichen Entfaltung der Vcrstandesanlage gegründet sind, kann
nur auf dem Wege der Induction erfolgen, unter Beihülfe der Kritik und der psycho-
logischen Beleuchtung. Die ganze Sinnenwelt ist Product unserer Organi-
sation, ohne dass aber unerkennbare Dinge, die auf unsere Organisation wirkeu,
geleugnet werden. Die Physiologie der Sinnesorgane ist der entwickelte oder be-
richtigte Kautianismus. Nur in der Erfahrung ist Wahrheit, diese aber ist unser
Eigenthum. Gegen jede Metaphysik, welche sich anmaasst, in das Wesen der
Dinge einzadringen und aus Begriffen zu gewinnen, was nur die Erfahrung lehren
kann, ist der Materialismus mit seiner exacten Forschung eine wahre Wohlthat.
Sobald dieser aber Weltanschauung sein will, ist er unzulänglich, da er die letzten
Räthsel der Natur nicht erklärt. Nur als Maxime der wissenschaftlichen Detail-
arbeit hat er sein Recht. Wer sich bloss um die Ersehet nungs weit kümmert, bleibt
im Wesentlichen auf dem Standpunkt des Materialismus stehen. Auf der synthetischen
Function, welche, sofern sie allgemein menschlich ist, die Wirklichkeit als Er-
scheinung für die Gattung hervorbringt, beruht auch die Speculation, welche es
sich zur Aufgabe setzt, Harmonie in die Erscheinungen zu bringen. Es fehlt aber
hier der leitende Zwang der Priucipien der Erfahrung, die bindende Organisation
der Gattung, und darum ist die Speculation nicht ein Product der Gattung, sondern
eine Dichtung des Individuums, welches nach der ihm besonderen Eigen-
tümlichkeit gestaltet. Sie beruht auf einer Art Bautrieb der Menschheit. Lange
trennt noch entschiedener als Kant die sittliche Berechtigung der Ideen von ihrer
objectiven Begründung, verweist aber im Unterschiede von Kant die sittlichen
Ideen, die er mehr in der schillerschen als kantischeu Weise fasst, mit Religion
und Dichtung in ein gemeinsames Gebiet. Vgl. Haus Vaihinger, Hartmanu,
Dühring und Lauge, Iserlohn 1876. Vaihinger (geb. 1852, Prof. in Halle) vertritt
d. Ansichten Langes. Ed. v. Hartmann, Neukantianismus, Schopenhauerianismus
u. Hegelianismus in ihr. Stell, z. d. philos. Aufgaben der Gegenw., Brl. 1877,
II. Abschn. : Lange -Vaihingers subjectivistischer Skepticismus. Herrn. Cohen, in:
Preuss. Jahrbb. 1876. M. Heinze, der Idealismus Fr. Alb. La in: Viertel-
juhrsschr. f. wissenschaftl. Philos., I. Bd., 1877. In .Logische Studien, ein Beitrag
zur Neubegründung der formalen Logik und der Erkenntnisstheorie'', Iserlohn 1877,
behandelt Lange 1. formale Logik undErkeuntnisstheorie, 2. die Modalität derUrtheile,
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3. das particuläre ürtbeil und die Lehre von der Umkehrung der Urtheile, 4. die
Syllogistik, 5. das disjunctive ürtheil und die Elemente der Wahrscheinlicbkeite-
lebre, 6. Raum, Zeit und Zahl. Ausser den schon genannten Arbeiten seien noch
erwähnt: die Grundlegung der matheraat. Paychol., s. ob. S. 402. Neue Beitrage
zur Geschichte der Mathematik, II. 1 : Zurückweisung der Beitrage Schillings nebet
einer Untersuch, üb. Epikur u. d. Grenzen des Erfahrungsgebietes, Winterthur 1867.
Auch hat Lange eine Anzahl Artikel für die Encyklop. des gesammt Erzieh- u.
Unterrichtswesens geschrieben, so den über Seeleulehre, den vortrefflichen über
L. Vives. In seiuer Schrift über die Arbeiterfrage, Winterthur 1865, 2. Aufl. 1870,
sucht Lange den Weg zu zeigen, auf welchem der exclusiven Wirkung der im
Egoismus begründeten Regeln durch moralische Mächte Schranken gesetzt werden
können. Den „Vereinstng deutscher Arbeitervereine- in Leipzig 1864 besuchte er
und wurde u. A. mit Bebel und Sonnemann in den ständigen Ausschuss gewählt.
8. H. Braun, F. A. Lange als Socialöconom, Halle 1881.
Fritz Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft, eine philos. Eiuleit. in
das Studium der Natur u. ihrer Wissenschaften, 2 Bde., Lpz. 1881—82, will durch
den Kriticismus die Gegensätze zwischen Wissenschaft, Religion und Ethik aus-
gleichen. Das allgemeinste Grundaxiom alles sicheren, d. h. alles kritischen Er-
kennens lautet: Alles wahrhaft wissenschaftliche, menschliche Erkennen bezieht sich
nur auf in Raum und Zeit causal verknüpfte Empfindungen. Schriften Schultzes
über Materialismus und Spiritismus s. unt.
Die durchaus phänomenale Auffassung der Natur vertritt Anton v. Leclair,
der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der von Berkeley u. Kant
angebahnten Erkenntnisskritik, Prag 1879, Beiträge zu einer monistisch. Erkennt-
nisstheorie, Breslau 1882. Leclair erkennt einen transscendentcn Factor, ein extra-
mentales Sein nicht an und lehnt alle Metaphysik ab. Sein Fundamentalsatz ist:
Denken = Denken eines Seins; Sein = gedachtes Sein.
Aehnliche erkenutnisstheoretische Ansichten stellt auf Willi. Schuppe,
das menschl. Denken, Berl. 1870, Erkenntnisstheoret. Logik, Bonn 1878. Grundzüge
der Ethik n. Rechtsphilos., Breslau 1882, das metaphys. Motiv u. d. Gesch. der
Philos. im Umrisse, Rede. Breslau 1882. Der Begriff des subjectiven Rechts,
Breslau 1887. Alles Sein, welches Object des Denkens werden kann, ist seinem
Begriffe nach schon Bewusstseinsinhalt, und ein Sein, welches nicht Bewußtseins-
inhalt sein soll, ist ein undenkbarer Gedanke. Bewusstseinsinhalt setzt aber eiu
bewusstes Ich voraus. Ein Wunder des Daseins, dus erste und einzige, ist es frei-
lich, wie das Ich überhaupt Zustände und einen Bewusstseinsinhalt haben kann.
Wahr ist ein Gedanke, der ein Wirkliches zum Inhalt hat, und das Wirkliche ist
ein Wahrgenommeues, das mit allem sonstigen Wahrgenommenen in ursächlicher
Verbindung steht. So liegt die Garantie für die objective Thatsache nur im Causul-
zusammeuhang. Mit seinen erkenntnisstheoretisehen Resultaten hängt auch die
Ethik Schuppes zusammen. Gut ist das, was Lust erzeugt, und dies wird gewollt.
Nur das Gefühl ist im Stande werthzuschätzeu. Damit nun ein sittliches Sollen zu
Stande komme, muss eine unbedingte und allgemeingiltige Werthschätzung den
Willen der Menschen bewegen. Das absolut Werthvolle ist aber das Bewusstsein.
Die Lust an dem Bewusstsein oder an der bewussten Existenz ist eine nothwendige,
aber freilich schliesst die Ethik nicht mit diesem Werthe des individuellen Be-
wusstaeins, sondern Princip derselben ist der Werth des Bewusstseins überhaupt,
welches den eigentlichen Kern im Bewusstsein jedes Einzelnen bildet.
Verwandt mit Leclairs, Schuppes und auch Laas' (s. nachher) Staudpunkt ist
der von Richard v. Schubcrt-Soldern, der Schuppes thätiges, beziehendes Ich
als transscendent verwirft. Die Beziehungen sind unmittelbar und selbständig mit
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und in den Inhalten gegeben und bedürfen keines beziehenden Ich; neue Beziehungen
treten nur mit neuen Inhalten auf. Moralisch ist gleichbedeutend mit altruistisch; die
fremden Gefühle sind zwar erschlossen, gewähren aber nur mittelbare Lust. üeb. Trans-
scendenz des Obj. u. Subj., Lpz. 1882. Grundlagen einer Erkenntuisstheorie 1884.
Grundlagen z. e. Ethik, Lpz. 1887. Reproduction, Gefühl u. Wille, Lpz. 1887.
Sehr ähnlich sind die erkenntnisstheoretischen Aufstellungen des Physikers
E. Mach, Beiträge zur Analyse der Empfindungen, Jena 1886. Nach ihm erzeugen
nicht die Körper Empfindungen, sondern Empfindungscomplexe bilden die Körper.
Die letzten Elemente sind Farben, Töne u. s. w , und deren gegebenen Zusammen-
hang müssen wir erforschen. Das Ich ist nicht eine reale Einheit, sondern eine
praktische, eine stärker zusammenhängende Gruppe von Elementen, welche mit
andern Gruppen dieser Art schwächer zusammenhängt Nicht das Ich ist das
Erste, sondern die Empfindungen, die Elemente, welche das Ich erst bilden.
Einen erkenntnisstheoretischen Monismus vertritt auch Joh. Rehmke (geb.
1848, Prof. in GreifBwald), d. Welt als Wahrnehmung u. Begriff, Berl. 1880.
Physiologie u. Kantianism., Vortr., Eisenach 1883. Vgl. E. v. Hartmann, d. reine
Realism. Biedermanns (Em. AI.) u. Rehmkes, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 88, 1886,
8. 161-179.
Hier ist ferner zu nennen:
Rieh. Avenarius (geb. 1843, Prof. in Züricbi, Philosophie als Denken der
Welt gemäss dem Princip des kleinsten Kraftmaasses, Prolegomena zu einer Kritik
der reinen Erfahrung, Lpz. 1876. Die reine Erfahrung als das durch den Gegen-
stand allein Gegebene unter Elimination dessen, was das erfahrende Subject in den
Gegenstand hineinlegt, unterscheidet sich von der naiven. Als das durch die reine
Erfahrung Gegebene bleibt aber nur übrig die Empfindung als das Seiende. Wie
diese der Inhalt des Seins ist, so die Bewegung die Form desselben.
Avenarius ist auch Herausgeber (unter Mitwirkung von M. Heinze u. W. Wundt)
der „Vierteljahrsschr. f. wissenschaftliche Philosophie", die seit 1877
in Leipzig erscheint und von der Voraussetzung ausgeht, dass Wissenschaft nur
soweit möglich sei, als Erfahrung die Grundlage bilde.
Mit strenger Kritik gegen Kant verfährt Ernst Laas (1837—1885, seit 1873
Prof. in Strassburg), Kants Analogien der Erfahrung, Berl. 1876, ein Werk, das
zugleich eine „kritische Studie über d. Grundlagen der theoret. Philosophie" ist
Laas ist nicht zu den Kantianern zu rechnen, neigt vielmehr in diesem Werke zur
Annahme einer Vielheit von dynamisch gegenseitig abhängigen, zu einem einheit-
lichen selbstgenügsamen Weltsystem zusammengeschlossenen Substanzen und eines
wirklichen Geschehens in einer transscendenten Zeit. Ausser verschiedenen auf Päda-
gogik und Geschichte derselben bezüglichen Werken hat Laas noch verfasst: Idealis-
mus und Positivismus, L allgemeiner u. grundlegender Theil (die Principien des
Idealismus u. Positivismus. Historische Grundlegung), Berl. 1879, 2. Th., idealist
n. positiviBt. Ethik, 1882, 3. Tb., idealist u. positivist. Erkenntnisstheorie (Aus-
einandersetzung mit dem ausserkantisch., platonisirend. Idealism., Auseinandersetz,
mit d. Erkenntnisstheorie Kants n. seiner Schule u. den Modificationen der Kantisch.
Erkenutnissl., so mit Lotze, Helmholtz, Lange, Liebmami), 1884. Litterarischer
Nachlass, herausgeg. v. B. Kerry, Wien 1887, darin philosophisch: Idealistische u.
positivist Ethik. Er bekennt sich in diesem Werke zu dem Positivismus, den
er nicht durchaus im Sinne Comtes fasst; vielmehr führt er seine Denkart auf
Protagoraa, unter den Neueren auf Dav. Hume und Stuart Mill zurück und ver-
steht unter Positivismus diejenige Philosophie, welche keine anderen Grundlagen
anerkennt als positive Thatsachen, d. h. äussere und innere Wahrnehmungen, und
welche von jeder Meinung fordert, dass sie die Thatsachen, die Erfahrungen, auf
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§ 43. Rückgang auf Kant, Neukantianer.
denen sie ruht, nachweise. Seine Erkenntnisstheorie nennt er „Correlativismus",
der darauf hinausläuft, dass Objecte unmittelbar nur bekannt sind als Inhalte eines
Bewusstaeins, und Subjecte nur als Beziehungscentren, als der Schauplatz von Wahr-
nehmungsinhalten. Die Wahrnehmungsobjecte sind variabel, die Sinnenwelt ist aber
wissenschaftlich zu bearbeiten. Zwar sind alle unsere Begriffe sinnlichen Ursprungs,
aber nicht sowohl .uns" als gewissen letzten uns fremden, von uns in jedem Sinne
unabhängigen Thatsuchen ist es zu verdanken, wenn Wissenschaft zu allgemeinen
und notwendigen Erkenntnissen vordringt. Die Gebilde der Metaphysik sind
wissenschaftlich nicht zu beweisen und für das praktische Leben unnöthig.
Die äussere Natur ist ein Inbegriff gesetzmässig verknüpfter Wahrnehmbar-
keiten oder, wegen der durchgängigen Beziehung auf wahrnehmende Subjecte, von
Erscheinungen. Wenn der Positivist dieselben nach dem Schema: Ding, Eigen-
schaft, Zustand, Beziehung gliedert und auseinanderlegt, so geschieht dies, weil die
Erfahrung dazu veranlasst, und weil sich befriedigende Erklärungen daraus ergeben.
Wenn er die Natur in untheilbare Elementarbestandtheile aufgelöst denkt, stellt
er sie nach Analogie der wahrnehmbaren Dinge vor. Seine Dinge kann er aber
beide Mal nicht von seinem Bewusstsein losgelöst denken. Sieht er für seine
objectiven Anschauungen und für die zur Erklärung derselben angesetzten Con-
Btitnentien von den Launen und Zufälligkeiten seines eigenen Bewusstaeins ab, so
muss er ein formales Bewusstsein überhaupt (kantscher Terminus) als Correlat zu
den Objecten an seine Stelle setzen. Die positivistische Ethik wird sich als Wissen-
schaft darauf beschränken, den psychologischen und geschichtlichen Ursprung der
moralischen Gesetze aufzudecken und denselben den Weg zur Fortbildung anzu-
weisen. Der geschichtliche Ursprung unserer positiven Pflichten liegt in den Er-
wartungen und Ansprüchen unserer Umgebung.
Aloys Riehl (geb. 1844, Prof. in Freibnrg), der philo». Kriticismus u. seine
Bedeut. f. d. positive Wissensch., Bd. 1, Gesch. u. Methode des philos. Krit, Lpz.
1876, Bd. 2, 1. Th., d. sinnl. u. logisch Grundlagen der Erkenntniss, 1879 , 2. Th.,
zur Wissenschaftatheorie u. Metaphys., 1887, üb. wissenschaftl. u. nicht wiasenachaftl.
Philosophie, akadem. Antrittsrede, Frbg. u. Tübing. 1883, sieht die wissenschaft-
liche Aufgabe der Philosophie in der Forschung nach den Quellen des Erkennend,
in der Ermittelung seiner Bedingungen und Bestimmung seiner Grenzen. Die Phi-
losophie ist nicht Weltanschauungslehre, sondern Wissenschaft und Kritik der
Erkenntniss und vertritt den einzelnen positiven Disciplinen gegenüber die allge-
meine wissenschaftliche Bildung. Psychologie, Aesthetik, Ethik bilden Bich zu
positiven Wissenschaften aus, Metaphysik hat ihre Berechtigung nur als kritische
oder negative Discipliu. Als solche ist sie die Theorie der Grenzbegriffe der Er-
fahrung. Seit aber Sokrates die Philosophie von der Speculation über die gegen-
ständliche Welt auf die Betrachtung der menschlichen Lebensverhältnisse gelenkt
hat, sind mit dem Namen der Philosophie zwei von einander verschiedene Begriffe
verbunden worden, und kein Irrthum in der Geschichte der Philosophie ist von
schlimmeren Folgen gewesen, als die Verkennung dieses Unterschiedes, welche von
Piaton anhebt. .Die ungehörige Verwendung einer ethischen oder ästhetischen
Idee zur Erklärung der Naturvorgänge statt zur Beurtheilung und Leitung der
menschlichen Handlungen und Werke, ist die Quelle und der Sinn alles Piatonismus
in der Philosophie", welcher das Bestreben ist, „unter Einem und auf Grund eben
derselben Principien zu einer ethischen Lebensauffassung und der Erklärung der
Dinge zu gelangen". Soweit sich die Philosophie die Aufgabe stellt, eine wahrhaft
humane Lebensführung zu entwerfen, dem menschlichen Leben Zwecke zu setzen,
tritt sie aus der Reihe der Wissenschaften neben dieselben, neben die Kunst und
den Glauben des Gemüths. — Einen andern Glauben an Existenz überhaupt als
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§ 43. Rückgang auf Kant, Neukantianer.
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aus der Empfindungsthätigkeit giebt es nicht. Raum und Zeit haben in den Ver-
hältnissen der Mannigfaltigkeit der Empfindungen ihre empirisch -reale, in den
logischen Fähigkeiten unseres Geistes ihre idealen Grundlagen-
Wegen Beiner Stellung zur Metaphysik sei sogleich hier erwähnt Wilb. Dilthey
(geb. 1834, Prof. in Berlin), der in: Einleit. in d. Geisteswissenschaften, Versuch
einer Grundlegung f. d. Studium der Gesellsch. u. der Geschichte, 1. Bd., Lpz. 1883,
jede metaphysische Begründung wissenschaftlicher Erkenntniss abweist. In dem
2. Buche des erwähnten Werkes bringt er die Herrschaft und den Verfall der Meta-
physik historisch zur Darstellung und giebt hierbei manche neue und treffende
Auffassung früherer Lehren. Das Ideal der Metaphysik ist der logische Welt-
zusammenhang, aber die Wirklichkeit widerspricht diesem Ideal, und so ist Meta-
physik überhaupt unhaltbar. Naturwissenschaftliche Methoden und Principien dürfen
in den Geisteswissenschaften nicht angewendet werden. S. dazu Otto Gierke, e.
Grundleg. f. d. Geisteswissenschaften, in: Prenss. Jahrbb. 53, 1884, S. 106— 144.
Die philosoph. -historisi-h. Arbeiten Diltheys sind früher genannt; neuerdings sind
von ihm erschienen: Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn, Rede, Lpz. 1886,
das Schaffen (die Einbildungekraft) des Dichters, in: Philos. Aafsätze, Ed. Zeller
z. s. 50jähr. Doctorjub. gewidm., Lpz. 1887, S. 303—482.
Die ethische und religiöse Seite Kants betont Hnr. Romundt, Antäus, nener
Aufbau der L. K.s üb. Seele, Erbt. u. Gott, Lpz. 1882, Vernunft als t'hristenth.,
Lpz. 1882. D. Herstell. des L. Jesu durch Kants Reform d. Philosophie, Bremen
1883. Grundlegung zur Reform der Philos. Vereinfachte u. erweiterte Darstell, v.
I. Kante Kr. d. r. V., Berl 1885. D. Vollendung des Sokrates. I Kants Grundleg.
zur Reform der Sittenl., Berl. 1885. Ein neuer Paulus, I. Kants Grundleg. z. e.
sicher. L. v. d. Religion, Berl. 1886. Die drei Fragen Kante, Berl. 1887. Vgl. üb.
d. Wiedererweckung der kantischen Ethik, in welcher Manche für die Gegenwart
das Bedeutendste der kantischen Philosophie sehen, Joh. Volkelt, in Ztechr. f.
Philos., 1882, S. 37-48.
Auch nach Frdr. Paulsen (geb. 1846, Prof. in Berlin) ist das ethisch- reli-
giöse Moment der kantischen Philosophie für unsere Zeit noch von bedeutendstem
Werth, s. dess. Aufs.: Was uns K. sein kann? in: Vierteljahrsschr. f. wissensch.
Ph., 5, 1881, S. 1-96. Sein grösseres Werk üb. Kant s. ob.
In der Theologie ist es namentlich A. Ritsehl (die christliche Lehre von
der Rechtfertigung u. Versöhnung, 3 Bde., Bonn 1870—74, Unterricht in d. christl.
Relig , 2. Aufl., Bonn 1881, Theologie u. Metaphys., Bonn 1881) mit seiner Schule,
der dem kantischeu Kriticismus grossen Einfluss gewährt. Theoretische Erkenntnis«
und Religion, Wissen und Glauben sind von einander ganz getrennt. Deshalb darf
auch der Metaphysik nicht in hergebrachter Weise auf die Theologie Einfluss
gestattet werden, zumal wir durch das Denken doch nicht zu dem Ding an sich
gelangen. Die Wirklichkeit Gottes steht fest durch die Erfahrung von seinem
Wirken, durch die Gefühlserregungen und Willensbewegungen. Das Gefühl der
Sünde und das Seligkeiteverlangen ist da, diesen entspricht ein zürnender Gott und
ein gnädiger Gott. Wenn der Mensch Beweise für das Dasein Gottes sucht, so
will er nur, dass Gott, der ihm schon verbürgt ist, auch als das oberste Gesetz
der Welt erkannt werde; hier kann nur ein moralischer BeweiB Geltung haben.
Vorzüglicher Vertreter dieser Richtung ist W. Herrmann, d. Relig. im Verh. zum
Welterkennen u. zur Sittlichkeit, Halle 1879, der Verkehr des Christen mit Gott,
in Anschluss an Luther dargest , Stuttg. 1886. Auch Julius Kaftan, d. Wesen d.
christl. Religion, 2. A., Basel 1888, ist hier zu nennen, der sich im Wesentlichen an
Ritscbl anschliesst. Der Glaube gründet sich auf Werthurtbeile und dient dem Selig-
keiteverlangen des Menschen. Entschiedener Einfluss Kante und Langes auf dem Gebiete
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§ 43. Rückgang auf Kant, Neukantianer.
der Erkenntuisstheorie ist zu bemerken bei Rieh. Adelbert Li peius, Lehrb. d.
evang.-protest. Dogmat. , 2. Aufl., Braunschw. 1879, dogmat. Beiträge, Lpz. 1878.
Philosophie u. Relig., Lpz. 1885, der eine wissenschaftliche Erkenntniss des trans-
scendenten Wesens oder der verborgenen Natur Gottes für unmöglich hält.
Unter den Naturforschern ist neben Apelt, Schleiden etc. namentlich auch
Helmholtz zu erwähnen, der die Verwandtachaft zwischen der transscendentalen
Aesthetik Kants und der heutigen physiologisch-psychologischen Theorie der Sinnes-
wahrnehmung hervorhebt. (Ueber das Sehen des Mensch., Vortr., gehalt. zum Besten
des Kantdenkmals 1856, Lehre v. d. Tonempflnduugen, 1863, 4. Aufl. 1877, Physiol.
Optik, 2. Aufl. 1886, die Thatsacheu der Wahrnehmung, Berl. 1879, Vorträge u.
Reden, 3. Aufl. der populär, wissensch. Vorträge, Braunschw. 1884.) Schon 1855
hatte Helmholtz erklärt, es dürfe sich kein Zeitalter der Aufgabe, welche der Phi-
losophie immer bleiben werde, die Quellen unseres Wissens und den Grund seiner
Berechtigung zu untersuchen, ungestraft entziehen. Er giebt zwar die apriorische
Anschauung von Raum und Zeit gewissermaassen zu, will aber ihre Eutwickelung
namentlich von Bewegungsempßnduugen abhängig macheu. Die Apriorität des
Causalitätsgesetzes nimmt er unbedingt an; uuter dem Zwange desselben schliessen
wir auf äussere Ursachen unserer Empfindungen (Schopenhauer). Vgl. Jos. Schwert-
schlager, Kant u. U. erkenntuisstheoret. verglichen, Frb. i. B 1883. Aehnlich lehrt
Ad. Fick, Vers. üb. Ursache u. Wirkung, 2. Aufl. 1882, die Welt als Vorstellung.
Vortr., 1870, Philosophischer Versuch üb. d. Wahrscheinlichkeiten, 1883, dass ein
VeretandesschluBS aus den Empfindungen, als innersten Zuständen unserer selbst
die äusseren Dinge construirt. Ferner sind hier zu nennen der Physiologe
C. Rokitansky, A. Classen, Physiologie des Gesichtssinns, zum ersten Mal
begründet auf K.s Theorie der Erfahrung, Braunschw. 1877. Wie orientiren wir
uns im Räume durch den Gesichtssüm? Jena 1879. Mit dem kantischen Kri-
ticismus in gewissem Betracht verwandt, obschon nicht auf dem kantischen Aprio-
rismus und Subjectiviamus ruhend, ist die bei vielen Naturforschern herrschende
Maxime, alles, was jenseits der Grenzen exaeter Forschung liegt, von dem Bereiche
wissenschaftlicher Erkenntniss schlechthin auszuschliesseu und dem blossen » Glauben*
völlig anheimzugeben, die philosophischen Versuche hypothetischer Ergänzung des
exaet Erforschten zu einem Gesammtbilde der natürlichen und geistigen Wirklich-
keit aber möglichst abzulehnen, wie z.B. Rud. Virchow principiell „nur von dem,
was der wissenschaftlichen Erkenntuiss zugänglich ist, Zeugniss ablegen* will und
gegenüber dem Wissen, das mehr ein „Flüssiges* sei, dem Glauben das (halb
ironisch behandelte, aber in seiner ouermesslichen socialen Bedeutung unangetastet
gelassene) „Vorrecht, in jedem Augenblick stetig zu sein*, zugesteht (s. Virchow,
vier Reden über Leben u. Kranksein, Berl. 1862, Vorrede), während freilich zugleich
Virchow an eben diesen von der Wissenschaft abgetrennten „Glauben* die dem-
selben nicht ohne Inconsequenz erfüllbare Anforderung stellt, mit den Ergebnissen
empirischer Forschung sich abzufinden. Ueber die psychologischen Fragen und
über das Verhältniss der Naturwissenschaft zu dem Glauben äussert sich Virchow
besonders in der Abhandlung über die Einheitsbestrebungen in der wissenschaftL
Medicin, verfasst 1849, wieder abgedruckt in Virchows gesammelten Abhaudlgn. zur
wissenschaftL Medicin, Frankf. a. M. 1856, S. 1—56, und in dem Aufsatz über Empirie
u. Transscendeuz , im Archiv für patholog. Anat. u. Phys. VII, Heft L Zu den Natur-
forschern, die ihre Studien auch metaphysisch n. erkenntniss-theoreti.sch begründen,
gehört der Astronom C. F. Zöllner (geb. d. 18. Nov. 1834 in Berlin, gestorb. d.
26. Dec. 1882 als Prof. der Astrophysik zu Leipzig), dessen Buch „über die Natur
der Kometen, Beiträge zur Gesch. u. Theorie der Erkenntniss*, Lpz. 1872, in drei
Auflagen erschien. Zöllner hat schon frühzeitig darauf hingewiesen, dass Kant
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§ 44. Der Materialismus und die Naturwissenschaften.
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manche Resultate der Naturwissenschaften vorausgenommen hat, s. namentlich den
Abschnitt in dem erwähnten Werke: I. Kant u. s. Verdienste um die Naturwissen-
schaft. In seinen wissenschaftlichen Abhandlungen, 3 Bde., Lpz. 1878—79, hat sich
Z. entschieden dem Spiritismus zugewandt. Vgl. Moritz Wirt h, Fr. Z., ein Vortr.,
Lpz. 1882. Ders., Herrn Prof. Z.s Experimente m. d. amerikan. Medium Slade etc.,
3. Aufl., Lpz. 1882. S. auch Fritz Schnitze, die Grundgedanken des Spiritismus,
Lpz. 1883. Den Spiritismus versucht wissenschaftlich zu vertreten besonders Frhr.
Carl du Prel, der auch Schopenhauer - hartmanusche und darwinsche Neigungen
gezeigt hat. Der Kampf ums Dasein am Himmel, 1874. Die Philosophie d. Mystik,
1884. D. Mystik d. Griechen u. Römer, 1887. Monistische Seelenlehre, 1887. Nach-
dem das Organ des Spiritismus, Psychische Studien, monatl. Zeitschr. vorzüglich
der Untersuch, der wenig gekannt. Phänomene des Seelenlebens gewidmet, heraus-
geg. v. Alex. Aksakow, eingegangen, ist 1886 ein neues dafür ins Leben getreten:
Sphinx, Monatsschr. f. d. geschichtl. u. experimentale Begründ. d. übersinnl. Welt-
anschauung auf monist. Grundlage, herausgeg. v. Hübbe-Schleiden unter Mitwirkung
von C. du Prel, Jul. Duboc, Alfr. Rüssel Wallace u. A.
§ 44. Grosses Aufsehen und grosse Aufregung hat eine Reihe von
Jahren der jetzt wissenschaftlich so gut wie beendigte Materialismus-
Streit hervorgebracht. Durch den Entwickelungsgang der neuesten
Philosophie und Naturwissenschaft, welche letztere sich von der Philo-
sophie, besonders durch die schellingschen Lehren abgeschreckt, mehr
und mehr entfernte, namentlich durch die von Feuerbach und Anderen
vollzogene naturalistische Umbildung des Hegelianismus, brach dieser
Streit 1854 in voller Heftigkeit aus. An ihm betheiligte sich vor
Allen Carl Vogt auf der einen und Rud. Wagner auf der andern Seite.
Die systematische Ausbildung des materialistischen Princips haben
sich besonders Jac. Moleschott und Louis Büchner zur Aufgabe
gesetzt, und namentlich der Letztere hat zur Verbreitung der materia-
listischen Weltansicht in weite Kreise viel beigetragen. Mit dem
Materialismus kommt in der Negation einer zweiten jenseitigen Welt
überein Heinr. Czolbe. Allmählich trat gegen den Materialismus
eine starke Opposition, nicht nur von Seiten der Philosophie, sondern
auch von Seiten der Naturwissenschaften auf, so dass er in den
letzten Jahren bedeutend an Ansehen verloren hat. Er hat seine
Verdienste um die Philosophie, indem er von phantastischen Specu-
lationen zurückbrachte und auf die genauere Erforschung des mecha-
nischen Zusammenhangs hinwies, arbeitet aber als Theorie für die
Erklärung der Welt mit unbewiesenen Annahmen.
In den letzten Decennien hat sich dem mit der Frage nach dem
Verhältniss von Kraft und Stoff und nach den realen Zwecken in der
Natur eng verknüpften, aber der positiven Naturforschung näher
liegenden Problem der Entstehung der Arten seit dem Erscheinen
von Darwins epochemachendem Werk vorzugsweise das naturphilo-
sophische Interesse zugewandt. Auf Grund der Descendenzlehre ist
Haeckels Monismus entstanden, der sehr an den Hylozoismus des
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§ 44. Der Materialismus uud die Naturwissenschaften.
Alterthums erinnert. Auch auf die Psychologie, Ethik und andere
Gebiete der Philosophie gewinnt die Descendenzlehre mehr und mehr
Einfluss.
Von wesentlicher Bedeutung für die philosophische Erkenntnis^
ist die Reduction von Naturgesetzen, die durch positive Forschung
ermittelt worden sind, auf gemeinsame Principien. Hier ist vor Allem
zu nennen das Princip von der Erhaltung der Kraft, nach
welchem in der Welt immer dasselbe Quantum von actueller und poten-
zieller Energie bewahrt bleibt. Hiernach würden die psychischen Pro-
cesse gar keine Einwirkung mehr auf die körperlichen haben und nur
als „unselbständige Begleiterscheinungen" der letzteren gelten dürfen.
Auch die Untersuchungen über die Axiome der Geometrie können
nicht ohne Einfluss auf die Philosophie bleiben.
Von den Naturwissenschaften, speciell von der Physiologie aus-
gehend, hat Wilh. Wundt auf Grund umfangreichster und genauester
Einzelkenntnisse die Psychologie, die Logik und die Ethik bearbeitet
und besonders der Psychologie durch die experimentellen Methoden
ein weiteres Gebiet der Forschung geöffnet.
Obgleich der Materialismus als wissenschaftliche Weltanschauung wenig Boden
niehr hat, scheint es doch angezeigt, wegen der Bedeutung, die ihm längere Zeit zu-
gesprochen wurde, die hauptsächlichsten Vertreter und Gegner desselben hier noch nam-
haft zu machen.
Der Streit über den Materialismus, der schon früher besonders zwischen
Rudolf Wagner und Carl Vogt und zwischen Liebig und Moleschott geführt
worden war, kam im weiteren Umfange hauptsächlich auf Anlass des Vortrags,
den Rud. Wagner auf der Naturforscher -Versammlung zu Göttingen 1854 .üb.
Menschenschöpfg. u. Seelensubstanz- hielt (gedr. Göttingen 1854), zum Ausbruch.
Der erste Theil dieses Vortrags sucht darznthun, dass die Frage, ob alle Menschen
von Einem Paare abstammen, sich vom Standpunkte exacter Naturforschung aus
eben so wenig bejahen, wie verneiuen lasse, dass die Möglichkeit der Abstammung
von Einem Paare physiologisch unbestreitbar sei, da wir immer noch physiognomi-
sche Eigenthümlichkeiten bei Menschen und Thieren entstehen und beharrlich
werden sehen, welche, wenn auch nur entfernt, an die Racenbildung erinnern, und
dass daher die jüngsten Resultate der Naturforschung den biblischen Glauben un-
angetastet lassen. Der zweite Theil des Vortrags wendet sich gegen den Satz
Carl Vogts: „die Physiologie erklärt sich bestimmt und kategorisch gegen eine
individuelle Unsterblichkeit, wie überhaupt gegen alle Vorstellungen, welche sich
an diejenige der speciellen Existenz einer ff8eele" anschliessen; — sie erkennt in
den Seelenthätigkeiten Functionen des Gehirns als des materiellen Substrats."
Wagner geht auf den ältesten christlichen Standpunkt zurück, indem er behauptet,
aus diesem Satze folge die praktische Cousequenz, dass Essen und Trinken die
. höchste menschliche Function sei; er hält die Naturwissenschaft nicht für reif, um
aus ihrem Mittelpunkt heraus die Frage über die Natur der Seele überhaupt zu
entscheiden, und will in die Lücke des Wissens den Glauben an eine individuelle,
beharrliche Seelensubstanz treten lassen, um nicht .die sittlichen Grundlagen der
gesellschaftlichen Ordnung völlig zu zerstören". Als eine „Fortsetzung der Betrach-
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§ 44. Der Materialismus und die Naturwissenschaften.
475
tungeu über Menscbenschöpfung und Seeleusubstanz* Hess Wagner bald hemacb
ein Schriftchen: .üb. Wiss. n. Glaub, mit besond. Beziehung auf d. Zukunft der
Seelen', Gott. 1854, erscheinen, worin er, wie auch in dem .Kampf um die Seele",
Gott. 1857, aus der Verschiedenheit der Organismen der früheren und der späteren
geologischen Perioden successive in den Naturlauf eingreifende Schöpfungsacte
folgert, auf die Lehre von dem zukünftigen Gericht und der Wiedervergeltung die
moralische Weltordnung basirt und der Seele, die er sich wie einen Gehirnäther
vorstellt, nach dem Tode eine andere locale Existenz vindicirt, indem ihre üeber-
pflanzung in einen anderen Weltraum eben so schnell und leicht erfolgen künne,
wie die Fortpflanzung des Lichtes von der Sonne zur Krde; eben so könne diese
Seele einst zurückkehren und mit einem neuen körperlichen Kleide versehen werden.
Gegen Wagners Auseinanderhaltung des Wissens und Glaubens und gleichsam
„doppelte Buchhaltung", die er schon früher in seinen physiologischen Schriften
und in Aufsätzen für die Augsburger Allgem. Zeitung bekundet hatte, hatte sich
u. A. schon Lotze in Beiner „medicin. Psychol." erklärt, da eine harmonische
Gesammtüberzeugung ein wesentliches Bedürfniss des Geistes sei. Carl Vogt
nahm den Fehdehandschuh, den Wagner ihm hinwarf, auf und kämpfte in: Köhler-
glaube und Wissenschaft, Giessen 1854 u. ö, hauptsächlich mit der Waffe der
Satire gegen dessen Ansichten an. In diesem Schriftchen kommt der vielerwähnte
Satz vor: »dass die Gedanken etwa in demselben Verhältniss zum Gehirn stehen,
wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren*. In wissenschaftlichem
Zusammenhange geht Vogt in seinen physiolog. Briefen, Stuttg. 1845—47 u. ö.,
Bildern aus d. Thierleben, Frankf. a. M. 1852, u. Vorlesgn. über den Menschen,
seine Stellg. in d. Schöpfg. u. in d. Gesch. der Erde, Giessen 1863, auf jene
Fragen ein.
Für die Ausbildung und Verbreitung der materialistischen Weltanschauung
haben wesentlich mit gesorgt: Moleschott, d. Kreislauf d. Lebens, physiolog.
Antworten auf Liebigs chemische Briefe, Mainz 1852, 4. Aufl. 1862; die Einheit
des Lebens, Vortrag, geh. an der Turiner Hochschule, Giessen 1864, u. Ludw.
Büchner, Kraft u. Stoff, empirisch-naturphilos. Studien, in allgem.-verständl. Dar-
stellg., Frankf. a. IL 1855, 12. Aufl. 1872, 15. Aufl. 1883 unt. d. Titel: Kr. u. St.
oder Grundzüge der natürl. Weltordnung, nebst einer darauf gebaut. Moral od.
Sittenl. (das eigentliche Grundbuch des heutigen deutschen Materialismus, vielfach
in fremde Sprachen übersetzt, auch im Auslande mehrfach bekämpft, in Frankreich
von Paul Janet [dessen Schrift K. A. v. Reichlin-Meldegg ins Deutsche übers, hat,
mit Vorrede von I. H. v. Fichte, Paris u. Leipzig 1866], in Italien von E. Rossi
etc.), Natur u. Geist, Gespräch zweier Freunde über den Materialism. u. die real-
philos. Fragen der Gegenwart, Frankf. a. M. 1857 u. öfter. Physiolog. Bilder,
Bd. I, Lpz. 1861, 3. Aufl. 1886, Bd. II, 1875. Aus Natur u. Wissenschaft, Lpz.
1862 u. oft. Sechs Vorlesgn. über d. Darwinsche Theorie von d. Verwandig. der
Arten u. d. erste Entstebg. der Organismenwelt, Lpz. 1868 u. oft. (Aus dem Engl,
des Sir Charles Lyell bat Büchner ins Deutsche übertragen: das Alter d. Menschen-
geschlechts auf d. Erde u. <L Ursprung der Arten durch Abänderung.) Die Stellg.
des Mensch, in d. Natur, Vergangenheit, Gegenw. u. Zukunft, Lpz. 1869; 2. Aufl.
1872. Der Gottesbegriff u. dessen Bedeutung f. d. Gegenwart, Lpz. 1874. D. Macht
der Vererbung u. ihr Einfluss auf d. moralisch, n. geistig. Fortschritte der Mensch-
heit, Lpz. 1882. Ueb. relig. u. Wissenschaft!. Weltanschauung, Lpz. 1887. Streng
materialistisch ist auch: Moritz Berger, d. Materialism im Kampfe mit d. SpirituaL u.
Idealism., Triest 1883. — Die Materialität des Gedankens spricht bestimmt aus
J. C Fischer, die Freiheit des menschlichen Wollens oder d. Einheit der Natur-
gesetze, Lpz. 1871, das Bewusstsein, materialistische Anschauungen, Lpz. 1874.
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§ 44. Der Materialismus und die Naturwissenschaften.
Heinrich Czolbe (geb. 1819, gest. 1873; über ihn s. Ed. Johnson in d. Alt-
preuss. Monatsschr. X, 338-352) will sich mit der Einen natürlichen, alles Wahre,
Gute und Schöne umfassenden Welt begnügen und nicht noch eine übersinnliche
annehmen. Er hat verfasst: Neue Darstellg. d. Sensualismus, Lpz. 1855; Entstehg.
des Selbstbewasstseins, eine Antwort an Hrn. Prof. Lotze, ebd. 1856 ; die Grenzen
u. d. Ursprung d. menschl. Erkenntniss, im Gegensatze zu Kant und Hegel, natura-
liBt-teleolog. Durchführg. d. mechan. Princips, Jena u. Lpz. 1865; die Mathematik
als Ideal für alle and. Erkenntnisse, in der Ztschr. f. ex. Fhilos. Bd. VII, 1866;
Grundzüge einer extensional. Erkenntuisstheorie. Ein räuml. Abbild v. d. Ent-
stehung d. sinnl. Wahrnehmung, herausg. v. Ed. Johnson, Plauen 1875 (Theil eines
grösseren noch ungedruckten Werkes, das den Titel führen sollte: Raum und Zeit
als die eine Substanz der zahllosen Attribute der Welt, oder ein räuml. Abbild
von den Principien der Dinge im Gegensatz zu Herbarts Philos. des Unräumlichen.
Empiristische Umbildung des Spinozismus und Rückkehr zur Philos. der Griechen.
Gleichzeitig Darstellung der naturalistischen Weltauflassung Friedrich Ueberwegs. —
Ueber diesen s. ob.). Czolhes methodisches Princip ist das „sentrualistische*, dass
ein klares Bild von dem iuneren Zusammenhange der Dinge nur bei voller sinn-
licher Anschaulichkeit aller hypothetischen Ergänzungen der Wahrnehmung erreich-
bar, und dass das Denken selbst nur ein Surrogat der wirklichen Anschauung sei,
weshalb er principiell alles Uebersinnliche nusschliesst. Auf der vollen Anschau-
lichkeit und dem strengen Ausschluss alles Uebersinnlichen beruht der wissenschaft-
liche Vorzug der Mathematik, welche für alle andere Erkenntniss nicht nur als ein
Fundament, sondern auch als ein ideales Vorbild dienen muss. In den beiden
ersten der angeführten Schriften nimmt Czolbe neben den physikalischen und che-
mischen Vorgängen auch die organischen Formen als etwas Elementares an, ver-
sucht aber aus gewissen physikalischen Bewegungen der Materie Empfindungen und
Gefühle als die Elemente der Seele zu entwickeln. In der Schrift über d. Grenzen
u. d. Ursprung d menschl. Erkenntniss dagegen erklärt er diesen letzteren Versuch
für verfehlt, stellt der Materie und den zweckmässigen Formen als gleich ursprüng-
lich .die im Räume verborgenen Empfindungen und Gefühle oder die Weltseele*
zur Seite und verbindet mit diesen „drei fundamentalen Grenzen der Erkenntniss*
als „ideale Grenze der Erkenntniss* den letzten Zweck der Welt, in dem ihre Ein-
heit bestehe, nämlich „das durch die möglichste Vollkommenheit bedingte Glück
jedes fühlenden Wesens". Das Streben nach diesem Glück in seinem wesentlichen
Unterschiede von dem einseitigen Egoismus ist ihm das Grundprincip der Moral
und des Rechts. Die Annahme der Räumlichkeit der Empfindungen und überhaupt
aller psychischen Gebilde hält Cz. für nothwendig, so dass seine Psychologie zwar
nicht als eine materialistische, wohl aber als eine extenaionalistiache zu bezeichnen
ist. Um im Gegensatz zur punktualistischen Psychologie die Weltordnung als an
und für sich zweckmässig denken zu können, betrachtet er sie als ewig und schreibt
die gleiche Ewigkeit auch, obschon nicht den menschlichen Individuen, doch den
einzelnen Weltkörpern zu, mindestens denjenigen, welche organische und beseelte
Wesen tragen, insbesondere der Erde.*)
*) Diese letztere Annahme möchte jedoch, wie sehr auch Czolbe das Gegen-
theil darzuthun sich bemüht, mit astronomischen und geologischen Thatsachen
streiten, insbesondere mit der allmählichen Abnahme der Drehungsgeschwindigkeit
der Erde durch Ebbe und Fluth, mit den Spuren allmählicher Erkaltung, wie auch
mit der Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins eines die fortschreitende Bewegung
hemmenden und allmählich die Bahnen der sämmtlichen Weltkörper verkleinernden
Mediums; falls es ein widerstaudleistendes Mittel giebt, so ist die Consequenz un-
abweisbar, dass im Fortschritt der Zeit sich unablässig, aber in stets wachsenden
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§ 44 Der Materialismus and die Naturwissenschaften.
477
Eine Tendenz zu neuer Kirchenbildung (die von der freigemeindlichen sich
dadurch zu unterscheiden behauptet, dass sie nicht Richtungslosigkeit oder Neu-
tralität, soudern Ausschluss des „Uebersinnlichkeitsglaubens" fordert, als positive
Ziele aber „Vervollkommnung des menschlichen Wissens, der menschlichen Würde
oder Moral und des menschlichen Wohlstandes' bezeichnet) bekundet der Natura-
lismus bei Ed. Löwenthal, Syst. u. Gesch. des Naturalism , Lpz 1861, 5. Aufl.
ebd. 1868 u. and. Schrift.; der Freidenker, Organ d international. Cogitanten- oder
Freidenkerbuudes, Dresden 1870. In gewissem Sinne gilt da« Gleich« auch noch
von der anonymen Schrift: du- Evangelium der Natur, Frankf. a. M. 1853, 3. Aufl.
ebd. 1868. Die Grundzüge einer Natur- und Religionsgeschichte entwirft vom
materialistischen Standpunkte aus Karl Wilh. Kunis, Vernunft u. Offenbarg., Lpz.
1870. Phil. Spiller (Oott im Lichte der Naturwissenschaftn., Studien über Gott,
Welt, Unsterblk., Berl. 1873; das Naturerkenn, nach sein, angebl. u. wirkl. Grenz.,
ebd. 1873; die ürkraft des Weltalls nach ihrem Wesen u. Wirken, Berl. 1876;
das Leben, Berl. 1878; d. Irrwege der Naturphilosophie. Berl. 1878) nennt den
Aether als das einzige Kraftprincip Gott u. proclamirt eine neue Religion, „ welche
allein Zukunft habe' als sogen. Aetherismus, der zugleich der reinste Mono-
theismus sei.
Einen vermittelnden Standpunkt nimmt im Materialismusstreit der Hegelianer
JoL Schal ler ein, Leib u. Seele, z. Aufklärg. über Köhlerglaube u. AVissensch.,
Weimar 1855, 3. Aufl. 1858. Vom schopenhauerschen Standpunkte aus unterscheidet
Frauenstädt (Lpz. 1856) in dem Materialismus Wahrheit und Irrthum, vgl. auch
von dem : der Materialism. n. d. antimaterialistisch. Bestrebungen der Gegenw.
in: Uns. Zeit N. F., 3. Jahrg., 1. Hälfte, 1867. Aus dem Standpunkte des reli-
giösen Glaubens urtheilen über den Materialismus die Katholiken: J. Froh-
Bchammer, Menscheuseele u. Physiol. ; eine Streitschrift gegen K. Vogt, Münch.
1855, d. Christentb. u. d. moderne Nuturwiss., Wien 1867, d. neue Wiss. u. d. neue
Glaube, Lpz. 1873, Friedr. Michelis, d. Materialism. als Köhlerglaube, Münster
1856, wie auch Anton Tanner, Vorlesgn. über d. Materialism., Luzern 1864, Alb.
Stöckl, der Materialismus, geprüft in seinen Lehrsätzen und deren Conscquenzeu,
Mainz 1878, die Protestanten: Friedrich Fabri, Briefe gegen den Materialism.,
Stuttg. 1856, 2., mit einer Abhdlg. über d. Ursprung u. d. Alter d. Menschengeschi,
verm. Aufl., ebd. 1864; K. Ph. Fischer, d. Unwahrh. d. Sensualism. u. Mate-
rialism. m. besond. Rucks, auf d. Schriften von Feuerbach, Vogt u. Moleschott,
Erlangen 1853.
Eingehende Naturkenntnisse bekundet in seinen antimaterialistischen Schriften
Herrn. Ulrici, Glaub, u. Wiss., Lpz. 1858, Gott u. d. Natur, ebd. 1861. 3. Aufl.
1875, Gott und der Mensch, Bd. I.: Leib und Seele, ebd. 1866, 2. Aufl. 1874,
u. s. w. Vgl. ferner u. A.: H. G. Ad. Richter, gegen d. Mater, der Neuzeit,
Oymn.-Frogr., Zwickau 1855. W. Braubach, Köhlerglaube u. Materialism. od. d.
Wahrh. d. geistig. Lebens, Frankf. 1856; Neu. Fundamental-Organon d. Phil. u. d.
thatsächl. Einht. v. Freih. u. Nothwdgk., Neuwied 1872. J. B. Meyer, z. Streit
über Leib u. Seele, Worte der Kritik, Hamburg 1856; Thilos. Zeitfragen, Konn
Zeiträumen, aus kleineren Massen grössere bilden, dass, während kleinere Körper
früher, grössere (die Sonnen) später erkalten und erstarren, durch den Sturz der
kleineren Körper auf die grösseren, des Mondes auf die Erde, der Erde auf die
Sonne etc. der Zustand der Glühhitze von Neuem hervorgerufen werden und der
gesammte Lebensprocess in immer grösseren Dimensionen sich erneuern muss, und
zwar bis in EwigKeit. falls die Materie an der Unendlichkeit des Raumes Theil
hat, andernfalls nur bis zu einem um eine endliche Zeit von unserer Gegenwart
entfernten Zeitpunkte.
478
§ 44. Der Materialismus und die Naturwissenschaften.
1870. Rob. Scbellwien, Krit d. Materialism., Berl. 1858; Sein u. Bewußtsein,
Berl. 1863. Karl Suell, die Streitfrage des Materialism., ein vermittelndes Wort,
Jena 1858, wozu als Ergänzung die kurze von gründlicher Einsicht zeugende
Schrift gehört: die Schöpfung des Menschen, Lpz. 1863. Naturforschung u Cultur-
leben, von Aug. Nath. Böhner, Hannov. 1859, 3. Aufl. 1870. M. J. Schleideu,
über d. Materialism. in d. neueren Naturwiss., Lpz. 1863. Eine Verbindung des
Atomismus mit dem Unsterbliehkeiteglauben hat Max Drossbach herzustellen
gesucht: die individuelle Unsterblk., vom monadistisch - metaphys. Standpunkte.
Olmütz 1883; die Harmonie der Ergebnisse d. Naturforschg. m. d. Forderungen d.
menschl. Gemüthes oder d. persönl. Unsterblk. als Folge der atomist. Verfasag. d.
Natur, Lpz. 1858; die Objecte der sinul. Wabrn., Halle 1865; [über Erkeuutniss,
Halle 1869 (jedes Atom erfüllt von seinem C'entrum aus den ganzen unendlichen
Raum, indem es mit allen anderen sich durchdringt!; über die verschiedenen Grade
der Intelligenz in der Natur, Berlin 1873; üb. d. Ausgangspunkt u. d. Grundlage
der Philos., Lpz. 1881, üb. d. scheinbaren u. d. wirklichen Ursachen d. Geschehens
in d. Welt, Halle 1884. Die bonnetsche Tendenz der Vereinigung^ der Annahme
durchgängiger leiblicher Bedingtheit der Seelenthätigkeiteu mit dem theologischen
Glauben hat in ähnlicher Art G. A. Spiess erneut, der für wahrscheinlich hält,
dass sich während des irdischen Lebens und durch dasselbe ein „Keim höherer
Ordnuug" im Menschen bilde, der — nicht wie die organischen Keime in den Nach-
kommen, auch nicht geistig in andern Menschen, sondern — „in anderen Theileu
der uuendlichen Schöpfung Gottes zu einer höheren Entwickelung gelangend, die
persönliche, individuelle Fortdauer ermöglichen würde'. G. A. Spiess, Physiol.
d. Nervensyst. vom ärztl. Standpunkte dargest., Braunschw. 1844; über die Bedeutg.
der Naturwissenschaften für uns. Zeit, und: über das körperl. Bedingtsein der Seelen-
thätiKkeiten. 2 Festreden, Frankf. a. M. 1854; über d. Grenzen d. Naturwissensch,
m. Bez. auf Darwin, Festrede, ebd. 1863. In Ein Atom verlegt die Gesammtheit
der psychischen Functionen des Individuums der Herbartianer O. Flügel, d. Ma-
terialismus vom Standpunkt der atomist.-mechan. Naturforschg. beleucht., Lpz. 1865.
Flügel lässt es unentschieden, ob die Seele ausgedehnt oder als einfach (punktuell)
zu denken sei, weil kein Theil der Psychologie von der Annahme der Unräumlich-
keit der Seele abhänge (was freilich von Herbarts Psychologie keineswegs gilti.
Gegen den Materialismus hat ferner Ferd. W est hoff geschrieben, Stoff, Kraft und
Gedanke, Münster 1865; besonders gegen ihn richtet sich A. Mayer, zur Seelen-
frage, Mainz 1866; die Lehre von d. Erkenutniss vom physiolog. Standpunkt allg.
verständl. dargestellt, Lpz. 1874, der den Materialismus mit einem gewissen kantisch-
schopenhauerischen Aprioriemus verbindet. Wiederum gegen Mayers Doctrin
kämpft H. H. Studt, die materialist. Erkenntuisslehre, Altona 1869. Rosen-
kranz, d. deutsche Materialism. und die Theol. in: Zeitschr. für histor. Theol.,
Bd. VII, EL 3, 1864. S. auch F. Wollny, d. Materialism. im Verh. z. Relig. u.
Moral, Lpz. 1886.
Neue Versuche der Systembildung, die ein Verständniss des natürlichen und
geistigen Lebens auf Grand der Ergebnisse der exacten Naturforschung zu gewinnen
suchen, sind: Christ. Wiener, die Grundzüge der Weltordnung (Atomenlehre und
Lehre von der geistigen Welt), Lpz. u. Heidelb. 1863, 2. Aufl. 1869, und V. Ra-
de nhausen, Isis, der Mensch u. d. Welt, Hamburg 1863, 2. Aufl. 1870 ff. Osiris,
Weltgesetze in d. Erdgeschichte, ebd. 1874 ff. Mikrokosmus, der Mensch als Welt
im Kleinen, Hamb. 1877.
Durch glcicbmässige Vertrautheit mit der Philosophie uud mit der positiven
Naturforschung ausgezeichnet ist F. Alb. Langes geistvolle Schrift: Gesch. d.
Materialismus, s. ob. b. Lange, welche die Bedeutung der materialistischen For-
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§ 44. Der Materialismus uud die Naturwissenschaften.
479
schung in helles Licht setzt. Entschieden haben dem Materialismus entgegen-
gearbeitet die früher erwähnten Naturforscher, welche mit Kant im Znsammenhang
stehen. Vgl. auch Pflüger, die teleologische Mechanik der lebendigen Natur,
2. Aufl., Bonn 1877. Andere Schriften, auf den Materialismus bezüglich, sind:
H. A. Kinne, Mater, u. ethisches Bedürfniss, Braunschw. 1868. Die Uusterblich-
keitsfrage u. die neueste deutsche Phil.: 1. die Gegner, 2. die Vorkämpfer der Un-
sterblichkeit, in: Unsere Zeit, IV, 12 u. 15, Lpz. 1868 C. Scheidemacher, d.
Nachteule d. Materialismus etc., Cöln 1868. Ludw. Weis, Anti-Materialismus oder
Krit. aller Phil, des Unbewusst, Vorträge, 3 Bde., Berl. 1871—73. Idealrealismus
und Materialismus, Berl. 1877. G. Freih. v. Hertling, über d. Grenzen d. median.
Naturerklärung, Bonn 1875. Gideon Spicker, über d. Vcrh. der Naturwissen-
schaft zur Philosophie, Berl. 1874. G. Härtung, Philos. u. Naturwissensch, in
ihrer Bedeut f. d. Erkenntniss der Welt, 2. Aufl., Lpz. 1876. Fritz Schnitze,
die Grundgedanken des Materialism. u. d. Krit derselben, Lpz. 1881. Vom kan-
tischeu Standpunkt legt die Unzulänglichkeit der materialistischen Weltanschauung
gut dar Kurd Lasswitz, d. Lehre K.s etc., s. ob. Hier ist auch zu erwähnender
viel besprochene Vortrag des im Ganzen materialistisch denkenden Du Bois-
Reymond, über d. Grenzen d. Naturerkeuntniss, Lpz. 1872, welchen der Verf. mit
den Worten schliesst: In Bezug auf das Räthsel, was Materie uud Kraft seien,
und wie sie zu denken vermögen, muss der Naturforscher ein für allemal zu dem
Wahrspruch sich entschlieasen I u norabimus*. In 5. Aufl. ist dieser Vortrag er-
schienen zusammen mit einem andern Vortrag Du Bois-H.s: Die sieben Welt-
räthsel, Lpz. 1882. Von diesen sieben Schwierigkeiten für das Denken erseheinen
dem Verfasser als „transscendent*, d. h. als unüberwindlich: 1) das Wesen von
Materie uud Kraft, 2) der Ursprung der Bewegung, 3} das Entstehen der einfachen
Sinnesempflndung, 4) die Willensfreiheit, falls man nicht die subjective Freiheit
für Täuschung ansieht. Für nicht »transscendent* hält er: 1) den Ursprung des
Lebens, 2) die anscheinend absichtsvoll zweckmässige Einrichtung der Natur, 3) das
vernünftige Denken und den Ursprung der damit eng verbundenen Sprache. Der
Mechanismus, der für die Vorgäuge in der anorganischen Natur und das Pflanzen-
leben ausreiche, genügen nicht für die Empfindung und das Bewusstsein: diese
brächten in die biologische Eutwickelung etwas Neues, das als Begleiterscheinung
aus dem Innern der Materie hinzutrete. S. Thdr. Weber, Du B.-R. Eine Krit.
seiner Weltansicht, Gotha 1885. Chr. v. Ehrenfels, metaphys. Ausführungen im An-
schlüsse an E. Du Bois-R., Wien 1886. Gegen die Erklärung der Functionen in den
lebenden Wesen aus rein mechan. Ursachen spricht sich entschieden aus G. Bunge
(Prof. d. Pbysiol. in Basel), Vitalismus u. Mechanismus, e. Vortr., Lpz. 1886.
Nicht durch Physik und Chemie, ebensowenig durch Anatomie und Histologie lost
sich das Räthsel des Lebens, das in der Activität steckt. Mit den Sinnen werden
wir freilich in der belebten Natur nichts Anderes entdecken als in der unbelebten.
Wir müssen von dem uns zunächst Bekannten, der Innenwelt, ausgehen, um die
Aussenwelt zu erklären.
Charles Darwins (geb. 12. Febr. 1809 zu Shrewsbury, gest. 19. April 1882 auf
Beinern Landgute Down bei London) Lehre gipfelt darin, dass der Zweckbegrin*
aus der Natur beseitigt wird, dass die natürliche Auslese im Kampfe ums
Dasein (natural selection, struggle for life), vermöge dessen das weniger Zweck-
mässige untergeht, aber das Passende sich weiter vererbt, als rein mechanischer
Vorgang ohne alle Mitwirkung eines Zweckprincips doch ein möglichst zweck-
mässiges Resultat hervorbringt. Das Zweckmässige entsteht, aber der Zweck ist
kein Wirkendes. Es ist auch den Organismen keine Neigung angeboren, einen
Fortschritt zum Höheren zu machen. Diese Lehre wird von der einen Seite als
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§ 44. Der Materialismus uud die Naturwissenschaften.
die gewagteste und gefährlichste Neologie verschrieen, von der andern Seite als die
epeculntivste Errungenschaft der Naturwissenschaft gepriesen. Jedenfalls hat sie
fdch, wenn auch nicht durchaus in der Gestaltung Darwins, einen sehr weiten Kreis
von Auhäugern erworben und hat befruchtend schon auf die Philosophie gewirkt.
Aus der sehr weitschichtigen Litteratnr über diese Theorie sind hier nur die
wichtigsten Anhänger und Gegner anzuführen, deren Schriften eine Beziehung zur
Philosophie haben. Im Uebrigen sind die bibliographischen Verzeichnisse von
•T. W. Spengel, die Darwinsche Theorie, 2. verm. Aufl., Berl. 1872 (vgl. auch dessen:
die Fortschritte d. Dnrwinism., Cöln u. Lpz. 1873, No. 2 [1873—74], ebd 1875),
bei Geo. Seidlitz, d. Darwinsche Theorie, Dorp. 1871, 2. verm. Auflage, Leipzig
1875, u. namentlich in d. Zoolog. Anzeiger, herausgeg. von dem Uebersetzer der
darwi tischen Werke, J. Vict. Carus, unter Descendenztheorie, zu vergleichen. Seit
1877 hat diese Richtung vertreten der monatlich in Leipzig erschienene „Kosmos*,
Zeitschrift für einheitliche Weltanschauung, heruusgeg. von Otto Caspari,
Gustav Jäger, Emst Krause (C'arus Sterne), seit 1879 von dem letzten allein,
188(3 eingegangen. Es stellte diese Zeitschrift die Sätze in den Vordergrund, dass
man in der Natur das Seiende nur als ein Gewordenes auffassen dürfe, und dass
der Meusch selbst als zugehöriger Theil des Ganzen mitteu in die Natnr hinein-
versetzt werde und keine Ausnahmestellung einnehmen dürfe. Die Wissen-
schaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen, als Anthropologie, Ethnologie,
Sprachwissenschaft, Cultur- und Staatengeschichte, National-Oekonomie, Rechts-,
Geschichte- und Religionsphilosophie, Moral, seien demnach Naturwissenschaften.
Darwins Werk: On the origin of species erschien im J. 1859. Unter den
Anhängern Darwins in Deutschland steht obenan Emst Häckel mit seinen um-
fassenden Werken: Generelle Morphologie d. Organismen, allgem. Grundzüge d.
organ. Formenwissensch., median, begründet durch d. von Charl. Darwin reformirte
Descendenztheorie, 1. Bd.: Allg. Anatomie d. Orgauismeu, 2. Bd.: Allg. Entwicke-
lungsgeseh. der Organism., Berl. 1866; natürliche Schöpfungsgesch., Berl. 1868 u.
oft.. Anthropogenie, Lpz. 1874 u. oft. Ausserdem: Ziele u. Wege der heutigen
Entwickelungsgesehichte, Jena 1875. Gesammelte populäre Vorträge aus d. Gebiete
der Entwiekelungslehre, 1. u. 2. Heft, Bonn 1K78— 79. Vgl. R, Koeber, Ist Häckel
Materialist? Berl. 1887. Häckel sieht in der Herstellung der einheitlichen oder
monistischen Naturauffassung das höchste und allgemeinste Verdienst der von
Darwin an die Spitze der heutigen Naturwissenschaft gestellten Entwickelungs-
lehre. Alle Naturkörper sind gleichmäasig belebt, alle Materie ist beseelt, geistige
Kraft und körperlicher Stoff sind untrennbar. Es ist diese durchaus mechanische
oder causale Weltanschauung, die sich besonders gegen den teleologischen Dualismus
wendet, der spinozistischen verwandt, legt aber doch das Hauptgewicht auf die
materielle Seite, wie auch Häckel meint, sein Monismus sei in gewisser Weise
identisch mit dem naturwissenschaftlichen Materialismus. Anhänger D.s sind femer
Frdr. Bolle, D.s Lehre v. d. Entstehung d Arten im Pflanzen- u. Thierreich in
ihrer Anwendg. auf d. Schöpfungsgesch., Prag 1863 u. 1870 u.: d. Mensch, seiue
Abstammung u. Gesittung im Lichte d. d.sch. Lehre v. d. Artentsteh., Prag 1868
u. 1870« Aug Schleicher, d. d sehe Theorie u. d. Sprachwissensch, Weimar
1S65, 3 Aufl. 1873. Gust. Jäger, d. d.sche Theorie und ihre Stellung zur Moral
u. Relig., Stuttg. 1869; in Sachen D.s, insbesondere contra Wigand, ebd. 1874.
(J. ist neuerdings bekannt durch seine .Entdeckung der Seele", Vortr., Lpz. 1879,
s. gegen ihn H. Schneider, Herrn Prof. Dr. J.s vermeintl. Entdeck, d. S., Lpz. 1879,
u. durch das „Wollregime"). Aug. Weis mann, über d. Berechtigung d. d.sch. Theorie,
akad. Vortr., Freiburg i. B. 1868; über den Einfluss d. Isolirung auf d. Artbildg.,
Lpz. 1872; Studien zur Descendenztheorie, 2 Thle , Lpz. 1875-76; üb. d. Dauer d.
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§ 44. Der Materialismus und die Naturwissensehaften.
481
Lebens, Vortr., Jena 1882. W. Braubach, Rlg., Moral u. Philos. d. dschen Art-
lehre nach ihrer Natur u. ihr. Charakt. als kleine Parallele menschl. geistig. Ent-
wickig., Neuwied 1869. Osk. Schmidt, d. Anwendung der Descendenzlehre auf
den Mensch.. Lpz. 1873; Descendenzlehre u Darwinism. [internat. wissensch.
Bibl. IL], Lpz. 1873. Karl Frhr. du Prel, d. Kampf ums Dasein am Himmel.
Die d.sche Formel nachgewiesen in d. Mechanik der Sternenwelt, Berl. 1874. Fritz
Schnitze, Kant u. Darwin, Jena 1875, s. übrig, ob. S. 468. Paul Ree, d.
Ursprung der moralischen Empfindungen, Chemn. 1877; d. Entstehung des Ge-
wissens, Berl. 1885; d. Illusion der Willensfreih., Berl. 1885. Geo. Hnr. Schneider,
der tbierische Wille, Lpz. 1880; der menschl. Wille vom Standp. der neuer. Ent-
wickelungstheorien (des Darwinism.), Berl. 1882; Freud u. Leid des Menschen-
geschlechts, Stuttg. 1883. W. H. Kolph, Biologische Probleme, zugleich als
Versuch e. rationellen Ethik, Lpz. 1882. Otto Zacharias, Ch. R. Darwin u. d.
culturhistor. Bedeut. seiner Theorie vom Ursprung d. Arten, Berl. 1882. II. Spitzer,
Beiträge zur Descendenztheorie u. z. Methodol. der Naturwissenschaft, Lpz. 1886.
Die Entstehung der Arten durch Absonderung vertrat Moritz Wagner (gest. 1887),
die Darwinsche Theorie u. das Migrationsgesetz der Organismen, Lpz. 1868, auch
verschiedene Aufsätze im Kosmos. Vergl. auch unter E. v. Hartmann besonders:
das Unbewusste vom Standpunkte der Physiol. u. Descendenztheorie.
Unter den Gegnern ausser den oben erwähnten, K. Chr. Planck, Joh. Huber,
J. B. Meyer (in d. philos. Zeitfragen), Ed. Löwenthal, G. A. Spiess, n. Ad. Bastian
(Beiträge z. vergleich. Psychologie), noch folgende: Jac. Frohschammer, Dar-
Btell. u. KriL der darwinschen L., in: Athenäum 1862. Fr. Pf äff, die neuesten
Forschungen und Theorien auf dem Gebiete d. Schöpfungsgesch. , Frankf. a. M.
1868. Hermann Hoffmann, Untersuchgn. z. Bestimmung des Werthes v. Species
u. Varietät, Giessen 1869. C. Schmid, D.s Hypothese u. ihr Verhalten zu Relig.
u. Moral, offn. Sendschr. au G. Jäger, Stuttg. 1869. Alb. Wigand, über D.s
Hypothese Pangenesis, Marb. 1870; die Genealogie d. Urzellen als Lösung d.
Descendenzprobl , Braunschweig 1872; d. Darwinism. u. d. Naturforschung Newtons
u. Cuviers, Bd. I— III. ebd. 1873 ff.; die Alternative: Teleologie oder Zufall vor
d. kgl. Akad. d. Wissensch, zu Berlin, Cassel 1877; der Darwinismus ein Zeichen
der Zeit, Heilbronn 1878. Von demselb. höchst wahrscheinlich: Ueber d. Auf lös.
der Arten durch natürl. Zuchtwahl oder d. Zukunft des organ. Reiches m. Rucks,
auf d. Culturgesch., Hannov. 1872. G. P. Weygoldt, Darwinismus, Relig., Sittlichk.,
Leiden 1878. Gefühl; Bewusstsein, Wille, eine psychologische Studie, Wien 1876.
E. Askenasy, Beiträge z. Krit. d. d.schen Lehre, Lpz. 1872. Vgl. ausser-
dem C. Semper, Offener Brief an Herrn Prof. Häckel, Hamb. 1877. E. Rade,
Ch. D. u. seine deutsch. Anhänger i. J. 1876, Strassb. 1877. P. Kramer, Theorie
u. Erfahrung. Beiträge z. Beurtheilung des Darwinismus, Halle 1877. Du Bois-
Reymond, Darwiu versus Galiani, Berl. 1876. Das Verhältniss der Philo-
sophie zum Darwinismus behandeln: G. v. Gizycki, Philosophische Conse-
quenzen der Lamarck- Darwinschen Entwickelungstheorie , Lpz. u. Hcidelb. 1876.
Rud. Schmid, die Darwinsche Theorie u. ihre Stellung zur Philosophie, Religion
u. Moral, Stuttg. 1876. Eug. Dreher, der Darwinism. u. seine Stellung in d.
Philos., Berl. 1877; der Darwinismus und seine Consequenzen , Halle 1882.
G. Teichmüller, Darwinism. u. Philos., Dorpat 1877. Vgl. auch Carneri, Sittlich-
keit u. Darwinismus, drei Bücher Ethik, Wien 1871, 2. Aufl., Lpz. 1877, s. v.
demselb. Verf. Grundlegung der Ethik, Wien 1881; Entwickelung u. Glückselig-
keit. Ethische Fragen, Stuttg. 1886. J. Kühl, Darwin u. d. Sprach wissensch.,
Mainz 1877. M. J. Savage, d. Religion im Lichte der darwinsch. Lehre, ins
Deutsche übers, v. R. Schramm, Lpz. 1886.
U»borw«g- Heins«, GntndriM III. 7. Aufl. 3J
482
§ 44. Der Materialismus ond die Naturwissenschaften.
In Betreff der Reduction der Naturgesetze sind zu nennen:
Joh. Müller (1801-1858), Physiologie, Coblenz 1840. Durch ihn wurde die
Theorie der specifischen Energien der Sinnesnerven eigentlich begründet, welche
auf die Erkenntnisstheorie von nicht unbedeutendem Einflass war. Alexander
v. Humboldt (14. Sept 1769 bis 6. Mai 1859), Kosmos, Stuttgart 1845-62.
Jul. Rob. Mayer (gest. 1878, s. über ihn Eag. Dühring, R. Mayer, der Galilei
des 19. Jahrb., Chemnitz 1880), der schon 1842 in seineu „Bernerkgn. über d.
Kräfte der unbelebten Natur", 1845 in seiner Schrift über „die organische Be-
wegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel", u. weiter in .Be-
merkungen über das mechanische Aequivalent der Wärme", 1850, ausgesprochen
und bewiesen hat, dass die Kraft nur der Qualität nach veränderlich, der Quantität
nach aber unzerstörbar sei, und dass auch die Wärme nur eine Art Bewegung
sei, oder dass sich Wärme und Bewegung in einander verwandeln, und dass sich
ein Gesetz der unveränderlichen Grössenbeziehung zwischen der Bewegung und der
Wärme auch numerisch ausdrücken lasse; diese betreffende Zahl nennt er da.s
mechanische Aequivalent der Wärme. Seine Abhandlungen sind gesammelt unter
dem Titel: Die Mechanik der Wärme, 1. Aufl., Stuttg. 1867, 2. Aufl. 1874, Unab-
hängig von Mayer kamen der Engländer Joule und Helmholtz auf das Gesetz
von der Erhaltung der Kraft, das Helmholtz 1862 in seinem Vortrage über die
Erhaltung der Kraft (in: Populäre wissensch. Vorträge) formulirte: die Summe
der wirkungsfähigen Kraftmengen im Naturganzen bleibt bei allen Veränderungen
in der Natur ewig und unverändert dieselbe. Von Helmholtz s. ferner: Ueber
die Erhaltung der Kraft, eine physikal. Abhandig., Berl. 1847, über die Wechsel-
wirkg. der Naturkräfte u. die darauf bezügl. neuesten Ermittelungen der Physik,
ein popnlär-wissensch. Vortrag, Königsb. 1854, nebst den oben genannten umfass
Arbeiten zur Optik u. zur Akustik. Ueb. Wuudt s. sogleich u.
Als ein Antiatomistiker ist C. J. Karsten zu nennen (Philos. d. Chemie,
Berl. 1843). Vom Standpunkt der mechanischen Wärmetheorie hat Alex. Nau-
mann einen Grundriss der Thermochemie verfasst, Braunschw. 1869. Die be-
ginnende Ausdehnung der astronomischen Erkenntniss auf die chemische Beschaffen-
heit der Himmelskörper vermöge der Spectral- Analyse (s. Kirchhoff, das Sonnen-
spectrum, 1862) muss auch auf die philosophischen Untersuchungen über das
Universum von maassgebeudem Einfluss sein. Einen entschieden teleologischen
Standpunkt betreffs der Natur nimmt ein Ad. Mühry, Krit. u. kurze Darlegg. der
exaeten Naturphilos., 5. Aufl. Gotting. 1882.
Die Litteratur, betreffend die „raetamathematischen " Speculationen s
bei B. Erdmann, die Axiome der Geometrie, Lpz. 1877, welcher auch die ganze
Frage nach ihrer philosophischen Bedeutung erörtert (s. dazu J. Jacobson, d.
Axiome der Geometrie u. ihr „philos. Untersucher" Herr B. Erdmann, in: Alt-
preuss. Monatsschr., Bd. 20, 1883, S. 301—341, auch besonders erschienen, Kgsb.
1884). Es gehören namentlich hierher die Abhandlungen von Gauss: Disquisitiones
generales circa superficies curvas, 1828, die Habilitations- Vorlesung von Rieraann
aus d. J. 1854, veröffentlicht von Dedekind i. d. Abhandi. der k. Gesellschaft d.
Wissensch. zu Göttingen, 1867, u. die Arbeiten von Helmholtz: Ueb. d. that-
sächl. Grundlagen d. Geometrie, Heidelb. Jahrbücher, 1868, über d. Thatsachen,
die der Geometrie zum Grunde liegen, Göttinger Nachr., 1868, und: Ueber den
Ursprung u. die Bedeutung der geometrischen Axiome, in: Populäre Vöries.,
Heft III, Braunschw. 1876. In die ganze Frage führt gut ein: Liebmann, über
die Phänomenalität des Raumes, in dem Werke: Zur Analysis der Wirklichkeit,
2. Aufl., Strassb. 1880. — Es kommt bei diesen Speculationen darauf hinaus, dass
unser Raum von drei Dimensionen, in welchem der Punkt durch drei Coordinaten
§ 44. Der Materialismus und die Naturwissenschaften.
483
bestimmt wird, und in welchem die euklidische Geometrie gilt, nicht der einsige
ist . den mau sich denken kann, sondern nur als Species des allgemeinen analytischen
Begriffs vom Raum angesehen wird, für den es, als eine nfach ausgedehnte Mannig-
faltigkeit, keine bestimmte Zahl von Dimensionen giebt. In einem Raum von
n Dimensionen wird der Punkt durch n Coordinaten bestimmt. Ein Raum von
mehr als drei Dimensionen ist logisch denkbar, aber nicht vorstellbar und an-
sebaubar. Von diesen mathematischen Ausführungen sind philosophische Folgerungen,
freilich in von einander abweichender Weise, gezogen worden. Namentlich ist
daraus gefolgert worden, dass unsere Raumanschauung eine empirische Vorstellung
sei. Zöllner hat die Mctageometrie zu der Annahme benutzt, dass unsere phäno-
menale Welt ein Schattenbild der realen Welt der Dinge an sich oder der Ideen
von vier Dimensionen sei.
Wilh. Wundt (geb. 1832, seit 1875 Prof. d. Philos. in Leipzig), Beitrage
zur Theorie der Sinneswahrnehm., Lpz. 1862. Vorlesgu. über d. Menschen- u.
Thierseele, Lpz. 1863. Die physikal. Axiome u. ihre Beziehg. z. Causalprincip,
ein Capitel aus d. Philos. der Naturwissenschaften, Erlungen 1866. (Die sechs
von Wundt angenommenen Axiome sind: 1. Alle Ursachen in der Natur sind
Bewegungsur8aehen. 2. Jede Bewegungsursache ist ausserhalb des Bewegten.
3. Alle Bewegungaursachen wirken in der Richtung der geraden Verbindungslinie
ihres Ausgangs- und Angriffspunktes. 4. Die Wirkung jeder Ursache verharrt.
5. Jeder Wirkung entspricht eine ihr gleiche Gegenwirkung. 6. Jede Wirkung
ist äquivalent ihrer Ursache.) Grundzüge d. pbyBiol. Psychol, Lpz. 1873 — 74,
3. Aufl. 1887, ins Französische ist das Werk übers, v. Klie Rouvier, Par. 1886.
Ueber d. Aufg. d. Philos. in d. Gegenwart, Lpz. 1874. Einfluss der Philosophie
auf die Erfahrungswissenschaften, Akadem. Antrittsrede, Lpz. 1876. Logik,
1. Bd., Erkenntnissl., 2. Bd., Methodenl., Stuttg. 1880, 83. Essays (von ihnen hervor-
zuheben: Philosophie u. Wissensch., d. Theorie der Materie, d. Unendlichk der
Welt, d. Aufgaben der experimentell. Psychol., d. Sprache u. d. Denken, d. Ent-
wicklung des Willens, der Spiritismus) Lpz. 1885. Ethik, eine Untersuch, der
Thatsachen u. Gesetze des sittl. Lebens, Stuttg. 1886. Zur Moral d. litterarisch.
Kritik, Lpz. 1887 auf Veranlassung einer Kritik der Ethik in d. Preuss. Jahrbüchern
59, 1887 von H. Sommer: d. eth. Evolutionism. W. Wundts. Seit 1881 giebt Wundt
Philosophische Studien heraus — bis 1888 erschienen 4 Bde., je zu 4 Heften — ,
in welchen eigene Arbeiten Wundts und Arbeiten seiner Schüler veröffentlicht
sind, namentlich Untersuchungen der experimentellen Psychologie und Unter-
suchungen über Methoden der Mathematik u. der Erfahrungswissenschafteu. Nach
Wundt muss sich die Philosophie bemühen, Wissenschaftslehre in der wahren
Bedeutung des Worts zu sein und zwar so, dass sie die Methoden und Ergebnisse
der Einzelwissenschaften als den eigentlichen Gegenstand ihrer Forschungen be-
trachtet. Ihr wahres Ziel ist hier, eine Weltanschauung zu gewinnen, welche dem
Bedürfniss des menschlichen Geistes nach der Unterordnung des Einzelnen unter
umfassende theoretische und ethische Gesichtspunkte Genüge leistet. Die Einzel-
forschung kommt immer nur zu einseitigen Gesichtspunkten, und daher kann keine
andere Wissenschaft diesem Bedürfniss genügen. Die physiologische Psychologie
hat vornehmlich die Beziehungen des äusseren und inneren Geschehens zu unter-
suchen und steht deshalb zur Hälfte noch innerhalb der Naturwissenschaft, die
sie als nächste Vermittlerin mit den Geisteswissenschaften verbindet. Von der
subjectiveu Psychologie unterscheidet sie sich als objective, welche die innere
Wahrnehmung unter .die Controlle der experimentellen Beeinflussung durch will-
kürlich herbeizuführende und abzustufende äussere Einwirkungen" stellt; darum heiast
sie auch experimentelle Psychologie, Der andere Theil der objectiven Psychologie
31*
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484
§ 45. Neue Systeme. Lotse, Fechner, Hartmann u. A.
ist die Völkerpsychologie. Das Bewusstsein mit seinen mannigfaltigen und doch
in durchgängiger Verbindung stehenden Zuständen ist für unsere innere Auffassung,
eine ähnliche Einheit wie für die äussere der leibliche Organismus, und da
Physisches und Psychisches in durchgängiger Wechselbeziehung stehen, kommt
Wundt zu der Annahme, dass, was wir Seele nennen, das innere Sein der
nämlichen Einheit ist, die wir äusserlich als den zu ihr gehörigen
Leib anschauen, und weiterhin zu der Voraussetzung, dass das geistige Sein
die Wirklichkeit der Dinge, und die wesentlichste Eigenschaft desselben die Ent-
wickelung ist. Das menschliche Bewusstsein ist dann für uns die Spitze dieser
Entwickelung; es bildet den Knotenpunkt im Naturlauf, in welchem die Welt sich
auf sich selbst besinnt. Nicht einfaches Sein, sondern entwickeltes Erzeugnis«
zahlloser Elemente ist die menschliche Seele; nicht Substanz, sondern Actualität.
Die Einheit des Ich beruht auf der Stetigkeit der Veränderungen unseres inneren
Seins. Auf erkenntnisstbeoretischem Gebiet bekennt sich Wundt zu einem kritischen
Idealismus, der zugleich Idealrealismus ist. Die idealen Principien müssen in der
objectiven Realität sich wieder finden, wie ja auch die Grundgesetze des logischen
Denkens zugleich Gesetze der Objecto des Denkens sind. Dieses Resultat muss
aber durch Untersuchung gefunden und darf nicht ror aller Untersuchung durch
täuschende dialektische Künste erzeugt werden. Von vornherein steht nur der
Grundsatz fest, dass die Objecte unseres Denkens diesem conform sein müssen, da
ohne diesen Grundsatz das Entstehen einer Erkenntniss nicht begreiflich wäre.
In seiner Ethik sucht Wundt zunächst die ethischen Principien in induetiver
Weise auf durch eine Untersuchung einmal des ursprünglichen sittlichen Bewusst-
seins (der Thatsachen des sittlichen Lebens) und zweitens der wissenschaftlichen
Reflexion über das Sittliche (die philosophischen Moralsysteme, geschichtliche
Uebersicht u. allgemeine Kritik). Hierauf entwickelt er in der systematischen
Ethik auf dieser gegebenen Grundlage die Principien, auf welchen alle sittlichen
Werthurtheile beruhen, und prüft dieselben auf ihren wechselseitigen Ursprung und
Zusammenhang (der sittliche Wille, die sittlichen Zwecke, die sittliche Motive,
die sittlichen Normen) und behandelt dann die sittlichen Lebensgebiete: einzelne
Persönlichkeit, Gesellschaft, Staat, Menschheit. Wundt vertritt in der Ethik einen
Evolutionismus, bei dem ein Gesammtwille anerkannt wird, dessen Träger die
Einzelnen, und in dessen umfassenderen Zwecken die individuellen Lebensaufgaben
der Einzelnen eingeschlossen sind. Vgl. Henri Lachelier, la theorie de connaissance
de W., in Rev. philos. 1880 Bd. 10, S. 23—48. J. Baumann, W.s L. vom Willen
u. sein animistischer Monismus in: Philos. Monatsh. 1881, S. 568— 602; dageg. Wundt,
Philos. Stud. I, 337—378; hierauf wieder Baumann in d. Philos. Monatsh. 1883,
8. 354—374. 0. Flügel, üb. Wundts ErkenutnissL in: Ztsch. f. exakte Ph., XII,
1883, S. 52 — 77. H. Lachelier, les lois psychologiques dans l'ecole de Wundt,
in: Revue philos. 19, 1885, S. 121—146. Th. Achelis, W.s Philosophie, in: Ztschr.
f. Ph. u. ph. Kr. 91, 1887, S. 188—227; s. denselb., W. Wundt, in: Nord u. Süd,
43, 1887, S. 286-304.
§ 45. Der herbartschen und noch mehr der leibnizischen Rich-
tung unter Mitaufnahme spinozistischer Oedanken steht Hermann Lotze
nahe, wiewohl er mit Recht dagegen protestirt, als ein Herbartianer
bezeichnet zu werden, da er die Möglichkeit des Zusammenseins und
der erscheinenden Wechselwirkung der vielen Wesen auf die noth-
wendige Einheit eines substantiellen Weltgrundes, auf die
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§ 45. Neue Systeme. Lotee, Fechner, Hartmann u. A.
485
Thätigkeit einer ursprünglichen Wesenseinheit alles Wirklichen zurück-
fuhrt. Das Unendliche ist die Eine Macht, welche sich in der Ge-
sammtheit der Geisterwelt unzählige zusammenstimmende Weisen ihrer
Existenz gegeben hat. Alle Monaden sind nur Modificationen des
Absoluten. Diese allgemeine Substanz, der Grund der realen Welt,
ist zugleich der Grund der idealen Welt, der Ideen des Guten, Schönen,
Wahren, die allgemeine Idee, und so das Eine und höchste Gut.
Der Mechanismus ist die Form endlichen Daseins, welche das Wesen
sich giebt. — Die Absicht Lotzes ist, einen Frieden zu stiften zwischen
den Bedürfnissen des Gemüths und den Ergebnissen menschlicher
Wissenschaft.
Den spinozistisch-kau tischen Gedanken, dass Seele und Leib nur
zwei verschiedene Erscheinungsweisen eines Realen seien, je nachdem
dasselbe von aussen oder von innen, durch die Sinne oder durch das
Selb8tbewu88tsein aufgefasst werde, verbindet mit einer Atomistik, die
zu der Auffassung jedes einzelnen Atoms als eines raumlosen oder
punktuellen Wesens neigt, aber die Seele nicht auf Ein Atom ein-
schränkt und mit der Annahme einer Beseelung der einzelnen Ge-
stirne und des Universums der Physiker und Philosoph Gustav
Theodor Fechner, der in seiner „Psychophysik" die Intensitäten
der Empfindungen messen lehrt aus den physikalisch messbaren Stärken
der Reize auf Grund des von ihm sogenannten „weberseben Gesetzes".
An Sendlings positive Philosophie, in welcher er die Einheit
der schopenhauerschen und hegelschen Lehre findet, knüpft an Eduard
von Hartmann, welcher einen concreten Monismus des unbewussten
absoluten Geistes mit den Attributen Wille und Vorstellung (Idee)
lehrt. Hegels logische Idee soll ebensowenig ohne Willen zur Realität
gelangen, als es Schopenhauers blindem vernunftlosen Willen möglich
sei, sich zu urbildlichen Ideen zu determiniren , und Hartmann fasst
deshalb beide als coordinirte gleichberechtigte Principien, die als
Functionen eines und desselben funetionirenden Wesens zu denken
seien. Der Wille setzt das „Dass" (die reale Existenz), die Idee das
„Was" (die ideale Essenz) der Welt und der Dinge. Aus der Natur
des Willens folgt das nothwendige Ueberwiegen des Schmerzes. Des-
halb wäre das Nichtsein der Welt vorzuziehen ihrem Sein, obwohl
die seiende Welt die beste aller möglichen Welten ist. Hartmann
verbindet so den Pessimismus mit dem Optimismus. Das Ziel der
zweckmässigen Entwickelung der Welt ist die Zurückwendung des
Willens ins Nichtwollen. Das Mittel dazu ist grösstmögliche Steige-
rung des Bewusstseins, weil nur in diesem die Vorstellung sich in
der zu einer Opposition erforderlichen Emancipation vom Willen be-
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480
§ 45 Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hartmann u. A.
findet. — Hartmann bezeichnet seine Lehre vom erkenntnisstheoretischen
Gesichtspunkt als „transscendentalen Realismus".
Einen Realismus anderer Art hat J. H. von Kirchmann ausge-
bildet, welcher das Sittliche auf das Gefühl der Achtung vor einem
erhabenen Gesetzgeber, vor einer erhabenen Macht als Autorität,
zurückfuhrt. Ein System der „Wirklichkeitsphilosophie" will Eugen
Dühring bieten, welcher das Gegebene nimmt, wie es ist, ohne daran
zu deuteln. Philosophie ist nach ihm die Entwickelung der höchsten
Form des Bewusstseins von Welt und Leben.
Ausserdem sind manche andere Versuche zu Systembildung ge-
macht worden.
Lotze, Metaphysik, Lpz. 1841. Allgem. Pathologie u. Therapie als tnechan. Natur-
wissenschaften, Lpz. 1842. Ueber Herbarts Ontotogie, in: Fichtes Zeitschr. f. Philo«..
Bd. XI, 1843, S. 203—234. Logik, Lpz. 1843. Allgem. Physiologie des körperlichen
Lebens, Lpz. 1851. Medicin. Psychologie od. Physiologie der Seele, Lpz. 1852.
Vgl. Lotzes Artikel über d. Lebenskraft in Wagners Handwörterbuch der Physiologie.
Streitschriften, Lpz. 1857. Mikrokosmus, Ideen zur Naturgesch. u. Gesch. der
Menschheit, Lpz. 1856—64, 4. Aufl. ebd. 1884 ff. Gesch. der Aesthetik in Deutschland
(bildet den VII. Bd. der „Gesch. d. Wissenschaften in Deutschland4), Münch. 1868.
System der Philos., L Th., Logik, Lpz. 1874. 2. Aufl. 1881, II. Th., Metaphysik,
ebd. 1879. S. auch: Principien der Ethik in: Nord u. Süd, Juni 1882, S. 339-354.
Nach Lotzes Tode sind Dictate aus seinen Vorlesungen herausgegeben worden, in
H Hftn.: Log. u. Encyclop. der Philos., Metaphys., Naturphilos., Psychologie,
Praktische Philos., Rcligionsphilos. , Aesthetik, Gesch. d. deutsch. Ph. seit Kant,
Lpz. 1881—1884, z. Th. in 2. Aufl. erschienen. Kleine Schriften, Bd. 1 u. 2, Lpz.
1885, 86.
Ueber Lotze s. H. Sommer, d. Lotzesche Ph. u. ihre Bedeut. f. d. geist. Leb. der
Gegenw. Preuss. Jahrb. 1875, 3 Artik.; den., ebenda, 1881; ders., dem Andenk. L.s,
in: Im neuen Reich, 1881, No. 36. E. Rehnisch, H. L., sa vie et ses ecrits, in: Rev.
philos., 1881, Bd. 12, S. 321—336. T. Achelis, Ls Philos., in: Vierteljahrsschr. f.
wissensch. Ph., 1882, S. 1—27. T. M. Lindsay, H. L., in: Mind. 1876. K. Pflei-
derer, L.s philosoph. Weltanschauung nach ihren Grundzügen, Berl. 1882, 2. Aufl., Berl.
1884. O. Caspari, H. L. in sein. Stell, z. der durch Kant begründet neuesten Gesch.
der Ph., Breslau 1883. Jobs. Franke, üb. L.s L. v. d. Phänomenalität des Raumes,
Lpz. 1884. Gercken, Beitr. zur Würdigung der Erkenntnisstheorie Lotzes, Pr. des
R. G. z. Perleberg 1885. Zschau, L.s Ethik, Pr. d. R. Sch. zu Meerane i. S., 1885.
G. v. Schultheiss, d. religionsphilos. Grundgedanken Herrn. Lotzes, in: Theol. Ztachr. aus
d. Schweiz, 1885, S. 274—302. G. Härtung, Hartmann u. Lotze, in: Philos. Monatsh..
1885, S. 1 — 20. Reinh. Geyer, Darstell, u. Krit. der lotzeschcn L. v. d. Localzeichen, in:
Philos. Monatsh., 1886, S. 513—560. Fritz Kögel, L.s Aesthetik, Götting. 1886.
Koppelmann, L.s Stellung zu Kants Kriticism., in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 88, 1886,
S. 1 — 47. T. Achelis, L.s prakt. Philos. in ihr. Grundzügen, in: Phil. Monatsh., 1886,
S. 577 — 609. G. Fonsegrive, la logique de L., in: Revue philos., 21, 1886, S. 618 bis
634. A. Penjon, la metaphysique de L., in: Rev. philos, 21, 1886, S. 348—366. M.
Nath, d. Psychol. H. Lotzes in ihr. Verh. z. Herbart, Berl. 1887. Ein Verzeichnis*
aller litterar. Publicationen L.s. mitgetheilt r. E. Rehnisch, findet sich als Anhang r.
Dictaten aus d. Vöries, üb. Psychol.
Rud. Herrn. Lotze war geb. den 21. Mai 1817 in Bautzen. Auf dem Gym-
nasium zu Zittau vorgebildet, bezog er 1834 die Universität Leipzig und widmete
Bich hier vornehmlich dem Stadium der Medicin, zeigte aber bald lebhaftes Inter-
esse für Philosophie und wurde besonders, wie er selbst bestimmt anerkennt, von
Chr. Herrn. Weisse angeregt. 1839 habilitirte er sich in der medicinischen, kurze
Zeit darauf in der philosophischen Facultät und hielt medicinische und philo-
sophische Vorlesungen. 1844 wurde er auf Veranlassung des Physiologen Rud.
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§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hartmann u. A.
487
Wagner nach Göttingen als Professor der Philosophie und Nachfolger Herbarts
berufen. Hier wirkte er bis 1881, wo er nach Berlin ging, als Professor der Philo-
sophie. Nicht einmal ein Semester hielt er daselbst seine Vorlesungen. Er starb
den t Juli 1881. Eine genaue Uebersicht über seine Lehrtätigkeit an den Universi-
täten Leipzig, Göttingen und Berlin findet sich als Anhang zu den Dictaten aus
den Vorlesungen über Gesch. der deutsch. Philos. seit Kant Lotzes Bedeutung
liegt hauptsächlich darin, dass er als genauer Kenner der naturwiasenschaft liehen
Forschungen und Resultate, diese voll würdigend, doch in Fühlung blieb mit dem
deutschen Idealismus, besonders mit dessen ethisch-ästhetischer Seite und so, ohne
unkritisch zu philosophiren, ein System ausbildet, das seinen Schwerpunkt in der
Ethik hat.
Für Lotze ist die Philosophie eine Bestrebung, innerhalb der vorausgesetzten
uns selbst unbekannten Schranken, welche uns unser irdisches Dasein zieht, eine
in sich zusammenstimmende Ansicht zu gewinnen, die uns über die Noth des
Lebens hinweghilft und uns werthvolle Ziele in ihm zu stellen und zu erreichen
lehrt. Eine absolute Wahrheit kann nicht ihr Zweck sein. Lotze zeigt, dass der
Mechanismus ausnahmslos herrscht nicht auf dem unorganischen nur, sondern auch
auf dem organischen Gebiete. Trotz dieser universellen Ausdehnung soll doch die
Bedeutung der Sendung, welche der Mechanismus in dem Baue der Welt zu
erfüllen hat, eine völlig untergeordnete sein. — Zu dem Begriff des Seienden
gehört es, in Beziehungen zu stehen. Diese Beziehung nun der Dinge unter ein-
ander ist nicht etwa ein zwischen den Dingen liegendes Band; dan, wus wir so zu
bezeichnen pflegen, ist ein Zustand in den Dingen. Sie können sich ein Leiden
durch Vermittelung von Beziehungen nicht anthun, und so muss die Veränderung,
die wir in dem Einen voraussetzen, unmittelbar ein Leiden des Andern sein. Es
muss demnach die Trennung zwischen den Dingen ganz aufgegeben werden, und in
einer substantiellen Wesensgemeinschaft aller Dinge wird die Möglich-
keit dafür zu suchen sein, dass die Zustände des Einen wirksame Gründe der Ver-
änderungen des Andern sind. Nur, wenn die einzelnen Dinge nicht selbständig im
Leeren schwimmen, über das keine Beziehung hinüberreichen kann; nur wenn sie
alle, indem sie endliche Einzelheiten sind, doch zugleich Theile einer einzigen, sie
alle umfassenden unendlichen Substanz, des Absoluten, sind, ist das, was wir ihre
Wechselwirkung nennen, möglich. A, die absolute Substanz, hat als Theile, Modi-
ficationen oder Momente die einzelnen Substanzen a, b, c . . . .; findet nun in a
der Zustand « statt, so ist « zugleich ein Zustand von A und bewirkt in der
Einheit der Substanz A einen neuen Zustand p, der aber wiederum speciell als
ein veränderter Zustand der einzelnen Substanz b erscheint, die wie alle übrigen
desselben Wesens mit A ist. Hierdurch wird freilich noch nicht begriffen, wie
innerhalb jenes einen Wesens das Wirken überhaupt zu Stande kommt.
Das Wechselleiden und Wechselwirken ist nun nur möglich bei Wesen, die es
wirklich fühlen, also für sich selbst sind. Demnach werden die Dinge, die uns als
beharrliche und doch selbstlose Ausgangs-, Durchschnitts- und Zielpunkte des
Geschehens erscheinen, Wesen sein, welche, nur in verschiedenen Abstufungen, mit
den Geistern den allgemeinen Charakter der Geistigkeit, das Fürsichsein, theilen.
Also geistige Monaden müssen statuirt werden: alles Reale ist geistig.
Aus den inneren Zuständen dieser Wesen gehen nach festen Gesetzen die mecha-
nischen Bewegungen hervor, auf die wir bei der Naturerklärung zunächst hin-
gewiesen sind.
Raum und Zeit lassen sich weder als Dinge noch als Eigenschaften der
Dinge, noch als Ereignisse, sondern nur als Verhältnisse auffassen. Aber mögen
diese nun ihre Wirklichkeit in den Wesen haben, von denen wir in der Regel
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§ 45. Neue Systeme. Lotse, Fechuer, Hortmann u. A.
sagen, dass sie in diesen Formen seien, oder in dem Bewußtsein der Eindrücke
habenden Wesen, jedenfalls existiren sie nicht objectiv ausser uns und den Dingen,
sondern ausser uns nur als Zustände, die in jedem Ding durch Wechselwirkung
mit andern entstehen. Raum und Zeit gehen nicht als bereitstehende leere Formen
dem später in sie hineinfallenden Realen voraus, sondern beide sind nur in
den Dingen und in den Ereignissen als die Formen, unter denen 'die vorher
geschehenen Wechselwirkungen für die Auffassung der in Wechselwirkung
stehenden Elemente selbst erscheinen. Insofern kommt dem Raum und der Zeit
Idealität zu.
Auf der Wechselwirkung beruht auch die Erkenntniss. Wenn ein Object a
von dem Subject b erkannt wird, so beruht dies darauf, dass ein « des a in b
einen Zustand ß erweckt, der aber ans der eigenen Rückwirkung der eigentüm-
lichen Natur des b entspringt und deshalb dem « durchaus nicht ähnlich zu sein
braucht, der sich jedoch ändert, wenn « sich ändert. So werden also in der
Erkenntniss die Dinge und Ereignisse keineswegs so abgebildet, wie sie sind,
sondern nur wie sie erscheinen. Eine blosse Receptivität, Eindrücke von Aussen
lediglich aufzunehmen, ohne durch die eigene Natur nie mit zu bestimmen, ist
nicht zu statniren. Was das ursprüngliche Eigenthum unseres Geistes anlangt, so
darf man nicht meinen, dass abstracto Wahrheiten wie das principium identitatis
oder das principium rationis sufficientis vom Beginn des Lebens und vor aller
Erfahrung dem Bewusstsein schon stets als deutliche Vorstellungen innewohnten;
es verhält sich damit vielmehr so: der Geist ist derart, dass dann, wenn Ein-
drücke auf ihn einwirken, er aus seiner eigenen Natur in der Weise reagirt, dass
er zu jeder Veränderung des Beobachteten eine bedingende Ursache sucht, dass er
jeden Inhalt eines Eindrucks als sich selbst gleich ansieht. In dem Augenblicke
freilich, wo wir uns zum ersten Male eines solchen Satzes bewusst werden, wird
er von uns als eiue ewige, allgemein und nothwendig gültige Wahrheit erfahren.
Obwohl der Unterschied zwischen Seele und Materie aufgehoben ist, so sind Seele
und Leib, wenn auch nicht ganz ungleichartig, doch zweierlei: die Seele eine
einzige nichtsiunl i che Substanz, der Körper eine Zusammensetzung vieler.
Zwischen beideu findet also keine Identität, wohl aber eine vlelgcgliederte Wechsel-
wirkung statt, die den allgemeinen Gesetzen gehorcht.
Inhalt und Gültigkeit der moralischen Ideen sind ebenso wie die theore-
tischen Sätze unabhängig von der Erfahrung; diese giebt freilich zu ihrer Ent-
wickelung die Veranlassung. Eine sittliche Beurtheilung unserer Handlungen kann
nur von dem Bewusstsein unbedingt verpflichtender Ideale ausgehen, deren Ver-
wirklichung uns unter allen Umständen obliegt, die uns zum Handeln auffordern.
Freilich hängen die Begriffe des Guten und des Gutes oder der Lust untrenn-
bar zusammen. Wollte man aus den Zwecken des Handelns jede Rücksicht auf
ein zu erzeugendes Glück entfernen, dann würde der Begriff des Guten, des Bes-
seren, seine Bedeutung verlieren, man würde auch nicht wissen, zu welchem Ende
in dieser Welt etwas geschehen sollte. Es muss hier die unbedingte Verpflichtung,
deren Vorstellung nicht für eine psychologische Täuschung erklärt werden kann,
maassgebend sein; die Entscheidung hängt vom Gewissen ab, indem es Verhält-
nisse der Dinge und Ereignisse giebt, denen ein eigener Werth oder Unwerth zu-
kommt, insofern als sie zwar diese beiden nur in unserem Gefühle erlangen, aber
doch dann unabhängig von unserer Willkür, so dass auf einige ein unabweialiches
Urtheil des Wohlgefallens oder der Billigung, auf andere eins des Missfallens oder
der Missbilligung fällt. Die bindende Kraft der sittlichen Gebote ist freilich nur
erklärlich durch die Annahme, dass wir durch Erfüllung derselben an der
Erreichung des Weltzweckes mithelfen, der nicht in Gleichgültigem besteht, sondern
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§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hartmann u. A.
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in der Herstellung eines unbedingt werthvollen Gutes, das als Gut auch
gefühlt werden rauss.
An Stelle des metaphysischen Postulats des Unendlichen wird vou Lotze der
volle Begriff Gottes gesetzt, wobei Gewicht auf eine Art des ontologischen Be-
weises gelegt wird: Wäre das Grösste nicht, so wäre das Grösste nicht, und es
ist ja unmöglich, dass das Grösste von allem Denkbaren nicht wäre. Die Ge-
wissheit davon soll freilich zu den inneren Erlebnisseu gehören. Die metaphysischen
Eigenschaften der Einheit, Ewigkeit, Allgegeuwart und Allmacht bestimmen nun
Gott als den Grund aller Wirklichkeit des Endlichen, die ethischen der Weisheit.
Gerechtigkeit, Heiligkeit genügen dem Verlangen, in dem höchsten Wirklichen auch
das Höchste des Wertbes wieder zu finden. Aber nur die Persönlichkeit Gottes
kann der Sehnsucht des Gemüths Genüge schaffen. Und zwar soll für das Selbst-
bewusstsein (oder für die Persönlichkeit) nicht nöthig sein der Gegensatz gegeu die
Aussenwelt, sondern es soll entstehen auf dem Grunde eines unmittelbaren Selbst-
gefühls. — Durch das religiöse Gefühl erfassen wir uns selbst als göttlichen Wesens,
als mit Gott vereinigt, der unser Wesen bedingt und sich in uns offenbart
Was das Verhältniss des Wirklichen zu dem Reich der Wahrheiten
und dem Boich der Werthe anlangt, so sind diese nicht früher als das erste
Wirkliche, sondern dieses, welches die lebendige Liebe ist, entfaltet sich in der
einen Bewegung, welche dem endlichen Erkenuen sich in drei Seitenkräfte zerlegt,
nämlich in die des Guten, welches das Ziel der Bewegung ist, des Gestaltungs-
triebes, der dieses verwirklicht, und der Gesetzlichkeit, mit welcher dieser Trieb
die Richtung nach seinem Zwecke innehält. Wie freilich die Wirklichkeit in dieser
ewigen Liebe ruht, wie die ewigen Wahrheiten als die Summe dessen, was uns
als denknothweudig erscheint, aus demselben Grunde der ewigen Liebe sich her-
leiten, das darzuthun, ist eine für die Wissenschaft unmögliche Aufgabe.
An Lotze schliesst sich ziemlich eng an Hugo Sommer, üb. das Wesen u.
d. Bedeutg. der menschl. Freiheit, Berl. 1882, 2. Aufl. 1885. D. Neugestalt unser.
Wcltansicht durch d. Erkenntuiss v. d. Idealität des Raumes u. der Zeit Berl.
1882. Gewissen und moderne Cultur, Berl. 1884. Individualismus oder Evolutio-
nismus? Zugleich e. Entgegn. auf d. Streitschr. des Hrn. Prof. W. Wundt, Berl.
1887. Auf den Schriften Lotzes, insbesondere auf dem Mikrokosmus, beruhen ferner
die philosophischen Voraussetzungen von Wilh. Hollenbergs Schrift: Zur Re-
ligion u. Cultur, Vorträge u. Aufsätze, Elberf. 1867, u. dessen Logik, PsychoL u.
Ethik als philos. Propädeutik, Elberf. 1869. Auch Herrn. Lange nbeck, das
Geistige nach seinem ersten Unterschiede vom Psychischen im engern Sinne, Berl.
1868, hat an Lotze u. zum Theil an Kant sich angeschlossen. Im Geiste vou
Lotzes medicinischer Psychol. schreibt Carl Stumpf, Ueber den psychologischen
Ursprung der Raumvorstellung, Lpz. 1873. Tonpsychologie, 1. Bd., Lpz. 1883.
Gust Teichmüller (geb. 1832, Prof. in Dorpat) gehört zwar keiner be-
stimmten Partei an, verehrt aber Lotze unter den Philosophen der neuesten Zeit
am höchsten. Er hat neben einer Reihe auf die Geschichte der alten Philosophie
bezüglichen Werke geschrieben: Ueber die Unsterblichkeit der Seele, Lpz. 1874,
2. Aufl., 1879. Darwinismus u. Philosophie, Dorpat 1877. Ueber das Wesen der
Liebe, Lpz. 1879. Die wirkliche und d. scheinbare Welt. Neue Grundlegg. d.
Mctaphys., Breslau 1882. Religionsphilosophie, Breslau 1886. Die auf die alte
Philosophie bezügl. Werke s. in der Litteratur des 1. Th. dieses Grundr. Nament-
lich den Begriff des Seins untersucht Teichmüller in seiner Grundlegung. Auf das
Sein aller andern Dinge schlieasen wir, unseres eigenen Seins sind wir uns un-
mittelbar bewusst und gerade dieses Wissen von uns selbst von unseren Thätig-
keiten und ihrem Inhalt ist alles, was Teichmüller unter Sein versteht Alles Sein
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§ 46. Neue Systeme. Lotee, Fechner, Hart mann n. A.
ruht eben im Ich nach dem Zeugnisa des Selbstbewusstseins, nnd nicht wächst da»
Ich langsam aus den Thätigkeitcn hervor. Die Einheit des Ichs ist eine substan-
tiale. Das ganze Weltbild hat nnr ideelles Sein als Inhalt unserer erkennenden
Thatigkeit, in welcher das Snbject verschwanden ist. Wir haben damit nnr eine
scheinbare Welt. Nach der Analogie mit dem Ich nehmen wir mit Recht an-
dere Wesen ausser ans an. Religion ist diejenige Gesinnung, welche sich, dem
Gotteebewusstsein zugeordnet, in zusammengehöriger Function von Erkenntnis», Ge-
fühl und Handlung symbolisirt. — Gegen Kant polemisirt Teichmüller entschieden,
noch entschiedener gegen den Poeitivismus.
Fechner, da« Büchlein vom Leben nach d. Tode, Lpz. 1836, 3. Aufl. 1887.
Ueber das höchste Gut, Lpz. 1846. Nauna od. über das Seelenleben der Pflanzen,
Lpz. 1848. Zendavesta od. über die Dinge de« Himmels u. des Jenseits Lpz. 1851.
Ueber die physikal. n. philo*. Atomenlehre, Lpz. 1855, 2. Aufl. 1864. Elemente
der Psychophysik, 2 Thlc., Lpz. 1860. Ueber die Seelenfrage, ein Gang durch die
sichtbare Welt, um die unsichtbare zu finden, Lpz. 1861. Die drei Motive u. Gründe
des Glanbens, Lpz. 1863. Zur experimentalen Aet-thetik, Lpz. 1871. Einige Ideen zur
Schöpfung»- und Entwickelungsgesch. der Organismen, Lpz. 1873. Vorschule der
Acsthetik, 2 Thle., Lpz. 1876. Erinnerungen an die letzten Tage der Odlehre u.
ihres Urbebers (Reichenbach), Lpz. 1876. In Sachen der Psychophysik, Lpz. 1877.
Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht, Lpz. 1879. Revision der Haupt-
punkte der Psychophysik, Lpz. 1882. Ueber die psychischen Maassprincipien und das
webersche Gesetz, in: Philo«. Stud., IV. Bd., H. 2, 1887. Unter dem Pseudonym
Dr. Mises hat Fechner noch mehrere, znm Theil humoristische Schriften veröffentlicht,
so: Kleine Schriften, Lpz. 1875, Käthselbüchlein, Lpz. 1878. — Die psyehophysischen
Resultate Fechners haben namentlich angegriffen: Hering, über Fecbners psychophys.
Gesetz, Wien 1875. Delboeuf, Etüde psychophysique, Bruxelles 1873. Langer, Grund-
lagen der Psychophys., Jena 1876. Georg Elias Müller, zur Grundlegung der Psycho-
physik, Berl.' 1878. Ferd. Aug. Müller, das Axiom der Psychophysik, Marb. 1882.
Ad. Elsas, üb. d. Psychophysik, physik. u. erkenntnisstheoret. Betrachtungen, Marb.
1886. Vgl. auch Otto Caspari, die psychophys. Bewegung. Lpz. 1869. Die vielen auf
die Methoden der Psychophysik und psychophysische Resultate sich beziehenden Ab-
handlungen können hier nicht aufgeführt werden.
Gustav Theodor Fechner (geb. 1801, seit 1834 Prof. der Phys. in Leipzig,
als solcher lange emeritirt, gest. 1887) kommt in seiner phantasievoll-sinnigen Spe-
culation zu theilweise theosophischen Resultaten und gebraucht dabei vielfach
Analogien: Er selbst nennt seine Philosophie einen wenn auch weit vom Mutter-
stamm abgezweigten Ableger der schellingschen Speculation, dagegen weist er den
Hegelianismus, der ihm „in gewissem Sinne die Kunst, ein richtiges Schliessen zu
verlernen, ist", entschieden ab. Nach ihm liegen die höchsten und letzten Wirk-
lichkeiten auf der Seite des Geistigen in der höchsten nnd letzten Bewusstseins-
einheit, der des göttlichen Geistes, nach Seiten des Körperlichen im einfachen
Atome, als letztem Element der Körperwelt. Es giebt eine allgemeine und höchste
Hewusstseinseinheit, die göttliche, die analog der menschlichen gedacht 'werden
muss. Es giebt ihr untergeordnete und in ihrer gemeinsamen Unterordnung ein-
ander nebengeordnete Bewusstaeiuseinheiten, wozu die menschlichen gehören. Es
giebt aber auch noch den Menschen übergeordnete, Gott untergeordnete Bewusst-
seinseinheiten, die der Erde und der Himmelskörper, indem jedes Gestirn seine
eigene Sinneswelt hat und darüber aufsteigende höhere Bewusstseinswelt, die sich
über der seiner Geschöpfe einheitlich zusammenschliesst, sich gegen die der an-
dern Gestirne abschließt, für das göttliche Bewnsstsein aber ganz offen ist, so das«
die Gestirne, also auch die Erde, zwischen ihren Geschöpfen und Gott vermitteln.
Unter den Menschen stehen wiederum die Seelen der Pflanzen. Die Einheit des
höchsten Bewusstseins übersteigt alle niederen Bewusstseinseinheiteu nnd stellt
eine Verknüpfung zwischen ihnen her, dessen sie sich bewusst ist, indem das In-
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§ 45 Neue Systeme. Lotze, Fechncr, Hartmanu u. A.
491
begreifen im Bewusstsein zugleich das Band des Inbegriffenen ist Dagegeu sind
sich die niederen Bewusstseinseinheiten des Inbegriffenseins in der höheren und
höchsten nicht unmittelbar bewusst. Unser irdisches Leben geht als neues Ent-
wickelungsmoment in ein weiteres und höheres Leben ein und gewinnt Theil daran.
Wie unsere Anschauung nach dem Erlöschen als Erinnerung in einem höheren Ge-
biete unseres Geistes wiedergeboren wird, so wird es auch unserm ganzen Geiste im
Geiste darüber, dem er schon jetzt eingethan ist, begegnen Im Jenseits sind die
Geister nicht mehr an dieselben räumlichen Schranken gebunden wie im Diesseits,
sie sind dort in einem freieren, innigeren und höheren Verkehr. Uebrigens sollen
das nur Glaubenssätze der Tagesansicht sein, die sich aber auf ein theoretisches
praktisches und historisches Princip stützen.
Das einfache Atom ist zwar als solches keiner Erscheinung fähig, aber wird
aus der Gesammtheit der körperlichen Erscheinungen als Schlusspnnkt ihres Zu-
sammenhangs abstrahirt und stellt den letzten Ansatzpunkt für alle exaete Berech-
nung dessen dar, was im Einzelnen in der Welt berechenbar ist. Zu dem Gedanken
dieser letzten Einzelheiten gelangen wir, indem wir die Analyse der körperlichen
Erscheinungen biB zu ihrer letzton Grenze fortführen, wobei jene einfachen Dinge
als letzte nothwendige Anhaltspunkte der Verknüpfung und Berechnung der Er-
scheinungen übrig bleiben. Der Beweis der Realität der Atome liegt in der ma-
thematischen Nothwendigkeit, sie zu gebrauchen.
Seine Grundansicht nennt Fechner idealistisch, sofern alle Existenz nach
ihr in einem allgemeinsten, im göttlichen Bewusstsein ruht, nur dass sie nicht die
Materie für ein Product des Geistes oder einseitig von ihm abhängig hält, sondern
für eine immanente Bedingung seines Daseins. Er nennt sie materialistisch,
da sie die Möglichkeit eines menschlichen Gedankens ohne ein Gehirn und eine
Bewegung in diesem Gehirn verneint und nicht einmal einen göttlichen Gedanken
ohne eine körperliche Welt und ohne Bewegungen in dieser Welt gestattet Er
nennt sie dualistisch, indem Leib und Seele zwei gar nicht auf einander zurück-
führbare, grundwesentlich verschiedene und doch auf einander bezogene Seiten der
Existenz sind. Und endlich bezeichnet er sie als Identitätsansicht, da sie
beides, Leib und Seele, nur für zwei verschiedene Erscheinungsweisen desselben
Wesens hält, und da sie das Wesen, was beiden Erscheinungsweisen gemeinsam
zu Grunde liegt, in nichts als der untrennbaren Wechselbedingtheit beider Erschei-
nungsweisen und die letzte Bedingung der Untrcnnbarkeit in der Einheit des gött-
lichen Bewusstseins sieht. Schroff soll seine Ansicht nur der Monadologie
widersprechen.
Die Lehre von den Gesetzen, nach denen Leib und Seele zusammenhängen,
nennt Fechner Psychophysik, und er ist der wissenschaftliche Begründer der-
selben. Nachdem schon Daniel Bernouilli in seiner Abh. de menBura sortis (Akad.)
Petersb. 1738, und Laplace (welcher Letztere dabei die Ausdrücke »fortune physique'
und «fortune morale* gebraucht) gelehrt hatten, dass der Zuwachs an Befriedigung
durch äussern Erwerb (wenigstens innerhalb gewisser Grenzen) unter übrigens
gleichen Bedingungen dem Verhältniss dieses Erwerbs zu dem schon vorhandenen
Vermögen entspreche, dass also, wenn der Besitz sich in geometrischer Progression
vermehre, die Befriedigung in arithmetischer Progression (oder nach logaritbmischem
Verhältniss) wachse, Euler das Analoge in Bezug auf die empfundenen Tonhöhen
und die zugehörigen Schwingungszahlen ausgesprochen hatte, Delczenne im Recueil
des travaux de la soc. de Lille (1827) und in Fechners Repertorium der Experi-
mentalphysik I, S. 341 (1832) und Ernst Heinrich Weber in Rud. Wagners Handw.
der Physiol. III, 2 Abth., S. 559 ff. in Bezug auf Gewichtsbestimmungen vermöge
des DruckBinnes, auf die Vergleichung von Linienlängen und von Tonhöhen die
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§ 45. Neue Systeme. Lotte, Fechner, Hartmann u. A.
Modification der Empfindung der relativen Reizveränderung (dem Yerhältniss des
Reizzuwachses oder überhaupt der Reizmodification zu dem jedesmal schon vor-
handenen Reiz) proportional gesetzt hatten, behauptete Fechner auf Grund sehr
zahlreicher Beobachtungen das Gesetz als ein innerhalb gewisser Grenzen allgemein-
gültiges, dass constante Differenzen der Empfindungsintensitäten (die nach Fechners
Voraussetzung stets die gleiche Grösse haben) innerhalb gewisser Grenzen durchweg
an die gleichen relativeu Unterschiede der Reizintensitäten (also an die gleichen
Quotienten aus dem jedesmaligen Reizzuwachs und der jedesmal schon vorhanden
geweseneu Reizstärke) gebunden seien. Wirken auf denselben Sinn verschiedene
Reize, deren Intensitäten eine geometrische Reihe bilden, so entstehen Empfin-
dungen, deren Intensitäten eine arithmetische Reihe bilden. Die Intensitäten der
Empfindungen verhalten sich, wie die Logarithmen der Intensitäten der sie hervor-
rufenden Reize, wenn als Einheit der Schwellenwerth des Reizes, d. h. diejenige
Reizstärke angesehen wird, wobei die Empfindung in der Reihe wachsender Reise
zuerst entsteht und in der Reihe abnehmender Reize zuerst verschwindet. Das
Empfindungsincrement de ist proportional dem relativen Reizzuwachs y. Also gilt
d r
die , Fandamentalformel"' de = K - (wo K eine Constante ist); durch Integration
ergiebt sich die .MoaseformeP e = K . log r — K . log p (wo p den Schwelleuwerth
des Reizes bezeichnet) oder e = K . log --, Mit Rücksicht darauf aber, doss auch
ohne äusseren Reiz der Nerv niemals ganz unerregt ist, ergiebt sich, wenn die
Intensität der inneren Reizung = r, gesetzt wird, die Gleichung de = K - •
(Dass jedoch keineswegs durchgängig eine genaue Proportionalität bestehe, sondern
statt K eine Funktion von r zu setzen sei, die bei massigem Anwachsen von r nahezu
constant bleibe, bei stärkerem Anwachsen von r aber dem Nullwerth zustrebe, indem
bei sehr heftigem Reiz eine Grenze erreicht wird, jenseits welcher die Empfindung
nicht mehr wächst, zeigt Helmhol tz in seiner physiolog. Optik § 21, der die fech-
nerschen Formeln nur als eine erste Approximation an die Wahrheit gelten lässt.)
Fechner nimmt an, dass der Stärke des äusseren Reizes die Stärke der Nerven-
erregung innerhalb bestimmter Grenzen proportional sei, und dass das „webersche
Gesetz", welches besser das fechnersche Messe, für das Intensitätsverhältniss zwischen
Nervenerregung und Empfindung vielleicht in voller Strenge gelte, und dass es sich
auf die Beziehungen zwischen den psychischen und den unmittelbar zugehörigen
leiblichen Functionen überhaupt anwenden lasse (was freilich sehr hypothetisch ist).
Den Angriffen von Helmholtz, Hering, Laugor u. A gegenüber hält Fechner seine
Lehre in allen fundamentalen Punkten insoweit aufrecht, als er in ihr die wahr-
scheinlichste Lehre sieht, die sich bisher hat aufstellen lassen, und auch nach seineu
neuesten Aeusserungen wird er durch die mancherlei Ausstellungen nicht dahin
geführt, die in den „Elementen" aufgestellten Principien und daraus fliessenden
Folgerungen und Formeln zu verlassen. Auf die vielen die Psychopbysik betreffen-
den Diacussionen einzugehen, ist hier nicht der Ort.
von Hartmann, Philo«, des Unbewussten, Berl. 1869, 9. erweit. Aufl. 1882.
Ueber d. dialektische Methode (s. o. S. 346). Sendlings posit. Philos. als Einheit von
Hegel u. Schopenh., Berl. 1869. Aphorismen über d. Drama, Berl. 1870. Das Ding
an sich u. seine Beschaffen)!., Berl. 1871. Gesann», philos. Abhandlungen zur Philos.
des Unbewussten, Berl. 1872. Erläuterungen zur Metaphys. d. Unbew. mit besond.
Rucks, auf d. Panlogism., ebd. 1874. Shakespeares Romeo u. Julia, Lpz. 1875. Die
Selbstzerstzg. d. Christenth. u. d. Relig. d. Zukunft, Berl. 1874. Wahrh. u. Irrthum im
Darwinism., eine krit. Darstellg. d. organ. Entwickelungstheorie, ebd. 1875. Krit.
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§ 45. Neue Systeme. Lotee, Fechner. Hartmann u. A. 493
Grundlegung d. transscendemab n Realismus. 2. erweit. Aufl. von: . Du Ding an rieb u.
seine Beschaffenheit*, ebd. 1875, 3. Aufl. 1886, in: Ausgew. WW. Zur Reform des
höh. Schulwesens. Berl. 1875. J. H. v. Kirchmanns erkenntnisstheor. Realismus, ein
krit. Beitrag zur Begründg. des transscendental. Realismus. eM. 1875. Das f »bi IMli
vom Standpunkt der Physiologie und Deseendenzthe< >rie. Berl. 1872 (zuerst anonym), in
2. Aufl. mit dem Namen. Gesammelte Stud. u. Aufsitze. Berl. 1876 (dann u. a.r
Beiträge zur Naturphilosophie, das philos. Dreigestirn des 1 Jahrh.s. Schelling. Hegel,
Schopenhauer). Neukantianismus, Schopenhauerianismus u. Hege liani.-mus in ihrer
Stellung zu der philos. Aufgabe der Gegenw., 2. Aufl. der Erliuterurgen zur Metaph.
des Unbew., Berl. 1877. Phänomenologie des sittl. Bewußtseins, Berl. 1879.
2. Aufl. 1686. unt d. Titel: das sittl. Bewusstsein. in: Ausgew. WW. Zur Gesch. u.
Begründung des Pessimismus, Berl. 1880. Die Krisis des Christenthums in d. modernen
Theologie. Berlin 1880. Das religiöse Bewussts. der Menscbh. im Stufeneang
seiner Entwicklung, Berl. 1881. D. Religion des Geistes, Berl. 1882. Philos.
Fragen der Gegenwart, Lpz. 1885 (der 4. Aufs.: Vebers. d«r wichtigst, philos. Stand-
punkte, enthält eine kurze Darstellung des eigenen philos. Systems, und zwar so. das*
seine Lösung jeder bestimmten Frage als die Synthese zweier einseitigen Löningen er-
scheinen soll, so Panpneumatismus als höhere Synthese des Panlogisnius und Panthelis-
mus). Der Spiritismus, ebd. 1885. Moderae Probleme, ebd. 18<6. Aesthetik, 1. histor.-
krit. Th. : <L deutsche Aesthet. seit Kant. Berl. 1886, 2. svstemat. Th. : die Philos. de»
Schönen, 1887. Diese letzten in: Ausgew. WW., die Beri. 1885 ff. erschienen. Licht-
strahlen aus E. v. H.s sämmtl. WW., herausgeg. u. mit einer Einl.it. versehen v. M.
Schneidewin, Berl. 1881. — Seinen Entwiekeluug-gang hat II. selbst dargelegt, in ges.
Stud. u. Aufs., No. 1, s. auch in d. Mnnatss.hr. Gesellschaft, 1887, H. 6 und ferner
E. Heymons, Ed. v. H.. Erinnerungen aus d. Jahren 1868— Sl, Berl. 1882.
Ueber Hartmanns Philosophie handeln ausser den oben erwähnten Schriften von ,1. B.
Meyer (S. 457) u. L. Weis (S. 479) auch Jul. Bahnsen, zur Phil. d. Geach.. eine krit.
Besprechung hegel-hartmannschen Evolutionismus aus schopenhauersehen Principien, Berl.
1871. G. C. Stiebeling. Naturwissensch, geg. Philos. Eine Widerleg, der hartmannsch.
Lehre vom Unbewussten in der Leihliehk., nebst einer kurzen Beleucht. der darwinschen
Ansichten über den Instinet, New-York 1871. J. C. Fischer, H.s Philos. des Unbew.,
ein Schmerzensschrei des gesund. Menschenverstandes, Lpz. 1872. A. T(aubert), Philos.
gegen naturwbsensch. Ueberhebg., eine Zurechtweisg. des Dr. Geo. Stiebeling u. seiner
angebl. Widerleg, der hartmannsch. Lehre vom Unbew. in der Leiblichk.. Beri. 1872.
Karl Frhr. du Prel, d. gesunde Menschcnverst. von den Problemen der Wissensch. In
Sachen J. C. Fischer contra H., Berl. 1872. Gust. Knauer, das Facit aus E. v. H.s
Phiios. des Unbew. gezogen, Berl. 1873. Jobs. Volkelt, das Unbew. u. der Pessimism.,
Berl. 1873. Job. Rehmke, H.s Unbewusstes auf d. Logik hin krit. beleuchtet, I.-D.,
Zör. 1873. Herrn. Ebbinghaus, über die h.sche Philos. des Unbew., Bonner I.-D.,
Düsseldorf 1873. Alex. Schweizer, H.s Phil, des Unbew., ihr Gnosticism. u. metaph.
Werth in: Zeitschr. für wissensch. Theol., 17. Jahrg. 1874, S. 407— 435. Gust Hanse-
mann, E. v. H.s Phil, des Unbew. f. das Bewusstsein weiterer Kreise, Lpz. 1874. Mor.
Venetianer, d. Allgeist, Grundzüge des Panpsychism. im Anschluss an die Phil, des
Unbew., Berl. 1874. C. F. Heman, E. v. H.s Relig. der Zukunft in ihrer Selbstzersetzg.
nachgewiesen, Lpz. 1875. W. Sonntag, Herr v. H. u. die Selbstzersetzg. des Christen-
thums, Gera 1875. Jobs. Huber, die relig. Frage wider Ed. v. H., Münch. 1875. J.
H. Kirchmann, d. Princip des Realismus, Berl. 1875. A. Ebrard, H.s Phil, des
Unbew., Gütersloh 1876. C. Uphues, Kritik des Erkennens. Würdigung der Erkenntniss-
theorie E. v. H.s, Ueberwegs u. der alten u. neuen Scholastik, Münster 1876. Bonatelli,
la filosofia delT inconscia dt Ed. v. H. esposta ed esaminata, Roma 1876. B. Carneri,
der Mensch als Selbstzweck. Eine positive Kritik des Unbew., Wien 1877. O. Schmid,
die naturwissenschaftl. Grundlagen der Phil, des Unbew., Lpz. 1877, s. v. H.s Entgegn.
im Anh. der 2. Aufl. v. Philos. d. Unbewusst. etc. K. O. Anbuth, das wahnsinnige
Bewusstsein u. die unbewusste Vorstellung, Halle 1877. E. v. Hartmann, Zur Geschichte
u. Begriind. des Pessimismus, Berl. 1880. J. H. v. Ktrchmann, üb. H.s Phänomen, d.
sittl. Bew., Abh. d. Berl. Philos. Gesellsch., Lpz. 1879. Lor. Engelbr. Fischer, üb. d.
Pessim. (frankf. zeitgen. Brochur., n. F., Bd. 2, H. 2), Frf. a. M. 1880. Dorner, H.s
Pessimist Philosophie, in: Theol. St. u. Kr., 1881, S. 1-106. 0. Plumacher, der
Kampf ums Unbewusste, nebst einem chronologisch. Verzeichniss der Uartmann-
Litteratur als Anhang, Berl. 1881. Carl Braig, d. Zukunftsrel. des Unbewussten u. d.
Princ. des Subjectivism., Frb. i. B. 1882. Alfr. Weber, Wille zum Leben od. Wille
zum Guten? Vortr. üb. H.s Philos., Strassb. 1882. A. Lasson, d. Entwickel. des relig.
der Menschheit nach E. v. H. Vortr. d. philos. Gesellsch. *. Berl., N. F.,
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§ 45 Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hartmann u. A.
3. H., Halle 1883. R. Köber, du philo«. Syst. Ed. v. H.s, Breslau 1884. Alfr. Schüz,
Philosophie u. Christeuth., e. Charakterist. der hartmannsch. Weltanschauung f. jeden
Gebildeten, Stuttg. 1884. Jul. Happel, E. v. H.s Rel. des GeUtes nach ihr. Verdienst,
u. Sehwich, gewürdigt, in: Jahrbb. f. proteau TheoL, X, 1884, S. 513— 550. Chr.
Hönes, E. v. H.s Rel. Philos., in: Theol. Stud. ans Wflrttemb., V, 1884, S. 1—31,
85—111. C. Fr. Heman, üb. wissensch. Versuche neuer Religionsbildung., Habil.-Vori.,
Bas. 1884. G. Härtung, H. u. Lotze, in: Philos. Monateh. 31, 1885, S. 1—20. Franz
Jacobowski, d. Pessimist. Weltansch. des Dr. E. v. H. als Wegweiser zur christl. Wahrh.,
Lpz. 1886. G. J. P. J. Holland, Voorzienigheid en Natuurwet, overgedrukt nit het
Natuurkundig Tijdschrift vor Nederlandneh-Iudie, Deel 47, S. 1 — 107, Batavia en
Noordwijk, 1887; ders., Schijn en Wesen, ebend., S. 385—527. S. auch d. Streifzfige
durch d. Phil. d. Gegenw., ob. S. 414. — Vgl. über H. die S. 467 genannte Schrift
v. H. Vaihinger, auch die S. 457 f. erwähnten Schriften üb. d. Pessimismus.
Karl Rob. Eduard von Hartmanu (geb. 1842 in Berlin; seit 1860 Officier,
nahm wegen eines nervösen Knieleidens 1865 seinen Abschied und lebt jetzt als
Privatmann in Grosslichterfelde bei Berlin). Er lehrt auf erkenntnisstheoretischem
Gebiet einen transscendeutalen Realismus, d. h. er benutzt die Causalität der unsere
Sinnlichkeit afhcireuden Dinge, um vom Inhalt des Bewusstseins zu einer bewusst-
seins - trauBscendenten Welt zn gelangen. Diese transsceudente Causalität ist der
einzige Füll, wo das erkenntnisstheoretisch Transscendente oder TransBubjective
wenn auch nicht mit seinem Sein, so doch mit dem Endpunkte seines Functionireus
in den Bewusstseinsinhult gleichsum hineinragt. Es werden nun die Bedingungen
festgestellt, unter denen die jenseitige Welt (das Ding an sich) stehen muBs, um
überhaupt auf uns zu wirken und so zu wirken, wie sie wirkt.
Hartmann will specnlative Resultate nach inductiv - naturwissenschaftlicher
Methode gewinnen. Er versucht, von einer möglichst breiten empirischen Basis
hauptsächlich naturwissenschaftlichen und psychologischen Materials allmählich auf-
zusteigen. In einer Reihe von Erscheinungen glaubt er unbewusste Willensacte und
Vorstellungen nachzuweisen, so bei der willkürlichen Bewegung, Im Instinct, in den
Reflexbewegungen. Er macht auf das Unbewusste aufmerksam in der Naturheilkraft,
in der geschlechtlichen Liebe, im Gefühle, in der künstlerischen Production, in der
Sprache, im Denken u. s. w. Auf allen diesen Gebieten findet er einen tiefereu
Hintergrund, ein Agens, das nach Zwecken arbeitet, aber nicht Ins Bewusstsein
tritt. Es ist das Unbewusste die Ursache aller derjenigen Vorgänge in einem
organischen und Bewusstseins- Individuum, welche eine psychische und doch nicht
bewusste Ursache voraussetzen. Von diesem wird nun die Einheit behauptet. Ea
giebt nicht verschiedene Individuen, sondern das ganze Unbewusste ist ein
einziges Individuum ohne ausser ihm stehende Bubordinirte, coordi-
nirte Individuen. Es ist das Alles umfassende Individuum, dus absolute, und
macht schliesslich das aus, was den Kern aller bedeutenden Philosophien gebildet
hat, Spinozas Substanz, Fichtes absolutes Ich, Hegels absolute Idee etc.
Währeud Spinoza seiner Substanz Ausdehnung uud Deuken zuspricht, kommt
dem UnbewuBsten Hartmauus Wille und Vorstellung zu. Der an sich ulogische
Wille wird, indem er sich zum Wollen erhebt und ziellos aus der Ruhe der Poten-
tialität herausdrängt, an ti logisch, während die Idee (Vorstellung) das Logische In
die Welt bringt. Das .Dass' der Welt ist alogisch wie der Wille, das .Was' der
Welt ist logisch wie die Idee. Weder ist die Idee ein secundäres Erzeugnis« des
Willens wie bei Schopenhauer, noch ist der Wille ein untergeordnetes Moment in
der Idee, wie bei Hegel.
Dass die Welt die beste unter allen möglichen int, wenngleich Ihr Nichtsein
ihrem Sein vorzuziehen wäre, erhellt namentlich aus Ihrer von unbewuaster Vor-
sehung geleiteten, möglichst zweckmässigen Entwickelung. So Ist z. B. nur durch
den Kunstgriff, dass der Kindheit und Jugend Alles wegen seiner Neuheit interessant
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§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hartmann u. A.
495
ist, das Leben auszuhalten. Partielle Unterbrechung des individuellen Bewusstsein*
und des historischen Bewusstseins der Menschheit durch Tod nnd Geburt bewahrt
die Natur vor Erschlaffung. Das endliche Ziel der ganzen Entwicklung , die Er-
lösung des Willens aus der Unseligkeit des Seins, wird auf die klügste
Weise erreicht. Die Weisheit des Unbewussten zeigt sich nicht nar in der ganzen
Einrichtung der Welt, Bondern auch dadurch, dass ea selbst ins Einzelne eingreift,
z.B. in die Gehirne der Menschen, welche den Verlauf der Geschichte nach dem
vom UnbewuBsten beabsichtigten Ziele hinleiten. Der Urfchler soll wieder auf die
einfachste Weise rückgängig gemacht werden, und dies geschieht durch den ganzen
Weltprocess. Vor der Hand werden die Menschen, damit sie nicht etwa unthätig
werden, sondern auf das Ziel losarbeiten, in der Illusion gehalten, als arbeiteten sie
für ihr eigenes Glück. Aber auch der zur Erkenntnis dieses illusorischen Stand-
punkts Gelangte kann doch nur so weit kommen, die Zwecke des Unbewussten zu
seinen Zwecken zu machen. Nur in der Hingabe an das Leben und seine Schmerzen,
die es im Uebermaasse bringt, kann etwas für den Weltprocess geleistet werden.
Das Bewusstsein, dass die Welt besser nicht da wäre, muss allgemein werden oder
wenigstens die Mehrzahl der Menschen erfüllen; so wird ein negativer Wille erregt,
und das positive Wollen, d.h. die Welt, wird aufgehoben. „Das Logische macht
also, dass die Welt eine bestmögliche wird, nämlich eine Bolche, die zur Erlösung
kommt, nicht eine solche, deren Qual in unendlicher Dauer perpetuirt wird."
In der „Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins" sucht v.Hart-
mann zu scheiden zwischen echten Moralprincipien und unechten, zu welchen letzteren
er alle heteronomen und egoistischen rechnet, und dann innerhalb der echten die
ethischen Standpunkte, welche sich auf die Triebfedern, Zweeke und metaphysischen
Wurzeln der Sittlichkeit stützen, in geordneter Reihenfolge und zusammenhängender
Entwickeluug darzulegen, nach ihrem relativen Werthe zu würdigen und in ihrem
höchsten Princip als aufgehobene Momente zusammenzufassen. Ab dem sittlichen
Bewusstsein unentbehrlich werden vorausgesetzt die objective Teleologie oder der
providentielle Evolutionismus und der coucrete Monismus, oder die Wesenseinheit
der sittlichen Individuen unter einander uud mit dem absoluten Subject.
Den Pessimismus vertritt Hartmann in energischer Weise und hält nur auf
pessimistischer Basis eine Ethik für möglich. Der empirische Pessimismus dient
als praktisches Hülfsmittel zur Ueberwindung des Egoismus, der metaphysische nur
zur näheren theoretischen Bestimmung des Endzwecks des Weltprocesses (vgl. Philos.
Frag. d. Gegenw. V, 3, d. Pessimism. u. d. Eth.). Auf Veranlassung der Uartmann-
schen Ansichten ist der Pessimismus in den letzten Jahren sehr viel behandelt
worden. Freilich ist es viel zu viel behauptet, wenn v. Hartmann ausspricht, dass
der Pessimismus zu den bestbegründeten Wahrheiten schon jetzt gehöre. (S. Philos.
Mouatsh., Bd. 15, 1879, S. 612.)
Die „Religion des Geistes" ist die Religion des sowohl immanenten als
trausscendenten Geistes. Die Gottheit als absoluter Geist ist eine uud uls Einheit
zugleich absoluter Grund und absolutes Wesen der Welt. Darum muss die Religiou
Momsmus sein. Aber die Einheit der Gottheit ist keine abBtracte, d. h. die reale
Vielheit ausschliessende Einheit, sondern eine solche, welche die reale Vielheit
als ihre eigene innere Mannigfaltigkeit in sich einschliesst. In der Religion des
Geistes wird nicht mehr wie in der Religion des Sohnes nur Ein Gottmensch gesetzt,
sondern die universelle Gottmenschheit, und die Tragik des einzelnen Christus wird
durch das tragische Heldenthum jedes einzelnen Gottmeuscheu unendlich verviel-
fältigt — Sowohl im Ganzen wie in den einzelnen Bestimmungen speciell der Reli-
gionsmetaphysik versucht Hartmann eine Synthese der christlichen und indischen
Dogmatik herzustellen und durchzuführen.
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§ 45. Neue Systeme. Lotze, Pechner, Hartmann a. A.
Die Aesthetik v. Hartmanns tritt in Gegensatz zn dem abstracten Idealis-
mus, in welchem die Idee als solche schön ist und dem Gegenstand Schönheit ver-
leiht, und dem ästhetischen Formalismus. Sie sucht einen concreten Idealismus
durchzuführen, nach welchem die Idee ganz und ohne Rest dem ästhetischen Schein
oder der von der Realität abgelösten concreten sinnlichen Erscheinungsform immanent
ist und nur in dieser und durch diese implicite geföhlsmässig mit pereipirt wird.
Von Hegel unterscheidet sich v. Hartmann ausser dem Angegebenen hauptsäch-
lich dadurch, dass er dessen einseitigen Intellectualismus zu vermeiden sucht und den
endlichen Individuen und ihrem Gefühlsleben ein grösseres Recht auf Befriedigung
zugesteht. (S. v. Hartmann, Mein Verhältn. zu Hegel, in: Philos. Monatsh.24, 1888,
S. 316—341.) Von Schopenhauer unterscheidet er sich durch die Verwerfung der ex-
clusiven Subjectivität von Raum, Zeit und Kategorien (sammt deren Consequenzen),
durch die Annahme eines atomistischen Dynamismus zur Erklärung der Materie,
durch die Behauptung, dass dasjenige, was uns als Gehirn erscheint, nicht zureichende
Ursache des Intellects überhaupt, sondern nur Bedingung der Form des Bewusst-
seins sei, und durch die Leugnung der Möglichkeit einer individuellen Willens-
verneinung sammt ihren quietistisch- asketischen Consequenzen. (Vgl. v. Hartmann,
Mein Verh. z. Sch., in: Philos. Frag. d. Gegenw., II.) Die metaphysische Spitze
des hartmannschen Systems steht der Principienlehre der positiven Philosophie
Schellings am nächsten, führt aber bei v. Hartmann zu einer von der schellingschen
ganz verschiedenen Weltanschauung. Die Doctrin v. Hartmanns hält, wenn uns
dieser Ausdruck erlaubt ist, die Welt gleichsam für das Product einer edlen Mutter,
der Idee, und eines schlimmen Vaters, des leeren Wollens. Das letztere gleicht
nach einem Bilde, das v. Hartmann in einem Briefe braucht, einem Dämon, der sich
durch einen Fehltritt mit dem Fluch ewiger Unseligkeit beladen hat und nicht
durch sich selbst, sondern durch das „ewig Weibliche* (die Idee) erlöst werden
kann, indem dieses sich ihm hingiebt und durch Mitertragen seiner Qualen ihn
läutert und himmelan hebt. Die Idee ertheilt in mütterlicher Fürsorge dem
unglücklichen Wesen, der Welt, alle die edlen Gaben, mit denen sie ihm
sein Loos zu erleichtern vermag, und kann sie es ihm nicht ersparen, durch
den harten Kampf der Entwickelung hier durchzugehen, so ist doch eine Erlösung
ihm vorbehalten in der Aufhebung des Willens, in der Schmerz- und Lust-
losigkeit des Nirwana. Gegen die obersten Voraussetzungen selbst lässt sich die
Frage richten: wie vermag eine .logische Idee" zu existiren als Prius — sei es
auch nur als zeitloses Prius — des Geistes und ein , Wille* als Prius der welt-
lichen Dinge, die wir allein als Träger desselben kennen? Es sind hier Abstrac-
tioneu des Subjects in nicht wohl zu rechtfertigender Weise hypostasirt worden.
v. Hartmann sieht als den Schwerpunkt seines bisherigen schriftstellerischen
Schaffens die drei grösseren Werke aus den Gebieten der Ethik, Religionsphilosophie
und Aesthetik an. Seine Philos. d. Unbew. hat einen sehr grossen Erfolg gehabt,
zu dem die verständliche Sprache, die besondere Berücksichtigung der Naturwissen-
schaften, das starke Hervortreten des Pessimismus, die ausführliche Abwägung des
Werthes gegen den ünwerth des Lebens beigetragen haben.
von Kirchmann, die Philo», de« Wissens, Berl. 1864. Ueber die Unsterb-
lichkeit, Berl. 1865. Aesthetik auf realistischer Grundlago, Berl. 1868. Ueber die Prin-
eipien des Realismus, Lpz. 1875. In d. v. ihm herausgeg. .Philos. Bibliothek" hat K.
auch seinen Standpunkt systematisch u. kritisch entwickelt. Ueber ihn: Lasson u. Meineke,
J. H. v. K. als Philosoph, in: Philos. Vorträge herausgeg. v. d. ph. Ges. z. Berl., N. F.,
9. Heft, Halle 1885.
Der Realismus J. H. Kirchmanns (1802—1884, seines Amtes als Appellations-
gerichts- Vicepräsid. enthoben wegen eines in einer Arbeiterversammlung gehalteneu
Vortrags üb. d. Communismus der Natur, 3. Aufl. 1882) will im Gegensatz Btehen
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§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hartmann u. A.
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zum Materialismus, der das Wissen leugnet und in ihm nur eine ßesonderung deB
Seins sieht, und zu dem Idealismus, der das Sein leugnet und es nur als Beson-
derung des Wissens ansieht. Sein und wahres Wissen sind ihrem Inhalt nach
identisch und nur in der Form, welche diesen Inhalt befasst, unterschieden. Nicht
das Denken, sondern das Wahrnehmen ist dasjenige Vorstellen, welches den Inhalt
des Seienden in das Wissen überleitet. Nur aus dem Wahrnehmen erhält das
Wissen seinen Inhalt. Das Denken ist entweder nur ein Wiederholen, Trennen
und Verbinden des wahrgenommenen Inhalts, oder ein Beziehen. Das Denken ist
kein Mittel, um dem Sein näher zu kommen. Dagegen bin ich im Wahrnehmen
dem Gegenstande unendlich nahe, da eben sein Seiendes und mein gewusster Inhalt
identisch sind. Als die beiden Fundamentalgesetze der Wahrheit gelten bei Kirch-
mann: 1. das Wahrgenommene ist, 2. das sich Widersprechende ist nicht. Erst
wenn sich ergiebt, dass das Wahrgenommene weder sich noch anderem bereits
erkannten Wahren widerspricht, gilt es als wahr. Es gibt auch Vorstellungen in
der Seele, welche nicht als Bild eines Seienden sich darbieten, die sogenannten
Beziehungen. Solche sind das Nicht, Und, Oder, Gleich, Zahl, Alle, das Ganze
und die Theile, Ursache und Wirkung, Substanz und Accidenz u. s. w. Ein ent-
schiedenes Verdienst um die Philosophie hat sich Kirchmann durch Herausgabe
der philosophischen Bibliothek erworben. An Kirchmann hat sich im Wesent-
lichen angeschlossen Herrn. Wolff, über den Zusammenhang unserer Vorstellungen
mit Dingen ausser uns, Lpz. 1874. Speculation u. Philos., I. Bd., der speculat.
Ilationalism., II. Bd., der empirische Realismus, Lpz. 1878. Logik u. Sprach-
philos., Berlin 1880. Beide Werke in 2. Ausgabe, Lpz. 1883. Handb. der Logik,
Lpz. 1884. Wegweiser f. d. Studium d. kant. Phil., Lpz. 1884. Theilweise gegen
Kirchmanns Basirung der Ethik auf Autorität ist gerichtet F. W. Struhnneck,
Herrschaft u. Priesterth., Berlin 1871.
Dü bring, de tempore, spatio, causalitate atque de analysis infinitesimalis logica,
Berl. 1861. Natürliche Dialektik, Berl. 1865. Der Werth de» Leben», Breslau
1865, 3. Aufl., Lpz. 1881. Krit. Grundlag. der Volkswirtschaft«!., Berl. 1866. Krit.
Gesch. der Philo«., Berl. 1869, 3. Aufl., Lpz. 1878. Krit. Gesch. der Nationalök. und
de« Socialism., Berl. 1871, 3. Aufl., Lpz. 1879. Krit. Gesch. d. allgem. Principien
der Mechanik, Preisschr., Berl. 1873, 2. Aufl. Lpz. 1877. (Wegen der Zusätze in
der 2. Aufl. wurden dem Verf. die Rechte eines Privatdocenten in Berlin entzogen.)
Cursus der National- u. Sncialök. einschliesslich der Hauptpunkte der Finanzpolitik,
Berl. 1873, 2. Aufl., Lpz. 1876. Curau« der Philos. als streng wissenschaftlicher
Weltanschauung und Lebensgestaltung, Lpz. 1875. Logik u. Wissenschaftstheorie,
Lpz. 1878. Neue Grundgesetze zur rationellen Physik u. Chemie, 1. Folge, Lpz. 1878.
Rob. Mayer, der Galilei des neunzehnten Jahrb., Chemnitz 1880. Sache, Leben n.
Feinde, Karlsr. 1882. Der Ersatz der Relig. durch Vollkomnineres u. d. Ausscheidung
alles Judenthume durch d. modernen Völkergeist, Karlsr. u. Lpz. 1883. Vgl. über Dühring
die S. 467 eitirte Schrift von H. Vaihingen
Eugen Dühring (geb. 1833, verlor 1877 die venia legendi a. d. Universität
Berlin wegen zu heftiger Angriffe auf berliner Professoren), der sich vielfach an
Feuerbach und Comte (s. u.) anschliesst, wendet sich entschieden gegen den Kriti-
cismus, der die Erkennbarkeit des Seins leugnet. Im Gegensatz zu diesem
behauptet er, dass unser Verstand fähig sei, die ganze Wirklichkeit zu begreifen.
Die Gesetze des Denkens sind zugleich Gesetze der Wirklichkeit, es wird also die
Identität des Denkens mit dem Sein angenommen. Die Wirklichkeit, wie sie uns
vorliegt, ist das allein real Existirende und zugleich das schlechthin Vernünftige.
Man muss die Wirklichkeit, wie sie ist, auffassen. Die letzten Thatsachen derselben
erklären zu wollen, ist thöricht. Raum und Zeit haben objective (reale) Gültigkeit,
und was wir durch die Empfindung erhalten, ist unmittelbar objective Wahrheit
Ueberwcg-Heinxe, (irutulriss III. 7. Aufl. „9
498
§ 45. Neue Systeme. Lutze, Fechner, Hartmann u. A.
Aach die Kategorien, so namentlich die Causalität, kommen der Welt ausserhalb
des Denkens zu. Das allumfassende Sein ist einzig. In seiner Selbstgenügsamkeit
hat es nichts über oder neben sich, es ist aber begrenzt, nicht unendlich. Der
gewöhnliche Unendlichkeitsbegriff ist falsch und entstanden durch die subjective
Möglichkeit, immer weiter zu gehen oder die jedesmal gesetzte Grenze zu über-
springen. Das .Gesetz der bestimmten Anzahl", welches dahin geht, dass Zahl
und Grösse in jeder Beziehung nur endlich sind, gilt; denn es würde sonst das
Unding einer vollendeten Unendlichkeit statuirt werden müssen. Dem Sein kommt
dann noch Beharrung und Veränderung zu. Letztere ist nicht nur ideal, sondern
real. — Den Darwinismus in seiner besonderen Ausführung der Descendenztheorie
bekämpft Dühring. Ebenso ist er Gegner des Pessimismus. Dieser könne nicht
die Grundlage einer Ethik sein, da die Menschen nur besser werden sollen, weil
sie dadurch glücklicher werden. Aber der Egoismus könne auch nicht die Basis
einer Ethik bilden, da es vielmehr darauf ankomme, zu gemeinsamer Wohlfahrt
zusammenzuwirken. Es giebt sympathische Naturtriebe, und diese sind mit dem
Bewusstsein zu erfassen und auszubilden.
Die Philosophie Dührings will nun nicht nur ein Wissenssystem sein, sondern
auch .die Vertretung einer auf die edlere Menschlichkeit gerichteten Gesinnung*.
Eine Philosophie soll auch durch das Verhalten ihres Vertreters im Leben selbst
bewahrheitet werden. Er selbst glaubt, das Seinige gethan zu haben, »um zwischen
der Philosophie und dem Philosophen keine Kluft zu lassen". — Die Schriften
zeichnen sich durch Schärfe der Gedanken ans, sind aber reich an Wiederholungen,
bissigen Bemerkungen, besonders gegen die Professoren der Philosophie, und
Selbstüberschätzung des Verfassers.
Frohsehauirner, Hcrausgeb. der Zeitschr. Athenäum 1802 u. ff. (des Organs für
freisinnig«* katholische Forscher), Ursprung der mcnschl. Seele, Rechtfertigung des Gene-
rationismus, Münch. 1854. Menschenseele u. Physiologie, Münch. 1855 (geg. K. Vogt
gerichtet). Einleitung in d. Philo*, u. Grundr. der Metaph., Münch. 1858. Ueb. d.
Aufg. der Natnrphilns. u. ihr Verh. zur Natnrwisscnsch., München 1861. Ueb. d.
Freiht. der Wissensch., Münch. 1861. Darstell, u. Krit. d. darwinsi-h. L., im Athenäum
1862. Das Recht der eigenen Ueherzengung, J.pz. 1869. D. Phantasie als Grund-
princ des Weltprocesses, Münch. 1877. Monaden u. Weltphantasie, Münch. 1879.
D. Bedeutung der Einhildungskr. in d. Philos. Kants u. Spinozas, Münch. 1879. Ueb.
d. Principien der aristotel. Ph. u. d. Bedeut. der Phant. in derselb., Münch. 1881
Ueb. d. Genesis der Menschht. u. deren geistige Entwickelung in Relig.,
Sittlichk. u. Spraehe, Münch. 188:1. Die Philos. als Idealwissens« h. u. System,
Münch. 1884. Ueb. d. Organisat. u. Culfur d. menschl. (iesellsch. Philo«. Untersuchung,
üb. Recht u. Staat, sociales Leben u. Erzieh., ebd. 1885. S. übrigens ob. die Litterat.
geg. d. Materialismus. Ueb. Frohschammer s. Fr. Kirchnef, üb. d. (irundprinc. des
Weltprozesses mit besond. Berücksichtig. Fr.s, Kothen 1882. Ed. Reich, Weltanschauung
u. Menschenleb., Relig., Sittlichk. u. Sprache. Betrachtung, üb. «1. Philosophie Fr.s,
Grossenhain u. Lpz., 1884.
Jacob Frohschammer (geb. 1821, längere Zeit kathol. Priester, seit 1855
Prof. d. Philos. in München) kämpfte in seinen früheren Schriften, von denen ver-
schiedene auf den Index gesetzt wurden, mit grosser Entschiedenheit für die Selb-
ständigkeit der Philosophie gegenüber der katholischen Theologie. Er weist die
Beschränkung der Philosophie auf blosse Erkenntnisswisseusckaft oder Wissen-
schaftslehre ab; die Philosophie ist ihm die Wissenschaft von der ideulen Wahr-
heit, als Idealwissenschaft sowie als Welterklärung aus einem Princip, aber sie
muss immer in Beziehung stehen zu der empirischen Wissenschaft. Dieses Eine,
Allgemeine iBt die Phantasie, die im umfassenderen Sinne als gewöhnlich zu
fassen ist, objectiv, das eigentliche Grundprincip alles Wirkens und Werdens, und
andererseits subjectiv, auch das Erkenntniss- und Erklärungsprincip von Allem. Sie
§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hertmann u. A.
490
ist das Gestaltende in den Tndividnen, nicht minder im Weltganzen, das Bildende
in der Natnr, nicht minder in der Geschichte; sie macht die Einheit und Gesetz-
mässigkeit in dem Einzelnen wie in dem Organismus der Welt aus. Auch im
socialen Leben bethätigt sie sich, indem das Volksleben mit seinem gewöhnlichen
Verkehr und seinen verschiedenen Verhältnissen auf die Phantasiethätigkeit sich
gründet, auf die ideale Tendenz und die verbindende Macht derselben. Zwar wird
die Phantasie zunächst nur als ein der Welt immanentes Princip gefasst, aber
wenn je ein Versuch gelingen sollte, Dasein und Beschaffenheit eines absoluten
göttlichen Wesens darzuthun, so möchte auch dazu dieselbe am geeignetsten sein.
Einer etwas älteren Zeit gehört an Karl Frdr. Euseb. Thrandorff (17&3 bis
1863), ein origineller Denker, welcher den Streit zwischen Glauben und Wissen,
zwi8chenSupranaturalismus und Rationalismus schlichten zu können meinte. Aesthetik,
2 Bde., Berl. 1827. Wie kann der Supranaturalism. s. Recht geg. Hegel behaupten?
1840. D. welthistor. Zweifel, 1852. Der Mensch d. Ebeubild des dreieinig. Gottes,
1853. Theos nicht Kosmos, 1859 (besonders geg. AI. v. rTumboldt gerichtet). Was
ist Wahrheit? 1863. Das Gottesbewusstsein muss schon da sein, damit das mensch-
liche Bewusstsein das haben könne, was es hat, nämlich die Vernunft, indem wir
dieser erst durch das Gottesbewusstsein theilhaftig werden. Die Menschen konnten sieh
aber Gottes nur bewusst werden, indem er sich selbst als Object ihnen gab,
nämlich durch unmittelbare Offenbarung: Das Vernehmen des Uebernatürlichen ist
eben die Vernunft. Das absolute Sein ist das absolute Können in sich, das Können,
wie es nur sich selbst in sich kann. Dieses theilt sich durch Raum und Zeit in
Individuen, welche das Wirkliche sind. Durch die Liebe kehren dieee wieder zu
dem Einen zurück. — Erst neuerdings ist mehrfach auf diesen Denker hingewiesen
worden, nachdem er während seines Lebens unbeachtet geblieben war. Vgl. R. O.
Anhuth, das wahnsinnige Bewusstsein u. d. unbewusste Vorstellung, Halle 1877.
J. Eckardt, Thr. d. Bewusstseinsphilos. Jos. v. Billewicz, summar. Darst. d.
Fundamentalsätze der Thrand. Philosophie, in: Phil. Monatsh., 21, 1885, S. 561
bis 572. E. v. Hartmann, Ein vergessener Aesthetiker, ebend., 22, 1886, S. 59
bis 98. v. H. räumt Thrandorff in der gesammten Gesch. der Aesthetik den
zweiten Platz unmittelbar neben Hegel ein.
Erwähnung verdient auch Friedrich Rohmer (1814 — 1856), Kritik des
Gottesbegr. in d. gegenwärtig. Weltansichten, Nördling. 1856 (anonym). Gott u.
seine Schöpfung, ebd. 1857. D. natürliche Weg d. Menschen z. Gott, ebd. 1858.
Diese drei Schriften vereinigt als 1. Bd. v. Fr. R.s Wissenschaft u. Leben unter
d. Titel: d. Wissensch, v. Gott, etwas verändert heransgegeb. v. J. C. B(luntschli).
Nördling. 1871; 2. u. 3. Bd., Wissensch, vom Menschen, auf Gr. mündl. Ueberliefer.
u. schriftl. Aufzeichnung, bearbeitet v. Rud. Seyerlen, Nördl. 1885 (1. Hälfte: d.
sechzehn Grundkräfte, 2. II.: d. [Individual-] Psychologie). R. dachte selb-
ständig und energisch und suchte den Theismus mit dem Pantheismus aus-
zugleichen. Alles Sein zerfällt in zwei wesentlich verschiedene Arten, nämlich in
die eine ursprüngliche und unendliche Einheit, das ist der Makrokosmus, und in
die Menge abgeleiteter, nothwendig endlicher Existenzen, das sind die Mikrokosmen.
Das Weltall ist nicht ein Wesen, es besteht aus dem einen Gott und den Ge-
schöpfen Gottes. Vermischt dürfen diese beiden Welten nicht werden, und es
gilt einen Schritt zu thun, welcher die Irrthümer des Pantheismus und Theismus
überwindet und zugleich die in ihnen enthaltenen Wahrheiten anerkennt. Das
Universum oder die makrokosmische Natur ist der Körper Gottes, ist nicht von
Gott geschaffen, sondern ist in Gott geworden. Der in ihm lebende Geist ist
Gottes Geist. Raum und Zeit sind Bestandteile Gottes, der ein ewiges Werden
ist. Geschaffen ist die organische Welt, und jeder Mensch ist eine andere Person,
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§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechner, IJartmaun u. A.
weil er eiue eigentümliche Idee Gottes ist. Mit dem Tode gehen der Leib und
das an ihn gebundene seelische Element in die makrokosmische Materie, aus der
sie genommen waren, der Individualgeist, die Einzelideu Gottes, aber in diesen
zurück. Vgl. H. Späth, Fr. R.s makrokoamiacher Gott, in: Prot. K. Z., 1867,
S. 649—666, 673 - 685, Fei. Dahn, Fr. R.s Gott u. s. Schöpf., in: Thilos. Stadien.
Berl. 1883, auch die Denkwürdigkeiten des Staatsrechts lehrers Bluntschli, der ein
grosser Verehrer Böhmers war.
Dem älteren Fichte steht nahe Julius Bergmann (geb. 1840, Prof. in Mar-
burg), Grundlinien einer Theorie des Bewusstseins, Berl. 1870. Zur Beurtheil. des
Kriticism. vom idealistischen Standpunkte, ebd. 1875. Allgem. Logik, I. Bd.,
Reine L. , ebd. 1879. Sein u. Erkennen, e. fundamental-philos. Uutersuch, ebd.
1880. Das Ziel der Geschichte, Marb 1881. D. Grundprobleme der Logik, Berl.
1882. üeb. d. Richtige, Berl. 1883. üeb. d. ütilitarianism. , Rede, Marb. 1883.
Vorlesung, üb. Metaphys. mit besonder. Bez. auf Kant, ebd. 1886. üeb. das
Schöne, analyt. u. histor.-krit Untersuchungen, ebd. 1887. Philosophie ist für
Bergmann Wissenschaft aus reiner Vernunft vom substanziell Seienden. Bire
Erkenntnissweise ist der Intellectualismus im Gegensatz zum Empirismus, und ihr
allgemeines Ergebniss die Identität von Vernunft und Seiendem, Spiritualismus.
Metaphysik hat es damit zu thun, den Begriff des Seins klar und deutlich zu
machen und vollständig zu entwickeln. Das Sein gehört als die allgemeinste zum
Inhalt aller Vorstellungen und ist gleich der Dingheit. So hat die Metaphysik
von allen Unterschieden der Dinge zu abstrahiren und sie nur nach ihrer Dingheit
zu erforschen. Wenn wir etwas als ein Seiendes denken, denken wir ein Denken
oder Percipiren mit, dessen Gegenstand es sei : Denken und Sein können nicht ohne
einander gedacht werden. Das Sein ist ein Percipirt-sein , aber nicht jedes Perci-
pirte ist, sondern nur das, welches wie das pereipirende Bewusstsein ein Factor
der Perceptiou ist. So ist Sein sich selbst pereipirendes Bewusstsein, und der
allgemeine Begriff des Denkens od?r Bewusstseins ideutisch mit dem allgemeinen
Begriff des Seins. Danach ist Metaphysik als Wissenschaft vom Sein die Wissen-
schaft von Denken oder Bewusstseiu, als Wissenschaft von der Dingheit Wissen-
schaft von der Ichheit.
V. A. v. Stägemann, d. Theorie des Bewusstseins im Wesen, Berl. 1864.
IL Späth, Welt u. Gott, Berl. 1867 vertritt die theistische Weltanschauung.
('. S. Barach, die Wissenschaft als Freiheitsthat, Wien 1869. Adolph Steudel,
Philos. im Umriss. I. Th.: Theoretische Fragen. 1. u. 2. Abth., Stuttg. 1871.
II. Th.: Praktische Fragen. 1. Abth Krit d. Sittenl., Stuttg. 1877. 2. Abtheil.
Kritik der Religion, insbesondere der christl., 1881. 3 Abth., Krit. Betrachtung,
üb. d. Rechtsl., 1884. Er nimmt einen monistischen oder pantheistischeu Stand-
punkt ein. J. J. Baumann (geb. 1837, Prof. in Göttingen), Philos. als Orientirung
über die Welt, Lpz. 1872. Sechs Vorträge aus dem Gebiete der prakt. Philos.,
Lpz. 1874. Handbuch der Moral nebst Abriss der Rechtsphilos. , Lpz. 1879.
Baumann giebt auf Grund des Idealismus und unter Beibehaltung der idealistischen
Ergebnisse einen indirecten Beweis des Realismus. Wir können die Wahrnehmung
nur erklären, wenn wir den Realismus annehmen. Ludw. Noire (geb. 1829, Gym-
nasiallehrer in Mainz), Grundlag. einer zeitgemässen Philosophie, Lpz. 1875. Der
monistische Gedanke, eine Concordanz der Philos. Schopenhauers, Darwins,
R. Mayers u. L. Geigers, ebd 1875. Die Doppelnatur der Causalität, Lpz. 1876.
Einleitung und Begründung einer monist Erkenntnisstheorie, Lpz. 1877. Aphorismen
zur monist. Philos., Lpz. 1877. Der Ursprung der Sprache, Mainz 1877. D. Lehre
Kants u. d. Ursprung d. Vernunft, Mainz 1882. Logos. Urspr. u. Wesen der Be-
griffe, Lpz. 1886. Noires gcschichtl. Eiuleit. z. d. englisch. Uebereetz. der Krit d.
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§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechuer, Hartmann n. A.
501
rein. Vern. v. Kant s. ob. S. 229, a. d. Entwickel. d. abendländisch. Philosophie
Bd. I, S. 12 dies. Grnndr. Nach Noires „Monismus" kommen der Welt zwei
einzige, ganz identische Eigenschaften zu als innere und als äussere, Empfindung
und Bewegung, .aus welchen durch Entwicklung alle besonderen Daseinsformen
hervorgegangen sind, aus welchen die Vernunft sich selbst wie alles Uebrige her-
zuleiten berechtigt ist*. Noire theilt seinen Standpunkt mit Lazarus Geiger
(1829-1870;, Umf. u. Quelle der erfahrungsfreieu Erkenntniss, Frkf. 1865, d. Urepr.
d. Spr., Stuttg. 1869, Urspr. u. Entwickel. d. menschl. Sprache u. Vernunft, 2 Bde.,
Stuttg. 1872. Vgl. Pesckier, L. G., s. Leb. u. Denk., Frkf. 1871, Jul. Keller,
L. G. u. d. Krit d. Vern., Fr., Wertheim, 1883, ders., d. Urspr. d. Vern., e.
krit Studie, Heidelb. 1884, Ludw. A. Rosenthal, die monistische Ph., Berl. 1880,
ders., n. Sehr. üb. Geiger, Stuttg. 1883. R. Grassmann, die Wissenschaftsl. od.
PhiloB., Th. I: die Denkl., Th. II: die Wissensl., Th. III: die Erkenntnissl.,
Th. IV: die Weisheitel., Stettin 1875. Die Einleit. in das Gebäude des Wissens,
4 Theile in 1 Bd., Stett. 1882. Das Gebäude des Wissens, III., IV. u. V. Bd. in
einzelnen Theilen (d. Weltleben od. d. Metaphys ., d. Pfianzenleb. od. d. Physiol.
d. Pfl., d. Thierleb. od. d. Phys. d. Wirbelthiere, d. Sittenl.), Stettin 1882—1884
(auf 10 Bde. berechnet). S. dazu L. Weis, R. Gr.: das Geb. des W., in: Ph.
Monateh. 1885, S. 243 —260. In seiner Metaphysik will sich Grassmann ganz auf
den Boden der Erfuhrung stellen und nur nach mathematischen Gesetzen eine
streng wissenschaftliche Lehre vom Weltleben aufbauen. Es ist ihm dies die
Lehre von den „Körben' und .Korbbällen", wie er in seinem Streben, Fremdwörter
zu vermeiden, die Atome und Moleküle nennt. 0. Caspar i (geb. 1841, Prof. in
Heidelb.), die Urgesch. der Menschh. mit Rücksicht auf die natürl. Entwickelg.
des frühesten Geisteslebens, 2 Bde., 2. Aufl., Lpz. 1877. Die Grundprobleme der
Erkenntnissthätigkeit, 1. u. 2. Th., 2. Ausg., Berl. 1879. Der Zusammenhang der
Dinge: gesammelte philos. Aufsätze, Bresl. 1881. Das Erkenntuissproblem mit
Rücksicht auf die gegenwärtig herrschenden Schulen, Breslau 1881. Drei Essays
üb. Grund- u. Lebensfragen der philos. Wissenschaft, Hdlb. 1886. Caspari gab
einige Zeit den „Kosmos", s. ob. S. 480, mit heraus und vertritt einen kritischen
Empirismus, iudem er den Unterschied, aber auch die Verträglichkeit des sub-
jectiven und des objectiven Factors in der Erkenntniss betont. Carl Göring
(1841—1879), System der kritischen Philos., 2 Theile, Lpz. 1874—75 funvollendet).
Ueber die menschl. Freiheit u. Zurechnungsfähigkeit, Lpz. 1876. Nicht dem
kantischen Kriticismus huldigt Göring, sondern er sieht in der Verbindung der
Kritik mit der systemat. Philos. den Fortschritt auf philosophischem Gebiete als
möglich an. A Wiessuer, vom Punkt zum Geiste! I. Th., Lpz. 1877. Die
wesenhafte oder absolute Realität des Raumes, ebd. 1877. Frd. v. Bärenbach,
Grundleg. d. krit. Ph., I. Th., Lpz. 1879. Friedr. Kirchner, die Hauptpunkte
der Metaphysik, Cöthen 1880. Ueb. d. Grundprinc. des Weltprocesses, s. ob.
Ausserdem ist Kirchner Verf. verschiedener auf die Geschichte der Philos. bezüg-
licher Monographien und kürzerer Darstellungen („Katechismen") der Psychol.,
Logik, Ethik, Gesch. der Philos. sowie eines Wörterbuches d. philos. Grundbegriffe,
Heidelb. 1886. Er vertritt einen „empirisch-rationalen Realismus". Das Absolute
ist das höchste Gut, d. h. das Gute, das Wahre, das Schöne. Thatigkeit ist sein
Wesen, sein Sein und sein Zweck: Es ist der lebendige Gott. Nicolas Stärken,
Metaphys. Essays, Hamb. 1882, will auf empiristische Weise zum Theismus
kommen. Konr. Dieterich (geb. 1847, Prof. in Würzburg), Grundzüge der Meta-
phys., Frb. i. B. 1886. Philosophie und Naturwissensch., ihr neuestes Bündniss
u. die monist. Weltanschauung, 2. Ausg., ebd. 1885. Dieterich tritt für das Recht
der Metephysik ein und neigt sich dem spinozistischen Monismus zu. Den Dualis-
502
§ 45. Neue Systeme. Lotze, Fechner, Hartmanu u. A.
mus von Geist u. Natur lehrt J. L. A. Koch (Direct. d. Staatsirrenanstalt Zwie-
falten), Erkenntnisstheoret Untersuchungen, Göpping. 1883. Grundriss d. Thilos.,
ebd. 1884 , 2. Aua 1885. Die Wirklichk. u. ihre Erkenntniss, ebd. 1886. Ein
Erschauen, ein Erfahren der Wahrheit im Gegensatz zum schulmässigeu Folgern
nimmt an Hugo Delff, Ueb. d. Weg, zum Wissen u. zur Gewissheit zu gelangen,
Lpz. 1882. Die Hauptprobleme der Philos. u. Relig., Lpz. 1886. Dem eleatischeu
Monismus nähert sich L. Stern, Philos. u. naturwissenschaftlicher Monismus, ein
Beitr. zur Seelenfrage, Lpz. 1885. A Dorner, d. menschl. Erkennen, Grundlinien
der Erkenntnisstheorie u. Metaphysik, Berl. 1887.
Von Arbeiten, die auf einzelne Discipliuen oder Probleme der Philosophie
gehen, sind hier besonders noch namhaft zu macheu: Ad. Horwicz, Psycholog.
Analysen auf physiolog. Gründl., 3 Bde., Magdeb. 1872—78. Moralische Briefe,
Magdeb. 1878. Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkte, 1. Bd.,
Lpz. 1874. Wollny, über Freiheit u. Charakter, Lpz. 1876. Grundriss der
Psychologie, Lpz. 1847. Herrn. Ebbinghaus, üb. d. Gedächtnis?, Untersuchungen
zur experimentell. Psychol., Lpz. 1885. Theod. Lipps, Grundthatsachen des Seeleu-
lebens, Bonn 1883. Psychologische Studien, Hdlb. 1885. (Heber die jetzige
Psychologie in Deutschland zu vgl. Ribot, s. ob. B. Erdmann, zur zeitgenöss.
Psychol. in Deutschland, in: Vierteljahrsschrift f. wissensch. Phil., IV, 1879. (S.
auch W. Windelband, über d. gegenw. Stand der psycholug. Forschung, Rede, Lpz.
1876.) Rob. Pro eis s, D. Urepr. d. menschl. Erkenntu., Lpz. 1879. Schmitz-
Dumont, Zeit u. Raum in ihren denknothwendigen Bestimmungen, abgeleitet aus
dem Satze des Widerspruchs, Lpz. 1875. Die mathematischen Elemente der Er-
keuntnisstheorie, Berl. 1878. D. Einheit der Naturkräfte u. d. Deut. ihr. gemeins.
Formel, Berl. 1881. Die mathematische Wissenschaft ist eine erweiterte Logik,
und diese leitet ihre Bestimmungen aus einem einzigen absolut Gewissen ab, näm-
lich aus dem Factum, dass AVuhrnehmungen gemacht werden, d h. dass etwas
cxistirt. A. Döring, Grundzüge der allgem. Logik, Th. I, Dortm. 1880. Karl
Uphues, Reform des menschl. Erkenneus, 1874. Grundlehren der Logik, nach
Rieh. Shutes Discourse ou truth bearbeit., Breslau 1883. Grung, d. Problem der
Gewissheit, Grundzüge e. Erkenntnisstheorie, Hdlb. 1886. Engelb. Lor. Fischer,
die Grundfragen der Erkenntnistheorie, Mainz 1887. Chr. Sigwart (geb. 1830,
Prof. in Tübing.), Logik, 2 Bde., Tübing. 1873—78. Beiträge zur L. vom hypothet.
Urtheile, Tübingen 1879. S. auch dessen Kleine Schriften. 2 Bde., Frbg. i. Br.
1881 (hervorzuheben: Ueb d. sittl. Grundlagen der Wissensch , d. Kampf gegen
d. Zweck, d. Begr. des Wollens u. s. Verh. zum Begr. der Ursache). Vorfragen
der Ethik, Frb. i. B. 1886. Die Logik Sigwarts ist eine der vorzüglichsten in
der ueuereu Zeit; in den Schlussergebnissen spricht er durchaus für die Telcologie.
Der letzte Gruud, auf den alle hypothetische Notwendigkeit als auf das Unbe-
dingte zurückführt, erscheint als die reale Macht eines zwecksetzenden Wollens.
Edm. Pfleiderer (geb. 1842, Prof. in Tübingen), die Idee eines goldenen Zeit-
alters, Berl. 1877. Zur Ehrenrettung des Eudämonismus, Tübingen 1879. Die
Philosophie u. d. Leben, Rede, 1878. Ausserdem hat Pfleiderer, der unter deu
Philosophen Lcibuiz und Lotze bevorzugt, manche sehr verdienstliche historische
und historisch-kritische Schriften verfasst, s. d. Litteratur. G. v. Gizycki, der sich
um die Geschichte der Ethik mehrfach verdient gemacht, hat auch Grundzüge d.
Moral geschrieben, Lpz. 1885. G. Class (Prof. in Erlangeu), Ideale u. Güter,
Erlang. 1886. Aus deu Idealen eutspringen unbedingte Imperative. Diesen muss
mau gehorchen, um das höhere Menschenthum zu erfüllen. Rud. Eucken (geb.
1846, Prof. in Jena), Prolegomena zu Forschungen üb. d. Einheit des Geisteslebens,
Lpz. 1885. Die Einheit des Geisteslebens in Bewusstsein u. That der Menschheit,
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§ 46. Philosophie in Frankreich and Belgien.
im
Lpz. 1888 (nicht mehr hier benutzt, da anmittelbar vor dem Druck dieses Abschnittes
erst erschienen). Eucken, der eine Neigung zu dem älteren Fichte hat, fragt, ob
der Fülle der Erscheinungen eine umfassende Einheit innewohne, ob ein Gesammt-
geschehen bestimmter Art wirke, alles Einzelne treibe und einer Gemeinsamkeit
des Sinnes zuführe. Das ist „der Inbegriff des Geisteslebens*, durch welchen ein
natürlicher Zusammenhalt des Geschehens fixirt wird, der über das Befinden der
Individuen und über reflectirende Betrachtung hinausgeht. Von religionsphilo-
sophischen Werken seien noch erwähnt: Willi Bender, d. Wesen d. Relig. u.
d. Grundgesetze der Kirchenbild.. Bonn 1886. G. Chr. Beruh Pünjer, Grundriaa
d. Religionsphilos., Braunsehw. 1886. (Anonym) Religionsph auf mod. wissensch.
Gründl, m. c. Vorw. v. Jul. Baumann, Lpz. 18*6.
Genannt mögen hier noch sein, als das philosophische Gebiet vielfach be-
rührend, v. Humboldts sprachwissenschaftliche nud ästhetische, Max Müllers
sprachwissenschaftliche und religiunsgeschichtliche, Roschers, K. Heinr. Rau's
und andere nationalökonomische Forschungen, R Jherings Untersuchungen über
den Geist des römischen Rechts, den Zweck im Recht, 1. u. 2. Bd. (im 2. Bd. geht
•F. auf die Moral und Sitte über; der Grundgedanke seines Werkes ist, dass der
Zweck der Schöpfer des ganzen Rechts und der Moral ist, und zwar ist das be-
sonders Bezeichnende des Zweckes die Beziehung auf das eigene Selbst des
Wollenden), die von Alb. Herrn. Post über ethnologische Jurisprudenz, Hepp,
Darstcllg. der deutschen Strafrechtssysteme, Chr. Reinh Köstlin, Neue Revision der
Grundbegriffe des Strafrechts, Gesch. des deutschen Strafrechts etc., Vassalli,
rechtsphilos. Betrachtungen über das Strafverfahren, Erlang. 1869, Ldw. Laistner, das
Recht in der Strafe, München 1872, Fei. Dahn, Rechtsphilos. Studien, Berl. 1883,
u. A., v. Krafft-Ebing, Grundzüge der Criminalpsychologie, Stuttg 1882 Krauss,
d. Psychologie des Verbrechens, Tüb. 1884.
§ 46. Ausserhalb Deutschlands sind seit dem Anfange dieses
Jahrhunderts philosophische Systeme von gleich hoher Bedeutung und
gleich mächtigem Einfluss, wie im 17. und 18. Jahrhundert, nicht
entstanden ; doch ward die philosophische Tradition gewahrt und theil-
weise auch die Forschung weiter geführt.
In Frankreich trat dem Sensualismus und Materialismus theils
die eklektisch-spiritualistische Schule entgegen, die von Roy er-Collard
im Anschluss an Heid begründet, von Cousin durch Mitaufnahme
einzelner deutscher Philosopheine weiter ausgebildet wurde und die
Tradition des Cartesianismus wieder aufnahm, theils eine theosophische
Kichtung. In neuerer Zeit gewann der Hegelianismus einzelne An-
hänger; auch Kant ist nicht ohne Einwirkung geblieben. Einen jedes
Hinausgehen über das exaet Erforschbare principiell ablehnenden,
jedoch zumeist mit dem Materialismus befreundeten „Positivismus" hat
Cointc begründet. Alles, was geschieht, geschieht nothwendig nach
den Gesetzen der Natur; diese Gesetze gilt es zu erforschen. Anfang
und Ende der Dinge sind unserer Erkenntniss aber vollständig ver-
schlossen. Auf Grund des Positivisraus versucht Comte eine Societäta-
lehre aufzubauen. — In Belgien macht sich keine bestimmte Richtung
mit Entschiedenheit geltend.
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504
§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien.
In Bd. IV der History of the philosophy of mind vou Roh. Blakey, Lond. 1848,
findet sich eine ausführliehe Uebersicht über die von 1800 bis gegen 1848 erschienenen
philosophischen Werke in Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien
und Holland, Spanien, Ungarn, Polen, Schweden, Dänemark, Russland und in den
nordamerikanischen Freistaaten. Vgl- J. D. Morel I, an bist, and critical view of
speculative philosophy of Europe in the ninetecnth Century, London 1846, 2. ed., ebd.
1847; Lectures on the philosophical tendencies of the agc, 1848. Ueber neuere psycho-
logische Arbeiten in verschiedenen Ländern handelt Denekc in seiner Schrift „die
neue Psychologie*, Berl. 184.r>, S. 272—350. Artikel über die gegenw. Philosophie
ausserhalb Deutschlands enthalten die philo«. Zeitschriften: „Zeitsehr. für Philo«.*, hrsg.
von Fichte, Ulrici und Wirth, und „der Gedanke", hrsg. von Michelet, wie auch die
„Philos. Monatshefte* und (in Bezug auf den Herbartianismus) die .Z. itschr. für exaete
Philosophie*.
Ueber die französische Philosophie im 19. Jahrb. handeln: Ph. Damiron,
Essai 8ur l'histoire de la philosophie en France au XIX* siecle, Paris 1828, 3. ed. 1834.
H. Taine, Les philoaophcs classiques francais du XIX*' s.t Paris 1857, 3. ed. 1867.
F. Ravaisson, la phil. en France au XIX° s., Par. 1864, 2. ed., 1884 (vgl. darüber
Etienne Vacherot, la Situation ph. en France, in: Revue des deux mondes. Bd. 05,
1868, S. 950—977). P. Janet, Ic spiriluali-me francais au XIX* siecle, in: Revue de»
deux mondes, Bd. 65, 1868, S. 353 — 385; ders., la philosophie francaise contemporaine,
2. ed., Paris 1879. Ferraz, Etudes sur la phile s. en France au XIX" siecle, 2. ed., Pari«
1877. Ders., Histoire de la philosophie en France au XIX» siecle. Traditionalisme
et UltramontanUme, Paris 1880. Spiritualisme et Liberalisnie, Par. 1886. Ribot, Philo-
soph)- in France, in Mind, T. 2, 1877. J. J. Borclius, en Blick pä den nuvarande
Filosofien i Frankrike (Aftryk ur nordisk Tidskrift), 1880 (auch deutsch s. ob.). Alfr.
Fouillee, le Neo-Kantisiue en France, la morale criticiste (Renouvier), in Rev. phil.,
1881, Bd. 11, S. 1—45. Ueber Maine de Biran, V. Cousin, Damiron, Garnier,
Barthelemy St. Hilaire, Janet, Ravaisson, Renouvier vgl. Ad. Franck, Moralistes et
Philosophes, Paris 1872, 2. ed. 1874. Ein Werk über die Philos. d. Gesch. in Frankr.
hat der Schotte Flint geschrieben, ins Franz. über«, v. Carrau. Ueber den Stand der
französischen Philosophie geben die beste Auskunft die Zeitschriften : La Critique philo-
sophique, politique etc., erscheinend seit 1872, Revue philosophique de la France
et de l'etranger, dirigee par Th. Ribot, seit 1876 erscheinend, welche ein vollständige«
und genaues Bild der philosophischen Bewegung in der Gegenwart zu geben beab-
sichtigt, ohne ein bestimmtes System zu vertreten, auch die deutsche Philosophie ein-
gehend berücksichtigt, und die in den Diensten des Positivismus «tehende Philosophie
positive, revue dirigee par E. Littre et G. Wvrouboff u. nach dem Tode Littre« par
Robin et G. Wyronboff, von 1867—1883.
Ueber Lamennais handeln: Blaize, essai biogr., 1858; Binaut in: Revue de«
deux mondes, 1860 und 1861; O. Bordage, la phil. de L., Strassb. 1869. Uel*>r
Rover-Collard handeln: A. Philippe, Paris 1858, und Parante, Paris 1861. Ueber
Maine de Biran handelt Em. Naville (l'aris 1874), der auch 1859 Oeuvres inedites
herausg. hat, ferner J. Gerard, M. d. B., Essai sur sa philo«, et suivi de fragnients
inedits, Pari« 1876. Cousins Werke sind in 5 series Paris 1846 — 50 erschienen:
I. — IL: Coure de l'histoire de la philosophie moderne, Paris 1846—48, IIL: Fragmen«
philosophique«, 1847 — 48, IV.: Litterature, 1849, V.: Instruction publique, 1850. Ueber
Cousin handeln: C. E. Fuchs, die Philos. V. C.s, Berl. 1847. A. Aulard, Etudes «ur la
philosophie contemporaine: M. Victor Cousin, Nantes 1859. J. E. Alaux, la philo-
sophie de M. Cousin (bildet einen Theil der Bibliothcque de philosophie contemporaine),
Paris 1864. Oefters nimmt auf seine Doctrin J. B. Meyer Bezug in Referaten in der
fichteschen Zeitschrift, insbesondere auch in Bd XXXII, 1858. S. 276—90: Cousins
philo«. Thätigkeit seit 1853. Paul Janet, Victor Cousin, in: Revue des deux mondes,
XXXVII. annee, 2. per., t. 67, p. 737—754. M. Secretan, la philos. de V. Cousin,
Paris 1868. Mignet, V. Cousin, Pari« 1869.
Ein Auszug aus Comic ist neuerdings erschienen: A. C, la philos. po«., resumee
par M. Jules Rig, Par. 1881, ins Deutsche über«, von J. H. v. Kirchmann, 2 Bde.,
Heidelb. 1883 — 84. Die Einleit. in die po«it. Philo«., deutsch von G. E. Schneider, Lpz.
1880. Ueber Comte handeln K. Twesten, üb. d. Leben u. d. Schriften A. C.s, in:
Preus«. Jahrb., 4. Bd., 1859, Littre, Paris 1863, J. St. Mi 11, Comte and Posi-
tivism, 2. ed. revised, Lond. 1866, deutsch von Elise Gompertz, Lpz. 1874, Ch. Pellarin,
essai crit. sur la philos. positive, Pari« 1866, Miss Harrict Martineau, the positive phil.
of Aug. Comte freely transl. and Condensed, Lond. 1853, traduetion franc., Bordeaux
1871 ff., Giacomo Barzellotti, ia morale della filosofia positiva, Firenze 1871, Beruh.
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§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien.
505
Pünjcr, d. Positivism. in d. neuer. Ph., I., A. Comte, in: Jahrb. f. prot. Theol.,
4. Jahrg., 1878, S. 79—121, ders., A. C.s Religion der Menschht., ebenda, 8. Jahrg.,
1882, S. 385—404, de Broglie, le positivisme et la seienee cxperinientale, 2 vols., Par.
1882, Rob. Zimmermann, Kant u. Comte in ihrem Verh. zur Metapbvs., Wien 1885,
Edw. Caird, tbe social philosophy and religion of C, Glasgow 1885 (früher schon in
4 Abschnitten erschienen in d. Conteuiporary Review), Hugo Sommer, d. posit. Philo-
sophie A. C.s, in: Samml. gemeinvcrst. wisscnsch. Vortr., BerL 188C, G. F. Sterzel,
C. als Pädagog, I.-D., Dresd. 1S86, J. M. Guardia, les sentiinents intimes d'A. C.
d'apres son testament, Rev. ph. XXIV, 18S7, S. 59-74. Rud. Kucken, zur Würdig.
Comtes und des Positivism.. in: Phil. Aufsätze Kd. Zeller z. s. 50 j. Doctorjub. gewidm ,
Lpz. 1887, S. 53—82. S. aueh die populär gehaltene Sehr. v. Robinct, La philos.
positive. Unter den Anhängern Comtes siud Differenzen entstanden, indem die Kinen sieh
streng an Comte halten, aueh die Methode aus dessen subjeetiver Periode mit annehmen,
Littre aber und seine Anhänger sich freier zu Comte stellen, wenigstens an der objectiven
Methode festhalten. S. über diesen Streit Andre Pocy. M. Littre et A. Comte, Paris
1879, K. Caro, M. Littre et le positivisme, Par. 1883.
Ueber die Philosophie des Rechts in Belgien handelt Warnkönig in der Zeit-
schrift f. Philos. Bd. 30, Halle 1857.
Die französische Philosophie in den ersten Jahrzehnten des gegenwärtigen
Jahrhunderts wird von Damiron auf drei Hauptrichtungen zurückgeführt: die
sensualistische, die theologische und die eklektisch-spiritualistische.
Die sensualistische Schule, aus dem achtzehnten Jahrhundert in das neunzehnte
Jahrhundert hinüberragend, ward in den ersten Jahrzehnten des gegenwärtigen
Jahrhunderts mehr und mehr durch die beiden andern Schulen verdrängt, doch erhob
sich dann auch wieder gegen diese letzteren eine Reaction, die zum Theil, z. B. in
Renan und Taine, auch in Charles Dollfus, dem Verfasser der Lettrcs pbilo-
sophiques, Paris 1851,3. ed. 1869, mitHegcls religions- und geschiehta-philosophischem
Grundgedanken sich berührt, zum Theil (und schon früher) sich naturalistisch ge-
staltete. Ueber diesen Entwickelungsgang berichtet Cousins Schüler Paul Jan et
folgendermaasscn: *)
Die französische Philosophie stand zu der Zeit, als die Revolution zu Ende
ging und das neunzehnte Jahrhundert begann, ganz und gar unter dem Einfluss der
condillacschen Richtung. Die Metaphysik war nichts Anderes, als Zergliederung
der Sinnesempfindungen. Da diese letzteren unter zwei Gesichtspunkten betrachtet
werden konnten, nämlich theils in Beziehung zu den Sinnesorganen , theils in Be-
ziehung zum Geist, so theilte sich die condillacsche Schule in zwei Zweige, einen
physiologischen und einen ideologischen: Cabanis ist der Hauptvertreter der ersten,
Destutt de Tracy der der zweiten Fraction.
Cabanis (1757—1808) ist der erste französische Schriftsteller, der philosophisch
und methodisch über die Beziehungen zwischen dem Physischen und Psychischen
gebandelt hat und zwar in dem Werke: „Les Rapports du physique et du moral*
(erschienen in den beiden ersten Bänden der Memoires de la cinqaieme classe de
l'Institut, welche Classe die Lehre von den Vorstellungen zu bearbeiten hatte, auch
separat veröffentlicht im Jahre 1812). Dieses Werk besteht ans zwölf Abschnitten,
welche der Reihe nach handeln von dem physiologischen Ursprung der Sinnes-
empfindungen, von dem Einfluss des Lebensalters, des Geschlechts, des Temperaments,
der Krankheiten, der Lebensordnung, des Klimas, des Instincts, des Mitgefühls,
des Schlafes, von dem Einfluss des Psychischen auf das Physische, von den er-
worbenen Temperamenten. Es ist eine sehr reiche Fundgrube interessanter That-
*) Die der zweiten Aufl. dieses Grdr. beigefügte, von Herrn Prof. Janet,
Mitglied der Akademie zu Paris, mit dankenswerther Bereitwilligkeit ausgearbeitete
Skizze, bis zu Comte reichend, folgt hier in deutscher Uebersetzung. Bei Comte haben
wir die viel kürzere Darstellung Janets in die von uns jetzt gegebene eingeflochten.
506
§ 46. Philosophie In Frankreich und Belgien.
suchen. Aber der Geist des Werkes ist ein durchaus materialistischer. Das
Psychische ist nichts Anderes als das Physische unter gewissen besonderen Gesichts-
punkten. Die Seele ist nicht eine Substanz, sondern eiue Fähigkeit. Der Gedanke
ist eine Ausscheidung des Gehirns. Später, in seiner an Fauriel gerichteten Lettre
sur les causes premieres (Paris 1824) hat Gabanis seine Ansichten wesentlich um-
gebildet. Kr gab jetzt eine mit Verstand und Willen begabte Ursache der Welt
zu und gelangte zu einem gewissen stoischen Pantheismus.
Destutt de Tracy (1754-1836) bildete die Lehre Coudillacs dadurch um,
dass er versuchte, die Vorstellung des Seins von Dingen ausser uns zu erklären,
welche die blosse Sinnesempfindung nicht geben könne. Nach ihm lehrt uns nur
die freiwillige Bewegung die Existenz von äusseren Objecten. Das Baud zwischen
dem Ich und dem Nicht-Ich ist einerseits die gewollte und empfundene Handlung,
andererseits der Widerstand. Ks geht nicht au, dass die nämliche empfindende
Kraft wolle und doch auch sich Selbst Widerstand leiste. Kine Materie, die nicht
widerstände, würde nicht erkannt werden können. Kiu Wesen, das keine Bewegungen
machte, oder das zwar Bewegungen machte, aber ohne dieselben zu empfinden,
würde nichts Anderes, als sich selbst erkennen. Tracy zieht hieraus die Gonsequeuz,
dass ein schlechthin immaterielles Wesen nur sich selbst erkennen würde. Die
Werke Tracys sind: 1) Elements d'ideologie (2 vol., Paris 1804), 2) Gommentaire
sur l'Ksprit des lois (Paris 1819). S. über ihn Gharles Ghabot, D. de Tr ,
Moulin 1885.
Reaction gegen die sensualistische Schule. Diese lleaction ist eine
zweifache. Sie wurde geübt theils von der theologischen, theils von der psycho-
logischen*) Schule.
In der theologischen Schule sind drei Namen die hervorragendsten: De
Bonald. — Der Abt von Lamcnnais. — Joseph de Muistre.
De Bonald (1754-1840) ist das Haupt der Schule, welche die traditiona-
listische genannt wird. Ihr Hauptdogma ist die gottliche Krschaffung der Sprache.
Die Offenbarung ist das Princip aller Krkenntniss. Ks giebt keine angeborenen
Vorstellungen. Die gesummte Philosophie Bonaids wird durch eine trinitarische
Formel beherrscht: Ursache, Mittel, Wirkung. In der Kosmologie wird Gott als
die Ursache bestimmt, die Bewegung als dus Mittel, der Körper als die Wirkung.
In der Staatslehre gestalten sich diese drei Termini als Regierung, Beamte, Unter-
gebene. In der Familie: Vater, Mutter, Kind. Bonald wandte diese Formeln auf
die Theologie an und schloss auf die Notwendigkeit eines Mittlers. Daher dieser
Satz: Gott verhält sich zum Gottmenschen wie der Gottmensch zum Menschen.
Die Hauptwerke Bonaids sind: Essai analytique sur les lois naturelles de l'ordre
social, La legislation primitive (2. Aufl. 1821, 3 vol.). Hecherches philo-
sophiques (1818). La theorie du pouvoir social (17%, 3 vol.). Die Oeuvres
completes sind im Jahr 1818 veröffentlicht worden.
Der Abt de Lameunais (1782—1854) ist der Begründer des theologischen
Skepticismus im neunzehnten Jahrhundert In seinem Buche .Essai sur l'indifference
en mutiere religieuse" (1817—27, 4 vol. in 8°. nouv. ed. 1872) entlehnt er, wie
Pascal, dem Pyrrhonismus seine Beweisgründe gegen die Zuverlässigkeit der Seelen-
vermögen. Irrthümer der Sinne, Irrthümer im Schliessen, Widersprüche der
menschlichen Meinungen, dieses ganze Arsenal des Skepticismus wird gegen die
menschliche Vernunft verwendet. Nach diesem Ruin jeder Gewissheit versucht der
*) Diesen Namen gebe ich dieser Schule, die im Verlaufe der Zeit verschieden
bezeichnet worden ist (als eklektische, als spiritualistiscbe Schule). Der Name,
den ich vorschlage, scheint mir der zutreffendste zu sein. Janet
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§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien.
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Abt von Lamcnnais das von ihm Zerstörte auf Grund eines neuen Kriteriums,
nämlich des „consentement universeP wiederaufzubauen und so die Gültigkeit des
Gottesglaubens, der Offenbarung, des Katholicismus darzuthun.
•Joseph de Maistrc (1753—1821) ist der Begründer des heutigen Cltramon-
tauismus. Sein Buch über den l'apst ist gewissermaassen das Evangelium desselben.
Er berührt das Gebiet der Philosophie in seinen Soirees de St. Pctersbourg (Paris
1821), wo er von der zeitlichen Herrschaft der Vorsehung in den menschlichen An-
gelegenheiten handelt. Sehr durchdrungen von der theologischen Idee der Erb-
sünde, neigt er duhin, in dem Uebel nur Sühne und Züchtigung zu sehen. .Daher
der grausame Charakter seiner Philosophie, seiner Rechtfertigung der Todesstrafe,
des Krieges, der Inquisition etc. Er war nicht ohne einen Auflug von Illuminis-
mus und träumte eine umfassende Erneuerung der Religion ; daraus erklärt sich,
dass die Saint-Simonisten häufig seinen Namen anführen und sich auf ihn berufen.
Die psychologische Schule hat folgende Eigentümlichkeiten: 1. dass sie
vollkommen unabhängig von der (positiven) Theologie ist, 2. dass sie in der
Psychologie die Principien aller Philosophie sucht, 3. dass sie die von Cartesius
überlieferte idealistische und spiritualistische Richtung erneuert. Ihre vorzüglichsten
Vertreter sind: Royer-Collard, Maine de Biran, Cousin und Th. Jouffroy.
Royer-Collard (1763—1845) hat auf dem Gebiet der Politik grössere Bedeutung
als auf dem der Philosophie. Er hat die schottische Philosophie in Frankreich ein-
geführt. Er legt, wie Reid, das grösste Gewicht auf den Unterschied zwischen Sinnes-
empfindung und Perception, auf die Principien der Causalität und der Imluction. Das
Interessanteste bei ihm ist die Analyse des Begriffs der Dauer. Die Dauer wird nach
ihm nicht in den Objecten percipirt; sie liegt nur in uns. Sic unterscheidet sich von
der Zeitfolge; diese begründet nicht den Begriff der Dauer, sondern hat vielmehr
denselben zur Voraussetzung. Der Begriff der Dauer entspringt nur aus der Empfiudung
unserer beständigen Identität, welche aus der Continuität unseres Handelns hervor-
geht. (Fragmeus de Royer-Collard in Th. Jouffroys Uebereetzung der Werke Reids.)
Maine de Biran (1766—1824), den Cousin als den ersten französischen Meta-
physiker des neunzehnten Jahrhunderts proclamirt hat, ist durch drei verschiedene
philosophische Doctrinen hindurchgegangen oder richtiger: durch drei verschiedene
Stadien einer und derselben philosophischen Entwickelung.
Den Charakter der ersten Periode bezeichnet das Werk Memoire sur l'habitude
(1803). In diesem Werke gehört Maine de Biran noch der ideologischen oder con-
dillacschen Schule an oder glaubt doch, derselben noch anzugehören, während er
in der That sich bereits von ihr entfernt. Indem er die von Tracy schon aufgestellte
Ansicht entwickelt, dass in der freiwilligen Bewegung der Ursprung unserer Vor-
stellung von Dingen ausser uns liege, gründet er auf dieses Princip die in der reidschen
Schale bo unbestimmt gebliebene Unterscheidung der Sinnesempfindung und Per-
ception. Die erstcre ist die blosse, durch die äusseren Ursachen hervorgerufene
Affection; die Perception dagegen ist das Ergebniss unserer freiwilligen Activität.
Maine de Biran zeigt uns, wie diese beiden Vorgänge bei einem jeden unserer Sinne
in verschiedenem Verhältnias sich mit einander verbinden, indem die Perception
sieb stets an die Beweglichkeit des Organes knüpft. Die Perception ist also nicht
eine umgebildete Sinnesempfindung. Von diesem Unterschied hängt auch der
zwischen der Einbildungskraft und dem Gedächtniss ab. Ferner unterscheidet Biran
zwei Classeu von Gewohnheiten, nämlich active und passive Gewohnheiten. Endlich
entwickelt er folgendes Grundgesetz der Gewöhnung, .dass sie die Sinnesempfindung
schwäche und die Perception verstärke*".
In der zweiten Periode begründet und entwickelt Biran seine eigene Philo-
sophie. Der Grundgedanke dieser Philosophie ist, dass der Gesichtspunkt eines
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§ 46. Philosophie in Frankreich and Belgien.
sich selbst' erkennender) Wesens dem Gesichtspunkte einer äosserlich and gegen-
ständlich erkannten Sache nicht gleichgesetzt werden dürfe. Der Gruudirrthum der
Sensualisten bestand darin, dass sie sich die inneren Ursachen, die psychischen
Kräfte, nach dem Vorbilde der äusseren und gegenständlichen Ursachen vorstellten.
Da diese letzteren aber nicht an sich bekannt sind, so sind sie nur verborgene
Eigenschaften, abstracto Namen, welche Gruppen von Erscheinungen repräsentiren ;
sie lassen sich auf einander reduciren in dem Maasse, wie man zwischen diesen
Gruppen neue Aehnlichkeiten entdeckt. Attraction, Affinität, Elektricität sind nur
Namen; also müssen den Sensualisten Empfindungsfähigkeit, Verstand, Wille und
im Allgemeinen die subjective Ursächlichkeit für blosse Abstractioneu gelten.
Aber, wirft Biran ihnen ein, darf denn das Wesen, welches sich seines Handelns
bewusst und Zeuge seiner eigenen Activität ist, sich wie ein äusseres Object be-
handeln? Zwar ist die Seele, im Absoluten betrachtet, uns unerfasslich , ein X.
Aber zwischen dem Gesichtspunkte der reinen Metaphysiker, die Bich ins Absolute
versetzen, und dem der blossen Empiristen, die nichts als Erscheinungen und Ver-
bindungen von Sinneswahrnehmungen erblicken, liegt in der Mitt« der Gesichtspunkt
der Reflexion auf unser Inneres, wodurch das Einzelsubject sich als solches empfindet
und sich demgemäss von den verborgenen Ursachen unterscheidet, die wir ausser
uns voraussetzen, zugleich unterscheidet es sich auch von allen seinen Modis, an-
statt sich in dieselben aufzulösen, wie dies Condillac wollte, der in dem Ich nur
einen Complex oder eine Aufeinanderfolge von Sinnesempfindungen sah. Die erste
Thatsache des Bewusstseins ist die gewollte Anstrengung, worin ein Zweifaches
untrennbar vereinigt liegt: Wille und Widerstand (und zwar Widerstand des eigenen,
nicht des fremden Körpers). Vermittelst des Widerstandes empfindet sich das Ich
als begrenzt und gewinnt dadurch das Selbstbewusstsein, während es zugleich mit
Nothwendigkeit ein Nicht- Ich erkennt. Durch das innere Bewusstsein und seine
Thätigkeit erlangt das Ich den Begriff der Ursache, der weder angeboren, noch
eine blosse Gewohnheit, noch eine Form a priori ist Biran unterscheidet mit Kant
Materie und Form in der Erkenntuiss. Aber die Form besteht nicht in leeren und
hohlen Kategorien, die vor aller Erfahrung vorhanden wären. Die Kategorien sind
nur die verschiedenen Gesichtspunkte in der inneren Erfahrung, in der Reflexion.
Die Materie der Erkenntniss ist durch das Widerstandleistende gegeben, welches
die Verschiedenheit und die Localisation liefert. Es giebt nach Biran auch einen
inneren Raum, der von dem äusseren und gegenständlichen Räume verschieden ist;
dieser ist der unmittelbare Ort des Ich, der durch die Verschiedenheit der Funkte
des Widerstandes gebildet wird, den die verschiedenen Organe dem Willensact
entgegensetzen. Der diese gesammte Philosophie Birans beherrschende Gesichtspunkt
iBt der der Persönlichkeit. Die hauptsächlichsten Schriften dieser zweiten Periode
sind: Rapports du physique et du moral (verfasst 1811 u. gekrönt durch die Akade-
mie zu Kopenhagen, jedoch erst 1834, nach dem Tode des Verfassers, durch Cousin
veröffentlicht) und besonders Essai sur los fondemens de la Psychologie (veröffent-
licht durch Naville im Jahre 1859).
Die dritte Periode Birans ist unvollendet gebliebeu, und seine letzte Philo-
sophie ist nur skizzirt. Von der stoischen Betrachtungsweise, welche seine zweite
Periode charakterisirt, ist er zu einer mystisch - christlichen übergegangen. In
seinem letzten unvollendet gebliebenen Werke, der Anthropologie, unterscheidet er
in dem Menschen drei Arten des Lebens: die Sinnesempfindung als das animalische,
den Willen als das menschliche, die Liebe als das göttliche Leben. Die Persön-
lichkeit, die ihm früher als die höchste Stufe des menschlichen Lebens galt, ist nur
noch eine Uebergangsstufe zu einer noch höheren Stufe, auf welcher sie sich verlieren
und aufheben wird in Gott Birans W. bestehen aus vier von Cousin 1840 und drei
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§ 46 Philosophie In Frankreich und Belgien.
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von E. Naville 1859 veröffentlichten Bndn. S. auch E. Naville, M. d B., sa vie
et s. pensees, 3. 6d., Par. 1877.
Victor Cousin (1792—1867), ein Schüler von Rover -Collard und Maine de
Biran, gründete selbst eine Schule, welche die eklektische genannt worden ist. Der
Leibniz entlehnte Grundsatz war: die Systeme sind wahr in dem, was sie behaupten,
falsch in dem, was sie leugnen. Da Cousin dem, was man früher bereits gefanden
hatte, einen grossen Werth beilegte, so musste er viel auf die Erforschung der Ge-
schichte der Philosophie halten, deren wahrer Begründer in Frankreich er ist,
wennschon man de Gerando nicht vergessen darf. Cousin theilte die Systeme nach
vier Hauptrichtungen ein: Idealismus, Sensualismus, Skepticismus, Mysticismus.
Wie sehr er auch den Eklekticismus empfahl, so suchte er doch aus dem Studium
der Systeme eine persönliche Ueberzeugung zu gewinnen. Sein Bemühen war
hauptsächlich darauf gerichtet, eine Mitte zwischen Schottland, welches mit Hume,
Brown und Hamilton alle Metaphysik negirte, und Deutschland, welches eine
Metaphysik a priori auf den Begriff des Absoluten gründete, zn gewinnen. Er
glaubte, dass es eiuen Mittelweg gebe, nämlich die Begründung der Metaphysik auf
die Psychologie. In der Psychologie bediente er sich der Argumente Kants gegen
den loekeschen Empirismus. Um aber dem kantischen Subjectivismus zu entgehen,
stellte er selbst die Theorie der unpersönlichen Vernunft auf. Er hielt dafür, die
Vernunft sei subjectiv nur im Zustande der Reflexion ; im spontanen Zustande aber
ergreife sie unmittelbar das Absolute, indem sie mit ihm zusammenfliesse. Alle
Subjectivität erlischt in dem unmittelbaren spontanen Acte der reinen Vernunft.
Diese Theorie erinnerte an die schellingsche der intellectuellen Anschauung, suchte
sich aber von dieser dadurch zu unterscheiden, dass sie immer den psychologischen
Ausgangspunkt festhielt. Doch war Cousin damals auf der Bahn des absoluten
Idealismus. Er ging auf dieser Bahn noch weiter in seinen Vorlesungen aus dem
Jahre 1828, worin sich augenscheinlich der Einfluss Hegels bekundet, mit dem er
in Deutschland vielen Verkehr gehabt hatte und dessen Namen er zuerst in Frank-
reich nannte. In diesem Lehrgang führt er alles Wissen auf die Ideen zurück, aus
denen nach ihm alles zu begreifen ist. Es giebt drei fundamentale Ideen: das
Unendliche, das Endliche und die Beziehung zwischen Unendlichem und Endlichem.
Diese drei Ideen finden sich überall wieder vor; sie sind von einander untrennbar;
ein Gott ohne Welt ist ebenso unbegreiflich, wie eine Welt ohne Gott Die
Schöpfung ist nicht nur möglich, sondern nothwendig. Die Geschichte ist nur die
Entwickelung der Ideen. Ein Volk, ein Jahrhundert, ein grosser Mann sind die
Offenbarung einer Idee. Der Lehrgang von 1828 ist der Culminationspunkt der
speculativen Forschung Cousins gewesen. Seit dieser Zeit hat er sich von dem
deutschen Idealismus entfernt und seine Philosophie in einem cartesianischen Sinne
neugegründet, indem er stets die psychologische Methode als Basis der Philosophie
festhielt. Dies ist der Charakter seines Buches: Le Vrai, le Beau et le Bien
(Lehrgang von 1817, umgearbeitet und veröffentlicht 1845, 17. Ausg. 1872), eines
Werkes, das besonders in dem ästhetischen Abschnitt eine grosse Beredtsamkeit
bekundet. Von nun an war ihm die Philosophie mehr ein Kampf gegen die
schlechten Doctrinen, als eine reine Wissenschaft. Er empfahl die Allianz mit
der Religion und räumte mehr und mehr dem „sens commun" ein. Mit einem
Wort: er kehrte von Deutschland nach Schottland zurück. Im Allgemeinen erklärt
sich die grosse Bedeutung Cousins in Frankreich und selbst in Europa weniger
aus Beiner philosophischen, als ans Beiner hervorragenden persönlichen Eigentüm-
lichkeit, aus seinem Einfluss auf eine sehr grosse Zahl von Geistern, aus seiner
unbegrenzten und allseitigen Forechbegier. Zudem Bind seine Arbeiten über die
Geschichte der Philosophie und insbesondere über das Mittelalter sehr verdienstlich
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§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien.
gewesen. — Cousins philosophische Werke bestehen hauptsächlich aus seinem
Cours, 2 seiies, 1815—20 und 1828—30, und seinen Fragments philosophiques,
5 vol. in 8°, 5. Au8. 1866.
Theodore Jouffroy (1796 — 1842), der berühmteste unter CousinB Schülern,
unterschied sich von seinem Lehrer durch einen Sinn für Methode und Genauigkeit,
der diesem niemals eigen gewesen war. Jouffroy ist niemals von dem psychologi-
schen Gesichtspunkte abgegangen, und seine vorzüglichste I^eistung bestand darin,
mit grosser Kraft den in der Schule von Cabanis und Broussais verwischten
Unterschied zwischen Physiologie und Psychologie aufrechtzuerhalten. Er hat die
psychologische Methode vorzüglich auf die Aesthetik und Moral angewandt. In
der Aesthetik kam er zu dem Resultate, das Schöne sei der Ausdruck des Unsicht-
baren durch das Sichtbare; in der Moral behauptet er, das Gute Bei die Neben-
und Unterordnung der Zwecke. — Jouffroys Hauptwerke sind: seine Vorrede zu
der Uebersetzung der moral. Skizzen Dug. Stewarts, 1826, und der Werke Reids,
1835; Melangen philosophiques, Par. 1833—1842, 3. ed. par Th. Damiron, 1872;
Cours d'esthetique, 1843, 3. ed. par Th. Damiron 1H75; Cours de droit naturel.
Par. 1834-1835.
Vielfacher Widerspruch ward gegen die cousinsche Philosophie erhoben, die
seit 1830 fast ausschliesslich im öffentlichen Unterricht galt. Ohne von den noch
lebenden Schriftstellern zu reden, wollen wir nur zwei Männer nennen, die neue philo-
sophische Schulen zu gründen versucht haben: Lamennais und Aug. Comte.
Lamennais (s. oben). Nachdem dieser Philo?oph, den wir schon oben unter
dem Namen Abt de Lamennais erwähnt haben, mit der Kirche durch die berühmte
Schrift rParoles d'un croyant* gebrochen hatte, versuchte er, eine neue rein rationelle
Philosophie zu begründen. Diese Lehre, enthalten in .Esquisse d'une philosophie*"
(1841-46, auch ins Deutsche übersetzt), ist vielleicht die umfassendste Synthese, die
in Frankreich im neunzehnten Jahrhundert unternommen worden ist. Aber sie
blieb ein individueller und isolirter Versuch und fand ungeachtet ihres Werthes
keinen Adepten. Lamennais geht, im Gegensatz zur psychologischen Schule, von
dem Sein überhaupt aus und betrachtet als eine ursprüngliche Thatsache das
Zusammenbestehen der beiden Formen des Seins: Unendliches und Endliches, die
sich nicht aus einander ableiten lassen. Gott und das Universum sind unbeweisbar.
Das Ziel der Philosophie ist nicht, sie zu beweisen, sondern sie zu erkennen.
Gott oder die Substanz wird durch drei fundamentale Eigenschaften gebildet, deren
jede das ganze Sein ist und die sich dennoch von einander unterscheiden, so dass
das Dogma von dem dreipersönlichen Gott philosophisch wahr ist. Es giebt zudem
In Gott ein Princip des Unterschieds, ro 'irepov, wie Piaton sagen würde, welches
ihm möglich macht, zugleich einheitlich und vielfach zu sein. Lamennais versucht,
die drei wesentlichen Eigenschaften Gottes a priori zu deduciren. Um zu sein,
sagt er, muss man zu sein vermögen, daher die Macht. Ausserdem muss man etwas
Bestimmtes sein, eine Form haben, mit Einem Wort, intelligibel sein. Im Absoluten
aber unterscheidet sich das Intelligible nicht von der Intelligenz. Endlich bedarf
es eines Einheitsprincips, welches die Liebe ist. Die Macht ist der Vater, die
durch die Macht erzeugte Intelligenz ist der Sohn, die Liebe ist der Geist. Die
Schöpfung ist die Verwirklichung der göttlichen Ideen ausser Gott. Dieselbe ist
weder eine Emanation, noch eine Schöpfung aus nichts. Sie ist eine Participation.
Gott zieht alle Wesen aus der Substanz, und man kann nicht voraussetzen, dass
es darin etwas ausser der Substanz geben könne; aber dies ist nicht eine not-
wendige Emanatiou, sondern ein freier Act des Willens. In dem geschaffenen
Universum muss man die Materie und die Körper unterscheiden. Die Materie ist
nur die Grenze; sie ist das göttliche Princip des Unterschiedes, äusserlich ver-
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§46. Philosophie in Frankreich und Belgien. 511
wirklicht. Alles Positive in den Körpern ist Geist Der Geist aber ist gerade
darum, weil er geschaffen ist, begrenzt. Was blosser Unterschied ist, wird in der
Wirklichkeit ein wahres Hinderniss. Die Materie ist jedoch nicht ein Nichtsein,
sondern eine thatsächliche, an sich unbegreifliche Realität, die sich uns nur als
Schranke des Geistes bekundet Darum ist ein jedes geschaffene Wesen zugleich
Geist und Materie; nur Gott i»t schlechthin immateriell. Ebenso wie das Universum
Gott von Seiteu der Substanz als Geist, von Seiten der Begrenzung als Materie
darstellt, stellt es ihn auch nach seiner dreifachen Persönlichkeit dar. Die drei
göttlichen Personen, die sich im Menschen psychologisch, physisch aber in der
Klektricität, dem Licht und der Wärme bekunden, offenbaren sich auf allen Stufen
des Daseins zuerst unter den unentwickeltsten, dann unter immer reicheren Formen,
indem sie stets vom Einfachen zum Zusammengesetzten fortgehen. I^amennais hat
also auf die Natur das Entwickelungsprincip angewandt und hierdurch nähert sich
seine Philosophie der schellingschen an.
August Comte war geboren in Montpellier d. 19. Jan. 1798; gebildet da-
selbst auf dem Lyceum und der Ecole polytechniqne, ging er 1816 nach Paris und
gab hier Privatstunden in der Mathematik, 1818 wurde er mit St. Simon bekannt,
mit dem er sich jedoch später entzweite. 1826 kündigte er Vorträge über sein
System an, welchen u. A. A. v. Humboldt, de Blainville beiwohnten. In Folge
übermässiger Arbeit wurde er geistig gestört, so dass er in eine Irrenanstalt
gebracht werden musste, auch den Versuch machte, sich ums Leben zu bringen.
Geheilt, nahm er 1828 seine Vorlesungen wieder auf. 1833 erhielt er eine Lehrer-
stelle an der polytechnischen Schule zu Paris, verlor dieselbe aber nach Ver-
öffentlichung seines Hnuptweikes und wurde nun bis zum Ende seines Lebens von
seinen Freunden und Schülern unterstützt. Von seiner Frau getrennt lernte er
1845 Clotilde de Vaux kennen, die von ihrem Manne separirt war. Für diese
zeigte er eine geradezu abgöttische und zugleich mystische Verehrung, die sich
auch nach ihrem bald erfolgten Tode bei ihm erhielt. 1857 d 5. Sept. starb er in
Paris. Von seinen Anhängern wurde er fast wie ein Heiliger angesehen. Er ist
der Gründer der positivistischen Schule und glaubte selbst, dass man mit der
positiven Philosophie an dent höchsten erreichbaren Ziel angelangt sei. Die
I^ehre C'omtes, theils ans den mathematischen und positiven Wissenschaften,
theils aus dem St. Simouismus hervorgegangen, ist eine Verbindung von Empirismus
und Socialismus, wobei der wissenschaftliche Gesichtspunkt mehr und mehr über
den socialistischen gesiegt hat. Der Positivismus hat, wie jede Doctrin, zwei Theile,
eine pars destrueus und eine pars construens. Die erstere besteht in der Negation
jeder Metaphysik, jeder Erforschung der ersten Ursachen und der Zwecknrsachen.
Die beiden Enden der Dinge sind uns unzugänglich; die Mitte allein gehört uns.
In jenen unlösbaren Fragen ist man seit dem ersten Tage nicht um einen Schritt
vorwärts gelangt. Der Positivismus verwirft alle metaphysischen Hypothesen.
Freilich nimmt er auch nicht Hypothesen in den Naturwissenschaften an, z B.
nicht den Lichtäther, die Ableitung der Wärme etc. Er erkennt den Atheismus
ebensowenig wie den Theismus an: der Atheist ist immer noch ein Theolog. Er
erkennt auch nicht den Pantheismus als zu Recht bestehend an, der ihm nur eine
Form des Atheismus ist Der Kampf zwischen der Transscendenz und Immanenz
naht sich seinem Ende. Die Transscendenz ist die Theologie oder die Metaphysik,
die das Uuiversum durch Ursachen, welche ausser ihm liegen, erklärt Die Immanenz
ist die Wissenschaft, die das Universum durch Ursachen, welche in ihm liegen,
erklärt Der fundamentale Charakter der positiven Philosophie besteht darin, dass
sie alle Phänomene als nothwendige Folgen unabänderlicher Naturgesetze be-
trachtet, die zu entdecken und auf die möglichst geringe Zahl zurückzuführen, der
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§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien.
Zweck des Positivismus ist, während die Untersuchungen über das, was man Anfangs-
oder Endursachen nennt, ganz unausführbar und sinnlos sein sollen; z. B. die Vor-
gänge im Universum werden durch das newtonsche Gravitationsgesetz erklärt, weil
diese Theorie die grosse Verschiedenheit der astronomischen Thatsachen als eine
und dieselbe Thatsache zeigt, nur von verschiedenen Gesichtspunkten aus angesehen,
und andererseits sie als eine einfache Verallgemeinerung einer Erscheinung sich
darstellt, die äusserst gewöhnlich ist und deshalb als erkannt betrachtet wird,
nämlich der Schwere der Körper an der Oberfläche der Erde. Unmöglich ist es
aber, Attraction und Schwere ihrem Wesen und ihren Ursachen nach zu ergründen;
das sind Fragen, welche den Einbildungen der Theologen und den Spitzfindigkeiten
der Metaphysiker überlassen werden müssen. Beweis dafür ist die Thatsache, dass
so oft sich Denker mit ihnen abmühten, sie doch nur das eine Princip auf das
andere zurückgeführt haben.
In der pars construens besteht der Positivismus kaum aus mehr als zwei
Gedanken: 1. einer gewissen geschichtlichen Annahme, 2. einer gewissen
Anordnung der Wissenschaften. Allerdings will Comte ein Werk über
positive Philosophie und nicht über positive Wissenschaften liefern. Es ist
nämlich nach ihm bei der Scheidung der einzelnen Wissenschaften und bei der
Concentration der geistigen Kräfte eines Menschen auf ein enges Gebiet die Gefahr
da, dass eine Isolirung der Wissenschaften eintritt, dass keine derselben auf die
andere Rücksicht nimmt. Um dem vorzubeugen, ist es nöthig, die allgemeinen
Grundsätze der verschiedenen Wissenschaften zu bearbeiten, jede neue Entdeckung
mit dem allgemeinen System zu verbinden. Dies muss ein besonderes Studium
ausmachen. Es ist eine neue Classe von Gelehrten nöthig, die sich nicht auf die
Pflege einer einzelnen Wissenschaft beschränkt, sondern die Eigentümlichkeit einer
jeden nur betrachtet, um ihre Principien aufzufinden und sie auf die geringste Zahl
zu reduciren. Dies sind die Philosophen. Freilich müssen die Gelehrten der be-
sonderen Wissenschaften mit dieser allgemeinen Wissenschaft sich auch beschäftigt
haben, um von ihr den nöthigen Vortheil zu ziehen.
Die geschichtliche Annahme ist die, dass der menschliche Geist nothwendig
durch drei Stadien hindurchgeht, das theo logische, metaphysische, positive.
Im ersten erklärt der Mensch die Naturerscheinungen durch übernatürliche Ursachen,
durch persönliches oder willkürliches Eingreifen, durch Wunder etc. In der zweiten
Periode ersetzt man die übernatürlichen und menschenähnlichen Ursachen durch
abstracte, verborgene Ursachen, scholastische Wesenheiten, realisirte Abstractionen,
und man erklärt die Natur a priori; man sucht sie subjectiv zu construiren. In
dem dritten Stadium begnügt man sich, Verbindungen der Erscheinungen durch
Beobachtungen festzustellen und durch Experimente hervorzurufen in der Weise,
dass man jede Thatsache mit den ihr vorausgehenden Bedingungen verknüpft. Diese
Methode hat die heutige Wissenschaft begründet und muss die Metaphysik ersetzen.
In dem Maasse, wie jede Frage der Experimentation fähig wird, geht sie aus dem
Gebiete der Metaphysik in das der positiven Wissenschaft über. Alles, was nicht
der experimentellen Bewahrheitung fähig ist, muss streng von der Wissenschaft
ausgeschlossen werden.
Nicht nur die Menschheit durchläuft diese drei Stadien, sondern auch das
einzelne Individuum; nur kann diesem durch den anleitenden Unterricht Anderer
der Weg sehr abgekürzt werden. Ebenso macht jede einzelne Wissenschaft die
drei Stadien durch; es ist keineswegs so, dass sich die Menschheit zu einem be-
stimmten Zeitpunkt in allen Wissenschaften auf der theologischen oder meta-
physischen Stufe befunden hätte; die eine Wissenschaft geht rascher als die andere
vorwärts.
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§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien.
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Der zweite Gedanke des Positivismus ist die Eintheilung nnd Anordnung
der Wissenschaften.
Die Wissenschaften sollen nicht etwa auf ihren praktischen Nutzen hin und
wegen desselben getrieben werden. Es entsteht allerdings aus ihnen die Vor-
aussicht und aus der Voraussicht das Handeln, aber sie haben eine erhabenere
Bestimmung; sie sollen das fundamentale Bedurfniss unserer Intelligenz, die Gesetze
der Erscheinungen zu erkennen, die Thateachen in eine leicht zu begreifende
Ordnung zu bringen, befriedigen. Demnach ist von der positiven Philosophie das
praktische Wissen zu trennen. Man muss aber auch bei den rein theoretischen
Wissenschaften zwei Gattungen unterscheiden; die eine ist allgemein und abstract,
beschäftigt Bich nur reit dem Auffinden von Gesetzen, unter welche mehrere Classen
von Vorgängen fallen. Die andere ist beschreibend, concret, geht auf das Besondere;
sie wird mit den Namen der einzelnen Naturwissenschaften öfter bezeichnet. Comte
hat es nur mit den Wissenschaften der ersten Art zuthun, zu denen z. B. die Biologie
gehört, die nur die allgemeinen Gesetze alles Lebens erforscht, während Zoologie,
Botanik die besondere Lebensweise einzelner lebender Körper festeteilen. Die
zweite Ciasse hat die erstere immer zu ihrer Grundlage.
Die Theorie der Anordnung besteht in dem Fortgang vom Einfachen zum
Zusammengesetzten. Die Basis bildet die Mathematik; dann folgt die Astro-
nomie, die Physik, die Chemie, die Biologie und dieSocietätswissenschaft.
Man erkennt leicht, dass Comte auf die letzte, die im 4. bis 6. Bande seines
Hauptwerkes abgehandelt wird, ganz besonderen Nachdruck legt Während die
übrigen Wissenschaften schon in das positive Stadium eingetreten sind, wenn sie
auch noch nicht das metaphysische ganz überwunden haben, ist die Societätslehre noch
nicht so weit vorgeschritten. Bei ihr ist die theologische und metaphysische Methode
noch durchaus im Gebrauch. Es muss nun für einen Hauptvorzug der ganzen positiven
Philosophie gelten, dass sie als eine feste Grundlage für die Umgestaltung der
bürgerlichen Gesellschaft betrachtet werden kann. Die grosse politische Erschütterung
der Gesellschaft ist Folge der geistigen Anarchie. So lange die Meinungen der
Einzelnen nicht eine grössere Anzahl von Gedanken als ganz sichere haben, welche
eine gemeinsame Societätewissenschaft begründen können, bleibt der Zustand der
Nationen ein revolutionärer und nur vorläufiger. Wenn aber die Geister in den
Principien sich vereinigen, werden sich auch die Einrichtungen ohne Schwierigkeit
daraus ergeben. Comte bezeichnet es als den Hauptzweck seines Werkes neben
der Auffindung der allgemeinen Gesetze, eine Societätslehre auf positiver Grund-
lage zu schaffen. Die Societätewissenschaft untersucht die Gesetze der menschlichen
Gesellschaft. Die sociale Statik hat es mit den allgemeinen Bedingungen der
socialen Existenz, betreffend das Individuum, die Familie und die Gesellschaft, im
eigentlichen Sinne zu thun. Das Individuum wird zur Gesellschaft getrieben, nicht
durch Nützlichkeiterücksichten , sondern durch den Geselligkeitetrieb. Die sociale
Dynamik beschäftigt sich mit den allgemeinen Gesetzen der socialen Entwickelung.
Comte giebt hier eine Art geistreicher und scharfsinniger Philosophie der Geschichte,
wobei die drei Stadien für die intellectuelle Entwickelung die Hauptrolle spielen.
Auf praktischem Gebiet ist der Hauptfortschritt der vom kriegerischen zum
industriellen Leben. Die Entwickelung des Menschen ist eine krumme Linie, die
Bich der geraden unendlich nähern kann, aber sie nie erreicht.
Dies sind die sechs fundamentalen Wissenschaften, deren jede eine noth-
wendige Vorstufe für die folgende ausmacht. Die Societätewissenschaft ist unmöglich
ohne die Wissenschaft vom Leben, diese ohne die Chemie, die Chemie ihrerseits
setzt die Physik, diese die Astronomie, man weiss freilich nicht recht, warum,
und die Mathematik voraus. Die Geschichte rechtfertigt gleichfalls diese durch die
Ueberweg-Heinze, Grundru« III. 7. Anfl. oo
514
§ 46. Philosophie in Frankreich and Belgien.
Logik bezeichnete Ordnung. Man sieht, dass die positivistischen Theorien haupt-
sächlich auf Gesichtspunkte der Methode and Classification hinauslaufen. Man darf
keine Metaphysik von dieser Schule fordern, welche die Möglichkeit derselben aus-
drücklich verneint. Ihre Psychologie ist ein Tbeil der Physiologie.
Die innere Beobachtung verwirft Comte vollständig, da sich der Einzelne
während seines Denkens nicht in zwei Persönlichkeiten theilen könne, von denen die
eine denke, während die andere beobachte. Das beobachtende Organ wäre in diesem
Falle mit dem beobachteten dasselbe; und hiermit schon soll die psychologische
Methode ihrem Priucip nach fallen. Die geistigen Functionen können nur erforscht
werden in Bezog auf das Organ, das sie ausführt — damit hat es die Phrenologie
zu thun — und auf die Phänomene ihrer Vollziehung — damit hat es die Natur-
geschichte des Menschen zu thun, freilich diese nicht unmittelbar mit der Ausführung,
sondern nur mit den Resultaten derselben. — In der Phrenologie erkennt Comte
die grossen Verdienste Galls an, dessen Princip er adoptirt. Freilich ist hiermit
Comtes Philosophie eigentlich schon kritisirt.
Die Moral hat nichts Originelles; die Hauptsache ist, dass die Lehre des
persönlichen Interesses verworfen und der Altruismus an deren Stelle gesetzt wird.
Eine eigentliche Logik findet sich bei Comte ebensowenig wie eine Aesthetik, sowie
man auch eine Untersuchung darüber vermisst, weshalb wir auf Phänomene oder
Positives mit unserer Erkenntniss eingeschränkt sind, so dass seine Philosophie
höchst unvollständig bleibt.
Nicht unerwähnt darf bleiben, dass Comte in einem Abschnitt seines Lebens,
den man die subjective Periode nennt, zu einer religiösen Anschauung und zu
einem wirklichen Cultus, dessen Gegenstand die Menschheit ist, gelangt war. .
Nach dem Tode von Clotilde de Vaux nämlich veränderte er seine Philosophie
in Religion und stiftete einen Cultus des „grossen Wesens" nämlich der Menschheit.
Diesem Cultus sollte man sich zwei Stunden jeden Tag im Gebete, d. h. in Aus-
strömung der Gefühle, widmen, und Comte setzte neun Sacramente ein, und 84 Feste
sollten gefeiert werden. Die Ansichten aus dieser seiner subjectiven Periode sind
niedergelegt in: Systeme de politique positive ou traite de sociologie instituaut la
religion d'humanite, Par. 1851—1854, und in seinem Catechisme positiviste, dem
sich ein Ileiligenkalender, Calendrier positiviste, 1842, anschloss.
Dieser Theil seiner Philosophie ist durch den bedeutendsten seiner Schüler, Littr£,
verworfen worden, der seit 1867 eine vollständige Ausgabe der Werke Comtes ver-
öffentlicht hat. Das wichtigste dieser Werke ist der „Cours de philosophie positive*,
6 Bde., Paris 1839.
Im Grunde positivistische Anschauung hatte schon vor Comte die auf dem Ge-
biete der mathematischen Wissenschaften rühmlichst bekannte Sophie Germain
1776 — 1831, Considerations generale« sur l'etat des sciences et des lettres aux diffe-
rentes epoques de leur culture, oeuvre posthume — publice par L'IIerbette, Par. 1833.
Oeuvres philos. de S. G. suivies de pensees et de lettres inedites et pr6ced6es d'une
notice sur sa vie et ses oeuvres par H. Stupuy, Par. 1879. Vgl. Hugo Göring,
S. G., die Vorläuferin Comtes, in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr. 91, 1887, S. 1—25, 171—185.
Ausser dem oben genannten Jouflfroy gehören zu Cousins Schülern Francisque
Boui liier, der sich durch seine umfassende und genaue Darstellung der Geschichte
des Cartesianismus verdient gemacht hat; seine anderen wichtigeren Schriften sind:
Theorie de la raison impersounelle (1844), de l'unite de l'äme pensante et du prin-
cipe vital (1858), le principe vital et l'äme pensante (1862 , 2. edit. 1873), de la
conscience en psychol. et en morale (1872), du plaisir et de la douleur, Paris 1877 ;
J. E. AI aux, l'analyse metaphysique. Methode pour constitucr la phil. premiere,
Paris 1872. Andere, wie Ravaisson (s. E. Danriar, H. R. philosophe et critique,
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§ 46. Philosophie in Frankreich und Belgien.
515
in: La crit. philos., nouv. s., I, 17, 1885, S. 34—55), Haureau, Remusat, Da-
miron, Saisset, Janet, J. Simon, sind durch Cousin besonders zu kritischen
Studien auf dem Gebiete der Geschichte der Philosophie angeregt worden. Emile
Saisset, der Uebersetzer des Spinoza, hat auch einen Essai de philos. religieuse,
Paris 1859, ferner: le scepticisme, Aenesidcme, Pascal, Kant, Paris 1865, 2. ed.
Paris 1867, erscheinen lassen. Paul Janet hat den büchnerschen Materialismus
einer Kritik unterworfen: le materialisme contemporain en Alleraagne (bildet einen
Theil der Bibliotheque de phil. contemporaine) , Paris 1864, engl, von G. Masson,
London 1866, deutsch von K. A. v. Reichlin - Meldegg m. einem Vorwort von
I. Herrn. Fichte, Paris und Lpzg. 1866), auch eine philosophie du bonheur, Paris
1862, 3. edit. 1868, verfasst, ferner: la famille, lecons de phil. morale, 1855, 6. ed.
1865; la crise pbilosophique: Taine, Renan, Littre et Vacherot, 1865; le cerveau
et la pensee, Paris 1867; Elements de morale 1869; Hist. de la science politique
dans ses rapporta avec la morale, 3. ed., Paris 1887 (1. ed. u. and. Tit. 1858); les
problemes du XJX. siecle 1872, 2. ed. 1873; la morale, 1874; Philosophie de la
revolution francaise, Paris 1875 u. oft., les causes finales, Paris 1877. E. Caro,
der über Goethes Philosophie geschrieben hat, hat auch verfasst: le materialisme
et la science, Paris 1867; vgl. Caros Vortrag: la finalite instinctive daus la nature,
in der Zeitschrift: Annuaire philosophique, herausg. von L. A. Martin, Paris 1869,
S. 253—262. Um die Kenntniss der Geschichte der alten Philosophie haben sich
Ravaisson, Thurot und Jules Simon (der auch le devoir, Paris 1854, la religion
naturelle, 1856, la liberte de conscience, 1857, und Anderes geschrieben hat), um
die Geschichte der mittelalterlichen Philosophie R6musat und Haureau, um die der
neueren unter Anderen Damiron und Chr. Bartholmess (1818— 1856) verdient ge-
macht. Ausser den früher citirten Schriften des Letzteren sei hier noch erwähnt
die im theistischen Sinne verfasste Histoire critique des doctrines religieuses de la
philosophie moderne, Strassb. 1855. Von dem um die Erklärung des plat. Timaeus
verdienten Th. H. M artin ist die Schrift: les Bciences et la philosophie, Paris 1869,
verfasst worden.
Besonders durch den kantischen Kriticismus ist der Standpunkt von Charles
Renouvier bedingt, Essai de critique generale, Paris 1854, Science de la morale,
St. Cloud 1869: unter seiner Direction und in seinem Geiste wirkt seit 1872 die
Wochenschrift: la Critique philosophique, politique, scientifique, litteraire. Pierre
Leroux, der eine Refutation de l'eclecticisme , Paris 1839 und eine Schrift: de
Thumanite, Paris 1840, verfasst hat, hat (wie auch Proudhon, 1809—1865, dessen
Ijeben C. A. Saint- Beuve (1872) beschrieben hat) in seine socialistische Doctrin
manche aus der deutschen Philosophie, insbesondere aus dem Hegelianismus stam-
mende Gedanken aufgenommen. Mit den philosophischen Problemen berühren sich
vielfach die national-ökonomischen Untersuchungen Bastiata und Anderer.
Der Einfluss deutscher Speculation bekundet sich in mehrfachem Betracht bei
Ernest Renan, dem Verf. der Vie de Jesus, Paris 1863, wie auch werthvoller
Schriften zur mittelalterlichen Philos., s. o. Bd. II, la reforme intellectuelle et
morale, 2. ed., Par. 1872, Phil, de l'art, 2. ed. 1872, Dialogues et Fragments Philo-
sophiques, Paris 1876, übers, von K. v. Zdekauer, Lpzg. 1877. Er kennt die kritische
Philosophie und hat eine gewisse Hinneigung zu den Hauptsätzen Hegels; die
Entwickelung der Welt ist nicht ein blosses Spiel, vielmehr ist Herrschaft der
Vernunft Endzweck der Welt, auch die Aufgabe des Menschen besteht in der Bildung
der Vernunft. H. Taine, Philos. der Kunst, deutsch 2. Ausg. Lpz. 1885, de Tin«
telligence, 4. edit., Paris 1883, deutsch in 2 Bdn. von L. Siegfried, Bonn 1880, der
auf Grund psychologischer Untersuchungen eine Art Erkenntnisslehre giebt. Jules
Michelet(Bible de l'humanite, Paris 1864). Ferner sind hier zu nennen : Ch.Wad-
33»
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§ 46. Philosophie in Frankreich and Belgien.
dington, Die Seele des Metischen, dentsch von Ferd. Moesch, Lpz. 1880, nach welchem
die Seele des Menschen eine spirituelle Substanz iBt 1 Vach e rot (vgl. üb. ihn
G. Seattles, Philosophes contemporains, Vach., in: Rcv. phil., 1880, Bd. 9, S. 21—46,
196—209), la raätaphysique et la science, Paris 1868, 2. 6d., Pari» 1862, la science
et la conscience, 1872, Essai de philos. critique, la religion. Th. Ribot, welcher
die Revue philos. herausgiebt, beschäftigt sich besonders mit genauen Forschungen
auf psychologischem Gebiete, l'h6redite psychologique , Par. 1882, les maladies de
la memoire, ins Deutsche übertragen, Hamb. u. Lpz. 1882, les maladies de la volonte,
ebd. 1883 u. öfter, les maladies de la personnalite, ebd. 1885. Zahlreiche Empfindungen,
Vorstellungen, Triebe u. s. w. constituiren das Ich. Auf dem ethischen und ästhe-
tischen Gebiet hat M. Guy au gearbeitet, les problemes de l'esthetique contemporaine,
Esquisse d'une morale sans Obligation ni sanction, l'irrGligion de l'avenir, Etüde
de sociologie.
Jean Bordas Demoulin (1798 — 1859) hielt an den Lehren von der Schöpfung,
dem Sündenfall und der Erlösung fest, erstrebte aber dabei eine philosophische Er-
neuerung des Christenthums, einen Fortschritt der Völker zu der christlichen Brüder-
lichkeit und Einheit unter der Herrschaft der Wahrheit mit Vernunft Es sollte
so der Cartesianismus modernisirt werden. Le Cartesianisme ou la veritable Inno-
vation des sciences, ouvr. couronne de l'instit. , suivi de la theorie de la substance
et Celle de l'infini par Bordas D., precedö d'un discours sur la reformation de la
Philosophie au XIX. s. par F. Huet, Par. 1843, Melanges philos. et relig., 2 vols.,
Par. 1846, Oeuvres posthumes de B. D., Par. 1861. S. üb. B. D, E. de Vernejoul,
un essai de renovation philos. et relig. au XIX. s., Montaub. 1884, auch unt Huet. —
Der ThomismuH war schon vor der Encyclica Leos XIII in Frankreich gepflegt,
so von M. Rosset u. A. Ans neuester Zeit, in welcher der Rückgang auf Thomas
stark zu bemerken ist, seien als Vertreter der Scholastik genannt: M. Dornet
de Vorges, Essai de metaphys. posit., Par. 1883, R6gnon, S. J., Metaphys. des
causes d'apres St. Th. et Albert le Grand, Par. 1886, de lo Boui llerie, L'homme,
sa nature, son äme etc. d'apres la doctr. de St. Th., Par. 1880. Der kirchlichen
Richtung dient die Zeitschrift: Etudes religieuses, philosophiques, historiques et
litterairea, in der z. Th. gute Arbeiten erscheinen.
In Belgien herrscht an der Universität zu Brüssel der Krauseanismus, früher
durch Ahrens, jetzt durch Tiberghien u. A. vertreten. Leroy in Lüttich hat
eine Schrift über die Philosophie im Lütticher Lande während des 17. und 18. Jahr»
hunderts verfasst. Liege 1860. Alphons K ersten in Lüttich (gest. 1863) hat gegen
Bonaids Lehre von dem Geoffenharteein der Sprache den natürlichen Ursprung der-
selben behauptet In Gent war Huet ein eifriger Schüler von Bordas Demoulin.
la science de l'esprit, Paris 1864, la revolution religieuse au XIX. siecle, Paris
1867, nouv. ed. 1871, deutsch von M. Hess, Leipz. 1868. Huets Schüler war wiederum
Callier (gest. 1863). Der hierauf in Lüttich lehrende Joseph Delboeuf hat sich
mit Untersuchungen zur Philosophie der Mathematik, zur Logik und zur Theorie
de* Sinneswahrnehmung beschäftigt, Prolegomenes philosophiques de la geometrie
et Solution des postulats, Liege 1860. Kssai de logique scientifique, prolegomeues
suivi s d'une etude sur la question du mouvement considerce dans ses rapporis avec
le principe de contradiction, Liege 1865. Theorie generale de la Sensibilite, Brüx.
1876. La Psychologie comme science naturelle, Brüx. 1876. Logique algorithmiqoe.
Brüx. 1877. Psychophysique 1882. Exam. crit de la loi psychophys., 1883. De
l'origine des effets curatifs de l'bypnotisme, 1887. Abhandlungen in den Bulletins
der Brüsseler Akademie über Sinnestäuschungen, über die Tonscala. Delboeufs Nach-
folger in Gent, Oscar Merten, ein Schüler Leroys, hat eine Schrift de la gene-
ration de systemes philosophiquea sur l'homme, Brüx 1867, verfasst. In Löwen
§ 47. Philosophie iu England nnd Nord- Amerika.
517
vertrat Ubaghs im Anschlags an Bonald einen Bupranaturalistischen „Ontologismus",
der jedoch, wie in Deutschland der Güntherianismus, in gewissen Beziehungen der
Kirche Anstoss gab und besonders durch die Jesuiten bekämpft wurde, welche
Letzteren auch in Namur und Gent philosophischen Unterricht ertheilen. Nach
Ubagha Abgange lehrt der Abt Cartuyvels Philosophie in Löwen. Lefebure,
Traite elementaire de Logique, vertritt die thomistische Lehre. Von grosser philo-
sophischer Bedeutung sind Laurents völkerrechtliche und culturhistorische und
A. Quetelets criminal- und überhaupt moral- statistische Untersuchungen, sur
l'homme et le developpement de ses facultes, ou Essai de physique sociale, 2 Bde.,
Par 1835, deutsch von Riecke, Stuttg. 1835 (über Quetelets Schriften zur Social-
statistik u. Anthropol. s. G. F. Knapp in den Jahrbüchern für Nationalökon. u.
Statistik. 9. Jahrg. Bd. II, 1871 S. 342-358, 427—445, 10. Jahrg. Bd. I, S. 89—124).
Unter den der Schweiz angehörenden in französischer Sprache schreibenden
Philosophen zählen zu den namhaftesten der reformirte Theolog Alexandre Vinet
(1797—1847), der u. a. Essai de phil. morale et de morale religieuse, Paris 1837,
Etüde sur Blaise Pascal, 2. 6d. Par. 1856, Moralistes du 16. et 17. siecle, Paris
1859, Hist. de la litt, franc. au 18. siecle, Paris 1853, au 19. siecle, 2. ed. Paris
1857, geschrieben hat, Secretan in Lausanne (s. o. S. 434), der eine Philos. de
la liberte, 2. ed. 1872, eine Philos. de Leibniz, Recherches de la methode und
Pr6cis de philosophie verfasst hat. Secr. betrachtet das Gewissen als Kriterium der
Wahrheit, und Em. Nävi 11 e in Genf, la vie «tternelle, le probleme du mal, la
logique de l'hypothese.
§ 47. In England und Schottland blieb das philosophische
Interesse vorwiegend empirisch-psychologischen, methodologischen,
moralischen und politischen Untersuchungen zugewandt. Mit kanti-
schen Lehren verband die schottische Philosophie William Hamilton.
Die Nützlichkeitstheorie hat auf dem Gebiete der Moral besonders
betont Bentham. Der Positivismus, zum Theil an llume und andere
philosophische Denker anknüpfend, hat sich bedeutende Anhänger
erworben, so John Stuart Mi 11 und Lewes. Der positivistischen sowie
der darwinschen Richtung steht sehr nahe Herbert Spencer, der an
einem alle philosophischen Disciplinen umfassenden System gearbeitet
hat und in England selbst hohes Ansehen geniesst. Die Richtungen,
welche die Unerkennbarkeit des Uebersinnlichen betonen, werden zu-
sammengefasst unter dem Namen Agnosticismus. — Doch ist auch
in England der Einfluss des deutschen Idealismus unverkennbar.
In Nord -Amerika ist die Philosophie besonders in ihrer Be-
ziehung zur Politik und Theologie betrieben worden und folgt in der
Moral und andern Disciplinen den von England und Schottland
kommenden Einflüssen, soweit sie speculativ wird, namentlich denen
des deutschen Idealismus. Als ein selbständiger Denker in Nord-
Amerika aus dem vorigen Jahrhundert ist Jonathan Edwards zu
nennen.
Ueber die neuere Philosophie in Gross-Britannien handeln: Dav. Masson,
rec. British philosophy, Lond. 1865, 2. ed. 1867. W. W he well, Lcetnres on the hist.
of moral ph. in England, new ed., Lond. 1868. J. M.' Cosh, present State of moral
518
§ 47. Philosophie in Eugland und Nord- Amerika.
ph. in England, Lond. 1868 (speciell über Hamilton und Mill). Thomas Collyns Simon,
Qber den gegenw. Zustand der metaphys. Forschung in Britannien, in der Zeitschr. für
Philos., Bd. 53, 1868, S. 248—272. Renouvier, de l'euprit de ia phil. anglaise, in:
La Critique philosophique, 1872, No. 25, 32, 1873 No. 2. Tb. Ribot, la psychoL anglaise
contemporaine (Ecole experimentale), Paris 1870, ins Engl, übersetzt u. d. T.: English
psychology, an analysis of the viewa of Hartley, James Mill, Herb. Spencer, A. Bain,
G. H. Lewes, Sam. Bailey and J. S. Mill, Lond. 1874. Röder, neuere Rechtsphil, in
England, in: Ztschr. f. d. ges. Staatsw., 29. Bd., 1873, S. 213—232. James M.'Cosh,
the Scottish phil. biographical, expoaitory, critical, from Hutcbeson to Hamilton, Lond.
1874. Zur Kenntniss des gegenw. Zust. der Philos. in England liefert die Zeitschrift:
Mind, a quarterly review of psychology and philosophy edited by 6. C. Robertson, seit
1876, 6ebr werthvolle Beiträge (Philosophy in London, Ph. at Dublin, Ph. at Oxford,
Ph. in the Scottish Universities), sowie für die Kenntniss der gegenw. Philos. iu
Amerika: „The Journal of speculative Philosophy", St. Louis 1867 ff. (vgl.
G. Stanley Hall, Philos. in the United States, in: Mind, Bd. 4, 1879). Gut orientirt
über die englische und nordamerikanische Philos. mit sehr reichen Litteraturangaben
der von Noah Porter verfasste Appendix I zu der englisch. Uebersetz. dieses Grund-
risses durch Geo. S. Morris, Vol. II, 1875, S. 348—460. Die Partien üb. nordamerik.
Philos. auch ins Deutsche übertragen, Philos. Mouatsh., 1875, S. 368 ff., 424 ff.,
472 ff. Ueber d. englischen Logiker s. M. Lindsay in dem seiner engl. Uebers. der
Log. Ueberweg«, Lond. 1871, beigefügten Appendix A: On recent logieal speculation
in England. Louis Liard, les Logiciens anglais contemporains , Paris 1878, ins
Deutsche übersetzt unter dem Titel: d. neuere englische Logik v. J. Imelmann, Berl.
1880, 2. Aufl., Lpz. 1883. A. Riehl, d. englische Log. der Gegenw. in: Vierteljahrsschr.
f. wiss. Philos., Bd. I, 1876. Ueber d. engl. Ethik s. Guyau. la Morale Anglaise
i-ontemporaine: Morale de l'utilite et de l'evolution, Paris 1879. L. Carrau, Moralistes
Anglais contemp., in: Revue philos., T. 5., 1878; ders., la philos. religieuse en Angleterre
depuis Locke jusqu'ä nos jours, Par. 1880. Bernh. Pünjer, der Positivism. in d.
neueren Ph. II. Englische Philosophie: Stuart Mill u. Herb. Spencer, in: Jahrbb. f.
protest. Theol. Jahrg. 4, 1878, S. 240—272, 434—481; über einzelne engl. Philos. s.
Funck Brentano, les sophistes grecs et les sophistes contemporains (Stuart Mill u. Herb.
Spencer), Paris 1879.
Ueber James Mill Grg. Spencer Bower, Hartley a. J- M. (Engl, philos.), Lond.
1881. A. Bain, J. M., a biographv, Lond. 1882. H. Marion, J. M. d'apres les recherches
de Bain, in: Rev. philos. XVI, 1883, S. 563—580. Ueber Hamilton, O. W. Wight,
The philosophy of Sir VV. H., New-York 1853, 3. ed. 1855. K. Ulrici, Engl. Philo-
^phie, S. W. H., in: Zt*chr. f. Ph. u. ph. Kr. 1855, S. 59—97. H. L. Mansel,
the philosophy of the Couditioned: Sir W. H. and J. S. Mill, Lond. 1865. M. Veitch,
Memoir of Sir W. IL, Lond. 1869; ders., Ham. in: Philos. classics f. engl, read.,
Edinb.-Lond. 1882; ders., W. H., the man and his philos., two leciures, Lond. 1883.
W. H. S. Monck, Sir W. H., Engl, philosophers, Lond. 1881. D. Sehr. v. J. Latimer
s. ob. b. Reid. Die Krit. Mills an H. s. sogleich u. Die Hauptschriften von Alex.
Bain sind: The senses and the intellect, Lond. 1855 u. ö., On the study of character,
Lond. 1861, Mental and moral science, Lond. 1868 u. ö., Logic deduetiv and induetiv,
Lond. 1871, Mind and body, the theories of their relation, Lond. 1873, deutseh in d.
Internat. Bibl., Lpz. 1874, 2. Aufl. 1881, Practical essavs, Lond. 1884. Ueb. ihn
A. Macchia, A. B. e la liberta del volere, in: La filos. dell'e sc. Ital., XXXI, 1885.
In England und Schottland sind die psychologischen Untersuchun-
gen von Reid, Stewart, Brown und Anderen fortgesetzt worden von James Mill,
Analysis of human mind, 2 voll., Lond. 1829, James Abercomby, Inquiries con-
cerning the intellectnal powers and the investigat. of truth, Edinb. 1830 and ö.,
auch Lond. 1869, on the moral feelings, zuletzt Lond. 1869, Chenevix, an essay
upon national character, Lond. 1831, John Young, Lectures on the intellectnal
philosophy, Glasgow 1835, J. Douglas, on the philosophy of the mind, Edinb. 1839,
namentlich von Sir William Hamilton, Discussions on philosophy and literature,
education etc., London 1852, 3. ed., ebd. 1866, on trnth and error, Cambridge 1856,
Lectures on metaphysics and logic edited by Mansel and Veitch, 4 vols., Lond. 1859
bis 1860. Geb. 1788 zu Glasgow, seit 1821 Professor der Geschichte in Edinburg,
seit 1836 der Logik und Metaphysik, gestorben zu Edinburg 1856, wusste er der
§ 47. Philosophie in England und Nord-Amerika.
519
schottischen Philosophie wieder Ansehen zu verschaffen, indem er, genau bekannt
mit der Philosophie aller Zeiten, sich zwar an die früheren Schotten anschlosa und
besonders die empirische Richtung derselben theilte, aber doch Kants Lehren be-
deutenden Eiufluss auf seine eigene Doctrin gestattete. Die Psychologie spielt bei
ihm die Hauptrolle, und zwar soll sie zuerst als Phänomenologie alle Erscheinungen
und Aeusserungeu des Geistes aufweisen , sodann erforscht sie als Nomologie die
diesen Erscheinungen zu Grunde liegenden Gesetze und zu dritt zieht sie als On-
totogie oder Metaphysik aus diesen gefundenen Gesetzen Folgerungen betreffs des
Wesens des Geistes. Die Grundlagen für unsere ganze Philosophie sind die ur-
sprünglichen Thatsuchen unseres Bewusstseius (common sense). Es unterscheiden
sich diese von anderen Annahmen durch ihre Einfachheit, Notwendigkeit, unbe-
dingte Allgemeinheit. Die Existenz der äusseren Welt wird uns nur dadurch glaub-
haft, dass wir ihrer als einer existirenden unmittelbar inne werden. Da das Be-
wusstseiu aber auf der Erfahrung fusst und auf die Erfahrung sich beschränkt, haben
wir von dem Absoluten, dem Unendlichen, d.h. der Gottheit, kein Wissen, nicht
einmal eine Vorstellung können wir von Gott haben.. Die Relativität unseres Wis-
sens beruht auf der Relativität der Dinge selbst und diese auf der Cnterschiedenheit
derselben. Diese allgemeine ünterschiedenheit ist eine Bedingung des Bewusstseius,
insofern sie sich sogleich zeigt in der Differenz von Ich und Nicht-Ich, wie in der
Differenz der bewussten Zustände von einander. — Die Logik fasst Hamilton im
Sinne Kants als formale Wissenschaft von den Gesetzen des Denkens, die von dem
Inhalt der Erkenntnisse ganz absehen muss. — Als Schüler Hamiltons, der von
Manchen für den bedeutendsten englischen Philosophen dieses Jahrhunderte ange-
sehen wird, gelten M. Veitch, H. L. Manael, Metaphysics or the philos. of the
consciousuess, 2. ed. Edinb. 1870, u. A.
Zu den bedeutendsten psychologischen Leistungen gehören die Schriften von
Alexander Baiu, nach welchem geistige und physische Prozesse gleichen Schritt mit
einander halten wie unzertrennbare Zwillinge. Auch verdient genannt zu werden
J. Sully, Verfasser von Outliues of Psychology with reference to the theory ofedu-
cation, Lond. 1884, u. a. Schriften. Für eine besondere Seite der Psychologie ist
noch zu erwähnen H. Maudsley, the physiol. and pathol. of mind, Lond. 1867 u. oft.
Das Hauptwerk Stuart Mills ist: A System of Logic, rationative and
induetive, being a connected view of the principles of evidenee and the methods of
scientific investigation, Lond. 1843 u. f». ins Deutsche übertragen von J. Schiel, Braun-
schweig 1849 u. oft. Principles of political economy with sorne of their applications to
social philosophv, 2. vols., 1848. Essay on liberty, 1859. Utilitariauism. 1868. An
examination of Sir William Hamiltons phil. Loud. 1865 u. oft. Nach Mills
Tod erschien Nature, the Utility of religion and theisro, Lond. 1874. Colleeted works,
ed. by Sir W. Hamilton, 11 vols., Lond. 1873. Ges. Werke, autoris. l'ehersetzg., her-
auag. von Th. Gompertz, Lpz. 1869 ff. Die Autobiographie M.'s, Lond. 1873, deutech
von Karl Kolb, Stuttg. 1874, vgl. J. E. Cairnes, .1. S. Mill. notice of his life and works,
Loudon 1873. Leb. St. Mill s. ausser Mansels oben erwähnter Schrift .1. M.'Cosh, an
examination of J. S. Mill'» philosophv, being adefence of fundamental truth, Lond. 1866,
2. Aufl. 1877. W. Stebbtng, Analvsis of Mill's System of Logic, 2. ed. Lond. 1867.
Kin scharfer Angriff auf Mills Logik findet «ich von Stanley Jevons in der
Contemporary Review, Dec. 1877, Jan. u. April 1878. S. auch: J. Imelmann, Stanley
Jevons üb. J. St. M., in: Philos. Monatsh. 1879, S. 128 — 145. H. Taine, le posi-
tivisme angluis, etude sur Stuart Mill (in der Bibl. de philos. contemporaine), Puris 18G4.
Artikel von Bain, in: Mind, Lond. 1879 u. 1880, auch selbständig erschienen, London
1882. Courtney, the metaphysics of J. S. Mill, Lond. 1879. L. Carrau. le dualisnie de
St. Mill, in: Kevue philo»., Bd. 8, 1879, S. 139 bis 15G. Henry Gast, la religion daus
S. M., Montauban 1882. A. Galasso, della conciliazione den" egoismo coli' altruisnio
seeondo J. St. Mill, Nupoli 1883. G. Zuccante, del determinismo di J. St. Mill, in:
La tiloH. delle sc. Ital., 1885, Vol. 30. H. Lauret, Philos. de St. M., Par. 1886. Leber
Mill's Examination of W. Harn. vgl. u. a. George Grote, Review of the work of J. St.
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520
§ 47. Philosophie in England und Nord-Amerika.
M. etc., Lond. 1868, besonders abgedr. aus Westminster Review, Jan. 1868, Herb.
Spencer, Mill versus Harn., in: The fortnightly Rev. for July 15, 1865. Vom berkeleysch.
Standp. aus ist durch T. CoUyna Simon verf. : Ham. versus Mill, 3 Hefte, Edinb. 1866,
1868. _ Ueb. Bradley s. B. Bnsanquet, Knowledge a. Realirv, a eriticism of Bradlevs
Pr. of L., Lond. 1885, Lasson, in: Phil. Monatsh. 23, 1887. '
Ueber die Methode der wissenschaftlichen Forschung, insbesondere
der Naturforschung, handeln: der Astronom John Berschel, a preliminary dis-
course on the study of natural philosophy, London 1831 (deutsch von Weinlig, Lpz.
1836), ferner Will. W he well, der kantianisirende Verfasser einer trefflichen ilistory
of the inductive sciences, 1837 u. ö. (deutsch von Littrow, 1839—42), in seiner
Philosophy of the inductive sciences, founded upon their history, London 1840,
u. ö. mit dem entschiedensten Erfolge aber John Stuart Mill. Dieser war 1806 in
London geboren, wurde besonders von seinem Vater James Mill unterrichtet. Ge-
waltigen Eindruck machte auf ihn die Leetüre von Beuthams Hauptwerk. Er
stiftete schon als 17jähriger Jüngling eine „utilitarische Gesellschaft* junger Leute,
worin Vorträge über das Princip der Nützlichkeit gehalten wurdeu, und von der
Bich die Bezeichnung „Utilitarier* herschreibt. 1823 wurde er Seeretair im India-
house und blieb dies 35 Jahre, 1866—1868 war er als Mitglied des Unterhauses
thätig, 1873 starb er in Avignon. Grossen Einfluss auf ihn, auch auf seine wissen-
schädlichen Arbeiten, hat Mrs. Taylor ausgeübt, die nach dem Tode ihres Gatten
1851 seine Frau wurde. — Die Absicht seines Hauptwerkes, seiner Logik, war,
die Methoden auszubilden, deren Anwendung einen wirklichen Fortschritt in den
Wissenschaften herbeiführen könnte. Die eigentliche Methode für alle Wissen-
schaften ist nun die Induction, sogar der Syllogismus ist eine Art Induction.
Mit dieser Induction ist der volle Empirismus gegeben; indem auch die Mathe-
matik auf Erfahrung beruhen soll, und die ihren Sätzen zugeschriebene besondere
Gewissheit (Kant) entschieden in Abrede gestellt wird. Irgend etwas der Seele
Apriorisches giebt es nicht. Das Fundament für die Induction ist die Gleich-
mässigkeit der Natur, wobei es besonders auf den Causalzusammenhang an-
kommt, da wir nur durch diesen die künftigen Dinge voraussehen und so auch auf
das Kommende zu unserem Nutzeu einwirken können. Freilich ist diese Gesetz-
mässigkeit selbst wieder nur auf Erfahrung gegründet, durch Induction gewonnen
und so nicht absolut sicher. Mill ist davon überzeugt, dnss jeder an Abstraction
und Analyse Gewöhnte keine Schwierigkeit haben werde, sich vorzustellen, dass in
einem der Firmamente Ereignisse ohne bestimmtes Gesetz aufs Gerathewohl ein-
ander folgen können. Auch soll in unserer Erfahrung und in unserem Geiste nichts
liegen, was den Glauben, dass dieses nirgends stattfände, bestimmt begründete.
Die Induction rauss wie auf die Natur, so auf die Geisteswissenschaften an-
gewandt werden, deren Mill drei annimmt: Psychologie, Ethologie, Socio-
logie, in denen also auch die Gesetzmässigkeit alles Geschehens statuirt wird-
Freiheit im gewöhnlichen Sinne kann demnach nicht angenommen werden. Die
Ethologie ermittelt, welche Art von Charakter nach den von der Psychologie auf-
gestellten Gesetzen des Geistes durch die physischeu und moralischen Umstände
hervorgebracht wird. Diese Wissenschaft findet namentlich ihre Anwendung in der
Erziehungslehre. Auch eine Logik der Praxis oder der Kunst hat Mill wenig-
stens in kurzen Zügen gegeben. Mit der Ordnung des Rechten, des Zweckmässigen
und des Schönen in dem menschlichen Handeln hat es die allgemeine Kunst des
Lebens zu thnn, und sie gliedert sich also in Moral, Politik, Aesthetik. Das
höchste Princip für alle drei ist es, das Glück aller empfindenden Wesen zu be-
fördern. In seiner berühmten Abhandlung über den Utilitarianismus stellt Mill
als Richtschnur der Moral hin: den Inbegriff der Regeln und Vorschriften für das
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§47. Philosophie in England und Nord- Amerika. 521
menschliche Verhalten, durch deren Befolgung eine von Leid möglichst freie und
an Genüssen möglichst reiche (sowohl der Quantität als der Qualität uacb) Existenz
in der grösstmöglichen Ausdehnung allen Menschen gesichert wird. — Die Religion
befriedigt wie die Dichtung das Bedürfnis« idealer Vorstellungen; sie beruhen beide
uuf der Imagination; aber die Religion setzt im Unterschied zur Dichtung diese
Gebilde als wirklich in einer anderen Welt. Zu erkennen ist vom Uebersinnlichen
nichts, wie sich die ganze Erkenntniss überhaupt nur auf die Phänomene erstreckt.
— Von Comte hat Mill allerdings viel gehalten, doch stützt er sich in seinem
Poeitivismus vielmehr auf Bacon, Locke und Hume. Sein Hauptverdienst liegt in
den Untersuchungen über die Muthoden der Inductiou, namentlich der experimen-
tellen Forschung.
Als Begründer der mathematischen Logik ist anzusehen G. Boole, the
mathematic, analysis of logic, being an essay towards a calculus of deduetive reason-
ing, Cambridge 1847, an iuvestigatiou of the laws of thought on which are fouuded
the mathemat. theories of logic and probabilities , Lond. 1854. Sein Schüler ist
Stanley Jevons, the Principles of the Science, a Treatise on Logic and Scientific
Method, 2. Ausg., London u. New- York 1877. Die aristotelische Schullogik hat
insbesondere der Erzbischof Whately (1787—1863) dargestellt. Eine skeptische
Logik vertritt Rick Shute, Discourse on truth, Lond. 1877, der die Möglichkeit,
allgemein gültige, durchaus sichere Urtheile zu gewinnen bestreitet. So kann man
nach ihm von der Zukunft nichts aussagen. Eine fast vollständige Uebcrsetzung
von Shutes Werk findet sich in den Grundlehren der Logik von Karl Uphues, s. ob.
S. 502. Gegen die induetive Logik Mills sowie gegen die ganze nominalistische Er-
fahrungsphilosophie und die übliche Lehre von der Ideenassociation polemisirt stark
A. H. Bradley, The principles of Logic, Lond. 1883, der von Hegel beeinflusst
ist. Er bringt die Logik in Verbindung mit der Metaphysik. Das in Wahrheit
Individuelle und Reale ist das Allgemeine.
Herbort Spencer, Social staties 1851, 2. ed. 1874, Principles of psychology, 1855,
2. ed. 1872, Essays, reprinted from periodicals, 2 vis. 1858—63, Education 1861 (deutsch
von Fritz Schnitze, Jena 1874), First principles, 1862. Die Hauptschriften zusamnien-
gefasst u. d. T.: A System of philosophy. Vol. I: First principles (1862), Vol. II,
III: The principles of biology (1863 — 67), Vol. IV, V: The principles of psychology,
1855, 2. ed. 1871—72) Vol. VI— VIII werden the principles of sociology (der 1. Th.
davon erschien 1854), Vol. IX, X the principles of morality enthalten. Einstweilen
ist erschienen: The Data of Ethics, 1879. Autorisirte deutsche Ausg.. übersetzt von
B. Vetter, Sruttg. 1875 ff. The Classification of the sciences: to which arc added reasons
for dissentin* from the philos. of M. Comte, 18G4. The study of sociology, 4. ed. 1882,
in deutscher Uehersetzg. von Heinr. Marquardsen in der »Intern, wissensch. Biblioth.",
Bd. 14 u. 15, 1875. Essays verschiedenen Inhalts 1864 ff. Ueber Spencer vgl.: B. P.
Browne, the phil. of H. Sp., being an examination of the first principles of his System,
New- York 1874. W. A. Leonard, a summary of Mr. H. Sp.s first principles, London
1874. K. Bobba, la dottrina della libertä secondo 8p. in rapporto colla murale, in: !a
filos. delle scuole Italieue, Vol. 18 u. 19. Malcolin Guthrie, on Sp.s formula of evo-
lution, London 1879, on Mr. Sp.s unification of knowled>?e, Lond 1882. A. Brogialdi,
Studii sulla psicologia di Erberto Sp., Faenza 1881. M. E. Beaussire, la morale lalque,
examen de la morale evolut. de M. Herb. Sp., Paris 1881. G. de Greef, Abrege de
Psychologie d'apres H. Sp. avec preface, Bruxelles 1882. Michelet, H. Sp.s System der
Philos. u. sein Verb, zur deutsch. Philos. (in: Philos. Vortr. herausgeg. v. d. ph. Ge-
sellsch. z. Berlin), Halle 1882. James T. Bixby, H. Sp.s Data of Ethics, in: The
modern Review, III, No. 9, 1882. S. 40 — 70. Cesca, l'evoluzionismo di Erberto Sp.
espoaizione critica. Verona 1883. W. D. Ground, an examination of the structural prin-
ciples of Mr. H. Sp.s philosophy, Oxf. 1884. V. Cathrein, d. Sittenl. des Darwinismus.
Eine Krit. d. Ethik H. Spencers, Ergänzungshefte z. d. Stimmen aus Maria Laach, 1885.
A. Naumann, Sp. wider Kant — mit besond. Bertlcksicht. des egoist. Moralpr., Hamb.
1885. Bernh. P (inj er üb. Sp. s. ob. S. 518.
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522
§ 47. Philosophie in England und Nord-Amerika.
Die Lehre Spencers hat zur Voraussetzung die strenge Unterscheidung
zwischen Erkennbarem und Unerkennbarem. Alle bisher aufgestellten Ansichten
über das Weltall sind unhaltbar; daher zeigen sie, dass etwas da ist, das nicht be-
wiesen werden kaun, das als die erste Ursache von Allem angenommen werden musa,
über dessen Beschaffenheit sich aber nichts aussagen lässt. wenngleich auf das Be-
wusstsein von einer allgegenwärtig zu nennenden und als Realität zu denkenden
Macht, die aber unerforschlich ist, die Religion sich gründet. Man kann nicht
nagen: die erste Ursache ist absolut oder unendlich, da etwas Absolutes oder Unend-
liches nicht erste Ursache sein kann. Denn Ursache kann nur etwas sein in Bezug
auf seine Wirkung, also etwas Relatives. Aber Relativität kann man der ersten
Ursache auch nicht zusprechen; denn dann müsste ausser ihr noch etwas sein, das
nicht relativ wäre. Auch die wissenschaftlichen Grundbegriffe: Raum, Zeit, die
weder objectiv noch subjectiv sein können, Bewegung, Kraft, Materie, aber auch
die Empfindung, sowie das Ich als Einheit von Subject und Object, sind undenkbar,
unbegreiflich, also durchaus unerkennbar.
Die Erkenntniss des Endlichen nun, des Relativen, das aber eine Manifestation
des Absoluten sein soll, ist die einzig mögliche und die einzige, die uns von Nutzen
sein kann. Philosophie ist vollkommen einheitliches Wissen, sie beschäftigt sich
nicht mit Einzelerkenntnissen, sondern mit den höchsten Allgemeinheiten. Die Be-
ständigkeit (persistence) der Kraft ist die letzte und tiefste Wahrheit, aus der
alle anderen deducirt werden. Es ist das Absolute, von dem wir ein unbestimmtes
Bewusstsein haben, als einem Correlat zu der Kraft, die uns erscheint, und so ver-
einigen siel» Wissenschaft und Religion in dieser höchsten Wahrheit. Aus dieser
höchsten Wahrheit lässt Bich ableiten die Beständigkeit der Beziehungen unter den
Kräften, d. h. das Gesetz, dass derselbe Kraftaufwand unter denselben Bedingungen
von denselben Erscheinungen begleitet ist. Im Einzelnen sind die Processe evo-
lution (Entwickelung), d. h. Ausbreitung (dissipation) der Bewegung, womit Inte-
gration des Stoffs (Vereinigung zu einem Ganzen) verbunden ist, und dissolution
Auflösung), d.h. Aufnehmen (absorption) der Bewegung, womit Disintegration
des Stoffs (Aufhebung des Zusammenhangs) verbunden ist. Beide Processe treten
gemeinsam auf und stellen die Geschichte jeder wahrnehmbaren Existenz dar. Das
Gesetz der Evolution ist, von einem zerstreuten zu einem mehr consolidirteu Zustand
überzugehen. So consolidirt sich allmählich die Erde und verliert ihre latente Be-
wegung durch Erkaltung, indem ihre Kruste stärker wird. Organische Entwickelung
ist Bildung eines Aggregats vermöge der beständigen Einverleibung von Stoffen.
Z. B. die Pflanze wächst, indem sie Elemente in sieh vereinigt, die bisher als Gase
zerstreut waren, das Thier wächst, indem es die bisher in den Pflanzen und Thieren
zerstreuten Elemente in sich vereinigt. Bei den socialen Organismen zeigen sich
ebenso Integrationen, wenn sich wandernde Familien zu Stämmen vereinigen, wenn
schwächere Stämme durch stärkere unterjocht werden, wenn Unterthnnen sich unter
einen Fürsten, Fürsten unter einen König stellen, wenn verschiedene Reiche zu-
sammentreten. Und nicht minder ist die Integration sichtbar bei der sich fort-
entwickelnden Industrie, Sprache, Kunst, Wissenschaft, unter den Wissenschaften
am meisten bei der Philosophie. Aber indem sich die Masseu zu einem Ganzen
vereinigen, tritt zugleich wieder eine starke Differenzirung ein Das Aeussere der
Erde unterscheidet sich vom Innern, es tritt der Gegensatz zwischen polaren und
äquatorialen Gegenden hervor, der Gegensatz zwischen den Klimaten, den Hebungen
und Senkungen der Erdoberfläche, die Vertheilung von Land und Meer. Der ein-
fache Keim entwickelt sich za einem Organismus, der aus den verschiedensten
Theilen besteht. Auch die Art bleibt nicht einförmig, sondern wird vielgestaltig,
geht in Varietäten über. Ebenso ist es auf dein socialen Gebiete: Es findet eine
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§ 47. Philosophie in England und Nord-Amerika.
623
Theilong statt in Herrschende und Untergeordnete, in wichtigere und unbedeutendere
Bestandtheile. In dem geistigen Leben werden ursprünglich gleichartige Bewusst-
seinszustände dnrch Verschiedenheiten in den durch verschiedene Kräfte bewirkten
Veränderungen zu ungleichartigen. Ebenso ist es bei den Sprachen, die ihre Rede-
theile immer mehr vervielfältigen, bei den Künsten, Wissenschaften. — So wird
nachgewiesen, nicht nur, wie die vorhandenen Dinge der unorganischen Welt not-
wendig die Eigentümlichkeiten zeigen müssen, die sie zeigen, sondern auch wie
nothwendig die zahlreicheren und verwickeiteren Charakterzüge entstehen, die den
organischen und überorganischen Existenzen zukommen, wie sich ein Organismus
entwickelt, welches die Entstehung des menschlichen Denkvermögens war, und wo-
durch socialer Fortachritt bedingt ist.
Da Bewegung und Stoff sich ihrer Quantität nach nicht verändern, so ist an-
zunehmen, dass zwar die Vertheilung des Stoffes, welche durch die Bewegung be-
wirkt wird, irgendwo ihre Grenze erreicht, in welcher Richtung sie auch vor sich
gehen mag, dass dann aber die unzerstörbare Bewegung wieder eine Vertheilung
von entgegengesetztem Charakter bedingt. Es sind die allgemein neben einander
bestehenden Kräfte der Anziehung und der Abstossung, die sowohl den Rhythmus
in allen kleineren Vorgängen des Universums hervorrufen, als auch den Rhythmus
in der grossen Gesammtheit seiner Veränderungen. Jetzt walten in einer unmessbar
langen Periode die anziehenden Kräfte vor und bedingen die allgemeine Con-
centration; hierauf wird eine unermesslich lange Periode folgen, in welcher die ab-
stossenden Kräfte überwiegen und allgemeine Zerstreuung bedingen. Es sind das
abwechselnde Epochen der Entwicklung und der Auflösung.
Die Ethik gründet Spencer auch auf das Evolutionsprincip, indem er die
ethischen Erscheinungen, die sittlichen Begriffe, auf demselben natürlichen Wege
der Entwickelung entstehen lässt, wie alles übrige Geistige, diese speciell aus
dem ursprünglichen Streben nach Lust und dem Fliehen von Schmerz. Er versucht
dann eine Vereinigung des Egoismus mit dem Altruismus zu Stande zu bringen.
Der Egoismus wird am besten befriedigt, wenn fremdes Wohl erstrebt wird, und
es kommt wie bei Bentham auf das grösste Glück für die grösste Zahl hinaus. —
Was Spencers Stellung zu Comte anlangt, so weist er die zwei Comte eigenthüm-
lichen Lehren von den drei Perioden und der Hierarchie der Wissenschaften zu-
rück. Wenn er aber mit Comte in der Zurückführung alles Wissens auf Erfahrung,
in der Lehre, dass alles Wissen sich auf Phänomene erstrecke und relativ sei, und
dass es darauf ankomme, allgemeine, unveränderliche Gesetze des natürlichen Ge-
schehens zu finden, übereinstimmt, so meint er mit Recht, dass diese Sätze keines-
wegs von Comte herstammen und auch von diesem nicht eigentümlich begründet
seien. Eine gewisse Verwandtschaft zeigt sich zwischen Hegel und Spencer, ab-
gesehen davon, dass Spencer durchaus positivistisch philosophirt.
Auf Comte8 Principien, dessen Cours de philosophie positive, durch Miss
Harriet Martineau ins Engl, übersetzt, 1853 erschienen ist, beruhen die Letters
on man's nature and development von Miss Harriet Martineau und Mr. Atkinson,
1851, welche die Annahme zu rechtfertigen suchen, dass die Materie zu wirken
uud zu empfinden vermöge. Der comtescheu Aufhebung der Metaphysik zollt George
Henry Lewes (geb. 18. Apr. 1817, gest. 30. Nov. 1878, dessen Gesch. der Philos.
oben, Grundr. I, § 4, erwähnt worden, und dessen Werk über Goethe sehr bekannt
ist) in seinen Schriften: Comte's philosophy of the positive sciences, 1847, Problems
of life and mind, 3. ed. 1874, the physical basis of mind, being the Second Series
of Problems of M., Lond. 1877, Third Series, Lond. 1879, (vgl. über ihn L. Carrau,
La Philosophie de L., in: Revue Philos., T. 2. 1876) den entschiedensten Beifall,
ferner John G. Macvicar, a Sketch of a Philosophy, p. I.: Mind, p. II.: Matter,
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§ 47. Philosophie in England und Nord-Amerika.
London 1868, p. III: Chem. of natural substances 1870, p. IV.: Biology and
theodicy, 1874. Eine auch in Deutschland und Frankreich sehr lebhaft geführte
naturphilosopbiaehe Controverse hat die Schrift von Charles Darwin: On the origin
of species by means of natural Selection or the preservation of favoured races in
the struggle of life, Lond. 1859, hervorgerufen. Unter Darwins sonstigen Schriften
ist hier noch hervorzuheben: The descent of man and selection in relation to sex,
Lond. 1871. Vgl. auch Charles Lyell, das Alter des Menschengeschlechts, deutsch
von L. Büchner, 1867 u. A. Wie auch in England die darwinsche Theorie auf
geistige Gebiete übertragen wird, sieht man aus Spencers Philosophie und u. a.
aus Jac. Gould Schurmans Schrift: The ethical import of Darwinism, Lond. 1888.
Beutham, Introduction to the principles of mural and legislation, 1789. Traite
de legislation oivile et penale precede des principe* generaux de legislation (nach spo-
radischen Aufzeichnungen des Verfassers französisch bearbeitet von Etienne Dumont),
Paris 1801, 2. ed. 1820, ins Engl, übers, v. R. Hildreth, Lond. 1864, in« Deutsche übers,
und mit Anmerkung, begleitet von Beneke, Berlin 1830. Theorie des peines et des
reeonipenses, 1812. Essai sur la tactique des assemblees legislatives, 1815; Traite des
preuves judiciaires, 1823. Deontologj or the science of morality, edited by John Bowring,
2 voll. 1S34, fr. von Laroche. John Bowring hat Benthams Werke in 11 Bdn. hrsg.
Edinb. 1843, von denen die beiden letzten seine Biogr. u. Correspondenz enthalten.
Ueb. Bentham s. J. S. Mill in der London and Westminster Review, Aug. 1838, deutsch
in den von Ed. Wessel übers. Vertu. Schriften J. S. Mills, Bd. 1, Leipz. 1874. S.
übrigens ob. bei Beneke. Sidgwick, the methods of Ethicg, 3. Aufl., Lond. 1884,
Ethics (Separatabdr. aus d. Enevclop. Britann., IX. ed.), Lond. 1879. S. H. Hashdall,
Prof. Sidgwicks Utilitarianism, In: Mind, X, 1885, S. 200- 226. Thom. Fowlcr, Pro-
gressive morality, Lond. 1884.
Jeremy Bentham, 1748 in London geboren, gest. 1832, widmete sich eine
Zeit lang dem Advocatenberuf, entsagte ihm aber bald, um ganz seinen Studien
zu leben, namentlich, um die Theorie einer vernünftigen Gesetzgebung zu Stande
zu bringen. Seine Arbeiten sind für die Sitteidehre, Rechtslehre und Gesetz-
gebungspolitik von hervorragender Bedeutung, und er kann als Begründer der N ü t z 1 i c h -
keitstheorie auf dem Gebiete der Moral angesehen werden. Das Princip der Sittlich-
keit ist bei ihm: das grösstmögliche G lück der grössttnöglichen Zahl (the
greatest happineBs of the greatest n umher, eine Formel, die er bei Priestley gefunden
hat, dem er sich überhaupt mehrfach anachloss) oder Maximisation der Glückseligkeit,
womit die Minimisation des Uebels verbunden ist. Auf dem Grundsatz des Nutzens
wird Rechtslehre und Moral (Deoutologie) basirt, und zwar ist unter Nutzen zu
verstehen die Eigenschaft einer Sache, wodurch sie uns vor einem Uebel bewahrt
oder uns ein Gut verschafft. Ein Uebel ist aber Schmerz oder Ursache von Schmerz,
ein Gut Lust oder Ursache von Lust. Es gilt nun, ein „ moralisches Budget* auf-
zustellen, um bei allen Lustregungeu genau Gewinn und Schaden zu berechnen. Bei
diesem Caleiil wird sich der Egoismus als schädlich erweisen Es ist jedenfalls
nützlicher, vor der Welt uneigennützig zu erscheinen, aber ein fortwährendes
Heucheln ist unerträglich, auch kann der Heuchler entlarvt werden, deshalb ist es
am besten, uneigennützig zu werden: die erste Tugend ist die Klugheit, aus der
Mässigung und Selbstbeherrschung entspringen. Die Klugheit berücksichtigt auch
bei dem Geben die Individualität des Empfängers, Alter, Gesundheit, Geschlecht,
überhaupt 32 Unterschiede, wie Bentham auch sonst stark im Classificiren ist. Je
mehr wir nun über die wahre Natur unserer Freuden belehrt werden, deBto fester
werden wir davon überzeugt, dass wir uns die andauerndsten und reinsten Freuden
schaffen durch die möglichst intensive Beförderung des Wohls Aller. — Von
Bentham ist auf dem Gebiete der praktischen Philosophie Stuart Mill abhäugig.
Unter den lebenden Philosophen Englands ist einer der bedeutendsten Forscher auf
§47. Philosophie in England und Nord-Amerika 525
dem Gebiete der Ethik Henry Sidgwick, der freilich die beiden Principien des
Egoismus und Utilitarianismus als gleichberechtigt ansieht, die sich widerstreiten
und nur durch die Religion mit einander auszugleichen sind. In populärer Form
hat den Utilitarianismus, das sociale Wohl als moralisches Princip. gelehrt Thomas
Fowler. Auf Grund der mathematischen Variationsrechnung versucht den Ueber-
gang von dem Egoismus zu dem Utilitarianismus zu finden F. G. Edgeworth,
Mathematiral psychics, Lond. 1881.
In den letzten Jahrzehnten hat auch deutsche Specnlation einigen Einfluss
gewonnen, der sich z. B. bekundet bei J. H. Stirling, the seeret of Hegel, being
the Hegelian system in origin, principle, form and matter, London 1865; derselbe
hat Schweglers Umriss der Gesch. der Philosophie ins Englische übersetzt und
eigene kritische Abhandlungen beigefügt, 2. verm. Aufl. ebd. 1868. Andere wie
Collyus Simon, theilen Berkeleys Ansicht, dass nur Geister und Phänomene
existiren, indem die körperlichen Dinge nichts Anderes als Ideen (Vorstellungen,
Erscheinungen) seien; Hamiltons Relativismus steht derselben nahe, ebenso auch
Ferriers Doctrin. Für die wahrscheinlichste Ansicht hält die berkeleysche Lehre
auch Hamiltons Nachfolger in Edinburg, der Herausgeber der Werke Berkeleys,
Alexander Campbell Fräser (Essays in philosophy, 1856, rational philosophy in
history and in system, 1858).
Durch Arbeiten zur Geschichte der Philosophie haben ausser dem oben er-
wähnten Mackintosh besonders Whewell in seinen Lectures on the history of
moral philos. in England, Lond. 1852, 2. ed. ebd. 1868, und Elements of Morality,
including Polity, London 1854 u. ö., Blakey, Lewes, Geo. Grote (f 18. Juni 1871),
A. W. Benn, The greek philosophere, 2 vols. Lond. 1882, der die Bedeutung der
griechischen Philosophen für die Gegenwart hervorhebt, und Andere sich verdient
gemacht. Eine Kritik englischer Moralsysteme hat Simon S. Laurie geliefert:
Notes expository and critical on certain British theories of morals, Edinb. 1868,
im Anschluss an den analytischen Versuch on the philosophy of ethics, by Simon
S. Lanrie, Edinb. 1866. Von demselhen Verf. unter dem Pseudonym Scotus
Novantianus: Metaphysica nova et vetusta, a return to Dualism, Lond. 1884, u.
Ethica, or the Ethics of reasou, Lond. 1885. F. D. Maurice, lectures on social
morality, Lond. 1870, the conscience, lectures on casuistry, new ed. Lond. 1872;
moral and metaphysical philosophy, 2 vols. 1872. Sehr beachtenswerth ist Buckle,
History of civilisation in England, London 1857— 60 (aus dem Engl, übers, von
Arnold Rüge, Leipz. 1860, von J. H. Ritter, Berlin 1869 — 1870), der sich auf
Quetelet stützt, sodann John William Draper, nistory of the intellectual deve-
lopment of Europe, New -York 1863 (die geistige Entwicklung Europas, und: Ge-
danken über die zukünftige Politik Amerikas, deutsch von A. Bartels, Leipz. 1866).
— Die thomistische Lehre ist in England namentlich vertreten durch Harper
in 8einem auf 5 Bde. berechneten Werk: Metaphysics of the School, 1880 ff.
In Nord-Amerika versuchte Jonathan Edwards (1703— 1758, s. üb. ihn u. a.:
F. B. Sanborn, the puritanic philosophy and Jon. Edw., in: The Journ. of specul.
phil. XVII, 1883, S. 401—421) die Lehren Calvins in etwas freier Weise mit einer
Vernunftwissenschaft zu vereinigen, und gründete eine Schule der Calvinisten, die
sich nach ihm nannte, freilich mehr theologische Probleme behandelte. Seine be-
deutendste Schrift ist: A careful and strict inquiry into the modern notion of that
freedom ofwill, which is supposed to be essential to moral agency, virtue and
vice, reward and punishment, praise and blame, Boston 1754. (Die beste Gesammt-
ausgabe der Werke Edwards' von 8. E. Dwight, 10 Bde., New- York 1844; der 1. Bd.
enthält das Leben E.s.) Edwards behauptet, dass die Lehre von der Selbstbestimmung
unphilosophisch, sich selbBt widersprechend und absurd ist. Eine freie Handlung
526
§ 47. Philosophie in England und Nord-Amerika.
ist eine vorsätzliche Handlung; die Selbständigkeit ist die einzige Bedingung der
Freiheit, gleichviel von wem diese Selbständigkeit verursacht ist. Wäre in der
Freiheit die Selbstbestimmung eingeschlossen, so würde damit Unbestimmtheit und
Contingenz des Geschehens verbunden, ferner Gottes Voraussicht und jede Art von
Vorsehung ausgeschlossen sein. Edwards wurde von anticalvinistischen Theologen
und Metapbysikern viel angegriffen; unter Neueren ist hier besonders hervorzuheben:
Rowland G. Hazard, Freedom of mind in Willing, New -York 1864, Two lettere
on Causation and freedom in Willing addressed to John S. Mill, Boston 1869 (auch
ins Deutsche übers., New-York, Leipz. 1875).
Eine Zeit lang wirkte in Nord -Amerika am bedeutendsten ein Locke, Beid,
Brown und vor Allen Dugald Stewart und Hamilton (s. z. B. Thomas C. üphard,
Elemente of mental philosophy, Portland- Boston 1831), bis die Aids to reflection
Coleridges, neu herausgeg. 1829 von James Marsh, die Aufmerksamkeit auf die
deutsche Speculation, namentlich auf Kant und Frd. Hnr. Jacobi, lenkten. Zu er-
wähnen ist auch der bekannte Schriftsteller Ralph Waldo Emerson (1803—1882),
der, deutschen Gedanken nicht fern, sich mit Andern dem die Unabhängigkeit der
Vernunft und des Gewissens lehrenden William Ellery Channing (1780-1842)
anschloss Emerson philosophirte allerdings nicht systematisch und streng logisch,
wirkte aber durch seine prägnant ausgedrückten philosophischen Gedanken, die auf
Annahme einer sittlichen Weltordnung und auf geistige Auffassung der Natur
hinausliefen, sehr anregend. Eine Zeit lang stand er an der Spitze der transscen-
dentalen Richtung in Amerika, welche das Leben vergeistigen wollte und die per-
sönliche Unabhängigkeit besonders betoute. Nature, Bost 1836, deutsch Hannov.
1873. Essays, eine Reihe von Serien. Representative men, Lond. 1849. S. üb. ihn
Herrn. Grimm, Neue Essays, Berl. 1865. E. Cooke, E., his life, writings and
philos., Bost. 1841. Alex. Ireland, R. W. E., a biograph. sketch, Lond. 1882.
Von amerikanischen Schriften nus neuerer Zeit mögen hier erwähnt sein:
Noah Porter (Präsident des Yale - College, mit der deutschen Philosophie
wohl bekannt), the human Intellect, New-York 1869, im Anschluss an Trendelenburgs
log. Unters, verfasst; the elemente of intellectnal science, ebd. 1872; the science
of nature versus the science of man, ebd. 1872; Kante Ethics, Chic. 1886; the elemente
of moral science, theoretical and practical, N - Y., 1885. In dem letzten Werke stellt P.
die Pflicht in den Vordergrund, indem er eintheilt in: Theory of duty und Practice of
duty. John Bascom, the principles of psychology, ebd. 1869; Com parative psycho-
logy, or, the growth and grade« of intelligence, New-York 1878. Charles Caroll
Everett, the science of thought, a System of Logic, Boston 1869. A. Bierbower»
Principles of a System of Philosophy, New- York 1870. D. H. Hamilton, autology
an induetive syst, of mental science, whose centre is the will, and whose complection
is the personality, Boston 1874. Charles W. Shields, the final philosophy, 2. ed.,
New-York 1879, welcher die Harmonie zwischen Wissenschaft und Religion anstrebt.
Laurence P. Hickok, the logic of reason, universal aud cternal, Boston 1875, der
sich Kant zuneigt. James Mac Cosh, thelaws of discursive thought, New-York 1879
der sich an Hamilton anschliesst. (Anonym), The final science or spiritual materialism,
New-York a. Lond. 1885, bekämpft heftig allen Positivismus und Materialismus
und stellt eine mit der Religion sich ausgleichende Metaphysik auf. — Der rege Sinn
für deutsche Philosophie zeigt sich u. a. in der Sammlung: German philosophical
classics for english readers and studente ed. by George S. Morris, in der von Morris
selbst Kante critic of pure reason, a critical exposition, Chicago 1882, erschienen
ist Auf Kante praktischer und Religions- Philosophie fusst Will. Maclüntire
Salter in seinen Vorträgen über „die Religion der Moral", deutsche Uebers.
hrsgeg. v. Grg. v. Gizycki, Lpz.-Berl. 1885. Er geht nur insofern über Kant weit
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§ 4M. Philosophie in Italien.
527
hinaus, als er die Religion eigentlich aufhebt und an ihre Stelle das Streben, sich
in Menschenliebe zu bethätigeu, setzt. Seit 1867 erscheint in New-York eine philo-
sophische Zeitschrift: The Journal of speculative philosophy, ed. by William
T. Harris, die insbesondere auf deutsche Speculation eingehende Rücksicht nimmt
in Artikeln über Lcibniz, Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Baader und Schopen-
hauer, auch viele deutsche philos. Schriften in englischer Uebersetz. bringt und so
um die Keuntniss des deutschen Idealismus in Nord -Amerika grosse Verdienste
hat. Sie enthält auch Arbeiten über Parmenides, Berkeley, Descartes, Herbert
Spencer und andere Henker. Seit 1881 ist die monatliche Zeitschrift: The PI atoni st ,
in St Louis ins Leben getreten, welche sich namentlich mit der Erläuterung und
praktischen Anwendung der platonischen Moral befasst, Uebersetzungen platonischer,
besonders neuplatouiseher Schriften giebt, u. a. die Schriften des „reinsten Plato-
nikers der Neuzeit*, Thomas Taylor, wieder drucken lässt. The American Journal
of Psychology, edit. by G. Stanley - Hall , erscheint in Baltimore seit 1887; es
berücksichtigt besonders die physiologische Seite.
§ 48. Eine rege philosophische Thätigkeit bekundet sich in neuerer
Zeit in Italien, ohne dass selbständige weittragende Ideen von da
ausgegangen wären. Mehrfach wurde darauf Nachdruck gelegt, dass
die Philosophie eine nationale sein solle, und in dieser Beziehung auf
Vico hingewiesen. Nachdem noch Romagnosi, wie das längere Zeit
üblich in Italien gewesen war, iu sensualistischem Sinne philosophirt
hatte, machte sich der Idealismus und Rationalismus in den beiden
bedeutendsten italienischen Denkern dieses Jahrhunderts geltend. An-
knüpfend an den Piatonismus hat Rosmini-Serbati einen dem
Sensualismus und den skeptischen Elementen des Kriticismns feind-
lichen, auf erkenntnisstheoretischen Betrachtungen ruhenden, objectiven,
religiös-philosophischen Idealismus ausgebildet. Vincenzo Gioberti,
der durch Vertretung der nationalen Ideen einflussreich gewordene
Politiker, hat eine freie Allianz zwischen dem kirchlichen Glauben und
der durch Intuition das Göttliche erfassenden Vernunft erstrebt. Er
will in der Philosophie einen „Ontologismus", der auf dem Grund-
gedanken beruht, dass wir das absolute Sein oder Gott als schöpferische
Ursache unmittelbar schauen, an die Stelle des von der inneren Wahr-
nehmung ausgehenden Psychologismus setzen. — Seit mehreren Jahr-
zehnten hat die hegelsche Philosophie eifrige Verehrer in Italien ge-
funden, neuerdings auch die kantische.
Ueber die neuere Philos. in Italien handeln: Marc Debrit, hist. des duetr.
philos. dans l'Italie eontemp., Paris 1859. Auguste Conti, la philos. it. cont. (ital.
Florenz 1864, als Anhang zu Conti» Vöries, über d. Gesch. d. Philos., franz. von
Krn. Navillc), Paris 1865. Theod. Sträter, Briefe Aber die italien. Philos., in der
Zeitschr. „der Gedanke", 1864 — 65. Raphael Mariano, la phil. eontemp. en Italie,
Paris 1867. Franz Bonatelli, die Philos. in Italien seit 1815, in der Zeitschr. f.
Phil., Bd. 54, 1869, S. 134-158. Morgott, Studien über d. italen. Phil. d. Gegenw.
in der Ztschr. „der Katholik", Jahrg. 1868 u. ff. Louis Ferri, Ess. sur l'hist. de la
philos. en Italie au XIX. siede, Paris 1869. P. Leop. Cecchi, l'idealismo italiano
nel sec. XIX.. esposizione della prima parte dell' opera del Prof. L. Ferri intitolata :
„Essai sur l'hist. de la Philos. en Italie au XIX. sieclc", Firenzc 1869. Franc. Fioren-
tiuo, la filos. contemporanea in Italia, Nap. 1876. Pomps, l'Itaüa filusofica eontemp.,
538
§ 48. Philosophie in Italien.
2 voll., Salerno 1879. Vgl. Barzcllotti, la Filosofia in Italia (estratto della nnova An-
tologia), 1878, Philosophy in Italy, in: Mind, III. Bd., 1878. Espinas, la Philos. expe
rimentale en Italie, in: Revue philos., T. 7, 1879. G. Fontana, le filosofie e la coltura
italiana nel moderao evo, Milano 1882. Kinc gute Uebcrsicht üb. d. neuere italienische
Philos. mit reichlichen Litteraturangahen (bis 1875) findet sich in dem von Vincenzo
Rotta verfasst Appendix II (HiBtorical sketch of modern philos. in Italy) zu der oben
citirten englisch. Uebersetz. dieses Grundr. Krl. Werner, d. Italien. Philos. des
19. Jahrb., 5 Bde., 1. Bd.: Ant. Rosmini u. seine Schule; 2. Bd.: der Ontologismua
als Ph. des national. Gedaukens; 3. Bd.: d. krit. Zersetz, u. speculat. Umbildung d. Onto-
logism.; 4. Bd.: die it. Ph. d. Gegen w.; 5. Bd.: d. Selbstvermittelung des national. Cultur-
gedankens in d. neuzeitl. it. Ph., Wien 1884 — 1886; (im 6. Bde. soll die Darstell, d. specif.
kirchl. Ph. folgen. Das wernersche Werk ist in diesem Paragraphen von uns vielfach be
nutzt); ders., Idealist. Theorie des Schönen in d. it. Ph. des 19. Jahrh., Wien 1884. E.
Caporali, il pensiero italiano contemporaneo in Italia. Critica del Kantismo negativo di
Cesca e del Kantismo neoplatonico e del pessimisrao di C. Cautoui, in: La nuova scienza,
Dec. 1884, Sett. 1885. Luigi Credaro, il Kantismo in Italia in: Rassegna critica
di opere filosofiche etc. 1885, Ag., Sett Agost. Moglia, La filosofia di San Tommasso
delle scuole Italiane, Piatenza 1885; ders., l'Aristotelismo e l'enciclica di L. XIII, ib. 1888.
Romagnosi, Genesi del diritto publico, 1805. Che cosa e la mente sana ?
Mil. 1827. Deila suprema econoniia dell' umano sapere in relazione alla mente sana,
Mil. 1828. Opere, Florenz 1832— 1835; Mil. 1836— 1845. Appunti e pensieri inediti,
raccolti e public, da un suo anticodiscipulo (G. Sacchi) Mil. 1873. Ueber Romagnosi
Jos. Ferrari, Mail. 1835, Cantu u. Sacchi, Prato 1840. Credaro, il Kantismo in G. D.
Romagn., in Riv. Ital. di Fil., II, 1887. Galluppi, Saggio filosofico sulla critica delle
eonoscenze umane, Messina 1820 — 27; Lettere filosofiche sulle vicende della filosofia —
da Cartesio sino a Kant — , Messina 1827; Lezioni di logica e metafisica, Napoli
1832—1836; Filosofia della volontä, Nap. 1832—40.
Rosmini, Nuovo saggio sulT origine delle idee, Rom 1830 u. ö., ins Englische
übers., Vol. I, Lond. 1883; Filosofia del diritto, ebd. 1839 — 41; Teosofia, opera
postuma, vol. I — V, Torino 1859 — 74; Princ. della scienza morale, Mailand 1831 uud
1837, Turin 1868; Saggio storito-eritieo, sulle categorie e la dialettica, opera post.,
2 voll., Torino 1884; Antropologia sopranaturale, 3 voll., Casale-Torino 1884. Ueber
ihn: Gioberti, Degli errori filosofici di A. R., 3 voll. 1842. Niccolö Tommaseo,
Turin 1855. Rud. Seydel, Rosmini e Gioberti, in Zeitschrift f. Philos. Bd. 34 u. 35,
1859. Vincenzo Garelli, Turin 1861. Vinc. Lilla, Kant e Rosmini, Turin 1869. Seb.
Casara, il sistcma filosofico Rosminiano dimostruto vero nel suo principio fondamentale
oon lo studio e sviluppo di un solo articolo della summa teologica di San Tommaso
d'Aquino, Venezia 1874 u. ö. AI. Paoli, lo Schopenhauer e il Rosmini, Rom 1878.
Esposizione ragionata della filosofia di A. R., 2 voll. 1879. Paoli, Memorie della
vita di A. R. S., vol. 1, Torino 1880, vol. 2, Roveredo 1884. Im 1. Bde. findet sich
ein genaues Verzeichniss der Schriften R.s, im 2. eine Bibliografia Rosminiana. Thom.
Davidson, the philosophic. system of Ant. Rosm. S., Lond. 1882. G. M. Cornoldi, il
Rosminianismo, sintesi del* ontologtsmo e del panteismo, Roma 1883, s. dazu G. Mcz-
zera, Risposta al libro del G. M. C. »il Rosm. etc." Mil. 1883. Visintainer, Kant
e R. e il probleina gnoseolog., Par. 1885. G. S. Mac Walter, Life of A. Ros.-Serb.,
London 1883. Conde B. Fallen, R.s innate ideas, a priori ideas and subject — obj.
ideas, in: Journal of spec. pb., XVIII, 1884, S. 311—332. K. Werner, A. R., s.
Stellung in d. Gesch. d. neuer. Ph., der italien. insbes., Wien 1884, s. auch ob. Lock-
hart, Life of A. R. S., 2. ed., Lond. 1887.
Gioberti, Introduzione allo studio della filosofia, Brüssel 1840; Protologia,
veröffentlicht Turin 1857 durch Gius. Massari; Filosofia della rivelazione, Turin 1856;
Riforma cattolica della chiesa, ebd. 1856; Opere iuedite, 6 voll., 1856—60. Das Werk
über Rosmini s. ob. Ueber G. handeln Seydel s. o. b. Rosmini, auch dessclb. Art.
über G. in Erech. n. Grubers Encykl., I. Sect., 67. Bd. Spaventa, la filosofia di Gio-
berti, Neapel 1863, auch stellenweise in: Prolusionc cd introduzione alle lezioni di filo-
sofia nella universitä di Napoli 1861, doch vgl. dagegen insbesondere den betreffenden
Abschnitt in Ferris oben erwähnter Schrift. Gius. Prisco, Gioberti e l'ontologismo,
Neap. 1867. B. Labanca, della mente di V. G., Firenze 1871. Genaue biographische
Notizen über G. bei Giuseppe Massari, Ricordi biograf. di V. G., 3 voll. Torino 1860—63.
Mamiani, del rinovamento della filosofia italiana, Paris 1834 u. Flor. 1836;
Ontologia, Paris 1841 u. Florenz 1843; Dialoghi di scienza prima, Par. 1846; Con-
fessioni di un metafisico, Florenz 1865; vgl. dazu u.a. due opuscoli filos., eine Entgeg-
nung Bonatellis nebst der Antwort Mamianis, Persiceto bei Bologna 1867; Teoria della
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§ 48. Philosophie in Italien.
529
religionc e dello Btato, Flor. 18G8: le incilitationi Cartpsiane rinnovate nel seeolo XIX.
ebd. 1869; Kant c l'ontulojjia, ebd. 1870; Competidio e sintesi della pmpria Bios, ossia
miovi Proleg, ad ognl presente e futura Metafisiea, Toriuo 1876; della psieulogia di
Kant, Koma 1877; la religio»« doli' avenire, ovvero della relig. positiv» «• perpetua d»>l
Kencre umano, Mil. 1880. Ueber M. F. Lavarino, la logiea e la filosofia dpi conte
Terenzio Mamiani, Flor. 1870; Seb. Turbiglio, d. Theorie der l'erreption des Grafen
Mamiani, Abdr. c. Artikels aus derZts<br. La filosotia delle scuole Italiaiu-; ti. Mestiea,
mi la vita p 1p opere di T. M., disn.rso prontinz. all' universitä di Palermo, 188Ü.
So la vita e le opere di V. M., in: Itiv. Ital. di til., I.
Nachdem bereits im achtzehnten Jahrhundert Antonio Genovesi (s. über ihn
Bobba, Benevent 1867) besonders über Nationalökonomie gearbeitet, Cesare Beccaria
(1735—93, dei delitti e delle pene, Monaco 1764, deutsch von If. Waldeck in der
bei L. Heimann erseh. hist.-polit. Bibl., Berl. 1870) und Gaetano Filangieri
1 1 752 — 1788"i ; la scienzn della legislazione, Napoli 1781—88, die Forderung einer
Reform der Gesetzgebung in liberalem Sinne auf philosophische Gründe gestützt hatten,
hat sich tbeils noch gegen Ende des 18. Jahrb.. durch die Schrift über den Ursprung
des Strafrechts (1791 u. 6.) theils im gegenwärtigen Jahrhundert um die Rechts-
philosophie besonders Giovanni Domenico Romagnoai(1761 — 1835) verdient gemacht,
der auch auf dem Gebiete der Psychologie, der Erkenntuisslehro und der Geschichte
der Philosoph!« erfolgreich gearbeitet hat. Romagnosi bekämpft in Anlehnung an
Condillacs Sensualismus nicht nur die Voraussetzung angeborner Ideen, sondern
auch die der angeborenen abstracten Seelenvermögen, erklart es (che cosa etc.,
Milano 1827, p. 79, citirt von Benekc a. a. 0. S. 296) für einen enormen Missgrift",
die abstracten Allgemeinheiten der Wirkungen als reale wirkende Ursachen eben
dieser Wirkungen anzunehmen. Den Werth der Statistik für moralische und
nationalökonomische Forschung hat Melchior Gioja (1766—1829) hervorgehoben.
Den in der zweiten Hälfte des 18. und am Aufang des 19. Jahrhunderts, namentlich
durch den Einfluss Condillacs, vorherrschenden Sensualismus und Empirismus, den
u. A. auch der um die Pädagogik verdiente Pater Soave, ein Anhänger Locke*,
vertrat, wie auch anfangs der später zum Kriticismus sich bekeimende Alf. Testa
(über den Vincent Molinari. Parma 1864, handelt), haben u. A. der an Descarte*
und besonders an Malebranche sich anschliessende Cardinal Sigism. Gerdil, der
auch eine Schrift gegen Rousseaus Emile verfasst hat (vgl. K. Werner, d. cartes.-
malebranchesche Philosophie in Italien, I. Fardella, II. Giac. Sig. Gerdil, aus d.
Sitzungsber. d. Kais. Ak. d. W., Wien 1883), und Ermenegildo Pini (1739-1825),
der pythagoreisirende Verfasser einer „Protologia", Mailand 1803, bekämpft. Der
Neapolitaner Pasquale Galluppi (1771 — 18-16) hat hauptsächlich die Erkenntniss-
lehre mit kritischer Rücksicht auf Kant, wie andererseits auf französische und
schottische Philosophen (besonders Reid) bearbeitet. Sein eigener Standpunkt
liegt dem leibnizschen nahe. Allerdings soll die ganze Erkenntniss auf innerer und
äusserer Erfahrung beruhen, aber die Erfahrung selbst besteht nicht in den Daten der
Sinne, sondern sie entsteht dadurch, dass der Geist diese Daten vermittelst seiner
Beziehungen bearbeitet. Eklektisch philosophirt Salvator Mancino, elem. di filos.
1835-36, 13. ed. 1857.
Antonio Rosmiui - Serbati war 1797 zu Roveredo geboren, wurde Geist-
licher, fungirte als solcher eine Zeit lang in seiner Vaterstadt, nahm unter Karl
Albert von Sardinien Theil an Politik, gründete eine geistliche Congregatiou unter
dem Namen: Institute della Carita, war der jesuitischen Partei aber zu freisinnig,
so dass einige seiner Schriften auf den Index kamen. Er starb 1855 auf seinem
Landgute in Stresa, wo er mit seinen Freundeu häufig philosophische Unter-
redungen geführt hatte. Ausser auf Piaton geht er auf Descartes, auch auf Schelling
und Hegel zurück und will in seinem Philosophiren die richtige Mitte halten
l'e ber w ep- II »• in/<\ GrunJri«s III. 7. Aufl. nt
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§ 48. Philosophie in Italien.
zwischen dem empiristischen nnd dem idealistischen Standpunkt. Er nimmt an,
dass die Idee des Seins überhaupt oder des mögliehen Seins dem Menschen an-
geboren sei, dass sich ihrer das Ich durch eine unmittelbare innere Wahrnehmung
bewuBst werde, und dass sie sich, wenn wir sie analysiren, in eine Vielheit einzelner
Ideen zerlege; aber nur die Formen der Erkenntniss entspringen aus dem Geiste,
so Substanz, Ursache, Zahl, Wahrheit, nicht auch der Stoff. Weil der Philosoph
sein Selbst zum Object seiner Beobachtung zuerst machen muss, nennt Rosmini
seinen Standpunkt den des ideologischen Psychologismus gegenüber dem Ontolo-
gismus Giobertis. Hat mau der Objectivität der Ideen des Seins sich versichert,
ho wird auch die Erfahrung gleichsam theilhabend am Sein, als objectiv anerkannt.
Gegenstände der Erfahrung sind die AVahrnehmungen und die denselben zu Grunde
liegenden Dinge. Die ersten der durch sinnliche, vermöge der Idee des Seins ver-
allgemeinerte Erfuhrung zu Stande kommenden gemischten Ideeu sind die von Geist
und Körper. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden in uns ist eine unmittel-
bare Thatsache, aber unerklärlich. Die Erkenntnis Gottes ist keine empirische,
vielmehr eine rein apriorische: Die Idee des Seins macht sich in mir als Thatsache
geltend, die aber nicht von mir und ebenso wenig von einem anderen endlichen
Wesen herrühren kann, sondern eine absolute Wirklichkeit voraussetzt, die identisch
mit Gott ist
Zu Rosminis Anhängern gehört Ruggiero Bonghi, der die Metaphysik des
Aristoteles und Schriften Piatons übersetzt, auch Briefe über die italienische
Litteratur verfasst und (auf Rosminis Landsitz und Kloster Stresa am Lago mag-
giore gehaltene) philosophische Gespräche (Le Stresiane) in freier Darstellung ver-
öffentlicht, auch einen Abriss der Logik, .Mailand 1800, und Dissertationen in den
Abh. der Akad. Stal. Philos., Genua 1852— 53, verfasst hat, ferner u. A. auch der
Dichter Manzoni, der in seinem Dialogo dell' invcnzione sich zur Philosophie Ros-
minis bekannte. Für dieselbe trat auch neuerdings der Bischof Pietro Maria Ferrö
ein und suchte die volle Uebereinstimmung Rosminis mit dem richtig verstandenen
Thomas darzuthun in dem neunbändigen Werke: Degli uuiversuli secondo la teoria
Rosminiana confrontata colla dottriua di S. Tom. d. Aqu. e con quella di parecchi
Tom i -ii e Filosofi moderni, Casale 1880 ff. Seit 1879 erscheint auch eine Zeit-
schrift mit der Tendenz, die Lehre Rosminis zu verbreiten und zu vertheidigen :
La Sapienza, Rivista di filos. e di lettere, diretta de Viucenzo Papa, Torino.
Verwandter Art ist auch die philosophische Richtung des mit den Forschungen
Lotzes, Herbarts, Trendelenbnrgs und anderer deutscher Philosophen vertrauten
Francesco Bonatelli, dessen Hauptschrift ist: Pensiero e conoscenza, Bologna
1864. Auf Rosminis Doctrin fusst auch P. Paganini, dello spazio, saggio cos-
mologico, Pisa 1862, und sucht in seinen Osservazioni sulle piu risposte armonie
della filos. naturale colla filos. sopranaturale, Pisa 1861, darzuthun, dass Rosmini
die Lehren des Augustin und des Thomas in der seinigen vereinigt. Auf der
Grundlage der Geschichte der Philosophie philosophirt Epifanio Fagnaui, delle
intime relazioni in cui sono e con cui progrediscono la filosofio, la religioue e la
libertü, Torino 1863. An Royer-Collard schliesst sich der Rechtsphilosoph P. E.
Imbriuui au. Simone Corleo, filosofia universale, Palermo 1860—63, erstrebt
eine kritische Synthesis der philosophischen Systeme. Unter dem Einfluss Kants,
Jacobis und Pascals steht Bonav. Mazzarella, Critica della scienza, Genua 1860;
della critica libri tre, Genua 1867-68.
Vincenzo Gioberti, geb. 1801 in Turin, widmete sich dem geistlichen
Stuude, wurde 1825 Professor um Turiner Athenäum. Auf den Verdacht hin, mit
•lern »jungen Italien" in Verbindung zu stehen, des Landes verwiesen, wandte er
bich nach kürzerem Aufenthalt in Paris nach Brüssel, um hier eine Stelle au einer
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§ 48. Philosophie in Italien.
531
Private rziehungsunstalt anzunehmen. 1843 veröffentlichte er sein in Italien Begeiste-
rung erweckendes Werk: Del primato morale e civile degli Italiani, worin er die
nationale Erneuerung und Selbständigkeit predigt und als Ideal eine Conföderation
der italienischen Staaten und Fürsten unter dem Voreitze des Papstes hinstellt.
1848 nach Turin zurückberufen, betheiligte er sich aufs Lebhafteste an Politik,
fungirte kurze Zeit als Minister, dann als Vertreter seiner Regierung in Paris und
starb daselbst 1851. In seinem Philosophiren fusst er einerseits auf Piaton, anderer-
seits erinnert er an Malebranche und Spinoza. Nach ihm ist das absolut göttliche
Sein wahres Object der unmittelbaren rein geistigen Anschauung. Hierbei will er
nicht von einem Factum des Bewusstscins ausgehen und nicht die cartesisch-psycho-
logische Methode wie Rosmini anwenden. Jede Philosophie muss sich jedoch auf
Offenbarung stützen, und es giebt keine von der Theologie losgelöste philosophische
Erkenntuiss. Ja Gioberti geht so weit, zu sagen, dass, wer nicht Katholik sei, auch
kein vollkommener Philosoph sein könne. Er wollte der menschlichen Erkenutniss
eine sichere objective Grundlage geben. Da aber die volle Objectivität nur in der
Gottheit ist, so fasste er alles Erkennen als Offenbarung des in seinem eigentlichen
Wesen unerkennbaren Gottes auf. Sein Fundamentalsatz lautet: Das Sein schafft
die Existenzen (l'Ente crea le esistenze), und das Existirende kehrt zum Sein
zurück. Durch die Glieder seines Hauptsatzes gewinnt er die Eintheilung der
philosophischen Disciplinen. Das Ente ist das an sich Seiende, auf welches die
Scienza ideale geht, das Crea hat es mit dem Hervorgang der geschaffenen
Existenzen und mit ihrer Rückkehr in den Urgrund zu thun. Unter Esistenze
fallen die sich auf die verschiedenen Arten der geschaffenen Wesen beziehenden
Wissenschaften. Anfang und Ende aller Dinge ist Gott; demnach muss auch seine
Idee sich in jeder Disciplin offenbaren. Anhänger fand die Lehre Giobertis
namentlich in Unteritalien. Einer der vorzüglichsten Vertreter derselben ist Vin-
cenzo di Giovanni in Sicilien, der auch über sicilianische Philosophie werthvolle
Arbeiten veröffentlicht hat. Auch Pietro Luciani vertheidigt in seinem Werke:
G. e la filos. nuova italiana. 3 Bde., Neap. 18G6— 72, die Lehre Giobertis als die
eigentlich nationale gegen die in Neapel zur Herrschaft kommende hegelsche. —
Als einflussreicher Lehrer der Philosophie wirkt an dem Instituto di superiori
studii in Florenz Augusto Conti (geb. 1822), der eine Vermittelung der sicheren
Resultate der neueren Philosophie mit den scholastischen Lehren anstrebt. — Der
Richtung Vicos gehört an Diodato Lioy, Deila filosofia dcl diritto, 2. ed., Nnp.
1884, ins Deutsche übers, v. Matteo di Martino, Berl. 1885.
Mit Giobertis Richtung ist die des Mctaphysikers und Geschichtsphilosophen
Terenzio Mamiani (geb. 1800, betheiligte sich sehr lebhaft an der Politik, war
mehrere Male Minister, auch unter Cavour Unterrichtsminister, zuletzt Senator in
Rom, gest. 1885), des „gran pontefice della filosofia officiale italiana«, verwandt,
der sich selbst einen Platoniker nennt. Neben den platonischen Elementen machen
sich auch empiristische bei ihm geltend. Er scheidet zwischen natürlicher und
speculativer Philosophie; die erste ist die des gesunden Sinnes, die auf die Erfah-
rung sich gründende und das von dieser gelieferte Material mit der Vernunft
zurechtlegende, die letztere hat eine kritische Erkenntnisstheorie zu liefern. Der
Zweck der Schöpfung ist die Realisirung des Guten, dio nur durch Vereinigung
des Geschaffenen mit dem absolut Guten stattfinden kann. Erreicht kann diese
Vereinigung nur werden nach vorausgehender geistiger Anschauung des absolut
(Juten. In dem von ihm gegründeten Organe : Filosofia delle scuole Italiane
1*70-1885, 23 Bde., sollte die richtige Mitte eingehalten werden zwischen der
extrem kirchlichen Richtung und dem positivistischen Naturalismus. Fortsetzung
dieser Zeitschrift ist die Rivista Italiana di filosofia, diretta da Luigi
34*
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532
§ 48. Philosophie in Italien.
Ferri , Roma 1886 ff. Dieser selbst steht Matniani nahe, s. ob. b. Pomponatius,
ferner salla dottrina psicologica dell' aasociazione, Roma 1876, Analisi del concetto
di sostanza e sue relazioni, Roma 1886.
Auf den kirchlichen Lehranstalten herrschte auch schon vor der päpstlichen
Encyclica der Thomismus, [unter dessen Vertretern der Pater Matth. Liberatore
(■. o. Grdr. II. § 33), Institutiones philos. ad triennium accommodatae, Neap. 1851,
in neuer mehr thomistischer Form, Prato 1881; Ethica et jus naturale, Neap. 1858;
Log. et metaph., Romae 1868; della conoscenza intellettuale, 2. ed., Roma 1873,
hervorragte. Sanseverino, Philosophia christiana cum antiqua et nova com-
parata, Neapel 1862 fT, PhiL christiana c. ant. et n. compar. in compeudium rcdacta
2 voll. Napoli 1868, Ges. de Crcscenzio, Scuole di filosofia, Florenz 1866,
Filippo C'upozza, sulla filos. dei Padri e Dottori della chiesa e in ispecialitä di
S. Tommaso in oppos. alla filos. moderna, Napoli 1868, die Rechtsphilosophen
Prosper Taparelli und Audisio und Andere sind Thomisten, ebenso der Prof.
d. Physik Rubbini, Lezioni elementari, Bologna 1880. Auch der kirchliche Demagog
Pater Ventura, der die Demokratie eine wilde Heldin genannt und getauft hat,
hl Thomist. Seit der Encyclica hat sich der Thomismus noch weiter entwickelt,
wie eine grosse Zahl von Schriften beweist, die auch z. Th. das naturwissenschaft-
liche Gebiet behandeln. Einige Thomisten nehmen gegen den Rosminianismus eine
polemische Stellung ein, s. die Schrift von G. M. Cornoldi in der Litter. Ver-
treten ist die thomistische Richtung in der C'iviltä cattolica, welche eine Reihe
von Arbeiten Cornoldis gebracht hat, in der Zeitschrift Academia Romana. seit
1880, und in La scienza Italiana, Periodico di Glos., medicina e scienze natur..
public, dall' Academia filos.-medica di S. Tom. d'Aqu , seit 187G.
Eine antikirchliche Richtung vertreten insbesondere die kritischen Skeptiker,
Giuseppe Ferrari (1811 — 1876), der Vicos Werke herausgegeben, an diesen und
Romagnosi angeknüpft und u. a. eine Schrift: la filosofia della rivoluzione, London
1851, verfasst, auch über die katholische Philosophie in Italien in der Rev. des deux
mondes 1844 geschrieben hat, und Ausonio Franchi (pseudonym für C'hristoforo
Bonavino), der mit der Kirche vollständig brach, Verfass. d. Schriften: il razionalismo
del popolo, Genf 1856 , 2. ed., Losanna 1862, le rationnlisme, Bruxellcs 1858;
la religionc del secolo XIX., Losanna 1853, 2. cd. 1860; su la teorica del
Giudizio, Lettere di Ausonio Franchi a Nicola Mameli, Milano 1871; Saggi di
critica e polemica, questioni filosofiche etc., Milano 1872, auch einer Wochenschrift
la Ragione, Turin 1851 ff. Beide, Ferrari und Franchi, machen auch entschiedene
Opposition gegen Rosminis und Giobertis Versuche, den Katholicismus mit der
Philosophie zu versöhnen.
Der positivistischen Richtung, im Ganzen der Comtes, schliessen sich au Pas-
quale Villari, la filos. posit. e il metodo positivo. Mil. 1866, A. Angiulli, la
filos. e la ricerca positiva, Napoli 1869, Questioni di filos. contemporanea, Nap. 1873,
Aristide Gabeiii, l'uomo e le scienze morali, Mil. 1869. Unter den neuen Positi-
visten kann man zwei Richtungen unterscheiden: die naturalistische bez. materia-
listische, welche die naturwissenschaftliche Erkenntniss voranstellt, und diePhilosophie
in der Weise der Naturwissenschaften behandelu will, um sie zu einer Wissenschaft
zu machen, und die kritische oder philosophische, welche ausser auf Positivisteu
auch auf Kant zurückgeht und von der Teleologie metaphysischen Gebrauch macht.
Die erstere ist vertreten namentlich durch R. A rdigö, Opere filosofiche, vol. I, Pietro
Pomponazzi e la psicologia come scienza positiva, vol. II, la formazioue naturale nel
fatto del sistema Bolare, l'iuconoscibilc di H. Spencer e il positivismo, la religione di
T. Mamiani, lo studio della storia della filosofia, vol. III, la morale dei positivisti,
relntivita della logica umana, la coscienza vecchia e le idee nuove, empirismo e scienza
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§ 48. Philosophie in Italicu.
B33
(Vieles davon vorher einzeln erschienen), Cremonu u. Padova 1883 — 1886, njid
G.Sergi; die letztere durch Pietro Siciliani, Critica del positiviamo, Bologna 1868,
sulle fonti Btoriche della fil. pos. in Italia: Galileo Galilei, ebd. 1869, buI rinnova-
mento della filos. pos. in Italia, Flor. 1871, Psicogonia, 3. Aufl., Bologna 1882.
Dieser will zugleich den Positivismus als die internationale Philosophie gegenüber
der nationalen in Italien zur Geltung bringen. Eine mehr kritisch -historische
Richtung schlagt Giovanni Cesca ein. II nuovo realismo coutemporaneo della
teorica della conoscenza in Germania ed Inghilterra, Verona 1883, Storia e dottrina
del criticismo, Padova, Verona 1884, la morale di tilos. Bcientifica ib. 1836. Seit
Juli 1881 erscheint auch eine Zeitschrift mit positivistischer Tendenz: Hivista di
filosofia scientifica, unter der Leitung von E. Morselli, Ardigö, Sergi u. A.
redigirt von G. Buccola. Eine ähnliche Richtung verfolgt die Zeitschrift: La nuova
scienza, Rivista dall' istruzione superiorc, herausgeg. von Enrico Caporali, von 1884
an. Gegen den Positivismus ist die oben bei Comte angeführte Schrift von Giac. Bar-
zcllotti gerichtet, der selbst eine eklektische Richtung verfolgt. Vgl. Ferdinand
Franzolini, la filos. posit. e la atoria naturale delle religioni, Treviso 1871; F. Po-
letti, dell' indole e limiti della filos. posit., Udiue 1870; E. Trombetta, la filos.
speculat. ed il positivismo, Nap. 1872. Die ausnahmslose Gesetzlichkeit des Gesche-
hens behauptet Seb. Turbiglio, l'empirie de la logique, Turin 1870.
Ausser den erwähnten Richtungen hat auch die he gel sehe Philosophie seit
Ende der vierziger Jahre in Italien, besonders in Neapel, sich eine Reihe von An-
hängern erworben. Zu diesen gehören Desanctis, Marselli, d'Ercole, Delzio, Raph.
Mariano, la philos. contempor. en Italie: Essai de philos. hegelienne, Paria 1868,
Mar. Florenzi, Cam. de Meis, der Rechtsphilosoph Salvetti, der Aesthetiker An-
tonio Tari (Estetica ideale, Napoli 1863, Coufessioni filosofiche, Nap. 1873), Pietro
Ragnisco (Storia critica delle categorie dai primordj della filos. Greca sino ad
Hegel, Florenz 1871, la critica di ragiono pura di Kant, 1875) U.A., namentlich
auch Aug. Vera (über den Rosenkranz, Berlin 1868, u. R. Mariano, Napoli 1886,
hnndelu), der Hegels Hauptwerke ins Französische übersetzt und (besonders durch
die Schrift: Introduction ä la philos. de Hegel, Paris 1855, 2. ed. 1864, ferner durch
Vorlesungen über Hegels Geschichtsphilosophie, von Raffaele Mariano, Florenz 1869
herausgegeben) erläutert und Problema dell' Assoluto, 4 Tide, Napoli 1872—1882,
verfusat hat, und Bertr. Spaveuta, der u. a. über die Rai. Philosophie seit dem
16. Jahrh., Modena 1860, auch philos. Versuche (Saggi di critica filosofica, politica
e religiosa) Bd. I, Neapel 1867, geschrieben hat (Vgl. P. Siciliani, gli Hcgeliani
in Italia, Bologna 1868.) Auch die herbartsche Lehre ist nicht ohne Einfluss in
Italien geblieben, und neuerdings findet der kantische Kriticismus Vertreter daselbst,
deren Haupt Carlo Cantoni ist. Eingehendere Kantatudien hat veröffentlicht
Feiice Tocco. Die Schriften beider s. bei der Kantlitteratur.
In Spanien herrschte ein gemilderter Scholasticismus, der mit der abstrusen
Form zugleich vieles von der alten Strenge und Tiefe verloren hat. Zu den bedeu-
tendsten Vertretern desselben gehört Balmes, von dessen Schriften Lorinser mehrere
ins Deutsche übersetzt hat. Thomisten von Namen sind noch Gonzalez und Orti
y Lara, Logiea, Madrid 1885. Als eine von der kirchlichen Autorität freie Rich-
tung hat insbesondere der Krauseaniemus einigen Eingang gefunden, Der oben er-
wähnte Vertreter derselben, Julio Sanz del Rio, ist am 12. Oct 1869 gestorben.
Ausser ihm sind zn nennen Ruiz und Gonzalez Serrano.
In Portugal hat die sensualistische Richtung vertreten Silvestre Pinheiro
Ferreira (1769-1846), s. üb. ihn J. J. L. de Magelhaes, S. P. F., sein Leben u.
seine Philos. mit einer Einleit. üb. d. wichtigsten portugies. Philosophen vor ihm.
I.-D. Bonn 1881. Vgl. sonst üb. portugies. Philos., die freilich durchaus scholastisch
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534 § 49. Philosophie in Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen u. and. Land.
war, Lopez Praca, Historia da philos. em Port., Coimbra 1868. In Porto ist 1878
eine Zeitschr. gegründet worden: O Positivismo, Rovista de philosophia, p.
Th. Braga et J. de Hattos.
§ 49. In Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen, Russ-
land, Polen, Ungarn haben verschiedene Richtungen der deutschen
Philosophie, namentlich die hegelsche, nicht unbeträchtlichen Einfluss
gewonnen. Am selbständigsten hat sich das philosophische Denken
in Schweden entwickelt, und hier sind zu nennen Ilöijer, Biberg,
Grubbe, Geijer, vornehmlich aber Bo ström, dessen Philosophie
noch die tonangebende auf den schwedischen Universitäten ist und
von ihm selbst als rationeller Idealismus bezeichnet wird. Auch seine
Gesellschaftslehre, ähnlich der Krauses, ist von Bedeutung.
Ueb. d. Philosophie in d. Niederlanden handelt T. Roorda, in: Ztschr. f. Ph.
u. ph. Kr., 10. 1843, u. Land in: Mind, 1878.
Ueb. d. Philosophie in Schweden 8. da« gross angelegte aber noch nicht
vollendete Werk vun Ax. Nvbläus, Den tilosofiska forskningan i Sverige, Lund 1873 ft".
Har. Höffding, in: Phil. 'Monatsh. (15) 1879, S. 193—235. Ejjon Zöller, in: Prot.
K. Zt., 1881, No. 4.9, öl, 52; ders., Neuere schwedische philos. Schriften, in: Ztschr.
f. Ph. u. ph. Kr., 83, 1883, S. 270— '279. Samuel (irubbes Kilosofiska skrifter i urval.
Utgifua of Axel Nvbläi s (och Keinh. Geijer), Lund, 7 Bde., 1877 ff. Ueb. ihn s. Kg.
Zoller, d. schwed.' Philos. S. Gr., in: Ztschr. f. Ph. u. ph. Kr., 87, 1885, S. 74- 88.
Skrifter of Christopher Jak. BostrOm, utgifna of H. Kdfeldt, 2 Ilde., Upsala 1S83.
Ueb. ihn: Höffding in d. ob. etwähnt. Auf.*.; ,1. J. Horelius, d. Phil. B s u. ihre
Selbstauflös., in: Ph. Monatsh., 24, 1885, S. 235—243. Ueb. d. slavische Ph.
s. Cleni. H ankiewiez, Grundzage d. slav. Ph., 2. Ausg., Lemberg 1873, Hnr. v. Stru ve,
d. phil. Litt. d. Polen, in: Philos. Monatsh., 10, 1874, S. 222— 231, 29S— 325.
In Hollaud herrscht das durch Franz Hemsterhuys ^1720—90) und Daniel
Wyttenbach (1746—1820 s. o ) empfohlene populäre Philosophiren im Anschluss
an die Alten vor (Vgl. über Hemsterhuys G. Ottema, comm. de philos. Fr.
Hemsterhusii, Lovanii 1827, Emile Grucker, Paris 1866, und Gronemann, Utrecht
1867.) Li Utrecht hat der Platoniker Philipp Wilhelm van HeuBde (geb. 1778,
gest. 1839) gelehrt Ausser Arbeiten zur Geschichte der Philosophie vonRoorda
und Anderen sind besonders noch die Untersuchungen zur Logik, Aesthetik und
Religionsphilosophie von ('. W. Opzoomer zu erwähnen. Opzoomers logisches
Handbuch: „die Methode der Wiss.* ist aus dem Holländischen ins Deutsche von
G. Schwindt übersetzt worden (Utr. 1852) und seine Schrift »die Religion" von
F. Mook, Elberfeld 1869. Opzoomer mit seinen Schülern Koorders und Pierson
lehrte, das Gebiet des Glaubens sei von dem des Wissens geschieden, jedes von
den beiden habe sein eigenes Recht. Hofstede de Groot und Chantepie de la
Saussaye vertreten die Lehre von der Selbstbeschränkung Gottes. Die Lehre vom
freien Willen wurde kritisch und vorurteilsfrei untersucht von .1. H. Schölten,
und dieses Buch ins Deutsche übersetzt von C. Manchot, Berl. 1874.
In Dänemark hat, wie früher der Kantinnismus und Schelliugianismus, so
neuerdings auch der Hegelianismus Anhänger gewonnen. Auch Feuerbachs Richtung
hat eingewirkt, ist jedoch durch Sören Kierkegaard, gest. 1854, und Rasmus
Nielsen (in Kopenhagen) dahin umgebildet worden, dass neben der objectiven
Wahrheit, die dem Denken entspreche, als mindestens gleichberechtigt die sub-
jective Wahrheit anerkannt wird, die dem persönlichen Affect und dem Wollen
entspreche; der Glaube darf nicht nach den Gesetzen des Glaubens beurtheilt
werden. Im Gegensatz zu dieser Sonderung hält an der hegelsche :i Auffassung des
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§ 49. Philosophie in Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen u. and. Land. f)35
Verhältnisses von Religion und Philosophie insbesondere Broch ner fest. Nach
K. Kroman, Unsere Naturerkenutniss, ins Deutsche übers. Kopenhag. 1883, Riebt
es zwei Arten von Wissenschaften, die formalen (Logik, Mathematik, Mechanik) und
die realen (Naturwissenschaft etc.). Die ersteren, in gewisser Weise apriorisch,
haben es mit selbstgeschaffenen Objectcn zu thun und geben uns Gewissheit, die
letzteren finden Objecto vor, sind empirisch und bieten nur Wahrscheinlichkeit.
Auf ethischem und psychologischem Gebiet hat mit Erfolg gearbeitet Harald
Höffdiug (Prof. in Kopenhagen), Die Grundlagen der humanen Ethik, a. d.
Dänischen, Bonn 1S80, Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung, ins
Deutsche übers. Lpz. 1887, eines der brauchbarsten psychologischen Lehrhüeher
neuerer Zeit.
In Norwegen vertritt M. J. Monrad (in Christiania) einen Hegelianismus.
Auf Grund des Gedankens, dass das Leben in steter Ueberwindung und Versohuung
der Gegensätze bestehe, bekämpft er die vermittlnngslose Trennung zwischen
Glauben und Wissen und sucht eine Ausgleichung im kirchlichen Sinne durch die
Annahme zu gewinnen, der Glaube antieipire das unendliche Ziel, welchem die
stets im Werden begriffene, niemals vollendete Wissenschaft zustrebe. Auch den
Positivismus erkennt er als zu Recht bestehend an, aber bloss als ein notwendiges
Moment iu der Entwicklung der Idee, dem freilich nur eine momentane Bedeutung
beigelegt werden darf. Er muss sich wieder in die Idee, in der er seinen Ursprung
hat, aufheben. Der Positivismus in jeglicher Gestalt ist nur das Moment der
Selbstvergesseuheit der Idee. Das Denken sucht sich dem unmittelbur Daseienden,
der besondern Thatsache anzuschliessen, ohne auf die tiefste Quelle derselben oder
seiner selbst zurückzugehen. Es muss aber dieser statns exaninitionis der Idee ihr
in sich bestimmtes Ziel und Maass haben. Wie lange freilich die positive Periode
dauern wird, kaim man nicht berechnen. Hegelianer ist auch Lyng (Professor in
Christiania, gest. 1884).
In Schweden*) wurde die Lehre Lockes vertreten unter Anderen von dem
als Dichter berühmten K. G. af Leopold (1756—1829). Derselbe suchte ein
Supplement der empirischen Erkenntnisstheorie in dem moralisch ästhetischen
Gefühle. Dies, meinte er, unterrichtet uns über moralische Vortrefflichkeit.
Ausserdem nöthigen uns aber die Forderungen unseres sittlichen Bewusstseins, die
Existenz eines persönlichen Gottes und die Unsterblichkeit der Seele anzunehmen.
— Der enthusiastische Vorkämpfer der neueren Poesie gegen den damals in der
schwedischen Litteratur herrschenden franzosischen Geschmack, Thomas T ho rild
(1759— 1808\ der als Professor in Greifswald starb und einen Theil seiner Schriften
auch deutsch verfasst tat, schrieb auch lateinisch ein philosophisches System, das
er selbst als Naturalismus bezeichnet und worin sich vielfach Berührungspunkte
mit Herder und Rousseau finden. Nachdem Daniel Boethius (1751 — 1810, Prof.
in Upsala) die kantische Philosophie bekannt gemacht und gegen eine sehr
heftige Polemik mit Erfolg und Talent vertheidigt, wurde die fichte-schclling-
hegelsche Richtung vertreten von Benjamin Höijer 1 1767— 1812, Prof. in
Upsala), der jedoch die Ideeu dieser deutschen Philosophen zum Theil selbständig
untieipirte. Auf einer Reise in Deutschland hatte er persönlich Bekanntschaft
gemacht mit Fichte und Schelling, die ihn hochschätzten. In seiner Abhandlung
»Ueber die philosophische Construction" (Stockh. 1799, ebd. deutsch 1801) bekämpft
*) Oben stehende Skizze über die schwedische Philosophie, namentlich über
die Ansichten Boströms, ist mit dankenswerther Bereitwilligkeit von einem gründ-
lichen Kenner derselben K. R. Geijer für die fünfte Aufl. dieses Grundrisses aus-
gearbeitet worden; wir haben für die jetzige Aufl. nur Weniges nachzutragen
gehabt.
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53G § 49. Philosophie iu Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen u. and. Land.
er die Meinung, Construction der Begriffe sei nur in der Mathematik, nicht in der
Philosophie möglich. Er sagt, Kant selbst habe die Materie philosophisch con-
btruirt. Eine reine Handlung, d. h. eine absolute unendliche Thätigkeit, die dem
Ich, ihrem Producte, noch voranliege, bilde den Ausgangspunkt aller Construction,
diese selbst geschehe dur. h Einschränkung. Gegen das Constructiousverfahreu in
der Philosophie suchte schon N. F. Biberg (1776-1827, Prof. in Upsala) geltend
zu machen, es sei nicht die Aufgabe des menschlichen Verstandes, aus sich Object
und Inhalt zu produciren, sondern er setze immer einen gegebenen Inhalt voraus,
den er lediglich zu verstehen habe, d. h. klar, deutlich und widerspruchslos (freilich
nur in abstracto) zu denken. Die Vernunft aber betrachtete er als ein besonderes,
von dem Verstände durchaus verschiedenes Vermögen, wodurch der menschliche
Geist schon vor aller Erfahrung einen concreteu Inhalt übersinnlicher Art, obwohl
nur in dunkler, potentieller Form besitze; und diesen Inhalt soweit möglich zur
begrifflichen Klarheit im Bewusstsein zu bringen, soll insbesondere Sache der
Philosophie sein. Dem Pantheismus gegenüber strebte er, eine theistische Welt-
anschauung wissenschaftlich zu begründen, überzeugt, dass nur eine solche unserem
praktisch - religiösen Bedürfnisse entspreche. In seinen ethischen Untersuchungen
eignete er sich Schleiermachers Formalbcgriffe an und suchte sie zu verwerthen.
Die Rechtsphilosophie hat er mit Vorliebe behandelt. Seine Schriften sind
gesammelt von C. O. Dellden (1828— 30 1. Auf dem von Biberg eingeschlagenen
Wege ist Samuel Grubbe (1786—1868, Prof. iu Upsala, dann Minister; gefolgt.
Eine Rechts- und Gesellschaftslehre hat er selbst drucken lassen. Prof. Nybläus
in Lund hat seinen reichen Nachlass geordnet und herausgegeben: Geschichte der
praktischen Philosophie, 2 Bde., Philosophische Sittenlehre, 2 Bde., Phänomenologie,
Ontologie, oder über das absolute Wesen, Das Schöne und die schönen Künste.
Grubbe war zuerst ein Anhänger Sendlings, versuchte dann aber einen speculativeu
Theismus auszubilden, in dem die Persönlichkeit Gottes mit ihren ethischen Eigen-
schaften nicht in Widerstreit stehen sollte mit der speculativ geforderten Unendlich-
keit Gottes. Dem sinnlich Wirklichen kommt nur phänomenale Gültigkeit zu; das
Uebersinnliche erscheint in ihm für den endlichen Menschen. Zu erwähnen ist
hier B. G. Geijer (1786-1846, Historiar. Prof. in Upsala), dessen Vorlesungen
über „die Geschichte des Menschen- nach seinem Tode von Prof Ribbiug heraus-
gegeben sind.
Von Biberg, Grubbe und Geijer vielfach angeregt und sich ihnen in mehreren
Beziehungen anschliessend, wurde Christoffer Jacob Boström (1797—1866,
Prof. in Upsala) der Urheber eines Systems, das noch im Grossen und Ganzen auf
den Universitäten Schwedens das herrschende ist. Als anregender Lehrer der
ukadem. Jugend hat er einen grossen Einfluss uuf die ganze nationale Bildung
gewonnen. Weniger hat er gewirkt durch schriftstellerische Thätigkcit. Die Grund-
züge eines Systems hat er in Grundrissen dargestellt zum Leitfaden für das akadem.
Studium. Ausserdem hat er nur eine Reihe von lateinischen Dissertationen und
mehrere Broschüren, zum Theil polemischen Inhaltes, veröffentlicht. Boströms
Philosophie möchte wohl am besten charakterisirt werden als eine von dem Begriffe
der Persönlichkeit durchdrungene Weltansicht. Nach ihm ist alle Wirklichkeit,
In ihrer Wahrheit aufgefasst, persönlich, und er detinirt daher ausdrücklich die
Philosophie als die Wissenschaft von persönlichen Wesen. Den Ausgangspunkt
seiner ganzen Speculation bildet der Satz, den er zu beweisen sucht, dass alles
Leben im Grunde Selbstbcwusstsein ist, obwohl in unendlich abgestuften Graden
der Vollkommenheit. Allerdings nimmt er das Wort Selbstbewusstsein in einer
sehr umfassenden Bedeutung. Er meint damit nicht etwa Bcwusstsein von sich
selbst oder Ichbewusstscin , sondern bezeichnet damit das Substantielle oder Prin-
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§ 49. Philosophie in Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen a. and. Land. 537
cipk'lle in allem noch so dunklen (ja sogar unbewussten) Vorstellen. Ks bedeutet
bei ihm etwa dasselbe wie bei Leibniz Perceptionskraft, nur mit dem erheblichen
Unterschiede, dass Kraft immer Princip für Veränderungen ist, während nach Ii.
die höchste und adäquateste Form des Lebens oder Selhstbewusstseins aller Ver-
änderlichkeit überhoben ist. Denn in unserer Pbänomenwelt zwar äussert sich das
Leben immer als Selbsttätigkeit oder spontane Veränderung, dabei soll aber das
Wesentliche nicht die Veränderlichkeit sein, sondern die Selbständigkeit in der
Veränderung. Allein Selbsttätigkeit oder Selbständigkeit setzt notwendig ein
Selbst voraus, das wiederum nur als in irgend einer Weise vorstellend (fühlend,
begehrend) zu denken möglich ist. Uebrigens steht es für B. von vornherein fest,
dass Esse und Percipi identische Begriffe sind, wenn mau nur beide Wörter ganz
allgemein auffasst und nicht dem einen oder anderen irgend welche beschränkende
Bestimmung beimischt oder unterschiebt. Denn alles Seiende muss für Jemand
du sein, wenn nicht für sich selbst, so wenigstens für Andere. Ks giebt daher
nichts in der Welt und kann überhaupt nichts geben, was nicht entweder selbst
ein pereipirendes Wesen ist oder Bestimmung (Eigenschaft, Zustand, Function)
eines solchen.
Auf dieser Grundlage buut sich sein metaphysisches Lehrgebäude auf.
Absolut, d. h. im strengsten und eigentlichsten Sinne des Wortes unbedingt oder
selbständig ist nur die unendliche Persönlichkeit, d. h. Gott, dessen durchaus voll-
kommenes Vorstellen die vollste Concretion und Wärme des Gefühls mit der
höchsten begrifflichen Klarheit vereinigt. Aber in Gott und durch ihn lebt und
webt und bewegt sich alles endliche Leben; denn die endlichen Wesen sind ihrem
wahren Sein nach seine ewigen Ideen. Von Gott und seiner Ideenwelt will B. nicht
nur alles Räumliche, sondern auch alle Zeitbestimmungen fern halten, und in Bezug
hierauf nennt er seine Philosophie einen rationellen Idealismus. Das göttliche
Bewusstsein, lehrt er, ist durchaus systematisch, und hierin besteht Gottes innere
Unendlichkeit. Es durchdringen sich hier Einheit und Vielheit. Gott hat alle
seine Momente in sich gegenwärtig und ist mit seinem ganzen Inhalte in ihnen
allgegenwärtig, er wohnt also auch in dem menschlichen Geiste. Er ist wahr-
haftig alles in allem, so dass keine Idee vollständig aufgefasst werden oder sich
selbst auffassen kann, ohne dass eo ipso alle die anderen in irgend einer Be-
ziehung zu ihr als ihre Bestimmungen aufgefasst werden. Um diesen systematischen
Zusammenhang oder diese organische Wechselbestimmtheit der Ideenwelt in einem
Bilde anschaulich zu machen, bedient er sich, wie schon vor ihm Piaton getan,
des Zahlensystems. In dem Begriffe aber eines vollkommenen Systems liegt, wie
B. weiter hervorhebt, dasa jedes Moment (relative) den Charakter des Ganzen
trage, und daraus folgert er, duss Gottes Ideen ursprünglich und in alle Ewigkeit
lebendige und vorstellende Wesen sein müssen. Die schon aus anderen Gründen
verwerfliche Annahme einer zeitlichen Schöpfung ist daher überflüssig. Der Gegen-
satz zwischen Essenz und Existenz ist somit überwunden, und die darauf beruhende
Forderung der leibniz - wölfischen Philosophie eines Complementum possibilitatis als
grundlos erwiesen.
Von selbst versteht es sich, dass B., der die lebendigen Wesen nie als von
einander isolirt, sondern als ursprünglich in einander immanent betrachtet, keiner
prästabilirten Harmonie bedarf, überhaupt wenigstens unmittelbar keiner Erklärung
mediante Deo ihres Wechselwirkens und ihrer Uebereinstimmung untereinander.
Zwar als solche sind alle Gottesideen unendlich vollkommen, aber als zugleich
vorstellende Wesen sind sie endlich oder unvollkommen; und in Folge dieser ihrer
Unvollkommcnheit müsscu sie die Ideenwelt und sich selber zum Theil, in ver-
schiedenen Graden mehr oder weniger, in einer inadäquateu oder unwahren Weiss
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f>38 § 49. Philosophie in Holland, Dänemnrk, Schweden, Norwegen a. and. Land.
auffassen. Das so Aufgefasste ist Phänomen, und zwar zum Unterschiede von dem
blossen zufälligen Scheine ein phaenomeuon beue fundatum, sofern es in der
ursprünglichen und unvermeidlichen ünvollkommenheit des Auffaseenden hin-
länglich begründet ist. Eigentlich hat jedes endliche Wesen seine ihm eigene
Phänomenwelt, was nicht hindert, dass mehrere solche, die zu derselben Gruppe
gehören und einen gemeinsamen Grundtypus haben, in so weit auch eine gemein-
same Phänomenwelt haben. Unsere gegenwärtige Phäuomenwelt wenigstens hat
insbesondere dadurch ein eigentümliches Gepräge, dass sie an Raum und Zeit
gebunden ist, die B. nach Kant als apriorische Anschauungsformen des Menschen
auffasst. Aber obschon der Mensch in einer Welt lebt, die sich für seine Sinne
im Räume ausbreitet und sich unaufhörlich in der Zeit verändert, und obschon er
sich selbst als einen Theil dieser Welt betrachten muss, so ist sie doch für ihn
weder die einzige noch die höchste, sondern er hat zugleich eiu uuvertilgbares
Bewusstsein einer übersinnlichen, d. h. von Raum und Zeit gänzlich unabhängigen,
rein vernünftigen oder persönlichen Welt, und nur durch diesen höheren Inhalt
Beines Bewusstseins, der sich zunächst in der Form einer leisen Ahnung, eines
Gefühles oder Instinctes merkbar und geltend macht, ist er selbst realiter ein ver-
nünftiges Wesen, eine Persönlichkeit.
In seiner Psychologie sucht ß. diesen Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und
Vernunft als zwei ihrer Art nach verschiedene Inhalte des menschlichen Bewusst-
seins auf allen Gebieten des menschlichen Lebens durchzuführen, auf dem prak-
tischen und ästhetischen nicht weniger als auf dem theoretischen. Indessen darf
man diesen Gegensatz nicht in dualistischer Weise auffassen; denn er existirt
überhaupt nur für das endliche Bewusstsein oder in ihm. Alles Sinnliche ist ja
nur Phänomen der unsinnlichen Wirklichkeit, die einzig und allein die wahre ist.
Dies zu bemerken wird von besonderer Wichtigkeit für die Ethik; denn nur
•ludureh wird es für B. möglich, zu lehren und begreiflich zu machen, dass das
Sittengesetz nicht die Vertilgung der Sinnlichkeit sondern ihre Umwandlung und
Veredelung fordere, damit sie dem vernünftigen Leben als Organ und Mittel diene.
Somit erhält B.s Sittenlehre ein concretes und individualistisches Gepräge, das sie
besonders von der kantischen unterscheidet, der sie sich sonst in mehreren Hin-
f-ichten anscbliesst. Am vorzüglichsten aber wird der individuelle Charakter der
Sittlichkeit dadurch hervorgehoben, dass sie in die engste Verbindung mit der
Religiosität gebracht und überhaupt wesentlich als ein Leben in persönlichen
Verhältnissen zu anderen Personen aufgefasst wird. Aehnlich wie Kant leitet B.
die verpflichtende Kraft des Sittengesetzes aus dem eigenen übersinnlichen Wesen
des Menschen ab, allein jeder menschliche Geist ist ein lebendiger, individuell be-
stimmter Gedanke Gottes und hat in ihm und in Verbindung mit seinen übrigen
lebendigen Gedanken sein wahres Leben. Daher soll der einzelne Mensch danach
streben, auch für sich zu werden, was er von Ewigkeit her für Gott und in ihm
ist, d. h. er soll für sich seine eigene ewige Idee renlisiren, und nur so gewinnt er
*ein höchstes Gut, seine ewige Seligkeit. Für die Menschheit als ein Ganzes wird
als letzter sittlich- religiöser Zweck aufgestellt, darauf hinzuarbeiten, das Reich
Gottes herzustellen. Vollständig wird dies realisirt, indem jedes endliche Wesen
in seiner Entwickelung zu der Stufe von Vollendung gelangt, die ihm sein ewiges
Maass bestimmt, was freilich nie in diesem irdischen Leben zu erreichen ist Seitat
hat B. seine Ethik im Gegensatze zu der kantischen als einen positiven Rationalis-
mus bezeichnet.
Vielleicht am originellsten ist B. in seiner Ansicht über die Gesellschaft,
obschon diese von Grubbe vorbereitet war und ausserdem wenigstens in ihrer all-
gemeinen Tendenz einige Aehnlichkeit mit der Krauses hat. Eine Gesellschaft
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§ 49. Philosophie in Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen u. and. Land. 539
(„Samhälle') ist nach B. von einer arbiträren Vereinigung streng zu unterscheiden.
Jene ist nicht nur ein lebendiger Organismus, dessen Organe Menscheu sind, sie
ist ebensowohl wie der einzelne Mensch in ihrer Wahrheit eine göttliche selbst,
persönliche Idee. Als solche muss sie auch ihre eigenthümliche rhänomenwelt
haben, wovon wir indessen keine besonderen Kenntnisse haben können. Für uns
über wird diese Idee erkennbar und hat Bedeutung zunächst als Norm und Zweck
für unsere eigene freie praktische Wirksamkeit In dieser Weise macht sie »ich
in unserem Gewissen geltend und wirkt äusserlich in unserer Phänomenwelt durch
Repräsentanten. Als eine solche „praktische Idee" wird jede Oesellschaft ein
Grund von besonderen Pflichten und Rechten, die wir ausser ihr nicht haben; und
eben weil es so ist, muss sie selbst im Grunde persönlich sein; denn einen freien
Willen verpflichten oder ihm Rechte geben kann nur ein ihm übergeordneter ver-
nünftiger Wille. Die so aufgefussten Gesellschaften nennt B. „moralische Persön-
lichkeiten* und theilt sie in private und öffentliche ein. Jene, — wovon die erste
die Familie ist, und die letzte oder höchste das Volk, — verfolgen Zwecke, die
mit dem eigenen unmittelbaren Zwecke des einzelnen Menschen gleichartig sind.
Sie wirken alle für sittliche Cultur, nur nach verschiedenen Seiten hin und in
immer grösseren Kreisen. Dieser Wirksamkeit nun der privaten Gesellschaften
nicht weuiger als der Individuen soll die öffentliche Gesellschaft, der Staat, die
vernünftige Form geben. Diese vernünftige Form ist das objective Recht, welches
zwei Momente in sich einschliefst, Selbständigkeit und Systematik. Daher soll
der Staat nicht nur (durch die im engsten Sinne so genannte Justizverwaltung)
Rechtsgrenzen bestimmen und uufrecht erhalten, sondern auch (durch Ekklcsiastik
und Oekonomieverwaltung) die Culturarbeit organisireu. Das öffentliche Interesse,
d. h. das Recht und seiu Vertreter, soll allen privaten Interessen gegenüber selb-
ständig und unbefangen sein, was vollständig nur in einer erblichen Monarchie
möglich ist. Aber auch das Volk, sofern es die dafür nöthige Reife besitzt, soll
einen Repräsentanten oder eine Repräsentation haben, der auch die Aufgabe zu-
kommt, die Rechtsverwaltung oder Regierung zu controliren, damit sie nicht ihre
eigenen Grenzen überschreite und in das Gebiet des Volkes übergreife. Dem-
gemäss ist die sogenannte eingeschränkte oder constitutionelle Monarchie die
einzig vernünftige oder ideale Staatsform. Ueber den einzelnen Staaten steht das
Staatssystem ; und endlich kann man die ganze Menschheit als ein System von
Staatssysteraen betrachten, obwohl dies leider bis jetzt nur ein Ideal ist, dessen
annähernde Verwirklichung von der Zukunft zu hoffen indessen erlaubt sei.
Unter seinen zahlreichen Schülern sind am bedeutendsten Sigurd Ribbing
(Professor in Upsala), Axel Nybläus (Professor in Lund) und 0. Y. Sahlin
(Professor in Upsala). Von ihren Schriften mögen hier folgende erwähnt werden:
von Ribbing .Piatos Ideenlehre" und „Sokratische Studien", beide auch deutsch;
weiter »Om det Absoluta" (Ueber das Absolute), »Om Pantheismen*. Von Nybläus
sind mehrere rechts- und religionsphilosophische Schriften erschienen uud ein
grösseres philosophie-geschichtliches Werk, s. d. Litterat Von Sahlins zahlreichen
Abhandlungen sind zu erwähnen: Grund forraerna i Ethiken (in den Jahrb. d. Uni-
versität Upsala 1869), Kants, Schleiermachera och Boströms etiska Gruudtankar,
Upsala 1877. Von einem der jüngeren Philosophen der boströmschen Schule,
C. P. Wikner, sind zwei Abhandlungen ins Deutsche übersetzt: „Ueber Einheit
und Vielheit" und «Können wir etwas von Gott wissen?" Von Reinh. Geijer ist
die ob. erwähnte Schrift: Hegelianism och Positivism verfasst, worin eine gerechte
Kritik an Hegel geübt wird. — Die hegelsche Richtung vertritt Borelius (Pro-
fessor in Lund), ohne freilich die hegelsche Philosophie in ihrer ursprünglichen
Gestalt festhalten zu wollen.
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540 8 49. Philosophie in Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen u. and. Land.
In Siebenbürgen hat Bcnekes Psychologie nnd Pädagogik (s. ob. S. 458),
in Poleu nnd Ungarn die hegclsche Philosophie Einflnss gewonnen. Auch auf Cyrill
Horväth (gest. 1884 als Prof. d. Philos. in Budapest), der für den bedeutendsten und
selbständigsten ungarischen Philosophen gilt (s. üb. ihn Emerich Nemes in: Ztschr. f.
Ph. u. ph. Kr., 88, 1886, S. 63—82), hat Hegel unverkennbar eingewirkt. Er nennt
seine Lehre Concretismus und versteht unter diesem die „begriffsmässige Ver-
bindung des Objectiven und Subjectiven, des Realen und Idealen, des Sinnlichen
und Uebersinnlichen, des Empirischen und Intellectuellen zu einem einheitlichen
Ganzen*; die Philosophie ist ihm die Wissenschaft von der Wahrheit, Gewissheit
und der Einheit von beiden. Auch bei der Eintheilung der einzelnen Disciplincn
herrscht die Dreiheit; so theilt sich die Idealphilosophie in Logik, Metaphysik und
Erkenntnisslehre, die Realphilosophie in Naturphilosophie, Geistesphilosophie und
philosophische Theologie. Auch in Russland hat sporadisch die deutsche Philo-
sophie Eingang gefunden. Es zeigt sich in diesen Ländern auch Neigung zu
Schopenhauer und zum Positivismus. Von neugriechischen Schriften verdient
u. a. Erwähnung: 0Mrpgrur${ xnl noaxrixijt (fiXooof las aroi^ttn, i5/ro ÜQaTXa 'jQfiiyti,
xu&rjyriTov Tr,f qtXoaorjiai <V rfi lovtat axa6r,ui<f (damals Senatssecretair der ionischen
Inseln), tr Kiqxvw 1863, und '/tfrop/a tff tfiXoCorftm vno JY. Korket, iv 'Alvern;
1870—78 Der Verfasser schloss sich in seinen eigenen Ansichten an Sendling an.
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Nachträge und Berichtigungen.
S. :)(), Z. 22 v. o. s. Ii.: dorn. (Uibinger), d. Gottes!, des Nico!. Cusantis, Paderborn 1888.
S. 32, Z. 28 v. u. s. h. : Giov. Santo Feliei, d. religionsphilos. Anschauungen dei
Tb. Campanella, I.-D., Halle 1887.
S. 49, Z. 22 v. u. 1. statt 18Ö5: 1885-
Klieiidas. s. Ii.: Alless. Chiappelli, la di»ttrina della realtii del mundo estcrno nella tilo*.
moderna prima di Kant, P. I: da Descartes a Berkeley, Pirenxe 18SG.
S. SO, Z. 9 v. o. hinter 1GG1 s. Ii.: üb. ihn: Hnr. Seyfarth, Louis de la Farge u. s.
Stellung im Oecasionalismus, Gotha 1S87.
S. 142, Z. 19 v. o. s. h.: 2. Folge, ebd. S. 231— 240.
S. 14.1, Z. ü v. o. s. h.: IM. 3, Abth. 1, 1887.
S. 1G4, Z. 23 v. u. s. h.: E. Wohlwill, Joach. Jungius u. d. Erneuer, atomist. Theorien
im 17. Jahrb., Bomb. 1888.
S. 1G6, Z. 4 v. o. s. Ii.: A. Ni.oladoni, Christ. Thoinasius, e. Deitr. zur Gesch. d.
Auf klär, Berl. 1888.
S. 18G, Z. 24 v. o. s. b.: Kine Rede üb. Diderot v. E. du Bois-Reymond, in Reden,
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Gesehriften, uitgeg. door A. G. de Geer, I. deel. Arnhem. Aug. Clausen,
üb. d. Einttuss K.s auf d. Theorie der Sinnei-vvahrnehmung u. d. Sicherheit
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Ebendas., Z. 13 v. u. s. b.: 2 IG— 230.
S. 271, Z. 3 f. v. u. I. statt Honmadt: Romundt und statt Bonn: Bremen.
S. 287, Z. 22 v. u. I. statt Wesens: Wesen.
S. 291, Z. G v. o. s. h.: Howe, üb. d. vermeintlichen Wechsel in Schillers Ansicht vom
Verb. d. Aestbet. zum Sittlichen, Fr., Dirschau 1880.
S. 372, Z. ü v. u. s. h.: Eduard Grisebaeh, Edita u. Incdita Schopcnhaueriana. Eine
Scbopenh.-Bibliographie, sowie Bandschriften und Briefe A. Seh.s, berausgeg.
z. s. hundertj. Geburtst-, I.pz. 1888. Ii. Köber, d. Philosophie A. Sch.8
Hdlb. 1888.
S. 45G, Z. 20 v. o. s. h.: M. Seiling, Mainländer e. neuer Messias. Münch. 1888.
S. 4G4, Z. 2 v. u. s. h.: .1. F. Astic, Philosophie et religio« entro Kantiens, in: Revue
theol. et pbil., 18.SG, S. :IG9— 390, 47.3— .j 12.
S. 47.-), Z. 19 v. u. s. h.j 16. Aufl. 1888.
S. 478, Z. 4 v. o. s. Ii.: (Snell) Vorlesungen üb. d. Abstammung des Menschen,
herausgeg. v. R. Seydel, 1888.
S. 528, Z. 17 v. o. s. h.: ders. (Credaro), Alfuiiso Testa e i Friinordi del Kantismo in
Italia, in: Atti della Reale Ae. dei Lincei 18*G.
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R e g i s t e r *)
A.
Abbott, B. A. 52,
Abbott, Tb. K. 126 222,
Abbt, Thon. 168 ^Uli 112.
Abel, J. F. von fflft
Abereomby, J. *f>l H.
Aivoht i«;s 2:t t 2üL
Achelis. T. 414 4M. 4^
Achillini, Alex. liL
Acri, F. 20.
Adam 65 24Q 333.
Adanison 23g 305.
Adelung 32.
Adeodatus 463.
Adiek«-.«, E. 2Jii
Adler, Arn. 176.
Adler, C. 512.
Aegidius Romanus 1 1
Aclius Aristides 403.
Aeneas Sylvius Piccolomini IQ,
Agnosticismus 517.
Agricola 5 I M4 f . 2L
Agrippa v. Nettesheim fi f . M2 35 164.
Ahrens, IL 305 5342 516.
Aime Martin 64.
Akademie, platonische 4 f. 10 11.
Aksakow 473.
Alardus L
Aluux, J. K. 5Q4 «514.
Albert d. Gr. Ii,
Albert, Heinh. «Kl
d'Aleuibert, Jean IM *1B6 121 f. 213_.
Alexander von Aphmdisias 5 15 t
Alexander, B. 231 238.
Alexander, S. 347.
Alexandre, C. 6*
Alexandristen 5 15.
Algernon Sidney 117.
Allatius, Leo &
Allievo, G. 246.
Allihn, F. IL T. 285 403. *444.
Alpakhar, Jehuda !>■">.
Alstedt, J. IL 22 164..
Althusius 42 44 ML
Altmeyer 242.
Altruismus 514 523.
Amabile 32.
Amador 240.
Ambrosius 15t
Amerbaeh 22.
Ancillon 144 *208.
d'Ancona, Aless. 22.
Andala. Kuardus S7-
Andre 12.
v. Andreae 338.
Angiulli, A. «532.
Anhuth 4113 42k
Anselm von C anterburv 42 72 97 33_7_.
Apelt, K. F. 121 *30l' 202 465 412.
Apostoliii8, Mich. LL
Arber, K. 46 5L
Arbuthnot 126.
Ardi«.'., H. ^532 533.
Aretinus, Leon. 2i
Argvropulns, Job. *13 f.
Aristoteles 4 ff. 21 24 ff- 55 25 22 1Q7 112
121 154 244 245 357 389 401 459
JiiLL
Aristoteliker 5 12 12 15 112 460-463.
Arnauld 62 Iß. fil 142 146.
Amobius 190-
Arnoldi, Harth. 122,
Arnolds, Em. 20Ü 224 226 222 270.
Asehcrson, Ferd. 143.
Asher, Dav. 221 372.
Askenasy 481.
Asmus 937.
Asseznt 190.
Ast, Geo. Ant. Friedr. *331 .'133.
Astie, iL F. 65 54L
Atkinson 523.
Atomisten, Atomistiker 18 61 357.
*) Dieses Register enthält «lie Namen der Philosophen und der Historiker der
Philosophie und Litteratoren. Bei den Philosophen sind die Hauptstellen mit einem
Sternchen (*) bezeichnet.
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Regierter.
543
Auberlen, C. A. 3fi0.
Aubert de Verse 8L
Audisio *582.
Auerbach, Bertbold 85 86 145,
Aufklämng, deutsche 49 175 ff.
Aufklärung, englische 178.
Aufklärung, französische 17H.
Augusti 2öä
Augustinus 15 42 62 81 128 182.
Aulard, A. 452 504.
Aureolus, Petrus 151.
Avenarius, Rieh. 85 89 33 *4tift.
Averroes 5 2 14 15 f.
Averroismus 15 ff. 38 91.
Avezac-Larigne, C. 186.
Avicenna 3ii.
B.
Baader, Franz von 29 32 33 43 88 20
328 1332 »335-337 439 440 463.
Babocuf l?rj.
Bach, Heinr. 235.
Bachi 126.
Bachmann 346.
Bacmeister 4fSs.
Bacon von Verulam, Francis 30 BZ 42
*50-56 58 93 145 152. IM 131 463
52L
Bader, F. E. 88.
Bähr, C. G. 3IL
Bärenbach, Friedrich von 231 291 »501.
Baggcscn 210.
Bahnsen, Jul. *455f. 433.
Bahrdt, Karl Friedr. 18L
Baillet, A. £4.
Bailly 143.
Bain, Alex. 204 518 *5l!'.
Balche, A. de 312,
Baidachini 32.
Ballauf, Ludw. 23Z *444 f.
Balmes »533.
von Bamberger, IL 52.
Bandini, AI. 6,
Barach, Karl Sign.. 31 Gl 05 ir>5 2: 17 500.
Barbaras, Franciscus 3 14,
Barbarus, Herniolaus 14.
Barbe yrae 134.
Barehou de Pcnhoen 1 234.
Barck hausen, IL L
Bardiii, Christoph Gottfr. I ^230231 1303.
Baring 143,
Barlaam, Beruh. 3.
Barrow 146 148.
Barsotti, Jos. 143.
Bartels, A. 525.
Barthel, A. 65.
Barthelemv St. Hilaire fjOL
Bartholdvi G. W. 5L
Uartholmess, Chr. 31 65 149 184 515,
Bartholomäi, F. L£5_ 385.
Bartsch, A. 970
Barzellotti, G. 2 238 222 464 504 528 533.
Bascotn, John 526.
Basedow, Job. Bernh. 1181 223.
Basso, Sebastian 31 38.
Bastian, A. 481.
Bastiat *fil5
Bathurst, Kadolph 52.
Batteux, Charles *1H4 189.
ßaudouin 32.
Baudrillart, iL 44.
Bauer, Bruno 168 346 348 MIß 41L
Bauer, Kdgar *417.
Bauernfeind, G. 27ü
Baumann, Jul. 2 63 64 239 336 484 »Mfl
503.
Baumeister, Fr. Chr. 144 124.
Baumgart, iL 28L
Baumgarten, Alex. Gotth. 162 ff. 1124 f.
179 216.
Baumgarteu, M. 244 360.
Baumgartner, A. 177.
Baumstark. U. 1 1.
Baur, A. 3611
Baur, Christian Ferd. 33 »418.
Baur, Gust. 36L
de Bauregard, s. Berigurd.
Bax, K. Beifort 223.
Baxmann. Kud. 360.
Bayer, Jos. 8L
Bavle, Pierre 18 165 128 86 82 142 152
' 180 1KV
Bavrhoffer, Karl Tbeod. «41K.
Beattie, James 135 132 *2ttL
Beatme 185.
Beaussire, Emil 133 52L
Berearia, Cesarc 529.
Bechard 185
Beck. Carl 36L
Beck, F. 32,
Beck, Jacob Sigism. 226 228 «302-303
Becker 458.
Becker. J. C. 311 456,
Becker. K. F. 458.
Becker, T. 116 136,
Beckers, Hub. 3ü5 318 1433 *441
Beger, L. 44.
Bekker, Balthasar »76.
Bellarmin 46.
Benamozegb, Elias £3.
Bendavid, Lazarus 234 240 210 28L
Bender, H. 240.
Bender, Wilh. 220 361 464 5Q3,
Bendixon, A. 240.
Beneke, Friedr. Ed. 235 220 230 302 363
321 385 4112 *HJ11 — Uli Uli 1 :»:',
458 ff. 463 504 524 529 540.
Benekeaner 453 *458— 460.
Benfey. K. 360.
Benn *525.
Benoit, Geo. von 116.
Benson, Hob. 127.
Bentham, Jerem. 512 *S24.
by Google
544
Register.
Bentlev 133.
von Berger, Joh. Erich »332 335.
Borger, M. 475.
Borgmann, Jos. 15Q.
Bergmann, Jul. 412 «500.
de Berigard, Claude Guil lerntet 31 38»
Berkeler, George 81 121 »12H-129 203
204 252 f. 318 452 525»
Bernuvs, .lue. SH 9_5_,
Bend 228»
Bernhardt 20.
Bernhardt, Theod. 44.
Bernicr, F. 2»
Bernooilli, Daniel 212 491.
Bernouilli, Jae. 148.
iK-rnouilü, .Jo!,. LiS IC!).
Bernstorff 142.
Bernus, A. 82»
Bersof, E. 185»
Berthold, Gerh. 132 152.
Berti, Domenieo 31 32 33»
Bertini, G. M. 2.
Bertraud, J. 186.
Hegsarion 4 6 Lll 13*
Ibssel-Hagen 212»
Besser, K. M. »4 IS.
Bett 2Q 23JK
Saint-Beuve 8. Saint B.
Beyer, C. 43Q,
Beysehlag, W. 360.
v. Bianco, F. J. 2»
Biberg. N. B. «£34 531L
Biedermann, A. K. «418.
Biedermann, Friedr. Karl 142 168 224
305 34ti 360.
Biedermann, Gust. 2j£ »416 418,
Bierbower, A. *fv2(>.
Bierendempfel 65*
Biese, Franz 290 «419.
Biese, R. 237.
I.iltinjjer. Geo. Beruh, s. a. Bülftinger 143
«167 f. 124,
Bilharz, A. 232 455 *45<;.
Billewiez, J. v. 4Ü2,
Billroth, Joh. Gust. Friedr. *438.
Bimbenct, Eugene 2»
Binaut 504.
Bindseil 20.
Bionda 3JL
Hiot 1Ü
de Biran, 8. Maine.
Bixby 521.
Blaiae 501
Btakey, Robert 504 "523.
Blumpignon 22,
Blankenburg 181.
Blasehe, Bernh. Heinr. »331 333.
Bltimstengel, K. G. 143,
Bluntscbli, J. C. 3 422 50&
Blyenbergh, Willi, van Sä,
Blvenburg 86.
Bobbo 521 522.
Bobertag 3_fiQ,
Bobrik, Ed. I IT).
Bocardo 533.
Boeeaeeio, Giovanni 4 6 *ü»
Bodin, Jean «43 f. 4L
Böek, Aug. Friedr. 175.
Booekh, Aug. 143 318 454.
Börking iL
Boetbius, D., in L'psala *535.
Böhme, Jaeob 22 ?32 »42 f. 62 22 312
328 332 335 336 43L
Böhmer, Ed. 84 86 82»
Böhmer, Heinr. 52 206.
Böhner, August Natbanael *478.
Boek, A. F. 342.
Boerhave 182,
Börner, Otto »458.
Bohn, Henrv G. 6L
Boileau 122.
von Boineburg, Joh. Christian 142 146.
du Bois-Kevmond, E. 185 122 «47!» 4SI
541.
ßoissonnde 6,
Boivin 6.
Bolin, W. 220 (wo so statt Bodin zu lesen
ist) 430 «43L.
Bolland 424.
Bolle 480»
Bolliger 232.
Bolton, M. P. W. 235.
Bolzano. Bernh. «463.
de Bonuld, L. G. A. Vieomte »506 516.
Bonatelli, Frnneeseo 4J3 522 528 580.
Bonaventura 33.
Bonavino 532.
Bonghi, Huggiero «&'><).
Bonieux, B. 22.
Botiifas. J. 6 1LL
Bonitz, Herrn. «44 rt ML
Bonnet, Charles 184 186 »191.
Boutekoe 22.
Boole, G. 13Q *Rg1
Bordage, O. 504.
Bordas-Demoulin »516.
Bordihn 28L
Borelius 414 415 504 5534 532.
Borgeaud, C. 185.
Born, F. (J. 228 234.
Borowski, Ludw. Ernst 208 216 212
226.
Borries, G. 458.
Bosanquet 520.
Boseh, van 303.
Boström, C. J. «£34 «536-539.
Bossuet 62 142.
Bottnt 65,
Bottu, V. 528.
Bouehitte 343.
Bouillerie, de la 516.
Bouillier, Franeisquo £4 22 88 *514.
Boullainvilliers, Graf 86.
Boumann, Ludw. 345 oW>.
Bonrdin 63 «12.
Bourges 411.
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Register.
54ä
Bourne. tL R. Fox 11«.
Bouterwek, Friedr. 208 1291 294,
Boutroux 65 141.
Bovillus, Carolus 14 125 28.
Bowen, F. 2.
Bower 12L
Bowring, John 524.
Boxbeiger 177.
Bovle Üü 122 KR> IM 1ÜL
Braasch, E. F. 3i>L
Bradley 520 52L
Braut igam 14L
Braga, T. 534,
Braig, M. 45* 493.
Brailas »540.
Brandis, Chr. Aug. 305 318 359 36Ü *453.
Brandt 220.
Braniss, Chr. JuL 335 36ü 1453 4M
Brasch, Mor. 90 llß 240 221 415 459 460.
Bra^tberger 234 270.
Bratuseheck. E. 9Q 236. 361 454 4fiL
Brauba. h 1422 4*L
Brunn. IL 468.
Braune, A. Th. R. 23«.
Bredenborg, Johanne« 86.
Bremiker 372.
Brennecke, A. 144.
Brentano, Franz »502.
Breslau, iL 1 Sfi.
Le Bret 34L
Breuer, Joh. Wilh. 360.
Bretschncider 20.
Brewster. David 52 127. 14&
Bridel, P. 220.
Brink, ten IM.
Broehard, V. 65,
Brockerhoff, F. 185,
Brockhaus, Clem. Frid. 30.
Bröchner *535.
Brömel, A. 298,
Broere, C. 4ä.
Broglie BQ&
Brogialdi, A. 52L
Bromlev, Thomas 62.
Brougham. IL Lord 122 186 192,
Broussais 510.
Brown, J. 116.
Brown, Peter 130 *204.
Brown, Thom. *JM 197 204 50!> 518 52«.
Browne, B. I'.
Brueker 1 91L
Bruder. Karl Herrn. S5_-
Brüek 5L
Brückner, 27iL
Brunei 184.
Bruno. Giordano * 29. 31 f. 118—40 92
15g 215 293 299 312 325,
Brunnhofer 32.
la Brnyere *192.
Brzoska, IL G. »445.
Buecola 5.33.
Buchunun 134.
Bu. k 209.
Buckle »fr>5
Bude. E. de 64,
Büchner, Louis »473 475 524.
Bulau 52.
Bfalffinger, Geo. Bernh. s. Bilfin^er.
Buffon '194.
Buhle, Joh. Gottl. 1 20 52 90 294,
Bullinger, A. 346,
Bunjte. G. 429.
Bungener, L. J. 185.
Burckhardt, Jacob 6.
Burdaeh, Ernst 334,
Burdach, Karl Friedr, 331 1334 483,
Burger llfi 186 386.
Burgersdijck 91 MM.
Burgh. Alb. 86,
Burmeister 2.'t7.
Burridge HR.
Burton, J. iL 136,
Busch, O. 3J&
Busolt, G. 90.
Buss, E. 65. 1H5.
Busse, Fr. Gottlieb 24L
Busse, L. 90,
Busse, Wilh. 305,
Bussenius, K. 144.
Butler, Charles 45.
Butler, J. 1134 f. 13L
V (vergl. auch Kj.
Cabanis »194 »505 f. 510.
Cadet, F. «5,
Caesalpinus, Andreas 12 25 22 29 30 13&.
Cäsar, J. Ifift-
Caird, E. 232 34fi 50ö.
Cairnes 51 9.
Calderwood, Henrv 229.
van Calker. F. »302.
Ca Iiier »51«.
Calov, Abr. 32.
Calvin 525,
Cambridge, Schule von 52.
Camerarius, Joach. 2Ü 23,
Camerer, T. 90.
Campanella, Thomas 29 32 »41 f. 69 74
54L
Campbell, A. 52*
Campe, Joach. Heinr. »181 223,
Canestrini 533.
Canisius 9.
Cantoni 145 238 533.
Cantor, M. 24 Ü5,
Cantu 477.
Capesius, J. 38«.
Caporali, E. 528 533,
Capozza, F. »532.
Caramon 186.
Cardanus, Hieronymus ,29— 30 136. f.
de Careil, Graf A. Foucher s. Foucher.
Carneri, B. 481 493,
l" »'b<*r wog-Uein*«". «iriin-ln-. III. L Aul:.
546
Register.
Caro, E. 82 458 505 *51f>
Carove, Friedr. Willi. «419.
Carpentarius, Jac. (Charpentier) 27.
Carrau, Lud. 65 125 5ül 518 51Ü 528.
Carriere, Mo. Iii 11 33 305
Carry, J. 127.
Cartesianer 76 ff. 131 315 503 516,
Carte« i us, s. Descartcs.
Cartuvvels *fSl 7.
Carus', Carl Gust. 301 *334 43A
Carus, J. V. 52 480»
Casara, Seb. 52&
Caspari, Otto IM 180 486 490 «501.
Caterus. 63 22.
Cathrein 52L
Cattaneo, G. 88.
CaTallierie 14&
Cecchi 527.
Centofanti, Silvestrc 32,
Cesca, G. 24Q 521 »533.
Cesis, Calori 6.
Chahot, C. 606.
Cbagnard. Bnj. 24.
Chaigne, Ed. 52,
Chajes, Ad. 05.
Chalcocondvlas, Demetrius 13=
Chalybäus, Hein. Mor. 206 234 385 *488
438.
Chandler fiL
Chanuing. W. E. 526,
Charpentier, Carpentariua 22.
Charron, Pierre 5 2 ^lfi 66.
Chauffard 342.
Chevenix «618.
Cherbuliez, Victor 177.
von Cherbury, Eduard Herbert s. Herbert.
Chevalier, L. 322»
Chevalier, Mi. Ii. 197.
Chiapelli 238 24o 54L
Chlebik, Kranz «419.
Christ, P. 458,
Christensen, Alb. 185.
Christine, Königin v. Schweden, 66 67.
Chrysoloras, Joh. 2.
Chrysoloras, Manuel 9.
Chytraeus 23,
Ciavarini 32,
Cicero 13 14 26,
v. Cieszkowski. Aug. *419.
Ciaassen 32 122 298 336,
Clairaut »187.
Clarke, Samuel *134 f. 138 141 160,
Claras, Ludw. 45.
Class, G. »602.
Classen, A. 2Ü1 422 541.
Clauberg, Joh. »76 80.
Cleary, Rob. 116,
Clemens, F. J. 30 31 443 *462.
le Clerc, Jean (Clericus) s. Leclerc
le Clerc, M. J. V. 2,
Clerselier, Claude de 63 76.
von Cocceji, Heinrich 45 *166.
von Cocceji, Samuel 45. *166.
Coccius 24,
Cohen, Herrn. 236 237 239 270 «464 467.
Cohn. T. 126,
Colborne 12iL
Coleridge 526.
Colerus 86.
Collard, Royer «. Royer.
Collegianten '.'1 .
Collier, Arthur »122 123.
Collins, Anthony »132 f. 13Ü,
Collum, J. 14fi.
Collyns-Simon Th. s. Simon.
Goloed, A. 3L
Comenius, A. »164.
Commer, E. »462 463,
Compayre 1%.
Comte." Auguste 464 469 491 x 5(X> 504 505_
»511—514 521 522 532,
Condillac, Etienne Bonart 44 184 185 186
»190 f. 193 194 506 521'.
Condorcet 185 *193.
Conrad 84.
Conradi, Kasimir 416 »419.
Conring 44 142.
Contarini, Casp. 2 15 12,
Conti, Auguste 522 *53 1
Conz, C. Ph. 85*
Cooke. E. 526,
Copernicu* 22 33 57 186 25A
Cordemoy 80.
Corleo, Simone »630.
Cornelius, Carl Seb. 402 »445.
Cornill, Ad. 3IL
Cornoldi, G. M. 528 533.
Coronet 86.
Corrazini 3L
Cosh, J. M . 116 192 24Ö 512 518 519 526,
Coete 115,
Cotes, Rogerus 131.
Courbet 2.
de Courcelles, Etienne 63,
Courtat 185.
Courtney 519.
Cousin, Victor 2.646588116.144 134
225 ~jm m 5oi 508 f. 514.
Craik, C. L. 62,
von Cramer, L U. »174.
Credaro, L. 240 450 528 541.
Cremonini, Cesare 2 12.
de Crescenzio, Ces. *532.
Creskas, Don Chasdai 89.
von Creuz, Friedr. Carl Casimir »181 .
Creuzer, Friedr. 4Jl
Crichton 223,
Criegern, v. 164.
de Crousaz, Jean Pierre *173.
Crousle, L. 177.
Crasius, Christian August »167 168 »178
215 255.
Cudworth, Ralph (Rudolph) *57 "61 77
15L
Cuffel(a)er, Abrah. Jos. 8L
Culman, Theod. 33fii
by Google
Register.
547
Ouroberland. Ruh. ^LM t
Cunningham, W. 05.
Cuper, Franz 82*
Cupr, Franz *445.
Cusanus s. Nicolaus.
Cuvier 282.
Czolbe. Heinr. ifiQ ♦flU 410,
I).
Dafert, F. W. Hl
Dahn, F. 5QQ 503.
von Dalberg, Karl Theod. Ant. Maria 181.
Dalgarn, Geo. 154.
Damien, Aug. 2iL
Damilaville 180.
Damiron, Ph. I 42 04 88 IM IM 5M
510 »515.
Daniel 22.
Dannegger, P.
Dante. Alighieri 4 6 *£.
Danzel, Theod. Wilh. 81 114 172 290 340.
Daries 123.
Darwin, Charles 282 *423 *JZ2 f. 521.
Darwin, E. 130 «7.
Darwinianer 429 ff.
Daub, Karl 41£ 413.
Daumer, G. F. »431 ,
Dauriac, E. 511
Davidson, T. Qgft
Dean, IL 2.
Debrit, Marc. 527.
Dedekind 482.
Degenkolb, Heinr. 100.
Deismus 132.
Delboeuf, Joseph 401 420 »516.
Delezenne 491.
Delff, Hugo fi *HY>.
Dellden 536,
Dfllingshausen, U. *41H.
Delzio *faa.
Demetrius Chulcocondylas H
Demokrit 40 121 139 150,
Desanetis *53.'l.
Descartes. Rene 42 50 »62—65 »66— 76
8082912295969228110118
121 122 151 152 159 105 IM
212 442 529,
Deschamps, A. 65.
Deschamps, Dom.
Desdouits, M. 23L
Desjardins, Alb. 4 52.
Desmaze, Charles 21
Des-Maizeaux 65 18 141.
Desnoirestcrres 18ö.
Dessauer. Mor. 82 170.
Destutt de Tracy »IM 3Q3 305 *30<;.
Deussen, P. *455.
Deutinger, Mart. *403.
Dewev, J. 90 24LL
Deycks, F. 29L
Dezeimeris, R. 2«
Diderot, Denis 135 184 186 *121 f. IM
54L
Dienstfertig 20.
Diesterweg 405.
Dieterich, Konr. 122 232 420 501
Dietrich 22L
v. Dietz, iL F. 80.
Diez, M. 432,
Dilthey, Wilh. HI 360 301 »471.
Dippel, Joseph 25 45*.
Disselhoff 228,
Distel, T. 142.
Dittes, Fried. 386 *458 466.
Dixou, iL 52.
Dodwell 135.
Doebner 142.
Doergens 419.
Döring, A. 125 240 »£02.
Dogmatismus 48 ff. 230 241
Dohm, Chr. W. 19L
Dollfus, Charles 505.
Dornet d. Vorges 51 ti.
Dominicis. S. F. de 2.'} 7.
Dorneck, 0. 30Jl
Dorner 318 30Ö 423.
Dorner, Aug. 52 220 *£02
Dorow 81
Dost, O. IRL
Doubleday 186.
Douglas, J. 5Ü.
Dove 216.
Draper, John William »525.
Drbal, Mathias Arnos *445.
Drechsler, Ad. 206 305.
Drechsler, J. M. 135.
Dreher, E. 481
Dressel, P. 402
Dressler, Job. Gottlieb 404 405 *45*.
Dressler, O. 458.
Drevdorff, Georg 0 05 360.
Drobisch, Mor Wilh. 110 240 290 385
386 401 *444 *445 f.
Drossbach, Max »463 47H.
Droz, E. 65.
Drummond, R. B. X.
Duboc 220 458 423.
Dubos, Jean Bapt. *18fl.
Duboux, E. 65.
Ducros. L. 239 322.
Dühring. Eugen 482 MSj] ^ÜI f.
Düntzcr, iL lffi 291
Dil well 220.
Dflx, J. M. 30.
Dufour, Th. 32.
Dumont, Etienne 405 524.
Duncker, L. 361
Duprat 343.
Durand de Laur L
Durandus 151
Durdik, Jos. 122 »444 440 4&L
Dürkheim 415.
Dutens, l.udw. 141 142.
35*
54*
Register.
Dwight, S. E. 525.-
Dyk IM.
E.
Ebbinghau« 423 »502.
Ebeling 305,
Eberhard, AI fr. iL
Eberhard, J. Aug. 143 lßg 12£ tili» 22Ü
m fm
Eberhard, J. P. 21iL
von Eberstein, W. L. G. Frhr. 20 145
290 *292.
Ebertv, Felix »454.
Ebrard, A. 49A
Ecbtermeyer *H2
Eckard, J. 499.
Eckardt, L. Mh
Ecker, A. 333,
Eckhart, Meister 28 33 ltiö.
Eckhart, Jo. Geo. von ÜIL
Ecklin, Th. W.
Edelmann, Joh. Chr. 122 ITH.
Edfeldt 534.
Edgeworth, F. 0. 525.
Edwards, J. 511 *Ü25 f.
Egermann 29L
Eggertz 322.
Ehrenfels, Chr. v. 479,
Ehrenfeuchter 3lfi 3» »■
Ehrenhauss, M. 346.
Eiselen, J. F. G. »419.
Eisenlohr, Th. 3J1L
Eisler, M. 90,
Eleaten 351 380,
Elisabeth, Pfalzgräftn, Freundin Desrarte6-,
Füssen, A. Q.
Ellis, R. L. 51.
Elsas, A. 490.
Eismann 22£L
Elster 20 33,
ab Eiswich, J. IL 20,
Elvenich, P. J. 64 *443.
Emerson »526.
Emerv 52,
Empirismus 48 ff. 230 24L
Encyclopädisten »191 ff.
van den Ende, Franz 91.
Engel, Joh. Jac. *J2£i 181 222,
Engelmann. M. 239,
Engler, O. 144.
Entleutner, A. 44 1 -
Epiktet 14.
Epikur 5 Ii 2a aa 40 im
Epikureer 12 21 22fi.
Erasmus Pram-Uci 32.
Erasmus von Rotterdam I »15 2L
d'Ercole 228 »533.
Erdmann, A. IL 291.
Erdmann, B. Iii 222 223 224 226 228
229 234 231 238 240 415 *4f'>' 48S
Erdmann. Job. Ed. 1 88. 90 103 141 LL2_
143150151in2l5til5IlMlä9
lliÜllill!iJ2i*2 29ü30Q31832ä
332 34t; 371 415 »418 »419 438.
Erhard, Emst Aug. Q.
Ernst, W. 64.
Errera, Alb. 29,
Eschenbach, Joh. Christ. 12fi 12L
Eschenburg *182.
Eschenmaver, Adam Karl Aug. 325 *331
333 ff.
von Esenbeck, Nee* Ȇ31 333,
Espinas IM 528.
Essäcr 327.
Esser 44.1.
Eueken, R. 2 30 41 122 132 144 239 33*
414 409 4ül 4J]3 -_j£r2 i. 505.
Euklid 9 9JL
Euler 62 148 212 214 220 49L
Evans, 429.
Everett. Ch. C. 305 *52fi.
Evolutionismus Spencers 522.
Ewald, S. IL 85.
Exner, Friedr. 3JÜ *446.
F.
Faber Stapulensis, Jac. 5. *14 29.
Fabri, Friedr. 422,
Fabrieius fi 22*
Fabritius, Ludw. 8iL
Fagnani, Epifanio '530.
Fahrenberg, R. 2 30 23* 433,
Falkson 31 38,
Faugere fiö.
Favre, (>uillaume £ 9_.
Feehner, Gust. Theod. 101 385 ^485 !49<2
bis 492,
Fechner, IL A. 33.
Fede, Rene 63,
Feder, Joh. Geo. Heinr. 142 *181 224
234 5292.
Feder, der Sohn 18L
Felici, Giov. S. 54L
Fellenberg, G. v. 2IL
Feller, Joach. Friedr. 141 143.
de Fenelon 8G.
Fenner. H. 28L
Ferguson, Adam *\M. f. 132 203,
Fermat 148.
Ferrari, Giuseppe 145 528 *532.
Ferraz 504.
Fcrre, P. M. 530,
Ferreira, S. P. 533,
Ferri, Ixmis 2 6 2 30 31 522 532.
Ferner J. F. 12ß 122 *525.
Fesl, M. J. 4^L
Feuerbach, Friedr. *43< >.
Feuerba. h. Lndw. 19 Ü5_ 90 143 Mlü 121
5422—431 497.
Feuerlein, Emil 185 126 232 346 »420.
by Google
Register.
549
Feuerlin, Jac. Willi, IQ 25-
Fichte, Imm. Horm. 1 2 9Q Öl 31& 308
5433 »J34 ff.
Fichte, Joh. Gottlieb 205 211 234 224
302 »304-315 313 318 320 335 31i
a58 -Mi im .im i]s3 432 im 4i5
421 515,
Fiehteaner 315—317.
Fieinus, Marsilius 4 6 10 *11 15
Fick 422.
Filangieri, Gaftano *529.
Filelfo s. Philelphus.
Filmer, Rob. 112.
Finch 52.
Fiorentino, Francesco I 31 52L
Fischer. E. L 502.
Fischer, H. 12L
Fischer, J. C. 415 493.
Fischer, Karl Philipp 33jj M33 £432 477.
Fischer, Kuno 2 QS fi4 86 90 143 122
208228234235236239 242 256
282 290 222 305 31» Ü1Ü 42<1
Fischer, L. E. 423.
Fischer, Willi. 2ÜL
Flashar 404.
Flehbe 3fiL
Flepel. J. 442.
Fleischer. R. Hü 4lil
Fleischl, E. 232.
Elender, J. TiL
Flint 145 501
Flittner 234,
Florenzi *f>33.
Flottes, A. 65.
Fludd, Robert 30 36,
Flügel, O. 386 M41 446 f. 452 464 478
484.
Focke, R. 305,
Förster 1<>8.
Förster, Friedr. 346.
Förster, L. B. 44.
Foltz 386.
Fonsegrive 65486.
Fontana, G. 411 528,
Fontanes, E. 177.
Fontenclle Ml Hi >18i;.
Forberg, Friedr. Karl 306 314 »315.
de la Forge, Loais 63 80 541.
Formev, J. IL S. 111
Forsborg, N. A. 82.
Forster 193 222.
Fortlage. Karl 206 236 316 321 »453 »459.
Foss 447.
Foster, F. H. 239,
Foucher, Sini. 8 18.
Foucher de Careil. Graf A. 64 81 142 143
144 142 206 322.
Fouillee. A. 270 111 504.
Fowler 52 Hü 135 524 525,
Franchi, Ansonio »R32.
Francis«! E. 32.
Franck, Ad. 2 45 64 414 501
Frnncke, A. IL 162.
Franeke, G. S. 88.
Francke, Ludw. 298.
Frank, A. 185 2üL
Frank, Gust. 29L
Frank, R. 168,
Frank, 8. G. 168 30L
Franke, J. 486,
Frantz 346 45L
Frantz, Constantin 318 *441.
Franzolini 533.
Fräser, A. C. 126 122 »525.
Frauenstädt, Jul. 330 311 322 383 H53
»455 422.
Fravsse, E. Alb. 90.
Frederichs, F. 126 236 210.
Free, iL 386.
Freigius, Th. 2L
Freimuth. E. W. 404.
Freret, Nie. »194.
Fresenius, F. G. 375.
Freudenthal 20 228
Fricke 361 461
Fricker, IL 2IÜ 22L
Friedländer, Ludw. 281.
Friedrich der Grosse 44 128 »ISO 190.
Friedrich, Ernst Ferd. »4:*u
Fries, A. 116.
Fries, Jacob Friedr. ?2S9 291 ff. 2111
^300 f . 3Ö2 318 3811 403 iiii
Frischlin, N. 22.
Frith, J. 32.
Fritsche, E. 116,
Fröbcl. F. 311
Frohne. A. 36L
Fn.hschammer, J. 90 238 Liüli llll 181
*i9fif.
Frommann 372-
Fuchs. Carl 51L
Fuchs, C E. 504.
Fuente, R. 32.
Fürstenberg, J. 5L
Fuhrmann, David Wilh 32.
Funck-Brentano 578.
Gabeiii, A. ±532
Gabler, Geo. Andreas *11£ *i20 455,
Gaillard 61
Galasso, A. 346 519.
Gale, Theopbilus 62.
Gale, Thomas 62.
Galen 36.
Galeotti, L. 6.
Galiani
Galilei 29 !32 *iü 56 51 56.
Gall 511
Galle, Friedr. 20»
Galluppi, Pasquale *528 529.
Gans, Ed. 345 »420.
Gaquoin 322. -
550
Register.
Gareiii, Vinc. 528,
Garnier 64 504.
Garve, Christian 135. 130 126 1180 224
22Q 1292.
Gasparv, Ad. 89.
Gass, J. Chr. 360!
Gas*, W. ti 45L
Gassendi &2H752632326228Ü152
1££_.
Gast, IL aÜL
Gataker, Thom. 17.
Gauss 224 482.
Gavanescul, .1. Uli.
Gaza, Theodor 11 im
Gehel, 318.
Ihn. Gebirol s. Ihn.
Gebler, K. v. 32.
Geiger, L. GL »fiOI.
Geijer, E. G. 1534 53JL
Geijer, IL R. 144 346 539.
Geliert, Christian Fürehtegott '180.
Geluk 239.
Gemistos Plethon, Georgios s. Plethon.
Gennadius 5 IQ 112,
Genovesi, Ant. *fifi9.
Gensichen 214.
Gentiii?, Albericus 144 4L
George, Leop. 30a 359 360 361 1453 f.
Georgius von Trapezant 11 *13.
Georgius Vinetus, Franciscas 0. Yenetus.
de Gerando 509.
Gerard, J. qOL
Gerdil, Sigism. 12 »529.
Gereeze, P. 23&
Gerhard, K. 220.
Gerhardt, C. L 142 143 148 162.
Gerkrath, Ludw. 8 64.
Gerland, G. 142 451.
St. Germain, Bertr. de 65,
Germain, S. 514.
Gersonides 89 9L
Gervinus 3»
Geulincx, Arnold 128 ff. 92 159.
Geyer, Aug. *447.
Gfrörer, A. F. 31 Kq.
Giambelli, C. 44,
Gibeon 5_L
Githtel 32 £L
Gierke, O. 44 4LL
Giessler 220.
Gilbertus Porretanus 12.
Gildemeister, C. IL 29J. '20>L
Gillet 193.
Ginsberg, iL 86 86.
Gioberti, Vinc nzo 622 1528 632..
Gioja, Melchior »529.
Giovanni, Vinc. 6 *531.
del Giudice, G. 145,
Gizycki, G. v. IM 135 196 481 *5£2 526..
St. Glain 84 85,
Glanville, Job. 18 61 161 ÜiL
Glaser, J. C. 318.
Glissen 157.
Glogau, G. 65 *449
Glossner 414.
Goclenius, Rudolf 22 2g.
Göpfert, E. 29.
Goring, C. ?fiÜL
Gfiring, IL 614,
Görres, Jos. 331.
Göschel, Karl Friedr. *416 42L
Goethe 82 151 161 214 2ü 291 295
515,
Goethe, Wolfg. v., d. jüngere 6.
Goldbeck 216.
Goldberg 122.
Goldhammer, L 17(3.
Golther, L. v. 4M
Goltz, AI. v. d. 298.
Gompertz, E. 504.
Gompertz, Theod. 519.
Gonzalez 638.
Gordon, A. 90..
Gordy, P. 192.
Gottschall, Rud. 185. 206 305,
Gottsched, Job. Chr. 141 168 HL
Gottschick, J. 236 22JL
Gonld, J. Schurmann 270.
Guurand, M. C. 184
Graham, iL G. 186.
Graut 126 197.
Grapengiesser, C. 236 232 292.
Grassmann, R. 501 .
Grecf, de G. 52L
Green, Th. iL 196 ML
Griepenkerl, F. E. *147.
Grigg m
Grimm, der Encvclopidist 186 Uli
Grimm, E. 65 79.
Grimm, IL 526.
Grisar, IL 32.
Grisebach, Eduard 541.
Gronemann 534.
Grosch, iL 2JTL
Gros« 196.
Grou», Georg 519 »525.
Grote, Ludw. 144-
Grotefend, Karl Ludw. 142.
Grothe, iL 30.
Grotius, Hugc» 144 f . 41 f. 1>]5
Ground 52L
Grubbe, s. 1534 536 538.
Gruber 177.
Gmber, Joh. Dan. LLL
Gnicker 53L
Grün 290 414 4: 10.
Grüninger, Karl 52.
Grung, F. 240 *5<>--'.
Gruppe, O. F. »163-
Grützmacher, W. 44s
Guardia 51&
Guarinus von Verona 9 14.
Guerrier 143.
Günther, Anton 322 1433 *441- 443.
Güntherianer 44°. f. 517.
Güttier, C. 333,
UlQltlZGQ by \j
Register.
Guhrauer. Gottschalk Ed. 30 44 111 Iii
143 144 147 150 164 177.
Guion, K m
Gumposch, Vict. Phil. 3 888.
Gunning, J. iL 90
Gutberiet, C. 462.
Guthrie. M. 52L
Guttmann, Jac. 64.
Gutzeit 239,
Guyau 5.16. 518.
Gwinncr, Willi. 32L
IL
Haas. Karl 142.
Habersang 65.
Haccine. IL F. *447.
Hacke fi.
Hadlev 2ÜL
Häckel ^432 f. 480.
Haeghen, V. v. d. 22.
Händel 232
Haffner »4fi3
Hagemann, Georg lfiö *462.
Hagen, iL fi,
Hagen, Karl 6.
Hagenbach Bfi 1 ,
Hagmann, J. G. 186.
Hall, G. Stanley 518 52L
v. Haller, Albrecht 151.
Halley 216.
Hallier, Ernst 302.
Hamann, Job. Geo. 228 Ü282 221 2118 222
anft
Hamberger 33 318 335 336,
Hamilton, D. iL 502 526.
Hamilton, W. 132 203 !502 5JIff.
Hankiewicz 53L
Hann, F. G. 20 232,
Hanne, J. W. 91 *440
Hanscb(e), Mich. GottL 141 »173.
Hansemann 443,
Hanusch, L. J. «421.
Happel, J. 494,
v. Hardenberg, Friedr. (Novalis) *316.
Harles», G. C'h. &
v. Harles«, Adolf 33 43,
Harms, F. 180 206 234 231 305 346 37a
«438 f.
Harper 525,
Harpf, A. 221 322.
Harris, T. 527.
Harris, W. J. 233.
Hartenstein. Gust. 4a 116 144 1B2 20«
216 223 306 360 385 3hl *444 »447.
Hartlev, David *126 121 *130 512.
v. Hartman», K. -236 2311 34* 346
372 455 ff- 46!» 481 M*5 M92-496
499.
v. Hartmann, F. 30.
Hartmann, J. J. G. 6.5,
Hartsen *453.
Hartnng 31 *479 486 424
Hartwig, Jos. 80.
Harvey 57.
Harzer 144.
Harzheim 30.
Hasbach 312,
Hase, Karl 305 314.
Hatch 135,
Hanreau *515.
Hausegger, F. v. 372,
Ha.. -ins K. Glob. 290.
Hausrath, A. 426.
Havel, M. E. 65.
Har, E. 214.
Havduck. Wäldern. 89.
HaVm, R. 206 227 221 325 345 341 311
322.
Hnvwood 229.
Hazard. G. »526.
Heath, I). D. 5L
Hebler, C. 88 LH 236 305,
Hecker, Paul 181L
Heerebord 26. 91 104.
Heeren, Arn. Herrn. Ludw. 5 8,
Hegel, Geo. Wilh. Friedr. 1 43 112 205
234 242 2£i 220 325 332 335 >34a
bis 352 3£2 3ß2 401 44J3 431 432
I3S-442 45.3 459 461 466 485 494
496 129 505 515 523 533 540,
Hegel in England 525.
Hegel in Frankreich 515.
Hegel in Italien 522 533
Hegel in Nordamerika 527.
Hegel in Schweden und Norwegen 534
535 532=
Hegel in Ungurn 540.
Hegel, Karl 346,
Hegelianer •415—432 503,
Heidanus 76,
Heidemann, Jul. 235,
Heimann, L. 208 529.
Heineecius, J. G. *174.
Heinsius Dan. 12.
Heinze, M. 65 Bfi 9Q 144 129 238 462
462.
Helfferich, Ad. 3 88 305 *454.
Hellenbach »456.
Helmes 318.
Helmholtz, iL 25 131 243 244 246 *464
♦422 482 492,
van Helmont, Franc Mercur. 30 *36.
van Helmont, Job. Bapt, 30 *36.
Helvetius, Claude Adrien 184 *1fl3 124.
Heman 462 423 42i.
Hemert, P. 303.
Hemming, Nie. 46,
Hemsen. Wilh. 22<1
Hemsterhuys, Kranz *534.
Henderson, A. G. 235,
Hendewerk, Karl Ludw. *447.
Henke 90.
Henke, Ernst Ludw. Theo«!. 222 36L
>y Google
552
Register.
Hennig, G. A. 385 386
Hennigs 185.
Henning A. L
v. Henning, Lcop. 345 *417 42L
Henrich 240,
Hensel 30ä
Hepp 503.
Heraklit 351 422.
Herbart, Joh. Kriedr. 9fi 163 IM 205
242 261 263 220 220 303 304 aiiii
371 375 «3ki— 102 103 4or> 4Q*'> io7
418 43a 443-453 4JV8 4M 4M 4Ü5
Uli 17s :>:;:>.
Herbartianer *443— 453.
Herbert von Cherburv, Kduard !56 60. f.
L'Herbette 514.
Herbst, Frdr. Uli 236 238.
Herrher, B. 239,
Herder 87 103 281 282 «221 222 f. 228
bis 3ÖÜ BB6.
Hergang 458.
Hering 3JÜ 361 490 422.
Hermann, Conr. 3 415 *44o.
Hennann, E. 312.
Hennann. Willi. 412.
Hermes *443.
Herme« trismegistug 3L
Herrig llfi.
Herrmann *471 .
Hörschel, John 214
Henling, G. Freih. v. «479
Herz, M. 228.
Herzog t'»5.
Hess, M. 51 fi.
v. Hessen-Kheinfels, Landgraf Krnst 142.
Hettner, Herrn. 3 168 185,
Heumann HÜ 303.
van Hejisde, Phil. Wilh. *534.
Heussler, H. 318.
Heydenreieh *294.
Heydenreich, Job. Friedr. 209.
Heyder, Karl 19 82 305 *461-
Höver 180,
Hevmons, E. 493.
Heyse, K. W. L. 334.
Hiekok, P. 521L
Hieronymus 15.
St. Hiläire. Gcoffroy 287.
Hilarius 15.
Hildebrand, B. Ml
Hildebrand, J. 210.
Hildreth, J. 524.
Hilgenfeld 4JS.
Hillebrand 3.
Hillen 346.
Hinriehs, Herrn. Friedr. Willi. 2 44 !41ü
42L
Hipler, Franz 33.
Hippenmeyer, Rud. 23t>.
Hirnhaym, Hieronymus 18 Wl
Hissmann, Mich. 143.
Hoadly 135,
Hobbes, Thomas 5Q «56-60. 63 12 12 94
136 138 152 165.
Hock, C. v. 443.
Hodgson 236.
Höffding 415 *£34 535.
Höhener, Philippus Theophrastus Bombastus
s. a. Paracelsus 29 30 ^
Höhne, E. 238.
Höhne, J. 303.
Höijer, Benjamin «534 5' 15 f.
Holder, v. 232 4ÜL
Hönes, C. 4M.
Hoffbauer 294 382.
Hoffmann, Ad. Friedr 173.
Hoffmann. Franz 305 ^335 336 385 !4S8L
Hoffmann, Herrn. 481.
Hoffmann, Theod. 318.
Hoffmeister 290.
Hofstede de Groot «534.
Hohenberg, Oscar 236.
v. Hohenheim s. Höhener.
Hohlfeld, P. 338 343 386.
von Holbach, Paul Heinr. Dietr. 184 JHm
189 191 «104
Hollenbach 22L
Hollenberg. Wilh. 489.
Holtzmanii 222 336 4JiL
Home, Henry 135 139.
Homer 2.
Hoogemade 79.
Hoppe 318 44a
Hoppe, Keiuh. 1211 *459.
Horaz 122.
Horn, .1. E. 88,
Horslev 122,
Horvath 540,
Horwicz. A. »502.
Hossbach, Th. 36L
Hostinskv 38«L
Hotho, licinr. Gust. 64 3iü »4-21.
Hove 239.
Howe 541.
Howison 415.
Hubatsch 143.
Huber, Joh. N. 64 235 426 *J34 440 f.
452 481 493.
Hütte-Schleiden 413.
Hülsen 144.
Hülsmann 361.
Huet, F. in Gent »516.
Huet, Pierre Daniel 18 *£5 IL
Hufeland, C. W. 22L
Hufeland. Gottl. 225,
v. Humboldt, Alex. 482 422,
v. Humboldt, Wilh. 503,
Humc David 50 121 Hü 118 «125 ±126
bis 202 224 241 242 244 226 4M
466 4M 502 52L
Hunt. John 132.
Hutcheson, Francis «131 f. 138 322,
Huth, J. C. 14L
Huther, A. 23!i
v. Hutten, Ulrich 6 12.
ed by Google
Register.
553
Huxlev, T. 126.
Huyghcns 61 131 142 146
L J.
Jablonski, D. E. 142.
Jachmann, Kcinhold Bernli. 208.
Jacob 225.
Jacobi, Friedr. Heinr. 31 81 96 126 182
203 2IÜ 5289 221 293 2114 «S96 bis
;^31fi318328 322 4i}340ä453
m 530.
Jacobi, J. L. 65.
Jacobi, Max 29L
Jacobowski 494
Jacobson, J. 231 482.
Jacobson 361.
Jacobv, Dan. 144.
Jaeoby, Joh. 112 235.
Jacques, N. A. 142.
Jäger, Gust. 480.
Jäger 30.
Jaekel, Jos. 235 *454
Jäsche, J. B. 91 227.
Jagielski 232,
Jahn, M. 240.
Jahnke 65.
Jakob, Ludw. Heinr. 19£ »293.
James 34iL
Janet, Paul 6422858289143 22Ü34Ü
475 504 ^5ü5 qoü «51 ö.
Janin, J. 185.
Janitseh, J. 122 238 258.
Janscnisten 7JL
de Jariges 8L
de Jaucourt, de Neufville 143 12L
Ibn Em 82.
Ibn Gebirul ÖSL
von Ickstadt, J. A. *174.
Jeanmaire, £. 65.
Jeannel, Ch. Jul. 64.
Jeanvrot 5L
Jellinek 82 144 322 452.
Jellis, Jarrig S4 85.
Jeppel, £. F. 232.
Jessen *421.
Jetter, K. 65.
Jevone, Stanley 12Q 512 »521.
Jhering 442 »MB.
Imbriani, P. E. 530.
Imelmann, J. 51 8 51!»,
Imniaterialismus 1 26.
Immer, A. 360
Ingold 22.
Jodl 3 126.
Joel, M. 82 20.
St. John U5 *132 ff.
Johnson, Eduard 186 476.
Jolowicz, Heinr. 2»
Joly, IL 22.
Joly, Jules 4,
Jonas, E. 414.
Jonas, Ludw. 359 360.
Joret 291.
Jouaust 2.
Jouffroy, Theodore Simon 203 204 501
•BHL
Joule »482.
Ireland, A. 526.
Irira, Rabbi Abraham Cohen 105
Jung, Alex. 33JL
Jung. Arth. 290.
Juughegelianer 415.
Jungius, Joachim M64 511.
Jungmanu 463.
Just, K. S. 386.
de Justi 1-1-1.
K. (vgl. auch C)
Kabbala 35 92.
Kaftan 27Q 385 »471.
Kämmet »458.
Kästner, Abrah. Gotthelf li2 143.
Kahl, W. 65.
Kahle, Karl Moritz 144
Kahler 86 126.
Kahnis, K. T. A. 361.
Kalb, J. A. 85.
Kaiich, C. 21L
Kalischek 9±L
v. Kaltenborn, C. 44 45 4iL
Kalthoff 361.
Kamp, A. IL 361 ,
Kampe, F. 176.
Kannegiesser, K. L. 334.
Kannengiesser 49.
Kanugiesser, Gust. 176 2&L
Kant, Immanuel 42 55 62 62 20 25 121
122 133144153162163162123
175 122 1*2 183 194 191» 200 205
2Q6 •207—288 289—303 302 308 3U9
310311 313 314 315 316 320 352
353 351 058 363 365 375 376 377
3S1 3 ss :iS9 :m 401 402 403 405
4±>s 413 420 423 i42ü 146 45» -159
41JU4M4J&4J142249Ü5U3526
529 533 54L
Kant in England 303 517.
Kant in Frankreich 303 513.
Kant in Holland 303.
Kant in Italien 528 533.
Kant in Nordamerika 52iL
Kant in Schweden 535.
Kantianer 289—303 464—473.
Kapp, Alexander 422.
Kapp, Aug. 421 .
Kapp, Christian *421.
Kapp, Ernst »491.
Kapp, Friedrich «422.
Kapp, J. E. 142.
Karsten, C. J. »482.
554
Register.
Kastn.-r, Lnr.11/ 112 463.
Kauer, K. 221 3*6,
Kaulich, Wilh. »44:3.
Kayserling 176.
Kayserlingk, IL v. 447.
Kedney 346.
Keferstein, iL 2.
Kchrbach, K. 202 223 308 385,
Keller, Franz 88,
Keller, J. 50L
Kepler *41 ÖL
Kern, Franz 165.
Kern, Herrn. «447 f.
Kerry 469.
Kersten, AltonB »516.
Kierkegaard, Sören *534.
Kie»ewetter 234 223 «294.
Kig m
King, Lord LUL
Kinker, J. 303.
Kirchhoff 482,
v. Kirchmann, J. IL 45 5Q 51 52 57 64 85
8fi8211514112ti2Ü8 22323ii3ü2
369 »486 493 *4M> f. 504.
Kirchner, Friedr. 144 428 *501.
Kirchner. Karl Herrn. 206.
Kirchner, R. 2SL
KiMel, Maxim. Hü 236.,
v. Kittlitz, Rieh. 360,
Kiv, Victor 312.
Klaiher, J. 31H 34iL
Klee, IL 312,
Klein, Geo. Michael 331 332,
Klein, Jos. 30,
Klein, M. 442.
Klemperer lfifL
Kletke, C. A. 454,
Kleutgen, R. P. «462.
Klingberg 235:
Klopp, Onno 142 143 14L
Klone 128.
Kluge, F. W. 16jJ.
Knaake, iL 1SL
Knapp 517.
Knauer, Gust. 23fi 232 240 220 4jQ.
Knauer, Vinc. *443.
Knie», Karl Iii
Knigge 178.
Knight, W. 52 20 122.
Knoodt, P. 64 441 f. »443.
Knutzen, Martin »174 209 2ÜL
Kobcrstein, Aug. 3.
Koch, A. (jö. 441 442 »502.
Koch, M. 3L
Koeber, R. 318. 322 480 424 54L
Kögel, F. 4H(L
Köhler, Joh. Heinr. Iii,
König, Edm. lfiß Iii
König. Ed. 116 1ÜÜ 232.
Köppen, Friedr. !228 318,
Körner 296
Koerting, G. 6_.
Köstlin, Ch. Reinh. 346 503,
Köstlin, Karl 305 34fi »418 122 432,
Kohl, Otto 270.
Kohut, C. Ad. 891.
Koib, c. 512«
Koorders 534.
Koperuicus 8. Copernicus.
Koppelmann 240 486.
Korodi, Ludw. 4ftft.
Korten, iL L. 372,
Kothe 4&
Kortholt, Christian 8g LLL
Kotzias, N. 540.
Krafft-Kbing im.
Krakauer 84,
Kramar, J. C. Uldar »44S.
Kramer, P. 82 48L
Krantz, E. 65 457.
Kratz, Heinr. 9Q,
Kraus 208 225,
Krau* 30,
Krause, A. 222 238 258 *466.
Krause, Christ. Friedr. *332 ^337 ff. 342
Krause, E. 282 480.
Krause, G. 238.
Krauseancr 342 516 533,
Krauss 503.
Krebs, A. 2.
Kreyenbühl 232,
Kriegsmann, G. 90.
Kriticismus 42 202 22Q 230 241 53k
Kröger, A. E. 305.
Krohn, A. 210 414 433,
Kroman 535.
Krüger. O. 386.
Krug, Wilh. Traug. 28J) ?224 382,
Krumme 448.
Kühne LSG 238,
Kühl, J. 48L
Kuhn, A. 220 448,
Kuhn, J. 22L
Kuhse, B. 240.
Kunis, K. W. 422.
Kuttner 231» 210 21L
Kva.sala 164.
Kvet, Franz L. 144 »447.
Kvm, A. L. 57 236 305 346 420 461 «462-
L
Laas. E. 237 222 240 »464 466 468
469-470.
Laban, F. 371.
Labanea, B. 52 S.
Lachelier, IL 4S4.
Lachmann 291.
Laetantius 182.
I^agrange 148.
Laing, W. H, 52,
I*aistner, Ludw. 503.
Lamarck 287.
by Google
Register.
o55
de Lamartine, A. 185.
de St. Lambert, Charles Francois *1(J.'>.
Lambert, Joh. Heinr. «167 162 «175
244.
de Laroennais 504 *506f. *510f.
de Lamettrie, Julien Offrov lfi IM *1H5
*Jjä2f.
Lami 86.
Lamprecht 14.'}.
Lamy, F. 157.
v. Lancizulle, L. 359.
Land 12 84 §2 2Ü.
Landerer 360.
Landerl 386.
Lanfrey 184.
Lang, K. 36L
Lang, IL 122.
Langbein 448,
Lange, A. 451.
Lange, F. Alb. 2 II 24 26 lhä £14 385
4Ö2 4fiQ MÜ4 *467 f. III 47s.
Lange, H. 291.
Lange, Johann Joachim 169 *173.
I>ange, L. 127.
Lange, S. W. 192,
Langenbeck, Herrn. 285 »489.
Langer 420 422.
Laplace 67 148 214 491.
Lara, Orte y 533,
Laroche 524,
Laromiguiere 194.
Lascaris, Constantinus 10.
l.a-< .ii i-. Johannen 10.
Lansalle, Ferd. 'Ml *JJÜ 12±
Lasser, Herrn. Andr. 146.
Lasson, Adolf 31 22 52 205 212 *42:>
46Q_ 423 42li iV^LL
Lai«switz, K. 29 31 32 fi5 232 25b. Ü6fi
479.
I>ast, E. 23S 312 467.
Latimer 121 518.
Latour, A. de 185.
Launoy 20,
Laurent »517.
Laurie, Sim. S. 2 »525.
Lautier, Gust. Andreas 422.
Lavariim. F. 522,
Lazarus, M. 38ü 1444 448.
Leander, P. J. iL 385.
Lechler, Victor 60 132.
Leckv, Till. Edw. Hartpole 2.
Leelair, A. v. 231 »468.
Ledere, Jean 115 117.
Leclerc, M. J. V. L
Ledderhose 20.
Leechmann 135.
Lefebure SIL
Lefevre s. Faber.
Lefranc, Em. 64.
Lehmann, O. 210.
Lehmann, R. 237 23JL
Lehmans, J. B. 8Ji 8iL
Leibniz, Friedrich, der Vater 145-
Leibniz (Lubeniecz), Geo. Wilh. 2fi 2S
5Q8086.8I961Ü2116.122125131
♦139-166 113 115 182 188 212 222.
2i2 244 229 [ 45Q 463 52L
Leibnizianer *167 ff. »463,
Lemoine, Alb. 186.
Lengfehlner, F. 23iL
Lenz, Reinhold 2HL
Leo, Hebraeus (Judab Abarbanel) LL
Leo, P. 361 4Ü2.
Leonard 521.
Leonardo da Vinci 3D *35.
t. Leonhardi, Herrn., Frbr. 338 343.
Leonicus Thomaeus, Nie. 15.
Leontius Pilatus 2.
Leopardi, J. 457.
Leopold, K. 6. af *535.
Lepsius, J. 175.
Lerminier 184.
Leroux Pierre *n!5.
Leroy *516.
Les.ug.- *JM0 Ä
Lesbareil les SJLL
Lessing, Gotthold Ephraim 2 *176 III
*lS2f. 212 226.
Lessing, M. Ii. ÜLL
Leveau, A. 2.
Le Viscur 144.
Leveque, Ch. 372,
Levi 32 34L
Lew, Siegm. 236.
Lewes, Georg Henry 1 52 512 5£2Ü
Lewicki 30.
Leyser, J. 181.
Liard, Louis 6jj 518,
Liberatore, Matth, *fi82i
LichtenU-rg 62 1*-'.
Lickel, Jaques 360.
von Liebig, Justus 52 *474-
Liebroann, O. 2fifi 214 235 312 ^464 !4ÜQ
482.
Liebner 360.
Liebrecht, F. 52,
Liebrieh, Wilh. 89.
Liess, J. 220,
Lilla, Vinc. 528.
van der Linde, Antonius 84 86.
Lindemann, iL 8. 328 343,
Lindsay, T. M. 486 518.
Lindner, E. O., der Schopenhauerianer
321 322,
Lindner, Gust. Ad., der Herbartianer 193
•44&
Lioy 53L
Lipps 3M *5t>-2.
Lipsius, Justus 5 *17.
Lipsius, R. A. 3Jü 4ÜD -472.
Lisco, iL 318,
Littre, E. 504 514. 5ÜL
Littrow 216.
Lobstein, P. 24.
Locke, John 42 49 fiö 61 22 *114— 126
12£13i)mi34!361fillI51äü
ed by Google
556
Register.
IM IM f. 122 122 203 206 241 242
402 453 521 526 5.29 53Jl
Lockbart 528.
Löwe, John Heinr. 64 80 128. 205 Mi
»442 443.
Löwenhardt 9Q.
Löwenthal, Ed. 312 *iI2 4M
Loewy, T. 116.
Lommatzsch, C. 359.
Loos, J. J. 30.
Lorinser 533.
Lossius, Joh. Christ. *1KP.
Lotsij 90-
Lott, Friedr. 2Ö5 »448.
Lotze, Herrn. 3 206 281 385 »475 »484 f.
»486— 489.
Lowrey, C. E. 61.
Lucas KG.
Luciani, P. 5.31 .
Lucretius 364.
Luden, IL 45 166,
Luduvici, Kurl Günther 143 lfiZ 168.
Lülmann 90.
Lullus, Ruymundus 12 31 10,
Lughington 126 197.
Luthardt, Ch. E. 20 4LL
Luther *19 ff. 46,
Lutterbeck, J. A. B. 336.
v. Luynes, Herzog 63»
Lvcll, Charles 475 52L
Lyn« *m
Lyon 12L
Maas* III *294.
Mabilleau L
Mably »192
Macaula v fc'.
Mncchia" 51«,
Macchiavelli, Nicolo *43 ff
Mach »46H.
H'Cosh, J., s. Cosh.
Macki 143.
Mackintosh, James 44 134 ?i9j> 127. 204
«525.
Macvicar, John G. 523.
Mac Walter 528.
Mählv. Jac. L
Maennel 'JSL
Märcker. Friedr. Aug. 65 v4^.
Hagelhaes 533.
Mager, Karl »44*.
Maggiolo 6i
Hagucnus J 18.
Mahaffv 65 tili 2M
Maier, E. 3fi£L
Maignan I 1&
Maimon, Salomon »290 292 302 322,
Maimonides. Mose S9 M 1»3 10L
Maine de Biran 144 501 *J*R ff.
Mainländer, Phil. 155 M5<i ML
Mainzer, J. 126 238.-
de Haistre, Graf Jos. 52 »506 507.
Maizeaux, des 65 Zfi ML
Majans 24.
Malebranche, Nie lfi *Ifi f. »81-82 122
134 151 182 222 529 53_L
Hallet 5L
Malpighi, Johannes 2,
Maitzahn 177.
Mamiani, Terenzh. 32 237 2: SS ,-,2ST>3lf.
Manchot, C. 5M
Mancino, Salv. »529.
Handeville »124.
Manlv, W. 116.
Mann», R. 240»
Hansel, H. L. 518 »519.
Hanso. 8. J. C. 180.
Mantovani 229.
Hanzoni 53< ).
Harbach, G. O. »422.
Hare Aurel ML
Du Harchie van Voorthuisen 541
Harens Harci von Kronland, Joh. 30 *36.
Murghieri 342.
Harheineke, Phil. 318 346 Mlli 422,
Hariana 46,
Hariano, Raphael 32 521 *533.
Harion 116 152 518.
Harkuli, G. 2J1L
Marquardsen, IL 52L
Marquardt, A. 113.
Marschner 3< >5.
Marselli 533,
Harsh. J. 526.
Harsilius s. Ficinus.
Harta, J. A. 15.
Marteusen, IL 33.
Hartin, B. m
de St. Hartin. Louis Claude 29 32 328
335.
Hartin, L. A. 515.
Hartin, R. 386=
Hartin, Tb. 32 «515.
Hartineau. Miss Harriet 504 »523.
Martineaii. J. £6»
Martini 23 30,
Martini, Corn. 2L
Martini. J. 9_L
Martin. i. di 53 1 .
Hartins 281,
Harx, K. F. IL 416 425,
Hasarvk. T. C. 196 197.
Masci 23L
Hashani. Frau. Cudworths Tochter 116.
Hassari, G. 52Ü.
Masson, Dav. 517.
Masson, G. 515.
Hastier, A. 27i '.
Haterialisten, deutsche, des ÜL Jahrb. 473.
Haterialisten, englische, s. Hobbes. Hart-
ley, Priestie v.
Haterialisten, französische, d. 18. u- 12.
Jahrb. 42 »184 ff. «ÄS f.
by Google
Register.
557
Matt er, .1. 2 32 220,
Matthen, Karl 20.
Matt hies 422,
Matthiolius 271.
Mattos, de 534
Maudsley, IL 519.
Maugras, G. 185.
Maupertuis IM *186 f. 122,
Maurial, E. 235.
Maurice, F. D. 525,
Maxwell 134,
Maver, A. 418.
Maver, K. W. 220.
MaVer. G. M. 145,
Maver, J. R. 1482 421.
Maver, T. 462,
Maver, V. 57.
Mayr, R. 185,
Maywald, Max 6.
Mazzarella, B. »530.
Mears 232.
von Medici, Cosinus lö 11.
von Medici, Ginliano LL
von Medici. Lorenzo 11.
Megariker 380.
Mehmel. G. K. A. 316,
Meier, Geo. Friedr. s. a. Meyer 168 175
180 216,
Meiklejohn 222.
Meineke, R. A. 65,
Meineke 496.
Meiner 234.
Meiners. Christoph *179.
Meinong, A. IM.
Meis. Cam. de 5.">.'L
Meissner 144.
Melanchthon 2 14 *12 ff 46.
Meilin. G. S. A. 228 234,
Meltzl. IL v. 23jL
Melzer. K. 64 122 2ZQ 291 305. 435
442.
Mendt*, C. 240,
Mencken, Otto 141 .
Mendelssohn, Georg Benjamin ITH.
Mendelssohn, Moses 82 03 126*178—179
182 261 283.
Mercier 64.
Merkens, iL 180.
Merschmann, Fr. 65,
Mersennc 5Z 66.
Merten. J. *443.
Merten, Oscar 51lL
Merz, Theod. 52 145 23A
Mestica 529.
Metageometrie 482 f.
Metainathcmatik 482 f.
de la Mettrie. s. Lamettrie.
Metz 234,
Meiirer 2ÜL
Meydenhauer 238.
Meyer, Geo. Friedr. s. a. Meier.
Mever, H. G. 144 lfiSL
Meyer, Jürgen Bona 52 115 186 228 234
235236302305322414451452
'464 465 412 J81 423 504,
Mever. Ludwig 84 21 21
Mever, Metellus 90,
Meyer, W. 22L
Meyerhoff 6.
Meinen 456.
Mezzera, G. 52fr.
Michaelis 232.
Miehalsky 239 291.
Michel Apostolius LL
Micheler, Jules *515.
Micholet, Karl Ludw. 206 223 234 282
318 325 345 346 361 311 416 HU
422 f. 52L
Michelis 222 235 ±443 463 422.
M Schelsen, A. 2 33.
Mignet 318 5üL
Mill. James 204 »Mft 512,
Mill, John Stuart 204 462 504 512 *519
bis 521 524,
Millet, J. 64
Minas. M. 12,
Miqnel, F. W.
Mirahaud 124,
Miraglia H46
von Mirandola. Joh. Pico 6 Hl 35.
von Mirandola, Joh. Franz Pico ü "11.
Mirht, E. S. 235 *302.
Misses, Is. 82,
Moerbecke 2.
Mönckcberg. K. 178.
Mönnich 343.
Moesch, F. 516.
Moglia 528,
von Mohl. Robert, 3 41 45,
Molanus 149.
Molesehott, Jac. *473 ff.
Molesworth 52,
Molina, Lud. 46.
Molinari, Vinc. 522,
Molitor 335. »837.
Mollat, t;. 142,
Mollet, 133,
Molyneux 133.
Monchump, G. 64.
Monck 232 518,
Monrad, M. J. 2 305. 414 *M6.
Mont. E. du 322.
Montague 5L
de Montaigne, Michel 5 2 *lft
Montesquieu (Charles de Secondat, baron
de la Brede et de M.) 184 185 188 f.
Montgomerv, Edm. 236.
Montucla 148 213,
Mook, F. 534,
Mook, iL 30.
Morc, Henry 29 *61 77 132 157.
Moreau. L. 185,
Morell, J. D. 5Q4,
Morellv »192.
Morgan, Th. *132
Morgott 527.
55*
Register.
Morin 185.
Moritz. Karl Phil, »181 222.
Morley. Juhn 185 186.
Morris 115 239 518 526.
Morselli 533.
Morteira. Saul Levi 2L
Momi>, Thom. »43 f> 41L
Moscati 222«
Moses 94,
Mosheim, Joh. Laur. 61 132,
Mothcau, H. L
Mourlv, J. 240 28L
Mflhry, Ad. 182
Malier, Aug. 23iL
Maller. Päd. »423*
Maller, Ferd. Aug. im
Maller. Georg Elias 490.
Maller, Johannes III 482.
Mailer, Jul. «43».
Mailer, Max 52 229 5Ü3,
Müller, V. 177.
Mullner. 441.
Münz. Iii ruh. 11»:.
Münz, Wilh. 239.
Muggenthaler. I.miw. L
Mündt Th. »423.
von Murr, Christ. Gottl. 84. 143.
Musüus 86.
Musset-Pathay 186.
Mussmann, Joh. Geo. »423.
Musurus, Marcus 10.
Mystiker 2 42 51 22.
N.
Nagel 312.
Nahlowski. Jos. W. »448.
Naigeon 18<>.
Nameche, A. J. 24.
Napier. M. 52.
Natale, R. 2.
Nath Im;.
Nathan, J. 23L
Natorp, P. 32 33 65.
Naumann, Alex 240 »182 52L
Naville. Erneste 504 5Ü8 !51I 52L
Neander. A. 65 *433.
Neeb, Joh. 298.
Nee» s. Esenbeek.
Neff IM 144,
Neide. P. S. 23L
Nemes, E. MO.
Neniteseu $Q.
Nettelhladt, Dan. 174.
von Nettesheim s. Agrippa.
Neubcr 24H
Neudecker, G. 206 »46».
Neufchateau, F. de
de Neufville, M. L. s. Jaucourt.
Neugeboren, Heinr. 458.
Neukantianer 464 ff.
Neumann. C. 124.
Neuplatoniker IQ 21 29 92 311 35L
Neuwied, W. fcL v. 235.
Newton, Isaak ±126 121 *131 146 147
148 lßü 183 214 211» 463:
Nicoladoni. A. 541.
Nicolai, Friedr. *H6 122 »179.
Nicolaus aus l'ues (Cusanus) 14 »28 ff.
2S f. »33-35 3S 40 54L
Nicole, Pierre 26.
Nielsen, Rasmus »534.
Niemeyer, Ed. III iül
Niethammer, Friedr. Immanuel »315.
Nietzsche 322 »457.
Niphus, Augustinus Mtj
Nippold 4M.
Nisard 1H4.
Nitsch, F. A. 234 30JL
Nitzsch. Fried. 20 361 »433.
Nizolins, Marin, «24 «26 146 152.
Noa. k, Ludw. 2 1t 235 30Ö 318 371 4<>4
»412 423.
Noire, L. 229 239 455. *5ÖQ f.
Nolen, D. 141 144 145 20H 2,37 270 414
415.
Nortis, John 130.
Nourisson 49 65 89 143,
Novalis s. Friedr. v. Hardenberg.
Nascheier, Heinr. 52.
Nybläus 534 536 gfflft
O.
Occam 69.
Occastonalismus *78 ff. 92.
Oersted. Hans Christian «331 334.
v. Oettingen, A. 89 270.
Oettinger 46.
Oischinger, J. N. P. 1 «442 «463.
Oken, Ix.renz 282 331 »333.
Olawskv, Ed. »44R
Oldenburg 85 86 146.
Oldendorp, Joh. 46.
Olle-Laprune 29.
Ompteda 45.
Oncken, A. 192 210 28L
Ontologismas 527.
Opel, Jul. Otto ü
Opitz 90.
Oppenheim, Heinr. Bernh. *423.
Oppermann 343
Opzoomcr, C. W. «534.
Oratorianer 26.
v. Orelli, Conr. 86.
Osiander 22 33.
v. Osten-Sacken, Fr. 32 335 336.
Ostermann, F. L. «14*
Osteimann, W. 231 386.
Oswald, James 19fi 192 «203.
Ott, A. 206 234 346.
Ottema, G. 431
by Google
Register.
569
Otto IM 270.
Oxenford, Jobn ■>
Ozanam, A. F. iL
P.
Pabst, J. IL Ml »448.
Pag»"»1'- *530.
Palev, Williuni «139.
Fallen, C. B. 52*
Pallcske 220.
Palm, J. 281 290,
Palm, R. llfi.
Palmer 3&L
Pansch 20.
Pantheismus 132, transzendentaler Pan-
theismus Fortlage» 469.
Paoli, A. 2 126 322 3*6 52*.
Papa, V. 53LL
Papillon, F. 2 <M 12iL
Papin 142.
Pappo, V. C. 8L
Parante fi04.
Paracelsus s. Höhener.
Parchappe, Max 32.
Parker, Sam. »61.
Parmenides 31 401.
Parr. Sam. 12L
Pascal, Blaise »fift 76 77 MO.
Passow, W. A. 305.
Patritius, Franciscus 31 »37 38.
Paukstadt 29L
Paul, L. 2IL
Paulsen, Fr. 3 liüi 208 222 237 238 372
*42L
Paulus, Heinr. Elwrh. Gottl. 84 85 86 294
330,
Paulus, 8. 65.
Pawlicki, Steph. 312,
Peip, Alb. 33 »440.
Peipers, Ed. Ph. »423 454.
Pellarin, Ch. 501
Pelletan. Eug. ISO.
Pellis8ier, A. fi.
Pellisson 149.
de PenhoPn, Barchou s. Barchou.
Penjon, A. 126 144 486.
Pentzhorn 112.
Penzig, R. 312,
Penzier, B. 144,
Peripatetiker 2Q 23.
Perojo, del 229,
Perty »434 »440.
Pertz, Georg Heinr. 142 149
Pesch, T. 232 462,
Peschel, M. 23H.
Peschier 601.
Pessimismus Schopenhauers 370 3*2.
v. Hartmaiius 4S5 49n, Lcopardis 457.
Litteratur 457 f.
Pestalozzi »181 315 34JL
Peter«, C. 322 455 *456 f.
Peters, J. llfi»
Petersen 3fiL
Petöcz, Michael *463.
Petrarca, Francesco 4 6 »8 f.
Petri. M. 22&
Petrus Hispanus 13 104
Petrus s. Pomponatiu?».
Peucer 20.
Pfaff, Fr. 48L
Pfeifer. F. X. 462.
Pfingsten, .loh. Herrn. &L
Pfleiderer, Edm. 23 21 143 144 126
2lltAlA.m. 4M »502.
Pfleiderer. O. 2 305 313 386 tAlü 412
»423 f.
Pflüger, W. 236 »479.
Phäuomenalismus 126 468.
Philaretus 29,
Philelpbus, Frunz 3.
Pbilclphns, Marias 2.
Philippe, A. 504,
Philipson, M. 86,
Philon 105,
Philosophen, au!»scrdeut*che de« 12, Jalirb.
503- 540.
Philosophen. belgische, des 13. Jahrb. 50:»
505 ?5ifi f.
Philosophen, dänische, des 12. Jahrb. *534
535.
Philosophen, englische, des 19_. Jalirb. * 1 7
bis 526.
Philosophen, französische, des 12- Jahrh.
»503-516.
Philosophen, holländische, des 19, Jalirh.
Philosophen, italienische, des 12, Jahrb.
•527-533.
Philosophen, neugriechische, des 19. Jahrb.
»640.
Philosophen, nordamerikanische, des 12.-
Jahrh. 512 *£26 t
Philosophen, norwegische, de» 12s Jahrb.
534 *m
Philosophen, polnische 534 540.
Philosophen, poitugiesische 533 f.
Philosophen, russisch»- 534 510.
Philosophen, schottische 195 121 »202 bis
204.
Philosophen, schottische, des 12- Jahrb.
512 ff.
Philosophen, schwedische, des 12t Jahrh.
534 »535-539.
Philosophen, spanische, des 12. Jahrh. 533.
Philosophen, ungarische 534 »540.
Philosophie der Geschichte b. Vico 166 f..
b. Lessing 183. b. Herder, 299. b. Hegel
355 ff.
Physiokraten 192.
Picavet 186.
Piccolomini, A. S. 10.
Piccolomini, Franz IL
Piecolorusso 146.
560
Register.
Pichler, A. LLL
Pico «. Mirandola.
Picot GLL
Pierson, A. 185 534,
Pilatus s. Leontius.
Pillon, F. 126.
Pini, Erm. 52IL
Pinheiro fiffi,
Pistorius 127.
Planchenault, N. 41
Pianok, Ado. 2£2 318,
Planck, K. Chr. 5423 424 !432 4ML
Planudes, Maximus LLL
Plath, C. IL LLL
Platner, Ernst *179 136.
Piaton 4 ff. 2 21 22 4ü 131 134 164 132
21I322 325ß2ü35Ilfll52i»ML
Platoniker, englische *S7 134 527.
Platonikcr, florentinische 4 *10 ff. 35.
Platt, C. 352 3ÜQ,
Plethon, Georgius Gemistus 4 6 *10 ff. ßL
Plitt. G. L. 818.
Plf.ttner 322.
Plotin 4 11 La 105.
Ploucquet, Gottfried 144 175.
Plumaeher (Plümaeher, OlgaJ 455 458 493,
Podestä, B. 2,
Poel. G. 238.
Pölitz 228.
Po£v. A. 506.
Poiret, Pierre 23 565 532 82.
Poletti 533.
Polev. H. K. LL5.
Politianus, Angelus I *14.
Pallock, F. 86.
Polsenet 20.
Pommer 237.
Pompa 527.
Poraponatius, Petrus 5 52 116 f. 42 532.
Pordage, John 23 162.
Pom. iL 197.
Porphyrius 11 22.
Porta, Giambattista IL
Porta, Simon 12.
Porter, Noah H5 220 518 *526.
Positive Philosophie Schellings 330 f.
Poeitivismus Comtes 503 504 f. *51 1—51 4,
deutscher von Laas u. A. 464 468 ff-,
Stuart Mills 521, Spencers, Lewes
ii. A. 523, italienischer 532 £
Post, A. iL 508.
Praca, L. 534
Prantl, K. 224303241112145303
142L
Prat, J, G. 85.
}'r<i>> *LLS.
du Prel, Karl Frhr. 423 481 433. *
Prcvost, Amedee 64 204 240,
Prevost-Paradol 2 132.
Price, Richard 1122 L2L
Prieetlev, Jos. 112*1 121 M30 121 52L
Prihonsky 235.
Prisco, G. 346 52>L
Prölss *502.
Proklus 10.
Pn.ksch 33Ä
Prosch 221 271.
Protagoras 462.
Proudhon 515.
Prowe, L. 34.
Psellus 13.
Psychologie, experimentelle 4fl3.
Psychologie, physiologische 4fi3 f.
Psvchophysik 490 ff.
Pünjer 231220211 352 464 503 505
518 «521.
v. Pufendorf, Samuel 141 *165.
Pvthagora» 40.
Pythagoreer 28 34,
Quaatz. J. 232 220,
Quäbicker, Rieh. 116 236 361 385 425
Quesnay 132.
Quepat, Neree 1*5.
Quetclet 1512 525,
Quintilian 26.
R.
Rabbe. F. 8,
Rahus. Leoni.. 333 415,
Rade, E. 48L
Kadenhausen, C. *478.
Rätze, J. G. 33.
Raev 26.
Raffel, J. 197.
Ragnisco, P. 232 322. «533.
Raggi. O. 6.
Rwnns, Petrus 14 23 124 2fi f.
Ramisten, Antiramisten, Semiramisten 27.
Ranke 45.
Rappolt §6.
Rashdall, S. IL 524,
Raspe, R. B. LLL
Rationalismus 42 f.
Ratjen, iL 335,
Rau, Alb. 240 430.
Rau, K. Heinrich 503.
Raue, G. 404.
v. Raumer, Karl 3 134 210 223 334,
Ravatsson 504 514 515.
Rawlav, William 51 53.
Raynal' 132.
Ree, Paul «481.
Regis, Pierre Svlvain 26.
Regius 63 26 82.
Regner a Mansfelt 86.
Regnon 516.
Rehberg LLL
Rehmke 458 14£9 493,
by Google
Register.
:V51
Rehnisch, E. 486.
Rehorn, K. 122.
Reich, Ed. 498.
Reiche. Aug. «448.
Reichel, 52.
Reichenau, W. v. 2.
v. Reichlin-Meldegg, Karl Alexander 294
305 314 »465 425 515.
v. Reichlin-Meldegg. Kuno 3_.
Reicke, Joh. 225,
Reicke, Rud. 208 222 223 222 228 235
29Q flflrV
Reid, Thomas 184 195 5196 192 5203 f.
503 501 518 526 529.
Reiff, .Tue Friedr. 34Ü 423 «424.
Reimarus. Herrn. Sani, 5126 Ü28 129 26L
Rein 386.
Reinheck, Joh. Gust. »174.
Reinhard 144.
Reinhardt, A. 144.
Reinhold, Ernst 1 290 »465.
Reinhold, Karl Leonh, 162 196 234 289
290 5223 f. 300 308 315 320.
Reinkens, J. IL HL
Reiser, A. 1SL
Remusat, Charles de 49 52 52 61 515,
Renan, Erneste 6 90 426 505 *515.
Rencrius 26.
Renouard 2.
Renouvier, Charles 196 504 *515 518.
Resl, G. L. W. »448.
Ret höre, F. 186.
Reuchlin, Herrn. 65 2fL
Reucblin, Johann 6 512 14 21 35,
Reuinont 45.
Reuseh. Chr. Friedr. 20&
Reuschle. G. 185 213 214 216 222 241
426.
Reuss 234.
Reuter, Herrn. 36L
Reuter, W. 122.
Rhenanus, Beatus 2.
Riaux, F. 51.
Rihheck, \V. 458.
Ribhing 536 »M9
Ribot 322 502 504 *516 518.
Richter, Arthur 20 221 281 425.
Richter, Friedr. (aus Magdeburg) »416 421
424.
Richter, iL G. Ad. »477.
Richter. Jos. 235 263.
Richter, K. H5 222.
Rieeke 512.
Riedel, Karl 85 239.
Riehl, A. 208 222 232 *i£4 5410 f. 518..
Riem 322.
Riemann 243 482.
Rig, J. 504,
Rigollot, G. 180.
Rink, F. Theod. 208 226 221 22*.
Rinne, iL A. »470.
Rio, J. 8. del 343 »533-
Ritschl, Albr. 361 M61 *471
U eberw og- LL>-i nx e. Grondriss III. L An
Ritter, Ad. 185.
Ritter, C. 196 23L
Ritter, Heinr. 124 64 85 88 90 91 2LÜ>
359 1453 452.
Ritter, J. iL 126 525.
Ritter, P. T± 14L
Ritterfeld. F. 2LL
Rixner, Thadd. Ans. 29 30 31 32 *331
Robert, L. 186
Robertson 52 518.
Robin 504.
Robinet, Jean Baptiste 184 186 1Ü2 *1H3.
Rochefoucauld, La 192.
Rocher, V. 65.
Röder 338 343.
Röder, Ed. 234 51 S,
Röer, iL IL E. *UU
Röhr, 294.
Röse, Ferd. »432
Rössler, Constanrin 122 291 *425.
Rötseher. Heinr. Theod. »425
Roggen», G. N. 49.
Rohmer, Friedr. *499.
Rokitansky, C. *47l>.
Roluh, W. IL 48L
Romagnosi. Giov. D. *527 528 529 532,
Romang. J. P. »453 f.
Romme laere, M. 30.
Romundt, H. 240 5411 54L
Roorda, T. 221 53L
Roscher 5X13.
Rosenberger 228.
Rosenkrantz, W. »433 »441.
Rosenkranz, Karl 88 133 185 lflfi 2Qfl 228
228 234 256 252 222 282 290 305
318 325 345 346 341 360 321 M±!i
419 »124 f. 428 533.
Rosenthal, A. 501.
Rosinski, A. 386.
Rosmini, Serbati Antonio °527 52g »529 ff.
532.
Rosset, M. 516.
Rossi, E. 425.
Roth, Friedr. v. 291 298.
Roth, .1. 2ÜL
Rothe, Rieh. 5433 1453 t
Rothschild 90.
Rousseau, Jean Jaques 60 95 117 178 184
5185 189 191 295 529 535,
Rouvier 483.
Rowland, J. 220.
Royce 239.
Rover. Ch. 2.
Ro'ver-Collard, Pierre Paul 194 203 *503
' 504 5502 530,
Ruardus s. Andala.
Rubbini 532,
Rubin. Salom. 89.
Rudhardt 44.
Rudolphi U5,
Rudorff, E. 3ÜL
Rüdiger, Andreas *173.
86
by Google
562
Register.
Rühl, 225,
Rütenik 3Ü0.
Rüge, Arnold 361 MIß MIT 125 525.
Ruhnken, DaYtd -ML
Ruiz 033.
Runze, G. 2 19J3 223 36L
Rupp, Jul. 235,
s.
Sacchi 528.
Sack, K. G. 361.
Sadov 6,
Sahlin, C. Y. 361 »539.
Saigey 186.
Saint-Beuve Iii 51 ö.
Samt. 's, Amand &ü 235.
Saisset, Emile 64 80 82 144 235 «515.
Salat, Jak. ^29ü 318,
Salinger 90.
Salter. Will. Maekintire 526,
Salvetti 5533.
Sanitieben, G. HL
Sanboru, F. B. 525,
Sanohez (Santius), Franz 5 8 18,
Sanio
Sanscverino *BS2.
Sarchi 90 23A
Saussaye, Ch. de la Savage 481 *5B4-
Savagner, Aug. 44.
Savarese 442.
Savous, A. 185.
Scäliger, Julius Caesar 28 30 3L
Scartazzini, Job. Andr. 6 3L
Schaarschmidt, Karl 2 31 64 85 88 9&
142 23a
Schacht, Willi. 385.
Schad, Johannes Baptista *31>i
v. Schaden, Emil Ang. 336 M40.
Schärer, Emanuel 116 ÜI432.
Schal ler, Jul. 2 360 ?416 !425 422,
Schanz 30 32.
Scharpff, F. A. 29 30,
Scharling, C. IL 33,
Schasler, Max 34Ü *42ti.
Schaumann 24.
Schedin, Gust. Theod. 64.
Scheffer, W. 322.
£«beffler, Joh. 165,
Schegk, Jac ^23 21 28,
Scheidemacher, C. *47t>.
Schelle, G. G. lfiü,
Schelle, K. G. 294.
Schellenberg, E. O. 305 36L
t. Sendling, Friedr. Wilh. 29 31 43
9Ü183 205 270 281 2963Ö531Ö
316 ^JH 321-331 ff. 331—343 31«
352 3JÖ 38Ü 383 434 43Z *453 js5
540.
Schelling, K. F. A. 3JÜ 3i>5 318.
Schellingianer *331— 343.
Schellwien, Rob. 3Ü5 *47H.
Schenk. G. 232.
Schenkel 36Q 3üL
Scherbius, Phil. 23 21 28,
Scherer 236.
Sehend, Alois 312.
Scherzer 15L
Schiebler. K. W. 32,
Schiel, J. 519,
Schiller. Friedr. 132 214 281 Ü2g9 290
»294 f . 3i>5 350 5LL
Schilling, (Just. 143 *449.
Schindler 90.
Schlegel, Ad. 180.
Schlegel, A. W. Slli 3ÜÜ.
Schlegel, Friedr. ^3Ui 3Ü1L
Schlegel, J. H. 31L
Schleicher 480.
Schleiden, M. J. 292 ,*3Ö1 302 472 418,
Sehleierraacher, Friedr. Ernst Dan. 90
92143183205215220316332
♦357—403 406 425 434 453 f. 459
536.
Schleicrmacherianer 4fx3 ff.
Schlichtegroll 29L
Schliephake 343.
Schlomüch 31Ü
Schlosser 49 168 185.
Schlosser, J. G. 226,
Schlottmann, Constantin 20 52 360.
Schlüter, Christoph 88 336.
Schmarzow, A. HL
Schmauks, Joh. Jac. 4L
Schmeding, F. *4fiB.
Schmeisser, Emil 30,
Schmid, Alovs (in Dillingen) 346.
Schmid, C. 481
Schmid, F. X. aus Schwanenberg 20 25
64 «440.
Schmid, K. A. 24,
Schmid, Karl Christian Erhard, der Kan-
tianer 234 »293.
Schmid, Leop. #4:U*.
Schmid, der Friesianer, J. H, T. 302.
Schmid, R. 4SL
Schmidt, Joh. Lor. 85 132.
Schmidt, Dr. in Berlin 4ü4.
Schmidt, Alexis, der Hegelianer *426.
Schmidt, Casp. *431.
Schmidt, E. 122,
Schmidt, F. W. V. 85 232,
Schmidt, Gust. 290.
Schmidt, J. 144 169.
Schmidt, J. L. Bfe
Schmidt, Jul. 206 36L
Schmidt, Julian 3 290 29L
Schmidt, Karl :l
Schmidt, Ose. 4SI 493.
Schmidt, Paul 86 82 281 360,
Schmidt, Reinhold, der Hegelianer *426.
Schmidtborn, E. 232,
Schmidt- Weissenfeis, Ed. 305.
Schmitz, W. 24,
ed by Google
Register.
568
Schmitz-Duniont »502.
Schinuller, G. 305.
Sehnedermann 290.
Schneid, M. 463,
Schneider, B. 228,
Schneider, C. M. 462,
Schneider, G. 386 48L
Schneider, IL 480.
Schneider, K. 185«
Schneider, O. 23Ji
Schneidewin, M. 493.
Schoel, A. 386,
Schönlank, B. 12L
Schönwälder 33,
Scholarius s. Gcorgius Gennadius.
Scholastiker U 21 BD 61 462 51£ 533.
Schölten, J. IL 534,
Schooten, van 63.
Schopenhauer, Arthur 223 224 235 262
263 2Z0 288 *369— 383 403 408 411
*453 455 ff. 466 412 48ü 4M 4%
540 r>ti.
Schopenhauerianer 455 ff.
Schoppe (Scioppius), Casp. IL
Schornstein 22L
Schramm 22Ö 48L
Schreiter 126,
Schröder, B. 439.
Schröder, Joh. Friedr. 6,
Schubert, K. 30,
v. Schubert, Gotthilf Heinr. 1331 334 335.
Schubert, Friedr. Willi. 208 210 211 214
216 22Z 228 256 251 277.
Schubert-Soldem, R. v. «468 f.
Schuerer, Emil 360.
Schütz 181 12L
Schlitz, L. 4G2,
Schüz, A. 424,
Schuller, IL im
Schulte, Fr. Xav. 4k
Schultheis« 211 4i<!L
Schultz (Schulz Schulze), Joh. 210 234
»289 *21>3.
Schultze, Fritz 6 232 *4B8 473 «479 481
521*
Schnitze, L. 36L
Schultze, W. F. 136 23iL
Schulz, Prediger zu Gielsdorf 224.
Schulz, Franz Alb. 202,
Schulze, Gottlob Ernst (Aenesidenius) «289
♦293 308.
Schulze, Gust. 144.
Schulze, Johannes 345.
Schulze, K. Fr. W. L. Ml
Schuppe, W. 238 *468.
Schümann 524,
Schuster 1 1 ö.
Schwab, Moses 1ÜI 126 240,
Schwabe 305,
Schwalbach, F. C. 64-
Schwarz, C. F. 65.
Schwarz, F. 439.
Schwarz, iL 4£L
Schwarz, Heinr. «426 457.
Schwarz. Herrn. «426.
Schwarz, Karl III 3üD_ »454.
Schwarze, A. 386.
Schwegler, F. K. A. «412 418 426.
Schweizer, A. 351 423,
Schwenkfeld(t), Caspar 22 «42,
Schwertschlager 239 422,
Schwindt, G. 634,
Scotus, Joh. Duns 151-
Scribonius, A. 27.
Seailles 5UL
Secrctan «434 463 504. ^LL
Sedail, Ch. 52,
Sederhol m, K. »440.
Segond 145,
Seidlitz. C. von 322,
Seidlitz, G. 4ÜQ,
Seiling. M. 54L
Seile, Christian Gottlieb «2'.»2.
Selver, D. 145.
Semper, C. 48L
Semple, J. W. 222,
Seneca 152l
Sengler. Jak. 21 *J33 *439.
Seiinert 2 18 31 538.
Sensualismus 42,
Sergi 533.
Serrano 533,
Seth, A. 122 22a
Seydel, Rud. 252 371 322 222 436 431
•438 528 541,
Severlen, R. 422,
Seyfarth, Hnr. 80,
Seyffarth, L. W, 1SL.
von Shaftesbury, Graf Anton Ashlev Cooper
«134 ff. 122.
Shakespeare 38,
Shields, C. \V. 526,
Shute, R. 502 *£2_L
Siber, Thadd. 29 30 31 32.
Sibree, J. 346.
Siciliani «533.
Sidgwkk, IL 232 524 »525.
Sidney 112.
Siebeck 386 »449.
Siebenlist, A. 372.
Siegfried, Karl 8JL
Siegfried, L. 515.
Sieveking, R. 6.
Sigwart, Christoph 2 23 30 31 32 41 52
64 85 89 23 105 3£0 361 »502.
Sigwart, IL C. W. 64 88 144,
Silesius, Angelus s. Scheffler.
Silla 236.
Simmel 216 241 458.
Simon, Jules 64 12 *515.
Simon, Rieh. 8L
Simon, T. C. 126 346 518 520 «526.
Sintenis 228.
Siris 12iL
Sirmond, Anton 16.
Sjöholm, Lars Albert 126 236,
36«
by Google
564
Register.
SkarzAiiski, v. Wit. 197.
Skeptizismus 5 18 48 ff. 57 61 164 190
bis 204 230 241 532.
Sloroan, H. 148.
Smart, Benj. H. 116.
Smellio 135 197.
Smidt, J. 385.
Smirnow 126.
Smith, Adam 126 *195 196 197 "202.
Smith, W. 305.
Smolle, L. 237.
Snell, F. W. D. 281.
Snell, Karl 127 »478 541.
Snellmann, G. W. *426.
Soave 529.
Sohr, Maxim. 461.
Sokratea 356.
Solger. Karl Willi. Ferd. »331 334.
Sommer, Albin 290.
Sommer, Hugo 90 144 458 486 »489 505.
Sommer, R. 116.
Sonntag, W. 493.
Sophie Charlotte, Königin von Preussen
(Serena) 149.
Sorbiere, Sam. 18 57.
Sorlev 90.
Soury, J. 2 414.
Späth, H. «500.
Spannenkrebs, A. 145.
Spaventa 32 235 528 »533.
Speckmann, A. 196.
Spedding, James 51 52.
Speeth, Joh. Pet. 87.
Spencer, Herb. 204 *517 520 »521-523.
Spenge!, J. W. 480.
Spicker, G. 7 126 135 177 1% 237 *479.
Spiegel 372.
Spieren, v. 127.
Spiess 30.
Spiest), G. A. »478 481.
Spiller, Ph. 477.
Spinola, Rovas de 146 149.
Spinoza, Baruch de 35 50 56 60 75 *82
bis 114 133 138 146 151 156 182
2% 320 363 380 408 494 531.
Spir, A. 305 #452 f.
Spitta, H. *449.
Spitzer 414 481.
Spizelius 146 152.
Spörri, H. 361.
Sponius 30.
Sprengel, Kurt 30.
Springer, Ant. 346.
Springer, Rob. 372.
Stadler 237 241 281 «466.
Stäekel, O. 236.
v. Stägemann, V. A. *500.
Stahl, Friedr. Julius 45 *332 343 «441,
Stahr, Ad. 177 305.
Stanelli, R. 30.
Stanv, P. 79.
Stapelfeld, A. 305.
Stapfer, R. 52.
Starke 227.
Stattler 234.
Staudinger, F. 239.
Stebbing, W. 519.
Steckelmacher, Mor. 237.
Steffen, Rob. 237.
Steffens, Heinr. 31 *331 »334 f. 433 454.
Steffenseu, Karl 361.
Stehr, II. 271.
v. Stein, Heinr. 6 61 298 318.
v. Stein, K. H. 3 31 32 65.
Stein. Leop. 305.
Stein, Ludw. 142 541.
Steinbart, Gotthilf Samuel *181.
Steiner, R. 291.
Steinthal, H. »444 448 *449.
Stephan *449.
Stephen, Leslie 115 127 135.
Stern, Alb. 180 292.
Stern, Alf. 86.
Stern, L. 502.
Sternberg, H. 305.
Sterzel, G. F. 505.
Steudel, Ad. *500.
Stewart, Dugald *196 197 »203 f. 518 526.
Stichardt, F. U. 7.
Stiebeling, G. C. 493-
Stiedenroth, E. 406 »449.
Stieglitz, T. 456.
Stirling, J. H. 238 240 346 *525.
Stirner, Max (Ca#p. Schmidt) *431.
Stöek I, A. 462 *477.
Stöhr, A. 241.
Stoiker 5 17 21 29 40 63 157 276.
Stommel, C. 237 346.
Storr, F. 51 347-
Storz 30.
Stosz, W. 241.
Stov, K. V. *449.
Strater, Theod. 32 235 »426 527.
Straszewski 386.
Strauss, Dav. Friedr. 6 176 177 185 197
360 *416 417 *426ff.
Streckeisen-Moulton 185.
Strigel 23.
Strubel, Geo. Theod. 20.
Strittet, Emil 116.
Strümpell, Ludw. 271 385 386 401 *444
♦449 f.
Struhnneck *497.
Struve, A. 127.
Struve, H. v. 634.
Stuckenberg 208.
Stndt, H. H. *478.
Starken, N. »501.
Stumpf, Karl *489.
Stumpf, T. 30.
Stupuy, H. 514.
Sturm, Joh. 27 76.
Stuss, J. H. 19.
Stutzmann, Job. Josua 332.
Suabedissen, Dav. Theod. Aug. 234 *334.
Suarez 23 46 91 96.
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Register.
f)65
Sudhoff, K. 30.
Suhle, B. 372.
Sullv, J. 457 519.
Sulzer, Joh. Geo. 179 *1H0 181 1%.
Suphan 87 291 298.
Svahn, Oscar 144.
Szold, B. 176.
T.
Tabulski, Aug. 2.
Tagart 116.
Tafel 220.
Taine, H. 504 *505 515 519.
Talaeus, A. 27.
Tanner, Anton 477.
Tannerv 241.
Taparelli »532.
Tarautino, G. 116.
Tari, A. *533.
Taubert 457.
Taurellus, Nie. 23 »24 f. *27 f.
Tauschinski 456.
Taute, G. F. 3K5 *450.
Taylor, Mi s. 520.
Tavlor, Th. *527.
Teape, Charles; R. 126.
Teichmuller, G. 481 *489.
Telesius, Bernardinus «5 29 *30 35 37
38 40 56.
Tennemann, W. G. 1 9t) 115 196 294.
Tepe, C. *450.
Testa, Alfonse 235 *529 541.
Tetens, Joh. Nie. 176 *180 f.
Thaies 425.
Thaulow, Gust. 346 *428.
Theismus 132.
Theistiseher Monismus Kyms 462.
Theodor, J. 237.
Theodorus Gaza, s. Gaza.
Theophilos 19.
Thcophrastus ßomhastus Paracelsus s.
Höhener.
Thiele, G. II. 115.
Thiele, Günther 212 236 237 239 »428
433.
Thiersch 291 440.
Thilo, Chr. 64 89 144 240 270 291 336
372 386 »444 *450.
Thimme, K. 7.
Tholuck 168.
Thoniaeus, L. 15.
Thomas 64.
Thomas, Karl, der Herbartianei 88 361
387 *450.
Thomas von Äquino 9 13 81 462.
Thoroasiiis, Christian 141 145 *T65f. 244
541.
Thomasius, Jac 145.
Thomismus 414.
Thomismus in Deutschland 460 462 f.
Thomismus in Frankreich 516.
Thoniioums in Belgien 517.
Thomismus in England 525.
Thomismus in Italien 532.
Thomismus in Spanien 533.
Thomsen 361.
Thorild. Th. «535.
Thors.hmid 132.
Thömming, Ludw. PVL »174.
Thurot 515.
Tiberghien 318 342 *516.
Tieck, L. 334.
Tiedemann, Dietrich 1 »181 235 #292
Tieftrunk 228 294.
Tindal *132 f.
Tiraboschi, Girolamo 5
Tissot, J. 65 228 229 293.
Tittel, G. A. 115 *292.
Tobias, W. »466.
Tocco, F. 32 238 533.
Tönnies, F. 57 90 145.
Toland, John *132 f. 178.
Tomascheck, K. 290 460.
Tombo, Hud. 236.
Tommaseo, Nie. 52H.
1'oulan, J. 32.
de Tracv, s. De*tutt.
Trahndo'rff, K. F. E. 235 *499.
Trani *479.
Transscendentaler Idealismus Kants 230,
Sehellings 321 f.
Transcendentaler Realismus v. Hartmanns
486 494.
Transscendentalphilosophie Kants 230 242
243.
Treblin, A. 361.
Trede, Ludw. Bened. 154.
v. Treitschke, II. 305.
Trendelenburg, Adolf 21 44 85 88 90 98
104 107 143 144 149 152 154 166
235 256 270 305 335 346 351 371
372 375 385 401 403 420 433 453
458 459 *460 ff. 526.
Tressling, .1. P. 7.
Trorabetta 533.
Troxler, Ignaz Faul Vital *331 333.
v. Tschirnhausen, Walter 86 141 146 *165.
Tschischwitz 38.
Techofen, J. M. 372.
Tucker (Search) 130.
Tugini, Salvator 31.
Tulloch 49 *115.
Turbiglio 79 90 116 238 529 *533.
Turgot 191 192.
Twesten, A. 359 361.
Twesten, Karl 44 290 *433 504.
Tydemann, K. W. 86.
Tytler 135.
TzerteK-ff, D. 372.
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Register.
U.
Ubaghs *517.
Ueberhorst, C. 237.
Ueberweg, Friedr. 70 96 126 214 217 223
236 242 251 255 273 290 291 351
352 375 401 #453 *459 f. 462 493.
Uibinger, J. 30 541.
Ulbrich, Oscar 65.
Ulpian 155.
Ulrich J. H. F. 142 225.
Ulrici, Herrn. 1 91 126 234 346 385 426
433 *435 f. 477 618.
Umbreit, A. E. 33.
Umfried, O. L. 432.
Unold, J. 227.
Unterholzner, C. A. D. *461.
Uphard, Thomas C. *526.
Uphues 502 521.
Urtel, F. 89.
Utilitarier 520.
T.
Vacherot, E. 504 *515 516.
Vahlen, Joh. 7.
Vaihinger, H. 201 224 225 229 235 238
239 *467 494 497.
VaTsse 32.
Valdarini 52.
Valla, Laurentius 6 7 *13 21.
Vanini, Lucilio 29 *32 42.
Vapereau, G. 64.
Vasallo, C. 6.
Vasquez, Ford. 46.
Vast, H. 6.
Vateler, Jacob 86.
Vatke, Wilh. *416 422 428.
VaoteUe«, J. B. de 52.
Le Vayer, Francois de la Mothc 5 8 *18
164
Vehlen 281.
Veitch, M. 518 *519.
Veith, J. E. 442 *443.
Velthuysen, Lambert van 85 87.
Venetlancr 372 493.
Venetus, Franeiscus Georgius 35.
Ventura *532.
Vera, August 346 *533.
Vernejoul 516.
Vernias, Nieoletto 16.
de Verse, Anbeit 87.
Vetter, B 521.
Vicajee 76.
Vico, Giovanni Battista 141 145 *166
527 532.
Vieta 153.
Villari, P. *532.
Villers, Charles 234 303.
Vinet, Alex. 65 *517.
Virchow, Rud. 472.
Vischer, Friedr. Theod. 281 426 *428 458.
Visintainer 528.
Vives, Joh. Lud. *24 25 164.
van Vloten, J. 84 86 86 90.
Voetius, Gishertus 77.
Völkerpsychologie 444 484
Vogel, E. G. 44
Vogt, Karl 473 ff.
Vogt, Theod. 185 386 448 451.
Voigdt 385.
Voigt, Georg 6 10.
Voigt, Th. 227.
Voigtländer, J. A. 88.
Vold, J. Maurly 281.
Volger, Otto 216.
Volk, W. 45
Volkelt 90 237 238 270 *464 466 471
493.
Volkenrath 361.
Volkmann, Wilh. Fridolin *451.
Volkmar 225.
Volkmar, 8. R. 449.
Volkmer, E. 66.
Volkmuth, J. 91.
Volnev, Constantin Francois de Chasse-
böeuf »193.
Voltaire 117 134 178 180 183 *185 186 ff.
191.
Vorländer, F. 2 360 *454.
Vries, Simon de 86.
W.
Wachler 181.
Wächter, Joh. Geo. 87.
Waddington, Th. 4 24 64 615.
Wagner, Ad. 31.
Wagner, B. A. 166.
Wagner, Joh. Jak. *331 333.
Wagner, Rieh. 466.
Wagner, Rud. *473 ff. 481 486 491.
Wahl, R. 168.
Waitz, G. 319.
Waitz, J. H. W. *451.
Waitz, Theod. *451.
Wald 208 216.
Waldeck, M. 529.
Wallace, W. 239 473.
Walsh, M. 52.
Walter, M. Jos. 44 238.
Walter, Reinh. 90.
Wangenheim, F. v. 237 292.
Ward 61 239.
Warnkönig, L. A. 44 405 505
Was, EL 8.
WasiaiiHki, Ehregott Andreas Christoph 208.
Watson 238 239 318.
Webb, Th. E. 116.
Weber 270.
Weber, Adalb. 404.
Weber, Alf. 493.
Register.
567
Weber, E. A. 318.
Weber, Ernst Heinr. 491.
Weber. Theod. 220 239 *442 443 479.
Weber, Theod. Hub. 88.
Weber, W. E. 166.
Weckesser, A. 458.
Wegele 6.
Wegscheider 270 294.
Webrenpfennig, W. *451.
Weigel, Erhard 145.
Weigel, Valentin 29 *42.
Weigelt, G. 206 234.
v. Weiller, Cajetan 291 298.
Webling 520.
Weis, A. 238.
Weis, Ludw. 430 *479 493 501.
Weishaupt, Adam 178 *292.
Weismann, Aug. 480.
Weiss, B. 361.
Weiss, Chr. *298.
Weisse, Chr. Herrn. 19 91 235 305 4
433 434 *436 ff. 454 486.
Weissenborn, Geo. 360 *428.
Weissenborn, H. 148 165.
Weisz, Jos. 237.
Weizsäcker 360.
Welsh 197.
Wendt, E. 145.
Werber 333.
Werder, Karl »428.
Wernekke, Hugo 31.
Werner, Aug. 291.
Werner. J. 347.
Werner, K. 145 238 528 529.
Werrv, Ferd. 185.
Werther 214.
Wessel. Ed. 524
Westerburg, E. 238.
Westhoff, Ferd. 478.
de Wette 302 406.
Wetzet, F. 90.
Weygoldt, G. P. 457 *481.
Whatelv 521.
Whately, Rieh. 51.
Wheaton 44.
Wbewell. Will. 52 134 197 216 517 *!
525
White, W. 220.
Whittaker, Th. 32.
Wickenhagen, Ernst 236.
Wiener, Christian *478.
Wiegand. W. 143 291.
Wiese, 439
Wieser, J. 441.
Wiessner, A. *501.
Wigand, A. »481.
Wight, O. W. 518.
Wikner, C F. 539.
Wildauer, Tob. 305.
Wilkins, John 154.
Wille, E. 239.
Willich. A. F. M. 234 303.
Willis, R. 90.
Willm, A. 8. 206 234.
Willmann 227 385 *451.
Willy, R. 372.
Wind.lband. W. 2 90 234 237 *465 f. 502.
Windiscbmann, C. H. *335.
Wims, W. Ii. 346.
Wink ler, Benedict 46
Winter, Herrn. 116.
Wirth, Joh. Ulrich 372 *433 436.
Wirth, M. 473.
Wissowatius 146.
Witte. J. 177 224 237 238 240 241 291
292 372 *439.
Wittich, Christoph 87.
WittÄtcin, Theod. 197 402 *451.
Wizenniann. Thomas 298.
WTocquier, L. 206.
Wohlrabe 270.
Wohlwill, E. 32 52 541.
Woker, Fh. 7.
Wolfers 127.
v. Wulff, Christian Frhr. 85 87 141 142
143 »167—173 175 177 241 244.
Wulff, H. 236 239 *497.
Wolff, S. Jos. 292.
WolfBaner *172 ff.
Wollaston. William *134 f. 139.
Wollnv 478 501.
Woltersdorf, Th. 361.
Woodhouselcn 135.
Wright. W. A. 51.
Wünsche 338.
Wullen, Wilb, Ludw. 33.
Wuudt. Wilh. 240 415 469 *474 482 *483f.
Wurst, J. R. *458.
Wurzbaeh, Alfr. von 372.
Wuttke 168.
Wyneken. E. F. 372 385.
Wvrouboff 504.
Wittenbach, Daniel *303 534.
X.
Xenophon 23.
Y.
Young. John *518.
Z.
Zabarella, Jac. 17.
Zacharias, E. Otto 385 481.
Zachler, F. 361.
Zahn, G. 237.
Zange, E. M- Fr. 270.
Zart 168.
Zdekauer 515.
Zechalas, G. 79.
Zeising *453.
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568
Register.
Zelle, F. R. E. 236.
Zeller, Ed. 2 78 79 168 177 180 234 240
270 305 347 360 362 416 418 426
»428 f. 465 505.
Zenon 166.
Ziegler 44.
Ziemba, T. 116.
Ziller, Tuiscon 385 *444 *451 f.
Zimara 17.
Zimmels, B. 12.
Zimmer, F. 305.
Zimmermann, K.
Zimmermann, Roh. 30 61 88 135 144 148
150 175 177 196 237 238 239 240
281 290 305 318 385 386 »444 *452
463 505.
Zimmern, H. 372.
Zirngiebl, Eberh. 177 291 441.
Zöller, E. 534.
Zoellncr 238 *472 483.
Zoepritz, Rud. 291.
Zon.aster 10 31.
Zorzi, Franz Georg Venetus 35.
Zschau 486.
Zuccante 519.
Zwanziger, J. C. 234 270.
Gfdrccfcl lu d*i Königlichen llofbuchdruclwrei von E. S. Mittler und Sohn.
Herlin. Eoduttam 88—70*
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